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Full text of "Wille und Macht 7.1939, Teil 2"

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führerorgan der nationallozialitilchen Jugend 


HERAUSGEBER: BALDUR VON SCHIRACH 


Sabesaus 1030 
2. Halbjahr 


Snbaltsverzeichnis 


Hauptfchriftleiter: Günter Raufmann, Reihsingendführnng, Berlin 2835 
Rurfirflenfivafe 53 Verlag: Sentralverlag der REDAP., Berlin GW 6s 


2. Salbiabe 


Große Aufſaͤtze Heft 
Bochnert, Günther: Hans Baumanns Paſſauer nn, 777. . 15 
Bottai, S. E. Giuleppe: Die Einheit ber italieniſchen Erziehung . 20 
Brehm, Bruno: Im Often bes Neichemssssss „„ . 21 
Chamberlain, $. St.: England ............... jj; 8 . 20 
Erné, Antonio L.: Italiens zeitgenöſſiſches Schrifttu Un . 23 
Curinger, Rihard: Es iit [o wei DE 19 
iiher, Werner A.: Untere friegsbeteite Bollswirtihaft ........................-- 19 
rimm, Prof. Dr. Fr.: Zur Kriegsſchuldfrage 1939 ꝛUUPPm7: i444 é 19 
Hohlbaum, Robert: Politiſche Un 2 T 17/18 
Kaufmann, Günter: Stimmen für die Einheit der Erziehung ..................... 14 
Kaufmann, Günter: Deutſche mit Goůobeectte?erruuuſſmſſdſmſnnõnnw „ö. 24 
Keller, Sepp: Die Einberufung in den Krieg dd = 22 
Koch, Erich: Oſtland ruft die Jugend 3 8 . 16 
ftobte, Wolfgang: Deutſch⸗polniſches Schickſal an der ZBeidlel ..................... . 20 
Krüger, Gerhard: Das Ende eines gefälſchten Geſchichtsmythoos p 22 
Krüger, Gerhard: Schickſal Dannnngggzg nn . 16 
Miegel, Agnes: Oſtpreußiſche Seele `... d . 16 
Möller, €. W.: Grundſätze im Kriege ....... cee ce we cece cece 4 20 
Muth, Zr.: Berthold Otto e Maike ns 15 
Schenke, Wolf: Gehört England zu Europa? dd 13 
Schlöſſer, Rainer: Der Künder germaniſchen Geiſtes in unſerer Dichtung x 18 
Schirach, Baldur v.: Rufe aus der Hauptſtadt des deutſchen Geiſteeeeeeess 14 
Seeſemann, Kurt: Der Aufſtand gegen den Kapitalismus 21 
Scheuermann, Wilhelm: Humanitas Romananaeꝛeininiiw j 15 
Tombari, Fabio: Chronik XVII aus Fruſagliinmmw J wéꝓwi nenn 23 
Vogt: Das Bollwerk im Oſte nnn: 8 16 
Weidemann, Alfred: Ich ſprach mit dem Bürger Morail e 22 
Werner, Bruno E.: Die Malerei und Plaſtik der Gegenwart .....................- 23 
Zillich, Heinrich: Deutlde Erde j 19 
Sonderhefte Heft 
, e , y E 17/18 
e ß .. ad eae TE 23 
Deutſche mit Gott (Bekenntniſſe deutſcher Menſcheee»“nunͤõs 2. 
Gedichte Heft 
Baumann, Hans: Erntedaaaneekeke nenne nennen 19 
== Mand, Land Somme 8 14 
Bluud, $. ein i ] d 21 
Diettrich, Fritz: Winterſonnenwenndeeeet al . 24 
. Hans: Antikes Relief — Spruch des Helden — Der Wagenlenker — Gebet — " 
a Wo" Tc" TTE 2 
Miegel, Agnes: An Deutſchlands Jugend `... 19 
— Uber Der Weihe dee. une 16 
Möller, €. W.: Du Herr es ns near 19 
Muſſolini, Benito: Die Wort vom Brot `... sae MU 
Rilke, Rainer Maria: Umgang mit (Gott... 24 
Salone: Baldur von: Die heiligen Namen `... 19 
löffer, Rainer: Jahrgang 99 1... cc cece ee eee eee . 19 
Soldan c ea ũ/ o h 21 


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Außenpolitiſche Notizen # Wis. tt 


Heft Heft 
Volkspolitiſche Durchleuchtung des Brennender Korridor .......... .. 17/18 
polniihen Staatsweiens .......... 13 Neues Oſteurop nun 19 
Numäniſche Neutralitäts politik... 13 Rumänien für Real politik 19 
Die Aufbauarbeiten der ſelbſtändigen England und die Mohammedaner.. 19 
Slowalei ee 13 Wo ſteht Spanien heute?............ 21 
Englands Spiel im Mittelmeer .... 14 J iſche Oa op Aming. 21 
Standortmeſſung u. Beſtandsaufnahme 14 Jugoſlawiens Wusgleidspolitit .... 21 
Jude und Franzoſ cee eee 14 Der neue italieniſche Jugendführer 
Streit polktiſcher Ehepartner 15 Ettore Muti oss cece stances es 
8 ugal unb feine Außenpolitik 15 Politik um den Balkan 23 
[purpolitifer ................ 15 ung EE 24 
Was ht im Nahen Often?...... 16 ii — Allzuengliſc e 24 
Franzöſiſcher „Raflismus“? ........ 16 Deutſchland, England und das Meer 24 
Kleine Beiträge und Nandbemerkungen 
Heft Heft 
Der König der deutſchen Macht 13 e Ratſchläge an Wilhelms 
Ein Maler der Ne etage . 13 Kabine!” 
Der MI der Araber zur Welt- i Die neue Lage ber Reichshauptſtadt. 20 


Iflf sews aes 
Bildnis eines renzdeutſchen Dichters 14 Anſelm Feuerbach FFC 


einen klaſſiſche Stätten 14 Nietzſche über Engländer und Ruffen 22 
Ein „Schülergericht in Berlin 15 Moderne italieniſche Baufunft...... 23 
Verächtlichmachung der Lehrer 15 Vom 8 Muſikleben in 
d noſſen ber Rauderepode...... 15 Stollen uses nee 23 
S deri. Sue ner S idem Des aider Rune p, 
es Miegels SEO cher Auftrag 16 ſchaffens durch ben ét aat.......... 
ek fein hei t Charakter haben“ 17/18 Italiens Frau in Anmut und Diſziplin 23 
Offener bulgariſcher Brief an Tho: Das Beiſpiel eines gläubigen Deut; 
mas Mann 17/18 ſchen: Johann Gottlieb Fichte 24 
Neue Bücher Heft 
Das Landdienſtheim der Hitler⸗ Jugend 14 
e Generalmajor 3. B. von: Freiwillig dienen `... 14 
Schwerbrock: és kommen bie ſonnigen Tagiiinune 14 
Remold, Io T eländeaufgaben für die Hitler-Jugend ............. cee cee cece eee 14 
en[tob, Franz: Wille unb Sale... 14 
„ Hermann: Die Reife nach Liſſabooeoeͤo ns 14 
cher DES rr seele 14 
e Hans F. K.: Das Bauerntum als Lebens: sab Gemeinſchafts form 16 
ilſadſti, Joſef: Erinnerungen und Dokumennnle cece ee eeees 17/18 
der, Bieter: Das Deutſchtum in Poluuu cece cc cee eee ences 17/18 
Grimm, Claus: 1918/1919, Jahre deutſcher Entſcheidung im Baltikum 17/18 
Siewert, Wulf: Der Oftſeerann nnn . 17/18 
Birginio: Italien und Frankreichh Ahhh . 17/18 
Hummel, Hans, Siewert, Wulf: Der Mittelmeerraum .................... «eee 17/18 
jer, Franz: Spaniens Tor zum Mittelmeer 17/18 
titebt, Otte: Deutſchland mh ³ĩð er 17/18 
mm, Prof. Friedrich: Frankreich und der Kor ride 17/18 
Aan . sido: Von deutſchem es J EE 17/18 
Rande, Alexander M.: Europa eroica·E˙ k 19 
Bieber, Paul: Freimaurer im Kampf um , coca VOR ETE PAS 20 
Bartels, Adolf: Die Ditgmarider ....... 0... cece cece . 20 
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Ullmann, CREME: Die Völker im Güboiten `... 
Heymann, Egon: Balkan, Kriege, Bündniſſe, Nevolutionee as 
ene Helmut: England greift nach . JJ 8 
Menſch, all eas OUBET f ee ee 
Pers mans dif DU coe iia ð y yd y d 
= gelben Chryſanthemennnnn e n - 
Zeugnifie hee... LT 
Sappot, Gerhard: Deutſche in SER unb im Baltilum ... eee 
Eſch, Peter: Ton PM E . ³ð ĩð K 
Ve m er Mythos vom Deutinen in der polniſchen Volksüberlieferung und 
( erat cn nr.... -(. ð ß yt as EE 
Gering, Prof.: ER ber deutſchen Auslandsſiedlungen in Ofteuropa ... 
Deutſchland und ber Korridor 2. a sees cy una 
Kunzemann, Gertrud: Reiſſedd ᷑ ũ ꝗ 
Bollweiler, Helmut: Der Staats- und Wirtſchaftsaufbau im faſchiſtiſchen Italien .... 
Mayer, Anton: Uniterblihes aoolõ¹¹UUEUEhU n nenne en 
Benckiſer, Nikolas: Das dritte Kom EE 
Buchheit, Gert: Muſſolini und das neue Italie. n 
Negri, Ada: FrühdämmeruunnvVvvvvvvvvvnn . nennen 
Tombari, Fabio: Die Leute von FruſaglieUUUUUUUUUUPUũ nenn nn 
Bianca de Maj: Starkes Herz , . Qus tpa s owe bess 
REEGELE, 2 Fes vty Roe pO EE SERA awe tese YR 
Deutichland: — Englad EE 
Unſer Kampf in er "———————— noe er en 
Schärer; Delar: % MM P! MP! MM !M!Q!Q Q Q ! Q PQ QQ¶Aügà isn 
Kötzſchke, Rudolf; Ebert, Wolfgang: Geſchichte der oſtdeutſchen Kolonijation ........ 
Bes Walter: Weltkampf imei u —-————— 
as Mid oo EE 
Maren ana: Sra WEE 
Brehm, Bruns: Das E An 


Einem, Herbert von: C. D. an E EE ER ⁵ TEEN 
Müſeler: Europäiſche Kunſt UU H P P i hn 
Remiġ, F.: fied right i earesoee EE 
Ehrhardt, Alfred: Das Wattſrlłõ-; n 
po Nacht der klaren Sterne dk 

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Um BU UND BODEN ee ³ ˙ d . é , d 
Kaufmann, Günter: Das kommende Deutſchland Sr EE 
2 soe und Sungvoltjahrbud ...... CCC 

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Darré, W. R.: Um 8 unD BODEM M "H""———— Á— 


Prud: M. Müller & Sohn KG., Berlin SW 68, Dresdener Str 43 


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Ihrerorgan der nanionallozialiſtiſchen Jugend 


HERAUSGEBER: BALDUR VON SCHIRACH 


enke / Gehört Dues zu Euro | 


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chic Ber"? qu änische Neutralitatspolitik 
olen um. { seine Minderhei | 


Berlin, 1. Juli 1939 Preis 30 Pf. 


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INHALT 


Rainer Schlösser, Obergebietsführer: 
Der Künder germanischen Geistes in unserer Dichtung 


Wolf Schenke: Gehört England zu Europa? 


AUSSENPOLITISCHE NOTIZEN 


Hans Menzel: 


Volkspolitische Durchleuchtung des polnischen Staatswesens 
Klaus Schickert (Bukarest): Rumänische Neutralitdtspolitik 


Kuno Goldbach (Preßburg): 
Die Aufbauarbeiten der selbständigen Slowakei 


KLEINE BEITRÄGE 


Gerhard Krüger: Der König der deutschen Macht 


Ein Maler der Nehrung 


KUNSTDRUCKBEILAGE 


Werke von Carl Knauf (Ein Maler der Nehrung) 


ANLAGE 
Jahresinhaltsverzeichnis (1. Halbjahr) 


Veilagenhinweis 
(Außer Verantwortung der Schriftleitung) 
Oieſe Folge enthält einen Proſpekt vom Verlag Albert Langen / Georg Müller, Münden 
betitelt „Das gute Buch“. Wir machen unfere Leſer auf die Werbung hiermit aufmerkſam 


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führerorgan der nauonallozialiſtiſchen Jugend 


HERAUSGEBER: BALDUR VON SCHIRACH 


Jahrgang 7 Berlin, 1. Juli 1939 Heft 13 


Rainer Schlösser: 


Der Künder germanischen Geistes 


in unserer Dichtung 
Was uns Friedrich Hebbel bedeutet 


Man kann noch heute nicht behaupten, Hebbel gehöre ſo ſelbſtverſtändlich zum 
geiſtigen Beſitz unſeres Volkes wie Goethe oder Schiller. Dieſe Tatſache hat eine 
hundertjährige Geſchichte. Schon zu Lebzeiten des Dichters ließ ſich für ihn nur 
das verbuchen, was man einen Achtungserfolg nennt. Er fand genug des ahnen⸗ 
den Verſtändniſſes bei einem klugen, aber freilich kleinen Anhängerkreis, um den 
Nut zum Schaffen nicht völlig zu verlieren, er ſtieß aber auch auf eine Anteil⸗ 
nahmlofigkeit der weiteren Offentlichkeit, die es ſelbſt wohlmeinenden Beurteilern 
zweifelhaft erſcheinen laſſen mußte, ob in Hebbel etwas genial Neues zum Durch⸗ 
bruch gelangt wäre, oder ob es ſich bei ihm nur um eine vorübergehende, mehr 
literariſche Abſonderlichkeit handelte. Nach ſeinem Tode neigte man mehr und 
mehr der ſkeptiſch⸗negativen Anſicht zu, bis um die Jahrhundertwende eine der 
damals üblichen literariſchen Ausgrabungen erfolgte, die immerhin das Ergebnis 
zeitigte, daß Hebbel wieder aufgeführt wurde. Wie üblich, hatte dieſer poſtume 
Dichterkultus einen ſnobiſtiſchen Einſchlag, [o daß er gegen den Weltkrieg zu, und 
im Kriege dann erſt recht, im Sande verlief. Das Ende der wenig glücklichen Be⸗ 
mühungen des deutſchen Volkes, mit der Aufgabe, die jeder Dichter, alſo auch 
Hebbel ihm ſtellte, fertig zu werden, war das wütende Gekläff der Syſtemzeit, die 
aus guten Gründen einen kulturbolſchewiſtiſchen Theatermord an Hebbel in⸗ 
ſzenierte. Wenn man 1920 noch vorſichtig begann, zunächſt die Parole „Hütet euch 
vor Hebbel“ nur in dramaturgiſcher Hinſicht auszugeben, war man 1930 ſchon 
dabei angelangt, Menſch und Werk des Dithmarſchers zu diffamieren. In einer 
Literaturgeſchichte, die in Hunderttauſendauflage den Buchmarkt überſchwemmte, 
wurden alle Einwände, der Vorwurf der Herzloſigkeit, der kalten Konſtruktion, 


2 Schlösser / Der Künder germanischen Geistes in unserer Dichtung 


des intellektuellen Übergewichts, bes Erklügelten, ja Krankhaften im Zielen und 
Werk Hebbels überbetont, und mit politiſchen Nachkriegshintergedanken folgender: 
maßen zuſammengefaßt: „Es gibt ein Wort: nur wer wahrhaft ſchlecht geweſen 
iſt, kann wahrhaft gut werden. Buddha ſelber muß in einem früheren Leben 
einmal ein Mörder geweſen ſein. Niemand ſehnt ſich ſo brennend nach Erlöſung, 
wie der Unreine, der Verfemte, der Verbrecher, der ſeines Verbrechens ſich bewußt 
wird. Friedrich Hebbel, ein Bauernſohn aus Dithmarſchen, war vielleicht das, was 
man einen böſen Menſchen nennt. Von Dämonen gehetzt, brach er, ein verhungerter 
Wolf, an dem man jede Rippe einzeln zählen konnte, in die Lämmerweide der 
deutſchen Dichtung ein. Jedes Mittel war ihm recht, ſeinen geiſtigen Hunger zu 
ſtillen. Er ſchlug Eide in den Wind und verriet Frauen, die ihn liebten und ohne 
die er krepiert wäre — um der Idee zu dienen. Er ſelbſt konnte wohl gedanklich, 
aber gefühlsmäßig mit ſeiner wie ein Eiſengerüſt konſtruierten Dramatik nicht mit. 
Seine Dramen find alle irgendwie erſtaunlich; man muß wie der Wächter im 
Zoologiſchen Garten auf ſonderbare Tiere mit dem Stock darauf zeigen. Seine 
‚Ribelungen-Trilogie‘ ift eine Monſtroſität.“ 

Abgeſehen davon, daß es gut und heilſam erſcheint, immer wieder einmal in die 
Erinnerung zu rufen, was ſich der Kulturbolſchewismus, der bewußt auf Klaſſiker⸗ 
mord ausging, ungeſtraft in Deutſchland leiſten konnte, greife ich dieſes Zitat des⸗ 
wegen heraus, weil es nicht etwa einen einmaligen Exzeß darſtellt, ſondern viel⸗ 
mehr die Summe aller Friedrich Hebbel widerfahrenen Unbill in ſich zuſammen⸗ 
faßt. In der feuilletoniſtiſch geiſtreichelnden Art, die uns nur zu lange gemundet 
hat, werden hier zunächſt gänzlich unerwieſene Begriffe wie Dithmarſcher Bauern⸗ 
ſohn und Verbrecher zuſammengeworfen, damit Hebbel nach den Lehren der Milieu⸗ 
theorie als ein Opfer der Geſellſchaft charakteriſiert werden kann, der intelligent 
genug iſt, ſich an der Geſellſchaft zu rächen. Da ſich nun aber für die Theorie des 
Untermenſchen Hebbel in den Werken keine Anhaltspunkte bieten, werden dieſe 
als Monſtroſitäten bezeichnet. 

Gewiß fol man den böswilligen Unfinn, der vor der Machtübernahme auf: 
brodelte, in ſeiner Nachwirkung nicht überſchätzen. Im Falle Hebbel war er aber 
doch gefährlicher als ſonſt, weil ſich allzu viele Vorurteile ſchon vorher eingeniſtet 
hatten. Und jedenfalls zeigt ſich uns, daß die hohe Sendung der Gerechtigkeit, 
die das nationalſozialiſtiſche Deutſchland durchführt, nirgendwo nachdrücklicher am 
Platze iſt als bei dem letzten Dramatiker des 19. Jahrhunderts, der kein Epigone 
war. Wie überall, muß dem Haß der Mittelmäßigkeit gegen das Große endgültig 
unſere aufgeſpeicherte Liebe entgegengeſetzt werden. Des ein Zeichen war die 
Wormſer Aufführung der „Nibelungen“ in der Reichstheaterfeſtwoche des Jahres 
1937 und die Inſzenierung der „Agnes Bernauer“ im Rahmen der Heidelberger 
Neichsfeſtſpiele. 

Dichter wie Hebbel ſind es, an denen ſich unſere kulturelle Aufrichtigkeit erprobt. 
Wir müſſen begreifen lernen, daß ſie nicht nur eine rätſelhafte Beziehung haben 
zu allem, was uns umgibt, ſondern auch eine geheimnisvolle Geltung für das, 


Schlösser / Der Künder germanischen Geistes in unserer Dichtung 3 


was uns bewegt. Sie find die Springwurzeln unſerer Art. Man kann und foll 
ſie an unſerer Seele anlegen, und plötzlich enthüllt ſich der tiefere Sinn und der 
tiefere Trieb unſeres Handelns. Man kann mit ihnen unſere Fehler und unſere 
Vorzüge erklären. Sie lehren uns das: Erkenne dich ſelbſt, damit du fähig biſt, du 
ſelbſt zu ſein! — oder anders geſagt: Sie zeigen uns den ewigen Deutſchen und be⸗ 
fähigen uns dadurch erft, ſelbſt ganz deutſch zu fein. Sie find es, die den ſeeliſchen 
Lebensraum alles Deutſchen umreißen. Sie find es, wie aus der Tiefe feines hin: 
teißenden muſiſchen Empfindens der Reichsjugendführer mit zwingendem Grund 
zu betonen pflegt, die nach Hölderlins Wahrſpruch „das Bleibende ſtiften“. In 
ihren Werken lebt das unſterbliche deutſche Gemüt, das Gefühl, der ewige Traum. 
Hundert Begriffe vermöchten dieſes Wunder der Geſtaltung nicht auszuſchöpfen, 
das grenzenlos iſt und ſich grenzenlos verſtrömt. Es offenbart ſich nur der inneren 
Schau. Sie iſt der ſtändige Befehl zur Entfaltung des äußerſten Adels, der unver⸗ 
gängliche Aufruf, auch zu ſeinem Teil das Kapitel des Herzens und des Geiſtes, 
das Gott einem mitgab, an die Volksgemeinſchaft zu verſchenken, ſie iſt der Altar 
der Seele, auf welchem die Flammen der Begeiſterung niemals erlöſchen dürfen. 


Es iſt nicht ſchwer aufzufinden, was einen Hebbel den Halben ſo unerträglich 
und den Ganzen ſo teuer machte. Schon die erſten Zeilen ſeiner Tagebücher, die 
ein heiliges Vermächtnis deutſchen Menſchentums find, ſtellen jeden Leſer vor die 
Entſcheidung der Bejahung oder Verneinung. Gewiß wird es jedem, das darf 
billigerweiſe zugegeben werden, die Stimme verſchlagen, wenn ein Zweiund⸗ 
zwanzigjähriger, der der Welt Leiſtungen noch nicht vorzuweiſen hat, nieder⸗ 
ſchreibt: „Ich fange dieſes Heft nicht allein meinem künftigen Biographen zu Ge⸗ 
fallen an, obwohl ich bei meinen Ausſichten auf die Unſterblichkeit gewiß ſein kann, 
daß ich einen erhalten werde.“ Das iſt dazu angetan, eine gut geordnete, durch 
geregelte Examina gegangene bürgerliche Bildungswelt von vornherein in den 
Auſſchrei: Hoffart! ausbrechen zu laffen. Wobei denn freilich überſehen wird, daß 
mit dieſem Tagebuchbeginn keine Anmeldung auf Verſorgungsberechtigung öffent⸗ 
lich ausgeſprochen ſein ſollte; vielmehr ſetzte hier nur einer, den das Schickſal ſchon 
als Knaben feierlich als Hungerleider einkleidete, der unter der Treppe mit den 
Kutſchern nächtigen mußte und ſich im weltabgelegenen Weſſelburiſchen Winkel 
eine totale Bildung als Autodidakt bis zum zweiundzwanzigſten Jahre angeeignet 
hatte, alſo nicht Hinz und Kunz, ſondern ein Friedrich Hebbel damit ſein Lebens⸗ 
ziel, und allerdings ſpottete er damit gleichzeitig aller „Milieutheorie“. Wir haben 
den Blick für ſolchen unbändigen Stolz wiedergewonnen. Es hat uns ergriffen, 
daß wir uns unlängſt der Gewißheit des fünfundzwanzigjährigen Schopenhauer 
erinnern durften, er und ſein Werk würden vor der Nachwelt beſtehen. Und wer 
gedächte gerade in dieſer weltgeſchichtlichen Zeit nicht gleichzeitig jener ſtillen und 
Botzen Vorſätze, die aus einem entrechteten und zerbrochenen Deutſchland die Welt: 
macht von heute geſchaffen haben? Die Geſetze der Größe ſind, wo immer ſie ſich 
auch auswirken mag, ſtets die gleichen, wenn ſie auch ganzen Generationen vor 
uns nicht mehr aufgegangen ſind. 


2 Schlösser / Der Künder germanischen Geistes in unserer Dichtung 


des intellektuellen Übergewichts, des Erklügelten, ja Krankhaften im Weſen unb 
Werk Hebbels überbetont, und mit politiſchen Nachkriegshintergedanken folgender⸗ 
maßen zuſammengefaßt: „Es gibt ein Wort: nur wer wahrhaft ſchlecht geweſen 
iſt, kann wahrhaft gut werden. Buddha ſelber muß in einem früheren Leben 
einmal ein Mörder geweſen ſein. Niemand ſehnt ſich ſo brennend nach Erlöſung, 
wie der Unreine, der Verfemte, der Verbrecher, der ſeines Verbrechens ſich bewußt 
wird. Friedrich Hebbel, ein Bauernſohn aus Dithmarſchen, war vielleicht das, was 
man einen böſen Menſchen nennt. Von Dämonen gehetzt, brach er, ein verhungerter 
Wolf, an dem man jede Rippe einzeln zählen konnte, in die Lämmerweide der 
deutſchen Dichtung ein. Jedes Mittel war ihm recht, ſeinen geiſtigen Hunger zu 
ſtillen. Er ſchlug Eide in den Wind und verriet Frauen, die ihn liebten und ohne 
die er krepiert wäre — um der Idee zu dienen. Er ſelbſt konnte wohl gedanklich, 
aber gefühlsmäßig mit ſeiner wie ein Eiſengerüſt konſtruierten Dramatik nicht mit. 
Seine Dramen ſind alle irgendwie erſtaunlich; man muß wie der Wächter im 
Zoologiſchen Garten auf ſonderbare Tiere mit dem Stock darauf zeigen. Seine 
‚Nibelungen-Trilogie‘ ift eine Monſtrofität.“ : 

Abgeſehen davon, daß es gut und heilſam erſcheint, immer wieder einmal in die 
Erinnerung zu rufen, was fid) der Kulturbolſchewismus, der bewußt auf Klaſſiker⸗ 
mord ausging, ungeſtraft in Deutſchland leiſten konnte, greife ich dieſes Zitat des⸗ 
wegen heraus, weil es nicht etwa einen einmaligen Exzeß darſtellt, ſondern viel⸗ 
mehr die Summe aller Friedrich Hebbel widerfahrenen Unbill in ſich zuſammen⸗ 
faßt. In der feuilletoniſtiſch geiſtreichelnden Art, die uns nur zu lange gemundet 
hat, werden hier zunächſt gänzlich unerwieſene Begriffe wie Dithmarſcher Bauern⸗ 
ſohn und Verbrecher zuſammengeworfen, damit Hebbel nach den Lehren der Milieu⸗ 
theorie als ein Opfer der Geſellſchaft charakteriſiert werden kann, der intelligent 
genug iſt, ſich an der Geſellſchaft zu rächen. Da ſich nun aber für die Theorie des 
Untermenſchen Hebbel in den Werken keine Anhaltspunkte bieten, werden diefe 
als Monſtroſitäten bezeichnet. 

Gewiß ſoll man den böswilligen Unſinn, der vor der Machtübernahme auf⸗ 
brodelte, in ſeiner Nachwirkung nicht überſchätzen. Im Falle Hebbel war er aber 
doch gefährlicher als ſonſt, weil ſich allzu viele Vorurteile ſchon vorher eingeniſtet 
hatten. Und jedenfalls zeigt ſich uns, daß die hohe Sendung der Gerechtigkeit, 
die das nationalſozialiſtiſche Deutſchland durchführt, nirgendwo nachdrücklicher am 
Platze iſt als bei dem letzten Dramatiker des 19. Jahrhunderts, der kein Epigone 
war. Wie überall, muß dem Haß der Mittelmäßigkeit gegen das Große endgültig 
unſere aufgeſpeicherte Liebe entgegengeſetzt werden. Des ein Zeichen war die 
Wormſer Aufführung der „Nibelungen“ in der Reichstheaterfeſtwoche des Jahres 
1937 und die Inſzenierung der „Agnes Bernauer“ im Rahmen der Heidelberger 
Neichsfeſtſpiele. 

Dichter wie Hebbel ſind es, an denen ſich unſere kulturelle Aufrichtigkeit erprobt. 
Wir müſſen begreifen lernen, daß ſie nicht nur eine rätſelhafte Beziehung haben 
zu allem, was uns umgibt, ſondern auch eine geheimnisvolle Geltung für das, 


Schlösser / Der Künder germanischen Geistes in unserer Dichtung 3 


was uns bewegt. Sie find die Springwurzeln unſerer Art. Man kann unb foll 
ſie an unſerer Seele anlegen, und plötzlich enthüllt ſich der tiefere Sinn und der 
tiefere Trieb unſeres Handelns. Man kann mit ihnen unſere Fehler und unſere 
Vorzüge erklären. Sie lehren uns das: Erkenne dich ſelbſt, damit du fähig biſt, du 
ſelbſt zu ſein! — oder anders geſagt: Sie zeigen uns den ewigen Deutſchen und be⸗ 
fähigen uns dadurch erſt, ſelbſt ganz deutſch zu ſein. Sie ſind es, die den ſeeliſchen 
Lebensraum alles Deutſchen umreißen. Sie find es, wie aus der Tiefe ſeines hin⸗ 
reißenden muſiſchen Empfindens der Reichsjugendführer mit zwingendem Grund 
zu betonen pflegt, die nach Hölderlins Wahrſpruch „das Bleibende ſtiften“. In 
ihren Werken lebt das unſterbliche deutſche Gemüt, das Gefühl, der ewige Traum. 
Hundert Begriffe vermöchten dieſes Wunder der Geſtaltung nicht auszuſchöpfen, 
das grenzenlos iſt und ſich grenzenlos verſtrömt. Es offenbart ſich nur der inneren 
Schau. Sie iſt der ſtändige Befehl zur Entfaltung des äußerſten Adels, der unver⸗ 
gängliche Aufruf, auch zu ſeinem Teil das Kapitel des Herzens und des Geiſtes, 
das Gott einem mitgab, an die Volksgemeinſchaft zu verſchenken, ſie iſt der Altar 
der Seele, auf welchem die Flammen der Begeiſterung niemals erlöſchen dürfen. 


Es iſt nicht ſchwer aufzufinden, was einen Hebbel den Halben ſo unerträglich 
und den Ganzen ſo teuer machte. Schon die erſten Zeilen ſeiner Tagebücher, die 
ein heiliges Vermächtnis deutſchen Menſchentums ſind, ſtellen jeden Leſer vor die 
Entſcheidung der Bejahung oder Verneinung. Gewiß wird es jedem, das darf 
billigerweiſe zugegeben werden, die Stimme verſchlagen, wenn ein Zweiund⸗ 
zwanzigjähriger, der der Welt Leiſtungen noch nicht vorzuweiſen hat, nieder⸗ 
ſchreibt: „Ich fange dieſes Heft nicht allein meinem künftigen Biographen zu Ge⸗ 
fallen an, obwohl ich bei meinen Ausſichten auf die Unſterblichkeit gewiß ſein kann, 
daß ich einen erhalten werde.“ Das iſt dazu angetan, eine gut geordnete, durch 
geregelte Examina gegangene bürgerliche Bildungswelt von vornherein in den 
Auſſchrei: Hoffart! ausbrechen zu laſſen. Wobei denn freilich überſehen wird, daß 
mit dieſem Tagebuchbeginn keine Anmeldung auf Verſorgungsberechtigung öffent⸗ 
lich ausgeſprochen ſein ſollte; vielmehr ſetzte hier nur einer, den das Schickſal ſchon 
als Knaben feierlich als Hungerleider einkleidete, der unter der Treppe mit den 
Kutſchern nächtigen mußte und ſich im weltabgelegenen Weſſelburiſchen Winkel 
eine totale Bildung als Autodidakt bis zum zweiundzwanzigſten Jahre angeeignet 
hatte, alſo nicht Hinz und Kunz, ſondern ein Friedrich Hebbel damit ſein Lebens⸗ 
ziel, und allerdings ſpottete er damit gleichzeitig aller „Milieutheorie“. Wir haben 
den Blick für ſolchen unbändigen Stolz wiedergewonnen. Es hat uns ergriffen, 
daß wir uns unlängſt der Gewißheit des fünfundzwanzigjährigen Schopenhauer 
erinnern durften, er und ſein Werk würden vor der Nachwelt beſtehen. Und wer 
gedächte gerade in dieſer weltgeſchichtlichen Zeit nicht gleichzeitig jener ſtillen und 
ſtolzen Vorſätze, die aus einem entrechteten und zerbrochenen Deutſchland die Welt⸗ 
macht von heute geſchaffen haben? Die Geſetze der Größe find, wo immer fie ſich 
auch auswirken mag, ſtets die gleichen, wenn ſie auch ganzen Generationen vor 
uns nicht mehr aufgegangen ſind. 


4 Schlösser / Der Künder germanischen Geistes in unserer Dichtung 


Weniger umſtritten war die fanatiſche Wahrheitsliebe Hebbels. Doch konnte es 
naturgemäß auch in dieſer Hinſicht an Mißverſtändniſſen nicht fehlen, weil der 
Durchſchnitt ſich mit „Wahrheiten“ zu begnügen pflegt, während die einmalige 
Perſönlichkeit noch immer tragiſch um die Wahrheit gerungen hat; ſo auch Hebbel. 
Dafür ſind ſeine Tagebücher ein lückenloſer Beweis. Alle diejenigen, die ſich mora⸗ 
liſch über die Trennung Hebbels von Eliſe Lenſing entrüſtet haben, haben wohl 
niemals die Frage aufgeworfen, wie fie ſich über einen ſolchen Schritt Rechenſchaft 
gegeben haben würden. Ich bitte, hier einen Superlativ gebrauchen zu dürfen. 
Die Tagebuchſtelle, die wir über dieſen Entſchluß Hebbels beſitzen, iſt das Erſtaun⸗ 
lichſte an Aufrichtigkeit, was das deutſche Bekenntnisſchrifttum aufzuweiſen hat. 
Nicht nur, daß von Verrat keine Rede ſein konnte, da das von Anfang an einen 
Sonderfall darſtellende Verhältnis Hebbels zu Eliſe Lenſing dem Gereiften niemals 
halten konnte, was es dem Jüngling vielleicht zu verſprechen ſchien, iſt der Entſchluß 
Hebbels auch dadurch geadelt und geheiligt, daß er die traurige Verkettung der 
Umſtände bis in die Einzelheiten genau erkannte und be kannte. Dadurch wurde 
er mit dem vollen Willen um die Wahrheit ſeeliſch belaſtet, und damit wurde Elife 
Lenſing alles zuteil, was ſie fordern durfte. Es liegt in der menſchlichen Natur, 
daß ſie, vor ähnliche Entſcheidungen geſtellt, ſich an die Lebenslüge zu klammern 
pflegt. Welche Fülle von Möglichkeiten ergäbe ſich da für den Autobiographen, den 
Sachverhalt zu vernebeln, mit Phraſen zu überdecken, edle Antriebe vorzuſchützen 
und die Verantwortung auf andere abzuwälzen. Es gibt keinen Hiſtoriker, der den 
zweifelhaften Wert perſönlicher Dokumente in dieſem Punkte nicht kennt. Jeden 
ſolchen Verdacht aber erſchlägt bei Friedrich Hebbel der eine Satz: „Ich zögere 
nicht, dieſes Bekenntnis unumwunden abzulegen, ſoviel ich auch dabei verlieren 
würde, wenn ich einen deutſchen Jüngling zum Richter hätte.“ Er war eben „ent⸗ 
ſchloſſen, zehnmal lieber ſich ſelbſt, als die Wahrheit zu opfern“, und beantwortet 
die Frage Lüge oder Wahrheit mit den Verſen: 


„Was du teurer bezahlſt, die Lüge oder die Wahrheit? 
Jene koſtet dein Ich, diefe doch H ö H itens dein Glück.“ 


Iſt es nicht ergreifend, wie hier die formgegebene Akzentuierung, der metriſch 
notwendige Tonfall auf dem Wörtchen „höchſtens“ zu einer Fanfare des Sitten⸗ 
geſetzes wird? Man hat Hebbel bezichtigt, er ſei zu ſelbſtgerecht geweſen. Aber 
richtiger ijt doch wohl, daß er angeſichts der Wahrheit ſelbſt gerech⸗ 
ter dachte als viele, die ihn bemängelten. Wie denn die vielen 
Urteile, die er über Mitlebende gefällt hat, nie einen ſchönen Hang zur Gerechtig⸗ 
keit vermiſſen ließen. Ja, ſogar ſich ſelbſt wollte er nicht überhöht wiſſen; wie 
anders hätte er die Bitte eines ſeiner Anhänger, ſein Drama „Gyges und ſein 
Ring“ angreifen zu dürfen, ſofort bejaht? Nach der landläufigen Anſicht mußte 
ihm das nicht ſchwergefallen ſein, weil das Wort von der kühlen Natur, der Tem⸗ 
peramentloſigkeit Hebbels nachgerade zu dem holdeſten Gemeinplatz unſeres Lite⸗ 
raturgeſchwätzes geworden iſt. Ich darf in dieſem Zuſammenhang einen Augenblick 
vorgreifen und die Frage aufwerfen, wo in aller Welt ſich dieſe Temperament⸗ 


„Pischerkähne am Haffstrand* 


Carl Knauf: 


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Schlösser / Der Klinder germanischen Geistes in unserer Dichtung 5 


lofigfcit in feinen Werten dofumenticren foll? Spürt man denn bie glühende 
Sinnlichkeit feiner Dichtungen wirklich nicht? Will man jid noch immer nicht ver- 
gegenwärtigen, welche Situation „Gyges und fein Ring“ zugrunde liegt? Hier 
lodern Brände! Wer bedauert, daß ſie durch die künſtleriſche Beherrſchtheit Hebbels 
zu Opfer feuern wurden, bie der Altäre unſerer Kultur würdig find, der ſollte 
auch beklagen, daß die Elemente nicht mehr blind wüten dürfen, ſondern durch 
das, was den Menſchen von der Kreatur abhebt, zu Dienern eines Höheren ge⸗ 
worden ſind. Es wäre ja auch merkwürdig genug, wenn die Dinge anders lägen 
bei einem Menſchen, deſſen Beziehungen zur Frau man andererſeits dauernd ver⸗ 
ketzerte. Nur in der Zeit der Verwirrung aller Gefühle und vor allem einer lächer⸗ 
lichen Emanzipation des Weibes konnte als Kühle verbucht werden, wenn Hebbel, 
dieſer Frauenlob deutſcher Dichtung, erklärte: „Wer nicht im Weibe das Ideal 
ſieht, wo ſoll der es überhaupt noch ſehen, da das Weib doch offenbar in ſeiner 
Blüte die idealſte Erſcheinung der Natur iſt.“ Und wie tief iſt das Gleichnis von 
der heiligen Mütterlichkeit in dem Gedicht „Virgo et mater“, wie beklemmend und 
erlöfend ſcharfſinnig die Aufſpürung des eigentlichen weiblichen Adels noch in der 
Häßlichen, die in dem Gedicht „Das Mädchen“ geſchildert wird! 


Dieſer Blick für echten Adel beſtimmte auch ſeinen Standpunkt in der Dichtung. 
Es iſt bezeichnend, daß Hebbel über Verſen Ludwig Uhlands zum bes 
wußten Dichter geworden iſt. Das deutſche Herz, welches in den Schöp⸗ 
fungen Uhlands aufglühte, warf ſein ſtrahlendes Licht in den kimbriſchen Nebel 
Dithmarſchens und entzündete dort die gleiche Glut in der Seele des heranreifenden 
Hebbel. Hebbel machte damals die Erfahrung, daß jeder tüchtige Menſch in einem 
großen Manne untergehen muß, wenn er jemals zur Selbſterkenntnis und zum 
ſicheren Gebrauch ſeiner Kräfte gelangen will. „Ein Prophet ſchafft den zweiten“ 
ſagt er ſelbſt in ſeinen Tagebüchern, „und wem dieſe Feuertaufe das Haar ſengt, 
der war nicht berufen.“ Mit einer Sauberkeit der Gefinnung, die derjenigen 
Uhlands in nichts nachſteht, hat Hebbel bewieſen, wie ſehr er berufen war. Das 
Einzelbeiſpiel ſeines Verhältniſſes zu Uhland, dieſer kleine Einzelabſchnitt eines 
teichen Lebens, mag andeuten, was mich immer wieder, um mit Kleiſt zu reden, 
veranlaßt hat, dem Maurerſohn aus Weſſelburen auf den „Knien des Herzens“ 
zu nahen. Als Hebbel ſeine „Judith“ vollendet hatte, ſandte er dies Schauſpiel an 
Uhland. Er erhielt keine Antwort. So weh es ihm tat, er ſchrieb dennoch in ſein 
Tagebuch: „Dem Dichter Uhland bleibt lebenslang meine Verehrung, dem Manne 
und Charakter meine tiefe Achtung.“ Ungeachtet ſeiner tiefen Enttäuſchung be⸗ 
ſuchte er ſpäter den großen ſchwäbiſchen Romantiker in Stuttgart, deſſen naive, 
tührende Weile fid) zu geben ihm ebenſo gefiel wie Uhlands Anſpruchsloſigkeit. 
„Freue mich“, verzeichnet das Tagebuch, und am Ende dieſer Beziehungen ſteht die 
Überſendung der Hebbelſchen Gedichte, bie bie letzte dankbare Huldigung eines an 
einem großen Vorbilde Gereiften darſtellte. Nie hat er Uhland jenes „Wohl⸗ 
wollen“, das Teilnahmsloſigkeit doch faſt ſtreifte, ſich jedenfalls im Rahmen des 
ÜUblichen hielt, nachgetragen, ein gerade im Bereich des Schrifttums ſeltener menſch⸗ 


6 Schlässer / Der Künder germanischen Geistes in unserer Dichtung 


licher Zug, diefe „Beſcheidenheit gegen ben Vordermann“. Und deswegen bejonders 
rührend, weil ſich uns ſo das Schauſpiel darbietet, wie ſich dem Dichter des Liedes 
vom guten Kameraden ein Größerer als guter Kamerad bewährte. 

Wenn man, wie es hier geſchah, ſich mit einigen wenigen, aber markanten Strichen 
ein Bild von der Perſönlichkeit Hebbels zu machen verſucht hat, ſo müßte ſein 
Schaffen hierzu in keinerlei Beziehung ſtehen, ſofern man denjenigen glauben 
wollte, bie feine Dramen für lebensferne und erklügelte Konſtruktionen erklärt 
haben. Indeſſen: Wenn jemals der lückenloſe Zuſammenhang von gelebtem Leben 
und Dichtung bewieſen werden konnte, ſo bei Hebbel. Nur wer ſein Menſchentum 
nicht begreift, verſteht auch ſeine Geſtalten nicht, die ſelbſtverſtändlich ebenſo Kinder 
feines Fleiſches und Blutes find, wie Goethes „Fauſt“ und Heinrich von Kleiſts 
„Prinz von Homburg“ es ſind. Hebbel kennt keine Wahrheit für den Privatbedarf 
und eine andere für das ſchöpferiſche Tun. Wenn ihm die eine Wahrheit die dun⸗ 
kelſten Tage ſeines Daſeins erhellt, ſo leuchtet ſie ihm auch in den Stunden müh⸗ 
ſeligen Ringens um die Form und im Rauſch des Schaffensprozeſſes. Die Unab⸗ 
dingbarkeit ſeines Wahrheitsfanatismus hebt ihn weit hinaus über das Zeitalter 
der halben Talente, falſchen Gefühle, Literaturkonfektionäre und des ungeiſtigen 
Epigonentums. Den Riß, welcher zwiſchen ihm und den anderen beitanb, hat er 
mit humorigem Sarkasmus ſchon in den Wanderjahren, in Paris, umſchrieben: 

„Beethoven ſchied. Und während er verſchnauft, 
herrſcht Meyerbeer, der hundert Orgeln kauft, 
damit der Komponiſt, der mit ihm ringt, 

nicht eine vor ihm auf die Bühne bringt. 
Beethoven hätt' der Orgel ſelbſt vertraut, 

was dieſer auf die erſte Orgel baut.“ 

Dazu iſt wohl nicht viel zu bemerken. Es ſpricht ſo für ſich ſelbſt, wie Hebbels 
ergänzende Feſtſtellung über bie Bettelhaftigkeit ſogenannter künſtleriſcher Reden- 
exempel, „die nicht ohne Schlittſchuhbahnen und in die Luft geſprengte Schlöſſer 
zum Effekt gelangen konnten“. Die unbarmherzige Ablehnung jeden Effektes um 
des Effektes willen ſtellte dann allerdings Geſtalten auf die Bühne, die weder eine 
ſentimentaliſche Biedermeierdämmerung, noch eine fortſchrittsgläubige Gründer- 
zeit, noch die folgende Zeit ſatter Bürgerlichkeit recht verſtehen konnten. Erſt ein 
durch alle Feuer des Weltkriegs hindurchgegangenes Geſchlecht, das ſich rückbeſann 
auf die Haltung, welche den ſchickſäligen Untergang der Nibelungen mit ewigem 
Ruhme krönte, erft ein ſolches Geſchlecht ward ganz reif, in Hebbel und feinen Ge, 
ſtalten die germaniſche Urſubſtanz zu erkennen, zu bejahen und zu würdigen. 

Immer bewährt ſich in ſeinen Dramen unſere artgemäße Grundhaltung, die ſich 
in den Werken ausſpricht und die er auch gelebt hat: 

Gott dem Herrn iſt's ein Triumph, 
wenn ihr nicht vor ihm vergeht, 
wenn ihr, ſtatt im Staube ſtumpf 
hinzuknien, herrlich ſteht! 


Schlösser / Der Künder germanischen Geistes in unserer Dichtung 7 


Den unvergleidliden Frauengeſtalten feiner Dichtungen eignet ausnahmslos 
eine helle, blaudugige und blonde Sicherheit, wie wir fie ſonſt nur ähnlich in den 
Sagas geſchildert finden. Ihr unnahbarer Stolz ſtammt aus Hebbels Heimatland, 
aus Dithmarſchen: 


„Wo ehrbar blond der Weizen reift 
und ſtachlicht⸗keuſch die Gerſte ſticht, 
wenn man ſie noch ſo leiſe ſtreift.“ 


Aus dieſem Holze ſind auch die dämoniſchen Charaktere geſchnitzt, die Hebbels 
Werke uns vorführen. So mancher atmet die hohe Gefährlichkeit herrſchſüchtiger 
nor manniſcher Königinnen, die lieber die Welt ohne Kopf verlaſſen, eh denn fie 
ihn beugen. Und auch die Männer, die er zeichnete, verdienen immer dieſen Namen. 
Welch unbändiger Stolz des Gefolgmannes ſpricht aus Verſen wie dieſen: 


„So groß iſt keiner, daß er mich als Werkzeug 
gebrauchen darf. Wer Dienſte von mir fordert, 

die mich, vollbracht und nichtvollbracht, wie's kommt, 
ſchmachvoll dem ſicheren Untergange weihn, 

der ſpricht mich los von jeder Pflicht, 

dem muß ich zeigen, daß es zwiſchen Königen 

und Sklaven eine Mittelſtufe gibt 

und daß der Mann auf dieſer ſteht.“ 


Dieſe Verſe muten bei flüchtigem Überleſen freilich verdächtig individua⸗ 
liſtiſch an. Wer aber, wie man das bei Hebbel immer muß, genau lieſt, erkennt, 
daß die einzige Bedingung, welche hier an die Verpflichtung zur Gefolgſchaftstreue 
geknüpft wird, diejenige iſt, dem ſicheren Untergange nicht ſchmachvoll überant⸗ 
wortet zu werden. Nicht der ſichere Untergang iſt es alſo, der ſchreckt, ſondern einzig 
und allein die Gefährdung der Ehre wird als untragbar empfunden. 


Dieſes Geſetz der Ehre, welches demjenigen, der es beherzigt, folgerichtig Aus⸗ 
blicke auch in die dunklen Riſſe des Unerforſchlichen verſchafft und ihm zum gebore⸗ 
nen Tragiker ſtempelt, dieſes Geſetz der Ehre iſt der innerſte Kern faſt aller Werke 
Hebbels. Sei es nun, daß es ſich verbogen und verlandläufigt zu erſtarrtem Eigen⸗ 
finn auswirkt, wie in Maria Magdalene, fei es, daß die Bernauerin ſich zu ſchade 
iſt für die Lüge, den Schleier zu nehmen, und ihre Liebe lieber mit dem Tod 
bezahlt, fet es, daß es Gyges und Kandaules zum ſchickſalsgefügten Zweikampf 
zwingt, ſei es ſchließlich, daß es in den düſteren Flammen der Nibelungen⸗Trilogie 
auflodert. 

Weſen und Werk machen die Beſonderheit der Hebbelſchen Dramaturgie ver⸗ 
ſtändlich. Der Dichter ging, wie er ſelbſt ſagt, beſtändig auf die plötzliche und un⸗ 
vorhergeſehene Entbindung des ſittlichen Geiſtes aus. Infolgedeſſen 


8 Schlösser / Der Künder germanischen Geistes in unserer Dichtung 


mußte er in der überhöhten jtrengen Form eines gebauten Dramas den Werdens⸗ 
prozeß, der allein zu einer Entbindung führen kann, ſich abwickeln laſſen, oder 
anders ausgedrückt, dem Handlungsablauf ein Problem zugrunde legen. Damit 
iſt ausgeſprochen, was alle, die mehr das Spieleriſche artiſtiſchen Bemühens ſchätzen, 
mit Schauder erfüllt. Das darf aber nicht davon abhalten, feſtzuſtellen, daß es 
Hebbel gelungen iſt, und zwar faſt zum einzigen Male, die künſtleriſchen 
Grundbeſtandteile des deutſchen Dramas, das Geiſtige und 
Gefühls mäßige, zu vereinigen. Es ließe fid in weitergreifenden Aus» 
führungen leicht auf zwei Neigungen der deutſchen dramatiſchen Dichtung hin⸗ 
weiſen, nämlich: Stücke mit viel Sentimentalität und wenig 
Geib. ober fogenannte Denkſpiele ohne Herz zu verfaſſen. Das bor: 
moniſche Gleichgewicht dieſer Elemente aber iſt ſelten und deswegen Hebbel ſo 
einzig und, wir wollen es ruhig ausſprechen, ſo vorbildlich — auch für unſere Zeit. 
Auch in rein ſtiliſtiſcher Beziehung konnte die vieljährige theoretiſche und praktiſche 
Bemühung des Naturalismus nicht über die kunſtphiloſophiſche Maxime hinweg⸗ 
kommen, die ihr Hebbel als Schranke ſetzte, indem er ſagte: 


Freunde, ihr wollt die Natur nachahmend erreichen? O Torheit! 
Kommt ihr nicht über ſie weg, bleibt ihr auch unter ihr ſtehn!“ 


Der Raſſenforſcher Günther beſchreibt die ſeeliſchen Eigenſchaften der nordiſchen 
Raſſe dahin, daß ſie Wahrhaftigkeit, Tatkraft, Unzugängigkeit gegenüber Markt⸗ 
ſchreierei, Gerechtigkeitsgefühl, Ehrbewußtſein und Ehrfurcht vor der Leiſtung aus⸗ 
zeichneten. Bewußt habe ich mit dieſem, die Frage Hebbel in jeder Beziehung 
klärenden Zitat bis jetzt hintangehalten, weil allzu leicht ein durch ungeſchickten 
und unbefugten Gebrauch zum Gemeinplatz geſtempeltes Wort, anfänglich aus⸗ 
geſprochen, den Eindruck hätte hervorrufen können, es ſei mir um billige Über⸗ 
rumpelung zu tun. Nun aber, nachdem Leben und Werk die Beweiſe lieferten, daß 
alle die von Günther als eigentümlich nordiſch angeführten Merkmale die Merk⸗ 
male auch Friedrich Hebbels ſind, dürfen wir dem Wiſſenſchaftler dafür danken, 
daß er, beſonders mit den Ausführungen ſeiner Schrift „Raſſe und Stil“ den 
Dichter Hebbel auch da enträtſelt hat, wo er dem deutſchen Volke bisher dunkel 
blieb. Hebbel iſt geradezu ein Prüfſtein, an dem ſich entſcheidet, wie weit entfernt 
oder wie nahe der einzelne dem germaniſch⸗nordiſchen Blutbeſtand unſeres Volkes 
ſteht. In der Tat, in den „Nibelungen“ finden ſich Stellen, die unmittelbar in 
einer Isländer⸗Geſchichte ſtehen könnten, und Hebbel ift der „Saga mann des 
deutſchen Dramas“. Und es iſt Hebbels würdig, wenn Günther ſagt: „Es 
iſt ſinnlos, nach Form und Inhalt zu fragen: der Inhalt ſeiner Werke ſind die 
inneren Geſichte eines nordiſchen Menſchen, ihre Form ein Ausdruck des herben, 
oft ſchroffen Geſtaltungswillens eines überragenden nordiſchen Künſtlers.“ 


Auf dieſem Erkenntniswege, den wir der als ſpezifiſch nationalſozialiſtiſch zu 
bezeichnenden Raſſenwiſſenſchaft verdanken, erklärt ſich auch der in allem der 


Schlösser / Der Künder gerinanischen Geistes In unserer Dichtung 9 


Milieutheorie ſpottende Lebensgang Hebbels: nackte Not gleich zu Beginn, dunkle 
Schatten über ſeiner Jugend, Abſpeiſung des Jünglings an Freitiſchen, deren 
Beſuch ihm die Hinrichtung feines inneren Menſchen bedeutete, Hungerjahre im 
Sinne des Wortes in München! Das würde genügt haben, um einen Menſchen 
minderer Art, ja wohl ſogar um eine gediegene Durchſchnittsbegabung zu jenem 
anarchiſt iſchen Intellektuellen zu machen, als ben die eingangs erwähnte Literaturs 
geſchichte Hebbel konterfeien wollte. Das Wunder des Bluterbes, das ſich in Hebbel 
manifeſt ierte, hat aber zu einem ganz anderen Ergebnis geführt. Er hat, kann 
man ſag en, mit dem ſtillen Stolz des tragiſchen Siegers Jahrzehnte ſeines Lebens 
geopfert, um ſeine gottgewollte Aufgabe durchzuführen. Was bedeutete dieſem 
Maurerſ ohn aus Weſſelburen, daß er früh ſterben folte, wenn er nur kompromiß⸗ 
los ſchaffen durfte, was bedeutete ihm die Unzulänglichkeit der Umwelt, gemeſſen 
an der geiſtigen Souveränität, mit dem das Schickſal ihn von vorn⸗ 
herein begnadete? Aber allerdings: der Weg zum Herzen ſeines Volkes mußte 
ein langer ſein. Er ſchuf ſein königliches Werk ja zu einer Zeit, wo die Fürſten 
fielen und das Volk noch nicht königlich zu denken gelernt hatte. Weniger und 
immer weniger fiel ins Gewicht, daß der alte Ludwig von Bayern wenigſtens 
ahnte, was Hebbel war, und Karl Alexander von Weimar wußte, daß die Nibe⸗ 
lungen feit Schiller und Goethe die größte ſchöpferiſche Tat 
des deutſchen Schrifttums darſtellten. Dem ſtellte fid bet Wider⸗ 
ſtand eines geiſtig bequem gewordenen Durchſchnitts entgegen, die ſtumpfe Gleich⸗ 
gültigkeit der Mittelmäßigen, „weil ſie zu ſchwach für einen echten Haß, und auch 
zu klein für volle Großmut ſind“. Jetzt erſt, nachdem das Geſetz der Ehre wieder 
das geſamte Leben der Nation beſtimmt, iſt auch die Möglichkeit gegeben, Friedrich 
Hebbels Vermächtnis zu dem zu machen, was es zu Nutz und Frommen Deutſch⸗ 
lands längſt ſchon hätte ſein müſſen: zu einem unverlierbaren geiſtigen und künſtle⸗ 
tiſchen Beſitz jedes Volksgenoſſen. Das ift die Aufgabe, deren Erfüllung wir 
Friedrich Hebbel heute ſchulden. 


Es iſt das Jahr 1813, die hohe Stunde der nationalen Befreiung Deutſchlands 
vom Joch unerträglicher Fremdherrſchaft, geweſen, eine heroiſche Schickſalsſtunde, 
die uns einen Friedrich Hebbel und Richard Wagner ſchenkte. Gin Jahr der 
heldiſchen Tat gebar diejenigen, welche durch ihr Werk die 
ewige Wiederkehr des germaniſchen Geiſtes ſicherſtellen 
ſollten. Wir ſind fromm genug geworden, auch wenn uns das von Engſtirnigen 
oft beſtritten wird, um in ſolchen Zuſammenhängen die hohe Fügung Gottes zu 
ahnen, und weil wir wieder ſo denken, möchte ich auch darin ein Walten des Welt⸗ 
geiſtes ſehen, daß die Stadt, in der Friedrich Hebbel ſeine Nibelungen ſchuf, Wien 
hieß. Damals freilich mußte er von Wien noch nach Weimar wandern, um tieferes 
Verſtändnis zu finden. Seit Jahresfriſt aber dürfen wir fagen: ob in Weſſelburen, 
in Weimar oder in Wien — überall iſt Deutſchland erwacht, und mit ihm der 
Geiſt der Aufgeſchloſſenheit für die germaniſche Ehre, deren Sänger Friedrich 
Hebbel geweſen iſt. 


ech 


| Wolf Schenke: 


Gehört England zu Europa? 


Wenn man bie Preſſe der Welt liejt und den Reden gewijjer Staatsmänner 
lauſcht, dann ſcheinen die Völker der Erde ſich in zwei Kategorien einteilen zu 
laſſen: Schulmeiſter und ungezogene Schüler. Über das Waſſer ſchallen unaus⸗ 
geſetzt Belehrungen herüber zum Kontinent, Belehrungen, die ſich hauptſächlich 
gegen Deutſchland und Italien und gegen die kleineren Nationen richten, die ſich 
dem Block der neuen europäiſchen Ordnung anſchließen. Sie richten ſich gegen alle, 
die neue Wege beſchreiten, die denen drüben in England und Amerika nicht 
gefallen. 

Es zeugt von der Langmut der mitteleuropäiſchen Völker, daß dieſe Schul⸗ 
meiſterei noch nicht ſchärfer und deutlicher als unverſchämte Anmaßung zurüd- 
gewieſen worden iſt. Abgeſehen davon, daß es gegen alle Sitte und den inter⸗ 
nationalen guten Willen verſtößt, ſich in die Angelegenheiten anderer Völker ein⸗ 
zumiſchen, wenn ſchon geſchulmeiſtert und bevormundet werden ſoll, ſeit wann iſt 
es dann üblich, daß die Kinder und Enkel die Großeltern maßregeln? Amerika 
zum mindeſten ſteht doch zu den alten Völkern Europas im Verhältnis eines noch 
recht grünen Jungen, der nicht nur keine Manieren kennt, ſondern auch noch nicht 
einmal die primitiviten Schularbeiten als Nation geſchrieben hat. 


Wir wollen uns jedoch mit England, als dem Wortführer einer deutſchfeindlichen 
Einkreiſungsfront, beſchäftigen. Und da find wir es den Völkern Europas ſchuldig, 
nicht mehr länger wie bisher die Predigten, die von drüben herüberſchallen, un be⸗ 
antwortet zu laſſen, ſondern durch die Aufzählung des tatſächlichen Verhaltens 
Englands in der Geſchichte Europas zu zeigen, wie alle Völker des Kontinents 
ohne Ausnahme ein gemeinſames Intereſſe des Zuſammenſchluſſes haben gegen die 
ſeit Jahrhunderten bisher mit Erfolg von außen nach Europa hineingetragenen 
Keime der Zwietracht und des Zerwürfniſſes, aus denen England auf Koſten aller 
profitierte. 

England erklärt ſich heute zum Feind der neuen Ordnung, die im Be⸗ 
griff iſt, ſich auf dem europäiſchen Kontinent durchzuſetzen. Es fügt damit zu ſeiner 
draußen in der Welt durch ſeine Bekämpfung des natürlichen Nationalismus der 
jungen Völker angenommenen Rolle des Reaktionärs der Weltgeſchichte 
nur noch den europäiſchen Teil. England liebt es, in ſeiner Propaganda — die 
ebenjo alt wie geriſſen iit — als Hüter bes europäiſchen Friedens und des aus: 
geglichenen Zuſammenlebens der Völker, als Schutzengel der kleinen bedrohten 
Völker aufzutreten. Demgegenüber iſt es an der Zeit ſich zu überlegen: Gehört 
England zu Europa? Dieſe Frage kann nur bem ſeltſam und weit hergeholt 
erſcheinen, der die Dinge nur oberflächlich betrachtet oder dem, der keine Kenntnis 
der europäiſchen Geſchichte beſitzt. Denn wenn wir nur die Geſchichte der Be⸗ 
ziehungen Englands zum europäiſchen Kontinent einer kleinen Prüfung unter: 
ziehen, fo müſſen wir zu der Feſtſtellung gelangen, daß England die der euro⸗ 
päiſchen Einheit feindlichſte Macht der Welt immer geweſen 


Schenke / Gehört England zu Europa? 11 


ift. (Allerdings find wir hier in ber für engliſche Begriffe unerhörten Anmaßung 
befangen, die Geſamtheit der Völker des Kontinents und nicht die engliſchen Inſeln 
als den wichtigſten und bedeutendſten Teil Europas anzuſehen). 

England hat beſtändig daran gearbeitet, eine europäiſche Einheit nach Kräften 
zu verhindern. England wurde erſt mit dem Zuſammenbruch der 
kontinentalen Einheit groß, und ſeine heutige Einſtellung 
i ſt von der Furcht diktiert, daßeine neue Ordnung in Europa 
den Kontinent zuſammenführen könnte, wo mit es ſelbſt 
wieder die Stellung einnehmen würde, die es vor dem Zu⸗ 
ſammenbruch der Einheit des Abendlandes innehatte. 


England nahm den Weißen ihren Kolonial beſitz 


Noch — ich fehe das Stirnrunzeln mancher Lejer — ſcheint diefe Theſe in ei ne m 
widerſpruchsvoll. Gilt nicht England oder das von England geführte Britiſche 
Imperium in der ganzen Welt als der Vorkämpfer europäiſcher Kultur und Zivili⸗ 
(ation? Bedeutet das Empire nicht für die anderen europäiſchen Kolonialmächte 
gleichzeitig den Schutz auch für ihre Beſitzungen? So feſt iſt der Gedanke von der 
Rolle Englands als dem Beſchützer der weißen Völker dank der britiſchen Propa⸗ 
ganda ſchon zum ſelbſtverſtändlichen Beſtandteil unſeres Denkens geworden, daß 
die Überlegung fernliegend erſcheint, ob nicht vielmehr Franzoſen, Portugieſen, 
Holländer und Belgier mit dem Reſt ihrer Beſitzungen, der ihnen noch von Eng⸗ 
land gelaſſen wurde, den engliſchen Kolonialbeſitz garantieren. Jedenfalls 
it Englands Rolle als „Vormacht“ der weißen alle immer eine ſehr ſeltſame 
geweſen. Von wem nahm England feine wertvollſten Kolonien? Ranges fie 
in ſchweren Kämpfen den Farbigen ab? Nein, es entriß fie 
weißen Völkern, nachdem diefe bie härteſte Vorarbeit ge: 
leiſtet hatten. Es raubte ſie mit Gewalt von Spaniern, Portugieſen, Fran⸗ 
zoſen und Holländern und zuletzt ſchließlich von uns Deutſchen, mit derſelben Ge⸗ 
walt, die, wenn aus Lebensnotwendigkeit oder zum Segen eines Dritten von 
anderen angewandt, als Verbrechen bezeichnet wird. 


Dieſe Anführung von Tatſachen, die keine Propaganda der Welt vertuſchen 
kann, wurde nur deshalb an den Anfang dieſer Ausführungen geſtellt, damit die 
bei den meiſten Menſchen vorhandenen von fremden Ideologien und Propaganda 
beeinflußten Vorſtellungen von vornherein radikal ausgerottet werden möchten. 
Eine nüchterne Betrachtung der europäiſchen Geſchichte ſeit der Völkerwanderung 
und in ihr der Wechſelbeziehungen zwiſchen England und dem Kontinent ſollte ſich 
heute keine der europäiſchen Nationen vorenthalten. Ja, ſie gehört ſogar zu den 
unbedingten Notwendigkeiten, wenn es verhindert werden ſoll, daß Europa ſich 
noch einmal im Dienſte anderer in einem Bruderkampfe zerfleiſcht. Jene Nationen 
— es ſind zum Glück nur noch wenige — die immer noch willens ſind, für England 
in einen Krieg zu gehen, der nur mit ihrem Untergange enden kann, müſſen die 
Cemeinſamkeit der kontinentalen, der europäiſchen Intereſſen und damit ihren 
eigenen Nutzen erkennen, bevor es zu ſpät iſt. 


12 Schenke / Gehört England zu Europa? 


Aus England hört man heute Stimmen, wir Deutſchen wollten Europa wieder 
„ins Mittelalter“ zurückführen. Ja, in einer Beziehung wollen wir das auch. 
Nicht in das Mittelalter ber Herenprozeſſe und Ketzerverfolgungen, aber in jenes 
beglückende Zeitalter, als Europa oder das Abendland eine, wenn auch loſe, poli⸗ 
tiſche und geiſtige Einheit war, die doch bei der bunten und vielfältigen Selb⸗ 
ſtändigkeit von Völkern und Stämmen immerhin ſo ſtark war, daß es unter 
Führung des Reiches gegen Gefahren von außen, die ſeiner Geſamtheit drohten, 
geſammelt zum Segen aller eingeſetzt werden konnte. Freilich war damals Eng⸗ 
land eine unbedeutende Inſel, die abwechſelnd von Normannen oder Dänen erobert 
wurde. Es ſtand in völliger Abhängigkeit vom Kontinent, deren eindrucksvollſter 
Augenblick wohl jene Stunde war, in der ein engliſcher König, Richard 
Löwenherz, dem Kaiſer und dem Reiche den Lehenseid leiſtete, eine Tat⸗ 
ſache, deren meines Wiſſens in engliſchen Geſchichtsbüchern kaum Erwähnung 
getan wird. 


Kennzeichnend für das Verhältnis Englands zum Kontinent in jener Zeit iſt 
es, daß Englands imperialiſtiſcher Aufſtieg erſt begann, als die Einheit des 
Abendlandes zugrunde ging, als das Reich ſich mehr und mehr auflöſte 
und die Nationen des Kontinents ſich in nicht endenwollenden Kriegen gegenſeitig 
zu bekämpfen begannen. Die tapferen und unternehmenden Nationen des Weſtens, 
Spanier, Portugieſen, Franzoſen und Holländer hatten neue Kontinente entdeckt 
und zu erſchließen begonnen. England konnte auf ihre Koſten zur Weltmacht 
werden, indem es ſie der Früchte ihrer harten Anſtrengungen beraubte, während 
ſie in Europa in die Kämpfe um die Beute des zerfallenden Reiches hineingezogen 
wurden. Europa war zerriſſen, und die glückliche Inſel England brauchte in dieſe 
inneren Kämpfe nicht einzugreifen, wozu Spanier, Franzoſen und Holländer infolge 
ihrer Schickſalsgemeinſchaft mit den übrigen Staaten des Kontinents gezwungen 
waren. Es war eine Gelegenheit zum Raub, und ſie wurde von den Engländern, 
die die Seeräuberei bereits offiziell ſanktioniert hatten, weidlich ausgenutzt. Der 
Raubzug mit der Miene des gentleman, in deſſen Verlauf faſt allen europäiſchen 
Kolonialmächten die wertvollſten Teile ihrer Beſitzungen genommen wurden, fand 
ſeinen Abſchluß erſt nach dem Weltkrieg mit dem Raub der deutſchen Kolonien. 
Aber bis auf den heutigen Tag währt die europäiſche Zwietracht, die England 
zu allen Zeiten ſeine unerhört große und zweifellos Achtung fordernde Ent⸗ 
wicklung ermöglichte. 


Wir ſind weit davon entfernt, wie es die Engländer uns gegenüber tun würden 
und ſogar ſchon tun, wenn wir deutſches Land dem Reich wiederangliedern, 
uns darüber moraliſch zu entrüſten, daß England die Gelegenheit der europäiſchen 
Selbſtzerfleiſchung benutzte, um ſich ein Weltreich zu ſchaffen, das mit großer 
Tapferkeit und Fleiß aufrechterhalten wurde. Nur klingt es nicht ſehr überzeugend, 
wenn Räuber von dem Segen der Ehrlichkeit reden, nachdem ſie alles zuſammen⸗ 
geraubt haben und durch eine Neuverteilung nur verlieren können. Wir müſſen 
dieſe Heuchelei zurückweiſen, die lediglich den Verſuch darſtellt, mit moraliſchen 
Parolen andere zur Mithilfe an der Verteidigung des Raubes zu gewinnen. 


Schenke / Gehört England zu Europa? 13 


Eins allerdings müſſen bie Völker Europas der engliſchen Politik durch die 
Jahrhunderte zum Vorwurf machen. Sie begnügte ſich nämlich nicht damit, die 
europäiſche Zwietracht auszunutzen, ſondern ſie nahm allmählich ſogar ſelbſt auf 
dem Kontinent aktiven Anteil. Dies geſchah früher ebenſo wie augenblicklich 
in der Zeit britiſcher Einkreiſungspolitik in der Abſicht, jede europäiſche 
Einheit zuzerſtören und die einzelnen Staaten gegeneinander auszuſpielen, 
damit ſie ſich dauernd gegenſeitig derartig aufheben, daß auch nicht einer nach 
außen hin aktiv werden kann (man denke nur an Polens kolonialpolitiſche Wünſche); 
eine Politik, die man ſo euphemiſtiſch als die Politik des europäiſchen Gleichgewichts 
bezeichnet hat. Preußen wurde unterſtützt, als es gegen Frankreich kämpfte, damit 
man fi der franzöſiſchen Zeitungen in Indien und Nordamerika bemächtigen 
konnte. Kanada wurde praktiſch durch die Bataillone Friedrichs des Großen ge⸗ 
wonnen. Als Napoleon, eine der größten europäiſchen Geſtalten, ſeinen Traum 
von der europäiſchen Einheit des Kontinentes träumte und allerdings mit der 
Gewalt des Schwertes nicht nur an ſeine Verwirklichung ging, ſondern auch ſogar 
in Afrika und Paläſtina kämpfte, Wonn England wieder auf der Seite der Feinde 
Frankreichs. Als Frankreich ſpäter durch die Armee Preußens und der deutſchen 
Bundesſtaaten eine vernichtende Niederlage erlitt und an ſeiner Stelle das Deutſche 
Reich Bismarcks die ſtärkſte Macht in Europa wurde, wandte ſich England langſam 
Frankreich zu. Noch einmal, über koloniale Fragen, ſchien es kurz vor der Jahr⸗ 
hundertwende wieder zum Bruch mit Frankreich zu kommen. Es gab Strömungen, 
die ein gutes Verhältnis zu Deutſchland vorgezogen hätten. Schließlich ſetzte man 
aber doch in der Entente cordiale auf Frankreich, denn das Deutſche Reich war 
nicht nur zur ſtärkſten Macht geworden, es machte ſich auch draußen in der Welt 
auf den bis dahin vornehmlich engliſchen Märkten außerordentlich bemerkbar. 
Sogar mit dem Erzfeind Rußland, gegen den man eben noch die Japaner ins Feld 
geſchickt hatte, verband ſich ſchon um die Jahrhundertwende England, um jenen 
großen europäiſchen Block der Mittelmächte, der unter Führung des Reiches ſtand, 
zu vernichten. ) 

1918 lag Deutſchland am Boden, unb Frankreich begann feine Hegemonie in 
Europa aufzurichten. Schon waren die Engländer auf der anderen Seite, bes 
wieſen Sympathie für die Weimarer Republik, bekämpften die Franzoſen im 
griechiſch⸗türkiſchen Kriege, bremſten bei dem Ruhrabenteuer und verſuchten überall 
einen mäßigenden Einfluß auf Frankreich auszuüben, bis ſchließlich heute das zur 
ſtärkſten Macht in Europa gewordene neue nationalſozialiſtiſche Deutſchland die 
Engländer wieder feſt auf der Gegenſeite, ja ſogar als deren Wortführer ſieht. 

Und dieſes Mal ſcheint für Englands Intereſſen wirklich Gefahr im Verzuge zu 
ſein. Denn hier ſteht nicht nur das neue Großdeutſche Reich und mit ihm Italien 
und eine Anzahl junger kräftiger Nationen, die beginnen, eine neue Ordnung in 
Europa zu ſuchen. Es iſt nicht nur eine neue politiſche Macht. ſondern es iſt auch 
eine europäiſche Idee, die ihre Auferſtehung gefeiert hat. 


14 Schenke / Gehört England zu Europa? 


Hier kommen wir zu bem ſchwerwiegendſten Punkt der engliſchen Einmiſchung 
auf dem europäiſchen Kontinent. Wenn England heute gegen die Idee des natio⸗ 
nalen Sozialismus und gegen die autoritären Staatsführungen Stellung nimmt, 
wenn es eine Front der Demokratien gegen die autoritären Staaten konſtruiert, 
ſo iſt das keine Heuchelei, ſondern es iſt ernſt gemeint. Denn der Siegeszug dieſer 
neuen europäiſchen Idee beraubt England ſeiner ſtärkſten Waffe gegenüber dem 
Kontinent: England hat in der Vergangenheit nicht nur ins machtpolitiſche 
Spiel des Kontinents Zwietracht ſäend eingegriffen, es hat auch ſeine Ideen 
hinüber auf den Kontinent geſchickt, um die europäiſchen Staaten von innen her 
zu unterhöhlen. Es hat in allen europäiſchen Ländern Parteien geſchaffen, die 
England geiſtig hörig waren. 

Engliſche Ideen und Lebensweiſe, dieſelben, die wir heute unter dem Sammel⸗ 
begriff der Demokratie von Engländern und Amerikanern verteidigt finden, haben 
die europäiſchen Staaten zerſetzt. Wie England ſeinerzeit China das Opium mit 
Gewalt aufgezwungen hat, das ſeinen Volkskörpet zerſtörte, fo hat das Rauſch⸗ 
gift der auf die Schwäche der Menſchen ſpekulierenden eng: 
liſchen Ideen die europäiſchen Völker dazu verführt, ihnen gänzlich weſens⸗ 
fremde Formen anzunehmen, deren Zuſammenbruch wir heute endlich erleben. 

Die Angelſachſen und die führenden Völker des Abendlandes beſitzen eine grund⸗ 
verſchiedene Konzeption der perſönlichen Freiheit. Der angelſächſiſche Begriff iſt 
die rein individuelle Freiheit des Einzelmenſchen; wir können Freiheit nur in Be⸗ 
ziehung zur Gemeinſchaft ſetzen. Dem Angelſachſen iſt der Menſch das Maß aller 
Dinge, Deutſche, Italiener, fogar ſchon Franzoſen, bie alten Kulturnationen des 
Kontinents, ſehen den Einzelmenſchen von vornherein hineingeſtellt in eine Ordnung, 
von der her allein ſein Leben einen Sinn erhält. Es tut nichts zur Sache, daß 
dieſe Ordnung zu verſchiedenen Zeiten von verſchiedenen Inſtitutionen verkörpert 
wurde, ob fie Reih, Kirche, Staat oder Volk hieß. Das Entſcheidende ift die Idee, 
etwas dem Einzelmenſchen Uber „geordnetes“, eine Gliederung in den Beziehungen 
der Menſchen zueinander. Der einzelne allein bedeutet nichts und gilt nur, inſo⸗ 
weit er dienendes Glied dieſes Ganzen iſt. 

Dazu kommt eine Grunderkenntnis, daß, ſolange es menſchliches Zuſammenleben 
gab, es Führer und Geführte, Herrſcher und Beherrſchte, Befehlende und Ge⸗ 
horchende gegeben hat. Der Angelſachſe ſetzt an die Stelle dieſer Erkenntnis ſeine 
Auffaſſung von dem „natürlichen Recht des einzelnen auf Freiheit“, das heißt auf 
völlige Freiheit, zu tun, was er will. 

Die erſte Revolution gegen die geſetzte Herrſchaft in Europa finden wir in Eng⸗ 
land. Die erſte Hinrichtung eines Königs durch feine Unter: 
tanen fand in Englandſtatt, ein Beiſpiel, das auf dem Kontinent nur 
in den anarchiſchen Ausbrüchen der franzöſiſchen und der bolſchewiſtiſchen Revolu⸗ 
tion Schule machte. Die auf dem Liberalismus beruhende von England kommende 
Demokratie wirkt ſich bei allen Völkern des Kontinents als eine Zerſetzungs⸗ 
erſcheinung menſchlicher Ordnung aus. Wir fragen die Völker Europas, welches 


Schenke / Gehört England zu Europa? 15 


unter ihnen von fi lagen kann, daß es unter dieſer Ideenherrſchaft glücklich und 
einig, geſund und nach außen gekräftigt gelebt hat. Daß England ſelbſt noch nicht 
ſeinem eigenen Gedankengut zum Opfer gefallen iſt, liegt nur an der beſonderen 
Lage des Inſelreiches. Während die Vielzahl der europäiſchen Nationen ſich auf 
engem Raume drängt, dehnte ſich das kleine engliſche Volk ohne Grenzen in die 
weite Welt hinaus aus. Da war freilich genug Platz, und ſelbſt, wenn der einzelne 
in unbeſchränktem Egoismus ſeine Ellenbogenfreiheit gebrauchte, ſtieß er damit 
noch lange keinen Nebenmenſchen an, und darüber hinaus gebar die hohe Aufgabe 
einer Weltbeherrſchung einen nationalen Egoismus und ein britiſches Weltgefühl. 
Die engliſche, liberaliſtiſche Lebensform entwickelte ſich in 
einer Bewegung der unbegrenzten Ausdehnung in immer 
weitere Räume, und die Privatintereſſen der einzelnen 
mochten noch ſo egoiſtiſch ſein, ſie addierten ſich doch zu⸗ 
ſammen zum Geſamtintereſſe des ganzen Volkes. | 

Anders beim Kontinent, deſſen Ordnung auf Statik und auf Begrenzung aus 
geſchnitten war. Jetzt, wo die Ausdehnung auch für die Engländer in der Welt zu 
Ende iſt, zeigen ſich auch ſchon in dem liberaliſtiſchen Gebäude die erſten 
Bruchſtelle n. Vielleicht führt gerade die Erkenntnis von der heute mehr und 
mehr auch für England abnehmenden Gültigkeit des Prinzips der unumſchränkten 
Freiheit des einzelnen bei den Advokaten der Demokratie zur Verdammung neuer 
Ideen, weil fie im innerſten Herzen fürchten, daß fie auch bei ihnen eines Tages 
ihren Siegeszug antreten könnten. 


Aber gerade wegen ihrer Geburt aus einer ganz anderen Situation mußten 
ſich die engliſchen Ideen auf dem Kontinent verheerend auswirken. Sie dehnten 
ſich über Frankreich und die franzöſiſche Revolution allmählich über ganz Europa 
aus. Politiſche Parteien, die an die egoiſtiſchen Inſtinkte des Einzelmenſchen 
appellierten, entſtanden, der engliſche Parlamentarismus wurde eingeführt, und 
beide zerſetzten die natürlichen Ordnungen der Völker. Sie brachten die europäiſchen 
Staaten dahin, wo ſie ſich heute befinden, bis ſchließlich in Italien und Deutſchland 
Mächte der Ordnung aufſtanden, die für die alte europäiſche Tradition einer 
hierarchiſchen Gliederung neue volksgemäße Ausdrucksformen fanden. Es iſt nicht 
etwa ſo, wie immer noch manche glauben möchten, daß Nationalſozialismus und 
Faſchismus nur aus einer Notlage geborene und nur für die Überwindung dieſer 
Notlage geborene Syſteme ſind. Die Tatſache, daß ſie die beiden Völker vor dem 
ſicheren Untergang retteten, beſagt noch lange nicht, daß ſie einſt in beſſeren Zeiten 
vetſchwinden werden. Es ift im übrigen ganz bezeichnend, daß ſelbſt Nationen, deren 
Häupter mit ihrem Herzen heute noch den Verlockungen des Weſtens viel Zu⸗ 
neigung entgegenbringen, in ihrer wirklichen Politik ſchon völlig nach den Ge⸗ 
ſetzen autoritärer Volksführung ihre Staatspolitit auszurichten beginnen. 

Außere Formen ändern ſich mit der Zeit, aber die Idee bleibt dieſelbe, denn ſie 
verkörpert in ſich das Ideal allet europäiſchen Kulturvölker durch die Jahrhunderte. 
Wir haben von der Verſchiedenheit geſprochen, die zwiſchen den grundlegenden 


16 Schenke / Gehört Engiand zu Europa? 


»Lebensauffaſſungen der kontinentalen Völker und den Angelſachſen beſteht. Man 
könnte dafür Hunderte von Beiſpielen anführen, die den gewaltigen Unterſchied 
in der Mentalität zeigen. Aus England ſtammt jener Utilitarismus, die religiofe 
Heiligung des Erwerbstriebes. Engliſch iſt die Frage nach dem Nutzen einer 
Sache. Europäiſch iſt es, nach der Größe in einer Sache zu ſuchen. 

Wir müſſen uns hier darauf beſchränken, den Unterſchied im engliſchen Denken 
gegenüber dem der Völker, die wahrhaftig die Größe der abendländiſchen Kultur 
ſchufen, nur anzudeuten. Es iſt ſicher, daß die gewaltigen geiſtigen Kräfte, die mit 
der europäiſchen Neugeburt im Nationalſozialismus und Faſchismus geweckt wur⸗ 
den, nachdem der Kampf um die Lebensentfaltung der Völker erſt einmal gewonnen 
iſt, zu einzigartiger Entfaltung kommen und auch philoſophiſch ein ganz neues 
Zeitalter im Denken der Menſchheit herbeiführen werden. 

Noch einen Punkt müſſen wir anführen — und hier werden die Engländer uns 
vielleicht beſſer verſtehen, denn es handelt ſich um bar Geld — ich meine das 
Heraufkommen einer neuen wirtſchaftlichen Ordnung in Europa, die dem kapi⸗ 
taliſtiſchen Syſtem des Freihandels nicht entſpricht. Freihandel — ein geheiligtes 
Dogma! Geheiligt von denen, die daraus Nutzen zogen, und wehe dem, der dieſe 
Heiligkeit anzuzweifeln wagt! Wie manche kleine Nation iſt ſchon durch dieſes 
Dogma in wirtſchaftliche Verſklavung geraten! 

Die Völker Europas und vor allem Mitteleuropas und des Oſtens und Südoſtens 
ſind aufeinander angewieſen. Wenn die vornehmlich agrariſchen Länder keinen 
Markt für ihre Produkte finden, warum follten fie dieſe dann nicht Deutſchland geben, 
und wenn Deutſchland infolge des „Reparationen“ genannten Raubzuges gegen 
ſeine Volkswirtſchaft keine ausländiſchen Zahlungsmittel hat, warum ſollte es 
dann nicht in Fertigwaren zahlen, die ſeine Kunden gebrauchen können? Freilich, 
der freie Wettbewerb des Welthandels, jenes geheiligte Spiel, verſchwindet damit 
zuſehends aus Europa. Aber iſt das neue Syſtem, zuerſt nur aus einer Notlage 
geboren, nicht eine unendlich viel natürlichere Form des wirtſchaftlichen Austauſchs 
mit dem, der mir am nächſten iſt, dem Nachbarn? Und ſchließlich führt dieſe wirt⸗ 
ſchaftliche Symbioſe der Völker auch zu einer engeren kulturellen und politiſchen 
Zuſammenarbeit, zu einer wahrhaft guten und anſtändigen Nachbarſchaft. Noch 
find viele Steine aus dem Wege zu räumen, aber die neue Richtung iſt endgültig 
eingeſchlagen und Europa befindet ſich auf dem Wege zur Einheit, zu der Einheit, 
die England ſtets erfolgreich zu verhindern wußte und der ſich gleichberechtigt aber 
nicht bevormundend einzuordnen ganz im britiſchen Intereſſe läge. 


Welche Haltung wird England nun im entſcheidenden Augenblick einnehmen? 
Hat es fid ſchon reſtlos entſchloſſen, dieſelbe Haltung wie in den letzten Jahr⸗ 
hunderten europäiſcher Geſchichte einzunehmen? Wenn man dem Einkreiſungs⸗ 
gehabe zuſieht, jenen krampfhaften Bemühungen, andere vor den engliſchen Schlacht⸗ 
wagen zu ſpannen, möchte man es beinahe annehmen. 

Englands friedlicher Weg bedeutet Rückzug aus der Stellung als erſter und 
das Zünglein an der Waage bildender Macht in Europa, unter Beibehaltung einer 


2 — — — — — 


Außenpolitische Notizen 


17 


Weltmachtſtellung. Klar und ohne Zweifel dürfte ſein, daß ber nächſte Schritt auf 
eineman deren Weg den Zuſammenbruch des engliſchen politiſchen Syſtems nicht 
nur in Europa, ſondern auch den unvermeidlichen Zerfall des Empire einleitet. 
Die europäiſche Einheit gleichberechtigter und an einem natürlichen wie geſunden 
Zuſammenleben intereſſierter und tätig wirkender Staaten wird ſich nicht mehr 
aufhalten laſſen, und ein England, das ſie bedroht, wird ſich nach einem Zu⸗ 
ſammenſtoß ohne ſein Weltreich und in Europa in einer Lage befinden, die ſich 
auszumalen wir den an Viſionen ſo reichen britiſchen Reportern während des ver⸗ 


dienten Sommerurlaubs überlaſſen. 


etußenpolitifche Hu 


Pais Menzel: 


Volkspolitische Durchleuchtung 
des polnischen Staatswesens 
Noch hat Polen nicht gewonnen! 


„Noch e Polen nicht verloren!“ Das war 

die Parole polniſcher Revolutionäre Jahr⸗ 

hunderte hindurch. Mit beiſpielloſem Idea⸗ 

lismus haben Generationen des polniſchen 

Volkes gegen übermächtige Gegner ge⸗ 

Lad um ihr Ziel, ben eigenen polniſchen 
aat. 


Wir erkennen diefe Tatſache an, ja wir 
bewundern das polniſche Volk fogar wegen 
ſeiner Kraft, die es in dieſen Jahrhunderten 
des illegalen Kampfes bewieſen hat. Wir 
Deutſche find die letzten, bie den Polen bas 
Recht auf einen eigenen Staat abſprechen. 
Allerdings hört unſere Bewunderung dort 
auf, wo Idealismus in Phantaſterei 
übergeht. 


Die polniſche Preſſe fordert in dieſen 
Wochen in immer neuen Artikeln Oſt⸗ 
preußen, Danzig, Schleſien und darüber 
inaus alles Land öſtlich der Oder. Eine 
ettormelle von noch nicht dageweſener 
tie iit gegen die in Polen lebenden 
deutſchen Volksgenoſſen in vollem Gange. 
u Hunderten flüchten ſie ins Reich. 
ührende Politiker hetzen in beiſpielloſer 
tt und Weiſe gegen das Deutſche L5 
und raſſeln mit ben Säbeln. Ja, man ſchrie 
Ogar von einer „Schlacht bei Berlin“, in 
t man den deutſchen Erbfeind endgültig 
„auseinanderhauen“ werde! 


Das deutſche Volk hat noch nie in ſeiner 
Geſchichte eine Herausforderung abgelehnt. 
Wir nehmen all das, was man in Polen 
ſpricht und ſchreibt, zur Kenntnis. Aller⸗ 
dings ſtellen wir hieraus erſt einmal in 
Anlehnung an die alte polniſche Parole 
feſt: Noch hat Polen nicht gewonnen! 


Die Frontenſtellung 


Die Fronten ſind — ſoweit es uns be⸗ 
trifft — klar: 80 Millionen Deutſche, durch 
die Gemeinſamkeit des Blutes, des Schick⸗ 
ſals und des Willens in einem ſtarken Reich 
zuſammengeſchloſſen. Eine auf das modernſte 
ausgerüſtete ehrmacht, eine bis ins 
kleinſte durchorganiſierte Wirtſchaft, ein 
Volk in Waffen, das bereit iſt, iid bis zum 
letzten einzulegen, weil es weiß, daß feine 
Fängt. allein von der eigenen Kraft ab⸗ 

ängt. Dieſes deutſche Volk iſt entſchloſſen, 
fein Reich, in dem über 140 Menſchen auf 
dem Quadratkilometer leben müſſen, bis 
zum letzten zu verteidigen. Es iſt darüber 
hinaus entſchloſſen, ſich den Anteil an den 
Beſitztümern der Erde zu erkämpfen, der 
ihm auf Grund ſeiner Zahl und ſeiner 
Leiſtungen zukommt. 

Das iſt in ganz großen Zügen das, was 
diesſeits der Front gegebenenfalls ſtehen 
wird! Was haben Sie, meine Herren von 
der Weichſel, die Sie ſich jetzt kaum zu 
ügeln wiſſen, dem gegenüberzuſtellen? Sie 
ftimmen fier mit uns darin überein, daß 

ie Macht eines Staates im Augenblick 
ernſter Gefahr von der Einſatzbereitſchaft 
ſeiner Staatsbürger abhängt. Ein Volk, das 
im Staat ſeine äußere Form ſieht und 
in ſeinem Zuſammenbruch ſeine weitere 


18 Menzel / Voikspolilische Durchleuchtung des polnischen Staatswesens 


Exiſtenz in Frage geſtellt glaubt, wird ihn 
unter Einſatz aller Kräfte verteidigen. Das 
deutſche Volk hat in den vier Jahren Welt⸗ 
krieg bewieſen, zu welchen gewaltigen 
Leiſtungen ein Volk in einem derartigen 
Falle imſtande iſt. Wie ſteht es nun in 
dieſer Hinſicht um Ihren Staat, meine 
Herren? Haben Sie dem geſchloſſenen Block 
von 80 Millionen Deutſchen etwas Gleich⸗ 
wertiges gegenüberzuſtellen? 


Polen ein Natisnalitätenſtaat 


Die Statiſtik des polniſchen Staates be⸗ 
richtet in den neueſten Veröffentlichungen 
von 34 784 000 Einwohnern. Die Geſamt⸗ 
bevölkerung ſetzte fid nach der offi⸗ 
ziellen polniſchen Volkszählung 
1931 wie folgt zuſammen: 


Perf! ebv OH ES 21 990 000 
Ulrainer .............. 4 440 000 
DUDEN anna 2 730 000 
Weißruffen ............ 990 000 
Deutide .............. 740 000 
Ruffen (GroBrujjen) 140 000 
Litau eke 000 
Tſche chess 40 000 
Ubtigee 760 000 


Dieſen Angaben der polniſchen Statiſtik 
ſtehen folgende Schätzungen der wichtigſten 
Volksgruppen ſelbſt gegenüber: 


Ulrainer ........ 7—9 Millionen 
Juden 4 e 
Weißruſſen 2 N 
Deutide.......... 12 „ 


Während die polniſche Statiſtik rund 
69 v. H. Polen und rund 31 v. H. Nichtpolen 
unterſcheidet, leben tatſächlich nach Angaben 
der Volksgruppen nur 54,5 0.9. Polen im 
polniſchen Staat. Ihnen gegenüber ſtehen 
45,5 2 Nichtpolen. Polen iit alfo ein 
reiner Nationalitätenſtaat, eine Tatſache, 
der man bisher kaum genügend Rechnung 
geſchenkt hat. In ſeiner Fe 
weiſt er weitgehende Ahnlichkeiten 
mit der alten Tſchecho⸗Slowakei 
auf. Ahnlich wie dieſe iſt auch Polen in 
ſeiner aoe en Form eine Schöpfun 
von Verſailles. Ohne Rückſicht au 
den Willen der Bevölkerung, die Volks⸗ 
zugehörigkeit und geſchichtliche Vergangen⸗ 
heit, wurden Gebiete in einem Staat ver⸗ 
einigt, die von völlig unter: 
ſchiedlicher Struktur find. Dem 
hochinduſtrialiſierten Oſt⸗Oberſchleſien und 
den kulturell relativ hochſtehenden ehemalig 
deutſchen und öſterreichiſchen Gebieten ſtehen 


die wirtſchaftlich und kulturell kaum ent⸗ 
wickelten Oſtprovinzen gegenüber. Ein Ver⸗ 
gleich der Karte über den Anteil der ein⸗ 
zelnen Staaten bei der Neugründung 
Polens etwa mit der eniſprechenden Karte 
über die Straßendichte genügt als Beweis 
für obige Feſtſtellung. 

Man war ſich u) polniſcher Seite durch⸗ 
aus nicht einig, welche Gebiete in dem neu⸗ 
zugründenden Staat zuſammengefaßt wer⸗ 
den ſollten. Aus den völlig unterſchiedlichen 
Anſichten der beiden großen Gegenſpieler, 
Pilſudſki und Dmowſki, geht klar hervor, 
daß völkiſche Geſichtspunkte der Gründung 
des neuen Staates nicht zugrunde gelegt 
wurden. 


Anſprüche, die man aus der Geſchichte 
tellen zu können glaubte, ſpielten die aus⸗ 
chlaggebende Rolle. Ohne Rückſicht auf die 
Entwicklung, die tatſächlich vor ſich ge⸗ 
gangen war, beanſpruchte man Gebiete, die 
irgendwann einmal mit dem polniſchen 
Staat vereinigt geweſen waren. Da be⸗ 
kanntlich die Diktatoren von Verſailles von 
den tatſächlichen Verhältniſſen in Oſt⸗ 
europa ſehr wenig oder beſſer geſagt gar 
keine Ahnung hatten, kamen auf dieſe Art 
und Weiſe Gebiete an Polen, die weder 
völkiſch noch wirtſchaftlich in irgendeiner 
Beziehung zum polniſchen Volk ſtehen. Der 
ganze Staat beſaß daher von Anfang an 
eine Reihe ſchwierigſter Probleme in ſeinem 
Innern, die bei der durch ſeine Geſchichte 
bedingten Geiſteshaltung für Polen ſchwerſte 
i bei einem organiſchen Aufbau 
ildeten. 


Der polniſche Staat und die fremden 
Volksgruppen 


Was das Verhältnis des polniſchen 
Staates zu den innerhalb ſeiner Grenzen 
lebenden Volksgruppen betrifft, ſo kann 
man zuſammenfaſſend feſtſtellen, daß es die 

olniſche Führung in keinem Falle ver⸗ 
tanden hat, dieſe zur Mitarbeit im Staat 
heranzuziehen. Von Anfang an hatten 
chauviniſtiſche polniſche Kreiſe den ent: 
ſcheidenden Einfluß auf dieſem Gebiet; ob⸗ 
wohl ſich Polen vertraglich durch den 
Minderheiten ⸗ Schutzvertrag verpflichtet 
hatte, den in ſeinem Staatsbereich lebenden 
Volksgruppen die ihnen zuſtehenden Rechte 
in keiner Weiſe zu beſchneiden, ſah doch 
die Praxis ganz anders aus. Oberſtes Ziel 
war ſtets, durch alle Mittel, die einer 
Staatsführung zur Verfügung ſtehen, die 
„ zung der Volks⸗ 
gruppen voranzutreiben. Offener Terror 


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Menzel / Volkspolilische Durchleuchtung des polnischen Staatswesens 


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| | | I Deutsches Reich bis 1918 


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Rußland 


wechſelte mit wirtſchaftlichen, kulturellen 
und religiöſen Kampfmaßnahmen ab. Die 
Elemente, bei denen von vornherein mit 
keinem Erfolg zu rechnen war, verſuchte 
man aus dem Land zu drängen. 


Der Leidensweg der deutſchen Bolfs- 
gruppe, die um über eine Million innerhalb 
weniger Jahre ſich verringerte, kann in 
dieſem Zuſammenhang als treffendſtes Bei⸗ 
ſpiel angeführt werden. Obwohl von ſeiten 

t Volksgruppen die loyale Haltung immer 


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A ,, , Österreich-Ungarn 


Heutige polnische Staatsgrenze 
Ostgrenze von Kongreßpolen 


wieder herausgeſtellt und durch die Tat 
bewieſen wurde und man zu einer an 
ſammenarbeit gegen die Zubilligung der 
rimitivſten Lebensrechte bereit war, konnte 
ich die Staatsführung nicht zu einer Ande- 
rung ihrer Politik bis zum heutigen Tage 
entſchließen. Jedem neutralen Beobachter 
iſt es unklar, wie man ſich von polniſcher 
Seite aus den Einſatz dieſer in jeder 
Hinſicht un befriedigten Volts: 
gruppen zur Verteidigung des Staates 
im Ernſtfall vorſtellt. 


Menzel / Volkspolitische Durchleuchtung des polnischen Staatswescns 


20 


Dichte des Strahennetzes in Polen 


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200—250 km Straßen 


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je 1000 qkm Fläche 


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je 1000 qkm Fläche 


250—300 km Straßen 


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über 300 km Straßen 


je 1000 qkm Fläche 


50—100 km Straßen 


100—150 km Straßen 


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e 1000 qkm Fläche 


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Menzel / Volkspolitisehe Durchleuchtung des polnischen Staatswesens 21 


Die Wunschgrenzen der polnischen territorialen Expansion 


Wunschgebiet nach Pilsudski 


I 


| | | | | | | | Wunschgebiet nach Dmowski 


Die Ukrainer in Polen 

Dr. Albrecht Haushofer ſchreibt in ſei⸗ 
nem „Bericht aus der atlantiſchen Welt“ 
in der Aptil⸗Nummer der Zeitſchrift für 
Geopolitik im Anſchluß an die Behandlung 
der Vorgänge in ber Karpato⸗Ukraine: 
„Die bewaffneten Organiſationen haben 
nd jetzt im März 1939 tapfer gegen die 
eindringenden Ungarn gewehrt. Dieſen 
Vorgang vor der Geſchichte feſtzuhalten, iſt 

5 einzige (unb geringſte). was zur Zeit 
gegenüber den entlegenen und verlaſſenen 
Splittern eines ſehr viel größeren, aber 
lnachmäßig unglücklichen Volles geſchehen 

nn,“ 


In einer Zeit, in der kleine und kleinſte 
Völker (Letten und Eſten ulw.) das Recht 
auf einen eigenen Staat als ſelbſtverſtänd⸗ 

hinnehmen oder fordern, erſcheint es 
nahezu unglaublich, daß am Rande des 


heutige polnische Staatsgrenze 


kleinräumigen Europa noch ein Volk von 
der Größe etwa des italieniſchen auf einem 
geſchloſſenen Siedlungsraum ohne einen 
eigenen Staat lebt ſo groß wie das 
Deutſche Reid und Polen zuſammen. Die 
beſonderen Gründe. warum das ukrainiſche 
Volk als einziges unter den großen Völ⸗ 
kern Europas noch nicht die Kraft ent⸗ 
wickelt hat. ſich ſeine Freiheit zu erkämpfen, 
können nur aus ſeiner tragiſchen Geſchichte 
erkannt werden. 


Es iſt in dieſem Zuſammenhang nicht 
möglich, im einzelnen darauf einzugehen. 
Erwähnt ſei nur, daß nach einem glanz⸗ 
vollen Reich im frühen Mittelalter, das 
von normanniſchen Warägern gegründet 
unter germaniſcher Führung europäiſche 
Kultur als erſter Vorpoſten gegen immer 
neue Einbrüche aſiatiſcher Nomaden ver⸗ 
teidigte, das ukrainiſche Volk bisher nie 


22 


mister zur freien Entfaltung feiner Kräfte 


am. 

Abwechſelnd unter polniſcher und ruſſi⸗ 
iher Herrſchaft waren die Ukrainer ſtändig 
Verſuchen ausgeſetzt, die daraufhin ab— 
zielten, ſie zu entnationaliſieren. Während 
des Weltkrieges wurde erneut mit Unter⸗ 
ſtützung der Mittelmächte der Verſuch 
einer ſelbſtändigen Staatsgründung unter⸗ 
nommen. 

Am 2. April 1918 rief der bisher unter 
ruſſiſcher Herrſchaft ſtehende Teil der 
Ukrainer ſeine Selbſtändigkeit aus. Im 
Oktober 1918 folgte der ufrainifde Teil 
der öſterreichiſchen Provinz Galizien, doch 
auch dieſer Verſuch ſcheiterte. Die Dit: 
ufrainer unterlagen vordringenden roten 
Truppen, die Weſtukraine wurde von den 
Polen beſetzt. Artikel 91 des Friedens von 
St. Germain behielt der Entente bie Sou⸗ 
veränitätsrechte über Oſtgalizien vor. Am 
21. November 1919 erhielt ſchließlich Polen 
das Mandat über Oſtgalizien, doch ſollte 
dieſes Gebiet völlige Autonomie unter 
Garantie des Völkerbundes erhalten. Das 
polniſche „Geſetz vom 26. 9. 1922 über die 
Selbſtverwaltung der Wojewodſchaften Lem⸗ 
berg, Tarnopol und Stanislau“, das der 
fc Polen günſtigen Entſcheidung der Bot⸗ 
chafterkonferenz vom 15. März 1923 über 
die Zugehörigkeit Oſtgaliziens zu Polen 
als Zuſicherung einer Autonomie zugrunde 
liegt, E allerdings bis heute noch nicht 
durchgeführt worden. 

Die Stellung des ukrainiſchen Volksteiles 
in Polen (7—9 Millionen Ulraie 
ner zu 18 Millionen Polen) war 
in all den Jahren und iſt u nod 
Die einer unterdrüdten inder⸗ 
heit, nicht die eines gleichberechtigten zwei⸗ 
ten Staatsvolkes, wie ſie ihm ſeiner Größe 
nach wohl ohne Zweifel zukommen dürfte. 


Träger in dem Kampf der ukrainiſchen 
Volksgruppe in Polen um ihre Rechte 
wurden nach dem Weltkrieg in erſter Linie 
Wirtſchaftsgenoſſenſchaften. Die wirtſchaft⸗ 
liche Lage wird gekennzeichnet durch den 
vorwiegend agrariſchen Kleinbeſitz 
der Ukrainer gegenüber polniſchem 
Großbeſitz. Doch während bis zum Welt⸗ 
krieg ein ſtetiges Vordringen des polni⸗ 
ſchen Grundbeſitzes im Oſten feſtzuſtellen 
war, ſetzte infolge der Ana; unb Opfer: 
bereitſchaft ber ukrainiſchen Organiſationen 
ſeit 1919 eine rückläufige Bewegung ein. 
Immer lauter wird die Forderung nach 
einer grundlegenden Agrarreform geſtellt, 
die den Ükrainern den ihnen 1 en BER 


Menzel / Voikspolitische Durchleuchtung des polnischen Staatswesens 


Anteil an Grund und Boden ſichern Toll. 
Allerdings bringt man auf polniſcher Seite 
keinerlei Intereſſe dafür auf. 

Die kulturelle Stellung der Ukrainer in 
Polen wird in erſter Linie durch ihre 
ſchlechte wirtſchaftliche Lage bedingt. Nach 
wie vor bildet die entſcheidende Grundlage 
die alte über Jahrhunderte überlieferte 
ukrainiſche Bauernkultur. Der polniſche 
Staat hat wenig Intereſſe daran, auf tul: 
turellem Gebiet fördernd aufzutreten, da 
am ſteigenden kulturellen Ni⸗ 
veau der Widerſtand gegen die 
Poloniſierungstendenzen der 
Regierung ſtändig wächſt. Ein 
typiſches Beiſpiel dafür ſind die Vorgänge 
im ukrainiſchen Schulweſen, das in den 
letzten Jahren beſonders Eingriffen von 
leiten der polniſchen Verwaltung aus: 
geſetzt war. Nachdem im Jahre 1930 
die unhaltbaren Juſtände zu 
einem Aufſtand geführt hatten. 
der aber blutig niedergeſchlagen wurde. 
wurden von polniſcher Seite verſchiedene 
Verſuche unternommen, zu einem modus 
vivendi zu gelangen. 

1934, in dem Jahr des deutſch⸗polniſchen 
Ausgleichs, wurden auch gewiſſe Erfolge 
erzielt. Die UNDO. (Ukrainiſch⸗national⸗ 
demokratiſche Organiſation), die Trägerin 
ber ukrainiſchen Politik, erklärte fid) zu 
Zugeſtändniſſen bereit. Allerdings kann 
von einem wirklichen Ausgleich nicht die 
Rede ſein. Nach wie vor fordert man auf 
ukrainiſcher Seite volle Autonomie, die 
man von ſeiten der polniſchen Regie rung 
entſchieden verweigert. 


Die Aktivität der ukrainiſchen Volks⸗ 
gruppe in Polen wird in erſter Linie durch 
zwei Momente gehemmt, die die Polen ge: 
ſchickt zu ihren Gunſten auszunutzen ver⸗ 
ſtehen. Das iſt einerſeits ihr relativ kul⸗ 
tureller Tiefſtand in der Maffe ber Bauern: 
bevölkerung und andererſeits die religiöie 
Aufſplitterung in zwei Parteien. und 
68 v. H. der Ukrainer ſind griechiſch⸗katho⸗ 
liſch und 31 v. H. griechiſch⸗orthodox. Als 
Faktor von großer Bedeutung in dieſer 
Auseinanderſetzung zwiſchen Polen und 
Ukrainern ijt die völkiſch⸗biologiſche Uber: 
legenheit der letzteren zu werten. 


Wenn man heute die polniſche Politik 
der letzten 20 Jahre in der Ukraine über⸗ 
blickt, ſo muß man feſtſtellen, daß ſie bis⸗ 
her vollkommen geſcheitert iſt. Noch heute 
iſt die polniſche Verwaltung ohne jeden 
Kontakt mit dem ukrainiſchen Volk, und 
dem Ziel der Poloniſierung iſt man heute 


Menzel / Volkspolitische Durchleuchtung des polnischen Staatswesens 23 


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Siedlungsgebiet der Ukrainer in Polen 


ferner denn je. Die politiſchen Ereigniſſe 
des vergangenen Jahres ſind nicht ohne 
Einfluß auf die geſamtukrainiſche Frage 
geblieben. Die Vorgänge in der Karpato⸗ 
kraine haben ihren Einfluß genommen 
auf die in Polen, der UdSSR. und Ru- 
manien lebenden Teile des großen 45⸗Mil⸗ 
lionen⸗Volkes der Ukrainer. Überall iſt die 
Aktivität der Gruppen, die um Selbſtändig⸗ 
leit wg gewachſen. Die Vorgänge 
zeigen. daß die Aktivität der ukrainiſchen 
Nationaliſten in Polen am ſtärkſten war. 


Die Weifrujjen in Polen 

Die Weißruſſen, für die die polniſche 
Statiſtik 990 000 angibt, die aber in Wirk⸗ 
lichkeit rund zwei Millionen zählen dürften, 
wohnen im nordöſtlichen Teil des polniſchen 
Staates. 2 ier fait ausſchließlich Klein- 
bauern, ihr Volksbewußtſein ijt nod) ſehr 
wenig ausgebildet. Sie haben feine eigen: 
ſtaatliche und kaum eine politiſche Tra- 
dition und ſind auch heute wenig aktiv. 
Nur im alten großlitauiſchen Reich hatten 
jie eine Bedeutung, da fie im weſentlichen 


24 Menzel / Volkspolifische Durchleuchtung des polnischen Staatswesens 


bie Träger des Staates waren, was auch 
bie weißruſſiſche Sprache Litauens beweiſt. 
Ahnlich wie die Ukrainer ſtehen ſie dem 
polniſchen Großgrundbeſitz und einer vor⸗ 
wiegend jüdiſchen Stadtbevölkerung gegen⸗ 
über. Die weißruſſiſche agrarrevolutionäre 
Bilis „Hromada“ wurde 1926 von den 

ilſudſkiſten zerſchlagen und verboten, fo 
daß ſie heute nur noch illegal weiterwirken 
kann. Die Polen verſuchen, die Bewegung 


als eine kommuniſtiſche Agitation hinzu⸗ 
tellen, während ſie zwar ſeparatiſtiſch, aber 
och bodenſtändig und national einge⸗ 
ſtellt iſt. 

Das iſt in ganz großen Zügen das 
weſentlichſte, was zu der weißruſſiſchen 
Volksgruppe zu ſagen wäre. Ohne Zweifel 
iſt es richtig, daß man nicht direkt von 
einem weißruſſiſchen Noct ſprechen kann 
— wenn man dieſe Frage nur unter dem 


Siedlungsgebiet der Weihrussen in Polen 


Menzel / Volkspolilische Durchleuchtung des polnischen Staatswescns 25 


Feſichtswinkel des polnifd - weikrulfifden 


Verhältnifies betrachtet. Dieſe Frage be: 
mt aber eine ganz andere Bedeutung, 
wenn man berückſichtigt, daß die . 
ſowohl von den Polen als auch von den 
Litauern als völkiſch zu ihnen gehörend be⸗ 
unſprucht werden. (Karte Nr. 8.) Auch die 
zeue litauiſche Verfaſſung, die nach der 
duch das Ultimatum vom 11. März 1938 
erfolgten „Bereinigung“ des polniſch⸗litau⸗ 
igen Verhältniſſes in Kraft trat, enthält 
nach wie vor im Artikel 6 folgenden 
eil „Die Hauptitadt Litauens tft Wilna. 
e kann durch ein Geſetz zeitweilig vers 
legt werden. Den „Verband zur Befreiung 
ins" hat man zwar unter dem Druck 
der politiſchen Verhältniſſe aufgelöſt, aber 
das Wilnaer Inſtitut, das bisher für ihn 
die wiſſenſchaftliche Untermauerung für das 
gitationsmaterial lieferte, bleibt weiter: 
hin beſtehen. Die Bemühungen, die die pol⸗ 
nie Außenpolitik z. 3. mit bem „litau⸗ 
l tuder“ macht, nd bekannt. Doch 
un man die Jahre des latenten Kriegs⸗ 
iuitandes, der nach dem Raub Wilnas durch 
Polen beſtand, nicht vergeſſen. Man kann 


— Staatsgrenzen 


Nordwestgrenze des 
— POIN. Volkstums nach 
M.Swiechokowski 1921 


Ostgrenze des lit. 
a Volkstums n. J. Gabrys 


1918/19 
MW Hauptsiediungsgebiet 
der Litauer 
N Hauptsiedlungsgebiet 
der Polen 


Hauptsiedlungsgebiet 
der Weißrussen 


BE 


Hauptsiedlungsgebiet 
der Ukrainer 


bie Tatſache nicht aus der Welt ſchaffen, 
dak, obwohl der Kriegszuſtand von zehn 
Jahren aufgehoben wurde, die beiderſeitige 
Grenze bis zum vorigen Jahr völlig ge⸗ 
ſperrt war. Geſchichte und völkiſche Ver⸗ 
hältniſſe laſſen die polniſch⸗litauiſche Ver⸗ 
ſtändigung nicht in einem allzu roſigem 
Licht erſcheinen. ö 

Unter dieſem Geſichtswinkel wird die 
weißruſſiſche Frage zum Problem für den 
polniſchen Staat. 


Die Inden in Polen 


Die polniſche Volkszählung von 1931 
gibt für die Juden die Zahl von 2 730 000 
an. Da in dieſer Zahl nur die Glaubens⸗ 
juden erfaßt ſind und außerdem die geſamte 
Volkszählung, ſoweit es die Volksgruppen 
betrifft, nicht unbedeutend zu deren Un⸗ 
gunſten beeinflußt iſt, dürfte die tat⸗ 
ſächliche Zahl beinahe vier Mil⸗ 
lionen und damit 12 Prozent der Ge⸗ 
ſamtbevölkerung Polens erreichen. Dieſer 
hohe Prozentſatz unterſtreicht die große Be⸗ 
deutung der Judenfrage für Polen. 


26 


Menzel / Volkspolitische Durchleuchtung des polnischen Staatswesens 


Judendichte in Polen 1930 


0—5 % Juden 


Allerdings werden bie tatſächlichen Ver: 
hältniſſe durch die Zahl allein noch nicht 
richtig charakteriſiert. Tritt das Judentum 
in den ehemals deutſchen Teilen äußerlich 
nur wenig in Erſcheinung, ſo hat es doch 
wirtſchaftlich eine nicht unbedeutende Stel⸗ 
lung inne. In Zentralpolen und in allen 
Oſtwojewodſchaften beherrſcht es dagegen 


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5—9 % Juden 9—13% Juden 


auch äußerlich das Bild der Städte, wo der 
jüdiſche Anteil an der Stadtbevölkerung 
bis zu 50, ja ſogar 80 v. H. beträgt. In 
dieſen Gebieten beherrſchen die Juden prak⸗ 
tiſch den geſamten Handel und die freien 
Berufe; ſie ſind darüber hinaus E ſtark 
im Handwerk vertreten. Wie Dr. Seraphim 
in ſeinem grundlegenden Werk „Das Juden⸗ 


1 — 


we oa: A, 


VEU 


` 


Menzel / Volkspolitische Durchleuchtung des polnischen Staatswesens 


tum in Oſteuropa“ angibt, ift der Anteilſatz 
ber Verjudung des kleinen und mittleren 
Handels mit 80 Prozent nicht zu hoch an: 
groeven. 1933 betrug darüber hinaus ber 
nteil jüdiſcher Handwerksunternehmen, 
um nur einige Zahlen zu nennen, z. B. in 
Warſchau⸗Stadt 51 Prozent, in Wilna 56 
Prozent, in Stanislau 49 Prozent, Nowo⸗ 
grodek 73 Prozent, in Wolhynien 62 Pro⸗ 
zent und in Poleſien ſogar 81 Prozent. In 
der Induftrie find im Textilfach 52 Prozent 
der Betriebe jüdiſch, in der Bekleidungs⸗ 
induftrie 50 e GN in ber Möbelinduſtrie 
48 Prozent, in der Galanteriewarenerzeus 
gung 42 Prozent. Dieſe Zahlenangaben 
i dm aber ben tatſächlichen Verhältniſſen 
auch noch nicht voll Rechnung, da bei der 
jüdiſchen Statiſtik nur die Privatunterneh⸗ 
men gezählt wurden, dagegen Aktiengeſell⸗ 
ſchaften unberückſichtigt blieben. 

Der Widerſtand der Polen und beſonders 
der Ukrainer, in deren Gebieten die Juden 
es verſtanden haben, den geſamten Handel 
lb in den kleinſten Dörfern an fih zu 
bringen, fete ſchon im 19. Jahrhundert 
mit ſcharfen Maßnahmen ein. Allerdings 
faßte man die enfrage in erſter Linie 
als wirtſchaftliches Problem auf. 
Der Erfolg blieb daher weitgehendſt aus. 
Die an und für ſich beſtehenden Auswande⸗ 
rungstendenzen wurden zwar gefördert, und 
eine wahre Welle polniſcher Juden ergoß 
ich in alle Teile Europas, beſonders auch 
Amerikas; aber bei der hohen Geburtenzahl 
konnte von einer weſentlichen Abnahme der 
Juden in Polen nicht die Rede ſein. 

Durch die Aktivität der polniſchen Regie⸗ 
rungsparteien tritt das Judenproblem in 
letzter Zeit immer mehr in den Vorder⸗ 
grund, ſo daß fis bie Regierung bereits 
ge mit Diefen Fragen beihäftigen 
mußte. Man fprad von einer umfang: 
teigen Ausfiedlung der Juden und hatte 
ſcon bem Völkerbund entſprechende Vor⸗ 
lage unterbreitet. Allerdings dürften alle 
Bemühungen bei den gegenwärtigen poli: 
tiſchen Verhältniſſen akademiſchen Charak⸗ 
ter behalten, da man ſelbſt mit der im 
Verhältnis zu den Millionen der polniſchen 
Juden geringen polniſch⸗jüdiſchen Emi⸗ 
dru aus dem Deutſchen Reich nicht weiß, 
n. 


Das Judenproblem bleibt für Polen nach 
Die vor als eine der 5 inner⸗ 
politiſchen Fragen 1 abei kann 
man ſicher ſein, daß dieſelben Politiker, die 
in London vor Jahr und Tag um Sied⸗ 
lungsraum für ihre Juden verhandelten 


27 


mit dem Ziel, ſie abzuſchieben, dieſe 
ſemitiſche Maſſe einſetzen werden, wenn es 
ilt, das internationale Weltjudentum zur 
äußerſten Aktivität gegen das Reich des 
Nationalſozialismus aufzubieten. 


Die Deutſchen in Polen 
Aus der Geſchichte: 


Schon die Entſtehung des polniſchen 
Staates iſt unlöslich mit dem Deutſchtum 
verbunden. Deutſche waren es, die die 
Chriſtianiſierung unter Miezko I. vollzogen. 
Deutſche ſtellten die hohe und niedere Geiſt⸗ 
lichkeit. Eine heidniſche Auflehnung ſchlug 
König Kaſimir J. mit Hilfe deutſcher Ritter 
nieder. Gleichzeitig, als der Deutſche Rit- 
terorden na T en fam, begann aud 
bie Anſiedlung Deutſcher in Polen. Deutſche 
Bauern wurden von den polniſchen Ms 
zur wirtſchaftlichen i des geſamten 
Landes gerufen. Deutſche Kaufleute und 
Handwerker folgten. So entſtanden im 
13. 5 auch die erſten deutſchen 
Niederlaſſungen. Alle Städtegrün⸗ 
dungen es Mittelalters in 
Polen gehen auf Deutſche zurück, 
ſo vor allen Dingen Krakau, 
Poſen, Lublin, Lemberg, War⸗ 
ſchau und viele andere. Polen mußte 
den einwandernden Deutſchen natürlich 
ihrer Stellung gemäß auch beſondere Rechte 
gewähren, ſo erhielten die Deutſchen weit⸗ 
gehendſte VVV das 
Magdeburger Recht wurde maßgebend für 
alle Städte Sia dieſer Zeit. Noch heute 
zeigen die Städte rein deutſches Geſicht. 
Krakau z. B. iſt reich an alten deutſchen 
Kulturdenkmälern. Die Deutſchen Veit 
Stoß und Nikolaus Kopernikus haben hier 
eine Seitlang gewirkt. Unter Kaſimir dem 
Großen erfolgte eine weitere erfolgreiche 
e aed zwiſchen Deutſchen und 

olen im Abwehrkampf gegen die Tataren⸗ 
einfälle. In das 16. Jahrhundert fällt eine 
zweite Koloniſationsepoche bäuerlichen Cha⸗ 
rakters. Die Veranlaſſung dazu war die 
Berechnung der Fürſten, die von den tüch⸗ 
tigen deutſchen Bauern eine Erhöhung 
ihrer Einkünfte erhofften Die Gegenrefor⸗ 
mation vernichtete die Stellung der Deut⸗ 
ſchen völlig. Von ſchweren Folgen aber war 
es nicht nur für die Deutſchen, ſondern auch 
für die Polen, da die Juden die Stel⸗ 
[ung bes Deutidtums übernah⸗ 
men. Mit der eriten Teilung Polens ers 
folgte wieder eine Beſſerung in der Lage 
des Deutſchtums, die aber nur auf Welt: 
preußen beſchränkt blieb, wo Friedrich 


28 Menzel / Volkspolitische Durchleuchtung des polnischen Staatswesens 


4910 Ce 1921 1931 


Verdrängung der Deutschen aus Westpolen 


der Große eine erfolgreiche Koloni: 
jationsarbeit beſonders der Neges und 
Warthegegend begann. 


Im 19. Jahrhundert ſind Deutſche die 
Träger des Aufbaues einer polniſchen 
Textilinduſtrie. In den damals zu Deutſch⸗ 
land gehörenden Gebieten ſetzte infolge der 
ſchwankenden Polen politik des 
Reiches ein weiteres Vordringen des 
Polentums ein. on Gelege, wie z. B. 
das Ge eli etz, itürften nur den 
polniſchen Widerſtandswillen, ohne für bas 
Deutſchtum praktiſche Ergebniſſe aufzu⸗ 
weiſen. Die Weſtwanderung in der In⸗ 
duſtrialiſierungsepoche brachte weiterhin 
eine erhebliche Schwächung des deutſchen 
Elementes in den Oſtgebieten mit ſich. Die 
peur der Deutſchen betrug in den einzelnen, 

eute polniſchen Gebieten: 


1921 auf Grund Deutſche 
1910 der poln. Schätzung 
Volkszählung beute 
Poſen, Pom⸗ 

merellen . 1 100 000 505 000 370 000 
Oft s Ober: 

ſchleſien 270000 290 000 320000 
Teſchener . 

Gebiet 55 000 30 000 40 000 
Kongreßpolen 500000 170 000 350 000 
Wolhynien. 100 000 25 000 60 000 
Galizien 86 000 40 000 60 000 

2105000 1060000 1200 000 


Heutige polniſche seri d ſprechen 
el von insgeſamt 900 000 Deutſchen in 
olen. 


Die Entwicklung in der Nachkriegszeit: 


Der Geſchichte der einzelnen Landesteile 
entſprechend iſt auch die Lage des Deutſch⸗ 
tums ſehr verſchieden. Mit Kongreßpolen 
verbindet ſich eine ſtarke Städteſiedlung 
der Deutſchen im Textilinduſtriegebiet von 
Lodz. Das Deutſchtum in Wolhynien iſt 
ausgeſprochen Kleinbauerntum. In Gali: 
zien beruht das Deutſchtum auf einer um⸗ 
1 öſterreichiſchen Bauernkoloni⸗ 
ation unter Kaiſer Joſeph II. Das Deutſch⸗ 
tum in Oberſchleſien und Pomerellen ſowie 
große Teile in Poſen aoe dagegen zum 
geſchloſſenen deutſchen Siedlungsgebiet. Der 
größte Teil lebte in Städten, die überall 
rein deutſchen Charakter aufweiſen. In 
der neuen Republik Polen war das Deutſch⸗ 
tum gleich nach der Entſtehung des Staa⸗ 
tes einer furchtbaren Verfolgung ausgeſetzt. 
Zunächſt entog man den Deutſchen jede 
wirtſchaftliche Lebensmöglichkeit. Deutſche 
Beamte wurden entlaſſen, deutſcher Beſitz 
wurde beſchlagnahmt. So wurden unzäh⸗ 
lige ders ft en das Land zu verlaſſen. 
Beſonders ſcharf ging man in Pomerellen 
vor, um die völkiſche Verbindung nach Oſt⸗ 
preußen zu durchbrechen. Hinzu kommen 
noch die Optanten, fo daß insgeſamt über 
1 Million Deutſche aus Polen vertrieben 
wurden. Nachdem man die Zahl der Deut⸗ 


Menzel / Volkspolitische Durchleuchtung des polnischen Staatswesens 29 


Wen fo auf fajt die Hälfte Derabgebrüdt 
hatte, begann die Poloniſierung durch 
Schließung deutſcher Schulen, Auflöſung 
deutiher Verbände. Verbot der deutſchen 
Sprache im öffentlichen Gebrauch uſw. Die 
Nindeſtſchülerzah!l für deutſche Schulen 
wurde auf 40 feſtgeſetzt. So trat bald der 

unhaltbare a... ein, daß nur 50 v. H. 
der deutſchen Kinder deutſche Schulen be⸗ 
ſuchen konnten. Die Agrarreform bes Iah: 
^L m$ 1926 vollendete die Enteignung deut- 


ſcher Grundbeſitzer durch Parzellierung und 
Aufteilung an polniſche Arbeiter. Außerſt 
ungünſtig iſt auch die kirchliche Lage des 
Deutſchtums. Die deutſchen Katholiken 
unterſtehen der polniſchen katholiſchen 
Kirche, während die evangeliſche Kirche 
zwar offiziell ſelbſtändig iſt, aber völlig 
unter poe Einfluß ftebt, wofür vor 
allen Dingen der deutſche D I Biſchof 
Burſche geſorgt hat. In Oſt⸗Oberſchleſien 
iſt die wirtſchaftliche Lage des Deutſchtums 


Verteilung der Deutschen in Polen 


— 


— 


30 


eradezu kataſt rophal. 70 v. H. der Deut- 
chen ſind arbeitslos. 


Bis 1934 beſtand in Polen ein parteien⸗ 
mäßiges Parlament. 1928 ſtellten die Deut⸗ 
ſchen 19 Abgeordnete und 5 Senatoren, 
1930 nur noch 5 Abgeordnete und 2 Sena⸗ 
toren, wobei zu berückſichtigen iſt, daß pol⸗ 
niſche Wahlen ſtets unter ſtarkem Terror 
der unteren Regierungsorgane ſtehen. Bei 
der Wahl 1935 wurde die neue Verfaſſung 
von 1934 angewandt, ſo daß die Deutſchen 
keine parlamentariſche Vertretung mehr 
erhielten. Nur 2 Senatoren wurden vom 
Staatspräſidenten ernannt. 


In dem deutſch⸗polniſchen Nichtangriffs⸗ 
vertrag vom Januar 1934 wurde vom 
Deutſchen Reich der Verſuch unternommen, 
das Verhältnis zwiſchen den beiden Staa⸗ 
ten zu bereinigen und den Weg für eine 
organiſche Entwicklung der gegenſeitigen 
Beziehungen freizumachen. Demſelben Zweck 
ſollte das deutſch⸗polniſche Abkommen über 
die gegenſeitige Behandlung der Volks⸗ 
gruppen vom September 1937 dienen. Wie 
der Führer vor kurzem in ſeiner großen 
Reidstagsrede eindeutig bewies, hat Po- 
len den Nichtangriffspakt vom Jahre 1934 
durch ſein einſeitiges Vorgehen gebrochen. 
In welcher Form Polen die Minderheiten⸗ 
vereinbarungen einhält. berichten die Zei- 
tungen täglich. Die deutſche Volksgruppe, 
deren loyale Haltung gegenüber dem pol⸗ 
niſchen Staat außer jeden Zweifel ſteht, 
iſt einem Terror von noch nie dageweſener 
Schärfe ausgeſetzt. Ahnlich wie im Som⸗ 
mer vorigen Jahres in der CSR. ſind die 
in Polen lebenden deutſchen Volksgenoſſen 

reiwild geworden, auf bie chauviniſtiſche 

lemente ungeſtraft Jagd machen dürfen. 
Zu Hunderten flüchten ſie ins Reich, da ſie 
anders keinen Ausweg mehr ſehen. 


Am 20. Februar 1938 erklärte der qub. 
ter in feiner men olgendes: 
„Es itt auf bie Dauer für eine Weltmacht 
pon Selbſtbewußtſein unerträglich, an ihrer 
Seite Volksgensſſen zu willen, denen aus 
ihrer Sympathie eder ihrer Verbunden⸗ 
heit mit dem Geſamtvolk, ſeinem Schickſal 
und [einer Weltauffaſſung fortgeſetzt ſchwer⸗ 
ſtes Leid zugefügt wird.“ 

Die Verhältniſſe in Polen drängen im⸗ 
mer mehr einer Löſung entgegen. 


Ein perſönliches Wort 
Wir ſtellten eingangs feſt, daß, ſoweit 
es das Deutſche Reich betrifft, die Front 
klar iſt. Ein Block von über 80 Millionen, 
ein Volk in Waffen. Dieſe Poſition wird 


Meuzel / Volkspolitische Durchleuchtung des polnischen Staatswesens 


noch verſtärkt durch das Militärbündnis 
mit Italien. 

Muſſolini erklärte erft in dieſen Tager 
in einer großen Rede: „Wir werden mit 
Deutſchland marſchieren, um Europa den 
Bien und die Gerechtigkeit zu geben. 

in gewaltiger Block von 150 Millionen 
Menſchen, der in raſchem Zunehmen be 
griffen ift, der vom Baltikum aus bis þin: 
unter zum Indiſchen Ozean reicht, läßt ſich 
nicht 0 leicht angreifen; jeder Angriff 
wird umſonſt ſein!“ 

Was haben Sie dem entgegenzuſtellen. 
meine Herren von der Welchſel, werden 
Sie Ihren Marſch zur großen „Schlacht bei 
Berlin“ antreten? Wir haben verſucht, in 
dem Vorangegangenen eine Beſtandauf 
nahme zu machen und kommen dabei auf 
rund 18 Millionen Polen in einem Staat 
der 16 Millionen Nichtpolen in ſeinen 
Grenzen zählt, mit einer Menge von un⸗ 
gelöſten Problemen! 

Wir wiſſen, Sie ſind tapfer und glauben 
ſich vor allem nicht allein. Man hat Ihnen 
Beiſtandsverſprechen gegeben und Sie in 
Illuſionen gewiegt. Sie ſtimmen ſicher mit 
uns überein, daß die Geſchichte der bejte 
Lehrmeiſter iſt. Wir erinnern uns aber an 
Fälle, wo Vertragspartner ſich gegenieitia 


kee — 


nicht helfen konnten, weil ein unüberiteig: : 


bares Hindernis ihnen im Wege ſtand 
Was halten Sie in dieſem Zuſammenhang 
von dem deutſchen Weſtwall? , 

Die Geſchichte kennt weitere Fälle in 


grober Zahl, wo Vertragspartner ihren 
erpflichtungen nicht nachkommen konnten. 


weil lebenswichtige Intereſſen ſie daran 

hinderten. In ſolchen Fällen kam dann 

nn eine Cint ung 
fi 


ritten zuſtande, der 


führen ließ, die über ſeine eigenen Kräfte 
ing. Man denkt in dieſem Zujfammen: 
bana daran, dak ſowohl England wie aud 
Frankreich Beſitzer großer Kolonialreidt 
find und dadurch mit ihren Intereſſen fat: 
ker in anderen Teilen der Welt gebunden 
find als in Oſteuropa. Wir kennen Gebiete. 
wo ohne die a von Soldaten 
und Kriegsſchiffen gewiſſer Nationen bald 
entſcheidende Kräfteverlagerungen ftat! 
finden würden zum Schaden gewiſſer euro 


päiſcher Großmächte. Was den dritten 


Partner betrifft, bie UDSSR., jo erinnern 


auf Koſten des 
m Vertrauen au 
Vertragsparagraphen zur Tollkühnheit pet ` 


| 
| 
| 
| 
| 
i 
| 


wir uns eines Ereigniſſes von enticheiden: ` 
der Bedeutung für den jungen polniſchen 
Staat, das als „Wunder an der Weichſel“ 


in bie polniſche Geſchichte einging. Die Er: 


innerung an die Zeiten ber Knechtſchaf! 


Außcnpolitische Notizen 31 


unter ruſſiſcher Herrſchaft dürften außer: 
dem wohl in der lebenden Generation noch 
zu friſch ſein, als daß man ſich nach einer 
Wiederholung ſehnen könnte. i 

Das deutſche Volk will keinen Krieg, ja 
es braucht ſogar im Intereſſe ſeiner Auf⸗ 
bauarbeit dringend den Frieden. Doch wir 
ſind jeder Zeit bereit, gegebenenfalls auch 
mit der Waffe unſere Lebensrechte zu ver: 
teidigen und zu erkämpfen. Die Entſchei⸗ 
dung liegt bei dem anderen! Und unſer 
Nachbar hätte wahrlich den Frieden noch 
notwendiger als wir. Das kann auch die 
volkspolitiſche Durchleuchtung“) des 21jäh⸗ 
tigen, kaum mündigen Staatsweſens ver⸗ 
anſchaulichen. 


Klaus Schickert: 
Rumänische Neutralitätspolitik 
Bukareſt, Ende Juni. 
Als der britiſche Premier im Unterhaus 
jene Erklärung abgegeben hatte, durch die 
der Welt mitgeteilt wurde, daß die Türkei 
ſich der Politik der Einkreiſung zur Ver⸗ 
fügung geſtellt habe, da ſetzte ſich Winſton 
Churchill hin und ſchrieb einen ſeiner Ar⸗ 
tikel, mit denen er die Weltpolitik mehr 
oder weniger zuſtimmend zu begleiten 
pflegt: „Die Türkei und der Friedensblock“ 
ffatis-Goir, 19. Mai). Diesmal ſchlug ſeine 
uſtimmung in offenen Jubel um, und in 
dem Wunide, bie . des Ereig⸗ 
niſſes zu unterſtreichen, ijt Churdill el 
Rumänien zu ſprechen gekommen und au 
die „Garantie“, die England unb Frank⸗ 
reich ihm gegen jeden Angriff der „Nazis“ 
landers kann ſich Churchill nicht aus⸗ 
drücken) gegeben hätten. Dieſe Garantie 
lönne nur wirkſam fein, wenn die Türkei 
den britiſchen Kriegsſchiffen und, wenn 
nötig, den franzöſiſchen und den britiſchen 
Truppen den Durchgang in das Schwarze 
eer erlaube. Die Herrſchaft über 
das Schwarze Meer gehöre jetzt 
Großbritannien, der Türkei und 
Rußland. Zwiſchen den „weſtlichen Demo: 
kratien“ und den Sowjets ſei die Verbin⸗ 
dung jetzt hergeſtellt, und auch die Sowjets 
müßten Wert auf die Unabhängigkeit und 
oral PoR Rumäniens legen. Churchill 
wendet ſich dann Bulgarien zu, dem er eine 
(éle$te Note wegen feiner vergangenen 
Politik gibt. Jetzt aber ſei die Zeit gekom⸗ 
hen, die Irrtümer der Vergangenheit ein: 
*) Die 
RL in SEH nach Vorlagen aus 
1. Ahlers: Polen. 


2. Seraphim: gorn unb feine Mirtichaft. 
I Seraphim: Pas Judentum im olteuropdiichen Raum. 


zuſehen und fid) dem „Friedensblock“ anzu: 
ſchließen. Allerdings habe Bulgarien terri: 
toriale Forderungen. Nun, warum jollten 
die nicht befriedigt werden? „Es iſt die 
Pflicht Rumäniens, deſſen Gebiet dank 
dem Siege der Alliierten ſo be⸗ 
trächtlich gewachſen iſt, und das ſich jetzt in 
Todesgefahr befindet, ſeine guten Dienſte 
denen der Türkei und der weſtlichen Mächte 
uzugeſellen, um Bulgarien anzuſpornen, 
ia unter ehrenhaften Bedingungen bem 
riedensblock anzuſchließen.“ 


Englands Handel mit einer rumäniſchen 
Provinz 


Daß Rumänien die Koſten der Zeche tra⸗ 
gen ſoll, die Großbritannien auf bem Bal: 
an macht, ijt nichts Neues. Die engliſche 
Propaganda hat ſich ſeit geraumer Zeit der 
Süddobrudſcha bemächtigt und geht in Sofia 
damit hauſieren, daß ein Anſchluß Bul⸗ 
gariens an den Balkanbund — will ſagen: 
ein Aufgeben des bulgariſchen Reviſionis⸗ 
mus — mit der Abtretung der Süd⸗ 
dobrudſcha durch Rumänien belohnt werden 
würde. In derſelben Richtung bewegen ſich 
türkiſche Vermittlungsverſuche: die Bul⸗ 
garen entweder zu locken oder ihnen zu 
drohen (ſeit dem Bündnis mit England 
wird das zweite bevorzugt); den Rumänen 
aber den freundſchaftlichen Rat zu geben, 
ſich doch nicht länger widerſpenſtig zu zei⸗ 
gen. Rumäniſcherſeits wurden alle diefe 

erſuche früher mit einem entſchiedenen 
Nein beantwortet. Als Gafencu unmittel- 
bar nach der Beſetzung Albaniens über⸗ 
raſchend nach Iſtanbul fuhr, klang ſein 
Nein in Saracoglus Ohren ſchon etwas 
weniger entſchieden. ln haben die 
Türken die Hoffnung auf eine rumäniſche 
Sinnesänderung nicht aufgegeben, denn am 
15. Juni — der rumäniſche Außenminiſter 
Gafencu befand ſich ge aus Antara 
fommend, auf dem ege von Iſtanbul 
nach Athen — wollte die Belgrader „Vreme“ 
das Einverſtändnis Rumäniens mit der 
SE ber Süddobrudſcha entſprechend 
dem engliſch⸗türkiſchen Vorſchlage melden. 
Dieſe Nachricht erſchien zwar nicht, wurde 
aber in Bukareſt bekannt und erregte dort 
einige Beſtürzung; denn — ſo argumen⸗ 
tierte man — ſollte die Welt vergeſſen 
haben, mit welcher Hartnäckigkeit Rumänien 
am Beſitz der Süddobrudſcha feſtgehalten 
hat? Sollte man Rumänien zutrauen, ſich 
leichten Herzens von einem Gebiet zu tren⸗ 
nen, deſſen Verbundenheit mit dem Mutter⸗ 
lande ſo oft beteuert worden iſt? Aber die 
Welt ſcheint die rumäniſche Entſchloſſenheit 


32 Außenpolitische Notizen 


nicht für |o ernſt genommen zu haben, wie 
ſie tatſächlich iſt, ſonſt würden ſich an die 
Reiſe des rumäniſchen Hea nad 
Ankara nicht ſolche Gerüchte knüpfen. 

Die Schlußerklärung nach dieſem Gafencu⸗ 
Beſuch in Ankara brachte, wie nicht anders 
p erwarten, die Verſicherung, Ant der 

alkanbund einmütig in ſeinen Anſichten 
ſei. Allerdings hatte in der zweiten Mai⸗ 
ie der EE Außenminiſter 

incar⸗Markowitſch beim rumäniſchen 
Außenminiſter Gafencu anläßlich eines 
Treffens auf der Donau unmizverſtändlich 
die Bedenken Jugoſlawiens gegen die tür- 
kiſchen Seitenſprünge angemeldet. Das be: 
ſondere Mißfallen der Jugoflawen richtet 
ſich gegen bas Hineinziehen der 
Engländer in Balkanangelegen⸗ 
heiten, was durch die Formel zum Aus: 
druck kommt, daß beide Regierungen die 
Notwendigkeit anerkennen, die Herſtellung 
der Sicherheit auf dem Balkan zu gewähr⸗ 
leiſten. Sind wir Balkanſtaaten, ſagen die 
oſlawen, nicht Manns genug, daß wir 
dieſe Sicherheit uns ſelbſt verbürgen? Wozu 
haben wir einen Balkanbund, wenn eines 
ſeiner Mitglieder, ohne uns zu fragen, 
eine außenſtehende Großmacht in unſere 
Belange hineinzieht? Eine abſolute Ein⸗ 
mütigkeit konnte alſo in Iſtanbul und An⸗ 
kara nur we werden, 
Türkei einen Rückzieher antrat. 
Das Ende der türkiſchen Selbſtbeſtimmung 

Tatſächlich hat ſich denn auch in der Tür⸗ 
kei ein gewiſſer Katzenjammer über die 
Folgen jenes unüberlegten Beſchluſſes ein⸗ 
geſtellt, mit dem ſich die Türken den Eng⸗ 
ländern ausgeliefert haben. Alle Verſuche, 
die Tatſache dieſes Auslieferns auf Gedeih 
und Verderb zu beſchönigen, ſind miß⸗ 
lungen. Eins iſt klargeworden: Die Tür⸗ 
ken haben ſich in die Front der Einkrei⸗ 
ſungspolitik eingereiht und ſomit ihre 
Neutralität aufgegeben. Das 
rechtzeitig zu wiſſen iſt wertvoll. Die Tür⸗ 
ken bedeuten die eine Spitze des Balkan⸗ 
bundes, die Jugoſlawen die andere. Die 
Griechen machen den Verſuch, eine fallen. 
ber krampfhaften Neutralität durchzuhalten. 
Wie weit ihnen das zwiſchen Scylla und 
Charybdis, zwiſchen der Zange der Ita⸗ 
liener in Albanien und der engliſchen 
Flotte im Mittelmeer, gelingt, bleibe dahin⸗ 
er Der vierte Staat im Balkanbund, 

umänien, ſucht eine vermittelnde 
Haltung zu wahren. Für Rumänien be⸗ 
deutet das Zuſammenhalten des Balkan⸗ 
bundes nach dem Wegfall der Kleinen 


wenn die 


(utente außerordentlich viel. Mit Rückſicht 
auf die Dobrudſcha (von den bulgariſchen 
Forderungen an Griechenland ſpricht man 
viel weniger) muß Rumänien daran ge⸗ 
legen ſein, an dem bisherigen Aufbau und 
der Zielſetzung des Bundes nicht rütteln zu 
laſſen. Jede Zwiſtigkeit, jeder 
Streit kommt ihm un paß. So 
muß Gafencus Mittlerrolle zwiſchen den 
beiden Meinungen verſtanden werden. 


Wozu die Garantie verſprechen? 


Keiner von den beiden Staaten, die des 
zweifelhaften Glückes der engliſch⸗fran⸗ 
n Garantie teilhaftig geworden find, 

at von Deutſchland Vorwürfe zu hören 
bekommen, weder Griechenland noch Ru: 
mänien. Selbſtverſtändlich wäre die Frage 
denkbar geweſen, warum beide Staaten 
ih eine [olde „Garantierung“ gefallen 
ließen, da doch eine andere Haltung 
denkbar iſt, wie die baltiſchen 
Staaten ſoeben mit viel Energie be⸗ 
wieſen haben. Rumäniſcherſeits iſt zur Er⸗ 
klärung wiederholt geſagt werden, daß man 
ſeine Unabhängigkeit und den Beſtand der 
Grenzen ſelbſt verteidigen könne und im 
Ernſtfall bis zum äußerſten verteidigen 
werde, jede Unterſtützung, von welcher 
Seite ſie auch kommen möge, werde dabei 
dankbar angenommen. Die Erklärungen, 
durch die Frankreich und England „ſpontan 
und in Ausdrücken, die uns gerührt haben“, 
Rumäniens friedliche Bemühungen unter⸗ 
ſtützten, ſeien ein wertvoller Beitrag zum 
Werke der Feſtigung des allgemeinen Frie⸗ 
dens; ſolche Kundgebungen, von welcher 
Seite immer ſie kämen, ſtellten 
eine Atmoſphäre des Vertrauens und der 

uten Verſtändigung her, deren alle Völ⸗ 
er ſo ſehr bedürften (Minifterpräfiden: 
Calinescu am 14. April). Dieſe Erklärung 
öffnet Türen, bie fid) vielleicht einmal als 
verhängnisvoll erweilen können, wenn näm: 
lid Sowjetrußland auf ähnliche Gedanken 
käme und ſich daraus Weiterungen ergäben. 
Potemkin, der ſtellvertretende en 
miſſar der Sowjets, foll ung at bei 
feinen Beſuchen in Ankara, Sofia und 
Bukareſt den Gedanken eines Schwarzen⸗ 
Meer⸗Paktes aufgeworfen haben. Bislang 
hat Rumänien gegenüber allen Anbiede⸗ 


rungsverſuchen der Sowjets eine kühle 
Schulter gezeigt. Das rumäniſch⸗ſowjet⸗ 
ruſſiſche Verhältnis iſt korrekt — nicht 
mehr. 


Eine darüber n An⸗ 
näherung zwiſchen beiden egierungen 
würde eine Umwälzung der rumäniſchen 
WM fenpolitik bedeuten. Gafencu hat in 


AuBenpolitische Notizen 33 


ieiner erſten Erklärung vor dem neuen 
tumäniſchen Parlament (am 9. Juni) dieſen 
Sachverhalt mit folgenden Worten fom: 
mentiert, die auf den erſten Blick nicht 
gleich verſtändlich ſind: „Wir haben den 
Grundſatz beachtet, uns nicht auf eine be: 
nachbarte Großmacht — einer anderen ent⸗ 
gegen — zu ftügen, um nicht die Geran: 
laſſung zu einem Streitfall an der Grenze 
oder auf dem Boden unſeres Landes 
zwiſchen den Mächten zu geben, die wir 
voneinander trennen.“ Das war im Zu⸗ 
ſammenhang mit Sowjetrußland geſagt und 
bezieht ſich auf dieſe acht und auf 
Deutſchland. Es könnte mit einer Abwand⸗ 
lung auch für das Verhältnis Polen — 
Deutſchland gelten, von deſſen etwaiger 
Zuſpitzung Rumänien ungern betroffen 
wäte. er polniſch⸗rumäniſche 
Pakt iſt ein echtes Bündnis, das 
nach dem Wortlaut des Vertrages auf jeden 
gal in Kraft tritt. Praktiſch ilt es von den 
eiden Beteiligten immer fo verftanden 


morben, x es ih auf Sowjetrußland bes ` 


zieht; bie Verhandlungen der Generalftäbe 
haben ſtets nur dieſen Anwendungsfall im 
Auge gehabt. Vor ſeinem Abſchluß (1931) 
war von polniſcher Seite der Fall Deutſch⸗ 
land und von rumäniſcher Seite der Fall 
Ungarn in die Debatte geworfen worden; 
da eines ſo unangenehm war wie das 
andere, wurden beide Möglichkeiten nicht 
weiter in Betracht gejogen. Aud in 
15 Beziehung möchte Rumänien neutral 
eiben. 


. Bleibt Ungarn, deffen Reviſionsanſpruch 
in den zwanzig Jahren ſeit dem Weltkrieg 
am bedrohlichſten zu ſein ſchien, und das 
im März d. J. durch ſeine Mobiliſierung, 
die durch die Beſetzung der Karpaten⸗ 
Ukraine notwendig geworden war, ben An: 
ihein weiterer Aktionen erweckte, die nach 
Lage der Dinge nur gegen Rumänien ge: 
richtet ſein konnten. Rumänien antwortete 
alsbald mit der Mobiliſierun 
mehrerer Armeekorps, beſtritt jedoch 
Charakter einer Mobiliſierung und 
gab nur „Konzentrierungen“ (Einberufung 
ju a) zu. Da diefe Maß⸗ 
nahme in die Frühſahrs beſtellung fiel, ents 
and im Volke eine ziemliche Miß⸗ 
immung, die ſich bezeichnenderweiſe 
nicht ſo ſehr gegen Ungarn, als vielmehr 
gegen Deutſchland richtete. In bie kritiſch⸗ 
ten Tage platzte ein aus London kommen⸗ 
der gane en hinein, der vom dortigen 
umaniihen Geſandten Tilea geſtartet 
Dar und ein angebliches deutſches „Ulti: 
matum“ in den laufenden Wirtſchaftsver⸗ 


handlungen betraf. Der Ballon zerplatzte 
in die blaue Luft und richtete weiter keinen 
Schaden an. Wenige Tage ſpäter, am 
23. März, wurde das Wirtſchaftsabkommen 
unterzeichnet. Der deutſche Standpunkt iſt 
durch die deutſche Preſſe hinreichend 
bekanntgeworden. Hier ift es zweckmäßig, 
einen Blick auf den rumäniſchen Stand⸗ 
unkt zu werfen, weil in der Welt über⸗ 
ehen worden iſt, mit welcher Genugtuung 
der Abſchluß des Abkommens in Bukareſt 
begrüßt worden iſt. 


Rumänien rüſtet mit Hilfe aller 


Niemand in ganz Rumänien hat ſich von 
Sentimentalitäten oder Vorurteilen für 
Deutſchland leiten laſſen, als er auf den 
Wirtſchafts vertrag hinarbeitete, am wenig⸗ 
ſten die beiden unterzeichnenden Miniſter, 
der Wirtſchaftsminiſter Bujoi und der 
Außenminiſter Gafencu Die Vorteile 
für Rumänien lagen auf der 
Hand. Die Gegenpropaganda griff ein⸗ 
zelne Punkte heraus und entſtellte ſie, z. B. 
die suns von Freizonen, in denen eine 
Gefährdung der rumäniſchen Oberhoheit er⸗ 
blickt wird. In Wirklichkeit ſind Freizonen 
für Rumänien nichts Neues, die Tſchechen 
80 dasſelbe vordem gehabt und kein 

ahn hat danach gekräht. Der Vertrag 
bringt konkrete Vorteile, während der 
ſpäter abgeſchloſſene rumäniſch⸗engliſche 
Vertrag b in Andeutungen verliert. Selbſt 
eine Zeitſchrift wie „Roumanian Cconomijt" 
on muß dies in einem Vergleich 
eider Verträge zugeben. In jenem Zeit⸗ 
punkt hat der deutſch⸗rumäniſche Vertrag 
den Kredit Rumäniens ungeheuer geſtärkt. 
Im Lande wurde offenkundig, daß Deutſch⸗ 
land nicht im entfernteſten daran dachte, 
Rumänien zu bedrohen, denn würde man 
ſonſt mit dieſem Lande einen Vertrag auf 
weite Sicht ſchließen und ihm Waffen lie⸗ 
fern? Nunmehr entſchloſſen ſich die Eng⸗ 
länder, eine Wirtſchaftsabordnung unter 
Sir Leith⸗Roß nach Bukareſt zu ſenden. Um 
dieſe Abordnung hatte der rumäniſche 
König bei ſeinem Londoner Beſuch im No⸗ 
vember gebeten, ohne daß etwas geſchehen 
wäre. Jetzt hatten es die Engländer auf 
einmal eilig. Was dabei herausgekommen 
ijt, wirkt im Vergleich mit dem deutſch⸗ 
rumäniſchen Abkommen dürftig. 

Doch hatte Rumänien ſein Wort wahr 
gemacht, daß der deutſch⸗rumäniſche Ber: 
trag niemanden davon ausſchließe, ſeiner⸗ 
ſeits mit Rumänien entſprechende Ab⸗ 
machungen zu treffen. Rumänien war gegen⸗ 
über England in der Vorhand, denn 


34 Außenpolitische Notizen 


niemals hätten die Engländer unverrichteter 
Dinge aus Bukareſt abfahren können, die 
Blamage wäre nach den vorhergegangenen 
Ankündigungen zu groß geweſen. Daß Nu⸗ 
mänien unter dieſen günſtigen Umſtänden 
nicht mehr erreicht hat, iſt erſtaunlich, be⸗ 
weiſt aber erneut, daß man ſtreng neutral 
bleiben und jedem das Seine geben will. 
Noch kärglicher war die Ausbeute der vor⸗ 
en rumäniſch⸗franzöſiſchen Bers 
andlungen. Frankreich hat feine [don vors 
dem 70 v. H. der Geſamteinfuhr aus Rus 
mänien betragende Olcinfuhr noch mal vers 
doppelt, bloß um den Zinſen⸗ und Amor⸗ 
tiſationsdienſt der früheren Wucheranleihen 
e Wäre es England und Frank⸗ 
reich ernſt mit ihren Abſichten, dächten ſie 
anders als kapitaliſtiſch, ſo könnten 
ſie ſich mit einer Konvertierung einver⸗ 
ſtanden erklären. Aber davon iſt keine Rede. 


Auch das engliſche Abkommen weiſt 
einige kennzeichnende Züge out So mul 
Rumänien weiterhin gewiſſe Prozentſätze 
des Ausfuhrerlöſes in freien Devilen den 
Händlern zur Verfügung Wellen, wodurch 
bie ſonſtige Zwangsnotierung an einer ent- 
ſcheidenden Stelle durchlöchert und das 
Deviſenregime empfindlich belaſtet wird. 
Bei den Preisdifferenzen zwiſchen England 
und Rumänien iſt aber ein anderer Aus⸗ 
weg nicht möglich. Es bleibt eine britiſche 
Kreditgarantie über fünf Millionen Pfund 
Sterling übrig, die in erſter Linie zum 
Ankauf von an verwendet wird. Damit 
ift einer ber weſentlichen Zielſetzungen der 
gegenwärtigen rumäniſchen Außenpolitik 
erwähnt: fid mit aller Beſchleuni⸗ 
gung aufzurüſten und dazu 
jedermanns Hilfe anzunehmen. 


Deutſchland als Wafſenlieſerant 

Will Rumänien erfolgreich ſeine Unab⸗ 
hängigkeit verteidigen, will es um ſein 
gegenwärtiges Gebiet kämpfen, ſo bedarf 
es dazu einer wohlgerüſteten Armee. Sämt⸗ 
liche Anſtrengungen der Regierung ſind 
darauf gee jo ſchnell wie möglich 
einen tand zu erreichen, der dieſe 
Selbſtverteidigung erfolgreich er⸗ 
ſcheinen läßt. Hier rächen ſich Sünden der 
Vergangenheit und ſollen ſo ſchnell wie 
möglich wiedergutgemacht werden. In 
dieſen Rahmen paffen nur gute Beziehun⸗ 
gen mit Deutſchland, keine ſchlechten, denn 
ſonſt würde Deutſchland als 
Waffenlieferant ausfallen, 
und wo kann ein Land bei dem heutigen 
Wettrüſten, da jeder zunächſt an jid) denkt. 


überhaupt noch Waffen erhalten? Waffen 
modernſter Art, kein abgelagertes Zeug, 
und Waffen in genügendem Ausmaß? Das 
iſt die rumäniſche Kardinalfrage, und dazu 
wird gegenwärtig die Armee in der Hand: 
habung der modernen Waffen nach Kräften 
geſchult. 

Rumänien betreibt, wie wir geſehen 
haben, Neutralitätspolitik unter Berück⸗ 
ſichtigung der obwaltenden Umſtände. Es 
hat in einem etwa kommenden Kriege 
nichts zu gewinnen, es hat höchſtens 
etwas zu verlieren. Es will aber 
nichts verlieren, ſondern will bleiben, was 
es 1919 dank den Geſetzen ſeines 
Volkstums geworden ijt: Groß: 
Rumänien. Es muß daher ſeine Unab⸗ 
hängigkeit mit den Waffen in der Hand 
verteidigen, gegen jedermann, woher 
der Angriff auch komme, und 
wer feinen Weizen, fein OI, feine Roh: 
Dt begehre und nicht ben von 
Rumänien geforderten Preis 
zahle. Am liebſten — das iſt zweifel los 
der heiße Wunſch des Landes — iſt ihm 
ein langer Friede, der geſtattet, die jetzige 
Aufwärtsentwicklung fortzuſetzen. Gafencu 
Bat dieſen Wunſch und Willen der rumä⸗ 
niſchen Regierung in Berlin, Brüſſel, Lon⸗ 
don, Paris und Rom ausgeſprochen, und 
wir wiſſen, daß er in Berlin auf großes 
Verſtändnis geſtoßen iſt. „Ich werde nie⸗ 
mals die Worte vergeſſen“, ſagte er in 
ſeiner erwähnten Parlamentsrede, „mit 
denen mir die führende Perſönlichkeit eines 
mächtigen Reiches auf dem Kontinent bei 
Schilderung des Krieges von morgen tlar: 
legte, daß am Ende des Kampfes Sieger 
und Beſiegte unter denſelben Ruinen 
liegen würden.“ 


Ehrlicher Makler? 

Gafencu hat daher geglaubt. eine 
Miſſion der mittleren und kleinen Staaten 
roklamieren zu ſollen, die gewillt feien, 
ſich zwiſchen die Blockbildungen der Groß⸗ 
mächte zu ſchieben und für den Frieden zu 
wirken. Dieſe Abſicht verdient alle An⸗ 
erkennung, und es gibt gewiß niemand, 
der nicht Rumänien das Glück gönnt, eine 
lange Periode des Friedens und des Wohl⸗ 
ſtandes zu erleben. Aber es erhebt fid, 
nicht von uns geſtellt, ſondern natur⸗ 
notwendig, die Frage, ob es Rumänien 
gelingt, ſeiner Abſicht treu zu bleiben. 
Dieſe Frage ſtellt ſich allen Staaten, die 
Neutralitätspolitik betreiben, ohne durch 
Bevölkerungszahl oder geographiſche Ab— 


Außenpnlitische Notizen 38 


ſeitslage dazu direkt gezwungen zu jeim. 
Eine Antwort zu geben: Was dann? — 
ſteht uns nicht zu. Wir verſtehen aber 
die Situation, in der ſich die für die 
Außenpolitik Rumäniens verantwortlichen 
Männer befinden, eine Situation, die um 
io delikater iit, als die Aufrechterhaltung 
des Gleichgewichts möglich iſt, ſolange 
Deutſchland ſeine Zurückhaltung bewahrt 
und Vertrauen hat, die aber in 
dem Augenblick ſchwierig wird, wenn 
„Neutralität“ und „Farbe bekennen“ un⸗ 
überbrückbare Gegenſätze werden. Der Real⸗ 
politiker Gafencu ſieht zweifellos bieles 
Dilemma; ob er auch einen Ausweg fieht? 


Kuno Goldbach: 
Die Auf bauarbeiten 
der selbständigen Slowakei 
Preßburg, im Juni. 

Der ſelbſtändige ſlowakiſche Staat ver⸗ 
fügt ſeit wenigen Tagen über eine eigene 
Verfaſſung. egiert wurde bis jetzt auf 
Grund des einzigen Verfaſſungsgeſetzes, des 
Geleges Nr. 1 über die ſtaatliche Selbſtän⸗ 
"Met der Slowakei vom 16. März 1938. 

ie unter der Leitung des Innen: 
minifters Profeſſor X ufa jtebenbe Ber: 
ſaſſungskommiſſion hat bei ihren Arbeiten 
von allen Erfahrungen weitgehend Ge⸗ 
brauch gemacht, die ſich aus dem Aufbau 
und dem Wirken der totalitären Staaten 
und der Träger dieſer Staaten, der 
RS DAP. und der en Partei, er: 
geben. Die auf den Prinzipien dieſer beiden 
EEN fuBenbe Verfaſſung wird 
daneben alle der völkiſchen und geopoli: 
tiſchen Eigenart der Slowakei entſprechen⸗ 
den Tatſachen zu berückſichtigen haben. 
Auf Grund der verſchiedenen Außerungen 
über die neue Verfaſſung ſeitens des Mi⸗ 
nifterprafidenten Tifo und bes Parla: 
mentspräſidenten Sokol ergibt ſich fol⸗ 
gendes Bild: Die neue Staatsform ſoll 
autoritär ſein, wobei dem Staatsoberhaupt 
erhöhte Gewalt zukommen wird. Das Par: 
lament wird in ſeiner Zuſammenſetzung 
einer Kammer der Korporationen nahe⸗ 
kommen, und bei den Wahlvorſchlägen wird 
die ſtändiſche 1 der Bevölkerung 
unter Berückſichtigung der Intereſſen der 
Staatspartei richtunggebend fein. 

Strittig iſt die rage der politiſchen Par⸗ 
teien, die jetzt aufgelöſt find, ba die Volks⸗ 
gruppen ihre eigenen ſelbſtändigen poli⸗ 
tiiden Parteiorganiſationen aufrecht erhal: 
ten wollen. Das von dem Propagandachef 


Mach vorgeſehene Projekt einer Allſtaats⸗ 
Einheitspartei ſieht vor, daß die deutſche 
und madjariſche Volksgruppe fi lediglich 
als Sektionen der ſlowakiſchen Staatspartei 
e dürfen. Dieſer Plan Machs 
widerſpricht den klaren Zuſicherungen des 
ſlowakiſchen Miniſterpräſidenten Dr. Tiſo, 
der am 29. November 1938 den Vertretern 
der deutſchen VA A. erfldrte, dak es 
der ausdrückliche unſch und Wille der 
ſlowakiſchen Regierung ſei, der befreundeten 
deutſchen Volksgruppe eine ſolche Rechts⸗ 
ſtellung zu ſichern, wie ſie nach moderner 
Anſchauung und in Übereinſtimmung mit 
den praktiſchen Erforderniſſen und Mög: 
lichkeiten erwartet werden könne. Diele 
Zuſicherung, die der deutſchen Volksgruppe 
den Beſtand einer eigenen nach national⸗ 
ſozialiſtiſchen Führungsgrundſätzen aufge⸗ 
bauten Volksorganiſation zuſichert, wurde 
durch die am 22. Februar d. J. abgegebene 
Regierungserklärung in das Geſamtpto⸗ 
gramm der Regierung e ſo 
daß über die Undurchführbarkeit des Mach⸗ 
ſchen Planes kein Zweifel beſtehen kann. 


Sidor bereitet Schwierigkeiten 
Der Regierung Tiſo⸗Tuka werden 


durch bie Anhängerſchaft Sidors, bie fi 
heute aus polonophilen, tſchechophilen, 


panſlawiſtiſchen und marxiſtiſchen (lemen: 
ten zuſammenſetzt, innerpolitiſche Schwie⸗ 


rigkeiten bereitet, infofern als dieſe 
Kreile eine ſtarke Propaganda gegen 
die Regierung und gegen das eich 


treiben. Manche Kreiſe ſehen in Sidor noch 
immer den Führer der Slowaken und den 
Nachfolger Hlinkas, ohne dabei zu berück⸗ 
ſichtigen, daß Sidor durch ſein unentſchloſſe⸗ 
nes und feiges Verhalten im Oktober 1938, 
als er die Slowaken im Rundfunk aufs 
forderte, dem Mobiliſationsbefehl der 
Beneſch⸗Regierung Folge zu leiſten, das 
Teſtament Hlintas, bis zur Autonomie der 
Slowakei zu kämpfen, verriet, und ſchließ⸗ 
lich im März auf Grund feiner undurch⸗ 
ſichtigen Haltung erreichte, Miniſterpräſi⸗ 
dent der Slowakei von Prags Gnaden zu 
werden. Große Teile ſeiner früheren An⸗ 
hängerſchaft wandten ſich von ihm ab und 
zählen heute zu den größten Gegnern 
Sidors. Darunter insbeſondere ſein früherer 
Sekretär, der Stabschef der Hlinka⸗Garde, 
Karol Murgas, der für eine deutſche 
Orientierung und für ein aufrichtiges Zu⸗ 
ſammenarbeiten mit dem Reich eintritt. 
Gidor gehörte anfangs der flowakiſchen 
Regierung als Innenminiſter an, doch war 
ſein weiteres Verbleiben auf dieſem Poſten 


36 Außenpolitisehe Notizen 


Infolge feiner unflaren Haltung gegenüber 
dem Reid nd fo daß er ſchließlich 
im April ausſchied. Eine wirkliche Bereini⸗ 

ung des Falles Sidor und damit eine 

onſolidierung der innerpolitiſchen Ver⸗ 
hältniſſe wird erſt dann eintreten, wenn 
Sidor feinen Poſten als flowakiſcher Ge⸗ 
ſandter beim Vatikan, für den er auserſehen 
iſt, antritt. 

Der Propaganda gegen die Regierung 
Tiſo⸗Tuka, den vegetmäßigen Ausfällen ber 
in dem Gibot gehörenden rowa. eu 
erſcheinenden Blätter gegen das Reich un 
gegen die Achſe, der madjariſchen Propa⸗ 
ganda für einen Anſchluß der Slowakei an 

ngarn, und ſchließlich der Propagierung 
der panſlawiſtiſchen Idee trat das unter 
Leitung San Machs ſtehende Propaganda⸗ 
amt nicht entgegen, ſo daß die Gerüchte, 
Mach und ſeine Kreiſe förderten insgeheim 
dieſe antideutſchen Beſtrebungen, reichlich 
Glauben fanden. Als in der letzten Zeit 
ſeitens des ſogenannten Regierungsblattes 
„Slovak“ Angriffe auf die spierung Tifo 
erfolgten unb die ſidortreuen Redakteure in 
der unflätigften Weiſe Stellung gegen bie 
Politik des Reichs und ber Achſe nahmen, 
ſah ſich Mach auf Veranlaſſung des Innen⸗ 
miniſters Tuka ſchließlich gezwungen ein⸗ 
zuſchreiten, und er hat auch durch eine 
öffentliche Erklärung nach dem engliſchen 
Lügenmanöver über deutſche Truppenkonzen⸗ 
trationen in der Slowakei eindeutig die 
Politik mit dem Reich vertreten. 


Die wirtſchaftlichen Aufgaben 


Es kann zunächſt nicht verwundern, daß 
zu den Nöten der Ablöſung von Prag und 
der Neuorganiſierung aus der Struktur des 
neuen Staates Beſchwerden ſich ergeben 
haben. Das Land mit ſeinen 2,6 Mill. 
Einwohnern wurde bis zum März 1939 aus 
Böhmen und Mähren mit den wichtigſten 
Dingen des täglichen Bedarfs beliefert, und 
zwar zu Preiſen, die der außerordentlich 
niederen Kaufkraft der Arbeiter⸗ und 
Bauern bevölkerung, vor allem in der Oft: 
ſlowakei, entſprochen hatten. Gegenwärtig 
macht ſich in dieſen Artikeln ein allge⸗ 
meiner Mangel bemerkbar, der vorüber⸗ 
gehend und teilweiſe durch Belieferungen 
aus dem Protektorat gemildert werden 
konnte. Nun iſt aber der Clearing mit dem 
Reich einſchließlich des Protektorats ver⸗ 
ſtopft. Das Reich hat in den letzten Mo⸗ 
naten große Mengen flowakiſcher Waren 
abgenommen, während die Slowakei ent: 


ſprechend ihrer geringen Aufnahmefähigleit. 
der mangelhaften Kaufkraft ihrer Bevölke⸗ 
tung und nicht zweckmäßiger Zollgeſtal tung 
aus dem Reich verhältnismäßig wenig 
Waren 1 So hat ſich in Berlin 
eine Clearinglpige zugunſten der Slowakei 
von etwa 80 Millionen Kronen ergeben. 


In Kürze ſoll nun eine Flüſſigmachung 
der fſlowakiſchen ee Eé an das Reid 
auf dem Wege über die Anderung bzw. den 
Abbau verſchiedener Zölle auf reichsdeutſche 
Waren erfolgen. Die Schwierigkeiten im 
Warenaustauſch können dadurch vermin⸗ 
dert, aber nicht beſeitigt werden. Eine 
ſtärkere Einfuhr reichsdeutſcher Güter, vor 
allem Inveſtitionsgüter, iſt erſt dann 
möglich, wenn die Regierung mit Energie 
an die Durchführung öffentlicher Arbeiten 
und wenn die öffentlichen Amter an die 
Vergebung größerer Aufträge gehen mur: 
den! Nun iſt das Kennzeichnende der ſtaats⸗ 
finanziellen Lage gegenwärtig, daß die ge⸗ 
ſamten Staatseinnahmen auf täglich 2 Mil⸗ 
lionen Kronen. die Ausgaben dagegen auf 
3 Millionen Kronen geſchätzt werden, ſo 
daß ein Jahresdefizit von mehr als 
300 Millionen Kronen errechnet werden 
kann, ſelbſt wenn die für die nächſten 
Monate erwartete Beſſerung des Ein⸗ 
nahme⸗Ertrages eintreten ſollte. Eine Det: 
kung des Abgangs auf dem Wege der In⸗ 
landsanleihen iſt nicht möglich. Das magere 
Ergebnis der Erneuerungsanleihe hat deut⸗ 
lich gezeigt, daß die Bevölkerung dieſer 
Regierung keinen allzu großen Kredit zu 
geben geneigt iſt. Es wird darum eine 
Politik der Kreditausweitung erwogen, 
doch iſt auf dieſem wie auf anderen Ge⸗ 
bieten die Entſchlußfähigkeit der in alten 
Auffaſſungen befangenen Fachminiſter nicht 
ſehr groß. 

Der jüdiſchen Wirtſchaftsbetätigung gegen⸗ 
über verhält ſich die Regierung neutral. 
Dies darf man feſtſtellen, wenn in ein und 
demſelben Fall deutſchen Firmen und Ban⸗ 
ken Deviſenbewilligungen abgelehnt, jüdi⸗ 
ſchen Geſellſchaften aber erteilt werden, 
wenn die von reichsdeutſcher Seite ver⸗ 
ſchiedentlich angebotene Ariſierung größerer 
jüdiſcher Betriebe mit dem Hinweis ab⸗ 
gelehnt wird, die Ariſierung würden die 
Slowaken ſelbſt beſorgen. Da die Slowaken 
aber weder das nötige Kapital noch das 
entſprechende Fachwiſſen haben, bedeutet die 
Rejervicrung aller Entjudungsmöglichkeiten 
für die Slowaken nichts als eine Beſtäti⸗ 
gung des jüdiſchen Einfluſſes in der Wirt⸗ 


Kleine Beiträge 37 


ſchaft. Trotzdem betrachten die Juden, bie 
ihre führende Stellung im Holz⸗ und Ge⸗ 
treidehandel und in anderen Sparten bee 
balten haben, die gegenwärtigen Verhält⸗ 
niſſe nicht als ſtabil. Sie exportieren, was 
We können und laſſen den Erlös im Aus⸗ 
land ſtehen. 
Die Slowakei, ein wegen ihrer wirtſchaft⸗ 
chen Struktur, ihrer Größe, der geringen 
Kauſtraft ihrer Bevölkerung für Induſtrie⸗ 
länder wenig intereſſanter Handelspartner, 
belaſtet mit einer gegen den März 1939 
kaum verminderten Arbeitsloſigkeit, einer 
unentwickelten Wirtſchaft, kann alle ihre 
Kräfte nur in enger Zuſammenarbeit mit 
dem Reich entwickeln. 


Die deutſche Volksgruppe 


Die deutſche Volksgruppe iſt auf parla⸗ 
mentariſchem Boden als politiſche Partei 
im eigentlichen Sinne nicht vertreten, im 
ſtaatlichen Bereich dagegen durch volks⸗ 
deutſche Beamte in den A dein Refforts 
und durch die ſtaatlichen Amter, die deutſche 
Schulabteilung und das mene Staats» 
fefretariat, das eine vermittelnde, helfende, 
kontrollierende und sl erdeführende Ins 
Rang IR. Die endgültige Umeeijung des 

ufgabenfteies des Staatsſekretariats 
dürfte in Kürze durch die Regierung vor⸗ 


Kleine 


Der König der deutschen Macht 
Zum 900. Todestag Kaiser Konrads II. 


Am 4 Juni ftarb vor 900 Jahren ber 
tite deutſche Kaifer aus ſaliſchem Haufe, 
Konrad IL, nach einer Regierungszeit von 
sur 15 Jahren. Innerhalb dieſer eins 
einhalb Jahrzehnte aber ijt es dieſer einzig» 

artigen Herrſcherperſönlichkeit gelungen, 
das ds Deutſche Wë auf den höchſten 
Punkt der Macht zu führen, den es je in 
ſeinet Geſchichte erreicht hat. Kein Kaiſer 
t feinem Nachfolger ein ſolches Erbe 
interlaſſen wie et. Kein Kaiſer des deut⸗ 
chen Mittelalters auch war innerlich ſo 
tei von den snes el Bindungen und 
Vorſtellungen feiner Zeit wie dieſer erſte 


genommen werden. Der deutſchen Volks⸗ 
gruppe liegt daran, daß ihre an ſich nicht 
ungünſtige Lage auch verfaſſungsmäßig feſt⸗ 
elegt und geſetzlich verankert wird. Die wirt⸗ 
chaftliche Lage der Volksgruppe muß als 
wenig günſtig bezeichnet werden, ſo daß die 
Gefahr der Abwanderung ins Reich beſteht. 
Tauſende von Deutſchen gehen bereits auf 
Saiſonarbeit ins Reich. Die deutſchen 
Bauern haben mit außerordentlichen 
Schwierigkeiten zu kämpfen, und der zu 
einem weſentlichen Teil in Händen von 
Volksdeutſchen liegende Fremdenverkehr be⸗ 
findet ſich noch in einer troſtloſen Lage. 


Es iſt zu erwarten, daß auf Grund der 
deutſch⸗ſlowakiſchen Abkommen künftig eine 
engere Zuſammenarbeit zur Beſſerung der 
wirtſchaftlichen Lage des Karpaten⸗Deutſch⸗ 
tums beitragen wird. 


Die engliſche Propaganda hat ſich in 
letzter Zeit um die Slowakei ſehr „bemüht“. 
Eine Teilung zugunſten Ungarns, deutſche 
Truppenkonzentrationen uſw. wurden erfun⸗ 
den. In Wahrheit iſt das Reich bemüht zu 
a unter Beachtung der [lomatijdjen 

elbſtändigkeit. Was dabei an Schwierig⸗ 
keiten auftritt, ſind Kinderkrankheiten von 
gewiß nicht zu Beſorgnis Anlaß gebender 

atur. 


dige 


Salier. Dieſe beiden Tatſachen allein find 
ſchon Anlaß genug, des Tages vor 
900 Jahren, der eine Wendung in der 
deutſchen Geſchichte zum Tragiſchen be⸗ 
deutete, noch nachträglich zu gedenken. 


Zweifellos iſt Konrad II. von der bis⸗ 
herigen Geſchichtsſchreibung in einer Weiſe, 
die ſeiner Bedeutung nicht gerecht wird, 
vernachläſſigt worden. Die nach ſeinem 
Tod einſetzende Entwicklung, der für uns 
Deutſche ſo tragiſche Kampf zwiſchen 
Kaiſertum und Papittum, hat die Hiſto⸗ 
tiker mehr angezogen als der zwar leiden⸗ 
ine aber nüchtern von der realen 

irklichkeit ausgehende und ausſchließlich 
politiſch beſtimmte Geſtaltungswille dieſes 
großen Deutſchen. Die nationalſozialiſtiſche 


38 Kleine Beiträge 


Col erger ung De: bas Bild, bas 
wir vom deutſchen Mittelalter beſitzen, aus 
tiefſt gewandelt. Damit verbunden muß 
auch zwangsläufig eine neue Wertung der 
entſcheidenden Perſönlichkeiten dieſes Zeit⸗ 
abſchnittes ſein. Neben König Heinrich l. 
tritt Kaiſer Konrad II. ſtärker in den 
Vordergrund als eine der Führerperſönlich⸗ 
keiten, in denen unſer germaniſch⸗deutſches 
Weſen ſeinen reinſten Ausdruck ge⸗ 
funden hat. 


Als mit Heinrich II. das ſächſiſche Kaiſer⸗ 
haus ausſtarb, drohte über unſer Volk und 
das Reich eine tiefe Kriſis hereinzubrechen, 
die nur ein Meiſter der Politik ohne Ge⸗ 
fährdung der deutſchen Machtſtellung über⸗ 
winden konnte. Es war nicht nur die Frage 
nach der Nachfolge pene eſtellt, fons 
dern die maßgebenden räfte unſeres 
Volkes waren zerriffen in zwei weltanſchau⸗ 
lich ſich ſchärfſtens gegenüberſtehende Lager. 
Auf der einen Seite ftand eine Partei, die 
den Gedanken der . und der 
völligen Einordnung der Kirche in das 
Reig vertrat, auf der anderen hatten fid 
alle ler Kräfte mit ben Bod; 
kirchlichen aſzetiſchen Beſtrebungen des 
romaniſchen Weſtens verbunden. Verderb⸗ 
lich aber drohten Schwäche und Zwieſpalt 
im Innern zu werden, weil zugleich die 
außenpolitiſche Gefahr eines rieſigen, 
gegen die deutſche Stellung in Europa 

erichteten Blockes entſtanden war. Aus 
SE Ungarn, Böhmen und Polen, 

anemarf und England, dem mächtigen 
Adel Burgunds, den Städten und welt⸗ 
lichen do Lk der Lombardei, ber Gees 
macht Venedig und nicht zuletzt dem Papſt⸗ 
tum und dem griehi byzantinischen 
Kaiſertum ſchien ſich ein gewaltiger euro⸗ 
päiſcher Bund gegen das Deutſche Reich 
aufzutürmen. 

Der Mann, der in dieſer ernſten Stunde 
auf Grund jener eigenartigen, dem ger⸗ 
maniſchen Führer⸗ und Gefolgſchafts⸗ 


gedanken entſprechenden Miſchung von Erb⸗ 


und Wahlrecht die Führung des Reiches 
übernahm, hat es verſtanden, die ſchwere 
innen⸗ und außenpolitiſche Kriſis in einer 
erſtaunlich kurzen Zeit abzuwenden. Die 
ſpäteren, gegen das Kaiſertum gerichteten 
kirchlich⸗propagandiſtiſchen Schriften haben 
dieſen beiſpielloſen Erfolg Konrads II. und 
die darauf aufbauenden Leiſtungen ſeiner 
kurzen Regierungszeit nicht anders als 
durch ein Bündnis mit dem ida ju ets 
klären gewußt. Wir aber willen heute, ba 
das gewaltige politiſche Werk Konrads Il. 


nichts mit irgendwelchen übers oder unter: 
irdiſchen Kräften zu tun hat, ſondern nur 
keine Per erklären iſt, paß feit Heinrich I. 
keine Perſönlichkeit von ſolcher inneren, 
ermaniſch⸗deutſcher Art entſprechenden Ge⸗ 
chloſſenheit des Weſens auf dem deutſchen 
Königsthron ſaß. Von Anfang an kannte 
dieſer deutſche König nur einen Gedanken, 
die Macht des Reiches und das Wohl der 
Geſamtheit des Volkes. 


Seine ſchwere Jugend, belaſtet durch die 
Entrechtung und Schutzloſigkeit eines Früh⸗ 
verwaiſten, hatte Härte und kämpferiſchen 
Willen und einen ESCH zugleich harten 
Gerechtigkeitsſinn in ihm beſonders aus⸗ 

eprägt. Es werden immer wieder Einzel⸗ 
heften und Begebniſſe geſchildert, die dieſen 
volkstümlichen rw Konrads II. 
näher kennzeichnen. Seine im alten gers 
maniſchen Gedanken des Volkskönigtums, 
nicht aber im chriſtlichen Königsprieſter⸗ 
tum wurzelnden Handlungen find fo etn: 
drucksvoll geweſen, daß der Ruf von ihnen 
ſich raſch in den deutſchen Landen und auch 
weit über die Grenzen hinaus verbreitete. 
Sie ee nicht wenig zu der rafden 
Durchſetzung Konrads im Deutſchen Reich 
und in Europa beigetragen. Bereits auf 
dem Wege zur Krönung bewies der Salier, 
daß ihm die Sache der Gerechtigkeit und 
des Schutzes der Armen und wachen, 
die Hilfe für einen Bauern, eine Witwe, 
eine Waiſe und einen aus der Heimat 
Vertriebenen, wichtiger war als bie (Ent: 
gegennahme königlicher Ehren. Ludwig 
Uhland hat ſeiner Königswahl ein ſchönes 
dichteriſches Denkmal geſetzt. In ſeinem 
Lied heißt es von ihm: 


zWär' Kaifer Karl geſtiegen aus der Gruft, 
Nicht freudiger hätt’ ihn die Welt begrüßt. 
So wallten ſie den Strom entlang nach Mainz, 
Woſelbſt der König im erhab'nen Dom 

Der e Weihe nun empfing. 
Wen ſeines Volkes Ruf ſo hoch geſtellt, 
Dem fehle nicht die Kräftigung durch Gott!“ 


Bei ſeinem Ben fragte der König 


nicht nach Herkunft und Stellung; jeder 
Deutſche, das wurde unter ihm zum Grund⸗ 
? Gerechtig⸗ 


jag ha hat Anſpruch au 
keit. Einen räuberifhen Grafen ließ der 
Kaiſer am Galgen aufknüpfen, einen in 
Rom gefallenen Krieger mit königlichen 
Ehren beiſetzen, einem anderen, dem bei 
der Abwehr eines Aufſtandes ein Bein ab⸗ 
eſchlagen war, mußten die Lederſtiefel mit 
oldmünzen gefüllt werden. Die zuſtän⸗ 
digen ſudiſchen e wurden a ber Duls 
bung jüdiſchen Sklavenhandels mit leib⸗ 


Kleine Beiträge 


eigenen Knechten im Bistum Verden nach⸗ 
drücklichſt zur Beendigung dieſes ruchloſen 
Vorganges angehalten. 


Eine der 
Königs war, daß er vom Craftubl 
Karls bes Großen in Aachen aus als 
oberſtet Richter das Sonder recht der 
weltlichen Großen auf Erblichkeit ihres 
Sees endgültig durchbrach. Durch münd⸗ 
lichen Richterſpruch des Königs wurde bie 
ge e Erblichkeit aud für die 
ehen der kleinen Grafen und Herren, vor 
allem des neuen Standes der Dienftmänner 
oder Ritter und im Endergebnis auch des 
Bauern geſetzlich feſtgelegt. 


Nit dieſer un war Konrad Il. 
zum eigentlichen Begründer des politiſch 
und kulturell bald ſo entſcheidenden „ſtau⸗ 
fGen Nittertums“ geworden. Dieſer Ges 
etzgebungsakt, der in allen Fällen letzte 

ellation an den König vorſah, bedeu⸗ 
tete nicht nur eine gewaltige Stärkung der 

Macht des Königtums gegenüber den parti⸗ 

kularen Gewalten, ſondern Al ar des 

deutſchen Nationalgefühls gegenüber dem 

Stammesgedanken. Die Treue gegenüber 

dem König und der Nation ging — das 

bewies ſich vlr He des Aufſtandes Herzog 

Ernits Il. von waben — nunmehr über 

jede Lehnstreue, auch über bie Verpflich⸗ 

tung gegen den Stammesherzog. 


In einer Zeit des Zwieſpalts als Re 
prdjentant bet ſtaatskirchlichen Partei unter 

tibo von Mainz auf den Thron ge: 
tommen, bewies Konrad fofort, daß er nicht 
gewillt war, Werkzeug einer der Partei⸗ 
ungen und Gruppen zu ſein. Es iſt inter⸗ 
dont, zu beobachten, wie der König immer 
wieder bei ſeinem politiſchen rane ls die 
tioalifierenden Kräfte gegeneinander aus» 
wog und ausipielte, fie jo ſich aufheben 
ließ. Er duldete keine Machtbildung neben 
dieſer a. Reichsführung, dem 
Königtum, das bekam als erſter Aribo von 
Mainz ü m erzöge und Grafen, 
Reichs biſchöfe unb ⸗äbte und Ms bie 
pape waren für ihn nichts anderes als 
königliche Beamte, Diener des Reichs. 


Der germaniſche Königsgedanke war in 
Konrad II. wieder lebendig geworden. Tief 
im germaniſchen Denken wurzelte die Idee 
des Reiches, der er entgegen allen einge: 
drungenen fremden, chriſtlich⸗römiſchen Wns 
ſchauungen zum Dur dil verhalf. Cine 
befondere Wahl pm langobardiſchen König 
lehnte er ab, weil er in der Lombardei ein 
altes, damals auch blutsmäßig ſtark ger⸗ 


erſten grundlegenden Taten 


39 


maniſches Herrſchaftsgebiet des Reiches fab, 
in dem der SE des Hm 
automati[f von einem deutſchen König auf 
den anderen be o . Den aus ber pers 
fónfiden Verwan tſchaft ſeines Vorgän⸗ 
ers, Heinrichs II., zum letzten Burgunder⸗ 
önig hervorgegangenen 5 auf 
Burgund nahm Konrad II. bewußt aus die⸗ 
er privaten erbrechtlichen Sphäre heraus. 
ür ihn war es ein ſtaatspolitiſcher An⸗ 
pruch des Reiches, den er über alle per⸗ 
önlichen Erbrechte — und ſeien es die 
eines Stiefſohnes Ernſt — hinweg durch⸗ 
etzte. Hier bewies ſich das weit über die 
Vorſtellungen ſeiner 96 hinausgreifende, 
eradezu moderne Reichs⸗ und Staatsdenken 
ontads II., das er 1025 gegenüber den 
Abgeſandten des abgefallenen Pavias ge⸗ 
radezu ſprichwörtlich in dem Satz formu: 
lierte: „Wenn der Kom g au irbt, ſo 
bleibt doch das Reich, wie das Schiff bleibt, 
wenn der Steuermann fällt.“ 
Aus der inneren Kraft und Geſchloſſen⸗ 
heit, die er dem Reich zurückgab, wuchs 
deſſen äußere Macht. Europa wurde ges 
ot at yn le, — no : 1 — 
nach der Geſetzgebung durch den deutſchen 
König rief. Polen, oeben noch durch get 
Machtballung und Unterjochung meds 
wilder Stämme zu einer Gefahr für das 
Reich geworden, zerbrach gegenüber der 
klugen Politik bietes Kaiſers. Der unter 
den letzten Ottonen eingetretene Riidjdla 
in der deutſchen Oſtpolitik wurde dadur 
völlig wettgemacht. Die Laufitz kehrte 
endgültig zum Reich zurück. Mähren wurde 
mit Böhmen vereinigt und damit wieder 
in den Bereich der deutſchen Herrſchaft 
einbezogen. Durch die Förderung der Ehe 
des jungen Bretiſlaw mit der Deutſchen 
on von Babenberg⸗Schweinfurth bes 
penn ie Politik der völligen Einbeziehung 
er przemyſlidiſchen Herzogsfamilie in das 
Deutſchtum. Die Förderung des tapferen 
Dietrich II. von Wollin und ine X E 
um Markgrafen legte den Grund für bie 
ntwicklung ie in der Oſtpolitik fo 
bedeutſamen Geſchlechtes. Zwei deutſche 
Markgrafen waren es auch, die während 
der Seit der polniſchen Thronwirren in 
je einem Drittel des polniſchen Geſamt⸗ 
reiches die Herrſchaft übernahmen. Wurden 
ſo im Nordoſten die unmittelbaren Vor⸗ 
ausſetzungen für die deutſche Oſtſiedlung, 
die durch den dann einſetzenden Inveſtitur⸗ 
ſtreit nur gehemmt, nicht aber endgültig 
aufgehalten werden konnte, geſchaffen, ſo 
erreichte im Südoſten dieſe Beſiedlung be⸗ 
reits unter Konrad II. ihren Höhepunkt. 


40 Kleine Beiträge 


Wien wird in dieſer Zeit aum erſtenmal 
wieder genannt. Die zweite Siedlungs⸗ 
welle in der babenbergit en Oſtmark unb 
im geſamten 1 55 ogtum Kärnten iſt nicht 
nur bayeriſch, ſondern weſentlich auch frän⸗ 
kiſch beſtimmt. Sie dringt über den Wie⸗ 
ner Wald hinaus und EE tief in 
die Ne bis nach Trient hinein. Frieſach 
wird über Konrad II. zum Mittelpunkt 
dieſer Bewegung. Ein neuer Abſchnitt 
deutſcher Oſtpolitik ais eingeleitet; aber 
der tragiſche Kampf des oder Mittels 
alters, der unter Konrads Enkel feinen 
erſten Rae erreichen prite ließ diefe 
Entwicklung na Ha 1 abbrechen. 
Eineinhalb Jahrzehnte ſtand Konrad II. an 
der Spitze des Reiches. Hochgewachſen, tapfer 
und kriegeriſch, ein harter Willensmenſch, 
galt der Salier feiner Zeit als bas Bors 
ild bes edelen, ritterlichen Mannes. Er 
war nicht berührt von jenem fremden 
romaniſch⸗aſzetiſchen Denken, das ſeine bei⸗ 
den Vorgänger und ſeinen ed ſo 
Prot beeinflußt hat, prie et par den 
roblemen feiner Zeit mit dem nüchternen 
realen Sinn des Politikers gegenüber, tief 
verwurzelt in jenen feſten Zumt: und Ges 
meinſchaftsformen, die der germaniſch⸗deut⸗ 
ſchen Art entſprechen. Das war der Unter⸗ 
gun feiner politiſchen Leiſtung und ber 
achtentfaltung des Erſten Deutſchen 
Reiches. Verkörpert aber wird diefe Macht 
durch die beiden gewaltigen Bauwerke, die 
unter ihm im „romaniſchen“, d. h. deut⸗ 
ſchen Bauſtil entſtanden und den Span⸗ 
nungsbogen ſeines Reiches ins Bewußtſein 
rufen: durch den Dom zu Speyer im Weſten 
und den Dom zu Aquileja im äußerſten 
Südoſten. Dr. Gerhard Krüger 


Ein Maler der Nehrung 


Nur wenige Maler haben ſich der herben 
Landſchaft des ao ewidmet. Dank⸗ 
barer und „maleriſcher“ ſcheinen die Berge 
des Schwarzwaldes oder die ka elle Fel⸗ 
ſen der Dolomiten zu ſein. Daß obendrein 
ein Maler aus dem farbigen und bewegten 
Rheinland in den Oſten zieht, um hier die 
groben Themen für feine Palette zu fins 

en, wird manchen verwundern. Carl 


Knauf, der in Godesberg am Rhein ge⸗ 
boren wurde, alſo eigentlich eine zone inet, 
der Lieblichkeit (üben mikte, wirkt feit 
1924 in Nidden auf bet Kuriſchen Nehrung. 
Er gehört zu un Malern, bie in bet 
Landſchaft nicht eine möglichſt effektvolle 
und intereſſante Kuliſſe ſehen, ſondern die 
dem Weſen und dem Werden der Land⸗ 
Haft nachgehen. So findet Knauf in der 
inſamkeit der HN ig Landſchaft 
Kräfte und Kontraſte, die für manchen, der 
den Oſten als nüchtern und langweilig 
bezeichnet, eine e d Die Schön⸗ 
heit und Bewegtheit der Memelniederung 
qu deuten, ift nur Künftlern möglich, die 
nnerlich dieſer Landſchaft angehören, die 
ch mit ihr i haben und 
ie ihre Macht, nicht ihren „Reiz“ erfuhren. 
Carl Knauf hat in ſeinen Bildern viel 
von der EE dieſer Landſchaft, die de 
nicht ſchwermütig verharrt, ſondern fid 
mit Sturm und Froſt, mit ſſer und 
Sand zu Ge hat, eingefangen. Er 
würde vielleicht größeren maleriſchen Er⸗ 
folg haben gerade beim deutſchen Publi⸗ 
kum, wenn er lyriſche Töne anſchlagen 
würde und mit empfindſamer Behutſam⸗ 
keit die derben Fiſcherkähne mit beſchwing⸗ 
ten Gondeln austauſchen würde. Knauf 
ſetzt breite und kräftige Farbſtriche gegen: 
einander, ohne in verträumtes Zeichnen 
u geraten und diefe 0 aft in der 
trichführung und in der 2 er Themen 
trägt dem Charakter der Landſchaft in 
hohem Maße NIRE Kraftſtrotzend, 
wenn auch nicht grob, ſo läßt er das eigent⸗ 
lich 1 ene Wirklichkeitsbejahende 
dieſer Grenzlandſchaft entſtehen. Er ver⸗ 
mag es auch, aus einer ſonnenüberglaſten 
Düne und einem dahinter faſt verſinkenden 
Fiſcherhäuschen nicht nur die Stimmung 
der Sommerglut, ſondern auch die Stimme 
einer Landſchaft hervorzuzaubern. 


Was geschieht mit gelesenen Heften? 


Täglich erhalten wir zahlreiche Zuſchriften mit der 
Bitte um Überſendung von Heften zur Ergänzung von 
ee e Dank der ſtändig wachſenden Be⸗ 
d erzahl find has die Auflagen vergriffen. 

ir benutzen daher den Anlaß der Beilage des Halbe 
jahres - Inhaltsverzeichniſſes 1939, unfere Lefer zu 
bitten, möglichſt alle Hefte ſelbſt aufzuheben. G. K. 


Hauptschriftleiter: Günter Kaufmann. 
Anſchrift der Schriftleitung: Reidsjugendfiihrung, Berlin W 35, Kurfürſtenſtraße 53. Fernſprecher: 22 90 91. — 


Verlag: Franz 


ſcheckkonto! Berlin 4454. Verantwortlich für den Anzeigenteil: Ulrich Herold 

Pl. Nr. 8. — Druck: M. Müller & Sohn KG., München; Zweigniederlaſſung Berlin SW 68, Dresdener 

Straße 43. — „Wille unb Macht“ erſcheint am 1. und 15. jedes 

po durch bie Poft und alle Buchhandlungen. Bezugspreis vierteljährlich 1,80 R 
eſtellung von 1 bis 3 einzelnen Nummern bitte den Betrag in Briefmarken beizulegen, da 


Über 65 000. 


Eher Nachf. G. m. b. H., Zentralverlag der NSDAP., Berlin SW 68, ee Ln 


Toit: 
erlin. — 11. Bj. 1939: 
onats und ijt zu beziehen durch ben erring 
; ae Beltellgeld. Be 

achnahmeſendung zu 


teuer iſt und dieſe Beſtellung ſonſt nicht erledigt werden kann. 


Wille Macht 


Führerorgan der nalionallo z ialiltiſchen Jugend 


HERAUSGEBER: BALDUR VON SCHIRACH 


Sabresans 1030 
1. Halbjahr 


Inhaltsverzeichnis 


Hanptſchriftleiter: Günter Ranfmann, Neichsjngendführung, Berlin 2835 
Rurfürftenfiraße 53 — Verlag: Zeutralverlag ber NO AR., Berlin (92868 


1. Halbiabr 


Große Beiträge 
Brehm, Bruno: Es wird Frühling in Prassss ees e eee enees 
Brinon, Fernand de: Deutſch⸗franzöſiſche HoffnungennnNmdmdnmdd”sn 
Cueſta, R. Fernandez: Die nationale Revolution in Spaniens 
Darré, R. Walther: Die große Frage an bie deutſche Jugend 
Diettrich, Fritz: Vom ewigen Auftrag des Dichters 
Faupel, W.: Eine Tradition in unferer Freundſchafæ UUU!UUh„ 
Fiſcher, Werner A.: Außenpolitik und Weltwirtſchaf lll. 
— Großdeutſchlands Wirtſchaft auf dem Wege zur Freiheit ....... Lennun 
Grok, Dr. Walter: Landflucht und Kinderarmut 3% 
Grunow, Ernſt: Die Jugend im Oſtſeeraumnnnnnmununmnumnun— 7 w 
Haidn, Matthias: Bietet der Verſtädterung des Landes Einhalt! .................. 
Hymmen, Friedrich W.: Deutſche Kunſt in Prasssz eee 
Jordana, Graf von: Außenpolitik im nationalen Spanien ........................ 
Kaufmann, Günter: Von den erzieheriſchen Kräften der Völke nnn 
Keller, Sepp: Vom Tagewerk im Märg 
Lange, Friedrich: Oſten heißt Zukunft æ 
— Schau in neues Reichslaee se 
Lerſch, Heinrich T: Der Arbeiterdichter Alfons Petzoldü e.. 
Müller, Heinz: Heldendichtung in Spaniieunnnnndannd¶ssssss nn 
Neumann, Dr. Ernſt: Deutſcher Sieg an der Memeeulull cee eens 
Proksch, Rudolf: Artamaneiiu s 
Rehm, Harald: Ewiger Auftrag deutſcher Dichtung 22s. 
Reiſchle, Hermann: Der Zwang zum Handeeodnnnnnn nn 
Schäfer, Wilhelm: Theoderich, König des Abendlandes 
Schlöſſer, Dr. Rainer: Die Notwendigkeit des Goen nns 
Schmidt, Friedrich: Bäuerliche Volksordnung — oder Tmiꝛ . 
Schwitzke, Heinz: Was die europäiſchen Völker erzähleensss . 
— Die zukünftigen Aufgaben der Muſi kk Ee IA 
Suñer, Ramon Serrano: Die politiſchen Ideen Francos 
Wittſtock, Erwin: Ein Bekenntnis der Jugend Siebenbürgen sss 
Die Jugend ufo, ⅛ðᷣͤ 
* Unter dem Kretiſchen Doppelbeil˖a/—lXrru nnn 
Die Wacht bes Lande 8 
e Die nationale Jugend in Bulgarieexsdssassasin e 
eee Der Weg zur Staatsjugend in Jugoſlawinnndnnnsnnnnnssssss nennen 
que Dir aich , ð V ha dae odere uode 
Die ,,cevente Jugend der Unga nnn se eons 
eee Jugend im Frankreich der Dritten Repub li ꝝꝝꝝꝝꝝꝝnini . 
“Die ShWeizer ß tdi pe ERREUR ER INIT PE 
*** Staat und Jugend in England `... 
ene Die Jalange Jugend ,, ]ↄ ]7i ¾ x PE te d ap edens 
danken junger ieee. uhr, 
Die Jugend ini d ð ᷣ 8 
die age Des mMNüttedb es poten Eee E 
Bühne und Film 
Heft 
Hollywood erklärt den Krieg 12 Wandlungen diesſeits der Rampe 


2 


Nandbemerkungen 


Heft | Heft 
Friedrich Nietzſche in ber antideut⸗ Sie können das Mauſen nicht laſſen 4 
ſchen Propaganda agg. 4 


Erleſenes Heft 


Vom Bauernſtaat zur Weltſtadt (Überf. Dr. Hellmann . 5 

s or. ⁵ ⁵⁵ᷣòqdwC & 
weierlei Wohnen (Aus: von Kügelgen „Jugenderinnerungen eines alten Mannes“). 

(Aus einem Brief der Anette von Droſte⸗Hüls hoff 

Das hohe Lied vom Bauernſta 7 6 

Von der Staatsweisheit Theoderichs des Großen (bert, Fijher) .......a.ennaanana 9 

Hans Pfitzner an die Schaff endend 8 

Sonderhefte Heft 

end e ⁰⁰⁰yd 2/3 

%% ĩ RG(“t“kGſPGGſGThdTTGdhGſGſGGSpddd 8 4 

Landflu Séch I...... y (y 5 

eit ⅛ v:W- y y ee ren aie 6 

i fl.... y 8 8 

M/ ðͤ y ſ ddddddddddddddddddddddd uene CK 12 

Außenpolitiſche Notizen 
Heft Heft 
rankreich um die Jahreswende. 1 Die Quadratur des Zirkels 5 
uchelei um einen Mörder 1 Karpato⸗Ukraine bel fi 3 5 
njunktur jus folonialImátfen .. 1 Jugoſlawien wendet ich der Innen⸗ 

Wetterwinkel Europas? .......... 1 politit ju VVV 5 

Neueinrichtung eines Staatsgebändes 1 Italien blickt nach Frankreich. 6 
e Spannung im Mittelmeer und Die Reichsidee und Europe 7 
die reich VFC 2/3 Memels Heimkehr ................ 7 

Branteei de Scherben 4 Autonomie im ungariſchen Staat. 7 
nglands Wünſche für Spanien. 4 Belgiens Staatsſchiff ſucht die Mann⸗ 

Die Phaſen bes ſpaniſchen Krieges. 4 !! 8 7 
aiver Imperialismus in Ibero⸗ Will es John Bull riskieren? ...... 9 
Aerea inet 4 Vor neuen Entſcheidungen ........ 10 

die Auswanderung der Juden aus Das albaniſche Vorwerk der Italiener 10 
Deutſchladdz . 4 Dr Notausgang 10 

Auferſtehung des Kalifen 4 ie verblendete „Großmacht“ 11 

Rärzwinde um Afrita ............ 5 Briten über den Wert ihres Empire 11 

Kleine Beiträge 
Heft Heft 

Auf den Spuren deutſch⸗ſpaniſcher Bläſermuſik — ein Anliegen der 
N chichte 5 : T TUNE 5 1 Jugend Reg sepes eeh esta 
aniens Frauen helfen mit! i 

= Ge| EEN und bie : en adi" GE ara a Ge 
unge Generation .............. N 

Katholische Aktion bes Geijtes .... 5 Stephan Ludwig Roths letzter Brief 9 

Berge und Menſchen der Smart 8 Heiter ift bie Runft ................ 10 

Go wird es gemacht „ 6 Der Maler Adolf Keßler 10 

Die Muſik⸗Erziehung der HI. ...... 8 Heroifhe Landſchafte n 11 

ſit und Geſe zz 8 Belgien ehrt einen deutſchen Maler 12 
ne Kriſe des Konzertweſen .... 8 Eberhard Vieg ene 12 


Gedichte Heft 


Damh, Martin: Rufe aus Danzig: An dem großen Strom — Die Glodennadt ...... 8 
Diettrich, Fritz: Lied am Herde Ew 5 
% ˙ð ²³²U!“³ ¾ ⁊ꝓ "———————— 7 
o · V 12 
Gitettner, Hans: An den Großvateee nk... . 11 
Jünemann, Wolfgang: Olympiſche Sonette: Der Kampf. Die Tat. Der Befehl 1 
Möller, Eberhard Wolfgang: Prolog: Heitere Viſinunn᷑:nn «n Bÿ1ÿ 12 
Petzold, Alfons: Wolke am A bed nennen 12 
, TTE 12 
Schwitzke, Heinz: Der Wettſtreit der Inſtrumentteækοkk. 4 8 
Weinheber, dee eee 88 6 
Neue Bücher Heft 
ohlbaum, Nobert: Stein, der Roman eines Führers eee ees 1 
lund, Hans Friedrich: Deutſche Heldenſageeennnnnndndndddꝑ 1 
Brehm, Bruno: Die Grenze mitten durch das Herr.. nenn 1 
artmann, Wolf Juſtin: Durft „„ 1 
Ipbonje de Ehateau:Briant: Geballte Kraft kk . 1 
eig, Friedrich: Die Wunde Europass 1 
egere großer Hausatlas `... 1 
(Serausg. v. Dr. Erich Grigbad): Hermann Göring, Reden unb Aufſätze 4 
oedemener, Friedrich Karl: Rede und Vortra as. 4 4 
Keller, Sepp: Zwiſchen Nacht unb Ton... 4 
Handatlas für bie Sitlersugenb `... 6 
ColumbussErdglobus `... d 
indner, Werner u. a.: Das Dorf, feine Pflege und Geſtaltunn ggg 6 
flug, Hans: Lob ber deutſchen Landihaft ............ cece ee cece II 6 
enner, Hans: Das Wunderreih bet Oper EE 6 
(Herausg. v. Generalinipeftor | t bas deutſche Straßenweſen): Fünf Jahre Arbeit 
an den Straßen Adolf Hitlerrꝝ . . 6 
offel, Annemarie: Es blüht in beut[fen Landen eens 7 
edel, Adolf: Der runde Bogen .. 0.0... cece cece cece HH een 1 
emcter, Karl: Großdeutſche Stimmen 1848/9929992 n 7 
Lange, Dr. Dr. Friedr.: Der Weg zur deutſchen Einheit eue 7 
Samb, Martin: An dem großen Stromůwmum ww nenne 8 
(perans im Daten ber RIF. von Guido Waldmann): Rafe unb Mufll ........ 8 
ößler, Friedrich Wilhelm: Fragen einer Stimmerziehung für Jugend und Volt .... 8 
erausg. vom Zentralverlag der NSDAP.): Prachtausgabe „Mein Kampf“ ...... 3 
erausg. von Herbert Kias): Der Dom zu Meigen `... d 
riegk, Dr. Otto: Krieg Dee ðVſſſ y 10 
Schrifttum zum Sugenbredft `... 12 
Tumler, Franz: Der Soldateneiid eee 12 
v. Wedel, Pajor Haſſo: Das großdeutfche geet... 12 
— Wehrerziehung und Volkserziehunnã g . 12 
(Monatsſchrift): „Berlin—Rom— Totkiohauhu 0... ccc cece III 12 
(Herausg. von Carl Peterſen u. a.): Handwörterbuch des Grenz⸗ und Auslands⸗ 
den eine %% yd MOS Su raat ea tae onsen 12 
Meyers Lexikon Band] 6 ccc cc cece hne meet 12 
(Heraus .2.9. Salis u. 5. Shworm): Deutſche Dichter unferer Zeit ............ 12 
ippel, Gerhardt: Dichtung der jungen Statiól SEH 12 
Wanderſcheck: Dr. Hermann: Deutſche Dramatik der Gegenwart .................... 12 
Eschmann, E. W.: Griechiſches Xagebud ........... cece cece 334 12 
oddel, Peter: Lachendes Handwerk es eeeee eee eee, ee 13 
Heransg. v. d. RIF): njer Qieberbud `... 12 
tbig, Karl: Die Exerzitiiůe sss 18 


Druck: M. Müller & Sohn KG., Berlin SW 68, Dresdener Str. 43 


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Fahrrad auf der Lenkstange befestigt werden. Die Geschwindigkeit kann also jederzeit bequem während 
des Fahrens abgelesen werden. Aber noch mehr: das VDO Fahrrad-Tachometer ist gleichzeitig 
auch Kilometerséhler und zeigt bis 10000 km an. Es kostet im Laden RM. 9,50 und ist ein 
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veranstalten zu diesem Zweck ein Preisausschreiben, an dem jeder deutsche Junge teilnehmen kann. 


Die Preistrage lautet: 
Warum wünsche ich mir ein VDO Fahrrad-Tachometer ! 


Einsendungsschluß ist der 24. Juli 1989 (Datum des Post- 
stempels). Einsendungen dürfen nur auf Postkarten erfolgen 
(Briefe scheiden aus). Die Einsendung muß enthalten: Auf 
der unbedruckten Seite der Postkarte nur die Antwort auf die 
Preisfrage. Auf der Adressenseite den genauen Absender, dar- 
2' Ka " unter, uutis (Tag, Monse Jann. das . zu 

2 ` em der Einsender gehört ie engrö ei en 

2 Fahrrades (26 oder 28 Zoll; steht auf dem Reifen!) Die Karte 
ist zu adressieren an die 
VDO Tachometer A.G., Abt. Preisausschreiben 
Frankfurt a. M., Kaiserstraße 75 W 
Die 6 besten kurzen Einsendungen aus jedem Gebiet werden 
mit je einem VDO Fahrrad-Tachometer ausgezeichnet. Die 
Preisverteilung erfolgt spätestens am 15. 8. 39. Die Preise 
werden den Gewinnern direkt zugeschickt. Die Veröffentlichung 
über die erfolgte Preisverteilung erscheint in den Zeitschriften 
„Junge Wels, „Der Pimpf**, „Wille und Macht“ ,, Jugend und Heimat“: 
Wer bis 20. 8. 89 keine Nachricht bekommen hat, konnte 
nicht mit einem Preis bedacht werden. 

Das Preisgericht setzt sich wie f zusammen: 


Vorstandsmitglied Direktor Josef Strselesyk, Frankfurt/Main 
Leiter der Filialabteilung Hans Tsschach, Frankfurt/Main 
Justitiar Dr. jur. Konrad Schwappach, Frankfurt/Main 
Werbeleiter Helmut Krause, Frankfurt/Main 


Die Preisverteilung erfolgt unter Ausschluß des Rechtsweges und ist endgültig. Angestellte der 
VDO Tachometer A. G. sind von der Beteiligung am Preisausschreiben ausgeschlossen. 


ll Wer das VDO Fahrrad- Tachometer genauer kennen lernen will, lasse sich von seinem 
Fahrrad-Händler ein Original-Instrument zeigen und einen Prospekt geben. 


Und nun auf an die Lösung! Wer seine Lösung sofort einschickt, vergißt es nicht! Für alle Fälle aber 
ist es gut, zu Hause an gut sichtbarer Stelle einen Zettel anzubringen: 


VDO Preisausschreiben letzter Einsendungstermin 24. Juli 1939! 


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organ der nationallozialiſtiſchen Jugend 


HERAUSGEBER: BALDUR VON SCHIRACH 


Inhalt: 


en für die Einheif der Erziehr ` 


ir von Schirach: Rufe aus der Hauptstadt des deufschen € ` 


| 2 Sommerlied — Land, Land | Johs. Stoye: Englands Spiel im 
f e Marz: Standortmessung und Bestandsaufnahme | Léon Blum: 5 
oe) Dr. M. Fadhil Jamali: Der Beitrag der Araber zur Weltkultur | — 
ines grenzdeutschen Dichters | Weimars klassische Stätten | Neue Bücher 


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nonatsschrift / Heft 14 Berlin, 15. Juli 1939 Preis 30 Pf. 


INHALT 


Stimmen für die Einheit der Erziehung 
Baldur von Schirach: Rufe aus der Hauptstadt des deutschen Geistes 


Hans Baumann: Sommerlied / Land, Land 


AUSSENPOLITISCHE NOTIZEN 
Johs. Stoye: Englands Spiel im Mittelmeer 
Josef März: Standortmessung und Bestandsaufnahme 


Léon Blum: Jude und Franzose 


KLEINE BEITRÄGE 
Dr. M. Fadhil Jamali: Der Beitrag der Araber zur Weltkultur 
Bildnis eines grenzdeutschen Dichters 


Weimars klassische Stätten 
NEUE BÜCHER 


KUNSTDRUCKBEILAGE 


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Wille. Hut 


Führerorgan der nationallozialitifchen Jugend 


HERAUSGEBER: BALDUR VON SCHIRACH 


Jahrgang 7 Berlin, 15. Juli 1939 Heft 14 


Stimmen für die Einheit der Erziehung 


Das Werk bes Reichsjugendführers „Die Revolution der Erziehung“ und bie 
zu ſeinen Gedanken veröffentlichten Ausführungen unſerer Zeitſchriften „Wille 
und Macht“ und „Das Junge Deutſchland“ im Dezember 1938 find einem außer⸗ 
ordentlichen Intereſſe begegnet. Es war nicht der Sinn jener Aufſätze, ein „un⸗ 
lösbares Problem“ in das Licht einer allgemeinen öffentlichen Diskuſſion zu rücken, 
ſondern die über die Einſtellung der Hitler⸗Jugend zur Schule herrſchenden Miß⸗ 
verſtändniſſe zu beſeitigen und die revolutionäre erzieheriſche Idee, die in der 
Zukunft überall zu verwirklichen wir uns vorgenommen haben, jedem verſtändlich 
in machen. Das dreijährige Werk der vom Führer ſelbſt gegründeten Adolf⸗Hitler⸗ 
Schulen hat gezeigt, wie erfolgreich die praktiſche Anwendung der gegebenen 
etzieheriſchen Grundſätze auch im Bereich des täglichen Unterrichts Anwendung 
findet. So hat ſich mit dem Begriff von der Einheit der Erziehung ein pofitives 
Programm der Hitler-Iugend für die Schule verbunden mit dem Ziele, 
aus der Begeiſterungsfähigkeit und Bereitſchaft der Jugend zur Selbſtverant⸗ 
wortung ähnlich den Beſtrebungen im Reichsberufswettkampf nun auch in der 
Schule eine Leiſtungsſteigerung zu erwirken. Die Gedanken Baldur von Schirachs, 
don manchen früher nicht verſtanden, ſind heute zur Grundlage der künftigen 
Aufbauarbeit in allen Kreiſen unſeres Volkes geworden, die ſich mit der Er⸗ 
ziehung der Jugend mittelbar oder unmittelbar beſchäftigen. Eine Einheitlichkeit 
in der Auffaſſung wurde ſomit erzielt, welche die erſte Vorausſetzung für alle 
völlig neuartigen Maßnahmen fein muß. Zu einer ſolchen Feſtſtellung können 
wir nun nach einigen Monaten, in denen dieſe Gedanken ihren Niederſchlag 
gefunden haben, glücklicherweiſe gelangen. Aus allen Teilen der Erzieher⸗ 
Watt von jungen und alten Lehrern find uns begeiſterte Zuſchriften ein 

| gelandt worden, und wenn jemand unjete Ausführungen im Dezember mik» 
dertändlich auslegen wollte, fo ijt die Stimme der Erzieher und das weitverbreitete 


2 Stimmen für die Einhell der Erziehung 


Gefühl einer einheitlichen Auffaſſung von Jugendführung und Lehrern ſtärker | 
geworden. : 


Die im RNeichsführerlager zu Braunſchweig vom Reichsjugendführer bekannt⸗ 
gegebene Gründung einer Arbeitsgemeinſchaft der 5J.⸗Lehrer ijt ein weiterer 
Beitrag für eine praktiſche Anwendung unſerer Ideen. Der Reichsjugendführer 
erklärte, daß er dieſe Gründung allen Lehrern ſchuldig ſei, die nun ſeit Jahren in 
der Hitler⸗Jugend mitarbeiten und ſelbſt an der Formung und Geſtaltung der 
neuen erzieheriſchen Ideale tätig mitgewirkt haben. Die neue Arbeitsgemeinſchaft 
wird ſchon darum allſeitig begrüßt werden, als ihr eine wertvolle Mittlerrolle 
zwiſchen den einzelnen Erziehungsträgern im Dienſte einer künftigen Einheit der 
Erziehung zufallen wird. 

Wir können aus der Fülle der uns zugeſandten Briefe hier nur einige veröffent⸗ 
lichen. Eine Anzahl von Zeitungsäußerungen und Ausführungen in Zeitſchriften 
ſowie die Gedanken einiger Reden ſollen darüber hinaus veranſchaulichen, wie ſehr 
das Verſtändnis dafür gewachſen iſt, daß die in der Hitler⸗Jugend bewährten er⸗ 
zieheriſchen Ideale auch in der Schule ihren allgemeinen poſitiven Einſatz erfahren 
können. Im Dezember haben wir ſelbſt das Wort ergriffen, heute wollen wir 
andere ſprechen laſſen, womit wir nur den einzigen Zweck verfolgen, die praktiſche 
Zuſammenarbeit zwiſchen Lehrerſchaft und Führerſchaft der Hitler⸗Jugend in allen 
Dörfern und Städten des Reiches im Bewußtſein eines gleichen und neuen er⸗ 
zieheriſchen Ideals zu ſtärken und zu feſtigen. 


Antworten deutscher Lehrer 


„Unrettbar muß unſer heutiges Gdjulipitem mit feinen zahlreichen veralteten 
Bindungen über Bord gehen, ſoll der deutſche Nachwuchs den großen Forderungen 
gerecht werden, die die Zukunft an ihn ſtellt. Es handelt ſich nicht darum, einen 
mehr oder weniger billigen Weg der Zuſammenarbeit von Volksſchule und Staats: 
jugend zu inden... Geſetze, die dem vorigen Jahrhundert recht waren, können 
heute keinen Sinn mehr haben. (J. B., ein Lehrer aus der Kurmark.) 


‚über Ihren Aufſatz im Dezemberheft von ‚Wille und Macht“ habe ich mich ſehr 
gefreut. Denn damit wird endlich einmal die Forderung auf Totalität in der Erziehung 
unſerer Jugend auch für eine größere i ſichtbar geſtellt. Wir — mehrere 
Kameraden und ich — bemühen uns ſchon ſeit Jahren um praktiſche Durchführung der 
Forderung.“ (Lehrer K., Städtiſches Volksbildungsamt in D.) 


„Ich habe mit ſtarker Anteilnahme und Zuſtimmung Ihren Aufſatz ‚Die Schule 
von morgen“ in Ihrer Salben et geleſen. Vor allem das eingangs geſchilderte 
Beiſpiel eines idealen Schulbetriebes hat mich ſehr gefeſſelt, da es meinem eigenen 
ziel durchaus entſpricht. Derartige Lehrer wie den von Ihnen geſchilderten Lehrer 

chmidt gibt es ganz ſicher, und dies wird der Typus des Erziehers von morgen 
ſein, aber der heutige Hitlerjunge wird in vielen Fällen vergebliche Ausſchau 
an Und doch wäre es ein großer Schritt vorwärts, wenn auch heute ſchon bie 

ugend von fih aus mit der überkommenen und zum großen Teil durch Schuld der 
Nehles bedingten „‚Schülermoral' bewußt Schluß machen könnte und damit ein 
neuer Geiſt des Vertrauens und kame radſchaftlicher Zuſammenarbeit vielerorts 
einzöge, wo bisher verborgene Feindſchaft, Arger und mancherlei Verbitterung 


hemmend im Wege lagen.“ (Dr. P. S., Lehrer in Sachſen.) 


Stimmen für die Einheit der Erziehung 3 


Ein „Dorfſchulmeiſter aus dem allerletzten Winkel des Bayeriſchen 
Waldes“ ſchreibt: „Was mich an dieſen Ausführungen ſo freudig erregte, war, 
daß ſie mir meinen jahrelangen, ſo oft falſch verſtandenen Kampf in dieſer Hinſicht 
auf ſeine Richtigkeit beſtätigen. Ich konnte dieſen Kampf nur durchhalten in 
meinem grenzenloſen Glauben an die Hitler-Jugend.“ 


Ein Lehrer aus Dresden ſchreibt an den Reichsjugendführer: 


„Ihr Buch Revolution der Erziehung‘ war mir als Lehrer in einſamem Kampf um ein 
idealiſtiſches Erziehertum ein ſeltener Kraftquell. Bitte bauen Sie mit Ihren bewähr⸗ 
teſten Kameraden und den idealiſtiſchen Lehrern eine neue einheitliche Jugenderziehung 
auf, die Jugendbewegung und Schule völlig verſchmilzt. 


„sch kann mir Ki vorſtellen, bab ein Student unſerer Hochſchulen, der in der 
Hitler⸗Ingend nicht ee war, eine Einheit zu führen, einmal ein guter Erzieher 
wird. Wir verlangen halb, daß jeder, der Lehrer werden will, ſeine Erzieher⸗ 
Bee wae n ber $3. bewieſen hat; denn ſtudieren kann man Ingend⸗ 

(Stimme aus ber HJ.⸗Kameradſchaft einer Hochſchule für Lehrerbildung.) 


„Ich verkenne durchaus nicht, daß wie überall auch am Schulmeiſter mancherlei 
auszuſetzen war und ip Ich wünſche zwar keineswegs, als einer Den zu 
werden, der fidh verteidigt, ohne augen ie zu EA dod) muß ich in aller Deutlich» 
feit Série hinweiſen, daß vieles dem Schulmeiſter Vorzuwerfende unb Vors 
geworfene durchaus nicht in ihm ſeine Urſache hat, daß er vielmehr in der Aus⸗ 
einanderſetzung mit unglücklichen und völl unzulänglichen ſchul⸗ 
organiſatoriſchen Gegebenheiten de oftmals in eine ſcheinbare 
Haltung . „die ihm gar nicht eigen iſt, deren Mangelhaftigkeit 
er erkennt, und um deren Beſſerung er ſich ernſtlich müht. um nur auf eines hinzu⸗ 
weiſen, was Kaufmann in ‚Die Schule von morgen’ andeutete: Es iſt durchaus 
nicht als Verſagen der Einwirkungsfähigkeit auf die Klaſſe anzuſehen, wenn die 
Kinder die Bänke beſchnitzen u. ä. Vielmehr liegt der Grund in den unglücklichen 
Bänken ſelbſt, die als völlig lebensunwirklich und in der Schule überkommen, den 
py Hb de in eine unfinnige Starre zwingend, erkannt find, von dieſen mehr 
un 


ewußt abgelehnt werden.“ (F. G., Lehrer in Hamburg.) 


Der Leiter einer Waldſchule ſchreibt: „Der Elternſchaft habe ich die 
Gedanken, wie fie in ‚Mille und Macht' herausgeſtellt worden find, wiederholt 
vorgetragen. Mündlich und in Zuſchriften haben mir die Eltern ihr Vertrauen 
ausgeſprochen und fid zu den Erziehungsgrundſätzen, die wir als HJ.⸗Führer 
vertreten, bekannt. ‚Wille und Macht“ hat uns, die wir hier im täglichen Klein» 
krieg um unſere „Duldung“ ftehen, erhöhten Antrieb gegeben, auf unſerer Arbeit 
und Haltung zu beharren.“ 


Aus einem Schreiben eines u künftigen Lehrers, der augenblicklich feine 
Wehrpflicht ableiſtet und offenſichtlich unſere erzieheriſchen Ideen als ideal betrachtet 
ohne noch an ihre Verwirklichung zu glauben. 


„.. Nun zu dem ‚Wille und Macht'⸗Heft, das ich natürlich mit größtem Intereſſe 
gelejen habe. Im ganzen genommen zeugt das ganze Heft ja von viel gutem Willen und 
viel Idealismus zur EE Beſonders ber Leitaufſatz von Kaufmann ſchildert 
ja ein Ideal, ein Marden, das vielleicht zu märchenhaft ijt, um Wirklichkeit zu werden. 
Denn er verlangt von den kleinen Kerlen z. B. (10 Jahre), aus eigenem Antrieb das 
Abſchreiben zu unterlaſſen. Er behauptet, der gleichaltrige Jungenſchaftsführer trifft die 
erg unb alles leiſtet ihm ſelbſtverſtändlich Folge’. Sft das nicht etwas febr übers 
trieben? Go ſchön bas fein würde, ich 1 nicht daran. ‚Er baff afür, daß, wo ſich 
Anſätze zur Unehrenhaftig keft zeigten, die e benjenigen zur Bers 
antwortung zog.“ Da verlangt er wohl etwas fehr viel von dem 10jährigen Jungen. 


& Stimmen für die Einheit der Erziehung 


Alfo mit der Selb itecron twa BL AL es doch noch ſehr weit im Felde gu fein. So 
ſchön es auch wäre. Sonſt ift der Artikel prima, richtig die Verbindung von H J.⸗Führer 
und Lehrer und die Stellung des Nachwuchſes aus der HI., aber da «bit wohl noch viel 
Er eee dazu. Und er ſagt ja ſelber: vorläufig noch Idealbild! 

r gefallen on. mir ber Auflag von Haupt: ,Crfolg bes Unterrichts“ Der Antrieb 
dui. em Seeliſchen, aus der erweckten Begeiſterung, gibt den Anſtoß zu großen und 
wirklichen Leiſtungen überall. Und EIER E des 1 iſt es, Begeiſterung zu 
erwecken. Aber das ijt keine Erfindung der HI. Sie ſtellt bloß bie Sache wieder mal in 
den Vordergrund und das iſt ſehr KN. jo. — Dee Sehr optimiſtiſch und wert, 
zu verſuchen und dran zu arbeiten . 


„Mit freudiger Zuſtimmung haben wir Junglehrer und HJ.⸗Führer die genialen Bors 
ſchläge des Reichsjugendführers zur ulreſorm aufgenommen, haben wir doch die 
Notwendigkeit einer Reform in unſerer Schulſtube täglich gespürt.“ 


(Ein Lehrer aus dem Vogtland.) 

„Ich habe mit großer Begeiſterung Ihren Bericht in der HJ.⸗Schrift „Wille und 
Macht“ geleſen. Das, was mir bisher noch unklar in meiner Zielſetzung war, wurde 
darin klar ausgeſprochen.“ (B. G., Studien referendar in Liegnitz.) 
„Lehrerſchaft und HJ.⸗Führerſchaft müſſen ſich nun ganz feſt zuſammenſchließen — 


55 eine allzu ſtarre organiſatoriſche Trennung! Viele HJ.⸗Führer könnten heute 
ſchon — anſtatt der alten, penſionierten Lehrer! — in die Schularbeit eintreten.“ 


(Hauptlehrer T. in einem Dorf der Nordmark.) 

„Ich empfinde das Buch bes Reihsjugendführers als einen Cntidjeibungsrul 
an bie Lehrerſchaft. Wenn eine Revolution vorbereitet werden jol, müſſen Späne 
fliegen. Alle Schmerzen und Wehen der Geburt eines Neuen muß bie Übergangs- 
generation ertragen. Sie darf dafür von Grund auf das Neue bauen, was mehr 
wert iit, als alte Schläuche zu flicken.“ (P. O., Mittelſchullehrer in Hamburg.) 


* 


Beſonders herzlich gab feine Zuſtimmung der ſächſiſche Gauamtsleiter des 
NSLB. und Leiter des Kultusminiſteriums in Dresden, Arthur Göpfert, kund. 
Er ſchrieb dem Reichsjugendführer auf Grund der Rede über die „Einheit der 
Erziehung“, die im Werk „Revolution der Erziehung“ zu leſen iſt: „Sie haben 
den ſächſiſchen Lehrern und ſicher auch den anderen mit der Weimarer Rede eine 
große Freude gemacht. Wir danken Ihnen alle dafür. Was Sie mir perſönlich 
gegeben haben, können Sie ermeſſen.“ Als ein verheißungsvolles Anzeichen 
kommender enger Zuſammenarbeit iſt Göpferts Erlaß im „Verordnungsblatt 
des Sächſiſchen Miniſteriums für Volksbildung“ zu verſtehen, der unter ausdrück⸗ 
licher Bezugnahme auf unſere grundſätzlichen Darlegungen in „Wille und Macht“ 
von den Schülern eine größere Sorgfalt bei ihren Hausarbeiten verlangt. Es 
kann nur von Nutzen ſein, wenn jeder Junge das Bewußtſein hat, das Führer⸗ 
korps der HJ. ſieht es nicht etwa als zünftig an, die Schularbeiten abzuſchreiben 
oder überhaupt nicht auszuführen! Im Gegenteil, es iſt von Baldur von Schirach 
wiederholt betont worden, wie wenig eine regelmäßige Pflichterfüllung in der 
Jugendbewegung wert iſt, wenn ſie nicht auch außerhalb der Dienſtzeit das tägliche 
Leben des Einzelnen beſtimmt. Daß Schularbeiten nun nicht etwa unter 
Hintanſetzung des HJ.⸗Dienſtes gründlich auszuführen ſind, darüber dürften durch 
die letzten Verordnungen zum $3.-Geje& auch die letzten Zweifel behoben fein. 


Stimmen für die Einheit der Erziehung 5 


Laut „BB.“ vom 28. Dezember 1938 erklärte Prof. Baeumler in der Reichs⸗ 
ſchule bes NSLB. in Donndorf in Übereinſtimmung mit unſeren Ausführungen 
über die Aufgabe der Schule: „Die Schule hat demnach ihre erzieheriſche Aufgabe 
ſtets vom Unterricht aus zu ſehen.“ 

: * 

An bieler Stelle fei noch ein Teil der Rede von Miniſterpräſident Klagges, der 
ſelbſt als Lehrer tätig war, wiedergegeben, gehalten zu Beginn des Reichs⸗ 
führerlagers der HJ. am 14. Mai 1939 in Braunſchweig: 

„Es iſt wahrlich kein Kleines, die politiſche und weltanſchauliche Schulung der 
geſamten deutſchen Jugend anvertraut zu bekommen. Damit iſt die Hitler⸗Jugend 
als eine neue große Erziehungsmacht nun für alle Zeit im deutſchen Volke ver⸗ 
ankert. Sie tritt damit an die Seite der alten Erziehungsmächte, vor allen 
Dingen des Elternhauſes und der Schule, und fie tritt in mancher Hin: 
ſicht an die erſte Stelle unter ben Erziehungskräften in 
unferer Nation für die Jugend. Es hat Leute gegeben, die zunächſt den 
Kopf geſchüttelt haben, als ſie hörten, daß nun die Jugend ihre Selbſterziehung 
in eigene Hände nehmen fole; und wahrlich, es war [don eine Revolution, biefer 
Gedanke unſeres Führers. Es war etwas bisher noch nie Dageweſenes und 
nie Erprobtes, und fo kann man es jenen nicht übelnehmen, wenn fie zunächſt 
. pweifelten. Heute find diefe Zweifel behoben! Ihr habt durch eure Arbeit bes 
- wielen, daß der Führer auch in dieſem Punkte hundertprozentig Recht gehabt 
hat, und ihr werdet dies in Zukunft, nunmehr als Pflichtorganiſation, erſt recht 
beweiſen. Manche fragen ſich: wozu brauchen wir denn dieſe neue Erziehungs⸗ 
macht, genügte denn nicht die alte? Welche beſonderen Aufgaben hat die Hitler⸗ 
Jugend als Pflichterziehungsorganiſation für alle deutſchen Jungen und Mädel? 
Es braucht niemand Konkurrenz zu befürchten, denn die Hitlers 
Jugend hat es nie auf ihr Panier geſchrieben, etwa Philologen ausbilden zu 
wollen oder gar Theologen, oder aber auch für irgendeine andere Wiſſenſchaft 
oder einen anderen Beruf auszubilden. Nein, die Hitler⸗Jugend hat einen Auf: 
trag, und der lautet: junge Nationalſozialiſten zu erziehen! Das ift die große 
Aufgabe unſerer Zeit, und wir alten Kämpfer des Nationalſozialismus find 
dankbar, daß eine Formation beſteht, die dafür ſorgt, daß wir niemals 
fürchten müſſen, daß nach uns eine Lücke käme im deutſchen Volke, in ſeiner 
politiſchen, weltanſchaulichen Führung und Haltung.“ 


Das Verständnis der Presse 


Zahlreiche Preſſeſtimmen wirken klärend und zeigen, wie unſere 
Initiative verſtanden fein will! So ſchreibt Dr. von Leers in der „NSR.“ (19. LI 
„Viel berechtigter und ernſter iff der Vorwurf, daß bie Leiſtungen der Volts: 
ſchulen, aber auch der höheren und mittleren Schulen, zurückgegangen feien. Dieſe 
Tatſache kann einfach nicht beſtritten werden. Nur datiert dieſer Rückgang ſchon 
aus der Zeit des Krieges mit ihrem gänzlich geſtörten Schulbetrieb, dann aus 


6 Stimmen für die Einhelt der Erziehung 


der Zeit ber marxiſtiſchen Schulexperimente — mit Mühe haben wir den Rückgang 
einigermaßen auffangen können. Völlig zum Stillſtand gebracht iſt er noch lange 
nicht. Nun können wir Deutſche unter gar keinen Umſtänden uns ein Abfinken 
unſerer geiſtigen Leiſtung geſtatten. Der Facharbeitermangel würde unbehebbar 
werden, Techniker, Ingenieure, Wiſſenſchaftler aller Art dem Auslande gegen⸗ 
über unterlegen werden, wenn nicht eiligſt die Schulleiſtungen wieder geſteigert 


werden.“ 
* 


Der „Würzburger Generals Anzeiger“ vom 21. Dezember 1938 ſchreibt: 
„Die Distulfion pei en $3. und Schule ijt eröffnet und aus bem Nebeneinander ver: 

| iedener Kräfte der JIugenderziehung fol eine feitgelügte Femeinſchaft von Jugend: 
hrern und Lehrern für die Einheit ber Erziehung werden.“ 


In der „Aſchaffen burger Zeitung“ vom 19. Dezember 1938 heißt es: 


„Aus allem ergibt ſich eine Verantwortung, der ſich gewiß niemand entziehen 
kann. Die Vorſchläge der Hitler⸗Jugend begegnen fih mit den Beſtrebungen des 
Staates und auch dem ernſthaften Bemühen der Lehrerſchaft, die ſich der Zuſammen⸗ 
arbeit gewiß nicht verſchließen. Das Ziel iſt ein Erzieherſtand, der, aus der 
nationalſozialiſtiſchen Jugendbewegung hervorgegangen, mit den Erziehungs⸗ 
grundſätzen des neuen Staates unzertrennlich verbunden iſt und um das Anſehen 
und die Anziehungskraft ſeines Berufes nicht beſorgt zu ſein braucht. Gefordert 
wird die Leidenſchaft und wahre Begeiſterung des echten Erziehers“. Dieſer die 
noch fehlenden Vorausſetzungen zu ſchaffen, iſt um der Jugend willen eine Auf⸗ 
gabe, die den Einſatz lohnt. Allein von dem großen Ziel, der Geſtaltung kommender 
gemeinſchaftsfähiger Generationen, wird das Verhältnis von Hitler⸗Jugend und 
Schule beſtimmt. 


SC a „Dresdner Nachrichten“, Dresden, vom 15. Dezember 1938 wird aus: 
geführt: 

„Der dritte Fragenkreis endlich, der durch das sang tamm der Men 
berührt wird, hat das Verhältnis von Lehrer und Jugendführer zum Inhalt. Obwohl 
heute bereits 5 Prozent aller Lehrer aktiv in den Reihen der Hitler⸗Jugend ſtehen (bei 
der . Überalterung des Berufes ein Ki beachtliches Ergebnis!), beitebt im 
Grunde doch ein Nebeneinander der Erziehungsträger in Schule und Jugend⸗ 
organiſation. Das ſoll in Zukunft anders werden. Der junge Lehrer wird künftig aus 
der HJ.⸗Arbeit hervorgehen und fih in ihr bewährt haben müſſen. In Sachſen ift man 
dieſem Ziel durch kluge Maßnahmen bereits ein gutes Stück nähergekommen und hat 
dabei wertvolle und durchaus ermutigende Erfahrungen gemacht. (Erit die Verbin⸗ 
bung von Jugendführer und Lehrer | att die Vorausſetzungen 

u einem tiefen pädagogiſchen Einwirken auf die Seele und ben 

harakter der jungen Menſchen. Wenn dieſe Verbindung einmal nicht mehr 
den Idealfall, ſondern die Regel darſtellt, ergeben ſich erzieheriſche Möglichkeiten von 
größter Tragweite. Erſt dann wird ein wirkliches Vertrauensverhältnis zwiſchen Lehrer 
und Schüler geſchaffen ſein, das die Ausmerzung gewiſſer Übel geſtattet, die faſt ſchon 
zu Gewohnheit geworden find.“ 

Das im Raum der wiſſenſchaftlichen Fachzeitſchriften febr kämpferiſch geführte, Hoch: 
wertige Organ „Geſetzgebung und Literatur“ ſtellt im Januar 1939 feſt: 

„Daß die Einfügung des Schulweſens in den neuen mannſchaftlich gegliederten Raum 
der deutſchen Volksordnung ſich nicht ohne Schmerzen vollziehen würde, war voraus⸗ 
zuſehen; denn das e Gefüge unſeres politiſchen Lebens iſt der Schule 
urſprünglich fremd. Im Uriprung ber Schule ſtanden Kirche und Staat. So wurde ſie 
eine Einrichtung von oben Der, aufgehängt in deren Inſtanzen. Die Schule der Gegen: 
wart iſt dabei, den Grund unter den Füßen zu gewinnen, den ihre beſten Pädagogen 
und das ſind die Lichtpunkte der Schulgeſchichte, nicht nachlaſſend ſuchten. Unſer ampf 


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Stimmen für dle Einheit der Erziehung 7 


um die gefolgſchaftliche Erfüllung der Schulformen iſt ſchon längſt kein Geplänkel um 
Schul, reform! mehr, fondern gang erit ber Kampf um age MI ichtlich über: 
fällige Grundlegung ber deutſchen Schule. Die Bemühungen ber Hitlers 
Jugend in dieſem Kampfe nehmen den Rang ein, der ihr in dieſem geſchichtlichen Geſamt⸗ 
vorgang als der Jugend des Führers zukommt. ‚Wille und Macht“ und ‚Das Junge 
Deutihland’ unterrichten im einzelnen über ihren richtigen Blick für die Aufgabe.“ 


In der Zeitſchrift „Die HI.“ vom 17. Dezember 1938 wird bie HI. augetebet: 


„Dem Reichs jingendführer habt ihr immer gehorcht. Wenn er nun eine neue 
revolutionäre Idee zum Zweck eurer Ausbildung und Lebenstüchtigkeit verkündet, 
dann werft den Schuljungen oder das Schulmädel in euch ab, feid junge National⸗ 
ſozialiſten auch im Klaſſenzimmer wie enre Kameraden im Betrieb. Lernt um⸗ 
denlen! Wie ihr das Gut in eurem Heim nicht beſchmutzt und unter euch ſelbſt 
auf Ordnung achtet, [o haltet es künftig and in der Schule“ 

„Ihr werdet einmal aus eurem Kameradenkreis den neuen Lehrertyp ſtellen. 
Aber ihr müßt auch aus euch heraus die Disziplin und Ordnung finden, die euer 
gauges Leben, aljo auch in der Schule und nicht nur im 5J.⸗Dienſt, fenn: 
wiänen Jett. 

Lehrer feindlich find wir nicht! Das haben uns alte Tanten ans 
tidie, weil wir den Heimabend lieber als den Nachmittagsſchulunterricht bes 
ſuchen. Nun, dieje alten Tanten werden uns in unſerem frischen Jungenleben 
nie begreifen. Von ihnen wollen wir es doch aber nicht abhängig machen, ob wir 
in der Schule für unſer Leben etwas Tüchtiges lernen ober alle dieje Jahre mit 
Albernheiten nutzlos verſtreichen laſſen!“ | 

Die „Thüringer Allgemeine Zeitung“, Erfurt, vom 15. Dezember 1938. 
nimmt zu den Problemen in folgender Weiſe Stellung: 


„Die Einheit der Erziehung iſt eine alte nationalſozialiſtiſche Forderung, für deren 
Verwirklichung erſt jetzt die Vorausſetzungen gegeben find. Als 1933 der innere Aufbau 
in Deutſchland begann, war es unmegti, die Aufgaben von Schule und HI., die nicht 
miteinander verglichen werden können, abzuſtecken. Beide waren Träger der Erziehung. 
m denen als dritter Faktor das Elternhaus trat. Es un: einer me en Cnt; 
wicklung, bie durch die Einführung des Reichsberufswettkampfes, die Schaffung der 
Wolf⸗Hitler⸗Schulen und den Bau von HZ.⸗Heimen gekennzeichnet wird, um das weite 

der Erdtehung ſo aufzuteilen, wie es dem Verantwortungsgefühl des National⸗ 
ozialismus gegenüber der beranwäcenden Generation entſpricht. Heute ſtehen Schule 
und Jugendbewegung als A e Erziehungsmächte nebeneinander. Die H J. 
ider Schule gegenüber durchaus pofit!v eingeftellt; es kann feine 
Rede mehr davon fein, daß fie etwa ſelbſt beabſichtige, den Unterricht in der Schule zu 
mehmen. Was hingegen gefordert wird, iſt die Einführung des Prinzips der Selbſt⸗ 
detrantwortung der Jugend auch in der Schule.“ 

„Schirach hat iH deutlich dahin ausgeſprochen, daß bie HJ. nicht die Abſicht hat. 
auf andere Arbeitsgebiete überzugreifen. Sie bezeugt nur ihr Intereſſe daran, ob die 
deufihe Jugend glücklich ift oder nicht, deren Herzen uns auch da gehören, wo wir fie 
in unlerer ule nach ſtrengſten wiſſenſchaftlichen Anforderungen erziehen”. Darum [oft 
Wher Schule und der HI. das gleiche Erziehungsprinzip herrſchen.“ 


die „Allgemeine Zeitung“, Chemnitz, vom 14. Dezember 1938 betont: 
„In eindeutiger Weiſe wird von der Reichsjugendführung heute feſtgeſtellt, daß 
die $3. nicht gegen die Schule, ſondern für die Schule kämpft. Das 
naßgebende Prinzip der Jugenderziehung wird in der Einheit der Erziehung von 


8 Stimmen für die Einheit der Erziehung 


Schule, Elternhaus und HI. gefehen. Zur Erreichung dieſer Einheit ift es nicht nur 
notwendig, einen neuen Erziehertyp zu ſchaffen, ſondern überhaupt dem Nachwuchs 
die Erzieherlaufbahn als erſtrebenswerte Lebensaufgabe erſcheinen zu laſſen. 
Dieſe Überlegungen ſtützen ſich auf die ſehr bedenkliche Tatſache, daß der Zuſtrom 
zum Lehrerberuf bedrohlich ſchwächer geworden iſt.“ 


Im „Berliner Tageblatt“ vom 13. Dezember 1938 heißt es: 

„Die neueſten Ausgaben des Führerorgans der HI, ‚Wille und Macht, und des 
amtlichen ſozialpolitiſchen Organs des Ingendführers des Deutſchen Reichs, ‚Das Junge 
Deutſchland“, beſchäftigen fid ausſchliezlich mit Schulfragen. Es wird darin veriudt, 
die Fragen zu beantworten: Wie ſchaſſen wir eine feitgefügte Gemeinſchaft von Ingend⸗ 
führern und Lehrern, um die Einheit der Erziehung zu gewährleiſten? Wie erreichen 
wir eine Leiſtungsſteigerung nujerer Volksschulen? Auf welche Weile läßt ſich für bie 
nahe Zukunft der drohende Nachwuchsmangel beheben? Gleichzeitig ſoll auch damit 
der Beweis geführt werden, daß die Gerüchte, wie etwa Ate HI. wolle die Schul⸗ 
erziehung übernehmen und die kleinen Einheitsführer ſollten den Unterricht erteilen‘, 
oder ‚nie HI. molle den Lehrer zum bloßen Wiſſensvermittler und die Schule zur Pant: 
auftalt herabwürdigen, während die geſamte Erziehung nur von ihr durchgeführt würde“, 
haltlos find. Der Hauptſchriftleiter von ‚Wille und Macht erklärt dazu, daß diefe 
Gerüchte Unfug und auf ein Mißverſtändnis zurückzuführen feien.” 

In der „Deutſchen Allgemeinen Zeitung“ vom 15. Dezember 1938 


wurde zu dem Sonderheft von „Wille und Macht“ ausgeführt: 

„Lage, Entwicklung und Sorgen der Volksſchule werden darin behandelt. Es 
geht dabei nicht mehr um den Neubau und die Ausrichtung der Schule, ſie ſind 
abgeſchloſſen und liegen feſt, im Sinne der totalen Erziehung, wie ſie der National⸗ 
ſozialismus will und in vielgeſtaltigen Formen, alle Schichten und Lebensalter 
erfaſſend, durchführt. Auch das Verhältnis Schule und HI., Lehrer und Jugend: 
führer iſt geklärt. Es kann da, wie jüngſt Roſenberg betonte, keine Gegnerſchaft 
geben. Schule und HJ. haben die gleiche Aufgabe: die Erziehung der Jugend. 
Sie arbeiten jede in der ihr eigenen Form und mit den ihr gemäßen Mitteln, ſie 
ergänzen und fördern einander. Man iſt ſich auch einig, daß der Lehrer nicht 
lediglich Wiſſensmaſchine und Einpauker ſein darf, ſondern Erzieher und Menſchen⸗ 
former ſein muß. Schwierigkeiten kann es hier um ſo weniger in Zukunft geben, 
als der Erzieher von morgen ja von der HJ. herkommt. Die Sorgen um die 
Volksſchule ſind andere. Es fehlt zum erſten an Lehrernachwuchs.“ 


Die „Ravensburger Zeitung“ ſchreibt: 


„Die $3. hat durch die Leiſtungswettbewerbe Beweiſe für eine nene innere 
Haltung der Jugend zur Arbeit erbracht. Was auf dem einen Gebiete 
möglich war, sollte auf dem der Volksſchule nidtunmöglid 
lein. Die Arbeit der Wiſſensvermittlung durch die Selbftdilziplin der Jugend, 
einen freiwilligen Wetteifer in der Erringung der beiten Leiſtung, die WS: 
ſchaffung des Abſchreibens, des Betrugs, des Gidbrüdens, 
dieſe Arbeit könnte unzweifelhaft unendlich erleichtert 
werde n. Aber dieſes Ziel [egt den Einſatz einer mit der Jugend gehenden, mit 
ihr lebenden Lehrerperſönlichkeit voraus.“ 


Stimmen für die Einheit der Erziehung 9 


In der „Oſtdeutſchen Morgenpo ft", Beuthen, vom 14. Dezember 1938, ſchreibt 
Hans Schadewaldt: 


„Heute beſteht völlige Klarheit über die poſitive Einſtellung der HY. zur 
Schule und die Anerkennung von Autorität, Treue und mern egenüber 
Schule und Lehrerſchaft als Teile der Jugenderziehung. Schule und HI. find à Heute 
einig im Ziel, eine ſtrebſame, arbeitsfreudige, leiſtungstüchtige, ehrbewußte und von 
Kameradſchaftsgeiſt ob balet Jugend zu ef A und 1 Erziehungsarbeit unter die 
Richtlinie der allgemeinen Leiſtun set erung unſeres Volkes au 1 on in ber Aus: 
bildung zu ftellen. Lehrer und Vetriebsfiihrer erkennen an, daß die Schulung der HI. 
füt das praktiſche Berufsleben dt eigt, die in den Ergebniſſen des Reichsberufs⸗ 
wettkampfes objektiv unter Beweis gelte t worden Dë Wenn Heute über fieben 
Rillionen Hitlerjungen durch bie vis i in der HZ. a geſchickter Menſchen⸗ 
führung auf das erſtrebte Erziehungsideal ausgerichtet und für das praktiſche Berufs⸗ 
leben als körperlich, geiſtig und ſeeliſch tüchtige Jungmänner vorgeſchult werden, ſo iſt 
das eine Leiſtung, der auch die Schule längſt nicht mehr die Anerkennung verſagt. 


In einem „Kampf für die Schule“ überſchriebenen Aufſatz im „M ag- 
deburger General⸗ Anzeiger“ vom 15. Dezember 1938 heißt es: 


„Daß das vorläufige Ausſtehen einer Verwirklichung ſolch 
tevolutionärer Schulerziehung keineswegs Schuld der 


deutſchen Lehrer iſt, wird erfreulicherweiſe von der Reichs⸗ 


— — 


“nu 
——_ 


| 


jugendführung tart unterſtrichen. Überlaſtet und überaltert ſteht 
der wichtigſte Schulpädagoge, nämlich der Volksſchullehrer, vor Rieſenklaſſen. 
Darum wird eine Nachwuchsförderung von ſeiten der Hitler⸗Jugend mit ſtärkſtem 
Nachdruck zu gleicher Zeit in die Wege geleitet, wie daran gegangen wird, die Ein⸗ 
goe der Schuljugend zu Lehrer und Schule pofitiv und verantwortungsvoll zu 
eeinfluſſen.“ 


In den „Kaſſeler Neueſten Nachrichten“ vom 14. Dezember 1938 wird beſonders her⸗ 
vorgehoben: 


„Beinahe wichtiger noch als bie Sorge um bie I nnb bie Verſorgung der Lehrer: 
i Ka de Ziel ber Seovinbuns VOR De ee und 
agen rer, 

Die tbernug wird jetzt von ber offen vertreten. Das Nachwuchsproblem des 

See bes Voll dengen von ber RS elit metben. Sie Sohre lames rd der $5. 

nud n aud als Lehrer daun in ber Ei moni als Ingendführer 

weiterhin die erzieheriſchen Aufgaben leiften, die bie $3. übernommen bat. nf 

Sorbild unb Beiſpiel it Die moderne Erzie sae ete eftellt, und 

muß bie Lehrerſchaft eine charakterliche Ausleſe baritellen. Nicht gegen die 

Säule, ſondern für die Schule will die HI. dieſe Ideen verwirklichen, und darin liegt 
der allem nach der organiſatoriſchen Seite hin ein neuer Gedanke.“ 


der ‚Magdeburger General-Anzeiger“ vom 14. Dezember 1938 betont 
naire? dida i 


„Die Hitler-Ju end ſieht ihre Aufgabe nicht im Kampf gegen die Schule, fondern 
it will ſich in ben Dienſt der Schule ſtellen. Die Vorſchläge der HI. 
werden in den kommenden Monaten zweifellos im Mittelpunkt aller ernſthaften Aus⸗ 
ſpiachen über das Schulproblem ſtehen.“ 

das „Frankfurter Volksblatt“ vom 14. Dezember 1938 und andere 
große deutſche Tageszeitungen unterſtreichen folgendes: 


Das Schulproblem hat eine ideelle und eine materiell⸗organiſatoriſche Seite. 
Tas Sührerorgan der nationalſozialiſtiſchen Jugend, Wille und Macht, ſieht 


10 Stimmen für die Einheit der Erziehung 


in der Schule von morgen eine Heimftatt jener lebendiger, 
erlebnishafter Arbeit, bie ftd unter der Selbftverant: 
wortung und dem freiwilligen Einſatz ber gefamten 
Schülerſchaft vollzieht, in der nichts mehr an den ſchablonenhaften 
Unterricht, an Abſchreiben, an den Betrug der Schüler am Lehrer und an alle 
ſonſtigen Unzuträglichkeiten und Bruchſtellen früherer Zeiten erinnert, die im 
Leben der Schule ſooft Verbitterung, Vorurteile und Gegenſätze der Generationen 
hervorgerufen haben. Es iſt die gleiche Jugend, die durch Schule und Hitler⸗Jugend 
geht, ſie darf nicht zweierlei Erziehung genießen. Aus dieſem Grundgedanken 
heraus ſieht die Hitler⸗Jugend die Notwendigkeit der in einem neuen Erzieherſtand 
verkörperten Einheit der Erziehung. ‚Den Nachwuchs ftellt die Hitler⸗Jugend.“ 
Dieſer Grundſatz iſt bereits in Sachſen nach einer Vereinbarung zwiſchen Gebiets⸗ 
führung und Volksbildungsminiſterium verwirklicht worden. Hier iſt auch ein 
Gedanke ausgeſprochen, der nach allem nun durchaus vernünftig und zukünftig 
erſcheint: Die Verbindung des Berufes von Lehrer und Jugendführer.“ 


Gleiche Gesinnung aller Erzieher 


Hans Schemm, der große Erzieher und der allzu früh verſtorbene Führer 
des Lehrerbundes, hat ſehr entſchiedene Forderungen aufgeſtellt, die ſich mit 
denen des Reichsjugendführers eng berühren. So hat er 1933 in einer Rede 
geäußert: 

„Gebt unſerer Jugend Selbitvertrauen anf bie eigene Kraft! Sie glauben nicht, 
welche Energiemengen Sie freizulegen in der Lage find, wenn Sie den Buben 
unb Mädeln das Zutrauen zu fid) ſelbſt geben. Dann wirken fid) die drei Kardinal» 
tugenden aus, die jeder Erzieher haben muß: Klugheit, Güte und Heiterkeit. 
Nicht eine Klugheit, bie mit Kenntniſſen ih mißt, uicht Güte, die Sentimentalität 
ilt, nicht Heiterkeit, die Ulk macht, ſondern lebensnahe verſtändnisvolle Klugheit, 
Güte, bie mit dem Begriff Kameradſchaft zu umreißen, und Heiterkeit, bie [o zu 
verſtehen ift, daß man das eigene Ungemach nicht wichtig nimmt. 


Ich behaupte, ein Lehrer, der nicht lachen kann, fol ſich morgen penſionieren 
laſſen.“ 
* 


„Es IN doch fo, dak manche Schüler unb Schülerinnen, manche Buben und 
Mädels ein zweifaches Leben führen müſſen. Das eine Leben beſteht aus Freiheit, 
Kameradſchaft, Mitarbeit und Miterleben bei der Arbeit der Eltern, bei Spiel, 
Entdeckungsfahrten, Sonntag und Ferien. Das andere Leben — fo war es, fo 
darf es nie mehr werden — war Schule, Unfreiheit, Gedrücktheit, alte Schulbrav⸗ 
heit, Kreideſtaub, Bücherplage, verdorbene Luft, ſchlechtes Gewiſſen. So, meine 
Freunde, war die Welt des Kindes in zwei Hälften zerriſſen, die Einheit der 
Kinderwelt war zerſtört, das eine Leben wurde erlebt, das andere aber nur 
‚erduldet‘. 


Stimmen für die Einheit der Erziehung 11 


Die Jugend [oll aber eine glückhafte und erlebnisreiche Zeit fein. Die alte 
Bildung gab zuviel Intelleltualismus, zu wenig Charakter, zuviel Willen, zu 
wenig Menſchentum. Die Bildung ging in die Breite und nicht in bie Tiefe. 
Wir gaben den Kindern eine papierene Welt und ließen fic im übrigen ſeeliſch 
und geiſtig Hunger leiden. Wir machten aus unſeren Kindern der Vergangenheit 
Riniaturgelehrte. Die Aufblähung des Lehrplanes zog die Spezialifierung der 
Sader nach ſich.“ 


* 


„Ein Schüler in bem vergangenen Schultyp war dann ideal, wenn er brav, 
fleißig, pünktlich und folgſam war, wenn der Lehrer nie über ihn zu klagen hatte, 
das war der Begriff der ſogenannten Schulbravheit geworden. Es waren Schüler, 
die nie etwas taten, was über das normale Maß hinausging, Schüler, die den 
Begriff der Schulbrapheit vollkommen ihr eigen neunen konnten, Muſterſchüler. 
Nan kann nun nicht jagen, daß dieje Eigenſchaften, die ich aufzählte, pünktlich, 
fleißig, ſauber, gewiſſenhaft, anſtändig, zuvorkommend, höflich und wie bie herr⸗ 
lichen Dinge der Reihe nach alle heizen, ſalſch wären. Korrelt [oll der Schüler 
elbſtverſtändlich fein, aber für den wirklichen deutſchen Buben genügt das nicht, 
ſondern dazu gehört noch Unternehmungsgeiſt, Schneid, ich möchte fait fagen, 
Eigenwille. Es gehört dazu etwas Abentenerſinn, kurz und gut, es gehört Eigen⸗ 
initiative ben, Das Weſentliche aber ijt: der Lehrer hat die Aufgabe, dieſe 
Eigeninitiative zu fördern. Er hat dieſen ſtürmiſchen Drang nach Betätigung, 
Kampf, Abenteurer: und Unternehmungsluſt zu mobiliſieren und nicht zu 
beſchneiden. 


Meilt aber war es fo, daß die Schüler, bie dieſen in ihnen wohnenden Drang 
veripärten, die Siegfriednaturen, bie Hinausſtürmenden, im Betragen Note 4 ges 
kriegt haben, zu nichts nutze waren, man nicht brauchen konnte. Warum? Weil 
Re nicht dort hockten wie geſchnitzt. Das ift die ſogenannte Schulbrapheit geweſen, 
en aber it das wirkliche Deutſchtum, das warmes Blut und warmes 

n hat. 


Der Sinn unſerer Erziehung iſt der, daß wir im deutſchen Kinde ſchon den 
Glauben an feine eigene Kraft mobilifieren.“ 


* 


Alfred Baeumler, „Erziehung und Unterricht“, Vorwort zu „Die 
Schule im Gefüge ber nationalſozialiſtiſchen Ordnung“ von Prof. Albert 
Dietrich (Hochſchule für Lehrerbildung, Hirschberg). im Handbuch für Lehrer⸗ 
Bildung: 


E handelt es fih darum, bas abſtrakte Sachdenken, das im Gebiet ber 

e zuletzt als reines Methodendenken auftrat, aus ſeinen letzten Schlupf⸗ 

winkeln zu vertreiben und den ane des weltanſchaulichen Denkens unbedingt 
und überall zu ſichern. 


12 Stimmen für die Einheit der Erziehung 


Wir müſſen zwiſchen unmittelbarer und mittelbarer erzieheriſcher Einwirkung 
unterſcheiden. Die Trennung der unmittelbaren Erziehung, die von mir nach 
ihrer höchſten Geſtalt Formationserziehung genannt worden iſt, von der durch 
einen Stoff vermittelten Erziehung (Unterricht) macht es möglich, Ordnung in 
eine Fülle von Erſcheinungen zu bringen und das Hauptproblem der Padagogit 
ſo zu formulieren, daß die Frage nach dem Ort der Schule beantwortet werden 
kann. Der Schwerpunkt der Schule liegt im Anterricht. 


Unterricht bleibt Unterricht und kann nie durch etwas anderes erſetzt werden. 
Aber die Schule kann ſich wandeln. Eine Schule, die inmitten der völkiſchen 
Lebensordnung ſteht und ein Teil derſelben iſt, eine Schule, die nicht im 
leeren Raum individueller Bildung künſtlich einen Halt 
ſuchen muß, ſondern gehalten iſt von der gewaltigen Macht 
der Formationen, welcher ihre Lehrer wie ihre Jugend in 
gleicher Weiſe angehören, hat es bisher noch nicht gegeben. Dieſe 
Schule zu ſchaffen, ijt unſere Aufgabe. Die Formationen ſtehen, die 
neue Schule iſt noch im Bau. Das Verhältnis zwiſchen Formations⸗ 
erziehung einerſeits und Schulerziehung andererſeits richtig zu beſtimmen und 
das Zuſammenwirken beider zur Bildung des Charakters zu erkennen, iſt die 
Hauptaufgabe der pädagogiſchen Theorie.“ 

Das „Schwarze Korps“ ſchrieb am 2. Februar 1939 zu den Fragen der Schul⸗ 
erneuerung u.a.: 


„Dieſer Mangel an innerer Bereitſchaft zur Aufnahme des Neuen — und das muß 
ohne jedes Reſſentiment, in voller Erkenntnis der au cute nod e EE MS 
Verhältniſſe aus a dee werden — ift weithin bie Urſache jenes klaffenden Zwieſpaltes 
mus der Siu e unb den übrigen Erziehungsfaltoren, damit aber aud) zwiſchen 

rzieherperſönlichkeit und Jugend. Es wird in ben letzten Jahren vielfach über die 
ſchwindende Autorität der Lehrperſonen geklagt. 

Es wäre durchaus eine Verkennung der Sachlage, wollte man die Jugend allein hierfür 
verantwortlich machen. Sie iſt zum Teil, beſonders in konfeſſionell ſtark gebundenen 
Landgebieten, auf die Rechnung ée ‚Autoritäten‘ qu ſetzen, die eine planmäßige Hetze 
der uljugend, von der Kanzel ſowohl als auch im noch beſtehenden pfarramtlichen 
Unterricht und bei ſonſtigen privaten Gelegenheiten, gegen die vorgeſetzten te 
betreiben. Sie geht aber zum Teil aud auf die mangelnde Bereitſchaft jener Erzieher 
zurück, die ſich bewußt oder aus einer unſeligen Bindung heraus den Forderungen des 
neugeſtalteten Lebens entgegenſtellen und de ſolchermaßen ganz notwendig von ber 
Jugend entfernen. Auf jeden Fall iff bas Schwinden der Autorität eine golge jener 
Unſicherheit, jenes ſchwebenden und ſchwankenden Zuſtandes, in bem fid Schule und 
Lehrerſchaft auch vielfach heute noch befinden.“ 


* 

Aus Sachſen ging uns ein Bericht über die Gründung ber „Rudolf: 
Schröter⸗Schule“ in Klotzſche (1934) zu, in dem es heißt: 

„Jungen und Erzieher bildeten eine Einheit der nationalſozialiſtiſchen Jugend⸗ 
bewegung, ben Unterbann ‚Rudolf Schröter“ der Hitler⸗Jugend. Er gliederte fid) 
in drei Gefolgſchaften zu je vier Scharen. Führer der Scharen waren die Erzieher; 
eine der Gefolgſchaften wurde von einem Jungen geführt. Andere Jungen waren 
ſtellvertretende Scharführer, führten Kameradſchaften und verwalteten ſonſt ver⸗ 


Stimmen für die Einheit der Erziehung 13 


antwortungsvolle Stellen. Die Erzieher lebten, wohnten und arbeiteten mit ihren 
Jungen, wie ſonſt eben HJ.⸗Führer auch im Lager; fie ſtanden ihnen ſtets zur 
Verfügung, waren den Jungen beſte Kameraden und ſtanden doch ſtets vor ihnen 
als Führer und Vorbild. So entwickelte ſich ſehr bald eine feſte Gemeinſchaft, 
zunächſt auf der Baſis gegenſeitiger vertrauensvoller Achtung, bald im Bewußtſein, 
gemeinſam für die großen Ideale der Bewegung zu kämpfen, zunächſt gegen die 
eigene Schwäche und dann aber auch nach außen. Jungen, die den inneren 
Auſſchwung nicht mitmachen konnten, die aus dem „Pennälergefühle“ 
nicht heraus konnten und in alter Manier mit Heimlichkeiten und kleinen 
Lügen zu arbeiten ſuchten, hoben fid raſch von den anderen ab und 
verließen die Anſtalt.“ 


* 


In der Zeitſchrift F und Schule“, die von Prof. 
Baeumler, dem Hauptſtellenleiter beim Beauftragten des Führers für 
die geſamte geiſtige und weltanſchauliche Überwachung der 
N SD A P., herausgegeben wird, ſchrieb am 1. Dezember 1937 Hans Karl Leiſtritz 
im Zuſammenhang mit Herbarts Ideen: 


Herbart bringt zur Genüge zum Ausdruck, daß die Mittel der formalen Ord⸗ 
nungshaltung reine Hilfsmittel ſind und wegzulegen, ſobald die Ordnung 
von Tieferem her gehalten werden kann. Er ſpricht in dieſem 
Zuſammenhange das wunderbare Wort, daß Knaben und Jünglinge gewagt 
werden müſſen, um Männer zu werden: 


Vielleicht bin ich ſo M el eweſen, gar zu viele Beiſpiele der Wirkung zu 
erfahren, welche au gp: den nfituten aus der ſtrengen Viſitation entſteht; und 
vielleicht hänge ich, in Rückſicht auf Sicherung des Lebens und der geſunden Glieder, zu 
ſehr an dem Gedanken, daß Knaben und Jünglinge gewagt werden müſſen, um Männer 
werden. Es fei alfo genug, nur ganz kurz zu erinnern, daß genaue und ſtetige Aufſicht 
lir den Aufſeher unb für den Beobachteten gleich läſtig ift, und daher von beiden mit 
Lift pflegt bei jeder Gelegenheit umgangen zu werden; daß in dem Maße, wie ſie 
mehr geleiſtet wird, das re derſelben wächſt und da zuletzt jeden Moment der 
Unterlaſſung die äußerſte Gefahr droht; ferner, daß fie die Kinder abhält, ihrer ſelbſt 
inne zu werden, ſich zu verſuchen, und tauſend Dinge kennenzulernen, die nie in ein 
pädagogiſches Syſtem gebracht, ſondern nur durch eigenes Auſſpüren gefunden werden 
können, endlich, daß aus allen dieſen Gründen der Charakter, welchen einzig das Handeln 
aus eigenem Willen bildet, entweder ſchwach bleiben oder verſchroben wird, je nachdem der 
Beobachter minder oder mehr Auswege fand.“ ' 


Klarer konnten die Gefahren eines formalen Schuldrills faum ge 
ſchildert werden. 

„Will man aber Aufſicht als Regel: ſo fordere man von denen, die unter 
ſolchem Druck heranwuchſen, keine Gewandtheit, feine Erfindungskraft, 
fein mutiges Wagen, kein zuverſichtliches Auftreten; man erwarte 
Menihen, denen immer nur einerlei Temperament eigen, einerlei gleichgültiges Wechſeln 
vorgeſchriebener Geſchäfte recht und lieb ijt; die fid) allem entziehen, was hoch und felten, 
allem hingeben, was gemein und bequem iſt.“ 

Herbart ſcheint das richtige Gefühl dafür zu haben, daß eine Gemeinſam⸗ 
keit zwiſchen Lehrer und Schüler hergeſtellt werden muß. Er 
wendet ſich gegen das Unterrichten „von oben her“ (in unſerer Sprache „Inſtanz⸗ 


14 Stimmen für die Einheit der Erziehung 


erziehung“), das zu den ſchiefſten Experimenten und Mittelchen führe, und er 
bezeichnet den Punkt, an dem dieſes Oben und Unten überwindbar iſt, wo die 
Entfernung, die es enthält, plötzlich verſchwindet und beide, Lehrer und Schüler, 
ſich plötzlich ganz nahe ſind. 

Unſere politiſche Gegenwart ſteht auf anderen Grundlagen als die politiſche 
Welt des Deutſchen Herbart. Im politiſchen Leben der Gegenwart iſt verwirk⸗ 
licht, was Herbart als fernes Ziel zeichnete. Ich zitiere eine Stelle aus ſeiner 
„Allgemeinen Pädagogik“, die, ſo allein ſie iſt, nicht überſehen werden darf. 
Seiner Zeit fehle, das iſt mit einem Worte der Sinn dieſer Stelle, was bei uns 
in der Hitler⸗Jugend verwirklicht ift: 

„Man ſpricht viel von dem Nutzen einer abhärtenden Lebensart für die Jugend. 
Ich laſſe die körperlichen Abhärtungen in ihren Würden; ich bin aber überzeugt, daß man 
das rate härtende Prinzip für ben Menſchen — der nicht bloß Körper iit — nicht 
eher finden wird, als bis man eine Lebensart für die Jugend einrichten lernt, wobei 
fie nach eigenem, und zwar nad eigenem richtigen Sinn, eine in ihren Augen 
ernſte Wirkſamkeit betreiben kann. Sehr viel würde dazu eine gewiſſe EH 
lichkeit des Lebens beitragen. Aber diejenigen öffentlichen Akte, welche bisher gewöhnlich 
n „dürften die Kritik ſchlecht beſtehen. Denn es fehlt ihnen meiſtens bas erſte Erfor⸗ 
e 


rnis eines charakterbildenden Handelns; ſie geſchehen nicht aus eigenem Sinn, fie find 
nicht die Tat...“ 


Herbart fieht in dem politiſchen Leben feiner Zeit nichts, woraus dieſe öffent: 
liche Lebensart der Jugend, die „das eigentlich härtende Prinzip für den Menſchen“ 
enthält, entſtehen oder worauf ſie gegründet zu werden vermöchte. 


Was Herbart vermißte, bas ift im Deutſchland ber Gegen: 
wart bereits weitgehend vorhanden: die Lebensart, die 
in ſich das den Menſchen härtende Prinzip enthält — die 
Formation. 

Erſt ſeit die Deutſchen eine wirkliche Lebensordnung gewinnen, iſt ein wirk⸗ 
licher Lehrplan möglich geworden! Nur vom Grunde einer Erziehergemeinſchaft, 
die eine echte Formation in dieſer politiſchen Ordnung darſtellt, iſt ein Lehrplan 
möglich, der mehr iſt als das formale Schema einer Stoffolge. Ich will es noch 
konkreter faſſen: Der Lehrplan iſt nur möglich als Teilſtück des Arbeitsplanes 
der Nation. Über das Thema „Schule und Vierjahresplan“ ſind bisher allerorts 
vielfältigſt Einzelleiſtungen gezeigt worden. Der entſcheidende Wurf, daß von. 
hier aus jeder Stoff in den Unterricht tritt, ſteht noch aus. Er ſetzte allerdings 
durchweg die Formation voraus, und zwar nicht nur: der Erzieher, ſondern 
gleicherweiſe im Verhältnis zum Jungen und der Jungen untereinander. In 
dem Maße, in dem dieſe Wirklichkeit der Formation die deut⸗ 
[de Schule erfüllt, wird der Lehrplan, der mit Mut jede Stoffbewältigung 
vom Arbeitsplane des Volkes her aufgibt, notwendig werden. Die Beherrſchung 
des Stoffes, den ſolcher Lehrplan vermittelt, wird zur Ehrenſache des Jungen. 

Und der Unterricht iſt dann keine Pauſe in dieſem Leben. Denn nur im 
Einklange mit ihm tritt der Stoff an den Jungen heran. 


4 


Stimmen für die Einheit der Erziehung 15 


Wie herzlich und vorbildlich bie Zuſammenarbeit auch zwiſchen Jugendbewegung 
und Behörde ijt, veranſchaulicht ein Erlaß des Miniſters für innere und kulturelle 
Angelegenheiten, Abt. IV: 

Abſchrift 
„An 


alle Landesſchulräte und an den Stadtſchulrat für Wien. 
Wien, am 15. April 1939. 


Um die Aufnahme in die Lehrer⸗ und Lehrerinnen⸗Bildungsanſtalt den Zufällig: 
keiten einer Aufnahmeprüfung zu entziehen, findet vom Schuljahr 1939/40 an die 
Auswahl der Aufnahmebewerber in bie erſten Jahrgänge an den Lehrers und 
Lehrerinnen⸗Bildungsanſtalten der Oſtmark in einem Ausleſelager ſtatt. Diele 
Lager, die nach denſelben Grundſätzen durchgeführt werden wie die Ausleſelager 
in die Adolf⸗Hitler⸗Schulen, beginnen 14 Tage nach Schluß des Schuljahres und 
dauern 10 bis 14 Tage. Sie werden von einem Beauftragten des Gebietsführers 
der HI. bzw. ber Obergauführerin des BDM. geführt. Dem Lagerführer find bie 
Lehrkräfte für Leibeserziehung unb Muſik der Lehrers bzw. Lehrerinnen⸗Bildungs⸗ 
anſtalten und, wo ein Kameradſchaftsheim beſteht, auch der Leiter dieſes Heimes 


beigegeben. 


Während bes Ansleſelagers findet die Überprüfung für die Aufnahme ftatt, die 
ſich vor allem auf folgende Punkte erſtreckt: 


1. Allgemeine Haltung, 

2. körperliche und ſportliche Eignung, 
3. muſikaliſche Eignung und 

4. geiſtige Begabung. 

Das Ergebnis der Überprüfung wird am Ende des Lagers vom Direktor der 
Auſtalt im Einvernehmen mit dem Lagerleiter den beigegebenen HI..(BDM.:) 
Fihrer (innen) und den Lehrkräften feſtgeſetzt. Es ijt den Lagerteilnehmern 
väteltens 14 Tage nach Lagerſchluß schriftlich mitzuteilen. 

der Beginn dieſer Ausleſelager ift bis ſpäteſtens 15. Suni jedes Jahres den 
Selle, Haupt: nud Oberſchulen bekanntzugeben. 


Die Seſuche um Aufnahme in eine Lehrer: und Lehrerinnen⸗Bildungsanſtalt 
ind bis [pütetens 15. Juli bei den Direktionen der Lehrers und Lehrerinnen⸗ 
Vilbungsanſtalten einzureichen. Den Geſuchen find beizuſchließen: 


Der Ariernachweis, ein Bewährungszeugnis der HI. (IB, BDM., IM.), ein 
tRisüntlides Geſundheitszengnis, das Abſchlußzeugnis und eine Beurteilung der 
berakterlichen und geiſtigen Eignung für den Lehrberuf durch den Leiter der 
legt beſuchten Schule. 


16 Schirach / Rufe aus der Hauptstadt des deutschen Geistes 


Die J. werden erſucht, bie Lehrkräfte ber ihnen unterſtehenden Pflichtſchulen zu 
veranlaljen, die Schüler rechtzeitig auf das Studium für das Lehramt an Volks⸗ 
Ihnleu aufmerkſam zu machen und beſonders begabte Schüler planmäßig Dim: 
zulenken. gez. Krüger 


Zum Abſchluß ſei die Meinung eines weſtdeutſchen Blattes wiedergegeben, die 
das enge Zuſammenwirken aller im Bereich der Erziehung tätigen Kräfte als 
nützlich und notwendig erkennen läßt: 


„ . Wenn nicht im Gange der Ausbildung Luft und Liebe für den gewählten 
Beruf wachſen, ſo ſteht zu befürchten, daß die Abwanderung vom Lehrberuf noch 
ſtärkere Ausmaße annehmen wird... Soll der Erziehernachwuchs wirklich geſichert 
fein, [o werden alfo noch andere Maßnahmen durchgeführt werden müſſen, die 
außerhalb der Lehrerbildung liegen und der Jugend den Lehrerberuf auch von 
dieſer Seite wieder begehrenswert erſcheinen laſſen.“ G. K. 


Baldur von Schirach: 


Rufe aus der Hauptstadt des deutschen Geistes 


Aus der Rede des Reichsjugendführers im Weimarer Nationaltheater 


Von jenem Parteitag des düsteren Jahres 1926 her, da es außer den im deut- 
schen Nationaltheater zu Weimar versammelten Männern wenige gab, die an 
eine größere Zukunft ihres Volkes zu glauben wagten, ist Weimar, diese Haupt- 
stadt des deutschen Geistes, auf wunderbare Weise mit der Jugend verbunden 
geblieben: Führerlager und Weimar-Festspiele, Kulturlager und Kurse haben die 
innere Organisation der Gemeinschaft der deutschen Jugend mit Weimar unlös- 
bar verknüpft. Die Hitler- Jugend trägt ihre Fahnen nach Potsdam, um sie an der 
Gruft Friedrichs des Großen seinem Geiste zu weihen. Nach Weimar aber 
kommt die junge Mannschaft selbst, das Führerkorps der Jugend und die 
Besten im Beruf. Hierher trägt der junge Mensch sein heißes und nach Schönheit 
hungriges Herz. Hier sucht er die geheime Macht, durch die unser Volk geadelt 
wurde, das heilige, unzerstörbare Deutschland, das kein Diktat vernichten und 
kein Verräter preisgeben konnte. Hier sucht er sie und hier findet er sie, die nie 


verlorene Heimat. 
* 


Als wir Deutschen nichts mehr besaDen, als unsere Schande, Ohnmacht und 
Erbürmlichkeit, brauchten wir nur diesen Boden mit unseren Sohlen zu berühren, 
um — wie Antäus — mit neuen Kräften gespeist zu werden. Sie konnten uns 
entwaffnen und versklaven, sie konnten jede Festung schleifen, aber sie waren 
machtlos vor dem kleinen Gartenhaus am Horn. Das größte Kunstwerk, das unser 


Volk vollbracht hat, Goethes Leben, Werkund Persónlichkeit, war ihrem 


Sehirach / Rufe aus der Hauptstadt des deutschen Geistes 17 


^. Zugriff entzogen und mit ihm die unüberwindliche Gemeinschaft der deutschen 


Kämpfer des Geistes von Meister Ekkehard bis Dietrich Eckart. Unter ihnen die 
großen Baumeister, Maler und Bildhauer. Sie alle sind nicht nur eine Bereiche- 
rung. Sie selber sind das Reich. Sooft uns das Schicksal zu Boden schlägt, durch 
ihr Beispiel werden wir uns erheben. Ihnen zu Ehren werden wir uns behaupten, 
um ihrer würdig zu sein, Menschen ihres Geistes heranzubilden versuchen. 


Unser Volk hat sich wieder erhoben. Deutschland ist größer geworden, und wir 
brauchen dank dem Führer nicht mehr zu fürchten, daß unser Vaterland je wieder 
ein Spielball fremder Willkür werden kónnte. Trotzdem meine ich, daB der junge 
Deutsche seine Wallfahrt hierher nótig hat. Wie einst die nationalsozialistische 
Bewegung und in ihr das deutsche Volk hierher kam, um das Fest der Wieder- 
auferstehung der Partei zu feiern, móge der junge Deutsche hier für sein persón- 
liches Leben die Kraft zur inneren Erhebung finden. | 


* 


Auch unsere kulturelle Arbeit hat eine alte Tradition, wenn auch von einer 
planmäßigen Kulturarbeit im heutigen Sinne damals nicht die Rede sein konnte. 
Sie wurde begründet durch die ersten Liedschópfungen junger Kameraden, 
die vom Erlebnis unseres Kampfes ergriffen, ihre Begeisterung und Treue in 
Worte und Tóne setzten. Manche von ihnen verstanden nicht einmal die Noten- 
schrift, sie summten ihre Melodien solchen Jungen und Mädchen vor, die sich 
auf die Kunst der Tonschrift verstanden. So entstanden Lieder, die heute von 
Millionen unseres Volkes gesungen werden. Eine der stärksten Begabungen auf 
diesem Gebiet, Hans Baumann, hat immer Texte und Melodien seiner Lieder 
gleichzeitig geschaffen, und so ist es auch bei vielen anderen gewesen, deren 
intuitive Schópfungen zu Volksliedern geworden sind. Diese jungen Dichter 
und Komponisten haben damit das hóchste erreicht, was ein Schaffender über- 


haupt erreichen kann. 
kd 


Vor einiger Zeit las ich die kleine Schrift eines mit erheblicher Macht aus- 
gestatteten Musikers unserer Zeit. Er leidet an der fixen Idee, daß die Jugend der 
Gegenwart jeder ernsthaften Musikerziehung abgeneigt ist und sagt für die 
Zukunft in bezug auf die musikalischen Leistungen unseres Volkes das Schlech- 
teste voraus. Nun hat dieser Mann, der unserer nationalsozialistischen Bewegung 
während der Kampfzeit fernblieb, überhaupt keine Vorstellung von der großen 
Musikbewegung innerhalb der Hitler-Jugend. Er hat kein Organ für das Lied, 

die jungen Herzen erhebt und unseren Feierstunden die Weihe des gemein- 
samen Bekenntnisses gibt. Solchen Naturen, die das Musikleben eines 
Volkes vom Dirigentenpult her durch den professoralen Zwicker 
betrachten, bleibt alles unverständlich, was sich seit dem Eintritt 
der Hitler-Jugend in die Erziehungsgeschichte unseres Volkes 
auf künstlerischem Gebiet vollzogen hat. So ein Mann des anderen 
Jahrhunderts kennt nichts außer der herkömmlichen Klavier-, Violin- und 
Gesangsstunde und dem Betrieb der Konservatorien. Er sieht nicht die Volks- 


18 Sebirach / Rufe aus der Hauptstadt des deutschen Geistes 


musikbewegung dieser Zeit. Es ist ihm unwesentlich, daß heute Millionen junger 
Menschen, die im Kaiserreich keinen Anteil an den Kulturgütern der Nation 
nehmen konnten, heute in einer glücklichen und besonnten Jugend auf ihre eigene 
Weise zu den Brunnen der Kunst geführt werden. Schön, man verachtet das 
Volksliedsingen der Jugend, man verspottet das Blockflötenspiel. Mir ist es lieber, 
in den Bergen Tirols die musikbegabten Jungmädel mit ihren Blockflöten spielen 
und singen zu hören, als die höhere Tochter von einst bei der dilettantischen 
Wiedergabe einer Mozart- oder Verdi-Arie ertragen zu müssen. 


Es ist nicht wahr, daß ich den Instrumental-Unterricht ablehne, ich will im 
Gegenteil dem deutschen Volk einen Nachwuchs an Orchestermusik schaffen, 
wie er in solcher Stärke bisher in unserem Volk noch nicht vorhanden war! Ich 
kann dies aber nicht auf herkömmliche Weise vollbringen, sondern muß dazu 
die ganze Jugend auf ihre musikalischen Grundlagen hin prüfen, um die Fähig- 
sten aller Schichten und Stände zu ermitteln. Als konsequenter Sozialist darf ich 
mich nicht damit zufriedengeben, daß einige wohlhabendere Familien ihren 
Söhnen und Töchtern einige Klavierstunden für den Hausgebrauch erteilen. 
Dabei kommt sowieso nicht viel heraus. Ich muß versuchen, innerhalb der 
Jugendbewegung des Führers durch einen besonders dafür geschulten Mitarbeiter- 
kreis die überdurchschnittlichen Musikbegabungen in der ganzen Breite unseres 
Volkes zu ermitteln und ohne Rücksicht auf Vermögen und Herkunft einer ge- 
regelten Ausbildung auf musikalischem Gebiet zuzuführen. Ich will also viel mehr 
für die Steigerung unserer musikalischen Leistungsfähigkeit tun, als je zuvor in 
unserem Volk geschehen ist. Im übrigen hat die HJ. im vergangenen Jahr eine 
große Aktion für die Erlernung des Instrumentenspiels durchgeführt. 


Der intellektuelle Ästhet mißt das Kunstwerk mit anderem Maßstab als wir. 
Er gewinnt diesen Maßstab aus der Kunstgeschichte, die für ihn eine Wissen- 
schaft ist, ebenso wie die Botanik oder Jurisprudenz. Ihn interessiert das Volk 
nur insoweit, als es zum Gegenstand einer Darstellung der bildenden Kunst wird. 
Dieser intellektuelle Ästhet seziert das zeitgenössische Drama 
etwa so, wie der Anatomie-Professor den Leichnam des armen 
Sünders. Er hat dafür seine Methode. Aber was in der exakten ärztlichen Wissen- 
schaft richtig ist, wird in der Kunstbetrachtung zum grotesken Irrtum. Ob ein 
Schauspiel gut oder schlecht ist, kann durch keine Methode, die im germanisti- 
schen Seminar erlernt wurde, festgestellt werden. Und wer keinen Instinkt und 
kein intuitives Urteilsvermögen besitzt, der kann zwar von der zuständigen 
Fakultät alle möglichen Kenntnisse bescheinigt bekommen, aber bleibt dennoch 
ein Fremdling im Tempel der Kunst. Wir kennen das ästhetische Werturteil 
über einige unserer Kampflieder; trotzdem ist uns das Wessel-Lied eine heilige 
Hymne und ein Denkmal unseres Kampfes und unser aller Begeisterung. Lieder, 
die Weltgeschichte gemacht haben, stehen über der Kritik der 
zünftigen Literaturwissenschaft. Uns interessiert der ästhetische Maßstab 
erst in zweiter Linie. Was uns bewegt, begeistert und erhebt, scheint uns das 


Wesentliche. 


Schirach / Rufe aus der Hauptstadt des deutschen Geistes 19 


Der Junge, der durch eine Galerie von Bild zu Bild wandert, so unbefangen 
wie er sein soll, meinetwegen ohne jede Kenntnis der großen Namen, die auf den 
Rahmen zu finden sind, und daher von diesen gänzlich unbeeinflußt, bleibt 
plötzlich vor einem Gemälde stehen. „Es spricht ihn an“, wie es so treffend in 
unserer Muttersprache heißt. Dieses Bild ist vielleicht weder hinsichtlich seiner 


Komposition, noch nach seiner Technik das ästhetisch wertvollste Bild der Aus- 


stellung, aber angesichts dieses Kunstwerkes überkommt den jugendlichen Be- 
trachter jener geheimnisvolle Schauer, der — wie durch Berührung eines Zauber- 
stabes — seine Jugend magisch verwandelt. In diesem Augenblick wird er 
zum zweitenmal ein Deutscher, und fortan repräsentiert auch er 
bewußt oder unbewußt gegenüber den Völkern der unschöpfe- 
rischen und insularen Zivilisation das schöpferische Reich der 
Mitte. Deutschland ist ihm nun für alle Zukunft nicht nur die geliebte irdische, 
nein, auch die heilige Heimat. 


Der Ästhet wertet, der musische Deutsche erlebt. Es mag das dunkle 
Schicksal Don Giovannis sein, oder die Gewalt einer Bachschen Fuge, Goethes 
Mondlied, oder eine einfache Melodie, die der Hüterbub auf der Alm singt, es 
kann auch etwas nach ästhetischem Begriff minderes sein. Was auch immer 
unserem Volk das Herzrührt, seigepriesen! Darum macht es mich glück- 
lich, daß die Herzen der Jugend beim Singen unserer Lieder wie Flammen inein- 
anderschlagen. Wir haben so viele Jahrzehnte in unserem Volk mit schöngeistigen, 
aber häßlichen Debatten zugebracht. Freuen wir uns dessen, daß Adolf 
Hitler uns eine Zeit beschert hat, in der wir erleben dürfen. 
Kritisiere dieses Erlebnis, wer immer mag, wir sind in diesem Reich so 
glücklich, daß die Worte des Mißmuts nicht mehr durch unsere 
Ohren dringen. 


Der Hitler-Jugend angehören zu dürfen, ist gleichbedeutend mit der Ver- 
pflichtung auf ein umfassendes Lebensprogramm. Wir haben in der jüngeren 
Vergangenheit unseres Volkes die unselige Spezialisierung der jugendlichen 
Kräfte in unzähligen Organisationen erlebt, die sich entweder besonderen sport- 
lichen, oder aber politischen, sozialen und konfessionellen Zwecken widmeten, 
demgegenüber scheint mir gerade bei einer Kulturveranstaltung der Jugend des 
Führers notwendig, mit aller Deutlichkeit zu bekennen, daß der junge National- 
sozialist auch als einzelner jene Einheit verkörpert, die im großen das Reich und 
im kleinen die Hitler-Jugend darstellt. Er soll in einer Person der sportliche, 
kulturelle und politische Kämpfer sein. Damit ist er ebensosehr ein Kind 
der Neuzeit, als der antiken Welt. Beide Zeiten erscheinen uns in einem 
hellen Licht, das uns die düstere Dunkelheit des Mittelalters und dessen Irrtum 
vergessen läßt. 


Der lebendige Leib kommt wieder zu seinem Recht und mit ihm 
der Glaube und die Schönheit. 


* 


20 Schirach / Rufe aus der Hauptstadt des deutschen Geistes 


Bekenntnis zum Nationalsozialismus heißt heute schon Verpflichtung zu einer 
höheren Lebensführung. Für die Jugend heißt das Abkehr von dem sinnlosen 
Genuß solcher Gifte, die geeignet sind, die Leistungsfähigkeit und damit Sicher- 
heit der deutschen Nation zu beeinträchtigen. Es erscheint mir als Frevel an der 
Schöpfung, wenn der Jugendliche den ihm von Gott gegebenen Körper leicht- 
fertig durch Exzesse mit Alkohol und Nikotin zerstört, obwohl er heute genau 
weiß, welche Folgen das für ihn und sein Volk haben muß. Ich habe mich gefreut, 
daß vor allem mein Führerkorps hier mit gutem Beispiel vorangegangen ist und 
die Jugend selbst, mit geringen Ausnahmen, freiwillig das Gebot des Jahres 
der Gesundheitspflicht erfüllt. 


Ich fasse es als meine Pflicht auf gegenüber dem geliebten Führer und seinem 
treuen Volk, jede Gelegenheit zu ergreifen, um den Blick der Jugend von 
den niederen Genüssen des Lebens zu den höheren zu erheben. 


Hier in Weimar, du deutsche Jugend, erlebst du in den kommenden Tagen 
vielleicht die glücklichste und schönste Zeit deines Lebens. Daß du hierher | 
kommen kannst und dieser Erlebnisse teilhaftig werden darfst, dankst du dem ' 
Mann, der dir seinen Namen verlieh. Er einte die Bürger und die Bauern, die 
Arbeiter und die Gelehrten und schuf diese einmütige und unbesiegbare Nation, . 
deren Söhne und Töchter ihr seid. Zeigt euch seiner würdig und des Wunders 
dieser Stadt! Droben am Berghof, am Steilhang über Berchtesgaden, steht einer, 
der stürker ist als alle anderen Menschen dieser Welt. Seine Sorge gilt uns, unsere 
Treue gilt ihm. In aller Jugend seines Reiches aber muß Tag für Tag das Wort 
verwirklicht werden, das ich euch unablässig zurufe: „Wir wollen dem Führer 
Freude machen!“ 


Gedichte von Hans Baumann 


Sommerlied 
Ja, liebe nur den Baum, Ja, liebe nur den Bach, 
der brauſend fteht im Sommerwind, der wild und ungeftüm entſpringt, 
und hüte deinen Traum, und hält ſein Singen wach, 


wenn flerbſt und Schnee geworden find. wenn uns der Schnee das Schweigen bringt. 


Ja, liebe nur das Licht, 

das aus dem hellen Himmel fällt, 
denn Liebe wintert nicht 

und wär nur Winter auf der Welt. 


— — 


K Gen 
— — N. . 
gg ini - ß 


Land, Land 


Land, Land mit dem harten Geficht deiner Berge, 
du Vaterland. 

Ernft ift dein Antlitz 

und prüfend fiehft du uns an 


mit nackten Wänden, drohenden Schatten und nacktem Grat. 


Nackt ſind die weißen Gipfel 
und rufen, rufen, rufen uns auf - 
du Vaterland, 


Land, Land mit dem alten Lied deiner Wälder, 

òu Mutterland. 

Gütig raufcht deine Weife 

und heimlich ftrómen ins Ohr 

der Buchen und Tannen Gefänge, der Eichen Lied, 
das Lied unfrer Fichten 

und rufen, rufen, rufen uns auf - 

du Mutterland. 


Land, Land mit den fröhlichen Augen der Seen, 

du Kinderland. | 

Träume verklären die Stirne 

und lächelnd hebft du den Blick, 

hurtig find deine Quellen, flink fpringt der Bach 
nach den Wiefen und fingt in der Sonne. 

Wir laufchen, verhalten den Atem und horchen auf, 
du Kinderland. 


Land, Land mit den klopfenden Adern der Ströme, 
der Söhne Land. | 
Braufend wandern die Waffer, 

wie leuchtende Fahnen fliegen fie weit 

ꝛwiſchen Bracken und Städten und Achern 

und ftürmen Ins Meer 

und rufen, rufen die Herzen ins Feld, 

du Deutſchland. 


upnpolitifche Hotim 


Englands Spiel im Mittelmeer 


Man hat das Mittelmeer mit Recht als 
das „Meer der Überraſchungen“ bezeichnet, 
und tatſächlich wechſeln die Blickpunkte, 
unter denen es von den verſchiedenen 
Mächten betrachtet wird, ſeit einiger Zeit 
faſt wöchentlich. Wir erlebten das pe 
beſonders deutlich durch zwei Ereigniſſe: 
Zuerſt die plötzliche Erklärung des eng⸗ 
liſchen Premierminiſters im Unterhauſe 
vom 12. Mai 1939, Großbritannien wolle 
ein langfriſtiges, auf Gegenſeitigkeit ge⸗ 
gründetes Defenſiv⸗Militärabkommen mit 
der Türkei abſchließen, und zwar wollten 
ih beide Mächte im Falle eines biet füge. 
er zum Kriege im Mittelmeergebiet führe, 
gegenſeitige Hilfe leiſten. Kurz darauf 
machte London einen endgültigen Verſuch 
zur Beilegung bes Paläſtinakonfliktes und 
S chte ein ſogenanntes „Weißbuch“, 
das ſowohl von den Juden wie von den 
Arabern unverzüglich nach Bekanntwerden 
heftig bekämpft wurde. Daß es ſich auch 
ier um eine engliſche Maßnahme zur 

tärkung der britiſchen Mittelmeerpoſition 
de geht u. a. aus einer Außerung 

ervor, die Profeſſor E. H. Carr Ende 1938 
im britiſchen Rundfunk tat: „Man betrachte 
die arabiſche Frage ja nicht als neben⸗ 
Bao. jie fet vielmehr eins der großen 

ätſel, vielleicht ſogar eines der künftigen 
Probleme des Mittelmeeres.“ 

England fühlt ſich ſeit 1935 im Mittel⸗ 
meer gefährdet wie noch nie ſeit 100 Jahren. 
Als Italien, ſeit 70 Jahren erſt eine ge⸗ 
ſchloſſene Macht, folgerichtig und zielſtrebig 
den Weg weiterverfolgte, den es kurz vor 
dem Weltkriege mit der Erwerbung von 
Libyen und ſpäter der Inſeln des Dode⸗ 
kanes betrat, indem es zur Einbeziehung 
Abeſſiniens in fein Überſeereich ſchritt, 

laubte London ſich in allerhöchſter Gefahr. 
(rite hatte es Konflikte wegen des 

ittelmeeres nur mit Mächten gegeben, 
die an dieſem „Meer der Überraſchungen“ 
entweder direkt gar nicht beteiligt (Ruß⸗ 
land) oder nur halb 5 waren (Spas 
nien, Frankreich). Jetzt meldete mit einem⸗ 
mal eine wirkliche Mittelmeermacht An⸗ 
ſprüche an, die nicht leicht von der Hand 
gewieſen werden konnten. Der Duce ſprach 


. Commonwealth, alfo das 


bas Wort von ber italieniſchen „Lebens⸗ 
linie“ aus und anerkannte dieſen Waſſer⸗ 
raum für England nur in ſeiner Bedeu⸗ 
tung als Verkehrsweg. Es ging alſo um 
die Begriffe „In“ und „Durch“. In Eng⸗ 
land meinte man, die italieniſche „Mare 
Nostrum" Politik im Mittelmeer ziele 
darauf ab, nicht nur die a. des eng: 
liſchen Mutterlandes in der Welt, fondern 
auch die Belange des ganzen Britiſchen 
Weltreiches zu mißachten und zu gefährden. 

Wir wollen uns bei dieſer Betrachtung 
vornehmlich auf Außerungen führender 
engliſcher Politiker und Hiſtoriker ſtützen, 
die dieſe im britiſchen Rundfunk in Vor⸗ 
tragsſerien über das Mittelmeer getan 
haben, da ſolchen Erklärungen erfahrüngs⸗ 
emäß höheres Gewicht beizumeſſen iſt als 
Zeitungsartikeln oder Unterhausdebatten. 
Und dabei iſt es wichtig, daß F. A. Voigt 
im April 1938 bereits die F ung 
aufſtellte, das von Italien, Deutſchlan 
und Japan geſchloſſene Antikomintern⸗ 
Abkommen ſei praktiſch gar nicht gegen den 
Kommunismus, ſondern gegen das British 
mpire, gerichtet! 


Überall verwundbar 


Die „Ubiquität“, die Allgegenwart, bas 
Überall⸗Sein des Britiſchen Weltreiches 
führt dazu, daß ein Konflikt, der an irgend⸗ 
einem Punkte des Erdballs ausbricht, 
britiſche Belange irgendwie berührt, mehr 
oder minder ſtark. Beim Mittelmeer liegt 
bei einer ſolchen Weltbetrachtung eine be⸗ 
ſonders hohe Empfindlichkeit vor, und 
Admiral Sir Herbert Richmond ſagte im 
Dezember 1938 in einem Rundfunkgeſpräch 
mit Profeſſor Carr, man könne das 
Mittelmeerproblem nicht als eine Frage 
per se betrachten, es ſtelle den Teil eines 
BE und ſchwierigeren Problems bar, 

enn die britiſchen Intereſſen verteilten 
ſich über die ganze Welt und würden nicht 
nur von politiſchen, ſondern auch von wirt⸗ 
ſchaftlichen Ereigniſſen in anderen Ländern 
berührt. 

Für die Engländer hat das Mittelmeer 
eine dreifache Bedeutung: erſtens als 
Fade ee zweitens als militäriſche Ber: 

indungsſtrecke zwiſchen dem Mutterlande 
ſowie ſeinen Kolonien und feinen Gers 


Außenpolitische Notizen 


bündeten im Mittelmeerraum und ſchließ⸗ 
lich den Dominien öſtlich Suez — vor allem 
aber mit dem Kaiſerreich Indien; drittens 
als Aufmatſchgebiet der britiſchen Flotte 
zwecks Cinsreiens in jeden Konflikt, ber 
angeblich engliſche Belange berührt. 


Man hat oft und viel darüber geſtritten, 
auch in England, ob die Bedeutung des 
Mittelmeeres als Handelsweg und mili⸗ 
täriſche Zufahrtsſtraße im En A wirt: 
lich jo grok fei, daß jeder Nachteil in Kauf 
groomer werden müßte, der fid) aus den 

emühungen um die Aufrechterhaltung der 
britiſchen Stellungen in dieſem Raum er: 
geben könnte. Es iſt nun intereſſant, daß 
Admiral Richmond äußerte, man dürfe die 
wirtſchaftliche Bedeutung der Suez⸗Route 
wahrhaftig nicht unterſchätzen (Ol aus dem 
Perſiſchen Golf werde beim Umweg um 
das Kap 80 Prozent, und Jute aus Indien 
50 Prozent Zeitverluſt erleiden), und die 
Erſatzwege im Kriegsfalle über Oſtafrika 
und den Stillen Ozean ſtellten ebenfalls 
keine Ideallöſung dar, da Zeitverluſt im 
Kriege oft Niederlage bedeutete — aber 
im Endergebnis ſei doch das Mittelmeer 
ein „Schauplatz, auf dem England bei jeder 
internationalen . eine bedeu⸗ 
tende Rolle P Geit den Tagen 
Wilhelms III. bis zum heutigen Tage fei 
das ſo geweſen, in allen größeren Kriegen 
habe die eine oder die andere Macht 
Truppen über dieſes Meer ie müſſen, 
entweder über den Löwengolf von Frank⸗ 
teich nach Spanien oder von Spanien nach 
Italien, dann über die Adria von Sſter⸗ 
reich nach Italien, ferner aus Agypten in 
die Türkei und ſchließlich aus der Türkei 
nach Griechenland. Immer habe der mili⸗ 
tätiſche Erfolg davon abgehangen, ob die 
engliſche Flotte in der Lage zn hin ſei, 
die a ee bes Feindes zu hindern 
oder die des Freundes zu fördern. Wir 
haben hier aus dem Munde eines hohen 
britiſchen Militärs das Eingeſtändnis vor 
uns, daß ſich England im Mittelmeer eine 
Schiedsrichterrolle anmaßt, denn Richmond 
ſpricht ſogar vom „steadying effect of 
British force in the Mediterranean“. Ja 


dieſer Admiral ſcheut ſich nicht zu fagen: 


„Es ift eine Tatfade, daß für die Auss 
übung ber britiſchen Seemacht im Mittels 
meer eine dauernde Notwendigkeit gegeben 
iſt, und wir müſſen deshalb unſere Poſi⸗ 
tionen dort halten.“ 


Englands Politik im Mittelmeer iſt alſo 
teiner Imperialismus! Die Sorge um den 
„Diamanten in der Krone des Empires“, 


um Indien, die Auch um Einflußminde⸗ 
zung in Oſtaſien und was ſonſt noch an 
Erklärungen von engliſcher Seite vorge⸗ 
bracht wird, zerfließt, bei Lichte beſehen, in 
nichts. Die Briten glauben, daß ihre ge⸗ 
ſamte weltpolitiſche Poſition den Boden 
unter den Be verliert, wenn das eins 
tritt, was fie jeit 1935 befürchten: Aufſt ieg 
Italiens zur Vorherrſchaftsmacht im Mittel⸗ 
meerraum. Dabei iſt England nicht einmal 
Anrainer, denn es beſitzt nichts, was 
wirklich „Lebensraum“ wäre: Agypten 
wurde im Auguſt 1936 weitgehend ſelbſtän⸗ 
dig, Palaftina ift Mandatsgebiet, Gibraltar 
iſt ein kleiner, mit Kanonen beſpickter 

rdenfled, von ſpaniſchem „ 
umgeben (England beſitzt es ſeit 1714), 
Malta raubte es im Kampf gegen Napo⸗ 
leon, Zypern eignete es ſich 1878 als 
„Lohn“ für die Hilfe an, die die Türkei in 
ihrem ampl 17 en Rußland von den 
Briten erhielt. Nichts Echtes, nichts Boden⸗ 
ſtändiges, nichts Organiſches haftet der 
britiſchen Stellung im Mittelmeer an — 
und doch ſoll dieſe Poſition unter keinen 
Umſtänden aufgegeben werden. 


Wir erwähnten biis die Gorge um 
Italien, England behauptet, ber Duce habe 
bie Sanktionen in der Zeit der Eroberung 
Abeſſiniens nicht vergeſſen und tue alles, 
um neben der franzöſiſchen die engliſche 
Stellung im Mittelmeer zu ſchwächen, und 
daraus ergäben ſich zahlloſe Konflikte. 
Das engliſch⸗ italieniſche Abkommen vom 
16. April 1938 habe, ſo ſagte Voigt, eine 
Abgrenzung der engliſchen und italieniſchen 
Intereſſenbereiche vom Atlantiſchen bis zum 
Indiſchen Ozean gebracht, und Lord Perth 
ſei damals in Rom von den Italienern ſo 
lebhaft begrüßt worden wie vorher kaum 
ein britiſcher Staatsmann. Dieſes Ab⸗ 
kommen gebe Italien mehr Ellbogen⸗ 
freiheit, erneut erhalte es, wie ſchon vor 
dem Weltkrieg, eine Mittel⸗Poſition, könne 
aber jetzt, angeſichts ſeiner Rüſtung zu 
Waſſer und in der Luft, die Balance of 
Power im Mittelmeer zu ſeinem Vorteil 
verſchieben. 


Der Alpdruck des ſpaniſchen Wiederauſſtiegs 


England hätte vielleicht eine Annähe⸗ 
rung an die Türkei und an die arabiſchen 
Länder nicht unternommen, wenn nicht in 
der Zwiſchenzeit die ſpaniſche Frage zu 
ſeinem Mißvergnügen gelöſt worden wäre. 
ale Carr fagte tm November 1938 
im Rundfunk, ein Sieg Francos miiffe [os 
wohl für England wie für Frankreich höchſt 


24 Außenpolitische Notizen 


unangenehm fein, falls die Balearen der 
Lohn für deutſche und italieniſche Hilfe 
ſein würden. an wolle außerdem ver⸗ 
hindern, daß irgendeine Macht in Spanien 
derart Fuß faſſe, daß ſie Gibraltar und 
damit den Eingang zum Mittelmeer be⸗ 
drohen könnte. 

England verhält ſich in der ſpaniſchen 
Frage ganz ähnlich wie as . Es fagt 

at ſehr laut, es wolle „Spain for the 
| seers 8% praktiſch heißt bas aber: „Ein 
ame es Spanien für politiſch unſelbſtän⸗ 
ige Spanier.“ Solange Spanien politiſch 
am Boden lag und keine eigene 
m treiben konnte, war 
ihm England freundlich gefinnt, genen wie 
Hes Welche Angſt die Briten die 
ahrhunderte hindurch vor einer Be⸗ 
finnung Spaniens auf feine ausgezeichnete 

ittelmeerſtellung und vor einer bem; 
entſprechenden ſpaniſchen Politik hatten, 
beweiſt die engliſche Knutenpolitik gegen⸗ 
über Portugal, in dem der Haß gegen 
Spanien leißig genährt wird, zum 
höheren Ruhme Albions. 


Nicht nur im Blick auf Gibraltar ſorgt 
ſich London um Madrid, nein, auch die 
Kanariſchen Inſeln und Rio de Oro be⸗ 
deuten ihm Gefahr von der Flanke. Alle 
Bemühungen um ein willfähriges Portugal 
m vergeblich, wenn Spanien in dieſen 
einen beiden Beſitzungen militäriſche Stütz⸗ 
punkte ſchafft. Dann iſt mit einem Schlage 
Gibraltar wertlos geworden, das ja nicht 
nur den Weg in das Mittelmeer, ſondern 
auch die Ausfahrt aus dieſen Gewäſſern 
ſichern ſoll. 


Nachdem nun Franco mit deutſcher und 
italieniſcher Hilfe geſiegt und 3 die 
Balearen völlig in feiner Hand behalten 
hat, find die Briten keineswegs beruhigt. 
Ein Blick auf die Karte oe fie, daß die 
kluge Moslem⸗Politik bes Caudillo an ber 
afrikaniſchen Gegenküſte Spaniens, in 
Spaniſch⸗ Marokko (700 000 mohammeda⸗ 
niſche Eingeborene gegenüber 6 Millionen 
in Franzöſiſch⸗Marokko), einen ungemein 


großen Erfolg erzielt hat. Ceuta und 
Melilla gehören [eit den Tagen Philipps II. 
den Spaniern und dem katholiſchen 


die Moslems 


Glauben, nunmehr ſind au 
ngland wird 


gewonnen worden, und 
wenig Glück haben mit der Hoffnung, in 
Spaniſch⸗Marokko möchten eines Tages 
wieder die Unruhen ausbrechen wie vor 
einigen Jahren unter Führung Abd el 
Krims. Ein ſtarkes Spanien wird ſich die 
Erfüllung berechtigten Moro-Wünſche 


leiſten können und trotzdem ſeinen marokka⸗ 
niſchen Beſitz in den ei feiner Außen: 
politik ſtellen — alfo Befeſtigungen ſchaffen, 
die Gibraltar illuſoriſch machen. Ein wenig 
weiter öſtlich hilft ihm der italieniſche 
Freund, dem es in Treue verbunden iſt, 
von Libyen her, durch überlegen ſchnelle 
Kriegsfahrzeuge die Verbindung mit 
Sizilien herzuſtellen und damit die Rolle 
Maltas zur n een ee abfinken 
qu laffen. Man Mn in London inen 
ange von ber Maufefalle-Rolle, bie diefe 
Inſel im Ernſtfalle zu übernehmen haben 
wird. "dei von Cypern her iſt nicht leicht, 
da der Hafen Famaguſta bisher nicht in 
der gehörigen Weiſe 1 men Zwecken 
dien tbar zu machen war. Alexandrien und 
Haifa können auch nicht in die Breſche 
treten, da KEE mit Rückſicht auf den 
faſchiſtiſchen Nachbarn in Abe Lo und in 
Libyen weiteſtgehend zur ſelbſtändigen 
Außenpolitik im eigenen Intereſſe ge⸗ 
jungen fein dürfte und außerdem (ng: 
ands Stellung in Paläſtina eher ſchlechter 
denn beſſer geworden iſt. 


Die Kehle des Commonwealth 


Der Suezkanal wird neben Gibraltar 
Englands große Sorge. Ronald Storrs, der 
durch den „Aufſtand in der Wüſte“ bekannt 
geworden iſt (Lawrence hat ihm in ſeinen 
„Sieben Säulen der Weisheit“ ein Denk⸗ 
mal geſetzt), bekannte im Dezember 1938 
offen, der Kanal ſei die „Kehle unſeres 
grohen Commonwealth“, und ein feindlicher 

tiff an dieſer Stelle würde das Britiſh 
Empire erdroſſeln — und deshalb ſei der 
Aufſtand der Araber in Hedſchas für Groß⸗ 
britannien ſo überaus wertvoll geweſen. 
Um dieſen Kanal dreht ſich immer wieder 
die britiſche Oſtpolitik. Erſt verhinderte 
London ſeinen Bau; nachdem dieſer 1869 
doch von den a zuſtande depre: 
worden war, hätten bie Briten ihn am 
liebjten ganz in ihren Beſitz gebracht und 
beſetzten 1882 Agypten. Sehr wider Willen 
mußten fe die Freiheit bieles Landes 
ſtufenweiſe erhöhen, und es im Vertrage 
vom Auguſt 1936 ſogar als „Verbündeten“ 
anerkennen. Die Kapitulationen wurden 
aufgehoben, die britiſche Beſatzungsarmee 
wurde von Kairo und Alexandria in die 
Suezkanalzone verlegt. Dort wird ſie ſo 
lange bleiben, wie ſie England halten kann, 
obwohl in dem Vertrage die endgültige 
Zurückziehung nach Ablauf von zwanzig 
Jahren vorgeſehen iſt. l 

Wegen des Suezkanals hielt England 
ſeine den Arabern gegebenen Verſprechun⸗ 


Außenpolitische Notizen 


gen E Verſelbſtändigung aller früher im 
osmaniſchen Staatsverband jun sweiſe 
vereinigten, aber nach Freiheit dürſtenden 
Moslemgebiete nicht. Die Balfour⸗Dekla⸗ 
ration, die ſo viel erörtert worden iſt, i 
gar nicht des Pudels Kern. In Wahrheit 


dreht es ſich um die Verſpre wt We bie 
ber britiſche Hohe Kommiſſar in Agypten, 
McMahon, dem Großſcherifen Huſſein 


machte. Die Araber kämpften in den ver⸗ 
gangenen Monaten mit Zähigkeit und Hart⸗ 
näckigkeit um die eels ung jener Zuſiche⸗ 
rungen, jedoch vergeblich. Wegen bes Cie 
teichtums in Irak und Iran, noch mehr aber 
wegen der ungeheuren Bedeutung, die dieſe 
ehemals türkiſchen Landſtriche für die Land⸗ 
verbindung nach Indien und a... 
aben, darf Paläſtina nicht den britiſchen 
änden entgleiten, und dazu kommt noch 
die Mittelmeer⸗Anrainerlage Paläſtinas, 
die es nach dem weitgehenden Verluſt 
Agyptens wehrpolitiſch jum Schutze von 
Suez in ganz neuem Lichte erſcheinen läßt. 

Die Abrundung ſollte von der Türkei her 
erfolgen. Die einſt unter türkiſcher Ober⸗ 
hoheit ſtehenden Araber begehren feit 
einiger Zeit heftig auf und agitieren bis 
hinüber nach Franzöſiſch⸗Marokko für völlige 
Selbſtbeſtimmung ihrer Geſchicke. So will 
nun England den Feind des Arabertums 
ſeit 1517 wieder für ie mede eins 
fpannen. Zyniſch bemerkte Philip Graves 
am 15. Mai 1939 im engliſchen b 
der „Einfluß der Türkei in der arabiſchen 
Welt“ wachſe ſtändig, und das ſei einer der 
Gründe für das engliſch⸗türkiſche Ab⸗ 


men. 

Chamberlain hatte aber im Unterhaus 
auch auf eine andere Bedeutung der 
Türkei r die neue engliſche Außen⸗ 
politik hingewieſen — ihre Mittelmeer⸗ 
pofition, die eingangs [don erwähnt 
wurde. — Graves ſagt nun, wie man 
immer „das Mittelmeer“ beim endgültigen 
i ore te (der ja bis jetzt no 
nicht erfolgt iſt) definieren möge, au 
Dm Fall müſſe man „die Küſten und 
njeín im öſtlichen Mittelmeer einbeziehen, 
die von der Türkei und Großbritannien 
beziehungsweiſe deren Verbündeten — 
Griechenland im Falle der Türkei, Agyp⸗ 
ten im Falle Englands — beſeſſen oder 
kontrolliert werden“. In merkwürdiger 
Übereinſtimmung, wörtlich Ki genau, 
ſchrieb die „Times“ am 13. Mai, was 
Graves am 15. ausführte: „Die Türkei ift 
heute eine geeintere und gefeftigtere Nation 
als irgendwann früher in ihrer Geſchichte, 
ſie hat eine ideale ſtrategiſche Stellung im 


Hochplateau von Anatolien mit ſeinem 
Brückenkopf in Europa — eine Stellung, 
die nicht in der Flanke gefaßt werden kann. 
Die Türkei hat viele gute Häfen und ein 
ausgezeichnetes Heer.“ 


gür einen Sandſchak die Freiheit verloren 


Die Türkei hat es ſich e er gefallen 
laffen müſſen, zum Spielball britiſcher 
Intereſſen gemacht zu werden. Je nachdem, 
wie die ruſſiſche Gefahr für England ſtand, 
mußte ſie ſich die Feindſchaft oder Freund⸗ 
ſchaft Englands aufzwingen laffen. Wäh⸗ 
rend des größten Teils des neunzehnten 
Jahrhunderts waren England und Ruß⸗ 
land Gegner, und die Türkei ſtellte ſich 
nae England, weil fie fürchtete, Rußland 
önnte die Dardanellen in ſeine Gewalt 
bringen, und da England damals alles tat, 
um die Ruſſen in Schach zu halten. Im 
Krimkriege und im Ruſſiſch⸗Türkiſchen Kriege 
von 1877/78 war daher England der atone 
Helfer der Türken. Jedoch noch vor Beginn 
unſeres Jahrhunderts wechſelte das Bild: 
Aus Suet vor Deutſchland näherte fid) 
England den Ruſſen, und die Türkei ſuchte 
die deutſche Fer Seite he um gegen Ruß⸗ 
land von dieſer Seite her geſtützt zu wers 
den. So kam es, daß im Weltkrieg England 
und . 8189 gegen das Osmanenreich 
fochten. Plötzlich wurde die Szene wieder 
verſchoben, als in Rußland die Revolution 
ausbrach und Deutſchland am Boden lag. 
Die Briten wollten mit den Bolſchewiſten 
nichts zu tun a unb bie alte ruſſiſch⸗ 
engliſche Feindſchaft lebte wieder auf. Die 
Türkei, jetzt des deutſchen Freundes be⸗ 
raubt, daneben von England hart bedrängt 
und zu einem Schmachfrieden gezwungen, 
ſuchte Schutz bei Rußland. Sie war beſon⸗ 
ders verbittert, da ſie im Oktober 1918 von 
den Briten gezwungen worden war, die 
Dardanellen den engliſchen Kriegsſchiffen 
p öffnen. Muſtafa Kemal, von [einem 
olk Atatürk genannt, ſetzte dann den weit 
verbeſſerten Frieden von Lauſanne 1923 
durch. Für die Dardanellen wurde eine 
internationale Kommiſſion eingeſetzt, die 
Meerenge wurde entmilitariſiert, Kriegs⸗ 
ſchiffe dritter Nationen erhielten ein Durch⸗ 
fahrtsrecht zum Schwarzen Meer. In 
Montreux wurde 1936 die Entmilitari⸗ 
ſierung aufgehoben, die Türkei durfte die 
Meerenge befeſtigen. Sie kann nun im 
Kriegsfalle ungehindert über den Waſſer⸗ 
weg verfügen. Die Schwarze-Meer⸗Anrainer⸗ 
ſtaaten, in der Hauptſache Rußland, dürfen 
Schiffe jeder Größe in das Mittelmeer ent⸗ 
ſenden. Dritte Staaten haben nicht das 


26 Außenpolitische Notizen 


iefe Regelun 
mit Rückſicht auf angeblide Gefahren für 
Rumänien den Engländern zweckmäßig er: 
ſcheinen, mit der Türkei ein enges Ab⸗ 
kommen zu ſchließen, um von dieſer Seite 
her die britiſche Stellung im Oſtbecken des 
Mittelmeers ſo weit wie nur irgendmög⸗ 
lich zu feſtigen. Was durch den bt fig 
Italiens zur erſten Mittelmeermacht un 
durch den trotz britiſcher Quertreibereien 
möglich gewordenen Sieg Francos und 
ſchließlich durch die immer ſtärker werdende 
Feindschaft der Araber gegen England ver⸗ 
oren worden iſt, will London durch das 
Abkommen mit der Türkei, die es vor 
einem halben Menſchenalter völlig zu zer⸗ 
ſchlagen für ratſam hielt, ſo weit wie mög⸗ 
lich wettmachen. Gekrönt werden ſollen 
dieſe Bemühungen durch einen Pakt mit 
Sowjetrußland, deſſen Diplomaten zwar 
Bolſchewiſten, aber wenigſtens nicht bereit 
Ké für ein Linſengericht ben kapitaliſti⸗ 
leite Weſtmächten Steigbügeldienſte zu 
eiſten. 


Josef März: 
Standortmessung 
und Bestandsaufnahme 


Ingofſlawiſche Kräfte 

Jugoſlawien hat foeben die 550. Wieder⸗ 
kehr des Koſowo⸗Tages gefeiert, und 
ne: mit einer Beteiligung des Volkes, 
ie der Bedeutung bes Anlaſſes entſprach: 
an die 100 000 waren auf dem Amſelfe d 
uſammengekommen. Das will ſehr viel 
agen wenn die Abgelegenheit des Gebietes 
und die geringe Leiſtun ent der ein: 
zigen heranführenben ahnlinie ber Maß 
tigt wird. Es kann da keineswegs der Maß⸗ 
ſtab angelegt werden, den wir z. B. beim 
Reichsparteitag, beim Büdeberg und ähn⸗ 
lichen Gelegenheiten verwenden. Die Hun⸗ 
derttauſend, die ſich am 28. Juni, dem Tag 
des Heiligen Veit, auf dem Amſelfeld ver⸗ 
ſammelten, kamen, weil das Gedächtnis der 
Entſcheidungsſchlacht heute noch lebendig iſt. 
Sie iſt Mythos und Vermächtnis geworden. 
Der Kranz von Sagen und Liedern, der 
$ an fie knüpft, iit heute noch Bas, 

9 die Gerben 1912 bei Rumanowo bie 


Johannes Stoye. 


Türken nach dem Süden zurückwarfen, da 
war das in ihren Augen die Wiederher⸗ 
ſtellung eines geſchichtlichen Tatbeſtandes 
und das, was ſich in fünf Jahrhunderten 
ab eſpielt hatte, ein Anachronismus ge⸗ 
weſen, faſt ein unwirkliches Schemen, wenn 
nicht Not und Unfreiheit das Bewußtſein 
der Wirklichkeit an erhalten hätten. 
Die Ethik von Koſowo kennzeichnete die 
Sonderart, wie hier ein Volk aus einer 
WEE Niederlage Kraft 30g und einen 

euaufbau vorbereitete. Die zwei Pole bet 
ſüdſlawiſchen Volksgeſchichte wurden bei der 
Feier ſichtbar: während ein Teil des Ser⸗ 
bentums ih in Wanderung, RSC 
Neufiediung über weite Teile des Baltans 
ausdehnte, gibt es Familien, bie trotz Be 
drückung und Verfolgung fünf und mehr 
Jahrhunderte auf geſchichtlichem Boden 
ausharrten, in einer beiſpielloſen bauer: 
lichen Zähigkeit, die für die unerſchöpfte 
Kraft Zeugnis ablegt. 


Hier erwies ſich auch die Begrenztheit 
der Koſowo⸗Wirkung: die Feier war vor⸗ 
wiegend eine Angelegenheit der Serben. 
Der Zuſammenbruch des mittelalterlichen 
Serbenreiches, des damaligen Machtmittel⸗ 
punktes auf dem Balkan, riß dieſes ju 
wer in den Abgrund, bald darauf aber 
aud) feine Nachbarn. Dieſe hatten zum Teil 
bereits eine andere geſchichtliche Cntwid: 
lung hinter ſich, vor allem Kroatien, das 
in bie mitteleuropäiſche Kultur einbezogen 
war und blieb. Gemeinſames Erleben war 
nur zu einem beſtimmten Grade da. 


Das hebt, und wohl mit beſtimmter Ab⸗ 
ſicht, um den Standort der Kroaten in den 
noch andauernden D uc nn 
abzuſtecken, bas Organ Matſcheks, der 
„Hrvatſki Dnevnik“ vom 30. Juni, hervor. 

as Blatt unterſtreicht, daß es den Ser⸗ 
ben noch heute nicht recht klar ſei, warum 
die Kroaten die ſerbiſchen Nationalfeiern 
und großen Männer nicht auch als die ihri⸗ 
gen betrachten könnten, ohne ſie deshalb 
geringer zu achten. Nur in den Miſch⸗ 
gebieten hätten Serben und Kroaten d 
meinjame FM gehabt, ſonſt aber lei 
ihr ſtaatliches Leben getrennt verlaufen 
und auch in den letzten zwanzig Jahren des 
Lebens im gemeinſamen Staat fei die poli: 
tiſche Organiſation nicht von der Art ge⸗ 
weſen, daß die beiden Völker einander 
näher gekommen ſeien. Die ſerbiſche und 
die kroatiſche Staatsidee ſeien lange Zeit 
nebeneinander hergegangen, und der ſerbi⸗ 
ſche Teil verſtehe die Kroaten falſch, wenn 
er annehme, daß ſie wieder den Zuſtand 
anſtrebten, aus dem ſie zum gemeinſamen 


— — — — 


Außenpolitische Notizen 27 


Habsburger Dion: 
archie fei eben nicht gut geweſen, fo daß 

hr hnten, he 
könnten alfo nicht zufrieden fein, menn fie 
im neuen Staat ihres eigenen ſüdſlawiſchen 
Volkstums höchſtens wieder auf das zurück⸗ 
kämen, was ſie ſchon gehabt hätten. Eine 
Verſchlechterung ihres Rechtzuſtandes wü 
den ſie erſt recht nicht zulaſſen. Die Uni⸗ 
tariften, die über die alten Rechte der 
Kroaten hinweggingen, hätten den inneren 
Zuſammenhalt Jugoslawiens geſchwächt, 
während das kroatiſche Streben, auch der 
kroatiſchen Staatsidee Achtung zu ſichern, 
die ni bet Gemeinſchaft nur erhöhen 
werde. 


Nan gebt nicht fehl, wenn man diefe 
offiziöfe kroatiſche Stellungnahme als ein 
zelenntnis zu weiteren i 
lichkeiten auffaßt. Denn ſchon acht Tage 
vorher hatte das gleiche kroatiſche Blatt 
deutlich gegen die Aktion des früheren 
Miniſterpräſidenten Dr. Milan Stoja⸗ 
dinowitſch Stellung genommen. Es 
warf ihm vor, er habe, ſolange er an der 
Macht war, gerade das getan, was ihm das 
Recht nehme, die heutige Regierung angus 
greifen, er habe niemals ernſtlich eine Ver⸗ 
ſtändi ung mit den Kroaten einleiten, ſon⸗ 
dern fe immer nur majorifieren wollen. 
Die Kroaten wollen aber feinerlei Neus 
Kilo, bei ber fie durch einfachen Mehr⸗ 
heitsbeſchluß ausgeſchaltet werden können, 
ſie wollen einen Rahmen für gleichberech⸗ 
tigte Mitarbeit. Die Interpellation von 
Dr. Stojadinowitſch hatte auch mehr par⸗ 


lamentariſche Ziele, ſie war nicht geeignet, 
der Löſung der Kroatenfrage andere, beſſere 
Wege zu bieten, ſondern brachte im Gegen⸗ 


teil gegen die kroatiſche Volksvertretung, 
die acht Tage nach dem vorläufigen Still⸗ 
Rand der Einigungsverhandlungen nach 
Zagreb einberufen worden war, vor, daß 
ſie zu weitgehende Beſchlüſſe gefaßt (eg 
ſolche, die gegen bie nationale und ſtaat⸗ 
liche Einheit verſtießen. Da Stojadinowitſch 
weder die Kroaten für ſich gewinnen noch 
Unterſtützung bei den einzelnen Oppo⸗ 
fitionsfiibrern finden konnte, blieb fein 
Verſuch — für diesmal — ein Stoß in die 
Luft. Für die Bemeſſung des Kräftever⸗ 
haltni es innerhalb der jugoſlawiſchen 
politiſchen Führung iſt dieſer Zwiſchenfall 
aber aufſchluß reich gemeren, Man neigte 
bereits Ende Sunt wieder zu der Hoffnung, 
daß die Verhandlungen zwiſchen Serben 
und Kroaten mit Ausſicht auf Erfolg fort⸗ 
gelegt werden könnten. Einſtweilen ſteht 


eit, bab der Tod des Führers der bosni⸗ 
chen uſelmanen, Mehmed Spaho, der 
1935 noch auf der Liſte der Oppofition ges 
wählt, dann aber mit ſeiner Gruppe in die 
neugegründete Regierungspartei, die Jugo⸗ 
ſlawiſche Radikale Gemeinſchaft, übergetre⸗ 
ten war, keine SEM {m Beitand 
mit ſich gebracht hat. Er wird freilich auch 
nicht ein bisheriges Haupthindernis für 
die Verſtändigung, die Stimmung in Bos⸗ 
nien mit ſeiner teilweiſen ſcharfen Tren⸗ 
nung zwiſchen Kroaten und Serben und 
die Schwierigkeit einer genauen räumlichen 
Auseinanderſetzung — die Kroaten vers 
langen gebietsmäßige Autonomie in ihren 
Mehrheitsbezirken — beſeitigen. 


In dieſem Zwiſchenſtadium iſt es von 
mehr als nur theoretiſchem Intereſſe, wenn 
das führende Organ der Regierungspartei, 
bie „Samouprava“, fid) Gedanken über die 
Formen des jugo lawiſchen Staatslebens 
macht. Der Leitaufſatz vom 15. Juni kommt 
u dem Unterſuchungsergebnis, daß Jugo⸗ 
flawien edenfalls für den Marxismus 
keinerlei Vorausſetzungen bietet, eine reine 
Demokratie aber auch nicht möglich iſt, weil 
die Demokratie ſchon erhebliche Kriſen her⸗ 
vorgebracht habe und die lebenswichtigen 
Belange von Staat und Volk gefährdete. 
Auf der anderen Seite wieder verlange 
Jugoſlawien, als ein Staat mit drei Stam: 
men und drei religiolen Bekenntniſſen, 
viele Kompromiſſe, die eine totaliſierte 
Staatsform ausſchließen. Behutſamkeit 
Duldſamkeit und Verſtändnis ſei deshalb 
nötig und verhindere es, daß Jugoſlawien 
in dem Übergangszuſtand, den es noch 
durchlebt, eindeutig eine beſtimmte euro⸗ 
päiſche Ee d übernehme, fonbern 
es mülle, wie in fo vielen anderen Bes 
edel en, leinen Typ für fid) bilden, ber 

ann je nachdem wechſelnden Bedingungen 
angepaßt werden könne. 


Dieſe Ausgleichs⸗ und Gleichgewichts⸗ 
lehre, für die fid) vom Standpunkt Jugo- 
ſlawiens manches anführen läßt, ſcheint 
manche politiſche Kreiſe Jugoſlawiens auch 
außenpolitiſch zu beeinfluſſen, allerdings in 
einem Sinne, der gelegentlich leiſes Be⸗ 
Lesen hervorrufen muß. Vielleicht vers 
chließen einige Zirkel die Augen vor der 
Erkenntnis, daß der Balkan bund, in 
dem Jugoflawien bisher dank ſeiner klaren 
Stellungnahme den EE gal: 
tor bildete, durch das ds ten ber Türkel 
ausgehöhlt worden iſt; ſie vertreten im 
Punkte der Neutralitätsaufgabe eine Auſ⸗ 
iv bie kaum den wahren Intereſſen 

ugoflawiens dienen kann und aud Bul: 


an 


28 AuBenpolitische Notizen 


tien, bas fid) weitgehend auf bie Freund: 
ſchaft mit Jugoſlawien eingerichtet hat, in 
eine deel bedroblide Lage qu bringen 
eeignet ijt. Das bereits beeinträchtigte 
leichgewicht läßt ix ſchwerlich wieder hers 
rai wenn Sugo|famien bewo würde, 
ich einer Strömung zu nähern, die gemifle 
Garantien, die in der eigenen Kraft tegen, 
weniger Bod) bewertet als fremde zweck⸗ 
beſtimmte uſicherungen. Koſowo hat 
chlie 2 gerade deshalb fünfhundert⸗ 
ünfzig Jahre fortgewirkt, weil das Volk, 
as damals E an die fernen a 
lichen Länder Europas Hilferufe gefandt 
hatte, ſich auf die Erkenntnis zurückzog, daß 
nur aus eigener Kraft die Befreiung kom⸗ 
men könne. 


Léon Blum: 
Jude imd Franzose 


Der prominenteste Jude der Dritten 
Republik, Exministerpräsident und Frak- 
tionsvorsitzender der sozialistischen 
Kammergruppe, stellt sich hier nicht 
etwa als unser neuester Mitarbeiter vor. 
Jedoch dünkt er uns immerhin mit seinen 
folgenden Worten als ein objektiver, von 
aller Welt anerkannter Referent für 
unsere weltanschauliche Aufklärung. 
Monsieur Blum spricht hier von „wahr- 
haft fürchterlichen antisemitischen Kri- 
sen“ und von „grausam verfolgten 
Juden“. Nun, das sind keine internatio- 
nalen Greuelreden gegen Nazi-Deutsch- 
land, sondern Feststellungen auf einem 
Bankett zu Ehren des Zionistenführers 
Chaim Weizmann am 16. Dezember 
1924 in Paris. Mit seiner Sympathie- 
erklärung für die jüdische Sache in 
Palästina verbindet Leon Blum eine 
Analyse von Judentum und Frankreich. 
Wir rufen — unter Verzicht auf beson- 
dere Ausrufungszeichen — dieses ehr- 
liche Bekenntnis aus einer Zeit, da Mon- 
sieur Blum aussprechen konnte, was 
seine jüdische Seele bewegte, aus einer 
Zeit, in der sich Deutschland beeilte, den 
Dawes-Plan anzunehmen, ins Gedächtnis 
zurück. Die Frage nämlich, ob Frank- 
reich den „nuancierten Geschmack“ ver- 
loren hat, der nach Blum früher anti- 
semitische Strömungen in diesem Lande 
auslöste, ist zugleich unseres westlichen 
Nachbarn Schicksalsfrage! G.K. 

Wenn ich überlege, welche Gefühle es 
geweſen ſind, die mich veranlaßt haben, an 
der zioniſtiſchen Bewegung einen Anteil 
zu nehmen, der, wie ich Gud immer aktiver 


werden ſoll, ſo möchte ich faſt glauben, daß 
das erſte dieſer Gefühle das der Bewun⸗ 
derung war. Wenn man zehn oder zwölf 
Jahre zurückdenkt, wenn man verſucht, ſich 
vorzuſtellen, wie zart, wie gebrechlich zu 
jener u die zioniſtiſchen Hoffnungen ge⸗ 
weſen ſind, und wenn man ſieht, was heute 
SE was verwirklicht wurde; wenn man 
bedenkt, daß die Heimſtätte in Paläſtina 
etwas iſt, was wirklich exiſtiert und auf 
Grundlagen beruht, die heute ſo ſicher und 
feſt ſind, daß man [i faum mehr vorftellen 
kann, irgendein Ereignis könnte fie er 
ſchüttern, wenn man bedenkt, daß es dort 
ein richtiges modernes Staatsweſen gibt, 
das in vieler Hinſicht vielleicht an der 
Spitze der Zivilifation marſchiert, das feine 
Verwaltung, ſein Budget, alle ſeine Organe 
at, das heute imſtande iſt, monatlich 3000 
migranten aufzunehmen, und wenn man 
ſich fragt, wie ein ſolches Wunder geſchehen 
konnte — dann muß man ſich natürlich 
klar darüber ſein, daß dies nur durch ein 
Zuſammentreffen außergewöhnlicher Um⸗ 
ſtände möglich geweſen iſt, von denen lei⸗ 
der der Krieg der erſte und ausſchlag⸗ 
ebendſte war, man muß fid) klar darüber 
ein, daß dies das Ergebnis einer unge⸗ 
heueren Gemeinſchaftsanſtrengung iſt, eines 
ungeheuren Phänomens der Treue, für das 
vielleicht das jüdiſche Volk das einzige Bei⸗ 
ſpiel ift. Man muß fid) Nechenſchaft darüber 
ablegen, daß dies das Ergebnis der Be⸗ 
mühungen einiger Männer iſt, die wir 
heute nicht vergeſſen ce ha unb bie die 
größten Pioniere geweſen find. Aber man 
muß fih aud fagen, dak an erfter Stelle 
bei dieſem Werk die Leiſtungen Weizmanns 
tehen, die vielfältigen Leiſtungen, die 
einer Energie, ſeiner Beharrlichkeit und 
fähigkeit zu danken find, dieſer unermüd⸗ 
ichen, faſt SE Aktivität, bielet 
Gabe der phyſiſchen und geiftigen Allgegen⸗ 
wart, die fa di ermöglicht, zu leicher Zeit 
in allen Ländern, in jedem Heilien, bei 
jeder politiſchen Strömung dabei zu ſein. 


In Frankreich hat der Zionismus eine 
ſehr geringe Unterſtützung gefunden, ſowohl 
in moraliſcher als auch in materieller Hin⸗ 
ſicht. Das iſt nun einmal die Tatſache, man 
muß fie hinnehmen und nach ihren Grün⸗ 
den forſchen. Es beſteht kein Zweifel, daß 
im franzöſiſchen Judentum dem Zionismus 

egenüber eine gewiſſe Zurückhaltung be⸗ 
tand, eine gewiſſe Furcht, die aus einer 
ganzen Anzahl vielfältiger Empfindungen 
entſtanden iſt. Wenn ich von allen Um⸗ 
ſchreibungen abſehen und die Sache ſo defi⸗ 


AuBenpolitische Notizen 29 


nieren will, wie fie ijt, [o ift bie klarſte, 
baufigite und meiſtverbreitete, bie jtürtjte 
diefer Empfindungen eine nicht febr Helden: 
hafte, auch feine ſehr ſympathiſche: es iit 
ein der Furcht entſtammender Egoismus. 
Die Juden e s leiden nicht. Es 
gab in Frankreich antiſemitiſche Strömun⸗ 
gen, die aber alles in allem niemals ſehr 
ſchlimm waren. In Frankreich leben die 
Juden in Sicherheit und Gleichberechtigung. 
die Furcht der franzöſiſchen Juden kommt 
daher, daß ſie glauben, durch eine allzu 
attive, allzu pe Beteiligung am Zionis⸗ 
mus dieſen Zuſtand der Sicherheit und 
7 rate und gefährden zu können, den 
ſie nicht ihrer Überlegenheit über die an⸗ 
deren Juden der Welt verdanken, ſondern 
dem Zufall oder dem Glück, daß ſie in 
einem freien Lande leben, wo das Gefühl 
der Gleichheit verbreiteter und wirkſamer 
iſt — Dazu kommt noch ein anderes Ge⸗ 
A „Wenn wir uns aktiv an der zionis 
ſtiſchen Propaganda beteiligen“ — Tagen 
die franzöſiſchen Juden — „wenn wir uns 
als Zioniſten deklarieren, werden wir ba: 
mit nicht das Argument unterſtützen, das 
immer gegen uns vorgebracht wird?“ Was 
lagte man in Frankreich in den Jeiten des 
Antifemitismus? Man fagte: „Ein Jude 
kann niemals ein ganzer, vollkommener, 
ungeteilter Franzoſe pin: im Grunde 
leines Herzens bleibt er immer ein Jude, 
das heißt etwas anderes, Fremdes, echtem 
Bremojentum WH Aſſimillerbares.“ Und 
ie franzöfiſchen uden ſagten ſich: „Wenn 
wit uns als Zioniſten ausgeben, werden 
wir dieſes Argument verſtärken, wir wer⸗ 
den ihm damit neue Nahrung und bei⸗ 
nahe einen Beweis liefern.“ 


Nun, was mich betrifft, 2 
filger Jude, und ich halte mich mit aufrich⸗ 
tigem Gewiſſen für einen guten Franzoſen. 
34 bin in Frankreich, im Herzen von Paris, 
geboren, meine Eltern und meine Groß⸗ 
eltern lebten in Paris, und ſoweit ſich die 
Geſchichte einer beſcheidenen Familie zus 
kückverfolgen läßt — ich gebe zu, daß bas 
nicht ſehr weit iſt — weiß ich nichts an⸗ 
deres, als daß meine Vorfahren Elſäſſer, 
daß heißt alfo Franzoſen, geweſen find. Ich 
ſelbſt wurde als Franzoſe erzogen, ich habe 
an einem franzöſiſchen Gymnaſium ſtudiert, 
ich hatte franzöſiſche Freunde, ich war fran⸗ 
zöſiſcher Beamter. Ich glaube, in einem ziem- 
lich hohen Maße mir die franzöſiſche Kultur 
angeeignet zu haben; ich ſpreche Franzöſiſch 
jehlerlos und ohne Akzent; ich habe nicht 
einmal in meinen Geſichtszügen beſonders 
hervortretende Raſſeneigentümlichkeiten. Ich 


bin franzö⸗ 


kann mich als n betrachten, und ich 
e nicht den Eindruck, daß es eine Fein: 

eit des franzöſiſchen Gefühls, der fran⸗ 
zöſiſchen Ehre oder der ir SE ee Kultur 

ibt, bie mir fremd wäre. Trotzdem — id) 
fühle mich ganz als Srangole, und gleich⸗ 
zeitig fühle ich mich als Jude. Ich habe 
niemals bemerkt, daß es zwiſchen dieſen 
zwei Teilen meines Bewußtſeins einen 
binden einen wenn auch noch ſo ge 
ringen Widerſpruch gegeben hätte. ch 
war ſehr frappiert, als mir einmal Weiz⸗ 
mann etwas ſagte, was mir eine ſehr tee 
a. zu fein (dint, bie nicht nur für 
uns Juden, fondern auch für viele andere 
zutrifft: daß es nämlich bei den Menſchen 
ehr gut — ich will nicht jagen — eine 
uplizität, aber jedenfalls eine Mehrheit 
deſſen geben kann und beinahe immer gibt, 
was man das nationale Gefühl nennt. Ganz 
und gar einem Lande angehören, bedeutet 
nicht, daß man ſich nicht in anderer Hinſicht 
als integrierenden Beſtandteil einer an⸗ 
deren Gruppe, einer anderen menſchlichen 
Gemeinſchaft empfinden kann. Wir können 
uns ganz und vollkommen als Franzoſen 
fühlen, ohne pat dies von unferem Ses 
wußtſein fo ausſchließlich Belih ergreift, 
daß uns nicht die Möglichkeit bliebe, uns 
als integrierenden Teil einer anderen Kol⸗ 
[eftipgtuppe, welche immer es auch as 
mag, gu ühlen. Und wir können mit Leib 
und Seele ber jübijden Gemeinſchaft ange: 
ören, während mir uns gleichzeitig voll» 

mmen als Franzoſen fühlen. 

Darin liegt keine Schwierigkeit und kein 
Widerſpruch. Ein Jude kann ſich aſſimi⸗ 
lieren, ſich vollſtändi eli ein Doll; 
kommener Franzoſe jein, und er braucht 
trotzdem in keiner Weiſe und in keiner Be⸗ 
ziehung das Band zu zerreißen, das Cl 
mit ber jüdiſchen Gemeinſchaft verknüpft. 
Es gibt hier meiner Meinung nach keine 
Schwierigkeit, und zu allen Zeiten haben 
Menſchen ein Beiſpiel hierfür gegeben. 


Wir leben als Franzoſen ſehr ruhig und 
glücklich in Frankreich Aber ſollte das 
Gefühl unſerer Zugehörigkeit zur [ionem 
Gemeinſchaft von dieſem Gefühl ber per» 
önlichen Sicherheit ſo vollſtändig unter⸗ 
rückt werden können, daß wir vergeſſen 
könnten, daß es in andern Ländern der 
Erde Juden gibt, die nicht ſo ruhig und 
lücklich leben wie wir? Sollten wir das 

erk vergelien, das zur Beſſerung der Lage 
der Juden anderer Länder notwendig 
wurde? Denn trotz allem war der Zionis⸗ 
mus in ſeinem Urſprung keine nationale 
Rückforderung (revendication) — er iſt 


30 l Außenpolitische Notizen 


es nod heute nicht —, er wurde aus bem 
Gefühl geboten und durch bie Tatſache her: 
gel daß es notwendig fei, Milio» 
nen Juden, der großen Mehrheit des jüdi⸗ 
ſchen Volkes, die in keinem anderen Lande 
normale Bebingun en ber Anpaſſung und 
der Aſſimilation finden fonnten, einen 
Winkel in der Welt zu fidjern, wo fie das 
finden würden, was die diplomatiſchen 
Dokumente eine „nationale Heimſtätte“ 
nennen; und dieſe Heimſtätte mußte man 
ihnen ſchaffen, da die Länder, in denen ſie 
lebten, fie ihnen hartnäckig verweigerten, 
durch le, oder in der Praris. Kann man 
bas vergefjen? Kann man den Egoismus 
fo weit treiben, um das zu vergeſſen? 
Kann man in feiner eigenen Ruhe und 
Sicherheit einen Grund legen, das zu ver: 
ellen, bas zu leugnen, das Gefühl bet 
olidarität i verlieren, das uns mit 
weniger glücklichen, weniger geſicherten und 
in vielen Nader ſogar grauſam verfolgten 
Juden verbindet? 


Der Sinn für die Realität iſt eine der 
Gaben unſerer Raffe. Der Jude anerkennt 
im allgemeinen die vollzogene Tatſache, 
nimmt ſie hin und ſtellt de als notwendige 
Gegebenheit in feine Überlegungen und 
Handlungen ein. Heute haben wir uns 
nicht zu fragen, ob man recht oder unrecht 

at, dioniit zu fein, denn Zion exiſtiert. 

ir haben uns nicht qu fragen, ob es 
richtig oder unrichtig ift, eine ſolche Ber 
wegung zu fördern und zu propagieren. 
Sach dieſe Bewegung dient einer realen 
ache. 


Welches iſt das Intereſſe, das ſtrikte, 
egoiſtiſche Intereſſe der franzöſiſchen Nation 
an all dem? Es beſteht darin, daß Frank⸗ 


reich an dieſem Werk beteiligt ſe vaf 
feine iſcher Geiſt und franzöſiſcher Einflu 
eine Richtung mitbeſtimmen. Ein einziges 
Beiſpiel mb daß zwiſchen ben natio» 
nalen franzöſiſchen und den zioniſtiſchen 
SE fein Widerſpruch beiteht. 8 
mann kennt es beſſer als ich, denn es ilt 
ſein Werk. Weiß man, warum und wodurch 
vor zwei Jahren das franzöſiſche Mandat 
über Syrien vom Völkerbund angenommen 
und ratifiziert wurde? Es geſchah infolge 
der zioniſtiſchen Bemühungen. Es iſt Zion, 
dem Frankreich das Mandat über Syrien 
verdankt. Ob dieſes Mandat gut oder 
ſchlecht iſt, will ich hierbei nicht erörtern. 
Das iſt heute nicht unſere Sache. Aber 
man wünſchte es hier, es war ein wichtiger 
Beſtandteil der franzöſiſchen Politik, es war 
ein Ziel Frankreichs, und durch die zio⸗ 


a. Bemühungen fonnte biefes Ziel 
erreicht werden. 


Liegt es im franzöſiſchen Intereſſe, daß 
in der Jeruſalemer ate, ät, in ber jüdi⸗ 

en Kultur, im Zionsſtaat der franzö⸗ 
iſche Gedanke, die franzöſiſche Wiſſenſchaft, 
ie franzöſiſche Kunſt nicht vertreten ſei? 
Ich glaube das nicht. Ich glaube, es liegt 
im pw Frankreichs, deffen Juden in 
dieſer Hinſicht feine Vertreter find, daß es 
bei allen dieſen Werken den Platz ein⸗ 
nehme, der ihm gebührt und der, wie man 
weiß, niemals der letzte iſt. Man kann bei 
all dem nicht ſagen, daß zwiſchen den Lan⸗ 
des⸗ und den jüdiſchen . ein 
Gegenſatz beſtehe. Sie fallen zuſammen, 


ſie vertragen ker vollfommen, i polítom: 
men, daß in unjerem eigenen Bewußtſein 
bie Liebe zum Vaterland und die Treue 


gegen den jüdiſchen Gedanken nebenein⸗ 
ander beſtehen können. 


Durch die Verhältniſſe war 18 ge⸗ 
zwungen, den Antiſemitismus in Frank⸗ 
reich ein wenig kennenzulernen. Ich bin 
nicht mehr ganz jung, ich habe wahr: 

a fürchterliche antiſemi⸗ 

iſche Kriſen te en, in bem Aus: 
maße natürlich, mte fie biejes Land kennt. 

abe während der Dreyfus⸗Affäre hier 
elebt und während der Zeit der „Patrie 
france" zu den Zeiten des wiifteften 
ationalismus. Der Antifemitis: 
mus in Frankreich i 
Überzeugung nach nicht wie in 


anderen Ländern, wo die jü: 
diſche Bevölkerung weitaus 
dicht aus ſozialen und 


er iſt 

wirtſchaftlichen Gründen ent⸗ 
Ronnen Er entſtand aus Arſachen 
gang anderer Art, aus Urſachen, bie 

— fo nichtsſagend der Ausdruck aud 
ſein mag — als geſellſchaftliche bezeichnen 
möchte. Der Antiſemitismus war die Folge 
beſtimmter Neigungen der von alters her 
in Frankreich anſäfſigen, der reichen und 
in gewiſſer Nicht in die höheren ich⸗ 
ten der Geſellſchaft eee Juden, 
in andere Kreiſe der Geſellſchaft und der 
großen Welt einzudringen, und letzten 
Endes ihrer manchmal taktloſen 
und eitlen Bemühungen in dieſer 
Richtung; er iſt eine Folge ihrer Art, ihr 
Vermögen zur Schau zu ſtellen oder ihre 
Abſtammung zu verleugnen. Er wurde 
aus Urſachen geboren, wie ſie 
ein empfindliches Volk mit 
einem nuancierten Geſchmack, 
mit großem Takt undeinem aus: 


i 2 i LES" MD "2 WEI 
— — = 
— - o———P— —— —HV—e 232 


Kleine Beiträge 31 


prägten Sinn für Delifateffe 
ſtoßen mußten. Und fo kam man 
u, dem Bolt Ale n unb aís ein 
bel der Raffe anzuſehen, 

was nur die Fehler, die zuweilen etwas 
übertriebenen Fehler beſtimmter Indivi⸗ 
duen waren. halte dies für die 
eigentliche urzel bes Anti» 
ſemitismus in dieſem Lande. Nicht 
dadurch hat man den Antiſemitismus in 
Frankreich ins Leben gerufen, daß man ſich 
ju febr als Jude zeigte, ſondern dadurch, 
M, man zuweilen zu ſehr verbergen wollte, 
man es ift. Was mid anlangt, fo war 

ich immer weit davon EEN zu fagen, 
daß man dadurch Antiſemitismus errege, 
wenn man ſich zu feinem Volk und zu feiner 
Religion bekenne — freimütig, wie man 
dies immer an pa und mit SC wozu 


wit Juden das Recht haben. Man hat den 
Antiſemitismus in Frankreich viel mehr 
durch einen Mangel an Stolz und zuweilen 
an Würde hervorgerufen als durch ein 
offenes, mutiges und freimütiges Bekennt⸗ 
nis zu dem, was man iſt, und durch die 
offene Beteiligung an den Gedanken oder 
an den Werken, zu denen dieſes jüdiſche 
Gefühl uns inſpiriert. 

n das, was ich hier ſage, richtig iſt 
— und ich laube daran und bin überzeugt, 
daß auch die franzöſiſchen Juden es immer 


cine 


Der Beitrag der Araber 
zur Weltkultur 


Der folgende Beitrag, der uns von dem 
Ministerialdirektor im irakischen Er- 
ziehungsministerium, Dr. Fadhil Jamali, 
zur Verfügung gestellt wird, ist bezeich- 
nend für die Ideale, von denen der ara- 
bische Nationalismus erfüllt ist. In diesem 
Sinne soll der Beitrag verstanden werden. 


Zwar hat jedes Volk feine eigenen kul⸗ 
turellen Vorbilder und Ideale, ſeinen 
eigenen Glauben und eigenen inneren 
SCH doch kein einziges Volk kann wohl 
don ſich behaupten, daß es ſich ſelbſt genügt 


ungenügende Mitarbeit 
Auf 


klarer erkennen werden — dann iſt jetzt für 
uns der Augenblick gekommen, in dem zio⸗ 
niſtiſchen Aufbauwerk den Platz und die 
Rolle zu übernehmen, die uns gebü rt. Die 
jüdiſche Gemeinde in Hannen it wohl 
nicht ſehr zahlreich, aber fie ift alt unb ein: 
pu reich durch bie perſönliche oder foziale 
edeutung vieler der Männer, die ihr an⸗ 
gehören. Sie könnte bei dieſem Werk eine 
nicht nur nützliche bag weſentliche 
Rolle ſpielen. Die Fü rer des ann et 
Unternehmens willen, wie die Nichtbeteili⸗ 
gung der franzöſiſchen Juden oder ihre 
ſie oft in ihrer 
gabe gehindert und gehemmt haben. 


Ich richte einen Appell an die franzö- 
ſchen Juden. ee weih daß ich tein großes 
alent dazu habe; ich habe nur bie eine 
Eigenſchaft, ein Jude zu ſein, der niemals 
— ich möchte das Kë nod erflaren — in 
all ben Wechſelfällen feines Lebens ben 
Antiſemitismus zu fühlen bekommen bat; 
aber ich habe ihn darum nicht gefühlt, mir 
iſt niemals auch nur zum Bewußtſein ge⸗ 
kommen, daß es einen Antiſemitismus 
eben könnte, weil ich niemals verſtanden 
abe, wie man als Jude etwas anderes 
ein kann als ein Jude, welcher offen und 
tolz ſich zu der Raſſe, dem Volksſtamm und 
der Religion bekennt, zu der er gehört. 


groe 


und fih dem Einfluß anderer Kulturen 
völlig verſchließt. Die Kultur eines jeden 
Volkes wird von der übrigen Welt beachtet. 
In der Geſchichte ſelbſt wird man viele Bei⸗ 
ſpiele vom Austauſch des Kulturreichtums 
der Völker untereinander finden können. 
Genau ſo ſelbſtverſtändlich iſt es dann aber 
auch, daß ein Volk einen größeren Beitrag 
zum Kulturſchatz der Menſchheit leiſtet als 
ein anderes. 


Maßſtäbe der Kulturgeſchichte 
Man kann etwa drei Punkte aufſtellen. 
nach denen man den Anteil eines Volkes zu 
prüfen und zu meſſen hat: 
1. Art und Wert des kulturellen 
Beitrags. Einige Völker werden der Welt 


32 Kleine Beiträge 


ihren Beitrag durch ihre geiſtige Erfahrung 
geben können, bei anderen wieder wird er 
philoſophiſcher, wiſſenſchaftlicher oder künſt⸗ 
leriſcher Art ſein, oder vielleicht auch auf 
dem Gebiete der Rechts wiſſenſchaft, des Res 
i Ss oder Verwaltungsweſens liegen. 

ll dieje jedoch werden ſich ſelbſtverſtändlich 
ſowohl in ihrem Wert als auch durch ihren 
zu uß unterſcheiden. Die meiſten Völker 
werden wohl nur auf einzelnen Sonder⸗ 
eerie ihren Beitrag zur Weltfultur ges 
eiftet haben. Sehr 5 ten jedoch wird man 
finden, daß ein Volk ſeinen Einfluß auf 
A, allen. Gebieten der 
menſchlichen Kultur geltend ges 
macht hat. Dieſe ſeltene Eigenſchaft darf 
man wohl den Arabern a en, Deren 
Anteil ſowohl auf bem Gebiete ber Relis 
gion, Philoſophie, Wiſſenſchaft, Literatur, 

unſt, Induſtrie und Handel, als auch auf 
dem der Rechtswiſſenſchaften und Geſetz⸗ 
gebung liegt. 


2. Den Beitrag eines Volkes zur Welt⸗ 
kultur kann man auch nach der geo⸗ 
graphiſchen Ausdehnung meſſen. 
Man prüft dabei nach, wie weit über 
ſeine eigenen Grenzen hinaus ein Volk ſeine 
Kultur verbreitet hat. Einige werden viel⸗ 
leicht nur einen ſehr begrenzten Einfluß au 
ihre nächſten Nachbarvölker haben, vielleich 
auch auf dem betreffenden Kontinent, wäh⸗ 
trend wieder bei anderen fi ihr kultureller 
Einfluß auf die ganze Welt erſtreckt. Und 
wieder darf man die Araber als zu dieſer 
letzten Kategorie gehörig bezeichnen. Denn 

e waren es, die während des Mittelalters 
ihre Kultur über die damals bekannte Welt 
verbreiteten, ſie, die ihren Einfluß direkt 
oder indirekt faſt in jedem Teil der Erde 
geltend machten. Heute hat dieſer geographi⸗ 
ſche Maßſtab durch die modernen Verkehrs⸗ 
und Beförderungsmittel die Bedeutung ver⸗ 
loren, die er damals hatte, denn es war 
keine Kleinigkeit in jenen Tagen, in denen 
man von Maſchinen und Motoren noch 
nichts wußte, den weiträumigen kulturellen 
Einfluß zu haben, den die Araber be⸗ 
ſaßen. Tatſächlich kennen wir nur bei 
wenigen Völkern einen kulturellen Einfluß 
ſolchen Ausmaßes. Man weiß, daß ſie 
Afrikas unbekannteſte und dunkelſte Teile 
erforſcht haben, daß ſie bis zu den Mauern 
Chinas vorgedrungen ſind und ſpäter 
Spanien und Südeuropa beherrſcht haben. 
(Amerika und Auſtralien waren damals, als 
die Araber auf der Höhe ihrer Macht 
waren, der Welt noch unbekannt.) 


bem Sf 


3. Schließlich können wir den Beitrag 
eines Volkes zur Weltkultur an der Dauer 
ſeines Fortbeſtandes meſſen. Einige 
Völker werden ihren Anteil nur auf eine 
begrenzte Spanne Zeit ausdehnen, dann 
wird ihr Einfluß ſchwächer und ſchwächer, 
bis er völlig Me Die einen werden viel: 
ee) in dieſer Hin We nur ein einziges Maul 
in der Geſchichte erſcheinen und dann ver: 
gehen, wogegen aber andere ſich wieder und 
wieder zur Höhe ihrer kulturellen Macht 
aufſchwingen, nur um jedesmal aufs neue 
die Größe und Dauer ihres Einfluſſes zu 
vermehren. Und wieder dürfen wir dë 
dak die Araber zu dieſer Klaſſe der Voller 
gehören, das heißt zu denen, die immer aufs 
neue das menſchliche Geſchick in bedeutend: 
ſtem Maße geformt und beſtimmt haben, 
und jedesmal ging ihr Einfluß weiter und 
nahm feſtere Formen an als beim vorher: 
gehenden Male. 


Arabiſche Leiſtungen 

Die urſprüngliche Heimat der Ara⸗ 
ber iſt die hr Halbinfel mit ihren 
sen Landſtrichen im Norden, das 
eutige Irak, Syrien, Paläſtina und Trans 
jordanland. Die Araber haben in Süd- 
arabien Tauſende von Jahren vor ber 
chriſtlichen Zeit große Kulturen entwickelt. 
Später jedoch wandelte ſich die Halbinſel, 
die erſt reich an ele und blühenden 
Städten war, in eine ſandige Wüfte, bie 
wohl durch eine natürliche Austrocknung 
hervorgerufen wurde. Die Überreſte alter 
Städte können heute in Al⸗Ruba⸗al⸗Khali 
(oder das öde Gebiet) in Arabien gefunden 
werden. Die alte, reiche Kultur von Samar, 
das „Arabia gelig’, wird ein ausgedehntes 
eld für Studien und Forſchungen bieten. 
m Norden hatten die Kulturen von Tal⸗ 
Halaf und die der Phöniker, Babylonier 
und Chaldäer einen weitgehenden Einfluß. 
Mammurabi, der große Landſpender, iſt 
einer der 8 Geſtalten 
unter den Arabern der vorchriſtlichen Zeit. 
Die Geſchichte des arabiſchen Volkes aber 
weiſt auch leere Blätter auf. Nach einer 
langen Pauſe kam der Aufſtieg unter 
lam und übte ſeinen wirkungs⸗ 
reichen Einfluß vom 7. bis zum Ende des 
15. Jahrhunderts, als Arabien ſeine letzten 
ſpaniſchen Gebiete verlor, auf die Kulturen 
der Völker aus. Damaskus, Bagdad und 
Kairo waren die berühmten Kultur⸗ und 
Wiſſenszentren der damaligen Zeit. Aber 
auch noch nach dem Fall Spanien hörte der 
arabiſche Einfluß nicht auf. Solange der 


—— 2 —U—— — — — — 


Kleine Beiträge 33 


Slam lebt, wird auch der arabiſche Kultur: 
einfluß beſtehen. Nie wird auch der ara⸗ 
biſche Einfluß auf die Geſtaltung moderner 
weſtlicher Wiſſenſchaften und Philoſophie 
ausſterben, ſolange weſtliche Ziviliſation 
beſtehen wird. So dürfen wir wohl behaup⸗ 
ten, daß der arabiſche Einfluß auf die Welt⸗ 
kultur ſo lange dauert und dauern wird, 
wie die Geſchichte ſelbſt. Und wieder ſind 
heute die Araber im olen begriffen, ein 
Aufftieg, bei bem fie hoffen, an ber menſch⸗ 
lichen Kultur unb am menſchlichen Schickſal 
einflußreicher teilzuhaben. denn je zuvor. 


Es bleibt noch die Frage zu erörtern, 

welcher Art denn der akabiſche Beitrag zur 

Weltkultur war. Hier können wir nur die⸗ 

jenigen Gebiete berühren, die im großen 

and ganzen den weitgehendſten Anteil 
n. 


t. Auf geiſtigem Gebiet: Cin: 
e Be tein, doch voll unendlicher Er⸗ 
babenheit ftellten die Araber ben Ges 
danken der Einzigkeit Gottes 
dar. Ihr Glaube iſt auf dem Gebiet der 
Religion und auch Philoſophie weder der 
des Dualismus noch Pluralismus. Sie 
machen keinen Trennungsſtrich zwiſchen 
dem Materiellen und dem Geiſtigen — und 
iſt es nicht nt jo wie fie aud feinen 
Unterſchied zwiſchen Theorie und Praxis zu 
machen? Das Materielle wird nicht ver⸗ 
achtet, ſondern in guten Einklang mit dem 
Seiſtigen gebracht, und Macht und Recht 

ten 1 Sich zu demütigen 
und zu ergeben, entſpricht nicht 
dem Geit arabiſcher Philos» 
lophie, dagegen ift Eintracht und Einig⸗ 
leit die Grundidee der Weltanſchauung, die 
wir Araber auf JOE Lebensgebiet vers 
treten und verbreiten. 


2 Nitterlichkeit: Wie es viele 
Schriftſteller fon th richtig erkannt haben, 
finden die Vorſchriften, die die ziviliſierte 
Welt über Nitterlichkeit und Tatt kennt, 
ihren Urſprung bei den Arabern. Sreiheit 
und Ehre, Mut, Hochherzigkeit und Gaſt⸗ 
freundſchaft, Adel und Reinheit der Seele 
bedeuten das Leben des Arabers. Ein 
wee Araber würde eher fterben, als 
auch nur eine Deler Tugenden aufgeben. 
Die weſtliche Welt hatte während der 
Kreuzzüge oft genug Gelegenheit, ſich von 

len Charakter und der Ritterlichkeit 
der Araber zu überzeugen. 


A Auf dem Gebiet der WViſſen⸗ 
ſchaften: Die Araber haben eine an⸗ 
geborene und wahre Neigung für die 


Wiſſenſchaften. Mit Leichtigkeit könnte man 
jedes der großen wiſſenſchaftlichen Arbeits⸗ 
gebiete auf den Anteil der Araber hin 
unterjuden. Es mag hier der Hinweis 
darauf genügen, daß auf mathematiſchem 
und aſtronomiſchem Gebiet Unſchätzbares 
von den Arabern geleiſtet wurde. Und er⸗ 
kennt man nicht heute noch in vielen euro⸗ 
päiſchen Sprachen den arabiſchen Urſprung 
an den meiſten Sternennamen und »bezeich⸗ 
nungen? „Algebra“, ein arabiſches Wort, 
iſt die mathematiige Wiſſenſchaft, die 
Arabien der Welt geſchenkt hat, genau wie 
ſie auch in der Chemie bedeutende Beiträge 
. haben. Zwei der bekannteſten 

änner auf dem letzteren Gebiet ſind wohl 
Geber und Al⸗Nazi. Das Buch von Damiri 
über Zoologie iſt wohl das beſte Beiſpiel 
für die Leiſtungen der Araber auf dieſem 
Gebiet. Auch in landwirtſchaftlicher und 
ber eech Hinſicht haben ſie das Wiſſen 
der Menſchheit gefördert, und jahrhunderte⸗ 
lang wurden an den europäiſchen Univerſi⸗ 
täten mediziniſche Bücher, die von Arabern 
peor waren, benutzt. — Beim Schrei⸗ 
en dieſes Aufſatzes blicke ich auf die „Welt⸗ 
karte bes Idriſt“, ein lebendiges Zeugnis 
arabiſcher Geographiewiſſenſchaft, die im 
Jahre 1154 n. Chr. gezeichnet und jetzt in 
Berlin reproduziert worden if Denn ohne 
ein weites geographiſches iſſen wären 
auch die arabiſchen Eroberungs⸗ und 
Handelszüge kaum möglich geweſen. — In 
den großen Bibliotheken der Welt kann 
man berühmte arabiſche Geſchichtsbücher 
finden. Hier iſt vor allem Ibu⸗Khaldun zu 
nennen, der nicht nur ein DT Hiſtoriker 
und einer der größten Männer der Ge⸗ 
ſchichtsphiloſophie war, ſondern auch als 
Gründer der ſoziologiſchen Wiſſenſchaft be⸗ 
zeichnet werden darf. 


4. Auf a wahr ih, daß dir Gebiet: 
Wenn es auch wahr iſt, daß die Araber auf 
dem Gebiete der Malerei und Bildhauer⸗ 
kunſt nichts Beachtliches geleiſtet haben, ſo 
wird man doch ihren großen Anteil, den 
ſie an der Muſik und der Poeſie, an den 
architektoniſchen und dekorativen Künſten 
ae nicht beſtreiten können. Dafür find 
amaskus, Jeruſalem und Kairo, Nord⸗ 
afrika und Spanien ein 1 Zeugnis; 
die moderne ende Muſik klingt febr an 
die der arabiſchen an, und unendliche 
Schönheit erfüllt unſere arabiſche Poeſie. 

5. Induſtrie und Handel. Schon 
immer waren es die Araber, die die ver⸗ 
bindende Brücke zwiſchen den Handels⸗ 
beziehungen des Oſtens und Weſtens, Nor⸗ 


— æ e = 


34 Kleine Beiträge | 


dens unb Südens hergeſtellt haben. In ben 
Tagen, in denen man noch keine Maſchinen 
kannte, ſtellten ſie neben Web⸗, Glas⸗ und 
Papierwaren auch feine Holz⸗, Leder⸗ und 
Metallarbeiten her. Bekannt für die Her⸗ 
ſtellung von Stoffen, deren Name heute 
noch daran erinnert, wurde Moſſul und 
Damaskus (Muslin und Damaft). 

Nicht alle UH we und Gebiete 
können pict aufgeführt werden, in denen 
bie Araber zur Förderung ber Weltfultur 
beigetragen haben; bie Gebiete u. a. bes 
RNegierungsweſens, der Rechtsgebung, Lites 
ratur müſſen wir hier übergehen. 


Das arabiſche Volk ` heute wieder er: 
wacht, es kämpft für ſeine Freiheit und 
Einigkeit, und ſeine Sehnſucht geht dahin, 
bald vielleicht Größeres und Schöneres für 
die Kultur der Menſchheit zu leiſten als 
jemals zuvor. 


Bildnis eines grenzdeutschen 
Dichters 


Zur Geſamtausgabe der Werke von Hans 
Kloepfer 


Des ſteiriſchen Dichters Hans Kloepfer 
Werk darf mit Recht als eine Dichtung 
der Stille bezeichnet werden. Die Sin⸗ 
onie einer vielfältig⸗ reizvollen Qand- 
chaft, die Ausgeglichenheit einer ſich ſelbſt 
genügenden Zeit und die reichen Erfah⸗ 
rungen eines Lebens, das mit behüteter 
Jugend begann und über ein geſichertes 
Studium in die geregelte Bahn des Be⸗ 
rufes mündete, bildeten den ruhigen Bo⸗ 
den, aus dem ſein Werk wachſen konnte. 

Wir müſſen die Stage ſtellen: „Was 
ollen wir mit einer Dichtung der Stille?“ 

eſſer: die Frage muß aufgeworfen wer⸗ 
den, um ihrem ſpäteren Au par vorzu⸗ 
beugen. Es wird manchem nicht einleuch⸗ 
ten, daß wir uns auch zu einem ſolchen 
Werke bekennen dürfen und müſſen. Man⸗ 
cher wird glauben, dazu keine Beziehun 
finden zu können, entſtammen wir do 
einer Generation, die in einem jeden Ein⸗ 
zelnen ſtändige Bereitſchaft ausbildete, in 
der ein politiſcher Kampf entſcheidender 
Jahre der Entwicklung mit Unruhe er⸗ 
füllte und auch nach dem Siege der Kampf 
als Notwendigkeit wach bleibt. Trotzdem: 
wir bekennen uns zu einem Werke der 
Stille, das aus der alten Generation er⸗ 
wuchs, wenn in ihm der ewige Pulsſchlag 
unſeres völkiſchen Lebens zu ſpüren iſt. 


Dies iſt bei Hans Kloepfer der Fall. Und 
ſchließlich wollen wir uns auch des Wor⸗ 
tes erinnern, das einmal ausgeſprochen 
wurde: ein lyriſches Gedicht kann deutſcher 
ſein als ein Werk, in dem das Wort 
„Deutſchland“ immer wieder bombaſtiſch 
im Munde geführt wird. 


Am überzeugendſten iſt Dichtung immer 
dann, wenn ſie aus einer großen menſch⸗ 
lichen Seele geboren wird. Der Arzt und 
Dichter Hans Kloepfer, dem für ſein dich⸗ 
teriſches Werk der Mozart⸗Preis 1939 zu⸗ 
erkannt wurde, hat in ſeinem Leben jene 
chönen Vorausſetzungen vorgefunden, durch 
ie ſeine Anlagen d in einer geraden 
Linie zu jenen menſchlichen Vorzügen ent: 
wickeln konnten, welche für die Harmonie 
von Menſch und Außenwelt notwendig find: 
klares Empfinden für das Weſentliche, auf 
opfernde Liebe zum Nächſten und Güte 
jedem gegenüber. Die Umgebung, in der 
er aufwuchs, bildete ſeinen Sinn für das 
Urſprüngliche aus. 


„Aus dem Bilderbuch meines Lebens“ 
Naß jener Band, in dem er uns von der 

andſchaft und den Menſchen ſeiner Jugend 
erzählt. Er redet da in der Sprache eines 
Menſchen, der ſich wohl geborgen weiß in 
der Geſchlechterfolge ſeiner Familie und in 
ſeiner Heimat. Die vornehme Art weiſer 
Gelaſſenheit, überſtrahlt von le 
Humor, ift es, mit der der Dichter hier be: 
richtet. Liebevoll, mit feiner Feder, zeichnet 
er das Bild der weſtſteiriſchen Heimat. 
Wenn wir dann auch bei der SD 
der nationalen Kämpfe im alten Sſterrei 
erfahren, daß der damalige Grazer Student 
tätigen Anteil am völkiſchen Leben ge 
nommen hat, fo ſpüren wir doch, daß mit 
dieſer politiſchen Betätigung nicht das 
Weſentlichſte in ihm berührt wurde, daß 
die ereignisreiche Welt am Rande blieb; 
im Eigentlichen blieb Kloepfer der Stille 
verhaftet, wohl nicht einer vom Leben ab⸗ 
gekehrten, ſondern einer ſolchen, die das 
Beſte am und im Leben erſt erkennen läßt. 
Dieſe Hinkehr zur Stille aber befähigte ihn 
in ſeinem ſpäteren Beruf als Arzt einer 
armen Induſtrie⸗ und Bergbauerngegend, 
innere Beziehung zu den Menſchen zu 
finden. Die Kenntnis der Arbeiter und 
Bauern, zuſammen mit ſeiner Liebe zut 
Heimat, haben aus dem Arzt einen Dichter 
werden laſſen. 


Seiner engeren Heimat hat er in dem 
Band „Sulmtal und Kainachboden“ ein 


Kleine Beiträge 35 


Denkmal geſetzt. Deutſches Grenzland wird 
hier in ſatten Farben, bunter Lichtfülle 
und wohltuender Schlichtheit lebendig. Wir 
erleben wechſelvolles Land und verwan⸗ 
delnde Zeit, wir erleben die Härte bes 
Schickſals ebenſo tief wie zartes Er⸗ 
blühen, romantiſche Schönheit, verwurzeltes 
Bauerntum und vordringende Induſtriali⸗ 
ſietung, idylliſche Märkte und Dörfer, ſagen⸗ 
umwobene Burgen. 


Es ſind kleine ges de die in einem 
Bande vereinigt find und den ſchriftſtelleri⸗ 
ſchen Beginn Kloepfers darſtellen. Vorerſt 
waren es wohl nur die heimatkundlichen 
Abhandlungen eines Mannes, der mit un⸗ 
endlicher Liebe der Vergangenheit und der 
Eigenheit ſeiner Heimat nachſpürte, das 
Ergründete aufzeichnete, um ſeinen Mit⸗ 
menſchen die Augen für die Schönheit zu 
öffnen und ſie zu ihnen hinzuführen. Die 
reiche Umwelt unb eine feinempfindende 
Seele haben zueinander gefunden. 


Am ſtärkſten wird ſein Dichtertum offen⸗ 
bar in dem Band Mundartgedichte „Joahr⸗ 
lauf“. Hier wird ein Dichter offenbar, der 
mitten aus der bäuerlichen Welt, der er im 
Tiefſten angehört, den leuchtenden Kriſtall 
ſeiner Schöpfungen hebt. Bäuerlicher Witz, 
harte Sorge, kantiger SCH geben in der 
echten, [prdden Mundart, der man lange 

orden muB, ein Bild vom harten 
Schlag der Steiermärker. Es fehlen aber 
auch nicht die zarten Töne, die Verſe von 
Lieb und Treu und der Heimat, in denen 
dieſe harte Mundart mit einemmal einen 
ganz anderen Klang bekommt, weich und 
verträumt, melodiös wird. 


Zarteſte Töne findet der Dichter auch in 
ſeinen hochdeutſchen Gedichten. Die hiſtori⸗ 
Iden Erzählungen in dem Bande „Steis 
tilde Geſchichten“ werden wohl nicht jenen 
anſprechen. Dafür aber find bie Geſchichten 
aus dem Leben und Werten des Landes 
und feiner Menſchen um fo gültiger. Aus 
Leid und Freud ſpricht das Schickſal uns 
mittelbar zu uns, ein Schickſal, das ein 
Arzt am Wege ſeines Lebens geſammelt, das 
ein echter Dichter künſtleriſch überhöht hat. 

nd hier wird uns bewußt, zu wie viel 
Dank wir dieſem Dichterarzt verpflichtet 

And. Mit liebevollem Herzen und ſorgender 
Hand hat er das Leben dort gefunden, wo 
die Not am größten, das Herz der Menſchen 
aber am tapferſten iſt. In der Wohnung 
des Arbeiters, in der armſeligen Keuſche 
des Kleinbauern. Daß er aber an der ſicht⸗ 


baren Not nicht verzweifelt, wie ſo viele 
ſeiner Generation, läßt uns die ganze 
Größe ſeines Menſchentums erkennen, ein 
Menſchentum, das ihn befähigte, durch die 
Not zu den Herzen der Menſchen zu drin⸗ 
en und dort neben dem Dunkel auch die 
elle zu ſehen und zu erleben. Er hat als 
unermüdlicher Arzt wohl ſchon tauſenden 
Menſchen geholfen — ihrem Körper wie 
ihrer Seele! Sein Erlebnis wirkt in ſeiner 
Kunſt weiter, wird jedem Leſer übermittelt 
als ein unverlierbarer Beſitz, als eine tröſt⸗ 
liche Erkenntnis: daß nämlich jene Werte 
der Stille, ohne die ein Volk nicht pedi 
kann, in unſerem Volke gegenwärtig find. 


Es iſt eine Jugi Ehrung für Kloepfer, 
daß er für ſein dichteriſches Werk den 
Mozart⸗Preis erhielt. as aber mit 
keinem Preis anerkannt werden kann, was 
wir ihm nur mit dem Verſprechen Sie 
nachzueifern danken können, ijt feine menſch⸗ 
liche Größe. 

Es iſt ein deutſches Verdienſt der „Al⸗ 
enlandbuchhandlung Südmark“ im Graz, 
aß ſie vor einiger Zeit aus Anlaß des 
70. Geburtstages des Dichters eine ſchöne 
Geſamtausgabe der Werke herausgebracht 
hat. Walter Pollak. 


Weimars klassische Stätten 


Wir vermögen kaum uns mit Goethe zu 
beſchäftigen, ohne nicht zugleich den heftig⸗ 
ſten Drang zu verſpüren, in ſeine Lebens⸗ 
welt einzudringen. Die Außerungen ſeines 
Lebens find auf allen Gebieten in einem 
beſonderen Sinne ſo dichteriſch, ſeine Dich⸗ 
tung hingegen iſt ſo mit ſeinem Leben ver⸗ 
knüpft, daß es uns Deutſchen geradezu als 
Pflicht erſcheint, die Begegnung mit dem 
Menſchen Goethe herbeizuführen.“ Solche 
Worte ſetzt Baldur von Schirach einem 
Band von zehn farbigen Tafeln nach Aqua⸗ 
rellen von Alfred Thon voran, die im 
Woldemar Klein Verlag, Berlin, unter 
dem Titel „Weimars klaſſiſche Stätten“ er⸗ 
ſchienen ſind. Aus Weimar wird Goethes 
und Schillers Arbeitszimmer, das Juno⸗ 
zimmer, das Wittumspalais, das Schloß, 
Tiefurt uſw. gezeigt. Die farbenfrohen 
Aquarelle Thons atmen den Geiſt jener 
„Hauptſtadt des deutſchen Geiſtes“, und im 
Schauen dieſer Blätter erhält unſere Vor⸗ 
Ae aon jenen klaſſiſchen Stätten das 
rechte Maß von Raum und der Freude an 
lichten Farben. 


Neue Bücher 


Landdienst- Heime — eine neue Bau- 
aufgabe der Jugend 


In ber „Times“ laſen wir vor einiger 
Zeit, daß Lloyd George fic) vor 3000 Leh: 
tern darüber ausgeſprochen hat, daß bie 
Jugend Deutſchlands auf das Land zurück⸗ 
kehre und dort zum Verſtändnis für die 
Ernährung ihres Volkes im Krieg und 
Frieden erzogen würde. 


wr George hält es für notwendig, daß 
auch England an dieſe Wege herangeht 
und ſieht hierin eine Aufgabe der engliſchen 
Landſchulen. 


Wir können uns wohl wieder einmal 
darüber freuen, daß Dinge, die uns all⸗ 
mählich ſelbſtverſtändlich geworden find, 
wie ber Arbeitsdienſt und ber Landdienſt 
der Hitler⸗Jugend, auch im Auslande ihre 
Hl ende Würdigung finden. Ift dod 
diejen Außerungen ausländiſcher Perſön⸗ 
lichkeiten zu entnehmen, daß die Jugend 
unſeres Volkes nicht immer nur, wie es 
einige glaubhaft machen wollen, „mit Ka⸗ 
nonen Biel“ ſondern an die Lebensfragen 
der Nation mit Ernſt und Verantwortung 
herangeht. 


„Heim aufs Land“ — dieſer Parole des 
Reihsiugendjührers find auch in dieſem 
Jahr 25 000 Mädel und Jungen gefolgt. Es 
iſt an der geit, dieſer einſatzfrohen Jugend 
die Voraus egungen für die Durchführung 
ihres ſchweren Dienſtes zu ſchaffen. Der 

au von Landdienſt⸗ Heimen gehört damit 
Ae mit ber Beſchaffung von Klein: 
he men auf dem Lande zu ben vordring: 
ichſten Bauaufgaben der Jugend. 


Vom Arbeitsausſchuß für HJ.⸗Heimbe⸗ 
zung wurde im Frühjahr im Verlag 

kacel, Leipzig, eine Broſchüre heraus⸗ 

geben, die b mit allen Geſtaltungs⸗ 
(ragen am Landdienſt⸗Heimbau befaßt. Eins 
eutig wurde das Raumprogramm feſtgelegt, 
in dem ein Tagestaum, Schlafräume, 
Schrankflure, Waſch⸗ und Brauſeräume, 
i und Fahrradräume gefordert 
werden. | 

In vielen kleinen Gemeinden des Reiches 
wird man das Klein⸗Heim der Hitler⸗ 
Jugend mit dem Landdienſt⸗Heim zu⸗ 
ſammenplanen und ſo erreichen, daß die 


örtliche Hitler⸗Jugend mit der Jugend des 
Landdienſtes aulammengeführt wird. Der 
Scharraum des Klein⸗Heimes wird bei einer 
Pia Planung gleichzeitig der Tagesraum 
er Landdienſt⸗Jugend fein. Die Broſchüre 
„Das Landdienſt⸗Heim der Hitler⸗Jugend“ 
zeigt neben den Richtlinien für die neu zu 
erſtellenden Bauten auch Anweiſungen für 
die une ung von 1 Holy 
häuſern. Auch bei diefen oftmals notwendi⸗ 

n Löſungen der Heimbeſchaffung iſt die 
Gre der Schönheit bes Baukörpers mit 
er Zweckmäßigkeit verbunden worden. 
Viele Pläne und Modellphotographien zei⸗ 
gen i nee éi eh a hate 
en auch vor i aus ratgegenſtãn 
für unſere Landdienſt⸗Heime. 


Bereits am 23. Januar d. J. hat der 
e des Deutſchen Reichs vor den 
Architekten der Hitler⸗Jugend davon ge 
ſprochen, daß der 3 für E 
Heimbeſchaf ung eine neue ho s 
tungsvolle politiſche Miſſion er Hen wird, 
ndem er i jener großen Aktion einordnet, 
die von ihm den Namen „Heim aufs Land“ 
erhalten hat. 

Die Broſchüre „Das Landdienſt⸗Heim ber 
Hitler⸗Jugend“ wird nicht nur aufklären, 
ſondern auch bauen helfen. Fritz Abt. 


Generalmajor z. V. von Unruh: „Freis 
willig Dienen.“ Wilhelm Limpert Verlag, 
Berlin. 


Das Wort, das der wer endführer 
dieſem Buch voranſtellt, gib r tiefen 
Verbundenheit zwiſchen Hitler⸗Jugend unb 
Wehrmacht Ausdruck und appelliert an den 
deutſchen Jungen, in ſeinem Dienſt in der 
Wehrmacht höchſten Dienſt am Volk zu er⸗ 
blicken: „Eure Väter und Ahnen find einft 
Bauern und Soldaten geweſen. Was ihnen 
Lebensglück und höchſte Ehre bedeutete, das 
trägt auch Deutſchlands Jugend wieder als 

ukunftsglauben und Lebensideal in ihren 
rohen Herzen. Dienſt für Deutſchland iſt 

reude!“ Mit dieſem Buch bekommt der 
deutſche Junge eine Schrift in die Hand, 
die ihm Nach lagewerk iſt und ihm reſtlos 
all die vielen Fragen klärt, ob für die In⸗ 
ite ober für die Kavallerie, für bie 

anzertruppe, für die Kriegsmarine, Luft⸗ 


Neue Bücher 


waffe oder bie / Verfügungstruppe 
Soldatenherz ſchlägt. Nach einzelnen de 
fengattungen getrennt, find genau alle Bes 
dingungen zum freiwilligen md auf: 
geführt unb ber ſchriftliche um Ein⸗ 
tritt beſchrieben worden. Mit it eter Rips 
fen werden unfere Jungen ſich über bieles 
radtige Nachſchlagewerk beugen und das 
Finde n, was der einzelne ſucht. Auch der 
eiwilli ige Eintritt in den Reichsarbeits⸗ 
dienſt iſt in dieſem Buch enthalten. Am 
Schluß des Buches ſind zum Gebrauch nach 
der ER Poſtkarten zur Anmel⸗ 
dung bei bem gewünſchten Truppenteil an: 
gefügt. Kur y: ein Bud, das jedem Jun 
und aud jedem alten Soldaten das "fein 
wird, was es fein will: ein Austunfts- 
bud. H. B. 


Schwerbrock: „Jetzt kommen bie fonni» 
gen Tage.“ Völktiſcher Verlag, Düſſel⸗ 
dorf. (1.50 RM.) 


Das iſt nicht nur ein Buch für unſere 
Pimpfe, nein, auch die Väter und Mütter 
werden Freude an dieſer frohen und wirk⸗ 
lee Beſchreibung eines Sommer⸗ 

ltlagers finden. Sie werden mit unſeren 

impfen Freuden und Leiden eines Lagers 
miterleben ERIN alle werden dann willen, 
was das Zelt lager dem Pimpfen bedeutet: 
Erholung und heften reiheit und Sonne, 
um ihr jungenhaftes Ideal zu verkörpern, 
um rechte Jungen und rechte Kerle zu wer⸗ 
den. Wie dankbar ſind auch die Bauern 
dieſer herben und ſe Menſche niederrheini⸗ 
chen Landſchaft diese e anne n, die fid) von 

m als fröhl eh einländer jo 
unterſcheiden, für dieſen allſommerlichen 
mit viel Geräuſch verbundenen yug 
unjerer Jungen! Menſchen diefer Lands 
(haft wollen Scale bie Jungen nicht mel 
mifen, und fie nennen fie kurzweg „ihre 
Pimp, Den Eltern und Alteren diefe 

e Welt zu erſchließen, daran will Diet 
Bi lein mithelfen. H. B 


Joſef Remold: ,Gelünbeaufgaben fiir 
die Hitler⸗Jngend“, mit 22 Kartenſkizzen. 
Gerhard Stalling Verlag, Oldenburg. 


In den Reihen der Bücher, die über Ge⸗ 
ländeſport geſchrieben find, fehlte wohl das 
wichtigſte von allen, rc ein Buch über 
a elpiele in der $3. Gewiß haben 
e viele verſucht, in dieſer on ng einen 

Vorftoß zu unternehmen, aber dieſer Bers 


[uj ift noch feinem fo s [üdt, daß man 
wirklich ein vollwertige ehrbuch n der 
Hand hat. Das Gelän piel ift woh! aber 


37 


das 8 im i denn hier 
kann der Junge all ſeine guten Eigenſchaf⸗ 
ten: Mut, Ritterlichkeit, Härte, Ausdauer, 
Kraft und Gewandtheit gut Geltung brins 
gen und feine Geländegängigkeit unter Be- 
weis ftellen. 


Sehr widtig war daher die Herausgabe 
eines wirklich brauchbaren a über Ge: 
ländeſpiele. Hauptmann Remold, der ein 
alter Praktiker auf dieſem Gebiet iit, war 
E Sape Mann, dies zu tun. Es iit 

her p nicht verwunderlich, daß ſein in 
ote {tijden Lebendigkeit geſchriebenes 
Buch, das darüber hinaus auch jedem leicht 
verjtänblid d jo kurz nad der Heraus» 
gabe ore eine fo große Anhängerſchaft 
gefunden bat. 


Franz Schattenfroh: „Wille und Raſſe.“ 
Verlag für Wirtſchaft und Kultur, 
Payer & Co. 


Der Se, Anteil der Oſtmark am 
Wachſen und Werden des nationalſozialiſti⸗ 
ſchen Weltbildes iſt, wenn auch vielfach 
wenig bekannt und gewürdigt, ein recht an⸗ 
KN Kaum anderswo hatte der groß: 
eutſche Gedanke ſo freie und mutige Be⸗ 
kenner gefunden, wie 1 hier. Die 
Reihe beginnt bei den Dichtern des Vor⸗ 
märz, bei denen das großdeutſche Bekennt⸗ 
nis auf das engſte verknüpft war mit dem 
Kampf gegen die politiſierende Kirche. 
Grillparzers Epigramme, Anaſtaſius Grüns 
eindeutige Bekenntniſſe gehören ebenſo 
ierher wie die Gedichte des Tirolers Gilm. 
ogar der ſanfte Lyriker Lenau wird 
manchmal von dieſen Gedanken erfaßt. 


Von hier führt der Weg zu Robert 
ammerling, dann zu dem erſten Unter⸗ 
altungsſchriftſteller, der germaniſche Stoffe 
ormt, Guido von gift. Bekanntere Zonen 
betreten wir, wenn wir Georg von Schö⸗ 
nerer und ſeinen politiſchen Heerbann 
zitieren. Der Kämpfer gegen das Frei⸗ 
maurertum, Wichtl, gehört ebenſo hierher 
wie die lange Reihe von Schriftſtellern und 
Politikern, die Adolf Hitlers Lehre vor⸗ 
bereiten und ſpäter geiſtig untermauern 
halfen. 


Franz Schattenfroh reiht ſich mit ſeinem 
Werk nicht nur würdig ein, ſondern ſetzt 
die Arbeit dieſer Oſtmärker fort und führt 
ſie zu einem neuen Höhepunkt. Hier ſpricht 
nicht ein Einzelner zu uns, hier iſt die 
Stimme der ganzen Oſtmark lebendig, und 
aus ſeinem Werk iſt das Raunen und Sieben 
all derer zu vernehmen, bie vor ihm waren 


38 Neue Bücher S 


unb [ein kämpferiſches Leben ebenſo wie 
fein Werk beeinfluſſen. 


Hier muß man aufhorchen und kann an 
einem Werk nicht EE in dem 
nicht irgendeiner ſpricht, ſondern in dem 
d PINE aus berufenem Munde zu uns 
redet. 


Es tft ein echt germaniſch⸗deutſcher Zug, 
daß Schattenfroh nicht irgendein Thema, 
das ihn beſchäftigt, zum Gegenſtand ſeiner 
Arbeit macht, ſondern daß er ſich bemüht, 
den Dingen bis ins Letzte nachzuſpüren und 
das aufzudecken, was hinter den Dingen iſt. 
Dies 10 rt dazu, daß er uns ein umfaſſen⸗ 
des eltbild entwirft, das ebenſoviel 
Wiſſen wie klare Erkenntniſſe vermittelt. 


Es iſt eine beſondere — nicht immer an⸗ 
enehme, aber aus dem geſchichtlichen Ab⸗ 
auf erklärliche — Eigenſchaft des Oſt⸗ 
märkers, daß er allem, was an ihn heran⸗ 
etragen wird, ſelbſt einem Befehl, zuerſt 
ein „Warum“ entgegenſetzt, um dann, 
wenn es ihm erklärt wurde und er es ver⸗ 
ſtanden hat, mit größter Hingabe dafür 
einzutreten. 


Dieſem bohrenden, grübleriſchen und doch 
ſo fruchtbaren „Warum“ verdanken wir 
auch das Buch Schattenfrohs. Hier paart 
ch das Leben eines ewig lernenden, allem 
nachſpürenden Preſſefachmanns und vorzüg⸗ 
lichen Leitartiklers der eng mit der 
Überzeugung und ber Gläubigkeit eines 
alten nationalſozialiſtiſchen Kämpfers, 
deſſen umfaſſendes Wiſſen ihm geſtattet, 
den Weg weiter zu ſchreiten, den H. St. 
Chamberlain mit den „Grundlagen des 
19. Jahrhunderts“ und Alfred Rofenberg 
mit dem „Mythos bes 20. Jahrhunderts 
betreten haben. 


Sachlich, in einer wiſſenſchaftlich ein» 
wandfreien Form geht Schattenfroh an die 
werſten Probleme heran, er führt uns 
er den Mikrokosmos des Waſſertropfens 
und ſeiner Urweſenwelt den Amöben, 
Radiolarien und Rotatorien empor bis in 
die letzten Bezirke menſchlicher Geiſteskraft. 


Ein ſeltener Vorteil des Werkes iſt es, 
daß es 1 auch dem gründlich vor⸗ 
gebildeten Leſer viel Neues, oft Über⸗ 
raſchendes bietet, zahlreiche Anregungen 
gi t und ungeahnte Perſpektiven eröffnet, 

aß es aber andererſeits auch dem Lefer, 
der über keinerlei wiſſenſchaftliche und poli⸗ 
tiſche Coulung erh e in anſprechender 
und faßlicher Weiſe den Weg zum Ver⸗ 
ſtändnis ſchwierigſter Fragen weiſt. 


Alles in allem eine erfreuliche Bereiche⸗ 
rung unſeres trotz vieler Neuerſcheinungen 
an ſolchen tief ſchürfenden und umfaſſenden 
Werken nicht 1 reichen tift⸗ 
tums. Alfred Eduard Frauenfeld. 


Hermann Schrader: Die Reife nach Liffaber. 
Roman. Verlag Georg Weſtermann. 
Braunſchweig. 


Nicht jeder junge Menſch, deſſen Lebens⸗ 
ſchifflein in das Meer des Abenteuerlichen 
vorſtößt, wird ſich ſo bald an einem Platz 
oder in einer Lage befinden, die ihn unge⸗ 
wöhnlich aus dem gemeinen Geſchick her⸗ 
ausheben. Obwohl er das ja im Grunde 
mit ſeinem Hinausdrängen aus dem ge⸗ 
wohnten Alltäglichen erlebnt! Denn if 
nicht der Hang zum Abenteuer nur ein 
Schritt, der aus der kindlichen Welt des 
Märchens heraus entſtanden iſt? Dieſe 
Welt umfängt ihn noch, wenn er hofft, daß 
ſich haf ihn Jetzt etwas Ungeahntes, Mär 
chenhaftes verwirklichen wird! 


Auf dieſem Wendepunkt von Kinderwelt 
und Lebensernſt befindet ſich hier der junge 
Tiſchlerlehrling Chriſtoph, der bisher bei 
einem UE unb Pflegevater teen 
en n u von deſſen ungewöhnlichem 
Schickſal der Roman Hermann Schraders 
mit echtem om abuliertalent und 
ee is Geſta PH a a erzählt. Im 
nämlichen Augenblick, als die Reije feines 
Freundes nach Liffabon ihm Gelegenheit 
zu einem verlockenden und erſehnten Aben⸗ 
teuer verheißt, reißt ein geheimnisvolles 
Geſchehen, welches in ſeine bisherige Welt 
einbricht, ihn nun wirklich in den Kreis 
ſeines väterlichen Erbes, das er bald als 
außerordentlich furchtbar erkennen muß. Er 
wird durch die politiſche Lage ſeines Lan⸗ 
des notwendig auf einen um gefordert, 
der ihn, abenteuerlicher als jedes ſelbſt⸗ 
gewählte Ziel ſein könnte, aus jeder Ehre 
und Gemeinſchaft ausſtoßen muß. Bei den 
verzweifelten Verſuchen, ſeine Ehre zu 
retten, wird er immer mehr in das In 
trigen| iel der bei Sole kämpfenden Bar: 
teien hinein eriſſen. Auf dieſem Punkte 
jedoch ſchweift, wie gelost, feine Geſchichte 
nod einmal in das bes Märchens, 
und wir finden ihn als den unbefannten 
Spielkameraden des Königsknaben. Schon 
aber zwingt die überreife Intrige den bis 
dahin Getriebenen zum Handeln. Er be⸗ 
ſchließt, „die Sache, an die fein Schickſal 
nun einmal gekettet war, auf irgendeine 
Art zu löſen“. Jetzt muß er Ki frei die 
Fortſetzung des abenteuerlichen Weges be 


ereich 


Neue Bücher 


‚u timmen. Wir folgen ihm in bie reinere 
1 der ländlichen ner Falle wobei 
uns ber Erzähler mit einer Fülle freund- 
as figer, lebensgeſättigter Geſichte erfreut; 
„die etwa mit dem liebevoll ausgemalten 

Maienfeſt in dem Städtchen an der Dor: 
u dogne. Dieſe Gabrt voll Aufatmen und 
Freiheit ſchafft die neue Sparen. wird 
Abenteurer nun wurzellos bleiben, 
oder tig ihn das Schickſal doch heraus, um 
Ihn an einen ihm vn en Bias zu rufen? 

Ferne und Weite, Liebe, Irrung und 
fuſſtand öffnet fid) fein Auge für das eine: 
Frankreich, das Land, die Heimat! — „denn 
das Leben ſtrömt aus wx Bilde wie aus 
© den Adern Gottes". — Vollziehen fid) bie 
Begebenheiten auch im einem beſtimmten 


d 


qus Au 


hichtlichen Abſchnitt, jo will fid) der 
l T jooh keineswegs ſtreng hiſtoriſch 
eD riidt das Shia al eines Men- 
hen in bie ihm gemäße Ferne und gewährt 
ſo fü en Handlung Abſtand 
Und die nötige Überſicht. In der leichten 
Haren Sprachgeſtaltung wird das 
aum: und Lebensgefühl der gemeinten 
d pans wejentli belle: getroffen 
s im Bemühen um hiſtoriſche Ergrün⸗ 
dj der Schluß mit ber 
ige zur Pflicht nicht qe 
t außergewöhnliche Löſung, jo ijt er 
| in ber Entwicklung von Chriſtophs 
tem 4 durchaus vorbereitet und 
ündet, ftellt fi uns der Roman 
das beiden einer höchſt lebendigen 
herdurchſchnittlichen Erzählergabe dar. 
A. Sg. 


BUCHE. 


ehr des Wanderns 


edeutet ein hoffnungsvolles Zeichen 
Geſundheit eines Volkes, wenn es 
nd hat die tatkräftig mithilft, 
eraufitieg zu vollenden. Die 
gend fühlt ſich mit verantwort⸗ 
Schickſal des deutſchen Volkes. 
ich ihre Erziehung dazu bei, 
Ziel einer einigen Nation 
Dazu iſt es notwendig, daß 
Volksgenoſſe ſeine Heimat 
Jahren kennenlernt, damit 
achtet. Nur dann ijt ihm 
geben, ſich voll und ganz, 
erzeugung heraus für ſie 
m pt die Sugenb auf 
ſie [id Deulſchland er⸗ 
weiß, wo alle dieſe 
tiegen, die uns unfer 


DIC 
nd w 


ert machen, erſchei⸗ 


nen dieſe Wanderführer. Sie wollen dazu 
beitragen, daß die Fahrt nicht nur ein 
Vergnügen, ſondern eine ernſte politiſche 
Arbeit wird, und wollen weiter mithelfen, 
die Schönheiten der deutſchen Landſchaft 
jowie ihre hiſtoriſchen Stätten und Bauten 
der Jugend zu offenbaren.“ 

Diele Worte hat der Leiter des Reichs— 
verbandes für DIH., Obergebietsführer 
Rodatz, den vom Reichsverband für deut⸗ 
ſche Jugendherbergen herausgegebenen 
DIH.-Wanderführern zum Geleit gegeben. 
Die Herausgabe der DIH.-Wanderführer 
Focke mit der Abſicht, allen wandernden 

olksgenoſſen und insbeſondere den Fahr: 
u nd ^e ber Hitler-Jugend und bes 
BDM. für die Gaulandſchaften des Grok- 
deutſchen Reiches einen zweckmäßigen und 
billigen Wanderführer zu geben. Obſchon 
ſich das Reichsherbergsnetz immer noch im 
Aufbau befindet und an vielen ſchönen 
Stellen Großdeutſchlands Jugendherbergen 
erſt noch geſchaffen werden müſſen, be⸗ 
ſchränken ſich die in den Wanderführern 
behandelten Gebiete nicht nur auf jene, in 
denen ſich bereits in ausreichender Zahl 
Jugendherbergen befinden, ſondern auch 
andere Gegenden, in denen erſt in abſeh⸗ 
barer Zeit Jugendherbergen entſtehen 
werden. 

Die DIH.- Wanderführer ſtellen inſofern 
eine vollkommene Neuheit dar, als ſie nicht 
nur zahlreiche Fahrtvorſchläge und die da⸗ 
mit notwendigen Kenntniſſe der Beförde⸗ 
rungsmöglichkeiten bringen, ſondern daß 
auch immer wieder bekundet wird, warum 
und weshalb gerade die Fahrtengruppen 
der Hitler⸗Jugend dieſe Fahrten unter⸗ 
nehmen ſollten. Es ſind damit „Lehr⸗ 
bücher“ des Wanderns entſtanden, wie ſie 
ideeller nicht gedacht werden können. Sie 
enthalten in ſeltener Vollkommenheit alles 
das, was man über ein Wandergebiet 
wiſſen will und wiſſen muß. Eine reiche 
Illuſtration mit nur guten Bildern trägt 
dafür Sorge, daß man auch einen genügen⸗ 
den bildlichen Eindruck von der zu durch⸗ 
wandernden Gegend erhält. Die DHI.: 
Wanderführer füllen deshalb nicht nur 
eine Lücke im deutſchen Wanderſchrifttum, 

e bilden darüber hinaus eine wertvolle 

ereiherung des deutſchen Jugendſchrift⸗ 
tums. Die bisher erſchienenen Wander⸗ 
führer ſind in mühevoller Kleinarbeit von 
den zuſtändigen Landesverbänden des 
Jugendherbergsverbandes zuſammengeſtellt 
worden. f 


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40 


Seder Band ber DIH.. Wanderführer ijt 
m und äußerlich einheitlich geſtaltet 
und ſtellt ein Einzelbuch in einem vielbän⸗ 
digen Geſamtwerk dar. In der inhaltlichen 
Aufteilung beginnen alle bisher erſchienenen 
Wanderführer mit einer i a Mana Dars 
ſtellung bes Jugendherbergsweſens bes bes 
treffenden Landesverbandes. Eine Betannt- 

abe der Verkehrsbedingungen der Reids: 

ahn und deren allgemeine Beſtimmungen, 
die Fahrten EC NN der bit 
ler⸗Jugend jowie weitere grundſätzliche Bes 

timmungen und Vorausſetzungen für die 

urchführung einer Feb leiten dann über 
zu einer Dar isi et Geſchichte unb Ents 
wicklung ber NSDAP. und ber Hitlers 
Jugend bes betreffenden Gaues. Gleichfalls 
finden die ſich im Gebiet des betreffenden 
Landesverbandes befindlichen Ordensbur⸗ 
gen, Adolf⸗Hitler⸗Schulen, größere Werke, 
die entweder bereits beſtanden bzw. im 
Rahmen des Vierjahresplanes geſchaffen 
wurden, und ſonſtige bedeutende, bereits voll⸗ 
endete Bauten des neuen Reiches Er⸗ 
wähnung. 

Naturgemäß finden in den Wanderführern 
Wander⸗ und Fahrtenvorſchläge größte Be⸗ 
achtung. Die Fahrtenvorſchläge werden durch 

‚eine kurze Beſchreibung der Hauptſtraßen 
und des Wegenetzes von einem zentralen 
Punkt aus eingeleitet. Angaben von Ent⸗ 
fernungen zwiſchen Hauptpunkten ſind über⸗ 
all angegeben. Die Wander⸗ und Fahrten⸗ 
vorſchläge unterſcheiden ſich je nach der Art 
und den Mitteln, mit welchen ſie durch⸗ 
eführt werden. Es gibt demnach alſo 

anders und Fahrtenvorſchläge in Verbin⸗ 
dung mit Bahnfahrten von einem zentralen 
Punkt aus, oder Fahrtenvorſchläge, die die 
Benutzung von Fahrrädern vorausſetzen, 
Waſſerwanderungen oder regelrechte Wan⸗ 
derungen zu Fuß. Wie bereits erwähnt, 
ſetzen alle dieſe Wander⸗ und Fahrtenvor⸗ 
ſchläge nicht immer eine Benutzung von 

Jugendherbergen im Hinblick auf das noch 

auszubauende Reichsherbergsnetz voraus. 


* 


Neue Bücher 


Damit wird einer allzu ſchnell drohenden 
ee der ug daberfuhrer vor⸗ 
gebeugt. 


Den vielen, bis ins einzelne ausgearbei⸗ 
teten Wander⸗ und abt envorſchlägen i 
eine umfangreiche Daritellung der Landſchaft 
und des Volkstums bes betreffenden Landes⸗ 
verbandes vorangeſtellt. Es iſt dabei beſon⸗ 
ders darauf geachtet worden, Dak alle Beis 
träge über dieſe Gebiete in erſter Linie die 
Jugend anſprechen, und ihnen ein anſchau⸗ 
liches Bild von Volkstum und Landſchaft 
g en. Oft geben bunte Trachtenbilder auf 

inzelſeiten eine wertvolle Ergänzung der 
volkstümlichen Darſtellung. Bekannte No- 
mane und Novellen, die ein lebendiges Bild 
von der Landſchaft und dem Volkstum geben, 
find nach Möglichkeit erwähnt worden. Ans 
gaben über die Pflanzen⸗ und Tierwelt, wie 
überhaupt Beſonderheiten, die durch die 
Lage und durch das Klima des Landesver⸗ 
bandes bedingt ſind, wurden eingehend auf⸗ 
Bart Große und geſchichtlich bedeutende 

änner, die aus dem Gebiet des betreffen⸗ 
den Landesverbandes hervorgegangen find, 
finden Erwähnung. 


Bisher ſind folgende Wanderführer er⸗ 
ſchienen: 
Band 2 Oftpreugen Pappe 1,50 RM., Leinen 1,75 RM. 
Band 3 Schleſien Pappe 1,85 RM., Leinen 1,95 RM. 
Band 4 Mecklenburg Pappe 1,55 RM., Leinen 1,80 RM. 
Band 5 Hochland Broſch. 1,75 RM., Leinen 1,95 RM. 
Band 6 Baden Pappe 1.65 RM., Leinen 1,90 RM. 
Band 7 Pommern Pappe 2,20 RM., Leinen 2,30 RM. 
Band 8 Niederſachſen Pappe 1,60 RM., Leinen 1,85 RM. 
Band 9 Bln.⸗Kurm. Pappe 1,70 RM., Leinen 1,95 RM. 


Jede Ausgabe hat im allgemeinen einen 
Umfang von 160 bis 320 Seiten. Die DIH.: 
Wanderführer der reſtlichen Gebiete befinden 
ſich durchweg in Bearbeitung und werden 
noch in dieſem Jahr bzw. Anfang des nad: 
ſten Jahres erſcheinen. Die DJ3H.-⸗Wander⸗ 
führer ſind in allen Buchhandlungen und 
in den Geſchäftsſtellen des Jugendherbergs⸗ 
verbandes erhältlich. 


Hauptschriftleiter: Günter Kaufmann. 


Anſchrift der Schriftleitung: Neihsjugendführung, Berlin W 35, Kurfürſtenſt raße 53. Fernſprecher: 229091. — 
Verlag: Franz Eher Nachf. G. m. b. H., Zentralverlag der NSDAP., Berlin SW 68, Zimmerſtraße 87—91. Poſt⸗ 
ſcheckkonto: Berlin 4454. Verantwortlich für den Anzeigenteil: Ulrich Herold, Berlin. — DA. II. Bi. 1939: 
über 65 000. Pl. Nr. 8. — Druck: M. Müller & Sohn KG., München; Zweigniederlaſſung Berlin SW 68, Dresdener 
Straße 43. — „Wille und Macht“ erſcheint am 1. und 15. jedes Monats und iſt zu beziehen durch den Verlag. 
ſowie durch die Poſt und alle Buchhandlungen. Bezugspteis vierteljährlich 1,80 RM. zuzüglich Beſtellgeld. Bei 
Beſtellung von 1 bis 3 einzelnen Nummern bitte den Betrag in Briefmarken beizulegen, da Nachnahmeſendung zu 
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X el i SC ) Wilhelm Grau: Streit politischer Ehepartner 
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Wilhelm Utermann: Die Dichter und ihre Katalognummer — 5 
KUNSTDR UCK BEILAGE ^ 
Bilder aus der Münchener Kunstausstellung. 4 Aufnahmen Photo-Hoffn - E in: 
Prof. Fritz Klimsch, Figur / Prof. Dobril, Schlummernde / Alfred Hiert 
Feierabend | Albert Stagura, Tägliche Arbeit ^H 
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Führerorgan der nationallozialiſtiſchen Jugend 


HERAUSGEBER: BALDUR VON SCHIRACH 


Jahrgang 7 Berlin, 1. August 1939 Heft 15 


Wilhelm Scheuermann: 


Humanitas Romana 
Der Grundgedanke der römiſchen Erziehung 


Länger als vier Jahrhunderte, d. h. faſt durch den ganzen Zeitraum, ſeit ſich 
unſere neuhochdeutſche Sprache gebildet hat, iſt unſer Schulweſen durch den 
Humanismus bedingt geweſen. Nicht nur unſere ſogenannte höhere Bildung iſt 
auf der humaniſtiſchen Grundlage erwachſen, ſondern ſein Einfluß hat ſich ent⸗ 
ſcheidend auf jede Art unſeres Schulunterrichtes bis zur letzten Dorfklaſſe 
geltend gemacht. 


Die Bezeichnung iſt geſchichtlich entſtanden. Sie geht auf den Ausgang des 
Mittelalters zurück, wo man beglückt über die Wiederentdeckung der Überliefe⸗ 
rungen des klaſſiſchen Schrifttums in ihm auch die Mittel zu einer gewaltigen 
Vertiefung und Verbreiterung der Volksbildung der zeitgenöſſiſchen Gegenwart 
gefunden zu haben glaubt. Es bedarf nur der Verſenkung in das, was die Alten 
humaniora genannt haben, es iſt nur notwendig, dieſe durch Schulen allgemein 
zugänglich zu machen, um wieder zu der Harmonie, der Ausgeglichenheit zu ge⸗ 
langen, die uns in den herrlichſten Kunſt⸗ und Geiſteswerken der Griechen und 
Römer begeiſtert. So glauben die beſten Köpfe, die ſich Sorgen um ihre Völker 
machen im ganzen Abendland, und mit ihrer gewohnten Gründlichkeit werden 
bald die Deutſchen auf den neuen Richtwegen führend. 


Dieſe Auffaſſung iſt dann ſchnell und faſt widerſpruchslos zu einem Dogma 
geworden, das ſeine Glaubenskraft bis in die Kämpfe um die Schulerneuerung 
der jüngſten Zeiten bewährt hat. Die wenigſten aber, die es verfochten haben, 
haben ſich die Mühe gemacht, neben ihren gelehrten Einzelſtudien über die ab⸗ 
wegigſten Teilgebiete des klaſſiſchen Altertums einmal zu prüfen, wie denn in 


2 Scheuermann / Humanitas Romana 


Wirklichkeit die Pädagogik der Griechen und Römer, verglichen mit dem, was wir 
humaniſtiſche Bildung nennen, ausgeſehen hat. 

Die Zweifel beginnen bei der einfachſten Vokabel. Unſer Wort Schule ſtammt 
von dem lateiniſchen scola. Das ſcheint hinlänglich überzeugend. Und doch find 
oft zünftige Jugenderzieher überraſcht und ungläubig, wenn man einwendet, daß 
den Begriff in unſerem Sinne erſt die kirchlich⸗mittelalterlichen Scholaſtiker ge⸗ 
prägt haben — eben jene, gegen die der Humanismus ſich kämpferiſch durchſetzte —, 
während die Römer Schulen in unſerem Sinne gar nicht gekannt haben. 


Kaum die Griechen, das Volk, das ſo viele Pädagogen hervorgebracht und uns 
ſo zahlreiche pädagogiſche Lehrbücher hinterlaſſen hat. Uns iſt die Schule eine 
ganz ſelbſtverſtändliche Sache der Volksgemeinſchaft und eine ſtaatliche Angelegen⸗ 
heit von großer Bedeutung. Bei den Griechen verläuft die Entwicklung in der 
Weiſe, daß in der älteren Zeit die Unterrichtung der Jugend ganz dem elterlichen 
Hauſe vorbehalten bleibt. Die Mutter zuerſt und häufig vorwiegend, ſpäter der 
Vater unterweiſen ihre Kinder in allem, was dieſe zu ihrer Ausbildung nötig 
haben. Dann tritt der Pädagoge hinzu. Er iſt ein Sklave, gewöhnlich in älteren 
Jahren, der außer Leſen, Schreiben, Rechnen, auch ſittſame Haltung und ehrbares 
Benehmen lehrt. Er befindet ſich in einer zwieſpältigen Stellung. Einerſeits hat 
er ein Züchtigungsrecht, andererſeits iſt er der Diener der Kinder des Hauſes. 
Als ſpäter Schulen eingerichtet werden, die gegen Erlegung des Lehrgeldes jeder 
beſuchen kann, bleibt nebenbei der Pädagoge erhalten. Dieſe ſpäter aufkommenden 
ausſchließlichen Privatanſtalten ſind, ſoweit ſie die ſogenannten Grammatiker⸗ 
ſchulen ſind, nach unſerem Maßſtab lediglich Elementarſchulen. Man treibt auf 
ihnen Leſen, Schreiben, Rechnen, den Vortrag der Dichter, deren Werke dabei, mit 
Rückſicht auf die Seltenheit und die Koſten von Büchern, abſchnittweiſe diktiert 
werden. Vom 13. Jahre ab beſuchen die Schüler auch Muſik⸗ und manchmal Tanz: 
kurſe. Die Paläſtra, in der die Leibesübungen gelernt werden, iſt gleichfalls eine 
reine Privatanſtalt. Mit der weiteren Ausbildung des Geiſtes kann es jeder 
halten, wie er will. Er kann ſich Lehrmeiſter ſuchen, die ihn in die Redekunſt, 
die Philoſophie, die Geometrie, die Mathematik, die Aſtronomie uſw. oder in die 
Zeichenkunſt einführen. Die Univerſitäten ſind erſt eine Gründung der Spätzeit. 
Ausſchließlich die Gymnaſien, die bekanntlich gar nichts mit jenen von uns ſo 
bezeichneten höheren Schulen zu tun haben, ſondern Wettkampf⸗ und Tummel⸗ 
plätze für Heranwachſende und ältere Männer find, find in Griechenland öffentliche, 
ſtaatlich errichtete und unterhaltene Einrichtungen. Das ſind alſo die Möglich⸗ 
keiten der berühmten und über zwei Jahrtauſende hinwegſtrahlenden griechiſchen 
Allgemeinbildung geweſen. 


Es iſt bemerkenswert, daß die Römer in der Jugendunterrichtung der Griechen 
einen der Gründe für den griechiſchen Machtverfall ſahen und daß ſpätere 
griechiſche Betrachter, die Gelegenheit zu Vergleichen hatten, geneigt waren, ihnen 
darin beizuſtimmen. Um ſo mehr überraſcht bei oberflächlicher Betrachtung die 
weitgehende Gleichartigkeit bei den beiden Völkern. 


Scheuermann / Humanitas Romana 3 


Auch bei den Römern erfolgt urfprüngli der Unterricht nur im Schoße der 
Familie, und wir beſitzen ſchöne Zeugniſſe der Dankbarkeit beſonders den Müttern 
gegenüber, denen ihre Söhne nachrühmen, daß ſie die berufenſten Bildnerinnen 
des zarten Gemütes geweſen ſeien. Auch hier lehrt der Vater, und ſeine Be⸗ 
teiligung am Rechenunterricht wird mehrfach hervorgehoben. Das Rechnen war 
für die praktiſchen Römer ſehr wichtig, und es war bei der Ungeeignetheit ihres 
Zahlenſyſtems eine ſchwierige Fertigkeit, zu der es mannigfacher Hilfsmittel, wie 
der Zählbretter und einer ſehr durchgebildeten Figurendarſtellung mit den 
Fingern, bedurfte. Es beteiligt ſich ſpäter, keineswegs erſt nach griechiſchem 
Vorbild, der Pädagoge am Unterricht, ein zum Lehrfach begabter Sklave, der in 
Rom custos, comes, rector oder ſogar rex genannt wird. Auch er iſt mit weit⸗ 
gehenden Strafvollmachten ausgerüſtet, erfreut ſich übrigens eines für ſeinen 
Stand großen Anſehens. Der Kaiſer Auguſtus zeichnet dieſe Lehrſklaven dadurch 
aus, daß er ihnen bevorzugte Plätze in den Theatern anweiſen läßt. Als das 
Criechiſche die Weltſprache der Gebildeten wird, wählt man zu dieſem Amte gern 
Griechen, ſonſt ſaugen die Kinder die andere Sprache mit der durch dieſes Ver⸗ 
fahren ſprichwörtlich gewordenen Muttermilch ein, denn man bevorzugt für die 
Jüngſten griechiſche Ammen. Der Lehrſklave begleitet feine Schüler auf allen 
Wegen, er beſucht mit ihm auch den Unterricht außerhalb des Hauſes, als dieſer 
langſam in Aufnahme kommt. Auch nach der Mannbarſprechung weicht er nicht 
von des Jünglings Seite und bleibt für ſein Betragen verantwortlich, und er 
wird dann der Burſche ſeines Zöglings, wenn dieſer in den Heeresdienſt eintritt. 
Plautus klagt einmal, daß der junge Römer bis zu ſeinem zwanzigſten Jahre 
keinen Schritt tun könne, ohne daß ihm ſein pädagogus wie ein Schatten folge. 
Die römiſchen Väter betrachten es als eine ſehr verantwortliche Aufgabe, zu dieſem 
Berufe den richtigen Mann auszuwählen, und gewöhnlich iſt die ſpätere Frei⸗ 
laſſung die Belohnung für den treuen Leiter der Jugend. 


Mit der Zeit erweitern einzelne Männer die Unterrichtungsmöglichkeiten, indem 
Ke kleine Privatkurſe aufmachen. Das find bie scolae, von denen ſich unfer bereits 
in althochdeutſcher Zeit ſprachheimiſch gewordenes Wort Schule ableitet. Über ſie 
beſitzen wir ausreichende Schilderungen. Von eigenen Schulgebäuden iſt keine 
Rede, die hat es nicht gegeben. Die Lehrer mußten die Lernbefliſſenen zu ſich 
einladen, in niedrige Kammern oder in enge Dachſtübchen. Zuweilen wurde in 
nach der Straße offenen Räumen unterrichtet, ganz gewöhnlich war es aber auch, 
daß dieſe „Schulen“ einfach auf der Straße und auf Plätzen unter freiem Himmel 
abgehalten wurden. Da mag es manchmal ſchwer geweſen ſein, den Ablenkungen 
zu begegnen, und Unfug war an der Tagesordnung. Es klingt glaubhaft, wenn 
erzählt wird, daß einige der Bengel ſich lieber mit Würfel⸗ und Handkreiſelſpiel 
vergnügten, ſtatt die Rede des ſterbenden Cato mit der nötigen Andacht anzu» 
hören. Darum wurde auch in dieſen Unterrichtungsſtätten der Bakel eifrig ge⸗ 
ſchwungen, was dann zuweilen, wie die Lehrer klagen, anmaßende Beſchwerden 
der Eltern zur Folge hatte. Aber man wußte ſich nicht anders zu helfen. Unſerem 


4 Scheuermann / Humanitas Romana 


Reichtum an Bezeichnungen, Haue, Dreſche, Keile uſw. fteht ein ähnlicher in der 
altrömiſchen Schülerſprache gegenüber, wo virgae, ferula, scutica in Tätigkeit 
traten. Einer von dieſen Schulmeiſtern, der gewiß nicht ſchlimmer war als andere 
und zudem als beſonders tüchtig anerkannt war, hat das Pech gehabt, daß unter 
ſeinen Schülern jemand war, der ſpäter ein großer Dichter wurde, und ſo iſt der 
plagosus Orbilius, der prügelfreudige Orbilius, durch Horaz, der ihm ein fühl⸗ 
bares Andenken bewahrt hatte, in die Ewigkeit eingegangen. Wenn noch in der 
Humaniſtenzeit mancher Lehrer den Spitznamen Orbilius bekommen hat, beweiſt 
das, daß ſeine Schüler — den Horaz verſtändnis voll geleſen hatten. 


Die Lehrfächer dieſer Privatſchulen der Grammatiker waren ebenfalls die 
Elementargrundlagen, Leſen, Schreiben, Vortrag nach Diktat von Werken der 
großen Schriftſteller und Dichter, ferner Rechnen, wozu bei deſſen ſchon betonter 
Wichtigkeit und Schwierigkeit ſich zuweilen ein zweiter Lehrer mit dem ſonſt 
einzigen Unterrichterteiler zuſammentat. Der Unterricht begann am frühen Mor⸗ 
gen, ſogar oft vor Tagesgrauen. In dieſem Falle mußten die Schüler Ollampen 
mitbringen, und die Kammer des Lehrers wurde von Qualm zugeräuchert. Nach 
dem Mittagsfrühſtück wurde der Unterricht am Nachmittag fortgeſetzt. Aber es 
gab viele Ferien. Jede der (achttägigen) Wochen war der Markttag frei, die 
vielen Staatsfeiertage wurden eingehalten, daneben noch beſondere Schulfeiertage, 
und außer kürzeren Ferien gab es vier Sommermonate lang überhaupt keine 
Schule. Denn, ſo ſagt Martial gemütlich: „Im Sommer lernen die Jungen genug, 
wenn ſie geſund bleiben!“ Aestate, pueri si valent, satis discunt, ein Satz, der 
auch manchem ſonſt hartleibigen Lateinſchüler lernens⸗ und überſetzenswert 
ſcheinen wird. 


Die Ferien bedeuteten keinen Müßiggang, der dem römiſchen Gemüt — nicht 
zu verwechſeln mit dem otium, der Muße, der Ausſpannung und Erholung — ſo 
verhaßt war. Denn zu Hauſe ging das Lernen weiter, und zu dem Unterricht von 
Geiſt und Gemüt traten ja voll gleichberechtigt die Leibesübungen. Hier beginnt 
nun die auffälligſte Unterſcheidung von der griechiſchen Erziehung. Denn die 
Römer nahmen zu den Leibesübungen eine ganz andere Stellung ein als die 
Hellenen. Vor allem waren bis zur beginnenden Verfallszeit Leibesübungen bei 
den Römern niemals Gegenſtand des allgemeinen Unterrichtes. Sie legten den 
höchſten Wert auf ſie, aber ſie hielten nur ſolche für wertvoll, die zur militäriſchen 
Ertüchtigung dienten. Schwimmen, Wettlauf, Ringen, Reiten, Speerwerfen, und 
zum Unterſchied von den frühen Griechen der Fauſtkampf in Gruppen gegenein⸗ 
ander, wie er altitaliſcher Volksſport war, darin mußte jeder ſeinen Mann ſtehen, 
der etwas werden wollte. Das lernte man zu Hauſe, darin wurde man durch den 
Vater und durch beſondere Fachmeiſter ausgebildet, das wurde in den Jugend⸗ 
vereinigungen regelmäßig gepflegt. Dagegen lehnte man die vielen ſpieleriſchen 
Übungen der Griechen und die zu einem berufsmäßigen Matadortum führende 
einſeitige Athletik als ungeeignet für die Leibesertüchtigung ab. Über die Athletik 
urteilt Galen, daß ſie dem Körper nur eine ſcheinbare, widernatürliche Stärke 


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Bilder aus der Münchner Kunstausstellung 


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Scheuermann / Humanitas Romana l 5 


gabe, zu ben Ubungen mit Hanteln bemerkt Martial, Graben im Weinberg fei 
nützlicher. Solche Übungen rechnet der Römer verachtungsvoll zu den Schau⸗ 
ſtellungen, die man ſich im Theater anfieht, die aber feiner Würde nicht angemeſſen 
find. Die Griechen, ſo lautet die allgemeine Anſicht, hätten ſich mit aller ihrer 
Sportfegerei unfähig gemacht, die Waffen zu tragen. In dieſer Ablehnung ftim- 
men Seneca, Plinius, Tacitus und Juvenal überein, und ſogar der Grieche 
Plutarch pflichtet ihnen bei. Als Nero als erſter in Rom ein Gymnaſium baut, 
mißbilligen das alle, die auf gutes Herkommen halten, und ſehen darin eine neue 
Stätte der Sittenverderbnis. 


Die Ablehnung des echten Nömertumes erſtreckt ſich auch auf die griechiſche 
Rhetorik, und wiederholt wird bie Ausweiſung der griechiſchen Rednerlehrer 
gefordert, die in Rom Kurſe aufzumachen verſuchen. Das bedeutet aber keine 
Anterſchätzung der Rednertunft, ſondern im Gegenteil gewinnen neben den Grams 
matikerſchulen bie Rednerſchulen eine zunehmende Bedeutung. Tacitus begründet 
das ausdrücklich: „Ohne Beredfamteit gelangt niemand zu großer Macht.“ Daß er 
Herr ſeiner Ausdrucksfähigkeit ſei, wird insbeſondere auch vom zukünftigen Offi⸗ 
zier gefordert, denn wie oft könne er im Ernſtfall in die Lage kommen, mit einer 
Anſprache an ſeine Mannſchaft eine Gefahr zu wenden. Wie richtig das iſt, wiſſen 
wir alle aus Cäſars Galliſchem Krieg. 


In den römiſchen Rednerſchulen herrſcht ein ſehr aufgeſchloſſenes Lehrverfahren. 
Es beginnt damit, daß die Schüler kleine Ereigniſſe aus der vaterländiſchen Ge⸗ 
ſchichte mit eigenen Worten vortragen. Zur Übung von Rede und Gegenrede 
werden Beiſpiele aus dem Leben der berühmten Männer zur Erörterung geſtellt, 
und jeder Schüler muß ſeine Anſicht bilden und wirkſam begründen, ob der Held 
in dieſem Falle, um den es ſich handelt, mehr Lob oder Tadel verdient. 


Ein durchgehender Zug in der geſamten römiſchen Jugenderziehung iſt die Ab⸗ 
lehnung jeder Überlaftung mit Gedächtniskram. Der Vielwiſſer, der fid) überall 
ſattelfeſt dünkt, gilt dem Römer ohnehin als verdächtig. Als Nachbar bei 
Gaſtereien wird er als unausſtehlich empfunden. Im Unterricht bekommt der 
Schüler von allen Wiſſenszweigen etwas zu koſten. Er ſoll davon ſchmecken, und 
wenn er will, mag er ſich ſpäter auf dem ihm zuſagenden Gebiet als Gelehrter 
ausbilden. Das Gedächtnis muß allerdings gefeſtigt werden. Dazu dient das für 
jeden unerläßliche Auswendiglernen des ſtaatsverfaſſungsgrundlegenden Zwölf⸗ 
tafelgeſetzes, wohlgemerkt, nicht etwa wörtlich, ſondern in einem einprägſamen, 
ſinnenthaltenden Auszug. Die vaterländiſche Geſchichte iſt von höchſter Wichtigkeit. 
die langen Jahreszahltabellen jedoch ſind Sache der Hiſtoriographen. Der zu⸗ 
fünftige Quirite lernt die Geſchichte in den für ihn beiſpielweiſenden und charakter⸗ 
bildenden kleinen Erzählungen von Horatius Cocles, von Mucius Scävola und 
anderen Helden aus der älteſten und jüngſten Vergangenheit und der Gegenwart. 

Wie wenig bei alledem dieſe Privatſchulen für das Volk der Römer bedeutet 
haben, geht aus der Angabe hervor, daß am Ende der Republik in der damals 


6 Seheuermann / Humanitas Romana 


größten Stadt der Welt nidjt mehr als zwanzig folder Unternehmungen beitanden 
haben, deren einzelne beſtenfalls über zwanzig Beſucher verfügen konnten. Beſon⸗ 
ders auffällig iſt, daß noch Auguſtus, der doch weitblickend alle Möglichkeiten zur 
inneren völkiſchen Feſtigung und Wiedererſtarkung in Betracht gezogen hat, gar 
nicht daran gedacht hat, neben ſeinen ſonſtigen großartigen Bauunternehmungen 
eine Schule zu errichten. Sondern er begnügt ſich damit, zur Unterrichtung ſeiner 
Enkel einen bewährten Halter einer Privatſchule ſamt deſſen Schülern in ſeinen 
Palaſt einzuladen, wobei er dem Lehrer allerdings ein fürſtliches Gehalt ausſetzt. 
Gewöhnlich war nämlich der Ehrenſold, den dieſe Lehrer von den Eltern ihrer 
Schüler empfingen, ſehr beſcheiden. Dabei iſt es merkwürdig, daß gerade der 
Rechenunterricht am geringften bezahlt wurde, während bie Redelehrer das höchſte 
Schulgeld erhoben. Erſt in ſehr viel ſpäterer Zeit, als der Glanz des Imperiums 
ſchon am Verbleichen war, zeigen ſich Anſätze zur Errichtung von Schulen mit 
ſtaatlichen Mitteln und ſolchen der Gemeinden. Da aber ſcheinen die Häuſer, die 
es ſich leiſten konnten, es erſt recht vorgezogen zu haben, ihre Söhne durch Haus⸗ 
lehrer bilden zu laſſen, wie uns das das ſchöne Denkmal zeigt, das in Trier 
erhalten iſt. Bei den Töchtern war man immer mit dem häuslichen Unterricht aus⸗ 
gekommen. Nur gelegentlich haben Mädchen gemeinſam mit den Jungen jene 
Privatſchulen beſucht, und zwar Töchter von Eltern, die ſich nichts Beſſeres leiſten 
konnten. Mädchen nahmen auch eine Art von Tanzunterricht, der ſich wieder, im 
Gegenſatz zum griechiſchen, auf eine rhythmiſche Bewegung der Arme und des 
Oberkörpers beſchränkte, um „die allgemeine weibliche Anmut zu erhöhen“. 


Bei mancher rein äußeren Ahnlichkeit ſehen wir alſo, daß ein tiefer und grund⸗ 
ſätzlicher Gegenſatz zwiſchen dem griechiſchen und dem römiſchen Ziel der Jugend⸗ 
bildung beſtanden hat. So ſtark ſonſt griechiſches Weſen eindringt, hier haben 
die Griechen keine Gewinne zu verzeichnen, ſondern die Ablehnung hat ſich ver⸗ 
ſchärft, ſolange der Stolz auf altrömiſches Herkommen innerlich mächtig war und 
nicht bloß mehr auf den Lippen getragen wurde. In Übereinſtimmung mit dieſer 
Feſtſtellung ſteht die Tatſache, daß uns die Griechen eine kaum überſehbare Zahl 
von Schriften pädagogiſcher Lehrmeiſter vererbt haben, während auf der römiſchen 
Seite eine vollkommene Lücke klafft. Cicero, Seneca, Quintilian, die hier zu 
nennen wären, hatten nicht den Ehrgeiz, pädagogiſche Lehrbücher zu ſchreiben, ſie 
ſind Verzeichner deſſen, was ohne ſie in dieſer Hinſicht bei ihrer Nation galt. Dabei 
hatten die Römer ganz recht, wenn ſie die lehrfreudigen Griechen nach ihren 
Erfolgen beurteilten. Während der Grieche noch gerade als Lehrſklave eine ganz 
in den römiſchen Unterrichtsplan eingegliederte und ihm untergeordnete Hilfs⸗ 
ſtellung ausfüllen konnte, haben die Römer das großartigſte nationale Volks⸗ 
erziehungswerk aller vergangenen Zeiten vollbracht. 


Daß ſie dabei ganz ohne Schule in unſerem Sinne, nämlich ohne Volksſchule 
auskommen konnten, verſtehen wir von unſerem rückſchauenden Standpunkte nur, 
wenn wir uns vergegenwärtigen, was als ſtaatskörpertragendes Knochengerüſt die 
römiſche Familie bedeutet hat. 


Seheuermann / Humanitas Romana 7 


Die Familie, bas Geſchlecht, ijt bie Hüterin des mos majorum, der Gitte der 
Ahnen. Sie iſt ſo ſehr die Keimzelle des Geſamtvolkes, daß die ganze Welt ringsum 
verſinken kann. Bleibt noch ein einziges Haus, fo lebt Rom weiter, denn jedes Haus 
hütet für ſich die ganze Fülle der Überlieferung und damit den Glauben, nein die 
Gewißheit, daß Rom ewig und unvergänglich iſt. Darum muß man „von Familie“ 
ſein, was nichts mit reich oder arm zu tun hat. Der vernichtendſte Vorwurf, den 
man [pater einem Emporkömmling machen kann, ift der, daß er weder Vater 
noch Mutter habe. Im Zenith ſeines Aufſtiegs verſchmäht es Cäſar, der es bei 
ſeiner ſtolzen Abkunft gar nicht nötig hatte, dennoch nicht, das Märchen von der 
Abſtammung ſeines Geſchlechtes von einer olympiſchen Göttin öffentlich vor allem 
Volke zu behaupten; Kaiſer geworden, läßt ſich der nüchterne Veſpaſtan eine ſeine 
Abſtammung erhöhende Fälſchung ſeines Stammbaumes gefallen, über die er ſich 
im vertrauten Kreiſe ſelbſt luſtig macht. Das mögen gelegentlich die brauchen, die 
ſich über alle anderen emporgeſchwungen haben, in der großen Zahl der Häuſer, 
die ihre Ahnen bis in die ſagenhafte Königszeit zurückleiten können, deren 
Vorfahren in den folgenden Jahrhunderten Geſchichte gemacht haben, genügt die 
ſchlichte Wahrheit. An ſie wird der heranwachſende Nachkomme ſeit ſeinem 
früheſten Erinnerungsvermögen gemahnt. Im Atrium begrüßen ihn die Büſten 
der Vorväter oder ihre Wachsmasken, da hängen die Inſchrifttafeln, die verkünden, 
wo die längſt abgeſchiedenen Anverwandten ſich ausgezeichnet haben, wo ſie ihr 
Leben hingegeben haben, damit Rom groß werde. Bei jedem Schritt durch das 
Haus des Vaters, des Großvaters, der übrigen Verwandten wird das Kind, wie 
Cicero ſagt, daran gemahnt, wie die Vorfahren den Staat aus kleinen Anfängen 
zu ſolcher Größe und Macht gebracht haben. Da fühlt es, was die größte und 
beflügelndſte Stärke des römiſchen Glaubens iſt, diejenige, die noch weiter lebt, 
als niemand mehr die Götter der alten Sagen ernſt nimmt, nämlich daß zwar 
jedes Volk ſeinen Genius, ſein führendes Schickſal hat, daß aber mächtiger, 
fiegreider und unüberwindlicher als alle anderen die Fortuna Romana iſt, die vers 
gottete Staatsherrlichkeit. Mag der Grieche nach Univerſalität ſtreben, der Römer 
beſitzt die Univerſitas, das Weltall, wirklich. Und mit ihm alles, was es bieten 
kann. Um dieſen Beg zu erhalten, tft jeder Sohn dieſes Volkes berufen und 
verpflichtet, ſich zur vollen Hingabe ſeiner Kräfte an den Staat auszubilden. Was 
dazu gehört, ſchreibt die Überlieferung vor, die ihm nirgend näher iſt als im 
eigenen Hauſe. Sie ſchreibt vor, daß es zuerſt und zuletzt auf das ankommt, was 
im Leben brauchbar iſt. Und das gab dem Römer mit einer durch die 
Erfahrung alter Überlieferung abwogenen Vollkommenheit, die noch der Kirchen⸗ 
vater Auguſtin widerwillig bewundern muß, ſeine Art der Jugenderziehung. Sie 
gab ihm, was Cicero, der ſchon zu denen gehört, die in Athen und Kleinaſien 
ſtudiert haben, dankbar die humanitas nennt; und das bedeutet keinen 
Lernfächerinhalt, ſondern einfach die menſchliche Würde, die ihrer ſelbſt in jeder 
Lebenslage ſicher bleibt. 


Fr. Muth: j 
Berthold Otto 


Das Lebensziel eines bedeutenden Erziehers 


Wer iſt Berthold Otto? Ein Denker und Erzieher aus deutſcher Art, den die 
Verſtändnisloſigkeit einer kranken Zeit um die verdiente Anerkennung gebracht 
hat und deſſen Einordnung an den ihm gebührenden Platz in der deutſchen Geiſtes⸗ 
geſchichte eine vordringliche Aufgabe iſt. 


Berthold Otto (1859—1933) wäre am 6. Auguſt dieſes Jahres 80 Jahre alt geworden. 
Er pommit aus einem Geſchlecht norddeutſcher Bauern, Pfarrer, Offiziere, denen preußiſch⸗ 
deutſche Haltung im Blute liegt. Hier eine Stelle aus einem Brief des Vaters von 
B. Otto, den jener als Offizier aus dem 66er Krieg an ſeine Frau über die Erziehung 
feiner Kinder, beſonders feines Sohnes Berthold, geſchrieben Bat: „Es klingt faſt wie eine 
Härte, und iſt doch eine unumſtößliche Wahrheit, daß der Mann vor allem dem Vaterlande 
angehört... Auch die Gründung einer Familie ift eine der heiligen Verpflichtungen, die 
der Mann gegen das Vaterland hat. Er iſt verpflichtet, mit allen ſeinen Kräften für das 
Fortbeſtehen feines Vaterlandes zu [otgen, und dazu gehört weſentlich fein Anteil an 
der Erzeugung und Erziehung einer neuen Generation. In ruhigen Zeiten kann der Mann 
alle freie get auf die Förderung feiner Familienintereſſen verwenden. auf die Erziehung 
feiner Kinder... Zu Zeiten aber wie der jetzigen iſt er verpflichtet, Leib und Leben dem 
Vaterlande zur Verfügung zu ſtellen. Und dann tritt das Weib in eine höhere Sphäre ein, 
als ſie gewöhnlich inne hat. Während ſie dem Manne ſonſt nur als Gattin, als die Mutter 
ſeiner Kinder zur Seite ſtand, tritt ſie jetzt in der Erziehung ganz für ihn ein, und ihr 
bleibt der für ein Weib ſo äußerſt ſchwierige Beruf, die Söhne zu Männern zu erziehen, 

. B. zu Weſen, die im Falle der Not die ſchönſten und zarteſten Gefühle der Pflicht nad: 
zuſetzen und gleichzeitig imſtande ſind, richtig zu erkennen, wann dieſer äußerſte Fall wirk⸗ 
lich eingetreten ift..." 


Dazu ſtimmt ber Abſchiedsbrief des Enkelkindes, bes Sohnes B. Ottos, an 
ſeine Eltern bei Ausbruch des Weltkrieges. Der junge Offizier, der im November 1914 
bei Nowe Mjaſto an der Pilica fiel, ſchrieb bei Kriegsausbruch: „Meine lieben, lieben 
Eltern! .. . Es ijt doch eine herrliche Zeit, in ber wir leben dürfen. Freut Euch, daß Euer 
Sohn nicht als Staatskrüppel zu Haufe zu bleiben braucht...“ Diele Klänge aus Seele und 
Blut der Familie zu einem vollen Akkord zu runden, ſei nun noch ein Wort Berthold 
Ottos ſelbſt über den Sinn des Opfers mitgeteilt: „Das iſt das ganze Geheimnis 
der Geſamtheitsleiſtung! Das einzelne Ich ſoll fühlen und womöglich begreifen, daß es 
ſich nicht willkürlich vom Volksganzen trennen, nicht als eine geſonderte Gefühls⸗ oder 
Gedankenwelt betrachten kann... An erſter Stelle dienen alle die, die durch eigene Taten 
die Begeiſterung und das Gemeingefühl entflammen; und von denen ſtehn wieder an erſter 
Stelle die von unſeren Söhnen und Brüdern, die mit Freuden ihr Leben für uns hin⸗ 
gegeben Le Die Jämmerlichkeit unferer Zeit will uns hindern, der herrlichen Taten 
zu pron en, die wir dieſem Opfermut verdanken. Von dieſer Jämmerlichkeit 
müſſen wir uns befreien; denn dieſes Gedenken tit die bebe Stars 
kung für das Gemeingefühl und für unſereigenes Pflichtgefühl. . .“ 
(Vom 21. Dezember 1920.) 


Bei B. Otto, der körperlich von zarter Natur war, wandten ſich die kämpferiſchen 
Anlagen des Geſchlechts ganz dem Geiſtigen zu. Er wurde in eine verfallende 
wiſſenſchaftliche Welt hineingeboren, die in Fortführung vielhundertjähriger ber: 
lieferung das Denken immer mehr an den Buchſtaben band und über einer aufs 
höchſte geſteigerten glänzenden Spezialiſierung den Blick für das Ganze zu ver⸗ 
lieren drohte, — in eine Wirtſchaftswelt, die den Menſchen immer mehr den echten 
Gütern der Erde entfremdete und in ihnen faſt nur noch „inveſtiertes Kapital“ ſah, 
und die ſo die unumſchränkte Herrſchaft des anonymen Geldes aufrichtete. Im 
Kampf gegen dieſe lebenentfremdenden Mächte, gegen Buchſtaben⸗ und Geldgläu⸗ 


Fr. Muth / Berthold Otto 9 


bigfeit wudjfen feine Kräfte und führten ihn zu einer letzten, aller äußeren Ans 
erkennung entſagenden Folgerichtigkeit. 


Die entſcheidende Wendung vollzog ſich gegen Ende ſeines Univerſitätsſtudiums. 
Früh ſchon war er hellhörig geworden gegenüber den Gefahren, die dem deutſchen 
Volk von ſeiten des Liberalismus und den ihm verwandten Strömungen drohten. 
Er wollte ſeine Doktorarbeit über den Liberalismus ſchreiben und ihn in ſeinen 
unmittelbaren Außerungen bei den ihm zugänglichen Ständen und Volksſchichten 
zu faſſen ſuchen. Sein Lehrer, Prof. Friedrich Paulſen, lehnte dieſen Plan ab; 
man könne wohl die liberaliſtiſchen Leitartikel der Voſſiſchen Zeitung aus den 
ſechziger und ſiebenziger Jahren zur Grundlage nehmen, dagegen unmittelbare 
ſeeliſche Außerungen in den Mittelpunkt einer Unterſuchung ſtellen zu wollen, das 
wäre unwiſſenſchaftlich. Dieſe Erklärung gab ihm einen harten Stoß. In ſeinem 
Hauptwerk „Volksorganiſches Denken“ ſagt er im Hinblick auf die 
erlittene ſeeliſche Erſchütterung: „Gedruckte Literatur war alfo möglicher 
Gegenftand wiſſenſchaftlicher Forſchung, lediglich ausgeſprochene Nein ungen 
dagegen nicht. Danach wäre Geiſteswiſſenſchaft nichts anderes als Literaturkunde. 
Sie könnte niemals den Geiſt ſelber faſſen, ſondern, wie ich mich damals ausdrückte, 
nur die Spuren, die er auf Steinen, Eſelshäuten und Lumpen zu hinterlaſſen 
vermodte... Je mehr ich darüber naddadte, ... um fo deutlicher wurde es mir, 
daß dieſes Herumtaſten an äußeren Spuren niemals zur wirklichen Erkenntnis 
führen konnte, daß jedenfalls meine Art, die Seelenvorgänge ſelbſt zu packen, 
feſtzuhalten und zu vergleichen, außerordentlich größere Wahrſcheinlichkeit böte, 
zur Wahrheit zu gelangen. So brach denn in dieſem Nachdenken für mich der 
ganze bisherige Bau der Geiſteswiſſenſchaften zuſammen.“ 


Ehe nun weiteres über B. Ottos Werk geſagt werde, ſeien noch einige Be⸗ 
merkungen über ſeinen Lebensgang gemacht: Der junge Denker lehnte es ab, ſtatt 
der geplanten nun andere Arbeiten auszuführen. Er verließ die Univer⸗ 
ſität ohne Promotion, ohne Staatsexamen und ſchlug ſich in hartem Kampf ums 
tägliche Brot durchs Leben. Er nahm zuerſt eine Stelle als Hauslehrer bei einem 
Gergwerfsdireftor im Ruhrgebiet an, der ihm die Ausbildung feiner Jungen ans 
vertraute. In einem Brief, den er damals (am 11. Juli 1883) an Profeſſor Paulſen 
ſchrieb, mit dem er ſtets in Verbindung blieb, berichtet er von ſeiner für die 
Herausbildung ſeiner Theorie ſo wichtigen Hauslehrertätigkeit. Ausbildung 
lelbftändigen Denkens, wie aud verantwortungsfrohen 
Handelns ſchwebteihm von vornherein als höchſtes Ziel vor. 


Für den nachdenklichen jungen Erzieher iſt es eine Selbſtverſtändlichkeit, die 
Fragen der Erkenntnisbildung und der Zucht unter einheitlichem Blickwinkel zu 
ſehen und fie poſttiv — nicht durch äußeren Drill und durch Verbote —, 
ſondern durch Stärkung der aufbauenden Kräfte zu löſen, wie er 
das ſpäter folgendermaßen ausdrückt: Aufgabe ſei, „alles was an Urkraft 
inden Kindernſteckt, zur Entwicklung zu bringen und damit dem 
Volksganzen und der Menſchheit nutzbar zu machen.“ 


10 Fr. Muth / Berthold Otto 


Nach Beendigung feiner Hauslehrertätigkeit gründete B. Otto feine Familie, 
verdiente ſein Brot für ſie zuerſt als Schriftleiter und dann als Mitarbeiter an 
einem Konverſationslexikon. Er wollte nicht, daß die Ausbildung ſeiner zahlreichen 
Kinder dem mit Fremdtümern überlafteten und das einheitliche Denken allzufrüh 
aufſplitternden Schulunterricht ausgeſetzt werde und unterrichtete ſie darum in 
ſeiner ſehr knapp bemeſſenen freien Zeit ſelbſt. Aus dieſem Unterricht erwuchs 
ſeine Schule in Berlin⸗Lichterfelde, da auch andere Eltern Unterricht 
in ſeinem Sinne für ihre Kinder verlangten. Im Jahre 1902 berief ihn der da⸗ 
malige Miniſterialdirektor Friedrich Althoff vom Preußiſchen Kultusminiſterium 
nach Berlin, mit dem einzigen Auftrag, ſich in völliger Unabhängigkeit der Dar⸗ 
ſtellung ſeiner Ideen und ihrer praktiſchen Verwirklichung, ſoweit die Schule in 
Betracht kam, zu widmen. Ottos Schule ſollte, ſo erklärt er, keine Muſterſchule 
werden, ſondern eine Einrichtung ſein, um „ungebrochenes Seelenwachstum“ be⸗ 
obachten zu können, ſie ſollte auch Lehrern und Schülern ermöglichen, in gemein⸗ 
ſamer Denkarbeit ihr Weltbild zu geſtalten, damit die jeder Schule einzig an⸗ 
gemeſſene Aufgabe gelöſt werden könne, nämlich „Erkenntnisorgan des 
Volkes“ zu fein. Lehrreich noch zu willen, daß B. Otto den konfeſſionellen 
Religions unterricht an ſeiner Schule ausſchloß. Von dem 
Chriſtentum ſagt er mit einer für feine Zeit bedeutenden Einſchränkung: „Die 
Bergpredigt und die meiſten anderen überlieferten Worte Chriſti geben dieſem 
tiefſten Drang (nach dem Guten) den ſtärkſten Ausdruck. In dieſem Sinne bekenne 
ich mich zu dem evangeliſchen Chriſtentum. Daß die meiſten meiner Nächſten der 
ewigen Verdammnis verfallen ſeien, würde ich als eine frohe Botſchaft nicht 
empfinden können; und ſo meine ich denn, um es noch in bekannteren Worten und 
Wendungen auszudrücken, daß alle menſchliche Arbeit, a uch die der Erkennt⸗ 
nisſuche, recht getan nicht zum Teufel führt, ſondern zu Gott.“ — Die Schule 
beſteht heute noch und wird im Geiſte des Begründers von ſeiner Tochter Irmgard 
geleitet. * 


Seine Ideen hat B. Otto in einer großen Zahl von Büchern und Schriften unb 
in der feit 1901 beſtehenden mehr als 30 Bände umfaſſenden Zeitſchrift „Der 
Hauslehrer“ niedergelegt. Seit 1918 führt die auch heute noch erſcheinende 
Zeitſchrift den Namen „Deutſcher Volksgeiſt“ mit dem Untertitel „Zeit⸗ 
ſchrift zur Verſtändigung zwiſchen allen Schichten des Volkes“. In engſter Be⸗ 
rührung mit dem Leben der Familie, der Stände, des Volkes entſtanden B. Ottos 
Arbeiten, ſo daß ſie uns nicht in einem geſchloſſenen Syſtem gegenübertreten, ſon⸗ 
dern als unmittelbare Gegenäußerungen auf dringliche Fragen des Lebens der 
Gemeinſchaft, ſei es in politiſcher, wirtſchaftlicher, finanzpolitiſcher oder päda⸗ 
gogiſcher Hinſicht. Er beginnt ſeine ſchriftſtelleriſche Tätigkeit im Jahre 1883 mit 
einer Arbeit, betitelt: „Die ſozialdemokratiſche Geſellſchaft, was ſie kann und was 
ſie nicht kann“, ſchließt daran weitere politiſche Unterſuchungen über „das Recht 
auf Arbeit“, „Fürſt Bismarcks Lebenswerk“ uſw. Die Krönung ſeiner poli⸗ 
tiſchen Schriften bildet „Der Zukunftsſtaat als ſozialiſtiſche Mon⸗ 


Fr. Muth / Berthold Otto 11 


archie“ (1910). Daneben gehen [febr eingehende pädagogiſche Unterſuchungen, 
von denen nur feine „Pſychologie des Unterrichts“ (1903), feine „Lateinbriefe“ 
(1898—1900), (nebenbei: nach Ludwig Klages „das genialſte ſprachpäda⸗ 
gogiſche Werk“), ſein „Lehrgang der Zukunftsſchule“ (1901) und ſeine „Volks⸗ 
organiſchen Einrichtungen der Zukunftsſchule“ (1914) erwähnt ſeien. Im Jahre 1902 
veröffentlichte er den volkstümlichſten Kommentar zu Goethes Fauſt, und im 
Jahre 1906 ſeine Schrift: „Vom königlichen Amt der Eltern“. Sein 
Hauptwerk ift fein vierbändiges „VVolksorganiſches Denken“ mit 
dem Untertitel: „Vorübungen zur Neubegründung der Geiſteswiſſenſchaften“ 
(1924—1926), in dem er eine Geſamtſchau feiner ſeelenkundlichen Grundauffaſſungen 
gibt und praktiſch zeigt, wie ſie dem Verſtehen der Gemeinſchaften und der Men⸗ 
ſchenführung nutzbar zu machen ſeien. 


Bis in ſein hohes Alter hinein war B. Otto ſchöpferiſch tätig — ſchrift⸗ 
ſtelleriſch wäre ungenau, da er die meiſten ſeiner Werke auf die Walze, den Parlo⸗ 
graphen, geſprochen hat —, daneben leitete er ſeine Schule bis zu ſeinem ſiebzigſten 
Lebensjahr und unterrichtete an ihr. 

* 


Was ift Sinn und Gehalt dieſes unermüdlichen, folgeridtigen Denkerlebens? 
B. Otto ſagt es ſchlicht ſo: „Ich habe mich mit größter Sorgfalt bemüht, den 
inneren Willenskern unſeres Volkes zu finden, ſo weit er ſich auf Erziehung und 
Unterricht und auf geiſtiges Leben überhaupt bezieht. Ich trage nicht meine Weis⸗ 
heit vor, ſondern ſuche die des Volkes bewußt zu machen und zu deuten“. Er ſpürt 
dieſe Miſſion aus der Überzeugung heraus, daß er Organ des deutſchen Volkes 
iſt, von dem er weiß, daß es „naturwiſſenſchaftlich einen einzigen Körper, und 
geiſteswiſſenſchaftlich eine eigene Seele“ bildet, als deren Teil ſich jeder 
einzelne zu fühlen hätte. Nebenbei: B. Otto nimmt die vielfach übliche Entgegen⸗ 
ſetzung von Seele und Geiſt nicht vor, weil ihm der Zuſammenhang im 
Einzelmenſchen wie im ganzen Volk ausſchlaggebend erſcheint, wichtiger wenigſtens 
als nur ſür begrenzte Aufgaben zweckdienliche Gegenüberſtellung von Seele und 
Det im Sinne der Lehre von Ludwig Klages. 


Solch Einheit wirkendes Denken — B. Otto nennt es „geſamt⸗ oder volksorga⸗ 
niſches Denken“, weil es auf die Erkenntnis des lebendigen Zuſammenhangs in 
den Gemeinſchaften, beſonders in der Volksgemeinſchaft gerichtet iſt —, vollzieht 
ſich im weſentlichen in der Art des Bilderdenkens; in dieſem „Erſchaffen von 
Bildern, Geſtalten und Begebenheiten, das durch die wechſelnden Stimmungen 
bald ſo und bald ſo angeregt wird, verläuft unſer ganzes Seelenleben von Tag zu 
Tag, von Stunde zu Stunde. Es ſteht kaum einen Augenblick ſtill. Es iſt immer 
etwas in Bewegung, was wir beobachten können“, und ſo iſt auch unſer ganzes 
Planen, Überlegen, ſchließlich alles, war wir „Denken“ im engeren Sinn nennen, 
„entweder vollſtändig oder doch im Kern bildmäßig“, aus unfaßbaren völkiſchen 
Bluts⸗ und Seelentiefen kommend, im Gegenſatz zu dem in vollſter Bewußtheit 
verlaufenden „logiſchen“ Denken. 


— — un nlii. 


12 Fr. Muth / Berthold Otto 


Aus der hohen Bewertung der Seelenfähigkeiten folgt B. Ottos 


geradezu ehrfürchtige Haltung gegenüber dem ſchöpferiſchen Wirken der völkiſchen 
Urkräfte. Sie zu befreien und damit das Volk zur Rückbeſinnung auf ſich ik 
kommen zu laſſen, iſt dringend. „Niemals“, ſo ſagt er, „ſind bisher große geiſtige 


| 


Bewegungen anders entſtanden, als daß das ganze Volk dabei mitwirkte. Aber 


unſer bisheriges öffentliches geiſtiges Leben, unſer Schulleben, unſere Bürokratie 


haben doch die Mitwirkung weiter Kreiſe unſeres Volkes recht oft gehemmt, nicht 
jo zum Ausdruck, zur Wirkung kommen laſſen, wie es ſonſt wohl möglich gemein — 
wäre. Unſer Volk iſt unendlich viel reicher, als wir ahnen, als wir zu träumen 


wagen. Man muß ihm nur erlauben, ſich auf ſich ſelbſt zu beſinnen, und dazu 


wollen wir ihm die Möglichkeit geben.“ Ein wichtiger Schritt dazu ſoll in einer 
wurzelhaften Umwälzung der Schule beſtehen, in der B. Otto den Grundſatz der 


Selbſtverantwortung der Jugend in ſeinem Wirkungsbereich ſchon verwirklichte. 
Nicht, daß er dabei auf die Mitarbeit der Alteren an dem Erziehungswerk hätte 
verzichten wollen, oder daß er feine Lehrer abſichtlich „jung“ gewählt hätte. Aber 
die Ausübung der Schulzucht unter ſeiner oberſten Aufſicht hat er 
der Schülerſchaft überlaſſen mit der bewußten Abſicht und im vollen 
Vertrauen auf die Kräfte der Ordnung und Zucht, die dadurch in ihr geweckt und 
gefördert werden. Die Entſtehung der Schulgeſetze, die Heraus: 
bildung des Schülergerichts“) an der Berthold⸗Otto⸗Schule geben wert⸗ 
volle Aufſchlüſſe darüber, wie ſehr dieſes Vertrauen berechtigt war. — Dagegen 
war der Unterricht bei B. Otto eine Gemeinſchaft von jung und alt, von 
Lehrern und Schülern von der gleichen Natürlichkeit, wie es jede Familien: 
gemeinſchaft iſt. Es kann ſich ja nicht darum handeln, jung und alt auseinander 
zu reißen, vielmehr müſſen die Generationen in ein rechtes Verhältnis zueinander 
geſetzt werden, indem einerſeits der Jugend ſo viel Selbſtändigkeit wie möglich 
gelaſſen wird, andrerſeits ihr die Hilfen gegeben werden, die ſie braucht und 
verlangt. — 

Aus dieſem Vertrauen in die Jugend und der Einſicht in bie ſtarken Kräfte des 
Volksganzen erwuchs B. Otto ſein unerſchütterlicher Glaube an die Zukunft des 
deutſchen Volkes. Er iſt überzeugt, daß die geſunde, vor geiſtiger Überfremdung 
bewahrte Jugend gar nicht anders als organiſch, alſo im Sinne des Ganzen denken 
könne, wie ſich das bei jedem echten Geſpräch erkennen laſſe. Hieraus erhellt auch 
die Bedeutung des Geſprächs als einer „geiſtigen Urerſcheinung der menſchlichen 
Gemeinſchaft für den geiſtigen Verkehr und damit für die Unterrichtsgeſtaltung 
überhaupt.“ 

Helle Streiflichter fallen von der geſamtorganiſchen Betrachtungsweiſe, wie ſie 
ſich auch in der Auffaſſung vom „Königlichen Amt“ der Menſchenführung ſpiegelt 
auf das Leben und die Bedeutung der Stände, von denen B. Otto dem Bauernſtand 
beſonders tiefes Verſtändnis entgegenbringt, wie er ja auch der wenig gegliederten 


Landſchule ſamt ihrem mit „landpflegeriſchen“ Aufgaben betrauten Lehrer den 


1) Siehe den Beitrag Seite 35. 


Fr. Muth / Berthold Otto 13 


Vorrang vor den großſtädtiſchen Schulformen einräumt. Im Zuſammenhang mit 

Aufgaben dieſer Art beſchäftigen ihn auch nachhaltig Fragen der Vererbung. Er 

ironiſiert die liberaliſtiſche Auffaſſung „vom Zufall der Geburt“, indem er ſagt: 

„In der Zeit, in der man in der Tierzüchtung durch ſorgfältige Auswahl der 

Eltern die wunderbarſten Ergebniſſe erzielte, weil man mit der größten Sorgfalt 
die dabei herrſchenden Naturgeſetze beobachtete, in dieſer ſelben Zeit ließ man ſich 
einreden, daß diefe Geſetze für die Menſchen nur reine Zufallsergebniſſe wären, 
alſo mit Naturgeſetzen irgendwelcher Art nichts zu tun hätten.“ Auf die praktiſchen 
—Vorſchläge, die er in dieſem Zuſammenhang für die Ahnenforſchung machte, foll 
hier nicht eingegangen werden. Nicht minder ſorgfältig wie die Unterſuchung der 
fſeeliſchen Grundlagen des Bauernſtandes betrieb er die des Arbeiter⸗, Beamten⸗ 
und Offiziersſtandes, ebenſo aber auch die des „Händlertums“ mit allen ſeinen 
gefährlichen Auswirkungen. * 


Seine Anterſuchungen über den zuletzt genannten Stand führten ihn zu einer 
unerbittlichen Kritik der liberaliſtiſch⸗kapitaliſtiſchen Wirt⸗ 
. ſchaft feiner Zeit, die ſchließlich nur noch in Geld und verkäuflicher Ware 
denken konnte und ſelbſt die Arbeitskraft zur Ware erniedrigte. Im Gegenſatz 
“bierzu betonte B. Otto, daß unſer wertvollſter Beſitz die arbeitsfähigen und arbeits⸗ 
e willigen Volksglieder und ihre Nachkommen find, und daß darum die Grund» 
forderung einer vernünftigen, wahrhaft ſozialiſtiſchen Wirtſchaft die gerechte 
~ Wertung der Arbeitsleiſtungen fein müſſe. So kommt er dazu, eine Buchführung 
: über Leiſtungen und Gegenleiftungen der Stände unb Volksgenoſſen zu fordern, 
de bei der an Stelle des Goldes die Arbeitsleiſtung die Währungsgrundlage 
zu bilden habe, wie das des Näheren in ſeinem politiſchen Hauptwerk, dem 
„Zukunftsſtaat“ und in ſeinen letzten Unterſuchungen vor ſeinem Tode ausgeführt 
j it („Von ber Rentenmark zur Arbeitsmark“, 1928 und „Moral unb Wirtſchaft“, 
TEE Durch diefe Buchführung wird endgültig bie „Anonymität des Geldes“ 
überwunden, die darin befteht, daß man einem Geldſchein nicht anfieht, ob er auf 
E ehrliche Weiſe oder durch müheloſen Gewinn oder durch Betrug in die Hand des 
in Sefigers gekommen iſt. 


er 


f Immer wieder zeigt fi), wie B. Otto ftets neben dem Seeliſchen, Triebhaften, 
dem lebenſpendenden Unbewußten auch ber entgegengeſetzten Seite menſchlichen 
` Dafeins, nämlich dem Willensmäßigen, dem Ordnungsfaktor, der Zucht feine 
„ Aufmerkſamkeit zuwendet, da ja die Menſchenführung, einer der wichtigſten 
Gegenſtände feiner Unterſuchungen, ohne Berückſichtigung bieles Faktors nicht 

E ijt. Seele und Geilt, Wachstum und Wille bilden für ihn feine unver: 
ie ſöhnlichen Gegenſätze, fie find vielmehr gleichwertige Grundvorausſetzungen alles 
gt ‚ Nenfhentums. Darum wird gudtvolles Leben, weil ohne es die Gemeinſchaft nicht 

D beſtehen kann, überall gefordert, aber eine Zucht, die nichts mit äußerer Abrichtung 

ot gemein hat, deren Grundlage vielmehr bie Cinfidt, bie Verantwortungsfreudigkeit 

X. bildet und die nicht „blinden“, ſondern „ſehenden“, darum aber unbedingten 
Gehorfam zum Ziel hat. Wie diefe Haltung in Familie und Schule ausgebildet 


14 Günther Boehnert / Hans Baumanns Passauer Nibelungenspiel 


wird, darüber geben feine früher erwähnten Schriften Auskunft. Die Krönung 
aller dieſer Erziehungsbeſtrebungen findet im deutſchen Heer ſtatt. „Das 
letzte Stück der Erziehung zur Gemeinſchaft“, ſo erklärt er, „wird erſt durch die 
gewaltigſte und am beſten durchgebildete Organiſation gezeigt, die es überhaupt 
jemals auf Erden gegeben hat: und das iſt und bleibt nun einmal das Heer.“ 
Worin beſteht die Höchſtleiſtung dieſer unübertroffenen Zuchtanſtalt? Während 
des Weltkrieges ſtellt B. Otto in feiner „Kriegs rechenwirtſchaft“ eine Überlegung 
über die heldenhaften Leiſtungen der Frontſoldaten an und bemerkt dabei, daß 
dieſen ſelbſt ihr Verhalten als eine kaum rühmenswerte Selbſtverſtändlichkeit 
erſchienen ſei. Woher das? Nun daher, weil das preußiſch⸗deutſche Soldatentum 
„die Grundrichtung des Volkswillens tit, die jeden einzel⸗ 
nen zum Helden erzieht.“ * 


B. Ottos Ideen mußten in einer Zeit, die [o ganz anders gerichtet war als er, 
ſchlimmſten Mißverſtändniſſen und Verzerrungen ausgeſetzt ſein. Das ſchlimmſte, 
was ihm geſchah, war wohl, daß mittelmäßige Geiſter ihn als einen Schulreformer 
ihrer Art abzuſtempeln ſuchten, ihn z. B. zu dem „früheſten und treueſten Apoſtel 
der Pädagogik vom Kinde aus“ erklärten. Er ſollte, ſo war ihre Meinung, ein 
Faktor der Vergangenheit ſein. Damit aber wird man dem überragenden Kämpfer 
gegen ſchlimmſte Irrtümer eines vergehenden Zeitalters, dem Bekenner einer neuen 
Lehre der Gemeinſchaften, niemals gerecht. Er weiſt mit ſeinem Leben und Wort 
in eine Zukunft, die uns durch Adolf Hitler Gegenwart wurde. Wir rechnen ihn im 
Raum der Erziehung zu den Wegbereitern, denn er iſt kein anſehnlicher Interpret 
der verſunkenen Welt, ſondern einer der erſten Arbeiter an einer neuen. Er gehört 
in die Reihe jener Geiſter, zu denen Paul Ernſt die ſeheriſchen Dichter rechnet, von 
denen er ſagt, daß durch ſie „eine Nation zu ihrem Selbſtbewußtſein kommt“ und 
durch ſie „das deutlich wird, was in der Nation unbewußt lebt“. 


Günther Boehnert: 


Hans Baumanns Passauer Nibelungenspiel 


Wo die Falten im jahrtauſendalten Geſicht der Landſchaft die drei Flüſſe 
Donau, Inn und Ilz zuſammenzwingen, duckt ſich Paſſau auf den Halbinſeln 
zwiſchen den Strömen, beherrſcht von der Fürſtbiſchofsburg Oberhaus, die mit 
dem Fels verwachſen über dem Tor ſteht, das an der Donau hier durch den Stein 
gehauen wurde. Die alte Völkerſtraße von Weſt nach Oſt — die Nibelungen⸗ 
ſtraße — führt durch das Felſentor hindurch. Ein Felſentor? Das Tor der 
Nibelungen! Denn Donau abwärts geht der Weg nach Bechelaren (Pöchlarn). 
Und wie der Trieb der Flüſſe nun vereint, von hier als doppelt ſtarker Strom 
ſich in die Oſtmark gräbt, ſo ſtand der Strom des Bluts hier nimmer ſtill — von 
dieſer alten Straße an dem Strom, vom Zwang des Donautals befreit, ſprang 
er durch Millionen Adern und Kanäle, nächtebang und kampfeshell auf deutſchem 
Kreuzzug gegen Often in ben ſüdoſteuropäiſchen Raum. So ward bas feſte Haus 


Günther Boehnert / Hans Baumanns Passauer Nibelungenspiel 15 


a 
E 
` 


Rüdigers von Bechelaren auch das große Tor ins unrechtmäßige Reich bes 
Hunnen, das Tor, durch das die Nibelungen eingingen in den ewigen Kampf 
Europas gegen Aſien, das Tor zu Ruhm und Unſterblichkeit. 


„Hier fprang einſt Hagen ins Boot 
Und ftieß den Pfaffen vom Steuer. 
Die eigenen Fäufte find treuer, 

Sie werden noch früh genug rot! 
Gunther, umfaffe dein Schmert, 
Volker, nun aufgefungen! 

Weh dem, der wiederkehrt 

zum Tor der Nibelungen.« 


Uralte Linden ftehen hart am Abhang vor der Burg, hundertfach veräftelt. 
Unter der älteſten von ihnen beginnt ein Stück Schickſal und Mythus unſeres 
Volkes in dem Jahrtauſendantlitz dieſer Landſchaft die beſchwörenden Augen 
aufzuſchlagen. 


Hier vollzieht ſich die bannende Magie der Verwandlung, das beſeelende 
Nyſterium eines Dichters, dem es gegeben ward, das Unſichtbare — ſichtbar, das 
Unhörbare — hörbar zu machen und das Unnennbare einmalig zu benennen. 


Die Lindenblüten haben ihren Duft längſt ausgeregnet, wenn jedes Jahr zur 
Hochſommerzeit vom Donautal herauf der Ruf der Nibelungen ertönt. Auf 
ungariſchen Ochſenhörnern ſtoßen Rüdigers Männer im Dreiklang die Antwort 
über die Berge. Und nun entſteigt dem Tal das Heer der Nibelungen. Jedes Jahr 
zur Weihe, jetzt wie vor tauſend Jahren, ein ewiges Heer, deſſen bekannte 
beſichter wir heute tragen, deſſen Trotz und Treue im Brand von Egels Burg 
zu einer unfehlbaren Klinge glühte. 


Zum zweiten entſteigt dem Tal des Hunnenkönigs Etzel grauſer Traum: 


Die Berge bluteten ein glüh’ndes Erz, 

Es tropfte in die Quellen aller Bäche, 

Ein roter Dampf ſtieg aus des Landes Adern, 
Die Donau wurde rot, und dunkelrot 

Das Schwarze Meer, die Himmelezeichen fielen 

In diefen ungeheuren Feuerfee. 

Und er, vor dem die Sterne ſtille wurden, 

Er trieb auf ſchmalen Balken in die Glut, 

Der Mond ftürzt nieder und zerfchlägt den Kiel - 
Und er muß Sterne trinken, Sternel Sternel - - 
Er ftand vor feinem Zelt die halbe Nacht 

Und glaubte nicht mehr, daß der Himmel wandert. 


Und mit dem dunflen Traum und den hellgefihtigen Männern vom Rhein 
entſteigt dem Tale jung und ſtrahlend Hans Baumanns ſchönſtes und größtes 


D 
— 


16 Günther Boehnert / Hans Baumanns Passauer Nibelungensplel 


Gedicht. Erfüllt vom Willen um das Schickſal dieſer Landſchaft und hingegeben 


dem Zwang, zu künden und zu verdichten, ſchuf der Sänger ein hohes Lied den 
Treue: Das Paſſauer Nibelungenſpiel. | 


stin alter Ruf! Vertraut und unverfehrt, 

wenn er auch taufend Jahre in den Strömen fchlief. 
Wer weckt ihn auf? Pocht ihr fo ungeduldig 

an Giele Steine, Daß euch Hagen hört? 

Und Volker, Gunther, Gernot, Gifelher? 

Sie kommen leicht, fie haben lang gelaufcht 

und hielten ihre Helme in den Händen. 

Der Strom blieb mach, Auf diefem Boden ging ich 
der erften Nibelungenfahrt entgegen. 

Wo blieb die Zeit? Ich fpür noch meine Schritte. 
Nun tret ich wieder auf den Plan. 

Feuer fprang auf im Donauland, ein Zittern 
durchlief den Strom: Ein Traum begann zu leben! 
Euch feh ich an der Nibelungen Seite 

hinfchreiten Durch die Heimat vor dem Tor. 

Es ift mein alter Auftrag euch zu grüßen. 

Die Schatten werden leibhaft. Diefe Jahre 

wehn mir wie Atemzüge in die Seele. 

Mit neuem Leben kann ich Antwort rufen, 

da Dieter Klang das alte Schweigen bricht: 
Kommt, Nibelungen, greift zu euren Helmen, 

die Erde blieb getreu und unerbittlich, 

die Ströme fordern noch den gleichen Trotz 


So beginnt Hans Baumanns Spiel, das an einem ganz verregneten Abend 
unter den alten Linden über der Donau ſteinerne Sage Gewordenes wieder 
lebendig macht. Baldur von Schirach war gekommen, Hans Baumann zu ehren 
und ſich ſeine Könnerſchaft erneut beweiſen zu laſſen. Das dankbare Paſſau hatte 
dem Jugendführer des Deutſchen Reichs einen jubelnden Empfang bereitet. Der 
Regen, der unaufhörlich floß, konnte keinen einzigen Paſſauer daran hindern, 
dabei zu ſein, das neueſte Spiel „ihres“ Hans Baumann zu ſehen. Darüber hinaus 
hatte das Intereſſe viele Dichter und Denker und führende Kulturpolitiker nach 
Paſſau gezogen. In dem dunkeln Halbkreis der Sitzbänke begegnete man dem 
Geſicht Hans Caroſſas, Rainer Schlöſſers, Eugen Diederichs, Ludwig Voggen⸗ 
reiters, Sepp Kellers, Franz Tumlers; und viele andre ließ die Nacht nicht ſichtbar 
werden. — 

Während Rüdiger vor ſeiner Burg auf die Burgunden wartet, die aus dem 
Tal heraufſteigen, verſuchen Etzels Boten noch einmal, ihn zu einem Schwur zu 
bewegen, den er vor Jahren ſchon geſchworen. Als Preis bietet der Hunnenkönig 
ſein Schwert, von dem Rüdiger zu ſagen weiß: „Du ſchmales Eiſen, dich entſühnt 


— — — 


Günther Boehnert / Hans Baumanns Passauer Nibelungenspiel 17 


kein Leid. Getreue Hände müſſen dran erfrieren, dich zwang der Tod durch zuviel 
edle Herzen und einmal wanderſt du den Weg zurück.“ Der Hunne verſteht die 
Weigerung nicht, nochmals zu ſchwören: „Erſchreckt es Dich, was Du ſchon einmal 
tatit?“ Doch Rüdiger: 

»Für dielen einen Eid ward ich geboren, 

Erft mit dem Tod ſchwör ich ein zweites Mal. 

und ſicherlich, glaub mir, nicht einem Hunnen. 

Doch bis zum erſten Tode bin ich lein, 

Wer zweimal fchroóren hann, kann zweimal brechen, 

Ein Schwur verbannt das Herz ins kalte Schwert. 


Stärkſter Kontraſt gegen die auf ihren Pferden davonjagenden Hunnen: In 
weißen Mänteln, mit großen Schilden, lichte Helme auf den Haaren betreten 
jetzt die Nibelungen den Platz unter der alten Linde. Gunther, Gernot und 
Giſelher ſind gekommen, Hagen von Tronje und Volker von Alzey um Giſelhers 
Verlobung mit Rüdigers Tochter Gotlinde zu begehen. Aus dem Rauſchen der 
Bäume wachſen mächtig die Klänge von Volkers Lied und brauſend ſingen die 
Nibelungen: 

Der Himmel ift gelpannt 

den Tapfern und den feigen, 

doch iſt der Pfad zum Sternenland 
mit Schwertern zu erſteigen. 


Wer blanke Waffen lät, 

wird edle Ernte werben, 

doch wer des Todes Acker fchmäht, 
den übermannt das Sterben. 


Gefahr und Fahrt und Streit 
wird unfer Atem bleiben, 
wenn wir die Dunkelheit 
von aller Erde treiben. 


Die Acker bleiben ftehn, 
wenn wir von ihnen wandern. 
Die Welt und alles Wiederfehn 
vergeben wir den andern. 


Das Bewußtſein ihres Schickſals ſteht mit dieſem Lied den Nibelungen klar 
auf Schwert und Schild geſchrieben. Die Burgunden begleiten am Ufer reitend 
ihre Königsſchweſter Kriemhild, die auf einem Schiff die Donau abwärts fährt, 
zu ihrer Hochzeit mit König Etzel. 

Hier verläßt Hans Baumann bewußt die Sage. Hier hört er auf, Sänger zu 
ſein, hier deutet er groß und einmalig. Was Hebbel nicht gekonnt in ſeiner Zeit, 
hat Baumann uns geſchenkt. Er hat Kriemhild unſeren Herzen wiedergegeben, 
die ſonſt nur mit Hagens Treue gingen. Er hat uns Bilder einer Zeit wieder⸗ 


18 Günther Boehnert / Hans Baumanns Passauer Nibelungenspiel 


finden laffen, 


die uns Siegfried als den Stärkeren erſcheinen ließ. Hier wurde 


der Dichter größer als der Mythus. Das danken wir ihm beſonders. 
Aus dem ſtarken Naſſebewußtſein unſerer Zeit war es Baumann nicht möglich, 


der Sage folgend Kriemhild die Gattin Etzels und Mutter ſeines Erben werden 


zu laſſen, um erſt dann ihre Brüder und Hagen zur Rache an die Donau 


einzuladen, nachdem ſie ſelbſt ſchon Königin des Hunnenreiches iſt. Nein, ehe 
Etzel ſie berühren darf, muß dieſe Welt aus Hunnen und Burgunden in Blut 
und Feuer aufgehen. Nie ſahen wir ſo tief in Kriemhilds Seele, dennoch oder 


nun erſt wirklich eine deutſche Seele. Gewaltiges bricht auf in dieſer Szene: 


Kriemhild: 


Gott irrte nicht als er mich ſchuf, 

fonft hätte er mir Siegfried nicht gegeben 

und nicht das hohe Jahr. Die Glocken 

von Worms! Ich hab fie nicht oergeffen - 

zu jäh verftummten fie bei feinem Tod. 

Durch den er fiel, der hat kein Recht zu leben, 
wenn ich es dulde, wird mich Gott erinnern. 
Doch bitter feh ichs, keiner von den Hunnen 
wagt fich vor Hagen, ale verteilt er Blitze. 
Mich tragen fie im Taumel. Seine Schritte 
erlaufchen ihre Ohren an der Erde, 

vor feinem Blick zerftieben fie wie Spreu. 

So hätt ich meinen Stolz umlonſt geopfert? 
Voll Herzensangft ruf ich dich, Rüdiger - 
denn Hagen hann durch keinen Hunnen fallen! 


(Rüdiger kommt langſam auf den Platz. Er bleibt in der Mitte ſtehen, 


Kriemhild: 
Rüdiger: 
Kriemhild: 
Rüdiger: 
Kriemhild: 
Rüdiger: 


Kriemhild: 


Rüdiger: 


Kriemhild: 


den Blick nach vorn. Beide ſchweigen lange.) 
Schläft Etzel? 
(antwortet nicht). 

Weck ihn nicht. 
(ſchweigt). 
Wo bleibt ein Weg? Hier taugt dein Volk zu wenig. 
Den Schwur am Rhein verwandelten die Hunnen? 
lch liebe Hagen tiefer als du ahnſt, 
und meiner Seele reinern Teil fpür ich in ihm. 
Der Schwur bleibt unverfehrt durch deine Liebe. 
Zu jedem Dienſte, deffen ich bedarf, 
ruſt er dich hart. lch fordre Hagens Jodl 
Kriemhild, laß mich an feiner Seite: 
Nur einer iſt doch Hagen. Deinem Schatten 
entipringen neunmalhunderttaufend Hunnen! 
Hagen ift ihr Entfeten. 


Günther Boehnert / Hans Baumanns Passauer Nibelungenspiel 


Ridiger: 


Kriemhild: 


Rüdiger: 


Kriemhild: 


Rüdiger: 


Kriemhild: 


Rüdiger: 
Kriemhild: 
Rüdiger: 


Kriemhild: 


Rüdiger: 


Kriemhild: 


Rüdiger: 


Tritt du vor ihn. 
Nimm Etels Dolch - fein Schwert wird er nicht ziehen 
vor einer Frau. Dann komm zu mir. 
Ich küßte einmal einen bleichen Mund, 
ein Lindenblatt fiel in die leere Wiege - 
es war ein Jahr, da träumte ich von Kindern. 
Nun foll fie Egel deinem Schoß erwecken? 
Weh, daß du dieles Wort mir nicht verſchwiegſt. 
Mich lockte nicht lein Bett, nie werd ichs teilen. 
Doch meiner Rache mußt ich keinen Weg, 
als von dem Hunnen Hagens Tod zu fordern. 
Die beften Burgen hatte er zerftampft, 
er, dacht ich glühend, wird auch Ihn zerfchmettern. 
Sieh an, role er fich rtiftet! Voll Gewißheit 
ift er er ſchläſtl Mit ungeheurem Schimpf 
hat er vor allen Hunnen mich beladen - 
die Schande einer Frau berührt fie nicht, 
fie taugen nicht zu einem Untergang, 
als bange Gaffer ftehen fie daneben - 
reiß du mir Hagens Namen aus den Sternen! 
An dein Gefchlecht verketten mich ole Adern, 
an Egel doch nur ein erfrornes Wort, 
und du, mit ungeroiffen, blinden Händen 
kehrft dlefes nackte Wort gegen mein Blut 
an Gifelher gab ich die Tochter! 
Du fpürft die Erde nicht mehr, wenn du fchreiteft, 
dich fchrecht wie Etzel, was am Himmel wandert, 
Sind dir denn alle tot, Gunther und Gernot? 
Erfchlage Hagen und fie leben alle! 
Das Donauland geb ich an Gilelher 
zum Brautgeſchenk für deine Freiheit 
Du weißt nicht, was du forderſt. 
(ſchweigt). 
Kriemhild, ich habe niemals noch gekniet, 
vergißt du meinen Eid, will ich es tun. 
(bleibt ſtill). 
Ich kenne doch die Nibelungen beffer: 
Sle ſinken alle vor ihm. 

Ohne Zittern 
wirft du auf ihren Leibern zu ihm finden. 
Drei Jahre ſpannſt du deine Rache, lodernd 
in allen Adern wuchs dein Haß. 
So viel mit Siegfrieds Tod auch unterging - 


19 


20 Günther Boehnert / Hans Baumanns Passauer Nibelungensplel 


Ole Treue blieb mit Hagen hart am Leben. 
So Ntößt ein Recht das andre glühend an, 
erbarmungslos und halt fieht es der Himmel 
und gibt dir keine Schuld als Troft. 
Allein fteht jeder. 
Warum trittſt du nicht zornig vor ihn hin 
und forderft ihm das Herz aus feinem Leibe - 
warum millft du der Nibelungen Tod? 
Kriemhild, gib die Erde nicht den Hunnen, 
am Rhein {ft doch ihr letzter Wall gebaut - 
du wilit thn brechen? 
Kriemhild: O, verfteh mich doch! 
Wenn meine Rache dann vor Hagen bricht, 
zum größeren Auftrag werde ich euch zwingen. 
Ein ungeheures Feuer foll hier wachſen 
und läutern den entmweihten Flecken Welt, 
in den der Hunne feine Herrfchaft trat. 
Einmal muß jene Schlacht gefchchen, 
da Nibelungen fich des Lands erinnern, 
h das fie einft vor den Hunnen aufgemeckt! 
Soll diefe Hochzeit brennen, mag es fein - 
um Etzel forgt euch nicht. In {pater Stunde 
wlll ich die Fackel an mich felber legen. 

Hier wählt der Dichter über feine Maße. Die klare Form kann fat nur noch 
die Größe der Gedanken ſpiegeln, doch kaum mehr dieſe Leidenſchaft, die ſie erzeugt. 
So dürfen wir auch einen Hagen grüßen, der uns neu und näher: 

Hagen: Ein alter Kummer liegt auf meiner Seele. 
Und heute wird die Laft zu viel. 
Ihr mißt, daß Kriemhild lebt mich zu verderben. 
Ihr Haß ift groß und hat thr Blut verkehrt, 
mit Hunnenleibern will fie euch begraben. 
(Er tritt auf Gunther zu und padt ibn.) 
Drum, Gunther, fprich mich meiner Treue los, 
die Freiheit gib mir elnlam zu verderben, 
daß Worms vor Kriemhilds Werbung ficher fei, 
am Rhein begeht fie fonft die dritte Hochzeit 
und dann vergißt der Strom die alten Ufer. 
Gunther: (regungslos). 
Hagen: Bewegen will lch ſie mit guten Worten: 
Ruf deine Hunnen her, will ich ihr lagen, 
mit ihren Feuerfchalen deck mich zu. 
Und wenn mein Leib verlodert, löfch den Haß 
und glaub der Glut, die mich gehorfam fraß. 


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Günther Boehnert / Hans Baumanns Passauer Nibelungenspiel 21 


Gunther: Hagen, du zitterft ja. Wach auf, wir leben! 
(Er hält ihn ſchweigend, dann macht er ſich heftig los und fragt) 
Seid ihr zu Händen - wo bleibt Gifelher? 

Volker: Er ift fchon auf dem Wege. 


Gunther: Gifelher! 
(Giſelher kommt allein auf ben Platz, nach wenigen Schritten bleibt 
er ſtehen.) 


Gifelher: Sie trinkt den Hunnen zu wie ihren Brüdern! 


Gunther: Komm, Gifelher, und hilf den Himmel halten. 
Das UnfaBbare ließ er hier geſchehn: 
Der Hagen zittert - er, der graue Wächter, 
er bettelt fich von feiner Treue los, 
als könnten Nibelungen einfam fterben. 
Seit Kriemhild lacht, packt ihn die Angſt. 


Gifelher: Auch mich ſtößt Grauen, wenn Ich an fie denke, 
mit trunknen Hunnen tanzt ſie durch den Saal, 
zuletzt hebt fie den Königshumpen: Hunnen) 
ſchreit ſie, hebt mich auf eure Schildel Jauchzend 
ſtemmten die wildeſten dle nackten Schultern 
und trugen fie zu König Etzel hin. 

Der fchlief. Sie fchüttet ihm den Humpen 
vore Anseficht. Sein Raufch war ftärker. - 
Die Seele, glaubt Ich, weicht mir aus den Fugen. 


Hagen: Ich biet thr. Hagens Herz als Hochzeitsſchmaus, 
das macht fie nüchtern, denn fie raft vor Hunger. 
Kehrt wieder heim! | 
(Er will fort. Gunther tritt ibm in den Weg, fie ſtehen fid) feindſelig 
gegenüber. Endlich tritt Gunther mit zwei Schritten auf Hagen zu.) 
Gunther: (ſehr ruhig) 
Ee wär zu einſam ohne dich am Rhein. 
Und dann, als Giſelher, der ihr der letzte blieb und deſſen Brautlied eben noch 
don Kriemhild ſang, ſich von ihr losgeſagt, erfüllt ſich unabwendbar das Geſchick, 
das ſo lange dauert, wie Europa Oſtwacht gegen Aſien hält. Im Todesrauſch ſingt 


Volker ſein Lied der Oſtmark (vgl. „Wille und Macht“ vom 15. Juli). 


Plötzlich brennt der Wall auf von Hunnenfackeln. Mit ſchwelender Glut ſchließt 
ſich der aſiatiſche Halbkreis um das Heer des Lichts. Rot gegen Weiß! Auf den 
Ruf Volkers: „Der Tod iſt hinter uns!“ wenden ſich die Reihen der Nibelungen 
jäh um. Wie ein Brauſen hebt ſich ihr Lied über die Fackeln. „Macht euch bereit, 
doll Gewitter ſteht die Zeit.“ 


da werfen die Hunnen ihre Fackeln in der Mitte des Platzes zu einem Feuer 
jammen. Brand ſteht zwiſchen ihnen und uns, Kampf! 


22 Günther Boehnert / Hans Baumanns Passauer Nibelungenspiel 


Das Licht im Vordergrund ift verlofden. Nur Rauch und Feuer füllen den 
weiten Platz, und nur wie Schatten noch marſchieren ſingend dieſe Nibelungen 
durch das Feuer in die Unſterblichkeit. Die Hunnen ſind verſchwunden, der Tod 
iſt machtlos, Baumann ſteigert die reale Handlung, mutig den Zuſchauern ver⸗ 
trauend, in einen metaphyſiſchen Schluß: Durch Tod und Feuer am Leben bleibt 
die Treue. Sie ſchreitet ſingend durch ihr en und ruft und ruft die 
Herzen ins Feld! 


Das Feuer fegt dle Sterne aus den Bahnen. 

Vor den Getreuen weicht die Glut. Es fpringt 

die Erde furchtlos auf. Die Ströme ahnen, 

daß folches Heer fein Lied zu Ende (net, 

Ihr fingt, wenn das Jahrtaufend ſchweigend modert, 
ich fpür euch unverſehrt ans Tor geſtellt. 

Bewacht die Erde, wenn das Leid verlodert, 

das Schwert bleibt ftehn und adelt diefe Weltl« 


Nach dieſen Worten, die Rüdiger, als letzter auf dem Plan, in die Natur geſtellt, 
ſtößt er ſein Schwert in die Erde. Das Schwert bleibt ſtehn, er aber wendet ſich 
und geht durch die Flammen davon, auch feinen ewigen Marſch beginnend jenjeits 
von Raum und Zeit. 


Der Menſch überwindet den Körper aller Dinge, iſt ſtärker als das Gegen⸗ 
ſtändliche. Wenigſtens: Wo er dies nicht kann, durchſeelt, vergeiſtigt er es. Das 
iſt der tiefſte Urtrieb aller Kunſt: Geiſt iſt ſtärker als Materie! — 


Aber am Anfang und am Ende ſtand der Regen. Man ſagt, er habe nicht 
aufgehört, aber Spieler und Schauer haben aufgehört ihn wahrzunehmen. Eine 
Dichtung erwies ſich ſtärker als der Regen. Das iſt vielleicht das Schönſte und 
Zwingendſte an dieſem Tag. Die wunderbare und bilderreiche Sprache Hans 
Baumanns durchſtieß das Gewölk, Helle und Klarheit ſtrömte hernieder, wurde 
Fleiſch und ging dann wieder mit den Winden in das Leben, wo nichts verloren⸗ 
gehen, wo nichts ſterben kann. Wie nebenſächlich iſt doch Regen, wenn Tauſende 
von Menſchen ihn nicht wollen. Geiſt iſt ſtärker als Materie! — 


Außen — an der Burgmauer klebend — hängt ein Gärtchen aus Raſen und 
Roſen mit einem Häuschen an die Wand gelehnt. Die Stadt Paſſau hat es Hans 
Baumann zum Lehen gegeben. Hier über die Stadt und ihre drei Ströme in die 
Berge des Bayriſchen Waldes ſehend, ſingt er ſeine Lieder. Mit dem Rüdiger 
von Bechelaren ſcheint eine beſtimmte Schaffensperiode abgeſchloſſen. Er zeigt das 
Höchſte, was auf dieſem Weg erreichbar iſt. Hans Baumann iſt unſer — wir 
ſind ſtolz auf ihn und wir haben Forderungen an ihn. Ein junges Volk, daß ſeinen 
Sänger liebt, wartet auf ſeinen Seher und Deuter! Was iſt uns Volker von 
Alzey mehr als ein Traum, ein ſtolzer. Hans Baumann heißt ein Sänger unſerer 
Tage. Daß er es iſt, verpflichtet uns — und ihn. 


Wilhelm Grau: 
Streit politischer Ehepartner 
Cuglilhe Intereſſen und jüdiſche Ziele 


Seit mehreren Monaten ſchon iſt Sirael 
auf Großbritannien nidt gu zu ſprechen. 
„Jüdiſche Menſchen find etwas mi trauiſch 
geworden gegen alles, was aus ngland 
zu ihnen dringt“, ſchrieb am 12. Mai 1939, 
als ſich die Umriſſe des bei b: 
buches abzuzeichnen begannen, die Jüdiſche 
Preſſezentrale. 

Als dann die engliſche Regierung nad) 
langem Zögern wirklich wagte, am 1 . Mai 
bas Weißbuch zu veröffentlichen, zeigte Dë 
das Judentum aufs tiefite verletzt. 

In dem Command Paper Nr. 6019, 
welches am 23. Mai vom Unterhaus mit 
968 : 179 Stimmen angenommen wurde, 
wird ein arabiſch⸗füdiſcher Ge⸗ 
meinſchaftsſtaat als Löſung aus⸗ 
E Das Judentum wird im dieſem 

taat auf ein Drittel der Geſamt⸗ 
bevölkerung feſtgelegt, weshalb in den 
nächſten fünf Jahren die jüdiſche Einwande⸗ 
rung auf 75 000 Köpfe und nach Ablauf 
on Zeit auf 25000 Köpfe begrenzt fein 
I In einer Friſt von zehn Jahren [oll 
unter der Verantwortung der Mandats⸗ 
macht England bas arabiſch⸗füdiſche Staats» 
gelen heranbilden, und dann „unabhängig“, 
jedoch „mit Unterſtützung britiſcher Berater“ 
und unter Kontrolle des britiſchen Ober⸗ 
kommiſſärs ſich ſelbſt regieren. 


Die politiſchen Beſtimmungen dieſes 

Wei es — ſo wird ie offen 
erklärt — werden ſabotiert und England ſei 
mit ſeiner „Schwenkung“ zu e gefommen, 
um bie Juden, bie „wegen ihrer wirtſchaft⸗ 
lichen Schlagkraft bereits das entſcheidende 
Gewicht im Lande“ Paläſtina haben, noch 
lenken zu können. Die neuen Einwande⸗ 
tun geſetze würden großzügig umgangen 
werden. 
Da die Juden jahrhundertealte Meiſter 
im Men enfómugge find, ſprechen wir 
dieſen jüdiſchen Plänen durchaus Erfolgs⸗ 
ausfidten zu. 

Weniger durch die Einwanderungsbegren⸗ 
zung als durch die Ablehnung eines 


AußenpolitiiheHotien 


eigenen Judenſtaates in Palajtina, 
kommt dieſem re in dem allgemeinen 
engliſch⸗jüdiſchen Verhältnis eine grundläß- 
liche Bedeutung zu und iſt in jüdiſchen 
Augen eine Kataſtrophe. „Das Vertrauen 
iſt zerſtört, die Zuſammenarbeit iſt auf⸗ 
gehoben.“ „England hat uns verraten.“ Auf 
der ganzen Welt erörtern jetzt die Juden 
erregt die engliſche Politik. 


Streicht man die Sentimentalitäten, die 
ſich derzeit in Drohungen und lärmenden 
Geſten hauptſächlich in Paläſtina und Ame⸗ 
rita Luft machen, fo bleibt tatſächlich eine 
bemerkenswerte Störung des ii iſchen Ber: 
trauensverhältniſſes zu Großbritannien. 


Die Juden vermerken zwar, daß die eng⸗ 
liſche Regierung aus Schwäche und nicht 
aus einem grundſätzlich . ſchen Stand⸗ 
punkt die neue Paläſtinapolitik in die Wege 
ee habe. Die Verfechter des Weiß⸗ 

uches im engliſchen Parlament legten in 

der Tat großen Wert auf die Feſtſtellung, 
die neuen Beſtimmungen a nidi im 
Widerſpruch mit der Balfour-Deflaration. 
Doch die ganze Diskuſſion ſowohl im Parla⸗ 
ment wie außerhalb zeigt mit großer Deut⸗ 
lichkeit, wie ſehr engliſche Intereſſen und 
üdiſche Ziele einander überſchneiden, und 
aß das politiſch verbindende Element zwi⸗ 
chen Juden und Briten allein die gemein⸗ 
ame Feindſchaft gegen ein großes und 
tarkes Deutſchland iſt. 

Robert Briscoe, das einzige jüdiſche 
Mitglied des iriſchen Parlaments, ver⸗ 
öffentlicht eben einen Aufſatz, der mit fol⸗ 
genden Worten beginnt: „Es iſt aus⸗ 
geſchloſſen, das jüdiſche Problem durch einen 
Verſuch, die jüdiſchen Aſpirationen in den 
Rahmen britiſcher Politik einzuordnen, 
löſen zu wollen, da die Bedürfniſſe 
des oct Volkes, mas Pa⸗ 
läſt ina anlangt, fid dauernd 
im Konflikt mit der engliſchen 
. im nahen Oſten befin⸗ 

e n.“ 


Welches ſind Englands Intereſſen und 
welches die jüdiſchen Ziele? 
England will ſowohl das jüdiſche Welt⸗ 


kapital auf ſeiner Seite erhalten, wie 
andrerſeits im vorderen Orient die arabiſch⸗ 


24 


jüdiſchen Gegenſätze nicht auf Koften bes 
Empire wuchern laſſen. Die arabiſche Welt 
ſtand im Weltkrieg auf ſeiten Groß⸗ 
britanniens. England verſucht ein völliges 
Entgleiten der Araber aus ſeinem Einfluß⸗ 
bereich zu verhindern. An ſich wäre England 
ein jüdiſcher Staat in Paläſtina icli afts⸗ 
politiſch wie ſtrategiſch grundſätzlich nicht 
unangenehm. Fordert jedoch die Errichtung 
dieſes Judenſtaates den Verzicht auf jede 
arabiſche Freundſchaft in einer derart ge⸗ 
ſpannten Lage, wie ſie ſich derzeit über die 
Welt hinbreitet, dann ſtellt pieles Ziel, bas 
bet wichtigſte Programmpunkt der jüdiſchen 
Weltpolitik iſt, einen erheblichen Störungs⸗ 
faktor der N des Empire dar. Eng⸗ 
land gibt die Araber noch nicht ek Cs bes 
müht ſich, wenigſtens ihre wohlwollende 
Neutralität für Großbritannien zu d de 
wenn London ſeit längerer Zeit auch ſchon 
in Rechnung ſtellt, daß die Araber im Ernſt⸗ 
falle ſich gegen England wenden. Die jüngſt 
etroffene englijd) » türkiſche Vereinbarung 
ba offenſichtlich auch eine antiarabijde Be- 
1 zu erfüllen. Die Türkei ſoll im 
SECH e bie arabiſche Welt in Schach 
alten. 


Das Judentum fordert aber in unvermin⸗ 
derter Stärke einen nn jübilden Staat 
in Paläſtina. Es will dieſen Staat nicht, 
um alle Juden der Welt im vorderen Orient 
zuſammenziehen zu können. Es will 
dieſen Staat als völkerrecht⸗ 
lichen Garanten für die im 19. und 
20. Jahrhundert errungene Bor: 
machtſtellung in der elt. Pa⸗ 
lajtina ſoll der geiftige und machtpolitiſche 
ö (Vatikan) der Weltjudenheit 
werden. 


Da aber ſeit mehreren Jahren eine rück⸗ 
läufige Bewegung in bezug auf die Weiter⸗ 
entwicklung der jüdiſchen Rechts⸗ und 
Machiſtellung im Gange ijt, ja in dem für 
das Weltjudentum ſo wichtigen Bereich 
Mittel⸗ unb Oſteuropas ſchwere Verluſte zu 
verzeichnen find, halten die Juden es als 
eine ihrer wichtigſten Forderungen, daß ihre 
Wünſche in Paläſtina raſch erfüllt wer⸗ 
den. Das Judentum glaubt, daß ſein poli⸗ 
tiſches Ziel in Paläſtina von Großbritannien 

tundjägli gebilligt fei. Die Zeitfrage 
Bat für die Juden jedoch eine fo große Bes 
Mieke daß darüber der augenblickliche 
Konflikt mit der engliſchen Regierung ent⸗ 
ſtehen konnte. 


Während Großbritannien mit der Bal⸗ 
four⸗Deklaration in ſchwerer Kriegsbedräng⸗ 


Außenpolitische Notizen 


nis die Sympathien des Weltjudentums, 
vor allem die entſcheidenden Stimmen der 
Juden Amerikas auf ſeine Seite 119 und 
durch dieſen politiſchen Shahaug nicht zu⸗ 
letzt die Unterſtützung der Vereinigten 
Staaten in der Endphaſe des Weltkrieges 
erlangte, war die Fortſetzung dieſer Poli: 


2 0-24 —ͤ— ain a —— — 


tik alles eher denn ein erfolgreiches Ge . 


al für ; 
ih in der Weiſe zu, daß bie Balfour⸗Dekla⸗ 
ration die alle arabiſche Welt gegen 
Großbritann | Maße 

Bewegung brachte und damit ſämtliche 
Probleme des öſtlichen Mittelmeeres unter 
außerordentlich düſtere Aſpekte ſtellte. In 
einer Zeit, in welcher durch die Doll 
Geſamtlage das Mittelmeer ohnedies zur 
ſchwerſten Sorge Englands geworden it, 
bedeutet eine revolutionäre englandfeind⸗ 
liche arabiſche Welt eine akute Gefahr. 

Es gibt genug Briten, die ſeit langem 
den Ernſt der Lage erkennen. 

Am 20. Oktober 1930 hat die Regierung 
Ramſay Macdonald unter der Verantwor⸗ 
tung des Kolonialminiſters Lord Paß⸗ 
[i eld (Mr. Sidney Webb) [don ein Weib: 


uch herausgegeben, welches den Versuch 


machte, die britiſchen Intereſſen zu wahren, 
d. h. die jüdiſchen Forderungen jud 
Einwanderung und Bodenerwerb in Pa 
läſtina zur Beruhigung der Araber erheb⸗ 
lich zurückſchrauben wollte. Die Wirkung 
dieſes Weißbuches auf das Judentum war 
eine ähnliche, wie jetzt die des . 
der Regierung Chamberlain vom 17. Mai 
1939 unter der verantwortlichen Zeichnung 
des Kolonialminiſters Malcolm Macdonald. 
Das Weltjudentum lief damals Sturm da⸗ 
gegen und — triumphierte. Ramfay Mac 
onald hat in einem Brief an ben Zioniſten⸗ 
führer Weizmann am 14. Februar 1931 den 
geſamten Inhalt ſeines Weißbuches wider⸗ 
rufen“). 


Die jüdiſche Politik ging dann ungehin⸗ 
dert weiter. Die Vorſchläge der Peels 
kommiſſion, welche einen eigenen Juden⸗ 
ſtaat vorſahen, waren im weſentlichen ein 
mit dem Judentum abgekartetes Spiel. 
Nun aber ſcheint der engliſchen Regierung 
das Waſſer des öſtlichen Mittelmeeres ſchon 
bis an den Hals zu reichen, ſo daß ſie alle 
ihre Rückſichtnahme auf die „verfolgten 
Juden preisgab und mitten in weltpolitiſch 


*) Über die Geſchichte des Paläſtina⸗Problems unter 
richtet ausgezeichnet Giſelher Wirſing in feinem bier 
bereits beſprochenen Werk „Engländer, Juden, Araber 
in Paläſtina“, Jena 1938; viele Buch ik darüber hin 
aus eine Ein ien Einführung in die Judenfrage 
der großen Politik. 


ngland. Die Entwicklung ſpitzte 


en in ſteigendem Maße in 


+ em oe 


m r | 


Außenpolitische Notizen 


bewegenditen Vorgängen fs Zeit nahm, 
ein neues Paläſtina⸗Weißbuch herauszu⸗ 
geben. So wenig dieſe neue Politik die 
arabiſchen Wünſche erfüllt, ſo wenig ſie vor 
allem dem arabiſchen Standpunkt ein e ? ts 
liches Verſtehen entgegenbringt, fo ſehr 
beſchneidet ſie die jüdiſchen Ziele. Die Re⸗ 
gierung Chamberlain glaubte, in der Bes 
tangnis, in der ſich England derzeit befins 
bet, vom Weltjudentum Verſtändnis für die 
ME der britiſchen Intereſſen zu 
finden. Wenn in dieſem Augenblick der 
politiſchen Not Großbritanniens das Juden⸗ 
tum nicht foviel Einſicht aufbringt — fo 
argumentieren die Verfechter der neuen 
engliſchen Paläſtinapolitik —, zu welchem 
Zeitpunkt dann? 

Es haben ſich einzelne jüdiſche Stimmen 
im engliſchen Sinne vernehmen laffen. 
en meinte, bie Juden follten nicht 
vergellen, daß „Englands Feinde auch bte 

einde der Juden ſind und daß daher die 
lufrechterhaltung der Poſition Englands 
für die Juden von größter Bedeutung iſt“. 
Darum geht augenblicklich die Auseinander⸗ 
eung im Jüriigen Lager. Soll Iſrael den 
engliſchen Intereſſen ein Opfer bringen? 


„Die Dynamik und Eigengeſetzlichkeit der 
Laien Politik ift zu mächtig, als daß die 

rer des Großludentums engliſche Inter⸗ 
eſſen jüdiſchen „Forderungen grundſätzlich 
voranitellen würden. Die Juden wager 
igen ab, ob die Geſamthaltung der eng⸗ 
liſchen Regierung eine vorübergehende 
wl ne auf britiſche Intereſſen vers 


Viele Gründe ſprechen dafür, daß bas 
Ergebnis dieſer jüdiſchen Überlegungen 
gegen Chamberlains neue Paläſtindpoltik 
ausfallen wird, daß jedoch das Judentum 
ſelbſt der engliſchen Regierung eine diplo⸗ 
matiihe Brücke baut, auf der diefe den 
rin antreten fann. 

as Weltjudentum Hat rechtzeitig in 
feiner Paläſtinapolitik i? Sch Bere 
einigten Staaten rüdverfidert. Und 
fo oft ‚engtilche Intereffen den jüdiſchen 
Zielen in die Quere kamen, hat Weizmann 
die amerikaniſche Karte ausgeſpielt. 

Während die engliſche Politik immerhin 
zoch einen eigenen Bereich britiſcher Son⸗ 
derintereſſen kennt, iſt in den Vereinigten 
Staaten amerikaniſche und jüdiſche Politik 

er bis zur Unkenntlichkeit ineinander 
derſchmolzen. 

Wilſon, der würdige Vorgänger Rooſe⸗ 
velta, ſtand ſchon bei der Entſtehung ber 
Balfout⸗Deklaration Pate. 1924 hat ſich die 


amerikaniſche Regierung durch einen Ver⸗ 
trag mit England ein Einſpruchsrecht auf 
die Paläſtinapolitik gefigert. Außen⸗ 
miniſter Cordell Hull hat dement⸗ 
ſprechend in dieſen Tagen dem Präſidenten 
der zioniſtiſchen Organiſation Amerikas, 
Rabbi Solomon Godmann, die Erklä⸗ 
rung gegeben, daß die Regierung der Ver⸗ 
einigten Staaten das Paläſtina⸗Weißbuch 
e ſtudiere und über die jüngfte 


Entwicklung in der Paläſtinaſitugtion 
äußerft beſtürzt fet. Die Oppoſition 


im engliſchen Parlament gegen das WA 
buch, unter ber fif bemerkenswerterweiſe 
Herr Churchill am eifrigiten für die 
jüdifhe Sache einſetzte (die „Times“ bes 
zeichnete deſſen Rede als „deſtruktiv“), hat 
ebenfalls die Regierung der Vereinigten 
Staaten indirekt aufgefordert, das Weiß⸗ 
buch zu Fall zu bringen. 

Die Juden rechnen damit, we Be mp 
liche ale Kant in ähnlicher e 


Albion und Juda aufeinander angewieſen! 


Großbritannien hat bei ſeiner dies⸗ 
maligen Schwenkung in der Paläſtina⸗ 
politik den einen bedeutenden Vorteil 
auf ſeiner Seite, daß das Judentum bei 
dem Anwachſen des Antiſemitismus auf der 
ganzen Welt noch weniger einen Bruch 
mit Großbritannien ſich leiſten kann, als 
die engliſche Regierung ihrerſeits einen 
ſolchen Bruch mit den Juden für erwünſcht 
ält. Wie ſtark auch die Verankerung der 
üdiſchen Macht in der Regierung der Ver⸗ 
einigten Staaten iſt, auf v e aís 
10 esgenoſſen verzichten, kann Weizmann 
nicht. 


Nur auf Grund der günſtigen tak⸗ 
tiſchen Lage für Großbritannien könnte 
ſich eine weitere Verſteifung und Verſtim⸗ 
mung zwiſchen dem liberalen Konſervativis⸗ 
mus Londons und den Juden ergeben. Aber 
werden die goldenen Ketten, mit denen 
England an das Weltjudentum Oe ift, 
dem Kolonialminiſter eine ſolche olitik 
erlauben? 

Da bem Chamberlainſchen Weißbuch aud) 
die Befriedung der Araber nicht gelungen 
ift, der eigentliche Zweck der neuen Politik 
allo fehlgeſchlagen hat, ijt als fider anzu⸗ 


26 Außenpolitische Notizen 


nehmen, daß das Paläſtinaproblem nod 
lange die Welt beschäftigen wird. 
England iſt innerlich zu 
„ u m A ureigenen 
ebensintereſſen 5 
von fremden Aſpi rationen wah: 
ren zu können. Es weiß um ſeine 
Intereſſen. Es weiß allerdings nur noch 
von ntereſſen, nicht mehr vom 
Sinn dieſer Intereſſen. 


Darum macht Englands Politik der 
letzten Jahre einen ſolch zerriſſenen und 
gequälten Eindruck. 


Darum iſt ſeine Politik ſo wirr geworden, 
ſo voll von Widerſprüchen. Es beſchließt 
Sanktionen in Genf und erkennt Abeſſinien 
an, es geht nad München und klopft am 
Moskaus Türe. Es verſpricht den Juden 
und bricht den Arabern das Wort. 


Das iſt das England von heute, in den 
Augen ſeiner Freunde wie ſeiner Feinde. 


Manfred Zapp: 


Portugal und seine Außenpolitik 


Die e eee taucht blutrot im 
Meere unter. Einige Fiſcherboote heben ſich 
vom Horizont ab. In der Ferne zieht ein 
Dampfer vorüber. Gedankenvoll re 
einige Portugieſen auf das Meer hinaus, 
das für Portugal Vergangenheit und Zu⸗ 
kunft bedeutet. Heinrich der Seefahrer 
1394—1464) hat der Sage nach von feinem 
chloſſe in Sagre ähnlich auf das Meer 
hinausgeſchaut und dann die großen Pläne 
vorbereitet, die zu den erſten Entdeckungs⸗ 
fahrten und Eroberungen der Portugieſen 
in Afrika führten. 

Wie die Wellen auf⸗ und abwogen, iſt 
Portugals Schickſal auf⸗ und nieder⸗ 
gegangen. Auch jetzt iſt wieder bewegte See. 


Die Meeresbrandung ſtürmt gegen die 
ohen Kaimauern von Eſtoril. Ab und zu 
ritzt eine Welle ſogar über die hohe 

auer hinweg auf die A der eleftris 
[hen Schnellbahn, die Eſtoril mit Liſſabon 
verbindet. Wenn die Fahrt vom Hafen 
Liſſabons am Ufer des Tejo entlang bis 
Eitoril, dieſem herrlichen Orte, in dem ſich 
die ere Portugieſen, bie Wirtſchaftler, 
die Ariſtokraten, das Militär und die Be⸗ 
amten des „Neuen Staates“ mit den Aus: 
ländern ein Stelldichein geben, in den 
roßen bequemen Wagen dieſer Bahn, die 
en als Reparationszahlung von 
Deutſchland an Portugal geliefert wurden, 
auch nur eine halbe Stunde dauert, ſo 
kann man in gedrängter Form zahlreiche 


portugiefilde Probleme erfennen, mit denen 
ie Portugieſen zu ringen haben. 


Der Zug brauſt zunächſt vorüber an den 
großen Kais, an denen die Überſeedampfer 
angelegt haben und hier portugieſiſche 
Weine, Sardinen und andere landwirt⸗ 
chaftliche Produkte, auf denen der Export 

ortugals aufgebaut iſt, laden. Aber auch 
andere Waren, die größtenteils aus den 
portugieſiſchen Kolonien kommen oder dort⸗ 
in gehen, werden hier umgeſchlagen. 

ußerdem iſt Liſſabon der letzte Hafen es 
europäiſchen Feſtlandes nach Südamerika. 

Die Schornſteine eines großen ee ee 
dampfers einer nad Südamerika fahrenden 
Linie ſchauen eben über einen Schuppen 
hervor. Bald geht es vorüber an dem herr⸗ 
lichen Kloſter von Belem, in deſſen Kirche, 
der Kathedrale St. Hyronimus, Vasco 
ba Gama (1469—1524), der roße Welt⸗ 
umſegler und Entdecker des Seewegs nach 
Indien, ſowie der mächtige portugiefiſ 
König Manuel der Prächtige (14691521 ; 
ber Herrſcher des portugieſiſchen Welt⸗ 
reiches, das ſich einſt über Afrika, Indien 
und Braſilien ausdehnte, begraben liegen. 
Unweit davon ſteht an den Ufern des 
Fluſſes im ſcharfen Kontraſt zu den ſchwar⸗ 
pt Gafometern unjerer Zeit ber Turm von 

elem aus weißem Marmor, ein Meiſter⸗ 
werk „ ek er Architektur des 16. Jahr⸗ 
1 inſt hat er als Befeſtigung und 

zachtturm für die Schiffahrt an der 
mündung gedient. 

Dieſe Bauwerke erinnern an Portugals 
grobe Zeit, als bie Portugieſen, noch raſſiſch 
verhältnismäßig wenig gemiſcht, eine aktive 
Weltpolitik trieben, die im Kampfe gegen 
den Semitismus und das Mohammedaner⸗ 
tum, vor allem gegen die Araber in aller 
Welt, zu dem großen Kolonialreich führten, 
das nach der ſtarken Raſſenmiſchung mit 
den Kolonialvölkern fo ſchnell wieder vers 
pa und deffen Refte heute den größten 

eichtum des Landes darſtellen. 

In raſender Geſchwindigkeit durchfährt 
der Zug die hübſchen kleinen Orte, wie 
Oeyras, in dem der große portugieſiſche 
Staatsmann des 18. Jahrhunderts, der 
Marquis be Pombal (1699—1782), ein Luſt⸗ 
ſchlößchen in entzückendem Barockſtil erbaut 
hatte. War es doch Pombal geweſen, der 


ejo⸗ 


die Gefahr der raſſiſchen duch 1d ſeines 


Volkes erkannt hatte und durch ſeine Ge⸗ 
ſetzgebung die Reinerhaltung des portugie⸗ 
ſiſchen Volkes anſtrebte und der für eine 
ſtarke ſelbſtändige, nationale portugieſiſche 
Weltpolitik eintrat, unabhängig von allen 
fremden Einflüſſen. Aber der Macht der 


Außenpolitische Notizen 27 


Jeſuiten und ber katholiſchen Kirche ift er 
unterlegen. Sein Werk wurde nicht weitere 
geführt. 

Hinter Oeyras liegt Carcavellos, deſſen 
feutiger Wein jedem in Erinnerung bleibt, 
der ihn je gekoſtet. Dann kommt bald 
Eſtoril, ein mondäner Badeort mit großen 
Hotels und Spielkaſino. Eſtoril iſt jedoch 
nicht das Endziel des Zuges, denn er fährt 
weiter nach Cascaes, wo in dem prächtigen 

ort der portugieſiſche Staatspräſident, 

eneral Carmona, reſidiert. 


Kultureller Einfluß aus Frankreich 


Trotz allem iſt die Fahrt von Liſſabon 
nach 0 für die Schlaheit 


ſtoril wet typiſch 
und Urſprünglichkeit Portugals. Stets 
ſtößt man auf moderne und meilt ausläns 
diſche Einflüſſe; Reklame für ſchottiſchen 
Whisky, amerikaniſche Autos, deutſche 
Chemikalien ſind häufig zu leſen. Automo⸗ 
bile to en ritate ſauſen über die 
Straßen; ber ug ift, wie geſagt, deutſcher 
Herkunft. Von Engländern erbaute Tele⸗ 
raphens und Telephonlinien ſäumen die 
leiſe uſw. Aber die kurze Reiſe iſt bezeich⸗ 
nend für die engen Beziehungen, die das 
moderne Portugal mit dem Auslande 
unterhält. 


Wohl nirgends in Portugal trifft man 
ſoviel Ausländer, wie gerade in Eſtoril. In 
den großen Hotels wohnen zahlreiche ipar 
niſche Geſchäftsleute und Braſilianer, die 

ortugal immer noch als ihr europäiſches 

utterland betrachten oder die aus polis 
tiſchen Gründen Braſilien verlaſſen mußten 
und hier ein ebenſo ſchönes wie ana 
Unterfommen gefunden haben. n trifft 
vor allem viele Engländer, die dem trüben 
engliſchen Winter entrinnen wollen und 
nun n Frühling in e ee 
Sonnenſchein genießen oder die geſchäftliche 
oder politiſche Gründe nach Portugal ge⸗ 
führt haben. 

An den Zeitungsſtänden von Eſtoril hän⸗ 
gen daher auch ſpaniſche, ſüdamerikaniſche 
und engliſche Tageszeitungen neben den 
ſonſt vorwiegend fat en Zeitſchriften 
aus. Es iſt überhaupt erſtaunlich, daß in 
den Buchläden mehr franzöſiſche Bücher 
ausliegen als Bücher in portugieſiſcher 
Sprache. Es iſt ebenſo überraſchend. daß die 
großen Pariſer Tageszeitungen den portu⸗ 
ieſiſchen Tageszeitungen in Liſſabon ernite 

onkurrenz machen, obwohl wenig Fran⸗ 

ſen im Lande leben. Seit Jahrhunderten 
ehen jedoch die Portugieſen immer noch 
unter dem kulturellen Ale Frankreichs. 
Franzöſiſch ijt in Portugal eine Umgangs: 


ſprache, die hier vielen Gebildeten ge⸗ 
läufig iſt. , 
Bor dem Bahnhof ziehen eine Reihe Les 
gionäre vorüber mit dem grünen Avizkreuz 
auf Bruft und Mütze. Sie ſind freiwillig in 
eine nationale Miliz, die Legio, eine 
getreten, um das Vaterland vor Umſturz 
und Unruhe zu ſchützen und für Ordnung 
und Sauberkeit im Staate einzutreten. 


Portugals Glück: ein Staatsmann 


Einſt war Portugal als das Land der 
Revolutionen und der politiſchen Umwäl⸗ 
zungen bekannt. Nach dem zu Mons 
archie im Jahre 1910, nachdem König Mas 
nuel ſein Vaterland verlaſſen hatte und 
nach England ins Exil gegangen war, bis 
u ber Militärrevolution des Jahres 1926 
at Portugal 16 Revolutionen und über 
40 Regierungen erlebt. Jedoch der 28. Mai 
1926 brachte eine grundſätzliche Anderung. 
Mit der Militärdiktatur, die damals erri 
tet wurde, kamen Männer an die Regie⸗ 
rung, die aus Portugal einen neuen Staat 
formten und dem neuen Staat eine autoris 
täre . gaben, die die Diktatur 
ablöſte. Der Gründer des neuen autori⸗ 
tären Staates iſt der ehemalige Univerſi⸗ 
tätsprofeſſor Dr. Oliveira Salazar. 


Salazar hat zunächſt die zerrütteten Fi⸗ 
nanzen des Landes wieder in Ordnung 
gebracht, er hat die Korruption im Lande 
ausgemerzt, er hat die Landwirtſchaft, die 
Grundlage jeden Volkstums, gefördert, die 
Induſtrie geſtützt, er hat die portugieſiſche 
Wehrmacht reformiert und moderniſiert; er 
hat dem portugieſiſchen Volke das Selbſt⸗ 
vertrauen wiedergegeben, das ihm in Jahr⸗ 
hunderte währender Wirtſchaftskriſe ver⸗ 
lorengegangen war. Salazar iſt ein glühen⸗ 
der Patriot, deſſen Nationalgefühl fa aud) 
einen Landsleuten mitteilt. Er ließ die 
nationalen S in anderen Staas 
ten ftudieren und nahm die autoritären 
1 anderer Länder zum 

orbild. 


Portugal erzieht ein neues Geſchlecht 


So iſt es natürlich, daß ſich freundſchaft⸗ 
liche Beziehungen zwiſchen Portugal, 
Deutſchland und Italien entwickelten, daß 
dieſe freundſchaftlichen Beziehungen ihren 
Ausdruck fanden im gegenſeitigen Gedanken⸗ 
austauſch und im Beſuche portugieſiſcher 
Kommiſſionen in Deutſchland und Italien 


und in dem Beſuche deutſcher Abordnungen 


in Portugal. Während der Olympiſchen 
Spiele kam die portugieſiſche Mannſchaft 
mit den deutſchen Einrichtungen und Or⸗ 
ganiſationen, wie z. B. der Hitler⸗Jugend, 


in Berührung. In ganz kurzer Zeit wurde 
die Organiſation der poxtugieſiſchen Jugend, 
die „Mocidade Portugueſa“, aufgebaut. 


Es iſt ſelbſtverſtändlich, dak in einem 
Land wie Portugal, das in jeder Weiſe fo 
grundverſchieden von Deutſchland ift, daß in 
einem Lande mit einer romaniſchen Be⸗ 
völkerung, die tamoe Einſchläge nahezu 
aller Völker der Welt beſitzt, andere Grun 
bedingungen gegeben ſind als die in dem 

ermaniſchen Deutſchland, und dab infolges 
ellen die Organiſationen ein anderes (bes 
fit haben als die, die wir bei uns kennen. 


Aus allem aber ſpricht die Abſicht und 
der Wille, wieder eine aktive und 
dd AA. Politik zu treiben, die nad 

en Eroberungen im 15., 16. und 17. Jahr⸗ 
hundert und der daraus folgenden Naſſen⸗ 
miſchung mit den eroberten und unterwor⸗ 
fenen Kulturvölkern paſſiv geworden war 
und zu dem e bes größten Teiles 
feines überſeeiſchen Beſitzes geführt hatte. 


Das nationale Sich⸗auf⸗ſich⸗ſelbſt⸗Beſinnen, 
die Einführung eines autoritären Staats⸗ 
weſens, die ſoziale Geſetzgebung des „Stato 
Novo“, des „Neuen Staates“, führte zu 
einer deutſch⸗portugieſiſchen Zuſammen⸗ 
arbeit, die erweitert wurde durch die Zu⸗ 
ſammenarbeit mit Italien und dem natio⸗ 
nalen Spanien. Auf Grund der gemein⸗ 
ſamen ideologiſchen Intereſſen mußte ſie ſich 
enger geſtalten, enger als es je zuvor der 
Fall geweſen ift. 


Das Berhältnis Bortugals zu den Spaniern 


Portugal hat eine lange Grenze und eine 
lange Küſte zu verteidigen. Hinter dieſen 
Grenzen wohnen die Spanier, die in Por⸗ 
tugal als die Erbfeinde galten. Spanien 
war das feindliche Ausland. Wenn man 
heute durch abgelegene Gegenden Portu⸗ 
gals reiſt, in denen die Bauern nach ihren 
alten Sitten und Gebräuchen unberührt von 
jeder modernen Ziviliſation leben, in denen 
es weder ein Radio noch eine Zeitung gibt, 
in denen nur das Auto als einzige moderne 
Errungenſchaft bekannt iſt, und ſich mit den 
Leuten aus dem Volk unterhält, ſo wird 
man unwillkürlich als Spanier ange⸗ 
ſprochen, denn für dieſe Bauern ſind Spa⸗ 
nier Menſchen, die kein 
prechen können und jenſeits der Grenze 

ortugals leben. Erklärt man, daß man 

eutſcher ſei, ſo wird verſtändnislos genickt, 
und der eine oder der andere Zuhörer er⸗ 
innert ſich dunkel, daß es hinter Spanien 
vielleicht noch andere Länder gibt. Als 
Ausland iſt dieſen portugieſiſchen Bauern 


Portugieſiſch 


Außenpolitische Notizen 


nur Spanien und Braſtlien, das Ziel fo 
läufig portugieſiſcher Auswanderer, ge: 
äufig. 


Im Kampfe um [eine Unabhängigkeit 
und bei der Verteidigung ſeiner langen 
Landesgrenzen mußte Portugal einen 
Bundesgenoffen neben der ihm beiſtand, 
politiſch und wirtſchaftlich. Dieſen Bundes⸗ 
enoſſen ſuchte es zunächſt in Frankreich, in 
em Lande, aus dem die alten Ritter ge⸗ 
kommen waren, die die Mohammedaner 
vertrieben Portug und die [pater die Ober 
ſchicht in Portugal bildeten; doch Frank⸗ 
reich war zu ſehr in innerpolitiſche Kämpfe 
verwickelt und konnte den Portugieſen nicht 
helfen. 

Da fand es die Unterſtützung der Eng⸗ 
länder, die in Portugal ein gutes Abſatz⸗ 
ns ihres wichtigſten Produktes, ber eng: 
iſchen Wollſtoffe, fanden. Die Portugieſen 
zahlten mit ihrem wichtigſten Produkt, dem 
portugieſiſchen Wein. So bildete ſich die 
engliſch⸗portugieſiſche Allianz heraus, die 
im Jahre 1386 im Vertrage von Windſor 
feſtgelegt wurde. Dieſe Allianz beſteht als 
älteſte in der Welt bis auf den nn 
zug. England hat Portugal in ſchweren 

eiten beigeſtanden und hat zweifellos den 

„ große Dienſte geleiſtet, die die 

ortugieſen allerdings ſtets teuer be⸗ 
zahlen mußten. Die Portugieſen waren 
meiſt die Gebenden, die Engländer die 
Nehmenden. 


Freundſchaft ſchwer bezahlt! 


Als eine engliſche Prinzeſſin die Gemahlin 
eines portugieſiſchen Königs wurde, brachte 
ſie mit ſich Juwelen und Edelſteine, Geld 
und eine reiche Ausſteuer. Als eine poni 
gieſiſche Königstochter einen eng ir: 
Wee Brel gaben ihr die Portugieſen 
als Mitgift Bombay, aus dem ſich das 
indiſche Kaiſerreich der Engländer ent⸗ 
wickelte. Dort, wo einſt die Portugieſen 
ſaßen, in Indien, am Noten Meere, auf der 
malaliſchen Halbinſel und in vielen Ge 

enden Afrikas, regieren heute die Eng⸗ 
änder. Nur wenig ift den Portugieſen von 
en einft fo großen Weltreich nod ge: 

eben. 


In den ſchweren Kämpfen des Nieder- 
gangs ijt England ben Portugieſen politiſch 
und wirtſchaftlich ſtets hilfreich geweſen. 
Die Engländer waren immer gern bereit, 
dem verſchuldeten Portugal gegen Gewäh⸗ 
rung beſonderer Konzeſſionen gro e in: 
leihen zu geben. Heute ubt England einen 
gewaltigen Einfluß auf das portugieſiſche 


1 


Außenpolitische Notizen 29 


Dies kann ſelbſt 


Wittſchaftsleben aus. 
* ESCH Beſuchern der beiden Großſtädte 
ttugals nicht entgehen. 


Das Telephon in Liſſabon wie in Porto 


un einer britiſchen Geſellſchaft, die 
traßen bahn el ee ijt in eng: 
liſchen Händen. ortugieſiſche Autobus- 
linien müſſen, wenn ſie in Liſſabon ihren 
Ausgangspunkt nehmen, an die engliſche 
i Geſellſchaft für jeden innerhalb bes Stadt- 
n gebietes verkauften Fahrſchein eine Abgabe 
I zahlen. Die Kabel, ber drahtloſe Dienſt, fie 
alle haben engliſches Kapital und ſind alle 
„ mehr oder weniger von Engländern be⸗ 
eeinflußt. Portugals größte Induſtrie, der 
Weinbau, wird von den engliſchen Händler⸗ 
firmen kontrolliert. 


1; Sm Schatten des Empire 
Zn den portugieſiſchen Kolonien fieht es 
ähnlich aus. In Portugieſiſch⸗Oſtafrika iſt 
7E meben der portugieſiſchen Währung das 
= und der Schilling ein gebräu liges 
kb lungsmittel im täglichen Verkehr. In 
tengo Marques find die großen Hotels 
nach engliſchem Muſter eingerichtet. Die 
länder ſpielen hier im Wirtſchaftsleben 
die führende Rolle. Im Norden der Kolonie 
P e Companhia be Moçambique einen 


erhalten, nad weldem fie gegen 
ie Abführung einer gewiſſen Summe alle 
Hoheitsrechte, einſchließlich der über Poſt 
und Telegraph, Bergbau und Landwirt⸗ 
haft, Ju izweſen und Verwaltung, über 
Zölle und Steuern ausüben kann. Das 
Kapital dieſer Geſellſchaft iſt größtenteils 
in engliſchen Händen. In ortu ieſiſch⸗ 
Ditafrite eriheinen auch englijde Seitun. 
gen, bie Engländern gehören unb mit eng: 
hen LE verſehen, in engliſchem 
ne und Intereſſe geführt werden. 


ortugieſiſch⸗Oſt⸗ 
von der Südafrika⸗ 
von odeſien, Njaſſaland 
Mandatsgebiet unſerer deutſch⸗ 
| Kolonie; Angola von 
Randatsgebiet unſeres Deut ch⸗Süd⸗ 
a und von . * 
ſt es allerdings begrenzt vom Bel⸗ 
mgo yp be qual d'Ae ten 
ean der We e n 
em Gebiet umſchloſſen, wohl 
eſitzungen in Indien, wie Goa, 
aman. Macao liegt dem 
ongkong gegenüber, während 


Timor zwar Auſtralien zugewandt als 
Sundainſel nicht direkt in einer engliſchen 
Sphäre, ſondern mitten im niederländiſchen 
Kolonialgebiet gelegen ift. 


Die Engländer gaben in jedem Falle 
Mittel in der Hand, auf die Portugieſen 
politiſch wie wirtſchaftlich einen Druck 
auszuüben. Daß dieſer Druck einem Volk, 
das politiſches Ehrgefühl hat, nicht immer 
angenehm iſt, iſt verſtändlich. 


Brechung der Zinsknechtſchaft 

Das neue Portugal hat verſucht, ſeine 
Selbſtändigkeit wiederzuerlangen. Als im 
Jahre 1929 die Finanzen Portugals 
wiederum ſo hoffnungslos ſchienen, daß 
eine Völkerbundsanleihe aufgenommen rere 
den mußte, verlangten die engliſchen Be- 
amten des Völkerbundes gegen Gewährung 
einer ſolchen Anleihe eine genaue Kontrolle 
der portugieſiſchen Staatsfinanzen. Dies 
war aber für die Portugieſen untragbar. 
Ein neuer Finanzminiſter wurde berufen, 
der ein ſolches ſchmachvolles Angebot glatt 
ablehnte und aus eigener Kraft Portugals 
Finanzen wiederherſtellte. Dieſer Mann 
war Salazar. Immer wieder arbeitete 
Salazar darauf hin, ſich ſoweit wie möglich 
von den Engländern unabhängig zu machen. 
Häufig ſpielte er daher ſeine deutſchen und 
italieniſchen Freunde den Engländern 
ever aus. Dies war meijt von Erfolg 
egleitet, ba die Engländer [id) 5 feige 
ee wenig um Portugal und ſeine 
Politik bekümmerten. 

Doch ſeit dem ſpaniſchen Krieg iſt dies 
anders geworden, die Engländer treiben 
wiederum eine aktive Politik in Portugal. 
Der Nichteinmiſchungsausſchuß für Spanien 
atte vor zwei Jahren bekanntlich be⸗ 
chloſſen, daß die Flotten der Mächte, die 
ieſem Ausſchuß angehörten, verhindern 
Ponta daß Schiffe mit Kriegsmaterial in 
paniſche Häfen einliefen. Er hatte ferner 
beſchloſſen, daß die Portugieſen ihre Grenzen 
nach Spanien ſo überwachen ſollten, daß 
ein Waffenhandel und affenſchmuggel 
Te Spanien unmöglich wurde. Die Eng: 
länder, die zunächſt dieſe Überwachung ſelb 
durch lar Fk wollten, fonnten damals nur 
durchdrücken, daß engliſche Beobachter nach 
Portugal gingen und dort dieſe Grenz⸗ 
erg fontrollierten. Dieje eng: 
liſchen Beobachter wurden mit ber in Por- 
a üblichen Gaſtfreiheit aufgenommen 
und ſtudierten nun Wochen und Monate 
lang das Land, wobei ſie die Förderung 
der engliſch⸗portugieſiſchen Beziehungen 


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30 AuBenpolitisehe Notizen 


immer im Auge behielten. Nach Einſtellung 
der Grenzſperre mußten auch die engliſchen 
Beobachter des Nichteinmiſchungsausſchuſſes 
wieder abreiſen. 

Im Laufe des Jahres 1937 wurde der 
Langjährige britiſche Botſchafter in Liſſabon, 
der die Altersgrenze erreicht hatte, pen⸗ 
pud und ein neuer Botſchafter trat fein 

mt an. Mit friſchen Kräften ging dieſer 
an ſeine soh Aufgabe, und es gelang ihm, 
bie portugieſiſche Regierung wieder mehr 
in das Fahrwaſſer der engliſchen Politik 
zurückzuführen. 

Stützpunkt der Empire:Straße 
Die Aktivität der Engländer um Por⸗ 


tugals Gunſt läßt ſich nicht leugnen. Einige 


olitiker behaupten ſogar, daß England 
eſtimmte handgreifliche Ziele in ae al 
zu erreichen ſuche. Sie wollen Anhalts⸗ 
unkte ierch haben, daß Großbritannien 
eabfidjtige, Flottenſtützpunkte, einen an 
Portugals Weſtküſte, etwa an der Mündung 
des Tejo, und einen weiteren an der Süd⸗ 
küſte in der Nähe des Kap San Vicente, 
etwa bei Sagre oder weiter öſtlich bei 
Lagos oder Villa Nova, zu errichten. Gewiß 
iſt die Tejomündung von großer ſtrategi⸗ 
ſcher Bedeutung. as Kap Rocca, nur 
wenige Kilometer entfernt, iſt der weſt⸗ 
Sech Punkt bes europäiſchen Kontinents, 
und Kap San Vicente an der ſüdöſtlichen 
Ecke Portugals und damit der Iberiſchen 
e und Europas überhaupt, be⸗ 
errſcht bis zu einem gewiſſen Grade die 
Zufahrt zur Straße von Gibraltar. Aber 
die Tatſache allein, daß dieſe Orte von 
n lu Wichtigkeit für die Beherr⸗ 
chung der Weltverkehrsſtraßen nach Afrika, 
Aſien, Se und Südamerika find, 
genügt nod nidt, um Portugal zu zwingen, 
tefe Punkte den Engländern auszuliefern. 
Die Engländer ſelbſt ſprechen über der⸗ 
artige diet nicht, ba die Portugieſen fol- 
chen Abſichten von vornherein ablehnend 
gegenüberſtehen würden, wie dies in einem 
nationalgeſinnten autoritären Staat durch⸗ 
aus natürlich iſt. Doch iſt die engliſche 
Politik ſtets eine Politik auf lange Sicht, 
die ſich nicht mit Augenblickserfolgen zu⸗ 
frieden gibt. Die Werbung um Portugals 
Freundſchaft und um eine enge portugie⸗ 
ſche politiſche Zuſammenarbeit mit Groß⸗ 
britannien wird mit allen Mitteln von 
England gefördert. 
Lehren des ſpaniſchen Krieges 

Der Bürgerkrieg in Spanien hat es 
jedoch den Briten ſehr ſchwer gemacht, die 
bisherige Linie ihrer por ugieſiſchen Politik 


werden. Er ſah die 


klar durchzuhalten. In dem Augenblick, wo 
die Roten in Spanien ſo weit nach Weſten 
vordrangen, daß ſie eine unmittelbare Ge⸗ 
ahr K Portugal daritellten, wurde man 
in Liſſabon hellhörig und überlegte ſich die 
neue, vom Raum her gegebene außen⸗ 
politiſche Situation. Es war klar: Alles, 
was beim ſpaniſchen Nachbar an grundſätz⸗ 
a politiſchen Veränderungen vor [id 
geht, muß auf Portugal nachhaltig ein: 
wirken. Seit 1640, dem Jahr, in dem die 
von den Portugieſen ſo drückend empfundene 
paniſche ſechzigjährige Fremdherrſchaft be⸗ 
eitigt wurde, war Spanien ſo ſchwach, daß 
es eine alten Pläne zur Beherrſchung 
Portugals unter keinen Umſtänden auf⸗ 
rechterhalten konnte. Mit dem Bürger⸗ 
kriege drohte dort nun aber eine Macht 
in dafi die zwar keine ſpezifiſch 
paniſche, dafür die aber um ſo gefährlichere 
mar ue und bolſchewiſtiſche Expanſions⸗ 
politik betrieb. 


Dieſe Gefahr ie Salazar nachdenklich 
s chickſalhafte Verkettung 
der ets beider Staaten der Pyrenäen: 
halbinſel, die durch eine militäriſch völlig 
ungeſchützte Grenze (La raya = der Strich) 
voneinander getrennt ſind. Jahrhunderte⸗ 
lang hatte ſich Portugal gegen eine wie 
auch immer geartete Zuſammenarbeit mit 
Spanien geſträubt und ſich nach 1386 willig 
von db e führen laffen. Vertieft wurde 
biejer Vertrag von Windſor durch einen 
verſtärkten Geheimvertrag von 1661, bet 
durch das Methuen⸗Abkommen von 1703 zu 
einer völligen Eingliederung Portugals in 
bie britiſche Staats⸗ und Wirtſchafts politik 
ausmündete. „Com todo o mundo guerra, 
paz com Inglaterra“ — Krieg mit der 
gan en Welt, Friede mit England —, dieles 
chlagwort hatte bis 1936 unangefochten 
gegolten. 


Am 6. Juli 1937 hielt Oliveira Salazar 
jedoch eine große außenpolitiſche Rede, die 
war dem Tienen SC der nad 

ortugal kommt und Intereſſe für die 
Geſchicke des Landes zeigt, in irgendeiner 
Fremdſprache, bie er wünſcht, bereitwilligit 
im Druck überreicht wird, F in bet 
Weltpreſſe ſo gut wie gar feinen Widerhall 
fand. Warum die fund, en an dieſer Rede 


vorübergegangen find, iſt nicht ganz ver⸗ 
tändlich, und ſie ſoll deshalb an dieſer 


telle die ihr gebührende Würdigung 
finden. Das Thema der . 
Salazars lautete: „Portugal, das Bündnis 
mit England und der Krieg in Spanien. 
Mit der an ihm bekannten Aufrichtigkeit 


- — rd 


Außenpolitische Notizen 31 


ging Salazar an Dinge heran, die feit dem 
18. Juli 1936, an dem Franco ſeine Bewe⸗ 
gung entfachte, nur geraunt, aber nie offen 
diskutiert worden waren: „Wir haben auf 
der Pyrenäenhalbinſel ganz beſondere 
Intereſſen, und wir laufen Gefahren, die 
für andere durchaus nicht beſtehen. Wir 
ſind der Anſicht, daß die öffentliche Meinung 
in verſchiedenen Ländern, vornehmlich in 
Frankreich und England, ſich über das 
wirkliche Problem Spaniens wie über das 
Weſen der ſich dort abſpielenden Ereigniſſe 
nicht recht im klaren ſind. Manche glauben 
nicht an die bolſchewiſtiſche Gefahr — wir 
hingegen ſehen ſie und fühlen ſie und 
ürchten, der Bolſchewismus könnte ſich mit 
temder Hilfe in Spanien feſtſetzen, ſo daß 
chließlich den Spaniern die freie Entſchei⸗ 
dung über ihre künftige Staatsform ge⸗ 
nommen würde.“ 


Schickſalsbeſtimmung in eigener Hand 


England horchte unangenehm berührt 
auf, als es dieſe Worte hörte. Salazar 
erklärte weiter, die Freundſchaft mit Eng⸗ 
land werde weiterhin ein Grundpfeiler der 
ortugieſiſchen Außenpolitik ſein, und ſo⸗ 
ange es ein britiſches Weltreich gäbe und 
ſolange England ſeine de noch 
verteidigen könnte, müßten beide Länder 
uſammengehen. Salazar erinnerte auch an 
almerfton, der 1847 ri bie flottenſtrate⸗ 
pilhe Pofition des Tejo (in Spanien Tajo) 
inwies und fagte, nur dadurch, daß man 
ein e und durch ein enges 
Bündnis mit England verbundenes cu 
tugal aufrechterhalte, könnte man in Eng: 
land ſicher e: den Tejo zum Freunde 
und nicht als feindlichen Flottenſtützpunkt 
zu haben. Aber dann kam das große Aber. 
Salazar ſagte, die engliſche Politik der 
Nichteinmiſchung in Spanien ſei darauf 
erichtet, die Spanier ihr politiſches 
toblem allein löſen zu laſſen. Portugal 
verfolge dieſelbe Politik, dennoch ſei man 
„manchmal in Zwiſtigkeiten“ geraten. 
Barum men: Jetzt erfolgte die erwähnte, 
für England ſo ernüchternde Feſtſtellung, 
es mache ſich vom wahren ſpaniſchen 
Problem keine richtige Vorſtellung, Por⸗ 
tugal aber erkenne die kommuniſtiſche 
Gefahr mit aller Schärfe. Und daher, ſo 
fuhr Salazar nun fort, komme Portugals 
Haltung, daher ſein Widerſtand dagegen, 
daß die Nichtintervention ſich zum Schaden 
des pandam Nationalismus aus wirke, 
der die Schranke zwiſchen Portugal und 
dem iberiſchen Kommunismus Ddarftelle. 
„Von dort kommt der Haß, deſſen Gegen⸗ 


ſtand wir ſind und den wir, das ſage ich 
m vollem Bewußtſein, vollkommen ver⸗ 
enen.“ 


England wußte, daß die Tage ſeiner 
uneingeſchränkten Beeinfluſſung der por⸗ 
tugieſiſchen Geſchicke gezählt ſein mußten, 
wenn dieſe Geſinnung die Oberhand pe: 
mónne. Man hörte zwar monatelang teine 
offiziellen Außerungen, aber Anfang 1938 
erſchien im „Daily Telegraph“ ein Leit» 
artikel, der ganz offenſichtlich von Downing 
Street inſpiriert war und eine dringende 
Mahnung an Portugal zur ahnung und 
Umkehr bedeutete. Es hieß darin: „In 
einigen Wochen wird die engliſche Militär⸗ 
1 nach Portugal zu Beratungen 
mit unſerem älteſten Verbündeten abreiſen. 
Die Wolken, die kürzlich die Beziehungen 
wiſchen den beiden Ländern überſchatteten 
ſind glücklich zerſtreut worden (dur 
welchen politiſchen oder wirtſchaftlichen 
Druck, ſagte dieſe Zeitung MER nicht). 
Unſere durch Verträge ſeit 600 Jahren mit 
Portugal erhärtete Freundſchaft hat ur 
im Handel eine weitere Grundlage, denn 
Großbritannien ift der bei weitem beſte 
Kunde der Portugieſen. Die iurgia 
Regierung erkennt den Wert des Schutzes, 
den die wohlwollende Anweſenheit der 
engliſchen Kriegsflotte auf den Waſſer⸗ 
ſtraßen bietet. Was England anlangt, ſo iſt 
es immer angenehm zu wiſſen, daß die 
Flotten⸗ und Luftſtützpunkte, die Portugal 
in der Nähe des Mittelmeereingangs und 
durch ſeine Inſelkette im Südatlantik zur 
Verfügung ſtellen könnte, nicht in Feindes⸗ 
hand fallen werden. Auf beiden Seiten 
beſteht ein Intereſſe am Bündnis. Dieſe 
gegenſeitige Abhängigkeit iſt kein Vaſallen⸗ 
tum. Miniſter Eden a die Gelegenheit 
benutzt, um der Behauptung entgegen: 
utreten, England wolle die Azoren be⸗ 
leken: ein folder Plan kann nicht in Frage 
kommen. Dr. Salazar, der portugieſiſche 
Diktator, hat niemals in ſeiner Hingabe 
an das britiſche Bündnis geſchwankt, aber 
der ſpaniſche Krieg führte zu einer vorüber⸗ 
Bd Anlehnung der portugieſiſchen 

ußenpolitik an die Politik anderer autori⸗ 
tärer Staaten, zu denen irgendeine enge 
und dauernde Verbindung aufzunehmen, 
Salazars Temperament und ortugals 
Intereſſen verbietet. Weder der Aus⸗ 
dehnungsdrang noch die Finanzexperimente 
Italiens und Deutſchlands werden auf 
Salazar Eindruck machen. Und wie General 
Carmona ſagte, wünſcht Portugal nur, ſein 
altes Bündnis zu erhalten und zu ver⸗ 
ſtärken. Wie der jüngſt von der portugie⸗ 


32 Außenpolitische Notizen 


non Preſſe angenommene Ton zeigt, hat 
as Abrücken von Großbritannien nach⸗ 
gelaſſen.“ 


Es müſſen nun merkwürdige Kräfte am 
Werke geweſen ſein, um zu erreichen, daß 
Portugal im Laufe des 88 Fah 1938, wenn 
auch widerſtrebend, in das Fahrwaſſer eng⸗ 
liſcher Außenpolitik einlenkte. Die „Times“ 
ſchrieben im Januar 1938 ſehr deutlich, das 
alte Wort des Marquis de Pombal, Eng⸗ 
land und Portugal ſeien wie Mann und 
gran habe nod immer Gültigkeit. Eng⸗ 
ands Stellung verlange, daß die Häfen 
und Küſten Portugals und ſeiner Inſeln 
Azoren, Madeira und Cap Verde) in 
reundeshand bleiben; flankierten ſie doch 
den Seeweg nach Südafrika und nach dem 
Oſten via Mittelmeer. Man ſolle nicht ver⸗ 
geſſen, daß die ſpaniſche Armada im Jahre 
1588 am Tejo ausgerüſtet worden fei, denn 
Portugal ſei damals unter der Vormund⸗ 
ſchaft Spaniens geweſen. Die Bedeutung 
des „ſtrategiſchen Dreiecks“ Liſſabon 
Azoren —Kapverdiſche Inſeln könne von 
England und ſeinem Empire nicht über⸗ 
ſehen werden. 1 dieſer Artikel machte 
deutlich, wie ſtark England mit der portu⸗ 
gieſiſchen Freundſchaft rechnet. 


Wie es London braucht 


Anfang Juli 1939 unterſtrich ein erneuter 
Aufſatz in den „Times“ die wehrpolitiſche 
Vorzugsſtellung Portugals. Jetzt ſollte der 
Spieß umgedreht werden: Die rote Gefahr 
habe Salazar an die Seite Francos ge⸗ 
drängt, nunmehr zwinge ihn aber die 
„resurrection of an Imperial- minded power 
at Madrid“ (die Wiederaufrichtung einer 
imperial gerichteten Macht in Madrid) und 
die Anziehungskraft, die die Achſe Berlin — 
Rom auf Spanien auszuüben ſcheine, zur 
Anlehnung an England. 


Wir Deutſche wiſſen es beſſer: Die ver⸗ 
nünftige, weil von Raum und Volk aus⸗ 
gehende, alte Bindungen nicht unnötig zer⸗ 
reißende, neue Verhältniſſe aber ede rend 
in Rechnung ftellende Außenpolitik Salazars 


war den Engländern ein Dorn im ME 
Sie haben kein Intereſſe an einer ftarfen 
aktiven und ſelbſtändigen Politik Portu⸗ 


als, genau ſo wie England (und daneben 
Frankreich) es immer gern geſehen haben, 
daß Spanien aus dem Konzert der Mächte 
ausgeſchaltet wurde und ſich von dieſen 
beiden Ländern vorſchreiben ließ, wie es 
ſich im einzelnen Falle zu verhalten hatte. 

Im April 1939 ſchloß Portugal mit 
Spanien einen Friedens⸗ und Freund⸗ 


ſchafts vertrag. Seitdem hetzt CEng: 
land in Portugal gegen Franco⸗Spanien, 
ſo ſtark es nur kann. Leider fanden ſich 
einige Zeitungen, an der Spitze , Republica” 
in Liſſabon, die nicht müde wurden, die 
grena aft mit England zu feiern und 

erdächtigungen gegen Spanien auszu⸗ 
ſtoßen, daneben gegen Italien. Es ſteht für 
uns feſt, daß lazar im Grunde ſeine 
Politik von 1937 weiterverfolgen, alſo ſich 
mit Spanien ſo gut wie möglich ſtellen 
möchte. Die wirtſchaftliche Sanierung ſeines 
Landes iſt jedoch noch nicht ſo weit ge⸗ 
diehen, daß er voll und ganz auf Englands 
Beihilfe verzichten könnte. So muß er große 
Konzeſſionen machen, ſo mußte er ins⸗ 
beſondere dulden, daß im Frühjahr 1938 
eine Militärmiſſion der Briten nach Por⸗ 
fugat kam und fünf Monate im Lande 

ieb. 


„Wie weit fid) die engliſchen Militärs in 
die portugieſiſche Wehrpolitik eingemiſcht 
haben, iſt bis heute nicht bekanntgeworden. 
Jedenfalls muß Spanien damit rechnen, 
daß England mit Portugals Hilfe ihm 
egenüber eine Einkreiſungspolitik betreibt. 

ortugal tut nur ſehr ungern mit, denn 
es iſt als autoritär geführter Staat im 
Grunde weit eher geneigt, ſich dem national⸗ 
ſozialiſtiſchen Deutſchland, dem faſchiſtiſchen 
Italien und dem erſtarkenden national⸗ 
ſyndikaliſtiſchen Spanien zu nähern als den 
weſtlichen Demokratien. Das kann es aber 
im Augenblick noch nicht, weil England in 
der Lage wäre, die e irtſchaft 
zu erdroſſeln. Hier ſetzte Salazars Rettungs: 
werk ein, von dieſer Seite her will er es 
nicht wieder gefährdet ſehen. In den letzten 
Monaten verfi ber portugieſiſche Waren: 
verkehr faft bis zur Stagnation, unb ber 
Liſſabonner Korreſpondent bes „Economiſt“ 
Bon feine Freude darüber nur ſchlecht. 
Dabei zeigt ſich wieder, wie ſtark ein Staat 
politiſch in Feſſeln geſchlagen wird, wenn 
er wirtſchaftlich nicht auf eigenen Füßen 
ſteht, ſondern vom Ausland abhängig iſt. 


Wohl hat Portugal reichen Kolonial⸗ 
beſitz, aber er nützt ihm wenig, ſolange im 
Mutterland eine ausgewogene Wirtſchaft 
fehlt, die die Reichtümer der Kolonien 
zum Wohl aller Volksgenoſſen auswerten 
könnte. Hier .. alagar eine Um» 
ſtellung vornehmen zu wollen. Anfang 
Juli 1939 begab D taatsprüfibent Gene 
ral Carmona auf feinen Rat hin zunächſt 
nach Sao Thomé (im Golf von Guinea) 
und von dort nach Lourengo Marques 
(Portugieſiſch⸗Oſtafrika), und allegoriſche 


Außenpolitisehe Notizen 33 


Qberreidungen von Kakao, Kaffee, Zucker, 
Tabak und anderen Kolonialerzeugniſſen 
ſcheinen darauf hinzudeuten, daß Portugal 
die Heilung ſeiner Wirtſchaftsnöte, Sie 
die der Staat nicht gefunden kann, in enger 
Anlehnung an ſeinen Kolonialbeſitz vor⸗ 
nehmen will. * 


„Wir können in zwölf Jahren nicht bas 
nachholen, was in Jahrhunderten ver⸗ 
ſäumt wurde, und Salazar kann in dieſer 
kurzen Zeit nicht alle die Fehler wieder⸗ 
gutmachen, die in drei Jahrhunderten be⸗ 
angen wurden“, ſagte ein erfahrener 
Portu iefe auf der Terraſſe des prächtigen 
itoril „Wir Portugiefen haben unter 
Salazar unfere Auferſtehung erlebt, wir 
haben wieder Selbſt vertrauen zu uns ſelbſt 
bekommen, noch trauen wir uns aber nicht 
ſo viel zu, daß wir ohne mächtige Freunde 
auskommen können. Sie ſehen, hier auf 
dem Kaſino weht neben der portugieſiſchen 
Fahne die italieniſche Fahne, die ſpaniſche 
ahne und die Hakenkreuzfahne. Wir wollen 
damit zeigen, wie ſehr wir uns mit den 
autoritären, nationalſozialiſtiſch⸗ faſchiſti⸗ 
ſchen Staaten verbunden fühlen. Doch wenn 
Sie ſich hier auf der Terraſſe umſchauen, 
ſo werden Sie wenig Landsleute finden. 
Italiener ſind ebenfalls nicht hier, nur ein 
paar Spanier, aber Engländer 1 Sie 
hier viele. Sie ſind die großzahlenden 
Gäſte unjerer Hotels.“ Eine engliſche Fahne 
weht nicht in Eſtoril, doch die Engländer 
nd ee tonangebend, in den Clubs und 
en Hotels von Eitoril, genau fo wie im 
Außenminiſterium in Liſſabon. Auch dort 
wirken ſie nicht aufdringlich, ſondern nur 
freundſchaftlich, aber nichtsdeſtoweniger be⸗ 
ſtimmt und energiſch. 

Gewiß haben die Engländer den Portus 
gieſen viele große Dienſte erwieſen und 
werden den Portugieſen auch weiterhin 
ihre Dienſte anbieten, aber iſt der Preis, 
den die Außenpolitik Portuga s ftets dafür 
gezahlt hat, nicht um vieles zu hoch? 

Doch in einem ſo mondänen und ele⸗ 
ganten Orte wie Eſtoril ſpricht man nicht 
don Preiſen. 


Alfred Weidenmann: 


Schmalspurpolitiker 
Der „Weltjingendkongreß“ tagte in Belgrad 
Es iſt ſehr heiß in Belgrad und die Men⸗ 
ſchen ſa en, „daß dieſe E) e einem bas firn 
austrockne“. So ein Gehirn aber ift eine 
koſtſpielige Sache und niemand will es auf 


Wunder, daß alſo vor allem um die Mit⸗ 
tagszeit Belgrads Straßen leer und wie 
ausgeſtorben ſind. Nur ein paar Bauern 
trippeln in ihren ſpitzen Leder⸗Opanken 
über die Teraſia. Der weiße Schupo ſteht 
gelangweilt und mit mißvergnügtem Geſicht 
Gei feinem Poſten. Selbſt bie ſerbiſchen 
Zeitungsverkäufer haben ſich für ein paar 
Minuten im Schatten ſchlafen gelegt. In 
dieſe Hitze und mitten in dieſe Sonne hinein 
hängen von der Faſſade meines Hotels her⸗ 
unter die Flaggen Englands, Amerikas, 
pronus unb Jugoſlawiens. Unbeweg⸗ 
ich und wie Bretter hängen ſie ſo da. Es 
find dieſelben Fahnen, von denen geſtern 
abend der Belgrader Korreſpondent einer 

riſer Zeitung geſchrieben hat, daß ſie 
iegreich für den Frieden gegen die totali⸗ 
tären Staaten flatterten. Er ſchrieb dies 
am Schluß ſeiner Begrüßung, mit welcher 
er die Jugenddelegationen der demokrati⸗ 
ſchen Länder in Belgrad willkommen hieß, 
denn die jugoſlawiſche Hauptſtadt ijt in dies 
ſem Jahr zum Tagungsort des internatio⸗ 
nalen Sugenbfomitces auserkoren, das vor 
pest Sahren in Genf zum erftenmal zus 
ammengetreten war unb fid im vergan⸗ 
genen Jahr im Schatten der Freiheitsſtatue 
zu New Pork ihren Kummer von der Seele 
eredet hatte. Im Augenblick aber haben 
ich die Delegierten zum Mittagsſchlaf in 
ihre Zimmer zurückgezogen, denn es iſt ſehr 
Bit in Belgrad und man ſagt, daß dieſe 
iBe... 


eine fo ‘ap aos Wrt verlieren. Kein 


Natürlich hat es an kleinen und großen 
rühſtücken ſowie an „grundſätzlichen Vers 
andlungen und Entſchließungen“ nicht ge⸗ 
ehlt. Erſt geſtern hörte man noch vor den 
üren des Sokolheims, daß man einmütig 
feſtgeſtellt habe, daß man die Unabhängig⸗ 
keit, vor allem der kleineren Staaten, zu 
chützen gewillt ſei und im übrigen den 
yrieden als die elementarſte Vorbedingun 
ür den Fortſchritt der Menſchheit“ erkann 
habe. Es ſcheinen hier in der Tat Köpfe 
von gewaltigem Ausmaß am Werk zu ſein, 
denn erſt heute früh wurde der geſtrigen 
„Erkenntnis“ hinzugefügt, „daß es, um die⸗ 
ſen Frieden zu erhalten, der gegenſeitigen 
Freundſchaft aller großen Völker bedürfe“. 

War aber die ganze Veranſtaltung und 
das friedliebende Getue bis zur Stunde 
ohne viel Aufhebens vor ſich gegangen, ſo 
ließ man nun am letzten end endgültig 
die „Katze aus dem Sack“. Die Damen der 
Delegationen machten ſich in ihren Garde⸗ 
tobefoffern zu ſchaffen, die Herren banden 
* ſteife Kragen um und vor dem Portal 
er Univerſität brachten ein paar fragwür⸗ 


34 


dige Geſtalten rote Plakate an, die „zur ges 
meinſamen Demonſtration der Demokra⸗ 
tien für den Weltfrieden“ herzlich einluden. 
Der Braten war überall ſchon en fi ger 
tohen worden, und vor jenen roten Plaka⸗ 
ten waren ja wohl aud die Speiſezettel 
dieſer „ſpontanen Kundgebung“ längſt be⸗ 
kannt geweſen. Kurz und gut: Die Aula 
der San Univerfitat war ſchon vor 
Beginn des Spektakels gerammelt voll und 
wenn ich nicht [don eine Stunde I it 
gekommen wäre, ſo hätte ich mich wohl mit 
all den andern in den Gängen und auf den 
Fenſtergeſimſen drängen müſſen. Der Auf⸗ 
tritt war gut vorbereitet und nun mochte 
bie Sache beginnen. Nach a der felts 
elegten Anfangszeit und ber ſelbſtverſtänd⸗ 
ichen „akademiſchen Viertelſtunde“ er⸗ 
ſchienen denn auch die Delegationen hübſch 
in ehrwürdigen Abſtänden formiert, nah⸗ 
men lächelnd den Beifall der Verſammlung 
ur Kenntnis und ſetzten ſich in „bunter 

ei he“ unter die großen ſchwarzen Wands 
tafeln geradewegs auf die Tribüne. 

Es wäre nicht unintereſſant, auf all dieſe 
Reden einzugehen, die nun am laufenden 
Band Ballen wurden. Es fien fo, als ob 
no jeder Abgeordnete verpflichtet hielt, 

urch ein paar tiefſchürfende Sätze vor dem 
orum der Offentlichkeit, die Speſen und 
uslagen, die man ſich ſeinetwegen gemacht 
hatte, zu rechtfertigen. Aber das wäre 
etwas langwierig, denn es wurde wie elagt 
febr viel geredet. Im Namen des Cofols 
und der EEN Jugend begrüßte zu: 
etit ber Vertreter bes Gaſtlandes bie Deles 
gationen ber demokratiſchen Länder. Eine 
würdige Dame, die im Namen der engliſchen 
Jugend das Wort ergriff, appellierte an das 
„ſlawiſche Herz“ im allgemeinen und im 
beſonderen. Im allgemeinen, habe England 
ſchon immer mit den Slawen gefühlt und 
im beſonderen, ſei es entſetzt über das Un⸗ 
lück der „tſchechiſchen Brüder“. Aber das 
ei beſtimmt das letztemal paſſiert. In Zu⸗ 
kunft würde man beſſer Nell Indem 
fie den re! von der „Freiheit, 
Gleichheit und dem 
ſchen Völker“ recht pathetiſch in den Saal 
rief, bewies ſie wieder einmal das ſelbſt die 
älteſten Ladenhüter ihre Käufer finden, 
wenn man ſie neu aufmacht, denn der 
Applaus wollte kein Ende nehmen. 

Die weibliche Friedenstaube, die aus den 
Rooſeveltſchen Sphären geflogen kam, zwit⸗ 
ſcherte unbeirrt das Gerede ihrer englischen 
Kollegin nee und beteuerte nur am Schluß 
ihrer Ausführungen noch, dak fie beileibe 
nicht nur die vermögende Jugend Amerikas 
vertreten würde, ſondern daß auch die An⸗ 


rieden der demokrati⸗ 


Außenpolitische Notizen 


eſtellten und Arbeiter der Vereinigten 

taaten hinter ihr ſtünden. Davon wat 
man reſtlos überzeugt, als ſie in ihrer ſei⸗ 
denen Abendgarderobe wieder zu ihrem Sitz 
zurückrauſchte. Es folgte eine weitere Reihe 
kleinerer Bur inuten⸗speaks bis fig 
dann endlich bet „Leiter von bas Ganze“ er: 
pet und de grundlegenden Erklärungen aus 
olte: Alſo: Vierzig Millionen Jugendlicher 
aus 41 verſchiedenen Ländern ſind bis heute 
ſchon in der „Internationalen Ju ot⸗ 
ganifiert (2). Da es vorläufig nicht mehr 
gibt, verteilen fid) diefe Mitglieder auf fünf 

ontinente. Der „Kongreß ber Weltjugend“ 
tritt jährlich zuſammen und hat den Kampf 
ür „Freiheit, Gleichheit und Friede“ aui 
eine fei ein e REA Die Erde, die 

elt, ſei ein Großes und Ganzes, ſtellte der 
Franzoſe ſinnig feſt, und die Völker ſeien 
nur Teile dieſer großen Einheit. Warum 
denn alles auseinanderfallen müſſe? Wie 
ſchön würde alles friedlich zufammenleben, 
wenn nicht die „totalitären Staaten“ mit 
ihrem „Kriegsgelüſte und Machttrieb“ ſtän⸗ 
dige Unruhe brächten. „Friede, Ruhe, ſoziale 
Gerechtigkeit und Kultur blüht nur in den 
Demokratien“ erfuhren die überwältigten 
Zuhörer Ke lich noch und waren aud be 
teit, diefe Feſtſtellung zu beklatſchen. 

Am Ende aber kam die „fetteite Portion“, 
kam der „Dreh der Sache“. Man ließ einen 
kleinen, i natifer vors Mi: 
krophon 
tief in den 


malen Schädel umrahmte. Die ju: 
hm unmißverſtändlich 
aus dem 


lange Reihe der Delegierten. Die Franzoſen 
hatten ſich bei dem pi en z 
rango 


Staates“ 


rfolg zufrieden 
ſein. Nachdem der [onem ude bieien 
eriten Teil jeiner Rede erledigt hatte, holt: 
er tief Atem, kam ganz nahe ans Mikrophon 

ran und eröffnete der ſtaunenden Ber: 
ammlung ter ante mas in dieſer gewaltigen 
Jugendorganiſation tatſächlich auch „der 
größte Teil der anderen Jugend“ ſchon er⸗ 


=- m ab — 


Kleine Belträge 38 


faßt fet. Wen er damit meinte, wurde deut. 
lich, als er gleich darauf ausrief, daß es 
mit den totalitären Staaten nicht mehr 
lange ſo weiter ginge. Im übrigen ſei er 
der Anſicht, daß man nicht lange fackeln 
jole, da diefe Friedensſtörer doch nur mit 
den Waffen aus der Welt zu treiben ſeien. 
Was aber den Frieden betreffe, ſo wollten 
ſie alle mit „der friſchen Glut ihrer jungen 
Herzen“ dafür kämpfen. 

Die Vorſtellung war, man muß es ganz 
ehrlich zugeben, ein voller Erfolg. Und wenn 
man auch bedenkt, daß nur die kommuniſti⸗ 
ſchen Studenten der Univerſität und die 
links eingeſtellten Arbeiter und Angeſtellten 
Reommen waren, fo ift es bod) erſtaunlich, 

aß fi am Ende Leute fanden, bie Roofes 
velt hochleben ließen, auf England ihre 
Hurras ausbrachen und die Marſeillaiſe 
ſangen. Sichtlich befriedigt zogen die Dele⸗ 
RE ab, wechſelten noch ein paar verbind⸗ 

iche Worte mit den jugoſlawiſchen Sotos 
liſten und ſenkten wohl auch überwältigt 
die Augenlider, wenn mal wieder aus 
irgendeiner Ecke eine Nationalhymne zu 
hören war. Im Hotel herrſchte kurz darauf 
vergnügte Stimmung und der Flur, petet 
Zimmer von den Delegationen belegt 
waren, erklang vom fröhlichen Lachen. Man 
mag anſchließend ordentlich „gefeiert“ 
een Der gare Delegation aber zum 

iſpiel traue ich ſoviel Humor zu, daß He 
ei hinter ihren verſchloſſenen Zimmertüren 
ordentlich auf die Schenkel ſchlugen und aus 
vollem Halſe lachte, lachte, lachte .. Die 


Kleine 


Annemarie Stiehler: 
Ein Schülergericht in Berlin 


Im folgenden berichtet eine Lehrerin 
von einem erfolgreichen Verfahren der 
Berthold-Otto-Schule in Berlin-Lichter- 
felde. Wenn wir nun hier auch nicht 
das letzte Ideal erreicht sehen, so finden 
wir doch ein wirkungsvolles Zeugnis, wie 
sich auch innerhalb der Schule und zum 
Nutzen der Lehrerschaft die Idee der 
Selbstverantwortung der Jugend durch- 
setzt. Die Schriftleitung. 


An der Berthold⸗Otto⸗Schule in Lichter: 
fede gibt es fett vielen Jahren ein Schüler: 
gericht, bas fid) ausgezeichnet bewährt. 


engliſche Miß, die vielleicht weniger „ur⸗ 
ſprünglich“ veranlagt geweſen iſt, mag ſich 
aufs Bett geſetzt und den „Wayfarer in 

ugoſlavia“ vom Nachttiſch genommen 

ben. Hatte nun auch der Zufall noch 
etwas für Ironie übrig, ſo mag ſie gerade 
jene Stelle aufgeſchlagen haben, wo ihr 
engliſcher Landsmann Lovett Fielding 
Edwards einmal ſchrieb, daß „die Slawen 
ein noch ſehr primitives Volk ſeien, deren 
Kultur nicht als eigen zu bezeichnen ſei. 
Was Jugoflawien betreffe, jo fet dieſer 
Staat n u jung um allzuviel Weſen aus 
ſeiner Selbständig eit zu machen“. 


Was uns betrifft, ſo hätten wir nur gerne 
einmal etwas genaueres über dieſe „vierzig 
Millionen in den 41 Ländern und fünf Erd⸗ 
teilen“ gewußt. Auch „den größten Teil der 
anderen Jugend“ hätten wir mal gerne ge⸗ 
jeben Im übrigen ijt d beſcheidene Cins 
chränkung gar nicht am Platze. Wenn näm⸗ 
lich das B Rielle 3iel bes ltjugendkon⸗ 
greſſes heißen würde „Für Freiheit, ſoziale 
Gerechtigkeit und Frieden“ könnten wir den 
Worten nach nicht nur „mit dem größten 
Teil“, ſondern mit unſerer Geſamtbewegung 
mitmarſchieren. Allerdings wären wir 
dann in ſolcher Runde die berufenen Spre⸗ 
cher und nicht jene Geſtalten, die ſeit der 
franzöſiſchen Revolution wohl um dieſe 
Ideale viel Aufhebens machen, ſie in Wahr⸗ 
heit aber verraten haben. Das ſollten vor 
allen Dingen die kleineren und jungen 
Völker in ihrer Geſamtheit bald einſehen. 


eltraͤge 


Berthold Ottos Gedanken über 5 
und FA finden erſt in letzter Zeit 
Verſtändnis. Wer an der Berthold⸗Otto⸗ 
Schule unterrichtet, iſt vor den meiſten 
deutſchen Lehrern dadurch bevorzugt, daß 
er wirklich Lehrer, Erzieher, Freund und 


ührer der Jugend fein darf, ohne Poliziſt 
pielen zu müſſen, ohne mit dem Wider⸗ 


ſtand der Kinder kämpfen zu müſſen. Der 
Grund für die ſo glückliche Stellung des 
Lehrers liegt neben manchem anderen auch 
darin, daß die Schuldiſziplin in den 
Händen der Schüler ſelbſt liegt. Alles, was 
den geregelten Schulbetrieb und das er⸗ 
ſprießliche Zuſammenleben von Schülern 
und Lehrern irgendwie ſtört, kommt vor 
das Schülergericht. Störung des Unter⸗ 


36 | Kleine Beiträge 


dii Larmen in der Paufe im Schulhaus, 
Beſchädigung der Schulmöbel, rohe Prüs 
eleien, überhaupt alle Übertretungen der 

Gléck bie fid) bie Kinder im Laufe 
der gr felber gegeben haben. Das 
Gericht ſetzt fid aus leds Schülern und 
Schülerinnen zuſammen, die durch das Ver⸗ 
trauen ihrer Kameraden in ihr Amt ein⸗ 
eſetzt werden. Ein Oberrichter jupe die 

erhandlung, beraten von zwei Neben⸗ 
richtern, außerdem ſtehen immer noch drei 
Erſatzrichter zur Verfügung. 

Die Verhandlung findet in der Regel 
einmal in der Woche ſtatt; für jeden Fall 
muß eine ſchriftliche Klage in beſtimmter 
D eingereicht werden, bie die Unters 
rift eines Lehrers zu tragen hat. Diefe 
letzte Verfügung hat die Jugend ſelbſt ge⸗ 
troffen, „damit kein Quatſch angeklagt 
wird“. Der Lehrer wird, ehe er unterſchreibt, 
feſtſtellen, ob die Klage berechtigt iſt. 

An der Verhandlung können alle Schüler 
teilnehmen, die Lehrer ſind vollzählig unter 
der Zuhörerſchaft. 

Der Kläger bringt vor dem Gericht ſeine 
Klage vor, begründet ſie und kann asc 
Zeugen anrufen; der SR fann fi 
verteidigen. In unzähligen Verhandlun⸗ 
gen habe ich beobachtet, di bie jugend» 
iden Richter fid immer eifrigft bemühen, 
die Wahrheit zu finden. Im allgemeinen 
joper die Ae pde keine Unwahrheiten, 
ondern geben ihr Unrecht offen zu, ja öfter 
meldet ſich ſogar jemand aus der Zuhörer⸗ 
ſchaft, der die betreffende Dummheit mit⸗ 
alae hat und ftellt fid) freiwillig neben 
en Angeklagten. Lügen vor Gericht gilt 
als verächtlich und feige und wird beſtraft. 

Die Richter ſind für das Gefühl des Er⸗ 
wachſenen oft ben Kri beſonders jeder 
Verſtoß gegen den A er Gemeinſchaft, 
jede nicht ganz anſtändige Handlungsweiſe 
wird ſchwer E ander Lehrer 
würde eritaunt fein, daß auch bie harme 
loſeren Schuldummheiten durchaus verur⸗ 
teilt werden, die an vielen Schulen das 
Entzücken des Schülers find, weil fie die 
Langeweile des Unterrichts angenehm un⸗ 
terbrechen. 

Sit das unkindlich? Sprechen fo nur die 
„Streber“? — Bei uns beſtimmt nicht. Es 
it nur die ganz natürliche Einſtellung zum 

ernen, die bei uns alle sere 
Kinder betrachten ihre Lehrer wirklich als 
ältere, erfahrene Kameraden, die viel ge⸗ 
lernt haben, was ſie nun ihren Schülern zu 
deren Beſtem weitergeben. Was für einen 
Sinn ſollte es haben, einen ſolchen Menſchen 


abſichtlich zu ärgern und ihm ſeine Arbeit 
zu erſchweren? 

Die Strafen, die erteilt werden, denken 
ſich die Richter ſelbſt aus. Sie ſind ſehr 
verſchiedener Art. Häufig wird verſucht, 
den Schüler dort zu ſtrafen, wo er gejündigt 
at. Wer immer Lärm macht, wird einige 

eit für die Ruhe im Schulhaus verant⸗ 
wortlich gemacht; wer die stür dauernd 
offen ließ, muß einige Zeit dafür Wee 
daß fie gei en wird. Wer fi vom 
Turnen gedrückt hat, muß vielleicht morgens 
vor Beginn der Schule unter Auffſicht eines 
Richters einen Dauerlauf machen. Wer 
einen Mitſchüler beleidigt hat, muß fo 
mitunter vor verſammelter Schule ei 
dieſem entſchuldigen. Jeder Richter geht 
ſeine Wege, und manchen jungen Pfycho⸗ 
logen kann man da ſchon erkennen. 

ie ſchwerſte Strafe iſt, daß das Gericht 
bei der Schulleitung den Antrag Ve dab 
der Schüler von der Schule verwieſen wird. 
Mitunter iſt ſchon ein Schüler auf dieſen 
Antrag hin von der Schule entfernt 
worden. Es handelte ſich dann um (ie 
mente, die ſich der Schulgemeinſchaft NR 
einfügen fonnten oder wollten und bewußt 
und ohne Einſicht bie Geſetze verachteten. 

um Schluß möchte ich noch kurz über 
eine Verhandlung berichten, die vor weni⸗ 
gen Tagen ſtattfand und einen guten Cin: 

lid in den Geiſt unſerer Jugend gibt. 

Der zwölfjährige Kurt fteht vor Gericht. 
Grund: „Hat für geborgtes Geld Zinſen 
enommen.“ Der Tatbeſtand iſt folgender: 

urt hat dem Hans, einem etwas unzuver⸗ 
läſſigen Jungen, 15 Pf. geborgt. Als er 
trotz mehrfacher nun das Geld nidt 
BEE beten hat er bie Schuldſumme tags 
ih um 1 Pf. erhöht; ſchließlich hat Hans 
die angewachſene Schuldſumme bezahlt. 
Nut hat davon gehört, fand Kurts Hand⸗ 
ungsweiſe unanſtändig und klagte die 
Sache an. 

Kurt findet zunächſt, daß er im Recht ſei: 
„Hans hat mir ſelber angeboten, mehr zu 

eben, wenn ich noch warte.“ — Aber der 

berrichter iſt anderer Meinung: „Unter 
Kameraden iſt ſo etwas unanſtändig; 
außerdem ijt es bei den Erwachſenen 
Wucher.“ 

„Aber Hans gibt einem das Geld ewig 
nicht zurück“, wendet Kurt ein. 

„Dann brauchſt du ihm ja nichts zu 
borgen, wenn du das weißt“, ſagt der 
Oberrichter. „Wenn du ihm mal helfen 
willſt, kannſt du ihm ja was ſchenken; aber 
was verborgen und dann Zinſen nehmen, 
iſt gemein! Siehſt du das ein?“ — Kurt 


Woqry oqonse 


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4 


at betreten. Er wird verurteilt, bie 
dingen zurückzugeben und außerdem einige 
Shulgejege vor der Schülerſchaft aufzu⸗ 
lagen. — Der Oberridter jagt an onde 
allen Schülern, Hans lieber tein Geld 
es borgen, da er ein bißchen leichtfinnig fei. 


Verächtlichmachung der Lehrer 


Einige Kameraden aus der Arbeitsge- 
einihaft ber HJ.⸗Lehrer machen uns auf 
in Sud aufmerkſam, in bem fih jo gemeine 
D abſtoßende Karikaturen von Lehrern 
er ak wir davon abjehen, Beilpiele 
won hier abzudrucken. Es handelt né um 
t eſebuch aus bem Jahre 1938. 
n zwar um bas „Reichsleſebuch für 
| eder für das zweite Schul⸗ 
be. Auf jeder ber 120 Seiten befindet 
über den üblichen Leſezeilen („Werner 
aufelt mit dem Stuhl. Der Stuhl fällt 
Da liegt Werner. Er blutet am Kopf. 
autein ijt verboten.“) je eine Zeichnung, 
ich die der Text anſchaulich gemacht mer: 
oll. Dieſe Zeichnungen find in ihrer 
mihendarftellung ſchlechthin empörend! 
idt ein einziger der dargeſtellten 
chen, der Kinder, Lehrer oder Eltern 
auch nur einen halbwegs normalen 


Za ſcheint fih nach den Vor⸗ 


N es Leſebuches im deutſchen 
m eine Buiemniuso von Blöden, 
Minderwertigen und Verbrechern 
In. Der Pas: muß eine geradezu 
t Phantajie haben, die es ibm er: 
immer wieder lore ein enge WS 
he Typen von geſpenſtiſcher Wider: 
u erfinden. 
inder find durchweg Angehörige 
ntwidelten, nichteuropäiſchen Pale 
es. Schwammig und friippelig 
| köpfig, von abgründiger 
in ſolcher Verzerrung malt 
deutſchen Kind ein Spiegelbild. 
gen tragen offenbar eine Perücke 
i bicher ubifopf, ber aud 
geſchoren oder a ge: 


"E. 


b, wenn fein Träger li in einer 
chlamp igen Jungvolk⸗Uniform 
Den Lehrern ergeht es nicht 

| He ausnahmslos eine Brille 
einen dicken Bauch haben, 
ebenfalls durchweg den Ein⸗ 


D 


aer, 


Randbemerkungen 37 


Dann kämen ſolche Sachen nicht mehr vor. 

Dies iſt nur ein Beiſpiel von vielen, das 
zeigt, wie ſich unſere Jungen untereinander 
erziehen. Es ijf ganz erſtaunlich zu beob- 
achten, wie das Schülergericht auch ſehr 
ſchwierige Kameraden zur Vernunft bringt. 


druck geradezu gemeingefährlicher Idiotie 
hervorrufen, ſcheint uns doch bedenklich. 
Die vorſintflutlichen Bekleidungsſtücke find 
ihnen durchweg zu kurz und klein ge— 
worden, die Hoſen ſind rundlich ausge— 
beult, fo d die Lehrer ſelbſt bann, wenn 
ſie ſympathiſche Geſichter hätten, lächerlich 
wirken müßten. Obendrein ſind aber nun 
dieſe Geſichter, zumal ſie ſtändig drohen und 
ſchimpfen müſſen, ſo abſcheulich, dumm 
und zum Teil von verbrecheriſchen Inſtink— 
ten gezeichnet, daß wir uns nicht wundern 
dürfen, wenn die Kinder zur Lehrerſchaft 
nur wenig Vertrauen haben. Ganz traurig 
ſind aber erſt die Darſtellungen der Müt⸗ 
ter. Heimtückiſch grinſende Weiber, eben— 
falls durchweg von einer tieriſchen Blödig⸗ 
keit, abſtoßend in Gebärden und Geſtall, 
das iſt das Bild der deutſchen Mutter, wie 
es dem Kind in dieſem ſo empfänglichen 
Alter eingeprägt wird. Das iſt ja über⸗ 
haupt das Bedenkliche, daß es ſich hier um 
ein Leſebuch handelt, alſo um Bilder, die 
das Kind nahezu täglich immer wieder vor 
Augen hat und die ſich in ſeine Vorſtellung 
naturgemäß als richtig und typiſch eine 
bürgern werden. Bevor ganze Jahrgänge 
von 9 Kindern, die ja durchweg 
keineswegs yn find, durch dieſes 
Buch in der Empfänglichkeit ihrer Seele 
verdorben werden, ſollte man es verbieten 
und einſtampfen. 

Unſer beſonderes Bedauern gilt den 
Lehrern, die mit dieſen Leſebüchern ars 
beiten müſſen. Uns wurde ſchon beim erſten 
Durchblättern übel — wie muß es erſt 
jenen gehen, zu deren Handwerkszeug dies 
Buch gehört, „das geſchmackloſeſte, was ich 
in letzter Zeit überhaupt geſehen habe“, wie 
uns jemand ſchrieb. Toae penpe Lehrer 

abenunsiiberdas Leſebuch ein 

tteil ab, und es erwies jid) dabei erneut 
die einheitliche au ung, bie zwiſchen 
Jugendführung und Le rer aft in Fragen 
der Schule beſteht. Ein Lehrer aus Berlin 
ſchreibt: „Es ſcheint, als ob der Zeichner 


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38 Randbemerkungen 


die Erkenntniſſe ber Raſſenlehre nicht mits 
bekommen hat, oder aber ſie bewußt 
negiert.“ Er proteſtiert dagegen, a man 
ier den Lehrer „als ſchwammigen, fetten, 
pigbaudigen, bebrillten Intellektuellen“ 
argeſtellt ſieht, ganz abgeſehen von der 
üblen Darſtellung anderer Berufe, vor 
allem des Arztes. Ein Lehrer aus SEH 
burg ſchreibt: „Geradezu kataſtrophal! 
Was da an Menſchen dargeſtellt iſt, könnte 
aus Irrenhäuſern, Zuchthäuſern und Juden⸗ 
vierteln zuſammengeſucht ſein. Das Mäd⸗ 
en auf Seite 95 und die dazugehörige 

utter ſind Prachtexemplare zum Beweis 
der Notwendigkeit der tezitilation. Der 
Junge auf Seite 87 ijt nicht nur ſelbſt nahe 
am Erbrechen, ſondern reizt auch ſeine Be⸗ 
chauer zur REH Tätigkeit. Ich kann 
en blinden Mann von Seite 79 nur als 
SE Kaftanjuden bezeichnen. Die 
beiden Arzte auf Seite 44 und 45 ſind 
Barbaren, aber keine deutſchen Arzte. Der 
Pimpf auf Seite 49 iſt kein Pimpf, ſondern 
ein Mädchen in einem unmöglichen Auf⸗ 
jug gte Ein anderer Lehrer nennt die 
5 ey mingle „Zigeunerlümmel“ 
und fährt fort: „Das Leſe uch hat beim 
erſten Anblick meinen wie meiner Berufs⸗ 
kameraden Widerwillen und ſtärkſte Be⸗ 
denken erregt...“ Aus München ſchreibt 
uns ein Lehrer: „Die Bilder verſtoßen nach 
ihrer inhaltlichen Seite gegen bas Schön⸗ 
9 der nordiſchen Raſſe“, und dieſer 
ehrer ſtellt darüber hinaus auch zur text⸗ 
lichen Löſung feſt, daß die Darſtellungen 
von „Charakterminderwertigkeiten über⸗ 
wiegt“. (Dieſe Seite der n geht 
ſo weit, daß gezeigt wird, wie ein Junge 
beim Kaufmann Bonbons ſtiehlt.) Auch 
ſonſt ſcheint der Text nicht immer geglückt. 
Es heißt z. B. (für Achtjährige!): „Die 
Kirche. Erna geht in die Kirche. Erna 
betet. ‚Lieber Gott — ich danke Dir!’ Erna 
iſt ein braves Mädchen.“ Oder: „Heil 
Hitler! Der Lehrer kommt. Alle Kinder 
ehen ſtramm. Alle grüßen die Fahne. Alle 
prechen: ‚Heil Hitler!“ — dazu ein Bild, 
as einen ſtruwwelköpfigen Jungen in un⸗ 
definierbarer Uniform beim Bien der 
ahne zeigt, im Hintergrund HJ. in 
tiefelhoſen. An einer anderen Stelle leſen 
wir: „Nicht fein! Schau! Willi hat 15 
Er leckt den Teller ab. Das iſt nicht fein. 
Pfui! Willi muß den Löffel nehmen.“ 
Dazu folgendes köſtliche Bild: ein Herr 
mit Monokel, offenbar der Vater, ſchaut 
entſetzt zu, eine ns feine Mutti mit Pelz- 
fragen ift aufgeſprungen, als ob vor ihren 
Augen ein Mord geihehen wäre. Wieder 


ein anderes Bild zeigt, wie eine Mutter 
ihren Sohn Willi mit einem naſſen 
Schwamm aus dem Bett treibt... 

er ſich an noch anderen Einzelheiten 
ergötzen oder entſetzen will, beſorge ſich 
das Buch aus dem Oldenbourg⸗Verlag in 
München, der auch die Namen der für 
dieſes Buch verantwortlichen Schulmänner 
preisgibt. 


Zeitgenossen der Raucherepoche 


Da habe ich nun jahrein jahraus meine 
Pflicht getan, gearbeitet, Dienſt geſchoben 
und war zufrieden, zu meinem Teil mitzu⸗ 
wirken an dem Geſchehen der heutigen 
Tage. Ich habe meine Kameraden und 
Freunde. Doch alles das iſt nicht lebens⸗ 
wert. So meine nicht etwa ich, nein, ſo 
meint eine Reklame, die es genau weiß. 

Erſt dachte ich, man wollte mich zum 
Narren halten, Dé ſozuſagen einen April: 
ſcherz erlauben. eit gefehlt! Im Som⸗ 
mer, Herbſt und Winter immer dieſelbe 
felbjtfihere Lebensweisheit. Meine Freunde, 
mein körperliches Wohlbefinden, alles ijt 
Trugbild, weil ich Nichtraucher bin. 
Eine ſelbſtloſe Reklame führt dich als ges 
wöhnlichen ela ds zu einem beſſeren, 
bewußter gelebten Leben, du brauchſt nur 
eins zu tun — rauchen. Schließli lage 
id) mir, die müſſen es ja willen, wo fie doch 
ſozuſagen das Glück haben, Duzfreunde des 
Tabaks zu ſein. 

Es iſt ſo: Du rauchſt eine Zigarette, 
dann merkſt du nicht, daß es regnet. Du 
rauchſt und kannſt dich in den er 
Sommertag nenea, ja erft dann find 
deine 10 . rholung. Aber nicht 
allein Wetter kann die Zigarette machen, 
du kannſt dich auch mit ihrer Hilfe in jede 
beliebige Zeit dich wie Mitten in der 
Woche kannſt du dich wie am Sonntag füh⸗ 
len, und mit ihrer Hilfe kannſt du ſogar 
erreichen, daß Oſtern und Pfingſten au 
einen Tag fällt. Aber es gibt noch vi 
mehr des Wunderbaren: Du kannſt dich 
beim za einer » atette über Dein 
eigenes Leben hinausheben, fie beſchwingt 
dich, ſie inſpiriert dich zu Dingen, die du 
mit deinem einfachen Verſtand allein nie 
hätteſt denken können. 

Du gehſt in kein Konzert, du haſt zu 

auſe deine Sigarette, die dir T. Gin: 
onie ift. Du braudjt keinen Freund, du 

rauchſt deine Zigarette, die dich wie ein 
Wunderteppich in ferne Gegenden führt, 
wohin du armſeliger Kerl ſonſt nie gekom⸗ 
men wäreſt. Sie zaubert dich in jeden 
gewünſchten Erdteil und zeigt dir Bilder 


Randbemerkungen 39 


unerhörter Pracht, leis, ganz leis im 
Dunſt verſchwebend. Dabei brauchſt du dich 
nicht etwa zu überwinden, dich ihrer Hilfe 
gu bedienen, denn es liegt in ihrem Wefen, 
aß dir beim bloßen Anblick das Waſſer 
im Munde zuſammenläuft. Und wer be⸗ 
ſonders tüchtig raucht, der wird hoch geehrt 
und kommt ſogar in die Zeitung. In ihrem 
Anzeigenteil darf er ſelbſt ſeine unerhört 
Weſen auh Meinung ben noch im Riidjtand 
lebenden Mitmenſchen kundtun. Das ſind 
Sachen! 

Soviel Vorzüge gibt es alfo! Ich denke, 
daß ſich mir no ar nicht einmal alles 
offenbart hat. ich erſtaunt nichts mehr. 
Du wirſt nächſtens noch einen gewöhnlichen 
Kupferpfennig mit einer Zigarette berüh⸗ 
ren, und ſiehe da, er hat ſich in ein blan⸗ 
kes Fünfmarkſtück verwandelt. Denn nach 
der üblichen Zigarettenreklame bewirkt der 
Tabak Wunder. 

Lange genug haben die Menſchen nach 
dem Stein des Weiſen geſucht, nun ſcheint 
es, daß ſie ihn in der Zigarette gefunden 
haben. Sollteſt du berufliche oder ſeeliſche 
Hemmungen haben, ſollteſt du nicht richtig 
vorwärtskommen, ſo fange nur an zu 
Suet Y ba wirſt du bald im blauen 
Dunt in neue Welten geführt. Nicht zus 
legt das Aroma! Ieder bürgerliche Apfel 
oder fleckebereitende Pfirſich iſt in ſeiner 
eſchmackbefriedigenden und sbeglüdenden 

irkung nichts gegen die anregende, aro⸗ 
matiſche Wirkung eines — verfteht fi 
nikotinarmen Tabaks. Im übrigen hört 
mit der Illuſion auf, in einem Dritten 
Reid) zu leben. Die Raucherepoche ift es, 
die ſchon lange angebrochen iſt und Glück und 
Geſinnung unſeres Jahrhunderts beſtimmt. 


Die Dichter 


und ihre Katalognummer 


Es iſt nichts Neues und Erſchütterndes. 
Aber wir müſſen es zu Anfang ſagen, weil 
Se bie ſchriftgelehrten Uberklugen Miß⸗ 
verſtändniſſe wittern, wo es kein Mihver: 
kanoni? gibt. Nämlich: daß wir die Arbeit 
er Literaturhiſtoriker für eminent wichtig 
halten. Und zwar nicht nur jene Arbeit, 
die nach Jahren rückwärtsbetrachtend Ge: 
weſenes feſtſtellt und ordnet. Nein, auch der 
Arbeit der Männer, die das gegenwärtige 
Schaffen der Dichter prüfen und nach ihrem 
beſten Gewiſſen der Gemeinſchaft ver⸗ 
mitteln, kommt große Bedeutung zu. 

Ja, ihre Arbeit iſt ſchwerer und verant⸗ 
wortungsvoller als die Arbeit jener, denen 
ſchon der zei Abſtand vom „zu betrad: 
tenden Objekt“ Maßſtab und Hilfe iſt. Die 


[i 


Männer, bie bas heutige Schaffen wertend 
beobachten und verfolgen, haben den Maß⸗ 
ſtab ihres eigenen Geſchmackes, der ſeinen 
Grund in unſerer gemeinſamen Welt⸗ 
e e Dar Sie haben auch die Mög⸗ 
lichkeiten des Vergleiches, aus denen ſie 
Gemeinſamkeiten und Unterſchiedlichkeiten 
feſtſtellen können. Die nationalſozialiſtiſchen 
Kulturpolitiker haben in mehr als einem 
Jahrzehnt den Beweis erbracht, daß ihre 
Federn wirkſame Waffen gegen die Peſt 
jüdiſch⸗literariſcher Pſeudodichtung waren, 
daß ſie zugleich, mahnend und fte Dich den 
Boden für eine neue volkhafte Dichtun 
bereiten konnten. Denn die Tatſache daß 
die Zeit der Entartung auch in der Dichtung 
in ſo kurzer Friſt und mit ſolcher Grün icht 
keit überwunden werden konnte, iſt nicht 
zuletzt und insgeſamt das Serbien bet 
Schriftleiter, bie in der Mannſchaft ber 
Bewegung mitkämpften und fidj die Sorge 
um das deutſche Schrifttum zur bejonderen 
Pflicht machten. 

Zu dieſem Stamm der alten Nazis mußten 
in den vergangenen Jahren notwendiger⸗ 
weiſe — weil es halt mehr Zeitungen und 
Zeitſchriften gab als Nazijournaliſten — 
eine Gruppe von Männern ſtoßen, die mit 
dem gleichen ehrlichen Willen die aide 
Arbeit tun mußten. Allein alle die Map: 
täbe, bie den Nazis aus dem Erleben ber 

emegung zur Selbſtverſtändlichkeit ges 
worden und in Fleiſch und Blut über 
gegangen waren, mußten fie fid) mit Fleiß 
und Verſtand anerziehen. Damit fam, lang: 
ſam, aber ſehr ſicher, ein Zug in die 
Arbeitsart der nationalſozialiſtiſchen Kul⸗ 
turpolitiker, der mit dem alten mutigen 
Einſatz, dem Schwung und der Weite ihres 
Blickes nichts mehr zu tun hatte. Es wurden 
Begriffe und Worte übernommen, aber nicht 
immer in dem das Ganze begreifenden 
Geiſt verwandt. Eine ſolche Methode mußte 
anz zwangsläufig zur Schematiſierung 
ühren. Das, was fo vielfältig unb beweg⸗ 
lid) war, wurde 1 Es beruhigt 
ſo ungemein, wenn man ſeinen Verſtand in 
Schubfächern unterbringen kann. Man zieht 
die Lade „K“ und findet unter Kamerad⸗ 
gar Dichter wie Menzel, Schumann, 

nacker, Baumann, oder man greift in das 
ch „M“ und zieht aus der Mannſchaft mit 
icherheit etwa Pauſt und Zöberlein. Dieſe 
Methode beruhigt zwar, aber ſie iſt von 
einer unwiderſtehlichen Langweile. Im 
zuge dieſer Normung wurden auch dic 
ichter aufgereiht, die von „der Landſchaft 
er“ kommen; da waren ſelbſtverſtändlich 
lund und Brockmeier und ähnliche vere 
treten. In dieſer inventurähnlichen Ablage 


40 Randbemerkungen 


waren die „stillen Lyriker“ ebenſo unters 
gebracht wie bie „Dichter der Bewegung“. 


Man fann Briefmarken ſammeln und in 
hübſchen Katalogen einkleben. Sie ſind ge⸗ 
druckt und verändern ſich nicht mehr. Aber 
unſere Dichter, die nun ſchon mit ſo Grleben 
Sammelfleiß in Kataloge eingeſchrieben 

nd, leben ja noch und haben alle die 
chlechte Angewohnheit, Jahr um Jahr neue 
Bücher zu Red n und auch erſcheinen zu 

laſſen. Das iſt yen und deswegen t aud 
die Rechnung nicht auf. Sie find hod ereits 

[o artig auf ihre „Herkunft“ feſtgelegt, und 
plötzlich wagen ſie es, aus einer ganz ande⸗ 
ren Ecke wieder aufzutauchen. Herybert 
Menzel zum Beiſpiel war ſo ordentlich 
unter „K“ abgelegt und nun kam ein Ge⸗ 
dichtband von ihm heraus, der gar nicht 
mehr zu ſeiner Katalognummer paßt. Potz⸗ 
tauſend, das iſt dumm! deg Gd d) zwar 
nicht, denn das macht einen Aufſatz fällig, 
der ſeine „Wandlung“ ründet. Aber 
wieſo iſt das denn eine Wan lung, verehrte 
Herren? In Wirklichkeit ift es bod) fo — 
um bei wen zu bleiben, Dellen neuer Ges 
dichtband „Alles Lebendige leuch⸗ 
tet“ uns zu dieſer Betrachtung veranlaßt —, 
daß hier ein Dichter in vergangenen Jahren 
von dem ſchreiben mußte, was er in der 
Gemeinſchaft der Bewegung erlebte. Er 
beſang die Treue der Kameraden und be⸗ 
chwor den Glauben unſerer großen Zeit. 

a, er war ein Dichter, der die Kamerad⸗ 
chaft pries. Gewiß ſtanden dieſe Verſe 
eines Schaffens im Vordergrund. Aber das 
kann doch nicht Anlaß ſein, ihn nun zum 
Dichter der Kameradſchaft zu ſtempeln. Man 
kann dann doch nicht erſtaunt tun, wenn er 
nun mit ganz anderem Ton zu uns kommt. 
Oder: man kann doch nicht jedesmal und 
bei jedem Dichter überraſcht ſein, wenn er 
etwas anderes ſchreibt, als es nach dem 
weiſen Katalog ſeiner Betrachter zu ver⸗ 
muten geweſen wäre. Es iſt Aufgabe der 
eitgenöſſiſchen Literaturgeſchichtler zu prü⸗ 
fen au ſichten und zu mitteln, nicht aber 
ebende Dichter einem Kapitel der Litera⸗ 
turgeſchichte gest ihon zuzuſchuſtern. 

Herybert 
in dieſen Tagen ſeinen Gedichtband er⸗ 
cheinen laſſen, in dem er „Gedichte eines 

hrzehnts“ zuſammentrug. Sie dokumen⸗ 


enzel hat zum Beiſpiel eben 


tieren aber weiß Gott keine Wandlung. 
Denn dieſe Gedichte ſchrieb er, als er dem 
Katalog nach von „der Landſchaft her“ kam 
SE a = a SCH „K übrt vicis Er 
at nämlich nicht unter Verlagsauftrag an 
dem Stoff gearbeitet, der nun sat ge 
ſchaffen wurde. Er hat davon geſungen, 
wovon ſein Herz voll war: von ſeiner Hei⸗ 
mat und von der Liebe, von dem Heimweh 
aus der ropen Stadt unb von ben kleinen 
und bod) o innigen Begegnungen des 


Lebens. In ſeinen Verſen rauſchen die 
Wälder feiner oſtländiſ Heimat, in 
eſichter und Ge⸗ 


ihnen 0 uns die 
alten, die ihn zum Schreiben eege Da 
ubiliert das glate im Dorf und da 
lappen in trhythmiſchem Takt bie Dreſch⸗ 
flegel in reifes Korn. Der Leiermann fingt 
und der Atem eines neuen Frühlings macht 
uns das Herz froh. Gerade dieſer gaffen 
Querſchnitt durch das lyriſche Schaffen 
eines unſerer beſten Dichter beweiſt, daß in 
dem Schaffen der Dichter Weite und Viel⸗ 
fältigkeit, zahlloſe Geſichte und beglückende 
Gefühle ihre Kraft beweiſt. Sehr weit hat 
Der ert qum fein Feld eiteft: ba 
inb Schauſpiel und Roman „Umitrittene 
Erde“, da find eine Hande Reihe wunde r⸗ 
voller Kantaten und Balladen, da find ne 
loſe Lieder und hymniſche und ftille Berje. 
Sein jüngſter Band „Alles Lebendige 
leuchtet“ (Hanſeatiſche e are 
Fee zeichnet ihn ſelbſt, den Menſchen, 
der mit klaren Augen die Schönheit dieſer 
Welt ſieht, der die ernſten und frohen 
Stunden in einem bereiten Herzen erlebt 
und dem immer die Kraft bleibt, aus dieſen 
Gefühlen Verſe und Strophen zu finden, die 
ihn befreien und viele Menſchen beglücken. 
So wünſchen wir ſeinem Band gute Fahrt 
und den Weg in viele Hände. Wir erwarten 
noch ſo viel von Gone Menzel. Wir 
fonnen das, ohne Propheten zu fein, weil 
In neue Wert ein wohlbehauener Stein 
n feiner Arbeit ift. Und bie literariſchen 
Katalogſchreiber warnen wir mit einem 
Zaunpfahl, nun ſeine Wandlung zur ſtillen 
oder inneren Lyrik zu beweiſen. Denn wir 
könnten uns denken, daß Menzel etwa eine 
Komödie ſchreibt, und dann würde die 
Nummer wieder nicht mehr paſſen. 
Wilhelm Utermann. 


Hauptschriftleiter: Günter Kauf mann. 


Anſchrift der Schriftleitung: Reichsjugendführung, Berlin W 35, Kurfürſtenſtraße 53. Fernſprecher: 
d „ zentralverlag ber NSDAP., Berlin GW 68, 


Verlag: Franz Eher Nachf. G. m. b. 
checkkonto: Berlin 4454. 
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erantwortlich für den Anzeigenteil: Ulri 
Druck: M. Müller & Sohn KG., München; Zweigniederlaſſung Berlin SW 68, Dresdener 
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HERAUSGEBER: BALDUR VON SCHIRACH 


Das Bollwerk im Osfen 


E Legd 
Gauleiter Erich Koch, Ostland ruft die Jugend 

d ko Ostpreußens geschichtliche und militärische Sendung / Gerhard Kr: 
poer Agnes Miegel: Ostpreußische Seele | Karl Baldamus: Agnes — 

T Auftrag | Wilhelm Jung, Paris: Französischer „Rassismus? f - 
er Die bauernfähige Jugend / Hermann Reischle: Zur Entscheidung aufge- 


o Gayda 7 Was geschicht im Nahen Osten? 


ionatsschrift / Heft 16 Berlin, 15. August 1939 Preis 30 Pf. 


INHALT 


Gauleiter Erich Koch: Ostland ruft die Jugend 
Agnes Miegel: Ostpreußische Seele 
General Vogt: Das Bollwerk im Osten 


Gerhard Krüger: Schicksal Danzig 


AUSSENPOLITISCHE NOTIZEN 
Virginio Gayda, Rom: Was geschieht im Nahen Osten? 


Wilhelm Jung, Paris: Französischer „Rassismus“? 


KLEINE BEITRÄGE 
Hans Bofinger: Die bauernfühige Jugend 


Karl Baldamus: Agnes Miegels großdeutscher Auftrag 


NEUE BÜCHER 


Hermann Reischle: Deutsche Jugend zur Entscheidung aufgerufen 


KUNSTDRUCKBEILAGE 


1 Aufnahme Tschira, 3 Aufnahmen Staatl. Bildstelle Berlin 
Danzig, Der Neptunsbrunnen | Danzig, Rathaus: Diele im Erdgeschoß | Marienburg, 
Das Ordensschloß von der Nogatseite | Marienwerder, Ordensschloß und Dom 


Bill Hacht 


führerorgan der nauonallozialiſtiſchen Jugend 


HERAUSGEBER: BALDUR VON SCHIRACH 


Jahrgang 7 | . Berlin, 15. August 1939 Hefi 16 


Gauleiter Erich Koch: 


Ostland ruft die Jugend! 


Cs ift für mich ein beglückendes Gefühl, daß bie deutſche Jugend in zunehmendem 
Maße Intereſſe an der Provinz Oſtpreußen nimmt. Ihre Verbundenheit mit dem 
Schickſal dieſes Landes beſteht nicht erſt ſeitdem Oſtpreußen im Mittelpunkt einer 
politiſch geſpannten Atmoſphäre ſteht, ſondern bereits ſeitdem Adolf Hitler den 
Blick des deutſchen Volkes nach Often lenkte. 

Die deutſche Jugend ſucht nicht Bequemlichkeit und Ruhe, ſondern Kampf, Auf⸗ 
gaben und Probleme. Sie findet ſie hier in Oſtpreußen in ſo großer Fülle, daß 
auch in Zukunft dieſer Gau das Ziel der kämpferiſchen Jugend Adolf Hitlers 
bleiben wird. | | 

Jeder deutſche Gau hat feine eigenen Probleme, jeder deutſche Stamm feine 
beſondere Art. Die Aufgaben, die in den einzelnen deutſchen Gauen auf des 
Führers Befehl zur Durchführung gelangen, können daher nicht nach einem Schema 
gelöft werden. Ihre Löſung ſetzt vielmehr eine genaue Kenntnis der Struktur des 
betreffenden Gaues voraus. 

Trotzdem muß geſagt werden, daß die Lage in Oſtpreußen mit der Lage eines 
anderen deutſchen Gaues nicht vergleichbar iſt. Das hängt keineswegs in erſter 
Linie damit zuſammen, daß Oſtpreußen vom übrigen Reich getrennt iſt, ſo bitter 
das für uns iſt, ſondern hat ſeine Urſache darin, daß es unerträglich iſt, auf vor⸗ 
geſchobenem Poſten und in einem Grenzwall im Oſten nur 67 Menſchen auf den 
Quadratkilometer zu haben. Wenn Mitteldeutſchland, wo 333 Menſchen auf dem 
Quadratkilometer wohnen, eine Bevölkerungsdichte von nur 67 hätte, ſo wäre das 
unbedenklich. Für Oſtpreußen iſt dieſe Zahl ungenügend! 

Bei allen Problemen, die ich anfaſſe und bei allen Aufgaben, die ich durchführe, 
gehe ich von dieſer Tatſache aus: Es iſt notwendig, in Oſtpreußen 
die Bevölkerungsdichte zu verdoppeln. In Oſtpreußen wohnen 


2 Koch / Ostland ruft die Jugend 


25 Millionen Menſchen einſchließlich des heimgekehrten Memelgebietes. Die oft- 
preußiſche Landwirtſchaft ift nicht in der Lage, mehr als 2,5 Millionen Menſchen 
einen Arbeitsplatz zu bieten. Von den 3,7 Millionen Hektar Land find 25 Mil: 
lionen landwirtſchaftlich und 0,7 Millionen forſtwirtſchaftlich genutzt, fo daß tats 
ſächlich nur 500 000 Hektar in Oſtpreußen weder von der Land⸗ noch von der Forſt⸗ 
wirtſchaft belegt find. 54 Prozent der Bevölkerung find in der Landwirtſchaft tätig 
(Reichsdurchſchnitt 29 Prozent). Die oſtpreußiſche Landwirtſchaft, ſelbſt wenn ſie 
äußerſt intenfiviert wird, benötigt noch einige hunderttauſend Kräfte. Da in Oſt⸗ 
preußen jedoch insgeſamt zwei Millionen Menſchen angeftebeft werden müſſen, be: 
deutet das, daß der größte Teil des Zuſtromes in den ge⸗ 
werblichen und induſtriellen Sektor geleitet werden muß. 

Ganz abgeſehen davon, iſt es aber auch aus Gründen der Rentabilität notwendig 
geweſen, mit Nachdruck anzuſtreben, daß der einſeitige Agrarcharakter dieſer Pro⸗ 
vinz umgewandelt wird, ſo daß wir am Ende dieſes noch andauernden Prozeſſes 
eine geſunde Miſchung aus Betrieben der Landwirtſchaft, des Handwerkes, des 
Gewerbes, der Induſtrie und des Handels in der oſtpreußiſchen Wirtſchaft haben. 
Es iſt ein unhaltbarer Zuſtand, daß z. B. in Tilfit Sperrplatten fabriziert werden, 
die den Weg ins Rheinland antreten und von dort als Möbelſtücke nach Tilſit 
zurückkommen, oder daß Mehl nach Mitteldeutſchland wandert, um in Nudel⸗ und 
in Teigwarenpaketen zurückzukehren. Ahnlich liegen die Verhältniſſe bei einer 
großen Zahl weiterer Produkte, bei denen Oſtpreußen den Rohſtoff liefert. Es gibt 
aber auch Betriebe, bei denen die Rohſtofffrage nicht ausſchlaggebend dafür iſt, wo 
der Betrieb in Deutſchland ſeinen Sitz hat. Das gilt z. B. für die von mir ange⸗ 
regten oder gegründeten Betriebe der Tuchfabrikation und die dazugehörige Aus⸗ 
rüſtungs⸗Induſtrie, der Margarine⸗Fabrikation und in manchen Fällen auch der 
Maſchinen⸗ und metallverarbeitenden Induſtrie. Insgeſamt find feit 
1933 fo 157 neue Fabriken in Oſtpreußen entftanden. 
Trotzdem befinden wir uns noch im Anfang der von mir angeſtrebten Entwicklung, 
an deren Ende der innere Kreislauf der Güter im weſentlichen 
hergeſtellt ſein muß. 

Der oſtpreußiſche Bauer ernährt nicht nur die oſtpreußiſche Bevölkerung, ſondern 
darüber hinaus noch über zwei Millionen Menſchen im Reich. Es ſind jene Men⸗ 
ſchen, die wir hier benötigen. Die Frachtenſpanne, die durch die Marktferne ent⸗ 
ſteht, trägt, nebenbei bemerkt, nicht der Verbraucher, ſondern der Erzeuger, das 
iſt der oſtpreußiſche Bauer. Er würde nicht unbeträchtliche Summen mehr ein⸗ 
nehmen können, wenn ſeine Erzeugniſſe von einer entſprechend größeren oſt⸗ 
preußiſchen Bevölkerung verzehrt würden. Er liefert nämlich jährlich in das Reich: 

6—7 Millionen Zentner Getreide, 
1—2 Millionen Zentner Mehl, 
240 000 Zentner Butter, 

600 000 Zentner Käſe, 

700 000 Schweine, 

230 000 Rinder und Kälber. 


Koch / Ostland raft die Jugend 3 


Auch als Verbraucher würde der Oſtpreuße durch Verbilligung der Produkte 
ſeinen Lebensſtandard verbeſſern können, wenn der innere Kreislauf der Güter 
hergeſtellt wäre. Es fallen dann nämlich die ungeheuren Frachtenſpannen weg, die 
durch jenen wirtſchaftlichen Unſinn entſtehen, den ich vorſtehend ſchilderte. Es ift alfo 
nicht nur aus bevölkerungspolitiſchen, ſondern auch aus wirtſchaftlichen 
Gründen notwendig, daß Oſtpreußen gewerblich und induſtriell durchſetzt wird. 


In meinen Beſtrebungen, die Bevölkerungsziffer in Oſtpreußen zu heben, gelang 
es mir zunächſt, rund hunderttauſend Menſchen aus dem Reich 
zu veranlaſſen, ihre Exiſtenz in diefe Provinz zu ver: 
legen. Dieſer erſte Teilerfolg iſt mir nicht leicht gemacht worden. Es ſtellte 
nf heraus, daß trotz der Ausſichten, die fid) für viele Gewerbe⸗ und Induſtrie⸗ 
zweige hier in Oſtpreußen eröffnen, Hemmungen perſönlicher Art beſtanden. Die 
Vorſtellungen, die ſich der einzelne über Oſtpreußen, Land und Leute macht, find 
trotz der verſchiedenartigſten Aufklärungswellen noch vollkommen abwegig und 
dem Entſchluß hinderlich, Exiſtenzen nach hier zu verlegen. Ich darf es mir 
erſparen, all die irrigen Anſichten aufzuzählen, die über den landſchaftlichen 
Charakter, klimatiſche Verhältniſſe, kulturelle Vorbedingungen und die Bevölke⸗ 
rung ſelbſt in weiten Kreiſen noch beſtehen. Ich habe es ſtets als das einfachſte 
und ſicherſte Mittel betrachtet, ſolchen falſchen Vorſtellungen zu begegnen, an Oſt⸗ 
preußen intereſſierte Volksgenoſſen aus dem Reich zu veranlaſſen, dieſes Land zu 
beſuchen und ſich hier an Ort und Stelle ein Bild von der Schönheit und Viel⸗ 
geſtaltigkeit der Landſchaft, von den wirtſchaftlichen Möglichkeiten und vom oſt⸗ 
preußiſchen Menſchen zu machen. Ich habe noch wenig Menſchen erlebt, die nicht 
angenehm enttäuſcht oder ſogar begeiſtert von einem ſolchen Beſuch geweſen wären. 
Zum mindeſten beſeitigt eine Reiſe durch dieſes Land die erwähnten Hemmungen 
vollkommen. Aus dieſem Grunde habe ich es mir angelegen fein laffen, zunächſt 
einmal den Fremdenverkehr in Oſtpreußen zu heben und die Reiſe nach Oſtpreußen 
zu verbilligen und zu vereinfachen. Dieſe Bemühungen waren durchweg von Erfolg 
gekrönt, nicht zuletzt durch die verbilligte Oſtpreußen⸗Rückfahrkarte, durch den See⸗ 
dienſt, durch die Verbeſſerungen der Reiſewege, der Straßen, der Unterkünfte uſw. 

Das Fahrten: und Wanderweſen der Hitler-Jugend, das hier be[onbers inter⸗ 
eſſiert, drückt ſich zahlenmäßig als Erfolg aus: Die Übernachtungen in den Jugend⸗ 
herbergen ſtiegen von 117 000 im Jahre 1933 auf 450 000 im Jahre 1938, die Zahl 
der Betten von 6000 auf 9000 und die Zahl der Jugendherbergen von 78 auf 95. 
Bei den letzten Zahlen iſt jedoch zu berückſichtigen, daß zunächſt einmal von den 
vorhandenen 78 Jugendherbergen eine große Zahl aufgelöſt werden mußte, weil 
ſie nicht dem entſprachen, was wir uns unter einem Aufenthaltsort für die Hitler⸗ 
Jugend vorſtellen. Der deutſche Junge und das deutſche Mädel ſollen in Oſt⸗ 
preußen nicht nur ſchön wandern, ſondern auch ſchön wohnen. 

Mögen auch zeitlich die bevölkerungs⸗ und wirtſchaftspolitiſchen Probleme in 
Oftpreußen zuweilen in den Vordergrund rücken, fo bleibt doch als unſere 
erhaben|te Sendung die kulturelle. Wir find nicht nur in vergangenen Jahr⸗ 
hunderten befruchtend für die Kultur des Oſtraumes geweſen, ſondern find erſt 


& Koch / Ostland ruft die Jugend 


recht heute aud ein kulturelles Bollwerk gegen ben anbranbenben 
Bolſchewismus. Oſtpreußen hat nicht nur in der Vergangenheit dem deutſchen 
Volk Staatsmänner, Soldaten, Wiſſenſchaftler, Dichter und Mufiker geſtellt, fon: 
dern auch die Gegenwart iſt ſo reich an in dieſem Gau beheimateten kulturell und 
künſtleriſch Schaffenden, daß auch für alle Zukunft Oſtpreußens kulturelles Leben 
geſichert ijt. Waren es in der Vergangenheit Männer wie Kopernikus, Gottſched, 
Immanuel Kant, Herder, E. Th. A. Hoffmann, Schenkendorf, Simon Dach und 
viele andere, ſo verkörpern das Kunſtſchaffen der Gegenwart eine große Zahl oſt⸗ 
preußiſcher Dichter, Schriftſteller, Muſiker, Maler, Architekten und Bildhauer. 

Es iſt nicht mehr ſo, daß der Fiſcher auf der Nehrung oder der Bauer in Maſuren 
in vollkommener kultureller Abgeſchiedenheit lebt. Im Gegenteil. Die oſtpreußiſchen 
Grenzlandtheater Tilfit, Allenſtein und Elbing haben derart ausgedehnte Außen⸗ 
ſpielbezirke, daß jeder oſtpreußiſche Kreis mit guten Theateraufführungen beliefert 
werden kann. Die Gaufilmſtelle dringt mit ihren 20 Tonfilmwagen in das ent⸗ 
fernteſte Dorf vor, ſo daß jeder Oſtpreuße in Verbindung mit dem politiſchen und 
kulturellen Geſchehen in der Welt ſteht. Dasſelbe beweiſt die fortgeſetzt ſteigende 
Zahl der Rundfunkteilnehmer und der Bezieher der oſtpreußiſchen Preſſe. 

In Dorfgemeinſchaftsabenden, die ſich ſtark zunehmender Beliebtheit erfreuen, 
und bei der Feſt⸗ und Feiergeſtaltung zeigt ſich immer deutlicher, welche kulturellen 
Kräfte in dieſem Gau noch geweckt werden können und wie groß die kulturellen Auf⸗ 
gaben find, die noch vor uns liegen. Bei jeder Dorfverſchönerungsaktion und bei 
jeder Freizeitgeſtaltung ſtelle ich von neuem feſt, wie ſehr gerade die Arbeiter auf 
dem flachen Lande mit ganzer Seele dabei ſind, wenn es gilt, aus der Gemein⸗ 
ſchaft heraus kulturell zu ſchaffen oder die Kulturgüter der Nation aufzunehmen. 
Wenn jede Kultur allgemein die Ausdrucksform ihrer Zeit und ihrer Art iſt, dann 
beweiſt mir die Kultur des oſtpreußiſchen Menſchen, daß es ſich hier um einen Typ 
handelt, der nicht angekränkelt, ſondern naturverbunden, 
nicht intellektuell, ſondern unverbildet iſt und ſein geſundes 
Empfinden nicht nur in allen praktiſchen Lebenslagen, ſondern auch bei ſeiner 
künſtleriſchen Betätigung zum Ausdruck bringt. | 

Allen voran an einer unkomplizierten, aber um [o innigeren kulturellen Bes 
tätigung in Oſtpreußen ſtehen die Jungen der Hitler⸗Jugend und die Mädel bes 
Bundes Deutſcher Mädel. Ihre Laienſpiele und ihre Tänze, die zum großen Teil 
hier entſtanden ſind und den Charakter dieſer Landſchaft tragen, ihre Lieder und 
ihre Freizeitgeſtaltung ſind die Grundlagen artreiner deutſcher Kultur. 

Mein Wunſch an die deutſche Jugend geht dahin, daß ſie das Land Oſtpreußen 
kennenlernen möge, um ſich alsdann zu entſcheiden, ob ſie bereit iſt, ihren Einſatz 
fürs Leben und für das deutſche Volk von hier aus zu wagen. Sie darf 
dabei ſicher ſein, daß dieſe Provinz ſie nicht zur Bequemlichkeit, ſondern zum 
Kampfe erzieht. Oſtpreußen hat in der Geſchichte bewieſen, daß es Menſchen zu 
ſtählen imſtande iſt. Der oſtpreußiſche Menſch hat gelernt, Widerſtänden zu trotzen 
und auf ſeinem Poſten auszuhalten. Die deutſche Jugend findet daher hier den 
beſten Nährboden für eine kraftvolle Entwicklung. 


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Danzig; Rathaus: Diele im Erdgesche 


Agnes Miegel: 


Ostpreußische Seele 


Wer zum erſtenmal nad Oſtpreußen kommt, ift erſtaunt über die Größe dieſes 
Landes, über die Vielfalt ſeiner Landſchaft und über ihre Schönheit. Die Größe 
ſpürt er am deutlichſten im Frühling; wenn die Weichſelniederung, wenn die 
Ihönen, bachdurchrauſchten Buchenhöhen bei Elbing und am Oberländiſchen Kanal 
ſchon grün find, beginnt im rauheren Samland gerade erſt das Sprießen, und 
wenn dort ſchon die Eſchen grün rauſchen, ſtrecken ſie eben erſt an den Wegen des 
Memellandes die grünen Blatthände heraus über den noch rötlich flirrenden 
jungen Pappelblättern. Dann iſt auf einmal, faſt über Nacht, alles gleich weit. 
In dem überſchwänglichen Blühen des oſtdeutſchen Frühlings holen wir Mittel⸗ 
und Süddeutſchland ein. Von den Hügeln Maſurens, um die weiten Seen, bis zu 
ben Moränenhängen der Seesker Berge (die [o ganz an die Landſchaft der deutſchen 
Voralpen erinnern), von der Friſchen Nehrung bis nach Nimmerſatt blüht der 
Holunder, alles überſchäumend mit lichten Dolden und ſüßem Duft, gleichzeitig 
mit bem Hollerbuſch Schwabens. Das Korn wogt filbern⸗bläulich wie Waller und 
reift unter dem öſtlich klaren Licht, in den hellen Nächten, ſo raſch, daß die Ernte 
bald alle Hände braucht. In einem Arbeitsfieber, raſend wie das der Bienen in 
den blonden Wipfeln der Straßenlinden, geht der Sommer dieſes deutſchen 
Stammes dahin, in wenige Monate drängt ſich alles zuſammen, wozu anderen 
deutſchen Bauern, deren Frühling früher und milder kommt, deren Herbſt ſanfter 
und länger währt, mehr Zeit bleibt. Dafür iſt der Herbſt hier, nach den wilden 
Stürmen der Tag⸗ und Nachtgleiche, von einer bezaubernden glühenden Schönheit, 
farbiger noch als der des Hochgebirges. Farbigkeit — das iſt immer, zu allen Zeiten. 
das Hauptmerkmal der oſtpreußiſchen Landſchaft. Nicht nur die Nehrungen mit 
ihrem Dreiklang von Gold, Blau und faſt ſchwarzem Grün, bezaubern den, der 
ſie erblickt, durch dieſe Farben, durch das perlmutterne Strahlen des Sandes, des 
Waſſers, der langgezogenen Wolkenbänke über dem Haff. Auch über die Acker, die 
weiten Weidewieſen der Niederungen, die Städte und die Dörfer unter den hohen 
alten Bäumen geht dieſer Glanz, die „lichten Wunder“, wie Bruſt es ſo unver⸗ 
geßlich nennt. ) 


Zu dieſer Farbigkeit ftimmt, aus ihr geboren, aus der Seele der Kinder dieſes 
Landes, die Farbenfreude ihrer alten Bauernkunſt. Die hier ſaßen, zahlreicher noch 
(trotzdem ſie ihr Blut all den großen germaniſchen Erobererſtämmen gaben, die 
leuchtend und verſprühend über das von ihrem Feuer junggeglühte Europa 
zogen —), als veraltete Geſchichtsüberlieferung es annahm, dieſes freie Bauernvolk, 
das aus Goten, hauptſächlich Gepiden, aus Vandalen und dem nordiſchen Balten⸗ 
Ramm der Ayſthen zuſammengeſchmolzen war, immer wieder von Samland und 
Memel her mit Wikingsblut gemiſcht — dieſes Volk bewahrte ſein nordiſches 


6 Miegel / Ostpreußische Seele 


Weſen getreu hinter dem Wall feiner riefigen Wälder, der „grünen Heiden“, die der 
Deutſche Orden ebenſo als Wall übernahm und pflegte, nachdem er in langem 
und ſchwerem Kampf das kluge und tapfere Bauernvolk beſiegt hatte, aber nicht 
etwa „ausgerottet“. Seine Burgen ſtanden da, wo die Bauern ſchon, wie bei der 
Honeda, dem ſpäteren Balga und Ragnit die Schlüſſel⸗ und Fliehburgen auf den 
lehmigen Höhen gehalten hatten. Seine Rathäuſer und Kirchen da, wo ihr heiliges 
Feuer gebrannt hatte. Er achtete ihren Ackerbau, und er muß auch, tunftfinnig und 
ſchmuckfroh, wie die Blüte der Deutſchen es war, ihre heimiſche Kunſt geachtet 
haben. Sonſt würde nicht bis in die Gegenwart, die ſich jetzt, und zuerſt vom Land 
und von der Jugend aus, ſo tätig ihrer annimmt, ſo viel von dieſer alten Kunſt 
lebendig geblieben fein in Holzbau und Bauart, in Weben und Knüpfen. Selbſt 
das wunderſchöne Fachwerklaubenhaus, das jene Bauern brachten, deren fränkiſches 
Blut ſchon wieder aus dem früheren ſchleſiſchen Siedlergebiet zu uns kam, — es 
hätte ſich nicht ſo behaupten, ſo durchſetzen, ſo treu erhalten können, hätte nicht 
hier noch das ſchöne, würdige, alte Bauernhaus der Nordgermanen geſtanden mit 
rechteckigem Grundriß, mit ſchöngefügtem Holzwerk, mit langgezogener Vorlaube 
und geſchnitzten Holzſäulen und Fenſterbekrönungen, mit dem Stirnſchmuck der 
gekreuzten Pferdeköpfe und Schlangen am Giebel bes Rohr: und Strohdaches. 
Unter ihm klapperte der Webſtuhl, ging die Spindel; unter der Vorlaube, im 
Hof, färbten die Frauen mit Malve und Birke, mit Rinde und Zwiebel das Garn 
und die Wolle zu den Beiderwanddecken, den bunten Borten der Kleider, den 
Schürzen⸗ und Gürtelbändern, gewoben auf dem Brettchen ſeit Urzeiten nach 
Urzeitmuftern und treu bewahrt bis zum heutigen Tag im nördlichſten Teil, im 
Memelland, ſo wie der Süden des Landes die wundervolle Kunſt der alten 
Teppiche bewahrte; die in zwölfter Stunde, als billige und lockende neue Ware 
ſie zu verdrängen drohte, und als in der bodenentfremdeten Zeit das Gefühl für 
ſolche Kunſt erloſch, von einem heimiſchen Sammler in ihrem Wert erkannt und 
geborgen wurde, bis die heutige Zeit ſie neu erſtehen ließ. Die Muſter — wenn 
auch als Erſatz älterer Zeichen des Jahreskreislaufs das Uhrzifferblatt dazu kam — 
zeigen in Tierbild, Baumſymbol und Menſchengeſtalt uralt⸗germaniſches Gleichnis⸗ 
gut und beweiſen, genau ſo wie die überall bis heute lebenden Stroharbeiten, die 
glänzenden, buntgeſchmückten Strohkronen der Winterſonnwendzeit, wie die 
Schnitzerei der alten Stühle, die Bemalung der Spinde und die Muſter der Borten 
und Bänder, den Zuſammenhang dieſes Landes mit dem Kulturkreis der Oſtſee, 
dem nordiſch⸗germaniſchen, der hier noch blühte, als der Orden herzog und die 
deutſchen Siedler aus dem Weſten hier ihnen vertrautes Erbgut fanden und dem 
ihren mühelos verbinden konnten, ſo daß alles durch Kriegs⸗, Not⸗ und Peſtzeiten 
beſtand bis heute. 


Was dieſe bäuerliche, auch in den Städten noch bäuerliche Bevölkerung an 
Kunſt ſah in Architektur und Malerei, war ihr wohl, weil ein paar Jahrhunderte 


Miegel / Ostpreußische Seele 7 


eigener Entwicklung vorweg genommen wurden, zuerſt befremdend. Aber es war 
hohe Kunſt, die aus den Backſteinbauten der Burgen, der „feſten Häuſer“ des 
Ordens, aus den wehrhaften Kirchen zu ihnen ſprach, es war die feſtliche Farbigkeit 
der Wände und Dächer, der Kirchenräume und Remter, die ihrem eigenen Gefühl 
entſprach, und dies, die Farbigkeit, redete zu ihnen aus dem Schmelz der Altar⸗ 
tafeln, die deutſche Meiſter ſchufen, die aus Prag hierherfanden, dem damals 
höchſten Schatzbewahrer edler Kunſt. Der unvergleichliche Graudenzer Altar, ein 
paar Tafeln in Königsberg zeigen noch die Edelſteinſchönheit dieſer Malerei, ſteinerne 
Veſperbilder, verſtreut in unſerm und märkiſchem Ordensgebiet, zeigen die Strenge 
und Tiefe des Gefühls, das einmal, am ergreifendſten und über den Tod trium⸗ 
phierend, aus dem „Ackermann von Böhmen“ ſprach. Aber dem Volk hier lag die 
Lebensfreude näher. Es ift anzunehmen, daß an den Wandbildern, wie fie in 
Lochſtädt und in alten Dorfkirchen unter dem Putz vortauchen, ſchon hieſige Meiſter 
arbeiteten (nur ein ſolcher konnte dem Chriſtkind auf des Chriſtophorus Schulter 
in Pobethen ein warmes Röckchen und ſolch gut⸗preußiſche, dicke Walkmütze 
geben). So, wie ſie ſpäter ſchlecht und recht und oft auch ſehr ſchön und eigenwillig 
das Schnitzwerk an Kanzel, Tauftür und Altar werkten, die Bildtafeln des Chor⸗ 
geländers malten, die bunten Holzdecken mit ihren Märchenfabeleien ſchmückten, 
die nur leiſe noch an den bibliſchen Stoff anklingen. Nur die Barockkirchen des 
oberbayriſchen Stamms find ähnlich ſchmuckfroh — aber viel traditionsgebundener 
als bie unſern, über bie der Bilderſturm der Reformation [o kurz und fo raid) 
vergeſſen ging, wie eins unſerer jähen Sommergewitter. Die Dorfkirchen von Mühl: 
hauſen, von Bladiau, aber ſelbſt die noch ganz dörflichen Stadtkirchen in Königs⸗ 
berg bergen eine ſolche Fülle wirklich volksnaher Kunſt, ſo quellender Lebensfreude, 
daß jede kleine Altarbildumrahmung, jede Säule der „Beichtſtühle“ (die nur zur 
Reprafentation beibehalten wurden) und der Ehrenplatzgitter eine rechte Schatz⸗ 
grube davon iſt, uralte Symbolik und heiterſte Gegenwart fröhlich (und ſtets 
farbenglühend) vereinend. Wenn die Taufengel niedergleiten, blicken ſie, die 
lockig⸗vollbuſigen, gar nicht engelhaft, ſondern in blühender Irdiſchheit wie ein 
oſtpreußiſches Mädchen mit den roten Wangen, die ſchon die erſten Chroniſten als 
ein Merkmal unſeres Stammes rühmten. 


Daß unter dieſer Lebensfreude eine Tiefe lagert, die allein ſchon das Nordiſche 
unſeres Weſens beweiſt, zeigen einzelne, ſeltſam ergreifende Schöpfungen, wie das 
(wohl über ein älteres Epitaphbild gemalte) Peſtbild von Inſterburg, gegen 
deſſen ſelbſterlebte Gewalt des vergeblichen Kampfes von Menſch, Tier und Geiftern 
gegen bie Peſt das berühmte Bild des Piſaner Peſtfriedhofs wie ein zahmes 
Plakat erſcheint. 

Es iſt dieſe ſelbe Kraft, die auch aus den Formen und Weiſen der bei uns als 


Spinnſtubenlieder bewahrten alten deutſchen Volkslieder ſpricht. „O Schwan, du 
fliegſt hin, wo Freude tft, ich aber muß hin, wo Leiden ijt ...“ oder bie uralter: 


8 Miegel / Ostpreußische Seele 


tümlichen Melodien ber Waſſermannsballade und des Fährmannsliedes klingen —- 
verhallen über der Weichſel, nur von uns bewahrt. 


Allezeit ſangesfroh blieb dieſer Grenzſtamm — ſangesfroh bei der Arbeit. Es 
fingt ſich gut zum Klappern des Webſtuhls, zum Schnurren des Spinnrads, es 
fingt ſich gut auf dem buntgeſchnitzten Kirchenchor und in dem eignen, kerzenhellen 
Bürgerhaus. Als im Dreißigjährigen Krieg die Hausmuſik in dem andern deutſchen 
Land verhallte, blühte fie hier wie ſchon an Herzog Albrechts Hof. 


Es lebte in Königsberg der Dichterkreis der Kürbishütte, und wenn auch 
Heinrich Albert aus dem Vogtland gebürtig war, ſo iſt er doch, wie ſo viele der 
Hierhergezogenen, ganz in ſeiner Arbeit und ſeinem Leben dieſem Land, dieſer 
Stadt, deren Domorganiſt er, der Neffe des berühmten Heinrich Schütz, wurde, 
verpflichtet, darin verwurzelt wie Roberthin und Simon Dach, die hier Geborenen. 
Aus dieſem Kreis ſtammen viele der ſchönſten und innigſten Kirchenlieder und 
ihre Weiſen, von Dach ſelber das erſte deutſche Lied, das in einfältiger Herzens⸗ 
weisheit das Lob der Freundſchaft fingt, und das unſterbliche „Annke von Tharau“⸗ 
Lied. Ob nur die urſprüngliche Melodie, die etwas von der freudigen Pracht eines 
hochzeitlichen Fackeltanzes hat (im Reich und ſpäter bei uns verdrängt von der 
beſcheideneren, gefühlsſeligen Vertonung Silchers), von Albert iſt oder auch die 
Worte, iſt nebenſächlich. Überlieferung ſchreibt ſie Simon Dach zu, wofür ſowohl 
die einfache Innigkeit der Liebesworte ſpricht wie die niederdeutſche Derbheit 
des zweiten Teils, der ſich an ſeine plattdeutſchen Hochzeitsſchwänke reiht — 
„Spoaßkes“, wie wir ſie heute noch lieben, wie ſie in den niederdeutſchen Geſtalten 
und Liedern der Zwölfnächte und des Faſtelabends und im niederdeutſchen 
Märchen bei uns leben (aber nie in dem platten Oſtpreußen⸗Witz einer flachen 
Zeit, der uns als Zerrbild zeigt, wie bie Schottenwitze den uns weſens verwandten, 
mit hartem Leben und Klima ringenden Schotten!). Das Annke⸗Lied wurde zum 
Volkslied, geſungen, wo immer Deutſche wohnen. Für uns hier wurde es das 
gegenſeitige Treuegelöbnis mit Memel, der Vaterſtadt Dachs! Daß ſolch künſt⸗ 
leriſches Leben hier blühte, ließ die lange geglaubte Sage entſtehen, daß Oſtpreußen 
in Frieden gedieh, als der Dreißigjährige Krieg in deutſchen Landen tobte. Aber 
Frieden, andauernden, hat es nie gekannt. Immer war es bedroht und immer 
wieder von Kampf zerriſſen, von allen Nachkriegsplagen heimgeſucht. 


Auf Polen und Huſſiten folgten Tataren und Schweden, immer lauerte irgendwo 
an der Grenze Neid, Mißgunſt, Haß und Mord. Aber immer wieder beſiegte die 
Lebenskraft dieſes Stammes das alles. Das Leben feiner Großen, ob es Roberthin 
und Dach oder Kant iſt, zeigt einen Zug ſtiller Schlichtheit, der den andern 
leicht als Spießigkeit erſcheinen mag, aber das Gegenteil iſt — das Beſcheiden 
der ſtarken Seele, die ſich müht, der kleinen Lebensaufgabe ſo gerecht zu werden, 
wie der größten, und deren einzige Leidenſchaft die unabläſſige Arbeit ſcheint. 
Scheint, denn es ſpricht nicht nur vieles, was aus den ſcheinbar fo luſtigen Märchen 


Miegel / OstpreuBische Seele 9 


aufflingt und deutlich aus den alten Liedern, dafür, daß bles Beſcheiden das 
ſiegreiche Überwinden dunkler Kräfte iſt. Nur wer ſolche Tiefen kennt und beſiegte, 
kann die Stärke des „moraliſchen Geſetzes in ſich“ erkennen, nicht der ſchon der 
Weſensanlage nach Behaglich⸗Verſuchungsloſe. Es bewahrte dies Grenzland allezeit 
liebende Verehrung für die Herrſcher, in denen ihm das Urſprünglich⸗Dämoniſche 
und ſeine Vergeiſtigung zum Wohl anderer deutlich entgegentrat — ſo dem Großen 
Kurfürſten, in dem es nicht nur den Haſſer des ſlawiſchen Erbfeinds, den Gers 
treiber der Eindringlinge von der andern Oſtſeeküſte ſah, ſondern auch den, der 
von hier aus ſeine alten Seefahrerträume zur Wirklichkeit weckte und mit der 
weiteſten Welt verknüpfte. So auch dem Vater Friedrichs des Großen, unter deſſen 
harter Art die Oſtpreußen Größe und Väterlichkeit und, in ihm wie in ſeinem 
Vorfahr, auch die tiefe Treue erkannten, beſſer als es zuerſt die eignen Kinder 
taten und lange vor der neueſten Forſchung. „Menſchen erachte ich vor 
den größten Reichtum“, dies ſein Wort, ungefüg und fortreißend wie der 
Hirſchſchrei in den Wäldern Romintens, umfaßt das ganze Oſtproblem und feine 
Aufgaben. Aber er fand auch Worte tiefſter dichteriſcher Schönheit aus ſeiner 
„ſonderlichen Liebe“ zu dieſem Land. 


Während ein Gottſched, ein Herder und viele andere dieſe nicht fanden. Es 
ſcheint, daß der Oſtpreuße, wenn er, als Künſtler oder Schriftſteller, dieſe Heimat⸗ 
erde verläßt, es nicht tut, ohne Schaden an ſeiner Seele zu nehmen. Er wird 
bombaſtiſch, wie Gottſched, bitter und herb, wie Herder, in ein fremdes Land und 
Kunſtideal verliebt, wie Gregorovius, dem Zeitgeiſt, einer uns im Grund weſens⸗ 
fremden Literaturmode, verfallen, wie Sudermann. Er zerfließt in dieſer Art, 
er kann die Dämonen nicht mehr bannen, wie E. Th. A. Hoffmann und wie 
Hamann (es iſt bezeichnend, daß die ſchweifende Weſensart der beiden ihren 
Zeitgenoſſen und deren Nachkommen hier treuer im Gedächtnis blieb als ihre 
Werke). Hamann kehrte ja in die Heimat zurück — aber er iſt ſeltſam fremd in 
ihr, in der ungeformten Maßloſigkeit ſeines Werks und Lebens abweichend von 
dem, was die preußiſche, die oſtlanddeutſche Seele als ihr Lebensideal erkannt 
hatte, und wie es die Gelehrten feiner Zeit ſoviel reiner verkörpern: die großen 
Botaniker, die Arzte, die Aſtronomen jener Tage. 


Aber in einem Typ des Künſtlers lebte ſich dieſe Maßloſigkeit, dieſe Dämonen⸗ 
beſeſſenheit, gebändigt durch Fleiß und eigenen formenden Willen zu höchſter 
künſtleriſcher Leiſtung aus, wirkt kündend für ſein Land, auch im andern Deutſch⸗ 
land: in den großen Schauſpielern, die dieſer deutſche Stamm im letzten Jahr⸗ 
hundert und um die Jahrhundertwende hervorbrachte. Die darſtelleriſche Begabung 
iſt hier beſonders ſtark vertreten, lebt wie ſonſt nur beim oberbayriſchen Stamm 
im alten Krippenſpiel und Faſtelabendſchwanl und «tana fo gut wie im Stegreif⸗ 
ſpiel der Mädel. Für die Naturverbundenheit dieſes dem Acker verlobten Volkes 
ſpricht noch eine andere Begabung — die Malerei. Es ſind bisher keine Rembrandts 


10 Miegel / Über der Weichsel drüben ... 


Haus uns hervorgegangen — aber bie Tiermalerei kann doch hier neben der der 
ſtammverwandten Niederländer und Schweden ruhig beſtehen. Es iſt dieſelbe tieſe 
Liebe zur ſtummen Kreatur und ihrer grünen Welt, die aus den Bildern unſerer 
jungen Pferdemaler ſpricht, wie aus dem „Schimmel“ Paul Potters — aber es iſt 
ein ganz neues Verſenken in die Farben, in den Himmel, in das klare Licht 
Oſtpreußens, das unſere jungen Landſchafter und Tiermaler zeigen. Nicht ſo ver⸗ 
drängt von der Ölmalerei wie im übrigen Deutſchland, lebte hier das Waſſer⸗ 
farbenbild, das dieſem Licht und unſerm Waſſer beſonders gerecht wird, lebte eine 
jedem erſchwingliche, handwerklich tüchtige Schwarzweißkunſt in vielen, immer 
wieder die Heimat und ihre eigentümliche Schönheit ſchildernden Radierungen, 
und es hat dies Grenzland eine Reihe vorzüglicher Lichtbildner, deren Heimat⸗ 
bücher und Bilder Pferd und Vieh, Wild und Gevögel, Acker und Heldenfriedhof 
der Heimat in einer wie eine Fuge immer neu aufklingenden Lobpreiſung künden. 

Heimat, die wahrhaft Heimat iſt für die Nachkommen derer, die ſich in ihr ſeit 
Tauſenden von Jahren immer im gleichen Feldfriedhof zur Ruhe betten. Heimat 
für alle, die hervorgingen aus der Vereinigung der Urſaſſen mit denen, die ſie 
freiwillig, wie eine Braut erwählten: frieſiſchen Deichbauern, fränkiſchen Bauern 
und Gebirgsbauern. Heimat, die ihre Kinder alle in die Aufgabe des Ackers und 
der Grenze bannte, Land, deſſen Dichter am tiefſten und bewegteſten reden, wenn 
ſie von ihm erzählen. Land, zu dem die Seelen auch der in der Ferne Arbeitenden 
wandern, wie die Seelen der darum Gefallenen zu dem purpurnen Grabmal ihres 
heimkehrenden Bruders und Feldherrn. Land, deſſen Große unerbittlich gegen ſich 
und andere den Dienſt daran fordern von ſeinen Kindern. Land, in das er, der 
ſtrengſte König, einmal die Vertriebenen des deutſchen Gebirges rief mit den 
Worten, die ſo klingen, als hätte Oſtlands Erde ſelbſt ſie gerufen: 


„Mir neue Söhne! Euch ein mildes Vaterland!“ 


Uber der Weichfel drüben 


Uber der Weichfel drüben, Vaterland, höre uns an! 

Wir finken, rote Pferd und Wagen verfinken im mahlenden Sand, 
Recke aus deine Hand, 

Daß fie uns hält, Die allein uns halten kann! 


Denke der Zeiten, Die Dich jung gefehn! 
»Nach Oftland wollen mir reiten, 

Nach Oftland wollen wir gehn, 

Fern über Die grünen Heiden, 

Fern über Die blauen Seen!« 


Miegel / Über der Weichsel drüben ... 


Wer war's, der fo fang? 


O, wie im faufenden Wald die Axt erklang, 

Als deine Söhne mühfelige Wege fich fchlugen! 

Wie Rnarrten die hochbepackten Wagen, die fie trugen. 

Die Kadichfeuer fprühten. So hell war die halte Nacht. 
Uber den knackenden Zweigen, dunkel und ungefchlacht, 
Glotzte das breitgeſchaufelte Elch aus dem Erlenbruch. 

Und die Kinder hreifchten und hrochen unter Muttere Tuch. 
Dann kam der Tag, der brennende, mückendurchfummte. 
Und endlich ein Abend, und eine Glocke brummte, 
Schnobernde Fohlen am Zaun und ein Gerftenfchlag, 
Wellenwerfend und lang mie Johannistag. 

Auf lehmigem Hügel, blutrot im Abendbrand, 

Ein feftes Haus, halb Burg und halb Kirche, ftand. 

Und ein blaffender Hund und ein meißmäntliger Graukopf war da, 


Der fchrie »Landelüd, LandslGd!« und lachte, als er fie fah. 
Sie kamen von Flandern, fie kamen vom Niederrhein, 

Von den Hohen Tauern und aus der Goldnen Au. 

Sie ftrómten, harrendes Land, in dich hinein 

Wie der Samen des Mannes in den Schoß der Frau. 


O Heimat, lindenblonde, die hoffend uns trug, 

Die une fpieleno und kiffend im Kiffen gehoben, 
Die uns ſingend die bunten Wickelbänder gewoben, 
An deiner Schürze hingen mir Kind an Kind. 

Deine Bruft, die hatte für alle noch Milch genug, 
Und immer für alle fandeſt du Brot im Spind. 


Wo ift ein Leben fo hart, Mutter, wie deines es war? 
Deine Tränen tranhft du. Hunger war deine Koft. 

Deine jungen Töchter verfchleppte der gelbe Tatar, 
Deine jungen Söhne erfchlug der weiße Zar, 

Du haft im Robott gefront für den Gpp’gen Staroft. 
Deine Acker zerftampfte zu Brache die große Armee, 
Des Korfen Schimmel fchlug Blut aus deinem Schnee. - - 


Mutter, geliebte, Doch haft du nie geklagt, 

Nie ift dein lerchenfröhliches Herz verzagt. 

Einmal, ein einziges Mal, hrümmteft du dich mie in Wehn, 
Als Du Die Wagenburg deiner flüchtenden Kinder gefehn. 


11 


Miegel / Über der Weichsel drüben ... 


Durch der Kanonen Gebrüll aus Tannenbergs qualmenden Mooren 
Schrien fallend aus ihrem Blut, Die du geboren. 

Aus dem Staub und Geftampf der eilig getriebenen Herde, 

Uber der Hirten Gezänk, über dem Brodem der Pferde, 

Von Wagen zu Wagen gellte ein einziger Schrei: 

»Liber die Weichfel! 

Uber die Weichfel! 


Da find wir geborgen und freil« - - 

Uber der Weichſel, Deutſchland, ficheres Land, 
Horch, eine Stimme fingt hinterm Pflug: 

- Haft du fie wohl erkannt? | 

Ach, wenn du Not Dot. roar fie dir lieb genug! - - 
»Mtd von Arbeit fchlief ich ein, matt von Sorgen, 
Klopfte jemand draußen, lang vorm Morgen, 

Kam ein greifer Wandersmann herein: 

‚Frau, mo mögen deine Söhne fein?’ - 


Meine Söhne modern in Niemandsland, 
Sie liegen verfcharrt im Champagner Sand, 
Die graue See erftichte fie, 

Sibiriens Schnee erdrückte fie! 


Müd von Arbeit, matt von Sorgen fchlief ich wieder ein, 
Sah im Often einen roten Schein. 

‚Kinder, macht, Zeit ift'e aufzuftehn! 

Zeit zu fliehen, Mutter, Feuergleifch haft du gefehn!’ 

Müde war mein Rücken, bleiern meine Lider. 

Kinder, horcht! Die Toten kommen mieder! 

Durch den Sturm und durch die Regentropfen 

Hör ich dröhnend ihre gleichen Schritte klopfen, 

Endios, endlos - fingend Durch die Nacht marfchieren fie. 
Nur thr Lied klingt fremd in meinen Ohren 

‚Mutter, ach, die Toten ftehn nicht auf! 

Mutter, arme Mutter, mache nicht mehr auf! 

‚Noch ift Polen nicht verloren’, fingen fie'« - - 

Uber der Weichef drüben, Vaterland, höre uns an! 

Wir finken, wie Pferd und Wagen verfinken im Dünenfand. 
Recke aus Deine Hand, 

Daß fie uns hält, die allein uns halten kann. 

Deutſchland, heiliges Land, Vaterland!... Agnes Miegel. 


General Vogt: 


Das Bollwerk im Osten 


Auf vorgeſchobenem Poſten, durch Feindes Gebot willkürlich abgetrennt vom 
Reich, hält ein kerndeutſches Land die Wacht im Often gegen Slawen und Bolſche⸗ 
wiken, treu einer Aufgabe, die ihm ſchon vor vielen Jahrhunderten von der Ge⸗ 
ſchichte zugeteilt wurde, der es durch dieſe lange Zeitſpanne hindurch immer wohl 
bewußt geblieben iſt, die es erfüllt hat bis auf den heutigen Tag, und die es er⸗ 
füllen wird bis in ferne Zukunft, unſere Provinz O ſtpreußen. Die Weſensart 
der OftpreuBen gibt uns den klaſſiſchen Beweis für bie alte Weisheit, daß National» 
ſtolz und völkiſches Empfinden im gefährdeten Grenzland beſſer gedeihen als in 
der wohl behüteten, ſicheren Mitte des Reiches. Der Oſtpreuße hat ftets Gewehr 
dei Fuß geſtanden, immer gewärtig des Befehls, der ihn aufrief zur Verteidigung 
der Heimat, hinauf auf die Wälle von Deutſchlands Bollwerk im Oſten. 


Es war in dem erſten Drittel des 13. Jahrhunderts, als der Hohenſtaufenkaiſer 
Friedrich II. den Hochmeiſter des Deutſchen Ritterordens, Hermann von Salza, mit 
reihsfürftlihden Privilegien ausgeſtattet auf das Küſtengebiet nordöſtlich der 
Weichſel anſetzte. Als ein Kreuzzug war dies Vorgehen gedacht. Die kriegeriſchen 
Stämme der Preußen waren noch Heiden. Eroberung und Koloniſation des 
Landes war das Ziel. 1231 überſchritten die Deutſchritter unter der Führung des 
militäriſch hochbegabten Landmeiſters Hermann Balk die Weichſel. Als Hermann 
von Salza 1239 ſtarb, war ein freies deutſches Ordensgebiet entſtanden, zugleich 
eine Kolonie und ein Glied des Heiligen Römiſchen Reiches Deutſcher Nation. So 
beginnt die Geſchichte Oſtpreußens. 


Bis zur endgültigen inneren Befriedung des Landes vergingen noch viele 
Jahre. Die Ordensherrſchaft erreichte unter dem Hochmeiſter Winrich von Knip⸗ 
rode in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts ihre Blütezeit. Der Orden war 
zeitweiſe die bedeutendſte Macht des Nordens „an Rat, Zucht, Mannheit und 
Reichtum“. Wachſender Neid der ſlawiſchen Nachbarn mußte bie naturgemäße 
Folge ſein. In der Schlacht bei Tannenberg im Sommer 1410 unterlag der Orden 
den vereinigten Heeren der Polen und Litauer. Mit dem Hochmeiſter Ulrich 
von Jungingen an der Spitze fiel die Blüte des Ordens auf dem Schlachtfeld. Da⸗ 
mit war ſeine Machtſtellung in der öſtlichen Welt unwiederbringlich dahin. In 
der Folgezeit verlor der Orden weite Gebietsteile, und im zweiten Thorner Frieden 
1466 kam das ihm verbliebene Oſtpreußen unter die Lehnshoheit der polniſchen 
Krone. 


Das Jahr 1525 bezeichnet einen neuen bedeutſamen Wendepunkt in der Ge⸗ 
ſchichte Oſtpreußens, — der Hochmeiſter des Ordens Albrecht von Brandenburg 
verwandelt das Ordensgebiet in ein weltliches Fürſtentum. Noch im gleichen 
Jahre trat Oſtpreußen als eines der erſten deutſchen Länder zur neuen lutheriſchen 
Lehre über. Trotzdem wäre das Land bei ſeiner exponierten Lage dem Slawentum 


14 Vogt / Das Bollwerk im Osten 


gegenüber vielleicht für Deutſchland verloren geweſen, hätte es nicht einen ug, 
halt gefunden an dem Hauſe Brandenburg. Der Hochmeiſter Albrecht von Branden⸗ 
burg hatte Preußen als erbliches Herzogtum von Polen zu Lehen genommen. Er 
hinterließ 1618 das Land ſeinem Schwiegerſohn, dem Kurfürſten Johann Sigis⸗ 
mund von Brandenburg. So erfuhr die Verbindung Oſtpreußens mit Branden⸗ 
burg und damit mit dem Deutſchen Reich ihre endgültige Sicherung. Nach der 
ſiegreichen Schlacht bei Warſchau, in der der Große Kurfürſt im Bunde mit Schweden 
die Polen niederwarf, erkannte der Friede von Oliva 1660 die Unabhängigkeit des 
Herzogtums Preußen von der Krone Polens an. So war Oſtpreußen wieder freies 
deutſches Land, ein auch von dem mehr und mehr ſchattenhaft gewordenen deut⸗ 
ſchen Kaiſertum unabhängiger Beſitz der Hohenzollern. Deſſen zur Beſtätigung er⸗ 
klärte ſich Kurfürſt Friedrich III. von Brandenburg am 18. Januar 1701 zum König 
in Preußen. Preußen, genauer Oſtpreußen, hat der Hohenzollernmonarchie den 
Namen gegeben. | 


Von den Wirren des nordiſchen Krieges 1700—1721 ift Oſtpreußen ziemlich un. 
berührt geblieben. Schwer hatte das Land dagegen im Siebenjährigen Krieg zu 
tragen, wenn auch die ruſſiſche Kaiſerin Eliſabeth in dem von ihren Heeren be⸗ 
ſetzten Lande eine gewiſſe Schonung walten ließ, weil ſie es bereits als ihr Eigen⸗ 
tum betrachtete. Hat ſie ſich doch von den Ständen des Landes als der nunmehri⸗ 
gen Souveränin huldigen laſſen. Die Huldigung erfolgte unter ſchwerſtem Zwang. 
Trotzdem hat König Friedrich der Große von dieſer Zeit her ſein Leben lang eine 
gewiſſe Abneigung gegen Oſtpreußen behalten. Er hat ſeit dem Kriege Oſtpreußen 
nicht wieder betreten und hat das, was die Beamten der Landſchaft und die Be 
völkerung unter größter Gefahr an Hilfeleiſtungen aller Art durch die ruſſiſchen 
Heere zu ihm hinüberbrachten, nicht angerechnet. Die Oſtpreußen haben ſich da⸗ 
durch in ihrer Treue und Verehrung zu dem Mehrer Preußens nicht beeinträchtigen 
laſſen. Mit hingebender Liebe hingen ſie an ihrem Herrn und ſein beſter und 
begeiſtertſter Lobredner war der große Oſtpreuße Immanuel Kant. 


Zwei Jahrzehnte nach dem Tode des großen Königs hat Oſtpreußen überreiche 
Gelegenheit gefunden, ſeine Vaterlandsliebe ſchlüſſig zu beweiſen. Nach der ver⸗ 
nichtenden Niederlage von Jena und Auerſtädt, nach dem Fall der Elbe⸗ und Oder⸗ 
feſtungen fand das Vordringen Napoleons noch einmal einen Widerſtand in Oſt⸗ 
preußen. Bei Preuß. Eylau wurde im Februar 1807 die erſte Schlacht geſchlagen, 
die der Kaifer nicht gewann. Das Eingreifen bes preußiſchen Korps Leſtocq, von 
Scharnhorſt am richtigen Punkte angeſetzt, machte den Kampf, der von den mit 
Preußen verbündeten Ruſſen ſchon verloren war, unentſchieden. Dann kam im 
Sommer nach der unglücklichen Schlacht bei Friedland das Ende und der Friede 
von Tilſit, der in Form und Inhalt viel Ahnlichkeit mit dem Diktat von Verſailles 
1919 aufweiſt. 


Was nun folgte, iſt Oſtpreußens große Zeit. Denn echte Größe zeigt ſich recht 
in Zeiten bitterſter Not. Und eine Notzeit ward es. Nirgends hat die Willkür 
der franzöſiſchen Eroberer grauſamer gehauſt als in Preußen. Aber ſchon ſeit dem 


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Vogt / Das Bollwerk im Osien 18 


Jahre 1808 regt es fid) allenthalben im Volk, ſteht ber Preuße nicht mehr mutlos 
da. Der Haß gegen den Unterdrücker und der leidenſchaftliche Wunſch, die Ketten 
zu ſprengen, die der perſönlichen Freiheit wie der Freiheit der ganzen Nation an⸗ 
gelegt waren, ergriff alle Schichten der Bevölkerung. Nach Oſtpreußen zuerſt drang 
die Runde von dem Untergang der großen frangofiiden Armee in Rußlands Eis: 
wüſten. Die Oſtpreußen ſahen zuerſt mit eigenen Augen, wie ſich die Trümmer 
des einſt ſo ſtolzen Heeres, jeder militäriſchen Ordnung bar, als regelloſe Haufen 
gen Weſten dahinſchleppten. Als ein Gottesgericht ſah Preußen dies furchtbare 
Gefhehen an, und an ein Gottesgeridjt appellierte es nun, über fd) und den 
fremden Tyrannen, der einmal geſagt hatte, — die Preußen find keine Nation, fte 
haben keinen nationalen Stolz. 


Unmittelbar vor den Toren Oſtpreußens, in der Poſcheruner Mühle, ſchloß 
General von Yord am 30. Dezember 1812 mit ben Ruffen die Konvention von 
Tauroggen ab, die das Hilfskorps, das Preußen für Napoleons ruſſiſchen Feldzug 
hatte ſtellen müſſen, neutral erklärte und ſo für den Staat rettete. Dieſe von 
höchſtem Verantwortungsbewußtſein getragene Tat war das Signal, das die all⸗ 
gemeine Erhebung zum Ausbruch brachte. Stürmiſch wie nie zuvor war die Seele 
des Volkes in ihrer Tiefe aufgewühlt von dem einen alles beherrſchenden Ge⸗ 
danken, frei zu werden um jeden Preis. In tauſend rührenden Zügen bekundete 
ſich die Vaterlandsliebe gerade auch des kleinen Mannes durch eine Opferwillig⸗ 
keit und eine Einſatzbereitſchaft, die das eigene Ich völlig vergaß. An religiöfer 
Begeifterung ohne Fanatismus, an großartig einfachem Heldentum hat die Welt⸗ 
geſchichte wenig Gleiches aufzuweiſen. Unvergeſſen bleibt jene Anſprache Porcks, 
mit der er die oſtpreußiſchen Stände aufrief; unvergeſſen auch, daß es ein Oſt⸗ 
preuße, Staatsrat von Hippel, war, der den in feiner Schlichtheit erhabenen Aufruf 
des Königs „An mein Volk“ verfaßt hat. Von Oſtpreußen ging die große Er⸗ 
hebung aus, die mit dem Sturze Napoleons endete. 


Ein volles Jahrhundert verging, ehe Oſtpreußen wieder Gelegenheit fand, ſich 
als „Wächter der Schwelle“ zu zeigen. Es hat die Gelegenheit wahrlich nicht ver⸗ 
ſäumt. Über Oſtpreußen brauſte im Auguſt 1914 der erſte Anſturm der ruſſiſchen 
Naſſen. Auf oſtpreußiſchem Boden wurde die Schlacht geſchlagen, die in der Welt: 
geſchichte in einzigartiger Größe daſteht, gegen die die Niederlage von 1410 ver⸗ 
blaßt, Tannenberg. Schwer hat die Provinz gelitten, bis dieſe Schlacht und 
dann die Schlacht an den maſuriſchen Seen und die große Winterſchlacht in Maſuren 
Oſtpreußens Erde von den Ruffen befreite. Von dem Bollwerk Oſtpreußen aus; 
gehend hat die geniale Strategie Hindenburgs und Ludendorffs die ruſſiſche Dampf⸗ 
walze im Spätherbſt 1914 und im Jahre 1915 zum Stillſtand und zur Umkehr 
gezwungen. Ohne das Bollwerk Oſtpreußen, das unüberwindlich die Nordflanke 
der ruſſiſchen Heere bedrohte, wäre Hfterreihs Heer verloren geweſen, war ein 
Eindringen ber Ruffen in das Innere des Reiches kaum aufzuhalten. 


Es kam der Zuſammenbruch im November 1918. Wieder wurde Oſtpreußen 
zum Hüter deutſchen Landes und deutſchen Weſens im Oſten berufen. Jetzt gegen 


16 Vogt / Das Bollwerk im Osten 


die Gefahr einer ÜUberſchwemmung durch den Bolſchewismus, der im Baltenland 
hauſte und gegen den die rote Regierung in Berlin nur mit halbem Herzen Front 
machte. Der deutſche Oſten war in höchſter Not. Aber für den Oſten war in Berlin 
nur Unverſtändnis und Intereſſeloſigkeit. Man konnte ſchon hier im Herzen des 
Reichs keine Ordnung halten, um wieviel weniger vermochte man ſich um das 
Schickſal der nun vom Reichsganzen losgelöſten Provinz zu kümmern. Eine kampf⸗ 
fähige Truppe war nicht mehr vorhanden. Alle militäriſche Diſziplin hatte auf: 
gehört. Oſtpreußen mußte ſich ſelber ſchützen. Sich ſelbſt und damit den ganzen 
Oſten und das Reich. Da haben ſich in klarer Erkenntnis des Gebots der Stunde 
oſtpreußziſche Männer aller Stände zu gemeinſamer Abwehr zuſammengefunden. 
Es ift das bleibende Verdienſt des damaligen Oberpräfidenten von Batocki, daß es 
ihm gelang, alle Kreiſe, ſelbſt die berüchtigten, damals ſehr mächtigen Arbeiter⸗ 
und Soldatenräte der Provinz, zu einem Aufruf für die Bildung einer Volkswehr 
zu bewegen. Die Volkswehr ſollte ſein „ein Schutz der Heimat vor jedem Einfall 
äußerer Feinde und eine Sicherung gegen die Abtrennungsgelüſte polniſcher und 
litauiſcher Heißſporne, die mit unſerer Wehrlofigkeit rechnen“. Der Aufruf wurde 
am 19. Januar 1919 veröffentlicht. Es entſtand das oſtpreußiſche Freiwilligenkorps. 
Mitte April war die Organiſation vollendet. Die Kriegsgliederung wies eine 
Geſamtſtärke von über 20000 Mann auf. Die Oſtpreußen wußten, worum es 
ging. Sie wußten von dem Ruſſeneinfall in Oſtpreußen her, von den Bolſche⸗ 
wiſtengreueln im Baltenland, von der Schreckensherrſchaft im Innern Rußlands, 
was ihrer Heimat bevorſtehen würde, wenn ſie ſich nicht ſofort mit aller Kraft zur 
Wehr ſetzte. Und hier wie immer, wenn es am ſchlimmſten ſtand, hat Oſtpreußen 
ſein Beſtes und Größtes geleiſtet. Die deutſchen Männer dieſes deutſchen Landes 
haben dem inneren Feind, den Kommuniſten, die tätig an der Arbeit waren, wie 
dem äußeren Gegner, der von den Ententemächten mit zyniſcher Gewiſſenlofigkeit 
begünſtigt wurde, die Spitze geboten und haben durchgehalten. Träger der Be⸗ 
wegung war der im Frühjahr 1919 gegründete Heimatbund Oſtpreußen. Er hat, 
wie es in ſeinem Auflöſungsbeſchluß vom 10. Juli 1933 nach der Machtergreifung 
Adolf Hitlers heißt, gegründet von Soldaten und getragen von den bodenſtändigen 
Kreiſen der Provinz in Stadt und Land in hartem Kampf gegen das marxiſtiſche 
Syſtem und in zäher Arbeit die Grundlage für die Wehrwilligkeit der abgetrenn⸗ 
ten und auf fid) gestellten Provinz geſchaffen, hat rückſichtslos gegen den zerſetzen⸗ 
den Kulturbolſchewismus auf allen Gebieten gekämpft und den gefunden religiöſen 
und völkiſchen Willen zur ſeeliſchen Erneuerung von Volk und Staat dagegen ein⸗ 
geſetzt. Er hat den Willen der unbedingten Selbſtbehauptung und der Eigen⸗ 
ſtändigkeit geweckt und damit der Provinz als dem Kernland des preußiſchen 
Staates und dem äußerſten Ausſtrahlungspunkt deutſcher Geltung nach dem Oſten 
den ihr nach Lage und Geſchichte gebührenden Charakter gegeben. Die Mitkämpfer 
des Heimatbundes ſtehen heute in der SA. und SS. . 

Noch zwei nüchterne Zahlen, bie beweiſen mögen, wie früh und wie ralh fid 
Oſtpreußen zur Hakenkreuzfahne bekannte. Die Reichstagswahlen vom Mai 1928 
wieſen in Oſtpreußen 8000 nationalſozialiſtiſche Stimmen auf Zwei Jahre ſpäter, 


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Vogt / Das Bollwerk im Osten 17 


bei den Wahlen im September 1930, war diefe Zahl faſt verdreißigfacht auf 
235 000 geſtiegen. Auch hier erwies es fid): Die Geſchichte ſelbſt ijt die politiſche 
Lehrmeiſterin Oſtpreußens und wird es immer bleiben. 


Oſtpreußen, das Bollwerk im Oſten. Selten ward es uns eindringlicher vor 
Augen geführt als in unſeren Tagen, wie bitter nötig wir ein ſolches Bollwerk 
haben. Erfahren wir es doch beinahe täglich, welche ausgefallenen Ideen in polni⸗ 
ſchen Köpfen kreiſen; Oſtpreußen urpolniſches Land, Danzig, Stettin, vielleicht auch 
Hamburg polniſche Häfen. Nun, die Polen ſind nie große Politiker geweſen. Aber 
eben weil das polniſche Volk zu den Kindern des politiſchen Lebens gehört, läßt es 
ſich um ſo leichter verhetzen. Und ein Krieg kann leicht vom Zaune gebrochen 
werden, nachdem eine kurzſichtige Einkreiſungspolitik bie Atmoſphäre dafür ges 
hörig bereitet hat. So muß ſich Deutſchland gegen Weſten wie gegen Oſten ſchützen. 


Im Diktat von Verſailles wurde Deutſchland unterſagt, neue Landesbefeſtigun⸗ 
gen irgendwelcher Art anzulegen. Der Artikel 180 beſtimmt ausdrücklich, daß das 
Syſtem der befeſtigten Werke an Deutſchlands Oſtgrenze im gegenwärtigen Zus 
ſtande zu verbleiben habe. Die Armierung war vorgeſchrieben in einer Form, daß 
ſie für jeden Soldaten als reiner Hohn erſchien. Oſtpreußen lag offen für den 
Zugriff jeder noch ſo unbedeutenden feindlichen Macht. Schon bald nach dem 
Krieg hat ſich unſere Heeresleitung bemüht, wenigſtens in beſcheidenem Maße 
Abhilfe zu ſchaffen. Aber die Entente unterhielt Spitzel genug, die ſie über jeden 
ſchüchternen Verſuch unterrichteten. In den Jahren 1925—1926 mußte alles wieder 
zerſtört werden. Erft von 1928 ab datiert ein ſyſtematiſcher Aufbau von befeftigten 
Anlagen im Rahmen der damals allerdings ſtark beſchränkten Möglichkeiten. Nun, 
nachdem der Führer und oberſte Befehlshaber der Wehrmacht jenes ſchändliche 
Dokument des Friedensdiktats Seite um Seite zerriſſen hat, konnten die Aufgaben 
der Landesverteidigung Oſtpreußens in großem Zug in Angriff genommen wer⸗ 
den. Noch find alle fortifikatoriſchen Maßnahmen nicht bis zu der Vollendung 
gediehen, wie ſie der deutſche Grenzwall im Weſten aufweiſt. Wir können uns 
aber verſichert halten, daß die Befeſtigungen im Oſten und in Sonderheit der be⸗ 
feſtigte Schutz Oſtpreußens binnen kurzem den gleichen Anlagen im Weſten an 
Widerſtandskraft nicht nachſtehen werden. 


Es ift ſelbſtverſtändlich, daß im Syſtem der oſtpreußiſchen Landesbefeſtigung 
Königsberg die Hauptrolle ſpielt. Königsberg iſt nicht nur das Kernwerk, ſondern 
mit Pillau auch das Tor der Feſtung, zu der die ganze Provinz ſich wandelt. Um 
die Stadt Königsberg als Zitadelle iſt ein weiter befeſtigter Raum geſchaffen, der 
ih 200 Kilometer weit hinter ſtarken Geländeabſchnitten hinzieht und ſelbſtver⸗ 
ſtändlich ſo angelegt iſt, daß auch ein angriffsweiſes Vorgehen aus der befeſtigten 
Zone heraus günſtige Vorbedingungen findet. Vorgeſchoben vor den befeſtigten 
Raum von Königsberg find gleichſam als Außenforts weitere befeſtigte Zonen. 
Das ſtärkſte Werk dieſer Art iſt die Feſtung Lötzen, das Gewirr von Seen, das 
dies Feſtungsgebiet umſchließt, macht einheitliche militäriſche Operationen von der 
Gegenfeite nahezu unmöglich. Ein wirkungsvoller Stärkefaktor für die Abwehr 


18 Vogt / Das Bollwerk im Osten 


NACH DER „SCHLACHT BEI BERLIN” 


Das Programm der Polen 


Krüger / Schicksal Danzig 19 


liegt überhaupt in der Eigenart der oſtpreußiſchen Landſchaft mit ihren zahlloſen 
Abſchnitten, die, nach allen Richtungen der Windroſe laufend, die Truppenbewegun⸗ 
gen in hohem Grade erſchweren. Kommt nun dazu, daß das Vorgelände der bes 
feſtigten Gebiete und das zwiſchen ihnen liegende Gelände bis tief in das Landes⸗ 
innere hinein mit Sperren jeder Art in großer Dichte durchſetzt iſt, ſo wird klar, 
daß der Traum eines der größten Söhne oſtpreußiſcher Erde, des Generalfeldmar⸗ 
ſchalls Freiherrn von der Goltz, aus Oſtpreußen eine unangreifbare Feſtung, einen 
„Igel“, zu ſchaffen, in unſeren Tagen verwirklicht wurde. 


Feſtungswerke ſind gut und nützlich. Aber ſie fallen bei aller Stärke, wenn der 
Wehrwille der Truppe fehlt, die ſie zu verteidigen hat, und wenn hinter der Truppe 
nicht der Lebenswille eines ganzen Volkes ſteht. Wir haben geſehen, daß die Ge⸗ 
ſchichte Oſtpreußens uns die ſicherſte Bürgſchaft dafür bietet, daß Wehrwille und 
Lebenswille auf dieſem vorgeſchobenen Poſten deutſchen Landes nie erlahmte. Aber 
auch die junge Generation unſeres herrlichen, ſtarken Reiches ſteht im alten deut⸗ 
ſchen Ordensland auf Wacht, jederzeit bereit, mit nüchternem Idealismus und 
eiſerner Entſchloſſenheit den Lebensraum des deutſchen Oſtens zu verteidigen und 
darüber hinaus an Stelle des Unrechtes von Verſailles eine vernünftige Ordnung 
zu ſetzen. So bleibt das Bollwerk im Oſten unüberwindlich. 


Gerhard Krüger: 
Schicksal Danzig 


Vielleicht muß man in dieſer Stadt geboren und groß geworden fein, vielleicht 
muß man thr durch Familientradition und Heimatgefühl verbunden fein, um fo 
ganz bie Schönheit ihrer alten Bauwerke und das Lebendigſein der Geſchichte in 
ihr zu empfinden. Vielleicht muß man eine von jeder Ahnung eines ſpäteren 
Kampfes um ihr Volksſchickſal unbeſchwerte Jugend in ihr verlebt haben, um mit 
der letzten Leidenſchaft ihr Geſchick ſich jetzt entſcheiden zu ſehen. 


Es gibt wenig Städte, die Menſchen ſo ſtark in ihren Bann ziehen können, 
wie Danzig. Selten nur ift ein Kerngebiet einer Großſtadt von einer ſolchen 
inneren Geſchloſſenheit mittelalterlicher Architektonik zu finden wie die Altſtadt 
rings um die alte wuchtige Marienkirche Danzigs. Als Knabe habe ich — und 
welche Eindrücke wären ſtärker? — die träumeriſche Stimmung im Innern dieſer 
hohen ſchmalen Giebelhäuſer mit ihren ſchön verzierten alten Türen, ihren weiten 
Dielen, ihren geſchwungenen Holztreppen, ihren Gängeſtuben in mich aufgenommen. 
Johann Schopenhauer hat die Geſchichte einer Jugend in einem dieſer Danziger 
Patrizierhäuſer mit lebendiger Anſchaulichkeit geſchildert. Welche junge Seele hätte 
in dieſer traumhaften Welt nicht die geheimnisvollen Fäden, die in die Ver⸗ 
gangenheit zurückführen, weitergeſponnen, wäre ihnen nicht nachgegangen wie 
alten, längſt verſchollenen Sagen? Die Seele muß mitſchwingen im gleichen Rhyth⸗ 
mus mit der Stimmung dieſer Stadt. 


20 Krüger / Schicksal Danzig 


Die Straßen der Altſtadt waren der Lieblingsplatz unſerer Knabenſpiele. 
Winkelig ſind die Gaſſen, die Häuſer drängen ſich um die mächtige Marienkirche 
zuſammen gleich einer erſchreckten, ſchutzſuchenden Herde. Die Straßen find meiſt 
nach dem Gewerbe ihrer Einwohner benannt; wie oft haben wir uns über die 
Große und Kleine Hoſennähergaſſe gefreut! Auf den Häuſergiebeln kennzeichnen 
eigentümliche Figuren und Geſtalten, eine Schildkröte, eine Gans oder ein anderes 
luſtiges Getier jedes einzelne Gebäude amüſanter, als es durch Hausnummern 
geſchehen kann. Da ift die altertümliche, nahezu von allem unruhigen Großſtadt⸗ 
getriebe abgeſchloſſene Frauengaſſe. Beiſchläge vor jedem Haus. Spurlos ſcheint 
die Zeit an dieſem Stadtteil vorübergeglitten zu ſein. Auf der einen Seite erhebt 
fid) der gewaltige Backſteinbau der Marienkirche. Inmitten dieſer unüberſichtlich 
weiten, hohen und doch dämmerigen Säulenhallen habe ich immer den Eindruck 
gewonnen, als hätten die vornehmen Patrizier und wehrhaften Kaufherren des 
Mittelalters alle Reichtümer, die ihnen der lebhafte Holz⸗ und Getreidehandel 
eingetragen hatte, nur für die architektoniſche Eigenart und die kunſtreiche und 
koſtbare Innenausſtattung dieſes einen Gotteshauſes mit ſeinen unüberſehbaren 
Schätzen verwandt. Jahrhundertelang hat man an ihm gebaut und immer wieder 
Geld zur Vollendung und Verſchönerung der Kirche als Symbol der ſtädtiſchen 
Macht und des hanſiſchen Glanges aufgehäuft. Nun lagert fie breit und maſſig im 
Mittelpunkt der Stadt, und ihr Turm erhebt ſich wuchtig, trutzig und feft, ein 
Wahrzeichen des freien, artbewußten Hanjeatenfinnes und des ſtolzen, alten 
Krämertums, ein Symbol des feſten, unverrückbaren Deutſchtums der Stadt. 


Auf der anderen Seite der Gaſſe liegt das zierliche gotiſche Frauentor, hinter 
dem ſofort das bewegte Leben des Innenhafens an der Mottlau beginnt. Wenn 
ich hier am hohen Krantor ftand, dann empfand ich ſchon als Knabe, wie ſtark 
dieſe Stadt mit dem Leben verbunden iſt, wie das Meer tief und breit durch die 
Ströme und Flüſſe in ſie hineindringt. Dieſer Innenhafen war die Stätte unſeres 
jugendlichen Forſchungstriebes und unſerer deutſchen Weltſehnſucht. Wir bewun⸗ 
derten die Schiffe, die Waren, die aus ihnen emporgewunden wurden, und die 
fremdartig ſprechenden Menſchen. Wenn ich dann auf der anderen Seite die 
Speicherinſel mit ihren alten Lagerhäuſern ſah, dann wußte ich, daß die Patrizier 
und Kaufherren einſt ihre Reichtümer auch für wirklichkeitsnahe Dinge angelegt 
hatten. Wirklichkeitsnah, aber nicht weniger ſchön. Da iſt der Lange Markt in 
feiner ſeltenen Geſchloſſenheit des Stilcharakters, mit der alten Danziger Feſthalle, 
dem Artushof, und vielen alten Patrizierhäuſern, unter ihnen das beſonders reich 
geſchmückte Steffenshaus. Da iſt die wundervoll geſchwungene Linie der Langgaſſe, 
begrenzt durch zwei alte ſchöne Tore, am Anfang das Rathaus mit ſeiner unwahr⸗ 
ſcheinlich ſchlanken Turmſpitze. Deutſche Geſchichte zu Stein geworden, zu ſprechen⸗ 
dem Stein! 


Dies alles muß man in ſeiner Erinnerung vorüberziehen laſſen, um zu wiſſen: 
Dieſe Stadt iſt in ihrem ganzen Sein, wie in ihrer ganzen Geſchichte eine deutſche 


Krüger / Schicksal Danzig 21 


Tatſache, geſchaffen von deutſchen Menſchen unb deutſcher Leiſtung, an der niemand, 
wer es auch ſei, rütteln kann. 


In den erſten Anfängen unſerer geſchichtlichen Überlieferung gehörte das Gebiet 
der Weichſelmündung zu dem die nordiſchen Länder und Norddeutſchland umfaſſen⸗ 
den Kulturkreis. Bis etwa 500 n. Zeitw. war das Land im Beſitz der Germanen, 
bis dann Goten und Gepiden in dem gewaltigen geſchichtlichen Umbruch der 
Völkerwanderung nach Süden zogen. In dieſe Zeit zurück führt der Name Danzig, 
der gotiſcher Herkunft ift, die Abwandlung einer gotiſchen Gaubezeichnung. 


Nicht Polen waren es, ſondern Kaſchuben und Preußen, die in den freigewor⸗ 
denen Raum nachdrangen. Das Oſtgermanentum blieb für die Geſtaltung des 
Gebietes nach der kulturellen und blutsmäßigen Seite (Untermiſchung) von großer 
Bedeutung. Die Wikinger, auf die ja erſt die Gründung des ruſſiſchen und auch 
des polniſchen Staates zurückgeht, wahrten dann den germaniſchen Einfluß an der 
Mündung des Weichſelſtromes als der großen Handels⸗ und Verbindungsſtraße, 
wie ihre Niederlaſſung Truſo deutlich beweiſt. Nach ihrer Zeit iſt ein großer 
kultureller Rückgang bei Preußen und Kaſchuben ſpürbar. 


Bald jedoch machte ſich wieder die germaniſche Aufbauleiſtung im Weichſel⸗ 
mündungsraum geltend. 1178 bereits war Danzig Marktſiedlung deutſcher Kauf: 
leute. Gleichzeitig begannen deutſche Ziſterzienſer von Oliva und ſpäter auch von 
anderen Niederlaſſungen aus die hochſtehenden Land⸗ und Gartenbaumethoden deut⸗ 
ſchen Bauerntums hier im Oſten zu verbreiten. Um 1224 ſchon hatte Danzig 
deutſches Stadtrecht erhalten. 1226 wurde den Rittern des Deutſchen Ordens von 
Herzog Konrad von Maſowien das Kulmer Land an der Weichſel angetragen, von 
dem aus am rechten Weichſelufer als Lehen des Deutſchen Kaiſers raſch ein macht⸗ 
voller deutſcher Staat entſtand. Gleichzeitig ſuchten auch die kraftvoll nach der 
Oſtſee ſtrebenden askaniſchen Markgrafen von Brandenburg Danzig für ſich zu 
gewinnen. Dazu kamen die Beſtrebungen Lübecks, des Vorortes des deutſchen 
Oſtſeehandels, und der mit ihm verbündeten Städte und Fürſten. In dieſem 
Wettbewerb deutſcher Kräfte um altes germaniſches Machtgebiet, bei dem Danzig 
beſonders den Askaniern ſehr entgegengekommen war, behielt der Deutſche Orden 
unter geſchickter Ausnutzung der um Pommerellen nach dem Tode des letzten 
Herzogs entſtehenden Erbſtreitigkeiten die Oberhand. 1308 kam Danzig in ſeinen 
Sepp. ' 

Unter dem Ritterorden erlebte die Stadt, geſtützt von einem mächtigen Staat, 
ihre größte Blüte. Der Höhepunkt der deutſchen Oſtentwicklung, einſetzend unter 
Hochmeiſter Winrich von Kniprode, wurde auch der Höhepunkt in der Geſchichte der 
Stadt. Getragen wurde diefe Blüte durch das enge politiſche und wirtſchaftliche 
Zuſammenwirken von Orden und Hanſe, der Danzig 1361 beitrat. Raſch ſtieg die 
Stadt in dem Städtebund auf und ſpielte in ihm bald nach Lübeck die entſcheidende 
Kolle. Hier fhan ermies fid), wie eng Danzig mit bem deutſchen Schickſal verbunden 


22 Krüger / Schicksal Danzig 


ift. Mit 20000 Bewohnern erreichte die Stadt 1415 eine für die damalige Zeit 
außerordentlich hohe Einwohnerzahl. 


Der Niedergang des Deutſchen Ordens brachte für Danzig eine tiefgehende 
Wandlung. Wie überall in dem damals ohne jede Zentralgewalt nur mühſam 
zuſammengehaltenen Deutſchen Reich ein Gegenſatz zwiſchen den großen Städten 
und den Territorialherren vorhanden war, ſo beſtanden dieſe Spannungen auch 
zwiſchen den preußiſchen Städten und dem Orden. Die Schlacht von Tannen⸗ 
berg 1410 war kein Sieg der polniſchen Waffen, ſondern des Verrats bes preußi⸗ 
ſchen Adels. Der Verſuch des tapferen Verteidigers der Marienburg, des zum 
Hochmeiſter erhobenen Heinrich von Plauen, die Kraft des Ordenslandes zuſammen⸗ 
zufaſſen und zwiſchen den Rittern und den oppoſitionellen Städten und Adligen 
eine engere Verbindung der Errichtung eines Landesrates herzuſtellen, ſcheiterte 
an der Unvernunft ſeiner Ordensbrüder. Vergeblich war ſein Bemühen geweſen, 
die überalterte Ordensverfaſſung zu überwinden und die Herrſchaft auf das deutſche 
Volk in Preußen zu ſtützen. Die Spannungen im Ordensſtaat verſchärften ſich nur 
noch. Wiederum war der Nutznießer dieſes innerdeutſchen Zwiſtes Polen; das 
uneinige Reich aber war zu ſchwach, den weiteren Verfall aufzuhalten. 1454 ging 
Weſtpreußen dem Orden verloren, unter Wahrung ſeiner Selbſtändigkeit wurde 
es durch die Perſon des Königs in Perſonalunion mit Polen gebracht. 


Noch ſtärker wahrte die Hanſeſtadt ihre Unabhängigkeit. Das „Schutzrecht“ des 
polniſchen Königs war geringfügig und inhaltslos genug: Außer einer Leibrente, 
einem Getreideſpeicher gab Danzig ihm nur das Recht, aus den Reihen der 
deutſchen Ratsherren fid) einen „Burggrafen“ auszuwählen und fid) — was kaum 
geſchah — drei Tage im Jahr in der Stadt als Gaſt aufzuhalten. Die 1453 von 
den Türken vollzogene Eroberung Konſtantinopels war eine für Danzig außer⸗ 
ordentlich günſtige Fügung. Auf dieſes politiſche Ereignis, nicht aber auf das 
Verhältnis zu Polen war die zweite wirtſchaftliche Blüte der Hanſeſtadt, über die 
nunmehr der ruſſiſche Getreidehandel geleitet wurde, zurückzuführen. Eine der 
Schutzmaßnahmen, die das Deutſchtum der Stadt, ablehnend gegen das Judentum 
gleich allen Hanſeſtädten, ergriff, war 1457 die vollſtändige Ausſchaltung der 
Juden. Danzig war und blieb bis zu feiner Rückgliederung nach Preußen ſtaats⸗ 
rechtlich völlig ſelbſtändig, unterhielt diplomatiſche Vertretungen und vollzog ſelbſt 
ſeinen militäriſchen Schutz. Welche Kraft dieſe deutſche Stadt entfalten konnte, 
ſollte 1473 gerade England zu ſpüren bekommen, deſſen Flotte von dem helden⸗ 
haften Danziger Seefahrer Paul Beneke geſchlagen wurde. 


Eine neue Gefahr drohte durch den Reichstag von Lublin 1569. Dem Volks⸗ 
verrat des von engſtirnigem Konfeſſionalismus getriebenen Biſchofs Hoſtus von 
Ermland und den Gewaltmaßnahmen der Polen gelang es, widerrechtlich dem 
ehemaligen Ordensgebiet ſeine Sonderſtellung zu rauben. Danzigs Abgeſandte, 
an ihrer Spitze Bürgermeiſter Klefeld, wurden ins Gefängnis geworfen, aber die 
mächtige Stadt war in ihrer Selbſtändigkeit nicht zu brechen. 1577 wurde der 
bewaffnete Poloniſierungsvorſtoß des polniſchen Königs abgewehrt. Ohne fremde 


Krüger / Schicksal Danzig 23 


Hilfe wahrte Danzig fein Deutſchtum. Die ſchönen Bauten, die in dieſer wie in ber 
erſten Blütezeit entſtanden, beweiſen durch ihren Stil, durch die Namen ihrer 
Baumeiſter bie geſamte deutſche Verbundenheit Danzigs. Wie im 14. Jahrhundert 
aus allen Teilen des deutſchen Volkes, aus Nord⸗, Weſt⸗ und Mitteldeutſchland 
Kräfte in die Stadt gezogen worden waren, ſo ſchritt man ſogar in dieſer völkiſchen 
Rotzeit dazu, in der mit der Stadt eng verbundenen Weichſelniederung neue 
Bauern anzufiedeln. Die Stadt ſelbſt wuchs und wuchs, um etwa Mitte des 
17. Jahrhunderts die gewaltige Einwohnerzahl von 80 000 zu erreichen. Die Wehr⸗ 
kraft der Stadt wird ſymboliſiert durch das einzigartig ſchöne Zeughaus, das 
Anthony van Obbergen in holländiſch⸗niederdeutſchem Nenaiſſanceſtil 1602 bis 
1605 errichtete. 


Die Stadt hatte unter den Kriegswirren des 17. und 18. Jahrhunderts ſtark 
zu leiden. Die Peſt forderte 1709 25 000 Opfer in Danzig. Die geänderten 
politiſchen Verhältniſſe führten den wirtſchaftlichen Rückgang herbei. Nicht ein⸗ 
bezogen in den Körper eines machtvollen deutſchen Staates konnte die Stadt auch 
nicht vor den Auswirkungen der geänderten politiſchen Lage geſchützt werden. 
Friedrich der Große gewann den alten deutſchen Boden im Oſten wieder dem 
Deutſchtum zurück. Es dauerte eine gewiſſe Zeit, bis der hanſeatiſche Sonderſinn 
erkannt hatte, daß die Zeit, wie fie durch die Reichsſchwäche im Spätmittelalter 
möglich und notwendig geweſen war, für Stadtrepubliken endgültig vorüber war. 
1793 kam Danzig an Preußen, und raſch bahnte fid) eine Aufwärtsentwicklung an. 
Aber ſchon brachen die Napoleoniſchen Kriege herein, in deren Verlauf die Stadt 
unter den wenigen war, die den Franzoſen tapfer Widerſtand leiſtete. Um 
Preußen zu ſchädigen und zu ſchwächen, wurde im Tilſiter Frieden 1807 Danzig 
das Scheindaſein einer „freien“, in Wirklichkeit der Willkür des franzöſiſchen 
Gouvernements völlig überlaſſenen Stadt gegeben. Dieſes zweifelhafte, von feinen 
Bewohnern nicht gewollte Daſein wurde 1814 beendet. Als Hauptſtadt der Provinz 
Weſtpreußen nahm Danzig nach anfänglichen Schwierigkeiten, die auf die Haltung 
Rußlands zurückzuführen waren, das die natürlichen Handelswege zu unterbrechen 
ſuchte, eine ruhige, geſunde Entwicklung. Seine Stellung als das deutſche Kultur⸗ 
und Wirtſchaftszentrum im Oſten wurde durch die Gründung der Techniſchen Hoch⸗ 
ſchule 1904, die in außergewöhnlichem Maße auch nach der geiſteswiſſenſchaftlichen 
Seite hin ausgebaut wurde, geſtärkt. 


Es iſt bezeichnend für die Väter des Verſailler Gewaltdiktates, daß ſie für Danzig 
anknüpften an die kurze, unglücklichſte Zeit in der jahrhundertealten Geſchichte der 
Stadt, an die Zeit der napoleoniſchen Entrechtung und Willkürakte. Nach dem 
Willen der deutſchen Menſchen der Stadt und nach ihrem Wohl fragte niemand. 
Polniſche Gier, Deutſchfeindlichkeit und die Sucht, politiſche Streitpunkte für die 
Zukunft zu ſchaffen, wobei auch der Einfluß des Judentums in Verſailles eine 
Rolle ſpielte, führten zur Losreißung Danzigs vom deutſchen Staatskörper. Mit 
innerſter Leidenſchaft hat das deutſche Danzig gerade in jenen ſchweren Tagen 
gegen den feindſeligen Gewaltakt Stellung genommen und mit der gleichen Beharr⸗ 


24 Krüger / Schicksal Danzig 


lichkeit und Entſchlußkraft, mie ſchon oft in feiner Geſchichte, gegen bie polnifchen 
Übergriffsverſuche ſich zur Wehr geſetzt. | 

Danzig ift ein gegen feinen Willen errichteter, aber ſouveräner deutſcher Staat. 
Am deutſchen Charakter der Stadt hat niemals jemand, nicht einmal Premier⸗ 
miniſter Chamberlain ernſthaft zu zweifeln gewagt. Um dem polniſchen Volk, das 
niemals mit dem Meer in einer wirklichen Verbindung geſtanden und noch nie 
ſeefahreriſche Kräfte trotz allen Geſchreis vom polniſchen Meer entwickelt hat, einen 
Zugang zur See zu geben, wurde der Freiſtaat Danzig errichtet. Danzig hat ſich 
bemüht, mit allen Kräften einer friedlichen Entwicklung zu dienen. Die national⸗ 
ſozialiſtiſche Regierung Danzigs hatte bie dann von Pilſudſki bejahte deutſch⸗ 
polniſche Verſtändigungspolitik, mit der Warſchau jetzt rückſichtslos gebrochen hat, 
von ſich aus angebahnt. Natürlich hat die Stadt auch alle polniſchen Übergriffs⸗ 
und Entrechtungsverſuche, deren es eine große Zahl gab, abgewehrt. Die Errichtung 
des koſtſpieligen Kunſthafens Gdingen ſtellte, ſolange Polen den Danziger Hafen 
nicht voll ausnutzt, bereits einen Bruch der Verſailler Beſtimmungen durch Polen 
dar; denn mit der Begründung für die Errichtung des Freiſtaates Danzig war auch 
die polniſche Verpflichtung gegeben, Danzig wirklich als Hafen voll zu benutzen. 
Gdingen, das von polniſcher Seite ſelbſt als das polniſche Schwert gegen Danzig 
bezeichnet worden iſt, wurde ausgebaut, um auf indirektem Wege die gierigen 
Ziele, die Polen in Verſailles nicht verwirklichen konnte, zu erreichen. Danzig 
ſollte durch einen völligen Strukturwandel ſeines Handels und darüber hinaus 
durch eine möglichſt weitgehende Ausſchaltung wirtſchaftlich und ſchließlich politiſch 
unterhöhlt werden. | 


Danzigs Deutſchſein ift eine jahrhundertealte politiſche Tatſache. Die Bauten der 
in ihrer Schönheit nur noch Nürnberg vergleichbaren Stadt ſind ehrwürdige Zeugen 
hierfür. Die Namen ſeiner großen Söhne: des Malers Anton Möller, des Kupfer⸗ 
ſtechers Daniel Chodowiedi, des Aſtronomen Hevelius (Hevelfe), des Phyſikers 
Daniel Fahrenheit, der Dichter Robert Reinik, Johannes Irgan, Max Halbe, bes 
Komponiſten Georg Wollerthun und des großen Philoſophen Arthur Schopenhauer 
erweiſen ſeine kulturelle Leiſtung für das Geſamtdeutſchtum. Die Gefahrenlage der 
Stadt hat frühzeitig das völkiſche Bewußtſein und die kämpferiſche Wachheit in 
den deutſchen Menſchen geweckt. Früher als ſonſt im deutſchen Nordoſten iſt für 
uns junge Danziger der Name Adolf Hitler zu einer mythiſchen Kraft geworden, 
wie der Aufbruch der nationalſozialiſtiſchen Bewegung in der alten Hanſeſtadt 
zeigt. Das Schickſal dieſer Stadt, die durch die Jahrhunderte ihr Deutſchtum auf 
ſich ſelbſt allein geſtellt gewahrt hat, iſt immer ein Teil des großen deutſchen Volks⸗ 
ſchickſals geweſen; Stärke und Schwäche des Reiches waren für es beſtimmend. 
Unverrückbar aber blieb das Deutſchſein! Heute iſt Danzigs Schickſal mehr denn je 
Reichsſchickſal. Und der alte Wappen⸗ und Wahlſpruch der Stadt ſteht über unſerer 
geſamten Reichspolitik geſchrieben, die auch meiner Heimat ihre Freiheit und 
glückliche Heimkehr ſchenken foll: „Nee temere, nec timide" („Weder unbeſonnen, 
noch furchtſam“)! 


Fluſcnpolitiſche Horten 


— wg gr ` ` — — sl 


Virginio Gayda: 
Was geschieht im Nahen Osten? 
Das Problem von Alerandrette 


Die Note, bie bie italieniſche Regierung 
am 10. Juli wegen der Abtretung des Sand: 
hats von Alexandrette an die Türkei, an 
die franzöſiſche Regierung richtete, hat in 
Paris, London und Ankara eine erregte 
Polemik in der Preſſe zur Folge gehabt, die 
eine offenbare Verlegenheit in der poli- 
tiſchen Stellungnahme verbirgt. Die Note 
bringt den Vorbehalt der italieniſchen Re- 
gierung gegenüber der willkürlichen Hand- 
ung der franzöſiſchen Regierung zum Aus⸗ 
druck und erwähnt, daß Italien in ſeiner 
Eigenſchaft als Mandatsmacht Anſpruch 
datauf erheben konnte, über das Schickſal 
Syriens und daher auch Alexandrettes, das 
der Mandatsmacht Frankreich unterſteht, 
konſultiert zu werden. 
„Tatſächlich ijt Frankreich Europa gegen- 
über verantwortlich für neue Verletzungen 
p internationalen . ie 

erletzungen ſind vor allem moraliſcher 
Natur. Durch willkürliches Vorgehen, das 
nur die Gelegenheit des mit der Türkei über 
ihren Beitritt zu dem neuen Mittelmeer⸗ 

it abgeſchloſſenen Handels ausnüßt, ijt 

kankreich über das eigene Recht ber im 
abgetretenen Gebiet wohnenden Menſchen 
hinmeggegangen. Die Volkszählung von 
1995 ergab für den Sandſchak von Alexan⸗ 
Nette eine Bevölkerungszahl von 208 000 
Einwohnern mit einer Mehrheit der arabi⸗ 
iden Solle und nur einer Minderheit (un- 

übr 80000) ber türfijden Raſſe. Nach 

iſt die türkiſche Bevölkerung des Sand⸗ 
künſtlich durch die Einwanderung von 
onen aus der Türkei vergrößert worden, 
urch Lücken ausfüllten, die durch den 

g der Chriſten und der Araber ent⸗ 

waren Aber die künſtliche Förde⸗ 

d ber türfijden Einwanderung kann 

rechtlich bie tatſächlichen inneren Ber- 
bältniffe bes Sandſchaks nicht ändern. 


Frankreich bricht internationale 
Verpflichtungen 


Nicht weniger flagrant iſt die Verletzun 
pue flag [ gung 


nalen Verpflichtungen, die 


ſeitens Frankreichs bei ſeiner Verwaltung 
Syriens begangen worden iſt. Syrien ge⸗ 
hörte vor dem Kriege, wie bekannt iſt, zum 
ottomaniſchen Reih. Nach dem Kriege, bei 
der ic Hir dieſes Reiches, das zwiſchen 
Großbritannien und Frankreich aufgeteilt 
wurde, vertraute man au Grund eines in 
San Remo am 25. April 1920 gefaßten Bes 
DM es bes Oberſten Rates ber Alliierten 

ächte und daher auch unter Mitwirkung 
Italiens, Syrien als „Mandat“ den Fran⸗ 
zoſen an. 

Dieſer internationale Beſchluß, der Ge⸗ 
eee hat, ftellt drei Grundſätze auf, 
ie ebenſo viele internationale Verpflichtun⸗ 
gen für Frankreich bedeuten: 

1. Da Syrien Frankreich nur als Mandat 
anvertraut wurde, kann es von dieſem 
Lande nicht als ein ſeiner Oberhoheit unter⸗ 
CHE biet angeieben werden. Es darf 
omit nicht verändert und nod) viel 
weniger in feinem Gebiet vere 

ümmelt werde n. Das Mandat ift eine 
Einrichtung, Mh ber bie Mandatsmacht 
nur bie Verwaltung bes als Mandat ers 
klärten Gebietes vorübergehend zu beſtimm⸗ 
ten Zwecken übernimmt, die vor allem da rin 
beſtehen, die ziviliſatoriſche Entwicklung der 
Bevölkerung zu ſchützen und zu fördern, bis 
dieſe die für ihre politiſche Unabhängigkeit 
erforderliche Reife erreicht hat. 

2. Das Mandat iſt auf Grund eines inter⸗ 
nationalen NAM Ue es ber Mächte über: 
tragen worden. Auf demſelben Wege kann 
es auch wieder entzogen und einer anderen 
Macht verliehen werden. Es kann infolge⸗ 
Dellen nicht von der Mandatsmacht allein 
geändert und noch viel weniger annulliert 
werden. 

3. Die Handlung Frankreichs, das für ſein 
Geſchäft und ſeinen Nutzen einen Teil des 
ihm anvertrauten ſyriſchen Gebiets an die 
türkiſche Oberhoheit abgetreten hat, bedeutet 
infolgedeſſen eine einſeitige Umgeſtaltung 
der Mandatseinrichtung, eine Verletzun 
Ké grundlegenden Beſtandteile u 
einer 5 außerdem feiner internatio: 
nalen Geſtalt und der den andern Mächten 
gegenüber übernommenen Verpflichtungen. 

ies begründet ſomit das Recht auf einen 
Proteſt und auf einen Vorbehalt der Mächte, 
die, nachdem ſie an der Zuteilung des Man⸗ 


26 Außenpolitische Notizen 


bats beteiligt waren, Beute nidjt an feinem 
weiteren Schickſal untntereffiert fein können. 


Berftümmelt und eutrechtet 


In dem beſonderen Fall Syrien ſtellt der 
Schritt Frankreichs ſodann eine SC 
nicht nur dem Buchſtaben unb dem Geilt 
der allgemeinen n des Mandats 
nach, ſondern auch des Vertrages, der das 
prie Mandat betrifft, dar. Artikel 4 dieſes 

ertrags lautet wörtlich: „Der Mandatar 
1 Syrien und Libanon gegen jeden 

erluſt oder jene Abtretung zur Verpach⸗ 
tung des geſamten Gebietes oder eines 
Teiles desſelben und gegen die Errichtung 
irgendeiner Kontrolle von ausländiſchen 

ächten.“ Weit entfernt davon, ents 
ſprechend dieſer unzweideutigen Verpflich⸗ 
tung für den Schutz der territorialen und 
politiſchen Unabhängigkeit Syriens Sorge 
u tragen, hat Frankreich ſtatt deſſen durch 
fre nitiative unb n feinem ausſchließ⸗ 
lichen Nutzen das ſyriſche Gebiet verſtüm⸗ 
melt und ſeine politiſche Selbſtändigkeit 
angetaſtet. 

Der Schritt Frankreichs iſt ein neues 
dreiſtes Manöver der Einkreiſungspolitik. 
1 hat die Türkei mit ſpyriſcher 

ünze "M ha um bas Garantie⸗Abkommen 
im Mittelmeer zu erreichen, bas dem kurz 

vorher zwiſchen der Türkei und Groß⸗ 
britannien abr ao Vertrag ents 

D Und mit dieſen Abkommen folte die 

inkreiſungskette im Mittelmeer mit einer 
e dE gegen Italien gerichteten Spitze 
zuſammengeſchweißt werden. Aber der 
Schritt Frankreichs iſt auch ein neues 
Manöver ſeiner imperialiſtiſchen Aufkaufs⸗ 
politik. Frankreich zieht Kapital aus den 
unvermeidlichen Aufſtänden des ſyriſchen 
Nationalismus, ſetzt ſeine Politik der Ge⸗ 
walt fort, um ſich bereitzumachen, die noch 
unter ſeiner Verwaltung verbleibenden Ge⸗ 
hiete von Syrien und Libanon in unmit⸗ 
telbare Hoheitsgebiete zu ver⸗ 
wandeln, [omit fein internationales Mandat 
zu beſeitigen und an ſeine Stelle ſeine im⸗ 
perialiſtiſche Souveränität dort zu errichten. 

Seit längerer Zeit zeigt es ſich, daß die 
franzöſiſche Politik in Syrien und im Liba⸗ 
non darauf gerichtet iſt, einen Rechts⸗ 
anſpruch auf ein unmittelbares Dominium 
zu begründen. Vor ber offenkundigen Ber: 
etzung des Mandats, die jetzt mit der 
Abtretung von Alexandrette erfolgte, lag 
die Weigerung Frankreichs, die franzöſiſch⸗ 
ſyriſchen und die franzöſiſch⸗libaneſiſchen 
un zu ratifizieren, die dem Mandat 
ein Ende ſetzen ſollten; es lag weiter die 


Abfiht der Aufteilung der Einheit Syriens 
mit der Abtrennung ganzer Regionen von 
der Regierung in Damaskus vor, wie die 
von Alauiti, des Druſiſchen Gebels und der 
Alta Gezira. Aber der Plan iſt nunmehr 
offen als ein Recht Frankreichs in der amt⸗ 
lichen vom Außenminiſter Bonnet am 
23. Juni des Jahres abgegebenen Erklärung 
über „die Ewigkeit der „ in 
Syrien und im Libanon zugewieſenen 
Miſſion“ zugegeben worden. 


Ewig dauernde Auweſenheit der 
Franzosen! 


‚Wir erkennen alſo eine Politik, die auf 
die klare und einfache Annexion, auf die 
in Urwir gung der franzöſiſchen Oberhoheit 
in Syrien und im Libanon abzielt. Sie voll⸗ 
zieht ſich ſehr ſchnell in Etappen. Der Hohe 
Kommiſſar von Syrien, Gabriel Buauz, hat 
die aufeinanderfolgenden Demiſſionen des 
Miniſterrats und des Präſidenten der 
ſyriſchen Republik, die gerade durch die Ab: 
tretung des Sandſchaks von Alexandrette 
an die Türkei hervorgerufen wurden, be⸗ 
nutzt, um die Exekutivgewalt in ſeine Hand 
zu nehmen. Die Geltung der Verfaſſung 
wurde dadurch aufgehoben. Der franzöſiſche 
Kommiſſar wies ul darauf hin, daß 
bie Pariſer Regierung „keinen Zweifel an 
der ewig dauernden Anweſenheit der Fran⸗ 
zoſen in der Levante“ aufkommen laſſen 
würde. 

In Paris erklärt man, daß dieſe Ent⸗ 
ſchlüſſe durch den Zuſtand der unerträg⸗ 
lichen, in Syrien 5 SEN 
verurfacht cpieſer Jute s wird jedoch ni 
geſagt, daß dieſer Zuſtand zunächſt durch die 
ſchlechte franzöſiſche Verwa tung und fodann 
durch die willkürlichen Gebietsveritümme: 
lungen provoziert wurde. 

Die Ereigniſſe der nächſten Zukunft wer⸗ 
den Aufſchluß darüber geben, ob dieſe 
Unterdrückungspolitik Frankreichs den Weg 
zu den Herzen der Syrier offen läßt oder 
ob ſie nicht vielmehr, wie die Politik in 
Paläſtina, einen neuen Anlaß zum Auf; 
ruhr der Araber und zur Gefährdung des 
Friedens in Europa bilden wird. 


Togo und Kamerun [offen dieſelbe 
Behandlung erfahren 


Die Entſchlüſſe, die die ba [fe Re 
RN in Syrien gefaßt hat, können je: 
och einen Präzedenzfall ſchaffen und ft 
morgen auf andere Mandatsgebiete aus⸗ 
dehnen; zum Beiſpiel auf die Groß: 
britannien und Frankreich in Afrika an⸗ 
vertrauten Mandate. Der Geſetzesvorſchlag. 


— n m — ae — më r e 


O X ë "mp ee 


AuBenpolilisehe Notizen 27 


den ber Abgeordnete Sean be Beaumont 
von Cochinchina kürzlich dem franzöſiſchen 
Parlament unterbreitet hat, iſt in dieſer 
nau [don typiſch: „Die biete von 
amerun und Togo, die von Frank⸗ 
teich erobert wurden und von ihm ſeit 1919 
verwaltet werden, bilden gegenwärtig einen 
Beſtandteil des feat weg een 
Imperiums. Togo liegt neben Fran⸗ 
zöſiſch⸗Weſt⸗ Afrika und Kamerun neben 
Franzöfiſch⸗Aquatorial⸗Afrika.“ 


Die Türken melden ihre Anipriide an 


Bemerkenswert in dieſer Hinſicht iſt auch 
die Gelee daß bie Türkei bald nach bem 
Abſchluß neuer Garantiepakte für das 
Mittelmeer mit Großbritannien und Frank⸗ 
reich den Grad ihrer feindlichen Haltung 
Italien ewe verſtärkt hat. Am 
16. Juli ha Veni Sabah, in einem 
Artikel von Huſſein Giahid Yaldin, bei: 
ſpielsweiſe türkiſche Anſprüche auf den 
Dodekanes angemeldet, den Italien 
im Kriege gegen die Türken be⸗ 
ſezt hat und auf keinen Fall 
wieder ge etd. wird. Diefer Ans 
ſpruch iit gleichzeitig von bem Offi: 
zioſus Ulus zum Ausdruck gebracht unb 
mit der Notwendigkeit, der Einkreiſungs⸗ 
politik einen mehr zutage tretenden offen; 
fiven Cha rakter au geben, begründet worden, 
um nicht durch ihre defenſive Haltung den 
Eindruck der Schwäche hervorzurufen. 

Dieſe türkiſchen Stimmen laſſen Italien 
ſicher gleich De Aber fie beweiſen einmal 
mehr die Ergebniſſe ber engliſch⸗franzöſi⸗ 
ſchen Politik, die, indem ſie vorgibt, den 
grieden zu ſichern, im Gegenteil dahin ar: 
beitet, die vielen heiklen Probleme der 
internationalen Beziehungen zu 
ſchlimmern. 


Cruntiguag and für Polen und Rumänien 


Es beſteht kein Zweifel darüber, daß die 
Se Intranfigenz wegen ber zung: 
stage Deutſchland gegenüber ihre Cre 
mufigung in ber Einkreiſungspolitik findet, 
die einen Konflikt verſchärft, der ſchnell güt⸗ 
lich hätte beigelegt werden können. Es be⸗ 

eht auch kein Zweifel darüber, daß die 
neue Verſteifung Rumäniens, Ungarn wie 
auch Bulgarien gegenüber, unmittelbar auf 
die Garantie Großbritanniens und die An⸗ 
leihe von fünfeinhalb Millionen Pfund 
Sterling folgte. Und es beſteht auch kein 

weifel darüber, daß die neuen ſeltſamen 

enſiv⸗Vorſchläge der offiziöſen türkiſchen 
Preſſe Italien gegenüber urd die von der 
Regierung in Anfara mit Großbritannien 


Ders 


und Frankreich unterzeichneten Pakte er: 
mutigt wurden. 
durch die 


Inzwiſchen wird gerade , 
Sprache der türkiſchen Zeitun⸗ 
gen bewiefen, daß bie militäriſchen Bor: 
ereitungen, die Italien im Dodekanes 
trifft und die von der franzöſiſchen und 
engliſchen Preſſe als Bedrohungen und 
Zeichen für düſtere Pläne Italiens der 
Türkei egenüber dargeſtellt werden, nur 
der notwendige Schutz Italiens 
gegen aggreſſive Abſichten der Türkei find. 


In London und Paris hat man dem 
italieniſchen Proteſt wegen der Abtretung 
von Alexandrette den Völkerbund ent: 

egenſtellen wollen. Es iſt erklärt worden, 

B der Völkerbund die Auffiht über bie 
Mandate hat und daß infolgedeſſen Italien, 
das Genf verließ, nichts mehr zu bean: 
ſpruchen hätte. Das iſt eine ſehr willkürliche 
Auslegung, die darauf u die politis 
den Motive der Polemif in ein rein 
uriſtiſches Problem umzuwandeln. 


Der Oberſte Nat kein Organ des 
Völkerbundes 


Das Mandat über Syrien ift, wie bes 
reits lagt wurde, von dem Oberſten Kat 
der alliierten Mächte in ſeiner Sitzung vom 
25. April 1920 in San Remo Frankreich 
übertragen worden. Dieſer Rat war kein 
Organ des Völkerbundes. Er war nur ein 
Organ der Friedenskonferenz. Dies iſt da⸗ 
durch bewieſen, daß ſein offizieller Titel, 
der auf allen ſeinen Papieren vorgefunden 
werden kann, war: „Friedenskonferenz — 
hee in San Remo.“ In einem 

eil der langen Tagesordnung der Zus 
ſammenkunft vom 25. April finden Yit 
wörtlich folgende Gage: „Die Hohen Ver: 
tragſchließenden Teile ſtimmen darin übers 
ein, daß Syrien und Meſopotamien vor: 
läufig als unabhängige Staaten unter der 
Bedingung anerkannt werden, daß die ver⸗ 
waltenden und Hilfsbehörden für ſie von 
einem Mandatar Ten werden, folange 
He nicht imitanbe fn , Rid) ſelbſt zu regies 
tem. Die Grenzen der obengenannten 
Staaten werden feſtgeſetzt werden und die 
Wahl der Mandatare erfolgt durch die 
hauptſächlichen verbündeten Mächte.“ Und 
weiter unten findet man noch folgendes er⸗ 
wähnt: „Die von den hauptſächlichen ver⸗ 
bündeten Mächten gewählten Mandatare 
ſind Frankreich für Syrien, Großbritannien 
für Meſopotamien und Paläſtina.“ Für die 
Geſchichte bewahrt das Dokument die 
Unterſchrift der Vertreter der Regierungen 


28 Außenpolilische Notizen 


von Frankreich, Millerand und Berthélot, 
von Großbritannien Lloyd George und Cur⸗ 
jon, von Italien Nitti und Scialoja, von 

apan Matſui, von den Vereinigten Staa- 
ten Johnſon. 

Alſo nicht der Völkerbund, ſondern die 
Alliierten, zu denen auch Italien gehörte, 
haben bei der Liquidierung des Krieges 
und des Sieges unter beſonderen, genau 
feſtgeſetzten Bedingungen das Mandat über 
Syrien Frankreich übertragen. Und die 
hauptſächlichen verbündeten Mächte, und 
nicht der Völkerbund, ſind vor allem berech⸗ 
tigt, von den Mandatsmächten Rechenſchaft 
über den Gebrauch, den ſie von ihrem 
Mandat gemacht haben, und über die 
gegenüber den internationalen Verpflich⸗ 
tungen beobachtete Rückſicht zu verlangen. 


Die Aufgabe des Völkerbundes beſtand 
nur darin, mittels der Mandatskommiſſion 
eine Kontrolle über die Art und Weiſe aus⸗ 
uiiben, in der die Mandatsmächte ihr 

andat verwalteten. Dieſe Aufgabe iſt, wie 
alle Aufgaben des Völkerbundes, auf dem 

pier ſtehengeblieben. Die Tatſachen in 

yrien ſprechen unter fo vielen anderen 
eine klare und deutliche Sprache. Dieſer 
weſentliche Punkt der Übertragung und 
der Verwaltung der Mandate iſt übrigens 
fogar von dem Völkerbundsrat ausdrücklich 
anerkannt worden. 


Der italieniſche Proteſt. 


Das en SCH Recht auf einen Proteſt 
gegen den Mißbrauch des Mandats durch 
die ſpriſe oſen, der in der Verſtümmelung 
des briſchen Gebiets zum Ausdruck kommt, 
findet übrigens ſeine vorſorgliche Beſtäti⸗ 
gung in der früher von franzöſiſcher 
Seite feſtgelegten Stellungnahme. In ſei⸗ 
ner Rede vom 15. Dezember 1936 im 
Völkerbunds rat hat der franzöſiſche Deles 
ierte geſagt: „Die Frankreich übertragenen 

biete ſtellen nicht ein Land franzöſiſcher 
Souveränität dar, da Frankreich nur die 
Aufgabe hat, alle nützlichen Maßnahmen 
zu treffen, um die in dieſen Gebieten woh⸗ 
nenden Gemeinſchaften zu Staaten zu 
machen, die zur Ausübung der vollen 
Souveränität und der vollſtändigen Un⸗ 
abhängigkeit fähig ſind.“ 

Und dieſe Verpflichtung Frankreichs wurde 
auch durch einen Beſchluß der Mandats⸗ 


kommiſſion vom 17. Mai 1934 feftgetegt, 
€ es 


die anerkannt hatte, daß fogar di 

währung der Unabhängigkeit an den Sand⸗ 
ſchak von Alexandrette dem grundlegenden 
Vertrag für das Mandat über Syrien wider⸗ 


ſprechen würde, in[omeit diefe bas Prin: 
zip der Reſpektierung der Gebietsintegritäl 
Syriens verletzte. Aber in Wahrheit zeich⸗ 
net fid) auch offenſichtlich das Bild eines 
weiterreichenden Zuſammentreffens von 
en und en 11 Intereſſen an 
vorherrſchenden Einfluß im öſtlichen Becken 
des Mittelmeeres ab. 


Franzöſiſch⸗engliſche Rivalitat. 


Die nn Anweſenheit und ber Ein 
fluß Frankreichs im Nahen Often ijt alt: 
hergebracht. Und auf Grund biefer Tros 
dition, der reale Intereſſen zugrunde lie⸗ 
pem ift u ar ein ſtillſchweigender Ron: 
litt zwi mer den beiden  imperialijti: 
[hen Demokratien ausgebrochen, um fo 
mehr, als Großbritannien im Rahmen 
ſeines neuen militäriſchen und politiſchen 
Syſtems im Mittelmeer verſucht hat, ſeine 
Vorherrſchaft und ſeinen Einfluß auf den 
Nahen Often auszudehnen. Die Rivalitäten 
find alt. Im Jahre 1840 fegt Frankreich als 
Beſchützerin Agyptens Mehmet Ali gegen 
Konſtantinopel in Bewegung, aber Eng⸗ 
land zwingt ann Rd guriidgugieben, 


nachdem es in London einen Vertrag mil 
Rußland, Preußen und Ofterreid unter 
zeichnet hat und bombardiert Beirut mit 


ſeiner Flotte, um die Durchführung des 
Vertrags zu gewährleiſten. Zwanzi te 
päter, als nach den Maſſakern im Libanon 
ie Regierung Napoleons III. einen Bor- 
wand zu haben glaubt, um in der Levante 
u landen, erhebt England Einſpruch gegen 
ie franzöſiſche Belegung und fordert deren 
fofortige Beendigung. 

Es befteht kein Zweifel, daß im Augen 
blick des Einbruchs der Griechen nach 
Kleinaſien, der nach dem Weltkrieg von 
Großbritannien vorwärtsgetrieben wird, 
pti Tag he insgebeim an bie Geite bet 

ürken geſtellt hat. Aber ſehr ſchnell hai 
England ſeine Orientierung geändert, es 
hat ſich gewendet, um eine Zuſammenarbeit 
mit der Türkei, die in ſeinem Plan einer 
Aufteilung ſchon vorgezeichnet war, zu ſuchen 


und hat mit einer fortſchreitenden Folge 
von Initiativen die franzöſiſche Stellung 


_ in der Levante unterminiert. 


Diele ſtillſchweigende, aber Deparia 
Zernagung den erſeits zielt darauf ab, 
die Zentren des franzöſiſchen Einfluſſes zu 
iſolieren und einzuengen bis zur Vernich⸗ 
tung, um ſie in einem weitreichenden ein⸗ 
heitlichen Gebiet der Intereſſen und Orien⸗ 
tierungen, das unter britiſcher Konttolle 
ſteht, aufgehen zu laſſen. Es iſt offenſicht⸗ 


F md 


AuBenpolitische Notizen 29 


lich, daß ſchon zu der Zeit, wo es fid) 
darum handelte, die Grenzen der öſtlichen 
Mandate zu beſtimmen, ſich Großbritannien 
tatſächlich darum bemühte, Syrien wirt⸗ 
ſchaftlich und politiſch zu iſolieren, indem 
es ſich mit politiſchen Syſtemen, die dem 
franzöſiſchen Einfluß entzogen waren und 
von anne Einflüſſen beherrſcht wurden, 
umg 


Syrien der Spielball franzöſiſcher und 
engliſcher Intereſſen 


Die franzöſiſch⸗engliſ Rivalität er⸗ 
ſcheint in einer kurzen Überſicht; die Auf⸗ 
tände im druſiſchen Gebel von 1924/25 
werden offen von engliſchen Agenten be⸗ 
günſtigt und koſten Frankreich keine leich⸗ 
ten Opfer an Blut und SE 
Während der lange währenden adt 
werden ganze faramanen, bie aus Palas 
tina tommen und ffen, Munition und 


Geld für die Belieferung ber Aufſtändiſchen 


befördern, gefangengenommen. Vor und 
nach der Gewährung der Unabhängigkeit 
des Iraks engliſcherſeits, der jedoch ge⸗ 
wungen wird, an der Seite der britiſchen 
ntetejen zu marſchieren, ift das Gebiet 
des Hohen Euphrat, das zu dem franzöſi⸗ 
ſchen Mandat über Syrien gehört, von 
„ Bewegungen zum Schaden 
bet ſyriſchen Gebietsintegrität aufgewühlt 
Und im Jahre 1937, als man einige Pe⸗ 
troleumquellen aufgefunden hat, brechen 
heftige Tumulte in Dei⸗Ez⸗Zor aus, wo 
die Bevölkerungen offen ihre Angliederung 
an den Irak verlangen. Es iit auch bekannt, 
daß die antifranzöfiſche Propaganda und 
Agitation der Anführer der beduiniſchen 
Stämme, die zu Weidezwecken vom Irak 
nach Syrien kommen, ſtets beftig geweſen 
it und daß Frankreich, um fie zu beruhigen, 
den Gebrauch von Waffen und von Geld in 
verſchwenderiſcher Weiſe zulaſſen mußte. 


Der Sieg engliſcher Intrigen 


‚der Fall von Alexandrette wird durch 
on Vorgänge aufgeklärt und verrät dies 
elbe brit 25 Taktik. Es beſteht nunmehr 
lein Zweifel darüber, daß die türkiſchen 
Ansprüche auf den Sandihat von Groß⸗ 
britannien begünſtigt worden find. Sie 
würden nicht mit ſoviel Mühe von der Re⸗ 
Lan in Ankara aufrechterhalten wor: 
en fein, fo daß fie verſchiedene Perioden 
einer Spannung Frankreich gegenüber ver: 
urſachten, wenn fie nicht auf bie gemi 
disktete und ſchlau maskierte Hilfe Groß⸗ 


britanniens gerechnet hätte. Und es iſt 
eine ſeltſame, aber lehrreiche Tatſache, daß 
die Zeiten der größten Spannun zwiſ en 
der Türkei und Frankreich während t 
Jahre 1937 und 1938 zuſammentreffen mit 
den zahlreichen durch England der Türkei 
egebenen Anleihen und der W oem Ent⸗ 
fenbung von techniſchen u eratenden 

iffionen der engliſchen Banken für bie 
Induſtrien in der Türkei. uns ift der 
kräftige Beiſtand, den bie britiſchen Deles 
pen in Genf den türkiſchen während der 
erhandlungen mit Frankreich über den 
Sandſchak von Alexandrette leiſteten, nicht 
unbekannt. Die türkiſche Intranſigenz hat 
al im Ton gegenüber Frankreich verſtärkt, 
ndem ſie iich auf den britiſchen Beiſtand 
ſtützte, ſo lange, bis Frankreich im Juli 1938 
die arabiſche Sache plötzlich im Stich ließ und 
ſich den türkiſchen Forderungen unterwarf. 


Es ift jetzt offenſichtlich, daß Alexandrette. 
nachdem es an die Türkei abgetreten wurde, 
infolge der anglo⸗türkiſchen Militärab⸗ 
kommen eine Baſis für die Schiffe Groß⸗ 
britanniens werden wird, das auch von 
Norden her den franzöſiſchen Einfluß in 
Syrien abſchwächen kann. Jetzt ses der 
ſich der Plan eines Zuſammenſchluſſes der 
arabiſchen Staaten, dem auch ganz Syrien 
oder ein großer Teil davon beitreten dürfte 
und über den die Kontrolle Großbritan⸗ 
niens ſouverän ausgeübt werden wird. Im 
Rahmen dieſes Planes würde der Reſt bes 
franzöſiſchen Einfluſſes in der Levante un⸗ 
widerbringlich dahinſchwinden. 


Von Norden her durch die Türkei, von 
Oſten her durch den Irak, von Süden her 
direkt oder durch Druſien hat Großbritan⸗ 
nien ſomit nicht aufgehört, ſeit mehr als 
fünfzehn Jahren, mehr oder weniger offen 
eine Offenſive gegen den franzöſiſchen Ein» 
fluß im Nahen Often zu entwickeln. Dieſe 
Offenſive wird heute von neuem belebt und 
zieht ihren Nutzen aus der Einkreiſungs⸗ 
politik, die in Frankreich als notwendig 
angeſehen wird, und folgt den neuen von 
der britiſchen Politik für ihre Vorherrſchaft 
im Mittelmeer a eſtellten Richtlinien. 
Der Kampf iſt typiſch für zwei Imperien. 
Großbritannien iſt der Stärkere. Und es 
laßt bei Frankreich nur auf Unterwerfung 
und kurze Verſuche eines Widerſtandes. 


Das Erbe Kemal Paſchas an England 
verſchachert 


Man fragt ih nur, bei welchem der rivas 
liſierenden Imperien der Anteil und die 


30 AuBenpolilische Notizen 


weiterreihenden Intereſſen der Türkei lies 
gen. Großbritannien unterſtützt bie Beſtre⸗ 
bungen der Türkei nach einer Vergrößerung 
ihres Gebietes, und es bietet ihr die Illu⸗ 
ſion einer weitgehenden Unabhängigkeit 
und einer großzügigen und ſtarken Freund⸗ 
chaft, auf Grund deren ſich die Türkei von 

r flicht, die Intereſſen Italiens, 
Deutſchlands und vielleicht auch Rußlands 


zu reſpektieren, freihalten könnte. Aber 
die Türkei überſieht, daß eine ſolche 


Orientierung ſie unter ausſchließlich briti⸗ 
chen Einfluß bringt und in jenes Syſtem 
er Kräfte und Intereſſen einſpannt, das 
nicht mehr ſeine wirkliche nationale Un⸗ 
abhängigkeit widerſpiegelt. 

Die von Kemal Paſcha mit ſeiner a 
Viſion von den nationalen Bedürfniſſen 
auf die nächſte Zukunft feſtgelegte türkiſche 
Jie ſcheint ſchon vergeſſen zu ſein. Sein 
Ziel eines Gleichgewichts und einer glei⸗ 
chen Entfernung zwiſchen den verſchiedenen 
einander entgegenarbeitenden internatio⸗ 
nalen Strömungen mit der Tendenz, vor 
allem eine Einigung mit den Staaten des 
Mittelmeeres herbeizuführen, iſt von der 
neuen Orientierung des britiſchen Aufkaufs 
abgelöſt worden. 

Die Geſchichte wird Aufſchluß darüber 

eben, ob dies der verheißungsvollſte und 
ſicherſte Weg für die Türkei it 


Französischer „Rassismus“? 
(Von unserem Pariser Mitarbeiter) 

Paris, Anfang Auguft. 

„Jugend — welches Frankreich willſt du?“ 
Unter dieſem Titel erſchien im vorigen 
Jahre eine Schrift des franzöſiſchen Kammer⸗ 
5 Paul Reynaud, die — ein 
Alarmruf gegen den Geburtenrückgang — 
zu DT intereſſanten Ergebnis fam: 


„Die Grundfrage, um die es p ift bie 
Frage der ale ſowohl nad Zahl wie 
nach Wert. enn dieſe Frage auch im 


e weniger vordringlich iſt, ſo iſt 
e dafür um ſo entſcheidender und folgen⸗ 
chwerer.“ Der Verfaſſer dieſer viel be⸗ 
achteten Schrift hatte bald danach Gelegen⸗ 


eit, als Finanzminiſter der Regierung a: 
adier, fid um bie praktiſche Durchführung 


feiner Ideen bemühen zu können. Bereits 
im November vorigen Jahres wandten ſich 
Daladier und Reynaud in einem Bericht an 
den Staatspräſidenten, in dem ſie auf die 
nn liche bevölkerungspolitiſche Entwick⸗ 
ung 
nahmen vorſchlugen. 


rankreichs hinwieſen und Gegenmaß⸗ 


Seit dieſer Zeit iſt die Frage der bevölke⸗ 
rungspolitiſchen Zukunft Dane die 
bisher nur ein beliebtes reiten 
von Theoretikern unb Kammerabgeordneten 
war, zu einer „Staatsſorge“ u Ranges 
eworden. Das Anwachſen der Bevölkerun 
es Deutſchen Reiches durch den Anſchluß 
bzw. die Rückgliederung „ 

ährens und des Memelgebietes hat eben⸗ 
falls dazu beigetragen, in Frankreich den 
von der demokratiſchen le gegen bie 
deutſchen e chen Geſetze 
lange Zeit gerichteten Spott verſtummen zu 
laſſen. Bezeichnend für die gegenwärtigen 
franzöſiſchen Beſorgniſſe war eine Geltitel: 
lung, die kürzlich von dem „Petit Pariſten“ 
etroffen wurde mit den Worten: „J 
de müſſen wir die bittere Tatſa 
eſtſtellen, daß die Zahl der Särge die 
der Wiegen um 35 000 übertroffen hat. 
kann aus rechnen, daß bei einer ſolchen Ent: 
wicklung in 30 Jahren Deutſchland faſt 
100 Millionen, Italien 52 Millionen und 
Frankreich nur 37 Millionen Einwohner 
zählen wird.“ 


Der Staat greift ein 


Bereits im November 1938 wurden von 
der Regierung Daladier einige Sofortmaß⸗ 
nahmen ergriffen, die u. a. Juſchüſſe für 
Kinder und Mütter brachten. Ein im März 
1939 gebildeter bevölkerungspolitiſcher Aus⸗ 
ſchuß, die „Haute commission de la popula- 
tion“, zuſammengeſetzt aus Vertretern der 
Miniſterien, arbeitete dann einen Reform: 
plan zur Förderung der Geburtenfreudig⸗ 
keit und zum Schutz der a aus, der 
400 Artikel umfaßt und deſſen Durchführung 
den franzöſiſchen Staat 1,5 Milliarden jr. 
koſten wird. Als „Code de la famille“ iſt 
dieſer Reformplan nunmehr franzöfildes 
Staatsgeſetz geworden. 

Der en Staatspräſident hat die⸗ 

ein 


n 

e 
ahl 
an 


ſem Geſe Vorwort SE in 
dem eine Begründung der Maßnahmen ge 
eben wird. Lebrun ſchreibt: „Frankreich — 


is vor furgem mod) bie erſte europäiſche 
Macht durch die Bedeutung une Bevölte: 
rung — ift auf den fünften Rang abgeſun⸗ 
ken, wenn man bie Geſamtziffer feiner euro⸗ 

äiſchen Staatsangehörigen betrachtet, und 
to ar auf einen nod tieferen Rang hinſicht⸗ 
fid) feiner Bevölkerungsdichte. Frankreich 
verliert — durch Geburtenrückgang — jähr⸗ 
lich ungefähr 35 000 Franzoſen.“ 


Gegen das Einkinderſyſten 


Wie will das neue franzöſiſche Heſeß den 
Volks tod bekämpfen? Der „Code de la 


Außenpolilische Notizen 31 


famille“ it darauf abgeſtimmt, bas in Frant: 
teich verbreitete Ein⸗Kind⸗Syſtem zu über: 
winden. lage at wurde baker bie monat: 
liche Zulage für das einzige Kind und 
erſetzt durch eine einmalige Prämie bei der 
etiten Geburt, während monatliche Zuſchüſſe 
ett mit dem zweiten Kind beginnen. Jung» 
geſellen und kinderlos Verheiratete werden 
in Zukunft mit erhöhten Steuern belaſtet. 
Mit vermehrter Energie wird die Kinder⸗ 
ſterblichkeit bekämpft werden. Die Strafen 


ie beſonders in Paris beheimatete 


egen 
Abtreibun sſeuche werden la ebens 
falls bie Strafen gegen Rau ifthandel, 
Kuppelei und pornographiſche Veröffent⸗ 
lichungen. Ein Artikel des „Code de la 
famille" wendet fij gegen bie Propaganda 
jut e e e tung. Die Erhöhung 
der Alkoholſteuer wird — dies iſt ſehr be⸗ 
merkenswert — ebenfalls einen Beſtandteil 
ul bevölkerungspolitiſchen Staatsgeſetzes 

en. 

In autoritären Fußtapfen 


Wer ſich erinnert, mit welchem Spott in 
den letzten Jahren die deutſchen bevölke⸗ 
rungspolitiſchen und Raſſegeſetze von der 
demokratiſchen Preſſe unſeres weſtlichen 
Nachbarn karikiert wurden, muß mit größter 
überraſchung folgende Feſtſtellung bes frans 
ilden Staatspräſidenten zur Kenntnis 


nehmen: „Die Anstrengungen, eine ge⸗ 
ſunde Kaffe (!!) zu erhalten, können 
nirgendwo beſſer beginnen als in der 


ule. Der bevölkerungspolitiſche Unter⸗ 
richt wird der Jugend die 0 eit geben, 
darüber nachzudenken, welche Miſſion ihr 
das Leben geben wird.“ Das franzöſiſche 
Hali feb wird die gefundheitliche 
derwachung in den Schulen verjtärten, um 
hier die Quelle aller Volkskrankheiten ſchon 
im Keime erſticken zu können. 

Neben dieſen das ganze Land umfaſſen⸗ 
den bevölke rungspolitiſchen Zuſchuß⸗Steuer⸗ 
und Strafmaßnahmen ſteht als zweiter 
Komplex des „Code de la famille“ der 
Kam 1 gegen bie Landflucht. In 
Zukunft werden junge Ehepaare, die ſich auf 
dem Lande für mindeſtens 15 Jahre nieder⸗ 
laffen wollen, eine Eheſtandszulage erhal⸗ 
ten, die in 10 Jahren zurückgezahlt werden 
muß. Bei der Geburt des erſten Kindes 
wird Lee bereits ein Teil ber Summe 
peii en, bei der Geburt des zweiten Kin⸗ 
es ein weiterer Prozentſatz. 

Kind gilt die Schuld an den Staat als er⸗ 
loſchen. Ferner folen alle jungen Land: 
bewohner, die nach dem 18. Lebensjahr auf 
dem Land bleiben, einen feſten Lohnvertrag 
erhalten, um die Landflucht der zweiten 


Dörfer gezählt und das in einem 


eim fünften 


und dritten Bauernſöhne zu verhindern. Der 
Erbe eines Hofes ſoll beim Tod des Vaters 
eine Summe in Höhe von zehn Jahres⸗ 
löhnen eines Landarbeiters erhalten, damit 
Soße der einzige auf dem Land gebliebene 
Sohn durch die Erbteilung zugrunde ge⸗ 
tichtet wird. Ob damit die Stabilität des 
ländlichen Beſitzes in gleichem Maße ge⸗ 
wahrt wird wie durch ein „Erbhofgeſeß“ 
iſt allerdings zu bezweifeln. 


„Dorf zu vermieten“ 


Das Problem der Landflucht ſtellt ſich für 
rankreich in noch viel ſchwerwiegenderem 

be als für andere Länder Europas. Als 
treffliche Illuſtration der Lage möge folgende 
Anzeige dienen, die kürzlich in einer Parijer 
Zeitung erſchien: „Dorf zu vermieten. Ne⸗ 
gion Cahors. EE age. Wohnhäuſer 
in gutem Preis 90 40 Hektar Länder und 
Wälder. Preis 90 000 Kun Dieſe Anzeige 
iſt nicht etwa ein Kurioſium, ſondern wirft 
nur ein Licht auf die an hale bevöl⸗ 
unge olitiſche und ſoziale Lage einiger 
franz filer Provinzen. 

Ein Sonderberichterſtatter des „Le Soir“ 
gibt nach der Feſtſtellung, daß in 37 Jahren 
zwei Millionen Bauernfamilien in die Stadt 
abgewandert find, einen Erlebnisbericht 
von Eindrücken in der franzöſiſchen Provinz. 
In den Tälern der Dordogne, in den Vor⸗ 
alpen und in anderen Departements fand 
er genie Dörfer, bie verlaſſen 
und verwildert inmitten einer frucht⸗ 
baren Landſchaft ein erſchreckendes Bild des 
Niederganges bildeten. „Ich habe in einem 
Umkreis von 50 Kilometer dreißig ah 

and, 
deffen Erde von ſchwellender Fruchtbarkeit 
iſt und deſſen Früchte weltbekannt ſind. Man 
könnte annehmen, daß der Krieg oder eine 
Sintflut dieſes Land heimgeſucht hätten.“ 

Der Sonderbericht des Pariſer Abend⸗ 
blattes gibt ein Bild von der infolge von 
Geburtenſchwund unb Stadtſucht bis in ihre 
Exiſtenz hinein bedrohten franzöſiſchen Land⸗ 
wirtſchaft. Der Mangel an Arbeitskräften 

at in Südfrankreich bereits zu einer er⸗ 
eblichen Bodenentwertung geführt. Harm⸗ 
en hat . daß die Gascogne jährlich 
bei jeder Verminderung um 1000 Ein⸗ 
wohner etwa 100 Goldfranken verliert, da 
die Menſchenkräfte immer unzureichender 
werden, um den Boden hinreichend bear⸗ 
beiten zu können. 5 erzeugt je Hek⸗ 
tar nur 15 bis 16 Doppelzentner Weizen, 
nur 11.5 Doppelzentner Roggen, nur 145 
Doppelzentner Gerſte und nur 14 Doppel⸗ 
zentner Hafer. In Deutſchland werden auf 


32 Außenpolilische Notizen 


der 1 Bodenfläche bei zum Teil 
ſchwächeren Böden für die gleichen Früchte 
21,5, 17,4, 25 und 19 Doppelzentner erzeugt. 
(Zif ern aus Loeſch: „Außenpolitiſche Fols 
en des Geburtenrückganges“, Berlin 1938.) 
s läßt fid) heute bereits in Frankreich die 
Feſtſtellung machen, daß fruchtbare, aber be⸗ 
völkerungsſchwache Gegenden weniger Er⸗ 
trag liefern als unfruchtbarere, aber be⸗ 
völkerungsreiche Departements. 


Bevölkerungspolitik um der Vorherrſchaft 
willen 


Es wäre jedoch CN anzunehmen, daß 
dieſe mehr wirtſchaftlichen Geſichtspunkte 
Ausgangspunkt des gegenwärtigen franzö⸗ 
ſchen Familiengeſetzes geweſen wären. Ent⸗ 
cheidend iſt — dies geht ganz klar aus der 
egründung hervor —, daß Frankreich im 
e ſeiner biologiſchen eriſche Kr 
ſich „bedroht“ DN Der hyſteriſche Ru 
nach „Sicherheit“, der bereits kurz nach dem 
Kriege, alſo zu einer Zeit, wo Deutſchland 
militäriſch ſchwach war. erſcholl, ijt aus 
dieſem Gefühl heraus zu erklären. 
rankreich, das zur Zeit Ludwigs XIV. 
nicht etwa nur aus militäriſchen oder poli⸗ 
tiſchen Gründen die erſte Macht Europas 
war, ſondern in erſter Linie deswegen, weil 
ſeine Bevölkerung ein Drittel der 
ganzen europäiſchen Menſchheit 
ausmachte und die Volksziffern aller andes 
ren europäiſchen Länder, darunter auch 
Deutſchland, weit übertraf. Heute macht 
die Bevölkerung Frankreichs nur noch ein 
Zwölftel der Einwohnerzahl Europas 
aus. Das deutſche Volk hat bereits im 
vorigen und das italieniſche Volk im jetzi⸗ 
en Jahrhundert Frankreich überflügelt. 
ie ernſt man gegenwärtig die Situation 
ſieht, ergibt ſich aus dem „Petit Pariſien“, 
der zu den bevölkerungspolitiſchen Maß⸗ 
nahmen ſchreibt: „Das Land wird ihnen 
uſtimmen, denn ſeine Unabhängigkeit und 
Lie fein Leben ſtehen auf dem Spiel.“ 


Erſatz⸗Franzoſen 


Der Bevölkerungs rückgang hat militäriſch 
bereits zu einem Rekrutenmangel 
ge qo da die Zahl ber 45jährigen bis 
50jährigen die Zahl der 18jährigen bereits 
merklich m bon Durch Dienſtzeitver⸗ 
längerungen, a der körperlichen 
Anſprüche an die Tauglichkeit, durch die 
Zwangseinbürgerung fremder Staatsange⸗ 
öriger, die Rekrutierung farbiger Truppen 
und durch die Aufſtellung einer Fremden⸗ 
legion hat man bereits ſeit langem ver⸗ 
ſucht, die biologiſche Unterbilanz auf mili⸗ 


täriſchem Gebiet auszugleichen. Hinzu 
kommt ein Staatsgeſetz, das wenige Tage 
vor dem „Code de la famille“ erlaſſen wurde 
und die Meldepflicht aller Staatenloſen und 
lüchtlinge zur Erfaſſung für militäriſche 
mede vorſteht. Die viel geprieſene „Hilfs⸗ 
reitſchaft“ rankrei für politiſche 
Flüchtlinge erſcheint alſo in einem ſehr 
praktiſchen und egoiſtiſchen Blickwinkel. 
Daß dem franzöſiſchen Volk nicht ganz 
wohl bei dem Gedanken iſt, die Zahl der 
Papierfranzoſen“ noch weiter ſteigen zu 
leben, verrät eine Zuſchrift an ben „Temps“. 


in ber es Heißt: „Es wäre beiler für bie 
e unferes Landes, rankreich mit 

ranzoſen zu bevölkern, als Fremde zu 
aſſimilieren.“ Der Verfaſſer dieſer Zu⸗ 
ſchrift hat gewiß nicht die Parade des 
s Juli mit dem Maſſeneinſatz farbiger 
u 


remden: Regimenter geſehen, um Tid 
über die Nugloſiat We 
zuwerden. 

Für den franzöſiſ „RNaſſismus“ find 
nicht ir en Gre im Qin: 
blid Gel ie tatſächliche Reinerhaltung des 
franzöſiſchen Blutes maßgebend, ſondern 
lediglich machtpolitiſche Erwägungen. Wäh⸗ 
rend der verbu. allen te Méig und bie 
deutſchen bevölkerungspolitiſchen Maßnah⸗ 
men nur der Geſunderhaltung des deutſchen 
Blutes dienen und E en niemanden 
9 iſt die franzöſiſche Bevölke rungs⸗ 
d itif und im befonderen ber „Code de la 
amille^ beſtimmt durch den Blick auf bie 
angeblich von außen drohenden Gefahren. 


Immerhin entbehrt es nicht eines ge⸗ 
wiſſen Reizes, im Jahre 1939 feſtzuſtellen, 
daß in den lagzeilen Pariſer Zeitungen 
der Ruf „Zurück aufs Land“ auftaucht und 
das Bauerntum geradezu als Blutquell der 
Nation ned. wird („Temps“ vom 
27. Juli). In den Jahren von 1933—1938 
wurden die deutſchen bevölkerungspoliti⸗ 
ſchen Maßnahmen als unwürdiger Zwang 
angegriffen, als Eingriffe in die menſch⸗ 
liche Freiheit und Selbſtbeſtimmung be⸗ 
zeichnet und der Spott ausgegoſſen über ein 
Land, das als eine einzige Zuchtanſtalt für 
zukünftige Soldaten hingeſtellt wurde. Wie 
in Witzblättern in dieſem Zuſammenhang 
die deutſche Frau gezeichnet wurde, läßt ſich 
kaum wiedergeben. Die deutſchen bevölke⸗ 
rungspolitiſchen Maßnahmen waren jahre 
lang das ergiebigſte Feld für Pariſer Ka⸗ 
baretts und Revuen. Heute plötzlich, im 
150. Jahre der franzöſiſchen Revolution, er⸗ 
leben wir die Geburt eines „demokratiſchen 
Raſſismus“ und müſſen mit Erſtaunen be⸗ 


eit ſeiner rnung klar⸗ 


Kleine Beiträge 33 


merken, daß „faſchiſtiſche Schlagworte“ wie 
„Blut und Boden“ in die eheiligten Ge⸗ 
filde demokratiſcher Vorſtellungswelten 
par ade (Ce Wie werden fih bie Bes 
griffe „Rale“, „Blut“, „Boden“ mit den 
alten Schlagworten der „Gleichheit — Frei⸗ 
eit — er vereinen gi 
beit Brüderlichkeit“ einen? Es iſt 


Kleine 


Hans Bofinger: 
Die bauernfähige Jugend 


Eine Erſcheinung wie die 
Landflucht iſt nur im Frontal⸗ 
angriff zu ſchlagen. Ohne den 
Einſatz aller wirtſchaftlichen, 
lulturellen, politiſchen und 
fittliden Kräfte gibt es keine 
innere E v unjeres Volkes 

um Lande. enn die tiefſte Urſache 

Landflucht iſt die Verſtädterung des 
Denkens und das Ausſtrahlungsvermögen 
ſtädtiſcher Lebensordnung auf anjer anges 
Boltsleben. Wir müſſen die Landflucht 
mit einem Trommelfeuer von Maßnahmen, 
mit Kampfmitteln verſchiedenſter Art und 
verſchiedenſter Kraft erdrücken. — Wir mol: 
len auf dem Gebiet der Jugendführung und 
2 ung zur Stelle fein und unjere 
Pflicht tun. Damit Ka wir den derzeit 
wieder aufgewärmten Rezepten der Ewig- 
eſtrigen den entſcheidenden Faktor zur Lö⸗ 
ung der Landfragen von heute entgegen: 

deutſchen Meuſchen. Wie immer unters 
[heiden ch jetzt bie v. indem fe id von 


en Geſchäftemachern, indem fie nicht in 
deren Peſſimismus verfallen. ir Jungen 
haben in unſerer Arbeit für das Bauern⸗ 
tum aus eigenem Erleben die zuverſicht⸗ 


liche Gewißheit des Erfolges geihöpft und 


en Glauben an die Überlegenheit der in⸗ 
neren Kräfte des deutſchen Menſchen über 
zeitbedingte Hinderniſſe. 

In der deutſchen Landwirtſchaft arbeite⸗ 
ten 1933 rund 2,5 Millionen junge Mens 
ſchen im Alter von 14—25 Jahren bei ins⸗ 
geſamt 8,9 Millionen Solch tigten. Von 
dieſer Jugend ſtammte die überwiegende 
Mehrheit aus Landarbeiter⸗, Bauern: und 
Landwirtsfamilien. — Es braucht nicht er: 
klärt zu werden, warum der enge Zuſam⸗ 
menhang aller Glieder einer bäuerlichen 
Familie mit dem Arbeitsleben des Hofes 


wahrlich ein mit großer Spannung abzu⸗ 
wartendes Schauſpiel, zu ſehen, wie der 
demokratiſche „Raſſismus“ die durch die 
Demokratie heraufbeſchworene Stadtſucht 
und bevölkerungspolitiſche Gefährdung 
Frankreichs beſchwören will. 

ilhelm Jung 


eiträge 


bie Jugend von klein aut mit bem Ge: 
ſchehen der Arbeit verbindet, fie mit ihr 
vertraut macht und damit für den land⸗ 
wirtſchaftlichen Beruf vorbeſtimmt. I m 
weſentlichen iſt das Problem 
des landwirtſchaftlichen Be⸗ 
rufsnachwuchſes gebunden an 
den Lebensweg der nachgebore⸗ 
nen Bauern: und Landwirts⸗ 
kinder. Wenn daher ſeit 5 Jah⸗ 
ren ns bie Hitler⸗Jugend der 
e 


Aufga in Zuſammenarbeit 
mit dem Reichs nährſtand unter ⸗ 


zogen hat, den Abzug der Jugend 
vom Lande zu bekämpfen, mußte 
dieſe nach den Geſetzen der Ver⸗ 
nunft im Urſprung, d. h. auf dem 
Lande ſelbſt begonnen werden. 
Und dies nicht nur durch die Neuordnung 
der Lebensverhältniſſe, ſondern ebenſo 
durch die Erziehung dieſer Jugend. Es 
anders zu machen, hieße, das Pferd vom 
Schwanze aufzäumen. Die wertvollſte 
nachgeborene Jugend ſoll vor der Flucht 
aus der Landarbeit bewahrt werden, weil 
fie auf die Dauer durch nichts zu a pa 
wäre. Es gilt barum, ander Cr: 
richtung einer Ordnung mitzu» 
ſchaffen, bie einen gefunden 
Blutkreislauf im bäuerlichen 
Berufsleben gewährleiſtet, Cri 
ſtenzmöglichkeiten gibt und den 
einzelnen auf den Platz der höch⸗ 
ſten Leiſtung ſtellt. 


Erſte Erfolge der neuen bäuerlichen 
Berufserziehung 


Dieſe Ordnung iſt durch ein ausgedehntes 
Syſtem von Maßnahmen im Entſtehen be⸗ 
riffen. Die Landarbeit wurde großen 
eilen dieſer Jugend zum feſten Beruf und 
zur großen Aufgabe mit dem ganzen 
Schwergewicht ihrer Bedeutung und dem 
Reichtum ibrer Möglichkeiten. In Lehr⸗ 


34 


fahrten, Arbeitsgemeinſchaften und Kurſen 
wurden Hunderttauſende im ländlichen Be⸗ 
tu[sleben feft verankert. Für ſie iſt der 
Bauernhof die natürliche Er⸗ 
i t bes bäu⸗ 
erlichen Menſchen. ur ſolange ſich 
das ländliche Leben auf die Einheit des 
Hofes bezieht, iſt es feſt und geborgen. Wo 
dieſe Einheit geſchwächt iſt, iſt die Land⸗ 
flucht am größten. Die bäuerliche Berufs⸗ 
erziehung wurde daher in Form einer 
Landarbeitslehre u ländlichen Haus⸗ 
arbeitslehre an den Hof gebunden. In 
nationalſozialiſtiſcher Form wurden 1938 
ſchon 60 000 1 ieſer Grundausbil⸗ 
dung zugeführt. 1939 werden die erſten 
Hunderttauſend überſchritten. Dieſe 
Bauernjugend geht dann den 
Weg ihres Berufs: und Lebens: 
ideals weiter und ſucht 
es 


bi 
ei 
be 
ſch 
in 
de 


n Kirchturm 
So bewirken vielerlei Veranſtal⸗ 


umgekehrt. Die 1 der Tüchtigen 
t 


und in ihrem beruflichen Fortkommen ers 
folgt durch die eigens dafür ſchon vor 
einem Jahr geſchaffene „Förderungsgemein⸗ 
ſchaft für die Landjugend e. V.“, die alle 
Bauernſchaften des Reiches umfaſſende Ge⸗ 
noſſenſchaft zur Begabtenförderung. 


Zwei große Werke der Jugendführung 
kennzeichnen die gewaltige und umſaſſende 
Bedeutung dieſer Erziehung der Land⸗ 
jugend: Es arbeiten am BDM. ⸗Werk 
Glaube und Schönheit“ auf dem Lande 
jetzt ihon wenige Monate nach der Eröff: 
nung 100 000 Landmädel in den bäuer⸗ 
lichen Arbeitsgemeinſchaften, die damit 


Kleine Beiträge 


jnhlenmößig weit an der Spitze dieſe; 

erkes DE Und ergänzt man diefe Zahl 
durch diejenigen des eichsberufswett⸗ 
kampfes der Gruppe „Nährſtand“, der von 
66 000 im Jahre 1934 auf 449 000 Teil: 
nehmer in dieſem Jahr angewachſen ijt — 
das ſind faſt ein Drittel aller in dieſen 
Jahrgängen vorhandenen landarbeitenden 
Jugend —, ſo kann niemand dieſen Beweis 
der zunehmenden Landtreue der Jugend 
widerlegen. Wer zu leſen verſteht, 
ber lſeſt aus dieſen Tatſachen 
die Liebe der Jugend zur Hei: 
mat und ihre Treue zur Land⸗ 
arbeit. 

Wie könnte man über eine Landflucht 
der deutſchen Jugend ernſthaft klagen, ſo⸗ 
lange dieſe Erſcheinungen dagegen ſtehen? 
Beſchränken wir uns in dieſem Sin Liegen 
hang nur auf den Hinweis, daß über das 
Berufsleben hinaus ganz beſonders auf 
kulturellem Gebiet ein bauer 
liches, landeigenes Lebens⸗ 
ideal der Jugend aufgerichtet 
wird und in ungezählten ig «o 
tungen in den Gauen exerziert wurde. Aus 
dieſer Quelle fließt eine totale Erneuerung 
des Bauerntums, die eines Tages allen 
ſichtbar wird. 


Bereitſchaft der Jugend, auf dem Lande zu 
bleiben 


Der Landwille der ländlichen 
Jugend iſt ungebrochen. Man wird 
dem 0 do iir daß aber die Zahl von 
800 000 Menſchen, die insgeſamt abgewan 
dert ſind, eine andere Sprache ſpreche. 
Gewiß — wir find nicht fo verblendet, dies 
zu überſehen. Aber der Zahl derad: 
ge wanderten Menſchen ſteht ein 
von Jahr zu Jahr wachſender 
Wert der auf den Lande ver: 
bleibenden jungen Meuſchen 
gegenüber. Dies kennzeichnet die Land⸗ 
8 unſerer Zeit als eine ſolche des 
Wertes und der Leiſtung. Wer dies nicht 
erkennt, wird die Frage nie löſen. Unfer 
Optimismus ſtützt ſich zuerſt auf dieſe Er⸗ 
kenntnis. Zum anderen aber beruht er 
auch auf der ſtatiſtiſch belegten Tat: 
fade, daß die an den Bauernhof 
ge undene Landjugend in den 

abren der Abwanderung 210 
oder un verhältnismäßig wenig 
landflüchtig wurde. Nach einer neuen 
l Erhebung des Reichsnährſtan⸗ 

es aus über 10 000 Betrieben kann Dies 
für die wichtigſte Gruppe der familien⸗ 
eigenen und Tamitie remden ftändigen 
Arbeitskräfte feſtgeſtellt werden. Zum Ber 


muc — — — ` we 


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- — "e DA Ee FFF ̃˙ an , E E MN E F a e 
EN - » —— = mp Sure rum cr P NN OI REP 8 * TS. i DR 


Kleine Beiträge 


[piel waren nad jener Erhebung 1938 in 
den erfaßten Betrieben von der männ⸗ 
lichen familienfremden Jugend bis gu 
18 Jahren nod 87 Prozent der 1935 in 
diefen Jahrgängen vorhandenen Jugend 
tätig, von den Erwachſenen über 18 Jahren 
bagegen nur nod 80 Prozent. Bon ber 
weiblichen Jugend wurden fogar nod 
96 Prozent 1 gegenüber nur 76 Bros 
zent der Erwachſenen. Und in ben eigent: 
lichen bäuerlichen Betriebsgrößen ift nach 
dieſer Erhebung ſogar überhaupt keine Ab⸗ 
wanderung 5d ch d erfolgt. 

Ebenſo hat ſich der Anteil der 
Jugend bei den ſtändig mithel« 
fenden Familienangehörigen 
1938 gegenüber 1935 vergrößert. 
Und zwar auch hier vorwiegend in den 
mittel» und großbäuerlichen Betrieben. Die 
weibliche Jugend hat ſich ſogar in dieſen 
Betrieben im enema zu ben älteren Jahr⸗ 
pu vermehr amit it aud für 

en Schwarzmalererwieſen, daß 


die wichtigſte Maßnahme für die 
Stärkung des Bauerntums, 
nämlich der Kampf un die Ers 
haltung der in ſtändigen Beruf 
anf den Lande verwurzelten 
Banern ingend, aud zahlen» 
wübig war. Dieſer 


erfol ß reich 
bedeutet folgerichtig beſchritten die 
natürliche Löſung der landwirtſchaftlichen 
uchsfrage, ja ſogar der kulturellen 

und leiſtungsmäßigen 
Sauerntums überhaupt. 
Dem Landwillen der Jugend ſteht die 


ortentwicklung des 


radikale Abwehr vieler Eltern entgegen. 


Die elterliche Beeinfluſſung iſt es oft, die 
in Stadt und Land die Jugend vom Lande 
abhält. Es wird zur eutſcheidenden Bewäh⸗ 
id dig aller erzieheriſchen Kräfte 
werden — ſei es Elternhaus, vil Wehr⸗ 
We er J. —, ob das große Vakuum 
in bezug auf die ländlige Berufsent⸗ 
cheidung der Jugend ausgefüllt wird. Die 
ugend ſelbſt will. Sie will arbeiten und 
glauben. Sie glaubt an die Aufgabe des 
tien Bauern und an eine bäuerliche 
Zukunft. Jeder junge Menſch in der Land⸗ 
wirtſchaft muß eines Tages eine Antwort 
auf die Frage nach ſeiner Jukunft erhalten. 
Völkiſch geſehen ſteht vor jeder Antwort auf 
dieſe Frage die natürliche Unmögtihteit, 
Ertrag der Landarbeit aud) bet noch fo 
roßer Mehrarbeit beliebig zu vergrößern. 
$ Geſetz des abnehmenden Bodenertrags 
reibt vor, daß auf einem gegebenen 
aum die Zahl der landwirt⸗ 
ſchaftlichen oder bäuerlichen 
Etiſtenzen nicht beliebig vere 


bäuerlichen Auf 


35 


mehrt werden kann. Das nor: 
handene Land läßtſichnicht auf: 
ſtocken, wie man es mit den Fabriken 
und gewerblichen Betrieben machen kann. 
Es [aft fid nur ſinnvoll aufgliedern. Raum 
Den ige: verderblich wie eine 
Entwicklun zur Latifundie 
oder die erhinderung einer 
liederung ber: 
elben wäre die Aufteilung und 
uffplitterung der Bauern⸗ 
öfe, um jedem Nachkommen 
etwas, aber feinem bas zum 
freien Leben Notwendige zu 
Jade Im Gegenteil: wir miniis ein 
uskämmen der nicht voll leiſtungsfähigen 
MiniatursBetriebe. Und das Erbhof⸗ 
geſetz hat deshalb eine ſolche Entwicklung 
zur Halb- und Viertelwirtſchaft ein für 
allemal unmöglich gemacht. Es iſt zugleich 
das Fundament der Lebensordnung des 
deutſchen Bauerntums, auf dem wir jetzt 
auch vom Menſchen her aufbauen. 


Unverheiratete Sanerntiuber 


Die Landwirtſchaft dürfte der Volksteil 
mit den meiſten ledigen Beſchäftigten ſein. 
Für die 3,75 Millionen ledigen Menſchen in 
der Landwirtſchaft erhebt ſich alſo eines 
Tages die Frage, wie ſie den Arbeitsplatz 
finden, der ihnen den Aufbau einer 1 
ermöglicht. Finden ſie ihn nicht, ſo wan⸗ 
dern ſie ab — je ſtrebſamer ſie ſind, um ſo 
eher. Dies wird beſtätigt, wenn man hört, 
daß im großen und ganzen die Landarbeiter⸗ 
{rage vom Bauern her gefehen die Fra e 

et Erhaltung feiner led gen Arbeitskräfte 
iſt, weniger der verheirateten, für die in 
den meiſten Fällen die Zukunft ſichergeſtellt 
iſt. Die Heiratsſtatiſtik von 1933 zeigt von 
1,3 Millionen 20⸗ bis 25jährigen Erwerbs⸗ 
tätigen 1,14 Millionen Ledige. Dieſe Zahl 
verteilt ſich auf Arbeiter und Arbeiterinnen 
noch in gleichem Maß wie auf die mithel⸗ 
fenden Bauernkinder. Sie alle ſtammen ja 
aus deutſchen Bauernhöfen. Je älter die 
mithelfenden Bauernkinder werden, um ſo 
ungünſtiger werden ihre Ausſichten auf Fa⸗ 
miliengründung in der Landwirtſchaft, 
während es für Arbeiter und Arbeiterinnen 
etwas günftiger erſcheint. Von ben 25- bis 
30jährigen Arbeitern find 40 Prozent vers 
heiratet, von den gleichaltrigen männlichen 
Familienangehörigen nur ein Achtel. Von 
den 30s bis 40jährigen Arbeitern iſt der 
überwiegende Teil verheiratet. Von den 
männlichen mithelfenden Familienangehö⸗ 
rigen bleiben zwei Drittel ehelos. Dieſe 
Entwicklung iſt pet dadurch, daß viele 
der jüngeren Arbeiter ebenſo wie die 


36 Kleine Beiträge 


Bauerntöchter im Heiratsalter bereits ab. 
gewandert ſind, un bie Bauernſöhne 
viel ftarfer an den Hof gebunden find, aud 
wenn er ihnen die Heirat nicht ermöglicht. — 
Die fehlende Exiſtenzmöglichkeit iit alfo nach 
wie vor der entiheidende Zwang zur Ab» 
wanderung vom Lande. Wird dieſer 

mang ebroden, dann kann niemals eine 

andfludt entſtehen. wenn die landwillige 
Jugend von unten in dem Umfang nach⸗ 
wächſt wie es heute der Fall iſt. 

Die Foprerung der 1 Qand: 
jugend tn den Jahrgängen zwiſchen 25 und 
30 Jahren muß 9 in der legigen Zeit 
der bai gen öglichkeiten des Einſatzes 
außerhalb der Landwirtſchaft der Vermeh⸗ 
rung derjenigen landwirtſ aihen Ars 
beitskräfte gelten, bie eine Familiengrün⸗ 
dung erſtreben. Stellen für verheiratete 
Arbeiter, Angeſtellte und Verwalter müſſen 

eſchaffen werden. Im Rahmen der Lei⸗ 
ungsfähigkeit der Betriebe und erleichtert 
durch die ſtarke Hilfe des Staates Ei den 
Landarbeiterwohnungsbau muß bieles Ziel 
mit den wirkſamſten Mitteln verfolgt 
werden. Es geht dabei nicht nur um die 
Zukunft der Landjugend, ſondern um das 
deutſche Volk, das an dieſer Stelle die Land⸗ 
flucht brechen kann und brechen wird. Und 
wenn wirtſchaftliche Mittel allein nicht aus⸗ 
reichen, ſo muß zur ſeeliſchen Führung der 
jungen bäuerlichen Menſchen deren Betreu⸗ 
ung durch Partei und Staat verſtärkt und 
nötigenfalls zur Verwirklichung ihrer Bin⸗ 
dung an den Boden in ſchlagkräftigeren 

ormen vollzogen werden. Kein Aufwand 
ſt für dieſe Aufgabe zu groß! 


Förderung der Neubildung dentiden 
Bauerntums 


Ganz eniſcheidend wird die 
Firn e der Jugend nach der Zu» 

anfi beſtimmt durch Vermeh⸗ 
rung der ſelbſtändigen Bauern: 

ellen, h. durch 5 

eutſchen Bauerntums. Die Erhal⸗ 
tung und Neubildung deutſchen Bauerntums 
iſt eine zentrale Aufgabe unſeres dic id 
ſeitdem ber Führer das Wort ſprach: „Das 
deutſche Reich wird ein Bauernreich Kä 
In den letzten Jahren und Jahrzehnten 
waren — bedingt durch die deutſche Raum⸗ 
enge — der Neubildung deutſchen Bauern⸗ 
tums enge Grenzen geſetzt. Dadurch kam es 
daß z. B. nach den Berechnungen des ies! 
verſtorbenen Kämpfers für ben Neubauern⸗ 
gedanken, Otto Maintz. die Neugründung 
einer Bauernſtelle 1927 einen finanziellen 
Aufwand erforderte. der ausgereicht hätte 
zur Exiſtenzgründung von 4 bis 5 Arzten 


oder 6 Juriſten oder 15 Pie oder 88 Be 
amten bes mittleren Dienſtes oder 19 Offi: 
gieren. 

Was wir aus der eigenen Kraft unjeres 
Reiches tun können, um hier weiterzu⸗ 
kommen, wird getan, nachdem im vergan: 
genen Jahr der Reichsbauernführer R. Wals 
ther Darré in Goslar als Ziel feiner Ars 
beit herausſtellte, daß jeder geeignete junge 
Menſch ein Neubauer werden kann. auch 
wenn er keinen Pfennig eigenes Vermögen 
mitbringt. Der unerſchütterliche Glaube 
der zwei Millionen auf der Scholle arbei⸗ 
tenden deutſchen Jugend ſteht hinter dem 
Wort des Reichsbauernführers: „Als Ratios 
nalſozialiſten müſſen wir fordern, daß ein⸗ 
mal die Neubildung deutſchen Bauerntums 
eine ſtaatliche Aufgabe wird, welche auch 
dem ärmſten Deutſchen die Möglichkeit 
gibt, zur eigenen Scholle zu gelangen.“ 

wenig es der Jugend aus eigener 
Kraft möglich iſt, die vor einer neuen bäuer⸗ 
lichen Eriiten; liegende Barriere gegenwär: 
tig au iiber[pringen, fo dtd ift es für 
fie, fid vorzubereiten und bereit zu fein, 
wenn die Barriere fällt. Das Ziel der 
Jugendführung im Bauerntum kann alſo 
nigi darin beftehen, alle im Laufe der 
Jahre abgewanderten Arbeitskräfte mit 
einemmal und allein aus dem Nachwuchs zu 
erſetzen. Denn das hieße, die bisher in der 
Landwirtſchaft tätigen Jugendlichen bis zu 
18 Jahren verdoppeln. Dieſes Beſtreben 
ſcheitert nicht nur an dem abſoluten Mangel 
an Jugend, ſondern auch an der Tatſache, 
daß ja der Exiſtenzraum für die nach⸗ 
wachſende Landjugend nicht gleichzeitig auf 
das Doppelte erweitert werden kann. 

Unfer Weg muß fein: Es gilt, die 
ſchaffende e bauern⸗ 
fähig zu machen, d. h. in ihrer 
Leiſtung aus eigener Kraft und 
durch die ilfe der Gemein⸗ 
ſchaft auf den höchſtmöglichen 
Stand zu bringen, ihr die Aus⸗ 
bildungund den Weg zum bauer: 


lichen Lebensberuf zu ſchaffen 
und ſie auch zu einer bäuerlichen 
% (((( 
zentrale Idee und das politiſche 
und perſönliche Ziel dieſer 
Landjugend aber mu ſein: 
ehr Lebensraum für die 


bauernfähige Jugend! Eine ſolche 
Erziehung der Jugend heißt Schaffung 
einer entſchloſſenen Stammannidaft, die in 
bem vom Führer beſtimmten Zeitpunkt Trä⸗ 
ger einer großen Bewegung zur Neubildung 
und Ausbreitung des deutſchen Bauern⸗ 
tums werden kann. 


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Kleine Beiträge 


Laßt das Dori beim — 


Wir haben die Aufgabe, die Kaders dieſes 
neuen Bauerntums heranzubilden. Die 
Bereitihaft der von der Natur zur Land- 
arbeit berufenen beſten Jugend wird 
immer der Gradmeſſer ſein, wie weit das 
deutſche Volk noch boden verbunden ift und 
wie lebenskräftig das nationalſozialiſtiſche 
Teal von Blut und Boden fid) erweiſt. Der 
Blick der ganzen deutſchen Jugend jedoch 
muB heim aufs Land gerichtet ee Das 
Sauerntum iſt nicht Sache eines 
Verufsſtandes, ſondern Grunde 
lage und Ziel des ganzen deut⸗ 
ſchen Volkes. Die Erziehungsarbeit für 
das Land umſpannt alſo die ganze junge 
Generation, um fie zum Verſtändnis für 
das Bauerntum zu tühren, zur Achtung des 
Dorfes unb feines Cigenlebens. Nur wo 
das Bauerntum feine Eigenart erhält und 
Best, bewährt es feine Beſtändigkeit. 

es fein Vorbild woanders [udjt als 
iz fid | muß es fih au taufend Cr, 
Meinungen der Zinilifation und der Stadt 
verſchwenden. 


Modern und fortſchrittlich, ohne Spinn⸗ 
ſtubenromantik muß das Dorf [ein dörf⸗ 
liches Geſicht behalten. Schafft Elektrizi⸗ 
tät, Waſſerleitungen und Badeſtuben in die 
dorfer aber erkennt die Grenzen! Glaubt 
nicht, daß Pflug und Acker eines Tages 
durch die Retorten des Chemikers erſetzt 
werden könnten. Laßt das Dorf beim 

auern! Vermeidet alles, was die Men⸗ 
ſchen ſeeliſch entwurzelt und das Zentrum 
ihres Seins nach anderen Standorten ver⸗ 
lagert. Es bedarf dann nur eines kleinen 
Anstoßes, daß der Bauer feiner verlorenen 

eimat nachwandert. thaltet die 
rein di und laßt dem 

ein ländliches Geſicht. Der 
auf das eigene Dorf und auf die Höfe 
der Heimat iſt der ſtärkſte Magnet für das 
Landvolk. Der Reichtum der bäuerlichen 

zelt muß der Jugend erſchloſſen werden. 
Sie ſoll ſelbſt teilhaben und durch eigene 

itarbeit an der inneren und äußeren Er⸗ 
Reuerung des Dorfes mithelfen. Arbeit und 
Freizeit ſind gut Stärkung dieſer Kräfte 
zu nutzen. Alle Organisationen und Eins 
richtungen haben fid) dieſem Geſetz zu beugen. 
Das Dorf braucht ländliche Führer. Die 

Einrichtungen der Erziehung, auch der Er⸗ 
zieher GG die Säle und Stätten der Ge: 
meinſchaft, die kulturelle und eiis 
Jusſtattung des Landes find Aufgaben im 

ahmen dieſes Werkes. Die Hitler-Jugend 
wird hier bemüht fein, entſprechend zu ver⸗ 
ahren. Die Dienſtpläne und der Einſatz 


or 
Sor 
Gto 


37 


der Hitler-Jugend werden zunehmend den 
dörflichen Gegebenheiten angepaßt. Sie 
werden ſich nach den Arbeitsſpitzen und 
Arbeitstälern des bäuerlichen Jahres rich⸗ 
ten. Dorfkame radſchaften verhindern ein 
Abziehen der Menſchen und ihrer Intereſſen 
von dem dörflichen Geſchehen. Das Leben 
der Jungen und Mädel wird in eine engere 
Verbindung mit dem Leben der ganzen 
Dorfgemeinſchaft geſtellt. Es wird ins⸗ 
beſondere für die Volkstumsarbeit, für 
Pflege des Tanzes und des Liedes das Aus⸗ 
einanderreißen der Menſchen nach alters⸗ 
begrenzten Gruppen verhindert werden, der 
Beruf in Zuſammenhang mit Dienſt und 
E QUARE der Jugend geſtellt. Kurz: Der 
bäuerliche enſch foll geiſtig 
und ſeeliſch und in der äußeren 
Erſcheinung Herr im Dorfe ſein. 


Karl Baldamus: 


Agnes Miegels großdeutscher 


Auftrag 


In der WEEN alten Stils 
hatte man die Gewohnheit, das Schaffen 
zeitgenöſſiſcher Dichter auf beſtimmte Rich⸗ 
tungen und Schulen feſtzulegen, auch dann. 
wenn das Ausmaß ihres Wirkens noch gar 
nicht erkennbar war. So erklärt es fi, daß 
Agnes Miegel allgemein als oſtpreußiſche 
Heimatdichterin ee wird. An kei⸗ 
nem Beiſpiel iſt es klarer zu beweiſen, wie 
unzulänglich derartige Begriffsbeſtimmun⸗ 
gen ſind. Kein dichteriſches Werk iſt weni⸗ 
ger dazu geeignet, vorzeitig regiſtriert zu 
werden. 

Agnes Miegels Gedichte und Erzählun⸗ 
gen ſind heute überall dort gegenwärtig, 


wo bie deutſche Sprache Geltung beſttzt. 
Sie als Heimatdichtung bezeichnen heißt, 
in dieſen Begriff zugleich die höchſte künſt⸗ 


wir doch die Geſtalten der Dichterin zum 
Zeugnis auf: Henning Schindekopf, Hein⸗ 
rich von Plauen, die ſieben Ordensbrüder, 
Peter zur bie Frauen von Nidden, 
Simon Dach oder den blinden Pfarrer vom 
Drauſenſee — und fragen, ob ſie in Lei⸗ 
den, Kampf und Tod über ihre Heimat 
hinauswachſend nicht den ganzen Umfang 
des Lebens zu erfüllen vermögen! Ihr öſt⸗ 
liches Schickſal — ſei es geſchichtlicher oder 
perſönlicher Art — iſt gleichnishaft für 
alles deutſche Weſen geſtaltet, wie je in 
der Dichterin felber das Blut ſalzbur⸗ 
giſcher Einwanderer mit dem des oſt⸗ 
preußiſchen Volksſtammes ſich miſcht. 


leriſche Verpflichtung v der Didier Rufen 


38 Kleine Beiträge 


Was in ihren Verſen vernehmbar wird, 
ſcheint zunächſt nur die Stimme irgend⸗ 
einer Heimatſehnſucht zu ſein. Doch klingt 
in nie gehörter Eindringlichkeit ein Ruf 
mit, der nicht aus einer einzelnen Men⸗ 
ſchenbruſt, ſondern aus den Tiefen der 
Erde hervorbricht. Was iſt das für ein 
Land, das einer ſolchen Liebe wert iſt? 

Wer es je durchwandert hat, wei: das 
ift Oſtpreußen. Maſuren und bie Romin- 
ter Heide, bas Große Moosbruch, bie Nies 
derung, Samland, Haff unb Nehrung, das 
Oberland und bie tauſendfältige Welt ber 
Seen. Die feſten Häuſer des Deutiden 
Ritterordens und ſchließlich Königsberg, 
die alte vornehme Stadt am Pregel, die 
ihr geiſtiges Leben aus einer weiträumi⸗ 
en Landſchaft ſchöpft und doch jahr⸗ 
undertelang auf das ſtrengſte einen eige⸗ 
nen Stil bewahrt hat. Und es iſt auch die 
wachſende Großſtadt Königsberg, in der 
oſtpreußiſches Volkstum und modernes 
Lebensgefühl einander begegnen. 

Hier alſo wurde Agnes Miegel ge 
boten, hier reifte fie zu der Dichterin, die 
mit unerſchöpflicher Bildkraft geſchichtliche 
Größe und landſchaftliche Schönheit Alt- 
Preußens zu offenbaren vermochte. Als 
die Kunde davon in die anderen Gaue des 
Reiches gelangte, fand ihr Schaffen dort 
deſto nachhaltigeren Widerhall, je ſtärker 
ihr Kunſtvermögen war. 

»... und ich fang in den Wind, in das 
Wirbeln rauchender Dünen, in das dröh⸗ 
nende Braufen fang mein tönender Mund. 
Sang meiner einfamen Heimat Götter und 
rote Burgen, fang thr mütterlich Herz, fang 
ihr grüngrünes Kleid. Sang was groß und 
gekrönt Durch meine Träume gewandert, 
blutüberítrómtee Haupt, gallegetränktes 
Herz. Sang meiner feltfamen Schweſtern 
mondlichgezeichnete — Stirnen, ſterblichen 
Leibes mie ich, jenfeitiger Weisheit kund. 
Sang ich, mir felber kaum deutbar, was 
Schatten und Erde mich lehrten, fang ich 
Liebe und Tod - fang ich das eigne 
Gefchick.« s 
Aus berufenem Munde find Agnes Miegels 
Gedichte, vor allem ihre Balladen, bie 1901 
zu erſcheinen begannen, das „Ereignis des 
neuen Jahrhunderts“ genannt worden. Es 
wurde früh [don auf „dieſe wähleriſche 
und ſparſame Kunſt“ hingewieſen, die 
„von den einfachſten je Schlägen bes 
Herzens lebt, bie mit jedem Xon bas einzi 
Mögliche trifft, bie bei freieſtem Tonfa 
bes Verſes die härteſte Strenge der Strophe 
entfaltet“ (Nadler). Ja, die ſelber den 
Sinn beſaßen, das Bienenbrauſen der See 


zu hören und das Leuchten der Bernſtein⸗ 
kronen zu ſehen, empfanden damals Agnes 
Miegels Kunſt als „erſchreckend neu“. 

Dann brach der Weltkrieg aus, der Oſt⸗ 
preußen für kurze Zeit zum Schlachtfeld 
machte: 

»Einmal, ein einziges Mal, krümmteſt du 
dich wie in Weh’n, 

als du die Wagenburg deiner flüchtenden 
Kinder gefeh’n. 

Durch der Kanonen Gebrüll aus Tannen 
bergs qualmenden Mooren 

fchrien fallend aus ihrem Blut, die du ges 
boren.« 

In den Jahren nach 1918 ſchien es, als 
ſei auch die deutſche Kunſt nur noch ein 
verlorenes Spiel vor dem drohenden Hin⸗ 
tergrunde der Zeit. Das gefamt-deutide 
Leben rang zwieſpältig und aufgewühlt um 
einen Sinn. Alle bisherigen Wertungen 
waren in Frage geſtellt. Die Dichterin ſah 
und hörte das alles; ſie konnte warnen aber 
nicht helfen: 

Zu dem ſtampfenden Trott der Huren und 

Schieber 
dröhnt der Puls der ſteinernen Stadt im 

Fieber. 
O Die heileren Stimmen! O die ftumpfen 
Gefichter!« 

Sie ſpürte die Not ihres Volkstums, das 
— von einer politiſch ohnmächtigen Regie 
rung im Stich gelaſſen — im Abſtim⸗ 
mungskampf von 1920 zur Selbſthilfe 
chreiten mußte. Von wenigen vernommen, 

rang ihre Bitte aus der abgeſchnürten 
Provinz herüber: 

„Über der Weichſel drüben, Vaterland, 
höre uns an!“ 

Und dringender: 

»O Mutter, Mutter, laß uns nicht allein! 

Laß Seine Knie, laß Deine Hand uns halten. 

Verbirg une unter Deines Mantels Falten 

und laß une nicht dem Fremden Dienftbar 
fein!« 

Und als in Allenſtein und Marien 
werder bie Fahnen eines waffenloſen Sie 
ne flatterten, ba wurde Zones my is 

ie an aller, die Oſtpreußen die 
Treue gehalten hatten. Unbeirrt blieb 
dieſe große Frau als Hüterin einer ge⸗ 
ſunden und ſtarken Überlieferung auf pe 
Heimatboden (teen. Eine Ahnung agte 
ihr, daß die junge Generation im Heran⸗ 
wachſen Se lk war, welde einjt die 
Linien bes beutidjen Geiltes gegen den lebten 
Anſturm der Überfremdung halten würde. 

1933 richtete Adolf Hitler das Reich 
wieder auf. Die Dichterin Agnes Miegel 


— — — 


Neue Bücher 39 


hatte den Platz in der neuen deutſchen 
Volksgemeinſchaft gefunden. Die Jugend 
nahm ihr reiches Werk als etwas im tief⸗ 
ſten Verwandtes in Herzen und Hände. 
Nun war die Stunde gekommen, da die 
Dichterin, die in ihrem Schaffen immer 
nur das ganze Deutſchland gemeint hatte, 
auch von der Staatsführung als geiſtige 
Reprajentantin ihres Volksſtammes aner⸗ 
kannt und in den Senat der Dichter⸗ 
akademie berufen wurde. 


Agnes Miegel leitet die geſamt⸗-deutſche 
Schau, die als ein Grundzug vor allem 
auch ihrer bedeutenden Proſaſchriften an⸗ 
geſprochen werden muß, aus der beſon⸗ 
deren Verantwortung des Grenzdeutſch⸗ 
tums her. Unſerer Zeit iſt bitter einge⸗ 
prägt worden, daß „Grenzen“ nicht nur 
eographiſche Bezeichnungen darſtellen, ſon⸗ 
in daß es Landſäume ſind, deren Be⸗ 
wohner unter einem harten politiſchen Ge⸗ 
leg ſtehen. In ihrem Daſein ſpiegelt ſich 
der Lebensſtand von Staat und Volkstum. 
Stärke oder Schwäche einer Nation wer⸗ 
den hier zuerſt und am deutlichſten ſpür⸗ 
bar. Der geiſtigen Wachſamkeit der Grenz⸗ 
länder iſt viel anvertraut. Es handelt ſich 
nicht allein darum, die Stöße aufzufangen, 
die von außen kommen. Vielmehr gilt es, 
das geſteigerte politiſche Leben der Grenz⸗ 
Ke nad) innen zu leiten und vom 
afde ber bas Ganze zu erfüllen. 


So betrachtet ift es ſicherlich kein Zufall 
geweſen, daß Agnes Miegels erzählerische 


Reue Bücher 


Deutsche Jugend 
zur Entscheidung aufgerufen 


Hans F. K. Günthers neues Werk „Das 
Bauerntum als Lebens⸗ und Gemeinſchafts⸗ 
form“ (Verlag B. G. Teubner, Leipzig) iſt 
im rechten Augenblick erſchienen; denn die 
Gefahren der Landflucht mahnen ſtärker 
denn je zur Wee ani die lebensgeſetz⸗ 
iche Bedeutung des Bauerntums für das 
Schickſal des deutſchen Volkes. Das Buch 
verdankt feine Entſtehung der Lehrtätig⸗ 
eit Günthers an der Univerſität Berlin. 
a zuletzt an die deutſche Jugend wendet 
es ſich auch in Bil: Form; denn es wird 
getragen von der feiten Überzeugung, „daß 
de Junge Deutſche heute jhon einſehen, 
ie bäuerliche Welt mache den Kern jeder 


Hauptwerke zwiſchen 1918 und 1933 erſchie⸗ 
nen bzw. entſtanden ſind. Die berühmte 
Novelle „Die Fahrt der ſieben Ordens⸗ 
brüder“, die heute zum geiſtigen Beſtand 
d jungen Deutſchen gehören ſollte, be⸗ 

eutet in ihrem eee ien 1928 
mehr als eine grandioſe geſchichtliche Dar⸗ 
ſtellung. Wolfen ritt der Komtur Fried⸗ 
tid) von Wolfenbüttel mit feinen Rittern 
aus dem Elſaß, aus Franken und Thü⸗ 
ringen durch die öſtliche Winternacht? Um 
der deutſchen Aufgabe willen, die ſeinem 
Orden geſtellt war! 

Ein anderes Bild: Viele Jahrhunderte 
ſpäter begegnet der Kaiſer Napoleon auf 
dem Vormarſch nach Rußland einem Pfar⸗ 
rer aus dem oſtpreußiſchen Oberlande, der 
bei ſeinem verbrannten Dorfe und an den 
Gräbern ſeiner Lieben die Wache hält. 
Auf die Frage, was man von jener Höhe 
aus nach Weſten erblicken könnte, gibt der 
Alte dem Eroberer, der Sſterreich beſiegt, 
den Rheinbund gegen Preußen ausſpielt 
und ſcheinbar das Reich für immer zer⸗ 
da Hatte, bie ſeheriſche Antwort: Deutſch⸗ 
an 


Wer in die Welt Agnes Miegels eins 
tritt, vernimmt in jenem ihrer Gedichte 
und Erzählungen dieſen Grundton, der 
in den ſpäteren Werken beherrſchend wird. 
So konnte das Schaffen der Dichterin da⸗ 
u berufen in allmählich über den 
eimatbezirk hinauszuwachſen und für den 
ganzen Lebensraum unſeres Volkes Bes 
eutung zu gewinnen. 


völkiſchen Welt aus, und uns Städtern 
allen ſei eine Entſtädterung unſerer Ge⸗ 
ſinnungen, ein Aufnehmen bäuerlichen 
Geiſtes aufgegeben, weil jedes Volk und 
jeder Staat germaniſcher Prägung allein 
aus bäuerlichem Geiſt begründet, nach Um⸗ 
wälzungen neu begründet und geſund er⸗ 
halten werden kann“. Mit der Verbreitun 
und Vertiefung dieſer Erkenntnis wi 
Günther der 1 dienen, die ſich in 
Deutſchland ſeit dem Jahre 1933 vollzogen 
hat, der Fülle der neuen Aufgaben, die ſich 
aus ihr ergeben. Der iſſenſchaftler 
F. K. Günther verſtärkt damit den Appell. 
den der Politiker R. Walther Darré an 
dieſer Stelle im Heft 6 an die Jugend des 
Führers gerichtet hat. 


40 


Das Lebensbild, das Günther von dem 
deutſchen Bauerntum entwirft, ift mit liebes 
voller Gründlichkeit EE Es bietet 
eine Fülle von Einzelheiten; denn fo eins 
heitlich Weſenskern unb Grundhaltung des 
deutſchen Bauerntums ſind, ſo mannig⸗ 
faltig iſt ihre Ausprägung, und in dieſer 
mona U liegt ja nicht zuletzt ber 
kulturelle Reichtum des deutſchen Volkes 
begründet. Die Art und Weiſe aber, wie 
Günther die Fülle der Erſcheinungsformen 
zu einem lebendigen Ganzen zuſammen⸗ 
ordnet, iſt meiſterhaft. 
Der Frage der Landflucht und ihrer Ge⸗ 
fahren als ſolcher widmet Günther, wenn 
man der äußeren e zwar 
nur einen Abſchnitt ſeines Werkes; aber 
wie ein roter Faden zieht ſich durch das 
ganze Werk der Grundgedanke der Not⸗ 
wendigkeit der Entſtädterung mee Volts: 
gefinnung, und in bem Schlußabſchnitt 
über die völkiſche ung des Bauern: 
tums duram bieler Grundgedanke eine 
traffe Zuſammenfaſſung, bie zu einem ein: 
rudsvollen eaten wird, fid) auf die 
nn. Kräfte unſeres Volkes zu bes 
une: amit aber wird die Uberwindun 
er Landflucht letzten Endes zu einer Auf⸗ 
uet ber deutſchen Jugend in Land und 


Der Mahnruf Günthers ijt um fo ein: 
dringlicher, als er ſorgfältig jede billige 
Schwarzweißmalerei vermeidet. Günther 
üt weit entfernt von einer Anterſchätzung 
der Stadt im Rahmen der Entwicklun 
des deutſchen Volkes, ſo, wenn er darau 
hinweiſt, daß „das Städtertum durch ſeine 
Beweglichkeit dem Leben des Volkes und 
Staates immer wieder die notwendigen 
fortſchrittlichen Antriebe geben wird“. Aber 
gerade weil Günther dies erkennt und 
offen hervorhebt, gewinnt auch 
Mahnung an Gewicht, daß „nur das 
Bauerntum mit ſeiner Verwurzelung in 
Heimat und Familie, mit ſeinem Sinn für 
Herkommen und Stetigkeit, für Gemein⸗ 
ſchaft und Ordnung Grundlage für einen 
Staat germaniſcher Prägung ſein kann“. 
„Nur auf der geſicherten Grundlage des 
bäuerlichen Landes“ — ſo betont Günther 
mit Nachdruck — „kann der Staat die 


ſeine 


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Neue Bücher 


Städte ihrer Beweglichkeit überlaſſen.“ 
Aus dieſer Erkenntnis heraus wendet ſich 
Günther gegen die immer ſtärkere Schwer⸗ 
gewichtsverlagerung zugunſten der Städte, 
egen bie Überwucherung des ſtäotiſchen 
eiſtes im deutſchen Volk. Dieſe Verſtädte⸗ 
rung bedeutet auf die Dauer Vernichtung 
der Grundwerte des deutſchen Volkslebens. 
Dieſer Gefahr gegenüber ift eine „Um 
wertung der Werte“, die das 19. Sabr: 
us unferer Gegenwart übermittelt 
at, unbedingt erforderlich. 
In dieſer Erkenntnis ſtellt Günther 
Bauern⸗ und Städtertum gegenüber: die 
bäuerliche Umwelt iſt naturnahe und 
familienfreundlich, die Stadt iſt naturfern 
und familienwidrig. Die Tätigkeit des 
Bauern vollzieht ſich innerhalb der Familie, 
erfaßt den ganzen Menſchen und iſt ge⸗ 
meinſchaftsfördernd. Die Tätigkeit des 
Städters ſpielt ſich außerhalb der Familie 
ab, erſtreckt ſich nur auf Teilfähigkeiten 
und wirkt deswegen leicht enen hafte 
ſtörend. Bäuerliche Denkweiſe geht vom 
Zutrauen zum Gewachſenen aus und ſchöpft 
daraus die Kraft der Schickſalsmeiſterung. 
Städtiſche Denkweiſe ſtrebt unruhig nach 
Überwindung der natürlichen Bindungen, 
iſt aber gerade deswegen W 
gegenüber oft verzagt. So fördert 
äuerliche Leben die Artwelt ebenfoſeht, 
wie das ſtädtiſche Leben die Artwelt 
ſchädigt. Volkheit, das zeitloſe Weſen eines 
Volkstums, kann nur durch ein ſtarkes 
Bauerntum verbürgt und erhalten werden. 
In dieſem Sinne will das Wort des 
Führers aus ſeiner Rede vom 5. April 
1933 verſtanden werden: „Alle Schwankun⸗ 
en ſind am Ende zu ertragen, alle Schick⸗ 
alsſchläge zu überwinden, wenn ein ge 
fundes Bauerntum vorhanden ift.“ In 
dieſem Sinne ruft das neue Buch Günthers 
auch die deutſche Jugend zur Entſcheidung 
auf. Es iſt nicht der trübe Spiegel eines 
unabänderlichen Schickſals, ſondern ein 
ſtählernes Werkzeug der Willenbildung, 
ein Bekenntnis zu dem Führerwort, mit 
dem Günther fein Werk beſchließt: „Das 
Deutſche Reich wird ein Bauernreich ſein, 
oder es wird untergehen.“ 
Hermann Reischle. 


Hauptschriftleiter: Günter Kaufmann. 
Anſchrift der e ee „„ Berlin W 35, Kurfürſtenſtraße 53. Fernſprecher: 229091. — 
G. m. b. H. 


Verlag: Franz Eher Nach 


, Zenttalverlag ber NSDAP., Berlin S 
ſcheckkonto: Berlin 4454. Verantwortlich für den Anzeigenteil: Ulrich 


68. Zimmerftraße gie Bet: 


Herold, Berlin. — L Bj. 1989: 


über 65 000. Pl. Nr. 8. — Druck: M. Müller & Sohn KG. München: Zweigniederlaſſung Berlin SW 68. Dresdener 
Straße 43. — „Wille und Macht“ erſcheint am 1. unb 15. jedes Monats und iit d beziehen durch ben Betlen 


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ſowie durch die Bolt unb alle Buchhandlungen 


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teuer iit und diefe Beſtellung ſonſt nicht erledigt werden kann. 


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ij „Groſchengrab' ift ein gefährlicher Rauber! Verdorbene und ſchlecht aus- HH 
i genutzte Nahrungsmittel find feine Beute. So mäſtet er fic) auf fremde Koſten 15 


H — fobald man nicht aufpagt! Fre 
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Eine wenig [done Kunde 
Macht jest überall bie Runde: 
s Grofd)engrab* ift wieder hier! 
Schulen find jetzt fein Revier. 


Ohne Scham und ohne Scheu 

Sit er bid und frech dabei, 

In ben Bulten, Wbfalltaften 

Sich von Eurem Geld zu mäſten! 


Oh, was gibt es da zu ſchmauſen: 
Frühſtücksbrote, die in Pauſen 

Schüler ⸗Mägen ſollten ſchmecken, 

Füll'n den Bauch jetzt dieſem Schrecken! 


So fließt Geld aus Vaters Kaſſen! 

Sagt's drum an in allen Klaſſen: 

„Nehmt nicht mehr mit als Ihr ebt, X 
Schafft Ihr's nicht — bringt beim ben Ref!" 


Allen fottt Ihr dieſes künden: 
„Groſchengrab“ muß rafo verſchwinden! 


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Hille. Mach 


Bum der nationallozialiltiſchen Jugend 


HERAUSGEBER: BALDUR VON SCHIRACH 


Heft 17/18 Berlin, 1. September 1939 Preis 60 Pf. 


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INHALT. 


Robert Hohlbaum: Politische Dichtung 
Das politische Lied | Prinz Eugen | Der Siebenjührige Krieg | Ver- 
kaufte Soldaten | Gegen die Jakobiner | Deutschland in seiner tiefen 
Erniedrigung | Die Befreiung | In den Fesseln der Reaktion | 1848 f 
Die ewigen Schmarotzer | Das Zweite Reich | Weltkrieg und Aufbruch 


AUSSENPOLITISCHE NOTIZEN 
Karl Kasiske: Brennender Korridor 


KLEINE BEITRAGE 
Karl Richard Ganzer: Deutsch sein heißt Charakter haben 
Vassil Trajanow: Offener bulgarischer Brief an Thomas Mann 


NEUE BÜCHER 
Bücher zur Außenpolitik | Vom deutschen Liedgut 


KUNSTDRUCKBEILAGE 
Bilder aus dem Kupferstichkabinett Berlin, Dresden, Straßburg 
H. Scháufelein (Holzschnitt): 3 Landsknechteaus dem 16.Jahrhundert 
Aus Vergil (Holzschnitt): Belagerung einer Stadt im 15. Jahrhundert 
Jost Amman (Kupferstich): Erstürmung einer Stadt 1564 
H. Burgkmair (Holzschnitt): Aus dem Triumphzug Maximilians I. 


13 Textbilder: Photo Zeughaus 


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Prospekt 121 


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CARL WALTHER 
WAFFENFABRIK 
ZELLA-MEHLIS 


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Wille. Hacht 


fühterorgan der nationallo ialiltiſchen Jugend 


HERAUSGEBER: BALDUR VON SCHIRACH 


Jahrgang 7 Berlin, 1. September 1939 Heft 17/18 


Robert Hohlbaum: 


Politische Dichtung 


„Ein politiſch Lied, ein garſtig Lied!“ Dieſes Zitat ſteht an der Spitze der mit 
blendender Sachkenntnis geformten Sammlung dieſes Sonderheftes, das einmal 
eine Fundgrube für Forſcher zu werden verſpricht. Und dieſes Zitat wieder iſt 
die erſte Zeile eines, wie ich geſtehen muß, mir bisher unbekannten programma⸗ 
tiſchen Gedichtes Hoffmanns von Fallersleben, in dem er ſich mit den roman⸗ 
tiſchen Dichtern, die nur von „blauen Bergesfernen“, von „Roſenduft und Lilien⸗ 
ſchein, Sonne, Mond und Sternen“ ſingen, auseinanderſetzt. Das Gedicht gehört 
nicht zu den beſten des berühmten Sängers des Deutſchlandliedes, doch zu den 
bezeichnendſten ſeiner Kunſtanſchauung. 


„Politiſch Lied, ein garſtig Lied“. Es war die Anſchauung der Klaſſik, und, 
wohlgemerkt, nur eines Teiles der deutſchen Romantik. Aber auch in der Klaſſik 
war es mehr Theorie als praktiſche Übung, denn wir dürfen nicht vergeſſen, daß 
alle dieſe Klaſſiker aus dem Sturm und Drang hervorgingen, daß Klopſtock ein 
politiſcher Lyriker erſter Ordnung war, daß Goethe den „Götz“ und Schiller 
den „Tell“ ſchrieb, daß Leſſing in der „Minna von Barnhelm“ der größten 
politiſchen Perſönlichkeit des Jahrhunderts das unſterblichſte Preislied ſang, und 
daß die kleineren Geiſter, wie Gleim, in den Kampf des Tages mit Soldaten⸗ 
liedern eingriffen. 


Wenn wir wollen, können wir das Nibelungenlied als politiſches Gedicht 
anſprechen, denn es wurde ja durch ein Problem höchſter politiſcher Ordnung 
angeregt, den Kampf des Oſtens gegen das Abendland, der damals als Hunnen⸗ 


1 


Hurm, [pater als Avareneinfall auftrat, als Türkenſturm die deutſche Welt bes 
drohte und heute noch als Bolſchewismus eine ſtändige Drohung für Europa 
bedeutet. 


Eine ſeltſame Fügung aber hat uns in dem erſten typiſch politiſchen Dichter gleich 
einen unſerer allergrößten geſchenkt, in Walther von der Vogelweide, 
der in ſeiner Kunſt den Beweis erbracht hat, daß man gar wohl auch die ewigen 
Wunder der Natur beſingen und doch an dem Streit des Tages nicht vorübergehen 
kann, wenn eben dieſer ſcheinbare Tagesſtreit in Wahrheit sub specie aeternis 
tatis zu betrachten iſt. Die Probleme, die Walters Kampfdichtung bewegten, be⸗ 
wegen auch noch unſern Tag, haben die Tage unſerer Ahnen bewegt und immer 
wieder die deutſchen Sänger aufgerufen: von Hutten über den die Dunkel⸗ 
männer bekämpfenden Leſſing, über die Dichter des „Götz“ und des „Wallen⸗ 
ſtein“, über das Jeſuitenlied Chamiſſos mit dem zum geflügelten Wort ge⸗ 
wordenen Ausſpruch „Und der König abſolut, wenn er unſern Willen tut“, bis zu 
den genialen Stachelverſen Grillparzers gegen „Pfaffen und Ignoranz“. Es 
führt ein direkter Weg von Walters Angriffen gegen den „Babeſt“ (Papſt) zu dem 
Huttenepos Conrad Ferdinand Meyers und zu dem Ausſpruch in Grillparzers 
Tagebüchern: „An allem iſt der Katholizismus ſchuld. Gebt uns 
eine zweihundertjährigeproteſtantiſche Geſchichte, und wir 
find der erſte deutſche Stamm.“ 


Der Sammlung dieſes Sonderheftes gebührt die Anerkennung, daß ſie ſich 
beſtrebt, vor allem volkstümliche Zeugniſſe politiſcher Dichtung ans Tageslicht zu 
bringen. Dieſe haben ja immer die politiſchen Ereigniſſe begleitet, weit getreuer 
vorerſt als die exkluſive und in Gelehrſamkeit erſtarrende Kunſtdichtung der 
Lohenſtein, H5ofmannswaldau, unb bann der Gottſched und Kon: 
ſorten. Jene Zeugniſſe wurden gewöhnlich in Flugſchriften veröffentlicht, eine Not⸗ 
wendigkeit dieſer Jahrhunderte, die noch keine Zeitung in unſerem Sinne kannten. 
So beſorgten die Gelegenheitsdichter das, was heute Aufgabe der Journaliſten und 
des Rundfunks iſt. Künſtleriſche Anſprüche wird man an dieſe Gattung nur in den 
ſeltenſten Fällen ſtellen können. Einige, beſonders das unſterbliche Prinz⸗Eugen⸗ 
Lied, ragen hervor, und neben dieſem ſteht das Gedicht eines Kunſtdichters, freilich 
eines Dichters, der [eine beſten Kräfte aus den Quellen bes Volkstums zog, Chri⸗ 
ſtian Günthers. Wir ſehen an dieſem Beiſpiel, daß große Ereigniſſe, aber vor 
allem große Perſönlichkeiten auch den wahrſten und echteſten Dichter in den Dienſt 
des Tages fordern, der ja in Wahrheit Dienſt an der Ewigkeit des Volkes iſt. Solche 
Dichter finden ſich natürlich auch da und dort unter den anonymen Volkslied⸗ 
verfaſſern, wie etwa die witzigen und wortgewandten drei Königsgrenadiere 
Friedrichs, die ihr Lied gegen Maria Thereſia in der Wachtſtube erdachten. 


Nach Prinz Eugen iſt das erſte und größte Beiſpiel einer Perſönlichkeit, die 
einen ungeheuren Einfluß auf die Dichtung der Zeit ausübt, natürlich Friedrich 
der Große. Dieſer Fürſt, der ſich ſelten der deutſchen Sprache bedient, der ſich 
nur mit franzöſiſchen Geiſtesträgern umgibt, franzöſiſch dichtet, fid) von Voltaire, den 


et als Menſchen verachtet, feine Verſe ausbeſſern läßt, und der an feinem Lebensabend, 
als ſchon lange die große Sonne Goethes über Deutſchland aufgegangen iſt, noch im⸗ 
mer Gellert für den größten Dichter der Gegenwart hält, dieſer Große zwingt 
die ganze Dichtung [einer Zeit in Bann: Leſſing ſchreibt die „Minna“ 
unb der junge Goethe ſchon ijt, wie alle [eine Frankfurter Landsleute, „fritziſch“ 
geſinnt. Die großen Taten waren ein Anſporn des geiſtigen Aufſchwungs, das 
deutſche Selbſtbewußtſein, daß durch den durchaus nicht allgemein deutſch geſinnten 
großen Fürſten gejtarft wurde, trieb auch bie zarteſten und geiſtigſten deutſchen 
Blüten, ſein Glanz gab ihnen Kraft und Wärme, ohne daß er von ihrer 
Exiſtenz wußte. Es gehört mit zur ungeheuren Tragik des deutſchen Werdens, 
bap der gtopte Staatsmann und Feldherr jeiner Zeit an den größten Geiſtes⸗ 
Iren vorüberging, daß nicht, wie einſt Eugen und Leibniz, Friedrich und 
Goethe oder Leng an einem Tiſche ſaßen. 


Die politiſche Dichtung des achtzehnten Jahrhunderts freilich zeigt noch durchaus 
kein einheitliches und harmoniſches Bild. Es find noch immer Einzelerſcheinungen, 
es find verschiedene Flußläufe, aber noch kein geeinter Strom. Die falſchen Pro⸗ 
pheten der Franzoſiſchen Revolution vermögen nur kurze Zeit die deutſchen Geiſtes⸗ 
trager in Bann zu zwingen, die dramatische auf dem Boden der Revolution ents 
ſproſſene Dreiheit („Die natürliche Tochter“, „Die Aufgeregten“ und „Der 
Großkophta“) gehört nicht zu den erfreulichſten Goetheſchen Schöpfungen, und der 
„Ehrenbürger“ Frankreichs, Schiller, zog im „Spaziergang“ und der „Glocke“ ſchon 
ben Trennungsſtrich zwiſchen ſich und den Umſtürzlern, trotzdem [eine Jugend» 
dramen als politiſch⸗ revolutionäre Dichtung gewertet werden müſſen, wie ja die 
Aufnahme einer Szene aus „Kabale und Liebe“ in die vorliegende Sammlung 
dartut. ; 


Die eigentliche Geburtsſtunde der politiſchen Dichtung in 
Deutſchland, wie wir ſie verſtehen, und wie ſie ſich heute 
wieder eingliedert ins völkiſche Werden, aber find natür- 
lich die Befreiungskriege und ihr vorangehendes Vorſpiel 
der tiefen Erniedrigung. Die reifſten und ſchönſten Früchte 
dieſer Zeitſindin die deutſche Dichtung und Kulturgeſchichte 
eingegangen, als ihr im wahrſten Sinn eiſerner Beſtand. 
Theodor Körner leuchtet hervor als ihr hinreißendſter, 
Arndtals ihr beſtändigſter, Schenkendorff als ihr wärmſter 
und Heinrich von Kleiſt als ihr genialſter, alle andern in 
Schatten ſtellender Vertreter. Hatte noch Schiller ſeinen „Tell“ in 
eine ideale Ferne verlegt, hatte er Verſe von allgemein menſchlicher Geltung 
und Färbung gefunden, die noch den „Goldton der klaſſiſchen Dichtung“ im 
äſthetiſchen Sinne tragen, ſo fand Kleiſt den Mut zur Tendenz, zum Keulenſchlag 
des Verſes, zum alltäglichen, aber durch das Feuer der Empörung geläuterten Wort. 


3 


Die Berfe: 
„Schlagt ihn tot! Das Weltgericht 
fragt Euch nach den Gründen nicht!“ 

find gewiß nicht äſthetiſch [din und mögen in den Teezirkeln der Zeit eher Cnt- 
ſetzen als Zuſtimmung geweckt haben. Aber ſie ſind dämoniſch, furchtbar, nieder⸗ 
ſchmetternd, rieſenhaft, es gibt genug Epitheta dafür. Hier zum erſtenmal ſehen 
wir ein Beiſpiel, daß ein ganz großer Dichter den Zweck über die Kunſt ſtellt, 
daß er ein hiſtoriſches Geſchehen nur als Anlaß benützt, darein das düſtere Feuer 
der Zeit zu gießen. In der „Hermannsſchlacht“ iſt Rom und Germanien nicht mehr 
Staffage, es iſt ſchon, allerdings ganz durchſichtiges, tarnendes Kleid, es iſt Maske. 
Wir wiſſen, daß die „Römer“ Franzoſen, daß die „Germanen“ Preußen des 
Jahres 1807 ſind. In Körner tritt uns der Jüngling, in Kleiſt der junge Mann 
entgegen, in Arndt der reife, auf der erſten Lebenshöhe Stehende. Er hatte das 
Glück, in perſönlicher Fühlung mit dem größten Tatdeutſchen der Zeit, dem Frei⸗ 
herrn vom Stein, zu kommen, die Zeit nicht nur zu träumen, ſondern auch zu leben. 
Er iſt ein Kind der Zeit, dankt ihr alles und gibt ihr alles, was er beſitzt. Nicht nur 
der Zeit des Sieges, der Zeit des lodernden Feuers, auch der Zeit der Knechtung 
eines reif gewordenen Volkes, der Zeit der ſchwelenden Glut. Es iſt die Zeit, in der 
Chamiſſo ſein ſchon zitiertes Jeſuitenlied ſingt, an derem Schlußſtein Grillparzer nach 
dem Ausſcheiden ſeiner Heimat aus Deutſchland im Jahre 1866 in den erſchütternd 
lakoniſchen Verſen: 


„Als Deutſcher bin ich geboren. Bin ich noch einer? 
Nur was ich Deutſches geſchrieben, das nimmt mir Keiner“ 


die Ewigkeit der geiſtigen Verbindung aller Deutſchen als Troſt für ſich und 
ſein ganzes Volk feſtſtellt. 


Dem hellen, harten Dur der Schlachtgeſänge der Befreiung folgt nicht nur bei 
dem durch die „Chineſiſche Mauer“ vom übrigen Deutſchland getrennten Sſter⸗ 
reicher, folgt auch bei den mitten in Deutſchland lebenden Dichtern eine Epoche 
des verzichtenden Moll, wie etwa in dem allerſchönſten Gedicht dieſer Zeit, in 
Uhlands „Wenn heut ein Geiſt herniederſtiege“, das doch in die troſtreichen 
Worte | 

„Doch [ab ich manches Auge flammen, 
und klopfen hört ich manches Herz“ 
verheißend ausklingt. 

Wie eine Variation aus Moll in Dur dagegen mutet die Paraphraſe an, die 
Friedrich Theodor Viſcher nach dem Jahre 1871 ſchrieb, in der er einen alten 
Kämpfer des Krieges, der, das Eiſerne Kreuz an der Bruſt, an der Wirtstafel 
bedient, mit den ſchönen Worten „zugleich ein Kellner und ein Held“ anſpricht, 
und in dieſem Bild ſchon das Ideal der Volksgemeinſchaft zeichnet, das unſere 
Tage verwirklichen. 

Es ſcheint ein deutſches Geſetz zu ſein, daß nicht Sieg und Triumph, daß Schmach 
und Not der beſte Nährboden politiſcher Dichtung ſind. Die Ausbeute des glor⸗ 


4 


TUN 


Albrecht Dürer: „Der Fähnrich“ 


reichen Jahres 1870 ift, bis auf wenige ſchöne dichteriſche Zeugniſſe, wie etwa das 
Geibelſche „Nun laßt die Glocken von Turm zu Turm durchs Land frohlocken im 
Jubelſturm“ eine recht geringe. Erſt mehr als ein Jahrzehnt nachher folgen die 
Liliencronſchen „Kriegsnovellen“, und dieſe ſind impreſſioniſtiſche Stimmungs⸗ und 
Erlebnisbilder höchſt ſubjektiver Art, die mit dem Begriff der politiſchen Dichtung 
nichts zu tun haben. So rein ſachlich und ſtimmungsmäßig erlebt find diefe 
Novellen, daß für den Dichter der einzige Unterſchied zwiſchen der Schlacht bei 
Nachod und der von Saint Quentin eben der iſt, daß die eine im Sommer, die 
andere im Winter vor ſich ging. Daß es hier gegen den Erbfeind und dort gegen 
Deutſche ging, ſpielt bei Liliencron nicht die geringſte Rolle. Die Jahrzehnte 
nach der Gründung des Zweiten Reiches bilden ein völliges Vakuum der politiſchen 
Dichtung. Es wird überreich ausgefüllt durch die Dichtung des deutſchen Grenz⸗ 
landes, durch die Dichtung bes deutſchen Ofterreid. Die größte Triebkraft deutſcher 
politiſcher Dichtung iſt die Sehnſucht. Der Grenzdeutſche war ein Menſch der Sehn⸗ 
ſucht und alſo für die politiſche Dichtung wie kein Zweiter vorherbeſtimmt. Der 
Grenzdeutſche Theodor Storm ſchrieb in dem Gedicht an ſeinen Sohn die 
herrlichen Worte 


„Glaub mir, denn alles andere iſt Lüge, 
Kein Mann gedeihet ohne Vaterland!“ 


Und der Grenzdeutſche Conrad Ferdinand Meyer beſchämte die Dichter des 
neuen geeinten Deutſchland und fand Worte, die das tiefſte Weſen des Deutſchtums 
offenbarten, die Troſt und Vorausdeutung in eine reichere Zukunft waren. 


„Geduld! Was langſam reift, das altert ſpat. 
Wenn andre welken, werden wir ein Staat!“ 


Und neben ihm ſchrieb zur ſelben Zeit der Oſterreicher Robert Hamerling 
für eine Feſtvorſtellung zur Feier des Sieges von Sedan ein wundervolles Be⸗ 
kenntnis der Außenſtehenden zu dem ſiegreichen Deutſchland und rief den Brüdern 
fein „Deutſch⸗Oſterreich war mitten unter Euch!“ zu. 


Man wußte von dieſer Dichtung in dem damals völlig im Naturalismus und 
einer etwas blaſſen Neuromantik verſinkenden Zweiten Reich ſehr wenig. Man 
nahm von der nationalen Dichtung der Oſtmark — die jetzt Heinz Kindermann in 
dem 100. Band feiner „Deutſchen Literatur“ in erſchöpfender Fülle veröffentlichte“) — 
ſo gut wie gar keine Notiz. Man las die erſten Grenzlandromane der deutſchen 
Dichtung, die Prager Romane Strobls, die Banater Erzählungen Müller⸗Gutten⸗ 
brunns, aber man las fie nicht als Wed: und Mahnrufe ſondern als Studenten- 
und Bauernromane landläufiger Ordnung. Die deutſche Grenzlanddichtung hat, 
das wiſſen wir heute, der politiſchen Dichtung Deutſchlands einen neuen Auftrieb 
und ein neues Ziel gegeben, das rein völkiſche, den Volksgedanken. 


Eine Leitidee, bie höherſtand, nicht nur als Preußen und Bayern, als Württem⸗ 
berg und Öfterreich, die höherſtand als das Zweite Reich, das der überwiegenden 


*) Verlag Philipp Reclam, Leipzig. 


6 


Zahl ber Binnendeutſchen als das letzte Ziel und als das Alpha unb Omega 
geſchichtlicher und politiſcher Entwicklung galt. Eine Idee, in deren Dienſt ſich 
einer der allergrößten Dichter deutſcher Zunge, der Grenzdeutſche Kolben heyer, 
ſtellte, in deren Dienſt der große Lyriker Oſterreichs, Joſef Wein heber, feinen 
Hymnus an die deutſche Sprache ſchrieb. 


Sind auch noch viele Gedichte des Weltkrieges ſtaatlich gebunden, in den ſchönſten 
Verſen des Seelenfrühlings von 1914 klingen doch Töne, die aus dem Urgrund 
der deutſchen Erde, allgemein völkiſchen Empfindens ſtammen. Das allerſchönſte 
unter ihnen iſt wohl das Deutſchlandlied Karl Brögers, das größte und 
umfaſſendſte Bild darunter das Lebenswerk Walter Flex's. Aber weniger die 
erſten Monate des Kriegsbeginns formen das geiſtige Antlitz der Zukunft, als 
die ſpäte Kriegszeit. Sie gab dann auch ein Jahrzehnt nachher den Antrieb zu 
den reifften und größten Deutungen des Krieges, zu Wehners, Dwingers, 
Brehms und Beumelburgs großen Epen. Wieder bewahrheitet ſich der alte 
Satz, daß die Mutter des Größten und Reichſten, das der deutſche Geiſt und die 
deutſche Seele hervorbrachten, die Not ſei, wie dies der Titel eines der letzten Grenz⸗ 
landbücher, bes erſchütternden ſudetendeutſchen Erlebnisbuches von Rudolf Witzany, 
kündet. Das Zeichen der Erfüllung, falt [don das der Überſättigung, ftanb über 
den letzten Jahren des wilhelminiſchen Deutſchland, das Zeichen der Sehnſucht 
der Hungernden, der in ihrem letzten Lebensrecht peinigend Verletzten ſtand über 
dem Tor zur neuen Zeit. Dieſe Sehnſucht gebar die große Be⸗ 
wegung, dieſe Sehnſucht gebar den größten Deutſchen aller 
Zeiten, dieſe Sehnſucht gebar ein neues Deutſchland, auch 
im geiſtigen Sinne, gebar eine neue politiſche Dichtung, im 
deutſchen Grenzland und im Binnendeutſchtum; denn bas 
ganze Deutſchland war ja ein Grenzland geworden, und 
ſahen die Sehnſüchtigen auch nicht über phyſiſche Schlag⸗ 
bäume weg, fo ſahen [te doch über geiſtige, wie etwa Blunck in 
der großen „Urväterſaga“, in ein Traumreich der Würde, Reinheit 
und Größe. 


Während im wilhelminiſchen Deutſchland die Naturaliften und l'Art-pour-l'Arts 
Dichter den nationalen Rufern der Oſtmark fremd, ohne Möglichkeit eines Brücken⸗ 
ſchlags gegenüberſtanden, hatten die Not und die Sehnſucht gar raſch die geiſtige 
Brücke zwiſchen dem großen Vaterland und dem Grenzland geſchlagen. Denn die 
Bewegung und mit ihr die nationalſozialiſtiſchen Dichter dachten ja nicht mehr 
ſtaatsdeutſch, ſie dachten volksdeutſch, und ihre Dichtung wollte Stimme des Volkes 
ſein, von der Maas bis an die Memel, von der Etſch bis an den Belt. 


Das Dritte Reich hat endlich die politiſche Dichtung aus 
ihrem Aſchenbrödeldaſein erlöſt, und hat ihr einen weithin 
ſichtbaren und beachteten Platz angewieſen. Es verſteht aller⸗ 
dings unter politiſcher Dichtung etwas größeres und reineres als manche Epochen 


7 


früherer Zeit. Es verſteht darunter nicht mehr eine Schützenhilfe für irgendwelche 
Fraktionsbeſtrebungen, wie ſie noch manche Schriftſteller des Altreichs in der 
wilhelminiſchen Periode leiſteten, ſondern eine Dichtung, die den höchſten 
geiſtigen Anforderungen des Begriffes Politik ſtandhält, die aus dem Boden 
des Volkes out: und zuſeinem Himmel emporwächſt, es verſteht 
darunter vor allem aber auch Dichtung im wahrſten Sinne, denn wenn auch der 
äſthetiſche Maßſtab nicht mehr der alleinſeligmachende ijt, jo ijt doch der ün ft- 
leriſche Werteine ſelbſtverſtändliche Vorbedingung. Für noch 
ſo wohlmeinende Reimereien, die noch in der Vorkriegszeit und im Weltkrieg 
Duldung fanden, hat das neue geiſtige Deutſchland keinen Raum. Die poli⸗ 
tiſche Dichtung darf nicht den Platz, den ſie heute einnimmt, als eine Sinekure 
und Schlafſtelle betrachten, ſondern ſie muß ſich dieſen Platz immer 
wieder neu durch ihre Leiſtung verdienen, die den höchſten 
künſtleriſchen und ethiſchen Forderungen entſprechen muß. 
Dann wird das Ideal errungen ſein, das die Jahrhunderte wohl immer wieder in 
Einzelleiſtungen, aber noch nie in der Geſamtheit erreicht haben: daß neben den 
größten Taten der Politik und Geſchichte eine Dichtung lebt, dieſer Taten würdig, 
ihnen dienend und doch voll hoher Selbſtändigkeit und Größe. 


Aw A. Dn Kahn von T 


Feldfchlange in Blochlafette mit Höhenvorrichtung in Hórnerform (Ausfchnitt aus Dürere „Große Kanone”). 


Das politifche Lied 


Ein politifch Lied, ein garftig Lied! 

So dachten die Dichter mit Goethen 
Und glaubten, fie hätten genug getan, 
Wenn fie könnten girren und flöten 
Von Nachtigallen, von Lieb und Wein, 
Von blauen Bergesfernen, 

Von Rofenduft und Lilienfchein, 

Von Sonne, Mond und Sternen. 


Ein politifch Lied, ein garftig Lied! 

So dachten Die Dichter mit Goethen 
Und glaubten, fie hätten genug getan, 
Wenn fie könnten girren und flóten - 
Doch anders Dachte Das Vaterland: 
Das will von der Dichterinnung 

Für den verbrauchten Leiertand 

Nur Mut und biedre Gefinnung. 


Ich fang nach alter Sitt' und Brauch 
Von Mond und Sternen und Sonne, 
Von Wein und Nachtigallen auch, 
Von Liebesluft und Wonne. 

Da rief mir zu Das Vaterland: 

Du follft das Alte laffen, 

Den alten verbrauchten Leiertand, 
Du follft die Zeit erfaffen! . 


Denn anders geworden ift die Welt, 

Ee leben andere Leute; 

Was geftern noch ftand, fchon heute fällt, 
Was geftern nicht galt, gilt heute. 

Und mer nicht die Kunft in unferer Zeit 
Weiß gegen die Zeit zu richten, 

Der werd’ nun endlich beizeiten gefcheit 
Und laffe lieber Das Dichten! 


Heinrich Hoffmann von Fallersleben 


9 


Die ältesten, entschieden politischen Gedichte und Lieder in deutscher Sprache ge- 
hören auch gleichzeitig zu den besten. Denn ein Dichter hat sie geschrieben. Walther 
vonder Vo g elweide. Bekannt ist uns allen sein ,,Deutschland-Lied", aber von nich! 
geringerer Leidenschaft sind auch jene Verse, mit denen er bissig und freimütig zu den 
aktuellen Ereignissen seiner Zeit Stellung nimmt. Die Sorge um das Reich und der 
Kampf gegen den Papst, darauf ist immer wieder der Ton gestimmt, den der Sänger 
seiner Leier entlockt: 


„Ihr Biſchöfe und ihr edeln Pfaffen, ihr feid verleitet. 
Seht, wie euch der Papſt mit des Teufels Stricken leitet.“ 


Im folgenden Spruch richtet sich Walther gegen die Aufstellung des „Opfer- 
stockes“, mit dessen Erträgen sich der Papst bereichert, während angeblich die Gelder 
für den Kreuzzug gespendet werden sollen: 


Ei! wie [o chriſtlich mag ber Papit in Rom nun lachen, 

Wenn er zu feinen Welſchen ſpricht: „Seht, ſolches kann ich machen!“ 
(Was er da ſpricht, das hätt' er beſſer nie gedacht. 

„Zwei Alemannen hab' ich unter einen Hut gebracht, 

Nun miiffen fie das Reich zerſtören und belaften; 

Unterdeſſen füllen wir die Kaſten. 

Zinspflichtig find fie meinem Stock, und all ihr Gut iſt mein; 
Ihr deutſches Silber fährt in meinen welſchen Schrein. 

Ihr Pfaffen, eſſet Hühner, trinket Wein 

Und laßt die Deutſchen . . . falten.“ 


Eine ganze Reihe von Sängern der Frühzeit verrät in ihren Liedern Freude zu poli- 
tischen Bekenntnissen, die mutig und entschlossen den Zeitübeln zu Leibe rücken. Hier 
einige Proben: 

Unfürften 


Es fuhr einft eine ſtolze Schar | 
in einem Schiff, bis dies bei einer Mühl fam in Gefahr! 
Da rief der Kapitän die Paſſagiere in den Nöten auf, 
daß ſie die Ruder mit der Hand 

ergriffen. Doch als ſich dazu kein einziger verstand, 

da konnt auch er allein das Schiff nicht 

lenken weg von ſeinem Lauf. 

So riß der Strom das Schiff mit dieſen Leuten 

grab auf die Mühl. Dies Spiel fol bedeuten: 

ie Fürſten, die find auch verdroſſen, 

n rudern ge en bas Geftabe, 

is daß be ehrt hat ſie der Schade 
wie jene, die gradwegs zur Mühle ſchoſſen. Reimar von Zweter. 


Warnung 
Wir ſollen den Köchen raten — 
denn ihre Pfannen ſind nicht leer 
und hungrig mancher Gaumen — 
daß ſie der Fürſten Braten 
größer ſchneiden als bisher 
und dicker als ein Daumen. 
Zerſchnitten ward in Griechenland 
ein Braten einſt von karger Hand, 
was dieſe zu bereuen um 
zu kärglich war der Braten! 
Der König mußte drum hinaus, 
die Fürſten waren Herr im Haus. 
mit Kaiſers Beet war es aus, 
bei bideten Schnitten wär ihm nichts mißraten. 


Walther von der Vogelweide. 
10 


Klage um Dentſchland 
Selbst geſehen hab ich noch den Tag, 
daß Deutſchlands Ruhm erklang in allen Zungen. 
Welch Land auch an den deutſchen Grenzen lag, 
es bat um Frieden, ſonſt ward es bezwungen. 
Mächtiger Gott! Wir hatten Ruhm errungen: 
das Alter riet, da kämpften noch die Jungen! 
Jetzt krumm die Richter find — 
das 9tütjel löt ih nicht, it blind — 
was, Meiſter, daraus folgen werde, find! 

Walther von der Vogelweide. 


Deutſches Erbe 


Daß ohne Kaiſer lange Zeit das u ber Deutſchen war, 

das kommt von nichts als Deiner Selbſtſucht, deutſches Volk, fürwahr, 

die hat die Feſten Deines Reichs nn 

Dir folte dienen alle Welt, nun machſt Du ar zum Knechte! 

Die Ehre koſtet's, deutſches Volk, verkaufſt Du Deine Rechte. 

Weh, wie das Reich, al feftgetist erzittert! 

Gib nidjt Dein Erbe fremde tamm, vom Schöpfer Dir vererbet! 

Gedenfe, wie ward König Konradin, graujam verderbet! 

Des find die deutſchen Fürſten noch erbittert. Der Meißner. 


Der mittelalterliche Sänger spottet gern, und selbst Rudolf von Habsburg blieb nicht 
verschont, denn er hörte der Meister Singen, Geigen und Sagen gerne zu und — „zahlte 
keinen Pfennig nicht": 


Der König Rudolf minnet Gott und ift an Treuen ftäte, 

Der König Rudolf hat ſich allen Schanden wohl verſagt. 

Der König Rudolf richtet wohl und haſſet falſche Räte, 

Der König Rudolf iſt ein Held an Tugend unverzagt. 

Der König Rudolf ehret Gott und alle werten Frauen. 

Der König Rudolf läßt i recht in hohen Ehren ſchauen. 

Ich gönn ihm wohl, daß ihm nach ſeiner Milde Heil geſchieht. 

Der Meiſter Singen, Geigen, Sagen hört er gern zu und zahlt kein Pfennig nicht. 


Mit einem Spottvers nahm man auch, ein Jahrhundert später, am Tode des tschechi- 
schen Ideologen und Predigers Hus teil: 


D Johaunes Juh! Wärſt bn doch daheim geblieben! 
Armer Dominus Dein Geleit war falſch geſchrieben. 
Seufzet Ach und Weh, Ob's der Kaiſer ſelbſt verſpricht, 
Armer Domine! Hält man's doch den Ketzer nicht. 


Und schließlich galt der Spott, ja, der Zorn des Volkes erst recht den Juden. Nach 
ihrer Vertreibung aus Regensburg sang man ihnen nach (1519): 


ein neu lied von der vertreibung der JUDEN aus der Stadt REGENSPURG. 


von Regenspurg, auss der ſchönen ſtadt, 
die JUDEN man all vertrieben hat. 
mufiten alle fort und auss, 

dass fie weder hof noch haus 

fürder nit follten fuchen hie, 

darmit nit kim die vorig müh, 

fo man lang zeit erlitten hat 

von den JUDEN früh und fpat. 


11 


nadt’, loft", markt’ und dorffen 
warn thn’ alle unterworffen, 
rolefen, Acker, garten und grund 
war thn’ alles ein guter fund - 
geraubt, geftolen oder genommen, 
war ihnen alles willkommen. 


folche miffethat auch nit allein, 
fundern, was man in der gemein 
wollte haben oder brauchen: 

mufft man all'e beim JUDEN kaufen! 
gold und filber, fammt und feiden, 
taten auch je handwerk treiben. 


Darumb gar oft Der gemeine mann 
von feinem gewerb muflt abelan. 


die falſchen JUDEN jetzt vertrieben, 

ihr keiner zu Regenspurg mehr blieben. 
Nun fagen wir GOTT billich dank, 
dass er une aue löllichem zwang 

hat gemachet ledig und frei, 

MARIAE lob fel auch darbei. 


Die Landsknechtslieder jener frühen Zeit wurden choralmäßig, gleichsam psal- 
modierend, im Sprechgesang gesungen, nicht im Marschtakt. Man meint fast, aus dem 
Text des folgenden Liedes auch die langsame, schwermütig eintönige Melodie heraus- 
zuhören. Die Landsknechte haben es als Preislied auf Kaiser Maximilian, den „letzten 
Ritter" (1494—1519), gesungen: 


Got gnad bem grobmedjtigen keiſer frumme, Maximilian, bei bem ift anffumme ein 
orden, Durdgendt alle land mit pfeifen nnb mit tenmmen, Ianbstfnedjt find fie genant. 


Faſten und beten lagen fie wol bleiben und meinen: pfaffen nnb münnich jolens treiben, 


die haben davon irem ftilt, des mancher landsknecht frumme im gartiegel und ſchifft 
(im Bettelschiff umbersegels ) 


In Wammes nnb Halbhoſen muß er ſpringe, Schnee, Negen, Wind, alles achten geringe 
und hart liegen für gute Speif’; wollt mancher gerne ſchwitzen, wenn ihm möcht werden heiß. 

Wenn fie dann ihr Kapitel wöllen halte, mit Spieß und Hellebarden ſicht mans balde 
zum Fähnlein in die Ordnung ſtahn, dann tut der Hauptmann jagen: „Die Feind will 
wir greifen an!“ 


Darnach hört man das groß Geſchütz und kleine, „Her, her!“ ſchreien die Frummen all 
gemeine, [o hebt ih an das Nitterſpiel, mit Spieß unb Hellebarden ſicht man ihr fechten piel. 


„Lärman, Lärman!“ hört man die Trummen ſpechten, darbei ſetzens die ihren Rechte: 
Ein grüne Heid ift Nichters Buch, darein ſchreibt man die Urteil, bis eim rinnts Blut 
in d' Schuch. 

Das ift der Kriegsleut Obſervanz und Rechte, jang Jörg Graff, ein Bruder aller Lands⸗ 
knechte, Unfall hat ihm fein Freud gewendt, wär junit im Orden blieben willig bis an 
ſein End. 


12 


Vor allem war es der „Vater der Landsknechte", der 1528 gestorbene Jörg von Frunds- 
berg, der immer wieder besungen wurde: 


2 Görg von RE 
err Görg von Fronsperg, 
der hat die Schlacht von Pavia gewunnen, 
ewunnen hat er die Schlacht vor Pavia in eim Tiergart, 
n neunthalben Stunden gewunnen Land und Leut! 


Der König aup rantre ; 
d 


— 


Der König auß Frankreich, 

der hat die acht von Pavia verloren, 

verloren hat er die Schlacht vor Pavia in eim Tiergart, 
in neunthalben Stunden verlor er Land und Leut! 


In einem Lied auf Kaiser Karl V. sangen die Landsknechte von ihren Zielen, die 
damals noch edel und unverfälscht waren: 


Frifch auf, In Gottes Namen, 

du werte Oeutfche Nation! 

Fürmahr ihr follt euch ſchamen, 

daß ihr eur gut Lob jetzt lont untergan, 
das ihr ſo lang behalten 

in Ehrn und Ritterfchaft, 

alfo geſchah auch den Alten; 

der lieb Gott foll fein walten, 

der verleih uns fein göttlich Kraft! 


Und nun noch ein Lands łnechislied aus den Bauer nkrie gen: als die Bauern in 
ihrer Not glaubten, die Sache der Reformation mit ihrer Sache vereinen zu können, und 
als sie verzweifelt sich überall in Deutschland erhoben. 


Von erft jo moll wir loben Sankt Jörg, du edler Ritter 
. ig die reine Maid Rottmeiſter ſollt du ſein! 

die ſitzt ſo oe dort oben Beſcher uns Sie Gewitter 
Rein Bitt fie uns verfeit tu uns dein Hilfe [dein 

uns armen Reuttersknaben daß wir nit gar verzagen 

die nit viel Goldes haben wo wir im Feld umjagen 

nur hin und wieder traben. das Gütlein zuſammen tragen! 
Sie tut uns gnädig ſein Erret uns arme Knecht 
dieſelbig Jungfrau rein. vor allem ſtrengen Recht! 


Hilf Gott, daß wir bezwingen 
der Bauern Übermut d 

die uns ums Leben bringen 

viel manden Reutter gut! 
Ihrn Hochmut fol man brechen 
ſoll ſie unter die Mähren ſtechen 
manch guten Geſellen rächen. 
Bringt ihn groß Ungemach: 
ſingt uns der Schenkenbach. 


Derselbe Sänger, Schenkenbach, wendet sich um 1510 auch gegen die aufkommende 
Plage der Raubritter: 


Ich weiß ein nenen Orden Desſelbens Ordens Regel 
nennt man die Ritterei, Und Grund iſt Buberei; 

bin ich berichtet worden, zu ihn’ dieje Regel 

was orden darin fei, Daß keiner nimmer fei 

und daß derſelb hab viel Gusſſen Den Frommen treu und holde, 
im Land auf allen Straßen, Ihr Silber, Hab und Gold 
die ih der Ehren maken, Begehren ſie zu Solde 

Unehr ift ihn’ kein Schand. Als es ihr eigen ſei. 


13 


Es ist ein Jahrhundert voll revolutionärer Unruhe. Einem Vulkan gleich löst die Refor- 
mation immer neue Stöße und Bewegungen aus. Die Bauernaufstände werden allerdings 
unterdrückt. Hören wir ein Lied von der Niederlage der fränkischen Bauern (1525): 


Und wollt ihr hören ein neu Gedicht, 

Wie ſich der Bauer auf Schalkheit verpflicht? 
Gelübd und Eid vergeſſen. 

Die n vertreiben überall, 

Das haben fie fic) vermeffen, ja vermeffen. 


Am Gunntag Jubilate gieng es an, 
Da jab man manchen ſtolzen Bauersmann 
Wol über das Feld her ziehen, 
Und do es an ein Tref E ieng, 
Wie nah war ih'n das leben, ja Fliehen. 
zum Dorf ein was ihn'n allen gad, 

anch ſtolzer Mann der eilt ihn' nach, 
Begehrt ſich an ihnen zu rächen. 
E flieht! bas war ihr Geſchrei, 

hr Ordnung thaten fie zerbrechen, ja zerbrechen. 


Da nun dasſelb alſo zugieng; 


Manch Bauer großen Schaden empfieng 


An Leib und auch an Gute. 
nn. (liebt! das war n beft Geſchrei, 


ie angi war ihnen zu Muthe, ja Muthe! 


Gleichzeitig geht der Sturm der „Antipapisten” über das Land. Das Joch der Priester- 
herrschaft wird abgeschüttelt, der Papst wird zum erstenmal weithin im Volk entlarvt: 


Es geht ein friiher Sommer daher, Der Bapit will fein der heiligſt Mann, 

Do werdt ihr hören neue Mär, Ja wer das redt, der lügt im an, 

Der Schimpf der wird fid machen: Sein Thun ift nichts denn Lügen; 

Wird über Münch und Pfaffen gehn, Er ſchickt Senad in alle Laud, 

Sie weinen oder lachen. Die Armen zu betrügen. 

Martinus ift ein kühner Mann, Der Papit ſchreibt fi ein irdiſchen Gott, 
Ein groß Spiel hat er gefangen an, Damit treibt er aus Gott den Spott, 

Er darf nicht Würfel noch Karten; Er hat ein Meuſchenleben; 

Denn wer mit ihm ſtudiren will, Wenn er von nus empfacht das Geld, 

Der heilig Schrift thut er warten. Viel Sünd thut er vergeben. (1525) 


Vom ,,Papstaustreiben" wurde 1541 ein Lied gesungen, das über die Kirche den Stab 


bricht: 


Nun treiben wir den Papft heraus 
aus Chrifti Kirch und Gottes Haus, 
darin er mördlich hat regiert 

und unzählig viel Seeln verführt. 


Zur Empörung gesellen sich auch ‘immer wieder Stimmen beißenden Spottes. Sehr 
witzig ist beispielsweise ein satirisches Lied auf das Papsttum, das 1547 gesungen wurde: 


14 


Ich will fürthin gut päpſtiſch fein, 

bes Luthers Lehr verachten, 

Nach guten zug will id nur 

und guten Pfründen trachten, 

nach Zins und Rent ſteht mein Indent, 
wenn ich die hätt, ſo könnt ich ſtet 

in Luſt und Freuden Leben, 

wo nach follt ich ſonſt ſtreben? 


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Ulrich von Hutten 
(Holzfchnitt, Bal. ung) 


Auf die Seite Luthers stellte sich insbesondere Ulrich von Hutten mil seiner 
schneidigen Feder. Als , Pfaffenfeind“ muB er fliehen, schickt aber an seine Freunde und 
Soldaten einen Mahnrut: 


Ich habe gewagt mit Sinnen und trag des noch kein Reu, 

mag ich nit dran gewinnen, noch muß man fpüren Treu; 

damit ich mein nit ein'n allein, wenn man es wollt erkennen: 

dem Land zu gut, wiewohl man tut ein Pfaffenfeind mich nennen. 


Da laß ich jeden lügen und reden, was er will; 

hätt Wahrheit ich geſchwlegen, mir wären Hulder viel: 

nun hab ichs gfagt, bin drum verjagt; das klag ich allen Frommen. 
Wiewohl noch ich nit weiter fliech, vielleicht werd wiederkommen. 


Ob dann mir nach tut denken der Fürftenknechte Lift: 

ein Herz läßt fich nit kränken, das rechter Meinung ift; 

ich weiß noch viel, wolln auch ins Spiel, und folltens drüber fterben: 
Auf, Landsknecht gut, und Reuters Mut! Laßt Hutten nicht verderben! 


Doch die Befreiung von Papst und Priestertum geht nicht mit einem einheitlichen natio- 
ralen Willen Hand in Hand. So wird die Uneinigkeit zum Fluch, als Deutschland für dreißig 
ahre zum Schauplatz furchtbarster Kriegsnot wird. 


Die Schweden find gefommen, 
haben alles mitgenommen: 
| habn bie Fenſter eingeſchlagen, 
| habn's Blei davongetragen, 
haben Kugeln draus gegollen 
und die Bauern derſchoſſen. 


15 


Der „Schwedenschreck", wie er aus diesem alten Spruch noch heute bildkräftig spricht, 
folgte auch den Spuren der „Kaiserlichen“. So betrauert niemand den Tod des großen 


Feldherrn Wallenstein: 


Ein Valetliedlein von Walenſtein. 


Der Walenſtein, die eiſerne Rut, 
hat nun auch geben dar ſein Blut, 
u Eger iſt er mürdet. 

in ſeltſamlich Gerüchte geht, 
Sein kaiſerliche Majeſtät 
hab ihn alſo bewirtet. 


Er ſtieg dem Kaiſer viel zu hoch 
und gab der Rechnung gar ein Loch, 
weil er's hielt mit den Schweden; 
alldarum war er in der Nacht 
B Generalen umgebracht — 
erräterlohn trifft jeden. 


War ein berühmter General, 

an Siegen groß, an Worten kahl, 
tee feinen Sinn verſchloſſen; 

at in ſo mancher Feldſchlacht heiß 
eſparet keine Mühn und Fleiß, 
ein ritterlich Blut vergoſſen. 


Doch Feind und Freund übel traktiert, 
daran man lang gedenken wird, 
gebrandſchatzt und geplündert, 

groß Reichtum auch an Gut und Geld 
erworben ſich darmit im Feld, 

doch ſeinen Ruhm gemindert. 


Er mocht den Hahn nit hören krähn, 

kein bellend Hündlein um ſich ſehn, 

und lacht doch der Kartonen. 

Jetzt hat er un unb langen ried, 

kräht ihm fein br und Hund ein Lied, 
und kann ſein' Ohren ſchonen. 


O Walenſtein, du Allen ein Stein, 
der Tod tut dich der Not und Pein, 
der Weltpracht Laſt entheben. 
Gott gnade deiner armen Seel, 
woll dir all Sündenſchuld und Fehl 
um Chriſti Blut vergeben. 


Frankreich beutete das durch den Dreißigjährigen Krieg geschwächte Deutschland aus. 
Durch die Raubzüge Ludwigs XIV. wurde im Westen erobert und zerstört, was immer 
erreichbar war. Empörung und Schmerz klingen aus dem Liede, das „die Schandtaten an 
Heidelberg“ beschreibt; ein Lied übrigens, das den westlichen Humanitätsaposteln nach- 
drücklich in die Erinnerung gerufen werden soll. 


Louvois, Louvois, deine Thaten 
Stinken hoch zum Himmel auf, 

Weil du Haft das Werk gerathen, 

Der Schandthaten großen Hanf, 

Und dein König Ludewig 

Gleich auch zu den Waffen griff 

Daß mit Plündern, Sengen, Morden 
It die Pfalz ein Wüſte worden. 


Melac, dieſer Schandgeſelle, 
Durch Mordbrennerei und Raub 
Hat verwandelt da zur Stelle 
Heidelberg zu Schutt und Staub. 
Lachte noch voll Spott und Hohn, 
Und erhub fein Fault mit Drohn, 
Als die lichterlohen Flammen 
Schlugen überm Schloß zuſammen. 


Ach wie viel Stadt, Dörfer, Flecke 
Sein verhergt im Land umher, 
Felder, Wälder, wüſte Strecke, 

Und die Leut gepeinigt ſehr! 
Gelbft bie Todten in der Erd 
Haltet ihr des Raubes werth, 
Wühlt die Särge aus den Gründen 
Ob nicht Schätze drin zu finden. 


Kaiſer, kannſt die Noth du ſehen, 
Und ihr Fürſten in dem Reid, 

Daß ſolch Schandtthat kann geſchehen, 
Und fahrt nicht in Harniſch gleich? 
Ach, laßt doch von andern Streit 

Und beſiunt euch nicht lang Zeit: 
Auf den Feind ſchlagt noch die Stunde 
Anſonſt Alles geht zu Grunde. 


O ihr Rauber ſondergleichen, 

Ihr mordbrenneriſch Gezücht, 

Euch muß [elbjt der Teufel weichen, 
Bis euch kommt das Strafgericht! 
Denn das Mag iſt übervoll, 

Und die Höll will ihren Zoll; 
Dann für ſolche Frevelthaten 
Müßt ihr ewiglich drin braten. 


16 


Musketier mit brennender Lunte. 
(Stich nach J. de Gheyn, 1606) 


In dieser groBen Not sang Andreas Gryphius (1616—1664) ein Lied der Verzweiflung: 


Wir find ja nunmehr ganz, ja mehr denn ganz verheeret! 
Der frechen Völker Schar, die rafende Pofaun, 

das von Blut fette Schwert, die donnernde Kartaun 

hat allen Schweiß und Fleiß und Vorrat aufgezehret. 


Die Türme ftehn in Glut, die Kirch ift umgehehret, 

das Rathaus liegt im Graus, Die Starken find zerhaun, 
die Jungfern find gefchändt, und wo mir hin nur fchaun, 
ift Feuer, Pet und Tod, der Herz und Geiſt Durchfähret. 


Hier durch die Schanz und Stadt rinnt allzeit friſches Blut, 
dreimal find ſchon feche Jahr, ale unfer Ströme Flut 
von Leichen faft verftopft, fich langfam fortgedrungen; 


doch ſchweig Ich noch von dem, was ärger als der Tod, 
was grimmer denn die Pet und Glut und Hungersnot: 
Daß auch der Seelen Schatz fo vielen abgezwungen. 


Schmerz und Trauer erfüllte auch das Volk, als es 1681 von der „Übergabe Straßburgs 
an Frankreich erfuhr: 


Straßburg bu ſchöne Stadt, 

es ſoll zwar mit dir trauren, 

der deine feiten Mauern einmal geſehen Bat; 
aber du find'ſt tein Maun, 

der ietzt, da du mußt leiden, 

mit dir ſich ſchwarz will kleiden, 

viel ſelbſt bijt ſchuldig dran. 


17 


Als in den Türkenkriegen der Sultan Mustafa II. einen großen Sieg errang, ernannte 
1697 der Kaiser einenunansehnlichenFlüchtling, den der König von Frank- 
reich spóttisch abgewiesen hatte, zum Oberfteldherrn: den Prinzen Eugen von Savoyen, 
der die mißtrauische Aufnahme im Heer bald überwand und zum Abgott seiner Soldaten 
wurde. 1717 erstürmte er Belgrad, und diese Tat hat das Volk mit einem der schönsten 


Prinz Eugen 


und berühmtesten Lieder gefeiert: 


Die französische Festung Lille wurde nach langwieriger Belagerung 1708 von Prinz 
Eugen erobert. Die bedrohliche Werbung Eugens um die Gunst der widerspenstigen Stadt 
ist ein schönes Beispiel für den Humor, der den Deutschen auch in der Gefahr nicht 


Prinz Eugen, Der edle Ritter, 
wollt dem Kaifer wiedrum kriegen 
Stadt und Feftung Belgrad. 

Er ließ ſchlagen ein Brucken, 

daß man konnt hinüberrucken 
mit d' Armee wohl in die Stadt. 


Als die Brücken nun gelchlagen, 

daß man konnt mit Stuck und Wagen 
frei paffieren den DonaufluB: 

bei Semlin fchlug man das Lager, 
alle Türken zu verjagen, 

ihn’n zum Spott und zum Verdruß. 


Am einundzwanzigſten Auguft foeben 
kam ein Spion bei Sturm und Regen, 
ſchwurs dem Prinzen und zeigt’s thm an, 
Daß die Türken futragieren 

fo viel, als man kunnt verlpüren, 

an die dreimal hunderttaufend Mann. 


Als Prinz Eugenius dies vernommen, 
licB er gleich zufammenkommen, 
feine General und Feldmarfchall, 

er tät fie recht Inftrugieren, 

wie man follt die Truppen führen 
und den Feind recht greifen an. 


verläßt: 
Cugenius: Lilge, bu allerſchönſte Stadt, bie du biſt jo [chin und glatt, 
ſchaue meine Liebesflammen, ich lieb bid) vor allen Damen, 
mein herzallerſchönſter Schatz! ſchönſter Schatz! 


18 


mein herzallerſchönſter Schatz! 


Bei der Parole tät er befehlen, 
daß man follt die Zwölfe zählen 
bel der Uhr um Mitternacht, 
da follt alle zu Pferd aufſitzen, 
mit dem Feinde zu fcharmüben, 


was zum Streit nur hätte Kraft. 


Alles faB auch gleich zu Pferde, 
jeder griff nach feinem Schwerte, 
ganz fill ruckt man aue der Schanz. 
Die Musketiere wie auch die Reiter 
täten alle tapfer. ftreiten, 

's war fürroahr ein fchóner Tanz. 


Prinz Eugentus wohl auf der Rechten 
tat ale mie ein Löwe fechten, 

als General und Feldmarfchall. 

Prinz Ludwig ritt auf und nieder: 
»Halt euch brav, thr deutichen Brüder, 
greift den Feind nur herzhaft an.« 


Prinz Ludwig der mußt aufgeben 
feinen Geift und junges Leben, 
ward getroffen von dem Blei. 
Prinz Eugen war fehr betrübet, 
weil er ihn fo fehr gellebet; 

lies thn bringen nach Peterwardein. 


Lilge: 


Eugen: 


Lilge: 


Eugen: 


Lilge: 


Eugen: 


Lilge: 


Eugen: 


Lilge: 


Eugen: 


Lilge: 


Mein Herr und Prinz, was ſaget ihr, wer ſeid ihr, was macht 
ihr hier? was bedeuten die Soldaten? Eure tapfre Kameraden, 
Lieber, das erzählet mir! zählet mir, 

Lieber, das erzählet mir! 


Ich bin der Savoyer Held, bekannt genug in aller Welt, 
Prinz Eugenius genannt, der vor deiner Liebe brannt, 
mein herzallerliebſter Schatz! liebſter Schatz! 


Lieber Herr, verpacket euch, gehet in das Deutſche Reich, 
denn ich habe zum Galanten, zum Gemahl, zum Kareſſanten, 
Ludewig von Franzens Haus, Franzens Haus! 


Liebſte, nicht ſo ſtolz und frech, weiſt mich nicht von 
euch hinweg, laßt euch ſchrecken meine Waffen, parfors 
will ich bei dir ſchlafen, du magſt ſagen was du willſt. 


Lieber Herr, nicht dergeſtalt, wollt ihr handeln mit Gewalt, 
Ludewig bin ich vermählet, den hab ich zum Schatz erwählet, 
den lieb ich bis in das Grab, in das Grab. 


So Konſtabler friſch daran, feuert, wer da feuern kann. 
Blitz und Donner, Feu'r und Flammen ſpielet auf die lilgſche 
Damen, bombardirt das loſe Weib, loſe Weib. 


Thut, was ihr nicht laſſen wollt, ihr an mir nichts ſchaffen 
ſollt, meine Werk und Baſtionen, Citadel und halbe Monden 
lachen und verſpotten euch, ſpotten euch. 


Halt das Maul und ſchweige ſtill, hör, was ich dir ſagen will: 
hab ich nicht im Ungarlande alle Türken macht zu Schande, 
hunderttauſend und noch mehr, und noch mehr. 


Lieber Herr, das glaub ich wohl, dak ihr damals war't [o toll, 


aber ihr habt nichts zu ſchaffen jetzund mit den Türken Waffen, 


ſondern mit dem Franzenblut! Franzenblut! 


Lilge, du allerſchönſtes Kind, warum biſt du denn ſo blind, 
daß du mich nicht willſt annehmen, thuſt du dich denn meiner 
ſchämen, oder ſag, was fehlet dir! 

Du mein allerſchönſtes Lamm, ich weiß dir einen Bräutigam, 
Carolus der Welt⸗Bekannter, ich bin nur ſein Abgeſandter 
und des Kaiſers General, General. 


Nun wohlan! fo laß es fein, Carolus fei der Liebſte mein, 
denn der Ludewig veraltet und im Lieben ganz erkaltet, 
Carolus iſt ein junger Held, junger Held. 


19 


ber Siebenjährige Krieg 


Durch seine Kriegstaten erwarb auch Friedrich der Große jenen Nimbus eines Volks- 
helden, dessen lebendigstes und ehrenvollstes Denkmal das Lied ist, das ihm sein Volk, 
vor allem auch seine Soldaten singen. Der Siebenjährige Krieg blieb nicht wie mancher 
andere Fiirstenstreit vorher eine politische Aktion, die das Volk nicht zutiefst gespürt 
hätte, sondern er griff in das Leben jedes einzelnen ein, schon weil Preußen einer so 
gefährlichen Übermacht gegenüberstand. Deshalb sind auch nicht jene Lieder für uns so 
ergreifend, die kunstreiche Dichtung schut, sondern die Lieder des Volkes. Friedrich 
Gleim vertaßte „bei Eröffnung des Feldzuges 1756" einen Kriegsaufruf, dessen erste 
Strophe lautete: 


Krieg iit mein Lied! Weil alle Welt 
Krieg will, fo jet es Krieg! 

Berlin ſei Sparta! EE Held 
Gekrönt mit Ruhm und Sieg! 


Gesungen wurden jedoch vornehmlich die Lieder, die weniger kunstvoll, aber um so 
„singbarer”, also einfacher waren. Viele solche Lieder, im Vergleich zu späteren Kriegen 
eine überraschend hohe Anzahl, wurden von den Soldaten im Lager und auf dem Marsche 
gesungen. Wir lassen einige der schönsten Beispiele folgen: 


20 


Du tapfrer Held, 

Du dt: rüſte Did, 
Marſchire in das Feld! 

Du tapfrer Held! 

Die Bäume blüh'n, 

Die Wieſen ziert das Gras: 
Kommt, laßt uns nicht verziehn! 
Die Bäume blühn. 

Marſchiret fort! 

Marſchirt, und geht von hier 
Wohl an ein'n andern Ort! 
Marſchiret fort! 

Ergreift das Schwert, 

Und nehmt die len zur Hand, 
Und treibt bie Böhmſche Heerd! 
Ergreift das Schwert! 

Wir lachen ſchon, 

Daß ihr euch habt poſtirt, 
Wollt ſtreiten für die Cron: 
Wir lachen ſchon. 


Vivat! Jetzt geh' s ins Feld 

mit Waffen und Gezelt, 

mit Waffen und mit meiner Kron 
zu ſtreiten in dem Feld. 


Und Friedrich der Große, 

er zeigt's den Feinden an, 

und ziehet dann ins Sachfeniand, 
zwei Schwerter in der Hand. 


Gen' ral Daun der ſteht vor Prag, 
und der if wohl poftiert; 
und Friedrich rückt in Böhmen ein 
und wird ſchon attackiert! 


Erſchrecket nicht, 

Wenn Frankreich kommen will, 
Und Rußland auch aufbricht, 
Erſchrecket nicht. 


Der Adler wetzt 
Im Grimm und voller Wut 
Sein'n Schnabel wohlgemuth 
In Frankreichs Blut. 
Sie ſtunden feſt 
Bey Micheln und Roßbach 
Mit achtzig⸗tauſend Gäſt; 
Sie ſtunden feſt. 
Es dis ur 15 510 
— Franzoſe, packe di 

E ft; 


Wenn bie Canone fna 
Es wird nun kalt. 
Victoria! 


Der Preußiſch' Adler ſiegt, 
Bald hier, bald dort, bald da; 
Victoria! 


In drei Kolonnen frifch aufmarſchlert, 
der König geht voran, 

er gibt uns gleich das Feldgelchrei 
und kommandiert: heran! 


Schlagt an, ſchlagt an, ſchlagt an, 
ſchlagt an in fchneller Reih 
und weichet nicht von diefer Stell, 
bis fich der Feind zerteilt. 


Groß Wunder iſt zu fagen, 
was Friedrich hat getan: 
er hat den Feind gefchlagen 
mit hunderttaufend Mann. 


— 


Das ist das Geheimnis der wahrhaften Feldherren: Sie 8 
Zuversicht, den lachenden Glauben an die Stärke ihrer Sache, den sie weder im Kampf 
Wie jene drei Königsgrenadiere Friedrichs, die „in der 
Wachtstube ihr fröhliches Liedlein erdacht", und dabei zu einer äußerst witzigen Form 


noch in der Ruhe verlieren. 


des Reimes gritten: 


Maria Thereſia, zeuch nicht in den Krieg! 
Du wirſt nicht erringen den herrlichen Sieg. 
Was helfen dir alle die Reiter und Huns 
ſaren und alle Kroaten dazu? 


Marſchieren auch dir zu Gefallen ins Feld 
alle die großen Nationen der Welt. 

Wollen doch ſehen, ob der Ruß und der Fran⸗ 
ole was gegen uns ausrichten kann. 


Glaubſt du etwa, daß der preußiſche Staat 
gar ſich zum Kriege gerüſtet nicht hat? 

Geh nur ins Zeughaus, viel hundert Stück Ka⸗ 
nonen und Mörſer, bie ſtehen ſchon da. 


Wenn man bei dir erſt die Strümpfe ſich flickt, 
find wir dir [don in dein Land eingerückt. 
Dein Heer wird zerſchlagen, wir rufen das Bil: 
toria und es zieht ſich eilig zurück. 


Wenn unſer Friedrich im Feld für uns ficht, 
ſcheuen die Teufel, die Hölle wir nicht; 
mutig zum Kampfe, ſo rufen die Trom⸗ 
peten und Pauken, wer Quit hat, der komm. 


Ei, wer hat deun ſolchen feinen Verſtand, 

daß er dies Lied von den Preußen erfand? 
Drei Mann von Königsgrenadier in der Wacht⸗ 
ſtube, die haben das Liedlein erdacht. 


Obri vom Regiment Gens d' armes 


eben ihren Leuten die fröhliche 


Luſtig wohl auf, ſeyd alle praf drauf! 


Heut ich mein Löh 


nung noch völlig verſauf', 


Zieh in das Feld, — allwo praf Geld, 
Dort zu gewinnen beym Feind im Zelt. 


Brüder ich bitt! geht alle mit, 
Laßt unſern König ſtecken itzt nit: 


Schaut, wie viel 
Wider das Haus 


eind aufgeſtanden ſeynd, 
reußen, bie alle vermeynt. 


Pulver und Bley machten ein' n i 

Daß manchem von Feinde der Kopf brach entzwey: 
Auch die Cavallerie, machten praf Brüh, 

Hau'ten die Feind in ein Fricaßi. 


Es iſt uns bekandt, des Feindes Hand; 
Auch man nicht ſchonet des Nachbarn Land: 
Und dieſe all' wolten zumahl, 

Das Haus von Preußen bringen zu Fall. 


Es konnt nicht ſeyn, Gott legt ſich drein, 
Thut unſern König beſchützen allein, 
Durch ſeine Macht, hat ſo weit bracht, 
Daß er die Feinde itzt alle ausladt. 


Außer Spottliedern dieser Art finden wir in den alten Liederbüchern jener Zeit auch 


bildkräftige Beschreibungen des Kriegshandwerks und nicht selten 


eradezu fesselnde 


Schlachtberichte. Die Erinnerung an erfochtene Siege stärkt das Selbstbewußtsein, und 
so mögen die folgenden drei Lieder vielleicht gerade in gefährlichen Situationen ent- 


standen und gesungen sein. 


Vivat der König Friederich, 

Der tapfern Preußen Held, 

Zieht itzt zu Feld mit tapfern Muth, 
Er ſchont ja nicht ſein Leib und Blut, 
Acht weder Hitz noch Kält. 

Mit großer Macht und friſchen Muth, 
Er ſeinen Marſch nach Böhmen thut, 
Er ſtellt in Obſervanz, 

Spielt Ojtretdh auf zum Tanz, 

Mit Pauken⸗ und Trompetenſchall 
Mit Trommeln: und Canonenknall, 
Führt er es prächtig auf. 


Die ganze Preuß'ſche Kriegesmacht, 

Auf rüſt't ſich zu einer Schlacht, 

Voll Wuth, voll Muth, voll Tapferkeit, 
Zu ſchlagen fid mit Sſterreich, 

Friſch auf zum Kampf und Streit, 

Ein tapfrer Graf und Kriegesheld, 
Feldmarſchall Schwerin wird gemeldt, 
Der rückte tapfer an, 

Mit etlich taujend Mann, 

Er ſchlug des Feindes ganze Macht, 
Gott gab ihm Glück zum Sieg der Schlacht 
Durch Muth und Tapferkeit. 


22 


Der tapfern Preußen Grenadier, 
Dragoner, Reuter, Musquetier, 
Die ganze Preuß'ſche Kriegesmacht, 
Die habens recht und gut vollbracht 
In dieſer großen Schlacht. 

Dort lag ein ſterbender Soldat, 
Wohl auf der blut'gen Lagerſtatt, 
Dragoner, Reuter, Rok, 

Vom Blut ſehr häufig floß, 

Dort lag ein Kopf, Arm, Leib und Bein, 
Das war zerſchoſſen kurtz und klein, 
Zu ſeh'n erbärmlich war. 


Von großer Zahl der Kriegesmacht 
Viel tauſend blieben in der Schlacht, 
Bleſſieret und getödtet ward, 

Viel tauſend Mann gefangen hart 
Von Sſt reichs Bold und Macht, 
Auf Preußen, ruft Victoria! 

Gott Lob der Sieg iſt völlig da, 
Getroſt und ſeyd vergnügt, 

Der Wahl ⸗Platz tit beſiegt, 


„Durch Preußens Muth und Tapferkeit, 


Triumph Victoria. 


Wir PreuB’fche Hufaren wann kriegen wir Geld? 
Wir müffen marfchiren ins weite Feld, 

Wir mëtten marſchiren dem feind entgegen, 
Damit wir thm den Paß verlegen. 


Wir haben ein Glöcklein, das lautet fo hell, 
Dae If überzogen mit gelbem Fell, 

Und wenn man dae Glöcklein ja lauten hört, 
So heißt es: Hufaren auf eure Pferd! 


Wir haben une ein Bräutlein ausermehlt, 
Dae lebet und ſchwebet ins weite Feld, 
Das Bräutlein wird die Standarte genannt, 
Dae ift une Hufaren fehr roohl bekandt. 


Und ale denn die Schlacht vorüber war, 
Da einer den andern wohl fterben fahl 
Schry einer zum andern ach! Jammer, Angft und Noth, 
Mein lieber Camerad ift geblieben todt. 


Das Feld war da mit Blut befloffen, 

Wie mancher Dragoner ward herunter gefchoffen, 
Wie mancher Grenadier muft' hüffen die Erd, 
Wie mancher Hufar muft’ herunter vom pferd. 


Wer fich in Preuß ' ſche Dienfte will begeben, 

Der muß ſich fein Lebtage kein Weibchen nicht nehmen: 
Er muß fich auch nicht fürchten vor Hagel und vor Wind, 
Beftindig verbleiben bis an das End. 


Noch ausgeprägter finden wir diese für die politische und militärische Führung recht 
ungünstige Stimmung in dem folgenden Lied, das die ,,Vivat"-Rule der ersten Jahre ver- 
gessen zu haben scheint. 


Wie wirds noch werden treuer Gott, Die gantze Preußiſche Armee, 


Man hört von Kriegs⸗Geſchrey, Die rückte tapfer an, 

Thu dich erbarmen in der Noth, Mit ihrer großen Artillerie, 

Steh uns o Vater bey; Da ging das Treffen an, 

Das Klagen iſt ſchon in dem Land, Oſtreich verlor viel tauſend mann, 

O, Vater! ſchütz durch deine Hand. Mit Wehmuth man noch dencket dran. 
Das Blutvergießen geht ſchon an, Ein General kam auch zu todt, 

die Stücken krachen da, Durch den Canonen⸗Schuß, 

Hier liegt ein Arm, und dort ein Mann, Viel Officierer hatten Noth, 

ei taufend bleiben gar, Das Blut lief wie ein Fluß; 

die TodtensCörper liegen dar, Neun Stunden hielt das Treffen an, 
ie Erd' mit Blut gefärbet war. Daß auch kein Menſch mehr dauren kan. 


Als nun die Schlacht geſchehen war, 
Die Nacht kam auch heran, 
Oſtreich die gantze Schlacht verlohr, 
Mit achtzig tauſend Mann: 

Friedrich den Sieg erhalten hat; 
Triumph, Triumph, Victoria. 


23 


Manche Lieder überbieten sich geradezu in Schilderungen von Schlachtgetümmel und 
gräßlichen Geschehnissen. Doch hört man aus manchen Worten auch bereits das Ent- 
setzen und die Sorgen, die der Kriegsmüdigkeit voranzugehen pflegen. So heißt es z. B. 
in einem Lied: 


Auch fag ein Roß, dabey der Reuter, 
Zuſammen ohne Kopf und Bein, 

Ach, was groß Jammer ſah' man weiter, 
Erbarmen möchte ſich ein Stein; 

Viel Bleßirte lagen dar, 

Schrien daß es erbärmlich war. 


O Gott, du großer Gnaden⸗Vater, 
Beſchütze unſer Stadt als Land, 
Sey du ferner unſer Berather, 

Und laß uns nicht aus deiner Hand, 
Erhalte doch genädiglich, 

Unſern hochtheuren Friederich. 


Schrecken und Not des langen Krieges nehmen schließlich dem Volk allen Mut. Es 
ist erschöpft, und so klingen die Zeilen des folgenden Liedes nicht aufrührerisch, sondern 
geradezu rührend. Im letzten Jahr des Siebenjährigen Krieges entstand diese „Bitte 
um den Frieden": 


Soll denn gar fein Friede werden, 
Nimmt der Krieg denn noch kein Ende? 
Unſere Länder ſind verheeret, 

Städte und Dörfer abgebrennt, 
Jammer überall und Noth, 

Und dazu auch mehr kein Brot. 


Friedrich, o Du großer König, 
Stecke doch Dein Schwert nun ein, 
Denn wir haben nur noch wenig, 
Was Dir könnte dienlich ſein! 
Alles wüſte, alles leer, 

Länger geht das ſo nicht mehr. 


Friedrich kann seinem Lande den Frieden schenken und erhalten, wenn ihn auch der 
Bayrische Erbfolgekrieg 1778 noch einmal zu den Waffen greifen läßt. Die Sicher- 
heit des Siegers spricht, wie aus den politischen Unternehmungen Friedrichs so auch 
aus vielstrophigen Liedern, in denen es heißt: 


24 


Kaiſer Joſeph! Willſt du nicht, eines mit mir wagen? 
ich und mein Prinz Wilhelm wird, vor dir nicht verzagen; 
kenneſt du den alten Greis, Friederich den Großen, 

der wird deine Macht als Held, hoffentlich umſtoßen. 
Was hat dich dazu bewegt, Krieg mit mich zu führen? 
Du wirſt gerne ſo wie ich, auch nicht was verliehren; 
oder glaubſt du, daß ich alt, und nicht möchte kommen, 
dazu hab' ich meinen Prinz Wilhelm mitgenommen. 


Dieser Krieg blieb jedoch eine Episode und mit Leichtigkeit wurde der politische Erfolg 
errungen. Mehr und mehr zog sich Friedrich auf seine innenpolitischen Aufgaben zurück, 
einam und unermüdlich, als Lebender schon zum Mythos geworden. Dem entsprach die 
Verehrung des Volkes: in Ehrfurcht erschauerte es, wenn er einmal sichtbar wurde, 
nannte ihn aber gleichwohl voll vertraulichen Stolzes den „alten Fritz". Beides, Ehr- 
lurcht und Liebe, kommt in dem witzigen Lied zum Ausdruck, das vom Tode Fried- 
richs erzählt: : 

Als jüngſt der Held Merkurius im Himmel rapportirte, daß König Friedri 
Maximus noch immer reſidirte, da hieß es: er hat aus elebt; Cer ijt es, da 
man ihn begrabt; man gebe feine Krone nun feinem Bruder⸗Sohne. 


Als nun der Tod die Order fah, erbebte fein Gebeine, „Nein ſprach er: 
wahrlich! Herr Papa: ich geh nicht ſo alleine; ja, geht nicht Vater Ziethen 
mit, geh ich wahrhaftig keinen Schritt; daß will gewiß viel ſagen, an Friedrich 
ſich zu wagen!“ | 
Nun kriegte Ziethen ben Befehl, bie Sache auszuführen, auch mußte General 
von Scheel mit nach der Welt marſchiren; Zeus ſprach zu ihnen: macht's 
geſcheid! denn wenn ihr nun nicht glücklich feid, [o dürft ihr hier drauf 
trauen, den Himmel nie zu ſchauen. 

Held Ziethen ſtrich e ienen Barth, unb fprad im vollen Lachen: Fritz wird 
nun bald nach ſeiner Art ein Herbſt Manöver machen. nun er fid) nun aus 
Sans⸗Souci, fo können wir ihn ohne Mühe, anjtatt zu Manövriren, zum 
Himmel transportiren. 


Es machten ſich nun beide Herrn, nach alter Preußiſcher Weiſe, von aller 
Furcht und Zaudern fern, geſchwinde auf die Reiſe. Sie reiſten nach der 
Unterwelt, zu fangen „Preußens tapfern Held, und ftanden auf der Lauer, 
hart an des Schloſſes Mauer. 


So ſtanden unſ're Herren da, dem König aufzupaſſen, als eben Madam 
Podagra in etwas ihn erlaſſen. Er ahnte nichts von der Gefahr, und weil 
juſt ſchönes Wetter war, ſo ließ er ſich verleiten, ein wenig auszureiten. 


Kaum war er aber vor dem Thor, ſo fiel ein dicker Nebel, und gleich ſprang 
Vater Ziethen vor mit blank gezognem Säbel. Dem König ward dabei nicht 
mae éi riff nach feinem Terzerol, bas war zu allem Schaden den Morgen 
nicht geladen. 


„Verzeihen Ihro Majeſtät“, fprad Scheel mit vielem Bücken, „Sie [eben 
wie's nicht anders gent und werden ſich drin ſchicken. Im Himmel iit es 
auch recht gut, da fließt von keinem Säbel Blut; da ſchweigen die Kanonen, 
da iſt vortrefflich wohnen.“ 


„Auch können ihro Majeſtät im Himmel manövriren, Bellona, die das Ding 
Due d viel vom Exerciren. Ihr Name iit dort Ki befannt: denn an 
des Speiſeſaales Wand, ſtehn alle Ihre Siege vom ſiebenjährgen Kriege.“ 
Der König ſprach: Ich ſeh es ein, ich muß mich drein ergeben, die Sache kann 
nicht anders ſein, aus iſt's mit meinem Leben. Auf Erden hält mich nichts 
zurück. Ich machte meiner Völker Glück: Die Größe meiner Staaten, iſt Zeuge 
meiner Thaten. 

Mein Bruder Sohn hat nachſtudirt ſchon manchen frühen Morgen, wie man 
ein Königreich regirt. D'rum leb ich ohne Sorgen. Ja, er verdient den 
Preußſchen Thron, von Kindheit an entdeckt ich ſchon in jedem ſeiner Blicke, 
er ſei des Preußen Glücke.“ 

Der Tod verlas nun den Befehl, und ſchüttelte die Senſe. Des Pferdes Zügel 
faßte Scheel, und Ziethen nahm die Trenſe. Schnell wie der Blitz nur fahren 
kann, ging die Reiſe himmelan, und unter ihnen ferne, blieb Sonne, Mond 
und Sterne. 

An 17 Pens ein Grenadier von Potsdam, als Gefreiter. Der fprad 
u Wach: „ich fehe hier von weitem einen Reiter; mir ſcheint's, als ob es 
Friedrich wär. Er iſt's. Raus, Burſchen ins Gewehr! Ihr müßt raſch 
präſentiren, das wird ihn recht ſcharmiren.“ 


25 


Hufar vom Hufaren-Regiment 
von Belling. (foto nad X. 
v. Menzel, 1758) 


Der König fam. Der onbir der Wache falutirte, indek der Tambour nach 
Manier das Kalbfell wirbelnd rührte. "M ging es durch bie Straßen durch, 
bis nach des Donnergottes Burg. Hier ſa 

Speiſeſaale. 


Der Marſchall, der den Dienſt verſah, ging be ihn anzumelden, weld 185 


man juſt beim Mahle im großen 


Gemurmel wurde da bei Göttern und bei Helden. Ne tar, Ambroſia blie 

tehn, um Preußens Friederich zu ſehn; ihn freudig zu empfangen, war 
dermanns Verlangen. 

Doch ſchwache Muſe ſchweige ſtill, zu kühn wird ſonſt dein Singen, für deine 

Kräfte wirds zu viel, um da hinein zu dringen, was Zeus für Friederich 

beſchloß; denn fein Verdienſt ijt viel zu groß; zu viel that er auf Erden, um 

je belohnt zu werden. 

Auch Maria Theresia, die große Gegnerin Friedrichs, lebte im Herzen des Volkes. 
Sie, eine der größten deutschen Frauen, und ihr Sohn, Kaiser Joseph II., eroberten 
sich durch ihre charakterliche, menschliche Größe und durch ihre politischen erh pe 
insbesondere durch vielerlei Reformen, das Recht, nicht nur von Hofdichtern, sondern 
auch vom Volk besungen zu werden. So hören wir beispielsweise zu Beginn des Sieben- 
jährigen Krieges ein kleines Lied: 


Zwiſchen unſrer Kaiſerinne Aber unire Kaiſerinne 
Maria Thereſia, Maria Thereſia 
Und ai von Preußen drinne Allezeit den Sieg gewinne, 
Sit Spektakel wieder da. Wie ſie ſteht im Rechte ja. 


Wie sehr Kaiser Joseph II. von seinen Soldaten und von seinem Volk vergöttert wurde, 
zeigt ein Lied, das noch lange Jahre, vor allem auch in den Freiheitskriegen, gesungen 
wurde. Für einen einfachen Soldaten war es das größte Erlebnis, das ihn noch bis zum 
Tode auszeichnete, wenn ihn sein Kaiser angesprochen und gelobt hatte: 

Wie heißt, der dort am Flügel ſteht? Stauff heißt er, Ihro Majeſtät. Da jab 
mich Kaiſer Joſeph an, und ſprach: „das iſt ein hübſcher Mann.“ Drauf kam 
er her zu mir EE Stauff, dacht ich, ſollteſt um was bitten; 

do Nel e gleich das Wetter drein! 

mir fiel juſt damals gar nichts ein. 


26 


——ů—— Lond 


„Was für ein Landsmann, liebes Kind?“ „„Aus Böhmen,“ ſagte id, „ei bas 
find recht brave Burſch, und wo denn da?“ „„Ihr Majeftät, aus Slatowa. — 
als ihn war der große Schreiner, und dennoch um ein'n Zoll noch kleiner, 
als ich.““ | 


„Schon gut mein lieber Sohn;“ 
mich wette b'rauf, er fannt ihn ſchon.““ 


Er [ab auf's Pferd dann zu mir nauf; ich blies, wie ſich's gehört, mich auf. 
Da hat er fein mich angelacht, und mir ein Compliment gemacht. Mein 
Lebtag kann ich's nicht vergeſſen, hab ich gleich manchmal nichts zu eſſen, 
mein Kaiſer hat mich angelacht, und mir ein Compliment gemacht. 


O wüßten das die großen Herrn! wie rückten ſie die Hüte gern vor einem 
armen Kerl, wie ich: er lebe noch ſo kümmerlich; ein einz'ger Blick von 
unſerem Fürſten, giebt ſüße Labe, wenn wir dürften; ein Ruder mit dem 
Treſſenhut, macht alles Elend wieder gut. 


Hört an, wie's ging bei Orſowa! kaum ſtand ich als Vedette da, kam euch 
auf tauſend Schritt heran, ein reicher Kerl, ein Muſelmann. Er ließ ein 
großes Goldſtück ſehen, ich ſollt dafür hinüber gehen, hm! dacht ich: Stauf, 
jetzt deſertir', führſt doch ein ſchlechtes Leben hier! 


Doch plötzlich fiel mir wieder ein; pfui ſchäm' dich, Stauff, das war nicht 
fein! Da faßt' ich guten friſchen Muth: reiß aus, verdammtes Türkenblut! 
ſchrie ich mit grimmiger Geberde, glaubſt du, daß ich dir folgen werde? — 
Mein Kaiſer hat mich angelacht, und mir ein Compliment gemacht! 


Ich denk [o manchmal hin und her: kommt doch fein Kaifer Joſeph mehr! — 
wenn einem der ins Auge ſah, 's war doch, mein Seel'! ein Gloria! — 
D’rum, Cameraden, muß ich fterben, folt Ihr die Extra⸗Stiefeln erben! nur 
ſorgt dafür und prägt's Euch ein, ſetzt mir dafür 'nen Leichenſtein! 


Ein ut ger Scriblifer ſchreib drauf: hier liegt der Reiter, Johann Stauff; 
— all fein Gewehr hielt, Gott fet Dank, er immer rein und ſpiegelblank; — 
ſein Pferd war gut — auch konnt' er reiten und mit dem Teufel ſelber 
ſtreiten, ſein Kaiſer hat ihn angelacht und ihm ein Compliment gemacht. 


Schon bei der Wahl Josephs zum Kaiser (1765) wurde ihm ehrliche Begeisterung ent- 
legengetragen, und nicht durch Zufall hören wir hier das Wort ,deutsch": 


Trefflich wie Marie Therefe 

Und fo gnädig auch und gut. 

Hat nach langem Kriegsgetöſe 
Nun ganz Deutſchland frohen Mut. 


Freut euch, ihr Deutſchen alle! 
Stimmt ins Tedeum ein! 

Laſſet bei der Glocken Schalle 
Auch Kanonen donnern drein! 


Ruft überall in Freuden: 
Vivat Kaiſer Joſephus, 

Der für alle ſchlimmen Zeiten 
Jetzo reicht den Friedenskuß. 


Verkaufte Soldaten 


Während so in Preußen und Österreich die nationalen Gefühle wach wurden und die 
Fürsten im Volk standen und mit dem Schwung hoher Ideen regierten, machte sich in 
den kleineren deutschen Staaten ein Despotentum breit, das alle Regungen der „Unter- 
tanen" verkümmern ließ, ja darüber hinaus sogar aus Gewinnsucht Tausende von Männern 
gegen gutes Geld nach Übersee verkaufte, als „Subsidienregimenter”. Voller Empörung 

randmarkte Schiller, der in seiner Heimat Zeuge des fürchterlichen Geschehens war, 
in seinem Drama „Kabale und Liebe" diese schauerlichen Äußerungen fürstlicher Ge- 
wissenlosigkeit. 

Kammerdiener: 

Seine Durchlaucht der Herzog empfehlen Sich Mylady zu Gnaden und ſchicken 

Ihnen dieſe Brillanten zur Hochzeit. Sie kommen ſoeben erſt aus Venedig. 
Lady (hat das Käſtchen geöffnet und fährt erſchrocken zurück): 

Menſch! was bezahlt dein Herzog für dieſe Steine? 

Kammerdiener (mit finſterm Geſicht): 
Sie koſten ihn keinen Heller. 
Lady: ; 

Was? Biſt bu raſend? Nichts? — Und (indem fie einen Schritt von ihm 

wegtritt) du wirfſt mir ja einen Blick zu, als wenn du mich durchbohren wollteſt — 
nichts koſten ihn dieſe unermeßlich koſtbaren Steine? 
Kammerdiener: 

Geſtern ſind ſiebentauſend Landskinder nach Amerika fort — die zahlen alles! 
Lady (fegt den Schmuck plötzlich nieder und geht raſch durch den Saal, nach einer 
Pauſe zum Rammerbieneri. 

Mann, was ift bit? Ich glaube, du weinſt? 

110 m d erdiener (wiſcht fid die Augen, mit ſchrecklicher Stimme, alle Glieder 
zitternd): 

Edelſteine, wie dieſe da — ich hab' auch ein paar Söhne drunter. 

Lady (wendet ſich bebend weg, ſeine Hand faſſend): 
Doch keinen gezwungenen? 
Kammerdiener (lacht fürchterlich): 

O Gott! — Nein — lauter Freiwillige. Es traten wohl ſo etliche vorlaute 

Burſch' vor die Front heraus und fragten den Oberſten, wie teuer der Für 

das Joch Menſchen verkaufe. — Aber unſer gnädigſter Landesherr ließ alle 

Regimenter auf dem Paradeplatz aufmarſchieren und die Maulaffen niederſchießen. 

Wir hörten die Büchſen knallen 1 ihr Gehirn auf das Pflaſter ſprützen, und 

die ganze Armee ſchrie: „Juchhe! Nach Amerika!“ 


Vielleicht ist die Bitterkeit des Liedes, das die Ausziehenden sangen, nur einem Teil 
des Volkes bewußt geworden. Wir kennen ein Flugblatt, das harmlos und selbstver- 
ständlich lautet: „Ein schön und wahrhaftig Soldatenlied, so Anno 1775 am 19. Oktober 
zu Cassel auf der Parade von den abziehenden Militärs mit admirabler bonne humeur 
vor Ihrer Durchlaucht gesungen ward." Unter dieser Ankündigung findet sich das 
folgende Lied: 


Juchheiſa, nach Amerika, Ade, Herr Landgraf Friederich, 
Dir, Deutſchland, gute Nacht! Du dét uns Schnaps und Bier! , 
Ihr Heſſen präſentiert's Gewehr. Schießt Arme man und Bein uns ab, 


Der Landgraf fommt zur Wacht. So zahlt ſie England dir! 
Ihr lauſigen Rebellen ihr, 
Gebt vor uns Heſſen acht! 
Juchheiſa, nach Amerika, 
Dir, Deutſchland, gute Nacht. 


28 


Ein württembergisches und holländisches Soldatenlied ist uns unter dem Namen „Cap- 
lied“ bekannt. Beim Abmarsche des Württembergischen Subsidien-Regiments nach 
Alrika ist es gesungen worden. 


Auf, auf ihr Brüder und feid ftark, der Ablchiedstag ift da. Schwer liegt er auf 
der Seele ſchwer, wir müffen über Land und Meer in's heiße Afrika, in's heiße 
Afrika. 


Ein dichter Kreis von Lieben fteht, ihr Brüder, um uns her, uns knüpft fo manches 
fete Band, an unfer deutiches Vaterland, drum fällt der Abfchied ſchwer, drum fällt 
der Abſchled ſchwer. 


Dann bieten graue Eltern noch zum letztenmal die Hand, dann hofen Bruder, 
Schweſter, Freund, und alles feufzt und alles weint todt blaß von uns gewandt. 


IR hart, drum wirble du Tambour, den Generalmarfch d' rein, der Abſchied macht 
uns fonft zu weich, wir weinten kleinen Kindern gleich. Es muß gefchieden fein. 


An Deutſchlands Grenzen füllen wir mit Erde unfre Hand, und hüffen fie, dies fel 
der Dank, für deine Pflege, Spe: und Trank, geliebtes Vaterland. 


Wenn dann die Meereswoge fich an unferm Schiffe bricht, dann fegeln wir gelaffen 
fort, ein Gott iſt hler, ein Gott iſt dort, und der verläßt uns nicht. 


Und ha! Wenn fich der Tafelberg aus blauem Dunſte hebt, dann heben wir empor 
die Hand, und jauchzen laut, ihr Brüder, Land, daß unfer Schiff erbebt. 


Wenn dann Soldat und Offizier, gefund ane Ufer ſpringt, dann jauchzen wir, ihr 
Brüder, ha, nun find wir ja in Afrika, und Alles ſpringt und ſingt. 


Dann leben wir im fernen Land als Deutſche brav und gut, und fagen foll man 
weit und breit, die Deutſchen find ja brave Leut, und haben Geiſt und Muth. 


Und trinken auf den Hoffnungetag, den reinen Gdtterwein, und denken da von 
Sehnfucht weich, ihr fernen Freunde auch an euch, und Thränen fallen d' rein. 


* 


Man wird jetzt um so mehr den Notschrei Johann Gottfried Herders verstehen, 
den er 1778 an den Kaiser richtete: „Gib uns ein deutsches Vaterland!" Es heißt in 
diesem leidenschattlichen Gedicht, dessen Gedanken erst Jahrzehnte später das ganze 

olk erfassen: 

O Kaiſer! bu pon neunundneunzig dürften, 
und Ständen miebes Meeres Sand 

Das Oberhaupt, gib uns, wonad wir dürften, 
Ein deutſches Vaterland, 


Und Ein Geſetz und Eine ſchöne Sprache 
Und redliche Religion: | 

Vollende deines Stammes ſchönſte Sache 
Auf deines Rudolfs Thron. 


29 


Gegen die Jakobiner 


Die Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert steht im Schatten der großen Französischen 
Revolution, deren Vorgänge sich alsbald auf die angrenzenden Länder auswirkten und 
auch unter den Deutschen ein leidenschaftliches Für und Wider entfesselten. Die beiden 
folgenden Lieder mögen als Beispiel tür viele andere gelten, in denen der Ungeist des 
Jakobinertums durch die gesunde Stimme des Volkes eine scharfe Abfuhr erfährt. Ende 
1792 wird das eines Würstelbubens gegen die Jakobiner verbreitet, in dem es heißt: 


eht's, fan[t's mir meine Würſtel ab, bella, — 
E^ ts ja, daß ich bie beiten hab, tra 
Seind warm und recht ſafti 4. 460 
Ein Jakobiner, der Ad vera 
Tralla, tralla, tralla. 


t Jalobiner id ich keins, heile, 

enn die und en 2 Sé SES tralla, 
Ihr Mörder⸗ und i t 9tanberg'ft 
Ertragt ber Würſtelbub auch ni 4 


Ihr Freihei I 
SN 1 i al ie vegelie, all 
Fee eingefüllt 

it ihr tyrauniſch DAC, 


in Wi 
Ss rtt, ari grt e 


Der Würftelbub jezt ſchon ein, 
Daß er dem Sands Ak tren muß fein. 


tx iſt von Tollheit z riſſen, heſſa, 
Der bal] be Le lb Biol an dreinz'ſchmiſſen, tralla: 
Heißt: Menſch, bu wer nicht ein Biehl 


Gottlob, daß man von Klubsgeſchmei 

In unſerm : Ee Land nichts hp 5 EA im, 

Drum g Le der auf und ab 

Und ſchrel: a 6 3 doch Würſtel ab. 
Tralla, trala, 


Aus dem gleichen Jahre kennen wir ein 15strophi iges Lied gegen die jakobinische 


Gleichheit, das die Sinnlosigkeit der „Gleichheit“ am 


licht. Es heißt da: 


30 


ispiel der Tierwelt veranschau- 


Einſtmal fiel einem Eſel ein, J ou, 

Daß en aN Auch fol ein, J ou. 
Er trug es allen Eſel n Dot; 

Die Eſel ſpi en Se e 's Ohr. 

J ou, J ou, 


Der Löw’ ſoll i mehr fein am Brett, I ou, 

War gleich der Eingang feiner Red’, J ou, 
Wir brauchen keinen König mehr; 

Gleichheit ſei unſer Gott und Herr. 

J ou, J ou, J ou. 


Die Eſel kämen nie empor, J ou, 
Es ging uns jeder andre vor, J ou, 
Das Pferd, der Hund, ſogar die Katz', 
a je 8 di De beſſerm Platz. 

J ou, 


Der Löw’ famt Anhang fet gemorb't, I ou, 
Bon uns geh mr einer fort, J ou, 
Der hiezu viele Tiger wirbt; 
Dann ſeind wir frei, wenn fener ſtirbt. 
J ou, J ou. J ou. 
Darauf tritt nun ein anderer Esel hervor und warnt: 
greilig, prach er, wird Gleichheit fein, J ou, 
Wenn alle haben gleiche Pein, J ou, 
Mein' Laſt mir immer lieber iſt, 
Als wenn man mich gar ſchind't und frißt. 
J ou, J ou, J ou. 


Zahlreiche deutsche Dichter sind den trügerischen Ideen von Freiheit und Gleichheit 
damals verfallen und haben zu ihrem Lob Gesänge geschrieben. Friedrich Gottlieb 
Klopstock hat diesen „Irrtum“ sehr bald erkannt und war wie wenige mutig genug, 
sich von jenen Parolen loszusagen. 1793 schreibt er ein Gedicht, in dem es heißt: 

Mein Irrtum. 
Dennoch glaubt’ ich, und ach Wonne war mir, 
Morgenrötlicher Glanz der goldne Traum! 
War ein Zauber, role gehoffter 
Liebe, dem trunkenen Geift! 


Freiheit, Mutter des Hells, Oeucht' es mich, du 
Würden Schöpferin fein, die Glücklichen, 

Die fo ganz du dir erkoreft, 

Umzufchaffen gefandt! 


Freiheit, Mutter Des Heils, nannten fie dich 
Nicht ſelbſt da noch, ale nun Erobrungehrieg, 
Mit dem Bruche des gegebnen 

Edlen Wortes, begann? 


Ach des goldenen Traums Wonn’ ift dahin, 
Mich umfchwebet nicht mehr fein Morgenglanz, 
Und ein Kummer, mie verfchmähter 

Liebe, kümmert mein Herz. 


Während die gesamte aufgeschreckte Welt im Banne der Carmagnole stand, erkannte 
Goethe mit prophetischem Geist, in welcher Richtung sich die Exzesse dieser Jahre 
entwickeln würden. Gleichzeitig spricht aus seinen Worten, aus dem Schluß des zweiten 
hier abgedruckten Epigramms seine Sehnsucht nach der Hand eines starken Staaten- 
lenkers (Epigramme, Venedig 1790). 

Alle Freiheits⸗Apoſtel, fie waren mir immer zuwider; 
Willkür ſuchte doch nur Jeder am Ende für ſich. 
Willſt du Viele befrein, fo wag’ es Vielen zu dienen. 
Wie gefährlich das ſei, willſt du es wiſſen? Verſuch's! 
Könige wollen das Gute, die Demagogen desgleichen, 
Sagt man; doch irren ſie ſich: Menſchen, ach, ſind ſie, wie wir. 
Nie gelingt es der Menge, für ſich zu wollen; wir wiſſen's: 
Doch wer verſtehet, für uns alle zu wollen; er zeig's. 
Frankreichs traurig Geſchick, die Großen mögen's bedenken; 
Aber bedenken fürwahr ſollen es Kleine noch mehr. 
Große gingen zu Grunde: doch wer beſchützte die Menge 
Gegen die Menge? Da war Menge der Menge Tyrann. 


31 


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32 


In dieselbe Zeit, 1792, fällt ein Gedicht von Gottfried August Bürger, der sich über den 
Feldzug der deutschen Fürsten gegen Frankreich empört: 


gür Wen, du gutes deutſches Volk, War s nicht genug, ihr Sklavenjoch 
ehängt man dich mit Waffen? Mit con Sinn zu tragen? 
ür Wen läkt bu von Weib und Kind Für jie im Schweiß des Angeſichts 
nd Herd hinweg dich rollen, Mit Kronen dich zu plagen? 
ür Fürſten⸗ und für Adelsbrut, gür ihre Geißel ſollſt bu nun 
nd fürs Geſchmeiß der Pfaffen. uch Gut und Leben wagen? 


Eine Antwort auf die herausfordernde Marseillaise ist das folgende, aus dem Oster- 
reichischen stammende „Schlachtlied“ vom Jahre 1794, das folgendermaßen beginnt: 


Auf! rüftet ud verbundne Heere 
Germaniens! Das Schwert zur Hand! 
Ein Volk, bas Gott, Geſetz und Ehre 
Verhöhnt, droht unſerm Vaterland! 

Uns nah ſchon toben wilde Horden, 

Wie noch der Erdkreis keine ſah; 

Die Hand ans Schwert! ſchon ſind ſie da, 
Uns zu berauben, uns zu morden. 


Auf, wer ſich Menſch fühlt, auf! 

Mit deutſchem Arm und Mut, 

Schlagt dieſe Brut! 

Tränkt Berg und Tal mit der Barbaren Blut! 


Im Frieden von Campo Formio wurde am 17. Oktober 1797 das Rheinland an Frankreich 
abgetreten. In den neuen vier „Rheinischen Departements“ beeilte man sich, die Bräuche 
der Bastille-Republik nachzuholen. Eine Reihe von schnell gedichteten „Volksliedern“ 
gibt noch heute Zeugnis von diesem seltsamen Schicksal des Rheinlandes: 


k Drittes Lied anf bie Hinrichtung bes Königs. 
Fluch auf ſouveraine Verbrecher. 


luch den gekrönten Ungeheuern! 
ie wolluſttrunlen in Paläſten, 
Erpreſſend überſpannte Steuern, 
Mit feilen Dirnen ſich vom Volksſchweiß mäſten! 


luch denen! die eidbrüchig in der Wuth 
. treue Menſchen tödten, 
nd mit dem rauchenden unſchuld'gen Blut 
Dann lächelnd den gelähmten Zepter löthen! 


luch denen, die nach Willkür Menſchenrechte kränken 
nd über das Geſetz ſich weit erhaben denken; 

Die glauben in beipot'idjer Naſerei, 

Daß fie nicht für das Volk, das Volk für fie da ſei: 


Die Unterthanen nur für kriechende Geſtalten, 

Nur des Ertretens werth, für Erdenwürmer halten! 
Der véi, verfolge das Gezücht Wüſtlinge 

So wie der Knab' im Sommer Schmetterlinge, 

Und ſchleudre dieſe Brut der Menſchheit zur Wohltat 
Der Hölle dar, die ſie nur ausgeſpien hat! 


33 


Deutfchland 
in feiner tiefen Erniedrigung 


In der Zeit der schmachvollen Demütigung durch den kriegerischen Usurpator gehörte 
Heinrich von Kleist, neben Ernst Moritz Arndt, Theodor Körner und anderen 
Dichtern, zu den leidenschaftlichsten Rufern für die Freiheit. Durch seine Dichtungen 
schürte er die Stimmung und bereitete er die Erhebung vor. Seine „Hermanns- 
schlacht" — ein hervorragendes Beispiel für ein zeitbezogenes Drama — war ein 
unverkennbarer Aufruf gegen Napoleon. Nicht nur die Handlung und das Thema, sondern 
auch die sprachliche Führung des Dramas richteten sich gegen Napoleon. So singt der 


„Chor der Barden“: 
Wir litten menfchlich feit dem Tage, 
Da jener Fremdling eingerückt) 
Wir rächten nicht die erfte Plage, 
Mit Hohn auf uns herabgefchickt; 
Wir übten nach der Götter Lehre, 
Uns durch viel Jahre im Verzeihn: 
Doch endlich drückt des Joches Schwere, 
Und abgefchüttelt will es fein! 


Heinrichvon Kleist war es, der am unerbittlichsten und als einer der ersten 
das Volk zum Widerstand aufrief. 1809 läßt er „Germania an ihre Kinder" sprechen: 


Brüder, wer ein deutſcher Mann, 
Schließe dieſem Kampf ſich an! 


Alle Triften, alle Stätten, 

Färbt mit ihren Knochen weiß; 
Welchen Rab’ und Fuchs verſchmähten, 
Gebet ihn den Fiſchen preis: 

Dämmt den Rhein mit ihren Leichen, 
Laßt, geſtäuft von ihrem Bein, 
Schäumend um die Pfalz ihn weichen 
Und ihn dann die Grenze ſein! 


Eine Luſtjagd, wie wenn Schützen 
Auf der Spur dem Wolfe figen! 


Schlagt ihn tot! Das Weltgericht 
Fragt euch nach den Gründen nicht! 


Unter den Freiheitskämpfern, die den Franzosen die Herrschaft in Deutschland durch 
örtliche Aufstände unsicher machten, ragt die Gestalt Ferdinand von Schills der 
Nachwelt als leuchtendes Vorbild auf. Die tiefe „ die die deutschen 
Patrioten erfüllte, als sie von seinem Tode erfuhren, gibt ein Lied wieder, das offenbar, 
wie schon die einfache Form beweist, weithin im Volke gesungen worden ist: l 


Schne iſt tot. Er gab ſein Leben. Schill wollt es nog einmal wagen, 
Schnell ſchlug feine Todesſtund, tiff in ihre Flanken ein: 

als er war vom Feind umgeben ehrt euch, Brüder! tut er ſagen, 

in der edlen Stadt Stralſund. wehrt euch, daß wir Sieger ſein! 
Dänen und Holländer kamen, Er gab gleich ſei'm Pferd die Sporen, 
die ihn grauſam attackiert, aut und ſchießt, daß 's blitzt und kracht: 
die ihn auch gelangen nahmen, 2 euch tapfer, meine Brüder! 

als er tödlich fiel bleſſiert. Wehrt euch tapfer in der Schlacht! 


34 


Als er vor die Fronte reitet, 

traf ihn hier der erſte Schuß; 

ein Holländer Küraßreuter 

ſchoß ein’ Kugel durch fein’ Fuß. 

Er verband ſich ſelbſt die Wunde 
mit ſei'm Sacktuch um den Fuß; 
focht dann noch dreiviertel Stunden, 
tat noch manchen Hieb und Schuß. 


Nicht lange darauf fiel in Tirol Andreas Hofer. 
unzählige Anekdoten und Lieder gebildet. 


Worte in den Mund: 


Ach Himmel, es iſt verſpielt! 
Kann nicht mehr länger leben. 
Der Tod ſteht vor der Tür, 
Will mir den Abſchied geben. 
Meine Lebenszeit iſt aus, 

Ich muß aus dieſem Haus. 


Hier liegt mein Säbel und Gewehr 
Und alle meine Kleider, 

Ich bin kein Kriegsmann mehr, 
Ach Gott, ich bin ein Leider! 

Ich bin verlaſſen ganz 

Von meinem Kaiſer Franz. 


Die großen Herrn im Land, 
Sie ſind mit mir verfahren; 
Sie bringen's noch ſo weit, 
Bis man mich tut begraben. 
Tilgt Haß und Ketzerei 

Und macht den Sandwirt frei! 


Die Hauptſtadt von Tirol, 
Die haben ſie mir genommen, 
Es iſt kein Mittel mehr, 

Sie wieder zu bekommen. 

Es iſt kein Mittel mehr, 
Kommt 's nit von oben ber. 


Darch die von Napoleon 


Schill, der ſprengt ganz zornig weiter, 
achtet nicht auf ſeinen Schmerz. 

Da ſchoß ein Holländ'ſcher Reuter 
ihm ein' Kugel durch ſein Herz. 

Als das Volk nun hat vernommen, 
daß ihr Oberſt ſei ermordt, 

gaben viele ſich gefangen. 

und die andern flohen fort. 


Um seinen Tod haben sich 
Eines davon legt ihm selbst die letzten 


Mich, General vom Sand, 

Den führen ſie itz gefangen, 
Meinen harten blutigen Schweiß 
Hat man nicht angenommen. 

Sie führen mich aus dem Land 
Mit größtem Spott und Schand. 


O trauervolle Zeit, 

Was ſoll daraus noch werden? 
Die Waffe liegt ſchon hier, 
Erſchoſſen muß ich werden. 

Es iſt ſchon lang bekannt 

Im ganzen römiſchen Kaiſerland. 


Leb wohl, mein liebes Weib, 

Und alle meine Kinder, 

Wir ſeh'n einander heut, 

Wir ſeh'n einander nimmer. 

Lebt nur recht gut und fromm, 
Kommen wir im Himmel z'ſomm! 


O große Himmelsfrau, 

Auf dich hab ich vertraut, 
Weil du in unſerm Land 
Deine Wohnung haſt gebaut. 
O liebe Frau, ich bitt', 
Verlaß den Sandwirt nit! 


eschaffene Expeditionsflotte war die britische Vormacht - 


stellung auf den Meeren getährdet. Monatelang versuchen die Engländer, die franzé- 
sischen Schiffe zum Kampf zu stellen; immer wieder aber gelang es diesen, zu entweichen, 
bis Nelson endlich am 21. Oktober 1805 die napoleonische Flotte bei Trafalgar 
vernichten konnte. Das aufregende Versteckspiel der Franzosen vor den Engländern ist 


in dem folgenden Liedchen festgehalten: 


Relfon: Wo bift bu Bonaparte, daß man dich nicht erwiſcht? 
aſt du vielleicht die Karte aufs neue wieder gemiſcht? 
bin durch Sturm und Winden geſegelt weit und breit, 
und kann dich doch nicht finden, das thut mir herzlich leid! 


35 


Bonaparte: Du wirft mich auch nicht fangen, glaub mir, id) bin kein Thor! 


ch werd es noch erlangen, was ich mir feft nahm vor, ` 
denn meinen Kriegsflokten kommt in der Welt nichts gleich, 
d'rum deines thu ich ſpotten und keinen Schritt dir weich. 


Nelſon: Trau nicht, o Bonaparte, zu ſehr auf dein Verſtand, 
es hat ſich Blatt und Karte auch öfters ſchnell gewandt. 
Was ich nicht kann auswirken, mit meiner Tapferkeit, 
da ſtehn viel tauſend Türken und Nuſſen ſchon bereit. 


Bonaparte: Das iſt mir nur zum Lachen, ich kann die halbe Welt 
zum Freunde mir bald machen, wenn es mir ſo gefällt. 
Schau, wie ſich zu mir lenken viel tauſend Köpf und Sinn, 
dieweil ſie alle denken, daß ich die Freiheit bin. 


Es wollte mich einſt fangen der Feind, der auf uns ſtieß, 
y. bin ihm dod entgangen und wieder in Paris; 

ich bin bald da, bald borten, zu Waller unb zu Land, 

und brauch an allen Orten Lift, Klugheit und Verſtand. 


Nelſon: Magſt du dich immer brüſten mit deinem Kriegesglück, 
id werde neu mid Wén: zum rechten Augenblick. 
eißt du zu Land zu fiegen: ich fordre dich heraus, 


mit mir aufs Meer zu kriegen, dann iſt dein Ruhm bald aus. 


Bonaparte: Du kannſt dich wieder melden, E erfte geh nach Haus, 
und ſchlafe deinen Heldens, bein eitlen Traum ſanft aus. 
Ich geh' indeſſen weiter auf meiner Siegesbahn, 
und du thät'ſt viel geſcheiter, ſuchſt du mich nicht zu fahn. 


Kanonler von der Garde-Artillerie. (Farbſtich von Lebers nach Dahl) 


36 


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Die Befreiung 


Die Auflösung der französischen Armee in Rußland leitet den eigentlichen Befreiungs- 
kampf ein. Im Schicksal, das der „Großen Armee“ widerfuhr, erblickte man eine Weisung 
Gottes. Andere konnten ihre grenzenlose Freude über die Niederlage Napoleons bei 
Moskau nicht verbergen, wovon die folgenden Lieder bis heute Kunde geben. Auf dem 
Zimmer des Turnvaters Jahn dichtete 1812 Ferdinand August: 


Es irrt Durch Schnee und Wald umher Fähnrich ohne Fahn’ 


das große, mächt’ge Franzenheer. Flinten ohne Hahn, 

Der Kaifer auf der Flucht, Büchfen ohne Schuß, 

Soldaten ohne Zucht. Fußvolk ohne Fuß. 

Mit Mann und Roß und Wagen Mit Mann und Roß und Wagen 
Hat fie der Herr gefchlagen. Hat fie der Herr gefchlagen. 
Jäger ohn’ Gemehr, Feldherrn ohne Wit, 

Kaifer ohne Heer, Stüchleut' ohn’ Gefchütß, 

Heer ohne Kaifer, Flüchter ohne Schuh, 

Wildnis ohne Weiter. Nirgends Raft und Ruh. 

Mit Mann und Roß und Wagen Mit Mann und Roß und Wagen 
Hat fie der Herr gefchlagen. Hat fie der Herr gefchlagen. 


Speicher ohne Brot, 

Aller Arten Not, 

Wagen ohne Rad, 

Alles müd’ und matt, 
Kranke ohne Wagen 

So hat fie Gott gefchlagen. 


Im Elsaß sang im gleichen Jahr das Volk: 


Kaiſer Napoleon ift nach Rüßland zogen, 
hat fogar die große Stadt Moskau eingenommen. 


Ein französſcher Offizier ſprach: „Mer ſin verlore, 
Alli unſri ſchöſchti Mann fin im Schnee verfrore! 


Grenadier und Voltigeur ſteigen auf die Schanze, 
Spielen ſie und morden ſie mit ihre ſcharfen Lanze. 


Spanien und Engelland dien ſie's gloria ſinge, 
Rüßland müeß verriſſen fein, ſunſcht giebs keine Friede.“ 


Nach dem Brand von Moskau, der den Untergang Napoleons einleitete, sangen die 
Berliner 1812: 


Warte 

Bonaparte 

marte Kujon, 

andre Woche, wir kriegen dich [djon. 


37 


Ja ber Ruſſe, ja ber Ruff’ 

hat uns gezeigt, wie mans machen mug: 
Im ganzen Kremmel 

nicht eine Semmel, 

und auf den Hacken 

immer nur Hunger und Koſacken, 

ja der Ruff 

Bat uns gezeigt, wie mans madjen muß. 


Hin der Blitz 

deiner Sonne von Auſterlitz, 
unterm Schnee 

liegen all deine Corps d' Armee. 


Warte 

Bonaparte 

warte Kujon, 

andre Woche, wir kriegen dich ſchon. 


Nachdem der schwankende und zögernde Preußenkönig Friedrich Wilhelm III. endlich 
am 17. März 1813 sein Volk zu den Waffen rief, kannte die Begeisterung keine Grenzen. 
Der Aufstand brach mächtig und siegreich hervor. Die Ereignisse dieses Jahres werden 
in dem Lied von Karl Heun wundervoll geschildert. 


38 


Der König rief, und alle, alle kamen mit Waffen muthig in der Hand, 
und jeder Preuße ftritt in Gottes Namen für das geliebte Vaterland. 
Und jeder gab, mae er nur konnte geben: 

Kind, Hab und Gut, Gelundheit, Blut und Leben. 

Mit Gott für König und für Vaterland. 


Wir lebten Zeiten, die nie wiederkommen, die Hoffnung wuchs mit jedem Tag, 
wer hat, wie wir, lo deutlich wahrgenommen, was ein hochherzig Volk vermag! 
Ihr folit mit edlem Stolz euch Preußen nennen, 

die Edelſten in dieler Zeit erkennen. 

Mit uns ift Gott und unfer Vaterland. 


Der Blüthenmai, dem taufend Sänger fangen, entfaltete kaum feine Pracht, 
als alles mit dem brennendften Verlangen hinellte zu der kühnen Schlacht. 
Dae Blut der Krieger röthete die Saaten, 

und Heldenmuth gebar dort Heldenthaten. 

Es galt dem König und dem Vaterland. 


Die Lerche fchwieg und wilde Feuerfchlünde Durchbebten Luft und Wald und Feld. 
Des Fürftenzornes letzte Schaudergründe erfichütterten die halbe Welt. 

Der Todesengel breitete die Flügel, 

und manchen Braven deckt ein fremder Hügel. 

Er fiel für König und für Vaterland. 


Und mancher kehrte heim, bedeckt mit Wunden, ein ftilles Lager fucht fein Schmerz) 
doch zählt er einfam lange, bange Stunden, ihn labt, ihn pflegt kein llebend Herz! 
O Preußen, eilt mit Lieb an fein Bette, 

bringt Troſt und Hoffnung an die Schmerzenstftättel 

Er leidet, Brüder, für Das Vaterland. 


Aus dem gleichen Geist ist ein preußisches Soldatenlied entstanden, in dem es heißt: 


Feinde ringsum! Feinde ringsum! 
Hörſt du die ziſchende Schlange? Vaterland iſt dir nicht bange? 
Bange — warum? bange — warum? 


Zittre du nicht! Zittre du nicht! 
Hörſt im unſinnigen Raſen du die Trompete ſie blaſen? 
Zittre du nicht! 


Vaterland weint! Vaterland weint! , 
Hörſt bu? unb Vaterlands Thränen, macht aus Soldaten Hyänen, 
Fluch für den Feind. 


Kopf in die Höh! Kopf in die Höh! 

Stolzer, wir kommen, wir kommen! haben ſchon Abſchied genommen 
— that uns ſo weh! 

Weib, gute Nacht! Weib, gute Nacht! 


Pallaſch zwiſchen die Zähne. Fällt auch darauf eine Thräne. 
Fort in die Schlacht! 


Satirisch und dennoch mit volkstümlicher Einfachheit verlachen die Preußen ihre tran- 
zösischen Gegner, als diese Mainz aufgeben mußten: 


Gottlob! bie Stund ift fommen, bab wir ber Noth entnommen 
aus Mainz marſchiren aus. Viel Jammer ohne Maaßen bedrückt uns, 
wir saßen in dieſem Loch, als wie die Maus. 


Wer ſeinen Kopf raus ſteckte, der Preuße ihn entdeckte, 
war gleich die Kugel da, und ſtreckte ihn zu Boden, 
daß er in's Reid) der Todten marſchirt, die Welt nie wiederſah. 


Stets hinter Wall und Mauer ward uns der Dienſt ſehr ſauer, 
wir mußten Tag und Nacht vor der Preußſchen Kugeln kriechen 
und auf der Erde liegen, kein Bette ward für uns gemacht. 


Und Fleiſch von Kalb und Rindern, das kam uns armen Sündern 
niemals für Maul und Zahn. Wenn man in Hunger ſchmachtet, 
dann ward ein Pferd geſchlachtet, aud Hund und Katzen mußten d' ran. 


Brandwein war nicht zu haben, an ſauren Wein RH laben, 
ift gar ein ſchlechter Schmaus. Es hatten [don die Pfaffen, 
die wir fort mußten ſchaffen, den guten Wein geloffen aus. 


Wenn man uns commandirte, des Nachts zum Ausfall führte, 
o weh! da ging es ſchief; Kartetſchen wie ein Regen 
[Gog uns der Preuß entgegen, der eine fiel, der andre Tief. 


Wenn Preuß'ſche Batterien nach Mainz ihr Feuer ſpien, 
ſo war's als wenn ſich hier aufthat die ganze Hölle, 
des Teufel fein Geſelle war jetzt der Preuß'ſche Bombardier. 


Nach überſtandnen Leiden ziehn wir mit großen Freuden 
nach Frankreich nun zurück. Habt Dank! ihr tapfern Preußen, 
daß ihr uns laſſet reiſen. Gott geb' euch bald des Friedens Glück! 


39 


Nicht alle Lieder waren von der gleichen freudigen Stimmung. Das folgende Lied, das 
wir unter der Überschrift ,,Soldaten-Schwermuth" in einem alten Liederbuch der Frei- 
willigen von 1813 fanden, hat Blücher mit der Bemerkung „das ist jaeinSchwere- 
nots-Lied!" verboten. Wir drucken ein paar bezeichnende Verse daraus ab: 


Holde Nacht, dein dunkler Schleier dedet 
Mein Geſicht vielleicht zum letzten Mal! 
Morgen lieg' ich ſchon dahingeſtrecket, 
Ausgelöſcht aus der Lebend'gen Zahl. 


Freudig hüpft und fragt ein muntrer Knabe: 
Mutter! kommt nicht unſer Vater bald? 
Armes Kind, Dein Vater liegt im Grabe, 
Sein Auge ſieht nicht mehr der Sonne Strahl! 


Dort liegt ſchon ein Held mit Sand bedecket, 
Waiſe ijt das Mädchen und der Knab’; 

Hier liegt auch ein Sohn dahin geſtrecket, 
Der den Aeltern Brod im Alter gab! 


Traurig, traurig, daß wir unſre Brüder 
Hier und dort als Krüppel wandern ſehn; 
Aber ſüße Pflicht iſt dennoch wieder, 
Muthig ſeinem Feind entgegengehn. 


Offizier von dem Garde ⸗Ulanen- Regiment. (Farbſtich von Jügel nach L. Wolf, 1809/10) 


40 


Nach der Schlacht von Belle Alliance gaben die Soldaten ihrer Siegesgewißheit dann 
einen geradezu übermütigen Ausdruck: 


Bonaparte, der wollte auf Reifen gehn. Ade! 

Und 1 die Länder am Rhein beſehn. Ade! 

D'rum ſpannte die alte Garde er ein, 

kutſchirte nach Belgien eiligſt hinein. Ade, Parischen, ade! 

Doch Blücher rief bald ein: „Werda?“ ihm zu. O weh! 

Und ſtört ihn in ſeiner gemächlichen Ruh. O weh! 

Bonaparte, Bonaparte, kehr um nach Paris, 

das einmal ſchon treulos den Hintern dir wies. Ade! Ade! Ade! 


Die Preußen, die hemmten den Kaiſer SE O web! 

Gie fpannten die ue vom Wagen ibm ab. O weh! 

Ach, bliebſt bu auf Elba mit friedlichem Sinn, 

da kommt doch der Preußiſche „Vorwärts“ nicht hin! Ade! Ade! Ade! 
O Codrus*), o Niklas“), wie kannſt bu fo fliehn. Ade! 

So ſchmählich dich aus der Affaire ziehn. Ade! 

Sehn das die Pariſer, und kommſt du nach Haus 

ſie kratzen die Augen dem Empereur aus. Ade! Ade! Ade! 


Bei Quatre- Bas, wenige Tage vor der Schlacht bei Waterloo, fiel 1815 der Herzog von 
Braunschweig, dem seine Totenkopthusaren ein wunderschönes Trauerlied sangen: 


Herzog Oele, der tapfre Held, 

der führte feine Krieger in Das Feld. 

Und er führte fie vor Haubitzen und Kanonen, 
wir tun den Feind niemals fchonen, 

wir Schwarzen, wir rufen: Hurra 

Ganz mutig ſtehn wir da. 


Ganz ſchwarz ſind wir montiert, 

mit Mut ſind wir ausſtaffiert 

auf dem Tichako tragen wir den Totenkopf 
wir haben verloren unfern Herzog. 

Wir Schwarzen, wir rufen: Hurra 

Ganz mutig ſtehn wir da. 


Herzog Oels der tapfre Mann, 

der führte uns Schwarzen an, 

unfer Herzog, und der iſt verloren, 

o mären die Welſchen nicht geboren. 
Wir Schwarzen, wir rufen: Hurra 
Ganz mutig ſtehn wir da. 


Als wir zogen in Braunſchweig ein, 
da fingen viele Taufend an zu mein’. 
Unfer Herzog, und der ift verloren, 
ach wären wir Schwarzen nicht geboren. 
Wir Schwarzen, wir rufen: Hurra 
Ganz mutig ftehn wir da. 

PS ae a VETE NR 

In einem alten Liederbuch jener Zeit finden wir die folgenden Bemerkungen: 


*) Napoleon hatte RG häufig mit Codrus, König von Athen, verglichen, der ſich für ſein Volk geopfert. 


**) Augemeln 5 4 
Maelen qugelest e man, Napoleon hieß „Niklas“, und hätte fij nur den Hodtrabenden Namen 


41 


In den Feffeln der Reaktion 


Die Schlacht bei Waterloo hatte endgültig gegen Bonaparte entschieden, das Land 
war frei, aber die MO WIRE aller Freiheitskämpter auf ein geeintes Reich mit einer unserem 
Volk not tuenden einheitlichen Führung blieb unerfüllt. Der Freiherr vom Stein mußte 
abtreten, Fürst Metternichs konservatives System erstickte jegliche freiheitliche Regung 
die sich in irgendeinem der deutschen Länder kund tat. Das nachstehende, ursprünglic 
gegen die Franzosen gesungene Kampflied wurde alsbald das Schwurlied der jungen 

eutschen, namentlich der Burschenschaften, in dem sie ihren Willen fiir ein freies und 
ne Reich bekundeten. (Zuerst gesungen am 18.Oktober 1814, verfaßt von Johann 

ottfried Christian Nonne.) 


lamme empor! ier auf den Höh'n 

teige mit loderndem Scheine eudjt, du brennendes Zeichen, 
Auf den Gebirgen am Rheine Daß alle Feinde erbleichen, 
Slühend empor! Wenn fie dich ſehn! 
Siehe, wir ſtehn Stehet vereint, 
Tren im geweiheten Kreiſe, Brüder, und laßt uns mit Blitzen 
Dich zu des Vaterlands Preiſe Unire Gebirge beſchützen 
Brennen zu ſehn! Segen den Feind 
Peitige Glut! Leuchtender Schein! 

ufe die Jugend zuſammen, Siehe, wir ſingenden Paare 
Daß bei den L Flammen Schwören am lommenattaee, 
Wade der Mut! Deutſche zu fein! 


öre das Wort! 

ater, auf Leben und Sterben, 
gili uns die Freiheit erwerben, 

ei unſer Hort! 


An die Deutíden 


Spottet nicht des Kinds, wenn es mit Peitſch und Sporn 
Auf dem Roffe von Holz mutig und groß fich oünht. 
Denn, ihr Deutfchen, auch ihr feid 

Tatenarm und gedankenvoll! 


Oder kommt, wie der Strahl aus dem Gewölke kommt, 
Aus Gedanken die Tat? Beben die Bücher bald? 


© ihr Lieben! fo nehmt mich, 
Daß ich büße die Läfterung! Fr. Hölderlin 


Die große Enttäuschung, in der die Deutschen zu jener Zeit lebten, geht aus dem 
Gedicht Uhlands hervor. Er schrieb es (am 18. Oktober 1816) zur Erinnerung an das 
Völkerringen von Leipzig und beschwor in ihm die Fürsten und Völker, das Blutopter 
der deutschen Mannschaft nicht zu vergessen und zu verraten. Die Burschenschaften, 
denen Uhland nahestand, verbreiteten das Gedicht auf dem Wartburglest, und bald 
gehörte es zu den meistgesungenen Liedern der deutschen Sänger und Turner. 


Wenn heut ein Geift herniederſtiege, 
gualeid ein Sänger unb ein Held, 
in folder, der im heil'gen Kriege 

Gefallen auf dem Siegesfeld, 


42 


Der ſänge wohl auf deutſcher Erde 
Ein ſcharſes Lied, wie Schwertesſtreich, 
Nicht ſo, wie ich es künden werde, 
Nein! himmelskräftig, donnergleich: 


„Man ſprach einmal von Feſtgelänute, 
Man ſprach von einem Feuermeer: 
Doch, was das große Feſt bedeute, 
Weiß es denn jetzt noch irgendwer? 
Wohl müflen Geiſter niederſteigen, 
Von heil' gem Eifer aufgeregt, 

Und ihre Wundenmale zeigen, 

Daß ihr darein die Finger legt. 


Ihr Fürſten! ſeid zuerſt befraget: 
Vergaßt ihr jenen Tag der Schlacht, 
An dem ihr auf den Knien laget 

Und huldigtet der höhern Macht? 
Wenn eure Schmach die Völker löſten, 
Wenn ihre Treue ſie erprobt, 

So iſt's an euch, nicht zu vertröſten, 
Zu leiſten jetzt, was ihr gelobt. 


Ihr Völker! die ihr viel gelitten, 

Vergaßt auch ihr den ſchwülen Tag? 

Das Herrlichſte, was ihr erſtritten, 

Wie kommt's, daß es nicht frommen mag? 
Zermalmt habt ihr die fremden Horden, 
Doch innen hat ſich nichts gehellt, 

Und Freie ſeid ihr nicht geworden, 

Wenn ihr das Recht nicht feit geſtellt. 


Ihr Weiſen! Muß man euch berichten, 

Die ihr doch alles wiſſen wollt, 

Wie die Einfältigen und Schlichten 

p flares Recht ihr Blut gezollt? 
eint ihr, daß in den heißen Gluten 

Die Zeit, ein Phönix, ſich erneut, 

Nur um die Eier auszubruten, 

Die ihr geſchäftig unterſtreut? 


Ihr Fürſtenrat und Hoſmarſchälle 

Mit trübem Stern auf kalter Bruſt, 

Die ihr vom Kampf um Leipzigs Wälle 

Wohl gar bis heute nichts gewußt, 

Bernehmt! an dieſem heut'gen Tage 
ielt Gott der Herr ein groß Gericht. 
hr aber hört nicht, was ich ſage, 

Ihr glaubt an Geiſterſtimmen nicht. 


Was ich geſollt, hab' ich geſungen, 

Und wieder ſchwing' ich mich empor, 
Was meinem Blick ſich aufgedrungen, 
Verkünd' ich dort bem felgen Chor: 
Nicht rühmen kann ich, nicht verdammen, 
Untröſtlich (Ke noch allerwärts, 

Doch ſah ich manches Auge flammen 

Und klopfen hört' ich manches Herz.“ 


43 


Mit bitteren Worten ironisiert Hoffmann von Fallersleben die Würdelosigkeit der 


Staatslenkung: 


Wo find noch Würm’ und Drachen, 
Riefen mit Schwert und Speer? 
Was kannft Du weiter machen? 
Schlafe! Was millt du mehr? 


Du haft genug gelitten 

Qualen in Kampf und Strauß) 
Du haft genug geftritten - 
Schlafe, mein Volk, fchlaf aus! 


Wo find noch Würm’ und Drachen, 
Riefen mit Schwert und Speer? 

Die Volksvertreter wachen 
Schlafe, was wlllſt du mehr? 


Ähnlich wie wir lange 15 Jahre nach dem Kriege gegen ein System der Zerstörung 
ankdmpfen mußten, waren auch den Deutschen jener Zeit Gewalt und Korruption, die 
jedes System notwendig mit sich bringt, tief verhaBt, was aus diesen Zeilen (1839) unmiß- 


verstündlich hervorgeht. 


Ich weiß ein allgewaltig Wort, 
Auf Meilen hört's ein Tauber! 
Es wirkt geſchäftig fort und fort 
Mit unbegriffnem Zauber. 


Iſt nirgends und iſt überall, 
Bald läſtig, bald bequem; 

Es paßt auf ein und jeden Fall, 
Das Wort, es heizt: Syſtem! 


Für die ungeheure Verbitterung, die in der sogenannten „vormärzlichen Zeit” gegen die 
Mehrzahl der deutschen Fürsten herrschte, weil sie die Freiheit und Einheit der Völker 
verraten hatten, ist das folgende Lied ein beredtes Zeugnis. Die „Stimmen im Volke“ 
bilden den Schlußchor eines großen Chorwerkes, einer Art revolutionärer Katechismus, 
der unter den zahlreichen Verschwörerkreisen nur mündlich weitergegeben werden konnte. 
Der Verlasser Karl Follen mußte frühzeitig ins Ausland flüchten. 


44 


Viele Stimmen im Volke 


Brüder, fo kann’s nicht gehn, 
Laßt une zufammenftehn, 
Duldet’s nicht mehr! 

Fretheit, dein Baum fault ab, 
Jeder am Bettelftab 

Beißt bald ins Hungergrab; 
Volk, ins Gemehr! 


Brüder in Gold und Seid’, 
Brüder im Bauernkleid, 
Reicht euch die Hand! 

Allen ruft Teutichlands Not, 
Allen des Herrn Gebot: 
Schlagt eure Plager tot, 
Rettet das Land! 


Das „Lied der Verfolgten“, das Lied, „das trotz aller Zensur seit einiger Zeit unleug- 
bar und unaufhaltsam mit seiner wohlklingenden Melodie durch die deutschen Gaue 
ht", wie es ein Politiker jener Zeit apostrophierte, wurde von dem revolutionären 
iteraten Wilhelm Sauerwein ebenlalls in der Emigration geschrieben, land aber in 


Deutschland schnelle und weite Verbreitu 


fungen eine lange Nachwirkung. — Die 


und durch jeweilige zeitgemäße Umgestal- 
erson Absaloms als biblisches Vorbild eines 


Revolutionärs war in der Zeitdichtung nach 1830 sehr beliebt. 


Lied der Verfolgten 


Wenn die Fürſten fragen: 
Was macht Abſalon? 
Laſſet ihnen ſagen: 

Ei, der hänget ſchon — 
Doch an keinem Baume 
Und an keinem Strick, 
Sondern an dem Traume 
Einer Nepublik. 


Wollen ſie gar wiſſen, 


Wie's dem Flüchtling geht; 
Sprecht: der iſt zerriſſen, 
Wo ihr ihn beſeht. 

Nichts blieb ihm auf Erden 
Als Verzweiflungsſtreich 
Und Soldat zu werden 
Für ein freies Reid. 


Fragen ſie gerühret: 

Will er Amneſtie? 

Sprecht, wie ſich's gebühret: 
Er hat ſteife Knie. 

Gebt nur enre großen 
Purpurmäutel her, 

Das gibt gute Hoſen 

Für das Freiheitsheer. 


Wilhelm Sauerwein. 


Nacht wächterlied 1826 


Hört, ihr Herrn, und laßt euch ſagen, 
Was die Glocke hat gefchlagen! 
Geht nach Haus und wahrt das Licht, 
Daß dem Staat kein Schaden gefchicht. 


Lobt die Jefuiten! 


Hört, ihr Herrn, wir brauchen heute 
Gute, nicht gelehrte Leute, 
Seid ihr einmal doch gelehrt, 
Sorgt, daß keiner es erfährt. 


Lobt die Jefuiten! 


Hört, ihr Herrn, fo ſoll es werden: 
Gott im Himmel, wir auf Erden, 
Und der König abfolut, 
Wenn er unfern Willen tut. 


Lobt die Jefuiten! 


Adalbert von Chamiſſo 


Es paßt so ganz in diese reaktionäre Zeit, daß sie den Jesuiten erlaubte, sich nach 
und nach in allen deutschen Staaten wieder einzunisten und durch ihr Wirken noch 
mehr Unheil, als bislang schon vorhanden war, unter dem Volke anzurichten. Mit welchen 
zweifelhaften Gefühlen — um es milde auszudrücken — bereits unsere Vorlahren das 
Leben und Treiben dieser Gesellschaft des Herrn beurteilte, erhellt recht deutlich aus 
den folgenden, damals weitverbreiteten Spottversen. (Entstanden um 1839.) 


Der Jefuit 


Es geht ein finftres Weſen um, 
Das nennt ſich Jeſuit; 

Es redet nicht, iſt ſtill und ſtumm, 
Und ſchleichend iſt ſein Tritt. 


Es trägt ein langes Trau'rgewand 


Und kurzgeſchorenes Haar, [Land, 


Und bringt die Nacht zurück ins 
Wo ſchon die Dämmrung war. 


Es hat nicht Raſt und hat nicht Ruh' 
Und hat ein fahl Geſicht; 

Es drückt beim Tag die Augen zu, 
Als beiße es das Licht. 


Es wohnt in einem öden Haus 
Und ſinnt auf neuen Zwang, 
Und ſchaut es in die Welt hinaus, 
So wird der Menſchheit bang. 


Neue Wrangel'fche 
StraBenreinigungemafchine 
(Kladderadatich, 1848) 


46 


So [hönen Namen leihn! 


Den Herrn Barons Beiſele unb fines Hoefmelſters Dr. Eiſele 
rue feos? a gt bard Dessen. 


Und Jefu trug ein farbig Kleid, 
Und ſeine Bruſt war bloß, 

Und was er ſprach, war Seligkeit, 
Und was er tat, war groß, 


Und Jeſu trug ein wallend Haar, 
Und feine Wang’ war rot, 
Und Jefu offnes Auge war 
Go frei — mie [ein Gebot. 


Am dattelreichen Palmenbaum 
Dalehrt er ſein Gebet 
Und träumte ſeiner Liebe Traum 
Am See Genezareth. — 


Drum, ſeh' ich ſolch 'nen Finſter⸗ 
Sofällt mir immer ein: lling, 
Wie kann man doch fold wüſtem 
[Ding 


— | 


—— 


Nach vieljährigen Einigungsversuchen der deutschen Stämme bildete schließlich der 
„Deutsche Zollverein" vom Jahre 1834 das etwas magere Ergebnis, über das 
Hoffmann von Fallersleben seine Resignation launig kundgab: 


Der deutſche Zollverein 
(24. Februar 1840) 


Schwefel hölzer, Fenchel, Briden, 

Kühe, Käſe, Krapp, Papier, 

Schinken, Scheren, Stiefel, Wicken, 

Wolle, Seife, Garn und Bier; 
Pfefferkuchen Lumpen, Trichter, 

Nüße, Tabak, Gläſer, Flachs, 

Leder, Salz, Schmalz, Puppen, Lichter, 
Kettich, Rips, Raps, Schnaps, Lachs, Wachs! 


Und ihr andern deutſchen Sachen, 
Tauſend Dank fet euch gebracht! 
Was kein Geiſt je konnte machen, 
Ei, das habet ihr gemacht: 
Denn ihr habt ein Band gewunden 
Um das deutſche Vaterland, 

Und die Herzen hat verbunden 
Mehr als unſer Bund dies Band. 


E sei der Bericht von einer Episode eingefügt, die das Bild jener Jahre abrundet: 

en 26. Juli 1844 hatte der Bürgermeister Tschech aus Storkow (Kurmark) einen Anschlag 

p ‚König Friedrich Wilhelm IV. und die Königin verübt. Das Attentat mißlang, wie die 
erliner im volkstümlichen Spottlied sangen: 


Wer war wohl je jo fred 

Als ber Bürgermeiſter Tſchech? 
Denn er ſchoß ein ganz klein wenig 
Vorbei an unſerm guten König. 
Ihm ging's durch'n Mantel 


Ihr ging's durch'n Hut, 

Dunker hat es gleich erraten, 
Daß er wollte attentaten, 

Als er kam ſo grau bemäntelt 
Über'n Schloßplatz her gewentelt. 


Und er ſchoß in blinder Wut 
Unſerer Königin durch den Hut, 
Der verfluchte Attentäter, 
Königsmörder, Hochverräter. 


Wir kamen ſo bei einem Haar 
Um unſer edles Königspaar. 
Hieraus nun jedermann erſicht: 
Trau’ keinem Bürgermeiſter nicht! 


47 


1848 


Im Frühling 1848 brach der Sturm los. Die ganze ER e | und Verbitterung, die 
sich im Laufe von 30 Jahren angesammelt hatte, der ungeheure Haß gegen die Fürsten, 
die das Volk schamlos ausgenutzt und betrogen, die Einigung des Reiches aber in ihrem 
1 aufgehalten hatten, drängte jetzt unaufhaltsam zur Entladung. War die Volks- 
erhebung im Grunde von edelsten Bestrebungen getragen, so konnte freilich auch damals 
nicht vermieden werden, daß niedere Instinkte den Radikalismus unnötig steigerten. Den 
revolutionären Schwung, von dem die Menge in jenem Frühjahr beherrscht war, veranschau- 
lichen trellend die beiden folgenden Lieder, in denen ein echtes revolutionäres Pathos 


zum Durchbruch kommt. 
Deutiche Volkshymne 
(April 1848) 


Aut, Brüder, auf! Das Schwert zur Hand! Auf, Brüder, mutig in den Streit! 
Im Sturmſchritt vor, o Vaterland! Wie auch der Feind Kartätichen fpeit! 


Ein Volk! Ein Heer! Ein Wetterfchlagt Fir Zorn! Ein Sporn! Ein Rachefchrei! 
Nun kommt der Freiheit großer Tag! 
Nun Deutſchland, follft du ftrahlen! 


Zu Boden mit der Tyranneil 
Das Volk läßt fich nicht fpotten! 


Kokarden auf ... 


Kokarden auf! 

Standarten auf! 

Aus Nacht, durch Blut, zum Licht hinauf! 
O Glanz! O Sieg! O helle Ruhmesbahn! 
Auf, Vaterland! Voran! 


Heil, Freiheit, dir! Du Völkerzier! 

Dir leben wir, dir fterben wir! 

FlieB hin, o Blut, flieB in den Sand! 
O füßer Tod fürs Vaterland! 

O fchöner Tod der Ehre! 


Kokarden auf ... 


Frifch auf! Frifch auf! Und einig feld! 
So kommt dem Volk die Herrlichkeit. 
Ein Herz, ein Sinn und ein Panier! 
In Siefem Zeichen fiegen mir! 
Das macht den Feind zufchanden. 
Kokarden auf ... 


Aufruf 


uge aus der Erden! 

Schwerter werden, 

t im Himmel wird's verzeihn. 
I 


as Verſeſchweißen! 
legt das ih: 
I bas Eiſen fein. 


Tannen, eure Eichen — 

die grünen . 

Deutſcher Freiheit ihr gewahrt? 
f 


ein, fie ſoll nicht untergehen! 
o ch ib fröhlich Auferſtehen 
oſtet eine Höllenfahrt. 


Friedrich Stolze 


en 


1 o laßt d 
den Ambo 
iland ſo 


DE 


te Kreuze aus der Erden! 
llen Schwerter werden; 
t im Himmel wird's verzeihn. 


ört er unſer Feuer braufen 
nd ſein heilig Eiſen ſauſen, 
Spricht er wohl den Segen drein. 


en S BS ha RO RY 


48 


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H. Schäufelein 


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mit Luntenschlössern aus dem 16. Jahrhundert 


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| Belagerung einer Stadt im 15. Jahrhundert (aus Vergil, Straßburg 1502) 


bie Kreuze aus der Erden! 
[ Schwerter werden; 
im Himmel wird’s verzethn. 
e 


"unen unb BHilifter! 
4 Schwert hat feine Prieſter, 
nd wir wollen Prieſter ſein! Georg Herwegh 
Eine hübsche Antwort auf dieses Lied gab wenig später Justinus Kerner. Wie 
sein kleiner Spottvers bezeugt, waren durchaus nicht alle deutschen Geister mit ihrem 
Herzen bei den Revolutionären. Im Gegenteil, diesen und jenen freute es, als die 
Schwerter der Fürsten siegreich blieben. 


„Reißt bie Kreuze aus ber Erden, 

Alle a Schwerter werden!“ 

War dein Schlachtruf; jetzt, mid) frent’s! 
Machſt mit duo tlihen Gebärden 

Bor den Schwertern bu ein Kreuz.“ 


Wie in allen revolutionären Bewegungen spielte die soziale Frage auch 1848 eine 
wichtige Rolle, obwohl sie ihre unerbittliche Schärfe erst einige Jahrzehnte später erhielt, 
erst dann nämlich, als die Mechanisierung und Industrialisierung des menschlichen Lebens 
die alten Bindungen und Ordnungen weitgehend aufgelöst hatte und ein immer größer 
werdender Teil des deutschen Volkes der Proletarisierung anheimgetallen war. Dennoch 
müssen die Aufstände von 1848 nicht nur als Protest gegen die nationale, sondern auch 
gegen die herrschende soziale Unordnung angesehen werden. 


Carl Heinrich Schnaulfers (1822—1854, Freund Friedrich Heckers) 1848 erschienenen 
„Neuen Lieder für das Deutsche Volk“ gehören zu den größten Seltenheiten. Schnaufters 
Gedichte, im Ausdruck dem politischen Wortschatz seiner Zeit verhaftet, sind das erste 
dichterische Fanal sozialen Kampfes. 


Das Broletariat 


Iſt ganz das Recht verrottet, 
Des armen Mannes Recht, 


Wir find die armen Sünder 
Auf Gottes reicher Welt. 


Wir zeugen ihnen Kinder 

ürs Schlacht⸗ und Pflügerfeld. 

ir ſind der Fuß und ſind die Hand! 
— Doch weiter nichts im Staat, 
Wir bleiben arm und unbekannt, 


Daß heute man verſpottet 

Das hungernde Geſchlecht?! — 
O glaub an keines Gottes Fluch, 
Du armes Volk der Tat, 

Und zeichne in dein Fahnentuch 


Das Proletariat! „Das Proletariat“! 


Dies Wort wird allen zeigen, 

Daß unſer Leid ſich regt, 

Daß ſtark der Puls der Quen 

In unſern Adern ſchlägt. 

Wir find nicht vor der Zukunft bang, 
Wir find nicht ohne Rat! 

Denn fertig ſteht zu jedem Gang 
Das Proletariat! 


Aufruf 
Das Neue muß uns frommen, 
Das Alte will verkommen, 
Drum ſingen wir ein neues Lied, 
Und werden' s nicht zu fingen müd: 


Bahn freil 


49 


B : : : 

x L^ De de any KO pie ae SN A loser, ques qn er om 
x ` 

on Are vo» - A 


Daumier, Koquetterie 


Die Aufstände der Bürger und Bauern waren in allen Städten und Gauen Deutschlands 
durch den Einsatz der Armee niedergeschlagen, an mehreren Orten war viel Blut ge- 
flossen. Hunderte von deutschen Männern gingen freiwillig oder gezwungen ins Exil. 
Die Niedergeschlagenheit war grenzenlos, aber die Hoffnung, daß der Ruf des Volkes 
eines Tages doch übermächtig laut werden würde, war nicht tot. Die folgenden Lieder 
und Sprüche, die unmittelbar unter dem Eindruck der „verlorenen Schlacht“ geschrieben 
rir bela geben ein anschauliches Bild von der Stimmung, wie sie damals geherrscht 

aben mag. 


Trog alledem! 


Das war 'ne heiße Mirzenzeit, t Doch find mir frifch und wohlgemut, 
Troß Regen, Schnee und alledem! Und zagen nicht trot alledem! 
Nun aber, da es Blüten fchneit, Aus tiefer Bruft des Zornes Glut, 
Nun ift es halt, trot; alledem! Die hält uns warm trotz alledem! 
Troß alledem und alledem - Trotz alledem und alledem, 
Trotz Wien, Berlin und alledem - Es gilt uns gleich trotz alledem! 
Ein ſchnöder, ſcharfer Winterwind Wir fchütteln une: Ein garſt' ger Wind, 
Durchfröftelt uns trotz alledem! Doch weiter nichts trotz alledem! 
Das iſt der Wind der Reaktion Nur was zerfällt, vertretet ihr! 
Mit Meltau, Reif und alledem! Seid Kaften nur, trotz alledem! 
Dae ift die Bourgeoifie am Thron - Wir find das Volk, die Menfchheit rir, 
Der annoch fteht, trot; alledem! Sind ewig drum, trot alledem! 
Trotz alledem und alledem, Trotz alledem und alledem: 
Trot Blutſchuld, Trug und alledem - So kommt denn an, troß alledem! 
Er fteht noch, und er hudelt uns Ihr hemmt uns, doch ihr zwingt uns nicht - 
Wie früher fat, trot; alledem! Unfer die Welt trot alledem! 
Düffeldorf, Anfang Juni 1848 Ferdinand Freiligrath 


Heinrich Hoffmann von Fallersleben singt resigniert: 
Der hoe oe fehret wieder, 
Der Wald wird wieder griin, 
Dod an dem Baum der Freiheit 
Will keine Blüte blühn. 


50 


Und derselbe Dichter schreibt am 6. Dezember 1848 unter einem bissigen Motto: 
„Und der König wird tun, was er will.“ 


Ausgelitten, ausgerungen 

feit du endlich, dentſches Herz, 
side et einmal verklungen, 
Dieſer dentſche Freiheitsmärz. 


Ert, daß wir geworden kühler, 

Wie es zum Dezember paßt. 

Unjre freiheitstrunknen Wühler 
tek uus von je verhaßt. 


Gut, daß wir jetzt ohne Zittern 
Nehmen jedes Blatt zur je , 
Uns das Leben nicht verbittern 
Um das liebe Vaterland. 


Proph. Daniel 11,36. 


Gut, daß möglich iſt geworden, 
Wie's zur guten Zeit doch war, 
u erhalten einen Orden 
der einen Titel gar. 


Gott fei Dank, daß alles wieder 
Nun zur Ordnung kehrt zurück; 
Nur vom Throne tränfelt nieder 
Wie vom Himmel Heil und Glück. 


Weg mit allen Barrikaden! 

Weg mit aller Bürgerwehr! 

Hoch der 1 „von Gottes Gnaden!“ 
Hod fein ſieggewohntes Heer! 


Mit der Friedenspfeif’ im Munde 
Geht's ins Bierhaus auf die Wacht, 
Trinkt man bis zur Bürgerſtunde, 
Und dann — Freiheit, gute Nacht! 


Aus den „Fresken in der Paulskirche“: 


Deutſche Einheit. 
Sämtliche Stämme vereint, welch undurchdringlicher Urwald! 
Schad' nur, daß man den Wald noch vor den Bäumen nicht ſieht. 


* 


Intra et extra muros. 


Gründlich ergründen fie brin des Volks zu begründendes Grundrecht; | 
Draußen indes grundſchlecht wird es dem Volke zumut. 


Franz Dingelſtedt 


Der sehnsüchtige Wunsch aller Patrioten dieser Zeit war die Wiederherstellung der 
Monarchie. An der Spitze des umkämpften Reiches sollte unbedingt ein Kaiser stehen. 
Aber hoffnungslos debattierte man um seine Person, den Wahlgang oder um die ihm 
zustehenden Rechte. Hierüber konnten weder die zahllosen Stämme noch die Stände 
eine Einigung herbeiführen. Und so blieb die Wiedereinrichtung des Kaisertums ebenfalls 
ein Traum unter vielen anderen Träumen der 48er Patrioten. Das folgende, in jener 
Zeit viel gesungene Spottlied ist ein Zeugnis jener ratlosen, uns heute belustigend an- 
mutenden Bestrebungen. Es gehört zur „Reimchronik des Pfaften Maurizius". 


Der Kaiſer ſoll nicht erblich fein, 

Der Kaiſer ſoll nicht ſterblich ſein, 

Und auch nicht lebensdauerlich 

Und gar ſechsjährig — ſchauerl ich! 

der Kaiſer fol nicht wählbar fein 

Und nicht vom Volkshaus quälbar ſein, 
Der Kaiſer ſoll nicht unendlich ſein 

Und auch nicht präſidentlich fein — 

Was ſoll er ſein, was ſoll er ſein? 

D Gott vom Himmel, ſieh darein! 


Der Kaiſer ſoll kein Märker ſein 

Und fein beſoffner Berſerker fein, 

Er ſoll als andere nicht ſtärker ſein, 
Er ſoll kein halber Slave ſein, 

Der Kaiſer ſoll auch kein Bayer ſein, 
Er ſoll kein geflickter Dreier ſein. 

Der Kaiſer ſoll auch kein Sklave ſein, 
Der Kaiſer ſoll kein Freier ſein: 

Was ſoll er ſein, was ſoll er ſein? 
O Gott vom Himmel, ſieh darein! 


51 


Es foll ein Kaiſer anf Miete fein, 

Er fol eine bloße Mythe fein, 

Der wird von beſonderer Güte fein — 
Cin Kaiſer ber Berftändignng, 

Ein Kaiſer beliebiger Eudigung 

Und ohne Prinzipisverſündigung, 

Ein vogtiſcher Kaiſer auf Kündigung — 
Das ſoll er ſein, das ſoll er ſein, 

Cin Kaiſer auf Kündigung [oll es fein! 


An friedrich Wilhelm IV., 
von Gottes Gnaden König von Preußen 


Die Maske fiel — noch nicht die Krone — 
Und wie du prahlſt auf deinem Throne, 
Dein ganzes Weſen iſt erkannt. 

Mit einemmal iſt's kund geworden: 

Du biſt ein Nero auch im Morden, 

Nicht nur, wie er, ein Komödiant! 


Du haſt geſiegt. Nun ſei zufrieden, 
Auf blut'gen Leichenpyramiden 
pitang auf der Heuchelei Panier! 
u gabſt Bartholomausnddte 
Dem Königtum! Drück' bir die Rechte 
Dafür dein Schwager — der Baſchkir! — 


Doch juble nicht zu früh! Gedrungen 
In alles Volk von allen Zungen 
Iſt deine Anc Tat! 


Kein Kön arf mit Söldnerrotten 

So jedes Menſchenrechtes ſpotten — 

Erzittre, deine Stunde naht. Alfred Meißner 
Am 1. Dezember 1852 war der Rest der deutschen Flotte versteigert worden — eine 


der unrühmlichsten Erinnerungen aus der deutschen Geschichte. Das Gefühl, kein Vater- 
land zu besitzen, offenbarte sich u.a. in einer äußerst starken Auswanderung, die im 
Jahre 1854 ihren Höhepunkt erreichte. Die hoffnungslose Stimmung, die weite Kreise 
des deutschen Volkes beherrschte, jemals wieder ein starkes Vaterland zu gewinnen, ver- 
anlaßte Theobald Kerner, einen Sohn des bekannten Justinus Kerner, zu den folgenden 
ebenso einlachen wie ergreilenden Strophen: 


Auswanderers Lied 


Ich bin ein Deutfcher - diefer Stand 
Hat, wie thr mißt, kein Vaterland! 


Ich bin ein Deutfcher - auf dem Meer 
Schwimmt eine Flotte mir nimmermehr! 


Ich bin ein Deutfcher - auf dem Land 
Tritt man mich überall in Sandi 


Ich bin ein Deutfcher - dDieles Wort 
Treibt mich aus meiner Heimat fort. 


Ich bin - der Völker Paria, 
Und darum nach Amerihal Theobald Kerner 


52 


Mit den folgenden Versen verspottete Georg Herwegh den im August 1863 in Frankfurt 
auf die Initiative Kaiser Franz Josefs zustande gekommenen Fürstentag, der nach dem 
Plan Bismarcks durch das Fernbleiben Preußens von vornherein mißlingen mußte. 


zum Fürftentag (1863) 


Da figen fie, die Bögel alle, Da figen fie — man zog die Hüte 
Das groß und kleine Federvieh, Begeiſtert vor den Pferden Iden: 
Vom Kaiſeradler mit der Kralle Ja, die germaniſchen Geſtüte, 
Herunter bis zum Kolibri. Sie tragen ſtets den Sieg davon. 

Da Cie fie, der Spatz und 3eifig, O teure Bundesjouveräne, 

Die Preußenkrähe fehlt allein. Wie euer Anblick uns erfriſcht! 
Wir müſſen halt mit einunddreißig In Michels Auge glänzt die Träne, 
Tyrannen jetzt zufrieden ſein. Und mit dem Urmel wird gewiſcht. 
Da Fr Re — am 1 Die Inden haben euch gefüttert 

Der Heil'ge Geift hat fie erhellt; Mit Nektar und Ambroſta, 

Dort in der Eſchenheimer Gaſſe, Das ganze Deutihland war erſchüttert, 
Der dunkelſten auf dieſer Welt. Als es den Speiſezettel ſah. 


Georg Herwegh 


Es ist vielfach in Vergessenheit geraten, daß Friedrich Hebbel als Journalist und 
Dichter zu den politischen Zuständen seiner Zeit häufig und vielseitig Stellung genommen 
hat. Meistens geschah dies auf eine sehr ernsthafte und eindringliche Weise, mitunter 
kleidete er diese Betrachtungen, wie das folgende, wenig bekannte „Reiseabenteuer" 
zeigt, aber auch in höchst spöttische und humorvolle Formen. Ist die bornierte Klein- 
staaterei jener Zeit irgendwann treffender gegeißelt worden, als es hier geschieht? 


Ein Reiſeabentener in Deutſchland. 


Es flog in X. mein Hut mir ab, 
natürlich über die Grenze, 

und als ich, ihn wieder zu holen, lief, 
da gab's vertrackte Tänze. 


Ich durfte den deutſchen Nachbarſtaat 
nicht ohne Paß betreten, 

und da ich bloß ſpazierenging, 

ſo hatt' ich mir keinen erbeten. 


Das tat ich nun, auch wurde ich 
in Gnaden damit verſehen, 

doch war's um meinen armen Hut 
trotz alledem geſchehen. 


Der war ſchon längſt im dritten Staat 
und blieb auch dort nicht liegen, 

ihn ließ der ſchadenfrohe Wind 

ein Dutzend noch durchfliegen. 


Was half mir nun der gute Paß, 

den ich in X. genommen? 

Zehn neue braucht' ich in einem Tag, 
da war nicht nachzukommen. 


Ich kaufte mir einen andern Hut, 

der Meiſter aber erwählte 

den Wiener Kongreß zum Schutzpatron, 

als ich mein Schickſal erzählte. Friedrich Hebbel 


83 


Die ewigen Schmarotzer 


Es hat in allen Völkern und zu allen Zeiten eine jüdische Frage, d.h. eine profunde 
Abneigung gegen diese Rasse seitens der Völker gegeben, die bewußt oder unbewußt ihrer 
Art lebten. Dieser Feststellung bedarf es eigentlich nicht. Immerhin sei sie im Hinblick 
auf die letztjährigen Vorgänge in der Mehrzahl der europäischen Völker getroffen. Und 
das nachfolgende, gekürzt wiedergegebene Lied von Sebastian Brunner beweist unmiß- 
verständlich, was unsere Ahnen um die Mitte des vorigen Jahrhunderts von diesem „aus- 
Volk dachten, und wie sie schon damals unter den „jüdischen Tugenden” zu 
eiden hatten. 


WiederNebeljungeden Juden und Chriftenjungen 
eine rührende Predigt hält 
(Aus „Der Nebeljungen Lied“, 1845) 


Es war ein Volk, mit Ruhm bedeckt, 
Vor alten, alten Zeiten, 

Das hat ſich Gott der Herr erweckt, 
Es ſollte für ihn ſtreiten. 


Dort war die ganze Indenſchaft 

Noch rein und gottbegeiſtert, 

Jetzt iſt die Begeiſterung ziemlich flan, 
Und die Inden find ſchmutzverkleiſtert. 


erſtreut find die allüberall, 

ie eine Bombe diu e 
Wie mit Guano ijt alle It 
Mit Indenſchmutz gediinget. 


Sind denn die Kerle zu gar nichts da, 
Als nur zum Knoblaucheſſen, 
Kennen fie keinen andern Genuß 

Als den Genuß von hohen Int reſſen? 


Das Kriechen iſt ein Samenkorn, 
Das troget gar lang der 3erftótung, 
Es zeitigt früh oder ſpät eine Frucht, 
Diele fidere Frucht ijt: Empörung. 


Wir ſchicken die glühende Sinnlichkeit — 
Eine Judith — den Feinden ins Lager, 
Denn das frivole, halbnackte Lied 

Sit ein wahrer Kopfabſchlager. 


Drum ſtrenet Luft hinaus unters Bolt, 
Streut fie aus in klingendem Liebe, 

Und eine Saat wird bann ſicher verbrannt: 
Des Herzens innerer Friede! | 


„Ein jeder hat Recht anf des Lebens Luft, 
Man darf fie feinem verwehren!“ 

u biejem Wort müßt ihr vorerſt 

ie armen Teufel bekehren! 


Die Lehre der heiligen Wiſſenſchaft, 
Die will jetzt nimmer florieren. 
Das eine Wort aus der Schule blieb, 
Das goldene Wort: Spekulieren. 


Der alte Gott geht jetzt herum 
Wie der Geift von Hamlets Vater; 
Er wittert ſchon die Morgenluft 
Wie jenes Gelpenit im Theater. 


Wir sind niemals Jakobiner gewesen, die da meinten, daß alle Menschen fürstlichen 
Blutes während der letzten Jahrhunderte grundsätzlich verderbte und lasterhafte Wesen 
waren. Unter den zahllosen „Herrschern“, die Deutschlands Throne und Thrönchen be- 
völkerten, aber gab es freilich gar viele, die alles andere als ein vorbildliches Leben 
führten, zu dem sie durch ihr Amt noch mehr als andere verpflichtet waren. Es ist immer so 
over und als ein ganz natiirlicher Vorgang hinzunehmen, daB derjenige, der an der 

pitze steht, ausgestattet mit Rechten und Pflichten, die aus der Gemeinschaft kommen, 
der Erbitterung und Agitation immer stärker ausgesetzt ist als ein Mann des Volkes, 
wenn er sich gegen die selbstverständlichen Gebote der menschlichen Sitte vergeht. 
Und so widerfuhr es zahlreichen Fürsten des vergangenen Jahrhunderts. Das nur im 
Auszug wiedergegebene folgende Bänkelsängerlied ist ein Beispiel unter vielen, wie unmora- 
lisches Verhalten jegliche Autorität zuschanden werden ließ. 


Wunderfame Hiftorie vom Prinzen Albrecht: 


wle felbiger Drei Mägdlein Einer Mutter elendiglich verführet 
und mit je 25 Thalern Pr. C. monatlich großmüthigft honoriret. 


Er ſtand auf feines Schloſſes Zinnen Gedanken wälzend im Gemüthe 
Und ſchaute in die Straßenrinnen, Aß er aus einer Zuckertüte 

Wo fuderweiſe wächſt das Gras, Und wär' gar balde iii ergriffen 
Für Ochſen ein ſüperber Fraß. Vor Langeweile eingeſchliffen; 


54 


Da fam ein Kind von dreizehn Jahren 
Mit langen Zöpfen in den Haaren, 

Die ſchaute ſo unſchuldig drein, 

Als trübte fie kein Wäſſerlein. 


Doch kaum erblickt der Gnäd'ge fie, 

So zittert er bis in das Knie 

Und es un t fein ict ser Blick 
Das ganze ägdlein tück für Stück. 


Die geht des Weges tubig weiter, 
Im Winde flattern ihre Kleider, 

Er aber ſtarrt mit wilden Sinnen 
Hinunter in die Straßenrinnen. — 


Und ſeit die Kleine er erblickt, 
If er verwandelt und verrückt, 


Ihm ſchmeckt kein kleiner Biſſen PE 
t. 


Das Magdlein quält ihn gar zu fe 


Es fangen wohl vor I REIN cette 
Die Sängerinnen um die Wette, 

Sie fangen fih die Kehle wund, 
Der Pring ward davon nicht gejunb. 


Die Tänzerinnen tanien 55 
Die Soheit ab die halben Beine, 
Die Hoheit ſieht fie alle nich 

Und denkt nur immer an die Kleine. 


Entflammt von militer Sinnengluth 
Verlangt er nach dem jungen Blut 
Zur ſchnöden Luſt für ſeinen Leib: 

— Das iſt ſo Prinzen⸗Zeitvertreib. — 


In diesem Stil wird nun ausführlich beschrieben, wie der , Prinz“ nicht nur dieses Mädchen, sondern auch deren Schwestern 
su seinen „Mätressen“ macht, um sie nach kursor Zeit dann zu verstoßen. Der Schlufivere heißt beseichnenderweise: 


Und die Moral von dies Gedicht: 
Verſchachert Eure Töchter nicht! 
Und Du, mein liebes Publikum: 
Geh Du mit keinem Prinzen um. 


Wer von uns wäre nicht schon gegen „Zopf und Philisterei" zu Felde gezogen! Was 
hat nicht alles der deutsche Philister in den nationalen Hoch-Zeiten verdorben, wie tétend 
und drückend war seine Herrschaft in den gesättigten Zeiten unserer Geschichte. Welche 
bitteren Worte und Ermahnungen sind immer wieder über ihn gefällt worden. Der alte 
Fallersleben resignierte über die unausrotibare Existenz dieser jämmerlichen Wesen. 
Wir wollen mit Humor über sie zur T E übergehen, nicht ohne Hoffnung, daß 
sie das Klima unserer heißen Zeit doch nicht lange mehr vertragen werden. Es heißt 
in seinem „Lied vom deutschen Philister”: 


Der deutſche Philiſter, bas bleibet der Mann, 
Auf den bte Regierung vertrauen nog kann, 
Der paſſet zu ihren Beglückungsideen, 

Der läßt mit [ih alles gutwillig geſchehn. 


Befohlenermaßen iſt ſtets er bereit, 

Zu Hören, zu hemmen den Fortſchritt der Zeit, 
Zu haſſen ein jegliches freies Gemüt 

Und alles, was lebet, was grünet, was blüht. 


Was ſchön und erhaben, was wahr ift und recht, 
Das kann er nicht leiden, das findet er ſchlecht. 
So ganz wie er ſelbſt iit, Jo kläglich, gemein, 
Hausbacken und ledern ſoll alles auch ſein. 


Du Sklar' der Gewohnheit, du Knecht der Gewalt, 
O käme dein Simſon, o tam’ er doch bald! 


Du deutſcher Philiſter, du gräßlichſte Qual, 
O holte der Teufel dich endlich einmal! 


55 


Dod leider hat Beelzebub feinen Geſchmack 
An unſern Philiſtern, bem lumpigen Pad. 

Und wollten ſie ſelber hinein in ſein Haus, 
So ſchmiß er die Kerle zum Tempel hinaus. 


Der Krieg von 1870/71 hat merkwürdigerweise dem politischen Lied wenig Auftrieb 
gegeben. Der Soldatenliederschatz der Befreiungskriege wurde aufgegriffen und mit 
wenigen Neuformulierungen übernommen, und was die zeitgemäße „Dichtung an Auf- 
rufen und Siegesgesüngen verfaBte, erscheint uns heute hohl und von falschem Bürger- 
Pathos genührt, ein Zeichen dafür, daß zwar der Staat, aber noch nicht das Volk seine 
Form gefunden hatte. Einer der besten politischen Lyriker war immer noch Emanuel 
Geibel, der im Juli 1870 ein ,,Kriegslied" schrieb: 


Empor, mein Volk! Das Schwert zur Hand! Schon läßt er klar bei Tag und Nacht 


Und brich hervor in Haufen! Uns ſeine Zeichen ſchauen, 
Vom heil'gen Zorn ums Vaterland Die Flammen hat er angefacht 
Mit Feuer laß dich taufen! in allen deutſchen Gauen. 


Der Erbfeind beut dir Schmach und Spott, Von Stamm zu Stamme lodert's fort: 
Das Maß iſt voll, zur Schlacht mit Gott! Kein Mainſtrom mehr, kein Süd und Nord! 


Vorwärts! Vorwärts! 

Dein Haus in Frieden auszubaun, Voran denn, kühner Preußenaar, 
Stand all dein Sinn und Wollen, Voran durch Schlacht und Grauſen! 
Da bricht den Hader er vom Zaun, Wie Sturmwind ſchwellt dein Flügelpaar 
Von Gift und Neid geſchwollen. Vom Himmel her ein Brauſen, 
Komm' über ihn und feine Brut Das iſt des alten Blüchers Geiſt, 

Das frevelhaft vergoßne Blut! Der dir die rechte Straße weiſt. 
Vorwärts! Vorwärts! 

Wir träumen nicht von raſchem Sieg, Flieg, Adler, flieg! Wir ſtürmen nach, 
Von leichten Ruhmeszügen, Ein einig Volk in Waffen. 

Ein Weltgericht iſt dieſer Krieg Wir ſtürmen nach, ob tauſendfach 

Und ſtark der Geiſt der Lügen. Des Todes Pforten klaffen. 

Doch der einſt unſrer Väter Burg, Und fallen wir: Flieg, Adler, flieg! 
Getroſt, er führt auch uns hindurch! Aus unſrem Blute wächſt der Sieg. 
Vorwärts! Vorwärts! 


Bürgerwehr auf dem Ererzierplatz 


56 


Das Zweite Reich 


Lange Jahre vor dem Krieg von 1864 schwelte schon die Auseinandersetzung um Schles- 
wig—Holstein, und schon 1846 hatte Emanuel Geibel ein „Protestlied“ gedichtet, 
dessen Weg sehr aufschlußreich für die Wandlung eines Gedichtes ist, wenn es in Form 
und Überzeugungskraft dem Volke entspricht: es wird anonymes Volkslied. Wir kennen 
beispielsweise die dritte Strophe dieses Geibel-Liedes weniger in ihrer Urfassung als viel- 
mehr in der Form eines sudetendeutschen Kampfrufes, der gegen Ende des Jahr- 
hunderts im Egerland erscholl. Statt „Herzog hieß es nun „Kaiser“, und statt „Dänen“ 
hieß es „Tschechen“. Geibels Urfassung lautete: 


Es hat der Fürſt vom InfelreiG Dem res reris e gelagt, 
Uns einen Brief gelendet; Er fo Zügel ſchärfen, 
Der hat nus jach auf einen Streich Wir würden ſtumm uns und verzagt 
Die Herzen umgewendet. Der Willkür unterwerfen. 
Wir rufen: Nein! und aber: Nein! Drum Log: in feine Burg hinein, 
d ſolchem Ginperleiben; Daß zittern alle Scheiben: 
ir wollen keine Dänen fein, Wir wollen feine Dänen jein, 
Wir wollen Sentidje bleiben! Wir wollen Deutſche bleiben! 
Wir alle ſind hier, alt und jung, Nicht fint uns fremder Herrſchaft Putz 
Ans dentſchem Ton getnetet, Die eingebornen Schmerzen; 
Wir haben deutſch geſcherzt beim Trunk Es grollt der alte Sachſentrutz 
Und deutſch zu Gott gebetet. Noch heut in unsern Herzen; 
Ran jol uns ſchenken dentſchen Wein Der Albion nahm im blut' gen 9teib'n, 
Und deutſche Sa ung ſchreiben; Kann auch ein Joch zerreiben; 
Wir wollen keine Dänen ſein, Wir wollen keine Dänen jein, 
Wir wollen Deutſche bleiben! Wir wollen Deutiche bleiben! 


pie deutſches Land trotz Spruch und Brief! 
ſollt's uns nicht verleiden. 
ir tragen Mut im Herzen tief 

Und Schwerter in den Scheiden, 

Von unjern Lippen jol allein 

Der Tod dies Wort vertreiben: 

Wir wollen keine Dänen fein, 

Wir wollen Dentſche bleiben! 


Lieder volkstümlichen Charakters sind an sich in dieser Zeit selten; auch unter den 
Soldaten entstehen nicht, wie noch 1813 oder später 1914—1918, Marsch- oder Spott- 
lieder, die „eingeschlagen“ hätten. Ein Lied wie das folgende ist sehr selten: 


Als ich an einem Sommertag 
hinter Metz, bei Paris und Chalons, 
im grünen Wald im Schatten lag 
hinter Metz, bei Paris und Chalons, 
wo die deutſchen Büchſen knallen 
und die roten Hoſen fallen, 

hinter Metz, bei Paris und Chalons, 
und die Säbel müſſen klingen, 

bie Franzoſen müſſen ſpringen, 
hinter Metz, bei Paris und Chalons. 


Bismarck der Lotfe verläßt bae Schiff 


Sedan, Versailles, — das Reich ist gegründet. Bismarcks Werk, die erste Erfüllung 
der großen politischen Sehnsucht aller Deutschen, findet aber, nachdem der erste Jubel- 
rausch verklungen ist, ein Echo, in das sich mißklingendes Kritteln mischt. Wiederum 
ist es Emanuel Geibel, der gegen die ,, Meckerer" zu Felde zieht. Ein heute wie damals 
zeitgemäßes Gedicht, dessen dauernde Gültigkeit — so sehr sie den Dichter auszeichnet — 
die Schattenseite unseres deutschen Wesens erkennen läßt: 


Was habt ihr denn, ihr Neunmalweilen, 

Mit eurem Witz gebracht zuſtand, 

Eh’ euch der Held mit Blut und Eifen 
Gewaltig fchuf ein Vaterland? 

Und jetst, nachdem er ohne Wanken 

Zum Hafen euer Schiff gelenkt, 

Nun wollt ihr kritteln, fchmähn und zanken, 
Statt Gott auf euren Knien zu Danken, 

Daß er euch folchen Mann gefchenkt? 


Schmach über euch und eure Phrafen, 
Ihr zungendrefchendes Gefchlecht, 
Die ihr, von Dünkel aufgeblafen, 
Ihn zu verdächt’gen euch erfrecht. 


Die wenigen wachen Rufer erkennen diesen geistigen Verfall, mahnen und verdammen, 
ohne daB der Deutsche hórt. Resigniert schreibt Nietzsche: 


Jeder Buckel krümmt ſich ſchiefer, 
Jeder Chriſt treibt Inden⸗Schacher, 
Die Franzoſen werden tiefer, 

Und bie Deutſchen — täglich flacher! 


Und ebenso qualvoll und verzweilelt wendet sich Fritz von Ost ini 1902 an das deutsche 
Volk, das immer wieder gegen sich selbst zu Felde zieht: 


Es faken zuſammen in guter Ruh 

Einmal ein Franzos und ein Brite 

Beim funkelnden Wein und ein Deutſcher dazu 
Und ſchwatzten von heimiſcher Sitte! 

Da wußte ein jeder vom Vaterland 

Viel Gutes und Schönes zu ſprechen 

Doch jeder auch ehrlichen Sinnes geſtand 
Seines Volkes Wunden und Schwächen! 


Der Brite: 


Wohl wird unſerm Volke zu dieſer Friſt 

Auf Erden gar wenig gehuldigt 

Und blutiger Habgier und arger Liſt 

Wird wütend Altengland beſchuldigt — 

Doch müßt ihr geſtehen: ſei's Schmach oder Ehr', 
Wir haben's in Eintracht getragen. 

Wir „Krämer“, wir pilaren nicht lange vorher 
Nach Re mung unb Koſten zu fragen, 

Und drückten bie laſtenden Sorgen uns ſchwer — 
Wir waren zu ſtolz, um zu klagen! 


Der Franzos: 


Mag ſein, daß wir eitle Geſellen ſind, 

Und daß wir uns keck überheben! 

Wir rufen manch prahlendes Wort in den Wind, 
Statt nüchtern der Wahrheit zu leben! 

Wir hetzen und haſſen, auf Vorteil bedacht, 
Einander in ewigem Streite, 

Doch gilt es des Landes Ehre und Macht, 
Verſtummt, was uns juſt noch entzweite. 

Und gern wird das größeſte Opfer gebracht, 

Ja, gern! Und von jeglicher Seite! 


Der Deutſche: 


Wir ſind auf der Welt nicht die Letzten heut 
An Macht und an Wagen und Wiſſen! 

Und wehe dem Feinde, der Kat uns bedräut, 
Qang foll er die Antwort nicht miffen! 

Wir wettern ihm über fein Schächerhaupt 
Mit guten teutoniſchen Hieben — 

Doch weh auch bem Deutſchen, ber kühn fid) erlaubt, 
Im Frieden ſein Deutſchland zu lieben. 

Bei uns Kick der Haß auf bas eigene Reich 
Die Tatkraft der Treuen in Bande, 

Gilt's eitlen Geſellen als Heldenſtreich, 
Seinen Ruhm zu wandeln in Schande! 


59 


Da fahen die beiden verwundert drein 

Und ſchüttelten leiſe die Köpfe: 

„Gäb's wirklich drüben über dem Rhein 

So wahnwitzumnachtete Tröpfe, 

Die hämiſch genug ſind und herzensroh, 

Solch trauriges Handwerk zu treiben — 
Herrgott! Sind die Deutſchen in Wahrheit fo — 
Herrgott! laß die Deutſchen ſo bleiben!“ 


Dies Erbübel, die unheilvolle Zersplitterung in vielerlei Meinungen und Parteien, hat 
gerade in der Vorkriegszeit, wie oft übersehen wird, das deutsche Volk geschwächt und 
unsicher gemacht. Mit satirischen Mitteln versuchten es einige Weitsichtige auszu- 
brennen. Ludwig Thoma beispielsweise nahm sich insbesondere die Parlamentarier 
vor, deren Unfähigkeit und würdelose Dummheit er immer wieder lächerlich machte. Im 
„Simplicissimus“ verhöhnte er die Bayrische Nationalliberale Partei: 


Dasnralte Männden. 


Kennt ihr bas uralte Männchen e 
Mit runzligem Angeficht 

Und mit dem wackligen Kopfe? 

Kennt ihr das Männchen denn nicht? 


Man ſieht's nur einmal im Jahre; 
Daun bleiben die Leute ſteh'n 

Und ſagen: „Das Mümmelgreischen 
Ei, kann es wirklich noch geh' n? 


Wir glaubten, es ſei geſtorben, 
Die Erde deckte es zu: 

Wallt es noch immer auf Erden? 
Wann kriegt's die ewige Nuh?“ 


Das Männchen ſchreitet vorüber, 
Es huſtet, räuſpert und ſpuckt, 
Und hat aus erloſch'nen Ungen 
Gar ſeltſam uns angeguckt. 


Es klettert auf einen Brunnen, 
Der vor dem Rathanje ſtund, 
„Es lebe der Landesvater 

Und bleibe lange gesund!“ 


So ruft es mit medernder Stimme, 
Dann ſteigt es wieder herab. 

Ein Jahr lang fieht man's nicht wieder, 
Ein Jahr lang liegt es im Grab. 


Ihr fragt, wer das alte Männchen 
Mit wackligem Kopfe jei? 

„Die nationalliberale, 

Die Mümmelgreiſenpartei.“ 


1911 wurde in Bayern eine „Konservative Vereinigung" gegründet, und ein Lied in der 
Zeitschrift „Jugend“ verspottete den Aufruf, den diese Fraktion erließ: „Wer ist echt 


konservativ? 


Ein echter Konſervativer ijt 

Vor allen Dingen ein guter Chrift — 
Ausgenommen: er braucht grad fix 
ur Frau eine reiche Judenſchickſ'). 


Ein echter Konſervativer iſt 
Zweitens ſtets treuer Monarchiſt — 
(Ausgenommen: der König tät 
Was andres als der Herr Junker rät). 


Ein echter Konſervativer iſt 
Drittens Patriot und Nationaliſt — 
an. enommen: wenn er gerad’ 

n Polen ein Gut zu verkaufen hat). 


Ein echter Konſervativer hält ooch 

Viertens die Ideale ſtets hoch — 

See er müßte zäh 
eſthalten gerade bas Portmonnä). 


ei ein Konſervativer, der echt, 
jt immer aud) ſozial gerecht — 
5 die Bande begehr’ 

as gleiche Wahlrecht und andres mehr). 


Kurz, ein Konſervativer vor der Wahl 
Iſt ein politiſches Ideal 

Und jeder wählt ihn ins Parlament — 
(Ausgenommen: wenn er ihn kennt). 


Das Mißtrauen gegen den Bruder und das Brudervolk war auf österreichischer Seite 
nicht geringer. So schrieb Ludwig Anzengruber in den „Humoristischen Blättern“ (1874) 


ein bitteres Lied: 


Der Oſtreicher hat halt 

A ſanfte Natur, 

Is gegn jedermann freundli, 
Er fann niz dafur. 


Wann ihm heut aner aus lacht 
Und antut ſchon alls, 

So fallt er ihm muring 
Gerührt um den Hals. 


Die re bab’n uns [don 
Gnua plädert, o mein, 

Jetzt mögen wir gar 

Ohne ſie nimmer ſein. 


O mein Gott, o mein Gott, 
Das ift a Vergnüg'n, 

Wann der Preuß’ und der Ruff’ 
Uns in d' Mitt' einikriag'n. 


61 


Denn Preußen liegt nördli 
Und Rußland no mehr, 
Da dae febr viel Eis, 
Da drauf geht ma ſchwer. 


Dö eat führ'n uns wohl 
Voller Freundſchaft, na ja, 
Aber wann f'amal auslaſſen, 
Lieg'n ma halt da! 


In dieser Welt der bürgerlichen Scheinheiligkeit und des verantwortungslosen Inter- 
essenkampfes konnte der Marxismus Fuß fassen, weil er allein mit Kraft und Ent- 
schiedenheit diese Welt bekämpfte und seine Ziele, scheinbar bedingungslos, verfolgte. 
1864 hatte Georg Herwegh das „Bundeslied fiir den allgemeinen deutschen 
Arbeiterverein" gedichtet, dessen Schlagwort „Alle Räder stehen still, wenn dein 
starker Arm es will" die Sozialisten jahrzehntelang begeisterte: 


Mann der Arbeit, aufgewacht! 
Und erkenne deine Macht! 

Alle Räder hatte ſtill, 

Wenn dein ſtarker Arm es will. 


Deiner ics te Schar erblaßt, 
Wenn bu, müde deiner aft, 

In die Ecke lehnſt den Pflug, 
Wenn du rufft: Es ift genug! 


Brecht das Doppeljoch entzwei! 
Brecht die Not der Sklaverei! 
Brecht die Sklaverei der Not! 

Brot iſt Freiheit, Freiheit Brot! 


Auch Dingelstedt, wie Herwegh ein Mann von 1848, wurde mit seinen Gedichten 
übernommen und viel gesungen. Bei aller gerechttertigten Empörung waren diese Lieder 
überaus zersetzend: 


Was ift, ihr Herrn, ein dentier Patriot? 

An alle Fakultäten dieſe Frage —? — 

„Ein Mann, der Sonntags dient dem lieben Gott 
Und ſeinem König alle erkeltage.“ 


Was will, ihr Herrn, ein deutſcher Patriot? — 
ür fij ein Amtchen, Titelchen und Bändchen, 
y t feine — ehelichen — Kinder Brot 
nd legitime Fürſten für fein Ländchen.“ 


Wie denkt, ihr Herrn, ein dentier Patriot? — 
„Wenn's ho fommt, wie bie GER Zeitung; 
Bom Frangmann [pridjt er uur mit ak und Spott 
Und ſchwört für Preußens Gaslichts⸗ elt⸗Verbreitung.“ 


Was kann, ihr Herrn, ein bentidjet Patriot? — 
„Rezepte, Akten und Kompendien machen, 

Laut klagen über feines Volkes Not 

Und heimlich in fein ſich' res Fänſtchen lachen.“ 


zum zum Tempel, dentier Patriot! — 

5’ bu dich ius Santtilfimum geheudelt, 

Und eh dein Kuß, Iudas Iſchariot, 

Die Freiheit, den Meſſias, rücklings meuchelt!! 


62 


In einem „Demokratischen Liederbuch“, das in seiner letzten, uns bekannten Auflage 
1903 erschien, findet sich ein für diesen zersetzenden, aber harmlos aufgemachten Geist 


ein weiteres Beispiel: 


Lied vom Drohnentönig 


Es war in einem Bienenſtaat 

Ein edler Drohnenkönig, 

Der leckte Honig früh und ſpat, 

Er nippt' herum, er tippt’ herum, 

Er machte nichts als Summ und Brumm, 
Der König, der war gar nicht dumm, 


Der feiſte Drohnenkönig. 


Da wurden auch die Bienen klug, 

Und ſprachen: „Drohnenkönig! 

Du frißt zwar Honig grad genug, 

Doch ſchaffſt du viel zu wenig. 

Wir ſummen dir auf dein Gebrumm, 

Wir pfeifen auf dein Gaudium — 
Wir Völker ſind nicht mehr ſo dumm, 
Du fauler Drohnenkönig!“ 


Die Bienen ſpießten kurz und gut 


Den edlen Drohnenkönig, 


Verzehrten ihren Zuckerhut 

Und hatten nicht zu wenig. 

Sie brachten all die Sippſchaft um, 

Da half kein Summ, da half kein Brumm. 
Die hatten halt kein Chriftentum, 
Du armer Drohnenkönig. 


Schon gab es aber einige, die radikaler als die Radikalen sein wollten. Insbesondere 
waren es die Juden, denen die Hetze nicht ergebnisreich genug war. So macht sich 1907 
Erich Mühsam über seine Gesinnungsgenossen lustig: 


Det Revoluzzer 
Der deutſchen Sozialdemokratie gewidmet. 


War einmal ein Revoluzzer, 
Im Zivilſtand Lampenputzer; 
Ging im Revoluzzerſchritt 
Mit den Revoluzzern mit. 


Und er ſchrie: „Ich revolüzze!“ 
Und bie Nevoluzzermütze 
Schob er auf das linke Ohr, 
Kam ſich höchſt gefährlich vor. 


Doch die eroii ſchritten 
Mitten in der Straßen Mitten, 
Wo er ſonſten unverdrutzt 

Alle Gaslaternen putzt. 


Sie vom Boden zu entfernen, 
Rupfte man die Gaslaternen 
Aus dem Straßenpflaſter aus, 
Zwecks des 3Barrifabenbau's. 


Aber unſer Revoluzzer 

Schrie: „Ich bin der Lampenputzer 
Dieſes guten Leuchtelichts. 

Bitte, bitte, tut ihm nichts! 


Wenn wir ihn' das Licht ausdrehen, 
Kann kein Bürger nichts mehr ſehen, 
Laßt die Lampen ſtehn, ich bitt' 

Denn fonjt [piel' ich nicht mehr mit!“ 


Doch die Revoluzzer lachten, 
1195 ds nn I Cp 
nd ber Lampenpuger [dfi 
Fort und meinte bitterlich 


Dann iſt er zu Haus geblieben 
Und hat dort ein Buch geſchrieben: 
Nämlich, wie man revoluzzt 

Und dabei noch Lampen putzt. 


63 


Weltkrieg und Aufbruch 


Die Macht und das Grauen des Krieges machten den Soldaten stumm. Der leiden- 
schaftliche Aufbruch der ersten Monate ließ zwar noch Dichter erstehen, aber Gas und 
Granaten des Stellungskrieges duldeten keinen Gesang außer dem ihrigen. Die Dichter 
fielen: Gorch Fock, Walter Flex, Gerrit Engelke; und so fand der Weltkrieg, wenn man von 
der Prosa Jüngers, Brehms und Beumelburgs absicht, seine dichterischeVerklärung erst zwei 
Jahrzehnte später: in den „Briefen der Gefallenen” Eberhard Wolfgang Möllers. Nicht 
ein Frontkämpter konnte solche Verklärung schreiben, nicht einer von denen, die sich 
von dem Bann des Grauens jener Jahre nie mehr werden lösen können. Dafür ist auch 
bezeichnend, daß wir die erschätterndsten Dokumente dichterischer Gestaltung des 
Krieges in den ersten Augustwochen 1914 finden. Da ist vor allem jenes in seiner 
Einfachheit überwältigende Lied von Heinrich Lersch: 


Soldatenabfchied 


Laß mich gehn, Mutter, laß mich gehn! 

All das Weinen kann uns nichts mehr nüten, 

denn wir gehn, das Vaterland zu fchüten! 

Laß mich gehn, Mutter, laß mich gehn. 

Deinen letzten Gruß will ich vom Mund dir hüffen: 
Deutſchland muß leben, und wenn wir ſterben miffen! 


Wir ſind frei, Vater, wir ſind freil 

Tief im Herzen brennt das heiße Leben, 

frei wären wir nicht, könnten wir's nicht geben. 
Wir ſind frei, Vater, wir ſind freil 

Selber riefft du einft in Kugelgüffen: 

Deutichland muß leben, und wenn wir fterben miffen! 


Une ruft Gott, mein Weib, une ruft Gott! 

Der une Heimat, Brot und Vaterland gefchaffen, 

Recht und Mut und Liebe, Das find feine Waffen, 

Uns ruft Gott, mein Weib, uns ruft Gott! 

Wenn mir unfer Glück mit Trauern büßen: 
Deutichland muß leben, und menn mir fterben müffen! 


Tröfte dich, Liebfte, tröfte dich! 

Jest will ich mich zu den anderen reihen, 

du follft keinen feigen Knechten freien! 

Tröfte dich, Liebſte, tröfte dich! 

Wie zum erften Male wollen mir uns hüffen: 
Deutſchland muß leben, und wenn wir fterben müffenl 


Nun lebt wohl, Menfchen, lebet wohl! 

Und wenn mir für euch und unfere Zukunft fallen, 
foll als letter Gruß zu euch hinüberhallen: 

Nun lebt wohl, ihr Menfchen, lebet wohl! . 

Ein freier Deutfcher kennt kein kaltes Müffen: 
Deutichland muß leben, und wenn wir fterben müffen! 


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Schwermütig, aber doch männlich klingt dann das Lied des Weltkrieges zu uns, ein 
Lied der Pioniere, das Hermann Albert von Gordon 1915 schrieb: 


Argonner Wald um Mitternacht, 

ein Pionier ſtand auf der Wacht. 

Ein Sternlein hoch am Himmel ſtand, 
bringt Grüße ihm aus fernem Heimatland. 


Und mit dem Spaten in der Hand, 
er vorne in der Sappe ſtand. 

Mit Sehnſucht denkt er an ſein Lieb, 
ob er es wohl noch einmal ſieht. 


Und donnernd dröhnt die Artill' rie, 

wir ſtehen vor der Infanterie, 

Granaten ſchlagen bei uns ein, 

der Franzmann will in unſre Stellung rein. 


Und droht der Feind uns noch ſo ſehr, 

wir Deutſche fürchten ihn nicht mehr. 

Und ob er auch fo ſtark mag fein, 

in unſre Stellung kommt er doch nicht rein. 


Der Sturm bricht los! Die Mine kracht! 
Der Pionier gleich vorwärts macht. 

Bis an den Feind macht er ſich ran 

und zündet dann die Handgranate an. 


Die Infanterie ſteht auf der Wacht, 

bis daß die Handgranate kracht, 

geht dann mit Sturm bis an den Feind, 
mit Hurra bricht ſie in ſeine Stellung ein. 


Argonner Wald, Argonner Wald, 
ein [tiller Friedhof wirft du bald. 
In deiner kühlen Erde ruht 

[o manches tapfere Soldatenbiut. 


Der viel zu früh verstorbene und leider fast vergessene ostmärkische Dichter Alfons 
Petzold, ein Arbeiter wie Heinrich Lersch und dessen Freund, gibt uns ein Bild von 
der Not und dem Geist jener schweren Jahre: 


Der lange Krieg 


Es ift Krieg, viele Monate Krieg! 

Schon beginnen es die Steine hinauszufchreien. 

Was dumpf und verüngftigt die Tage her Ichwieg, 

will fich jest Stimme von Donner und Brandung leihen. 


Es ftrdmt Blut, das heilige Blut 

von taufend Schlachtfeldern in die Städte Des Landes. 
Und mir find nicht mehr Glut, haBlodernde Glut, 
wle eint im Anfang des weltumlohenden Brandes. 


65 


Wir alle find nur mehr ein Geficht 

der fteinernen Qual über ein wildes Erwachen, 

ein ftarres Schauen, Das nur manchmal zerbricht 

in ein hilflofes Weinen und graufiges Lachen. 

Und ein Taften aus allem Brand 

nach einer friedeumraufchten, Durchlungenen Stunde, 
in der über fremdes und eigenes Land 

Die Menfchen ſich reichen die Hände zum ewigen Bunde. 


Vier lange Jahre hindurch behauptet sich der deutsche Soldat gegen die ganze Welt. 
Tief in Rußland stehen unsere Truppen, in Palästina, in Afrika, in Frankreich. Erst 
jüdischer Verrat, der tückisch im Rücken der Front aufbricht, kann den heroischen 
Widerstand erschüttern, der in der Weltgeschichte nicht seinesgleichen findet. Der Rück- 


marsch beginnt: 
Küdmarid 


Der Kampf ijt aus. Zerbrochen Schild und Ehre, 
fie ziehen hin, [djant keiner ihnen nach, 

ſchwer anf den Schultern laſten die Gewehre, 
ſchwer in den Herzen brennt die dumpfe Schmach. 


Die Straße dröhnt. Die müden Füße ſtampfen, 
die Räder mahlen. Leiſe klirrt der Stahl. 

Die Rolfe keuchen, ihre Flanken dampfen, 

der Nebel fällt, und alle deckt die Qual. 


Auf grauen Schollen hocken ſchwarze Naben, 

der Abend fintt und Regen rieſelt ſchwer 

Zur Heimat fliehn, die keine Heimat haben, 

zur grauen Zukunft zieht das graue Heer Fritz Woite 


In aller Düsterkeit und Scham glimmt aber bereits ein Funke der Empörung. Ende 
: 91 P hören wir die Stimme des ersten dichterischen Rufers einer neuen Zeit: Dietrich 
chart. 
Wm Siegestor 

Laßt die Glocken, laßt die Fahnen. 

Jeder weiß, an was ſie mahnen. 

Sie verdüſtern nur die Mienen 

Derer, die den Schmuck verdienen, 

Und in ihrer Bruſt der Gram 

Wird noch obendrein zur Scham. 

Jene aber, die frohloden... 


Laßt die Fahnen, laßt die Glocken. 
Dietrich Eckart 


Als das schmachvolle Diktat von Versailles Deutschlands Elend zu besiegeln scheint, 
klingt bereits mächtig und kraftvoll die Sehnsucht auf, die der sudetendeutsche Dichter 
Ernst Leibl zum weihevollen Gesang der zwölf Jahre des Kampfes machte: „Herr Gott, 
den Führer sende!” 


Wir heben unfre Hände aus tieffter, bittrer Not. 
Herr Gott, den Führer fende, der unfern Kummer mwende 
mit mächtigem Gebot. 


Ermeche uns den Helden, den feines Volks erbarm; 
des Volks, das nachtbeladen, verkauft ift und verraten 
in unfrer Feinde Arm. 


Erwecke uns den Helden, der ftark in aller Not 
fein Deutſchland mächtig rühret, dein Deutſchland gläubig führet 
ins junge Morgenrot. 


Wir weihen Wehr und Waffen und Haupt und Herz und Hand! 
Laß nicht zufchanden werden dein lichtes Volk der Erden 
und meiner Mutter Land. 


ding GEN und begeisternd, von überwältigender dichterischer Schönheit, sind die 
Verse Baldur von Schirachs, die seit 1928 die Jugend zur Fahne rufen. Wir haben 
zwei Gedichte ausgewählt, die dem Kampf jener Jahre ein unvergängliches Denkmal setzen, 
jener Jahre, in denen sechszehnjährige Hitlerjungen niedergeschossen wurden, während 
Gleichaltrige ahnungslos und oberflächlich einer Welt des Scheins nachtaumelten: 


Um unire Augen 
Um unfre Augen mar es wie ein Dämmern, 
als uns die Kunde ham von unfrer Pflicht, 


und unler heißes Herz begann zu hämmern ... 
Und plötzlich fanden wir im grellen Licht! 


Fern lag uns nun der Kindheit dunkle Pforte. 
Es dröhnten Trommeln, leuchteten Standarten. 
Kampf um die Straße und Kommandomorte ... 
Dann Tote, die zum grauen Himmel ſtarrten. 


It auch der Mut umfaumt mit taufend Bahren, 
fo fterben mir, mie jene es gekonnt, 
die Helden waren [chon mit achtzehn Jahren. 
Und nennen das: Die Feier unferer Front! 
% 
Den anderen 
In euren Köpfen malt Die Welt fich bunt 
in grellen Farben, Lachen, Luft und Tand, 
une aber druckt des Schidifale harte Hand 
in jungen Jahren unfre Schultern mund, 


So gehen wir zur Freiheit und zur Macht, 
indeffen thr in fchwülem Tanz euch dreht: 
wenn eure Namen lang im Wind vermeht, 
ftrahlt unfer Stern noch in Die fernfte Nacht. 
Baldur von Schirach 


Wie ein Signal zum Angriff tönt aus Berlin das hinreißendste Marschlied in alle deut- 
schen Gaue, das der Nationalsozialismus entstehen ließ: „Volk ans Gewehr!” 
Aus Text und Melodie Arno Parduns klingt einzigartig die Unerbittlichkeit der mar- 
schierenden Kolonnen Adolf Hitlers. 


Siehft dn im Often bas Morgenrot? 

Cin rod zur Freiheit, zur Sonne! 

Wir halten zuſammen, ob lebend, ob tot, 

mag kommen, was immer da wolle! 

Warnm jetzt noch zweifeln, hört anf mit dem Hadern! 
Noch fließt uns dentſches Blut in den Adern. 

Volk ans Gewehr! 


67 


Viele Jahre zogen dahin, 

pone das Golf und betrogen; 
erräter und Juden hatten Gewinn, 

Re fordern Opfer Legionen. 

Im Volke geboren erſtand uns ein Führer, 
ab Glaube und Hoffnung an Deutſchland uns wieder. 
olf ans Gewehr! 


Deutſcher, wach anf nun unb reihe dich ein, 

wir ſchreiten dem Siege entgegen; 

frei ſoll die Arbeit und frei woll'n wir ſein 

und mutig und trotzig verwegen. 

di ballen bie Fäuſte und werden es wagen, 
ibt kein Zurück mehr, und keiner darf zagen. 

Bolt ans Gewehr! 


Wir Iungen und Alten, Mann für Dann, 
umflammern das Safenfrenzbanner; 

ob Bauer, ob Bürger, ob Arbeitsmann, 

fe ſchwingen das Schwert und den Hammer. 
Sie kämpfen für Hitler, für Arbeit und Brot, 
Dentihland erwache! Juda den Tod! 

Boll ans Gewehr! 


Es ist kaum zu begreifen, daß diese Lieder und Gedichte jetzt bereits der Geschichte 

5 Das deutsche Volk hat sich gewandelt, es hat die Kraft zu einer Revolution 
ge unden. Der Führer wurde uns gesandt, uns und unseren deutschen Brüdern in der 

stmark und im Sudetenland. Bittere Jahre mußten sie warten und kämpfen und doch 
klingen aus ihren Kerkern Lieder edelsten Glaubens. Der Reichsjugendfihrer veröffent- 
lichte eine Sammlung von Gedichten unbekannter österreichischer Hitlerjungen unter dem 
Titel „Das Lied der Getreuen". Es mag kaum einen besseren Abschluß für diese 
Sammlung politischer "Lyrik geben als den, eine Huldigung für den Führer aus dem 
Munde seiner eigenen, gequälten und jetzt erlósten Heimat zu hören: 


Vor dir, mein Führer 


Und mögen taufend Menfchen vor dir ftehn, 
fo fühlt Doch jeder deinen Blick allein 

und Denkt, es muß für ihn die Stunde fein, 
und Ou willſt tief in feine Seele fehn. 


Denn in Minuten, wo du bei une weilſt, 
erfchließen wir dir gerne jedes Tor, 
und die Gedanken heben wir empor, 
daß du an ihnen befferft und fie feilft. 


Du but fo gütig, und du bift fo groß, 
Ou bift fo ftark und bift unendlich rein - 
Wir legen gerne ohne jeden Schein 

vor dir die Einfalt unfrer Herzen bloß. 


Denn keiner ging noch unbefchenkt von dir, 
traf ihn nur einmal deiner Augen Strahl, 
wir roiffen, du verkündeſt jedesmal: 

Ich bin bei euch und ihr gehört zu miri 


68 


aupenpolitiche Rotten 


Karl Kasiske: 


Brennender Korridor 


Zur Geſchichte des Deutſchtums 
u dieſem Raum 

Nicht allein die alte deutſche Hanſeſtadt 
Danzig muß ihren natürlichen Platz in der 
alten deutſchen Reichsheimat wiederfinden. 
Über ihr Schickſal hinaus muß die nieder⸗ 
trächtigſte Schandtat der ſogenannten 
Friedensmacher von Verſailles, die Tren⸗ 
nung einer deutſchen Oſtprovinz vom 
Keichsganzen durch einen polniſchen Korri⸗ 


dor, feine geſchichtlich unabänderliche Kor⸗ 
rektur erfahren. 
Im Gebiet des heutigen polniſchen 


„Korridors“ ſind drei verſchiedene Bevöl⸗ 
kerungsgruppen beheimatet. Im Nordteil 
des Landes ſitzen im Umkreis der Städte 
Zu SE t und Karthaus die Ras 
ſchuben, die als Nachkommen ber alts 
eingeſeſſenen ſlawiſchen Pommern anges 
prodjen werden können und die ftets in 
rieden und Freundſchaft mit dem Deutſch⸗ 
um gelebt haben. Südlich ſchließen ſich 
polniſche Bevölkerungsteile an, die 
umeiſt durch Poloniſierung von dort an⸗ 
ſäaſſigen Kaſchuben entſtanden find. Die 
beutíden Siedelgebiete endlich 
liegen über die verſchiedenen Teile des 
Landes verſtreut. Wenn wir von kleineren 
Splittergruppen im Küſtengebiet abſehen 


wollen, ſo findet ſich eine geſchloſſene 
deutſche 5 in der ſogenannten 
zen end am Turmberg, die unmittels 
ar an die Grenze des i 


anziger B. 
aats anſchließt. Eine unterbrochene Kette 
eutſcher Siedlungen Er ih in der 
Weichſelniederung ſtromaufwärts bis nad) 
ordon hin, wo fie ben Anſchluß an das 
große quergelagerte Bromberger Siedel⸗ 
gebiet erreicht. Im Weſtteil des Korridor: 
gebiets hat die Gegend um Zempelburg 
eine ehr ſtarke deut v Bauernſchaft aufs 
zuweiſen, und fübmeftlid von Konitz liegt 
eine geſchloſſene Gruppe von einem Dutzend 
deutſcher Dörfer, die die ſogenannte Ko⸗ 
chneiderei bilden und bis auf den heutigen 
ag ein reich entfaltetes Volkstum be: 
99571 haben. 

Odland — „polniſcher“ Volksboden! 

Wir können ſomit ſagen, daß das 
Deutſchtum gerade in den fruchtbareren 


und geopolitiſch bedeutſamen Gebieten des 
Korridors vertreten iſt. Einen beſonderen 
Hinweis verdient in dieſem Zuſammenhan 
das deutſche Siedelgebiet im Netzebru 
und in der Gegend von SE das fi 
in oſtweſtlicher Richtung erftredt und fo» 
mit das eigentliche Korridorgebiet feft 
ge en den elen polniſchen Volks⸗ 

oden im Süden abriegelt. Sehr ſchwach iſt 
dagegen das Deutidtum in den inneren 
Teilen des Korridorgebiets, und die Polen 
gaon teine Gelegenheit verfäumt, d 

atſache auf den Bevölkerungskarten fo 
grell wie nur irgend möglich in Erſchei⸗ 
nung treten zu fallen. Die Dinge gewinnen 
aber ein anderes Geſicht, wenn wir bes 
denken, daß es ſich hier um die ausgedehnte 
Tucheler Heide e die ſich der land⸗ 
wirtſchaftlichen Nutzung völlig entzieht und 
daher nur eine überaus niedrige Bevölke⸗ 
rungsziffer aufweiſt. 

Den Polen iſt der Beſtand der deutſchen 
Volksgruppe im Korridor hö unange⸗ 
nehm. So ſind ſie denn nicht allein immer 
bemüht geweſen, das Deutſchtum durch 
Enteignung von Landbeſitz, Beſchränkungen 
im deutſchen Unterricht uſw. zu ſchwächen, ſon⸗ 
dern ſtreiten ihm überhaupt jede Daſeins⸗ 
berechtigung ab, indem ſie die Deutſchen 
als landfremde Schmarotzer anprangerten. 


Sermaniſcher Lebensraum 


Dabei iſt ſogar ſchon vor der S tidie 
wende das Land an ber unteren Weichſel 
in enge Berührung mit der Norden bet 
Völkerwelt gekommen. Von Norden her 
anſegelnd, landeten die N en 
Burgunden, Vandalen und Goten in der 
Danziger Bucht und ließen ſich beiderſeits 
der Weichſel nieder Es waren dies Hi 
tapferen Stämme, denen die Heldenſage 
einen dauernden Ce im Herzen 
unſeres Volkes de dé at. Mehrere 
Jahrhunderte blieben ſie in unſerm Lande, 
das in Gräbern und freigelegten Wohn⸗ 
ſtellen zahlreiche Erinnerungsmale an dieſe 
erſte germaniſche Beſiedlung erhalten hat. 
Dann traten ſie ihren Marſch nach dem 
Süden an, in dem ſie nach unerhörten ges 
ſchichtlichen Taten und Leiſtungen ihren 
Untergang finden ſollten. SC Plätze im 
Weichſelland wurden von ſtammfremden 
Völkern eingenommen. Von Often her 


69 


rückten die baltiſchen Preußen bis an bie 
Weichſel vor. Auf ſeinen weſtlichen Ufern 
ſtieß ihre Vorhut mit den ſlawiſchen Pom⸗ 
mern zuſammen, die inzwiſchen das ganze 
Land zwiſchen der Oder und Weichſel, der 
Oſtſee und der Warthe⸗Netze⸗Linie in Beſitz 
genommen hatten. Dieſe Bewohner Pom⸗ 
merns gehörten zwar der großen ſlawiſchen 
Völkerfamilie an wie die Polen, ohne daß 
nun aber jemand hieraus die Berechtigung 
ableiten dürfte, ſie den Polen zuzuzählen, 
wie dieſe ſelbſt es aus erſichtlichen poli⸗ 
tiſchen Gründen nur allzugern zu tun 
pflegen. Wenn wir ſchon ganz die beträcht⸗ 
nen ſprachlichen Unterſchiede außer acht 
laſſen wollen, ſo hat die VC 
dieſer beiden Völker ſchon in ihrer Be⸗ 
Kong einen trefflichen und überzeugen: 
en Ausdruck gefunden. Die Pommern 
oder Pomoranen, wie ſie der damaligen 
Namensform entſprechend beſſer genannt 
werden, find die „Leute am Meer“, wäh: 
rend [id die Polen durch ihre Stammes 
bezeichnung als „Bewohner des Feldes“, 
s bes Binnenlandes, zu erfennen geben 
und dies — trotz aller Kolonialanſprüche 
unb „Feſte des Meeres“ — bis zum heuti⸗ 
gen Tag auch geblieben ſind. 


Küſte ausſchließlich germaniſch 


Mit der Landnahme der Preußen und 
Pommern hat die germaniſche Einfluß⸗ 
nahme auf das Weichſelland keineswegs 
ihr Ende gefunden. Zahlreiche Funde be⸗ 
weiſen, daß 1 oſtgermaniſche Reſte im 
Lande verblieben ſind, wenn wir leider 
auch nichts darüber wiſſen, wie ſich ihr 
Verhältnis zu den ſtammfremden neuen 
Zuwanderern geſtaltet hat. Zudem wurde 
das Land an der Danziger Bucht immer 
wieder von nord germaniſchen Seefahrern 
aufgeſucht, die die alten Beziehungen von 
Sweden und Gotland her nicht abreißen 
ließen. Dieſe nordgermaniſchen Kaufleute 
haben damals den Handel des Weichſel⸗ 
landes beherrſcht und es als rechte Wikin⸗ 
ger veritanden, diefe ihre Handelsverbin⸗ 
ungen mit dem Schwert in der Hand zu 
chützen. Bei Mewe ijt vor einiger Zeit 
as Grab eines Nordgermanen aufgededt 
worden, das die Waage und das Schwert als 
die Kennzeichen des damaligen Wikinger⸗ 
tums enthielt. An der Küſte zeugen zahl⸗ 
reiche Orts⸗ und Flurnamen, wie Rixhöft, 
Oxhöft und Heiſterneſt von den ſtarken 
Bea. Einflüſſen dieſer e wie 
er unlängſt verſtorbene Den Lo rentz, 
der beſte Kenner der kaſchubiſchen Ge⸗ 
ſchichte, erwieſen hat, ſollen neben dem 
einen oder andern Namen im Innern des 


70 


Landes auch die Stämme der Ortsnamen 
AL Ale: Gdingen auf eine nordgerma⸗ 
niſche Wurzel zurückgehen. Man möchte es 
als einen letzten Nachklang der reich⸗ 
bewegten und kampfdurchtobten Wikingerzeit 
anſehen, daß das pommerſche Land an der 
unteren Weichſel zu Beginn des 13. Jahr⸗ 
hunderts dem Reich des großen Dänen⸗ 
königs Waldemar angehört hat. 
Inzwiſchen aber hatte der nordgerma⸗ 
niſche Wikinger bereits dem i 
ſchen Seefahrer weichen müſſen, der, auf 
das emporblühende Deutſche Reich geftiist, 
die Herrſchaft im Oſtſeegebiet an d tib. 
In ber diede Hälfte bes 12. Jahrhunderts 

ben bie erſten lübiſchen Kauf: 
eute auf bem Wege über Wisby (Got: 
land) bie Danziger Bucht angeſteuert, fid 
in Danzig ſelbſt niedergelaſſen und auf 
diefe Weile das pommerſche Wirtſchafts⸗ 
gebiet dem lübiſchen und weſtdeutſchen 
B allen Bald entſtanden in 
anzig und irſchau vollberechtigte 
deutſche Stadtgemeinden, wichtige Glieder 
in jener Kette von Handelsſtützpunkten, 
mit denen der deutſche Kaufmann die Süd: 
küſte der Oſtſee bis nach Narva hin um⸗ 
ſpannt hielt. Gleich Wi mit dem Rauf: 
mann famen deutſche Weltgeiſtliche und 
Mönche, die in den verſchiedenen Teilen 
des Landes ihre Tätigkeit aufnahmen. Um 
das Jahr 1175 wurde Oliva gegründet, als 
älteſtes und bedeutendſtes jener Klöſter, 
die ſich als Träger einer höheren geiſtigen 
und wirtſchaftlichen Kultur unſagbare Ver⸗ 
dienſte um die Entwicklung des Landes 
erworben haben. 


Die Deutſchen gerufen! 

Alles dies geſchah unter der aus: 
i en „ von 
feiten der oſtpommerſchen Fürſten, die mit 
Hilfe der deutſchen Einwanderer den er: 
ſehnten Anſchluß an das in Recht und 
Wirtſchaft, in ou und kulturellen 
Dingen führende bendland zu finden 
hofften. So hat ſich der KOCH Swantopolf 
von Danzig in der Bur orge für bie deut: 
ſchen Einwanderer beſonders hervorgetan. 
Sein Bruder Sambor ging in ſeiner Vor⸗ 
liebe für deutſches Weſen ſo weit, daß er 
an ſeinen Hof in Dirſchau nur deutſche 
Ritter zog und dieſen ok e in der 
Umgebung verlieh, um fie ſtärker an fein 
Land zu binden. 

Co war im Verlauf des 13. Jahrhunderts 
eine ſtarke dis a Nn a Be 
bie Geiſtliche, Bürger und grundbeſitzenden 
Adel umfaßte. och i ber deutſche 
Bauer, der allein befähigt war, diefe Ges 


Die Bevölkerung deutscher Muttersprache im Korridor 


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C] unter 150 v. H. B über 50 v. H. 


15,1 bis 30 v. H. e 


2300, 1 bis 50 v. H 


71 


andere. auf bie Dauer lebens» 
ähig zu erhalten. Die Cinmanbe: 
tung von deutſchen Bauern wurde 
in die ee geleitet, als fid) nach dem 
Ausſterben des pommerſchen Herzogshauſes 
der Deutſche Orden von Preußen her 
in den Beſitz Oſtpommerns geſetzt hatte und 
nun baranging, das Land durch ein ume 
fangreiches Siedelwerk ne qu 
bef ließen. Niemand war dieſer Au ge e 
beſſer gewachſen als der Orden, deffen Vers 
waltung damals als die beſte in Europa 
gerühmt wurde. Überall regte ſich jetzt 
neues Leben. Wälder wurden gerodet und 
Sümpfe trockengelegt. In den „aus wilder 
Wurzel“ gegründeten Dörfern, die ſich bis 
auf den heutigen Tag durch ihre deutſchen 
Namensformen zu erkennen geben, ließen 
Do deutihe Bauern aus bem preußiſchen 

andesteil bes Ordensſtaates oder aus dem 
deutſchen Mutterland im Weiten nieder. 
Diele 1 ung fand vor allem im 
Stüblauer Werder, im Weichſeltal unb an 
ber Südgrenze des Landes im Umkreis ber 
Städte Konitz und Schlochau ſtatt. Im 
Landesinnern bildeten ie kleinere Neu⸗ 
ſiedelgruppen an der Putziger Wiek, in der 
Gegend von Czerff und von Skurz und 
Hn s um ben Marienſee auf der Danziger 

dhe. 


Gleichzeitig wurden auch bie Altſiedel⸗ 
räume der eingeſeſſenen pommerſchen Be⸗ 
völkerung von der koloniſatoriſchen Tätig⸗ 
keit des Ordens erfaßt. Es kam zu einer 
roßangelegten Landesplanung: ohne 9tüd- 
ise auf bie bisherigen STE 
er pommerſchen Dörfer hat der Orden 
größere zuſammenhängende Landflächen 
neu aufgeteilt, wobei die Zahl der Sied⸗ 
lungen verringert, die Gemarkungen der 
Einzelortſchaften jedoch erheblich vergrößert 
wurden. So kam es denn, daß neben den 
ommerſchen Bauern, die ihre alte Wohn⸗ 

ätte hatten aufgeben und in die nach 
deutſchem Muſter erbauten Angers oder 
Straßendörfer ziehen müſſen, ped einige 
b emanberte deutſche Bauernfamilien 

atz fanden, von denen ſich die Pommern 
die Bräuche des deutſchen Rechtslebens und 
die Fertigkeiten der deutſchen Landwirt⸗ 
ſchaft aneignen konnten. 


Deutſche Städtegründungen im Oſten 


Da durch die umfangreiche Siedlung auf 
Neuland einerſeits, durch die erg Sedge 
der Gemarfungen und bie mit der Drei: 
felderwirtſchaft verbundene Intenſivierung 
der Feldbeſtellung auf den alten Siedel⸗ 
flächen andererſeits der Nahrungsſpiel⸗ 


72 


raum um ein Vielfaches erweitert war, 
konnte dieſes Siedelwerk den Auftakt zu 
einer allgemeinen Belebung der Wirtſchaft 
bilden, die in der Gründung zahlreicher 
Städte ihren beredteſten Ausdruck fand. 
Insgeſamt ſind neben den drei Städten 
Danzig, Dirſchau unb Mewe, bie der Orden 
vorfand, im Verlauf von 100 Jahren nicht 
pen als 17 neue begründet worden, 
von denen einige, wie Ronig und Tr 
Stargard, zu grape Sebeutung fangten. 
Es ilt für uns ſehr wichtig. A ih die 
Bürgerſchaft dieler Städte Vot ausſchließ⸗ 
lich aus Deutſchen zuſammenſetzte und die 
Einwanderung von Nichtdeutſchen glich 
ſtrenge Beſtimmungen faſt völlig unmögli 

emacht wurde. Um das Jahr 1400 ſtellen 
ich demnach die Dinge ſo dar, daß das 
eutſchtum ſeinen GE dia um bie 
wirtſchaftliche und kulturelle Durchdringung 
entſprechend in den Städten und den be⸗ 
ſonders 1 Neuſiedelgebieten die 
unbedingte Vorherrſchaft dch daneben 
aber aud) in den übrigen altbefiedelten 
Landesteilen mit einer dünneren Schicht 
eh Bauern und Gutsbefigern Fuß gefaßt 
atte. 


Zeiten des Riedergauges 


‚Wie die Anſetzung zahlreicher weft 
fäliſcher Zuwanderer in den heute ſoge⸗ 
nannten Koſchneiderdörfern bei Konitz 
(etwa 1440 bis 1450) zeigt hat der Orden 
es trotz der dauernden Kriege und ſeines 
inneren Verfalls bis zum bitteren Ende 
P zn he die Landeskultur auf der alten 
Höhe zu halten. Nach dem Zweiten Frieden 
von Thorn e in dem der Orden den 
Polen u. a. ſeine Beſitzungen el dem linten 
Weichſelufer überantworten mußte, ſetzte ein 
allgemeiner wirtſchaftlicher Nie⸗ 
Ads ein, der auch auf die Entwick⸗ 
lung des Deutſchtums nicht ohne Einfluß 
bleiben ſollte. Die über das Land ver⸗ 
treuten deutſchen YEA unb Einzel» 
amilien konnten fid nicht halten und find 
m Kaſchubentum aufgegangen, ſo daß heute 
nur noch einige wenige urſprünglich deutſche 
Orts: und Flurnamen in kaſchubiſcher Gout, 
gene von ihnen zu berichten willen. Von 

üben her war das Polentum im Bor: 
1 begriffen; ihm erlag die Bürger: 
ſchaft einiger kleinerer Städte, in deren 
wirtſchaftlichem Gefüge mit der Entſtehung 
der Ackerbürgerſchicht entſcheidende Um⸗ 
wälzungen erfolgt waren. Reftlos durch⸗ 
ſetzen konnte ſich das Polentum überall dort, 
wo die E über die allerorts 
auffladernden evangeliſchen Bewegungen 
den Sieg erringen konnte. Dagegen hat ſich 


bae Deutſchtum in denjenigen Gebieten bes 
haupten können, wo es geſchloſſen in 
rößeren Gruppen ſaß, wenn es ihm nicht 
ogar gelang, feinen Geltungsbere ch durch 
Angleichung pommerſcher Bevölkerungsreſte 
auszuweiten. Dieſe Entwicklung wurde durch 
die Einwanderung neuer deulſcher Siedler⸗ 
züge beträchtlich gefördert. Aus den weſtlich 
angrenzenden pommerſchen Gebieten, dem 
en Hinterpommern, kamen im 16. Jahr: 
undert deutſche Bauern herüber, bie fid) in 
der Gegend von Zempelburg, im Nordteil 
des Schlochauer Kreiſes und ſchließlich auch 
in der Hütten egenb am Turmberg nieder⸗ 
ließen. Um dieſelbe Zeit begann die Ein⸗ 
wanderung von Mennoniten, die um des 
Glaubens willen die niederländiſche Heimat 
verlaſſen mußten und nun unter günftigen 
Bedingungen an der Weichſelmündung und 
im Weichſeltal eine neue Heimſtätte fanden; 
von ihrer Arbeit zeugen heute noch die 
vielen ſogenannten olländereien oder 
„Hauländereien“. Verſprengte Holländer: 
tuppen find im Karwen⸗ und Kniewen⸗ 
ug im nördlichen Korridorgebiet angeſetzt 
worden. 


Schon unter poluiſcher Herrſchaft überlegen 


Det deutſche Bevöllerungsanteil, der gegen 
Ende der polniſchen Hertſchaft nach vor⸗ 
ſichtigen Schätzungen dem kaſchubiſchen wie 
noinen gleichkam, ihn vielleicht fogar 
bertroffen hat, iſt nach der erſten Teilun 
Polens, bei der unſer Land an Preußen fiel, 
durch „ den Großen weiter⸗ 
in gefeſtigt worden, wenn man auch den 
iedlungsmaßnahmen dieſes Herrſchers 
wenigſtens für unſern Bereich keine über⸗ 
triebene Bedeutung beimeſſen darf. Im 
ganzen find nämlich nur rund 1100 württem⸗ 
ergiſche Familien in die neuen Provinzen 
eingewandert, doch iſt das heutige Korridor⸗ 
gebiet oon dieſem Zuſtrom am wenigiten 
etroffen worden, da damals lediglich einige 
Nast Vorwerke in der Gegend von 
Karthaus und Dirſchau neu beſetzt wurden 
und in den übrigen Gebietsteilen wenige 
verſtreute Familien Platz fanden. Auch die 
deutſche Frledrich Wi , die 0 im Gefolge 
der von Friedrich Wilhelm IV. betriebenen 
Wieſenmelioration einſtellte, blieb zahlen⸗ 
mäßig gering und ouf einen fleinen Raum 
am warzwaſſer beſchränkt, wie ſich auch 
die Anſiedlungsgeſetzgebung der letzten Vor⸗ 
kriegsjahre im heutigen Korridorgebiet 

kaum auszuwirken vermochte. 


Das ift der Tatbeſtand! 


Aus dieſem kurzen Überblick ergeben ſich 
verſchiedene Feſtſtellungen, die hier in leit⸗ 


[a ähnlicher Dom zuſammengeſtellt werden 

ollen, um unſern Standpunkt dem gefälſchten 

golni/den Geſchichtsbild gegenüber mit aller 

Klarheit und Schärfe herauszuarbeiten: 

1. Die deutſche Bevölkerung des Korridor: 

ebiets iſt nicht landfremd, ſondern läßt 

fs in ihren heutigen Siedlungsgebieten 
n gerader Linie bis in die Zeit der 
gro en mittelalterlichen Landnahme im 
3. bis 15. Jahrhundert zurückführen. 

2. Die deufihde Bauernbevölkerung des 
Korridorgebiets hat die ee 
ruchtbaren Böden, bie fie fetzt innehat, 
elbſt urbar gemacht und darüber hinaus 
n jahrhundertelanger Arbeit dem Geſicht 
des ganzen Landes in zahlloſen Einzel ⸗ 
ügen fein bleibendes Gepräge verliehen. 

3. Nur wegen dieſer ihrer ent en 
seo tater und Leiftungsfabigteit find 

die deutſchen Einwanderer von den deut: 
ſchen oder ſlawiſchen Landesherren ins 
Land gerufen worden; der „ 
Volkstums hat dabei gar keine Rolle 

eſpielt. 

4. Das heutige Deutſchtum des Korridor⸗ 
gebiets iſt alſo nicht auf eine gewaltſame 
„ſtaatliche Germaniſation“ durch die 

reußiſche Regierung feit Friedrich dem 
SC zurückzuführen, wie bie polniſche 
Nachkriegspropaganda dies zu behaupten 
pflegt, niemals find die deutſchen Ein⸗ 
wanderer den Kaſchuben und Polen gegen⸗ 
über ſtärker bevorzugt worden als unter 
den alten pommerſchen Herzögen (bis 
1295) und zur Zeit der polniſchen Herr⸗ 
ſchaft (1466 bis 1772). 


Ein bezeichnendes Beiſpiel 

Zu dieſen Behauptungen, die die Kern⸗ 
ragen des Zuſammenwohnens der Völker 
m deutſch⸗ſlawiſchen Grenzſaum berühren, 
eien zur Verdeutlichung einige mene 
elegftellen aus den verſchiedenen Zeit⸗ 
träumen angeführt. Als der uns bekannte 
Herzog Sambor von Dirſchau im Jahre 1255 
dem Ziſterzienſerkloſter Lekno einige Dörfer 
weſtlich der heutigen Stadt Schöneck ſchenkte, 
erteilte er ihm „aus beſonderer Gunſt die 
Erlaubnis, Deutſche anzuwerben und ſie 
Best ihrer Gewohnheit in den eben genannten 
Be gungen anzufiedeln, damit fie dort ibt 
eigenes Recht unb einen ihren Leiftungen 
entſprechenden Arbeitsertrag haben ſollten“. 
Gleichzeitig ſicherte Sambor dieſen Anſied⸗ 
lern eine eigene Gerichtsbarkeit und weit⸗ 
gehende Befreiungen von der militäriſchen 
Dienſtpflicht und den übrigen ſtaatlichen 
Laſten zu, um den Anreiz zur Einwanderung 
u vermehren. Um die Mitte des 16. Jahr⸗ 
underts haben die Mönche des Karthäuſer⸗ 


73 


flofters im heutigen Karthaus evangeliſche 
Bauern aus Pommern auf ihren Gütern 
angeſetzt und ihnen ſogar die Erlaubnis zum 
Bau eines Gotteshauſes gegeben, obgleid in 
jener Zeit bie polniſche Gegenreformation 
einſetzte. An der Anſiedlung der für die 
Kultivierung von Niederungsböden beſon⸗ 
ders geeigneten holländiſchen Einwanderer, 
die doch vom polniſch⸗katholiſchen Standpunkt 
aus als Ketzer zu betrachten waren, haben 
bes neben polniſchen und deutſchen Guts⸗ 
eſitzern und einzelnen Städten polniſche geiſt⸗ 
liche Grundherrſchaften und endlich die pol⸗ 
niſchen Könige ſelber beteiligt. Für die Ver⸗ 
dienſte dieſer Mennoniten hat der polniſche 
König Wladyslaw IV. im Jahre 1632 folgende 
Worte gefunden: „Mit Wiſſen und Willen 
des durchlauchti ſten Königs Sigismund 
Auguſt haben ſich Eure Vorfahren hierher 
berufen laſſen, in Gegenden, die damals 
öde, verſumpft und ungenutzt dalagen; mit 
heißer Mühe und gewaltigem Koſtenauf⸗ 
wand haben ſie dieſe Gegenden fruchtbar 
und nutzbringend gemacht, indem ſie das 
dus Was rodeten Pumpwerke anlegten, um 
das Waſſer aus den überfluteten und ver⸗ 
ſchlammten Gründen zu entfernen und 
Dämme gegen die Überſchwemmungen der 
Weichſel und Nogat aufführten.“ 


Nichts zu verlieren — alles zu gewinnen! 


Doch genug damit. Begnügen wir uns 
mit der abſchließenden Feſtſtellung, daß 


bieles mit dem Lande verwurzelte Deutſch⸗ 
tum ſtark genug geweſen wäre, ſich bei 
einer Abſtimmung innerhalb der Grenzen 


der alten Provinz Weſtpreußen durchzu⸗ 
legen, wenn bie Polen es im Jahre 1920 
arauf hätten ankommen laſſen. Dieſe zogen 
es vor, Hunderttauſende von Deutſchen ge⸗ 
waltſam zu vertreiben, und es iſt kenn⸗ 


Kleine 


Karl Richard Ganzer: 
„Deutsch sein heißt Charakter haben“ 


Rede bei einer Morgenfeier der Hitler: 
Jugend 


Es war im Jahre 1806, nach der vernich⸗ 
tenden Schlacht von Jena, nach dem Zu⸗ 
ſammenbruch des preußiſchen Staates, den 
einſt Friedrich der Große zu gebieteriſcher 


74 


Die finanzielle Armlichkeit 


B amn daß gerade in den Städten der 
evölkerungsaustauſch das größte Ausmaß 
angenommen hat. Wir müflen uns hierbei 
allerdings darüber im klaren ſein, daß die 
Un aig e polniſchen Elemente, Beamte 
und Arbeitsloſe, keineswegs ſonderlich ſeß⸗ 
d find und von ber nächſten Welle genau 
o ſchnell wieder von dannen geſpült werden 
können. Im übrigen ſind die Verſuche zu 
einer Poloniſierung des Landes trotz aller 
Anſtrengungen wenig erfolgreich geweſen. 
es polniſchen 
Staates hat es verhindert, alle ſich aus der 
Enteignungsgeſetzgebung ergebenden Mög⸗ 
lichkeiten zur Anſledlung polniſcher Bauern 
auszunützen. Im Seekreis beherrſchen 
Deutſche und Kaſchuben weiterhin das Feld, 
und auch die im amerikaniſchen Tempo an⸗ 
wachſende künſtliche de Anzieh Gdingen, die 
eine geradezu magii e Anziehungskraft auf 
polniſche Arbeitsloſe und ungeſunde Bes 
völkerungselemente innerpolniſcher Städte 
ausgeübt hat, kann an dieſem Bilde 
ſchlechterdings nicht viel ändern. Dagegen 
hat das Polentum in der Schwetzer Gegend 
durch kriſenfeſte und ſolide Siedlung gewiſſe 
Fortſchritte machen können, ohne daß aber 
dieſer Gewinn zahlenmäßig ſtark ins Ge⸗ 
wicht fiele. Auch im Zempelburger Kreiſe, 
in den Koſchneiderdörfern bei Konitz und 
in der ganzen Weichſelniederung iſt das 
bodenſtändige Deutſchtum unerſchüttert ge⸗ 
blieben. Dieſe deutſchen Bauern halten das 
Erbe einer i langen na 
Kulturarbeit in ſtarken Händen und find 
die lebenden Garanten dafür, dak aud in 
ukunft die deutſche Aufgabe in dieſem 
ande nicht vergeſſen, ſondern eines Tages 
mit dem Mut und der Arbeitsfreudigkeit des 
deutſchen Siedlers von neuem aufgenommen 
und gemeiſtert wird. 


TIGE 


Kraft hochgekämpft hatte. Vom Schlachtfeld 
weg, auf dem das alte Preußen geſtorben 
war, zieht Napoleon in ana oe gegen 
Berlin. Dort hat der ſchwächliche rds 
pur Beſchwichtigung der unruhigen Geiſter, 

ie die Stadt vielleicht könnten verteidigen 
wollen, einen Erlaß en en laſſen, daß 
Ruhe die erfte Bürgerp licht ſei. nd als 
Napoleon vor den Toren der Stadt er⸗ 
ſcheint, triumphierender Sieger, Träger der 


Unterjochung und der en und zieht 
ihm der Magiſtrat mit Kratzfuß und Bück⸗ 
ling entgegen: zur Begrüßung, zur Huldi⸗ 
gung vor dem Landesfeind, zur Demütigung 
vor dem Vernichter des Vaterlands. Dann 
reitet Napoleon in prahleriſchem Triumph 
durch die Stadt. Durch Seitengaſſen aber 
jagt in ſchnellen Karoſſen das Empfangs⸗ 
komitee zum Rathaus zurück: noch einmal 
wollen ſie dort den Zerſtörer empfangen; 
kein anderer Gedanke herrſcht in ihren vers 
kommenen Seelen, als noch einmal dem 
roßen Feind ihre Huldigung und ihre 
ändlichkeit vor die Füße zu legen. 

Zwei Jahre ſpäter geſchieht in der glei⸗ 
chen Stadt etwas anderes. Sie iſt von den 
granzofen beſetzt, überall ſtehen die fremden 

ruppen unter Gewehr, überall marſchieren 
die Kompanien, überall Trommelwirbel, 
Hornſignale, fremde Befehle. Aber in dieſer 
geduckten Stadt iſt ein Mann aufgeſtanden, 
und in einem Saale hält dieſer Mann, 
Johann Gottlieb Fichte, Ja „Reden an 
die deutſche Nation“. Während weitum im 
Lande wie Zeichen der Knechtſchaft die 
Standarten Napoleons ſtehen, ſpricht dieſer 
Redner von der Kraft und der Herrlichkeit 
des deutſchen Volkes, von ſeiner Würde, von 
ſeinet unvergleichlichen Leiſtung, von ſeiner 
unvergleichlichen Sendung. Und über den 
Wirbel der fremden Trommeln draußen vor 
den Fenſtern, über die Erbärmlichkeit der 
regierenden Knechte hinweg ruft er ein 
Wort, das eine ungeheure Aufreizung und 
zugleich das Wort eines ungeheuren 
Stolzes iſt: 

„Charakter haben und Deutſchſein ift 
ohne Zweifel gleichbedeutend.“ 

Die glei e Stadt, die bei jenem kriecheri⸗ 
ſchen Empfang ein erſchütterndes Beiſpiel 
der Schande geſehen hatte, erlebt nun die 
Geburt einer role, die zu den tiefſten 
Einſichten in unſer Weſen gehört, 

Sie gehört aber deshalb zu den tiefen 
Einſichten in unſer Weſen, weil fie eine der 
größten Forderungen ausipridt, bie 

amals wie heute vor jedem einzelnen 
Deutſchen ftehen. 

Wir wollen uns, meine Kameraden, 
nichts KE Charakter haben ift 
etwas ſehr Hohes; die eigentliche Aufgabe 
aber, vor der wir jungen Menſchen ſtehen, 
heißt, uns ee erft zu erringen. 
Charafter haben ijt Darum niemals etwas 
Bequemes. Es hat eine Zeit gegeben, und 
es gibt auch unter uns noch Menſchen, aud) 
unter uns Jungen, die da meinen: wenn 
deutſch ſein ſchon ſoviel heißt wie Cha⸗ 
rakter haben, dann wären wir ſchon alle 


vollkommen wie Engel, fertig mit jedem 
Schickſal, von keiner Aufgabe mehr ver⸗ 
pflichtet, allen formenden Anſprüchen für 
immer entzogen — die ganze Welt könnte 
an uns genejen... 

An dieſem leichtfertigen und überheb⸗ 
lichen Glauben, „fertig“ zu ſein, iſt vor 
zwanzig Jahren ein Reich zerbrochen. Und 
wir Deutſchen haben damals die uralte ge⸗ 
ſchichtliche Lehre wieder einmal beſtätigt 
erhalten, daß Zukunft und Lebensrecht nur 
dort T finden find, wo man ben Mut unb 
die Kraft hat, Aufgaben zu bejahen und 
gehorſam die Wahrheit anzuerkennen, daß 
der Menſch an ſich zu arbeiten und ſich zu 
formen hat, ſolange er lebt. Die tiefſte 
Weisheit, die ſich aus der Geſchichte des 
deutſchen Charakters, aus dem unſagbar 
ſchweren und yl bay ſtoldien Ringen um 
unjer inneres Geſicht gewinnen läßt, iſt 
die: daß wir Deutſchen immer Menſchen der 
ſchweren Bemühung waren, daß in Deutſch⸗ 
land die ſuchende, ringende, nie zufriedene, 
immer earen unb barum ſchöpferiſche 
Seele zuhauſe ift, daß deshalb auch jeder 
einzelne von uns unter dieſem ſeeliſchen 
Urgeſetz des Deutſchen ſteht, ſich zu ſeiner 
edelſten und ſtärkſten Geſtalt erft Biuringen 
zu müſſen. 

Hölderlin hat es einmal bekannt: „Was 
wir ſind, nichts; was wir ſuchen, 
iſt alles.“ Das iſt ein Wort, das jeder 
jungen Mannſchaft in unſerem Volk geſa 
iſt, weil jedes brauchbare deutſche Geſchlecht 
ſeine geſtaltenden Kräfte aus ſeinem Chas 
rakter holt und darum die Aufgabe mit ſich 
trägt, ſich an dieſem innerſten Kern 
ſeines Weſens „in Form“ zu bringen. Muß 
man ſagen, daß das nicht mit Phraſen und 
angeberiſchem Gewäſch geſchieht? Daß es 
auch nicht allein im äußeren u ges 
ſchieht? Im ul, por der een 
muß fid der Charakter bewähren. Aber 
geformt wird er „inwendig in uns“, in 
den ſchweren f auf den 
einſamen Kampfplätzen und Exerzierfeldern 
der Seele, in unſeren trotzigen, verbiſſenen 
und adeligen Aufſtänden gegen bie Bedenk⸗ 
lichkeiten in ber eigenen Bruſt. Wir kennen 
ſie alle, die großen Verlockungen: die faule 
Zufriedenheit, die Selbſtgefälligkeit, den 
inneren Schweinehund, das ſchlappe Gleich⸗ 
Aid e — Gefährdungen, die jeden 

iedergang in unſerer Geſchichte auf dem 
Gewiſſen haben, den von 1918 wie den von 
Jena 1806 wie all die anderen in unſerer 
Vergangenheit zuvor — Gefährdungen 
auch, die jeder von uns in ſich trägt und 
die zu beſitzen an ſich keine Schande iſt: es 


75 


kommt nur darauf an, daß man fie ans 
geht, daß man fie würgt; es kommt 
atauf an, daß bie herrenhaften 
Kräfte der Seele Sieger bleiben. 


Austrag und Sieg ganz in der Stille! 
Wir ſcheuen uns manchmal vor den Dingen 
der Stille und der Innerlichkeit, weil ſie 
„zu weich“ wäten. Nein. ſie ſind nicht weich! 
Im innerften Grund der Seele, In 
ſolchen heimlichſten Siegen läutern 
wir unſere härteſten Kräfte — Kräfte, 
die formend hineinwirken in die Welt⸗ 
geſchichte! 

In die Weltgeſchichte aber hineinzuwir⸗ 
ken: dazu ſind wir aufgerufen wie noch nie⸗ 
mals zuvor in unſerer Vergangenheit — 
jeder von uns, du und du und du. Vor 
dieſer unerhörten Auserwähltheit. die unfer 
Geſchlecht betraf, gibt es kein Ausweichen, 
und den Notwendigkeiten. die diefe Aus⸗ 
erwähltheit mit ſich bringt, entzieht ſich 
keiner. Es geht nur darum, ſich für ihren 
Anſpruch au rüſten. Wenn wir fragen, 
warum unſer Volk in ſeiner Geſchichte ſo 
viele Abſtürze in die Erniedrigung erlebte, 
dann finden wir immer die gleichen Gründe: 
weil es weich wurde in ſeinem Charakter, 
und weil es mit Phraſen und Getön durch 
die Zeit zu laufen begann. Die Antwort 
auf Phtaſe und Bequemlichkeit tft aber 
immer die gleiche, der Niedergang. Und 
wenn wir weiterhin fragen, welche Kräfte 
es aus der Erniedrigung wieder hochriſſen, 
dann finden wir, daß es nicht äußere Dinge, 
ſondern die harten und ehrenhaften Tugen⸗ 
den waren, und daß die Männer des Auf⸗ 
ſtiegs zuerſt an der Läuterung nur ihres 
Charakters, an der Rüſtung der Seele, an 
der Formung der in nerſten Werte ges 
arbeitet hatten. Männer bes Aufftiegs find 
aber heute auch wir, wir alle, auch wir 
Jungen, wir Wufgerufenen, die das Reich 
tragen follen. Wie aber die großen Führer⸗ 
eſtalten unſerer Geſchichte erſt mühſam um 
ihren Charakter rangen, im Kampf mit 
allem Weichen und Dumpfen, Trüben und 
Fremden, bis er der koſtbarſte ihrer Werte 
wurde, eine funkelnde Krone, ſo müſſen erſt 
recht wir Gefolgsleute dieſer großen deut⸗ 
ſchen Geſtalten uns zu der Einſicht bekennen, 
daß ein ſtarker Charakter erkämpft, erdient 
und redlich erarbeitet werden muß — nicht 
mit der Phraſe, ſondern mit einem tapferen 
Herzen. 

Dieſe ſtille, züchtende Arbeit an einem 
tapferen Herzen iſt ſchwer, aber ſie iſt not⸗ 
wendig. Denn das Reich verlangt als ſeine 
künftigen Träger keine ſchwankenden Na⸗ 
turen, ſondern Männer, die ſich auf die 


76 


herren⸗ und führerhaften Kräfte ihrer Seele 
verlaſſen können. Wir müſſen uns diefe 
Herrſchaft über uns ſelber erringen. Sind 
wir, ftarf und mung genug, uns zu Diefer 
innerlichſten Aufgabe zu bekennen, dann 
ſteht in Deutſchland ein Geſchlecht, deſſen 
Charakter eine nie geſehene Unerſchüt⸗ 
terlichkeit zeigt. Dann hat den deut⸗ 
ſchen Menſchen tief aus dem Inneren her⸗ 
aus eine nie erlebte „ 
in Beſitz genommen. Dann ſteht das Reich 
unter der hütenden Kraft einer Mannſchaft, 
die Dauer verſpricht wie ein langſam ge⸗ 
wachſener, in tiefen Schichten verwurzelter, 
mächtiger Baum. 


Dieſer Unerſchütterlichkeit, dieſer Zuver⸗ 
läſſigkeit, dieſer Dauer ſtreben wir zu. Zwei 
Worte hängen als große Forderungen über 
dieſem Ringen um unſere innerſte Form. 
Das eine, ſtark wie ein Hammer. klirrend unb 
voll Mut — das Wort Nietzſches: „Gelobt 
lei, was hart macht“ — und das ande re. das 
die ſchöpferiſchen Tiefen der Seele beſchwört, 
in denen ſich alle ſtarken ze verſchwie⸗ 
gen bereiten, um ſich danach in der i 
bes Kampfes zu beweiſen — das ort 
Meiſter Ekkeharts: daß es die tiefſten 
none find, welche die höchften Waller 
ragen. 


Offener bulgarischer Brief 
an Thomas Mann 


Ein 19 jähriger Gymnasiast aus Sofia 
schickt uns zur Veröffentlichung nach- 
stehenden Brief an den Emigranten Mann, 
den wir nicht zur Auffrischung des Ge- 
dächtnisses an jene längst vergilbte Li- 
teratenerscheinung des Systemreiches, 
sondern der anständigen Gesinnung 
wegen, wie sie in der Jugend eines an- 
deren Volkes lebt, wiedergeben. 

Durch Zufall fiel mir eine Wiedergabe 
Ihrer Meinung über die Erziehung der 
un deutſchen Jugend in die Hand. 

oweit ich daraus erfahre, ſind Sie alſo 
der feſten Überzeugung, daß dieſe Art Er⸗ 
gieung niemals ein Genie aufkommen 
allen wird. Mit anderen Worten: die ges 
meinſchaftliche Erziehung wird das wer: 
dende Genie in ſeiner Entwicklung erſticken. 

Ich bin zwar ſehr jung, was mich nicht 
hindert, nach meiner Einſicht dieſer Auf⸗ 
faſſung zu widerſprechen. 

Ich hatte das ſeltene Glück, zwei Sommer 
unter der ſehr glücklichen Hitler⸗Jugend — 
die Sie ganz beſonders zu bedauern 
ſcheinen! — zu verbringen. Ich hegte für 


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diefe Jugend vom erſten Tag ihres Kampfes 
an eine tiefe Sympathie und aufrichtige 
Liebe, weshalb ich auch mit ganz beſon⸗ 
derem Intereſſe ihr Leben beobachtete. 


Den erſten Sommer verbrachte ich in der 
befreiten Saar, den zweiten im herrlichen 
Bayern. Die Zeit, die ich unter dieſer 
Jugend verlebt habe, zähle ich di meinen 
ſchönſten Erlebniſſen, und bie Crinnerun 
daran wird mir immer teuer und fro 
bleiben. Von einer ſolch echten, ſo idealen 


Kameradſchaft, wie ſie unter der Hitler⸗ 
Jugend herrſcht, hatte ich keine Ahnung 
gehabt. blieb tief gerührt davon un 


mit der vollſten Ubergeugung, daß ein 
Ihöneres ee eben für eine 
Jugend über aupt nicht denkbar iſt. 


In den Lagern traf ich Jungens aller 
Stände, aber ſie lebten untereinander wie 
wahre Brüder. Für ihren Führer, Volk 
und Vaterland | fügt in ihnen nur ein 
Herz, ein 9Bunid, ein Wille. Ich werde 
nie jene Stunde vergeſſen, in der wir uns 
alle um den Lautſprecher verſammelten 
und geſpannt die Rede des einzigartigen 
Führers erwarteten. Und als feine ſchlichten 
und ſo tiefpackenden Worte erklangen, da 
ſah ich in dieſen 250 Jungens aller Stände 
nur ein Antlitz, aus dem reinſte, hin⸗ 
gebendſte Liebe leuchtete, fühlte ich nur 
eine Seele, die ſich in höchſter Begeiſte⸗ 
rung mächtig emporſchwang, um der 
Stimme zu lauſchen, die ſie aus dunklen 
Tiefen bitterer Hoffnungsloſigkeit entriſſen 
at. Ein oer iss Moment, ber fif in 
einer Sprache wiedergeben läßt! 


Beherrſchte ich diefe deutſche Sprache wie 
Sie, ich würde an dieſe göttliche Stunde 
eine unſterbliche Hymne geſchrieben haben. 
Überall, wo man dieſer Jugend begegnet, 
ſieht man ihr charakteriſtiſches Geſicht, 
ſpürt ihre mächtige Seele... 


Aber wie ſteht es mit dieſer Jugend, 
wenn ſie ſich frei vom Taumel der Be⸗ 
geiſterung im Alltagsleben bewegt? Dies 
zu erfahren, lag mir beſonders am Herzen. 


Alſo bat ich: erzählt mir von eurem 
Schaffen ae E des Lagerlebens, von 
euren Fähigkeiten und euren Berufszielen. 
Und einer erzählt: er ſei Schmiedelehr⸗ 
ling, liebe ſeinen Beruf und wolle alle 
ee Kräfte anipannen, um feine Hufe und 

äderſchienen meiſterhaft zu fertigen. Wenn 
dieſer Kamerad ſo erzählt, iſt er mit Leib 
und Seele Schmied, nur Schmied! Er be⸗ 
müht ſich, uns klarzumachen, wie die Hufe 
gemacht werden und was für Vergnügen 
es ſei, wenn die Arbeit gelingt. Dabei 


leuchten ſeine jungen Augen, glühen ſeine 
Wangen. Alles hört achtungsvoll zu. 
„Keiner ſoll in Zukunft den deutſchen 
Schmied an Fleiß und Tüchtigkeit über⸗ 
treffen. Indem wir uns mit ganzer Kraft 
unſerem Berufe weihen, dienen wir 
unſerem großen Führer und Deutſchland.“ 
Alles ſtimmt begeiſtert bei. 


Ein anderer berichtet, er arbeite als 
Lehrling in einer Porzellanfabrik. Mit 
derſelben Liebe und Wärme erzählt auch 
er von dem Formen ber Taffen, der Teller 
und Vaſen. Wie dort einem jeden Ge⸗ 
legenheit gegeben wird, all ſein Können 
zu entwickeln. Mit welcher väterlichen 
Liebe und Güte die Vorgeſetzten an dem 
emſigen Schaffen der Jungen Anteil 
nehmen. Nicht wie einſt, da man dem 
Nebenbeſchäftigung zu⸗ 


rbeitskraft ausbeutete. 


Lehrling eee 
wies und ſeine 


Jede SEN Begabung werde mit 
größter Sorgfalt gefördert. Die Räume, 
in denen ſie arbeiten, ſeien licht und 


für die „die Fabrik habe das Modernſte 
t die körperliche, geiftige und ſittliche Er⸗ 
ziehung der Arbeiter getan. Dann ar 
er vom Reidhsberufswetttampf, in dem jeder 
beitrebt ift, unter den Siegern und damit 
unter den Leiſtungsbeſten der jungen Gene⸗ 
tation zu ſein. 


Nun will ich Ihnen noch von einem 
Jungen elle der mir mit feiner bes 
ſonderen Intelligenz tiefen Eindruck ge: 
macht hat. Er beſucht eine Höhere Schule, 
pricht über alle Fragen des Lebens und 
er Kunſt ſehr ernſt. Liebt die klaſſiſche 
Muſik und hegt eine ganz beſondere Liebe 
ür Volkslieder. Irgendein neuentdecktes, 
dines Motiv kann ihn in höchſte Begeiſte⸗ 
zung bringen. Ihm find Volkslieder vieler 
Völker bekannt. Zu meiner großen Uber, 
taidjung ipielte er mir ſchöne Lieder meines 
Volkes vor. Der Hitlerjunge hörte da 
auf, es begann ſein Leben als Muſiker. 
Wie ich ihn ſo vor mir ſah, da ſtellte ich 
mir die Frage: Wenn er ein werdendes 
Genie iſt, wird die gemeinſchaftsgebundene 
Erziehung ſeiner Entwicklung romena 
fein? Ganz gewiß nicht. Im Gegenteil 
Dieſe ſtrenge geiltige und körperliche Er⸗ 
ziehung, die dieſem Jungen in der For⸗ 
mation zuteil wird, kann dem werdenden 
Genie, wenn er ein ſolches iſt, für ſeine 
weitere . nur vom höchſten 
Wert ſein! Es wird dann freilich eine Zeit 
kommen, wo er wird aufhören miiffen, ein 
Glied in dieſem Ganzen zu ſein, das ihn 
heute ausrichtet und formt, er wird ſich 


77 


dann vielleicht in ein kleines Zimmer zus 
rückziehen, um dort Großes zu ſchaffen, 
aber wieder nur für das erhabene Ganze 
fühlt. dem er ſich innerlich verpflichtet 
ühlt. 


Haben Sie keine Sorge, Herr Emigrant, 
um bie deutſche Jugend! 


Es entfaltet ſich eine junge leiſtungs⸗ 
ſtarke, vom Ideal der Tüchtigkeit durch⸗ 
drungene Generation. Erſt ſechs Jahre be⸗ 
ſteht das Hitlerreich! Die ſchweren Ent⸗ 
täuſchungen, die Ihnen Rußland bereitete, 
mögen Sie peſſimiſtiſch gemacht haben! Es 
iſt wahr, dort hat die von Ihnen und 
Shresg eihen fo hochgeprieſene Regierungs: 
und Erziehungsmethode eine jämmerliche 
Niederlage erlitten. Froheſten Herzens und 
lichteſten Blickes ſteht vor uns die ſchöne, 
glückliche, eiſerne deutſche Jugend — die 


Reue 


Bücher zur Außenpolitik 


Wenn die politiſchen Nachrichten ſich u 
überſtürzen ſcheinen, wenn heute möglich ijt, 
was geſtern noch abſurd erſchien, und wenn 
die Leidenſchaften im raſenden Tempo ge⸗ 
kee den Geſchehens mitgeriſſen werden, 
ann verlangen die ernſten, von Forſchern 
eſchriebenen und Material reichenden 
Bücher von den überlegenen und ſicheren 
Führernaturen in der jungen Generation 
geleſen zu werden. Niemals mochte es wohl 
reizvoller ſein, als in unſeren Tagen des 
polniſchen Staatsmannes Joſef Pilſud⸗ 
[fto Werke zu leſen. In dem vierbändi⸗ 
gen Werk („Erinnerungen und Dokumente“, 
Eſſener Verlagsanſtalt G. m. b. H.) kommt 
eine Perſönlichkeit zu Wort, mit der wohl 
a ſtärkſte moraliſche und ſeeliſche 
raft dahingegangen iſt. Was heute in 
Mißachtung des Vermächtniſſes von Pilſud⸗ 
ffi geſchieht, ift im Lager jener Gegenkräfte 
des polniſchen Volkes geboren, mit denen 
ſich der große Staatsmann ſein geſamtes 
Werk hindurch auseinanderſetzt. Bei nüch⸗ 
terner Durchſicht der Gedankengänge ver⸗ 
mag man ſich ein Bild zu machen von geiſti⸗ 
gen Potenzen, die gegebenenfalls im Dienſte 


78 


Zukunft des neuen Reiches, der Ruhm des 
großen Führers 
„Gebete lebend, geht ſie in Taten auf!“ 
Haben Sie Geduld! Wenn zwanzig 
Jahre vergangen ſein werden, da wird das 
Reich dank der großartigen eee 
methode ſeines genialen Führers, die ſelbſt 


demokratiſche Staatsmänner „intereſſiert“ 


und von ihnen als nachahmenswert emp⸗ 


funden wird, herrliche Früchte ernten! 
Übrigens, Herr, diejenigen Männer, die 
trotz ihrer großen Begabung für die 
deutſche Jugend in der Zeit 1 
Seelennot nichts vollbrachten, haben jedes 
moraliſche Recht verloren, um ſie beſorgt 
u ſein — ſo wie Sie jedes Recht verloren 
debe noch als Deutſcher zu gelten. 


Sofia 6, Bojanſka 8 
Vaſſil Trajanow. 


einer niedrigen Sache (Einkreiſungspolitik) 
uns entgegentreten. 


Denen, die für Volkstum und Heimat 
ſtarben, widmet Victor Kauder ſein aktu⸗ 
elles Buch „Das Deutſchtum in 
Polen“ ur von S. Hirzel in Leip⸗ 
zig), einen Bildband, bei defen bild» 
mäßiger Auswahl mehr der Sachwert als 
der Stimmungsgehalt ausſchlaggebend war. 
Hierin liegt der Wert dieſes mit erläutern⸗ 
dem Text reichlich verſehenen Buches. Alle 
wichtigen Lebensäußerungen unſerer deut⸗ 
Laen olfsgruppe in Polen, die vor dem 

eltfrieg ſich auf drei Staaten verteilte, 

werden i" t eindrucksvoll in Wort und 
Bild gezeigt. Der Bericht tjt in feiner 
anzen Sachlichkeit ein erſchütterndes Do⸗ 
ument, das unſere Sorge um das Schickſal 
dieſer treuen Volksgenoſſen und unſere 
Bereitſchaft für ſie einzuſtehen nur noch 
erhöht. 

Die Beziehungen zwiſchen dem Reich und 
den Den Staaten find normal und 
freundſchaftlich. Seit den Kämpfen der 
Deutſch⸗Balten am Ausgang des Welt- 
frieges um ihre e efreiung hat 
eine Normaliſierung der Beziehungen unter 
den neuen Gegebenheiten eingeſetzt, bei der 


man deutſcherſeits nur des öfteren auf das 
Lebensrecht unſerer deutſchen Volksgenoſſen 
verweiſen mußte. u baltiſchen Staaten 
ſind kleine Mächte, die dem Druck einer 
Großmacht nicht Widerftand tenen tönnen 
unb barum abjolut neutral fein müſſen. 
Diefe Situation ijt in 155 engliſch⸗ſowjet⸗ 
ruſſiſchen Paktverhandlungen von neuem 
ins rechte Licht gerückt. Offenbar waren 
die Engländer bereit, imperialiſtiſchen 
Plänen Moskaus im Hinblick auf das Bal⸗ 
tilium nachzugeben. Vorausſichtlich wird die 
Spannung um die baltiſche Neutralität aud 
weiterhin in dieſem Sinn andauern. Dieſer 
Umſtand macht das Werk „1918 — 1919, 
Jahre deutſcher Entſcheidung im 
Baltikum“, von Claus Grimm (Eſſener 
Verlagsanſtalt) beſonders leſenswert. Eine 
Fülle geſchichtlicher Parallelen, Erfahrun⸗ 
gen und Tatſachen werden uns bewußt, 
wenn wir das Ringen um den baltiſchen 
Raum in dieſem geſchichtlichen Abſchnitt in 
unſer Gedächtnis zurückrufen. Grimm legt 
ein umfangreiches Werk wiſſenſchaftlichen 
Charakters vor. Mit deutſcher Gründlich⸗ 
keit ſind alle Einflüſſe und Urſachen der 
Entwicklung von 1918/19 verarbeitet und 
erklärt. Ein ſehr empfehlenswertes Buch, 
das auch in der Schilderung der Kriegsfüh⸗ 
rung im Baltikum von kriegsgeſchichtlichem 
Intereſſe iſt. Im Zuſammenhang damit ver⸗ 
weiſen wir auf Wulf Siewerts kleine an⸗ 
ſchauliche Schrift „Der Oſtſee raum“ 
(B. G. Teubner Verlag Berlin), die in der 
Reihe der Sehe zum und odd „Macht 
und Erde“ erſchienen iſt vor allem vom 
MA e Standort die Lage 
im Oſtſee raum behandelt. 

Auf einen anderen, nicht weniger mit 
Spannungen erfüllten Schauplatz führt uns 
Virginio Gayda mit ſeinem ſoeben bei 
Junker & Dünnhaupt erſchienenen Buch 
„Italien und Frankreich“. Es han⸗ 
delt ſich dabei im weſentlichen um Aufſätze, 
die er unſerer Zeitſchrift in den vergangenen 
Monaten zur Verfügung geſtellt hat. Gayda 
verſteht es, mit einer meſſerſcharfen Logik 
und mit der Entſchiedenheit des ſeiner 
Macht bewußten Faſchiſten die ſeit dem 
Verſailler Vertrag ungelöften italieniſch⸗ 
franzöfifhen Fragen darzulegen. Im Bor: 
dergrund dieſer nur aufgeſchobenen, aber 
nicht aufgehobenen Auseinanderſetzung 
ſtehen drei italieniſche Forderungen: Tunis, 
Suezkanal, Dſchibuti. Eine ſehr gründliche 
Arbeit über alle weſentlichen Probleme des 
Mittelmeerraumes haben allerdings vor 


längerer Zeit Hans Hummel und Wulf Sie⸗ 
wert in den Schriften zur Geopolitik im 
Verlag Kurt Vowinkel, Heidelberg, unter 
dem Titel „Der Mittelmeerraum“ 
herausgebracht. 36 hervorragende Karten 
und reiches ſtatiſtiſches Material ermög⸗ 
lichen ein gründliches Studium der Span⸗ 
nungen dieſes Raumes und ihrer Urſachen. 
Ein Teilproblem behandelt Franz Pauſer 
in ſeiner kleinen Schrift „Spaniens Tor 
zum Mittelmeer“ (Verlag B. G. Teubner), 
wobei ähnlich wie in der ſchon erwähnten 
Schrift „Der Oſtſeeraum“ geopolitiſch⸗ge⸗ 
ſchichtliche Abhandlungen im Mittelpunkt 
ſtehen, die heute bei der Betrachtung der 
täglichen Ereigniſſe von den Führenden 
ſtets in Rechnung zu ſtellen ſind. 

Wir haben vor längerer Zeit ſchon auf 
die in der Verlagsanſtalt Otto Stollberg 
erſcheinenden Bände „Der weiße Kampf um 
Afrika“ hingewieſen. Der zweite Band, der 
uns vorliegt, dürfte für uns wohl der wich⸗ 
tigſte ſein. „Deutſchland in Afrika“ 
lautet das wiederum von Otto Karſtedt ver⸗ 
faßte Werk. Nach einer längeren Dar⸗ 
legung über Kampf und Werden des deut⸗ 
ſchen Kolonialgedankens werden in ſehr 
ſauberer Ausführlichkeit Deutſch-Oſtafrika, 
Südweſt, Kamerun und Togo behandelt. Es 
iſt ein ſtolzes Buch über den deutſchen An⸗ 
teil an der Geſchichte Afrikas, in die Namen 
wie Woermann, Lüderitz, Peters, Wiſſmann, 
Lettow⸗Vorbeck u. a. für immer eingegangen 
find. Das zur politiſchen Erziehung ſehr ge- 
eignete Werk empfehlen wir der Führers 
ſchaft der jungen Generation nachdrücklichſt. 

Wie eine letzte Beſchwörung an Vernunft 
und Verſtand unſeres Nachbarn im Weſten 
mutet ein Büchlein an, das vor Redaktions⸗ 
ſchluß uns noch erreicht: „Frankreich 
und der Korridor“, das in der 
Hanſeatiſchen Verlagsanſtalt der bekannte 
Rechtsanwalt Profeſſor Friedrich Grimm 
herausbringt. Der große Verfechter eines 
deutſch⸗franzöſiſchen Ausgleichs ruft Frank⸗ 
reichs beſſere Geiſter in dieſer Schrift auf 
den Plan, die in der Vergangenheit ſeit 
Verſailles den Wahnſinn der Korridorlöſung 
verurteilt haben. Sollte über dieſe Lebens⸗ 
frage der deutſchen Nation ein Konflikt mit 
Frankreich ausbrechen, ſo wird in ſpäterer 
Zeit nach dem Austrag des Kampfes dieſe 
Schrift der Vernunft allen blinden Kriegs⸗ 
treibern in Paris Tragik und Verblendung 
der franzöſiſchen Nachkriegspolitik vor Augen 
führen. Kif. 


79 


Von deutschem Liedgut 


„Zur Tonalität bes bentidjen Volksliedes.“ 


Herausgegeben im Auftrage der Reichs» 
Ingenbfihrung von Guido Waldmann. 
t Beiträgen von Prof. Dr. Gotthold 
Soler rof. Dr. Kurt Huber, Frig 
etzler, Prof. Dr. sky Müller⸗Blattau, 
Prol. Dr. © ü 
aldmann. 


eorg gi nemann, Guido 
Geor allmeyer Verlag, 

Wolfenbüttel und Berlin 1938. 

Davon ausgehend, daß zahlreiche Lieder 
der Bewegung nicht in Dur, der ſeit faſt 
einem ër undert vorzugsweiſe für volts: 
tümliche Lieder verwendeten Tonart. m 
fondern — treu ihrem inneren Geſetz 
eigene tonale Wege einſchlugen, erhoben fid 
manche Stimmen, die vor einem Abgleiten 
in „flawiſches Moll“ ober gar in artfremde 
Kirchentonarten warnen zu müſſen glaubten. 
Von beiden Seiten wurde der Kampf in 
einer Weiſe geführt, die lebhaft an die 
dati Auseinanderſetzungen vor etwa 

teiblg Jahren um eine Begriffserklärung 
des „echten“ Volksliedes erinnert. Von 
dieſen ſind wir innerlich recht weit entfernt, 
um ſo mehr berührt uns heute die Frage 
nach einer art emane deutſchen Tonalität; 
p es fid dabei doch um eine Riid: 

eſinnung auf verſchollenes völkiſches Erb: 
gut. Der Kampf konnte freilich bisher meiſt 
nur mit Gefühlswerten ausgetragen werden 
da trotz mancher Vorarbeif bis heute noch 
nicht wirklich geſicherte Ergebniſſe vorlagen. 

Hier griff die ie u been ein. 
Sie forderte einen kleinen Kreis bewährter 
Volksliedforſcher zur Stellungnahme auf. 
Das Ergebnis waren gründliche Unter⸗ 
ſuchungen, die nun in der vorliegenden 
Schrift 1 ſind. Vorurteilsfrei kamen 
Forſcher aller Richtungen zu Worte, fo daß 
der Fragenkreis von den verſchiedenſten 
Blickpunkten her behandelt werden konnte. 


Metzler, aufbauend auf raſſetheoretiſchen 
Unter N dringt am weiteſten in Neu⸗ 
land vor, Schünemann gibt einen hiſto⸗ 
riſchen Überblick über die Wandlung der 
Tonalität im Lied, Müller⸗Blattau führt 
s Unterſuchungen über bie Melodietypen 
es deutſchen Mittelalters weiter, Frotſcher 
beleuchtet den Fragenkreis vom heute noch 


lebenden Brauchtumslied her, Waldmann 
gibt wichtige Einblide in GE 
es Liedes der Volksdeutſchen, Huber endlich 
überblickt in großen Zügen die Geſamtlage 
der heutigen Tonalitätsforſchung. 


Die Vielſeitigkeit und Schwierigkeit bes 
ganzen Fragenkreiſes kommt in ben d EE 

eiträgen deutlich zum Bewußtſein. Selbſt 
das erhaltene Überliefe rungsgut ift noch 
keineswegs ſchon fo geſichtet. daß endgültige 

olgerungen daraus gezogen werden könn⸗ 
en. Dies zeigt ſich auch an Widerſprüchen, 
die bei der Auswertung des aterials 
e en den einzelnen Mitarbeitern zutage 
reten. Bei aller Verſchiedenheit in diefen 
Dingen fam aber doch im Grundſätzlichen 
eine EU eben Übereinſtimmung zuſtande. 

eſt ſteht jedenfalls ene daß in germani; 
cher Zeit auf der runblage verſchieden⸗ 
artiger Tonleitern geſungen und geſpielt 
wurde, die älter ſind als die kirchentonalen 
Syſteme und darum keineswegs erft mit der 
chriſtlichen Kirche in unja Volk eingedrun⸗ 
gen fein können. Von den älteften Zeiten 
an aber machte die deutſche Mufik in melo: 
diſcher, rhythmiſcher und harmoniſcher Hins 

cht einen Stiliſierungsprozeß durch, ber in 
er Kunſtmuſik erh im 17./ 18. . 
ſeinen Abſchluß fand. Die nunmehrige Be⸗ 
ſchränkung auf die harmoniſch⸗funktional 
bedingte Dur⸗ und Molltonalität ſtellt 
joe ellos eine Verarmung dar. In ber nur 
angſam Dé wandelnden Volksmuſik ba; 

egen findet ſich auch heute noch alteftes 

berlieferungsgut, das einwandfrei die 
grohe Mannigfaltigkeit früheſter Tonſyſteme 

eweiſt. Von hier aus gilt es daher in un⸗ 
ermüdlicher Kleinarbeit zurückzugehen zu 
der nur dunkel überlieferten Muſik unferer 
Vorzeit. 

Den Grunbftein zu einer ſolchen muſika⸗ 
liſchen Vorgeſchichte hat die e Pp Mo 
ber RIF. gelegt. Keiner, ber fid) ernſthaft 
um bie taſſiſchen Grundlagen bee deutſchen 
Volksliedes bemüht, wird in Zukunft um ſie 
herumkommen. Daß die Ergebniſſe dieſer 
Schrift im Einklang ſtehen mit dem, was 
unſer neues Liedgut an innerer arts und 
raſſegebundener Haltung inſtinktſicher aus⸗ 
drückt, beweiſt die Richtigkeit des gefunde⸗ 
nen Weges. F. Qu. 


Hauptschriftleiter: Günter Kaufmann. 


Anſchrift der Schriftleitung: Reichsjugendführung. Berlin W 35 

der NSDAP. Berlin 
ſcheckkonto Berlin 4454 Verantwortlich für den Anzeigenteil: Ulrich Herold, Berlin. — D 
über 65 000. Pl. Nr 8. — Drud: M Müller & Sohn KG. 


Verlag: Franz Cher Naht G. m b. H.. Zentralverla 


Kurfürſtenſtraße 53. „ 229091. — 
SIL 88, Zimmerſtraße 87—91 Poſt⸗ 
A N Bj 1939: 


München, Zweigniederlaſſung Berlin SW 68. Dresdener 


Straße 43. — „Wille und Macht“ erſcheint am 1. und 15 jedes Monats und ift zu beziehen in den Verla 


ſowie durch die Poſt und alle Buchhandlungen. 


Bezugspreis vierteljährlich 1.80 N 
Beſtellung von 1 bis 3 einzelnen Nummern bitte den Betrag in Brieſmarken beizulegen, da 


zuzüglich Beſtellgeld Be 
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teuer iſt und dieſe Beſtellung ſonſt nicht erledigt werden kann. 


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Eure Jungen und Mädel find aus den 
 Sommerlagern mit friſchem Mut und 
neuer Kraft zurückgekommen. Jett 
beginnt die Winterarbeit! Hierzu 
gehört, (thon jetzt daran zu denken, 
Wie Ihr im nädjlten Jahr noch mehr 
Jungen und Mädel das Erlebnis der 
Fahrt und des Lagers verlchaffen 
könnt. Dabei hilft Euch das 


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beiden öſſentlichen Spo rare 


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Die Preisverteilung ist nach den besten Ein- 
sendungen ordnungsgemäß am 10. August 1939 
erfolgt. Den 204 Gewinnern haben wir Ihre 
Preise (je ein VDO Fahrrad-Tachometer) 
inzwischen zugeschickt. 


Wir danken den vielen Teilnehmern für ihr 
reges. Interesse. Die große Zahl der Ein- 
sendungen hat gezeigt, dsB das VDO Fahr- 
rad-Tachometer ein Instrument ist, an dem 
nicht nur jeder Junge seine Freude hat, 
sondern das ihm auch Vorteile beim Rad- 
fahr-Training bietet. 


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Vor allem bei Dauerfahrten für Radfahr- 
wettbewerbe hängt doch die Leistung sehr 
davon ab, daß eine möglichst gleichmäßige 
Geschwindigkeit eingehalten wird. Dabei 
aber ist das VDO Fahrrad-Tachometer ela 
zuverlässiger und willkommener Helfer, der 
es möglich macht, die Leistung planmäßig 
zu steigern. 
Wer nicht zu den glücklichen Gewinnern des 
Preisausschreibens gehört, hat vielleicht die 
Möglichkeit, sich ein VDO Fahrrad-Tacho- 
meter zum nächstenGeburtstagoder 
zu Weihnachten schenken zu lassen. 


Das VDO Fahrrad-Tachometer und Pro- 


spekte sind bei jedem Fahrradhändler et- 


hältlich. 


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gon der nationallozialiſtiſchen Jugend 


HERAUSGEBER: BALDUR VON SCHIRACH 


Berlin, 1. Oktober 1939 Preis 30 Pf. 


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P a 


INHALT 


| 
Baldur von Schirach: Die Heiligen Namen 
Agnes Miegel: An Deutschlands Jugend 

Eberhard Wolfgang Möller: Du herrliches. 

Rainer Schlösser: Jahrgang 99 i 
Heinrich Zillich: Deutsche Erde 
Hans Baumann: Erntedank i 
Richard Euringer: Es ist so weit! 


Prof. Dr. Friedrich Grimm: Zur Kriegsschuldfrage 1939 


Werner A. Fischer: Unsere kriegsbereite Volkswirtschaft 


AUSSENPOLITISCHE NOTIZEN 
Harald Laeuen: Neues Osteuropa 
Rumänien für Realpolitik 


England und die Mohammedaner 


KUNSTDRUCKBEILAGE 
Domtüren in Gnesen ( Provinz Posen). Bronzearbeit aus dem 12. Jahrhundert 
Veit Stoß: Apostelkopf und Sterbende Maria aus der Marienkirche in Krakau ' 


(Nachdruck der in diesem Heft veröffentlichten neuen Gedichte ist nur mit 
ausführlicher Quellenangabe gestattet) 


Wir Hot 


Führerorgan der nationallozialiſtiſchen Jugend 


HERAUSGEBER: BALD UR VON SCHIRACH 


Jahrgang 7 Berlin, 1. Oktober 1939 Heft 19 


BALDUR VON SCHIRACH: 


DIE HEILIGEN NAMEN 


TAG UM TAG DA IHR FALLT / DIE HEILIGEN NAMEN 
MELDET MAN MIR /O SCHWEIGENDE! 
BRÜDER! 

| LAUTER VERNAHM ICH SIE NIE 

| ALS LACHEND IHR 

| LEBTET / UND ZUM APPELL ICH BEFAHL 

| EUCH DEN CHOR DER GETREUN. 


| EURE STIMMEN SIND STUMM 


" — 


STARR DIE GESTALTEN 

DOCH DIE HEILIGEN NAMEN 

SIND GEWALTIGEN GLOCKEN GLEICH 
DAS GELÄUTE DEM LAND. 


FÜHRER DER JUGEND /IHR 
GEFALLEN FRÜH WIE DER TAU 
RUHT IHR AUF SCHULDLOSEM SCHILD. 


AUF /IHR EWIGEN / AUF! 
HÖRT EURE NAMEN 

| UND LEBT 

| UNVERGÄNGLICH WIE GOTT. 


| l IN BERLIN, AM 21. SEPTEMBER 1939 


AGNES MIEGEL: 


An Deutſchlands Jugend 


Jugend Deutichlands! ‘ 
Singend voran den Völkern 
Zogft Du in Deinen Tag, den Tag der Zukunft! 
Herrlicher Frühling, uns aus Trümmern erblühter, 
Du, in denen mir lieben, die für Euch ftarben, - 
Deinen Sommer wollten wir fehn, Deines Herbftes 
Goldenen Erntekranz, wir wollten Dich miffen 
Tief in Frieden, Leben und Arbeit vollendend 
Allen zum Beifpiel. 
Aber das Schichfal 
Unferes Volkes, Lofe von Anbeginn zeichnend 
Mit der Rune des Kampfs, warf wieder die Stäbe 
In dem ehernen Streithelm, - 
da Dröhnten die Straßen 
Wieder vom Marfchfchritt der Heere, vom Rollen der Panzer, 
Dróhnte der Himmel über den Erntefeldern 
Wieder von dem Horniffenfang der Geſchwader. 
Unter dem Sprühn der Herbftgeftirne liegen, 
Unter der flammenden Fackel des roten Kriegefterne, 
Bang und ftumm, verhüllte Mütter, die Städte. 
Von dem zerftampften Lande, jenfeite der Grenze 
Dringt wie Seufzen das Grollen ferner Gefchiite 
Tubaton, die Namen der Feften rufend, 
Uns ins Herz gebrannt unauslöfchlich, 
nun wieder 
Uber die Welt hinhallend mie damals! 
Aber eines ward anders: 
Nicht unfres Erzfeinds 
Unbewegtes Antlitz, vom Blut der Zerquälten 
Überftrömt, bis die Lüge hinweggewaſchen, 
Bis das Grauenvolle, das Haupt der Vernichtung 
Auch der Verfhlaote erkennt, - nein, nicht diefes, 
Nicht die Phalanx des Haffes, von ihm befehligt, 
Nicht der Beraubten Leid und die Qual der Vertriebenen, - 


Aber dies: 
wir ſtehen, wir Deutſche, 


Volk, das zu Volk fand, folgend dem Ruf des Führers, 
Stehen zum erftenmal, nicht Gatten und Brüder 
Nur allein, wir ftehen, Frauen und Kinder, 
Alle im Kampf und ftehen gefaßten Herzens, 
Auf une zu nehmen mie fie die Schrecken des Krieges, 
Feuer und Dampf und Not und graufames Sterben, 
Wie es das Scbichfal beftimmt. 
Doch es liebte noch immer die Tapfern. 


Und mir fehn Dich, Jugend, uns herrlich vorangehn! 
Wagend den frühen Kampf, - die einen im Felde, 
Knaben, gefallener Brüder Antlitz tragend, 
Junge Saat, geſtreut in die Furchen der Erde, 
Die das Blut ihrer Väter getrunken und ewig 
Ruhm unfres Namens trägt, - 
und Die andern, 
Madchen und junge Knaben, daheim in der Heimat 
Kämpfend um Ihr Beſtehn. 
Nicht wie die Feinde 
Meuchelmord finnend, den Gegner und fich zu verderben, 
Nein, wie die treue Magd, die der Hausfrau zur Hand geht, 
Wie der Jungknecht, der hinter dem Pfluge ſchreitet, 
Des verwaiſten Hofes Ernte zu fichern. 
Hinter dem furchtbaren 
Mäher Krieg, bei dem faufenden Sang feiner Senfe 
Schreiteft Du, Jugend Deutfchlands, zu fammeln und bergen 
In des harten Alltags nie ruhendem Dienfte, 
Was die Mutter gab, die uns alle geboren. 
Dienend allen in ihr. 
In Kriegslärm und Notzeit 
Singft Du hell Dein Lied vor den kleinen Gefchmiltern. 
Lied, das einft fie fingen in fernen Zeiten, 
Lieb, umwandernd die Welt wie Seewind, von fernen Gebirgen 
Hergetragen wie Ruf der Adler, - 
das Lied der Jugend, 
Die den Völkern voranging, dienend der Erde, 
Dienend dem neuen Tag, dem blut= und feuergebornen, 


Deffen Abend der Friedel ` 
In Königeberg, 14. September 1939 


Eberhard Wolfgang Möller: 


DU HERRLICHES... 


Du herrliches, du unfer Reich, 

das keines Fremden Wort ermißt, 
du Lanöfchaft, keiner andern gleich, 
die unfrer Träume Heimat ift. 


Du weiter Acher, tief gepflügt, 

du Diller Garten, dicht belaubt; 

die Welt, fie haßt; die Welt, fie lūgt, 
wie oft hat fie dich ausgeraubt. 


Wie oft haft du den Zweig gelenkt, 
nach dem der Bettler achtlos langt, 
wie oft die freche Hand befchenkt, 

die immer nimmt und niemals dankt. 


Wie oft vergabft du uns die Schuld, 
fo gut bift du, fo gut, fo gut, 

du unerfchöpfliche Geduld; 

du tuft, wie nur die Mutter tut. 


Du hatteft nie ein hartes Wort, 
das unfer hartes Wort vergalt. 

Du blũhteſt noch in Qualen fort 
und bliebeft jung; wir werden alt. 


Du bliebeſt Ichön ; wir werden blind 
und werden wieder Spreu und Sand 
Doch du biſt über Zeit und Wind, 
du immer frühlingliches Land. 


Wenn wir dereinſt zu Grabe gehn, 
o nimm uns auf, o laß uns ein! 
Dich werden wir, dich immer ſehn 
und in dir ſtill und ewig fein. 


In Berlin, am 21. September 1939 


Rainer Schlöffer: 


Jahrgang 99 


Daß uns auf Urlaub der Tod ` 
nur in die Heimat entließ 

- o ihr Brüder in Grau, 
welche die Wache ihr wart 
einem wehrloſen Land 

noch im verfchütteten Grab! -, 
haben wir immer geahnt. 


Jede Sekunde, die wir 

über ihr Opfer gelebt, 

weitete, da fie uns faſt 

Schuld ſchien, ein Vorfat zum Jahr 
und das Jahr zum Jahrzehnt - 
Urlaub nur gab uns der Tod, 
neu zu begründen das Reich. 


Dafür nur hat uns geliehn 
jeder Gefall’ne die Kraft. 
Tieferer Schlaf ziemt ihm nun, 
und fein Anruf ergeht: 
Lebende! Ablöfung vor! 
Zapfenſtreich bläft euch der Tod. 


Ach, wer würfe da nicht 
dreifach gelebten Seins 
überſchweres Gewicht 

in die Waage des Kriegs, 
feine Meldung zu tun: 
Kameraden von einſt, 

würdig ſind eurer wir auch, 
nehmt uns, Bewährte nun, auf 
in die große Armee. 


in Berlin, am 21. September 1939 


Heinrich Zillich: 
| Deutsche Erde 


Im letzten Winter lernte ich am Luſen in der hoch über dem Bayeriſchen Wald 
liegenden Herberge einige junge Deutſche aus Polen kennen, die einmal am Abend, 
als wir müde von Schneewind und Skifahrt in der warmen Stube ſaßen, nicht 
etwa in überſtürzten Sätzen wortreich von der Not ihrer Heimat erzählten, wie 
man es mitunter von Jugendlichen, die etliche Mühſal erfahren haben, zu hören 
bekommt. Nein, ſie erzählten mit der Kargheit, die Kriegsſoldaten kennzeichnet, 
wenn ſie mitten im ſtürmiſch vorgetragenen Bericht ihrer Fronterlebniſſe plötzlich 
von der Erinnerung an die Stunde übermannt werden, deren Furchtbarkeit ihre 
letzte ſeeliſche Kraft beanſprucht hatte. Ein ſolches Zögern war beſonders bei 
einem zarten, von Willensſtärke und Güte gleichſam federnden Mädchen zu ver: 
ſpüren, deſſen Worte auf mich einen unauslöſchlichen Eindruck machten, denn ſie 
bezogen ſich zwar bloß auf Tatſachen, drangen aber aus einer Gefühlstiefe empor, 
von der ſie wie Worte eines Dichters durchleuchtet wurden. 

Sie hielt keinen Vortrag über die Lage der Deutſchen in Polen. Das ſeltene 
Mädchen, das ſchon im Kerker geſeſſen hatte, weil es des Verbrechens ſchuldig 
geweſen war, eine Deutſche zu ſein und dies nicht verleugnet zu haben, erzählte 
vielmehr mit leiſer ſpröder Stimme von Fahrten zu hilfebedürftigen Menſchen, 
es ſprach von ſeiner Arbeit in Volksbüchereien und Kindergärten. Aus alldem 
aber drang das Dunkel auf uns ein, das über den Volksbrüdern in Polen lag. 


In weitaus ſtärkerem Maße als ſonſt im deutſchdurchſiedelten Oſten war dort 
das Los der Deutſchen in die Gewalt der unheimlichen, unberechenbaren ſlawiſchen 
Willkür gegeben, die ſich ſehr wohl mit zäheſtem Vernichtungswillen zu paaren 
wußte und der es unmittelbar nach dem Weltkrieg ſchon gelang, faſt eine Million 
deutſcher Flüchtlinge zu ſchaffen. Seither riß die Kette der Verfolgung nicht ab 
und verlängerte ſich Jahr um Jahr bis zur Gegenwart. Der polniſche Vormarſch 
auf deutſchem Volksboden war freilich kein Siegeszug höherer Geſittung und 
reinerer Ordnung. Er glich dem Wandern des Wüſtenſands, der das ſchöpferiſche 
Leben erſtickt. 

Doch über all dies ſagte das Mädchen nichts. Es erzählte aus feinen Erlebnijjen; 
und noch erinnere ich mich, wie es von einer Bäuerin in Wolhynien ſprach, die 
— wohl mit der gleichen zögernden Stimme — der Beſucherin über die Leiden 
während der Revolutionszeit 1918 berichtet hatte und dann, ehe ſie verſtummte, 
tonlos hinzufügte: „Nur mein Mund erzählt. Wollte mein Herz es tun, ſo müßte 
ich ſchreien!“ 

Als ich dies hörte, erſtanden mir jählings vor den Augen die grauenhaften 
Geſchehniſſe, die nach dem Weltkrieg den Oſten in Blut und Entſetzen getaucht 
hatten, die Schändung der Frauen, die Verſtümmelung von Menſchen, die Blut⸗ 
freude raſend gewordener Triebe, von denen ſich der Binnendeutſche nur dann eine 
Vorſtellung machen könnte, wenn er mit eigenen Sinnen das Unvorſtellbare geſehen 
hätte. Alle Zuhörer, die erſchüttert um die junge Deutſche aus Polen ſaßen, hatten 
darum doch keine rechte Anſchauung vom Ausmaß ſolcher Greuel, es fehlte ihnen 
die Erfahrung, um die Ungeheuerlichkeit wirklich mit Verſtand und Herz zu 
erfaſſen. 


Zillich / Deutsche Erde 7 


Denn darin unterſcheidet fid) ber Deutſche von der Geſtaltloſigkeit mancher 
ſlawiſcher Völker, daß er nicht haſſen kann mit einer Wut, die ſich wie die Brunſt 
der Tiere befriedigen muß. Grauſamkeiten kamen aud) in feiner Geſchichte vor, 
obſchon man über Jahrhunderte zurückblicken tann, ehe fid) Vorfälle folder Art 
entdecken laſſen, aber bei dem Haß, der hier gegen das Deutſche wirkte, handelte es 
ſich um etwas anderes als um den unmittelbaren Ausbruch tieriſcher Inſtinkte 
einer durch langen Jammer irr gewordenen Pöbelſchicht. Es handelte ſich auch 
nicht um den Tobſuchtsanfall gequälter Menſchen wider einen harten Feind, 
ſondern um das genaue Gegenteil: den ſchon ſeit zwanzig Jahren enteigneten und 
entrechteten Volkstumsſklaven verfolgte die Heke der Gewalthaber fo unbedenklich, 
bis endlich der polniſche Mob, ſolchen Verführungen zugänglicher als jeder andere, 
in Raſerei verfallen mußte. Es iſt kein großer Unterſchied zwiſchen denen, die 
bloß zum Mord aufforderten, und jenen, die ihn durchführten. Beide einte ein 
Haß, der lieber die eigene ſtaatliche Ordnung vernichtet und die edleren Menſchen 
des eigenen Blutes in die Scham der Wehrloſigkeit ſtürzt, als auf Sättigung 
verzichtet. So haßt nur, wer ſich unterlegen weiß. Haß ſoll nicht mit Zorn und 
Verachtung verwechſelt werden. Dieſe ſind Empfindungen der Stärke und Sittlich⸗ 
keit. Haß wächſt aus dem bohrenden Gefühl der Minderwertigkeit, das dem 
Höherbefähigten gleichen möchte und es nicht vermag, und darum ſucht es ihn zu 
vertilgen, damit das leiſtungshafte Vorbild es nicht länger ärgere. Der Pöbel 
von Paris haßte den Adel, der ihm nichts getan hatte und den er in der großen 
Revolution ſinnlos mordete; die Horden, aus deren Wüten der Brandfunke auf die 
baltiſchen Gutshöfe ſprang, haßten, und die Polen haßten. Es iſt der Haß, der 
den Gegner nicht nur unſchädlich machen will, ſondern der eine vergängliche Gewalt 
über ihn reſtlos genießt und ſich weidet an der Verſtümmelung des Opfers, das 
er doch durch keine Schändung ſeeliſch in ſeinen vertierten Bereich herabzuzerren 
vermag. 


Als uns das Mädchen von der wolhyniſchen Bäuerin erzählte, glühte keine Wut 
in ſeinen Zügen, wie ſie bei Mädchen mancher anderer Völker nun in Rache⸗ 
ſchreien Ausbruch geſucht hätte; es hatte erlebt, was Deutſche erleben müſſen, um 
ſchleichenden, jäh auflodernden Haß haltloſer Seelen zu begreifen, doch davon 
wurde es nicht aus ſeiner Art verführt, es ſtand unter dem hilfsbereiten Gefühl 
des Mitleidens für die wolhyniſche Frau, deren Antlitz ihm wohl bis ans Lebens⸗ 
ende ſchweſterlich heilig geworden iſt. 


Mit rauhem Ton erzählte ſie dann, wie ſie einmal mit deutſchen Kindern aus 
Polen über die damalige Grenze nahe der Küſte nach Deutſchland hineinwanderte 
und hinein in eine Verwandlung, die ohne ihr Zutun mit den kleinen Schutz⸗ 
befohlenen vor ſich ging, als dieſe den Reichsboden betraten. Es war eine Ver⸗ 
wandlung, die nur der in aller Köſtlichkeit erfaſſen wird, deſſen Heimat untergraben 
iſt, deſſen Sehnſucht nach dem Wunder einer geſicherten Scholle greift und deſſen 
Kinder von derſelben Herzensnot gekoſtet haben, noch bevor ſie einen Buchſtaben 
ſchreiben lernten. Die kleinen Buben und Mädel büdten fid) und nahmen Erde 
in die Hand, Sand, der hüben und drüben die gleiche Farbe zeigte, die gleiche 
Körnung, die gleiche Schwere. Sie ließen ihn durch die Finger rinnen, ſtopften 
fif die Taſchen damit voll und flüſterten ſelig: „Deutſche Erde!“ Und jedes Kind 
trug ſpäter ſeine deutſche Erde über die Grenze zurück und zeigte ſie den Freunden 


8 Zillich / Deutsche Erde 


daheim, die nicht in Deutſchland geweſen waren, und da wollten auch dieſe etwas 
von dem Schatz haben, ſchenkten dafür ihre Koſtbarkeiten hin, Süßigkeiten oder 
ein anderes Gut, und ſo bekamen noch viele andere ein Teil von der deutſchen Erde. 


An die Kinder mit der wunderbaren, der von Polen freien deutſchen Erde in 
den Fäuſtchen dachte ich in den letzten Tagen oft. Nun iſt die Erde unter ihren 
Füßen vor aller Welt deutſch geworden, aber werden es auch alle erlebt haben, 
ohne daß ihnen der Haß die Augen ausſtach und die Glieder brach, ohne daß ihr 
Vater verblutete und die Mutter Gewalt erlitt? Wie viele mögen nur mit ver⸗ 
ſteintem Mund die Erde noch einmal berührt haben, während dieſe auch für ſie 
ſchon befreit wurde, und wie viele deckt die Erde, wo iſt das Mädchen hin, wo 
deren Kameraden? Nichts bannt das Entſetzen, wenn wir das Furchtbare aus⸗ 
denken, das ihnen beſtimmt geweſen ſein kann, auch der Gedanke beruhigt nicht, 
daß Opfer allezeit Saat der Zukunft eines Volkes find, denn das deutſche Opferfeld 
iſt gar reichlich beſtellt. 

Wo die wolhyniſche Bäuerin ſein mag? Wie Hunderttauſende öſtlicher Deut⸗ 
ſchen, die früher in einem Menſchenalter oft mehrmals fremde Raſerei erduldeten 
und dann wieder den Pflug eindrückten, Hütten, Städte und Burgen bauten, damit 
für lange Zeit kein Feind zu nahen wagte, wird auch ſie vielleicht mit dem 
Mund erzählen, was ſie in dieſen Tagen nochmals erleben mußte, und ihrem 
Herzen wehren, wenn es ſchreien will, doch ſie nimmt gewiß zum andernmal die 
Schaufel in die Hand und gräbt und ſät. Es war ja immer ſo im Oſten. 


Nur eines iſt neu. Nicht der Sieg, wie er ſich über die Überheblichkeit ſelten 
ſo ſtrahlend wie jetzt und nie ſo raſch gewährte aus dem Genie des Mannes, der 
Deutſchland führt, nicht der Sieg über das Chaos des Oſtens iſt es; darüber haben 
Deutſche auch früher geſiegt. Das Neue iſt: daß zum erſtenmal das ganze deutſche 
Volk, von dem gleichen Mann geeint, ſeine gerechte Ordnung, ſeine ſchöpferiſche, 
ohne Haß und Rachſucht und wiſſend um die Werte wie je, doch mit einer Macht 
und Einhelligkeit wie nie zuvor dem Chaos entgegenſtellt. Nicht mehr nur ein 
Teilſtaat, ein Orden oder der einſame Bauer, nicht mehr nur die kaiſerliche Macht, 
die vom Hinterland oft geſchwächte, verfechten heute die deutſche Sache; das 
ganze Reich, das ganze Volk ſchützen ſie. Und ſo wird der Sieg Dauer haben. 


Ein Wunder entwuchs dem Glauben, mit dem die Kinder aus Polen die deutſche 
Erde heimtrugen. Nun mögen die Überlebenden den geborgenen Schatz in die 
Winde ausſtreuen. Die Körner fallen auf deutſchen Boden. 


Erntedank 


Ich hab den brachen Boden um gebrochen, Ich ſteh am Feld, das nun ſchon riecht wie Brot, 
Du haft ihn reich gemacht in wenig Wochen. Und Du [tehft drüber, ſtarker, guter Gott. 


Ich hab den Furchen kaltes Korn gegeben, So halten wir zulammen, Du und ich, 
Du halt es aufgeweckt in Sturm und Regen. Was kann da kommen gegen Dich und mich. 


Hans Baumann 


Richard Euringer: 
Es ist so weit! 


Es ist so weit! 

Zur 25. Wiederkehr unseres Aufbruchs in den Weltkrieg schrieb ich noch ein 
Warnungswort, das sogenannte ,,Kriegserlebnis“ nicht literarisch zu verniedlichen. Das 
Originial hab ich nicht mehr zur Hand. Inzwischen haben wir den Soldatenrock ernstlich 
wieder angezogen. Alles Schreibtischidyll versank. Wir sind wieder die Soldaten ge- 
worden, die wir zuinnerst geblieben waren. Herrlich herrisch greift uns das Schicksal, 
reißt uns aus allem Privaten heraus und stellt uns — jeden — an seinen Platz. Der 
x-Fall ist da. Die großen Unbekannten aller noch so exakten Berechnung tauchen am 
Horizont empor. Ungeheuer rollen die Würfel des eisernen Spiels, das nun blutiger 
Ernst geworden ist. Zum Tagebuchführen bleibt keine Zeit. Und doch wollen wir, 
wir Soldaten, auch als Dichter unsere Pflicht tun, wie ein Gorch Fock und Lersch sie 
einst taten mit der Knarre in der Faust. 

Eines, glaube ich, dürfen wir von uns sagen in der großen Gewissenserforschung dieser 
Stunde: Wir brauchen nicht umzulernen, diesmal. Im Tornister der Kameraden, die in 
diesen neuen Krieg ziehen, steckt nicht das knochenerweichende Büchlein, das uns in 
Liebesgabenpaketen einst wohlmeinende liebe Leute gesandt. Das Jahrzehnt, das hinter 
uns liegt, hat ein Schrifttum hervorgebracht, das unser Volk nicht verzärtelt, verhätschelt 
und verpäppelt hat, sondern eines, das Männer macht. 

Die Stunde der Bewährung ist da. Wir sind bereit und werden unsern Mann stehen. 

i * 


Es ist ganz anders als anno vierzehn. 

Ich weiß noch, wie unser Kommandeur uns damals abends vom Flugplatz hereinrief, 
durch Ordonnanzen Sekt bringen ließ, wartete, bis sich das Offizierskorps vollzählig im 
Kasino versammelte, und nach einer Pause des Schweigens die „drohende Kriegsgefahr" 
verkündend, ein Hurra auf den Kaiser ausbrachte. 

Diesmal standen wir mit unsern Männern um eine Feldküche herum, gemeinsam unsere 
Verpflegung empfangend, und hörten unter einem Bretterverschlag durch den Laut- 
sprecher die Stimme des Führers im tödlichen Ernst einer weltgeschichtlichen Ent- 
scheidung. Ergriffen und stumm wußten wir, worum es geht. An Sekt haben wir dabei 
nicht gedacht. Nur daran, was in der nächsten Stunde planmäßig pünktlich zu tun sei. 

* 


Wir kämpfen um Frieden. Wir haben im Weltkrieg um Frieden gekämpft, die Welt 
aber hat ihn uns versagt. Nun kämpfen wir erneut um Frieden. Ich hab keinen HaB- 
gesang gehört. Ich hab die „Begeisterung“ nicht gesehen, die himmelhoch jauchzt, um 
beim ersten Rückschlag zu Tode betrübt ins Knie zu knicken. Unsere Frauen haben 
sich gefaBt: In Gottes Namen. Wenn es denn sein muB. Wenigstens ist die Entscheidung 
da. Der unerträgliche Zustand ewiger Drohung ist überstanden. 

Im letzten Herbst noch kamen Einberufene gelaufen und klagten um Hausstand und 
Geschäft. Jetzt habe ich keine Bitte gehört. Die Truppe hat mit einem Ruck sich los- 
gerissen von Weib und Kind. Sie müssen nun eben auch ihren Mann stehen. Sie 
werden ihn stehen. Gestern hatte ich die Bewohner einer Ortschaft um mich versammelt, 
Maßnahmen treffend für ihren Schutz. Ich fragte: „Ist nun alles klar? Brauchen Sie 
Helfer?“ Und: „Wer kommt allein zurecht? Hand hoch!“ 

Da hoben alle anwesenden Frauen die Hand hoch. 

Ich sagte: „Das sind unsere Frauen.“ 

Meinen Männern aber sagte ich abends beim Appell: „Das sind unsere deutschen 

anner.“ 

* 


Gestern kam einer meiner jungen Leutnants leuchtend von einem langen Flug zurück 
und brachte die Nachricht, daß einer aus seinem Ausbildungskurs sein erstes Flugzeug 
abgeschossen habe. Die Kameraden umstanden uns. Da merkte ich, wie in diesen 
ungen Menschen der Tatendurst aufsprang, ihm es doch ehestens gleich zu tun. 

„Donnerwetter!“ Sie konnten es nicht fassen. 

Nachts noch seufzte mir einer seine helle Ungeduld, bald „dranzukommen“, 


10 Grimm / Zur Kriegsschuldfrage 


Da erzählte ich ihm, wie ich anno vierzehn — als auch solch blutjunger Pilot — 
geheult, weil ich erst mit der fünften Abteilung, und nicht mit der ersten, „drankam“. 
Wir haben dann unser Eisernes Kreuz allesamt noch unter Dach gebracht. 

* 

1914 waren wir lichterloh begeistert. Diesmal hat das Volk den Geist, der weiD, was 

Krieg ist, und doch antritt. Es wird nicht in die Kniee knicken. 
* 

Übrigens hab ich Kartoffelpuffer an meine Frontpiloten verteilt. Jeder mußte den 
Mund aufsperren und bekam seine Extraportion. Wir haben uns fein zusammengelebt. 
Abends, im luftschutzverdunkelten Stübchen qualmt es wie im Unterstand. 

Kameraden, die abgerückt, schicken uns schon Feldpostkarten von dort, wo sie nun 
eingesetzt sind. Wir legen ein Buch an, in das jeder, der von uns geht, seinen Namen 
eintrágt. Wir wollen die künftigen Udets und Bölckes diesmal festnageln, ehe sie sich 
ihren jungen Ruhm errungen. 

Eben erhalten wir die Nachricht, daB der Führer, umjubelt von Tausenden seiner 
Soldaten, dem Übergang über die Weichsel beiwohnt. 

Gott schütze ihn! Wir brauchen ihn noch. 


Prof. Dr. Friedrich Grimm: 


Zur Kriegsschuldfrage 1959 


Wir entſinnen uns alle nod) ber überragenden Bedeutung, bie die Erörterung 
ber Kriegsſchuldfrage während des Krieges von 1914/1918 und vor allem nad) dem 
Kriege gehabt hat. War fie bod) für uns Deutſche nach dem Zuſammenbruch bie 
wichtigſte Waffe im Kampf um die Reviſion des Unrechtfriedens von Verſailles 
geworden. Wer heute bie erſten Außerungen der Feindpropaganda ſtudiert, wird 
unſchwer erkennen, daß auf der gegneriſchen Seite die Behauptung von Deutſchlands 
. ras im jetzigen Krieg noch eine größere Rolle ſpielen wird als während 
des Weltkrieges. Denn ſie ſoll der Propaganda der Gegner in erſter Linie dazu 
dienen, den Widerſtandswillen im eigenen Volke zu ſtärken, die Neutralen zu 
gewinnen und die Moral des Gegners zu erſchüttern. 

Die neue Kriegsſchuldlüge, an deren Konſtruktion die Feinde Deutſchlands heute 
arbeiten, trifft das deutſche Volk nicht unvorbereitet. Zunächſt hat man ſie in Eng⸗ 
land und Frankreich ſeit 6 Jahren ſchon ſyſtematiſch vorbereitet. Sie bringt alto 
nichts Neues und wirkt deshalb weder auf uns, nod) auf bas eigene Volk. Zudem 
ſind die Maſſen in England und Frankreich nach den Erfahrungen, die man mit 
der erſten Kriegsſchuldlüge gemacht hat, ſkeptiſch geworden. Man weiß heute überall 
in der Welt, daß der Krieg von 1914 virtuell in dem Augenblick begann, als 
Eduard VII. feine Einkreiſungspolitik gegen Deutſchland in Szene ſetzte. Man wird 
ſehr ſchnell auch bei unſeren Gegnern begreifen, daß der neue ves mit 
dem 16. März 1939 feinen tatſächlichen Anfang nahm, als nad 
der Regelung ber tſchechiſchen Frage England beſchloß, fid) der weiteren deutſchen 
en entgegenzuſtellen und zu der Einkreiſungspolitik Eduard VII. zurüd: 
zukehren. 

Die beginnende Diskuſſion um die Kriegsſchuld wird in dreifacher Hinſicht 
geführt werden: 

1. Als Kriegsſchuldfrage im engeren Sinne, d. h. Erörterung der Vorgänge der 

i ME Tage vor dem Kriegsausbruch. | 

2. Als Kriegsſchuldfrage im weiteren Sinne, b. h. Erörterung der Vorgänge 

vom 16. März 1939 bis zum Kriegsausbruch. 

3. Als Kriegsſchuldfrage im weiteſten Sinne, d. h. Verſailles als eigentliche 

Grundlage des neuen Krieges. 


Fischer / Unsere kriegsbereite Volkswirtschaft 11 


Daneben wird man die tieferen Grundlagen des jetzigen Kampfes unterſuchen 
müſſen: Auseinanderſetzung der internationalen Kräfte des Judentums, der Frei⸗ 
maurerei und der Hochfinanz mit dem Hitler⸗Deutſchland, Schaffung der deutſchen 
nationalen Einheit im Großdeutſchen Reich durch den Führer, Demokratie gegen 
autoritütes Regime, beſitzende alte Staaten gegen junge, nicht beſitzende Nationen, 
Status quo gegen gerechte Neuordnung uſw. 

Schon icht kann geſagt werden, daß hier der deutſchen Jugend und der deutſchen 
Führerſchicht große Aufgaben geſtellt ſind, ſich ſelbſt Rechenſchaft zu geben über den 
tiefſten Sinn dieſes Krieges, die eigene Erkenntnis den übrigen Volksgenoſſen zu 
übermitteln, dem deutſchen Volk das geiſtige und ſeeliſche Rüſtzeug zu geben zum 
Durchhalten in dieſem ſchweren und entſcheidenden Kampfe und ſchließlich auch die 
Neutralen und Gegner von der Gerechtigkeit der deutſchen Sache zu überzeugen. 

Die gegneriſche Propaganda ſucht die Diskuſſion von dem eigentlichen Thema, 
Danzig und der Korridor, gerechte Reviſion von Verſailles, abzubringen. Sie 
behauptet beweislos, daß es ſich um die deutſche Hegemonie handle, während es doch 
nur um den gerechten Frieden, die gerechte Neuordnung Europas geht. Die Feind⸗ 
propaganda weiß, wie ſchwach ihre Poſition in der Danzigfrage iſt. Sind es doch 
gerade die bedeutendſten engliſchen und franzöſiſchen Staatsmänner und Juriſten 
geweſen, die ſeit 1919 betont haben, daß wir in der Danzigfrage im Recht ſeien, 
und daß, wenn Polen und Europa nicht Vernunft annähmen und in dieſer Frage 
Deutſchland Genugtuung gewährten, Danzig zur Grundlage eines neuen Krieges 
werden würde. 

Woher nehmen dieſelben Männer in England und Frankreich heute den moraliſchen 
Mut, Deutſchland dafür verantwortlich machen zu wollen, daß nach 20 Jahren 
deutſcher Geduld ſchließlich das eingetreten iſt, was ſie ſelbſt hundertfach als 
unvermeidbare Folge polniſcher Hartnäckigkeit vorausgeſagt haben? 


Werner A. Fischer: 


Unsere kriegsbereite Volkswirtschaft 
Londoner Blockade⸗Illuſionen und bie Tatſachen nach der Beſetzung Polens 


Die Engländer glauben, ſie könnten Deutſchland in verhältnismäßig kurzer Zeit 
aushungern. Sie ſind in einem ſolchen Ausmaß von der Richtigkeit bietet Uns 
ſchauung überzeugt, daß nur das Scheitern ihres Verſuchs fie wahrſcheinlich von 
dem Gegenteil überzeugen kann. 

Mit ſehr viel Opfern und großen Koſten iſt in den vergangenen Jahren der 
Vierjahresplan aufgebaut worden. Er kommt gerade im richtigen Zeitpunkt 
in ein Stadium, wo er nicht mehr Unkoſten verurſacht, ſondern Erträge abwirft. 
Beiſpielsweiſe eine Bunafabrik oder eine Hydrieranlage benötigen eine Reihe von 
Jahren, um ſo weit gefördert zu werden, daß ſie die Produktion aufnehmen können. 
Bis zu dieſem Zeitpunkt koſtet die gleiche Anlage, die helfen ſoll die deutſche 
Unabhängigkeit vom Auslande zu beſeitigen, nicht nur viel Geld, ſondern zugleich 
auch Rohſtoffe, bie zum Teil fogar vom Auslande gekauft werden mußten. Dieſes 
erſte Stadium iſt weitgehend überwunden; nach der mühevollen Saat kann jetzt mit 
der Ernte begonnen werden. Die einzelnen Maßnahmen, die im Rahmen des 
Vierjahresplanes in die Wege geleitet wurden, können als hinlänglich bekannt 
vorausgeſetzt werden. Ihr Kern beſteht zunächſt in einer ſtarken Verringerung der 
Lebensmitteleinfuhren vom Auslande. 

Durch eine Intenſivierung der deutſchen Landwirtſchaft ſind die eigenen Ernten 
beträchtlich geſtiegen. Die relativ hohen Einfuhren an Nahrungsmitteln aus dem 
Auslande innerhalb der letzten Jahre dienten nur zum Teil der Befriedigung des 
Bedarfs; zu einem nicht kleinen Prozentſatz gingen ſie in die Vorratshäuſer, die bei 


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ens 


12 Fischer / Unsere kriegsbereite Volkswirtschaft 


Ausbruch des Krieges voller denn je waren und trotz umfaſſender Silobauten 

nicht ohne Rückgriff auf Turnhallen uſw. ausreichten. 

Auf dem induſtriellen Sektor wurde nicht weniger vorgeſorgt. Die Zahl jener 
Rohſtoffe, in denen Deutſchland auf fremde Staaten angewieſen iſt, hat eine 
lone Abnahme erfahren. Buna, Zellwolle, ſynthetiſches Benzin, Polomeri= 

ſationsſtoffe und andere Erzeugniſſe ſind Dinge, die man in der ganzen Welt 

nachzuahmen ſucht. Zellwollfabriken werden in großem Umfange ſogar in den 

USA. gebaut; England verſucht fid) — allerdings bisher ohne entſcheidenden 

Erfolg — um künſtliches Gummi, Frankreich um Hydrierwerke. Für die Land⸗ 

wirtſchaft wie für die Induſtrie galt bisher folgendes: was wirklich dringend 

gebraucht wurde — zum Leben oder zur Kriegführung — war vorhanden. 

Mancherlei Dinge fehlten in ausreichenden Mengen; hierbei handelte es ſich auf 

dem Ernährungsſektor um höherwertige Lebensmittel, ohne die niemand ſtirbt, 

ohne die auch niemand Geſundheitsſchädigungen erleidet. Hier mußte mit dem 

Vorhandenen hausgehalten werden. Bei der Induſtrie dagegen wurde entweder 

der normale Friedensbedarf gedroſſelt oder eine Umſtellung auf andere Produkte 

vorgenommen. 

Das war in großen Zügen die Lage am 1. September dieſes Jahres. In der 
Zwiſchenzeit hat durch die Beſetzung des polniſchen Gebietes ein entſcheidender 
Wandel ſtattgefunden. Was der weitgehend unerſchloſſene polniſche Wirtſchafts⸗ 
raum der deutſchen Wirtſchaft zu bieten vermag, kann heute noch nicht annähernd 
überſehen werden. Polen, das in Verſailles aus Teilgebieten Deutſchlands, Ruß⸗ 
lands und Sſterreich⸗Ungarns in einer Größe von 388 600 Quadratkilometer mit 
34,5 Millionen Einwohnern len wurde, age bisher an fedjter Stelle der 
europäiſchen Großſtaaten. evölkerungspolitiſch völlig inhomogen zuſammen⸗ 
gelegt — neben den Polen leben etwa 8 Millionen Ukrainer, 3 Millionen Weiß⸗ 
ruſſen, 1% Millionen Deutſche, mehrere Millionen Juden — hat das Land dank 
der Unfähigkeit ſeiner Regierungen die Wirtſchaftskraft nicht entfaltet, die ihm 
Boden und Rohſtoffvorkommen hätten ſichern können, wenn nur mit ein wenig 
Fleiß und Umſicht gearbeitet worden wäre. Der zum Schlagwort gewordene 
Begriff „polniſche Wirtſchaft“ findet ſeinen beſten Ausdruck in der erbarmungs⸗ 
würdigen Armut der Landbevölkerung, die größtenteils nicht einmal leſen und 
. und im Oſten von Feudalherrſchaften bis aufs Blut gepeinigt 
worden iſt. 

Die deutſche Volkswirtſchaft hatte durch den ar Oſterreichs und durch die 
Schaffung des Protektorats Böhmen und Mähren große Gewinne zu verzeichnen. 
In beiden Gebieten handelt es ſich aber um Länder, bei denen die Induſtrie 
gegenüber der Landwirtſchaft das Übergewicht hatte, durch die ſomit in erſter Linie 
die deutſche . für induſtrielle Güter geſtiegen iſt. Die Abhängig⸗ 
keit vom Bezuge ausländiſcher Rohſtoffe und Nahrungsmittel wurde — im ganzen 
betrachtet — nicht entſcheidend verkürzt. Es fehlte nach wie vor der breite Acker⸗ 
grund, auf dem der Bauer ſeine Furchen zieht. an Polen hat eine große Induſtrie, 
die (vor allem in Oſtoberſchleſien und im Olſagebiet konzentriert) von Deutſchen 
in früheren Jahrzehnten aufgebaut worden ijt und ſeither von den neuen Macht⸗ 
habern mehr ſchlecht als recht verwaltet wurde; das Schwergewicht liegt aber auf 
dem landwirtſchaftlichen Sektor. Große Überſchüſſe an Nahrungsmitteln wurden 
trotz der ſehr ſchlechten Bewirtſchaftung des Bodens Jahr um Jahr an das Ausland 


abgegeben. 
Die Landwirtſchaft Polens 
Von rund 34 Millionen Einwohnern des Landes, d. h. nur 88 Menſchen auf 
den Quadratkilometer gegenüber 146 in Deutſchland, ſind faſt 20 Millionen oder 
60 Prozent in der Land⸗ und Forſtwirtſchaft tätig. 


Veit 


kopf vom Hochaltar der Marienki 


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Veit Stoß, Sterbende Maria am Hochaltar der Marienkirche in Krakau 


Fischer / Unsere kriegsbereite Volkswirtschaft 13 


Deutſchland an Oſterreich) Polen 
in Millionen Hektar 


Ackerland. . 21,38 18,56 
Grünland . . 10,76 6,47 
Wald ... . . 16,05 8,32 


Aus ber vorftehenden Überſicht erhellt zweierlei: einmal die oftmals verkannte 
Bedeutung der deutſchen Landwirtſchaft und zweitens das Schwergewicht des pol⸗ 
niſchen Agrarſektors. Auf dem deutſchen Ackerland von 21,38 Millionen Hektar 
wurden bisher 83 Prozent aller Nahrungsmittel erzeugt, die bei uns — Ps 
Lebensmittelrationierung — verbraudt wurden. Stellt man daneben bie polniſche 
läche von 18,56 Millionen Hektar, ſo wird deutlich, daß wir nur einen Teil davon 
rauchen, um mühelos oa deutſchen Arbeitsmethoden) den geſamten Bedarf decken 
zu können. Das engliſche Geſchreiüber eine Aushungerung der 
Deutſchen wird, wenn man ſich nüchtern dieſe Dinge ver⸗ 
gegenwärtigt, zur Lächerlichkeit verdammt. 

Aber nicht nur für pflanzliche, ſondern auch für tieriſche Nahrungsmittel ſind 
die angeführten Ziffern von Bedeutung. Die auf dem Grünland gehenden Herden 
liefern Fleiſch, Fett, Butter und Häute für die Ledererzeugung. Es darf niemals 
überſehen werden, daß die vom Ausland hereinkommenden Lebensmittel immer 
nur eine Ergänzung der deutſchen Eigenerzeugung ſind. Es iſt wichtig, darauf hin⸗ 
zuweiſen, weil die engltidje Propaganda ber Welt eingeredet hat, und zwar an 
gend des Beiſpiels, das ihnen im eigenen Lande nach der Vernichtung ihrer 

anbwirtiäeit vor Augen ſteht, Deutſchland fei auf Gedeih und Verderb von dem 
Bezug ausländiſcher Nahrungsmittel abhängig. Wenn es gelingt — und daran 
iſt nicht zu zweifeln — den polniſchen Raum einigermaßen zu erſchließen, gibt es 
Een di ſchlechten Ernten foviel Nahrungsmittel, wie bas deutſche Volk nur 

enötigt. 

Polen erzeugte z. B. 1937 rund 1,85 (Deutſchland im pese Jahr 4,77) Mil- 
lionen Tonnen Weizen, 5,83 (6,92) Millionen Tonnen Roggen, 1,3 (3,64) Mil- 
lionen Tonnen Gerſte, 37,80 (55,31) Millionen Tonnen Kartoffeln und 0,46 
(2,2) Millionen Tonnen Zucker. Zum Vergleich ſei angeführt, daß der deutſche 
Brotgetreidebedarf fi im Normaljahr auf etwa 8 Millionen 
Tonnen beläuft und daß die diesjährige deutſche Getreideernte 
rund 26 Millionen Tonnen ausmacht. Naturgemäß find in dieſer Ziffer 
die Angaben von allen Getreidearten, jo auch von Hafer ujw. enthalten. Der 

rößte Teil des Getreides dient der Viehfütterung, zu der übrigens in nen 
Ma e auch die Kartoffel herangezogen wird. Unter Einbeziehung der polniſchen 
Getreide: und Kartoffelmengen ſteht an dieſen für die Kriegsführung jo wichtigen 
Erzeugniſſen mehr zur Verfügung, als unbedingt benötigt wird. 

Die gegenwärtigen Lagerbeſtände an Getreide, die dem Bedarf eines ganzen 
Jahres entſprechen, ſind dabei nicht einmal berückſichtigt worden. Polen hat 1937 
an landwirtſchaftlichen Rohſtoffen 72 000 Tonnen Leinſaat, 37 000 Tonnen Flachs, 
12 000 Tonnen Hanf und 5000 Tonnen Wolle erzeugt. Gerade auf dieſem Gebiet 
dürften außerordentliche Erzeugungsausweitungen von deutſcher Seite in die 
Wege geleitet werden. Die polniſche Holzgewinnung von 17 Millionen Feſtmeter 
im Jahre 1937 iſt geeignet, auch hier Deutſchland die Möglichkeit zu geben, auf 
Bezug ausländiſ en Holzes zu verzichten, ohne dabei den eigenen, überaus reichen 
Waldbeſtand in ungeſunder Weiſe einzuſchlagen. 

Intereſſant für die u Wirtſchaftsgeſtaltung ift der Viehbeſtand, ber 


wiederum in Beziehung zu Deutſchland geſetzt wird. Er bezieht ſich in beiden 
Fällen auf das Jahr 1997: seleb zieht [id e 


14 Fischer / Unsere kriegsbereite Volkswirtschaft 


Viehbeſtand Deutſchland Polen (in 1000 Stück!) 


Pferde . 3430 3 833 
Rinder . . . 20470 10 547 
Schweine . . . . 23810 7672 
Schafe u. Ziegen . 7300 3 586 
Hühner . . . . 85200 50 000 


Bei einer Betrachtung der polniſchen Landwirtſchaft ijt zu berückſichtigen, daß innerhalb 
des bisherigen polniſchen Hoheitsgebietes außerordentliche Unterſchiede ſowohl im Hin blick 
auf die Betriebsgrößen als auch bei der Intenſität der derſchußgebieſ des Bodens neben⸗ 
einander beſtehen. Ausgeſprochene landwirtſchaftliche flberidjuBgebiete mit deutſchen Bes 
arbeitungsmethoden find Weſtpolen (holen und Pommerellen) ſowie Galizien. Der ojt- 
pen: Großbetrieb wird dagegen ſehr extenſiv bewirtſchaftet. Wird der Ertrag im Often 

urch die Latifundienwirtſchaft belaſtet, ſo ſind im Süden die bäuerlichen Beſitzungen ſo 
klein, daß ſelbſt der Bauer manchmal Hunger leidet, weil das Getreide nicht von der 
einen zur anderen Ernte reicht. Die landwirtſchaftlichen Überihüffe Polens, die ins Aus⸗ 
land gingen, ſind vornehmlich aus den an Deutſchland grenzenden und von Deutſchen 
bee Höfen und Gütern gekommen, d. h. praktiſch: die von Deutſchland weitab 
liegenden Teile des bisherigen polniſchen Territoriums verbrauchen ihre landwirtſchaft⸗ 
lichen Erzeugniſſe ſelbſt und zogen bisher aus den beſſer bearbeiteten Teilen noch Nah⸗ 
rungsmittel für den eigenen Bedarf ab. Übrigens iſt die Bevölkerungsdichte in dieſen 
Gebieten beträchtlich größer als in den früher zu Deutſchland und Sſterreich gehörenden 
Landſtrichen. In der Provinz Poſen und Pommerellen, in Galizien und den Verbindungs⸗ 
ſtücken liegen die (vom Standpunkt der Verſorgungslage aus betrachtet) wichtigen Höfe 


und Güter. 
Die polniſche Induſtrie 


In Polen gibt es eine Fülle von Gewerbezweigen. Von wirklicher Bedeutung 
im 1 Rahmen find vor allem die Kohlen- und Eiſeninduſtrie. Von 
67 oberſchleſiſchen Kohlenſchächten wurden in Verſailles den Polen 53 zugeſchanzt, 
100 Prozent der früher deutſchen Eiſenerzbergwerke gingen 
an Polen, desgleichen 100 Prozent der Blei⸗ und Zinkhütten⸗ 
gewinnung, 67 Prozent der Roheiſen⸗ und Rohſtahlgewinnung, je 84 Prozent 
des Zink⸗ und Bleierzabbaus. Ein ſinnvoll aufgebautes Wirtſchaftsgebiet wurde 
willkürlich zerriſſen. Von einzelnen Werken fielen Teile an Polen, andere blieben 
bei Deutſchland. 17 Prozent der geſamten Kohlenförderung des Jahres 1913 
verlor die deutſche Wirtſchaft durch das Verſailler Diktat in Oſtoberſchleſien. 

Nach der jüngſten Entwicklung muß auf zwei Dinge aufmerkſam gemacht werden: 
erſtens iſt jetzt wieder zuſammen, was zuſammengehört; das 
ice Induſtriegebiet bekommt im Rahmen der geſamtdeutſchen Volks⸗ 
wirtſchaft wieder jene Bedeutung, die ihm zukommt. Volkstümlich ausgedrückt könnte 
man zweitens i en: bie deutſche Volkswirtſchaft ſteht, was ihre ſchwerinduſtrielle 
Erzeugung anbelangt, wieder auf zwei Beinen. Die Beanſpruchung des 
Ruhrgebiets wird vermindert, und zwar zugunſten einer Gegend, die vom 
e Geſichtspunkt aus betrachtet, unangreifbar iſt. 

Polen hat 1938 rund 38 Millionen Tonnen Steinkohle gefördert, wovon 
28 Millionen Tonnen auf Oſtoberſchleſien entfielen. Der Reſt wurde in dem 
benachbarten Dombrowaer Bezirk zutage gebracht. Ab Oktober 1938 ſind die Er⸗ 
gebniſſe des früher tſchechiſchen Olſagebietes in den Statiſtiken mitenthalten. Hier 
werden jährlich rund 7,5 Millionen Tonnen Steinkohlen abgebaut. Insgeſamt en 
ſich ſomit bei dem gegenwärtigen ſchlechten Stande der polniſchen Kohlen⸗ 
erzeugung eine jährliche Förderung von etwa 43 bis 45 Millionen Tonnen. 
Die Qualität der Ware iſt in i und um Teſchen ganz ausgezeichnet 
und eignet ſich zur Herſtellung vorzüglichen Hüttenkokſes. Das Kohlenvorkommen 
gehört mit einer Mächtigkeit von etwa 70 Milliarden Tonnen zu den größten 
und beſten der Welt. Theoretiſch iſt eine Förderung wie im Ruhrgebiet möglich. 


Fischer / Unsere kriegsbereite Volkswirtschaft 15 


Von den gefamten Kohlenſchätzen Europas bis zu einer Tiefe von 1500 Meter 
entfallen auf das bisherige Deutſchland 30 Prozent, auf Oſtoberſchleſien und die 
angrenzenden, bisher 1 Reviere 25 Prozent, auf England 24,1 Prozent, auf 
den europäiſchen Teil der UdSSR. 7,5 Prozent und der Reſt auf die übrigen 
Länder. Hieraus ergibt ſich eindeutig die überlegene Stellung des 
Reichs auf dem Gebiet der Steinkohlen. Nebenbei fei vermerkt, daß 
in bezug auf Braunkohlen Deutſchland die größten Vorkommen der Welt hat und 
daß in den Provinzen Poſen und Pommerellen auch noch etwa 5 Milliarden Tonnen 
Vorräte liegen! 

In den vergangenen Monaten iſt oftmals über die ſchwierige deutſche Kohlen⸗ 
verſorgung geſchrieben worden, die trotz einer Förderung von etwa 190 Millionen 
Tonnen Steinkohlen und über 200 Millionen Tonnen Braunkohlen nicht leicht 
war, weil infolge des Wirtſchaftsaufſtiegs der Verbrauch außerordentlich gewachſen 
war. Denn alle neuen Vierjahresplanwerke brauchen Kohle, ſei es als Wärme⸗ 
T oder als unmittelbaren Rohſtoff wie z. B. bie Benzin- und Bunaproduftion. 

iele Sorgen find über Nacht ins Gegenteil verkehrt worden. Wir haben nicht 
nur ausreichende Mengen, ſondern können in ſteigendem Maße von unſerem 
ilberidub den neutralen Ländern abgeben. Das iit um fo 
wichtiger, als England ſeine Kohlenausfuhr geſperrt hat und Kohlen mit 
Bardeviſen N find, weil f in vielen europäiſchen Ländern 
gänzlich fehlen, aber dringend benötigt werden. Für bie künftige Geſtaltung unſeres 
auswärtigen Handels wurde eine neue Grundlage geſchaffen, die an Bedeutung 
nicht geringer iſt als der Export deutſcher Fertigwaren, die ob ihrer Qualität in 
aller Welt geſchätzt und begehrt ſind. 

Wie die Polen die Förderziffern der Steinkohle des Jahres 1913 dank ihrer 
Unfähigkeit zu organiſieren niemals wieder erreicht haben, genau fo 
hat auch die Eiſen ſchaffende Induſtrie in den letzten beiden Jahr⸗ 
zehnten Rückſchläge aufzuweiſen gehabt. Der vorhandene Hochofenraum wurde 
nicht ausgenutzt. Beim Einmarſch der deutſchen Truppen beſtanden 22 größere 
Hüttenwerke, von denen neun auf Oſtoberſchleſien, zwei auf das Olſagebiet, acht 
auf den Dombrowaer Diſtrikt und nur drei auf das in Aufbau befindliche zentrale 
Induſtrierevier um Sandomir entfielen. 29 Hochöfen, 70 Siemens-Martin⸗Ofen 
und 7 Elektroöfen waren die Erzeugungsſtätten für Roheiſen und Rohſtahl. In 
Oſtoberſchleſien wurden 1938 rund 500 000 Tonnen Roheiſen und 900 000 Tonnen 
Nohſtahl, in Dombrowa 160 000 und 470 000 Tonnen und im zentralen Induſtrie⸗ 
revier Sandomir 50 000 Tonnen Kabelen und 70 000 Tonnen Rohſtahl produziert. 
Das Olſagebiet hat eine Kapazität von 500 000 Tonnen Roheiſen und 600 000 
Tonnen Rohſtahl. Wenn in Rechnung geſtellt wird, daß in der gleichen Zeit die 
reichsdeutſchen Werke 23 Millionen Tonnen Rohſtahl produzierten, nehmen ſich 
die 2 Millionen Tonnen der Polen vielleicht etwas kümmerlich aus. Es darf hier⸗ 
bei aber nicht überſehen werden, daß bie Erzeugungs fähigkeit größer ift und daß 
die tatſächliche Produktion immerhin noch die Größe der Belgiens oder Italiens 
erreicht. Der deutſche Gewinn beſteht genau wie bei der Kohle nicht allein in den 
Erzeugungsſtätten; nicht minder bedeutſam für die künftige induſtrielle Ent⸗ 
wicklung des Reiches iſt, daß die Verteilung der Werke über das geſamte Reichs⸗ 
gebiet viel beſſer wurde. Bei der Steinkohle liegt ein großes Erzeugungszentrum 
künftig im [en unb eins im Oſten, dazwiſchen ſchiebt jid) der wichtige mittel- 
deutſche Braunkohlenbergbau. Die gleiche Lage ergibt ſich beim Eiſen: Ruhrrevier 
im Weſten, Oſtmark im Süden, Reichswerke Hermann Göring und mehrere kleinere 
Hütten in der Mitte und Oberſchleſien im Oſten iſt die künftige Gliederung. 
Sowohl für die innerdeutſche Verteilung als auch für eine zweckmäßige Geſtaltung 
der Ausfuhr liegt hierin eine Verbeſſerung der bisherigen Lage. 


16 Fischer / Unsere kriegsbereite Volkswirtschaft 


Die polniſchen Nohſtoffe 


Außer Kohlen birgt der polniſche Boden reiche Schätze, die nur zum Teil er⸗ 
forſcht ſind. Erſt in den letzten zwei Jahren hat die bisherige polniſche Regierung 
damit begonnen, den Boden zu V Trotz des Einſatzes geringfügiger 
Mittel wurden dabei beachtliche Ergebniſſe erzielt. So entdeckte man bei 
Sandomir ein reiches Erzvorkommen, das auf einer Längen: 
ausdehnung von etwa 75 Kilometer mehr als 100 Millionen Tonnen Erze mit 
einem Eiſengehalt von 47 Prozent enthalten ſoll. Auch bei Wielun nahe der 
deutſchen Grenze wurden gute Eiſenerze entdeckt. Im vergangenen Jahre wurden 
in den noch von Deutſchen vor dem Weltkrieg erſchloſſenen Gruben rund 900 000 
Tonnen Eiſenerz gefördert. 


Im Jahre 1909 ſtand Polen mit einer Erdölförderung von über 2 Mil⸗ 
lionen Tonnen an der fünften Stelle der Welterzeugung. In⸗ 
zwiſchen ſind die Erträgniſſe immer niedriger geworden und haben in den letzten 
Jahren jeweils etwas über 500 000 Tonnen gelegen. Die Erdgasgewinnung hat 
dagegen eine Steigerung auf knapp 600 Millionen Kubikmeter erfahren. Trotz 
der vernachläſſigten Erdölquellen wurde immerhin 1 noch ſoviel produ⸗ 
ziert wie trotz der intenſiven Bohrungen der letzten Jahre im Altreich und der 
Oſtmark zuſammen. Bei der Rolle, die das Erdöl in den modernen Volkswirt⸗ 
ſchaften ſpielt, kann das galiziſche Erdölvorkommen gar nicht hoch genug als 
Gewinn veranſchlagt werden. 


Mit den polniſchen Zinkgruben und Erzeugungsſtätten iſt Deutſchland in Zink 
vom Ausland vollkommen unabhängig. Die Bleierzvorkommen verbeſſern 
die Verſorgungslage in dieſem wichtigen Metall, ohne ſie allerdings reſtlos zu 
decken. In Sandomir wollten die Polen eine Kupferhütte bauen. Sie behaupteten, 
Kupfervorkommen entdeckt zu haben. In den Karpaten liegen ungeheure Waſſer⸗ 
kräfte brach, die ſehr viel elektriſchen Strom erzeugen könnten. Von den polniſchen 
Munitionsfabriken und dem in unſere Hände gefallenen Material der Armee 
können ſich die Politiker Londons au Grund der ſelbſtbewußten Berichte der 
dortigen polniſchen Botſchaft aus dem letzten halben Jahr ein Bild machen. Der 
um die eroberten polniſchen Provinzen verbreiterte deutſche Lebensraum gewähr⸗ 
leiſtet ſicher — alles in allem betrachtet — die i unjerer Wirtſchaft. Das 
ſteht nicht im Widerſpruch dazu, daß wir uns bemühen werden, einen jo regen 
Güteraustauſch mit dem Ausland zu pflegen, wie er nur möglich iit. Denn zwiſchen 
einer ausreichenden Verſorgung und einer allen Wünſchen gerecht werdenden 
Anlieferung beſteht ein beträchtlicher Unterſchied. Auf dem induſtriellen Sektor 
werden wir immer zahlreiche ausländiſche Produkte verarbeiten. Auch beſtimmte 
Nahrungs⸗ und Genußmittel, die der europäiſche Boden nicht hergibt, ſind nützlich 
und begehrenswert. . 

Nicht unerwähnt bleiben darf der Wirtichaftsaufftieg, vor dem jetzt wieder bas 
alte deutſche Danzig ſteht. Das Hinterland war ihm in Verſailles genommen 
worden. Jetzt iſt es wieder vorhanden und in Kürze pulſierender, als es jemals 
in der Danziger Geſchichte geweſen iſt. Man wird ſich in den Häfen und Umſchlag⸗ 
ſtellen ſputen müſſen, um den Verkehr zu bewältigen, der ſchon während der 
Erſchließung jener Provinzen anfallen wird. 


Was aber auf Grund des nüchternen Zahlenbildes feſtzuhalten iſt: Englands 
Hoffnung, auf der wirtſchaftlichen Ebene das Deutſche Reich erfolgreich bekämpfen 
zu können, iſt ein Trugſchluß, den es teuer bezahlen wird. Dieſe Illuſion iſt ebenſo 
lächerlich wie der Propagandakrieg mit den alten abgedroſchenen Phraſen von 
1914 und die Empirepolitik mit denſelben, nur älter gewordenen einfallsloſen 
Demokraten von 1914. 


eufenpolitifhe Hotie 


Neues Osteuropa 


Nach dem Zuſammenbruch des Napos 
leoniſchen Imperiums hatte ſich das Schwer⸗ 
ewicht Europas von Weſt nach Oſt ver⸗ 
agert. Rußland, Preußen und Ofterreid 


entſchieden die europäiſchen Probleme, bis 
im Krimkriege der Weſten den erſten Stoß 
gegen dieſe Machtverhältniſſe führte. 


er Weltkrieg brachte eine Erſchütterung 
der Oſtſtellung / Deutſchlands, deſſen Gebiet 
erriſſen wurde, eine Auflöſung der Habs⸗ 
urger⸗Monarchie und ein Abdrängen Ruß⸗ 
lands von Europa. Der Weſten errichtete 
auf öſtlichem oben ein Syſtem von 
Vaſallenſtaaten. Polen und die Tſchecho⸗ 
Slowakei wurden in Verſailles eigens zu dem 
Zweck geſchaffen, die öſtliche Ergänzung zu 
einer Mächtegruppierung zu bilden, deren 
alleiniger Sinn die EE Deut 
lands war. Clemenceau trat für die Schaf: 
fung bes Korridors ein in der klaren Bes 
redjnung daß dadurch ein unlösbarer Gegen: 
ſatz zw ſchen dem Reich und dem neuen 
polniſchen Staat pans; Dieſer Gegenſatz 
ee die Polen feft in der Gefolgſchaft des 
eſtens. Und ſo ſollte es ſein. Auf Feind⸗ 
ſchaft und nicht etwa auf Verſöhnung be⸗ 
ruhte das Spiel von Verſailles. 

Die Zerſtückelung und Balkaniſierung des 
Oſtraumes hatten die ſchwerſten äußeren 
und inneren Folgen für den Oſten ſelbſt. 
dep eni bedeutete er nichts mehr. Er 
war Objekt. Im Innern vermochten die 
neuen Staaten die Probleme eines harmo⸗ 
niſchen grammai ens der erworbenen 
Gebiete, bes nationalen Ausgleichs und der 
ſozialen Hebung nicht zu löſen. Große Indu- 
ſtrien verloren ihre natürlichen Abſatz⸗ 
märkte. Gleichzeitig bemächtigte ſich die 
führende politische chicht der neuen Staa⸗ 
ten der erfaßbaren Vermögenswerte. Ein 
rieſiger Enteignungsprozeß der entrechteten 
nationalen Gruppen, die von ihrem Boden 
vertrieben werden und ſpäter auch den 
Induſtriebeſitz verlieren, kennzeichnet die 
erſte Periode der Geſchichte der europäiſchen 
Zwiſchenzone. 

Die polniſche Vermeſſenheit 


Welches war das Ordnungsprinzip, das 
in Verſailles deer gelegt wurde? For⸗ 
mel war es bas ethnographiſche, bas fid 


jedoch bei bem völkiſchen Miſchcharakter ber 
Zwiſchenzone einwandfrei überhaupt nicht 
durchführen ließ. Die Staaten, die entſtan⸗ 
den, waren alle überſaturiert und hatten 
doch das Ste zu ſchmale Grundlagen zu 
beſitzen. Sie ſuchten ihre ethnographiſche 
Schwäche durch „hiſtoriſche Anſprüche“ zu 
verdecken, deren fete Beile zumindeſt 
ſtrittig war. Das kraſſeſte Beiſpiel in dieſer 
Polen war Polen. Schon die Frage, was 

olen war oder ſein ſollte, wurde von An⸗ 
fang an unflar beantwortet. Die National: 
emofraten unter Roman Dmowſki gingen 
zwar von ethnographiſchen Vorausſetzungen 
aus, verknüpften ſie aber mit der Vor⸗ 
tellung des geſchichtlichen Polens. Dabei 
choben ſie in ihren Forderungen die Gren⸗ 
zen weit nach Weſten in deutſches Gebiet 
vor, während ſie im Oſten bereit waren, 
Konzeſſionen zu machen. Dagegen hatte der 
Pilſudſkikreis die Abſicht, Polen zur oſt⸗ 
europäiſchen Vormacht zu erheben, durch Be⸗ 
ründung einer Föderation mit Ukrainern, 

eißruſſen und den baltiſchen Völkern. Die 
Aufteilung Rußlands war das Ziel, das in 
dem Kriege von 1920 nicht erreicht wurde. 
Das Polen, das übrigblieb, verlor, obwohl 
es ſchon ein reichliches Drittel fremdvölki⸗ 
ſcher Elemente in ſich vereinigte, das Ziel 
der Gewinnung der „hiſtoriſchen Grenzen“ 
im Weſten und Oſten nie aus den Augen. 
In dieſem Sinne wurde die Jugend erzogen. 
Oſtpreußen wurde eine „Inſel im polniſchen 
Meer“ genannt. Die polniſche „Löſung“ der 
Korridorfrage hieß immer Eroberung Oſt⸗ 
preußens, von den Abſichten auf Schleſien 
und Oſtpommern zu ſchweigen. 


Es war auf die Dauer unausbleiblich, daß 
die polniſche Expanſion einen deutſchen 
Gegenſtoß auslöſte und die unſinnige Kor⸗ 
ridorſchöpfung nicht beſtehen bleiben konnte. 
Dieſer Notwendigkeit war nur dann zu ent⸗ 
rinnen, wenn Polen ſich beſchied und zu 
einer weitgehenden Zuſammenarbeit mit 
dem Reiche bereit war. Da es aber durchaus 
als „Großmacht“ anerkannt werden wollte, 
ein Erſtarken und Wachſen Deutſchlands als 
„Verletzung des Gleichgewichts der Kräfte“ 
anſah und eiferſüchtig darüber wachte, daß 
der „Raum der polniſchen Intereſſen“, der 
über die Staatsgrenzen noch erheblich bins 
ausreichte, nicht von anderen Einflüſſen 


18 Außenpolitische Notizen 


berührt wurde, fonnte ein Verhältnis, das 
den wahren Geſetzen beider Länder ent⸗ 
ſprach, nicht hergeſtellt werden, obwohl es 
an ſich möglich geweſen wäre, die Raum⸗ 
intereſſen als ergänzende und verbindende 
u betrachten, ſtatt ſie nur aus der Gegen⸗ 
ſätzlichkeit heraus zu verſtehen. Wurde die 
Möglichkeit einer Abſtimmung der Raum⸗ 
intereſſen geleugnet, ſo blieb eigentlich nur 
die andere Konſequenz übrig, die von der 
polniſchen öffentlichen Meinung denn auch 
deutlich genug gezogen wurde, nämlich die 
Ausdehnung der polniſchen Macht auf Koſten 
der deutſchen, die endgültige Liquidierung 
der deutſchen Oſtſtellung. Der „Verſailler 
Kompromiß“ — ſo lautete die polniſche For⸗ 
mulierung — ſollte zugunſten einer „Er⸗ 
weiterung der polniſchen Seebaſis“ beſeitigt 
werden. Außenminiſter Beck hat einmal be⸗ 
kannt, Marſchall Pilſudſki habe ihm die 
Mahnung hinterlaſſen, vah olen in jedem 
all Kämpfe zur „Verbeſſerung“ feiner 
tellung durchführen ſollte. Die Verſuche, 
die Beck in dieſer Beziehung unternahm, 
saver mit dem Untergang des Staates ge: 
endet. 


Nach der Machtergreifung des National⸗ 
ſozialismus erklärte der polniſche Außen⸗ 
miniſter, Propaganda möge man treiben, ſo 
viel man wolle, aber mit Worten habe noch 
niemand das territoriale Statut von Europa 
erſchüttert. Mochte dieſe Feſtſtellung ſogar 
hiſtoriſch richtig ſein, ſo bewies doch die 
tſchechiſche Kriſe, daß ſchon das Wort Hitlers 
enügte, um das Verſailler Statut zu er⸗ 
füttern Während dieſer Kriſe meinte 
ed, daß die Staaten Nachkriegs europas ein 
„neues Examen“ ablegen müßten. Polen 
hat dieſes Examen nicht beſtanden. 


Die s gf is Pilſudſkis haben oft be- 
tont, daß die Stützung auf bie eigene Kraft 
die Grundlage ihrer Politik ſei. Leider 
haben ſie verſäumt, die Maſſe ihrer Kraft 
richtig zu berechnen, ſonſt hätten ſie es ver⸗ 
mieden, eine militäriſche Niederlage dieſes 
Ausganges heraufzubeſchwören. Die poti: 
tiſche durch Verſagen des Vertragsſyſtems 
iſt nicht geringer. Die Weſtmächte erklärten 
zwar den Krieg, zeigten ſich aber außer: 
Polen zu einer militäriſchen Aktion, die 

olen eine Entlaſtung hätte bringen kön⸗ 
nen. Rußland ſah nach den deutſchen Siegen 
den polniſchen Staat und damit auch den 
Nichtangriffspakt mit ihm als nicht mehr 
beſtehend an. Rumänien, durch einen gegen 
die Sowjetunion gerichteten Beiſtandspakt 
mit Polen verbunden, nahm eine entſpre⸗ 
chende Haltung ein und wahrte Neutralität. 


Die Geſchichte des polniſchen Staates in den 
Formen von Verſailles war zu Ende. 


Deutſch⸗ruſſiſcher Aufbau 


Mit dem deutſch⸗ruſſiſchen Nichtangriffs⸗ 
vertrag und dem Zuſammentreffen von 
deutſchen und ruſſiſchen Trunpen auf pol⸗ 
niſchem Boden hat eine neue Periode in der 
Entwicklung Oſteuropas begonnen. Die Ber- 
ſailler Oſtſchöpfungen ſollten eine „Barriere“ 
zwiſchen Deutſchland und Rußland bilden. 
Dieſe „Barriere“ iſt heute zerſchlagen. Die 
deutſche Oſtſtellun p wiederhergeſtellt, fie 
iit fogar, an bem Vorkriegsrahmen gemeſſen, 
nod gewachſen. Nur die beiden großen 
Länder Deutihland und Rußland ents 
ſcheiden wieder über das Schickſal von (e: 
bieten, in denen fie im Gegenſatz zu den 
Weſtmächten wirkliche Lebensintereſſen zu 
vertreten haben. In ſeiner Danziger Rede 
gmi der Führer erklärt: „Deutſchland unb 

ußland werden jedenfalls hier an die 
Stelle eines Brandherdes Europas eine 
Situation ſetzen, die man dereinſt nur als 
eine e wird werten können.“ 
Nach der Ausmerzung der Widerſtände be⸗ 
on das Problem eines Neuaufbaus bes 

jtraumes, der in ben Begrenzungen von 
Verſailles zu einer Entfaltung nicht kom⸗ 
men konnte. 
.Das Hineinwachſen Deutſchlands in die 
öſtliche Landſchaft hat eine materielle und 
geiſtige Seite. Wir tragen in ein noch un⸗ 
entwickeltes Gebiet unſere ganzen Energien, 
unſere techniſche Geſtaltungskraft und unſer 
organiſatoriſches Vermögen hinein. Es 
zweifelt wohl niemand daran, daß das Bild 
eines Landes, in dem ärmliche Hütten ſtehen 
und der Anbau oft mit primitiven Geräten 
erfolgt, unter deutſchen Händen ſehr bald 
eine Wandlung erfährt. Doch wollen wir 
nach dem Geiſt, den eine deutſche Erſchlie⸗ 
bung bes Oſtens von 1900 erfüllte, daß der 
Pionier mit ſeinem Boden verwurzelt, daß 
er ihm zur Heimat wird, damit der Gewinn 
ein dauernder iſt. 
rüft man den polniſchen ee i 
auf ſeine geiſtigen Urſachen, ſo gibt es dafür 
nur die Erklärung, daß der Staat in Volk 
und Raum nicht genügend verankert war. 
Polen war nicht nur eine weſtliche Schöp⸗ 
fung, ſondern es wollte auch ſeinem ganzen 
eiſtigen Zuſchnitt nach durchaus „weſtlich“ 
fein Es entitanb eine für jeden Beobachter 
pürbare Kluft zwiſchen der regierenden 
Intelligenz und der Maſſe des Volkes, die 
in weſtliche Lebensformen und weſtliches 
Denken gar nicht hineinpaſſen wollte. Das 
höchſte Streben der polniſchen Geiſteswiſſen⸗ 


Außenpolitische Nolizen 19 


ſchaft beſtand darin, Polen als ein voll: 
kommen der weſtlichen, lateiniſchen Kultur 
zugehöriges Land hinzuſtellen. Die führende 
Schicht gab ſich gerne einen franzöſiſchen 
Anſtrich. In der jungen Generation galt es 
als „dernier cri“, angliſiert zu erſcheinen. 
Was ſollte dieſes SE in einem Lande, 
in dem die große Malle überhaupt nicht in 
der Lage war, fremde Vorbilder zu erfaſſen 
und zu verarbeiten, in dem es Provinzen 
gab, die zu 50 Prozent Analphabeten auf⸗ 
wieſen und die Bauernbevölkerung großen⸗ 
teils auf der Stufe der Naturalwirtſchaft 
verharrte? Wer das Bodenſtändige und Ur⸗ 
ſprüngliche in Polen ſuchte, der konnte ſich 
nicht davon begeiſtern laſſen, daß auch in 
dieſem Lande Fabriken gebaut wurden und 
in einigen wenigen Städten moderne 
Wohnviertel entſtanden, während die Maſſe 
ein Leben in Wer tes Zurückgebliebenheit 
weiterfriſtete. Wer ſich von der polniſchen 
Literatur, die ſich in krankhafter Pſychologie 
gefiel, abwandte, war erfreut, im einfachen 

olke einen unverdorbenen künſtleriſchen 
Sinn zu entdecken, der ſich in ſeiner Teppich⸗ 
kunſt, Schnitzereien oder Keramik, in beinahe 
kultiſch wirkenden Tänzen und in den For⸗ 
men der Geſelligkeit ausdrückte. Solche An⸗ 
ſätze wurden nicht weiter entwickelt, weil 
die Intelligenz krampfhaft verſuchte, alle 
nicht weſtlich erſcheinenden Züge des pol⸗ 
niſchen Weſens niederzuhalten. 

Wenn der deutſche Aufbau im Oſten be⸗ 
ginnt, ſo wird er dem Charakter Rechnung 
tragen, der dem Lande eigen iſt. Es geht 
uns nicht nur um die Beherrſchung eines 
Raumes, ſondern auch um die Verwurzelung 
in ihm, um ſeine Geſtaltung und Hebung 
auf ein höheres Niveau. Verſailles hat ſich 
als ein zerſtörendes Prinzip gerade im Oſten 
erwieſen. Die Neuordnung im Oſtraum 
durch Deutſchland und Rußland wird einen 
poſitiv geſtaltenden Wert beſitzen. Das 
Schwergewicht Europas verſchiebt ſich von 
Weſt nach Oſt. Die Weſtmächte haben erneut 
an europäiſcher Geltung eingebüßt, noch 
bevor ſie den Krieg recht eigentlich haben. 

Harald Laeuen. 


Rumänien für Realpolitik 


Bukareſt, Ende September. 


Politiſchen Geſprächen mit rumäniſchen 
Freunden gebe man dadurch eine Wendung, 
daß man plötzlich ſage: 

„Was wollt Ihr denn, Euch kann doch 
nichts paſſieren, Rumänien hat ja Englands 
Garantie in der Taſche.“ 


Der Erfolg iſt jedesmal verblüffend. 
Unſer Geſprächspartner ſcheint Zahnſchmer⸗ 
zen zu haben. Eine ärgerliche Hand⸗ 
bewegung ſoll die Folgen dieſer unangeneh⸗ 
men Bemerkung verſcheuchen. Eine Antwort 
freilich bleibt er ſchuldig. Was ſollte er auch 
antworten? Seit an dem Fall Polen für 
jeden denkenden Menſchen klar wird, was 
eine engiiide Garantie wert ijt, feit die pols 
niſche Uberhebung ihren gerechten Lohn 
findet, ohne daß England auch nur einen 
ginger krumm gemacht hätte, gibt es genug 
Rumänen, bie ein gelinder Schauer bet bem 
Gedanken an Chamberlains i bee bie 
erklärung vom 13. April befällt: daß bie 
britiſche ie der griechiſchen bzw. 
rumäniſchen Regierung „alle in ihrer Macht 
falle di. Unterſtützung“ zuteil werden laſſe, 
alls diefe Regierungen es wünſchten. 


Die intellektuelle Clique 


Es hat in Rumänien niemals an Män⸗ 
nern gefehlt, die ein Umlernen und Um: 
ſtellen der rumäniſchen Außenpolitik betrie⸗ 
ben haben. Hier ſeien nur Vaida⸗Voevod 
und Georg Bratianu genannt. Immer aber 
hat es eine Schicht gegeben, die teils aus 
Herkommen, teils aus Sentimentalität, 
teils aus ihrer geographiſchen Unkenntnis 
und ihrer unpolitiſchen Haltung in Bukareſt 
eine Stimmung ſchuf, die ein franzöſiſch⸗ 
britiſcher Cocktail war und den klaren Aus⸗ 
blick auf die rumäniſchen Realitäten ver⸗ 
nebelte. Dieſe Clique, die in Salons und 
auf der Straße, in Redaktionen und Amts⸗ 
ſtuben ihr Unweſen treibt, die bereit iſt, 
jeden Unſinn für bare Münze zu nehmen, 
auf jedes Gerücht hereinzufallen und jedes 
Geſchwätz weiterzugeben, trägt ihren red- 
lichen Teil Schuld an der Unentſchloſſenheit 
und Zweideutigkeit ber rumäniſchen Außen- 
politik. Dieſe Clique war ſelbſtverſtändlich 
bemüht, Einfluß auf die Krone zu nehmen 
und den König durch ihr Intrigenſpiel 
ſeiner Handlungsfreiheit zu berauben. Es 
kann feſtgeſtellt werden, daß alle rumäni⸗ 
ſchen Entſcheidungen dieſes Jahres, die das 
deutſch⸗rumäniſche Verhältnis beeinflußt 
und zum Guten gewendet cher vom Konig 
ausgegangen find, ber [jid den genannten 
Einflüſſen entzogen und verſucht hat, Ru- 
mänien einen 1 Weg zu führen. 
Darüber hinaus zeigt die Tatſache, daß vier 
der wichtigſten irtſchaftsjuden (Max 
Auſchnitt, Oskar Kauffmann, ee Scha⸗ 
pira und Lazar Margulies) aus ihren Stel⸗ 
lungen, Schlüſſelſtellungen der rumäniſchen 
Wirtſchaft, entfernt und kaltgeſtellt worden 
ſind, einen neuen Weg in der rumäniſchen 


20 
Innenpolitik an, der ſelbſtverſtändlich von 
Deutſchland bemerkt wurde und auf deſſen 


Fortſetzung wir mit Spannung warten. 


Die Bombe 


Wir tun dieſer inneren Entwicklung kein 
Unrecht, wenn wir Du bas qröbte Ereignis 
ber rumäniſchen Politik den Moskauer Pakt 
halten. Es war in den ce Pol vor dem 
21. Auguſt in die rumäniſche Politik ſo viel 
Zwielicht hineingekommen, daß deutſcher⸗ 
ſeits ernſte be ſic das d geäußert werden 
mußten. Würde ſi 
1916 wiederholen, mit demſelben Ausgang, 
daz Rumänien ſeiner anfänglichen Neu⸗ 
tralität untreu und zu den Feindmächten 
toßen würde? Mancherlei Anzeichen ließen 

ie fieberhafte engliſche Tätigkeit erkennen 
— und das rumäniſche Wohlwollen. In dieſe 
goun unſauberen Verhältniſſe platzte 

ie deutf ⸗ruſſiſche Bombe. Wie anderswo, 
DE ete e auch hier eine reinigende 

nung Unbeſchreiblich war der Ragen: 
ege er rumäniſchen Einkreiſungs⸗ 
reunde. Die Neutralitätspolitik bekam 
Oberwaſſer. 

Der Schlußſtein wurde im Kronrat vom 
6. September geſetzt: Rumänien erklärte ſich 
neutral. Wenn wir über dieſe Sitzung recht 
im Bilde i Jo Bat fid dort folgendes ab: 

HAAS er kurz zuvor abgeſägte Pariſer 

otſchafter Tatarescu und der alte Profeſſor 
Jorga machten Stimmung für den Kriegs⸗ 
eintritt an der Seite Frankreichs und Eng⸗ 
lands; der erſte mit Erwägungen über die 
Stärke der Weſtmächte, die ihren Sieg wahr⸗ 
ſcheinlich mache, der zweite mit ſentimen⸗ 
talen Sprüchen über Dankbarkeit für die 
Schaffung Großrumäniens durch die Weſt⸗ 
mächte 1918/19. (Im allgemeinen pflegt d 
ber Rumäne ſcharf dagegen zu wenden, ba 
Großrumänien von Frankreichs und Eng⸗ 
lands Gnaden entitanden ſei; vgl. einen 
Aufſatz Georg Bratianus im Aprilheft des 
„Deutſchen Wollens“). Die andere Seite 

am durch Argetoianu und Vaida⸗Voevod zu 
Worte; der eine führte ins Feld, daß Ru⸗ 
mänien ewig auf Deutſchland angewieſen 
ſei, daß das rumäniſche Volk blühe, wenn es 
dem deutſchen Volk gut gehe, und umgekehrt; 
der andere bezweifelte rundweg Tatarescus 
Prognoſe über den Kriegsausgang. Den 
aaa gab der König. Selbſtverſtändlich 
erfolgte ber Neutralitätsbeſchluß mit Gin: 
ſtimmigkeit. Was beweijt biejer Vorgang? 


Glaube an die Weſtmächte geſchwunden 


Daß in einem Lande wie Rumänien der 
Glaube an den Sieg der Weſtmächte nur 


das Spiel von 1914 bis 


Außenpolitische Notizen 


noch von Menſchen geteilt wird, mit Deren 

Urteilsfähigkeit es nach allgemeiner Über⸗ 

Ka nicht ſonderlich weit her ijt. Iorga 

elbſt hat über ſich unb feinen Vorſchlag ben 

Stab gebrochen, als er in einem Vortrag 

am 15. September von Becks Außenpolitik 

ſagte, daß ſie Polen in die unangenehme 

Lage geführt habe, am En de zwiſchen 

allen Stühlen zu figen. Anſchei⸗ 

nend hat ein Mann vom Schlage Jorgas 
denſelben Ehrgeiz für Rumänien. Jeder 

Einſichtige weiß daß Rumänien feine Polis 

tif gegen das Deutſche Reih führen kann. 

Der polniſch⸗rumäniſche Beiſtands⸗ und 

Militärpakt ift trotz des ruſſiſchen Cin- 

marſches in Polen nicht in Kraft getreten. 

Die auf der Flucht befindliche t Re⸗ 

gierung hat Rumänien gar nicht mehr in 

ie Verlegenheit gebracht, die Hilfe ver⸗ 
weigern zu müſſen. Es wäre auch gleich⸗ 
bedeutend mit einem Selbſtmord geweſen. 

So endete ein Bündnis 
Wenden wir uns nunmehr den eigentlich 

rumäniſchen Problemen zu: Der ermordete 

Miniſterpräſident Calinescu war ein Ver⸗ 

fechter eines vernünftigen deutſch⸗ rumä⸗ 

niſchen Verhältniſſes. An ſeiner Beſeitigung 
konnte nur England Intereſſe haben. Die 

Gardiſten, die Calinescu aus dem Wege 

räumten, haben in ſolcher Kriſenzeit ihrem 

Lande einen ſchlechten Dienſt erwieſen! — 

Was aber ijt die Argumentation ber rumä⸗ 

niſchen Politiker uns gegenüber: 
Deutſchland betreibt gegenüber Rumänien 

die Politik eines Erpreſſers, indem es ſich 
zwei Staaten an der Kette hält (Ungarn 
und Bulgarien), die nur auf den Wink 
warten, um auf Rumänien losgelaſſen zu 
werden. Das iſt an prea Rumänien 
würde gern mit Deutſchland gehen, aber 
wie kann es, wenn es unter dieſem furcht⸗ 
baren Drucke ſteht, zu dem jetzt noch die 
Angſt um Beſſarabien A mn, und 
nicht weiß, was es von Deutidlands Wb: 
ſichten zu halten hat? Warum will Deutſch⸗ 
land mif Rumänien nicht ehrliche RE 
ſchaft ſchließen, wozu freilich bie erte Bor: 
ausſetzung wäre, daß Rumänien an he 
feiner heutigen Grenzen eine beruhigende 
Zuſicherung hätte? 
Deutſche Antwort an Bukareſt 
Wir wollen dem in gebotener Kürze 
antworten: 

1. Rumänien hatte ſeit dem Weltkrieg zwan⸗ 
zig Jahre Zeit, ſeine Beziehungen mit 
Deutſchland ſo zu geſtalten, daß ſie für 
beide Teile fruchtbar und nutzbringend 


AuBenpolitische Notizen 21 


wurden. Nachdem man zwanzig Jahre 
verloren hat, verſucht man jetzt in einigen 

chen und onaten das Verſäumte 
nachzuholen. Das nationalſozialiſtiſche 
Deutſchland hat Großrumänien auf ver⸗ 
ſchiedenen Wegen ſeine poſitive Einſtel⸗ 
lung zu erkennen gegeben, ohne daß dies 
eine beſondere Wirkung ausgelöft hätte. 
Außerungen des Führers ſind einfach in 
den Wind geſchlagen worden. Man hätte 
fon zur rechten Jeit damit beſchäftigen 
ollen. 


2. Trotzdem iſt viel iere worden durch 
die königlichen Entſcheidungen bieles 
Jahres, und wir wiſſen auch die rumä⸗ 
niſche Olpolitik richtig zu würdigen. Uns 
en! nod) nichts verloren zu fein, wenn 

umänien begreift, daß die Initiative 
nicht bei uns, ſondern bei ihm zu liegen 
got Das heißt: Man verkehrt Mae und 

irfung, wenn man von Deutſchland eine 
Einflußnahme auf andere Länder er: 
wartet, ohne ſelbſt Vorleiſtungen anzu⸗ 
bieten. Es heißt auch, die Größenordnung 
der Länder durcheinanderzuwerfen, wenn 
Rumänien heute an Deutſchland Forde⸗ 
rungen ſtellt. 


3. Der Führer hat wiederholt zu erkennen 
gegeben, daß er an der Landkarte in Süd⸗ 
oſteuropa von ſich aus nicht zu rühren 
wünſche. Die grundſätzliche Klarheit, daß 
wir mit allen Ländern Südoſteuropas 

te Beziehungen zu unterhalten wün⸗ 
ſchen, verpflichtet uns indeſſen nicht, die 
Augen zu ſchließen und Gut und Böſe nicht 
mehr zu unterſcheiden. Eine der vordring⸗ 
lichſten Fragen iſt und bleibt die der Be⸗ 
handlung unſeres Volkstumes durch die 
Südoſtſtaaten. 


4. Die Politik Rumäniens gegenüber der 
deutſchen Volksgruppe iſt immer nur durch 
die entſprechende Politik Ungarns in 
gutem Lichte geſtanden. Das iſt eine rela⸗ 
tive Betrachtungsweiſe. Es iſt alſo auch 
die Frage möglich, ob Rumänien in zwan⸗ 
zig Jahren das Seine getan hat, um 
unſeren deutſchen Volksgenoſſen eine Hei⸗ 
mat zu ſein. Das betrifft beſonders die 
unhaltbaren Sal im Banat und 
in Beſſarabien. Soeben haben wir eine 
Erklärung des Minifterpräfidenten ver: 
nommen, daB es beffer werden folle. Das 
ift bie ſoundſovielte Erklärung der ſich ab: 
wechſelnden rumäniſchen egierungen, 
auf die Taten niemals gefolgt ſind. Wir 
ſehen nicht auf Erklärungen, wir ſehen 
auf Handlungen. Es tut uns leid, feſt⸗ 
ſtellen zu miten, dak Rumänien in zwan: 


zig Jahren der ungariſchen Reviſions⸗ 
propaganda nichts entgegengeſetzt hat, 
was von Wirkung auf das Deutſchtum 
geweſen wäre. Im Banat bilden Rumä⸗ 
nen und Deutſche die Mehrheit. Was 
liegt näher, als daß das Rumänentum 
alles getan hätte, um das Deutſchtum für 
ro zu gewinnen? Nichts davon! So ſteht 
as Banater Deutſchtum dem rumäniſchen 
PE E nicht mit 

gegenü 


der Liebe 
er, die allein den Zuſammenhalt 
gemährleiltet, In anderen Landesteilen 
tegen bie Dinge nicht jo trak, aber 
ähnlich. 


5. Die von uns oben geſchilderte Clique hält 


durch ihre unheilvolle Tätigkeit unſer 
Mißtrauen wach. Die „öffentliche Mei⸗ 
nung“ des Landes wird ſich umſtellen 
müſſen, wenn es zu einer offenen und 
ehrlichen deutſch⸗rumäniſchen Zuſammen⸗ 
arbeit . Dazu gehört das Ka⸗ 
pitel Preſſe. Was ſoll man dazu ſagen, 
daß das „antiſemitiſche“ Blatt „Univer⸗ 
ſul“ den Juden Fermo als Außenpolitiker 
Ger unb den Juden poliakofß (Augur) als 
ondoner Korreſpondenten? Beide tun 
alles, um die Haltung des Blattes deutſch⸗ 
feindlich zu machen. Oder daß „Timpul“, 
deſſen Direktor der Außenminiſter Ga⸗ 
We war, der heute nod „mein Blatt“ 
agt, nach Beſitz und Verwaltung rein 
jüdiſch (Verwaltungsdirektor und Ver⸗ 
trauensmann der Aktionäre Jean Hurtig), 
in der Schriftleitung zu drei Vierteln 
id iit? Wenn bie Regierung bie Ab⸗ 
icht hätte, zu Deutſchland in ein Ber: 
trauensverhältnis zu kommen, ſo würde 
dieſe Abſicht von der verjudeten und 
widerſtrebenden Preſſe ſabotiert werden. 


6. Die ſchlimmſten Auswüchſe der Preſſe 


werden ſeit etwa dem 5. September von 
der Militärzenſur verhindert. Vorher ſah 
es wild aus, und die polniſchen Hetzlügen 
ſchlugen Purzelbäume. Polniſchen Greuel— 
meldungen gab man Raum, die deutſchen 
Schilderungen der polniſchen Greueltaten 
ließ man eine Woche ſpäter nicht erſchei— 
nen. Den deutſch⸗rumäniſchen Beziehungen 
nutzt keine „Objektivität“ der von uns 
beobachteten Art. Es geht nicht an, daß 
Aufſätze, die verſuchen, Deutſchland ge— 
recht zu werden, rückſichtslos der Zenſur 
um Opfer fallen. Wenn von engliſch⸗ 
franzöſiſcher Seite ein unzuläſſiger Druck 
ausgeübt wird (auch, und gerade in wirt⸗ 
ſchaftlicher Beziehung), ſo möge ſich Ru⸗ 
mänien wehren, aber es möge nicht auf 
die deutſche Gutmütigkeit rechnen. 


I 


22 AuBenpolitisehe Notizen 


Immer hat diefe Zeitſchrift den Gedanken 
der deutſch⸗rumäniſchen Zuſammenarbeit 
hochgehalten und ger t. Immer hat fie 
ein Großrumänien be at Gie tut es aud 
in dieſen Tagen, ba Entſcheidungen von 
Ates e Bedeutung ſich vollziehen. 
Aber — wir ſagen es mit der an uns ge⸗ 
wohnten Ehrlichkeit — nicht an uns liegt 
es, es liegt an Rumänien! 


England und die Mohammedaner 
(Von unſerem Mitarbeiter im Orient) 


In der letzten Zeit konnten die Eng⸗ 
länder ſich nicht genug damit tun, der er⸗ 
ſtaunten Welt geenüber von ber alls 
gemeinen und eiſterten Unterſtützung 
des Friedens durch die mohammedaniſche 
Welt zu ſprechen. Was es damit für ein 
Bewenden hat, zeigt die große Rundfunk⸗ 
anſprache des Londoner Senders der letzten 


age, die als Muſter einer proengliſchen 
Haltung auf die paläſtinenſiſche Zeitung 


„Falaſtin“ hinwies und zum Beweis deſſen 
einen englandfreundlichen Artikel dieſes 
Blattes wörtlich zitierte. Dieſes que! 
ſprach allerdings mehr gegen als fiir Eng⸗ 


land, denn es hieß darin: „Der Krieg hat 


alle Beziehungen zu Großbritannien auf 
eine völlig neue Grundlage geſtellt. Es geh 
um ein Problem, das größer iſt als unſer 
eigenes Problem. Mit dieſer Feſtſtellung 
wollen wir nicht etwa einer Vernach⸗ 


läſſigung unſerer eigenen Sache das Wort 
reden, ſondern wir wollen lediglich zum 


Ausdruck bringen, daß uns bei dem jetzigen 
Konflikt keine andere Wahl bleibt, als die 
Partei der einen oder der anderen zu er⸗ 
greifen.“ 


Die Worte „uns bleibt keine Wahl“ 
jeigen klar und deutlich, in welche Gis 
uation die arabiſchen Zeitungen von Eng⸗ 
land gebracht worden ſind. Die engliſchen 
Truppen ſtehen in Agypten, in Paläſtina 
und im Irak, und dieſer äußere Umſtand 
läßt faſt keine Wahl, als ſich vorläufig dem 
Zwang der i Gewaltpolitik zu 
fügen. Welchen Wert überdies der Artikel 
der Zeitung „Falaſtin“ hat, zeigte ſich ein 
paar Tage ſpäter durch eine Veröffent- 
lichung von arabiſcher Seite aus Kairo. 
Dieſe Veröffentlichung lautet wie folgt: 

„In Paläſtina hat die britiſche Man⸗ 
dats regierung den arabiſchen Zeitungen die 
ultimative Forderung geſtellt, 
offen für England einzutreten, widrigen⸗ 
falls Verbot der Zeitungen und unter 


Umftänden Verhaftung der Heraus 
eber und Chefredakteure angeordnet iſt. 
Is einzige Zeitung hat das in Jaffa er» 

ſcheinende Blatt „Falaſtin“ dieſem Ultima⸗ 

tum Folge geleiſtet und trägt in Artikeln 
und Meldungen neuerdings eine probritiſche 

Haltung zur Schau. Der Gegenſatz dieſer 

plötzlichen Neueinſtellung zur geſamten 

arabiſchen Haltung in Paläſtina gegenüber 
der engliſchen Blutherrſchaft hat jeden 

Araber in Paläſtina fühlen laſſen, daß der 

Umfall der Zeitung Falaſtin“ nicht frei: 

willig oder aus Überzeugung, ſondern auf 

Befehl erfolgte.“ 

Die beiden großen arabiſchen Länder 
Agypten und der Irak haben letzthin auf 
Grund ihrer Allianzverträge mit England 
automatiſch ſich als im Kriegszuſtand mit 
Deutſchland befindlich erklären müſſen. 
Allianzverträge werden gewöhnlich nur 
zwiſchen freien Staaten . ite aber 
“gopten und der Sraf haben jeinerzeit 
„Verträge“ mit bem fie unterjocht Halten: 
den England nur dadurch erreichen 
können, daß [te [fid bereit: 
erklärten, im Kriegsfall Hilfs⸗ 
ſtellung für England einzu⸗ 
nehmen. 


Im Schlepptau des Foreign Office 


1 hat allerdings, als es am 22. De⸗ 
ember 1936 den Vertrag ratifizierte, nicht 
aran gedacht, daß der Artikel 7 ſo bald 
in Kraft treten würde. Abſatz 1 lautet 
nämlich: 

„Sollte ungeachtet der Beſtimmungen des 
Art. 6 eine der Hohen Vertragſchließenden 
Parteien in einen Krieg verwickelt werden, 
ſo wird die andere Hohe Vertragſchließende 
Partei, immer in Übereinſtimmung mit den 
Beſtimmungen des Art. 10 unten, ſogleich 
der Hohen Vertragſchließhenden Partei zu 
Hilfe kommen als Verbündeter.“ 

Nebenbei war der ägyptiſchen d dde 
bie Annahme bes Art. 7 Abſ. 1 nur ur 
ſchmackhaft gemacht worden, daß Abſ. 2 bes 
Art. 7 die Hilfe Agyptens für England aus⸗ 
drücklich beſchränkte und nach den münd⸗ 
lichen Zuſagen eine militäriſche aktive 
Hilfe überhaupt nicht vorſah. Abſ. 2 lautet: 

„Die Hilfe Sr. M. des Königs von 
Agypten im Falle eines Krieges, einer 
drohenden Kriegsgefahr oder einer inter⸗ 
nationalen Verwicklung wird darin be⸗ 
ſtehen, daß es Sr. M. dem König und 
Kaifer auf ägyptiſchem Territorium in 
Übereinſtimmung mit dem ägypt. Verwal» 


Außenpolitische Notizen 23 


tungs⸗ und Geſetzgebungsſyſtem alle in 
ſeiner Macht liegenden Erleichterungen und 
Hilfe zuteil werden läßt, einſchließlich des 
Gebrauchs der Flughäfen und der Verkehrs⸗ 
mittel. Die ägyptiſche Regierung wird alle 
adminiſtrativen und geſetzlichen Maßnah⸗ 
men treffen — einſchließlich der Ausrufung 
des Standrechtes und einer ſtrengen Zenſur 
— um dieſe Erleichterungen und die Hilfe 
wirkſam zu machen.“ 


Agypten hat die Tatſache, daß es in dem 
Vertrag als „ſouveräner und unabhängi⸗ 
ger Staat“ bezeichnet wurde, teuer bezahlen 
müſſen. Geradezu lächerlich, wenn nicht je⸗ 
doch beſſer gelagt teufliſch, mutet Art. 1 bes 
Vertrages an, der mit großen Worten ver⸗ 
kündet: „Die militärische Belebung Hann 
tens durch die Streitkräfte Seiner jeſtät 
des Königs und Kaiſers iſt beendigt.“ 
Dieſes „laiſerlich⸗königliche“ Wort war 
ein reiner Betrug, denn ſofort nach der 
Katifizierung des Vertrages durch beſtochene 
ägyptiſche Politiker wurde die Beſatzung 
verfünffacht. 

Ebenſo wie Agypten hat auch der I taf 
zunächſt verſucht, aus dem it aa Krieg 
mit Deutſchland herauszubleiben und ſeine 
„Hilfe“ für England „vertragsgemäß“ auf 
die Surperfügungitellung von Flughäfen 
und Verkehrsmitteln zu beſchränken, bis er 
von ſeinem Herrn und Meiſter eines an⸗ 
deren belehrt und darauf hingewieſen 
wurde, daß er Alliierter mit allen Rechten 
und Pflichten ſei. 


Beziehungen im Herzen der Völker nicht 
abgebrochen 


Wir wiſſen genau, was das ägyptiſche und 
das irakiſche Volk von uns hält, und wir 
SCH gerade in der Zeit vor Abbruch der 

eziehungen ae Stimmen der Sym⸗ 
pathie für Deutſchland ſowohl in der ägyp⸗ 
liſchen wie auch in der irakiſchen Preſſe 
leſen können. Deutſchland bedauert es lee 
daß feine Beziehungen zu dieſen arabiſchen 
Völkern abgebrochen Ind aber es weiß, daß 
es im Herzen dieſer ölker zurückgeblieben 
iſt und daß der Tag kommen wird, wo ſich 
dieſe Völker p für ihre wahren Freunde 
entiheiden können und die feilen Kon⸗ 
junfturpolitifer aus ihrer e die 
gegen eld das Blut ihres Volkes an Eng: 
and verſchachert haben, davonjagen. 


England will Ibn Sand in Schach halten 


Bei Betrachtung der arabiſchen Welt 
freut es uns, daß immer noch eine große 


arabiſche Nation frei von England auf 


Erden lebt, und zwar das Volk Ibn 


Sauds, zuſammen mit dem Volk des 
Yemen unter dem Ismam Pahia. Leider iſt 
dem Reich Ibn Sauds in den letzten Jahren 
faft die Hälfte des benutzbaren Bodens von 
England geraubt worden, ohne daß man 
in der Welt davon größere Notiz genommen 
ätte. England hatte es bereits früher ver⸗ 
tanden, die zum nationalen Lebensraum 
des ſaudiſchen Reiches gehörigen arabiſchen 
Einzelſtaaten am enen Golf langſam 
aber ſicher unter ſeine Aufſicht zu bringen. 
Die wichtigſten dieſer arabiſchen Fürſten⸗ 
tümer am Arabiſchen Golf waren 
pm Kuweit und bas Fürſtentum 

ahrein. Dann war England weiter 
nach dem Süden vorgerückt und hatte das 
Sultanat von Oman unter ſeine „Kon⸗ 
trolle“ gebracht. Es folgte ſodann das große 
Sultanat von Hadramaut. Wenn man 
ſich fragt, weshalb die Engländer die ſüd⸗ 
lichen Fürſtentümer, die ſie bis zum Jahre 
1937 durch "ete beaufſichtigten, 1937 
unter ihre effektive Herrſchaft gebracht 
haben, ſo iſt darauf zu antworten, daß es 
zunächſt deshalb Ge ah, weil fie Stig: 
punkte für ihren Weg nach Indien und Oſt⸗ 
aſien brauchten, dann aber auch, weil Eng⸗ 
land mit en in den Hinterländern Erdol 
vermutete. Gleichzeitig wollte England 
durch die Inbeſitznahme dieſer arabiſchen 
Fürſtentümer eine E Sbn Sauds 
nad Süden verhindern und KE Die 
Möglichkeit haben, gegebenenfalls Ibn aud 
von Süden her angreifen qu können. Im 
Srünlaht 1937, zu einer Zeit, als Ibn Gaud 
eſchäftigt war, geſchah der große Coup, daß 
England auf einmal das geſamte Hinter⸗ 
land dieſer arabiſchen Staaten einſchließ⸗ 
lich des arabiſchen Hinterlandes von Aden 
blitzſchnellmit Bombengeſchwa⸗ 
dern angriff und beſetzte. Engliſche 
Zeitungen vom Frühjahr 1938 brüſteten ſich 
damit, agen land ohne viel Blutvergießen, 
lediglich durch Bombenangriffe, im letzten 
Jahr Hundertauſende von Quadratkilo⸗ 
metern unter Englands Herrſchaft gebracht 
hätte. Es iſt empörend zu leſen wie die 
engliſchen Zeitungen dieſen Raub verherr⸗ 
lichten und als eine Selbſtver tändlichkeit 
hinſtellten, in einer Zeit, wo ſie ſich nicht 
genug tun konnten, bie Lebensrechte Deutſch⸗ 
ands auf deutſches Land zu beſtreiten und 
mit den brutalſten Mitteln zu bekämpfen. 
England war eben in der Anwendung ſeiner 
Mittel niemals wähleriſch, wenn es ſich 
darum handelte, die engliſche Staatskaſſe 
zu füllen. 


24 


Indiens Jugend auf Englands Schlacht⸗ 
feldern? 


Auch die 80 bis 90 Millionen Mohamme⸗ 
daner in Indien haben in den letzten 
Wochen offen zum Ausdruck gebracht, daß 
ſie mit der engliſchen Einkreiſungspolitik 
gegen Deutſchland nichts zu tun eech 
wollen. Ein großes Blatt Nordindiens fragte 
bereits vor einiger Zeit, weshalb Indien 
feine Jugend nach Europa ſchicken folle, um 
die Schlachten Englands zu führen und die 
Gegner Englands zu ſchwächen. Die Folge 
würde doch nur fti. daß nachher das 
indiſche Volk weiterhin auf Jahrzehnte von 
England unterjocht und ausgebeutet würde. 
Ein anderes großes nordindiſches Blatt, der 
„Zamindar“ aus Lahore, ſchrieb vor kurzem, 
„daß Englands Politik immer dahin gehe, 
die Nationen ſchwach zu halten und ſie 
als ſchwache Staaten unter ſeiner Gewalt 
feſtzuhalten. Es würde dies aber doch nichts 
daran ändern, daß der deutſche Adler ſich 
ſehr ſchnell der Stadt Danzig nähern werde 
und Hunderttauſende von bewaffneten 
deutſchen Soldaten an den Grenzen Polens 
ſtehen würden. En land werde eines Tages 
in ſeinem eigenen heißen Blute verbrennen. 


Es iſt leider ſo, daß England in den 
letzten Monaten alles getan hat, um jede 
freie Meinung in den mohammedaniſchen 
Ländern zu unterdrücken. In den mohamme⸗ 
daniſchen Ländern gehört ja auch nicht viel 
dazu, ſondern man braucht angeſichts der 
ſozialen Struktur dieſer Länder immer nur 
ein paar feile Subjekte zu erkaufen, um 
mit ihrer Hilfe einen Druck auf die große 
Bevölkerung, die nichts, aber auch gar nichts 
von England wiſſen will, auszuüben. Dank 
der engliſchen Luftwaffe und den engliſchen 
Maſchinengewehren iſt es dem Inder, der 
keine eigene Armee aufſtellen kann und 
darf, auch ſchwer möglich, ſich gegen das 
engliſche Regime zu erheben, wie er das 
gern möchte. Dort aber, wo auch die eng⸗ 
liſchen Flugzeuge und Maſchinengewehre 
nicht viel ausrichten können, flackert der 
Widerſtandsgeiſt des indiſchen Volkes 
immer wieder auf, und dort oben in den 
Bergen Nordweſtindiens ſind heute noch 


Außenpolitische Notizen 


die großen Stämme in einem 
ewigen Krieg mit England. Eng⸗ 
land hat es nicht fertiggebracht, dieſe 
Stämme zu unterdrücken, und der Fakir von 
Ipi darf dieſes Jahr auf einen ſechsjährigen 
Kampf gegen England hinweiſen. Daß der 
altersſchwache Ghandi ein Kompromiß mit 
England abgeſch gll hat unb fid augen: 
blicklich der Gunſt bes engliſchen Vizekönigs 
bi nicht viel beſagen. Die jüngeren 
indiſchen Nationaliſten und ihr Führer 
Pandit Javaharlal Nehru haben alles getan, 
um Ghandi von ſeinen anglophilen Ideen 
abzubringen, weil fie mit Recht fürchten, 
daß Ghandi in ſeiner Gefühlsſchwäche ſein 
Land an England verraten könnte. 


Alexander M. Randa: „Europa eroica" 
. Europa). Univerſul⸗Verlag 

ukareſt. 

Ein mutiges Buch in rumäniſcher Sprache, 
das verdient, hier angezeigt zu werden, 
weil es durch feinen Gedankenteichtum und 
die Tiefe ſeiner Planung auffällt. Die ſtaat⸗ 
liche Erneuerung Rumäniens, die im 

ebruar 1938 einſetzte, hat im geiſtigen 

eben kein Gegenſtück gefunden. Im Gegen⸗ 
teil, der rumäniſche Nationalismus, der 
eine reiche Geſchichte hinter ſich hat, iſt ſeit 
dieſem Zeitpunkt arm an Literatur. Er hat 
dem neuen Staatsgedanken keinen geiſtigen 
Inhalt gegeben. Die „rumäniſche Idee“ der 
Gegenwart muß Buch beſchrieben werden. 
Da kommt dieſes Buch, deſſen Grundgedanke 
iſt: daß Rumänien zwiſchen Oſt un Weſt 
eine eigenſtändige Aufgabe hat. Der Ver⸗ 
faſſer ſucht an Hand einer Unterſuchung 
über Faſchismus, Nationalſozialismus, De⸗ 
mokratie, Judentum und andere brennende 
Gegenwartsfragen Rumäniens Platz aus⸗ 
indig zu maden, und findet ihn neben 
en heroiſchen Mächten unferer Zeit — ba: 
mit es in eine weitere Zukunft hinein: 
reiche. Leider hat offenbar der Stift der 
SEU in reichlichem und überflüſſigem 
aße in dem Manuſkript gewütet. Es mate 
ſonſt farbiger und kräftiger geworden. Auch 
das ein Beiſpiel für die Kurzſichtigkeit, die 
heute noch in Rumänien gang und gäbe iſt. 


geg 
Hauptschriftleiter: Günter Kaufmann. 


Anſchrift der Schriftleitung: Reichsjugendführung, Berlin W 35, 
Verlag: Franz Eher Nachf. G. m. b. H., Zentralverlag der NSDAP., Berlin SW 68, 
für den Anzeigenteil: 


hedtonto: Berlin 4454. Verantwortli 
rud: M. Müller & Sohn KG., Münden, 
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jille 
ml 


hrerorgan der nationallozialiſtiſchen Jugend 


ay 


HERAUSGEBER: BALDUR VON SCHIRACH 


dem Inhalt: 
ffai | Einheit der faschistischen Erziehu 
Ludendorfs Ratschläge an Wilhelms Kabineff 


Chamberlain / Englands Politik 


d Wolfgang Möller: Grundsätze im Kriege / Wolfgang Kohte: Deutsch-polir- 
al an der Weichsel / Friedrich Lange: Die neue Lage der Reichshaupe: 
Prof. Olaf Gulbransson: Ein Beistandspakt macht sich bezahlt / Neue Büche 


is Heft 20 Berlin, 15. Oktober 1939 Preis 30 Pf. 


INHALT 


Giuseppe Bottai, ital. Erziehungsminister, Rom: Die Einheit der 


italienischen Erziehung 
Eberhard Wolfgang Möller: Grundsätze im Kriege 
Houston Stewart Chamberlain: England 
. Prof. Olaf Gulbransson: Ein Beistandspakt macht sich bezahlt (Zeichnung) 


Wolfgang Kohte: Deutsch-polnisches Schicksal an der Weichsel 


KLEINE BEITRÄGE 
Ld 
Wilhelm Jung: Ludendorffs Ratschläge an Wilhelms Kabinett 


Friedrich Lange: Die neue Lage der Reichshauptstadt 
NEUE BÜCHER 


KUNSTDRUCKBEILAGE 
9 
Ragimund Reimesch: Mewe an der Weichsel. Marktplatz in Lissa 
Hansvon Kulmbach: Anbetung der Könige, Krakau (Foto: G. Schwarz) 


Hans Dürer: Apostelkopf, Czerwinsk (Foto: Sappok) 


e 


Pille acht 


in der nationallozialiſtiſchen Jugend 


HERAUSGEBER: BALDUR VON SCHIRACH 


Jahrgang 7 Berlin, 15. Oktober 1939 Heft 20 


S. E. Giuseppe Bottai, italienischer Erziehungsminister, Rom: 


Die Einheit der italienischen Erziehung 


Bewußt [telle ich hier die drei erzieheriſchen Einrichtungen: Staat, Partei und 
Schule, nebeneinander, nicht, weil ſie einen Gegenſatz darſtellen, ſondern weil ſie 
von mir und allen italieniſchen Erziehern als eine Einheit empfunden werden. 
Dieſes gemeinſame Empfinden ijt nicht zufällig, ſondern drückt die tiefe ilber- 
zeugung der italieniſchen Erzieher aus, die von dem hohen erzieheriſchen Wert 
dieſer Einheit überzeugt ſind. Sie iſt aber auch gleichzeitig der Ausdruck dafür, daß 
das italieniſche Volk ſeine Art und Weiſe zu denken und zu leben gründlich ge⸗ 
ändert hat. 

Im faſchiſtiſchen Staat hat ſich bereits auf vielen Gebieten des nationalen Lebens 
die entſcheidende Überwindung liberaliſtiſcher Vorſtellungen und Lebensgrundſätze 
vollzogen. So haben wir zum Beiſpiel auf wirtſchaftlichem Gebiet durch die Ein⸗ 
tichtung von Korporationen eine Erziehung zum volkswirtſchaftlichen Denken 
vollbracht. Der volle Erfolg im Erziehungsweſen, wie wir ihn in der Herſtellung 
einer vollftändigen Einheit von Staat, Partei und Schule erblicken, ijt, rein äußer⸗ 
lich betrachtet, ſehr verſpätet eingetreten. Aber wenn dieſer Sieg hier auch weniger 
hervortritt, ſo iſt er doch um ſo gewichtiger und bedeutungsvoller. Er ſtellt den 
poſitiven und glücklichen Abſchluß einer geiſtigen Kriſe und die glückliche Beendi⸗ 
gung eines langen Irrweges dar. Für die Intellektuellen und vor allem für die 
vom Zuſammenbruch ihrer alten Welt überraſchten Lehrer war die Umſtellung von 
heute auf morgen und die innere Bereitſchaft, der neuen geiſtigen Auffaſſung zu 
dienen, natürlich ſchwieriger als für die jungen, im Sturm der Revolution ſelbſt 
geborenen Erzieher. Dieſe Löſung darf aber auch als ein Zeichen für den tief⸗ 
geiſtigen Reifeprozeß ber faſchiſtiſchen Gedankenwelt verſtanden werden. Vor allem 
wäre es tatſächlich nicht möglich geweſen, vom grundſätzlichen Standpunkt aus ge⸗ 
ſehen, ſowohl pädagogiſch wie politiſch die Schul ige insgeſamt zu löſen, da für ſie 
eine neue innere Haltung der Lehrer und Erzieher Vorausſetzung iſt, die ſich der 
Miffion und Aufgabe, die ihnen der faſchiſtiſche Staat geſtellt hat, jederzeit bewußt 
ſind. Will man den zurückgelegten Weg und das Ausmaß der inneren Eroberung 
auf dieſem Gebiet wirklich richtig beurteilen, iſt es erforderlich, ſofern man in der 


2 Bottai / Die Einheit der italienischen Erziehung 


früheren Zeit gelebt unb die völlige Zerſplitterung aller ſtaatlichen Einrichtungen 
mitangeſehen hat, ſich der italieniſchen Schule von einſt zu erinnern. Sie wurde 
als eine vom Leben und vor allen Dingen vom Leben der Nation völlig ab⸗ 
geſchloſſene Einrichtung betrachtet. Sie war eine Anſtalt zur Auf⸗ 
füllung abſtrakten Wiſſens, und nicht etwa zur Vermitt⸗ 
lung wirklicher Kulturgüter, in der allein wir menſchliche Erziehung 
erblicken. Wir ſehen in ihr nur eine literatenhafte Oaſe, von der ſich 
jeder junge Menſch voll ſchmerzlicher Enttäuſchung losriß, um ſich nach ſolch bitterer 
Erfahrung den Kämpfen des Lebens zuzuwenden, auf die man ihn nicht vor⸗ 
bereitet hatte; endlich war ſie eine Schmiede für Zeugniſſe und für Karrieren, 
die die Menſchen entweder aus Laune oder aus Geldgründen wählten, ohne daß 
man ſie ihren wirklichen eigenen Anlagen gemäß ausbildete, wie es im Hinblick 
auf das allgemeine Wohl erforderlich wäre. Die Schule der Vorkriegszeit war rein 
bürgerlich. 

Als der Faſchismus an die Macht gelangte, erkannte ſeine Führung ſofort, welche 
Bedeutung der Schule für die Heranbildung der jungen Generation im faſchiſtiſchen 
Staat zukommen mußte. So leitete er ſchon 1923 eine umfaſſende Neugeſtaltung 
ein, die jedoch angeſichts der politiſchen Unzulänglichkeit der Lehrer und der 
Kompromißloſigkeit der faſchiſtiſchen Lehre und ihrer inneren 
Geſetze ſich darauf beſchränken mußte, eher eine Verordnung und ein Fach der 
bürgerlichen Schule zu ſein als die angeſtrebte wahre Überwindung dieſer Schul⸗ 
einrichtung ſelbſt. Muſſolini ſagte 1925 in einer Lehrerverſammlung entſcheidende 
Worte, durch die er den Erziehern die idealiſtiſche Grundhaltung ihres Berufs⸗ 
ſtandes deutlich machte: „Die Regierung fordert, daß die Schule ſich für den 
faſchiſtiſchen Gedanken begeiſtert, und ſie verlangt ferner, daß dieſe Schule 
nicht feindlich, nicht einmal ablehnend oder neutral der faſchiſtiſchen Ideenwelt 
gegenüberſteht, ſondern die Regierung beſteht darauf, daß die geſamte Schul⸗ 
einrichtung in allen ihren Klaſſen und Unterrichtsformen die italieniſche Jugend 
dahin erzieht, daß ſie die faſchiſtiſche Lehre begreift und bereit iſt, ſich nach ihren 
Geſetzen ihr Leben einzurichten und in dem von der faſchiſtiſchen Revolution ge⸗ 
ſchaffenen Klima ihre Aufgabe zu erfüllen.“ 

In jenem Jahr handelte es ſich noch darum, mit einer von der Schulbehörde 
getroffenen Anordnung ſich auseinanderzuſetzen, die in der Schule die Politik nur 
als Unterrichtsgegenſtand anſehen wollte. Eindeutig erklärte aber im September 
1929 der Duce: „Der Staat hat nicht nur das Recht, ſondern die Pflicht, das Volk zu 
erziehen, und es nicht allein nur zu unterrichten.“ Hier hat er ſichtbar das Problem, 
um das es ging, zu einer Frage der Erziehung des Volkes hervorgehoben. Damit 
ordnet ſich die Schule völlig dem Aufgabenbereich des Staates unter. 

Wenn man überhaupt eine ſolche Tatſache nach Vorteilen und Werten berechnen 
will, ſo möchte ich ſagen, daß von beiden, nämlich Schule und Staat, die Schule es 
geweſen iſt, die den größten Nutzen aus dieſer Einigung zog. Die Schule ſoll auf 
das Leben vorbereiten. Aber auf welches Leben kann ſie anders vorbereiten, 
als auf jenes Leben, bas der junge Menſch eines Tages in feinem Staat führen 
muß? Die Schule nimmt alſo eine lebenswichtige unmittelbare Aufgabe 
bei der Heranbildung des Staatsbürgers ein, der junge Menſch fühlt ſich ſchon 
frühzeitig als ein Glied des Ganzen, ja, er betrachtet den Raum ſeiner Erziehung 
und die Einrichtung der Schule als ſeinen kleinen eigenen Staat, aus dem er ſchon 
morgen als Arbeiter und Bauer, in einem freien Beruf oder als Künſtler hervor⸗ 
treten kann, um in dem größeren Staat der Gemeinſchaft der geſamten Nation 


Bottai / Die Einheit der Italienischen Erziehung 3 


mitzuarbeiten. Und deshalb iit heute der Schüler allgemein nicht nur ein Schüler, 
ſondern ein Balilla, ein Avangardiſt, ein Kleinitaliener, eine Jungitalienerin 
oder ein Jungfaſchiſt. Die Schulorganiſation arbeitet in Verbindung mit den 
übrigen faſchiſtiſchen Organiſationen und erfährt durch ſie eine Bereicherung ihres 
Erziehungsauftrages. So haben die Grundſchulen (scuole elementari) engſte Ver⸗ 
bindung mit den Jugendorganiſationen, die Mittel⸗ und Berufsſchule (avviamento 
al lavoro) mit den Syndikaten und Korporationen zu halten. Auf jeden Fall 
handelt es ſich um Verbindungen, die in das Lehren und Lernen Wirklichkeitsnähe 
bringen. So verliert die Schulerziehung ihre dem Leben abgewandte trockene Art 
und wird das, was ſie ſein muß: Trägerin der ſtaatstragenden Ideen, aus denen 
die Unternehmungen und die Eroberungen des Staates geboren werden. Staat und 
Schule ſtimmen alſo völlig überein, und um das auszudrücken, gibt es keine beſſere 
als die von Muſſolini 1929 abgegebene Erklärung: „Der Staat erzieht ſeine 
Bürger zur ſtaatsbürgerlichen Tugend, er läßt ſie ihrer Aufgabe bewußt werden, 
er ruft ſie zur Einigung auf und bewegt ſie, ihre perſönlichen Intereſſen mit den 
allgemeinen Intereſſen in Übereinſtimmung zu halten, überträgt die Errungen⸗ 
ſchaften menſchlicher Erfindungsgabe auf die Lehre, auf die Kunſt, auf das Recht, 
in das menſchliche Verantwortungsbewußtſein und bringt bie Menſchen vom 
primitiven Leben einzelner Stämme zu der höchſten menſchlichen Machtentfaltung, 
die das Imperium bedeutet.“ 


Die Übereinſtimmung von Staat und Schule bedeutet auch gleichzeitig Überein⸗ 
ſtimmung von Schule und Partei. Obſchon Staat und Partei organiſatoriſch geſehen 
verſchiedenartige Funktionen ausüben, ſind ſie doch geiſtig nicht zu trennen oder gar 
gegenüberzuſtellen. Ehe man eine Einordnung der Schule vornahm, war es eben 
notwendig, Dinge und Menſchen heranreifen zu laſſen. Da die Haltung der Lehrer 
durch den Zuſammenbruch ihrer alten geiſtigen Welt reſerviert war und, ich möchte 
nicht ſagen die Zuſtimmung, aber doch ihre entſchiedene und begeiſterte Mitarbeit 
fehlte, konnte durch irgendeine Schulreform ein zufriedenſtellendes Ergebnis nicht 
erhofft werden. Während ſich im Leben der Nation große Ereigniſſe vollzogen und 
überſtürzten, wie etwa die Schaffung des Korporationsſyſtems, die Bildung der 
Opera Nazionale Balilla und [pater der italieniſchen Liktorenjugend und ferner 
die Eroberung des Imperiums, war es hier notwendig, die Unvollkommenheit der 
alten Erziehungseinrichtungen von ſelbſt offenbar werden zu laſſen und erſt auf 
Grund von Erfahrungen den Weg zu den erforderlichen Verbeſſerungen einzu— 
ſchlagen. So erreichten wir die gründliche und ſaubere Vorbereitung einer voll⸗ 
ſtändigen Revolutionierung, durch die ein möglicher Gegenſatz zwiſchen der neuen 
Ideenwelt und ihren neuen jungen Menſchen zu den überwundenen Einrichtungen 
und Gedanken vermieden werden konnte. Und um nun eine Einrichtung weſentlich 
individuellen Charakters durch eine völlig politiſche zu erſetzen, ſchufen wir die 
„Carta della Scuola“. Sie legte zum erſtenmal Aufgaben, Ziele und Unterrichts⸗ 
weiſe der faſchiſtiſchen Schule feſt: „In der ſittlichen, politiſchen und wirtſchaftlichen 
Einheit der italieniſchen Nation, die im faſchiſtiſchen Staatsweſen verkörpert iſt, 
bildet die Schule die erſte Stufe der Gemeinſchaft aller ſozialen Kräfte, von der 
Familie angefangen bis zur Korporation und bis zur Partei. Sie erweckt in einer 
neuen Generation das faſchiſtiſche politiſche Gewiſſen. Die Schule ſoll, indem ſie 
die jungen Menſchen in ihrer Einrichtung zur Reife gelangen läßt, die ewigen 
Werte der italieniſchen Raſſe und ihrer Kultur der jungen Nation bewußt werden 
laſſen. Sie ſoll die Zukunft Italiens durch ihre Erziehung auf die beruflichen Auf⸗ 
gaben dieſer Zukunft, auf das Handwerk, auf die freien Künſte, auf die Wiſſenſchaften 


4 Möller / Grundsätze im Kriege 


und auf den ſoldatiſchen Beruf vorbereiten. Die Grundlagen der faſchiſtiſchen 
Schulerziehung finden, rechtlich geſehen, ihre Beſtätigung in einer dem bürgerlichen 
Schulideal völlig entgegengeſetzten Auffaſſung: der Beſuch der Schule (servizio 
scolastico), der bisher wenigſtens formell freiwillig war und durch alte Schul⸗ 
verfaſſungen ſogar als ein Privileg beſtimmter ſozialer Schichten aufgefaßt wurde, 
wird ein Dienſt, eine zwiſchen der eigentlichen Schule und den Jugendorganiſationen 
geteilte Miliz, die alle Kräfte und die Einſatzfreudigkeit der jungen Generation 
für Staat und Nation mobil macht. 

In der faſchiſtiſchen Verfaſſung, ſo beſtätigt die zweite Erklärung der Carta, 
fallen das politiſche und das ſchulmäßige Alter zuſammen. Schule, GIL und GUF 
bilden gemeinſam ein einheitliches Mittel faſchiſtiſcher Erziehung. Die Verpflich⸗ 
tung, ſie zu beſuchen, ſetzt der Schuldienſt feſt, der die Jugend bis zum 21. Lebens⸗ 
jahr bindet. Dieſer Dienſt beſteht im Beſuch der Schule und der GIL vom 4. bis 
14. Lebensjahr und wird in der GIL bis zum 21. Lebensjahr für alle jene, die nicht 
ſtudieren, fortgeführt. Die Studenten müſſen der GUF angehören. Ein Perſonal⸗ 
ausweis beſtätigt den vollendeten Schuldienſt. Hieraus geht klar hervor, daß man 
im faſchiſtiſchen Staat zwiſchen Schule und Partei keinen wirklichen weſensmäßigen 
Unterſchied machen kann. 

Ein Unterſchied zwiſchen den Funktionen der Partei und der Schule iſt nur formell 
und organiſatoriſch zu erkennen, und in einem ſolchen Fall ſpricht man mit Recht 
von verſchiedenen Pflichten, Amtern und Kompetenzen in der Erziehung und 
Schulung der Jugend und daher auch von lebendiger und eifriger Mitwirkung. 
Wenn man aber das geiſtige Fundament unſerer Erziehung und die Werte, von 
denen ſie ausgeht, überblickt, ſo iſt es nicht mehr erforderlich, eine Beeinträchtigung 
von Kompetenzen in der Zuſammenarbeit zu ſehen, wohl aber von einer grund⸗ 
legenden Einigung oder beſſer geſagt von einer unlösbaren Einheit unſeres Er⸗ 
ziehungsweſens zu ſprechen. 


Eberhard Wolfgang Möller: 
Grundsätze im Kriege 


Alle Kriege werden gegen den Feind in uns gewonnen, Feigheit, Kleinmut. 
Bequemlichkeit und Leichtsinn. Es liegt immer an der eigenen Schuld, wenn ein 
Volk besiegt wird. 

Nicht nur am Angriff erkennt man die tapfere Gesinnung; was ein Mann ist, 
zeigt sich in der Verteidigung. 

Nicht der Väter, der Kinder soll man sich würdig zeigen. 

Es gibt wohl Völker, die sich rühmen, nie die letzte Schlacht zu verlieren. 
Aber doch nur so lange, wie es die anderen nicht verstehen, die erste Schlacht 
zu gewinnen. 

Die Kinder sind die ersten, denen man klarmachen soll, warum gekämpft und 
gestorben sein muß; denn um sie werden alle Kriege geführt. 

Wenn die Frauen vor Tränen, die Kinder vor Hunger entkräftet sind. ist der 
Krieg entschieden. Denn es kommt nicht auf die Geschütze an, sondern auf den 
Willen, der sie bedient. 

Die Tugenden der Deutschen sind ihre Phantasie und das Herz, mit dem sie alle 
Dinge tun. Aber sie schämen sich dieser Tugenden, daher werden sie ihnen oft 
zum Verhängnis. 


yssaunay punwiey uoa Sunuygowzo[qoy 


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ing von Ragimund Reimesch 


platz in Lissa (Posen): 


“Cichm 


e... 


Houston Stewart Chamberlain: 


England 


In den Monaten September und Oktober des Jahres 1914 erschienen in einigen 
deutschen Zeitungen und Zeitschriften die Kriegsaufsätze des großen englischen 
Geschichtsphilosophen Chamberlain, dessen Werk über die Grundlagen des 
19. Jahrhunderts in der ganzen Welt „ und Anerkennung hervorgerufen 
hatte. In zweiter Ehe mit Richard Wagners Tochter Eva verheiratet, lebte der 
große d und Freund Deutschlands in Bayreuth. Sein heute fast ver- 
gessenes Urteil über den Charakter der Engländer und Englands Politik ist 
nicht verdächtig, von den ebenso verleumdeten wie gefürchteten Lehren des 
Nationalsozialismus vergiftet worden zu sein. Wir benötigen 1939 auch absolut 
keine neue antibritische Propaganda. Wir brauchen nur die Wahrheiten ge- 
schichtlicher „„ und Bekenntnisse, wie sie dieser große Geist 
hinterlassen hat, unserer Zeit ins Gedächtnis zurückzurufen. 

Nicht minder fehlt in England die Möglichkeit zu einer Volksarmee, zu jener 
gewaltigen ſittlichen Schöpfung, die man das Rückgrat des heutigen Deutſchlands 
nennen kann. Denn das deutſche Heer beſäße nicht dieſe ungeheure moraliſche 
Kraft, wenn ſich nicht in ihm die unbedingte Einheit aller Kräfte der Nation 
betätigte und beſpiegelte: von des Kaiſers Majeſtät an der Spitze bis zu dem 
jüngſten Bauernrekruten, alle bilden eine einzige Familie, jeder iſt jedem ein 
Kamerad, ſie alle eint der Gehorſam, eint die Pflicht, eint die Liebe zum Vater⸗ 
land. Ehe die Armee entſtehen und die Einheit Deutſchlands zu höchſter Macht 
ausgeſtalten konnte, mußte die moraliſche und geiſtige Einheit da ſein, eine ſolche 
Armee zu wollen und zu ſchaffen. Dieſe fehlt in England. 


In England wiſſen die zwei Hälften des Volkes — die kleine und die große — 
nichts voneinander, gar nichts. Ich kann zwanzig Jahre lang einen Diener haben 
und weiß nicht mehr von ihm und über ihn als von der Seele meines Spazier⸗ 
ſtocks; der Stolz des Engländers, der nicht zur oberen Kaſte gehört, iſt ſeine Un⸗ 
nabbarfeit; er will nicht gefragt werden, er will nicht ſprechen, er wünſcht nicht 
„Guten Morgen“ und „Gute Nacht“, begegnet er ſeiner Herrſchaft auf der Straße, 
geht er auf die andere Seite hinüber, um nicht grüßen zu müſſen. Was für eine 
Kameradſchaft kann es da zwiſchen Offizier und Soldat geben? Woher ſoll die 
Einheit kommen? Es iſt und bleibt das Verhältnis eines Adligen, der Menſchen 
aus einer anderen Welt Befehle gibt und Gehorſam durch feine angeerbte ilber» 
legenheit erzwingt. 

Nebenbei geſagt, iſt der Engländer aus dem Volke von jeher durchaus 
unkriegeriſch. Die Plantagenets hatten viele Kriege in Frankreich und 
zeichneten ſich im Heiligen Lande aus; doch außer dem Adel bekamen ſie in Eng⸗ 
land keine Soldaten; Green — der bekannte Geſchichtsforſcher — ſchreibt: „Um 
Kriege und Kreuzzüge kümmerte ſich die Bevölkerung Englands gar nicht; an 
ihren Königen ſchätzte ſie das eine, daß ſie der Inſel dauernden Frieden ver⸗ 
ſchufen.“ Und das blieb ſo bis auf den heutigen Tag, wo die engliſche Armee zum 
überwiegenden Teil aus keltiſchen Iren und keltiſchen Schotten beſteht; die eigent⸗ 
lichen Engländer laſſen ſich nicht anwerben. In den engliſchen Schlachten der Ver⸗ 
gangenheit haben wohl Engländer aus dem Adel befehligt, doch die Heere be⸗ 
ſtanden aus fremden Söldnern, zumeiſt aus deutſchen. Die Schlachten in Indien 


6 Chamberlaln / England 


find von Anfang an der Hauptſache nach von indiſchen, nicht von engliſchen Gol: 
daten geſchlagen worden; ein Fünftel Engländer war die geſetzlich beſtimmte 
Norm und dieſe „Engländer“ waren, wie geſagt, zumeiſt Iren. 

Die köſtlichen Schilderungen der Anwerbung von Soldaten in England, die wir 
Shakeſpeare verdanken, ſind jedem gebildeten Deutſchen aus Heinrich IV., zweiter 
Teil, vertraut; in den Briefen des engliſchen Geſandten in Venedig, Sir Henry 
Wotton, wird man aus der ſelben Zeit eine ergötzliche hiſtoriſche Beſtätigung 
finden. Anfangs 1617 will England der Republik gegen Spanien beiſtehen. Die 
Dienſte eines ſchottiſchen Grafen, welcher Soldaten aus Schottland und Irland 
mitbringt, nimmt der Doge an, doch für die angebotenen engliſchen Streitkräfte 
bedankt er ſich, „er habe von ihnen keine hohe Meinung und wiſſe, wie ſehr ihre 
Kampfluſt von den drei B's abhänge — Beef, Bier und Bett!“ Dann ſchlage man 
in von Noordens „Spaniſchem Erbfolgekrieg“ nach; man wird ſehen, daß 1708 
England ſich entſchließen muß, „dem von Jahr zu Jahr empfindlicheren Mangel 
an engliſchen Rekruten auf geſetzgeberiſchem Wege abzuhelfen“. Es iſt immer 
dieſelbe Geſchichte: 1200, 1600, 1700 und 1900; ich könnte mit Dutzenden von Be⸗ 
legen dienen. Die Inſellage allein genügt nicht zur Erklärung; unter unſeren 
Augen hat das Inſelreich Japan eine formidable Volksarmee ausgebildet. Ich 
bin überzeugt, die wahre Urſache iſt in jener „Begebenheit“ der Raſſenmiſchung, 
gefolgt von geſellſchaftlicher Spaltung, zu ſuchen; ſpäter dann vermehrt noch durch 
die „Wendung“, von der ich gleich ſprechen werde. 

Zur Ergänzung ſei noch erwähnt, daß die Theorie, England brauche keine größere 
Armee unb folle beileibe keine ausbilden, [hon frühzeitig die Praxis unter[tübte; 
kein Staatsmann wurde — und wird wohl noch heute — höher von ſeinen Lands⸗ 
leuten geachtet als Lord Bolingbroke; weit über ſein Leben hinaus blieb er der 
Prophet des beſonderen Entwicklungslaufes des modernen Englands; mitten 
unter den Siegen der Königin Anna führt nun Bolingbroke in ſeinen „Bemer⸗ 
kungen über die Geſchichte Englands“ aus, England ſolle eine große Flotte be⸗ 
ſitzen, nicht aber eine ſtehende Armee; denn dieſe „bringe die Inſel dem Feſtlande 
zu nahe“, wogegen es Englands Intereſſe ſei, die Kontinentalmächte ſich gegen⸗ 
ſeitig bekriegen zu laſſen, „ohne ſich zu tief einzumiſchen“; eine Armee würde 
„große ökonomiſche Unzuträglichkeiten mit ſich führen und zugleich Gefahren“. 

Nur kurz ſei noch ein Drittes erwähnt: die geſamte Geſetzgebung Englands — 
der Staat, ſeine Konſtitution, ſeine Politik — iſt das Werk der einen geſellſchaft⸗ 
lichen Schicht nur, ohne jede wahre Beteiligung der anderen. Hobbes, der Auf⸗ 
richtige, geſteht es: „Das Parlament hat nie die ganze Nation vertreten.“ Der 
ſpringende Punkt wäre doch die Reformation; denn überall bildet die Religion 
das innerſte Rad aller Politik; und was finden wir hier? Diejenigen Engländer, 
die ſich im Ernſte von Rom losriſſen, mußten das Vaterland bald fliehen und ſich 
in den Wüſteneien Nordamerikas die Gewiſſensfreiheit ſuchen; hingegen die Los⸗ 
löſung der Staatskirche als eine rein politiſche Maßregel erfolgte, vom ſehr ab⸗ 
ſolutiſtiſch regierenden Heinrich VIII. faſt ohne Befragen des Parlaments be⸗ 
ſtimmt, die Bevölkerung Englands hatte ſich „römiſch⸗katholiſch“ ſchlafen gelegt 
und erwachte am nächſten Morgen „anglikaniſch“. Es gehört zu den Dingen, die 
mich immer gereizt haben, das Gerede über die politiſche Freiheit Englands: hat 
es fid) doch von Anfang ber Geſchichte bis jetzt nur um die Freiheit einer 
Kaſte gehandelt. 


Dë E £99 ee E JF m, De 7s 


Zeichnung: Prof. Olaf Gulbransson 


Ein Beistandspakt macht sich bezahlt! 
Kein Brite gestorben, aber einen Goldschatz und drei Kreuzer für das Empire gewonnen 


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8 ` Chamberlain / England 


Athen hatte Muße frei zu fein, weil den 20 000 freien Bürgern 400 000 Sklaven 
dienten; England hat ſich den Luxus eines ſogenannten freien Parlaments leiſten 
können, weil dieſes Parlament ganz und gar in den Händen reicher 
Leute war, denen das Regieren Luſt und Leben bedeutete. Ein in Deutſchland 
viel zu wenig bekannter Schriftſteller, Thomas de Quincy, eine der reichſten 
Begabungen an Geiſtesſchärfe, Wiſſen, Gedächtnis, Federkraft, die England je 
hervorgebracht — zeigt, daß die Erweiterung des Einfluſſes und der Befugniſſe 
des Unterhauſes ſeit zirka 1600 nicht etwa einem Aufleben der Volkskraft zu⸗ 
zuſchreiben ſei, ſondern der Vermehrung des Kleinadels, alſo der von jüngeren 
Söhnen herſtammenden Familien; dieſe haben nach und nach den großen Feudal⸗ 
adel und die Biſchöfe beiſeite gedrängt. Sehr klug war es vom Parlament, auch 
dem Volke Rechte zu ertrotzen: Das hat es gegen den König geſtärkt und ihm er⸗ 
laubt, denjenigen zu enthaupten, der ſich von der herrſchenden Kaſte nicht wollte 
dreinreden laſſen; nicht weniger blutig hat es aber jedes Volksgelüſt nach Macht 
zu unterdrücken gewußt. | 

Auch heute, wo die Wahlberechtigung derart erweitert ift, daß bedeutende Teile 
des unvornehmen Volkes mitreden, behauptet ſich noch immer die alte Gewalt⸗ 
tätigkeit der herrſchenden Klaſſe; mancher Leſer wird Dickens' Schilderung einer 
Parlamentswahl aus „Pickwick“ kennen. Ich ſelber kann ſie aus ſpäterer Zeit 
beſtätigen. Am Tage der Wahl brachte früh in die kleine Provinzſtadt, wo ich 
weilte, ein Extrazug 400 „roughs“, das heißt rohe Männer, unheimliche Kraft⸗ 
geſtalten mit frechen oder verbrecheriſchen Phyſiognomien aus der nächſten Fabrik⸗ 
ſtadt, ein jeder mit einem gewaltigen Knüppelſtock verſehen. Das war die von der 
konſervativen Partei engagierte Garde; an und für ſich ging dieſe Männer die 
Wahl in einer fremden Stadt nichts an, ſie waren aber dazu da, um unangenehme 
liberale Wähler einzuſchüchtern und — wenn das nicht genügte, ihnen den Schädel 
einzuſchlagen. Gottlob war der liberale Ausſchuß auch nicht faul geweſen, und 
kurz nachher trafen 300 noch unheimlichere Geſellen aus einer anderen Gegend ein. 
Den ganzen Tag über wurde nun gejohlt, geprügelt, die Wähler aus den Wagen 
bei den Füßen herausgezogen, die Redner mit faulen Eiern ins Geſicht beworfen uſw. 
Eine eigentümliche Auffaſſung von der Freiheit der politiſchen 
Meinung und des Wahlrechts! Abends erfuhr ich's noch am eigenen 
Leibe. Denn ich war damals Schüler in einem „College“ und von den 80 Inſaſſen 
des Lehrerhauſes der einzige, der die liberalen Farben trug und ſich dadurch zu 
Gladſtone bekannte; auch die Bitten der Lehrer vermochten mich nicht, die Farben 
meiner Geſinnung abzulegen und Disraelis ans Knopfloch zu heften; ſo fiel 
denn auf einmal die ganze Meute über mich her, warf mich zu Boden und 
verprügelte mich, bis Lehrer und Diener zu Hilfe eilten. Ich habe an jenem 
Tage — 46 Jahre ſind es her — mehr über engliſche Verfaſſung und engliſchen 
Freiheitsbegriff gelernt als ſpäter aus den Büchern von Hallam und Gneiſt. 

Es ſtehen ſich in der Politik Englands zwei Roheiten gegenüber und ergänzen 
fi: Die rohe Gewalttätigkeit der ans Herrſchen gewöhnten Klaſſe unb bie Grund: 
roheit der gänzlich unkultivierten Maſſe, die, wie oben dargelegt, nirgendswo 
mit etwas Höherem Fühlung gewinnt. 

Alle dieſe Erſcheinungen gehen auf jene Begebenheit zurück, die als jähe Ge⸗ 
walttat im Jahre 1066 die [hone Kultur des angelſächſiſchen Staates vernichtete 


— 


— 4 


Chamberlain / England 9 


und das Königreich „England“ ſchuf. Ich bin der Meinung: Englands Aufſchwung 
und Englands Niedergang wurzeln beide hier. 
* 


Schon längſt iſt John Robert Seeley, in ſeinem klaſſiſchen Buche „The Expansion 
of England“, gegen die Legende aufgetreten, als ſeien die Engländer von Hauſe 
aus kühne Seefahrer, nach Art der Wikinger und der frühen Normannen. Das 
Gegenteil iſt wahr. Es hat viel Mühe und viel Zeit gekoſtet, den Engländern 
Geſchmack fürs Waſſer beizubringen. Seeley macht zugleich aufmerkſam, daß die 
Engländer in Wirklichkeit gar keine Eroberer ſind: Kolonien haben ſie gegründet, 
wo die Länder leer ſtanden oder nur von nackten Wilden bewohnt waren; andere 
haben ſie von Holländern, Franzoſen, Spaniern durch Verträge ergattert — oder 
aber, wie zum Beiſpiel Malta, durch Vertragsbruch. Indien iſt durch indiſche Trup⸗ 
pen unterworfen worden; niemals hat England mit Waffengewalt Eroberungs⸗ 
züge unternommen, wie die Spanier und Franzoſen. Der Engländer führt nicht 
wie Alexander oder Cäſar um des Ruhmes willen Krieg. „Für England“, 
ſagt Seeley, „ift ber Krieg eine Induſtrie, eine der möglichen 
Arten reich zu werden, das blühendſte Geſchäft, die einträg⸗ 
lichſte Geldanlage.“ Man mag das loben oder nicht: daß die Engländer 
keine Soldaten ſind und auch nicht kühne, verwegene Seefahrer, ſondern einzig 
und allein durch den Handel aufs Waſſer gelockt wurden: Handel im Frieden, 
Handel durch Krieg; Armee und Marine, beide nicht zur Verteidigung und 
Stärkung der Heimat, ſondern zur Beförderung der in allen Weltteilen be⸗ 
triebenen Bereicherung; ſicherlich tüchtig und tapfer, doch nicht der Ausdruck einer 
nationalen Not und einer moraliſchen Idee. 


* 


Zum allererſten Male in der Geſchichte ſegelten Juli 1518 ſieben engliſche 
Kriegsſchiffe ins Mittelländiſche Meer ein, als beſcheidener Beſtandteil einer 
mächtigen holländiſchen und venezianiſchen Flotte (Corbett: England in the 
Mediterranean). Jetzt hatte England die neue Weltlage und die Gelegenheit, die 
ſie gerade ihm zur Bereicherung bot, erkannt. Alles Problematiſche war ja ſchon 
von anderen geleiſtet: der Oſt⸗ und der Weſtweg entdeckt, die Neue Welt auf⸗ 
geſchloſſen, Indien zugänglich, mit China Fühlung gewonnen, jetzt hieß es nur 
zugreifen nach der Moral des Mephiſtopheles: 

Man fragt ums Was? und nicht ums Wie? 
Ich müßte keine Schiffahrt kennen: 
Krieg, Handel und Piraterie, 

Dreieinig find fie, nicht zu trennen. 

Hiermit iſt die nun einſetzende Politik Englands genau bezeichnet: Krieg, 
Handel und Piraterie. 

Sobald ſich England auf den überſeeiſchen Handel legt, iſt gleich der Haß da: 
und zwar als erſtes der Haß gegen die deutſche Hanfa; wer Näheres erfahren 
will, braucht nur in Schanz: „Engliſche Handelspolitik“, nachzuſchlagen. Sofort 
iit auch das Räuberweſen da: ohne Krieg zu erklären, fällt England wie 
ein Geier auf das nichts ahnende ſpaniſche Jamaica und gründet ſo ſein weſt⸗ 
indiſches Reich. Lange Zeit hindurch beſchränkt ſich Englands „Kolonialtätigkeit“ 
darauf, auf offenem Meere die ſpaniſchen Galeonen abzufangen, die mit Gold 


10 Chamberlain / England 


und koſtbaren Waren beladen heimfahren. Überhaupt wächſt das Kauffahrtei 
treibende England überall an den anderen Nationen empor und wird dann 
durch deren Vernichtung groß und größer. Die Piraterie geht voran; an ihr 
blüht der Handel auf; Krieg macht man, wo es nicht anders geht, doch immer 
eingedenk der „Island policy“ Lord Bolingbrokes. Erſt verbindet ſich England 
mit Holland, um Spaniens Kolonialreich zu vernichten, dann mit Frankreich, um 
Holland den Lebensnerv zu durchſchneiden, dann erſpäht es, wie genial der 
große Franzoſe Dupleix das indiſche Problem erfaßt hat, macht's ihm nach und 
hetzt die Inder gegen die Franzoſen, die dort friedlich ihren Handel trieben, 
dann die Inder gegen die Inder, bis es zuletzt — wie Seeley ſagt — „ohne 
Eroberung“ eines der größten Reiche der Welt ſich unterworfen hat. An der 
Schwelle des 19. Jahrhunderts urteilt der milde und zugleich unbeirrbar ſcharf 
blickende Kant, England ſei „der gewaltſamſte, kriegerregendſte Staat“. 


Wie gottverlaſſen amoraliſch das Volk unter dem Einfluß dieſes neuen Geiſtes 
bald wurde, das möge ein einziges Beiſpiel vor Augen führen. Wie werden in 
engliſchen Schulen die Schlachten gefeiert, die Marlborough mit ſeinen deutſchen 
Soldaten gewann! Was war nun ihr wahres Ziel und ihr Erfolg? England das 
Monopol des Sklavenhandels zu ſichern! Lecky, der Verfaſſer der großen „Geſchichte 
Englands im 18. Jahrhundert“, ſagt, nach den Utrechter Friedensverträgen (1713) 
habe der Sklavenhandel „den Mittelpunkt der ganzen engliſchen Politik“ ausgemacht. 
Solange dieſer Handel einträglich blieb, betrieben ihn die Engländer; Liver: 
pool 3. B. iſt nicht durch ſeine Induſtrie, ſondern durch 
das Erjagen und Verſchachern unſeliger Millionen von 
Schwarzen groß geworden. Der patriotiſche Geſchichtsſchreiber Green 
bezeugt wörtlich: „Die entſetzlichen Grauſamkeiten und die Ruchloſigkeit dieſes 
Handels, der Ruin Afrikas und die Zerſtörung der Menſchenwürde erregten bei 
keinem Engländer Mitleid.“ Dann allerdings geht Green über zur Schilderung 
der Bemühungen einzelner Philanthropen; doch vermochten dieſe jahrzehntelang 
gar nichts; das Parlament blieb taub, die Kaufleute waren empört .... bis zu 
dem Tage, wo eine neue Situation dieſen Handel unerwünſcht ſcheinen ließ und 
nun unter widerlich heuchleriſchen Beteuerungen von Hu⸗ 
manitát und von Englands Miſſion, allen anderen Völkern leuchtend 
voranzugehen uſw., der Sklavenhandel geſetzlich abgeſchafft wurde. Hierüber ſind 
wir ſo glücklich, das klare, unvergängliche Urteil Goethes zu beſitzen: „Jeder⸗ 
mann kennt die Deklamationen der Engländer gegen den Sklavenhandel, und 
während ſie uns weismachen wollen, was für humane Maximen ſolchem Verfahren 
zugrunde liegen, entdeckt ſich jetzt, daß das wahre Motiv ein reales Objekt ſei, 
ohne welches es die Engländer bekanntlich nie tun und welches man hätte wiſſen 
ſollen. An der weſtlichen Küſte von Afrika gebrauchen ſie die Neger ſelbſt in ihren 
großen Beſitzungen, und es iſt gegen ihr Intereſſe, daß man ſie dort ausführe. In 
Amerika haben ſie ſelbſt große Negerkolonien angelegt, die ſehr produktiv ſind und 
jährlich einen großen Ertrag an Schwarzen liefern. Mit dieſen verſehen ſie die 
nordamerikaniſchen Bedürfniſſe, und indem ſie auf ſolche Weiſe einen höchſt ein⸗ 
träglichen Handel treiben, wäre die Einfuhr von außen ihrem merkantiliſchen 
Intereſſe ſehr im Wege, und ſie predigen daher nicht ohne Objekt gegen den 


inhumanen Handel.“ 
* 


Chamberlain / England 11 


Mit Beſtimmtheit glaube id) behaupten zu dürfen, bie Kataſtrophe des völligen 
Niedergangs der engliſchen Heiterkeit, der engliſchen Weisheit, der engliſchen 
Redlichkeit (denn auch diefe war in früheren Zeiten ſprichwörtlich) ift dem Umſtand 
zuzuſchreiben, daß die Wendung zu Krieg, Handel und Piraterie ein Volk traf in 
jener eigenartigen, zwielpältigen Zuſammenſetzung. Alle Kultur — Religion, Schule, 
Heer, Kunſt, Geſetzgebung, Lebensgewohnheiten — ſetzt, wohlbetrachtet, Einheit 
voraus, ſobald ſie eine ganze Nation durchdringen ſoll, in der Weiſe durchdringen, 
daß jeder einfachſte Menſch etwas davon abbekommt; was damit geſagt wird, 
wiſſen wir in Deutſchland genau und brauche ich darum nicht zu ſchildern; in Eng⸗ 
land weiß man nichts davon. Sobald der brave angelſächſiſche Bauer zum Piraten 
umgewandelt war, da ſtand die blonde Beſtie da, wie ſie der deutſche Philologe in 
ſeinem Wahnſinnstraum erblickte; und ſobald der „verfeinerte“ Adelige des 
15. Jahrhunderts die „geiſtigen Intereſſen“ verloren hatte und nach Gold lüſtern 
geworden war, da ſtand der herzloſe Sklavenhändler da, der ſich von dem ſpaniſchen 
Gewaltmenſchen einzig durch die Heuchelei unterſchied. Nichts Noheres gibt es auf 
der Welt, als einen rohen Engländer; er beſitzt gar keinen anderen Halt 
als eben ſeine Roheit. Meiſtens iſt er kein ſchlechter Menſch; er hat 
Offenheit und Energie und Lebensmut; er iſt aber ignorant wie ein Kaffer, 
macht keine Schule des Gehorſams und der Ehrfurcht durch, 
kennt kein anderes Ideal als „to fight his way through“, ſich durchzukämpfen. 
Dieſe Roheit hat nach und nach von unten bis oben — wie das ſtets der Fall 
iſt — faſt die ganze Nation durchtränkt. 


Noch vor 50 Jahren galt es für einen Verſtoß gegen die Standeswürde, wenn 
ein dem Adel Angehöriger ſich an Induſtrie, Handel und Finanz beteiligte; heute 
iſt das Haupt des älteſten und größten Hauſes von Schottland, Schwager des 
Königs, Bankier! Söhne von Grafen und Herzögen entſchwinden aus der 
Geſellſchaft; man fragt nach ihrem Verbleib: „Oh, he's making his heap!“ er 
ſcharrt ſich ſeinen „Haufen“ zuſammen, das heißt ſeine Million, wo und wie, das 
wird nicht gefragt und nicht geſagt, plötzlich taucht er als reicher Mann wieder auf, 
und da iſt alles wieder gut. Inzwiſchen hatte ſich aber in der oberen Kaſte eine 
andere Art von Verrohung durchgeſetzt, die in politiſcher Beziehung noch bedenk⸗ 
licher iſt: bei äußerlich gleichbleibender guter Geſittung und zartem Anſtand hat 
der moraliſche Kompaß „ſeinen Norden verloren“; die Verſuchung nachun⸗ 
geheurer Macht auf Grund von ungemeſſenen Schätzen iſt zu 
ſt ark gewefen; im Adel und den ihm verwandten Kreiſen 
wußte man bald nicht mehr zwiſchen Recht und Unrecht zu 
unterſcheide n. Derſelbe Mann, der im Privatleben nie von dem ſkrupulöſeſten 
Anſtand abgewichen wäre, beging im vermeintlichen Intereſſe ſeines Vaterlandes 
jedes Verbrechen. Die Propheten unter uns — ein Burke, ein Carlyle, ein 
Ruskin — haben ſchon ſeit 100 Jahren und mehr auf die erſchreckende Abnahme 
der Wahrheitsliebe — einſt in England ſo einzig heilig gehalten! — aufmerkſam 
gemacht. 

Das iſt das heutige politiſche England, wie Burke es vor⸗ 
aus verkündet hatte: Hehler, Heuchler, Lügner, Falſch⸗ 
ſpieler. Bitter tröſtet fid) Ruskin: „Sorgen wir uns nicht um dieſes 
England; in hundert Jahren zählt es zu den toten Nationen.“ 


12 Kohte / Deutsch-polnisches Schicksal an der Weichsel 


Auch ich glaube nicht an die ungeheure Kraft Englands, von der wir fo viel hören; 
wahre Kraft kann nur im Moraliſchen wurzeln; der einzelne Engländer 
iit tapfer und tüchtig, der Staat „England“ ift morſch bis auf 
die Knochen; man faſſe nur feſt zu. 


Deutſchland iſt nun ſo gänzlich anders geartet, daß es England — das heutige 
politiſche England — ſeit Jahren gar nicht verſtand und ſich immer von neuem 
von ihm irreführen ließ; faſt fürchte ich, es geſchieht in Zukunft nicht minder; das 
könnte verhängnisvoll werden. Darum mußte ich Engländer den Mut haben, die 
Wahrheit zu bezeugen. Uns alle kann einzig ein ſtarkes, ſieg⸗ 
reiches, weiſes Deutſchland erretten. 


Wolfgang Kohte: 


Deutsch- polnisches Schicksal an der Weichsel 
Ein geſchichtlicher Abriß deutſcher Sendung in Polen 


Keines anderen Volkes Siedlungsboden iſt ſo eng mit dem deutſchen verzahnt 
wie der des polniſchen Volkes; kaum eine andere Sprache zeigt ſo viele Lehn⸗ und 
Fremdworte aus dem Deutſchen wie die polniſche; kaum ein zweites Volk außer 
den Tſchechen hat in Staat und Recht, Kunſt und Wiſſenſchaft, Siedlung und Wirt⸗ 
ſchaft P ſtarke Einwirkungen von Deutſchland her erfahren wie das polniſche. 
Doch iſt das Verhältnis zwiſchen Deutſchland und Polen nicht allein von dieſer 
breiten und tiefgehenden Friedensarbeit beſtimmt worden, ſondern ebenſoſehr von 
einem Gegenſatz, der ſich in manchen Zeiten zu haßerfüllter Feindſchaft des Emp⸗ 
fangenden gegen den Gebenden geſteigert und der in weiteſten Kreiſen des 
e SE "à fes das Bild bes deutſchen Nachbarn zu einer verzerrten Fratze ums 
geſtaltet hat. 


Als Polen vor nahezu 1000 Jahren in die ſchriftlich überlieferte Geſchichte ein⸗ 
trat, waren ſeine Staatsverfaſſung wie ſein Herrſcherhaus aller Wahrſcheinlichkeit 
nach e Hd. Urſprungs. Eine ganze Reihe von Anzeichen deutet darauf 
hin, daß Wikinger wie andere Staaten, ſo auch den polniſchen begründet haben. 


In den letzten Regierungsjahren Ottos d. Gr. wurde dann den Polen aus dem 
germaniſchen Weſten das Chriſtentum gebracht: die erſten Biſchöfe in Polens 
älteſtem Bistum, Poſen, waren Deutſche. Im Jahre 1000 hat Kaiſer Otto III. 
den Polen ſogar ein eigenes Erzbistum in Gneſen gegründet. Er hoffte damals, 
e durch diefe und ähnliche Maßnahmen feſter ans Reich binden zu können. 

ennoch kam es ſchon wenige Jahre ſpäter zu langwierigen Kämpfen, da das er⸗ 
ſtarkende Polen unter Boleslaus dem Tapferen nach Weſten über die alten 
Grenzbefeſtigungen der Pommern und der wendiſchen Liutizen an der Netze⸗Warthe⸗ 
Linie bzw. an der mittleren Oder kriegeriſch ausgriff und dabei in der Lauſitz an 
ein Gebiet taſtete, das ſchon ſeit zwei Menſchenaltern unter deutſchem Einfluß 
ſtand. Dieſe polniſche Ausdehnung nach Weſten wurde ſchließlich an den meiſten 
Punkten zurückgeſchlagen, und die Konſolidierung des polniſchen Staatsweſens fand 
ihren Ausdruck in der Königskrönung des Boleslaus. Der junge polniſche Staat 
hat für ſeinen Aufbau deutſche Krieger und deutſche Geiſtliche in großer Zahl 
herangezogen. Dies wurde auch nicht anders, als die Erbſitte der Teilungen in der 
Mitte des 12. Jahrhunderts Polen in eine Reihe von Teilfürſtentümern zerriß, 
die ſich gegenſeitig befehdeten. Dabei ſuchten die — mit deutſchen Adelsgeſchlechtern 


Kohte / Deutsch-polnisches Schicksal an der Weichsel 13 


verſchwägerten — ſchleſiſchen Piaſten Schutz beim deutſchen Kaijertum. Friedrich 
Rotbart hat feit 1157 mehrmals in Polen zu ihren Gunſten eingegriffen und damit 
die rung Schleſiens zu Deutſchland eingeleitet. Dies Land öffneten feine 
Herrſcher in den folgenden Menſchenaltern der deutſchen Wiederbefiedelung, weil 
ſie es wirtſchaftlich und kulturell auf den Stand heben wollten, den die deutſchen 
Lande in der Stauferzeit ſchon erreicht hatten. Deutſche Bürger und Bauern, Ritter 
und Mönche halfen ihnen, ihr Ziel raſch zu erreichen, und im Jahre 1241 war 
Schleſien bereits, nahezu allein auf fid) geſtellt, imſtande, den Mongolenſturm bei 
Liegnitz abzuwehren. 


Schleſiens Aufblühen wurde zum Vorbild, dem die polniſchen Teilfürſten mit 
der Gründung deutſcher Städte, Dörfer und Klöſter folgten. Das wichtigſte Er: 
eignis bei dieſer Heranziehung deutſcher Kräfte durch polniſche Herrſcher war der 
Ruf, den Herzog Konrad von Maſowien 1226 an den Deutſchen Orden zum Kampf 
egen die heidniſchen Preußen ergehen ließ. Es waren beſonders die Nachbarland⸗ 
chaften Schleſiens, das Poſener Land und Galizien, die jetzt durch einen Strom 
deutſcher Einwanderer einer bisher nicht gekannten Blüte entgegengeführt wurden: 
1253 wurde Poſen, 1257 Krakau als deutſche Stadt zu Magdeburger Recht be⸗ 
ründet. Wohl gab es ſchon vorher in Polen Fürſtenſitze und Handelsnieder⸗ 
aſſungen; aber die ſtädtiſche Siedlung durch Deutſche zu deut⸗ 
ſchem Recht brachte dem Oſten neben einem entwickelten Handwerker⸗ 
tum und einer weitſchauenden Kaufmannſchaft zum erſten Male Gemein» 
ſchaften rechtlich freier, ſich ſelbſt verwaltender und ſich 
ſelbſt verteidigender Bürger, eine rechtlich⸗ſittliche Erſcheinung von 
weltgeſchichtlicher Bedeutung! Dies deutſche Bürgertum verſtand es auch, große 
Räume wirtſchaftlich zu erſchließen und zu organiſieren: der Oſten wurde für den 
Weſten Europas der große Erzeuger von Korn, Holz und anderen land⸗ und forſt⸗ 
wirtſchaftlichen Gütern und bezog von ihm Erzeugniſſe verfeinerten Gewerbes. 
Träger dieſes Austauſches waren im Norden die Städte der Hanſe — voran 
Danzig und Thorn —, im Süden die oberdeutſchen Handelsſtädte wie Nürnberg 
und Ravensburg; beide Ströme begegnen ſich in Krakau, der polniſchen Königs» 
ſtadt und dem Mittelpunkt deutſchen bürgerlichen Lebens im Polen des ſpäten 
Mittelalters. Die ſchachbrettförmige oſtdeutſche Stadtanlage 
UM m rechteckigen Markt wurde bis in den ruſſiſchen Often hinein 
errſchend. 


Neben den deutſchen Bürger trat der deutſche Bauer, der ebenfalls im 
Nordweſten und im Süden Polens weite Räume menſchlicher Siedlung erſchloß. 
Auch er ſtand dem hörigen polniſchen Bauern ſowohl in einer Genoſſenſchaft recht⸗ 
lich freier Männer wie im Beſitz beſſeren Ackergeräts und der erprobten Drei⸗ 
felderwirtſchaft gegenüber. So konnte er Böden re al an bie fid) ber Pole 
bisher noch nicht gewagt hatte. Die in ben oſtmitteldeutſchen Gebirgen entwickelte 
Siedlungsform des Waldhufendorfes fand ebenſo wie das deutſche Dorfrecht bis 
weit in den Oſten Verbreitung. 


Obwohl ſich ſchon im 13. Jahrhundert in Adel und Geiſtlichkeit deutſchfeindliche 
Strömungen gezeigt hatten, war doch der einzige König, dem die polniſche Ge⸗ 
ſchichte den Beinamen „der Große“ verliehen hat, Kaſimir (1333—1370), ein 
eifriger Förderer vor allem des deutſchen Bürgertums, mit deſſen Hilfe er das 
„hölzerne Polen“ in ein „ſteinernes“ verwandeln konnte. Die Siedlungskraft 
eutſchen Bauerntums ſetzte er an der Südoſtgrenze polniſchen Volkstums ein, 
oſtwärts der durch die Heeresberichte bekanntgewordenen Wijlofa, um den polni⸗ 
ſchen Volksboden gegenüber den heutigen Ukrainern nach Oſten vorzuſchieben. 
Nach Weſten hin beſchränkte er ſich auf kleinere Erwerbungen an der Grenze gegen 


14 Kohte / Deutsch-polnisches Schicksal an der Weichsel 


das damals ſchwache Brandenburg unb Schleſien, fudte aber Frieden mit ben 
führenden Mächten Oſtdeutſchlands: gegenüber Böhmen verzichtete er 1335 end⸗ 
gültig auf Schleſien, gegenüber dem Deutſchen Orden 1343 auf Pommerellen, das 
noch ſein Vater Wladislaus Ellenlang, der kraftvolle Erneuerer des polniſchen 
Königtums, mit allen Mitteln zu erringen verſucht hatte. Dagegen nutzte er die 
Ermordung des letzten ukrainiſchen Großfürſten von Halitſch im Jahre 1340 aus, 
um deſſen Land an Polen anzugliedern. 


War dies der erſte Schritt Polens auf dem Wege zum Vielvölkerſtaat, ſo war 
der zweite noch folgenſchwerer: die Heirat zwiſchen der Erbin des Piaſtenthrons 
Hedwig und dem Großfürſten Wladislaus Jagiello von Litauen 1386 führte dem 
polniſchen Staat das litauiſche Großfürſtentum mit ſeinen litauiſchen, weiß⸗ 
ruſſiſchen, ukrainiſchen u. a. Untertanen zu. Sie verband ferner in Polen und 
dem nunmehr chriſtlichen Litauen die beiden Gegner des Deutſchen Ordens. Wla⸗ 
dislaus konnte zum Angriff gegen dieſen vorgehen und ihn 1410 bei Tannenberg 
mit einem aus allen Völkern des Oſtens a Heer ſchlagen. Nur die Tat: 
kraft Heinrichs von Plauen hat ja damals den Beſtand des Ordens gerettet. 


Doch trug der Ordensſtaat in ſich den Keim gefährlicher Kriſen: der Kampf des 
SE mit feinen Ständen, der damals überall in Deutſchland entbrannte — 
hier beſonders mit den reichen weſtpreußiſchen Städten — mußte im Grenzland 
ganz andere Auswirkungen haben als im Binnenland. Als die weſtpreußiſchen 
Stände 1454 vom Orden abfielen und ſich dem Schutz des Königs von Polen 
unterſtellten, benutzte dieſer die Gelegenheit, um zur Oſtſee vorzuſtoßen. Um aber 
ſeinen Adel in den nun entbrennenden Krieg mitzureißen, mußte er ihm weit⸗ 
reichenden Einfluß in den Staatsgeſchäften durch die Neſſauer Statuten gewähren, 
die ben Beginn des polniſchen Adelsparlamentarismus bedeuteten. 
Ein halbes Jahrhundert ſpäter wurde das freie Einſpruchsrecht jedes einzelnen 
Adligen auf dem Reichstag feſtgelegt, das ſogenannte „Liberum Veto“, das zum 
Kernübel der altpolniſchen Verfaſſung wurde. 


Die ſchwere Laſt des 13jährigen Krieges gegen den Orden aber trugen mit in 
erſter Linie die großen Städte Weſtpreußens, und ſo wurde — nach völliger Er⸗ 
ſchöpfung des einſt blühenden Preußenlandes — Weſtpreußen im zweiten Thorner 
Frieden nicht etwa einfach Polen eingegliedert, ſondern nur in Perſonalunion 
mit der Krone Polen verbunden. Es konnte als deutſch regierter Ständeſtaat ſeine 
Autonomie zäh verteidigen, bis fie ihm durch einen Gewaltaft auf dem Lubliner 
Reichstag 1569 geraubt wurde. Doch konnten Elbing, Thorn und beſonders das 
wehrhafte, handelsreiche Danzig, das ſich 1577 gegen den polniſchen König erfolg⸗ 
reich zur Wehr ſetzte, ihre Stellung etwa als freie Städte wahren. Oſtpreußen 
wurde dagegen 1525 polniſcher Lehnsſtaat, aber — was für die Bewahrung ſeiner 
deutſchen Stellung entſcheidend wurde — als evangeliſches, weltliches Herzogtum 
unter den fränkiſchen Hohenzollern. 


Trotz des Kampfes mit dem Deutſchen Orden ging die deutſche Einwanderun 
weiter, und zwar waren es im 15. und 16. Jahrhundert beſonders einzelne Raut 
leute und Künſtler, bie in bie polniſchen Städte, vor allem in bie Reſidenz Krakau, 
kamen. Hier wirkte Hans Boner, der deutſche Bankier der polniſchen Könige, hier 
wirkten die Thurſos, die deutſchen Herren der Erzgewinnung in der Slowakei, 
neben ihnen ſtanden dabei die Augsburger Fugger, an die noch heute das SI 
haus in Warſchau erinnert. In Krakau ſchuf der aus ſüddeutſcher Familie 
ſtammende große Bildhauer Veit Stoß ſein Meiſterwerk, den Marienaltar; aus 
einer (urſprünglich ſchleſiſchen) Krakauer deutſchen Bürgerfamilie ſtammte der in 
Thorn geborene Aſtronom Nicolaus Coppernicus, der als Domherr zu Frauenbutg 
am Friſchen Haff mit der Lehre von den Umdrehungen der Himmelskörper das 


Kohte / Deutsch-polnisches Schicksal an der Weichsel 15 


naturwiſſenſchaftliche Weltbild des Mittelalters zerbrach. Auch zahlreiche andere 
Städte Polens hatten damals teil an dem breiten Strom, mit dem die 
eiſtige und wirtſchaftliche Blütezeit Deutſchlands im 16. Jahrhundert nach Oſten 
hinüberwirkte. 

Dennoch blieben Adel und hohe Geiſtlichkeit wie früher aus Standesegoismus 
Gegner des deutſchen Bürgertums und konnten ſeinen Lebensraum auf Grund der 
Machtſtellung, die ſie dem Königtum abgetrotzt hatten, tatſächlich einengen. Hinzu 
traten ſprachliche und blutsmäßige Vermiſchung. Das deutſche Großbürgertum 
ging im polniſchen Adel auf, die Zünfte wurden mehr und mehr von Polen beſetzt, 
die bäuerlichen Volksinſeln wenigſtens ſprachlich polonifiert. Die wirtſchaftlichen 
und kulturellen Einrichtungen, die deutſche Menſchen geſchaffen hatten, verfielen 
damit. „Mit dem Augenblick, als die Städte in Polen durch und durch national 
wurden“ — fo urteilt Ptaſnik, der Hiſtoriker des polniſchen Städteweſens —, „als 
das polniſche Element in den Zünften und ſtädtiſchen Amtern herrſchte, trat ihre 
vollkommene Zerſetzung und ihr Verfall ein!“ Das Polentum war zumeiſt außer⸗ 
ſtande, die Leiſtungen des deutſchen Bürgertums fortzuführen; an deſſen Stelle 
trat von nun an — wenn auch unfähig EN Geftaltung großer Stadtgemeinden — 
das Judentum, dem Königtum und Adel feit bem 14. Jahrhundert ſehr entgegen: 
gekommen waren. Nahezu alle kleinen deutſchen Stadtgründungen wurden im 
16. und 17. Jahrhundert zu Herden des Schmarotzertums, das Stadt und Land 
in ſeine Gewalt brachte. Kennzeichnend ſind die Worte des polniſchen Geſchichts⸗ 
ſchreibers Fryderyk Papée: „Man bedrückte das deutſche Element unter dem Vor⸗ 
wand der nationalen Aſſimilation und holte ein Element herbei, das noch ſchwerer 
zu aſſimilieren war.“ (1) Mit dem Rückgang des Deutſchtums verſchwanden auch 
die ordnenden und aufbauenden Kräfte; an ihre Stelle traten Adelswillkür oder 
jüdiſche Zerſetzung. 

Aber zu gleicher Zeit hatte der Adel des Poſener Landes ſchon von neuem 
begonnen, den Ertrag ſeiner Beſitzungen durch die Heranziehung deutſcher Bauern 
und Handwerker zu ſteigern, da die rechtloſen polniſchen Bauern nicht in der Lage 
waren, die Erzeugung ſo zu heben, wie es der lohnende Abſatz von Getreide nach 
Weſteuropa durch Vermittlung der deutſchen Hafenſtädte erlaubte. Im 16. Jahr⸗ 
hundert hatten bereits Bauern und Handwerker aus Schleſien, der Neumark, 
Pommern ſowie von der Nordſeeküſte, von religiöſen, wirtſchaftlichen oder ſozialen 
Beweggründen getrieben, in Weſtpreußen und im Poſener Land neue Städte und 
Dörfer anzulegen begonnen. Dieſer Zuſtrom deutſcher Siedler dauerte bis ins 
18. Jahrhundert fort und hat wieder neuen Lebensraum im Oſten geſchaffen — 
zum eigenen Nutzen ſowie zum Beſten des polniſchen Volkes. Der Strom dieſer 
zweiten deutſchen Oſtſiedlung, auf den der größte Teil des heutigen 
oſteuropäiſchen Deutſchtums außer den Balten zurückgeht, hat weit bis nach Ruß⸗ 
land hinein fortgewirkt. Wieder waren deutſche Menſchen Träger rechtlicher Frei⸗ 
heit, ausdauernden Unternehmungsgeiſtes und rationeller Arbeitsweiſe. 


‚Diefe neue große Oſtbewegung begann mit der Anſetzung holländiſcher und 
niederdeutſcher Siedler im Großen Werder durch den Danziger Rat; von hier aus 
drangen deutſche Niederungsbauern im 16. und 17. Jahrhundert die Weichſel und 
den Bug aufwärts bis ſüdlich Warſchau. Gleichfalls im 16. Jahrhundert entwickelte 
ſich eine ſtarke Wanderungsbewegung aus Oſtpommern und der Neumark in den 

etzegau und das Poſener Land hinein. Dieſe Pommernwanderung ſetzte ſich im 
18. Jahrhundert nach Mittelpolen, im 19. Jahrhundert von dort nach Wolhynien 
und Beſſarabien fort. Schließlich brachte beſonders die Not des Dreißigjährigen 
Krieges eine Bewegung aus Schleſien in den Süden bes Poſener Landes hervor, 
ns ſich [piter auch in bas Kaliſcher Land fortſetzte. Wie im Mittelalter brachte 

er deutſche Menſch Freiheit und Ordnung in ſeinen dörflichen und ſtädtiſchen 


Ken Heichsgrenze 
wa 


* th t m 


RZ Andere Staatsgrerizen 
® 200 Fahre deutsch gewesen 


Mitdeutschem Hecht belehrt 
(1200 Jahreszahl) 


Deutsche Kullurkarle des besetzten Gebietes 


Diese Karte wil! durch kleine Zeichen für nur wenige, beispielhafte Kulturleistungen verdeutlichen. 

wie stark der besetzte, einstmals schon deutsche, nur in den 20 Jahren nach Versailles polnische 

Raum von deutschem Geist und Kuiturwillen durchdrungen ist Hier liegen die deen Wurzeln für 
den deutschen Führungsanspruch in diesem Raum 


— I [| í N 
Digitized by NWN 


Kothe / Deutsch-polnisches Schicksal an der Weichsel 17 


+ Gemeinwefen, wieder erſchloß er d feine Leiſtung neuen Lebensraum, fei es 
durch Rodung in Sumpf unb Wald, fei es durch Schaffung neuer Gewerbe, wie 

beſonders der Tuchmacherei im Poſener Land. Nutznießer dieſer Leiſtung und des 
neu erſchloſſenen Lebensraumes wurde ſpäter nicht ſelten der Pole. 


i Diele deutſchen Einwanderer, die größtenteils evangeliſch waren, wurden an: 

fangs in ihrem Glauben nur wenig geſtört. Nach dem Sieg der Gegenreformation 
aber verbanden ſich Ketzerverfolgung und Deutſchenhaß zu einer erbitterten Feind⸗ 
ſchaft, die das Leben der Deutſchen in Polen durch einundeinhalb Jahrhunderte 
zum Martyrium machte. Die Verfolgungen nahmen in der Mitte des 17. Jahr⸗ 
hunderts den Charakter wahrer Jagden auf die Deutſchen und ihre Führer (damals 
beſonders die evangeliſchen Paſtoren) an, und die Metzeleien und Greuel, von 
denen wir während des Feldzugs in Polen ſchaudernd laſen, haben damals bereits 
ihre Vorbilder gefunden. Ganze Dörfer wurden dabei ausgerottet und am 22. April 
1656 wurden auf Befehl eines polniſchen Generals alle Evangeliſchen in Bromberg 
und Umgebung erſchlagen! Eine Woche ſpäter brandſchatzte ein polniſches Adels⸗ 
aufgebot die deutſch⸗evangeliſche Stadt Liſſa. Die Verfolgungen ſetzten ſich noch 
durch Jahrzehnte fort und erreichten 1724 einen neuen Höhepunkt im Thorner 
Blutgericht, das gleióaeitig einen Sieg bes Jeſuitenordens und die Brechung der 
Freiheiten der deutſchen Stadt bedeutete. 


Die jahrzehntelangen Verfolgungen der Evangeliſchen, d. h. der Deutſchen, ſind 
ein Beweis dafür, wie Polen bereits im 17. Jahrhundert im Chaos verſank. Die 
ſchrankenloſe Adelsherrſchaft machte alle Machtbildung 
des Königtums und damit jede neue ſtaatliche Ordnung 
unmöglich. Das Land geriet daher völlig unter den Einfluß des erſtarkenden 
Rußland, das 1717 vom Reichstag die Erlaubnis zur Unterhaltung ſtändiger Gar⸗ 
niſonen in Polen erhielt. Zu Reformen kam es nicht, und der allgemeine Zerfall 
von Staat und Geſellſchaft ging immer weiter. Angeſichts ſchwerer innerpolniſcher 
Wirren entſchloß Friedrich d. Gr. ſich daher 1772 gemeinſam mit Maria Thereſia 
und der Zarin zur ſogenannten erſten Teilung Polens, bei der Sſterreich Galizien, 

reupen aber das alte Ordensland Weſtpreußen, dazu den Netzegau erhielt. Dieſe 

iden Landſchaften waren damals ſchon überwiegend deutſch beſiedelt, zeigten aber 
vielfach die Spuren jahrzehntelanger polniſcher Mißwirtſchaft und erfuhren nun — 
ebenſo wie Galizien — erſt die Fürſorge einer geregelten Staatsverwaltung. 1795 
ſchließlich zerbrach der alte polniſche Staat völlig; in der zweiten und dritten 
Teilung erhielt Preußen das Poſener Land und den nördlichen und weſtlichen, 
Oſterreich den ſüdlichen Teil des ſpäter Kongreßpolen genannten Gebietes. 

Wenn auch die Herrſchaft der deutſchen Großmächte hier nicht viel über ein Jahr⸗ 
zehnt dauerte, ſo trägt doch beſonders das weſtliche Kongreßpolen bis heute noch 
ſichtbare Spuren dieſer kurzen Zeit preußiſcher Landesfürſorge, obwohl die Zahl 
der als Muſterwirte berufenen deutſchen Einwanderer nicht überſchätzt werden darf. 


Napoleon I. bildete 1807 aus den preußiſchen und öſterreichiſchen Erwerbungen 
der zweiten und dritten Teilung das Herzogtum Warſchau als Pufferſtaat gegen 
Rußland (zur Bildung eines Korridors griff ſelbſt der Korſe im Tilſiter Gewalt⸗ 
frieden nicht!). Davon fiel die Provinz Poſen 1815 wieder an Preußen, während 
der Reſt vom Wiener Kongreß als eigenes Königreich mit Rußland in Perſonal⸗ 
union verbunden wurde („Kongreßpolen“). Die polniſche Regierung dieſes König⸗ 
reiches hat in den 5 Jahrzehnten ihres Beſtehens mit größtem Eifer 
deutſche Einwanderer ins Land gezogen, ſowohl Bauern als Städter, unter dieſen 
ganz beſonders Tuchmacher, denen die meiſten Städte des Lodzer Induſtriegebietes 
Gründung und Aufſchwung verdanken. Die Lodzer Textilinduſtrie, 
die größte in Oſteuropa, iit ausſchließlich von deutſchen 


18 Kothe / Deutsch-polnisches Schicksal an der Weichsel 


Handwerkern unb Induſtriellen geſchaffen worden; ech 
ſpäter haben ſich Juden und Polen in ihr feſtgeſetzt. Von dem deutſchen Bürgertum, 
das ſich im 18. und 19. Jahrhundert hier und anderswo in Polen anſäſſig machte, 
iſt ein guter Teil ins polniſche Volkstum übergegangen; ihm entſtammen nicht 
wenige Angehörige der polniſchen Führungsſchicht. 


Neben der wirtſchaftlichen und „ en Stärkung des Polentums durch 
deutſche Menſchen ſteht der fördernde Einfluß deutſchen Geiſtes auf Polen. Die 
deutſche Dichtung und Philoſophie der klaſſiſchen Zeit hat auf die polniſche Dich⸗ 
tung, beſonders auf Polens größten Dichter Adam Mickiewicz, zutiefſt eingewirkt. 
Deutſche Wiſſenſchaftler waren auf vielen 1 der polniſchen Hochſchulen 
tätig und haben an der Erneuerung des polniſchen Geiſteslebens ihren großen 
Anteil. Die Baukunſt ſtand bis weit in die ruſſiſche Zeit hinein unter dem Einfluß 
des Berliner Klaſſizismus. 


Vor allem das Polentum unter preußiſcher Herrſchaft trat 
in den Wirkungsbereich deutſcher Formungskräfte. An erſter Stelle ſtehen hier die 
Wirkungen der geordneten preußiſchen Verwaltung, des preußiſchen Heeres, der 
preußiſchen Volksſchule, die aus dem Poſener Polen im Laufe weniger Jahrzehnte 
einen ganz anderen Menſchen gemacht haben. Hinzu kam ſpäter die Teilnahme am 
politiſchen Leben Preußens und des Reiches und die Annahme deutſcher wirtſchaft⸗ 
lich⸗geſellſchaftlicher Formen, wie etwa des Genoſſenſchaftsweſens oder der Spar⸗ 
und Darlehnsvereine. Unendlich folgenreich für das polniſche Volk war die 
Schaffung eines eigenen freien Bauernſtandes durch die Stein⸗Hardenbergſche 
Reform, die auch der Entſtehung eines polniſchen ſtädtiſchen Mittelſtandes die 
Wege ebnen half. Zugleich bot die Eingliederung Poſens in den deutſchen Wirt⸗ 
Gattsorganismus bem Polentum eine bisher ungefannte Möglichkeit der Wohl⸗ 
tandsſteigerung. 


So entſtand gerade in Poſen dank der preußiſchen Führung ein neuer, härterer 
Typus des polniſchen Menſchen. Je länger, je mehr erſtarkte das Polentum unter 
preußiſcher Herrſchaft innerlich und gewann neue EH in ber Führung bes 
Volkstumskampfes. In Weſtpreußen und Oberſchleſien, wo man zu Beginn des 
vorigen Jahrhunderts ein polniſches politiſches Leben nicht gekannt hatte, drang 
in deſſen letztem Drittel die polniſche Nationalbewegung ein. Eine deutſche Ein⸗ 
wanderung, die die bei den Teilungen vorhandenen Volkstumsverhältniſſe weſent⸗ 
lich hätte verändern können, hat es im 19. Jahrhundert nicht gegeben, weil der Be⸗ 
völkerungsüberſchuß damals von der eigenen Induſtrie aufgenommen wurde. 


Der größere Teil des Polentums ſtand unter ruſſiſcher Herrſchaft und hat ſich 
gegen dieſe in den un von 1830 und 1863 vergeblich erhoben. Es büßte 
danach jedes politiſche Eigenleben ein; das Land erfuhr keine wirtſchaftliche und 
ſoziale Pflege und Entwicklung. Immerhin gelang es, fußend auf der Arbeit 
deutſcher Induſtriepioniere in Warſchau und Lodz ein Großtextilgewerbe und 
JE andere Induſtriezweige aufzubauen, bie im weiten Zarenreich ihren guten 

bſatzmarkt fanden. Damit entſtanden Anſätze eines modernen kapitaliſtiſchen 
Bürgertums (mit deutſchem und auch jüdiſchem Einſchlag) ſowie beſonders ein 
ſtarkes polniſches Induſtrieproletariat. 


Galizien ſchließlich, das mit ſüddeutſcher Einwanderung und öſterreichiſcher Ver⸗ 
waltung am Anfang des 19. Jahrhunderts ebenfalls ſtarke deutſche Formungskräfte 
aufgenommen hatte, ſtand ſeit 1867 unter autonomer polniſcher Verwaltung. Die 
galiziſchen Polen nahmen auch am Wiener politiſchen Leben teil und haben hier 
vielfach eine entſcheidende Rolle geſpielt. In Galizien wurde es möglich, ein polni⸗ 
ſches Beamtentum und eigenes Hochſchulleben zu entwickeln (aber auch die Unter⸗ 


Kothe / Deutsch-polnisches Schicksal an der Weichsel 19 


drüdungsmethoden gegen die Ukrainer auszubilden —); hier konnten ſich auch 
die allpolniſchen Ideen und die Parteien der Polen beliebig tummeln. 


Zwei Gruppen zeichneten jid [hon kurz vor 1900 deutlich 
a b: die bürgerliche ationaldemokratie unter Führung Dmowſkis, 
geſtützt auf Bürgertum und Mittelſtand Polens und Kongreßpolens jah in Deutſch⸗ 
land den Hauptgegner Polens und verfocht ein Bündnis mit Rußland mit dem 
Ziel der Ausdehnung gegen Weſten. Hier wurden ſchon vor 40 Jahren die Schlag⸗ 
worte vom angeblichen Polentum Königsbergs, Danzigs und Oppelns in die Welt 
geſetzt. Auf der anderen Seite ftand der Sozialismus Pilſudſkis, dem 
beſonders die Arbeiter der kongreßpolniſchen Induſtrie folgten und der die Über⸗ 
lieferung des Kampfes gegen das Zarentum und der Ausdehnung nach Oſten 
fortführte. 

Folgerichtig marſchierte Pilſudſki mit feinen Legionären im Auguft 1914 an der 
Seite des öſterreichiſchen Heeres in Ruſſiſch⸗Polen ein, während die National⸗ 
demokraten ihre Propaganda im Lager der Entente fortſetzten. Die Wieder⸗ 
begründung des polniſchen Staates war eine Frucht der deutſchen Siege im Oſten: 
ſie erfolgte durch die Proklamation der beiden Kaiſer vom 5. November 1916. 
a übernahm — nach zeitweiligem Konflikt mit den Mittelmächten — erft 
nach ber Novemberrevolte die Macht in Warſchau, während Dmowffi in Paris, 
London und Waſhington für die Durchſetzung ſeiner Annexionsträume eintrat 
und in Verſailles ſchließlich die Zerreißung des deutſchen Oſtens erreichte. Dabei 
bediente er ſich übelſter propagandiſtiſcher Tricks — wie z. B. einer gefälſchten 
Volkstumskarte — und konnte die Schaffung des Korridors doch erſt ſpät gegen 
die engliſchen Delegierten durchſetzen, die ſich damals über den Unſinn dieſer Tat 
durchaus im klaren waren. 


In der Heimat begannen ſich ſeit dem Poſener Weihnachtsaufſtand 1918 der von 
der Nationaldemokratie gepredigte Deutſchenhaß, der ſeit langem angeſammelte 
Neid gegen den erfolgreichen deutſchen Nachbarn, das alte Unverſtändnis der 
polniſchen Maſſen gegen deutſche Kulturleiſtungen auszutoben. Mit allen Mitteln 
wurden dem Deutſchtum Weſtpreußens, Poſens und Oſtoberſchleſiens die wirtſchaft⸗ 
liche Exiſtenz und der kulturelle Lebensraum genommen. Wohl nahezu eine Million 
deutſcher Menſchen iſt im erſten Jahrzehnt der Zugehörigkeit ihrer Heimat zum 
neuen Polen gewaltſam von dem Boden verdrängt worden, auf dem ihre Ahnen 
ſeit Jahrhunderten gelebt und geſchafft hatten. Die unter preußiſcher Herrſchaft 
hochentwickelten Provinzen mußten ſich langſam dem viel tieferen Lebensſtand 
Kongreßpolens anpaſſen. Die Feindſchaft, der fih jetzt auch die Deutſchen in Mittel- 
und Oſtpolen gegenüberſahen, hat auch dieſe, vor dem Weltkrieg politiſch wenig 
entfalteten Volksgruppen zum tätigen Volksbewußtſein erweckt und das Echo der 
nationalſozialiſtiſchen Revolution hat in den letzten Jahren den deutſchen Er⸗ 
neuerungsgedanken bis in die entlegenſten deutſchen Siedlungen Oſtgaliziens, 
Wolhyniens oder der Bialyſtoker Gegend getragen. 


Inzwiſchen hatte Pilſudſki nach zeitweiſer Zurückziehung vom politiſchen Leben 
1926 die Macht wieder an ſich geriſſen und der Parlamentsherrſchaft ein Ende 
gemacht. Er wußte, daß das polniſche Volk vor allem Zucht und Ordnung brauche 
und hat daher das Heer zum Mittelpunkt des ſtaatlichen Lebens und beſonders der 
politiſchen Erziehung gemacht. Durch eine einheitliche politiſche 
Weltanſchauung das polniſche Volk innerlich zu formen, 
war dem Marſchall nicht beſchieden. Die durch ihn von der Macht 
ausgeſchloſſenen Nationaldemokraten, die über ein ſolches Weltbild verfügten, 


20 Kleine Beiträge 


ewannen daher von Jahr zu Jahr größeren Einfluß auf bas polniſche Denten — 
elbſt im Regierungslager. S pa gegen Deutſchland war und blieb bie 
bequemſte politiſche Parole! ährend Piljudjfi weitblickend erkannte, daß eine 
Befriedung des deutſch⸗polniſchen Verhältniſſes vor allem der Sicherung des 
polniſchen Staates ſelber diente und mit dem Führer den Gewaltverzichtspakt 
abſchloß, ging in ſeinem Lande die deutſchfeindliche Agitation beſonders in Preſſe 
und Wiſſenſchaft — z. T. ſogar mit 5 Unterftü ung! — weiter. Sein Nad: 
folger Rydz⸗Smigly, dem bas Anſehen bes er[ten Marſchalls fehlte, mußte bei dem 
Fehlen klarer weltanſchaulicher Leitſätze erft recht in die Abhängigkeit von Melen 
deutſchfeindlichen Strömungen geraten. Die wachſenden innerpolitiſchen Schwierig⸗ 
keiten ſeiner Staatsführung waren ſchließlich nur noch in dem alle einigenden 
Zeichen der Feindſchaft gegen das Dritte Reich und das Deutſchtum in Polen zu 
überbrücken. Damit gab Rydz⸗Smigly das oberſte politiſche Ziel ſeines größeren 
Vorgängers, Polen im Frieden mit ſeinen Nachbarn zu einer unabhängigen Groß⸗ 
macht zu erheben, auf und machte ſein Volk zum Stein im Spiel der Weſtmächte. 


Dieſer Verrat am politiſchen Erbe des großen Marſchalls 
hat unerwartet raſch Polen zum völligen Zuſammenbruch geführt. Seine Urſachen 
liegen letztlich — ähnlich wie es im 18. Jahrhundert der Fall war — in der Maß⸗ 
W Zuchtloſigkeit und Unduldſamkeit politiſchen Denkens und Handelns in 
Polen. Die Notwendigkeit, endlich zu dauernder xad Magali unſerer Oſtgrenze 
zu gelangen, ſtellt uns heute vor Aufgaben des Ordnens und Führens, die viel 
weitreichender und in Beachtung geſchichtlicher Lehren gründlicher ſein werden, 
fs d es je zuvor in der wechſelreichen Geſchichte ber deutſch⸗polniſchen Nachbar⸗ 

aft waren. 


Kleine Beitrage 


Seelen“ ſprach, der dem ſchwerſten Anſturm 
der Feindpropaganda ſtandhalten mite. 


Die Reden bes Generalfeldmarſchalls und 


Ludendorffs Ratschläge 
an Wilhelms Kabinett 


Selbſtverſtändlichkeiten von 1939 


In feiner Rede vor ben Rüſtungsarbeitern 
hat Hermann Göring die Entſchloſſenheit 
des deutſchen Volkes verſichert, wie auf 
militäriſchem und wirtſchaftlichem Gebiet, 
auch auf dem inneren Kriegsſchauplatz alle 
Einbruchsverſuche der Feindſeite zurück⸗ 
zuſchlagen. er Generalfeldmarſchall hat 
das Ziel der „verlogenen britiſchen Propa⸗ 
ganda“ bloßgeſtellt, die verſucht, „das Volk 
aufzuwühlen, es zur Revolution zu bringen, 
dadurch innerlich zu ſchwächen und ſchließ⸗ 
lich zum Erliegen zu bringen“. Reichspreſſe⸗ 
chef Dr. Dietrich hat ebenfalls in einem 
Appell an die deutſche Preſſe die Lebens⸗ 
notwendigkeit einer ſtarken inneren Front 
betont, als er von dem „Weſtwall der 


des Reichspreſſechefs laffen erkennen, d 
die Führung des deutſchen Volkes im 
Gegenſatz zu den verantwortlichen Politikern 
Deutſchlands im Kriege 1914 bis 1918 heute 
auch auf dem inneren Kriegsſchauplatz den 
britiſchen Angriffen und Störungsverſuchen 
die richtige Antwort geben wird. 


Nur ein Mann hat während des Welt 
trieges die Gefahren der feindlichen Propa: 
ganda und die Hilflosigkeit der deutſchen 
kaiſerlichen Regierung ihr gegenüber er⸗ 
kannt — der Feldherr Ludendorff. Neben 
den gewaltigen Leiſtungen, die Ludendorff 
auf militäriſchem und organiſatoriſchem 
Gebiet während des Weltkrieges vollbracht 
hat, wird wenig beachtet, daß er die einzige 
führende deutſche Perſönlichkeit geweſen 1, 
die mit Inſtinktſicherheit die ungeheure 


Hans Sues von Kulmbach; „„Anhetung) den Könige‘ 
Teil eines 1511 in Krakau gemalten Altars 


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Apostelkopf von Hans Dürer, dem Bruder des großen deutschen Meisters 
Neuentdeckte Fresken in Czerwinsk 


Kleine Beiträge 21 


rus der ſeeliſchen ipi des deut: 
den Volkes durch bie gegneriſche Propa: 
anda richtig eingeſchätzt hat. Leider find 
ie E de Vorſchläge Ludendorffs, bie 
auf eine ſtraffe Zuſammenfaſſung aller 
. durch eine zentrale 
telle und au eine geſchickte ſeeliſche Füh⸗ 
rung des Volkes hinzielten, unbeachtet ge⸗ 
blieben oder viel zu ſpät und dann noch 
unvollkommen befolgt worden. 

Aus den Kriegserinnerungen des Feld⸗ 
ae geht hervor, mit weld e teed 

ge er die raffinierte feindliche Propa⸗ 


nba und ihre Auswirkungen auf bie 
eeliſche Spannkraft und die „ geiſtige 
Kriegsfähigkeit“ des Volkes verfolgte. 


Scharfe rte fällt Ludendorff über die 
unzureichende und falſch angelegte, ſehr oft 
nor Haltung deutſcher Blätter. 
„Auf die feindliche Propaganda ſtarrten 
wir wie das Kaninchen auf die Schlange. 
Sie war ausnehmend probail ig und ges 
(fidt, arbeitete mit ftarten, au ie Maſſen 
wirkenden Gedanken in vollſtändiger Über: 
einſtimmung mit der Kriegsführung und 
gebrauchte ſtrupellos alle Mittel.“ 


Ludendorff hat die Überlegenheit der 
feindlichen Propaganda an ihren großen 
Erfolgen klar erkannt. Die „geiſtige 
Blockade in den neutralen Ländern“ führt 
er auf die Auswirkungen der feindlichen 
SR zurüd, die bereits vor dem 
tiege klar erkennbar und planmäßig aus: 
erichtet geweſen fei. Über bie empfind⸗ 
ichen Auswirkungen der feindlichen Preſſe⸗ 
hetze im Lande ſelbſt äußert der Feldherr 
an anderer Stelle: „Wir ſahen uns nach 
und nach durch die feindliche Propaganda 
in Wort und Schrift jo geſchickt ange A 
daß viele bald nicht mehr zu unterſcheiden 
vermochten, was feindliche Propaganda, 
was eigenes Empfinden war. — Während 
wir auf dem Kriegsſchauplatz die Initiative 
faſt bis zuletzt in der Hand dE führte 
der Feind den Kampf der Geiſter von vorn⸗ 
herein in geſchloſſener Einheitsfront auf 
der ganzen Linie angriffsweiſe und fand 
Hilfstruppen in vielen Deſerteuren, in den 
neutralen Staaten, aber leider auch Unter⸗ 
ſtützung im deutſchen Vaterlande ſelbſt.“ 


Ludendorff führt in ſeinen nach dem 
Kriege erſchienenen Büchern und riften 
über den Itfrieg zahlreiche Beweiſe für 
die deutſche politische Unreife und Urteils⸗ 
loſigkeit“ an, die auch auf die Haltung des 
topten Teiles der deutſchen Preſſe im 

tiege zutreffen. Er macht der Preſſe 
während des Weltkrieges den Vorwurf, 


durch die zum Schluß des Krieges immer 
tärker werdenden yy al von einem Gers 
ändigungs⸗ und Kompromißfrieden den 
eind keineswegs . tig, dafür 
aber das deutſche Volk in ſeinem Willen 
zum Siege beeinträchtigt zu haben: „Man 
glaubte, die feindlichen Völker müßten den 
verſöhnlichen Worten ſehnſüchtig lauſchen 
und würden ihre Regierungen zum Frieden 
drängen. So wenig kannte man die Geiſtes⸗ 
richtung der feindlichen Völker und Res 
gietungen mit ihrem 9 185 nationalen 
enken und ſtahlharten Wollen.“ In ſeinen 
Kriegserinnerungen verurteilte Ludendorff 
hart das ungeſchickte Verhalten deutſcher, 
öſterreichiſcher und ungariſcher Blätter, die 
bei den Verhandlungen rage Deutſch⸗ 
land und dem ſowjetruſſiſchen Bevoll⸗ 
mächtigten Trotzki durch ihre past te per 
Redensarten die Stellung Trotzkis feltigten. 
„Unter dieſen Umſtänden hätte Trotzki ein 
hatte ſein müſſen, wenn er nachgegeben 
ätte.“ 


Ludendorff hat während des Krieges nicht 
etwa nur in abweiſender Kritik gegenüber 


dem ee en ber deutſchen Propaganda 
und der ute keit der deutſchen Preſſe 
verharrt. Obwohl für die politiſchen Ver⸗ 


hältniſſe im Landesinnern, alſo auch für 
die Volksſtimmung nur der Reichskanzler 
verantwortlich war, hat 1 es ne 
feine Pflicht gehalten, auch auf dieſem Ges 
biet Vorſchläge zu unterbreiten, deren weit⸗ 
blickende Gesichtspunkte und Leitgedanken 
von unabſehbar günſtigen Auswirkungen 
geweſen wären, hätte man dieſe Pläne ver⸗ 
wirklicht. Ludendorff war angeſichts der 
von außen gegen die geiſtige Schlagkraft 
und gegen den Siegeswillen des deutſchen 
Volkes arbeitenden Auslandshetze von der 
Notwendigkeit einer einheitlichen Leitung 
der Preſſe überzeugt, „um eine geſchloſſene 
Stimmung im deutſchen Volk von neuem 
ins Leben zu rufen und das Trennende 
verſchwinden zu laſſen“. 


Die feindliche Propaganda konnte nach 
ſeiner Anſicht nur in der Form einer un⸗ 
mittelbaren und ſchlagartigen Aufklärung 
bekämpft werden. „Jedem Deutſchen war 
täglich zuzurufen, was ein verlorener Krieg 
für Deutſchland bedeutete. Bild und Film 
hatten gleiches zu verkünden. Ein r⸗ 
ſtellen der efahren hätte anders gewirkt 
als das Denken in Kriegsgewinnen aller 
Art, als Reden und Schreiben von Ver⸗ 
ſtändigungsfrieden.“ 


Um die Seele des deutſchen Volkes nicht 
„ſteuerlos und führerlos allen auf ſie ein⸗ 


22 Kleine Beiträge 


ſtürmenden Gefahren zu überlaſſen“, wandte 
ch Ludendorff im Dezember 1916 an den 
eb el mit dem Vorſchlag, „bei der 
Reichskanzlei eine Stelle für die einheitliche 
Führung der Preſſe im ganzen Reich auf 
allen Gebieten zu ſchaffen“ Unter einer 
maßgebenden. dem Reichskanzler unmittel- 
bar unterſtellten Perſönlichkeit ſollten alle 
Preſſeämter der zivilen Behörden zuſam⸗ 
mengefaßt und in Zuſammenarbeit mit dem 
Kriegspreſſeamt und der Preſſeabteilung 
des Admiralſtabes gebracht werden. Die 
Preſſeabteilung des Auswärtigen Amtes 
ſollte auf außenpolitiſche Fragen beſchränkt 
werden, ſollte ſich jedoch intenſiver mit den 
feindlichen. neutralen und verbündeten 
eitungen befaſſen. Beſonders aufſchlußreich 
ür den Einblick. den Ludendorff in das 
eitungsweſen hatte, war der gleichzeitige 
orichlag, eine zentrale Stelle für die wirte 
ſchaftlichen Intereſſen der Preſſe zu ſchaffen. 
Sämtliche Vorſchläge Ludendorffs 
wurden von dem damaligen Reichskanzler 
Bethmann Hollweg glatt abgelehnt. 
Eine einheitliche Sührung der deutſchen 
Preſſe war damit vereitelt, der pazifiſtiſchen 
und marxiſtiſchen Zerſetzung ſtanden alle 
Möglichkeiten offen. 


Ludendorff verſuchte, auf dem Wege über 
das Kriegspreſſeamt, das der Oberſten 
e aren unterſtand, eine gewiſſe ein⸗ 

eitliche Linie zumindeſt in bezug auf mili⸗ 
täriſche Dinge ae abi qid Wiper. 
konnte bas Kriegspreſſeamt niemals au 
nur entfernt ein Erſatz für eine einheitliche 
Reichsorganiſation ſein. Das Fehlen einer 
entralen Reichsſtelle für die Leitung der 

reſſe machte ſich auch in anderer Hinſicht 
unheilvoll bemerkbar. Die verantwortlichen 
militäriſchen quot bie das deutſche 
Schickſal im Kriege auf ihren Schultern 


trugen, hatten nicht ausreichend Gelegen⸗ 


a: mit bem Volk in Berührung zu 
ommen. „Mir a das Podium, um mid 
auszuſprechen“, ſtellte Ludendorff felt. 


Die Kriegspreffequartiere Oft und Welt. 
in denen die Kriegsberichterſtatter unter: 
ie waren, wurden von Ludendorff, 
em an einer engen Verbindung zwiſchen 
Heimat und Da außerordentlich gelegen 
mar, ſoweit dies überhaupt möglich mar 
gefördert. Ebenſo bemühte fid) udendorff 
durch die Einrichtung von Armeezeitungen 
den Geiſt der Truppe zu heben. Im Bereich 
des Oberbefehlshabers Oſt wurde ein be⸗ 
ſonderer Nachrichtendienſt ſür die Armee⸗ 
zeitungen eingerichtet, Feldbuchhandlungen 
mit Zeitungen aller Parteien — mit Aus⸗ 


nahme ſozialdemokratiſcher Blätter — 
wurden ebenfalls angelegt. „Die Schnellig⸗ 
keit der Briefs und Zeitungsſendungen 
e ich Nachprüfungen Es lag mir 
daran, Soldat und Heimat einander fo nahe 


wie möglich zu bringen.“ 


Noch viele Worte des Feldherrn ließen 
Ki anführen, aus denen hervorgeht, wie 
ehr Ludendorff durch den Krieg auf die 
große politiſche Bedeutung der Breie für 
die Stimmung des Volkes im Innern unb 
bin die Beeinfluſſung der übrigen Welt 
ingelenkt wurde. Ludendorff erkannte mit 
ſeiner genialen organiſatoriſchen Begabung 
auch die Mängel unſerer deutſchen Volks⸗ 
aufklärung. „Wir hatten keinen Welt⸗ 
telegraphendienſt mit eigenem Kabel und 
Ge Wir entbehrten einer 
ührenden deutſchen Zeitung auf ſtark natio: 
naler Grundlage von dem Einfluß auf das 
Ausland und der Bedeutung für das In⸗ 
land, wie die „Times“ in England und 
der „Temps“ in Frankreich. 


Ludendorff iſt es infolge des mangelnden 
Verſtändniſſes der damaligen politiſchen 
Stellen nicht möglich geweſen, die einheit⸗ 
liche Leitung der deutſchen Preſſe, bie Ause- 
richtung der Pe en auf das Schickſal 
der Nation . aß er En 
unter dem Druck der ungeheuren, mehrere 
Jahre auf ihm laſtenden ſchweren Verant⸗ 
wortung noch Zeit fand und es für not⸗ 
wendig hielt, ſich mit der Aufgabe der 
Preſſe zu befaſſen, iſt kennzeichnend für die 
Bedeutung, die Ludendorff der Wirkſamkeit 
an der inneren Front der Nation beimaß. 


Das Deutſchland von 1939 iſt im Gegen⸗ 
ſatz zu dem kaiſerlichen Deutſchland von 
1914 auch im Inneren die beſtgerüſtete und 
eſchloſſenſte Macht der Welt. Göring hat 
n feinem großen Appell an das deutſche 
Volk dies feierlich verſichert, als er er⸗ 
Härte: „Auf dieſem Gebiet uns zu ſchlagen, 
ijt unmöglich, ſolange das Volk einig ilt, 
ſolange die Partei das Volk führt und ihm 
Kraft gibt, ſolange die alten Parteigenoſſen 
willen, daß fie wieder aufgerufen find, 
voranzugehen wie in den Kampfjahren und 
— vor allen Dingen — ſolange unſer 
Führer vor uns ſteht.“ 

Heute ſteht der „Weſtwall der Seelen“ 
unbezwingbar aufgerichtet und iſt weder 
durch die „Platzpatronen“ der Flugblatt⸗ 
de noch durch bie Fehlzünder und 

lindgänger der ſchwerſten ritiſchen Rund: 
funk⸗Kanonaden zu erſchüttern. 


Wilhelm Jung 


7 


XY 


A 


7 
RI an 


Die neue Lage der Reichshauptstadt 


Als Adolf Hitler vor mehr als sechs Jahren in die damalige Reichskanzlei einzog, 
war Berlin dreifache Grenzstadt: 150 km Luftlinie von der tschechischen Grenze ent- 
fernt, 150 km von der polnischen Staatsgrenze und 150 km Luftlinie von der damals 
schutzlosen Ostsee. Heute, nach nur 6'/, Jahren nationalsozialistischer Regierung, ist 
die Hauptstadt des Reiches nach allen Seiten geschützt und auch räumlich weit mehr 
eine Mitte geworden. Böhmen, das „Herzland Germaniens“, kehrte heim ins 
Reich, die Ostsee wird durch unsere starke Kriegsmarine geschützt, wobel die deutsche 
Seegeltung weit über die Dreimeilenzone der pommerschen Küste hinausreicht, und 
schlieBlich hat die Ausráumung des polnischen Unruheherdes die Ostgrenze um rund 
550 km, vom FlüBchen Obra zum großen Bug, hinausgerückt. 


Wenn wir uns um Berlin als Mittelpunkt einen Kreisbogen (mit etwa 530 km Halb- 
messer) geschlagen denken, so liegen auf diesem Kreisbogen die großen Arbeits- 
mittelpunkte Kónigsberg, Warschau, Krakau, Wien, Münchén, Karlsruhe (also etwa 
die französische Staatsgrenze) sowie Aachen. 


Berlin ist damit weit mehr als eine deutsche Mitte geworden, mehr als Paris es für 
Frankreich ist. Dr. Dr. F. Lg. 


24 Neue Bücher 


Neue Bücher 


Aus Gründen der Waumceriparnis zeigen wir empfeh⸗ 
lenswerte Bücher nur in Kürze an, behalten uns jedoch 
längere Besprechungen von Jall zu Gall vor. 


Paul Stedertz: Freimaurer im Rampf um die 
Macht“, Hanſeatiſche Verlagsanſtalt. 
Es tft der Kampf des portu ieſiſchen Königs Dom 
Miguel um die Freiheit jeines Volkes, der hier in einer 
jeb: wiſſenſchaftlich gehaltenen Urdeit geſchildert wird. 
ie Sabre 1820 bis 1834 liegen gwar weit zurück, aber 
der niederträchtige Kampf der internationalen Frei⸗ 
maurerei der hier an Hand von untrüglichem Beweis⸗ 
material geſchildert wird, iſt der gleiche geblieben wie 
damals. Die Fäden des Logenweſens reichen damals 
don nach London und Yaris, woher jene geheime Hilfe 
ezogen wurde, um einen König zu ſtürzen, deſſen Leben 
nur einer ftarten 0 und umſichtigen Staats⸗ 
reformen gegolten hatte. Ein intereſſantes Dokument 
IR bieles Buch, aus dem viele Europäer eine Menge 
lernen können. Die Freimaurercliquen der Demokratien 
laſſen heute in den Schützengräben Frankreichs die 
Völker ihre letzte große Schlacht in Europa austragen. 


Alfred Rapp: „Die Habsburger“, Frandh ide 
Verlagsbuchhandlung, Stuttgart. 

Die umfangreiche Geſchichte der Habsburger trägt 
den Charakter einer Anklageſchrift. Sie hat die graben 
deutſch⸗ bewußten Führerperſonlichkeiten bes Geſchlechtes 
nicht ins Licht gerü t, bas fie von ber ſchwarzen Nacht 
bes Wirlens anderer mitglieder dieſer Familie ſcheidet. 
Das Material über Patsburgs etbrefen an 
Deutſchlands Geſchichte tft jedoch im ganzen eindrucks⸗ 
voll. „Die Habsburger find eine Dynaſtie ohne 
Nation, immer nur ein Fürſtengeſchlecht, nie das 
Führergeſchlecht eines Volkes“, fo lautet Rapps Urteil, 
auf das — von den ftarten deutſchen Perſönlichkeiten 
auch hier ab ah An — andere Fürſtenfamilien in eben⸗ 
de mſelben Ma nſpruch erheben können. 


Adolf Bartels: „Die Dithmarſcher“, Hanſeatiſche 
Verlagsanftalt. 

Perſönlichkeit und Werk des großen Sohnes von 
Weimar haben wir in dieſer Zeitſchrift don ausführ⸗ 
lich behandelt. Wir weiſen auf die Volksausgabe des 
hiſtoriſchen Romans hin, in dem er eine Chronik der 
dithmarſiſchen Bauerngeſchlechter aufzeichnet. Alte 
Sippengeſetze und eine Freibauernverfaſſung ruft ber 
meiſterhafte Bericht ins Gedächtnis, die unſere Er⸗ 
neuerung des Bauerntums in feiner völkiſchen Wurzel 
offenbaren. Es fei ferner auf die uns vorliegende kleine 
Schrift von Adolf Bartels „Weimar und die 
beutíde Kultur“ verwieſen, die im Fritz Fink 
Verlag. Weimar, erſchien. 


Martin RNaſchke: „Die ungleichen Schweſtern“, 
Paul iit Verlag, Leipzig. 
Das ſchöne Dresden mit ſeinen barocken Faſſaden, 
Türmen und Schlöſſern, die Elbbrücken und die 
grünen on am Strom find der Hintergrund 
eines febr feinen Romans, der in die Stille des 
Herzens führt und die feinen Regungen des Gefühls 
dichteriſch geſtaltet. Dieſe Kunſt hat eine erzieheriſche 
Macht deſonders dort. wo einer glaubt, dieſen 
Regungen nicht nachgeben zu dürfen. 
Schwertfeger / Volkmann: „Die deutſche Sols 
„ 2 Bde. Wibliographiſches Inſtitut, 
eipzig. 
Die Verfaſſer wollten keine Sondergeſchichte des deut⸗ 


daffen, ſondern den deutſchen 
uern, Arbeiter, Gelehrten uſw. im Gewand des 
Soldaten als den ewig unberdnberfifen deut 
Menſchen zeigen. Notwendig erſchien es ihnen, eine 
kulturgeſchichtliche und volkskundliche Arbeit über dieje 
wichtige Lebensform unferes Volkes vorzulegen. In 
zwei dicken Bänden, von denen der zweite ein Bilder⸗ 
atlas mit Erläuterungen wurde, iſt man dieſer Aufgabe 
ege E nint der in dieſen Wochen ein brennendes 
ntereſſe entgegengebracht wird. 


i Werle zur Kunſtgeſchichte 

Wilhelm Binder: „Die Kun der erſten 
80 erzeit“ bis zur Mitte des 15. e irch 
Verlag E. A. Seemann, Leipzig. 

Der zweite Band einer Reihe kunſtgeſchichtlicher 

Werke Pinders, die in das Weſen der deutſchen Formen 

einführen, gilt der Zeit eines in den Städten auf⸗ 

blühenden Bürgertums und einen maleriſchen Zeit⸗ 

alter. Gute Aufnahmen veranſchaulichen, was der nam 

SE Kunſthiſtoriker unjerer Tage intereſſant be 

andelt. 


Max Wegner: „Tilman Nienenſchneider“, Verlag 
Pfeſſer & Co., Landsberg -W. 


Eine knappe, febr ſpannende Darſtellung vom Schick 

ſal des großen e Bildſchnitzers. Neben dem 

zn von 1500, bas unjer um Freiheit ringenbes 
olk im N dieſes deutſchen Meiſters zeigt, finden 

wit eine Würdigung ſeines Werkes ſowie E 

Reproduktionen. Wir weiſen ferner auf L. G. Sad 

manns Riemenſchneider⸗Roman „Meiſter Bürs 
er, Rebell“ hin, der bel Ferdinand Schöningh, 
aderborn, verlegt wurde. 


Georg Schorer gibt im niis ru %oltsverlcg, 
München, eine [ehr knappe, Dur tlhe Abbildungen 
erläuterte Überſicht über die deutſchen Kunſtformen 
eraus. Seine „Deutſche Kunſtbetrachtung“ eignet 
d zum Einarbeiten in die Entwicklung der Foren 
von ber Frühzeit bis in unfere Tage. Die bejte An: 
leitung für das Erkennen der Kunſtepochen, die aller⸗ 
dings ein fleißiges Studium votausſetzt, erblicken wir 
in der Neuauflage von Paul Brandts vergleichender 
Kunſtbetrachtung. Das Werk „Sehen und Erkennen 
erſchien im Alfred Kröner Verlag, Stuttgart. 


Die Völker im Donauraum 


Der ausgezeichnete Kenner Gübofteuropas Hermann 
Ullmann verſteht es, in großen Linien in feinem bei 
Eugen Diederichs. Jena, erſchienenen Buch „Die 
Völler im Südoſten“ ein Bild von Herkunft unb Auf ⸗ 
gabe der Volker bes Südoſtens zu entwickeln. Da Ul 
mann vor allem die hiſtoriſche Entwicklung aufzeigt 
und Zuſammenhänge aus der Fülle ſeines Willens 
deutet, erhält Diele Arbeit in Zeiten eutopäiſcher 
Spannungen ein erhöhtes Intereſſe. Die Einzel⸗ 
heiten ber neueren Geſchichte bes Donauraumes (ab 


E Wat 1938) erhält das iar "urina 


[fen uui lire ens 


erk Egon Heymanns, „Balkan, 

niſſe, Revolutiounen” (Junker & Dünnbaupt tlag). 
Dieſe faubere Darftellung ift befonders für ben Zeit 
raum der e be olitif bie hervorragendſte Quelle, 
bie in den legten abren erihien. Der Luſer⸗Verlag in 
Wien brachte in den erſten Kriegstagen eine aktuelle 
Arbeit „England greift nach Südeſtenrepa von 
Helmut Böttner heraus, die jene verderblichen 
weſtdemokratiſchen Einflüſſe in den aufſtrebenden 
Staaten ber jungen Völker Südaſteuropas belegt. 


Hauptschriftleiter: Ginter Kaufmann. 
Anſchrift der Schriftleitung: Reichsjugendführung, Berlin W 35 C 53. Fernſprecher 22 90 91. — 
tlin 


Verlag: 
checkkonto: Berlin 4454. Verantwortli 
ruck: M. Müller & Sohn KG., München;: 
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und Chef feines Stabsamtes, dat dies Merk 
und dies Leben aus nächſter E 
miterlebt und aufgezeichnet. Zum erftenmal 
fett der Machtergreifung wird damit eine um- 

aſſende Oarſtellung jenes Mannes und ſeines 

ettes gegeben, der als engſter Mitarbeiter 
des Führers einen großen Anteil an der 
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Jahrgang 1933: 

Die Folgen 1 bis 24 und das Tıhaltewerseichnie 


Jahrgang 1934: 
Die Folgen 1, 2, 3, 4, 5, 6, 8 (je 2 Stück), 
die Folgen 11 und 22 (je 1 Stück) 


Jahrgany 1935: 
Die Folge 24 (1 Stück) 


Jahrgang 1936: 
Die Folge 1 (3 Stück) 


Jede einzelne dieser Nummern ist von hóchstem Wert. In Deinem 
Schrank sind die Hefte der Allgemeinheit nicht zugänglich. Sende sie daher an das 


HAUPTARCHIV DER NSDAP. 


Abt. IV/B 
München 33, Barerítra Be 15 


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tecorgan der nationallozialiſtiſchen Jugend 


HERAUSGEBER: BALDUR VON SCHIRACH 
* Inhalt: 
Der Aufstand gegen den Kapitalismus 
Bruno Brehm I Im Osten des Reiches 
Deutsch-russische Wirtschaffsplanung 


ner Schlösser: Soldatenabschied / Hans Friedrich Blunck: Kleine Sprüche | Außen- 


tische Notizen = Johannes Stoye: Wo steht Spanien heute? } Jugoslawien im Auf- 
bau | Kleine Beiträge — Gottfried Schlag: Anselm Feuerbach 


ibmonatsschrift / Heft 21 Berlin, 1. November 1939 Preis 30 Pf. 


‚ INHALT 


Bruno Brehm: Im Osten des Reiches 
Rainer Schlösser: Soldatenabschied 
Kurt Seesemann: Der Aufstand gegen den Kapitalismus 


Hans Friedrich Blunck: Kleine Sprüche 


AUSSENPOLITISCHE NOTIZEN 
Johannes Stoye: Wo steht Spanien heute? 
Werner A. Fischer: Deutsch-russische Wirtschaftsplanung 


Jugoslawiens Ausgleichspolitik 


KLEINE BEITRÄGE 


Gottfried Schlag: Anselm Feuerbach 


KUNSTDRUCKBEILAGE 


Anselm Feuerbach: Selbstbildnis. Das Konzert. Studie zur Iphigenie. 


Weiblicher Studienkopf 


lle. Macht 


Führerorgan dernationallozialiftilchen Jugend 


HERAUSGEBER: BALDUR VON SCHIRACH 


Jahrgang 7 Berlin, 1. November 1939 Heft 21 


Bruno Brehm: 


Im Osten des Reiches 


In Prefov, in der Slowakei, gehe ich auf dem Marktplatz umber und fefe mir die 
Häuſer an. Die Mitte des langgeſtreckten Platzes nimmt eine Anlage ein, die ein 
Denkmal umſchließt, von dem nur noch der breite Sockel erhalten iſt. Es mag dort 
zur Zeit, da Preſov noch Eperjes hieß, ein ungariſches Milleniumsdenkmal geſtanden 
ſein, eines jener Denkmale, wie ſie Ungarn zur Erinnerung an den tauſendjährigen 
Beſtand des Königreiches an allen Orten errichtet hatte. Die Mehrzahl von dieſen 
Denkmälern ſind von den Serben, den Rumänen, den Tſchechen und den Slowaken 
geſtürzt worden, die leeren Sockel zeigen an, wo dieſe Erinnerungszeichen einſt ge⸗ 
ſtanden. An der ſchmalen Stirnſeite des Parkes iſt ein zweiter leerer Sockel: dort 
war das Maſarykdenkmal von den Tſchechen errichtet worden, und vor dieſem ſteht 
nun das große Doppelkreuz der Slowakei. Mir gegenüber lehnt in der Türe ſeines 
Geſchäftes ein junger Mann von geradezu fataler Schönheit, den wir nur mit den 
Worten eines Schlagers kennzeichnen können, der gewiß von einem ſeiner weiter 
nach Weſten verſchlagenen Volksgenoſſen ſtammen mag: „Was kann der Sigismund 
dafür, daß er ſo ſchön iſt.“ Das Haar des jungen Herrn iſt leicht gekräuſelt, ſeine 
Schuhe ſind von zweifarbenem Leder, aus der Bruſttaſche ſeines allzu ſchmiſſig ge⸗ 
ſchnittenen Rockes ragt ein ſeidenes Taſchentüchlein, der umflorte Blick der dunklen 
Augen verfolgt gleichgültig die ſingend über den Platz ziehenden Kolonnen eines 
Alpenjägerregiments, deren Nagelſchuhe über das holperige Pflaſter klirren. Ein 
Soldat bes ſlowakiſchen Arbeitsdienſtes, der durch feine blaue Armbinde als Jude 
gekennzeichnet iſt, verſchwindet neben dem ſchönen Sigismund im Geſchäft, um die 
durch ſeinen Dienſt wohl recht unwillkommen unterbrochene Handelstätigkeit wieder 
aufzunehmen. Ein paar Fiaker döſen neben der Anlage in der heißen September⸗ 
ſonne vor ſich hin, und ein jüdiſcher „Waſſerer“ ſchüttet das Fahrgeſtell mit einem 
Kübel Waller an, damit das Fuhrwerk feinen Glanz behalte. Einige Jüdinnen, 
ganz nach der letzten Mode gekleidet, in Gang und Weſen genau ſo, wie wir ſie noch 
vor nicht allzu langer Zeit in Wien oder Prag, wie wir ſie heute noch in Bukareſt 
oder Budapeſt ſehen können, durch keinen Hauch von Provinz etwa verſtaubt, 
trippeln vorbei, von unſerem Sigismund achtungsvoll gegrüßt. Drüben, jenſeits 


2 Brehm / Im Osten des Reiches 


des Partes, klappern nun die Hufe ber Maultiere mit den Maſchinengewehren 
vorbei. — Irgend etwas an dieſem Bild, in dem ſo viele Schichten übereinander 
liegen, ſtimmt mir nicht. Ich gehe an das andere Ende des Marktplatzes zu der großen 
gotiſchen Kirche hinüber. Richtig, da iſt es: der breite Balken, auf dem ſich das 
große ſpätgotiſche Lettnerkreuz erhebt, hat eine deutſche Inſchrift. Ich ſehe mir das 
ſchöne Gewölbe an, verweile bei dem prunkvollen Chorgeftühl und betrete dann 
wieder den weiten Platz. Die Alpenjäger ſind ſchon durchmarſchiert. Nun weiß ich 
auch, was mich ſo beunruhigt hatte: Der weite Platz hier mit ſeinem Park in der 
Mitte iſt der Platz eines deutſchen Angerdorfes, durch alle Zeiten hindurch, durch 
alles Verbauen und Vermauern iſt noch die alte Sprache der Anlage zu vernehmen. 


Ein paar Stunden vorher hatte ich auf einer Paßhöhe über dem Zipſerland ver⸗ 
weilt und gemeint, in ein vergeſſenes und von uns vertanes Paradies zu blicken. 
Deutlich hatte ich tief unter mir, rings um die mächtigen Trümmer der Zipſerburg, 
die deutſchen Dörfer erkannt. Auch dort auf der Höhe war, verborgen von einer 
Baumgruppe, ein Denkmal zu ſehen geweſen, ein Honveddenkmal aus dem Jahre 
1848, das an eine entſcheidende Schlacht der Honved gegen die kaiſerlichen Truppen 
erinnerte. Ein Geiſtlicher hatte ſich zu uns geſellt und im Verlaufe des Geſpräches 
geſagt: „Ich bin Dechant in einem Ort nicht weit von hier. Mein Name iſt polniſch. 
Erzogen bin ich als Ungar. Studiert habe ich in Wien im Pazmaneum, Sie kennen 
ja wohl die jungen Theologieſtudenten in dem blauen Habit; dann ſind wir 
Tſchechoſlowaken, ſpäter Slowaken geworden, was wir morgen fein werden, ob 
Polen oder Deutſche, wir wiſſen es nicht.“ „Polen kaum“, erwiderte ich. Aber mehr 
ſagte ich nicht, denn ich hatte im Verlauf des Geſpräches herausgehört, daß das 
Herz des Dechants für Ungarn ſchlug. Auch er hatte geſtürzte Denkſäulen in ſeiner 
Bruſt, und ich hütete mich, an Wunden zu rühren. Hier kann jedes Wort Gift oder 
Balſam ſein, es iſt nicht gut, in dieſer Dämmerung zu laut und zu deutlich zu 
ſprechen, denn dieſe Geſchichte, die nun anhebt, iſt ja auch nicht mit Worten gemacht. 
Kameraden, ich bitte euch alle, die ihr in den Oſten geht: hütet eure Zungen, ſeid 
klug und zeigt Takt. Schaut mehr mit den Augen, habt Achtung vor fremdem Leid 
und laßt den Menſchen Zeit, ſich an das Neue, das allenthalben Werdende zu ge⸗ 
wöhnen. Glaubt nicht, daß dieſe Menſchen, denen ihr begegnet, falſch ſind, weil ſie 
mit ihrer Meinung nicht herausrücken wollen. All dieſe Völker haben maßlos ge⸗ 
träumt, haben den Boden unter den Füßen verloren und haben — das müßt ihr 
euch immer vor Augen halten, auf unſere Koſten geträumt! Wenn wir vor ſie 
hintreten, ſo tritt die neue Wirklichkeit vor ſie hin, die ſie ganz und gar vergeſſen 
hatten. Der alte, nun endlich überwundene Zwieſpalt preußiſch⸗öſterreichiſcher Ge⸗ 
ſchichte allein war es, der unſere großen Verluſte im Oſten bewirkte. Nun find wir 
wieder hier. Und ihr werdet die Spuren unſerer Arbeit in faſt allen Städten des 
Oſtens finden. Haltet die Augen offen! Nicht allzu oft haben Geſchlechter, wie das 
eure, das Glück, ſelbſt Geſchichte machen zu dürfen. Erweiſt euch dieſer Ehre würdig! 

Weiter nach Norden geht es; mit Wehmut nur verlaſſe ich dieſes ſchöne Land der 
einſt deutſchen Bergſtädte, von dem mir mein Vater einſt nicht genug hatte erzählen 
können. Er hatte als Leutnant hier in den Karpaten gedient und mit anſehen 
müſſen, wie die Deutſchen damals madjariſiert wurden. Er dachte nur mit Bitter⸗ 
keit an jene Zeit, in der ein Stück Volkstum nach dem anderen abgewürgt worden 
war. Die Städte waren verlorengegangen, die Bauern ſind geblieben, bis weit 
über Lemberg hinaus. Was wir nun ſehen, wirkt geradezu geſpenſtiſch. Wir kommen 
durch Ortſchaften, die nach ihren Häuſern und Kirchen ein rein deutſches Gepräge 
haben, waren es doch einſt deutſche Gründungen, deren Siedler den Weg über 


Brehm / Im Osten des Reiches 3 


Breslau und Krakau genommen hatten. Die Deutſchen find verſchwunden, fie haben 
bas Geftange des ungariſchen Königreiches gebildet, in ihren Häuſern wohnen auf 
den weiten Plätzen nur mehr Juden. 


Wie dieſe Juden ausſehen, hat ein Jude, nämlich Heinrich Heine, im Jahre 1822 
beſchrieben, und es hat ſich ſeit dieſer Zeit faſt nichts geändert: „Das Außere der 
polniſchen Juden iſt ſchrecklich. Mich überläuft ein Schauder, wenn ich daran denke, 
wie ich hinter Meſeritz zuerſt ein polniſches Dorf ſah, meiſt von Juden bewohnt 
Bis auf wenige Ausnahmen ſind alle Wirtshäuſer Polens in den Händen der 
Juden, und ihre vielen Branntweinbrennereien werden dem Lande ſehr ſchädlich, 
indem die Bauern dadurch zur Völlerei angereizt werden.“ 


Dieſe Juden des Oſtens gehen nicht, ſie flattern in ihren langen ſchwarzen Röcken, 
ſie hüpfen, ſie ſchlürfen, ſie ſtehen herum und fahren haſtig auseinander, ſie arbeiten 
nicht, ſie haben ſich in den Brennpunkten des Lebens eingeniſtet, um einen ſchmieri⸗ 
gen Zwiſchenhandel zu treiben, von deſſen Gewinn nicht ein Groſchen dem Gaſtvolke 
zugute kommt. Sie ſind es, die nicht nur hier, die in dem ganzen heute im Zwielicht 
liegenden öſtlichen Raum alles verſperren und verſtopfen, ſie ſind es, die ſich in den 
von uns gebauten und dann wieder von uns aufgegebenen Städten an unſerer 
Stelle eingeniſtet haben. Sie ſind unſer häßlichſtes Zerrbild, ſie ſprechen noch unſere 
verderbte Sprache, aber ſonſt haben ſie nirgends auch nur einen Bruchteil jener 
Arbeit geleiſtet, die unſere Siedler im Oſten getan haben. Es iſt betrübend für uns, 
daß es noch keine Geſchichte dieſer Ablöſung unſeres Volkes durch die Juden gibt, 
und vielleicht findet ſich einer unter euch, der ſich dieſer ſo notwendigen Arbeit 
unterziehen will. Sie muß geleiſtet werden, wenn wir mit den Völkern des Oſtens 
zuſammenleben wollen. Denn darüber dürften wir uns wohl alle klar ſein, daß 
in Hinkunft nirgends mehr Heines Wort gelten darf: „Zwiſchen Bauer und Edel⸗ 
mann ſtehen in Polen die Juden. Dieſe betragen faſt mehr als den vierten Teil 
der Bevölkerung, treiben alle Gewerbe und können füglich der dritte Stand Polens 
genannt werden. Unſere Statiſtik⸗Kompendienmacher, die an alles den deutſchen, 
wenigſtens den franzöſiſchen Maßſtab anlegen, ſchreiben alſo mit Unrecht, daß 
Polen keinen tiers état habe, weil dieſer Stand dort von den übrigen ſchroff ab⸗ 
ML. ift, weil feine Glieder am Mißverſtändnis des Alten Teſtaments Gefallen 

nden...“ 


Nun, dak es auf das Alte Teftament, dak es auf die Religion anfomme, das 
glaubte wohl auch der Freigeiſt Heine nicht. Die Dinge liegen etwas anders, bie 
Wurzel des Übels reicht tiefer. Die Judenfrage in dieſem ganzen Raume iſt die 
eigentliche Frage der Zukunft. Nun, da wir nach jahrhundertelanger Abweſenheit 
dahin wieder zurückkehren, kann es uns niemand verargen, daß wir jenen, die uns 
mittlerweile ſo ſchlecht und ſo verzerrt vertreten haben, klar und deutlich ſagen, daß 
wir wieder da ſind. Und wenn wir dieſe Stelle wieder mit rechtſchaffener Arbeit, 
mit Fleiß, mit Maß und Gerechtigkeit ausfüllen, dann werden die anderen Völker 
erkennen, daß ſie keinen ſchlechten Tauſch gemacht haben. 


Wenn ſich die Juden über ihr Schickſal vor der ganzen Welt beklagen, dann müſſen 
wir ihnen doch ſagen, daß ſie ſelbſt es waren, die dieſes Schickſal heraufbeſchworen 
haben. Denn nur ihrer über die ganze Welt hin wirkenden Hetze, ihrer haßvollen 
Unterſchätzung des Deutſchen Reiches war es gelungen, Polens übertriebenes Selbſt⸗ 
bewußtſein bis zum Irrſinn zu ſteigern. Ich entſinne mich noch, wie es 1914 ge⸗ 
melen, Da zogen in der Gegend von Rawaruſka ſtundenlang unſere Regimenter 
durch die kleinen Judenſtädtchen, und die Juden ſaßen geduckt hinter den kleinen 


4 Brehm / Im Osten des Reiches 


Fenſtern ihrer Häuschen. Nach unſeren Truppen zogen die Suiten durch — die 
Juden blieben, fremd ihnen, fremd uns. So werden fie nicht mehr bleiben können, 
denn nirgends zeugt irgendein Ban, ein Feld, eine Straße, ein Platz von ihrer 
Leiſtung. Nirgendwo in Europa waren ſie ſo dicht beiſammen geweſen, hatten ſie 
fait wie ein Volk gelebt. Aber ein Volk muß Spuren feines Wirkens, Zeugen feiner 
Tätigkeit hinterlaſſen. Sie haben Unordnung, Schmutz und keine Spur irgendeiner 
Arbeit zurückgelaſſen, ſie konnten nicht einmal ſelbſt emporſteigen, denn ſie wagten 
es nicht, ihren Reichtum zur Schau zu ſtellen, um nicht den Neid zu erregen. Daß 
uns die Kaftanjuden lieber ſind als jener ſchöne Sigismund vor dem Geſchäft, geben 
wir ruhig zu. Aber lieber ſein heißt doch noch nicht lieb ſein. Alle guten Eigen⸗ 
ſchaften, die ſie als recht⸗ und ſtrenggläubige Juden noch beſaßen, haben ſie auf 
ihrem Weg nach dem Weſten verloren, geblieben war ihnen allein jener gierige 
Blick und jene Fähigkeit, alles auf Handel und Verkauf, auf Wucher und Geld hin 
anzuſehen. 

Die Grenze von der Slowakei nach Polen iſt kaum fühlbar. Einzig der von den 
Tſchechen in zwanzig Jahren nach der Slowakei getragene Amerikanismus, der mit 
Bata⸗Häuſern begann und ſich in faſt neuen, aber kalten und unorganiſch wirkenden 
Siedlungen fortſetzte, bleibt zurück, die Dörfer löſen ſich am Nordhang der Karpaten 
mehr in Einzelſiedlungen auf, wie ſie etwa die Slowenen in Krain bewohnen, die 
ſchönen alten Holzkirchen tauchen auf, und inmitten dieſes ſanften Bauernlandes 
ſtehen glücklos und manchmal — wie Gorlice — noch vom letzten Kriege nicht ganz 
aufgebaut, die Judenſtädte, noch immer ohne Waſſerleitung und ohne Kanaliſation, 
und alle mit den Spuren einer unverwiſchbaren deutſchen Siedlungsgrundlage, fei 
dieſe nun das in der Marktmitte ſtehende Rathaus nach ſchleſiſcher Art, ſei es die 
geräumige Ringanlage mit unverkennbaren Reſten einſt ſchöner Empire⸗ oder gat 
Barockhäuſer. i 


Nun find wir wieder in jenem Land, das als Galizien einft zu Öfterreich gehörte 
unb bas wir im Jahre 1914 als Soldaten durchzogen haben. Alle Ortsnamen find 
uns bekannt, alle Flußläufe wurden in den damaligen Kriegsberichten oft und oft 
genannt. Auf der Straße nach Rawaruſka ſind auch wir damals marſchiert, dort 
glänzt die Kirchenkuppel von Tomaſchow auf, dort ſind wir damals verwundet und 
gefangen worden. Die einſt grünſchimmernden Kupferkuppeln der griechiſch⸗katho⸗ 
liſchen Kirchen ſind im Kriege abgetragen und durch ſtumpfes Zinkblech erſetzt 
worden. Statt der toten Pferde von einſt liegen an den Straßenrändern jetzt zer⸗ 
ſchoſſene polniſche Autos, umgeſtürzte kleine Tanks, große Autobuſſe mit bem Fahr: 
geſtell nach oben. Auf den Feldern pflügen die Bauern, ein alter Mann geht und 
ſtreut aus ſeiner blauen Schürze im weiten Schwung den Samen in die aufgepflügte 
Erde. In endloſen Zügen kommen uns die braunen Kolonnen der Gefangenen ent⸗ 
gegen, müde und abgehetzt von ihren endloſen Märſchen ſtolpern ſie an uns vorbei, 
nur von ganz wenigen älteren Leuten unſerer Truppen eskortiert. Über bie Rüben: 
felder hin zerſtreuen ſich die Polen und ziehen die weißen Rüben oder die Kartoffeln 
aus dem Boden. Schlafende polniſche Reiter auf abgetriebenen Pferden reißt unfer 
Scheinwerfer aus der Nacht, ein ganzes beſpanntes Artillerieregiment zieht mit 
döſenden Fahrern auf den Sattelpferden an uns vorbei in die Gefangenidaft. 
Zwiſchen den Kolonnen der Gefangenen rattern unſere Panzerwagen zurück, und 
dann kommt in unüberſehbaren Fuhren, von den kleinen ſtruppigen Pferdchen 
gezogen, das fliehende und zurückkehrende Volk dieſes unglücklichen Landes, Frauen 
und Kinder zwiſchen Heu und Federbetten, Polen, die vor den Deutſchen nach dem 
Oſten flüchteten und nun wieder vor den Ruſſen nach Weſten zurück wollen. Wir 


— 2 


Brehm / Im Osten des Reiches 5 


kommen durch viele bentide Dörfer, durch die Kolonien im Cholmer Ländchen, wir 
ſprechen mit ben deutſchen Siedlern, die nun ſchon — ach, fie willen gar nicht wie 
oft ſchon, wieder einmal den Krieg durch ihr Land gehen ſehen. Ein Bauer bittet 
uns in ſein Haus, die anderen ſollen nicht hören, was er uns zu fragen hat. Seine 
Mutter, die noch von den Ruſſen aus dem Jahre 1914 her ein Nervenfieber hat, 
liegt teilnahmslos und ausgezehrt in ihrem Bett. Der Bauer nimmt den Hut ab 
und fragt flüſternd: „Bitte, ſagen Sie mir die reine Wahrheit.“ „Gut.“ „Dann 
will ich Sie etwas fragen: Wie ſteht es im Weſten?“ Wir ſagen ihm, daß es im 
Weſten noch zu keinen größeren Kampfhandlungen gekommen iſt. Der Bauer atmet 
auf. „Das iſt wirklich wahr?“ Er möge es uns nur glauben, ſagen wir. „Die 
Polen, die hier durchgekommen find, haben es anders erzählt.“ „Ja“, ſagten wir, 
„die hatten ihren Leuten doch erzählt, daß ſie ſchon in Berlin ſeien mit der Haupt⸗ 
macht, ſie hier wären abgeſprengt und müßten ſich nur noch einige Tage halten.“ Der 
Bauer ſtrich ſich das Haar aus der Stirn: „Dann iſt alles gut. Wenn Deutſchland 
nur nicht fällt. Dann werden wir hier auch nicht zugrunde gehen.“ 


Zwiſchen den großen Straßen, auf denen unſere Panzerwagen ſo ſchnell vorgerückt 
ſind, dehnen ſich endlos die Wälder und Felder mit den kleinen Dörfern den Bächen 
entlang. Stundenlang konnten wir auf den tiefen Sandwegen fahren, ehe wir 
wieder auf unſere Soldaten trafen. Bis in die ſpäte Nacht hinein war Volk auf den 
Straßen, wartend, ſchauend, zagend, hoffend, den Abmarſch der Unſeren erwartend 
und die Ankunft der Ruſſen. Ruthenen in ihren bunten, ſchönen rotweißgeſtickten 
Hemden und Röcken, Burſchen, die auf ungeſattelten ſtruppigen Pferdchen Vieh aus 
den Wäldern trieben, barfüßige Frauen und Männer in Stiefeln. Große Viehherden 
auf den Weiden rings um die Adelsſitze der geflohenen polniſchen Herren, hin und 
wieder auf einem Motorrad ein verſtaubter Meldefahrer, rot noch der Himmel 
vom Brand eines noch nicht gelöſchten Bahnhofes oder einer in Brand geſteckten 
Raffinerie. Ein ſchönes Land, dieſes Galizien mit ſeinen leicht wogenden Hügeln 
und den kleinen Dörfern. Es hat nicht ſtark unter dem Krieg gelitten, der Zugriff 
war zu raſch, nur Weggabeln und Bahnknotenpunkte, Brücken und Kreuzungen 
weiſen die Trichter der Bombeneinſchläge auf. Langſam werden auch die langen 
Reihen der auf den Gleiſen ſteckengebliebenen Züge in Bewegung gebracht, im 
heimkehrenden Flüchtlingſtrom tauchen immer wieder die dunklen Uniformen der 
polniſchen Eiſenbahner auf. Schon ſehen wir, ein Zeichen des kommenden Friedens 
in dieſem Lande, die erſten Rauchwolken aus einer Lokomotive aufſteigen, ein mit 
Flüchtlingen und Gefangenen vollbeſetzter Zug ſetzt ſich langſam in Bewegung, im 
zerſchoſſenen Bahnhofsgebäude amtieren deutſche Eiſenbahner. Und dann die nach 
Weſten zurückmarſchierenden deutſchen Soldaten. Es iſt faſt nicht zu glauben, daß 
dieſe bayeriſchen, oſtmärkiſchen und ſchleſiſchen Regimenter ſolche gewaltige Marſch⸗ 
leiſtungen hinter ſich haben, ſo friſch ſehen die Leute aus, ſo prall ſind die Maultiere 
und die Pferde. Das kann nicht allein die Unbeſchwertheit der vom ſchweren Gepäck 
befreiten Soldaten ſein, was uns da ſo friſch entgegenkommt: ſo marſchieren Sieger, 
ſo ziehen Truppen durch ein Land, das ſie in unvorſtellbar kurzer Zeit ſich unter⸗ 
worfen haben. Es mag wohl viele ſtolze Gefühle geben, eines der ſchönſten aber 
iſt doch dies: als Soldat durch ein erobertes Land zu marſchieren. Es iſt dann ſo, 
als begönne mit dieſem Marſch eine neue Zeit und ein neues Leben, als trügen 
dieſe Truppen des Reiches Zukunft ſelbſt mit ſich in die Ferne. In eine Ferne wird 
dieſe unſere Zukunft getragen, die wir mit unſerem Herzſchlag durchpochen müſſen. 
Denn nach dieſen braven Soldaten, von denen jeder einzelne das ganze Reich ver⸗ 
tritt, hat unſere Arbeit, hat unſere Ordnung zu kommen. Wir hoffen, daß es keine 


6 Brehm / Im Osten des Reiches 


feelenlofe, feine mechaniſche Ordnung allein fein wird, die wir zu bringen haben. 
Was wir dafür erhalten? Licht, Luft, Weite! Befreiung von zu engem Aneinander⸗ 
kleben, Freiwerden von zu großem Druck aufeinander, Möglichkeit für viele junge 
Menſchen, die in das warme Werden und Leben hinaustreten und dort auf ver⸗ 
antwortungsvollem Poſten ganze Arbeit werden leiſten können. Wir wiſſen es und 
unſere Gegner werden es mit Staunen ſehen, wie ſehr ſich unſer Volk ſtrecken läßt, 
das heute noch immer auf der Stelle treten muß. Einer dieſer Schritte iſt getan. 
Die andern werden ſich das nicht erklären können. Aber ſie hätten doch ahnen 
müſſen, wie ſtark der Dampfdruck ſchon geſtiegen war. Denn nur ein Volk, das ſo 
zuſammengepreßt worden war, kann ſolche Schnellkraft zeigen. 

Nun werden die wahren Verhältniſſe nach Größe und Kraft unter den Völkern 
im Oſten wiederhergeſtellt. Wir werden vieles beſſer zu machen haben, als wir es 
früher gemacht hatten. Wir haben alle aufmerkſam zu ſein und uns um Tatſachen 
zu kümmern. Das, was uns vor der Geſchichte allein rechtfertigen kann, werden 
unſere Leiſtungen ſein müſſen, hinter denen Gerechtigkeit ſtehen wird. Wir haben 
ſeit Jahren ſchon die Größe der Stunde geahnt, nun iſt ſie vor uns hingetreten und 
ruft uns zu, die Augen offen zu halten und wach zu bleiben. Ihr habt es bei der 
Tſchecho⸗Slowakei, ihr habt es bei Polen geſehen: es läßt ſich nichts ſchenken, und 
wenn ſich noch ſo viele Mächtige in Verſailles verſammelt hatten, um dieſe Geſchenke 
zu verteilen. Uns hat man nichts geſchenkt. Das, was der Führer erworben hat, 
das hat unſer Volk ſich verdienen müſſen. Hoffen wir, daß ihr, die nach uns 
Kommenden, es verſteht, das Erworbene auch zu halten. Denn von nun an wird 
unfer ganzes Volk Dienſt tun müſſen, und immer werden wir Ronden ausſchicken, 
die mahnen und rufen, daß niemand in Schlaf ſinke von jenen, die auf der Wache 
zu ſtehen haben. 


doldatenablchied 


Aber fiche! {chon hat Gott gelprochen, 
und das Zärtliche zerltiebt. 

Unleres Glückes Glocken find zerbrochen, 
und das Herz muß Heiligerem pochen 


als der Wolluft, die das Leben liebt. 


Doch ein Nachklang von dem Sang der Süße - 
Gott wird gnädig fein! — 
geht, Oeliebte, die ich ewig grüße, 


in den Schlußchoral der Feldfchlacht ein. 
Rainer Schlöffer 


Kurt Seesemann: 


Der Aufstand gegen den Kapitalismus 
Imperialismus der britiſchen Händler und deutſcher Sozialismus 


Die e Verantwortungsloſigkeit der politiſch führenden Schichten der 
britiſchen Plutokratie gegenüber dem gemeinſamen europäiſchen Schickſal, die mit 
der engliſchen Kriegserklärung an Deutſchland am 3. September 1939 unverhüllt 
zu Tage trat, wirft erneut die A nach den eigentlichen pſychologiſchen und 
geſchichtlichen Gründen für das Verbrechen auf, durch das die Welt ſchon genau 
ein Vierteljahrhundert zuvor in eine Kataſtrophe allergrößten Ausmaßes — den 
Weltkrieg — geſtürzt wurde. | 

Wir willen heute, daß der Weltkrieg bie logiſche golge der ſyſtematiſchen 
britiſchen Einkreiſungspolitik Deutſchlands ſeit der Jahrhundertwende war. 
Deutſchland ſollte als der mächtigſte Staat des Kontinents vernichtet werden! 
Was aber verſprach ſich die führende Schicht der britiſchen Plutokratie von einer 
Vernichtung Deutſchlands? Hat nicht die Weltwirtſchaftkriſe es mit genügender 
Deutlichkeit gezeigt, daß die Ausblutung eines wichtigen Handelspartners auch 
ber übrigen Welt nur zu unendlichem Schaden gereicht? Und kaum, daß fid) die 
Welt von dieſer größten aller Wirtſchaftskataſt rophen zu erholen begann, ſetzte 
die britiſche 9 spolitik gegen das wiedererſtarkende Deutſchland ein, 
ohne Rückſicht darauf, ob Europa und womöglich noch die übrige Welt — man 
denke nur an den britiſchen Königsbeſuch in den Vereinigten Staaten von Nord⸗ 
amerika — wieder in eine Kataſtrophe rieſigen Ausmaßes ſtürzt. 


Mit Schlagworten wie etwa denen vom Kampf um die Vormachtſtellung zwiſchen 
Athen und Sparta oder Karthago und Rom wird man die eingangs aufgeworfene 
rage nicht löſen, denn e geſchichtliche Vorgang ijt einmalig und wiederholt 
d nicht. Wohl aber wird man auf den Verlauf der geſchichtlichen Entwicklung 
er letzten Jahrhunderte zurückgreifen müſſen, um jene Kräfte und geſchichte⸗ 
bildenden Mächte zu entſchleiern, bie das Verhängnis einer neuen Weltkataſtrophe 
jetzt zu vollenden bemüht find. Sie wurzeln in der Zeit der Entſtehung des 
Merkantilismus und Parlamentarismus, in der Zeit der Entſtehung einer neuen 
Geldherrſchaft. Zunächſt ſei jedoch vermerkt, daß die Plutokratie der ſogenannten 
neuen Geſchichte, verglichen an den Methoden der Plutokratie des Altertums, es 
meiſterlich verſtanden hat, unter den Schlagworten der Preſſe- und Redefreiheit, 
der politiſchen Gleichheit, des allgemeinen geheimen Wahlrechts, des Parlaments 
und anderen politiſchen Tarnungen ein Herrſchaftsſyſtem zu errichten, das die 
eigentlichen plutokratiſchen Drahtzieher den Blicken der Offentlichkeit völlig ver⸗ 
birgt. Darüber hinaus bewahrte ſie das von ihr geförderte Syſtem der liberalen 
und liberaliſtiſchen Wiſſenſchaft in Geſchichte und Volkswirtſchaftslehre vor den 
Nachforſchungen und Enthüllungen ſeitens der Wiſſenſchaft. 


Merkantilismus und Kameralismus 


Unter dem Merkantilismus verſteht die liberale Volkswirtſchaftslehre jenes 
wirtſchaftspolitiſche Syſtem, das vom franzöſiſchen Miniſter und Wirtſchafts⸗ 
politiker J. B. Colbert in nn im 17. Jahrhundert eingeführt wurde. Durch 
eine aktive Handelspolitik und die hierzu notwendige KC einer kapitaliſti⸗ 
ſchen Induſtrialiſterung war Colbert beſtrebt, die Kaſſenbeſtände der abſolutiſti⸗ 
ſchen Regierung Frankreichs zu erhöhen, um ein vermehrtes Beamtentum und 
ein größeres Söldnerheer zur Sicherung des Regimes unterhalten zu können. 

Durch die Erzielung eines Ausfuhrüberſchuſſes waren die merkantiliſtiſch regierten 
Staaten des 17. und 18. Jahrhunderts beſtrebt, ihre Metallgeldbeſtände zu vermehren. 
Um das zu erreichen, ER Jie nad Möglichkeit alle Roh: und Werkſtoffe ſelbſt zu 
erzeugen und zu fertigen Gewerbeerzeugniſſen teils im ſogenannten Verlagsſyſtem eines 


8 Der Aufstand gegen den Kapitalismus 


kaufmänniſchen Unternehmers, das auf der Heimarbeit aufbaute, teils in neu erftehenden 
Manufakturen, den erſten Fabriken, zu verarbeiten, um dieſe Fertigerzeugniſſe alsdann 
u exportieren. Rohſtoffausfuhrverbote und Einfuhrverbote für Fertigerzeugniſſe unter⸗ 
Küsten dieſes protektioniſtiſche wirtſchaftspolitiſche Syſtem bes Merlantilismus. Die Gin: 
wanderung von Unternehmern und Facharbeitern wurde gefördert. 

Das Streben nach 8 von Rohſtoffquellen und Abſatzmärkten führte in 
den merkantiliſtiſch W ds taaten zu einer auf kolonialen Erwerb ausgehen⸗ 
den Politik, der die Kolonien, wohlgemerkt, nicht etwa neues Siedlungsland für 
bas eigene Volkstum, ſondern lediglich Gebiete der Rohſtoffausbente und überdies 
noch Abſatzmärkte für die Induſtrieerzengniſſe des imperialen Kapitalismus 
bedeuteten. Mit wechſelnden Erfolgen und ſehr blutigen Kriegen vollzog ſich 
deshalb die Entwicklung der kolonialen Imperien Englands und ichen dis im 
17. und 18. Jahrhundert. Und doch beſtanden zwiſchen der merkantiliſtiſchen Politik 
Englands und Frankreichs Weſensunterſchiede, die weder von der hiſtoriſchen 
noch nationalökonomiſchen Forſchung bisher ausreichend gewürdigt wurden. 


War denn Colbert der eigentliche Schöpfer des Merkantilismus? Hatte nicht 
ſchon vor ihm der um 20 Jahre ältere Oliver Cromwell in England, anknüpfend 
an die Wirtſchaftspolitik der Königin Eliſabeth, eine durchaus merkantiliſtiſche 
Wirtſchaftspolitik getrieben? 

Schon unter Heinrich VIII., Eduard VI. und Maria der Blutigen war der engliſche 
Adel zu einer Vermehrung der Schafzucht und zum „Bauernlegen“ übergegangen. Die 
vom Lande vertriebenen Bauern zogen als Proletariat in die engliſchen Städte und ſtanden 
dort als billige Arbeitskräfte der ſich ſchnell entwickelnden engliſchen Textilinduſtrie zur 
Verfügung. Die engliſchen Kaufleute aber ſuchten neue Abſatzmärkte im kolonialen Raum. 
Schon im Jahre 1600 wurde die engliſche Oſtindiſche Kompagnie von der Königin 
Eliſabeth mit beſonderen Handelsprivilegien ausgeſtattet. 

Doch T Cromwell war der erfte engia: Regent, der nach den Grundlagen 
des Merkantilismus eine Gre planmäßige Kolonialpolitik trieb. Seine 
berühmte, im Herbſt 1651 erlaſſene Navigationsakte griff noch weit über die 
ſonſtigen wirtſchaftspolitiſchen Maßnahmen des Merkantilismus hinaus und 
beſtimmte, daß die Erzeugniſſe fremder Länder nur auf den Schiffen dieſer 
Länder oder engliſchen Schiffen nach England eingeführt werden durften. 


Erſt im Jahre 1661, b. h. drei Jahre nach Cromwells Tode, wurde Colbert zum 
Oberintendanten der en Finanzen in Frankreich berufen. Der englifde 
Merkantilismus iſt alſo weſentlich älter als der Frankreichs. Doch auch der 
Boden, auf dem der engliſche Merkantilismus erwuchs, war ein gänzlich anderer 
als in Frankreich. Cromwells politiſche Laufbahn begann im engliſchen Unter: 
haus, im Parlament, das die Intereſſen der wohlhabenden Schichten, der 
Bourgeoiſie, vertrat. Colbert dagegen war Vertreter bes königlichen Abſolutismus. 
Diefer febr verſchiedene Urſprung des engliſchen und franzöfiſchen Merkantilismus 
iſt im Lauf der Geſchichte niemals ganz verwiſcht worden. 


Noch weit weſensverſchiedener verlief jedoch die Entwicklung des ſogenannten 
Merkantilismus in den deutſchen Fürſtenſtaaten und vor allem in Preußen. 

Zwar hatte der Große Kurfürſt itaniſch Wilhelm von Hohenzollern im Jahre 1681 
koloniale Erwerbungen an der afrikaniſchen Goldküſte durchſetzen können, und ſein 
Schwager, der Herzog Jakob von Kurland, konnte in Weſtindien zeitweilig die Inſel 
Tobago erwerben. Doch der Herzog von Kurland ſah ſich gezwungen, Tobago an die 
Holländer abzutreten, und die brandenburgiſchen Erwerbungen an der Goldküſte wurden 
vom preußiſchen Soldatenkönig Friedrich Wilhelm I. im Jahre 1717 wieder aufgegeben. 

Das Kolonialſyſtem im Geiſte des Merkantilismus mit ſeiner ſtrengen Ab⸗ 
ſperrung der Kolonie gegen allen fremden Handel blieb im deutſchen Merkantilis⸗ 
mus nur eine vorübergehende Epiſode. Unter dem größten „inneren“ König von 


Der Aufstand gegen den Kapitalismus 9 


Preußen, dem Soldatenkönig, aber wurde der Merkantilismus der weſteuropäiſchen 
Reiche umgewandelt zum Kameralismus, der abſolutiſtiſchen Form des — 
preußiſchen Sozialismus. 

Das gewaltige Werk der inneren Koloniſation Preußens und des deutſchen 
Oſtens unter der 73 Jahre währenden Herrſchaft Dre. Wilhelms I. und 
feines Sohnes Friedrichs des Großen, vermehrte den Bevölkerungsſtand Preußens 
um über fünf Millionen Menſchen, um mehr als das Dreifache. Überdies aber 
verhinderte die innere preußiſche Koloniſation das Entſtehen eines arbeitsloſen 

toletatiats und Maſſenelends in Deutſchland, durch das die Zeit des Gr 
apitalismus in England und Frankreich djarafteriftert ift. Zwar trieben auch die 
preußiſchen Könige eine weitgehend protektioniſtiſche Wirtſchaftspolitik nach dem 
Muſter des Merkantilismus. Sie gründeten Wollmanufakturen, Papierfabriken, 
5 und andere Induſtrieunternehmungen in allen Teilen ihres 

andes. Doch gleichzeitig ſchufen fie durch ihre Bauernfiedlungen eine fihere und 
kaufkräftige Konſumentenſchicht für die induſtriellen Erzeugniſſe, für deren re: 
Re nicht auf bie Märkte eigener Kolonien angewieſen waren. Andererſeits erſchlo 

ie agrariſche Siedlung in Preußen dem Lande neue Rohſtoffquellen. Die Über⸗ 
ſchüſſe des preußiſchen Gewerbefleißes aber ermöglichten eine aktive Handelspolitik 
und Handelsbilanz, die dank der geſunden, auf agrariſcher Baſis viel ert a 
Wirtſchaftsſtruktur des Staates auf die wucheriſche Ausbeutung des merkantiliſti⸗ 
ſchen Kolonialſyſtems ruhigen Herzens verzichten konnte. 


Beſcherte das Merkantilſyſtem in England und Frankreich zwar auf der einen 
Seite einer kleinen Schicht der Bourgeoifie Wohlhabenheit und Reichtum, auf 
der anderen Seite jedoch einem entwurzelten Bauerntum die Proletariſierung in 
den Städten, ſo brachte der Kameralismus dem preußiſchen Lande allgemeinen 
Wohlſtand. Dieſen kraſſen Unterſchied in der Entwicklung des Merkantilismus 
und Kameralismus, der in den ſozialiſtiſchen Elementen des Kameralismus 
wurzelt, unterſchlug uns jedoch bie liberale Wiſſenſchaft, indem fie den Kamera: 
lismus der preußiſchen Könige als eine Abart einer allgemeinen hiſtoriſchen 
Erſcheinung, des Merkantilismus, hinſtellte. Doch erft die Klarſtellung dieſer 
5 aus denen die geſchichtebildenden Mächte der letzten zwei Jahr⸗ 
underte erwuchſen, vermag uns den Blick dafür zu eröffnen, warum auf deutſcher 
Seite das aus ſozialiſtiſcher W'5n, ae entſpringende Gefühl der 
Verantwortung gegenüber der europäiſchen Kultur heute ſo wach und rege iſt, 
und warum es in England und punt Teil aud in gewiſſen an iſchen Kreiſen 
hinter die Intereſſen des persönlichen Profitſtrebens, das fid) im Parlament die 
getarnte politiſche Machtſtellung ſchuf, zurücktritt. 


Nach der Revolution von 1688/89 hatte das engliſche Parlament den zum 
König gewählten Wilhelm III. von Oranien auf die „Declaration of rights“, die 
Vorrechte des Parlaments zur Steuerbewilligung und Geſetzgebung, verpflichtet 
und dieſe Vorrechte in der „Bill of rights“, einem Geſetz der Vorrechte, zum 
Staatsgrundſatz erhoben. ns bedeutete das in der weiteren Entwidlung 
des engliſchen ame daß der engliſche König fi [eine Miniſter aus der 
Mehrheitspartei des Parlaments holen mußte und daß das auf dieſe Weiſe 
guitandege ommene Kabinett, bie engliſche Regierung, zum geſchäftsführenden 

usſchuß der Mehrheitspartei wurde. Daß aber in das Parlament uur die Ver⸗ 
treter der Plutokratie gewählt werden konnten, dafür allein ſorgten ſchon die 
Koſten einer Wahlkampagne für eine Parlamentswahl, die ſich nur der Begüterte 
leiſten konnte. An dieſer Tatſache hat auch die ſogenannte Demokratiſierung des 
Parlaments im 19. und 20. Jahrhundert nur wenig ändern können, betrug doch 
à. B. die Zahl der Abgeordneten der Labour Party, der Arbeiterpartei, nach den 
Wahlen vom 27. Oktober 1931 nur 52 von insgefamt 615 Abgeordneten. 


10 Der Aufstand gegen den Kapitalismus 


Für bie plutokratiſchen Intereſſen blieb es zwar nicht für den Einzelfall, wohl 
aber grundſätzlich gleichgültig, welcher 7 der Abgeordnete angehörte, ob er 
zu den Sec oder Tories, zu den Liberalen ober den Konſervativen zählte, 
denn als Angehöriger der Plutokratie nahm er auch bei allen politiſchen 
Meinungsverſchiedenheiten über die Zweckmäßigkeit dieſer oder jener Geſetze und 
Maßnahmen ſchließlich doch die Intereſſen der Plutokratie wahr. Beſter Beweis 
hierfür iſt die Geſchichte der engliſchen Geſetzgebung, vor allem aber die Geſchichte 
der kolonialen engliſchen Eroberungen. 


Bevor wir jedod) auf diefe näher eingehen, müſſen wir hier nod kurz bie Entwicklung 
des Merkantilismus in 0 ſtreifen. Im abſolutiſtiſch regierten Frankreich war der 
Finanzbedarf Ludwigs XIV. (1643—1715) und Ludwigs XV. (1715—1774) für SIN unb 
bie Verſchwendungen eines üppigen Hoflebens außerordentlich hoch. Die merkantiliſtiſche 
Wirtſchaftspolitik Colberts vermochte nur zeitweilig die Staatsfinanzen zu ordnen. Die 
kolonialen Eroberungen Frankreichs gingen 1763 fal gänzlich an England verloren. Qud- 
wig XVI. (1774—1792) verſuchte vergeblich, den Staatsbankerott aufzuhalten. Die Ein⸗ 
SR ber Reichsſtände am 5. 5. 1789, die er als letztes Mittel in ſeinen Finanznöten 
wählte, um neue Steuerquellen zu erſchließen, führte zur großen Franzöſiſchen Revolution. 
Der dritte Stand, die Bourgeoiſie, erkämpfte ſich politiſche Rechte, die Macht im Staate, 
Gef verfügte die Plutokratie des franzöſiſchen Bürgertums noch nicht über das politiſche 
Geſchick, das die Plutokratie des engliſchen Nachbarvolkes ei eler war gelang es 
uns den politiſchen Führern der franzöſiſchen Plutokratie, eine Wuffiedlung der 

andgüter des emigrierten franzöſiſchen Adels zu verhindern. Die Begründung, man dürfe 
dem foe Fabrikanten bie billigen Arbeitskräfte in der Stadt durch eine Wuffiedlung 
des franzöfiſchen Großgrundbeſitzes nicht entziehen, tjt typiſch für das perſönliche Profit- 
an der merkantiliſtiſchen ponen en Plutokraten. Doch in der nachfolgenden 

chreckensherrſchaft Robespierres verlor die franzöſtſche Plutokratie die politiſche Führung, 
die Adelsgüter wurden aufgeteilt, und die bäuerliche Siedlung ſchuf jenen militäriſchen 
Kraftquell Frankreichs, den man wohl nicht zu Unrecht als das tiefere Geheimnis der 
ſpäteren Napoleoniſchen Siege bezeichnen darf. 


Die franzöſiſche 5 hatte in der a Mee en Stunde der Gran Ten 
Revolution ihre große Chance verpaßt. Kaiſertum, Reftauration und die Zeit Napoleons III 
ließen eine verſchleierte Herrſchaft der franzöſiſchen Plutokratie nicht ſo recht aufkommen. 
Erſt die franzöſiſche Republik, die nach 1871 erſtand, ſchuf die Vorausſetzungen zur Er⸗ 
richtung einer neuen politiſchen Herrſchaft der aa öſiſchen Plutokratie. Doch wie ſtümper⸗ 
haft im Vergleich zur engliſchen wurde dieſe „ errſchaft der 200 Familien“, von der Messe 
in Frankreich ſpricht, errichtet. Wie engem arbeitet im Vergleich zur engliſchen Preſſe 
das franzöſiſche Tie item, von dem jeder im Lande weiß, welchen Intereſſen es in 
Wirklichkeit dient, mesbalb aud die Wahlen in Monk meiſt anders ausfallen als 
das Bild, das zuvor die Preſſe bietet. Frankreich blieb nach der zur Zeit der Franzöſiſchen 
Revolution vollzogenen bäuerlichen Koloniſation im Grunde genommen ein bäuerliches 
Land, und die in die Tauſende gehenden Verurteilungen jener Männer in den erſten 
Wochen des jetzigen Krieges, die ſich gegen den von der engliſchen Plutokratie vom Zaune 
ebrochenen Krieg mit Deutſchland wandten, beweiſen es zur Genüge, daß der wirkliche 

achtbereich der Plutokratie in Frankreich im Grunde genommen erheblichen Beſchrän⸗ 
kungen unterliegt. 


Merkantilismus und Liberalismus 


Um wieviel geriſſener hat demgegenüber die engliſche Plutokratie im Laufe der 
letzten 250 Jahre gearbeitet. Um dieſe Arbeit jedoch zu verſtehen, iſt die Er⸗ 
kenntnis des eigentlichen Zuſammenhanges beim Übergang vom Merkantilismus 
zum Liberalismus in England erforderlich, zumal beide wirtſchaftspolitiſchen 
Doktrinen von der liberaliſtiſchen en bisher ſtets im Lichte kraſſeſter 
Gegenſätzlichkeit geſchildert wurden. In Wirklichkeit hat ein Gegenſatz zwiſchen 
dem engliſchen Merkantilſyſtem und dem Syſtem des engliſchen Wirtſchafts⸗ 
liberalismus nie beſtanden, denn in beiden Syſtemen handelte es ſich für das 
Profitſtreben der engliſchen Plutokratie lediglich um Methoden, von denen bald 


Der Aufstand gegen den Kapitalismus 11 


die eine bald die andere als die zweckmäßigere und vorteilhaftere erſchien; vom 
Geſchäftsſtandpunkte aus geſehen handelte es ſich um folgende Tatbeſtände: 

Das n Kolonialſyſtem hatte neue überſeeiſche Rohſtoffquellen 
erſchloſſen und die kolonialen Rohſtoffe waren oft bedeutend billiger als die des 
Mutterlandes. Wenn man den Weizen aus Überſee billiger beziehen konnte als 
es die heimiſche Produktion geſtattete, ſo war es offenbar vorteilhafter, den 
Fabrikarbeiter mit billigem ausländiſchen Weizen zu ernähren, denn dann konnte 
man ihm auch niedrigere Löhne zahlen und die Induſtrieerzeugniſſe mit noch 
W Profit exportieren. Zölle auf die Weizeneinfuhr mußten offenbar der 
nduſtriellen Proſperität abträglich ſein und dementſprechend der merkantiliſtiſchen 
Forderung nach einer möglichſt weitgehenden 5 Handelsbilanz durch 
verſtärkten Export von Induſtriewaren widerſprechen. Aus der Entwicklung der 
engliſchen Schafzucht und Tuchinduſtrie hatte man la gelernt, daß bas Bauern: 
legen beim Übergang von ber Aders zur Weidewirtſchaft billige Arbeitskräfte 
für die Textilinduſtrie freiſetzte und se dementſprechend auch bie Profite der 
Textilfabrikanten und serporteure zunahmen. Getreides und andere Rohſtoff⸗ 
EL. entſprachen alfo keineswegs der merkantiliſtiſchen giellegung einer 
profitablen Exportwirtſchaft mehr, ſobald fie den Produktionsfaktor der Arbeit, 
die Löhne der Textilarbeiter, unnötigerweiſe hochhielten. Zudem aber machte der 
techniſche Vorſprung, den die engliſche Induſtrie gegenüber den Induſtrien der 
kontinentalen Länder errungen hatte, auch den Zollſchutz gegen die Einfuhr aus⸗ 
ländiſcher Induſtrieerzeugniffe in England ſelbſt überflüſſig. 


Das merkantiliſtiſche Wirtſchaftsziel einer aktiven Handelsbilanz ließ ſich alſo 
beſſer bei einem Freihandelsſyſtem erreichen, und zwar beſonders dann, wenn 
man durch eine Propaganda für das Freihandelsſyſtem dahin kam, daß andere 
Staaten mit einer techniſch rückſtändigen Induſtrie auch zum Freihandelsſyſtem 
übergingen, den Zollſchutz aufhoben und ihre gewerbliche Wirtſchaft damit, wie 
das der deutſche Nationalökonom Friedrich Liſt (1789 bis 1846) klar erkannte, 
dem überlegenen engliſchen Wettbewerb auslieferten. Damit iſt jedoch keineswegs 
geſagt, daß ſich die Handelspolitik der britiſchen Plutokratie auf die Mittel einer 
pſeudo⸗wiſſenſchaftlichen Propaganda beſchränkte. Im Gegenteil — mit Krieg 
und Waffengewalt wurde nur zu häufig ein läſtiger ausländiſcher Wettbewerb 
beſeitigt. Während des Spaniſchen Erbfolgekrieges zwang z. B. der britiſche Ge⸗ 
ſandte Se Methuen König Pedro II. von Portugal zum Abſchluß bes ſogenannten 
Methuen⸗Vertrages, der die Einfuhr engliſcher Wollwaren in Portugal erzwang 
und die blühende portugieſiſche Wollinduſtrie vernichtete. Hier war der Spaniſche 
Erbfolgekrieg gleichſam nur ein Deckmantel für die Erſchließung eines neuen Ab⸗ 
ſatzmarktes zugunſten des Profits der engliſchen Textilinduſtrie. Und ebenſo wurde 
nach der Eroberung Indiens das uralte indiſche Handwerk der Herſtellung von 
Baumwollſtoffen durch den Import engliſcher Textilwaren vernichtet. 


Die Erſchließung von Abſatzmärkten und die Beſetzung wichtiger Rohſtoffländer 
war und blieb die politiſche Aufgabe des engliſchen Parlaments, der politiſchen 
Tarnungsinſtitution der britiſchen Plutokratie, ſowohl zur Zeit des Merkantilis⸗ 
mus als auch in der nachfolgenden liberaliſtiſchen Zeit, und zwar mit dem letzten 
e der Kontrolle ao tele aller Robhjtoffmartte der Erde und des gelamten 

andels der Welt. Und bieles Ziel war ein politiſches unb wirtſchaftliches Dol 
Beherrſchte England die Rochſtoffmärkte und den Handel der Welt, jo ſtanden alle 
Länder in wirt y Slacade ma Abhängigkeit von England und konnten im Kriegs⸗ 
fall durch engliſche Blockademaßnahmen in die Knie gezwungen werden. Im Frieden 
aber gapin diefe Länder ber engliſchen Handelsporherrihaft ihren Tribut, ber es 
dem britiſchen Imperium ermöglichte, mühelos die größte Kriegsflotte der Welt zu 
bauen und zu unterhalten, um auch machtpolitiſch jederzeit die Vorherrſchaft des 


12 Der Aufstand gegen den Kapitalismus 


britiſchen Handels durchſetzen zu können. Daß die durch bie Kriegsflotte geſicherte 
5 des engliſchen Handels äußerſt profitabel war, zeigt vor allem der 
ungeheure Reichtum, den England bis zum Weltkrieg in ſeinem Welthandels⸗ 
zentrum London aufzuhäufen vermochte. 

Doch dieſe Häufung von Reichtümern an den Ufern der Themſe im Verlauf der 
letzten 300 Jahre iſt gekennzeichnet durch eine endloſe Kette blutiger und blutigſter 
Kriege, die alle im Dienſte des er ber engliſchen Plutokratie durch⸗ 
gejo ten wurden. In den letzten 3 ahren, d. h. ſeit dem Jahre 1639, in welchem 

önig Karl I. mit einem Heere nach Schottland zog, zählt die britiſche Geſchichte 
161 Kriegsjahre und nur 139 Friedensjahre. In dieſen 161 Kriegsjahren raubte 
dk er fein Weltreich 1 Oft waren es mehrere Kriege, die England 

leichzeitig führte. Die letzte Triebfeder bei allen dieſen pie Be aber war ftets 
as Geſchäftsintereſſe der britiſchen Plutokratie, denn fie bewilligte ja in jedem 

all die für die Kriegführung erforderlichen Geldmittel und die aus ihren Reihen 
ammenden Parlamentsführer waren es, die die Kriege anzettelten und führten. 
Ob hierbei religiöſe, kulturelle oder ſonſtige Motive zur Verſchleierung der eigent⸗ 
lichen imperialtilen Kriegsziele als Kriegsgründe propagiert wurden, war ftets 
nur eine Frage der I Zweckmäßigkeit, bod) würde der ins einzelne ee 
Nachweis ber Scheinheiligkeit der engliſchen Rriegsmotivierungen den Umfang 
eines größeren Geſchichtswerkes füllen, weshalb wir uns hier nur mit wenigen 
Beiſpielen begnügen müſſen. 


Englands Naubkriege 


Im Kampf um die Weltherrſchaft ſiegte England zuerſt über Spanien, alsdann 
über Holland und ſchließlich über Frankreich. 

eko? unterlag den Engländern in den Kriegen von 1652 bis 1667. Der Sieben» 
jährige Krieg und Friedrichs Sieg entſchied die koloniale Vormachtſtellung Englands aud 
E Frankreich. Im Frieden von Paris mußte fen. Dies Kanada, Louiſiana und 

enegambien ſowie Oſtindien den Engländern überlaſſen. Die Hauptlaſt a ag Krieges 
durfte Preußen für England tragen. Die Kriegskoſten aber wollte England auf feine 
Koloniſten in Amerika, die ohnehin bereits den größten Teil der Kriegslaſten getragen 
hatten, abwälzen, weshalb das engliſche Parlament im Jahre 1764 nach den Prinzipien 
des kolonialen Ausbeutungsſyſtems ein ec für die Kolonien erließ, das Einfuhr⸗ 
ölle für Kaffee, Zucker, Seide und Wein, d. h. für Waren, die nicht aus England ſelbſt, 
te aus dem Ausland ftammten, vorſchrieb. Dieſe neue Methode der kolonialen Aus⸗ 
M durch die engliſche Plutokratie aber Dose zum Aufſtande der amerikaniſchen 
Anſiedler, zum Unabhängigkeitskriege der Amerikaner und zur Gründung der Vereinigten 
Staaten von Nordamerika. 

Der nordamerikaniſche Anabhängigkeitskrieg war der einzige Krieg, den die eng» 
liſche Plutokratie im Laufe der letzten 300 Jahre verlor, aus dem ſie Ko die 
politiſche Lehre zog, bie Ausbeutung der Kolonien mit Jubtileren Mitteln und in 
verſchleierteren Formen durchzuführen. Es genügte ja auch voll und ganz, wenn 
die in den Kolonien inveſtierten Kapitalien der engliſchen Plutokratie ihre Profite 
nach England abführten. Seit dieſer Zeit wurde die Kapitalinveſtierung der eng⸗ 
liſchen Plutokratie im Auslande, in den kolonialen Räumen, zur wichtigſten Trieb⸗ 
kraft der britiſchen Eroberungspolitik. Wir greifen deshalb hier die wichtigſten 
Fälle dieſer engliſchen Raubkriege heraus. | 

Wie bereits 15 war die Britiſch⸗Oſtindiſche Kompanie im Jahre 1600 durch einen 
königlichen Freibrief entſtanden. Sie gründete Faktoreien in Surat 1612, in Madras 1639, 
in Bombay 1661 unb in Kalkutta 1690. 1661 wurde ihr von Karl II. die ue 
barkeit, die Militärgewalt und das Recht der ſelbſtändigen Kriegsführung in Oſtindien 
verliehen. 1686 erhielt ſie von Jakob II. das Recht, Truppen auszuheben und Münzen zu 
EH g Ihre Handelsgewinne waren enorm. 1765 fam ganz Bengalen unter ihre Herr: 
chaft, während der Napoleoniſchen Kriege kam Ceylon in engliſchen SE Die weitere 
Eroberung Indiens vollzog fih im Lauf des 19. Jahrhunderts. Indien aber wurde eines 


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Der Aufstand gegen den Kapitalismus 13 


der wichtigſten Abſatzländer für engine Induſtriewaren. Zwar wurde bie Britiſch⸗Oſt⸗ 
indiſche Kompanie nach dem großen Aufſtand von 1857/58 aufgelöſt, und Indien kam unter 
die unmittelbare Herrſchaft eines von London aus ernannten izekönigs, doch war das 
ſchließlich nur ein Wechſel in der politiſchen Form, denn die Ausbeutung Indiens durch 
die engliſche Plutolratie blieb nach wie vor beſtehen; fie war durch die Anderung ber 
ei en Form nur beffer getarnt. Es war ja doch dieſelbe engliſche Schicht, bie ſowohl 

e Britiſch⸗Oſtindiſche Kompanie beherrſchte und die durch ihren parlamentariſchen Ein⸗ 
fluß die Ernennung des Vizekönigs praktiſch beſtimmte. 

Die Britiſch⸗Oſtindiſche Kompanie hatte mit China einen lebhaften Opiumhandel 
getrieben. Mit dem Erlöſchen der Monopolrechte der Kompanie im Jahre 1834 ging die 
“dpe eet Verwaltung ns gegen bie im offenen Schmuggel von den Engländern 
betriebene Einfuhr indiſchen Opiums vor, um die verheerenden Wirkungen bes Opium» 
genuffes in China einzudämmen. Der chineſiſche Vizekönig Lin Tſe⸗Sü erzwang 1839 in 

anton die Auslieferung und Vernichtung von 20 283 Kiſten Opium, was England ver⸗ 
anlaßte, China den Krieg zu erklären. Das Ergebnis dieſes aus ſchmutzigſten und 
aſozialſten Handels intereſſen von England vom Zaune gebrochenen ſogenannten „Opium⸗ 
krieges“, der ſich von 1840—1842 erſtreckte, brachte England im Frieden von Nanking die 
Abtretung von Hongkong. 

Die Gold⸗ und Diamantenfunde in den Burenrepubliken Südafrikas erregten in den 
Kloer Jahren bes vorigen Jahrhunderts bie Begehrlichkeit ber nalen ändlerkaſte. 

itten im Frieden, Ende Dezember 1895, unternahm der Engländer L. S. Jameſon einen 
Handstreich gegen bie Burenrepublik Transvaal, wurde jedoch am 2. 1. 1896 von den 

uren bei Krügersdorp überwältigt. Doch Cecil Rhodes, der Vorkämpfer des engliſchen 
Imperialismus in Südafrika, war nicht gewillt, dieſe engliſche Niederlage hinzunehmen. 
1 fam es zum Burenkriege, ber 1900 zur Annexion Transvaals Do und der 
engliſchen Plutokratie die reichſten Goldfelder der Erde ſicherte. Der Weltkrieg aber brachte, 
abgeſehen von den deutſchen Kolonien, eines der reichſten Erdölvorkommen der Welt, den 
Staf, in engliſche Hand. 
Schlußwort 


Die wenigen hier 1 Beiſpiele engliſcher Raubkriege, die ſich noch 
dutzendweiſe vermehren ließen, zeigen mit aller Eindringlichkeit, daß als Trieb⸗ 
feder zu allen dieſen Kriegen nur das eine Einzige gewirkt hat: die Profits 
der u ML MA Plutokratie. Und dieſer Profitgier wollte ſich 
entichlaud entziehen, indem es [einen Außenhandel auf nene, von England unab⸗ 
pengige Grundlagen bes gegenjeitigen Gütertauſchs ſtellte und indem es [eine 

irtſchaft durch die Stärkung der Agrarbaſis dem würgenden Zugriff Englands 
entzog. Erſt entfeſſelte England dagegen eine wütende Propaganda mit den 
Schlagworten, Deutſchland wolle ſich durch Autarkie der Gemeinſchaftsarbeit der 
Völker entziehen, und ſuchte hinter dieſen Schlagworten die eigentlichen Motive, 
die Einſchränkung der Profite des engliſchen Zwiſchenhandels und die Befreiung 
Deutſchlands vom engliſchen wirtſchaftspolitiſchen Druck zu ver⸗ 
bergen, wurde doch die Gefahr immer größer, ae ch Deutſchland durch bie Qos- 
öſung von der zwingenden Abhängigkeit ausländiſcher Zufuhren den Wirkungen 
einer engliſchen Blockade entzog und damit die Unbedingtheit der en oen Vor⸗ 
errſchaft in Frage ſtellte. Vor allem aber gab es im neuen Deutſchland keine 
lutotratie, mit der man ſich hätte verſtändigen können und die durch ihren 
anonymen Einfluß über ein Parlament die politiſche Entwicklung hätte beeinfluſſen 

nnen, wie etwa in Frankreich oder in den USA. Dagegen wirkte in Deutſchland 
der bereits im Kameralismus zum Ausdruck gekommene Sozialismus der preu⸗ 
dän Könige, ber den Korruptionen parlamentariſcher Syſteme unzugänglich 
leibt. So ſtehen ſich denn merkantiliſtiſche Profitgier und kameraliſtiſches Verant⸗ 
wortungsbewußtſein, imperialiſtiſches Weltherrſchaftsſtreben und ſozialiſtiſcher Ge 
meinſchaftsſinn feindlich gegenüber. Die Gelege, unter denen die Völker bereits 
vor 250 Jahren antraten, ſollen jetzt, fo Ve es der Wille der britiſchen Plutokratie, 
zum blutigen Austrag kommen. Und weil es ſich um Grundgeſetze des Volkslebens 


a 


14 Blunek / Kleine Sprüche 


ane ſoll > das deutſche Volk als ſolches nach dem Willen ber melt; 
eherrſchenden Plutokratie vernichtet werden. Aber die Lektion von Verſailles 
wurde dem deutſchen Volk zu blutig ins Herz geſch . Es hat in den Stunden, 
da die alte engliſche a ſchon den endgültigen Beſchluß gefaßt hatte, 
den unbequemen wirtſchaftlichen Nebenbuhler zu zerſchlagen, in der Weltmacht 
Sowjet⸗Rußland einen Verbündeten erhalten, der as gleiche Intereſſe an einer 
gerechten europäiſchen Ordnung wie wir beſitzt, in dem wir aber gleichzeitig einen 
entſchiedenen Partner haben, wenn wir den aufgezwungenen Kampf annehmen und 
ihn als den Auſſtand der jungen Völker gegen den alten meftenropáliden Kapis 
talismus begreifen. 


Hans Friedrich Blunck: 


Kleine Sprüche 


Harte Äcker, magere Garben 

Haben Not und Tat vermählt. 

Große Völker müssen darben, 

Eh’ sie Gott zu Herren wählt. 

Dank ihm, wenn dich Kargheit stählt. 


Du möchtest Freiheit? Möchtest ohne Bürde, 
Gehorsam und Befehl dein Leben küren? 

Adliger, Freund, und höhere Menschenwürde 

Sind Zucht und Fügung. Ehre nach Gebühren 

Den größ’ren Geist, sel stolz, will er dich führen. 


Vergiß den Tag nicht abzuschließen, Bruder, 
Er will noch eine Welle des Gerichts, 

Da du mit dir zu Rat gehst, überprüfst, 
Was du In dir geweckt. So reich ist nichts 
Wie diese Muße mitternächtigen Lichts. 


Wo Ordnung schlaff wird, hebt sich in Gewittern 
Der Geist, der gellend unsere Welt zerstört. 

Der heiße Dunst, der durch die Ebene schwärt, 
Weekt auch den Strahl, in dem die Eschen splittern. 


Reden mögen die andern, du, Deutscher, schau in die Ferne, 
Denk zukünftiger Zeit, die Gottes Sinnen entschwebt. 

Kurz ist der Tag der Kleinen, da aber lerne, 

Wle ein Ewiges in dir ins Ewige lebt. 


Hüt dich, dein Leben nur als Bürde tragen, 

Hüt dich, es leicht, ein flüchtiger Gast, zu nehmen; 
Werde zur Mitte, werde wie der Baum, 

Um den die Wiese blüht, sei Leib statt Schemen. 


Was gestern recht, ist heut verkehrt, 

Was gestern strahlt, ist heut geblendet. 

Hüt dich vorm Alltag. Wahrhelt wendet 
Nur dem sich zu, der aus dem Ewigen lehrt. 


eufenpolitifche Holzen 


Johannes Stoye: 
Wo steht Spanien heute? 


Es iit nicht leicht, bie geiftige Situation 
Spaniens von heute xta einen Generals 
nenner zu bringen. Dazu find die einzelnen 
Spanier viel zu große Individualiſten mit 
einem gewiſſen Hang zur Anarchie. Es ift 
aber Franco gelungen, die Extremiſten ver⸗ 
ſchiedener Gattungen in den Hintergrund 
zu drängen, indem er die Einbeziehung der 
im Bürgerkrieg notgedrungen auf roter 
Seite kämpfenden Spanier und mancher 
anderer Irregeleiteter und nun ehrlich 
Überzeugter in den neuen Staat vollzog. 
Er hat feine Poſttion verſtärkt, indem er 
neben der exekutiven auch ſeine legis⸗ 
lative Gewalt erhöhte. Zwiſchen Partei 
und Regierung ſchob man die „Junta 
Política^ (Politiſcher Ausſchuß) ein, mit 
erences Schwager Serrano Süner als 
pitze; gleichzeitig iſt Süner „Ministro de 
la Gobernaciön“, alfo Innenminiſter. Ne⸗ 
ben der Junta Politica wurde ein Ver⸗ 
teidigungsdirektorium ins Leben pue 
bas bem Caudillo direkt unterſteht. Es ging 
nicht ohne die Ausbootung einiger Perſön⸗ 
lichkeiten ab; wir erwähnen nur Fernando 
Cueſta, den früheren Parteiſekretär, der 
greidiaeitig Ackerbauminiſter war und im 
dieſer Eigenſchaft ſeinen Nachfolger in 
Banjumen fand, während General Muñoz 
Grande nunmehr Parteiſekretär iſt. Man 
on im Lager der weſteuropäiſchen Demo: 
tatien hämiſche Bemerkungen über dieſes 
Revirement natürlich nicht unterdrücken 
können, aber ſogar der „Economiſt“ hat in 
ſeiner Ausgabe vom 26. Auguſt 1939 zu⸗ 
geben müſſen, daß gar keine en für 
die Feinde des neuen Spaniens beſtehen, 
einen Keil in die Regierungseinheit zu 
treiben. Dieſer Konſolidierung der ſpani⸗ 
ſchen Haltung entſpricht es außenpolitiſch, 
daß Spanien zwar eine ſtrikte Neutralität 
im gegenwärtigen Konflikt erklärte, in 
ſeinen Zeitungsäußerungen aber keinen 
Zweifel darüber läßt, wem ſeine Sympa⸗ 
thien gelten und wie ſcharf es die eng⸗ 
liſchen Machenſchaften verurteilt, während 
Frankreich nicht Gegenſtand des Tadels ijt. 


Im Zeihen der Jugend 


Für bie Erkenntniſſe der jetzigen Lage 
in Spanien iſt zunächſt wichtig, daß die 


1 Jugend als Quelle des neuen 
eiſtes gilt. Im „Boletin Informativo de 
la Delegacion Nacional del Servicio 
Exterior“ hieß es in einem le von 
Javier de Bedoya kürzlich: „Nationale Re⸗ 
gierungsformen totalitären Charakters ſind 
immer von der Tätigkeit der Jugend ein⸗ 
gerichtet worden.“ Viele Fähigkeiten müß⸗ 
ten dazu in der Jugend e ſein, 
und er müſſe immer an die Worte Goethes 
denken, die dieſer am 11. März 1828 als 
79 jähriger an Eckermann richtete: „Wär 
ich ein Fürſt, ſo würde ich zu meinen erſten 
Stellen nie Leute nehmen, die bloß durch 
Geburt und Anciennität nach und nach her⸗ 
aufgekommen ſind und nun in ihrem Alter 
im gewohnten Gleiſe langſam gemächlich 
fortgehen, wobei dann freilich nicht viel 
Geſcheutes zutage kommt. — Junge Männer 
wollte ich haben! — Aber es müßten Ka⸗ 
pazitäten ſein, mit Klarheit und e 
ausgerüftet und dabei vom beiten Wollen 
und s Charakter. Da wäre es eine 
Luft zu herrſchen und fein Volk vorwärts 
zu bringen!“ 

Spanien befindet ſich gegenwärtig im Zu⸗ 
ſtand der Beſtandsaufnahme ſeiner Kräfte 
und der Beſinnung auf ſeine Möglichkeiten, 
denn wenn man die Jugend maßgeblich zur 
Staatsführung heranziehen will, dann muß 
man ſich über die Urkräfte, die unzerſtör⸗ 
baren Raſſeſtröme einer Nation klar ſein. 
Spanien iſt dabei, ſeine echte Jugend zu 
erkennen, ſie aber auch zu bilden, damit ſie 
die ungeheure Wiederaufbauarbeit recht 
durchführt und nicht an ihr zerbricht. Denn 
im „Fuero del Traba jo“, dem Grundgeſetz 
ur Ordnung der Arbeit vom 9. März 1938 
ſtehen die inhaltsſchweren beiden Ar⸗ 
tikel XV und XVI: „Der Opferfreudigkeit 
der kämpfenden Jugend Spaniens haben 
alle Elemente der nationalen Produktion 
zu entſprechen. Der Staat verpflichtet ſich, 
die kämpfende Jugend auf die Arbeitsplätze 
zu ſetzen und in die Ehrenämter oder lei⸗ 
tenden Stellen einzuführen, auf welche ſie 
als Spanier ein Anrecht, die ſie als Helden 
erobert haben.“ 

Dieſe Jugend hat die Aufgabe, die nach 
wie vor und trotz aller gelegentlichen Um⸗ 
ſtellungen und Reviſionen voll anerkannten 
Prinzipien von Joſé Antonio Prima de 
Rivera, dem Schöpfer der Falange, in die 
Tat umzuſetzen. Dieſer junge Draufgänger, 


16 AuBenpolitisehe Notizen 


der noch nicht dreißig Jahre alt war, als 
er im politiſchen n eine fo hervor⸗ 
ragende Rolle ſpielte, ging davon aus, daß 
der liberale Staat in Spanien dy 
werden müßte, weil er nicht mehr der Voll» 
ſtrecker des Staatswillens habe ſein können, 
er ie zum einfachen Zuſchauer bei den 
Wahlkämpfen herabgeſunken. Die Völker 
hätten ihre geiſtige Einheit verloren, die 
Parlamentarier fanden keine Zeit zu wirk⸗ 
licher Regierungsarbeit, ſchließlich führte 
das liberale Syſtem zu wirtſchaftlicher Ver⸗ 
ſklavung. Die den Arbeitern gemachten 
groben Verſprechungen ſtanden in kraſſem 
iderſpruch zu dem Nebeneinander von 
Prunk und Entſittlichung. Die Landarbei⸗ 
ter verdienten in Spanien drei Peſeten am 
Tage — und das nur 80 Tage im Jahre! 
So mußte zwangsläufig der Sozialismus 
hochkommen, aber er entgleiſte, weil er 
erſtens die materialiſtiſche Deutung des 
Lebens und der Geſchichte, zweitens den 
Ungeiſt der Vergeltungs maßnahmen und 
drittens die Predigt des Klaſſenkampf⸗ 
gedankens als Grundlage nahm. 

„Wenn wir Männer unſerer Generation 
die Augen öffnen, finden wir uns in einer 
Welt fittliden Verfalls, wir fehen ein Spas 
nien in moraliſchem Verfall, ein durch alle 
Arten von Haß und qol entzweites 
Spanien. Als wir durch die Dörfer diefes 
augen Spaniens zogen, haben wir im 

nneriten unſerer Seele weinen müſſen. 
Als wir die Bauern trafen, Menſchen ohne 
übertriebene Gebärde und ohne müßige 
Worte, die auf anſcheinend trockenen Ackern 
erſtaunlich viel Wein und Weizen zogen, 


und als wir erfuhren, daß ſie von kleinen 


Bonzen (Kaziken) gequält und von allen 
Parteien verlaſſen waren, da mußten wir 
von dieſem ganzen Volk unwillkürlich das⸗ 
ides denken, was dieſes einſt vom Cid 
agte, als er verbannt auf den Feldern 
Kaſtiliens Be me „Mein Gott, welch 
ein guter Vaſall, wenn er einen guten 
Herrn hätte!.“ 

Darum geht es jetzt in Spanien, für den 
uten Lehnsmann einen guten Herrn zu 
finden Nicht nur in der Perſon des Caus 
illo, ſondern in der Geſamtheit der die 
Regierung führenden Männer. Der neue 
wert ſoll weder Sklave ber Intereſſen einer 
ruppe noch einer Klaſſe fein: Die Falange 
iſt eine Bewegung, keine Partei. Denn auf 
der Seóten fut man bas Beſtreben, eine 
ungeredte D aufrechtzu⸗ 
erhalten (wir denken an die Granden und 
Latifundienbeſitzer), auf der Linken wollte 


man die Wirtſchaftsordnung ſo umſtürzen, 
daß auch Gutes mit zerſtört wurde. Das 
neue ſpaniſche Vaterland ſoll aber eine to⸗ 
tale Einheit ſein, die alle Menſchen und 
ve eal e be Für Joſé Antonio 
ſollte Spanien eine „überfinnliche Syntheſe“, 
ein unteilbares Ganzes mit eigenen Zielen 
und i ſein. An die Stelle 
der politiſchen Parteien tritt 
der ſyndikale oder ſtändiſche 
Aufbau. 


Das religiöſe Gefühl, das Joſé Antonio 
den „Schlüſſel zu den beſten Schöpfungen 
der ſpaniſchen Geſchichte“ nannte, ſoll bei 
alledem nicht unterdrückt werden. Hier fin⸗ 
det der Radikalismus der Falange [eine 
hiſtoriſch bedingte Grenze. In Spanien 
and der Staat immer neben der Kirde, 
er achthundertjährige Befreiungskampf 
vom Maurenjoch war weſentlich, wenn auch 
nicht ausſchließlich, ein Glaubenskampf, und 
er machte die Spanier zu begeiſterten 
Katholiken, jedoch nicht zu kritikloſen Jün⸗ 
gern Roms. Denn gleichzeitig entwickelten 
die Reconquiſtakämpfe den ſpaniſchen In⸗ 
dividualismus, der in Europa nicht ſeines⸗ 
poan Bat, mit Ausnahme vielleicht 
rlands. 

So ſoll es uns nicht verwundern, wenn 
heutige ſpaniſche Staatsmänner immer 
wieder von der Religion im allgemeinen 
und der Katholizität im beſonderen ſpre⸗ 
chen. Wir finden das vor allem in dem 
erwähnten Grundgeſetz der Arbeit (Fuero 
del Traba jo). Im amtlichen Kommentar 
dazu heißt es, wenn die Präambel dieſes 
Geſetzes mit einer Beteuerung der Katho⸗ 
lizität beginne, fo liege feine eitle Rhetorik 
vor, denn der Inhalt finde zutiefſt ſeine 
Rechtfertigung im innerſten Weſen Spa⸗ 
niens. enn es hier heiße, Spanien er⸗ 
neuere die katholiſche Tradition der ſozialen 
Gerechtigkeit und des hohen Menſchengeiſtes, 
lo bedeute bas eben den Bruch mit bem 
iberalsbourgeoifen Kapitalismus. Diele 
Lehre habe das Leben in der Wirt: 
[daft begründen wollen, in Spanien 
abe es aber nie ein eh dei 
older Art, eine Ausrichtung der Menſchen 
uf Betätigung zwecks Bereicherung ge 
geben, — eben wegen der „lauteren und 
innigen katholiſchen Religiofität“. Spanien 
habe eine Dekadenzperiode erlebt und wie 
es politiſch von England und Holland 
niedergerungen worden ſei, ſo ſei es auch 
wirtſchaftlich allmählich immer mehr ab⸗ 
Ren der Proteſtantismus nr 
Ger (calviniſtiſcher und anglikaniſcher) 


Außenpolitische Notizen 17 


Ridtung aber fet der Vater der „Religion 
der Arbeit“ geworden; er machte die Ar⸗ 
beit gum höchsten Ziele menſchlichen Lebens, 
erhob ſogar den wirtſchaftlichen Erfolg zum 
zeigen göttlicher Gnade. Damit fet die 

tbeit entperſönlicht worden; wie aber bas 
Arbeitsgrundgeſetz in Abſatz 2 des erjten 
Artikels ſagt, ſoll künftig in Spanien 
menſchliche Betätigung Sache der Perſon 
ſein, ſie dürfe nicht zum Begriff der Ware 
abfinten. 


Die nene Arbeitsauffaſſung — ſpaniſch 
überſetzt 


Das nationalſyndikaliſtiſche Spanien be⸗ 
tont die Katholizität nicht als religiöſes 
Dogma, ſondern als geiſtige Grundhaltung 
einer Nation, die ihre ganze Geſchichte an 
die Verteidigung ihres Glaubens geſetzt 
hat. Der gottgeſchaffene und gottbeauftragte 
Menſch ſoll in Spanien wieder zu ſeinem 
Rechte kommen, der marxiſtiſchen Irrlehre 
ſoll ein Gedankengebäude gegenübergeſtellt 
werden, das im Lande ſelbſt wurzelt. So iſt 
es zu verſtehen, wenn im „uero bel Tras 
bajo“ geſagt wird, die Arbeit ſei ein Mittel 
zur Erfüllung der Ziele der Einzelmenſchen 
wie auch zur Erreichung des Wohlergehens 
und der Größe des ganzen Vaterlandes; 
darum auch wird verlangt, daß alle Spanier 
ihre Fähigkeiten reſtlos in den Dienſt des 
Staates ſtellen. Man wolle nicht nur die 
Arbeit völlig vom Begriff der Wirtſchaft 
löſen, ſie ſei nicht nur das „moraliſche 
Grundprinzip der Perſon“, nein — der 
Menſch finde in ihr auch ein Mittel zur 
Buße (zur Läuterung des Weſens) und zur 
ewigen Erlöſung. Von da her kommt man 
auch dazu, ein „Recht auf Arbeit“ zu er⸗ 
klären, dieſes Recht aber mit der Pflicht zu 
verkoppeln, bie Gott dem a zur Er: 
füllung feiner individuellen Aufgaben out: 
erlegt Hat. 

Arbeit ift Gemeinſchaftspflicht, fie ftellt 
„eines ber edelften Attribute der Hierarchie 
und ber Ehre dar“ und ift mit heldenhaftem 
Einfag und AUneigennützigkeit zu leiſten. 
Denn es wird geſagt, der Einzelmenſch habe 
dasſelbe Schickſal wie der Staat, und der 
Staat habe zwei klar umriſſene Ziele: ein 
äußeres, die Sicherung des Vaterlandes, ein 
inneres, die Menſchen glücklicher, menſch⸗ 
licher zu machen; der Staat ſoll „eine 
größere Anzahl Menſchen teilhaftig machen 
am menſchlichen Leben“: Es geht dabei aber 
nicht um äußere Wohlhabenheit, ſondern um 
innere Zufriedenheit. Die geiſtige Situation 
des heutigen Spaniens hat tatſächlich im 


Religiöfen ihre Wurzeln. Im o abet 
wird mit biejem Arbeitsgeſetz zugleich der 
Anſchluß geſucht an bie „Legislación de 
Indias“, an bie Geſetzgebung für Spaniſch⸗ 
Amerika im 16. Jahrhundert, auf die Spa» 
nien ſo ſehr ſtolz iſt und die es heute wieder 
von aller mißgünſtigen Verleumdung be⸗ 
freien will. 
Praktiſch für den Neubau wichtig iſt die 
gi e, wie Spanien feine Wirtſchafts⸗ und 
andelspolitik zu geſtalten as iit. Die 
Grundhaltung ift bie Autarkie. Im Dezem⸗ 
ber 1939 wird ein Kongreß zuſammentreten, 
bei dem die notwendigen 9 der 
Autarkie für den ſpaniſchen Wiederaufbau 
behandelt werden. Die Falange als Träger 
des neuen Staatsgedankens hat ſich die Auf⸗ 
abe geſtellt, die Grundlagen für die 
utarkiebeſtrebungen auszuarbeiten und die 
Ergebniſſe der Beratungen dem Caudillo 
als Anregungen vorzulegen: Regelungen 
der privaten wirtſchaftlichen Arbeit, die für 
die ſpaniſche Haltung grundſtürzend neu und 
eingreifend ſind. 


Die Revolution bes Franenlebens 


Da Spanien nur geſunden kann, wenn es 
im Gegenſatz zu früher die letzten Erwerbs⸗ 
möglichkeiten ausnützt, griff die neue Wirt⸗ 
ſchaftsgeſinnung des Nationalſyndikalismus 
auch auf das Reich der Frau über. Die 
ſpaniſche Frau nahm bisher eine Sonder⸗ 
ſtellung ein, ſie führte ein Daſein abſeits 
der Offentlichkeit, eine Folge der Bedin⸗ 

ungen des ſüdlichen Temperaments und 
jahrhundertelanger iſlamiſcher Einflüſſe. 
Ins Kaffeehaus ging nur der Mann, ins 
Kino ging das junge Mädchen nur in Be⸗ 
Be ung möglichſt der ganzen Familie. 
Einen Beruf übte die Tochter „von Stand“ 
unter keinen Umſtänden aus, nur Ange⸗ 
hörige der allerärmſten Schichten ließen auch 
Frau und Tochter arbeiten. 

Damit hat die Falange gründlich auf⸗ 

eräumt. Es gibt ſeit 1937 einen weiblichen 
ialen Arbeitsdienſt (Servicio Social de 
la Mujer Española). Da alle arbeitsfähigen 
Spanier zur Arbeit verpflichtet find, wird 
es nun auch bie ſpaniſche Frau. Sie Dat 
während des Bürgerkrieges bewieſen, was 
ſie zu leiſten fähig iſt. Alle Spanierinnen 
im Alter von 17 bis 35 Jahren nehmen am 
ſozialen Arbeitsdienſt teil, ausgenommen 
In Ehefrauen, geſundheitlich behinderte 

rauen und Mädchen, Witwen mit Kindern 
und ſolche, die eine mindeſtens ſechsmonat⸗ 
liche Tätigkeit in Lazaretten und anderen 
Kriegshilfswerken nachweiſen können. Ein 


18 Außenpolitische Notizen 


eigentlicher Zwang zur Ableitung der 
Arbeitsdienſtzeit von ſechs Monaten beſteht 
nicht, aber der Staat macht doch in Zukunft 
den Zugang zu öffentlichen Amtern, die Ver⸗ 
gebung einer Stellung in den vom Staate 
abhängigen Betrieben ſowie die Erteilung 
von akademiſchen Graden und beruflichen 
Titeln vom Nachweis der Ableiſtung der 
Arbeitsdienſtzeit abhängig. Nur der, der 
das Spanien der früheren ps fannte, fann 
ermeſſen, welche gewaltige ſoziologiſche Um: 
ſchichtung ſich damit vollzieht. Ein SE 

reifendes Umdenken beſonders in ben Kreis 
fen der ſpaniſchen Mittelſchicht wird nötig 
ein, bis die neue Plattform gefunden iſt. 
Eine ganz neue ſpaniſche Kultur wird aus 
der Mitarbeit der Frau erwachſen. Nur die 
Kirche wird hier noch einige Zeit grollend 
beiſeiteſtehen, bis ſie den Verluſt dieſer 
ait als ein Zugeſtändnis an das neue 

eitalter, das ja nicht im Gegenſatz zu ihr 
ſteht, begreift. 


Imperialer Wille 


Die Wirtſchaftspolitik Spaniens wird ſich 
auch in mancher anderen Hinſicht grund⸗ 
ſtürzend ändern. Katalonien wird am heftig⸗ 
ſten betroffen werden. Aus wehrpolitiſchen 
wie aus Gründen der Arbeitsbefriedung 
wird ein großer Teil der jetzt dort beheima⸗ 
teten Betriebe in das Innere des Landes, 
in den Raum von Valladolid Salamanca, 
verlegt werden. Einmal fol die Randlage 
nicht wieder zum Gefahrenherd im Kriege 
werden, daneben ſoll die ſpaniſche Volks⸗ 
wirtſchaft nicht von dem beſonders un⸗ 
ruhigen und politiſch vielleicht noch auf 
lange Zeit am wenigſten zuverläſſigen kata⸗ 
loniſchen Stamm abhängen. Es wird bei 
dieſer Induſtrieverlagerung nicht aus⸗ 
bleiben, daß manche „hiſtoriſchen Rechte“ be⸗ 
eintrüdjtigt werden; daneben wird die tatas 
loniſche Induſtrie nicht mehr wie früher 
durch unmäßige Schutzzölle die geſamte ſpa⸗ 
niſche Handelspolitik belaſten dürfen. Der 
Staat wird vielleicht noch mehr als während 
des Bürgerkrieges in den Wirtſchaftsablauf 
eingreifen, denn die gewaltigen wirtſchaft⸗ 
lichen Aufgaben machen eine ſtraffe zentrale 
Leitung dringend nötig. Manche neue Indu⸗ 
Nase ſind zu ſchaffen. Die Franco⸗ 

egierung kann ſich nicht auf das „freie 
Spiel der Wirtſchaftskräfte“ verlaſſen. 
Sls werden angeſichts der ſpaniſchen 

harakteranlage hier noch mancherlei Span⸗ 
nungen auszufechten ſein. 

In der Handelspolitik wird, unter Berück⸗ 
ſichtigung der Außenpolitik, eine völlige 


Neuordnung nötig, ſtrebt doch das neue 
Spanien zu einem hiſpaniſchen „Imperio“, 
alſo zu einer Gemeinſchaft mit den früheren 
ſpaniſchen Kolonien, wenn nicht ſogar zu 
einer Zuſammenarbeit mit Portugal und 
deſſen AY Kolonie Brafilien. „Unſer 
Wille iſt das Imperium. Wir betonen, daß 
die geſchichtliche Leiſtung Spaniens das 
Imperium iſt. Wir erſtreben für Spanien 
einen hervorragenden Platz in Europa. Wir 
dulden weder eine internationale Iſolierung 
noch eine Einmiſchung des Auslandes. In 
unſeren Beziehungen mit den hiſpano⸗ 
amerikaniſchen Ländern erſtreben wir die 
einheitliche Ausrichtung der Kultur, der 
wirtſchaftlichen und machtpolitiſchen Inter⸗ 
eſſen. Spanien iſt die geiſtige Achſe der 
ſpaniſchen Völker; dieſe Tatſache begründet 
unſeren Anſpruch auf Teilnahme am inter⸗ 
nationalen Geſchehen.“ Dieſe „Achſenpolitik“ 
wird zunächſt der Empire⸗Politik der Briten 
Schwierigkeiten machen, man denke an 
Argentinien; weiterhin werden bie US⸗ame⸗ 
rikaniſchen Intereſſen in Lateinamerika pe 
ftört werden. Ioje Ibanez Martin [dried 
kürzlich in der „Europäiſchen Revue“: „Bei 
dem machtvollen EE Spaniens 
wird eine der vornehmſten Sorgen des 
Neuen Staates der Pflege der Wirtſchafts⸗ 
beziehungen mit den ibero⸗amerikaniſchen 
Ländern gelten. Unſere Wirtſchaftspolitik 
gegenüber Ibero⸗Amerika muß ſich auf neu 
zu begründende große Kreditinſtitute ftüßen, 
die den Handel fördern; es müſſen Handels⸗ 
auskunfteien errichtet werden, die eine 
ſichere Grundlage für eine ſolide Arbeit 
gewährleiſten. Schiffahrtslinien müſſen ein⸗ 
gerichtet werden — kurz, es gibt eine Fülle 
von Möglichkeiten für den Wirtſchaftsaus⸗ 
tauſch, die, wenn wir ſie mit Energie an⸗ 
acken, zugleich den Reichtum Spaniens und 
bero⸗Amerikas fördern werden. In dieſem 
Zuſammenhang ſind auch die gewaltigen 
Wirtſchaftskräfte aller jener Spanier nicht 
u vergeſſen, die in den ibero⸗amerikaniſchen 
ändern leben. Der Neue Staat wird nicht 
verfehlen, zum Nutzen aller, jede Privat⸗ 
initiative zu fördern.“ 


Spanien wird ſeine Autarkiepolitik ſehr 
weit treiben. Der Staatschef Franco hat im 
Juni 1939 darüber in einer Rede Klarheit 
Se Er ſagte darin, bis 1914 hätte 

panien immer einen Paſſivſaldo von 100 
bis 150 Millionen Peſeten pro Jahr gehabt, 
allerdings erheblich gemildert durch die 
Geldüberweiſungen der in Amerika leben⸗ 
den Spanier. Von 1916 bis 1919 hätte es 
dann als Folge des Weltkrieges einen durch⸗ 


= — ha ——— = 


AuBenpolitische Notizen 19 


ſchnittlichen flberiduB von jährlich 700 Mil⸗ 
lionen Peſeten erzielt. Nach Kriegsende ſei 
aber wieder ein Defizit entſtanden, zwiſchen 
1920 und 1930 von nicht weniger als 600 
Millionen im Jahre. Die Ausrufung der 
Republik hätte dann eine allgemeine Wirt⸗ 
ſchaftsſchwächung mit ſich gebracht, und da⸗ 
Fir fei auch der Paſſivſaldo bis 1935 auf 
durchſchnittlich 250 Millionen Peſeten ab⸗ 
geſunken. Unter allen Umſtänden müßten 
zukünftig erhebliche emia Überſchüſſe 
erzielt werden. Vor allem Lebensmittels 
einfuhren ſeien zu unterbinden, der ſpaniſche 
Boden gäbe bei richtiger Bewirtſchaftung 
Nan her. Darüber hinaus verfüge das 
and über genügend Kohlen, um durch 
Hydrierung den eigenen Treibſtoffbedarf zu 
decken. Die Landesverteidigung mache die 
Löſung dieſer Aufgabe zur dringenden Not⸗ 
wendigkeit. Dann aber dürfe die Zahlungs⸗ 
bilanz Spaniens nicht mehr durch Fracht⸗ 
raten, Verſiche rungsprämien, Filmlizenzen 
und Patentgebühren belaſtet werden. Nun 
werde man aber angeſichts der ſchlechten 
Deviſenlage Spaniens trotz aller Anſtren⸗ 
gungen nicht ſo ſchnell zu einem Ausgleich 
elangen, und ſo müſſe zunächſt die Einfuhr 
o weit wie irgend tragbar gedroſſelt wer⸗ 
den, den bequemen Weg der Auslandskredite 
wolle er nicht beſchreiten, weil er auf der 
anderen Seite ſchwere e en mit fid) 
bringe. So bleibe nichts übrig als ſtärkſte 
Exporterhöhung zum Zwecke der Deviſen⸗ 
ewinnung und Erreichung der Wirtſchafts⸗ 
reiheit, die wiederum die politiſche Freiheit 
chere. Um dieſe Ziele zu erreichen, müſſe 
as ſpaniſche Volk produzieren, produzieren 
und nochmals produzieren. 


England verliert eine wirtſchaftliche 
Kolonie 


Das hat den Spaniern noch niemand zu 
ſagen gewagt. Franco iſt als Rufer in der 
Wüſte aufgetreten, denn Spanien war bis: 

er der Geſinnung nach ein wirtſchaſtliches 

dland, hier lebten Menſchen ohne Wirt⸗ 
ſchaftsdenken. Sie hatten in bem 800 jährigen 
Kampf um Land und Glauben den Sinn für 
Gewerbefleiß nicht entwickelt und miß⸗ 
achteten den, der gegen Entgelt für andere 
tätig war. Nur die Katalanen 15 anders 

eartet und bauten ſich eine kräftige Indus 
frie und einen lebendigen Handel auf, ob: 
wohl gerade in ihrem Gebiet der Boden: 
ra ber bas übrige Spanien aus: 
zeichnet, fehlt. Nun follen bie Spanier auf 
einmal bie Warenerzeugung, die jie bisher 
fremden Völkern überließen, mit Hochdruck 


betreiben. Es kann keinem Zweifel unter⸗ 
liegen, daß eine ſol Umſtellung, ein 
ſolches Umdenken nicht von heute auf 
morgen und nicht ohne stoe Reibungen 
durchgeführt werden kann. Wir wollen als 
Freunde der Spanier hoffen, daß ſie in recht 
grober Zahl unb in recht kurzer Zeit bie 

otwendigkeit der neuen Staatsauffaſſung 
und der neuen Wirtſchaftsgeſinnung ein⸗ 
ſehen und entſprechend handeln. Da das 
ſpaniſche Volk im Kerne betriebſam und zäh, 
geiſtig und körperlich unverbraucht und 
tapfer iſt, brauchen wir am Erfolg nicht zu 
zweifeln. 


Werner A. Fischer: 
Deutsch - russische 
Wirtschaftsplanung 
Ein nenes Kapitel enropäiſcher Politik 


Die Neuordnung der wirtſchaftlichen Bes 
ann amiiden Deutſchland und ber 
DSH. ift ein Ereignis von weittragen⸗ 
der Bedeutung. Es hat nicht nur für die 
egenwärtige jet Bedeutung, fondern ftellt 
958 beiden Volkswirtſchaften auf lange 
Sicht neue Ziele und dient beiden im an 
Make. Die EL mig ee ind 
fo ideal, wie fie in dieſer Vollkommenheit 
in der Welt nicht wieder anzutreffen find. 
Auf der einen Seite ſteht ein hochindu⸗ 
ſtrialiſiertes und dichtbeſiedeltes Land, be⸗ 
rühmt ob ſeiner Qualitätswaren, ob ſeiner 
Spezialitäten, die es eben nur in Deutſch⸗ 
land gibt, mit einem Hunger nach Rohe 
ſtoffen — auf der anderen der unermeßlich 
weite ruſſiſche Raum, von deſſen Größe man 
ſich ſchlechterdings keine richtige Vorſtellung 
macht. Mit 21.2 Millionen Quadratkilo⸗ 
metern ijt die UDSSR. fait dreimal fo groß 
wie die Vereinigten Staaten von Amerika 
und bald zwanzigmal fo groß wie Deutſch— 
land ohne das Protektorat und ohne die 
beſetzten Gebiete des bisherigen Polens. 
Vielfach noch nicht einmal hinreichend er⸗ 
forſcht, ſind die Landſtrecken Rußlands nicht 
nur ein unerſchöpfliches Reſervoir für lands 
wirtſchaftliche Produktionsmöglichkeiten, 
ſondern gleichzeitig ein in ſich autarkes Ge⸗ 
bilde, das faſt alle Rohſtoffe in ſich ſchließt, 
die von den modernen irtſchaften ge⸗ 
braucht werden. Erdöl oder Holz. Eiſen⸗ 
erze, Metalle oder Kohle ſind in Mengen 
vorhanden, an die kein anderes Land der 
Erde heranreicht. Aber es éi an ihrer 
Erſchließung, es fehlt vorläu g nod) der 
Arbeiter, der fie weiter verarbeitet. Die 
ruſſiſche Bevölkerung beſteht zu mehr als 
80 Prozent aus Bauern, Waldarbeitern 


unb Fiſchern. Die großen e We 
die in den vergangenen Jahren im Rahmen 
groß angelegter Wirtſchaftspläne gemacht 
worden find und die Erfolge gebrach N 
die beachtet werden müſſen, haben dieſen 
Grundzug nicht geändert. eutſche Er⸗ 
Rot unb bie ruſſiſchen wirtſchaftlichen 

öglichkeiten, die Raum und Bodenreichtum 
bieten, RCM enommen, find eine Gadje 
bie bie gelamte Weltwirtſchaft auf ben Kopf 
ftellen fann. Das ift der Hintergrund einer 
wirtſchaftlichen uſammenarbeit beider 
Staaten, die möglich wurde, nachdem durch 
den Konſultativpakt von der Politik her die 
Vorausſetzungen geſchaffen worden waren. 


Rußland hat eine Reihe von Fünfjahres⸗ 
plänen durchgeführt, um die Landwirtſchaft 
zu intenfivieren und die Induftrialifierung 
qu e Die Induſtrieproduktion hat im 

ahre 1932 43,3 Milliarden Rubel betragen, 
ſie wird für 1937 mit 95,5 Milliarden aus⸗ 
ee und fol nach ben Planziffern im 

ahre 1942 nicht weniger als 180 Milliar⸗ 
den Rubel erreicht haben. Einige praktiſche 
Beiſpiele zeigen die Bemühungen um eine 
Voranbringung der gewerblichen Erſtellung 
von Gütern. 1932 wurden nur 23 900 Kraft⸗ 
wagen hergeſtellt, 1937 waren es bereits 
200 900 und im Jahre 1942 ſollen rund 400 000 
Stück angefertigt werden. Von den unermeß⸗ 
lichen Kohlenvorräten wurden 1932 64 Mil⸗ 
lionen Tonnen abgebaut, 1937 127 Millionen 
Tonnen, und der Plan ſieht für 1942 eine 
e von 230 Millionen Tonnen vor. 

hnlich ſind die Verhältniſſe auf vielen 
anderen Sektoren. 


Die Eilenerpeugung it ſtark im Bor: 
rücken. Die UdSSR. wird heute in ber 
Welt nur noch von den USA. und ud. 
land auf dieſem Gebiet übertroffen. Es 
daß Pl nicht darauf hingewieſen zu werden 
daß Planziffern etwas Theoretiſches an ſich 
haben. Selbſt wenn ſie nicht voll erzielt 
werden, bleibt doch die Erkenntnis, daß der 
ertenfin ae: Raum ſicher in die 

eihe der großen SE der 
Welt hineinwächſt. Der Abſtand zu der Ars 
beitsintenſität in Deutſchland z. B. iſt noch 
gemaltig — aber er ijt in den letzten Jahren 
leiner geworden. 


Es wäre verfehlt, zu glauben, daß dieſe 
ruſſiſche Induſtrialiſierung ein Verhängnis 
für Deutſchland würde. Die Wirtſchafts⸗ 
geſchichte zeigt, daß der größte Güteraus⸗ 
tauſch ſtets zwiſchen béide 
Ländern en at. Das Hod: 
kommen ber deutſchen Induſtrie im vergan: 
genen Jahrhundert war nicht ein Grund 


Außenpolltische Notizen 


aut Einſchränkung bes Handelsverkehrs mit 
ngland, das en s wir feine Gewerbe 
ausgebaut hatte, ſondern im Gegenteil bit 
Grundlage Ké einen ſtändig ſteigenden 
Güteraustauſch. Bis in die füngſte Vere 
gangen eit waren Großbritannien und 
eutſchland einander bie wichtigſten Han: 
delspartner. Jede neue Fabrik im bet 
UdSSR. ſchafft zusätzliche Bedürfniſſe. Sie 
braucht Vormaterialien, die in der ge⸗ 
wünſchten Qualität in nn erzeugt 
werden. Das ftarfer pulfierende Leben for 
dert die Erhöhung bes Lebensſtandards ber 
Arbeiter, was wiederum Einfuhrbedürfniſſe 
neuer Art auslöſt. Ein Rad greift in das 
andere. Wenn Deutſchland und die UdSSR. 
ſich jetzt entſchloſſen haben, wirtſchaftlich 
enger zuſammenzuarbeiten, als das bisher 
der Fall war, ſo gereicht das beiden Tm 
Nutzen. Denn auf der einen Seite erhält 
Deutſchland ruſſiſche Rohſtoffe, deren Ver⸗ 
kauf ein Gewinn für Moskau iſt, und auf 
ſche „ are ge. Gleich n eh 
erſorgungslage. Gleichzeitig bekomm 
bie Ad SS. dafür ene ial ines und 
Yusrüftungsgegenftände, bie fie gebraucht, 
um bie gehteffen Planziffern erreichen zu 
können, bie ſomit wiederum wefentlid für 
ihren eigenen weiteren wirtſchaftlichen Auf 
ſtieg ſind. 


Deutſchland hat ſich ſeit 1933 bemüht, die 
wirtſchaftliche Abhängigkeit vom Auslande 
zu lockern. Der Vierjahresplan war eine 
Kra tany rening ſondergleichen. Es find 
Produktionen aus dem Boden geſtampft 
worden, die dem deutſchen Erfinder und 
Techniker vor der Wirtſchaftsgeſchichte ein 

eugnis ausſtellen, das ſich ſehen laſſen 
ann. Nach der Wiedervereinigung der Oſt⸗ 
mark mit dem Reich, nach der Maren 
des Protektorats Böhmen und Mähren, 
nach der Rückkehr der Memeldeutſchen in 
den alten Reichsverband und ſchließlich 
nach der iche Bol des polniſchen Raumes 
iſt die deutſche Volkswirtſchaft in eine ai 
verſetzt worden, jeder Blockade, woher fe 
auch kommen mag, mit Ruhe ins Auge 
ſehen und jene Entſcheidungen treffen zu 
können, die geeignet ſind, ſie zu brechen. 
Der bisherige Verlauf der kriegeriſchen 
Verwicklungen im on hat bewieſen, daß 
Deutſchland wirtſchaftlich nicht nur der 
Blockade gewachſen iſt (denn es können 
nahezu 80 en bes deutſchen Außenhan⸗ 
dels reibungslos abgewickelt werden), ſon⸗ 
dern auch die geeigneten Machtmittel be⸗ 
LN fie zu zerſchlagen. Wenn zu ber Ge 
amtlage der Wirt Haft, die für Deutid: 
land zum Leidweſen der Engländer gut iit, 
jetzt das Abkommen mit ber UDSSR. tritt, 


l 
| 


Außenpolitische Notizen 21 


kann, vom Standpunkt ber Verſorgung aus 
betrachtet, einer beliebig langen Kriegs- 
dauer mit Ruhe und Zuverſicht entgegen⸗ 
geſehen werden. Es iſt hier die Unterſchei⸗ 
dung zu machen, daß die Unwirkſamkeit 
einer Blockade, d. h. die Verſorgung eines 
Volkes mit dem Lebensnotwendigen, nichts 
damit zu tun hat, daß der Konſum der 
breiten Maſſen der Bevölkerung höher ſein 
kann und von einer verantwortungsbewuß⸗ 
ten Staatsführung in größerem Umfange 
angeſtrebt wird, als die auf die deutſche 
eigene Erzeugung gegenwärtig zugeſchnit⸗ 
tenen Nationen es zulaſſen. Von dieſem 
Blickpunkt aus gewinnt die Wirtſchafts⸗ 
planung nach Diten eine große Bedeutung. 
Sie iſt nicht nur auf lange Sicht ein Ge⸗ 
winn für die deutſche und auch ke die 
ruſſiſche Wirtſchaft, ſondern gleichzeitig bie 
Gewähr. daß draſtiſche Einſchränkungen 
auch während des Krieges von der deutſchen 
Bevölkerung ferngehalten werden können. 


Der deutſch⸗ruſſiſche Güteraustauſch hat 
in den letzten Jahren einen nie erreichten 
Tiefſtand zu verzeichnen gehabt. Dies reiche 
und große Land war im deutſchen Außen⸗ 
handel auf eine Beteiligungsziffer abge⸗ 
ſunken, die niedriger war als die des 
an ſüdoſteuropäiſchen Staates. Nur 
80 Millionen RM. wurden 1938 in beiden 
Richtungen des Güteraustauſches mit Rubs 
land um eſetzt, und in der erſten Hälfte 1939 
wurde ſelbſt dieſe Ziffer mit einem Geſamt⸗ 
umſatz von nur 27 Millionen RM. noch 
unterſchritten. Dabei iſt zu berückſichtigen, 
daß die deutſchen Ein⸗ und Ausfuhren im 
Jahre 1931 nahe an die Grenze von 
1100 Millionen RM. herangekommen ſind, 
das heißt ein Ausmaß annahmen, das über 
die Bedeutung des geſamten europäiſchen 
Südoſtens hinausging. Dieſes eine Land 
ſchlug mit Deutſchland damals mehr Waren 
um, als Jugoſlawien, Ungarn, Griechenland, 
die Türkei, Rumänien und Bulgarien zu⸗ 
ſammen. Wer die Pflege des Balkanhandels 
in den vergangenen Jahren verfolgt hat und 
wer weiß, welche Bedeutung in deutſchen 
Kreiſen dieſem Raum e wird, wie 
lig der dispen Wiener Meſſe wieder deut⸗ 
lich in Erf einung trat, kann ermeſſen, was 
ein florierender Rußland⸗Handel beſagt. 


Vor 1 Monaten wurde gewiſſer⸗ 
maßen als uftakt für die deutſch⸗ruſſiſche 
nung ein neues Wirtſchaftsabkom⸗ 
men vereinbart. Deutſchland gewährte den 
Rufen einen Lieferkredit über 200 Mil- 
lionen RM., der innerhalb der nächſten 

ei Jahre in Anſpruch genommen werden 
ollte. Die Ruſſen gaben die Verſiche rung 


ab, im SEN Zeitraum für 180 Mil- 
lionen Rohſtoffe an Deutſchland E 
liefern. Das ſogenannte „laufende“ 
ſchäft blieb erhalten und war mit etwa 
120 Millionen RM. einzuſetzen. Dadurch 
ergab ſich für den Zweijahreszeitraum ein 
Umſatz von rund 500 Millionen RM., d. h. 
he ein Jahr 250 Millionen RM. Die eng» 
ifden Artikelſchreiber find damals gerades 
u aus der Faſſung geraten, als die Einzel⸗ 
eiten des Vertrages er eler wuts 
den. Wieviel mehr muh ihnen das reis 
ben des Regierungschefs und Außentoms 
miſſars Molotow an Reichsaußenminiſter 
von Ribbentrop auf die Nerven gefallen 
ſein, das eine Ausweitung des Wirtſchafts⸗ 
verfehrs auf den früher erreichten Höchſt⸗ 
ſtand, das heißt auf rund 1100 Mil⸗ 
lionen RM. jährlich, ankündigt. Das iſt 
egenüber den Umſätzen von 1938 immers 
in eine Vervierzehnfachung. Beſonders 
unangenehm wird die Blodade-Bolititer 
dabei berührt haben, E mehr beute 
Ihe Lieferungen an bie Ruffen abjolut im 
Vordergrunde ftehen, jonbern die Verſor⸗ 
gung des Reichs mit Rohſtoffen aus ber 
dSSR. minbeitens die gleiche Rolle ſpielt. 
Hier ME Se ein Handelsabkommen 
ſchlechthin zur Debatte, hier geht es um 
eine grokislisige Wirtſchaftsplanung, die 
wei Länder — ausgerichtet auf die Be⸗ 
ürfniſſe des Partners und die Möglich⸗ 
keiten der eigenen Volkswirtſchaft — in 
Angriff nehmen. Es iſt uns durchaus ver⸗ 
fenum wenn Engländer und Franzoſen mit 
oe längſt veralteten und ſchwerfälligen 
ußenhandelsmethoden Me vor einem 
ähnlichen Unterfangen ſtehen. Sie können 
nicht anders als mit ihren eigenen Maßſtäben 
meſſen und denken offenbar an die guten 
Ratſchläge, die man den eigenen Impor⸗ 
teuren gab, doch mont viel Waren im 
Südoſten und vor allem in der Türkei zu 
kaufen, weil das politiſch zweckmäßig war, 
ohne daß ale Bemühungen von Erfolg bes 
eitet geweſen wären, weil bie Einfuhr⸗ 
händler ſtur auf dem Standpunkt ſtanden, 
die betreffenden Waren ſeien an anderen 
Stellen billiger als in der Türkei oder in 
Rumänien zu bekommen. Eine ſo weit⸗ 
gehende Wirtſchaftsplanung, wie ſie Groß⸗ 
deutſchland und die UdSSR. eingeleitet 
haben, iſt nur durchzuführen, wenn eine 
einheitliche politiſche Führung vorhanden 
iſt, die nicht heute auf dieſen und morgen 
pa jenen Intereſſentenhaufen Rückſicht zu 
nehmen hat. 
Die Entwicklung des deutſch⸗ruſſiſchen 
Außenhandels ergibt ſich aus folgender 
Überſicht: 


22 AuBenpolitische Notizen 


Der deutſche Außenhandel mit der UNSSR. 


Einfuhr Ausfuhr 

Mill. *j ber Gee Mill. % der Ge⸗ 

RM. ſamtausfuhr RM. ſamtausfuhr 
1913 1425 13,23 880 8,72 
1926 323 9,23 266 2,55 
1930 436 4,20 431 3,58 
1932 371 5,81 626 10,90 
1933 194 4,62 282 5,79 
1935 215 5,17 39 0,92 
1936 93 2,21 126 2,65 
1937 65 1,19 117 1,99 
1938 47 0,86 32 0,60 


Die Aufſtellung zeigt den Umſatzſchwund 
in den vergangenen Jahren, beleuchtet den 

ochſtand in den Jahren 1930 bis 1932 und 
enkt vor allem die Aufmerkſamkeit auf 
den rieſigen Umfang des Handelsverkehrs 
wiſchen Deutſchland und Rußland vor 

usbruch bes eee Nachdem dort 
inzwiſchen Rohſtoffquellen erſchloſſen und 
neue Induſtrien gegründet, die Bevölkerung 
geltiegen und aud 1 die deutſche 

olkswirtſchaft größer und betriebſamer 
geworden iſt, wäre es theoretiſch durchaus 
möglich, im Laufe der Zeit bei beider⸗ 
Eu em guten Willen aud) den Stand bes 

orkriegsaußenhandels zu erreichen und zu 
übertreffen. Das iſt zwar eine theoretiſche 
Erwägung, deren Realiſierung aber im Be- 
reiche des Möglichen liegt. 

Es iſt müßig, zu unterſuchen, welche 
Waren im einzelnen umgeſchlagen werden 
können. Rußland braucht vor allem Maſchi⸗ 
nen, hochwertiges Alter komplette In⸗ 
duſtrieanlagen und hemikalien. Der 
Bedarf kann in Deutſchland befriedigt 
werden. Andererſeits ilt die UdSSR. in 
der Lage, alle möglichen Kategorien von 
Rohſtoffen abzugeben. Es ilt bekanntlich 
das reichſte Erdölland der Welt; es e 
ungeahnte Holz: und Metallvorräte; lett 
kurzem iſt es der drittgrößte Baumwollpro⸗ 
duzent der Welt, Pelze und Felle ſind ſeit 
alters her mit die wichtigſten deutſchen 
Einfuhrwaren aus Rußland, vor Jahren 
wurden umfangreiche Lebensmittelimporte 
durchgeführt, die in der letzten Zeit zum 
Stillſtand gekommen ſind. Da auch die 
Transportfragen in einem Zuge mit der 
Aufſtellung der beiderſeitigen Wirtichafts- 
pläne geregelt werden, kann feſtgeſtellt 
werden, daß für den deutſch⸗ruſſiſchen 
Handelsverkehr eine Blütezeit bevorſteht, 
die zu den ſchönſten Hoffnungen für die 
beiden Volkswirtſchaften Anlaß gibt, die 
gleichzeitig aber auch die EE Ideen 
von einer Aushungerung des deutſchen 
Volkes der Lächerlichkeit preisgibt. 


Jugoslawiens Ausgleichspolitik 
(Von unſerem Mitarbeiter in Belgrad) 
Belgrad, Ende Oktober. 


Obwohl der am 26. Auguſt d. J. erfolgte 
Ausgleich Belgrad Agram noch ſehr jung 
if läßt der politiſche Verlauf der feit feinem 

uͤſtandekommen vergangenen Wochen doch 

ſchon ein Urteil über ſeinen inneren Wert 
und über die vorausſichtliche weitere Ent⸗ 
wicklung di Es kann gleich gelagt werden, 
daß die Beurteilung der Tragfähigkeit und 
Lebensdauer dieſes Ausgleichs auch in 
ſolchen Kreiſen, die urſprünglich zur Skepſis 
neigten, heute ſchon viel optimiſtiſcher iſt. 
Die Zuſammenarbeit zwiſchen den in die 
Regierung eingetretenen Kroaten und den 
ſerbiſchen Regierungsmitgliedern geht nicht 
nur reibungslos, ſondern ſogar ausgeſprochen 
freundſchaftlich vor ſich. Der Kroatenführer 
Dr. Macek ſchätzt den Miniſterpräſidenten 
Cvetkovic als überaus loyalen Partner, 
mit dem ſich arbeiten isch Ebenſo ſcheinen 
auch alle anderen kroatiſchen Miniſter mit 
ihren ſerbiſchen Kollegen gute Erfahrungen 
zu machen. So wird langſam die in manchen 
kroatiſchen Kreiſen immer vorhandene Be⸗ 
ürchtung zerſtreut, daß man ſie in Belgrad 
och nur „hineinlegen“ wolle, weshalb ſie 
es viele er hindurch vorgezogen hatten, 
lieber überhaupt nicht nach Belgrad zu 
kommen. 

Wenn man feſtſtellt, daß die bisherige 
kroatiſch⸗ſerbiſche Zuſammenarbeit au 
Grund des Abkommens Macek—vetkovic 
gut verläuft, bedeutet das natürlich nicht, 

aß [don alle Fragen gelöſt find. Der Aus: 
gleidh vom 26. Auguft ftellt ja nur einen 
ahmen bar, ber erſt ben entſprechenden 
Inhalt bekommen foll. Diefer Inhalt foll 
ihm zuerſt durch die Übertragung aller 
Selbſtverwaltungsbefugniſſe gegeben wer⸗ 
den, die der Banſchaft Kroatien durch den 
Ausgleich zukommen. Schon dieſe Über⸗ 
tragung der Selbſtverwaltungsbefugniſſe 
erfordert eine Menge von Kleinarbeit, 
deren Durchführung einige Zeit in Anſpruch 
nehmen wird. Mit ihr ſteht in Zuſammen⸗ 
hang die Löſung der Perſonalfrage ſowohl 
innerhalb der kroatiſchen Selbſtverwaltung 
als auch in den Belgrader Zentralen, auf 
die die Kroaten jetzt natürlich auch den ent⸗ 
ſprechenden Einfluß nehmen wollen. Aber 
auch wenn alle diefe Fragen gelant fein 
werden, wird damit der Ausgleich noch 
immer nicht endgültig ſein. In dem Ab⸗ 
kommen Cvetkovic—Macek heißt es aus: 
drücklich, daß die neue Regierung „alles 


Kleine Beiträge 23 


Notwendige für die Neuregelung der ſtaat⸗ 
lichen Gemeinſchaft“ vorbereiten ſolle. Dieſe 
Neuregelung ſoll den Umbau der geſamten 
inneren Staatseinrichtung Jugoflawiens 
umfaſſen, zu dem die Einrichtung der mit 
weitgehenden Selbſtverwaltungsbefugniſſen 
ausgeſtatteten Banſchaft Kroatien nur den 
erſten Schritt bildete. Deshalb iſt die durch 
das Abkommen Cvetkovic—Macek gefun: 
dene Regelung auch nur als vorläufige an⸗ 
zuſehen. Es ge in ihm ausdrücklich beſtimmt, 
daß der endgültige territoriale Umfang der 
Banſchaft Kroatien un ihre endgültigen 
Kompetenzen anläßlich der abſchließenden 
Neuregelung des Staates neu feſtgelegt 
werden ſollen. 


Somit hat Jugoſlawien durch den Aus⸗ 
gleich mit den Kroaten den eg einer 
grundlegenden inneren Neuordnung be⸗ 
ſchritten, deren Richtung ganz offenkundig 
ein bundesſtaatlicher Aufbau ijt. Dies wird 
ſchon daraus klar, daß die Banſchaft 
Kroatien auf Grund des Abkommens vom 
26. Auguſt gegenüber den anderen Staats⸗ 
gebieten jetzt eine Sonderſtellung genießt, 
da nur ſie allein weitgehender Selbſt⸗ 
verwaltungsbefugniſſe teilhaftig wird, 
während die anderen Banſchaften lediglich 
über eine beſchränkte Selbſtverwaltung vet: 
fügen. Alle dieſe Fragen werden aber natür⸗ 
lich nur ſchrittweiſe und auf längere Sicht 
gelöſt werden können. Sie werden ſich ſicher⸗ 
lich auch löſen laſſen. Eine Hauptvoraus⸗ 
ſetzung Juf wird die Tatſache ſein, daß 
N bie Zuſammenarbeit innerhalb der 

usgle ichsregierung Cvetkovic—Macek gut 
entwickelt, wodurch auch das notwendige 
Vertrauen gebildet wird, das für die End⸗ 


Kleine 


Anselm Feuerbach 


Leben und Schaffen Anſelm Feuerbachs 
(1829 bis 1880) fällt in eine künſtleriſche 
Kriſenzeit. Der große Anſporn der Schiller⸗ 
may EE war zum philologiſchen, ſeeliſch 
und ſchöpferiſch leeren C ee kN ges 
worden, und als bann bie Kampfanſagen 
Nietzſches gegen den kleinbürgerlichen und 
innerlich hohlen Zeitgeiſt ertönten, ſtarb 
Feuerbach in Venedig, zu früh. 

Es iſt tragiſch, daß die ſorgfältige ſchön⸗ 
geiſtige Erziehung der Eltern ſeinen Blick 


löſung aller noch vorhandenen Probleme 
unbedingt nötig iſt. 


Unbedingte Neutralität 

Wenn die außenpolitiſche Haltung Jugo⸗ 
lawiens in den letzten onaten ſchon 
mmer als neutral gekennzeichnet war, hat 
ſich dieſe Neutralität im bisherigen Ver⸗ 
lauf des europäiſchen Konflikts nur noch 
klarer und beſtimmter herausgearbeitet. In 
manchen jugoflawiſchen Kreiſen herrſchte zu 
Beginn des le bie Befürchtung, daß 
der Konflikt auf den Balkan übergreifen 
und an den jugoſlawiſchen Grenzen nicht 
haltmachen würde. Dieſe Befürchtung iſt 
inzwiſchen faſt ganz verſchwunden. Dazu hat 
auch ſehr ſtark die Haltung Italiens bei⸗ 
etragen, von der man anerkennt, daß ſie 
in hohem Maße geeignet iſt, den Frieden 
auf dem Balkan zu erhalten. Es gibt in 
Jugoſlawien keinen Politiker, der eine 
andere Politik als die der völligen Neu: 
tralität befürworten könnte. 3 ben nad: 
brüdlidjten Vertretern der Neutralitäts⸗ 
politik gehören ſämtliche Führer der 
Kroatiſchen Bauernpartei mit Dr. Macef 
an der Spitze, die immer wieder den Grund⸗ 
jag betonen, daß es für Jugoſlawien eine 
andere Politik überhaupt nicht gebe. Dabei 
iſt bei den Kroaten erfreulicherweiſe 
jetzt auch ein ſtärkeres Verſtändnis für 
Deutſchland und für ſeine aufbauende Süd⸗ 
oſtpolitik zu erkennen. Nach dieſer Richtung 
cheint ſich auch eine Wandlung in der Ein⸗ 
tellung der ziehe der Kroatiſchen Bauern⸗ 
artei zu vollziehen, die ſich früher, ſolange 
ſie ſich in der Oppoſition befand, manchmal 
recht ſtark von ie 
Schlagworten beeinfluſſen ließ. 


immer wieder nur auf die alten Kultur⸗ 
werte zu lenken verſtand, ſo daß er an den 
aufbrechenden Kräften des jungen Deutſch⸗ 
land nicht teilhaben konnte. Feuerbachs 
Ideal war die reine und monumentale 
Geſtalt; ihn feſſelten die tragiſchen Heroen 
der Antike. Die ihm als Erziehung und 
Bildung mitgegebene Ideenwelt entzündete 
ſich tief im Grunde ſeiner Seele. Dem 
zarten und feinſinnigen Akademieſchüler 
konnte nicht von ſeinen Düſſeldorfer, 


Münchener, Antwerpener und Pariſer Leh⸗ 
rern geholfen werden: das entſcheidende 


24 Kleine Beiträge 


Erlebnis fonnte ihm nur unmittelbar aus 
dem formitrengen und in einer großen 
menſchlichen Form lebenden Süden 
kommen. Als ihm dann in der Römerin 
Nanna endlich das langgeſuchte Idealbild 
lebend entgegentritt, iſt ſein Schwanken und 
der immer wiederkehrende Hang zur Ver⸗ 
äußerlichung überwunden, und der 27jährige 
a teht als Meiſter vor uns. „Rom 
mein Schickſal“ ruft er in klarer Er⸗ 
kenntnis aus. Und wenn Feuerbach ſeiner 
biedermeieriſch kleinlichen oder bereits tafs 
ſenkämpferiſch zerfallenden Zeit das Bild 
eines großen und geadelten Menſchentums 
in einer erhabenen Form entgegenhalten 
wollte, Edel er es welt 
Die gleiche ſtrenge Architektonik wie die 
„Iphigenie“ etwa, beherrſcht das Münchner 
ruppenbild der Medea und ihrer Kinder, 
die ihr genommen werden ſollen. Nicht die 
Tat des Kindermordes iſt dargeſtellt, ſon⸗ 
dern die dumpfe Stille, in der der Entſchluß 
reift. Fast blockhaft baut Rd) die vordere 
Dreierg ruppe und dahinter die ſtillweinende 
Begleiterin auf. Die bewegte Gruppe der 
Seeleute und die aufſpritzenden Wogen 
bleiben unbeachtet. Mit mächtig auslabens 
der Kontur umſchließt das Gewand Medea 
und ihre Kinder. er Vergleich mit den 
beiden früheren Faſſungen des Themas (in 
Breslau und in Berlin) zeigt, wie die ur⸗ 
prünglich erregte Handlung ich immer mehr 
eſtigt und in dem vorliegenden Bilde, der 
ritten Ausführung, wiederum zum Einfach⸗ 
Großen abklärt. 
Viele kleinere „Auftragbildchen“ malt 
euerbach, aber über ihnen ſtehen als die 
tarken Akzente monumentale Gruppen, wie 
as Stuttgarter Bild der Iphigenie, die faſt 
marmorhaft geſchloſſenen Geſtalten der 
Hagener Orpheus: und Eurydikedarſtellung, 
oder die zweite, die Karlsruher Ausführung 
von Platons Gaſtmahl. 
An dieſe aus unperſönlichem Drange ge⸗ 
ſtalteten Gemälde muß man ſich halten, 
wenn man das Ziel ſeines Strebens erfaſſen 
will. Im fünften Jahrzehnt, dem letzten ſeines 
Lebens, das ihm neben Ehrungen auch die 
rößte Enttäuſchung und Wehnen durch 
ie Wiener Kunſtausſtellung brachte, be— 
ginnt jid fein Weſen und [eine Vorſtel— 


lungsform qu wandeln. Jetzt öffnet fig bem 
Idealiſten der Blick für die Wirklichkeit, 
und es gelingen ihm Porträts von ein⸗ 
dringlicher Naturhaftigkeit. Bei der Be⸗ 
wertung aller ſeiner Selbſtbildniſſe muß 
man weniger von den jugendlichen Gemäl⸗ 
den ſeiner Lernzeit ausgehen, auch nicht 
von den letzten, die zu deutlich den Stempel 
der Verbitterung und der Krankheit zeigen, 
ſondern wiederum auf die der ſechziger und 
e Kies ſiebziger Jahre. 
ie innere Freiheit, zu der ſich Feuer⸗ 
bach damals durchgerungen hat, iſt kenn⸗ 
zeichnend. Das ſtreng Lineare iſt gemildert, 
und fajt flodig weich rahmt das Haar bie 
flar geformten Geſichtszüge mit ben ſcharfen, 
aber ruhig blidenden Augen. Der breit» 
pegogene mriß der Schultern gibt wiederum 
em Bildganzen eine feſte Tektonik, die noch 
durch den rechts an der Bildkante gezogenen 
Mauerſtrich verſtärkt wird. 

Die menſchlich tiefſte Ausſage iſt wohl 
das Bild ſeiner Mutter, der treuen und 
unermüdlich helfenden Lebens begleiterin, 
die mit grenzenloſer Liebe und Anteil⸗ 
nahme ſeine Entwicklung behütet und ge⸗ 
fördert hat. Man muß ſich den ſchweren 
Kampf beider Menſchen vor Augen halten, 
um ihren Ausdruck, in dem ſich Güte und 
eine verhaltene ſeeliſche Spannung miſchen, 
zu begreifen. 

Sie durfte erleben, wie ihr in Venedi 
einſam geſtorbener Sohn plötzlich dur 
ſein geſchriebenes Wort begriffen und dann 
unehmend anerkannt wurde. Als der 

ericht über ſein Leben und Wollen 
und die Anklagen gegen ſeine Zeit, das 
„Vermächtnis“, 1882 erſchien und allſeitig 
pm wurde, verwandelte fih bie einitige 

erſtändnislofi keit in zunehmende Be⸗ 
wunderung. Und wenn wir heute im 
19. Jahrhundert ſuchen, um in dieſer künſt⸗ 
leriſchen Verfallszeit die Kräfte aufzu⸗ 
ſpüren, in denen ſich das Wollen unſerer 
Gegenwart, das Streben zur Bild empfun⸗ 
denen und groß geſtalteten Bildform an⸗ 
kündigt, ſo finden wir Anſelm Feuerbach, 
deſſen Schaffen unter einem reinen und 
idealiſtiſchen Leitgedanken ſtand, in ge⸗ 
wiſſem Sinn gültig auch für unſere Tage. 

Gottfried Schlag. 


Hauptschriftleiter: Günter Kaufmann. 
Anſchrift der Schriftleitung: Reichsjugendführung. Berlin MW 35, Kurfürſtenſtraße 53. Fernſprecher 229091. — 


Verlag: 


hedtonto: Berlin 4454. Verantwortlich für den Anzeigenteil: 


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t un 


id Herold, Berlin. — 


t. 8. 
rud: M. Müller & Sohn KG., München; Zweigniederlaſſung Berlin EM 68, Dresdener Straße 43. — „Wille 


und Macht“ erſcheint am 1. und 15. jedes 
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Jahrgang 1933: 
Die Folgen 1 bis 24 und das Inhalts verzeichnis 


Jahrgang 1934: 
Die Folgen 1, 2, 3, 4, 5, 6, 8 (je 2 Stück), 
die Folgen 11 und 22 (je 1 Stück) 


Jahrgang 1935: 
Die Folge 24 (1 Stück) 


Jahrgang 1936: 
Die Folge 1 (3 Stück) 


Jede einzelne dieser Nummern ist von höchstem Wert. In Deinem 
Schrank sind die Hefte der Allgemeinheit nicht zugänglich. Sende sie daher an das 


HAUPTARCHIV DER NSDAP. 


Abt. IV/B | 
München 3, BarerftraBe 15 


NON 


iM 


hrecorgan der nationallozialiſtiſchen Jugend 


* 


HERAUSGEBER: BALDUR VON SCHIRACH 
dem Inhalt: 


asEnde eines gefälschten Geschichtsmy. — 


Sepp Keller / Die Einberufung in den Krieg 


Niefzsche über Engländer und Russe 


Weidemann: Ich sprach mit dem Burger Morat | Gedichte von Ha: 
Kumstdruckbeilage: Alte deutsche Kunstwerke im neuen Reichsland 


lbmonatsschrift / Heft 22 Berlin, 15. November 1939 Preis 30 Pf. 


INHALT 


Sepp Keller: Die Einberufung in den Krieg 
Alfred Weidemann: Ich sprach mit dem Bürger Morat 
Hans Gstettner: Gedichte 


Gerhard Krüger: Das Ende eines gefälschten Geschichtsmythos 


KLEINE BEITRÄGE 


Richard Oehler: Nietzsche über Engländer und Russen 
NEUE BÜCHER 


KUNSTDRUCKBEILAGE 
Ausschnitt aus dem Graudenzer Altar (Photo: Prof. Clasen, Königsberg) 
Windgott von Andreas Schlüter, Wilanów (Photo: Koch, Warschau) 
Ausschnitt einer Kreuzigung, Pelplin (Photo: Prof. Clasen, Königsberg) 


Engel vom Altar der Johanniskirche, Thorn (Photo: Prof. Clasen, Königsberg) 


Wille Hadt 


führecorgan der nationallozialiſtiſchen Jugend 


HERAUSGEBER: BALDUR VON SCHIRACH 


Jahrgang 7 Berlin, 15. November 1939 Heft 22 


Sepp Keller: 


Die Einberufung in den Krieg 


Damals dunfelte ein düſteres Gewölk, bas über das Gebirge her zog, jäh 
den Abend im frühen Herbſt. Es hatte jegliche Arbeit auf den Wieſen und Feldern 
ein Ende gefunden. Die Fuhren mit dem Grummet und bei den oberen Höfen im 
Bachtal die Fuhren mit der Gerſte oder mit dem Hafer waren noch auf der Tenne 
abgeladen worden. Bereits im dämmernden Schein packten die Knechte oder die 
älteren Söhne der Bauern mit den Gabeln die Wagen ab und ſchleuderten die Laſt 
in die ſeitlichen Abteile der Scheunen. Dort ſtanden die Kinder und traten das 
Grummet feft und lagerten bie Garben gut. Auch der Knabe Ambros ſtand in feines 
Vaters Tenne und lud bereits die Fuhren ab. Er und wohl auch auf anderen 
Tennen die Knaben ſagten ſcherzende Worte zu den Mädchen, die vom hohen Heu— 
ſtock ober vom Stock nieder, den das Getreide bildete, lachend die Antwort gaben. 

Die junge Trud rief aus der Finſternis von oben: „Du hebſt dir ja einen Bruch, 
da reißt dir was im Bauch.“ 

„Oh“, ſagte der Junge und ſchleuderte eine Gabel voll Grummet hoch, „morgen 
iſt erſt der Samstag, gib obacht, daß dir nicht was zerriſſen wird.“ Ä 

Cie ſchwiegen und kicherten, und dann arbeiteten fie alle in den Abend hinein. 
Die Alten, die auf dem Feld die Fuder luden, redeten anders. Einer ſagte: „Man 
weiß nicht, was nach dem Hinundherſtreiten geſchieht.“ 

„Es geht wieder nach Galizien.“ 

„Nein“, redete der andere, „er wird es etwan verhindern, daß es ſo weit kommt.“ 
Seite her. ſagte der zweite weiter, „der Hauptſchlag kommt von der preußiſchen 

eite her.“ 

Da fragte voll Angſt ein Weib und hielt an mit der Arbeit: „Ihr redet doch 
nicht etwa vom Krieg?“ 

„Vom Krieg?“ 

„Ein Feldzug nach Oſten kann es genannt werden.“ 

„Am San und am Bug waren wir, vor Przemyſl, Lemberg oder Limanova, 
für he Breſt“, redete der Mann, und er ſagte die Namen langſam aus. Sie waren 
ür den alten Knecht und auch für die Frau vollbeladen mit dem Erinnern aus der 
lang vergangenen Zeit. 


2 Keller / Die Einberufung in den Krieg 


„San und am Bug und der Sumpf in Wolhynien“, murmelte der Knecht in bie 
Abendſtille. Das Haferſtroh kniſterte am Wagen. 


„Hü“, ſchrie leifer der Bauer, die Frau ſchulterte den Rechen. Hinter den Roſſen, 
hinter dem Wagen mit der Ernte, gingen ſie heim auf den Hof. 


Zwei Stunden nach der ſchwarzen Mitternacht wurde der Knabe Ambros wach. 
Ein Mann hatte am offenen Fenſter der ebenerdigen Kammer geſagt: „Du, 
Ambros, du mußt aufſtehen und zum Gemeindeamt gehen.“ 

Der Knabe jak aufrecht im Bett, er fragte [hon hellwach: „Iſt bie Mobilifierung?“ 
Er bekam auf die Frage mit jenem fremden Wort, das von den älteren Knaben und 
von den Männern an den Tagen vorher oft ausgeſprochen worden war und das die 
Knaben zögernd und unvertraut ſagten und das für ſie erſt nur der Ausſage nach 
einen Sinn hatte, keine Antwort. Der eilende Bote war in die Nacht verſchwunden. 

Als der Knabe in die Gemeindekanzlei trat, flackerten die zwei Kerzen auf dem 
Beratungstiſch. Über die Geſichter der zwei ſitzenden Männer, das waren der 
Bürgermeiſter und der Sekretär, huſchten Schatten, gleich auch über die drei ſtehen⸗ 
den Knaben, die Ambros begrüßten. Die zwei Männer hatten Stöße von vor⸗ 
gedruckten Karten vor ſich, auf jeder Karte ſtand handgeſchrieben ein Name, den ſie 
in ihren Liſten nachſuchten und dort anſtrichen. Eine halbe Stunde vorher war ein 
Auto durch das Dorf gefahren und ein Mann war ausgeſtiegen, hatte den Bürger⸗ 
meiſter geweckt und ihm die Karten gegeben. Auf denen aber ſtand, daß ſich ein 
jeder, der eine ſolche Karte zugeteilt bekam, ſogleich auf den Weg nach dem be⸗ 
fohlenen Sammelort zu begeben habe. Alsdann ſetzten ſich die Buben an den Tiſch 
und ordneten die Karten danach, daß ſie auf dem nächſten Wege die in den Krieg 
befohlenen Männer erreichen könnten. Als ſie damit fertig waren und gehen 
wollten, gaben ihnen die Männer noch grüne Scheine, auf denen ſtand, daß der und 
der Bauer ein Roß oder gar zwei für eine Wehrübung zu ſtellen habe, ſamt dem 
nötigen Geſchirr. Für drei Bauern war geboten, ihre leichten Pferde als Reit⸗ 
pferde abzuſtellen. 


Der Bürgermeiſter ſtand auf und ſagte: „Es darf euch niemand anhalten auf 
dem Weg. Ihr ſteht, ſo heißt das, jetzt unter dem Kriegsrecht, und ihr habt jedem 
Einberufenen zu ſagen, daß er ſich mit dem nächſten Zug oder bei einigen zur be⸗ 
ſtimmten Stunde in ſeinem Sammelort unbedingt 1 muß. Das gilt auch 
für die Pferde. Mehr könnt ihr nicht ſagen, weil mehr über das, was geſchieht, 
keiner von uns weiß.“ 

Auf dem finſteren Platz vor dem Haus, in dem die Poſt und die Gemeindekanzlei 
waren, trennten ſich die vier Knaben. Im ſchwarzen Himmel glimmten die Sterne, 
die kühle Nacht blieb dunkel, voller Ferne und angetan mit dem Ungekannten. 
Ambros ſchritt eilig am Bach entlang, die Erlenzweige huſchten an feinem (Gebäi 
vorbei. Die Füße taſteten über die Steine des Weges. Bald querte er den Bach, 
die Brückendielen dröhnten laut, wie leiſe er auch niedertrat, das mon vom 
Waller blieb dahinter. Der ſchmale Weg, der dort im Tal dahinlief, wo der Wieſen⸗ 
hang übertrat zu den ebenen Feldern, die gegen den 5195 zu ſumpfig wurden, der 
Weg war für die Augen an den Feldſteinen zu ſehen. Vom Flugfeld, das mitten 
im Bergtal lag, war kein Schimmer wach. Die Soldaten und die Maſchinen ruhten, 
und ein Fremder wußte ſelbſt nichts von den Wachpoſten am hohen Zaun. 

„Überall“, ſagte Ambros leiſe, „gehen wir jetzt umher und wecken die Männer. 
pueri find wir Buben munter, aber ſpäter, morgen werden wir wohl ſchlafen. 

ann ſind die Männer im Krieg.“ 

Wenngleich der Knabe in ſolcher Stunde nie an der Wegſcheid war, fand er ſie 
und ſtieg im Hohlweg bergauf. Dann öffnete er, als wäre das alles am Tage, ein 
Tor, das am Abend und am Morgen das Vieh abhielt. Er ging an Stall und Wagen⸗ 


Keller / Die Einberufung in den Krieg 3 


hütten vorbei zu dem hohen, weißgetünchten Haus. Er ſtieg über bie Vortreppe, 
da fiel ein Lichtſchein aus dem offenen Flur, er trat ein und ging in die Küche, 
aber das Licht der Lampe war einzig wach. Er trat aus dem Haus über den Hof⸗ 
platz. Nun ſah er einen Lichtſtreif aus dem Roßſtall fallen, er öffnete die Tür 
vollends. Im trüben Schein und auch von dem noch geblendet nach dem Nachtgang, 
ſah er den Bauern in dem Stand bei einem Füllen, das krank war. Der alte Bauer 
ſchaute auf und ſtaunte, aber da redete Ambros: „Der Leitner Emmerich, der 
Knecht, muß aufſtehen, er muß einrücken!“ 

„In den Krieg, dann iſt der Krieg da?“ Der große Mann mit dem roten Geſicht 
wiſchte ſich mit der breiten Hand über die Stirn. Er trat in den Rahmen der Stall⸗ 
tür und rief laut über den nächtlichen Hof: „Emmerich, auf, aufſtehen, einrücken, 
es iſt Krieg!“ 

Dann wendete er ſich um. Ambros aber ſagte: „Es iſt vielleicht kein Krieg, 
ſondern nur eine Übung. Ihr müßt aber auch ein Pferd abliefern, es ſteht auf 
dem grünen Schein geſchrieben.“ 

„Was für ein Roß“, fragte der Bauer und trat zu der Stute in den Stand. 

„Die hier iſt tragend, die anderen zwei ſind untauglich geweſen bei der Muſterung.“ 

Der Knabe beſah wieder den Schein, er reichte ihn dem Bauern, er ſagte: „Ich 
kann das nicht entſcheiden, Ihr müßt auf das Gemeindeamt gehen; ich ſoll nur 
ſagen, daß von Euch ſofort der Leitner Emmerich und ein Pferd mit dem Geſchirr 
einrücken müſſen zum Heeresdienſt.“ 

Darauf ging der Mann aus dem Stall, der Knabe folgte ihm. Auf der Haus⸗ 
treppe ſagte der Bauer: „Ich wecke den Bertel, der ſoll gleich zum Gemeindeamt.“ 

Der große Sohn aber war bereits wach geworden, er kam barfuß über die Stiege, 
er eilte zuerſt in die Küche und ſchaltete den Radioapparat ein. Sein Vater gab 
ihm den Zettel. Er ſagte: „Das muß ein Irrtum ſein. Die Stute iſt freigeſtellt 
als Zuchttier.“ 

Die beiden blickten auf den Knaben Ambros. Der wiederholte ſeine Rede. Es über⸗ 
kam ihn jay der Gedanke, unklar, aber ſchwer und arg, daß ein riejiges Räderwerk 
zu laufen begonnen hatte, in das waren die einſchichtigſten Weiler mitſamt den 
Menſchen, Tieren und Dingen eingeſchaltet, in dem war er ein winziges Rad, das 
nur vorwärtszutreiben hatte, und durch das hoben ſich nun andere zu bewegen an, 
und in dem allem gab es nicht Fragen und Antworten, in dem gab es allein den 
befohlenen Schritt, und der war zu tun. Der Knecht ſtand bereits da. Es ſollte 
hier nur die Frage um das Tier ſein. Der Knabe gab dem Knecht die Karte mit 
dem Befehl und verließ den Hof. | 

Ambros ftapfte eine Weile noch bergan. Bei bem nächſten Haus leuchteten die 
BR der unteren Stube. Als er pochte, wurde das Fenſter geöffnet, unb er: 
chrocken fragte die Frau. Aber Ambros, der wußte, daß ber Bauer krank lag, jagte, 
er wolle die Buben wecken, er ſagte, ſie müßten ein Paar Pferde abliefern zum 
Dienſt bei dem Heer. Es kam ſchon einer der Söhne vom Stockwerk nieder. Im 
Taſchenlampenſchein las er die Einberufung. Die Nachtkälte fiel ihn an nach dem 
Schlaf, ſeine Stimme jedoch wurde feſt, und es war, als er zu Ambros ſprach, die 
Stärke darin, die um den kranken Vater wußte und die wußte, daß einfache und 
harte Werke geſchahen. Es war, wie es der Zufall fügte, für ein Pferd die Frei⸗ 
Se da, aber es lag wieder nicht an dem Boten noch an dem Sohn bie Ent- 

eidung. 

„Gehe auch du zum Amt und ſage wie es iſt, ich muß weiter und muß noch viele 
wecken, es wird verdammt ſein, wenn mir überall das entgegen geſagt wird.“ 

Mit eiligen Schritten ging der Knabe talab. Die Duſterkeit tat gut, und der 
feſte Laut der groben Schuhe verſcheuchte die Verwirrtheit, die über ihn zu kommen 


& Keller / Die Einberufung in den Krieg 


fien. Der Gang währte eine rechte Weile. Ambros fab den Steinbruch heller im 
Dunkel des Waldes, der zur rechten Seite anſtieg. Später drän en Zäune 
den Weg zuſammen. Aus der Nacht wehten Nebelballen über die Weiden, unb 
einmal, als Ambros den Schritt anhielt, vernahm er das Schnauben von Pferden. 
Fohlen drängten an ruhig grajende Stuten. Im tiefen Staub des Weges verſank 
der Tritt. Nur einmal klirrten die Nägel der Schuhe an einen weißen Stein. Nur 
ſolche wie ich ſind wach in der Stunde und gehen auf allen Wegen in der Nacht 
umher, ſagte ſtehenbleibend Ambros. Der Weg lief eben aus. Schwarze Dächer 
ſtanden vor dem duſteren Himmel. Die Häuſer mit weißem Unterſtock und len 
nem Aufbau ſäumten den Weg. Ambros wußte die Höfe, wo bie Männer ſchliefen, 
die er zu wecken hatte. Im Lichte der Taſchenlaterne las er den Namen auf der 
erſten Karte: Lackner Johann. Er ging um das Haus. Dann pochte er an eines 
der Fenſter. Vor dem ſtanden in blechernen und tönernen Töpfen die Blumen 
wiſchen den Stäben des Eiſengitters. Eine Frauenſtimme fragte. Ein Flügel vom 
Genfer «ne geöffnet. In bie Nachtfinſternis dämmerte ber früheſte Tagesſchein. 
8 ? [T1 


ot Johann Lackner muß aufſtehen und ſofort einrücken. Da iſt der ſchriftliche 
efehl.“ 

„Mein Gott“, ſagte voller Angſt das Weib, „es iſt Krieg!“ 

Tief im Dunkel der Kammer rief der Bauer: „Jawohl, ich habe es gehört.“ 

„Oh, der Krieg“, flüſterte die Frau und weinte und faltete die Hände vor der 
Bruſt und ſchaute mit erſchrockenem Blick zu Ambros nieder. 

„Es ſteht davon“, ſagte er, „nichts auf der Karte. Vielleicht iſt es nicht ſo weit.“ 

„Oh, wer tut die Arbeit, wer?“ — aber da ſchob der Mann die Frau vom 
Fenſter fort. 

Ambros reichte ihm den Befehl: a Haft du, es foll gleich fein, du brauchſt 
nicht mit der Bahn, bu biſt zu Fuß geſchwinder am Sammelplag ^ 

Er grüßte und eilte fort durch eine Seitengaſſe. 

Am nächſten Hausbrunnen pom [don ein Mann, ber fid) wuſch. An der Hause 
wand lehnte bie Senſe. Weil Ambros ralh daherkam und weil ber Frühſchein 
noch gering war, erkannte er ihn nicht: „Biſt du der Peter Saller?“ fragte er. 

„Ja, was willſt du ſo früh?“ 

„Du brauchſt nicht mit der Senſe auf das Feld.“ 

„Warum nicht?“ 

„Weil du auf ein anderes Feld mußt. Mit einem anderen Werkzeug.“ 

Da ſagte der Mann: „Du biſt doch der Ambros Perwein, warum redeſt du ſo? 
Iſt das ein ee dafür ift in ber Früh feine Zeit.“ — „Nein, es ift feines. Es 
tft nur der Befehl, daß du und andere, bie bereits bei dem Heer gedient haben, unb 
etliche, die ſchon im anderen Krieg ſtanden, daß ihr einrücken müßt, ſofort.“ 

Der Mann hob die Arme hoch, reckte ſich und ſog tief den kalten Atem. Er ſagte 
mit heller Stimme und mit hellen Augen im Morgendämmern: „Ja, ein anderes 
Feld und ein anderes Werkzeug, wohl auch eine andere Ernte. Aber was tut das. 
Vielleicht auch ein anderer Erntedank.“ Er nahm die Senſe und ſah ſie an. Das 
erſte Taglicht blinkte auf dem ſchneidenden Stahl. „Sie iſt ſcharf“, murmelte er 
und hing ſie auf den hölzernen Nagel an der Stallwand. Er wandte ſich um, aber 
jäh beugte er ſich zurück, hob die Senſe wieder vom Nagel und ſagte: „So geht es 
nicht, es muß auch auf dem Feld gemäht werden, der Bub muß mit der Senſe um⸗ 
gehen, dieweil ſein Vater bei der anderen Ernte hilft.“ 

Als der Knabe das vernahm, ſtreckte er den Kriegsbefehl ſcheu dem großen Mann 
hin, der gab ihm ohne Wort die Hand, dann wendete er ſich, und voll Haſt ging 
Ambros weiter. Er weckte den Wirt von dem Weiler. Der wohnte in einem großen, 


Keller / Die Einberufung in den Krieg 5 


alten Steinhaus. Bor der Zeit der Rose war die Hauptſtraße vorbeigegangen 
und waren bei der Taverne die Poſtpferde gewechſelt worden. Der Wirt ſtand auf 
und kam ihm mit Lachen auf der Haustreppe entgegen: „Du bringt den Urlaub“, 
ſagte er laut. 

„Nein, den Dienſt.“ | 

„Das verſtehſt du nicht, Bub“, ſagte er, „das ift doch ein Urlaub, und arg wird 
es nicht werden. Wir haben viele Geſchütze und noch mehr Flugzeuge.“ 

Er hatte das laut geſagt. Aus der Kammer hörte Ambros die Frau. Sie weinte 
laut auf und ſagte darein: „Aber die Männer brauchen ſie doch, allein ſchießen die 
Kanonen nicht und fliegen die Flieger nicht. Aber allein bleiben wir Weiber.“ 

„Ihr ſeid genug, und die Alten bleiben und die Kinder, und dann, hörſt du, die 
Gefangenen kommen zu euch, die ſind recht fromm, mehr fromm als wir, die werden 
euch tröſten.“ ; | 

„Aber euch“, klagte 9 weiter, „euch holt der Tod, der Tod“, klagte ſie und 
weinte ſchluchzend. Der Wirt ging pfeifend in den Stall. 

Ambros folgte ihm: „Es iſt auch ein Roß von dir gefordert, es ſoll gleich 
abgeliefert werden.“ 

Da erſchrak der Mann, aber der Anlauf zu ſeinem Frohſein überwand das 
Dunkle: „Ja, ſo wird es ſein müſſen“, redete er und warf den Gäulen Heu in die 
Raufen, „das Roß und der Herr; und dort, wo kein Weg ilt, ziehen die Röſſer wohl 
am ſicherſten vor dem Geſchütz.“ : 

Ambros antwortete haftig: „Wir find bloß Knaben, ſagt ihr und Kinder jagt ihr 
und Buben und lacht!“ Er ſchaute mit weiten Augen durch bie offene Tür in den 
weiten Himmel, der ftählern blau aus der Nacht aufbrad. Er ſagte nichts mehr, 
ſondern eilte weiter von Haus zu Haus und übergab den Männern die Befehle 
füt ſie und für ihre Pferde. Etliche ſtanden ſchon auf dem Feld und mähten, etliche 

tterten die Tiere im Stall. Sonach ging er wieder heim in das Dorf. Es war 
Tag geworden, als er auf ſeines Vaters Hof kam. 

Der Vater ſtand im Sonntagsgewand bei den Roſſen und fütterte ſie. Die 
Knechte ſtanden umher und ſagten zu den Knaben: „Er muß auch einrücken, er und 
zwei Pferde.“ Nachher ſagte der Vater: „Du und der Hans, ihr bringt die Pferde 
fort. Mit dem Mittagszug fahrt ihr wieder zurück. Ich brauche mich erſt um 
12 Uhr zu ſtellen. Dort kreuzen die Züge, und wir ſehen uns noch.“ 


Ambros aß in der Eile wenig von dem Frühſtück, bas die Mutter auf den Tiſch 
ſtellte. Sie richteten das Geſchirr. Mit Lappen und einem Fett rieben ſie den 
Meſſingbeſchlag der Kumte blank und putzten die Schnallen der Riemen. Ein großer 
Sack mit Heu und auch Hafer wurden aufgepackt. Sonach zogen die zwei Jungen 
mit den Tieren fort. Alle ſtanden und ſahen nach, die Eltern und die Knechte und 
die Mägde. Es fehlte die Rede dabei, aber ohne Wünſche und den heimlichen 
Segen zogen die Tiere nicht fort von Hof und Acker in den Krieg. Hintereinander 
führten die Buben die Roſſe. Es war ein Weg von vier Stunden, auf dem 
begegneten ſie Männern und Frauen und anderen Pferden. Etliche zogen in 
Gruppen. Die Holzknechte wurden von ihren Frauen bis zum Bahnhof begleitet. 
Die Reſerviſten trugen ihre kleinen Koffer. Viele der Männer führten die Frauen 
im Arm, was ſie ſonſt nie getan hatten. Alle ſcherzten und lachten und redeten. 


„Oh, das iſt gut, daß die Mannsbilder mit ihrem Übermut in den Krieg müſſen.“ 

„Ja, das iſt gut“, war die Antwort, „daß ihr Weiber wißt, was wir euch ſind 
und wie ihr nun allein mit der Arbeit fertig werden ſollt.“ 

„Sagt nicht ſo ein Zeug“, ſprach eine Frau und ging mit ſchwerem Schritt und 
ſchaute ohne Lachen auf den grauen Weg. 


6 Keller / Die Einberufung in den Krieg 


Einige hatten zum Abſchied bei ben Nachbarn Schnaps getrunken. Sie ſchwenkten 
ihre Hüte und übten bereits den rechten Tritt. Sie ſagten laut: „Jawoll, Herr 
Feldwebel.“ Und einer ſagte: „Ich bitte gehorſamſt, darf ich hinter den Buſch?“ 
Und ein Mutiger rief: „Das Gewehr über!“ 

Die Mehrzahl aber war von einer klaren Freude befallen, das gab nicht laute 
Worte, ſondern ein gutes, gewogenes Reden über das Tagewerk, das zurückblieb, 
und über das Tagewerk, dem ſie alle entgegengingen. 

Die Knaben und die Knechte mit den Roſſen gingen raſcher, ſie n bie 
kleinen Scharen, bie zur Bahn wollten. Am Flugfeld vorbei fagten fie nichts. 
Dort übten wie bisher die Flugſchüler mit den maanen und mit den großen 

lugzeugen, aus deren gläjerner Bugkanzel bas Maſchinengewehr ragte. Drohnend 

rauſten ſie nieder über die Straße, wenn ſie ſtarteten. Viele der Pferde, die ſelten 
auf dieſer Straße gingen, legten die Ohren zurück und ſcheuten. Mit hohem Singen 
ſanken die einſchwebenden Maſchinen nieder, rollten aus, um von neuem zu ſtarten. 
Ein Bauer ſagte, und weil er einer der Alteren war, deſſen Wort galt, horchten 
die anderen zu ihm hin: „Nun hat es doch Sinn gehabt, daß aus dem Weizenfeld 
ein Flugfeld geworden iſt.“ 

„Ja“, gab einer zur Antwort, „wir wollen auch daran glauben.“ 


Sie redeten danach nichts mehr. Auf dem kleinen Bahnhof war die Wartezeit 
lange für die, denen die Stunde doch ein Abſchied war. Sie blieb aber nicht leer 
ſondern erinnerte an einen feltenen, feſtlichen Tag, der auch den Leuten von Ho 
und Wald und Acker das gute Hinſchauen auf den Weg bisher gab, den a 
Hände Arbeit und ihr Herz gewandert war. Als der Zug einfuhr, hörte ber Tag 
nur das frohe Rufen derer, die mit leichtem Sinn im Gaſthaus geſeſſen rn 
Von den anderen Worten, die Mann und Weib noch ſcheu zueinander ſagten, 
vernahmen die Nachbarn nichts mehr. . 

Ambros und Hans und alle die mit den Pferden von den Dörfern bes Flußtales 
zogen auf der breiten dunkelgrauen Straße dem Sammelort zu. Sie trafen ein⸗ 
ander, und näher waren es nicht mehr einzelne, die ein Pferd mit blankem Geſchirr 
führten, ſondern ganze Haufen. Sie zogen am Talrand dahin, wo zur einen Hand 
der Hügelkegel abfiel in die weite Sohle zum Moor und wo zur anderen Hand die 
hellen Grummetwieſen lagen oder die braunen Acker nach dem Stoppelſturz. Am 
ire. Rand verkündeten bie Herbſtzeitloſen bas [pite Jahr. Es war manchmal ein 

ädchen, das ein Roß führte, weil daheim die Arbeit drängte und bereits die 
jüngſten Männerhände nötig waren. Dann gab das eine lachende Schar, die da 
wanderte und die ſchweren Roſſe in den harten Dienſt trieb. 


In der kleinen Stadt wurden die Pferde den Soldaten vorgeführt. Ein alter 
Rittmeiſter und ein Tierarzt ſagten alsdann, was die Tiere Wert wären und was 
ein Beſitzer bekäme, falls es im Dienſt bei dem Heer zugrunde ginge. Der Ritt- 
meiſter redete mit dem Knaben und den Knechten, dieweil der Tierarzt um das 
Roß herum ging und nachſah, ob ihm was fehle. Danach wurden alle Pferde von 
Soldaten fortgeführt, und die Schar der Knaben und Knechte ſtand mit den Mädchen 
allein auf dem Marktplatz. Sie ſahen umher und redeten miteinander vom Kriege 
und was ſie davon zu wiſſen vermeinten. Die Mädchen hörten zu. Aber es war 
eine Leere um ſie, ſie ſchwenkten die Arme ohne Rat; die Hand, die eine lange 
Weile die Zügel eines Pferdes gehalten hatte, vermißte den Griff. 


Ambros ging wie die meiſten zum Bahnhof. Dort ſtanden Soldaten und warteten 
auf einen Zug mit Reſerviſten. Da dachte der Knabe an ſeinen Vater, und ihm war, 
als hätte er ein Hellgeſicht, das noch genau den Gang des Vaters zur Bahn ſähe. 
Er ſah, und das geſchah ihm nicht verwunderlich, ſondern als wäre es eben recht in 
der Stunde, er ſah, wie der Vater mit dem Koffer mit den anderen zum Zuge ſchritt. 


Keller / Die Einberufung in den Krieg 7 


Aus allen Fenſtern der Wagen ſchauten Männer vom Tal. Nur etliche Weiber⸗ 
leute, die faſt der Zufall mit dieſem Männerzug führte, blickten ſcheu inmitten der 
vielen lautredenden Männer in den Tag. Es ſtiegen die aus dem gleichen Dorf 
gar nicht in den gleichen Wagen. Von dem und jenem Wagen rief ein Bekannter; 
dahin eilten ſie alſo, und ſo waren ſie auch ſpäter im Wagen noch, der aus Aiglern 
und der aus Ardning und der aus dem Sölktal. 


„Du, Franz, du biſt auch da“, ſagten ſie alle. 


„Ja“, redete der Neue, „und du mußt auch einrücken.“ Dabei rollte ſchnaubend 
der vollbeladene Zug bereits an. Die Neuen, die es noch merkten, drängten eilig 
zum Fenſter, um hin in den Talwinkel zu ſchauen, der ihre Heimat barg, ihre 
Weiber und Kinder und all das, was ohne lauten Namen an den Dingen haftet, 
die ihren Lebensort füllen. Das Tal rauſchte vorbei. Die Männer redeten. Es 
wurde aber ſtiller und ſonderlich die, die bisher mit den Weibsleuten ſcherzten, 
die verſtummten. 


Die kreiſchenden Bremſen zeigten das Ziel an. Da ſchlugen eilig alle Türen auf, 
die Männer ſprangen, damit es raſcher ginge, über die Stufen. Sie ſchwenkten die 
ee einander zu, unb fie verſuchten, fid) in Haufen zu teilen. Die aus den Dörfern 
ſtrebten zuſammen. Die Soldaten riefen dazwiſchen, einer gab den Befehl, daß 
Dë alle Männer in Reihen zu einem Zuge aufzuſtellen hätten. Sie ließen jäh von 

em Vorhaben ab, eilten dem Platze vor dem Bahnhof zu. Dort wieſen ihnen die 
Soldaten namenlos an, wie ſie {i in drei Gliedern aufzuftellen hätten. Aus den 
einzelnen Stimmen wurde ein leiſeres Summen, und aus den einzelnen Bauern 
We den Knechten und Arbeitern wurde ein langer dunkler Zug mit der Front 
nach vorn. 


Der Knabe Ambros, der voll Bangen, er könnte den Vater nicht mehr ſehen, am 
Eingang geſtanden hatte, war zur Seite gedrängt worden. Obgleich er bisher 
eduldig gewartet hatte, war er nun doch glücklich, als er in der langen Männer⸗ 
9 den Vater ſah. Er eilte hinzu, und der Vater, der den Koffer einen Augenblick 
niedergeſtellt hatte, gab ihm die Hand. Da rief der Unteroffizier einen Befehl, und 
alle Männer machten Kehrt. Der Knabe Ambros war nicht allein, als er zurück⸗ 
ſprang, taten das noch etliche, auch Mädchen und ein paar Frauen waren darunter. 
Der Männerzug hob zu gehen an. Die erſten Schritte waren noch ein Gang wie 
ſie ihn vorher zur Bahn getan hatten. Aber die gefügte Ordnung der Kolonne, der 
eine Reihe Soldaten voranſchritt, ſtraffte eilends den Tritt, und ſpäter, auf dem 
Wege, der vom Bahnhof über ein Feld in die Stadt führte, da marſchierte dort 
bereits ein langer Zug von Soldaten. 


Auf der Heimfahrt begegnete Ambros im Zug ein Mädchen aus dem Dorf. 
Hedwig war ein Jahr nad ihm aus der Schule gegangen. Ihr helles, lockeres Haar 
war ein lichter Schein in dem dunklen Abteil. Die Knaben redeten wenig mit ihr. 
Zumeiſt ſahen ſie durch die Fenſter. Ihre Geſichter ſpiegelten ſich darin. Und eines 
ſah den andern im Spiegelbild. Die ſtillen grauen Augen des Mädchens lachten 
wie ein fröhlicher Stern. Auf dem Heimgang ſchritt ſie zwiſchen den Knaben. Das 
war das erſtemal, dak Ambros neben ihr auf einem weiten Weg war. Aber es 
überkam ihn nimmer die bisherige Scheu, es ſtrömte ohne Namen und Rede eine 
liebe Geborgenheit von ihr aus, die er dankbar annahm an dieſem Tag, an dem 
zum erſtenmal der Vater fehlte auf dem Hof. e 


Der Bater war mit all den andern Männern in den Krieg gezogen. 


Am nüdjten Tage, es war ein Sonntag, fam in das Dorf und zu allen Weilern 
unb bis in die Dinterite Einſchicht die Nachricht: Die Männer und die Pferde find 
an die öſtliche Grenze abgerückt. 


Alfred Weidemann: 


Ich sprach mit dem Bürger Morat 


Malgré nous — gegen uuſeren Willen — En avant! 


In irgendeinem gleidgiiltigen Reſtaurant. Der Lautſprecher meldete eben die 
neueſten Nachrichten. Und wie nun der „Marſch der Deutſchen in Polen“ aufklingt, 
dröhnen von der Straße her Trommeln und Fanfaren dazwiſchen. Auf dem freien 
Platz, gleich neben dem Muſikpavillon hat ſich ein Muſikzug des Jungvolks aufgebaut. 
Die Vollkommenheit ſeines Spiels mag den Leiſtungen der gewohnten Militärkapelle 
nachſtehen, an Lautſtärke bleibt jedoch nichts zu wünſchen übrig. Weit vor der Front 
ſteht der junge Führer mit geſpreizten Beinen und lenkt Trommeln und Fanfaren 
mit ſeinen geballten Fäuſten. Vielleicht, daß er das erſte Mal ſo vor der Front ſteht. 
Sein Platz iſt ſonſt dort drüben links, im erſten Glied. Heute vertritt er nur einen 
anderen. Dieſer andere kämpft zur Stunde irgendwo in Polen. Ebenſo wie jene 
Männer, die früher an einem ſolchen Sonntagmorgen hier in dieſem Muſikpavillon 
muſizierten. 


Und da eilen beim Anblick dieſer trommelnden und blaſenden Pimpfe, wie ſo oft 
in dieſen Tagen, meine Gedanken um ein paar Wochen zurück zu Armand Morat. 
Zu jenem Armand Morat, der heute wohl in einem der franzöſiſchen Bunker der 
Maginotlinie liegt, wenn es ihm nicht gelang, ſich zu drücken, ſo wie er es im Falle 
eines Krieges feſt im Sinne gehabt hat. Wir trafen uns damals in Paris, drunten 
im ſchwankenden Leib einer U-Bahn. Faſt ſchweigend waren wir die Metro⸗Station 
„Odeon“ zum Boulevard de St. Germain heraufgeſtiegen, bis wir dort vor dem 
unſcheinbaren Danton⸗Denkmal geſtanden waren, in deſſen Stein man mit viel 
Sorgfalt jenen unbekannten Satz ſchrieb: „Apres le pain, l'Education de sa 
jeunesse est le premier besoin du peuple.“ Dieſe Worte hatten unſer damaliges 
Geſpräch beſtimmt. 


„Europa iſt mit einem Schwerkranken zu vergleichen. Es iſt ſinnlos, ſich auf 
allmähliche Heilung zu verlaſſen. Man muß operieren. Sofort operieren.“ Armand 
Morat iſt Südfranzoſe. Abgeſehen davon, daß er in Bälde damit rechnet, einmal 
als „depute de la Seine“ in die Kammer einzuziehen, iſt er ein Bürger, wie viele 
tauſend andere. Aber er will es nicht ſein. Er will neue Chefs, neue Geſetze, er 
will andere Bürger und er will vor allem eine neue Jugend. Armand Morat hat 
tiefliegende, feurige Augen. Er könnte der gewehrtragende Jakobiner auf Dela: 
croix's Bild von der franzöſiſchen Revolution ſein, dachte ich mir, als ich ihm dann 
ſtundenlang in ſeinem kleinen Dachzimmer gegenüberſaß. Aber als er ſchließlich 
nach vielen fanatiſchen Reden ergeben die Hände hängen ließ, wie er von der 
franzöſiſchen Jugend ſprach, da wußte ich, daß ich mich getäuſcht hatte. 


„Perdu la partie...“ Ich hatte Armand Morat nicht von ungefähr getroffen. 
Er iſt erſter Vorſitzender der Generalſtände der franzöſiſchen Jugend und in dieſer 
Eigenſchaft hatte ich ihn um eine Unterredung gebeten. Es iſt viel geſprochen worden 
in dieſen drei Stunden. Tauſend Schwingungen klangen in den Worten des 
temperamentvollen Franzoſen. Aber am Ende war alles zerredet und zerpflückt, 
nichts war vergeſſen geblieben, dennoch fehlte eine endgültige klare Sicht. Es war 
wie ein Schwimmen in einem uferloſen Teich. Es fehlte das, was wir „Haltung“ 
nennen und was man drüben nur kopfſchüttelnd und unzulänglich mit „tenue“ 
überſetzt. Aber Armand Morat ſtand nicht allein. Seine Rede war nur eine Zu⸗ 


Weidemann / Ich sprach mit dem Bürger Morat 9 


ſammenfaſſung all defen geweſen, was ich Tag für Tag von feinen Kameraden, 
von jungen franzöſiſchen Studenten, Arbeitern und Schülern immer wieder er⸗ 
fahren hatte: „Complettement changer“ — von Grund aus ändern! 


Es waren die letzten Tage vor dem Krieg, als ich mich in Paris aufhielt. Wer 
mit einem Deutſchen zuſammen geſehen wurde, machte ſich verdächtig. So trafen 
wir uns in privaten Wohnungen oder in menſchenüberfüllten Lokalen. Kein ein⸗ 
ziger der jungen Franzoſen hat meine Bitte um ein Zuſammentreffen abgelehnt. 
„Haß des Nazismus!“ Eine Lüge der Preſſe, weiter nichts. Der Franzoſe brennt 
in Wirklichkeit darauf mit dieſen ſagenhaften Nazis zuſammenzukommen. Nicht 
aus Freundſchaft oder purer Sympathie. Dieſe Illuſion habe ich mir nie gemacht. 
Es iſt mehr Neugierde, was ihn treibt. Oder, um mit Montagnon zu ſprechen: Das 
Publikum will in Erfahrung bringen, wie es der ſchwarz⸗befrackte Mann dort droben 
auf der Bühne anſtellt, daß er aus ſeiner leeren Hand Bälle, Tücher und ganze 
Hühner hervorzaubert.... 


Denn Deutſchland wird an der Seine irgendwie als Kabinettſtück der „Schwarzen 
Kunſt“, als „miracle“ empfunden. Ebenſo wie Italien. Aber das iſt ja gerade 
das Beängſtigende; es blieb nicht bei dieſen beiden Ländern allein. Ganz am 
Weſtrand Europas hat ſich das ſchlafende Portugal aus ſeinen melancholiſchen 
Träumen wieder aufgerichtet. Spanien ſcheint in dieſem Reigen der Wunder ſeine 
eigene Pirouette zu tanzen. Griechenland, die Türkei, Bulgarien werfen ſich auf, 
Jugoſlawien ſchlägt fein beſonderes Rad, der ganze ſorgſam behütete Balkan ſcheint 
im Bunde zu ſein. Man wird etwas unſicher in Frankreich und rückt aufgeregt auf 
dem Stuhl hin und her. Sarkaſtiſche Bonmots genügen nicht mehr, um die trüben 
Gedanken zu zerſtreuen. Beſonders die Jugend Frankreichs ſchaut mit den offenen 
Augen am Beginne ihres Lebens ſtehender Menſchen über die Grenzen. Aber 
während die Lava einer neuen Welt die Jugend andrer Länder durchglüht und bis 
zum Grunde aufwühlt, fühlt ſie nur aus der Ferne die heiße Glut dieſes Stromes. 
Steht tatenlos am Ufer und weiß nichts Beſſeres zu tun, als fragend und mit 
erhitzten Schläfen über den Kanal hinüberzuſchauen. „Laßt ſie nur, ſie haben wohl 
recht — — — aber wir haben die Macht!“ hallt es von drüben beſchwichtigend zurück. 


Aber das iſt eine alte engliſche Platte. Frankreichs Jugend weiß das. Das 
weiß auch der Bürger Armand Morat. Viele Jahre mochte dieſe Platte ihre 
Richtigkeit beſeſſen haben. Seit geraumer Zeit jedoch hat ſie an Aktualität verloren. 
Ihr Inhalt iſt nämlich in bezug auf die Macht nicht mehr von abſoluter Gültigkeit. 
Und nun kommt noch hinzu, daß der Bürger Morat ein glühender Gogialift ijt, 
der ſich fragt, was England und Frankreich für die propagierte „ſozialiſtiſche 
Revolution“ geleiſtet haben. Enttäuſcht zieht er die Bilanz, räumt alle Zeitungen 
beiſeite, ſtellt ſeinen Rundfunk ab und ſchaut mit nüchternen Augen nach dem 
Deutſchen hinüber und ſchweigt. Das Herz des Bürgers Morat ſchlägt für die Jugend, 
deren Erziehung auch ihm „gleich nach dem Brot“ kommt. Wieder bleibt ihm nur 
der ſchweigende Blick über die Grenze. Und wie bei jeder weiteren Frage und bei 
jedem neuen Begriff die Antwort auf ſich warten laſſen will, wie da am Ende 
immer wieder nur dieſer ſtille, vergewiſſernde Blick die Entſcheidung fällt, da fährt 
mir der Bürger Morat zwiſchen ſeinen vier ſchmalen Wänden „über den Dächern 
von Paris“ mit dem Zeigefinger dicht vor die Bruſt und ruft: „Ihr ſchafft und ihr 
wühlt hinter euren befeſtigten Grenzen, weil ihr uns und unſre Ruhe haßt. Ihr 
wollt den Krieg. Ihr erzieht eure Jugend zum Krieg. Alle autoritären Staaten, 
all dieſe neuen Völker wollen die Vernichtung! Weshalb denn ſonſt dieſe Revo⸗ 
lutionen? Weshalb denn ſonſt überall dieſe Haſt, dieſe Arbeit und dieſe Eile?! 


10 Weidemann / Ich sprach mit dem Bürger Morat 


Man muß eine Konferenz aller Völker einberufen, damit die Ruhe wieder über 
Europa kommt. Wir müſſen an bie Genies aller Raſſen appellieren. Mon dieu! 
Europa revolutioniert, nur Frankreich und England nicht...“ 


Das waren etwa die Worte, mit denen mich der Bürger Morat verabſchiedete. 
Galant fügte er dann noch hinzu, daß die Welt doch reichlich komiſch ſei. Hier würden 
wir uns nun freundſchaftlich die Hände drücken, und morgen ſchon ſei es möglich, daß 
wir mit denſelben Fäuſten die Gewehre umfaßten, um gegeneinander loszufeuern. 
Noch einmal packte er mich bei der Schulter, ich weiß noch genau, es war am Ende 
der Treppe vor dem Schiebefenſter des ſtaunenden Hausportiers, und meinte: „Wenn 
ein Krieg kommt, dann wird er nicht zur Ehre unſerer Republik geführt werden. 
Frankreichs Jugend wird ſich ihm fernhalten, ſolange es geht. Wenn wir aber 
kämpfen müſſen, dann: malgré nous — gegen unjeren Willen — en avant!“ 
Dabei lachte er wie über einen der vielen amüſanten Pariſer Boulevard⸗Witze. 


Das war drei Tage vor dem deutſch⸗polniſchen Krieg, den der Duce einen 
„abſurden Krieg“ genannt hat und von dem er ſagt, daß er um das Recht der 
jungen Völker geführt werde, denn ein Krieg zur Rettung Polens allein, das 
hieße für England, um des Hoſenknopfes willen die Hoſe riskieren. Was der Bürger 
Morat klar erkannt hat und was heute auch jedem anderen jungen Franzoſen oder 
Engländer dämmert, das ſcheint man in London nun ſehr plötzlich erkannt und nach 
Paris geblinkt zu haben: Europa wandelt ſich. Seine Völker ſtehen vor der Ent⸗ 
ſcheidung. Jeder Staat muß ſich mit eigener Kraft zum letzten Entſchluß und zum 
neuen Werden hindurchringen. Revolutionen und Gewitter ſtehen an der Wiege 
jeder neuen Geburt. Und wenn die letzten Feuer verglommen ſind, wenn die Winde 
ſich wieder legten, dann wächſt dem neuen Volk aus den Trümmern der Vergangen⸗ 
heit auch ſeine neue Jugend. Auf dieſer Jugend liegt der ganze Glaube und die 
volle Hoffnung des erblühten Staates. Denn es ſoll ihr Staat ſein. So war es in 
Portugal, wo Salazar ſchon in den erſten Jahren ſeiner glückvollen Diktatur die 
Staatsjugend der „Mocidade Portuguesa“ ſchuf. So war es in Spanien, wo [don 
Flechas und junge Falangiſten ihr Leben für das neue Vaterland in die Schanze 
warfen. Italiens Wiedergeburt iſt zu einem Triumph der faſchiſtiſchen Jugend 
geworden. Die Türkei lief Sturm gegen den Zwang alter Überlieferung. An der 
Spitze, als Stoßtrupp, die Jugend. Metaxas ergriff in letzter Minute Hellas 
ſchwankende Fahne und weiht ſein Werk der Wiedergeburt ewiger, griechiſcher 
Jugend. Das junge Bulgarien löſt ſich von der Vormundſchaft engliſcher Organi⸗ 
ſation, Jugoſlawien gründet fid) feine eigene Staatsjugend. Ebenſo Rumänien, 
ebenſo Ungarn. 


Rund um Frankreich und Englands einſame Inſel hat ſich Europa entſchieden. 
Die Art dieſer Entſcheidung wird am augenſcheinlichſten in den Reihen der Jugend⸗ 
organiſationen dieſer Staaten. So wie auch gerade beim Anblick der Jugend aller 
autoritären Staaten der himmelweite Unterſchied zu den Demokratien ſo offen⸗ 
ſichtlich wird, wenn man ihr deren Jungmannſchaft gegenüberſtellt. Damit ſoll kein 
Werturteil gefällt ſein. Jede Entwicklung hat ihre Abſchnitte, jede Stufe iſt nötig. 
Wenn Sir Baden-Powell heute aus aller Welt feine Abſagen erhält, jo bedeutet 
das keine plötzliche Verneinung der Boy Scouts-Bewegung an ſich. Aber alles zu 
ſeiner Zeit! Heute iſt die Form der engliſchen Pfadfinder ebenſo überholt wie die 
durch ſie geübte britiſche Bevormundung. Alſo muß ſie heute bei allen jenen 
Ländern fallen, die ſich ihrer ſelbſt beſonnen haben und ihre Jugend beſſer zu 
erziehen wiſſen. Der internationale Charme geht damit der Sache verloren, was 
jedoch kein Hindernisgrund für ein weiteres, geruhſames Fortbeſtehen im eigenen 


Weidemann / Ich sprach mit dem Bürger Morat 11 


Lande ift. Desgleichen, wer wollte etwas gegen die engliſchen Public Schools fagen, 
gegen die „ſtrohbehüteten“ Eton-boys oder die Sportklubs der „leading class“? 
Kein Menſch verliert ein Wort über die Vielfalt franzöſiſcher Jugendorganiſationen, 
und wenn es auch ſchwer iſt, ſo verkneift man ſich dennoch ſein Lächeln, wenn man 
franzöſiſche Jugend jeder politiſchen Schattierung für alle nur denkbaren Parteien 
bis zum Néo-Socialisme ſingen, ſchreiben, leſen und zahlen fieht. 

Der Begriff der „jungen Völker“ demonſtriert ſich in der Jugend am deutlichſten. 
So deutlich, daß ſich alle Worte erübrigen, wenn man einen engliſchen Journaliſten 
der „Daily Mail“ zu Wort kommen läßt, der als einer der wenigen über den 
Kanal herüberkam, um der anſcheinend ſo harten Wahrheit die Ehre zu geben: 

EM Wie ihre Leiber fonnenverbrannt find! Sie erſcheinen wie zukünftige 
Olympia⸗Athleten. Kein anderes Land der Welt könnte eine Gruppe junger Men⸗ 
ſchen ſolider, geſünder, glücklicher, ſchöner zeigen. Und vor allem, das ſind Jungen 
aus einer Maſſe von Millionen. Zufällig, nicht ausgewählt. Das Volk. Wer glaubt, 
das Naziregime würde wie ein Sturm vorüberbrauſen, hat nicht mit dieſer deutſchen 
Jugend gerechnet E 

Inzwiſchen hat man folde Stimmen in den Ländern ber „freien Meinungs» 
äußerung“ zum Schweigen gebracht. Man publizierte die Anſicht, daß aller Glanz 
und alle Schönheit bei einer härteren Zerreißprobe bald ihr Ende nehmen würde. 
Man verſuchte alles, bis nur noch der Krieg blieb und der alte britiſche Laden⸗ 
hüter, die Blockade. Nach 18 Tagen lieſt man in der franzöſiſchen Preſſe, wenn auch 
nur ſehr ſelten: „Fürs erſte hat ſich Deutſchland bewieſen.“ Und ſo freundlich, 
wohlgemeint das iſt, man macht dabei den grundſätzlichen Fehler, der immer neu 
und wohl mit überlegter Abſicht wiederkehrt: Das nationalſozialiſtiſche Deutſchland 
hatte keinen Krieg nötig, um ſich zu beweiſen. Mag ſein, daß ſich die Stärke des 
Reiches durch dieſen neueſten Waffenfieg vor den Feinden erft feine endgültige 
Anerkennung erringen mußte, ſo wie der Stahl ſeine letzte Geſchmeidigkeit unter 
den Hammerſchlägen des Schmiedes empfängt. Aber dieſer Beweis iſt von den 
Gegnern gefordert worden. Das deutſche Volk ſelbſt hatte ihn nicht nötig. 
Es iſt gedankenlos, die Ziele der jungen Völker in der Zerſtörung und im Krieg 
zu erblicken. Deutſchland iſt ſtolz auf ſeine Autobahnen, ſeine Fabriken, die Ar⸗ 
beiterſiedlungen, Schiffe, Organiſationen. Stolz auf ſeine Ingenieure, ſeine tapferen 
Soldaten und die Waffen. Jene ſchreckliche Wirkung ſeiner Bomben und Kanonen 
aber, deren Einſatz man ihm abgezwungen hat, bedauert es tief. In Wirklichkeit 

nd die Schüſſe nicht von deutſchen Soldaten ausgelöſt worden. Das waren 
Menſchen, die von der Werkbank kamen, aus den Fabriken, den Ateliers und den 
Univerſitäten. Menſchen, deren Schaffen ſtets dem Frieden und dem Aufbau 
gegolten hat, und das Ende der Abzugsleine an unſeren Geſchützen iſt in Wirklich⸗ 
keit in London gelegen, und man hat dort ſehr übermütig, verantwortungslos und 
gegen unſeren Willen daran gezogen. 


Was aber für das geſamte Volk gilt, beſtimmt auch ſeine Jugend. Es iſt einfalls⸗ 
los, ihr Kriegslüſternheit zu unterſchieben. Auch ſie braucht den Kanonendonner 
nicht, um ihre Leiſtungsfähigkeit und Einſatzbereitſchaft unter Beweis zu ſtellen, 
wenn auch gerade die harte Zeit des Krieges dazu angetan iſt, die Richtigkeit 
ihrer friebooffen Erziehungsarbeit auf allen Gebieten offenſichtlich erſcheinen zu 
lajen. Aber man muß fih darüber in London und Paris, beſonders in dieſen 
Tagen zwiſchen Krieg und Frieden, im klaren ſein, daß die deutſche Jugend im 

alle eines erneut inſzenierten Kampfes ebenſo millionenfach ihren Mann ſtehen 
wird, wie ſie das ſchon in dieſen Wochen tut. Man wird neben der Armee unſerer 


12 Weidemann / Ich sprach mit dem Bürger Morat 


Soldaten und neben der Armee unſerer Wirtſchaftsfront noch mit einem dritten 
Heerbann, der Armee der deutſchen Jugend, zu rechnen haben, die nicht weniger aus⸗ 
dauernd und mit derſelben Leidenſchaft, wie jeder Kanonier, Schütze, Flieger und 
Pionier, ihren Grabenabſchnitt verteidigt. l 
* * * 
Auf dem freien Platz vor meinem Reſtaurant ftehen bie Menſchen eng zuſammen 
um die trommelnden und blaſenden Pimpfe. Wäre es nicht die Muſik allein, ſo 
würden auch die ſonntäglichen Strahlen der Herbſtſonne die Leute auf dieſer Stelle 
verſammeln, denn als fih die Jungen gerade am Muſikpavillon aufſtellten, hatten 
ſie wohl gewußt, daß nur hier wife en Häuſern und Bäumen hindurch die Sonne 
u ſpüren ſei. Ich ſah ringsum die ſchmunzelnden Geſichter der Spaziergänger, ich 
fab ben jungen Führer bes Muſikzuges, der feine Sache jo wichtig nahm. Dabei 
war fie im Grunde nebenſächlich. Würde es bie Widerſtandskraft des Reiches 
ſchwächen, wenn dieſes Sonntagskonzert ausfiele? Doch ich weiß, daß mir der 
Jungzugführer da vorne auf dieſe Frage ſo einiges geantwortet hätte. Vielleicht 
würde er geſagt haben, daß Deutſchland trotz Kampf und Krieg ſeinen Export auf⸗ 
recht erhalte, daß es Flugzeuge baue, Fabriken, Straßen und an keiner Stelle 
anhalten wolle. Freilich ſei ſo ein dp e air d ohne große Bedeutung. Aber 
gerade darin würde die Jugend ihren Ehrgeiz befiten, ſelbſt bie unweſentlichſten 
u ſoweit das in ihren Kräften Dark weiterzuführen. Millionen von Jungen 
und Mädeln wurden ebenſo ſelbſtverſtän lich zu notwendigen Helfern bei der Ernte⸗ 
einbringung, wie ſie auch hier am Sonntag mit ihren Trommeln und Fanfaren 
auf der Straße ſtehen. 


Bei dieſen Gedanken, unter dem Applaus der Menſchen und bei den letzten Fan⸗ 
farenklängen nehme ich auch Abſchied von dem Bürger Armand Morat. Dan lieft 
in dieſen Tagen in den Pariſer Zeitungen nichts vom Einſatz einer franzöſiſchen 
Jugend. Und wenn der Bürger Morat nicht mit der britiſchen Piſtole im Rücken 
irgendwo in einem der Maginot⸗Bunker liegt, fo wird er jetzt wohl mit feinen 
e und Mitgliedern zuſammen um kleine Cafetifche bei langen Konferenzen 
itzen. 

Es iſt gekommen, wie du es lachend geahnt haſt, Bürger Morat! An unſeren 
Grenzen ſollen wir die Waffen kreuzen. Ich glaube dich ſoweit zu kennen: du wirſt 
darüber nicht traurig fein. Vielmehr wirft du lächelnd die Schultern hochziehen, 
wenn du zum Karabiner greifen mußt, und du wirſt wohl deinem Korporal den 
neueſten Witz des „Soir“ in die Ohren flüſtern: England hat eine große Armee, 
die franzöſiſche. Frankreich hat eine gute Politik, die engliſche. 

Aber — und nun verſtehe mich recht, Bürger Morat — du ziehſt zur Front, wie 
du ſelbſt es gejagt Haft — , malgré nous“ gegen deinen Willen. Denn dieſer Krieg 
würde nicht zur Ehre deiner Republik geführt. Es fehlt ihm jeder Sinn und jedes 
Ziel. Uns aber wird ein Kampf um unſer Recht und um unſere Ehre und um 
m Freiheit aufgezwungen werden Kä bie jtd) jeder tapfere Soldat, gleichgültig 
welcher Nationalität, bereitwillig einſe t 


Es ging tatſächlich nicht um Polen, Bürger Morat. Auch das hatteſt du ſchon 
erkannt. „Gegen den Hitlerismus!“ Du lächelſt wieder dein ſarkaſtiſches, über: 
aU Lächeln. „Man hat ſchon einmal gegen den Kaifer gekämpft“, wirfſt du 

azwiſchen. 


„Europa iſt mit einem Schwerkranken zu vergleichen.“ Auch dieſer Vergleich 
tammt von dir. „Man darf nicht warten, man muß operieren, ſofort operieren!“ 
e oe Bürger Morat, wieder einmal haſt du recht. Aber wenn es geht, ohne 

arkoſe. 


Gedichte von Hans Gftettner 


Antikes Relief 


Machtlos hebft du, fie zu trennen, 
deine Hände, dein Geficht. 

Doch Vernichtung will entbrennen, 
und fie fehn dich, Mutter, nicht. 


Sehn nicht Deiner fammerivelten 
Augen Aufblick In das Nichte. 
Alle gegen alle ftreiten, 

glerig ihres Selbftgerichte, 


Die Giganten, deine Söhne, 
Gata, halt? du nimmer auf. 
Tauche unter, Mutter, ftóhnel 
Auf dir dröhnt Ihr Todeslauf. 


Spruch Des Helden 


. Gewöhne dich, entfetztes Blut, 
Das Schreckliche zu fchauen. 
Athena, zeige mir im Schild. 
das Angeficht voll Grauen! 


Ee ift nicht fern, Ich fühle ſchon 
Flughäute dumpt fich regen. 
Die Schlangenhaare blähen fich 
dem Mordenden entgegen. 


lch will thm nahen abgewandt, 
damit Ich nicht verſteine. 

O diefes Antlitz, dlutentflammt ! 
lch ſchaue In das meine. 


Dle Maske fiel. Gorgonenhaupt, 
du bift des Menſchen Spiegel. 
lch habe dich im Kampf geraubt. 
Gewalt nur bricht dein Siegel. 


14 Gedichte von Hans Gstettner 


Der Wagenlenker 


Aufrecht, unbewegt 
hinter dem Gelpann 
ſtehſt du groß, umfegt 
von der Wolke, Mann. 


In der Ralerel, 

der die Welt verſchwimmt, 
ragſt du ſtolz und frei, 
blickſt du klar, beſtimmt. 


Gebet 


Deine Hand, fie lenkt 
wilder Renner Kraft. 
Deine Stirne denkt 
Zügel, zielgeftrafft. 


Säulenhaft gerillt 

fällt des Rockes Lot. 
Herrfcher, ſleggewillt, 
Gottheit dich umloht 


Still verharren und dich, 
Helios, wunſchlos verehren l 
Fühlen die leuchtende Kraft 
Deiner vollendeten Stirn! 
Uber dem Chaos fchon ſtand 


ſchweiglam dein runder Gedanke. 

Liebend mit großer Geduld 

lockteſt du Blume und Tier. 

Felerlich lehrteſt du uns 

Menſchen dle Ordnung der Zeiten. 

Kommen und Schelden, durch dich 

heilig It uns das Geſetz. 

Einfamer, einziger Gott, 

geftern, heute und morgen, 
deln erhabenes Bild 

füllet ewig mein Herz. 


Der Sieg 


Wille, 

Windsbraut, 

Taue fingen, 

ftürmft Du über Dedi! 


Weint und lacht! 
Ihre Brüfte, 

Ihre Lenden, 

faht Ihr fie geftrafft? 


Meteor Alles, alles 

mit langen Schwingen, mag fich wenden 
Todesluſt nun in Lebenskraft! 

und Schreck! Einmal noch 

Ift es wirklich, die Nacht bezwungen, 
Kameraden die aus Chaos flieg! 
Diefer ſchwarzen Nacht, Im Titanenkampf errungen 
ift es Nike, einmal noch 

Kameraden? der Sieg! 


Gerhard Krüger: 


Das Ende eines gefälschten Geschichtsmythos 


Das Ende der Tſchecho⸗Slowakei war nicht nur der Zuſammenbruch eines gegen 
alle natürlichen Gegebenheiten und gegen alle Vernunft konſtruierten Staates. 
Ihm muß zwangsläufig auch eine tiefe geiſtige Wandlung folgen, die nicht 
abgeſchloſſen ſein kann mit der Auflöſung jenes in Verſailles errichteten Gebildes 
Tſchecho⸗Slowakei, ſondern die eigentlich erſt mit dieſer Auflöſung beginnt. Geiſtige 
Wandlungen bereiten ein politiſches Ereignis vor oder werden durch ein politiſches 
Ereignis erſt ausgelöſt. Verbunden mit der durch den 14. März 1939 hervor⸗ 
gerufenen andlung iſt notwendigerweiſe auch der Zuſammenbruch jener 
Geſchichtslegende, jenes gleichfalls konſtruierten Geſchichtsmythos, der als Grund- 
lage für das in Paris geborene Staatsgebilde erſonnen worden iſt. Die Erfindung 
eines eigenen tſchechiſchen Geſchichtsmythos war ein Teil der gegen das Deutſchtum 
und gegen die natürlichen Intereſſen des tſchechiſchen Volkes gerichteten m. 
Es wird, auf die Dauer geſehen, unumgänglich fein, aus dieſem Zerfall einer 
Geſchichtslegende in der Wiſſenſchaft und vor allem im Schulunterricht des Reichs⸗ 
protektorats eindeutig die Folgerungen zu ziehen. 


Der Unterſchied zwiſchen einer echten Volksdichtung und der Märe von der 
ſelbſtändigen tſchechiſchen Geſchichte iſt, daß wir den Tag der Entſtehung der Märe 
genau feſtlegen können. Die Konſtruktion des tſchechiſchen Geſchichtsmythos begann 
am 16. September 1817 mit einer Fälſchung, der von Wenzel Hanka „entdeckten“ 
ſogenannten „Königinhofer Handſchrift“. Sie iſt ein Teil einer Geſamtaktion, 
deren Ziel es war, die ſelbſtändige kulturelle Entwicklung des Tſchechentums bis 
in das 13. Jahrhundert, bis in das 9. Jahrhundert und ſchließlich bis in die Urzeit 
hinein nachzuweiſen. Demgegenüber iſt feſtzuſtellen, daß die geiſtige und politiſche 
Entwicklung des tſchechiſchen Volkes von ſeinem Eintritt in die Geſchichte an 
beſtimmt iſt durch die ſchöpferiſche Beeinfluſſung durch das Deutſchtum, durch die 
GAN Sede D den naturgegebenen deutiden Lebensraum und durch die ſtändige, 
unlösbare Verbundenheit mit der Geſchichte des deutſchen Volkes und ſeines 
Reiches. Es gibt keinen die tſchechiſche Entwicklung beſtimmenden oder irgendwie 
beeinfluſſenden Vorgang, der aus ſich ſelbſt heraus, losgelöſt von der Entwicklung 
des Geſamtreiches zu begreifen wäre. Dies gilt — und das iſt der ſchlagendſte 
Beweis für die Behauptung — gerade auch für jene für ihre und geſchichtlichen 
Geſtalten, die von den Erfindern jener Geſchichtsmäre für ihre Theſe in Anſpruch 
genommen werden. Die größte Ironie der Geſchichte aber iſt, daß ſie ſelbſt in keiner 
Weiſe eine Ausnahme von der innigen Verbindung jeder tſchechiſchen Entwicklung 
mit dem Deutſchtum machen. 

Jeder, der die Vorgänge um die Entſtehung des gefälſchten tſchechiſchen Geſchichts⸗ 
mythos kennt, wird zugeben müſſen, daß ſie überhaupt nicht möglich und verſtänd⸗ 
lich geweſen wären ohne einen großen Anreger deutſchen Blutes, ohne Johann 
Gottlieb Herder. Schließlich ſind nicht jene Fälſcher die Urheber eines 
unwahren tſchechiſchen Geſchichtsmythos, ſie haben ihn nur entliehen, abgelöſt aus 
dem Geſamtwerk eines großen Deutſchen, der, ohne jede ſlawiſche Sprach- und 
ohne genügende Quellenkenntnis, aus ſeiner Humanitätsideologie heraus eine 
Wealiſterung und Mythiſierung beſonders der ſlawiſchen Urzeit vornahm. Bei 
keinem anderen als Thomas G. Maſaryk kann man nachleſen, wie dieſe deutſche 
Philoſophie die Grundlage für ein antideutſches Streben gab. Auf dieſem Boden 
erwuchs die Fälſchung von 1817. Viel wahrer und echter iſt das Wort, das der 
große tſchechiſche Humaniſt Bohuslaus Lobkowitz von Haſſenſtein 1507 an 
einen Deutſchen ſchrieb: „Einſtmals, da Deutſchland unter den Ottonen, Heinrichen 


16 Krüger / Das Ende eines gefälschten Geschichtsmythos 


unb Friedrichen blühte, ba wuchs auch unſere Macht ins unendliche und Böhmen 
galt als einer der edelſten Teile enres Reiches; jetzt aber, da euer Staatsweſen 
wankt, wanken wir nicht nur auch, ſondern brechen völlig zuſammen.“ Klarer kann 
die Verbundenheit des Tſchechentums mit dem Deutſchen Reich und ſeinem Schickſal 
nicht zum Ausdruck gebracht werden. In dieſem Satz iſt das wirkliche Bild 
tſchechiſcher Geſchichte echter enthalten als in dem im 19. Jahrhundert konſtruierten 
Geſchichtsmythos. 

Von den über ein halbes Jahrtauſend im böhmiſch⸗mähriſchen Raum anfällig 
geweſenen Markomannen und Quaden und von den Langobarden, von denen Teile 
dort zurückblieben, haben die nachdringenden ſlawiſchen Kleinſtämme die Ordnung 
und wohl ſogar die Gaueinteilung dieſes Raumes übernommen. Ein Franke 
namens Sa mo war es, ber im 7. Jahrhundert den Zuſammenſchluß der Tſchechen 
vollzog und ſie vor der Vernichtung durch die Awaren rettete. Politiſch gehörte 
Böhmen⸗Mähren in das Machtgebiet des Fränkiſchen Reiches; die Wendung zum 
Chriſtentum wurde den Tſchechen — von einigen Verſuchen griechiſcher Mönche 
abgeſehen — von der bayriſchen Kirche gebracht. Die Begründung des ee 
in der tſchechiſchen Geſchichtsmythiſierung eine Rolle ſplelenden, unabhängigen 
„Großmähriſchen Reiches“ war durchaus keine ſelbſtändige Erſcheinung, 
ſondern ein Teil der innerfränkiſch⸗innerdeutſchen Wirren am Ausgang der 
Karolinger. Beide mähriſchen Fürſten, die dabei eine Rolle ſpielten, konnten fid 
in dem unruhigen, von Zwieſpalt erfüllten Land nur mit Hilfe der deutſchen 
Macht durchſetzen. Dies gilt ſowohl von Raſtiſlaw, der von den Franken eingeſetzt 
wurde, wie von ſeinem Neffen Zwentibold, der nur dank der Unterſtützung 
Ludwigs des Deutſchen an der Spitze eines deutſchen Heeres 871 in Mähren 
eindringen und die Herrſchaft übernehmen konnte. Er wurde ſogar der Namenspate 
für den unehelichen Sohn des oſtfränkiſchen Königs Arnulf. Kirchlich ſtützte fid 
Zwentibold im Gegenſatz zu feinem öſtlich orientierten Oheim auf den ranten: 
biſchof Wiching von Neutra. Mit dem Ende der fränkiſchen Wirren brach dann 
auch das „Großmähriſche Reich“ zuſammen, die Oberhoheit des Reiches war 
wiederhergeſtellt. 

Ebenſowenig ſprechen die Vorgänge um den erſten tſchechiſchen Nationalheiligen 
und Namensgeber der mythiſchen Wenzelskrone, den Premyſliden Wenzel l., 
für die Auffaſſung von einer vom Deutſchtum unabhängigen Geſchichtsentwicklung 
des Tſchechentums. Regensburg war inzwiſchen zu dem kirchlich für Böhmen ent⸗ 
17 en Bistum geworden. Die innerböhmiſchen Wirren unter den beiden 

rüdern Wenzel und Boliflaw |. find zugleich ein Ausſchnitt aus dem großen 
Kampf um die Einigung des Reiches zur Zeit Heinrichs I., des Sachſenkönigs. 
Erzieher Wenzels war ein Deutſcher, der ſpätere Biſchof Michael von Regensburg. 
Als Vertreter der bayeriſchen Partei wurde der junge Herzog am 28. September 929 
in Bunzlau durch den eigenen Bruder ermordet. Mindeſtens in gleichem Maze wie 
für ſeinen Glauben iſt Wenzel für die Idee der Einordnung Böhmens in das 
Deutſche Reich geſtorben. Durch dieſen Tod erhält die heilige Wengelstronc 
Böhmens — wie fih auch ſonſt nod erweiſen wird — eine ganz andere mythiſche 
Bedeutung, als ihr ſpäter deutſchfeindliche Propagandiſten nur zu gern gegeben 
hätten. Mit vollem Recht konnte denn auch Reichsprotektor Freiherr von Neurath 
in ſeiner Rede auf dem Feſtbankett in der Prager Burg Herzog Wenzel für jene 
1 Wende in Anſpruch nehmen, die in unſeren Tagen eine Rückkehr zu 
einem Jahrtauſend politiſcher Entwicklung bedeutet. 

Auch die Kämpfe von Wenzels Bruder und Gegenſpieler, Herzog Boliſlaw l. 
gehören in das Ringen um die Reichseinheit unter Heinrich I. und Otto dem 
Großen. Auf die Unterwerfung Bayerns folgte 950 die Einordnung des dieſem 
traditionsgemäß verbundenen Böhmen durch den großen Sachſenkönig. Mitten im 


Krüger / Das Ende eines gefälschten Geschichtsmythos 17 


deutſchen Reichsheer Ottos des Großen kämpften nach hergeſtellter Reichseinheit 
die Böhmen 955 unter dem gleichen Boliſlaw in der weltgeſchichtlichen Schlacht 
auf dem Lechfeld gegen die Ungarn. Noch enger war die Anlehnung des Beherrſchers 
des damals noch nicht premyſlidiſchen Teil Böhmens, Slawniks, ber wohl das 
Blut des [cin bate en Königshauſes in feinen Adern hatte und deffen Frau 
Adelburg deutſcher Abſtammung war. Der Kampf zwiſchen Slawnikingern und 
Premyfliden um die Macht in Böhmen war ein Teil des Kampfes zwiſchen Sachſen 
und Bayern unter den Ottonen. Einer der Söhne Slawniks war der zweite 
tſchechiſche Nationalheilige Adalbert von Prag, ſein tſchechiſcher Name war 
Woitech. Durch den RE Sachſen Otrik war er in der Stiftſchule in Magdeburg 
unter Erzbiſchof Adalbert, nach dem er auch ſeinen deutſchen Namen erhielt, 
erzogen worden. Nicht zuletzt als Verwandter des ſächſiſchen Königshauſes wurde 
er Nachfolger des Sachſen Thietmar in dem 973 gegründeten Bistum Prag. Aber 
Adalbert weilte nur au in ber Premyſliden⸗Stadt, er war lieber, gleich feinem 
Freunde Kaifer Otto III., in Rom. Die ſtändige Weigerung Adalberts, nad) Prag 
zurückzukehren, Wonn in engem Zuſammenhang mit der völligen Ausrottung der 
Slawnikinger⸗Familie durch Boliſlaw II. Nur kurze Zeit hielt Adalbert jid) nod) 
einmal in Prag auf, um dann als Miſſionar nach Preußen zu gehen, wo er auch 
ſein Ende fand. Auch Adalbert von Prag, den eine geradezu verhängnis voll 
ſchwärmeriſche Freundſchaft mit einem deutſchen Kaiſer verband, kann als alles 
andere angeſehen werden, nur nicht als Vertreter einer tſchechiſchen Unabhängigkeits⸗ 
politik vom Reid. 

Unendliches verdankt die böhmiſche Herzogsfamilie der Premyſliden dem 
deutſchen Königstum. Der vom Bayernherzog zum deutſchen König emporgeſtiegene 
Heinrich ll. ſtellte ſofort nach ſeinem Regierungsantritt die von Polen her 
zerſtörte Premyſliden⸗Herrſchaft wieder her. Mit Unterſtützung Kon- 
trads Il. wurde dann auch Mähren wieder den Polen abgenommen, eine Macht⸗ 
erweiterung zugleich für das Reich wie für die böhmiſche Herzogsfamilie. Der erſte 
Salierkaiſer war es auch, der ſtillſchweigend ben Brautraub bes jungen Bretijlaw I. 
und damit die Ehe mit der Babenbergerin Judith von Schweinfurth duldete, die 
erſte klar nachweisbare Deutſchenheirat eines Premyſliden, die jene Entwicklung 
einleitet, durch die die „nationaltſchechiſche“ Herrſcherfamilie blutsmäßig nahezu 
rein deutſch wurde. 

Immer wieder waren die deutſchen Kaiſer genötigt, in die innertſchechiſchen 
Wirren und Erbſtreitigkeiten einzugreifen und die Ordnung in Böhmen-Mähren 
zu ſichern. Selbſtverſtändlich mußten ſie auch, wie Heinrich III. es tat und wie es 
auch ſonſt gegenüber Herzögen des Reiches geſchah, darauf achten, daß nicht eine 
für das Reich ungeſunde Machtüberſteigerung eintrat. Aber ſelbſt der machtvolle 
Bretiſlaw J. war, nachdem er in ſeine Schranken zurückgezwungen worden war, 
wieder der zuverläſſigſte und treueſte Anhänger des Kaiſers. Das gleiche if pon 
ben zahlreichen ag ae des großen Böhmenherzogs zu lagen, von denen WWrati- 
flaw L für feine Treue in des Reiches ſchwerſter Zeit von dem unglücklichen 
deutſchen Kaiſer Heinrich IV. den perſönlichen Königstitel verliehen bekam. Der 
1059 te Bruder des erſten Böhmenkönigs, Biſchof Jaromir⸗Gebhard von Prag, war 
1077 bis 1084 als Kanzler des Reiches der engſte politiſche Berater des ſchwer 
5 Saliers. Das dann unter den Staufen errichtete erbliche Königtum 

öhmen war ein Werk der deutſchen Kaiſer und zugleich ein erneuter Dank für 
treue Dienſte am Reich: in dieſer Zwiefältigkeit ſeiner Herkunft iſt es ſymboliſch 
für die feſte Eingliederung Böhmens in das Deutſche Reich. 

Überall im Deutſchen Reich hat ſich in jener Zeit die große geiſtige Auseinander⸗ 
ſetzung zwiſchen ber ſtark germaniſierten Reichskirche und den aſßzetiſch⸗romaniſchen 
hochkirchlichen Beſtrebungen als ein Teil des Machtkampfes von Kaiſertum und 


18 Krüger / Das Ende eines gefälschten Geschichtsmythos 


Papſttum vollzogen. Von dem franzöſiſchen Kloſter Cluny aus und dann in immer 
neuen Wellen (Ziſterzienſer, Prämonſtratenſer, Franziskaner, Dominikaner uſw.) 
ſtets mit dem romaniſchen Gebiet als Urſprungsquelle drangen dieſe artfremden 
Gedanken von Weſten na Often vor. Je weiter fie vorgeſchritten waren, in um fo 
tärkerem Maße wurden deutſche Klöſter die Mittler. Einſeitig konfeſſionell be⸗ 

immte Darſteller dieſer Vorgänge, in letzter Zeit z. B. der Prager katholiſche 

heologe Eduard Winter, haben im Banne ihrer konfeſſionellen Gebundenheit den 
angeblichen Gegenſatz zwiſchen tſchechiſchem Huſſitentum und ſtrenggläubigem 
deutſchem Katholizismus vorzuverlegen verſucht und für die Auseinanderſetzung im 
Mittelalter einen völkiſchen Hintergrund konſtruiert. Natürlich hatte eine gegen 
das Deutſchtum gerichtete Derik Geſchichtsdarſtellung diefe ihr genehme ton- 
feſſionelle Theſe ſofort aufgegriffen. In Wirklichkeit handelte es fid) bet der Auf: 
lehnung gegen die vom Weſten vordringenden Ideen um ein Bekenntnis zu Kaiſer 
und Reich; in Magdeburg erhob ſich das deutſche Bürgertum gegen den romani⸗ 
ee 5 Norbert von Xanten genau fo wie diefe Neugründungen in 

öhmen auf Widerſtand ſtießen. Das hatte mit nationalen Gegenſätzen nichts zu 
tun, war vielmehr ein Ausdruck der gemeinſamen Treue zur Reichskirche. 


Die Zahl der Hiſtoriker, bie in der Niederlage des letzten großen Premyſliden 
Ottokars Il. in der Schlacht auf dem Marchfelde 1278 gegen den Habsburger 
Rudolf einen ſchweren Schickſalsſchlag für das Reich ſehen, iſt groß. Es war kein 
Tſcheche, der nach der Krone des Reiches griff, ſondern der Sohn einer Staufin, 
der, wie einſt Salier und ſdshauſes für beim Ausſterben der männlichen Linie des 
bisherigen deutſchen Königshauſes für ſich das alte germaniſche Geburtsrecht in 
Anſpruch zu nehmen ſuchte. Ein Sohn der alten, im Oſtkampf ſo bewährten deutſchen 
Grafenfamilie von Schauenburg, Biſchof Bruno von Olmütz, war unter Ottokar 
wie ſchon unter deſſen Vater Wenzel der entſcheidende Träger der böhmiſchen 
Politik. Das Fehlen jeder Zentralgewalt während des Interregnums wurde dazu 
benutzt, um einen gewaltigen, von den Sudeten bis zur Adria reichenden Machtblock 
innerhalb des Reiches zu ſchaffen. Durch Unterſtützung der Askanier in Branden⸗ 
burg und des Deutſchen Ordens in Preußen wurde dieſer Einflußbereich bis zur 
Oſtſee erweitert. Die Erhaltung dieſes rieſigen Blocks und die Übernahme der 
zentralen Reidsgewalt durch ſeinen Herrſcher wäre für die Oſtpolitik und die 
Geſamtentwicklung des Deutſchen Reiches von entſcheidender Bedeutung geweſen. 
Böhmen ſchien germaniſch⸗deutſche Vormacht zu werden. Die deutſche Beſiedlung 
nahm durch die Politik Brunos von Olmütz größten Umfang an. Deutſche Kultur 
und Wirtſchaft entfalteten in Böhmen ihre Blüte. Neue Städte und die älteren 
Siedlungen erhielten durchgehend deutſches Recht. Aber für Fürſten und Papſt war 
nicht ein machtvoller Herrſcher, ſondern ein kleiner Herr ohne eigene Macht, der 
ihre Unterſtützung mit der Aufgabe wichtiger Reichsrechte erkaufen mußte, der 
geeignete Kandidat für das deutſche Königtum. Vom Reich geächtet, vom Papſt 
gebannt, ſuchte Ottokar in Abkehr von ſeiner bisherigen Politik beim Slawentum 
Unterſtützung und unterlag 1278 in der Schlacht von Dürnkrut. Die alte böhmiſche 
Herzogsfamilie ber Premyſliden, in deren Adern das Blut der größten deutſchen 
Fürſtengeſchlechter, der Babenberger, Hohenſtaufen und Habsburger floß, über⸗ 
dauerte dieſen Zuſammenbruch ihrer Macht nur um zwei Generationen und ging 
mit dem Ausſterben der männlichen Linie in das deutſche Kaiſerhaus der 
Lützelburger auf. Unter ihnen wurde 1347 die E Wenzelskrone unter 
Benutzung des aus der Zeit bes Premyſlidenherzogs Wenzel I. ſtammenden 
Materials neugeformt. 

Vergeblich ſind die Bemühungen der fälſchenden tſchechiſchen Geſchichtsdarſtellung 
geweſen, bie Premyſlidenpolitik in ihrem Sinn umzudeuten, noch unſinniger aber 
müſſen derartige Beſtrebungen bei den Lützelburger Böhmenkönigen ſein. Der 


Krüger / Das Ende eines gefälschten Geschichtsmythos 19 


deutſche Arzt Peter von Aſpelt, pater als Erzbiſchof von Mainz entſcheidender 
Träger der deutſchen Reichspolitik, leitete 16 Jahre als Kanzler von Böhmen unter 
Wenzel II. die deutſche Politik ber Prempfliden auf die Lützelburger über. Bereits 
die Premyflidenkönige hatten einen ſchweren Kampf gegen den einheimiſchen 
Großadel um ihre Machtſtellung führen müſſen. Der Zuſammenbruch Ottokars ll. 
war von dieſem Gegenſatz weiteſt gehend beeinflußt geweſen. Unter den Lützel⸗ 
burgern wurde dies nicht anders. Mit nationalem Gegenſatz, wie man es allzu 
gern möchte, hat dieſer Kampf kaum zu tun, war der einheimiſche Adel doch zu 
entſcheidendem Teil deutſch, auch in ſeiner Führung, wie die Namen Albert von 
Roſenberg, Johann von Wartenberg, Heinrich von Lipa zeigen. Der Adel ſuchte 
ſeine Stellung möglichſt ſelbſtändig zu erhalten und ſetzte ſich gegen die aus dem 
übrigen Reich herangezogenen adeligen Berater der Könige beider Häuſer zur 
Wehr. Obwohl man dieſe Auseinanderſetzung um at Preis zu einer nationalen 
hat ſtempeln wollen, hat die gleiche tſchechiſche Geſchichtsſchreibung auch die beiden 
Königshäuſer für ſich in Anſpruch genommen. Dies gilt beſonders für Kaiſer 
Karl IV. und den deutſchen König Wenzel, obwohl deren deutſche Herkunft, 
deutſches Bewußtſein und deutſcher Kulturaufbau billigerweiſe nicht geleugnet 
werden können. Mit der Gründung der erſten deutſchen Univerſität in Prag, mit 
Geſtalten wie Peter Parler, dem großen Baumeiſter, Johann von Neumarkt, dem 
Frühhnmaniſten und Kanzler Karls IV., und Johann von Saaz, dem Schöpfer bes 
„Ackermann aus Böhmen“, ſtieg die deutſche Kultur Böhmens zu ihrer höchſten 
Blüte. Demgegenüber hat man die Hausmachtpolitik Karls und ſeine damit ver⸗ 
bundene verhängnisvolle Reichspolitik für die Bildung eines unechten tſchechiſchen 
Geſchichtsmythos heranziehen wollen. Zweifellos kannte der Kaiſer eine Natio⸗ 
nalitätenpolitik im modernen Sinne nicht; er war aber in erſter Linie Deutſcher, 
bei aller Bedeutung feiner böhmiſchen Hausmachtpolitik darf feine Reichspolitik, 
von der jene der entſcheidende Teil war, nicht in den Hintergrund treten. 


Unter Wenzels IV. Regierung fällt die Haupttätigkeit jener Geſtalt, die wegen 
gewiſſer Auswirkungen ihrer Lehre ſowohl von tſchechiſcher als auch von deutſcher 
Seite immer wieder als eine Art Nationalheros des Tſchechentums hingeſtellt 
worden iſt, die Tätigkeit des Johann Huß. Zweifellos hat der Huſſitismus für das 
Deutſchtum Böhmens ſehr nachteilige Folgen gehabt und wiederholt ſtark anti⸗ 
deutſche Charakterzüge gezeigt. Und dennoch iſt ſelbſt dieſe Geſtalt nicht heraus⸗ 
zulöſen aus der großen geiſtigen Entwicklung, der vorreformatoriſchen Stimmung 
im Deutſchen Reich. Ohne die deutſchen Einflüſſe, die ſich auf ihn ausgewirkt haben, 
und ohne die Ausſtrahlungen, die von ihm für das Geſamtreich ausgingen, iſt ſelbſt 
eine Perſönlichkeit wie Johann Huß nicht zu begreifen. Böhmen war damals ſo 
eng mit der politiſchen und len Entwicklung des Deutſchen Reiches verbunden, 
daß man es nicht vollſtändig iſolieren kann. Die kirchlichen Mißſtände in Böhmen 
waren ein Teil der allgemeinen Lage der Kirche in Deutſchland; das gleiche Streben 
nach innerer und äußerer Reformation war überall im Reich ſeit langem vor⸗ 
nen Die deutſche Myſtik und Innerlichkeit, deren Hauptvertreter Meiſter Eckhart 

nge in Böhmen gewirkt hatte, war der tiefſte Ausdruck für dieſe Sehnſucht. Das 
Waldenſertum hatte in Sachſen und Böhmen Zuflucht gefunden und ſtrahlte 
beſonders immer wieder von Dresden nach Prag hinüber. 


Zur einflußreichſten Geſtalt dieſer vorreformatoriſchen Zeit in Böhmen aber 
wurde ber 1358 aus Oberöſterreich nach Prag kommende deutſche Mönch und Sitten- 
prediger Konrad von Waldhauſen, der von tiefſter ſeeliſcher un auf 
Deutſche und Tſchechen Böhmens war. Ohne die weitgehende Tätigkeit dieſes 
Deutſchen wäre die von Johann Huß ausgelöſte Bewegung nicht möglich geweſen. 
Der Kampf, der ſich nun vollzog, war im Anſatz ein ausſchließlich religiöſer, der 
auf Grund der beſonderen Verhältniſſe in Böhmen jedoch wiederholt ſtark natio- 


20 Krüger / Das Ende eines gefälschten Geschichtsmythos 


nale Auswirkungen zeigte. Soziale Probleme und der Gegenſatz zwiſchen König 
und Adel ſpielten hinein. Der berühmte Konflikt an der Univerſität Prag wurde 
ausgelöſt durch die Forderung König Wenzels nach einer Erklärung im Sinne 
ſeiner Politik im Papſtſtreit zwiſchen Rom und Avignon. Die böhmiſche Nation 
an der Univerſität, bie im Gegenſatz zu den drei anderen fid) für den König 
erklärte und deshalb die er s behielt, war gemiſcht deutſch⸗tſchechiſch. Der 
Auszug von etwa der Hälfte der Prager Studenten 1409 war in 
erſter Linie religiös begründet, was ſich ſchon daran erwies, daß die 
Deutſchen der böhmiſchen Nation in Prag zurückblieben. 

1410 wurde nach Abebbung der Erregung bereits wieder ein Deutſcher, Johann 
Schindel, als Nachfolger Huß' Rektor der Prager Univerſität. Abgewanderte 
deutſche Magiſter kehrten wieder zurück. Die religiöſe Bewegung erhielt will⸗ 
kommenen Zuzug von deutſchen Waldenſern aus Dresden und Meißen. Auch das 
heimiſche Deutſchtum Böhmens nahm an ihr ſtärkſten Anteil, wie u. a. die Haltung 
des Dichters Johann von Saaz zeigt, deſſen Werk Auflehnung gegen das mittel⸗ 
alterliche Weltbild war. Die huſſitiſche Forderung nach dem Abendmahl 
in beiderlei Geſtalt ſtammt nicht von Huß, ſondern von dem deutſchen 
Magiſter Peter. Nicht zuletzt deutſche Grundherren waren es, die die Einführung 
des Laienkelches durchſetzten. Dies alles darf man über dem landläufigen Bild des 
Huſſitismus nicht vergeſſen. Luther ſelbſt hat 1522 in ſeinem Sendſchreiben an die 
böhmiſchen Landſtände bezeugt, wie ſehr Johann Huß für ihn ein Teil der großen 
deutſchen Reformation war: „Wenn auch gleich ganz Böhmen, da Gott für ſei, 
. feine Lehre verleugnete, jo foll er doch ber unſere fein.“ In dem [o durch das 

P aufgeloderten Boden Böhmens fonnte ber Proteltantismus unter 

eutſchen und Tſchechen derartige Fortſchritte machen, daß vor dem Einſetzen der 
Gegenreformation Böhmen für die römiſch⸗katholiſche Kirche verloren ſchien. 

Wie ſehr die Geſchichte des „ Böhmens ein untrennbarer Teil 
der Geſchichte des vorreformatoriſchen Deutſchen Reiches iſt, beweiſt auch die 
Geſtalt Georgs von Kunſtatt und Podiebrad, den man zu einem tſchechiſch⸗huſſitiſchen 
Nationalkönig hat erklären wollen. Die Zeit Georgs iſt nur ein Abſchnitt jener 
ſtändiſchen Erhebung gegen den kraftloſen Habsburger Friedrich III., die in Böhmen 
vor ihm unter Führung Heinrichs von Pirkſtein, in Ungarn unter den Hunyads 
und in Öfterreih unter Ulrich von Eizinger ſtand, natürlich unter Tſchechen und 
Madjaren einen nationalen Anſtrich erhielt. 

Schließlich war es die Unfähigkeit der zentralen Reichsführung, die immer 
wieder dieſe ſtändiſchen Beſtrebungen im Geſamtreich hervorrief, an deren Spitze 
ſchließlich die Erzkanzler des Reiches von Diether von Iſenburg bis Berthold von 
Henneberg traten. Georg von Kunſtatt und Podiebrad iſt ein Glied in jener Kette 
des Kampfes um die Reichs⸗ und Kirchenreform, der die 6 ele 0 Zeit in 
Deutſchland kennzeichnet. Die alte deutſche Reichsſtadt Eger, das mächtige Nürnberg 
und der deutſche Burggraf Mathias Schlick hatten eine entſcheidende Rolle bei det 
Anerkennung Georgs als König geſpielt. Seit 1459 war der große Vorkämpfer 
gegen das Papſttum und für deutſches Reichsbewußtſein, der deutſche Staatsmann 
Gregor von Heimburg, in den Dienſten König Georgs. Der deutſche Juriſt Martin 
Mair, Rechtsberater zahlreicher deutſcher Fürſten, war es, der ſeinen alten Ge⸗ 
danken, durch die Wahl eines deutſchen Königs und durch ein Regiment der Reichs⸗ 
ſtände der Führungsloſigkeit des Reiches unter Friedrich III. ein Ende zu bereiten, 
wieder aufnahm. Seit 1459 hatte er Georg zu ſeinem Königskandidaten gemacht 
und damit ſeit 1463 den Böhmen in den Mittelpunkt der deutſchen Politik gehoben. 
Martin Mair und Gregor von Heimburg bemühten ſich, einen Bund der maß⸗ 
gebenden deutſchen Reichsfürſten für Reichs- und Kirchenreform und für eine Wahl 
Georgs zuſtande zu bringen. Im Rahmen dieſer großen innerdeutſchen Auseinander⸗ 


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Ausschnitt aus einer Darstellung der Kreuzigung, um 1400, Pelplin (Warthegau) 


Engel von einem Altar der Johanniskirche in Thorn, um 1400 


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Kleine Beiträge 21 


SN um eine ſtarke Neihsführung wurde Georg der Bundesgenoſſe bes Erz⸗ 
bilho Diether von Iſenburg, eines der letzten groben Vertreter des Gedankens 
einer deutſchen Nationalkirche. Die alte deutſche Stadt Eger wurde fo in dieſer Zeit 
Mittelpunkt der deutſchen Politik, Stätte zahlreicher glänzender Verſammlungen 
deutſcher Reichsſtände. Georg von Kunſtatt und ee bieler angeblich 
nationaltſchechiſche Ketzer, war in Wirklichkeit der weltlichſte Reichsfürſt feiner Zeit, 
ein nüchterner eise [tei wie fein anderer von religiöſer Schwärmerei. Seine 
entſcheidenden Ratgeber waren Nichttſchechen, außer den ſchon Genannten ſein 
Sekretär Joſt von Einſiedel, von denen Gregor von Heimburg 1466 als ein vom 
Papft Gebannter die tatſächliche Leitung der böhmiſchen Politik übernahm und bis 
zum Tode Georgs am 22. März 1471 ihr Geſicht beſtimmte. 

Wie ſtark dieſe ganze Entwicklung vom Reichsſchickſal beeinflußt war und ihrer⸗ 
ſeits immer wieder das Reichsſchickſal beeinflußte, wurde in dem verhängnisvollen 
Jahr 1618 deutlich. Böhmen war der Brennpunkt des Kampfes zwiſchen 
deutſcher Reformation und römiſcher Gegenreformation. Die böh⸗ 
miſchen Stände, in deren Reihen Deutſche wie die Grafen Andreas und Heinrich 
Schlick eine einflußreiche Stellung einnahmen, wandten ſich gegen habsburgiſch⸗ 
jeſuitiſche Willkür. Sie erhoben nicht einen Tſchechen, ſondern den deutſchen 
Kurfürſten Friedrich V. von der Pfalz zu ihrem König. Damit wurde von 
Böhmen her die dreißigjährige Selbſtzerfleiſchung des Deutſchen 
Reiches ausgelöſt. Böhmiſches und deutſches Schickſal waren auch in dieſer 
ſchwerſten Kataſtrophe wie auch in den dann folgenden Jahrhunderten des habs⸗ 
burgiſch⸗preußiſchen Dualismus eine untrennbare Einheit. 

Mit Bewußtſein habe ich in dieſem Überblick gerade diejenigen Geſtalten 
herausgegriffen, die immer wieder von dem antideutſchen, geraten Geſchichts⸗ 
mythos als ſtärkſte Beweiskräfte angeführt worden ſind. Selbſt an ihnen lä ai. 
zeigen, daß „der tauſendjährige antideutſche Kampf Böhmens“, bie Selbſtändigkeit 
der politiſchen und of! tigen Entwicklung bes Tſchechentums eine Erfindung der 
jüngſten Zeit find. Auch dies ift ein Stück bes Beneſch⸗Geiſtes, der endgültig über- 
wunden werden muß. Die Wenzelskrone, das heiligſte Symbol böhmiſcher 
Geſchichte, ift eine Schöpfung deutſcher Könige; ihr Mythos erwuchs aus ber 
Treue ihrer Träger zum Reich. 


Kleine Beiträge 


Nietzsch Kredit zu verlieren... Für bie Aufgaben 

" e E der nächſten Jahrhunderte find die Arten 
über Engländer und Russen „Offentlichkeit“ und Parlamentarismus die 
unzweckmäßigſten rganiſationen.“ Die 

Etwa 1885 [don hat Nietzſche in welts Prophezeiung, die eben jetzt nach etwa 
politiſchen Ausblicken geſagt: „Niemand 50 Jahren in Erfüllung zu gehen ſcheint, 
1 mehr daran, daß England ſelber mag bei Nietzſche mit einem tiefen Wider⸗ 
atf genug ift, feine alte Rolle nur noch willen gegen alles Engliſche zuſammen⸗ 
fünfzig Jahre fortzuſpielen; es geht an der hängen. Wie bei dem Kulturphiloſophen 
Unmöglichkeit, die homines novi von der natürlich, iſt er zunächſt gegründet auf der 
egierung auszuſchließen, zugrunde, und Ablehnung bes Philoſophierens der Engs 
man muß keinen ſolchen Wechſel ber Pars länder überhaupt, ihres Utilitarismus, 
teien haben, um ſolche langwierigen Dinge ihrer moraliſtiſchen und pſychologiſchen 
vorzubereiten: man ye heute vorerjt Gols Oberflächlichkeit. „Das iit feine pbilojos 
at fein, um als Kaufmann nicht feinen phiſche Raſſe — diefe Engländer: Bacon bes 


22 Kleine Beiträge 


deutet einen Angriff auf ben philoſophiſchen 
Geiſt überhaupt, Hobbes, Hume und Locke 
eine Erniedrigung und Wertminderung des 
Begriffs „Philoſoph' für mehr als ein 
Jahrhundert. Gegen Hume erhob ſich Kant; 
im Kampfe mit der engliſch⸗mechaniſtiſchen 
Weltvertölpelung waren Hegel und Scho⸗ 
penhauer (mit Goethe) einmütig. Woran 
es in England fehlt und immer gefehlt hat, 
das wußte Carlyle gut genug..., an eigent⸗ 
licher Macht der Geiſtigkeit, an eigentlicher 
Tiefe des geiſtigen Blicks, kurz an Philoſo⸗ 
phil, — Es kennzeichnet eine ſolche un⸗ 

iloſophiſche Raſſe, daß ſie ſtreng zum 
Portage hält: ſie braucht ſeine Zucht 
M „Moraliſierung“ und Vermenſchlichung. 

er Engländer, düſterer, nee: willens: 
ſtärker und brutaler als der Deutſche — iſt 
eben deshalb, als der Gemeinere von 
beiden, auch frömmer als der Deutſche: er 
hat das eben noch nötiger.“ (Jenſeits von 
Gut und Böſe, 1886.) 

Für die geſamte neuere Geiſtesentwick⸗ 
lung ſieht Nietzſche verhängnisvolle Folgen 
entſtanden und entſtehen durch die engliſche 
philoſophiſche Mittelmäßigkeit von Köpfen 
der Art eines Darwin, John Stuart Mill 
und Herbert Spencer. „Vergeſſe man es den 
Engländern nicht, daß ſie ſchon einmal mit 
ihrer tiefen Durchſchnittlichkeit eine Ge⸗ 
ſamtdepreſſion des europäiſchen Geiſtes ver⸗ 
urſacht haben: Das, was man bie moder⸗ 
nen Ideen“ ober ‚die Ideen des achtzehnten 
Jahrhunderts“ oder auch die franzöſiſchen 
Ideen“ nennt — das alſo, wogegen ſich der 
deutſche Geiſt mit tiefem Ekel erhoben hat —, 
war engliſchen Urſprungs, daran iſt nicht zu 
weifeln. Die Franzoſen m nur bte Schau⸗ 
IRC dieſer Ideen geweſen, auch ihre beiten 
Soldaten, insgleichen leider ihre erſten und 
grundſätzlichen Opfer: denn an der ver⸗ 
dammlichen Anglomanie der ‚modernen 
Ideen“ ijt zuletzt die äme francaise fo dünn 
geworden und abgemagert, daß man ſich 
ihres 16. und 17. Jahrhunderts, ihrer tiefen 
1 Kraft, ihrer erfinderiſchen 
Vornehmheit heute faſt mit Unglauben er⸗ 
innert. Man muß aber dieſen Satz hiſto⸗ 
riſcher Billigkeit mit den Zähnen feſthalten 
und gegen den Augenblick und Augenſchein 
verteidigen: Die europäiſche Nobleſſe — des 
Gefühls, des Geſchmacks, der Sitte, kurz das 
Wort in en hohen Sinne genommen — 
ijt Frankreichs Werk und Erfindung, bie 
europäiſche Gemeinheit, der Plebejismus 
der modernen Ideen — Englands“ (1886). 

Ebenſo gehört die herkömmliche Gleich⸗ 
heitsmoral zu „den landläufigen, von Eng⸗ 
land herkommenden Beſchränktheiten.“ „Man 


vergebe mir die Entdeckung, daß alle Moral⸗ 
D oſophie bisher langweilig war und zu 
en Schlafmitteln gehörte — und daß die 
„Tugend“ durch nichts mehr in meinen 
Augen beeinträchtigt worden iſt als durch 
dieje Langweiligkeit ihrer Fürſprecher 
Man ſehe ſich z. B. die unermüdlichen, un⸗ 
vermeidlichen engliſchen Utilitarier an, wie 
fle plump und ehrenwert in ben Fußtapfen 
enthams daherwandeln, babinmanbeln... 
Kein neuer Gedanke, nichts von feinerer 
Wendung und Faltung eines alten Gedan⸗ 
kens, nicht einmal eine wirkliche Hiſtorie 
bes früher Gedachten ... Es hat fid) näm: 
lich auch in mere Moraliſten jenes alte eng: 
liſche Laſter eingeſchlichen, das cant heißt 
und moraliſche Tartüfferie iſt, diesmal 
unter die neue Form der Wiſſenſchaftlichkeit 
verſteckt ... Zuletzt wollen fie alle, daß die 
engliſche Moralität recht bekommt: in⸗ 
ofern gerade damit der Menſchlichkeit, oder 
em „allgemeinen Nutzen“, oder „dem Glück 
der meiſten“, nein! dem Glück Englands 
am beſten gedient wird. Sie möchten mit 
allen Kräften ſich beweiſen, daß das Stre⸗ 
ben nach engliſchem Glück, ich meine nach 
Komfort und Faſhion (und, an höchſter 
Stelle, einem Sitz im Parlament), zugleich 
der rechte Pfad der Tugend ſei, ja daß, ſo⸗ 
viel Tugend es bisher in der Welt ge⸗ 
eben hat, es eben in einem ſolchen 
treben beſtanden habe.“ 

Den engliſchen Pſychologen wirft er vor, 
daß „man ſie immer am gleichen Werke 
uud nämlich bie partie honteuse unſeret 
nneren Welt in den Vordergrund zu 


drängen und dort das A irkſame, 
Leitende, für die Entwicklung Entſcheidende 


in ſuchen, wo der intellektuelle Stolz bes 
enſchen es am letzten zu finden wünſchte 
(zum Beiſpiel in der vis inertiae der Ge⸗ 
wohnheit oder in der Vergeßlichkeit oder in 
einer blinden und zufälligen Ideenverhäke⸗ 
[ung und mechanik oder in irgend etwas 
rein Paſſivem, „ A 
may gem, Molekularem u Gründlich⸗ 
Stupidem)“ (1887). 

Ohne Zweifel, Nietzſche iſt ein ſtarker 
Kulturkämpfer gegen alles Engliſche. Seine 
Einwände ii: ranfen fid nicht auf ben 
Mangel an Philoſophie ober bie philo- 
[opbi "e Mangelhaftigkeit, immer wieder 
bricht ſeine Gegenſätzlichkeit in Einzelheiten 
durch. Er tadelt die „ſtarrköpfiſche Selbſt⸗ 
herrlichkeit“, ſagt „bisher find die Englander 
dumm“, macht „Randbemerkungen zu einer 
niaiserie anglaise“, ſagt, „der engliſche 
Genius vergröbert und vernatürlicht alles“, 
tadelt den Mangel an Muſik („Was noch am 


Neue Bücher 


humanſten Engländer beleidigt, bas ift fein 
M an Muſik, im Gleichnis — und ohne 
Gleichnis — zu reden: er hat in den Be⸗ 
wegungen ſeiner Seele und ſeines Leibes 
keinen Takt und Tanz, ja noch nicht einmal 
die Begierde nach Takt und Tanz“) und 
bricht einmal zuſammenfa end in den em⸗ 
pörten Ausruf aus: „Wieviel viehiſche 
Gemeinheit im Engländer, daß er jetzt noch 
nötig hat, mit aller Gewalt das utile zu 
predigen!“ (1884). 

Weltpolitiſch betrachtet, ſpricht Nietzſche 
den Engländern die innere Berechtigung zur 
Erdbeherrſchung, Erdregierung ab. Im Sur 
ſammenhang mit dem großen Kreis feiner 
Zukunftsfrageſtellungen: wer wird der Erde 
m fein, wer darf und Wé ihr Herr 
ein — natürlich eine kulturpolitiſche 
Frage —, richtet er feine Augen nach einer 
ganz anderen Richtung. Trotz aller Kritik, 
die er am Deutſchtum linſonderheit dem 
ſeiner Zeit) übt, ſetzt er darauf ſeine höchſten 
Hoffnungen. „Die Deutſchen ſollten eine 
herrſchende Kaſte züchten.“ Aber mit ihnen 
ſoll ſich zu den großen kulturellen Abſichten 
über die Erde hinweg das llawiſche 
Element verbinden. Deshalb iſt der Blick 

nz ſtark ein B gerichtet, auf Rube 
and. „Mir ſcheint das erfinderiſche Ver⸗ 
mögen und die Anhäufung von Willenskraft 
am größten und unverbrauchteſten bei den 
Slawen zu ſein; und ein deutſch⸗flawiſches 
Erdregiment gehört nicht zu dem Anwahr⸗ 


immer in Gegenſatz zu England geſtellt. 
„Englands Kleingeiſterei iſt die große 
Erde. Ich ſehe 


mehr Dang zur Größe in den Gefühlen der 
ruſſiſchen Nihiliſten als in denen bet eng: 
liſchen Utilitarier. Ein Ineinanderwachſen 
der deutſchen und ſlawiſchen Raſſe. ., um 
die Herrſchaft auf der Erde zu haben 
wir brauchen ein unbedingtes Zuſammen⸗ 
gehen mit Rußland, und mit einem neuen 
gemeinſamen Programm, welches in Ruß⸗ 
land keine engliſchen Schemata zur Herr⸗ 


Neue Bücher 


„Neger all’s was auber bir", „Herz, wages aud bu", 
„Ihr gelben Chryianthemen“, Verlag W. Scheuer⸗ 
mann, Wien. 


Spruchſammlungen findet man in Deutſchland wie 
efallene Blätter im erbſt. Und es iſt en wk 
Sorte von Büchern nichts einzuwenden, Yo ange fte 
Käufer finden. Wir P en jedod bereits früher mit 
wirklicher Freude auf die innbücher des Verlages 
Scheuermann verwieſen, weil ſchon die Ausſtattung 
der ſchmalen, biegſamen Ganzleinenbände zum Blättern 


P t kommen läßt.“ Dieſe SE find 
rigens niedergeſchrieben einige Jahre 
bevor Bismarck ſeinen Kückverſicherungs⸗ 
vertrag mit Rußland 1888 durchſetzte Ge 
Reichstag ben Ausſpruch tat: „Unſre natürs 
lichſte Anlehnung bleibt die ruſſiſche.“ 

Es wird bei Nietzſche auch vollkommen 
deutlich, weshalb er auf Rußland ſeine Zu⸗ 
kunftshoffnungen für eine wirklich „große 

olitik“, eine Erdpolitik ſetzte. „Damit es 

en San gibt, muß es eine Art Wille, 
Inſtinkt, Imperativ geben, antiliberal bis 
p Bosheit: ben Willen zur Tradition, zur 

utorität, zur Verantwortlichkeit auf Jahr⸗ 
hunderte hinaus, zur Solidarität von Ge⸗ 
ſchlechtsketten vorwärts und rückwärts in 
infinitum. Iſt dieſer Wille da, ſo gründet 
ih etwas wie das imperium romanum: 
oder wie Rußland, die einzige Macht, die 
heute Dauer im Leibe hat, die warten kann.“ 


Wie Nietzſche allgemein dem Engliſchen 
gegenüber gefü lsmäßig nur Widerſtreben 
KR [o ijt ihm dagegen bas Ruſſiſche an fid) 
ympathiſch. Bei den Ruſſen findet er wirk⸗ 
liche e "Bin ologen; ruſſiſche Bücher 
ſchätzt er hoch: „ich rechne irgendein ruſſiſches 
Buch, vor allem oftojemffij ... zu meinen 
größten Erleichterungen“ (Brief vom 20. 10. 
1888). „Mit Doſtojew kij iſt es mir gegangen 
wie früher mit Sten hal: die zufällige Be⸗ 
rührung, ein Buch, das man in einem Buch⸗ 
laden aufſchlägt, Unbekanntſchaft bis auf 
den Namen — und der plötzlich redende 
Inſtinkt, hier einem Verwandten begegnet 
zu ſein“ (Brief vom 7. 3. 1887). Faſt über⸗ 
raſchend ſogar iſt Nietzſches Verſtändnis lim 
das Seeliſche des ruſſiſchen Volkes (i 
Gegenſatz zu der „Seele“ der gekünſtelten 
da rüberſtehenden Allerweltsſchicht von da⸗ 
mals): „Die ruſſiſche Muſik bringt mit einer 
rührenden Einfalt die Seele des Muſchik, 
des niederen Volkes ans Licht: nichts redet 
mehr d Herzen als ihre heiteren Weilen — 
die abjolut traurige eifen find. Ich würde 
das Glüd des ganzen Weſtens eintauſchen 
gegen die ruſſiſche Art, traurig zu ſein.“ 

Richard Oehler. 


und Nachſinnen einlädt. Die drei GK Bände bet 
Reihe empfehlen wir barum mit bet alten EG 


Bücher über das Deutihtum im Often 
Ein ſoeben erſchienenes Bändchen bes Volk⸗ und 
Reich⸗Verlages, Berlin, vereint „Jeugniſſe der Bahr: 
heit“, die bas Ausland über Danzig unb ben Korridor 
einſt und bis heute abgab: e Beweis für 
unfer Recht und für die erſchütternde Hilfloſigkeit einer 


24 Neue Bücher 


orge und Chamberlain zu Zeugen der 
werden und — wie auch der General Smuts (Süd⸗ 
afrikaniſche Union) — [don 1919 die gefährlichen Fols 
en der Verſailler Jeſtlegungen voll und ganz voraus- 
kauen ur Orientierung im öſtlichen Raum dient ein 

app[a liches Bändchen „Deutſche in Polen unb im 
Wi pru von Gerhard f appo? (Lühe & Co., Le 
dig. 


e 
der vieles lit 2 sine) 
eines kundigen Journaliften, Peter E 


ch, pe tre 
und TUE. (Deutſcher rlag, Ed überall tti 
bie ls t dem Mittelalter rapi 


1 
gone hohen Politik, wenn deus Churchill hr 


©) und 


anwachſende, ungeheure 
Ver yrs Polens, bie von der Maſſe der ſtä ace 
und ländlichen Bevölkerung bis in fdmtlidhe polltiſch 
und wirtſchaftlich Nk vg ei Stellen geht, erſchrek⸗ 
fend hervor. Kurt 9 üd in „Der Mythos vom Deutſchen 
in der RTE Volksüberlieſerung und Literatur“ 
(erlag Hirzel, iche 1938) fammelte in exakter 
DEEN polniſche fiuBerungen tn Wort, Kunſt unb 
Sitte, die der ordnenden Überlegenheit der Deutſchen 
mit Abwehr und Haß begegnen und fle verzerrt über⸗ 
liefern; et weit aber einſichtsvoll auch darauf hin, dab 
jedes Volksgrenzengebiet 1 hervorbringt, 
und daß das Übermaß polniſcher Reaktion, für die der 
Deutſche zum sprichwörtlichen „Teufel“ wurde, in der 
hemmungsloſen Gefühlsbetontheit der Polen, die der 
deutſchen Willens und Vernunftklarheit entgegengejeht 
ift, eine pſychologiſche Begründung habe; bas Buch tit 
ein wichtiger Beitrag für die große künftige Aufgabe 
des Deutſchtums, in einer fruchtbaren Ordnung mit 
dem Oſten zu leben. 


Die „Agrarverſaſſung der deutihen Auslaudsſiedlun⸗ 
gen in Oſten ropa“ behandelt eine von Prof. Gering 
unb v. Dietze herausgegebene ſtreng fachliche Unter 
udung. (Verlag F. Vahlen, Berlin), die einleitend 
einen Überblick über die zu den jeweiligen Siedlungen 
ührenden und ſie beſtimmenden hiſtoriſchen Entwick⸗ 
ungen gibt, und dann in i der 
ruſſiſchen, baltiſchen, polnijden, mitteleutopäiſchen deut⸗ 
chen Dorfſiedlungen den lebendigen Reichtum der eae 
m Lande anregend weiterwirkenden Formen — die 
perſönliche Freiheit, „der dorfweiſe geſchloſſene Nachbar⸗ 
verband und der darin herrſchende genoſſenſchaftliche 
Geiſt“ — aufzeigt. Eine letzte Überſchau über bte Kor⸗ 
ridorfrage gibt das Buch „Deutſchland und der Korri⸗ 
dor“, das mit reichem Bildmaterial verſehen, die Auf⸗ 
K* e, die über die hiſtoriſche und aktuelle Seite dieſes 

1 in der Zeitſchrift „Volk und Reich“ im gleich⸗ 
namigen Verlag erſchienen, zuſammenfaßt. St. 


„Reife“ 


Man iſt d ein bißchen mißtrauiſch geworden vor 
den fonfunfturbeflificncn Romanen von Boden und 
Bauerntum. Um ſo wichtiger iſt jedes wirklich echte 
Buch vom Land; d. h. alſo ein Buch, das der Stadt⸗ 
ucht einen Riegel vorzulegen hilft, weil es nicht 
tgendwelhe Schönheiten oder Urigkeiten der Lands 
lichkeit aufzählt, ſondern das Ganze von Arbeit und 
Mühe mitſamt der Freude hinſtellt und fab Einleben 
in die eigenen Geſetze des Landes führt. Denn 


darauf kommt es ja an, auf bie Umftellung der Gre 
lebnisweiſe. Wer die Eile und den ſcheinbar fo 
aktuellen und intereſſanten“ Wirbel bes Rädtiſchen 
Dafeins beibehält, wird niemals den Zugang zum 
Land finden, es wird ihn langweilen, well er den 
anderen Rhythmus nicht auffaßt unb die Weile nicht 
von ſich aus füllen kann. an muß den Sprung 
wagen, die Schwelle der Ungeduld ertragen, und hinein⸗ 
per E in ben großen, firengen Atem des lebendigen 
$ ums. 


Nur wenn man da mit hineinwächſt, wird man auch 
die beſonders ſchwete Arbeit, die unjere Kriſenzeit vom 
Bauern oft fordert, frei ertragen können. Man muB 
in fig die Gewalt der Formwerdung und Formvers 
wandlung miterleben, aus der die lebendigen alten 
von Erde, Pflanze und Tier reifen und an der man 
nun tätig mittut. Die unendliche Fülle der Formen 
und Farben, in denen Blatt und Blüten, Wolken 
Bäume und Tiere immer neu peprägt fnb und fi 
entfalten zu einem Kosmos ine eneinalenn: Ber 
megungen — dies ift fo über allen ſtädtiſchen Nerven⸗ 
reiz und Nervenverſchleiß erhaben, daß jemand, der 


einmal den Mut hatte, umzuſtelle tte an 
Erleben und Kraft if, SCHER D 
Aber es war eben in der Vergangenheit fo, daß 


das Natürliche, Vorgegebene, in das man hineingeboren 
war, [o ſelbſtverſtändlich gewohnt wurde, daß es vers 
blaBte und ſchließlich erſtarrte; febr oft bemerkt man, 
daß die Landleute von Pflanze, Tier und Erde weniger 
willen und es in feiner Größe weniger erleben als 
der el a Menſch, der gedanklich, auf dem Weg 
bet Wiſſenſchaft oder nur aus Sehnſucht und Stadt: 
rauen, ) willentlich wieder hineintaſtet. Die Land⸗ 
lucht geſchieht, weil die echte und Innere, die lebendi 
römende Verbindung zur Natur abgerinen ift. Auf 
em Weg des Wiſſens und des W 

finberung allmählich vor fid) geben. 


Darum können hierzu nur Bücher helfen, die ohne 
jenes Pathos find und aus der ftillen Echtheit des Cre 
ebens kommen. Das aber gilt für bas Buch der Ober⸗ 
gauführerin Gertrud Kunzemann „Reife“ 
seid Junge Generation 1939, mit kleinen feinen 


Deng muß die 


eichnungen und Photos ausgcítattet); es ift ohne 
eglichen dade lite rariſchen ampo geſchrieden, aber 
gerade aus bet fauberen Schlichtheit des Erzählens 
entſteht die mitreißende Wirkung. Eigentlich wird nur 
ein Bericht gegeben, wie ein Mädel aus der Stadt zur 
Erholung aufs Land fährt. wie es allmählich hinein⸗ 
gezogen wird in den Tageslauf des Gebirgshofes, noch 
einmal zurückkehrt in die Stadt, um dann doch end⸗ 
ültig ſich davon pu löſen und als Führerin einer 
anddienſtgruppe hinauszugehen in ein Neuſtedeldorf, 
in das es auch den Verwalter des Gebirgshofes zum 
Einſatz holt und ſchließlich mit ihm zuſammen fid 
etwas Eigenes aufbaut. Der Ablauf der Arbeiten wird 
erzählt, das innere Sträuben und Begreifen, Schatten⸗ 
und e gezeigt. Alles mit ber Einfachheit und 
Klarheit, die ſo wohl tut und die allein heute einen 
wirklich fruchtbaren Neubeginn tragen kann. 
Ortrud Stumpfe. 


Hauptschriftleiter: Günter Kaufmann. 


Anſchrift der Schriftleitung: Reichsjugendführung, Berlin W 35, Kurfürftenftraße 53. Fernſprecher 22 90 91. — 
Verlag: Franz Eher Nachf. G. m. b. H., Zentralverlag ber NSDAP., Berlin SW 68, Zimmerſtraße 87—91. Pok 
Ihedtonto: Berlin 4454. Verantwortlich für den Anzeigenteil: Ulrich Herold, Berlin. — Pl. Nr. 8. — 
Druck: M. Müller & Sohn KOG., München; Zweigniederlafjung Berlin SW 68, Dresdener Straße 43. — „Wille 
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folgende Nummern der Zeitſchriſt „Wille und Macht“: 


Jahrgang 1933: 


Die Folgen 1 bis 24 und das Inhalts verzeichnis 


Jahrgang 1934: 


Die Folgen 1, 2, 3, 4, 5, 6, 8 (je 2 Stück), 
die Folgen 11 und 22 (je 1 Stück) 


Jahrgang 1935: 


Die Folge 24 (1 Stück) 


Jahrgang 1936: 


Die Folge 1 (3 Stück) 


Jede einzelne dieser Nummern ist von höchstem Wert. In Deinem 
Schrank sind die Hefte der Allgemeinheit nicht zugänglich. Sende sie daher an das 


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HERAUSGEBER: BALDUR VON SCHIRACH 


dem Inhalt : 


Italian 


orte vom Brot | Aus dem Ewigen Vorrat der Dichtung Aus 
er Reise | Bruno E. Werner: Malerei und Plastik der Gegenwart | Ay 
‘Vom Wesen des neuen Schrifttums | Fabio Tembari: Die x Vl. Chronił aus 


Politik um den: Balkan 


Me Fugendfiihrer Ettore Muti | Die zeitgenössische Architektur. , 
Musikleben | Bücher über Italien 


limonatsschrift / Heft 23 Berlin, 1. Dezember 1939 Preis 30 Pf. 


INHALT 


Mussolini: Die Worte vom Brot 
Zum Geleit 
Aus dem Schatz der italienischen Dichtung 
Bruno E. Werner: Die Malerei und Plastik der Gegenwart 
Fabio Tombari: Chronik XVII aus Frusaglia 
Antonio L. Erné: Italiens zeitgenössisches Schrifttum 
Aus Goethes Italienbriefen 


AUSSENPOLITISCHE NOTIZEN 


Der neue italienische Jugendführer Ettore Muti 
Fritz Zietlow: Politik um den Balkan 


KLEINE BEITRÄGE 


A.Dehio, Rom: Moderne italienische Baukunst 
L. Nediani: Vom gegenwärtigen Musikleben in Italien 
B. von Graefe: Förderung des italienischen Kunstschaffens durch den Staat 


Italiens Frau in Anmut und Disziplin 


NEUE BÜCHER 


KUNSTDRUCKBEILAGE 


Francesco Messina: Knabe am Meer (Foto: Giacomelli, Rom) 
Antonio Berti: Erste Blüte (Foto: Giacomelli, Rom) 
Giannino Marchig: Das Ende eines Sommertages (Foto: Deutscher Verlag) 
Italo Griselli: Bildnis des Silvano (Foto: Giacomelli, Rom) 


Beilagenhinweis 
(Außer Verantwortung der Schriftleitung) 
Die vorliegende Folge enthält einen Proſpekt betitelt „Neue und alte Bücher“ des Ver 
lages Albert Langen / Georg Müller, München. Wir empfehlen unſeren Lefern dieſe 
Werbung zur beſonderen Aufmerkſamkeit. 


Wille. Kladıt 


führerorgan der nationallozialiftifchen Jugend 


HERAUSGEBER: BALDUR VON SCHIRACH 


Jahrgang 7 Berlin, 1. Dezember 1939 Heft 23 


Benito Mussolini: 


Die Worte vom Brot 


Liebet das Brot, das Herz des Hauses, 


Den Duft des Tisches, das Freudenzeichen des Herdes. 


Achtet das Brot, den Schweiß der Stirne, 
Den Stolz der Arbeit, das Sinnbild des Opfers. 


| Ehret das Brot, den Ruhmesglanz der Felder, 
| Den Ruch der Erde, die Feier des Lebens. 


| Vergeudet nicht das Brot, den Reichtum des Vater- 
landes, die mildeste Gabe des Himmels, den heiligsten 
| Lohn menschlicher Mühe. 
| 


Übersetzt von Gertrud Diettrich 


Zum Geleit! 


Von altersher [don und in immer neuen Formen beſteht bie Verbindung bet 
beiden Herzvölker Europas. Die äußeren Verhältniſſe wechſelten, der Austauſch des 
kulturellen Lebens aber blieb ununterbrochen. In einem Wechſelſtrom der Meiſter 
und Schüler entſtand die große europäiſche Kunſt; die M u fif, die reihum in Süd: 
deutſchland, den Niederlanden, Frankreich, Italien und Deutſchland ihre Fülle und 
Kraft ausbildete; die Malerei, deren höchſte Entfaltung in Italien erſt und 
ſpäter zugleich in Deutſchland geſchah; die Plaſtik, die beiden Ländern nach ver: 
ſchiedenen Geſtaltungsgeſetzen, aber in höchſter Vollendung gelang; die Dichtung 
und das Denken, gegenjeitig Anregung und Vorbild ſchaffend. Und über allem 
En der Strom der Reiſenden, bie immer aus dem Norden kamen, das Erlebnis von 

icht Form, Grazie und Wärme im Süden fanden, an dieſer corona ihre v psi 
Kräfte erſchloſſen, und bereichert zurückkehrten, wie es Goethes „Italieniſche Reife“ 
ſo gültig berichtet, ſeine „Iphigenie“ beweiſt. 

Heute aber iſt dieſe Begegnung der beiden Völker wieder einmal gewandelt und 
erneuert. Beide ſind dabei, vom Kern her, vom bäuerlichen Urweſen aus ihre Länder 
neu zu geſtalten. Lange verborgene Kräfte ſind aufgebrochen. Frei von Schwär⸗ 
merei und Einſeitigkeit mögen ſich darum beide Völker heute treffen und kennen⸗ 
lernen, Anregung, Freude und Freundſchaft austauſchen! Die Schriftleitung. 


Aus dem Schatz der italieniſchen Dichtung 


Dante Alighieri (1265-1321) 


Die Göttliche Komödie, Inferno, fünfter tona. ber von bem unglücklichen Liebespaar (raw 
cesca und Paolo berichtet, das Dante, geführt vom Dichter Vergil, auf [einer Wanderung trifft. 
Es liegt, die mich geboren hat, die Erde, 
Am Ufer, wo der Po enteilt zur Münde, 
Daß ihm und feinen Folgern Ruhe werde. 


Liebe, die edlen Herzen raſch ſich künde, 
Zog jenen hin zu meinem ſchönen Leibe, 
Den mir entriß - noch grämt mich welche - Sünde. 


Die nie will, Dap Geliebtes lieblos bleibe, 
Liebe band mich an ihn mit folchem Knoten, 
Daß, wie du fiehft, kein Los ihn von mir treibe. 


Liebe fandt’ uns zufammen zu den Toten. 
Der uns erfchlug, kommt ins Bereich der Kaine.« 
Dies war die Rede, die fie uns erboten. 


Ale ich vernommen Oiefer Seelen Peine, 
Neigt ich das Haupt und hielt fo tief die Blicke, 
Daß mich der Dichter fragte, was dies meine. 


Da kam mein Wort, als ob es mich erftiche: 
Ach, wieviel füßes Sinnen, füßer Schauer 
Hat fie geführt zum fchmerzlichen Gefchidie! 


Dann wand?’ ich an Die beiden mich genauer, 
Und ich begann: Franziska, deine Wunde 
Weckt bis zum Weinen Mitleid mir und Trauer. 


Doch fag mir: Zu der füßen Seufzer Stunde, 
Wobei und welcherart gab der Begehrer 
Euch von den zweifelhaften Wünſchen Kunde? 


— — 0n 


Aus dem Schatz der italienischen Dichtung 


Und zu mir fprach fie: »Keine Qual ift ſchwerer, 
Ale der glückfeligen Zeiten zu erwähnen 
Im Ungemach. Davon weiß auch dein Lehrer. 


Doch wenn zu forfchen liegt In deinen Plänen 
Nach unfrer Lieb In ihren erften Zügen, 
So will ich tun wie er, der Ipricht mit Tränen... 


Wir lafen eines Tages zum Vergnügen 
Von Lanzelot, wie Liebe thn bedriichte. 
Ich war allein mit ihm und fah kein Trügen. 


Mehrmalen fchon in unfren Augen zuckte 
Dies Lefen und verfärbte une die Wange, 
Doch eine Zeile wa re, dle une berückte: 


Da ftand, wie unter dem fehnfüchtigen Drange 
Sotanen Freundes fich die Lippen heben - 
Als er, der nun auf ewig an mir hange, 


Mich auf den Mund geküßt hat ganz In Beben... 
Verführer war das Buch und ders verfaßte. 
Den Tag war unfer Leien aufgegeben. 


Als fo der eine Geiſt gefprochen, faBte 
Den andren folches Schluchzen, daB vor Weiche 
Mir die Befinnung ſchwand und Ich erblaßte. 


Und ich fiel hin, alo flele eine Leiche. 
Deutich von Stefan George 


Ludovico Arlofto (1474-1533) 


Den Frau'n wird beſſer guter Rat gelingen, 
Wenn unbedacht ihn der Moment gebiert; 

Denn dies ift eins von den unzähl'gen Dingen, 
Womit der Himmel ſie beſonders ziert. 

Des Mannes Nat wird wenig Nutzen bringen, 
Wenn nicht das reife Urteil mitregiert 

Und wenn er zum Erwägen und Beſprechen 
Nicht etwas Zeit verbraucht und Kopfzerbrechen. 


Deutſch von Otto Gildemeiſter 


Lorenzo di Medici (1449-1499) 


Sonett 
Wie eitel iſt all unfre por , wie 
Voll Selbitbetruges find a unl Pläne! | 
Wie auch die Welt fei, ſtumpf find ihre Zähne 
Gegen den Biſſen Tod, den ſchlingt fie nie! 


Wie anders lebt Re in der Harmonie 

Von Lied und Spiel, die ich vollkommen wähne; 
Doch nicht um fie löſt zärtlich fid) die Träne: 
Der Schrecken nur zwingt alle auf die Knie. 


Sorgengeweb, das ſchnell der Sturm zerreißt, 
And eitles Sinnen, das Natur beendet, 

Daran erkennt die blinde Welt zumeiſt, 

Welch dürftigem Tun ſie flüchtig zugewendet. 
Ihr fte ben lück iſt ſchon dem Tod verpfändet, 
Der ſie den Weg aus der Zerſtreuung weiſt. 


Deutſch von Fritz Diettrich 


Aus dem Schatz der italienischen Dichtung 


Giovan Battifta Strozzi (1505-1571) 


Auf bie „Nacht“ des Michelangelo Buonarroti 


Die Nacht, die du hier dn im Gleichgewicht 

des ſchönen Schlafes, bildete im Stein 

ein Engel. Schlaf heißt pA Lebendigſein. 

Wenn du's nicht glaubſt, ſo weck ſie auf: ſie ſpricht. 


Michelangelo Buonarroti (1475-1564) 


Antwort 


Schlaf iſt mir lieb, doch über alles preiſe 

ich, Stein zu ſein. Währt Schande und Zerſtören. 
nenn ich es Glück: nicht ſehen und nicht hören. 
Drum wage nicht zu wecken. Ach! Sprich leiſe. 


Sonett 


Ein jeder hohle, eingefchlofine Ort, 
woraus auch Immer feine Wände felen, 
bewahrt die Nacht vor jenem Tag Im Freien 
und hält von thr das Spiel der Sonne fort. 


Die Sonne freilich dringt als Uberwinder 

mit Flammen ein doch felbft dem Mangelhaften 
weichen der Nacht göttliche Eigenfchaften, 

ein Glühwurm ſchon durchbricht fie mehr und minder. 


Was often bleibt der Sonne, die den ganzen 
Boden entbrennt, daß er gewaltig trage, 
das greift der ftolze Acher pflügend an. 


Der Menfch ift nur im Schatten gut zu pflanzen. 
So find denn Nächte heiliger als Tage, 
well keine Frucht foolel ift wie ein Mann. 


Deutſch von Rainer Maria Rilke 


Giacomo Leopardi (1798-1837) 


Not des Baterlandes 


Warum, o Schickſal, zu ſo, böſen Tagen 
pait du uns aufbehalten? 

arum nicht ward zu ſterben 
Vergönnt uns, eh wir ſchauten ſo geſchlagen 
Von Frevlern unſer Vaterland in Ketten 
Und ſeinen Ruhm, den alten, 

Geſchändet freventlich! — Ach, nicht gegeben 
Ward uns, mit Troſt die Schmerzen 

u lindern dir, o Teure dich zu retten 

us wilder Qual, die dir das gers zerfleiſchte! 
Nicht konnten wir dir weihen Blut und Leben, 
Doch nimmer uns im Herzen 
Erſtarb der Jammer, den dein Los erheiſchte! 
So voll iſt unſer Herz des ieee der Schande: 
$a, wir aud Tarde Ze en, Ströme rannen 

on unjerm Blut — do nicht dem Baterlande: 
Wir bluteten für unjere Tyrannen! 


Francesco Messina: Knabe am Meer am n 


Aus dem Schatz der italienischen Dichtung 


Auf einen Sieger im Ballonipiel 


Des Ruhmes Angefiht und Ruf, den Hellen, 

Will ich bid, Knabe, lehren 

Und wie voranſteht edlem Müßiggange ` 

Die ſchweißbedeckte Tugend. Komm zu hören, 

zen oer Kämpe bu, wenn ja der ſchnellen 
tromflut ber Sabre bu in mut'gem Drange 

Willſt ſtreitig machen deines Namens Beute, 

Und laß dein Herz zu Höherem befeuern! 

Die Menge lärmt, begeiſtert auf dich ſchauend, 

Und Volksgunſt ſpornt zu edlem Tun dich heute; 

Dich ruft, auf neuen Alters Blüh'n vertrauend, 

Das Vaterland, das teure, 

Daß altes Beiſpiel ſich durch dich erneure. 


Deutſch von Robert Hamerling 


Giofue Carducci (1835-1907) 
Der Ochſe 


Ich liebe dich, du frommes Tier; es flößt 
Gefühl von Kraft und Frieden mir dein Bild 
ins Herz, wenn du im freien Saatgefild 

ſo feierlich gleich einem Denkmal ſtehſt, 


und wenn du willig an die Arbeit gehſt, 
ins Joch gebeugt, getrieben immerzu, 
geſtachelt von dem ſtrengen Herrn, dem du 
als Antwort nur ſtill das Auge zudrehſt. 


Es raucht dein Atem aus den ſchwarzen feuchten 
und breiten Nüſtern, und dein Brüllen ſteigt 
zum hellen Himmel wie ein Lied der Freude. 


Die ernſten, einfaltvollen Augen leuchten 
und ſpiegeln klar und ruhevoll die Weite 
der grünen Ebene, die gottgleich ſchweigt. 


Deutſch von Friedrich K. Benndorf 


Giovanni Pascoli (1855-1912) 


Es fchneit und fchneit geruhfam in der Runde. 
Horch: eine Wiege, die fich leife ſchwingt! 

Ein Kind, das weint, das Fingerchen im Munde; 
in fich gebückt ein altes Weib, das fingt. 

Es fingt das Weib: »Rund um das Bette dein 
blüht dir von Rofen eine folche Pracht!« 

Dae Kind fchläft in dem Rofengarten ein. 

Der Schnee fällt immer noch fehr facht, fehr facht. 


Deutich von B. Steiger 


Gabriele d’Annunzio (1863-1938) 
Traumbefangen 
Städte, liebliche, gab es dort 
Auf einſamen Hügeln 
Wie Beter, eingeſchloſſen 
In Schweigen; 
Und Pfalzen, ſchlanke, aufgetan 


Aus dem Schatz der italienischen Dichtung 


Mit weiten Bogengängen 
Mie einer, der atmet, 
Den Mufen geweiht; 
Und Gärten gab es 
Verwun ane Gehege ann quellreich, 
Wie Labyrinthe, 
Draußen mit einer ee nur 
Und drinnen mit tauſend Umſchweifen, 
Wo Säuſeln jeden Stengel 
Biegt und ſich aie” 
Wie wer da flücht 
Kränze windet ei ie nicht bindet; 
Es gab dort Nektar, 
Früchte, Muſik zu unſerer Muße; 
And Melanchol lie. 


Deutſch von Fritz Diettrid 


Das Wort 


O Wort, das ſich wie Balſamdüfte wiegt, 

wenn es aus weichem Munde liebend ſchwebt — 
o Wort, das ziſchend ihm, wenn er erbebt 

im Haſſe, wie ein Schleuderſtein entfliegt — 


Einzi ige Kraft, bie ſchnödes Fleiſch befiegt, 
ven eift mit Glanz erfüllt und ihn erhebt, 
rzen unverwelkbar keimend lebt — 
rt, in dem ſo tiefer Zauber liegt: 


is kenne deine Art und wie ſich rührt 
in dir der Zauberkräfte dunkle Schar — 
kenn auch die Süßigkeit, die dir entfließt. 


Daß bu — ein Strom — mit großen Strömen ziehſt 
als größter nun, das wollt ich, der mir klar 
in Lebens Tiefen die Gedanken führt! 


Mare noſtrum 
Zu dir, o Gott, dem großen ſchreckensreichen, 
Ruf Ich, zu dem dle Väter fchrien im Kampf 
Auf Deck: hier lodern Scheiterhaufen dir und Flammenzeichen. 


Von Pola und von des Quarnero Seiten 
Fällt ich die ftolze Tanne, bittern Lorbeer 
Und heilige Eichen mit den rafchen Streichen zmwiefacher Schneiden; 


Und als Ich fchmückte Maſte, Rah und Schoten 
Und das Gebälk des Rumpfes mit dem Reis, 
Dem nimmerwelkenden, des Siegs, gedacht ich all der Toten; 


Gedachte all der Toten, unfrer Toten 
Am Grund des Meeres; aller unfrer Toten 
Am Grund des Meeres, das verfchlang die Tapfern famt Ihren Booten. 


Allein ich fagte: der du weckſt die Heere 
Der Völker, Herr mein Gott, und fie zermalmſt, 
Es werden leben, werden leben die, die über Meere 


Verkünden deine Größe, über Meere 

Verkünden deinen Ruhm; die über Meere 

Dir opfern Blut und Myrrhen vom Altar, der trägt Das Roftrum. 
Durch alle Ozeane - Fiat mare noftrum! 

Amen. 


Bruno E. Werner / Die Malerei und Plastik der Gegenwart 7 


Rom, den 1. November 17886. 


Endlich kann ich den Mund auftun und meine Freunde mit Frohsinn begrüßen. Ver- 
ziehen sei mir das Geheimnis und die gleichsam unterirdische Reise hierher. Kaum wagte 
ich mir selbst zu sagen, wohin ich ging, selbst unterwegs fürchtete ich noch, und nur 
unter der Porta del Popolo war ich mir gewiß, Rom zu haben. 

Die Begierde, dieses Land zu sehen, war überreif; da sie befriedigt ist, werden mir 
Freunde und Vaterland erst wieder recht aus dem Grunde lieb und die Rückkehr 
wünschenswert, ja um desto wünschenswerter, da ich mit Sicherheit empfinde, daß ich 
so viele Schätze nicht zu eigenem Besitze und Privatgebrauch mitbringe, sondern daß 
sie mir und andern durchs ganze Leben zur Leitung und Fördernis dienen sollen. 


Goethe an die Freunde in Weimar. 


Bruno E. Werner: 


Die Malerei und Plastik der Gegenwart 


Weſen und ui DN heutigen italieniſchen Kunſt unterſcheidet fid in vielem 
von der deutſchen Malerei der Gegenwart. Gemeinſam aber iſt beiden die keniſche 
Wurzel als eigentliche Triebkraft, und darin unterſcheidet ſich die italieniſche 
Kunſt etwa von der franzöfiſchen Malerei, bie rein von formalen, von äſthetiſch⸗ 
künſtleriſchen Problemen bewegt wird. Wer im letzten Jahrzehnt öfters die 
Biennale in Venedig beſuchte oder die Ausſtellungen in Rom, weiß, daß die il: 
Italiens unter bem Faſchismus einen Aufſchwung genommen hat, ber bie Auf⸗ 
merkſamkeit der Welt wieder auf ein Land zieht, das in früheren Jahrhunderten 
einmal die Meiſterwerkſtatt Europas war. 


Die italieniſche Kunſt im 19. Jahrhundert war vor allem eine inneritalieniſche 
Angelegenheit, aber dafür war dieſes Jahrhundert für Italien das der nationalen 
Wiedergeburt von Napoleon über das Riſorgimento bis zur Einigung unter 
Victor Emanuel L, und ijt damit zugleich bas Sundament bes neuen faſchiſtiſchen 
Smperiums unter bem Mann, der Italien wieder eine führende Stimme in der 
Weltpolitik und die geiftig machtpolitiſche Zukunftsidee gab: Muſſolini. Und die 
Künſtler des vorigen Jahrhunderts ſtanden dieſem nationalen Vorgang durchaus 
nicht Sicht Sie waren weit weniger angeſiedelt in jenem abgelöſten ſog. Reich 
der „Dichter und Denker“ und jeweils in ihren provinziellen Regionen wurden 
ſie vom Reifen einer neuen Nationalidee faſt ſtärker beſchäftigt als von den rein 
künſtleriſchen Fragen, ſo daß eben die Werke des 19. Jahrhunderts deutlich die 
Übergangszeit verraten. 


Stürmiſche Erneuerung 


Als dann im Jahre 1909 in der Kunſt ein Sturm gegen die Vergangenheit 
einfegte, waren bie Vorausſetzungen völlig andere als bie bes Expreſſionismus in 
Deut land und des Kubismus in Frankreich. „Futuriſten“ nannten fih diefe 
Maler, und ihr Führer M arin etti proklamierte in einem Manifeſt, daß es bie 
e ber Kunſt fei, den revolutionären künſtleriſchen Ausdruck bes italieniſchen 
Volkes aus dem Geiſt einer neuen unbürgerlichen Welt aufzubauen. Noch vor dem 
Ende des Krieges gründete Marinetti die erſten „fasci politici futuristi“, denen 
Muſſolini naheſtand. Nach dem Krieg aber erkannten ſie in Muſſolini ihren 

ührer und begannen mit einer en von Frontſoldaten an der Gründung bes 

aſchismus mitzuarbeiten. Es waren junge Männer, die auf der Straße kämpften, 
in Verſammlungen auftraten, ſich ins Gefängnis ſchicken e Wenn fie gelegents 
lich im Überſchwang forderten, bie Bibliotheken und Muſeen zu verbrennen, fo 


8 Bruno E. Werner / Die Malerei und Plastik der Gegenwart 


war das nicht ein Verwerfen der Tradition. Man muB es aus ber damaligen 
italieniſchen Situation begreifen. Die nationale revolutionäre Jugend der 
. wollte damit ſagen: Wir wollen nicht länger ein Volk von 
Fremdenführern und Muſeumsdienern ſein! 

Der alte Kämpe Marinetti iſt heute eine Exzellenz und Senator der Akademie. 
Andere Vorkämpfer ſind gefallen wie z. B. Boccioni. Der Futurismus iſt ob ſeines 
kulturkritiſchen und polemiſchen Wertes längſt ein Stück Geſchichte geworden, 
obwohl er im neuen Gewand, der „Aeropittura“, der ſog. Luftmalerei, deren 
Vertreter vor allem im abeſſiniſchen und ſpaniſchen Krieg teils kämpfend, teils 
malend hervorgetreten ſind, noch eine kleine Auferſtehung feierte. Seine Malerei, 
die unterdeſſen vor allem im Vorjahre in Italien ſchweren Angriffen ausgeſetzt 
war, intereſſiert uns auch weniger als die Tatſache, daß die junge, vor: 
wärtsſtürmende Künſtlerſchaft Italiens politiſch keines⸗ 
wegs abſeits ſtand, ſondern zu den Wegbereitern des 
J a ſch ismusgehört. Man muß dies wiſſen, um die Stellung des faſchiſtiſchen 
Staates zu den Künſtlern und die heutige italieniſche Kunſt zu begreifen. Denn 
die Verbindung mit dem Faſchismus iſt in der Kunſt überall bei der Kriegs⸗ und 
Nachkriegsgeneration feſtzuſtellen. Das Novecento Italiano, das in einem 
tieferen Sinne den Futurismus ablöſte, war vom gleichen Geiſt getragen. Nur 
wurde bei ihm die Beſinnung auf die große Tradition beſtimmend, und der Name 
dieſer Künſtlergruppe ſollte nichts anderes bedeuten, als daß ſpätere Jahrhunderte 
geradeſo von einem Novecento reden ſollen wie wir heute vom Quattrocento oder 
vom Cinquecento. Auch diefe, um 1920 in Mailand ins Leben gerufene Künſtler⸗ 
gruppe iſt längſt zerſtreut. So wie die daun der Ismen vorüber iſt, ſo auch die der 
Künſtlergruppen. Geblieben ſind Begabungen und die beſten Kräfte. Geblieben 
und gewachſen ſind die Bemühungen des faſchiſtiſchen Staates um die Kunſt. 
Auch in Italien hat man eine Summe (von 2 Prozent) von den öffentlichen 
Bauausgaben ausgeſetzt, die zur Ausſchmückung durch lebende Künſtler verwendet 
wird. Etwa 1% Millionen Lire ſtehen für Preiſe zur Verfügung. Maler und 
Bildhauer find in den großen Rat des Faſchismus berufen worden, und die 
großen Ausſtellungen — die Biennale in Venedig, die Triennale in Mailand 
und die Quadriennale in Rom — ziehen nicht nur die Aufmerkſamkeit des 
italieniſchen Volkes auf ihre Werke. 


Überlieferung und Landſchaft 


So radikal in der Abſage an die Vergangenheit der Beginn der jungen italieni⸗ 
En Kunſt ſchien, |o deutlich bat jid im Laufe des letzten Jahrzehnts eine Linie 
abgezeichnet, die auf der beſten italieniſchen Tradition aufbaut. Während man 
a den großen Ausſtellungen im Haus ber deutſchen Kunſt immer wieder 
beobachten kann, daß die deutſchen Maler vor allem am 19. Jahrhundert und 
bevorzugt an der Romantik anknüpfen, ſo hat die italieniſche Kunſt ſich vornehm⸗ 
lich auf die große Epoche ihrer Geſchichte beſonnen: das Quattrocento und frühe 
Cinquecento. Der Menſch und der menſchliche Körper ſteht durch 
alle Epochen im Mittelpunkt der italieniſchen Kunſt, und 
man findet auch heute häufig wieder eine Prägnanz und Schärfe der Darſtellung 
wie in jener alten Zeit. Die ſeltſame, von Licht und Klima bedingte Plaſtizität, 
die der deutſche Reiſende mit Staunen in der italieniſchen Landſchaft ſo kriſtallklar 
Zufall it es iſt damals wie auch heute Häufig in der Kunſt angeitrebt, und fein 
Zufall ijt es, daß eine ber wichtigſten Künſtlergruppen der Nachkriegszeit dies als 
Ideal auf die Fahnen geſchrieben hatte und fid ,valori plastici“ nannte. 
Dem entſpricht auch der Wille nach einer ſtrengen tektoniſchen Gliederung des 
Bildes, wie ſie auch im 15. und 16. Jahrhundert zu finden war. Nicht das 
Landſchaftliche, Stimmungshafte, ſondern das architekto⸗ 


Bruno E. Werner / Die Malerei und Plastik der Gegenwart 9 


nile Moment ſpielt hier die große Rolle, und man muß immer 
wieder an Heinrich Wölfflins wunderbar treffenden Ausſpruch denken, der auf 
den Gegenſatz zwiſchen italieniſcher und deutſcher Malerei hinweiſt: „Der Süden 
hat die Säule in den Baum geſehen, der Norden den Baum in die Säule.“ 


Es wäre jebod falſch und gefährlich, wenn man verſuchen würde, zeitgenöſſiſche 
Kunſt auf beſtimmte Formeln feſtzulegen, ſo verlockend dies fluß oft fein mag. 
Auch in Italien ift die künſtleriſche Entwicklung durchaus im Fluß, und nicht bte 
Schulen und Gruppen ſiegen, ſondern die einzelne Künſtlerperſönlichkeit. Wenn 
wir nachfolgend einige dieſer Maler Italiens namentlich aufführen, ſo kann 
dabei keine Vollſtändigkeit erreicht werden. Es ſind Künſtler, die in Italien und 
zuweilen in der Welt bereits einen Namen haben, teils ſolche, die uns auf den 
großen wait bee tue in Venedig, in Rom, in Mailand ober im italieniſchen 
Pavillon auf der Weltausſtellung in Paris aufgefallen ſind. 


Künſtlerperſönlichkeiten 


Da find zunächſt die älteren. Der 68jährige Arturo T oft ift einer der bekannte⸗ 
ſten italieniſchen Landſchaftsmaler, der mit ſeinen ſonoren Farben einen eigenen 
faſt lyriſchen Stimmungswert wiedergibt. Neben ihm gleichfalls ein Lehrer der 
italieniſchen Jugend mit ſtarkem Einfluß Carlo Car ra, der, aus dem Futurismus 
hervorgegangen, heute nach einer ſtrengen tektoniſchen Monumentalmalerei ſtrebt. 
Mario Sironi, ein ungewöhnliches Temperament, gleichzeitig Kritiker am Popolo 
d'Italia, malt Figurenbilder von herbem römiſchem Geiſt in wuchtigen Kompoſitionen, 
wie es auch ſeine glühenden Glasfenſter im römiſchen Korporationsminiſterium 
zeigen. Zu den in der Welt bekannteſten Künſtlern gehören Gino Severini und 
Giorgio de Chirico, der in Phantaſie und vorwiegendem Intellekt den Einfluß 
von Paris verrät. Severini, einer der überragendſten Maler, hat ſeine abſtrakte 
(rein formal experimentierende) Periode überwunden und ſtrebt gleichfalls nach 
dem monumentalen Figurenbild und dem Fresko, das er mit ungewöhnlicher 
Ausgewogenheit der Kompoſition anlegt. Er erhielt 1935 den 100 000⸗Lire⸗Preis 
der Regierung. 

Achille Funi, Gabriele Mucchi, ber Malerarchitekt, die beiden jungen Bologneſer 
Bruno Gaetti und Giorgio Moranda zeigen deutlich, wie eine große, längſt abs 

apos Tradition wieder aufgenommen unb von einem völlig neuen Geilt erfüllt ijt. 
In Florenz leben der Präſident ber Akademie Felice Carena, Ardengo Goffict mit 
ſeinen reizvollen, tonigen Bildern aus dem toskaniſchen Volksleben, die Maler Peyron 
und Roſa i. In Turin iſt vor allem Caſorati zu nennen, einſt Führer der valori 
plastici, ein Künſtler, Dellen Klaſſizismus einen ſtarken, plajtijd-farbigen Reiz hat, 
erner Mencio und Paulucci. In Mailand neben Gironi, Carra und Mucchi die 

aler Galietti, Birolli, Saſſu, Uſellini. In Rom ſchließlich hat fid 
neben Toſi, Oppo und Donghi in den letzten Jahren eine grobe a jun er Künſtler 
angefiedelt, wie Mafai, Janni, Cavalli, Cagli, Capogroſſ unb Ziveri, 
um einige Namen herauszugreifen. Hervorzuheben iſt ſchließlich der Maler Alberto 
Salietti mit ſeinen bedeutenden Blumenſtilleben, der Landſchafter Memo Vagag⸗ 
ini und der Freskenmaler Feruccio Ferrazzi, der zu den Künſtlern gehört, die an 
der Erneuerung des Wandbildes arbeiten, das in der Geſchichte der italieniſchen Kunſt 
bis zurück nach Pompeji ſo großartige Vorbilder hat. 


Bildhaueriſche Urbegabung 
Daß bei einem Volk, bei dem das Körpergefühl ein ſo ſelbſtverſtändlicher Beſitz 
iſt und bei dem der Sinn für das Plaſtiſche, Klare (im Gegenſatz zur ſchweifenden 
und deutenden Haltung des Nordens) das künſtleriſche Schaffen beſtimmt, die 
Skulptur eine bedeutende Stellung einnimmt, iſt ſelbſtverſtändlich. Die Schwierig⸗ 
keiten, die ſich für die Künſtler ergeben, liegen weit eher darin, daß das plaſtiſche 
Schaffen dem Italiener ſo leicht fällt wie wohl keiner anderen europäiſchen 


10 Fabio Tombari / Chronik XVII aus Frusaglia 


Nation. Wer Italien kennt, weiß, mit welcher Geſchicklichkeit große Teile bes 
Volkes begabt find zu modellieren, und ein großer Imitator wie Doſſe na, ber 
mit ſeinen in Stein, Holz oder Ton geformten Skulpturen „aus dem Geiſt der 
italieniſchen Renaiſſance“ die Muſeumsdirektoren und Kunſtgelehrten Europas 
in Verlegenheit brachte, iſt wohl nur in Italien möglich. Aber der außerordentli 
Schwung, den das ange Kunſtſchaffen erfahren hat, drängte auch die Gefahr 
in den Hintergrund, daß die leere Geſchicklichkeit, das Bilden von außen per, fiegte, 
und er hat bewirkt, daß in Italien eine Reihe von Plaſtikern am 
Werke iſt, die wahrhaft die Form, die ein Gottesgeſchenk 
dieſes Volkes ift, „von innen nach außen“ ſchaffe n. Da ift als 
eine der 5 Perſönlichkeiten Arturo Martini zu nennen, der etwas 
vom Geiſt des großen antiken 9 in ſeinen Plaſtiken wieder aufleben läßt, 
wie etwa in der Denkmalsbronze für den Flieger Miniti, der im äthiopiſchen 
Krieg gefallen ijt. Romano Romanelli hat vorzügliche Bildnisköpfe von 
bekannten Perſönlichkeiten des heutigen Italiens woot en. Marino Marini, 
ee? Meſſina, von den älteren Antonio Maraini und ber verftorbene 

ibero Andreotti find einige der markanteſten Namen, denen man in den 
großen Ausſtellungen immer wieder begegnet. 

Eine neue künſtleriſche Jugend iſt in Italien herangewach⸗ 
Jen. Die großen Impulſe, die das faſchiſtiſche Imperium dem Schaffen aller gibt, 
hat ſie mit der Selbſtverſtändlichkeit eines Geſchlechtes aufgenommen, das in 
entſcheidende Augenblicke der Geſchichte hineingeboren iſt. Wohin der Weg dieſer 
Jugend führt, wird die weitere Entwicklung der italieniſchen Malerei zeigen. Die 
Beſinnung aber auf die große Vergangenheit iſt lebendig wie noch nie. 


Fabio Tombari: | 


Chronik XVII aus Frusaglia 


Vor den Toren meiner Stadt Frujaglia fever drei kleine Häuſer und der Backofen der 
Vilelma. In dem einen wohnt die rgen ina, fie mag adtgig Sabre alt fein, eitel, ganz 
mit Bändern und litter behängt. „Mein Sohn ſchickt mir jede Woche Dollars.“ 

„In dem anderen wohnt die 5 geſchlagene Beat Jahre iſt fie alt, fie geſteht 
vierzig ein, obwohl fie wie neununddreißig ausſieht. Häßlich unb un reundlid, daß nicht 
einmal der Efeu an ihr aufranken möchte. 

Ganz hinten nach dem Heuſchober wohnt die Ghita, eine Heilige, ſehr ſauber, jung 
verheiratet mit Clemente, Mutter eines kleinen Jungen. 


Heute an einem Montagmorgen finden ſich alle drei zur gleichen Zeit am Backofen ein. 
Wer darf nun aert in den Ofen ſchieben? Die Sargentina hat ein Hähnchen, die 
Romagnola einen Kuchen, die Ghita ſechs Reihen Brot. 

„Ich komme zuerſt“, ſagte die Sargentina, „denn ich habe die beſte Speiſe.“ 

„Dann komme ich daran!“ 

a tomme daran“, unb fie gehen aufeinander los. 

„Ruhe!“ jagt bie Gargentina, „hören wir bie Meinung des Herrn Kuraten.“ 

Der Reverendo kam hinter der blühenden Hecke daher, in fein Brevier verſunken. Er 
ſah wie eine dicke Witwe aus. Von Zeit zu Zeit ſah er nach den Erbſen, Tomaten und 
Puffbohnen und nach dem byzantiniſchen Blau des Meeres. 

„Monfignore“, ſagte die Sargentina, „was würden Sie lieber effen, einen häßlichen 
Brocken verſchimmeltes Brot oder einen ſchönen, jungen Hahn mit gebratenen 
n : | 

Der Reverendo blieb ſtehen, dachte nach, bann ſagte er: „Ich für meinen Teil, ba heute 
kein gebotener Vigilfaſttag zu Ehren der heiligen Väter iſt, würde lieber den Flügel eines 
jungen Huhns verſuchen. Schickt ihn mir nur!“ 


Fabio Tombari / Chronik XVII aus Frusagiia 11 


„Habt gehört?“ jagt bie Gargentina, „habt ihr gehört? Ich komme daran.“ Und 
fie ſchiebt ihren Braten in den Ofen. 
Jetzt kommt bie Romagnola an die Reihe. Ein kleiner Junge geht vorbei, der Sohn 
der Tabakhändlerin, ſchmutzig, ungezogen, eine Landplage, er heißt Pepe. 
Kuch Bepe, Pepe, was ift dir lieber, ein Stück Schwarzbrot ober ein ſchöner knuſperiger 
en 


Pepe verdreht die Augen, ſeufzt, runzelt das Geſicht, lacht und ſtreckt die Hand aus: 
„Gebt mir den Kuchen!“ 

„Seht ihr“, vagt ar Romagnola, „auch die Kinder geben mir recht.“ Und ſie ſchiebt 
ihren Kuchen in Ofen. 

Unſere arme Ghita [st pin daneben mit ihrem zugedeckten Teig, als ob fie einen Toten 
auf den Knien hielte. Sie ſieht aus wie bie Pietà von Michelangelo. Wenn die Sargentina 
und die Romagnola fort find und der Ofen beinahe erkaltet, wird fie ein paar Prügel 
zuſammenſuchen, durchräumen, neu anzünden und ihr Brot hineinſchieben. Geduld! 


Aber is erfüllt bas Geſchrei ber Romagnola bas Haus. Was ift los? Die Kinder 
balgen fid um die größten Stücke des Kuchens, fie werfen mit Fäuſten und Fußtritten 
alles in die Luft. Der Mann, der ein bißchen nervös iſt, kommt mit der Frau in Streit, 
zerbricht die Teller, ſchlägt die Stühle entzwei, zertrümmert den Spiegel, gibt der Katze 
einen Tritt... Heilige Madonna, was ijt los, iit die Revolution ausgebrochen? 


Im nächſten Haus freut ſich die Sargentina, ſie hat für einen Augenblick den Tiegel auf 
den Mehlkaſten geſtellt, und ganz leiſe ſchleicht ſie hinter die Vorhänge, um die häusliche 
Szene zu genießen. 

Der nackte Hahn ſchämte ſich indeſſen zwiſchen den Kartoffeln. Aber was ihm noch mehr 
Kummer machte, war der Ee Kater, den bie Alte Vincenzo nannte, zur Erinnerung 
an ihren dritten Mann, Gott hab' ihn jelig; Vincenzo, der als Wachtpoſten auf dem 
Fenſterbrett fab. Zwiſchen dieſem ſalz⸗ unb pfefferfar igen Schnäuzchen und dem Geſchrei 
der Romagnola GR der We liche Hahn vor Angſt. Und der Kater? Er ging 
mies ben Flaſchen auf und ab mit ber zeritreuten ene ber gebildeten Leute. Er 
chien über bie Metamorphoſen bes Ovidius Naſo nachzudenken, fo ernft war er. Dann, 
mit einem Satz, als echter Philoſoph, verwandelte er fi in einen Artiſten, ſtreichelte 
zwei⸗ bis dreimal den Rauch mit der Pfote, und beim vierten Male packte er unter einer 
Kataftrophe von Tiegeln, Flaſchen und gebratenen Kartoffeln den Hahn und entfloh wie 
ein Verdammter. 

m ber Räuber!“ 

r Kochlöffel landete auf feinem Rücken, bas Nudelholz lief ihm durch das Haus bis 
auf die Straße nach. 

Und die Sargentina? Sie konnte ſich nicht mehr beruhigen. Sie wollte Vincenzo um⸗ 
bringen um jeden Preis, Rahe, Rache! Vincenzo muß ſterben. 

Am Abend fah fie ihn wieder. Auf der Gartenmauer im Mondſchein Fee M uiid 
pathetiſch fann Vincenzo über den ſechſten Band der Ethica Nicomachea bes Ariftoteles nach. 

Die Ghita hatte indeſſen zu Mittag das Brot bereits fertig. Ein a war das, ein 

ter warmer, heiliger Geruch. Zwiſchen den Lilien war es wie ein Duft von erter 

ommunion. Baſtia, der ihn mitten im Lupinenacker roch, lächelte und jegnete in feinem 
Herzen die Güte ber Erde. Auch Drea roch ibn, fogar von der Bahn aus, denn der Wind 
kam von Norden. 

Was für ein grunner Geruch! Es gibt nichts Schöneres als ben Duft des Brotes. Wenn 
ich Arzt wäre, würde ich meine Kranken dorthin bringen, alle vor den Backofen, um die 
Luft des Brotes zu atmen. Kräftig, fröhlich, fruchtbar iſt er, er riecht nach Italien, der 
Duft des Brotes. 

Der a ber Ghita, Menchino, als er erfuhr, daß er aus feinem Haufe fam, fpran 
auf der Wieſe dreimal in die Höhe wie ein Böcklein. Er lief nach Haufe, rückte bie Ban 
an den Tiſch, zog ein wenig gebackenen Speck mit Kräutern herunter und griff nach 
einem Brotlaib. 

„Zuerſt“, gie die Mutter, „warten wir auf den Vater.“ 

Der Vater kam bald darauf. 

„Iſt es gut geraten?“ 


12 | Erné / Italiens zeitgenössisches Schrifttum 


Er ſchaute es an, bräunlich und fnu[perig war es und gut aufgegangen. 

„Gott fet Dank, recht jo, Ghita!“ 

Es klopft. „Wer iit es?“ 

„Ich bin ein armer Teufel, ich komme von Forli, ich gehe nach Loreto. Gebt ihr mir 
einen Biſſen Brot um Gottes willen? Ich habe an den zwei anderen Häuſern geklopft, 
wenn ich nicht fliehe, treiben ſie mich fort. Und ihr, gute Leute, gebt ihr mir ein 
Stückchen Brot?“ 

Gbita ſchaut ihren Mann an. 

„Gib es ihm!“ 

„Nehmt, guter Mann, etwas anderes iſt nicht da.“ 

„Gott ſegne euch dafür!“ und er ſegnete die Schwelle. 

: <a empfing Ghita die Freude ihres Kindes, das Lob ihres Mannes und den Gegen 
es Armen. 

Von dieſem Brote verkam nichts. Nur ein Krümlein fiel dem Pilger zu Boden, zwanzi 
Schritte vom Dale entfernt. Eine Lerche erblickte es auf der Erde, flog hin, pidte es au 
und trug es zum Himmel hinauf. 

Die Sonne ſtand hoch. Sie ſchaute herunter. 

Entnommen: Die Leute von Fruſaglia, Verlag J. Bruckmann, Minder. 


Antonio L. Erné: 


Italiens zeitgenössisches Schrifttum 


Will man aufzeigen, was das neue italieniſche Schrifttum bedeutet, ſo wird es 
am beſten gelingen, wenn man es mit dem der Vorkriegszeit vergleicht. Man 
ſieht dann ſofort, daß eine weſentliche Wandlung ſtattgefunden hat. Bemerkens⸗ 
wert und auffallend iſt es, daß die neue Generation der italieniſchen Literatur 
keine markanten Anhaltspunkte, keine Sterne oder Spitzenleiſtungen, keine großen 
Namen von internationalem Klang aufzuweiſen hat. Ihr Kennzeichen iſt vielmehr 
eine Art kollektiviſtiſches Hervortreten, ein Auf⸗den⸗Plan⸗Treten „en bloc“, ein 
langſamer aber um ſo ſicherer Aufſtieg des Schrifttums als ſolchen. 


Aufſtand gegen die Konvention 


Vor dem Kriege waren es die Namen der großen National⸗Dichter Carducci, 
Pascoli, D'Annunzio, um die geſtritten wurde. Das Schrifttum war beſtändig in 
zwei Lager geſpalten, die pro oder contra dieſe Namen auftraten. Aber ſchon 
ziemlich bald nach der Jahrhundertwende machen neue Tendenzen von ſich reden, 
das Gepräge eines rebelliſchen Sturms und Drangs tragend. Das Hauptmotiv, das 
dieſe Bewegung beſeelt, iſt die betonte und zum Teil bewußt übertriebene Auf⸗ 
lehnung gegen jegliche konventionelle oder akademiſche Form und die Suche na 
neuen Horizonten. Hauptträger dieſer Tendenzen ſind die jungen Leute, die fi 
um die in Florenz 1908 ins Leben gerufene Zeitſchrift „La Voce“ gruppierten und 
Giovanni Papini Dm Führer Hatten, unb bie Futuriſten um Filippo Tommaſo 
Marinetti, der dann unmittelbar nach dem Kriege mit ſeinem politiſchen 
. und Dynamismus die Vorhut der damals entſtehenden 

ampfverbände der ,fasci di combattimento" Muſſolinis 
pem wird. So haben wir [don vor dem Kriege ben energiſchen unb wirkſamen 

erſuch, eine Art Tabula rasa mit dem Althergebrachten zu machen, der es in 
jugendlichem Überſchwang unternimmt, die alten Einrichtungen und Über⸗ 
lieferungen fortzufegen. Die junge Schriftſtellergeneration, die aus den Schützen⸗ 
Monat heimkehrte, konnte dann im großen und ganzen von neuem anfangen. 

er geiſtige Zuſtand, den ſie vorfand, als ſie den Waffenrock mit der Zivil⸗ 
kleidung vertauſchte, war aber alles andere als ermunternd, denn ſie mußte, wenn 
ſie tiefer ſchaute, bitter wahrnehmen, daß der Krieg zwar gewonnen, aber der 


Erné / italiens zeitgenössisches Schrifttum 13 


Frieden verloren mar. Sie fand eine 1 kommuniſtiſche Gärung der Maſſen 
vor, und demgegenüber den tollen SE der Neureichen und 
Müßiggänger, in deren ungeſunder Treibhausatmoſphäre eine minderwertige, 
bemagogifihe unb pornographiſche Literatur flüchtige Triumphe feierte. Was es 
auf literariſchem Gebiet gab, ſah eben doch ſtark nach Unordnung, Zügelloſigkeit 
und Undiſzipliniertheit aus. 


Kämpfe um die künſtleriſche Form 

Und da unternimmt es in den Jahren zwiſchen 1919 und 1923 die Zeitſchrift 
„La Ronda“, in der Riccardo . Antonio Baldini, Vincenzo Cardarelli, 
Emilio Cecchi und andere ihre Arbeiten . eine Rückkehr zur 
Ordnung, zum literariſchen Gewiſſen, zur Klarheit, zur 
klaſſiſchen, nationalen Tradition der Form zu verfechten, ſchon 
wieder im Gegenſatz zum literariſchen Sturm und Drang der unmittelbaren 
Vorkriegszeit, der ſeine Berechtigung in der polemiſchen Funktion als Verneiner 
und Zerſtörer der Überalterung gehabt hatte. Gewiß, Ereigniſſe aus dem Jahre 
1923 und früher gehören bereits der Geſchichte an, und die Geſchichte hat in 
dieſen letzten Jahren 1 Schritte weiter getan, dennoch iſt die Feſtſtellung 
wichtig, CH erade aus den Reihen der Mitarbeiter der „Ronda“ Werke Hervor: 
gegangen find, die durch den Wandel der Zeit zu beitehen verſprechen. Zumal 
Riccardo Bacchelli, der eine breite, mitunter ſogar 5 weitatmige 
Profa ſchreibt, verdient hervorgehoben i werden als Fortſetzer ber italieniſchen 
Kulturtradition ſeit Manzoni; namentlich im hiſtoriſchen Roman hat Bacchelli 
ſein Beſtes geſchaffen, etwa in dem 1927 erſchienenen „Il Diavolo al Pontelungo“, 
der die ſeltſame anarchiſtiſche Gemeinſchaft Bakunins am Luganerſee und den 
Verſuch dieſer Gruppe in Bologna zum Gegenſtand hat, und mit dem kürzlich 
erſchienenen Roman „Il Mulino del Po“, der vom Italien der napoleoniſchen Zeit 
bis in die Zeit vor dem Kriege handelt. Bacchelli hat nach der Ronda an den 
eitſchriften „l'Italiano“ und „Il Selvaggio“ mitgearbeitet, die bie Verbunden⸗ 
eit mit den ländlichen Traditionen Italiens auf ihr Banner ſchrieben und ihre 
olemik in einer für das Italien der Neuzeit typiſchen ironiſchen und extra⸗ 
vaganten Weile führten. Diele Bewegung zug unſten der ländlichen 
Traditionen „ ſich mit „Strapaeſe“ und war gegen die Ver⸗ 
treier von „Stracitta“ gerichtet, deren Organ die von Maſſimo Bontem⸗ 
pelli gegründete Zeitſchrift „1900“ war. Bontempelli, eine der ſonderbarſten 
und intereſſanteſten Geſtalten des modernen literariſchen Italiens, bevorzugt 
phantaſtiſche Motive, die er in einer Proſa voller Magie entwickelt, fußt aber doch 
auch auf einer echt italieniſchen Tradition, die bis auf Arioſt zurückgeführt 
werden kann, ſelbſt wenn er ſich noch ſo ultramodern gebärdet und eine Art 
literariſchen Kubismus zur Schau trägt. Es iſt aber doch etwas ſchwierig, be⸗ 
ſtimmte Schriftſteller als ausgeſprochene Verfechter von Stracittà anzuſprechen, 
da ſie dazu mehr der Stoffwahl als der geiſtigen Einſtellung nach gehören. 
Aus ihnen find bis zu einem gewiſſen Grade Antonio Aniante und 
Corrado Alvaro hervorgegangen. Letzterer aber, typiſcher Wortführer Kala⸗ 
briens, ſteht mit der kraftvollen Proſa ſeiner landſchaftlich gebundenen Novellen 
und ſeines wunderſchönen Kriegsbuches „Vent'anni“ doch dem Programm von 
Strapaeſe näher. So auch Achille Campanile, der mit grotesk humoriſtiſchen 
Romanen begann, in denen er den Kalauer ſozuſagen zur Kunſtform erhoben hat, 
und dann in den kurzen Skizzen ſeines beiten Buches, „Cantilena all'angolo della 
strada", in dem er an den vielen alltäglichen Erſcheinungen des Stadtlebens die 
Fragwürdigkeit der modernen Ziviliſation aufzeigt, ſtarke dichteriſche Viſionen 
und Gedanken voller Poeſie entwickelte. Eher ſind zu „Stracitta“ Orio Vergani 
mit ſeinem ſtark realiſtiſchen „Levar del Sole“ (Sonnenaufgang) und G. B. An⸗ 


14 Erné / Italiens zeitgenössisches Schrifttum 


gioletti mit „Il giorno del giudizio“ (Der Tag des Gerichts) zu zählen. 
Während Curzio Malaparte, Sohn einer toskaniſchen Mutter und eines 
deutſchen Vaters, mit ſeiner wuchtigen, polemiſchen Proſa und vor allem Giovanni 
Comiſſo mit der wunderbar einprägſamen Proſa ſeiner Meerſtücke als aus⸗ 
geſprochene Strapaeſiſten anzusprechen find. 


Das neue Gleichgewicht 


Doch neben den Auseinanderſetzungen und der freundſchaftlich derben Fehde 
zwiſchen Stracitta und Strapaeſe gab es auch die zwiſchen Calligrafiſti und 
Contenutiſti, zwiſchen denen, bie die Form, und denen, die den Inhalt in 
den Vordergrund ſtellten. Während die Calligrafiſti mit ihrem Schwelgen in der 
Schönheit des Ausdrucks fih direkt von D'Annunzio herleiten, find die Contenutiſti 
am meiſten von dem Geiſt des neuen Italiens ergriffen. Sie find bemüht, den 
„Sano equilibrio“, die geſunde Ausgeglichenheit als ſpezifiſches 
Kennzeichen echt völkiſch italieniſcher Eigenart zu erreichen, 

ewiſſermaßen den neuen italieniſchen Menſchen zu geſtalten. Mehr als den ſchön⸗ 
ten, gelingt es ihnen in manchmal überraſchender Weiſe, den zutreffendſten 
Ausdruck für die Empfindungen, die ſie bewegen, für die Probleme, die ſie 
unerſchrocken anpacken, zu finden. Im Drang peinlicher Gewiſſenhaftigkeit machen 
ſie ſelbſt vor dem Grauſigen und dem Sinnlichen nicht halt, zumal wenn dieſe 
Elemente die ſozialen Probleme kreuzen. Und in ihnen bricht ſich ſo etwas wie 
eine Syntheſe zwiſchen Stracitta und Strapaeſe Bahn, inſofern als ſie den 
Gegenſatz von Stadt und Land zum Einklang zu bringen verſuchen, das Starke, 
Unverdorbene des Landes dem Sittenloſen, Dekadenten der Städte gegenüber⸗ 
tellen. Als ſtärkſter erſchütterndſter Darſteller der Welt der Verſtoßenen und der 
ragwürdigen ſozialen Exiſtenzen, dabei als ein großer Meiſter der Novelle als 
Kunſtform gilt Arturio Loria. 


Während die früheren Nichtungen, bis auf wenige Ausnahmen, eine Art 
„Fragmentarismus“ bevorzugten und ſo eine Läuterung der Form und des Stils 
zu erreichen ſuchten und ihr künſtleriſches Gewiſſen ſchärften b ). Schule, durch 
die in irgendeiner Art ln Schriftſteller einmal hindurchgeht), ſcheint es, als 
habe das italieniſche Schrifttum mit den Contenutiſti eine neue, ausgereiftere 
Stufe erreicht, die in die Zukunft weiſt und das weitere Feld des Ro⸗ 
mans als künſtleriſche Ausdrucksform ſich zum Vorwurf nimmt. Die pond 
umgrenzte, dramatiſch knapp zufpigende Form der Novelle, bie für das italieniſche 
Schrifttum typiſch war, ſcheint von dem längeren Atem des Romans, der menſch⸗ 
liche Entwicklungen auffaltet, durchbrochen zu werden. Zu dieſen Neuerern müßte 
man heute in erſter Linie den leider zu früh verſtorbenen Umberto Fracchia 
zählen, der mit ſeinen Romanen „Angela“ und vor allem „La Stella del Nord“ 
gewiſſermaßen den Ton zu dieſer neuen Richtung angeſchlagen hat. Dazu gehört 
auch Alberto Moravia, der mit ſeinen „Indifferenti“ die Unmoral gewiſſer 
Kreiſe der modernen n Geſellſchaft ſachlich darſtellt und brandmarkt, 
und in jüngſter Zeit geſellte Dé Bino Sanminiatelli beſonders mit feinem 
Roman „Fiamme a Monteluce“ dazu. Dieſer Roman, der den un und Kampf 
zweier Epochen entwickelt, bie Vernichtung der alten, nun überholten Mächte am 
Beiſpiel zweier dem Untergang geweihter Familien ſchildert, und die Auf⸗ 
erſtehung aus den Ruinen dieſes Unterganges, einer neuen 

a milie und einer neuen Macht: der Erde, preiſt, hat großes 

uflehen in Italien hervorgerufen und deutet vielverſprechend in eine pofitive 
Entwicklung und Entfaltung. Es iſt bemerkenswert, daß ſich hier (mit dem Roman 
„Sorelle Materassi“) auch Aldo Palazzeschi zugeſellt, der vor dem Krieg als 
1 Futuriſt war und heute eine wirklichkeitsnahe, farbenreiche, ſchöne Proſa 

reibt. 


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- BufeupotitifcRotiocm 


Außenpolitische Notizen 18 


Abſchließend kann alfo füglich gejagt werden, daß bas junge zeitgenöſſiſche 
italieniſche Schrifttum dabei ijt, wenn nicht mit raſchen und ſenſationellen, P bod) 
mit um fo fidereren Schritten, feinen Platz neben den anderen europäiſchen Litera: 
turen zu erobern und die allgemeine Beachtung und Schätzung zu beanſpruchen. 


Rom, den 10. November 1786. 

Ich lebe nun hier mit einer Klarheit und Ruhe, von der ich lange kein Gefühl hatte. 

Meine Ubung, alle Dinge, wie sie sind, zu sehen und abzulesen, meine Treue, das Auge 

Licht sein zu lassen, meine völlige Entäußerung von allem Vorurteil kommen mir einmal 

wieder recht zustatten und machen mich im stillen höchst glücklich. Alle Tage ein neuer. 

merk würdiger Gegenstand, täglich frische, große, seltsame Bilder und ein Ganzes, das 
man sich lange denkt und träumt, doch nie mit der Einbildungskraft erreicht. 


Neapel, zum 17. März 1787. 

Wenn ich Worte schreiben will, so stehen mir immer Bilder vor Augen des fruchtbaren 
Landes, des freien Meeres, der duftigen Inseln, des rauchenden Berges, und mir fehlen 
die Organe, das alles darzustellen. 

Ich habe viel gesehen und noch mehr gedacht; die Welt eröffnet sich mehr und mehr; 
auch alles, was ich schon lange weiß, wird mir erst eigen. Welch ein früh wissendes und 
spät übendes Geschöpf ist doch der Mensch! 

J. W. von Goethe, Italienische Reise. 


Neapel, Sonnabend, den 2. Juni 1787. 


Wir standen an einem Fenster des oberen Geschosses, der Vesuv gerade vor uns; die 
herabflieBende Lava, deren Flamme bei längst niedergegangener Sonne schon deutlich 
glühte und ihren begleitenden Rauch schon zu vergolden anfing; der Berg gewaltsam 
tobend, über ihm eine ungeheure feststehende Dampfwolke, ihre verschiedenen Massen 
bei jedem Auswurf blitzartig gesondert und körperhaft erleuchtet; von da herab bis gegen 
das Meer ein Streif von Gluten und glühenden Dünsten; übrigens Meer und Erde, Fels 
und Wachstum deutlich in der Abenddämmerung, klar friedlich, in einer zauberhaften 
Ruhe. Dies alles mit einem Blick zu übersehen und den hinter dem Bergrücken hervor- 
tretenden Vollmond als die Erfüllung des wunderbarsten Bildes zu schauen, mußte wohl 
Erstaunen erregen. 

J. W. von Goethe an Herder. 


sabens i und gründet in Ravenna bie Kampfbünde. 
Der neue italienische Jugendführer 1923 Grants auf Nom. 1921 bis 1020 Bize, 


Ettore Muti gauleiter von Ravenna. Später Komman⸗ 
S. E. Ettore Muti wurde am 22. Mai 1902 deur der 18. und 11. Miliz⸗Legion. An⸗ 
in Ravenna geboren. Im Alter von 14 Jah⸗ ſchließend Vizekommandeur der faſchiſtiſchen 
ren meldete er fid) mit gefälſchten Urkunden Hafenmiliz. Als Fliegerfreiwilliger im 
als Freiwilliger. Im re 1917 und 1918, EE mit einer Elite von Män- . 
alſo als Fünfzehn⸗ und Sechzehnjähriger, nern: Ciano, ber nee Pavolini, 
nimmt er aktiv an ber italieniſchen Front der Propagandaminijter, Muti, der Gene: 
teil. Mit b'SInnungios Legionären mar- ralſekretär der Partei, und Bruno und 
ſchiert er 1919 in Fiume ein. Kurz darauf Vittorio Muſſolini, die Söhne des Duce, alle 
wird er Mitglied der faſchiſtiſchen Partei gehörten zu der von Ciano geführten Staffel 


16 Außenpolitische Notizen 


„La Diſperata“. Ab 28. Juli 1936 in Spanien 
mit den erſten italieniſchen Fliegern. Erſt 
mit Kriegsende kehrt er zurück. Beim Ein⸗ 
na in Albanien wieder an erfter Stelle. 
Beförderung zum Generalkonſul der Miliz. 
Am 15. Auguſt 1939 Ernennung zum Inſpek⸗ 
teur der „Fasci all'Estero" (Auslands⸗ 
organiſation der faſchiſtiſchen Partei) und 
um Nationalrat. Mitglied der Kammer 
s Faſchios und der Korporationen. Kriegs⸗ 
auszeichnungen: eine goldene Tapferkeits⸗ 
medaille (entſpricht unſerem „Pour le 
mérite"), ſechs ſilberne und eine bronzene, 
Hausorden von Savoya und andere italie⸗ 
niſche Auszeichnungen. P AAA die höchſten 
ſpaniſchen Kriegsauszeichnungen, darunter 
das Kriegsgroßkreuz. Dreimal an der 
Hodel nee Mut und reftlofer pers 
önlicher Einſatz find feine hervorſtechendſten 
Eigenſchaften. Als Inſpekteur der „Fasci 
all Estero“ hatte Muti Gelegenheit, Deutſch⸗ 
land aus eigener Anſchauung nen 
lernen. Er weilte unter anderem in Berlin 
und Ug rp En, wo er bie 6000 italieni- 
hen Arbeiter, die am Bau der neuen 
Vg beſchäftigt find, be⸗ 
uchte. 
iſt in kurzen Worten der Werdegang 
des neuen Sekretärs der faſchiſtiſchen Partei 
und Oberbefehlshabers der italieniſchen Su: 
gend, dem die Hitler⸗Jugend die kamerad⸗ 
ſchaftlichſten Grüße und Wünſche für ſeine 
verantwortungs volle Aufgabe entbietet. 


Politik um den Balkan 


Der von England angezettelte Krieg 
gegen das Reich hat auch den Balkan er⸗ 
neut und ſogar ſtärker als bisher in das 
Blickfeld der politiſchen Intereſſen, Wünſche 
und Spannungen gezogen. Und obwohl 
keiner der Anrainer des öſtlichen Mittel⸗ 
meers einen größeren Wunſch hat als den, 
dieſer Auseinanderſetzung dreier Groß⸗ 
mächte fernzubleiben: London hat ſeit je 
an einer möglichſt weitreichenden Zerſtück⸗ 
lung des Kontinents und beſonders des 
Südoſtens gelegen, um die eigene Macht 
auf den Streitigkeiten anderer Völker um 
ſo ſicherer zu befeſtigen und zu erweitern. 
Dagegen ſetzen ſich heute nicht nur diejeni⸗ 
gen zur Wehr, die abermals unmittelbar 
find bjekt britiſcher Intereſſen auserſehen 
ind. 


Das Mittelmeer bedingt Italiens Politik 


Das gilt vor allem für Italien. Seine 
Politik tft in erſter Linie Mittelmeerpolitik 
und muß es aus allen natürlichen Gegeben⸗ 


heiten heraus ſein. Darum wird Nom ebenſo⸗ 
wenig jemals überſehen können, daß mit 
Gibraltar und Suez das von engliſchen 
Stützpunkten überſäte Mittelmeer jederzeit 
wie eine Flaſche verkorkt werden kann, wie 
die Tatſache aus dem Auge verlieren, daß 
Englands Politik hier nicht nur die eigenen 
Machtpoſitionen ausbauen, ſondern Italien 
bedrohen und ihm die zu Recht angeſtrebte 
Gleichheit der Stellung und des Rechtes 
vorenthalten will. Und man hat im Italien 
Muſſolinis auch keineswegs vergeffen, bag 
der Weſtenim Mittelmeer grund: 
ſätzlich die anti⸗italieniſche 
Linie eingehalten hat, bei der 
Gründung der Balkanentente, im Genfer 
Sanktionskrieg, anläßlich der ſpaniſchen 
Auseinanderſetzungen und mit bem Türken⸗ 
pakt. Rom hat nicht verkannt, daß dieſer 
Vertrag ſich ebenſo eindeutig gegen Italien 
richtet, wie es das engliſch⸗polniſche Bünd⸗ 
nis gegen Berlin tat, um die erſtrebte Aus⸗ 
führen der de - herbeizu⸗ 
führen und die in Weſten, Norden und 
Oſten unangreifbare deutſche Front viel⸗ 
leicht vom Südoſten her zu umgehen. Es 
liegt nahe, die Auswirkungen ſolcher Be⸗ 
ſtrebungen auf Italien zu erraten. Aber 
Rom hat darauf nicht erſt ſeit heute oder 
geſtern reagiert. 


Weſtliche Ballanpläne und ihr Ende 


Frankreich, ſeit dem Weltkriegsende er⸗ 
neut zur führenden Landmacht e 
ſchuf, ſeiner securité zuliebe, die „Maginot⸗ 
linie des Oſtens“, die Kleine Entente 
wiſchen Prag, Belgrad und Bukareſt. Sie 
Lat eine Intereſſengemeinſchaft zur Auf: 
rechterhaltung des neuen Beſitzſtandes fein, 
den die Tſchecho⸗Slowakei, Jugoſlawien und 
Rumänien aus dem Zerfall der Mittel⸗ 
mächte gewonnen hatten. Beneſch war es, 
der fid lange um die Ausdehnung des Pal- 
tes bemühte; aber Polen fand von Anfang 
an wenig Gegenliebe, und Griechenland, als 
der andere ins Auge gefaßte Partner. zeigte 
größeres Intereſſe an den eigenen Proble⸗ 
men und denen des Nahen Oſtens, als etwa 
an einer Garantierung des Status quo an 
der Donau und an Tardieus Föderations⸗ 
plänen. 

Als mit der Tſchecho⸗Slowakei 1938/39 auch 
die Kleine Entente für immer unterging, 
erlitt der Balkanpakt, dem die übrigblei⸗ 
benden Ententemitglieder Rumänien und 
Jugoſlawien ebenfalls angehörten, den piel: 
leicht letzten, entſcheidenden Stoß. Dieſer 
Balkanpakt war von Anfang an dazu ver⸗ 
urteilt, niemals ein echter Balkanbund aller 


= * A W 
———— ꝑ — 


Außenpolitisehe Notizen 


Länder dieſer Halbinſel werden zu können, 
weil Bulgarien ſich ihm beharrlich verſagte. 
Denn in Sofia Lp e man feit 1919 am 
Gedanken einer Revifion von Neuilly feft- 
ehalten und erkannt, daß ein freiwilliger 
itritt zur Balkanentente alle Reviſions⸗ 
nungen für immer zerſtören mußte: 
tten doch die Unterzeichner des Paktes 
einander feierlich alle ihre Grenzen garan⸗ 
tiert und durch — bis heute unveröffentlicht 
. — Geheimprotokolle ſich Waffen⸗ 
ilfe gegen unfriedliche Revifion verſprochen. 
Hier nun ſchlug Belgrad die wichtigſte 
Breſche. In Sugoflawien hatte die Einſicht 
great, da Abmachungen zur 
uftechtekhal tun eines uns 
„ gupen es in Zeiten 
öter poli d cher Dynamik 
ſinnlos ſind, beſonders, wenn man 
gegenſätzliche Intereſſen miteinander zu 
vereinigen ſucht; man hatte erkannt, daß 
mit den bisherigen Mitteln eine echte Be⸗ 
friedung auf dem Balkan nicht zu ſchaffen 
war, noch weniger eine wirkliche Freund⸗ 
ſchaft wiſchen ſtarren Fronten, an deren 
Gortbeſtand einzig raumfremde Großmächte 
ein Intereſſe hatten. 


Hinter Belgrad aber ſtand Muſoolini. 
Italien hatte ſeit langem gute Beziehungen 
zu Bulgarien Ane dem Schnitt⸗ 
punkt balkaniſcher und außerbalkaniſcher 
Intereſſen; dies aber bildete durch ſein 
Slawentum immer eine Brücke nach Nord⸗ 
oſten hin; ſein Zar Boris hatte eine Toch⸗ 
ter des italieniſchen Herrſcherhauſes zur 
Königin erhoben, und die traditionell engen 
Verbindungen zu Deutſchland hatten es 
ſtets ſtark no Mitteleuropa Hin ausge: 
richtet. Sofia, jeit je ein Gegner weſteuro⸗ 
päiſcher Konſtruktionspolitik, erkannte Gunſt 
und Gebot der Stunde, als Belgrad 1937 
ben Abſchluß eines bedingungslojen Freund⸗ 
ſchaftsvertrages vorſchlug. Wenn man früher 
geglaubt hatte, der mazedoniſche Zankapfel 
würde eine Annäherung der beiden „Erb⸗ 
feinde“ niemals zulaſſen, ſo zeigte ſi i 
bald, daß Italiens Politik au 
dem Bal an auch vor der Löſung 
unlösbar erſcheinender Wu f= 
gaben nicht zurückſchreckte. Die 
neue Freundſchaft trug den Bulgaren die 
jugoflawifhe Unterſtützung beim Salo: 
nifiabtommen 1938 ein, das Sofia 
die Wehrhoheit zurückgab; ſeither beſchränkt 

ulgarien feine Revifionsforderungen auf 
ie an Rumänien gefallene Dobrudſcha unb 
auf die thraziſchen Grenzſtreifen Griechen⸗ 
lands, ohne daß von Mazedonien noch die 

ede wäre. Italiens zweiter Schritt war 


17 


ein Freundſchaftsabkommen mit 
Jugoſlawien, womit der lange Hader 


um das Adriatiſche Meer, die Fiumefrage 


und manches andere für immer begraben 
wurde. So konnte es nicht verwundern, daß 
auch die Eingliederung Albaniens in das 
wiedererſtandene römiſche Imperium ge⸗ 
rade in Belgrad ſehr ruhig aufgenommen 
wurde; man vertraute, und mit Recht, auf 
die Zuſicherungen, die Muſſolini gegeben 
hatte und jetzt wiederholte. 


Das Erſtaunen Weſteuropas war groß. 
Man hatte Belgrad, ebenſo wie Bukareſt, 
durch die Doppelmitgliedſchaft in Kleiner 
Entente und Balkanentente ſicher gebunden 
geglaubt. Nun erwies ſich das naturgemäß 
gegebene und entſprechend genußte aud 
wirtſchaftliche Anlehnungsbedürfnis an ben 
mitteleuropäiſchen Großwirtſchaftsraum als 
weit ſtärker denn jede Paktkonſtruktion. 
Somit verwies Rumänien zutreffend auf 


die Haltloſigkeit der Vorwürfe über dene 


„Treuloſigkeit gegenüber Bundes genoſſen“, 
als es beim Abſchluß des deni 


niſchen Wirtſchaftsvertrages betonte, ihm 
erſchienen die Methoden der Achſenmächte 
beffer und richtiger als die des Weſtens; 
Warenaustauſch, Ausbau der eigenen Pro⸗ 
duktion und Verrechnungsverkehr ſeien 
engliſch⸗franzöſiſchen Krediten vorzuziehen, 


deren Zinſen durch einſeitig feſtgelegte 
Ausfuhren herausgewirtſchaftet werden 
müßten. 


Englifche Gegenpolitit 

Jetzt glaubte London, nicht länger um: 
tätig bleiben zu dürfen; neben einſeitigen 
und unerbetenen Garantien für Rumänien 
und Griechenland ſollte vor allem der 
Türkenpakt die Waffe abgeben, mit der der 
Balkan verteidigt werden mußte. Dieſe 
Hoffnung iſt bereits jetzt fehlgeſchlagen. 


England und Frankreich verſprachen, auf 
un t 15 Sabre, Hilfe gegen Angriffe 
rember Mächte unb bei Verwicklungen in 
einen Mittelmeerkonflikt, während ntara 
bei Kriegen Englands und Frankreichs im 
öſtlichen Mittelmeer eingreifen muß und 
bei Konflikten, die ſich aus den Garantien 
ür Athen und Bukareſt ergeben könnten. 

ls vorläufige Belohnung trug die Türkei 
engl lie Anleihen und den Sandſchak Alex⸗ 
andrette davon, ein franzöſiſches Mandats⸗ 
gebiet (!). Die Engländer aber hatten viel 
weiter gehende Erwartungen. Nicht nur, daß 
Ankara für London abermals die Wacht an 
den Dardanellen gegen Rußland halten 
ſollte, nein, man erwartete, durch die tür⸗ 
tijden Verhandlungen in Moskau Sowjet- 


18 


rußland doch noch in bie weſtlichen Spekula⸗ 
tionen einbeziehen zu können. Dieſe Er⸗ 
wartung ſchlug fehl; man erreichte nur, 
daß die traditionelle greundfoaft nfara— 
Moskau einer kühlen Wachſamkeit Rußlands 


wich, und daran hat ſich auch durch das 
en nidts geändert, burd) bas 
ondon den Türkenpakt von vornherein 


weſentlich entwertete: Ankara darf einer 
Aktion fernbleiben, die einen Krieg mit 
der Sowjetunion heraufbeſchwören würde. 


Und weiter hatte man in Weſteuropa 
gehofft, auch Rom abermals dem Weiten 
nähern zu können, indem man Muſſolini 
anbot, zuſammen mit der Türkei die 
Führerſcha auf dem Balkan zu über: 
nehmen. Italien zeigte ſehr bald die kalte 
Schulter. Man habe nicht die Abſicht, weſt⸗ 
liche Einflüſſe auf dem Balkan mit ſolchen 
Mitteln zu ſtärken, ebenſowenig dadurch,. 
daß man einem Vorſchlag nähertrete, zu⸗ 
ſammen mit England un rankreich im 
Südoſten Europas ohne Zwiſchenſchaltung 
anderer Mächte gemeinſame Ziele zu er⸗ 
ſtreben. Als daraufhin Stimmen gegen 
Italien laut wurden, ein einſeitiges „Pa- 
tronat“ auf dem Balkan wolle man nicht 
dulden, 2 Rom bie Bilanz, der Weiten 
de Ze n feiner demokratiſch getarnten 

iBadtung Eee: Intereſſen rajh und 
ſchonungslos ſelbſt entlarvt. Die italieniſche 
Preſſe wies nach, daß Rom auch auf dem 
Balkan ſtark genug ſei, um ohne neue Block⸗ 
bildungen auszukommen, ſelbſt wenn dieſe 
als „neutral“ ausgegeben würden; Neu⸗ 
tralität alten Stils entſpreche 
nicht dem neuen Italien, das 
nach eigenem Ermeſſen, nach 
ſeinen Lebensintereſſen und 
nach dem Gebot der Stunde zu 
handeln wünſche; Wachſamkeit und 
ausreichende Rüſtung auf alle Rio 
entſprächen, wie bie ffung der Achſe 
zeige, den Grundſätzen faſchiſtiſcher Politik. 


Es lag nahe, engliſche Gegen⸗ 
maßnahmen zu erwarten. London hat 
als eines ſeiner Kriegsziele die Schaffun 
eines Staatenblocks zwiſchen Oſtſee un 
Donau unter Einbeziehung Ungarns, der 
Slowakei und Oſterreichs proklamiert, den 
Polen beherrſchen P da durch wurde ſelbſt 
Paris brüskiert. London hat Lord Lloyd, 
ehemals Oberkommiſſar in Agypten und 
Mitglied des Kronrats, nach dem Balkan 
entſandt, wo er „Kultur“⸗Propaganda bes 
treiben ſoll, namentlich in Rumänien, das 
durch den Krieg vorübergehend irritiert 
wurde, aber nicht zuletzt durch die auf eng⸗ 
liſche Anſtiftung zurückgehende Ermordung 


Es T burd) den Tiirfenpa 
e 


AuBenpolitische Notizen 


[eines ftreng neutralen Minifterpräfidenten 
Calinescu über feine wahren Feinde umb 
Freunde belehrt worden ijt, weiter in Sul 
Be das man mit egenſtandsloſen Ver⸗ 
prechungen auf die Dobrudſcha zu ködern 
hoffte. London bem "e in Jugoſlawien, 
das ſoeben feine Schiffahrt nach land 
hat einſtellen müſſen, um einen neuen 
Handelsvertrag und ſpart dabei nicht mit 
Verſprechungen. London wirbt eifrig um 
Griechenland und hat hier unlängſt ein 
engliſches Inſtitut eröffnet, das z B. durch 
Gratisunterricht im aan werben joll 
unb große Propagandaaufgaben hat. Lon: 
don aber hele vor allem mit der bolide: 
wiſtiſchen Gefahr, bie über dem ganzen 
Balkan laſte. 


Der Balkan gibt ſich feine eigenen Geſetze 
Italien hat i reagiert. 
t, die Antwort 

ine Albanienpolitik, nicht überraſcht 
ch bedroht 
igkeit durch 
riechenland, 


etzung Albaniens 
t Mo m Ber: 


auf 
worden, geſchweige, daß es 
115 weil Ankaras Aftionsfa 
ostau gelähmt wird. © 
das zuerſt durch bie B 
ve en mar, bat m 
ein 
noch engere Annäherun 
als ſie der inzwiſchen abgelaufene Vertrag 
von 1928 ſchuf; beide Länder haben 
ihre Truppen von den Grenzen zurüd 
geao en und find I De einge onen. „den 
eiſt der Freundſchaft und der Kooperation 
3 kunft Gele in der Erwartung, „in naher 


erwarten laſſen, 


ukunft Gelegenheit zu einer fonfreteren 
eſtaltung der Beziehungen im Intereſſe 
einer vertraulichen und fruchtbaren Zuſam⸗ 
menarbeit“ zu finden. Dadurch iſt die italie⸗ 
Kär Stellung auf dem Baltan weiter 
ge eftigt worden, und Athen hat zugleich 
eine Rückendeckung gegen etwaige Verpflich⸗ 
tungen aus der formell noch immer gelten⸗ 
den Balkanentente gewonnen, die jedo 
praktiſch faſt völlig entwertet worden iſt, 
weil die Türkei die vereinbarte Neutralität 
aufgegeben hat. Unnötig dürfte es ſein, 
nachzuweiſen, daß Roms Beziehungen 
zu Belgrad und Sofia unver: 
ändert gut geblieben find und forglid 
weiter gepflegt werden. 

Auch die ruſſiſche Karte ſticht im eng⸗ 
liſchen Balkanſpiel nicht mehr. Moskau 
erſcheint im Südoſten wie an der Donau 
keineswegs mehr als „Aggreſſor“, ſeitdem 
es an der vereinbarten Linie im bisher 
olniſchen Raum ſtehengeblieben iſt und 
ede weitere politiſche oder territoriale 
Expanſion in dieſer Richtung ausdrücklich 
abgeſtritten hat. Molotow hat dafür die 


. getroffen, die eine | 


| 


Kleine Beiträge 19 


t der Londoner Politik auch auf bem 
alkan ſchonungslos aufgedeckt und ver⸗ 

chert oskau wünſche durchaus 

ie Konſolidierung im Umkreiſe 
um das Schwarze Meer. Rußland hat 
gegenuber Rumänien das beſſarabiſche Pro: 
lem als nicht aktuell bezeichnet und im 
Verhältnis zu Ungarn, dem neuen Grenz⸗ 
nachbarn, unterſtrichen, e gäbe feine 
Gegenſätze, ſondern nur Dögtid eiten enger 
wirtſchaftlicher Zuſammenarbeit. Moskaus 
Politik gegenüber dem Balkan beſchränkt 
ſich in der Hauptſache auf die Fernhaltung 
Englands von den Dardanellen, wo es ſich 
eine neue Operationsbaſis zu ſchaffen hofft, 


und ſie geht darin durchaus mit den italie⸗ 
gen ünſchen parallel. Aber nicht nur 
arin: 


Beide Länder wollen Frieden auf dem 
Balkan, nicht aber die Entſtehung gefähr⸗ 
licher neuer M Italien will darüber 
hinaus im ittelmeer aus der undank⸗ 
baren Rolle des Juniorpartners heraus 
und weſteuropäiſche Vormachtsanſprüche auf 
ein SE Maß zurückſchrauben, woran 
der Sowjetunion ebenfalls nur liegen kann, 


für die die Dardanellen ein altes Lebens⸗ 
Pm find. Und wenn Rom auf bem 
alfan verhindern will, daß die chaotiſchen 
e der Pakte ſeit 1919 wiederkehren, 
egegnet es ſich darin überdies mit den 
deutſchen Abſichten. Wir haben auf dem 
Balkan keine vitalen politiſchen Intereſſen 
wie vor Jahrzehnten in der „Berlin Dog: 
dad“⸗Ara, ſondern wir wollen dort nur 
wichtige wirtſchaftliche Intereſſen und 
natürliche Ergänzungsmöglichkeiten behaup⸗ 
ten und ausbauen, die heute mehr denn je 
entſcheidende Bedeutung gewonnen haben. 


Was Italien M bem Baltan 
zur weiteren Befriedung bes 
Südoftens unternimmt, liegt 
aud im wohlverſtan denen Ins 
tereſſe des Reichs, weil jeder feiner 
Schritte engliſchen Kriegsintereſſen wirkſam 
begegnet, Und fo hat auch ber Türkenpakt 
bie Achſe nicht geſprengt, wie feine Urheber 
it de ſondern gefeftigt; führt er zu fon: 
litten, ruft er notwendig Italien auf ben 
Plan. London hat ſein Spiel auf dem 
Balkan verloren. 
Fritz Zietlow. 


Kleine Beitrage 


Moderne italienische Baukunst 


Während jenſeits der Alpen die Erneue⸗ 
rung in der Architektur ſchon im Nachkriegs⸗ 
jahrzehnt 1920—1930 durchgriff, go es bas 
mals in Italien nur einige fühne Vorläufer, 
die meiſt ber futuriſtiſchen Richtung an: 
gehörten und erregte Auseinanderſetzungen 
entfeſſelten, ohne ſich doch durchſetzen zu 
können. Herrſchend blieb eine gemä ipie 
neuklaſſiſche Richtung, bie auf bet bewährten 
italieniſchen Tradition fußte. Diefer Bau: 
ftil entſpricht dem italieniſchen Klima und 
den eingewurzelten Lebensgewohnheiten des 
Volkes, die in Italien keine ſo große Um⸗ 


wälzung erfahren haben wie in den nor⸗ 
diſchen Ländern, da hier die Induſtrialiſie⸗ 
rung und Verſtädterung geringer blieb. 


Trotzdem athe aud er Wandlungen, und 
zwar etwa feit bem Jahre 1928 unter dem 
Drude der „idea moderna integrale“, einer 
radikalen modernen Richtung, bie lid in 
Norditalien durchzuſetzen begann. Sie war 
angeregt vom Norden, aber es zeigte ſich 


bald, daß deſſen exakte Nüchternheit der 
italieniſchen Weſensart nicht entſprach. Die 
neue rationaliſtiſche Richtung übernahm 
vom traditionellen italieniſ Bauſtil 
Elemente des Gleichgewichts, der konſtruk⸗ 
tiven Logik, der n und Rube. Die 
traditionelle akademiſche Ridtung verſchloß 
ſich ihrerſeits nicht den Anregungen der 
Moderne, ſo daß man von einer Verſchmel⸗ 
zung der beiden Richtungen ſprechen kann, 
aus der der moderne italieniſche Bauſtil 
erwächſt, der ſich von der modernen Bau⸗ 
kunſt anderer Länder ſelbſtändig zu unter⸗ 
ſcheiden beginnt. 

Einen gewiſſen klaſſiſchen 
Rhythmus atmen die großen 
repräſentativen Bauten e 5 
letzten Jahrzehnts, ob ſie nun klaſſi⸗ 
ſche Bauelemente haben, wie das Luftfahrt⸗ 
miniſterium und Muſſolini⸗Forum in 

om, oder nicht, wie das Korporations⸗ 
ministerium oder die Gebäude der Univerſi⸗ 
tätsſtadt in Rom. Bei Bauten, die nicht nur 
monumental, ſondern zweckbedingt ſind, oder 


20 Kieine Beiträge 


bei Eiſenbetonkonſtruktionen meiden Rom: 
pofition und SC oft vom Hergebrach⸗ 
ten ab, und es entſtehen ſo originelle Schöp⸗ 
fungen wie der Bahnhof in Florenz, die 
Hauptpoſt in Neapel, das Technikum in 
Bologna. 

Die rationaliſtiſche Richtung kommt 
naturgemäß beſonders beim Bau von aus⸗ 
geſprochen neuzeitlichen oder techniſchen 
Anlagen zur Geltung, wie Fabriken (3. B. 
die der Fiat in Turin), Flughäfen, 
Garagen, Stadien, Schwimmbäder, Aus⸗ 
ſtellungsgebäude, Kaſernen, Kinos und der⸗ 
gleichen. Hier findet ſich noch bisweilen 
neben der Verherrlichung abſtrakter geo⸗ 
metriſcher Formen eine Umkehrung des 
normalen ſtatiſchen Gefühls und bes äſthe⸗ 
tijden Empfindens. Die äußere Gdmud: 
a feit aber wird oft durch Verwendung 
fojtbaren und originellen Materials aus: 

lichen, verſchiedener Marmorjorten und 
etalle, Glas, Spiegel und anderer Kunſt⸗ 
Bee Für Wohnhäuſer wurden derartige 
erſuche als unzweckmäßig bald abgelehnt, 
und man kehrte zu einer mehr oder weniger 
traditionellen Bauart zurück. So ſind, um 
nur ein Beiſpiel zu nennen, die modernen 
niedrigen und breiten Fenſter im ſüdlichen 
Klima durchaus unangebracht. Auch einige 
Verſuche mit Hochhäuſern und turmartigen 
Rundbauten blieben bisher ohne Nachfolge. 


In den letzten Jahren hat der faſchiſtiſche 
Staat der italieniſchen Baukunſt große Auf⸗ 
gaben und damit Anregungen gegeben durch 
die N e n Ton Dot: 
Banbener Städte unb bie Gründungen von 
Siedlungszentren in den urbar 
pedcs ebieten Italiens unb Libyens. 

azu kommen in ſteigendem Maße Baus 
aufträge für Italieniſch⸗Oſtafrika. Der Bau 
der Siedlungszentren in den ehemaligen 
Pontiniſchen Sümpfen Littoria, Sa⸗ 
baudia, Pontinia, Aprilia und 

omezia wurde Gruppen von jungen 
rchitekten anvertraut, die als Sieger aus 
den betreffenden Wettbewerben hervor⸗ 
gingen. Dieſe Zentren beſtehen aus einer 
ruppe von öffentlichen Gebäuden, die 
einen freien Platz einſchließen, und ſind in 
weitem Umkreis von Hunderten von 
Bauerngehöften umgeben, die nach einem 
beſonders praktiſchen und harmoniſchen Ein⸗ 
eitsſchema erbaut ſind. Es hat ſich eine Art 
ändliche Architektur für dieſe Zentren 
durchgeſetzt, die ſich gut in die Landſchaſt 
einfügt. Die Marktplätze ſind meiſt von den 
traditionellen Bogengängen umgeben, die 
Schutz gegen Sonne und Regen bieten. 


Eine Ausnahme macht die RE 
post Guidonia bei Tivoli, bie von 

m „Istituto per le Case Popolari“ erbaut 
worden ijt, bas die modernen Mietsblöcke in 
den Großitädten baut. Da diefe (Gründung 
der Fliegerei, alfo neuzeitlicher Technik, zu 
dienen hat, fo hat fie keinen ländlichen, jon: 
dern einen durchaus ſtädtiſchen Charakter, 
ür den der Italiener auch ſonſt eine emi 

orliebe hat. Die Gebäude find nüchtern, 
zweckentſprechend, WE it bem Gire: 
ben nach wirtſchaftlicher Autarkie hängt bie 
immer e KE Verwendung des ein: 
omues aditeins an Stelle von Gijen: 

ton zuſammen, was farblich ſehr [don 
wirkſam ijt. 


Eine ſehr geſunde und ſelbſtändige Ent⸗ 
wicklung nab der moderne italieniſche 
Kolonialſtil in Libyen, Abeffinien und 
auf Rhodos. Selbſt in den entfernteiten 
Daler fann man bereits Hotels, Schulen, 
Faſciohäuſer u. a. in dieſem Stil antreffen, 
der Motive der örtlichen arabiſchen Bauart 
mit Geſchick zu verwerten weiß. Für die um⸗ 
faſſenden Siedlungen in Libyen, das DE 
Werk Marſchall Balbos, hat man ſich die 
Erfahrungen aus den Neuſiedlungen in 
Italien ſelbſt zunutze gemacht, nur der 
Typus ber Bauerngehöfte und der Zentren 
wurde natürlich den afrikaniſchen Gegeben⸗ 
heiten angepaßt. Dieſe Zentren bei Tri⸗ 
polis, Miſurata und in ber Cyre: 
naica ſind mit großem Aufwand an Geld, 
Material und Arbeitskraft hergeſtellt wor⸗ 
den, und es ijt ein unvergeßlicher Eindruck, 
die weißen Gebäude und Türme, dieſe 
Wahrzeichen italieniſchen Pioniergeiſtes, 
von weitem wie eine Fata Morgana am 
Rande der Wüſte aufragen zu ſehen. 
A. Dehio, Rom. 


Vom gegenwärtigen Musikleben 
in Italien 


„In Italien“, fagen die Ausländer, „finge 
man ſchon in der Wiege, und von da ab 
immer und überall!“ Das iſt nun wohl 
übertrieben, aber daß die Muſik bei uns 
eine ſelbſtverſtändliche Ausdrucksform des 
Weſens ift, gilt. Der Fremde, der unler 
Land beſucht, fühlt ſofort, wie ſehr Land⸗ 
ſchaft und Klima in ihrem harmoniſchen 
Sure die Geele ee und fie 
bet Muſik öffnen. Gs ift on 0, dak bit 
Muſik für den einzelnen Italiener ſowohl 
wie für das ganze Volk eine Bedeutung hat, 
die umfaſſender iſt als das bloße Vergnügen 
oder das akademiſche Studium; man könnte 


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Giannino Marchig 


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Alices 1. 
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Italo Griselli: Bildnis des Silvano 


Kleine Beiträge 21 


fie mit „ſozial“ bezeichnen. Der Straßen: 
händler, der von einer Straße zur andern 
zieht, bietet feine Ware fingend an, jeder 
hat dabei ein eigenes und charakteriſtiſches 
muſikaliſches Motiv, an dem man ihn fofort 
aus vielen anderen herauskennt. Und der 
gene muſikaliſche Rhythmus begleitet die 

ewegungen des abruzziſchen Schmiedes, 
wenn er auf ſeinem Amboß das Eiſen be⸗ 
arbeitet, und den venezianiſchen „gondoliere“, 
der mit ſtarkem Arm ſeine Gondel vorwärts⸗ 
treibt. pede. ift bie italieniſche Sprache — 
jo teich an offenen, klangreichen Vokalen — 
don an fic) eine Muſik, die das Ohr ers 
quickt. Wer aufs Land geht oder durch die 
entlegeneren Straßen der Stadt und die 
Mundart der Bauern und kleinen Leute 
vernimmt, hört in ihren Unterhaltungen 
und Ausrufen eine angeborene nase ie 
mehr ift als bloß der dort übliche ent 
und wie eine muſikaliſche Tonfolge aus 
Pauſen, Tonhebungen und Tonſenkungen 
gebildet wird. Und entſprechend dieſem 
muſikaliſchen Urſinn hat iſt in der Luft“ 
ſagen die Italiener) hat Italien auch eine 
reiche mufikaliſche Tradition. Sie war früher 

runghaft und nur aus natürlicher Kraft 
erporquellenb, heute dagegen wird fie 
wirkſam m ge und geleitet durch bie 
1 flege des faſchiſtiſchen Re⸗ 


mes. 


Die Hausmuſik allerdings, im Sinne 
Deutſchlands, wird beinah gar nicht ge⸗ 
flegt. Auch d der Chorgeſang bei uns 
aft immer ein immig, das find die beiden 
wichtigſten Unterſchiede der Praxis zwiſchen 
Deutſchland und Italien. Schon in den 
unterſten Klaſſen der Grundſchule wird das 
Kind an Diſziplin gewöhnt, und zwar gerade, 
ohne es zu merken, beim Shorgelang mit 
den Kameraden. Von dieſer Stufe, bte die 
Grundform muſikaliſcher Kultur EE 
die alle italieniſchen Kinder beſitzen, ſteigt 
man auf zu dem befonderen Unterricht in 
den eigentlichen Mu 1 8 (genannt Mu⸗ 
fikaliſche Lyzeen, Konſervatorien) oder im 
„Kulturunterricht“ in allen anderen ſtaat⸗ 
lichen Mittelſchulen. In ſämtlichen Schul⸗ 
arten veranſtaltet man regelmapige Ron- 
zerte und ſogenannte „muſikaliſche Medail⸗ 
lons“ (Unterrichtsſtunden, die einem be⸗ 
immten Komponiſten gewidmet ſind), 
urch die die Jugend in eine immer enger 
werdende Verbindung mit unſerer ruhm⸗ 
reichen klaſſiſchen Muſik hineinwächſt. 


Zur Krönung der Studien nehmen die 
faſchiſtiſchen Studentengruppen jedes Jahr 
gemeinſam teil an den ſehr wichtigen 


„Littoriali della cultura e dell'arte" durch 


Wettbewerbe, die von der Kompoſition bis 
zur Ausführung von Sp a ris teichen, 
vom Chorgeſang E. Muſikgeſchichte und 
Muſikkritik. So wird die lernende italie⸗ 
niſche Jugend vom 6. bis 17. Lebensjahr 
und weiter auf der Univerſität nicht nur 
erzogen und herangebildet, ſondern auch zur 
perjonliden Initiative angefeuert. 


Alles das würde nicht genügen wenn man 
nicht die große Leiſtung des Dopolavoro 
(O. N. D.) einbezöge. Eine wichtige "nie 
tiative des Dopolavoro war die Einrichtung 
eines fahrenden Theaters und die des Thea⸗ 
ter⸗Samstags. Samstags beſuchen die Ar⸗ 
beiter, ee des Dopolavoro, Bors 
perunan, die eigens für fie gegeben wers 
en. In den Sommermonaten übernimmt 
bas „Theater der Maſſen“ diefe Aufgabe: 
Die Freiluftbühnen zwiſchen den Mauern 
der alten römiſchen löſſer (z. B. das 
Caſtello Sforzesco in Mailand), die ges 
waltigen Arenen und Thermen aus alter 
römiſcher Zeit füllen ſich mit einer dichten 
und begeiſterten Menge, die die berühmte⸗ 
ſten AA UNE mit ausgezeichneten 
Enſembles anhört. Und mehr als ein bes 
rühmter Sänger iſt gerade hierbei „ent⸗ 
deckt“ worden. 


Selbſtverſtändlich gibt es auch zahlreiche 
ſinfoniſche Orcheſter, Kammermuſik⸗Orche⸗ 
ſter, inſtrumentale Gruppen u. a. Und das 
Publikum drängt ſich zu dieſen Konzerten 
ebenſo wie zu den verſchiedenen Konzert⸗ 
orcheſtern der Dopolavoro-Rapellen, die 
unſeren Städten ein ſo charakteriſtiſches 
und feſtliches muſikaliſches Gepräge geben. 
Unter Auswahl der Beſten veranſtaltet 
man periodiſch „concertoni“ — große fons 
zerte unter Leitung berühmter Meiſter wie 

ascagni, i u. a. Das iſt dann 
ein wahres Volksfeſt: Choriſten und Orche⸗ 

ermitglieder ſind in den alten Trachten 
ihres Landes erſchienen und laſſen i bie 
alten Traditionen in einem Kreis vo 
tetfeit und Freude neu erftehen. Zur Pflege 
der leichten und volkstümlichen Muſik aber 
wird jedes Jahr das berühmte Feſt des 
napolitaniſchen Volksliedes (Piedigrotta) 
mit neuem ann gefeiert, nachdem man es 
von ber bürgerlichen Übertünchung befreit 
hat. Es werden Wettbewerbe für Lieder 
und Sänger ausgeſchrieben und dazu haben 
ſich ganze Gruppen gebildet: Die Okarina⸗ 
Spieler von Budrio, die Gebirglerinnen 
(Montanine di Parre), die „Maggiolate 
von Ortona am Meer“, die „Kleinen Sän⸗ 
ger der Romagna“. 


22 Kleine Beiträge 


Schließlich aber werden das Radio im 
Schulunterricht und die Werkskonzerte im 
Betrieb eingeſetzt, und alles dient gleicher⸗ 
maßen der Stärkung des muſikaliſchen Lebens. 

L. Nediani. 


Förderung des talienischen Kunst- 
schaffens durch den Staat 


„Im 55 Ne Italien muß man den Mut 
en, das Kunſtproblem als ein Problem 
des Handelns ads its — des künſtleriſchen 
Handelns ſelbſtverſtändlich — und nicht als 
eine trockene intellektuelle Kriſis; deshalb 
tut es not, daß die Künſtler ihre ganze 
Energie und den angeſpannten Willen des 
lebe gen und hiſtoriſch bewußten Menſchen 
in ihre Arbeit legen; ihre ganze dramatiſche 
Spannung, ihre ganze Freude, denn Span⸗ 
nun a find gleichermaßen Leben.“ 
So ſchrieb kürzlich der Erziehungsminiſter 
Bottai in der Zeitſchrift für Kunſt und Lite⸗ 
ratur „Anſedonia“. Damit ijt Weſentliches 
ee an E 25 „ang Staa⸗ 
es zum Kunſtſchaffen überhaupt geſagt wor⸗ 
den. In dieſem Sinne d anch ole örde⸗ 
rung jeglichen Kunſtſchaffens durch den 
Staat betrieben. Der Staat ſucht weniger 
einen direkten Einfluß auf die Ausdrudsart 
des Künſtlers auszuüben, als ihn vielmehr 
in ſeinem Schaffensdrang anzuregen. Dieſe 
vitalen Ströme alsdann zu vereinheitlichen 
und über das ganze Land gerecht zu ver⸗ 
teilen, betrachtet er als ſeine zweite Auf⸗ 


herauszubringen, bas die Ausleihu 
niſcher antiker Kunſtwerke an ausländiſche 


Film beitehen im Miniſterium 
ultur beſondere Abteilu : 
men 
onf. 


rofessionisti ob, deren at Vë 
Mits 
Arti 


aber verkörpert im italienischen Kunſtleben 
das hierarchiſche Prinzip. 


Wie wirkt ſich nun die ſtaatliche Förde⸗ 
rung praktiſch aus? Da gibt es auf dem 
Gebiet der Literatur zahlreiche Wett⸗ 
bewerbe, teils private, teils ſtädtiſche 
Stiftungen mit ſtaatlichen Subventio⸗ 
nen. Um nur einige zu nennen: Premio 
San Nemo, Viareggio, a bi Lucca, 
Riccione, t di Napoli, ia u. a. m. 
Miniſter Alfie ri erließ vor kurzem ein 
Geſetz, das dieſes bunte Durcheinander ört⸗ 
lich, zeitlich und thematiſch zuſammenfaßte. 
Ferner ſtiftete er einen Şilmpreis von 
100 000 Lire und förderte bie italieniſchen 
Theaterautoren durch eine lebhafte Propa: 
ganda für die „Autarkie des Theaterpro⸗ 


pomm Die bildenden Künfte erfahren 
hre Förderung außer durch bie unter 
ſtaatlichem Patronat ſtehenden 


regelmäßig itattfinbenben Aus: 
br llungen, z. B. Quadriennale in Rom, 

iennale in Venedig uſw., bei denen ein 
großer Teil der Werke von Staatsſtellen er⸗ 
worben wird, durch lokale Wettbewerbe. 
Wie groß das Intereſſe des Duce beiſpiels⸗ 
weiſe für den Premio Cremona iſt, 


brachte eine für das ſichere 
ormgefühl typiſche Fülle von 
usdrucksſtudien vor dem Laut⸗ 
ſprecher horchender Menſchen. Das Thema 
für 1940 iſt: „La battaglia del grano“ (die 
Getreideſchlacht). 

Einer Muſikpropaganda ſeitens bes Staa» 
tes bedarf es bei der großen Mufikalität des 
italieniſchen Volkes weniger als nur einer 

eregelten Verteilung quali⸗ 
[isierter Aufführungen. Auf 
: on perſönliche Initiative hin wurde 
im Vorjahr zum erſtenmal durch das Volls⸗ 
kulturminiſterium, den Parteiſekretär und 
den Präſidenten des Dopolavoro der E.M.L 
(Estate musicale italiana — italieni: 
ſcher Muſikſommer) organifiert. Mi 
niſter Alfieri berichtete dem Duce am 
22. September 1939 voll Stolz das Ergebnis 
dieſes Sommers: 1004 Freilicht⸗Aufführun⸗ 

en erfreuten 2% Millionen Zuſchauer, dazu 

mmen 454 Veranſtaltungen des ſeit if n 
Jahren beſtehenden Wandertheaters. t 
Diele saul Oh bro si können bei befter künſt⸗ 
leriſcher sung, ihre Eintrittspreiſe auj 
durchſchnittlich 5 Lire ſenken. Daneben be⸗ 
„eben örtliche Muſikwochen, wie ber welt 
bekannte aggio fiorentino in 
Florenz und neuerdings in Siena eine Ber 
anſtaltungsfolge, die privater Initiative 
und dem Protektorat des Volkskultur⸗ 


Neue Bücher 


minifteriums zu verdanken ift, bie Setti- 
mana Vivaldiana, der des 
alten Meiſters Vivaldi gewidmet. 

Durch dieſe großzügige Verbreitungsaktion 
verwirklicht 75 ita ieniſche Staat auch für 


die Kunſt den G :andare vers o 

il popolo (ben d zur Volksgemein⸗ 

ſchaft gehen). von Graefe. 
Italiens Frau in Anmut und 


Disziplin 

„Die Italienerin meidet auch heute noch 
die Offentlichkeit. Daran wird fid wohl in 
abſehbarer Zeit nichts Weſentliches 1 
vor allem nicht in Süditalien. Das liegt in 

t Tradition, im Weſen der Italienerin, 
ine Klima und Ble zuletzt im Weſen des 
italieniſchen Mannes begründet.“ Eine 
. Italiens ſchrieb das, und mit Recht. 
Auch den Beruf ergreift die Italienerin 
nicht aus Drang zum fen und perſön⸗ 
lichen Leben wie die Nordländerin, ſondern 
nur wenn und weil die eigene Lage und die 
des Vaterlandes es . Viele Frauen 
ſind Lehrerinnen und erfüllen damit wich⸗ 
tigſte Aufgaben; viele ſtudieren, ohne doch 
immer in den Beruf gehen; viele — mehr 
als 100 000 — machten die vorkolonialen 
Kurſe mit, die in Italien oder Libyen ab⸗ 
gehalten werden; unzählige treiben Sport; 
die fascifemminile (Frauenor ni» 
führen 6,5 Millionen Frauen umfaſſe 
ühren in großzügiger rt die Bu Be: 
treuung durch, die weibliche ugenb iit 
formiert als CH ber Wölfin“, „Kleine 


Italienerinnen“, Jungitalienerinnen und 
Jun chiſtinnen. Alle Ordnung dient der 
Straffu fü ng und dem gerechten Einſatz, nichts 
aber führt zu irgendeiner Vermännlichung 
oder zur Sprengung der Damen es die 
a die e spat der italieniſchen Gemein⸗ 
chaftsformen bilde 

Das . Zechen dieſer heutigen Weib⸗ 


lichkeit i Frauenakademie in 
der Ber . in der die Führe⸗ 
rinnen der weiblichen Littorenju die 


Sportlehrerinnen der Mittelſchulen oder der 
örtlichen Faſci und des Dopolavoro aus: 
bildet werden. Dort leben die Mädels in 
raffer Unterrichtsfolge; rhythmiſche Plaids un 
naſtik und Sport nehmen den 
nicht aber den einzigen ein und KEE 
bie eingeborene ſüdländiſche Grazie, bas 
Schönheitgefühl, alle italienife Runit 
pragte, jener Vollendung, die in vielen 
fent lige en Veranſtaltungen dann zum Vors 
[b wird. Keinerlei „Tanzabende“ vereinen 
die . femminile und die benach⸗ 
barte Offiziersakademie; hier ſchreiben 
Klima und Temperament andere Sitten vor 
als bei uns. Aber die Mädels in den ſchwarz⸗ 
weißen der [hie] um mit bem kühn⸗ 
gel nittenen, ſchief um T en weißen 


ragen oder Us 5 t der weiten 
kurzen Hoſe u en mi Bs Sweater 
KC nicht Wee Em aus, fie 
nb gang und gar bie a rung jener 
reien und ſprühenden Grazie Un⸗ 


befangenheit, die wir ſo lieben und die durch 
die kräftige und willensſtarke Dif 12 5 des 
Faſchismus von neuem zur ſchönſten Ents 
wicklung kam. O. St. 


Reue Bucher 


Die Staats⸗ und Wietſchaſtsserſa 
Es iſt nicht nur nützlich, ſondern au 
wir uns mehr als bisher mit den w dnm Grund: 
lagen des italieniſchen Staats: und Wirtſchaftsauf⸗ 
baus vertraut machen, der ſo viele Vergleiche mit der 
in tena toatl die prr uo mung anregt, und bod 
tg klar davon unter[d eden if. 
PH bisher 4 755 an einem größeren Werte dieſer 
an’ gefehlt nun un bie Aufgabe das Buch von 
el Muf Vollweile („Der Staats und Wirt: 
chaftsaufbau im faſchiſtiſchen Italien, mit einem An- 
ng über die wichtigſten rundgeſetze des faſchiſtiſchen 
taats: und Wirtſchaftsaufbaus im italieniſchen Wort⸗ 
laut und in deutſcher Überſetzung“. Verlag Konrad 
Sud, Würzburg⸗Aumüühle), 
Im Rahmen elner ausführlichen Darftellung der 
faſchiſtiſchen Staats verfaſſung zeigt Vollweiler 


{tsverfafjung Italiens 
die daB 


bie riede eh SE des italieniſchen Köni s, 
= Ce der italtenifhen Ce ele a 
Geſetzgebung, di tung J e Gewalt, die Mä DE 
und Kommunalverfaflun taliens u.a. auf. 
vollſtändig werden die 
die im Korpo⸗ 
Die ttalienſſche 
irt ZG flange ik en 
C en, bie nad i 
Tyeugungsgu ame 
nba Ifo im 1 A a: 
(ett ` erqani{tert e De Auge 
Aung ähnelt der des Rei sud titandes, während die 
Gier ber ran teller Deutſchlands 
tärker davon abweicht. Das italieniſche Berufs 
eben iſt in der eee E E 
geordnet; während innerhalb der Betriebsgemein- 


rat dines und 


24 Neue Bücher 


ften der Deutſchen Arbeitsfront Arbeitgeber und 

rbeitnehmer organiſatoriſch vereinigt find, werden in 
Italien in den insgeſamt 1116 Berufsverbänden Ur 
beitgeber und Arbeitnehmer getrennt erfaßt. In 
Deutihland gibt es nur noch Arbeitsbeauftragte, in 
Italien fällt die Trennung etit in den über den Be: 
tu[sperbánben wenn torporationen fort, dabei 
find hier im Gegenſatz zu Deutſchland die Kollettiv- 
arbeitsperträge und das i von großer 
ne. Vollweiler gibt darüber genauen Auf 
oh ebenſo über die Arbeitsgerichtsbarkeit, die 

ozialverſicheru 
erfreulich iſt, daß in eine nhang die einſchlägigen 
EUM A m italieniſchen Wortlaut und in deutſcher 
über chung wiedergegeben find. 

So bas Bud eine ausgezeichnete Wée e 
Orientierung und ift ber Ausgangspunkt für alle eins 
gehenden Einzelfragen. A. W Schüttauf, Berlin. 


Sicher über das neue Italien 


Von ben römiſchen faijern bis zum Duce, vom Auf⸗ 
bau des Legion dd bis zum Feldzug in Abeſſinien 
childert Anton Maher (Imperium⸗Faſchismus: „Une 
erbliches Rom“, Buchhandlung des Waiſenhauſes 

maß, Halle» Berlin) die Geſchichte der römiſchen 
Staatsidee. Er verſteht es, die Entwicklung zu 
analofieren und in ihren geiſtigen Vorausſetzungen 
klarzulegen. So kommt er — im Gegenſatz zu vielen 
einſeitiger eingeſtellten Italien⸗Hiſtoriographen — auch 
zu einer gerechteren Würdigung der Jahrhunderte, die 
„zwiſchen den Imperien“ liegen, die ces Renal de⸗ 
deutungslos die aber das Zeitalter ber Renaiſſance 
bzw. bes Katholizismus geweſen find. Wieder war 

m, als Hauptitadt eines Glaubens und als Haupt: 
ſtadt der Kunſt, Mittelpunkt eines „Imperiums“ ge⸗ 
worden; und erſt mit der Reformation und dem 
Niedergang des Barock als letztem mittelalterlichem 
Kunſtſtil begann jener Niedergang aller Weltbedeu ; 
tung, den der Faſchismus kulhe und aus dem er 
unter ber Führung Muſſolinis Italien nun wieder 
an die Tradition der eren Roma anſchloß. 

Gibt Anton Mayer einen hiſtoriſchen Grundriß der 
SGeſchichte Italiens, fo malt Nikolas Bendifer 
„Das Dritte Rom“, Frankfurt a. M., Societäts⸗Ver⸗ 
ag) das Antlitz der Ewigen Stadt. Daten, geiſtige 
Linien werden nur e aufgezeichnet; die Im⸗ 
preffion herrſcht vor Benckiſer ſchaut die Stadt, und 
er erzählt dem Leſer, was dieſe Stadt ihm erzählte. 
Nicht mehr — aber auch nicht weniger! So erſchließen 
ſich Kaiſerreich, Papſttum, faſchiſtiſches Rom durch das, 
was fie ſichtbar auf dem Boden der Sieben⸗Hügel⸗ 
Stadt geſchaffen haben. Kein Werk, das den uner- 
fahrenen Leſer nun zum Italienkenner machte — aber 
ein Buch, das den Italienfreund durch ſeine Wärme 
und die zärtliche Liebe zu Nom erfreut. 

Das umfangreiche Buch von ert Buchheit 

„Muſſolini und das neue Italien“, Paul Neff erlag, 

erlin) geht nach einem kurzen Überblick über das Alte 
Rom foglei an das Problem des Faſchismus, bas Bud» 

it in außerordentliher und dazu auch anmutiget 
ründlichkeit Are Der wirtſchaftliche Aufbau des 
faſchiſtiſchen Impetiums, die Ordnung der Partei, die 


und die ſoziale AN Belonders - 
m 


Gliederung bes Ctaates, bie politiſchen Probleme — af 
dies wird in einer tatſächlich ausreichenden und gut ge 
ormten Darftellung gebracht. Der kundige Italics: 
reund wird beſonders beet in den Kapiteln, die 
m Ende des neunzehnten hrhunderts die geiſtige 
Lage zeichnen, aus der Muſſolini entſtammt, Sie et 
überwand, der er aber doch in vielem auch verpflichtet 
war. Schade, daß dem Buch ein notwenbiges Regie 
der Namen und Sachen fehlt, wie bann aud) als 
abe eine Aunmoztartige Chronik ber widtighes Daten 
in allen Italien⸗Werlen nem) hier erwünscht 
wäre. ans Erne. 


Aberſetzungen ſchöner Literatur 

Es pibt bei uns ein paar Überfegungen ah 
Erzähler, gerade genug, um das eigene Weſen drejer 
Dichtung erfaſſen zu konnen. ba tft z. B. das kleine 
Buch „Frühdämme rung“ (Brudmann- Verlag. München) 
von der Trägerin des Lyrikpreiſes, Ada Negri, die 
1870 als Arbeiterkind geboren wurde, alſo der Zeit 
der ſozialen B en angehört, ig 
aber durch alle Not zum Mut der Mor er GT des 
jungen Tages, „leben, leben, bereit fein“ entidetdet. 
Muſſolinf ſchrieb dazu 1921 eine Kritit, im der es 
eißt: „bedeutet Poeſie Ergriffenheit oon einer inneren 
iſton, dann ift dies letzte Buch der Ada Negti ein 
Delon Buch, eine Dichtung... Eine 9üdtebr g 
Weſentlichen ohne Aufwand an Beiwerk“. In dem Bud 
des viel jüngeren Fabio Tombart „Die Leute von 


SCH aglia“ (Brudmann-Berlag München) tritt die 
erbindung von H abgeriſſener Art und 
atter und faftiger, fer 


n mit unbändig 
iger Lebensfülle, die fo ob für Italiens neuere 
tung tit, nod weit ſtärker hervor. Es find Chrosil: 
blätter einer Kleinſtadt an der Adria, überihülfig in 
Kraft und ſchweifender Phantaſte, leidend an der harten 
Doppelpoligteit aller Dinge, aber nie rein KE 
wirkend. Cin Roman in unferem Ginn perjönlider 
Entwicklungsdarſtellung allerdings iR höchſtens der 
von Bianca de af 800 e t Lom 
bardei“ (Verlag Köſel & Puſtet); es iſt die air inde 
einer harten Frau des [próben lombardiſchen Berg 
landes, die das Wohlergehen ihrer milie GON 
will, dabei aber doch ein hütendes Führen mit fe gé 
EE Herrſchen verwechſelt, Herz und Li 
und die Blüte ihres . zerſtört, nur Achtung 
vor ihrer Arbeitsleiſtung er t: es if wieder feum 
GES bab bie grauſame Spröde bes Gel 
urch die Einbettung in die Fülle bes ſüdlichen Le 
te gedämpft ift, daß ber Lefer niemals verletzt wind! 
ine Sammlung „JItalieniſche Gedigte”, 
ein Durchſchnitt vom ir ita. Peran durch Kunſt⸗ und 
Volksdichtung, erſchien im Rauch Verlag. befonders 
ut, weil jeweils der italieniſche neben dem denti 
ext ſteht, fo daß jeder, der ein wenig Kenntnis hat. 
an der reichen tönenden Fülle der Ursprache ermeſſen 
kann, mie ſehr unwägbare Werte und Wirkſamkeiten 
da mitſchwingen und ein Gewicht geben, das in der 
überfe ung notwendig oerblafien muB. Dennoch lommt 
der lebendige Klang der italieniſchen pore iea 
gmpfinbungsmäßigen Itbetradtung auch fo nod den 
deutſchen Lefer nahe O. St. 


Hauptschriftleiter: Günter Kauf mann (z. Zt. b. d. Wehrmacht). 


Verantwortlich für den Geſamtinhalt: Wilhelm Utermann. Anſchrift der Schriftleitung: Reichsjugendführung. 
Berlin W35, Kurfürſtenſtraße 53. Fernſprecher 22 90 91. — Verlag Franz Eher Nachſ. G. m. b. H., Zentralverlag 
ber NSDAP., Berlin SM 68, Zimmerſtraße 87—91. Poſtſcheckkonto: Berlin 4454. Verantwortlich für den Anzeigen: 
teil: Ulrich Herold, Berlin. — Pl. Nr. 8. — Druck: M. Müller & Sohn KG., München; Zweigniederlaſſung 


Berlin SW 68, Dresdener Straße 43. 


— „Wille und Macht“ erſcheint am 1. unb 15. jedes Monats und ijt zu 


beziehen durch den Verlag ſowie durch die Poſt und alle Buchhandlungen. Bezugspreis vierteljährlich 1.80 RM. 
zuzüglich Beſtellgeld. Bei Beſtellung von 1 bis 3 einzelnen Nummern bitte den Betrag in Briefmarken beizulegen. 
da Nachnahmeſendung zu teuer iſt und dieſe Beſtellung ſonſt nicht erledigt werden kann. 


Prospekt 121 
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Die Verwaltung der 
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in diefer dem Reiche ſchat meiſter der NSDAP. 
gewldmeten Arbeit gibt Reichehauptamte- 
leiter Dr. Anton Lingg eine ausführliche Dare 
ftellung dee Wachfens und werdens der Par» 
teiverwaltung bie zur Gegenwart und fomit 
einen grundlegenden Beitrag zur Erkenntnis 

beo Parteirechte. Ausgehend von der Führers 
und Gefolgichafteordnung der NSDAP. wird 
u. a. Die rechtliche Stellung der NSDAP. in der 
vðlklichen Gemeinſchaſte ordnung, die Ge- 
ſchichte der Verwaltung der NSDAP. der 
Reichofchagmeifter ale Chef der Partetverwals 
tung, der Gefchäftebereich des Reichsichat- 
meiſtero, die Hilfekaffe der NSDAP. behandelt. 
Diele Neverfcheinung ift für a.le Verwaltunge» 
beauftragten der Partei, der Gliederungen und 
ber angefchlofienen Verbände, aber auch für 
alle, die fich mit bem neuen deutichen Volke» 
recht befaffen, ein unentbehrliches Handbuch 
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Das kommende Deutſchland 
Augenderziehung im Reich Adolf Hitlers 


von 


Hauptbannführer Günter Kaufmann 
Chef der Befehlsſtelle 3 der Reichsjugendführung 


Mit einem Bild des RNeichsjugendführers 


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Im Tempo der nationalſozialiſtiſchen Aufbauarbeit entſtand neben den 
bekannten Erziehungseinrichtungen der Schule und der Armee eine neue 
revolutionäre Erziehungsmacht: Die Hitlerjugend. Nach fieben Aufbau- 
jahren kann dieſe Jugendbewegung ein nahezu geſchloſſenes Bild der 
von ihr geſchaffenen Einrichtungen und der erzielten Ergeb- 
niſſe vorweiſen. Mit ſeinem Buch „Das kommende Deutſchland“ hat 
jetzt der Chef der Befehlsſtelle 3 (politiſche Ausrichtung) der Neichsjugend- 
führung, Günter Kaufmann, eine überſichtliche Darſtellung der geſamten 
Jugendarbeit und der bisher erzielten Leiſtungen gegeben. Alle Fragen 
der Jugendführung will dieſes Buch beantworten helfen. Dem HI.-Führer 
ober der BOM.-Führerin bietet es ebenſoſehr Einblick wie dem Elternhaus. 
Ein ausführliches Kapitel über den Kriegseinſatz der HJ. ſorgt für eine zeit- 
gemäße Betrachtung dieſer Jugendarbeit. Zu einem guten Teil vermag der 
Verfaſſer bisher nicht bekanntgewordenes ſtatiſtiſches Material vorzulegen. 


Junker und Dünnhaupt Verlag / Berlin 


Ié 


terorgan der nationallozialiſtiſchen Jugend 


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Deutsche mif Goff 


‘ ee eee 
fber den Umgang mit Gott / Bekenntnisse deutscher Menschen aus 
Mer und neuer Zeit — Fritz Helke / Johann Gottlieb Fichte als Beispiel 
ines gläubigen Deutschen — Fritz Diettrich / Wintersonnenzende 
Das Aulbauwerk der Rücksiedlung 


glander über sich selbst — Friedrich Lange | Die Nordsee als deutscher 
Lebensraum — Weihnachtsbüchertisch 
arift / Heft 24 Berlin, 15. Dezember 1939 Preis 30 Pf. 


Ausgabe A 


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INHALT 


Fritz Diettrich: Wintersonnenwende 
Günter Kaufmann: Deutsche mit Gott 


Bekenntnisse deutscher Menschen 


AUSSENPOLITISCHE NOTIZEN 
Rücksiedlung 
Englisch— Allzuenglisch 


Friedrich Lange: Deutschland, England und das Meer 


KLEINE BEITRÄGE 
Fritz Helke: Johann Gottlieb Fichte 


Zur Kunstdruckbeilage 


NEUE BÜCHER 


KUNSTDRUCKBEILAGE 
Landgraf Ludwig I., Grabplatte in Marburg 1458 (Photo: Staatl. Bilds telle) 
Meister und Jünger, Um 1330, bemaltes Holz (Photo: Staatl. Bildstelle) 
Albrecht Dürer: Maria in der Landschaft (Berlin, Kupferstich-Kabinett) 


C. D. Friedrich: Nebelwolken im Tal (Photo: Bruckmann) 


Bille. Hlacht 


ihrerorgan der nationallozialiſtiſchen Jugend 


HERAUSGEBER: BALDUR VON SCHIRACH 


hrgang 7 Berlin, 15. Dezember 1939 Heft 24 


Winterſonnenwende 


Es hängt der Himmel voll Schnee. 
Eis treiben Me Flüſſe. 

Leer iſt das Zand, und der Tann 
Steht, ein ſchweigſamer Chor. 


Milder erſcheint uns der Tag, 
Als ſcheute er, ſich zu erheben. 
Schneller fällt er zuruck. 

Lang iſt die Nacht, die ihn deckt. 


Mienſchen verließen das Zand 

Und ſind hinter Mauern verſchollen. 
Mancher bewahrt eine Blum 

Über den Winter der Welt. 


Schüure, o ſchüre die Glut, 
Oak du ein Helfer des Lichtes 
Seiſt, wenn am Cage Me Sonn 


Diener dir mitten ins Herz. 
| Sriti Diettrid 


Deutfche mit Gott 


„Schließen Sie von feinem Gefühl, von feinem Genuß der Schöpfung ben 
Gedanken aus; er iſt uns zum Anſchauen Gottes notwendig. Der verkennet die 
Menſchheit, der den Schöpfer nur ſchmecken und fühlen wollte, 
ohneihn zuſehen und zu erkennen“, fo mahnt Herder in dem fünften 
ſeiner Geſpräche über Gott. Es ſcheint mir, da ſich unſere Herzen Weihnachten zu⸗ 
wenden, dieſer Rat gut und zeitgerecht zu ſein. Denn das Schickſal zwingt ein 
ganzes Volk und jeden einzelnen unter uns ſpürbarer als je in ſeine Arme, und 
öfter wendet der Menſch ſeine Gedanken dem Allmächtigen zu. So erhält unſer 
erſtes Kriegsweihnachten einen wahrhaft tieferen Sinn. Der Krieg bringt es mit 
ſich, daß unſer großes Feſt der Familie nur überall dort wirklich begangen werden 
kann, wo der Weihnachtswunſch für das Volk und den einzelnen in dem klaren, 
ſo deutſchen Wort umſchloſſen liegt: „Gott befohlen!“ 


Es wird uns allen offenbar, daß im Reichtum des Herzens der wahre Beſitz 
liegt. Er wird genährt durch den tiefen Glauben an Gott; von ihm zu ſchenken, 
iſt dir und mir wichtiger geworden als vordem! 


Wir Deutſchen find im Grunde ein frommes Volk. Unter der weißen Raffle 
haben wir am tiefſten und furchtbarſten um unſeren Glauben gerungen. Wir 
führten im 17. Jahrhundert um unſere Gottesanſchauung Krieg miteinander, 
während die anderen die materiellen Güter der Welt verteilten. Sehr ſpät haben 
wir uns als Volk gefunden und in dieſem Bewußtſein und Glauben auch den 
Hader erſtickt. Heute mag ein jeder auf freien Bahnen zu Gott finden. 


Sichtbar hat der Allmächtige ſeine ſchützende Hand über der deutſchen Wieder⸗ 
geburt gehalten. Wir denken beſonders an den Abend des 8. November. Jeder 
ſpürt es: Wir find mit Gott, Gott aber iſt mit uns! 

Das religiöſe Gefühl hat im Laufe des Jahrhunderts eine Wandlung ſeines 
Ausdruckes erfahren. Immer hat es uns Deutſche erfüllt, immer gaben wir den 
religiöſen Formen auch unſere Züge. Wer ſpürt nicht in ſich die Antwort vor dem 
deutſchen Geſicht einer Madonna der Zeit des Riemenſchneider oder Veit Stoß! 
Wer erkennt nicht die Bauerngeſichter in den Jüngerdarſtellungen, wer fühlt 
nicht in jenen altüberlieferten Formen der Frömmigkeit unſeres Volkes, in jeder 
Weiſe unſerer Kunſt, unſeres Denkens, unſerer Muſik, die alle unerbittlich um die 
innerſte Wahrhaftigkeit ringen, die deutſche Seele! 

Die Außerungen des religiöſen Gefühls ſpiegeln je nach der Zeit und ihrem 
Geiſt ein Bild der eigenen Empfindungen wieder. Wir find ihnen nachgegangen. 
Wir ſuchten große Deutſche unſerer Geſchichte auf, Vorbilder und Kämpfer, die 
ihrem Herrgott ins Antlitz ſchauen konnten, für die er — nach Luthers deut⸗ 
ſchem Wort — „eine feſte Burg“ war. 

Wenn nach einer böſen Meinung in jedem Deutſchen ein Held und ein Philiſter 
wohnt, ſo iſt gewiß Gott mit dem Helden in uns. Wenn die Helden auf⸗ 
ſtehen, iſt er mit ihnen, denn dem Feigen und Verzagten hilft er nie. So will es 
ein Bekenntnis in unruhiger Zeit ſein, das der Front und der Heimat in der 
Weihnacht den Weg weiſt: 


Deutsche mit Gott! 5. K. 


Zugang zu Gott 


Das erfuhr ich unter Menichen als des Wiffens Höchſtes: 

Als Erde nicht war, noch Himmel oben, 

Noch Baum, noch Berg mar, 

Noch irgendein Stern, noch Sonne fchien, 

Noch der Mond erglänzte, noch das herrliche Meer: 

Da war der eine allmächtige Gott, 

Der Mannen mildefter, und mit ihm viele göttliche Geifter. 
(Weffobrunner Gebet um 800) 


Wurzeln des Waldes 

Und Erde des Goldes 

Und aller Abgriinde Grund, 

Die find dir, Herre, kund: 

Sie ruhn in der Hut deiner Hände. 

Alles himmliſche Heer 

Kann dein Lob nicht ausfingen an ein Ende. 


(Unbekannter Dichter des 19. Jahrhunderts, 
genannt »der ältere Spervogel«) 


In feinem Felde ift wohl der Spruch „Richtet nicht, fo werdet ihr nicht gerichtet“, 
auwendbarer als gerade in Glaubensſachen. 


Letztere ſind meines Erachtens für irdiſche Verbindungen überall kein Hindernis, 
ſobald unter den Verbundenen kein Spötter und Verächter ſich befindet; eine Stufe 
weiter geben ſie ein Element gemeinſamen geiſtigen Lebens ab, ſobald beide ver⸗ 
bundene Teile „gläubig“ ſind, worunter ich nicht verſtehe, daß beide dasſelbe grade 

lauben und ſich genau und wörtlich demſelben formulierten Bekenntnis an⸗ 
ſchließen, ſondern nur daß beide in Ernſt und Demut forſchen und beten, um zum 

wahren Glauben zu gelangen, den Erfolg aber Gott anheimſtellen. 
Bismarck an ſeine Braut, 1847 


Sie zertrümmerten den alten Gott, womit ſie das Welträtſel gelöſt zu haben 
meinten: aber ſiehe, es zerſprang der alte Gott in tauſend Stückchen, tauſend 
Fragen, tauſend Rätſel. Nun find fie am Werk, diefe verſprengten Stückchen zu 
ſammeln und zuſammenzuſtellen. Wenn ſie alle gefunden und zuſammengeklebt 
haben, ſind ſie wieder ſoweit wie die Alten, haben wieder eine dunkelglänzende 
Kugel, die am beſten den kurzen Namen „Gott“ erhält. Gorch Fock, Tagebücher 


Wenn der Himmel über mir von unzähligen Sternen wimmelt, der Wind ſauſt durch 
den weiten Raum, die Woge bricht ſich brauſend in der weiten Nacht, über dem Walde 
tötet ſich der Ather, und die Sonne erleuchtet die Welt; das Tal dampft, und ich werfe 
mich im Graſe unter funkelnden Tautropfen hin, jedes Blatt und jeder Grashalm wimmelt 
von Leben, die Erde lebt und regt ſich unter mir, alles tönet in einem Akkord zuſammen, 
da jauchzet die Seele laut und Jk umher in bem unermeßlichen Raum um mich, es iſt 
kein Unten und kein Oben mehr, keine Zeit, kein Anfang und kein Ende, ich höre und 
fühle den lebendigen Odem Gottes, der die Welt hält und trägt, in dem alles lebt und 
wirkt: hier iſt das Höchſte, was wir ahnen — Gott! 

Dieſes tiefſte Ahnen unſerer Seele, daß Gott über uns iſt, daß wir ſehen, wie alles 
entſtanden, geweſen und vergangen iſt; wie alles entſteht, gegenwärtig iſt, und vergeht 
um uns, und wie alles entſtehen wird und wieder vergehen wird, wie keine Ruhe und 
kein Stillſtand in uns iſt, dieſe lebendige Seele in uns, die von ihm ausgegangen iſt und 


3 


zu ihm kehren wird, bie sei n wird, wenn Himmel und Erde vergehen, das iſt das 
gewiſſeſte deutlichſte Bewußtſein unfrer ſelbſt und unſrer eignen Ewigkeit. 

Wir empfinden, daß ein unerbittlich Strenges und fürchterlich 
Ewiges und eine ſüße, ewige, grenzenloſe Liebe ſich hart und im 
EEN Pih einander entgegenſtehen, wie Hartes und 

eiches, wie Felſen und Waſſer; wir ſehen diefe beiden überall, im Kleinſten 
wie im Größten, im ganzen wie im einzelnen: dieſe beiden ſind die Grundweſen der 
Welt und in der Welt gegründet und kommen von Gott, und über dieſen iſt allein Gott. 
Sie ſtellen ſich beim Anfang eines jeden Dinges, das von Gott kommt, das im Menſchen 
und in der Natur gegründet iſt, feſt und im heftigſten Kampf einander entgegen. Je 
roher ſie ſich einander entgegenſtellen, je weiter iſt ein jedes 
Ding von ſeiner Vollendung, und je mehr ſie ſich vereinigen, deſto 
mehr nähertjedes Ding ſichſeiner Vollendung. Nach dem höchſten Punkte 
dieſer Vollendung kehrt der Geiſt zu Gott zurück, die lebloſen Grundſtoffe aber zerſtören 
ſich ineinander im ett ka Kern ihres Dajeins; dann vergehen Himmel und Erde, und 
aus ber Aſche entwickelt ſich eine neue Welt. 


Ph. O. Runge, Brief an den Bruder Daniel vom 9. 3. 1802 


Alle, welche dich ſuchen, verſuchen dich. Ich aber will dich begreifen 
Und die, ſo dich finden, binden dich wie dich die Erde begreift; 
an Bild und Gebärde. reift meinem Reifen 
rei 
dein Reich. 
Ich will von dir keine Eitelkeit Tu mir kein Wunder zulieb. 
die dich beweiſt. Gib deinen Geſetzen recht, 
Ich weiß, daß die Zeit die von Geſchlecht zu Geſchlecht 
anders heißt ſichtbarer find. 
als du. Rainer Maria Rilke, Stundenbuch 
Wer Gott einmal ſuchen will, der findet ihn überall. Novalis, Fragmente 


Wem es nicht zu Kopfe will, daß Geift und Materie, Seele und Körper, 
Gedanke und Ausdehnung, oder Wille und Bewegung die notwendigen Doppel⸗ 
ingredienzien des Univerſums waren, ſind und ſein werden, die beide gleiche Rechte 
für ſich fordern und deswegen beide zuſammen wohl als Stellvertreter Gottes an⸗ 
geſehen werden können, der hätte das Denken längſt aufgeben und auf gemeinen 
Weltklatſch ſeine Tage verwenden ſollen. i Goethe 


In allen Kreaturen ijt uns Gott gleich nahe. Der weile Mann jagt: Gott hat feine 
Netze und Stride auf alle Kreaturen ausgebreitet, jo daß man ihn in einer jeden finden 
und erkennen kann — wenn man es nur wahrnehmen will! Der nur erkennt Gott recht, 
jagt ein Meiſter, wer feiner in allem 52 inne wird. Gott in Furcht dienen it gut; 
hm aus Liebe dienen iſt beſſer: aber wer Liebe und Furcht zu verbinden weiß, das iſt 
das allerbeſte. Ein Leben der Raſt und Ruhe, in Gott geführt, iſt gut; ein Leben voller 
nn in Geduld gelebt, ijt befer: aber Raft zu haben in einem Leben voller 
Schmerzen, bas ilt bas allerbeſte. Es gehe einer über Feld unb ſpreche fein Gebet und 
werde Gottes inne, oder er ſei in der Kirche und werde Gottes inne: wird er Gottes 
darum mehr inne, weil er an einer raſtlichen Stätte weilt, ſo rührt das von 1 Un voll- 
kommenheit her, nicht geſchieht es von Gottes wegen. Denn Gott ¿lt der gleiche in allen 
Dingen und an allen Stätten, und immer bereit, ſich in gleicher Weiſe zu geben, ſoweit 
das an ihm liegt; und der nur hat Gott wirklich gefunden, der ihn überall in gleichem 


Maße findet. Meiſter Eckehart, Predigt über Lucas, 21,31 


It indeſſen ein Gott in der Natur, ſo iſt er auch in der Geſchichte: denn auch der Menſch iſt 
ein Teil der Schöpfung und muß in ſeinen wildeſten N ir und Leidenſchaften 
Geſetze befolgen, die nicht minder ſchön und vortrefflich ſind als jene, nach welchem ſich alle 
Himmels⸗ und Erdkörper bewegen. Herder, Ideen 


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der Elisabethkirche, Marburg 1458 


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Um 1330, bemaltes Holz (Deutsches Museum, Berlin) 


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In aller Geſchichte wohnt, lebet, ijt Gott zu erkennen. Jede Tat zeuget von ihm, jeder 
Augenblick predigt ſeinen Namen, am meiſten dünkt mir aber, der Zuſammenhang der 


großen Geſchichte. Ranke, Briefe 


Es gibt keinen Weg zur Gottheit als durch das Tun des Menſchen. Durch die vorzüg⸗ 
lichſte Kraft, das hervorragendſte Talent, was jedem verliehen worden, hängt er mit dem 
Ewigen zuſammen, und ſoweit er dies Talent ausbildet, dieſe Kraft entwickelt, fo weit 
nähert er ſich ſeinem Schöpfer und tritt mit ihm in Verhältnis. Alle andere Religion 


iſt Dunſt und leerer Schein. Friedrich Hebbel, Tagebücher 


Es gibt Augenblicke in jedes Menſchen Leben, in welchen er eines Planes gewahr wird, 
der durch ſein Dalein hindurchgeht, eines Planes, den er nicht entworfen hat und den er 
nicht ausführt, deffen Gedanke ihn gleichwohl entzückt, als habe er ihn ſelbſt gedacht, 
deſlen Ausführung ihn Segen und allereigenſte Förderung deucht, obwohl nicht feine 
Hände an ihr arbeiten. Er ift frei, wie der Schachipieler für jeden feiner Züge fret ift: er ift 
gleichwohl nicht fein Herr, wie der Schachipieler von einem überlegenen Gegner gezwungen 
wird, er hat das BerouBtfein, das das Ende für ihn nicht ein Matt, ſondern in einer Nieders 
lage Sieg fein werde, und je näher dies Ende rückt, deſto ungeduldiger wartet dle Freude 
an dem nun kaum noch mißzuverftehenden Willen Oeffen, der den Freien dahin gezwungen, 
wo ihm höchfte Freiheit, weil unbefchränkte Ausgeftaltung und Darlegung feines elgenſten 
Wefens befchieden fein wird. Der Meißel tut weh, der aus dem empfindenden 
Blocke den Gott herausfchlägt: je weiter aber der Stahl in feiner Arbeit 
vorgeſchritten, deſto ftiller hält der Marmor, der fich Ihon über die aue 
der Natur entſtehende Geiſtesgeſtalt freut. Lagarde, Schriften für Deutichland 


Wohl jeder, der ernft an das Wefentliche des Lebens denkt, wird oft gefragt werden von 
Suchenden: Was muß Ich tun, um Gott zu finden? Was kann ein heutiger Menfch auf eine 
lolche Frage antworten? Er hann nur lagen: »Suche dich felber, vielleicht gelangt du dann 
auf den Weg, der dich zu Gott führt.« Paul Ernft, Tagebuch eines Dichters 


Du brauchft nicht erft nach thm zu fuchen hier und Sort, er ift nicht meiter als 
vor der Tür des Herzens: da fteht er und harrt und wartet, wen er bereit finde, ihm 
aufzutun und ihn einzulaffen; du brauchft thn nicht erft von weit her herbeizurufen: 
er wartet ungeduldiger als du, daß du ihm auftueft, ihn verlangt taufendfach drin⸗ 
gender nach dir, als dir nach ihm! Es if nur eines, das Auftun und Eingehen. 

Meifter Eckehart, Von der ewigen Geburt 

Indem das Herz, abgezogen von allen einzelnen wirklichen Gegenſtänden, ſich all. 
empfindet, fid) jelb[t zu einem idealiſchen Gegenſtande macht, entiteht Religion. Alle 
einzelnen Neigungen vereinigen ſich in eine, deren wunderbares Objekt ein höheres Weſen, 
eine Gottheit iit — daher echte Gottesfurcht alle Empfindungen und Neigungen umfaßt. 
Dieſer Naturgott ißt uns, gebiert uns, ſpricht mit uns, erzieht uns, bay uns, [apt 


5 von uns effen, von uns zeugen und gebären; kurz — ilt der unendliche Stoff unſrer 
ätigkeit und unſres Leidens. Novalis, Fragmente 


5 


Ich will dich immer spiegeln in ganzer Gestalt, / und will niemals blind sein oder zu alt / 
um dein schweres schwankendes Bild zu halten. / Ich will mich entfalten. / Nirgends will 
ich gebogen bleiben, / denn dort bin ich gelogen, wo ich gebogen bin. / Und ich will 
meinen Sinn / wahr vor dir. Ich will mich beschreiben / wie ein Bild, das ich sah, / lange 
und nah, / wie ein Wort, das ich begriff, / wie meinen tüglichen Krug, / wie meiner Mutter 
Gesicht, / wie ein Schiff, / das mich trug / durch den tódlichsten Sturm. 


Rainer Maria Rilke 


Sonderbar genug ift, wie [o ganz unbemerkt bleiben konnte, daß ſchon der öffentliche 
Zwieſpalt religiöſer Bekenntniſſe dem deutſchen Volk ein weit höheres Ziel als jedem 
andern beſtimmt. ... Damals, D jener Zeit entſchiedener Losſagung vom überlieferten 
Glauben, gelobte deutſcher Geiſt und tat ſich ſelbſt den Schwur, den Gegenſatz bis zur 
vollkommenen Auflöſung durchzuführen, die Einheit, die erals einen Zuſtand 
erkenntnisloſen Friedens verließ, auf einer höheren Stufe als 
bewußte Einheit, in E EE Sinn und weiterem Umfang einit 
wiederherzuſtellen. Dies ilt das Ziel deutſchen Geiſtes, jenes Gelübde, bas, was 
ba arm erſcheinen läßt gegen den Reichtum, demütig gegen den Übermut anderer 

ationen, der Stachel des Eifers, der, während jene die höchſten ed eet al ab: 
geſchloſſen und Prinzipien vorhanden wähnen, über bie es feine höheren gebe, ihn 
antreibt, ave neue bie Grundfeſten aller Erkenntnis aufzurühren unb in unabjebbare 


Tiefen hinabzuſteigen. Fr. W. von Schelling, Über das Weſen deutſcher Wiſſenſchaft 1811 


Es wäre denkbar, daß die Natur das Erzeugnis eines en Einverſtändniſſes 
unendlich verſchiedener Weſen wäre, das wunderbare Band der Geiſterwelt, der Ver⸗ 


einigungs⸗ und Berührungspunkt unzähliger Welten. Novalis, Die Lehrlinge von Sais 


Der Abend war heiter und warm. Der Mond ſtand in mildem Glanze über den Hügeln 
und ließ wunderliche Träume in allen Kreaturen aufſteigen. Selbſt wie ein Traum der 
Sonne, lag er über der in ſich gekehrten Traumwelt und führte die in unzählige Grenzen 
geteilte Natur in jene fabelhafte Urzeit zurück, wo De Keim nod) für hid ſchlummerte, 
und einſam und unberührt ſich vergeblich Ris die dunkle Fülle [eines unermebliden 
Daſeins zu entfalten. In Heinrichs Gemüt ſpiegelte ſich das Märchen des Abends. Es 
war ihm, als ruhte die Welt aufgeſchloſſen in ihm und zeigte ihm, wie einem e 
alle ihre Schätze und verborgenen Lieblichkeiten. Ihm dünkte die große, einfache Erſcheinung 
um ihn [o verſtändlich. Die Natur ſchien ihm nur deswegen ſonſt jo unbegreiflich, weil fie bas 
5 und Traulichſte mit einer ſolchen Verſchwendung von mannigfachen Ausdrücken 
um 


en Menſchen her türmte. Novalis, Heinrich von Ofterdingen 


Das find glückliche Leute, die überall Gott vernehmen, überall Gott finden — 
dieſe Leute ſind eigentlich religiös. e Novalis, Fragmente 


Gottes iſt der Orient! 

Gottes ift der Okzident! 
Nords und füdliches Gelände 
Ruht im Frieden feiner Hände. 


Goethe, Welt=öftlicher Diwan 
Umgang mit Gott 


Wer feines Lebens viele Widerfinne Du bit der Zweite feiner Einfamkeit, 
verlöhnt und dankbar in ein Bildnis faßt, die ruhige Mitte feinen Monologen, 
der drängt und jeder Kreis, um dich gezogen, 
die Lärmenden aus dem Palaft, ſpannt ihm den Zirkel aus der Zeit. 
wird anders feſtlich, und Du biſt der Gaſt, Rainer Maria Rilke, Stundenbuch 


den er an fanften Abenden empfängt. 


Wer zurecht kommen will, dem muß je unter zwei Dingen eines gelehen: entweder 
er muß Gott ergreifen und feithalten lernen in feiner Arbeit, oder er muß Welt und 
Werke überhaupt laſſen! Da nun ber SWenid in dieſem Leben nicht beſtehen kann ohne 
Arbeit, dieje vielmehr des Menſchen Teil ijt und von vielerlei Art, darum fo lerne der 
Menſch, feinen Gott zu haben mitten in den Dingen und ungehindert zu bleiben von 


Geſchäft und Ort. Meiſter Eckehart, Geiſtliche Unterweisung 


Obgleich mir aber auch das, was man gewöhnlich Religion nennt, eins der wunder⸗ 
barſten, größeſten Phänomene zu ſein ſcheint, ſo kann ich doch im ſtrengen Sinn nur das 
für Religion gelten laſſen, wenn man göttlich denkt und dichtet und lebt, wenn man 
voll von Gott iſt; wenn ein Hauch von Andacht und Begeiſterung über unſer ganzes Sein 
ausgegoſſen iſt; wenn man nichts mehr um der Pflicht, ſondern alles aus der Liebe tut, 
bloß weil man es will, und wenn man es nur darum will, weil es Gott ſagt, nämlich 


Gott in uns. Friedrich Schlegel, Über die Philoſophie 


Mancher gehet zwanzig oder dreißig Jahre in die Kirche, höret Predigen und braucht 
Sakrament, läßt ſich abſolvieren und iſt einmal ein Tier des Teufels und der Eitelkeit 
wie das andere. Ein Tier gehet in die Kirche und zum Abendmahl, und ein Tier gehet 
wieder davon. Wie will der eſſen, der kein Gebet hört? Mag auch einer Speiſe genießen, 
die ſeinem Munde verſchloſſen iſt? Wie will der trinken, der fern vom Waſſer iſt? Was 
hilft's mich, daß ich in die Mauerkirche gehe und fülle meine Ohren mit einem leeren 
Atem? ober gehe zum Abendmahl und ſpeiſe nur den irdiſchen Mund, der ſterblich um 
verweslid ijt? .. 

Der Heilige Bat feine Kirche an allen Orten bei fid) und in fid. Denn er [teet ai 

ebet, er liegt unb fit in feiner Kirche, er ift in der wahren chriſtlichen Kirche, im 

empel Chrifti. Der Heilige Geiſt predigt ihm aus allen Kreaturen. Alles, was er anſieht, 


da fiehet er einen Prediger Gottes. Satob Böhme, Weg zu Chrifto 


Und wie wenn man reines Waſſer in ein völlig reines Gefäß göfle und ließe es ſtille 
ſtehen, und es hielte dann jemand ſein Antlitz darüber: ſo erblickt er es am Boden ſo, 
wie es an ſich iſt. Das kommt davon, weil das Waſſer lauter und ſtille iſt. 

Genau ſo iſt es mit all denen, die in Freiheit und Einheit in ſich ſelber ruhen und — 
Gottes gewahr werden in dem Frieden und in der Ruhe! Aber ebenſo ſollen ſie ſeiner 
auch gewahr werden in Unfrieden und Unruhe, dann erſt ſteht es wirklich mit ihnen 
recht! Finden ſie ihn aber ſchwerer in Unfrieden und in Unruhe, ſo iſt es mit ihnen 


ſchlecht beſtellt. Meiſter Eckehart, Predigt über Apoſtelgeſchichte 1.4 


Zu Gott gelangt man nicht durch die Furcht, nicht durch Das Gefühl der Abhängigkeit, 
nicht durch den Verſtand, nicht durch Fürmahrhalten oder Glauben, fondern nur durch das 
Beftreben, beffer zu werden, well nur dlefes auf das Gute hinaus will, das mit Gott eines 
und Oaelelbe ift. Fromm fein heißt, das eigne Leben und die Gefchichte als ein zu einem 
Ziel dringendes Ganze verſtehn: darum iſt die Anerkennung eines Zieles die 
notwendige Vorbedingung aller Frömmigkeit. 

Lagarde, Schriften für Deutichland 


Es hilft überall nichts, von dem Göttlichen und Höchſten zu ſprechen, wenn dies auch mit 
Engelzungen geſchieht. Es ſoll dargeſtellt werden, d. h. es [oll leben. Dies tut es nur dann, 
meum es aus der Erde, ihrer Beſchränkungen ungeachtet, in markiger, kräftiger Geſtalt 
hervorgeht und ſich mit ihr verträgt. Friedrich Hebbel, Tagebücher 


7 


Die Religion foll unfern Blick nicht von diefer Welt abziehn; fie ift eine himmliſche Macht, 
die in den Bund tritt mit dem Edlen diefes Lebens, und mich hat noch nie ein religiöfes 
Gefühl durchdrungen und geftärkt, ohne mich zu einer guten Tat anzufeuern, zu einer 
großen mir den Wunfch, ja felbft die Hoffnung zu geben. Ciauſewitz 


Wahre Religion ift Heroiemus, nicht ein müßiges Britten, empfindfames Hinfchauen oder 
Ahnden. Diejenigen nennt man Männer Gottes, in denen das Erkennen des Göttlichen 
unmittelbar zur Handlung wird, die im Großen und Ganzen gehandelt haben ohne 
Bekümmerung um das Einzelne. Schelling, Syftem der gefamten Philofophie 


Was wir ſelbſt tun können, dürfen wir Gott nicht überlaſſen. 
Gord Fock, Tagebücher 


Ich kenne Gott durch das Licht der Vernunft, ſein Geſetz iſt in mein Herz gegraben: 
es ift das der Natur, das einzig wahre und das allein feine Reinheit bewahrt hat; es iſt 
das, welches mich meine Pflichten lehrt. Damit verbinde ich die chriſtliche Moral, und 
das genügt mir. Wenn ich Kummer habe, den ich mir ſelbſt zuzog, lerne ich dadurch weiſe 
ſein; wenn ich einen habe, der mir ohne meine Schuld kommt, nehme ich ihn hin als 
vom Willen des höchſten Weſens kommend, das unſer Geſchick regelt und das dieſe Wider⸗ 
wärtigkeiten mit der Rolle, die ich ſpiele, verbunden hat; den Tod aber fürchte ich nicht; 
denn ich weiß, daß mein Schöpfer ein Geſchöpf, das er liebt und das ihn mit der Ver⸗ 
ehrung, die ich für ihn hege, anbetet, nicht in den Abgrund ſtoßen wird. ... Es handelt 
ſich darum, die Pflichten des ſeinem Schöpfer dankbaren Geſchöpfes und des guten Bürgers 
gegen ſeinesgleichen auszuüben. Da haben Sie meinen ganzen Moralkurſus, und ich bin 
völlig überzeugt, daß ich mit dieſem Glauben mein Heil erreichen werde. 


Friedrich der Große an Grumbkow, 28. 4. 1736 


Ich beuge mich jedem Höheren und alſo gewiß dem Höchſten. Aber nur dadurch, daß 
ich ihn möglichſt zu entbehren ſuche, kann ich mich in ein würdiges Verhältnis zu ihm 
ſetzen. Er will nicht die Krücke des Menſchen ſein, darum hat er ihm Beine gegeben. 
Fordert das Leben von mir das Unmögliche, ſo erdrückt es mich entweder — oder es iſt 
nicht das Unmögliche geweſen. In jedem Fall ſoll ich alles aufbieten, was 
an Kraft in mich gelegt ift; diefe Kraft macht mich gewiß frei, ift es nicht nach 
außen, indem ſie das Hindernis überwältigt, ſo iſt es nach innen, indem ſie die Körper⸗ 


ketten zerreißt. Friedrich Hebbel, Briefe, 12. 2. 1837 


Die Religion der meiſten Leute ift nichts weiter als ein „Sich⸗ſchlafen⸗ legen“, und 
es iſt wirklich zu fürchten, Gott möchte ſie für ihre Gottesfurcht noch einmal ſcharf anſehen, 
denn es iſt keine Kunſt, zu Bett zu gehen, wenn man müde iſt, oder gar — der Fall iſt 
noch häufiger — niemals aufzuſtehen, und die Natur mit all ihren Unbegreiflichkeiten 
und ben Menſchengeiſt mit all [einen Rheinfällen und Gewittern im Schlaf — d. h. im 
Glauben — an ſich vorüberziehen zu laſſen. Friedrich Hebbel, Briefe, 11. 4. 1837 


Denn fo frei Gott waltet, er tut nichts von ungefähr, und 
wer ihn im Schweren gefunden, derweiß, daß er nun nicht im 
Leichteren, ſondern im Schwereren zu finden fein wird. 

Lagarde 


Keiner sei gleich dem andern, doch jeder sei gleich dem Höchsten! 
Wie das zu machen? Es sei jeder vollendet in sich. Schiller, Distichon 


Wachſen — bas ift alls: Gott in uns, Gott der Welten und Himmel. Nit Werden nod) 
Vergehen, nit Rennen noch Ruhen, fein totes Spiel, das in fid) zurüde kehrt! Wachſen! 
Vom Ich zum Selbſt und weiter über dein Selbſt hinaus! Das iſt 


Weltleben, nur das iſt Gott. Kolbenheyer, Pauſewang 


Halte dich im Stillen rein 
Und laß es um dich wettern: 
Je mehr du fühlst ein Mensch zu sein, 


Desto ähnlicher bist du den Göttern. 
Goethe, Sprüche in Prosa 


Eingang in Gott 


A ues geben die Götter, Die unendlichen, 
Ihren Lieblingen ganz: 
Alle Freuden, die unendlichen, 


Alle Schmerzen, die unendlichen, ganz. 
Goethe 


„Wann wird es doch“, fagte Heinrich, „gar keiner Schrecken, keiner Schmerzen, feiner 
Not und keines Übels mehr im Weltall bedürfen?“ 

„Wenn es nur eine Kraft gibt — die Kraft des Gewiſſens. Wenn die Natur zuchtvoll 
und ſittlich en ift. Es gibt nur eine Urſache des Übels — die allgemeine Schwäche, 
und dieſe chwäche iit nichts als geringe fittlide Empfänglichkeit und Mangel an Reiz 
der Freiheit.“ 

„Macht mir doch die Natur des Gewiſſens begreiflich.“ 


c ich das könnte, [o wäre ich Gott, denn indem man das Gewiſſen begreift, 
entſteht es. 

„Das Gewiſſen erſcheint in jeder ernſten Vollendung. in jeder gebildeten Wahrheit. 
Jede durch Nachdenken zu einem Weltbild umgearbeitete un und Fertigkeit wird 
zu einer Erſcheinung, zu einer Verwandlung des Gewiſſens. Alle Bildung führt zu dem, 
was man nicht anders wie Freiheit nennen kann, ohnerachtet damit nicht ein bloßer 
Begriff, ſondern der ſchaffende Grund alles Daſeins bezeichnet werden ſoll. Diele ert 
„ ft. ... Und gerade dieſe allumfaſſen de Freiheit, 

V t iit das efen, Der Trieb des 
Gewiſſens. In ihm offenbart fid die heilige Eigentümlichkeit, das unmittelbare 
Schaffen der 5 und jede Handlung des Meiſters ift zugleich Kundwerdung 
der hohen, einfachen, unverwidelten Welt — Gottes Wort.“ 


Novalis, Heinrich von Ofterdingen 


Menſch, wird das Paradies in dir nicht ernſtlich ſein, 
So glaube mir gewiß, du kommeſt nimmer drein. 


Ungelus Silefius, Der Cherubiniſche Wandersmann 


Wer die Religion auf das Heiligtum des Gemütes beſchränken zu können glaubt, ber 
hat nie, weder an ſich noch an anderen, Religion erlebt. Wirkliche Religion 
nimmt ſichſtets die Freiheit, das ganze Leben zu durchdringen. Sie 
iſt nicht nur ſonntags von neun bis elf, bei Einſegnungen und Be zu zu finden, 
ſondern überall ober nirgends. Denn fie ijt nicht eine vorübergehende Aufregung des 
Nervenſyſtems, ſondern das, leider oft von Sünde, aber nie von etwas ihr als Gleich⸗ 


9 


berechtigtes Nebengeordnetem geftörte Leben unter ben Augen des allgegen: 
wärtigen Gottes. Sie it bas Horchen des Schülers auf dien ur 
E aber nie wegen: Stimme dieſes Gottes, ber in allem, 
n Kleinftem und in Größeftem, redet und deſſen Sprache nicht auf die Paragraphen einer 
für alle gültigen Grammatik abgezogen, aber von jedem gehört und verſtanden werden 
kann, der ſie hören und verſtehen will. Sie iſt das ſtille, aber unaufhaltſam harmoniſche 
Auswachſen bes eigenen Weſens, das, weil von Gott geſchaffen zu fein der is, auch 
überzeugt ift, i gerade feine vollſte unb Spem amiin: ung mit ber vollſten 
und eigent a Entwicklung bes ebenfalls von Gott ER ächſten Reie mur 
einen richtigen Akkord geben wird. Sie iſt Heimweh, die bitterſüße, wie eines Atems 
Steigen und Fallen raſtlos durch die Seele webende Sehnſucht des Kindes, nach Haufe 


zu kommen. Lagarde, Schriften für Deutſchland 


Wir haben nur alle einen einzigen Orden, der ift: das wir mit dem Herren aller Welen 
ftillehalten und unferen Willen ihm ergeben und laffen feinen Geiſt in uns wirken, fpielen 
und machen, was er will, und was er in uns wirket und offenbaret, das geben wir ihm 


wieder dar als feine Frucht. Jakob Böhme, Der Weg zu Chrifto 


In allem, was ift, ift nichts »verboten«, nichts, das Gott entgegen ift, als eines allein, der 
Eigenmille: daß man anders wolle ale der einige und ewige Wille Gottes. Das will 
recht verftanden fein! Gott fpricht zu Adam, das heißt zu jedem Menfchen: Was du bif, 
tuft und laffeft, das ift alles unverboten und erlaubt: dafern es nicht aus deinem Willen 
gefchieht, fondern aus feinem. Was aber gefchieht aus deinem Willen, das Ift alles wider 
den ewigen Willen. Nicht ale ob nun alle Taten, die von dir ausgehen, wider den ewigen 
Willen feien: Darauf hommt'e an, ob fie hervorgehen aus einem andern denn dem ewigen 


und göttlichen Willen. Der Frankfurter, Theologia deutſch 


Wir finden im Univerſum Dinge, die uns nicht gefallen; aber wir müſſen willen, daß 
das Univerſum nicht In uns allein geſchaffen ift. Dennoch ijt es für uns geſchaffen, wenn 
wir weiſe find: es wird fid) uns anpaſſen, wenn wir uns ibm anpaflen; wir werden 
in ihm glücklich fein, wenn wir es fein wollen. Leibniz Theodizee 


Nicht human ſollen wir ſein, ſondern Kinder Gottes: nicht liberal, ſondern frei: nicht 
fonjervativ, ſondern deutſch: nicht gläubig, ſondern fromm: nicht Chriften, ſondern evan: 
eliſch: das Göttliche in jedem von uns leibhaftig lebend, und wir alle vereint zu einem 
iich KEE Kreiſe: keiner wie der andere, und feiner nicht wie der andere: täglich 
wachſend in neidloſer Liebe, weil auf dem Wege aufwärts zu Gott wohl einer dem 
immer näher kommt, aber nie der eine den g des anderen ſchneidet. Das walte Gott. 


Lagarde, Schriften für Deutſchland 


Ich weiß, daß ich Gottes bin und daß mein Schickſal nicht von einem Zufall oder von dem 
Jägerauge eines ſibiriſchen Schützen abhängt. Die Nornen walten über mir.... Ich fehe allen 
Wandlungen und Wanderungen geruhig und getroſt entgegen und bleibe tapfer. Es kann 
mir ohne Gottes Willen nichts geſchehen. Gorch Fock, 24. 9. 1915, Tagebuch 


Ich weiß, e es kein blindes, fondern ein weitſichtiges Schickſal ift, bas über mir 
waltet, und daß es mich behält, wenn ich mich vollendet habe. Und i Vie rf, dak 
noch viele Stufen vor mir liegen. Jedenfalls darfſt bu mir glauben, daß ich, wie es auch 
komme, nicht aus Furcht ſterbe. Ich ſehe dieſen Wes ſchon lange vor mir und gehe ihn 
aufrecht, wenn nicht gerade „Hinlegen“ gerufen wird. Jedenfalls denke ich nicht daran, 
da dieſer Gorch Fock in mir zertrümmert werden könnte: . weiß, daß ich ihn aus Dem 
Schützengraben zurückbringen werde. Sind bie Menſchen in dieſem Kriege aud wie 
Sperlinge und fallen ſie ſo vom Dache, ſo geſchieht es doch nicht ohne den ewigen Willen. 


Gorch Fock, Tage buch 
10 


Soll ich trinken, fo muß Der Trank zuerft über Die Zunge gehn, da empfängt er feinen 
Geſchmack. If die Zunge bekleidet mit Bitterkeit, dann mag der Wein an fich noch fo 
füB fein, er muß ja bitter werden auf dem Wege, auf dem er an mich kommt. So auch ein 
feines icho entkleideter Menſch würde dermaßen mit Gott umfangen fein, das die Er- 
ſchaffenen allelamt unfähig wären, thn zu rühren, fie rührten denn Gott zuerft: was an ihn 
kommen follte, das müßte durch Gott hindurch zu ihm gelangen, da empfängt es feinen 
Geſchmack und wird gottartig. Wie hart daher ein Leiden fei, kommt es auf dem Wege 
über Gott, Darunter leidet Gott an erfter Stelle. Und fogar dies: vor Gott ift nie ein Leid, 
das uns befällt, fo gering, eine Mißftimmung, eine Widermärtigkeit, daß es nicht in Gott 
gefetzt, ihn ohnmaßen näher rührte und viel ärger zumiderliefe als dem Menſchen. Läßt 
aber Gott es fich gefallen um irgendeinen Vorteil, den er dir darin erfehen hat, und mwilin 
Ou leiden, was er erleidet und durch ihn an dich kommt, fo wird es von felber gottartig, 
Verfchmähung und Bitternie wie das Allerfüßelte und die dickſte Finfternis wle das klarſte 
Licht: es nimmt alles feinen Geſchmack an von Gott und wird göttlich, es formt fich alles 
nach deſſen Bilde, was immer an diefen Menſchen kommt. 


Meiſter Eckehart, Geiftliche Unterwelfung 


Man kann ſich vielleicht ſo ausdrücken, daß das, was das gequälte pen von Gott 
erfleht, ein Zweck des Lebens in dieſer ſcheinbaren allgemeinen Sinnloſigkeit iſt. Aber 
der Fromme — der eben ein Skeptiker iſt und ein weiſer Mann — läßt dieſen Zweck 
dann ganz in Gott ruhen, er iſt nicht ſo unbeſcheiden, daß er ihn ſchwarz auf mee aben 
will: bas ift ja eben feine Religion, daß er die Ee m der Zweckmäßigkeit 
feines Lebens bekommt, auch ohne verſtandes mäßige Aufklärungen, durch ein Gnaden: 
geſchenk, eine Empfindung, ein Einswerden mit Gott, die Wiedergeburt oder wie man 


nun ſonſt dieſen Zuſtand nennen möge. Paul Ernſt, Tagebuch eines Dichters 


Eins und Alles 


Im Grenzenlosen sich zu finden, 

Wird gern der Einzelne verschwinden, 
Da löst sich aller Überdruß; 

Statt heißem Wünschen, wildem Wollen, 
Statt läst'gem Fordern, strengem Sollen 
Sich aufzugeben, ist Genuß. 


Weltseele, komm, uns zu durchdringen! 
Dann mit dem Weltgeist selbst zu ringen, 
Wird unsrer Kräfte Hochberuf. 
Teilnehmend führen gute Geister, 
Gelinde leitend höchste Meister 

Zu dem, der alles schafft und schuf. 


Und umzuschaffen das Geschaffne, 
Damit sich's nicht zum Starren waffne, 
Wirkt ewiges, lebendiges Tun. 

Und was nicht war, nun will es werden 
Zu reinen Sonnen, farbigen Erden, 

In keinem Falle darf es ruhn. 


Es soll sich regen, schaffend handeln, 

Erst sich gestalten, dann verwandeln; 

Nur scheinbar steht's Momente still. 

Das Ewige regt sich fort in allen; 

Denn alles muß in Nichts zerfallen, 

Wenn es im Sein beharren will. Goethe 


11 


K 


Hupenpolitiſche Hotim 


Riicksiedlung 

Erſt kommende Generationen werden in 
vollem Umfang ermeſſen können, welche 
ſtaatsmänniſche Vorausſicht des ührers 
und welche Summe deutſcher Organiſations⸗ 
und Koloniſationsarbeit zuſammenwirken 
mußten, um eines der größten Werke un⸗ 
ſerer Zeit erſtehen zu laſſen: die ethnogra⸗ 
Wolter Neuordnung im Streugebiet der 

ölker und Stämme ner unjerer Gren: 
zen, vor allem im Often. Die 8715 Ss 
erklärung Adolf Hitlers vom 6. Oktober 

J. mit der Ankündigung, das Reich 
werde ſeine Volksgenoſſen aus verlorenen 
Auslandspoſitionen zurückberufen und da⸗ 
mit zu einer Befriedung in jahrhunderte⸗ 
lang umſtrittenen Räumen beitragen, hat 
eine Entwicklung angebahnt, deren Bedeu⸗ 
tung und deren Ende wir heute nur ahnen 

nnen. 


Baltendentſchtum auf Sturmpoſten. 


Im Vordergrund ſteht dabei die Aktion, 
die das Baltendeutſchtum für immer pus 
rückholt. Damit wird eine 700jährige 
Epoche des Grenz⸗ und Auslandsdeutſch⸗ 
tums abgeſchloſſen, die in buntem Wechſel 
erfüllt war von blutigen Kämpfen und ſtol⸗ 
zen Siegen, langer harter Bedrückung und 
unzerſtörbarer oning auf eine glück⸗ 
lichere udn t. ange haben ſich Deut: 
ſcher Orden, Schwertbrüder und Hanſa be⸗ 
müht, die früher von Kuren, Liven und 
Eſten bewohnten Gebiete einzudeutſchen 
und die hier einmal erkämpften Stellungen 
n Etwa ſeit der letzten Jahr⸗ 
hundertwende und erſt recht mit dem Ende 
des Weltkrieges wurde es dem Einſichtigen 
klar, daß in den baltiſchen Ländern das 
Deutſchtum auf verlorenem Poſten ſtand 
und im Bereich der jungen, durchweg fana⸗ 
tiſch⸗chauviniſtiſch geleiteten Kleinſtaaten 
Nordoſteuropas ſchrittweiſe, aber unauf⸗ 
haltſam dem Volkstode entgegenging. Die 
Revolution des Jahres 1905 hatte mit bru⸗ 
taler Deutlichkeit offenbart, welche wahr⸗ 
haft tödliche Gefahr den Balten drohte. Sie 
ſaßen als dünne Oberſchicht auf dem Lande, 
um großen Teile in den wenigen Städten, 
hier von der Ruſſifizierung bedroht und 
dort namentlich von den Letten völkiſch un⸗ 
terwandert; es fehlte ihnen ſeit langem die 


12 


junge Volkskraft, wie fie beſonders ein ſtar⸗ 
tes Bauerntum immer wieder Bervorbringt. 
Man durfte mit Sicherheit erwarten, daß 
der Landhunger namentlich des Lettentums, 
das dieſe erſte revolutionäre Schlacht 1905 
verlor, fid bald und noch nadbrüdlidjer 
Luft machen würde. Die Verſuche des bal⸗ 
tijden Großgrundbeſitzes, eine ausreichende 
deutſche Landbevölkerung durch Anſetzen 
von Pächtern und Bauern auf ihren Gütern 
gu ſchaffen, blieben ohne Erfolg. Bald nach 
em blutigen Jahre 1905 berief man, unter 
der Führung des Katzdanger Manteuffels 
und Silvio Broederichs, Deutſche aus dem 
Wolgagebiet und aus Wolhynien. Aber 
die jablenmabig ſtärkſte Gruppe, bie aus 
den olgagouvernements wie Saratow 
geholten Siedler, ſchlug nicht ein, da ihnen 
die örtlichen Verhältniſſe in den Oſtſeepro⸗ 
vinzen migi ene Von den urſprüng⸗ 
lich rd. 20 en Menden, bte hier 
eine neue imat finden ſollten, hielten 
ſich bis in die neueſte Zeit hinein vielleicht 
5000, während die übrigen bald weiter⸗ 
gewandert waren, meiſtens nach Überſee, 
viele auch in den Stürmen des Weltkrie⸗ 
ges verſchleppt wurden oder in den Wirren 
des Bürgerkrieges umkamen oder flüͤchte⸗ 
ten. Einen neuen Verſuch machte man, als 
eit 1915 der größte Teil des Baltikums 
urch deutſche Truppen erobert war; ob⸗ 
gleich die Balten ein volles Drittel ihrer 
Beſitzungen für Siedlungszwecke bereitſtell⸗ 
ten, ſchlug dieſes Unternehmen RR als der 
Yusgang bes großen Krieges biele Gebiete 
in neue Erſchütterungen ſtürzte. Auch bie 
Ziele vieler deutſcher Soldaten, die von 
Ende 1918 an im Baltikum weiterkämpf⸗ 
ten, um ſich dort endlich eine Heimſtätte als 
Soldatenſiedler zu ſchaffen, blieben mit dem 
Scheitern des Awaloff⸗Bermondt⸗Unter⸗ 
nehmens unerreichbar. 


Nationale Agrarreform in den Nandſtaaten 


Die härteſten Schläge jedoch ſtanden dem 
bodenſtändigen Deutſchtum in den neuen 
Staaten Eſtland und Lettland noch bevor, 
nämlich durch die Agrarreformen beider 
Länder. Die eſtniſchen Balten ver⸗ 
loren durch die Enteignung des Großgrund⸗ 
beſitzes annähernd 2 illionen Hektar 
Land, ſo daß im Herbſt 1939, als der Ruf 
zur Rückkehr ins Reich erging, kaum noch 


4500 Deutſche auf dem Lande lebten, und 
zwar auf Reſtgütern und Bauernitellen, die 
nicht einmal mehr 30 000 Hektar ausmach⸗ 
ten. Kaum günſtiger war die Lage in den 
Städten, wo das Deutſchtum zuſammen⸗ 
ballte, namentlich in Reval, Dorpat, Per⸗ 
nau, Arensburg, Weſenberg, Fellin, Walk 
und Hapſal, und auch hier verlor es zu⸗ 
SE unb immer ſichtbarer an Zahl und 
utung, wie am beiten bas Schickſal ber 
alten Univerſitätsſtadt Dorpat beweiſt. 
Noch ſchlechter ſtand es für die gegenüber 
den Eſtlandbalten zahlenmäßig Gi viers 
fach überlegenen Deutſchen in Lett: 
land. eit mehr als die Hälfte dieſer 
70 000, nämlich rd. 45 000, ſaß in der Lan⸗ 
deshauptſtadt Riga, weitere 13 000 lebten 
in mittleren und kleinen Städten, kaum noch 
12000 auf dem flachen Lande. Im Herbſt 
1920 hatte die große Flucht in die Stadt 
begonnen, als ein lettiſches Geſetz ohne jede 
Entſchädigung gegen 2,8 Millionen Hektar 
deutſchen Beſitzes enteiqnete unb weniger 
als 60000 Hektar den Balten beließ, unb 
wir erinnern uns noch gut genug, daß dieſe 
Tendenzen der Letten bis in die neueſte 
Zeit hinein ſichtbar waren. 1932 verlor 
bas Deutſchtum den Rigaer Dom, 1935 das 
Sildenhaus, die trotz deutſchen Urſprungs, 
deutſcher Arbeit und einwandfreier deut⸗ 
[fer Rechtstitel von Staats wegen dem 
Lettentum übereignet wurden. 


Heimkehr in den eigenen Naum 

Bei aller Wehmut, die das Scheiden der 
Balten aus ihrer Heimat begleitet, die ſie 
700 Jahre lang zäh, aber glücklos verteidigt 

ben, iſt es oftmals erſchütternd und er⸗ 

bend zugleich, zu ſehen, mit welchem 
Glauben und mit welcher Zuverſicht dieſe 
deutſchen Menſchen zurückkehren und ans 
i gehen, um fid im Often des Reiches 
eine neue, fidere Heimat zu gründen. Es 
wird ſpäteren Schilderungen vorbehalten 
eiben müſſen, aufzuzeigen, mit welcher 
Großzügigkeit und zugleich Gründlichkeit 
und in wie kurzer Zeit Großdeutſchland 
diefe Rückkehrer eingegliedert und erneut 
feſt verwurzelt hat. Nur wenige Stunden 
vergehen heute in Poſen, wo durch die deut⸗ 
ſchen Zentralſtellen alltäglich etwa 1000 
Balten, die über Gotenhafen oder Stettin 
eingereiſt ſind, eingebürgert und ſofort in 
ihre neuen Wirkungskreiſe geſtellt werden. 
ber in dieſen wenigen Stunden zeigt es 
nó. was deutihes Organijationspermógen 
leiften kann. Nach der Prüfung der Per: 
e Aa unb einer Beſtandsaufnahme bes 
Jeft&tums, des mitgebrachten wie bes zus 
tudgelaffenen, folgen eingehende medis 


ziniſche und erbbiologiſche Unterfuhungen 
und ſchließlich die beruflichen und ſozialen 
i und mit Geld⸗ 
mitteln, Anweiſungen auf Wohnung, Ar⸗ 
beitsgerät, landwirtſchaftliches und ande- 
res Inventar und in Begleitung orts⸗ und 
ſachkundiger Führer verläßt der baltiſche 
Riidwanderer als deutſcher Reichsbürger 
das Amt. Ob nun dieſe Menſchen an 
Weichſel oder Warthe auf dem Lande ange⸗ 
ſiedelt werden und bäuerliche Betriebe über⸗ 
nehmen, deren polniſche Eigentümer abge⸗ 
wandert oder von ihrer Flucht nicht zurück⸗ 
ekehrt ſind, ob ſie in Handwerker⸗ oder 
aufmänniſche Berufe eingewieſen werden, 
ſie alleübernehmenihren Beſitz 
vorerſt als Treuhänder, um [id 
zu bewähren, bis eine endgültige Klä⸗ 
rung der Beſitztitel möglich iſt. Aber ſie 
alle gehen mit einem beiſpiel⸗ 
haften Eifer und mutig vor⸗ 
wärts ſchauend an die neue Ar⸗ 
beit, voll dankbarer Anerkennung für 
das, was man für ſie tut. Das gilt nicht 
minder für die mehreren Hunderte balti⸗ 
ſcher Arzte, das gilt für Ingenieure, Archi⸗ 
tekten, Betriebsführer und alle anderen 
Berufe gleichermaßen. 


Oſtpolniſche Deutſche endlich in geſicherter 
Lage 


Noch weniger Schwierigkeiten gibt es bei 
der zweiten großen Gruppe von Rückwande⸗ 
rern zu bewältigen, die in den öſtlichen Reichs⸗ 
gauen neue Wurzeln ſchlagen werden, für 
das Deutſchtum aus Oſtpolen, deſſen weiß⸗ 
ruſſiſche und ukrainiſche Gebiete Rußland 
dr ee hat. Beim Ausbruch des 

eutſch⸗polniſchen Krieges waren es viel⸗ 
leicht 20 000 Deutſche, die am mittleren 
Narew und beiderſeits des Bug ſaßen, be⸗ 
ſonders dicht um Bialyſtok, faſt ausnahms⸗ 
los waren ſie Bauern und ländliche Hand⸗ 
werker. Dazu kamen rund 60 000 Menſchen 
unſeres Blutes in Wolhynien und an⸗ 
ee 70000 in Oſtgalizien, bas als 
„Weſtukraine“ in den Staatsverband der 
Sowjetunion zurückgekehrt iſt. Im rei⸗ 
bungsloſen Einvernehmen mit ihr, das 
durch die Auguſtabmachungen begründet 
wurde, ſollen auch dieſe Volksgenoſſen — 
oder das, was polniſcher Terror von ihnen 
verſchonte — zurückkehren. Mit ihnen kom⸗ 
men die Nachfahren jener Koloniſten in 
den Reichsverband, die in den beiden gro⸗ 
Ben Wellen, bis zum 14. und vom 17. Jahr: 

undert ab, gen Often zogen, zuerſt por: 
wiegend Bürger und Städtegründer, beim 
zweiten EOD überwiegend büuerlide 
Siedler. Aus b len Männern ift ein guter 


13 


Teil der ehemaligen polniſchen Oberſchicht 
gerporgegangen, deren Namen ihre deutſche 

bſtammung verriet: Polens letzter Außen⸗ 
miniſter Beck ebenſo wie der vor einigen 
Jahren durch einen Flugzeugabſturz ums 
Leben gekommene General aus (= Dres 
fer), der Admiral m. (= Unrub), die 
Pryſtor (Prieſter) und Ulrych und bis Her: 
ab zu den Wortführern der polniſchen 
Volksräte in den SE Poſen und 
Weſtpreußen Ende 1918. Hier fand ich gar 
nicht oder nur ſehr oberflächlich entdeutſchte 
Namen wie Leitgeber, Szuman, Sztark und 
viele andere unter den Proklamationen, die 
zur Wahl der „naczelna rada ludowa“ 
(Oberſter Volksrat) warben oder zum Ein⸗ 
tritt in die örtliche „tag ludowa“ (Volks⸗ 


wehr) le Es th ber ille 
Großdeut nn daß deutſche 
Menſchen mehr 


ünftig nicht 
Kulturdünger für fremdes Volts: 
tum fein follen! 


Südtiroler ins Reid 


Eine weitere Welle von Riidfehrern wird 
in einiger Zeit Südtirol verlaſſen. Seit⸗ 
dem der Führer in verbindlichſter Form 
die deutſche Südgrenze am Brenner als un⸗ 
verrückbar bezeichnet hat, um endlich aud 
in dieſem Gebiet des völkiſchen Grenz⸗ 
kampfes klare und dauerhafte Babu 
n ſchaffen, find in ſorgfältiger Vorarbeit 

ie Bedingungen für eine reibungsloſe 
Scheidung zwiſchen deutſchem und italieni⸗ 
ſchem Volkstum gelhaften worden. Ein 
uter Teil ieſer füdtiroler 
üdwanderer dürfte in den 
nördlichen und öſtlichen Teilen 
der deutſchen Alpen eine neue 
Lebensheimat finden, doch ſteht 
zu erwarten, daß mancher auch von ihnen 
den Weg in den wieder deutſch gewordenen 

Oſten nimmt. 


Schapferiſches Aufbauwert 


Wir wiſſen heute noch nicht, ob und, falls 
ja, welche weiteren deutſchen Volksgruppen 
aus anderen Ländern zurückgerufen werden 
ſollen, ob vielleicht die rd. 50 000 Bauern 
aus Litauen, bie zwiſchen Reichsgrenze und 
oberer Memel ſiedeln, ob die etwa 100 000 
Volksgenoſſen in der rumäniſchen Dobru⸗ 
dſcha und in Beſſarabien. Ebenſowenig iſt 
bereits jetzt zu überſehen, in welchem Aus⸗ 
maße Deutſche aus Überſee zurückkehren, 
wenn die Waffen wieder ruhen; aber man 
kann ſich gut vorſtellen, daß Zielklarheit 
und Umfang bes Rückwanderungswerks zur 
Eindeutſchung der Oſtgebiete ebenſo, wie 


14 


der Zwang des Krieges es tut, noch man⸗ 
en Deutſchen in die große Heimat zurüd: 
zieht. 


Diefes Oſtwerk dient, fo betonte Adolf 
Hitler, zur Schaffung einer Reichsgrenze 
nach ethnographiſchen Geſichtspunkten und 
einer völkiſchen Neuordnung, die mit einer 
planmäßigen Umſchichtung der 
Nationalitäten künftige Konflikts⸗ 
alte aa von vornherein unterbinden 
wi Damit und infolge einer 
Löſung des Judenproblems auch 
von der territorialen Seite her 

eht mit dem bisher polniſchen 

aum manches Land vor einer 
weit⸗ und tiefreichenden Wand: 
[ung überkommener völkiſcher 


und politiſcher, ſozialer und 
wirtſchaftlicher 3utände Daß 
bliche Schwie⸗ 


dieſe Umſtellung vielfach er 
rigkeiten mit to ringt, liegt auf bet 
Hand; wir brauchen da etwa nur einmal zu 
unterſtreichen, daß die Liquidierung bes 
von Balten hinterlaſſenen Befikes an 
Grund und Boden, Häuſern und Rechten 
für ein wirtſchaftlich und finanziell ſchwa⸗ 
ches Land wie Lettland nicht einfach iſt, 
ebenſo die Rückführung alter deutſcher 
Kulturgüter wie die des Herderinſtituts 
aus Riga. Aber das find Widerſtände, die 
überwunden werden. 


Das on bietet, eigentlich zum erſten 
Male ſeit Jahrhunderten, den Deutſchen 
ausreichend aum, Sicherheit, Arbeits⸗ 
und Entfaltungs möglichkeiten ohne Zahl, 
und dadurch il es möglich, Lebensfragen 
unſeres Volkstums auch jenſeits unſerer 
Grenzen zu löſen. Wenn jetzt verlorene 
Außenpoſten aufgegeben werden, findet 
eine Entwicklung ihr Ende, die viele un⸗ 
ſerer Beſten zwang, ins Ausland zu gehen 
und dort Träger einer Kulturmiſſion zu 
ſein, die immer anderen, oft ſogar feind⸗ 
lich geſinnten Völkern zugute kam. Zu⸗ 
gleich gewinnt das Reich im Kampf be⸗ 
währte Glieder des Deutſchtums wieder, 


führt es koloniſatoriſch er⸗ 
probte Kräfte im Zeichen einer 
entkapitaliſierten iedlung 


auf bte deutſche Scholle zurück 
und wächſt es an völkiſcher Kraft und wirt: 
ale ee Macht in zunächſt noch unüber⸗ 
ehbarem Ausmaß. nd wir wollen e⸗ 
niemals überſehen, daß dieſes Werk der 
9 utſcher Volksgruppen glei⸗ 
chermaßen dem Beſten dieſer Menſchen wie 
dem Frieden zwiſchen den Völkern und 
Staaten gerade in einer Zeit des Krieges 
dient. —ie— 


Z6 ge er eg e 


Englisch — Allzuenglisch 
„Das ale STE das man 


von einem Minifter unleres Landes 


erhalten kann, it ein Bers 
ſprechen — zumal wenn es durch einen 
Schwur bekräftigt wird. Jeder kluge Menſch 


zieht ſich, ſobald er ein ſolches erhält, ſofort 
ric und läßt jede Hoffnung fahren.“ 
Jonathan Swift vor 200 Jahren im „Gulliver“. 


Als im Jahre 1878 
slider Proteſte von uns beſetzt wurde, ba 


gone RM. Waddington, bem franz 
Renbpunti aus iff has toniel wie ein Ab. 

unkt aus ovie e ein Ab⸗ 
tommen 


leinaſien gern babe, 


b niebers 


KM Win, Gall: : Si wir 1882 


wenn bie Ordnung 8 t ſei. 


tb Salis⸗ 
t9 

legenhetten wiederholt, u t höchſt 

offen. Die mabe Anderten fid) und wir 
t i w 


ihnen: 


W. H. Dawfon, Hitler Challenge. The Nine- 
teenth century and after, April 1936. 


„Ich kenne kein Mitglied dieſes Haufes — 
unter meinen Kollegen unter 
denen, die auf der anderen Se des 
pantes Risen — das jemals den e 
tihlag vertreten hätte ngland 
olte ich niemals, unter feinen Umftänden 
R bie Angelegenheiten fremder Länder 
einniſchen. Es t Lagen, in denen es 
der eee Pflicht ſein kann, uns 
Cat ger Wir können uns offen 
indie Angelegenheiten fremder 
Länder einmiſchen, wenn die 
Intereſſen oder die Ehre Eng⸗ 
lands auf dem Spiel ſtehen oder 
wenn nach unſerer Meinung die Unab: 
hängigkeit Englands bedroht ift.“ 
Disraeli im Unterhaus, 1860. 


„Warum hängt die Ehre unſeres Landes 
von dieſem Kriege ab? Vor allen Dingen, 
weil wir die ehrenvolle Verpflichtun 


, bie Unabhängigkeit, Freiheit un 
egrität eines ſchwächeren Nachbarn és 
mals Belgien), der immer in Frieden gelebt 


hat, zu verteidigen. Er hätte uns nicht dazu 
wingen können, denn er u Pflichten aber 
Cher. der es ablehnt feinen flichten nad: 
zukommen, weil fein Gläubiger zu ſchwach 
tft um ihn dazu zu zwingen, tjt ein Schuft.“ 
(Wer ſpricht da von Polen? 

Lloyd George, Queens⸗Hall⸗Rede, 19. Sept. 1914. 


„Wir verteidigen Belgien, weil es das 
enſeitige Ufer des Kanals iſt und die Mün⸗ 
ungen der Schelde und des Rheines über⸗ 
Sek Wir find Verbündete Portugals, weil 
es uns eine Hintertür nach Spanien offen 

19 5 MP weil es eine 

tofung gegen Frankreich u terreich⸗ 
Ungarn bildete. Wir waren der Pate 
Japans, weil es eine Fehde Rußland 
gate und jetzt die Vereinigten Staaten im 

uge behält. — Wir mögen manche Völker 
allezeit und alle Völker eine Zeitlang zum 
beſten haben, aber wir werden nicht 
mehrlangealle Völker zum Nar⸗ 
ren halten.“ . 
„The Labour Leader‘, März 1915. 


„Es hat Zeiten in der Weltgeſchichte ge: 
geben, in der zwei oder drei Nationen gleich⸗ 
eitig die Schützer der Ziviliſation geweſen 
ind, aber eine nach der anderen hat verſagt. 
Sie haben ihre Funktionen nicht ul und 
trotz ben Anſtrengungen und der Macht, der 
fe d in den Tagen ihrer Herrſchaft er: 
reuten, verſchwanden ſie eine nach der 
andern, und neue Völker ſtanden auf, um 
ihren Platz einzunehmen. Das Amt des 
Ziviliſationsſchutzes kommt nicht 
von Königen, nicht von Herrſchern oder 
rſten, nicht von Senaten, Parlamenten 
oder Räten, es kommt von oben, aber nicht 
nach der Wahl der Völker, ſondern nach 
Gottes Willen. 
Dieſes Amt — dieſes Amt iſt heute das 
eure und das unſrige. Die Handlung iſt eine 
öttliche: Sie antworteten auf die unſicht⸗ 
re Botſchaft vom Jahre 1917, als wir 
ſchon ſo getan hatten; aber das Amt iſt noch 
nicht erfüllt, das Werk iſt nur halb getan. 
Wenn es NN ganz — ganz zu Ende ge: 
bracht wird, |o iſt die Ziwiliſation noch in 
dieſer Generation zu einer Kataſtrophe ver⸗ 
urteilt, wie ſie die Welt noch niemals ge⸗ 
ſehen hat. enn Sie aber, Ihr mächtiges 
Volk, wenn unſer Volk im ganzen britiſchen 
Empire die Botſchaft entſchloſſen, feſt, muti 
und a zu zögern ausführt, dann e ich 
keine Beſorgnis, daß die Menſchheit höhere 
Höhen des Edelmutes, der Sicherheit, des 
Glückes erklimmen wird, als ſie bis jetzt ge⸗ 


kannt hat.“ 
Lloyd George zu den Amerikanern, New Pork, 1923. 


15 


„Die traditionelle engliſche 
Politik hat zum Ziele die e⸗ 
ſtaltung der Welt zu immer 
5 Vollkommenheit zu⸗ 
gunſten des Menſchengeſchlech⸗ 
te s— unter welchen gegenwärtigen Opfern 
dies auch immer geſchehen muß. Und das 
britiſche Empire iſt die Ai E Skizze für 
bie ſpätere Geſtaltung der Welt.“ 


Gerard Collier, The leading ideas of british 
Policy. Oxford 1914/15 (Oxford Pamphlets, Bd. 43). 


Deutschland, England und das Meer 


Deutſche und Engländer, raſſiſch ſo nahe 
verwandt, find politiſch und weltanſchaulich 
zu Antipoden 5 Das offizielle, das 
nach außen allein vernehmbare England, 
das uns bei unſerer Ordnungsaufgabe in 
Mitteleuropa mit der Kriegserklärung in 
den Rücken gefallen iſt, will unſeren Unter⸗ 
gang. Mit ihm haben wir uns auseinander⸗ 
zuſetzen und werden es mit der Folgerich⸗ 
tigkeit und Härte tun, die jener britiſchen 
Hartnäckigkeit angemeſſen iſt. 

Als im Herbſt 1914 unſere d Mee 
im feuchten Flandernwind über Brügge 
d'In vorſtießen und bei Oſtende in ehr: 

irditiger rgriffenheit das Meer erblid- 
ten, glaubten viele von ihnen, Volk und 
Vaterland aus der Enge der en 
Nordſee befreit zu haben, jenem „naſſen 
Dreieck“ Emsmündung — Elbemündung — 
Sylt, in das frühere deutſche Zwiſtigkeit 
und böſer Wille Englands das Deutſchtum 
des 19. Jahrhunderts gezwängt Ben Wher 
fie merkten nur zu bald, daß nur vier 
Dampferſtunden von Oſtende entfernt die 
Kreideklippen von Dover on England 
verriegelt und verfiegelt bie Nordſee. Ohne 
England wären unſere Nordſeehäfen das 
„Gegenüber“ von Kanada, Neuyork und dem 
Paradies der weſtindiſchen Inſelflur. 


Die enge Gaſſe 


Dem „naſſen Dreieck“ im innerſten 
Winkel der Nordſee entſpricht ein „trodes 
nes Dreieck“ an ihrem ſüdweſtlichen 
Ausgang, das Dreieck AE Kap 
Graue Rafe, Sommemündung. Mit dieſem 
Dreieck unb feiner Spitze in der Grauen 
Naſe ſchiebt ſich bis auf 30 Kilometer Ent⸗ 
fernung das europäiſche Feſtland gegen die 
britiſche Inſel vor. In den erſten Jahr⸗ 
hunderten unjerer deutſchen Staatsgeſchichte 
teichte niederdeutſcher Volksboden bis zum 
Atlantiſchen Weltmeer. Boonen war 
niederdeutſch, bevor es Boulogne wurde. 
Als Calais noch ein niederdeutſches Kales 
war (verwelſcht wurde es um 1200, von 


16 


Flandern abgetrennt erft im 14. Jahrhun⸗ 
bert), konnten unjere Vorfahren von hei: 
matlicher Scholle mit bloßem Auge die 
Küſte Englands erblicken. Und dieſes Eng⸗ 
land war vor tauſend Jahren nicht von 
„Engländern“ bewohnt, ſondern von An⸗ 
geln und 1 Die Kahle von Kales 
oder Dover, heute die Nahtſtelle zwiſchen 
britiſcher Seeräuberei und franzöſiſcher 
Hörigkeit, war zu beiden Seiten von unſeren 
Brüdern beſiedelt. 

Wir ſtellen das nicht feſt, um daraus 
einen Anſpruch für die Gegenwart oder 
Zukunft herzuleiten, aber ſolches Wiſſen 
macht unſeren Entſchluß noch härter, Eng⸗ 
land aus unferem gegenwärti⸗ 
gen Lebensraum Mitteleuropa 
ein für allemal zurückzuweiſen. 

Die Engländer u von Haus aus 
fein ſeefahrendes Volk geweſen. Vom 
12. bis 15., d 16. Jahrhundert beherrſchten 
nicht engliſche Pie per die Nordſee, fon: 
dern deutſche. Die Themſe war ſozuſagen 
„Zubringer des Rheins“. 

In London galt bas Wort des hanſiſchen 
Kaufmanns aus Köln, Bremen und Lübe 
viel. Der deutſche Stalhof zu London 
war Englands wirtſchaftlicher 
Mittelpunkt. Engliſche Könige ver⸗ 
pfändeten nicht nur Zölle oder Zinnberg⸗ 
werke, ſondern ſogar die Königskrone an 
die „ktlöniglichen Kaufleute“ aus dem Oſten 
(„Diterlinge“), an die heute noch bie eng: 
liſche Münzbezeichnung „Pfund Sterling“ 
erinnert. 

Erſt als Schüler der deutſchen Hanſe ſind 
Engländer wirkliche adeps geworden. 
Sie haben das leuchtende Beiſpiel des Ban: 
ſiſchen Kaufmannes vergröbert und ins 
Sa ige überſteigert. Während der 

anſekaufmann durch ſtrenge Erziehungs⸗ 
ordnungen ſich und ſeinesgleichen immer 
wieder auf den allgemeinen Nutzen aus⸗ 
richtete, wurde der britiſche Überſeekauf⸗ 
mann immer wieder en Großverdiener 
und Ausbeuter. Die Briten halten i 
für bas auserwählte Volk und falen 
jeit e ice jedes Auftauden einer 
neuen Macht zur See, ja [don zu Lande 
als eine Beleidigung und als eine Ver⸗ 
letzung britiſcher Intereſſen auf. 


Beharrliches Gegenipiel 

Unſer Volk nun hat nicht erſt ſeit geſtern, 
ſondern m ar ſeit dem Frieden zu 
Utrecht im Jahre 1713 mit Englands Geg: 
nerſchaft zu rechnen. Damals konnte Eng⸗ 
land die Ipae wie bie niederländiſche 
Seegeltung als endgültig überwunden 
betrachten und die franzöſiſche als ſo ge⸗ 


m fi d 


0 
| 
| 


ſchwächt, daß mit ihrer demnächſtigen 
Überwindung zu rechnen war. Sogleich ſtell— 
ten ſich die wendigen Londoner Politiker 
darauf ein, das fà tapfer aus ben Folgen 
bes égen gen Krieges wieder her: 
aufarbeitende deutſche Volk nicht zu ſtark 
und vor allem nicht einig werden zu laſſen. 
Überall arbeiteten Englands Ränke und 
Englands Geld. Von nun ab wurde es eng— 
licher Grundſatz, auf der feſtländiſchen 
Seite der Nordſee ein Vorfeld 
gegen Deutſchland zu beſitzen. Zunächſt war 

s Hannover, mit dem die engliſche 
Krone ab 1714 durch Perſonalunion ver: 
bunden war. Damals gehörte Flandern mit 
ſeiner Küſte noch zum Reich. Was war für 


London „natürlicher“, als des Kaiſers Geg— 
ner zu unterſtützen. So kam es zu Englands 
„Freundſchaft“ für das friderizianiſche 
Preußen. Als aber Deutſchland unter preu— 
kilher Führung zuſammenzuwachſen ſchien, 
wurde Friedrich der Große im Stich gelaſſen. 

Im Wiener Kongreß verhinderte Eng— 
land, daß Flandern „heim ins Reich“ 
kehrte oder ar daß die Hoffnung 
eines Ernſt oritz Arndt und anderer 
Patrioten auf Rückkehr der Niederlande 
erfüllt wurde. Um die Deutſchen von der 
Nordſee abzulenken, ſchanzte England auch 
das Elſaß wieder dem beſiegten Frankreich 
zu. Unter britiſcher Patenſchaft entſtand 
ein großniederländiſcher Staat, der die Län— 


17 


der des mie Bundes von ber Moſel 
bis zur Emsmündung vom Meere abriegelte. 
1830 wurde dann dieſe Rolle auf den neuen 
belgiſchen Staat übertragen. Als „Lohn“ 
sa k England obendrein nod) bie deutſche 
Inſel Helgoland. Als 1848 das deutſche Volk 
in jugendfriſcher e put, H und ange: 
borener Liebe zum Meere das Geld für eine 

lotte ſammelte (und p im ganzen deut- 

en Gebiet bis zur Bergakademie Shem- 
nig in ber Glomatei!), drohte England von 
ege aus, diefe Flotte als Seeräuber 
16 ehandeln und erzwang ſo ihre Auf⸗ 
öſung. 

Daß dann eine Einer ee 
Frage entſtand und ſo bitterböſe wurde, war 
z. T. engliſcher Putſcharbeit in Dänemark 
zu verdanken. Der deutſche Bruderkrieg von 
1866 war nach Englands Sinn, desgleichen 
der deutſch⸗franzöſiſche Krieg von 1870/71; 
denn wenn Deutſche und Franzoſen ſich 

egenſeitig beſchäftigten, war nichts für das 
eſtländiſche „Vorfeld zwiſchen Somme und 
Ems“ zu fürchten. Als 1871 die nieder⸗ 
deutſch⸗flämif e Bevölkerung um Dün⸗ 


kirchen und Caſſel deutſche Beſetzung er⸗ 


E te, wußte bie engliſche Königin beim 
erliner Hofe es durchzuſetzen, da 


von der 


bis 1873) gemäß dem Frankfurter Friedens: 
vertrag das Gebiet um die Graue Naſe mit 
Dünkirchen, Kales, Boonen ausgenommen 
wurde. 

Wie das SH Reih an England zer: 
brach, ijt bekannt. Es hatte die „Todſünde“ 
begangen, in dem ihm vie anf den 
Weltkrieg das engliſche Vorfeld auf dem 
Feſtland, vor allem die flandriſche Küſte, 
anzutaſten. Nach engliſcher Auffaſſung war 
Verſailles ein „Friede der rechtigkeit“, 
weil es bie Deutſchen in das enge „ naſſe 
Dreieck“ zurückverwies und gleichzeitig an 
vielen anderen Stellen beſchäftigte. 

Auch der ganze Nachkrieg unter den Be⸗ 
ſtimmungen von Verſailles und St. Ger⸗ 
main iſt zu entſcheidendem Teil Englands 
Werk. Mit allen unſeren Gegnern hätte 
ſich ein Ausgleich finden SE wenn Eng: 
land ihn nidt verhindert hätte. Mit allen 
unſeren Nachbarn könnten wir Frieden 
haben, wenn es gelänge, die Seemacht Eng⸗ 
land zum Frieden zu bringen. Län 
ée wir mit unſerem Fleiß eine höhere 
LEES errei wenn England 


bis 1870) Nord- und Oſtfrankreichs (1871 


nicht ſeit Jahr und Tag Wirtſchaftskrieg 
gegen uns geführt hätte oder durch Hilfs⸗ 


völker hätte führen laffen. Es gibt keinen 
Bereich deutſcher Arbeit, in den nicht Eng⸗ 
lands rauhe Hand gegriffen hätte oder 
noch greifen würde. 


Die Nordſee — unſer Lebensraum 


Dieſe zentrale Bedeutung des nun ſchon 
226 Jahre währenden britiſchen Dauerkrie⸗ 
ges gegen die deutſche Einigung zwingt 


zu der Frage, ob nicht das deutſche Volk 


ebenfalls die ihm zukommende Seegeltung 
erringen kann. Ob es nicht Mittel und 
Wege gibt, England mit ſeinen eigenen 
Waffen u ſchlagen und der dauernden eng⸗ 
liſchen Bedrohung ein Ende zu machen. Die 
Frage ſtellen heißt ſie beantworten. Auch 
wir haben Heimatrecht auf den 
Wogen. 


Der Feſtſetzung des Inſelſtaates England 
auf dem „trockenen Dreieck“ des Feſtlandes 
müſſen wir i begegnen, daß wir noch 
viel ſtärker als bisher das Meer, die 
Nordſee bis hinauf zu den Shetlandinſeln, 
in den Kreis unſerer Betrachtung und 
unſerer Arbeit einbeziehen. uch das 


cine 
Das Beispiel eines gläubigen 


Deutschen: Johann Gottlieb Fichte 


Es ift eigenartig und nicht ohne Ironie, 
daß revolutionäre Bewegungen gegen ben 
Dogmatismus ber Kirchen nicht se ihren 
Urſprung in der ſelbſtſicheren Atmoſphäre 
evangeliſcher Pſarrhäuſer fanden. Das gilt 
von Friedrich Nietzſche, vor allem aber und 
in weiterem Sinn von einem Mann, deſſen 
Leben und Werk von grundlegender Be⸗ 
deutung für die deutſche Sache wurde, und 
der in dieſer ſtürmiſch bewegten Zeit wohl 
berufen iſt, auch uns Heutigen Künder und 
Deuter zu ſein: Johann Gottlieb Fichte. 


Fichte iſt freilich nicht eines Pfarrers, 
ſondern eines Bandwirkers Sohn, und an 
I do Wiege ftand, wenn nicht die Armut, 


o doch die Sorge Pate. Aber ſeine Lehr⸗ 
ahre verliefen entſcheidend unter pfarr⸗ 
herrlichem Einfluß. Ein Pfarrer war es, 
der des Knaben Fichte ungewöhnliche Be⸗ 
abung entdeckte und ihm, den das Schickſal 
ür eine Handwerkerſtube beſtimmt zu 
haben ſchien, die erſten Sproſſen der Leiter 
erklimmen half, die dann unmittelbar in 


Meer iſt unſer Lebensraum. Die 
Grenzen unſeres Reichen liegen bei Borkum, 
Helgoland und Sylt, die Grenzen unſerer 
Aufmerkſamkeit und Anteilnahme müſſen 
draußen auf den Wogen liegen, wo England 
uns unfere Nordſee verriegelt und vers 
fegelt. Hinter den Verſuchen unjerer 
Kriegsmarine, dieſe Sperren zu durch⸗ 
brechen, muß der leidenſchaftliche Wunſch 
unſeres Volkes nach Seegeltung und Arbeit 
in der weiten Welt ſtehen. Denn: Ohne 
Seegeltung keine Kontinental⸗ 
u^ pos England ift ein ſch 

in Krieg ge ein ſchwerer 
Krieg; das bat England gewußt, als es ihn 
uns aufzwang. Es kann ein langwieriger 
Krieg werden. Aber er muß um des Frie⸗ 
dens willen gewonnen werden, auch wenn 
wir das rt Geduld groß ſchreiben 
müſſen. Und nur ein ſtraffes und bewußt 
blockademäßig s Verhalten wird uns jene 
zuſätzliche Härte erringen laſſen, die im 
Endkampf gegen England das letzte, ent⸗ 
ſcheidende rt ſprechen wird. 

, Friedrich Lange. 


eltſage 


die fernen Höhen gedankenſtrenger Wiſſen⸗ 
ſchaft führte. 
Die nächſte Station des eS Bils 


bungsmeges, die fürftlide Lehranſtalt 
Schulpforta, atmete den gleichen pfarrherr⸗ 
lichen Geiſt. Die Welle der Aufklärung 
durchdrang ihre Mauern nicht, und gar 
Leſſings ſcharfzüngiger Dialektit war Bier 
feine Pforte geöffnet Wenn aber Jugend 
hinter verſchloſſenen Türen und dicht 
Deren enen Fenſtern verpönte Schrift» 
eller lieſt, dann ſtimmt etwas nicht mit 
er Zeit, dann geht ein ſpürbarer Ri pe 
bas Gefüge überlieferter Ordnung; au 
ſolche eile pflegen Revolutionen ſich an⸗ 
zukündigen. 

m. Pe hatte damals ſeinen Streit mit 
dem Pfarrer Goeze, und ſein „Anti⸗Goeze“, 
von dem jungen Fichte fo begierig und 
heimlich verſchlungen, ließ keinerlei Zweifel 
daran, daß in der Perſon des beſagten 
Pfarrers eine ganze Inſtitution gemeint 
war, eine Inſtitution, die Johann Gottlieb 
Fichte, bei aller ſchuldigen Dankbarkeit, zu 
ut kennengelernt hatte, um ſich an der 
Ve slos zupadenden Art Leſſingſcher 
Beweisführung nicht zu entzünden. Ohnehin 


19 


rüttelte es bereits allerorten an Thronen 
und Altären; eine Zeit hatte ſich erfüllt, 
eine neue, ungewiß noch und mehr erfühlt 
als geſchaut, ſtand auf der Schwelle. Jen⸗ 
ſeits des Rheines blitzten die erſten Wet: 
terzeichen kommender Stürme, des unge⸗ 
bärdigen Rouffeau krauſe Ideen erhitzten 
die Köpfe der Jugend. 


Dennoch ging der Inge Fichte nach Jena, 
um Theologie zu ſtudieren. Gewiß nicht 
aus Dankbarkeit, — er hat zeitlebens nie 
gegen ſeine Überzeu ung gehandelt —, wohl 
aber aus dem raſtloſen rang nach Erkennt⸗ 
nis. Man muß wiſſen, wenn man er: 
kennen, wenn man gar lehren will. 
Und das wollte er. Beeinfluſſen überzeugen, 
formen, durch das Wort und durch die 
Gebärde: dieſe Notwendigkeit war ſchon in 
dem Knaben lebendig; er war der geborene 
Redner. Die Theologie konnte dem Suchen⸗ 
den und Ringenden nicht genügen. Er 
belegte daneben klaſſiſche und juriſtiſche 
Vorleſungen; dann ſtieß er auf Kant. Und 
wie zehn Jahre ſpäter für den jungen Kleiſt, 
ward die Bekanntſchaft mit dem Königs⸗ 
berger zone en für Fichte zum Wendes 
punkt. Dem eologieftudenten war bie 
Theſe von der abfoluten Souveränität 
des Willens EE tief empfun⸗ 
dener Überzeugung. „Dies hat mir eine 
Ruhe gegeben, die ich noch nie empfunden 
habe“, ſchreibt er an ſeine Braut. 

Er mochte dieſe innere Ruhe wohl nötig 
haben, denn um die äußere, ja um [ein 
anges „bürgerliches Leben“ mar es hinfort 
f [edt beſtellt. Dem , Gottesleugnet" ver: 
ſchloſſen fid) alle Tore. Schlecht bezahlte und 
entwürdigende Hauslehrerſtellen hielten ihn, 
mühſam genug, über Waſſer. Von Zürich 
über Warſchau nach Königsberg führt es 
den Ringenden. Hier, in der Stadt Kants, 
trifft er perſönlich mit dem großen Philo⸗ 
y en zuſammen; bald darauf erſcheint die 
„Kritik aller Offenbarung“, die ihn, be⸗ 
trächtliches Aufſehen erregend, mit einem 
Schlage aus der Anonymität ſeines bis⸗ 
herigen Daſeins reißt und in den Blickpunkt 
der wiſſenſchaftlichen Welt rückt. Die Uni⸗ 
verſität Jena beruft E ehemaligen 
Schüler auf einen Lehrſtuhl. Hölderlin ſitzt 
hier zu ſeinen Füßen. 

Aber Johann Gottlieb Fichte will nicht 
nur lehren, er will vor allem bilden, er⸗ 
iehen. Da er die Pete did ſtudentiſchen 
Einrichtun en ſeinen Abſichten hinderlich 
findet, müht er ſich, ſie zu ändern und ſtößt 
dabei, nicht bei den Studenten, wohl aber 
bei der Regierung, auf Widerſtand. Vor 
allem aber ein ener Angriff gegen den 


20 


Dogmatismus der Kirche mußte als unver⸗ 
zeihlich erſcheinen. „iber den Grund unjetes 
Glaubens an eine göttliche Weltregierung“, 
hatte gigi u ſchreiben gewagt und in 
dieſer Schrift Anſichten geäußert, die denen 


der herrſchenden Gewalten erheblich wider⸗ 


prachen. Die Folge war eine Unterſuchung, 

ie, wie nicht anders zu erwarten, mit 
ſeiner Entlaſſung endete. Nach einem ver⸗ 

eblichen lud. in d red ut Hg einen 
ſtillen Arbeitsplatz zu finden, holt A. W. 
ead ben Geſcheiterten im Frühjahr 1798 
nad Berlin, und hier in ber preubiifen 
Hauptſtadt, bie nod) ganz des großen Fried⸗ 
richs Geiſt atmet, gelangt ber Jünger der 
franzöſiſchen Revolution, die er ſechs Jahre 
zuvor in zwei flammenden iften ver⸗ 
teidigt, zum Bewußtſein feiner eigentlichen 
Sendung: Der Revolutionär wird 
nn Patrioten, der wiſſenſchaft⸗ 

iche Lehrer zum Erzieher der 
deutſchen Nation. 


Fichte wie Kleiſt, beide in der deutſchen 
Niedergangszeit in einer Front ſtehend, 
fanden eine Quelle ihrer Kraft in der 
Kantiſchen Philoſophie. „In uns flammt 
eine Vorſchrift — und die muß göttlich 
ſein“, ſchreibt Heinrich von Kleiſt an Wil⸗ 
helmine von Zenge, und — hier vernehmen 
wir den kategoriſchen Imperativ —, „fie 
peiit Erfülle deine Pflicht; dieſer Satz 
enthält die Lehren aller Religionen.“ Und 
Fichte ſieht den Urſprung des Glaubens im 
eigenen ſittlichen Bewußtſein: 

„Nicht darin beſteht die Neligion, worin 
die gemeine Denkart ſie ſetzt, daß man 
glaube, — dafürhalte unb fid) gefallen laffe, 
weil man nicht den Mut hat, es Ce leugnen, 
auf ponen und fremde Verſicherung 
hin: es ſei ein Gott; denn dies iſt eine 
abergläu ge Superſtition, durch welche 
höchſtens eine mangelhafte Polizei ergänzt 
wird, das Innere des Menſchen aber ſo 
Ke bleibt als vorber, oft fogar nod 
chlechter wird; weil er Melen Gott fid 
bildet nad feinem Bilde unb ihn ver: 
arbeitet zu einer neuen Stütze [eines Ber- 
derbens. Sondern darin beſteht die Religion, 
daß man, in e eigenen Perſon, unb 
nicht in einer fremden, mit feinem eigenen 
geiſtigen Auge, und nicht durch ein fremdes, 
Gott unmittelbar anſchaue, habe und be 
Dies aber iſt nur durch das reine und ſelb⸗ 
ſtändige Denken möglich; denn nur durch 
diefes wird man eine eigene Perſon; und 
dieſes allein ijt das Auge, dem Gott idt 
bar werden kann. Das reine Denken iſt 
oe das göttliche Daſein, und umgelehrt, 
as göttliche Daſein in ſeiner Unmittel⸗ 


1 
d 


Albrecht Dürer: Maria in der Landschaft (Kupferstich 


C. D. Friedrich: Nebelwolken im Tal 


| 
| 


barkeit ift nichts anders, denn das reine 
Denken.“ 


Mit dieſen Sätzen D das Verhältnis 
Fichtes zur „göttlichen Weltregierung“ im 
weſentlichen ausgeſagt. Er ift niemals gott: 
los geweſen, nur der von einer innerlich 
erſtarrten Kirche dogmatiſierte Gott war 
ihm fremd geblieben; mehr, er erſchien ihm 
u allen Zeiten als eine Entwürdigung des 
ohen Begriffes, den er ſelbſt ſich Gären 

tte. Gott, bas war bie ſittliche Weltord⸗ 
nung ſchlechthin, Gott war in ihm, in allen 

ten Kräften dieſer Welt. Gott nur als 
lücks⸗ und Unglücksbringer, wie ihn das 
ausgehende Mittelalter und der Pietismus 
ſah, erſchien ihm nicht denkbar; ja mehr, 
als ein unwürdiger 5 egenüber 
den eigenen Schwächen: „Das Syſtem, in 


welchem von einem übermächtigen Weſen 


Glückſeligkeit erwartet wird, iſt das Syſtem 
der Abgötterei und des Götzendienſtes, 
welches ſo alt iſt als das menſchliche Ver⸗ 
derben und mit dem fyorigange ber zeit 
bloß feine äußere Geftalt verändert Bat. 


Das war ein Feldgeſchrei gegen bie Be: 
quemlichkeit, gegen jede Art Läſſigkeit; es 
hieß: Handele gut, erfülle deine Pflicht, 
diene der Geme och, in bie bu geftellt 
Dit, und du wirft gut fein. Denn Gott ift 
in dir, oder et ift gar nicht. Hier klingen 
bie Gedanken Leſſings an, der dem jungen 
. und ringenden Fichte Führer und 

egbereiter geweſen: „Einen Gott erkennen, 
ſich die würdigſten Begriffe von ihm zu 
machen ſuchen, auf dieſe würdigſten Begriffe 
bei allen unſeren Handlungen und Gedan⸗ 
ken Rückſicht nehmen: iſt der vollſtändigſte 
Inbegriff aller natürlichen Religion.“ 

Freilich, die Kantiſche Lehre: Tue deine 
Pflicht, ſo biſt du in Gott und Gott iſt in 
dir! blieb letztlich zu nüchtern und kühl, 
um Fichtes leidenſchaftliches Sehnen nach 
Gotterfüllung auf die Dauer zu befriedigen. 
Schon 1799, in der „Beſtimmung des 
Menſchen“ wird ihm Gott in allen Dingen 
ſichtbar: „Es iſt alles belebt und 
beſeelt und blickt mit hellen 
Geiſteraugen mich an und redet 
in Geiſtertönen an mein Herz.“ 
Sichte, Kind einer Zeit, bie Sean Iacques 

oufleaus ee trunfen ge: 
macht, war, wie hätte es anders fein können, 
zunächſt von der Menſchheit ausgegangen; 
erſt der Zuſammenbruch ſeiner Wahlheimat 
ER ließ ihn das Volk als eigene 

töke erleben, führte ihn zum Bewußtſein 
ſeines Deutſchtums, formte aus ihm den 
wortgewaltigſten Prediger der deutſchen 
Sache. Die gleiche Unbedingtheit und Kom⸗ 


romißloſigkeit, die bisher in allen Phaſen 
ein Leben beſtimmt, begleitete ihn auf 
dieſem Weg. 

Preußen, das ſoeben geſchlagene, nahezu 
in der Subſtanz vernichtete Preußen, wird 
ihm zum neuen Gottesſtaat, von dem die 
große Erneuerung ausgehen muß. Schon in 
den Vorleſungen über „die Grundzüge des 

egenwärtigen Zeitalters“, 1804/05 in Ber⸗ 
in gehalten, ſieht er Gott in der Geſchichte, 
hier noch der Menſchheitsgeſchichte, wirkſam 
werden. Nun aber erlebt er zutiefſt die 
Geſchichte ſeines, des deutſchen Volkes. An 
einem Dezemberſonntag des Jahres 1807, 
mittags 12 Uhr, hält er im Runden Saal 
der Berliner Akademie die erſte jener Vor⸗ 
leſungen, die als „Reden an die deut⸗ 

che Nation“ bekannt wurden und die 
um Weſentlichſten gehören, was jemals 
in deutſcher Junge zu deutſchen Menſchen 
geredet wurde. Jeder Satz dieſer Reden 
enthält ein Bekenntnis, hinter jedem Wort 
lodert ein fanatiſcher, durch nichts zu er⸗ 
ſchütternder Glaube an die göttliche Miſſion, 
die ihm wurde: die deutſche Nation 
un Bewußtſein ihrer ſelbſt unb 
hrer Sendung zu erziehen. 

Jetzt ſind ihm die Deutſchen das Urvolk, 
„das das Recht hat, ſich das Volk ſchlecht⸗ 
weg im Gegenſatz mit anderen von ihm 
abgeriſſenen Stämmen zu nennen“. Er 
ſieht den unaufhaltſamen en einer 
Welt, die, alt und faul und morſch ge⸗ 
worden, zum Untergange reif iſt, aber er 
ſieht und ſpürt und erfühlt zugleich auch die 
ſchlummernden Titanenkräfte im Wurzel⸗ 
boden dieſes deutſchen Volkes. Sie zu wecken 
und wirkſam zu machen, redet er „für 
Deutſche ſchlechtweg von Deutſchen ſchlecht⸗ 
weg, nicht anerkennend, ſondern durchaus 
beiſeiteſezend und wegwerfend alle die 
trennenden Unterſcheidungen, welche un⸗ 


.felige Ereigniſſe feit Jahrhunderten in der 


einen Nation gemacht haben“. Und dieſe 
Reden, gehalten vor deutſcher 
Jugend in des Vaterlandes bit⸗ 
terſter Zeit, unter den Augen 


franzöſiſcher Spitzel, geboren 
aus einemtief verwurzelten un⸗ 
erſchütterlichen Glauben an 
eines großen Gottes unendliches 
Wirken, ſie werden zum flam⸗ 
menden Fanal bes Lebens⸗ und 
Widerſtandswillens eines bis 
aufs Blut gepeinigten Volkes; 
fie werden zum Fanal des 
Sieges. 


i 
Wir Heutigen, die wir wieder einmal im 
Kampfe ſtehen um die Bewahrung und 


21 


Erhaltung unferer gottgewollten Art und 
unjeres Erbes, wir wollen diefe Reden 
eines a Größten und Beſten zum 
anderen Male auf uns wirken laſſen; fie 
find für uns, fie find für die Deutſchen aller 
Zeiten geſchrieben und gehalten worden. 
Gläubiger und gottverbundener hat ſelten 
ein Deutſcher zu Deutſchen geredet als diefer 
Gottesleugner“. Gläubig, b. h. zutiefft er» 
üllt vom Glauben an die wig⸗ 
keit des Menſchen und des gottgewollten 
Volkes. In ſeinen „Reden“ ſteht gültig bis 
in die fernſten Zeiten, dieſes Bekennt⸗ 
nis: „Der Glaube des edlen Menſchen an 
die ewige Jer Erbe ſeiner Wirkſamkeit 
auch auf dieſer Erde gründet ſich auf die 
Hoffnung der ewigen Fortdauer des Volkes, 
aus dem er ſelber ſich entwickelt hat, und der 
Eigentümlichkeit desſelben, nach jenem ver⸗ 
borgenen Geſetze, ohne Einmiſchung und 
Verderbung durch irgendein Fremdes und 
in das Ganze dieſer Geſetzgebung nicht 
Gehöriges. Dieſe Eigentümlichkeit iſt das 
ige, dem er die Ewigkeit ſeiner ſelbſt 
und ſeines Fortwirkens anvertraut, die 
SH Ordnung ber Dinge, in bie er fein 
Ewiges legt; ihre Km muß er wollen, 
denn fie allein ijt ibm das entbinbenbe 
Mittel, wodurch bie kurze Spanne feines 
Lebens hienieden ausgedehnt wird. Sein 
Glaube und ſein Streben, Unvergängliches 
zu pilangen; fein Begriff, in welchem er fein 
eigenes Leben als ein ewiges Leben erfaßt, 
iit das Band, welches zunächſt feine Nation 
und vermittels ihrer das ganze Merſchen⸗ 
geſchlecht innigſt mit ihm ſelber verknüpft, 
und ihrer aller Bedürfniſſe, bis ans Ende 
der Tage, einführt in ſein erweitertes Herz. 
Dies iſt ſeine Liebe zu ſeinem Volke, zu⸗ 
vörderſt achtend, vertrauend, desſelben he 
freuend, mit ber Abſtammung daraus fid) 
ehrend. Es iit Göttliches in ibm erſchienen, 
und das Urſprüngliche hat dasſelbe ge⸗ 
würdigt, es zu ſeiner Hülle und P feinem 
unmittelbaren Verflößungsmittel in der 
Welt zu machen; es wird darum auch ferner 
Göttliches aus ihm hervorbrechen.“ 


Fritz Helke 
Neue Bücher 


Allerlei für den Weihnachtstiſch 
Wem der Auſſatz Houfton Stewart Chamberlains 
im 15.⸗Oktober⸗Heft von „Wille und Macht“ etwas 
gegeben hat, mag den begreiflichen Wunſch begen, die 
gelammetten Kriegsauffäße dieſes großen Freundes 
er Deutſchen zu befigen. Ste ga“ et et F. Brud: 
mann Verlag unter dem Tit.! „Deutſchland / 
England“ neu heraus. Au, dem gleichen Verla 
ging uns das erſte Polenbuch zu. das unter dem Tite 
„Unſer Kampf in Polen“ eine Vorgeſchichte 
des Krieges, eine ſtrategiſche Giniling und diplo⸗ 
matiſche wie militäriſche Dokumente wiedergibt. Mit 


22 


Zur Kunstdruckbeilage 


Die geſamte Schöpfung iſt von göttlichem 
Weſen Gott geigaffen: die 

nbrünftige 
Gefühl des 


und Lebens n der Natur Got⸗ 
tes Wirken t und ihm nachtaſtet, ganz 


So fel m sermon Den Umkreis [don 


febr frü e ene Ag AAS Tun 
eine wichtige Rolle gefptelt, [hon etwa a 
1400, als die neue, hochmittelalterliche 


Stufe des Kunſtausdruckes erſchien. Aus⸗ 
ſchnitte aus Bildern jener Zeiten können 
oft als ſelbſtändige Landſchaften gelten, und 
die kosmiſche Bewegtheit und eimnis⸗ 
were, die die Meiſter — etwa Konrad 
A Altdorfer und Dürer, Grünewald, 
Wol Forde Lautenſack, ſpäter Elsheimer 
— in Farben und Formen der Natur ein⸗ 
angen, iſt einzigartig in Europa. Es ge⸗ 
chieht bei dieſen Meiſtern zum erſtenmal, 
aß die Landſchaft ganz für zum Erleb⸗ 
nis und zum Bildgegenſtand wird; die 
Dürerſchen Studienaquarelle ſind dafür 
einer der impulfivften Beweiſe. Von hier 
aus aber geht die Verbindung ganz unge⸗ 
ern zu den großen romantiſchen Ma: 
ern, Ph. O. Runge und C. D. Fried⸗ 
rich u. a., für die die Landſchaft der Natur 
der Weg war, um den geheimen Geſetzen 
der Schöpfung auf die Spur zu kommen. 


Die große Menſchendarſtellung 
unſerer Kunſt aber iſt der gemäße Spiegel 
olcher Seelen, der inſtändige und ernſte, 

ille und frohe, immer aber reine und ge⸗ 
ammelte Ausdruck iſt ihr Weſen, been 

eichtum und Schönheit wir als unfer 
Erbe aufnehmen und erkennen wollen. 


St. 


Heetesberichten und Karten ſtellt dieſes Buch eine 
ausgezeichnete Materialſammlung bar, die einer néie: 
ren ſchichte dienen wird Gute Hilfe zur LO 
tierung mit Karten unb Statiſtik in den gegenmüttiget 


gc e een des o Sanitat, Ben 
nah“ Bändchen ; 
0.50 AM.), We alig. E tantreth umb Suen 


vermehrt wurden. 

Ein [efr ſchönes Werk hat der Kunſthiſtoriker Oster 

Schürer im Georg Callwey Verlag finden, Amt 

ge tacht: * tag“, eine Darftellung von Kultur, 
unft und Geſchichte dieſer Stadt, in der zwei Boller 

wirkten. Eine „Geſchichte oer oR»eutídótt 


folonijation", die Rudoly Kötzſchke und Wolf» 
ang Ebert im Bibliographiſchen Inſtitut, Leipzig. 
berauabcadten. dürfte auf ein ganz aktuelles Inte reſſe 
oben. Dasſelbe gilt von Walter Pahls Buch „Welt ⸗ 
met um Rohſtoffe“ (Wilhelm Goldmann Ber: 
fag), bas viel wiſſenswertes Material enthält. Es fet 
ferner auf ein von Brofellor Lehmann herausgegebenes 
Schweizer Werk, das im Br & GE erlag, 
Zürich, erſchien, hingewieſen, das ein bedeutſames 
chwe derije es Dokument über die kulturelle Verbunden⸗ 
em deutſchen Raum ift. 
ver vom tein politiſchen Leſeſtoff liegen gleid: 
falls ſchöne Werke auf dem Büchertiſch unſeres erſten 
Kriegsweihnachten. Der Eugen Diederichs Verlag hat 
wohl bie auffebenerregenbite Publikation für literariſche 
genomet aufzuweiſen. „Vas unſterbliche 
eben“ heißt der umfangteiche Band unbekannter 
Briefe von Clemens Brentano, die aus dem 1 von 
riedrich Carl von Savigny tammen. Im ſelben Ber: 
ag erſcheint in der Reihe „Märchen der Völker in 
aller Welt“ ein Band „Märchen aus Iran“, die 
uns in die Welt eines tapferen neutralen Volkes des 
Nahen Orients einführen. Der Alfred E AMET Verlag, 
Berlin, legte vor einiger Zeit den Briefwechſel des 
letzten Zaren Nikolaus II. mit ſeiner Mutter vor, der 
die menſchlichen Züge dieſes letzten, Jopin en Zaren 
offenbart und in bas dekadente Rupland vor der Revo” 
lution Lenins einen Blick öffnet. Und wer ſchließlich 
nach dem fragt, was unſer Freund Bruno Brehm 
Neues und Beglückendes gel affen hat, bem fei „Das 
elbe Ahornblatt“ (Adam Kraft Verlag) emps 
Posten, bas von feiner Jugend und bem erſten Krieg 
erzählt, aber auch bie ſchöne Freundſchaft zwiſchen thm 
und Dwinger offenbart, die kleine, intenſive Erzählung 
„Det dümmſte Gibiriat" (Reclambandden) und eine 
von Dank und Glück, aber auch von ernſter a in 
tung kündende Arbeit „Ta Erfüllung“ (Luſer⸗ 
Ver ag); Aus dem gleichen Geift entftanb bie flbet[dau 
„Von 1914—1939, Sinn und Erfüllung bes Weltkrieges“ 
(Keclambändchen), in der Werner eumelburg 
eine herbe, ſtarke und erfriſchende Darftellung bes neuen 
Geiſtes nach ſeinem Werden und ſeinen Aufgaben gibt. 


Biteraturgeſchichte 


We Gw die von den Jahren 
oſſen wird, bezeichnet Joſef 


Lr eim. 
chtung 


fiedelten Räumen Europas wat. fo t 


ration, Berlin, herausgebrachten Werk „Rufe über 
Grenzen“ zu finden. „Daß der Literaturkenntnis 
Lage ebildeten Deutſchen Neuland zuwachſe“, ift ber 

unſch des Siebenbürgener Deutſchen arl Kurt 
Kleine, der im Bibliographiſchen Inſtitut, Leipzig. 
eine umfangreiche „Literaturgeſchichte des 
Deutſchtums im Ausland“ erſcheinen ließ. 
Ein ſehr verdienſtvolles Beginnen, das unſeren Blick 
auf die kulturellen Leiſtungen unſerer völkiſchen Vor⸗ 
poſten in der Dichtung und im Schrifttum verweiſt. 
Wer bisher nur Burgen, Dörfer und Städte als Kul⸗ 
turzeugniſſe des Deutſchtums jenſeits bet Neihsgrenzen 
kannte, der findet nun hier einen Reichtum ag im 
Bezirk der Dichtkunſt, der Bewunderung und Liebe 
verdient. In dieſem ee e ſoll des Standard⸗ 
werkes der „ ite taturgeſchichte gedacht werden. 
das von Adolf Bartels bereits 1919 als erſtes 
völkiſches Werk über die deutſche Literatur heraus⸗ 


gegeben unb von ihm 1997 ergärzt in einer Neuaus⸗ 
gabe im Verlag Georg Weſtermann. Braun zo 
u der poltenent den i Uc att eferte 

t feinem „Bukowiner 

deutſches 5 (erſchienen im Gere 
lag Eugen Wahl, Stuttgart) einen beſonderen nn 


Kunſt⸗ und Bilderbücher 
„Deutſche Landſchaft in fünf Jahrhunderten deutider 
Malerei“ géie knapp eingeleitet von Paul Ort- 
min Rave, der Atlantis⸗Verlag heraus. Wie innig 
der Deutſche jederzeit das Geheimnis der Natur als 
Gottesſchöpfung umwarb, wird hier ergreifend deutlich. 
Da zu geben die zwei Bände über den großen roman: 
tiſchen Maler C. D. Friedrich — im Rembrandt- 
Verlag von Herbert von Einem in der Reihe 


RS und freieren Rahmen — eine 
naung. Von der überſchauenden Warte „ 


ti 
ber ungen find ſehr wirkſam, a 


ſondern aufmerkſam hinſchaut und mit Augen und Seele 
augleih aufnimmt. we reizvolle Schulung des Slides 
Watt ie Aufnahmen von A Ehrhardt „Das 


Rtederhelte 

Der Verlag Kallmeyer gab in ee mit 
ber RIF. ein paar Hefte zur Wei name heraus, 
die für Singstimme allein (Hrsg v. Ilſe Lang), mit 
leichten Inſtrumentalſätzen (., Hohe Nacht der klaren 
Sterne“), und mit Klavierbegleitung („Tut auf das 
Tor“), alte und neue Lieder vereinen, und durch die 
liebevolle Ausführung und die ſehr Dann eichnungen 
+h Heinrich Pauſer ebenſo ſchön wie nügli RE n 
nd. . St. 


Das Buch der nationalſozialiſtiſchen Bauernpolitik 

Im Rompi pe en die Landflucht, diefe Geißel unferes 
Volkes, hat die deutihe Jugend ih am ſtärkſten in die 
vorderſten Reihen geſtellt und damit bekundet, daß es 
> um bie Erkennkniſſe von Blut und Boden, um bie 

u und Erhaltung bes deutſchen Bauerntums 
ern ; 

Run ift in dieſen Tagen ein Buch herausgekommen, 
das die weſentlichſten unb grundlegendſten Auſſätze und 
Reden des Reichsminiſters für oed gy unb Lande 
wirtſchaft felt feinem Eintritt in die Reichsleitung ber 
NSDAP. bis zum heutigen Tage enthält. „Um Blut 
und Boden“ (Franz Cher-Verlag er beißt der Titel 
bieles Buches, und es ift das kenntnis eines 
Mannes, der, dem puse verſchworen, nichts anderes 
als ſeine Lebensau gabe erkennt, als Diener am Auf- 
bau unferes ewigen Deutſchlands zu ſein. Darré 
will, auf dem 0e aufbauend, Deutſch⸗ 
land ſeine politiſche Zukunft ſchaffen helfen, in⸗ 
dem er, als Schöpfer eines Bauern⸗ und Bodenrechtes, 
unſerem Vaterland wieder ſeinen bäuerlichen Unter⸗ 
en ſichert. Gerade jetzt, wo im Often unferer bie 

ewährung Barrt, altes deutſches Land wieder deutſch 
qu machen und einen bäuerlichen Lebensraum als beften 

aranten der Deutſcherhaltung zu geltalten, beweifen 
die Ideen R. Walther Darres erneut ihre Gewichtigkeit. 
ier tm Often werden wir beweiſen müljen, ob wir 

t die gewaltige Aufgabe einer deutſchen Kolonifation, 
einer Landnahme, nod lebendig und fähig find. Wir 
sungen bejahen es aus 1 eraen, aus ber Er⸗ 
fenntnis der Größe blefer Aufgabe und aus unferem 
lebendigen nationalſozialiſtiſchen Wollen heraus. Und 
die Jugend und ihr Verhalten tf für Darré der 
Schlüſſelpunkt unferer Entwicklung zur Stadt oder zum 


23 


Lande hin. Daß die Jugend aber ihre Aufgabe erkannt 
hat, zeigt die enge Verbundenheit der beiden führenden 
e ber N. Walther Darré und Baldur von 
Schirach, die nicht nur im Weltanſchaulichen begründet 
liegt, ſondern fid) immer wieder von neuem am Prats 
tiſchen bewährt. H. D. 


Bücher der $3. 


„Das kommende Deutſchland“ (unter u. Dünnhaupt). 

Baldur von Schirach hat in ſeinem Buch „Idee und 
Sejtalt" in grundſätzlichen Ausführungen die Erziehung 
der nationa band iſtiſchen Jugend, ihre Aufgaben und 
zhre Ziele behandelt. Der praktiſchen Ausführung dieſer 
Jugenderziehung mit ihren vielgeſtaltigen Arbeits⸗ 
ebieten gab der Chef des Preſſe⸗ und Propagandaamtes 
er Reidstugendfihrung, Hauptbannführer Günter 
Kaufmann, in feinem Buch „Das kommende 
Deutſchland“ eine lückenloſe und umfaſſende Dar⸗ 
ſtellung. Das Buch vermittelt dem Leſer einen tiefen 
Einblick in das größte Jugenderziehungswerk der Welt, 
bas aus dem Nichts heraus in 6½ Jahren geſchaffen 
wurde. Es beweiſt, mit wieviel Verantwortung, Sorg⸗ 
falt und Umſicht die Jugendführung des Dritten Reiches 
alle Fragen der Jugenderziehung are bat. Neben 
dem organiſatoriſchen Aufbau ber 8 „der geſundheit⸗ 
lichen Ertüchtigung, den Leibesübungen, dem Wehr⸗ 
{pores der Schulungs-, Preſſe⸗ und agenda 
egte der Verfaſſer beſonderen Wert auf eine klare Dar⸗ 
ſtellung der kulturpolitiſchen, grenz: und volkspolitiſchen 
und eee Arbeit. it dem Schlußkapitel 
„Der Kriegseinſatz der HI.“ aber gab Günter Kauf⸗ 
mann ſeinem Buch einen aktuellen und ſehr erfreulichen 
Abſchluß: feds Jahre Jugenderziehungsarbeit haben fid) 
ſchon in den erſten Wochen des Krieges bewährt. 8 

p. 


5J.⸗Jahrbuch und Jungvolk⸗Jahrbuch. Herausgegeben 
von der Reichsſugendführung (Eher⸗Verlag). 

Zu liebenswerten Begleitern im jährlichen Ablauf des 
Dienſtes ſowohl in der HJ. wie auch im Jungvolk ſind 
die Jahrbücher geworden, kleine Taſchenkalender mit 
ier Leinendeckeln, beſtimmt, Fahrten und Lager zu 
überſtehen, Freunde des Torniſters, Helfer und Be⸗ 
rater bei vielen Angelegenheiten des Dienſtes und auch 
des Alltags. Es ſind keine Kalender der üblichen Art, 
ſondern ſchon in a EU klar und überſichtlich, aus: 
neftattet mit Bildern, Gedichten, Liedern und Berichten. 
Die HJ. hat aus dieſen einfachen Büchern etwas Be⸗ 
de AC geſchaffen. Zweckmäßigkeit vereint fid mit 

ildhafter Schönheit, fo pas diefe neuen Jahrbücher 
wirkliche Erfolge ſind und allen zu empfehlen. 


Die Heimbüderei. Heraus neben im Wecker bes 
Cor br habe ührers von ilhelm Utermann, Verlag 
„Die Heimbücherei“. 

Ein beſonders ſchöner Gedanke war es, für die Heime 
der Hitler⸗Jugend, die als Bauwerke wahrhaft Ausdruck 
einer neuen Haltung ſind, eine Bücherei zu ſchaffen, die 
in ſich ebenſo klar, ſauber und ae sec ift. Längſt 
haben Kriminalſchmöker und töricht fonftruierte Aben: 
teuerbüdjer an Boden verloren. Die gefunde Jugend 
von heute verlangt ihr Bud, in dem ihre Auffallung 
und ihr Geiſt ſich ſpiegeln. Daß trotzdem alle natürlichen 
Gebote der Spannung erhalten werden können, beweiſt 
die Heimbücherei. Die erſten Bände in der Reihenfolge 
ihres Erſcheinens ſind: Eberhard SE Möller: 
„Der Reiterzug“, Schickſalsminuten der deu Iden Ge: 
ſchichte; Felix Lützkendorf: „Kadetten des großen Königs“, 
eine ee aus dem Siebenjährigen Krieg; Franz 
Taut: „Flieger über Urwald und Savanne“, ein deut⸗ 
[hes Schickſal in Kolumbien; Herbert Reineder: „Der 


Mann mit der Geige“; Hans Friedrich Blunck: „Der 
fremde Garten“, ein Sagen⸗ und Märchenbuch; Hans 
Reifer: „So war bas mit Tetjus Uhl“, eine Robinionade; 
Hermann Pirich: „Die verrufene Inſel“, eine Erzählung 
aus deutſchem Grenzland sb Weitere Bände find in 
Vorbereitung. Die Linie d der Bücherei tft Mar auf: 
ezeigt, M heißt: Das Befte für die Jugend! Gs ift nicht 
o, daß die Autoren ſchreiben was fie können, fondern 
was der Jugend frommt. Ausgeſucht, geſiebt, gerichtet 
nach Inhalt und Stil bietet die Heimbücherei den Anfas 
zu einem vollkommenen Buchſchaffen für die Jugend. 


„Jungen — eure Welt.“ Herausgegeben von Wilhelm 
Utermann (Eher⸗Verlag). 

Neu muß das Jugendbuch der Jetztzeit fein, weder 
tromantiſch noch ſentimental, noch unwahr, es muß 
vielmeht ehrlich fein in der Sprache, umfaſſend im In⸗ 
halt, geklärt in [einen Meinungen und leidenſchaftlich 
in ſeiner Tendenz. Der junge, kräftige Standpunkt, den 
die HI. allen Problemen gegenüber einnimmt, verlangt 
ſeinen Anwalt. So ſpürt man beim Durchblättern des 
neuen Buches der HI.: hier find Geſundheit, Lern: 
begierigkeit, Wiſſen und guter Geſchmack beheimatet. 
Nicht wird hier die Jugend abgeſchnitten von den Ge⸗ 
bieten des Träumens und Nachdenkens, vielmehr hin: 
geführt zum Studium aller wiſſenswerten Dinge, an⸗ 
Fa ten, fid Gedanken zu machen und Kenntniſſe zu 
ammeln, die zu haben für einen jungen Deutſchen 
notwendig ſind. Die namhafteſten Autoren der Zeit 
ha ben lid mit ihren vielen Beiträgen in dieſem Bud 
ein Ste en gegeben und mit dazu beigetragen, 
das Buch „Jungen — eure Welt“ zur Repräjentation 
des modernen Jugendbuchs zu machen. 

Auch die Mädel haben in dem eritmals heraus⸗ 
gegebener, Buch „Mädel — eure Welt“ (Chere 

erlag) die Belange eines gefunden, modernen Mädel 
ſchrifttums gewahrt. Es ijt ſowohl in der Anlage wie 
auch in Durchführung und Geiſt ausgezeichnet gelungen. 

5. N. 


ROME der dentſchen Jugend. Im Auftrag 
des Jugendführers des Deutſchen Reichs und im Cin 
vernehmen mit den Oberkommandos des Heeres und 
der Kriegsmarine und dem Oberbefehlshaber der Luft⸗ 
waffe erſchlenen beim Steiniger⸗Verlag Berlin. Preis 
RM. 0,20. 

Kriegserlebniſſe vom e und ſorgſam aus 

ewählte Frontberichte bilden den Inhalt der Kriegs- 

ücherei der deutſchen Jugend, die in dieſen Tagen mit 
ihren vier erſten Heften erigienen tft. In einem Brief 
an den deutihen Buchhandel, der dieles neue Jugend 
| rifttum empfiehlt, ſchreibt der Jugendführer bes Deut 

en Reichs über bie Richtung und Aufgabe ber Kriegs⸗ 
bücherei: „Wenn heute ein P me oder ein Hitlerjunge, 
ber eben noch in irgendeinem Büro feine aushelfende 
Arbeit tat oder vom GR Gen Feuerwehrdienſt kommt, 
iak: am Abend pu einer Lungen Lektüte Zeit findet, fo 
muß ihm für folde kurze Stunde ein Schrifttum mit: 
egeben werden, das ihn in feiner Opferfreude nr 
Gs tärkt und fein natürliches Leiden 
ördert. Nichts erfüllt dieſe . beſſer als die 
mit Spannung erwarteten Berichte vom Fronterleben 
deutſcher Soldaten in Polen ober am Weſtwall, die 
Jugendführer, Jungen und Väter in der Kriegsbüderel 
der deutſchen Jugend veröffentlichen.“ 

Die peite ber Kriegsbücherei werden in wöchentlichen 
Abſtänden erſcheinen und kommen in ihrer textlichen und 
graphiſchen Geſtaltung den natürlichen Spannungs 
momenten eines jungen ige entgegen. Jedes Heft 
enthält eine durchgehende Erzählung und fteht jeweils 
im Zeichen einer beſonderen ffengattung. 


Hauptschriftleiter: Günter Kauf mann (z. Zt. b. d. Wehrmacht). 
Verantwortlich für den Gesamtinhalt: Wilhelm Utermann. Sale der F 
ag: Franz t Nachf. 


Reichsjugendführung, Berlin 3835, Kurfürſtenſtraße 53. Fernſprecher 22 90 91. : 
(5. m. 68, Zimmerſtraße 87—91. dd d Berlin 4454. 


Zentralverlag der NSDAP., Berlin S 


Verantwortlich für den Anzeigenteil: Ulrich Herold, Berlin. — 
SW 68, Dresdener Straße 43. — „Wille und Macht“ erſcheint am 1. und 

wie durch die gott unb alle Buchhandlungen. Bezugspreis 
ung von 1 bis 


Münden; Zweigniederlaffung Berlin 


15. jedes Monats unb ift zu beziehen durch ben A Bel I 
e 


vierteljährlich 1,80 RM. zuzüglich Beſtellgeld. Bei Be 


— Ver 


l. Nr. 8. — Dru Müller & Sohn KG., 


einzelnen Nummern bitte den Betrag in 


Briefmarken beizulegen, da Nachnahmeſendung zu teuer tjt und diefe Beſtellung ſonſt nicht erledigt werden tann. 


Wilhelm Utermann 


Vorkannte Bekannte 


Ein heiterer Roman 


Der Titel des Buches deutet den tragl- 
komischen Vorwurf, dessen sich der Autor 
bemächtigt hat, bereits vielversprechend 
an. Die Handlung bildet mit ihrer Fülle 
von heiteren Szenen und komischen Ver- 
wicklungen einen ungetrübten Quell der 
Freude und des Humors. Eine ganze 
Reihe gut gezeichneter Nebenfiguren 
schart sich um die beiden Hauptpersön- 
lichkelten: den Obersekretär Paul Schlee- 
miller und den Inhaber eines Friseurge- 
schäfts namens Emil Kurz. Diese beiden 
sind die Urheber der zahlreichen Irrungen 
und Wirrungen dieses wirklich unter- 
haltenden Romans, 


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Jungen — eure Welt! 


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feiigen und kumeruslien berichten feine Darftellung. Rbenteuec aus aller Weit, 
fpennende Erzählungen unb viele unterrigtende Beiträge aus Natur und Tednik 
bringen all des, was ein Jungenher begehrt. / 8 &unpbru& - Facbtajeln 
und ein pear dundert nahmen find eine erger Beigabe yum ert. / 
nn bem Jahrbum arbeiteten u. a. mit: Colin Ref, Chrigel (ramp, Prof. 
Dr. tu& fed, 600 Cite Stogregen, Paul Eipper, Eng F. Clanborg. feraus- 
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Mädel — eure Welt! 


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Rettung und Jahalt dem son unfecen Jungens degeiſtert aufgenommenen 
Jahrouch Jungen — cure Weiti” entiprigt und das gewiß eben[o- 
piel Freude bereiten wird. „Mädel — eure Weiti” bringt eine 
füle sen lehrreichen und unterholtfamen Ruffühen und Ersählungen aus 
allen Lesensgebieten, die befenbers unfere Mädel angehen. Die BOM.- 
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Berümfidhtigung. Diele gut ausgewählte Bilder verveilkändigen den reich- 
haltigen Inhalt. An dem Jenrbud arbeiteten u. 6. mit: Ceonere Kühn, Elfe 
Frobenius, hilde Munjhe, Jofefa betens-Totenonl, Sufe arms, Jemgard Wegener 


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