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führerorgan der nationallozialitilchen Jugend
HERAUSGEBER: BALDUR VON SCHIRACH
Sabesaus 1030
2. Halbjahr
Snbaltsverzeichnis
Hauptfchriftleiter: Günter Raufmann, Reihsingendführnng, Berlin 2835
Rurfirflenfivafe 53 Verlag: Sentralverlag der REDAP., Berlin GW 6s
2. Salbiabe
Große Aufſaͤtze Heft
Bochnert, Günther: Hans Baumanns Paſſauer nn, 777. . 15
Bottai, S. E. Giuleppe: Die Einheit ber italieniſchen Erziehung . 20
Brehm, Bruno: Im Often bes Neichemssssss „„ . 21
Chamberlain, $. St.: England ............... jj; 8 . 20
Erné, Antonio L.: Italiens zeitgenöſſiſches Schrifttu Un . 23
Curinger, Rihard: Es iit [o wei DE 19
iiher, Werner A.: Untere friegsbeteite Bollswirtihaft ........................-- 19
rimm, Prof. Dr. Fr.: Zur Kriegsſchuldfrage 1939 ꝛUUPPm7: i444 é 19
Hohlbaum, Robert: Politiſche Un 2 T 17/18
Kaufmann, Günter: Stimmen für die Einheit der Erziehung ..................... 14
Kaufmann, Günter: Deutſche mit Goůobeectte?erruuuſſmſſdſmſnnõnnw „ö. 24
Keller, Sepp: Die Einberufung in den Krieg dd = 22
Koch, Erich: Oſtland ruft die Jugend 3 8 . 16
ftobte, Wolfgang: Deutſch⸗polniſches Schickſal an der ZBeidlel ..................... . 20
Krüger, Gerhard: Das Ende eines gefälſchten Geſchichtsmythoos p 22
Krüger, Gerhard: Schickſal Dannnngggzg nn . 16
Miegel, Agnes: Oſtpreußiſche Seele `... d . 16
Möller, €. W.: Grundſätze im Kriege ....... cee ce we cece cece 4 20
Muth, Zr.: Berthold Otto e Maike ns 15
Schenke, Wolf: Gehört England zu Europa? dd 13
Schlöſſer, Rainer: Der Künder germaniſchen Geiſtes in unſerer Dichtung x 18
Schirach, Baldur v.: Rufe aus der Hauptſtadt des deutſchen Geiſteeeeeeess 14
Seeſemann, Kurt: Der Aufſtand gegen den Kapitalismus 21
Scheuermann, Wilhelm: Humanitas Romananaeꝛeininiiw j 15
Tombari, Fabio: Chronik XVII aus Fruſagliinmmw J wéꝓwi nenn 23
Vogt: Das Bollwerk im Oſte nnn: 8 16
Weidemann, Alfred: Ich ſprach mit dem Bürger Morail e 22
Werner, Bruno E.: Die Malerei und Plaſtik der Gegenwart .....................- 23
Zillich, Heinrich: Deutlde Erde j 19
Sonderhefte Heft
, e , y E 17/18
e ß .. ad eae TE 23
Deutſche mit Gott (Bekenntniſſe deutſcher Menſcheee»“nunͤõs 2.
Gedichte Heft
Baumann, Hans: Erntedaaaneekeke nenne nennen 19
== Mand, Land Somme 8 14
Bluud, $. ein i ] d 21
Diettrich, Fritz: Winterſonnenwenndeeeet al . 24
. Hans: Antikes Relief — Spruch des Helden — Der Wagenlenker — Gebet — "
a Wo" Tc" TTE 2
Miegel, Agnes: An Deutſchlands Jugend `... 19
— Uber Der Weihe dee. une 16
Möller, €. W.: Du Herr es ns near 19
Muſſolini, Benito: Die Wort vom Brot `... sae MU
Rilke, Rainer Maria: Umgang mit (Gott... 24
Salone: Baldur von: Die heiligen Namen `... 19
löffer, Rainer: Jahrgang 99 1... cc cece ee eee eee . 19
Soldan c ea ũ/ o h 21
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Außenpolitiſche Notizen # Wis. tt
Heft Heft
Volkspolitiſche Durchleuchtung des Brennender Korridor .......... .. 17/18
polniihen Staatsweiens .......... 13 Neues Oſteurop nun 19
Numäniſche Neutralitäts politik... 13 Rumänien für Real politik 19
Die Aufbauarbeiten der ſelbſtändigen England und die Mohammedaner.. 19
Slowalei ee 13 Wo ſteht Spanien heute?............ 21
Englands Spiel im Mittelmeer .... 14 J iſche Oa op Aming. 21
Standortmeſſung u. Beſtandsaufnahme 14 Jugoſlawiens Wusgleidspolitit .... 21
Jude und Franzoſ cee eee 14 Der neue italieniſche Jugendführer
Streit polktiſcher Ehepartner 15 Ettore Muti oss cece stances es
8 ugal unb feine Außenpolitik 15 Politik um den Balkan 23
[purpolitifer ................ 15 ung EE 24
Was ht im Nahen Often?...... 16 ii — Allzuengliſc e 24
Franzöſiſcher „Raflismus“? ........ 16 Deutſchland, England und das Meer 24
Kleine Beiträge und Nandbemerkungen
Heft Heft
Der König der deutſchen Macht 13 e Ratſchläge an Wilhelms
Ein Maler der Ne etage . 13 Kabine!”
Der MI der Araber zur Welt- i Die neue Lage ber Reichshauptſtadt. 20
Iflf sews aes
Bildnis eines renzdeutſchen Dichters 14 Anſelm Feuerbach FFC
einen klaſſiſche Stätten 14 Nietzſche über Engländer und Ruffen 22
Ein „Schülergericht in Berlin 15 Moderne italieniſche Baufunft...... 23
Verächtlichmachung der Lehrer 15 Vom 8 Muſikleben in
d noſſen ber Rauderepode...... 15 Stollen uses nee 23
S deri. Sue ner S idem Des aider Rune p,
es Miegels SEO cher Auftrag 16 ſchaffens durch ben ét aat..........
ek fein hei t Charakter haben“ 17/18 Italiens Frau in Anmut und Diſziplin 23
Offener bulgariſcher Brief an Tho: Das Beiſpiel eines gläubigen Deut;
mas Mann 17/18 ſchen: Johann Gottlieb Fichte 24
Neue Bücher Heft
Das Landdienſtheim der Hitler⸗ Jugend 14
e Generalmajor 3. B. von: Freiwillig dienen `... 14
Schwerbrock: és kommen bie ſonnigen Tagiiinune 14
Remold, Io T eländeaufgaben für die Hitler-Jugend ............. cee cee cece eee 14
en[tob, Franz: Wille unb Sale... 14
„ Hermann: Die Reife nach Liſſabooeoeͤo ns 14
cher DES rr seele 14
e Hans F. K.: Das Bauerntum als Lebens: sab Gemeinſchafts form 16
ilſadſti, Joſef: Erinnerungen und Dokumennnle cece ee eeees 17/18
der, Bieter: Das Deutſchtum in Poluuu cece cc cee eee ences 17/18
Grimm, Claus: 1918/1919, Jahre deutſcher Entſcheidung im Baltikum 17/18
Siewert, Wulf: Der Oftſeerann nnn . 17/18
Birginio: Italien und Frankreichh Ahhh . 17/18
Hummel, Hans, Siewert, Wulf: Der Mittelmeerraum .................... «eee 17/18
jer, Franz: Spaniens Tor zum Mittelmeer 17/18
titebt, Otte: Deutſchland mh ³ĩð er 17/18
mm, Prof. Friedrich: Frankreich und der Kor ride 17/18
Aan . sido: Von deutſchem es J EE 17/18
Rande, Alexander M.: Europa eroica·E˙ k 19
Bieber, Paul: Freimaurer im Kampf um , coca VOR ETE PAS 20
Bartels, Adolf: Die Ditgmarider ....... 0... cece cece . 20
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Ullmann, CREME: Die Völker im Güboiten `...
Heymann, Egon: Balkan, Kriege, Bündniſſe, Nevolutionee as
ene Helmut: England greift nach . JJ 8
Menſch, all eas OUBET f ee ee
Pers mans dif DU coe iia ð y yd y d
= gelben Chryſanthemennnnn e n -
Zeugnifie hee... LT
Sappot, Gerhard: Deutſche in SER unb im Baltilum ... eee
Eſch, Peter: Ton PM E . ³ð ĩð K
Ve m er Mythos vom Deutinen in der polniſchen Volksüberlieferung und
( erat cn nr.... -(. ð ß yt as EE
Gering, Prof.: ER ber deutſchen Auslandsſiedlungen in Ofteuropa ...
Deutſchland und ber Korridor 2. a sees cy una
Kunzemann, Gertrud: Reiſſedd ᷑ ũ ꝗ
Bollweiler, Helmut: Der Staats- und Wirtſchaftsaufbau im faſchiſtiſchen Italien ....
Mayer, Anton: Uniterblihes aoolõ¹¹UUEUEhU n nenne en
Benckiſer, Nikolas: Das dritte Kom EE
Buchheit, Gert: Muſſolini und das neue Italie. n
Negri, Ada: FrühdämmeruunnvVvvvvvvvvvnn . nennen
Tombari, Fabio: Die Leute von FruſaglieUUUUUUUUUUPUũ nenn nn
Bianca de Maj: Starkes Herz , . Qus tpa s owe bess
REEGELE, 2 Fes vty Roe pO EE SERA awe tese YR
Deutichland: — Englad EE
Unſer Kampf in er "———————— noe er en
Schärer; Delar: % MM P! MP! MM !M!Q!Q Q Q ! Q PQ QQ¶Aügà isn
Kötzſchke, Rudolf; Ebert, Wolfgang: Geſchichte der oſtdeutſchen Kolonijation ........
Bes Walter: Weltkampf imei u —-—————
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Maren ana: Sra WEE
Brehm, Bruns: Das E An
Einem, Herbert von: C. D. an E EE ER ⁵ TEEN
Müſeler: Europäiſche Kunſt UU H P P i hn
Remiġ, F.: fied right i earesoee EE
Ehrhardt, Alfred: Das Wattſrlłõ-; n
po Nacht der klaren Sterne dk
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Um BU UND BODEN ee ³ ˙ d . é , d
Kaufmann, Günter: Das kommende Deutſchland Sr EE
2 soe und Sungvoltjahrbud ...... CCC
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Darré, W. R.: Um 8 unD BODEM M "H""———— Á—
Prud: M. Müller & Sohn KG., Berlin SW 68, Dresdener Str 43
Ho — wen kl 2... .. = Mt i... eg r asi
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Ihrerorgan der nanionallozialiſtiſchen Jugend
HERAUSGEBER: BALDUR VON SCHIRACH
enke / Gehört Dues zu Euro |
E Kë gës?
chic Ber"? qu änische Neutralitatspolitik
olen um. { seine Minderhei |
Berlin, 1. Juli 1939 Preis 30 Pf.
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INHALT
Rainer Schlösser, Obergebietsführer:
Der Künder germanischen Geistes in unserer Dichtung
Wolf Schenke: Gehört England zu Europa?
AUSSENPOLITISCHE NOTIZEN
Hans Menzel:
Volkspolitische Durchleuchtung des polnischen Staatswesens
Klaus Schickert (Bukarest): Rumänische Neutralitdtspolitik
Kuno Goldbach (Preßburg):
Die Aufbauarbeiten der selbständigen Slowakei
KLEINE BEITRÄGE
Gerhard Krüger: Der König der deutschen Macht
Ein Maler der Nehrung
KUNSTDRUCKBEILAGE
Werke von Carl Knauf (Ein Maler der Nehrung)
ANLAGE
Jahresinhaltsverzeichnis (1. Halbjahr)
Veilagenhinweis
(Außer Verantwortung der Schriftleitung)
Oieſe Folge enthält einen Proſpekt vom Verlag Albert Langen / Georg Müller, Münden
betitelt „Das gute Buch“. Wir machen unfere Leſer auf die Werbung hiermit aufmerkſam
Mic macht
führerorgan der nauonallozialiſtiſchen Jugend
HERAUSGEBER: BALDUR VON SCHIRACH
Jahrgang 7 Berlin, 1. Juli 1939 Heft 13
Rainer Schlösser:
Der Künder germanischen Geistes
in unserer Dichtung
Was uns Friedrich Hebbel bedeutet
Man kann noch heute nicht behaupten, Hebbel gehöre ſo ſelbſtverſtändlich zum
geiſtigen Beſitz unſeres Volkes wie Goethe oder Schiller. Dieſe Tatſache hat eine
hundertjährige Geſchichte. Schon zu Lebzeiten des Dichters ließ ſich für ihn nur
das verbuchen, was man einen Achtungserfolg nennt. Er fand genug des ahnen⸗
den Verſtändniſſes bei einem klugen, aber freilich kleinen Anhängerkreis, um den
Nut zum Schaffen nicht völlig zu verlieren, er ſtieß aber auch auf eine Anteil⸗
nahmlofigkeit der weiteren Offentlichkeit, die es ſelbſt wohlmeinenden Beurteilern
zweifelhaft erſcheinen laſſen mußte, ob in Hebbel etwas genial Neues zum Durch⸗
bruch gelangt wäre, oder ob es ſich bei ihm nur um eine vorübergehende, mehr
literariſche Abſonderlichkeit handelte. Nach ſeinem Tode neigte man mehr und
mehr der ſkeptiſch⸗negativen Anſicht zu, bis um die Jahrhundertwende eine der
damals üblichen literariſchen Ausgrabungen erfolgte, die immerhin das Ergebnis
zeitigte, daß Hebbel wieder aufgeführt wurde. Wie üblich, hatte dieſer poſtume
Dichterkultus einen ſnobiſtiſchen Einſchlag, [o daß er gegen den Weltkrieg zu, und
im Kriege dann erſt recht, im Sande verlief. Das Ende der wenig glücklichen Be⸗
mühungen des deutſchen Volkes, mit der Aufgabe, die jeder Dichter, alſo auch
Hebbel ihm ſtellte, fertig zu werden, war das wütende Gekläff der Syſtemzeit, die
aus guten Gründen einen kulturbolſchewiſtiſchen Theatermord an Hebbel in⸗
ſzenierte. Wenn man 1920 noch vorſichtig begann, zunächſt die Parole „Hütet euch
vor Hebbel“ nur in dramaturgiſcher Hinſicht auszugeben, war man 1930 ſchon
dabei angelangt, Menſch und Werk des Dithmarſchers zu diffamieren. In einer
Literaturgeſchichte, die in Hunderttauſendauflage den Buchmarkt überſchwemmte,
wurden alle Einwände, der Vorwurf der Herzloſigkeit, der kalten Konſtruktion,
2 Schlösser / Der Künder germanischen Geistes in unserer Dichtung
des intellektuellen Übergewichts, bes Erklügelten, ja Krankhaften im Zielen und
Werk Hebbels überbetont, und mit politiſchen Nachkriegshintergedanken folgender:
maßen zuſammengefaßt: „Es gibt ein Wort: nur wer wahrhaft ſchlecht geweſen
iſt, kann wahrhaft gut werden. Buddha ſelber muß in einem früheren Leben
einmal ein Mörder geweſen ſein. Niemand ſehnt ſich ſo brennend nach Erlöſung,
wie der Unreine, der Verfemte, der Verbrecher, der ſeines Verbrechens ſich bewußt
wird. Friedrich Hebbel, ein Bauernſohn aus Dithmarſchen, war vielleicht das, was
man einen böſen Menſchen nennt. Von Dämonen gehetzt, brach er, ein verhungerter
Wolf, an dem man jede Rippe einzeln zählen konnte, in die Lämmerweide der
deutſchen Dichtung ein. Jedes Mittel war ihm recht, ſeinen geiſtigen Hunger zu
ſtillen. Er ſchlug Eide in den Wind und verriet Frauen, die ihn liebten und ohne
die er krepiert wäre — um der Idee zu dienen. Er ſelbſt konnte wohl gedanklich,
aber gefühlsmäßig mit ſeiner wie ein Eiſengerüſt konſtruierten Dramatik nicht mit.
Seine Dramen find alle irgendwie erſtaunlich; man muß wie der Wächter im
Zoologiſchen Garten auf ſonderbare Tiere mit dem Stock darauf zeigen. Seine
‚Ribelungen-Trilogie‘ ift eine Monſtroſität.“
Abgeſehen davon, daß es gut und heilſam erſcheint, immer wieder einmal in die
Erinnerung zu rufen, was ſich der Kulturbolſchewismus, der bewußt auf Klaſſiker⸗
mord ausging, ungeſtraft in Deutſchland leiſten konnte, greife ich dieſes Zitat des⸗
wegen heraus, weil es nicht etwa einen einmaligen Exzeß darſtellt, ſondern viel⸗
mehr die Summe aller Friedrich Hebbel widerfahrenen Unbill in ſich zuſammen⸗
faßt. In der feuilletoniſtiſch geiſtreichelnden Art, die uns nur zu lange gemundet
hat, werden hier zunächſt gänzlich unerwieſene Begriffe wie Dithmarſcher Bauern⸗
ſohn und Verbrecher zuſammengeworfen, damit Hebbel nach den Lehren der Milieu⸗
theorie als ein Opfer der Geſellſchaft charakteriſiert werden kann, der intelligent
genug iſt, ſich an der Geſellſchaft zu rächen. Da ſich nun aber für die Theorie des
Untermenſchen Hebbel in den Werken keine Anhaltspunkte bieten, werden dieſe
als Monſtroſitäten bezeichnet.
Gewiß fol man den böswilligen Unfinn, der vor der Machtübernahme auf:
brodelte, in ſeiner Nachwirkung nicht überſchätzen. Im Falle Hebbel war er aber
doch gefährlicher als ſonſt, weil ſich allzu viele Vorurteile ſchon vorher eingeniſtet
hatten. Und jedenfalls zeigt ſich uns, daß die hohe Sendung der Gerechtigkeit,
die das nationalſozialiſtiſche Deutſchland durchführt, nirgendwo nachdrücklicher am
Platze iſt als bei dem letzten Dramatiker des 19. Jahrhunderts, der kein Epigone
war. Wie überall, muß dem Haß der Mittelmäßigkeit gegen das Große endgültig
unſere aufgeſpeicherte Liebe entgegengeſetzt werden. Des ein Zeichen war die
Wormſer Aufführung der „Nibelungen“ in der Reichstheaterfeſtwoche des Jahres
1937 und die Inſzenierung der „Agnes Bernauer“ im Rahmen der Heidelberger
Neichsfeſtſpiele.
Dichter wie Hebbel ſind es, an denen ſich unſere kulturelle Aufrichtigkeit erprobt.
Wir müſſen begreifen lernen, daß ſie nicht nur eine rätſelhafte Beziehung haben
zu allem, was uns umgibt, ſondern auch eine geheimnisvolle Geltung für das,
Schlösser / Der Künder germanischen Geistes in unserer Dichtung 3
was uns bewegt. Sie find die Springwurzeln unſerer Art. Man kann und foll
ſie an unſerer Seele anlegen, und plötzlich enthüllt ſich der tiefere Sinn und der
tiefere Trieb unſeres Handelns. Man kann mit ihnen unſere Fehler und unſere
Vorzüge erklären. Sie lehren uns das: Erkenne dich ſelbſt, damit du fähig biſt, du
ſelbſt zu ſein! — oder anders geſagt: Sie zeigen uns den ewigen Deutſchen und be⸗
fähigen uns dadurch erft, ſelbſt ganz deutſch zu fein. Sie find es, die den ſeeliſchen
Lebensraum alles Deutſchen umreißen. Sie find es, wie aus der Tiefe feines hin:
teißenden muſiſchen Empfindens der Reichsjugendführer mit zwingendem Grund
zu betonen pflegt, die nach Hölderlins Wahrſpruch „das Bleibende ſtiften“. In
ihren Werken lebt das unſterbliche deutſche Gemüt, das Gefühl, der ewige Traum.
Hundert Begriffe vermöchten dieſes Wunder der Geſtaltung nicht auszuſchöpfen,
das grenzenlos iſt und ſich grenzenlos verſtrömt. Es offenbart ſich nur der inneren
Schau. Sie iſt der ſtändige Befehl zur Entfaltung des äußerſten Adels, der unver⸗
gängliche Aufruf, auch zu ſeinem Teil das Kapitel des Herzens und des Geiſtes,
das Gott einem mitgab, an die Volksgemeinſchaft zu verſchenken, ſie iſt der Altar
der Seele, auf welchem die Flammen der Begeiſterung niemals erlöſchen dürfen.
Es iſt nicht ſchwer aufzufinden, was einen Hebbel den Halben ſo unerträglich
und den Ganzen ſo teuer machte. Schon die erſten Zeilen ſeiner Tagebücher, die
ein heiliges Vermächtnis deutſchen Menſchentums find, ſtellen jeden Leſer vor die
Entſcheidung der Bejahung oder Verneinung. Gewiß wird es jedem, das darf
billigerweiſe zugegeben werden, die Stimme verſchlagen, wenn ein Zweiund⸗
zwanzigjähriger, der der Welt Leiſtungen noch nicht vorzuweiſen hat, nieder⸗
ſchreibt: „Ich fange dieſes Heft nicht allein meinem künftigen Biographen zu Ge⸗
fallen an, obwohl ich bei meinen Ausſichten auf die Unſterblichkeit gewiß ſein kann,
daß ich einen erhalten werde.“ Das iſt dazu angetan, eine gut geordnete, durch
geregelte Examina gegangene bürgerliche Bildungswelt von vornherein in den
Auſſchrei: Hoffart! ausbrechen zu laffen. Wobei denn freilich überſehen wird, daß
mit dieſem Tagebuchbeginn keine Anmeldung auf Verſorgungsberechtigung öffent⸗
lich ausgeſprochen ſein ſollte; vielmehr ſetzte hier nur einer, den das Schickſal ſchon
als Knaben feierlich als Hungerleider einkleidete, der unter der Treppe mit den
Kutſchern nächtigen mußte und ſich im weltabgelegenen Weſſelburiſchen Winkel
eine totale Bildung als Autodidakt bis zum zweiundzwanzigſten Jahre angeeignet
hatte, alſo nicht Hinz und Kunz, ſondern ein Friedrich Hebbel damit ſein Lebens⸗
ziel, und allerdings ſpottete er damit gleichzeitig aller „Milieutheorie“. Wir haben
den Blick für ſolchen unbändigen Stolz wiedergewonnen. Es hat uns ergriffen,
daß wir uns unlängſt der Gewißheit des fünfundzwanzigjährigen Schopenhauer
erinnern durften, er und ſein Werk würden vor der Nachwelt beſtehen. Und wer
gedächte gerade in dieſer weltgeſchichtlichen Zeit nicht gleichzeitig jener ſtillen und
Botzen Vorſätze, die aus einem entrechteten und zerbrochenen Deutſchland die Welt:
macht von heute geſchaffen haben? Die Geſetze der Größe ſind, wo immer ſie ſich
auch auswirken mag, ſtets die gleichen, wenn ſie auch ganzen Generationen vor
uns nicht mehr aufgegangen ſind.
2 Schlösser / Der Künder germanischen Geistes in unserer Dichtung
des intellektuellen Übergewichts, des Erklügelten, ja Krankhaften im Weſen unb
Werk Hebbels überbetont, und mit politiſchen Nachkriegshintergedanken folgender⸗
maßen zuſammengefaßt: „Es gibt ein Wort: nur wer wahrhaft ſchlecht geweſen
iſt, kann wahrhaft gut werden. Buddha ſelber muß in einem früheren Leben
einmal ein Mörder geweſen ſein. Niemand ſehnt ſich ſo brennend nach Erlöſung,
wie der Unreine, der Verfemte, der Verbrecher, der ſeines Verbrechens ſich bewußt
wird. Friedrich Hebbel, ein Bauernſohn aus Dithmarſchen, war vielleicht das, was
man einen böſen Menſchen nennt. Von Dämonen gehetzt, brach er, ein verhungerter
Wolf, an dem man jede Rippe einzeln zählen konnte, in die Lämmerweide der
deutſchen Dichtung ein. Jedes Mittel war ihm recht, ſeinen geiſtigen Hunger zu
ſtillen. Er ſchlug Eide in den Wind und verriet Frauen, die ihn liebten und ohne
die er krepiert wäre — um der Idee zu dienen. Er ſelbſt konnte wohl gedanklich,
aber gefühlsmäßig mit ſeiner wie ein Eiſengerüſt konſtruierten Dramatik nicht mit.
Seine Dramen ſind alle irgendwie erſtaunlich; man muß wie der Wächter im
Zoologiſchen Garten auf ſonderbare Tiere mit dem Stock darauf zeigen. Seine
‚Nibelungen-Trilogie‘ ift eine Monſtrofität.“ :
Abgeſehen davon, daß es gut und heilſam erſcheint, immer wieder einmal in die
Erinnerung zu rufen, was fid) der Kulturbolſchewismus, der bewußt auf Klaſſiker⸗
mord ausging, ungeſtraft in Deutſchland leiſten konnte, greife ich dieſes Zitat des⸗
wegen heraus, weil es nicht etwa einen einmaligen Exzeß darſtellt, ſondern viel⸗
mehr die Summe aller Friedrich Hebbel widerfahrenen Unbill in ſich zuſammen⸗
faßt. In der feuilletoniſtiſch geiſtreichelnden Art, die uns nur zu lange gemundet
hat, werden hier zunächſt gänzlich unerwieſene Begriffe wie Dithmarſcher Bauern⸗
ſohn und Verbrecher zuſammengeworfen, damit Hebbel nach den Lehren der Milieu⸗
theorie als ein Opfer der Geſellſchaft charakteriſiert werden kann, der intelligent
genug iſt, ſich an der Geſellſchaft zu rächen. Da ſich nun aber für die Theorie des
Untermenſchen Hebbel in den Werken keine Anhaltspunkte bieten, werden diefe
als Monſtroſitäten bezeichnet.
Gewiß ſoll man den böswilligen Unſinn, der vor der Machtübernahme auf⸗
brodelte, in ſeiner Nachwirkung nicht überſchätzen. Im Falle Hebbel war er aber
doch gefährlicher als ſonſt, weil ſich allzu viele Vorurteile ſchon vorher eingeniſtet
hatten. Und jedenfalls zeigt ſich uns, daß die hohe Sendung der Gerechtigkeit,
die das nationalſozialiſtiſche Deutſchland durchführt, nirgendwo nachdrücklicher am
Platze iſt als bei dem letzten Dramatiker des 19. Jahrhunderts, der kein Epigone
war. Wie überall, muß dem Haß der Mittelmäßigkeit gegen das Große endgültig
unſere aufgeſpeicherte Liebe entgegengeſetzt werden. Des ein Zeichen war die
Wormſer Aufführung der „Nibelungen“ in der Reichstheaterfeſtwoche des Jahres
1937 und die Inſzenierung der „Agnes Bernauer“ im Rahmen der Heidelberger
Neichsfeſtſpiele.
Dichter wie Hebbel ſind es, an denen ſich unſere kulturelle Aufrichtigkeit erprobt.
Wir müſſen begreifen lernen, daß ſie nicht nur eine rätſelhafte Beziehung haben
zu allem, was uns umgibt, ſondern auch eine geheimnisvolle Geltung für das,
Schlösser / Der Künder germanischen Geistes in unserer Dichtung 3
was uns bewegt. Sie find die Springwurzeln unſerer Art. Man kann unb foll
ſie an unſerer Seele anlegen, und plötzlich enthüllt ſich der tiefere Sinn und der
tiefere Trieb unſeres Handelns. Man kann mit ihnen unſere Fehler und unſere
Vorzüge erklären. Sie lehren uns das: Erkenne dich ſelbſt, damit du fähig biſt, du
ſelbſt zu ſein! — oder anders geſagt: Sie zeigen uns den ewigen Deutſchen und be⸗
fähigen uns dadurch erſt, ſelbſt ganz deutſch zu ſein. Sie ſind es, die den ſeeliſchen
Lebensraum alles Deutſchen umreißen. Sie find es, wie aus der Tiefe ſeines hin⸗
reißenden muſiſchen Empfindens der Reichsjugendführer mit zwingendem Grund
zu betonen pflegt, die nach Hölderlins Wahrſpruch „das Bleibende ſtiften“. In
ihren Werken lebt das unſterbliche deutſche Gemüt, das Gefühl, der ewige Traum.
Hundert Begriffe vermöchten dieſes Wunder der Geſtaltung nicht auszuſchöpfen,
das grenzenlos iſt und ſich grenzenlos verſtrömt. Es offenbart ſich nur der inneren
Schau. Sie iſt der ſtändige Befehl zur Entfaltung des äußerſten Adels, der unver⸗
gängliche Aufruf, auch zu ſeinem Teil das Kapitel des Herzens und des Geiſtes,
das Gott einem mitgab, an die Volksgemeinſchaft zu verſchenken, ſie iſt der Altar
der Seele, auf welchem die Flammen der Begeiſterung niemals erlöſchen dürfen.
Es iſt nicht ſchwer aufzufinden, was einen Hebbel den Halben ſo unerträglich
und den Ganzen ſo teuer machte. Schon die erſten Zeilen ſeiner Tagebücher, die
ein heiliges Vermächtnis deutſchen Menſchentums ſind, ſtellen jeden Leſer vor die
Entſcheidung der Bejahung oder Verneinung. Gewiß wird es jedem, das darf
billigerweiſe zugegeben werden, die Stimme verſchlagen, wenn ein Zweiund⸗
zwanzigjähriger, der der Welt Leiſtungen noch nicht vorzuweiſen hat, nieder⸗
ſchreibt: „Ich fange dieſes Heft nicht allein meinem künftigen Biographen zu Ge⸗
fallen an, obwohl ich bei meinen Ausſichten auf die Unſterblichkeit gewiß ſein kann,
daß ich einen erhalten werde.“ Das iſt dazu angetan, eine gut geordnete, durch
geregelte Examina gegangene bürgerliche Bildungswelt von vornherein in den
Auſſchrei: Hoffart! ausbrechen zu laſſen. Wobei denn freilich überſehen wird, daß
mit dieſem Tagebuchbeginn keine Anmeldung auf Verſorgungsberechtigung öffent⸗
lich ausgeſprochen ſein ſollte; vielmehr ſetzte hier nur einer, den das Schickſal ſchon
als Knaben feierlich als Hungerleider einkleidete, der unter der Treppe mit den
Kutſchern nächtigen mußte und ſich im weltabgelegenen Weſſelburiſchen Winkel
eine totale Bildung als Autodidakt bis zum zweiundzwanzigſten Jahre angeeignet
hatte, alſo nicht Hinz und Kunz, ſondern ein Friedrich Hebbel damit ſein Lebens⸗
ziel, und allerdings ſpottete er damit gleichzeitig aller „Milieutheorie“. Wir haben
den Blick für ſolchen unbändigen Stolz wiedergewonnen. Es hat uns ergriffen,
daß wir uns unlängſt der Gewißheit des fünfundzwanzigjährigen Schopenhauer
erinnern durften, er und ſein Werk würden vor der Nachwelt beſtehen. Und wer
gedächte gerade in dieſer weltgeſchichtlichen Zeit nicht gleichzeitig jener ſtillen und
ſtolzen Vorſätze, die aus einem entrechteten und zerbrochenen Deutſchland die Welt⸗
macht von heute geſchaffen haben? Die Geſetze der Größe find, wo immer fie ſich
auch auswirken mag, ſtets die gleichen, wenn ſie auch ganzen Generationen vor
uns nicht mehr aufgegangen ſind.
4 Schlösser / Der Künder germanischen Geistes in unserer Dichtung
Weniger umſtritten war die fanatiſche Wahrheitsliebe Hebbels. Doch konnte es
naturgemäß auch in dieſer Hinſicht an Mißverſtändniſſen nicht fehlen, weil der
Durchſchnitt ſich mit „Wahrheiten“ zu begnügen pflegt, während die einmalige
Perſönlichkeit noch immer tragiſch um die Wahrheit gerungen hat; ſo auch Hebbel.
Dafür ſind ſeine Tagebücher ein lückenloſer Beweis. Alle diejenigen, die ſich mora⸗
liſch über die Trennung Hebbels von Eliſe Lenſing entrüſtet haben, haben wohl
niemals die Frage aufgeworfen, wie fie ſich über einen ſolchen Schritt Rechenſchaft
gegeben haben würden. Ich bitte, hier einen Superlativ gebrauchen zu dürfen.
Die Tagebuchſtelle, die wir über dieſen Entſchluß Hebbels beſitzen, iſt das Erſtaun⸗
lichſte an Aufrichtigkeit, was das deutſche Bekenntnisſchrifttum aufzuweiſen hat.
Nicht nur, daß von Verrat keine Rede ſein konnte, da das von Anfang an einen
Sonderfall darſtellende Verhältnis Hebbels zu Eliſe Lenſing dem Gereiften niemals
halten konnte, was es dem Jüngling vielleicht zu verſprechen ſchien, iſt der Entſchluß
Hebbels auch dadurch geadelt und geheiligt, daß er die traurige Verkettung der
Umſtände bis in die Einzelheiten genau erkannte und be kannte. Dadurch wurde
er mit dem vollen Willen um die Wahrheit ſeeliſch belaſtet, und damit wurde Elife
Lenſing alles zuteil, was ſie fordern durfte. Es liegt in der menſchlichen Natur,
daß ſie, vor ähnliche Entſcheidungen geſtellt, ſich an die Lebenslüge zu klammern
pflegt. Welche Fülle von Möglichkeiten ergäbe ſich da für den Autobiographen, den
Sachverhalt zu vernebeln, mit Phraſen zu überdecken, edle Antriebe vorzuſchützen
und die Verantwortung auf andere abzuwälzen. Es gibt keinen Hiſtoriker, der den
zweifelhaften Wert perſönlicher Dokumente in dieſem Punkte nicht kennt. Jeden
ſolchen Verdacht aber erſchlägt bei Friedrich Hebbel der eine Satz: „Ich zögere
nicht, dieſes Bekenntnis unumwunden abzulegen, ſoviel ich auch dabei verlieren
würde, wenn ich einen deutſchen Jüngling zum Richter hätte.“ Er war eben „ent⸗
ſchloſſen, zehnmal lieber ſich ſelbſt, als die Wahrheit zu opfern“, und beantwortet
die Frage Lüge oder Wahrheit mit den Verſen:
„Was du teurer bezahlſt, die Lüge oder die Wahrheit?
Jene koſtet dein Ich, diefe doch H ö H itens dein Glück.“
Iſt es nicht ergreifend, wie hier die formgegebene Akzentuierung, der metriſch
notwendige Tonfall auf dem Wörtchen „höchſtens“ zu einer Fanfare des Sitten⸗
geſetzes wird? Man hat Hebbel bezichtigt, er ſei zu ſelbſtgerecht geweſen. Aber
richtiger ijt doch wohl, daß er angeſichts der Wahrheit ſelbſt gerech⸗
ter dachte als viele, die ihn bemängelten. Wie denn die vielen
Urteile, die er über Mitlebende gefällt hat, nie einen ſchönen Hang zur Gerechtig⸗
keit vermiſſen ließen. Ja, ſogar ſich ſelbſt wollte er nicht überhöht wiſſen; wie
anders hätte er die Bitte eines ſeiner Anhänger, ſein Drama „Gyges und ſein
Ring“ angreifen zu dürfen, ſofort bejaht? Nach der landläufigen Anſicht mußte
ihm das nicht ſchwergefallen ſein, weil das Wort von der kühlen Natur, der Tem⸗
peramentloſigkeit Hebbels nachgerade zu dem holdeſten Gemeinplatz unſeres Lite⸗
raturgeſchwätzes geworden iſt. Ich darf in dieſem Zuſammenhang einen Augenblick
vorgreifen und die Frage aufwerfen, wo in aller Welt ſich dieſe Temperament⸗
„Pischerkähne am Haffstrand*
Carl Knauf:
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Schlösser / Der Klinder germanischen Geistes in unserer Dichtung 5
lofigfcit in feinen Werten dofumenticren foll? Spürt man denn bie glühende
Sinnlichkeit feiner Dichtungen wirklich nicht? Will man jid noch immer nicht ver-
gegenwärtigen, welche Situation „Gyges und fein Ring“ zugrunde liegt? Hier
lodern Brände! Wer bedauert, daß ſie durch die künſtleriſche Beherrſchtheit Hebbels
zu Opfer feuern wurden, bie der Altäre unſerer Kultur würdig find, der ſollte
auch beklagen, daß die Elemente nicht mehr blind wüten dürfen, ſondern durch
das, was den Menſchen von der Kreatur abhebt, zu Dienern eines Höheren ge⸗
worden ſind. Es wäre ja auch merkwürdig genug, wenn die Dinge anders lägen
bei einem Menſchen, deſſen Beziehungen zur Frau man andererſeits dauernd ver⸗
ketzerte. Nur in der Zeit der Verwirrung aller Gefühle und vor allem einer lächer⸗
lichen Emanzipation des Weibes konnte als Kühle verbucht werden, wenn Hebbel,
dieſer Frauenlob deutſcher Dichtung, erklärte: „Wer nicht im Weibe das Ideal
ſieht, wo ſoll der es überhaupt noch ſehen, da das Weib doch offenbar in ſeiner
Blüte die idealſte Erſcheinung der Natur iſt.“ Und wie tief iſt das Gleichnis von
der heiligen Mütterlichkeit in dem Gedicht „Virgo et mater“, wie beklemmend und
erlöfend ſcharfſinnig die Aufſpürung des eigentlichen weiblichen Adels noch in der
Häßlichen, die in dem Gedicht „Das Mädchen“ geſchildert wird!
Dieſer Blick für echten Adel beſtimmte auch ſeinen Standpunkt in der Dichtung.
Es iſt bezeichnend, daß Hebbel über Verſen Ludwig Uhlands zum bes
wußten Dichter geworden iſt. Das deutſche Herz, welches in den Schöp⸗
fungen Uhlands aufglühte, warf ſein ſtrahlendes Licht in den kimbriſchen Nebel
Dithmarſchens und entzündete dort die gleiche Glut in der Seele des heranreifenden
Hebbel. Hebbel machte damals die Erfahrung, daß jeder tüchtige Menſch in einem
großen Manne untergehen muß, wenn er jemals zur Selbſterkenntnis und zum
ſicheren Gebrauch ſeiner Kräfte gelangen will. „Ein Prophet ſchafft den zweiten“
ſagt er ſelbſt in ſeinen Tagebüchern, „und wem dieſe Feuertaufe das Haar ſengt,
der war nicht berufen.“ Mit einer Sauberkeit der Gefinnung, die derjenigen
Uhlands in nichts nachſteht, hat Hebbel bewieſen, wie ſehr er berufen war. Das
Einzelbeiſpiel ſeines Verhältniſſes zu Uhland, dieſer kleine Einzelabſchnitt eines
teichen Lebens, mag andeuten, was mich immer wieder, um mit Kleiſt zu reden,
veranlaßt hat, dem Maurerſohn aus Weſſelburen auf den „Knien des Herzens“
zu nahen. Als Hebbel ſeine „Judith“ vollendet hatte, ſandte er dies Schauſpiel an
Uhland. Er erhielt keine Antwort. So weh es ihm tat, er ſchrieb dennoch in ſein
Tagebuch: „Dem Dichter Uhland bleibt lebenslang meine Verehrung, dem Manne
und Charakter meine tiefe Achtung.“ Ungeachtet ſeiner tiefen Enttäuſchung be⸗
ſuchte er ſpäter den großen ſchwäbiſchen Romantiker in Stuttgart, deſſen naive,
tührende Weile fid) zu geben ihm ebenſo gefiel wie Uhlands Anſpruchsloſigkeit.
„Freue mich“, verzeichnet das Tagebuch, und am Ende dieſer Beziehungen ſteht die
Überſendung der Hebbelſchen Gedichte, bie bie letzte dankbare Huldigung eines an
einem großen Vorbilde Gereiften darſtellte. Nie hat er Uhland jenes „Wohl⸗
wollen“, das Teilnahmsloſigkeit doch faſt ſtreifte, ſich jedenfalls im Rahmen des
ÜUblichen hielt, nachgetragen, ein gerade im Bereich des Schrifttums ſeltener menſch⸗
6 Schlässer / Der Künder germanischen Geistes in unserer Dichtung
licher Zug, diefe „Beſcheidenheit gegen ben Vordermann“. Und deswegen bejonders
rührend, weil ſich uns ſo das Schauſpiel darbietet, wie ſich dem Dichter des Liedes
vom guten Kameraden ein Größerer als guter Kamerad bewährte.
Wenn man, wie es hier geſchah, ſich mit einigen wenigen, aber markanten Strichen
ein Bild von der Perſönlichkeit Hebbels zu machen verſucht hat, ſo müßte ſein
Schaffen hierzu in keinerlei Beziehung ſtehen, ſofern man denjenigen glauben
wollte, bie feine Dramen für lebensferne und erklügelte Konſtruktionen erklärt
haben. Indeſſen: Wenn jemals der lückenloſe Zuſammenhang von gelebtem Leben
und Dichtung bewieſen werden konnte, ſo bei Hebbel. Nur wer ſein Menſchentum
nicht begreift, verſteht auch ſeine Geſtalten nicht, die ſelbſtverſtändlich ebenſo Kinder
feines Fleiſches und Blutes find, wie Goethes „Fauſt“ und Heinrich von Kleiſts
„Prinz von Homburg“ es ſind. Hebbel kennt keine Wahrheit für den Privatbedarf
und eine andere für das ſchöpferiſche Tun. Wenn ihm die eine Wahrheit die dun⸗
kelſten Tage ſeines Daſeins erhellt, ſo leuchtet ſie ihm auch in den Stunden müh⸗
ſeligen Ringens um die Form und im Rauſch des Schaffensprozeſſes. Die Unab⸗
dingbarkeit ſeines Wahrheitsfanatismus hebt ihn weit hinaus über das Zeitalter
der halben Talente, falſchen Gefühle, Literaturkonfektionäre und des ungeiſtigen
Epigonentums. Den Riß, welcher zwiſchen ihm und den anderen beitanb, hat er
mit humorigem Sarkasmus ſchon in den Wanderjahren, in Paris, umſchrieben:
„Beethoven ſchied. Und während er verſchnauft,
herrſcht Meyerbeer, der hundert Orgeln kauft,
damit der Komponiſt, der mit ihm ringt,
nicht eine vor ihm auf die Bühne bringt.
Beethoven hätt' der Orgel ſelbſt vertraut,
was dieſer auf die erſte Orgel baut.“
Dazu iſt wohl nicht viel zu bemerken. Es ſpricht ſo für ſich ſelbſt, wie Hebbels
ergänzende Feſtſtellung über bie Bettelhaftigkeit ſogenannter künſtleriſcher Reden-
exempel, „die nicht ohne Schlittſchuhbahnen und in die Luft geſprengte Schlöſſer
zum Effekt gelangen konnten“. Die unbarmherzige Ablehnung jeden Effektes um
des Effektes willen ſtellte dann allerdings Geſtalten auf die Bühne, die weder eine
ſentimentaliſche Biedermeierdämmerung, noch eine fortſchrittsgläubige Gründer-
zeit, noch die folgende Zeit ſatter Bürgerlichkeit recht verſtehen konnten. Erſt ein
durch alle Feuer des Weltkriegs hindurchgegangenes Geſchlecht, das ſich rückbeſann
auf die Haltung, welche den ſchickſäligen Untergang der Nibelungen mit ewigem
Ruhme krönte, erft ein ſolches Geſchlecht ward ganz reif, in Hebbel und feinen Ge,
ſtalten die germaniſche Urſubſtanz zu erkennen, zu bejahen und zu würdigen.
Immer bewährt ſich in ſeinen Dramen unſere artgemäße Grundhaltung, die ſich
in den Werken ausſpricht und die er auch gelebt hat:
Gott dem Herrn iſt's ein Triumph,
wenn ihr nicht vor ihm vergeht,
wenn ihr, ſtatt im Staube ſtumpf
hinzuknien, herrlich ſteht!
Schlösser / Der Künder germanischen Geistes in unserer Dichtung 7
Den unvergleidliden Frauengeſtalten feiner Dichtungen eignet ausnahmslos
eine helle, blaudugige und blonde Sicherheit, wie wir fie ſonſt nur ähnlich in den
Sagas geſchildert finden. Ihr unnahbarer Stolz ſtammt aus Hebbels Heimatland,
aus Dithmarſchen:
„Wo ehrbar blond der Weizen reift
und ſtachlicht⸗keuſch die Gerſte ſticht,
wenn man ſie noch ſo leiſe ſtreift.“
Aus dieſem Holze ſind auch die dämoniſchen Charaktere geſchnitzt, die Hebbels
Werke uns vorführen. So mancher atmet die hohe Gefährlichkeit herrſchſüchtiger
nor manniſcher Königinnen, die lieber die Welt ohne Kopf verlaſſen, eh denn fie
ihn beugen. Und auch die Männer, die er zeichnete, verdienen immer dieſen Namen.
Welch unbändiger Stolz des Gefolgmannes ſpricht aus Verſen wie dieſen:
„So groß iſt keiner, daß er mich als Werkzeug
gebrauchen darf. Wer Dienſte von mir fordert,
die mich, vollbracht und nichtvollbracht, wie's kommt,
ſchmachvoll dem ſicheren Untergange weihn,
der ſpricht mich los von jeder Pflicht,
dem muß ich zeigen, daß es zwiſchen Königen
und Sklaven eine Mittelſtufe gibt
und daß der Mann auf dieſer ſteht.“
Dieſe Verſe muten bei flüchtigem Überleſen freilich verdächtig individua⸗
liſtiſch an. Wer aber, wie man das bei Hebbel immer muß, genau lieſt, erkennt,
daß die einzige Bedingung, welche hier an die Verpflichtung zur Gefolgſchaftstreue
geknüpft wird, diejenige iſt, dem ſicheren Untergange nicht ſchmachvoll überant⸗
wortet zu werden. Nicht der ſichere Untergang iſt es alſo, der ſchreckt, ſondern einzig
und allein die Gefährdung der Ehre wird als untragbar empfunden.
Dieſes Geſetz der Ehre, welches demjenigen, der es beherzigt, folgerichtig Aus⸗
blicke auch in die dunklen Riſſe des Unerforſchlichen verſchafft und ihm zum gebore⸗
nen Tragiker ſtempelt, dieſes Geſetz der Ehre iſt der innerſte Kern faſt aller Werke
Hebbels. Sei es nun, daß es ſich verbogen und verlandläufigt zu erſtarrtem Eigen⸗
finn auswirkt, wie in Maria Magdalene, fei es, daß die Bernauerin ſich zu ſchade
iſt für die Lüge, den Schleier zu nehmen, und ihre Liebe lieber mit dem Tod
bezahlt, fet es, daß es Gyges und Kandaules zum ſchickſalsgefügten Zweikampf
zwingt, ſei es ſchließlich, daß es in den düſteren Flammen der Nibelungen⸗Trilogie
auflodert.
Weſen und Werk machen die Beſonderheit der Hebbelſchen Dramaturgie ver⸗
ſtändlich. Der Dichter ging, wie er ſelbſt ſagt, beſtändig auf die plötzliche und un⸗
vorhergeſehene Entbindung des ſittlichen Geiſtes aus. Infolgedeſſen
8 Schlösser / Der Künder germanischen Geistes in unserer Dichtung
mußte er in der überhöhten jtrengen Form eines gebauten Dramas den Werdens⸗
prozeß, der allein zu einer Entbindung führen kann, ſich abwickeln laſſen, oder
anders ausgedrückt, dem Handlungsablauf ein Problem zugrunde legen. Damit
iſt ausgeſprochen, was alle, die mehr das Spieleriſche artiſtiſchen Bemühens ſchätzen,
mit Schauder erfüllt. Das darf aber nicht davon abhalten, feſtzuſtellen, daß es
Hebbel gelungen iſt, und zwar faſt zum einzigen Male, die künſtleriſchen
Grundbeſtandteile des deutſchen Dramas, das Geiſtige und
Gefühls mäßige, zu vereinigen. Es ließe fid in weitergreifenden Aus»
führungen leicht auf zwei Neigungen der deutſchen dramatiſchen Dichtung hin⸗
weiſen, nämlich: Stücke mit viel Sentimentalität und wenig
Geib. ober fogenannte Denkſpiele ohne Herz zu verfaſſen. Das bor:
moniſche Gleichgewicht dieſer Elemente aber iſt ſelten und deswegen Hebbel ſo
einzig und, wir wollen es ruhig ausſprechen, ſo vorbildlich — auch für unſere Zeit.
Auch in rein ſtiliſtiſcher Beziehung konnte die vieljährige theoretiſche und praktiſche
Bemühung des Naturalismus nicht über die kunſtphiloſophiſche Maxime hinweg⸗
kommen, die ihr Hebbel als Schranke ſetzte, indem er ſagte:
Freunde, ihr wollt die Natur nachahmend erreichen? O Torheit!
Kommt ihr nicht über ſie weg, bleibt ihr auch unter ihr ſtehn!“
Der Raſſenforſcher Günther beſchreibt die ſeeliſchen Eigenſchaften der nordiſchen
Raſſe dahin, daß ſie Wahrhaftigkeit, Tatkraft, Unzugängigkeit gegenüber Markt⸗
ſchreierei, Gerechtigkeitsgefühl, Ehrbewußtſein und Ehrfurcht vor der Leiſtung aus⸗
zeichneten. Bewußt habe ich mit dieſem, die Frage Hebbel in jeder Beziehung
klärenden Zitat bis jetzt hintangehalten, weil allzu leicht ein durch ungeſchickten
und unbefugten Gebrauch zum Gemeinplatz geſtempeltes Wort, anfänglich aus⸗
geſprochen, den Eindruck hätte hervorrufen können, es ſei mir um billige Über⸗
rumpelung zu tun. Nun aber, nachdem Leben und Werk die Beweiſe lieferten, daß
alle die von Günther als eigentümlich nordiſch angeführten Merkmale die Merk⸗
male auch Friedrich Hebbels ſind, dürfen wir dem Wiſſenſchaftler dafür danken,
daß er, beſonders mit den Ausführungen ſeiner Schrift „Raſſe und Stil“ den
Dichter Hebbel auch da enträtſelt hat, wo er dem deutſchen Volke bisher dunkel
blieb. Hebbel iſt geradezu ein Prüfſtein, an dem ſich entſcheidet, wie weit entfernt
oder wie nahe der einzelne dem germaniſch⸗nordiſchen Blutbeſtand unſeres Volkes
ſteht. In der Tat, in den „Nibelungen“ finden ſich Stellen, die unmittelbar in
einer Isländer⸗Geſchichte ſtehen könnten, und Hebbel ift der „Saga mann des
deutſchen Dramas“. Und es iſt Hebbels würdig, wenn Günther ſagt: „Es
iſt ſinnlos, nach Form und Inhalt zu fragen: der Inhalt ſeiner Werke ſind die
inneren Geſichte eines nordiſchen Menſchen, ihre Form ein Ausdruck des herben,
oft ſchroffen Geſtaltungswillens eines überragenden nordiſchen Künſtlers.“
Auf dieſem Erkenntniswege, den wir der als ſpezifiſch nationalſozialiſtiſch zu
bezeichnenden Raſſenwiſſenſchaft verdanken, erklärt ſich auch der in allem der
Schlösser / Der Künder gerinanischen Geistes In unserer Dichtung 9
Milieutheorie ſpottende Lebensgang Hebbels: nackte Not gleich zu Beginn, dunkle
Schatten über ſeiner Jugend, Abſpeiſung des Jünglings an Freitiſchen, deren
Beſuch ihm die Hinrichtung feines inneren Menſchen bedeutete, Hungerjahre im
Sinne des Wortes in München! Das würde genügt haben, um einen Menſchen
minderer Art, ja wohl ſogar um eine gediegene Durchſchnittsbegabung zu jenem
anarchiſt iſchen Intellektuellen zu machen, als ben die eingangs erwähnte Literaturs
geſchichte Hebbel konterfeien wollte. Das Wunder des Bluterbes, das ſich in Hebbel
manifeſt ierte, hat aber zu einem ganz anderen Ergebnis geführt. Er hat, kann
man ſag en, mit dem ſtillen Stolz des tragiſchen Siegers Jahrzehnte ſeines Lebens
geopfert, um ſeine gottgewollte Aufgabe durchzuführen. Was bedeutete dieſem
Maurerſ ohn aus Weſſelburen, daß er früh ſterben folte, wenn er nur kompromiß⸗
los ſchaffen durfte, was bedeutete ihm die Unzulänglichkeit der Umwelt, gemeſſen
an der geiſtigen Souveränität, mit dem das Schickſal ihn von vorn⸗
herein begnadete? Aber allerdings: der Weg zum Herzen ſeines Volkes mußte
ein langer ſein. Er ſchuf ſein königliches Werk ja zu einer Zeit, wo die Fürſten
fielen und das Volk noch nicht königlich zu denken gelernt hatte. Weniger und
immer weniger fiel ins Gewicht, daß der alte Ludwig von Bayern wenigſtens
ahnte, was Hebbel war, und Karl Alexander von Weimar wußte, daß die Nibe⸗
lungen feit Schiller und Goethe die größte ſchöpferiſche Tat
des deutſchen Schrifttums darſtellten. Dem ſtellte fid bet Wider⸗
ſtand eines geiſtig bequem gewordenen Durchſchnitts entgegen, die ſtumpfe Gleich⸗
gültigkeit der Mittelmäßigen, „weil ſie zu ſchwach für einen echten Haß, und auch
zu klein für volle Großmut ſind“. Jetzt erſt, nachdem das Geſetz der Ehre wieder
das geſamte Leben der Nation beſtimmt, iſt auch die Möglichkeit gegeben, Friedrich
Hebbels Vermächtnis zu dem zu machen, was es zu Nutz und Frommen Deutſch⸗
lands längſt ſchon hätte ſein müſſen: zu einem unverlierbaren geiſtigen und künſtle⸗
tiſchen Beſitz jedes Volksgenoſſen. Das ift die Aufgabe, deren Erfüllung wir
Friedrich Hebbel heute ſchulden.
Es iſt das Jahr 1813, die hohe Stunde der nationalen Befreiung Deutſchlands
vom Joch unerträglicher Fremdherrſchaft, geweſen, eine heroiſche Schickſalsſtunde,
die uns einen Friedrich Hebbel und Richard Wagner ſchenkte. Gin Jahr der
heldiſchen Tat gebar diejenigen, welche durch ihr Werk die
ewige Wiederkehr des germaniſchen Geiſtes ſicherſtellen
ſollten. Wir ſind fromm genug geworden, auch wenn uns das von Engſtirnigen
oft beſtritten wird, um in ſolchen Zuſammenhängen die hohe Fügung Gottes zu
ahnen, und weil wir wieder ſo denken, möchte ich auch darin ein Walten des Welt⸗
geiſtes ſehen, daß die Stadt, in der Friedrich Hebbel ſeine Nibelungen ſchuf, Wien
hieß. Damals freilich mußte er von Wien noch nach Weimar wandern, um tieferes
Verſtändnis zu finden. Seit Jahresfriſt aber dürfen wir fagen: ob in Weſſelburen,
in Weimar oder in Wien — überall iſt Deutſchland erwacht, und mit ihm der
Geiſt der Aufgeſchloſſenheit für die germaniſche Ehre, deren Sänger Friedrich
Hebbel geweſen iſt.
ech
| Wolf Schenke:
Gehört England zu Europa?
Wenn man bie Preſſe der Welt liejt und den Reden gewijjer Staatsmänner
lauſcht, dann ſcheinen die Völker der Erde ſich in zwei Kategorien einteilen zu
laſſen: Schulmeiſter und ungezogene Schüler. Über das Waſſer ſchallen unaus⸗
geſetzt Belehrungen herüber zum Kontinent, Belehrungen, die ſich hauptſächlich
gegen Deutſchland und Italien und gegen die kleineren Nationen richten, die ſich
dem Block der neuen europäiſchen Ordnung anſchließen. Sie richten ſich gegen alle,
die neue Wege beſchreiten, die denen drüben in England und Amerika nicht
gefallen.
Es zeugt von der Langmut der mitteleuropäiſchen Völker, daß dieſe Schul⸗
meiſterei noch nicht ſchärfer und deutlicher als unverſchämte Anmaßung zurüd-
gewieſen worden iſt. Abgeſehen davon, daß es gegen alle Sitte und den inter⸗
nationalen guten Willen verſtößt, ſich in die Angelegenheiten anderer Völker ein⸗
zumiſchen, wenn ſchon geſchulmeiſtert und bevormundet werden ſoll, ſeit wann iſt
es dann üblich, daß die Kinder und Enkel die Großeltern maßregeln? Amerika
zum mindeſten ſteht doch zu den alten Völkern Europas im Verhältnis eines noch
recht grünen Jungen, der nicht nur keine Manieren kennt, ſondern auch noch nicht
einmal die primitiviten Schularbeiten als Nation geſchrieben hat.
Wir wollen uns jedoch mit England, als dem Wortführer einer deutſchfeindlichen
Einkreiſungsfront, beſchäftigen. Und da find wir es den Völkern Europas ſchuldig,
nicht mehr länger wie bisher die Predigten, die von drüben herüberſchallen, un be⸗
antwortet zu laſſen, ſondern durch die Aufzählung des tatſächlichen Verhaltens
Englands in der Geſchichte Europas zu zeigen, wie alle Völker des Kontinents
ohne Ausnahme ein gemeinſames Intereſſe des Zuſammenſchluſſes haben gegen die
ſeit Jahrhunderten bisher mit Erfolg von außen nach Europa hineingetragenen
Keime der Zwietracht und des Zerwürfniſſes, aus denen England auf Koſten aller
profitierte.
England erklärt ſich heute zum Feind der neuen Ordnung, die im Be⸗
griff iſt, ſich auf dem europäiſchen Kontinent durchzuſetzen. Es fügt damit zu ſeiner
draußen in der Welt durch ſeine Bekämpfung des natürlichen Nationalismus der
jungen Völker angenommenen Rolle des Reaktionärs der Weltgeſchichte
nur noch den europäiſchen Teil. England liebt es, in ſeiner Propaganda — die
ebenjo alt wie geriſſen iit — als Hüter bes europäiſchen Friedens und des aus:
geglichenen Zuſammenlebens der Völker, als Schutzengel der kleinen bedrohten
Völker aufzutreten. Demgegenüber iſt es an der Zeit ſich zu überlegen: Gehört
England zu Europa? Dieſe Frage kann nur bem ſeltſam und weit hergeholt
erſcheinen, der die Dinge nur oberflächlich betrachtet oder dem, der keine Kenntnis
der europäiſchen Geſchichte beſitzt. Denn wenn wir nur die Geſchichte der Be⸗
ziehungen Englands zum europäiſchen Kontinent einer kleinen Prüfung unter:
ziehen, fo müſſen wir zu der Feſtſtellung gelangen, daß England die der euro⸗
päiſchen Einheit feindlichſte Macht der Welt immer geweſen
Schenke / Gehört England zu Europa? 11
ift. (Allerdings find wir hier in ber für engliſche Begriffe unerhörten Anmaßung
befangen, die Geſamtheit der Völker des Kontinents und nicht die engliſchen Inſeln
als den wichtigſten und bedeutendſten Teil Europas anzuſehen).
England hat beſtändig daran gearbeitet, eine europäiſche Einheit nach Kräften
zu verhindern. England wurde erſt mit dem Zuſammenbruch der
kontinentalen Einheit groß, und ſeine heutige Einſtellung
i ſt von der Furcht diktiert, daßeine neue Ordnung in Europa
den Kontinent zuſammenführen könnte, wo mit es ſelbſt
wieder die Stellung einnehmen würde, die es vor dem Zu⸗
ſammenbruch der Einheit des Abendlandes innehatte.
England nahm den Weißen ihren Kolonial beſitz
Noch — ich fehe das Stirnrunzeln mancher Lejer — ſcheint diefe Theſe in ei ne m
widerſpruchsvoll. Gilt nicht England oder das von England geführte Britiſche
Imperium in der ganzen Welt als der Vorkämpfer europäiſcher Kultur und Zivili⸗
(ation? Bedeutet das Empire nicht für die anderen europäiſchen Kolonialmächte
gleichzeitig den Schutz auch für ihre Beſitzungen? So feſt iſt der Gedanke von der
Rolle Englands als dem Beſchützer der weißen Völker dank der britiſchen Propa⸗
ganda ſchon zum ſelbſtverſtändlichen Beſtandteil unſeres Denkens geworden, daß
die Überlegung fernliegend erſcheint, ob nicht vielmehr Franzoſen, Portugieſen,
Holländer und Belgier mit dem Reſt ihrer Beſitzungen, der ihnen noch von Eng⸗
land gelaſſen wurde, den engliſchen Kolonialbeſitz garantieren. Jedenfalls
it Englands Rolle als „Vormacht“ der weißen alle immer eine ſehr ſeltſame
geweſen. Von wem nahm England feine wertvollſten Kolonien? Ranges fie
in ſchweren Kämpfen den Farbigen ab? Nein, es entriß fie
weißen Völkern, nachdem diefe bie härteſte Vorarbeit ge:
leiſtet hatten. Es raubte ſie mit Gewalt von Spaniern, Portugieſen, Fran⸗
zoſen und Holländern und zuletzt ſchließlich von uns Deutſchen, mit derſelben Ge⸗
walt, die, wenn aus Lebensnotwendigkeit oder zum Segen eines Dritten von
anderen angewandt, als Verbrechen bezeichnet wird.
Dieſe Anführung von Tatſachen, die keine Propaganda der Welt vertuſchen
kann, wurde nur deshalb an den Anfang dieſer Ausführungen geſtellt, damit die
bei den meiſten Menſchen vorhandenen von fremden Ideologien und Propaganda
beeinflußten Vorſtellungen von vornherein radikal ausgerottet werden möchten.
Eine nüchterne Betrachtung der europäiſchen Geſchichte ſeit der Völkerwanderung
und in ihr der Wechſelbeziehungen zwiſchen England und dem Kontinent ſollte ſich
heute keine der europäiſchen Nationen vorenthalten. Ja, ſie gehört ſogar zu den
unbedingten Notwendigkeiten, wenn es verhindert werden ſoll, daß Europa ſich
noch einmal im Dienſte anderer in einem Bruderkampfe zerfleiſcht. Jene Nationen
— es ſind zum Glück nur noch wenige — die immer noch willens ſind, für England
in einen Krieg zu gehen, der nur mit ihrem Untergange enden kann, müſſen die
Cemeinſamkeit der kontinentalen, der europäiſchen Intereſſen und damit ihren
eigenen Nutzen erkennen, bevor es zu ſpät iſt.
12 Schenke / Gehört England zu Europa?
Aus England hört man heute Stimmen, wir Deutſchen wollten Europa wieder
„ins Mittelalter“ zurückführen. Ja, in einer Beziehung wollen wir das auch.
Nicht in das Mittelalter ber Herenprozeſſe und Ketzerverfolgungen, aber in jenes
beglückende Zeitalter, als Europa oder das Abendland eine, wenn auch loſe, poli⸗
tiſche und geiſtige Einheit war, die doch bei der bunten und vielfältigen Selb⸗
ſtändigkeit von Völkern und Stämmen immerhin ſo ſtark war, daß es unter
Führung des Reiches gegen Gefahren von außen, die ſeiner Geſamtheit drohten,
geſammelt zum Segen aller eingeſetzt werden konnte. Freilich war damals Eng⸗
land eine unbedeutende Inſel, die abwechſelnd von Normannen oder Dänen erobert
wurde. Es ſtand in völliger Abhängigkeit vom Kontinent, deren eindrucksvollſter
Augenblick wohl jene Stunde war, in der ein engliſcher König, Richard
Löwenherz, dem Kaiſer und dem Reiche den Lehenseid leiſtete, eine Tat⸗
ſache, deren meines Wiſſens in engliſchen Geſchichtsbüchern kaum Erwähnung
getan wird.
Kennzeichnend für das Verhältnis Englands zum Kontinent in jener Zeit iſt
es, daß Englands imperialiſtiſcher Aufſtieg erſt begann, als die Einheit des
Abendlandes zugrunde ging, als das Reich ſich mehr und mehr auflöſte
und die Nationen des Kontinents ſich in nicht endenwollenden Kriegen gegenſeitig
zu bekämpfen begannen. Die tapferen und unternehmenden Nationen des Weſtens,
Spanier, Portugieſen, Franzoſen und Holländer hatten neue Kontinente entdeckt
und zu erſchließen begonnen. England konnte auf ihre Koſten zur Weltmacht
werden, indem es ſie der Früchte ihrer harten Anſtrengungen beraubte, während
ſie in Europa in die Kämpfe um die Beute des zerfallenden Reiches hineingezogen
wurden. Europa war zerriſſen, und die glückliche Inſel England brauchte in dieſe
inneren Kämpfe nicht einzugreifen, wozu Spanier, Franzoſen und Holländer infolge
ihrer Schickſalsgemeinſchaft mit den übrigen Staaten des Kontinents gezwungen
waren. Es war eine Gelegenheit zum Raub, und ſie wurde von den Engländern,
die die Seeräuberei bereits offiziell ſanktioniert hatten, weidlich ausgenutzt. Der
Raubzug mit der Miene des gentleman, in deſſen Verlauf faſt allen europäiſchen
Kolonialmächten die wertvollſten Teile ihrer Beſitzungen genommen wurden, fand
ſeinen Abſchluß erſt nach dem Weltkrieg mit dem Raub der deutſchen Kolonien.
Aber bis auf den heutigen Tag währt die europäiſche Zwietracht, die England
zu allen Zeiten ſeine unerhört große und zweifellos Achtung fordernde Ent⸗
wicklung ermöglichte.
Wir ſind weit davon entfernt, wie es die Engländer uns gegenüber tun würden
und ſogar ſchon tun, wenn wir deutſches Land dem Reich wiederangliedern,
uns darüber moraliſch zu entrüſten, daß England die Gelegenheit der europäiſchen
Selbſtzerfleiſchung benutzte, um ſich ein Weltreich zu ſchaffen, das mit großer
Tapferkeit und Fleiß aufrechterhalten wurde. Nur klingt es nicht ſehr überzeugend,
wenn Räuber von dem Segen der Ehrlichkeit reden, nachdem ſie alles zuſammen⸗
geraubt haben und durch eine Neuverteilung nur verlieren können. Wir müſſen
dieſe Heuchelei zurückweiſen, die lediglich den Verſuch darſtellt, mit moraliſchen
Parolen andere zur Mithilfe an der Verteidigung des Raubes zu gewinnen.
Schenke / Gehört England zu Europa? 13
Eins allerdings müſſen bie Völker Europas der engliſchen Politik durch die
Jahrhunderte zum Vorwurf machen. Sie begnügte ſich nämlich nicht damit, die
europäiſche Zwietracht auszunutzen, ſondern ſie nahm allmählich ſogar ſelbſt auf
dem Kontinent aktiven Anteil. Dies geſchah früher ebenſo wie augenblicklich
in der Zeit britiſcher Einkreiſungspolitik in der Abſicht, jede europäiſche
Einheit zuzerſtören und die einzelnen Staaten gegeneinander auszuſpielen,
damit ſie ſich dauernd gegenſeitig derartig aufheben, daß auch nicht einer nach
außen hin aktiv werden kann (man denke nur an Polens kolonialpolitiſche Wünſche);
eine Politik, die man ſo euphemiſtiſch als die Politik des europäiſchen Gleichgewichts
bezeichnet hat. Preußen wurde unterſtützt, als es gegen Frankreich kämpfte, damit
man fi der franzöſiſchen Zeitungen in Indien und Nordamerika bemächtigen
konnte. Kanada wurde praktiſch durch die Bataillone Friedrichs des Großen ge⸗
wonnen. Als Napoleon, eine der größten europäiſchen Geſtalten, ſeinen Traum
von der europäiſchen Einheit des Kontinentes träumte und allerdings mit der
Gewalt des Schwertes nicht nur an ſeine Verwirklichung ging, ſondern auch ſogar
in Afrika und Paläſtina kämpfte, Wonn England wieder auf der Seite der Feinde
Frankreichs. Als Frankreich ſpäter durch die Armee Preußens und der deutſchen
Bundesſtaaten eine vernichtende Niederlage erlitt und an ſeiner Stelle das Deutſche
Reich Bismarcks die ſtärkſte Macht in Europa wurde, wandte ſich England langſam
Frankreich zu. Noch einmal, über koloniale Fragen, ſchien es kurz vor der Jahr⸗
hundertwende wieder zum Bruch mit Frankreich zu kommen. Es gab Strömungen,
die ein gutes Verhältnis zu Deutſchland vorgezogen hätten. Schließlich ſetzte man
aber doch in der Entente cordiale auf Frankreich, denn das Deutſche Reich war
nicht nur zur ſtärkſten Macht geworden, es machte ſich auch draußen in der Welt
auf den bis dahin vornehmlich engliſchen Märkten außerordentlich bemerkbar.
Sogar mit dem Erzfeind Rußland, gegen den man eben noch die Japaner ins Feld
geſchickt hatte, verband ſich ſchon um die Jahrhundertwende England, um jenen
großen europäiſchen Block der Mittelmächte, der unter Führung des Reiches ſtand,
zu vernichten. )
1918 lag Deutſchland am Boden, unb Frankreich begann feine Hegemonie in
Europa aufzurichten. Schon waren die Engländer auf der anderen Seite, bes
wieſen Sympathie für die Weimarer Republik, bekämpften die Franzoſen im
griechiſch⸗türkiſchen Kriege, bremſten bei dem Ruhrabenteuer und verſuchten überall
einen mäßigenden Einfluß auf Frankreich auszuüben, bis ſchließlich heute das zur
ſtärkſten Macht in Europa gewordene neue nationalſozialiſtiſche Deutſchland die
Engländer wieder feſt auf der Gegenſeite, ja ſogar als deren Wortführer ſieht.
Und dieſes Mal ſcheint für Englands Intereſſen wirklich Gefahr im Verzuge zu
ſein. Denn hier ſteht nicht nur das neue Großdeutſche Reich und mit ihm Italien
und eine Anzahl junger kräftiger Nationen, die beginnen, eine neue Ordnung in
Europa zu ſuchen. Es iſt nicht nur eine neue politiſche Macht. ſondern es iſt auch
eine europäiſche Idee, die ihre Auferſtehung gefeiert hat.
14 Schenke / Gehört England zu Europa?
Hier kommen wir zu bem ſchwerwiegendſten Punkt der engliſchen Einmiſchung
auf dem europäiſchen Kontinent. Wenn England heute gegen die Idee des natio⸗
nalen Sozialismus und gegen die autoritären Staatsführungen Stellung nimmt,
wenn es eine Front der Demokratien gegen die autoritären Staaten konſtruiert,
ſo iſt das keine Heuchelei, ſondern es iſt ernſt gemeint. Denn der Siegeszug dieſer
neuen europäiſchen Idee beraubt England ſeiner ſtärkſten Waffe gegenüber dem
Kontinent: England hat in der Vergangenheit nicht nur ins machtpolitiſche
Spiel des Kontinents Zwietracht ſäend eingegriffen, es hat auch ſeine Ideen
hinüber auf den Kontinent geſchickt, um die europäiſchen Staaten von innen her
zu unterhöhlen. Es hat in allen europäiſchen Ländern Parteien geſchaffen, die
England geiſtig hörig waren.
Engliſche Ideen und Lebensweiſe, dieſelben, die wir heute unter dem Sammel⸗
begriff der Demokratie von Engländern und Amerikanern verteidigt finden, haben
die europäiſchen Staaten zerſetzt. Wie England ſeinerzeit China das Opium mit
Gewalt aufgezwungen hat, das ſeinen Volkskörpet zerſtörte, fo hat das Rauſch⸗
gift der auf die Schwäche der Menſchen ſpekulierenden eng:
liſchen Ideen die europäiſchen Völker dazu verführt, ihnen gänzlich weſens⸗
fremde Formen anzunehmen, deren Zuſammenbruch wir heute endlich erleben.
Die Angelſachſen und die führenden Völker des Abendlandes beſitzen eine grund⸗
verſchiedene Konzeption der perſönlichen Freiheit. Der angelſächſiſche Begriff iſt
die rein individuelle Freiheit des Einzelmenſchen; wir können Freiheit nur in Be⸗
ziehung zur Gemeinſchaft ſetzen. Dem Angelſachſen iſt der Menſch das Maß aller
Dinge, Deutſche, Italiener, fogar ſchon Franzoſen, bie alten Kulturnationen des
Kontinents, ſehen den Einzelmenſchen von vornherein hineingeſtellt in eine Ordnung,
von der her allein ſein Leben einen Sinn erhält. Es tut nichts zur Sache, daß
dieſe Ordnung zu verſchiedenen Zeiten von verſchiedenen Inſtitutionen verkörpert
wurde, ob fie Reih, Kirche, Staat oder Volk hieß. Das Entſcheidende ift die Idee,
etwas dem Einzelmenſchen Uber „geordnetes“, eine Gliederung in den Beziehungen
der Menſchen zueinander. Der einzelne allein bedeutet nichts und gilt nur, inſo⸗
weit er dienendes Glied dieſes Ganzen iſt.
Dazu kommt eine Grunderkenntnis, daß, ſolange es menſchliches Zuſammenleben
gab, es Führer und Geführte, Herrſcher und Beherrſchte, Befehlende und Ge⸗
horchende gegeben hat. Der Angelſachſe ſetzt an die Stelle dieſer Erkenntnis ſeine
Auffaſſung von dem „natürlichen Recht des einzelnen auf Freiheit“, das heißt auf
völlige Freiheit, zu tun, was er will.
Die erſte Revolution gegen die geſetzte Herrſchaft in Europa finden wir in Eng⸗
land. Die erſte Hinrichtung eines Königs durch feine Unter:
tanen fand in Englandſtatt, ein Beiſpiel, das auf dem Kontinent nur
in den anarchiſchen Ausbrüchen der franzöſiſchen und der bolſchewiſtiſchen Revolu⸗
tion Schule machte. Die auf dem Liberalismus beruhende von England kommende
Demokratie wirkt ſich bei allen Völkern des Kontinents als eine Zerſetzungs⸗
erſcheinung menſchlicher Ordnung aus. Wir fragen die Völker Europas, welches
Schenke / Gehört England zu Europa? 15
unter ihnen von fi lagen kann, daß es unter dieſer Ideenherrſchaft glücklich und
einig, geſund und nach außen gekräftigt gelebt hat. Daß England ſelbſt noch nicht
ſeinem eigenen Gedankengut zum Opfer gefallen iſt, liegt nur an der beſonderen
Lage des Inſelreiches. Während die Vielzahl der europäiſchen Nationen ſich auf
engem Raume drängt, dehnte ſich das kleine engliſche Volk ohne Grenzen in die
weite Welt hinaus aus. Da war freilich genug Platz, und ſelbſt, wenn der einzelne
in unbeſchränktem Egoismus ſeine Ellenbogenfreiheit gebrauchte, ſtieß er damit
noch lange keinen Nebenmenſchen an, und darüber hinaus gebar die hohe Aufgabe
einer Weltbeherrſchung einen nationalen Egoismus und ein britiſches Weltgefühl.
Die engliſche, liberaliſtiſche Lebensform entwickelte ſich in
einer Bewegung der unbegrenzten Ausdehnung in immer
weitere Räume, und die Privatintereſſen der einzelnen
mochten noch ſo egoiſtiſch ſein, ſie addierten ſich doch zu⸗
ſammen zum Geſamtintereſſe des ganzen Volkes. |
Anders beim Kontinent, deſſen Ordnung auf Statik und auf Begrenzung aus
geſchnitten war. Jetzt, wo die Ausdehnung auch für die Engländer in der Welt zu
Ende iſt, zeigen ſich auch ſchon in dem liberaliſtiſchen Gebäude die erſten
Bruchſtelle n. Vielleicht führt gerade die Erkenntnis von der heute mehr und
mehr auch für England abnehmenden Gültigkeit des Prinzips der unumſchränkten
Freiheit des einzelnen bei den Advokaten der Demokratie zur Verdammung neuer
Ideen, weil fie im innerſten Herzen fürchten, daß fie auch bei ihnen eines Tages
ihren Siegeszug antreten könnten.
Aber gerade wegen ihrer Geburt aus einer ganz anderen Situation mußten
ſich die engliſchen Ideen auf dem Kontinent verheerend auswirken. Sie dehnten
ſich über Frankreich und die franzöſiſche Revolution allmählich über ganz Europa
aus. Politiſche Parteien, die an die egoiſtiſchen Inſtinkte des Einzelmenſchen
appellierten, entſtanden, der engliſche Parlamentarismus wurde eingeführt, und
beide zerſetzten die natürlichen Ordnungen der Völker. Sie brachten die europäiſchen
Staaten dahin, wo ſie ſich heute befinden, bis ſchließlich in Italien und Deutſchland
Mächte der Ordnung aufſtanden, die für die alte europäiſche Tradition einer
hierarchiſchen Gliederung neue volksgemäße Ausdrucksformen fanden. Es iſt nicht
etwa ſo, wie immer noch manche glauben möchten, daß Nationalſozialismus und
Faſchismus nur aus einer Notlage geborene und nur für die Überwindung dieſer
Notlage geborene Syſteme ſind. Die Tatſache, daß ſie die beiden Völker vor dem
ſicheren Untergang retteten, beſagt noch lange nicht, daß ſie einſt in beſſeren Zeiten
vetſchwinden werden. Es ift im übrigen ganz bezeichnend, daß ſelbſt Nationen, deren
Häupter mit ihrem Herzen heute noch den Verlockungen des Weſtens viel Zu⸗
neigung entgegenbringen, in ihrer wirklichen Politik ſchon völlig nach den Ge⸗
ſetzen autoritärer Volksführung ihre Staatspolitit auszurichten beginnen.
Außere Formen ändern ſich mit der Zeit, aber die Idee bleibt dieſelbe, denn ſie
verkörpert in ſich das Ideal allet europäiſchen Kulturvölker durch die Jahrhunderte.
Wir haben von der Verſchiedenheit geſprochen, die zwiſchen den grundlegenden
16 Schenke / Gehört Engiand zu Europa?
»Lebensauffaſſungen der kontinentalen Völker und den Angelſachſen beſteht. Man
könnte dafür Hunderte von Beiſpielen anführen, die den gewaltigen Unterſchied
in der Mentalität zeigen. Aus England ſtammt jener Utilitarismus, die religiofe
Heiligung des Erwerbstriebes. Engliſch iſt die Frage nach dem Nutzen einer
Sache. Europäiſch iſt es, nach der Größe in einer Sache zu ſuchen.
Wir müſſen uns hier darauf beſchränken, den Unterſchied im engliſchen Denken
gegenüber dem der Völker, die wahrhaftig die Größe der abendländiſchen Kultur
ſchufen, nur anzudeuten. Es iſt ſicher, daß die gewaltigen geiſtigen Kräfte, die mit
der europäiſchen Neugeburt im Nationalſozialismus und Faſchismus geweckt wur⸗
den, nachdem der Kampf um die Lebensentfaltung der Völker erſt einmal gewonnen
iſt, zu einzigartiger Entfaltung kommen und auch philoſophiſch ein ganz neues
Zeitalter im Denken der Menſchheit herbeiführen werden.
Noch einen Punkt müſſen wir anführen — und hier werden die Engländer uns
vielleicht beſſer verſtehen, denn es handelt ſich um bar Geld — ich meine das
Heraufkommen einer neuen wirtſchaftlichen Ordnung in Europa, die dem kapi⸗
taliſtiſchen Syſtem des Freihandels nicht entſpricht. Freihandel — ein geheiligtes
Dogma! Geheiligt von denen, die daraus Nutzen zogen, und wehe dem, der dieſe
Heiligkeit anzuzweifeln wagt! Wie manche kleine Nation iſt ſchon durch dieſes
Dogma in wirtſchaftliche Verſklavung geraten!
Die Völker Europas und vor allem Mitteleuropas und des Oſtens und Südoſtens
ſind aufeinander angewieſen. Wenn die vornehmlich agrariſchen Länder keinen
Markt für ihre Produkte finden, warum follten fie dieſe dann nicht Deutſchland geben,
und wenn Deutſchland infolge des „Reparationen“ genannten Raubzuges gegen
ſeine Volkswirtſchaft keine ausländiſchen Zahlungsmittel hat, warum ſollte es
dann nicht in Fertigwaren zahlen, die ſeine Kunden gebrauchen können? Freilich,
der freie Wettbewerb des Welthandels, jenes geheiligte Spiel, verſchwindet damit
zuſehends aus Europa. Aber iſt das neue Syſtem, zuerſt nur aus einer Notlage
geboren, nicht eine unendlich viel natürlichere Form des wirtſchaftlichen Austauſchs
mit dem, der mir am nächſten iſt, dem Nachbarn? Und ſchließlich führt dieſe wirt⸗
ſchaftliche Symbioſe der Völker auch zu einer engeren kulturellen und politiſchen
Zuſammenarbeit, zu einer wahrhaft guten und anſtändigen Nachbarſchaft. Noch
find viele Steine aus dem Wege zu räumen, aber die neue Richtung iſt endgültig
eingeſchlagen und Europa befindet ſich auf dem Wege zur Einheit, zu der Einheit,
die England ſtets erfolgreich zu verhindern wußte und der ſich gleichberechtigt aber
nicht bevormundend einzuordnen ganz im britiſchen Intereſſe läge.
Welche Haltung wird England nun im entſcheidenden Augenblick einnehmen?
Hat es fid ſchon reſtlos entſchloſſen, dieſelbe Haltung wie in den letzten Jahr⸗
hunderten europäiſcher Geſchichte einzunehmen? Wenn man dem Einkreiſungs⸗
gehabe zuſieht, jenen krampfhaften Bemühungen, andere vor den engliſchen Schlacht⸗
wagen zu ſpannen, möchte man es beinahe annehmen.
Englands friedlicher Weg bedeutet Rückzug aus der Stellung als erſter und
das Zünglein an der Waage bildender Macht in Europa, unter Beibehaltung einer
2 — — — — —
Außenpolitische Notizen
17
Weltmachtſtellung. Klar und ohne Zweifel dürfte ſein, daß ber nächſte Schritt auf
eineman deren Weg den Zuſammenbruch des engliſchen politiſchen Syſtems nicht
nur in Europa, ſondern auch den unvermeidlichen Zerfall des Empire einleitet.
Die europäiſche Einheit gleichberechtigter und an einem natürlichen wie geſunden
Zuſammenleben intereſſierter und tätig wirkender Staaten wird ſich nicht mehr
aufhalten laſſen, und ein England, das ſie bedroht, wird ſich nach einem Zu⸗
ſammenſtoß ohne ſein Weltreich und in Europa in einer Lage befinden, die ſich
auszumalen wir den an Viſionen ſo reichen britiſchen Reportern während des ver⸗
dienten Sommerurlaubs überlaſſen.
etußenpolitifche Hu
Pais Menzel:
Volkspolitische Durchleuchtung
des polnischen Staatswesens
Noch hat Polen nicht gewonnen!
„Noch e Polen nicht verloren!“ Das war
die Parole polniſcher Revolutionäre Jahr⸗
hunderte hindurch. Mit beiſpielloſem Idea⸗
lismus haben Generationen des polniſchen
Volkes gegen übermächtige Gegner ge⸗
Lad um ihr Ziel, ben eigenen polniſchen
aat.
Wir erkennen diefe Tatſache an, ja wir
bewundern das polniſche Volk fogar wegen
ſeiner Kraft, die es in dieſen Jahrhunderten
des illegalen Kampfes bewieſen hat. Wir
Deutſche find die letzten, bie den Polen bas
Recht auf einen eigenen Staat abſprechen.
Allerdings hört unſere Bewunderung dort
auf, wo Idealismus in Phantaſterei
übergeht.
Die polniſche Preſſe fordert in dieſen
Wochen in immer neuen Artikeln Oſt⸗
preußen, Danzig, Schleſien und darüber
inaus alles Land öſtlich der Oder. Eine
ettormelle von noch nicht dageweſener
tie iit gegen die in Polen lebenden
deutſchen Volksgenoſſen in vollem Gange.
u Hunderten flüchten ſie ins Reich.
ührende Politiker hetzen in beiſpielloſer
tt und Weiſe gegen das Deutſche L5
und raſſeln mit ben Säbeln. Ja, man ſchrie
Ogar von einer „Schlacht bei Berlin“, in
t man den deutſchen Erbfeind endgültig
„auseinanderhauen“ werde!
Das deutſche Volk hat noch nie in ſeiner
Geſchichte eine Herausforderung abgelehnt.
Wir nehmen all das, was man in Polen
ſpricht und ſchreibt, zur Kenntnis. Aller⸗
dings ſtellen wir hieraus erſt einmal in
Anlehnung an die alte polniſche Parole
feſt: Noch hat Polen nicht gewonnen!
Die Frontenſtellung
Die Fronten ſind — ſoweit es uns be⸗
trifft — klar: 80 Millionen Deutſche, durch
die Gemeinſamkeit des Blutes, des Schick⸗
ſals und des Willens in einem ſtarken Reich
zuſammengeſchloſſen. Eine auf das modernſte
ausgerüſtete ehrmacht, eine bis ins
kleinſte durchorganiſierte Wirtſchaft, ein
Volk in Waffen, das bereit iſt, iid bis zum
letzten einzulegen, weil es weiß, daß feine
Fängt. allein von der eigenen Kraft ab⸗
ängt. Dieſes deutſche Volk iſt entſchloſſen,
fein Reich, in dem über 140 Menſchen auf
dem Quadratkilometer leben müſſen, bis
zum letzten zu verteidigen. Es iſt darüber
hinaus entſchloſſen, ſich den Anteil an den
Beſitztümern der Erde zu erkämpfen, der
ihm auf Grund ſeiner Zahl und ſeiner
Leiſtungen zukommt.
Das iſt in ganz großen Zügen das, was
diesſeits der Front gegebenenfalls ſtehen
wird! Was haben Sie, meine Herren von
der Weichſel, die Sie ſich jetzt kaum zu
ügeln wiſſen, dem gegenüberzuſtellen? Sie
ftimmen fier mit uns darin überein, daß
ie Macht eines Staates im Augenblick
ernſter Gefahr von der Einſatzbereitſchaft
ſeiner Staatsbürger abhängt. Ein Volk, das
im Staat ſeine äußere Form ſieht und
in ſeinem Zuſammenbruch ſeine weitere
18 Menzel / Voikspolilische Durchleuchtung des polnischen Staatswesens
Exiſtenz in Frage geſtellt glaubt, wird ihn
unter Einſatz aller Kräfte verteidigen. Das
deutſche Volk hat in den vier Jahren Welt⸗
krieg bewieſen, zu welchen gewaltigen
Leiſtungen ein Volk in einem derartigen
Falle imſtande iſt. Wie ſteht es nun in
dieſer Hinſicht um Ihren Staat, meine
Herren? Haben Sie dem geſchloſſenen Block
von 80 Millionen Deutſchen etwas Gleich⸗
wertiges gegenüberzuſtellen?
Polen ein Natisnalitätenſtaat
Die Statiſtik des polniſchen Staates be⸗
richtet in den neueſten Veröffentlichungen
von 34 784 000 Einwohnern. Die Geſamt⸗
bevölkerung ſetzte fid nach der offi⸗
ziellen polniſchen Volkszählung
1931 wie folgt zuſammen:
Perf! ebv OH ES 21 990 000
Ulrainer .............. 4 440 000
DUDEN anna 2 730 000
Weißruffen ............ 990 000
Deutide .............. 740 000
Ruffen (GroBrujjen) 140 000
Litau eke 000
Tſche chess 40 000
Ubtigee 760 000
Dieſen Angaben der polniſchen Statiſtik
ſtehen folgende Schätzungen der wichtigſten
Volksgruppen ſelbſt gegenüber:
Ulrainer ........ 7—9 Millionen
Juden 4 e
Weißruſſen 2 N
Deutide.......... 12 „
Während die polniſche Statiſtik rund
69 v. H. Polen und rund 31 v. H. Nichtpolen
unterſcheidet, leben tatſächlich nach Angaben
der Volksgruppen nur 54,5 0.9. Polen im
polniſchen Staat. Ihnen gegenüber ſtehen
45,5 2 Nichtpolen. Polen iit alfo ein
reiner Nationalitätenſtaat, eine Tatſache,
der man bisher kaum genügend Rechnung
geſchenkt hat. In ſeiner Fe
weiſt er weitgehende Ahnlichkeiten
mit der alten Tſchecho⸗Slowakei
auf. Ahnlich wie dieſe iſt auch Polen in
ſeiner aoe en Form eine Schöpfun
von Verſailles. Ohne Rückſicht au
den Willen der Bevölkerung, die Volks⸗
zugehörigkeit und geſchichtliche Vergangen⸗
heit, wurden Gebiete in einem Staat ver⸗
einigt, die von völlig unter:
ſchiedlicher Struktur find. Dem
hochinduſtrialiſierten Oſt⸗Oberſchleſien und
den kulturell relativ hochſtehenden ehemalig
deutſchen und öſterreichiſchen Gebieten ſtehen
die wirtſchaftlich und kulturell kaum ent⸗
wickelten Oſtprovinzen gegenüber. Ein Ver⸗
gleich der Karte über den Anteil der ein⸗
zelnen Staaten bei der Neugründung
Polens etwa mit der eniſprechenden Karte
über die Straßendichte genügt als Beweis
für obige Feſtſtellung.
Man war ſich u) polniſcher Seite durch⸗
aus nicht einig, welche Gebiete in dem neu⸗
zugründenden Staat zuſammengefaßt wer⸗
den ſollten. Aus den völlig unterſchiedlichen
Anſichten der beiden großen Gegenſpieler,
Pilſudſki und Dmowſki, geht klar hervor,
daß völkiſche Geſichtspunkte der Gründung
des neuen Staates nicht zugrunde gelegt
wurden.
Anſprüche, die man aus der Geſchichte
tellen zu können glaubte, ſpielten die aus⸗
chlaggebende Rolle. Ohne Rückſicht auf die
Entwicklung, die tatſächlich vor ſich ge⸗
gangen war, beanſpruchte man Gebiete, die
irgendwann einmal mit dem polniſchen
Staat vereinigt geweſen waren. Da be⸗
kanntlich die Diktatoren von Verſailles von
den tatſächlichen Verhältniſſen in Oſt⸗
europa ſehr wenig oder beſſer geſagt gar
keine Ahnung hatten, kamen auf dieſe Art
und Weiſe Gebiete an Polen, die weder
völkiſch noch wirtſchaftlich in irgendeiner
Beziehung zum polniſchen Volk ſtehen. Der
ganze Staat beſaß daher von Anfang an
eine Reihe ſchwierigſter Probleme in ſeinem
Innern, die bei der durch ſeine Geſchichte
bedingten Geiſteshaltung für Polen ſchwerſte
i bei einem organiſchen Aufbau
ildeten.
Der polniſche Staat und die fremden
Volksgruppen
Was das Verhältnis des polniſchen
Staates zu den innerhalb ſeiner Grenzen
lebenden Volksgruppen betrifft, ſo kann
man zuſammenfaſſend feſtſtellen, daß es die
olniſche Führung in keinem Falle ver⸗
tanden hat, dieſe zur Mitarbeit im Staat
heranzuziehen. Von Anfang an hatten
chauviniſtiſche polniſche Kreiſe den ent:
ſcheidenden Einfluß auf dieſem Gebiet; ob⸗
wohl ſich Polen vertraglich durch den
Minderheiten ⸗ Schutzvertrag verpflichtet
hatte, den in ſeinem Staatsbereich lebenden
Volksgruppen die ihnen zuſtehenden Rechte
in keiner Weiſe zu beſchneiden, ſah doch
die Praxis ganz anders aus. Oberſtes Ziel
war ſtets, durch alle Mittel, die einer
Staatsführung zur Verfügung ſtehen, die
„ zung der Volks⸗
gruppen voranzutreiben. Offener Terror
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Menzel / Volkspolilische Durchleuchtung des polnischen Staatswesens
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| | | I Deutsches Reich bis 1918
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Rußland
wechſelte mit wirtſchaftlichen, kulturellen
und religiöſen Kampfmaßnahmen ab. Die
Elemente, bei denen von vornherein mit
keinem Erfolg zu rechnen war, verſuchte
man aus dem Land zu drängen.
Der Leidensweg der deutſchen Bolfs-
gruppe, die um über eine Million innerhalb
weniger Jahre ſich verringerte, kann in
dieſem Zuſammenhang als treffendſtes Bei⸗
ſpiel angeführt werden. Obwohl von ſeiten
t Volksgruppen die loyale Haltung immer
4 2.
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Ei
A ,, , Österreich-Ungarn
Heutige polnische Staatsgrenze
Ostgrenze von Kongreßpolen
wieder herausgeſtellt und durch die Tat
bewieſen wurde und man zu einer an
ſammenarbeit gegen die Zubilligung der
rimitivſten Lebensrechte bereit war, konnte
ich die Staatsführung nicht zu einer Ande-
rung ihrer Politik bis zum heutigen Tage
entſchließen. Jedem neutralen Beobachter
iſt es unklar, wie man ſich von polniſcher
Seite aus den Einſatz dieſer in jeder
Hinſicht un befriedigten Volts:
gruppen zur Verteidigung des Staates
im Ernſtfall vorſtellt.
Menzel / Volkspolitische Durchleuchtung des polnischen Staatswescns
20
Dichte des Strahennetzes in Polen
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Menzel / Volkspolitisehe Durchleuchtung des polnischen Staatswesens 21
Die Wunschgrenzen der polnischen territorialen Expansion
Wunschgebiet nach Pilsudski
I
| | | | | | | | Wunschgebiet nach Dmowski
Die Ukrainer in Polen
Dr. Albrecht Haushofer ſchreibt in ſei⸗
nem „Bericht aus der atlantiſchen Welt“
in der Aptil⸗Nummer der Zeitſchrift für
Geopolitik im Anſchluß an die Behandlung
der Vorgänge in ber Karpato⸗Ukraine:
„Die bewaffneten Organiſationen haben
nd jetzt im März 1939 tapfer gegen die
eindringenden Ungarn gewehrt. Dieſen
Vorgang vor der Geſchichte feſtzuhalten, iſt
5 einzige (unb geringſte). was zur Zeit
gegenüber den entlegenen und verlaſſenen
Splittern eines ſehr viel größeren, aber
lnachmäßig unglücklichen Volles geſchehen
nn,“
In einer Zeit, in der kleine und kleinſte
Völker (Letten und Eſten ulw.) das Recht
auf einen eigenen Staat als ſelbſtverſtänd⸗
hinnehmen oder fordern, erſcheint es
nahezu unglaublich, daß am Rande des
heutige polnische Staatsgrenze
kleinräumigen Europa noch ein Volk von
der Größe etwa des italieniſchen auf einem
geſchloſſenen Siedlungsraum ohne einen
eigenen Staat lebt ſo groß wie das
Deutſche Reid und Polen zuſammen. Die
beſonderen Gründe. warum das ukrainiſche
Volk als einziges unter den großen Völ⸗
kern Europas noch nicht die Kraft ent⸗
wickelt hat. ſich ſeine Freiheit zu erkämpfen,
können nur aus ſeiner tragiſchen Geſchichte
erkannt werden.
Es iſt in dieſem Zuſammenhang nicht
möglich, im einzelnen darauf einzugehen.
Erwähnt ſei nur, daß nach einem glanz⸗
vollen Reich im frühen Mittelalter, das
von normanniſchen Warägern gegründet
unter germaniſcher Führung europäiſche
Kultur als erſter Vorpoſten gegen immer
neue Einbrüche aſiatiſcher Nomaden ver⸗
teidigte, das ukrainiſche Volk bisher nie
22
mister zur freien Entfaltung feiner Kräfte
am.
Abwechſelnd unter polniſcher und ruſſi⸗
iher Herrſchaft waren die Ukrainer ſtändig
Verſuchen ausgeſetzt, die daraufhin ab—
zielten, ſie zu entnationaliſieren. Während
des Weltkrieges wurde erneut mit Unter⸗
ſtützung der Mittelmächte der Verſuch
einer ſelbſtändigen Staatsgründung unter⸗
nommen.
Am 2. April 1918 rief der bisher unter
ruſſiſcher Herrſchaft ſtehende Teil der
Ukrainer ſeine Selbſtändigkeit aus. Im
Oktober 1918 folgte der ufrainifde Teil
der öſterreichiſchen Provinz Galizien, doch
auch dieſer Verſuch ſcheiterte. Die Dit:
ufrainer unterlagen vordringenden roten
Truppen, die Weſtukraine wurde von den
Polen beſetzt. Artikel 91 des Friedens von
St. Germain behielt der Entente bie Sou⸗
veränitätsrechte über Oſtgalizien vor. Am
21. November 1919 erhielt ſchließlich Polen
das Mandat über Oſtgalizien, doch ſollte
dieſes Gebiet völlige Autonomie unter
Garantie des Völkerbundes erhalten. Das
polniſche „Geſetz vom 26. 9. 1922 über die
Selbſtverwaltung der Wojewodſchaften Lem⸗
berg, Tarnopol und Stanislau“, das der
fc Polen günſtigen Entſcheidung der Bot⸗
chafterkonferenz vom 15. März 1923 über
die Zugehörigkeit Oſtgaliziens zu Polen
als Zuſicherung einer Autonomie zugrunde
liegt, E allerdings bis heute noch nicht
durchgeführt worden.
Die Stellung des ukrainiſchen Volksteiles
in Polen (7—9 Millionen Ulraie
ner zu 18 Millionen Polen) war
in all den Jahren und iſt u nod
Die einer unterdrüdten inder⸗
heit, nicht die eines gleichberechtigten zwei⸗
ten Staatsvolkes, wie ſie ihm ſeiner Größe
nach wohl ohne Zweifel zukommen dürfte.
Träger in dem Kampf der ukrainiſchen
Volksgruppe in Polen um ihre Rechte
wurden nach dem Weltkrieg in erſter Linie
Wirtſchaftsgenoſſenſchaften. Die wirtſchaft⸗
liche Lage wird gekennzeichnet durch den
vorwiegend agrariſchen Kleinbeſitz
der Ukrainer gegenüber polniſchem
Großbeſitz. Doch während bis zum Welt⸗
krieg ein ſtetiges Vordringen des polni⸗
ſchen Grundbeſitzes im Oſten feſtzuſtellen
war, ſetzte infolge der Ana; unb Opfer:
bereitſchaft ber ukrainiſchen Organiſationen
ſeit 1919 eine rückläufige Bewegung ein.
Immer lauter wird die Forderung nach
einer grundlegenden Agrarreform geſtellt,
die den Ükrainern den ihnen 1 en BER
Menzel / Voikspolitische Durchleuchtung des polnischen Staatswesens
Anteil an Grund und Boden ſichern Toll.
Allerdings bringt man auf polniſcher Seite
keinerlei Intereſſe dafür auf.
Die kulturelle Stellung der Ukrainer in
Polen wird in erſter Linie durch ihre
ſchlechte wirtſchaftliche Lage bedingt. Nach
wie vor bildet die entſcheidende Grundlage
die alte über Jahrhunderte überlieferte
ukrainiſche Bauernkultur. Der polniſche
Staat hat wenig Intereſſe daran, auf tul:
turellem Gebiet fördernd aufzutreten, da
am ſteigenden kulturellen Ni⸗
veau der Widerſtand gegen die
Poloniſierungstendenzen der
Regierung ſtändig wächſt. Ein
typiſches Beiſpiel dafür ſind die Vorgänge
im ukrainiſchen Schulweſen, das in den
letzten Jahren beſonders Eingriffen von
leiten der polniſchen Verwaltung aus:
geſetzt war. Nachdem im Jahre 1930
die unhaltbaren Juſtände zu
einem Aufſtand geführt hatten.
der aber blutig niedergeſchlagen wurde.
wurden von polniſcher Seite verſchiedene
Verſuche unternommen, zu einem modus
vivendi zu gelangen.
1934, in dem Jahr des deutſch⸗polniſchen
Ausgleichs, wurden auch gewiſſe Erfolge
erzielt. Die UNDO. (Ukrainiſch⸗national⸗
demokratiſche Organiſation), die Trägerin
ber ukrainiſchen Politik, erklärte fid) zu
Zugeſtändniſſen bereit. Allerdings kann
von einem wirklichen Ausgleich nicht die
Rede ſein. Nach wie vor fordert man auf
ukrainiſcher Seite volle Autonomie, die
man von ſeiten der polniſchen Regie rung
entſchieden verweigert.
Die Aktivität der ukrainiſchen Volks⸗
gruppe in Polen wird in erſter Linie durch
zwei Momente gehemmt, die die Polen ge:
ſchickt zu ihren Gunſten auszunutzen ver⸗
ſtehen. Das iſt einerſeits ihr relativ kul⸗
tureller Tiefſtand in der Maffe ber Bauern:
bevölkerung und andererſeits die religiöie
Aufſplitterung in zwei Parteien. und
68 v. H. der Ukrainer ſind griechiſch⸗katho⸗
liſch und 31 v. H. griechiſch⸗orthodox. Als
Faktor von großer Bedeutung in dieſer
Auseinanderſetzung zwiſchen Polen und
Ukrainern ijt die völkiſch⸗biologiſche Uber:
legenheit der letzteren zu werten.
Wenn man heute die polniſche Politik
der letzten 20 Jahre in der Ukraine über⸗
blickt, ſo muß man feſtſtellen, daß ſie bis⸗
her vollkommen geſcheitert iſt. Noch heute
iſt die polniſche Verwaltung ohne jeden
Kontakt mit dem ukrainiſchen Volk, und
dem Ziel der Poloniſierung iſt man heute
Menzel / Volkspolitische Durchleuchtung des polnischen Staatswesens 23
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Siedlungsgebiet der Ukrainer in Polen
ferner denn je. Die politiſchen Ereigniſſe
des vergangenen Jahres ſind nicht ohne
Einfluß auf die geſamtukrainiſche Frage
geblieben. Die Vorgänge in der Karpato⸗
kraine haben ihren Einfluß genommen
auf die in Polen, der UdSSR. und Ru-
manien lebenden Teile des großen 45⸗Mil⸗
lionen⸗Volkes der Ukrainer. Überall iſt die
Aktivität der Gruppen, die um Selbſtändig⸗
leit wg gewachſen. Die Vorgänge
zeigen. daß die Aktivität der ukrainiſchen
Nationaliſten in Polen am ſtärkſten war.
Die Weifrujjen in Polen
Die Weißruſſen, für die die polniſche
Statiſtik 990 000 angibt, die aber in Wirk⸗
lichkeit rund zwei Millionen zählen dürften,
wohnen im nordöſtlichen Teil des polniſchen
Staates. 2 ier fait ausſchließlich Klein-
bauern, ihr Volksbewußtſein ijt nod) ſehr
wenig ausgebildet. Sie haben feine eigen:
ſtaatliche und kaum eine politiſche Tra-
dition und ſind auch heute wenig aktiv.
Nur im alten großlitauiſchen Reich hatten
jie eine Bedeutung, da fie im weſentlichen
24 Menzel / Volkspolifische Durchleuchtung des polnischen Staatswesens
bie Träger des Staates waren, was auch
bie weißruſſiſche Sprache Litauens beweiſt.
Ahnlich wie die Ukrainer ſtehen ſie dem
polniſchen Großgrundbeſitz und einer vor⸗
wiegend jüdiſchen Stadtbevölkerung gegen⸗
über. Die weißruſſiſche agrarrevolutionäre
Bilis „Hromada“ wurde 1926 von den
ilſudſkiſten zerſchlagen und verboten, fo
daß ſie heute nur noch illegal weiterwirken
kann. Die Polen verſuchen, die Bewegung
als eine kommuniſtiſche Agitation hinzu⸗
tellen, während ſie zwar ſeparatiſtiſch, aber
och bodenſtändig und national einge⸗
ſtellt iſt.
Das iſt in ganz großen Zügen das
weſentlichſte, was zu der weißruſſiſchen
Volksgruppe zu ſagen wäre. Ohne Zweifel
iſt es richtig, daß man nicht direkt von
einem weißruſſiſchen Noct ſprechen kann
— wenn man dieſe Frage nur unter dem
Siedlungsgebiet der Weihrussen in Polen
Menzel / Volkspolilische Durchleuchtung des polnischen Staatswescns 25
Feſichtswinkel des polnifd - weikrulfifden
Verhältnifies betrachtet. Dieſe Frage be:
mt aber eine ganz andere Bedeutung,
wenn man berückſichtigt, daß die .
ſowohl von den Polen als auch von den
Litauern als völkiſch zu ihnen gehörend be⸗
unſprucht werden. (Karte Nr. 8.) Auch die
zeue litauiſche Verfaſſung, die nach der
duch das Ultimatum vom 11. März 1938
erfolgten „Bereinigung“ des polniſch⸗litau⸗
igen Verhältniſſes in Kraft trat, enthält
nach wie vor im Artikel 6 folgenden
eil „Die Hauptitadt Litauens tft Wilna.
e kann durch ein Geſetz zeitweilig vers
legt werden. Den „Verband zur Befreiung
ins" hat man zwar unter dem Druck
der politiſchen Verhältniſſe aufgelöſt, aber
das Wilnaer Inſtitut, das bisher für ihn
die wiſſenſchaftliche Untermauerung für das
gitationsmaterial lieferte, bleibt weiter:
hin beſtehen. Die Bemühungen, die die pol⸗
nie Außenpolitik z. 3. mit bem „litau⸗
l tuder“ macht, nd bekannt. Doch
un man die Jahre des latenten Kriegs⸗
iuitandes, der nach dem Raub Wilnas durch
Polen beſtand, nicht vergeſſen. Man kann
— Staatsgrenzen
Nordwestgrenze des
— POIN. Volkstums nach
M.Swiechokowski 1921
Ostgrenze des lit.
a Volkstums n. J. Gabrys
1918/19
MW Hauptsiediungsgebiet
der Litauer
N Hauptsiedlungsgebiet
der Polen
Hauptsiedlungsgebiet
der Weißrussen
BE
Hauptsiedlungsgebiet
der Ukrainer
bie Tatſache nicht aus der Welt ſchaffen,
dak, obwohl der Kriegszuſtand von zehn
Jahren aufgehoben wurde, die beiderſeitige
Grenze bis zum vorigen Jahr völlig ge⸗
ſperrt war. Geſchichte und völkiſche Ver⸗
hältniſſe laſſen die polniſch⸗litauiſche Ver⸗
ſtändigung nicht in einem allzu roſigem
Licht erſcheinen. ö
Unter dieſem Geſichtswinkel wird die
weißruſſiſche Frage zum Problem für den
polniſchen Staat.
Die Inden in Polen
Die polniſche Volkszählung von 1931
gibt für die Juden die Zahl von 2 730 000
an. Da in dieſer Zahl nur die Glaubens⸗
juden erfaßt ſind und außerdem die geſamte
Volkszählung, ſoweit es die Volksgruppen
betrifft, nicht unbedeutend zu deren Un⸗
gunſten beeinflußt iſt, dürfte die tat⸗
ſächliche Zahl beinahe vier Mil⸗
lionen und damit 12 Prozent der Ge⸗
ſamtbevölkerung Polens erreichen. Dieſer
hohe Prozentſatz unterſtreicht die große Be⸗
deutung der Judenfrage für Polen.
26
Menzel / Volkspolitische Durchleuchtung des polnischen Staatswesens
Judendichte in Polen 1930
0—5 % Juden
Allerdings werden bie tatſächlichen Ver:
hältniſſe durch die Zahl allein noch nicht
richtig charakteriſiert. Tritt das Judentum
in den ehemals deutſchen Teilen äußerlich
nur wenig in Erſcheinung, ſo hat es doch
wirtſchaftlich eine nicht unbedeutende Stel⸗
lung inne. In Zentralpolen und in allen
Oſtwojewodſchaften beherrſcht es dagegen
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GEO acra auo .. EE,
5—9 % Juden 9—13% Juden
auch äußerlich das Bild der Städte, wo der
jüdiſche Anteil an der Stadtbevölkerung
bis zu 50, ja ſogar 80 v. H. beträgt. In
dieſen Gebieten beherrſchen die Juden prak⸗
tiſch den geſamten Handel und die freien
Berufe; ſie ſind darüber hinaus E ſtark
im Handwerk vertreten. Wie Dr. Seraphim
in ſeinem grundlegenden Werk „Das Juden⸗
1 —
we oa: A,
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Menzel / Volkspolitische Durchleuchtung des polnischen Staatswesens
tum in Oſteuropa“ angibt, ift der Anteilſatz
ber Verjudung des kleinen und mittleren
Handels mit 80 Prozent nicht zu hoch an:
groeven. 1933 betrug darüber hinaus ber
nteil jüdiſcher Handwerksunternehmen,
um nur einige Zahlen zu nennen, z. B. in
Warſchau⸗Stadt 51 Prozent, in Wilna 56
Prozent, in Stanislau 49 Prozent, Nowo⸗
grodek 73 Prozent, in Wolhynien 62 Pro⸗
zent und in Poleſien ſogar 81 Prozent. In
der Induftrie find im Textilfach 52 Prozent
der Betriebe jüdiſch, in der Bekleidungs⸗
induftrie 50 e GN in ber Möbelinduſtrie
48 Prozent, in der Galanteriewarenerzeus
gung 42 Prozent. Dieſe Zahlenangaben
i dm aber ben tatſächlichen Verhältniſſen
auch noch nicht voll Rechnung, da bei der
jüdiſchen Statiſtik nur die Privatunterneh⸗
men gezählt wurden, dagegen Aktiengeſell⸗
ſchaften unberückſichtigt blieben.
Der Widerſtand der Polen und beſonders
der Ukrainer, in deren Gebieten die Juden
es verſtanden haben, den geſamten Handel
lb in den kleinſten Dörfern an fih zu
bringen, fete ſchon im 19. Jahrhundert
mit ſcharfen Maßnahmen ein. Allerdings
faßte man die enfrage in erſter Linie
als wirtſchaftliches Problem auf.
Der Erfolg blieb daher weitgehendſt aus.
Die an und für ſich beſtehenden Auswande⸗
rungstendenzen wurden zwar gefördert, und
eine wahre Welle polniſcher Juden ergoß
ich in alle Teile Europas, beſonders auch
Amerikas; aber bei der hohen Geburtenzahl
konnte von einer weſentlichen Abnahme der
Juden in Polen nicht die Rede ſein.
Durch die Aktivität der polniſchen Regie⸗
rungsparteien tritt das Judenproblem in
letzter Zeit immer mehr in den Vorder⸗
grund, ſo daß fis bie Regierung bereits
ge mit Diefen Fragen beihäftigen
mußte. Man fprad von einer umfang:
teigen Ausfiedlung der Juden und hatte
ſcon bem Völkerbund entſprechende Vor⸗
lage unterbreitet. Allerdings dürften alle
Bemühungen bei den gegenwärtigen poli:
tiſchen Verhältniſſen akademiſchen Charak⸗
ter behalten, da man ſelbſt mit der im
Verhältnis zu den Millionen der polniſchen
Juden geringen polniſch⸗jüdiſchen Emi⸗
dru aus dem Deutſchen Reich nicht weiß,
n.
Das Judenproblem bleibt für Polen nach
Die vor als eine der 5 inner⸗
politiſchen Fragen 1 abei kann
man ſicher ſein, daß dieſelben Politiker, die
in London vor Jahr und Tag um Sied⸗
lungsraum für ihre Juden verhandelten
27
mit dem Ziel, ſie abzuſchieben, dieſe
ſemitiſche Maſſe einſetzen werden, wenn es
ilt, das internationale Weltjudentum zur
äußerſten Aktivität gegen das Reich des
Nationalſozialismus aufzubieten.
Die Deutſchen in Polen
Aus der Geſchichte:
Schon die Entſtehung des polniſchen
Staates iſt unlöslich mit dem Deutſchtum
verbunden. Deutſche waren es, die die
Chriſtianiſierung unter Miezko I. vollzogen.
Deutſche ſtellten die hohe und niedere Geiſt⸗
lichkeit. Eine heidniſche Auflehnung ſchlug
König Kaſimir J. mit Hilfe deutſcher Ritter
nieder. Gleichzeitig, als der Deutſche Rit-
terorden na T en fam, begann aud
bie Anſiedlung Deutſcher in Polen. Deutſche
Bauern wurden von den polniſchen Ms
zur wirtſchaftlichen i des geſamten
Landes gerufen. Deutſche Kaufleute und
Handwerker folgten. So entſtanden im
13. 5 auch die erſten deutſchen
Niederlaſſungen. Alle Städtegrün⸗
dungen es Mittelalters in
Polen gehen auf Deutſche zurück,
ſo vor allen Dingen Krakau,
Poſen, Lublin, Lemberg, War⸗
ſchau und viele andere. Polen mußte
den einwandernden Deutſchen natürlich
ihrer Stellung gemäß auch beſondere Rechte
gewähren, ſo erhielten die Deutſchen weit⸗
gehendſte VVV das
Magdeburger Recht wurde maßgebend für
alle Städte Sia dieſer Zeit. Noch heute
zeigen die Städte rein deutſches Geſicht.
Krakau z. B. iſt reich an alten deutſchen
Kulturdenkmälern. Die Deutſchen Veit
Stoß und Nikolaus Kopernikus haben hier
eine Seitlang gewirkt. Unter Kaſimir dem
Großen erfolgte eine weitere erfolgreiche
e aed zwiſchen Deutſchen und
olen im Abwehrkampf gegen die Tataren⸗
einfälle. In das 16. Jahrhundert fällt eine
zweite Koloniſationsepoche bäuerlichen Cha⸗
rakters. Die Veranlaſſung dazu war die
Berechnung der Fürſten, die von den tüch⸗
tigen deutſchen Bauern eine Erhöhung
ihrer Einkünfte erhofften Die Gegenrefor⸗
mation vernichtete die Stellung der Deut⸗
ſchen völlig. Von ſchweren Folgen aber war
es nicht nur für die Deutſchen, ſondern auch
für die Polen, da die Juden die Stel⸗
[ung bes Deutidtums übernah⸗
men. Mit der eriten Teilung Polens ers
folgte wieder eine Beſſerung in der Lage
des Deutſchtums, die aber nur auf Welt:
preußen beſchränkt blieb, wo Friedrich
28 Menzel / Volkspolitische Durchleuchtung des polnischen Staatswesens
4910 Ce 1921 1931
Verdrängung der Deutschen aus Westpolen
der Große eine erfolgreiche Koloni:
jationsarbeit beſonders der Neges und
Warthegegend begann.
Im 19. Jahrhundert ſind Deutſche die
Träger des Aufbaues einer polniſchen
Textilinduſtrie. In den damals zu Deutſch⸗
land gehörenden Gebieten ſetzte infolge der
ſchwankenden Polen politik des
Reiches ein weiteres Vordringen des
Polentums ein. on Gelege, wie z. B.
das Ge eli etz, itürften nur den
polniſchen Widerſtandswillen, ohne für bas
Deutſchtum praktiſche Ergebniſſe aufzu⸗
weiſen. Die Weſtwanderung in der In⸗
duſtrialiſierungsepoche brachte weiterhin
eine erhebliche Schwächung des deutſchen
Elementes in den Oſtgebieten mit ſich. Die
peur der Deutſchen betrug in den einzelnen,
eute polniſchen Gebieten:
1921 auf Grund Deutſche
1910 der poln. Schätzung
Volkszählung beute
Poſen, Pom⸗
merellen . 1 100 000 505 000 370 000
Oft s Ober:
ſchleſien 270000 290 000 320000
Teſchener .
Gebiet 55 000 30 000 40 000
Kongreßpolen 500000 170 000 350 000
Wolhynien. 100 000 25 000 60 000
Galizien 86 000 40 000 60 000
2105000 1060000 1200 000
Heutige polniſche seri d ſprechen
el von insgeſamt 900 000 Deutſchen in
olen.
Die Entwicklung in der Nachkriegszeit:
Der Geſchichte der einzelnen Landesteile
entſprechend iſt auch die Lage des Deutſch⸗
tums ſehr verſchieden. Mit Kongreßpolen
verbindet ſich eine ſtarke Städteſiedlung
der Deutſchen im Textilinduſtriegebiet von
Lodz. Das Deutſchtum in Wolhynien iſt
ausgeſprochen Kleinbauerntum. In Gali:
zien beruht das Deutſchtum auf einer um⸗
1 öſterreichiſchen Bauernkoloni⸗
ation unter Kaiſer Joſeph II. Das Deutſch⸗
tum in Oberſchleſien und Pomerellen ſowie
große Teile in Poſen aoe dagegen zum
geſchloſſenen deutſchen Siedlungsgebiet. Der
größte Teil lebte in Städten, die überall
rein deutſchen Charakter aufweiſen. In
der neuen Republik Polen war das Deutſch⸗
tum gleich nach der Entſtehung des Staa⸗
tes einer furchtbaren Verfolgung ausgeſetzt.
Zunächſt entog man den Deutſchen jede
wirtſchaftliche Lebensmöglichkeit. Deutſche
Beamte wurden entlaſſen, deutſcher Beſitz
wurde beſchlagnahmt. So wurden unzäh⸗
lige ders ft en das Land zu verlaſſen.
Beſonders ſcharf ging man in Pomerellen
vor, um die völkiſche Verbindung nach Oſt⸗
preußen zu durchbrechen. Hinzu kommen
noch die Optanten, fo daß insgeſamt über
1 Million Deutſche aus Polen vertrieben
wurden. Nachdem man die Zahl der Deut⸗
Menzel / Volkspolitische Durchleuchtung des polnischen Staatswesens 29
Wen fo auf fajt die Hälfte Derabgebrüdt
hatte, begann die Poloniſierung durch
Schließung deutſcher Schulen, Auflöſung
deutiher Verbände. Verbot der deutſchen
Sprache im öffentlichen Gebrauch uſw. Die
Nindeſtſchülerzah!l für deutſche Schulen
wurde auf 40 feſtgeſetzt. So trat bald der
unhaltbare a... ein, daß nur 50 v. H.
der deutſchen Kinder deutſche Schulen be⸗
ſuchen konnten. Die Agrarreform bes Iah:
^L m$ 1926 vollendete die Enteignung deut-
ſcher Grundbeſitzer durch Parzellierung und
Aufteilung an polniſche Arbeiter. Außerſt
ungünſtig iſt auch die kirchliche Lage des
Deutſchtums. Die deutſchen Katholiken
unterſtehen der polniſchen katholiſchen
Kirche, während die evangeliſche Kirche
zwar offiziell ſelbſtändig iſt, aber völlig
unter poe Einfluß ftebt, wofür vor
allen Dingen der deutſche D I Biſchof
Burſche geſorgt hat. In Oſt⸗Oberſchleſien
iſt die wirtſchaftliche Lage des Deutſchtums
Verteilung der Deutschen in Polen
—
—
30
eradezu kataſt rophal. 70 v. H. der Deut-
chen ſind arbeitslos.
Bis 1934 beſtand in Polen ein parteien⸗
mäßiges Parlament. 1928 ſtellten die Deut⸗
ſchen 19 Abgeordnete und 5 Senatoren,
1930 nur noch 5 Abgeordnete und 2 Sena⸗
toren, wobei zu berückſichtigen iſt, daß pol⸗
niſche Wahlen ſtets unter ſtarkem Terror
der unteren Regierungsorgane ſtehen. Bei
der Wahl 1935 wurde die neue Verfaſſung
von 1934 angewandt, ſo daß die Deutſchen
keine parlamentariſche Vertretung mehr
erhielten. Nur 2 Senatoren wurden vom
Staatspräſidenten ernannt.
In dem deutſch⸗polniſchen Nichtangriffs⸗
vertrag vom Januar 1934 wurde vom
Deutſchen Reich der Verſuch unternommen,
das Verhältnis zwiſchen den beiden Staa⸗
ten zu bereinigen und den Weg für eine
organiſche Entwicklung der gegenſeitigen
Beziehungen freizumachen. Demſelben Zweck
ſollte das deutſch⸗polniſche Abkommen über
die gegenſeitige Behandlung der Volks⸗
gruppen vom September 1937 dienen. Wie
der Führer vor kurzem in ſeiner großen
Reidstagsrede eindeutig bewies, hat Po-
len den Nichtangriffspakt vom Jahre 1934
durch ſein einſeitiges Vorgehen gebrochen.
In welcher Form Polen die Minderheiten⸗
vereinbarungen einhält. berichten die Zei-
tungen täglich. Die deutſche Volksgruppe,
deren loyale Haltung gegenüber dem pol⸗
niſchen Staat außer jeden Zweifel ſteht,
iſt einem Terror von noch nie dageweſener
Schärfe ausgeſetzt. Ahnlich wie im Som⸗
mer vorigen Jahres in der CSR. ſind die
in Polen lebenden deutſchen Volksgenoſſen
reiwild geworden, auf bie chauviniſtiſche
lemente ungeſtraft Jagd machen dürfen.
Zu Hunderten flüchten ſie ins Reich, da ſie
anders keinen Ausweg mehr ſehen.
Am 20. Februar 1938 erklärte der qub.
ter in feiner men olgendes:
„Es itt auf bie Dauer für eine Weltmacht
pon Selbſtbewußtſein unerträglich, an ihrer
Seite Volksgensſſen zu willen, denen aus
ihrer Sympathie eder ihrer Verbunden⸗
heit mit dem Geſamtvolk, ſeinem Schickſal
und [einer Weltauffaſſung fortgeſetzt ſchwer⸗
ſtes Leid zugefügt wird.“
Die Verhältniſſe in Polen drängen im⸗
mer mehr einer Löſung entgegen.
Ein perſönliches Wort
Wir ſtellten eingangs feſt, daß, ſoweit
es das Deutſche Reich betrifft, die Front
klar iſt. Ein Block von über 80 Millionen,
ein Volk in Waffen. Dieſe Poſition wird
Meuzel / Volkspolitische Durchleuchtung des polnischen Staatswesens
noch verſtärkt durch das Militärbündnis
mit Italien.
Muſſolini erklärte erft in dieſen Tager
in einer großen Rede: „Wir werden mit
Deutſchland marſchieren, um Europa den
Bien und die Gerechtigkeit zu geben.
in gewaltiger Block von 150 Millionen
Menſchen, der in raſchem Zunehmen be
griffen ift, der vom Baltikum aus bis þin:
unter zum Indiſchen Ozean reicht, läßt ſich
nicht 0 leicht angreifen; jeder Angriff
wird umſonſt ſein!“
Was haben Sie dem entgegenzuſtellen.
meine Herren von der Welchſel, werden
Sie Ihren Marſch zur großen „Schlacht bei
Berlin“ antreten? Wir haben verſucht, in
dem Vorangegangenen eine Beſtandauf
nahme zu machen und kommen dabei auf
rund 18 Millionen Polen in einem Staat
der 16 Millionen Nichtpolen in ſeinen
Grenzen zählt, mit einer Menge von un⸗
gelöſten Problemen!
Wir wiſſen, Sie ſind tapfer und glauben
ſich vor allem nicht allein. Man hat Ihnen
Beiſtandsverſprechen gegeben und Sie in
Illuſionen gewiegt. Sie ſtimmen ſicher mit
uns überein, daß die Geſchichte der bejte
Lehrmeiſter iſt. Wir erinnern uns aber an
Fälle, wo Vertragspartner ſich gegenieitia
kee —
nicht helfen konnten, weil ein unüberiteig: :
bares Hindernis ihnen im Wege ſtand
Was halten Sie in dieſem Zuſammenhang
von dem deutſchen Weſtwall? ,
Die Geſchichte kennt weitere Fälle in
grober Zahl, wo Vertragspartner ihren
erpflichtungen nicht nachkommen konnten.
weil lebenswichtige Intereſſen ſie daran
hinderten. In ſolchen Fällen kam dann
nn eine Cint ung
fi
ritten zuſtande, der
führen ließ, die über ſeine eigenen Kräfte
ing. Man denkt in dieſem Zujfammen:
bana daran, dak ſowohl England wie aud
Frankreich Beſitzer großer Kolonialreidt
find und dadurch mit ihren Intereſſen fat:
ker in anderen Teilen der Welt gebunden
find als in Oſteuropa. Wir kennen Gebiete.
wo ohne die a von Soldaten
und Kriegsſchiffen gewiſſer Nationen bald
entſcheidende Kräfteverlagerungen ftat!
finden würden zum Schaden gewiſſer euro
päiſcher Großmächte. Was den dritten
Partner betrifft, bie UDSSR., jo erinnern
auf Koſten des
m Vertrauen au
Vertragsparagraphen zur Tollkühnheit pet `
|
|
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|
|
i
|
wir uns eines Ereigniſſes von enticheiden: `
der Bedeutung für den jungen polniſchen
Staat, das als „Wunder an der Weichſel“
in bie polniſche Geſchichte einging. Die Er:
innerung an die Zeiten ber Knechtſchaf!
Außcnpolitische Notizen 31
unter ruſſiſcher Herrſchaft dürften außer:
dem wohl in der lebenden Generation noch
zu friſch ſein, als daß man ſich nach einer
Wiederholung ſehnen könnte. i
Das deutſche Volk will keinen Krieg, ja
es braucht ſogar im Intereſſe ſeiner Auf⸗
bauarbeit dringend den Frieden. Doch wir
ſind jeder Zeit bereit, gegebenenfalls auch
mit der Waffe unſere Lebensrechte zu ver:
teidigen und zu erkämpfen. Die Entſchei⸗
dung liegt bei dem anderen! Und unſer
Nachbar hätte wahrlich den Frieden noch
notwendiger als wir. Das kann auch die
volkspolitiſche Durchleuchtung“) des 21jäh⸗
tigen, kaum mündigen Staatsweſens ver⸗
anſchaulichen.
Klaus Schickert:
Rumänische Neutralitätspolitik
Bukareſt, Ende Juni.
Als der britiſche Premier im Unterhaus
jene Erklärung abgegeben hatte, durch die
der Welt mitgeteilt wurde, daß die Türkei
ſich der Politik der Einkreiſung zur Ver⸗
fügung geſtellt habe, da ſetzte ſich Winſton
Churchill hin und ſchrieb einen ſeiner Ar⸗
tikel, mit denen er die Weltpolitik mehr
oder weniger zuſtimmend zu begleiten
pflegt: „Die Türkei und der Friedensblock“
ffatis-Goir, 19. Mai). Diesmal ſchlug ſeine
uſtimmung in offenen Jubel um, und in
dem Wunide, bie . des Ereig⸗
niſſes zu unterſtreichen, ijt Churdill el
Rumänien zu ſprechen gekommen und au
die „Garantie“, die England unb Frank⸗
reich ihm gegen jeden Angriff der „Nazis“
landers kann ſich Churchill nicht aus⸗
drücken) gegeben hätten. Dieſe Garantie
lönne nur wirkſam fein, wenn die Türkei
den britiſchen Kriegsſchiffen und, wenn
nötig, den franzöſiſchen und den britiſchen
Truppen den Durchgang in das Schwarze
eer erlaube. Die Herrſchaft über
das Schwarze Meer gehöre jetzt
Großbritannien, der Türkei und
Rußland. Zwiſchen den „weſtlichen Demo:
kratien“ und den Sowjets ſei die Verbin⸗
dung jetzt hergeſtellt, und auch die Sowjets
müßten Wert auf die Unabhängigkeit und
oral PoR Rumäniens legen. Churchill
wendet ſich dann Bulgarien zu, dem er eine
(éle$te Note wegen feiner vergangenen
Politik gibt. Jetzt aber ſei die Zeit gekom⸗
hen, die Irrtümer der Vergangenheit ein:
*) Die
RL in SEH nach Vorlagen aus
1. Ahlers: Polen.
2. Seraphim: gorn unb feine Mirtichaft.
I Seraphim: Pas Judentum im olteuropdiichen Raum.
zuſehen und fid) dem „Friedensblock“ anzu:
ſchließen. Allerdings habe Bulgarien terri:
toriale Forderungen. Nun, warum jollten
die nicht befriedigt werden? „Es iſt die
Pflicht Rumäniens, deſſen Gebiet dank
dem Siege der Alliierten ſo be⸗
trächtlich gewachſen iſt, und das ſich jetzt in
Todesgefahr befindet, ſeine guten Dienſte
denen der Türkei und der weſtlichen Mächte
uzugeſellen, um Bulgarien anzuſpornen,
ia unter ehrenhaften Bedingungen bem
riedensblock anzuſchließen.“
Englands Handel mit einer rumäniſchen
Provinz
Daß Rumänien die Koſten der Zeche tra⸗
gen ſoll, die Großbritannien auf bem Bal:
an macht, ijt nichts Neues. Die engliſche
Propaganda hat ſich ſeit geraumer Zeit der
Süddobrudſcha bemächtigt und geht in Sofia
damit hauſieren, daß ein Anſchluß Bul⸗
gariens an den Balkanbund — will ſagen:
ein Aufgeben des bulgariſchen Reviſionis⸗
mus — mit der Abtretung der Süd⸗
dobrudſcha durch Rumänien belohnt werden
würde. In derſelben Richtung bewegen ſich
türkiſche Vermittlungsverſuche: die Bul⸗
garen entweder zu locken oder ihnen zu
drohen (ſeit dem Bündnis mit England
wird das zweite bevorzugt); den Rumänen
aber den freundſchaftlichen Rat zu geben,
ſich doch nicht länger widerſpenſtig zu zei⸗
gen. Rumäniſcherſeits wurden alle diefe
erſuche früher mit einem entſchiedenen
Nein beantwortet. Als Gafencu unmittel-
bar nach der Beſetzung Albaniens über⸗
raſchend nach Iſtanbul fuhr, klang ſein
Nein in Saracoglus Ohren ſchon etwas
weniger entſchieden. ln haben die
Türken die Hoffnung auf eine rumäniſche
Sinnesänderung nicht aufgegeben, denn am
15. Juni — der rumäniſche Außenminiſter
Gafencu befand ſich ge aus Antara
fommend, auf dem ege von Iſtanbul
nach Athen — wollte die Belgrader „Vreme“
das Einverſtändnis Rumäniens mit der
SE ber Süddobrudſcha entſprechend
dem engliſch⸗türkiſchen Vorſchlage melden.
Dieſe Nachricht erſchien zwar nicht, wurde
aber in Bukareſt bekannt und erregte dort
einige Beſtürzung; denn — ſo argumen⸗
tierte man — ſollte die Welt vergeſſen
haben, mit welcher Hartnäckigkeit Rumänien
am Beſitz der Süddobrudſcha feſtgehalten
hat? Sollte man Rumänien zutrauen, ſich
leichten Herzens von einem Gebiet zu tren⸗
nen, deſſen Verbundenheit mit dem Mutter⸗
lande ſo oft beteuert worden iſt? Aber die
Welt ſcheint die rumäniſche Entſchloſſenheit
32 Außenpolitische Notizen
nicht für |o ernſt genommen zu haben, wie
ſie tatſächlich iſt, ſonſt würden ſich an die
Reiſe des rumäniſchen Hea nad
Ankara nicht ſolche Gerüchte knüpfen.
Die Schlußerklärung nach dieſem Gafencu⸗
Beſuch in Ankara brachte, wie nicht anders
p erwarten, die Verſicherung, Ant der
alkanbund einmütig in ſeinen Anſichten
ſei. Allerdings hatte in der zweiten Mai⸗
ie der EE Außenminiſter
incar⸗Markowitſch beim rumäniſchen
Außenminiſter Gafencu anläßlich eines
Treffens auf der Donau unmizverſtändlich
die Bedenken Jugoſlawiens gegen die tür-
kiſchen Seitenſprünge angemeldet. Das be:
ſondere Mißfallen der Jugoflawen richtet
ſich gegen bas Hineinziehen der
Engländer in Balkanangelegen⸗
heiten, was durch die Formel zum Aus:
druck kommt, daß beide Regierungen die
Notwendigkeit anerkennen, die Herſtellung
der Sicherheit auf dem Balkan zu gewähr⸗
leiſten. Sind wir Balkanſtaaten, ſagen die
oſlawen, nicht Manns genug, daß wir
dieſe Sicherheit uns ſelbſt verbürgen? Wozu
haben wir einen Balkanbund, wenn eines
ſeiner Mitglieder, ohne uns zu fragen,
eine außenſtehende Großmacht in unſere
Belange hineinzieht? Eine abſolute Ein⸗
mütigkeit konnte alſo in Iſtanbul und An⸗
kara nur we werden,
Türkei einen Rückzieher antrat.
Das Ende der türkiſchen Selbſtbeſtimmung
Tatſächlich hat ſich denn auch in der Tür⸗
kei ein gewiſſer Katzenjammer über die
Folgen jenes unüberlegten Beſchluſſes ein⸗
geſtellt, mit dem ſich die Türken den Eng⸗
ländern ausgeliefert haben. Alle Verſuche,
die Tatſache dieſes Auslieferns auf Gedeih
und Verderb zu beſchönigen, ſind miß⸗
lungen. Eins iſt klargeworden: Die Tür⸗
ken haben ſich in die Front der Einkrei⸗
ſungspolitik eingereiht und ſomit ihre
Neutralität aufgegeben. Das
rechtzeitig zu wiſſen iſt wertvoll. Die Tür⸗
ken bedeuten die eine Spitze des Balkan⸗
bundes, die Jugoſlawen die andere. Die
Griechen machen den Verſuch, eine fallen.
ber krampfhaften Neutralität durchzuhalten.
Wie weit ihnen das zwiſchen Scylla und
Charybdis, zwiſchen der Zange der Ita⸗
liener in Albanien und der engliſchen
Flotte im Mittelmeer, gelingt, bleibe dahin⸗
er Der vierte Staat im Balkanbund,
umänien, ſucht eine vermittelnde
Haltung zu wahren. Für Rumänien be⸗
deutet das Zuſammenhalten des Balkan⸗
bundes nach dem Wegfall der Kleinen
wenn die
(utente außerordentlich viel. Mit Rückſicht
auf die Dobrudſcha (von den bulgariſchen
Forderungen an Griechenland ſpricht man
viel weniger) muß Rumänien daran ge⸗
legen ſein, an dem bisherigen Aufbau und
der Zielſetzung des Bundes nicht rütteln zu
laſſen. Jede Zwiſtigkeit, jeder
Streit kommt ihm un paß. So
muß Gafencus Mittlerrolle zwiſchen den
beiden Meinungen verſtanden werden.
Wozu die Garantie verſprechen?
Keiner von den beiden Staaten, die des
zweifelhaften Glückes der engliſch⸗fran⸗
n Garantie teilhaftig geworden find,
at von Deutſchland Vorwürfe zu hören
bekommen, weder Griechenland noch Ru:
mänien. Selbſtverſtändlich wäre die Frage
denkbar geweſen, warum beide Staaten
ih eine [olde „Garantierung“ gefallen
ließen, da doch eine andere Haltung
denkbar iſt, wie die baltiſchen
Staaten ſoeben mit viel Energie be⸗
wieſen haben. Rumäniſcherſeits iſt zur Er⸗
klärung wiederholt geſagt werden, daß man
ſeine Unabhängigkeit und den Beſtand der
Grenzen ſelbſt verteidigen könne und im
Ernſtfall bis zum äußerſten verteidigen
werde, jede Unterſtützung, von welcher
Seite ſie auch kommen möge, werde dabei
dankbar angenommen. Die Erklärungen,
durch die Frankreich und England „ſpontan
und in Ausdrücken, die uns gerührt haben“,
Rumäniens friedliche Bemühungen unter⸗
ſtützten, ſeien ein wertvoller Beitrag zum
Werke der Feſtigung des allgemeinen Frie⸗
dens; ſolche Kundgebungen, von welcher
Seite immer ſie kämen, ſtellten
eine Atmoſphäre des Vertrauens und der
uten Verſtändigung her, deren alle Völ⸗
er ſo ſehr bedürften (Minifterpräfiden:
Calinescu am 14. April). Dieſe Erklärung
öffnet Türen, bie fid) vielleicht einmal als
verhängnisvoll erweilen können, wenn näm:
lid Sowjetrußland auf ähnliche Gedanken
käme und ſich daraus Weiterungen ergäben.
Potemkin, der ſtellvertretende en
miſſar der Sowjets, foll ung at bei
feinen Beſuchen in Ankara, Sofia und
Bukareſt den Gedanken eines Schwarzen⸗
Meer⸗Paktes aufgeworfen haben. Bislang
hat Rumänien gegenüber allen Anbiede⸗
rungsverſuchen der Sowjets eine kühle
Schulter gezeigt. Das rumäniſch⸗ſowjet⸗
ruſſiſche Verhältnis iſt korrekt — nicht
mehr.
Eine darüber n An⸗
näherung zwiſchen beiden egierungen
würde eine Umwälzung der rumäniſchen
WM fenpolitik bedeuten. Gafencu hat in
AuBenpolitische Notizen 33
ieiner erſten Erklärung vor dem neuen
tumäniſchen Parlament (am 9. Juni) dieſen
Sachverhalt mit folgenden Worten fom:
mentiert, die auf den erſten Blick nicht
gleich verſtändlich ſind: „Wir haben den
Grundſatz beachtet, uns nicht auf eine be:
nachbarte Großmacht — einer anderen ent⸗
gegen — zu ftügen, um nicht die Geran:
laſſung zu einem Streitfall an der Grenze
oder auf dem Boden unſeres Landes
zwiſchen den Mächten zu geben, die wir
voneinander trennen.“ Das war im Zu⸗
ſammenhang mit Sowjetrußland geſagt und
bezieht ſich auf dieſe acht und auf
Deutſchland. Es könnte mit einer Abwand⸗
lung auch für das Verhältnis Polen —
Deutſchland gelten, von deſſen etwaiger
Zuſpitzung Rumänien ungern betroffen
wäte. er polniſch⸗rumäniſche
Pakt iſt ein echtes Bündnis, das
nach dem Wortlaut des Vertrages auf jeden
gal in Kraft tritt. Praktiſch ilt es von den
eiden Beteiligten immer fo verftanden
morben, x es ih auf Sowjetrußland bes `
zieht; bie Verhandlungen der Generalftäbe
haben ſtets nur dieſen Anwendungsfall im
Auge gehabt. Vor ſeinem Abſchluß (1931)
war von polniſcher Seite der Fall Deutſch⸗
land und von rumäniſcher Seite der Fall
Ungarn in die Debatte geworfen worden;
da eines ſo unangenehm war wie das
andere, wurden beide Möglichkeiten nicht
weiter in Betracht gejogen. Aud in
15 Beziehung möchte Rumänien neutral
eiben.
. Bleibt Ungarn, deffen Reviſionsanſpruch
in den zwanzig Jahren ſeit dem Weltkrieg
am bedrohlichſten zu ſein ſchien, und das
im März d. J. durch ſeine Mobiliſierung,
die durch die Beſetzung der Karpaten⸗
Ukraine notwendig geworden war, ben An:
ihein weiterer Aktionen erweckte, die nach
Lage der Dinge nur gegen Rumänien ge:
richtet ſein konnten. Rumänien antwortete
alsbald mit der Mobiliſierun
mehrerer Armeekorps, beſtritt jedoch
Charakter einer Mobiliſierung und
gab nur „Konzentrierungen“ (Einberufung
ju a) zu. Da diefe Maß⸗
nahme in die Frühſahrs beſtellung fiel, ents
and im Volke eine ziemliche Miß⸗
immung, die ſich bezeichnenderweiſe
nicht ſo ſehr gegen Ungarn, als vielmehr
gegen Deutſchland richtete. In bie kritiſch⸗
ten Tage platzte ein aus London kommen⸗
der gane en hinein, der vom dortigen
umaniihen Geſandten Tilea geſtartet
Dar und ein angebliches deutſches „Ulti:
matum“ in den laufenden Wirtſchaftsver⸗
handlungen betraf. Der Ballon zerplatzte
in die blaue Luft und richtete weiter keinen
Schaden an. Wenige Tage ſpäter, am
23. März, wurde das Wirtſchaftsabkommen
unterzeichnet. Der deutſche Standpunkt iſt
durch die deutſche Preſſe hinreichend
bekanntgeworden. Hier ift es zweckmäßig,
einen Blick auf den rumäniſchen Stand⸗
unkt zu werfen, weil in der Welt über⸗
ehen worden iſt, mit welcher Genugtuung
der Abſchluß des Abkommens in Bukareſt
begrüßt worden iſt.
Rumänien rüſtet mit Hilfe aller
Niemand in ganz Rumänien hat ſich von
Sentimentalitäten oder Vorurteilen für
Deutſchland leiten laſſen, als er auf den
Wirtſchafts vertrag hinarbeitete, am wenig⸗
ſten die beiden unterzeichnenden Miniſter,
der Wirtſchaftsminiſter Bujoi und der
Außenminiſter Gafencu Die Vorteile
für Rumänien lagen auf der
Hand. Die Gegenpropaganda griff ein⸗
zelne Punkte heraus und entſtellte ſie, z. B.
die suns von Freizonen, in denen eine
Gefährdung der rumäniſchen Oberhoheit er⸗
blickt wird. In Wirklichkeit ſind Freizonen
für Rumänien nichts Neues, die Tſchechen
80 dasſelbe vordem gehabt und kein
ahn hat danach gekräht. Der Vertrag
bringt konkrete Vorteile, während der
ſpäter abgeſchloſſene rumäniſch⸗engliſche
Vertrag b in Andeutungen verliert. Selbſt
eine Zeitſchrift wie „Roumanian Cconomijt"
on muß dies in einem Vergleich
eider Verträge zugeben. In jenem Zeit⸗
punkt hat der deutſch⸗rumäniſche Vertrag
den Kredit Rumäniens ungeheuer geſtärkt.
Im Lande wurde offenkundig, daß Deutſch⸗
land nicht im entfernteſten daran dachte,
Rumänien zu bedrohen, denn würde man
ſonſt mit dieſem Lande einen Vertrag auf
weite Sicht ſchließen und ihm Waffen lie⸗
fern? Nunmehr entſchloſſen ſich die Eng⸗
länder, eine Wirtſchaftsabordnung unter
Sir Leith⸗Roß nach Bukareſt zu ſenden. Um
dieſe Abordnung hatte der rumäniſche
König bei ſeinem Londoner Beſuch im No⸗
vember gebeten, ohne daß etwas geſchehen
wäre. Jetzt hatten es die Engländer auf
einmal eilig. Was dabei herausgekommen
ijt, wirkt im Vergleich mit dem deutſch⸗
rumäniſchen Abkommen dürftig.
Doch hatte Rumänien ſein Wort wahr
gemacht, daß der deutſch⸗rumäniſche Ber:
trag niemanden davon ausſchließe, ſeiner⸗
ſeits mit Rumänien entſprechende Ab⸗
machungen zu treffen. Rumänien war gegen⸗
über England in der Vorhand, denn
34 Außenpolitische Notizen
niemals hätten die Engländer unverrichteter
Dinge aus Bukareſt abfahren können, die
Blamage wäre nach den vorhergegangenen
Ankündigungen zu groß geweſen. Daß Nu⸗
mänien unter dieſen günſtigen Umſtänden
nicht mehr erreicht hat, iſt erſtaunlich, be⸗
weiſt aber erneut, daß man ſtreng neutral
bleiben und jedem das Seine geben will.
Noch kärglicher war die Ausbeute der vor⸗
en rumäniſch⸗franzöſiſchen Bers
andlungen. Frankreich hat feine [don vors
dem 70 v. H. der Geſamteinfuhr aus Rus
mänien betragende Olcinfuhr noch mal vers
doppelt, bloß um den Zinſen⸗ und Amor⸗
tiſationsdienſt der früheren Wucheranleihen
e Wäre es England und Frank⸗
reich ernſt mit ihren Abſichten, dächten ſie
anders als kapitaliſtiſch, ſo könnten
ſie ſich mit einer Konvertierung einver⸗
ſtanden erklären. Aber davon iſt keine Rede.
Auch das engliſche Abkommen weiſt
einige kennzeichnende Züge out So mul
Rumänien weiterhin gewiſſe Prozentſätze
des Ausfuhrerlöſes in freien Devilen den
Händlern zur Verfügung Wellen, wodurch
bie ſonſtige Zwangsnotierung an einer ent-
ſcheidenden Stelle durchlöchert und das
Deviſenregime empfindlich belaſtet wird.
Bei den Preisdifferenzen zwiſchen England
und Rumänien iſt aber ein anderer Aus⸗
weg nicht möglich. Es bleibt eine britiſche
Kreditgarantie über fünf Millionen Pfund
Sterling übrig, die in erſter Linie zum
Ankauf von an verwendet wird. Damit
ift einer ber weſentlichen Zielſetzungen der
gegenwärtigen rumäniſchen Außenpolitik
erwähnt: fid mit aller Beſchleuni⸗
gung aufzurüſten und dazu
jedermanns Hilfe anzunehmen.
Deutſchland als Wafſenlieſerant
Will Rumänien erfolgreich ſeine Unab⸗
hängigkeit verteidigen, will es um ſein
gegenwärtiges Gebiet kämpfen, ſo bedarf
es dazu einer wohlgerüſteten Armee. Sämt⸗
liche Anſtrengungen der Regierung ſind
darauf gee jo ſchnell wie möglich
einen tand zu erreichen, der dieſe
Selbſtverteidigung erfolgreich er⸗
ſcheinen läßt. Hier rächen ſich Sünden der
Vergangenheit und ſollen ſo ſchnell wie
möglich wiedergutgemacht werden. In
dieſen Rahmen paffen nur gute Beziehun⸗
gen mit Deutſchland, keine ſchlechten, denn
ſonſt würde Deutſchland als
Waffenlieferant ausfallen,
und wo kann ein Land bei dem heutigen
Wettrüſten, da jeder zunächſt an jid) denkt.
überhaupt noch Waffen erhalten? Waffen
modernſter Art, kein abgelagertes Zeug,
und Waffen in genügendem Ausmaß? Das
iſt die rumäniſche Kardinalfrage, und dazu
wird gegenwärtig die Armee in der Hand:
habung der modernen Waffen nach Kräften
geſchult.
Rumänien betreibt, wie wir geſehen
haben, Neutralitätspolitik unter Berück⸗
ſichtigung der obwaltenden Umſtände. Es
hat in einem etwa kommenden Kriege
nichts zu gewinnen, es hat höchſtens
etwas zu verlieren. Es will aber
nichts verlieren, ſondern will bleiben, was
es 1919 dank den Geſetzen ſeines
Volkstums geworden ijt: Groß:
Rumänien. Es muß daher ſeine Unab⸗
hängigkeit mit den Waffen in der Hand
verteidigen, gegen jedermann, woher
der Angriff auch komme, und
wer feinen Weizen, fein OI, feine Roh:
Dt begehre und nicht ben von
Rumänien geforderten Preis
zahle. Am liebſten — das iſt zweifel los
der heiße Wunſch des Landes — iſt ihm
ein langer Friede, der geſtattet, die jetzige
Aufwärtsentwicklung fortzuſetzen. Gafencu
Bat dieſen Wunſch und Willen der rumä⸗
niſchen Regierung in Berlin, Brüſſel, Lon⸗
don, Paris und Rom ausgeſprochen, und
wir wiſſen, daß er in Berlin auf großes
Verſtändnis geſtoßen iſt. „Ich werde nie⸗
mals die Worte vergeſſen“, ſagte er in
ſeiner erwähnten Parlamentsrede, „mit
denen mir die führende Perſönlichkeit eines
mächtigen Reiches auf dem Kontinent bei
Schilderung des Krieges von morgen tlar:
legte, daß am Ende des Kampfes Sieger
und Beſiegte unter denſelben Ruinen
liegen würden.“
Ehrlicher Makler?
Gafencu hat daher geglaubt. eine
Miſſion der mittleren und kleinen Staaten
roklamieren zu ſollen, die gewillt feien,
ſich zwiſchen die Blockbildungen der Groß⸗
mächte zu ſchieben und für den Frieden zu
wirken. Dieſe Abſicht verdient alle An⸗
erkennung, und es gibt gewiß niemand,
der nicht Rumänien das Glück gönnt, eine
lange Periode des Friedens und des Wohl⸗
ſtandes zu erleben. Aber es erhebt fid,
nicht von uns geſtellt, ſondern natur⸗
notwendig, die Frage, ob es Rumänien
gelingt, ſeiner Abſicht treu zu bleiben.
Dieſe Frage ſtellt ſich allen Staaten, die
Neutralitätspolitik betreiben, ohne durch
Bevölkerungszahl oder geographiſche Ab—
Außenpnlitische Notizen 38
ſeitslage dazu direkt gezwungen zu jeim.
Eine Antwort zu geben: Was dann? —
ſteht uns nicht zu. Wir verſtehen aber
die Situation, in der ſich die für die
Außenpolitik Rumäniens verantwortlichen
Männer befinden, eine Situation, die um
io delikater iit, als die Aufrechterhaltung
des Gleichgewichts möglich iſt, ſolange
Deutſchland ſeine Zurückhaltung bewahrt
und Vertrauen hat, die aber in
dem Augenblick ſchwierig wird, wenn
„Neutralität“ und „Farbe bekennen“ un⸗
überbrückbare Gegenſätze werden. Der Real⸗
politiker Gafencu ſieht zweifellos bieles
Dilemma; ob er auch einen Ausweg fieht?
Kuno Goldbach:
Die Auf bauarbeiten
der selbständigen Slowakei
Preßburg, im Juni.
Der ſelbſtändige ſlowakiſche Staat ver⸗
fügt ſeit wenigen Tagen über eine eigene
Verfaſſung. egiert wurde bis jetzt auf
Grund des einzigen Verfaſſungsgeſetzes, des
Geleges Nr. 1 über die ſtaatliche Selbſtän⸗
"Met der Slowakei vom 16. März 1938.
ie unter der Leitung des Innen:
minifters Profeſſor X ufa jtebenbe Ber:
ſaſſungskommiſſion hat bei ihren Arbeiten
von allen Erfahrungen weitgehend Ge⸗
brauch gemacht, die ſich aus dem Aufbau
und dem Wirken der totalitären Staaten
und der Träger dieſer Staaten, der
RS DAP. und der en Partei, er:
geben. Die auf den Prinzipien dieſer beiden
EEN fuBenbe Verfaſſung wird
daneben alle der völkiſchen und geopoli:
tiſchen Eigenart der Slowakei entſprechen⸗
den Tatſachen zu berückſichtigen haben.
Auf Grund der verſchiedenen Außerungen
über die neue Verfaſſung ſeitens des Mi⸗
nifterprafidenten Tifo und bes Parla:
mentspräſidenten Sokol ergibt ſich fol⸗
gendes Bild: Die neue Staatsform ſoll
autoritär ſein, wobei dem Staatsoberhaupt
erhöhte Gewalt zukommen wird. Das Par:
lament wird in ſeiner Zuſammenſetzung
einer Kammer der Korporationen nahe⸗
kommen, und bei den Wahlvorſchlägen wird
die ſtändiſche 1 der Bevölkerung
unter Berückſichtigung der Intereſſen der
Staatspartei richtunggebend fein.
Strittig iſt die rage der politiſchen Par⸗
teien, die jetzt aufgelöſt find, ba die Volks⸗
gruppen ihre eigenen ſelbſtändigen poli⸗
tiiden Parteiorganiſationen aufrecht erhal:
ten wollen. Das von dem Propagandachef
Mach vorgeſehene Projekt einer Allſtaats⸗
Einheitspartei ſieht vor, daß die deutſche
und madjariſche Volksgruppe fi lediglich
als Sektionen der ſlowakiſchen Staatspartei
e dürfen. Dieſer Plan Machs
widerſpricht den klaren Zuſicherungen des
ſlowakiſchen Miniſterpräſidenten Dr. Tiſo,
der am 29. November 1938 den Vertretern
der deutſchen VA A. erfldrte, dak es
der ausdrückliche unſch und Wille der
ſlowakiſchen Regierung ſei, der befreundeten
deutſchen Volksgruppe eine ſolche Rechts⸗
ſtellung zu ſichern, wie ſie nach moderner
Anſchauung und in Übereinſtimmung mit
den praktiſchen Erforderniſſen und Mög:
lichkeiten erwartet werden könne. Diele
Zuſicherung, die der deutſchen Volksgruppe
den Beſtand einer eigenen nach national⸗
ſozialiſtiſchen Führungsgrundſätzen aufge⸗
bauten Volksorganiſation zuſichert, wurde
durch die am 22. Februar d. J. abgegebene
Regierungserklärung in das Geſamtpto⸗
gramm der Regierung e ſo
daß über die Undurchführbarkeit des Mach⸗
ſchen Planes kein Zweifel beſtehen kann.
Sidor bereitet Schwierigkeiten
Der Regierung Tiſo⸗Tuka werden
durch bie Anhängerſchaft Sidors, bie fi
heute aus polonophilen, tſchechophilen,
panſlawiſtiſchen und marxiſtiſchen (lemen:
ten zuſammenſetzt, innerpolitiſche Schwie⸗
rigkeiten bereitet, infofern als dieſe
Kreile eine ſtarke Propaganda gegen
die Regierung und gegen das eich
treiben. Manche Kreiſe ſehen in Sidor noch
immer den Führer der Slowaken und den
Nachfolger Hlinkas, ohne dabei zu berück⸗
ſichtigen, daß Sidor durch ſein unentſchloſſe⸗
nes und feiges Verhalten im Oktober 1938,
als er die Slowaken im Rundfunk aufs
forderte, dem Mobiliſationsbefehl der
Beneſch⸗Regierung Folge zu leiſten, das
Teſtament Hlintas, bis zur Autonomie der
Slowakei zu kämpfen, verriet, und ſchließ⸗
lich im März auf Grund feiner undurch⸗
ſichtigen Haltung erreichte, Miniſterpräſi⸗
dent der Slowakei von Prags Gnaden zu
werden. Große Teile ſeiner früheren An⸗
hängerſchaft wandten ſich von ihm ab und
zählen heute zu den größten Gegnern
Sidors. Darunter insbeſondere ſein früherer
Sekretär, der Stabschef der Hlinka⸗Garde,
Karol Murgas, der für eine deutſche
Orientierung und für ein aufrichtiges Zu⸗
ſammenarbeiten mit dem Reich eintritt.
Gidor gehörte anfangs der flowakiſchen
Regierung als Innenminiſter an, doch war
ſein weiteres Verbleiben auf dieſem Poſten
36 Außenpolitisehe Notizen
Infolge feiner unflaren Haltung gegenüber
dem Reid nd fo daß er ſchließlich
im April ausſchied. Eine wirkliche Bereini⸗
ung des Falles Sidor und damit eine
onſolidierung der innerpolitiſchen Ver⸗
hältniſſe wird erſt dann eintreten, wenn
Sidor feinen Poſten als flowakiſcher Ge⸗
ſandter beim Vatikan, für den er auserſehen
iſt, antritt.
Der Propaganda gegen die Regierung
Tiſo⸗Tuka, den vegetmäßigen Ausfällen ber
in dem Gibot gehörenden rowa. eu
erſcheinenden Blätter gegen das Reich un
gegen die Achſe, der madjariſchen Propa⸗
ganda für einen Anſchluß der Slowakei an
ngarn, und ſchließlich der Propagierung
der panſlawiſtiſchen Idee trat das unter
Leitung San Machs ſtehende Propaganda⸗
amt nicht entgegen, ſo daß die Gerüchte,
Mach und ſeine Kreiſe förderten insgeheim
dieſe antideutſchen Beſtrebungen, reichlich
Glauben fanden. Als in der letzten Zeit
ſeitens des ſogenannten Regierungsblattes
„Slovak“ Angriffe auf die spierung Tifo
erfolgten unb die ſidortreuen Redakteure in
der unflätigften Weiſe Stellung gegen bie
Politik des Reichs und ber Achſe nahmen,
ſah ſich Mach auf Veranlaſſung des Innen⸗
miniſters Tuka ſchließlich gezwungen ein⸗
zuſchreiten, und er hat auch durch eine
öffentliche Erklärung nach dem engliſchen
Lügenmanöver über deutſche Truppenkonzen⸗
trationen in der Slowakei eindeutig die
Politik mit dem Reich vertreten.
Die wirtſchaftlichen Aufgaben
Es kann zunächſt nicht verwundern, daß
zu den Nöten der Ablöſung von Prag und
der Neuorganiſierung aus der Struktur des
neuen Staates Beſchwerden ſich ergeben
haben. Das Land mit ſeinen 2,6 Mill.
Einwohnern wurde bis zum März 1939 aus
Böhmen und Mähren mit den wichtigſten
Dingen des täglichen Bedarfs beliefert, und
zwar zu Preiſen, die der außerordentlich
niederen Kaufkraft der Arbeiter⸗ und
Bauern bevölkerung, vor allem in der Oft:
ſlowakei, entſprochen hatten. Gegenwärtig
macht ſich in dieſen Artikeln ein allge⸗
meiner Mangel bemerkbar, der vorüber⸗
gehend und teilweiſe durch Belieferungen
aus dem Protektorat gemildert werden
konnte. Nun iſt aber der Clearing mit dem
Reich einſchließlich des Protektorats ver⸗
ſtopft. Das Reich hat in den letzten Mo⸗
naten große Mengen flowakiſcher Waren
abgenommen, während die Slowakei ent:
ſprechend ihrer geringen Aufnahmefähigleit.
der mangelhaften Kaufkraft ihrer Bevölke⸗
tung und nicht zweckmäßiger Zollgeſtal tung
aus dem Reich verhältnismäßig wenig
Waren 1 So hat ſich in Berlin
eine Clearinglpige zugunſten der Slowakei
von etwa 80 Millionen Kronen ergeben.
In Kürze ſoll nun eine Flüſſigmachung
der fſlowakiſchen ee Eé an das Reid
auf dem Wege über die Anderung bzw. den
Abbau verſchiedener Zölle auf reichsdeutſche
Waren erfolgen. Die Schwierigkeiten im
Warenaustauſch können dadurch vermin⸗
dert, aber nicht beſeitigt werden. Eine
ſtärkere Einfuhr reichsdeutſcher Güter, vor
allem Inveſtitionsgüter, iſt erſt dann
möglich, wenn die Regierung mit Energie
an die Durchführung öffentlicher Arbeiten
und wenn die öffentlichen Amter an die
Vergebung größerer Aufträge gehen mur:
den! Nun iſt das Kennzeichnende der ſtaats⸗
finanziellen Lage gegenwärtig, daß die ge⸗
ſamten Staatseinnahmen auf täglich 2 Mil⸗
lionen Kronen. die Ausgaben dagegen auf
3 Millionen Kronen geſchätzt werden, ſo
daß ein Jahresdefizit von mehr als
300 Millionen Kronen errechnet werden
kann, ſelbſt wenn die für die nächſten
Monate erwartete Beſſerung des Ein⸗
nahme⸗Ertrages eintreten ſollte. Eine Det:
kung des Abgangs auf dem Wege der In⸗
landsanleihen iſt nicht möglich. Das magere
Ergebnis der Erneuerungsanleihe hat deut⸗
lich gezeigt, daß die Bevölkerung dieſer
Regierung keinen allzu großen Kredit zu
geben geneigt iſt. Es wird darum eine
Politik der Kreditausweitung erwogen,
doch iſt auf dieſem wie auf anderen Ge⸗
bieten die Entſchlußfähigkeit der in alten
Auffaſſungen befangenen Fachminiſter nicht
ſehr groß.
Der jüdiſchen Wirtſchaftsbetätigung gegen⸗
über verhält ſich die Regierung neutral.
Dies darf man feſtſtellen, wenn in ein und
demſelben Fall deutſchen Firmen und Ban⸗
ken Deviſenbewilligungen abgelehnt, jüdi⸗
ſchen Geſellſchaften aber erteilt werden,
wenn die von reichsdeutſcher Seite ver⸗
ſchiedentlich angebotene Ariſierung größerer
jüdiſcher Betriebe mit dem Hinweis ab⸗
gelehnt wird, die Ariſierung würden die
Slowaken ſelbſt beſorgen. Da die Slowaken
aber weder das nötige Kapital noch das
entſprechende Fachwiſſen haben, bedeutet die
Rejervicrung aller Entjudungsmöglichkeiten
für die Slowaken nichts als eine Beſtäti⸗
gung des jüdiſchen Einfluſſes in der Wirt⸗
Kleine Beiträge 37
ſchaft. Trotzdem betrachten die Juden, bie
ihre führende Stellung im Holz⸗ und Ge⸗
treidehandel und in anderen Sparten bee
balten haben, die gegenwärtigen Verhält⸗
niſſe nicht als ſtabil. Sie exportieren, was
We können und laſſen den Erlös im Aus⸗
land ſtehen.
Die Slowakei, ein wegen ihrer wirtſchaft⸗
chen Struktur, ihrer Größe, der geringen
Kauſtraft ihrer Bevölkerung für Induſtrie⸗
länder wenig intereſſanter Handelspartner,
belaſtet mit einer gegen den März 1939
kaum verminderten Arbeitsloſigkeit, einer
unentwickelten Wirtſchaft, kann alle ihre
Kräfte nur in enger Zuſammenarbeit mit
dem Reich entwickeln.
Die deutſche Volksgruppe
Die deutſche Volksgruppe iſt auf parla⸗
mentariſchem Boden als politiſche Partei
im eigentlichen Sinne nicht vertreten, im
ſtaatlichen Bereich dagegen durch volks⸗
deutſche Beamte in den A dein Refforts
und durch die ſtaatlichen Amter, die deutſche
Schulabteilung und das mene Staats»
fefretariat, das eine vermittelnde, helfende,
kontrollierende und sl erdeführende Ins
Rang IR. Die endgültige Umeeijung des
ufgabenfteies des Staatsſekretariats
dürfte in Kürze durch die Regierung vor⸗
Kleine
Der König der deutschen Macht
Zum 900. Todestag Kaiser Konrads II.
Am 4 Juni ftarb vor 900 Jahren ber
tite deutſche Kaifer aus ſaliſchem Haufe,
Konrad IL, nach einer Regierungszeit von
sur 15 Jahren. Innerhalb dieſer eins
einhalb Jahrzehnte aber ijt es dieſer einzig»
artigen Herrſcherperſönlichkeit gelungen,
das ds Deutſche Wë auf den höchſten
Punkt der Macht zu führen, den es je in
ſeinet Geſchichte erreicht hat. Kein Kaiſer
t feinem Nachfolger ein ſolches Erbe
interlaſſen wie et. Kein Kaiſer des deut⸗
chen Mittelalters auch war innerlich ſo
tei von den snes el Bindungen und
Vorſtellungen feiner Zeit wie dieſer erſte
genommen werden. Der deutſchen Volks⸗
gruppe liegt daran, daß ihre an ſich nicht
ungünſtige Lage auch verfaſſungsmäßig feſt⸗
elegt und geſetzlich verankert wird. Die wirt⸗
chaftliche Lage der Volksgruppe muß als
wenig günſtig bezeichnet werden, ſo daß die
Gefahr der Abwanderung ins Reich beſteht.
Tauſende von Deutſchen gehen bereits auf
Saiſonarbeit ins Reich. Die deutſchen
Bauern haben mit außerordentlichen
Schwierigkeiten zu kämpfen, und der zu
einem weſentlichen Teil in Händen von
Volksdeutſchen liegende Fremdenverkehr be⸗
findet ſich noch in einer troſtloſen Lage.
Es iſt zu erwarten, daß auf Grund der
deutſch⸗ſlowakiſchen Abkommen künftig eine
engere Zuſammenarbeit zur Beſſerung der
wirtſchaftlichen Lage des Karpaten⸗Deutſch⸗
tums beitragen wird.
Die engliſche Propaganda hat ſich in
letzter Zeit um die Slowakei ſehr „bemüht“.
Eine Teilung zugunſten Ungarns, deutſche
Truppenkonzentrationen uſw. wurden erfun⸗
den. In Wahrheit iſt das Reich bemüht zu
a unter Beachtung der [lomatijdjen
elbſtändigkeit. Was dabei an Schwierig⸗
keiten auftritt, ſind Kinderkrankheiten von
gewiß nicht zu Beſorgnis Anlaß gebender
atur.
dige
Salier. Dieſe beiden Tatſachen allein find
ſchon Anlaß genug, des Tages vor
900 Jahren, der eine Wendung in der
deutſchen Geſchichte zum Tragiſchen be⸗
deutete, noch nachträglich zu gedenken.
Zweifellos iſt Konrad II. von der bis⸗
herigen Geſchichtsſchreibung in einer Weiſe,
die ſeiner Bedeutung nicht gerecht wird,
vernachläſſigt worden. Die nach ſeinem
Tod einſetzende Entwicklung, der für uns
Deutſche ſo tragiſche Kampf zwiſchen
Kaiſertum und Papittum, hat die Hiſto⸗
tiker mehr angezogen als der zwar leiden⸗
ine aber nüchtern von der realen
irklichkeit ausgehende und ausſchließlich
politiſch beſtimmte Geſtaltungswille dieſes
großen Deutſchen. Die nationalſozialiſtiſche
38 Kleine Beiträge
Col erger ung De: bas Bild, bas
wir vom deutſchen Mittelalter beſitzen, aus
tiefſt gewandelt. Damit verbunden muß
auch zwangsläufig eine neue Wertung der
entſcheidenden Perſönlichkeiten dieſes Zeit⸗
abſchnittes ſein. Neben König Heinrich l.
tritt Kaiſer Konrad II. ſtärker in den
Vordergrund als eine der Führerperſönlich⸗
keiten, in denen unſer germaniſch⸗deutſches
Weſen ſeinen reinſten Ausdruck ge⸗
funden hat.
Als mit Heinrich II. das ſächſiſche Kaiſer⸗
haus ausſtarb, drohte über unſer Volk und
das Reich eine tiefe Kriſis hereinzubrechen,
die nur ein Meiſter der Politik ohne Ge⸗
fährdung der deutſchen Machtſtellung über⸗
winden konnte. Es war nicht nur die Frage
nach der Nachfolge pene eſtellt, fons
dern die maßgebenden räfte unſeres
Volkes waren zerriffen in zwei weltanſchau⸗
lich ſich ſchärfſtens gegenüberſtehende Lager.
Auf der einen Seite ftand eine Partei, die
den Gedanken der . und der
völligen Einordnung der Kirche in das
Reig vertrat, auf der anderen hatten fid
alle ler Kräfte mit ben Bod;
kirchlichen aſzetiſchen Beſtrebungen des
romaniſchen Weſtens verbunden. Verderb⸗
lich aber drohten Schwäche und Zwieſpalt
im Innern zu werden, weil zugleich die
außenpolitiſche Gefahr eines rieſigen,
gegen die deutſche Stellung in Europa
erichteten Blockes entſtanden war. Aus
SE Ungarn, Böhmen und Polen,
anemarf und England, dem mächtigen
Adel Burgunds, den Städten und welt⸗
lichen do Lk der Lombardei, ber Gees
macht Venedig und nicht zuletzt dem Papſt⸗
tum und dem griehi byzantinischen
Kaiſertum ſchien ſich ein gewaltiger euro⸗
päiſcher Bund gegen das Deutſche Reich
aufzutürmen.
Der Mann, der in dieſer ernſten Stunde
auf Grund jener eigenartigen, dem ger⸗
maniſchen Führer⸗ und Gefolgſchafts⸗
gedanken entſprechenden Miſchung von Erb⸗
und Wahlrecht die Führung des Reiches
übernahm, hat es verſtanden, die ſchwere
innen⸗ und außenpolitiſche Kriſis in einer
erſtaunlich kurzen Zeit abzuwenden. Die
ſpäteren, gegen das Kaiſertum gerichteten
kirchlich⸗propagandiſtiſchen Schriften haben
dieſen beiſpielloſen Erfolg Konrads II. und
die darauf aufbauenden Leiſtungen ſeiner
kurzen Regierungszeit nicht anders als
durch ein Bündnis mit dem ida ju ets
klären gewußt. Wir aber willen heute, ba
das gewaltige politiſche Werk Konrads Il.
nichts mit irgendwelchen übers oder unter:
irdiſchen Kräften zu tun hat, ſondern nur
keine Per erklären iſt, paß feit Heinrich I.
keine Perſönlichkeit von ſolcher inneren,
ermaniſch⸗deutſcher Art entſprechenden Ge⸗
chloſſenheit des Weſens auf dem deutſchen
Königsthron ſaß. Von Anfang an kannte
dieſer deutſche König nur einen Gedanken,
die Macht des Reiches und das Wohl der
Geſamtheit des Volkes.
Seine ſchwere Jugend, belaſtet durch die
Entrechtung und Schutzloſigkeit eines Früh⸗
verwaiſten, hatte Härte und kämpferiſchen
Willen und einen ESCH zugleich harten
Gerechtigkeitsſinn in ihm beſonders aus⸗
eprägt. Es werden immer wieder Einzel⸗
heften und Begebniſſe geſchildert, die dieſen
volkstümlichen rw Konrads II.
näher kennzeichnen. Seine im alten gers
maniſchen Gedanken des Volkskönigtums,
nicht aber im chriſtlichen Königsprieſter⸗
tum wurzelnden Handlungen find fo etn:
drucksvoll geweſen, daß der Ruf von ihnen
ſich raſch in den deutſchen Landen und auch
weit über die Grenzen hinaus verbreitete.
Sie ee nicht wenig zu der rafden
Durchſetzung Konrads im Deutſchen Reich
und in Europa beigetragen. Bereits auf
dem Wege zur Krönung bewies der Salier,
daß ihm die Sache der Gerechtigkeit und
des Schutzes der Armen und wachen,
die Hilfe für einen Bauern, eine Witwe,
eine Waiſe und einen aus der Heimat
Vertriebenen, wichtiger war als bie (Ent:
gegennahme königlicher Ehren. Ludwig
Uhland hat ſeiner Königswahl ein ſchönes
dichteriſches Denkmal geſetzt. In ſeinem
Lied heißt es von ihm:
zWär' Kaifer Karl geſtiegen aus der Gruft,
Nicht freudiger hätt’ ihn die Welt begrüßt.
So wallten ſie den Strom entlang nach Mainz,
Woſelbſt der König im erhab'nen Dom
Der e Weihe nun empfing.
Wen ſeines Volkes Ruf ſo hoch geſtellt,
Dem fehle nicht die Kräftigung durch Gott!“
Bei ſeinem Ben fragte der König
nicht nach Herkunft und Stellung; jeder
Deutſche, das wurde unter ihm zum Grund⸗
? Gerechtig⸗
jag ha hat Anſpruch au
keit. Einen räuberifhen Grafen ließ der
Kaiſer am Galgen aufknüpfen, einen in
Rom gefallenen Krieger mit königlichen
Ehren beiſetzen, einem anderen, dem bei
der Abwehr eines Aufſtandes ein Bein ab⸗
eſchlagen war, mußten die Lederſtiefel mit
oldmünzen gefüllt werden. Die zuſtän⸗
digen ſudiſchen e wurden a ber Duls
bung jüdiſchen Sklavenhandels mit leib⸗
Kleine Beiträge
eigenen Knechten im Bistum Verden nach⸗
drücklichſt zur Beendigung dieſes ruchloſen
Vorganges angehalten.
Eine der
Königs war, daß er vom Craftubl
Karls bes Großen in Aachen aus als
oberſtet Richter das Sonder recht der
weltlichen Großen auf Erblichkeit ihres
Sees endgültig durchbrach. Durch münd⸗
lichen Richterſpruch des Königs wurde bie
ge e Erblichkeit aud für die
ehen der kleinen Grafen und Herren, vor
allem des neuen Standes der Dienftmänner
oder Ritter und im Endergebnis auch des
Bauern geſetzlich feſtgelegt.
Nit dieſer un war Konrad Il.
zum eigentlichen Begründer des politiſch
und kulturell bald ſo entſcheidenden „ſtau⸗
fGen Nittertums“ geworden. Dieſer Ges
etzgebungsakt, der in allen Fällen letzte
ellation an den König vorſah, bedeu⸗
tete nicht nur eine gewaltige Stärkung der
Macht des Königtums gegenüber den parti⸗
kularen Gewalten, ſondern Al ar des
deutſchen Nationalgefühls gegenüber dem
Stammesgedanken. Die Treue gegenüber
dem König und der Nation ging — das
bewies ſich vlr He des Aufſtandes Herzog
Ernits Il. von waben — nunmehr über
jede Lehnstreue, auch über bie Verpflich⸗
tung gegen den Stammesherzog.
In einer Zeit des Zwieſpalts als Re
prdjentant bet ſtaatskirchlichen Partei unter
tibo von Mainz auf den Thron ge:
tommen, bewies Konrad fofort, daß er nicht
gewillt war, Werkzeug einer der Partei⸗
ungen und Gruppen zu ſein. Es iſt inter⸗
dont, zu beobachten, wie der König immer
wieder bei ſeinem politiſchen rane ls die
tioalifierenden Kräfte gegeneinander aus»
wog und ausipielte, fie jo ſich aufheben
ließ. Er duldete keine Machtbildung neben
dieſer a. Reichsführung, dem
Königtum, das bekam als erſter Aribo von
Mainz ü m erzöge und Grafen,
Reichs biſchöfe unb ⸗äbte und Ms bie
pape waren für ihn nichts anderes als
königliche Beamte, Diener des Reichs.
Der germaniſche Königsgedanke war in
Konrad II. wieder lebendig geworden. Tief
im germaniſchen Denken wurzelte die Idee
des Reiches, der er entgegen allen einge:
drungenen fremden, chriſtlich⸗römiſchen Wns
ſchauungen zum Dur dil verhalf. Cine
befondere Wahl pm langobardiſchen König
lehnte er ab, weil er in der Lombardei ein
altes, damals auch blutsmäßig ſtark ger⸗
erſten grundlegenden Taten
39
maniſches Herrſchaftsgebiet des Reiches fab,
in dem der SE des Hm
automati[f von einem deutſchen König auf
den anderen be o . Den aus ber pers
fónfiden Verwan tſchaft ſeines Vorgän⸗
ers, Heinrichs II., zum letzten Burgunder⸗
önig hervorgegangenen 5 auf
Burgund nahm Konrad II. bewußt aus die⸗
er privaten erbrechtlichen Sphäre heraus.
ür ihn war es ein ſtaatspolitiſcher An⸗
pruch des Reiches, den er über alle per⸗
önlichen Erbrechte — und ſeien es die
eines Stiefſohnes Ernſt — hinweg durch⸗
etzte. Hier bewies ſich das weit über die
Vorſtellungen ſeiner 96 hinausgreifende,
eradezu moderne Reichs⸗ und Staatsdenken
ontads II., das er 1025 gegenüber den
Abgeſandten des abgefallenen Pavias ge⸗
radezu ſprichwörtlich in dem Satz formu:
lierte: „Wenn der Kom g au irbt, ſo
bleibt doch das Reich, wie das Schiff bleibt,
wenn der Steuermann fällt.“
Aus der inneren Kraft und Geſchloſſen⸗
heit, die er dem Reich zurückgab, wuchs
deſſen äußere Macht. Europa wurde ges
ot at yn le, — no : 1 —
nach der Geſetzgebung durch den deutſchen
König rief. Polen, oeben noch durch get
Machtballung und Unterjochung meds
wilder Stämme zu einer Gefahr für das
Reich geworden, zerbrach gegenüber der
klugen Politik bietes Kaiſers. Der unter
den letzten Ottonen eingetretene Riidjdla
in der deutſchen Oſtpolitik wurde dadur
völlig wettgemacht. Die Laufitz kehrte
endgültig zum Reich zurück. Mähren wurde
mit Böhmen vereinigt und damit wieder
in den Bereich der deutſchen Herrſchaft
einbezogen. Durch die Förderung der Ehe
des jungen Bretiſlaw mit der Deutſchen
on von Babenberg⸗Schweinfurth bes
penn ie Politik der völligen Einbeziehung
er przemyſlidiſchen Herzogsfamilie in das
Deutſchtum. Die Förderung des tapferen
Dietrich II. von Wollin und ine X E
um Markgrafen legte den Grund für bie
ntwicklung ie in der Oſtpolitik fo
bedeutſamen Geſchlechtes. Zwei deutſche
Markgrafen waren es auch, die während
der Seit der polniſchen Thronwirren in
je einem Drittel des polniſchen Geſamt⸗
reiches die Herrſchaft übernahmen. Wurden
ſo im Nordoſten die unmittelbaren Vor⸗
ausſetzungen für die deutſche Oſtſiedlung,
die durch den dann einſetzenden Inveſtitur⸗
ſtreit nur gehemmt, nicht aber endgültig
aufgehalten werden konnte, geſchaffen, ſo
erreichte im Südoſten dieſe Beſiedlung be⸗
reits unter Konrad II. ihren Höhepunkt.
40 Kleine Beiträge
Wien wird in dieſer Zeit aum erſtenmal
wieder genannt. Die zweite Siedlungs⸗
welle in der babenbergit en Oſtmark unb
im geſamten 1 55 ogtum Kärnten iſt nicht
nur bayeriſch, ſondern weſentlich auch frän⸗
kiſch beſtimmt. Sie dringt über den Wie⸗
ner Wald hinaus und EE tief in
die Ne bis nach Trient hinein. Frieſach
wird über Konrad II. zum Mittelpunkt
dieſer Bewegung. Ein neuer Abſchnitt
deutſcher Oſtpolitik ais eingeleitet; aber
der tragiſche Kampf des oder Mittels
alters, der unter Konrads Enkel feinen
erſten Rae erreichen prite ließ diefe
Entwicklung na Ha 1 abbrechen.
Eineinhalb Jahrzehnte ſtand Konrad II. an
der Spitze des Reiches. Hochgewachſen, tapfer
und kriegeriſch, ein harter Willensmenſch,
galt der Salier feiner Zeit als bas Bors
ild bes edelen, ritterlichen Mannes. Er
war nicht berührt von jenem fremden
romaniſch⸗aſzetiſchen Denken, das ſeine bei⸗
den Vorgänger und ſeinen ed ſo
Prot beeinflußt hat, prie et par den
roblemen feiner Zeit mit dem nüchternen
realen Sinn des Politikers gegenüber, tief
verwurzelt in jenen feſten Zumt: und Ges
meinſchaftsformen, die der germaniſch⸗deut⸗
ſchen Art entſprechen. Das war der Unter⸗
gun feiner politiſchen Leiſtung und ber
achtentfaltung des Erſten Deutſchen
Reiches. Verkörpert aber wird diefe Macht
durch die beiden gewaltigen Bauwerke, die
unter ihm im „romaniſchen“, d. h. deut⸗
ſchen Bauſtil entſtanden und den Span⸗
nungsbogen ſeines Reiches ins Bewußtſein
rufen: durch den Dom zu Speyer im Weſten
und den Dom zu Aquileja im äußerſten
Südoſten. Dr. Gerhard Krüger
Ein Maler der Nehrung
Nur wenige Maler haben ſich der herben
Landſchaft des ao ewidmet. Dank⸗
barer und „maleriſcher“ ſcheinen die Berge
des Schwarzwaldes oder die ka elle Fel⸗
ſen der Dolomiten zu ſein. Daß obendrein
ein Maler aus dem farbigen und bewegten
Rheinland in den Oſten zieht, um hier die
groben Themen für feine Palette zu fins
en, wird manchen verwundern. Carl
Knauf, der in Godesberg am Rhein ge⸗
boren wurde, alſo eigentlich eine zone inet,
der Lieblichkeit (üben mikte, wirkt feit
1924 in Nidden auf bet Kuriſchen Nehrung.
Er gehört zu un Malern, bie in bet
Landſchaft nicht eine möglichſt effektvolle
und intereſſante Kuliſſe ſehen, ſondern die
dem Weſen und dem Werden der Land⸗
Haft nachgehen. So findet Knauf in der
inſamkeit der HN ig Landſchaft
Kräfte und Kontraſte, die für manchen, der
den Oſten als nüchtern und langweilig
bezeichnet, eine e d Die Schön⸗
heit und Bewegtheit der Memelniederung
qu deuten, ift nur Künftlern möglich, die
nnerlich dieſer Landſchaft angehören, die
ch mit ihr i haben und
ie ihre Macht, nicht ihren „Reiz“ erfuhren.
Carl Knauf hat in ſeinen Bildern viel
von der EE dieſer Landſchaft, die de
nicht ſchwermütig verharrt, ſondern fid
mit Sturm und Froſt, mit ſſer und
Sand zu Ge hat, eingefangen. Er
würde vielleicht größeren maleriſchen Er⸗
folg haben gerade beim deutſchen Publi⸗
kum, wenn er lyriſche Töne anſchlagen
würde und mit empfindſamer Behutſam⸗
keit die derben Fiſcherkähne mit beſchwing⸗
ten Gondeln austauſchen würde. Knauf
ſetzt breite und kräftige Farbſtriche gegen:
einander, ohne in verträumtes Zeichnen
u geraten und diefe 0 aft in der
trichführung und in der 2 er Themen
trägt dem Charakter der Landſchaft in
hohem Maße NIRE Kraftſtrotzend,
wenn auch nicht grob, ſo läßt er das eigent⸗
lich 1 ene Wirklichkeitsbejahende
dieſer Grenzlandſchaft entſtehen. Er ver⸗
mag es auch, aus einer ſonnenüberglaſten
Düne und einem dahinter faſt verſinkenden
Fiſcherhäuschen nicht nur die Stimmung
der Sommerglut, ſondern auch die Stimme
einer Landſchaft hervorzuzaubern.
Was geschieht mit gelesenen Heften?
Täglich erhalten wir zahlreiche Zuſchriften mit der
Bitte um Überſendung von Heften zur Ergänzung von
ee e Dank der ſtändig wachſenden Be⸗
d erzahl find has die Auflagen vergriffen.
ir benutzen daher den Anlaß der Beilage des Halbe
jahres - Inhaltsverzeichniſſes 1939, unfere Lefer zu
bitten, möglichſt alle Hefte ſelbſt aufzuheben. G. K.
Hauptschriftleiter: Günter Kaufmann.
Anſchrift der Schriftleitung: Reidsjugendfiihrung, Berlin W 35, Kurfürſtenſtraße 53. Fernſprecher: 22 90 91. —
Verlag: Franz
ſcheckkonto! Berlin 4454. Verantwortlich für den Anzeigenteil: Ulrich Herold
Pl. Nr. 8. — Druck: M. Müller & Sohn KG., München; Zweigniederlaſſung Berlin SW 68, Dresdener
Straße 43. — „Wille unb Macht“ erſcheint am 1. und 15. jedes
po durch bie Poft und alle Buchhandlungen. Bezugspreis vierteljährlich 1,80 R
eſtellung von 1 bis 3 einzelnen Nummern bitte den Betrag in Briefmarken beizulegen, da
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Eher Nachf. G. m. b. H., Zentralverlag der NSDAP., Berlin SW 68, ee Ln
Toit:
erlin. — 11. Bj. 1939:
onats und ijt zu beziehen durch ben erring
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Wille Macht
Führerorgan der nalionallo z ialiltiſchen Jugend
HERAUSGEBER: BALDUR VON SCHIRACH
Sabresans 1030
1. Halbjahr
Inhaltsverzeichnis
Hanptſchriftleiter: Günter Ranfmann, Neichsjngendführung, Berlin 2835
Rurfürftenfiraße 53 — Verlag: Zeutralverlag ber NO AR., Berlin (92868
1. Halbiabr
Große Beiträge
Brehm, Bruno: Es wird Frühling in Prassss ees e eee enees
Brinon, Fernand de: Deutſch⸗franzöſiſche HoffnungennnNmdmdnmdd”sn
Cueſta, R. Fernandez: Die nationale Revolution in Spaniens
Darré, R. Walther: Die große Frage an bie deutſche Jugend
Diettrich, Fritz: Vom ewigen Auftrag des Dichters
Faupel, W.: Eine Tradition in unferer Freundſchafæ UUU!UUh„
Fiſcher, Werner A.: Außenpolitik und Weltwirtſchaf lll.
— Großdeutſchlands Wirtſchaft auf dem Wege zur Freiheit ....... Lennun
Grok, Dr. Walter: Landflucht und Kinderarmut 3%
Grunow, Ernſt: Die Jugend im Oſtſeeraumnnnnnmununmnumnun— 7 w
Haidn, Matthias: Bietet der Verſtädterung des Landes Einhalt! ..................
Hymmen, Friedrich W.: Deutſche Kunſt in Prasssz eee
Jordana, Graf von: Außenpolitik im nationalen Spanien ........................
Kaufmann, Günter: Von den erzieheriſchen Kräften der Völke nnn
Keller, Sepp: Vom Tagewerk im Märg
Lange, Friedrich: Oſten heißt Zukunft æ
— Schau in neues Reichslaee se
Lerſch, Heinrich T: Der Arbeiterdichter Alfons Petzoldü e..
Müller, Heinz: Heldendichtung in Spaniieunnnnndannd¶ssssss nn
Neumann, Dr. Ernſt: Deutſcher Sieg an der Memeeulull cee eens
Proksch, Rudolf: Artamaneiiu s
Rehm, Harald: Ewiger Auftrag deutſcher Dichtung 22s.
Reiſchle, Hermann: Der Zwang zum Handeeodnnnnnn nn
Schäfer, Wilhelm: Theoderich, König des Abendlandes
Schlöſſer, Dr. Rainer: Die Notwendigkeit des Goen nns
Schmidt, Friedrich: Bäuerliche Volksordnung — oder Tmiꝛ .
Schwitzke, Heinz: Was die europäiſchen Völker erzähleensss .
— Die zukünftigen Aufgaben der Muſi kk Ee IA
Suñer, Ramon Serrano: Die politiſchen Ideen Francos
Wittſtock, Erwin: Ein Bekenntnis der Jugend Siebenbürgen sss
Die Jugend ufo, ⅛ðᷣͤ
* Unter dem Kretiſchen Doppelbeil˖a/—lXrru nnn
Die Wacht bes Lande 8
e Die nationale Jugend in Bulgarieexsdssassasin e
eee Der Weg zur Staatsjugend in Jugoſlawinnndnnnsnnnnnssssss nennen
que Dir aich , ð V ha dae odere uode
Die ,,cevente Jugend der Unga nnn se eons
eee Jugend im Frankreich der Dritten Repub li ꝝꝝꝝꝝꝝꝝnini .
“Die ShWeizer ß tdi pe ERREUR ER INIT PE
*** Staat und Jugend in England `...
ene Die Jalange Jugend ,, ]ↄ ]7i ¾ x PE te d ap edens
danken junger ieee. uhr,
Die Jugend ini d ð ᷣ 8
die age Des mMNüttedb es poten Eee E
Bühne und Film
Heft
Hollywood erklärt den Krieg 12 Wandlungen diesſeits der Rampe
2
Nandbemerkungen
Heft | Heft
Friedrich Nietzſche in ber antideut⸗ Sie können das Mauſen nicht laſſen 4
ſchen Propaganda agg. 4
Erleſenes Heft
Vom Bauernſtaat zur Weltſtadt (Überf. Dr. Hellmann . 5
s or. ⁵ ⁵⁵ᷣòqdwC &
weierlei Wohnen (Aus: von Kügelgen „Jugenderinnerungen eines alten Mannes“).
(Aus einem Brief der Anette von Droſte⸗Hüls hoff
Das hohe Lied vom Bauernſta 7 6
Von der Staatsweisheit Theoderichs des Großen (bert, Fijher) .......a.ennaanana 9
Hans Pfitzner an die Schaff endend 8
Sonderhefte Heft
end e ⁰⁰⁰yd 2/3
%% ĩ RG(“t“kGſPGGſGThdTTGdhGſGſGGSpddd 8 4
Landflu Séch I...... y (y 5
eit ⅛ v:W- y y ee ren aie 6
i fl.... y 8 8
M/ ðͤ y ſ ddddddddddddddddddddddd uene CK 12
Außenpolitiſche Notizen
Heft Heft
rankreich um die Jahreswende. 1 Die Quadratur des Zirkels 5
uchelei um einen Mörder 1 Karpato⸗Ukraine bel fi 3 5
njunktur jus folonialImátfen .. 1 Jugoſlawien wendet ich der Innen⸗
Wetterwinkel Europas? .......... 1 politit ju VVV 5
Neueinrichtung eines Staatsgebändes 1 Italien blickt nach Frankreich. 6
e Spannung im Mittelmeer und Die Reichsidee und Europe 7
die reich VFC 2/3 Memels Heimkehr ................ 7
Branteei de Scherben 4 Autonomie im ungariſchen Staat. 7
nglands Wünſche für Spanien. 4 Belgiens Staatsſchiff ſucht die Mann⸗
Die Phaſen bes ſpaniſchen Krieges. 4 !! 8 7
aiver Imperialismus in Ibero⸗ Will es John Bull riskieren? ...... 9
Aerea inet 4 Vor neuen Entſcheidungen ........ 10
die Auswanderung der Juden aus Das albaniſche Vorwerk der Italiener 10
Deutſchladdz . 4 Dr Notausgang 10
Auferſtehung des Kalifen 4 ie verblendete „Großmacht“ 11
Rärzwinde um Afrita ............ 5 Briten über den Wert ihres Empire 11
Kleine Beiträge
Heft Heft
Auf den Spuren deutſch⸗ſpaniſcher Bläſermuſik — ein Anliegen der
N chichte 5 : T TUNE 5 1 Jugend Reg sepes eeh esta
aniens Frauen helfen mit! i
= Ge| EEN und bie : en adi" GE ara a Ge
unge Generation .............. N
Katholische Aktion bes Geijtes .... 5 Stephan Ludwig Roths letzter Brief 9
Berge und Menſchen der Smart 8 Heiter ift bie Runft ................ 10
Go wird es gemacht „ 6 Der Maler Adolf Keßler 10
Die Muſik⸗Erziehung der HI. ...... 8 Heroifhe Landſchafte n 11
ſit und Geſe zz 8 Belgien ehrt einen deutſchen Maler 12
ne Kriſe des Konzertweſen .... 8 Eberhard Vieg ene 12
Gedichte Heft
Damh, Martin: Rufe aus Danzig: An dem großen Strom — Die Glodennadt ...... 8
Diettrich, Fritz: Lied am Herde Ew 5
% ˙ð ²³²U!“³ ¾ ⁊ꝓ "———————— 7
o · V 12
Gitettner, Hans: An den Großvateee nk... . 11
Jünemann, Wolfgang: Olympiſche Sonette: Der Kampf. Die Tat. Der Befehl 1
Möller, Eberhard Wolfgang: Prolog: Heitere Viſinunn᷑:nn «n Bÿ1ÿ 12
Petzold, Alfons: Wolke am A bed nennen 12
, TTE 12
Schwitzke, Heinz: Der Wettſtreit der Inſtrumentteækοkk. 4 8
Weinheber, dee eee 88 6
Neue Bücher Heft
ohlbaum, Nobert: Stein, der Roman eines Führers eee ees 1
lund, Hans Friedrich: Deutſche Heldenſageeennnnnndndndddꝑ 1
Brehm, Bruno: Die Grenze mitten durch das Herr.. nenn 1
artmann, Wolf Juſtin: Durft „„ 1
Ipbonje de Ehateau:Briant: Geballte Kraft kk . 1
eig, Friedrich: Die Wunde Europass 1
egere großer Hausatlas `... 1
(Serausg. v. Dr. Erich Grigbad): Hermann Göring, Reden unb Aufſätze 4
oedemener, Friedrich Karl: Rede und Vortra as. 4 4
Keller, Sepp: Zwiſchen Nacht unb Ton... 4
Handatlas für bie Sitlersugenb `... 6
ColumbussErdglobus `... d
indner, Werner u. a.: Das Dorf, feine Pflege und Geſtaltunn ggg 6
flug, Hans: Lob ber deutſchen Landihaft ............ cece ee cece II 6
enner, Hans: Das Wunderreih bet Oper EE 6
(Herausg. v. Generalinipeftor | t bas deutſche Straßenweſen): Fünf Jahre Arbeit
an den Straßen Adolf Hitlerrꝝ . . 6
offel, Annemarie: Es blüht in beut[fen Landen eens 7
edel, Adolf: Der runde Bogen .. 0.0... cece cece cece HH een 1
emcter, Karl: Großdeutſche Stimmen 1848/9929992 n 7
Lange, Dr. Dr. Friedr.: Der Weg zur deutſchen Einheit eue 7
Samb, Martin: An dem großen Stromůwmum ww nenne 8
(perans im Daten ber RIF. von Guido Waldmann): Rafe unb Mufll ........ 8
ößler, Friedrich Wilhelm: Fragen einer Stimmerziehung für Jugend und Volt .... 8
erausg. vom Zentralverlag der NSDAP.): Prachtausgabe „Mein Kampf“ ...... 3
erausg. von Herbert Kias): Der Dom zu Meigen `... d
riegk, Dr. Otto: Krieg Dee ðVſſſ y 10
Schrifttum zum Sugenbredft `... 12
Tumler, Franz: Der Soldateneiid eee 12
v. Wedel, Pajor Haſſo: Das großdeutfche geet... 12
— Wehrerziehung und Volkserziehunnã g . 12
(Monatsſchrift): „Berlin—Rom— Totkiohauhu 0... ccc cece III 12
(Herausg. von Carl Peterſen u. a.): Handwörterbuch des Grenz⸗ und Auslands⸗
den eine %% yd MOS Su raat ea tae onsen 12
Meyers Lexikon Band] 6 ccc cc cece hne meet 12
(Heraus .2.9. Salis u. 5. Shworm): Deutſche Dichter unferer Zeit ............ 12
ippel, Gerhardt: Dichtung der jungen Statiól SEH 12
Wanderſcheck: Dr. Hermann: Deutſche Dramatik der Gegenwart .................... 12
Eschmann, E. W.: Griechiſches Xagebud ........... cece cece 334 12
oddel, Peter: Lachendes Handwerk es eeeee eee eee, ee 13
Heransg. v. d. RIF): njer Qieberbud `... 12
tbig, Karl: Die Exerzitiiůe sss 18
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Fahrrad auf der Lenkstange befestigt werden. Die Geschwindigkeit kann also jederzeit bequem während
des Fahrens abgelesen werden. Aber noch mehr: das VDO Fahrrad-Tachometer ist gleichzeitig
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veranstalten zu diesem Zweck ein Preisausschreiben, an dem jeder deutsche Junge teilnehmen kann.
Die Preistrage lautet:
Warum wünsche ich mir ein VDO Fahrrad-Tachometer !
Einsendungsschluß ist der 24. Juli 1989 (Datum des Post-
stempels). Einsendungen dürfen nur auf Postkarten erfolgen
(Briefe scheiden aus). Die Einsendung muß enthalten: Auf
der unbedruckten Seite der Postkarte nur die Antwort auf die
Preisfrage. Auf der Adressenseite den genauen Absender, dar-
2' Ka " unter, uutis (Tag, Monse Jann. das . zu
2 ` em der Einsender gehört ie engrö ei en
2 Fahrrades (26 oder 28 Zoll; steht auf dem Reifen!) Die Karte
ist zu adressieren an die
VDO Tachometer A.G., Abt. Preisausschreiben
Frankfurt a. M., Kaiserstraße 75 W
Die 6 besten kurzen Einsendungen aus jedem Gebiet werden
mit je einem VDO Fahrrad-Tachometer ausgezeichnet. Die
Preisverteilung erfolgt spätestens am 15. 8. 39. Die Preise
werden den Gewinnern direkt zugeschickt. Die Veröffentlichung
über die erfolgte Preisverteilung erscheint in den Zeitschriften
„Junge Wels, „Der Pimpf**, „Wille und Macht“ ,, Jugend und Heimat“:
Wer bis 20. 8. 89 keine Nachricht bekommen hat, konnte
nicht mit einem Preis bedacht werden.
Das Preisgericht setzt sich wie f zusammen:
Vorstandsmitglied Direktor Josef Strselesyk, Frankfurt/Main
Leiter der Filialabteilung Hans Tsschach, Frankfurt/Main
Justitiar Dr. jur. Konrad Schwappach, Frankfurt/Main
Werbeleiter Helmut Krause, Frankfurt/Main
Die Preisverteilung erfolgt unter Ausschluß des Rechtsweges und ist endgültig. Angestellte der
VDO Tachometer A. G. sind von der Beteiligung am Preisausschreiben ausgeschlossen.
ll Wer das VDO Fahrrad- Tachometer genauer kennen lernen will, lasse sich von seinem
Fahrrad-Händler ein Original-Instrument zeigen und einen Prospekt geben.
Und nun auf an die Lösung! Wer seine Lösung sofort einschickt, vergißt es nicht! Für alle Fälle aber
ist es gut, zu Hause an gut sichtbarer Stelle einen Zettel anzubringen:
VDO Preisausschreiben letzter Einsendungstermin 24. Juli 1939!
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organ der nationallozialiſtiſchen Jugend
HERAUSGEBER: BALDUR VON SCHIRACH
Inhalt:
en für die Einheif der Erziehr `
ir von Schirach: Rufe aus der Hauptstadt des deufschen € `
| 2 Sommerlied — Land, Land | Johs. Stoye: Englands Spiel im
f e Marz: Standortmessung und Bestandsaufnahme | Léon Blum: 5
oe) Dr. M. Fadhil Jamali: Der Beitrag der Araber zur Weltkultur | —
ines grenzdeutschen Dichters | Weimars klassische Stätten | Neue Bücher
E -
" ned EE
nonatsschrift / Heft 14 Berlin, 15. Juli 1939 Preis 30 Pf.
INHALT
Stimmen für die Einheit der Erziehung
Baldur von Schirach: Rufe aus der Hauptstadt des deutschen Geistes
Hans Baumann: Sommerlied / Land, Land
AUSSENPOLITISCHE NOTIZEN
Johs. Stoye: Englands Spiel im Mittelmeer
Josef März: Standortmessung und Bestandsaufnahme
Léon Blum: Jude und Franzose
KLEINE BEITRÄGE
Dr. M. Fadhil Jamali: Der Beitrag der Araber zur Weltkultur
Bildnis eines grenzdeutschen Dichters
Weimars klassische Stätten
NEUE BÜCHER
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—
20
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Wille. Hut
Führerorgan der nationallozialitifchen Jugend
HERAUSGEBER: BALDUR VON SCHIRACH
Jahrgang 7 Berlin, 15. Juli 1939 Heft 14
Stimmen für die Einheit der Erziehung
Das Werk bes Reichsjugendführers „Die Revolution der Erziehung“ und bie
zu ſeinen Gedanken veröffentlichten Ausführungen unſerer Zeitſchriften „Wille
und Macht“ und „Das Junge Deutſchland“ im Dezember 1938 find einem außer⸗
ordentlichen Intereſſe begegnet. Es war nicht der Sinn jener Aufſätze, ein „un⸗
lösbares Problem“ in das Licht einer allgemeinen öffentlichen Diskuſſion zu rücken,
ſondern die über die Einſtellung der Hitler⸗Jugend zur Schule herrſchenden Miß⸗
verſtändniſſe zu beſeitigen und die revolutionäre erzieheriſche Idee, die in der
Zukunft überall zu verwirklichen wir uns vorgenommen haben, jedem verſtändlich
in machen. Das dreijährige Werk der vom Führer ſelbſt gegründeten Adolf⸗Hitler⸗
Schulen hat gezeigt, wie erfolgreich die praktiſche Anwendung der gegebenen
etzieheriſchen Grundſätze auch im Bereich des täglichen Unterrichts Anwendung
findet. So hat ſich mit dem Begriff von der Einheit der Erziehung ein pofitives
Programm der Hitler-Iugend für die Schule verbunden mit dem Ziele,
aus der Begeiſterungsfähigkeit und Bereitſchaft der Jugend zur Selbſtverant⸗
wortung ähnlich den Beſtrebungen im Reichsberufswettkampf nun auch in der
Schule eine Leiſtungsſteigerung zu erwirken. Die Gedanken Baldur von Schirachs,
don manchen früher nicht verſtanden, ſind heute zur Grundlage der künftigen
Aufbauarbeit in allen Kreiſen unſeres Volkes geworden, die ſich mit der Er⸗
ziehung der Jugend mittelbar oder unmittelbar beſchäftigen. Eine Einheitlichkeit
in der Auffaſſung wurde ſomit erzielt, welche die erſte Vorausſetzung für alle
völlig neuartigen Maßnahmen fein muß. Zu einer ſolchen Feſtſtellung können
wir nun nach einigen Monaten, in denen dieſe Gedanken ihren Niederſchlag
gefunden haben, glücklicherweiſe gelangen. Aus allen Teilen der Erzieher⸗
Watt von jungen und alten Lehrern find uns begeiſterte Zuſchriften ein
| gelandt worden, und wenn jemand unjete Ausführungen im Dezember mik»
dertändlich auslegen wollte, fo ijt die Stimme der Erzieher und das weitverbreitete
2 Stimmen für die Einhell der Erziehung
Gefühl einer einheitlichen Auffaſſung von Jugendführung und Lehrern ſtärker |
geworden. :
Die im RNeichsführerlager zu Braunſchweig vom Reichsjugendführer bekannt⸗
gegebene Gründung einer Arbeitsgemeinſchaft der 5J.⸗Lehrer ijt ein weiterer
Beitrag für eine praktiſche Anwendung unſerer Ideen. Der Reichsjugendführer
erklärte, daß er dieſe Gründung allen Lehrern ſchuldig ſei, die nun ſeit Jahren in
der Hitler⸗Jugend mitarbeiten und ſelbſt an der Formung und Geſtaltung der
neuen erzieheriſchen Ideale tätig mitgewirkt haben. Die neue Arbeitsgemeinſchaft
wird ſchon darum allſeitig begrüßt werden, als ihr eine wertvolle Mittlerrolle
zwiſchen den einzelnen Erziehungsträgern im Dienſte einer künftigen Einheit der
Erziehung zufallen wird.
Wir können aus der Fülle der uns zugeſandten Briefe hier nur einige veröffent⸗
lichen. Eine Anzahl von Zeitungsäußerungen und Ausführungen in Zeitſchriften
ſowie die Gedanken einiger Reden ſollen darüber hinaus veranſchaulichen, wie ſehr
das Verſtändnis dafür gewachſen iſt, daß die in der Hitler⸗Jugend bewährten er⸗
zieheriſchen Ideale auch in der Schule ihren allgemeinen poſitiven Einſatz erfahren
können. Im Dezember haben wir ſelbſt das Wort ergriffen, heute wollen wir
andere ſprechen laſſen, womit wir nur den einzigen Zweck verfolgen, die praktiſche
Zuſammenarbeit zwiſchen Lehrerſchaft und Führerſchaft der Hitler⸗Jugend in allen
Dörfern und Städten des Reiches im Bewußtſein eines gleichen und neuen er⸗
zieheriſchen Ideals zu ſtärken und zu feſtigen.
Antworten deutscher Lehrer
„Unrettbar muß unſer heutiges Gdjulipitem mit feinen zahlreichen veralteten
Bindungen über Bord gehen, ſoll der deutſche Nachwuchs den großen Forderungen
gerecht werden, die die Zukunft an ihn ſtellt. Es handelt ſich nicht darum, einen
mehr oder weniger billigen Weg der Zuſammenarbeit von Volksſchule und Staats:
jugend zu inden... Geſetze, die dem vorigen Jahrhundert recht waren, können
heute keinen Sinn mehr haben. (J. B., ein Lehrer aus der Kurmark.)
‚über Ihren Aufſatz im Dezemberheft von ‚Wille und Macht“ habe ich mich ſehr
gefreut. Denn damit wird endlich einmal die Forderung auf Totalität in der Erziehung
unſerer Jugend auch für eine größere i ſichtbar geſtellt. Wir — mehrere
Kameraden und ich — bemühen uns ſchon ſeit Jahren um praktiſche Durchführung der
Forderung.“ (Lehrer K., Städtiſches Volksbildungsamt in D.)
„Ich habe mit ſtarker Anteilnahme und Zuſtimmung Ihren Aufſatz ‚Die Schule
von morgen“ in Ihrer Salben et geleſen. Vor allem das eingangs geſchilderte
Beiſpiel eines idealen Schulbetriebes hat mich ſehr gefeſſelt, da es meinem eigenen
ziel durchaus entſpricht. Derartige Lehrer wie den von Ihnen geſchilderten Lehrer
chmidt gibt es ganz ſicher, und dies wird der Typus des Erziehers von morgen
ſein, aber der heutige Hitlerjunge wird in vielen Fällen vergebliche Ausſchau
an Und doch wäre es ein großer Schritt vorwärts, wenn auch heute ſchon bie
ugend von fih aus mit der überkommenen und zum großen Teil durch Schuld der
Nehles bedingten „‚Schülermoral' bewußt Schluß machen könnte und damit ein
neuer Geiſt des Vertrauens und kame radſchaftlicher Zuſammenarbeit vielerorts
einzöge, wo bisher verborgene Feindſchaft, Arger und mancherlei Verbitterung
hemmend im Wege lagen.“ (Dr. P. S., Lehrer in Sachſen.)
Stimmen für die Einheit der Erziehung 3
Ein „Dorfſchulmeiſter aus dem allerletzten Winkel des Bayeriſchen
Waldes“ ſchreibt: „Was mich an dieſen Ausführungen ſo freudig erregte, war,
daß ſie mir meinen jahrelangen, ſo oft falſch verſtandenen Kampf in dieſer Hinſicht
auf ſeine Richtigkeit beſtätigen. Ich konnte dieſen Kampf nur durchhalten in
meinem grenzenloſen Glauben an die Hitler-Jugend.“
Ein Lehrer aus Dresden ſchreibt an den Reichsjugendführer:
„Ihr Buch Revolution der Erziehung‘ war mir als Lehrer in einſamem Kampf um ein
idealiſtiſches Erziehertum ein ſeltener Kraftquell. Bitte bauen Sie mit Ihren bewähr⸗
teſten Kameraden und den idealiſtiſchen Lehrern eine neue einheitliche Jugenderziehung
auf, die Jugendbewegung und Schule völlig verſchmilzt.
„sch kann mir Ki vorſtellen, bab ein Student unſerer Hochſchulen, der in der
Hitler⸗Ingend nicht ee war, eine Einheit zu führen, einmal ein guter Erzieher
wird. Wir verlangen halb, daß jeder, der Lehrer werden will, ſeine Erzieher⸗
Bee wae n ber $3. bewieſen hat; denn ſtudieren kann man Ingend⸗
(Stimme aus ber HJ.⸗Kameradſchaft einer Hochſchule für Lehrerbildung.)
„Ich verkenne durchaus nicht, daß wie überall auch am Schulmeiſter mancherlei
auszuſetzen war und ip Ich wünſche zwar keineswegs, als einer Den zu
werden, der fidh verteidigt, ohne augen ie zu EA dod) muß ich in aller Deutlich»
feit Série hinweiſen, daß vieles dem Schulmeiſter Vorzuwerfende unb Vors
geworfene durchaus nicht in ihm ſeine Urſache hat, daß er vielmehr in der Aus⸗
einanderſetzung mit unglücklichen und völl unzulänglichen ſchul⸗
organiſatoriſchen Gegebenheiten de oftmals in eine ſcheinbare
Haltung . „die ihm gar nicht eigen iſt, deren Mangelhaftigkeit
er erkennt, und um deren Beſſerung er ſich ernſtlich müht. um nur auf eines hinzu⸗
weiſen, was Kaufmann in ‚Die Schule von morgen’ andeutete: Es iſt durchaus
nicht als Verſagen der Einwirkungsfähigkeit auf die Klaſſe anzuſehen, wenn die
Kinder die Bänke beſchnitzen u. ä. Vielmehr liegt der Grund in den unglücklichen
Bänken ſelbſt, die als völlig lebensunwirklich und in der Schule überkommen, den
py Hb de in eine unfinnige Starre zwingend, erkannt find, von dieſen mehr
un
ewußt abgelehnt werden.“ (F. G., Lehrer in Hamburg.)
Der Leiter einer Waldſchule ſchreibt: „Der Elternſchaft habe ich die
Gedanken, wie fie in ‚Mille und Macht' herausgeſtellt worden find, wiederholt
vorgetragen. Mündlich und in Zuſchriften haben mir die Eltern ihr Vertrauen
ausgeſprochen und fid zu den Erziehungsgrundſätzen, die wir als HJ.⸗Führer
vertreten, bekannt. ‚Wille und Macht“ hat uns, die wir hier im täglichen Klein»
krieg um unſere „Duldung“ ftehen, erhöhten Antrieb gegeben, auf unſerer Arbeit
und Haltung zu beharren.“
Aus einem Schreiben eines u künftigen Lehrers, der augenblicklich feine
Wehrpflicht ableiſtet und offenſichtlich unſere erzieheriſchen Ideen als ideal betrachtet
ohne noch an ihre Verwirklichung zu glauben.
„.. Nun zu dem ‚Wille und Macht'⸗Heft, das ich natürlich mit größtem Intereſſe
gelejen habe. Im ganzen genommen zeugt das ganze Heft ja von viel gutem Willen und
viel Idealismus zur EE Beſonders ber Leitaufſatz von Kaufmann ſchildert
ja ein Ideal, ein Marden, das vielleicht zu märchenhaft ijt, um Wirklichkeit zu werden.
Denn er verlangt von den kleinen Kerlen z. B. (10 Jahre), aus eigenem Antrieb das
Abſchreiben zu unterlaſſen. Er behauptet, der gleichaltrige Jungenſchaftsführer trifft die
erg unb alles leiſtet ihm ſelbſtverſtändlich Folge’. Sft das nicht etwas febr übers
trieben? Go ſchön bas fein würde, ich 1 nicht daran. ‚Er baff afür, daß, wo ſich
Anſätze zur Unehrenhaftig keft zeigten, die e benjenigen zur Bers
antwortung zog.“ Da verlangt er wohl etwas fehr viel von dem 10jährigen Jungen.
& Stimmen für die Einheit der Erziehung
Alfo mit der Selb itecron twa BL AL es doch noch ſehr weit im Felde gu fein. So
ſchön es auch wäre. Sonſt ift der Artikel prima, richtig die Verbindung von H J.⸗Führer
und Lehrer und die Stellung des Nachwuchſes aus der HI., aber da «bit wohl noch viel
Er eee dazu. Und er ſagt ja ſelber: vorläufig noch Idealbild!
r gefallen on. mir ber Auflag von Haupt: ,Crfolg bes Unterrichts“ Der Antrieb
dui. em Seeliſchen, aus der erweckten Begeiſterung, gibt den Anſtoß zu großen und
wirklichen Leiſtungen überall. Und EIER E des 1 iſt es, Begeiſterung zu
erwecken. Aber das ijt keine Erfindung der HI. Sie ſtellt bloß bie Sache wieder mal in
den Vordergrund und das iſt ſehr KN. jo. — Dee Sehr optimiſtiſch und wert,
zu verſuchen und dran zu arbeiten .
„Mit freudiger Zuſtimmung haben wir Junglehrer und HJ.⸗Führer die genialen Bors
ſchläge des Reichsjugendführers zur ulreſorm aufgenommen, haben wir doch die
Notwendigkeit einer Reform in unſerer Schulſtube täglich gespürt.“
(Ein Lehrer aus dem Vogtland.)
„Ich habe mit großer Begeiſterung Ihren Bericht in der HJ.⸗Schrift „Wille und
Macht“ geleſen. Das, was mir bisher noch unklar in meiner Zielſetzung war, wurde
darin klar ausgeſprochen.“ (B. G., Studien referendar in Liegnitz.)
„Lehrerſchaft und HJ.⸗Führerſchaft müſſen ſich nun ganz feſt zuſammenſchließen —
55 eine allzu ſtarre organiſatoriſche Trennung! Viele HJ.⸗Führer könnten heute
ſchon — anſtatt der alten, penſionierten Lehrer! — in die Schularbeit eintreten.“
(Hauptlehrer T. in einem Dorf der Nordmark.)
„Ich empfinde das Buch bes Reihsjugendführers als einen Cntidjeibungsrul
an bie Lehrerſchaft. Wenn eine Revolution vorbereitet werden jol, müſſen Späne
fliegen. Alle Schmerzen und Wehen der Geburt eines Neuen muß bie Übergangs-
generation ertragen. Sie darf dafür von Grund auf das Neue bauen, was mehr
wert iit, als alte Schläuche zu flicken.“ (P. O., Mittelſchullehrer in Hamburg.)
*
Beſonders herzlich gab feine Zuſtimmung der ſächſiſche Gauamtsleiter des
NSLB. und Leiter des Kultusminiſteriums in Dresden, Arthur Göpfert, kund.
Er ſchrieb dem Reichsjugendführer auf Grund der Rede über die „Einheit der
Erziehung“, die im Werk „Revolution der Erziehung“ zu leſen iſt: „Sie haben
den ſächſiſchen Lehrern und ſicher auch den anderen mit der Weimarer Rede eine
große Freude gemacht. Wir danken Ihnen alle dafür. Was Sie mir perſönlich
gegeben haben, können Sie ermeſſen.“ Als ein verheißungsvolles Anzeichen
kommender enger Zuſammenarbeit iſt Göpferts Erlaß im „Verordnungsblatt
des Sächſiſchen Miniſteriums für Volksbildung“ zu verſtehen, der unter ausdrück⸗
licher Bezugnahme auf unſere grundſätzlichen Darlegungen in „Wille und Macht“
von den Schülern eine größere Sorgfalt bei ihren Hausarbeiten verlangt. Es
kann nur von Nutzen ſein, wenn jeder Junge das Bewußtſein hat, das Führer⸗
korps der HJ. ſieht es nicht etwa als zünftig an, die Schularbeiten abzuſchreiben
oder überhaupt nicht auszuführen! Im Gegenteil, es iſt von Baldur von Schirach
wiederholt betont worden, wie wenig eine regelmäßige Pflichterfüllung in der
Jugendbewegung wert iſt, wenn ſie nicht auch außerhalb der Dienſtzeit das tägliche
Leben des Einzelnen beſtimmt. Daß Schularbeiten nun nicht etwa unter
Hintanſetzung des HJ.⸗Dienſtes gründlich auszuführen ſind, darüber dürften durch
die letzten Verordnungen zum $3.-Geje& auch die letzten Zweifel behoben fein.
Stimmen für die Einheit der Erziehung 5
Laut „BB.“ vom 28. Dezember 1938 erklärte Prof. Baeumler in der Reichs⸗
ſchule bes NSLB. in Donndorf in Übereinſtimmung mit unſeren Ausführungen
über die Aufgabe der Schule: „Die Schule hat demnach ihre erzieheriſche Aufgabe
ſtets vom Unterricht aus zu ſehen.“
: *
An bieler Stelle fei noch ein Teil der Rede von Miniſterpräſident Klagges, der
ſelbſt als Lehrer tätig war, wiedergegeben, gehalten zu Beginn des Reichs⸗
führerlagers der HJ. am 14. Mai 1939 in Braunſchweig:
„Es iſt wahrlich kein Kleines, die politiſche und weltanſchauliche Schulung der
geſamten deutſchen Jugend anvertraut zu bekommen. Damit iſt die Hitler⸗Jugend
als eine neue große Erziehungsmacht nun für alle Zeit im deutſchen Volke ver⸗
ankert. Sie tritt damit an die Seite der alten Erziehungsmächte, vor allen
Dingen des Elternhauſes und der Schule, und fie tritt in mancher Hin:
ſicht an die erſte Stelle unter ben Erziehungskräften in
unferer Nation für die Jugend. Es hat Leute gegeben, die zunächſt den
Kopf geſchüttelt haben, als ſie hörten, daß nun die Jugend ihre Selbſterziehung
in eigene Hände nehmen fole; und wahrlich, es war [don eine Revolution, biefer
Gedanke unſeres Führers. Es war etwas bisher noch nie Dageweſenes und
nie Erprobtes, und fo kann man es jenen nicht übelnehmen, wenn fie zunächſt
. pweifelten. Heute find diefe Zweifel behoben! Ihr habt durch eure Arbeit bes
- wielen, daß der Führer auch in dieſem Punkte hundertprozentig Recht gehabt
hat, und ihr werdet dies in Zukunft, nunmehr als Pflichtorganiſation, erſt recht
beweiſen. Manche fragen ſich: wozu brauchen wir denn dieſe neue Erziehungs⸗
macht, genügte denn nicht die alte? Welche beſonderen Aufgaben hat die Hitler⸗
Jugend als Pflichterziehungsorganiſation für alle deutſchen Jungen und Mädel?
Es braucht niemand Konkurrenz zu befürchten, denn die Hitlers
Jugend hat es nie auf ihr Panier geſchrieben, etwa Philologen ausbilden zu
wollen oder gar Theologen, oder aber auch für irgendeine andere Wiſſenſchaft
oder einen anderen Beruf auszubilden. Nein, die Hitler⸗Jugend hat einen Auf:
trag, und der lautet: junge Nationalſozialiſten zu erziehen! Das ift die große
Aufgabe unſerer Zeit, und wir alten Kämpfer des Nationalſozialismus find
dankbar, daß eine Formation beſteht, die dafür ſorgt, daß wir niemals
fürchten müſſen, daß nach uns eine Lücke käme im deutſchen Volke, in ſeiner
politiſchen, weltanſchaulichen Führung und Haltung.“
Das Verständnis der Presse
Zahlreiche Preſſeſtimmen wirken klärend und zeigen, wie unſere
Initiative verſtanden fein will! So ſchreibt Dr. von Leers in der „NSR.“ (19. LI
„Viel berechtigter und ernſter iff der Vorwurf, daß bie Leiſtungen der Volts:
ſchulen, aber auch der höheren und mittleren Schulen, zurückgegangen feien. Dieſe
Tatſache kann einfach nicht beſtritten werden. Nur datiert dieſer Rückgang ſchon
aus der Zeit des Krieges mit ihrem gänzlich geſtörten Schulbetrieb, dann aus
6 Stimmen für die Einhelt der Erziehung
der Zeit ber marxiſtiſchen Schulexperimente — mit Mühe haben wir den Rückgang
einigermaßen auffangen können. Völlig zum Stillſtand gebracht iſt er noch lange
nicht. Nun können wir Deutſche unter gar keinen Umſtänden uns ein Abfinken
unſerer geiſtigen Leiſtung geſtatten. Der Facharbeitermangel würde unbehebbar
werden, Techniker, Ingenieure, Wiſſenſchaftler aller Art dem Auslande gegen⸗
über unterlegen werden, wenn nicht eiligſt die Schulleiſtungen wieder geſteigert
werden.“
*
Der „Würzburger Generals Anzeiger“ vom 21. Dezember 1938 ſchreibt:
„Die Distulfion pei en $3. und Schule ijt eröffnet und aus bem Nebeneinander ver:
| iedener Kräfte der JIugenderziehung fol eine feitgelügte Femeinſchaft von Jugend:
hrern und Lehrern für die Einheit ber Erziehung werden.“
In der „Aſchaffen burger Zeitung“ vom 19. Dezember 1938 heißt es:
„Aus allem ergibt ſich eine Verantwortung, der ſich gewiß niemand entziehen
kann. Die Vorſchläge der Hitler⸗Jugend begegnen fih mit den Beſtrebungen des
Staates und auch dem ernſthaften Bemühen der Lehrerſchaft, die ſich der Zuſammen⸗
arbeit gewiß nicht verſchließen. Das Ziel iſt ein Erzieherſtand, der, aus der
nationalſozialiſtiſchen Jugendbewegung hervorgegangen, mit den Erziehungs⸗
grundſätzen des neuen Staates unzertrennlich verbunden iſt und um das Anſehen
und die Anziehungskraft ſeines Berufes nicht beſorgt zu ſein braucht. Gefordert
wird die Leidenſchaft und wahre Begeiſterung des echten Erziehers“. Dieſer die
noch fehlenden Vorausſetzungen zu ſchaffen, iſt um der Jugend willen eine Auf⸗
gabe, die den Einſatz lohnt. Allein von dem großen Ziel, der Geſtaltung kommender
gemeinſchaftsfähiger Generationen, wird das Verhältnis von Hitler⸗Jugend und
Schule beſtimmt.
SC a „Dresdner Nachrichten“, Dresden, vom 15. Dezember 1938 wird aus:
geführt:
„Der dritte Fragenkreis endlich, der durch das sang tamm der Men
berührt wird, hat das Verhältnis von Lehrer und Jugendführer zum Inhalt. Obwohl
heute bereits 5 Prozent aller Lehrer aktiv in den Reihen der Hitler⸗Jugend ſtehen (bei
der . Überalterung des Berufes ein Ki beachtliches Ergebnis!), beitebt im
Grunde doch ein Nebeneinander der Erziehungsträger in Schule und Jugend⸗
organiſation. Das ſoll in Zukunft anders werden. Der junge Lehrer wird künftig aus
der HJ.⸗Arbeit hervorgehen und fih in ihr bewährt haben müſſen. In Sachſen ift man
dieſem Ziel durch kluge Maßnahmen bereits ein gutes Stück nähergekommen und hat
dabei wertvolle und durchaus ermutigende Erfahrungen gemacht. (Erit die Verbin⸗
bung von Jugendführer und Lehrer | att die Vorausſetzungen
u einem tiefen pädagogiſchen Einwirken auf die Seele und ben
harakter der jungen Menſchen. Wenn dieſe Verbindung einmal nicht mehr
den Idealfall, ſondern die Regel darſtellt, ergeben ſich erzieheriſche Möglichkeiten von
größter Tragweite. Erſt dann wird ein wirkliches Vertrauensverhältnis zwiſchen Lehrer
und Schüler geſchaffen ſein, das die Ausmerzung gewiſſer Übel geſtattet, die faſt ſchon
zu Gewohnheit geworden find.“
Das im Raum der wiſſenſchaftlichen Fachzeitſchriften febr kämpferiſch geführte, Hoch:
wertige Organ „Geſetzgebung und Literatur“ ſtellt im Januar 1939 feſt:
„Daß die Einfügung des Schulweſens in den neuen mannſchaftlich gegliederten Raum
der deutſchen Volksordnung ſich nicht ohne Schmerzen vollziehen würde, war voraus⸗
zuſehen; denn das e Gefüge unſeres politiſchen Lebens iſt der Schule
urſprünglich fremd. Im Uriprung ber Schule ſtanden Kirche und Staat. So wurde ſie
eine Einrichtung von oben Der, aufgehängt in deren Inſtanzen. Die Schule der Gegen:
wart iſt dabei, den Grund unter den Füßen zu gewinnen, den ihre beſten Pädagogen
und das ſind die Lichtpunkte der Schulgeſchichte, nicht nachlaſſend ſuchten. Unſer ampf
— eee — RR
eres ee — ———— ——
Stimmen für dle Einheit der Erziehung 7
um die gefolgſchaftliche Erfüllung der Schulformen iſt ſchon längſt kein Geplänkel um
Schul, reform! mehr, fondern gang erit ber Kampf um age MI ichtlich über:
fällige Grundlegung ber deutſchen Schule. Die Bemühungen ber Hitlers
Jugend in dieſem Kampfe nehmen den Rang ein, der ihr in dieſem geſchichtlichen Geſamt⸗
vorgang als der Jugend des Führers zukommt. ‚Wille und Macht“ und ‚Das Junge
Deutihland’ unterrichten im einzelnen über ihren richtigen Blick für die Aufgabe.“
In der Zeitſchrift „Die HI.“ vom 17. Dezember 1938 wird bie HI. augetebet:
„Dem Reichs jingendführer habt ihr immer gehorcht. Wenn er nun eine neue
revolutionäre Idee zum Zweck eurer Ausbildung und Lebenstüchtigkeit verkündet,
dann werft den Schuljungen oder das Schulmädel in euch ab, feid junge National⸗
ſozialiſten auch im Klaſſenzimmer wie enre Kameraden im Betrieb. Lernt um⸗
denlen! Wie ihr das Gut in eurem Heim nicht beſchmutzt und unter euch ſelbſt
auf Ordnung achtet, [o haltet es künftig and in der Schule“
„Ihr werdet einmal aus eurem Kameradenkreis den neuen Lehrertyp ſtellen.
Aber ihr müßt auch aus euch heraus die Disziplin und Ordnung finden, die euer
gauges Leben, aljo auch in der Schule und nicht nur im 5J.⸗Dienſt, fenn:
wiänen Jett.
Lehrer feindlich find wir nicht! Das haben uns alte Tanten ans
tidie, weil wir den Heimabend lieber als den Nachmittagsſchulunterricht bes
ſuchen. Nun, dieje alten Tanten werden uns in unſerem frischen Jungenleben
nie begreifen. Von ihnen wollen wir es doch aber nicht abhängig machen, ob wir
in der Schule für unſer Leben etwas Tüchtiges lernen ober alle dieje Jahre mit
Albernheiten nutzlos verſtreichen laſſen!“ |
Die „Thüringer Allgemeine Zeitung“, Erfurt, vom 15. Dezember 1938.
nimmt zu den Problemen in folgender Weiſe Stellung:
„Die Einheit der Erziehung iſt eine alte nationalſozialiſtiſche Forderung, für deren
Verwirklichung erſt jetzt die Vorausſetzungen gegeben find. Als 1933 der innere Aufbau
in Deutſchland begann, war es unmegti, die Aufgaben von Schule und HI., die nicht
miteinander verglichen werden können, abzuſtecken. Beide waren Träger der Erziehung.
m denen als dritter Faktor das Elternhaus trat. Es un: einer me en Cnt;
wicklung, bie durch die Einführung des Reichsberufswettkampfes, die Schaffung der
Wolf⸗Hitler⸗Schulen und den Bau von HZ.⸗Heimen gekennzeichnet wird, um das weite
der Erdtehung ſo aufzuteilen, wie es dem Verantwortungsgefühl des National⸗
ozialismus gegenüber der beranwäcenden Generation entſpricht. Heute ſtehen Schule
und Jugendbewegung als A e Erziehungsmächte nebeneinander. Die H J.
ider Schule gegenüber durchaus pofit!v eingeftellt; es kann feine
Rede mehr davon fein, daß fie etwa ſelbſt beabſichtige, den Unterricht in der Schule zu
mehmen. Was hingegen gefordert wird, iſt die Einführung des Prinzips der Selbſt⸗
detrantwortung der Jugend auch in der Schule.“
„Schirach hat iH deutlich dahin ausgeſprochen, daß bie HJ. nicht die Abſicht hat.
auf andere Arbeitsgebiete überzugreifen. Sie bezeugt nur ihr Intereſſe daran, ob die
deufihe Jugend glücklich ift oder nicht, deren Herzen uns auch da gehören, wo wir fie
in unlerer ule nach ſtrengſten wiſſenſchaftlichen Anforderungen erziehen”. Darum [oft
Wher Schule und der HI. das gleiche Erziehungsprinzip herrſchen.“
die „Allgemeine Zeitung“, Chemnitz, vom 14. Dezember 1938 betont:
„In eindeutiger Weiſe wird von der Reichsjugendführung heute feſtgeſtellt, daß
die $3. nicht gegen die Schule, ſondern für die Schule kämpft. Das
naßgebende Prinzip der Jugenderziehung wird in der Einheit der Erziehung von
8 Stimmen für die Einheit der Erziehung
Schule, Elternhaus und HI. gefehen. Zur Erreichung dieſer Einheit ift es nicht nur
notwendig, einen neuen Erziehertyp zu ſchaffen, ſondern überhaupt dem Nachwuchs
die Erzieherlaufbahn als erſtrebenswerte Lebensaufgabe erſcheinen zu laſſen.
Dieſe Überlegungen ſtützen ſich auf die ſehr bedenkliche Tatſache, daß der Zuſtrom
zum Lehrerberuf bedrohlich ſchwächer geworden iſt.“
Im „Berliner Tageblatt“ vom 13. Dezember 1938 heißt es:
„Die neueſten Ausgaben des Führerorgans der HI, ‚Wille und Macht, und des
amtlichen ſozialpolitiſchen Organs des Ingendführers des Deutſchen Reichs, ‚Das Junge
Deutſchland“, beſchäftigen fid ausſchliezlich mit Schulfragen. Es wird darin veriudt,
die Fragen zu beantworten: Wie ſchaſſen wir eine feitgefügte Gemeinſchaft von Ingend⸗
führern und Lehrern, um die Einheit der Erziehung zu gewährleiſten? Wie erreichen
wir eine Leiſtungsſteigerung nujerer Volksschulen? Auf welche Weile läßt ſich für bie
nahe Zukunft der drohende Nachwuchsmangel beheben? Gleichzeitig ſoll auch damit
der Beweis geführt werden, daß die Gerüchte, wie etwa Ate HI. wolle die Schul⸗
erziehung übernehmen und die kleinen Einheitsführer ſollten den Unterricht erteilen‘,
oder ‚nie HI. molle den Lehrer zum bloßen Wiſſensvermittler und die Schule zur Pant:
auftalt herabwürdigen, während die geſamte Erziehung nur von ihr durchgeführt würde“,
haltlos find. Der Hauptſchriftleiter von ‚Wille und Macht erklärt dazu, daß diefe
Gerüchte Unfug und auf ein Mißverſtändnis zurückzuführen feien.”
In der „Deutſchen Allgemeinen Zeitung“ vom 15. Dezember 1938
wurde zu dem Sonderheft von „Wille und Macht“ ausgeführt:
„Lage, Entwicklung und Sorgen der Volksſchule werden darin behandelt. Es
geht dabei nicht mehr um den Neubau und die Ausrichtung der Schule, ſie ſind
abgeſchloſſen und liegen feſt, im Sinne der totalen Erziehung, wie ſie der National⸗
ſozialismus will und in vielgeſtaltigen Formen, alle Schichten und Lebensalter
erfaſſend, durchführt. Auch das Verhältnis Schule und HI., Lehrer und Jugend:
führer iſt geklärt. Es kann da, wie jüngſt Roſenberg betonte, keine Gegnerſchaft
geben. Schule und HJ. haben die gleiche Aufgabe: die Erziehung der Jugend.
Sie arbeiten jede in der ihr eigenen Form und mit den ihr gemäßen Mitteln, ſie
ergänzen und fördern einander. Man iſt ſich auch einig, daß der Lehrer nicht
lediglich Wiſſensmaſchine und Einpauker ſein darf, ſondern Erzieher und Menſchen⸗
former ſein muß. Schwierigkeiten kann es hier um ſo weniger in Zukunft geben,
als der Erzieher von morgen ja von der HJ. herkommt. Die Sorgen um die
Volksſchule ſind andere. Es fehlt zum erſten an Lehrernachwuchs.“
Die „Ravensburger Zeitung“ ſchreibt:
„Die $3. hat durch die Leiſtungswettbewerbe Beweiſe für eine nene innere
Haltung der Jugend zur Arbeit erbracht. Was auf dem einen Gebiete
möglich war, sollte auf dem der Volksſchule nidtunmöglid
lein. Die Arbeit der Wiſſensvermittlung durch die Selbftdilziplin der Jugend,
einen freiwilligen Wetteifer in der Erringung der beiten Leiſtung, die WS:
ſchaffung des Abſchreibens, des Betrugs, des Gidbrüdens,
dieſe Arbeit könnte unzweifelhaft unendlich erleichtert
werde n. Aber dieſes Ziel [egt den Einſatz einer mit der Jugend gehenden, mit
ihr lebenden Lehrerperſönlichkeit voraus.“
Stimmen für die Einheit der Erziehung 9
In der „Oſtdeutſchen Morgenpo ft", Beuthen, vom 14. Dezember 1938, ſchreibt
Hans Schadewaldt:
„Heute beſteht völlige Klarheit über die poſitive Einſtellung der HY. zur
Schule und die Anerkennung von Autorität, Treue und mern egenüber
Schule und Lehrerſchaft als Teile der Jugenderziehung. Schule und HI. find à Heute
einig im Ziel, eine ſtrebſame, arbeitsfreudige, leiſtungstüchtige, ehrbewußte und von
Kameradſchaftsgeiſt ob balet Jugend zu ef A und 1 Erziehungsarbeit unter die
Richtlinie der allgemeinen Leiſtun set erung unſeres Volkes au 1 on in ber Aus:
bildung zu ftellen. Lehrer und Vetriebsfiihrer erkennen an, daß die Schulung der HI.
füt das praktiſche Berufsleben dt eigt, die in den Ergebniſſen des Reichsberufs⸗
wettkampfes objektiv unter Beweis gelte t worden Dë Wenn Heute über fieben
Rillionen Hitlerjungen durch bie vis i in der HZ. a geſchickter Menſchen⸗
führung auf das erſtrebte Erziehungsideal ausgerichtet und für das praktiſche Berufs⸗
leben als körperlich, geiſtig und ſeeliſch tüchtige Jungmänner vorgeſchult werden, ſo iſt
das eine Leiſtung, der auch die Schule längſt nicht mehr die Anerkennung verſagt.
In einem „Kampf für die Schule“ überſchriebenen Aufſatz im „M ag-
deburger General⸗ Anzeiger“ vom 15. Dezember 1938 heißt es:
„Daß das vorläufige Ausſtehen einer Verwirklichung ſolch
tevolutionärer Schulerziehung keineswegs Schuld der
deutſchen Lehrer iſt, wird erfreulicherweiſe von der Reichs⸗
— —
“nu
——_
|
jugendführung tart unterſtrichen. Überlaſtet und überaltert ſteht
der wichtigſte Schulpädagoge, nämlich der Volksſchullehrer, vor Rieſenklaſſen.
Darum wird eine Nachwuchsförderung von ſeiten der Hitler⸗Jugend mit ſtärkſtem
Nachdruck zu gleicher Zeit in die Wege geleitet, wie daran gegangen wird, die Ein⸗
goe der Schuljugend zu Lehrer und Schule pofitiv und verantwortungsvoll zu
eeinfluſſen.“
In den „Kaſſeler Neueſten Nachrichten“ vom 14. Dezember 1938 wird beſonders her⸗
vorgehoben:
„Beinahe wichtiger noch als bie Sorge um bie I nnb bie Verſorgung der Lehrer:
i Ka de Ziel ber Seovinbuns VOR De ee und
agen rer,
Die tbernug wird jetzt von ber offen vertreten. Das Nachwuchsproblem des
See bes Voll dengen von ber RS elit metben. Sie Sohre lames rd der $5.
nud n aud als Lehrer daun in ber Ei moni als Ingendführer
weiterhin die erzieheriſchen Aufgaben leiften, die bie $3. übernommen bat. nf
Sorbild unb Beiſpiel it Die moderne Erzie sae ete eftellt, und
muß bie Lehrerſchaft eine charakterliche Ausleſe baritellen. Nicht gegen die
Säule, ſondern für die Schule will die HI. dieſe Ideen verwirklichen, und darin liegt
der allem nach der organiſatoriſchen Seite hin ein neuer Gedanke.“
der ‚Magdeburger General-Anzeiger“ vom 14. Dezember 1938 betont
naire? dida i
„Die Hitler-Ju end ſieht ihre Aufgabe nicht im Kampf gegen die Schule, fondern
it will ſich in ben Dienſt der Schule ſtellen. Die Vorſchläge der HI.
werden in den kommenden Monaten zweifellos im Mittelpunkt aller ernſthaften Aus⸗
ſpiachen über das Schulproblem ſtehen.“
das „Frankfurter Volksblatt“ vom 14. Dezember 1938 und andere
große deutſche Tageszeitungen unterſtreichen folgendes:
Das Schulproblem hat eine ideelle und eine materiell⸗organiſatoriſche Seite.
Tas Sührerorgan der nationalſozialiſtiſchen Jugend, Wille und Macht, ſieht
10 Stimmen für die Einheit der Erziehung
in der Schule von morgen eine Heimftatt jener lebendiger,
erlebnishafter Arbeit, bie ftd unter der Selbftverant:
wortung und dem freiwilligen Einſatz ber gefamten
Schülerſchaft vollzieht, in der nichts mehr an den ſchablonenhaften
Unterricht, an Abſchreiben, an den Betrug der Schüler am Lehrer und an alle
ſonſtigen Unzuträglichkeiten und Bruchſtellen früherer Zeiten erinnert, die im
Leben der Schule ſooft Verbitterung, Vorurteile und Gegenſätze der Generationen
hervorgerufen haben. Es iſt die gleiche Jugend, die durch Schule und Hitler⸗Jugend
geht, ſie darf nicht zweierlei Erziehung genießen. Aus dieſem Grundgedanken
heraus ſieht die Hitler⸗Jugend die Notwendigkeit der in einem neuen Erzieherſtand
verkörperten Einheit der Erziehung. ‚Den Nachwuchs ftellt die Hitler⸗Jugend.“
Dieſer Grundſatz iſt bereits in Sachſen nach einer Vereinbarung zwiſchen Gebiets⸗
führung und Volksbildungsminiſterium verwirklicht worden. Hier iſt auch ein
Gedanke ausgeſprochen, der nach allem nun durchaus vernünftig und zukünftig
erſcheint: Die Verbindung des Berufes von Lehrer und Jugendführer.“
Gleiche Gesinnung aller Erzieher
Hans Schemm, der große Erzieher und der allzu früh verſtorbene Führer
des Lehrerbundes, hat ſehr entſchiedene Forderungen aufgeſtellt, die ſich mit
denen des Reichsjugendführers eng berühren. So hat er 1933 in einer Rede
geäußert:
„Gebt unſerer Jugend Selbitvertrauen anf bie eigene Kraft! Sie glauben nicht,
welche Energiemengen Sie freizulegen in der Lage find, wenn Sie den Buben
unb Mädeln das Zutrauen zu fid) ſelbſt geben. Dann wirken fid) die drei Kardinal»
tugenden aus, die jeder Erzieher haben muß: Klugheit, Güte und Heiterkeit.
Nicht eine Klugheit, bie mit Kenntniſſen ih mißt, uicht Güte, die Sentimentalität
ilt, nicht Heiterkeit, die Ulk macht, ſondern lebensnahe verſtändnisvolle Klugheit,
Güte, bie mit dem Begriff Kameradſchaft zu umreißen, und Heiterkeit, bie [o zu
verſtehen ift, daß man das eigene Ungemach nicht wichtig nimmt.
Ich behaupte, ein Lehrer, der nicht lachen kann, fol ſich morgen penſionieren
laſſen.“
*
„Es IN doch fo, dak manche Schüler unb Schülerinnen, manche Buben und
Mädels ein zweifaches Leben führen müſſen. Das eine Leben beſteht aus Freiheit,
Kameradſchaft, Mitarbeit und Miterleben bei der Arbeit der Eltern, bei Spiel,
Entdeckungsfahrten, Sonntag und Ferien. Das andere Leben — fo war es, fo
darf es nie mehr werden — war Schule, Unfreiheit, Gedrücktheit, alte Schulbrav⸗
heit, Kreideſtaub, Bücherplage, verdorbene Luft, ſchlechtes Gewiſſen. So, meine
Freunde, war die Welt des Kindes in zwei Hälften zerriſſen, die Einheit der
Kinderwelt war zerſtört, das eine Leben wurde erlebt, das andere aber nur
‚erduldet‘.
Stimmen für die Einheit der Erziehung 11
Die Jugend [oll aber eine glückhafte und erlebnisreiche Zeit fein. Die alte
Bildung gab zuviel Intelleltualismus, zu wenig Charakter, zuviel Willen, zu
wenig Menſchentum. Die Bildung ging in die Breite und nicht in bie Tiefe.
Wir gaben den Kindern eine papierene Welt und ließen fic im übrigen ſeeliſch
und geiſtig Hunger leiden. Wir machten aus unſeren Kindern der Vergangenheit
Riniaturgelehrte. Die Aufblähung des Lehrplanes zog die Spezialifierung der
Sader nach ſich.“
*
„Ein Schüler in bem vergangenen Schultyp war dann ideal, wenn er brav,
fleißig, pünktlich und folgſam war, wenn der Lehrer nie über ihn zu klagen hatte,
das war der Begriff der ſogenannten Schulbravheit geworden. Es waren Schüler,
die nie etwas taten, was über das normale Maß hinausging, Schüler, die den
Begriff der Schulbrapheit vollkommen ihr eigen neunen konnten, Muſterſchüler.
Nan kann nun nicht jagen, daß dieje Eigenſchaften, die ich aufzählte, pünktlich,
fleißig, ſauber, gewiſſenhaft, anſtändig, zuvorkommend, höflich und wie bie herr⸗
lichen Dinge der Reihe nach alle heizen, ſalſch wären. Korrelt [oll der Schüler
elbſtverſtändlich fein, aber für den wirklichen deutſchen Buben genügt das nicht,
ſondern dazu gehört noch Unternehmungsgeiſt, Schneid, ich möchte fait fagen,
Eigenwille. Es gehört dazu etwas Abentenerſinn, kurz und gut, es gehört Eigen⸗
initiative ben, Das Weſentliche aber ijt: der Lehrer hat die Aufgabe, dieſe
Eigeninitiative zu fördern. Er hat dieſen ſtürmiſchen Drang nach Betätigung,
Kampf, Abenteurer: und Unternehmungsluſt zu mobiliſieren und nicht zu
beſchneiden.
Meilt aber war es fo, daß die Schüler, bie dieſen in ihnen wohnenden Drang
veripärten, die Siegfriednaturen, bie Hinausſtürmenden, im Betragen Note 4 ges
kriegt haben, zu nichts nutze waren, man nicht brauchen konnte. Warum? Weil
Re nicht dort hockten wie geſchnitzt. Das ift die ſogenannte Schulbrapheit geweſen,
en aber it das wirkliche Deutſchtum, das warmes Blut und warmes
n hat.
Der Sinn unſerer Erziehung iſt der, daß wir im deutſchen Kinde ſchon den
Glauben an feine eigene Kraft mobilifieren.“
*
Alfred Baeumler, „Erziehung und Unterricht“, Vorwort zu „Die
Schule im Gefüge ber nationalſozialiſtiſchen Ordnung“ von Prof. Albert
Dietrich (Hochſchule für Lehrerbildung, Hirschberg). im Handbuch für Lehrer⸗
Bildung:
E handelt es fih darum, bas abſtrakte Sachdenken, das im Gebiet ber
e zuletzt als reines Methodendenken auftrat, aus ſeinen letzten Schlupf⸗
winkeln zu vertreiben und den ane des weltanſchaulichen Denkens unbedingt
und überall zu ſichern.
12 Stimmen für die Einheit der Erziehung
Wir müſſen zwiſchen unmittelbarer und mittelbarer erzieheriſcher Einwirkung
unterſcheiden. Die Trennung der unmittelbaren Erziehung, die von mir nach
ihrer höchſten Geſtalt Formationserziehung genannt worden iſt, von der durch
einen Stoff vermittelten Erziehung (Unterricht) macht es möglich, Ordnung in
eine Fülle von Erſcheinungen zu bringen und das Hauptproblem der Padagogit
ſo zu formulieren, daß die Frage nach dem Ort der Schule beantwortet werden
kann. Der Schwerpunkt der Schule liegt im Anterricht.
Unterricht bleibt Unterricht und kann nie durch etwas anderes erſetzt werden.
Aber die Schule kann ſich wandeln. Eine Schule, die inmitten der völkiſchen
Lebensordnung ſteht und ein Teil derſelben iſt, eine Schule, die nicht im
leeren Raum individueller Bildung künſtlich einen Halt
ſuchen muß, ſondern gehalten iſt von der gewaltigen Macht
der Formationen, welcher ihre Lehrer wie ihre Jugend in
gleicher Weiſe angehören, hat es bisher noch nicht gegeben. Dieſe
Schule zu ſchaffen, ijt unſere Aufgabe. Die Formationen ſtehen, die
neue Schule iſt noch im Bau. Das Verhältnis zwiſchen Formations⸗
erziehung einerſeits und Schulerziehung andererſeits richtig zu beſtimmen und
das Zuſammenwirken beider zur Bildung des Charakters zu erkennen, iſt die
Hauptaufgabe der pädagogiſchen Theorie.“
Das „Schwarze Korps“ ſchrieb am 2. Februar 1939 zu den Fragen der Schul⸗
erneuerung u.a.:
„Dieſer Mangel an innerer Bereitſchaft zur Aufnahme des Neuen — und das muß
ohne jedes Reſſentiment, in voller Erkenntnis der au cute nod e EE MS
Verhältniſſe aus a dee werden — ift weithin bie Urſache jenes klaffenden Zwieſpaltes
mus der Siu e unb den übrigen Erziehungsfaltoren, damit aber aud) zwiſchen
rzieherperſönlichkeit und Jugend. Es wird in ben letzten Jahren vielfach über die
ſchwindende Autorität der Lehrperſonen geklagt.
Es wäre durchaus eine Verkennung der Sachlage, wollte man die Jugend allein hierfür
verantwortlich machen. Sie iſt zum Teil, beſonders in konfeſſionell ſtark gebundenen
Landgebieten, auf die Rechnung ée ‚Autoritäten‘ qu ſetzen, die eine planmäßige Hetze
der uljugend, von der Kanzel ſowohl als auch im noch beſtehenden pfarramtlichen
Unterricht und bei ſonſtigen privaten Gelegenheiten, gegen die vorgeſetzten te
betreiben. Sie geht aber zum Teil aud auf die mangelnde Bereitſchaft jener Erzieher
zurück, die ſich bewußt oder aus einer unſeligen Bindung heraus den Forderungen des
neugeſtalteten Lebens entgegenſtellen und de ſolchermaßen ganz notwendig von ber
Jugend entfernen. Auf jeden Fall iff bas Schwinden der Autorität eine golge jener
Unſicherheit, jenes ſchwebenden und ſchwankenden Zuſtandes, in bem fid Schule und
Lehrerſchaft auch vielfach heute noch befinden.“
*
Aus Sachſen ging uns ein Bericht über die Gründung ber „Rudolf:
Schröter⸗Schule“ in Klotzſche (1934) zu, in dem es heißt:
„Jungen und Erzieher bildeten eine Einheit der nationalſozialiſtiſchen Jugend⸗
bewegung, ben Unterbann ‚Rudolf Schröter“ der Hitler⸗Jugend. Er gliederte fid)
in drei Gefolgſchaften zu je vier Scharen. Führer der Scharen waren die Erzieher;
eine der Gefolgſchaften wurde von einem Jungen geführt. Andere Jungen waren
ſtellvertretende Scharführer, führten Kameradſchaften und verwalteten ſonſt ver⸗
Stimmen für die Einheit der Erziehung 13
antwortungsvolle Stellen. Die Erzieher lebten, wohnten und arbeiteten mit ihren
Jungen, wie ſonſt eben HJ.⸗Führer auch im Lager; fie ſtanden ihnen ſtets zur
Verfügung, waren den Jungen beſte Kameraden und ſtanden doch ſtets vor ihnen
als Führer und Vorbild. So entwickelte ſich ſehr bald eine feſte Gemeinſchaft,
zunächſt auf der Baſis gegenſeitiger vertrauensvoller Achtung, bald im Bewußtſein,
gemeinſam für die großen Ideale der Bewegung zu kämpfen, zunächſt gegen die
eigene Schwäche und dann aber auch nach außen. Jungen, die den inneren
Auſſchwung nicht mitmachen konnten, die aus dem „Pennälergefühle“
nicht heraus konnten und in alter Manier mit Heimlichkeiten und kleinen
Lügen zu arbeiten ſuchten, hoben fid raſch von den anderen ab und
verließen die Anſtalt.“
*
In der Zeitſchrift F und Schule“, die von Prof.
Baeumler, dem Hauptſtellenleiter beim Beauftragten des Führers für
die geſamte geiſtige und weltanſchauliche Überwachung der
N SD A P., herausgegeben wird, ſchrieb am 1. Dezember 1937 Hans Karl Leiſtritz
im Zuſammenhang mit Herbarts Ideen:
Herbart bringt zur Genüge zum Ausdruck, daß die Mittel der formalen Ord⸗
nungshaltung reine Hilfsmittel ſind und wegzulegen, ſobald die Ordnung
von Tieferem her gehalten werden kann. Er ſpricht in dieſem
Zuſammenhange das wunderbare Wort, daß Knaben und Jünglinge gewagt
werden müſſen, um Männer zu werden:
Vielleicht bin ich ſo M el eweſen, gar zu viele Beiſpiele der Wirkung zu
erfahren, welche au gp: den nfituten aus der ſtrengen Viſitation entſteht; und
vielleicht hänge ich, in Rückſicht auf Sicherung des Lebens und der geſunden Glieder, zu
ſehr an dem Gedanken, daß Knaben und Jünglinge gewagt werden müſſen, um Männer
werden. Es fei alfo genug, nur ganz kurz zu erinnern, daß genaue und ſtetige Aufſicht
lir den Aufſeher unb für den Beobachteten gleich läſtig ift, und daher von beiden mit
Lift pflegt bei jeder Gelegenheit umgangen zu werden; daß in dem Maße, wie ſie
mehr geleiſtet wird, das re derſelben wächſt und da zuletzt jeden Moment der
Unterlaſſung die äußerſte Gefahr droht; ferner, daß fie die Kinder abhält, ihrer ſelbſt
inne zu werden, ſich zu verſuchen, und tauſend Dinge kennenzulernen, die nie in ein
pädagogiſches Syſtem gebracht, ſondern nur durch eigenes Auſſpüren gefunden werden
können, endlich, daß aus allen dieſen Gründen der Charakter, welchen einzig das Handeln
aus eigenem Willen bildet, entweder ſchwach bleiben oder verſchroben wird, je nachdem der
Beobachter minder oder mehr Auswege fand.“ '
Klarer konnten die Gefahren eines formalen Schuldrills faum ge
ſchildert werden.
„Will man aber Aufſicht als Regel: ſo fordere man von denen, die unter
ſolchem Druck heranwuchſen, keine Gewandtheit, feine Erfindungskraft,
fein mutiges Wagen, kein zuverſichtliches Auftreten; man erwarte
Menihen, denen immer nur einerlei Temperament eigen, einerlei gleichgültiges Wechſeln
vorgeſchriebener Geſchäfte recht und lieb ijt; die fid) allem entziehen, was hoch und felten,
allem hingeben, was gemein und bequem iſt.“
Herbart ſcheint das richtige Gefühl dafür zu haben, daß eine Gemeinſam⸗
keit zwiſchen Lehrer und Schüler hergeſtellt werden muß. Er
wendet ſich gegen das Unterrichten „von oben her“ (in unſerer Sprache „Inſtanz⸗
14 Stimmen für die Einheit der Erziehung
erziehung“), das zu den ſchiefſten Experimenten und Mittelchen führe, und er
bezeichnet den Punkt, an dem dieſes Oben und Unten überwindbar iſt, wo die
Entfernung, die es enthält, plötzlich verſchwindet und beide, Lehrer und Schüler,
ſich plötzlich ganz nahe ſind.
Unſere politiſche Gegenwart ſteht auf anderen Grundlagen als die politiſche
Welt des Deutſchen Herbart. Im politiſchen Leben der Gegenwart iſt verwirk⸗
licht, was Herbart als fernes Ziel zeichnete. Ich zitiere eine Stelle aus ſeiner
„Allgemeinen Pädagogik“, die, ſo allein ſie iſt, nicht überſehen werden darf.
Seiner Zeit fehle, das iſt mit einem Worte der Sinn dieſer Stelle, was bei uns
in der Hitler⸗Jugend verwirklicht ift:
„Man ſpricht viel von dem Nutzen einer abhärtenden Lebensart für die Jugend.
Ich laſſe die körperlichen Abhärtungen in ihren Würden; ich bin aber überzeugt, daß man
das rate härtende Prinzip für ben Menſchen — der nicht bloß Körper iit — nicht
eher finden wird, als bis man eine Lebensart für die Jugend einrichten lernt, wobei
fie nach eigenem, und zwar nad eigenem richtigen Sinn, eine in ihren Augen
ernſte Wirkſamkeit betreiben kann. Sehr viel würde dazu eine gewiſſe EH
lichkeit des Lebens beitragen. Aber diejenigen öffentlichen Akte, welche bisher gewöhnlich
n „dürften die Kritik ſchlecht beſtehen. Denn es fehlt ihnen meiſtens bas erſte Erfor⸗
e
rnis eines charakterbildenden Handelns; ſie geſchehen nicht aus eigenem Sinn, fie find
nicht die Tat...“
Herbart fieht in dem politiſchen Leben feiner Zeit nichts, woraus dieſe öffent:
liche Lebensart der Jugend, die „das eigentlich härtende Prinzip für den Menſchen“
enthält, entſtehen oder worauf ſie gegründet zu werden vermöchte.
Was Herbart vermißte, bas ift im Deutſchland ber Gegen:
wart bereits weitgehend vorhanden: die Lebensart, die
in ſich das den Menſchen härtende Prinzip enthält — die
Formation.
Erſt ſeit die Deutſchen eine wirkliche Lebensordnung gewinnen, iſt ein wirk⸗
licher Lehrplan möglich geworden! Nur vom Grunde einer Erziehergemeinſchaft,
die eine echte Formation in dieſer politiſchen Ordnung darſtellt, iſt ein Lehrplan
möglich, der mehr iſt als das formale Schema einer Stoffolge. Ich will es noch
konkreter faſſen: Der Lehrplan iſt nur möglich als Teilſtück des Arbeitsplanes
der Nation. Über das Thema „Schule und Vierjahresplan“ ſind bisher allerorts
vielfältigſt Einzelleiſtungen gezeigt worden. Der entſcheidende Wurf, daß von.
hier aus jeder Stoff in den Unterricht tritt, ſteht noch aus. Er ſetzte allerdings
durchweg die Formation voraus, und zwar nicht nur: der Erzieher, ſondern
gleicherweiſe im Verhältnis zum Jungen und der Jungen untereinander. In
dem Maße, in dem dieſe Wirklichkeit der Formation die deut⸗
[de Schule erfüllt, wird der Lehrplan, der mit Mut jede Stoffbewältigung
vom Arbeitsplane des Volkes her aufgibt, notwendig werden. Die Beherrſchung
des Stoffes, den ſolcher Lehrplan vermittelt, wird zur Ehrenſache des Jungen.
Und der Unterricht iſt dann keine Pauſe in dieſem Leben. Denn nur im
Einklange mit ihm tritt der Stoff an den Jungen heran.
4
Stimmen für die Einheit der Erziehung 15
Wie herzlich und vorbildlich bie Zuſammenarbeit auch zwiſchen Jugendbewegung
und Behörde ijt, veranſchaulicht ein Erlaß des Miniſters für innere und kulturelle
Angelegenheiten, Abt. IV:
Abſchrift
„An
alle Landesſchulräte und an den Stadtſchulrat für Wien.
Wien, am 15. April 1939.
Um die Aufnahme in die Lehrer⸗ und Lehrerinnen⸗Bildungsanſtalt den Zufällig:
keiten einer Aufnahmeprüfung zu entziehen, findet vom Schuljahr 1939/40 an die
Auswahl der Aufnahmebewerber in bie erſten Jahrgänge an den Lehrers und
Lehrerinnen⸗Bildungsanſtalten der Oſtmark in einem Ausleſelager ſtatt. Diele
Lager, die nach denſelben Grundſätzen durchgeführt werden wie die Ausleſelager
in die Adolf⸗Hitler⸗Schulen, beginnen 14 Tage nach Schluß des Schuljahres und
dauern 10 bis 14 Tage. Sie werden von einem Beauftragten des Gebietsführers
der HI. bzw. ber Obergauführerin des BDM. geführt. Dem Lagerführer find bie
Lehrkräfte für Leibeserziehung unb Muſik der Lehrers bzw. Lehrerinnen⸗Bildungs⸗
anſtalten und, wo ein Kameradſchaftsheim beſteht, auch der Leiter dieſes Heimes
beigegeben.
Während bes Ansleſelagers findet die Überprüfung für die Aufnahme ftatt, die
ſich vor allem auf folgende Punkte erſtreckt:
1. Allgemeine Haltung,
2. körperliche und ſportliche Eignung,
3. muſikaliſche Eignung und
4. geiſtige Begabung.
Das Ergebnis der Überprüfung wird am Ende des Lagers vom Direktor der
Auſtalt im Einvernehmen mit dem Lagerleiter den beigegebenen HI..(BDM.:)
Fihrer (innen) und den Lehrkräften feſtgeſetzt. Es ijt den Lagerteilnehmern
väteltens 14 Tage nach Lagerſchluß schriftlich mitzuteilen.
der Beginn dieſer Ausleſelager ift bis ſpäteſtens 15. Suni jedes Jahres den
Selle, Haupt: nud Oberſchulen bekanntzugeben.
Die Seſuche um Aufnahme in eine Lehrer: und Lehrerinnen⸗Bildungsanſtalt
ind bis [pütetens 15. Juli bei den Direktionen der Lehrers und Lehrerinnen⸗
Vilbungsanſtalten einzureichen. Den Geſuchen find beizuſchließen:
Der Ariernachweis, ein Bewährungszeugnis der HI. (IB, BDM., IM.), ein
tRisüntlides Geſundheitszengnis, das Abſchlußzeugnis und eine Beurteilung der
berakterlichen und geiſtigen Eignung für den Lehrberuf durch den Leiter der
legt beſuchten Schule.
16 Schirach / Rufe aus der Hauptstadt des deutschen Geistes
Die J. werden erſucht, bie Lehrkräfte ber ihnen unterſtehenden Pflichtſchulen zu
veranlaljen, die Schüler rechtzeitig auf das Studium für das Lehramt an Volks⸗
Ihnleu aufmerkſam zu machen und beſonders begabte Schüler planmäßig Dim:
zulenken. gez. Krüger
Zum Abſchluß ſei die Meinung eines weſtdeutſchen Blattes wiedergegeben, die
das enge Zuſammenwirken aller im Bereich der Erziehung tätigen Kräfte als
nützlich und notwendig erkennen läßt:
„ . Wenn nicht im Gange der Ausbildung Luft und Liebe für den gewählten
Beruf wachſen, ſo ſteht zu befürchten, daß die Abwanderung vom Lehrberuf noch
ſtärkere Ausmaße annehmen wird... Soll der Erziehernachwuchs wirklich geſichert
fein, [o werden alfo noch andere Maßnahmen durchgeführt werden müſſen, die
außerhalb der Lehrerbildung liegen und der Jugend den Lehrerberuf auch von
dieſer Seite wieder begehrenswert erſcheinen laſſen.“ G. K.
Baldur von Schirach:
Rufe aus der Hauptstadt des deutschen Geistes
Aus der Rede des Reichsjugendführers im Weimarer Nationaltheater
Von jenem Parteitag des düsteren Jahres 1926 her, da es außer den im deut-
schen Nationaltheater zu Weimar versammelten Männern wenige gab, die an
eine größere Zukunft ihres Volkes zu glauben wagten, ist Weimar, diese Haupt-
stadt des deutschen Geistes, auf wunderbare Weise mit der Jugend verbunden
geblieben: Führerlager und Weimar-Festspiele, Kulturlager und Kurse haben die
innere Organisation der Gemeinschaft der deutschen Jugend mit Weimar unlös-
bar verknüpft. Die Hitler- Jugend trägt ihre Fahnen nach Potsdam, um sie an der
Gruft Friedrichs des Großen seinem Geiste zu weihen. Nach Weimar aber
kommt die junge Mannschaft selbst, das Führerkorps der Jugend und die
Besten im Beruf. Hierher trägt der junge Mensch sein heißes und nach Schönheit
hungriges Herz. Hier sucht er die geheime Macht, durch die unser Volk geadelt
wurde, das heilige, unzerstörbare Deutschland, das kein Diktat vernichten und
kein Verräter preisgeben konnte. Hier sucht er sie und hier findet er sie, die nie
verlorene Heimat.
*
Als wir Deutschen nichts mehr besaDen, als unsere Schande, Ohnmacht und
Erbürmlichkeit, brauchten wir nur diesen Boden mit unseren Sohlen zu berühren,
um — wie Antäus — mit neuen Kräften gespeist zu werden. Sie konnten uns
entwaffnen und versklaven, sie konnten jede Festung schleifen, aber sie waren
machtlos vor dem kleinen Gartenhaus am Horn. Das größte Kunstwerk, das unser
Volk vollbracht hat, Goethes Leben, Werkund Persónlichkeit, war ihrem
Sehirach / Rufe aus der Hauptstadt des deutschen Geistes 17
^. Zugriff entzogen und mit ihm die unüberwindliche Gemeinschaft der deutschen
Kämpfer des Geistes von Meister Ekkehard bis Dietrich Eckart. Unter ihnen die
großen Baumeister, Maler und Bildhauer. Sie alle sind nicht nur eine Bereiche-
rung. Sie selber sind das Reich. Sooft uns das Schicksal zu Boden schlägt, durch
ihr Beispiel werden wir uns erheben. Ihnen zu Ehren werden wir uns behaupten,
um ihrer würdig zu sein, Menschen ihres Geistes heranzubilden versuchen.
Unser Volk hat sich wieder erhoben. Deutschland ist größer geworden, und wir
brauchen dank dem Führer nicht mehr zu fürchten, daß unser Vaterland je wieder
ein Spielball fremder Willkür werden kónnte. Trotzdem meine ich, daB der junge
Deutsche seine Wallfahrt hierher nótig hat. Wie einst die nationalsozialistische
Bewegung und in ihr das deutsche Volk hierher kam, um das Fest der Wieder-
auferstehung der Partei zu feiern, móge der junge Deutsche hier für sein persón-
liches Leben die Kraft zur inneren Erhebung finden. |
*
Auch unsere kulturelle Arbeit hat eine alte Tradition, wenn auch von einer
planmäßigen Kulturarbeit im heutigen Sinne damals nicht die Rede sein konnte.
Sie wurde begründet durch die ersten Liedschópfungen junger Kameraden,
die vom Erlebnis unseres Kampfes ergriffen, ihre Begeisterung und Treue in
Worte und Tóne setzten. Manche von ihnen verstanden nicht einmal die Noten-
schrift, sie summten ihre Melodien solchen Jungen und Mädchen vor, die sich
auf die Kunst der Tonschrift verstanden. So entstanden Lieder, die heute von
Millionen unseres Volkes gesungen werden. Eine der stärksten Begabungen auf
diesem Gebiet, Hans Baumann, hat immer Texte und Melodien seiner Lieder
gleichzeitig geschaffen, und so ist es auch bei vielen anderen gewesen, deren
intuitive Schópfungen zu Volksliedern geworden sind. Diese jungen Dichter
und Komponisten haben damit das hóchste erreicht, was ein Schaffender über-
haupt erreichen kann.
kd
Vor einiger Zeit las ich die kleine Schrift eines mit erheblicher Macht aus-
gestatteten Musikers unserer Zeit. Er leidet an der fixen Idee, daß die Jugend der
Gegenwart jeder ernsthaften Musikerziehung abgeneigt ist und sagt für die
Zukunft in bezug auf die musikalischen Leistungen unseres Volkes das Schlech-
teste voraus. Nun hat dieser Mann, der unserer nationalsozialistischen Bewegung
während der Kampfzeit fernblieb, überhaupt keine Vorstellung von der großen
Musikbewegung innerhalb der Hitler-Jugend. Er hat kein Organ für das Lied,
die jungen Herzen erhebt und unseren Feierstunden die Weihe des gemein-
samen Bekenntnisses gibt. Solchen Naturen, die das Musikleben eines
Volkes vom Dirigentenpult her durch den professoralen Zwicker
betrachten, bleibt alles unverständlich, was sich seit dem Eintritt
der Hitler-Jugend in die Erziehungsgeschichte unseres Volkes
auf künstlerischem Gebiet vollzogen hat. So ein Mann des anderen
Jahrhunderts kennt nichts außer der herkömmlichen Klavier-, Violin- und
Gesangsstunde und dem Betrieb der Konservatorien. Er sieht nicht die Volks-
18 Sebirach / Rufe aus der Hauptstadt des deutschen Geistes
musikbewegung dieser Zeit. Es ist ihm unwesentlich, daß heute Millionen junger
Menschen, die im Kaiserreich keinen Anteil an den Kulturgütern der Nation
nehmen konnten, heute in einer glücklichen und besonnten Jugend auf ihre eigene
Weise zu den Brunnen der Kunst geführt werden. Schön, man verachtet das
Volksliedsingen der Jugend, man verspottet das Blockflötenspiel. Mir ist es lieber,
in den Bergen Tirols die musikbegabten Jungmädel mit ihren Blockflöten spielen
und singen zu hören, als die höhere Tochter von einst bei der dilettantischen
Wiedergabe einer Mozart- oder Verdi-Arie ertragen zu müssen.
Es ist nicht wahr, daß ich den Instrumental-Unterricht ablehne, ich will im
Gegenteil dem deutschen Volk einen Nachwuchs an Orchestermusik schaffen,
wie er in solcher Stärke bisher in unserem Volk noch nicht vorhanden war! Ich
kann dies aber nicht auf herkömmliche Weise vollbringen, sondern muß dazu
die ganze Jugend auf ihre musikalischen Grundlagen hin prüfen, um die Fähig-
sten aller Schichten und Stände zu ermitteln. Als konsequenter Sozialist darf ich
mich nicht damit zufriedengeben, daß einige wohlhabendere Familien ihren
Söhnen und Töchtern einige Klavierstunden für den Hausgebrauch erteilen.
Dabei kommt sowieso nicht viel heraus. Ich muß versuchen, innerhalb der
Jugendbewegung des Führers durch einen besonders dafür geschulten Mitarbeiter-
kreis die überdurchschnittlichen Musikbegabungen in der ganzen Breite unseres
Volkes zu ermitteln und ohne Rücksicht auf Vermögen und Herkunft einer ge-
regelten Ausbildung auf musikalischem Gebiet zuzuführen. Ich will also viel mehr
für die Steigerung unserer musikalischen Leistungsfähigkeit tun, als je zuvor in
unserem Volk geschehen ist. Im übrigen hat die HJ. im vergangenen Jahr eine
große Aktion für die Erlernung des Instrumentenspiels durchgeführt.
Der intellektuelle Ästhet mißt das Kunstwerk mit anderem Maßstab als wir.
Er gewinnt diesen Maßstab aus der Kunstgeschichte, die für ihn eine Wissen-
schaft ist, ebenso wie die Botanik oder Jurisprudenz. Ihn interessiert das Volk
nur insoweit, als es zum Gegenstand einer Darstellung der bildenden Kunst wird.
Dieser intellektuelle Ästhet seziert das zeitgenössische Drama
etwa so, wie der Anatomie-Professor den Leichnam des armen
Sünders. Er hat dafür seine Methode. Aber was in der exakten ärztlichen Wissen-
schaft richtig ist, wird in der Kunstbetrachtung zum grotesken Irrtum. Ob ein
Schauspiel gut oder schlecht ist, kann durch keine Methode, die im germanisti-
schen Seminar erlernt wurde, festgestellt werden. Und wer keinen Instinkt und
kein intuitives Urteilsvermögen besitzt, der kann zwar von der zuständigen
Fakultät alle möglichen Kenntnisse bescheinigt bekommen, aber bleibt dennoch
ein Fremdling im Tempel der Kunst. Wir kennen das ästhetische Werturteil
über einige unserer Kampflieder; trotzdem ist uns das Wessel-Lied eine heilige
Hymne und ein Denkmal unseres Kampfes und unser aller Begeisterung. Lieder,
die Weltgeschichte gemacht haben, stehen über der Kritik der
zünftigen Literaturwissenschaft. Uns interessiert der ästhetische Maßstab
erst in zweiter Linie. Was uns bewegt, begeistert und erhebt, scheint uns das
Wesentliche.
Schirach / Rufe aus der Hauptstadt des deutschen Geistes 19
Der Junge, der durch eine Galerie von Bild zu Bild wandert, so unbefangen
wie er sein soll, meinetwegen ohne jede Kenntnis der großen Namen, die auf den
Rahmen zu finden sind, und daher von diesen gänzlich unbeeinflußt, bleibt
plötzlich vor einem Gemälde stehen. „Es spricht ihn an“, wie es so treffend in
unserer Muttersprache heißt. Dieses Bild ist vielleicht weder hinsichtlich seiner
Komposition, noch nach seiner Technik das ästhetisch wertvollste Bild der Aus-
stellung, aber angesichts dieses Kunstwerkes überkommt den jugendlichen Be-
trachter jener geheimnisvolle Schauer, der — wie durch Berührung eines Zauber-
stabes — seine Jugend magisch verwandelt. In diesem Augenblick wird er
zum zweitenmal ein Deutscher, und fortan repräsentiert auch er
bewußt oder unbewußt gegenüber den Völkern der unschöpfe-
rischen und insularen Zivilisation das schöpferische Reich der
Mitte. Deutschland ist ihm nun für alle Zukunft nicht nur die geliebte irdische,
nein, auch die heilige Heimat.
Der Ästhet wertet, der musische Deutsche erlebt. Es mag das dunkle
Schicksal Don Giovannis sein, oder die Gewalt einer Bachschen Fuge, Goethes
Mondlied, oder eine einfache Melodie, die der Hüterbub auf der Alm singt, es
kann auch etwas nach ästhetischem Begriff minderes sein. Was auch immer
unserem Volk das Herzrührt, seigepriesen! Darum macht es mich glück-
lich, daß die Herzen der Jugend beim Singen unserer Lieder wie Flammen inein-
anderschlagen. Wir haben so viele Jahrzehnte in unserem Volk mit schöngeistigen,
aber häßlichen Debatten zugebracht. Freuen wir uns dessen, daß Adolf
Hitler uns eine Zeit beschert hat, in der wir erleben dürfen.
Kritisiere dieses Erlebnis, wer immer mag, wir sind in diesem Reich so
glücklich, daß die Worte des Mißmuts nicht mehr durch unsere
Ohren dringen.
Der Hitler-Jugend angehören zu dürfen, ist gleichbedeutend mit der Ver-
pflichtung auf ein umfassendes Lebensprogramm. Wir haben in der jüngeren
Vergangenheit unseres Volkes die unselige Spezialisierung der jugendlichen
Kräfte in unzähligen Organisationen erlebt, die sich entweder besonderen sport-
lichen, oder aber politischen, sozialen und konfessionellen Zwecken widmeten,
demgegenüber scheint mir gerade bei einer Kulturveranstaltung der Jugend des
Führers notwendig, mit aller Deutlichkeit zu bekennen, daß der junge National-
sozialist auch als einzelner jene Einheit verkörpert, die im großen das Reich und
im kleinen die Hitler-Jugend darstellt. Er soll in einer Person der sportliche,
kulturelle und politische Kämpfer sein. Damit ist er ebensosehr ein Kind
der Neuzeit, als der antiken Welt. Beide Zeiten erscheinen uns in einem
hellen Licht, das uns die düstere Dunkelheit des Mittelalters und dessen Irrtum
vergessen läßt.
Der lebendige Leib kommt wieder zu seinem Recht und mit ihm
der Glaube und die Schönheit.
*
20 Schirach / Rufe aus der Hauptstadt des deutschen Geistes
Bekenntnis zum Nationalsozialismus heißt heute schon Verpflichtung zu einer
höheren Lebensführung. Für die Jugend heißt das Abkehr von dem sinnlosen
Genuß solcher Gifte, die geeignet sind, die Leistungsfähigkeit und damit Sicher-
heit der deutschen Nation zu beeinträchtigen. Es erscheint mir als Frevel an der
Schöpfung, wenn der Jugendliche den ihm von Gott gegebenen Körper leicht-
fertig durch Exzesse mit Alkohol und Nikotin zerstört, obwohl er heute genau
weiß, welche Folgen das für ihn und sein Volk haben muß. Ich habe mich gefreut,
daß vor allem mein Führerkorps hier mit gutem Beispiel vorangegangen ist und
die Jugend selbst, mit geringen Ausnahmen, freiwillig das Gebot des Jahres
der Gesundheitspflicht erfüllt.
Ich fasse es als meine Pflicht auf gegenüber dem geliebten Führer und seinem
treuen Volk, jede Gelegenheit zu ergreifen, um den Blick der Jugend von
den niederen Genüssen des Lebens zu den höheren zu erheben.
Hier in Weimar, du deutsche Jugend, erlebst du in den kommenden Tagen
vielleicht die glücklichste und schönste Zeit deines Lebens. Daß du hierher |
kommen kannst und dieser Erlebnisse teilhaftig werden darfst, dankst du dem '
Mann, der dir seinen Namen verlieh. Er einte die Bürger und die Bauern, die
Arbeiter und die Gelehrten und schuf diese einmütige und unbesiegbare Nation, .
deren Söhne und Töchter ihr seid. Zeigt euch seiner würdig und des Wunders
dieser Stadt! Droben am Berghof, am Steilhang über Berchtesgaden, steht einer,
der stürker ist als alle anderen Menschen dieser Welt. Seine Sorge gilt uns, unsere
Treue gilt ihm. In aller Jugend seines Reiches aber muß Tag für Tag das Wort
verwirklicht werden, das ich euch unablässig zurufe: „Wir wollen dem Führer
Freude machen!“
Gedichte von Hans Baumann
Sommerlied
Ja, liebe nur den Baum, Ja, liebe nur den Bach,
der brauſend fteht im Sommerwind, der wild und ungeftüm entſpringt,
und hüte deinen Traum, und hält ſein Singen wach,
wenn flerbſt und Schnee geworden find. wenn uns der Schnee das Schweigen bringt.
Ja, liebe nur das Licht,
das aus dem hellen Himmel fällt,
denn Liebe wintert nicht
und wär nur Winter auf der Welt.
— —
K Gen
— — N. .
gg ini - ß
Land, Land
Land, Land mit dem harten Geficht deiner Berge,
du Vaterland.
Ernft ift dein Antlitz
und prüfend fiehft du uns an
mit nackten Wänden, drohenden Schatten und nacktem Grat.
Nackt ſind die weißen Gipfel
und rufen, rufen, rufen uns auf -
du Vaterland,
Land, Land mit dem alten Lied deiner Wälder,
òu Mutterland.
Gütig raufcht deine Weife
und heimlich ftrómen ins Ohr
der Buchen und Tannen Gefänge, der Eichen Lied,
das Lied unfrer Fichten
und rufen, rufen, rufen uns auf -
du Mutterland.
Land, Land mit den fröhlichen Augen der Seen,
du Kinderland. |
Träume verklären die Stirne
und lächelnd hebft du den Blick,
hurtig find deine Quellen, flink fpringt der Bach
nach den Wiefen und fingt in der Sonne.
Wir laufchen, verhalten den Atem und horchen auf,
du Kinderland.
Land, Land mit den klopfenden Adern der Ströme,
der Söhne Land. |
Braufend wandern die Waffer,
wie leuchtende Fahnen fliegen fie weit
ꝛwiſchen Bracken und Städten und Achern
und ftürmen Ins Meer
und rufen, rufen die Herzen ins Feld,
du Deutſchland.
upnpolitifche Hotim
Englands Spiel im Mittelmeer
Man hat das Mittelmeer mit Recht als
das „Meer der Überraſchungen“ bezeichnet,
und tatſächlich wechſeln die Blickpunkte,
unter denen es von den verſchiedenen
Mächten betrachtet wird, ſeit einiger Zeit
faſt wöchentlich. Wir erlebten das pe
beſonders deutlich durch zwei Ereigniſſe:
Zuerſt die plötzliche Erklärung des eng⸗
liſchen Premierminiſters im Unterhauſe
vom 12. Mai 1939, Großbritannien wolle
ein langfriſtiges, auf Gegenſeitigkeit ge⸗
gründetes Defenſiv⸗Militärabkommen mit
der Türkei abſchließen, und zwar wollten
ih beide Mächte im Falle eines biet füge.
er zum Kriege im Mittelmeergebiet führe,
gegenſeitige Hilfe leiſten. Kurz darauf
machte London einen endgültigen Verſuch
zur Beilegung bes Paläſtinakonfliktes und
S chte ein ſogenanntes „Weißbuch“,
das ſowohl von den Juden wie von den
Arabern unverzüglich nach Bekanntwerden
heftig bekämpft wurde. Daß es ſich auch
ier um eine engliſche Maßnahme zur
tärkung der britiſchen Mittelmeerpoſition
de geht u. a. aus einer Außerung
ervor, die Profeſſor E. H. Carr Ende 1938
im britiſchen Rundfunk tat: „Man betrachte
die arabiſche Frage ja nicht als neben⸗
Bao. jie fet vielmehr eins der großen
ätſel, vielleicht ſogar eines der künftigen
Probleme des Mittelmeeres.“
England fühlt ſich ſeit 1935 im Mittel⸗
meer gefährdet wie noch nie ſeit 100 Jahren.
Als Italien, ſeit 70 Jahren erſt eine ge⸗
ſchloſſene Macht, folgerichtig und zielſtrebig
den Weg weiterverfolgte, den es kurz vor
dem Weltkriege mit der Erwerbung von
Libyen und ſpäter der Inſeln des Dode⸗
kanes betrat, indem es zur Einbeziehung
Abeſſiniens in fein Überſeereich ſchritt,
laubte London ſich in allerhöchſter Gefahr.
(rite hatte es Konflikte wegen des
ittelmeeres nur mit Mächten gegeben,
die an dieſem „Meer der Überraſchungen“
entweder direkt gar nicht beteiligt (Ruß⸗
land) oder nur halb 5 waren (Spas
nien, Frankreich). Jetzt meldete mit einem⸗
mal eine wirkliche Mittelmeermacht An⸗
ſprüche an, die nicht leicht von der Hand
gewieſen werden konnten. Der Duce ſprach
. Commonwealth, alfo das
bas Wort von ber italieniſchen „Lebens⸗
linie“ aus und anerkannte dieſen Waſſer⸗
raum für England nur in ſeiner Bedeu⸗
tung als Verkehrsweg. Es ging alſo um
die Begriffe „In“ und „Durch“. In Eng⸗
land meinte man, die italieniſche „Mare
Nostrum" Politik im Mittelmeer ziele
darauf ab, nicht nur die a. des eng:
liſchen Mutterlandes in der Welt, fondern
auch die Belange des ganzen Britiſchen
Weltreiches zu mißachten und zu gefährden.
Wir wollen uns bei dieſer Betrachtung
vornehmlich auf Außerungen führender
engliſcher Politiker und Hiſtoriker ſtützen,
die dieſe im britiſchen Rundfunk in Vor⸗
tragsſerien über das Mittelmeer getan
haben, da ſolchen Erklärungen erfahrüngs⸗
emäß höheres Gewicht beizumeſſen iſt als
Zeitungsartikeln oder Unterhausdebatten.
Und dabei iſt es wichtig, daß F. A. Voigt
im April 1938 bereits die F ung
aufſtellte, das von Italien, Deutſchlan
und Japan geſchloſſene Antikomintern⸗
Abkommen ſei praktiſch gar nicht gegen den
Kommunismus, ſondern gegen das British
mpire, gerichtet!
Überall verwundbar
Die „Ubiquität“, die Allgegenwart, bas
Überall⸗Sein des Britiſchen Weltreiches
führt dazu, daß ein Konflikt, der an irgend⸗
einem Punkte des Erdballs ausbricht,
britiſche Belange irgendwie berührt, mehr
oder minder ſtark. Beim Mittelmeer liegt
bei einer ſolchen Weltbetrachtung eine be⸗
ſonders hohe Empfindlichkeit vor, und
Admiral Sir Herbert Richmond ſagte im
Dezember 1938 in einem Rundfunkgeſpräch
mit Profeſſor Carr, man könne das
Mittelmeerproblem nicht als eine Frage
per se betrachten, es ſtelle den Teil eines
BE und ſchwierigeren Problems bar,
enn die britiſchen Intereſſen verteilten
ſich über die ganze Welt und würden nicht
nur von politiſchen, ſondern auch von wirt⸗
ſchaftlichen Ereigniſſen in anderen Ländern
berührt.
Für die Engländer hat das Mittelmeer
eine dreifache Bedeutung: erſtens als
Fade ee zweitens als militäriſche Ber:
indungsſtrecke zwiſchen dem Mutterlande
ſowie ſeinen Kolonien und feinen Gers
Außenpolitische Notizen
bündeten im Mittelmeerraum und ſchließ⸗
lich den Dominien öſtlich Suez — vor allem
aber mit dem Kaiſerreich Indien; drittens
als Aufmatſchgebiet der britiſchen Flotte
zwecks Cinsreiens in jeden Konflikt, ber
angeblich engliſche Belange berührt.
Man hat oft und viel darüber geſtritten,
auch in England, ob die Bedeutung des
Mittelmeeres als Handelsweg und mili⸗
täriſche Zufahrtsſtraße im En A wirt:
lich jo grok fei, daß jeder Nachteil in Kauf
groomer werden müßte, der fid) aus den
emühungen um die Aufrechterhaltung der
britiſchen Stellungen in dieſem Raum er:
geben könnte. Es iſt nun intereſſant, daß
Admiral Richmond äußerte, man dürfe die
wirtſchaftliche Bedeutung der Suez⸗Route
wahrhaftig nicht unterſchätzen (Ol aus dem
Perſiſchen Golf werde beim Umweg um
das Kap 80 Prozent, und Jute aus Indien
50 Prozent Zeitverluſt erleiden), und die
Erſatzwege im Kriegsfalle über Oſtafrika
und den Stillen Ozean ſtellten ebenfalls
keine Ideallöſung dar, da Zeitverluſt im
Kriege oft Niederlage bedeutete — aber
im Endergebnis ſei doch das Mittelmeer
ein „Schauplatz, auf dem England bei jeder
internationalen . eine bedeu⸗
tende Rolle P Geit den Tagen
Wilhelms III. bis zum heutigen Tage fei
das ſo geweſen, in allen größeren Kriegen
habe die eine oder die andere Macht
Truppen über dieſes Meer ie müſſen,
entweder über den Löwengolf von Frank⸗
teich nach Spanien oder von Spanien nach
Italien, dann über die Adria von Sſter⸗
reich nach Italien, ferner aus Agypten in
die Türkei und ſchließlich aus der Türkei
nach Griechenland. Immer habe der mili⸗
tätiſche Erfolg davon abgehangen, ob die
engliſche Flotte in der Lage zn hin ſei,
die a ee bes Feindes zu hindern
oder die des Freundes zu fördern. Wir
haben hier aus dem Munde eines hohen
britiſchen Militärs das Eingeſtändnis vor
uns, daß ſich England im Mittelmeer eine
Schiedsrichterrolle anmaßt, denn Richmond
ſpricht ſogar vom „steadying effect of
British force in the Mediterranean“. Ja
dieſer Admiral ſcheut ſich nicht zu fagen:
„Es ift eine Tatfade, daß für die Auss
übung ber britiſchen Seemacht im Mittels
meer eine dauernde Notwendigkeit gegeben
iſt, und wir müſſen deshalb unſere Poſi⸗
tionen dort halten.“
Englands Politik im Mittelmeer iſt alſo
teiner Imperialismus! Die Sorge um den
„Diamanten in der Krone des Empires“,
um Indien, die Auch um Einflußminde⸗
zung in Oſtaſien und was ſonſt noch an
Erklärungen von engliſcher Seite vorge⸗
bracht wird, zerfließt, bei Lichte beſehen, in
nichts. Die Briten glauben, daß ihre ge⸗
ſamte weltpolitiſche Poſition den Boden
unter den Be verliert, wenn das eins
tritt, was fie jeit 1935 befürchten: Aufſt ieg
Italiens zur Vorherrſchaftsmacht im Mittel⸗
meerraum. Dabei iſt England nicht einmal
Anrainer, denn es beſitzt nichts, was
wirklich „Lebensraum“ wäre: Agypten
wurde im Auguſt 1936 weitgehend ſelbſtän⸗
dig, Palaftina ift Mandatsgebiet, Gibraltar
iſt ein kleiner, mit Kanonen beſpickter
rdenfled, von ſpaniſchem „
umgeben (England beſitzt es ſeit 1714),
Malta raubte es im Kampf gegen Napo⸗
leon, Zypern eignete es ſich 1878 als
„Lohn“ für die Hilfe an, die die Türkei in
ihrem ampl 17 en Rußland von den
Briten erhielt. Nichts Echtes, nichts Boden⸗
ſtändiges, nichts Organiſches haftet der
britiſchen Stellung im Mittelmeer an —
und doch ſoll dieſe Poſition unter keinen
Umſtänden aufgegeben werden.
Wir erwähnten biis die Gorge um
Italien, England behauptet, ber Duce habe
bie Sanktionen in der Zeit der Eroberung
Abeſſiniens nicht vergeſſen und tue alles,
um neben der franzöſiſchen die engliſche
Stellung im Mittelmeer zu ſchwächen, und
daraus ergäben ſich zahlloſe Konflikte.
Das engliſch⸗ italieniſche Abkommen vom
16. April 1938 habe, ſo ſagte Voigt, eine
Abgrenzung der engliſchen und italieniſchen
Intereſſenbereiche vom Atlantiſchen bis zum
Indiſchen Ozean gebracht, und Lord Perth
ſei damals in Rom von den Italienern ſo
lebhaft begrüßt worden wie vorher kaum
ein britiſcher Staatsmann. Dieſes Ab⸗
kommen gebe Italien mehr Ellbogen⸗
freiheit, erneut erhalte es, wie ſchon vor
dem Weltkrieg, eine Mittel⸗Poſition, könne
aber jetzt, angeſichts ſeiner Rüſtung zu
Waſſer und in der Luft, die Balance of
Power im Mittelmeer zu ſeinem Vorteil
verſchieben.
Der Alpdruck des ſpaniſchen Wiederauſſtiegs
England hätte vielleicht eine Annähe⸗
rung an die Türkei und an die arabiſchen
Länder nicht unternommen, wenn nicht in
der Zwiſchenzeit die ſpaniſche Frage zu
ſeinem Mißvergnügen gelöſt worden wäre.
ale Carr fagte tm November 1938
im Rundfunk, ein Sieg Francos miiffe [os
wohl für England wie für Frankreich höchſt
24 Außenpolitische Notizen
unangenehm fein, falls die Balearen der
Lohn für deutſche und italieniſche Hilfe
ſein würden. an wolle außerdem ver⸗
hindern, daß irgendeine Macht in Spanien
derart Fuß faſſe, daß ſie Gibraltar und
damit den Eingang zum Mittelmeer be⸗
drohen könnte.
England verhält ſich in der ſpaniſchen
Frage ganz ähnlich wie as . Es fagt
at ſehr laut, es wolle „Spain for the
| seers 8% praktiſch heißt bas aber: „Ein
ame es Spanien für politiſch unſelbſtän⸗
ige Spanier.“ Solange Spanien politiſch
am Boden lag und keine eigene
m treiben konnte, war
ihm England freundlich gefinnt, genen wie
Hes Welche Angſt die Briten die
ahrhunderte hindurch vor einer Be⸗
finnung Spaniens auf feine ausgezeichnete
ittelmeerſtellung und vor einer bem;
entſprechenden ſpaniſchen Politik hatten,
beweiſt die engliſche Knutenpolitik gegen⸗
über Portugal, in dem der Haß gegen
Spanien leißig genährt wird, zum
höheren Ruhme Albions.
Nicht nur im Blick auf Gibraltar ſorgt
ſich London um Madrid, nein, auch die
Kanariſchen Inſeln und Rio de Oro be⸗
deuten ihm Gefahr von der Flanke. Alle
Bemühungen um ein willfähriges Portugal
m vergeblich, wenn Spanien in dieſen
einen beiden Beſitzungen militäriſche Stütz⸗
punkte ſchafft. Dann iſt mit einem Schlage
Gibraltar wertlos geworden, das ja nicht
nur den Weg in das Mittelmeer, ſondern
auch die Ausfahrt aus dieſen Gewäſſern
ſichern ſoll.
Nachdem nun Franco mit deutſcher und
italieniſcher Hilfe geſiegt und 3 die
Balearen völlig in feiner Hand behalten
hat, find die Briten keineswegs beruhigt.
Ein Blick auf die Karte oe fie, daß die
kluge Moslem⸗Politik bes Caudillo an ber
afrikaniſchen Gegenküſte Spaniens, in
Spaniſch⸗ Marokko (700 000 mohammeda⸗
niſche Eingeborene gegenüber 6 Millionen
in Franzöſiſch⸗Marokko), einen ungemein
großen Erfolg erzielt hat. Ceuta und
Melilla gehören [eit den Tagen Philipps II.
den Spaniern und dem katholiſchen
die Moslems
Glauben, nunmehr ſind au
ngland wird
gewonnen worden, und
wenig Glück haben mit der Hoffnung, in
Spaniſch⸗Marokko möchten eines Tages
wieder die Unruhen ausbrechen wie vor
einigen Jahren unter Führung Abd el
Krims. Ein ſtarkes Spanien wird ſich die
Erfüllung berechtigten Moro-Wünſche
leiſten können und trotzdem ſeinen marokka⸗
niſchen Beſitz in den ei feiner Außen:
politik ſtellen — alfo Befeſtigungen ſchaffen,
die Gibraltar illuſoriſch machen. Ein wenig
weiter öſtlich hilft ihm der italieniſche
Freund, dem es in Treue verbunden iſt,
von Libyen her, durch überlegen ſchnelle
Kriegsfahrzeuge die Verbindung mit
Sizilien herzuſtellen und damit die Rolle
Maltas zur n een ee abfinken
qu laffen. Man Mn in London inen
ange von ber Maufefalle-Rolle, bie diefe
Inſel im Ernſtfalle zu übernehmen haben
wird. "dei von Cypern her iſt nicht leicht,
da der Hafen Famaguſta bisher nicht in
der gehörigen Weiſe 1 men Zwecken
dien tbar zu machen war. Alexandrien und
Haifa können auch nicht in die Breſche
treten, da KEE mit Rückſicht auf den
faſchiſtiſchen Nachbarn in Abe Lo und in
Libyen weiteſtgehend zur ſelbſtändigen
Außenpolitik im eigenen Intereſſe ge⸗
jungen fein dürfte und außerdem (ng:
ands Stellung in Paläſtina eher ſchlechter
denn beſſer geworden iſt.
Die Kehle des Commonwealth
Der Suezkanal wird neben Gibraltar
Englands große Sorge. Ronald Storrs, der
durch den „Aufſtand in der Wüſte“ bekannt
geworden iſt (Lawrence hat ihm in ſeinen
„Sieben Säulen der Weisheit“ ein Denk⸗
mal geſetzt), bekannte im Dezember 1938
offen, der Kanal ſei die „Kehle unſeres
grohen Commonwealth“, und ein feindlicher
tiff an dieſer Stelle würde das Britiſh
Empire erdroſſeln — und deshalb ſei der
Aufſtand der Araber in Hedſchas für Groß⸗
britannien ſo überaus wertvoll geweſen.
Um dieſen Kanal dreht ſich immer wieder
die britiſche Oſtpolitik. Erſt verhinderte
London ſeinen Bau; nachdem dieſer 1869
doch von den a zuſtande depre:
worden war, hätten bie Briten ihn am
liebjten ganz in ihren Beſitz gebracht und
beſetzten 1882 Agypten. Sehr wider Willen
mußten fe die Freiheit bieles Landes
ſtufenweiſe erhöhen, und es im Vertrage
vom Auguſt 1936 ſogar als „Verbündeten“
anerkennen. Die Kapitulationen wurden
aufgehoben, die britiſche Beſatzungsarmee
wurde von Kairo und Alexandria in die
Suezkanalzone verlegt. Dort wird ſie ſo
lange bleiben, wie ſie England halten kann,
obwohl in dem Vertrage die endgültige
Zurückziehung nach Ablauf von zwanzig
Jahren vorgeſehen iſt. l
Wegen des Suezkanals hielt England
ſeine den Arabern gegebenen Verſprechun⸗
Außenpolitische Notizen
gen E Verſelbſtändigung aller früher im
osmaniſchen Staatsverband jun sweiſe
vereinigten, aber nach Freiheit dürſtenden
Moslemgebiete nicht. Die Balfour⸗Dekla⸗
ration, die ſo viel erörtert worden iſt, i
gar nicht des Pudels Kern. In Wahrheit
dreht es ſich um die Verſpre wt We bie
ber britiſche Hohe Kommiſſar in Agypten,
McMahon, dem Großſcherifen Huſſein
machte. Die Araber kämpften in den ver⸗
gangenen Monaten mit Zähigkeit und Hart⸗
näckigkeit um die eels ung jener Zuſiche⸗
rungen, jedoch vergeblich. Wegen bes Cie
teichtums in Irak und Iran, noch mehr aber
wegen der ungeheuren Bedeutung, die dieſe
ehemals türkiſchen Landſtriche für die Land⸗
verbindung nach Indien und a...
aben, darf Paläſtina nicht den britiſchen
änden entgleiten, und dazu kommt noch
die Mittelmeer⸗Anrainerlage Paläſtinas,
die es nach dem weitgehenden Verluſt
Agyptens wehrpolitiſch jum Schutze von
Suez in ganz neuem Lichte erſcheinen läßt.
Die Abrundung ſollte von der Türkei her
erfolgen. Die einſt unter türkiſcher Ober⸗
hoheit ſtehenden Araber begehren feit
einiger Zeit heftig auf und agitieren bis
hinüber nach Franzöſiſch⸗Marokko für völlige
Selbſtbeſtimmung ihrer Geſchicke. So will
nun England den Feind des Arabertums
ſeit 1517 wieder für ie mede eins
fpannen. Zyniſch bemerkte Philip Graves
am 15. Mai 1939 im engliſchen b
der „Einfluß der Türkei in der arabiſchen
Welt“ wachſe ſtändig, und das ſei einer der
Gründe für das engliſch⸗türkiſche Ab⸗
men.
Chamberlain hatte aber im Unterhaus
auch auf eine andere Bedeutung der
Türkei r die neue engliſche Außen⸗
politik hingewieſen — ihre Mittelmeer⸗
pofition, die eingangs [don erwähnt
wurde. — Graves ſagt nun, wie man
immer „das Mittelmeer“ beim endgültigen
i ore te (der ja bis jetzt no
nicht erfolgt iſt) definieren möge, au
Dm Fall müſſe man „die Küſten und
njeín im öſtlichen Mittelmeer einbeziehen,
die von der Türkei und Großbritannien
beziehungsweiſe deren Verbündeten —
Griechenland im Falle der Türkei, Agyp⸗
ten im Falle Englands — beſeſſen oder
kontrolliert werden“. In merkwürdiger
Übereinſtimmung, wörtlich Ki genau,
ſchrieb die „Times“ am 13. Mai, was
Graves am 15. ausführte: „Die Türkei ift
heute eine geeintere und gefeftigtere Nation
als irgendwann früher in ihrer Geſchichte,
ſie hat eine ideale ſtrategiſche Stellung im
Hochplateau von Anatolien mit ſeinem
Brückenkopf in Europa — eine Stellung,
die nicht in der Flanke gefaßt werden kann.
Die Türkei hat viele gute Häfen und ein
ausgezeichnetes Heer.“
gür einen Sandſchak die Freiheit verloren
Die Türkei hat es ſich e er gefallen
laffen müſſen, zum Spielball britiſcher
Intereſſen gemacht zu werden. Je nachdem,
wie die ruſſiſche Gefahr für England ſtand,
mußte ſie ſich die Feindſchaft oder Freund⸗
ſchaft Englands aufzwingen laffen. Wäh⸗
rend des größten Teils des neunzehnten
Jahrhunderts waren England und Ruß⸗
land Gegner, und die Türkei ſtellte ſich
nae England, weil fie fürchtete, Rußland
önnte die Dardanellen in ſeine Gewalt
bringen, und da England damals alles tat,
um die Ruſſen in Schach zu halten. Im
Krimkriege und im Ruſſiſch⸗Türkiſchen Kriege
von 1877/78 war daher England der atone
Helfer der Türken. Jedoch noch vor Beginn
unſeres Jahrhunderts wechſelte das Bild:
Aus Suet vor Deutſchland näherte fid)
England den Ruſſen, und die Türkei ſuchte
die deutſche Fer Seite he um gegen Ruß⸗
land von dieſer Seite her geſtützt zu wers
den. So kam es, daß im Weltkrieg England
und . 8189 gegen das Osmanenreich
fochten. Plötzlich wurde die Szene wieder
verſchoben, als in Rußland die Revolution
ausbrach und Deutſchland am Boden lag.
Die Briten wollten mit den Bolſchewiſten
nichts zu tun a unb bie alte ruſſiſch⸗
engliſche Feindſchaft lebte wieder auf. Die
Türkei, jetzt des deutſchen Freundes be⸗
raubt, daneben von England hart bedrängt
und zu einem Schmachfrieden gezwungen,
ſuchte Schutz bei Rußland. Sie war beſon⸗
ders verbittert, da ſie im Oktober 1918 von
den Briten gezwungen worden war, die
Dardanellen den engliſchen Kriegsſchiffen
p öffnen. Muſtafa Kemal, von [einem
olk Atatürk genannt, ſetzte dann den weit
verbeſſerten Frieden von Lauſanne 1923
durch. Für die Dardanellen wurde eine
internationale Kommiſſion eingeſetzt, die
Meerenge wurde entmilitariſiert, Kriegs⸗
ſchiffe dritter Nationen erhielten ein Durch⸗
fahrtsrecht zum Schwarzen Meer. In
Montreux wurde 1936 die Entmilitari⸗
ſierung aufgehoben, die Türkei durfte die
Meerenge befeſtigen. Sie kann nun im
Kriegsfalle ungehindert über den Waſſer⸗
weg verfügen. Die Schwarze-Meer⸗Anrainer⸗
ſtaaten, in der Hauptſache Rußland, dürfen
Schiffe jeder Größe in das Mittelmeer ent⸗
ſenden. Dritte Staaten haben nicht das
26 Außenpolitische Notizen
iefe Regelun
mit Rückſicht auf angeblide Gefahren für
Rumänien den Engländern zweckmäßig er:
ſcheinen, mit der Türkei ein enges Ab⸗
kommen zu ſchließen, um von dieſer Seite
her die britiſche Stellung im Oſtbecken des
Mittelmeers ſo weit wie nur irgendmög⸗
lich zu feſtigen. Was durch den bt fig
Italiens zur erſten Mittelmeermacht un
durch den trotz britiſcher Quertreibereien
möglich gewordenen Sieg Francos und
ſchließlich durch die immer ſtärker werdende
Feindschaft der Araber gegen England ver⸗
oren worden iſt, will London durch das
Abkommen mit der Türkei, die es vor
einem halben Menſchenalter völlig zu zer⸗
ſchlagen für ratſam hielt, ſo weit wie mög⸗
lich wettmachen. Gekrönt werden ſollen
dieſe Bemühungen durch einen Pakt mit
Sowjetrußland, deſſen Diplomaten zwar
Bolſchewiſten, aber wenigſtens nicht bereit
Ké für ein Linſengericht ben kapitaliſti⸗
leite Weſtmächten Steigbügeldienſte zu
eiſten.
Josef März:
Standortmessung
und Bestandsaufnahme
Ingofſlawiſche Kräfte
Jugoſlawien hat foeben die 550. Wieder⸗
kehr des Koſowo⸗Tages gefeiert, und
ne: mit einer Beteiligung des Volkes,
ie der Bedeutung bes Anlaſſes entſprach:
an die 100 000 waren auf dem Amſelfe d
uſammengekommen. Das will ſehr viel
agen wenn die Abgelegenheit des Gebietes
und die geringe Leiſtun ent der ein:
zigen heranführenben ahnlinie ber Maß
tigt wird. Es kann da keineswegs der Maß⸗
ſtab angelegt werden, den wir z. B. beim
Reichsparteitag, beim Büdeberg und ähn⸗
lichen Gelegenheiten verwenden. Die Hun⸗
derttauſend, die ſich am 28. Juni, dem Tag
des Heiligen Veit, auf dem Amſelfeld ver⸗
ſammelten, kamen, weil das Gedächtnis der
Entſcheidungsſchlacht heute noch lebendig iſt.
Sie iſt Mythos und Vermächtnis geworden.
Der Kranz von Sagen und Liedern, der
$ an fie knüpft, iit heute noch Bas,
9 die Gerben 1912 bei Rumanowo bie
Johannes Stoye.
Türken nach dem Süden zurückwarfen, da
war das in ihren Augen die Wiederher⸗
ſtellung eines geſchichtlichen Tatbeſtandes
und das, was ſich in fünf Jahrhunderten
ab eſpielt hatte, ein Anachronismus ge⸗
weſen, faſt ein unwirkliches Schemen, wenn
nicht Not und Unfreiheit das Bewußtſein
der Wirklichkeit an erhalten hätten.
Die Ethik von Koſowo kennzeichnete die
Sonderart, wie hier ein Volk aus einer
WEE Niederlage Kraft 30g und einen
euaufbau vorbereitete. Die zwei Pole bet
ſüdſlawiſchen Volksgeſchichte wurden bei der
Feier ſichtbar: während ein Teil des Ser⸗
bentums ih in Wanderung, RSC
Neufiediung über weite Teile des Baltans
ausdehnte, gibt es Familien, bie trotz Be
drückung und Verfolgung fünf und mehr
Jahrhunderte auf geſchichtlichem Boden
ausharrten, in einer beiſpielloſen bauer:
lichen Zähigkeit, die für die unerſchöpfte
Kraft Zeugnis ablegt.
Hier erwies ſich auch die Begrenztheit
der Koſowo⸗Wirkung: die Feier war vor⸗
wiegend eine Angelegenheit der Serben.
Der Zuſammenbruch des mittelalterlichen
Serbenreiches, des damaligen Machtmittel⸗
punktes auf dem Balkan, riß dieſes ju
wer in den Abgrund, bald darauf aber
aud) feine Nachbarn. Dieſe hatten zum Teil
bereits eine andere geſchichtliche Cntwid:
lung hinter ſich, vor allem Kroatien, das
in bie mitteleuropäiſche Kultur einbezogen
war und blieb. Gemeinſames Erleben war
nur zu einem beſtimmten Grade da.
Das hebt, und wohl mit beſtimmter Ab⸗
ſicht, um den Standort der Kroaten in den
noch andauernden D uc nn
abzuſtecken, bas Organ Matſcheks, der
„Hrvatſki Dnevnik“ vom 30. Juni, hervor.
as Blatt unterſtreicht, daß es den Ser⸗
ben noch heute nicht recht klar ſei, warum
die Kroaten die ſerbiſchen Nationalfeiern
und großen Männer nicht auch als die ihri⸗
gen betrachten könnten, ohne ſie deshalb
geringer zu achten. Nur in den Miſch⸗
gebieten hätten Serben und Kroaten d
meinjame FM gehabt, ſonſt aber lei
ihr ſtaatliches Leben getrennt verlaufen
und auch in den letzten zwanzig Jahren des
Lebens im gemeinſamen Staat fei die poli:
tiſche Organiſation nicht von der Art ge⸗
weſen, daß die beiden Völker einander
näher gekommen ſeien. Die ſerbiſche und
die kroatiſche Staatsidee ſeien lange Zeit
nebeneinander hergegangen, und der ſerbi⸗
ſche Teil verſtehe die Kroaten falſch, wenn
er annehme, daß ſie wieder den Zuſtand
anſtrebten, aus dem ſie zum gemeinſamen
— — — —
Außenpolitische Notizen 27
Habsburger Dion:
archie fei eben nicht gut geweſen, fo daß
hr hnten, he
könnten alfo nicht zufrieden fein, menn fie
im neuen Staat ihres eigenen ſüdſlawiſchen
Volkstums höchſtens wieder auf das zurück⸗
kämen, was ſie ſchon gehabt hätten. Eine
Verſchlechterung ihres Rechtzuſtandes wü
den ſie erſt recht nicht zulaſſen. Die Uni⸗
tariften, die über die alten Rechte der
Kroaten hinweggingen, hätten den inneren
Zuſammenhalt Jugoslawiens geſchwächt,
während das kroatiſche Streben, auch der
kroatiſchen Staatsidee Achtung zu ſichern,
die ni bet Gemeinſchaft nur erhöhen
werde.
Nan gebt nicht fehl, wenn man diefe
offiziöfe kroatiſche Stellungnahme als ein
zelenntnis zu weiteren i
lichkeiten auffaßt. Denn ſchon acht Tage
vorher hatte das gleiche kroatiſche Blatt
deutlich gegen die Aktion des früheren
Miniſterpräſidenten Dr. Milan Stoja⸗
dinowitſch Stellung genommen. Es
warf ihm vor, er habe, ſolange er an der
Macht war, gerade das getan, was ihm das
Recht nehme, die heutige Regierung angus
greifen, er habe niemals ernſtlich eine Ver⸗
ſtändi ung mit den Kroaten einleiten, ſon⸗
dern fe immer nur majorifieren wollen.
Die Kroaten wollen aber feinerlei Neus
Kilo, bei ber fie durch einfachen Mehr⸗
heitsbeſchluß ausgeſchaltet werden können,
ſie wollen einen Rahmen für gleichberech⸗
tigte Mitarbeit. Die Interpellation von
Dr. Stojadinowitſch hatte auch mehr par⸗
lamentariſche Ziele, ſie war nicht geeignet,
der Löſung der Kroatenfrage andere, beſſere
Wege zu bieten, ſondern brachte im Gegen⸗
teil gegen die kroatiſche Volksvertretung,
die acht Tage nach dem vorläufigen Still⸗
Rand der Einigungsverhandlungen nach
Zagreb einberufen worden war, vor, daß
ſie zu weitgehende Beſchlüſſe gefaßt (eg
ſolche, die gegen bie nationale und ſtaat⸗
liche Einheit verſtießen. Da Stojadinowitſch
weder die Kroaten für ſich gewinnen noch
Unterſtützung bei den einzelnen Oppo⸗
fitionsfiibrern finden konnte, blieb fein
Verſuch — für diesmal — ein Stoß in die
Luft. Für die Bemeſſung des Kräftever⸗
haltni es innerhalb der jugoſlawiſchen
politiſchen Führung iſt dieſer Zwiſchenfall
aber aufſchluß reich gemeren, Man neigte
bereits Ende Sunt wieder zu der Hoffnung,
daß die Verhandlungen zwiſchen Serben
und Kroaten mit Ausſicht auf Erfolg fort⸗
gelegt werden könnten. Einſtweilen ſteht
eit, bab der Tod des Führers der bosni⸗
chen uſelmanen, Mehmed Spaho, der
1935 noch auf der Liſte der Oppofition ges
wählt, dann aber mit ſeiner Gruppe in die
neugegründete Regierungspartei, die Jugo⸗
ſlawiſche Radikale Gemeinſchaft, übergetre⸗
ten war, keine SEM {m Beitand
mit ſich gebracht hat. Er wird freilich auch
nicht ein bisheriges Haupthindernis für
die Verſtändigung, die Stimmung in Bos⸗
nien mit ſeiner teilweiſen ſcharfen Tren⸗
nung zwiſchen Kroaten und Serben und
die Schwierigkeit einer genauen räumlichen
Auseinanderſetzung — die Kroaten vers
langen gebietsmäßige Autonomie in ihren
Mehrheitsbezirken — beſeitigen.
In dieſem Zwiſchenſtadium iſt es von
mehr als nur theoretiſchem Intereſſe, wenn
das führende Organ der Regierungspartei,
bie „Samouprava“, fid) Gedanken über die
Formen des jugo lawiſchen Staatslebens
macht. Der Leitaufſatz vom 15. Juni kommt
u dem Unterſuchungsergebnis, daß Jugo⸗
flawien edenfalls für den Marxismus
keinerlei Vorausſetzungen bietet, eine reine
Demokratie aber auch nicht möglich iſt, weil
die Demokratie ſchon erhebliche Kriſen her⸗
vorgebracht habe und die lebenswichtigen
Belange von Staat und Volk gefährdete.
Auf der anderen Seite wieder verlange
Jugoſlawien, als ein Staat mit drei Stam:
men und drei religiolen Bekenntniſſen,
viele Kompromiſſe, die eine totaliſierte
Staatsform ausſchließen. Behutſamkeit
Duldſamkeit und Verſtändnis ſei deshalb
nötig und verhindere es, daß Jugoſlawien
in dem Übergangszuſtand, den es noch
durchlebt, eindeutig eine beſtimmte euro⸗
päiſche Ee d übernehme, fonbern
es mülle, wie in fo vielen anderen Bes
edel en, leinen Typ für fid) bilden, ber
ann je nachdem wechſelnden Bedingungen
angepaßt werden könne.
Dieſe Ausgleichs⸗ und Gleichgewichts⸗
lehre, für die fid) vom Standpunkt Jugo-
ſlawiens manches anführen läßt, ſcheint
manche politiſche Kreiſe Jugoſlawiens auch
außenpolitiſch zu beeinfluſſen, allerdings in
einem Sinne, der gelegentlich leiſes Be⸗
Lesen hervorrufen muß. Vielleicht vers
chließen einige Zirkel die Augen vor der
Erkenntnis, daß der Balkan bund, in
dem Jugoflawien bisher dank ſeiner klaren
Stellungnahme den EE gal:
tor bildete, durch das ds ten ber Türkel
ausgehöhlt worden iſt; ſie vertreten im
Punkte der Neutralitätsaufgabe eine Auſ⸗
iv bie kaum den wahren Intereſſen
ugoflawiens dienen kann und aud Bul:
an
28 AuBenpolitische Notizen
tien, bas fid) weitgehend auf bie Freund:
ſchaft mit Jugoſlawien eingerichtet hat, in
eine deel bedroblide Lage qu bringen
eeignet ijt. Das bereits beeinträchtigte
leichgewicht läßt ix ſchwerlich wieder hers
rai wenn Sugo|famien bewo würde,
ich einer Strömung zu nähern, die gemifle
Garantien, die in der eigenen Kraft tegen,
weniger Bod) bewertet als fremde zweck⸗
beſtimmte uſicherungen. Koſowo hat
chlie 2 gerade deshalb fünfhundert⸗
ünfzig Jahre fortgewirkt, weil das Volk,
as damals E an die fernen a
lichen Länder Europas Hilferufe gefandt
hatte, ſich auf die Erkenntnis zurückzog, daß
nur aus eigener Kraft die Befreiung kom⸗
men könne.
Léon Blum:
Jude imd Franzose
Der prominenteste Jude der Dritten
Republik, Exministerpräsident und Frak-
tionsvorsitzender der sozialistischen
Kammergruppe, stellt sich hier nicht
etwa als unser neuester Mitarbeiter vor.
Jedoch dünkt er uns immerhin mit seinen
folgenden Worten als ein objektiver, von
aller Welt anerkannter Referent für
unsere weltanschauliche Aufklärung.
Monsieur Blum spricht hier von „wahr-
haft fürchterlichen antisemitischen Kri-
sen“ und von „grausam verfolgten
Juden“. Nun, das sind keine internatio-
nalen Greuelreden gegen Nazi-Deutsch-
land, sondern Feststellungen auf einem
Bankett zu Ehren des Zionistenführers
Chaim Weizmann am 16. Dezember
1924 in Paris. Mit seiner Sympathie-
erklärung für die jüdische Sache in
Palästina verbindet Leon Blum eine
Analyse von Judentum und Frankreich.
Wir rufen — unter Verzicht auf beson-
dere Ausrufungszeichen — dieses ehr-
liche Bekenntnis aus einer Zeit, da Mon-
sieur Blum aussprechen konnte, was
seine jüdische Seele bewegte, aus einer
Zeit, in der sich Deutschland beeilte, den
Dawes-Plan anzunehmen, ins Gedächtnis
zurück. Die Frage nämlich, ob Frank-
reich den „nuancierten Geschmack“ ver-
loren hat, der nach Blum früher anti-
semitische Strömungen in diesem Lande
auslöste, ist zugleich unseres westlichen
Nachbarn Schicksalsfrage! G.K.
Wenn ich überlege, welche Gefühle es
geweſen ſind, die mich veranlaßt haben, an
der zioniſtiſchen Bewegung einen Anteil
zu nehmen, der, wie ich Gud immer aktiver
werden ſoll, ſo möchte ich faſt glauben, daß
das erſte dieſer Gefühle das der Bewun⸗
derung war. Wenn man zehn oder zwölf
Jahre zurückdenkt, wenn man verſucht, ſich
vorzuſtellen, wie zart, wie gebrechlich zu
jener u die zioniſtiſchen Hoffnungen ge⸗
weſen ſind, und wenn man ſieht, was heute
SE was verwirklicht wurde; wenn man
bedenkt, daß die Heimſtätte in Paläſtina
etwas iſt, was wirklich exiſtiert und auf
Grundlagen beruht, die heute ſo ſicher und
feſt ſind, daß man [i faum mehr vorftellen
kann, irgendein Ereignis könnte fie er
ſchüttern, wenn man bedenkt, daß es dort
ein richtiges modernes Staatsweſen gibt,
das in vieler Hinſicht vielleicht an der
Spitze der Zivilifation marſchiert, das feine
Verwaltung, ſein Budget, alle ſeine Organe
at, das heute imſtande iſt, monatlich 3000
migranten aufzunehmen, und wenn man
ſich fragt, wie ein ſolches Wunder geſchehen
konnte — dann muß man ſich natürlich
klar darüber ſein, daß dies nur durch ein
Zuſammentreffen außergewöhnlicher Um⸗
ſtände möglich geweſen iſt, von denen lei⸗
der der Krieg der erſte und ausſchlag⸗
ebendſte war, man muß fid) klar darüber
ein, daß dies das Ergebnis einer unge⸗
heueren Gemeinſchaftsanſtrengung iſt, eines
ungeheuren Phänomens der Treue, für das
vielleicht das jüdiſche Volk das einzige Bei⸗
ſpiel ift. Man muß fid) Nechenſchaft darüber
ablegen, daß dies das Ergebnis der Be⸗
mühungen einiger Männer iſt, die wir
heute nicht vergeſſen ce ha unb bie die
größten Pioniere geweſen find. Aber man
muß fih aud fagen, dak an erfter Stelle
bei dieſem Werk die Leiſtungen Weizmanns
tehen, die vielfältigen Leiſtungen, die
einer Energie, ſeiner Beharrlichkeit und
fähigkeit zu danken find, dieſer unermüd⸗
ichen, faſt SE Aktivität, bielet
Gabe der phyſiſchen und geiftigen Allgegen⸗
wart, die fa di ermöglicht, zu leicher Zeit
in allen Ländern, in jedem Heilien, bei
jeder politiſchen Strömung dabei zu ſein.
In Frankreich hat der Zionismus eine
ſehr geringe Unterſtützung gefunden, ſowohl
in moraliſcher als auch in materieller Hin⸗
ſicht. Das iſt nun einmal die Tatſache, man
muß fie hinnehmen und nach ihren Grün⸗
den forſchen. Es beſteht kein Zweifel, daß
im franzöſiſchen Judentum dem Zionismus
egenüber eine gewiſſe Zurückhaltung be⸗
tand, eine gewiſſe Furcht, die aus einer
ganzen Anzahl vielfältiger Empfindungen
entſtanden iſt. Wenn ich von allen Um⸗
ſchreibungen abſehen und die Sache ſo defi⸗
AuBenpolitische Notizen 29
nieren will, wie fie ijt, [o ift bie klarſte,
baufigite und meiſtverbreitete, bie jtürtjte
diefer Empfindungen eine nicht febr Helden:
hafte, auch feine ſehr ſympathiſche: es iit
ein der Furcht entſtammender Egoismus.
Die Juden e s leiden nicht. Es
gab in Frankreich antiſemitiſche Strömun⸗
gen, die aber alles in allem niemals ſehr
ſchlimm waren. In Frankreich leben die
Juden in Sicherheit und Gleichberechtigung.
die Furcht der franzöſiſchen Juden kommt
daher, daß ſie glauben, durch eine allzu
attive, allzu pe Beteiligung am Zionis⸗
mus dieſen Zuſtand der Sicherheit und
7 rate und gefährden zu können, den
ſie nicht ihrer Überlegenheit über die an⸗
deren Juden der Welt verdanken, ſondern
dem Zufall oder dem Glück, daß ſie in
einem freien Lande leben, wo das Gefühl
der Gleichheit verbreiteter und wirkſamer
iſt — Dazu kommt noch ein anderes Ge⸗
A „Wenn wir uns aktiv an der zionis
ſtiſchen Propaganda beteiligen“ — Tagen
die franzöſiſchen Juden — „wenn wir uns
als Zioniſten deklarieren, werden wir ba:
mit nicht das Argument unterſtützen, das
immer gegen uns vorgebracht wird?“ Was
lagte man in Frankreich in den Jeiten des
Antifemitismus? Man fagte: „Ein Jude
kann niemals ein ganzer, vollkommener,
ungeteilter Franzoſe pin: im Grunde
leines Herzens bleibt er immer ein Jude,
das heißt etwas anderes, Fremdes, echtem
Bremojentum WH Aſſimillerbares.“ Und
ie franzöfiſchen uden ſagten ſich: „Wenn
wit uns als Zioniſten ausgeben, werden
wir dieſes Argument verſtärken, wir wer⸗
den ihm damit neue Nahrung und bei⸗
nahe einen Beweis liefern.“
Nun, was mich betrifft, 2
filger Jude, und ich halte mich mit aufrich⸗
tigem Gewiſſen für einen guten Franzoſen.
34 bin in Frankreich, im Herzen von Paris,
geboren, meine Eltern und meine Groß⸗
eltern lebten in Paris, und ſoweit ſich die
Geſchichte einer beſcheidenen Familie zus
kückverfolgen läßt — ich gebe zu, daß bas
nicht ſehr weit iſt — weiß ich nichts an⸗
deres, als daß meine Vorfahren Elſäſſer,
daß heißt alfo Franzoſen, geweſen find. Ich
ſelbſt wurde als Franzoſe erzogen, ich habe
an einem franzöſiſchen Gymnaſium ſtudiert,
ich hatte franzöſiſche Freunde, ich war fran⸗
zöſiſcher Beamter. Ich glaube, in einem ziem-
lich hohen Maße mir die franzöſiſche Kultur
angeeignet zu haben; ich ſpreche Franzöſiſch
jehlerlos und ohne Akzent; ich habe nicht
einmal in meinen Geſichtszügen beſonders
hervortretende Raſſeneigentümlichkeiten. Ich
bin franzö⸗
kann mich als n betrachten, und ich
e nicht den Eindruck, daß es eine Fein:
eit des franzöſiſchen Gefühls, der fran⸗
zöſiſchen Ehre oder der ir SE ee Kultur
ibt, bie mir fremd wäre. Trotzdem — id)
fühle mich ganz als Srangole, und gleich⸗
zeitig fühle ich mich als Jude. Ich habe
niemals bemerkt, daß es zwiſchen dieſen
zwei Teilen meines Bewußtſeins einen
binden einen wenn auch noch ſo ge
ringen Widerſpruch gegeben hätte. ch
war ſehr frappiert, als mir einmal Weiz⸗
mann etwas ſagte, was mir eine ſehr tee
a. zu fein (dint, bie nicht nur für
uns Juden, fondern auch für viele andere
zutrifft: daß es nämlich bei den Menſchen
ehr gut — ich will nicht jagen — eine
uplizität, aber jedenfalls eine Mehrheit
deſſen geben kann und beinahe immer gibt,
was man das nationale Gefühl nennt. Ganz
und gar einem Lande angehören, bedeutet
nicht, daß man ſich nicht in anderer Hinſicht
als integrierenden Beſtandteil einer an⸗
deren Gruppe, einer anderen menſchlichen
Gemeinſchaft empfinden kann. Wir können
uns ganz und vollkommen als Franzoſen
fühlen, ohne pat dies von unferem Ses
wußtſein fo ausſchließlich Belih ergreift,
daß uns nicht die Möglichkeit bliebe, uns
als integrierenden Teil einer anderen Kol⸗
[eftipgtuppe, welche immer es auch as
mag, gu ühlen. Und wir können mit Leib
und Seele ber jübijden Gemeinſchaft ange:
ören, während mir uns gleichzeitig voll»
mmen als Franzoſen fühlen.
Darin liegt keine Schwierigkeit und kein
Widerſpruch. Ein Jude kann ſich aſſimi⸗
lieren, ſich vollſtändi eli ein Doll;
kommener Franzoſe jein, und er braucht
trotzdem in keiner Weiſe und in keiner Be⸗
ziehung das Band zu zerreißen, das Cl
mit ber jüdiſchen Gemeinſchaft verknüpft.
Es gibt hier meiner Meinung nach keine
Schwierigkeit, und zu allen Zeiten haben
Menſchen ein Beiſpiel hierfür gegeben.
Wir leben als Franzoſen ſehr ruhig und
glücklich in Frankreich Aber ſollte das
Gefühl unſerer Zugehörigkeit zur [ionem
Gemeinſchaft von dieſem Gefühl ber per»
önlichen Sicherheit ſo vollſtändig unter⸗
rückt werden können, daß wir vergeſſen
könnten, daß es in andern Ländern der
Erde Juden gibt, die nicht ſo ruhig und
lücklich leben wie wir? Sollten wir das
erk vergelien, das zur Beſſerung der Lage
der Juden anderer Länder notwendig
wurde? Denn trotz allem war der Zionis⸗
mus in ſeinem Urſprung keine nationale
Rückforderung (revendication) — er iſt
30 l Außenpolitische Notizen
es nod heute nicht —, er wurde aus bem
Gefühl geboten und durch bie Tatſache her:
gel daß es notwendig fei, Milio»
nen Juden, der großen Mehrheit des jüdi⸗
ſchen Volkes, die in keinem anderen Lande
normale Bebingun en ber Anpaſſung und
der Aſſimilation finden fonnten, einen
Winkel in der Welt zu fidjern, wo fie das
finden würden, was die diplomatiſchen
Dokumente eine „nationale Heimſtätte“
nennen; und dieſe Heimſtätte mußte man
ihnen ſchaffen, da die Länder, in denen ſie
lebten, fie ihnen hartnäckig verweigerten,
durch le, oder in der Praris. Kann man
bas vergefjen? Kann man den Egoismus
fo weit treiben, um das zu vergeſſen?
Kann man in feiner eigenen Ruhe und
Sicherheit einen Grund legen, das zu ver:
ellen, bas zu leugnen, das Gefühl bet
olidarität i verlieren, das uns mit
weniger glücklichen, weniger geſicherten und
in vielen Nader ſogar grauſam verfolgten
Juden verbindet?
Der Sinn für die Realität iſt eine der
Gaben unſerer Raffe. Der Jude anerkennt
im allgemeinen die vollzogene Tatſache,
nimmt ſie hin und ſtellt de als notwendige
Gegebenheit in feine Überlegungen und
Handlungen ein. Heute haben wir uns
nicht zu fragen, ob man recht oder unrecht
at, dioniit zu fein, denn Zion exiſtiert.
ir haben uns nicht qu fragen, ob es
richtig oder unrichtig ift, eine ſolche Ber
wegung zu fördern und zu propagieren.
Sach dieſe Bewegung dient einer realen
ache.
Welches iſt das Intereſſe, das ſtrikte,
egoiſtiſche Intereſſe der franzöſiſchen Nation
an all dem? Es beſteht darin, daß Frank⸗
reich an dieſem Werk beteiligt ſe vaf
feine iſcher Geiſt und franzöſiſcher Einflu
eine Richtung mitbeſtimmen. Ein einziges
Beiſpiel mb daß zwiſchen ben natio»
nalen franzöſiſchen und den zioniſtiſchen
SE fein Widerſpruch beiteht. 8
mann kennt es beſſer als ich, denn es ilt
ſein Werk. Weiß man, warum und wodurch
vor zwei Jahren das franzöſiſche Mandat
über Syrien vom Völkerbund angenommen
und ratifiziert wurde? Es geſchah infolge
der zioniſtiſchen Bemühungen. Es iſt Zion,
dem Frankreich das Mandat über Syrien
verdankt. Ob dieſes Mandat gut oder
ſchlecht iſt, will ich hierbei nicht erörtern.
Das iſt heute nicht unſere Sache. Aber
man wünſchte es hier, es war ein wichtiger
Beſtandteil der franzöſiſchen Politik, es war
ein Ziel Frankreichs, und durch die zio⸗
a. Bemühungen fonnte biefes Ziel
erreicht werden.
Liegt es im franzöſiſchen Intereſſe, daß
in der Jeruſalemer ate, ät, in ber jüdi⸗
en Kultur, im Zionsſtaat der franzö⸗
iſche Gedanke, die franzöſiſche Wiſſenſchaft,
ie franzöſiſche Kunſt nicht vertreten ſei?
Ich glaube das nicht. Ich glaube, es liegt
im pw Frankreichs, deffen Juden in
dieſer Hinſicht feine Vertreter find, daß es
bei allen dieſen Werken den Platz ein⸗
nehme, der ihm gebührt und der, wie man
weiß, niemals der letzte iſt. Man kann bei
all dem nicht ſagen, daß zwiſchen den Lan⸗
des⸗ und den jüdiſchen . ein
Gegenſatz beſtehe. Sie fallen zuſammen,
ſie vertragen ker vollfommen, i polítom:
men, daß in unjerem eigenen Bewußtſein
bie Liebe zum Vaterland und die Treue
gegen den jüdiſchen Gedanken nebenein⸗
ander beſtehen können.
Durch die Verhältniſſe war 18 ge⸗
zwungen, den Antiſemitismus in Frank⸗
reich ein wenig kennenzulernen. Ich bin
nicht mehr ganz jung, ich habe wahr:
a fürchterliche antiſemi⸗
iſche Kriſen te en, in bem Aus:
maße natürlich, mte fie biejes Land kennt.
abe während der Dreyfus⸗Affäre hier
elebt und während der Zeit der „Patrie
france" zu den Zeiten des wiifteften
ationalismus. Der Antifemitis:
mus in Frankreich i
Überzeugung nach nicht wie in
anderen Ländern, wo die jü:
diſche Bevölkerung weitaus
dicht aus ſozialen und
er iſt
wirtſchaftlichen Gründen ent⸗
Ronnen Er entſtand aus Arſachen
gang anderer Art, aus Urſachen, bie
— fo nichtsſagend der Ausdruck aud
ſein mag — als geſellſchaftliche bezeichnen
möchte. Der Antiſemitismus war die Folge
beſtimmter Neigungen der von alters her
in Frankreich anſäfſigen, der reichen und
in gewiſſer Nicht in die höheren ich⸗
ten der Geſellſchaft eee Juden,
in andere Kreiſe der Geſellſchaft und der
großen Welt einzudringen, und letzten
Endes ihrer manchmal taktloſen
und eitlen Bemühungen in dieſer
Richtung; er iſt eine Folge ihrer Art, ihr
Vermögen zur Schau zu ſtellen oder ihre
Abſtammung zu verleugnen. Er wurde
aus Urſachen geboren, wie ſie
ein empfindliches Volk mit
einem nuancierten Geſchmack,
mit großem Takt undeinem aus:
i 2 i LES" MD "2 WEI
— — =
— - o———P— —— —HV—e 232
Kleine Beiträge 31
prägten Sinn für Delifateffe
ſtoßen mußten. Und fo kam man
u, dem Bolt Ale n unb aís ein
bel der Raffe anzuſehen,
was nur die Fehler, die zuweilen etwas
übertriebenen Fehler beſtimmter Indivi⸗
duen waren. halte dies für die
eigentliche urzel bes Anti»
ſemitismus in dieſem Lande. Nicht
dadurch hat man den Antiſemitismus in
Frankreich ins Leben gerufen, daß man ſich
ju febr als Jude zeigte, ſondern dadurch,
M, man zuweilen zu ſehr verbergen wollte,
man es ift. Was mid anlangt, fo war
ich immer weit davon EEN zu fagen,
daß man dadurch Antiſemitismus errege,
wenn man ſich zu feinem Volk und zu feiner
Religion bekenne — freimütig, wie man
dies immer an pa und mit SC wozu
wit Juden das Recht haben. Man hat den
Antiſemitismus in Frankreich viel mehr
durch einen Mangel an Stolz und zuweilen
an Würde hervorgerufen als durch ein
offenes, mutiges und freimütiges Bekennt⸗
nis zu dem, was man iſt, und durch die
offene Beteiligung an den Gedanken oder
an den Werken, zu denen dieſes jüdiſche
Gefühl uns inſpiriert.
n das, was ich hier ſage, richtig iſt
— und ich laube daran und bin überzeugt,
daß auch die franzöſiſchen Juden es immer
cine
Der Beitrag der Araber
zur Weltkultur
Der folgende Beitrag, der uns von dem
Ministerialdirektor im irakischen Er-
ziehungsministerium, Dr. Fadhil Jamali,
zur Verfügung gestellt wird, ist bezeich-
nend für die Ideale, von denen der ara-
bische Nationalismus erfüllt ist. In diesem
Sinne soll der Beitrag verstanden werden.
Zwar hat jedes Volk feine eigenen kul⸗
turellen Vorbilder und Ideale, ſeinen
eigenen Glauben und eigenen inneren
SCH doch kein einziges Volk kann wohl
don ſich behaupten, daß es ſich ſelbſt genügt
ungenügende Mitarbeit
Auf
klarer erkennen werden — dann iſt jetzt für
uns der Augenblick gekommen, in dem zio⸗
niſtiſchen Aufbauwerk den Platz und die
Rolle zu übernehmen, die uns gebü rt. Die
jüdiſche Gemeinde in Hannen it wohl
nicht ſehr zahlreich, aber fie ift alt unb ein:
pu reich durch bie perſönliche oder foziale
edeutung vieler der Männer, die ihr an⸗
gehören. Sie könnte bei dieſem Werk eine
nicht nur nützliche bag weſentliche
Rolle ſpielen. Die Fü rer des ann et
Unternehmens willen, wie die Nichtbeteili⸗
gung der franzöſiſchen Juden oder ihre
ſie oft in ihrer
gabe gehindert und gehemmt haben.
Ich richte einen Appell an die franzö-
ſchen Juden. ee weih daß ich tein großes
alent dazu habe; ich habe nur bie eine
Eigenſchaft, ein Jude zu ſein, der niemals
— ich möchte das Kë nod erflaren — in
all ben Wechſelfällen feines Lebens ben
Antiſemitismus zu fühlen bekommen bat;
aber ich habe ihn darum nicht gefühlt, mir
iſt niemals auch nur zum Bewußtſein ge⸗
kommen, daß es einen Antiſemitismus
eben könnte, weil ich niemals verſtanden
abe, wie man als Jude etwas anderes
ein kann als ein Jude, welcher offen und
tolz ſich zu der Raſſe, dem Volksſtamm und
der Religion bekennt, zu der er gehört.
groe
und fih dem Einfluß anderer Kulturen
völlig verſchließt. Die Kultur eines jeden
Volkes wird von der übrigen Welt beachtet.
In der Geſchichte ſelbſt wird man viele Bei⸗
ſpiele vom Austauſch des Kulturreichtums
der Völker untereinander finden können.
Genau ſo ſelbſtverſtändlich iſt es dann aber
auch, daß ein Volk einen größeren Beitrag
zum Kulturſchatz der Menſchheit leiſtet als
ein anderes.
Maßſtäbe der Kulturgeſchichte
Man kann etwa drei Punkte aufſtellen.
nach denen man den Anteil eines Volkes zu
prüfen und zu meſſen hat:
1. Art und Wert des kulturellen
Beitrags. Einige Völker werden der Welt
32 Kleine Beiträge
ihren Beitrag durch ihre geiſtige Erfahrung
geben können, bei anderen wieder wird er
philoſophiſcher, wiſſenſchaftlicher oder künſt⸗
leriſcher Art ſein, oder vielleicht auch auf
dem Gebiete der Rechts wiſſenſchaft, des Res
i Ss oder Verwaltungsweſens liegen.
ll dieje jedoch werden ſich ſelbſtverſtändlich
ſowohl in ihrem Wert als auch durch ihren
zu uß unterſcheiden. Die meiſten Völker
werden wohl nur auf einzelnen Sonder⸗
eerie ihren Beitrag zur Weltfultur ges
eiftet haben. Sehr 5 ten jedoch wird man
finden, daß ein Volk ſeinen Einfluß auf
A, allen. Gebieten der
menſchlichen Kultur geltend ges
macht hat. Dieſe ſeltene Eigenſchaft darf
man wohl den Arabern a en, Deren
Anteil ſowohl auf bem Gebiete ber Relis
gion, Philoſophie, Wiſſenſchaft, Literatur,
unſt, Induſtrie und Handel, als auch auf
dem der Rechtswiſſenſchaften und Geſetz⸗
gebung liegt.
2. Den Beitrag eines Volkes zur Welt⸗
kultur kann man auch nach der geo⸗
graphiſchen Ausdehnung meſſen.
Man prüft dabei nach, wie weit über
ſeine eigenen Grenzen hinaus ein Volk ſeine
Kultur verbreitet hat. Einige werden viel⸗
leicht nur einen ſehr begrenzten Einfluß au
ihre nächſten Nachbarvölker haben, vielleich
auch auf dem betreffenden Kontinent, wäh⸗
trend wieder bei anderen fi ihr kultureller
Einfluß auf die ganze Welt erſtreckt. Und
wieder darf man die Araber als zu dieſer
letzten Kategorie gehörig bezeichnen. Denn
e waren es, die während des Mittelalters
ihre Kultur über die damals bekannte Welt
verbreiteten, ſie, die ihren Einfluß direkt
oder indirekt faſt in jedem Teil der Erde
geltend machten. Heute hat dieſer geographi⸗
ſche Maßſtab durch die modernen Verkehrs⸗
und Beförderungsmittel die Bedeutung ver⸗
loren, die er damals hatte, denn es war
keine Kleinigkeit in jenen Tagen, in denen
man von Maſchinen und Motoren noch
nichts wußte, den weiträumigen kulturellen
Einfluß zu haben, den die Araber be⸗
ſaßen. Tatſächlich kennen wir nur bei
wenigen Völkern einen kulturellen Einfluß
ſolchen Ausmaßes. Man weiß, daß ſie
Afrikas unbekannteſte und dunkelſte Teile
erforſcht haben, daß ſie bis zu den Mauern
Chinas vorgedrungen ſind und ſpäter
Spanien und Südeuropa beherrſcht haben.
(Amerika und Auſtralien waren damals, als
die Araber auf der Höhe ihrer Macht
waren, der Welt noch unbekannt.)
bem Sf
3. Schließlich können wir den Beitrag
eines Volkes zur Weltkultur an der Dauer
ſeines Fortbeſtandes meſſen. Einige
Völker werden ihren Anteil nur auf eine
begrenzte Spanne Zeit ausdehnen, dann
wird ihr Einfluß ſchwächer und ſchwächer,
bis er völlig Me Die einen werden viel:
ee) in dieſer Hin We nur ein einziges Maul
in der Geſchichte erſcheinen und dann ver:
gehen, wogegen aber andere ſich wieder und
wieder zur Höhe ihrer kulturellen Macht
aufſchwingen, nur um jedesmal aufs neue
die Größe und Dauer ihres Einfluſſes zu
vermehren. Und wieder dürfen wir dë
dak die Araber zu dieſer Klaſſe der Voller
gehören, das heißt zu denen, die immer aufs
neue das menſchliche Geſchick in bedeutend:
ſtem Maße geformt und beſtimmt haben,
und jedesmal ging ihr Einfluß weiter und
nahm feſtere Formen an als beim vorher:
gehenden Male.
Arabiſche Leiſtungen
Die urſprüngliche Heimat der Ara⸗
ber iſt die hr Halbinfel mit ihren
sen Landſtrichen im Norden, das
eutige Irak, Syrien, Paläſtina und Trans
jordanland. Die Araber haben in Süd-
arabien Tauſende von Jahren vor ber
chriſtlichen Zeit große Kulturen entwickelt.
Später jedoch wandelte ſich die Halbinſel,
die erſt reich an ele und blühenden
Städten war, in eine ſandige Wüfte, bie
wohl durch eine natürliche Austrocknung
hervorgerufen wurde. Die Überreſte alter
Städte können heute in Al⸗Ruba⸗al⸗Khali
(oder das öde Gebiet) in Arabien gefunden
werden. Die alte, reiche Kultur von Samar,
das „Arabia gelig’, wird ein ausgedehntes
eld für Studien und Forſchungen bieten.
m Norden hatten die Kulturen von Tal⸗
Halaf und die der Phöniker, Babylonier
und Chaldäer einen weitgehenden Einfluß.
Mammurabi, der große Landſpender, iſt
einer der 8 Geſtalten
unter den Arabern der vorchriſtlichen Zeit.
Die Geſchichte des arabiſchen Volkes aber
weiſt auch leere Blätter auf. Nach einer
langen Pauſe kam der Aufſtieg unter
lam und übte ſeinen wirkungs⸗
reichen Einfluß vom 7. bis zum Ende des
15. Jahrhunderts, als Arabien ſeine letzten
ſpaniſchen Gebiete verlor, auf die Kulturen
der Völker aus. Damaskus, Bagdad und
Kairo waren die berühmten Kultur⸗ und
Wiſſenszentren der damaligen Zeit. Aber
auch noch nach dem Fall Spanien hörte der
arabiſche Einfluß nicht auf. Solange der
—— 2 —U—— — — — —
Kleine Beiträge 33
Slam lebt, wird auch der arabiſche Kultur:
einfluß beſtehen. Nie wird auch der ara⸗
biſche Einfluß auf die Geſtaltung moderner
weſtlicher Wiſſenſchaften und Philoſophie
ausſterben, ſolange weſtliche Ziviliſation
beſtehen wird. So dürfen wir wohl behaup⸗
ten, daß der arabiſche Einfluß auf die Welt⸗
kultur ſo lange dauert und dauern wird,
wie die Geſchichte ſelbſt. Und wieder ſind
heute die Araber im olen begriffen, ein
Aufftieg, bei bem fie hoffen, an ber menſch⸗
lichen Kultur unb am menſchlichen Schickſal
einflußreicher teilzuhaben. denn je zuvor.
Es bleibt noch die Frage zu erörtern,
welcher Art denn der akabiſche Beitrag zur
Weltkultur war. Hier können wir nur die⸗
jenigen Gebiete berühren, die im großen
and ganzen den weitgehendſten Anteil
n.
t. Auf geiſtigem Gebiet: Cin:
e Be tein, doch voll unendlicher Er⸗
babenheit ftellten die Araber ben Ges
danken der Einzigkeit Gottes
dar. Ihr Glaube iſt auf dem Gebiet der
Religion und auch Philoſophie weder der
des Dualismus noch Pluralismus. Sie
machen keinen Trennungsſtrich zwiſchen
dem Materiellen und dem Geiſtigen — und
iſt es nicht nt jo wie fie aud feinen
Unterſchied zwiſchen Theorie und Praxis zu
machen? Das Materielle wird nicht ver⸗
achtet, ſondern in guten Einklang mit dem
Seiſtigen gebracht, und Macht und Recht
ten 1 Sich zu demütigen
und zu ergeben, entſpricht nicht
dem Geit arabiſcher Philos»
lophie, dagegen ift Eintracht und Einig⸗
leit die Grundidee der Weltanſchauung, die
wir Araber auf JOE Lebensgebiet vers
treten und verbreiten.
2 Nitterlichkeit: Wie es viele
Schriftſteller fon th richtig erkannt haben,
finden die Vorſchriften, die die ziviliſierte
Welt über Nitterlichkeit und Tatt kennt,
ihren Urſprung bei den Arabern. Sreiheit
und Ehre, Mut, Hochherzigkeit und Gaſt⸗
freundſchaft, Adel und Reinheit der Seele
bedeuten das Leben des Arabers. Ein
wee Araber würde eher fterben, als
auch nur eine Deler Tugenden aufgeben.
Die weſtliche Welt hatte während der
Kreuzzüge oft genug Gelegenheit, ſich von
len Charakter und der Ritterlichkeit
der Araber zu überzeugen.
A Auf dem Gebiet der WViſſen⸗
ſchaften: Die Araber haben eine an⸗
geborene und wahre Neigung für die
Wiſſenſchaften. Mit Leichtigkeit könnte man
jedes der großen wiſſenſchaftlichen Arbeits⸗
gebiete auf den Anteil der Araber hin
unterjuden. Es mag hier der Hinweis
darauf genügen, daß auf mathematiſchem
und aſtronomiſchem Gebiet Unſchätzbares
von den Arabern geleiſtet wurde. Und er⸗
kennt man nicht heute noch in vielen euro⸗
päiſchen Sprachen den arabiſchen Urſprung
an den meiſten Sternennamen und »bezeich⸗
nungen? „Algebra“, ein arabiſches Wort,
iſt die mathematiige Wiſſenſchaft, die
Arabien der Welt geſchenkt hat, genau wie
ſie auch in der Chemie bedeutende Beiträge
. haben. Zwei der bekannteſten
änner auf dem letzteren Gebiet ſind wohl
Geber und Al⸗Nazi. Das Buch von Damiri
über Zoologie iſt wohl das beſte Beiſpiel
für die Leiſtungen der Araber auf dieſem
Gebiet. Auch in landwirtſchaftlicher und
ber eech Hinſicht haben ſie das Wiſſen
der Menſchheit gefördert, und jahrhunderte⸗
lang wurden an den europäiſchen Univerſi⸗
täten mediziniſche Bücher, die von Arabern
peor waren, benutzt. — Beim Schrei⸗
en dieſes Aufſatzes blicke ich auf die „Welt⸗
karte bes Idriſt“, ein lebendiges Zeugnis
arabiſcher Geographiewiſſenſchaft, die im
Jahre 1154 n. Chr. gezeichnet und jetzt in
Berlin reproduziert worden if Denn ohne
ein weites geographiſches iſſen wären
auch die arabiſchen Eroberungs⸗ und
Handelszüge kaum möglich geweſen. — In
den großen Bibliotheken der Welt kann
man berühmte arabiſche Geſchichtsbücher
finden. Hier iſt vor allem Ibu⸗Khaldun zu
nennen, der nicht nur ein DT Hiſtoriker
und einer der größten Männer der Ge⸗
ſchichtsphiloſophie war, ſondern auch als
Gründer der ſoziologiſchen Wiſſenſchaft be⸗
zeichnet werden darf.
4. Auf a wahr ih, daß dir Gebiet:
Wenn es auch wahr iſt, daß die Araber auf
dem Gebiete der Malerei und Bildhauer⸗
kunſt nichts Beachtliches geleiſtet haben, ſo
wird man doch ihren großen Anteil, den
ſie an der Muſik und der Poeſie, an den
architektoniſchen und dekorativen Künſten
ae nicht beſtreiten können. Dafür find
amaskus, Jeruſalem und Kairo, Nord⸗
afrika und Spanien ein 1 Zeugnis;
die moderne ende Muſik klingt febr an
die der arabiſchen an, und unendliche
Schönheit erfüllt unſere arabiſche Poeſie.
5. Induſtrie und Handel. Schon
immer waren es die Araber, die die ver⸗
bindende Brücke zwiſchen den Handels⸗
beziehungen des Oſtens und Weſtens, Nor⸗
— æ e =
34 Kleine Beiträge |
dens unb Südens hergeſtellt haben. In ben
Tagen, in denen man noch keine Maſchinen
kannte, ſtellten ſie neben Web⸗, Glas⸗ und
Papierwaren auch feine Holz⸗, Leder⸗ und
Metallarbeiten her. Bekannt für die Her⸗
ſtellung von Stoffen, deren Name heute
noch daran erinnert, wurde Moſſul und
Damaskus (Muslin und Damaft).
Nicht alle UH we und Gebiete
können pict aufgeführt werden, in denen
bie Araber zur Förderung ber Weltfultur
beigetragen haben; bie Gebiete u. a. bes
RNegierungsweſens, der Rechtsgebung, Lites
ratur müſſen wir hier übergehen.
Das arabiſche Volk ` heute wieder er:
wacht, es kämpft für ſeine Freiheit und
Einigkeit, und ſeine Sehnſucht geht dahin,
bald vielleicht Größeres und Schöneres für
die Kultur der Menſchheit zu leiſten als
jemals zuvor.
Bildnis eines grenzdeutschen
Dichters
Zur Geſamtausgabe der Werke von Hans
Kloepfer
Des ſteiriſchen Dichters Hans Kloepfer
Werk darf mit Recht als eine Dichtung
der Stille bezeichnet werden. Die Sin⸗
onie einer vielfältig⸗ reizvollen Qand-
chaft, die Ausgeglichenheit einer ſich ſelbſt
genügenden Zeit und die reichen Erfah⸗
rungen eines Lebens, das mit behüteter
Jugend begann und über ein geſichertes
Studium in die geregelte Bahn des Be⸗
rufes mündete, bildeten den ruhigen Bo⸗
den, aus dem ſein Werk wachſen konnte.
Wir müſſen die Stage ſtellen: „Was
ollen wir mit einer Dichtung der Stille?“
eſſer: die Frage muß aufgeworfen wer⸗
den, um ihrem ſpäteren Au par vorzu⸗
beugen. Es wird manchem nicht einleuch⸗
ten, daß wir uns auch zu einem ſolchen
Werke bekennen dürfen und müſſen. Man⸗
cher wird glauben, dazu keine Beziehun
finden zu können, entſtammen wir do
einer Generation, die in einem jeden Ein⸗
zelnen ſtändige Bereitſchaft ausbildete, in
der ein politiſcher Kampf entſcheidender
Jahre der Entwicklung mit Unruhe er⸗
füllte und auch nach dem Siege der Kampf
als Notwendigkeit wach bleibt. Trotzdem:
wir bekennen uns zu einem Werke der
Stille, das aus der alten Generation er⸗
wuchs, wenn in ihm der ewige Pulsſchlag
unſeres völkiſchen Lebens zu ſpüren iſt.
Dies iſt bei Hans Kloepfer der Fall. Und
ſchließlich wollen wir uns auch des Wor⸗
tes erinnern, das einmal ausgeſprochen
wurde: ein lyriſches Gedicht kann deutſcher
ſein als ein Werk, in dem das Wort
„Deutſchland“ immer wieder bombaſtiſch
im Munde geführt wird.
Am überzeugendſten iſt Dichtung immer
dann, wenn ſie aus einer großen menſch⸗
lichen Seele geboren wird. Der Arzt und
Dichter Hans Kloepfer, dem für ſein dich⸗
teriſches Werk der Mozart⸗Preis 1939 zu⸗
erkannt wurde, hat in ſeinem Leben jene
chönen Vorausſetzungen vorgefunden, durch
ie ſeine Anlagen d in einer geraden
Linie zu jenen menſchlichen Vorzügen ent:
wickeln konnten, welche für die Harmonie
von Menſch und Außenwelt notwendig find:
klares Empfinden für das Weſentliche, auf
opfernde Liebe zum Nächſten und Güte
jedem gegenüber. Die Umgebung, in der
er aufwuchs, bildete ſeinen Sinn für das
Urſprüngliche aus.
„Aus dem Bilderbuch meines Lebens“
Naß jener Band, in dem er uns von der
andſchaft und den Menſchen ſeiner Jugend
erzählt. Er redet da in der Sprache eines
Menſchen, der ſich wohl geborgen weiß in
der Geſchlechterfolge ſeiner Familie und in
ſeiner Heimat. Die vornehme Art weiſer
Gelaſſenheit, überſtrahlt von le
Humor, ift es, mit der der Dichter hier be:
richtet. Liebevoll, mit feiner Feder, zeichnet
er das Bild der weſtſteiriſchen Heimat.
Wenn wir dann auch bei der SD
der nationalen Kämpfe im alten Sſterrei
erfahren, daß der damalige Grazer Student
tätigen Anteil am völkiſchen Leben ge
nommen hat, fo ſpüren wir doch, daß mit
dieſer politiſchen Betätigung nicht das
Weſentlichſte in ihm berührt wurde, daß
die ereignisreiche Welt am Rande blieb;
im Eigentlichen blieb Kloepfer der Stille
verhaftet, wohl nicht einer vom Leben ab⸗
gekehrten, ſondern einer ſolchen, die das
Beſte am und im Leben erſt erkennen läßt.
Dieſe Hinkehr zur Stille aber befähigte ihn
in ſeinem ſpäteren Beruf als Arzt einer
armen Induſtrie⸗ und Bergbauerngegend,
innere Beziehung zu den Menſchen zu
finden. Die Kenntnis der Arbeiter und
Bauern, zuſammen mit ſeiner Liebe zut
Heimat, haben aus dem Arzt einen Dichter
werden laſſen.
Seiner engeren Heimat hat er in dem
Band „Sulmtal und Kainachboden“ ein
Kleine Beiträge 35
Denkmal geſetzt. Deutſches Grenzland wird
hier in ſatten Farben, bunter Lichtfülle
und wohltuender Schlichtheit lebendig. Wir
erleben wechſelvolles Land und verwan⸗
delnde Zeit, wir erleben die Härte bes
Schickſals ebenſo tief wie zartes Er⸗
blühen, romantiſche Schönheit, verwurzeltes
Bauerntum und vordringende Induſtriali⸗
ſietung, idylliſche Märkte und Dörfer, ſagen⸗
umwobene Burgen.
Es ſind kleine ges de die in einem
Bande vereinigt find und den ſchriftſtelleri⸗
ſchen Beginn Kloepfers darſtellen. Vorerſt
waren es wohl nur die heimatkundlichen
Abhandlungen eines Mannes, der mit un⸗
endlicher Liebe der Vergangenheit und der
Eigenheit ſeiner Heimat nachſpürte, das
Ergründete aufzeichnete, um ſeinen Mit⸗
menſchen die Augen für die Schönheit zu
öffnen und ſie zu ihnen hinzuführen. Die
reiche Umwelt unb eine feinempfindende
Seele haben zueinander gefunden.
Am ſtärkſten wird ſein Dichtertum offen⸗
bar in dem Band Mundartgedichte „Joahr⸗
lauf“. Hier wird ein Dichter offenbar, der
mitten aus der bäuerlichen Welt, der er im
Tiefſten angehört, den leuchtenden Kriſtall
ſeiner Schöpfungen hebt. Bäuerlicher Witz,
harte Sorge, kantiger SCH geben in der
echten, [prdden Mundart, der man lange
orden muB, ein Bild vom harten
Schlag der Steiermärker. Es fehlen aber
auch nicht die zarten Töne, die Verſe von
Lieb und Treu und der Heimat, in denen
dieſe harte Mundart mit einemmal einen
ganz anderen Klang bekommt, weich und
verträumt, melodiös wird.
Zarteſte Töne findet der Dichter auch in
ſeinen hochdeutſchen Gedichten. Die hiſtori⸗
Iden Erzählungen in dem Bande „Steis
tilde Geſchichten“ werden wohl nicht jenen
anſprechen. Dafür aber find bie Geſchichten
aus dem Leben und Werten des Landes
und feiner Menſchen um fo gültiger. Aus
Leid und Freud ſpricht das Schickſal uns
mittelbar zu uns, ein Schickſal, das ein
Arzt am Wege ſeines Lebens geſammelt, das
ein echter Dichter künſtleriſch überhöht hat.
nd hier wird uns bewußt, zu wie viel
Dank wir dieſem Dichterarzt verpflichtet
And. Mit liebevollem Herzen und ſorgender
Hand hat er das Leben dort gefunden, wo
die Not am größten, das Herz der Menſchen
aber am tapferſten iſt. In der Wohnung
des Arbeiters, in der armſeligen Keuſche
des Kleinbauern. Daß er aber an der ſicht⸗
baren Not nicht verzweifelt, wie ſo viele
ſeiner Generation, läßt uns die ganze
Größe ſeines Menſchentums erkennen, ein
Menſchentum, das ihn befähigte, durch die
Not zu den Herzen der Menſchen zu drin⸗
en und dort neben dem Dunkel auch die
elle zu ſehen und zu erleben. Er hat als
unermüdlicher Arzt wohl ſchon tauſenden
Menſchen geholfen — ihrem Körper wie
ihrer Seele! Sein Erlebnis wirkt in ſeiner
Kunſt weiter, wird jedem Leſer übermittelt
als ein unverlierbarer Beſitz, als eine tröſt⸗
liche Erkenntnis: daß nämlich jene Werte
der Stille, ohne die ein Volk nicht pedi
kann, in unſerem Volke gegenwärtig find.
Es iſt eine Jugi Ehrung für Kloepfer,
daß er für ſein dichteriſches Werk den
Mozart⸗Preis erhielt. as aber mit
keinem Preis anerkannt werden kann, was
wir ihm nur mit dem Verſprechen Sie
nachzueifern danken können, ijt feine menſch⸗
liche Größe.
Es iſt ein deutſches Verdienſt der „Al⸗
enlandbuchhandlung Südmark“ im Graz,
aß ſie vor einiger Zeit aus Anlaß des
70. Geburtstages des Dichters eine ſchöne
Geſamtausgabe der Werke herausgebracht
hat. Walter Pollak.
Weimars klassische Stätten
Wir vermögen kaum uns mit Goethe zu
beſchäftigen, ohne nicht zugleich den heftig⸗
ſten Drang zu verſpüren, in ſeine Lebens⸗
welt einzudringen. Die Außerungen ſeines
Lebens find auf allen Gebieten in einem
beſonderen Sinne ſo dichteriſch, ſeine Dich⸗
tung hingegen iſt ſo mit ſeinem Leben ver⸗
knüpft, daß es uns Deutſchen geradezu als
Pflicht erſcheint, die Begegnung mit dem
Menſchen Goethe herbeizuführen.“ Solche
Worte ſetzt Baldur von Schirach einem
Band von zehn farbigen Tafeln nach Aqua⸗
rellen von Alfred Thon voran, die im
Woldemar Klein Verlag, Berlin, unter
dem Titel „Weimars klaſſiſche Stätten“ er⸗
ſchienen ſind. Aus Weimar wird Goethes
und Schillers Arbeitszimmer, das Juno⸗
zimmer, das Wittumspalais, das Schloß,
Tiefurt uſw. gezeigt. Die farbenfrohen
Aquarelle Thons atmen den Geiſt jener
„Hauptſtadt des deutſchen Geiſtes“, und im
Schauen dieſer Blätter erhält unſere Vor⸗
Ae aon jenen klaſſiſchen Stätten das
rechte Maß von Raum und der Freude an
lichten Farben.
Neue Bücher
Landdienst- Heime — eine neue Bau-
aufgabe der Jugend
In ber „Times“ laſen wir vor einiger
Zeit, daß Lloyd George fic) vor 3000 Leh:
tern darüber ausgeſprochen hat, daß bie
Jugend Deutſchlands auf das Land zurück⸗
kehre und dort zum Verſtändnis für die
Ernährung ihres Volkes im Krieg und
Frieden erzogen würde.
wr George hält es für notwendig, daß
auch England an dieſe Wege herangeht
und ſieht hierin eine Aufgabe der engliſchen
Landſchulen.
Wir können uns wohl wieder einmal
darüber freuen, daß Dinge, die uns all⸗
mählich ſelbſtverſtändlich geworden find,
wie ber Arbeitsdienſt und ber Landdienſt
der Hitler⸗Jugend, auch im Auslande ihre
Hl ende Würdigung finden. Ift dod
diejen Außerungen ausländiſcher Perſön⸗
lichkeiten zu entnehmen, daß die Jugend
unſeres Volkes nicht immer nur, wie es
einige glaubhaft machen wollen, „mit Ka⸗
nonen Biel“ ſondern an die Lebensfragen
der Nation mit Ernſt und Verantwortung
herangeht.
„Heim aufs Land“ — dieſer Parole des
Reihsiugendjührers find auch in dieſem
Jahr 25 000 Mädel und Jungen gefolgt. Es
iſt an der geit, dieſer einſatzfrohen Jugend
die Voraus egungen für die Durchführung
ihres ſchweren Dienſtes zu ſchaffen. Der
au von Landdienſt⸗ Heimen gehört damit
Ae mit ber Beſchaffung von Klein:
he men auf dem Lande zu ben vordring:
ichſten Bauaufgaben der Jugend.
Vom Arbeitsausſchuß für HJ.⸗Heimbe⸗
zung wurde im Frühjahr im Verlag
kacel, Leipzig, eine Broſchüre heraus⸗
geben, die b mit allen Geſtaltungs⸗
(ragen am Landdienſt⸗Heimbau befaßt. Eins
eutig wurde das Raumprogramm feſtgelegt,
in dem ein Tagestaum, Schlafräume,
Schrankflure, Waſch⸗ und Brauſeräume,
i und Fahrradräume gefordert
werden. |
In vielen kleinen Gemeinden des Reiches
wird man das Klein⸗Heim der Hitler⸗
Jugend mit dem Landdienſt⸗Heim zu⸗
ſammenplanen und ſo erreichen, daß die
örtliche Hitler⸗Jugend mit der Jugend des
Landdienſtes aulammengeführt wird. Der
Scharraum des Klein⸗Heimes wird bei einer
Pia Planung gleichzeitig der Tagesraum
er Landdienſt⸗Jugend fein. Die Broſchüre
„Das Landdienſt⸗Heim der Hitler⸗Jugend“
zeigt neben den Richtlinien für die neu zu
erſtellenden Bauten auch Anweiſungen für
die une ung von 1 Holy
häuſern. Auch bei diefen oftmals notwendi⸗
n Löſungen der Heimbeſchaffung iſt die
Gre der Schönheit bes Baukörpers mit
er Zweckmäßigkeit verbunden worden.
Viele Pläne und Modellphotographien zei⸗
gen i nee éi eh a hate
en auch vor i aus ratgegenſtãn
für unſere Landdienſt⸗Heime.
Bereits am 23. Januar d. J. hat der
e des Deutſchen Reichs vor den
Architekten der Hitler⸗Jugend davon ge
ſprochen, daß der 3 für E
Heimbeſchaf ung eine neue ho s
tungsvolle politiſche Miſſion er Hen wird,
ndem er i jener großen Aktion einordnet,
die von ihm den Namen „Heim aufs Land“
erhalten hat.
Die Broſchüre „Das Landdienſt⸗Heim ber
Hitler⸗Jugend“ wird nicht nur aufklären,
ſondern auch bauen helfen. Fritz Abt.
Generalmajor z. V. von Unruh: „Freis
willig Dienen.“ Wilhelm Limpert Verlag,
Berlin.
Das Wort, das der wer endführer
dieſem Buch voranſtellt, gib r tiefen
Verbundenheit zwiſchen Hitler⸗Jugend unb
Wehrmacht Ausdruck und appelliert an den
deutſchen Jungen, in ſeinem Dienſt in der
Wehrmacht höchſten Dienſt am Volk zu er⸗
blicken: „Eure Väter und Ahnen find einft
Bauern und Soldaten geweſen. Was ihnen
Lebensglück und höchſte Ehre bedeutete, das
trägt auch Deutſchlands Jugend wieder als
ukunftsglauben und Lebensideal in ihren
rohen Herzen. Dienſt für Deutſchland iſt
reude!“ Mit dieſem Buch bekommt der
deutſche Junge eine Schrift in die Hand,
die ihm Nach lagewerk iſt und ihm reſtlos
all die vielen Fragen klärt, ob für die In⸗
ite ober für die Kavallerie, für bie
anzertruppe, für die Kriegsmarine, Luft⸗
Neue Bücher
waffe oder bie / Verfügungstruppe
Soldatenherz ſchlägt. Nach einzelnen de
fengattungen getrennt, find genau alle Bes
dingungen zum freiwilligen md auf:
geführt unb ber ſchriftliche um Ein⸗
tritt beſchrieben worden. Mit it eter Rips
fen werden unfere Jungen ſich über bieles
radtige Nachſchlagewerk beugen und das
Finde n, was der einzelne ſucht. Auch der
eiwilli ige Eintritt in den Reichsarbeits⸗
dienſt iſt in dieſem Buch enthalten. Am
Schluß des Buches ſind zum Gebrauch nach
der ER Poſtkarten zur Anmel⸗
dung bei bem gewünſchten Truppenteil an:
gefügt. Kur y: ein Bud, das jedem Jun
und aud jedem alten Soldaten das "fein
wird, was es fein will: ein Austunfts-
bud. H. B.
Schwerbrock: „Jetzt kommen bie fonni»
gen Tage.“ Völktiſcher Verlag, Düſſel⸗
dorf. (1.50 RM.)
Das iſt nicht nur ein Buch für unſere
Pimpfe, nein, auch die Väter und Mütter
werden Freude an dieſer frohen und wirk⸗
lee Beſchreibung eines Sommer⸗
ltlagers finden. Sie werden mit unſeren
impfen Freuden und Leiden eines Lagers
miterleben ERIN alle werden dann willen,
was das Zelt lager dem Pimpfen bedeutet:
Erholung und heften reiheit und Sonne,
um ihr jungenhaftes Ideal zu verkörpern,
um rechte Jungen und rechte Kerle zu wer⸗
den. Wie dankbar ſind auch die Bauern
dieſer herben und ſe Menſche niederrheini⸗
chen Landſchaft diese e anne n, die fid) von
m als fröhl eh einländer jo
unterſcheiden, für dieſen allſommerlichen
mit viel Geräuſch verbundenen yug
unjerer Jungen! Menſchen diefer Lands
(haft wollen Scale bie Jungen nicht mel
mifen, und fie nennen fie kurzweg „ihre
Pimp, Den Eltern und Alteren diefe
e Welt zu erſchließen, daran will Diet
Bi lein mithelfen. H. B
Joſef Remold: ,Gelünbeaufgaben fiir
die Hitler⸗Jngend“, mit 22 Kartenſkizzen.
Gerhard Stalling Verlag, Oldenburg.
In den Reihen der Bücher, die über Ge⸗
ländeſport geſchrieben find, fehlte wohl das
wichtigſte von allen, rc ein Buch über
a elpiele in der $3. Gewiß haben
e viele verſucht, in dieſer on ng einen
Vorftoß zu unternehmen, aber dieſer Bers
[uj ift noch feinem fo s [üdt, daß man
wirklich ein vollwertige ehrbuch n der
Hand hat. Das Gelän piel ift woh! aber
37
das 8 im i denn hier
kann der Junge all ſeine guten Eigenſchaf⸗
ten: Mut, Ritterlichkeit, Härte, Ausdauer,
Kraft und Gewandtheit gut Geltung brins
gen und feine Geländegängigkeit unter Be-
weis ftellen.
Sehr widtig war daher die Herausgabe
eines wirklich brauchbaren a über Ge:
ländeſpiele. Hauptmann Remold, der ein
alter Praktiker auf dieſem Gebiet iit, war
E Sape Mann, dies zu tun. Es iit
her p nicht verwunderlich, daß ſein in
ote {tijden Lebendigkeit geſchriebenes
Buch, das darüber hinaus auch jedem leicht
verjtänblid d jo kurz nad der Heraus»
gabe ore eine fo große Anhängerſchaft
gefunden bat.
Franz Schattenfroh: „Wille und Raſſe.“
Verlag für Wirtſchaft und Kultur,
Payer & Co.
Der Se, Anteil der Oſtmark am
Wachſen und Werden des nationalſozialiſti⸗
ſchen Weltbildes iſt, wenn auch vielfach
wenig bekannt und gewürdigt, ein recht an⸗
KN Kaum anderswo hatte der groß:
eutſche Gedanke ſo freie und mutige Be⸗
kenner gefunden, wie 1 hier. Die
Reihe beginnt bei den Dichtern des Vor⸗
märz, bei denen das großdeutſche Bekennt⸗
nis auf das engſte verknüpft war mit dem
Kampf gegen die politiſierende Kirche.
Grillparzers Epigramme, Anaſtaſius Grüns
eindeutige Bekenntniſſe gehören ebenſo
ierher wie die Gedichte des Tirolers Gilm.
ogar der ſanfte Lyriker Lenau wird
manchmal von dieſen Gedanken erfaßt.
Von hier führt der Weg zu Robert
ammerling, dann zu dem erſten Unter⸗
altungsſchriftſteller, der germaniſche Stoffe
ormt, Guido von gift. Bekanntere Zonen
betreten wir, wenn wir Georg von Schö⸗
nerer und ſeinen politiſchen Heerbann
zitieren. Der Kämpfer gegen das Frei⸗
maurertum, Wichtl, gehört ebenſo hierher
wie die lange Reihe von Schriftſtellern und
Politikern, die Adolf Hitlers Lehre vor⸗
bereiten und ſpäter geiſtig untermauern
halfen.
Franz Schattenfroh reiht ſich mit ſeinem
Werk nicht nur würdig ein, ſondern ſetzt
die Arbeit dieſer Oſtmärker fort und führt
ſie zu einem neuen Höhepunkt. Hier ſpricht
nicht ein Einzelner zu uns, hier iſt die
Stimme der ganzen Oſtmark lebendig, und
aus ſeinem Werk iſt das Raunen und Sieben
all derer zu vernehmen, bie vor ihm waren
38 Neue Bücher S
unb [ein kämpferiſches Leben ebenſo wie
fein Werk beeinfluſſen.
Hier muß man aufhorchen und kann an
einem Werk nicht EE in dem
nicht irgendeiner ſpricht, ſondern in dem
d PINE aus berufenem Munde zu uns
redet.
Es tft ein echt germaniſch⸗deutſcher Zug,
daß Schattenfroh nicht irgendein Thema,
das ihn beſchäftigt, zum Gegenſtand ſeiner
Arbeit macht, ſondern daß er ſich bemüht,
den Dingen bis ins Letzte nachzuſpüren und
das aufzudecken, was hinter den Dingen iſt.
Dies 10 rt dazu, daß er uns ein umfaſſen⸗
des eltbild entwirft, das ebenſoviel
Wiſſen wie klare Erkenntniſſe vermittelt.
Es iſt eine beſondere — nicht immer an⸗
enehme, aber aus dem geſchichtlichen Ab⸗
auf erklärliche — Eigenſchaft des Oſt⸗
märkers, daß er allem, was an ihn heran⸗
etragen wird, ſelbſt einem Befehl, zuerſt
ein „Warum“ entgegenſetzt, um dann,
wenn es ihm erklärt wurde und er es ver⸗
ſtanden hat, mit größter Hingabe dafür
einzutreten.
Dieſem bohrenden, grübleriſchen und doch
ſo fruchtbaren „Warum“ verdanken wir
auch das Buch Schattenfrohs. Hier paart
ch das Leben eines ewig lernenden, allem
nachſpürenden Preſſefachmanns und vorzüg⸗
lichen Leitartiklers der eng mit der
Überzeugung und ber Gläubigkeit eines
alten nationalſozialiſtiſchen Kämpfers,
deſſen umfaſſendes Wiſſen ihm geſtattet,
den Weg weiter zu ſchreiten, den H. St.
Chamberlain mit den „Grundlagen des
19. Jahrhunderts“ und Alfred Rofenberg
mit dem „Mythos bes 20. Jahrhunderts
betreten haben.
Sachlich, in einer wiſſenſchaftlich ein»
wandfreien Form geht Schattenfroh an die
werſten Probleme heran, er führt uns
er den Mikrokosmos des Waſſertropfens
und ſeiner Urweſenwelt den Amöben,
Radiolarien und Rotatorien empor bis in
die letzten Bezirke menſchlicher Geiſteskraft.
Ein ſeltener Vorteil des Werkes iſt es,
daß es 1 auch dem gründlich vor⸗
gebildeten Leſer viel Neues, oft Über⸗
raſchendes bietet, zahlreiche Anregungen
gi t und ungeahnte Perſpektiven eröffnet,
aß es aber andererſeits auch dem Lefer,
der über keinerlei wiſſenſchaftliche und poli⸗
tiſche Coulung erh e in anſprechender
und faßlicher Weiſe den Weg zum Ver⸗
ſtändnis ſchwierigſter Fragen weiſt.
Alles in allem eine erfreuliche Bereiche⸗
rung unſeres trotz vieler Neuerſcheinungen
an ſolchen tief ſchürfenden und umfaſſenden
Werken nicht 1 reichen tift⸗
tums. Alfred Eduard Frauenfeld.
Hermann Schrader: Die Reife nach Liffaber.
Roman. Verlag Georg Weſtermann.
Braunſchweig.
Nicht jeder junge Menſch, deſſen Lebens⸗
ſchifflein in das Meer des Abenteuerlichen
vorſtößt, wird ſich ſo bald an einem Platz
oder in einer Lage befinden, die ihn unge⸗
wöhnlich aus dem gemeinen Geſchick her⸗
ausheben. Obwohl er das ja im Grunde
mit ſeinem Hinausdrängen aus dem ge⸗
wohnten Alltäglichen erlebnt! Denn if
nicht der Hang zum Abenteuer nur ein
Schritt, der aus der kindlichen Welt des
Märchens heraus entſtanden iſt? Dieſe
Welt umfängt ihn noch, wenn er hofft, daß
ſich haf ihn Jetzt etwas Ungeahntes, Mär
chenhaftes verwirklichen wird!
Auf dieſem Wendepunkt von Kinderwelt
und Lebensernſt befindet ſich hier der junge
Tiſchlerlehrling Chriſtoph, der bisher bei
einem UE unb Pflegevater teen
en n u von deſſen ungewöhnlichem
Schickſal der Roman Hermann Schraders
mit echtem om abuliertalent und
ee is Geſta PH a a erzählt. Im
nämlichen Augenblick, als die Reije feines
Freundes nach Liffabon ihm Gelegenheit
zu einem verlockenden und erſehnten Aben⸗
teuer verheißt, reißt ein geheimnisvolles
Geſchehen, welches in ſeine bisherige Welt
einbricht, ihn nun wirklich in den Kreis
ſeines väterlichen Erbes, das er bald als
außerordentlich furchtbar erkennen muß. Er
wird durch die politiſche Lage ſeines Lan⸗
des notwendig auf einen um gefordert,
der ihn, abenteuerlicher als jedes ſelbſt⸗
gewählte Ziel ſein könnte, aus jeder Ehre
und Gemeinſchaft ausſtoßen muß. Bei den
verzweifelten Verſuchen, ſeine Ehre zu
retten, wird er immer mehr in das In
trigen| iel der bei Sole kämpfenden Bar:
teien hinein eriſſen. Auf dieſem Punkte
jedoch ſchweift, wie gelost, feine Geſchichte
nod einmal in das bes Märchens,
und wir finden ihn als den unbefannten
Spielkameraden des Königsknaben. Schon
aber zwingt die überreife Intrige den bis
dahin Getriebenen zum Handeln. Er be⸗
ſchließt, „die Sache, an die fein Schickſal
nun einmal gekettet war, auf irgendeine
Art zu löſen“. Jetzt muß er Ki frei die
Fortſetzung des abenteuerlichen Weges be
ereich
Neue Bücher
‚u timmen. Wir folgen ihm in bie reinere
1 der ländlichen ner Falle wobei
uns ber Erzähler mit einer Fülle freund-
as figer, lebensgeſättigter Geſichte erfreut;
„die etwa mit dem liebevoll ausgemalten
Maienfeſt in dem Städtchen an der Dor:
u dogne. Dieſe Gabrt voll Aufatmen und
Freiheit ſchafft die neue Sparen. wird
Abenteurer nun wurzellos bleiben,
oder tig ihn das Schickſal doch heraus, um
Ihn an einen ihm vn en Bias zu rufen?
Ferne und Weite, Liebe, Irrung und
fuſſtand öffnet fid) fein Auge für das eine:
Frankreich, das Land, die Heimat! — „denn
das Leben ſtrömt aus wx Bilde wie aus
© den Adern Gottes". — Vollziehen fid) bie
Begebenheiten auch im einem beſtimmten
d
qus Au
hichtlichen Abſchnitt, jo will fid) der
l T jooh keineswegs ſtreng hiſtoriſch
eD riidt das Shia al eines Men-
hen in bie ihm gemäße Ferne und gewährt
ſo fü en Handlung Abſtand
Und die nötige Überſicht. In der leichten
Haren Sprachgeſtaltung wird das
aum: und Lebensgefühl der gemeinten
d pans wejentli belle: getroffen
s im Bemühen um hiſtoriſche Ergrün⸗
dj der Schluß mit ber
ige zur Pflicht nicht qe
t außergewöhnliche Löſung, jo ijt er
| in ber Entwicklung von Chriſtophs
tem 4 durchaus vorbereitet und
ündet, ftellt fi uns der Roman
das beiden einer höchſt lebendigen
herdurchſchnittlichen Erzählergabe dar.
A. Sg.
BUCHE.
ehr des Wanderns
edeutet ein hoffnungsvolles Zeichen
Geſundheit eines Volkes, wenn es
nd hat die tatkräftig mithilft,
eraufitieg zu vollenden. Die
gend fühlt ſich mit verantwort⸗
Schickſal des deutſchen Volkes.
ich ihre Erziehung dazu bei,
Ziel einer einigen Nation
Dazu iſt es notwendig, daß
Volksgenoſſe ſeine Heimat
Jahren kennenlernt, damit
achtet. Nur dann ijt ihm
geben, ſich voll und ganz,
erzeugung heraus für ſie
m pt die Sugenb auf
ſie [id Deulſchland er⸗
weiß, wo alle dieſe
tiegen, die uns unfer
DIC
nd w
ert machen, erſchei⸗
nen dieſe Wanderführer. Sie wollen dazu
beitragen, daß die Fahrt nicht nur ein
Vergnügen, ſondern eine ernſte politiſche
Arbeit wird, und wollen weiter mithelfen,
die Schönheiten der deutſchen Landſchaft
jowie ihre hiſtoriſchen Stätten und Bauten
der Jugend zu offenbaren.“
Diele Worte hat der Leiter des Reichs—
verbandes für DIH., Obergebietsführer
Rodatz, den vom Reichsverband für deut⸗
ſche Jugendherbergen herausgegebenen
DIH.-Wanderführern zum Geleit gegeben.
Die Herausgabe der DIH.-Wanderführer
Focke mit der Abſicht, allen wandernden
olksgenoſſen und insbeſondere den Fahr:
u nd ^e ber Hitler-Jugend und bes
BDM. für die Gaulandſchaften des Grok-
deutſchen Reiches einen zweckmäßigen und
billigen Wanderführer zu geben. Obſchon
ſich das Reichsherbergsnetz immer noch im
Aufbau befindet und an vielen ſchönen
Stellen Großdeutſchlands Jugendherbergen
erſt noch geſchaffen werden müſſen, be⸗
ſchränken ſich die in den Wanderführern
behandelten Gebiete nicht nur auf jene, in
denen ſich bereits in ausreichender Zahl
Jugendherbergen befinden, ſondern auch
andere Gegenden, in denen erſt in abſeh⸗
barer Zeit Jugendherbergen entſtehen
werden.
Die DIH.- Wanderführer ſtellen inſofern
eine vollkommene Neuheit dar, als ſie nicht
nur zahlreiche Fahrtvorſchläge und die da⸗
mit notwendigen Kenntniſſe der Beförde⸗
rungsmöglichkeiten bringen, ſondern daß
auch immer wieder bekundet wird, warum
und weshalb gerade die Fahrtengruppen
der Hitler⸗Jugend dieſe Fahrten unter⸗
nehmen ſollten. Es ſind damit „Lehr⸗
bücher“ des Wanderns entſtanden, wie ſie
ideeller nicht gedacht werden können. Sie
enthalten in ſeltener Vollkommenheit alles
das, was man über ein Wandergebiet
wiſſen will und wiſſen muß. Eine reiche
Illuſtration mit nur guten Bildern trägt
dafür Sorge, daß man auch einen genügen⸗
den bildlichen Eindruck von der zu durch⸗
wandernden Gegend erhält. Die DHI.:
Wanderführer füllen deshalb nicht nur
eine Lücke im deutſchen Wanderſchrifttum,
e bilden darüber hinaus eine wertvolle
ereiherung des deutſchen Jugendſchrift⸗
tums. Die bisher erſchienenen Wander⸗
führer ſind in mühevoller Kleinarbeit von
den zuſtändigen Landesverbänden des
Jugendherbergsverbandes zuſammengeſtellt
worden. f
Digitized by Google
40
Seder Band ber DIH.. Wanderführer ijt
m und äußerlich einheitlich geſtaltet
und ſtellt ein Einzelbuch in einem vielbän⸗
digen Geſamtwerk dar. In der inhaltlichen
Aufteilung beginnen alle bisher erſchienenen
Wanderführer mit einer i a Mana Dars
ſtellung bes Jugendherbergsweſens bes bes
treffenden Landesverbandes. Eine Betannt-
abe der Verkehrsbedingungen der Reids:
ahn und deren allgemeine Beſtimmungen,
die Fahrten EC NN der bit
ler⸗Jugend jowie weitere grundſätzliche Bes
timmungen und Vorausſetzungen für die
urchführung einer Feb leiten dann über
zu einer Dar isi et Geſchichte unb Ents
wicklung ber NSDAP. und ber Hitlers
Jugend bes betreffenden Gaues. Gleichfalls
finden die ſich im Gebiet des betreffenden
Landesverbandes befindlichen Ordensbur⸗
gen, Adolf⸗Hitler⸗Schulen, größere Werke,
die entweder bereits beſtanden bzw. im
Rahmen des Vierjahresplanes geſchaffen
wurden, und ſonſtige bedeutende, bereits voll⸗
endete Bauten des neuen Reiches Er⸗
wähnung.
Naturgemäß finden in den Wanderführern
Wander⸗ und Fahrtenvorſchläge größte Be⸗
achtung. Die Fahrtenvorſchläge werden durch
‚eine kurze Beſchreibung der Hauptſtraßen
und des Wegenetzes von einem zentralen
Punkt aus eingeleitet. Angaben von Ent⸗
fernungen zwiſchen Hauptpunkten ſind über⸗
all angegeben. Die Wander⸗ und Fahrten⸗
vorſchläge unterſcheiden ſich je nach der Art
und den Mitteln, mit welchen ſie durch⸗
eführt werden. Es gibt demnach alſo
anders und Fahrtenvorſchläge in Verbin⸗
dung mit Bahnfahrten von einem zentralen
Punkt aus, oder Fahrtenvorſchläge, die die
Benutzung von Fahrrädern vorausſetzen,
Waſſerwanderungen oder regelrechte Wan⸗
derungen zu Fuß. Wie bereits erwähnt,
ſetzen alle dieſe Wander⸗ und Fahrtenvor⸗
ſchläge nicht immer eine Benutzung von
Jugendherbergen im Hinblick auf das noch
auszubauende Reichsherbergsnetz voraus.
*
Neue Bücher
Damit wird einer allzu ſchnell drohenden
ee der ug daberfuhrer vor⸗
gebeugt.
Den vielen, bis ins einzelne ausgearbei⸗
teten Wander⸗ und abt envorſchlägen i
eine umfangreiche Daritellung der Landſchaft
und des Volkstums bes betreffenden Landes⸗
verbandes vorangeſtellt. Es iſt dabei beſon⸗
ders darauf geachtet worden, Dak alle Beis
träge über dieſe Gebiete in erſter Linie die
Jugend anſprechen, und ihnen ein anſchau⸗
liches Bild von Volkstum und Landſchaft
g en. Oft geben bunte Trachtenbilder auf
inzelſeiten eine wertvolle Ergänzung der
volkstümlichen Darſtellung. Bekannte No-
mane und Novellen, die ein lebendiges Bild
von der Landſchaft und dem Volkstum geben,
find nach Möglichkeit erwähnt worden. Ans
gaben über die Pflanzen⸗ und Tierwelt, wie
überhaupt Beſonderheiten, die durch die
Lage und durch das Klima des Landesver⸗
bandes bedingt ſind, wurden eingehend auf⸗
Bart Große und geſchichtlich bedeutende
änner, die aus dem Gebiet des betreffen⸗
den Landesverbandes hervorgegangen find,
finden Erwähnung.
Bisher ſind folgende Wanderführer er⸗
ſchienen:
Band 2 Oftpreugen Pappe 1,50 RM., Leinen 1,75 RM.
Band 3 Schleſien Pappe 1,85 RM., Leinen 1,95 RM.
Band 4 Mecklenburg Pappe 1,55 RM., Leinen 1,80 RM.
Band 5 Hochland Broſch. 1,75 RM., Leinen 1,95 RM.
Band 6 Baden Pappe 1.65 RM., Leinen 1,90 RM.
Band 7 Pommern Pappe 2,20 RM., Leinen 2,30 RM.
Band 8 Niederſachſen Pappe 1,60 RM., Leinen 1,85 RM.
Band 9 Bln.⸗Kurm. Pappe 1,70 RM., Leinen 1,95 RM.
Jede Ausgabe hat im allgemeinen einen
Umfang von 160 bis 320 Seiten. Die DIH.:
Wanderführer der reſtlichen Gebiete befinden
ſich durchweg in Bearbeitung und werden
noch in dieſem Jahr bzw. Anfang des nad:
ſten Jahres erſcheinen. Die DJ3H.-⸗Wander⸗
führer ſind in allen Buchhandlungen und
in den Geſchäftsſtellen des Jugendherbergs⸗
verbandes erhältlich.
Hauptschriftleiter: Günter Kaufmann.
Anſchrift der Schriftleitung: Neihsjugendführung, Berlin W 35, Kurfürſtenſt raße 53. Fernſprecher: 229091. —
Verlag: Franz Eher Nachf. G. m. b. H., Zentralverlag der NSDAP., Berlin SW 68, Zimmerſtraße 87—91. Poſt⸗
ſcheckkonto: Berlin 4454. Verantwortlich für den Anzeigenteil: Ulrich Herold, Berlin. — DA. II. Bi. 1939:
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HERAUSGEBER: BALDUR VON SCHIRACH
as dem Inhalt:
Jer Grundgedanke der römischen Erzief
Der Erzieher Berfhold Offo
Das Passauer Nibelungenspiel
L IGrau: Streit politischer Ehepartner | Manfred Zapp: Portugal und seine -
inh Alfred Weidenmann: Weltjugendkongreß in Belgrad | Annemarie Sticl.
"end in Berlin | Veráchtlichmachung der Lehrer | Zeitgenossen der r-
7 A epoche | Wilhelm Utermann: Die Dichter und ihre Katalognummer
lalimonatsschrift / Heft 15 Berlin, 1. August 1939 Preis 30 Pf.
Fr. Muth: Berthold Otto..
Günther Hóohnelt : Hans Baumanns Passauer Nibel
Ws AUSSENPOLITISCHE NOTIZEN
X el i SC ) Wilhelm Grau: Streit politischer Ehepartner
Va De / |
(EES, Manfred Zapp: Portugal und seine Außenpolitik
ar ff aba Ge |
| 2 e" | Alfred Weidenmann : Schmalspurpolitiker
Mid rca he KLEINE BEITRÄGE
Mr. Annemarie Stiehler: Ein Schülergericht in Berlin
RANDBEMERKUNGEN :
Verüchtlichmachung der Lehrer
Zeitgenossen der Raucherepoche *)
Wilhelm Utermann: Die Dichter und ihre Katalognummer — 5
KUNSTDR UCK BEILAGE ^
Bilder aus der Münchener Kunstausstellung. 4 Aufnahmen Photo-Hoffn - E in:
Prof. Fritz Klimsch, Figur / Prof. Dobril, Schlummernde / Alfred Hiert
Feierabend | Albert Stagura, Tägliche Arbeit ^H
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Führerorgan der nationallozialiſtiſchen Jugend
HERAUSGEBER: BALDUR VON SCHIRACH
Jahrgang 7 Berlin, 1. August 1939 Heft 15
Wilhelm Scheuermann:
Humanitas Romana
Der Grundgedanke der römiſchen Erziehung
Länger als vier Jahrhunderte, d. h. faſt durch den ganzen Zeitraum, ſeit ſich
unſere neuhochdeutſche Sprache gebildet hat, iſt unſer Schulweſen durch den
Humanismus bedingt geweſen. Nicht nur unſere ſogenannte höhere Bildung iſt
auf der humaniſtiſchen Grundlage erwachſen, ſondern ſein Einfluß hat ſich ent⸗
ſcheidend auf jede Art unſeres Schulunterrichtes bis zur letzten Dorfklaſſe
geltend gemacht.
Die Bezeichnung iſt geſchichtlich entſtanden. Sie geht auf den Ausgang des
Mittelalters zurück, wo man beglückt über die Wiederentdeckung der Überliefe⸗
rungen des klaſſiſchen Schrifttums in ihm auch die Mittel zu einer gewaltigen
Vertiefung und Verbreiterung der Volksbildung der zeitgenöſſiſchen Gegenwart
gefunden zu haben glaubt. Es bedarf nur der Verſenkung in das, was die Alten
humaniora genannt haben, es iſt nur notwendig, dieſe durch Schulen allgemein
zugänglich zu machen, um wieder zu der Harmonie, der Ausgeglichenheit zu ge⸗
langen, die uns in den herrlichſten Kunſt⸗ und Geiſteswerken der Griechen und
Römer begeiſtert. So glauben die beſten Köpfe, die ſich Sorgen um ihre Völker
machen im ganzen Abendland, und mit ihrer gewohnten Gründlichkeit werden
bald die Deutſchen auf den neuen Richtwegen führend.
Dieſe Auffaſſung iſt dann ſchnell und faſt widerſpruchslos zu einem Dogma
geworden, das ſeine Glaubenskraft bis in die Kämpfe um die Schulerneuerung
der jüngſten Zeiten bewährt hat. Die wenigſten aber, die es verfochten haben,
haben ſich die Mühe gemacht, neben ihren gelehrten Einzelſtudien über die ab⸗
wegigſten Teilgebiete des klaſſiſchen Altertums einmal zu prüfen, wie denn in
2 Scheuermann / Humanitas Romana
Wirklichkeit die Pädagogik der Griechen und Römer, verglichen mit dem, was wir
humaniſtiſche Bildung nennen, ausgeſehen hat.
Die Zweifel beginnen bei der einfachſten Vokabel. Unſer Wort Schule ſtammt
von dem lateiniſchen scola. Das ſcheint hinlänglich überzeugend. Und doch find
oft zünftige Jugenderzieher überraſcht und ungläubig, wenn man einwendet, daß
den Begriff in unſerem Sinne erſt die kirchlich⸗mittelalterlichen Scholaſtiker ge⸗
prägt haben — eben jene, gegen die der Humanismus ſich kämpferiſch durchſetzte —,
während die Römer Schulen in unſerem Sinne gar nicht gekannt haben.
Kaum die Griechen, das Volk, das ſo viele Pädagogen hervorgebracht und uns
ſo zahlreiche pädagogiſche Lehrbücher hinterlaſſen hat. Uns iſt die Schule eine
ganz ſelbſtverſtändliche Sache der Volksgemeinſchaft und eine ſtaatliche Angelegen⸗
heit von großer Bedeutung. Bei den Griechen verläuft die Entwicklung in der
Weiſe, daß in der älteren Zeit die Unterrichtung der Jugend ganz dem elterlichen
Hauſe vorbehalten bleibt. Die Mutter zuerſt und häufig vorwiegend, ſpäter der
Vater unterweiſen ihre Kinder in allem, was dieſe zu ihrer Ausbildung nötig
haben. Dann tritt der Pädagoge hinzu. Er iſt ein Sklave, gewöhnlich in älteren
Jahren, der außer Leſen, Schreiben, Rechnen, auch ſittſame Haltung und ehrbares
Benehmen lehrt. Er befindet ſich in einer zwieſpältigen Stellung. Einerſeits hat
er ein Züchtigungsrecht, andererſeits iſt er der Diener der Kinder des Hauſes.
Als ſpäter Schulen eingerichtet werden, die gegen Erlegung des Lehrgeldes jeder
beſuchen kann, bleibt nebenbei der Pädagoge erhalten. Dieſe ſpäter aufkommenden
ausſchließlichen Privatanſtalten ſind, ſoweit ſie die ſogenannten Grammatiker⸗
ſchulen ſind, nach unſerem Maßſtab lediglich Elementarſchulen. Man treibt auf
ihnen Leſen, Schreiben, Rechnen, den Vortrag der Dichter, deren Werke dabei, mit
Rückſicht auf die Seltenheit und die Koſten von Büchern, abſchnittweiſe diktiert
werden. Vom 13. Jahre ab beſuchen die Schüler auch Muſik⸗ und manchmal Tanz:
kurſe. Die Paläſtra, in der die Leibesübungen gelernt werden, iſt gleichfalls eine
reine Privatanſtalt. Mit der weiteren Ausbildung des Geiſtes kann es jeder
halten, wie er will. Er kann ſich Lehrmeiſter ſuchen, die ihn in die Redekunſt,
die Philoſophie, die Geometrie, die Mathematik, die Aſtronomie uſw. oder in die
Zeichenkunſt einführen. Die Univerſitäten ſind erſt eine Gründung der Spätzeit.
Ausſchließlich die Gymnaſien, die bekanntlich gar nichts mit jenen von uns ſo
bezeichneten höheren Schulen zu tun haben, ſondern Wettkampf⸗ und Tummel⸗
plätze für Heranwachſende und ältere Männer find, find in Griechenland öffentliche,
ſtaatlich errichtete und unterhaltene Einrichtungen. Das ſind alſo die Möglich⸗
keiten der berühmten und über zwei Jahrtauſende hinwegſtrahlenden griechiſchen
Allgemeinbildung geweſen.
Es iſt bemerkenswert, daß die Römer in der Jugendunterrichtung der Griechen
einen der Gründe für den griechiſchen Machtverfall ſahen und daß ſpätere
griechiſche Betrachter, die Gelegenheit zu Vergleichen hatten, geneigt waren, ihnen
darin beizuſtimmen. Um ſo mehr überraſcht bei oberflächlicher Betrachtung die
weitgehende Gleichartigkeit bei den beiden Völkern.
Scheuermann / Humanitas Romana 3
Auch bei den Römern erfolgt urfprüngli der Unterricht nur im Schoße der
Familie, und wir beſitzen ſchöne Zeugniſſe der Dankbarkeit beſonders den Müttern
gegenüber, denen ihre Söhne nachrühmen, daß ſie die berufenſten Bildnerinnen
des zarten Gemütes geweſen ſeien. Auch hier lehrt der Vater, und ſeine Be⸗
teiligung am Rechenunterricht wird mehrfach hervorgehoben. Das Rechnen war
für die praktiſchen Römer ſehr wichtig, und es war bei der Ungeeignetheit ihres
Zahlenſyſtems eine ſchwierige Fertigkeit, zu der es mannigfacher Hilfsmittel, wie
der Zählbretter und einer ſehr durchgebildeten Figurendarſtellung mit den
Fingern, bedurfte. Es beteiligt ſich ſpäter, keineswegs erſt nach griechiſchem
Vorbild, der Pädagoge am Unterricht, ein zum Lehrfach begabter Sklave, der in
Rom custos, comes, rector oder ſogar rex genannt wird. Auch er iſt mit weit⸗
gehenden Strafvollmachten ausgerüſtet, erfreut ſich übrigens eines für ſeinen
Stand großen Anſehens. Der Kaiſer Auguſtus zeichnet dieſe Lehrſklaven dadurch
aus, daß er ihnen bevorzugte Plätze in den Theatern anweiſen läßt. Als das
Criechiſche die Weltſprache der Gebildeten wird, wählt man zu dieſem Amte gern
Griechen, ſonſt ſaugen die Kinder die andere Sprache mit der durch dieſes Ver⸗
fahren ſprichwörtlich gewordenen Muttermilch ein, denn man bevorzugt für die
Jüngſten griechiſche Ammen. Der Lehrſklave begleitet feine Schüler auf allen
Wegen, er beſucht mit ihm auch den Unterricht außerhalb des Hauſes, als dieſer
langſam in Aufnahme kommt. Auch nach der Mannbarſprechung weicht er nicht
von des Jünglings Seite und bleibt für ſein Betragen verantwortlich, und er
wird dann der Burſche ſeines Zöglings, wenn dieſer in den Heeresdienſt eintritt.
Plautus klagt einmal, daß der junge Römer bis zu ſeinem zwanzigſten Jahre
keinen Schritt tun könne, ohne daß ihm ſein pädagogus wie ein Schatten folge.
Die römiſchen Väter betrachten es als eine ſehr verantwortliche Aufgabe, zu dieſem
Berufe den richtigen Mann auszuwählen, und gewöhnlich iſt die ſpätere Frei⸗
laſſung die Belohnung für den treuen Leiter der Jugend.
Mit der Zeit erweitern einzelne Männer die Unterrichtungsmöglichkeiten, indem
Ke kleine Privatkurſe aufmachen. Das find bie scolae, von denen ſich unfer bereits
in althochdeutſcher Zeit ſprachheimiſch gewordenes Wort Schule ableitet. Über ſie
beſitzen wir ausreichende Schilderungen. Von eigenen Schulgebäuden iſt keine
Rede, die hat es nicht gegeben. Die Lehrer mußten die Lernbefliſſenen zu ſich
einladen, in niedrige Kammern oder in enge Dachſtübchen. Zuweilen wurde in
nach der Straße offenen Räumen unterrichtet, ganz gewöhnlich war es aber auch,
daß dieſe „Schulen“ einfach auf der Straße und auf Plätzen unter freiem Himmel
abgehalten wurden. Da mag es manchmal ſchwer geweſen ſein, den Ablenkungen
zu begegnen, und Unfug war an der Tagesordnung. Es klingt glaubhaft, wenn
erzählt wird, daß einige der Bengel ſich lieber mit Würfel⸗ und Handkreiſelſpiel
vergnügten, ſtatt die Rede des ſterbenden Cato mit der nötigen Andacht anzu»
hören. Darum wurde auch in dieſen Unterrichtungsſtätten der Bakel eifrig ge⸗
ſchwungen, was dann zuweilen, wie die Lehrer klagen, anmaßende Beſchwerden
der Eltern zur Folge hatte. Aber man wußte ſich nicht anders zu helfen. Unſerem
4 Scheuermann / Humanitas Romana
Reichtum an Bezeichnungen, Haue, Dreſche, Keile uſw. fteht ein ähnlicher in der
altrömiſchen Schülerſprache gegenüber, wo virgae, ferula, scutica in Tätigkeit
traten. Einer von dieſen Schulmeiſtern, der gewiß nicht ſchlimmer war als andere
und zudem als beſonders tüchtig anerkannt war, hat das Pech gehabt, daß unter
ſeinen Schülern jemand war, der ſpäter ein großer Dichter wurde, und ſo iſt der
plagosus Orbilius, der prügelfreudige Orbilius, durch Horaz, der ihm ein fühl⸗
bares Andenken bewahrt hatte, in die Ewigkeit eingegangen. Wenn noch in der
Humaniſtenzeit mancher Lehrer den Spitznamen Orbilius bekommen hat, beweiſt
das, daß ſeine Schüler — den Horaz verſtändnis voll geleſen hatten.
Die Lehrfächer dieſer Privatſchulen der Grammatiker waren ebenfalls die
Elementargrundlagen, Leſen, Schreiben, Vortrag nach Diktat von Werken der
großen Schriftſteller und Dichter, ferner Rechnen, wozu bei deſſen ſchon betonter
Wichtigkeit und Schwierigkeit ſich zuweilen ein zweiter Lehrer mit dem ſonſt
einzigen Unterrichterteiler zuſammentat. Der Unterricht begann am frühen Mor⸗
gen, ſogar oft vor Tagesgrauen. In dieſem Falle mußten die Schüler Ollampen
mitbringen, und die Kammer des Lehrers wurde von Qualm zugeräuchert. Nach
dem Mittagsfrühſtück wurde der Unterricht am Nachmittag fortgeſetzt. Aber es
gab viele Ferien. Jede der (achttägigen) Wochen war der Markttag frei, die
vielen Staatsfeiertage wurden eingehalten, daneben noch beſondere Schulfeiertage,
und außer kürzeren Ferien gab es vier Sommermonate lang überhaupt keine
Schule. Denn, ſo ſagt Martial gemütlich: „Im Sommer lernen die Jungen genug,
wenn ſie geſund bleiben!“ Aestate, pueri si valent, satis discunt, ein Satz, der
auch manchem ſonſt hartleibigen Lateinſchüler lernens⸗ und überſetzenswert
ſcheinen wird.
Die Ferien bedeuteten keinen Müßiggang, der dem römiſchen Gemüt — nicht
zu verwechſeln mit dem otium, der Muße, der Ausſpannung und Erholung — ſo
verhaßt war. Denn zu Hauſe ging das Lernen weiter, und zu dem Unterricht von
Geiſt und Gemüt traten ja voll gleichberechtigt die Leibesübungen. Hier beginnt
nun die auffälligſte Unterſcheidung von der griechiſchen Erziehung. Denn die
Römer nahmen zu den Leibesübungen eine ganz andere Stellung ein als die
Hellenen. Vor allem waren bis zur beginnenden Verfallszeit Leibesübungen bei
den Römern niemals Gegenſtand des allgemeinen Unterrichtes. Sie legten den
höchſten Wert auf ſie, aber ſie hielten nur ſolche für wertvoll, die zur militäriſchen
Ertüchtigung dienten. Schwimmen, Wettlauf, Ringen, Reiten, Speerwerfen, und
zum Unterſchied von den frühen Griechen der Fauſtkampf in Gruppen gegenein⸗
ander, wie er altitaliſcher Volksſport war, darin mußte jeder ſeinen Mann ſtehen,
der etwas werden wollte. Das lernte man zu Hauſe, darin wurde man durch den
Vater und durch beſondere Fachmeiſter ausgebildet, das wurde in den Jugend⸗
vereinigungen regelmäßig gepflegt. Dagegen lehnte man die vielen ſpieleriſchen
Übungen der Griechen und die zu einem berufsmäßigen Matadortum führende
einſeitige Athletik als ungeeignet für die Leibesertüchtigung ab. Über die Athletik
urteilt Galen, daß ſie dem Körper nur eine ſcheinbare, widernatürliche Stärke
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Bilder aus der Münchner Kunstausstellung
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Scheuermann / Humanitas Romana l 5
gabe, zu ben Ubungen mit Hanteln bemerkt Martial, Graben im Weinberg fei
nützlicher. Solche Übungen rechnet der Römer verachtungsvoll zu den Schau⸗
ſtellungen, die man ſich im Theater anfieht, die aber feiner Würde nicht angemeſſen
find. Die Griechen, ſo lautet die allgemeine Anſicht, hätten ſich mit aller ihrer
Sportfegerei unfähig gemacht, die Waffen zu tragen. In dieſer Ablehnung ftim-
men Seneca, Plinius, Tacitus und Juvenal überein, und ſogar der Grieche
Plutarch pflichtet ihnen bei. Als Nero als erſter in Rom ein Gymnaſium baut,
mißbilligen das alle, die auf gutes Herkommen halten, und ſehen darin eine neue
Stätte der Sittenverderbnis.
Die Ablehnung des echten Nömertumes erſtreckt ſich auch auf die griechiſche
Rhetorik, und wiederholt wird bie Ausweiſung der griechiſchen Rednerlehrer
gefordert, die in Rom Kurſe aufzumachen verſuchen. Das bedeutet aber keine
Anterſchätzung der Rednertunft, ſondern im Gegenteil gewinnen neben den Grams
matikerſchulen bie Rednerſchulen eine zunehmende Bedeutung. Tacitus begründet
das ausdrücklich: „Ohne Beredfamteit gelangt niemand zu großer Macht.“ Daß er
Herr ſeiner Ausdrucksfähigkeit ſei, wird insbeſondere auch vom zukünftigen Offi⸗
zier gefordert, denn wie oft könne er im Ernſtfall in die Lage kommen, mit einer
Anſprache an ſeine Mannſchaft eine Gefahr zu wenden. Wie richtig das iſt, wiſſen
wir alle aus Cäſars Galliſchem Krieg.
In den römiſchen Rednerſchulen herrſcht ein ſehr aufgeſchloſſenes Lehrverfahren.
Es beginnt damit, daß die Schüler kleine Ereigniſſe aus der vaterländiſchen Ge⸗
ſchichte mit eigenen Worten vortragen. Zur Übung von Rede und Gegenrede
werden Beiſpiele aus dem Leben der berühmten Männer zur Erörterung geſtellt,
und jeder Schüler muß ſeine Anſicht bilden und wirkſam begründen, ob der Held
in dieſem Falle, um den es ſich handelt, mehr Lob oder Tadel verdient.
Ein durchgehender Zug in der geſamten römiſchen Jugenderziehung iſt die Ab⸗
lehnung jeder Überlaftung mit Gedächtniskram. Der Vielwiſſer, der fid) überall
ſattelfeſt dünkt, gilt dem Römer ohnehin als verdächtig. Als Nachbar bei
Gaſtereien wird er als unausſtehlich empfunden. Im Unterricht bekommt der
Schüler von allen Wiſſenszweigen etwas zu koſten. Er ſoll davon ſchmecken, und
wenn er will, mag er ſich ſpäter auf dem ihm zuſagenden Gebiet als Gelehrter
ausbilden. Das Gedächtnis muß allerdings gefeſtigt werden. Dazu dient das für
jeden unerläßliche Auswendiglernen des ſtaatsverfaſſungsgrundlegenden Zwölf⸗
tafelgeſetzes, wohlgemerkt, nicht etwa wörtlich, ſondern in einem einprägſamen,
ſinnenthaltenden Auszug. Die vaterländiſche Geſchichte iſt von höchſter Wichtigkeit.
die langen Jahreszahltabellen jedoch ſind Sache der Hiſtoriographen. Der zu⸗
fünftige Quirite lernt die Geſchichte in den für ihn beiſpielweiſenden und charakter⸗
bildenden kleinen Erzählungen von Horatius Cocles, von Mucius Scävola und
anderen Helden aus der älteſten und jüngſten Vergangenheit und der Gegenwart.
Wie wenig bei alledem dieſe Privatſchulen für das Volk der Römer bedeutet
haben, geht aus der Angabe hervor, daß am Ende der Republik in der damals
6 Seheuermann / Humanitas Romana
größten Stadt der Welt nidjt mehr als zwanzig folder Unternehmungen beitanden
haben, deren einzelne beſtenfalls über zwanzig Beſucher verfügen konnten. Beſon⸗
ders auffällig iſt, daß noch Auguſtus, der doch weitblickend alle Möglichkeiten zur
inneren völkiſchen Feſtigung und Wiedererſtarkung in Betracht gezogen hat, gar
nicht daran gedacht hat, neben ſeinen ſonſtigen großartigen Bauunternehmungen
eine Schule zu errichten. Sondern er begnügt ſich damit, zur Unterrichtung ſeiner
Enkel einen bewährten Halter einer Privatſchule ſamt deſſen Schülern in ſeinen
Palaſt einzuladen, wobei er dem Lehrer allerdings ein fürſtliches Gehalt ausſetzt.
Gewöhnlich war nämlich der Ehrenſold, den dieſe Lehrer von den Eltern ihrer
Schüler empfingen, ſehr beſcheiden. Dabei iſt es merkwürdig, daß gerade der
Rechenunterricht am geringften bezahlt wurde, während bie Redelehrer das höchſte
Schulgeld erhoben. Erſt in ſehr viel ſpäterer Zeit, als der Glanz des Imperiums
ſchon am Verbleichen war, zeigen ſich Anſätze zur Errichtung von Schulen mit
ſtaatlichen Mitteln und ſolchen der Gemeinden. Da aber ſcheinen die Häuſer, die
es ſich leiſten konnten, es erſt recht vorgezogen zu haben, ihre Söhne durch Haus⸗
lehrer bilden zu laſſen, wie uns das das ſchöne Denkmal zeigt, das in Trier
erhalten iſt. Bei den Töchtern war man immer mit dem häuslichen Unterricht aus⸗
gekommen. Nur gelegentlich haben Mädchen gemeinſam mit den Jungen jene
Privatſchulen beſucht, und zwar Töchter von Eltern, die ſich nichts Beſſeres leiſten
konnten. Mädchen nahmen auch eine Art von Tanzunterricht, der ſich wieder, im
Gegenſatz zum griechiſchen, auf eine rhythmiſche Bewegung der Arme und des
Oberkörpers beſchränkte, um „die allgemeine weibliche Anmut zu erhöhen“.
Bei mancher rein äußeren Ahnlichkeit ſehen wir alſo, daß ein tiefer und grund⸗
ſätzlicher Gegenſatz zwiſchen dem griechiſchen und dem römiſchen Ziel der Jugend⸗
bildung beſtanden hat. So ſtark ſonſt griechiſches Weſen eindringt, hier haben
die Griechen keine Gewinne zu verzeichnen, ſondern die Ablehnung hat ſich ver⸗
ſchärft, ſolange der Stolz auf altrömiſches Herkommen innerlich mächtig war und
nicht bloß mehr auf den Lippen getragen wurde. In Übereinſtimmung mit dieſer
Feſtſtellung ſteht die Tatſache, daß uns die Griechen eine kaum überſehbare Zahl
von Schriften pädagogiſcher Lehrmeiſter vererbt haben, während auf der römiſchen
Seite eine vollkommene Lücke klafft. Cicero, Seneca, Quintilian, die hier zu
nennen wären, hatten nicht den Ehrgeiz, pädagogiſche Lehrbücher zu ſchreiben, ſie
ſind Verzeichner deſſen, was ohne ſie in dieſer Hinſicht bei ihrer Nation galt. Dabei
hatten die Römer ganz recht, wenn ſie die lehrfreudigen Griechen nach ihren
Erfolgen beurteilten. Während der Grieche noch gerade als Lehrſklave eine ganz
in den römiſchen Unterrichtsplan eingegliederte und ihm untergeordnete Hilfs⸗
ſtellung ausfüllen konnte, haben die Römer das großartigſte nationale Volks⸗
erziehungswerk aller vergangenen Zeiten vollbracht.
Daß ſie dabei ganz ohne Schule in unſerem Sinne, nämlich ohne Volksſchule
auskommen konnten, verſtehen wir von unſerem rückſchauenden Standpunkte nur,
wenn wir uns vergegenwärtigen, was als ſtaatskörpertragendes Knochengerüſt die
römiſche Familie bedeutet hat.
Seheuermann / Humanitas Romana 7
Die Familie, bas Geſchlecht, ijt bie Hüterin des mos majorum, der Gitte der
Ahnen. Sie iſt ſo ſehr die Keimzelle des Geſamtvolkes, daß die ganze Welt ringsum
verſinken kann. Bleibt noch ein einziges Haus, fo lebt Rom weiter, denn jedes Haus
hütet für ſich die ganze Fülle der Überlieferung und damit den Glauben, nein die
Gewißheit, daß Rom ewig und unvergänglich iſt. Darum muß man „von Familie“
ſein, was nichts mit reich oder arm zu tun hat. Der vernichtendſte Vorwurf, den
man [pater einem Emporkömmling machen kann, ift der, daß er weder Vater
noch Mutter habe. Im Zenith ſeines Aufſtiegs verſchmäht es Cäſar, der es bei
ſeiner ſtolzen Abkunft gar nicht nötig hatte, dennoch nicht, das Märchen von der
Abſtammung ſeines Geſchlechtes von einer olympiſchen Göttin öffentlich vor allem
Volke zu behaupten; Kaiſer geworden, läßt ſich der nüchterne Veſpaſtan eine ſeine
Abſtammung erhöhende Fälſchung ſeines Stammbaumes gefallen, über die er ſich
im vertrauten Kreiſe ſelbſt luſtig macht. Das mögen gelegentlich die brauchen, die
ſich über alle anderen emporgeſchwungen haben, in der großen Zahl der Häuſer,
die ihre Ahnen bis in die ſagenhafte Königszeit zurückleiten können, deren
Vorfahren in den folgenden Jahrhunderten Geſchichte gemacht haben, genügt die
ſchlichte Wahrheit. An ſie wird der heranwachſende Nachkomme ſeit ſeinem
früheſten Erinnerungsvermögen gemahnt. Im Atrium begrüßen ihn die Büſten
der Vorväter oder ihre Wachsmasken, da hängen die Inſchrifttafeln, die verkünden,
wo die längſt abgeſchiedenen Anverwandten ſich ausgezeichnet haben, wo ſie ihr
Leben hingegeben haben, damit Rom groß werde. Bei jedem Schritt durch das
Haus des Vaters, des Großvaters, der übrigen Verwandten wird das Kind, wie
Cicero ſagt, daran gemahnt, wie die Vorfahren den Staat aus kleinen Anfängen
zu ſolcher Größe und Macht gebracht haben. Da fühlt es, was die größte und
beflügelndſte Stärke des römiſchen Glaubens iſt, diejenige, die noch weiter lebt,
als niemand mehr die Götter der alten Sagen ernſt nimmt, nämlich daß zwar
jedes Volk ſeinen Genius, ſein führendes Schickſal hat, daß aber mächtiger,
fiegreider und unüberwindlicher als alle anderen die Fortuna Romana iſt, die vers
gottete Staatsherrlichkeit. Mag der Grieche nach Univerſalität ſtreben, der Römer
beſitzt die Univerſitas, das Weltall, wirklich. Und mit ihm alles, was es bieten
kann. Um dieſen Beg zu erhalten, tft jeder Sohn dieſes Volkes berufen und
verpflichtet, ſich zur vollen Hingabe ſeiner Kräfte an den Staat auszubilden. Was
dazu gehört, ſchreibt die Überlieferung vor, die ihm nirgend näher iſt als im
eigenen Hauſe. Sie ſchreibt vor, daß es zuerſt und zuletzt auf das ankommt, was
im Leben brauchbar iſt. Und das gab dem Römer mit einer durch die
Erfahrung alter Überlieferung abwogenen Vollkommenheit, die noch der Kirchen⸗
vater Auguſtin widerwillig bewundern muß, ſeine Art der Jugenderziehung. Sie
gab ihm, was Cicero, der ſchon zu denen gehört, die in Athen und Kleinaſien
ſtudiert haben, dankbar die humanitas nennt; und das bedeutet keinen
Lernfächerinhalt, ſondern einfach die menſchliche Würde, die ihrer ſelbſt in jeder
Lebenslage ſicher bleibt.
Fr. Muth: j
Berthold Otto
Das Lebensziel eines bedeutenden Erziehers
Wer iſt Berthold Otto? Ein Denker und Erzieher aus deutſcher Art, den die
Verſtändnisloſigkeit einer kranken Zeit um die verdiente Anerkennung gebracht
hat und deſſen Einordnung an den ihm gebührenden Platz in der deutſchen Geiſtes⸗
geſchichte eine vordringliche Aufgabe iſt.
Berthold Otto (1859—1933) wäre am 6. Auguſt dieſes Jahres 80 Jahre alt geworden.
Er pommit aus einem Geſchlecht norddeutſcher Bauern, Pfarrer, Offiziere, denen preußiſch⸗
deutſche Haltung im Blute liegt. Hier eine Stelle aus einem Brief des Vaters von
B. Otto, den jener als Offizier aus dem 66er Krieg an ſeine Frau über die Erziehung
feiner Kinder, beſonders feines Sohnes Berthold, geſchrieben Bat: „Es klingt faſt wie eine
Härte, und iſt doch eine unumſtößliche Wahrheit, daß der Mann vor allem dem Vaterlande
angehört... Auch die Gründung einer Familie ift eine der heiligen Verpflichtungen, die
der Mann gegen das Vaterland hat. Er iſt verpflichtet, mit allen ſeinen Kräften für das
Fortbeſtehen feines Vaterlandes zu [otgen, und dazu gehört weſentlich fein Anteil an
der Erzeugung und Erziehung einer neuen Generation. In ruhigen Zeiten kann der Mann
alle freie get auf die Förderung feiner Familienintereſſen verwenden. auf die Erziehung
feiner Kinder... Zu Zeiten aber wie der jetzigen iſt er verpflichtet, Leib und Leben dem
Vaterlande zur Verfügung zu ſtellen. Und dann tritt das Weib in eine höhere Sphäre ein,
als ſie gewöhnlich inne hat. Während ſie dem Manne ſonſt nur als Gattin, als die Mutter
ſeiner Kinder zur Seite ſtand, tritt ſie jetzt in der Erziehung ganz für ihn ein, und ihr
bleibt der für ein Weib ſo äußerſt ſchwierige Beruf, die Söhne zu Männern zu erziehen,
. B. zu Weſen, die im Falle der Not die ſchönſten und zarteſten Gefühle der Pflicht nad:
zuſetzen und gleichzeitig imſtande ſind, richtig zu erkennen, wann dieſer äußerſte Fall wirk⸗
lich eingetreten ift..."
Dazu ſtimmt ber Abſchiedsbrief des Enkelkindes, bes Sohnes B. Ottos, an
ſeine Eltern bei Ausbruch des Weltkrieges. Der junge Offizier, der im November 1914
bei Nowe Mjaſto an der Pilica fiel, ſchrieb bei Kriegsausbruch: „Meine lieben, lieben
Eltern! .. . Es ijt doch eine herrliche Zeit, in ber wir leben dürfen. Freut Euch, daß Euer
Sohn nicht als Staatskrüppel zu Haufe zu bleiben braucht...“ Diele Klänge aus Seele und
Blut der Familie zu einem vollen Akkord zu runden, ſei nun noch ein Wort Berthold
Ottos ſelbſt über den Sinn des Opfers mitgeteilt: „Das iſt das ganze Geheimnis
der Geſamtheitsleiſtung! Das einzelne Ich ſoll fühlen und womöglich begreifen, daß es
ſich nicht willkürlich vom Volksganzen trennen, nicht als eine geſonderte Gefühls⸗ oder
Gedankenwelt betrachten kann... An erſter Stelle dienen alle die, die durch eigene Taten
die Begeiſterung und das Gemeingefühl entflammen; und von denen ſtehn wieder an erſter
Stelle die von unſeren Söhnen und Brüdern, die mit Freuden ihr Leben für uns hin⸗
gegeben Le Die Jämmerlichkeit unferer Zeit will uns hindern, der herrlichen Taten
zu pron en, die wir dieſem Opfermut verdanken. Von dieſer Jämmerlichkeit
müſſen wir uns befreien; denn dieſes Gedenken tit die bebe Stars
kung für das Gemeingefühl und für unſereigenes Pflichtgefühl. . .“
(Vom 21. Dezember 1920.)
Bei B. Otto, der körperlich von zarter Natur war, wandten ſich die kämpferiſchen
Anlagen des Geſchlechts ganz dem Geiſtigen zu. Er wurde in eine verfallende
wiſſenſchaftliche Welt hineingeboren, die in Fortführung vielhundertjähriger ber:
lieferung das Denken immer mehr an den Buchſtaben band und über einer aufs
höchſte geſteigerten glänzenden Spezialiſierung den Blick für das Ganze zu ver⸗
lieren drohte, — in eine Wirtſchaftswelt, die den Menſchen immer mehr den echten
Gütern der Erde entfremdete und in ihnen faſt nur noch „inveſtiertes Kapital“ ſah,
und die ſo die unumſchränkte Herrſchaft des anonymen Geldes aufrichtete. Im
Kampf gegen dieſe lebenentfremdenden Mächte, gegen Buchſtaben⸗ und Geldgläu⸗
Fr. Muth / Berthold Otto 9
bigfeit wudjfen feine Kräfte und führten ihn zu einer letzten, aller äußeren Ans
erkennung entſagenden Folgerichtigkeit.
Die entſcheidende Wendung vollzog ſich gegen Ende ſeines Univerſitätsſtudiums.
Früh ſchon war er hellhörig geworden gegenüber den Gefahren, die dem deutſchen
Volk von ſeiten des Liberalismus und den ihm verwandten Strömungen drohten.
Er wollte ſeine Doktorarbeit über den Liberalismus ſchreiben und ihn in ſeinen
unmittelbaren Außerungen bei den ihm zugänglichen Ständen und Volksſchichten
zu faſſen ſuchen. Sein Lehrer, Prof. Friedrich Paulſen, lehnte dieſen Plan ab;
man könne wohl die liberaliſtiſchen Leitartikel der Voſſiſchen Zeitung aus den
ſechziger und ſiebenziger Jahren zur Grundlage nehmen, dagegen unmittelbare
ſeeliſche Außerungen in den Mittelpunkt einer Unterſuchung ſtellen zu wollen, das
wäre unwiſſenſchaftlich. Dieſe Erklärung gab ihm einen harten Stoß. In ſeinem
Hauptwerk „Volksorganiſches Denken“ ſagt er im Hinblick auf die
erlittene ſeeliſche Erſchütterung: „Gedruckte Literatur war alfo möglicher
Gegenftand wiſſenſchaftlicher Forſchung, lediglich ausgeſprochene Nein ungen
dagegen nicht. Danach wäre Geiſteswiſſenſchaft nichts anderes als Literaturkunde.
Sie könnte niemals den Geiſt ſelber faſſen, ſondern, wie ich mich damals ausdrückte,
nur die Spuren, die er auf Steinen, Eſelshäuten und Lumpen zu hinterlaſſen
vermodte... Je mehr ich darüber naddadte, ... um fo deutlicher wurde es mir,
daß dieſes Herumtaſten an äußeren Spuren niemals zur wirklichen Erkenntnis
führen konnte, daß jedenfalls meine Art, die Seelenvorgänge ſelbſt zu packen,
feſtzuhalten und zu vergleichen, außerordentlich größere Wahrſcheinlichkeit böte,
zur Wahrheit zu gelangen. So brach denn in dieſem Nachdenken für mich der
ganze bisherige Bau der Geiſteswiſſenſchaften zuſammen.“
Ehe nun weiteres über B. Ottos Werk geſagt werde, ſeien noch einige Be⸗
merkungen über ſeinen Lebensgang gemacht: Der junge Denker lehnte es ab, ſtatt
der geplanten nun andere Arbeiten auszuführen. Er verließ die Univer⸗
ſität ohne Promotion, ohne Staatsexamen und ſchlug ſich in hartem Kampf ums
tägliche Brot durchs Leben. Er nahm zuerſt eine Stelle als Hauslehrer bei einem
Gergwerfsdireftor im Ruhrgebiet an, der ihm die Ausbildung feiner Jungen ans
vertraute. In einem Brief, den er damals (am 11. Juli 1883) an Profeſſor Paulſen
ſchrieb, mit dem er ſtets in Verbindung blieb, berichtet er von ſeiner für die
Herausbildung ſeiner Theorie ſo wichtigen Hauslehrertätigkeit. Ausbildung
lelbftändigen Denkens, wie aud verantwortungsfrohen
Handelns ſchwebteihm von vornherein als höchſtes Ziel vor.
Für den nachdenklichen jungen Erzieher iſt es eine Selbſtverſtändlichkeit, die
Fragen der Erkenntnisbildung und der Zucht unter einheitlichem Blickwinkel zu
ſehen und fie poſttiv — nicht durch äußeren Drill und durch Verbote —,
ſondern durch Stärkung der aufbauenden Kräfte zu löſen, wie er
das ſpäter folgendermaßen ausdrückt: Aufgabe ſei, „alles was an Urkraft
inden Kindernſteckt, zur Entwicklung zu bringen und damit dem
Volksganzen und der Menſchheit nutzbar zu machen.“
10 Fr. Muth / Berthold Otto
Nach Beendigung feiner Hauslehrertätigkeit gründete B. Otto feine Familie,
verdiente ſein Brot für ſie zuerſt als Schriftleiter und dann als Mitarbeiter an
einem Konverſationslexikon. Er wollte nicht, daß die Ausbildung ſeiner zahlreichen
Kinder dem mit Fremdtümern überlafteten und das einheitliche Denken allzufrüh
aufſplitternden Schulunterricht ausgeſetzt werde und unterrichtete ſie darum in
ſeiner ſehr knapp bemeſſenen freien Zeit ſelbſt. Aus dieſem Unterricht erwuchs
ſeine Schule in Berlin⸗Lichterfelde, da auch andere Eltern Unterricht
in ſeinem Sinne für ihre Kinder verlangten. Im Jahre 1902 berief ihn der da⸗
malige Miniſterialdirektor Friedrich Althoff vom Preußiſchen Kultusminiſterium
nach Berlin, mit dem einzigen Auftrag, ſich in völliger Unabhängigkeit der Dar⸗
ſtellung ſeiner Ideen und ihrer praktiſchen Verwirklichung, ſoweit die Schule in
Betracht kam, zu widmen. Ottos Schule ſollte, ſo erklärt er, keine Muſterſchule
werden, ſondern eine Einrichtung ſein, um „ungebrochenes Seelenwachstum“ be⸗
obachten zu können, ſie ſollte auch Lehrern und Schülern ermöglichen, in gemein⸗
ſamer Denkarbeit ihr Weltbild zu geſtalten, damit die jeder Schule einzig an⸗
gemeſſene Aufgabe gelöſt werden könne, nämlich „Erkenntnisorgan des
Volkes“ zu fein. Lehrreich noch zu willen, daß B. Otto den konfeſſionellen
Religions unterricht an ſeiner Schule ausſchloß. Von dem
Chriſtentum ſagt er mit einer für feine Zeit bedeutenden Einſchränkung: „Die
Bergpredigt und die meiſten anderen überlieferten Worte Chriſti geben dieſem
tiefſten Drang (nach dem Guten) den ſtärkſten Ausdruck. In dieſem Sinne bekenne
ich mich zu dem evangeliſchen Chriſtentum. Daß die meiſten meiner Nächſten der
ewigen Verdammnis verfallen ſeien, würde ich als eine frohe Botſchaft nicht
empfinden können; und ſo meine ich denn, um es noch in bekannteren Worten und
Wendungen auszudrücken, daß alle menſchliche Arbeit, a uch die der Erkennt⸗
nisſuche, recht getan nicht zum Teufel führt, ſondern zu Gott.“ — Die Schule
beſteht heute noch und wird im Geiſte des Begründers von ſeiner Tochter Irmgard
geleitet. *
Seine Ideen hat B. Otto in einer großen Zahl von Büchern und Schriften unb
in der feit 1901 beſtehenden mehr als 30 Bände umfaſſenden Zeitſchrift „Der
Hauslehrer“ niedergelegt. Seit 1918 führt die auch heute noch erſcheinende
Zeitſchrift den Namen „Deutſcher Volksgeiſt“ mit dem Untertitel „Zeit⸗
ſchrift zur Verſtändigung zwiſchen allen Schichten des Volkes“. In engſter Be⸗
rührung mit dem Leben der Familie, der Stände, des Volkes entſtanden B. Ottos
Arbeiten, ſo daß ſie uns nicht in einem geſchloſſenen Syſtem gegenübertreten, ſon⸗
dern als unmittelbare Gegenäußerungen auf dringliche Fragen des Lebens der
Gemeinſchaft, ſei es in politiſcher, wirtſchaftlicher, finanzpolitiſcher oder päda⸗
gogiſcher Hinſicht. Er beginnt ſeine ſchriftſtelleriſche Tätigkeit im Jahre 1883 mit
einer Arbeit, betitelt: „Die ſozialdemokratiſche Geſellſchaft, was ſie kann und was
ſie nicht kann“, ſchließt daran weitere politiſche Unterſuchungen über „das Recht
auf Arbeit“, „Fürſt Bismarcks Lebenswerk“ uſw. Die Krönung ſeiner poli⸗
tiſchen Schriften bildet „Der Zukunftsſtaat als ſozialiſtiſche Mon⸗
Fr. Muth / Berthold Otto 11
archie“ (1910). Daneben gehen [febr eingehende pädagogiſche Unterſuchungen,
von denen nur feine „Pſychologie des Unterrichts“ (1903), feine „Lateinbriefe“
(1898—1900), (nebenbei: nach Ludwig Klages „das genialſte ſprachpäda⸗
gogiſche Werk“), ſein „Lehrgang der Zukunftsſchule“ (1901) und ſeine „Volks⸗
organiſchen Einrichtungen der Zukunftsſchule“ (1914) erwähnt ſeien. Im Jahre 1902
veröffentlichte er den volkstümlichſten Kommentar zu Goethes Fauſt, und im
Jahre 1906 ſeine Schrift: „Vom königlichen Amt der Eltern“. Sein
Hauptwerk ift fein vierbändiges „VVolksorganiſches Denken“ mit
dem Untertitel: „Vorübungen zur Neubegründung der Geiſteswiſſenſchaften“
(1924—1926), in dem er eine Geſamtſchau feiner ſeelenkundlichen Grundauffaſſungen
gibt und praktiſch zeigt, wie ſie dem Verſtehen der Gemeinſchaften und der Men⸗
ſchenführung nutzbar zu machen ſeien.
Bis in ſein hohes Alter hinein war B. Otto ſchöpferiſch tätig — ſchrift⸗
ſtelleriſch wäre ungenau, da er die meiſten ſeiner Werke auf die Walze, den Parlo⸗
graphen, geſprochen hat —, daneben leitete er ſeine Schule bis zu ſeinem ſiebzigſten
Lebensjahr und unterrichtete an ihr.
*
Was ift Sinn und Gehalt dieſes unermüdlichen, folgeridtigen Denkerlebens?
B. Otto ſagt es ſchlicht ſo: „Ich habe mich mit größter Sorgfalt bemüht, den
inneren Willenskern unſeres Volkes zu finden, ſo weit er ſich auf Erziehung und
Unterricht und auf geiſtiges Leben überhaupt bezieht. Ich trage nicht meine Weis⸗
heit vor, ſondern ſuche die des Volkes bewußt zu machen und zu deuten“. Er ſpürt
dieſe Miſſion aus der Überzeugung heraus, daß er Organ des deutſchen Volkes
iſt, von dem er weiß, daß es „naturwiſſenſchaftlich einen einzigen Körper, und
geiſteswiſſenſchaftlich eine eigene Seele“ bildet, als deren Teil ſich jeder
einzelne zu fühlen hätte. Nebenbei: B. Otto nimmt die vielfach übliche Entgegen⸗
ſetzung von Seele und Geiſt nicht vor, weil ihm der Zuſammenhang im
Einzelmenſchen wie im ganzen Volk ausſchlaggebend erſcheint, wichtiger wenigſtens
als nur ſür begrenzte Aufgaben zweckdienliche Gegenüberſtellung von Seele und
Det im Sinne der Lehre von Ludwig Klages.
Solch Einheit wirkendes Denken — B. Otto nennt es „geſamt⸗ oder volksorga⸗
niſches Denken“, weil es auf die Erkenntnis des lebendigen Zuſammenhangs in
den Gemeinſchaften, beſonders in der Volksgemeinſchaft gerichtet iſt —, vollzieht
ſich im weſentlichen in der Art des Bilderdenkens; in dieſem „Erſchaffen von
Bildern, Geſtalten und Begebenheiten, das durch die wechſelnden Stimmungen
bald ſo und bald ſo angeregt wird, verläuft unſer ganzes Seelenleben von Tag zu
Tag, von Stunde zu Stunde. Es ſteht kaum einen Augenblick ſtill. Es iſt immer
etwas in Bewegung, was wir beobachten können“, und ſo iſt auch unſer ganzes
Planen, Überlegen, ſchließlich alles, war wir „Denken“ im engeren Sinn nennen,
„entweder vollſtändig oder doch im Kern bildmäßig“, aus unfaßbaren völkiſchen
Bluts⸗ und Seelentiefen kommend, im Gegenſatz zu dem in vollſter Bewußtheit
verlaufenden „logiſchen“ Denken.
— — un nlii.
12 Fr. Muth / Berthold Otto
Aus der hohen Bewertung der Seelenfähigkeiten folgt B. Ottos
geradezu ehrfürchtige Haltung gegenüber dem ſchöpferiſchen Wirken der völkiſchen
Urkräfte. Sie zu befreien und damit das Volk zur Rückbeſinnung auf ſich ik
kommen zu laſſen, iſt dringend. „Niemals“, ſo ſagt er, „ſind bisher große geiſtige
|
Bewegungen anders entſtanden, als daß das ganze Volk dabei mitwirkte. Aber
unſer bisheriges öffentliches geiſtiges Leben, unſer Schulleben, unſere Bürokratie
haben doch die Mitwirkung weiter Kreiſe unſeres Volkes recht oft gehemmt, nicht
jo zum Ausdruck, zur Wirkung kommen laſſen, wie es ſonſt wohl möglich gemein —
wäre. Unſer Volk iſt unendlich viel reicher, als wir ahnen, als wir zu träumen
wagen. Man muß ihm nur erlauben, ſich auf ſich ſelbſt zu beſinnen, und dazu
wollen wir ihm die Möglichkeit geben.“ Ein wichtiger Schritt dazu ſoll in einer
wurzelhaften Umwälzung der Schule beſtehen, in der B. Otto den Grundſatz der
Selbſtverantwortung der Jugend in ſeinem Wirkungsbereich ſchon verwirklichte.
Nicht, daß er dabei auf die Mitarbeit der Alteren an dem Erziehungswerk hätte
verzichten wollen, oder daß er feine Lehrer abſichtlich „jung“ gewählt hätte. Aber
die Ausübung der Schulzucht unter ſeiner oberſten Aufſicht hat er
der Schülerſchaft überlaſſen mit der bewußten Abſicht und im vollen
Vertrauen auf die Kräfte der Ordnung und Zucht, die dadurch in ihr geweckt und
gefördert werden. Die Entſtehung der Schulgeſetze, die Heraus:
bildung des Schülergerichts“) an der Berthold⸗Otto⸗Schule geben wert⸗
volle Aufſchlüſſe darüber, wie ſehr dieſes Vertrauen berechtigt war. — Dagegen
war der Unterricht bei B. Otto eine Gemeinſchaft von jung und alt, von
Lehrern und Schülern von der gleichen Natürlichkeit, wie es jede Familien:
gemeinſchaft iſt. Es kann ſich ja nicht darum handeln, jung und alt auseinander
zu reißen, vielmehr müſſen die Generationen in ein rechtes Verhältnis zueinander
geſetzt werden, indem einerſeits der Jugend ſo viel Selbſtändigkeit wie möglich
gelaſſen wird, andrerſeits ihr die Hilfen gegeben werden, die ſie braucht und
verlangt. —
Aus dieſem Vertrauen in die Jugend und der Einſicht in bie ſtarken Kräfte des
Volksganzen erwuchs B. Otto ſein unerſchütterlicher Glaube an die Zukunft des
deutſchen Volkes. Er iſt überzeugt, daß die geſunde, vor geiſtiger Überfremdung
bewahrte Jugend gar nicht anders als organiſch, alſo im Sinne des Ganzen denken
könne, wie ſich das bei jedem echten Geſpräch erkennen laſſe. Hieraus erhellt auch
die Bedeutung des Geſprächs als einer „geiſtigen Urerſcheinung der menſchlichen
Gemeinſchaft für den geiſtigen Verkehr und damit für die Unterrichtsgeſtaltung
überhaupt.“
Helle Streiflichter fallen von der geſamtorganiſchen Betrachtungsweiſe, wie ſie
ſich auch in der Auffaſſung vom „Königlichen Amt“ der Menſchenführung ſpiegelt
auf das Leben und die Bedeutung der Stände, von denen B. Otto dem Bauernſtand
beſonders tiefes Verſtändnis entgegenbringt, wie er ja auch der wenig gegliederten
Landſchule ſamt ihrem mit „landpflegeriſchen“ Aufgaben betrauten Lehrer den
1) Siehe den Beitrag Seite 35.
Fr. Muth / Berthold Otto 13
Vorrang vor den großſtädtiſchen Schulformen einräumt. Im Zuſammenhang mit
Aufgaben dieſer Art beſchäftigen ihn auch nachhaltig Fragen der Vererbung. Er
ironiſiert die liberaliſtiſche Auffaſſung „vom Zufall der Geburt“, indem er ſagt:
„In der Zeit, in der man in der Tierzüchtung durch ſorgfältige Auswahl der
Eltern die wunderbarſten Ergebniſſe erzielte, weil man mit der größten Sorgfalt
die dabei herrſchenden Naturgeſetze beobachtete, in dieſer ſelben Zeit ließ man ſich
einreden, daß diefe Geſetze für die Menſchen nur reine Zufallsergebniſſe wären,
alſo mit Naturgeſetzen irgendwelcher Art nichts zu tun hätten.“ Auf die praktiſchen
—Vorſchläge, die er in dieſem Zuſammenhang für die Ahnenforſchung machte, foll
hier nicht eingegangen werden. Nicht minder ſorgfältig wie die Unterſuchung der
fſeeliſchen Grundlagen des Bauernſtandes betrieb er die des Arbeiter⸗, Beamten⸗
und Offiziersſtandes, ebenſo aber auch die des „Händlertums“ mit allen ſeinen
gefährlichen Auswirkungen. *
Seine Anterſuchungen über den zuletzt genannten Stand führten ihn zu einer
unerbittlichen Kritik der liberaliſtiſch⸗kapitaliſtiſchen Wirt⸗
. ſchaft feiner Zeit, die ſchließlich nur noch in Geld und verkäuflicher Ware
denken konnte und ſelbſt die Arbeitskraft zur Ware erniedrigte. Im Gegenſatz
“bierzu betonte B. Otto, daß unſer wertvollſter Beſitz die arbeitsfähigen und arbeits⸗
e willigen Volksglieder und ihre Nachkommen find, und daß darum die Grund»
forderung einer vernünftigen, wahrhaft ſozialiſtiſchen Wirtſchaft die gerechte
~ Wertung der Arbeitsleiſtungen fein müſſe. So kommt er dazu, eine Buchführung
: über Leiſtungen und Gegenleiftungen der Stände unb Volksgenoſſen zu fordern,
de bei der an Stelle des Goldes die Arbeitsleiſtung die Währungsgrundlage
zu bilden habe, wie das des Näheren in ſeinem politiſchen Hauptwerk, dem
„Zukunftsſtaat“ und in ſeinen letzten Unterſuchungen vor ſeinem Tode ausgeführt
j it („Von ber Rentenmark zur Arbeitsmark“, 1928 und „Moral unb Wirtſchaft“,
TEE Durch diefe Buchführung wird endgültig bie „Anonymität des Geldes“
überwunden, die darin befteht, daß man einem Geldſchein nicht anfieht, ob er auf
E ehrliche Weiſe oder durch müheloſen Gewinn oder durch Betrug in die Hand des
in Sefigers gekommen iſt.
er
f Immer wieder zeigt fi), wie B. Otto ftets neben dem Seeliſchen, Triebhaften,
dem lebenſpendenden Unbewußten auch ber entgegengeſetzten Seite menſchlichen
` Dafeins, nämlich dem Willensmäßigen, dem Ordnungsfaktor, der Zucht feine
„ Aufmerkſamkeit zuwendet, da ja die Menſchenführung, einer der wichtigſten
Gegenſtände feiner Unterſuchungen, ohne Berückſichtigung bieles Faktors nicht
E ijt. Seele und Geilt, Wachstum und Wille bilden für ihn feine unver:
ie ſöhnlichen Gegenſätze, fie find vielmehr gleichwertige Grundvorausſetzungen alles
gt ‚ Nenfhentums. Darum wird gudtvolles Leben, weil ohne es die Gemeinſchaft nicht
D beſtehen kann, überall gefordert, aber eine Zucht, die nichts mit äußerer Abrichtung
ot gemein hat, deren Grundlage vielmehr bie Cinfidt, bie Verantwortungsfreudigkeit
X. bildet und die nicht „blinden“, ſondern „ſehenden“, darum aber unbedingten
Gehorfam zum Ziel hat. Wie diefe Haltung in Familie und Schule ausgebildet
14 Günther Boehnert / Hans Baumanns Passauer Nibelungenspiel
wird, darüber geben feine früher erwähnten Schriften Auskunft. Die Krönung
aller dieſer Erziehungsbeſtrebungen findet im deutſchen Heer ſtatt. „Das
letzte Stück der Erziehung zur Gemeinſchaft“, ſo erklärt er, „wird erſt durch die
gewaltigſte und am beſten durchgebildete Organiſation gezeigt, die es überhaupt
jemals auf Erden gegeben hat: und das iſt und bleibt nun einmal das Heer.“
Worin beſteht die Höchſtleiſtung dieſer unübertroffenen Zuchtanſtalt? Während
des Weltkrieges ſtellt B. Otto in feiner „Kriegs rechenwirtſchaft“ eine Überlegung
über die heldenhaften Leiſtungen der Frontſoldaten an und bemerkt dabei, daß
dieſen ſelbſt ihr Verhalten als eine kaum rühmenswerte Selbſtverſtändlichkeit
erſchienen ſei. Woher das? Nun daher, weil das preußiſch⸗deutſche Soldatentum
„die Grundrichtung des Volkswillens tit, die jeden einzel⸗
nen zum Helden erzieht.“ *
B. Ottos Ideen mußten in einer Zeit, die [o ganz anders gerichtet war als er,
ſchlimmſten Mißverſtändniſſen und Verzerrungen ausgeſetzt ſein. Das ſchlimmſte,
was ihm geſchah, war wohl, daß mittelmäßige Geiſter ihn als einen Schulreformer
ihrer Art abzuſtempeln ſuchten, ihn z. B. zu dem „früheſten und treueſten Apoſtel
der Pädagogik vom Kinde aus“ erklärten. Er ſollte, ſo war ihre Meinung, ein
Faktor der Vergangenheit ſein. Damit aber wird man dem überragenden Kämpfer
gegen ſchlimmſte Irrtümer eines vergehenden Zeitalters, dem Bekenner einer neuen
Lehre der Gemeinſchaften, niemals gerecht. Er weiſt mit ſeinem Leben und Wort
in eine Zukunft, die uns durch Adolf Hitler Gegenwart wurde. Wir rechnen ihn im
Raum der Erziehung zu den Wegbereitern, denn er iſt kein anſehnlicher Interpret
der verſunkenen Welt, ſondern einer der erſten Arbeiter an einer neuen. Er gehört
in die Reihe jener Geiſter, zu denen Paul Ernſt die ſeheriſchen Dichter rechnet, von
denen er ſagt, daß durch ſie „eine Nation zu ihrem Selbſtbewußtſein kommt“ und
durch ſie „das deutlich wird, was in der Nation unbewußt lebt“.
Günther Boehnert:
Hans Baumanns Passauer Nibelungenspiel
Wo die Falten im jahrtauſendalten Geſicht der Landſchaft die drei Flüſſe
Donau, Inn und Ilz zuſammenzwingen, duckt ſich Paſſau auf den Halbinſeln
zwiſchen den Strömen, beherrſcht von der Fürſtbiſchofsburg Oberhaus, die mit
dem Fels verwachſen über dem Tor ſteht, das an der Donau hier durch den Stein
gehauen wurde. Die alte Völkerſtraße von Weſt nach Oſt — die Nibelungen⸗
ſtraße — führt durch das Felſentor hindurch. Ein Felſentor? Das Tor der
Nibelungen! Denn Donau abwärts geht der Weg nach Bechelaren (Pöchlarn).
Und wie der Trieb der Flüſſe nun vereint, von hier als doppelt ſtarker Strom
ſich in die Oſtmark gräbt, ſo ſtand der Strom des Bluts hier nimmer ſtill — von
dieſer alten Straße an dem Strom, vom Zwang des Donautals befreit, ſprang
er durch Millionen Adern und Kanäle, nächtebang und kampfeshell auf deutſchem
Kreuzzug gegen Often in ben ſüdoſteuropäiſchen Raum. So ward bas feſte Haus
Günther Boehnert / Hans Baumanns Passauer Nibelungenspiel 15
a
E
`
Rüdigers von Bechelaren auch das große Tor ins unrechtmäßige Reich bes
Hunnen, das Tor, durch das die Nibelungen eingingen in den ewigen Kampf
Europas gegen Aſien, das Tor zu Ruhm und Unſterblichkeit.
„Hier fprang einſt Hagen ins Boot
Und ftieß den Pfaffen vom Steuer.
Die eigenen Fäufte find treuer,
Sie werden noch früh genug rot!
Gunther, umfaffe dein Schmert,
Volker, nun aufgefungen!
Weh dem, der wiederkehrt
zum Tor der Nibelungen.«
Uralte Linden ftehen hart am Abhang vor der Burg, hundertfach veräftelt.
Unter der älteſten von ihnen beginnt ein Stück Schickſal und Mythus unſeres
Volkes in dem Jahrtauſendantlitz dieſer Landſchaft die beſchwörenden Augen
aufzuſchlagen.
Hier vollzieht ſich die bannende Magie der Verwandlung, das beſeelende
Nyſterium eines Dichters, dem es gegeben ward, das Unſichtbare — ſichtbar, das
Unhörbare — hörbar zu machen und das Unnennbare einmalig zu benennen.
Die Lindenblüten haben ihren Duft längſt ausgeregnet, wenn jedes Jahr zur
Hochſommerzeit vom Donautal herauf der Ruf der Nibelungen ertönt. Auf
ungariſchen Ochſenhörnern ſtoßen Rüdigers Männer im Dreiklang die Antwort
über die Berge. Und nun entſteigt dem Tal das Heer der Nibelungen. Jedes Jahr
zur Weihe, jetzt wie vor tauſend Jahren, ein ewiges Heer, deſſen bekannte
beſichter wir heute tragen, deſſen Trotz und Treue im Brand von Egels Burg
zu einer unfehlbaren Klinge glühte.
Zum zweiten entſteigt dem Tal des Hunnenkönigs Etzel grauſer Traum:
Die Berge bluteten ein glüh’ndes Erz,
Es tropfte in die Quellen aller Bäche,
Ein roter Dampf ſtieg aus des Landes Adern,
Die Donau wurde rot, und dunkelrot
Das Schwarze Meer, die Himmelezeichen fielen
In diefen ungeheuren Feuerfee.
Und er, vor dem die Sterne ſtille wurden,
Er trieb auf ſchmalen Balken in die Glut,
Der Mond ftürzt nieder und zerfchlägt den Kiel -
Und er muß Sterne trinken, Sternel Sternel - -
Er ftand vor feinem Zelt die halbe Nacht
Und glaubte nicht mehr, daß der Himmel wandert.
Und mit dem dunflen Traum und den hellgefihtigen Männern vom Rhein
entſteigt dem Tale jung und ſtrahlend Hans Baumanns ſchönſtes und größtes
D
—
16 Günther Boehnert / Hans Baumanns Passauer Nibelungensplel
Gedicht. Erfüllt vom Willen um das Schickſal dieſer Landſchaft und hingegeben
dem Zwang, zu künden und zu verdichten, ſchuf der Sänger ein hohes Lied den
Treue: Das Paſſauer Nibelungenſpiel. |
stin alter Ruf! Vertraut und unverfehrt,
wenn er auch taufend Jahre in den Strömen fchlief.
Wer weckt ihn auf? Pocht ihr fo ungeduldig
an Giele Steine, Daß euch Hagen hört?
Und Volker, Gunther, Gernot, Gifelher?
Sie kommen leicht, fie haben lang gelaufcht
und hielten ihre Helme in den Händen.
Der Strom blieb mach, Auf diefem Boden ging ich
der erften Nibelungenfahrt entgegen.
Wo blieb die Zeit? Ich fpür noch meine Schritte.
Nun tret ich wieder auf den Plan.
Feuer fprang auf im Donauland, ein Zittern
durchlief den Strom: Ein Traum begann zu leben!
Euch feh ich an der Nibelungen Seite
hinfchreiten Durch die Heimat vor dem Tor.
Es ift mein alter Auftrag euch zu grüßen.
Die Schatten werden leibhaft. Diefe Jahre
wehn mir wie Atemzüge in die Seele.
Mit neuem Leben kann ich Antwort rufen,
da Dieter Klang das alte Schweigen bricht:
Kommt, Nibelungen, greift zu euren Helmen,
die Erde blieb getreu und unerbittlich,
die Ströme fordern noch den gleichen Trotz
So beginnt Hans Baumanns Spiel, das an einem ganz verregneten Abend
unter den alten Linden über der Donau ſteinerne Sage Gewordenes wieder
lebendig macht. Baldur von Schirach war gekommen, Hans Baumann zu ehren
und ſich ſeine Könnerſchaft erneut beweiſen zu laſſen. Das dankbare Paſſau hatte
dem Jugendführer des Deutſchen Reichs einen jubelnden Empfang bereitet. Der
Regen, der unaufhörlich floß, konnte keinen einzigen Paſſauer daran hindern,
dabei zu ſein, das neueſte Spiel „ihres“ Hans Baumann zu ſehen. Darüber hinaus
hatte das Intereſſe viele Dichter und Denker und führende Kulturpolitiker nach
Paſſau gezogen. In dem dunkeln Halbkreis der Sitzbänke begegnete man dem
Geſicht Hans Caroſſas, Rainer Schlöſſers, Eugen Diederichs, Ludwig Voggen⸗
reiters, Sepp Kellers, Franz Tumlers; und viele andre ließ die Nacht nicht ſichtbar
werden. —
Während Rüdiger vor ſeiner Burg auf die Burgunden wartet, die aus dem
Tal heraufſteigen, verſuchen Etzels Boten noch einmal, ihn zu einem Schwur zu
bewegen, den er vor Jahren ſchon geſchworen. Als Preis bietet der Hunnenkönig
ſein Schwert, von dem Rüdiger zu ſagen weiß: „Du ſchmales Eiſen, dich entſühnt
— — —
Günther Boehnert / Hans Baumanns Passauer Nibelungenspiel 17
kein Leid. Getreue Hände müſſen dran erfrieren, dich zwang der Tod durch zuviel
edle Herzen und einmal wanderſt du den Weg zurück.“ Der Hunne verſteht die
Weigerung nicht, nochmals zu ſchwören: „Erſchreckt es Dich, was Du ſchon einmal
tatit?“ Doch Rüdiger:
»Für dielen einen Eid ward ich geboren,
Erft mit dem Tod ſchwör ich ein zweites Mal.
und ſicherlich, glaub mir, nicht einem Hunnen.
Doch bis zum erſten Tode bin ich lein,
Wer zweimal fchroóren hann, kann zweimal brechen,
Ein Schwur verbannt das Herz ins kalte Schwert.
Stärkſter Kontraſt gegen die auf ihren Pferden davonjagenden Hunnen: In
weißen Mänteln, mit großen Schilden, lichte Helme auf den Haaren betreten
jetzt die Nibelungen den Platz unter der alten Linde. Gunther, Gernot und
Giſelher ſind gekommen, Hagen von Tronje und Volker von Alzey um Giſelhers
Verlobung mit Rüdigers Tochter Gotlinde zu begehen. Aus dem Rauſchen der
Bäume wachſen mächtig die Klänge von Volkers Lied und brauſend ſingen die
Nibelungen:
Der Himmel ift gelpannt
den Tapfern und den feigen,
doch iſt der Pfad zum Sternenland
mit Schwertern zu erſteigen.
Wer blanke Waffen lät,
wird edle Ernte werben,
doch wer des Todes Acker fchmäht,
den übermannt das Sterben.
Gefahr und Fahrt und Streit
wird unfer Atem bleiben,
wenn wir die Dunkelheit
von aller Erde treiben.
Die Acker bleiben ftehn,
wenn wir von ihnen wandern.
Die Welt und alles Wiederfehn
vergeben wir den andern.
Das Bewußtſein ihres Schickſals ſteht mit dieſem Lied den Nibelungen klar
auf Schwert und Schild geſchrieben. Die Burgunden begleiten am Ufer reitend
ihre Königsſchweſter Kriemhild, die auf einem Schiff die Donau abwärts fährt,
zu ihrer Hochzeit mit König Etzel.
Hier verläßt Hans Baumann bewußt die Sage. Hier hört er auf, Sänger zu
ſein, hier deutet er groß und einmalig. Was Hebbel nicht gekonnt in ſeiner Zeit,
hat Baumann uns geſchenkt. Er hat Kriemhild unſeren Herzen wiedergegeben,
die ſonſt nur mit Hagens Treue gingen. Er hat uns Bilder einer Zeit wieder⸗
18 Günther Boehnert / Hans Baumanns Passauer Nibelungenspiel
finden laffen,
die uns Siegfried als den Stärkeren erſcheinen ließ. Hier wurde
der Dichter größer als der Mythus. Das danken wir ihm beſonders.
Aus dem ſtarken Naſſebewußtſein unſerer Zeit war es Baumann nicht möglich,
der Sage folgend Kriemhild die Gattin Etzels und Mutter ſeines Erben werden
zu laſſen, um erſt dann ihre Brüder und Hagen zur Rache an die Donau
einzuladen, nachdem ſie ſelbſt ſchon Königin des Hunnenreiches iſt. Nein, ehe
Etzel ſie berühren darf, muß dieſe Welt aus Hunnen und Burgunden in Blut
und Feuer aufgehen. Nie ſahen wir ſo tief in Kriemhilds Seele, dennoch oder
nun erſt wirklich eine deutſche Seele. Gewaltiges bricht auf in dieſer Szene:
Kriemhild:
Gott irrte nicht als er mich ſchuf,
fonft hätte er mir Siegfried nicht gegeben
und nicht das hohe Jahr. Die Glocken
von Worms! Ich hab fie nicht oergeffen -
zu jäh verftummten fie bei feinem Tod.
Durch den er fiel, der hat kein Recht zu leben,
wenn ich es dulde, wird mich Gott erinnern.
Doch bitter feh ichs, keiner von den Hunnen
wagt fich vor Hagen, ale verteilt er Blitze.
Mich tragen fie im Taumel. Seine Schritte
erlaufchen ihre Ohren an der Erde,
vor feinem Blick zerftieben fie wie Spreu.
So hätt ich meinen Stolz umlonſt geopfert?
Voll Herzensangft ruf ich dich, Rüdiger -
denn Hagen hann durch keinen Hunnen fallen!
(Rüdiger kommt langſam auf den Platz. Er bleibt in der Mitte ſtehen,
Kriemhild:
Rüdiger:
Kriemhild:
Rüdiger:
Kriemhild:
Rüdiger:
Kriemhild:
Rüdiger:
Kriemhild:
den Blick nach vorn. Beide ſchweigen lange.)
Schläft Etzel?
(antwortet nicht).
Weck ihn nicht.
(ſchweigt).
Wo bleibt ein Weg? Hier taugt dein Volk zu wenig.
Den Schwur am Rhein verwandelten die Hunnen?
lch liebe Hagen tiefer als du ahnſt,
und meiner Seele reinern Teil fpür ich in ihm.
Der Schwur bleibt unverfehrt durch deine Liebe.
Zu jedem Dienſte, deffen ich bedarf,
ruſt er dich hart. lch fordre Hagens Jodl
Kriemhild, laß mich an feiner Seite:
Nur einer iſt doch Hagen. Deinem Schatten
entipringen neunmalhunderttaufend Hunnen!
Hagen ift ihr Entfeten.
Günther Boehnert / Hans Baumanns Passauer Nibelungenspiel
Ridiger:
Kriemhild:
Rüdiger:
Kriemhild:
Rüdiger:
Kriemhild:
Rüdiger:
Kriemhild:
Rüdiger:
Kriemhild:
Rüdiger:
Kriemhild:
Rüdiger:
Tritt du vor ihn.
Nimm Etels Dolch - fein Schwert wird er nicht ziehen
vor einer Frau. Dann komm zu mir.
Ich küßte einmal einen bleichen Mund,
ein Lindenblatt fiel in die leere Wiege -
es war ein Jahr, da träumte ich von Kindern.
Nun foll fie Egel deinem Schoß erwecken?
Weh, daß du dieles Wort mir nicht verſchwiegſt.
Mich lockte nicht lein Bett, nie werd ichs teilen.
Doch meiner Rache mußt ich keinen Weg,
als von dem Hunnen Hagens Tod zu fordern.
Die beften Burgen hatte er zerftampft,
er, dacht ich glühend, wird auch Ihn zerfchmettern.
Sieh an, role er fich rtiftet! Voll Gewißheit
ift er er ſchläſtl Mit ungeheurem Schimpf
hat er vor allen Hunnen mich beladen -
die Schande einer Frau berührt fie nicht,
fie taugen nicht zu einem Untergang,
als bange Gaffer ftehen fie daneben -
reiß du mir Hagens Namen aus den Sternen!
An dein Gefchlecht verketten mich ole Adern,
an Egel doch nur ein erfrornes Wort,
und du, mit ungeroiffen, blinden Händen
kehrft dlefes nackte Wort gegen mein Blut
an Gifelher gab ich die Tochter!
Du fpürft die Erde nicht mehr, wenn du fchreiteft,
dich fchrecht wie Etzel, was am Himmel wandert,
Sind dir denn alle tot, Gunther und Gernot?
Erfchlage Hagen und fie leben alle!
Das Donauland geb ich an Gilelher
zum Brautgeſchenk für deine Freiheit
Du weißt nicht, was du forderſt.
(ſchweigt).
Kriemhild, ich habe niemals noch gekniet,
vergißt du meinen Eid, will ich es tun.
(bleibt ſtill).
Ich kenne doch die Nibelungen beffer:
Sle ſinken alle vor ihm.
Ohne Zittern
wirft du auf ihren Leibern zu ihm finden.
Drei Jahre ſpannſt du deine Rache, lodernd
in allen Adern wuchs dein Haß.
So viel mit Siegfrieds Tod auch unterging -
19
20 Günther Boehnert / Hans Baumanns Passauer Nibelungensplel
Ole Treue blieb mit Hagen hart am Leben.
So Ntößt ein Recht das andre glühend an,
erbarmungslos und halt fieht es der Himmel
und gibt dir keine Schuld als Troft.
Allein fteht jeder.
Warum trittſt du nicht zornig vor ihn hin
und forderft ihm das Herz aus feinem Leibe -
warum millft du der Nibelungen Tod?
Kriemhild, gib die Erde nicht den Hunnen,
am Rhein {ft doch ihr letzter Wall gebaut -
du wilit thn brechen?
Kriemhild: O, verfteh mich doch!
Wenn meine Rache dann vor Hagen bricht,
zum größeren Auftrag werde ich euch zwingen.
Ein ungeheures Feuer foll hier wachſen
und läutern den entmweihten Flecken Welt,
in den der Hunne feine Herrfchaft trat.
Einmal muß jene Schlacht gefchchen,
da Nibelungen fich des Lands erinnern,
h das fie einft vor den Hunnen aufgemeckt!
Soll diefe Hochzeit brennen, mag es fein -
um Etzel forgt euch nicht. In {pater Stunde
wlll ich die Fackel an mich felber legen.
Hier wählt der Dichter über feine Maße. Die klare Form kann fat nur noch
die Größe der Gedanken ſpiegeln, doch kaum mehr dieſe Leidenſchaft, die ſie erzeugt.
So dürfen wir auch einen Hagen grüßen, der uns neu und näher:
Hagen: Ein alter Kummer liegt auf meiner Seele.
Und heute wird die Laft zu viel.
Ihr mißt, daß Kriemhild lebt mich zu verderben.
Ihr Haß ift groß und hat thr Blut verkehrt,
mit Hunnenleibern will fie euch begraben.
(Er tritt auf Gunther zu und padt ibn.)
Drum, Gunther, fprich mich meiner Treue los,
die Freiheit gib mir elnlam zu verderben,
daß Worms vor Kriemhilds Werbung ficher fei,
am Rhein begeht fie fonft die dritte Hochzeit
und dann vergißt der Strom die alten Ufer.
Gunther: (regungslos).
Hagen: Bewegen will lch ſie mit guten Worten:
Ruf deine Hunnen her, will ich ihr lagen,
mit ihren Feuerfchalen deck mich zu.
Und wenn mein Leib verlodert, löfch den Haß
und glaub der Glut, die mich gehorfam fraß.
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Günther Boehnert / Hans Baumanns Passauer Nibelungenspiel 21
Gunther: Hagen, du zitterft ja. Wach auf, wir leben!
(Er hält ihn ſchweigend, dann macht er ſich heftig los und fragt)
Seid ihr zu Händen - wo bleibt Gifelher?
Volker: Er ift fchon auf dem Wege.
Gunther: Gifelher!
(Giſelher kommt allein auf ben Platz, nach wenigen Schritten bleibt
er ſtehen.)
Gifelher: Sie trinkt den Hunnen zu wie ihren Brüdern!
Gunther: Komm, Gifelher, und hilf den Himmel halten.
Das UnfaBbare ließ er hier geſchehn:
Der Hagen zittert - er, der graue Wächter,
er bettelt fich von feiner Treue los,
als könnten Nibelungen einfam fterben.
Seit Kriemhild lacht, packt ihn die Angſt.
Gifelher: Auch mich ſtößt Grauen, wenn Ich an fie denke,
mit trunknen Hunnen tanzt ſie durch den Saal,
zuletzt hebt fie den Königshumpen: Hunnen)
ſchreit ſie, hebt mich auf eure Schildel Jauchzend
ſtemmten die wildeſten dle nackten Schultern
und trugen fie zu König Etzel hin.
Der fchlief. Sie fchüttet ihm den Humpen
vore Anseficht. Sein Raufch war ftärker. -
Die Seele, glaubt Ich, weicht mir aus den Fugen.
Hagen: Ich biet thr. Hagens Herz als Hochzeitsſchmaus,
das macht fie nüchtern, denn fie raft vor Hunger.
Kehrt wieder heim! |
(Er will fort. Gunther tritt ibm in den Weg, fie ſtehen fid) feindſelig
gegenüber. Endlich tritt Gunther mit zwei Schritten auf Hagen zu.)
Gunther: (ſehr ruhig)
Ee wär zu einſam ohne dich am Rhein.
Und dann, als Giſelher, der ihr der letzte blieb und deſſen Brautlied eben noch
don Kriemhild ſang, ſich von ihr losgeſagt, erfüllt ſich unabwendbar das Geſchick,
das ſo lange dauert, wie Europa Oſtwacht gegen Aſien hält. Im Todesrauſch ſingt
Volker ſein Lied der Oſtmark (vgl. „Wille und Macht“ vom 15. Juli).
Plötzlich brennt der Wall auf von Hunnenfackeln. Mit ſchwelender Glut ſchließt
ſich der aſiatiſche Halbkreis um das Heer des Lichts. Rot gegen Weiß! Auf den
Ruf Volkers: „Der Tod iſt hinter uns!“ wenden ſich die Reihen der Nibelungen
jäh um. Wie ein Brauſen hebt ſich ihr Lied über die Fackeln. „Macht euch bereit,
doll Gewitter ſteht die Zeit.“
da werfen die Hunnen ihre Fackeln in der Mitte des Platzes zu einem Feuer
jammen. Brand ſteht zwiſchen ihnen und uns, Kampf!
22 Günther Boehnert / Hans Baumanns Passauer Nibelungenspiel
Das Licht im Vordergrund ift verlofden. Nur Rauch und Feuer füllen den
weiten Platz, und nur wie Schatten noch marſchieren ſingend dieſe Nibelungen
durch das Feuer in die Unſterblichkeit. Die Hunnen ſind verſchwunden, der Tod
iſt machtlos, Baumann ſteigert die reale Handlung, mutig den Zuſchauern ver⸗
trauend, in einen metaphyſiſchen Schluß: Durch Tod und Feuer am Leben bleibt
die Treue. Sie ſchreitet ſingend durch ihr en und ruft und ruft die
Herzen ins Feld!
Das Feuer fegt dle Sterne aus den Bahnen.
Vor den Getreuen weicht die Glut. Es fpringt
die Erde furchtlos auf. Die Ströme ahnen,
daß folches Heer fein Lied zu Ende (net,
Ihr fingt, wenn das Jahrtaufend ſchweigend modert,
ich fpür euch unverſehrt ans Tor geſtellt.
Bewacht die Erde, wenn das Leid verlodert,
das Schwert bleibt ftehn und adelt diefe Weltl«
Nach dieſen Worten, die Rüdiger, als letzter auf dem Plan, in die Natur geſtellt,
ſtößt er ſein Schwert in die Erde. Das Schwert bleibt ſtehn, er aber wendet ſich
und geht durch die Flammen davon, auch feinen ewigen Marſch beginnend jenjeits
von Raum und Zeit.
Der Menſch überwindet den Körper aller Dinge, iſt ſtärker als das Gegen⸗
ſtändliche. Wenigſtens: Wo er dies nicht kann, durchſeelt, vergeiſtigt er es. Das
iſt der tiefſte Urtrieb aller Kunſt: Geiſt iſt ſtärker als Materie! —
Aber am Anfang und am Ende ſtand der Regen. Man ſagt, er habe nicht
aufgehört, aber Spieler und Schauer haben aufgehört ihn wahrzunehmen. Eine
Dichtung erwies ſich ſtärker als der Regen. Das iſt vielleicht das Schönſte und
Zwingendſte an dieſem Tag. Die wunderbare und bilderreiche Sprache Hans
Baumanns durchſtieß das Gewölk, Helle und Klarheit ſtrömte hernieder, wurde
Fleiſch und ging dann wieder mit den Winden in das Leben, wo nichts verloren⸗
gehen, wo nichts ſterben kann. Wie nebenſächlich iſt doch Regen, wenn Tauſende
von Menſchen ihn nicht wollen. Geiſt iſt ſtärker als Materie! —
Außen — an der Burgmauer klebend — hängt ein Gärtchen aus Raſen und
Roſen mit einem Häuschen an die Wand gelehnt. Die Stadt Paſſau hat es Hans
Baumann zum Lehen gegeben. Hier über die Stadt und ihre drei Ströme in die
Berge des Bayriſchen Waldes ſehend, ſingt er ſeine Lieder. Mit dem Rüdiger
von Bechelaren ſcheint eine beſtimmte Schaffensperiode abgeſchloſſen. Er zeigt das
Höchſte, was auf dieſem Weg erreichbar iſt. Hans Baumann iſt unſer — wir
ſind ſtolz auf ihn und wir haben Forderungen an ihn. Ein junges Volk, daß ſeinen
Sänger liebt, wartet auf ſeinen Seher und Deuter! Was iſt uns Volker von
Alzey mehr als ein Traum, ein ſtolzer. Hans Baumann heißt ein Sänger unſerer
Tage. Daß er es iſt, verpflichtet uns — und ihn.
Wilhelm Grau:
Streit politischer Ehepartner
Cuglilhe Intereſſen und jüdiſche Ziele
Seit mehreren Monaten ſchon iſt Sirael
auf Großbritannien nidt gu zu ſprechen.
„Jüdiſche Menſchen find etwas mi trauiſch
geworden gegen alles, was aus ngland
zu ihnen dringt“, ſchrieb am 12. Mai 1939,
als ſich die Umriſſe des bei b:
buches abzuzeichnen begannen, die Jüdiſche
Preſſezentrale.
Als dann die engliſche Regierung nad)
langem Zögern wirklich wagte, am 1 . Mai
bas Weißbuch zu veröffentlichen, zeigte Dë
das Judentum aufs tiefite verletzt.
In dem Command Paper Nr. 6019,
welches am 23. Mai vom Unterhaus mit
968 : 179 Stimmen angenommen wurde,
wird ein arabiſch⸗füdiſcher Ge⸗
meinſchaftsſtaat als Löſung aus⸗
E Das Judentum wird im dieſem
taat auf ein Drittel der Geſamt⸗
bevölkerung feſtgelegt, weshalb in den
nächſten fünf Jahren die jüdiſche Einwande⸗
rung auf 75 000 Köpfe und nach Ablauf
on Zeit auf 25000 Köpfe begrenzt fein
I In einer Friſt von zehn Jahren [oll
unter der Verantwortung der Mandats⸗
macht England bas arabiſch⸗füdiſche Staats»
gelen heranbilden, und dann „unabhängig“,
jedoch „mit Unterſtützung britiſcher Berater“
und unter Kontrolle des britiſchen Ober⸗
kommiſſärs ſich ſelbſt regieren.
Die politiſchen Beſtimmungen dieſes
Wei es — ſo wird ie offen
erklärt — werden ſabotiert und England ſei
mit ſeiner „Schwenkung“ zu e gefommen,
um bie Juden, bie „wegen ihrer wirtſchaft⸗
lichen Schlagkraft bereits das entſcheidende
Gewicht im Lande“ Paläſtina haben, noch
lenken zu können. Die neuen Einwande⸗
tun geſetze würden großzügig umgangen
werden.
Da die Juden jahrhundertealte Meiſter
im Men enfómugge find, ſprechen wir
dieſen jüdiſchen Plänen durchaus Erfolgs⸗
ausfidten zu.
Weniger durch die Einwanderungsbegren⸗
zung als durch die Ablehnung eines
AußenpolitiiheHotien
eigenen Judenſtaates in Palajtina,
kommt dieſem re in dem allgemeinen
engliſch⸗jüdiſchen Verhältnis eine grundläß-
liche Bedeutung zu und iſt in jüdiſchen
Augen eine Kataſtrophe. „Das Vertrauen
iſt zerſtört, die Zuſammenarbeit iſt auf⸗
gehoben.“ „England hat uns verraten.“ Auf
der ganzen Welt erörtern jetzt die Juden
erregt die engliſche Politik.
Streicht man die Sentimentalitäten, die
ſich derzeit in Drohungen und lärmenden
Geſten hauptſächlich in Paläſtina und Ame⸗
rita Luft machen, fo bleibt tatſächlich eine
bemerkenswerte Störung des ii iſchen Ber:
trauensverhältniſſes zu Großbritannien.
Die Juden vermerken zwar, daß die eng⸗
liſche Regierung aus Schwäche und nicht
aus einem grundſätzlich . ſchen Stand⸗
punkt die neue Paläſtinapolitik in die Wege
ee habe. Die Verfechter des Weiß⸗
uches im engliſchen Parlament legten in
der Tat großen Wert auf die Feſtſtellung,
die neuen Beſtimmungen a nidi im
Widerſpruch mit der Balfour-Deflaration.
Doch die ganze Diskuſſion ſowohl im Parla⸗
ment wie außerhalb zeigt mit großer Deut⸗
lichkeit, wie ſehr engliſche Intereſſen und
üdiſche Ziele einander überſchneiden, und
aß das politiſch verbindende Element zwi⸗
chen Juden und Briten allein die gemein⸗
ame Feindſchaft gegen ein großes und
tarkes Deutſchland iſt.
Robert Briscoe, das einzige jüdiſche
Mitglied des iriſchen Parlaments, ver⸗
öffentlicht eben einen Aufſatz, der mit fol⸗
genden Worten beginnt: „Es iſt aus⸗
geſchloſſen, das jüdiſche Problem durch einen
Verſuch, die jüdiſchen Aſpirationen in den
Rahmen britiſcher Politik einzuordnen,
löſen zu wollen, da die Bedürfniſſe
des oct Volkes, mas Pa⸗
läſt ina anlangt, fid dauernd
im Konflikt mit der engliſchen
. im nahen Oſten befin⸗
e n.“
Welches ſind Englands Intereſſen und
welches die jüdiſchen Ziele?
England will ſowohl das jüdiſche Welt⸗
kapital auf ſeiner Seite erhalten, wie
andrerſeits im vorderen Orient die arabiſch⸗
24
jüdiſchen Gegenſätze nicht auf Koften bes
Empire wuchern laſſen. Die arabiſche Welt
ſtand im Weltkrieg auf ſeiten Groß⸗
britanniens. England verſucht ein völliges
Entgleiten der Araber aus ſeinem Einfluß⸗
bereich zu verhindern. An ſich wäre England
ein jüdiſcher Staat in Paläſtina icli afts⸗
politiſch wie ſtrategiſch grundſätzlich nicht
unangenehm. Fordert jedoch die Errichtung
dieſes Judenſtaates den Verzicht auf jede
arabiſche Freundſchaft in einer derart ge⸗
ſpannten Lage, wie ſie ſich derzeit über die
Welt hinbreitet, dann ſtellt pieles Ziel, bas
bet wichtigſte Programmpunkt der jüdiſchen
Weltpolitik iſt, einen erheblichen Störungs⸗
faktor der N des Empire dar. Eng⸗
land gibt die Araber noch nicht ek Cs bes
müht ſich, wenigſtens ihre wohlwollende
Neutralität für Großbritannien zu d de
wenn London ſeit längerer Zeit auch ſchon
in Rechnung ſtellt, daß die Araber im Ernſt⸗
falle ſich gegen England wenden. Die jüngſt
etroffene englijd) » türkiſche Vereinbarung
ba offenſichtlich auch eine antiarabijde Be-
1 zu erfüllen. Die Türkei ſoll im
SECH e bie arabiſche Welt in Schach
alten.
Das Judentum fordert aber in unvermin⸗
derter Stärke einen nn jübilden Staat
in Paläſtina. Es will dieſen Staat nicht,
um alle Juden der Welt im vorderen Orient
zuſammenziehen zu können. Es will
dieſen Staat als völkerrecht⸗
lichen Garanten für die im 19. und
20. Jahrhundert errungene Bor:
machtſtellung in der elt. Pa⸗
lajtina ſoll der geiftige und machtpolitiſche
ö (Vatikan) der Weltjudenheit
werden.
Da aber ſeit mehreren Jahren eine rück⸗
läufige Bewegung in bezug auf die Weiter⸗
entwicklung der jüdiſchen Rechts⸗ und
Machiſtellung im Gange ijt, ja in dem für
das Weltjudentum ſo wichtigen Bereich
Mittel⸗ unb Oſteuropas ſchwere Verluſte zu
verzeichnen find, halten die Juden es als
eine ihrer wichtigſten Forderungen, daß ihre
Wünſche in Paläſtina raſch erfüllt wer⸗
den. Das Judentum glaubt, daß ſein poli⸗
tiſches Ziel in Paläſtina von Großbritannien
tundjägli gebilligt fei. Die Zeitfrage
Bat für die Juden jedoch eine fo große Bes
Mieke daß darüber der augenblickliche
Konflikt mit der engliſchen Regierung ent⸗
ſtehen konnte.
Während Großbritannien mit der Bal⸗
four⸗Deklaration in ſchwerer Kriegsbedräng⸗
Außenpolitische Notizen
nis die Sympathien des Weltjudentums,
vor allem die entſcheidenden Stimmen der
Juden Amerikas auf ſeine Seite 119 und
durch dieſen politiſchen Shahaug nicht zu⸗
letzt die Unterſtützung der Vereinigten
Staaten in der Endphaſe des Weltkrieges
erlangte, war die Fortſetzung dieſer Poli:
2 0-24 —ͤ— ain a —— —
tik alles eher denn ein erfolgreiches Ge .
al für ;
ih in der Weiſe zu, daß bie Balfour⸗Dekla⸗
ration die alle arabiſche Welt gegen
Großbritann | Maße
Bewegung brachte und damit ſämtliche
Probleme des öſtlichen Mittelmeeres unter
außerordentlich düſtere Aſpekte ſtellte. In
einer Zeit, in welcher durch die Doll
Geſamtlage das Mittelmeer ohnedies zur
ſchwerſten Sorge Englands geworden it,
bedeutet eine revolutionäre englandfeind⸗
liche arabiſche Welt eine akute Gefahr.
Es gibt genug Briten, die ſeit langem
den Ernſt der Lage erkennen.
Am 20. Oktober 1930 hat die Regierung
Ramſay Macdonald unter der Verantwor⸗
tung des Kolonialminiſters Lord Paß⸗
[i eld (Mr. Sidney Webb) [don ein Weib:
uch herausgegeben, welches den Versuch
machte, die britiſchen Intereſſen zu wahren,
d. h. die jüdiſchen Forderungen jud
Einwanderung und Bodenerwerb in Pa
läſtina zur Beruhigung der Araber erheb⸗
lich zurückſchrauben wollte. Die Wirkung
dieſes Weißbuches auf das Judentum war
eine ähnliche, wie jetzt die des .
der Regierung Chamberlain vom 17. Mai
1939 unter der verantwortlichen Zeichnung
des Kolonialminiſters Malcolm Macdonald.
Das Weltjudentum lief damals Sturm da⸗
gegen und — triumphierte. Ramfay Mac
onald hat in einem Brief an ben Zioniſten⸗
führer Weizmann am 14. Februar 1931 den
geſamten Inhalt ſeines Weißbuches wider⸗
rufen“).
Die jüdiſche Politik ging dann ungehin⸗
dert weiter. Die Vorſchläge der Peels
kommiſſion, welche einen eigenen Juden⸗
ſtaat vorſahen, waren im weſentlichen ein
mit dem Judentum abgekartetes Spiel.
Nun aber ſcheint der engliſchen Regierung
das Waſſer des öſtlichen Mittelmeeres ſchon
bis an den Hals zu reichen, ſo daß ſie alle
ihre Rückſichtnahme auf die „verfolgten
Juden preisgab und mitten in weltpolitiſch
*) Über die Geſchichte des Paläſtina⸗Problems unter
richtet ausgezeichnet Giſelher Wirſing in feinem bier
bereits beſprochenen Werk „Engländer, Juden, Araber
in Paläſtina“, Jena 1938; viele Buch ik darüber hin
aus eine Ein ien Einführung in die Judenfrage
der großen Politik.
ngland. Die Entwicklung ſpitzte
en in ſteigendem Maße in
+ em oe
m r |
Außenpolitische Notizen
bewegenditen Vorgängen fs Zeit nahm,
ein neues Paläſtina⸗Weißbuch herauszu⸗
geben. So wenig dieſe neue Politik die
arabiſchen Wünſche erfüllt, ſo wenig ſie vor
allem dem arabiſchen Standpunkt ein e ? ts
liches Verſtehen entgegenbringt, fo ſehr
beſchneidet ſie die jüdiſchen Ziele. Die Re⸗
gierung Chamberlain glaubte, in der Bes
tangnis, in der ſich England derzeit befins
bet, vom Weltjudentum Verſtändnis für die
ME der britiſchen Intereſſen zu
finden. Wenn in dieſem Augenblick der
politiſchen Not Großbritanniens das Juden⸗
tum nicht foviel Einſicht aufbringt — fo
argumentieren die Verfechter der neuen
engliſchen Paläſtinapolitik —, zu welchem
Zeitpunkt dann?
Es haben ſich einzelne jüdiſche Stimmen
im engliſchen Sinne vernehmen laffen.
en meinte, bie Juden follten nicht
vergellen, daß „Englands Feinde auch bte
einde der Juden ſind und daß daher die
lufrechterhaltung der Poſition Englands
für die Juden von größter Bedeutung iſt“.
Darum geht augenblicklich die Auseinander⸗
eung im Jüriigen Lager. Soll Iſrael den
engliſchen Intereſſen ein Opfer bringen?
„Die Dynamik und Eigengeſetzlichkeit der
Laien Politik ift zu mächtig, als daß die
rer des Großludentums engliſche Inter⸗
eſſen jüdiſchen „Forderungen grundſätzlich
voranitellen würden. Die Juden wager
igen ab, ob die Geſamthaltung der eng⸗
liſchen Regierung eine vorübergehende
wl ne auf britiſche Intereſſen vers
Viele Gründe ſprechen dafür, daß bas
Ergebnis dieſer jüdiſchen Überlegungen
gegen Chamberlains neue Paläſtindpoltik
ausfallen wird, daß jedoch das Judentum
ſelbſt der engliſchen Regierung eine diplo⸗
matiihe Brücke baut, auf der diefe den
rin antreten fann.
as Weltjudentum Hat rechtzeitig in
feiner Paläſtinapolitik i? Sch Bere
einigten Staaten rüdverfidert. Und
fo oft ‚engtilche Intereffen den jüdiſchen
Zielen in die Quere kamen, hat Weizmann
die amerikaniſche Karte ausgeſpielt.
Während die engliſche Politik immerhin
zoch einen eigenen Bereich britiſcher Son⸗
derintereſſen kennt, iſt in den Vereinigten
Staaten amerikaniſche und jüdiſche Politik
er bis zur Unkenntlichkeit ineinander
derſchmolzen.
Wilſon, der würdige Vorgänger Rooſe⸗
velta, ſtand ſchon bei der Entſtehung ber
Balfout⸗Deklaration Pate. 1924 hat ſich die
amerikaniſche Regierung durch einen Ver⸗
trag mit England ein Einſpruchsrecht auf
die Paläſtinapolitik gefigert. Außen⸗
miniſter Cordell Hull hat dement⸗
ſprechend in dieſen Tagen dem Präſidenten
der zioniſtiſchen Organiſation Amerikas,
Rabbi Solomon Godmann, die Erklä⸗
rung gegeben, daß die Regierung der Ver⸗
einigten Staaten das Paläſtina⸗Weißbuch
e ſtudiere und über die jüngfte
Entwicklung in der Paläſtinaſitugtion
äußerft beſtürzt fet. Die Oppoſition
im engliſchen Parlament gegen das WA
buch, unter ber fif bemerkenswerterweiſe
Herr Churchill am eifrigiten für die
jüdifhe Sache einſetzte (die „Times“ bes
zeichnete deſſen Rede als „deſtruktiv“), hat
ebenfalls die Regierung der Vereinigten
Staaten indirekt aufgefordert, das Weiß⸗
buch zu Fall zu bringen.
Die Juden rechnen damit, we Be mp
liche ale Kant in ähnlicher e
Albion und Juda aufeinander angewieſen!
Großbritannien hat bei ſeiner dies⸗
maligen Schwenkung in der Paläſtina⸗
politik den einen bedeutenden Vorteil
auf ſeiner Seite, daß das Judentum bei
dem Anwachſen des Antiſemitismus auf der
ganzen Welt noch weniger einen Bruch
mit Großbritannien ſich leiſten kann, als
die engliſche Regierung ihrerſeits einen
ſolchen Bruch mit den Juden für erwünſcht
ält. Wie ſtark auch die Verankerung der
üdiſchen Macht in der Regierung der Ver⸗
einigten Staaten iſt, auf v e aís
10 esgenoſſen verzichten, kann Weizmann
nicht.
Nur auf Grund der günſtigen tak⸗
tiſchen Lage für Großbritannien könnte
ſich eine weitere Verſteifung und Verſtim⸗
mung zwiſchen dem liberalen Konſervativis⸗
mus Londons und den Juden ergeben. Aber
werden die goldenen Ketten, mit denen
England an das Weltjudentum Oe ift,
dem Kolonialminiſter eine ſolche olitik
erlauben?
Da bem Chamberlainſchen Weißbuch aud)
die Befriedung der Araber nicht gelungen
ift, der eigentliche Zweck der neuen Politik
allo fehlgeſchlagen hat, ijt als fider anzu⸗
26 Außenpolitische Notizen
nehmen, daß das Paläſtinaproblem nod
lange die Welt beschäftigen wird.
England iſt innerlich zu
„ u m A ureigenen
ebensintereſſen 5
von fremden Aſpi rationen wah:
ren zu können. Es weiß um ſeine
Intereſſen. Es weiß allerdings nur noch
von ntereſſen, nicht mehr vom
Sinn dieſer Intereſſen.
Darum macht Englands Politik der
letzten Jahre einen ſolch zerriſſenen und
gequälten Eindruck.
Darum iſt ſeine Politik ſo wirr geworden,
ſo voll von Widerſprüchen. Es beſchließt
Sanktionen in Genf und erkennt Abeſſinien
an, es geht nad München und klopft am
Moskaus Türe. Es verſpricht den Juden
und bricht den Arabern das Wort.
Das iſt das England von heute, in den
Augen ſeiner Freunde wie ſeiner Feinde.
Manfred Zapp:
Portugal und seine Außenpolitik
Die e eee taucht blutrot im
Meere unter. Einige Fiſcherboote heben ſich
vom Horizont ab. In der Ferne zieht ein
Dampfer vorüber. Gedankenvoll re
einige Portugieſen auf das Meer hinaus,
das für Portugal Vergangenheit und Zu⸗
kunft bedeutet. Heinrich der Seefahrer
1394—1464) hat der Sage nach von feinem
chloſſe in Sagre ähnlich auf das Meer
hinausgeſchaut und dann die großen Pläne
vorbereitet, die zu den erſten Entdeckungs⸗
fahrten und Eroberungen der Portugieſen
in Afrika führten.
Wie die Wellen auf⸗ und abwogen, iſt
Portugals Schickſal auf⸗ und nieder⸗
gegangen. Auch jetzt iſt wieder bewegte See.
Die Meeresbrandung ſtürmt gegen die
ohen Kaimauern von Eſtoril. Ab und zu
ritzt eine Welle ſogar über die hohe
auer hinweg auf die A der eleftris
[hen Schnellbahn, die Eſtoril mit Liſſabon
verbindet. Wenn die Fahrt vom Hafen
Liſſabons am Ufer des Tejo entlang bis
Eitoril, dieſem herrlichen Orte, in dem ſich
die ere Portugieſen, bie Wirtſchaftler,
die Ariſtokraten, das Militär und die Be⸗
amten des „Neuen Staates“ mit den Aus:
ländern ein Stelldichein geben, in den
roßen bequemen Wagen dieſer Bahn, die
en als Reparationszahlung von
Deutſchland an Portugal geliefert wurden,
auch nur eine halbe Stunde dauert, ſo
kann man in gedrängter Form zahlreiche
portugiefilde Probleme erfennen, mit denen
ie Portugieſen zu ringen haben.
Der Zug brauſt zunächſt vorüber an den
großen Kais, an denen die Überſeedampfer
angelegt haben und hier portugieſiſche
Weine, Sardinen und andere landwirt⸗
chaftliche Produkte, auf denen der Export
ortugals aufgebaut iſt, laden. Aber auch
andere Waren, die größtenteils aus den
portugieſiſchen Kolonien kommen oder dort⸗
in gehen, werden hier umgeſchlagen.
ußerdem iſt Liſſabon der letzte Hafen es
europäiſchen Feſtlandes nach Südamerika.
Die Schornſteine eines großen ee ee
dampfers einer nad Südamerika fahrenden
Linie ſchauen eben über einen Schuppen
hervor. Bald geht es vorüber an dem herr⸗
lichen Kloſter von Belem, in deſſen Kirche,
der Kathedrale St. Hyronimus, Vasco
ba Gama (1469—1524), der roße Welt⸗
umſegler und Entdecker des Seewegs nach
Indien, ſowie der mächtige portugiefiſ
König Manuel der Prächtige (14691521 ;
ber Herrſcher des portugieſiſchen Welt⸗
reiches, das ſich einſt über Afrika, Indien
und Braſilien ausdehnte, begraben liegen.
Unweit davon ſteht an den Ufern des
Fluſſes im ſcharfen Kontraſt zu den ſchwar⸗
pt Gafometern unjerer Zeit ber Turm von
elem aus weißem Marmor, ein Meiſter⸗
werk „ ek er Architektur des 16. Jahr⸗
1 inſt hat er als Befeſtigung und
zachtturm für die Schiffahrt an der
mündung gedient.
Dieſe Bauwerke erinnern an Portugals
grobe Zeit, als bie Portugieſen, noch raſſiſch
verhältnismäßig wenig gemiſcht, eine aktive
Weltpolitik trieben, die im Kampfe gegen
den Semitismus und das Mohammedaner⸗
tum, vor allem gegen die Araber in aller
Welt, zu dem großen Kolonialreich führten,
das nach der ſtarken Raſſenmiſchung mit
den Kolonialvölkern fo ſchnell wieder vers
pa und deffen Refte heute den größten
eichtum des Landes darſtellen.
In raſender Geſchwindigkeit durchfährt
der Zug die hübſchen kleinen Orte, wie
Oeyras, in dem der große portugieſiſche
Staatsmann des 18. Jahrhunderts, der
Marquis be Pombal (1699—1782), ein Luſt⸗
ſchlößchen in entzückendem Barockſtil erbaut
hatte. War es doch Pombal geweſen, der
ejo⸗
die Gefahr der raſſiſchen duch 1d ſeines
Volkes erkannt hatte und durch ſeine Ge⸗
ſetzgebung die Reinerhaltung des portugie⸗
ſiſchen Volkes anſtrebte und der für eine
ſtarke ſelbſtändige, nationale portugieſiſche
Weltpolitik eintrat, unabhängig von allen
fremden Einflüſſen. Aber der Macht der
Außenpolitische Notizen 27
Jeſuiten und ber katholiſchen Kirche ift er
unterlegen. Sein Werk wurde nicht weitere
geführt.
Hinter Oeyras liegt Carcavellos, deſſen
feutiger Wein jedem in Erinnerung bleibt,
der ihn je gekoſtet. Dann kommt bald
Eſtoril, ein mondäner Badeort mit großen
Hotels und Spielkaſino. Eſtoril iſt jedoch
nicht das Endziel des Zuges, denn er fährt
weiter nach Cascaes, wo in dem prächtigen
ort der portugieſiſche Staatspräſident,
eneral Carmona, reſidiert.
Kultureller Einfluß aus Frankreich
Trotz allem iſt die Fahrt von Liſſabon
nach 0 für die Schlaheit
ſtoril wet typiſch
und Urſprünglichkeit Portugals. Stets
ſtößt man auf moderne und meilt ausläns
diſche Einflüſſe; Reklame für ſchottiſchen
Whisky, amerikaniſche Autos, deutſche
Chemikalien ſind häufig zu leſen. Automo⸗
bile to en ritate ſauſen über die
Straßen; ber ug ift, wie geſagt, deutſcher
Herkunft. Von Engländern erbaute Tele⸗
raphens und Telephonlinien ſäumen die
leiſe uſw. Aber die kurze Reiſe iſt bezeich⸗
nend für die engen Beziehungen, die das
moderne Portugal mit dem Auslande
unterhält.
Wohl nirgends in Portugal trifft man
ſoviel Ausländer, wie gerade in Eſtoril. In
den großen Hotels wohnen zahlreiche ipar
niſche Geſchäftsleute und Braſilianer, die
ortugal immer noch als ihr europäiſches
utterland betrachten oder die aus polis
tiſchen Gründen Braſilien verlaſſen mußten
und hier ein ebenſo ſchönes wie ana
Unterfommen gefunden haben. n trifft
vor allem viele Engländer, die dem trüben
engliſchen Winter entrinnen wollen und
nun n Frühling in e ee
Sonnenſchein genießen oder die geſchäftliche
oder politiſche Gründe nach Portugal ge⸗
führt haben.
An den Zeitungsſtänden von Eſtoril hän⸗
gen daher auch ſpaniſche, ſüdamerikaniſche
und engliſche Tageszeitungen neben den
ſonſt vorwiegend fat en Zeitſchriften
aus. Es iſt überhaupt erſtaunlich, daß in
den Buchläden mehr franzöſiſche Bücher
ausliegen als Bücher in portugieſiſcher
Sprache. Es iſt ebenſo überraſchend. daß die
großen Pariſer Tageszeitungen den portu⸗
ieſiſchen Tageszeitungen in Liſſabon ernite
onkurrenz machen, obwohl wenig Fran⸗
ſen im Lande leben. Seit Jahrhunderten
ehen jedoch die Portugieſen immer noch
unter dem kulturellen Ale Frankreichs.
Franzöſiſch ijt in Portugal eine Umgangs:
ſprache, die hier vielen Gebildeten ge⸗
läufig iſt. ,
Bor dem Bahnhof ziehen eine Reihe Les
gionäre vorüber mit dem grünen Avizkreuz
auf Bruft und Mütze. Sie ſind freiwillig in
eine nationale Miliz, die Legio, eine
getreten, um das Vaterland vor Umſturz
und Unruhe zu ſchützen und für Ordnung
und Sauberkeit im Staate einzutreten.
Portugals Glück: ein Staatsmann
Einſt war Portugal als das Land der
Revolutionen und der politiſchen Umwäl⸗
zungen bekannt. Nach dem zu Mons
archie im Jahre 1910, nachdem König Mas
nuel ſein Vaterland verlaſſen hatte und
nach England ins Exil gegangen war, bis
u ber Militärrevolution des Jahres 1926
at Portugal 16 Revolutionen und über
40 Regierungen erlebt. Jedoch der 28. Mai
1926 brachte eine grundſätzliche Anderung.
Mit der Militärdiktatur, die damals erri
tet wurde, kamen Männer an die Regie⸗
rung, die aus Portugal einen neuen Staat
formten und dem neuen Staat eine autoris
täre . gaben, die die Diktatur
ablöſte. Der Gründer des neuen autori⸗
tären Staates iſt der ehemalige Univerſi⸗
tätsprofeſſor Dr. Oliveira Salazar.
Salazar hat zunächſt die zerrütteten Fi⸗
nanzen des Landes wieder in Ordnung
gebracht, er hat die Korruption im Lande
ausgemerzt, er hat die Landwirtſchaft, die
Grundlage jeden Volkstums, gefördert, die
Induſtrie geſtützt, er hat die portugieſiſche
Wehrmacht reformiert und moderniſiert; er
hat dem portugieſiſchen Volke das Selbſt⸗
vertrauen wiedergegeben, das ihm in Jahr⸗
hunderte währender Wirtſchaftskriſe ver⸗
lorengegangen war. Salazar iſt ein glühen⸗
der Patriot, deſſen Nationalgefühl fa aud)
einen Landsleuten mitteilt. Er ließ die
nationalen S in anderen Staas
ten ftudieren und nahm die autoritären
1 anderer Länder zum
orbild.
Portugal erzieht ein neues Geſchlecht
So iſt es natürlich, daß ſich freundſchaft⸗
liche Beziehungen zwiſchen Portugal,
Deutſchland und Italien entwickelten, daß
dieſe freundſchaftlichen Beziehungen ihren
Ausdruck fanden im gegenſeitigen Gedanken⸗
austauſch und im Beſuche portugieſiſcher
Kommiſſionen in Deutſchland und Italien
und in dem Beſuche deutſcher Abordnungen
in Portugal. Während der Olympiſchen
Spiele kam die portugieſiſche Mannſchaft
mit den deutſchen Einrichtungen und Or⸗
ganiſationen, wie z. B. der Hitler⸗Jugend,
in Berührung. In ganz kurzer Zeit wurde
die Organiſation der poxtugieſiſchen Jugend,
die „Mocidade Portugueſa“, aufgebaut.
Es iſt ſelbſtverſtändlich, dak in einem
Land wie Portugal, das in jeder Weiſe fo
grundverſchieden von Deutſchland ift, daß in
einem Lande mit einer romaniſchen Be⸗
völkerung, die tamoe Einſchläge nahezu
aller Völker der Welt beſitzt, andere Grun
bedingungen gegeben ſind als die in dem
ermaniſchen Deutſchland, und dab infolges
ellen die Organiſationen ein anderes (bes
fit haben als die, die wir bei uns kennen.
Aus allem aber ſpricht die Abſicht und
der Wille, wieder eine aktive und
dd AA. Politik zu treiben, die nad
en Eroberungen im 15., 16. und 17. Jahr⸗
hundert und der daraus folgenden Naſſen⸗
miſchung mit den eroberten und unterwor⸗
fenen Kulturvölkern paſſiv geworden war
und zu dem e bes größten Teiles
feines überſeeiſchen Beſitzes geführt hatte.
Das nationale Sich⸗auf⸗ſich⸗ſelbſt⸗Beſinnen,
die Einführung eines autoritären Staats⸗
weſens, die ſoziale Geſetzgebung des „Stato
Novo“, des „Neuen Staates“, führte zu
einer deutſch⸗portugieſiſchen Zuſammen⸗
arbeit, die erweitert wurde durch die Zu⸗
ſammenarbeit mit Italien und dem natio⸗
nalen Spanien. Auf Grund der gemein⸗
ſamen ideologiſchen Intereſſen mußte ſie ſich
enger geſtalten, enger als es je zuvor der
Fall geweſen ift.
Das Berhältnis Bortugals zu den Spaniern
Portugal hat eine lange Grenze und eine
lange Küſte zu verteidigen. Hinter dieſen
Grenzen wohnen die Spanier, die in Por⸗
tugal als die Erbfeinde galten. Spanien
war das feindliche Ausland. Wenn man
heute durch abgelegene Gegenden Portu⸗
gals reiſt, in denen die Bauern nach ihren
alten Sitten und Gebräuchen unberührt von
jeder modernen Ziviliſation leben, in denen
es weder ein Radio noch eine Zeitung gibt,
in denen nur das Auto als einzige moderne
Errungenſchaft bekannt iſt, und ſich mit den
Leuten aus dem Volk unterhält, ſo wird
man unwillkürlich als Spanier ange⸗
ſprochen, denn für dieſe Bauern ſind Spa⸗
nier Menſchen, die kein
prechen können und jenſeits der Grenze
ortugals leben. Erklärt man, daß man
eutſcher ſei, ſo wird verſtändnislos genickt,
und der eine oder der andere Zuhörer er⸗
innert ſich dunkel, daß es hinter Spanien
vielleicht noch andere Länder gibt. Als
Ausland iſt dieſen portugieſiſchen Bauern
Portugieſiſch
Außenpolitische Notizen
nur Spanien und Braſtlien, das Ziel fo
läufig portugieſiſcher Auswanderer, ge:
äufig.
Im Kampfe um [eine Unabhängigkeit
und bei der Verteidigung ſeiner langen
Landesgrenzen mußte Portugal einen
Bundesgenoffen neben der ihm beiſtand,
politiſch und wirtſchaftlich. Dieſen Bundes⸗
enoſſen ſuchte es zunächſt in Frankreich, in
em Lande, aus dem die alten Ritter ge⸗
kommen waren, die die Mohammedaner
vertrieben Portug und die [pater die Ober
ſchicht in Portugal bildeten; doch Frank⸗
reich war zu ſehr in innerpolitiſche Kämpfe
verwickelt und konnte den Portugieſen nicht
helfen.
Da fand es die Unterſtützung der Eng⸗
länder, die in Portugal ein gutes Abſatz⸗
ns ihres wichtigſten Produktes, ber eng:
iſchen Wollſtoffe, fanden. Die Portugieſen
zahlten mit ihrem wichtigſten Produkt, dem
portugieſiſchen Wein. So bildete ſich die
engliſch⸗portugieſiſche Allianz heraus, die
im Jahre 1386 im Vertrage von Windſor
feſtgelegt wurde. Dieſe Allianz beſteht als
älteſte in der Welt bis auf den nn
zug. England hat Portugal in ſchweren
eiten beigeſtanden und hat zweifellos den
„ große Dienſte geleiſtet, die die
ortugieſen allerdings ſtets teuer be⸗
zahlen mußten. Die Portugieſen waren
meiſt die Gebenden, die Engländer die
Nehmenden.
Freundſchaft ſchwer bezahlt!
Als eine engliſche Prinzeſſin die Gemahlin
eines portugieſiſchen Königs wurde, brachte
ſie mit ſich Juwelen und Edelſteine, Geld
und eine reiche Ausſteuer. Als eine poni
gieſiſche Königstochter einen eng ir:
Wee Brel gaben ihr die Portugieſen
als Mitgift Bombay, aus dem ſich das
indiſche Kaiſerreich der Engländer ent⸗
wickelte. Dort, wo einſt die Portugieſen
ſaßen, in Indien, am Noten Meere, auf der
malaliſchen Halbinſel und in vielen Ge
enden Afrikas, regieren heute die Eng⸗
änder. Nur wenig ift den Portugieſen von
en einft fo großen Weltreich nod ge:
eben.
In den ſchweren Kämpfen des Nieder-
gangs ijt England ben Portugieſen politiſch
und wirtſchaftlich ſtets hilfreich geweſen.
Die Engländer waren immer gern bereit,
dem verſchuldeten Portugal gegen Gewäh⸗
rung beſonderer Konzeſſionen gro e in:
leihen zu geben. Heute ubt England einen
gewaltigen Einfluß auf das portugieſiſche
1
Außenpolitische Notizen 29
Dies kann ſelbſt
Wittſchaftsleben aus.
* ESCH Beſuchern der beiden Großſtädte
ttugals nicht entgehen.
Das Telephon in Liſſabon wie in Porto
un einer britiſchen Geſellſchaft, die
traßen bahn el ee ijt in eng:
liſchen Händen. ortugieſiſche Autobus-
linien müſſen, wenn ſie in Liſſabon ihren
Ausgangspunkt nehmen, an die engliſche
i Geſellſchaft für jeden innerhalb bes Stadt-
n gebietes verkauften Fahrſchein eine Abgabe
I zahlen. Die Kabel, ber drahtloſe Dienſt, fie
alle haben engliſches Kapital und ſind alle
„ mehr oder weniger von Engländern be⸗
eeinflußt. Portugals größte Induſtrie, der
Weinbau, wird von den engliſchen Händler⸗
firmen kontrolliert.
1; Sm Schatten des Empire
Zn den portugieſiſchen Kolonien fieht es
ähnlich aus. In Portugieſiſch⸗Oſtafrika iſt
7E meben der portugieſiſchen Währung das
= und der Schilling ein gebräu liges
kb lungsmittel im täglichen Verkehr. In
tengo Marques find die großen Hotels
nach engliſchem Muſter eingerichtet. Die
länder ſpielen hier im Wirtſchaftsleben
die führende Rolle. Im Norden der Kolonie
P e Companhia be Moçambique einen
erhalten, nad weldem fie gegen
ie Abführung einer gewiſſen Summe alle
Hoheitsrechte, einſchließlich der über Poſt
und Telegraph, Bergbau und Landwirt⸗
haft, Ju izweſen und Verwaltung, über
Zölle und Steuern ausüben kann. Das
Kapital dieſer Geſellſchaft iſt größtenteils
in engliſchen Händen. In ortu ieſiſch⸗
Ditafrite eriheinen auch englijde Seitun.
gen, bie Engländern gehören unb mit eng:
hen LE verſehen, in engliſchem
ne und Intereſſe geführt werden.
ortugieſiſch⸗Oſt⸗
von der Südafrika⸗
von odeſien, Njaſſaland
Mandatsgebiet unſerer deutſch⸗
| Kolonie; Angola von
Randatsgebiet unſeres Deut ch⸗Süd⸗
a und von . *
ſt es allerdings begrenzt vom Bel⸗
mgo yp be qual d'Ae ten
ean der We e n
em Gebiet umſchloſſen, wohl
eſitzungen in Indien, wie Goa,
aman. Macao liegt dem
ongkong gegenüber, während
Timor zwar Auſtralien zugewandt als
Sundainſel nicht direkt in einer engliſchen
Sphäre, ſondern mitten im niederländiſchen
Kolonialgebiet gelegen ift.
Die Engländer gaben in jedem Falle
Mittel in der Hand, auf die Portugieſen
politiſch wie wirtſchaftlich einen Druck
auszuüben. Daß dieſer Druck einem Volk,
das politiſches Ehrgefühl hat, nicht immer
angenehm iſt, iſt verſtändlich.
Brechung der Zinsknechtſchaft
Das neue Portugal hat verſucht, ſeine
Selbſtändigkeit wiederzuerlangen. Als im
Jahre 1929 die Finanzen Portugals
wiederum ſo hoffnungslos ſchienen, daß
eine Völkerbundsanleihe aufgenommen rere
den mußte, verlangten die engliſchen Be-
amten des Völkerbundes gegen Gewährung
einer ſolchen Anleihe eine genaue Kontrolle
der portugieſiſchen Staatsfinanzen. Dies
war aber für die Portugieſen untragbar.
Ein neuer Finanzminiſter wurde berufen,
der ein ſolches ſchmachvolles Angebot glatt
ablehnte und aus eigener Kraft Portugals
Finanzen wiederherſtellte. Dieſer Mann
war Salazar. Immer wieder arbeitete
Salazar darauf hin, ſich ſoweit wie möglich
von den Engländern unabhängig zu machen.
Häufig ſpielte er daher ſeine deutſchen und
italieniſchen Freunde den Engländern
ever aus. Dies war meijt von Erfolg
egleitet, ba die Engländer [id) 5 feige
ee wenig um Portugal und ſeine
Politik bekümmerten.
Doch ſeit dem ſpaniſchen Krieg iſt dies
anders geworden, die Engländer treiben
wiederum eine aktive Politik in Portugal.
Der Nichteinmiſchungsausſchuß für Spanien
atte vor zwei Jahren bekanntlich be⸗
chloſſen, daß die Flotten der Mächte, die
ieſem Ausſchuß angehörten, verhindern
Ponta daß Schiffe mit Kriegsmaterial in
paniſche Häfen einliefen. Er hatte ferner
beſchloſſen, daß die Portugieſen ihre Grenzen
nach Spanien ſo überwachen ſollten, daß
ein Waffenhandel und affenſchmuggel
Te Spanien unmöglich wurde. Die Eng:
länder, die zunächſt dieſe Überwachung ſelb
durch lar Fk wollten, fonnten damals nur
durchdrücken, daß engliſche Beobachter nach
Portugal gingen und dort dieſe Grenz⸗
erg fontrollierten. Dieje eng:
liſchen Beobachter wurden mit ber in Por-
a üblichen Gaſtfreiheit aufgenommen
und ſtudierten nun Wochen und Monate
lang das Land, wobei ſie die Förderung
der engliſch⸗portugieſiſchen Beziehungen
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30 AuBenpolitisehe Notizen
immer im Auge behielten. Nach Einſtellung
der Grenzſperre mußten auch die engliſchen
Beobachter des Nichteinmiſchungsausſchuſſes
wieder abreiſen.
Im Laufe des Jahres 1937 wurde der
Langjährige britiſche Botſchafter in Liſſabon,
der die Altersgrenze erreicht hatte, pen⸗
pud und ein neuer Botſchafter trat fein
mt an. Mit friſchen Kräften ging dieſer
an ſeine soh Aufgabe, und es gelang ihm,
bie portugieſiſche Regierung wieder mehr
in das Fahrwaſſer der engliſchen Politik
zurückzuführen.
Stützpunkt der Empire:Straße
Die Aktivität der Engländer um Por⸗
tugals Gunſt läßt ſich nicht leugnen. Einige
olitiker behaupten ſogar, daß England
eſtimmte handgreifliche Ziele in ae al
zu erreichen ſuche. Sie wollen Anhalts⸗
unkte ierch haben, daß Großbritannien
eabfidjtige, Flottenſtützpunkte, einen an
Portugals Weſtküſte, etwa an der Mündung
des Tejo, und einen weiteren an der Süd⸗
küſte in der Nähe des Kap San Vicente,
etwa bei Sagre oder weiter öſtlich bei
Lagos oder Villa Nova, zu errichten. Gewiß
iſt die Tejomündung von großer ſtrategi⸗
ſcher Bedeutung. as Kap Rocca, nur
wenige Kilometer entfernt, iſt der weſt⸗
Sech Punkt bes europäiſchen Kontinents,
und Kap San Vicente an der ſüdöſtlichen
Ecke Portugals und damit der Iberiſchen
e und Europas überhaupt, be⸗
errſcht bis zu einem gewiſſen Grade die
Zufahrt zur Straße von Gibraltar. Aber
die Tatſache allein, daß dieſe Orte von
n lu Wichtigkeit für die Beherr⸗
chung der Weltverkehrsſtraßen nach Afrika,
Aſien, Se und Südamerika find,
genügt nod nidt, um Portugal zu zwingen,
tefe Punkte den Engländern auszuliefern.
Die Engländer ſelbſt ſprechen über der⸗
artige diet nicht, ba die Portugieſen fol-
chen Abſichten von vornherein ablehnend
gegenüberſtehen würden, wie dies in einem
nationalgeſinnten autoritären Staat durch⸗
aus natürlich iſt. Doch iſt die engliſche
Politik ſtets eine Politik auf lange Sicht,
die ſich nicht mit Augenblickserfolgen zu⸗
frieden gibt. Die Werbung um Portugals
Freundſchaft und um eine enge portugie⸗
ſche politiſche Zuſammenarbeit mit Groß⸗
britannien wird mit allen Mitteln von
England gefördert.
Lehren des ſpaniſchen Krieges
Der Bürgerkrieg in Spanien hat es
jedoch den Briten ſehr ſchwer gemacht, die
bisherige Linie ihrer por ugieſiſchen Politik
werden. Er ſah die
klar durchzuhalten. In dem Augenblick, wo
die Roten in Spanien ſo weit nach Weſten
vordrangen, daß ſie eine unmittelbare Ge⸗
ahr K Portugal daritellten, wurde man
in Liſſabon hellhörig und überlegte ſich die
neue, vom Raum her gegebene außen⸗
politiſche Situation. Es war klar: Alles,
was beim ſpaniſchen Nachbar an grundſätz⸗
a politiſchen Veränderungen vor [id
geht, muß auf Portugal nachhaltig ein:
wirken. Seit 1640, dem Jahr, in dem die
von den Portugieſen ſo drückend empfundene
paniſche ſechzigjährige Fremdherrſchaft be⸗
eitigt wurde, war Spanien ſo ſchwach, daß
es eine alten Pläne zur Beherrſchung
Portugals unter keinen Umſtänden auf⸗
rechterhalten konnte. Mit dem Bürger⸗
kriege drohte dort nun aber eine Macht
in dafi die zwar keine ſpezifiſch
paniſche, dafür die aber um ſo gefährlichere
mar ue und bolſchewiſtiſche Expanſions⸗
politik betrieb.
Dieſe Gefahr ie Salazar nachdenklich
s chickſalhafte Verkettung
der ets beider Staaten der Pyrenäen:
halbinſel, die durch eine militäriſch völlig
ungeſchützte Grenze (La raya = der Strich)
voneinander getrennt ſind. Jahrhunderte⸗
lang hatte ſich Portugal gegen eine wie
auch immer geartete Zuſammenarbeit mit
Spanien geſträubt und ſich nach 1386 willig
von db e führen laffen. Vertieft wurde
biejer Vertrag von Windſor durch einen
verſtärkten Geheimvertrag von 1661, bet
durch das Methuen⸗Abkommen von 1703 zu
einer völligen Eingliederung Portugals in
bie britiſche Staats⸗ und Wirtſchafts politik
ausmündete. „Com todo o mundo guerra,
paz com Inglaterra“ — Krieg mit der
gan en Welt, Friede mit England —, dieles
chlagwort hatte bis 1936 unangefochten
gegolten.
Am 6. Juli 1937 hielt Oliveira Salazar
jedoch eine große außenpolitiſche Rede, die
war dem Tienen SC der nad
ortugal kommt und Intereſſe für die
Geſchicke des Landes zeigt, in irgendeiner
Fremdſprache, bie er wünſcht, bereitwilligit
im Druck überreicht wird, F in bet
Weltpreſſe ſo gut wie gar feinen Widerhall
fand. Warum die fund, en an dieſer Rede
vorübergegangen find, iſt nicht ganz ver⸗
tändlich, und ſie ſoll deshalb an dieſer
telle die ihr gebührende Würdigung
finden. Das Thema der .
Salazars lautete: „Portugal, das Bündnis
mit England und der Krieg in Spanien.
Mit der an ihm bekannten Aufrichtigkeit
- — rd
Außenpolitische Notizen 31
ging Salazar an Dinge heran, die feit dem
18. Juli 1936, an dem Franco ſeine Bewe⸗
gung entfachte, nur geraunt, aber nie offen
diskutiert worden waren: „Wir haben auf
der Pyrenäenhalbinſel ganz beſondere
Intereſſen, und wir laufen Gefahren, die
für andere durchaus nicht beſtehen. Wir
ſind der Anſicht, daß die öffentliche Meinung
in verſchiedenen Ländern, vornehmlich in
Frankreich und England, ſich über das
wirkliche Problem Spaniens wie über das
Weſen der ſich dort abſpielenden Ereigniſſe
nicht recht im klaren ſind. Manche glauben
nicht an die bolſchewiſtiſche Gefahr — wir
hingegen ſehen ſie und fühlen ſie und
ürchten, der Bolſchewismus könnte ſich mit
temder Hilfe in Spanien feſtſetzen, ſo daß
chließlich den Spaniern die freie Entſchei⸗
dung über ihre künftige Staatsform ge⸗
nommen würde.“
Schickſalsbeſtimmung in eigener Hand
England horchte unangenehm berührt
auf, als es dieſe Worte hörte. Salazar
erklärte weiter, die Freundſchaft mit Eng⸗
land werde weiterhin ein Grundpfeiler der
ortugieſiſchen Außenpolitik ſein, und ſo⸗
ange es ein britiſches Weltreich gäbe und
ſolange England ſeine de noch
verteidigen könnte, müßten beide Länder
uſammengehen. Salazar erinnerte auch an
almerfton, der 1847 ri bie flottenſtrate⸗
pilhe Pofition des Tejo (in Spanien Tajo)
inwies und fagte, nur dadurch, daß man
ein e und durch ein enges
Bündnis mit England verbundenes cu
tugal aufrechterhalte, könnte man in Eng:
land ſicher e: den Tejo zum Freunde
und nicht als feindlichen Flottenſtützpunkt
zu haben. Aber dann kam das große Aber.
Salazar ſagte, die engliſche Politik der
Nichteinmiſchung in Spanien ſei darauf
erichtet, die Spanier ihr politiſches
toblem allein löſen zu laſſen. Portugal
verfolge dieſelbe Politik, dennoch ſei man
„manchmal in Zwiſtigkeiten“ geraten.
Barum men: Jetzt erfolgte die erwähnte,
für England ſo ernüchternde Feſtſtellung,
es mache ſich vom wahren ſpaniſchen
Problem keine richtige Vorſtellung, Por⸗
tugal aber erkenne die kommuniſtiſche
Gefahr mit aller Schärfe. Und daher, ſo
fuhr Salazar nun fort, komme Portugals
Haltung, daher ſein Widerſtand dagegen,
daß die Nichtintervention ſich zum Schaden
des pandam Nationalismus aus wirke,
der die Schranke zwiſchen Portugal und
dem iberiſchen Kommunismus Ddarftelle.
„Von dort kommt der Haß, deſſen Gegen⸗
ſtand wir ſind und den wir, das ſage ich
m vollem Bewußtſein, vollkommen ver⸗
enen.“
England wußte, daß die Tage ſeiner
uneingeſchränkten Beeinfluſſung der por⸗
tugieſiſchen Geſchicke gezählt ſein mußten,
wenn dieſe Geſinnung die Oberhand pe:
mónne. Man hörte zwar monatelang teine
offiziellen Außerungen, aber Anfang 1938
erſchien im „Daily Telegraph“ ein Leit»
artikel, der ganz offenſichtlich von Downing
Street inſpiriert war und eine dringende
Mahnung an Portugal zur ahnung und
Umkehr bedeutete. Es hieß darin: „In
einigen Wochen wird die engliſche Militär⸗
1 nach Portugal zu Beratungen
mit unſerem älteſten Verbündeten abreiſen.
Die Wolken, die kürzlich die Beziehungen
wiſchen den beiden Ländern überſchatteten
ſind glücklich zerſtreut worden (dur
welchen politiſchen oder wirtſchaftlichen
Druck, ſagte dieſe Zeitung MER nicht).
Unſere durch Verträge ſeit 600 Jahren mit
Portugal erhärtete Freundſchaft hat ur
im Handel eine weitere Grundlage, denn
Großbritannien ift der bei weitem beſte
Kunde der Portugieſen. Die iurgia
Regierung erkennt den Wert des Schutzes,
den die wohlwollende Anweſenheit der
engliſchen Kriegsflotte auf den Waſſer⸗
ſtraßen bietet. Was England anlangt, ſo iſt
es immer angenehm zu wiſſen, daß die
Flotten⸗ und Luftſtützpunkte, die Portugal
in der Nähe des Mittelmeereingangs und
durch ſeine Inſelkette im Südatlantik zur
Verfügung ſtellen könnte, nicht in Feindes⸗
hand fallen werden. Auf beiden Seiten
beſteht ein Intereſſe am Bündnis. Dieſe
gegenſeitige Abhängigkeit iſt kein Vaſallen⸗
tum. Miniſter Eden a die Gelegenheit
benutzt, um der Behauptung entgegen:
utreten, England wolle die Azoren be⸗
leken: ein folder Plan kann nicht in Frage
kommen. Dr. Salazar, der portugieſiſche
Diktator, hat niemals in ſeiner Hingabe
an das britiſche Bündnis geſchwankt, aber
der ſpaniſche Krieg führte zu einer vorüber⸗
Bd Anlehnung der portugieſiſchen
ußenpolitik an die Politik anderer autori⸗
tärer Staaten, zu denen irgendeine enge
und dauernde Verbindung aufzunehmen,
Salazars Temperament und ortugals
Intereſſen verbietet. Weder der Aus⸗
dehnungsdrang noch die Finanzexperimente
Italiens und Deutſchlands werden auf
Salazar Eindruck machen. Und wie General
Carmona ſagte, wünſcht Portugal nur, ſein
altes Bündnis zu erhalten und zu ver⸗
ſtärken. Wie der jüngſt von der portugie⸗
32 Außenpolitische Notizen
non Preſſe angenommene Ton zeigt, hat
as Abrücken von Großbritannien nach⸗
gelaſſen.“
Es müſſen nun merkwürdige Kräfte am
Werke geweſen ſein, um zu erreichen, daß
Portugal im Laufe des 88 Fah 1938, wenn
auch widerſtrebend, in das Fahrwaſſer eng⸗
liſcher Außenpolitik einlenkte. Die „Times“
ſchrieben im Januar 1938 ſehr deutlich, das
alte Wort des Marquis de Pombal, Eng⸗
land und Portugal ſeien wie Mann und
gran habe nod immer Gültigkeit. Eng⸗
ands Stellung verlange, daß die Häfen
und Küſten Portugals und ſeiner Inſeln
Azoren, Madeira und Cap Verde) in
reundeshand bleiben; flankierten ſie doch
den Seeweg nach Südafrika und nach dem
Oſten via Mittelmeer. Man ſolle nicht ver⸗
geſſen, daß die ſpaniſche Armada im Jahre
1588 am Tejo ausgerüſtet worden fei, denn
Portugal ſei damals unter der Vormund⸗
ſchaft Spaniens geweſen. Die Bedeutung
des „ſtrategiſchen Dreiecks“ Liſſabon
Azoren —Kapverdiſche Inſeln könne von
England und ſeinem Empire nicht über⸗
ſehen werden. 1 dieſer Artikel machte
deutlich, wie ſtark England mit der portu⸗
gieſiſchen Freundſchaft rechnet.
Wie es London braucht
Anfang Juli 1939 unterſtrich ein erneuter
Aufſatz in den „Times“ die wehrpolitiſche
Vorzugsſtellung Portugals. Jetzt ſollte der
Spieß umgedreht werden: Die rote Gefahr
habe Salazar an die Seite Francos ge⸗
drängt, nunmehr zwinge ihn aber die
„resurrection of an Imperial- minded power
at Madrid“ (die Wiederaufrichtung einer
imperial gerichteten Macht in Madrid) und
die Anziehungskraft, die die Achſe Berlin —
Rom auf Spanien auszuüben ſcheine, zur
Anlehnung an England.
Wir Deutſche wiſſen es beſſer: Die ver⸗
nünftige, weil von Raum und Volk aus⸗
gehende, alte Bindungen nicht unnötig zer⸗
reißende, neue Verhältniſſe aber ede rend
in Rechnung ftellende Außenpolitik Salazars
war den Engländern ein Dorn im ME
Sie haben kein Intereſſe an einer ftarfen
aktiven und ſelbſtändigen Politik Portu⸗
als, genau ſo wie England (und daneben
Frankreich) es immer gern geſehen haben,
daß Spanien aus dem Konzert der Mächte
ausgeſchaltet wurde und ſich von dieſen
beiden Ländern vorſchreiben ließ, wie es
ſich im einzelnen Falle zu verhalten hatte.
Im April 1939 ſchloß Portugal mit
Spanien einen Friedens⸗ und Freund⸗
ſchafts vertrag. Seitdem hetzt CEng:
land in Portugal gegen Franco⸗Spanien,
ſo ſtark es nur kann. Leider fanden ſich
einige Zeitungen, an der Spitze , Republica”
in Liſſabon, die nicht müde wurden, die
grena aft mit England zu feiern und
erdächtigungen gegen Spanien auszu⸗
ſtoßen, daneben gegen Italien. Es ſteht für
uns feſt, daß lazar im Grunde ſeine
Politik von 1937 weiterverfolgen, alſo ſich
mit Spanien ſo gut wie möglich ſtellen
möchte. Die wirtſchaftliche Sanierung ſeines
Landes iſt jedoch noch nicht ſo weit ge⸗
diehen, daß er voll und ganz auf Englands
Beihilfe verzichten könnte. So muß er große
Konzeſſionen machen, ſo mußte er ins⸗
beſondere dulden, daß im Frühjahr 1938
eine Militärmiſſion der Briten nach Por⸗
fugat kam und fünf Monate im Lande
ieb.
„Wie weit fid) die engliſchen Militärs in
die portugieſiſche Wehrpolitik eingemiſcht
haben, iſt bis heute nicht bekanntgeworden.
Jedenfalls muß Spanien damit rechnen,
daß England mit Portugals Hilfe ihm
egenüber eine Einkreiſungspolitik betreibt.
ortugal tut nur ſehr ungern mit, denn
es iſt als autoritär geführter Staat im
Grunde weit eher geneigt, ſich dem national⸗
ſozialiſtiſchen Deutſchland, dem faſchiſtiſchen
Italien und dem erſtarkenden national⸗
ſyndikaliſtiſchen Spanien zu nähern als den
weſtlichen Demokratien. Das kann es aber
im Augenblick noch nicht, weil England in
der Lage wäre, die e irtſchaft
zu erdroſſeln. Hier ſetzte Salazars Rettungs:
werk ein, von dieſer Seite her will er es
nicht wieder gefährdet ſehen. In den letzten
Monaten verfi ber portugieſiſche Waren:
verkehr faft bis zur Stagnation, unb ber
Liſſabonner Korreſpondent bes „Economiſt“
Bon feine Freude darüber nur ſchlecht.
Dabei zeigt ſich wieder, wie ſtark ein Staat
politiſch in Feſſeln geſchlagen wird, wenn
er wirtſchaftlich nicht auf eigenen Füßen
ſteht, ſondern vom Ausland abhängig iſt.
Wohl hat Portugal reichen Kolonial⸗
beſitz, aber er nützt ihm wenig, ſolange im
Mutterland eine ausgewogene Wirtſchaft
fehlt, die die Reichtümer der Kolonien
zum Wohl aller Volksgenoſſen auswerten
könnte. Hier .. alagar eine Um»
ſtellung vornehmen zu wollen. Anfang
Juli 1939 begab D taatsprüfibent Gene
ral Carmona auf feinen Rat hin zunächſt
nach Sao Thomé (im Golf von Guinea)
und von dort nach Lourengo Marques
(Portugieſiſch⸗Oſtafrika), und allegoriſche
Außenpolitisehe Notizen 33
Qberreidungen von Kakao, Kaffee, Zucker,
Tabak und anderen Kolonialerzeugniſſen
ſcheinen darauf hinzudeuten, daß Portugal
die Heilung ſeiner Wirtſchaftsnöte, Sie
die der Staat nicht gefunden kann, in enger
Anlehnung an ſeinen Kolonialbeſitz vor⸗
nehmen will. *
„Wir können in zwölf Jahren nicht bas
nachholen, was in Jahrhunderten ver⸗
ſäumt wurde, und Salazar kann in dieſer
kurzen Zeit nicht alle die Fehler wieder⸗
gutmachen, die in drei Jahrhunderten be⸗
angen wurden“, ſagte ein erfahrener
Portu iefe auf der Terraſſe des prächtigen
itoril „Wir Portugiefen haben unter
Salazar unfere Auferſtehung erlebt, wir
haben wieder Selbſt vertrauen zu uns ſelbſt
bekommen, noch trauen wir uns aber nicht
ſo viel zu, daß wir ohne mächtige Freunde
auskommen können. Sie ſehen, hier auf
dem Kaſino weht neben der portugieſiſchen
Fahne die italieniſche Fahne, die ſpaniſche
ahne und die Hakenkreuzfahne. Wir wollen
damit zeigen, wie ſehr wir uns mit den
autoritären, nationalſozialiſtiſch⸗ faſchiſti⸗
ſchen Staaten verbunden fühlen. Doch wenn
Sie ſich hier auf der Terraſſe umſchauen,
ſo werden Sie wenig Landsleute finden.
Italiener ſind ebenfalls nicht hier, nur ein
paar Spanier, aber Engländer 1 Sie
hier viele. Sie ſind die großzahlenden
Gäſte unjerer Hotels.“ Eine engliſche Fahne
weht nicht in Eſtoril, doch die Engländer
nd ee tonangebend, in den Clubs und
en Hotels von Eitoril, genau fo wie im
Außenminiſterium in Liſſabon. Auch dort
wirken ſie nicht aufdringlich, ſondern nur
freundſchaftlich, aber nichtsdeſtoweniger be⸗
ſtimmt und energiſch.
Gewiß haben die Engländer den Portus
gieſen viele große Dienſte erwieſen und
werden den Portugieſen auch weiterhin
ihre Dienſte anbieten, aber iſt der Preis,
den die Außenpolitik Portuga s ftets dafür
gezahlt hat, nicht um vieles zu hoch?
Doch in einem ſo mondänen und ele⸗
ganten Orte wie Eſtoril ſpricht man nicht
don Preiſen.
Alfred Weidenmann:
Schmalspurpolitiker
Der „Weltjingendkongreß“ tagte in Belgrad
Es iſt ſehr heiß in Belgrad und die Men⸗
ſchen ſa en, „daß dieſe E) e einem bas firn
austrockne“. So ein Gehirn aber ift eine
koſtſpielige Sache und niemand will es auf
Wunder, daß alſo vor allem um die Mit⸗
tagszeit Belgrads Straßen leer und wie
ausgeſtorben ſind. Nur ein paar Bauern
trippeln in ihren ſpitzen Leder⸗Opanken
über die Teraſia. Der weiße Schupo ſteht
gelangweilt und mit mißvergnügtem Geſicht
Gei feinem Poſten. Selbſt bie ſerbiſchen
Zeitungsverkäufer haben ſich für ein paar
Minuten im Schatten ſchlafen gelegt. In
dieſe Hitze und mitten in dieſe Sonne hinein
hängen von der Faſſade meines Hotels her⸗
unter die Flaggen Englands, Amerikas,
pronus unb Jugoſlawiens. Unbeweg⸗
ich und wie Bretter hängen ſie ſo da. Es
find dieſelben Fahnen, von denen geſtern
abend der Belgrader Korreſpondent einer
riſer Zeitung geſchrieben hat, daß ſie
iegreich für den Frieden gegen die totali⸗
tären Staaten flatterten. Er ſchrieb dies
am Schluß ſeiner Begrüßung, mit welcher
er die Jugenddelegationen der demokrati⸗
ſchen Länder in Belgrad willkommen hieß,
denn die jugoſlawiſche Hauptſtadt ijt in dies
ſem Jahr zum Tagungsort des internatio⸗
nalen Sugenbfomitces auserkoren, das vor
pest Sahren in Genf zum erftenmal zus
ammengetreten war unb fid im vergan⸗
genen Jahr im Schatten der Freiheitsſtatue
zu New Pork ihren Kummer von der Seele
eredet hatte. Im Augenblick aber haben
ich die Delegierten zum Mittagsſchlaf in
ihre Zimmer zurückgezogen, denn es iſt ſehr
Bit in Belgrad und man ſagt, daß dieſe
iBe...
eine fo ‘ap aos Wrt verlieren. Kein
Natürlich hat es an kleinen und großen
rühſtücken ſowie an „grundſätzlichen Vers
andlungen und Entſchließungen“ nicht ge⸗
ehlt. Erſt geſtern hörte man noch vor den
üren des Sokolheims, daß man einmütig
feſtgeſtellt habe, daß man die Unabhängig⸗
keit, vor allem der kleineren Staaten, zu
chützen gewillt ſei und im übrigen den
yrieden als die elementarſte Vorbedingun
ür den Fortſchritt der Menſchheit“ erkann
habe. Es ſcheinen hier in der Tat Köpfe
von gewaltigem Ausmaß am Werk zu ſein,
denn erſt heute früh wurde der geſtrigen
„Erkenntnis“ hinzugefügt, „daß es, um die⸗
ſen Frieden zu erhalten, der gegenſeitigen
Freundſchaft aller großen Völker bedürfe“.
War aber die ganze Veranſtaltung und
das friedliebende Getue bis zur Stunde
ohne viel Aufhebens vor ſich gegangen, ſo
ließ man nun am letzten end endgültig
die „Katze aus dem Sack“. Die Damen der
Delegationen machten ſich in ihren Garde⸗
tobefoffern zu ſchaffen, die Herren banden
* ſteife Kragen um und vor dem Portal
er Univerſität brachten ein paar fragwür⸗
34
dige Geſtalten rote Plakate an, die „zur ges
meinſamen Demonſtration der Demokra⸗
tien für den Weltfrieden“ herzlich einluden.
Der Braten war überall ſchon en fi ger
tohen worden, und vor jenen roten Plaka⸗
ten waren ja wohl aud die Speiſezettel
dieſer „ſpontanen Kundgebung“ längſt be⸗
kannt geweſen. Kurz und gut: Die Aula
der San Univerfitat war ſchon vor
Beginn des Spektakels gerammelt voll und
wenn ich nicht [don eine Stunde I it
gekommen wäre, ſo hätte ich mich wohl mit
all den andern in den Gängen und auf den
Fenſtergeſimſen drängen müſſen. Der Auf⸗
tritt war gut vorbereitet und nun mochte
bie Sache beginnen. Nach a der felts
elegten Anfangszeit und ber ſelbſtverſtänd⸗
ichen „akademiſchen Viertelſtunde“ er⸗
ſchienen denn auch die Delegationen hübſch
in ehrwürdigen Abſtänden formiert, nah⸗
men lächelnd den Beifall der Verſammlung
ur Kenntnis und ſetzten ſich in „bunter
ei he“ unter die großen ſchwarzen Wands
tafeln geradewegs auf die Tribüne.
Es wäre nicht unintereſſant, auf all dieſe
Reden einzugehen, die nun am laufenden
Band Ballen wurden. Es fien fo, als ob
no jeder Abgeordnete verpflichtet hielt,
urch ein paar tiefſchürfende Sätze vor dem
orum der Offentlichkeit, die Speſen und
uslagen, die man ſich ſeinetwegen gemacht
hatte, zu rechtfertigen. Aber das wäre
etwas langwierig, denn es wurde wie elagt
febr viel geredet. Im Namen des Cofols
und der EEN Jugend begrüßte zu:
etit ber Vertreter bes Gaſtlandes bie Deles
gationen ber demokratiſchen Länder. Eine
würdige Dame, die im Namen der engliſchen
Jugend das Wort ergriff, appellierte an das
„ſlawiſche Herz“ im allgemeinen und im
beſonderen. Im allgemeinen, habe England
ſchon immer mit den Slawen gefühlt und
im beſonderen, ſei es entſetzt über das Un⸗
lück der „tſchechiſchen Brüder“. Aber das
ei beſtimmt das letztemal paſſiert. In Zu⸗
kunft würde man beſſer Nell Indem
fie den re! von der „Freiheit,
Gleichheit und dem
ſchen Völker“ recht pathetiſch in den Saal
rief, bewies ſie wieder einmal das ſelbſt die
älteſten Ladenhüter ihre Käufer finden,
wenn man ſie neu aufmacht, denn der
Applaus wollte kein Ende nehmen.
Die weibliche Friedenstaube, die aus den
Rooſeveltſchen Sphären geflogen kam, zwit⸗
ſcherte unbeirrt das Gerede ihrer englischen
Kollegin nee und beteuerte nur am Schluß
ihrer Ausführungen noch, dak fie beileibe
nicht nur die vermögende Jugend Amerikas
vertreten würde, ſondern daß auch die An⸗
rieden der demokrati⸗
Außenpolitische Notizen
eſtellten und Arbeiter der Vereinigten
taaten hinter ihr ſtünden. Davon wat
man reſtlos überzeugt, als ſie in ihrer ſei⸗
denen Abendgarderobe wieder zu ihrem Sitz
zurückrauſchte. Es folgte eine weitere Reihe
kleinerer Bur inuten⸗speaks bis fig
dann endlich bet „Leiter von bas Ganze“ er:
pet und de grundlegenden Erklärungen aus
olte: Alſo: Vierzig Millionen Jugendlicher
aus 41 verſchiedenen Ländern ſind bis heute
ſchon in der „Internationalen Ju ot⸗
ganifiert (2). Da es vorläufig nicht mehr
gibt, verteilen fid) diefe Mitglieder auf fünf
ontinente. Der „Kongreß ber Weltjugend“
tritt jährlich zuſammen und hat den Kampf
ür „Freiheit, Gleichheit und Friede“ aui
eine fei ein e REA Die Erde, die
elt, ſei ein Großes und Ganzes, ſtellte der
Franzoſe ſinnig feſt, und die Völker ſeien
nur Teile dieſer großen Einheit. Warum
denn alles auseinanderfallen müſſe? Wie
ſchön würde alles friedlich zufammenleben,
wenn nicht die „totalitären Staaten“ mit
ihrem „Kriegsgelüſte und Machttrieb“ ſtän⸗
dige Unruhe brächten. „Friede, Ruhe, ſoziale
Gerechtigkeit und Kultur blüht nur in den
Demokratien“ erfuhren die überwältigten
Zuhörer Ke lich noch und waren aud be
teit, diefe Feſtſtellung zu beklatſchen.
Am Ende aber kam die „fetteite Portion“,
kam der „Dreh der Sache“. Man ließ einen
kleinen, i natifer vors Mi:
krophon
tief in den
malen Schädel umrahmte. Die ju:
hm unmißverſtändlich
aus dem
lange Reihe der Delegierten. Die Franzoſen
hatten ſich bei dem pi en z
rango
Staates“
rfolg zufrieden
ſein. Nachdem der [onem ude bieien
eriten Teil jeiner Rede erledigt hatte, holt:
er tief Atem, kam ganz nahe ans Mikrophon
ran und eröffnete der ſtaunenden Ber:
ammlung ter ante mas in dieſer gewaltigen
Jugendorganiſation tatſächlich auch „der
größte Teil der anderen Jugend“ ſchon er⸗
=- m ab —
Kleine Belträge 38
faßt fet. Wen er damit meinte, wurde deut.
lich, als er gleich darauf ausrief, daß es
mit den totalitären Staaten nicht mehr
lange ſo weiter ginge. Im übrigen ſei er
der Anſicht, daß man nicht lange fackeln
jole, da diefe Friedensſtörer doch nur mit
den Waffen aus der Welt zu treiben ſeien.
Was aber den Frieden betreffe, ſo wollten
ſie alle mit „der friſchen Glut ihrer jungen
Herzen“ dafür kämpfen.
Die Vorſtellung war, man muß es ganz
ehrlich zugeben, ein voller Erfolg. Und wenn
man auch bedenkt, daß nur die kommuniſti⸗
ſchen Studenten der Univerſität und die
links eingeſtellten Arbeiter und Angeſtellten
Reommen waren, fo ift es bod) erſtaunlich,
aß fi am Ende Leute fanden, bie Roofes
velt hochleben ließen, auf England ihre
Hurras ausbrachen und die Marſeillaiſe
ſangen. Sichtlich befriedigt zogen die Dele⸗
RE ab, wechſelten noch ein paar verbind⸗
iche Worte mit den jugoſlawiſchen Sotos
liſten und ſenkten wohl auch überwältigt
die Augenlider, wenn mal wieder aus
irgendeiner Ecke eine Nationalhymne zu
hören war. Im Hotel herrſchte kurz darauf
vergnügte Stimmung und der Flur, petet
Zimmer von den Delegationen belegt
waren, erklang vom fröhlichen Lachen. Man
mag anſchließend ordentlich „gefeiert“
een Der gare Delegation aber zum
iſpiel traue ich ſoviel Humor zu, daß He
ei hinter ihren verſchloſſenen Zimmertüren
ordentlich auf die Schenkel ſchlugen und aus
vollem Halſe lachte, lachte, lachte .. Die
Kleine
Annemarie Stiehler:
Ein Schülergericht in Berlin
Im folgenden berichtet eine Lehrerin
von einem erfolgreichen Verfahren der
Berthold-Otto-Schule in Berlin-Lichter-
felde. Wenn wir nun hier auch nicht
das letzte Ideal erreicht sehen, so finden
wir doch ein wirkungsvolles Zeugnis, wie
sich auch innerhalb der Schule und zum
Nutzen der Lehrerschaft die Idee der
Selbstverantwortung der Jugend durch-
setzt. Die Schriftleitung.
An der Berthold⸗Otto⸗Schule in Lichter:
fede gibt es fett vielen Jahren ein Schüler:
gericht, bas fid) ausgezeichnet bewährt.
engliſche Miß, die vielleicht weniger „ur⸗
ſprünglich“ veranlagt geweſen iſt, mag ſich
aufs Bett geſetzt und den „Wayfarer in
ugoſlavia“ vom Nachttiſch genommen
ben. Hatte nun auch der Zufall noch
etwas für Ironie übrig, ſo mag ſie gerade
jene Stelle aufgeſchlagen haben, wo ihr
engliſcher Landsmann Lovett Fielding
Edwards einmal ſchrieb, daß „die Slawen
ein noch ſehr primitives Volk ſeien, deren
Kultur nicht als eigen zu bezeichnen ſei.
Was Jugoflawien betreffe, jo fet dieſer
Staat n u jung um allzuviel Weſen aus
ſeiner Selbständig eit zu machen“.
Was uns betrifft, ſo hätten wir nur gerne
einmal etwas genaueres über dieſe „vierzig
Millionen in den 41 Ländern und fünf Erd⸗
teilen“ gewußt. Auch „den größten Teil der
anderen Jugend“ hätten wir mal gerne ge⸗
jeben Im übrigen ijt d beſcheidene Cins
chränkung gar nicht am Platze. Wenn näm⸗
lich das B Rielle 3iel bes ltjugendkon⸗
greſſes heißen würde „Für Freiheit, ſoziale
Gerechtigkeit und Frieden“ könnten wir den
Worten nach nicht nur „mit dem größten
Teil“, ſondern mit unſerer Geſamtbewegung
mitmarſchieren. Allerdings wären wir
dann in ſolcher Runde die berufenen Spre⸗
cher und nicht jene Geſtalten, die ſeit der
franzöſiſchen Revolution wohl um dieſe
Ideale viel Aufhebens machen, ſie in Wahr⸗
heit aber verraten haben. Das ſollten vor
allen Dingen die kleineren und jungen
Völker in ihrer Geſamtheit bald einſehen.
eltraͤge
Berthold Ottos Gedanken über 5
und FA finden erſt in letzter Zeit
Verſtändnis. Wer an der Berthold⸗Otto⸗
Schule unterrichtet, iſt vor den meiſten
deutſchen Lehrern dadurch bevorzugt, daß
er wirklich Lehrer, Erzieher, Freund und
ührer der Jugend fein darf, ohne Poliziſt
pielen zu müſſen, ohne mit dem Wider⸗
ſtand der Kinder kämpfen zu müſſen. Der
Grund für die ſo glückliche Stellung des
Lehrers liegt neben manchem anderen auch
darin, daß die Schuldiſziplin in den
Händen der Schüler ſelbſt liegt. Alles, was
den geregelten Schulbetrieb und das er⸗
ſprießliche Zuſammenleben von Schülern
und Lehrern irgendwie ſtört, kommt vor
das Schülergericht. Störung des Unter⸗
36 | Kleine Beiträge
dii Larmen in der Paufe im Schulhaus,
Beſchädigung der Schulmöbel, rohe Prüs
eleien, überhaupt alle Übertretungen der
Gléck bie fid) bie Kinder im Laufe
der gr felber gegeben haben. Das
Gericht ſetzt fid aus leds Schülern und
Schülerinnen zuſammen, die durch das Ver⸗
trauen ihrer Kameraden in ihr Amt ein⸗
eſetzt werden. Ein Oberrichter jupe die
erhandlung, beraten von zwei Neben⸗
richtern, außerdem ſtehen immer noch drei
Erſatzrichter zur Verfügung.
Die Verhandlung findet in der Regel
einmal in der Woche ſtatt; für jeden Fall
muß eine ſchriftliche Klage in beſtimmter
D eingereicht werden, bie die Unters
rift eines Lehrers zu tragen hat. Diefe
letzte Verfügung hat die Jugend ſelbſt ge⸗
troffen, „damit kein Quatſch angeklagt
wird“. Der Lehrer wird, ehe er unterſchreibt,
feſtſtellen, ob die Klage berechtigt iſt.
An der Verhandlung können alle Schüler
teilnehmen, die Lehrer ſind vollzählig unter
der Zuhörerſchaft.
Der Kläger bringt vor dem Gericht ſeine
Klage vor, begründet ſie und kann asc
Zeugen anrufen; der SR fann fi
verteidigen. In unzähligen Verhandlun⸗
gen habe ich beobachtet, di bie jugend»
iden Richter fid immer eifrigft bemühen,
die Wahrheit zu finden. Im allgemeinen
joper die Ae pde keine Unwahrheiten,
ondern geben ihr Unrecht offen zu, ja öfter
meldet ſich ſogar jemand aus der Zuhörer⸗
ſchaft, der die betreffende Dummheit mit⸗
alae hat und ftellt fid) freiwillig neben
en Angeklagten. Lügen vor Gericht gilt
als verächtlich und feige und wird beſtraft.
Die Richter ſind für das Gefühl des Er⸗
wachſenen oft ben Kri beſonders jeder
Verſtoß gegen den A er Gemeinſchaft,
jede nicht ganz anſtändige Handlungsweiſe
wird ſchwer E ander Lehrer
würde eritaunt fein, daß auch bie harme
loſeren Schuldummheiten durchaus verur⸗
teilt werden, die an vielen Schulen das
Entzücken des Schülers find, weil fie die
Langeweile des Unterrichts angenehm un⸗
terbrechen.
Sit das unkindlich? Sprechen fo nur die
„Streber“? — Bei uns beſtimmt nicht. Es
it nur die ganz natürliche Einſtellung zum
ernen, die bei uns alle sere
Kinder betrachten ihre Lehrer wirklich als
ältere, erfahrene Kameraden, die viel ge⸗
lernt haben, was ſie nun ihren Schülern zu
deren Beſtem weitergeben. Was für einen
Sinn ſollte es haben, einen ſolchen Menſchen
abſichtlich zu ärgern und ihm ſeine Arbeit
zu erſchweren?
Die Strafen, die erteilt werden, denken
ſich die Richter ſelbſt aus. Sie ſind ſehr
verſchiedener Art. Häufig wird verſucht,
den Schüler dort zu ſtrafen, wo er gejündigt
at. Wer immer Lärm macht, wird einige
eit für die Ruhe im Schulhaus verant⸗
wortlich gemacht; wer die stür dauernd
offen ließ, muß einige Zeit dafür Wee
daß fie gei en wird. Wer fi vom
Turnen gedrückt hat, muß vielleicht morgens
vor Beginn der Schule unter Auffſicht eines
Richters einen Dauerlauf machen. Wer
einen Mitſchüler beleidigt hat, muß fo
mitunter vor verſammelter Schule ei
dieſem entſchuldigen. Jeder Richter geht
ſeine Wege, und manchen jungen Pfycho⸗
logen kann man da ſchon erkennen.
ie ſchwerſte Strafe iſt, daß das Gericht
bei der Schulleitung den Antrag Ve dab
der Schüler von der Schule verwieſen wird.
Mitunter iſt ſchon ein Schüler auf dieſen
Antrag hin von der Schule entfernt
worden. Es handelte ſich dann um (ie
mente, die ſich der Schulgemeinſchaft NR
einfügen fonnten oder wollten und bewußt
und ohne Einſicht bie Geſetze verachteten.
um Schluß möchte ich noch kurz über
eine Verhandlung berichten, die vor weni⸗
gen Tagen ſtattfand und einen guten Cin:
lid in den Geiſt unſerer Jugend gibt.
Der zwölfjährige Kurt fteht vor Gericht.
Grund: „Hat für geborgtes Geld Zinſen
enommen.“ Der Tatbeſtand iſt folgender:
urt hat dem Hans, einem etwas unzuver⸗
läſſigen Jungen, 15 Pf. geborgt. Als er
trotz mehrfacher nun das Geld nidt
BEE beten hat er bie Schuldſumme tags
ih um 1 Pf. erhöht; ſchließlich hat Hans
die angewachſene Schuldſumme bezahlt.
Nut hat davon gehört, fand Kurts Hand⸗
ungsweiſe unanſtändig und klagte die
Sache an.
Kurt findet zunächſt, daß er im Recht ſei:
„Hans hat mir ſelber angeboten, mehr zu
eben, wenn ich noch warte.“ — Aber der
berrichter iſt anderer Meinung: „Unter
Kameraden iſt ſo etwas unanſtändig;
außerdem ijt es bei den Erwachſenen
Wucher.“
„Aber Hans gibt einem das Geld ewig
nicht zurück“, wendet Kurt ein.
„Dann brauchſt du ihm ja nichts zu
borgen, wenn du das weißt“, ſagt der
Oberrichter. „Wenn du ihm mal helfen
willſt, kannſt du ihm ja was ſchenken; aber
was verborgen und dann Zinſen nehmen,
iſt gemein! Siehſt du das ein?“ — Kurt
Woqry oqonse
andi qx
4
at betreten. Er wird verurteilt, bie
dingen zurückzugeben und außerdem einige
Shulgejege vor der Schülerſchaft aufzu⸗
lagen. — Der Oberridter jagt an onde
allen Schülern, Hans lieber tein Geld
es borgen, da er ein bißchen leichtfinnig fei.
Verächtlichmachung der Lehrer
Einige Kameraden aus der Arbeitsge-
einihaft ber HJ.⸗Lehrer machen uns auf
in Sud aufmerkſam, in bem fih jo gemeine
D abſtoßende Karikaturen von Lehrern
er ak wir davon abjehen, Beilpiele
won hier abzudrucken. Es handelt né um
t eſebuch aus bem Jahre 1938.
n zwar um bas „Reichsleſebuch für
| eder für das zweite Schul⸗
be. Auf jeder ber 120 Seiten befindet
über den üblichen Leſezeilen („Werner
aufelt mit dem Stuhl. Der Stuhl fällt
Da liegt Werner. Er blutet am Kopf.
autein ijt verboten.“) je eine Zeichnung,
ich die der Text anſchaulich gemacht mer:
oll. Dieſe Zeichnungen find in ihrer
mihendarftellung ſchlechthin empörend!
idt ein einziger der dargeſtellten
chen, der Kinder, Lehrer oder Eltern
auch nur einen halbwegs normalen
Za ſcheint fih nach den Vor⸗
N es Leſebuches im deutſchen
m eine Buiemniuso von Blöden,
Minderwertigen und Verbrechern
In. Der Pas: muß eine geradezu
t Phantajie haben, die es ibm er:
immer wieder lore ein enge WS
he Typen von geſpenſtiſcher Wider:
u erfinden.
inder find durchweg Angehörige
ntwidelten, nichteuropäiſchen Pale
es. Schwammig und friippelig
| köpfig, von abgründiger
in ſolcher Verzerrung malt
deutſchen Kind ein Spiegelbild.
gen tragen offenbar eine Perücke
i bicher ubifopf, ber aud
geſchoren oder a ge:
"E.
b, wenn fein Träger li in einer
chlamp igen Jungvolk⸗Uniform
Den Lehrern ergeht es nicht
| He ausnahmslos eine Brille
einen dicken Bauch haben,
ebenfalls durchweg den Ein⸗
D
aer,
Randbemerkungen 37
Dann kämen ſolche Sachen nicht mehr vor.
Dies iſt nur ein Beiſpiel von vielen, das
zeigt, wie ſich unſere Jungen untereinander
erziehen. Es ijf ganz erſtaunlich zu beob-
achten, wie das Schülergericht auch ſehr
ſchwierige Kameraden zur Vernunft bringt.
druck geradezu gemeingefährlicher Idiotie
hervorrufen, ſcheint uns doch bedenklich.
Die vorſintflutlichen Bekleidungsſtücke find
ihnen durchweg zu kurz und klein ge—
worden, die Hoſen ſind rundlich ausge—
beult, fo d die Lehrer ſelbſt bann, wenn
ſie ſympathiſche Geſichter hätten, lächerlich
wirken müßten. Obendrein ſind aber nun
dieſe Geſichter, zumal ſie ſtändig drohen und
ſchimpfen müſſen, ſo abſcheulich, dumm
und zum Teil von verbrecheriſchen Inſtink—
ten gezeichnet, daß wir uns nicht wundern
dürfen, wenn die Kinder zur Lehrerſchaft
nur wenig Vertrauen haben. Ganz traurig
ſind aber erſt die Darſtellungen der Müt⸗
ter. Heimtückiſch grinſende Weiber, eben—
falls durchweg von einer tieriſchen Blödig⸗
keit, abſtoßend in Gebärden und Geſtall,
das iſt das Bild der deutſchen Mutter, wie
es dem Kind in dieſem ſo empfänglichen
Alter eingeprägt wird. Das iſt ja über⸗
haupt das Bedenkliche, daß es ſich hier um
ein Leſebuch handelt, alſo um Bilder, die
das Kind nahezu täglich immer wieder vor
Augen hat und die ſich in ſeine Vorſtellung
naturgemäß als richtig und typiſch eine
bürgern werden. Bevor ganze Jahrgänge
von 9 Kindern, die ja durchweg
keineswegs yn find, durch dieſes
Buch in der Empfänglichkeit ihrer Seele
verdorben werden, ſollte man es verbieten
und einſtampfen.
Unſer beſonderes Bedauern gilt den
Lehrern, die mit dieſen Leſebüchern ars
beiten müſſen. Uns wurde ſchon beim erſten
Durchblättern übel — wie muß es erſt
jenen gehen, zu deren Handwerkszeug dies
Buch gehört, „das geſchmackloſeſte, was ich
in letzter Zeit überhaupt geſehen habe“, wie
uns jemand ſchrieb. Toae penpe Lehrer
abenunsiiberdas Leſebuch ein
tteil ab, und es erwies jid) dabei erneut
die einheitliche au ung, bie zwiſchen
Jugendführung und Le rer aft in Fragen
der Schule beſteht. Ein Lehrer aus Berlin
ſchreibt: „Es ſcheint, als ob der Zeichner
Digitized by Google
38 Randbemerkungen
die Erkenntniſſe ber Raſſenlehre nicht mits
bekommen hat, oder aber ſie bewußt
negiert.“ Er proteſtiert dagegen, a man
ier den Lehrer „als ſchwammigen, fetten,
pigbaudigen, bebrillten Intellektuellen“
argeſtellt ſieht, ganz abgeſehen von der
üblen Darſtellung anderer Berufe, vor
allem des Arztes. Ein Lehrer aus SEH
burg ſchreibt: „Geradezu kataſtrophal!
Was da an Menſchen dargeſtellt iſt, könnte
aus Irrenhäuſern, Zuchthäuſern und Juden⸗
vierteln zuſammengeſucht ſein. Das Mäd⸗
en auf Seite 95 und die dazugehörige
utter ſind Prachtexemplare zum Beweis
der Notwendigkeit der tezitilation. Der
Junge auf Seite 87 ijt nicht nur ſelbſt nahe
am Erbrechen, ſondern reizt auch ſeine Be⸗
chauer zur REH Tätigkeit. Ich kann
en blinden Mann von Seite 79 nur als
SE Kaftanjuden bezeichnen. Die
beiden Arzte auf Seite 44 und 45 ſind
Barbaren, aber keine deutſchen Arzte. Der
Pimpf auf Seite 49 iſt kein Pimpf, ſondern
ein Mädchen in einem unmöglichen Auf⸗
jug gte Ein anderer Lehrer nennt die
5 ey mingle „Zigeunerlümmel“
und fährt fort: „Das Leſe uch hat beim
erſten Anblick meinen wie meiner Berufs⸗
kameraden Widerwillen und ſtärkſte Be⸗
denken erregt...“ Aus München ſchreibt
uns ein Lehrer: „Die Bilder verſtoßen nach
ihrer inhaltlichen Seite gegen bas Schön⸗
9 der nordiſchen Raſſe“, und dieſer
ehrer ſtellt darüber hinaus auch zur text⸗
lichen Löſung feſt, daß die Darſtellungen
von „Charakterminderwertigkeiten über⸗
wiegt“. (Dieſe Seite der n geht
ſo weit, daß gezeigt wird, wie ein Junge
beim Kaufmann Bonbons ſtiehlt.) Auch
ſonſt ſcheint der Text nicht immer geglückt.
Es heißt z. B. (für Achtjährige!): „Die
Kirche. Erna geht in die Kirche. Erna
betet. ‚Lieber Gott — ich danke Dir!’ Erna
iſt ein braves Mädchen.“ Oder: „Heil
Hitler! Der Lehrer kommt. Alle Kinder
ehen ſtramm. Alle grüßen die Fahne. Alle
prechen: ‚Heil Hitler!“ — dazu ein Bild,
as einen ſtruwwelköpfigen Jungen in un⸗
definierbarer Uniform beim Bien der
ahne zeigt, im Hintergrund HJ. in
tiefelhoſen. An einer anderen Stelle leſen
wir: „Nicht fein! Schau! Willi hat 15
Er leckt den Teller ab. Das iſt nicht fein.
Pfui! Willi muß den Löffel nehmen.“
Dazu folgendes köſtliche Bild: ein Herr
mit Monokel, offenbar der Vater, ſchaut
entſetzt zu, eine ns feine Mutti mit Pelz-
fragen ift aufgeſprungen, als ob vor ihren
Augen ein Mord geihehen wäre. Wieder
ein anderes Bild zeigt, wie eine Mutter
ihren Sohn Willi mit einem naſſen
Schwamm aus dem Bett treibt...
er ſich an noch anderen Einzelheiten
ergötzen oder entſetzen will, beſorge ſich
das Buch aus dem Oldenbourg⸗Verlag in
München, der auch die Namen der für
dieſes Buch verantwortlichen Schulmänner
preisgibt.
Zeitgenossen der Raucherepoche
Da habe ich nun jahrein jahraus meine
Pflicht getan, gearbeitet, Dienſt geſchoben
und war zufrieden, zu meinem Teil mitzu⸗
wirken an dem Geſchehen der heutigen
Tage. Ich habe meine Kameraden und
Freunde. Doch alles das iſt nicht lebens⸗
wert. So meine nicht etwa ich, nein, ſo
meint eine Reklame, die es genau weiß.
Erſt dachte ich, man wollte mich zum
Narren halten, Dé ſozuſagen einen April:
ſcherz erlauben. eit gefehlt! Im Som⸗
mer, Herbſt und Winter immer dieſelbe
felbjtfihere Lebensweisheit. Meine Freunde,
mein körperliches Wohlbefinden, alles ijt
Trugbild, weil ich Nichtraucher bin.
Eine ſelbſtloſe Reklame führt dich als ges
wöhnlichen ela ds zu einem beſſeren,
bewußter gelebten Leben, du brauchſt nur
eins zu tun — rauchen. Schließli lage
id) mir, die müſſen es ja willen, wo fie doch
ſozuſagen das Glück haben, Duzfreunde des
Tabaks zu ſein.
Es iſt ſo: Du rauchſt eine Zigarette,
dann merkſt du nicht, daß es regnet. Du
rauchſt und kannſt dich in den er
Sommertag nenea, ja erft dann find
deine 10 . rholung. Aber nicht
allein Wetter kann die Zigarette machen,
du kannſt dich auch mit ihrer Hilfe in jede
beliebige Zeit dich wie Mitten in der
Woche kannſt du dich wie am Sonntag füh⸗
len, und mit ihrer Hilfe kannſt du ſogar
erreichen, daß Oſtern und Pfingſten au
einen Tag fällt. Aber es gibt noch vi
mehr des Wunderbaren: Du kannſt dich
beim za einer » atette über Dein
eigenes Leben hinausheben, fie beſchwingt
dich, ſie inſpiriert dich zu Dingen, die du
mit deinem einfachen Verſtand allein nie
hätteſt denken können.
Du gehſt in kein Konzert, du haſt zu
auſe deine Sigarette, die dir T. Gin:
onie ift. Du braudjt keinen Freund, du
rauchſt deine Zigarette, die dich wie ein
Wunderteppich in ferne Gegenden führt,
wohin du armſeliger Kerl ſonſt nie gekom⸗
men wäreſt. Sie zaubert dich in jeden
gewünſchten Erdteil und zeigt dir Bilder
Randbemerkungen 39
unerhörter Pracht, leis, ganz leis im
Dunſt verſchwebend. Dabei brauchſt du dich
nicht etwa zu überwinden, dich ihrer Hilfe
gu bedienen, denn es liegt in ihrem Wefen,
aß dir beim bloßen Anblick das Waſſer
im Munde zuſammenläuft. Und wer be⸗
ſonders tüchtig raucht, der wird hoch geehrt
und kommt ſogar in die Zeitung. In ihrem
Anzeigenteil darf er ſelbſt ſeine unerhört
Weſen auh Meinung ben noch im Riidjtand
lebenden Mitmenſchen kundtun. Das ſind
Sachen!
Soviel Vorzüge gibt es alfo! Ich denke,
daß ſich mir no ar nicht einmal alles
offenbart hat. ich erſtaunt nichts mehr.
Du wirſt nächſtens noch einen gewöhnlichen
Kupferpfennig mit einer Zigarette berüh⸗
ren, und ſiehe da, er hat ſich in ein blan⸗
kes Fünfmarkſtück verwandelt. Denn nach
der üblichen Zigarettenreklame bewirkt der
Tabak Wunder.
Lange genug haben die Menſchen nach
dem Stein des Weiſen geſucht, nun ſcheint
es, daß ſie ihn in der Zigarette gefunden
haben. Sollteſt du berufliche oder ſeeliſche
Hemmungen haben, ſollteſt du nicht richtig
vorwärtskommen, ſo fange nur an zu
Suet Y ba wirſt du bald im blauen
Dunt in neue Welten geführt. Nicht zus
legt das Aroma! Ieder bürgerliche Apfel
oder fleckebereitende Pfirſich iſt in ſeiner
eſchmackbefriedigenden und sbeglüdenden
irkung nichts gegen die anregende, aro⸗
matiſche Wirkung eines — verfteht fi
nikotinarmen Tabaks. Im übrigen hört
mit der Illuſion auf, in einem Dritten
Reid) zu leben. Die Raucherepoche ift es,
die ſchon lange angebrochen iſt und Glück und
Geſinnung unſeres Jahrhunderts beſtimmt.
Die Dichter
und ihre Katalognummer
Es iſt nichts Neues und Erſchütterndes.
Aber wir müſſen es zu Anfang ſagen, weil
Se bie ſchriftgelehrten Uberklugen Miß⸗
verſtändniſſe wittern, wo es kein Mihver:
kanoni? gibt. Nämlich: daß wir die Arbeit
er Literaturhiſtoriker für eminent wichtig
halten. Und zwar nicht nur jene Arbeit,
die nach Jahren rückwärtsbetrachtend Ge:
weſenes feſtſtellt und ordnet. Nein, auch der
Arbeit der Männer, die das gegenwärtige
Schaffen der Dichter prüfen und nach ihrem
beſten Gewiſſen der Gemeinſchaft ver⸗
mitteln, kommt große Bedeutung zu.
Ja, ihre Arbeit iſt ſchwerer und verant⸗
wortungsvoller als die Arbeit jener, denen
ſchon der zei Abſtand vom „zu betrad:
tenden Objekt“ Maßſtab und Hilfe iſt. Die
[i
Männer, bie bas heutige Schaffen wertend
beobachten und verfolgen, haben den Maß⸗
ſtab ihres eigenen Geſchmackes, der ſeinen
Grund in unſerer gemeinſamen Welt⸗
e e Dar Sie haben auch die Mög⸗
lichkeiten des Vergleiches, aus denen ſie
Gemeinſamkeiten und Unterſchiedlichkeiten
feſtſtellen können. Die nationalſozialiſtiſchen
Kulturpolitiker haben in mehr als einem
Jahrzehnt den Beweis erbracht, daß ihre
Federn wirkſame Waffen gegen die Peſt
jüdiſch⸗literariſcher Pſeudodichtung waren,
daß ſie zugleich, mahnend und fte Dich den
Boden für eine neue volkhafte Dichtun
bereiten konnten. Denn die Tatſache daß
die Zeit der Entartung auch in der Dichtung
in ſo kurzer Friſt und mit ſolcher Grün icht
keit überwunden werden konnte, iſt nicht
zuletzt und insgeſamt das Serbien bet
Schriftleiter, bie in der Mannſchaft ber
Bewegung mitkämpften und fidj die Sorge
um das deutſche Schrifttum zur bejonderen
Pflicht machten.
Zu dieſem Stamm der alten Nazis mußten
in den vergangenen Jahren notwendiger⸗
weiſe — weil es halt mehr Zeitungen und
Zeitſchriften gab als Nazijournaliſten —
eine Gruppe von Männern ſtoßen, die mit
dem gleichen ehrlichen Willen die aide
Arbeit tun mußten. Allein alle die Map:
täbe, bie den Nazis aus dem Erleben ber
emegung zur Selbſtverſtändlichkeit ges
worden und in Fleiſch und Blut über
gegangen waren, mußten fie fid) mit Fleiß
und Verſtand anerziehen. Damit fam, lang:
ſam, aber ſehr ſicher, ein Zug in die
Arbeitsart der nationalſozialiſtiſchen Kul⸗
turpolitiker, der mit dem alten mutigen
Einſatz, dem Schwung und der Weite ihres
Blickes nichts mehr zu tun hatte. Es wurden
Begriffe und Worte übernommen, aber nicht
immer in dem das Ganze begreifenden
Geiſt verwandt. Eine ſolche Methode mußte
anz zwangsläufig zur Schematiſierung
ühren. Das, was fo vielfältig unb beweg⸗
lid) war, wurde 1 Es beruhigt
ſo ungemein, wenn man ſeinen Verſtand in
Schubfächern unterbringen kann. Man zieht
die Lade „K“ und findet unter Kamerad⸗
gar Dichter wie Menzel, Schumann,
nacker, Baumann, oder man greift in das
ch „M“ und zieht aus der Mannſchaft mit
icherheit etwa Pauſt und Zöberlein. Dieſe
Methode beruhigt zwar, aber ſie iſt von
einer unwiderſtehlichen Langweile. Im
zuge dieſer Normung wurden auch dic
ichter aufgereiht, die von „der Landſchaft
er“ kommen; da waren ſelbſtverſtändlich
lund und Brockmeier und ähnliche vere
treten. In dieſer inventurähnlichen Ablage
40 Randbemerkungen
waren die „stillen Lyriker“ ebenſo unters
gebracht wie bie „Dichter der Bewegung“.
Man fann Briefmarken ſammeln und in
hübſchen Katalogen einkleben. Sie ſind ge⸗
druckt und verändern ſich nicht mehr. Aber
unſere Dichter, die nun ſchon mit ſo Grleben
Sammelfleiß in Kataloge eingeſchrieben
nd, leben ja noch und haben alle die
chlechte Angewohnheit, Jahr um Jahr neue
Bücher zu Red n und auch erſcheinen zu
laſſen. Das iſt yen und deswegen t aud
die Rechnung nicht auf. Sie find hod ereits
[o artig auf ihre „Herkunft“ feſtgelegt, und
plötzlich wagen ſie es, aus einer ganz ande⸗
ren Ecke wieder aufzutauchen. Herybert
Menzel zum Beiſpiel war ſo ordentlich
unter „K“ abgelegt und nun kam ein Ge⸗
dichtband von ihm heraus, der gar nicht
mehr zu ſeiner Katalognummer paßt. Potz⸗
tauſend, das iſt dumm! deg Gd d) zwar
nicht, denn das macht einen Aufſatz fällig,
der ſeine „Wandlung“ ründet. Aber
wieſo iſt das denn eine Wan lung, verehrte
Herren? In Wirklichkeit ift es bod) fo —
um bei wen zu bleiben, Dellen neuer Ges
dichtband „Alles Lebendige leuch⸗
tet“ uns zu dieſer Betrachtung veranlaßt —,
daß hier ein Dichter in vergangenen Jahren
von dem ſchreiben mußte, was er in der
Gemeinſchaft der Bewegung erlebte. Er
beſang die Treue der Kameraden und be⸗
chwor den Glauben unſerer großen Zeit.
a, er war ein Dichter, der die Kamerad⸗
chaft pries. Gewiß ſtanden dieſe Verſe
eines Schaffens im Vordergrund. Aber das
kann doch nicht Anlaß ſein, ihn nun zum
Dichter der Kameradſchaft zu ſtempeln. Man
kann dann doch nicht erſtaunt tun, wenn er
nun mit ganz anderem Ton zu uns kommt.
Oder: man kann doch nicht jedesmal und
bei jedem Dichter überraſcht ſein, wenn er
etwas anderes ſchreibt, als es nach dem
weiſen Katalog ſeiner Betrachter zu ver⸗
muten geweſen wäre. Es iſt Aufgabe der
eitgenöſſiſchen Literaturgeſchichtler zu prü⸗
fen au ſichten und zu mitteln, nicht aber
ebende Dichter einem Kapitel der Litera⸗
turgeſchichte gest ihon zuzuſchuſtern.
Herybert
in dieſen Tagen ſeinen Gedichtband er⸗
cheinen laſſen, in dem er „Gedichte eines
hrzehnts“ zuſammentrug. Sie dokumen⸗
enzel hat zum Beiſpiel eben
tieren aber weiß Gott keine Wandlung.
Denn dieſe Gedichte ſchrieb er, als er dem
Katalog nach von „der Landſchaft her“ kam
SE a = a SCH „K übrt vicis Er
at nämlich nicht unter Verlagsauftrag an
dem Stoff gearbeitet, der nun sat ge
ſchaffen wurde. Er hat davon geſungen,
wovon ſein Herz voll war: von ſeiner Hei⸗
mat und von der Liebe, von dem Heimweh
aus der ropen Stadt unb von ben kleinen
und bod) o innigen Begegnungen des
Lebens. In ſeinen Verſen rauſchen die
Wälder feiner oſtländiſ Heimat, in
eſichter und Ge⸗
ihnen 0 uns die
alten, die ihn zum Schreiben eege Da
ubiliert das glate im Dorf und da
lappen in trhythmiſchem Takt bie Dreſch⸗
flegel in reifes Korn. Der Leiermann fingt
und der Atem eines neuen Frühlings macht
uns das Herz froh. Gerade dieſer gaffen
Querſchnitt durch das lyriſche Schaffen
eines unſerer beſten Dichter beweiſt, daß in
dem Schaffen der Dichter Weite und Viel⸗
fältigkeit, zahlloſe Geſichte und beglückende
Gefühle ihre Kraft beweiſt. Sehr weit hat
Der ert qum fein Feld eiteft: ba
inb Schauſpiel und Roman „Umitrittene
Erde“, da find eine Hande Reihe wunde r⸗
voller Kantaten und Balladen, da find ne
loſe Lieder und hymniſche und ftille Berje.
Sein jüngſter Band „Alles Lebendige
leuchtet“ (Hanſeatiſche e are
Fee zeichnet ihn ſelbſt, den Menſchen,
der mit klaren Augen die Schönheit dieſer
Welt ſieht, der die ernſten und frohen
Stunden in einem bereiten Herzen erlebt
und dem immer die Kraft bleibt, aus dieſen
Gefühlen Verſe und Strophen zu finden, die
ihn befreien und viele Menſchen beglücken.
So wünſchen wir ſeinem Band gute Fahrt
und den Weg in viele Hände. Wir erwarten
noch ſo viel von Gone Menzel. Wir
fonnen das, ohne Propheten zu fein, weil
In neue Wert ein wohlbehauener Stein
n feiner Arbeit ift. Und bie literariſchen
Katalogſchreiber warnen wir mit einem
Zaunpfahl, nun ſeine Wandlung zur ſtillen
oder inneren Lyrik zu beweiſen. Denn wir
könnten uns denken, daß Menzel etwa eine
Komödie ſchreibt, und dann würde die
Nummer wieder nicht mehr paſſen.
Wilhelm Utermann.
Hauptschriftleiter: Günter Kauf mann.
Anſchrift der Schriftleitung: Reichsjugendführung, Berlin W 35, Kurfürſtenſtraße 53. Fernſprecher:
d „ zentralverlag ber NSDAP., Berlin GW 68,
Verlag: Franz Eher Nachf. G. m. b.
checkkonto: Berlin 4454.
ber 65 000. Pl. Nr. 8. —
erantwortlich für den Anzeigenteil: Ulri
Druck: M. Müller & Sohn KG., München; Zweigniederlaſſung Berlin SW 68, Dresdener
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HERAUSGEBER: BALDUR VON SCHIRACH
Das Bollwerk im Osfen
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Gauleiter Erich Koch, Ostland ruft die Jugend
d ko Ostpreußens geschichtliche und militärische Sendung / Gerhard Kr:
poer Agnes Miegel: Ostpreußische Seele | Karl Baldamus: Agnes —
T Auftrag | Wilhelm Jung, Paris: Französischer „Rassismus? f -
er Die bauernfähige Jugend / Hermann Reischle: Zur Entscheidung aufge-
o Gayda 7 Was geschicht im Nahen Osten?
ionatsschrift / Heft 16 Berlin, 15. August 1939 Preis 30 Pf.
INHALT
Gauleiter Erich Koch: Ostland ruft die Jugend
Agnes Miegel: Ostpreußische Seele
General Vogt: Das Bollwerk im Osten
Gerhard Krüger: Schicksal Danzig
AUSSENPOLITISCHE NOTIZEN
Virginio Gayda, Rom: Was geschieht im Nahen Osten?
Wilhelm Jung, Paris: Französischer „Rassismus“?
KLEINE BEITRÄGE
Hans Bofinger: Die bauernfühige Jugend
Karl Baldamus: Agnes Miegels großdeutscher Auftrag
NEUE BÜCHER
Hermann Reischle: Deutsche Jugend zur Entscheidung aufgerufen
KUNSTDRUCKBEILAGE
1 Aufnahme Tschira, 3 Aufnahmen Staatl. Bildstelle Berlin
Danzig, Der Neptunsbrunnen | Danzig, Rathaus: Diele im Erdgeschoß | Marienburg,
Das Ordensschloß von der Nogatseite | Marienwerder, Ordensschloß und Dom
Bill Hacht
führerorgan der nauonallozialiſtiſchen Jugend
HERAUSGEBER: BALDUR VON SCHIRACH
Jahrgang 7 | . Berlin, 15. August 1939 Hefi 16
Gauleiter Erich Koch:
Ostland ruft die Jugend!
Cs ift für mich ein beglückendes Gefühl, daß bie deutſche Jugend in zunehmendem
Maße Intereſſe an der Provinz Oſtpreußen nimmt. Ihre Verbundenheit mit dem
Schickſal dieſes Landes beſteht nicht erſt ſeitdem Oſtpreußen im Mittelpunkt einer
politiſch geſpannten Atmoſphäre ſteht, ſondern bereits ſeitdem Adolf Hitler den
Blick des deutſchen Volkes nach Often lenkte.
Die deutſche Jugend ſucht nicht Bequemlichkeit und Ruhe, ſondern Kampf, Auf⸗
gaben und Probleme. Sie findet ſie hier in Oſtpreußen in ſo großer Fülle, daß
auch in Zukunft dieſer Gau das Ziel der kämpferiſchen Jugend Adolf Hitlers
bleiben wird. | |
Jeder deutſche Gau hat feine eigenen Probleme, jeder deutſche Stamm feine
beſondere Art. Die Aufgaben, die in den einzelnen deutſchen Gauen auf des
Führers Befehl zur Durchführung gelangen, können daher nicht nach einem Schema
gelöft werden. Ihre Löſung ſetzt vielmehr eine genaue Kenntnis der Struktur des
betreffenden Gaues voraus.
Trotzdem muß geſagt werden, daß die Lage in Oſtpreußen mit der Lage eines
anderen deutſchen Gaues nicht vergleichbar iſt. Das hängt keineswegs in erſter
Linie damit zuſammen, daß Oſtpreußen vom übrigen Reich getrennt iſt, ſo bitter
das für uns iſt, ſondern hat ſeine Urſache darin, daß es unerträglich iſt, auf vor⸗
geſchobenem Poſten und in einem Grenzwall im Oſten nur 67 Menſchen auf den
Quadratkilometer zu haben. Wenn Mitteldeutſchland, wo 333 Menſchen auf dem
Quadratkilometer wohnen, eine Bevölkerungsdichte von nur 67 hätte, ſo wäre das
unbedenklich. Für Oſtpreußen iſt dieſe Zahl ungenügend!
Bei allen Problemen, die ich anfaſſe und bei allen Aufgaben, die ich durchführe,
gehe ich von dieſer Tatſache aus: Es iſt notwendig, in Oſtpreußen
die Bevölkerungsdichte zu verdoppeln. In Oſtpreußen wohnen
2 Koch / Ostland ruft die Jugend
25 Millionen Menſchen einſchließlich des heimgekehrten Memelgebietes. Die oft-
preußiſche Landwirtſchaft ift nicht in der Lage, mehr als 2,5 Millionen Menſchen
einen Arbeitsplatz zu bieten. Von den 3,7 Millionen Hektar Land find 25 Mil:
lionen landwirtſchaftlich und 0,7 Millionen forſtwirtſchaftlich genutzt, fo daß tats
ſächlich nur 500 000 Hektar in Oſtpreußen weder von der Land⸗ noch von der Forſt⸗
wirtſchaft belegt find. 54 Prozent der Bevölkerung find in der Landwirtſchaft tätig
(Reichsdurchſchnitt 29 Prozent). Die oſtpreußiſche Landwirtſchaft, ſelbſt wenn ſie
äußerſt intenfiviert wird, benötigt noch einige hunderttauſend Kräfte. Da in Oſt⸗
preußen jedoch insgeſamt zwei Millionen Menſchen angeftebeft werden müſſen, be:
deutet das, daß der größte Teil des Zuſtromes in den ge⸗
werblichen und induſtriellen Sektor geleitet werden muß.
Ganz abgeſehen davon, iſt es aber auch aus Gründen der Rentabilität notwendig
geweſen, mit Nachdruck anzuſtreben, daß der einſeitige Agrarcharakter dieſer Pro⸗
vinz umgewandelt wird, ſo daß wir am Ende dieſes noch andauernden Prozeſſes
eine geſunde Miſchung aus Betrieben der Landwirtſchaft, des Handwerkes, des
Gewerbes, der Induſtrie und des Handels in der oſtpreußiſchen Wirtſchaft haben.
Es iſt ein unhaltbarer Zuſtand, daß z. B. in Tilfit Sperrplatten fabriziert werden,
die den Weg ins Rheinland antreten und von dort als Möbelſtücke nach Tilſit
zurückkommen, oder daß Mehl nach Mitteldeutſchland wandert, um in Nudel⸗ und
in Teigwarenpaketen zurückzukehren. Ahnlich liegen die Verhältniſſe bei einer
großen Zahl weiterer Produkte, bei denen Oſtpreußen den Rohſtoff liefert. Es gibt
aber auch Betriebe, bei denen die Rohſtofffrage nicht ausſchlaggebend dafür iſt, wo
der Betrieb in Deutſchland ſeinen Sitz hat. Das gilt z. B. für die von mir ange⸗
regten oder gegründeten Betriebe der Tuchfabrikation und die dazugehörige Aus⸗
rüſtungs⸗Induſtrie, der Margarine⸗Fabrikation und in manchen Fällen auch der
Maſchinen⸗ und metallverarbeitenden Induſtrie. Insgeſamt find feit
1933 fo 157 neue Fabriken in Oſtpreußen entftanden.
Trotzdem befinden wir uns noch im Anfang der von mir angeſtrebten Entwicklung,
an deren Ende der innere Kreislauf der Güter im weſentlichen
hergeſtellt ſein muß.
Der oſtpreußiſche Bauer ernährt nicht nur die oſtpreußiſche Bevölkerung, ſondern
darüber hinaus noch über zwei Millionen Menſchen im Reich. Es ſind jene Men⸗
ſchen, die wir hier benötigen. Die Frachtenſpanne, die durch die Marktferne ent⸗
ſteht, trägt, nebenbei bemerkt, nicht der Verbraucher, ſondern der Erzeuger, das
iſt der oſtpreußiſche Bauer. Er würde nicht unbeträchtliche Summen mehr ein⸗
nehmen können, wenn ſeine Erzeugniſſe von einer entſprechend größeren oſt⸗
preußiſchen Bevölkerung verzehrt würden. Er liefert nämlich jährlich in das Reich:
6—7 Millionen Zentner Getreide,
1—2 Millionen Zentner Mehl,
240 000 Zentner Butter,
600 000 Zentner Käſe,
700 000 Schweine,
230 000 Rinder und Kälber.
Koch / Ostland raft die Jugend 3
Auch als Verbraucher würde der Oſtpreuße durch Verbilligung der Produkte
ſeinen Lebensſtandard verbeſſern können, wenn der innere Kreislauf der Güter
hergeſtellt wäre. Es fallen dann nämlich die ungeheuren Frachtenſpannen weg, die
durch jenen wirtſchaftlichen Unſinn entſtehen, den ich vorſtehend ſchilderte. Es ift alfo
nicht nur aus bevölkerungspolitiſchen, ſondern auch aus wirtſchaftlichen
Gründen notwendig, daß Oſtpreußen gewerblich und induſtriell durchſetzt wird.
In meinen Beſtrebungen, die Bevölkerungsziffer in Oſtpreußen zu heben, gelang
es mir zunächſt, rund hunderttauſend Menſchen aus dem Reich
zu veranlaſſen, ihre Exiſtenz in diefe Provinz zu ver:
legen. Dieſer erſte Teilerfolg iſt mir nicht leicht gemacht worden. Es ſtellte
nf heraus, daß trotz der Ausſichten, die fid) für viele Gewerbe⸗ und Induſtrie⸗
zweige hier in Oſtpreußen eröffnen, Hemmungen perſönlicher Art beſtanden. Die
Vorſtellungen, die ſich der einzelne über Oſtpreußen, Land und Leute macht, find
trotz der verſchiedenartigſten Aufklärungswellen noch vollkommen abwegig und
dem Entſchluß hinderlich, Exiſtenzen nach hier zu verlegen. Ich darf es mir
erſparen, all die irrigen Anſichten aufzuzählen, die über den landſchaftlichen
Charakter, klimatiſche Verhältniſſe, kulturelle Vorbedingungen und die Bevölke⸗
rung ſelbſt in weiten Kreiſen noch beſtehen. Ich habe es ſtets als das einfachſte
und ſicherſte Mittel betrachtet, ſolchen falſchen Vorſtellungen zu begegnen, an Oſt⸗
preußen intereſſierte Volksgenoſſen aus dem Reich zu veranlaſſen, dieſes Land zu
beſuchen und ſich hier an Ort und Stelle ein Bild von der Schönheit und Viel⸗
geſtaltigkeit der Landſchaft, von den wirtſchaftlichen Möglichkeiten und vom oſt⸗
preußiſchen Menſchen zu machen. Ich habe noch wenig Menſchen erlebt, die nicht
angenehm enttäuſcht oder ſogar begeiſtert von einem ſolchen Beſuch geweſen wären.
Zum mindeſten beſeitigt eine Reiſe durch dieſes Land die erwähnten Hemmungen
vollkommen. Aus dieſem Grunde habe ich es mir angelegen fein laffen, zunächſt
einmal den Fremdenverkehr in Oſtpreußen zu heben und die Reiſe nach Oſtpreußen
zu verbilligen und zu vereinfachen. Dieſe Bemühungen waren durchweg von Erfolg
gekrönt, nicht zuletzt durch die verbilligte Oſtpreußen⸗Rückfahrkarte, durch den See⸗
dienſt, durch die Verbeſſerungen der Reiſewege, der Straßen, der Unterkünfte uſw.
Das Fahrten: und Wanderweſen der Hitler-Jugend, das hier be[onbers inter⸗
eſſiert, drückt ſich zahlenmäßig als Erfolg aus: Die Übernachtungen in den Jugend⸗
herbergen ſtiegen von 117 000 im Jahre 1933 auf 450 000 im Jahre 1938, die Zahl
der Betten von 6000 auf 9000 und die Zahl der Jugendherbergen von 78 auf 95.
Bei den letzten Zahlen iſt jedoch zu berückſichtigen, daß zunächſt einmal von den
vorhandenen 78 Jugendherbergen eine große Zahl aufgelöſt werden mußte, weil
ſie nicht dem entſprachen, was wir uns unter einem Aufenthaltsort für die Hitler⸗
Jugend vorſtellen. Der deutſche Junge und das deutſche Mädel ſollen in Oſt⸗
preußen nicht nur ſchön wandern, ſondern auch ſchön wohnen.
Mögen auch zeitlich die bevölkerungs⸗ und wirtſchaftspolitiſchen Probleme in
Oftpreußen zuweilen in den Vordergrund rücken, fo bleibt doch als unſere
erhaben|te Sendung die kulturelle. Wir find nicht nur in vergangenen Jahr⸗
hunderten befruchtend für die Kultur des Oſtraumes geweſen, ſondern find erſt
& Koch / Ostland ruft die Jugend
recht heute aud ein kulturelles Bollwerk gegen ben anbranbenben
Bolſchewismus. Oſtpreußen hat nicht nur in der Vergangenheit dem deutſchen
Volk Staatsmänner, Soldaten, Wiſſenſchaftler, Dichter und Mufiker geſtellt, fon:
dern auch die Gegenwart iſt ſo reich an in dieſem Gau beheimateten kulturell und
künſtleriſch Schaffenden, daß auch für alle Zukunft Oſtpreußens kulturelles Leben
geſichert ijt. Waren es in der Vergangenheit Männer wie Kopernikus, Gottſched,
Immanuel Kant, Herder, E. Th. A. Hoffmann, Schenkendorf, Simon Dach und
viele andere, ſo verkörpern das Kunſtſchaffen der Gegenwart eine große Zahl oſt⸗
preußiſcher Dichter, Schriftſteller, Muſiker, Maler, Architekten und Bildhauer.
Es iſt nicht mehr ſo, daß der Fiſcher auf der Nehrung oder der Bauer in Maſuren
in vollkommener kultureller Abgeſchiedenheit lebt. Im Gegenteil. Die oſtpreußiſchen
Grenzlandtheater Tilfit, Allenſtein und Elbing haben derart ausgedehnte Außen⸗
ſpielbezirke, daß jeder oſtpreußiſche Kreis mit guten Theateraufführungen beliefert
werden kann. Die Gaufilmſtelle dringt mit ihren 20 Tonfilmwagen in das ent⸗
fernteſte Dorf vor, ſo daß jeder Oſtpreuße in Verbindung mit dem politiſchen und
kulturellen Geſchehen in der Welt ſteht. Dasſelbe beweiſt die fortgeſetzt ſteigende
Zahl der Rundfunkteilnehmer und der Bezieher der oſtpreußiſchen Preſſe.
In Dorfgemeinſchaftsabenden, die ſich ſtark zunehmender Beliebtheit erfreuen,
und bei der Feſt⸗ und Feiergeſtaltung zeigt ſich immer deutlicher, welche kulturellen
Kräfte in dieſem Gau noch geweckt werden können und wie groß die kulturellen Auf⸗
gaben find, die noch vor uns liegen. Bei jeder Dorfverſchönerungsaktion und bei
jeder Freizeitgeſtaltung ſtelle ich von neuem feſt, wie ſehr gerade die Arbeiter auf
dem flachen Lande mit ganzer Seele dabei ſind, wenn es gilt, aus der Gemein⸗
ſchaft heraus kulturell zu ſchaffen oder die Kulturgüter der Nation aufzunehmen.
Wenn jede Kultur allgemein die Ausdrucksform ihrer Zeit und ihrer Art iſt, dann
beweiſt mir die Kultur des oſtpreußiſchen Menſchen, daß es ſich hier um einen Typ
handelt, der nicht angekränkelt, ſondern naturverbunden,
nicht intellektuell, ſondern unverbildet iſt und ſein geſundes
Empfinden nicht nur in allen praktiſchen Lebenslagen, ſondern auch bei ſeiner
künſtleriſchen Betätigung zum Ausdruck bringt. |
Allen voran an einer unkomplizierten, aber um [o innigeren kulturellen Bes
tätigung in Oſtpreußen ſtehen die Jungen der Hitler⸗Jugend und die Mädel bes
Bundes Deutſcher Mädel. Ihre Laienſpiele und ihre Tänze, die zum großen Teil
hier entſtanden ſind und den Charakter dieſer Landſchaft tragen, ihre Lieder und
ihre Freizeitgeſtaltung ſind die Grundlagen artreiner deutſcher Kultur.
Mein Wunſch an die deutſche Jugend geht dahin, daß ſie das Land Oſtpreußen
kennenlernen möge, um ſich alsdann zu entſcheiden, ob ſie bereit iſt, ihren Einſatz
fürs Leben und für das deutſche Volk von hier aus zu wagen. Sie darf
dabei ſicher ſein, daß dieſe Provinz ſie nicht zur Bequemlichkeit, ſondern zum
Kampfe erzieht. Oſtpreußen hat in der Geſchichte bewieſen, daß es Menſchen zu
ſtählen imſtande iſt. Der oſtpreußiſche Menſch hat gelernt, Widerſtänden zu trotzen
und auf ſeinem Poſten auszuhalten. Die deutſche Jugend findet daher hier den
beſten Nährboden für eine kraftvolle Entwicklung.
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Agnes Miegel:
Ostpreußische Seele
Wer zum erſtenmal nad Oſtpreußen kommt, ift erſtaunt über die Größe dieſes
Landes, über die Vielfalt ſeiner Landſchaft und über ihre Schönheit. Die Größe
ſpürt er am deutlichſten im Frühling; wenn die Weichſelniederung, wenn die
Ihönen, bachdurchrauſchten Buchenhöhen bei Elbing und am Oberländiſchen Kanal
ſchon grün find, beginnt im rauheren Samland gerade erſt das Sprießen, und
wenn dort ſchon die Eſchen grün rauſchen, ſtrecken ſie eben erſt an den Wegen des
Memellandes die grünen Blatthände heraus über den noch rötlich flirrenden
jungen Pappelblättern. Dann iſt auf einmal, faſt über Nacht, alles gleich weit.
In dem überſchwänglichen Blühen des oſtdeutſchen Frühlings holen wir Mittel⸗
und Süddeutſchland ein. Von den Hügeln Maſurens, um die weiten Seen, bis zu
ben Moränenhängen der Seesker Berge (die [o ganz an die Landſchaft der deutſchen
Voralpen erinnern), von der Friſchen Nehrung bis nach Nimmerſatt blüht der
Holunder, alles überſchäumend mit lichten Dolden und ſüßem Duft, gleichzeitig
mit bem Hollerbuſch Schwabens. Das Korn wogt filbern⸗bläulich wie Waller und
reift unter dem öſtlich klaren Licht, in den hellen Nächten, ſo raſch, daß die Ernte
bald alle Hände braucht. In einem Arbeitsfieber, raſend wie das der Bienen in
den blonden Wipfeln der Straßenlinden, geht der Sommer dieſes deutſchen
Stammes dahin, in wenige Monate drängt ſich alles zuſammen, wozu anderen
deutſchen Bauern, deren Frühling früher und milder kommt, deren Herbſt ſanfter
und länger währt, mehr Zeit bleibt. Dafür iſt der Herbſt hier, nach den wilden
Stürmen der Tag⸗ und Nachtgleiche, von einer bezaubernden glühenden Schönheit,
farbiger noch als der des Hochgebirges. Farbigkeit — das iſt immer, zu allen Zeiten.
das Hauptmerkmal der oſtpreußiſchen Landſchaft. Nicht nur die Nehrungen mit
ihrem Dreiklang von Gold, Blau und faſt ſchwarzem Grün, bezaubern den, der
ſie erblickt, durch dieſe Farben, durch das perlmutterne Strahlen des Sandes, des
Waſſers, der langgezogenen Wolkenbänke über dem Haff. Auch über die Acker, die
weiten Weidewieſen der Niederungen, die Städte und die Dörfer unter den hohen
alten Bäumen geht dieſer Glanz, die „lichten Wunder“, wie Bruſt es ſo unver⸗
geßlich nennt. )
Zu dieſer Farbigkeit ftimmt, aus ihr geboren, aus der Seele der Kinder dieſes
Landes, die Farbenfreude ihrer alten Bauernkunſt. Die hier ſaßen, zahlreicher noch
(trotzdem ſie ihr Blut all den großen germaniſchen Erobererſtämmen gaben, die
leuchtend und verſprühend über das von ihrem Feuer junggeglühte Europa
zogen —), als veraltete Geſchichtsüberlieferung es annahm, dieſes freie Bauernvolk,
das aus Goten, hauptſächlich Gepiden, aus Vandalen und dem nordiſchen Balten⸗
Ramm der Ayſthen zuſammengeſchmolzen war, immer wieder von Samland und
Memel her mit Wikingsblut gemiſcht — dieſes Volk bewahrte ſein nordiſches
6 Miegel / Ostpreußische Seele
Weſen getreu hinter dem Wall feiner riefigen Wälder, der „grünen Heiden“, die der
Deutſche Orden ebenſo als Wall übernahm und pflegte, nachdem er in langem
und ſchwerem Kampf das kluge und tapfere Bauernvolk beſiegt hatte, aber nicht
etwa „ausgerottet“. Seine Burgen ſtanden da, wo die Bauern ſchon, wie bei der
Honeda, dem ſpäteren Balga und Ragnit die Schlüſſel⸗ und Fliehburgen auf den
lehmigen Höhen gehalten hatten. Seine Rathäuſer und Kirchen da, wo ihr heiliges
Feuer gebrannt hatte. Er achtete ihren Ackerbau, und er muß auch, tunftfinnig und
ſchmuckfroh, wie die Blüte der Deutſchen es war, ihre heimiſche Kunſt geachtet
haben. Sonſt würde nicht bis in die Gegenwart, die ſich jetzt, und zuerſt vom Land
und von der Jugend aus, ſo tätig ihrer annimmt, ſo viel von dieſer alten Kunſt
lebendig geblieben fein in Holzbau und Bauart, in Weben und Knüpfen. Selbſt
das wunderſchöne Fachwerklaubenhaus, das jene Bauern brachten, deren fränkiſches
Blut ſchon wieder aus dem früheren ſchleſiſchen Siedlergebiet zu uns kam, — es
hätte ſich nicht ſo behaupten, ſo durchſetzen, ſo treu erhalten können, hätte nicht
hier noch das ſchöne, würdige, alte Bauernhaus der Nordgermanen geſtanden mit
rechteckigem Grundriß, mit ſchöngefügtem Holzwerk, mit langgezogener Vorlaube
und geſchnitzten Holzſäulen und Fenſterbekrönungen, mit dem Stirnſchmuck der
gekreuzten Pferdeköpfe und Schlangen am Giebel bes Rohr: und Strohdaches.
Unter ihm klapperte der Webſtuhl, ging die Spindel; unter der Vorlaube, im
Hof, färbten die Frauen mit Malve und Birke, mit Rinde und Zwiebel das Garn
und die Wolle zu den Beiderwanddecken, den bunten Borten der Kleider, den
Schürzen⸗ und Gürtelbändern, gewoben auf dem Brettchen ſeit Urzeiten nach
Urzeitmuftern und treu bewahrt bis zum heutigen Tag im nördlichſten Teil, im
Memelland, ſo wie der Süden des Landes die wundervolle Kunſt der alten
Teppiche bewahrte; die in zwölfter Stunde, als billige und lockende neue Ware
ſie zu verdrängen drohte, und als in der bodenentfremdeten Zeit das Gefühl für
ſolche Kunſt erloſch, von einem heimiſchen Sammler in ihrem Wert erkannt und
geborgen wurde, bis die heutige Zeit ſie neu erſtehen ließ. Die Muſter — wenn
auch als Erſatz älterer Zeichen des Jahreskreislaufs das Uhrzifferblatt dazu kam —
zeigen in Tierbild, Baumſymbol und Menſchengeſtalt uralt⸗germaniſches Gleichnis⸗
gut und beweiſen, genau ſo wie die überall bis heute lebenden Stroharbeiten, die
glänzenden, buntgeſchmückten Strohkronen der Winterſonnwendzeit, wie die
Schnitzerei der alten Stühle, die Bemalung der Spinde und die Muſter der Borten
und Bänder, den Zuſammenhang dieſes Landes mit dem Kulturkreis der Oſtſee,
dem nordiſch⸗germaniſchen, der hier noch blühte, als der Orden herzog und die
deutſchen Siedler aus dem Weſten hier ihnen vertrautes Erbgut fanden und dem
ihren mühelos verbinden konnten, ſo daß alles durch Kriegs⸗, Not⸗ und Peſtzeiten
beſtand bis heute.
Was dieſe bäuerliche, auch in den Städten noch bäuerliche Bevölkerung an
Kunſt ſah in Architektur und Malerei, war ihr wohl, weil ein paar Jahrhunderte
Miegel / Ostpreußische Seele 7
eigener Entwicklung vorweg genommen wurden, zuerſt befremdend. Aber es war
hohe Kunſt, die aus den Backſteinbauten der Burgen, der „feſten Häuſer“ des
Ordens, aus den wehrhaften Kirchen zu ihnen ſprach, es war die feſtliche Farbigkeit
der Wände und Dächer, der Kirchenräume und Remter, die ihrem eigenen Gefühl
entſprach, und dies, die Farbigkeit, redete zu ihnen aus dem Schmelz der Altar⸗
tafeln, die deutſche Meiſter ſchufen, die aus Prag hierherfanden, dem damals
höchſten Schatzbewahrer edler Kunſt. Der unvergleichliche Graudenzer Altar, ein
paar Tafeln in Königsberg zeigen noch die Edelſteinſchönheit dieſer Malerei, ſteinerne
Veſperbilder, verſtreut in unſerm und märkiſchem Ordensgebiet, zeigen die Strenge
und Tiefe des Gefühls, das einmal, am ergreifendſten und über den Tod trium⸗
phierend, aus dem „Ackermann von Böhmen“ ſprach. Aber dem Volk hier lag die
Lebensfreude näher. Es ift anzunehmen, daß an den Wandbildern, wie fie in
Lochſtädt und in alten Dorfkirchen unter dem Putz vortauchen, ſchon hieſige Meiſter
arbeiteten (nur ein ſolcher konnte dem Chriſtkind auf des Chriſtophorus Schulter
in Pobethen ein warmes Röckchen und ſolch gut⸗preußiſche, dicke Walkmütze
geben). So, wie ſie ſpäter ſchlecht und recht und oft auch ſehr ſchön und eigenwillig
das Schnitzwerk an Kanzel, Tauftür und Altar werkten, die Bildtafeln des Chor⸗
geländers malten, die bunten Holzdecken mit ihren Märchenfabeleien ſchmückten,
die nur leiſe noch an den bibliſchen Stoff anklingen. Nur die Barockkirchen des
oberbayriſchen Stamms find ähnlich ſchmuckfroh — aber viel traditionsgebundener
als bie unſern, über bie der Bilderſturm der Reformation [o kurz und fo raid)
vergeſſen ging, wie eins unſerer jähen Sommergewitter. Die Dorfkirchen von Mühl:
hauſen, von Bladiau, aber ſelbſt die noch ganz dörflichen Stadtkirchen in Königs⸗
berg bergen eine ſolche Fülle wirklich volksnaher Kunſt, ſo quellender Lebensfreude,
daß jede kleine Altarbildumrahmung, jede Säule der „Beichtſtühle“ (die nur zur
Reprafentation beibehalten wurden) und der Ehrenplatzgitter eine rechte Schatz⸗
grube davon iſt, uralte Symbolik und heiterſte Gegenwart fröhlich (und ſtets
farbenglühend) vereinend. Wenn die Taufengel niedergleiten, blicken ſie, die
lockig⸗vollbuſigen, gar nicht engelhaft, ſondern in blühender Irdiſchheit wie ein
oſtpreußiſches Mädchen mit den roten Wangen, die ſchon die erſten Chroniſten als
ein Merkmal unſeres Stammes rühmten.
Daß unter dieſer Lebensfreude eine Tiefe lagert, die allein ſchon das Nordiſche
unſeres Weſens beweiſt, zeigen einzelne, ſeltſam ergreifende Schöpfungen, wie das
(wohl über ein älteres Epitaphbild gemalte) Peſtbild von Inſterburg, gegen
deſſen ſelbſterlebte Gewalt des vergeblichen Kampfes von Menſch, Tier und Geiftern
gegen bie Peſt das berühmte Bild des Piſaner Peſtfriedhofs wie ein zahmes
Plakat erſcheint.
Es iſt dieſe ſelbe Kraft, die auch aus den Formen und Weiſen der bei uns als
Spinnſtubenlieder bewahrten alten deutſchen Volkslieder ſpricht. „O Schwan, du
fliegſt hin, wo Freude tft, ich aber muß hin, wo Leiden ijt ...“ oder bie uralter:
8 Miegel / Ostpreußische Seele
tümlichen Melodien ber Waſſermannsballade und des Fährmannsliedes klingen —-
verhallen über der Weichſel, nur von uns bewahrt.
Allezeit ſangesfroh blieb dieſer Grenzſtamm — ſangesfroh bei der Arbeit. Es
fingt ſich gut zum Klappern des Webſtuhls, zum Schnurren des Spinnrads, es
fingt ſich gut auf dem buntgeſchnitzten Kirchenchor und in dem eignen, kerzenhellen
Bürgerhaus. Als im Dreißigjährigen Krieg die Hausmuſik in dem andern deutſchen
Land verhallte, blühte fie hier wie ſchon an Herzog Albrechts Hof.
Es lebte in Königsberg der Dichterkreis der Kürbishütte, und wenn auch
Heinrich Albert aus dem Vogtland gebürtig war, ſo iſt er doch, wie ſo viele der
Hierhergezogenen, ganz in ſeiner Arbeit und ſeinem Leben dieſem Land, dieſer
Stadt, deren Domorganiſt er, der Neffe des berühmten Heinrich Schütz, wurde,
verpflichtet, darin verwurzelt wie Roberthin und Simon Dach, die hier Geborenen.
Aus dieſem Kreis ſtammen viele der ſchönſten und innigſten Kirchenlieder und
ihre Weiſen, von Dach ſelber das erſte deutſche Lied, das in einfältiger Herzens⸗
weisheit das Lob der Freundſchaft fingt, und das unſterbliche „Annke von Tharau“⸗
Lied. Ob nur die urſprüngliche Melodie, die etwas von der freudigen Pracht eines
hochzeitlichen Fackeltanzes hat (im Reich und ſpäter bei uns verdrängt von der
beſcheideneren, gefühlsſeligen Vertonung Silchers), von Albert iſt oder auch die
Worte, iſt nebenſächlich. Überlieferung ſchreibt ſie Simon Dach zu, wofür ſowohl
die einfache Innigkeit der Liebesworte ſpricht wie die niederdeutſche Derbheit
des zweiten Teils, der ſich an ſeine plattdeutſchen Hochzeitsſchwänke reiht —
„Spoaßkes“, wie wir ſie heute noch lieben, wie ſie in den niederdeutſchen Geſtalten
und Liedern der Zwölfnächte und des Faſtelabends und im niederdeutſchen
Märchen bei uns leben (aber nie in dem platten Oſtpreußen⸗Witz einer flachen
Zeit, der uns als Zerrbild zeigt, wie bie Schottenwitze den uns weſens verwandten,
mit hartem Leben und Klima ringenden Schotten!). Das Annke⸗Lied wurde zum
Volkslied, geſungen, wo immer Deutſche wohnen. Für uns hier wurde es das
gegenſeitige Treuegelöbnis mit Memel, der Vaterſtadt Dachs! Daß ſolch künſt⸗
leriſches Leben hier blühte, ließ die lange geglaubte Sage entſtehen, daß Oſtpreußen
in Frieden gedieh, als der Dreißigjährige Krieg in deutſchen Landen tobte. Aber
Frieden, andauernden, hat es nie gekannt. Immer war es bedroht und immer
wieder von Kampf zerriſſen, von allen Nachkriegsplagen heimgeſucht.
Auf Polen und Huſſiten folgten Tataren und Schweden, immer lauerte irgendwo
an der Grenze Neid, Mißgunſt, Haß und Mord. Aber immer wieder beſiegte die
Lebenskraft dieſes Stammes das alles. Das Leben feiner Großen, ob es Roberthin
und Dach oder Kant iſt, zeigt einen Zug ſtiller Schlichtheit, der den andern
leicht als Spießigkeit erſcheinen mag, aber das Gegenteil iſt — das Beſcheiden
der ſtarken Seele, die ſich müht, der kleinen Lebensaufgabe ſo gerecht zu werden,
wie der größten, und deren einzige Leidenſchaft die unabläſſige Arbeit ſcheint.
Scheint, denn es ſpricht nicht nur vieles, was aus den ſcheinbar fo luſtigen Märchen
Miegel / OstpreuBische Seele 9
aufflingt und deutlich aus den alten Liedern, dafür, daß bles Beſcheiden das
ſiegreiche Überwinden dunkler Kräfte iſt. Nur wer ſolche Tiefen kennt und beſiegte,
kann die Stärke des „moraliſchen Geſetzes in ſich“ erkennen, nicht der ſchon der
Weſensanlage nach Behaglich⸗Verſuchungsloſe. Es bewahrte dies Grenzland allezeit
liebende Verehrung für die Herrſcher, in denen ihm das Urſprünglich⸗Dämoniſche
und ſeine Vergeiſtigung zum Wohl anderer deutlich entgegentrat — ſo dem Großen
Kurfürſten, in dem es nicht nur den Haſſer des ſlawiſchen Erbfeinds, den Gers
treiber der Eindringlinge von der andern Oſtſeeküſte ſah, ſondern auch den, der
von hier aus ſeine alten Seefahrerträume zur Wirklichkeit weckte und mit der
weiteſten Welt verknüpfte. So auch dem Vater Friedrichs des Großen, unter deſſen
harter Art die Oſtpreußen Größe und Väterlichkeit und, in ihm wie in ſeinem
Vorfahr, auch die tiefe Treue erkannten, beſſer als es zuerſt die eignen Kinder
taten und lange vor der neueſten Forſchung. „Menſchen erachte ich vor
den größten Reichtum“, dies ſein Wort, ungefüg und fortreißend wie der
Hirſchſchrei in den Wäldern Romintens, umfaßt das ganze Oſtproblem und feine
Aufgaben. Aber er fand auch Worte tiefſter dichteriſcher Schönheit aus ſeiner
„ſonderlichen Liebe“ zu dieſem Land.
Während ein Gottſched, ein Herder und viele andere dieſe nicht fanden. Es
ſcheint, daß der Oſtpreuße, wenn er, als Künſtler oder Schriftſteller, dieſe Heimat⸗
erde verläßt, es nicht tut, ohne Schaden an ſeiner Seele zu nehmen. Er wird
bombaſtiſch, wie Gottſched, bitter und herb, wie Herder, in ein fremdes Land und
Kunſtideal verliebt, wie Gregorovius, dem Zeitgeiſt, einer uns im Grund weſens⸗
fremden Literaturmode, verfallen, wie Sudermann. Er zerfließt in dieſer Art,
er kann die Dämonen nicht mehr bannen, wie E. Th. A. Hoffmann und wie
Hamann (es iſt bezeichnend, daß die ſchweifende Weſensart der beiden ihren
Zeitgenoſſen und deren Nachkommen hier treuer im Gedächtnis blieb als ihre
Werke). Hamann kehrte ja in die Heimat zurück — aber er iſt ſeltſam fremd in
ihr, in der ungeformten Maßloſigkeit ſeines Werks und Lebens abweichend von
dem, was die preußiſche, die oſtlanddeutſche Seele als ihr Lebensideal erkannt
hatte, und wie es die Gelehrten feiner Zeit ſoviel reiner verkörpern: die großen
Botaniker, die Arzte, die Aſtronomen jener Tage.
Aber in einem Typ des Künſtlers lebte ſich dieſe Maßloſigkeit, dieſe Dämonen⸗
beſeſſenheit, gebändigt durch Fleiß und eigenen formenden Willen zu höchſter
künſtleriſcher Leiſtung aus, wirkt kündend für ſein Land, auch im andern Deutſch⸗
land: in den großen Schauſpielern, die dieſer deutſche Stamm im letzten Jahr⸗
hundert und um die Jahrhundertwende hervorbrachte. Die darſtelleriſche Begabung
iſt hier beſonders ſtark vertreten, lebt wie ſonſt nur beim oberbayriſchen Stamm
im alten Krippenſpiel und Faſtelabendſchwanl und «tana fo gut wie im Stegreif⸗
ſpiel der Mädel. Für die Naturverbundenheit dieſes dem Acker verlobten Volkes
ſpricht noch eine andere Begabung — die Malerei. Es ſind bisher keine Rembrandts
10 Miegel / Über der Weichsel drüben ...
Haus uns hervorgegangen — aber bie Tiermalerei kann doch hier neben der der
ſtammverwandten Niederländer und Schweden ruhig beſtehen. Es iſt dieſelbe tieſe
Liebe zur ſtummen Kreatur und ihrer grünen Welt, die aus den Bildern unſerer
jungen Pferdemaler ſpricht, wie aus dem „Schimmel“ Paul Potters — aber es iſt
ein ganz neues Verſenken in die Farben, in den Himmel, in das klare Licht
Oſtpreußens, das unſere jungen Landſchafter und Tiermaler zeigen. Nicht ſo ver⸗
drängt von der Ölmalerei wie im übrigen Deutſchland, lebte hier das Waſſer⸗
farbenbild, das dieſem Licht und unſerm Waſſer beſonders gerecht wird, lebte eine
jedem erſchwingliche, handwerklich tüchtige Schwarzweißkunſt in vielen, immer
wieder die Heimat und ihre eigentümliche Schönheit ſchildernden Radierungen,
und es hat dies Grenzland eine Reihe vorzüglicher Lichtbildner, deren Heimat⸗
bücher und Bilder Pferd und Vieh, Wild und Gevögel, Acker und Heldenfriedhof
der Heimat in einer wie eine Fuge immer neu aufklingenden Lobpreiſung künden.
Heimat, die wahrhaft Heimat iſt für die Nachkommen derer, die ſich in ihr ſeit
Tauſenden von Jahren immer im gleichen Feldfriedhof zur Ruhe betten. Heimat
für alle, die hervorgingen aus der Vereinigung der Urſaſſen mit denen, die ſie
freiwillig, wie eine Braut erwählten: frieſiſchen Deichbauern, fränkiſchen Bauern
und Gebirgsbauern. Heimat, die ihre Kinder alle in die Aufgabe des Ackers und
der Grenze bannte, Land, deſſen Dichter am tiefſten und bewegteſten reden, wenn
ſie von ihm erzählen. Land, zu dem die Seelen auch der in der Ferne Arbeitenden
wandern, wie die Seelen der darum Gefallenen zu dem purpurnen Grabmal ihres
heimkehrenden Bruders und Feldherrn. Land, deſſen Große unerbittlich gegen ſich
und andere den Dienſt daran fordern von ſeinen Kindern. Land, in das er, der
ſtrengſte König, einmal die Vertriebenen des deutſchen Gebirges rief mit den
Worten, die ſo klingen, als hätte Oſtlands Erde ſelbſt ſie gerufen:
„Mir neue Söhne! Euch ein mildes Vaterland!“
Uber der Weichfel drüben
Uber der Weichfel drüben, Vaterland, höre uns an!
Wir finken, rote Pferd und Wagen verfinken im mahlenden Sand,
Recke aus deine Hand,
Daß fie uns hält, Die allein uns halten kann!
Denke der Zeiten, Die Dich jung gefehn!
»Nach Oftland wollen mir reiten,
Nach Oftland wollen wir gehn,
Fern über Die grünen Heiden,
Fern über Die blauen Seen!«
Miegel / Über der Weichsel drüben ...
Wer war's, der fo fang?
O, wie im faufenden Wald die Axt erklang,
Als deine Söhne mühfelige Wege fich fchlugen!
Wie Rnarrten die hochbepackten Wagen, die fie trugen.
Die Kadichfeuer fprühten. So hell war die halte Nacht.
Uber den knackenden Zweigen, dunkel und ungefchlacht,
Glotzte das breitgeſchaufelte Elch aus dem Erlenbruch.
Und die Kinder hreifchten und hrochen unter Muttere Tuch.
Dann kam der Tag, der brennende, mückendurchfummte.
Und endlich ein Abend, und eine Glocke brummte,
Schnobernde Fohlen am Zaun und ein Gerftenfchlag,
Wellenwerfend und lang mie Johannistag.
Auf lehmigem Hügel, blutrot im Abendbrand,
Ein feftes Haus, halb Burg und halb Kirche, ftand.
Und ein blaffender Hund und ein meißmäntliger Graukopf war da,
Der fchrie »Landelüd, LandslGd!« und lachte, als er fie fah.
Sie kamen von Flandern, fie kamen vom Niederrhein,
Von den Hohen Tauern und aus der Goldnen Au.
Sie ftrómten, harrendes Land, in dich hinein
Wie der Samen des Mannes in den Schoß der Frau.
O Heimat, lindenblonde, die hoffend uns trug,
Die une fpieleno und kiffend im Kiffen gehoben,
Die uns ſingend die bunten Wickelbänder gewoben,
An deiner Schürze hingen mir Kind an Kind.
Deine Bruft, die hatte für alle noch Milch genug,
Und immer für alle fandeſt du Brot im Spind.
Wo ift ein Leben fo hart, Mutter, wie deines es war?
Deine Tränen tranhft du. Hunger war deine Koft.
Deine jungen Töchter verfchleppte der gelbe Tatar,
Deine jungen Söhne erfchlug der weiße Zar,
Du haft im Robott gefront für den Gpp’gen Staroft.
Deine Acker zerftampfte zu Brache die große Armee,
Des Korfen Schimmel fchlug Blut aus deinem Schnee. - -
Mutter, geliebte, Doch haft du nie geklagt,
Nie ift dein lerchenfröhliches Herz verzagt.
Einmal, ein einziges Mal, hrümmteft du dich mie in Wehn,
Als Du Die Wagenburg deiner flüchtenden Kinder gefehn.
11
Miegel / Über der Weichsel drüben ...
Durch der Kanonen Gebrüll aus Tannenbergs qualmenden Mooren
Schrien fallend aus ihrem Blut, Die du geboren.
Aus dem Staub und Geftampf der eilig getriebenen Herde,
Uber der Hirten Gezänk, über dem Brodem der Pferde,
Von Wagen zu Wagen gellte ein einziger Schrei:
»Liber die Weichfel!
Uber die Weichfel!
Da find wir geborgen und freil« - -
Uber der Weichſel, Deutſchland, ficheres Land,
Horch, eine Stimme fingt hinterm Pflug:
- Haft du fie wohl erkannt? |
Ach, wenn du Not Dot. roar fie dir lieb genug! - -
»Mtd von Arbeit fchlief ich ein, matt von Sorgen,
Klopfte jemand draußen, lang vorm Morgen,
Kam ein greifer Wandersmann herein:
‚Frau, mo mögen deine Söhne fein?’ -
Meine Söhne modern in Niemandsland,
Sie liegen verfcharrt im Champagner Sand,
Die graue See erftichte fie,
Sibiriens Schnee erdrückte fie!
Müd von Arbeit, matt von Sorgen fchlief ich wieder ein,
Sah im Often einen roten Schein.
‚Kinder, macht, Zeit ift'e aufzuftehn!
Zeit zu fliehen, Mutter, Feuergleifch haft du gefehn!’
Müde war mein Rücken, bleiern meine Lider.
Kinder, horcht! Die Toten kommen mieder!
Durch den Sturm und durch die Regentropfen
Hör ich dröhnend ihre gleichen Schritte klopfen,
Endios, endlos - fingend Durch die Nacht marfchieren fie.
Nur thr Lied klingt fremd in meinen Ohren
‚Mutter, ach, die Toten ftehn nicht auf!
Mutter, arme Mutter, mache nicht mehr auf!
‚Noch ift Polen nicht verloren’, fingen fie'« - -
Uber der Weichef drüben, Vaterland, höre uns an!
Wir finken, wie Pferd und Wagen verfinken im Dünenfand.
Recke aus Deine Hand,
Daß fie uns hält, die allein uns halten kann.
Deutſchland, heiliges Land, Vaterland!... Agnes Miegel.
General Vogt:
Das Bollwerk im Osten
Auf vorgeſchobenem Poſten, durch Feindes Gebot willkürlich abgetrennt vom
Reich, hält ein kerndeutſches Land die Wacht im Often gegen Slawen und Bolſche⸗
wiken, treu einer Aufgabe, die ihm ſchon vor vielen Jahrhunderten von der Ge⸗
ſchichte zugeteilt wurde, der es durch dieſe lange Zeitſpanne hindurch immer wohl
bewußt geblieben iſt, die es erfüllt hat bis auf den heutigen Tag, und die es er⸗
füllen wird bis in ferne Zukunft, unſere Provinz O ſtpreußen. Die Weſensart
der OftpreuBen gibt uns den klaſſiſchen Beweis für bie alte Weisheit, daß National»
ſtolz und völkiſches Empfinden im gefährdeten Grenzland beſſer gedeihen als in
der wohl behüteten, ſicheren Mitte des Reiches. Der Oſtpreuße hat ftets Gewehr
dei Fuß geſtanden, immer gewärtig des Befehls, der ihn aufrief zur Verteidigung
der Heimat, hinauf auf die Wälle von Deutſchlands Bollwerk im Oſten.
Es war in dem erſten Drittel des 13. Jahrhunderts, als der Hohenſtaufenkaiſer
Friedrich II. den Hochmeiſter des Deutſchen Ritterordens, Hermann von Salza, mit
reihsfürftlihden Privilegien ausgeſtattet auf das Küſtengebiet nordöſtlich der
Weichſel anſetzte. Als ein Kreuzzug war dies Vorgehen gedacht. Die kriegeriſchen
Stämme der Preußen waren noch Heiden. Eroberung und Koloniſation des
Landes war das Ziel. 1231 überſchritten die Deutſchritter unter der Führung des
militäriſch hochbegabten Landmeiſters Hermann Balk die Weichſel. Als Hermann
von Salza 1239 ſtarb, war ein freies deutſches Ordensgebiet entſtanden, zugleich
eine Kolonie und ein Glied des Heiligen Römiſchen Reiches Deutſcher Nation. So
beginnt die Geſchichte Oſtpreußens.
Bis zur endgültigen inneren Befriedung des Landes vergingen noch viele
Jahre. Die Ordensherrſchaft erreichte unter dem Hochmeiſter Winrich von Knip⸗
rode in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts ihre Blütezeit. Der Orden war
zeitweiſe die bedeutendſte Macht des Nordens „an Rat, Zucht, Mannheit und
Reichtum“. Wachſender Neid der ſlawiſchen Nachbarn mußte bie naturgemäße
Folge ſein. In der Schlacht bei Tannenberg im Sommer 1410 unterlag der Orden
den vereinigten Heeren der Polen und Litauer. Mit dem Hochmeiſter Ulrich
von Jungingen an der Spitze fiel die Blüte des Ordens auf dem Schlachtfeld. Da⸗
mit war ſeine Machtſtellung in der öſtlichen Welt unwiederbringlich dahin. In
der Folgezeit verlor der Orden weite Gebietsteile, und im zweiten Thorner Frieden
1466 kam das ihm verbliebene Oſtpreußen unter die Lehnshoheit der polniſchen
Krone.
Das Jahr 1525 bezeichnet einen neuen bedeutſamen Wendepunkt in der Ge⸗
ſchichte Oſtpreußens, — der Hochmeiſter des Ordens Albrecht von Brandenburg
verwandelt das Ordensgebiet in ein weltliches Fürſtentum. Noch im gleichen
Jahre trat Oſtpreußen als eines der erſten deutſchen Länder zur neuen lutheriſchen
Lehre über. Trotzdem wäre das Land bei ſeiner exponierten Lage dem Slawentum
14 Vogt / Das Bollwerk im Osten
gegenüber vielleicht für Deutſchland verloren geweſen, hätte es nicht einen ug,
halt gefunden an dem Hauſe Brandenburg. Der Hochmeiſter Albrecht von Branden⸗
burg hatte Preußen als erbliches Herzogtum von Polen zu Lehen genommen. Er
hinterließ 1618 das Land ſeinem Schwiegerſohn, dem Kurfürſten Johann Sigis⸗
mund von Brandenburg. So erfuhr die Verbindung Oſtpreußens mit Branden⸗
burg und damit mit dem Deutſchen Reich ihre endgültige Sicherung. Nach der
ſiegreichen Schlacht bei Warſchau, in der der Große Kurfürſt im Bunde mit Schweden
die Polen niederwarf, erkannte der Friede von Oliva 1660 die Unabhängigkeit des
Herzogtums Preußen von der Krone Polens an. So war Oſtpreußen wieder freies
deutſches Land, ein auch von dem mehr und mehr ſchattenhaft gewordenen deut⸗
ſchen Kaiſertum unabhängiger Beſitz der Hohenzollern. Deſſen zur Beſtätigung er⸗
klärte ſich Kurfürſt Friedrich III. von Brandenburg am 18. Januar 1701 zum König
in Preußen. Preußen, genauer Oſtpreußen, hat der Hohenzollernmonarchie den
Namen gegeben. |
Von den Wirren des nordiſchen Krieges 1700—1721 ift Oſtpreußen ziemlich un.
berührt geblieben. Schwer hatte das Land dagegen im Siebenjährigen Krieg zu
tragen, wenn auch die ruſſiſche Kaiſerin Eliſabeth in dem von ihren Heeren be⸗
ſetzten Lande eine gewiſſe Schonung walten ließ, weil ſie es bereits als ihr Eigen⸗
tum betrachtete. Hat ſie ſich doch von den Ständen des Landes als der nunmehri⸗
gen Souveränin huldigen laſſen. Die Huldigung erfolgte unter ſchwerſtem Zwang.
Trotzdem hat König Friedrich der Große von dieſer Zeit her ſein Leben lang eine
gewiſſe Abneigung gegen Oſtpreußen behalten. Er hat ſeit dem Kriege Oſtpreußen
nicht wieder betreten und hat das, was die Beamten der Landſchaft und die Be
völkerung unter größter Gefahr an Hilfeleiſtungen aller Art durch die ruſſiſchen
Heere zu ihm hinüberbrachten, nicht angerechnet. Die Oſtpreußen haben ſich da⸗
durch in ihrer Treue und Verehrung zu dem Mehrer Preußens nicht beeinträchtigen
laſſen. Mit hingebender Liebe hingen ſie an ihrem Herrn und ſein beſter und
begeiſtertſter Lobredner war der große Oſtpreuße Immanuel Kant.
Zwei Jahrzehnte nach dem Tode des großen Königs hat Oſtpreußen überreiche
Gelegenheit gefunden, ſeine Vaterlandsliebe ſchlüſſig zu beweiſen. Nach der ver⸗
nichtenden Niederlage von Jena und Auerſtädt, nach dem Fall der Elbe⸗ und Oder⸗
feſtungen fand das Vordringen Napoleons noch einmal einen Widerſtand in Oſt⸗
preußen. Bei Preuß. Eylau wurde im Februar 1807 die erſte Schlacht geſchlagen,
die der Kaifer nicht gewann. Das Eingreifen bes preußiſchen Korps Leſtocq, von
Scharnhorſt am richtigen Punkte angeſetzt, machte den Kampf, der von den mit
Preußen verbündeten Ruſſen ſchon verloren war, unentſchieden. Dann kam im
Sommer nach der unglücklichen Schlacht bei Friedland das Ende und der Friede
von Tilſit, der in Form und Inhalt viel Ahnlichkeit mit dem Diktat von Verſailles
1919 aufweiſt.
Was nun folgte, iſt Oſtpreußens große Zeit. Denn echte Größe zeigt ſich recht
in Zeiten bitterſter Not. Und eine Notzeit ward es. Nirgends hat die Willkür
der franzöſiſchen Eroberer grauſamer gehauſt als in Preußen. Aber ſchon ſeit dem
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Vogt / Das Bollwerk im Osien 18
Jahre 1808 regt es fid) allenthalben im Volk, ſteht ber Preuße nicht mehr mutlos
da. Der Haß gegen den Unterdrücker und der leidenſchaftliche Wunſch, die Ketten
zu ſprengen, die der perſönlichen Freiheit wie der Freiheit der ganzen Nation an⸗
gelegt waren, ergriff alle Schichten der Bevölkerung. Nach Oſtpreußen zuerſt drang
die Runde von dem Untergang der großen frangofiiden Armee in Rußlands Eis:
wüſten. Die Oſtpreußen ſahen zuerſt mit eigenen Augen, wie ſich die Trümmer
des einſt ſo ſtolzen Heeres, jeder militäriſchen Ordnung bar, als regelloſe Haufen
gen Weſten dahinſchleppten. Als ein Gottesgericht ſah Preußen dies furchtbare
Gefhehen an, und an ein Gottesgeridjt appellierte es nun, über fd) und den
fremden Tyrannen, der einmal geſagt hatte, — die Preußen find keine Nation, fte
haben keinen nationalen Stolz.
Unmittelbar vor den Toren Oſtpreußens, in der Poſcheruner Mühle, ſchloß
General von Yord am 30. Dezember 1812 mit ben Ruffen die Konvention von
Tauroggen ab, die das Hilfskorps, das Preußen für Napoleons ruſſiſchen Feldzug
hatte ſtellen müſſen, neutral erklärte und ſo für den Staat rettete. Dieſe von
höchſtem Verantwortungsbewußtſein getragene Tat war das Signal, das die all⸗
gemeine Erhebung zum Ausbruch brachte. Stürmiſch wie nie zuvor war die Seele
des Volkes in ihrer Tiefe aufgewühlt von dem einen alles beherrſchenden Ge⸗
danken, frei zu werden um jeden Preis. In tauſend rührenden Zügen bekundete
ſich die Vaterlandsliebe gerade auch des kleinen Mannes durch eine Opferwillig⸗
keit und eine Einſatzbereitſchaft, die das eigene Ich völlig vergaß. An religiöfer
Begeifterung ohne Fanatismus, an großartig einfachem Heldentum hat die Welt⸗
geſchichte wenig Gleiches aufzuweiſen. Unvergeſſen bleibt jene Anſprache Porcks,
mit der er die oſtpreußiſchen Stände aufrief; unvergeſſen auch, daß es ein Oſt⸗
preuße, Staatsrat von Hippel, war, der den in feiner Schlichtheit erhabenen Aufruf
des Königs „An mein Volk“ verfaßt hat. Von Oſtpreußen ging die große Er⸗
hebung aus, die mit dem Sturze Napoleons endete.
Ein volles Jahrhundert verging, ehe Oſtpreußen wieder Gelegenheit fand, ſich
als „Wächter der Schwelle“ zu zeigen. Es hat die Gelegenheit wahrlich nicht ver⸗
ſäumt. Über Oſtpreußen brauſte im Auguſt 1914 der erſte Anſturm der ruſſiſchen
Naſſen. Auf oſtpreußiſchem Boden wurde die Schlacht geſchlagen, die in der Welt:
geſchichte in einzigartiger Größe daſteht, gegen die die Niederlage von 1410 ver⸗
blaßt, Tannenberg. Schwer hat die Provinz gelitten, bis dieſe Schlacht und
dann die Schlacht an den maſuriſchen Seen und die große Winterſchlacht in Maſuren
Oſtpreußens Erde von den Ruffen befreite. Von dem Bollwerk Oſtpreußen aus;
gehend hat die geniale Strategie Hindenburgs und Ludendorffs die ruſſiſche Dampf⸗
walze im Spätherbſt 1914 und im Jahre 1915 zum Stillſtand und zur Umkehr
gezwungen. Ohne das Bollwerk Oſtpreußen, das unüberwindlich die Nordflanke
der ruſſiſchen Heere bedrohte, wäre Hfterreihs Heer verloren geweſen, war ein
Eindringen ber Ruffen in das Innere des Reiches kaum aufzuhalten.
Es kam der Zuſammenbruch im November 1918. Wieder wurde Oſtpreußen
zum Hüter deutſchen Landes und deutſchen Weſens im Oſten berufen. Jetzt gegen
16 Vogt / Das Bollwerk im Osten
die Gefahr einer ÜUberſchwemmung durch den Bolſchewismus, der im Baltenland
hauſte und gegen den die rote Regierung in Berlin nur mit halbem Herzen Front
machte. Der deutſche Oſten war in höchſter Not. Aber für den Oſten war in Berlin
nur Unverſtändnis und Intereſſeloſigkeit. Man konnte ſchon hier im Herzen des
Reichs keine Ordnung halten, um wieviel weniger vermochte man ſich um das
Schickſal der nun vom Reichsganzen losgelöſten Provinz zu kümmern. Eine kampf⸗
fähige Truppe war nicht mehr vorhanden. Alle militäriſche Diſziplin hatte auf:
gehört. Oſtpreußen mußte ſich ſelber ſchützen. Sich ſelbſt und damit den ganzen
Oſten und das Reich. Da haben ſich in klarer Erkenntnis des Gebots der Stunde
oſtpreußziſche Männer aller Stände zu gemeinſamer Abwehr zuſammengefunden.
Es ift das bleibende Verdienſt des damaligen Oberpräfidenten von Batocki, daß es
ihm gelang, alle Kreiſe, ſelbſt die berüchtigten, damals ſehr mächtigen Arbeiter⸗
und Soldatenräte der Provinz, zu einem Aufruf für die Bildung einer Volkswehr
zu bewegen. Die Volkswehr ſollte ſein „ein Schutz der Heimat vor jedem Einfall
äußerer Feinde und eine Sicherung gegen die Abtrennungsgelüſte polniſcher und
litauiſcher Heißſporne, die mit unſerer Wehrlofigkeit rechnen“. Der Aufruf wurde
am 19. Januar 1919 veröffentlicht. Es entſtand das oſtpreußiſche Freiwilligenkorps.
Mitte April war die Organiſation vollendet. Die Kriegsgliederung wies eine
Geſamtſtärke von über 20000 Mann auf. Die Oſtpreußen wußten, worum es
ging. Sie wußten von dem Ruſſeneinfall in Oſtpreußen her, von den Bolſche⸗
wiſtengreueln im Baltenland, von der Schreckensherrſchaft im Innern Rußlands,
was ihrer Heimat bevorſtehen würde, wenn ſie ſich nicht ſofort mit aller Kraft zur
Wehr ſetzte. Und hier wie immer, wenn es am ſchlimmſten ſtand, hat Oſtpreußen
ſein Beſtes und Größtes geleiſtet. Die deutſchen Männer dieſes deutſchen Landes
haben dem inneren Feind, den Kommuniſten, die tätig an der Arbeit waren, wie
dem äußeren Gegner, der von den Ententemächten mit zyniſcher Gewiſſenlofigkeit
begünſtigt wurde, die Spitze geboten und haben durchgehalten. Träger der Be⸗
wegung war der im Frühjahr 1919 gegründete Heimatbund Oſtpreußen. Er hat,
wie es in ſeinem Auflöſungsbeſchluß vom 10. Juli 1933 nach der Machtergreifung
Adolf Hitlers heißt, gegründet von Soldaten und getragen von den bodenſtändigen
Kreiſen der Provinz in Stadt und Land in hartem Kampf gegen das marxiſtiſche
Syſtem und in zäher Arbeit die Grundlage für die Wehrwilligkeit der abgetrenn⸗
ten und auf fid) gestellten Provinz geſchaffen, hat rückſichtslos gegen den zerſetzen⸗
den Kulturbolſchewismus auf allen Gebieten gekämpft und den gefunden religiöſen
und völkiſchen Willen zur ſeeliſchen Erneuerung von Volk und Staat dagegen ein⸗
geſetzt. Er hat den Willen der unbedingten Selbſtbehauptung und der Eigen⸗
ſtändigkeit geweckt und damit der Provinz als dem Kernland des preußiſchen
Staates und dem äußerſten Ausſtrahlungspunkt deutſcher Geltung nach dem Oſten
den ihr nach Lage und Geſchichte gebührenden Charakter gegeben. Die Mitkämpfer
des Heimatbundes ſtehen heute in der SA. und SS. .
Noch zwei nüchterne Zahlen, bie beweiſen mögen, wie früh und wie ralh fid
Oſtpreußen zur Hakenkreuzfahne bekannte. Die Reichstagswahlen vom Mai 1928
wieſen in Oſtpreußen 8000 nationalſozialiſtiſche Stimmen auf Zwei Jahre ſpäter,
ET NL u a kee e: s
— SE Se S tee en
Vogt / Das Bollwerk im Osten 17
bei den Wahlen im September 1930, war diefe Zahl faſt verdreißigfacht auf
235 000 geſtiegen. Auch hier erwies es fid): Die Geſchichte ſelbſt ijt die politiſche
Lehrmeiſterin Oſtpreußens und wird es immer bleiben.
Oſtpreußen, das Bollwerk im Oſten. Selten ward es uns eindringlicher vor
Augen geführt als in unſeren Tagen, wie bitter nötig wir ein ſolches Bollwerk
haben. Erfahren wir es doch beinahe täglich, welche ausgefallenen Ideen in polni⸗
ſchen Köpfen kreiſen; Oſtpreußen urpolniſches Land, Danzig, Stettin, vielleicht auch
Hamburg polniſche Häfen. Nun, die Polen ſind nie große Politiker geweſen. Aber
eben weil das polniſche Volk zu den Kindern des politiſchen Lebens gehört, läßt es
ſich um ſo leichter verhetzen. Und ein Krieg kann leicht vom Zaune gebrochen
werden, nachdem eine kurzſichtige Einkreiſungspolitik bie Atmoſphäre dafür ges
hörig bereitet hat. So muß ſich Deutſchland gegen Weſten wie gegen Oſten ſchützen.
Im Diktat von Verſailles wurde Deutſchland unterſagt, neue Landesbefeſtigun⸗
gen irgendwelcher Art anzulegen. Der Artikel 180 beſtimmt ausdrücklich, daß das
Syſtem der befeſtigten Werke an Deutſchlands Oſtgrenze im gegenwärtigen Zus
ſtande zu verbleiben habe. Die Armierung war vorgeſchrieben in einer Form, daß
ſie für jeden Soldaten als reiner Hohn erſchien. Oſtpreußen lag offen für den
Zugriff jeder noch ſo unbedeutenden feindlichen Macht. Schon bald nach dem
Krieg hat ſich unſere Heeresleitung bemüht, wenigſtens in beſcheidenem Maße
Abhilfe zu ſchaffen. Aber die Entente unterhielt Spitzel genug, die ſie über jeden
ſchüchternen Verſuch unterrichteten. In den Jahren 1925—1926 mußte alles wieder
zerſtört werden. Erft von 1928 ab datiert ein ſyſtematiſcher Aufbau von befeftigten
Anlagen im Rahmen der damals allerdings ſtark beſchränkten Möglichkeiten. Nun,
nachdem der Führer und oberſte Befehlshaber der Wehrmacht jenes ſchändliche
Dokument des Friedensdiktats Seite um Seite zerriſſen hat, konnten die Aufgaben
der Landesverteidigung Oſtpreußens in großem Zug in Angriff genommen wer⸗
den. Noch find alle fortifikatoriſchen Maßnahmen nicht bis zu der Vollendung
gediehen, wie ſie der deutſche Grenzwall im Weſten aufweiſt. Wir können uns
aber verſichert halten, daß die Befeſtigungen im Oſten und in Sonderheit der be⸗
feſtigte Schutz Oſtpreußens binnen kurzem den gleichen Anlagen im Weſten an
Widerſtandskraft nicht nachſtehen werden.
Es ift ſelbſtverſtändlich, daß im Syſtem der oſtpreußiſchen Landesbefeſtigung
Königsberg die Hauptrolle ſpielt. Königsberg iſt nicht nur das Kernwerk, ſondern
mit Pillau auch das Tor der Feſtung, zu der die ganze Provinz ſich wandelt. Um
die Stadt Königsberg als Zitadelle iſt ein weiter befeſtigter Raum geſchaffen, der
ih 200 Kilometer weit hinter ſtarken Geländeabſchnitten hinzieht und ſelbſtver⸗
ſtändlich ſo angelegt iſt, daß auch ein angriffsweiſes Vorgehen aus der befeſtigten
Zone heraus günſtige Vorbedingungen findet. Vorgeſchoben vor den befeſtigten
Raum von Königsberg find gleichſam als Außenforts weitere befeſtigte Zonen.
Das ſtärkſte Werk dieſer Art iſt die Feſtung Lötzen, das Gewirr von Seen, das
dies Feſtungsgebiet umſchließt, macht einheitliche militäriſche Operationen von der
Gegenfeite nahezu unmöglich. Ein wirkungsvoller Stärkefaktor für die Abwehr
18 Vogt / Das Bollwerk im Osten
NACH DER „SCHLACHT BEI BERLIN”
Das Programm der Polen
Krüger / Schicksal Danzig 19
liegt überhaupt in der Eigenart der oſtpreußiſchen Landſchaft mit ihren zahlloſen
Abſchnitten, die, nach allen Richtungen der Windroſe laufend, die Truppenbewegun⸗
gen in hohem Grade erſchweren. Kommt nun dazu, daß das Vorgelände der bes
feſtigten Gebiete und das zwiſchen ihnen liegende Gelände bis tief in das Landes⸗
innere hinein mit Sperren jeder Art in großer Dichte durchſetzt iſt, ſo wird klar,
daß der Traum eines der größten Söhne oſtpreußiſcher Erde, des Generalfeldmar⸗
ſchalls Freiherrn von der Goltz, aus Oſtpreußen eine unangreifbare Feſtung, einen
„Igel“, zu ſchaffen, in unſeren Tagen verwirklicht wurde.
Feſtungswerke ſind gut und nützlich. Aber ſie fallen bei aller Stärke, wenn der
Wehrwille der Truppe fehlt, die ſie zu verteidigen hat, und wenn hinter der Truppe
nicht der Lebenswille eines ganzen Volkes ſteht. Wir haben geſehen, daß die Ge⸗
ſchichte Oſtpreußens uns die ſicherſte Bürgſchaft dafür bietet, daß Wehrwille und
Lebenswille auf dieſem vorgeſchobenen Poſten deutſchen Landes nie erlahmte. Aber
auch die junge Generation unſeres herrlichen, ſtarken Reiches ſteht im alten deut⸗
ſchen Ordensland auf Wacht, jederzeit bereit, mit nüchternem Idealismus und
eiſerner Entſchloſſenheit den Lebensraum des deutſchen Oſtens zu verteidigen und
darüber hinaus an Stelle des Unrechtes von Verſailles eine vernünftige Ordnung
zu ſetzen. So bleibt das Bollwerk im Oſten unüberwindlich.
Gerhard Krüger:
Schicksal Danzig
Vielleicht muß man in dieſer Stadt geboren und groß geworden fein, vielleicht
muß man thr durch Familientradition und Heimatgefühl verbunden fein, um fo
ganz bie Schönheit ihrer alten Bauwerke und das Lebendigſein der Geſchichte in
ihr zu empfinden. Vielleicht muß man eine von jeder Ahnung eines ſpäteren
Kampfes um ihr Volksſchickſal unbeſchwerte Jugend in ihr verlebt haben, um mit
der letzten Leidenſchaft ihr Geſchick ſich jetzt entſcheiden zu ſehen.
Es gibt wenig Städte, die Menſchen ſo ſtark in ihren Bann ziehen können,
wie Danzig. Selten nur ift ein Kerngebiet einer Großſtadt von einer ſolchen
inneren Geſchloſſenheit mittelalterlicher Architektonik zu finden wie die Altſtadt
rings um die alte wuchtige Marienkirche Danzigs. Als Knabe habe ich — und
welche Eindrücke wären ſtärker? — die träumeriſche Stimmung im Innern dieſer
hohen ſchmalen Giebelhäuſer mit ihren ſchön verzierten alten Türen, ihren weiten
Dielen, ihren geſchwungenen Holztreppen, ihren Gängeſtuben in mich aufgenommen.
Johann Schopenhauer hat die Geſchichte einer Jugend in einem dieſer Danziger
Patrizierhäuſer mit lebendiger Anſchaulichkeit geſchildert. Welche junge Seele hätte
in dieſer traumhaften Welt nicht die geheimnisvollen Fäden, die in die Ver⸗
gangenheit zurückführen, weitergeſponnen, wäre ihnen nicht nachgegangen wie
alten, längſt verſchollenen Sagen? Die Seele muß mitſchwingen im gleichen Rhyth⸗
mus mit der Stimmung dieſer Stadt.
20 Krüger / Schicksal Danzig
Die Straßen der Altſtadt waren der Lieblingsplatz unſerer Knabenſpiele.
Winkelig ſind die Gaſſen, die Häuſer drängen ſich um die mächtige Marienkirche
zuſammen gleich einer erſchreckten, ſchutzſuchenden Herde. Die Straßen find meiſt
nach dem Gewerbe ihrer Einwohner benannt; wie oft haben wir uns über die
Große und Kleine Hoſennähergaſſe gefreut! Auf den Häuſergiebeln kennzeichnen
eigentümliche Figuren und Geſtalten, eine Schildkröte, eine Gans oder ein anderes
luſtiges Getier jedes einzelne Gebäude amüſanter, als es durch Hausnummern
geſchehen kann. Da ift die altertümliche, nahezu von allem unruhigen Großſtadt⸗
getriebe abgeſchloſſene Frauengaſſe. Beiſchläge vor jedem Haus. Spurlos ſcheint
die Zeit an dieſem Stadtteil vorübergeglitten zu ſein. Auf der einen Seite erhebt
fid) der gewaltige Backſteinbau der Marienkirche. Inmitten dieſer unüberſichtlich
weiten, hohen und doch dämmerigen Säulenhallen habe ich immer den Eindruck
gewonnen, als hätten die vornehmen Patrizier und wehrhaften Kaufherren des
Mittelalters alle Reichtümer, die ihnen der lebhafte Holz⸗ und Getreidehandel
eingetragen hatte, nur für die architektoniſche Eigenart und die kunſtreiche und
koſtbare Innenausſtattung dieſes einen Gotteshauſes mit ſeinen unüberſehbaren
Schätzen verwandt. Jahrhundertelang hat man an ihm gebaut und immer wieder
Geld zur Vollendung und Verſchönerung der Kirche als Symbol der ſtädtiſchen
Macht und des hanſiſchen Glanges aufgehäuft. Nun lagert fie breit und maſſig im
Mittelpunkt der Stadt, und ihr Turm erhebt ſich wuchtig, trutzig und feft, ein
Wahrzeichen des freien, artbewußten Hanjeatenfinnes und des ſtolzen, alten
Krämertums, ein Symbol des feſten, unverrückbaren Deutſchtums der Stadt.
Auf der anderen Seite der Gaſſe liegt das zierliche gotiſche Frauentor, hinter
dem ſofort das bewegte Leben des Innenhafens an der Mottlau beginnt. Wenn
ich hier am hohen Krantor ftand, dann empfand ich ſchon als Knabe, wie ſtark
dieſe Stadt mit dem Leben verbunden iſt, wie das Meer tief und breit durch die
Ströme und Flüſſe in ſie hineindringt. Dieſer Innenhafen war die Stätte unſeres
jugendlichen Forſchungstriebes und unſerer deutſchen Weltſehnſucht. Wir bewun⸗
derten die Schiffe, die Waren, die aus ihnen emporgewunden wurden, und die
fremdartig ſprechenden Menſchen. Wenn ich dann auf der anderen Seite die
Speicherinſel mit ihren alten Lagerhäuſern ſah, dann wußte ich, daß die Patrizier
und Kaufherren einſt ihre Reichtümer auch für wirklichkeitsnahe Dinge angelegt
hatten. Wirklichkeitsnah, aber nicht weniger ſchön. Da iſt der Lange Markt in
feiner ſeltenen Geſchloſſenheit des Stilcharakters, mit der alten Danziger Feſthalle,
dem Artushof, und vielen alten Patrizierhäuſern, unter ihnen das beſonders reich
geſchmückte Steffenshaus. Da iſt die wundervoll geſchwungene Linie der Langgaſſe,
begrenzt durch zwei alte ſchöne Tore, am Anfang das Rathaus mit ſeiner unwahr⸗
ſcheinlich ſchlanken Turmſpitze. Deutſche Geſchichte zu Stein geworden, zu ſprechen⸗
dem Stein!
Dies alles muß man in ſeiner Erinnerung vorüberziehen laſſen, um zu wiſſen:
Dieſe Stadt iſt in ihrem ganzen Sein, wie in ihrer ganzen Geſchichte eine deutſche
Krüger / Schicksal Danzig 21
Tatſache, geſchaffen von deutſchen Menſchen unb deutſcher Leiſtung, an der niemand,
wer es auch ſei, rütteln kann.
In den erſten Anfängen unſerer geſchichtlichen Überlieferung gehörte das Gebiet
der Weichſelmündung zu dem die nordiſchen Länder und Norddeutſchland umfaſſen⸗
den Kulturkreis. Bis etwa 500 n. Zeitw. war das Land im Beſitz der Germanen,
bis dann Goten und Gepiden in dem gewaltigen geſchichtlichen Umbruch der
Völkerwanderung nach Süden zogen. In dieſe Zeit zurück führt der Name Danzig,
der gotiſcher Herkunft ift, die Abwandlung einer gotiſchen Gaubezeichnung.
Nicht Polen waren es, ſondern Kaſchuben und Preußen, die in den freigewor⸗
denen Raum nachdrangen. Das Oſtgermanentum blieb für die Geſtaltung des
Gebietes nach der kulturellen und blutsmäßigen Seite (Untermiſchung) von großer
Bedeutung. Die Wikinger, auf die ja erſt die Gründung des ruſſiſchen und auch
des polniſchen Staates zurückgeht, wahrten dann den germaniſchen Einfluß an der
Mündung des Weichſelſtromes als der großen Handels⸗ und Verbindungsſtraße,
wie ihre Niederlaſſung Truſo deutlich beweiſt. Nach ihrer Zeit iſt ein großer
kultureller Rückgang bei Preußen und Kaſchuben ſpürbar.
Bald jedoch machte ſich wieder die germaniſche Aufbauleiſtung im Weichſel⸗
mündungsraum geltend. 1178 bereits war Danzig Marktſiedlung deutſcher Kauf:
leute. Gleichzeitig begannen deutſche Ziſterzienſer von Oliva und ſpäter auch von
anderen Niederlaſſungen aus die hochſtehenden Land⸗ und Gartenbaumethoden deut⸗
ſchen Bauerntums hier im Oſten zu verbreiten. Um 1224 ſchon hatte Danzig
deutſches Stadtrecht erhalten. 1226 wurde den Rittern des Deutſchen Ordens von
Herzog Konrad von Maſowien das Kulmer Land an der Weichſel angetragen, von
dem aus am rechten Weichſelufer als Lehen des Deutſchen Kaiſers raſch ein macht⸗
voller deutſcher Staat entſtand. Gleichzeitig ſuchten auch die kraftvoll nach der
Oſtſee ſtrebenden askaniſchen Markgrafen von Brandenburg Danzig für ſich zu
gewinnen. Dazu kamen die Beſtrebungen Lübecks, des Vorortes des deutſchen
Oſtſeehandels, und der mit ihm verbündeten Städte und Fürſten. In dieſem
Wettbewerb deutſcher Kräfte um altes germaniſches Machtgebiet, bei dem Danzig
beſonders den Askaniern ſehr entgegengekommen war, behielt der Deutſche Orden
unter geſchickter Ausnutzung der um Pommerellen nach dem Tode des letzten
Herzogs entſtehenden Erbſtreitigkeiten die Oberhand. 1308 kam Danzig in ſeinen
Sepp. '
Unter dem Ritterorden erlebte die Stadt, geſtützt von einem mächtigen Staat,
ihre größte Blüte. Der Höhepunkt der deutſchen Oſtentwicklung, einſetzend unter
Hochmeiſter Winrich von Kniprode, wurde auch der Höhepunkt in der Geſchichte der
Stadt. Getragen wurde diefe Blüte durch das enge politiſche und wirtſchaftliche
Zuſammenwirken von Orden und Hanſe, der Danzig 1361 beitrat. Raſch ſtieg die
Stadt in dem Städtebund auf und ſpielte in ihm bald nach Lübeck die entſcheidende
Kolle. Hier fhan ermies fid), wie eng Danzig mit bem deutſchen Schickſal verbunden
22 Krüger / Schicksal Danzig
ift. Mit 20000 Bewohnern erreichte die Stadt 1415 eine für die damalige Zeit
außerordentlich hohe Einwohnerzahl.
Der Niedergang des Deutſchen Ordens brachte für Danzig eine tiefgehende
Wandlung. Wie überall in dem damals ohne jede Zentralgewalt nur mühſam
zuſammengehaltenen Deutſchen Reich ein Gegenſatz zwiſchen den großen Städten
und den Territorialherren vorhanden war, ſo beſtanden dieſe Spannungen auch
zwiſchen den preußiſchen Städten und dem Orden. Die Schlacht von Tannen⸗
berg 1410 war kein Sieg der polniſchen Waffen, ſondern des Verrats bes preußi⸗
ſchen Adels. Der Verſuch des tapferen Verteidigers der Marienburg, des zum
Hochmeiſter erhobenen Heinrich von Plauen, die Kraft des Ordenslandes zuſammen⸗
zufaſſen und zwiſchen den Rittern und den oppoſitionellen Städten und Adligen
eine engere Verbindung der Errichtung eines Landesrates herzuſtellen, ſcheiterte
an der Unvernunft ſeiner Ordensbrüder. Vergeblich war ſein Bemühen geweſen,
die überalterte Ordensverfaſſung zu überwinden und die Herrſchaft auf das deutſche
Volk in Preußen zu ſtützen. Die Spannungen im Ordensſtaat verſchärften ſich nur
noch. Wiederum war der Nutznießer dieſes innerdeutſchen Zwiſtes Polen; das
uneinige Reich aber war zu ſchwach, den weiteren Verfall aufzuhalten. 1454 ging
Weſtpreußen dem Orden verloren, unter Wahrung ſeiner Selbſtändigkeit wurde
es durch die Perſon des Königs in Perſonalunion mit Polen gebracht.
Noch ſtärker wahrte die Hanſeſtadt ihre Unabhängigkeit. Das „Schutzrecht“ des
polniſchen Königs war geringfügig und inhaltslos genug: Außer einer Leibrente,
einem Getreideſpeicher gab Danzig ihm nur das Recht, aus den Reihen der
deutſchen Ratsherren fid) einen „Burggrafen“ auszuwählen und fid) — was kaum
geſchah — drei Tage im Jahr in der Stadt als Gaſt aufzuhalten. Die 1453 von
den Türken vollzogene Eroberung Konſtantinopels war eine für Danzig außer⸗
ordentlich günſtige Fügung. Auf dieſes politiſche Ereignis, nicht aber auf das
Verhältnis zu Polen war die zweite wirtſchaftliche Blüte der Hanſeſtadt, über die
nunmehr der ruſſiſche Getreidehandel geleitet wurde, zurückzuführen. Eine der
Schutzmaßnahmen, die das Deutſchtum der Stadt, ablehnend gegen das Judentum
gleich allen Hanſeſtädten, ergriff, war 1457 die vollſtändige Ausſchaltung der
Juden. Danzig war und blieb bis zu feiner Rückgliederung nach Preußen ſtaats⸗
rechtlich völlig ſelbſtändig, unterhielt diplomatiſche Vertretungen und vollzog ſelbſt
ſeinen militäriſchen Schutz. Welche Kraft dieſe deutſche Stadt entfalten konnte,
ſollte 1473 gerade England zu ſpüren bekommen, deſſen Flotte von dem helden⸗
haften Danziger Seefahrer Paul Beneke geſchlagen wurde.
Eine neue Gefahr drohte durch den Reichstag von Lublin 1569. Dem Volks⸗
verrat des von engſtirnigem Konfeſſionalismus getriebenen Biſchofs Hoſtus von
Ermland und den Gewaltmaßnahmen der Polen gelang es, widerrechtlich dem
ehemaligen Ordensgebiet ſeine Sonderſtellung zu rauben. Danzigs Abgeſandte,
an ihrer Spitze Bürgermeiſter Klefeld, wurden ins Gefängnis geworfen, aber die
mächtige Stadt war in ihrer Selbſtändigkeit nicht zu brechen. 1577 wurde der
bewaffnete Poloniſierungsvorſtoß des polniſchen Königs abgewehrt. Ohne fremde
Krüger / Schicksal Danzig 23
Hilfe wahrte Danzig fein Deutſchtum. Die ſchönen Bauten, die in dieſer wie in ber
erſten Blütezeit entſtanden, beweiſen durch ihren Stil, durch die Namen ihrer
Baumeiſter bie geſamte deutſche Verbundenheit Danzigs. Wie im 14. Jahrhundert
aus allen Teilen des deutſchen Volkes, aus Nord⸗, Weſt⸗ und Mitteldeutſchland
Kräfte in die Stadt gezogen worden waren, ſo ſchritt man ſogar in dieſer völkiſchen
Rotzeit dazu, in der mit der Stadt eng verbundenen Weichſelniederung neue
Bauern anzufiedeln. Die Stadt ſelbſt wuchs und wuchs, um etwa Mitte des
17. Jahrhunderts die gewaltige Einwohnerzahl von 80 000 zu erreichen. Die Wehr⸗
kraft der Stadt wird ſymboliſiert durch das einzigartig ſchöne Zeughaus, das
Anthony van Obbergen in holländiſch⸗niederdeutſchem Nenaiſſanceſtil 1602 bis
1605 errichtete.
Die Stadt hatte unter den Kriegswirren des 17. und 18. Jahrhunderts ſtark
zu leiden. Die Peſt forderte 1709 25 000 Opfer in Danzig. Die geänderten
politiſchen Verhältniſſe führten den wirtſchaftlichen Rückgang herbei. Nicht ein⸗
bezogen in den Körper eines machtvollen deutſchen Staates konnte die Stadt auch
nicht vor den Auswirkungen der geänderten politiſchen Lage geſchützt werden.
Friedrich der Große gewann den alten deutſchen Boden im Oſten wieder dem
Deutſchtum zurück. Es dauerte eine gewiſſe Zeit, bis der hanſeatiſche Sonderſinn
erkannt hatte, daß die Zeit, wie fie durch die Reichsſchwäche im Spätmittelalter
möglich und notwendig geweſen war, für Stadtrepubliken endgültig vorüber war.
1793 kam Danzig an Preußen, und raſch bahnte fid) eine Aufwärtsentwicklung an.
Aber ſchon brachen die Napoleoniſchen Kriege herein, in deren Verlauf die Stadt
unter den wenigen war, die den Franzoſen tapfer Widerſtand leiſtete. Um
Preußen zu ſchädigen und zu ſchwächen, wurde im Tilſiter Frieden 1807 Danzig
das Scheindaſein einer „freien“, in Wirklichkeit der Willkür des franzöſiſchen
Gouvernements völlig überlaſſenen Stadt gegeben. Dieſes zweifelhafte, von feinen
Bewohnern nicht gewollte Daſein wurde 1814 beendet. Als Hauptſtadt der Provinz
Weſtpreußen nahm Danzig nach anfänglichen Schwierigkeiten, die auf die Haltung
Rußlands zurückzuführen waren, das die natürlichen Handelswege zu unterbrechen
ſuchte, eine ruhige, geſunde Entwicklung. Seine Stellung als das deutſche Kultur⸗
und Wirtſchaftszentrum im Oſten wurde durch die Gründung der Techniſchen Hoch⸗
ſchule 1904, die in außergewöhnlichem Maße auch nach der geiſteswiſſenſchaftlichen
Seite hin ausgebaut wurde, geſtärkt.
Es iſt bezeichnend für die Väter des Verſailler Gewaltdiktates, daß ſie für Danzig
anknüpften an die kurze, unglücklichſte Zeit in der jahrhundertealten Geſchichte der
Stadt, an die Zeit der napoleoniſchen Entrechtung und Willkürakte. Nach dem
Willen der deutſchen Menſchen der Stadt und nach ihrem Wohl fragte niemand.
Polniſche Gier, Deutſchfeindlichkeit und die Sucht, politiſche Streitpunkte für die
Zukunft zu ſchaffen, wobei auch der Einfluß des Judentums in Verſailles eine
Rolle ſpielte, führten zur Losreißung Danzigs vom deutſchen Staatskörper. Mit
innerſter Leidenſchaft hat das deutſche Danzig gerade in jenen ſchweren Tagen
gegen den feindſeligen Gewaltakt Stellung genommen und mit der gleichen Beharr⸗
24 Krüger / Schicksal Danzig
lichkeit und Entſchlußkraft, mie ſchon oft in feiner Geſchichte, gegen bie polnifchen
Übergriffsverſuche ſich zur Wehr geſetzt. |
Danzig ift ein gegen feinen Willen errichteter, aber ſouveräner deutſcher Staat.
Am deutſchen Charakter der Stadt hat niemals jemand, nicht einmal Premier⸗
miniſter Chamberlain ernſthaft zu zweifeln gewagt. Um dem polniſchen Volk, das
niemals mit dem Meer in einer wirklichen Verbindung geſtanden und noch nie
ſeefahreriſche Kräfte trotz allen Geſchreis vom polniſchen Meer entwickelt hat, einen
Zugang zur See zu geben, wurde der Freiſtaat Danzig errichtet. Danzig hat ſich
bemüht, mit allen Kräften einer friedlichen Entwicklung zu dienen. Die national⸗
ſozialiſtiſche Regierung Danzigs hatte bie dann von Pilſudſki bejahte deutſch⸗
polniſche Verſtändigungspolitik, mit der Warſchau jetzt rückſichtslos gebrochen hat,
von ſich aus angebahnt. Natürlich hat die Stadt auch alle polniſchen Übergriffs⸗
und Entrechtungsverſuche, deren es eine große Zahl gab, abgewehrt. Die Errichtung
des koſtſpieligen Kunſthafens Gdingen ſtellte, ſolange Polen den Danziger Hafen
nicht voll ausnutzt, bereits einen Bruch der Verſailler Beſtimmungen durch Polen
dar; denn mit der Begründung für die Errichtung des Freiſtaates Danzig war auch
die polniſche Verpflichtung gegeben, Danzig wirklich als Hafen voll zu benutzen.
Gdingen, das von polniſcher Seite ſelbſt als das polniſche Schwert gegen Danzig
bezeichnet worden iſt, wurde ausgebaut, um auf indirektem Wege die gierigen
Ziele, die Polen in Verſailles nicht verwirklichen konnte, zu erreichen. Danzig
ſollte durch einen völligen Strukturwandel ſeines Handels und darüber hinaus
durch eine möglichſt weitgehende Ausſchaltung wirtſchaftlich und ſchließlich politiſch
unterhöhlt werden. |
Danzigs Deutſchſein ift eine jahrhundertealte politiſche Tatſache. Die Bauten der
in ihrer Schönheit nur noch Nürnberg vergleichbaren Stadt ſind ehrwürdige Zeugen
hierfür. Die Namen ſeiner großen Söhne: des Malers Anton Möller, des Kupfer⸗
ſtechers Daniel Chodowiedi, des Aſtronomen Hevelius (Hevelfe), des Phyſikers
Daniel Fahrenheit, der Dichter Robert Reinik, Johannes Irgan, Max Halbe, bes
Komponiſten Georg Wollerthun und des großen Philoſophen Arthur Schopenhauer
erweiſen ſeine kulturelle Leiſtung für das Geſamtdeutſchtum. Die Gefahrenlage der
Stadt hat frühzeitig das völkiſche Bewußtſein und die kämpferiſche Wachheit in
den deutſchen Menſchen geweckt. Früher als ſonſt im deutſchen Nordoſten iſt für
uns junge Danziger der Name Adolf Hitler zu einer mythiſchen Kraft geworden,
wie der Aufbruch der nationalſozialiſtiſchen Bewegung in der alten Hanſeſtadt
zeigt. Das Schickſal dieſer Stadt, die durch die Jahrhunderte ihr Deutſchtum auf
ſich ſelbſt allein geſtellt gewahrt hat, iſt immer ein Teil des großen deutſchen Volks⸗
ſchickſals geweſen; Stärke und Schwäche des Reiches waren für es beſtimmend.
Unverrückbar aber blieb das Deutſchſein! Heute iſt Danzigs Schickſal mehr denn je
Reichsſchickſal. Und der alte Wappen⸗ und Wahlſpruch der Stadt ſteht über unſerer
geſamten Reichspolitik geſchrieben, die auch meiner Heimat ihre Freiheit und
glückliche Heimkehr ſchenken foll: „Nee temere, nec timide" („Weder unbeſonnen,
noch furchtſam“)!
Fluſcnpolitiſche Horten
— wg gr ` ` — — sl
Virginio Gayda:
Was geschieht im Nahen Osten?
Das Problem von Alerandrette
Die Note, bie bie italieniſche Regierung
am 10. Juli wegen der Abtretung des Sand:
hats von Alexandrette an die Türkei, an
die franzöſiſche Regierung richtete, hat in
Paris, London und Ankara eine erregte
Polemik in der Preſſe zur Folge gehabt, die
eine offenbare Verlegenheit in der poli-
tiſchen Stellungnahme verbirgt. Die Note
bringt den Vorbehalt der italieniſchen Re-
gierung gegenüber der willkürlichen Hand-
ung der franzöſiſchen Regierung zum Aus⸗
druck und erwähnt, daß Italien in ſeiner
Eigenſchaft als Mandatsmacht Anſpruch
datauf erheben konnte, über das Schickſal
Syriens und daher auch Alexandrettes, das
der Mandatsmacht Frankreich unterſteht,
konſultiert zu werden.
„Tatſächlich ijt Frankreich Europa gegen-
über verantwortlich für neue Verletzungen
p internationalen . ie
erletzungen ſind vor allem moraliſcher
Natur. Durch willkürliches Vorgehen, das
nur die Gelegenheit des mit der Türkei über
ihren Beitritt zu dem neuen Mittelmeer⸗
it abgeſchloſſenen Handels ausnüßt, ijt
kankreich über das eigene Recht ber im
abgetretenen Gebiet wohnenden Menſchen
hinmeggegangen. Die Volkszählung von
1995 ergab für den Sandſchak von Alexan⸗
Nette eine Bevölkerungszahl von 208 000
Einwohnern mit einer Mehrheit der arabi⸗
iden Solle und nur einer Minderheit (un-
übr 80000) ber türfijden Raſſe. Nach
iſt die türkiſche Bevölkerung des Sand⸗
künſtlich durch die Einwanderung von
onen aus der Türkei vergrößert worden,
urch Lücken ausfüllten, die durch den
g der Chriſten und der Araber ent⸗
waren Aber die künſtliche Förde⸗
d ber türfijden Einwanderung kann
rechtlich bie tatſächlichen inneren Ber-
bältniffe bes Sandſchaks nicht ändern.
Frankreich bricht internationale
Verpflichtungen
Nicht weniger flagrant iſt die Verletzun
pue flag [ gung
nalen Verpflichtungen, die
ſeitens Frankreichs bei ſeiner Verwaltung
Syriens begangen worden iſt. Syrien ge⸗
hörte vor dem Kriege, wie bekannt iſt, zum
ottomaniſchen Reih. Nach dem Kriege, bei
der ic Hir dieſes Reiches, das zwiſchen
Großbritannien und Frankreich aufgeteilt
wurde, vertraute man au Grund eines in
San Remo am 25. April 1920 gefaßten Bes
DM es bes Oberſten Rates ber Alliierten
ächte und daher auch unter Mitwirkung
Italiens, Syrien als „Mandat“ den Fran⸗
zoſen an.
Dieſer internationale Beſchluß, der Ge⸗
eee hat, ftellt drei Grundſätze auf,
ie ebenſo viele internationale Verpflichtun⸗
gen für Frankreich bedeuten:
1. Da Syrien Frankreich nur als Mandat
anvertraut wurde, kann es von dieſem
Lande nicht als ein ſeiner Oberhoheit unter⸗
CHE biet angeieben werden. Es darf
omit nicht verändert und nod) viel
weniger in feinem Gebiet vere
ümmelt werde n. Das Mandat ift eine
Einrichtung, Mh ber bie Mandatsmacht
nur bie Verwaltung bes als Mandat ers
klärten Gebietes vorübergehend zu beſtimm⸗
ten Zwecken übernimmt, die vor allem da rin
beſtehen, die ziviliſatoriſche Entwicklung der
Bevölkerung zu ſchützen und zu fördern, bis
dieſe die für ihre politiſche Unabhängigkeit
erforderliche Reife erreicht hat.
2. Das Mandat iſt auf Grund eines inter⸗
nationalen NAM Ue es ber Mächte über:
tragen worden. Auf demſelben Wege kann
es auch wieder entzogen und einer anderen
Macht verliehen werden. Es kann infolge⸗
Dellen nicht von der Mandatsmacht allein
geändert und noch viel weniger annulliert
werden.
3. Die Handlung Frankreichs, das für ſein
Geſchäft und ſeinen Nutzen einen Teil des
ihm anvertrauten ſyriſchen Gebiets an die
türkiſche Oberhoheit abgetreten hat, bedeutet
infolgedeſſen eine einſeitige Umgeſtaltung
der Mandatseinrichtung, eine Verletzun
Ké grundlegenden Beſtandteile u
einer 5 außerdem feiner internatio:
nalen Geſtalt und der den andern Mächten
gegenüber übernommenen Verpflichtungen.
ies begründet ſomit das Recht auf einen
Proteſt und auf einen Vorbehalt der Mächte,
die, nachdem ſie an der Zuteilung des Man⸗
26 Außenpolitische Notizen
bats beteiligt waren, Beute nidjt an feinem
weiteren Schickſal untntereffiert fein können.
Berftümmelt und eutrechtet
In dem beſonderen Fall Syrien ſtellt der
Schritt Frankreichs ſodann eine SC
nicht nur dem Buchſtaben unb dem Geilt
der allgemeinen n des Mandats
nach, ſondern auch des Vertrages, der das
prie Mandat betrifft, dar. Artikel 4 dieſes
ertrags lautet wörtlich: „Der Mandatar
1 Syrien und Libanon gegen jeden
erluſt oder jene Abtretung zur Verpach⸗
tung des geſamten Gebietes oder eines
Teiles desſelben und gegen die Errichtung
irgendeiner Kontrolle von ausländiſchen
ächten.“ Weit entfernt davon, ents
ſprechend dieſer unzweideutigen Verpflich⸗
tung für den Schutz der territorialen und
politiſchen Unabhängigkeit Syriens Sorge
u tragen, hat Frankreich ſtatt deſſen durch
fre nitiative unb n feinem ausſchließ⸗
lichen Nutzen das ſyriſche Gebiet verſtüm⸗
melt und ſeine politiſche Selbſtändigkeit
angetaſtet.
Der Schritt Frankreichs iſt ein neues
dreiſtes Manöver der Einkreiſungspolitik.
1 hat die Türkei mit ſpyriſcher
ünze "M ha um bas Garantie⸗Abkommen
im Mittelmeer zu erreichen, bas dem kurz
vorher zwiſchen der Türkei und Groß⸗
britannien abr ao Vertrag ents
D Und mit dieſen Abkommen folte die
inkreiſungskette im Mittelmeer mit einer
e dE gegen Italien gerichteten Spitze
zuſammengeſchweißt werden. Aber der
Schritt Frankreichs iſt auch ein neues
Manöver ſeiner imperialiſtiſchen Aufkaufs⸗
politik. Frankreich zieht Kapital aus den
unvermeidlichen Aufſtänden des ſyriſchen
Nationalismus, ſetzt ſeine Politik der Ge⸗
walt fort, um ſich bereitzumachen, die noch
unter ſeiner Verwaltung verbleibenden Ge⸗
hiete von Syrien und Libanon in unmit⸗
telbare Hoheitsgebiete zu ver⸗
wandeln, [omit fein internationales Mandat
zu beſeitigen und an ſeine Stelle ſeine im⸗
perialiſtiſche Souveränität dort zu errichten.
Seit längerer Zeit zeigt es ſich, daß die
franzöſiſche Politik in Syrien und im Liba⸗
non darauf gerichtet iſt, einen Rechts⸗
anſpruch auf ein unmittelbares Dominium
zu begründen. Vor ber offenkundigen Ber:
etzung des Mandats, die jetzt mit der
Abtretung von Alexandrette erfolgte, lag
die Weigerung Frankreichs, die franzöſiſch⸗
ſyriſchen und die franzöſiſch⸗libaneſiſchen
un zu ratifizieren, die dem Mandat
ein Ende ſetzen ſollten; es lag weiter die
Abfiht der Aufteilung der Einheit Syriens
mit der Abtrennung ganzer Regionen von
der Regierung in Damaskus vor, wie die
von Alauiti, des Druſiſchen Gebels und der
Alta Gezira. Aber der Plan iſt nunmehr
offen als ein Recht Frankreichs in der amt⸗
lichen vom Außenminiſter Bonnet am
23. Juni des Jahres abgegebenen Erklärung
über „die Ewigkeit der „ in
Syrien und im Libanon zugewieſenen
Miſſion“ zugegeben worden.
Ewig dauernde Auweſenheit der
Franzosen!
‚Wir erkennen alſo eine Politik, die auf
die klare und einfache Annexion, auf die
in Urwir gung der franzöſiſchen Oberhoheit
in Syrien und im Libanon abzielt. Sie voll⸗
zieht ſich ſehr ſchnell in Etappen. Der Hohe
Kommiſſar von Syrien, Gabriel Buauz, hat
die aufeinanderfolgenden Demiſſionen des
Miniſterrats und des Präſidenten der
ſyriſchen Republik, die gerade durch die Ab:
tretung des Sandſchaks von Alexandrette
an die Türkei hervorgerufen wurden, be⸗
nutzt, um die Exekutivgewalt in ſeine Hand
zu nehmen. Die Geltung der Verfaſſung
wurde dadurch aufgehoben. Der franzöſiſche
Kommiſſar wies ul darauf hin, daß
bie Pariſer Regierung „keinen Zweifel an
der ewig dauernden Anweſenheit der Fran⸗
zoſen in der Levante“ aufkommen laſſen
würde.
In Paris erklärt man, daß dieſe Ent⸗
ſchlüſſe durch den Zuſtand der unerträg⸗
lichen, in Syrien 5 SEN
verurfacht cpieſer Jute s wird jedoch ni
geſagt, daß dieſer Zuſtand zunächſt durch die
ſchlechte franzöſiſche Verwa tung und fodann
durch die willkürlichen Gebietsveritümme:
lungen provoziert wurde.
Die Ereigniſſe der nächſten Zukunft wer⸗
den Aufſchluß darüber geben, ob dieſe
Unterdrückungspolitik Frankreichs den Weg
zu den Herzen der Syrier offen läßt oder
ob ſie nicht vielmehr, wie die Politik in
Paläſtina, einen neuen Anlaß zum Auf;
ruhr der Araber und zur Gefährdung des
Friedens in Europa bilden wird.
Togo und Kamerun [offen dieſelbe
Behandlung erfahren
Die Entſchlüſſe, die die ba [fe Re
RN in Syrien gefaßt hat, können je:
och einen Präzedenzfall ſchaffen und ft
morgen auf andere Mandatsgebiete aus⸗
dehnen; zum Beiſpiel auf die Groß:
britannien und Frankreich in Afrika an⸗
vertrauten Mandate. Der Geſetzesvorſchlag.
— n m — ae — më r e
O X ë "mp ee
AuBenpolilisehe Notizen 27
den ber Abgeordnete Sean be Beaumont
von Cochinchina kürzlich dem franzöſiſchen
Parlament unterbreitet hat, iſt in dieſer
nau [don typiſch: „Die biete von
amerun und Togo, die von Frank⸗
teich erobert wurden und von ihm ſeit 1919
verwaltet werden, bilden gegenwärtig einen
Beſtandteil des feat weg een
Imperiums. Togo liegt neben Fran⸗
zöſiſch⸗Weſt⸗ Afrika und Kamerun neben
Franzöfiſch⸗Aquatorial⸗Afrika.“
Die Türken melden ihre Anipriide an
Bemerkenswert in dieſer Hinſicht iſt auch
die Gelee daß bie Türkei bald nach bem
Abſchluß neuer Garantiepakte für das
Mittelmeer mit Großbritannien und Frank⸗
reich den Grad ihrer feindlichen Haltung
Italien ewe verſtärkt hat. Am
16. Juli ha Veni Sabah, in einem
Artikel von Huſſein Giahid Yaldin, bei:
ſpielsweiſe türkiſche Anſprüche auf den
Dodekanes angemeldet, den Italien
im Kriege gegen die Türken be⸗
ſezt hat und auf keinen Fall
wieder ge etd. wird. Diefer Ans
ſpruch iit gleichzeitig von bem Offi:
zioſus Ulus zum Ausdruck gebracht unb
mit der Notwendigkeit, der Einkreiſungs⸗
politik einen mehr zutage tretenden offen;
fiven Cha rakter au geben, begründet worden,
um nicht durch ihre defenſive Haltung den
Eindruck der Schwäche hervorzurufen.
Dieſe türkiſchen Stimmen laſſen Italien
ſicher gleich De Aber fie beweiſen einmal
mehr die Ergebniſſe ber engliſch⸗franzöſi⸗
ſchen Politik, die, indem ſie vorgibt, den
grieden zu ſichern, im Gegenteil dahin ar:
beitet, die vielen heiklen Probleme der
internationalen Beziehungen zu
ſchlimmern.
Cruntiguag and für Polen und Rumänien
Es beſteht kein Zweifel darüber, daß die
Se Intranfigenz wegen ber zung:
stage Deutſchland gegenüber ihre Cre
mufigung in ber Einkreiſungspolitik findet,
die einen Konflikt verſchärft, der ſchnell güt⸗
lich hätte beigelegt werden können. Es be⸗
eht auch kein Zweifel darüber, daß die
neue Verſteifung Rumäniens, Ungarn wie
auch Bulgarien gegenüber, unmittelbar auf
die Garantie Großbritanniens und die An⸗
leihe von fünfeinhalb Millionen Pfund
Sterling folgte. Und es beſteht auch kein
weifel darüber, daß die neuen ſeltſamen
enſiv⸗Vorſchläge der offiziöſen türkiſchen
Preſſe Italien gegenüber urd die von der
Regierung in Anfara mit Großbritannien
Ders
und Frankreich unterzeichneten Pakte er:
mutigt wurden.
durch die
Inzwiſchen wird gerade ,
Sprache der türkiſchen Zeitun⸗
gen bewiefen, daß bie militäriſchen Bor:
ereitungen, die Italien im Dodekanes
trifft und die von der franzöſiſchen und
engliſchen Preſſe als Bedrohungen und
Zeichen für düſtere Pläne Italiens der
Türkei egenüber dargeſtellt werden, nur
der notwendige Schutz Italiens
gegen aggreſſive Abſichten der Türkei find.
In London und Paris hat man dem
italieniſchen Proteſt wegen der Abtretung
von Alexandrette den Völkerbund ent:
egenſtellen wollen. Es iſt erklärt worden,
B der Völkerbund die Auffiht über bie
Mandate hat und daß infolgedeſſen Italien,
das Genf verließ, nichts mehr zu bean:
ſpruchen hätte. Das iſt eine ſehr willkürliche
Auslegung, die darauf u die politis
den Motive der Polemif in ein rein
uriſtiſches Problem umzuwandeln.
Der Oberſte Nat kein Organ des
Völkerbundes
Das Mandat über Syrien ift, wie bes
reits lagt wurde, von dem Oberſten Kat
der alliierten Mächte in ſeiner Sitzung vom
25. April 1920 in San Remo Frankreich
übertragen worden. Dieſer Rat war kein
Organ des Völkerbundes. Er war nur ein
Organ der Friedenskonferenz. Dies iſt da⸗
durch bewieſen, daß ſein offizieller Titel,
der auf allen ſeinen Papieren vorgefunden
werden kann, war: „Friedenskonferenz —
hee in San Remo.“ In einem
eil der langen Tagesordnung der Zus
ſammenkunft vom 25. April finden Yit
wörtlich folgende Gage: „Die Hohen Ver:
tragſchließenden Teile ſtimmen darin übers
ein, daß Syrien und Meſopotamien vor:
läufig als unabhängige Staaten unter der
Bedingung anerkannt werden, daß die ver⸗
waltenden und Hilfsbehörden für ſie von
einem Mandatar Ten werden, folange
He nicht imitanbe fn , Rid) ſelbſt zu regies
tem. Die Grenzen der obengenannten
Staaten werden feſtgeſetzt werden und die
Wahl der Mandatare erfolgt durch die
hauptſächlichen verbündeten Mächte.“ Und
weiter unten findet man noch folgendes er⸗
wähnt: „Die von den hauptſächlichen ver⸗
bündeten Mächten gewählten Mandatare
ſind Frankreich für Syrien, Großbritannien
für Meſopotamien und Paläſtina.“ Für die
Geſchichte bewahrt das Dokument die
Unterſchrift der Vertreter der Regierungen
28 Außenpolilische Notizen
von Frankreich, Millerand und Berthélot,
von Großbritannien Lloyd George und Cur⸗
jon, von Italien Nitti und Scialoja, von
apan Matſui, von den Vereinigten Staa-
ten Johnſon.
Alſo nicht der Völkerbund, ſondern die
Alliierten, zu denen auch Italien gehörte,
haben bei der Liquidierung des Krieges
und des Sieges unter beſonderen, genau
feſtgeſetzten Bedingungen das Mandat über
Syrien Frankreich übertragen. Und die
hauptſächlichen verbündeten Mächte, und
nicht der Völkerbund, ſind vor allem berech⸗
tigt, von den Mandatsmächten Rechenſchaft
über den Gebrauch, den ſie von ihrem
Mandat gemacht haben, und über die
gegenüber den internationalen Verpflich⸗
tungen beobachtete Rückſicht zu verlangen.
Die Aufgabe des Völkerbundes beſtand
nur darin, mittels der Mandatskommiſſion
eine Kontrolle über die Art und Weiſe aus⸗
uiiben, in der die Mandatsmächte ihr
andat verwalteten. Dieſe Aufgabe iſt, wie
alle Aufgaben des Völkerbundes, auf dem
pier ſtehengeblieben. Die Tatſachen in
yrien ſprechen unter fo vielen anderen
eine klare und deutliche Sprache. Dieſer
weſentliche Punkt der Übertragung und
der Verwaltung der Mandate iſt übrigens
fogar von dem Völkerbundsrat ausdrücklich
anerkannt worden.
Der italieniſche Proteſt.
Das en SCH Recht auf einen Proteſt
gegen den Mißbrauch des Mandats durch
die ſpriſe oſen, der in der Verſtümmelung
des briſchen Gebiets zum Ausdruck kommt,
findet übrigens ſeine vorſorgliche Beſtäti⸗
gung in der früher von franzöſiſcher
Seite feſtgelegten Stellungnahme. In ſei⸗
ner Rede vom 15. Dezember 1936 im
Völkerbunds rat hat der franzöſiſche Deles
ierte geſagt: „Die Frankreich übertragenen
biete ſtellen nicht ein Land franzöſiſcher
Souveränität dar, da Frankreich nur die
Aufgabe hat, alle nützlichen Maßnahmen
zu treffen, um die in dieſen Gebieten woh⸗
nenden Gemeinſchaften zu Staaten zu
machen, die zur Ausübung der vollen
Souveränität und der vollſtändigen Un⸗
abhängigkeit fähig ſind.“
Und dieſe Verpflichtung Frankreichs wurde
auch durch einen Beſchluß der Mandats⸗
kommiſſion vom 17. Mai 1934 feftgetegt,
€ es
die anerkannt hatte, daß fogar di
währung der Unabhängigkeit an den Sand⸗
ſchak von Alexandrette dem grundlegenden
Vertrag für das Mandat über Syrien wider⸗
ſprechen würde, in[omeit diefe bas Prin:
zip der Reſpektierung der Gebietsintegritäl
Syriens verletzte. Aber in Wahrheit zeich⸗
net fid) auch offenſichtlich das Bild eines
weiterreichenden Zuſammentreffens von
en und en 11 Intereſſen an
vorherrſchenden Einfluß im öſtlichen Becken
des Mittelmeeres ab.
Franzöſiſch⸗engliſche Rivalitat.
Die nn Anweſenheit und ber Ein
fluß Frankreichs im Nahen Often ijt alt:
hergebracht. Und auf Grund biefer Tros
dition, der reale Intereſſen zugrunde lie⸗
pem ift u ar ein ſtillſchweigender Ron:
litt zwi mer den beiden imperialijti:
[hen Demokratien ausgebrochen, um fo
mehr, als Großbritannien im Rahmen
ſeines neuen militäriſchen und politiſchen
Syſtems im Mittelmeer verſucht hat, ſeine
Vorherrſchaft und ſeinen Einfluß auf den
Nahen Often auszudehnen. Die Rivalitäten
find alt. Im Jahre 1840 fegt Frankreich als
Beſchützerin Agyptens Mehmet Ali gegen
Konſtantinopel in Bewegung, aber Eng⸗
land zwingt ann Rd guriidgugieben,
nachdem es in London einen Vertrag mil
Rußland, Preußen und Ofterreid unter
zeichnet hat und bombardiert Beirut mit
ſeiner Flotte, um die Durchführung des
Vertrags zu gewährleiſten. Zwanzi te
päter, als nach den Maſſakern im Libanon
ie Regierung Napoleons III. einen Bor-
wand zu haben glaubt, um in der Levante
u landen, erhebt England Einſpruch gegen
ie franzöſiſche Belegung und fordert deren
fofortige Beendigung.
Es befteht kein Zweifel, daß im Augen
blick des Einbruchs der Griechen nach
Kleinaſien, der nach dem Weltkrieg von
Großbritannien vorwärtsgetrieben wird,
pti Tag he insgebeim an bie Geite bet
ürken geſtellt hat. Aber ſehr ſchnell hai
England ſeine Orientierung geändert, es
hat ſich gewendet, um eine Zuſammenarbeit
mit der Türkei, die in ſeinem Plan einer
Aufteilung ſchon vorgezeichnet war, zu ſuchen
und hat mit einer fortſchreitenden Folge
von Initiativen die franzöſiſche Stellung
_ in der Levante unterminiert.
Diele ſtillſchweigende, aber Deparia
Zernagung den erſeits zielt darauf ab,
die Zentren des franzöſiſchen Einfluſſes zu
iſolieren und einzuengen bis zur Vernich⸗
tung, um ſie in einem weitreichenden ein⸗
heitlichen Gebiet der Intereſſen und Orien⸗
tierungen, das unter britiſcher Konttolle
ſteht, aufgehen zu laſſen. Es iſt offenſicht⸗
F md
AuBenpolitische Notizen 29
lich, daß ſchon zu der Zeit, wo es fid)
darum handelte, die Grenzen der öſtlichen
Mandate zu beſtimmen, ſich Großbritannien
tatſächlich darum bemühte, Syrien wirt⸗
ſchaftlich und politiſch zu iſolieren, indem
es ſich mit politiſchen Syſtemen, die dem
franzöſiſchen Einfluß entzogen waren und
von anne Einflüſſen beherrſcht wurden,
umg
Syrien der Spielball franzöſiſcher und
engliſcher Intereſſen
Die franzöſiſch⸗engliſ Rivalität er⸗
ſcheint in einer kurzen Überſicht; die Auf⸗
tände im druſiſchen Gebel von 1924/25
werden offen von engliſchen Agenten be⸗
günſtigt und koſten Frankreich keine leich⸗
ten Opfer an Blut und SE
Während der lange währenden adt
werden ganze faramanen, bie aus Palas
tina tommen und ffen, Munition und
Geld für die Belieferung ber Aufſtändiſchen
befördern, gefangengenommen. Vor und
nach der Gewährung der Unabhängigkeit
des Iraks engliſcherſeits, der jedoch ge⸗
wungen wird, an der Seite der britiſchen
ntetejen zu marſchieren, ift das Gebiet
des Hohen Euphrat, das zu dem franzöſi⸗
ſchen Mandat über Syrien gehört, von
„ Bewegungen zum Schaden
bet ſyriſchen Gebietsintegrität aufgewühlt
Und im Jahre 1937, als man einige Pe⸗
troleumquellen aufgefunden hat, brechen
heftige Tumulte in Dei⸗Ez⸗Zor aus, wo
die Bevölkerungen offen ihre Angliederung
an den Irak verlangen. Es iit auch bekannt,
daß die antifranzöfiſche Propaganda und
Agitation der Anführer der beduiniſchen
Stämme, die zu Weidezwecken vom Irak
nach Syrien kommen, ſtets beftig geweſen
it und daß Frankreich, um fie zu beruhigen,
den Gebrauch von Waffen und von Geld in
verſchwenderiſcher Weiſe zulaſſen mußte.
Der Sieg engliſcher Intrigen
‚der Fall von Alexandrette wird durch
on Vorgänge aufgeklärt und verrät dies
elbe brit 25 Taktik. Es beſteht nunmehr
lein Zweifel darüber, daß die türkiſchen
Ansprüche auf den Sandihat von Groß⸗
britannien begünſtigt worden find. Sie
würden nicht mit ſoviel Mühe von der Re⸗
Lan in Ankara aufrechterhalten wor:
en fein, fo daß fie verſchiedene Perioden
einer Spannung Frankreich gegenüber ver:
urſachten, wenn fie nicht auf bie gemi
disktete und ſchlau maskierte Hilfe Groß⸗
britanniens gerechnet hätte. Und es iſt
eine ſeltſame, aber lehrreiche Tatſache, daß
die Zeiten der größten Spannun zwiſ en
der Türkei und Frankreich während t
Jahre 1937 und 1938 zuſammentreffen mit
den zahlreichen durch England der Türkei
egebenen Anleihen und der W oem Ent⸗
fenbung von techniſchen u eratenden
iffionen der engliſchen Banken für bie
Induſtrien in der Türkei. uns ift der
kräftige Beiſtand, den bie britiſchen Deles
pen in Genf den türkiſchen während der
erhandlungen mit Frankreich über den
Sandſchak von Alexandrette leiſteten, nicht
unbekannt. Die türkiſche Intranſigenz hat
al im Ton gegenüber Frankreich verſtärkt,
ndem ſie iich auf den britiſchen Beiſtand
ſtützte, ſo lange, bis Frankreich im Juli 1938
die arabiſche Sache plötzlich im Stich ließ und
ſich den türkiſchen Forderungen unterwarf.
Es ift jetzt offenſichtlich, daß Alexandrette.
nachdem es an die Türkei abgetreten wurde,
infolge der anglo⸗türkiſchen Militärab⸗
kommen eine Baſis für die Schiffe Groß⸗
britanniens werden wird, das auch von
Norden her den franzöſiſchen Einfluß in
Syrien abſchwächen kann. Jetzt ses der
ſich der Plan eines Zuſammenſchluſſes der
arabiſchen Staaten, dem auch ganz Syrien
oder ein großer Teil davon beitreten dürfte
und über den die Kontrolle Großbritan⸗
niens ſouverän ausgeübt werden wird. Im
Rahmen dieſes Planes würde der Reſt bes
franzöſiſchen Einfluſſes in der Levante un⸗
widerbringlich dahinſchwinden.
Von Norden her durch die Türkei, von
Oſten her durch den Irak, von Süden her
direkt oder durch Druſien hat Großbritan⸗
nien ſomit nicht aufgehört, ſeit mehr als
fünfzehn Jahren, mehr oder weniger offen
eine Offenſive gegen den franzöſiſchen Ein»
fluß im Nahen Often zu entwickeln. Dieſe
Offenſive wird heute von neuem belebt und
zieht ihren Nutzen aus der Einkreiſungs⸗
politik, die in Frankreich als notwendig
angeſehen wird, und folgt den neuen von
der britiſchen Politik für ihre Vorherrſchaft
im Mittelmeer a eſtellten Richtlinien.
Der Kampf iſt typiſch für zwei Imperien.
Großbritannien iſt der Stärkere. Und es
laßt bei Frankreich nur auf Unterwerfung
und kurze Verſuche eines Widerſtandes.
Das Erbe Kemal Paſchas an England
verſchachert
Man fragt ih nur, bei welchem der rivas
liſierenden Imperien der Anteil und die
30 AuBenpolilische Notizen
weiterreihenden Intereſſen der Türkei lies
gen. Großbritannien unterſtützt bie Beſtre⸗
bungen der Türkei nach einer Vergrößerung
ihres Gebietes, und es bietet ihr die Illu⸗
ſion einer weitgehenden Unabhängigkeit
und einer großzügigen und ſtarken Freund⸗
chaft, auf Grund deren ſich die Türkei von
r flicht, die Intereſſen Italiens,
Deutſchlands und vielleicht auch Rußlands
zu reſpektieren, freihalten könnte. Aber
die Türkei überſieht, daß eine ſolche
Orientierung ſie unter ausſchließlich briti⸗
chen Einfluß bringt und in jenes Syſtem
er Kräfte und Intereſſen einſpannt, das
nicht mehr ſeine wirkliche nationale Un⸗
abhängigkeit widerſpiegelt.
Die von Kemal Paſcha mit ſeiner a
Viſion von den nationalen Bedürfniſſen
auf die nächſte Zukunft feſtgelegte türkiſche
Jie ſcheint ſchon vergeſſen zu ſein. Sein
Ziel eines Gleichgewichts und einer glei⸗
chen Entfernung zwiſchen den verſchiedenen
einander entgegenarbeitenden internatio⸗
nalen Strömungen mit der Tendenz, vor
allem eine Einigung mit den Staaten des
Mittelmeeres herbeizuführen, iſt von der
neuen Orientierung des britiſchen Aufkaufs
abgelöſt worden.
Die Geſchichte wird Aufſchluß darüber
eben, ob dies der verheißungsvollſte und
ſicherſte Weg für die Türkei it
Französischer „Rassismus“?
(Von unserem Pariser Mitarbeiter)
Paris, Anfang Auguft.
„Jugend — welches Frankreich willſt du?“
Unter dieſem Titel erſchien im vorigen
Jahre eine Schrift des franzöſiſchen Kammer⸗
5 Paul Reynaud, die — ein
Alarmruf gegen den Geburtenrückgang —
zu DT intereſſanten Ergebnis fam:
„Die Grundfrage, um die es p ift bie
Frage der ale ſowohl nad Zahl wie
nach Wert. enn dieſe Frage auch im
e weniger vordringlich iſt, ſo iſt
e dafür um ſo entſcheidender und folgen⸗
chwerer.“ Der Verfaſſer dieſer viel be⸗
achteten Schrift hatte bald danach Gelegen⸗
eit, als Finanzminiſter der Regierung a:
adier, fid um bie praktiſche Durchführung
feiner Ideen bemühen zu können. Bereits
im November vorigen Jahres wandten ſich
Daladier und Reynaud in einem Bericht an
den Staatspräſidenten, in dem ſie auf die
nn liche bevölkerungspolitiſche Entwick⸗
ung
nahmen vorſchlugen.
rankreichs hinwieſen und Gegenmaß⸗
Seit dieſer Zeit iſt die Frage der bevölke⸗
rungspolitiſchen Zukunft Dane die
bisher nur ein beliebtes reiten
von Theoretikern unb Kammerabgeordneten
war, zu einer „Staatsſorge“ u Ranges
eworden. Das Anwachſen der Bevölkerun
es Deutſchen Reiches durch den Anſchluß
bzw. die Rückgliederung „
ährens und des Memelgebietes hat eben⸗
falls dazu beigetragen, in Frankreich den
von der demokratiſchen le gegen bie
deutſchen e chen Geſetze
lange Zeit gerichteten Spott verſtummen zu
laſſen. Bezeichnend für die gegenwärtigen
franzöſiſchen Beſorgniſſe war eine Geltitel:
lung, die kürzlich von dem „Petit Pariſten“
etroffen wurde mit den Worten: „J
de müſſen wir die bittere Tatſa
eſtſtellen, daß die Zahl der Särge die
der Wiegen um 35 000 übertroffen hat.
kann aus rechnen, daß bei einer ſolchen Ent:
wicklung in 30 Jahren Deutſchland faſt
100 Millionen, Italien 52 Millionen und
Frankreich nur 37 Millionen Einwohner
zählen wird.“
Der Staat greift ein
Bereits im November 1938 wurden von
der Regierung Daladier einige Sofortmaß⸗
nahmen ergriffen, die u. a. Juſchüſſe für
Kinder und Mütter brachten. Ein im März
1939 gebildeter bevölkerungspolitiſcher Aus⸗
ſchuß, die „Haute commission de la popula-
tion“, zuſammengeſetzt aus Vertretern der
Miniſterien, arbeitete dann einen Reform:
plan zur Förderung der Geburtenfreudig⸗
keit und zum Schutz der a aus, der
400 Artikel umfaßt und deſſen Durchführung
den franzöſiſchen Staat 1,5 Milliarden jr.
koſten wird. Als „Code de la famille“ iſt
dieſer Reformplan nunmehr franzöfildes
Staatsgeſetz geworden.
Der en Staatspräſident hat die⸗
ein
n
e
ahl
an
ſem Geſe Vorwort SE in
dem eine Begründung der Maßnahmen ge
eben wird. Lebrun ſchreibt: „Frankreich —
is vor furgem mod) bie erſte europäiſche
Macht durch die Bedeutung une Bevölte:
rung — ift auf den fünften Rang abgeſun⸗
ken, wenn man bie Geſamtziffer feiner euro⸗
äiſchen Staatsangehörigen betrachtet, und
to ar auf einen nod tieferen Rang hinſicht⸗
fid) feiner Bevölkerungsdichte. Frankreich
verliert — durch Geburtenrückgang — jähr⸗
lich ungefähr 35 000 Franzoſen.“
Gegen das Einkinderſyſten
Wie will das neue franzöſiſche Heſeß den
Volks tod bekämpfen? Der „Code de la
Außenpolilische Notizen 31
famille“ it darauf abgeſtimmt, bas in Frant:
teich verbreitete Ein⸗Kind⸗Syſtem zu über:
winden. lage at wurde baker bie monat:
liche Zulage für das einzige Kind und
erſetzt durch eine einmalige Prämie bei der
etiten Geburt, während monatliche Zuſchüſſe
ett mit dem zweiten Kind beginnen. Jung»
geſellen und kinderlos Verheiratete werden
in Zukunft mit erhöhten Steuern belaſtet.
Mit vermehrter Energie wird die Kinder⸗
ſterblichkeit bekämpft werden. Die Strafen
ie beſonders in Paris beheimatete
egen
Abtreibun sſeuche werden la ebens
falls bie Strafen gegen Rau ifthandel,
Kuppelei und pornographiſche Veröffent⸗
lichungen. Ein Artikel des „Code de la
famille" wendet fij gegen bie Propaganda
jut e e e tung. Die Erhöhung
der Alkoholſteuer wird — dies iſt ſehr be⸗
merkenswert — ebenfalls einen Beſtandteil
ul bevölkerungspolitiſchen Staatsgeſetzes
en.
In autoritären Fußtapfen
Wer ſich erinnert, mit welchem Spott in
den letzten Jahren die deutſchen bevölke⸗
rungspolitiſchen und Raſſegeſetze von der
demokratiſchen Preſſe unſeres weſtlichen
Nachbarn karikiert wurden, muß mit größter
überraſchung folgende Feſtſtellung bes frans
ilden Staatspräſidenten zur Kenntnis
nehmen: „Die Anstrengungen, eine ge⸗
ſunde Kaffe (!!) zu erhalten, können
nirgendwo beſſer beginnen als in der
ule. Der bevölkerungspolitiſche Unter⸗
richt wird der Jugend die 0 eit geben,
darüber nachzudenken, welche Miſſion ihr
das Leben geben wird.“ Das franzöſiſche
Hali feb wird die gefundheitliche
derwachung in den Schulen verjtärten, um
hier die Quelle aller Volkskrankheiten ſchon
im Keime erſticken zu können.
Neben dieſen das ganze Land umfaſſen⸗
den bevölke rungspolitiſchen Zuſchuß⸗Steuer⸗
und Strafmaßnahmen ſteht als zweiter
Komplex des „Code de la famille“ der
Kam 1 gegen bie Landflucht. In
Zukunft werden junge Ehepaare, die ſich auf
dem Lande für mindeſtens 15 Jahre nieder⸗
laffen wollen, eine Eheſtandszulage erhal⸗
ten, die in 10 Jahren zurückgezahlt werden
muß. Bei der Geburt des erſten Kindes
wird Lee bereits ein Teil ber Summe
peii en, bei der Geburt des zweiten Kin⸗
es ein weiterer Prozentſatz.
Kind gilt die Schuld an den Staat als er⸗
loſchen. Ferner folen alle jungen Land:
bewohner, die nach dem 18. Lebensjahr auf
dem Land bleiben, einen feſten Lohnvertrag
erhalten, um die Landflucht der zweiten
Dörfer gezählt und das in einem
eim fünften
und dritten Bauernſöhne zu verhindern. Der
Erbe eines Hofes ſoll beim Tod des Vaters
eine Summe in Höhe von zehn Jahres⸗
löhnen eines Landarbeiters erhalten, damit
Soße der einzige auf dem Land gebliebene
Sohn durch die Erbteilung zugrunde ge⸗
tichtet wird. Ob damit die Stabilität des
ländlichen Beſitzes in gleichem Maße ge⸗
wahrt wird wie durch ein „Erbhofgeſeß“
iſt allerdings zu bezweifeln.
„Dorf zu vermieten“
Das Problem der Landflucht ſtellt ſich für
rankreich in noch viel ſchwerwiegenderem
be als für andere Länder Europas. Als
treffliche Illuſtration der Lage möge folgende
Anzeige dienen, die kürzlich in einer Parijer
Zeitung erſchien: „Dorf zu vermieten. Ne⸗
gion Cahors. EE age. Wohnhäuſer
in gutem Preis 90 40 Hektar Länder und
Wälder. Preis 90 000 Kun Dieſe Anzeige
iſt nicht etwa ein Kurioſium, ſondern wirft
nur ein Licht auf die an hale bevöl⸗
unge olitiſche und ſoziale Lage einiger
franz filer Provinzen.
Ein Sonderberichterſtatter des „Le Soir“
gibt nach der Feſtſtellung, daß in 37 Jahren
zwei Millionen Bauernfamilien in die Stadt
abgewandert find, einen Erlebnisbericht
von Eindrücken in der franzöſiſchen Provinz.
In den Tälern der Dordogne, in den Vor⸗
alpen und in anderen Departements fand
er genie Dörfer, bie verlaſſen
und verwildert inmitten einer frucht⸗
baren Landſchaft ein erſchreckendes Bild des
Niederganges bildeten. „Ich habe in einem
Umkreis von 50 Kilometer dreißig ah
and,
deffen Erde von ſchwellender Fruchtbarkeit
iſt und deſſen Früchte weltbekannt ſind. Man
könnte annehmen, daß der Krieg oder eine
Sintflut dieſes Land heimgeſucht hätten.“
Der Sonderbericht des Pariſer Abend⸗
blattes gibt ein Bild von der infolge von
Geburtenſchwund unb Stadtſucht bis in ihre
Exiſtenz hinein bedrohten franzöſiſchen Land⸗
wirtſchaft. Der Mangel an Arbeitskräften
at in Südfrankreich bereits zu einer er⸗
eblichen Bodenentwertung geführt. Harm⸗
en hat . daß die Gascogne jährlich
bei jeder Verminderung um 1000 Ein⸗
wohner etwa 100 Goldfranken verliert, da
die Menſchenkräfte immer unzureichender
werden, um den Boden hinreichend bear⸗
beiten zu können. 5 erzeugt je Hek⸗
tar nur 15 bis 16 Doppelzentner Weizen,
nur 11.5 Doppelzentner Roggen, nur 145
Doppelzentner Gerſte und nur 14 Doppel⸗
zentner Hafer. In Deutſchland werden auf
32 Außenpolilische Notizen
der 1 Bodenfläche bei zum Teil
ſchwächeren Böden für die gleichen Früchte
21,5, 17,4, 25 und 19 Doppelzentner erzeugt.
(Zif ern aus Loeſch: „Außenpolitiſche Fols
en des Geburtenrückganges“, Berlin 1938.)
s läßt fid) heute bereits in Frankreich die
Feſtſtellung machen, daß fruchtbare, aber be⸗
völkerungsſchwache Gegenden weniger Er⸗
trag liefern als unfruchtbarere, aber be⸗
völkerungsreiche Departements.
Bevölkerungspolitik um der Vorherrſchaft
willen
Es wäre jedoch CN anzunehmen, daß
dieſe mehr wirtſchaftlichen Geſichtspunkte
Ausgangspunkt des gegenwärtigen franzö⸗
ſchen Familiengeſetzes geweſen wären. Ent⸗
cheidend iſt — dies geht ganz klar aus der
egründung hervor —, daß Frankreich im
e ſeiner biologiſchen eriſche Kr
ſich „bedroht“ DN Der hyſteriſche Ru
nach „Sicherheit“, der bereits kurz nach dem
Kriege, alſo zu einer Zeit, wo Deutſchland
militäriſch ſchwach war. erſcholl, ijt aus
dieſem Gefühl heraus zu erklären.
rankreich, das zur Zeit Ludwigs XIV.
nicht etwa nur aus militäriſchen oder poli⸗
tiſchen Gründen die erſte Macht Europas
war, ſondern in erſter Linie deswegen, weil
ſeine Bevölkerung ein Drittel der
ganzen europäiſchen Menſchheit
ausmachte und die Volksziffern aller andes
ren europäiſchen Länder, darunter auch
Deutſchland, weit übertraf. Heute macht
die Bevölkerung Frankreichs nur noch ein
Zwölftel der Einwohnerzahl Europas
aus. Das deutſche Volk hat bereits im
vorigen und das italieniſche Volk im jetzi⸗
en Jahrhundert Frankreich überflügelt.
ie ernſt man gegenwärtig die Situation
ſieht, ergibt ſich aus dem „Petit Pariſien“,
der zu den bevölkerungspolitiſchen Maß⸗
nahmen ſchreibt: „Das Land wird ihnen
uſtimmen, denn ſeine Unabhängigkeit und
Lie fein Leben ſtehen auf dem Spiel.“
Erſatz⸗Franzoſen
Der Bevölkerungs rückgang hat militäriſch
bereits zu einem Rekrutenmangel
ge qo da die Zahl ber 45jährigen bis
50jährigen die Zahl der 18jährigen bereits
merklich m bon Durch Dienſtzeitver⸗
längerungen, a der körperlichen
Anſprüche an die Tauglichkeit, durch die
Zwangseinbürgerung fremder Staatsange⸗
öriger, die Rekrutierung farbiger Truppen
und durch die Aufſtellung einer Fremden⸗
legion hat man bereits ſeit langem ver⸗
ſucht, die biologiſche Unterbilanz auf mili⸗
täriſchem Gebiet auszugleichen. Hinzu
kommt ein Staatsgeſetz, das wenige Tage
vor dem „Code de la famille“ erlaſſen wurde
und die Meldepflicht aller Staatenloſen und
lüchtlinge zur Erfaſſung für militäriſche
mede vorſteht. Die viel geprieſene „Hilfs⸗
reitſchaft“ rankrei für politiſche
Flüchtlinge erſcheint alſo in einem ſehr
praktiſchen und egoiſtiſchen Blickwinkel.
Daß dem franzöſiſchen Volk nicht ganz
wohl bei dem Gedanken iſt, die Zahl der
Papierfranzoſen“ noch weiter ſteigen zu
leben, verrät eine Zuſchrift an ben „Temps“.
in ber es Heißt: „Es wäre beiler für bie
e unferes Landes, rankreich mit
ranzoſen zu bevölkern, als Fremde zu
aſſimilieren.“ Der Verfaſſer dieſer Zu⸗
ſchrift hat gewiß nicht die Parade des
s Juli mit dem Maſſeneinſatz farbiger
u
remden: Regimenter geſehen, um Tid
über die Nugloſiat We
zuwerden.
Für den franzöſiſ „RNaſſismus“ find
nicht ir en Gre im Qin:
blid Gel ie tatſächliche Reinerhaltung des
franzöſiſchen Blutes maßgebend, ſondern
lediglich machtpolitiſche Erwägungen. Wäh⸗
rend der verbu. allen te Méig und bie
deutſchen bevölkerungspolitiſchen Maßnah⸗
men nur der Geſunderhaltung des deutſchen
Blutes dienen und E en niemanden
9 iſt die franzöſiſche Bevölke rungs⸗
d itif und im befonderen ber „Code de la
amille^ beſtimmt durch den Blick auf bie
angeblich von außen drohenden Gefahren.
Immerhin entbehrt es nicht eines ge⸗
wiſſen Reizes, im Jahre 1939 feſtzuſtellen,
daß in den lagzeilen Pariſer Zeitungen
der Ruf „Zurück aufs Land“ auftaucht und
das Bauerntum geradezu als Blutquell der
Nation ned. wird („Temps“ vom
27. Juli). In den Jahren von 1933—1938
wurden die deutſchen bevölkerungspoliti⸗
ſchen Maßnahmen als unwürdiger Zwang
angegriffen, als Eingriffe in die menſch⸗
liche Freiheit und Selbſtbeſtimmung be⸗
zeichnet und der Spott ausgegoſſen über ein
Land, das als eine einzige Zuchtanſtalt für
zukünftige Soldaten hingeſtellt wurde. Wie
in Witzblättern in dieſem Zuſammenhang
die deutſche Frau gezeichnet wurde, läßt ſich
kaum wiedergeben. Die deutſchen bevölke⸗
rungspolitiſchen Maßnahmen waren jahre
lang das ergiebigſte Feld für Pariſer Ka⸗
baretts und Revuen. Heute plötzlich, im
150. Jahre der franzöſiſchen Revolution, er⸗
leben wir die Geburt eines „demokratiſchen
Raſſismus“ und müſſen mit Erſtaunen be⸗
eit ſeiner rnung klar⸗
Kleine Beiträge 33
merken, daß „faſchiſtiſche Schlagworte“ wie
„Blut und Boden“ in die eheiligten Ge⸗
filde demokratiſcher Vorſtellungswelten
par ade (Ce Wie werden fih bie Bes
griffe „Rale“, „Blut“, „Boden“ mit den
alten Schlagworten der „Gleichheit — Frei⸗
eit — er vereinen gi
beit Brüderlichkeit“ einen? Es iſt
Kleine
Hans Bofinger:
Die bauernfähige Jugend
Eine Erſcheinung wie die
Landflucht iſt nur im Frontal⸗
angriff zu ſchlagen. Ohne den
Einſatz aller wirtſchaftlichen,
lulturellen, politiſchen und
fittliden Kräfte gibt es keine
innere E v unjeres Volkes
um Lande. enn die tiefſte Urſache
Landflucht iſt die Verſtädterung des
Denkens und das Ausſtrahlungsvermögen
ſtädtiſcher Lebensordnung auf anjer anges
Boltsleben. Wir müſſen die Landflucht
mit einem Trommelfeuer von Maßnahmen,
mit Kampfmitteln verſchiedenſter Art und
verſchiedenſter Kraft erdrücken. — Wir mol:
len auf dem Gebiet der Jugendführung und
2 ung zur Stelle fein und unjere
Pflicht tun. Damit Ka wir den derzeit
wieder aufgewärmten Rezepten der Ewig-
eſtrigen den entſcheidenden Faktor zur Lö⸗
ung der Landfragen von heute entgegen:
deutſchen Meuſchen. Wie immer unters
[heiden ch jetzt bie v. indem fe id von
en Geſchäftemachern, indem fie nicht in
deren Peſſimismus verfallen. ir Jungen
haben in unſerer Arbeit für das Bauern⸗
tum aus eigenem Erleben die zuverſicht⸗
liche Gewißheit des Erfolges geihöpft und
en Glauben an die Überlegenheit der in⸗
neren Kräfte des deutſchen Menſchen über
zeitbedingte Hinderniſſe.
In der deutſchen Landwirtſchaft arbeite⸗
ten 1933 rund 2,5 Millionen junge Mens
ſchen im Alter von 14—25 Jahren bei ins⸗
geſamt 8,9 Millionen Solch tigten. Von
dieſer Jugend ſtammte die überwiegende
Mehrheit aus Landarbeiter⸗, Bauern: und
Landwirtsfamilien. — Es braucht nicht er:
klärt zu werden, warum der enge Zuſam⸗
menhang aller Glieder einer bäuerlichen
Familie mit dem Arbeitsleben des Hofes
wahrlich ein mit großer Spannung abzu⸗
wartendes Schauſpiel, zu ſehen, wie der
demokratiſche „Raſſismus“ die durch die
Demokratie heraufbeſchworene Stadtſucht
und bevölkerungspolitiſche Gefährdung
Frankreichs beſchwören will.
ilhelm Jung
eiträge
bie Jugend von klein aut mit bem Ge:
ſchehen der Arbeit verbindet, fie mit ihr
vertraut macht und damit für den land⸗
wirtſchaftlichen Beruf vorbeſtimmt. I m
weſentlichen iſt das Problem
des landwirtſchaftlichen Be⸗
rufsnachwuchſes gebunden an
den Lebensweg der nachgebore⸗
nen Bauern: und Landwirts⸗
kinder. Wenn daher ſeit 5 Jah⸗
ren ns bie Hitler⸗Jugend der
e
Aufga in Zuſammenarbeit
mit dem Reichs nährſtand unter ⸗
zogen hat, den Abzug der Jugend
vom Lande zu bekämpfen, mußte
dieſe nach den Geſetzen der Ver⸗
nunft im Urſprung, d. h. auf dem
Lande ſelbſt begonnen werden.
Und dies nicht nur durch die Neuordnung
der Lebensverhältniſſe, ſondern ebenſo
durch die Erziehung dieſer Jugend. Es
anders zu machen, hieße, das Pferd vom
Schwanze aufzäumen. Die wertvollſte
nachgeborene Jugend ſoll vor der Flucht
aus der Landarbeit bewahrt werden, weil
fie auf die Dauer durch nichts zu a pa
wäre. Es gilt barum, ander Cr:
richtung einer Ordnung mitzu»
ſchaffen, bie einen gefunden
Blutkreislauf im bäuerlichen
Berufsleben gewährleiſtet, Cri
ſtenzmöglichkeiten gibt und den
einzelnen auf den Platz der höch⸗
ſten Leiſtung ſtellt.
Erſte Erfolge der neuen bäuerlichen
Berufserziehung
Dieſe Ordnung iſt durch ein ausgedehntes
Syſtem von Maßnahmen im Entſtehen be⸗
riffen. Die Landarbeit wurde großen
eilen dieſer Jugend zum feſten Beruf und
zur großen Aufgabe mit dem ganzen
Schwergewicht ihrer Bedeutung und dem
Reichtum ibrer Möglichkeiten. In Lehr⸗
34
fahrten, Arbeitsgemeinſchaften und Kurſen
wurden Hunderttauſende im ländlichen Be⸗
tu[sleben feft verankert. Für ſie iſt der
Bauernhof die natürliche Er⸗
i t bes bäu⸗
erlichen Menſchen. ur ſolange ſich
das ländliche Leben auf die Einheit des
Hofes bezieht, iſt es feſt und geborgen. Wo
dieſe Einheit geſchwächt iſt, iſt die Land⸗
flucht am größten. Die bäuerliche Berufs⸗
erziehung wurde daher in Form einer
Landarbeitslehre u ländlichen Haus⸗
arbeitslehre an den Hof gebunden. In
nationalſozialiſtiſcher Form wurden 1938
ſchon 60 000 1 ieſer Grundausbil⸗
dung zugeführt. 1939 werden die erſten
Hunderttauſend überſchritten. Dieſe
Bauernjugend geht dann den
Weg ihres Berufs: und Lebens:
ideals weiter und ſucht
es
bi
ei
be
ſch
in
de
n Kirchturm
So bewirken vielerlei Veranſtal⸗
umgekehrt. Die 1 der Tüchtigen
t
und in ihrem beruflichen Fortkommen ers
folgt durch die eigens dafür ſchon vor
einem Jahr geſchaffene „Förderungsgemein⸗
ſchaft für die Landjugend e. V.“, die alle
Bauernſchaften des Reiches umfaſſende Ge⸗
noſſenſchaft zur Begabtenförderung.
Zwei große Werke der Jugendführung
kennzeichnen die gewaltige und umſaſſende
Bedeutung dieſer Erziehung der Land⸗
jugend: Es arbeiten am BDM. ⸗Werk
Glaube und Schönheit“ auf dem Lande
jetzt ihon wenige Monate nach der Eröff:
nung 100 000 Landmädel in den bäuer⸗
lichen Arbeitsgemeinſchaften, die damit
Kleine Beiträge
jnhlenmößig weit an der Spitze dieſe;
erkes DE Und ergänzt man diefe Zahl
durch diejenigen des eichsberufswett⸗
kampfes der Gruppe „Nährſtand“, der von
66 000 im Jahre 1934 auf 449 000 Teil:
nehmer in dieſem Jahr angewachſen ijt —
das ſind faſt ein Drittel aller in dieſen
Jahrgängen vorhandenen landarbeitenden
Jugend —, ſo kann niemand dieſen Beweis
der zunehmenden Landtreue der Jugend
widerlegen. Wer zu leſen verſteht,
ber lſeſt aus dieſen Tatſachen
die Liebe der Jugend zur Hei:
mat und ihre Treue zur Land⸗
arbeit.
Wie könnte man über eine Landflucht
der deutſchen Jugend ernſthaft klagen, ſo⸗
lange dieſe Erſcheinungen dagegen ſtehen?
Beſchränken wir uns in dieſem Sin Liegen
hang nur auf den Hinweis, daß über das
Berufsleben hinaus ganz beſonders auf
kulturellem Gebiet ein bauer
liches, landeigenes Lebens⸗
ideal der Jugend aufgerichtet
wird und in ungezählten ig «o
tungen in den Gauen exerziert wurde. Aus
dieſer Quelle fließt eine totale Erneuerung
des Bauerntums, die eines Tages allen
ſichtbar wird.
Bereitſchaft der Jugend, auf dem Lande zu
bleiben
Der Landwille der ländlichen
Jugend iſt ungebrochen. Man wird
dem 0 do iir daß aber die Zahl von
800 000 Menſchen, die insgeſamt abgewan
dert ſind, eine andere Sprache ſpreche.
Gewiß — wir find nicht fo verblendet, dies
zu überſehen. Aber der Zahl derad:
ge wanderten Menſchen ſteht ein
von Jahr zu Jahr wachſender
Wert der auf den Lande ver:
bleibenden jungen Meuſchen
gegenüber. Dies kennzeichnet die Land⸗
8 unſerer Zeit als eine ſolche des
Wertes und der Leiſtung. Wer dies nicht
erkennt, wird die Frage nie löſen. Unfer
Optimismus ſtützt ſich zuerſt auf dieſe Er⸗
kenntnis. Zum anderen aber beruht er
auch auf der ſtatiſtiſch belegten Tat:
fade, daß die an den Bauernhof
ge undene Landjugend in den
abren der Abwanderung 210
oder un verhältnismäßig wenig
landflüchtig wurde. Nach einer neuen
l Erhebung des Reichsnährſtan⸗
es aus über 10 000 Betrieben kann Dies
für die wichtigſte Gruppe der familien⸗
eigenen und Tamitie remden ftändigen
Arbeitskräfte feſtgeſtellt werden. Zum Ber
muc — — — ` we
r . di EEE, ET
- — "e DA Ee FFF ̃˙ an , E E MN E F a e
EN - » —— = mp Sure rum cr P NN OI REP 8 * TS. i DR
Kleine Beiträge
[piel waren nad jener Erhebung 1938 in
den erfaßten Betrieben von der männ⸗
lichen familienfremden Jugend bis gu
18 Jahren nod 87 Prozent der 1935 in
diefen Jahrgängen vorhandenen Jugend
tätig, von den Erwachſenen über 18 Jahren
bagegen nur nod 80 Prozent. Bon ber
weiblichen Jugend wurden fogar nod
96 Prozent 1 gegenüber nur 76 Bros
zent der Erwachſenen. Und in ben eigent:
lichen bäuerlichen Betriebsgrößen ift nach
dieſer Erhebung ſogar überhaupt keine Ab⸗
wanderung 5d ch d erfolgt.
Ebenſo hat ſich der Anteil der
Jugend bei den ſtändig mithel«
fenden Familienangehörigen
1938 gegenüber 1935 vergrößert.
Und zwar auch hier vorwiegend in den
mittel» und großbäuerlichen Betrieben. Die
weibliche Jugend hat ſich ſogar in dieſen
Betrieben im enema zu ben älteren Jahr⸗
pu vermehr amit it aud für
en Schwarzmalererwieſen, daß
die wichtigſte Maßnahme für die
Stärkung des Bauerntums,
nämlich der Kampf un die Ers
haltung der in ſtändigen Beruf
anf den Lande verwurzelten
Banern ingend, aud zahlen»
wübig war. Dieſer
erfol ß reich
bedeutet folgerichtig beſchritten die
natürliche Löſung der landwirtſchaftlichen
uchsfrage, ja ſogar der kulturellen
und leiſtungsmäßigen
Sauerntums überhaupt.
Dem Landwillen der Jugend ſteht die
ortentwicklung des
radikale Abwehr vieler Eltern entgegen.
Die elterliche Beeinfluſſung iſt es oft, die
in Stadt und Land die Jugend vom Lande
abhält. Es wird zur eutſcheidenden Bewäh⸗
id dig aller erzieheriſchen Kräfte
werden — ſei es Elternhaus, vil Wehr⸗
We er J. —, ob das große Vakuum
in bezug auf die ländlige Berufsent⸗
cheidung der Jugend ausgefüllt wird. Die
ugend ſelbſt will. Sie will arbeiten und
glauben. Sie glaubt an die Aufgabe des
tien Bauern und an eine bäuerliche
Zukunft. Jeder junge Menſch in der Land⸗
wirtſchaft muß eines Tages eine Antwort
auf die Frage nach ſeiner Jukunft erhalten.
Völkiſch geſehen ſteht vor jeder Antwort auf
dieſe Frage die natürliche Unmögtihteit,
Ertrag der Landarbeit aud) bet noch fo
roßer Mehrarbeit beliebig zu vergrößern.
$ Geſetz des abnehmenden Bodenertrags
reibt vor, daß auf einem gegebenen
aum die Zahl der landwirt⸗
ſchaftlichen oder bäuerlichen
Etiſtenzen nicht beliebig vere
bäuerlichen Auf
35
mehrt werden kann. Das nor:
handene Land läßtſichnicht auf:
ſtocken, wie man es mit den Fabriken
und gewerblichen Betrieben machen kann.
Es [aft fid nur ſinnvoll aufgliedern. Raum
Den ige: verderblich wie eine
Entwicklun zur Latifundie
oder die erhinderung einer
liederung ber:
elben wäre die Aufteilung und
uffplitterung der Bauern⸗
öfe, um jedem Nachkommen
etwas, aber feinem bas zum
freien Leben Notwendige zu
Jade Im Gegenteil: wir miniis ein
uskämmen der nicht voll leiſtungsfähigen
MiniatursBetriebe. Und das Erbhof⸗
geſetz hat deshalb eine ſolche Entwicklung
zur Halb- und Viertelwirtſchaft ein für
allemal unmöglich gemacht. Es iſt zugleich
das Fundament der Lebensordnung des
deutſchen Bauerntums, auf dem wir jetzt
auch vom Menſchen her aufbauen.
Unverheiratete Sanerntiuber
Die Landwirtſchaft dürfte der Volksteil
mit den meiſten ledigen Beſchäftigten ſein.
Für die 3,75 Millionen ledigen Menſchen in
der Landwirtſchaft erhebt ſich alſo eines
Tages die Frage, wie ſie den Arbeitsplatz
finden, der ihnen den Aufbau einer 1
ermöglicht. Finden ſie ihn nicht, ſo wan⸗
dern ſie ab — je ſtrebſamer ſie ſind, um ſo
eher. Dies wird beſtätigt, wenn man hört,
daß im großen und ganzen die Landarbeiter⸗
{rage vom Bauern her gefehen die Fra e
et Erhaltung feiner led gen Arbeitskräfte
iſt, weniger der verheirateten, für die in
den meiſten Fällen die Zukunft ſichergeſtellt
iſt. Die Heiratsſtatiſtik von 1933 zeigt von
1,3 Millionen 20⸗ bis 25jährigen Erwerbs⸗
tätigen 1,14 Millionen Ledige. Dieſe Zahl
verteilt ſich auf Arbeiter und Arbeiterinnen
noch in gleichem Maß wie auf die mithel⸗
fenden Bauernkinder. Sie alle ſtammen ja
aus deutſchen Bauernhöfen. Je älter die
mithelfenden Bauernkinder werden, um ſo
ungünſtiger werden ihre Ausſichten auf Fa⸗
miliengründung in der Landwirtſchaft,
während es für Arbeiter und Arbeiterinnen
etwas günftiger erſcheint. Von ben 25- bis
30jährigen Arbeitern find 40 Prozent vers
heiratet, von den gleichaltrigen männlichen
Familienangehörigen nur ein Achtel. Von
den 30s bis 40jährigen Arbeitern iſt der
überwiegende Teil verheiratet. Von den
männlichen mithelfenden Familienangehö⸗
rigen bleiben zwei Drittel ehelos. Dieſe
Entwicklung iſt pet dadurch, daß viele
der jüngeren Arbeiter ebenſo wie die
36 Kleine Beiträge
Bauerntöchter im Heiratsalter bereits ab.
gewandert ſind, un bie Bauernſöhne
viel ftarfer an den Hof gebunden find, aud
wenn er ihnen die Heirat nicht ermöglicht. —
Die fehlende Exiſtenzmöglichkeit iit alfo nach
wie vor der entiheidende Zwang zur Ab»
wanderung vom Lande. Wird dieſer
mang ebroden, dann kann niemals eine
andfludt entſtehen. wenn die landwillige
Jugend von unten in dem Umfang nach⸗
wächſt wie es heute der Fall iſt.
Die Foprerung der 1 Qand:
jugend tn den Jahrgängen zwiſchen 25 und
30 Jahren muß 9 in der legigen Zeit
der bai gen öglichkeiten des Einſatzes
außerhalb der Landwirtſchaft der Vermeh⸗
rung derjenigen landwirtſ aihen Ars
beitskräfte gelten, bie eine Familiengrün⸗
dung erſtreben. Stellen für verheiratete
Arbeiter, Angeſtellte und Verwalter müſſen
eſchaffen werden. Im Rahmen der Lei⸗
ungsfähigkeit der Betriebe und erleichtert
durch die ſtarke Hilfe des Staates Ei den
Landarbeiterwohnungsbau muß bieles Ziel
mit den wirkſamſten Mitteln verfolgt
werden. Es geht dabei nicht nur um die
Zukunft der Landjugend, ſondern um das
deutſche Volk, das an dieſer Stelle die Land⸗
flucht brechen kann und brechen wird. Und
wenn wirtſchaftliche Mittel allein nicht aus⸗
reichen, ſo muß zur ſeeliſchen Führung der
jungen bäuerlichen Menſchen deren Betreu⸗
ung durch Partei und Staat verſtärkt und
nötigenfalls zur Verwirklichung ihrer Bin⸗
dung an den Boden in ſchlagkräftigeren
ormen vollzogen werden. Kein Aufwand
ſt für dieſe Aufgabe zu groß!
Förderung der Neubildung dentiden
Bauerntums
Ganz eniſcheidend wird die
Firn e der Jugend nach der Zu»
anfi beſtimmt durch Vermeh⸗
rung der ſelbſtändigen Bauern:
ellen, h. durch 5
eutſchen Bauerntums. Die Erhal⸗
tung und Neubildung deutſchen Bauerntums
iſt eine zentrale Aufgabe unſeres dic id
ſeitdem ber Führer das Wort ſprach: „Das
deutſche Reich wird ein Bauernreich Kä
In den letzten Jahren und Jahrzehnten
waren — bedingt durch die deutſche Raum⸗
enge — der Neubildung deutſchen Bauern⸗
tums enge Grenzen geſetzt. Dadurch kam es
daß z. B. nach den Berechnungen des ies!
verſtorbenen Kämpfers für ben Neubauern⸗
gedanken, Otto Maintz. die Neugründung
einer Bauernſtelle 1927 einen finanziellen
Aufwand erforderte. der ausgereicht hätte
zur Exiſtenzgründung von 4 bis 5 Arzten
oder 6 Juriſten oder 15 Pie oder 88 Be
amten bes mittleren Dienſtes oder 19 Offi:
gieren.
Was wir aus der eigenen Kraft unjeres
Reiches tun können, um hier weiterzu⸗
kommen, wird getan, nachdem im vergan:
genen Jahr der Reichsbauernführer R. Wals
ther Darré in Goslar als Ziel feiner Ars
beit herausſtellte, daß jeder geeignete junge
Menſch ein Neubauer werden kann. auch
wenn er keinen Pfennig eigenes Vermögen
mitbringt. Der unerſchütterliche Glaube
der zwei Millionen auf der Scholle arbei⸗
tenden deutſchen Jugend ſteht hinter dem
Wort des Reichsbauernführers: „Als Ratios
nalſozialiſten müſſen wir fordern, daß ein⸗
mal die Neubildung deutſchen Bauerntums
eine ſtaatliche Aufgabe wird, welche auch
dem ärmſten Deutſchen die Möglichkeit
gibt, zur eigenen Scholle zu gelangen.“
wenig es der Jugend aus eigener
Kraft möglich iſt, die vor einer neuen bäuer⸗
lichen Eriiten; liegende Barriere gegenwär:
tig au iiber[pringen, fo dtd ift es für
fie, fid vorzubereiten und bereit zu fein,
wenn die Barriere fällt. Das Ziel der
Jugendführung im Bauerntum kann alſo
nigi darin beftehen, alle im Laufe der
Jahre abgewanderten Arbeitskräfte mit
einemmal und allein aus dem Nachwuchs zu
erſetzen. Denn das hieße, die bisher in der
Landwirtſchaft tätigen Jugendlichen bis zu
18 Jahren verdoppeln. Dieſes Beſtreben
ſcheitert nicht nur an dem abſoluten Mangel
an Jugend, ſondern auch an der Tatſache,
daß ja der Exiſtenzraum für die nach⸗
wachſende Landjugend nicht gleichzeitig auf
das Doppelte erweitert werden kann.
Unfer Weg muß fein: Es gilt, die
ſchaffende e bauern⸗
fähig zu machen, d. h. in ihrer
Leiſtung aus eigener Kraft und
durch die ilfe der Gemein⸗
ſchaft auf den höchſtmöglichen
Stand zu bringen, ihr die Aus⸗
bildungund den Weg zum bauer:
lichen Lebensberuf zu ſchaffen
und ſie auch zu einer bäuerlichen
% ((((
zentrale Idee und das politiſche
und perſönliche Ziel dieſer
Landjugend aber mu ſein:
ehr Lebensraum für die
bauernfähige Jugend! Eine ſolche
Erziehung der Jugend heißt Schaffung
einer entſchloſſenen Stammannidaft, die in
bem vom Führer beſtimmten Zeitpunkt Trä⸗
ger einer großen Bewegung zur Neubildung
und Ausbreitung des deutſchen Bauern⸗
tums werden kann.
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Kleine Beiträge
Laßt das Dori beim —
Wir haben die Aufgabe, die Kaders dieſes
neuen Bauerntums heranzubilden. Die
Bereitihaft der von der Natur zur Land-
arbeit berufenen beſten Jugend wird
immer der Gradmeſſer ſein, wie weit das
deutſche Volk noch boden verbunden ift und
wie lebenskräftig das nationalſozialiſtiſche
Teal von Blut und Boden fid) erweiſt. Der
Blick der ganzen deutſchen Jugend jedoch
muB heim aufs Land gerichtet ee Das
Sauerntum iſt nicht Sache eines
Verufsſtandes, ſondern Grunde
lage und Ziel des ganzen deut⸗
ſchen Volkes. Die Erziehungsarbeit für
das Land umſpannt alſo die ganze junge
Generation, um fie zum Verſtändnis für
das Bauerntum zu tühren, zur Achtung des
Dorfes unb feines Cigenlebens. Nur wo
das Bauerntum feine Eigenart erhält und
Best, bewährt es feine Beſtändigkeit.
es fein Vorbild woanders [udjt als
iz fid | muß es fih au taufend Cr,
Meinungen der Zinilifation und der Stadt
verſchwenden.
Modern und fortſchrittlich, ohne Spinn⸗
ſtubenromantik muß das Dorf [ein dörf⸗
liches Geſicht behalten. Schafft Elektrizi⸗
tät, Waſſerleitungen und Badeſtuben in die
dorfer aber erkennt die Grenzen! Glaubt
nicht, daß Pflug und Acker eines Tages
durch die Retorten des Chemikers erſetzt
werden könnten. Laßt das Dorf beim
auern! Vermeidet alles, was die Men⸗
ſchen ſeeliſch entwurzelt und das Zentrum
ihres Seins nach anderen Standorten ver⸗
lagert. Es bedarf dann nur eines kleinen
Anstoßes, daß der Bauer feiner verlorenen
eimat nachwandert. thaltet die
rein di und laßt dem
ein ländliches Geſicht. Der
auf das eigene Dorf und auf die Höfe
der Heimat iſt der ſtärkſte Magnet für das
Landvolk. Der Reichtum der bäuerlichen
zelt muß der Jugend erſchloſſen werden.
Sie ſoll ſelbſt teilhaben und durch eigene
itarbeit an der inneren und äußeren Er⸗
Reuerung des Dorfes mithelfen. Arbeit und
Freizeit ſind gut Stärkung dieſer Kräfte
zu nutzen. Alle Organisationen und Eins
richtungen haben fid) dieſem Geſetz zu beugen.
Das Dorf braucht ländliche Führer. Die
Einrichtungen der Erziehung, auch der Er⸗
zieher GG die Säle und Stätten der Ge:
meinſchaft, die kulturelle und eiis
Jusſtattung des Landes find Aufgaben im
ahmen dieſes Werkes. Die Hitler-Jugend
wird hier bemüht fein, entſprechend zu ver⸗
ahren. Die Dienſtpläne und der Einſatz
or
Sor
Gto
37
der Hitler-Jugend werden zunehmend den
dörflichen Gegebenheiten angepaßt. Sie
werden ſich nach den Arbeitsſpitzen und
Arbeitstälern des bäuerlichen Jahres rich⸗
ten. Dorfkame radſchaften verhindern ein
Abziehen der Menſchen und ihrer Intereſſen
von dem dörflichen Geſchehen. Das Leben
der Jungen und Mädel wird in eine engere
Verbindung mit dem Leben der ganzen
Dorfgemeinſchaft geſtellt. Es wird ins⸗
beſondere für die Volkstumsarbeit, für
Pflege des Tanzes und des Liedes das Aus⸗
einanderreißen der Menſchen nach alters⸗
begrenzten Gruppen verhindert werden, der
Beruf in Zuſammenhang mit Dienſt und
E QUARE der Jugend geſtellt. Kurz: Der
bäuerliche enſch foll geiſtig
und ſeeliſch und in der äußeren
Erſcheinung Herr im Dorfe ſein.
Karl Baldamus:
Agnes Miegels großdeutscher
Auftrag
In der WEEN alten Stils
hatte man die Gewohnheit, das Schaffen
zeitgenöſſiſcher Dichter auf beſtimmte Rich⸗
tungen und Schulen feſtzulegen, auch dann.
wenn das Ausmaß ihres Wirkens noch gar
nicht erkennbar war. So erklärt es fi, daß
Agnes Miegel allgemein als oſtpreußiſche
Heimatdichterin ee wird. An kei⸗
nem Beiſpiel iſt es klarer zu beweiſen, wie
unzulänglich derartige Begriffsbeſtimmun⸗
gen ſind. Kein dichteriſches Werk iſt weni⸗
ger dazu geeignet, vorzeitig regiſtriert zu
werden.
Agnes Miegels Gedichte und Erzählun⸗
gen ſind heute überall dort gegenwärtig,
wo bie deutſche Sprache Geltung beſttzt.
Sie als Heimatdichtung bezeichnen heißt,
in dieſen Begriff zugleich die höchſte künſt⸗
wir doch die Geſtalten der Dichterin zum
Zeugnis auf: Henning Schindekopf, Hein⸗
rich von Plauen, die ſieben Ordensbrüder,
Peter zur bie Frauen von Nidden,
Simon Dach oder den blinden Pfarrer vom
Drauſenſee — und fragen, ob ſie in Lei⸗
den, Kampf und Tod über ihre Heimat
hinauswachſend nicht den ganzen Umfang
des Lebens zu erfüllen vermögen! Ihr öſt⸗
liches Schickſal — ſei es geſchichtlicher oder
perſönlicher Art — iſt gleichnishaft für
alles deutſche Weſen geſtaltet, wie je in
der Dichterin felber das Blut ſalzbur⸗
giſcher Einwanderer mit dem des oſt⸗
preußiſchen Volksſtammes ſich miſcht.
leriſche Verpflichtung v der Didier Rufen
38 Kleine Beiträge
Was in ihren Verſen vernehmbar wird,
ſcheint zunächſt nur die Stimme irgend⸗
einer Heimatſehnſucht zu ſein. Doch klingt
in nie gehörter Eindringlichkeit ein Ruf
mit, der nicht aus einer einzelnen Men⸗
ſchenbruſt, ſondern aus den Tiefen der
Erde hervorbricht. Was iſt das für ein
Land, das einer ſolchen Liebe wert iſt?
Wer es je durchwandert hat, wei: das
ift Oſtpreußen. Maſuren und bie Romin-
ter Heide, bas Große Moosbruch, bie Nies
derung, Samland, Haff unb Nehrung, das
Oberland und bie tauſendfältige Welt ber
Seen. Die feſten Häuſer des Deutiden
Ritterordens und ſchließlich Königsberg,
die alte vornehme Stadt am Pregel, die
ihr geiſtiges Leben aus einer weiträumi⸗
en Landſchaft ſchöpft und doch jahr⸗
undertelang auf das ſtrengſte einen eige⸗
nen Stil bewahrt hat. Und es iſt auch die
wachſende Großſtadt Königsberg, in der
oſtpreußiſches Volkstum und modernes
Lebensgefühl einander begegnen.
Hier alſo wurde Agnes Miegel ge
boten, hier reifte fie zu der Dichterin, die
mit unerſchöpflicher Bildkraft geſchichtliche
Größe und landſchaftliche Schönheit Alt-
Preußens zu offenbaren vermochte. Als
die Kunde davon in die anderen Gaue des
Reiches gelangte, fand ihr Schaffen dort
deſto nachhaltigeren Widerhall, je ſtärker
ihr Kunſtvermögen war.
»... und ich fang in den Wind, in das
Wirbeln rauchender Dünen, in das dröh⸗
nende Braufen fang mein tönender Mund.
Sang meiner einfamen Heimat Götter und
rote Burgen, fang thr mütterlich Herz, fang
ihr grüngrünes Kleid. Sang was groß und
gekrönt Durch meine Träume gewandert,
blutüberítrómtee Haupt, gallegetränktes
Herz. Sang meiner feltfamen Schweſtern
mondlichgezeichnete — Stirnen, ſterblichen
Leibes mie ich, jenfeitiger Weisheit kund.
Sang ich, mir felber kaum deutbar, was
Schatten und Erde mich lehrten, fang ich
Liebe und Tod - fang ich das eigne
Gefchick.« s
Aus berufenem Munde find Agnes Miegels
Gedichte, vor allem ihre Balladen, bie 1901
zu erſcheinen begannen, das „Ereignis des
neuen Jahrhunderts“ genannt worden. Es
wurde früh [don auf „dieſe wähleriſche
und ſparſame Kunſt“ hingewieſen, die
„von den einfachſten je Schlägen bes
Herzens lebt, bie mit jedem Xon bas einzi
Mögliche trifft, bie bei freieſtem Tonfa
bes Verſes die härteſte Strenge der Strophe
entfaltet“ (Nadler). Ja, die ſelber den
Sinn beſaßen, das Bienenbrauſen der See
zu hören und das Leuchten der Bernſtein⸗
kronen zu ſehen, empfanden damals Agnes
Miegels Kunſt als „erſchreckend neu“.
Dann brach der Weltkrieg aus, der Oſt⸗
preußen für kurze Zeit zum Schlachtfeld
machte:
»Einmal, ein einziges Mal, krümmteſt du
dich wie in Weh’n,
als du die Wagenburg deiner flüchtenden
Kinder gefeh’n.
Durch der Kanonen Gebrüll aus Tannen
bergs qualmenden Mooren
fchrien fallend aus ihrem Blut, die du ges
boren.«
In den Jahren nach 1918 ſchien es, als
ſei auch die deutſche Kunſt nur noch ein
verlorenes Spiel vor dem drohenden Hin⸗
tergrunde der Zeit. Das gefamt-deutide
Leben rang zwieſpältig und aufgewühlt um
einen Sinn. Alle bisherigen Wertungen
waren in Frage geſtellt. Die Dichterin ſah
und hörte das alles; ſie konnte warnen aber
nicht helfen:
Zu dem ſtampfenden Trott der Huren und
Schieber
dröhnt der Puls der ſteinernen Stadt im
Fieber.
O Die heileren Stimmen! O die ftumpfen
Gefichter!«
Sie ſpürte die Not ihres Volkstums, das
— von einer politiſch ohnmächtigen Regie
rung im Stich gelaſſen — im Abſtim⸗
mungskampf von 1920 zur Selbſthilfe
chreiten mußte. Von wenigen vernommen,
rang ihre Bitte aus der abgeſchnürten
Provinz herüber:
„Über der Weichſel drüben, Vaterland,
höre uns an!“
Und dringender:
»O Mutter, Mutter, laß uns nicht allein!
Laß Seine Knie, laß Deine Hand uns halten.
Verbirg une unter Deines Mantels Falten
und laß une nicht dem Fremden Dienftbar
fein!«
Und als in Allenſtein und Marien
werder bie Fahnen eines waffenloſen Sie
ne flatterten, ba wurde Zones my is
ie an aller, die Oſtpreußen die
Treue gehalten hatten. Unbeirrt blieb
dieſe große Frau als Hüterin einer ge⸗
ſunden und ſtarken Überlieferung auf pe
Heimatboden (teen. Eine Ahnung agte
ihr, daß die junge Generation im Heran⸗
wachſen Se lk war, welde einjt die
Linien bes beutidjen Geiltes gegen den lebten
Anſturm der Überfremdung halten würde.
1933 richtete Adolf Hitler das Reich
wieder auf. Die Dichterin Agnes Miegel
— — —
Neue Bücher 39
hatte den Platz in der neuen deutſchen
Volksgemeinſchaft gefunden. Die Jugend
nahm ihr reiches Werk als etwas im tief⸗
ſten Verwandtes in Herzen und Hände.
Nun war die Stunde gekommen, da die
Dichterin, die in ihrem Schaffen immer
nur das ganze Deutſchland gemeint hatte,
auch von der Staatsführung als geiſtige
Reprajentantin ihres Volksſtammes aner⸗
kannt und in den Senat der Dichter⸗
akademie berufen wurde.
Agnes Miegel leitet die geſamt⸗-deutſche
Schau, die als ein Grundzug vor allem
auch ihrer bedeutenden Proſaſchriften an⸗
geſprochen werden muß, aus der beſon⸗
deren Verantwortung des Grenzdeutſch⸗
tums her. Unſerer Zeit iſt bitter einge⸗
prägt worden, daß „Grenzen“ nicht nur
eographiſche Bezeichnungen darſtellen, ſon⸗
in daß es Landſäume ſind, deren Be⸗
wohner unter einem harten politiſchen Ge⸗
leg ſtehen. In ihrem Daſein ſpiegelt ſich
der Lebensſtand von Staat und Volkstum.
Stärke oder Schwäche einer Nation wer⸗
den hier zuerſt und am deutlichſten ſpür⸗
bar. Der geiſtigen Wachſamkeit der Grenz⸗
länder iſt viel anvertraut. Es handelt ſich
nicht allein darum, die Stöße aufzufangen,
die von außen kommen. Vielmehr gilt es,
das geſteigerte politiſche Leben der Grenz⸗
Ke nad) innen zu leiten und vom
afde ber bas Ganze zu erfüllen.
So betrachtet ift es ſicherlich kein Zufall
geweſen, daß Agnes Miegels erzählerische
Reue Bücher
Deutsche Jugend
zur Entscheidung aufgerufen
Hans F. K. Günthers neues Werk „Das
Bauerntum als Lebens⸗ und Gemeinſchafts⸗
form“ (Verlag B. G. Teubner, Leipzig) iſt
im rechten Augenblick erſchienen; denn die
Gefahren der Landflucht mahnen ſtärker
denn je zur Wee ani die lebensgeſetz⸗
iche Bedeutung des Bauerntums für das
Schickſal des deutſchen Volkes. Das Buch
verdankt feine Entſtehung der Lehrtätig⸗
eit Günthers an der Univerſität Berlin.
a zuletzt an die deutſche Jugend wendet
es ſich auch in Bil: Form; denn es wird
getragen von der feiten Überzeugung, „daß
de Junge Deutſche heute jhon einſehen,
ie bäuerliche Welt mache den Kern jeder
Hauptwerke zwiſchen 1918 und 1933 erſchie⸗
nen bzw. entſtanden ſind. Die berühmte
Novelle „Die Fahrt der ſieben Ordens⸗
brüder“, die heute zum geiſtigen Beſtand
d jungen Deutſchen gehören ſollte, be⸗
eutet in ihrem eee ien 1928
mehr als eine grandioſe geſchichtliche Dar⸗
ſtellung. Wolfen ritt der Komtur Fried⸗
tid) von Wolfenbüttel mit feinen Rittern
aus dem Elſaß, aus Franken und Thü⸗
ringen durch die öſtliche Winternacht? Um
der deutſchen Aufgabe willen, die ſeinem
Orden geſtellt war!
Ein anderes Bild: Viele Jahrhunderte
ſpäter begegnet der Kaiſer Napoleon auf
dem Vormarſch nach Rußland einem Pfar⸗
rer aus dem oſtpreußiſchen Oberlande, der
bei ſeinem verbrannten Dorfe und an den
Gräbern ſeiner Lieben die Wache hält.
Auf die Frage, was man von jener Höhe
aus nach Weſten erblicken könnte, gibt der
Alte dem Eroberer, der Sſterreich beſiegt,
den Rheinbund gegen Preußen ausſpielt
und ſcheinbar das Reich für immer zer⸗
da Hatte, bie ſeheriſche Antwort: Deutſch⸗
an
Wer in die Welt Agnes Miegels eins
tritt, vernimmt in jenem ihrer Gedichte
und Erzählungen dieſen Grundton, der
in den ſpäteren Werken beherrſchend wird.
So konnte das Schaffen der Dichterin da⸗
u berufen in allmählich über den
eimatbezirk hinauszuwachſen und für den
ganzen Lebensraum unſeres Volkes Bes
eutung zu gewinnen.
völkiſchen Welt aus, und uns Städtern
allen ſei eine Entſtädterung unſerer Ge⸗
ſinnungen, ein Aufnehmen bäuerlichen
Geiſtes aufgegeben, weil jedes Volk und
jeder Staat germaniſcher Prägung allein
aus bäuerlichem Geiſt begründet, nach Um⸗
wälzungen neu begründet und geſund er⸗
halten werden kann“. Mit der Verbreitun
und Vertiefung dieſer Erkenntnis wi
Günther der 1 dienen, die ſich in
Deutſchland ſeit dem Jahre 1933 vollzogen
hat, der Fülle der neuen Aufgaben, die ſich
aus ihr ergeben. Der iſſenſchaftler
F. K. Günther verſtärkt damit den Appell.
den der Politiker R. Walther Darré an
dieſer Stelle im Heft 6 an die Jugend des
Führers gerichtet hat.
40
Das Lebensbild, das Günther von dem
deutſchen Bauerntum entwirft, ift mit liebes
voller Gründlichkeit EE Es bietet
eine Fülle von Einzelheiten; denn fo eins
heitlich Weſenskern unb Grundhaltung des
deutſchen Bauerntums ſind, ſo mannig⸗
faltig iſt ihre Ausprägung, und in dieſer
mona U liegt ja nicht zuletzt ber
kulturelle Reichtum des deutſchen Volkes
begründet. Die Art und Weiſe aber, wie
Günther die Fülle der Erſcheinungsformen
zu einem lebendigen Ganzen zuſammen⸗
ordnet, iſt meiſterhaft.
Der Frage der Landflucht und ihrer Ge⸗
fahren als ſolcher widmet Günther, wenn
man der äußeren e zwar
nur einen Abſchnitt ſeines Werkes; aber
wie ein roter Faden zieht ſich durch das
ganze Werk der Grundgedanke der Not⸗
wendigkeit der Entſtädterung mee Volts:
gefinnung, und in bem Schlußabſchnitt
über die völkiſche ung des Bauern:
tums duram bieler Grundgedanke eine
traffe Zuſammenfaſſung, bie zu einem ein:
rudsvollen eaten wird, fid) auf die
nn. Kräfte unſeres Volkes zu bes
une: amit aber wird die Uberwindun
er Landflucht letzten Endes zu einer Auf⸗
uet ber deutſchen Jugend in Land und
Der Mahnruf Günthers ijt um fo ein:
dringlicher, als er ſorgfältig jede billige
Schwarzweißmalerei vermeidet. Günther
üt weit entfernt von einer Anterſchätzung
der Stadt im Rahmen der Entwicklun
des deutſchen Volkes, ſo, wenn er darau
hinweiſt, daß „das Städtertum durch ſeine
Beweglichkeit dem Leben des Volkes und
Staates immer wieder die notwendigen
fortſchrittlichen Antriebe geben wird“. Aber
gerade weil Günther dies erkennt und
offen hervorhebt, gewinnt auch
Mahnung an Gewicht, daß „nur das
Bauerntum mit ſeiner Verwurzelung in
Heimat und Familie, mit ſeinem Sinn für
Herkommen und Stetigkeit, für Gemein⸗
ſchaft und Ordnung Grundlage für einen
Staat germaniſcher Prägung ſein kann“.
„Nur auf der geſicherten Grundlage des
bäuerlichen Landes“ — ſo betont Günther
mit Nachdruck — „kann der Staat die
ſeine
.. ͤ ͤ . ͤͥͥ dd Tr...... E
Neue Bücher
Städte ihrer Beweglichkeit überlaſſen.“
Aus dieſer Erkenntnis heraus wendet ſich
Günther gegen die immer ſtärkere Schwer⸗
gewichtsverlagerung zugunſten der Städte,
egen bie Überwucherung des ſtäotiſchen
eiſtes im deutſchen Volk. Dieſe Verſtädte⸗
rung bedeutet auf die Dauer Vernichtung
der Grundwerte des deutſchen Volkslebens.
Dieſer Gefahr gegenüber ift eine „Um
wertung der Werte“, die das 19. Sabr:
us unferer Gegenwart übermittelt
at, unbedingt erforderlich.
In dieſer Erkenntnis ſtellt Günther
Bauern⸗ und Städtertum gegenüber: die
bäuerliche Umwelt iſt naturnahe und
familienfreundlich, die Stadt iſt naturfern
und familienwidrig. Die Tätigkeit des
Bauern vollzieht ſich innerhalb der Familie,
erfaßt den ganzen Menſchen und iſt ge⸗
meinſchaftsfördernd. Die Tätigkeit des
Städters ſpielt ſich außerhalb der Familie
ab, erſtreckt ſich nur auf Teilfähigkeiten
und wirkt deswegen leicht enen hafte
ſtörend. Bäuerliche Denkweiſe geht vom
Zutrauen zum Gewachſenen aus und ſchöpft
daraus die Kraft der Schickſalsmeiſterung.
Städtiſche Denkweiſe ſtrebt unruhig nach
Überwindung der natürlichen Bindungen,
iſt aber gerade deswegen W
gegenüber oft verzagt. So fördert
äuerliche Leben die Artwelt ebenfoſeht,
wie das ſtädtiſche Leben die Artwelt
ſchädigt. Volkheit, das zeitloſe Weſen eines
Volkstums, kann nur durch ein ſtarkes
Bauerntum verbürgt und erhalten werden.
In dieſem Sinne will das Wort des
Führers aus ſeiner Rede vom 5. April
1933 verſtanden werden: „Alle Schwankun⸗
en ſind am Ende zu ertragen, alle Schick⸗
alsſchläge zu überwinden, wenn ein ge
fundes Bauerntum vorhanden ift.“ In
dieſem Sinne ruft das neue Buch Günthers
auch die deutſche Jugend zur Entſcheidung
auf. Es iſt nicht der trübe Spiegel eines
unabänderlichen Schickſals, ſondern ein
ſtählernes Werkzeug der Willenbildung,
ein Bekenntnis zu dem Führerwort, mit
dem Günther fein Werk beſchließt: „Das
Deutſche Reich wird ein Bauernreich ſein,
oder es wird untergehen.“
Hermann Reischle.
Hauptschriftleiter: Günter Kaufmann.
Anſchrift der e ee „„ Berlin W 35, Kurfürſtenſtraße 53. Fernſprecher: 229091. —
G. m. b. H.
Verlag: Franz Eher Nach
, Zenttalverlag ber NSDAP., Berlin S
ſcheckkonto: Berlin 4454. Verantwortlich für den Anzeigenteil: Ulrich
68. Zimmerftraße gie Bet:
Herold, Berlin. — L Bj. 1989:
über 65 000. Pl. Nr. 8. — Druck: M. Müller & Sohn KG. München: Zweigniederlaſſung Berlin SW 68. Dresdener
Straße 43. — „Wille und Macht“ erſcheint am 1. unb 15. jedes Monats und iit d beziehen durch ben Betlen
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ſowie durch die Bolt unb alle Buchhandlungen
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Beſtellung von 1 bis 3 einzelnen Nummern bitte den Betrag in Bricimarten beizulegen. ba
zuzüglich Beſtellgeld. Be
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teuer iit und diefe Beſtellung ſonſt nicht erledigt werden kann.
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ij „Groſchengrab' ift ein gefährlicher Rauber! Verdorbene und ſchlecht aus- HH
i genutzte Nahrungsmittel find feine Beute. So mäſtet er fic) auf fremde Koſten 15
H — fobald man nicht aufpagt! Fre
zii E:
Eine wenig [done Kunde
Macht jest überall bie Runde:
s Grofd)engrab* ift wieder hier!
Schulen find jetzt fein Revier.
Ohne Scham und ohne Scheu
Sit er bid und frech dabei,
In ben Bulten, Wbfalltaften
Sich von Eurem Geld zu mäſten!
Oh, was gibt es da zu ſchmauſen:
Frühſtücksbrote, die in Pauſen
Schüler ⸗Mägen ſollten ſchmecken,
Füll'n den Bauch jetzt dieſem Schrecken!
So fließt Geld aus Vaters Kaſſen!
Sagt's drum an in allen Klaſſen:
„Nehmt nicht mehr mit als Ihr ebt, X
Schafft Ihr's nicht — bringt beim ben Ref!"
Allen fottt Ihr dieſes künden:
„Groſchengrab“ muß rafo verſchwinden!
Die ea. H,
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On leidenſchaftlicher und ſoldatiſch knapper
Sprache hat Reichsleiter Bouhler, der Chef
der Kanzlei des Führers, dieſes bedeutſame
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Volk, vor allem aber ſeiner Jugend, den
kämpferiſchen Einſatz der N S DA P. bis
zur Machtübernahme vor Augen führt.
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Bum der nationallozialiltiſchen Jugend
HERAUSGEBER: BALDUR VON SCHIRACH
Heft 17/18 Berlin, 1. September 1939 Preis 60 Pf.
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Digitized och 008 C
INHALT.
Robert Hohlbaum: Politische Dichtung
Das politische Lied | Prinz Eugen | Der Siebenjührige Krieg | Ver-
kaufte Soldaten | Gegen die Jakobiner | Deutschland in seiner tiefen
Erniedrigung | Die Befreiung | In den Fesseln der Reaktion | 1848 f
Die ewigen Schmarotzer | Das Zweite Reich | Weltkrieg und Aufbruch
AUSSENPOLITISCHE NOTIZEN
Karl Kasiske: Brennender Korridor
KLEINE BEITRAGE
Karl Richard Ganzer: Deutsch sein heißt Charakter haben
Vassil Trajanow: Offener bulgarischer Brief an Thomas Mann
NEUE BÜCHER
Bücher zur Außenpolitik | Vom deutschen Liedgut
KUNSTDRUCKBEILAGE
Bilder aus dem Kupferstichkabinett Berlin, Dresden, Straßburg
H. Scháufelein (Holzschnitt): 3 Landsknechteaus dem 16.Jahrhundert
Aus Vergil (Holzschnitt): Belagerung einer Stadt im 15. Jahrhundert
Jost Amman (Kupferstich): Erstürmung einer Stadt 1564
H. Burgkmair (Holzschnitt): Aus dem Triumphzug Maximilians I.
13 Textbilder: Photo Zeughaus
kostenlos
55
pi Google
.
Prospekt 121
TM
CARL WALTHER
WAFFENFABRIK
ZELLA-MEHLIS
Aum ` ol 7 Aaa! — MG
E 3
— — — —— —äkůĩ—
Wille. Hacht
fühterorgan der nationallo ialiltiſchen Jugend
HERAUSGEBER: BALDUR VON SCHIRACH
Jahrgang 7 Berlin, 1. September 1939 Heft 17/18
Robert Hohlbaum:
Politische Dichtung
„Ein politiſch Lied, ein garſtig Lied!“ Dieſes Zitat ſteht an der Spitze der mit
blendender Sachkenntnis geformten Sammlung dieſes Sonderheftes, das einmal
eine Fundgrube für Forſcher zu werden verſpricht. Und dieſes Zitat wieder iſt
die erſte Zeile eines, wie ich geſtehen muß, mir bisher unbekannten programma⸗
tiſchen Gedichtes Hoffmanns von Fallersleben, in dem er ſich mit den roman⸗
tiſchen Dichtern, die nur von „blauen Bergesfernen“, von „Roſenduft und Lilien⸗
ſchein, Sonne, Mond und Sternen“ ſingen, auseinanderſetzt. Das Gedicht gehört
nicht zu den beſten des berühmten Sängers des Deutſchlandliedes, doch zu den
bezeichnendſten ſeiner Kunſtanſchauung.
„Politiſch Lied, ein garſtig Lied“. Es war die Anſchauung der Klaſſik, und,
wohlgemerkt, nur eines Teiles der deutſchen Romantik. Aber auch in der Klaſſik
war es mehr Theorie als praktiſche Übung, denn wir dürfen nicht vergeſſen, daß
alle dieſe Klaſſiker aus dem Sturm und Drang hervorgingen, daß Klopſtock ein
politiſcher Lyriker erſter Ordnung war, daß Goethe den „Götz“ und Schiller
den „Tell“ ſchrieb, daß Leſſing in der „Minna von Barnhelm“ der größten
politiſchen Perſönlichkeit des Jahrhunderts das unſterblichſte Preislied ſang, und
daß die kleineren Geiſter, wie Gleim, in den Kampf des Tages mit Soldaten⸗
liedern eingriffen.
Wenn wir wollen, können wir das Nibelungenlied als politiſches Gedicht
anſprechen, denn es wurde ja durch ein Problem höchſter politiſcher Ordnung
angeregt, den Kampf des Oſtens gegen das Abendland, der damals als Hunnen⸗
1
Hurm, [pater als Avareneinfall auftrat, als Türkenſturm die deutſche Welt bes
drohte und heute noch als Bolſchewismus eine ſtändige Drohung für Europa
bedeutet.
Eine ſeltſame Fügung aber hat uns in dem erſten typiſch politiſchen Dichter gleich
einen unſerer allergrößten geſchenkt, in Walther von der Vogelweide,
der in ſeiner Kunſt den Beweis erbracht hat, daß man gar wohl auch die ewigen
Wunder der Natur beſingen und doch an dem Streit des Tages nicht vorübergehen
kann, wenn eben dieſer ſcheinbare Tagesſtreit in Wahrheit sub specie aeternis
tatis zu betrachten iſt. Die Probleme, die Walters Kampfdichtung bewegten, be⸗
wegen auch noch unſern Tag, haben die Tage unſerer Ahnen bewegt und immer
wieder die deutſchen Sänger aufgerufen: von Hutten über den die Dunkel⸗
männer bekämpfenden Leſſing, über die Dichter des „Götz“ und des „Wallen⸗
ſtein“, über das Jeſuitenlied Chamiſſos mit dem zum geflügelten Wort ge⸗
wordenen Ausſpruch „Und der König abſolut, wenn er unſern Willen tut“, bis zu
den genialen Stachelverſen Grillparzers gegen „Pfaffen und Ignoranz“. Es
führt ein direkter Weg von Walters Angriffen gegen den „Babeſt“ (Papſt) zu dem
Huttenepos Conrad Ferdinand Meyers und zu dem Ausſpruch in Grillparzers
Tagebüchern: „An allem iſt der Katholizismus ſchuld. Gebt uns
eine zweihundertjährigeproteſtantiſche Geſchichte, und wir
find der erſte deutſche Stamm.“
Der Sammlung dieſes Sonderheftes gebührt die Anerkennung, daß ſie ſich
beſtrebt, vor allem volkstümliche Zeugniſſe politiſcher Dichtung ans Tageslicht zu
bringen. Dieſe haben ja immer die politiſchen Ereigniſſe begleitet, weit getreuer
vorerſt als die exkluſive und in Gelehrſamkeit erſtarrende Kunſtdichtung der
Lohenſtein, H5ofmannswaldau, unb bann der Gottſched und Kon:
ſorten. Jene Zeugniſſe wurden gewöhnlich in Flugſchriften veröffentlicht, eine Not⸗
wendigkeit dieſer Jahrhunderte, die noch keine Zeitung in unſerem Sinne kannten.
So beſorgten die Gelegenheitsdichter das, was heute Aufgabe der Journaliſten und
des Rundfunks iſt. Künſtleriſche Anſprüche wird man an dieſe Gattung nur in den
ſeltenſten Fällen ſtellen können. Einige, beſonders das unſterbliche Prinz⸗Eugen⸗
Lied, ragen hervor, und neben dieſem ſteht das Gedicht eines Kunſtdichters, freilich
eines Dichters, der [eine beſten Kräfte aus den Quellen bes Volkstums zog, Chri⸗
ſtian Günthers. Wir ſehen an dieſem Beiſpiel, daß große Ereigniſſe, aber vor
allem große Perſönlichkeiten auch den wahrſten und echteſten Dichter in den Dienſt
des Tages fordern, der ja in Wahrheit Dienſt an der Ewigkeit des Volkes iſt. Solche
Dichter finden ſich natürlich auch da und dort unter den anonymen Volkslied⸗
verfaſſern, wie etwa die witzigen und wortgewandten drei Königsgrenadiere
Friedrichs, die ihr Lied gegen Maria Thereſia in der Wachtſtube erdachten.
Nach Prinz Eugen iſt das erſte und größte Beiſpiel einer Perſönlichkeit, die
einen ungeheuren Einfluß auf die Dichtung der Zeit ausübt, natürlich Friedrich
der Große. Dieſer Fürſt, der ſich ſelten der deutſchen Sprache bedient, der ſich
nur mit franzöſiſchen Geiſtesträgern umgibt, franzöſiſch dichtet, fid) von Voltaire, den
et als Menſchen verachtet, feine Verſe ausbeſſern läßt, und der an feinem Lebensabend,
als ſchon lange die große Sonne Goethes über Deutſchland aufgegangen iſt, noch im⸗
mer Gellert für den größten Dichter der Gegenwart hält, dieſer Große zwingt
die ganze Dichtung [einer Zeit in Bann: Leſſing ſchreibt die „Minna“
unb der junge Goethe ſchon ijt, wie alle [eine Frankfurter Landsleute, „fritziſch“
geſinnt. Die großen Taten waren ein Anſporn des geiſtigen Aufſchwungs, das
deutſche Selbſtbewußtſein, daß durch den durchaus nicht allgemein deutſch geſinnten
großen Fürſten gejtarft wurde, trieb auch bie zarteſten und geiſtigſten deutſchen
Blüten, ſein Glanz gab ihnen Kraft und Wärme, ohne daß er von ihrer
Exiſtenz wußte. Es gehört mit zur ungeheuren Tragik des deutſchen Werdens,
bap der gtopte Staatsmann und Feldherr jeiner Zeit an den größten Geiſtes⸗
Iren vorüberging, daß nicht, wie einſt Eugen und Leibniz, Friedrich und
Goethe oder Leng an einem Tiſche ſaßen.
Die politiſche Dichtung des achtzehnten Jahrhunderts freilich zeigt noch durchaus
kein einheitliches und harmoniſches Bild. Es find noch immer Einzelerſcheinungen,
es find verschiedene Flußläufe, aber noch kein geeinter Strom. Die falſchen Pro⸗
pheten der Franzoſiſchen Revolution vermögen nur kurze Zeit die deutſchen Geiſtes⸗
trager in Bann zu zwingen, die dramatische auf dem Boden der Revolution ents
ſproſſene Dreiheit („Die natürliche Tochter“, „Die Aufgeregten“ und „Der
Großkophta“) gehört nicht zu den erfreulichſten Goetheſchen Schöpfungen, und der
„Ehrenbürger“ Frankreichs, Schiller, zog im „Spaziergang“ und der „Glocke“ ſchon
ben Trennungsſtrich zwiſchen ſich und den Umſtürzlern, trotzdem [eine Jugend»
dramen als politiſch⸗ revolutionäre Dichtung gewertet werden müſſen, wie ja die
Aufnahme einer Szene aus „Kabale und Liebe“ in die vorliegende Sammlung
dartut. ;
Die eigentliche Geburtsſtunde der politiſchen Dichtung in
Deutſchland, wie wir ſie verſtehen, und wie ſie ſich heute
wieder eingliedert ins völkiſche Werden, aber find natür-
lich die Befreiungskriege und ihr vorangehendes Vorſpiel
der tiefen Erniedrigung. Die reifſten und ſchönſten Früchte
dieſer Zeitſindin die deutſche Dichtung und Kulturgeſchichte
eingegangen, als ihr im wahrſten Sinn eiſerner Beſtand.
Theodor Körner leuchtet hervor als ihr hinreißendſter,
Arndtals ihr beſtändigſter, Schenkendorff als ihr wärmſter
und Heinrich von Kleiſt als ihr genialſter, alle andern in
Schatten ſtellender Vertreter. Hatte noch Schiller ſeinen „Tell“ in
eine ideale Ferne verlegt, hatte er Verſe von allgemein menſchlicher Geltung
und Färbung gefunden, die noch den „Goldton der klaſſiſchen Dichtung“ im
äſthetiſchen Sinne tragen, ſo fand Kleiſt den Mut zur Tendenz, zum Keulenſchlag
des Verſes, zum alltäglichen, aber durch das Feuer der Empörung geläuterten Wort.
3
Die Berfe:
„Schlagt ihn tot! Das Weltgericht
fragt Euch nach den Gründen nicht!“
find gewiß nicht äſthetiſch [din und mögen in den Teezirkeln der Zeit eher Cnt-
ſetzen als Zuſtimmung geweckt haben. Aber ſie ſind dämoniſch, furchtbar, nieder⸗
ſchmetternd, rieſenhaft, es gibt genug Epitheta dafür. Hier zum erſtenmal ſehen
wir ein Beiſpiel, daß ein ganz großer Dichter den Zweck über die Kunſt ſtellt,
daß er ein hiſtoriſches Geſchehen nur als Anlaß benützt, darein das düſtere Feuer
der Zeit zu gießen. In der „Hermannsſchlacht“ iſt Rom und Germanien nicht mehr
Staffage, es iſt ſchon, allerdings ganz durchſichtiges, tarnendes Kleid, es iſt Maske.
Wir wiſſen, daß die „Römer“ Franzoſen, daß die „Germanen“ Preußen des
Jahres 1807 ſind. In Körner tritt uns der Jüngling, in Kleiſt der junge Mann
entgegen, in Arndt der reife, auf der erſten Lebenshöhe Stehende. Er hatte das
Glück, in perſönlicher Fühlung mit dem größten Tatdeutſchen der Zeit, dem Frei⸗
herrn vom Stein, zu kommen, die Zeit nicht nur zu träumen, ſondern auch zu leben.
Er iſt ein Kind der Zeit, dankt ihr alles und gibt ihr alles, was er beſitzt. Nicht nur
der Zeit des Sieges, der Zeit des lodernden Feuers, auch der Zeit der Knechtung
eines reif gewordenen Volkes, der Zeit der ſchwelenden Glut. Es iſt die Zeit, in der
Chamiſſo ſein ſchon zitiertes Jeſuitenlied ſingt, an derem Schlußſtein Grillparzer nach
dem Ausſcheiden ſeiner Heimat aus Deutſchland im Jahre 1866 in den erſchütternd
lakoniſchen Verſen:
„Als Deutſcher bin ich geboren. Bin ich noch einer?
Nur was ich Deutſches geſchrieben, das nimmt mir Keiner“
die Ewigkeit der geiſtigen Verbindung aller Deutſchen als Troſt für ſich und
ſein ganzes Volk feſtſtellt.
Dem hellen, harten Dur der Schlachtgeſänge der Befreiung folgt nicht nur bei
dem durch die „Chineſiſche Mauer“ vom übrigen Deutſchland getrennten Sſter⸗
reicher, folgt auch bei den mitten in Deutſchland lebenden Dichtern eine Epoche
des verzichtenden Moll, wie etwa in dem allerſchönſten Gedicht dieſer Zeit, in
Uhlands „Wenn heut ein Geiſt herniederſtiege“, das doch in die troſtreichen
Worte |
„Doch [ab ich manches Auge flammen,
und klopfen hört ich manches Herz“
verheißend ausklingt.
Wie eine Variation aus Moll in Dur dagegen mutet die Paraphraſe an, die
Friedrich Theodor Viſcher nach dem Jahre 1871 ſchrieb, in der er einen alten
Kämpfer des Krieges, der, das Eiſerne Kreuz an der Bruſt, an der Wirtstafel
bedient, mit den ſchönen Worten „zugleich ein Kellner und ein Held“ anſpricht,
und in dieſem Bild ſchon das Ideal der Volksgemeinſchaft zeichnet, das unſere
Tage verwirklichen.
Es ſcheint ein deutſches Geſetz zu ſein, daß nicht Sieg und Triumph, daß Schmach
und Not der beſte Nährboden politiſcher Dichtung ſind. Die Ausbeute des glor⸗
4
TUN
Albrecht Dürer: „Der Fähnrich“
reichen Jahres 1870 ift, bis auf wenige ſchöne dichteriſche Zeugniſſe, wie etwa das
Geibelſche „Nun laßt die Glocken von Turm zu Turm durchs Land frohlocken im
Jubelſturm“ eine recht geringe. Erſt mehr als ein Jahrzehnt nachher folgen die
Liliencronſchen „Kriegsnovellen“, und dieſe ſind impreſſioniſtiſche Stimmungs⸗ und
Erlebnisbilder höchſt ſubjektiver Art, die mit dem Begriff der politiſchen Dichtung
nichts zu tun haben. So rein ſachlich und ſtimmungsmäßig erlebt find diefe
Novellen, daß für den Dichter der einzige Unterſchied zwiſchen der Schlacht bei
Nachod und der von Saint Quentin eben der iſt, daß die eine im Sommer, die
andere im Winter vor ſich ging. Daß es hier gegen den Erbfeind und dort gegen
Deutſche ging, ſpielt bei Liliencron nicht die geringſte Rolle. Die Jahrzehnte
nach der Gründung des Zweiten Reiches bilden ein völliges Vakuum der politiſchen
Dichtung. Es wird überreich ausgefüllt durch die Dichtung des deutſchen Grenz⸗
landes, durch die Dichtung bes deutſchen Ofterreid. Die größte Triebkraft deutſcher
politiſcher Dichtung iſt die Sehnſucht. Der Grenzdeutſche war ein Menſch der Sehn⸗
ſucht und alſo für die politiſche Dichtung wie kein Zweiter vorherbeſtimmt. Der
Grenzdeutſche Theodor Storm ſchrieb in dem Gedicht an ſeinen Sohn die
herrlichen Worte
„Glaub mir, denn alles andere iſt Lüge,
Kein Mann gedeihet ohne Vaterland!“
Und der Grenzdeutſche Conrad Ferdinand Meyer beſchämte die Dichter des
neuen geeinten Deutſchland und fand Worte, die das tiefſte Weſen des Deutſchtums
offenbarten, die Troſt und Vorausdeutung in eine reichere Zukunft waren.
„Geduld! Was langſam reift, das altert ſpat.
Wenn andre welken, werden wir ein Staat!“
Und neben ihm ſchrieb zur ſelben Zeit der Oſterreicher Robert Hamerling
für eine Feſtvorſtellung zur Feier des Sieges von Sedan ein wundervolles Be⸗
kenntnis der Außenſtehenden zu dem ſiegreichen Deutſchland und rief den Brüdern
fein „Deutſch⸗Oſterreich war mitten unter Euch!“ zu.
Man wußte von dieſer Dichtung in dem damals völlig im Naturalismus und
einer etwas blaſſen Neuromantik verſinkenden Zweiten Reich ſehr wenig. Man
nahm von der nationalen Dichtung der Oſtmark — die jetzt Heinz Kindermann in
dem 100. Band feiner „Deutſchen Literatur“ in erſchöpfender Fülle veröffentlichte“) —
ſo gut wie gar keine Notiz. Man las die erſten Grenzlandromane der deutſchen
Dichtung, die Prager Romane Strobls, die Banater Erzählungen Müller⸗Gutten⸗
brunns, aber man las fie nicht als Wed: und Mahnrufe ſondern als Studenten-
und Bauernromane landläufiger Ordnung. Die deutſche Grenzlanddichtung hat,
das wiſſen wir heute, der politiſchen Dichtung Deutſchlands einen neuen Auftrieb
und ein neues Ziel gegeben, das rein völkiſche, den Volksgedanken.
Eine Leitidee, bie höherſtand, nicht nur als Preußen und Bayern, als Württem⸗
berg und Öfterreich, die höherſtand als das Zweite Reich, das der überwiegenden
*) Verlag Philipp Reclam, Leipzig.
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Zahl ber Binnendeutſchen als das letzte Ziel und als das Alpha unb Omega
geſchichtlicher und politiſcher Entwicklung galt. Eine Idee, in deren Dienſt ſich
einer der allergrößten Dichter deutſcher Zunge, der Grenzdeutſche Kolben heyer,
ſtellte, in deren Dienſt der große Lyriker Oſterreichs, Joſef Wein heber, feinen
Hymnus an die deutſche Sprache ſchrieb.
Sind auch noch viele Gedichte des Weltkrieges ſtaatlich gebunden, in den ſchönſten
Verſen des Seelenfrühlings von 1914 klingen doch Töne, die aus dem Urgrund
der deutſchen Erde, allgemein völkiſchen Empfindens ſtammen. Das allerſchönſte
unter ihnen iſt wohl das Deutſchlandlied Karl Brögers, das größte und
umfaſſendſte Bild darunter das Lebenswerk Walter Flex's. Aber weniger die
erſten Monate des Kriegsbeginns formen das geiſtige Antlitz der Zukunft, als
die ſpäte Kriegszeit. Sie gab dann auch ein Jahrzehnt nachher den Antrieb zu
den reifften und größten Deutungen des Krieges, zu Wehners, Dwingers,
Brehms und Beumelburgs großen Epen. Wieder bewahrheitet ſich der alte
Satz, daß die Mutter des Größten und Reichſten, das der deutſche Geiſt und die
deutſche Seele hervorbrachten, die Not ſei, wie dies der Titel eines der letzten Grenz⸗
landbücher, bes erſchütternden ſudetendeutſchen Erlebnisbuches von Rudolf Witzany,
kündet. Das Zeichen der Erfüllung, falt [don das der Überſättigung, ftanb über
den letzten Jahren des wilhelminiſchen Deutſchland, das Zeichen der Sehnſucht
der Hungernden, der in ihrem letzten Lebensrecht peinigend Verletzten ſtand über
dem Tor zur neuen Zeit. Dieſe Sehnſucht gebar die große Be⸗
wegung, dieſe Sehnſucht gebar den größten Deutſchen aller
Zeiten, dieſe Sehnſucht gebar ein neues Deutſchland, auch
im geiſtigen Sinne, gebar eine neue politiſche Dichtung, im
deutſchen Grenzland und im Binnendeutſchtum; denn bas
ganze Deutſchland war ja ein Grenzland geworden, und
ſahen die Sehnſüchtigen auch nicht über phyſiſche Schlag⸗
bäume weg, fo ſahen [te doch über geiſtige, wie etwa Blunck in
der großen „Urväterſaga“, in ein Traumreich der Würde, Reinheit
und Größe.
Während im wilhelminiſchen Deutſchland die Naturaliften und l'Art-pour-l'Arts
Dichter den nationalen Rufern der Oſtmark fremd, ohne Möglichkeit eines Brücken⸗
ſchlags gegenüberſtanden, hatten die Not und die Sehnſucht gar raſch die geiſtige
Brücke zwiſchen dem großen Vaterland und dem Grenzland geſchlagen. Denn die
Bewegung und mit ihr die nationalſozialiſtiſchen Dichter dachten ja nicht mehr
ſtaatsdeutſch, ſie dachten volksdeutſch, und ihre Dichtung wollte Stimme des Volkes
ſein, von der Maas bis an die Memel, von der Etſch bis an den Belt.
Das Dritte Reich hat endlich die politiſche Dichtung aus
ihrem Aſchenbrödeldaſein erlöſt, und hat ihr einen weithin
ſichtbaren und beachteten Platz angewieſen. Es verſteht aller⸗
dings unter politiſcher Dichtung etwas größeres und reineres als manche Epochen
7
früherer Zeit. Es verſteht darunter nicht mehr eine Schützenhilfe für irgendwelche
Fraktionsbeſtrebungen, wie ſie noch manche Schriftſteller des Altreichs in der
wilhelminiſchen Periode leiſteten, ſondern eine Dichtung, die den höchſten
geiſtigen Anforderungen des Begriffes Politik ſtandhält, die aus dem Boden
des Volkes out: und zuſeinem Himmel emporwächſt, es verſteht
darunter vor allem aber auch Dichtung im wahrſten Sinne, denn wenn auch der
äſthetiſche Maßſtab nicht mehr der alleinſeligmachende ijt, jo ijt doch der ün ft-
leriſche Werteine ſelbſtverſtändliche Vorbedingung. Für noch
ſo wohlmeinende Reimereien, die noch in der Vorkriegszeit und im Weltkrieg
Duldung fanden, hat das neue geiſtige Deutſchland keinen Raum. Die poli⸗
tiſche Dichtung darf nicht den Platz, den ſie heute einnimmt, als eine Sinekure
und Schlafſtelle betrachten, ſondern ſie muß ſich dieſen Platz immer
wieder neu durch ihre Leiſtung verdienen, die den höchſten
künſtleriſchen und ethiſchen Forderungen entſprechen muß.
Dann wird das Ideal errungen ſein, das die Jahrhunderte wohl immer wieder in
Einzelleiſtungen, aber noch nie in der Geſamtheit erreicht haben: daß neben den
größten Taten der Politik und Geſchichte eine Dichtung lebt, dieſer Taten würdig,
ihnen dienend und doch voll hoher Selbſtändigkeit und Größe.
Aw A. Dn Kahn von T
Feldfchlange in Blochlafette mit Höhenvorrichtung in Hórnerform (Ausfchnitt aus Dürere „Große Kanone”).
Das politifche Lied
Ein politifch Lied, ein garftig Lied!
So dachten die Dichter mit Goethen
Und glaubten, fie hätten genug getan,
Wenn fie könnten girren und flöten
Von Nachtigallen, von Lieb und Wein,
Von blauen Bergesfernen,
Von Rofenduft und Lilienfchein,
Von Sonne, Mond und Sternen.
Ein politifch Lied, ein garftig Lied!
So dachten Die Dichter mit Goethen
Und glaubten, fie hätten genug getan,
Wenn fie könnten girren und flóten -
Doch anders Dachte Das Vaterland:
Das will von der Dichterinnung
Für den verbrauchten Leiertand
Nur Mut und biedre Gefinnung.
Ich fang nach alter Sitt' und Brauch
Von Mond und Sternen und Sonne,
Von Wein und Nachtigallen auch,
Von Liebesluft und Wonne.
Da rief mir zu Das Vaterland:
Du follft das Alte laffen,
Den alten verbrauchten Leiertand,
Du follft die Zeit erfaffen! .
Denn anders geworden ift die Welt,
Ee leben andere Leute;
Was geftern noch ftand, fchon heute fällt,
Was geftern nicht galt, gilt heute.
Und mer nicht die Kunft in unferer Zeit
Weiß gegen die Zeit zu richten,
Der werd’ nun endlich beizeiten gefcheit
Und laffe lieber Das Dichten!
Heinrich Hoffmann von Fallersleben
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Die ältesten, entschieden politischen Gedichte und Lieder in deutscher Sprache ge-
hören auch gleichzeitig zu den besten. Denn ein Dichter hat sie geschrieben. Walther
vonder Vo g elweide. Bekannt ist uns allen sein ,,Deutschland-Lied", aber von nich!
geringerer Leidenschaft sind auch jene Verse, mit denen er bissig und freimütig zu den
aktuellen Ereignissen seiner Zeit Stellung nimmt. Die Sorge um das Reich und der
Kampf gegen den Papst, darauf ist immer wieder der Ton gestimmt, den der Sänger
seiner Leier entlockt:
„Ihr Biſchöfe und ihr edeln Pfaffen, ihr feid verleitet.
Seht, wie euch der Papſt mit des Teufels Stricken leitet.“
Im folgenden Spruch richtet sich Walther gegen die Aufstellung des „Opfer-
stockes“, mit dessen Erträgen sich der Papst bereichert, während angeblich die Gelder
für den Kreuzzug gespendet werden sollen:
Ei! wie [o chriſtlich mag ber Papit in Rom nun lachen,
Wenn er zu feinen Welſchen ſpricht: „Seht, ſolches kann ich machen!“
(Was er da ſpricht, das hätt' er beſſer nie gedacht.
„Zwei Alemannen hab' ich unter einen Hut gebracht,
Nun miiffen fie das Reich zerſtören und belaften;
Unterdeſſen füllen wir die Kaſten.
Zinspflichtig find fie meinem Stock, und all ihr Gut iſt mein;
Ihr deutſches Silber fährt in meinen welſchen Schrein.
Ihr Pfaffen, eſſet Hühner, trinket Wein
Und laßt die Deutſchen . . . falten.“
Eine ganze Reihe von Sängern der Frühzeit verrät in ihren Liedern Freude zu poli-
tischen Bekenntnissen, die mutig und entschlossen den Zeitübeln zu Leibe rücken. Hier
einige Proben:
Unfürften
Es fuhr einft eine ſtolze Schar |
in einem Schiff, bis dies bei einer Mühl fam in Gefahr!
Da rief der Kapitän die Paſſagiere in den Nöten auf,
daß ſie die Ruder mit der Hand
ergriffen. Doch als ſich dazu kein einziger verstand,
da konnt auch er allein das Schiff nicht
lenken weg von ſeinem Lauf.
So riß der Strom das Schiff mit dieſen Leuten
grab auf die Mühl. Dies Spiel fol bedeuten:
ie Fürſten, die find auch verdroſſen,
n rudern ge en bas Geftabe,
is daß be ehrt hat ſie der Schade
wie jene, die gradwegs zur Mühle ſchoſſen. Reimar von Zweter.
Warnung
Wir ſollen den Köchen raten —
denn ihre Pfannen ſind nicht leer
und hungrig mancher Gaumen —
daß ſie der Fürſten Braten
größer ſchneiden als bisher
und dicker als ein Daumen.
Zerſchnitten ward in Griechenland
ein Braten einſt von karger Hand,
was dieſe zu bereuen um
zu kärglich war der Braten!
Der König mußte drum hinaus,
die Fürſten waren Herr im Haus.
mit Kaiſers Beet war es aus,
bei bideten Schnitten wär ihm nichts mißraten.
Walther von der Vogelweide.
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Klage um Dentſchland
Selbst geſehen hab ich noch den Tag,
daß Deutſchlands Ruhm erklang in allen Zungen.
Welch Land auch an den deutſchen Grenzen lag,
es bat um Frieden, ſonſt ward es bezwungen.
Mächtiger Gott! Wir hatten Ruhm errungen:
das Alter riet, da kämpften noch die Jungen!
Jetzt krumm die Richter find —
das 9tütjel löt ih nicht, it blind —
was, Meiſter, daraus folgen werde, find!
Walther von der Vogelweide.
Deutſches Erbe
Daß ohne Kaiſer lange Zeit das u ber Deutſchen war,
das kommt von nichts als Deiner Selbſtſucht, deutſches Volk, fürwahr,
die hat die Feſten Deines Reichs nn
Dir folte dienen alle Welt, nun machſt Du ar zum Knechte!
Die Ehre koſtet's, deutſches Volk, verkaufſt Du Deine Rechte.
Weh, wie das Reich, al feftgetist erzittert!
Gib nidjt Dein Erbe fremde tamm, vom Schöpfer Dir vererbet!
Gedenfe, wie ward König Konradin, graujam verderbet!
Des find die deutſchen Fürſten noch erbittert. Der Meißner.
Der mittelalterliche Sänger spottet gern, und selbst Rudolf von Habsburg blieb nicht
verschont, denn er hörte der Meister Singen, Geigen und Sagen gerne zu und — „zahlte
keinen Pfennig nicht":
Der König Rudolf minnet Gott und ift an Treuen ftäte,
Der König Rudolf hat ſich allen Schanden wohl verſagt.
Der König Rudolf richtet wohl und haſſet falſche Räte,
Der König Rudolf iſt ein Held an Tugend unverzagt.
Der König Rudolf ehret Gott und alle werten Frauen.
Der König Rudolf läßt i recht in hohen Ehren ſchauen.
Ich gönn ihm wohl, daß ihm nach ſeiner Milde Heil geſchieht.
Der Meiſter Singen, Geigen, Sagen hört er gern zu und zahlt kein Pfennig nicht.
Mit einem Spottvers nahm man auch, ein Jahrhundert später, am Tode des tschechi-
schen Ideologen und Predigers Hus teil:
D Johaunes Juh! Wärſt bn doch daheim geblieben!
Armer Dominus Dein Geleit war falſch geſchrieben.
Seufzet Ach und Weh, Ob's der Kaiſer ſelbſt verſpricht,
Armer Domine! Hält man's doch den Ketzer nicht.
Und schließlich galt der Spott, ja, der Zorn des Volkes erst recht den Juden. Nach
ihrer Vertreibung aus Regensburg sang man ihnen nach (1519):
ein neu lied von der vertreibung der JUDEN aus der Stadt REGENSPURG.
von Regenspurg, auss der ſchönen ſtadt,
die JUDEN man all vertrieben hat.
mufiten alle fort und auss,
dass fie weder hof noch haus
fürder nit follten fuchen hie,
darmit nit kim die vorig müh,
fo man lang zeit erlitten hat
von den JUDEN früh und fpat.
11
nadt’, loft", markt’ und dorffen
warn thn’ alle unterworffen,
rolefen, Acker, garten und grund
war thn’ alles ein guter fund -
geraubt, geftolen oder genommen,
war ihnen alles willkommen.
folche miffethat auch nit allein,
fundern, was man in der gemein
wollte haben oder brauchen:
mufft man all'e beim JUDEN kaufen!
gold und filber, fammt und feiden,
taten auch je handwerk treiben.
Darumb gar oft Der gemeine mann
von feinem gewerb muflt abelan.
die falſchen JUDEN jetzt vertrieben,
ihr keiner zu Regenspurg mehr blieben.
Nun fagen wir GOTT billich dank,
dass er une aue löllichem zwang
hat gemachet ledig und frei,
MARIAE lob fel auch darbei.
Die Landsknechtslieder jener frühen Zeit wurden choralmäßig, gleichsam psal-
modierend, im Sprechgesang gesungen, nicht im Marschtakt. Man meint fast, aus dem
Text des folgenden Liedes auch die langsame, schwermütig eintönige Melodie heraus-
zuhören. Die Landsknechte haben es als Preislied auf Kaiser Maximilian, den „letzten
Ritter" (1494—1519), gesungen:
Got gnad bem grobmedjtigen keiſer frumme, Maximilian, bei bem ift anffumme ein
orden, Durdgendt alle land mit pfeifen nnb mit tenmmen, Ianbstfnedjt find fie genant.
Faſten und beten lagen fie wol bleiben und meinen: pfaffen nnb münnich jolens treiben,
die haben davon irem ftilt, des mancher landsknecht frumme im gartiegel und ſchifft
(im Bettelschiff umbersegels )
In Wammes nnb Halbhoſen muß er ſpringe, Schnee, Negen, Wind, alles achten geringe
und hart liegen für gute Speif’; wollt mancher gerne ſchwitzen, wenn ihm möcht werden heiß.
Wenn fie dann ihr Kapitel wöllen halte, mit Spieß und Hellebarden ſicht mans balde
zum Fähnlein in die Ordnung ſtahn, dann tut der Hauptmann jagen: „Die Feind will
wir greifen an!“
Darnach hört man das groß Geſchütz und kleine, „Her, her!“ ſchreien die Frummen all
gemeine, [o hebt ih an das Nitterſpiel, mit Spieß unb Hellebarden ſicht man ihr fechten piel.
„Lärman, Lärman!“ hört man die Trummen ſpechten, darbei ſetzens die ihren Rechte:
Ein grüne Heid ift Nichters Buch, darein ſchreibt man die Urteil, bis eim rinnts Blut
in d' Schuch.
Das ift der Kriegsleut Obſervanz und Rechte, jang Jörg Graff, ein Bruder aller Lands⸗
knechte, Unfall hat ihm fein Freud gewendt, wär junit im Orden blieben willig bis an
ſein End.
12
Vor allem war es der „Vater der Landsknechte", der 1528 gestorbene Jörg von Frunds-
berg, der immer wieder besungen wurde:
2 Görg von RE
err Görg von Fronsperg,
der hat die Schlacht von Pavia gewunnen,
ewunnen hat er die Schlacht vor Pavia in eim Tiergart,
n neunthalben Stunden gewunnen Land und Leut!
Der König aup rantre ;
d
—
Der König auß Frankreich,
der hat die acht von Pavia verloren,
verloren hat er die Schlacht vor Pavia in eim Tiergart,
in neunthalben Stunden verlor er Land und Leut!
In einem Lied auf Kaiser Karl V. sangen die Landsknechte von ihren Zielen, die
damals noch edel und unverfälscht waren:
Frifch auf, In Gottes Namen,
du werte Oeutfche Nation!
Fürmahr ihr follt euch ſchamen,
daß ihr eur gut Lob jetzt lont untergan,
das ihr ſo lang behalten
in Ehrn und Ritterfchaft,
alfo geſchah auch den Alten;
der lieb Gott foll fein walten,
der verleih uns fein göttlich Kraft!
Und nun noch ein Lands łnechislied aus den Bauer nkrie gen: als die Bauern in
ihrer Not glaubten, die Sache der Reformation mit ihrer Sache vereinen zu können, und
als sie verzweifelt sich überall in Deutschland erhoben.
Von erft jo moll wir loben Sankt Jörg, du edler Ritter
. ig die reine Maid Rottmeiſter ſollt du ſein!
die ſitzt ſo oe dort oben Beſcher uns Sie Gewitter
Rein Bitt fie uns verfeit tu uns dein Hilfe [dein
uns armen Reuttersknaben daß wir nit gar verzagen
die nit viel Goldes haben wo wir im Feld umjagen
nur hin und wieder traben. das Gütlein zuſammen tragen!
Sie tut uns gnädig ſein Erret uns arme Knecht
dieſelbig Jungfrau rein. vor allem ſtrengen Recht!
Hilf Gott, daß wir bezwingen
der Bauern Übermut d
die uns ums Leben bringen
viel manden Reutter gut!
Ihrn Hochmut fol man brechen
ſoll ſie unter die Mähren ſtechen
manch guten Geſellen rächen.
Bringt ihn groß Ungemach:
ſingt uns der Schenkenbach.
Derselbe Sänger, Schenkenbach, wendet sich um 1510 auch gegen die aufkommende
Plage der Raubritter:
Ich weiß ein nenen Orden Desſelbens Ordens Regel
nennt man die Ritterei, Und Grund iſt Buberei;
bin ich berichtet worden, zu ihn’ dieje Regel
was orden darin fei, Daß keiner nimmer fei
und daß derſelb hab viel Gusſſen Den Frommen treu und holde,
im Land auf allen Straßen, Ihr Silber, Hab und Gold
die ih der Ehren maken, Begehren ſie zu Solde
Unehr ift ihn’ kein Schand. Als es ihr eigen ſei.
13
Es ist ein Jahrhundert voll revolutionärer Unruhe. Einem Vulkan gleich löst die Refor-
mation immer neue Stöße und Bewegungen aus. Die Bauernaufstände werden allerdings
unterdrückt. Hören wir ein Lied von der Niederlage der fränkischen Bauern (1525):
Und wollt ihr hören ein neu Gedicht,
Wie ſich der Bauer auf Schalkheit verpflicht?
Gelübd und Eid vergeſſen.
Die n vertreiben überall,
Das haben fie fic) vermeffen, ja vermeffen.
Am Gunntag Jubilate gieng es an,
Da jab man manchen ſtolzen Bauersmann
Wol über das Feld her ziehen,
Und do es an ein Tref E ieng,
Wie nah war ih'n das leben, ja Fliehen.
zum Dorf ein was ihn'n allen gad,
anch ſtolzer Mann der eilt ihn' nach,
Begehrt ſich an ihnen zu rächen.
E flieht! bas war ihr Geſchrei,
hr Ordnung thaten fie zerbrechen, ja zerbrechen.
Da nun dasſelb alſo zugieng;
Manch Bauer großen Schaden empfieng
An Leib und auch an Gute.
nn. (liebt! das war n beft Geſchrei,
ie angi war ihnen zu Muthe, ja Muthe!
Gleichzeitig geht der Sturm der „Antipapisten” über das Land. Das Joch der Priester-
herrschaft wird abgeschüttelt, der Papst wird zum erstenmal weithin im Volk entlarvt:
Es geht ein friiher Sommer daher, Der Bapit will fein der heiligſt Mann,
Do werdt ihr hören neue Mär, Ja wer das redt, der lügt im an,
Der Schimpf der wird fid machen: Sein Thun ift nichts denn Lügen;
Wird über Münch und Pfaffen gehn, Er ſchickt Senad in alle Laud,
Sie weinen oder lachen. Die Armen zu betrügen.
Martinus ift ein kühner Mann, Der Papit ſchreibt fi ein irdiſchen Gott,
Ein groß Spiel hat er gefangen an, Damit treibt er aus Gott den Spott,
Er darf nicht Würfel noch Karten; Er hat ein Meuſchenleben;
Denn wer mit ihm ſtudiren will, Wenn er von nus empfacht das Geld,
Der heilig Schrift thut er warten. Viel Sünd thut er vergeben. (1525)
Vom ,,Papstaustreiben" wurde 1541 ein Lied gesungen, das über die Kirche den Stab
bricht:
Nun treiben wir den Papft heraus
aus Chrifti Kirch und Gottes Haus,
darin er mördlich hat regiert
und unzählig viel Seeln verführt.
Zur Empörung gesellen sich auch ‘immer wieder Stimmen beißenden Spottes. Sehr
witzig ist beispielsweise ein satirisches Lied auf das Papsttum, das 1547 gesungen wurde:
14
Ich will fürthin gut päpſtiſch fein,
bes Luthers Lehr verachten,
Nach guten zug will id nur
und guten Pfründen trachten,
nach Zins und Rent ſteht mein Indent,
wenn ich die hätt, ſo könnt ich ſtet
in Luſt und Freuden Leben,
wo nach follt ich ſonſt ſtreben?
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Ulrich von Hutten
(Holzfchnitt, Bal. ung)
Auf die Seite Luthers stellte sich insbesondere Ulrich von Hutten mil seiner
schneidigen Feder. Als , Pfaffenfeind“ muB er fliehen, schickt aber an seine Freunde und
Soldaten einen Mahnrut:
Ich habe gewagt mit Sinnen und trag des noch kein Reu,
mag ich nit dran gewinnen, noch muß man fpüren Treu;
damit ich mein nit ein'n allein, wenn man es wollt erkennen:
dem Land zu gut, wiewohl man tut ein Pfaffenfeind mich nennen.
Da laß ich jeden lügen und reden, was er will;
hätt Wahrheit ich geſchwlegen, mir wären Hulder viel:
nun hab ichs gfagt, bin drum verjagt; das klag ich allen Frommen.
Wiewohl noch ich nit weiter fliech, vielleicht werd wiederkommen.
Ob dann mir nach tut denken der Fürftenknechte Lift:
ein Herz läßt fich nit kränken, das rechter Meinung ift;
ich weiß noch viel, wolln auch ins Spiel, und folltens drüber fterben:
Auf, Landsknecht gut, und Reuters Mut! Laßt Hutten nicht verderben!
Doch die Befreiung von Papst und Priestertum geht nicht mit einem einheitlichen natio-
ralen Willen Hand in Hand. So wird die Uneinigkeit zum Fluch, als Deutschland für dreißig
ahre zum Schauplatz furchtbarster Kriegsnot wird.
Die Schweden find gefommen,
haben alles mitgenommen:
| habn bie Fenſter eingeſchlagen,
| habn's Blei davongetragen,
haben Kugeln draus gegollen
und die Bauern derſchoſſen.
15
Der „Schwedenschreck", wie er aus diesem alten Spruch noch heute bildkräftig spricht,
folgte auch den Spuren der „Kaiserlichen“. So betrauert niemand den Tod des großen
Feldherrn Wallenstein:
Ein Valetliedlein von Walenſtein.
Der Walenſtein, die eiſerne Rut,
hat nun auch geben dar ſein Blut,
u Eger iſt er mürdet.
in ſeltſamlich Gerüchte geht,
Sein kaiſerliche Majeſtät
hab ihn alſo bewirtet.
Er ſtieg dem Kaiſer viel zu hoch
und gab der Rechnung gar ein Loch,
weil er's hielt mit den Schweden;
alldarum war er in der Nacht
B Generalen umgebracht —
erräterlohn trifft jeden.
War ein berühmter General,
an Siegen groß, an Worten kahl,
tee feinen Sinn verſchloſſen;
at in ſo mancher Feldſchlacht heiß
eſparet keine Mühn und Fleiß,
ein ritterlich Blut vergoſſen.
Doch Feind und Freund übel traktiert,
daran man lang gedenken wird,
gebrandſchatzt und geplündert,
groß Reichtum auch an Gut und Geld
erworben ſich darmit im Feld,
doch ſeinen Ruhm gemindert.
Er mocht den Hahn nit hören krähn,
kein bellend Hündlein um ſich ſehn,
und lacht doch der Kartonen.
Jetzt hat er un unb langen ried,
kräht ihm fein br und Hund ein Lied,
und kann ſein' Ohren ſchonen.
O Walenſtein, du Allen ein Stein,
der Tod tut dich der Not und Pein,
der Weltpracht Laſt entheben.
Gott gnade deiner armen Seel,
woll dir all Sündenſchuld und Fehl
um Chriſti Blut vergeben.
Frankreich beutete das durch den Dreißigjährigen Krieg geschwächte Deutschland aus.
Durch die Raubzüge Ludwigs XIV. wurde im Westen erobert und zerstört, was immer
erreichbar war. Empörung und Schmerz klingen aus dem Liede, das „die Schandtaten an
Heidelberg“ beschreibt; ein Lied übrigens, das den westlichen Humanitätsaposteln nach-
drücklich in die Erinnerung gerufen werden soll.
Louvois, Louvois, deine Thaten
Stinken hoch zum Himmel auf,
Weil du Haft das Werk gerathen,
Der Schandthaten großen Hanf,
Und dein König Ludewig
Gleich auch zu den Waffen griff
Daß mit Plündern, Sengen, Morden
It die Pfalz ein Wüſte worden.
Melac, dieſer Schandgeſelle,
Durch Mordbrennerei und Raub
Hat verwandelt da zur Stelle
Heidelberg zu Schutt und Staub.
Lachte noch voll Spott und Hohn,
Und erhub fein Fault mit Drohn,
Als die lichterlohen Flammen
Schlugen überm Schloß zuſammen.
Ach wie viel Stadt, Dörfer, Flecke
Sein verhergt im Land umher,
Felder, Wälder, wüſte Strecke,
Und die Leut gepeinigt ſehr!
Gelbft bie Todten in der Erd
Haltet ihr des Raubes werth,
Wühlt die Särge aus den Gründen
Ob nicht Schätze drin zu finden.
Kaiſer, kannſt die Noth du ſehen,
Und ihr Fürſten in dem Reid,
Daß ſolch Schandtthat kann geſchehen,
Und fahrt nicht in Harniſch gleich?
Ach, laßt doch von andern Streit
Und beſiunt euch nicht lang Zeit:
Auf den Feind ſchlagt noch die Stunde
Anſonſt Alles geht zu Grunde.
O ihr Rauber ſondergleichen,
Ihr mordbrenneriſch Gezücht,
Euch muß [elbjt der Teufel weichen,
Bis euch kommt das Strafgericht!
Denn das Mag iſt übervoll,
Und die Höll will ihren Zoll;
Dann für ſolche Frevelthaten
Müßt ihr ewiglich drin braten.
16
Musketier mit brennender Lunte.
(Stich nach J. de Gheyn, 1606)
In dieser groBen Not sang Andreas Gryphius (1616—1664) ein Lied der Verzweiflung:
Wir find ja nunmehr ganz, ja mehr denn ganz verheeret!
Der frechen Völker Schar, die rafende Pofaun,
das von Blut fette Schwert, die donnernde Kartaun
hat allen Schweiß und Fleiß und Vorrat aufgezehret.
Die Türme ftehn in Glut, die Kirch ift umgehehret,
das Rathaus liegt im Graus, Die Starken find zerhaun,
die Jungfern find gefchändt, und wo mir hin nur fchaun,
ift Feuer, Pet und Tod, der Herz und Geiſt Durchfähret.
Hier durch die Schanz und Stadt rinnt allzeit friſches Blut,
dreimal find ſchon feche Jahr, ale unfer Ströme Flut
von Leichen faft verftopft, fich langfam fortgedrungen;
doch ſchweig Ich noch von dem, was ärger als der Tod,
was grimmer denn die Pet und Glut und Hungersnot:
Daß auch der Seelen Schatz fo vielen abgezwungen.
Schmerz und Trauer erfüllte auch das Volk, als es 1681 von der „Übergabe Straßburgs
an Frankreich erfuhr:
Straßburg bu ſchöne Stadt,
es ſoll zwar mit dir trauren,
der deine feiten Mauern einmal geſehen Bat;
aber du find'ſt tein Maun,
der ietzt, da du mußt leiden,
mit dir ſich ſchwarz will kleiden,
viel ſelbſt bijt ſchuldig dran.
17
Als in den Türkenkriegen der Sultan Mustafa II. einen großen Sieg errang, ernannte
1697 der Kaiser einenunansehnlichenFlüchtling, den der König von Frank-
reich spóttisch abgewiesen hatte, zum Oberfteldherrn: den Prinzen Eugen von Savoyen,
der die mißtrauische Aufnahme im Heer bald überwand und zum Abgott seiner Soldaten
wurde. 1717 erstürmte er Belgrad, und diese Tat hat das Volk mit einem der schönsten
Prinz Eugen
und berühmtesten Lieder gefeiert:
Die französische Festung Lille wurde nach langwieriger Belagerung 1708 von Prinz
Eugen erobert. Die bedrohliche Werbung Eugens um die Gunst der widerspenstigen Stadt
ist ein schönes Beispiel für den Humor, der den Deutschen auch in der Gefahr nicht
Prinz Eugen, Der edle Ritter,
wollt dem Kaifer wiedrum kriegen
Stadt und Feftung Belgrad.
Er ließ ſchlagen ein Brucken,
daß man konnt hinüberrucken
mit d' Armee wohl in die Stadt.
Als die Brücken nun gelchlagen,
daß man konnt mit Stuck und Wagen
frei paffieren den DonaufluB:
bei Semlin fchlug man das Lager,
alle Türken zu verjagen,
ihn’n zum Spott und zum Verdruß.
Am einundzwanzigſten Auguft foeben
kam ein Spion bei Sturm und Regen,
ſchwurs dem Prinzen und zeigt’s thm an,
Daß die Türken futragieren
fo viel, als man kunnt verlpüren,
an die dreimal hunderttaufend Mann.
Als Prinz Eugenius dies vernommen,
licB er gleich zufammenkommen,
feine General und Feldmarfchall,
er tät fie recht Inftrugieren,
wie man follt die Truppen führen
und den Feind recht greifen an.
verläßt:
Cugenius: Lilge, bu allerſchönſte Stadt, bie du biſt jo [chin und glatt,
ſchaue meine Liebesflammen, ich lieb bid) vor allen Damen,
mein herzallerſchönſter Schatz! ſchönſter Schatz!
18
mein herzallerſchönſter Schatz!
Bei der Parole tät er befehlen,
daß man follt die Zwölfe zählen
bel der Uhr um Mitternacht,
da follt alle zu Pferd aufſitzen,
mit dem Feinde zu fcharmüben,
was zum Streit nur hätte Kraft.
Alles faB auch gleich zu Pferde,
jeder griff nach feinem Schwerte,
ganz fill ruckt man aue der Schanz.
Die Musketiere wie auch die Reiter
täten alle tapfer. ftreiten,
's war fürroahr ein fchóner Tanz.
Prinz Eugentus wohl auf der Rechten
tat ale mie ein Löwe fechten,
als General und Feldmarfchall.
Prinz Ludwig ritt auf und nieder:
»Halt euch brav, thr deutichen Brüder,
greift den Feind nur herzhaft an.«
Prinz Ludwig der mußt aufgeben
feinen Geift und junges Leben,
ward getroffen von dem Blei.
Prinz Eugen war fehr betrübet,
weil er ihn fo fehr gellebet;
lies thn bringen nach Peterwardein.
Lilge:
Eugen:
Lilge:
Eugen:
Lilge:
Eugen:
Lilge:
Eugen:
Lilge:
Eugen:
Lilge:
Mein Herr und Prinz, was ſaget ihr, wer ſeid ihr, was macht
ihr hier? was bedeuten die Soldaten? Eure tapfre Kameraden,
Lieber, das erzählet mir! zählet mir,
Lieber, das erzählet mir!
Ich bin der Savoyer Held, bekannt genug in aller Welt,
Prinz Eugenius genannt, der vor deiner Liebe brannt,
mein herzallerliebſter Schatz! liebſter Schatz!
Lieber Herr, verpacket euch, gehet in das Deutſche Reich,
denn ich habe zum Galanten, zum Gemahl, zum Kareſſanten,
Ludewig von Franzens Haus, Franzens Haus!
Liebſte, nicht ſo ſtolz und frech, weiſt mich nicht von
euch hinweg, laßt euch ſchrecken meine Waffen, parfors
will ich bei dir ſchlafen, du magſt ſagen was du willſt.
Lieber Herr, nicht dergeſtalt, wollt ihr handeln mit Gewalt,
Ludewig bin ich vermählet, den hab ich zum Schatz erwählet,
den lieb ich bis in das Grab, in das Grab.
So Konſtabler friſch daran, feuert, wer da feuern kann.
Blitz und Donner, Feu'r und Flammen ſpielet auf die lilgſche
Damen, bombardirt das loſe Weib, loſe Weib.
Thut, was ihr nicht laſſen wollt, ihr an mir nichts ſchaffen
ſollt, meine Werk und Baſtionen, Citadel und halbe Monden
lachen und verſpotten euch, ſpotten euch.
Halt das Maul und ſchweige ſtill, hör, was ich dir ſagen will:
hab ich nicht im Ungarlande alle Türken macht zu Schande,
hunderttauſend und noch mehr, und noch mehr.
Lieber Herr, das glaub ich wohl, dak ihr damals war't [o toll,
aber ihr habt nichts zu ſchaffen jetzund mit den Türken Waffen,
ſondern mit dem Franzenblut! Franzenblut!
Lilge, du allerſchönſtes Kind, warum biſt du denn ſo blind,
daß du mich nicht willſt annehmen, thuſt du dich denn meiner
ſchämen, oder ſag, was fehlet dir!
Du mein allerſchönſtes Lamm, ich weiß dir einen Bräutigam,
Carolus der Welt⸗Bekannter, ich bin nur ſein Abgeſandter
und des Kaiſers General, General.
Nun wohlan! fo laß es fein, Carolus fei der Liebſte mein,
denn der Ludewig veraltet und im Lieben ganz erkaltet,
Carolus iſt ein junger Held, junger Held.
19
ber Siebenjährige Krieg
Durch seine Kriegstaten erwarb auch Friedrich der Große jenen Nimbus eines Volks-
helden, dessen lebendigstes und ehrenvollstes Denkmal das Lied ist, das ihm sein Volk,
vor allem auch seine Soldaten singen. Der Siebenjährige Krieg blieb nicht wie mancher
andere Fiirstenstreit vorher eine politische Aktion, die das Volk nicht zutiefst gespürt
hätte, sondern er griff in das Leben jedes einzelnen ein, schon weil Preußen einer so
gefährlichen Übermacht gegenüberstand. Deshalb sind auch nicht jene Lieder für uns so
ergreifend, die kunstreiche Dichtung schut, sondern die Lieder des Volkes. Friedrich
Gleim vertaßte „bei Eröffnung des Feldzuges 1756" einen Kriegsaufruf, dessen erste
Strophe lautete:
Krieg iit mein Lied! Weil alle Welt
Krieg will, fo jet es Krieg!
Berlin ſei Sparta! EE Held
Gekrönt mit Ruhm und Sieg!
Gesungen wurden jedoch vornehmlich die Lieder, die weniger kunstvoll, aber um so
„singbarer”, also einfacher waren. Viele solche Lieder, im Vergleich zu späteren Kriegen
eine überraschend hohe Anzahl, wurden von den Soldaten im Lager und auf dem Marsche
gesungen. Wir lassen einige der schönsten Beispiele folgen:
20
Du tapfrer Held,
Du dt: rüſte Did,
Marſchire in das Feld!
Du tapfrer Held!
Die Bäume blüh'n,
Die Wieſen ziert das Gras:
Kommt, laßt uns nicht verziehn!
Die Bäume blühn.
Marſchiret fort!
Marſchirt, und geht von hier
Wohl an ein'n andern Ort!
Marſchiret fort!
Ergreift das Schwert,
Und nehmt die len zur Hand,
Und treibt bie Böhmſche Heerd!
Ergreift das Schwert!
Wir lachen ſchon,
Daß ihr euch habt poſtirt,
Wollt ſtreiten für die Cron:
Wir lachen ſchon.
Vivat! Jetzt geh' s ins Feld
mit Waffen und Gezelt,
mit Waffen und mit meiner Kron
zu ſtreiten in dem Feld.
Und Friedrich der Große,
er zeigt's den Feinden an,
und ziehet dann ins Sachfeniand,
zwei Schwerter in der Hand.
Gen' ral Daun der ſteht vor Prag,
und der if wohl poftiert;
und Friedrich rückt in Böhmen ein
und wird ſchon attackiert!
Erſchrecket nicht,
Wenn Frankreich kommen will,
Und Rußland auch aufbricht,
Erſchrecket nicht.
Der Adler wetzt
Im Grimm und voller Wut
Sein'n Schnabel wohlgemuth
In Frankreichs Blut.
Sie ſtunden feſt
Bey Micheln und Roßbach
Mit achtzig⸗tauſend Gäſt;
Sie ſtunden feſt.
Es dis ur 15 510
— Franzoſe, packe di
E ft;
Wenn bie Canone fna
Es wird nun kalt.
Victoria!
Der Preußiſch' Adler ſiegt,
Bald hier, bald dort, bald da;
Victoria!
In drei Kolonnen frifch aufmarſchlert,
der König geht voran,
er gibt uns gleich das Feldgelchrei
und kommandiert: heran!
Schlagt an, ſchlagt an, ſchlagt an,
ſchlagt an in fchneller Reih
und weichet nicht von diefer Stell,
bis fich der Feind zerteilt.
Groß Wunder iſt zu fagen,
was Friedrich hat getan:
er hat den Feind gefchlagen
mit hunderttaufend Mann.
—
Das ist das Geheimnis der wahrhaften Feldherren: Sie 8
Zuversicht, den lachenden Glauben an die Stärke ihrer Sache, den sie weder im Kampf
Wie jene drei Königsgrenadiere Friedrichs, die „in der
Wachtstube ihr fröhliches Liedlein erdacht", und dabei zu einer äußerst witzigen Form
noch in der Ruhe verlieren.
des Reimes gritten:
Maria Thereſia, zeuch nicht in den Krieg!
Du wirſt nicht erringen den herrlichen Sieg.
Was helfen dir alle die Reiter und Huns
ſaren und alle Kroaten dazu?
Marſchieren auch dir zu Gefallen ins Feld
alle die großen Nationen der Welt.
Wollen doch ſehen, ob der Ruß und der Fran⸗
ole was gegen uns ausrichten kann.
Glaubſt du etwa, daß der preußiſche Staat
gar ſich zum Kriege gerüſtet nicht hat?
Geh nur ins Zeughaus, viel hundert Stück Ka⸗
nonen und Mörſer, bie ſtehen ſchon da.
Wenn man bei dir erſt die Strümpfe ſich flickt,
find wir dir [don in dein Land eingerückt.
Dein Heer wird zerſchlagen, wir rufen das Bil:
toria und es zieht ſich eilig zurück.
Wenn unſer Friedrich im Feld für uns ficht,
ſcheuen die Teufel, die Hölle wir nicht;
mutig zum Kampfe, ſo rufen die Trom⸗
peten und Pauken, wer Quit hat, der komm.
Ei, wer hat deun ſolchen feinen Verſtand,
daß er dies Lied von den Preußen erfand?
Drei Mann von Königsgrenadier in der Wacht⸗
ſtube, die haben das Liedlein erdacht.
Obri vom Regiment Gens d' armes
eben ihren Leuten die fröhliche
Luſtig wohl auf, ſeyd alle praf drauf!
Heut ich mein Löh
nung noch völlig verſauf',
Zieh in das Feld, — allwo praf Geld,
Dort zu gewinnen beym Feind im Zelt.
Brüder ich bitt! geht alle mit,
Laßt unſern König ſtecken itzt nit:
Schaut, wie viel
Wider das Haus
eind aufgeſtanden ſeynd,
reußen, bie alle vermeynt.
Pulver und Bley machten ein' n i
Daß manchem von Feinde der Kopf brach entzwey:
Auch die Cavallerie, machten praf Brüh,
Hau'ten die Feind in ein Fricaßi.
Es iſt uns bekandt, des Feindes Hand;
Auch man nicht ſchonet des Nachbarn Land:
Und dieſe all' wolten zumahl,
Das Haus von Preußen bringen zu Fall.
Es konnt nicht ſeyn, Gott legt ſich drein,
Thut unſern König beſchützen allein,
Durch ſeine Macht, hat ſo weit bracht,
Daß er die Feinde itzt alle ausladt.
Außer Spottliedern dieser Art finden wir in den alten Liederbüchern jener Zeit auch
bildkräftige Beschreibungen des Kriegshandwerks und nicht selten
eradezu fesselnde
Schlachtberichte. Die Erinnerung an erfochtene Siege stärkt das Selbstbewußtsein, und
so mögen die folgenden drei Lieder vielleicht gerade in gefährlichen Situationen ent-
standen und gesungen sein.
Vivat der König Friederich,
Der tapfern Preußen Held,
Zieht itzt zu Feld mit tapfern Muth,
Er ſchont ja nicht ſein Leib und Blut,
Acht weder Hitz noch Kält.
Mit großer Macht und friſchen Muth,
Er ſeinen Marſch nach Böhmen thut,
Er ſtellt in Obſervanz,
Spielt Ojtretdh auf zum Tanz,
Mit Pauken⸗ und Trompetenſchall
Mit Trommeln: und Canonenknall,
Führt er es prächtig auf.
Die ganze Preuß'ſche Kriegesmacht,
Auf rüſt't ſich zu einer Schlacht,
Voll Wuth, voll Muth, voll Tapferkeit,
Zu ſchlagen fid mit Sſterreich,
Friſch auf zum Kampf und Streit,
Ein tapfrer Graf und Kriegesheld,
Feldmarſchall Schwerin wird gemeldt,
Der rückte tapfer an,
Mit etlich taujend Mann,
Er ſchlug des Feindes ganze Macht,
Gott gab ihm Glück zum Sieg der Schlacht
Durch Muth und Tapferkeit.
22
Der tapfern Preußen Grenadier,
Dragoner, Reuter, Musquetier,
Die ganze Preuß'ſche Kriegesmacht,
Die habens recht und gut vollbracht
In dieſer großen Schlacht.
Dort lag ein ſterbender Soldat,
Wohl auf der blut'gen Lagerſtatt,
Dragoner, Reuter, Rok,
Vom Blut ſehr häufig floß,
Dort lag ein Kopf, Arm, Leib und Bein,
Das war zerſchoſſen kurtz und klein,
Zu ſeh'n erbärmlich war.
Von großer Zahl der Kriegesmacht
Viel tauſend blieben in der Schlacht,
Bleſſieret und getödtet ward,
Viel tauſend Mann gefangen hart
Von Sſt reichs Bold und Macht,
Auf Preußen, ruft Victoria!
Gott Lob der Sieg iſt völlig da,
Getroſt und ſeyd vergnügt,
Der Wahl ⸗Platz tit beſiegt,
„Durch Preußens Muth und Tapferkeit,
Triumph Victoria.
Wir PreuB’fche Hufaren wann kriegen wir Geld?
Wir müffen marfchiren ins weite Feld,
Wir mëtten marſchiren dem feind entgegen,
Damit wir thm den Paß verlegen.
Wir haben ein Glöcklein, das lautet fo hell,
Dae If überzogen mit gelbem Fell,
Und wenn man dae Glöcklein ja lauten hört,
So heißt es: Hufaren auf eure Pferd!
Wir haben une ein Bräutlein ausermehlt,
Dae lebet und ſchwebet ins weite Feld,
Das Bräutlein wird die Standarte genannt,
Dae ift une Hufaren fehr roohl bekandt.
Und ale denn die Schlacht vorüber war,
Da einer den andern wohl fterben fahl
Schry einer zum andern ach! Jammer, Angft und Noth,
Mein lieber Camerad ift geblieben todt.
Das Feld war da mit Blut befloffen,
Wie mancher Dragoner ward herunter gefchoffen,
Wie mancher Grenadier muft' hüffen die Erd,
Wie mancher Hufar muft’ herunter vom pferd.
Wer fich in Preuß ' ſche Dienfte will begeben,
Der muß ſich fein Lebtage kein Weibchen nicht nehmen:
Er muß fich auch nicht fürchten vor Hagel und vor Wind,
Beftindig verbleiben bis an das End.
Noch ausgeprägter finden wir diese für die politische und militärische Führung recht
ungünstige Stimmung in dem folgenden Lied, das die ,,Vivat"-Rule der ersten Jahre ver-
gessen zu haben scheint.
Wie wirds noch werden treuer Gott, Die gantze Preußiſche Armee,
Man hört von Kriegs⸗Geſchrey, Die rückte tapfer an,
Thu dich erbarmen in der Noth, Mit ihrer großen Artillerie,
Steh uns o Vater bey; Da ging das Treffen an,
Das Klagen iſt ſchon in dem Land, Oſtreich verlor viel tauſend mann,
O, Vater! ſchütz durch deine Hand. Mit Wehmuth man noch dencket dran.
Das Blutvergießen geht ſchon an, Ein General kam auch zu todt,
die Stücken krachen da, Durch den Canonen⸗Schuß,
Hier liegt ein Arm, und dort ein Mann, Viel Officierer hatten Noth,
ei taufend bleiben gar, Das Blut lief wie ein Fluß;
die TodtensCörper liegen dar, Neun Stunden hielt das Treffen an,
ie Erd' mit Blut gefärbet war. Daß auch kein Menſch mehr dauren kan.
Als nun die Schlacht geſchehen war,
Die Nacht kam auch heran,
Oſtreich die gantze Schlacht verlohr,
Mit achtzig tauſend Mann:
Friedrich den Sieg erhalten hat;
Triumph, Triumph, Victoria.
23
Manche Lieder überbieten sich geradezu in Schilderungen von Schlachtgetümmel und
gräßlichen Geschehnissen. Doch hört man aus manchen Worten auch bereits das Ent-
setzen und die Sorgen, die der Kriegsmüdigkeit voranzugehen pflegen. So heißt es z. B.
in einem Lied:
Auch fag ein Roß, dabey der Reuter,
Zuſammen ohne Kopf und Bein,
Ach, was groß Jammer ſah' man weiter,
Erbarmen möchte ſich ein Stein;
Viel Bleßirte lagen dar,
Schrien daß es erbärmlich war.
O Gott, du großer Gnaden⸗Vater,
Beſchütze unſer Stadt als Land,
Sey du ferner unſer Berather,
Und laß uns nicht aus deiner Hand,
Erhalte doch genädiglich,
Unſern hochtheuren Friederich.
Schrecken und Not des langen Krieges nehmen schließlich dem Volk allen Mut. Es
ist erschöpft, und so klingen die Zeilen des folgenden Liedes nicht aufrührerisch, sondern
geradezu rührend. Im letzten Jahr des Siebenjährigen Krieges entstand diese „Bitte
um den Frieden":
Soll denn gar fein Friede werden,
Nimmt der Krieg denn noch kein Ende?
Unſere Länder ſind verheeret,
Städte und Dörfer abgebrennt,
Jammer überall und Noth,
Und dazu auch mehr kein Brot.
Friedrich, o Du großer König,
Stecke doch Dein Schwert nun ein,
Denn wir haben nur noch wenig,
Was Dir könnte dienlich ſein!
Alles wüſte, alles leer,
Länger geht das ſo nicht mehr.
Friedrich kann seinem Lande den Frieden schenken und erhalten, wenn ihn auch der
Bayrische Erbfolgekrieg 1778 noch einmal zu den Waffen greifen läßt. Die Sicher-
heit des Siegers spricht, wie aus den politischen Unternehmungen Friedrichs so auch
aus vielstrophigen Liedern, in denen es heißt:
24
Kaiſer Joſeph! Willſt du nicht, eines mit mir wagen?
ich und mein Prinz Wilhelm wird, vor dir nicht verzagen;
kenneſt du den alten Greis, Friederich den Großen,
der wird deine Macht als Held, hoffentlich umſtoßen.
Was hat dich dazu bewegt, Krieg mit mich zu führen?
Du wirſt gerne ſo wie ich, auch nicht was verliehren;
oder glaubſt du, daß ich alt, und nicht möchte kommen,
dazu hab' ich meinen Prinz Wilhelm mitgenommen.
Dieser Krieg blieb jedoch eine Episode und mit Leichtigkeit wurde der politische Erfolg
errungen. Mehr und mehr zog sich Friedrich auf seine innenpolitischen Aufgaben zurück,
einam und unermüdlich, als Lebender schon zum Mythos geworden. Dem entsprach die
Verehrung des Volkes: in Ehrfurcht erschauerte es, wenn er einmal sichtbar wurde,
nannte ihn aber gleichwohl voll vertraulichen Stolzes den „alten Fritz". Beides, Ehr-
lurcht und Liebe, kommt in dem witzigen Lied zum Ausdruck, das vom Tode Fried-
richs erzählt: :
Als jüngſt der Held Merkurius im Himmel rapportirte, daß König Friedri
Maximus noch immer reſidirte, da hieß es: er hat aus elebt; Cer ijt es, da
man ihn begrabt; man gebe feine Krone nun feinem Bruder⸗Sohne.
Als nun der Tod die Order fah, erbebte fein Gebeine, „Nein ſprach er:
wahrlich! Herr Papa: ich geh nicht ſo alleine; ja, geht nicht Vater Ziethen
mit, geh ich wahrhaftig keinen Schritt; daß will gewiß viel ſagen, an Friedrich
ſich zu wagen!“ |
Nun kriegte Ziethen ben Befehl, bie Sache auszuführen, auch mußte General
von Scheel mit nach der Welt marſchiren; Zeus ſprach zu ihnen: macht's
geſcheid! denn wenn ihr nun nicht glücklich feid, [o dürft ihr hier drauf
trauen, den Himmel nie zu ſchauen.
Held Ziethen ſtrich e ienen Barth, unb fprad im vollen Lachen: Fritz wird
nun bald nach ſeiner Art ein Herbſt Manöver machen. nun er fid) nun aus
Sans⸗Souci, fo können wir ihn ohne Mühe, anjtatt zu Manövriren, zum
Himmel transportiren.
Es machten ſich nun beide Herrn, nach alter Preußiſcher Weiſe, von aller
Furcht und Zaudern fern, geſchwinde auf die Reiſe. Sie reiſten nach der
Unterwelt, zu fangen „Preußens tapfern Held, und ftanden auf der Lauer,
hart an des Schloſſes Mauer.
So ſtanden unſ're Herren da, dem König aufzupaſſen, als eben Madam
Podagra in etwas ihn erlaſſen. Er ahnte nichts von der Gefahr, und weil
juſt ſchönes Wetter war, ſo ließ er ſich verleiten, ein wenig auszureiten.
Kaum war er aber vor dem Thor, ſo fiel ein dicker Nebel, und gleich ſprang
Vater Ziethen vor mit blank gezognem Säbel. Dem König ward dabei nicht
mae éi riff nach feinem Terzerol, bas war zu allem Schaden den Morgen
nicht geladen.
„Verzeihen Ihro Majeſtät“, fprad Scheel mit vielem Bücken, „Sie [eben
wie's nicht anders gent und werden ſich drin ſchicken. Im Himmel iit es
auch recht gut, da fließt von keinem Säbel Blut; da ſchweigen die Kanonen,
da iſt vortrefflich wohnen.“
„Auch können ihro Majeſtät im Himmel manövriren, Bellona, die das Ding
Due d viel vom Exerciren. Ihr Name iit dort Ki befannt: denn an
des Speiſeſaales Wand, ſtehn alle Ihre Siege vom ſiebenjährgen Kriege.“
Der König ſprach: Ich ſeh es ein, ich muß mich drein ergeben, die Sache kann
nicht anders ſein, aus iſt's mit meinem Leben. Auf Erden hält mich nichts
zurück. Ich machte meiner Völker Glück: Die Größe meiner Staaten, iſt Zeuge
meiner Thaten.
Mein Bruder Sohn hat nachſtudirt ſchon manchen frühen Morgen, wie man
ein Königreich regirt. D'rum leb ich ohne Sorgen. Ja, er verdient den
Preußſchen Thron, von Kindheit an entdeckt ich ſchon in jedem ſeiner Blicke,
er ſei des Preußen Glücke.“
Der Tod verlas nun den Befehl, und ſchüttelte die Senſe. Des Pferdes Zügel
faßte Scheel, und Ziethen nahm die Trenſe. Schnell wie der Blitz nur fahren
kann, ging die Reiſe himmelan, und unter ihnen ferne, blieb Sonne, Mond
und Sterne.
An 17 Pens ein Grenadier von Potsdam, als Gefreiter. Der fprad
u Wach: „ich fehe hier von weitem einen Reiter; mir ſcheint's, als ob es
Friedrich wär. Er iſt's. Raus, Burſchen ins Gewehr! Ihr müßt raſch
präſentiren, das wird ihn recht ſcharmiren.“
25
Hufar vom Hufaren-Regiment
von Belling. (foto nad X.
v. Menzel, 1758)
Der König fam. Der onbir der Wache falutirte, indek der Tambour nach
Manier das Kalbfell wirbelnd rührte. "M ging es durch bie Straßen durch,
bis nach des Donnergottes Burg. Hier ſa
Speiſeſaale.
Der Marſchall, der den Dienſt verſah, ging be ihn anzumelden, weld 185
man juſt beim Mahle im großen
Gemurmel wurde da bei Göttern und bei Helden. Ne tar, Ambroſia blie
tehn, um Preußens Friederich zu ſehn; ihn freudig zu empfangen, war
dermanns Verlangen.
Doch ſchwache Muſe ſchweige ſtill, zu kühn wird ſonſt dein Singen, für deine
Kräfte wirds zu viel, um da hinein zu dringen, was Zeus für Friederich
beſchloß; denn fein Verdienſt ijt viel zu groß; zu viel that er auf Erden, um
je belohnt zu werden.
Auch Maria Theresia, die große Gegnerin Friedrichs, lebte im Herzen des Volkes.
Sie, eine der größten deutschen Frauen, und ihr Sohn, Kaiser Joseph II., eroberten
sich durch ihre charakterliche, menschliche Größe und durch ihre politischen erh pe
insbesondere durch vielerlei Reformen, das Recht, nicht nur von Hofdichtern, sondern
auch vom Volk besungen zu werden. So hören wir beispielsweise zu Beginn des Sieben-
jährigen Krieges ein kleines Lied:
Zwiſchen unſrer Kaiſerinne Aber unire Kaiſerinne
Maria Thereſia, Maria Thereſia
Und ai von Preußen drinne Allezeit den Sieg gewinne,
Sit Spektakel wieder da. Wie ſie ſteht im Rechte ja.
Wie sehr Kaiser Joseph II. von seinen Soldaten und von seinem Volk vergöttert wurde,
zeigt ein Lied, das noch lange Jahre, vor allem auch in den Freiheitskriegen, gesungen
wurde. Für einen einfachen Soldaten war es das größte Erlebnis, das ihn noch bis zum
Tode auszeichnete, wenn ihn sein Kaiser angesprochen und gelobt hatte:
Wie heißt, der dort am Flügel ſteht? Stauff heißt er, Ihro Majeſtät. Da jab
mich Kaiſer Joſeph an, und ſprach: „das iſt ein hübſcher Mann.“ Drauf kam
er her zu mir EE Stauff, dacht ich, ſollteſt um was bitten;
do Nel e gleich das Wetter drein!
mir fiel juſt damals gar nichts ein.
26
——ů—— Lond
„Was für ein Landsmann, liebes Kind?“ „„Aus Böhmen,“ ſagte id, „ei bas
find recht brave Burſch, und wo denn da?“ „„Ihr Majeftät, aus Slatowa. —
als ihn war der große Schreiner, und dennoch um ein'n Zoll noch kleiner,
als ich.““ |
„Schon gut mein lieber Sohn;“
mich wette b'rauf, er fannt ihn ſchon.““
Er [ab auf's Pferd dann zu mir nauf; ich blies, wie ſich's gehört, mich auf.
Da hat er fein mich angelacht, und mir ein Compliment gemacht. Mein
Lebtag kann ich's nicht vergeſſen, hab ich gleich manchmal nichts zu eſſen,
mein Kaiſer hat mich angelacht, und mir ein Compliment gemacht.
O wüßten das die großen Herrn! wie rückten ſie die Hüte gern vor einem
armen Kerl, wie ich: er lebe noch ſo kümmerlich; ein einz'ger Blick von
unſerem Fürſten, giebt ſüße Labe, wenn wir dürften; ein Ruder mit dem
Treſſenhut, macht alles Elend wieder gut.
Hört an, wie's ging bei Orſowa! kaum ſtand ich als Vedette da, kam euch
auf tauſend Schritt heran, ein reicher Kerl, ein Muſelmann. Er ließ ein
großes Goldſtück ſehen, ich ſollt dafür hinüber gehen, hm! dacht ich: Stauf,
jetzt deſertir', führſt doch ein ſchlechtes Leben hier!
Doch plötzlich fiel mir wieder ein; pfui ſchäm' dich, Stauff, das war nicht
fein! Da faßt' ich guten friſchen Muth: reiß aus, verdammtes Türkenblut!
ſchrie ich mit grimmiger Geberde, glaubſt du, daß ich dir folgen werde? —
Mein Kaiſer hat mich angelacht, und mir ein Compliment gemacht!
Ich denk [o manchmal hin und her: kommt doch fein Kaifer Joſeph mehr! —
wenn einem der ins Auge ſah, 's war doch, mein Seel'! ein Gloria! —
D’rum, Cameraden, muß ich fterben, folt Ihr die Extra⸗Stiefeln erben! nur
ſorgt dafür und prägt's Euch ein, ſetzt mir dafür 'nen Leichenſtein!
Ein ut ger Scriblifer ſchreib drauf: hier liegt der Reiter, Johann Stauff;
— all fein Gewehr hielt, Gott fet Dank, er immer rein und ſpiegelblank; —
ſein Pferd war gut — auch konnt' er reiten und mit dem Teufel ſelber
ſtreiten, ſein Kaiſer hat ihn angelacht und ihm ein Compliment gemacht.
Schon bei der Wahl Josephs zum Kaiser (1765) wurde ihm ehrliche Begeisterung ent-
legengetragen, und nicht durch Zufall hören wir hier das Wort ,deutsch":
Trefflich wie Marie Therefe
Und fo gnädig auch und gut.
Hat nach langem Kriegsgetöſe
Nun ganz Deutſchland frohen Mut.
Freut euch, ihr Deutſchen alle!
Stimmt ins Tedeum ein!
Laſſet bei der Glocken Schalle
Auch Kanonen donnern drein!
Ruft überall in Freuden:
Vivat Kaiſer Joſephus,
Der für alle ſchlimmen Zeiten
Jetzo reicht den Friedenskuß.
Verkaufte Soldaten
Während so in Preußen und Österreich die nationalen Gefühle wach wurden und die
Fürsten im Volk standen und mit dem Schwung hoher Ideen regierten, machte sich in
den kleineren deutschen Staaten ein Despotentum breit, das alle Regungen der „Unter-
tanen" verkümmern ließ, ja darüber hinaus sogar aus Gewinnsucht Tausende von Männern
gegen gutes Geld nach Übersee verkaufte, als „Subsidienregimenter”. Voller Empörung
randmarkte Schiller, der in seiner Heimat Zeuge des fürchterlichen Geschehens war,
in seinem Drama „Kabale und Liebe" diese schauerlichen Äußerungen fürstlicher Ge-
wissenlosigkeit.
Kammerdiener:
Seine Durchlaucht der Herzog empfehlen Sich Mylady zu Gnaden und ſchicken
Ihnen dieſe Brillanten zur Hochzeit. Sie kommen ſoeben erſt aus Venedig.
Lady (hat das Käſtchen geöffnet und fährt erſchrocken zurück):
Menſch! was bezahlt dein Herzog für dieſe Steine?
Kammerdiener (mit finſterm Geſicht):
Sie koſten ihn keinen Heller.
Lady: ;
Was? Biſt bu raſend? Nichts? — Und (indem fie einen Schritt von ihm
wegtritt) du wirfſt mir ja einen Blick zu, als wenn du mich durchbohren wollteſt —
nichts koſten ihn dieſe unermeßlich koſtbaren Steine?
Kammerdiener:
Geſtern ſind ſiebentauſend Landskinder nach Amerika fort — die zahlen alles!
Lady (fegt den Schmuck plötzlich nieder und geht raſch durch den Saal, nach einer
Pauſe zum Rammerbieneri.
Mann, was ift bit? Ich glaube, du weinſt?
110 m d erdiener (wiſcht fid die Augen, mit ſchrecklicher Stimme, alle Glieder
zitternd):
Edelſteine, wie dieſe da — ich hab' auch ein paar Söhne drunter.
Lady (wendet ſich bebend weg, ſeine Hand faſſend):
Doch keinen gezwungenen?
Kammerdiener (lacht fürchterlich):
O Gott! — Nein — lauter Freiwillige. Es traten wohl ſo etliche vorlaute
Burſch' vor die Front heraus und fragten den Oberſten, wie teuer der Für
das Joch Menſchen verkaufe. — Aber unſer gnädigſter Landesherr ließ alle
Regimenter auf dem Paradeplatz aufmarſchieren und die Maulaffen niederſchießen.
Wir hörten die Büchſen knallen 1 ihr Gehirn auf das Pflaſter ſprützen, und
die ganze Armee ſchrie: „Juchhe! Nach Amerika!“
Vielleicht ist die Bitterkeit des Liedes, das die Ausziehenden sangen, nur einem Teil
des Volkes bewußt geworden. Wir kennen ein Flugblatt, das harmlos und selbstver-
ständlich lautet: „Ein schön und wahrhaftig Soldatenlied, so Anno 1775 am 19. Oktober
zu Cassel auf der Parade von den abziehenden Militärs mit admirabler bonne humeur
vor Ihrer Durchlaucht gesungen ward." Unter dieser Ankündigung findet sich das
folgende Lied:
Juchheiſa, nach Amerika, Ade, Herr Landgraf Friederich,
Dir, Deutſchland, gute Nacht! Du dét uns Schnaps und Bier! ,
Ihr Heſſen präſentiert's Gewehr. Schießt Arme man und Bein uns ab,
Der Landgraf fommt zur Wacht. So zahlt ſie England dir!
Ihr lauſigen Rebellen ihr,
Gebt vor uns Heſſen acht!
Juchheiſa, nach Amerika,
Dir, Deutſchland, gute Nacht.
28
Ein württembergisches und holländisches Soldatenlied ist uns unter dem Namen „Cap-
lied“ bekannt. Beim Abmarsche des Württembergischen Subsidien-Regiments nach
Alrika ist es gesungen worden.
Auf, auf ihr Brüder und feid ftark, der Ablchiedstag ift da. Schwer liegt er auf
der Seele ſchwer, wir müffen über Land und Meer in's heiße Afrika, in's heiße
Afrika.
Ein dichter Kreis von Lieben fteht, ihr Brüder, um uns her, uns knüpft fo manches
fete Band, an unfer deutiches Vaterland, drum fällt der Abfchied ſchwer, drum fällt
der Abſchled ſchwer.
Dann bieten graue Eltern noch zum letztenmal die Hand, dann hofen Bruder,
Schweſter, Freund, und alles feufzt und alles weint todt blaß von uns gewandt.
IR hart, drum wirble du Tambour, den Generalmarfch d' rein, der Abſchied macht
uns fonft zu weich, wir weinten kleinen Kindern gleich. Es muß gefchieden fein.
An Deutſchlands Grenzen füllen wir mit Erde unfre Hand, und hüffen fie, dies fel
der Dank, für deine Pflege, Spe: und Trank, geliebtes Vaterland.
Wenn dann die Meereswoge fich an unferm Schiffe bricht, dann fegeln wir gelaffen
fort, ein Gott iſt hler, ein Gott iſt dort, und der verläßt uns nicht.
Und ha! Wenn fich der Tafelberg aus blauem Dunſte hebt, dann heben wir empor
die Hand, und jauchzen laut, ihr Brüder, Land, daß unfer Schiff erbebt.
Wenn dann Soldat und Offizier, gefund ane Ufer ſpringt, dann jauchzen wir, ihr
Brüder, ha, nun find wir ja in Afrika, und Alles ſpringt und ſingt.
Dann leben wir im fernen Land als Deutſche brav und gut, und fagen foll man
weit und breit, die Deutſchen find ja brave Leut, und haben Geiſt und Muth.
Und trinken auf den Hoffnungetag, den reinen Gdtterwein, und denken da von
Sehnfucht weich, ihr fernen Freunde auch an euch, und Thränen fallen d' rein.
*
Man wird jetzt um so mehr den Notschrei Johann Gottfried Herders verstehen,
den er 1778 an den Kaiser richtete: „Gib uns ein deutsches Vaterland!" Es heißt in
diesem leidenschattlichen Gedicht, dessen Gedanken erst Jahrzehnte später das ganze
olk erfassen:
O Kaiſer! bu pon neunundneunzig dürften,
und Ständen miebes Meeres Sand
Das Oberhaupt, gib uns, wonad wir dürften,
Ein deutſches Vaterland,
Und Ein Geſetz und Eine ſchöne Sprache
Und redliche Religion: |
Vollende deines Stammes ſchönſte Sache
Auf deines Rudolfs Thron.
29
Gegen die Jakobiner
Die Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert steht im Schatten der großen Französischen
Revolution, deren Vorgänge sich alsbald auf die angrenzenden Länder auswirkten und
auch unter den Deutschen ein leidenschaftliches Für und Wider entfesselten. Die beiden
folgenden Lieder mögen als Beispiel tür viele andere gelten, in denen der Ungeist des
Jakobinertums durch die gesunde Stimme des Volkes eine scharfe Abfuhr erfährt. Ende
1792 wird das eines Würstelbubens gegen die Jakobiner verbreitet, in dem es heißt:
eht's, fan[t's mir meine Würſtel ab, bella, —
E^ ts ja, daß ich bie beiten hab, tra
Seind warm und recht ſafti 4. 460
Ein Jakobiner, der Ad vera
Tralla, tralla, tralla.
t Jalobiner id ich keins, heile,
enn die und en 2 Sé SES tralla,
Ihr Mörder⸗ und i t 9tanberg'ft
Ertragt ber Würſtelbub auch ni 4
Ihr Freihei I
SN 1 i al ie vegelie, all
Fee eingefüllt
it ihr tyrauniſch DAC,
in Wi
Ss rtt, ari grt e
Der Würftelbub jezt ſchon ein,
Daß er dem Sands Ak tren muß fein.
tx iſt von Tollheit z riſſen, heſſa,
Der bal] be Le lb Biol an dreinz'ſchmiſſen, tralla:
Heißt: Menſch, bu wer nicht ein Biehl
Gottlob, daß man von Klubsgeſchmei
In unſerm : Ee Land nichts hp 5 EA im,
Drum g Le der auf und ab
Und ſchrel: a 6 3 doch Würſtel ab.
Tralla, trala,
Aus dem gleichen Jahre kennen wir ein 15strophi iges Lied gegen die jakobinische
Gleichheit, das die Sinnlosigkeit der „Gleichheit“ am
licht. Es heißt da:
30
ispiel der Tierwelt veranschau-
Einſtmal fiel einem Eſel ein, J ou,
Daß en aN Auch fol ein, J ou.
Er trug es allen Eſel n Dot;
Die Eſel ſpi en Se e 's Ohr.
J ou, J ou,
Der Löw’ ſoll i mehr fein am Brett, I ou,
War gleich der Eingang feiner Red’, J ou,
Wir brauchen keinen König mehr;
Gleichheit ſei unſer Gott und Herr.
J ou, J ou, J ou.
Die Eſel kämen nie empor, J ou,
Es ging uns jeder andre vor, J ou,
Das Pferd, der Hund, ſogar die Katz',
a je 8 di De beſſerm Platz.
J ou,
Der Löw’ famt Anhang fet gemorb't, I ou,
Bon uns geh mr einer fort, J ou,
Der hiezu viele Tiger wirbt;
Dann ſeind wir frei, wenn fener ſtirbt.
J ou, J ou. J ou.
Darauf tritt nun ein anderer Esel hervor und warnt:
greilig, prach er, wird Gleichheit fein, J ou,
Wenn alle haben gleiche Pein, J ou,
Mein' Laſt mir immer lieber iſt,
Als wenn man mich gar ſchind't und frißt.
J ou, J ou, J ou.
Zahlreiche deutsche Dichter sind den trügerischen Ideen von Freiheit und Gleichheit
damals verfallen und haben zu ihrem Lob Gesänge geschrieben. Friedrich Gottlieb
Klopstock hat diesen „Irrtum“ sehr bald erkannt und war wie wenige mutig genug,
sich von jenen Parolen loszusagen. 1793 schreibt er ein Gedicht, in dem es heißt:
Mein Irrtum.
Dennoch glaubt’ ich, und ach Wonne war mir,
Morgenrötlicher Glanz der goldne Traum!
War ein Zauber, role gehoffter
Liebe, dem trunkenen Geift!
Freiheit, Mutter des Hells, Oeucht' es mich, du
Würden Schöpferin fein, die Glücklichen,
Die fo ganz du dir erkoreft,
Umzufchaffen gefandt!
Freiheit, Mutter Des Heils, nannten fie dich
Nicht ſelbſt da noch, ale nun Erobrungehrieg,
Mit dem Bruche des gegebnen
Edlen Wortes, begann?
Ach des goldenen Traums Wonn’ ift dahin,
Mich umfchwebet nicht mehr fein Morgenglanz,
Und ein Kummer, mie verfchmähter
Liebe, kümmert mein Herz.
Während die gesamte aufgeschreckte Welt im Banne der Carmagnole stand, erkannte
Goethe mit prophetischem Geist, in welcher Richtung sich die Exzesse dieser Jahre
entwickeln würden. Gleichzeitig spricht aus seinen Worten, aus dem Schluß des zweiten
hier abgedruckten Epigramms seine Sehnsucht nach der Hand eines starken Staaten-
lenkers (Epigramme, Venedig 1790).
Alle Freiheits⸗Apoſtel, fie waren mir immer zuwider;
Willkür ſuchte doch nur Jeder am Ende für ſich.
Willſt du Viele befrein, fo wag’ es Vielen zu dienen.
Wie gefährlich das ſei, willſt du es wiſſen? Verſuch's!
Könige wollen das Gute, die Demagogen desgleichen,
Sagt man; doch irren ſie ſich: Menſchen, ach, ſind ſie, wie wir.
Nie gelingt es der Menge, für ſich zu wollen; wir wiſſen's:
Doch wer verſtehet, für uns alle zu wollen; er zeig's.
Frankreichs traurig Geſchick, die Großen mögen's bedenken;
Aber bedenken fürwahr ſollen es Kleine noch mehr.
Große gingen zu Grunde: doch wer beſchützte die Menge
Gegen die Menge? Da war Menge der Menge Tyrann.
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32
In dieselbe Zeit, 1792, fällt ein Gedicht von Gottfried August Bürger, der sich über den
Feldzug der deutschen Fürsten gegen Frankreich empört:
gür Wen, du gutes deutſches Volk, War s nicht genug, ihr Sklavenjoch
ehängt man dich mit Waffen? Mit con Sinn zu tragen?
ür Wen läkt bu von Weib und Kind Für jie im Schweiß des Angeſichts
nd Herd hinweg dich rollen, Mit Kronen dich zu plagen?
ür Fürſten⸗ und für Adelsbrut, gür ihre Geißel ſollſt bu nun
nd fürs Geſchmeiß der Pfaffen. uch Gut und Leben wagen?
Eine Antwort auf die herausfordernde Marseillaise ist das folgende, aus dem Oster-
reichischen stammende „Schlachtlied“ vom Jahre 1794, das folgendermaßen beginnt:
Auf! rüftet ud verbundne Heere
Germaniens! Das Schwert zur Hand!
Ein Volk, bas Gott, Geſetz und Ehre
Verhöhnt, droht unſerm Vaterland!
Uns nah ſchon toben wilde Horden,
Wie noch der Erdkreis keine ſah;
Die Hand ans Schwert! ſchon ſind ſie da,
Uns zu berauben, uns zu morden.
Auf, wer ſich Menſch fühlt, auf!
Mit deutſchem Arm und Mut,
Schlagt dieſe Brut!
Tränkt Berg und Tal mit der Barbaren Blut!
Im Frieden von Campo Formio wurde am 17. Oktober 1797 das Rheinland an Frankreich
abgetreten. In den neuen vier „Rheinischen Departements“ beeilte man sich, die Bräuche
der Bastille-Republik nachzuholen. Eine Reihe von schnell gedichteten „Volksliedern“
gibt noch heute Zeugnis von diesem seltsamen Schicksal des Rheinlandes:
k Drittes Lied anf bie Hinrichtung bes Königs.
Fluch auf ſouveraine Verbrecher.
luch den gekrönten Ungeheuern!
ie wolluſttrunlen in Paläſten,
Erpreſſend überſpannte Steuern,
Mit feilen Dirnen ſich vom Volksſchweiß mäſten!
luch denen! die eidbrüchig in der Wuth
. treue Menſchen tödten,
nd mit dem rauchenden unſchuld'gen Blut
Dann lächelnd den gelähmten Zepter löthen!
luch denen, die nach Willkür Menſchenrechte kränken
nd über das Geſetz ſich weit erhaben denken;
Die glauben in beipot'idjer Naſerei,
Daß fie nicht für das Volk, das Volk für fie da ſei:
Die Unterthanen nur für kriechende Geſtalten,
Nur des Ertretens werth, für Erdenwürmer halten!
Der véi, verfolge das Gezücht Wüſtlinge
So wie der Knab' im Sommer Schmetterlinge,
Und ſchleudre dieſe Brut der Menſchheit zur Wohltat
Der Hölle dar, die ſie nur ausgeſpien hat!
33
Deutfchland
in feiner tiefen Erniedrigung
In der Zeit der schmachvollen Demütigung durch den kriegerischen Usurpator gehörte
Heinrich von Kleist, neben Ernst Moritz Arndt, Theodor Körner und anderen
Dichtern, zu den leidenschaftlichsten Rufern für die Freiheit. Durch seine Dichtungen
schürte er die Stimmung und bereitete er die Erhebung vor. Seine „Hermanns-
schlacht" — ein hervorragendes Beispiel für ein zeitbezogenes Drama — war ein
unverkennbarer Aufruf gegen Napoleon. Nicht nur die Handlung und das Thema, sondern
auch die sprachliche Führung des Dramas richteten sich gegen Napoleon. So singt der
„Chor der Barden“:
Wir litten menfchlich feit dem Tage,
Da jener Fremdling eingerückt)
Wir rächten nicht die erfte Plage,
Mit Hohn auf uns herabgefchickt;
Wir übten nach der Götter Lehre,
Uns durch viel Jahre im Verzeihn:
Doch endlich drückt des Joches Schwere,
Und abgefchüttelt will es fein!
Heinrichvon Kleist war es, der am unerbittlichsten und als einer der ersten
das Volk zum Widerstand aufrief. 1809 läßt er „Germania an ihre Kinder" sprechen:
Brüder, wer ein deutſcher Mann,
Schließe dieſem Kampf ſich an!
Alle Triften, alle Stätten,
Färbt mit ihren Knochen weiß;
Welchen Rab’ und Fuchs verſchmähten,
Gebet ihn den Fiſchen preis:
Dämmt den Rhein mit ihren Leichen,
Laßt, geſtäuft von ihrem Bein,
Schäumend um die Pfalz ihn weichen
Und ihn dann die Grenze ſein!
Eine Luſtjagd, wie wenn Schützen
Auf der Spur dem Wolfe figen!
Schlagt ihn tot! Das Weltgericht
Fragt euch nach den Gründen nicht!
Unter den Freiheitskämpfern, die den Franzosen die Herrschaft in Deutschland durch
örtliche Aufstände unsicher machten, ragt die Gestalt Ferdinand von Schills der
Nachwelt als leuchtendes Vorbild auf. Die tiefe „ die die deutschen
Patrioten erfüllte, als sie von seinem Tode erfuhren, gibt ein Lied wieder, das offenbar,
wie schon die einfache Form beweist, weithin im Volke gesungen worden ist: l
Schne iſt tot. Er gab ſein Leben. Schill wollt es nog einmal wagen,
Schnell ſchlug feine Todesſtund, tiff in ihre Flanken ein:
als er war vom Feind umgeben ehrt euch, Brüder! tut er ſagen,
in der edlen Stadt Stralſund. wehrt euch, daß wir Sieger ſein!
Dänen und Holländer kamen, Er gab gleich ſei'm Pferd die Sporen,
die ihn grauſam attackiert, aut und ſchießt, daß 's blitzt und kracht:
die ihn auch gelangen nahmen, 2 euch tapfer, meine Brüder!
als er tödlich fiel bleſſiert. Wehrt euch tapfer in der Schlacht!
34
Als er vor die Fronte reitet,
traf ihn hier der erſte Schuß;
ein Holländer Küraßreuter
ſchoß ein’ Kugel durch fein’ Fuß.
Er verband ſich ſelbſt die Wunde
mit ſei'm Sacktuch um den Fuß;
focht dann noch dreiviertel Stunden,
tat noch manchen Hieb und Schuß.
Nicht lange darauf fiel in Tirol Andreas Hofer.
unzählige Anekdoten und Lieder gebildet.
Worte in den Mund:
Ach Himmel, es iſt verſpielt!
Kann nicht mehr länger leben.
Der Tod ſteht vor der Tür,
Will mir den Abſchied geben.
Meine Lebenszeit iſt aus,
Ich muß aus dieſem Haus.
Hier liegt mein Säbel und Gewehr
Und alle meine Kleider,
Ich bin kein Kriegsmann mehr,
Ach Gott, ich bin ein Leider!
Ich bin verlaſſen ganz
Von meinem Kaiſer Franz.
Die großen Herrn im Land,
Sie ſind mit mir verfahren;
Sie bringen's noch ſo weit,
Bis man mich tut begraben.
Tilgt Haß und Ketzerei
Und macht den Sandwirt frei!
Die Hauptſtadt von Tirol,
Die haben ſie mir genommen,
Es iſt kein Mittel mehr,
Sie wieder zu bekommen.
Es iſt kein Mittel mehr,
Kommt 's nit von oben ber.
Darch die von Napoleon
Schill, der ſprengt ganz zornig weiter,
achtet nicht auf ſeinen Schmerz.
Da ſchoß ein Holländ'ſcher Reuter
ihm ein' Kugel durch ſein Herz.
Als das Volk nun hat vernommen,
daß ihr Oberſt ſei ermordt,
gaben viele ſich gefangen.
und die andern flohen fort.
Um seinen Tod haben sich
Eines davon legt ihm selbst die letzten
Mich, General vom Sand,
Den führen ſie itz gefangen,
Meinen harten blutigen Schweiß
Hat man nicht angenommen.
Sie führen mich aus dem Land
Mit größtem Spott und Schand.
O trauervolle Zeit,
Was ſoll daraus noch werden?
Die Waffe liegt ſchon hier,
Erſchoſſen muß ich werden.
Es iſt ſchon lang bekannt
Im ganzen römiſchen Kaiſerland.
Leb wohl, mein liebes Weib,
Und alle meine Kinder,
Wir ſeh'n einander heut,
Wir ſeh'n einander nimmer.
Lebt nur recht gut und fromm,
Kommen wir im Himmel z'ſomm!
O große Himmelsfrau,
Auf dich hab ich vertraut,
Weil du in unſerm Land
Deine Wohnung haſt gebaut.
O liebe Frau, ich bitt',
Verlaß den Sandwirt nit!
eschaffene Expeditionsflotte war die britische Vormacht -
stellung auf den Meeren getährdet. Monatelang versuchen die Engländer, die franzé-
sischen Schiffe zum Kampf zu stellen; immer wieder aber gelang es diesen, zu entweichen,
bis Nelson endlich am 21. Oktober 1805 die napoleonische Flotte bei Trafalgar
vernichten konnte. Das aufregende Versteckspiel der Franzosen vor den Engländern ist
in dem folgenden Liedchen festgehalten:
Relfon: Wo bift bu Bonaparte, daß man dich nicht erwiſcht?
aſt du vielleicht die Karte aufs neue wieder gemiſcht?
bin durch Sturm und Winden geſegelt weit und breit,
und kann dich doch nicht finden, das thut mir herzlich leid!
35
Bonaparte: Du wirft mich auch nicht fangen, glaub mir, id) bin kein Thor!
ch werd es noch erlangen, was ich mir feft nahm vor, `
denn meinen Kriegsflokten kommt in der Welt nichts gleich,
d'rum deines thu ich ſpotten und keinen Schritt dir weich.
Nelſon: Trau nicht, o Bonaparte, zu ſehr auf dein Verſtand,
es hat ſich Blatt und Karte auch öfters ſchnell gewandt.
Was ich nicht kann auswirken, mit meiner Tapferkeit,
da ſtehn viel tauſend Türken und Nuſſen ſchon bereit.
Bonaparte: Das iſt mir nur zum Lachen, ich kann die halbe Welt
zum Freunde mir bald machen, wenn es mir ſo gefällt.
Schau, wie ſich zu mir lenken viel tauſend Köpf und Sinn,
dieweil ſie alle denken, daß ich die Freiheit bin.
Es wollte mich einſt fangen der Feind, der auf uns ſtieß,
y. bin ihm dod entgangen und wieder in Paris;
ich bin bald da, bald borten, zu Waller unb zu Land,
und brauch an allen Orten Lift, Klugheit und Verſtand.
Nelſon: Magſt du dich immer brüſten mit deinem Kriegesglück,
id werde neu mid Wén: zum rechten Augenblick.
eißt du zu Land zu fiegen: ich fordre dich heraus,
mit mir aufs Meer zu kriegen, dann iſt dein Ruhm bald aus.
Bonaparte: Du kannſt dich wieder melden, E erfte geh nach Haus,
und ſchlafe deinen Heldens, bein eitlen Traum ſanft aus.
Ich geh' indeſſen weiter auf meiner Siegesbahn,
und du thät'ſt viel geſcheiter, ſuchſt du mich nicht zu fahn.
Kanonler von der Garde-Artillerie. (Farbſtich von Lebers nach Dahl)
36
— — A— À— — —
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an ee — mm men ———
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Die Befreiung
Die Auflösung der französischen Armee in Rußland leitet den eigentlichen Befreiungs-
kampf ein. Im Schicksal, das der „Großen Armee“ widerfuhr, erblickte man eine Weisung
Gottes. Andere konnten ihre grenzenlose Freude über die Niederlage Napoleons bei
Moskau nicht verbergen, wovon die folgenden Lieder bis heute Kunde geben. Auf dem
Zimmer des Turnvaters Jahn dichtete 1812 Ferdinand August:
Es irrt Durch Schnee und Wald umher Fähnrich ohne Fahn’
das große, mächt’ge Franzenheer. Flinten ohne Hahn,
Der Kaifer auf der Flucht, Büchfen ohne Schuß,
Soldaten ohne Zucht. Fußvolk ohne Fuß.
Mit Mann und Roß und Wagen Mit Mann und Roß und Wagen
Hat fie der Herr gefchlagen. Hat fie der Herr gefchlagen.
Jäger ohn’ Gemehr, Feldherrn ohne Wit,
Kaifer ohne Heer, Stüchleut' ohn’ Gefchütß,
Heer ohne Kaifer, Flüchter ohne Schuh,
Wildnis ohne Weiter. Nirgends Raft und Ruh.
Mit Mann und Roß und Wagen Mit Mann und Roß und Wagen
Hat fie der Herr gefchlagen. Hat fie der Herr gefchlagen.
Speicher ohne Brot,
Aller Arten Not,
Wagen ohne Rad,
Alles müd’ und matt,
Kranke ohne Wagen
So hat fie Gott gefchlagen.
Im Elsaß sang im gleichen Jahr das Volk:
Kaiſer Napoleon ift nach Rüßland zogen,
hat fogar die große Stadt Moskau eingenommen.
Ein französſcher Offizier ſprach: „Mer ſin verlore,
Alli unſri ſchöſchti Mann fin im Schnee verfrore!
Grenadier und Voltigeur ſteigen auf die Schanze,
Spielen ſie und morden ſie mit ihre ſcharfen Lanze.
Spanien und Engelland dien ſie's gloria ſinge,
Rüßland müeß verriſſen fein, ſunſcht giebs keine Friede.“
Nach dem Brand von Moskau, der den Untergang Napoleons einleitete, sangen die
Berliner 1812:
Warte
Bonaparte
marte Kujon,
andre Woche, wir kriegen dich [djon.
37
Ja ber Ruſſe, ja ber Ruff’
hat uns gezeigt, wie mans machen mug:
Im ganzen Kremmel
nicht eine Semmel,
und auf den Hacken
immer nur Hunger und Koſacken,
ja der Ruff
Bat uns gezeigt, wie mans madjen muß.
Hin der Blitz
deiner Sonne von Auſterlitz,
unterm Schnee
liegen all deine Corps d' Armee.
Warte
Bonaparte
warte Kujon,
andre Woche, wir kriegen dich ſchon.
Nachdem der schwankende und zögernde Preußenkönig Friedrich Wilhelm III. endlich
am 17. März 1813 sein Volk zu den Waffen rief, kannte die Begeisterung keine Grenzen.
Der Aufstand brach mächtig und siegreich hervor. Die Ereignisse dieses Jahres werden
in dem Lied von Karl Heun wundervoll geschildert.
38
Der König rief, und alle, alle kamen mit Waffen muthig in der Hand,
und jeder Preuße ftritt in Gottes Namen für das geliebte Vaterland.
Und jeder gab, mae er nur konnte geben:
Kind, Hab und Gut, Gelundheit, Blut und Leben.
Mit Gott für König und für Vaterland.
Wir lebten Zeiten, die nie wiederkommen, die Hoffnung wuchs mit jedem Tag,
wer hat, wie wir, lo deutlich wahrgenommen, was ein hochherzig Volk vermag!
Ihr folit mit edlem Stolz euch Preußen nennen,
die Edelſten in dieler Zeit erkennen.
Mit uns ift Gott und unfer Vaterland.
Der Blüthenmai, dem taufend Sänger fangen, entfaltete kaum feine Pracht,
als alles mit dem brennendften Verlangen hinellte zu der kühnen Schlacht.
Dae Blut der Krieger röthete die Saaten,
und Heldenmuth gebar dort Heldenthaten.
Es galt dem König und dem Vaterland.
Die Lerche fchwieg und wilde Feuerfchlünde Durchbebten Luft und Wald und Feld.
Des Fürftenzornes letzte Schaudergründe erfichütterten die halbe Welt.
Der Todesengel breitete die Flügel,
und manchen Braven deckt ein fremder Hügel.
Er fiel für König und für Vaterland.
Und mancher kehrte heim, bedeckt mit Wunden, ein ftilles Lager fucht fein Schmerz)
doch zählt er einfam lange, bange Stunden, ihn labt, ihn pflegt kein llebend Herz!
O Preußen, eilt mit Lieb an fein Bette,
bringt Troſt und Hoffnung an die Schmerzenstftättel
Er leidet, Brüder, für Das Vaterland.
Aus dem gleichen Geist ist ein preußisches Soldatenlied entstanden, in dem es heißt:
Feinde ringsum! Feinde ringsum!
Hörſt du die ziſchende Schlange? Vaterland iſt dir nicht bange?
Bange — warum? bange — warum?
Zittre du nicht! Zittre du nicht!
Hörſt im unſinnigen Raſen du die Trompete ſie blaſen?
Zittre du nicht!
Vaterland weint! Vaterland weint! ,
Hörſt bu? unb Vaterlands Thränen, macht aus Soldaten Hyänen,
Fluch für den Feind.
Kopf in die Höh! Kopf in die Höh!
Stolzer, wir kommen, wir kommen! haben ſchon Abſchied genommen
— that uns ſo weh!
Weib, gute Nacht! Weib, gute Nacht!
Pallaſch zwiſchen die Zähne. Fällt auch darauf eine Thräne.
Fort in die Schlacht!
Satirisch und dennoch mit volkstümlicher Einfachheit verlachen die Preußen ihre tran-
zösischen Gegner, als diese Mainz aufgeben mußten:
Gottlob! bie Stund ift fommen, bab wir ber Noth entnommen
aus Mainz marſchiren aus. Viel Jammer ohne Maaßen bedrückt uns,
wir saßen in dieſem Loch, als wie die Maus.
Wer ſeinen Kopf raus ſteckte, der Preuße ihn entdeckte,
war gleich die Kugel da, und ſtreckte ihn zu Boden,
daß er in's Reid) der Todten marſchirt, die Welt nie wiederſah.
Stets hinter Wall und Mauer ward uns der Dienſt ſehr ſauer,
wir mußten Tag und Nacht vor der Preußſchen Kugeln kriechen
und auf der Erde liegen, kein Bette ward für uns gemacht.
Und Fleiſch von Kalb und Rindern, das kam uns armen Sündern
niemals für Maul und Zahn. Wenn man in Hunger ſchmachtet,
dann ward ein Pferd geſchlachtet, aud Hund und Katzen mußten d' ran.
Brandwein war nicht zu haben, an ſauren Wein RH laben,
ift gar ein ſchlechter Schmaus. Es hatten [don die Pfaffen,
die wir fort mußten ſchaffen, den guten Wein geloffen aus.
Wenn man uns commandirte, des Nachts zum Ausfall führte,
o weh! da ging es ſchief; Kartetſchen wie ein Regen
[Gog uns der Preuß entgegen, der eine fiel, der andre Tief.
Wenn Preuß'ſche Batterien nach Mainz ihr Feuer ſpien,
ſo war's als wenn ſich hier aufthat die ganze Hölle,
des Teufel fein Geſelle war jetzt der Preuß'ſche Bombardier.
Nach überſtandnen Leiden ziehn wir mit großen Freuden
nach Frankreich nun zurück. Habt Dank! ihr tapfern Preußen,
daß ihr uns laſſet reiſen. Gott geb' euch bald des Friedens Glück!
39
Nicht alle Lieder waren von der gleichen freudigen Stimmung. Das folgende Lied, das
wir unter der Überschrift ,,Soldaten-Schwermuth" in einem alten Liederbuch der Frei-
willigen von 1813 fanden, hat Blücher mit der Bemerkung „das ist jaeinSchwere-
nots-Lied!" verboten. Wir drucken ein paar bezeichnende Verse daraus ab:
Holde Nacht, dein dunkler Schleier dedet
Mein Geſicht vielleicht zum letzten Mal!
Morgen lieg' ich ſchon dahingeſtrecket,
Ausgelöſcht aus der Lebend'gen Zahl.
Freudig hüpft und fragt ein muntrer Knabe:
Mutter! kommt nicht unſer Vater bald?
Armes Kind, Dein Vater liegt im Grabe,
Sein Auge ſieht nicht mehr der Sonne Strahl!
Dort liegt ſchon ein Held mit Sand bedecket,
Waiſe ijt das Mädchen und der Knab’;
Hier liegt auch ein Sohn dahin geſtrecket,
Der den Aeltern Brod im Alter gab!
Traurig, traurig, daß wir unſre Brüder
Hier und dort als Krüppel wandern ſehn;
Aber ſüße Pflicht iſt dennoch wieder,
Muthig ſeinem Feind entgegengehn.
Offizier von dem Garde ⸗Ulanen- Regiment. (Farbſtich von Jügel nach L. Wolf, 1809/10)
40
Nach der Schlacht von Belle Alliance gaben die Soldaten ihrer Siegesgewißheit dann
einen geradezu übermütigen Ausdruck:
Bonaparte, der wollte auf Reifen gehn. Ade!
Und 1 die Länder am Rhein beſehn. Ade!
D'rum ſpannte die alte Garde er ein,
kutſchirte nach Belgien eiligſt hinein. Ade, Parischen, ade!
Doch Blücher rief bald ein: „Werda?“ ihm zu. O weh!
Und ſtört ihn in ſeiner gemächlichen Ruh. O weh!
Bonaparte, Bonaparte, kehr um nach Paris,
das einmal ſchon treulos den Hintern dir wies. Ade! Ade! Ade!
Die Preußen, die hemmten den Kaiſer SE O web!
Gie fpannten die ue vom Wagen ibm ab. O weh!
Ach, bliebſt bu auf Elba mit friedlichem Sinn,
da kommt doch der Preußiſche „Vorwärts“ nicht hin! Ade! Ade! Ade!
O Codrus*), o Niklas“), wie kannſt bu fo fliehn. Ade!
So ſchmählich dich aus der Affaire ziehn. Ade!
Sehn das die Pariſer, und kommſt du nach Haus
ſie kratzen die Augen dem Empereur aus. Ade! Ade! Ade!
Bei Quatre- Bas, wenige Tage vor der Schlacht bei Waterloo, fiel 1815 der Herzog von
Braunschweig, dem seine Totenkopthusaren ein wunderschönes Trauerlied sangen:
Herzog Oele, der tapfre Held,
der führte feine Krieger in Das Feld.
Und er führte fie vor Haubitzen und Kanonen,
wir tun den Feind niemals fchonen,
wir Schwarzen, wir rufen: Hurra
Ganz mutig ſtehn wir da.
Ganz ſchwarz ſind wir montiert,
mit Mut ſind wir ausſtaffiert
auf dem Tichako tragen wir den Totenkopf
wir haben verloren unfern Herzog.
Wir Schwarzen, wir rufen: Hurra
Ganz mutig ſtehn wir da.
Herzog Oels der tapfre Mann,
der führte uns Schwarzen an,
unfer Herzog, und der iſt verloren,
o mären die Welſchen nicht geboren.
Wir Schwarzen, wir rufen: Hurra
Ganz mutig ſtehn wir da.
Als wir zogen in Braunſchweig ein,
da fingen viele Taufend an zu mein’.
Unfer Herzog, und der ift verloren,
ach wären wir Schwarzen nicht geboren.
Wir Schwarzen, wir rufen: Hurra
Ganz mutig ftehn wir da.
PS ae a VETE NR
In einem alten Liederbuch jener Zeit finden wir die folgenden Bemerkungen:
*) Napoleon hatte RG häufig mit Codrus, König von Athen, verglichen, der ſich für ſein Volk geopfert.
**) Augemeln 5 4
Maelen qugelest e man, Napoleon hieß „Niklas“, und hätte fij nur den Hodtrabenden Namen
41
In den Feffeln der Reaktion
Die Schlacht bei Waterloo hatte endgültig gegen Bonaparte entschieden, das Land
war frei, aber die MO WIRE aller Freiheitskämpter auf ein geeintes Reich mit einer unserem
Volk not tuenden einheitlichen Führung blieb unerfüllt. Der Freiherr vom Stein mußte
abtreten, Fürst Metternichs konservatives System erstickte jegliche freiheitliche Regung
die sich in irgendeinem der deutschen Länder kund tat. Das nachstehende, ursprünglic
gegen die Franzosen gesungene Kampflied wurde alsbald das Schwurlied der jungen
eutschen, namentlich der Burschenschaften, in dem sie ihren Willen fiir ein freies und
ne Reich bekundeten. (Zuerst gesungen am 18.Oktober 1814, verfaßt von Johann
ottfried Christian Nonne.)
lamme empor! ier auf den Höh'n
teige mit loderndem Scheine eudjt, du brennendes Zeichen,
Auf den Gebirgen am Rheine Daß alle Feinde erbleichen,
Slühend empor! Wenn fie dich ſehn!
Siehe, wir ſtehn Stehet vereint,
Tren im geweiheten Kreiſe, Brüder, und laßt uns mit Blitzen
Dich zu des Vaterlands Preiſe Unire Gebirge beſchützen
Brennen zu ſehn! Segen den Feind
Peitige Glut! Leuchtender Schein!
ufe die Jugend zuſammen, Siehe, wir ſingenden Paare
Daß bei den L Flammen Schwören am lommenattaee,
Wade der Mut! Deutſche zu fein!
öre das Wort!
ater, auf Leben und Sterben,
gili uns die Freiheit erwerben,
ei unſer Hort!
An die Deutíden
Spottet nicht des Kinds, wenn es mit Peitſch und Sporn
Auf dem Roffe von Holz mutig und groß fich oünht.
Denn, ihr Deutfchen, auch ihr feid
Tatenarm und gedankenvoll!
Oder kommt, wie der Strahl aus dem Gewölke kommt,
Aus Gedanken die Tat? Beben die Bücher bald?
© ihr Lieben! fo nehmt mich,
Daß ich büße die Läfterung! Fr. Hölderlin
Die große Enttäuschung, in der die Deutschen zu jener Zeit lebten, geht aus dem
Gedicht Uhlands hervor. Er schrieb es (am 18. Oktober 1816) zur Erinnerung an das
Völkerringen von Leipzig und beschwor in ihm die Fürsten und Völker, das Blutopter
der deutschen Mannschaft nicht zu vergessen und zu verraten. Die Burschenschaften,
denen Uhland nahestand, verbreiteten das Gedicht auf dem Wartburglest, und bald
gehörte es zu den meistgesungenen Liedern der deutschen Sänger und Turner.
Wenn heut ein Geift herniederſtiege,
gualeid ein Sänger unb ein Held,
in folder, der im heil'gen Kriege
Gefallen auf dem Siegesfeld,
42
Der ſänge wohl auf deutſcher Erde
Ein ſcharſes Lied, wie Schwertesſtreich,
Nicht ſo, wie ich es künden werde,
Nein! himmelskräftig, donnergleich:
„Man ſprach einmal von Feſtgelänute,
Man ſprach von einem Feuermeer:
Doch, was das große Feſt bedeute,
Weiß es denn jetzt noch irgendwer?
Wohl müflen Geiſter niederſteigen,
Von heil' gem Eifer aufgeregt,
Und ihre Wundenmale zeigen,
Daß ihr darein die Finger legt.
Ihr Fürſten! ſeid zuerſt befraget:
Vergaßt ihr jenen Tag der Schlacht,
An dem ihr auf den Knien laget
Und huldigtet der höhern Macht?
Wenn eure Schmach die Völker löſten,
Wenn ihre Treue ſie erprobt,
So iſt's an euch, nicht zu vertröſten,
Zu leiſten jetzt, was ihr gelobt.
Ihr Völker! die ihr viel gelitten,
Vergaßt auch ihr den ſchwülen Tag?
Das Herrlichſte, was ihr erſtritten,
Wie kommt's, daß es nicht frommen mag?
Zermalmt habt ihr die fremden Horden,
Doch innen hat ſich nichts gehellt,
Und Freie ſeid ihr nicht geworden,
Wenn ihr das Recht nicht feit geſtellt.
Ihr Weiſen! Muß man euch berichten,
Die ihr doch alles wiſſen wollt,
Wie die Einfältigen und Schlichten
p flares Recht ihr Blut gezollt?
eint ihr, daß in den heißen Gluten
Die Zeit, ein Phönix, ſich erneut,
Nur um die Eier auszubruten,
Die ihr geſchäftig unterſtreut?
Ihr Fürſtenrat und Hoſmarſchälle
Mit trübem Stern auf kalter Bruſt,
Die ihr vom Kampf um Leipzigs Wälle
Wohl gar bis heute nichts gewußt,
Bernehmt! an dieſem heut'gen Tage
ielt Gott der Herr ein groß Gericht.
hr aber hört nicht, was ich ſage,
Ihr glaubt an Geiſterſtimmen nicht.
Was ich geſollt, hab' ich geſungen,
Und wieder ſchwing' ich mich empor,
Was meinem Blick ſich aufgedrungen,
Verkünd' ich dort bem felgen Chor:
Nicht rühmen kann ich, nicht verdammen,
Untröſtlich (Ke noch allerwärts,
Doch ſah ich manches Auge flammen
Und klopfen hört' ich manches Herz.“
43
Mit bitteren Worten ironisiert Hoffmann von Fallersleben die Würdelosigkeit der
Staatslenkung:
Wo find noch Würm’ und Drachen,
Riefen mit Schwert und Speer?
Was kannft Du weiter machen?
Schlafe! Was millt du mehr?
Du haft genug gelitten
Qualen in Kampf und Strauß)
Du haft genug geftritten -
Schlafe, mein Volk, fchlaf aus!
Wo find noch Würm’ und Drachen,
Riefen mit Schwert und Speer?
Die Volksvertreter wachen
Schlafe, was wlllſt du mehr?
Ähnlich wie wir lange 15 Jahre nach dem Kriege gegen ein System der Zerstörung
ankdmpfen mußten, waren auch den Deutschen jener Zeit Gewalt und Korruption, die
jedes System notwendig mit sich bringt, tief verhaBt, was aus diesen Zeilen (1839) unmiß-
verstündlich hervorgeht.
Ich weiß ein allgewaltig Wort,
Auf Meilen hört's ein Tauber!
Es wirkt geſchäftig fort und fort
Mit unbegriffnem Zauber.
Iſt nirgends und iſt überall,
Bald läſtig, bald bequem;
Es paßt auf ein und jeden Fall,
Das Wort, es heizt: Syſtem!
Für die ungeheure Verbitterung, die in der sogenannten „vormärzlichen Zeit” gegen die
Mehrzahl der deutschen Fürsten herrschte, weil sie die Freiheit und Einheit der Völker
verraten hatten, ist das folgende Lied ein beredtes Zeugnis. Die „Stimmen im Volke“
bilden den Schlußchor eines großen Chorwerkes, einer Art revolutionärer Katechismus,
der unter den zahlreichen Verschwörerkreisen nur mündlich weitergegeben werden konnte.
Der Verlasser Karl Follen mußte frühzeitig ins Ausland flüchten.
44
Viele Stimmen im Volke
Brüder, fo kann’s nicht gehn,
Laßt une zufammenftehn,
Duldet’s nicht mehr!
Fretheit, dein Baum fault ab,
Jeder am Bettelftab
Beißt bald ins Hungergrab;
Volk, ins Gemehr!
Brüder in Gold und Seid’,
Brüder im Bauernkleid,
Reicht euch die Hand!
Allen ruft Teutichlands Not,
Allen des Herrn Gebot:
Schlagt eure Plager tot,
Rettet das Land!
Das „Lied der Verfolgten“, das Lied, „das trotz aller Zensur seit einiger Zeit unleug-
bar und unaufhaltsam mit seiner wohlklingenden Melodie durch die deutschen Gaue
ht", wie es ein Politiker jener Zeit apostrophierte, wurde von dem revolutionären
iteraten Wilhelm Sauerwein ebenlalls in der Emigration geschrieben, land aber in
Deutschland schnelle und weite Verbreitu
fungen eine lange Nachwirkung. — Die
und durch jeweilige zeitgemäße Umgestal-
erson Absaloms als biblisches Vorbild eines
Revolutionärs war in der Zeitdichtung nach 1830 sehr beliebt.
Lied der Verfolgten
Wenn die Fürſten fragen:
Was macht Abſalon?
Laſſet ihnen ſagen:
Ei, der hänget ſchon —
Doch an keinem Baume
Und an keinem Strick,
Sondern an dem Traume
Einer Nepublik.
Wollen ſie gar wiſſen,
Wie's dem Flüchtling geht;
Sprecht: der iſt zerriſſen,
Wo ihr ihn beſeht.
Nichts blieb ihm auf Erden
Als Verzweiflungsſtreich
Und Soldat zu werden
Für ein freies Reid.
Fragen ſie gerühret:
Will er Amneſtie?
Sprecht, wie ſich's gebühret:
Er hat ſteife Knie.
Gebt nur enre großen
Purpurmäutel her,
Das gibt gute Hoſen
Für das Freiheitsheer.
Wilhelm Sauerwein.
Nacht wächterlied 1826
Hört, ihr Herrn, und laßt euch ſagen,
Was die Glocke hat gefchlagen!
Geht nach Haus und wahrt das Licht,
Daß dem Staat kein Schaden gefchicht.
Lobt die Jefuiten!
Hört, ihr Herrn, wir brauchen heute
Gute, nicht gelehrte Leute,
Seid ihr einmal doch gelehrt,
Sorgt, daß keiner es erfährt.
Lobt die Jefuiten!
Hört, ihr Herrn, fo ſoll es werden:
Gott im Himmel, wir auf Erden,
Und der König abfolut,
Wenn er unfern Willen tut.
Lobt die Jefuiten!
Adalbert von Chamiſſo
Es paßt so ganz in diese reaktionäre Zeit, daß sie den Jesuiten erlaubte, sich nach
und nach in allen deutschen Staaten wieder einzunisten und durch ihr Wirken noch
mehr Unheil, als bislang schon vorhanden war, unter dem Volke anzurichten. Mit welchen
zweifelhaften Gefühlen — um es milde auszudrücken — bereits unsere Vorlahren das
Leben und Treiben dieser Gesellschaft des Herrn beurteilte, erhellt recht deutlich aus
den folgenden, damals weitverbreiteten Spottversen. (Entstanden um 1839.)
Der Jefuit
Es geht ein finftres Weſen um,
Das nennt ſich Jeſuit;
Es redet nicht, iſt ſtill und ſtumm,
Und ſchleichend iſt ſein Tritt.
Es trägt ein langes Trau'rgewand
Und kurzgeſchorenes Haar, [Land,
Und bringt die Nacht zurück ins
Wo ſchon die Dämmrung war.
Es hat nicht Raſt und hat nicht Ruh'
Und hat ein fahl Geſicht;
Es drückt beim Tag die Augen zu,
Als beiße es das Licht.
Es wohnt in einem öden Haus
Und ſinnt auf neuen Zwang,
Und ſchaut es in die Welt hinaus,
So wird der Menſchheit bang.
Neue Wrangel'fche
StraBenreinigungemafchine
(Kladderadatich, 1848)
46
So [hönen Namen leihn!
Den Herrn Barons Beiſele unb fines Hoefmelſters Dr. Eiſele
rue feos? a gt bard Dessen.
Und Jefu trug ein farbig Kleid,
Und ſeine Bruſt war bloß,
Und was er ſprach, war Seligkeit,
Und was er tat, war groß,
Und Jeſu trug ein wallend Haar,
Und feine Wang’ war rot,
Und Jefu offnes Auge war
Go frei — mie [ein Gebot.
Am dattelreichen Palmenbaum
Dalehrt er ſein Gebet
Und träumte ſeiner Liebe Traum
Am See Genezareth. —
Drum, ſeh' ich ſolch 'nen Finſter⸗
Sofällt mir immer ein: lling,
Wie kann man doch fold wüſtem
[Ding
— |
——
Nach vieljährigen Einigungsversuchen der deutschen Stämme bildete schließlich der
„Deutsche Zollverein" vom Jahre 1834 das etwas magere Ergebnis, über das
Hoffmann von Fallersleben seine Resignation launig kundgab:
Der deutſche Zollverein
(24. Februar 1840)
Schwefel hölzer, Fenchel, Briden,
Kühe, Käſe, Krapp, Papier,
Schinken, Scheren, Stiefel, Wicken,
Wolle, Seife, Garn und Bier;
Pfefferkuchen Lumpen, Trichter,
Nüße, Tabak, Gläſer, Flachs,
Leder, Salz, Schmalz, Puppen, Lichter,
Kettich, Rips, Raps, Schnaps, Lachs, Wachs!
Und ihr andern deutſchen Sachen,
Tauſend Dank fet euch gebracht!
Was kein Geiſt je konnte machen,
Ei, das habet ihr gemacht:
Denn ihr habt ein Band gewunden
Um das deutſche Vaterland,
Und die Herzen hat verbunden
Mehr als unſer Bund dies Band.
E sei der Bericht von einer Episode eingefügt, die das Bild jener Jahre abrundet:
en 26. Juli 1844 hatte der Bürgermeister Tschech aus Storkow (Kurmark) einen Anschlag
p ‚König Friedrich Wilhelm IV. und die Königin verübt. Das Attentat mißlang, wie die
erliner im volkstümlichen Spottlied sangen:
Wer war wohl je jo fred
Als ber Bürgermeiſter Tſchech?
Denn er ſchoß ein ganz klein wenig
Vorbei an unſerm guten König.
Ihm ging's durch'n Mantel
Ihr ging's durch'n Hut,
Dunker hat es gleich erraten,
Daß er wollte attentaten,
Als er kam ſo grau bemäntelt
Über'n Schloßplatz her gewentelt.
Und er ſchoß in blinder Wut
Unſerer Königin durch den Hut,
Der verfluchte Attentäter,
Königsmörder, Hochverräter.
Wir kamen ſo bei einem Haar
Um unſer edles Königspaar.
Hieraus nun jedermann erſicht:
Trau’ keinem Bürgermeiſter nicht!
47
1848
Im Frühling 1848 brach der Sturm los. Die ganze ER e | und Verbitterung, die
sich im Laufe von 30 Jahren angesammelt hatte, der ungeheure Haß gegen die Fürsten,
die das Volk schamlos ausgenutzt und betrogen, die Einigung des Reiches aber in ihrem
1 aufgehalten hatten, drängte jetzt unaufhaltsam zur Entladung. War die Volks-
erhebung im Grunde von edelsten Bestrebungen getragen, so konnte freilich auch damals
nicht vermieden werden, daß niedere Instinkte den Radikalismus unnötig steigerten. Den
revolutionären Schwung, von dem die Menge in jenem Frühjahr beherrscht war, veranschau-
lichen trellend die beiden folgenden Lieder, in denen ein echtes revolutionäres Pathos
zum Durchbruch kommt.
Deutiche Volkshymne
(April 1848)
Aut, Brüder, auf! Das Schwert zur Hand! Auf, Brüder, mutig in den Streit!
Im Sturmſchritt vor, o Vaterland! Wie auch der Feind Kartätichen fpeit!
Ein Volk! Ein Heer! Ein Wetterfchlagt Fir Zorn! Ein Sporn! Ein Rachefchrei!
Nun kommt der Freiheit großer Tag!
Nun Deutſchland, follft du ftrahlen!
Zu Boden mit der Tyranneil
Das Volk läßt fich nicht fpotten!
Kokarden auf ...
Kokarden auf!
Standarten auf!
Aus Nacht, durch Blut, zum Licht hinauf!
O Glanz! O Sieg! O helle Ruhmesbahn!
Auf, Vaterland! Voran!
Heil, Freiheit, dir! Du Völkerzier!
Dir leben wir, dir fterben wir!
FlieB hin, o Blut, flieB in den Sand!
O füßer Tod fürs Vaterland!
O fchöner Tod der Ehre!
Kokarden auf ...
Frifch auf! Frifch auf! Und einig feld!
So kommt dem Volk die Herrlichkeit.
Ein Herz, ein Sinn und ein Panier!
In Siefem Zeichen fiegen mir!
Das macht den Feind zufchanden.
Kokarden auf ...
Aufruf
uge aus der Erden!
Schwerter werden,
t im Himmel wird's verzeihn.
I
as Verſeſchweißen!
legt das ih:
I bas Eiſen fein.
Tannen, eure Eichen —
die grünen .
Deutſcher Freiheit ihr gewahrt?
f
ein, fie ſoll nicht untergehen!
o ch ib fröhlich Auferſtehen
oſtet eine Höllenfahrt.
Friedrich Stolze
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1 o laßt d
den Ambo
iland ſo
DE
te Kreuze aus der Erden!
llen Schwerter werden;
t im Himmel wird's verzeihn.
ört er unſer Feuer braufen
nd ſein heilig Eiſen ſauſen,
Spricht er wohl den Segen drein.
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H. Schäufelein
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mit Luntenschlössern aus dem 16. Jahrhundert
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| Belagerung einer Stadt im 15. Jahrhundert (aus Vergil, Straßburg 1502)
bie Kreuze aus der Erden!
[ Schwerter werden;
im Himmel wird’s verzethn.
e
"unen unb BHilifter!
4 Schwert hat feine Prieſter,
nd wir wollen Prieſter ſein! Georg Herwegh
Eine hübsche Antwort auf dieses Lied gab wenig später Justinus Kerner. Wie
sein kleiner Spottvers bezeugt, waren durchaus nicht alle deutschen Geister mit ihrem
Herzen bei den Revolutionären. Im Gegenteil, diesen und jenen freute es, als die
Schwerter der Fürsten siegreich blieben.
„Reißt bie Kreuze aus ber Erden,
Alle a Schwerter werden!“
War dein Schlachtruf; jetzt, mid) frent’s!
Machſt mit duo tlihen Gebärden
Bor den Schwertern bu ein Kreuz.“
Wie in allen revolutionären Bewegungen spielte die soziale Frage auch 1848 eine
wichtige Rolle, obwohl sie ihre unerbittliche Schärfe erst einige Jahrzehnte später erhielt,
erst dann nämlich, als die Mechanisierung und Industrialisierung des menschlichen Lebens
die alten Bindungen und Ordnungen weitgehend aufgelöst hatte und ein immer größer
werdender Teil des deutschen Volkes der Proletarisierung anheimgetallen war. Dennoch
müssen die Aufstände von 1848 nicht nur als Protest gegen die nationale, sondern auch
gegen die herrschende soziale Unordnung angesehen werden.
Carl Heinrich Schnaulfers (1822—1854, Freund Friedrich Heckers) 1848 erschienenen
„Neuen Lieder für das Deutsche Volk“ gehören zu den größten Seltenheiten. Schnaufters
Gedichte, im Ausdruck dem politischen Wortschatz seiner Zeit verhaftet, sind das erste
dichterische Fanal sozialen Kampfes.
Das Broletariat
Iſt ganz das Recht verrottet,
Des armen Mannes Recht,
Wir find die armen Sünder
Auf Gottes reicher Welt.
Wir zeugen ihnen Kinder
ürs Schlacht⸗ und Pflügerfeld.
ir ſind der Fuß und ſind die Hand!
— Doch weiter nichts im Staat,
Wir bleiben arm und unbekannt,
Daß heute man verſpottet
Das hungernde Geſchlecht?! —
O glaub an keines Gottes Fluch,
Du armes Volk der Tat,
Und zeichne in dein Fahnentuch
Das Proletariat! „Das Proletariat“!
Dies Wort wird allen zeigen,
Daß unſer Leid ſich regt,
Daß ſtark der Puls der Quen
In unſern Adern ſchlägt.
Wir find nicht vor der Zukunft bang,
Wir find nicht ohne Rat!
Denn fertig ſteht zu jedem Gang
Das Proletariat!
Aufruf
Das Neue muß uns frommen,
Das Alte will verkommen,
Drum ſingen wir ein neues Lied,
Und werden' s nicht zu fingen müd:
Bahn freil
49
B : : :
x L^ De de any KO pie ae SN A loser, ques qn er om
x `
on Are vo» - A
Daumier, Koquetterie
Die Aufstände der Bürger und Bauern waren in allen Städten und Gauen Deutschlands
durch den Einsatz der Armee niedergeschlagen, an mehreren Orten war viel Blut ge-
flossen. Hunderte von deutschen Männern gingen freiwillig oder gezwungen ins Exil.
Die Niedergeschlagenheit war grenzenlos, aber die Hoffnung, daß der Ruf des Volkes
eines Tages doch übermächtig laut werden würde, war nicht tot. Die folgenden Lieder
und Sprüche, die unmittelbar unter dem Eindruck der „verlorenen Schlacht“ geschrieben
rir bela geben ein anschauliches Bild von der Stimmung, wie sie damals geherrscht
aben mag.
Trog alledem!
Das war 'ne heiße Mirzenzeit, t Doch find mir frifch und wohlgemut,
Troß Regen, Schnee und alledem! Und zagen nicht trot alledem!
Nun aber, da es Blüten fchneit, Aus tiefer Bruft des Zornes Glut,
Nun ift es halt, trot; alledem! Die hält uns warm trotz alledem!
Troß alledem und alledem - Trotz alledem und alledem,
Trotz Wien, Berlin und alledem - Es gilt uns gleich trotz alledem!
Ein ſchnöder, ſcharfer Winterwind Wir fchütteln une: Ein garſt' ger Wind,
Durchfröftelt uns trotz alledem! Doch weiter nichts trotz alledem!
Das iſt der Wind der Reaktion Nur was zerfällt, vertretet ihr!
Mit Meltau, Reif und alledem! Seid Kaften nur, trotz alledem!
Dae ift die Bourgeoifie am Thron - Wir find das Volk, die Menfchheit rir,
Der annoch fteht, trot; alledem! Sind ewig drum, trot alledem!
Trotz alledem und alledem, Trotz alledem und alledem:
Trot Blutſchuld, Trug und alledem - So kommt denn an, troß alledem!
Er fteht noch, und er hudelt uns Ihr hemmt uns, doch ihr zwingt uns nicht -
Wie früher fat, trot; alledem! Unfer die Welt trot alledem!
Düffeldorf, Anfang Juni 1848 Ferdinand Freiligrath
Heinrich Hoffmann von Fallersleben singt resigniert:
Der hoe oe fehret wieder,
Der Wald wird wieder griin,
Dod an dem Baum der Freiheit
Will keine Blüte blühn.
50
Und derselbe Dichter schreibt am 6. Dezember 1848 unter einem bissigen Motto:
„Und der König wird tun, was er will.“
Ausgelitten, ausgerungen
feit du endlich, dentſches Herz,
side et einmal verklungen,
Dieſer dentſche Freiheitsmärz.
Ert, daß wir geworden kühler,
Wie es zum Dezember paßt.
Unjre freiheitstrunknen Wühler
tek uus von je verhaßt.
Gut, daß wir jetzt ohne Zittern
Nehmen jedes Blatt zur je ,
Uns das Leben nicht verbittern
Um das liebe Vaterland.
Proph. Daniel 11,36.
Gut, daß möglich iſt geworden,
Wie's zur guten Zeit doch war,
u erhalten einen Orden
der einen Titel gar.
Gott fei Dank, daß alles wieder
Nun zur Ordnung kehrt zurück;
Nur vom Throne tränfelt nieder
Wie vom Himmel Heil und Glück.
Weg mit allen Barrikaden!
Weg mit aller Bürgerwehr!
Hoch der 1 „von Gottes Gnaden!“
Hod fein ſieggewohntes Heer!
Mit der Friedenspfeif’ im Munde
Geht's ins Bierhaus auf die Wacht,
Trinkt man bis zur Bürgerſtunde,
Und dann — Freiheit, gute Nacht!
Aus den „Fresken in der Paulskirche“:
Deutſche Einheit.
Sämtliche Stämme vereint, welch undurchdringlicher Urwald!
Schad' nur, daß man den Wald noch vor den Bäumen nicht ſieht.
*
Intra et extra muros.
Gründlich ergründen fie brin des Volks zu begründendes Grundrecht; |
Draußen indes grundſchlecht wird es dem Volke zumut.
Franz Dingelſtedt
Der sehnsüchtige Wunsch aller Patrioten dieser Zeit war die Wiederherstellung der
Monarchie. An der Spitze des umkämpften Reiches sollte unbedingt ein Kaiser stehen.
Aber hoffnungslos debattierte man um seine Person, den Wahlgang oder um die ihm
zustehenden Rechte. Hierüber konnten weder die zahllosen Stämme noch die Stände
eine Einigung herbeiführen. Und so blieb die Wiedereinrichtung des Kaisertums ebenfalls
ein Traum unter vielen anderen Träumen der 48er Patrioten. Das folgende, in jener
Zeit viel gesungene Spottlied ist ein Zeugnis jener ratlosen, uns heute belustigend an-
mutenden Bestrebungen. Es gehört zur „Reimchronik des Pfaften Maurizius".
Der Kaiſer ſoll nicht erblich fein,
Der Kaiſer ſoll nicht ſterblich ſein,
Und auch nicht lebensdauerlich
Und gar ſechsjährig — ſchauerl ich!
der Kaiſer fol nicht wählbar fein
Und nicht vom Volkshaus quälbar ſein,
Der Kaiſer ſoll nicht unendlich ſein
Und auch nicht präſidentlich fein —
Was ſoll er ſein, was ſoll er ſein?
D Gott vom Himmel, ſieh darein!
Der Kaiſer ſoll kein Märker ſein
Und fein beſoffner Berſerker fein,
Er ſoll als andere nicht ſtärker ſein,
Er ſoll kein halber Slave ſein,
Der Kaiſer ſoll auch kein Bayer ſein,
Er ſoll kein geflickter Dreier ſein.
Der Kaiſer ſoll auch kein Sklave ſein,
Der Kaiſer ſoll kein Freier ſein:
Was ſoll er ſein, was ſoll er ſein?
O Gott vom Himmel, ſieh darein!
51
Es foll ein Kaiſer anf Miete fein,
Er fol eine bloße Mythe fein,
Der wird von beſonderer Güte fein —
Cin Kaiſer ber Berftändignng,
Ein Kaiſer beliebiger Eudigung
Und ohne Prinzipisverſündigung,
Ein vogtiſcher Kaiſer auf Kündigung —
Das ſoll er ſein, das ſoll er ſein,
Cin Kaiſer auf Kündigung [oll es fein!
An friedrich Wilhelm IV.,
von Gottes Gnaden König von Preußen
Die Maske fiel — noch nicht die Krone —
Und wie du prahlſt auf deinem Throne,
Dein ganzes Weſen iſt erkannt.
Mit einemmal iſt's kund geworden:
Du biſt ein Nero auch im Morden,
Nicht nur, wie er, ein Komödiant!
Du haſt geſiegt. Nun ſei zufrieden,
Auf blut'gen Leichenpyramiden
pitang auf der Heuchelei Panier!
u gabſt Bartholomausnddte
Dem Königtum! Drück' bir die Rechte
Dafür dein Schwager — der Baſchkir! —
Doch juble nicht zu früh! Gedrungen
In alles Volk von allen Zungen
Iſt deine Anc Tat!
Kein Kön arf mit Söldnerrotten
So jedes Menſchenrechtes ſpotten —
Erzittre, deine Stunde naht. Alfred Meißner
Am 1. Dezember 1852 war der Rest der deutschen Flotte versteigert worden — eine
der unrühmlichsten Erinnerungen aus der deutschen Geschichte. Das Gefühl, kein Vater-
land zu besitzen, offenbarte sich u.a. in einer äußerst starken Auswanderung, die im
Jahre 1854 ihren Höhepunkt erreichte. Die hoffnungslose Stimmung, die weite Kreise
des deutschen Volkes beherrschte, jemals wieder ein starkes Vaterland zu gewinnen, ver-
anlaßte Theobald Kerner, einen Sohn des bekannten Justinus Kerner, zu den folgenden
ebenso einlachen wie ergreilenden Strophen:
Auswanderers Lied
Ich bin ein Deutfcher - diefer Stand
Hat, wie thr mißt, kein Vaterland!
Ich bin ein Deutfcher - auf dem Meer
Schwimmt eine Flotte mir nimmermehr!
Ich bin ein Deutfcher - auf dem Land
Tritt man mich überall in Sandi
Ich bin ein Deutfcher - dDieles Wort
Treibt mich aus meiner Heimat fort.
Ich bin - der Völker Paria,
Und darum nach Amerihal Theobald Kerner
52
Mit den folgenden Versen verspottete Georg Herwegh den im August 1863 in Frankfurt
auf die Initiative Kaiser Franz Josefs zustande gekommenen Fürstentag, der nach dem
Plan Bismarcks durch das Fernbleiben Preußens von vornherein mißlingen mußte.
zum Fürftentag (1863)
Da figen fie, die Bögel alle, Da figen fie — man zog die Hüte
Das groß und kleine Federvieh, Begeiſtert vor den Pferden Iden:
Vom Kaiſeradler mit der Kralle Ja, die germaniſchen Geſtüte,
Herunter bis zum Kolibri. Sie tragen ſtets den Sieg davon.
Da Cie fie, der Spatz und 3eifig, O teure Bundesjouveräne,
Die Preußenkrähe fehlt allein. Wie euer Anblick uns erfriſcht!
Wir müſſen halt mit einunddreißig In Michels Auge glänzt die Träne,
Tyrannen jetzt zufrieden ſein. Und mit dem Urmel wird gewiſcht.
Da Fr Re — am 1 Die Inden haben euch gefüttert
Der Heil'ge Geift hat fie erhellt; Mit Nektar und Ambroſta,
Dort in der Eſchenheimer Gaſſe, Das ganze Deutihland war erſchüttert,
Der dunkelſten auf dieſer Welt. Als es den Speiſezettel ſah.
Georg Herwegh
Es ist vielfach in Vergessenheit geraten, daß Friedrich Hebbel als Journalist und
Dichter zu den politischen Zuständen seiner Zeit häufig und vielseitig Stellung genommen
hat. Meistens geschah dies auf eine sehr ernsthafte und eindringliche Weise, mitunter
kleidete er diese Betrachtungen, wie das folgende, wenig bekannte „Reiseabenteuer"
zeigt, aber auch in höchst spöttische und humorvolle Formen. Ist die bornierte Klein-
staaterei jener Zeit irgendwann treffender gegeißelt worden, als es hier geschieht?
Ein Reiſeabentener in Deutſchland.
Es flog in X. mein Hut mir ab,
natürlich über die Grenze,
und als ich, ihn wieder zu holen, lief,
da gab's vertrackte Tänze.
Ich durfte den deutſchen Nachbarſtaat
nicht ohne Paß betreten,
und da ich bloß ſpazierenging,
ſo hatt' ich mir keinen erbeten.
Das tat ich nun, auch wurde ich
in Gnaden damit verſehen,
doch war's um meinen armen Hut
trotz alledem geſchehen.
Der war ſchon längſt im dritten Staat
und blieb auch dort nicht liegen,
ihn ließ der ſchadenfrohe Wind
ein Dutzend noch durchfliegen.
Was half mir nun der gute Paß,
den ich in X. genommen?
Zehn neue braucht' ich in einem Tag,
da war nicht nachzukommen.
Ich kaufte mir einen andern Hut,
der Meiſter aber erwählte
den Wiener Kongreß zum Schutzpatron,
als ich mein Schickſal erzählte. Friedrich Hebbel
83
Die ewigen Schmarotzer
Es hat in allen Völkern und zu allen Zeiten eine jüdische Frage, d.h. eine profunde
Abneigung gegen diese Rasse seitens der Völker gegeben, die bewußt oder unbewußt ihrer
Art lebten. Dieser Feststellung bedarf es eigentlich nicht. Immerhin sei sie im Hinblick
auf die letztjährigen Vorgänge in der Mehrzahl der europäischen Völker getroffen. Und
das nachfolgende, gekürzt wiedergegebene Lied von Sebastian Brunner beweist unmiß-
verständlich, was unsere Ahnen um die Mitte des vorigen Jahrhunderts von diesem „aus-
Volk dachten, und wie sie schon damals unter den „jüdischen Tugenden” zu
eiden hatten.
WiederNebeljungeden Juden und Chriftenjungen
eine rührende Predigt hält
(Aus „Der Nebeljungen Lied“, 1845)
Es war ein Volk, mit Ruhm bedeckt,
Vor alten, alten Zeiten,
Das hat ſich Gott der Herr erweckt,
Es ſollte für ihn ſtreiten.
Dort war die ganze Indenſchaft
Noch rein und gottbegeiſtert,
Jetzt iſt die Begeiſterung ziemlich flan,
Und die Inden find ſchmutzverkleiſtert.
erſtreut find die allüberall,
ie eine Bombe diu e
Wie mit Guano ijt alle It
Mit Indenſchmutz gediinget.
Sind denn die Kerle zu gar nichts da,
Als nur zum Knoblaucheſſen,
Kennen fie keinen andern Genuß
Als den Genuß von hohen Int reſſen?
Das Kriechen iſt ein Samenkorn,
Das troget gar lang der 3erftótung,
Es zeitigt früh oder ſpät eine Frucht,
Diele fidere Frucht ijt: Empörung.
Wir ſchicken die glühende Sinnlichkeit —
Eine Judith — den Feinden ins Lager,
Denn das frivole, halbnackte Lied
Sit ein wahrer Kopfabſchlager.
Drum ſtrenet Luft hinaus unters Bolt,
Streut fie aus in klingendem Liebe,
Und eine Saat wird bann ſicher verbrannt:
Des Herzens innerer Friede! |
„Ein jeder hat Recht anf des Lebens Luft,
Man darf fie feinem verwehren!“
u biejem Wort müßt ihr vorerſt
ie armen Teufel bekehren!
Die Lehre der heiligen Wiſſenſchaft,
Die will jetzt nimmer florieren.
Das eine Wort aus der Schule blieb,
Das goldene Wort: Spekulieren.
Der alte Gott geht jetzt herum
Wie der Geift von Hamlets Vater;
Er wittert ſchon die Morgenluft
Wie jenes Gelpenit im Theater.
Wir sind niemals Jakobiner gewesen, die da meinten, daß alle Menschen fürstlichen
Blutes während der letzten Jahrhunderte grundsätzlich verderbte und lasterhafte Wesen
waren. Unter den zahllosen „Herrschern“, die Deutschlands Throne und Thrönchen be-
völkerten, aber gab es freilich gar viele, die alles andere als ein vorbildliches Leben
führten, zu dem sie durch ihr Amt noch mehr als andere verpflichtet waren. Es ist immer so
over und als ein ganz natiirlicher Vorgang hinzunehmen, daB derjenige, der an der
pitze steht, ausgestattet mit Rechten und Pflichten, die aus der Gemeinschaft kommen,
der Erbitterung und Agitation immer stärker ausgesetzt ist als ein Mann des Volkes,
wenn er sich gegen die selbstverständlichen Gebote der menschlichen Sitte vergeht.
Und so widerfuhr es zahlreichen Fürsten des vergangenen Jahrhunderts. Das nur im
Auszug wiedergegebene folgende Bänkelsängerlied ist ein Beispiel unter vielen, wie unmora-
lisches Verhalten jegliche Autorität zuschanden werden ließ.
Wunderfame Hiftorie vom Prinzen Albrecht:
wle felbiger Drei Mägdlein Einer Mutter elendiglich verführet
und mit je 25 Thalern Pr. C. monatlich großmüthigft honoriret.
Er ſtand auf feines Schloſſes Zinnen Gedanken wälzend im Gemüthe
Und ſchaute in die Straßenrinnen, Aß er aus einer Zuckertüte
Wo fuderweiſe wächſt das Gras, Und wär' gar balde iii ergriffen
Für Ochſen ein ſüperber Fraß. Vor Langeweile eingeſchliffen;
54
Da fam ein Kind von dreizehn Jahren
Mit langen Zöpfen in den Haaren,
Die ſchaute ſo unſchuldig drein,
Als trübte fie kein Wäſſerlein.
Doch kaum erblickt der Gnäd'ge fie,
So zittert er bis in das Knie
Und es un t fein ict ser Blick
Das ganze ägdlein tück für Stück.
Die geht des Weges tubig weiter,
Im Winde flattern ihre Kleider,
Er aber ſtarrt mit wilden Sinnen
Hinunter in die Straßenrinnen. —
Und ſeit die Kleine er erblickt,
If er verwandelt und verrückt,
Ihm ſchmeckt kein kleiner Biſſen PE
t.
Das Magdlein quält ihn gar zu fe
Es fangen wohl vor I REIN cette
Die Sängerinnen um die Wette,
Sie fangen fih die Kehle wund,
Der Pring ward davon nicht gejunb.
Die Tänzerinnen tanien 55
Die Soheit ab die halben Beine,
Die Hoheit ſieht fie alle nich
Und denkt nur immer an die Kleine.
Entflammt von militer Sinnengluth
Verlangt er nach dem jungen Blut
Zur ſchnöden Luſt für ſeinen Leib:
— Das iſt ſo Prinzen⸗Zeitvertreib. —
In diesem Stil wird nun ausführlich beschrieben, wie der , Prinz“ nicht nur dieses Mädchen, sondern auch deren Schwestern
su seinen „Mätressen“ macht, um sie nach kursor Zeit dann zu verstoßen. Der Schlufivere heißt beseichnenderweise:
Und die Moral von dies Gedicht:
Verſchachert Eure Töchter nicht!
Und Du, mein liebes Publikum:
Geh Du mit keinem Prinzen um.
Wer von uns wäre nicht schon gegen „Zopf und Philisterei" zu Felde gezogen! Was
hat nicht alles der deutsche Philister in den nationalen Hoch-Zeiten verdorben, wie tétend
und drückend war seine Herrschaft in den gesättigten Zeiten unserer Geschichte. Welche
bitteren Worte und Ermahnungen sind immer wieder über ihn gefällt worden. Der alte
Fallersleben resignierte über die unausrotibare Existenz dieser jämmerlichen Wesen.
Wir wollen mit Humor über sie zur T E übergehen, nicht ohne Hoffnung, daß
sie das Klima unserer heißen Zeit doch nicht lange mehr vertragen werden. Es heißt
in seinem „Lied vom deutschen Philister”:
Der deutſche Philiſter, bas bleibet der Mann,
Auf den bte Regierung vertrauen nog kann,
Der paſſet zu ihren Beglückungsideen,
Der läßt mit [ih alles gutwillig geſchehn.
Befohlenermaßen iſt ſtets er bereit,
Zu Hören, zu hemmen den Fortſchritt der Zeit,
Zu haſſen ein jegliches freies Gemüt
Und alles, was lebet, was grünet, was blüht.
Was ſchön und erhaben, was wahr ift und recht,
Das kann er nicht leiden, das findet er ſchlecht.
So ganz wie er ſelbſt iit, Jo kläglich, gemein,
Hausbacken und ledern ſoll alles auch ſein.
Du Sklar' der Gewohnheit, du Knecht der Gewalt,
O käme dein Simſon, o tam’ er doch bald!
Du deutſcher Philiſter, du gräßlichſte Qual,
O holte der Teufel dich endlich einmal!
55
Dod leider hat Beelzebub feinen Geſchmack
An unſern Philiſtern, bem lumpigen Pad.
Und wollten ſie ſelber hinein in ſein Haus,
So ſchmiß er die Kerle zum Tempel hinaus.
Der Krieg von 1870/71 hat merkwürdigerweise dem politischen Lied wenig Auftrieb
gegeben. Der Soldatenliederschatz der Befreiungskriege wurde aufgegriffen und mit
wenigen Neuformulierungen übernommen, und was die zeitgemäße „Dichtung an Auf-
rufen und Siegesgesüngen verfaBte, erscheint uns heute hohl und von falschem Bürger-
Pathos genührt, ein Zeichen dafür, daß zwar der Staat, aber noch nicht das Volk seine
Form gefunden hatte. Einer der besten politischen Lyriker war immer noch Emanuel
Geibel, der im Juli 1870 ein ,,Kriegslied" schrieb:
Empor, mein Volk! Das Schwert zur Hand! Schon läßt er klar bei Tag und Nacht
Und brich hervor in Haufen! Uns ſeine Zeichen ſchauen,
Vom heil'gen Zorn ums Vaterland Die Flammen hat er angefacht
Mit Feuer laß dich taufen! in allen deutſchen Gauen.
Der Erbfeind beut dir Schmach und Spott, Von Stamm zu Stamme lodert's fort:
Das Maß iſt voll, zur Schlacht mit Gott! Kein Mainſtrom mehr, kein Süd und Nord!
Vorwärts! Vorwärts!
Dein Haus in Frieden auszubaun, Voran denn, kühner Preußenaar,
Stand all dein Sinn und Wollen, Voran durch Schlacht und Grauſen!
Da bricht den Hader er vom Zaun, Wie Sturmwind ſchwellt dein Flügelpaar
Von Gift und Neid geſchwollen. Vom Himmel her ein Brauſen,
Komm' über ihn und feine Brut Das iſt des alten Blüchers Geiſt,
Das frevelhaft vergoßne Blut! Der dir die rechte Straße weiſt.
Vorwärts! Vorwärts!
Wir träumen nicht von raſchem Sieg, Flieg, Adler, flieg! Wir ſtürmen nach,
Von leichten Ruhmeszügen, Ein einig Volk in Waffen.
Ein Weltgericht iſt dieſer Krieg Wir ſtürmen nach, ob tauſendfach
Und ſtark der Geiſt der Lügen. Des Todes Pforten klaffen.
Doch der einſt unſrer Väter Burg, Und fallen wir: Flieg, Adler, flieg!
Getroſt, er führt auch uns hindurch! Aus unſrem Blute wächſt der Sieg.
Vorwärts! Vorwärts!
Bürgerwehr auf dem Ererzierplatz
56
Das Zweite Reich
Lange Jahre vor dem Krieg von 1864 schwelte schon die Auseinandersetzung um Schles-
wig—Holstein, und schon 1846 hatte Emanuel Geibel ein „Protestlied“ gedichtet,
dessen Weg sehr aufschlußreich für die Wandlung eines Gedichtes ist, wenn es in Form
und Überzeugungskraft dem Volke entspricht: es wird anonymes Volkslied. Wir kennen
beispielsweise die dritte Strophe dieses Geibel-Liedes weniger in ihrer Urfassung als viel-
mehr in der Form eines sudetendeutschen Kampfrufes, der gegen Ende des Jahr-
hunderts im Egerland erscholl. Statt „Herzog hieß es nun „Kaiser“, und statt „Dänen“
hieß es „Tschechen“. Geibels Urfassung lautete:
Es hat der Fürſt vom InfelreiG Dem res reris e gelagt,
Uns einen Brief gelendet; Er fo Zügel ſchärfen,
Der hat nus jach auf einen Streich Wir würden ſtumm uns und verzagt
Die Herzen umgewendet. Der Willkür unterwerfen.
Wir rufen: Nein! und aber: Nein! Drum Log: in feine Burg hinein,
d ſolchem Ginperleiben; Daß zittern alle Scheiben:
ir wollen keine Dänen fein, Wir wollen feine Dänen jein,
Wir wollen Sentidje bleiben! Wir wollen Deutſche bleiben!
Wir alle ſind hier, alt und jung, Nicht fint uns fremder Herrſchaft Putz
Ans dentſchem Ton getnetet, Die eingebornen Schmerzen;
Wir haben deutſch geſcherzt beim Trunk Es grollt der alte Sachſentrutz
Und deutſch zu Gott gebetet. Noch heut in unsern Herzen;
Ran jol uns ſchenken dentſchen Wein Der Albion nahm im blut' gen 9teib'n,
Und deutſche Sa ung ſchreiben; Kann auch ein Joch zerreiben;
Wir wollen keine Dänen ſein, Wir wollen keine Dänen jein,
Wir wollen Deutſche bleiben! Wir wollen Deutiche bleiben!
pie deutſches Land trotz Spruch und Brief!
ſollt's uns nicht verleiden.
ir tragen Mut im Herzen tief
Und Schwerter in den Scheiden,
Von unjern Lippen jol allein
Der Tod dies Wort vertreiben:
Wir wollen keine Dänen fein,
Wir wollen Dentſche bleiben!
Lieder volkstümlichen Charakters sind an sich in dieser Zeit selten; auch unter den
Soldaten entstehen nicht, wie noch 1813 oder später 1914—1918, Marsch- oder Spott-
lieder, die „eingeschlagen“ hätten. Ein Lied wie das folgende ist sehr selten:
Als ich an einem Sommertag
hinter Metz, bei Paris und Chalons,
im grünen Wald im Schatten lag
hinter Metz, bei Paris und Chalons,
wo die deutſchen Büchſen knallen
und die roten Hoſen fallen,
hinter Metz, bei Paris und Chalons,
und die Säbel müſſen klingen,
bie Franzoſen müſſen ſpringen,
hinter Metz, bei Paris und Chalons.
Bismarck der Lotfe verläßt bae Schiff
Sedan, Versailles, — das Reich ist gegründet. Bismarcks Werk, die erste Erfüllung
der großen politischen Sehnsucht aller Deutschen, findet aber, nachdem der erste Jubel-
rausch verklungen ist, ein Echo, in das sich mißklingendes Kritteln mischt. Wiederum
ist es Emanuel Geibel, der gegen die ,, Meckerer" zu Felde zieht. Ein heute wie damals
zeitgemäßes Gedicht, dessen dauernde Gültigkeit — so sehr sie den Dichter auszeichnet —
die Schattenseite unseres deutschen Wesens erkennen läßt:
Was habt ihr denn, ihr Neunmalweilen,
Mit eurem Witz gebracht zuſtand,
Eh’ euch der Held mit Blut und Eifen
Gewaltig fchuf ein Vaterland?
Und jetst, nachdem er ohne Wanken
Zum Hafen euer Schiff gelenkt,
Nun wollt ihr kritteln, fchmähn und zanken,
Statt Gott auf euren Knien zu Danken,
Daß er euch folchen Mann gefchenkt?
Schmach über euch und eure Phrafen,
Ihr zungendrefchendes Gefchlecht,
Die ihr, von Dünkel aufgeblafen,
Ihn zu verdächt’gen euch erfrecht.
Die wenigen wachen Rufer erkennen diesen geistigen Verfall, mahnen und verdammen,
ohne daB der Deutsche hórt. Resigniert schreibt Nietzsche:
Jeder Buckel krümmt ſich ſchiefer,
Jeder Chriſt treibt Inden⸗Schacher,
Die Franzoſen werden tiefer,
Und bie Deutſchen — täglich flacher!
Und ebenso qualvoll und verzweilelt wendet sich Fritz von Ost ini 1902 an das deutsche
Volk, das immer wieder gegen sich selbst zu Felde zieht:
Es faken zuſammen in guter Ruh
Einmal ein Franzos und ein Brite
Beim funkelnden Wein und ein Deutſcher dazu
Und ſchwatzten von heimiſcher Sitte!
Da wußte ein jeder vom Vaterland
Viel Gutes und Schönes zu ſprechen
Doch jeder auch ehrlichen Sinnes geſtand
Seines Volkes Wunden und Schwächen!
Der Brite:
Wohl wird unſerm Volke zu dieſer Friſt
Auf Erden gar wenig gehuldigt
Und blutiger Habgier und arger Liſt
Wird wütend Altengland beſchuldigt —
Doch müßt ihr geſtehen: ſei's Schmach oder Ehr',
Wir haben's in Eintracht getragen.
Wir „Krämer“, wir pilaren nicht lange vorher
Nach Re mung unb Koſten zu fragen,
Und drückten bie laſtenden Sorgen uns ſchwer —
Wir waren zu ſtolz, um zu klagen!
Der Franzos:
Mag ſein, daß wir eitle Geſellen ſind,
Und daß wir uns keck überheben!
Wir rufen manch prahlendes Wort in den Wind,
Statt nüchtern der Wahrheit zu leben!
Wir hetzen und haſſen, auf Vorteil bedacht,
Einander in ewigem Streite,
Doch gilt es des Landes Ehre und Macht,
Verſtummt, was uns juſt noch entzweite.
Und gern wird das größeſte Opfer gebracht,
Ja, gern! Und von jeglicher Seite!
Der Deutſche:
Wir ſind auf der Welt nicht die Letzten heut
An Macht und an Wagen und Wiſſen!
Und wehe dem Feinde, der Kat uns bedräut,
Qang foll er die Antwort nicht miffen!
Wir wettern ihm über fein Schächerhaupt
Mit guten teutoniſchen Hieben —
Doch weh auch bem Deutſchen, ber kühn fid) erlaubt,
Im Frieden ſein Deutſchland zu lieben.
Bei uns Kick der Haß auf bas eigene Reich
Die Tatkraft der Treuen in Bande,
Gilt's eitlen Geſellen als Heldenſtreich,
Seinen Ruhm zu wandeln in Schande!
59
Da fahen die beiden verwundert drein
Und ſchüttelten leiſe die Köpfe:
„Gäb's wirklich drüben über dem Rhein
So wahnwitzumnachtete Tröpfe,
Die hämiſch genug ſind und herzensroh,
Solch trauriges Handwerk zu treiben —
Herrgott! Sind die Deutſchen in Wahrheit fo —
Herrgott! laß die Deutſchen ſo bleiben!“
Dies Erbübel, die unheilvolle Zersplitterung in vielerlei Meinungen und Parteien, hat
gerade in der Vorkriegszeit, wie oft übersehen wird, das deutsche Volk geschwächt und
unsicher gemacht. Mit satirischen Mitteln versuchten es einige Weitsichtige auszu-
brennen. Ludwig Thoma beispielsweise nahm sich insbesondere die Parlamentarier
vor, deren Unfähigkeit und würdelose Dummheit er immer wieder lächerlich machte. Im
„Simplicissimus“ verhöhnte er die Bayrische Nationalliberale Partei:
Dasnralte Männden.
Kennt ihr bas uralte Männchen e
Mit runzligem Angeficht
Und mit dem wackligen Kopfe?
Kennt ihr das Männchen denn nicht?
Man ſieht's nur einmal im Jahre;
Daun bleiben die Leute ſteh'n
Und ſagen: „Das Mümmelgreischen
Ei, kann es wirklich noch geh' n?
Wir glaubten, es ſei geſtorben,
Die Erde deckte es zu:
Wallt es noch immer auf Erden?
Wann kriegt's die ewige Nuh?“
Das Männchen ſchreitet vorüber,
Es huſtet, räuſpert und ſpuckt,
Und hat aus erloſch'nen Ungen
Gar ſeltſam uns angeguckt.
Es klettert auf einen Brunnen,
Der vor dem Rathanje ſtund,
„Es lebe der Landesvater
Und bleibe lange gesund!“
So ruft es mit medernder Stimme,
Dann ſteigt es wieder herab.
Ein Jahr lang fieht man's nicht wieder,
Ein Jahr lang liegt es im Grab.
Ihr fragt, wer das alte Männchen
Mit wackligem Kopfe jei?
„Die nationalliberale,
Die Mümmelgreiſenpartei.“
1911 wurde in Bayern eine „Konservative Vereinigung" gegründet, und ein Lied in der
Zeitschrift „Jugend“ verspottete den Aufruf, den diese Fraktion erließ: „Wer ist echt
konservativ?
Ein echter Konſervativer ijt
Vor allen Dingen ein guter Chrift —
Ausgenommen: er braucht grad fix
ur Frau eine reiche Judenſchickſ').
Ein echter Konſervativer iſt
Zweitens ſtets treuer Monarchiſt —
(Ausgenommen: der König tät
Was andres als der Herr Junker rät).
Ein echter Konſervativer iſt
Drittens Patriot und Nationaliſt —
an. enommen: wenn er gerad’
n Polen ein Gut zu verkaufen hat).
Ein echter Konſervativer hält ooch
Viertens die Ideale ſtets hoch —
See er müßte zäh
eſthalten gerade bas Portmonnä).
ei ein Konſervativer, der echt,
jt immer aud) ſozial gerecht —
5 die Bande begehr’
as gleiche Wahlrecht und andres mehr).
Kurz, ein Konſervativer vor der Wahl
Iſt ein politiſches Ideal
Und jeder wählt ihn ins Parlament —
(Ausgenommen: wenn er ihn kennt).
Das Mißtrauen gegen den Bruder und das Brudervolk war auf österreichischer Seite
nicht geringer. So schrieb Ludwig Anzengruber in den „Humoristischen Blättern“ (1874)
ein bitteres Lied:
Der Oſtreicher hat halt
A ſanfte Natur,
Is gegn jedermann freundli,
Er fann niz dafur.
Wann ihm heut aner aus lacht
Und antut ſchon alls,
So fallt er ihm muring
Gerührt um den Hals.
Die re bab’n uns [don
Gnua plädert, o mein,
Jetzt mögen wir gar
Ohne ſie nimmer ſein.
O mein Gott, o mein Gott,
Das ift a Vergnüg'n,
Wann der Preuß’ und der Ruff’
Uns in d' Mitt' einikriag'n.
61
Denn Preußen liegt nördli
Und Rußland no mehr,
Da dae febr viel Eis,
Da drauf geht ma ſchwer.
Dö eat führ'n uns wohl
Voller Freundſchaft, na ja,
Aber wann f'amal auslaſſen,
Lieg'n ma halt da!
In dieser Welt der bürgerlichen Scheinheiligkeit und des verantwortungslosen Inter-
essenkampfes konnte der Marxismus Fuß fassen, weil er allein mit Kraft und Ent-
schiedenheit diese Welt bekämpfte und seine Ziele, scheinbar bedingungslos, verfolgte.
1864 hatte Georg Herwegh das „Bundeslied fiir den allgemeinen deutschen
Arbeiterverein" gedichtet, dessen Schlagwort „Alle Räder stehen still, wenn dein
starker Arm es will" die Sozialisten jahrzehntelang begeisterte:
Mann der Arbeit, aufgewacht!
Und erkenne deine Macht!
Alle Räder hatte ſtill,
Wenn dein ſtarker Arm es will.
Deiner ics te Schar erblaßt,
Wenn bu, müde deiner aft,
In die Ecke lehnſt den Pflug,
Wenn du rufft: Es ift genug!
Brecht das Doppeljoch entzwei!
Brecht die Not der Sklaverei!
Brecht die Sklaverei der Not!
Brot iſt Freiheit, Freiheit Brot!
Auch Dingelstedt, wie Herwegh ein Mann von 1848, wurde mit seinen Gedichten
übernommen und viel gesungen. Bei aller gerechttertigten Empörung waren diese Lieder
überaus zersetzend:
Was ift, ihr Herrn, ein dentier Patriot?
An alle Fakultäten dieſe Frage —? —
„Ein Mann, der Sonntags dient dem lieben Gott
Und ſeinem König alle erkeltage.“
Was will, ihr Herrn, ein deutſcher Patriot? —
ür fij ein Amtchen, Titelchen und Bändchen,
y t feine — ehelichen — Kinder Brot
nd legitime Fürſten für fein Ländchen.“
Wie denkt, ihr Herrn, ein dentier Patriot? —
„Wenn's ho fommt, wie bie GER Zeitung;
Bom Frangmann [pridjt er uur mit ak und Spott
Und ſchwört für Preußens Gaslichts⸗ elt⸗Verbreitung.“
Was kann, ihr Herrn, ein bentidjet Patriot? —
„Rezepte, Akten und Kompendien machen,
Laut klagen über feines Volkes Not
Und heimlich in fein ſich' res Fänſtchen lachen.“
zum zum Tempel, dentier Patriot! —
5’ bu dich ius Santtilfimum geheudelt,
Und eh dein Kuß, Iudas Iſchariot,
Die Freiheit, den Meſſias, rücklings meuchelt!!
62
In einem „Demokratischen Liederbuch“, das in seiner letzten, uns bekannten Auflage
1903 erschien, findet sich ein für diesen zersetzenden, aber harmlos aufgemachten Geist
ein weiteres Beispiel:
Lied vom Drohnentönig
Es war in einem Bienenſtaat
Ein edler Drohnenkönig,
Der leckte Honig früh und ſpat,
Er nippt' herum, er tippt’ herum,
Er machte nichts als Summ und Brumm,
Der König, der war gar nicht dumm,
Der feiſte Drohnenkönig.
Da wurden auch die Bienen klug,
Und ſprachen: „Drohnenkönig!
Du frißt zwar Honig grad genug,
Doch ſchaffſt du viel zu wenig.
Wir ſummen dir auf dein Gebrumm,
Wir pfeifen auf dein Gaudium —
Wir Völker ſind nicht mehr ſo dumm,
Du fauler Drohnenkönig!“
Die Bienen ſpießten kurz und gut
Den edlen Drohnenkönig,
Verzehrten ihren Zuckerhut
Und hatten nicht zu wenig.
Sie brachten all die Sippſchaft um,
Da half kein Summ, da half kein Brumm.
Die hatten halt kein Chriftentum,
Du armer Drohnenkönig.
Schon gab es aber einige, die radikaler als die Radikalen sein wollten. Insbesondere
waren es die Juden, denen die Hetze nicht ergebnisreich genug war. So macht sich 1907
Erich Mühsam über seine Gesinnungsgenossen lustig:
Det Revoluzzer
Der deutſchen Sozialdemokratie gewidmet.
War einmal ein Revoluzzer,
Im Zivilſtand Lampenputzer;
Ging im Revoluzzerſchritt
Mit den Revoluzzern mit.
Und er ſchrie: „Ich revolüzze!“
Und bie Nevoluzzermütze
Schob er auf das linke Ohr,
Kam ſich höchſt gefährlich vor.
Doch die eroii ſchritten
Mitten in der Straßen Mitten,
Wo er ſonſten unverdrutzt
Alle Gaslaternen putzt.
Sie vom Boden zu entfernen,
Rupfte man die Gaslaternen
Aus dem Straßenpflaſter aus,
Zwecks des 3Barrifabenbau's.
Aber unſer Revoluzzer
Schrie: „Ich bin der Lampenputzer
Dieſes guten Leuchtelichts.
Bitte, bitte, tut ihm nichts!
Wenn wir ihn' das Licht ausdrehen,
Kann kein Bürger nichts mehr ſehen,
Laßt die Lampen ſtehn, ich bitt'
Denn fonjt [piel' ich nicht mehr mit!“
Doch die Revoluzzer lachten,
1195 ds nn I Cp
nd ber Lampenpuger [dfi
Fort und meinte bitterlich
Dann iſt er zu Haus geblieben
Und hat dort ein Buch geſchrieben:
Nämlich, wie man revoluzzt
Und dabei noch Lampen putzt.
63
Weltkrieg und Aufbruch
Die Macht und das Grauen des Krieges machten den Soldaten stumm. Der leiden-
schaftliche Aufbruch der ersten Monate ließ zwar noch Dichter erstehen, aber Gas und
Granaten des Stellungskrieges duldeten keinen Gesang außer dem ihrigen. Die Dichter
fielen: Gorch Fock, Walter Flex, Gerrit Engelke; und so fand der Weltkrieg, wenn man von
der Prosa Jüngers, Brehms und Beumelburgs absicht, seine dichterischeVerklärung erst zwei
Jahrzehnte später: in den „Briefen der Gefallenen” Eberhard Wolfgang Möllers. Nicht
ein Frontkämpter konnte solche Verklärung schreiben, nicht einer von denen, die sich
von dem Bann des Grauens jener Jahre nie mehr werden lösen können. Dafür ist auch
bezeichnend, daß wir die erschätterndsten Dokumente dichterischer Gestaltung des
Krieges in den ersten Augustwochen 1914 finden. Da ist vor allem jenes in seiner
Einfachheit überwältigende Lied von Heinrich Lersch:
Soldatenabfchied
Laß mich gehn, Mutter, laß mich gehn!
All das Weinen kann uns nichts mehr nüten,
denn wir gehn, das Vaterland zu fchüten!
Laß mich gehn, Mutter, laß mich gehn.
Deinen letzten Gruß will ich vom Mund dir hüffen:
Deutſchland muß leben, und wenn wir ſterben miffen!
Wir ſind frei, Vater, wir ſind freil
Tief im Herzen brennt das heiße Leben,
frei wären wir nicht, könnten wir's nicht geben.
Wir ſind frei, Vater, wir ſind freil
Selber riefft du einft in Kugelgüffen:
Deutichland muß leben, und wenn wir fterben miffen!
Une ruft Gott, mein Weib, une ruft Gott!
Der une Heimat, Brot und Vaterland gefchaffen,
Recht und Mut und Liebe, Das find feine Waffen,
Uns ruft Gott, mein Weib, uns ruft Gott!
Wenn mir unfer Glück mit Trauern büßen:
Deutichland muß leben, und menn mir fterben müffen!
Tröfte dich, Liebfte, tröfte dich!
Jest will ich mich zu den anderen reihen,
du follft keinen feigen Knechten freien!
Tröfte dich, Liebſte, tröfte dich!
Wie zum erften Male wollen mir uns hüffen:
Deutſchland muß leben, und wenn wir fterben müffenl
Nun lebt wohl, Menfchen, lebet wohl!
Und wenn mir für euch und unfere Zukunft fallen,
foll als letter Gruß zu euch hinüberhallen:
Nun lebt wohl, ihr Menfchen, lebet wohl! .
Ein freier Deutfcher kennt kein kaltes Müffen:
Deutichland muß leben, und wenn wir fterben müffen!
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Schwermütig, aber doch männlich klingt dann das Lied des Weltkrieges zu uns, ein
Lied der Pioniere, das Hermann Albert von Gordon 1915 schrieb:
Argonner Wald um Mitternacht,
ein Pionier ſtand auf der Wacht.
Ein Sternlein hoch am Himmel ſtand,
bringt Grüße ihm aus fernem Heimatland.
Und mit dem Spaten in der Hand,
er vorne in der Sappe ſtand.
Mit Sehnſucht denkt er an ſein Lieb,
ob er es wohl noch einmal ſieht.
Und donnernd dröhnt die Artill' rie,
wir ſtehen vor der Infanterie,
Granaten ſchlagen bei uns ein,
der Franzmann will in unſre Stellung rein.
Und droht der Feind uns noch ſo ſehr,
wir Deutſche fürchten ihn nicht mehr.
Und ob er auch fo ſtark mag fein,
in unſre Stellung kommt er doch nicht rein.
Der Sturm bricht los! Die Mine kracht!
Der Pionier gleich vorwärts macht.
Bis an den Feind macht er ſich ran
und zündet dann die Handgranate an.
Die Infanterie ſteht auf der Wacht,
bis daß die Handgranate kracht,
geht dann mit Sturm bis an den Feind,
mit Hurra bricht ſie in ſeine Stellung ein.
Argonner Wald, Argonner Wald,
ein [tiller Friedhof wirft du bald.
In deiner kühlen Erde ruht
[o manches tapfere Soldatenbiut.
Der viel zu früh verstorbene und leider fast vergessene ostmärkische Dichter Alfons
Petzold, ein Arbeiter wie Heinrich Lersch und dessen Freund, gibt uns ein Bild von
der Not und dem Geist jener schweren Jahre:
Der lange Krieg
Es ift Krieg, viele Monate Krieg!
Schon beginnen es die Steine hinauszufchreien.
Was dumpf und verüngftigt die Tage her Ichwieg,
will fich jest Stimme von Donner und Brandung leihen.
Es ftrdmt Blut, das heilige Blut
von taufend Schlachtfeldern in die Städte Des Landes.
Und mir find nicht mehr Glut, haBlodernde Glut,
wle eint im Anfang des weltumlohenden Brandes.
65
Wir alle find nur mehr ein Geficht
der fteinernen Qual über ein wildes Erwachen,
ein ftarres Schauen, Das nur manchmal zerbricht
in ein hilflofes Weinen und graufiges Lachen.
Und ein Taften aus allem Brand
nach einer friedeumraufchten, Durchlungenen Stunde,
in der über fremdes und eigenes Land
Die Menfchen ſich reichen die Hände zum ewigen Bunde.
Vier lange Jahre hindurch behauptet sich der deutsche Soldat gegen die ganze Welt.
Tief in Rußland stehen unsere Truppen, in Palästina, in Afrika, in Frankreich. Erst
jüdischer Verrat, der tückisch im Rücken der Front aufbricht, kann den heroischen
Widerstand erschüttern, der in der Weltgeschichte nicht seinesgleichen findet. Der Rück-
marsch beginnt:
Küdmarid
Der Kampf ijt aus. Zerbrochen Schild und Ehre,
fie ziehen hin, [djant keiner ihnen nach,
ſchwer anf den Schultern laſten die Gewehre,
ſchwer in den Herzen brennt die dumpfe Schmach.
Die Straße dröhnt. Die müden Füße ſtampfen,
die Räder mahlen. Leiſe klirrt der Stahl.
Die Rolfe keuchen, ihre Flanken dampfen,
der Nebel fällt, und alle deckt die Qual.
Auf grauen Schollen hocken ſchwarze Naben,
der Abend fintt und Regen rieſelt ſchwer
Zur Heimat fliehn, die keine Heimat haben,
zur grauen Zukunft zieht das graue Heer Fritz Woite
In aller Düsterkeit und Scham glimmt aber bereits ein Funke der Empörung. Ende
: 91 P hören wir die Stimme des ersten dichterischen Rufers einer neuen Zeit: Dietrich
chart.
Wm Siegestor
Laßt die Glocken, laßt die Fahnen.
Jeder weiß, an was ſie mahnen.
Sie verdüſtern nur die Mienen
Derer, die den Schmuck verdienen,
Und in ihrer Bruſt der Gram
Wird noch obendrein zur Scham.
Jene aber, die frohloden...
Laßt die Fahnen, laßt die Glocken.
Dietrich Eckart
Als das schmachvolle Diktat von Versailles Deutschlands Elend zu besiegeln scheint,
klingt bereits mächtig und kraftvoll die Sehnsucht auf, die der sudetendeutsche Dichter
Ernst Leibl zum weihevollen Gesang der zwölf Jahre des Kampfes machte: „Herr Gott,
den Führer sende!”
Wir heben unfre Hände aus tieffter, bittrer Not.
Herr Gott, den Führer fende, der unfern Kummer mwende
mit mächtigem Gebot.
Ermeche uns den Helden, den feines Volks erbarm;
des Volks, das nachtbeladen, verkauft ift und verraten
in unfrer Feinde Arm.
Erwecke uns den Helden, der ftark in aller Not
fein Deutſchland mächtig rühret, dein Deutſchland gläubig führet
ins junge Morgenrot.
Wir weihen Wehr und Waffen und Haupt und Herz und Hand!
Laß nicht zufchanden werden dein lichtes Volk der Erden
und meiner Mutter Land.
ding GEN und begeisternd, von überwältigender dichterischer Schönheit, sind die
Verse Baldur von Schirachs, die seit 1928 die Jugend zur Fahne rufen. Wir haben
zwei Gedichte ausgewählt, die dem Kampf jener Jahre ein unvergängliches Denkmal setzen,
jener Jahre, in denen sechszehnjährige Hitlerjungen niedergeschossen wurden, während
Gleichaltrige ahnungslos und oberflächlich einer Welt des Scheins nachtaumelten:
Um unire Augen
Um unfre Augen mar es wie ein Dämmern,
als uns die Kunde ham von unfrer Pflicht,
und unler heißes Herz begann zu hämmern ...
Und plötzlich fanden wir im grellen Licht!
Fern lag uns nun der Kindheit dunkle Pforte.
Es dröhnten Trommeln, leuchteten Standarten.
Kampf um die Straße und Kommandomorte ...
Dann Tote, die zum grauen Himmel ſtarrten.
It auch der Mut umfaumt mit taufend Bahren,
fo fterben mir, mie jene es gekonnt,
die Helden waren [chon mit achtzehn Jahren.
Und nennen das: Die Feier unferer Front!
%
Den anderen
In euren Köpfen malt Die Welt fich bunt
in grellen Farben, Lachen, Luft und Tand,
une aber druckt des Schidifale harte Hand
in jungen Jahren unfre Schultern mund,
So gehen wir zur Freiheit und zur Macht,
indeffen thr in fchwülem Tanz euch dreht:
wenn eure Namen lang im Wind vermeht,
ftrahlt unfer Stern noch in Die fernfte Nacht.
Baldur von Schirach
Wie ein Signal zum Angriff tönt aus Berlin das hinreißendste Marschlied in alle deut-
schen Gaue, das der Nationalsozialismus entstehen ließ: „Volk ans Gewehr!”
Aus Text und Melodie Arno Parduns klingt einzigartig die Unerbittlichkeit der mar-
schierenden Kolonnen Adolf Hitlers.
Siehft dn im Often bas Morgenrot?
Cin rod zur Freiheit, zur Sonne!
Wir halten zuſammen, ob lebend, ob tot,
mag kommen, was immer da wolle!
Warnm jetzt noch zweifeln, hört anf mit dem Hadern!
Noch fließt uns dentſches Blut in den Adern.
Volk ans Gewehr!
67
Viele Jahre zogen dahin,
pone das Golf und betrogen;
erräter und Juden hatten Gewinn,
Re fordern Opfer Legionen.
Im Volke geboren erſtand uns ein Führer,
ab Glaube und Hoffnung an Deutſchland uns wieder.
olf ans Gewehr!
Deutſcher, wach anf nun unb reihe dich ein,
wir ſchreiten dem Siege entgegen;
frei ſoll die Arbeit und frei woll'n wir ſein
und mutig und trotzig verwegen.
di ballen bie Fäuſte und werden es wagen,
ibt kein Zurück mehr, und keiner darf zagen.
Bolt ans Gewehr!
Wir Iungen und Alten, Mann für Dann,
umflammern das Safenfrenzbanner;
ob Bauer, ob Bürger, ob Arbeitsmann,
fe ſchwingen das Schwert und den Hammer.
Sie kämpfen für Hitler, für Arbeit und Brot,
Dentihland erwache! Juda den Tod!
Boll ans Gewehr!
Es ist kaum zu begreifen, daß diese Lieder und Gedichte jetzt bereits der Geschichte
5 Das deutsche Volk hat sich gewandelt, es hat die Kraft zu einer Revolution
ge unden. Der Führer wurde uns gesandt, uns und unseren deutschen Brüdern in der
stmark und im Sudetenland. Bittere Jahre mußten sie warten und kämpfen und doch
klingen aus ihren Kerkern Lieder edelsten Glaubens. Der Reichsjugendfihrer veröffent-
lichte eine Sammlung von Gedichten unbekannter österreichischer Hitlerjungen unter dem
Titel „Das Lied der Getreuen". Es mag kaum einen besseren Abschluß für diese
Sammlung politischer "Lyrik geben als den, eine Huldigung für den Führer aus dem
Munde seiner eigenen, gequälten und jetzt erlósten Heimat zu hören:
Vor dir, mein Führer
Und mögen taufend Menfchen vor dir ftehn,
fo fühlt Doch jeder deinen Blick allein
und Denkt, es muß für ihn die Stunde fein,
und Ou willſt tief in feine Seele fehn.
Denn in Minuten, wo du bei une weilſt,
erfchließen wir dir gerne jedes Tor,
und die Gedanken heben wir empor,
daß du an ihnen befferft und fie feilft.
Du but fo gütig, und du bift fo groß,
Ou bift fo ftark und bift unendlich rein -
Wir legen gerne ohne jeden Schein
vor dir die Einfalt unfrer Herzen bloß.
Denn keiner ging noch unbefchenkt von dir,
traf ihn nur einmal deiner Augen Strahl,
wir roiffen, du verkündeſt jedesmal:
Ich bin bei euch und ihr gehört zu miri
68
aupenpolitiche Rotten
Karl Kasiske:
Brennender Korridor
Zur Geſchichte des Deutſchtums
u dieſem Raum
Nicht allein die alte deutſche Hanſeſtadt
Danzig muß ihren natürlichen Platz in der
alten deutſchen Reichsheimat wiederfinden.
Über ihr Schickſal hinaus muß die nieder⸗
trächtigſte Schandtat der ſogenannten
Friedensmacher von Verſailles, die Tren⸗
nung einer deutſchen Oſtprovinz vom
Keichsganzen durch einen polniſchen Korri⸗
dor, feine geſchichtlich unabänderliche Kor⸗
rektur erfahren.
Im Gebiet des heutigen polniſchen
„Korridors“ ſind drei verſchiedene Bevöl⸗
kerungsgruppen beheimatet. Im Nordteil
des Landes ſitzen im Umkreis der Städte
Zu SE t und Karthaus die Ras
ſchuben, die als Nachkommen ber alts
eingeſeſſenen ſlawiſchen Pommern anges
prodjen werden können und die ftets in
rieden und Freundſchaft mit dem Deutſch⸗
um gelebt haben. Südlich ſchließen ſich
polniſche Bevölkerungsteile an, die
umeiſt durch Poloniſierung von dort an⸗
ſäaſſigen Kaſchuben entſtanden find. Die
beutíden Siedelgebiete endlich
liegen über die verſchiedenen Teile des
Landes verſtreut. Wenn wir von kleineren
Splittergruppen im Küſtengebiet abſehen
wollen, ſo findet ſich eine geſchloſſene
deutſche 5 in der ſogenannten
zen end am Turmberg, die unmittels
ar an die Grenze des i
anziger B.
aats anſchließt. Eine unterbrochene Kette
eutſcher Siedlungen Er ih in der
Weichſelniederung ſtromaufwärts bis nad)
ordon hin, wo fie ben Anſchluß an das
große quergelagerte Bromberger Siedel⸗
gebiet erreicht. Im Weſtteil des Korridor:
gebiets hat die Gegend um Zempelburg
eine ehr ſtarke deut v Bauernſchaft aufs
zuweiſen, und fübmeftlid von Konitz liegt
eine geſchloſſene Gruppe von einem Dutzend
deutſcher Dörfer, die die ſogenannte Ko⸗
chneiderei bilden und bis auf den heutigen
ag ein reich entfaltetes Volkstum be:
99571 haben.
Odland — „polniſcher“ Volksboden!
Wir können ſomit ſagen, daß das
Deutſchtum gerade in den fruchtbareren
und geopolitiſch bedeutſamen Gebieten des
Korridors vertreten iſt. Einen beſonderen
Hinweis verdient in dieſem Zuſammenhan
das deutſche Siedelgebiet im Netzebru
und in der Gegend von SE das fi
in oſtweſtlicher Richtung erftredt und fo»
mit das eigentliche Korridorgebiet feft
ge en den elen polniſchen Volks⸗
oden im Süden abriegelt. Sehr ſchwach iſt
dagegen das Deutidtum in den inneren
Teilen des Korridorgebiets, und die Polen
gaon teine Gelegenheit verfäumt, d
atſache auf den Bevölkerungskarten fo
grell wie nur irgend möglich in Erſchei⸗
nung treten zu fallen. Die Dinge gewinnen
aber ein anderes Geſicht, wenn wir bes
denken, daß es ſich hier um die ausgedehnte
Tucheler Heide e die ſich der land⸗
wirtſchaftlichen Nutzung völlig entzieht und
daher nur eine überaus niedrige Bevölke⸗
rungsziffer aufweiſt.
Den Polen iſt der Beſtand der deutſchen
Volksgruppe im Korridor hö unange⸗
nehm. So ſind ſie denn nicht allein immer
bemüht geweſen, das Deutſchtum durch
Enteignung von Landbeſitz, Beſchränkungen
im deutſchen Unterricht uſw. zu ſchwächen, ſon⸗
dern ſtreiten ihm überhaupt jede Daſeins⸗
berechtigung ab, indem ſie die Deutſchen
als landfremde Schmarotzer anprangerten.
Sermaniſcher Lebensraum
Dabei iſt ſogar ſchon vor der S tidie
wende das Land an ber unteren Weichſel
in enge Berührung mit der Norden bet
Völkerwelt gekommen. Von Norden her
anſegelnd, landeten die N en
Burgunden, Vandalen und Goten in der
Danziger Bucht und ließen ſich beiderſeits
der Weichſel nieder Es waren dies Hi
tapferen Stämme, denen die Heldenſage
einen dauernden Ce im Herzen
unſeres Volkes de dé at. Mehrere
Jahrhunderte blieben ſie in unſerm Lande,
das in Gräbern und freigelegten Wohn⸗
ſtellen zahlreiche Erinnerungsmale an dieſe
erſte germaniſche Beſiedlung erhalten hat.
Dann traten ſie ihren Marſch nach dem
Süden an, in dem ſie nach unerhörten ges
ſchichtlichen Taten und Leiſtungen ihren
Untergang finden ſollten. SC Plätze im
Weichſelland wurden von ſtammfremden
Völkern eingenommen. Von Often her
69
rückten die baltiſchen Preußen bis an bie
Weichſel vor. Auf ſeinen weſtlichen Ufern
ſtieß ihre Vorhut mit den ſlawiſchen Pom⸗
mern zuſammen, die inzwiſchen das ganze
Land zwiſchen der Oder und Weichſel, der
Oſtſee und der Warthe⸗Netze⸗Linie in Beſitz
genommen hatten. Dieſe Bewohner Pom⸗
merns gehörten zwar der großen ſlawiſchen
Völkerfamilie an wie die Polen, ohne daß
nun aber jemand hieraus die Berechtigung
ableiten dürfte, ſie den Polen zuzuzählen,
wie dieſe ſelbſt es aus erſichtlichen poli⸗
tiſchen Gründen nur allzugern zu tun
pflegen. Wenn wir ſchon ganz die beträcht⸗
nen ſprachlichen Unterſchiede außer acht
laſſen wollen, ſo hat die VC
dieſer beiden Völker ſchon in ihrer Be⸗
Kong einen trefflichen und überzeugen:
en Ausdruck gefunden. Die Pommern
oder Pomoranen, wie ſie der damaligen
Namensform entſprechend beſſer genannt
werden, find die „Leute am Meer“, wäh:
rend [id die Polen durch ihre Stammes
bezeichnung als „Bewohner des Feldes“,
s bes Binnenlandes, zu erfennen geben
und dies — trotz aller Kolonialanſprüche
unb „Feſte des Meeres“ — bis zum heuti⸗
gen Tag auch geblieben ſind.
Küſte ausſchließlich germaniſch
Mit der Landnahme der Preußen und
Pommern hat die germaniſche Einfluß⸗
nahme auf das Weichſelland keineswegs
ihr Ende gefunden. Zahlreiche Funde be⸗
weiſen, daß 1 oſtgermaniſche Reſte im
Lande verblieben ſind, wenn wir leider
auch nichts darüber wiſſen, wie ſich ihr
Verhältnis zu den ſtammfremden neuen
Zuwanderern geſtaltet hat. Zudem wurde
das Land an der Danziger Bucht immer
wieder von nord germaniſchen Seefahrern
aufgeſucht, die die alten Beziehungen von
Sweden und Gotland her nicht abreißen
ließen. Dieſe nordgermaniſchen Kaufleute
haben damals den Handel des Weichſel⸗
landes beherrſcht und es als rechte Wikin⸗
ger veritanden, diefe ihre Handelsverbin⸗
ungen mit dem Schwert in der Hand zu
chützen. Bei Mewe ijt vor einiger Zeit
as Grab eines Nordgermanen aufgededt
worden, das die Waage und das Schwert als
die Kennzeichen des damaligen Wikinger⸗
tums enthielt. An der Küſte zeugen zahl⸗
reiche Orts⸗ und Flurnamen, wie Rixhöft,
Oxhöft und Heiſterneſt von den ſtarken
Bea. Einflüſſen dieſer e wie
er unlängſt verſtorbene Den Lo rentz,
der beſte Kenner der kaſchubiſchen Ge⸗
ſchichte, erwieſen hat, ſollen neben dem
einen oder andern Namen im Innern des
70
Landes auch die Stämme der Ortsnamen
AL Ale: Gdingen auf eine nordgerma⸗
niſche Wurzel zurückgehen. Man möchte es
als einen letzten Nachklang der reich⸗
bewegten und kampfdurchtobten Wikingerzeit
anſehen, daß das pommerſche Land an der
unteren Weichſel zu Beginn des 13. Jahr⸗
hunderts dem Reich des großen Dänen⸗
königs Waldemar angehört hat.
Inzwiſchen aber hatte der nordgerma⸗
niſche Wikinger bereits dem i
ſchen Seefahrer weichen müſſen, der, auf
das emporblühende Deutſche Reich geftiist,
die Herrſchaft im Oſtſeegebiet an d tib.
In ber diede Hälfte bes 12. Jahrhunderts
ben bie erſten lübiſchen Kauf:
eute auf bem Wege über Wisby (Got:
land) bie Danziger Bucht angeſteuert, fid
in Danzig ſelbſt niedergelaſſen und auf
diefe Weile das pommerſche Wirtſchafts⸗
gebiet dem lübiſchen und weſtdeutſchen
B allen Bald entſtanden in
anzig und irſchau vollberechtigte
deutſche Stadtgemeinden, wichtige Glieder
in jener Kette von Handelsſtützpunkten,
mit denen der deutſche Kaufmann die Süd:
küſte der Oſtſee bis nach Narva hin um⸗
ſpannt hielt. Gleich Wi mit dem Rauf:
mann famen deutſche Weltgeiſtliche und
Mönche, die in den verſchiedenen Teilen
des Landes ihre Tätigkeit aufnahmen. Um
das Jahr 1175 wurde Oliva gegründet, als
älteſtes und bedeutendſtes jener Klöſter,
die ſich als Träger einer höheren geiſtigen
und wirtſchaftlichen Kultur unſagbare Ver⸗
dienſte um die Entwicklung des Landes
erworben haben.
Die Deutſchen gerufen!
Alles dies geſchah unter der aus:
i en „ von
feiten der oſtpommerſchen Fürſten, die mit
Hilfe der deutſchen Einwanderer den er:
ſehnten Anſchluß an das in Recht und
Wirtſchaft, in ou und kulturellen
Dingen führende bendland zu finden
hofften. So hat ſich der KOCH Swantopolf
von Danzig in der Bur orge für bie deut:
ſchen Einwanderer beſonders hervorgetan.
Sein Bruder Sambor ging in ſeiner Vor⸗
liebe für deutſches Weſen ſo weit, daß er
an ſeinen Hof in Dirſchau nur deutſche
Ritter zog und dieſen ok e in der
Umgebung verlieh, um fie ſtärker an fein
Land zu binden.
Co war im Verlauf des 13. Jahrhunderts
eine ſtarke dis a Nn a Be
bie Geiſtliche, Bürger und grundbeſitzenden
Adel umfaßte. och i ber deutſche
Bauer, der allein befähigt war, diefe Ges
Die Bevölkerung deutscher Muttersprache im Korridor
N
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C] unter 150 v. H. B über 50 v. H.
15,1 bis 30 v. H. e
2300, 1 bis 50 v. H
71
andere. auf bie Dauer lebens»
ähig zu erhalten. Die Cinmanbe:
tung von deutſchen Bauern wurde
in die ee geleitet, als fid) nach dem
Ausſterben des pommerſchen Herzogshauſes
der Deutſche Orden von Preußen her
in den Beſitz Oſtpommerns geſetzt hatte und
nun baranging, das Land durch ein ume
fangreiches Siedelwerk ne qu
bef ließen. Niemand war dieſer Au ge e
beſſer gewachſen als der Orden, deffen Vers
waltung damals als die beſte in Europa
gerühmt wurde. Überall regte ſich jetzt
neues Leben. Wälder wurden gerodet und
Sümpfe trockengelegt. In den „aus wilder
Wurzel“ gegründeten Dörfern, die ſich bis
auf den heutigen Tag durch ihre deutſchen
Namensformen zu erkennen geben, ließen
Do deutihe Bauern aus bem preußiſchen
andesteil bes Ordensſtaates oder aus dem
deutſchen Mutterland im Weiten nieder.
Diele 1 ung fand vor allem im
Stüblauer Werder, im Weichſeltal unb an
ber Südgrenze des Landes im Umkreis ber
Städte Konitz und Schlochau ſtatt. Im
Landesinnern bildeten ie kleinere Neu⸗
ſiedelgruppen an der Putziger Wiek, in der
Gegend von Czerff und von Skurz und
Hn s um ben Marienſee auf der Danziger
dhe.
Gleichzeitig wurden auch bie Altſiedel⸗
räume der eingeſeſſenen pommerſchen Be⸗
völkerung von der koloniſatoriſchen Tätig⸗
keit des Ordens erfaßt. Es kam zu einer
roßangelegten Landesplanung: ohne 9tüd-
ise auf bie bisherigen STE
er pommerſchen Dörfer hat der Orden
größere zuſammenhängende Landflächen
neu aufgeteilt, wobei die Zahl der Sied⸗
lungen verringert, die Gemarkungen der
Einzelortſchaften jedoch erheblich vergrößert
wurden. So kam es denn, daß neben den
ommerſchen Bauern, die ihre alte Wohn⸗
ätte hatten aufgeben und in die nach
deutſchem Muſter erbauten Angers oder
Straßendörfer ziehen müſſen, ped einige
b emanberte deutſche Bauernfamilien
atz fanden, von denen ſich die Pommern
die Bräuche des deutſchen Rechtslebens und
die Fertigkeiten der deutſchen Landwirt⸗
ſchaft aneignen konnten.
Deutſche Städtegründungen im Oſten
Da durch die umfangreiche Siedlung auf
Neuland einerſeits, durch die erg Sedge
der Gemarfungen und bie mit der Drei:
felderwirtſchaft verbundene Intenſivierung
der Feldbeſtellung auf den alten Siedel⸗
flächen andererſeits der Nahrungsſpiel⸗
72
raum um ein Vielfaches erweitert war,
konnte dieſes Siedelwerk den Auftakt zu
einer allgemeinen Belebung der Wirtſchaft
bilden, die in der Gründung zahlreicher
Städte ihren beredteſten Ausdruck fand.
Insgeſamt ſind neben den drei Städten
Danzig, Dirſchau unb Mewe, bie der Orden
vorfand, im Verlauf von 100 Jahren nicht
pen als 17 neue begründet worden,
von denen einige, wie Ronig und Tr
Stargard, zu grape Sebeutung fangten.
Es ilt für uns ſehr wichtig. A ih die
Bürgerſchaft dieler Städte Vot ausſchließ⸗
lich aus Deutſchen zuſammenſetzte und die
Einwanderung von Nichtdeutſchen glich
ſtrenge Beſtimmungen faſt völlig unmögli
emacht wurde. Um das Jahr 1400 ſtellen
ich demnach die Dinge ſo dar, daß das
eutſchtum ſeinen GE dia um bie
wirtſchaftliche und kulturelle Durchdringung
entſprechend in den Städten und den be⸗
ſonders 1 Neuſiedelgebieten die
unbedingte Vorherrſchaft dch daneben
aber aud) in den übrigen altbefiedelten
Landesteilen mit einer dünneren Schicht
eh Bauern und Gutsbefigern Fuß gefaßt
atte.
Zeiten des Riedergauges
‚Wie die Anſetzung zahlreicher weft
fäliſcher Zuwanderer in den heute ſoge⸗
nannten Koſchneiderdörfern bei Konitz
(etwa 1440 bis 1450) zeigt hat der Orden
es trotz der dauernden Kriege und ſeines
inneren Verfalls bis zum bitteren Ende
P zn he die Landeskultur auf der alten
Höhe zu halten. Nach dem Zweiten Frieden
von Thorn e in dem der Orden den
Polen u. a. ſeine Beſitzungen el dem linten
Weichſelufer überantworten mußte, ſetzte ein
allgemeiner wirtſchaftlicher Nie⸗
Ads ein, der auch auf die Entwick⸗
lung des Deutſchtums nicht ohne Einfluß
bleiben ſollte. Die über das Land ver⸗
treuten deutſchen YEA unb Einzel»
amilien konnten fid nicht halten und find
m Kaſchubentum aufgegangen, ſo daß heute
nur noch einige wenige urſprünglich deutſche
Orts: und Flurnamen in kaſchubiſcher Gout,
gene von ihnen zu berichten willen. Von
üben her war das Polentum im Bor:
1 begriffen; ihm erlag die Bürger:
ſchaft einiger kleinerer Städte, in deren
wirtſchaftlichem Gefüge mit der Entſtehung
der Ackerbürgerſchicht entſcheidende Um⸗
wälzungen erfolgt waren. Reftlos durch⸗
ſetzen konnte ſich das Polentum überall dort,
wo die E über die allerorts
auffladernden evangeliſchen Bewegungen
den Sieg erringen konnte. Dagegen hat ſich
bae Deutſchtum in denjenigen Gebieten bes
haupten können, wo es geſchloſſen in
rößeren Gruppen ſaß, wenn es ihm nicht
ogar gelang, feinen Geltungsbere ch durch
Angleichung pommerſcher Bevölkerungsreſte
auszuweiten. Dieſe Entwicklung wurde durch
die Einwanderung neuer deulſcher Siedler⸗
züge beträchtlich gefördert. Aus den weſtlich
angrenzenden pommerſchen Gebieten, dem
en Hinterpommern, kamen im 16. Jahr:
undert deutſche Bauern herüber, bie fid) in
der Gegend von Zempelburg, im Nordteil
des Schlochauer Kreiſes und ſchließlich auch
in der Hütten egenb am Turmberg nieder⸗
ließen. Um dieſelbe Zeit begann die Ein⸗
wanderung von Mennoniten, die um des
Glaubens willen die niederländiſche Heimat
verlaſſen mußten und nun unter günftigen
Bedingungen an der Weichſelmündung und
im Weichſeltal eine neue Heimſtätte fanden;
von ihrer Arbeit zeugen heute noch die
vielen ſogenannten olländereien oder
„Hauländereien“. Verſprengte Holländer:
tuppen find im Karwen⸗ und Kniewen⸗
ug im nördlichen Korridorgebiet angeſetzt
worden.
Schon unter poluiſcher Herrſchaft überlegen
Det deutſche Bevöllerungsanteil, der gegen
Ende der polniſchen Hertſchaft nach vor⸗
ſichtigen Schätzungen dem kaſchubiſchen wie
noinen gleichkam, ihn vielleicht fogar
bertroffen hat, iſt nach der erſten Teilun
Polens, bei der unſer Land an Preußen fiel,
durch „ den Großen weiter⸗
in gefeſtigt worden, wenn man auch den
iedlungsmaßnahmen dieſes Herrſchers
wenigſtens für unſern Bereich keine über⸗
triebene Bedeutung beimeſſen darf. Im
ganzen find nämlich nur rund 1100 württem⸗
ergiſche Familien in die neuen Provinzen
eingewandert, doch iſt das heutige Korridor⸗
gebiet oon dieſem Zuſtrom am wenigiten
etroffen worden, da damals lediglich einige
Nast Vorwerke in der Gegend von
Karthaus und Dirſchau neu beſetzt wurden
und in den übrigen Gebietsteilen wenige
verſtreute Familien Platz fanden. Auch die
deutſche Frledrich Wi , die 0 im Gefolge
der von Friedrich Wilhelm IV. betriebenen
Wieſenmelioration einſtellte, blieb zahlen⸗
mäßig gering und ouf einen fleinen Raum
am warzwaſſer beſchränkt, wie ſich auch
die Anſiedlungsgeſetzgebung der letzten Vor⸗
kriegsjahre im heutigen Korridorgebiet
kaum auszuwirken vermochte.
Das ift der Tatbeſtand!
Aus dieſem kurzen Überblick ergeben ſich
verſchiedene Feſtſtellungen, die hier in leit⸗
[a ähnlicher Dom zuſammengeſtellt werden
ollen, um unſern Standpunkt dem gefälſchten
golni/den Geſchichtsbild gegenüber mit aller
Klarheit und Schärfe herauszuarbeiten:
1. Die deutſche Bevölkerung des Korridor:
ebiets iſt nicht landfremd, ſondern läßt
fs in ihren heutigen Siedlungsgebieten
n gerader Linie bis in die Zeit der
gro en mittelalterlichen Landnahme im
3. bis 15. Jahrhundert zurückführen.
2. Die deufihde Bauernbevölkerung des
Korridorgebiets hat die ee
ruchtbaren Böden, bie fie fetzt innehat,
elbſt urbar gemacht und darüber hinaus
n jahrhundertelanger Arbeit dem Geſicht
des ganzen Landes in zahlloſen Einzel ⸗
ügen fein bleibendes Gepräge verliehen.
3. Nur wegen dieſer ihrer ent en
seo tater und Leiftungsfabigteit find
die deutſchen Einwanderer von den deut:
ſchen oder ſlawiſchen Landesherren ins
Land gerufen worden; der „
Volkstums hat dabei gar keine Rolle
eſpielt.
4. Das heutige Deutſchtum des Korridor⸗
gebiets iſt alſo nicht auf eine gewaltſame
„ſtaatliche Germaniſation“ durch die
reußiſche Regierung feit Friedrich dem
SC zurückzuführen, wie bie polniſche
Nachkriegspropaganda dies zu behaupten
pflegt, niemals find die deutſchen Ein⸗
wanderer den Kaſchuben und Polen gegen⸗
über ſtärker bevorzugt worden als unter
den alten pommerſchen Herzögen (bis
1295) und zur Zeit der polniſchen Herr⸗
ſchaft (1466 bis 1772).
Ein bezeichnendes Beiſpiel
Zu dieſen Behauptungen, die die Kern⸗
ragen des Zuſammenwohnens der Völker
m deutſch⸗ſlawiſchen Grenzſaum berühren,
eien zur Verdeutlichung einige mene
elegftellen aus den verſchiedenen Zeit⸗
träumen angeführt. Als der uns bekannte
Herzog Sambor von Dirſchau im Jahre 1255
dem Ziſterzienſerkloſter Lekno einige Dörfer
weſtlich der heutigen Stadt Schöneck ſchenkte,
erteilte er ihm „aus beſonderer Gunſt die
Erlaubnis, Deutſche anzuwerben und ſie
Best ihrer Gewohnheit in den eben genannten
Be gungen anzufiedeln, damit fie dort ibt
eigenes Recht unb einen ihren Leiftungen
entſprechenden Arbeitsertrag haben ſollten“.
Gleichzeitig ſicherte Sambor dieſen Anſied⸗
lern eine eigene Gerichtsbarkeit und weit⸗
gehende Befreiungen von der militäriſchen
Dienſtpflicht und den übrigen ſtaatlichen
Laſten zu, um den Anreiz zur Einwanderung
u vermehren. Um die Mitte des 16. Jahr⸗
underts haben die Mönche des Karthäuſer⸗
73
flofters im heutigen Karthaus evangeliſche
Bauern aus Pommern auf ihren Gütern
angeſetzt und ihnen ſogar die Erlaubnis zum
Bau eines Gotteshauſes gegeben, obgleid in
jener Zeit bie polniſche Gegenreformation
einſetzte. An der Anſiedlung der für die
Kultivierung von Niederungsböden beſon⸗
ders geeigneten holländiſchen Einwanderer,
die doch vom polniſch⸗katholiſchen Standpunkt
aus als Ketzer zu betrachten waren, haben
bes neben polniſchen und deutſchen Guts⸗
eſitzern und einzelnen Städten polniſche geiſt⸗
liche Grundherrſchaften und endlich die pol⸗
niſchen Könige ſelber beteiligt. Für die Ver⸗
dienſte dieſer Mennoniten hat der polniſche
König Wladyslaw IV. im Jahre 1632 folgende
Worte gefunden: „Mit Wiſſen und Willen
des durchlauchti ſten Königs Sigismund
Auguſt haben ſich Eure Vorfahren hierher
berufen laſſen, in Gegenden, die damals
öde, verſumpft und ungenutzt dalagen; mit
heißer Mühe und gewaltigem Koſtenauf⸗
wand haben ſie dieſe Gegenden fruchtbar
und nutzbringend gemacht, indem ſie das
dus Was rodeten Pumpwerke anlegten, um
das Waſſer aus den überfluteten und ver⸗
ſchlammten Gründen zu entfernen und
Dämme gegen die Überſchwemmungen der
Weichſel und Nogat aufführten.“
Nichts zu verlieren — alles zu gewinnen!
Doch genug damit. Begnügen wir uns
mit der abſchließenden Feſtſtellung, daß
bieles mit dem Lande verwurzelte Deutſch⸗
tum ſtark genug geweſen wäre, ſich bei
einer Abſtimmung innerhalb der Grenzen
der alten Provinz Weſtpreußen durchzu⸗
legen, wenn bie Polen es im Jahre 1920
arauf hätten ankommen laſſen. Dieſe zogen
es vor, Hunderttauſende von Deutſchen ge⸗
waltſam zu vertreiben, und es iſt kenn⸗
Kleine
Karl Richard Ganzer:
„Deutsch sein heißt Charakter haben“
Rede bei einer Morgenfeier der Hitler:
Jugend
Es war im Jahre 1806, nach der vernich⸗
tenden Schlacht von Jena, nach dem Zu⸗
ſammenbruch des preußiſchen Staates, den
einſt Friedrich der Große zu gebieteriſcher
74
Die finanzielle Armlichkeit
B amn daß gerade in den Städten der
evölkerungsaustauſch das größte Ausmaß
angenommen hat. Wir müflen uns hierbei
allerdings darüber im klaren ſein, daß die
Un aig e polniſchen Elemente, Beamte
und Arbeitsloſe, keineswegs ſonderlich ſeß⸗
d find und von ber nächſten Welle genau
o ſchnell wieder von dannen geſpült werden
können. Im übrigen ſind die Verſuche zu
einer Poloniſierung des Landes trotz aller
Anſtrengungen wenig erfolgreich geweſen.
es polniſchen
Staates hat es verhindert, alle ſich aus der
Enteignungsgeſetzgebung ergebenden Mög⸗
lichkeiten zur Anſledlung polniſcher Bauern
auszunützen. Im Seekreis beherrſchen
Deutſche und Kaſchuben weiterhin das Feld,
und auch die im amerikaniſchen Tempo an⸗
wachſende künſtliche de Anzieh Gdingen, die
eine geradezu magii e Anziehungskraft auf
polniſche Arbeitsloſe und ungeſunde Bes
völkerungselemente innerpolniſcher Städte
ausgeübt hat, kann an dieſem Bilde
ſchlechterdings nicht viel ändern. Dagegen
hat das Polentum in der Schwetzer Gegend
durch kriſenfeſte und ſolide Siedlung gewiſſe
Fortſchritte machen können, ohne daß aber
dieſer Gewinn zahlenmäßig ſtark ins Ge⸗
wicht fiele. Auch im Zempelburger Kreiſe,
in den Koſchneiderdörfern bei Konitz und
in der ganzen Weichſelniederung iſt das
bodenſtändige Deutſchtum unerſchüttert ge⸗
blieben. Dieſe deutſchen Bauern halten das
Erbe einer i langen na
Kulturarbeit in ſtarken Händen und find
die lebenden Garanten dafür, dak aud in
ukunft die deutſche Aufgabe in dieſem
ande nicht vergeſſen, ſondern eines Tages
mit dem Mut und der Arbeitsfreudigkeit des
deutſchen Siedlers von neuem aufgenommen
und gemeiſtert wird.
TIGE
Kraft hochgekämpft hatte. Vom Schlachtfeld
weg, auf dem das alte Preußen geſtorben
war, zieht Napoleon in ana oe gegen
Berlin. Dort hat der ſchwächliche rds
pur Beſchwichtigung der unruhigen Geiſter,
ie die Stadt vielleicht könnten verteidigen
wollen, einen Erlaß en en laſſen, daß
Ruhe die erfte Bürgerp licht ſei. nd als
Napoleon vor den Toren der Stadt er⸗
ſcheint, triumphierender Sieger, Träger der
Unterjochung und der en und zieht
ihm der Magiſtrat mit Kratzfuß und Bück⸗
ling entgegen: zur Begrüßung, zur Huldi⸗
gung vor dem Landesfeind, zur Demütigung
vor dem Vernichter des Vaterlands. Dann
reitet Napoleon in prahleriſchem Triumph
durch die Stadt. Durch Seitengaſſen aber
jagt in ſchnellen Karoſſen das Empfangs⸗
komitee zum Rathaus zurück: noch einmal
wollen ſie dort den Zerſtörer empfangen;
kein anderer Gedanke herrſcht in ihren vers
kommenen Seelen, als noch einmal dem
roßen Feind ihre Huldigung und ihre
ändlichkeit vor die Füße zu legen.
Zwei Jahre ſpäter geſchieht in der glei⸗
chen Stadt etwas anderes. Sie iſt von den
granzofen beſetzt, überall ſtehen die fremden
ruppen unter Gewehr, überall marſchieren
die Kompanien, überall Trommelwirbel,
Hornſignale, fremde Befehle. Aber in dieſer
geduckten Stadt iſt ein Mann aufgeſtanden,
und in einem Saale hält dieſer Mann,
Johann Gottlieb Fichte, Ja „Reden an
die deutſche Nation“. Während weitum im
Lande wie Zeichen der Knechtſchaft die
Standarten Napoleons ſtehen, ſpricht dieſer
Redner von der Kraft und der Herrlichkeit
des deutſchen Volkes, von ſeiner Würde, von
ſeinet unvergleichlichen Leiſtung, von ſeiner
unvergleichlichen Sendung. Und über den
Wirbel der fremden Trommeln draußen vor
den Fenſtern, über die Erbärmlichkeit der
regierenden Knechte hinweg ruft er ein
Wort, das eine ungeheure Aufreizung und
zugleich das Wort eines ungeheuren
Stolzes iſt:
„Charakter haben und Deutſchſein ift
ohne Zweifel gleichbedeutend.“
Die glei e Stadt, die bei jenem kriecheri⸗
ſchen Empfang ein erſchütterndes Beiſpiel
der Schande geſehen hatte, erlebt nun die
Geburt einer role, die zu den tiefſten
Einſichten in unſer Weſen gehört,
Sie gehört aber deshalb zu den tiefen
Einſichten in unſer Weſen, weil fie eine der
größten Forderungen ausipridt, bie
amals wie heute vor jedem einzelnen
Deutſchen ftehen.
Wir wollen uns, meine Kameraden,
nichts KE Charakter haben ift
etwas ſehr Hohes; die eigentliche Aufgabe
aber, vor der wir jungen Menſchen ſtehen,
heißt, uns ee erft zu erringen.
Charafter haben ijt Darum niemals etwas
Bequemes. Es hat eine Zeit gegeben, und
es gibt auch unter uns noch Menſchen, aud)
unter uns Jungen, die da meinen: wenn
deutſch ſein ſchon ſoviel heißt wie Cha⸗
rakter haben, dann wären wir ſchon alle
vollkommen wie Engel, fertig mit jedem
Schickſal, von keiner Aufgabe mehr ver⸗
pflichtet, allen formenden Anſprüchen für
immer entzogen — die ganze Welt könnte
an uns genejen...
An dieſem leichtfertigen und überheb⸗
lichen Glauben, „fertig“ zu ſein, iſt vor
zwanzig Jahren ein Reich zerbrochen. Und
wir Deutſchen haben damals die uralte ge⸗
ſchichtliche Lehre wieder einmal beſtätigt
erhalten, daß Zukunft und Lebensrecht nur
dort T finden find, wo man ben Mut unb
die Kraft hat, Aufgaben zu bejahen und
gehorſam die Wahrheit anzuerkennen, daß
der Menſch an ſich zu arbeiten und ſich zu
formen hat, ſolange er lebt. Die tiefſte
Weisheit, die ſich aus der Geſchichte des
deutſchen Charakters, aus dem unſagbar
ſchweren und yl bay ſtoldien Ringen um
unjer inneres Geſicht gewinnen läßt, iſt
die: daß wir Deutſchen immer Menſchen der
ſchweren Bemühung waren, daß in Deutſch⸗
land die ſuchende, ringende, nie zufriedene,
immer earen unb barum ſchöpferiſche
Seele zuhauſe ift, daß deshalb auch jeder
einzelne von uns unter dieſem ſeeliſchen
Urgeſetz des Deutſchen ſteht, ſich zu ſeiner
edelſten und ſtärkſten Geſtalt erft Biuringen
zu müſſen.
Hölderlin hat es einmal bekannt: „Was
wir ſind, nichts; was wir ſuchen,
iſt alles.“ Das iſt ein Wort, das jeder
jungen Mannſchaft in unſerem Volk geſa
iſt, weil jedes brauchbare deutſche Geſchlecht
ſeine geſtaltenden Kräfte aus ſeinem Chas
rakter holt und darum die Aufgabe mit ſich
trägt, ſich an dieſem innerſten Kern
ſeines Weſens „in Form“ zu bringen. Muß
man ſagen, daß das nicht mit Phraſen und
angeberiſchem Gewäſch geſchieht? Daß es
auch nicht allein im äußeren u ges
ſchieht? Im ul, por der een
muß fid der Charakter bewähren. Aber
geformt wird er „inwendig in uns“, in
den ſchweren f auf den
einſamen Kampfplätzen und Exerzierfeldern
der Seele, in unſeren trotzigen, verbiſſenen
und adeligen Aufſtänden gegen bie Bedenk⸗
lichkeiten in ber eigenen Bruſt. Wir kennen
ſie alle, die großen Verlockungen: die faule
Zufriedenheit, die Selbſtgefälligkeit, den
inneren Schweinehund, das ſchlappe Gleich⸗
Aid e — Gefährdungen, die jeden
iedergang in unſerer Geſchichte auf dem
Gewiſſen haben, den von 1918 wie den von
Jena 1806 wie all die anderen in unſerer
Vergangenheit zuvor — Gefährdungen
auch, die jeder von uns in ſich trägt und
die zu beſitzen an ſich keine Schande iſt: es
75
kommt nur darauf an, daß man fie ans
geht, daß man fie würgt; es kommt
atauf an, daß bie herrenhaften
Kräfte der Seele Sieger bleiben.
Austrag und Sieg ganz in der Stille!
Wir ſcheuen uns manchmal vor den Dingen
der Stille und der Innerlichkeit, weil ſie
„zu weich“ wäten. Nein. ſie ſind nicht weich!
Im innerften Grund der Seele, In
ſolchen heimlichſten Siegen läutern
wir unſere härteſten Kräfte — Kräfte,
die formend hineinwirken in die Welt⸗
geſchichte!
In die Weltgeſchichte aber hineinzuwir⸗
ken: dazu ſind wir aufgerufen wie noch nie⸗
mals zuvor in unſerer Vergangenheit —
jeder von uns, du und du und du. Vor
dieſer unerhörten Auserwähltheit. die unfer
Geſchlecht betraf, gibt es kein Ausweichen,
und den Notwendigkeiten. die diefe Aus⸗
erwähltheit mit ſich bringt, entzieht ſich
keiner. Es geht nur darum, ſich für ihren
Anſpruch au rüſten. Wenn wir fragen,
warum unſer Volk in ſeiner Geſchichte ſo
viele Abſtürze in die Erniedrigung erlebte,
dann finden wir immer die gleichen Gründe:
weil es weich wurde in ſeinem Charakter,
und weil es mit Phraſen und Getön durch
die Zeit zu laufen begann. Die Antwort
auf Phtaſe und Bequemlichkeit tft aber
immer die gleiche, der Niedergang. Und
wenn wir weiterhin fragen, welche Kräfte
es aus der Erniedrigung wieder hochriſſen,
dann finden wir, daß es nicht äußere Dinge,
ſondern die harten und ehrenhaften Tugen⸗
den waren, und daß die Männer des Auf⸗
ſtiegs zuerſt an der Läuterung nur ihres
Charakters, an der Rüſtung der Seele, an
der Formung der in nerſten Werte ges
arbeitet hatten. Männer bes Aufftiegs find
aber heute auch wir, wir alle, auch wir
Jungen, wir Wufgerufenen, die das Reich
tragen follen. Wie aber die großen Führer⸗
eſtalten unſerer Geſchichte erſt mühſam um
ihren Charakter rangen, im Kampf mit
allem Weichen und Dumpfen, Trüben und
Fremden, bis er der koſtbarſte ihrer Werte
wurde, eine funkelnde Krone, ſo müſſen erſt
recht wir Gefolgsleute dieſer großen deut⸗
ſchen Geſtalten uns zu der Einſicht bekennen,
daß ein ſtarker Charakter erkämpft, erdient
und redlich erarbeitet werden muß — nicht
mit der Phraſe, ſondern mit einem tapferen
Herzen.
Dieſe ſtille, züchtende Arbeit an einem
tapferen Herzen iſt ſchwer, aber ſie iſt not⸗
wendig. Denn das Reich verlangt als ſeine
künftigen Träger keine ſchwankenden Na⸗
turen, ſondern Männer, die ſich auf die
76
herren⸗ und führerhaften Kräfte ihrer Seele
verlaſſen können. Wir müſſen uns diefe
Herrſchaft über uns ſelber erringen. Sind
wir, ftarf und mung genug, uns zu Diefer
innerlichſten Aufgabe zu bekennen, dann
ſteht in Deutſchland ein Geſchlecht, deſſen
Charakter eine nie geſehene Unerſchüt⸗
terlichkeit zeigt. Dann hat den deut⸗
ſchen Menſchen tief aus dem Inneren her⸗
aus eine nie erlebte „
in Beſitz genommen. Dann ſteht das Reich
unter der hütenden Kraft einer Mannſchaft,
die Dauer verſpricht wie ein langſam ge⸗
wachſener, in tiefen Schichten verwurzelter,
mächtiger Baum.
Dieſer Unerſchütterlichkeit, dieſer Zuver⸗
läſſigkeit, dieſer Dauer ſtreben wir zu. Zwei
Worte hängen als große Forderungen über
dieſem Ringen um unſere innerſte Form.
Das eine, ſtark wie ein Hammer. klirrend unb
voll Mut — das Wort Nietzſches: „Gelobt
lei, was hart macht“ — und das ande re. das
die ſchöpferiſchen Tiefen der Seele beſchwört,
in denen ſich alle ſtarken ze verſchwie⸗
gen bereiten, um ſich danach in der i
bes Kampfes zu beweiſen — das ort
Meiſter Ekkeharts: daß es die tiefſten
none find, welche die höchften Waller
ragen.
Offener bulgarischer Brief
an Thomas Mann
Ein 19 jähriger Gymnasiast aus Sofia
schickt uns zur Veröffentlichung nach-
stehenden Brief an den Emigranten Mann,
den wir nicht zur Auffrischung des Ge-
dächtnisses an jene längst vergilbte Li-
teratenerscheinung des Systemreiches,
sondern der anständigen Gesinnung
wegen, wie sie in der Jugend eines an-
deren Volkes lebt, wiedergeben.
Durch Zufall fiel mir eine Wiedergabe
Ihrer Meinung über die Erziehung der
un deutſchen Jugend in die Hand.
oweit ich daraus erfahre, ſind Sie alſo
der feſten Überzeugung, daß dieſe Art Er⸗
gieung niemals ein Genie aufkommen
allen wird. Mit anderen Worten: die ges
meinſchaftliche Erziehung wird das wer:
dende Genie in ſeiner Entwicklung erſticken.
Ich bin zwar ſehr jung, was mich nicht
hindert, nach meiner Einſicht dieſer Auf⸗
faſſung zu widerſprechen.
Ich hatte das ſeltene Glück, zwei Sommer
unter der ſehr glücklichen Hitler⸗Jugend —
die Sie ganz beſonders zu bedauern
ſcheinen! — zu verbringen. Ich hegte für
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diefe Jugend vom erſten Tag ihres Kampfes
an eine tiefe Sympathie und aufrichtige
Liebe, weshalb ich auch mit ganz beſon⸗
derem Intereſſe ihr Leben beobachtete.
Den erſten Sommer verbrachte ich in der
befreiten Saar, den zweiten im herrlichen
Bayern. Die Zeit, die ich unter dieſer
Jugend verlebt habe, zähle ich di meinen
ſchönſten Erlebniſſen, und bie Crinnerun
daran wird mir immer teuer und fro
bleiben. Von einer ſolch echten, ſo idealen
Kameradſchaft, wie ſie unter der Hitler⸗
Jugend herrſcht, hatte ich keine Ahnung
gehabt. blieb tief gerührt davon un
mit der vollſten Ubergeugung, daß ein
Ihöneres ee eben für eine
Jugend über aupt nicht denkbar iſt.
In den Lagern traf ich Jungens aller
Stände, aber ſie lebten untereinander wie
wahre Brüder. Für ihren Führer, Volk
und Vaterland | fügt in ihnen nur ein
Herz, ein 9Bunid, ein Wille. Ich werde
nie jene Stunde vergeſſen, in der wir uns
alle um den Lautſprecher verſammelten
und geſpannt die Rede des einzigartigen
Führers erwarteten. Und als feine ſchlichten
und ſo tiefpackenden Worte erklangen, da
ſah ich in dieſen 250 Jungens aller Stände
nur ein Antlitz, aus dem reinſte, hin⸗
gebendſte Liebe leuchtete, fühlte ich nur
eine Seele, die ſich in höchſter Begeiſte⸗
rung mächtig emporſchwang, um der
Stimme zu lauſchen, die ſie aus dunklen
Tiefen bitterer Hoffnungsloſigkeit entriſſen
at. Ein oer iss Moment, ber fif in
einer Sprache wiedergeben läßt!
Beherrſchte ich diefe deutſche Sprache wie
Sie, ich würde an dieſe göttliche Stunde
eine unſterbliche Hymne geſchrieben haben.
Überall, wo man dieſer Jugend begegnet,
ſieht man ihr charakteriſtiſches Geſicht,
ſpürt ihre mächtige Seele...
Aber wie ſteht es mit dieſer Jugend,
wenn ſie ſich frei vom Taumel der Be⸗
geiſterung im Alltagsleben bewegt? Dies
zu erfahren, lag mir beſonders am Herzen.
Alſo bat ich: erzählt mir von eurem
Schaffen ae E des Lagerlebens, von
euren Fähigkeiten und euren Berufszielen.
Und einer erzählt: er ſei Schmiedelehr⸗
ling, liebe ſeinen Beruf und wolle alle
ee Kräfte anipannen, um feine Hufe und
äderſchienen meiſterhaft zu fertigen. Wenn
dieſer Kamerad ſo erzählt, iſt er mit Leib
und Seele Schmied, nur Schmied! Er be⸗
müht ſich, uns klarzumachen, wie die Hufe
gemacht werden und was für Vergnügen
es ſei, wenn die Arbeit gelingt. Dabei
leuchten ſeine jungen Augen, glühen ſeine
Wangen. Alles hört achtungsvoll zu.
„Keiner ſoll in Zukunft den deutſchen
Schmied an Fleiß und Tüchtigkeit über⸗
treffen. Indem wir uns mit ganzer Kraft
unſerem Berufe weihen, dienen wir
unſerem großen Führer und Deutſchland.“
Alles ſtimmt begeiſtert bei.
Ein anderer berichtet, er arbeite als
Lehrling in einer Porzellanfabrik. Mit
derſelben Liebe und Wärme erzählt auch
er von dem Formen ber Taffen, der Teller
und Vaſen. Wie dort einem jeden Ge⸗
legenheit gegeben wird, all ſein Können
zu entwickeln. Mit welcher väterlichen
Liebe und Güte die Vorgeſetzten an dem
emſigen Schaffen der Jungen Anteil
nehmen. Nicht wie einſt, da man dem
Nebenbeſchäftigung zu⸗
rbeitskraft ausbeutete.
Lehrling eee
wies und ſeine
Jede SEN Begabung werde mit
größter Sorgfalt gefördert. Die Räume,
in denen ſie arbeiten, ſeien licht und
für die „die Fabrik habe das Modernſte
t die körperliche, geiftige und ſittliche Er⸗
ziehung der Arbeiter getan. Dann ar
er vom Reidhsberufswetttampf, in dem jeder
beitrebt ift, unter den Siegern und damit
unter den Leiſtungsbeſten der jungen Gene⸗
tation zu ſein.
Nun will ich Ihnen noch von einem
Jungen elle der mir mit feiner bes
ſonderen Intelligenz tiefen Eindruck ge:
macht hat. Er beſucht eine Höhere Schule,
pricht über alle Fragen des Lebens und
er Kunſt ſehr ernſt. Liebt die klaſſiſche
Muſik und hegt eine ganz beſondere Liebe
ür Volkslieder. Irgendein neuentdecktes,
dines Motiv kann ihn in höchſte Begeiſte⸗
zung bringen. Ihm find Volkslieder vieler
Völker bekannt. Zu meiner großen Uber,
taidjung ipielte er mir ſchöne Lieder meines
Volkes vor. Der Hitlerjunge hörte da
auf, es begann ſein Leben als Muſiker.
Wie ich ihn ſo vor mir ſah, da ſtellte ich
mir die Frage: Wenn er ein werdendes
Genie iſt, wird die gemeinſchaftsgebundene
Erziehung ſeiner Entwicklung romena
fein? Ganz gewiß nicht. Im Gegenteil
Dieſe ſtrenge geiltige und körperliche Er⸗
ziehung, die dieſem Jungen in der For⸗
mation zuteil wird, kann dem werdenden
Genie, wenn er ein ſolches iſt, für ſeine
weitere . nur vom höchſten
Wert ſein! Es wird dann freilich eine Zeit
kommen, wo er wird aufhören miiffen, ein
Glied in dieſem Ganzen zu ſein, das ihn
heute ausrichtet und formt, er wird ſich
77
dann vielleicht in ein kleines Zimmer zus
rückziehen, um dort Großes zu ſchaffen,
aber wieder nur für das erhabene Ganze
fühlt. dem er ſich innerlich verpflichtet
ühlt.
Haben Sie keine Sorge, Herr Emigrant,
um bie deutſche Jugend!
Es entfaltet ſich eine junge leiſtungs⸗
ſtarke, vom Ideal der Tüchtigkeit durch⸗
drungene Generation. Erſt ſechs Jahre be⸗
ſteht das Hitlerreich! Die ſchweren Ent⸗
täuſchungen, die Ihnen Rußland bereitete,
mögen Sie peſſimiſtiſch gemacht haben! Es
iſt wahr, dort hat die von Ihnen und
Shresg eihen fo hochgeprieſene Regierungs:
und Erziehungsmethode eine jämmerliche
Niederlage erlitten. Froheſten Herzens und
lichteſten Blickes ſteht vor uns die ſchöne,
glückliche, eiſerne deutſche Jugend — die
Reue
Bücher zur Außenpolitik
Wenn die politiſchen Nachrichten ſich u
überſtürzen ſcheinen, wenn heute möglich ijt,
was geſtern noch abſurd erſchien, und wenn
die Leidenſchaften im raſenden Tempo ge⸗
kee den Geſchehens mitgeriſſen werden,
ann verlangen die ernſten, von Forſchern
eſchriebenen und Material reichenden
Bücher von den überlegenen und ſicheren
Führernaturen in der jungen Generation
geleſen zu werden. Niemals mochte es wohl
reizvoller ſein, als in unſeren Tagen des
polniſchen Staatsmannes Joſef Pilſud⸗
[fto Werke zu leſen. In dem vierbändi⸗
gen Werk („Erinnerungen und Dokumente“,
Eſſener Verlagsanſtalt G. m. b. H.) kommt
eine Perſönlichkeit zu Wort, mit der wohl
a ſtärkſte moraliſche und ſeeliſche
raft dahingegangen iſt. Was heute in
Mißachtung des Vermächtniſſes von Pilſud⸗
ffi geſchieht, ift im Lager jener Gegenkräfte
des polniſchen Volkes geboren, mit denen
ſich der große Staatsmann ſein geſamtes
Werk hindurch auseinanderſetzt. Bei nüch⸗
terner Durchſicht der Gedankengänge ver⸗
mag man ſich ein Bild zu machen von geiſti⸗
gen Potenzen, die gegebenenfalls im Dienſte
78
Zukunft des neuen Reiches, der Ruhm des
großen Führers
„Gebete lebend, geht ſie in Taten auf!“
Haben Sie Geduld! Wenn zwanzig
Jahre vergangen ſein werden, da wird das
Reich dank der großartigen eee
methode ſeines genialen Führers, die ſelbſt
demokratiſche Staatsmänner „intereſſiert“
und von ihnen als nachahmenswert emp⸗
funden wird, herrliche Früchte ernten!
Übrigens, Herr, diejenigen Männer, die
trotz ihrer großen Begabung für die
deutſche Jugend in der Zeit 1
Seelennot nichts vollbrachten, haben jedes
moraliſche Recht verloren, um ſie beſorgt
u ſein — ſo wie Sie jedes Recht verloren
debe noch als Deutſcher zu gelten.
Sofia 6, Bojanſka 8
Vaſſil Trajanow.
einer niedrigen Sache (Einkreiſungspolitik)
uns entgegentreten.
Denen, die für Volkstum und Heimat
ſtarben, widmet Victor Kauder ſein aktu⸗
elles Buch „Das Deutſchtum in
Polen“ ur von S. Hirzel in Leip⸗
zig), einen Bildband, bei defen bild»
mäßiger Auswahl mehr der Sachwert als
der Stimmungsgehalt ausſchlaggebend war.
Hierin liegt der Wert dieſes mit erläutern⸗
dem Text reichlich verſehenen Buches. Alle
wichtigen Lebensäußerungen unſerer deut⸗
Laen olfsgruppe in Polen, die vor dem
eltfrieg ſich auf drei Staaten verteilte,
werden i" t eindrucksvoll in Wort und
Bild gezeigt. Der Bericht tjt in feiner
anzen Sachlichkeit ein erſchütterndes Do⸗
ument, das unſere Sorge um das Schickſal
dieſer treuen Volksgenoſſen und unſere
Bereitſchaft für ſie einzuſtehen nur noch
erhöht.
Die Beziehungen zwiſchen dem Reich und
den Den Staaten find normal und
freundſchaftlich. Seit den Kämpfen der
Deutſch⸗Balten am Ausgang des Welt-
frieges um ihre e efreiung hat
eine Normaliſierung der Beziehungen unter
den neuen Gegebenheiten eingeſetzt, bei der
man deutſcherſeits nur des öfteren auf das
Lebensrecht unſerer deutſchen Volksgenoſſen
verweiſen mußte. u baltiſchen Staaten
ſind kleine Mächte, die dem Druck einer
Großmacht nicht Widerftand tenen tönnen
unb barum abjolut neutral fein müſſen.
Diefe Situation ijt in 155 engliſch⸗ſowjet⸗
ruſſiſchen Paktverhandlungen von neuem
ins rechte Licht gerückt. Offenbar waren
die Engländer bereit, imperialiſtiſchen
Plänen Moskaus im Hinblick auf das Bal⸗
tilium nachzugeben. Vorausſichtlich wird die
Spannung um die baltiſche Neutralität aud
weiterhin in dieſem Sinn andauern. Dieſer
Umſtand macht das Werk „1918 — 1919,
Jahre deutſcher Entſcheidung im
Baltikum“, von Claus Grimm (Eſſener
Verlagsanſtalt) beſonders leſenswert. Eine
Fülle geſchichtlicher Parallelen, Erfahrun⸗
gen und Tatſachen werden uns bewußt,
wenn wir das Ringen um den baltiſchen
Raum in dieſem geſchichtlichen Abſchnitt in
unſer Gedächtnis zurückrufen. Grimm legt
ein umfangreiches Werk wiſſenſchaftlichen
Charakters vor. Mit deutſcher Gründlich⸗
keit ſind alle Einflüſſe und Urſachen der
Entwicklung von 1918/19 verarbeitet und
erklärt. Ein ſehr empfehlenswertes Buch,
das auch in der Schilderung der Kriegsfüh⸗
rung im Baltikum von kriegsgeſchichtlichem
Intereſſe iſt. Im Zuſammenhang damit ver⸗
weiſen wir auf Wulf Siewerts kleine an⸗
ſchauliche Schrift „Der Oſtſee raum“
(B. G. Teubner Verlag Berlin), die in der
Reihe der Sehe zum und odd „Macht
und Erde“ erſchienen iſt vor allem vom
MA e Standort die Lage
im Oſtſee raum behandelt.
Auf einen anderen, nicht weniger mit
Spannungen erfüllten Schauplatz führt uns
Virginio Gayda mit ſeinem ſoeben bei
Junker & Dünnhaupt erſchienenen Buch
„Italien und Frankreich“. Es han⸗
delt ſich dabei im weſentlichen um Aufſätze,
die er unſerer Zeitſchrift in den vergangenen
Monaten zur Verfügung geſtellt hat. Gayda
verſteht es, mit einer meſſerſcharfen Logik
und mit der Entſchiedenheit des ſeiner
Macht bewußten Faſchiſten die ſeit dem
Verſailler Vertrag ungelöften italieniſch⸗
franzöfifhen Fragen darzulegen. Im Bor:
dergrund dieſer nur aufgeſchobenen, aber
nicht aufgehobenen Auseinanderſetzung
ſtehen drei italieniſche Forderungen: Tunis,
Suezkanal, Dſchibuti. Eine ſehr gründliche
Arbeit über alle weſentlichen Probleme des
Mittelmeerraumes haben allerdings vor
längerer Zeit Hans Hummel und Wulf Sie⸗
wert in den Schriften zur Geopolitik im
Verlag Kurt Vowinkel, Heidelberg, unter
dem Titel „Der Mittelmeerraum“
herausgebracht. 36 hervorragende Karten
und reiches ſtatiſtiſches Material ermög⸗
lichen ein gründliches Studium der Span⸗
nungen dieſes Raumes und ihrer Urſachen.
Ein Teilproblem behandelt Franz Pauſer
in ſeiner kleinen Schrift „Spaniens Tor
zum Mittelmeer“ (Verlag B. G. Teubner),
wobei ähnlich wie in der ſchon erwähnten
Schrift „Der Oſtſeeraum“ geopolitiſch⸗ge⸗
ſchichtliche Abhandlungen im Mittelpunkt
ſtehen, die heute bei der Betrachtung der
täglichen Ereigniſſe von den Führenden
ſtets in Rechnung zu ſtellen ſind.
Wir haben vor längerer Zeit ſchon auf
die in der Verlagsanſtalt Otto Stollberg
erſcheinenden Bände „Der weiße Kampf um
Afrika“ hingewieſen. Der zweite Band, der
uns vorliegt, dürfte für uns wohl der wich⸗
tigſte ſein. „Deutſchland in Afrika“
lautet das wiederum von Otto Karſtedt ver⸗
faßte Werk. Nach einer längeren Dar⸗
legung über Kampf und Werden des deut⸗
ſchen Kolonialgedankens werden in ſehr
ſauberer Ausführlichkeit Deutſch-Oſtafrika,
Südweſt, Kamerun und Togo behandelt. Es
iſt ein ſtolzes Buch über den deutſchen An⸗
teil an der Geſchichte Afrikas, in die Namen
wie Woermann, Lüderitz, Peters, Wiſſmann,
Lettow⸗Vorbeck u. a. für immer eingegangen
find. Das zur politiſchen Erziehung ſehr ge-
eignete Werk empfehlen wir der Führers
ſchaft der jungen Generation nachdrücklichſt.
Wie eine letzte Beſchwörung an Vernunft
und Verſtand unſeres Nachbarn im Weſten
mutet ein Büchlein an, das vor Redaktions⸗
ſchluß uns noch erreicht: „Frankreich
und der Korridor“, das in der
Hanſeatiſchen Verlagsanſtalt der bekannte
Rechtsanwalt Profeſſor Friedrich Grimm
herausbringt. Der große Verfechter eines
deutſch⸗franzöſiſchen Ausgleichs ruft Frank⸗
reichs beſſere Geiſter in dieſer Schrift auf
den Plan, die in der Vergangenheit ſeit
Verſailles den Wahnſinn der Korridorlöſung
verurteilt haben. Sollte über dieſe Lebens⸗
frage der deutſchen Nation ein Konflikt mit
Frankreich ausbrechen, ſo wird in ſpäterer
Zeit nach dem Austrag des Kampfes dieſe
Schrift der Vernunft allen blinden Kriegs⸗
treibern in Paris Tragik und Verblendung
der franzöſiſchen Nachkriegspolitik vor Augen
führen. Kif.
79
Von deutschem Liedgut
„Zur Tonalität bes bentidjen Volksliedes.“
Herausgegeben im Auftrage der Reichs»
Ingenbfihrung von Guido Waldmann.
t Beiträgen von Prof. Dr. Gotthold
Soler rof. Dr. Kurt Huber, Frig
etzler, Prof. Dr. sky Müller⸗Blattau,
Prol. Dr. © ü
aldmann.
eorg gi nemann, Guido
Geor allmeyer Verlag,
Wolfenbüttel und Berlin 1938.
Davon ausgehend, daß zahlreiche Lieder
der Bewegung nicht in Dur, der ſeit faſt
einem ër undert vorzugsweiſe für volts:
tümliche Lieder verwendeten Tonart. m
fondern — treu ihrem inneren Geſetz
eigene tonale Wege einſchlugen, erhoben fid
manche Stimmen, die vor einem Abgleiten
in „flawiſches Moll“ ober gar in artfremde
Kirchentonarten warnen zu müſſen glaubten.
Von beiden Seiten wurde der Kampf in
einer Weiſe geführt, die lebhaft an die
dati Auseinanderſetzungen vor etwa
teiblg Jahren um eine Begriffserklärung
des „echten“ Volksliedes erinnert. Von
dieſen ſind wir innerlich recht weit entfernt,
um ſo mehr berührt uns heute die Frage
nach einer art emane deutſchen Tonalität;
p es fid dabei doch um eine Riid:
eſinnung auf verſchollenes völkiſches Erb:
gut. Der Kampf konnte freilich bisher meiſt
nur mit Gefühlswerten ausgetragen werden
da trotz mancher Vorarbeif bis heute noch
nicht wirklich geſicherte Ergebniſſe vorlagen.
Hier griff die ie u been ein.
Sie forderte einen kleinen Kreis bewährter
Volksliedforſcher zur Stellungnahme auf.
Das Ergebnis waren gründliche Unter⸗
ſuchungen, die nun in der vorliegenden
Schrift 1 ſind. Vorurteilsfrei kamen
Forſcher aller Richtungen zu Worte, fo daß
der Fragenkreis von den verſchiedenſten
Blickpunkten her behandelt werden konnte.
Metzler, aufbauend auf raſſetheoretiſchen
Unter N dringt am weiteſten in Neu⸗
land vor, Schünemann gibt einen hiſto⸗
riſchen Überblick über die Wandlung der
Tonalität im Lied, Müller⸗Blattau führt
s Unterſuchungen über bie Melodietypen
es deutſchen Mittelalters weiter, Frotſcher
beleuchtet den Fragenkreis vom heute noch
lebenden Brauchtumslied her, Waldmann
gibt wichtige Einblide in GE
es Liedes der Volksdeutſchen, Huber endlich
überblickt in großen Zügen die Geſamtlage
der heutigen Tonalitätsforſchung.
Die Vielſeitigkeit und Schwierigkeit bes
ganzen Fragenkreiſes kommt in ben d EE
eiträgen deutlich zum Bewußtſein. Selbſt
das erhaltene Überliefe rungsgut ift noch
keineswegs ſchon fo geſichtet. daß endgültige
olgerungen daraus gezogen werden könn⸗
en. Dies zeigt ſich auch an Widerſprüchen,
die bei der Auswertung des aterials
e en den einzelnen Mitarbeitern zutage
reten. Bei aller Verſchiedenheit in diefen
Dingen fam aber doch im Grundſätzlichen
eine EU eben Übereinſtimmung zuſtande.
eſt ſteht jedenfalls ene daß in germani;
cher Zeit auf der runblage verſchieden⸗
artiger Tonleitern geſungen und geſpielt
wurde, die älter ſind als die kirchentonalen
Syſteme und darum keineswegs erft mit der
chriſtlichen Kirche in unja Volk eingedrun⸗
gen fein können. Von den älteften Zeiten
an aber machte die deutſche Mufik in melo:
diſcher, rhythmiſcher und harmoniſcher Hins
cht einen Stiliſierungsprozeß durch, ber in
er Kunſtmuſik erh im 17./ 18. .
ſeinen Abſchluß fand. Die nunmehrige Be⸗
ſchränkung auf die harmoniſch⸗funktional
bedingte Dur⸗ und Molltonalität ſtellt
joe ellos eine Verarmung dar. In ber nur
angſam Dé wandelnden Volksmuſik ba;
egen findet ſich auch heute noch alteftes
berlieferungsgut, das einwandfrei die
grohe Mannigfaltigkeit früheſter Tonſyſteme
eweiſt. Von hier aus gilt es daher in un⸗
ermüdlicher Kleinarbeit zurückzugehen zu
der nur dunkel überlieferten Muſik unferer
Vorzeit.
Den Grunbftein zu einer ſolchen muſika⸗
liſchen Vorgeſchichte hat die e Pp Mo
ber RIF. gelegt. Keiner, ber fid) ernſthaft
um bie taſſiſchen Grundlagen bee deutſchen
Volksliedes bemüht, wird in Zukunft um ſie
herumkommen. Daß die Ergebniſſe dieſer
Schrift im Einklang ſtehen mit dem, was
unſer neues Liedgut an innerer arts und
raſſegebundener Haltung inſtinktſicher aus⸗
drückt, beweiſt die Richtigkeit des gefunde⸗
nen Weges. F. Qu.
Hauptschriftleiter: Günter Kaufmann.
Anſchrift der Schriftleitung: Reichsjugendführung. Berlin W 35
der NSDAP. Berlin
ſcheckkonto Berlin 4454 Verantwortlich für den Anzeigenteil: Ulrich Herold, Berlin. — D
über 65 000. Pl. Nr 8. — Drud: M Müller & Sohn KG.
Verlag: Franz Cher Naht G. m b. H.. Zentralverla
Kurfürſtenſtraße 53. „ 229091. —
SIL 88, Zimmerſtraße 87—91 Poſt⸗
A N Bj 1939:
München, Zweigniederlaſſung Berlin SW 68. Dresdener
Straße 43. — „Wille und Macht“ erſcheint am 1. und 15 jedes Monats und ift zu beziehen in den Verla
ſowie durch die Poſt und alle Buchhandlungen.
Bezugspreis vierteljährlich 1.80 N
Beſtellung von 1 bis 3 einzelnen Nummern bitte den Betrag in Brieſmarken beizulegen, da
zuzüglich Beſtellgeld Be
achnabmeſendung zu
teuer iſt und dieſe Beſtellung ſonſt nicht erledigt werden kann.
uh rer und
- Jührerinnen
das geht uch an
Eure Jungen und Mädel find aus den
Sommerlagern mit friſchem Mut und
neuer Kraft zurückgekommen. Jett
beginnt die Winterarbeit! Hierzu
gehört, (thon jetzt daran zu denken,
Wie Ihr im nädjlten Jahr noch mehr
Jungen und Mädel das Erlebnis der
Fahrt und des Lagers verlchaffen
könnt. Dabei hilft Euch das
= H
d TLLEELELLELELLLLLLLELELELELELEULELELELETEA| 2
=
beiden öſſentlichen Spo rare
ZLETTTTTTTTTTTTTTTTTTITTTTTTTTTTTTTTTTTTTTTTTTTTTTT TT TTTTITTTTTTTITTTTTTTTTTITITIITTTTIN
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Prelsausschreiben
Die Preisverteilung ist nach den besten Ein-
sendungen ordnungsgemäß am 10. August 1939
erfolgt. Den 204 Gewinnern haben wir Ihre
Preise (je ein VDO Fahrrad-Tachometer)
inzwischen zugeschickt.
Wir danken den vielen Teilnehmern für ihr
reges. Interesse. Die große Zahl der Ein-
sendungen hat gezeigt, dsB das VDO Fahr-
rad-Tachometer ein Instrument ist, an dem
nicht nur jeder Junge seine Freude hat,
sondern das ihm auch Vorteile beim Rad-
fahr-Training bietet.
Ca
a Se, =;
=
Vor allem bei Dauerfahrten für Radfahr-
wettbewerbe hängt doch die Leistung sehr
davon ab, daß eine möglichst gleichmäßige
Geschwindigkeit eingehalten wird. Dabei
aber ist das VDO Fahrrad-Tachometer ela
zuverlässiger und willkommener Helfer, der
es möglich macht, die Leistung planmäßig
zu steigern.
Wer nicht zu den glücklichen Gewinnern des
Preisausschreibens gehört, hat vielleicht die
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meter zum nächstenGeburtstagoder
zu Weihnachten schenken zu lassen.
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spekte sind bei jedem Fahrradhändler et-
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1
gon der nationallozialiſtiſchen Jugend
HERAUSGEBER: BALDUR VON SCHIRACH
Berlin, 1. Oktober 1939 Preis 30 Pf.
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INHALT
|
Baldur von Schirach: Die Heiligen Namen
Agnes Miegel: An Deutschlands Jugend
Eberhard Wolfgang Möller: Du herrliches.
Rainer Schlösser: Jahrgang 99 i
Heinrich Zillich: Deutsche Erde
Hans Baumann: Erntedank i
Richard Euringer: Es ist so weit!
Prof. Dr. Friedrich Grimm: Zur Kriegsschuldfrage 1939
Werner A. Fischer: Unsere kriegsbereite Volkswirtschaft
AUSSENPOLITISCHE NOTIZEN
Harald Laeuen: Neues Osteuropa
Rumänien für Realpolitik
England und die Mohammedaner
KUNSTDRUCKBEILAGE
Domtüren in Gnesen ( Provinz Posen). Bronzearbeit aus dem 12. Jahrhundert
Veit Stoß: Apostelkopf und Sterbende Maria aus der Marienkirche in Krakau '
(Nachdruck der in diesem Heft veröffentlichten neuen Gedichte ist nur mit
ausführlicher Quellenangabe gestattet)
Wir Hot
Führerorgan der nationallozialiſtiſchen Jugend
HERAUSGEBER: BALD UR VON SCHIRACH
Jahrgang 7 Berlin, 1. Oktober 1939 Heft 19
BALDUR VON SCHIRACH:
DIE HEILIGEN NAMEN
TAG UM TAG DA IHR FALLT / DIE HEILIGEN NAMEN
MELDET MAN MIR /O SCHWEIGENDE!
BRÜDER!
| LAUTER VERNAHM ICH SIE NIE
| ALS LACHEND IHR
| LEBTET / UND ZUM APPELL ICH BEFAHL
| EUCH DEN CHOR DER GETREUN.
| EURE STIMMEN SIND STUMM
" —
STARR DIE GESTALTEN
DOCH DIE HEILIGEN NAMEN
SIND GEWALTIGEN GLOCKEN GLEICH
DAS GELÄUTE DEM LAND.
FÜHRER DER JUGEND /IHR
GEFALLEN FRÜH WIE DER TAU
RUHT IHR AUF SCHULDLOSEM SCHILD.
AUF /IHR EWIGEN / AUF!
HÖRT EURE NAMEN
| UND LEBT
| UNVERGÄNGLICH WIE GOTT.
| l IN BERLIN, AM 21. SEPTEMBER 1939
AGNES MIEGEL:
An Deutſchlands Jugend
Jugend Deutichlands! ‘
Singend voran den Völkern
Zogft Du in Deinen Tag, den Tag der Zukunft!
Herrlicher Frühling, uns aus Trümmern erblühter,
Du, in denen mir lieben, die für Euch ftarben, -
Deinen Sommer wollten wir fehn, Deines Herbftes
Goldenen Erntekranz, wir wollten Dich miffen
Tief in Frieden, Leben und Arbeit vollendend
Allen zum Beifpiel.
Aber das Schichfal
Unferes Volkes, Lofe von Anbeginn zeichnend
Mit der Rune des Kampfs, warf wieder die Stäbe
In dem ehernen Streithelm, -
da Dröhnten die Straßen
Wieder vom Marfchfchritt der Heere, vom Rollen der Panzer,
Dróhnte der Himmel über den Erntefeldern
Wieder von dem Horniffenfang der Geſchwader.
Unter dem Sprühn der Herbftgeftirne liegen,
Unter der flammenden Fackel des roten Kriegefterne,
Bang und ftumm, verhüllte Mütter, die Städte.
Von dem zerftampften Lande, jenfeite der Grenze
Dringt wie Seufzen das Grollen ferner Gefchiite
Tubaton, die Namen der Feften rufend,
Uns ins Herz gebrannt unauslöfchlich,
nun wieder
Uber die Welt hinhallend mie damals!
Aber eines ward anders:
Nicht unfres Erzfeinds
Unbewegtes Antlitz, vom Blut der Zerquälten
Überftrömt, bis die Lüge hinweggewaſchen,
Bis das Grauenvolle, das Haupt der Vernichtung
Auch der Verfhlaote erkennt, - nein, nicht diefes,
Nicht die Phalanx des Haffes, von ihm befehligt,
Nicht der Beraubten Leid und die Qual der Vertriebenen, -
Aber dies:
wir ſtehen, wir Deutſche,
Volk, das zu Volk fand, folgend dem Ruf des Führers,
Stehen zum erftenmal, nicht Gatten und Brüder
Nur allein, wir ftehen, Frauen und Kinder,
Alle im Kampf und ftehen gefaßten Herzens,
Auf une zu nehmen mie fie die Schrecken des Krieges,
Feuer und Dampf und Not und graufames Sterben,
Wie es das Scbichfal beftimmt.
Doch es liebte noch immer die Tapfern.
Und mir fehn Dich, Jugend, uns herrlich vorangehn!
Wagend den frühen Kampf, - die einen im Felde,
Knaben, gefallener Brüder Antlitz tragend,
Junge Saat, geſtreut in die Furchen der Erde,
Die das Blut ihrer Väter getrunken und ewig
Ruhm unfres Namens trägt, -
und Die andern,
Madchen und junge Knaben, daheim in der Heimat
Kämpfend um Ihr Beſtehn.
Nicht wie die Feinde
Meuchelmord finnend, den Gegner und fich zu verderben,
Nein, wie die treue Magd, die der Hausfrau zur Hand geht,
Wie der Jungknecht, der hinter dem Pfluge ſchreitet,
Des verwaiſten Hofes Ernte zu fichern.
Hinter dem furchtbaren
Mäher Krieg, bei dem faufenden Sang feiner Senfe
Schreiteft Du, Jugend Deutfchlands, zu fammeln und bergen
In des harten Alltags nie ruhendem Dienfte,
Was die Mutter gab, die uns alle geboren.
Dienend allen in ihr.
In Kriegslärm und Notzeit
Singft Du hell Dein Lied vor den kleinen Gefchmiltern.
Lied, das einft fie fingen in fernen Zeiten,
Lieb, umwandernd die Welt wie Seewind, von fernen Gebirgen
Hergetragen wie Ruf der Adler, -
das Lied der Jugend,
Die den Völkern voranging, dienend der Erde,
Dienend dem neuen Tag, dem blut= und feuergebornen,
Deffen Abend der Friedel `
In Königeberg, 14. September 1939
Eberhard Wolfgang Möller:
DU HERRLICHES...
Du herrliches, du unfer Reich,
das keines Fremden Wort ermißt,
du Lanöfchaft, keiner andern gleich,
die unfrer Träume Heimat ift.
Du weiter Acher, tief gepflügt,
du Diller Garten, dicht belaubt;
die Welt, fie haßt; die Welt, fie lūgt,
wie oft hat fie dich ausgeraubt.
Wie oft haft du den Zweig gelenkt,
nach dem der Bettler achtlos langt,
wie oft die freche Hand befchenkt,
die immer nimmt und niemals dankt.
Wie oft vergabft du uns die Schuld,
fo gut bift du, fo gut, fo gut,
du unerfchöpfliche Geduld;
du tuft, wie nur die Mutter tut.
Du hatteft nie ein hartes Wort,
das unfer hartes Wort vergalt.
Du blũhteſt noch in Qualen fort
und bliebeft jung; wir werden alt.
Du bliebeſt Ichön ; wir werden blind
und werden wieder Spreu und Sand
Doch du biſt über Zeit und Wind,
du immer frühlingliches Land.
Wenn wir dereinſt zu Grabe gehn,
o nimm uns auf, o laß uns ein!
Dich werden wir, dich immer ſehn
und in dir ſtill und ewig fein.
In Berlin, am 21. September 1939
Rainer Schlöffer:
Jahrgang 99
Daß uns auf Urlaub der Tod `
nur in die Heimat entließ
- o ihr Brüder in Grau,
welche die Wache ihr wart
einem wehrloſen Land
noch im verfchütteten Grab! -,
haben wir immer geahnt.
Jede Sekunde, die wir
über ihr Opfer gelebt,
weitete, da fie uns faſt
Schuld ſchien, ein Vorfat zum Jahr
und das Jahr zum Jahrzehnt -
Urlaub nur gab uns der Tod,
neu zu begründen das Reich.
Dafür nur hat uns geliehn
jeder Gefall’ne die Kraft.
Tieferer Schlaf ziemt ihm nun,
und fein Anruf ergeht:
Lebende! Ablöfung vor!
Zapfenſtreich bläft euch der Tod.
Ach, wer würfe da nicht
dreifach gelebten Seins
überſchweres Gewicht
in die Waage des Kriegs,
feine Meldung zu tun:
Kameraden von einſt,
würdig ſind eurer wir auch,
nehmt uns, Bewährte nun, auf
in die große Armee.
in Berlin, am 21. September 1939
Heinrich Zillich:
| Deutsche Erde
Im letzten Winter lernte ich am Luſen in der hoch über dem Bayeriſchen Wald
liegenden Herberge einige junge Deutſche aus Polen kennen, die einmal am Abend,
als wir müde von Schneewind und Skifahrt in der warmen Stube ſaßen, nicht
etwa in überſtürzten Sätzen wortreich von der Not ihrer Heimat erzählten, wie
man es mitunter von Jugendlichen, die etliche Mühſal erfahren haben, zu hören
bekommt. Nein, ſie erzählten mit der Kargheit, die Kriegsſoldaten kennzeichnet,
wenn ſie mitten im ſtürmiſch vorgetragenen Bericht ihrer Fronterlebniſſe plötzlich
von der Erinnerung an die Stunde übermannt werden, deren Furchtbarkeit ihre
letzte ſeeliſche Kraft beanſprucht hatte. Ein ſolches Zögern war beſonders bei
einem zarten, von Willensſtärke und Güte gleichſam federnden Mädchen zu ver:
ſpüren, deſſen Worte auf mich einen unauslöſchlichen Eindruck machten, denn ſie
bezogen ſich zwar bloß auf Tatſachen, drangen aber aus einer Gefühlstiefe empor,
von der ſie wie Worte eines Dichters durchleuchtet wurden.
Sie hielt keinen Vortrag über die Lage der Deutſchen in Polen. Das ſeltene
Mädchen, das ſchon im Kerker geſeſſen hatte, weil es des Verbrechens ſchuldig
geweſen war, eine Deutſche zu ſein und dies nicht verleugnet zu haben, erzählte
vielmehr mit leiſer ſpröder Stimme von Fahrten zu hilfebedürftigen Menſchen,
es ſprach von ſeiner Arbeit in Volksbüchereien und Kindergärten. Aus alldem
aber drang das Dunkel auf uns ein, das über den Volksbrüdern in Polen lag.
In weitaus ſtärkerem Maße als ſonſt im deutſchdurchſiedelten Oſten war dort
das Los der Deutſchen in die Gewalt der unheimlichen, unberechenbaren ſlawiſchen
Willkür gegeben, die ſich ſehr wohl mit zäheſtem Vernichtungswillen zu paaren
wußte und der es unmittelbar nach dem Weltkrieg ſchon gelang, faſt eine Million
deutſcher Flüchtlinge zu ſchaffen. Seither riß die Kette der Verfolgung nicht ab
und verlängerte ſich Jahr um Jahr bis zur Gegenwart. Der polniſche Vormarſch
auf deutſchem Volksboden war freilich kein Siegeszug höherer Geſittung und
reinerer Ordnung. Er glich dem Wandern des Wüſtenſands, der das ſchöpferiſche
Leben erſtickt.
Doch über all dies ſagte das Mädchen nichts. Es erzählte aus feinen Erlebnijjen;
und noch erinnere ich mich, wie es von einer Bäuerin in Wolhynien ſprach, die
— wohl mit der gleichen zögernden Stimme — der Beſucherin über die Leiden
während der Revolutionszeit 1918 berichtet hatte und dann, ehe ſie verſtummte,
tonlos hinzufügte: „Nur mein Mund erzählt. Wollte mein Herz es tun, ſo müßte
ich ſchreien!“
Als ich dies hörte, erſtanden mir jählings vor den Augen die grauenhaften
Geſchehniſſe, die nach dem Weltkrieg den Oſten in Blut und Entſetzen getaucht
hatten, die Schändung der Frauen, die Verſtümmelung von Menſchen, die Blut⸗
freude raſend gewordener Triebe, von denen ſich der Binnendeutſche nur dann eine
Vorſtellung machen könnte, wenn er mit eigenen Sinnen das Unvorſtellbare geſehen
hätte. Alle Zuhörer, die erſchüttert um die junge Deutſche aus Polen ſaßen, hatten
darum doch keine rechte Anſchauung vom Ausmaß ſolcher Greuel, es fehlte ihnen
die Erfahrung, um die Ungeheuerlichkeit wirklich mit Verſtand und Herz zu
erfaſſen.
Zillich / Deutsche Erde 7
Denn darin unterſcheidet fid) ber Deutſche von der Geſtaltloſigkeit mancher
ſlawiſcher Völker, daß er nicht haſſen kann mit einer Wut, die ſich wie die Brunſt
der Tiere befriedigen muß. Grauſamkeiten kamen aud) in feiner Geſchichte vor,
obſchon man über Jahrhunderte zurückblicken tann, ehe fid) Vorfälle folder Art
entdecken laſſen, aber bei dem Haß, der hier gegen das Deutſche wirkte, handelte es
ſich um etwas anderes als um den unmittelbaren Ausbruch tieriſcher Inſtinkte
einer durch langen Jammer irr gewordenen Pöbelſchicht. Es handelte ſich auch
nicht um den Tobſuchtsanfall gequälter Menſchen wider einen harten Feind,
ſondern um das genaue Gegenteil: den ſchon ſeit zwanzig Jahren enteigneten und
entrechteten Volkstumsſklaven verfolgte die Heke der Gewalthaber fo unbedenklich,
bis endlich der polniſche Mob, ſolchen Verführungen zugänglicher als jeder andere,
in Raſerei verfallen mußte. Es iſt kein großer Unterſchied zwiſchen denen, die
bloß zum Mord aufforderten, und jenen, die ihn durchführten. Beide einte ein
Haß, der lieber die eigene ſtaatliche Ordnung vernichtet und die edleren Menſchen
des eigenen Blutes in die Scham der Wehrloſigkeit ſtürzt, als auf Sättigung
verzichtet. So haßt nur, wer ſich unterlegen weiß. Haß ſoll nicht mit Zorn und
Verachtung verwechſelt werden. Dieſe ſind Empfindungen der Stärke und Sittlich⸗
keit. Haß wächſt aus dem bohrenden Gefühl der Minderwertigkeit, das dem
Höherbefähigten gleichen möchte und es nicht vermag, und darum ſucht es ihn zu
vertilgen, damit das leiſtungshafte Vorbild es nicht länger ärgere. Der Pöbel
von Paris haßte den Adel, der ihm nichts getan hatte und den er in der großen
Revolution ſinnlos mordete; die Horden, aus deren Wüten der Brandfunke auf die
baltiſchen Gutshöfe ſprang, haßten, und die Polen haßten. Es iſt der Haß, der
den Gegner nicht nur unſchädlich machen will, ſondern der eine vergängliche Gewalt
über ihn reſtlos genießt und ſich weidet an der Verſtümmelung des Opfers, das
er doch durch keine Schändung ſeeliſch in ſeinen vertierten Bereich herabzuzerren
vermag.
Als uns das Mädchen von der wolhyniſchen Bäuerin erzählte, glühte keine Wut
in ſeinen Zügen, wie ſie bei Mädchen mancher anderer Völker nun in Rache⸗
ſchreien Ausbruch geſucht hätte; es hatte erlebt, was Deutſche erleben müſſen, um
ſchleichenden, jäh auflodernden Haß haltloſer Seelen zu begreifen, doch davon
wurde es nicht aus ſeiner Art verführt, es ſtand unter dem hilfsbereiten Gefühl
des Mitleidens für die wolhyniſche Frau, deren Antlitz ihm wohl bis ans Lebens⸗
ende ſchweſterlich heilig geworden iſt.
Mit rauhem Ton erzählte ſie dann, wie ſie einmal mit deutſchen Kindern aus
Polen über die damalige Grenze nahe der Küſte nach Deutſchland hineinwanderte
und hinein in eine Verwandlung, die ohne ihr Zutun mit den kleinen Schutz⸗
befohlenen vor ſich ging, als dieſe den Reichsboden betraten. Es war eine Ver⸗
wandlung, die nur der in aller Köſtlichkeit erfaſſen wird, deſſen Heimat untergraben
iſt, deſſen Sehnſucht nach dem Wunder einer geſicherten Scholle greift und deſſen
Kinder von derſelben Herzensnot gekoſtet haben, noch bevor ſie einen Buchſtaben
ſchreiben lernten. Die kleinen Buben und Mädel büdten fid) und nahmen Erde
in die Hand, Sand, der hüben und drüben die gleiche Farbe zeigte, die gleiche
Körnung, die gleiche Schwere. Sie ließen ihn durch die Finger rinnen, ſtopften
fif die Taſchen damit voll und flüſterten ſelig: „Deutſche Erde!“ Und jedes Kind
trug ſpäter ſeine deutſche Erde über die Grenze zurück und zeigte ſie den Freunden
8 Zillich / Deutsche Erde
daheim, die nicht in Deutſchland geweſen waren, und da wollten auch dieſe etwas
von dem Schatz haben, ſchenkten dafür ihre Koſtbarkeiten hin, Süßigkeiten oder
ein anderes Gut, und ſo bekamen noch viele andere ein Teil von der deutſchen Erde.
An die Kinder mit der wunderbaren, der von Polen freien deutſchen Erde in
den Fäuſtchen dachte ich in den letzten Tagen oft. Nun iſt die Erde unter ihren
Füßen vor aller Welt deutſch geworden, aber werden es auch alle erlebt haben,
ohne daß ihnen der Haß die Augen ausſtach und die Glieder brach, ohne daß ihr
Vater verblutete und die Mutter Gewalt erlitt? Wie viele mögen nur mit ver⸗
ſteintem Mund die Erde noch einmal berührt haben, während dieſe auch für ſie
ſchon befreit wurde, und wie viele deckt die Erde, wo iſt das Mädchen hin, wo
deren Kameraden? Nichts bannt das Entſetzen, wenn wir das Furchtbare aus⸗
denken, das ihnen beſtimmt geweſen ſein kann, auch der Gedanke beruhigt nicht,
daß Opfer allezeit Saat der Zukunft eines Volkes find, denn das deutſche Opferfeld
iſt gar reichlich beſtellt.
Wo die wolhyniſche Bäuerin ſein mag? Wie Hunderttauſende öſtlicher Deut⸗
ſchen, die früher in einem Menſchenalter oft mehrmals fremde Raſerei erduldeten
und dann wieder den Pflug eindrückten, Hütten, Städte und Burgen bauten, damit
für lange Zeit kein Feind zu nahen wagte, wird auch ſie vielleicht mit dem
Mund erzählen, was ſie in dieſen Tagen nochmals erleben mußte, und ihrem
Herzen wehren, wenn es ſchreien will, doch ſie nimmt gewiß zum andernmal die
Schaufel in die Hand und gräbt und ſät. Es war ja immer ſo im Oſten.
Nur eines iſt neu. Nicht der Sieg, wie er ſich über die Überheblichkeit ſelten
ſo ſtrahlend wie jetzt und nie ſo raſch gewährte aus dem Genie des Mannes, der
Deutſchland führt, nicht der Sieg über das Chaos des Oſtens iſt es; darüber haben
Deutſche auch früher geſiegt. Das Neue iſt: daß zum erſtenmal das ganze deutſche
Volk, von dem gleichen Mann geeint, ſeine gerechte Ordnung, ſeine ſchöpferiſche,
ohne Haß und Rachſucht und wiſſend um die Werte wie je, doch mit einer Macht
und Einhelligkeit wie nie zuvor dem Chaos entgegenſtellt. Nicht mehr nur ein
Teilſtaat, ein Orden oder der einſame Bauer, nicht mehr nur die kaiſerliche Macht,
die vom Hinterland oft geſchwächte, verfechten heute die deutſche Sache; das
ganze Reich, das ganze Volk ſchützen ſie. Und ſo wird der Sieg Dauer haben.
Ein Wunder entwuchs dem Glauben, mit dem die Kinder aus Polen die deutſche
Erde heimtrugen. Nun mögen die Überlebenden den geborgenen Schatz in die
Winde ausſtreuen. Die Körner fallen auf deutſchen Boden.
Erntedank
Ich hab den brachen Boden um gebrochen, Ich ſteh am Feld, das nun ſchon riecht wie Brot,
Du haft ihn reich gemacht in wenig Wochen. Und Du [tehft drüber, ſtarker, guter Gott.
Ich hab den Furchen kaltes Korn gegeben, So halten wir zulammen, Du und ich,
Du halt es aufgeweckt in Sturm und Regen. Was kann da kommen gegen Dich und mich.
Hans Baumann
Richard Euringer:
Es ist so weit!
Es ist so weit!
Zur 25. Wiederkehr unseres Aufbruchs in den Weltkrieg schrieb ich noch ein
Warnungswort, das sogenannte ,,Kriegserlebnis“ nicht literarisch zu verniedlichen. Das
Originial hab ich nicht mehr zur Hand. Inzwischen haben wir den Soldatenrock ernstlich
wieder angezogen. Alles Schreibtischidyll versank. Wir sind wieder die Soldaten ge-
worden, die wir zuinnerst geblieben waren. Herrlich herrisch greift uns das Schicksal,
reißt uns aus allem Privaten heraus und stellt uns — jeden — an seinen Platz. Der
x-Fall ist da. Die großen Unbekannten aller noch so exakten Berechnung tauchen am
Horizont empor. Ungeheuer rollen die Würfel des eisernen Spiels, das nun blutiger
Ernst geworden ist. Zum Tagebuchführen bleibt keine Zeit. Und doch wollen wir,
wir Soldaten, auch als Dichter unsere Pflicht tun, wie ein Gorch Fock und Lersch sie
einst taten mit der Knarre in der Faust.
Eines, glaube ich, dürfen wir von uns sagen in der großen Gewissenserforschung dieser
Stunde: Wir brauchen nicht umzulernen, diesmal. Im Tornister der Kameraden, die in
diesen neuen Krieg ziehen, steckt nicht das knochenerweichende Büchlein, das uns in
Liebesgabenpaketen einst wohlmeinende liebe Leute gesandt. Das Jahrzehnt, das hinter
uns liegt, hat ein Schrifttum hervorgebracht, das unser Volk nicht verzärtelt, verhätschelt
und verpäppelt hat, sondern eines, das Männer macht.
Die Stunde der Bewährung ist da. Wir sind bereit und werden unsern Mann stehen.
i *
Es ist ganz anders als anno vierzehn.
Ich weiß noch, wie unser Kommandeur uns damals abends vom Flugplatz hereinrief,
durch Ordonnanzen Sekt bringen ließ, wartete, bis sich das Offizierskorps vollzählig im
Kasino versammelte, und nach einer Pause des Schweigens die „drohende Kriegsgefahr"
verkündend, ein Hurra auf den Kaiser ausbrachte.
Diesmal standen wir mit unsern Männern um eine Feldküche herum, gemeinsam unsere
Verpflegung empfangend, und hörten unter einem Bretterverschlag durch den Laut-
sprecher die Stimme des Führers im tödlichen Ernst einer weltgeschichtlichen Ent-
scheidung. Ergriffen und stumm wußten wir, worum es geht. An Sekt haben wir dabei
nicht gedacht. Nur daran, was in der nächsten Stunde planmäßig pünktlich zu tun sei.
*
Wir kämpfen um Frieden. Wir haben im Weltkrieg um Frieden gekämpft, die Welt
aber hat ihn uns versagt. Nun kämpfen wir erneut um Frieden. Ich hab keinen HaB-
gesang gehört. Ich hab die „Begeisterung“ nicht gesehen, die himmelhoch jauchzt, um
beim ersten Rückschlag zu Tode betrübt ins Knie zu knicken. Unsere Frauen haben
sich gefaBt: In Gottes Namen. Wenn es denn sein muB. Wenigstens ist die Entscheidung
da. Der unerträgliche Zustand ewiger Drohung ist überstanden.
Im letzten Herbst noch kamen Einberufene gelaufen und klagten um Hausstand und
Geschäft. Jetzt habe ich keine Bitte gehört. Die Truppe hat mit einem Ruck sich los-
gerissen von Weib und Kind. Sie müssen nun eben auch ihren Mann stehen. Sie
werden ihn stehen. Gestern hatte ich die Bewohner einer Ortschaft um mich versammelt,
Maßnahmen treffend für ihren Schutz. Ich fragte: „Ist nun alles klar? Brauchen Sie
Helfer?“ Und: „Wer kommt allein zurecht? Hand hoch!“
Da hoben alle anwesenden Frauen die Hand hoch.
Ich sagte: „Das sind unsere Frauen.“
Meinen Männern aber sagte ich abends beim Appell: „Das sind unsere deutschen
anner.“
*
Gestern kam einer meiner jungen Leutnants leuchtend von einem langen Flug zurück
und brachte die Nachricht, daß einer aus seinem Ausbildungskurs sein erstes Flugzeug
abgeschossen habe. Die Kameraden umstanden uns. Da merkte ich, wie in diesen
ungen Menschen der Tatendurst aufsprang, ihm es doch ehestens gleich zu tun.
„Donnerwetter!“ Sie konnten es nicht fassen.
Nachts noch seufzte mir einer seine helle Ungeduld, bald „dranzukommen“,
10 Grimm / Zur Kriegsschuldfrage
Da erzählte ich ihm, wie ich anno vierzehn — als auch solch blutjunger Pilot —
geheult, weil ich erst mit der fünften Abteilung, und nicht mit der ersten, „drankam“.
Wir haben dann unser Eisernes Kreuz allesamt noch unter Dach gebracht.
*
1914 waren wir lichterloh begeistert. Diesmal hat das Volk den Geist, der weiD, was
Krieg ist, und doch antritt. Es wird nicht in die Kniee knicken.
*
Übrigens hab ich Kartoffelpuffer an meine Frontpiloten verteilt. Jeder mußte den
Mund aufsperren und bekam seine Extraportion. Wir haben uns fein zusammengelebt.
Abends, im luftschutzverdunkelten Stübchen qualmt es wie im Unterstand.
Kameraden, die abgerückt, schicken uns schon Feldpostkarten von dort, wo sie nun
eingesetzt sind. Wir legen ein Buch an, in das jeder, der von uns geht, seinen Namen
eintrágt. Wir wollen die künftigen Udets und Bölckes diesmal festnageln, ehe sie sich
ihren jungen Ruhm errungen.
Eben erhalten wir die Nachricht, daB der Führer, umjubelt von Tausenden seiner
Soldaten, dem Übergang über die Weichsel beiwohnt.
Gott schütze ihn! Wir brauchen ihn noch.
Prof. Dr. Friedrich Grimm:
Zur Kriegsschuldfrage 1959
Wir entſinnen uns alle nod) ber überragenden Bedeutung, bie die Erörterung
ber Kriegsſchuldfrage während des Krieges von 1914/1918 und vor allem nad) dem
Kriege gehabt hat. War fie bod) für uns Deutſche nach dem Zuſammenbruch bie
wichtigſte Waffe im Kampf um die Reviſion des Unrechtfriedens von Verſailles
geworden. Wer heute bie erſten Außerungen der Feindpropaganda ſtudiert, wird
unſchwer erkennen, daß auf der gegneriſchen Seite die Behauptung von Deutſchlands
. ras im jetzigen Krieg noch eine größere Rolle ſpielen wird als während
des Weltkrieges. Denn ſie ſoll der Propaganda der Gegner in erſter Linie dazu
dienen, den Widerſtandswillen im eigenen Volke zu ſtärken, die Neutralen zu
gewinnen und die Moral des Gegners zu erſchüttern.
Die neue Kriegsſchuldlüge, an deren Konſtruktion die Feinde Deutſchlands heute
arbeiten, trifft das deutſche Volk nicht unvorbereitet. Zunächſt hat man ſie in Eng⸗
land und Frankreich ſeit 6 Jahren ſchon ſyſtematiſch vorbereitet. Sie bringt alto
nichts Neues und wirkt deshalb weder auf uns, nod) auf bas eigene Volk. Zudem
ſind die Maſſen in England und Frankreich nach den Erfahrungen, die man mit
der erſten Kriegsſchuldlüge gemacht hat, ſkeptiſch geworden. Man weiß heute überall
in der Welt, daß der Krieg von 1914 virtuell in dem Augenblick begann, als
Eduard VII. feine Einkreiſungspolitik gegen Deutſchland in Szene ſetzte. Man wird
ſehr ſchnell auch bei unſeren Gegnern begreifen, daß der neue ves mit
dem 16. März 1939 feinen tatſächlichen Anfang nahm, als nad
der Regelung ber tſchechiſchen Frage England beſchloß, fid) der weiteren deutſchen
en entgegenzuſtellen und zu der Einkreiſungspolitik Eduard VII. zurüd:
zukehren.
Die beginnende Diskuſſion um die Kriegsſchuld wird in dreifacher Hinſicht
geführt werden:
1. Als Kriegsſchuldfrage im engeren Sinne, d. h. Erörterung der Vorgänge der
i ME Tage vor dem Kriegsausbruch. |
2. Als Kriegsſchuldfrage im weiteren Sinne, b. h. Erörterung der Vorgänge
vom 16. März 1939 bis zum Kriegsausbruch.
3. Als Kriegsſchuldfrage im weiteſten Sinne, d. h. Verſailles als eigentliche
Grundlage des neuen Krieges.
Fischer / Unsere kriegsbereite Volkswirtschaft 11
Daneben wird man die tieferen Grundlagen des jetzigen Kampfes unterſuchen
müſſen: Auseinanderſetzung der internationalen Kräfte des Judentums, der Frei⸗
maurerei und der Hochfinanz mit dem Hitler⸗Deutſchland, Schaffung der deutſchen
nationalen Einheit im Großdeutſchen Reich durch den Führer, Demokratie gegen
autoritütes Regime, beſitzende alte Staaten gegen junge, nicht beſitzende Nationen,
Status quo gegen gerechte Neuordnung uſw.
Schon icht kann geſagt werden, daß hier der deutſchen Jugend und der deutſchen
Führerſchicht große Aufgaben geſtellt ſind, ſich ſelbſt Rechenſchaft zu geben über den
tiefſten Sinn dieſes Krieges, die eigene Erkenntnis den übrigen Volksgenoſſen zu
übermitteln, dem deutſchen Volk das geiſtige und ſeeliſche Rüſtzeug zu geben zum
Durchhalten in dieſem ſchweren und entſcheidenden Kampfe und ſchließlich auch die
Neutralen und Gegner von der Gerechtigkeit der deutſchen Sache zu überzeugen.
Die gegneriſche Propaganda ſucht die Diskuſſion von dem eigentlichen Thema,
Danzig und der Korridor, gerechte Reviſion von Verſailles, abzubringen. Sie
behauptet beweislos, daß es ſich um die deutſche Hegemonie handle, während es doch
nur um den gerechten Frieden, die gerechte Neuordnung Europas geht. Die Feind⸗
propaganda weiß, wie ſchwach ihre Poſition in der Danzigfrage iſt. Sind es doch
gerade die bedeutendſten engliſchen und franzöſiſchen Staatsmänner und Juriſten
geweſen, die ſeit 1919 betont haben, daß wir in der Danzigfrage im Recht ſeien,
und daß, wenn Polen und Europa nicht Vernunft annähmen und in dieſer Frage
Deutſchland Genugtuung gewährten, Danzig zur Grundlage eines neuen Krieges
werden würde.
Woher nehmen dieſelben Männer in England und Frankreich heute den moraliſchen
Mut, Deutſchland dafür verantwortlich machen zu wollen, daß nach 20 Jahren
deutſcher Geduld ſchließlich das eingetreten iſt, was ſie ſelbſt hundertfach als
unvermeidbare Folge polniſcher Hartnäckigkeit vorausgeſagt haben?
Werner A. Fischer:
Unsere kriegsbereite Volkswirtschaft
Londoner Blockade⸗Illuſionen und bie Tatſachen nach der Beſetzung Polens
Die Engländer glauben, ſie könnten Deutſchland in verhältnismäßig kurzer Zeit
aushungern. Sie ſind in einem ſolchen Ausmaß von der Richtigkeit bietet Uns
ſchauung überzeugt, daß nur das Scheitern ihres Verſuchs fie wahrſcheinlich von
dem Gegenteil überzeugen kann.
Mit ſehr viel Opfern und großen Koſten iſt in den vergangenen Jahren der
Vierjahresplan aufgebaut worden. Er kommt gerade im richtigen Zeitpunkt
in ein Stadium, wo er nicht mehr Unkoſten verurſacht, ſondern Erträge abwirft.
Beiſpielsweiſe eine Bunafabrik oder eine Hydrieranlage benötigen eine Reihe von
Jahren, um ſo weit gefördert zu werden, daß ſie die Produktion aufnehmen können.
Bis zu dieſem Zeitpunkt koſtet die gleiche Anlage, die helfen ſoll die deutſche
Unabhängigkeit vom Auslande zu beſeitigen, nicht nur viel Geld, ſondern zugleich
auch Rohſtoffe, bie zum Teil fogar vom Auslande gekauft werden mußten. Dieſes
erſte Stadium iſt weitgehend überwunden; nach der mühevollen Saat kann jetzt mit
der Ernte begonnen werden. Die einzelnen Maßnahmen, die im Rahmen des
Vierjahresplanes in die Wege geleitet wurden, können als hinlänglich bekannt
vorausgeſetzt werden. Ihr Kern beſteht zunächſt in einer ſtarken Verringerung der
Lebensmitteleinfuhren vom Auslande.
Durch eine Intenſivierung der deutſchen Landwirtſchaft ſind die eigenen Ernten
beträchtlich geſtiegen. Die relativ hohen Einfuhren an Nahrungsmitteln aus dem
Auslande innerhalb der letzten Jahre dienten nur zum Teil der Befriedigung des
Bedarfs; zu einem nicht kleinen Prozentſatz gingen ſie in die Vorratshäuſer, die bei
e a
ens
12 Fischer / Unsere kriegsbereite Volkswirtschaft
Ausbruch des Krieges voller denn je waren und trotz umfaſſender Silobauten
nicht ohne Rückgriff auf Turnhallen uſw. ausreichten.
Auf dem induſtriellen Sektor wurde nicht weniger vorgeſorgt. Die Zahl jener
Rohſtoffe, in denen Deutſchland auf fremde Staaten angewieſen iſt, hat eine
lone Abnahme erfahren. Buna, Zellwolle, ſynthetiſches Benzin, Polomeri=
ſationsſtoffe und andere Erzeugniſſe ſind Dinge, die man in der ganzen Welt
nachzuahmen ſucht. Zellwollfabriken werden in großem Umfange ſogar in den
USA. gebaut; England verſucht fid) — allerdings bisher ohne entſcheidenden
Erfolg — um künſtliches Gummi, Frankreich um Hydrierwerke. Für die Land⸗
wirtſchaft wie für die Induſtrie galt bisher folgendes: was wirklich dringend
gebraucht wurde — zum Leben oder zur Kriegführung — war vorhanden.
Mancherlei Dinge fehlten in ausreichenden Mengen; hierbei handelte es ſich auf
dem Ernährungsſektor um höherwertige Lebensmittel, ohne die niemand ſtirbt,
ohne die auch niemand Geſundheitsſchädigungen erleidet. Hier mußte mit dem
Vorhandenen hausgehalten werden. Bei der Induſtrie dagegen wurde entweder
der normale Friedensbedarf gedroſſelt oder eine Umſtellung auf andere Produkte
vorgenommen.
Das war in großen Zügen die Lage am 1. September dieſes Jahres. In der
Zwiſchenzeit hat durch die Beſetzung des polniſchen Gebietes ein entſcheidender
Wandel ſtattgefunden. Was der weitgehend unerſchloſſene polniſche Wirtſchafts⸗
raum der deutſchen Wirtſchaft zu bieten vermag, kann heute noch nicht annähernd
überſehen werden. Polen, das in Verſailles aus Teilgebieten Deutſchlands, Ruß⸗
lands und Sſterreich⸗Ungarns in einer Größe von 388 600 Quadratkilometer mit
34,5 Millionen Einwohnern len wurde, age bisher an fedjter Stelle der
europäiſchen Großſtaaten. evölkerungspolitiſch völlig inhomogen zuſammen⸗
gelegt — neben den Polen leben etwa 8 Millionen Ukrainer, 3 Millionen Weiß⸗
ruſſen, 1% Millionen Deutſche, mehrere Millionen Juden — hat das Land dank
der Unfähigkeit ſeiner Regierungen die Wirtſchaftskraft nicht entfaltet, die ihm
Boden und Rohſtoffvorkommen hätten ſichern können, wenn nur mit ein wenig
Fleiß und Umſicht gearbeitet worden wäre. Der zum Schlagwort gewordene
Begriff „polniſche Wirtſchaft“ findet ſeinen beſten Ausdruck in der erbarmungs⸗
würdigen Armut der Landbevölkerung, die größtenteils nicht einmal leſen und
. und im Oſten von Feudalherrſchaften bis aufs Blut gepeinigt
worden iſt.
Die deutſche Volkswirtſchaft hatte durch den ar Oſterreichs und durch die
Schaffung des Protektorats Böhmen und Mähren große Gewinne zu verzeichnen.
In beiden Gebieten handelt es ſich aber um Länder, bei denen die Induſtrie
gegenüber der Landwirtſchaft das Übergewicht hatte, durch die ſomit in erſter Linie
die deutſche . für induſtrielle Güter geſtiegen iſt. Die Abhängig⸗
keit vom Bezuge ausländiſcher Rohſtoffe und Nahrungsmittel wurde — im ganzen
betrachtet — nicht entſcheidend verkürzt. Es fehlte nach wie vor der breite Acker⸗
grund, auf dem der Bauer ſeine Furchen zieht. an Polen hat eine große Induſtrie,
die (vor allem in Oſtoberſchleſien und im Olſagebiet konzentriert) von Deutſchen
in früheren Jahrzehnten aufgebaut worden ijt und ſeither von den neuen Macht⸗
habern mehr ſchlecht als recht verwaltet wurde; das Schwergewicht liegt aber auf
dem landwirtſchaftlichen Sektor. Große Überſchüſſe an Nahrungsmitteln wurden
trotz der ſehr ſchlechten Bewirtſchaftung des Bodens Jahr um Jahr an das Ausland
abgegeben.
Die Landwirtſchaft Polens
Von rund 34 Millionen Einwohnern des Landes, d. h. nur 88 Menſchen auf
den Quadratkilometer gegenüber 146 in Deutſchland, ſind faſt 20 Millionen oder
60 Prozent in der Land⸗ und Forſtwirtſchaft tätig.
Veit
kopf vom Hochaltar der Marienki
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Veit Stoß, Sterbende Maria am Hochaltar der Marienkirche in Krakau
Fischer / Unsere kriegsbereite Volkswirtschaft 13
Deutſchland an Oſterreich) Polen
in Millionen Hektar
Ackerland. . 21,38 18,56
Grünland . . 10,76 6,47
Wald ... . . 16,05 8,32
Aus ber vorftehenden Überſicht erhellt zweierlei: einmal die oftmals verkannte
Bedeutung der deutſchen Landwirtſchaft und zweitens das Schwergewicht des pol⸗
niſchen Agrarſektors. Auf dem deutſchen Ackerland von 21,38 Millionen Hektar
wurden bisher 83 Prozent aller Nahrungsmittel erzeugt, die bei uns — Ps
Lebensmittelrationierung — verbraudt wurden. Stellt man daneben bie polniſche
läche von 18,56 Millionen Hektar, ſo wird deutlich, daß wir nur einen Teil davon
rauchen, um mühelos oa deutſchen Arbeitsmethoden) den geſamten Bedarf decken
zu können. Das engliſche Geſchreiüber eine Aushungerung der
Deutſchen wird, wenn man ſich nüchtern dieſe Dinge ver⸗
gegenwärtigt, zur Lächerlichkeit verdammt.
Aber nicht nur für pflanzliche, ſondern auch für tieriſche Nahrungsmittel ſind
die angeführten Ziffern von Bedeutung. Die auf dem Grünland gehenden Herden
liefern Fleiſch, Fett, Butter und Häute für die Ledererzeugung. Es darf niemals
überſehen werden, daß die vom Ausland hereinkommenden Lebensmittel immer
nur eine Ergänzung der deutſchen Eigenerzeugung ſind. Es iſt wichtig, darauf hin⸗
zuweiſen, weil die engltidje Propaganda ber Welt eingeredet hat, und zwar an
gend des Beiſpiels, das ihnen im eigenen Lande nach der Vernichtung ihrer
anbwirtiäeit vor Augen ſteht, Deutſchland fei auf Gedeih und Verderb von dem
Bezug ausländiſcher Nahrungsmittel abhängig. Wenn es gelingt — und daran
iſt nicht zu zweifeln — den polniſchen Raum einigermaßen zu erſchließen, gibt es
Een di ſchlechten Ernten foviel Nahrungsmittel, wie bas deutſche Volk nur
enötigt.
Polen erzeugte z. B. 1937 rund 1,85 (Deutſchland im pese Jahr 4,77) Mil-
lionen Tonnen Weizen, 5,83 (6,92) Millionen Tonnen Roggen, 1,3 (3,64) Mil-
lionen Tonnen Gerſte, 37,80 (55,31) Millionen Tonnen Kartoffeln und 0,46
(2,2) Millionen Tonnen Zucker. Zum Vergleich ſei angeführt, daß der deutſche
Brotgetreidebedarf fi im Normaljahr auf etwa 8 Millionen
Tonnen beläuft und daß die diesjährige deutſche Getreideernte
rund 26 Millionen Tonnen ausmacht. Naturgemäß find in dieſer Ziffer
die Angaben von allen Getreidearten, jo auch von Hafer ujw. enthalten. Der
rößte Teil des Getreides dient der Viehfütterung, zu der übrigens in nen
Ma e auch die Kartoffel herangezogen wird. Unter Einbeziehung der polniſchen
Getreide: und Kartoffelmengen ſteht an dieſen für die Kriegsführung jo wichtigen
Erzeugniſſen mehr zur Verfügung, als unbedingt benötigt wird.
Die gegenwärtigen Lagerbeſtände an Getreide, die dem Bedarf eines ganzen
Jahres entſprechen, ſind dabei nicht einmal berückſichtigt worden. Polen hat 1937
an landwirtſchaftlichen Rohſtoffen 72 000 Tonnen Leinſaat, 37 000 Tonnen Flachs,
12 000 Tonnen Hanf und 5000 Tonnen Wolle erzeugt. Gerade auf dieſem Gebiet
dürften außerordentliche Erzeugungsausweitungen von deutſcher Seite in die
Wege geleitet werden. Die polniſche Holzgewinnung von 17 Millionen Feſtmeter
im Jahre 1937 iſt geeignet, auch hier Deutſchland die Möglichkeit zu geben, auf
Bezug ausländiſ en Holzes zu verzichten, ohne dabei den eigenen, überaus reichen
Waldbeſtand in ungeſunder Weiſe einzuſchlagen.
Intereſſant für die u Wirtſchaftsgeſtaltung ift der Viehbeſtand, ber
wiederum in Beziehung zu Deutſchland geſetzt wird. Er bezieht ſich in beiden
Fällen auf das Jahr 1997: seleb zieht [id e
14 Fischer / Unsere kriegsbereite Volkswirtschaft
Viehbeſtand Deutſchland Polen (in 1000 Stück!)
Pferde . 3430 3 833
Rinder . . . 20470 10 547
Schweine . . . . 23810 7672
Schafe u. Ziegen . 7300 3 586
Hühner . . . . 85200 50 000
Bei einer Betrachtung der polniſchen Landwirtſchaft ijt zu berückſichtigen, daß innerhalb
des bisherigen polniſchen Hoheitsgebietes außerordentliche Unterſchiede ſowohl im Hin blick
auf die Betriebsgrößen als auch bei der Intenſität der derſchußgebieſ des Bodens neben⸗
einander beſtehen. Ausgeſprochene landwirtſchaftliche flberidjuBgebiete mit deutſchen Bes
arbeitungsmethoden find Weſtpolen (holen und Pommerellen) ſowie Galizien. Der ojt-
pen: Großbetrieb wird dagegen ſehr extenſiv bewirtſchaftet. Wird der Ertrag im Often
urch die Latifundienwirtſchaft belaſtet, ſo ſind im Süden die bäuerlichen Beſitzungen ſo
klein, daß ſelbſt der Bauer manchmal Hunger leidet, weil das Getreide nicht von der
einen zur anderen Ernte reicht. Die landwirtſchaftlichen Überihüffe Polens, die ins Aus⸗
land gingen, ſind vornehmlich aus den an Deutſchland grenzenden und von Deutſchen
bee Höfen und Gütern gekommen, d. h. praktiſch: die von Deutſchland weitab
liegenden Teile des bisherigen polniſchen Territoriums verbrauchen ihre landwirtſchaft⸗
lichen Erzeugniſſe ſelbſt und zogen bisher aus den beſſer bearbeiteten Teilen noch Nah⸗
rungsmittel für den eigenen Bedarf ab. Übrigens iſt die Bevölkerungsdichte in dieſen
Gebieten beträchtlich größer als in den früher zu Deutſchland und Sſterreich gehörenden
Landſtrichen. In der Provinz Poſen und Pommerellen, in Galizien und den Verbindungs⸗
ſtücken liegen die (vom Standpunkt der Verſorgungslage aus betrachtet) wichtigen Höfe
und Güter.
Die polniſche Induſtrie
In Polen gibt es eine Fülle von Gewerbezweigen. Von wirklicher Bedeutung
im 1 Rahmen find vor allem die Kohlen- und Eiſeninduſtrie. Von
67 oberſchleſiſchen Kohlenſchächten wurden in Verſailles den Polen 53 zugeſchanzt,
100 Prozent der früher deutſchen Eiſenerzbergwerke gingen
an Polen, desgleichen 100 Prozent der Blei⸗ und Zinkhütten⸗
gewinnung, 67 Prozent der Roheiſen⸗ und Rohſtahlgewinnung, je 84 Prozent
des Zink⸗ und Bleierzabbaus. Ein ſinnvoll aufgebautes Wirtſchaftsgebiet wurde
willkürlich zerriſſen. Von einzelnen Werken fielen Teile an Polen, andere blieben
bei Deutſchland. 17 Prozent der geſamten Kohlenförderung des Jahres 1913
verlor die deutſche Wirtſchaft durch das Verſailler Diktat in Oſtoberſchleſien.
Nach der jüngſten Entwicklung muß auf zwei Dinge aufmerkſam gemacht werden:
erſtens iſt jetzt wieder zuſammen, was zuſammengehört; das
ice Induſtriegebiet bekommt im Rahmen der geſamtdeutſchen Volks⸗
wirtſchaft wieder jene Bedeutung, die ihm zukommt. Volkstümlich ausgedrückt könnte
man zweitens i en: bie deutſche Volkswirtſchaft ſteht, was ihre ſchwerinduſtrielle
Erzeugung anbelangt, wieder auf zwei Beinen. Die Beanſpruchung des
Ruhrgebiets wird vermindert, und zwar zugunſten einer Gegend, die vom
e Geſichtspunkt aus betrachtet, unangreifbar iſt.
Polen hat 1938 rund 38 Millionen Tonnen Steinkohle gefördert, wovon
28 Millionen Tonnen auf Oſtoberſchleſien entfielen. Der Reſt wurde in dem
benachbarten Dombrowaer Bezirk zutage gebracht. Ab Oktober 1938 ſind die Er⸗
gebniſſe des früher tſchechiſchen Olſagebietes in den Statiſtiken mitenthalten. Hier
werden jährlich rund 7,5 Millionen Tonnen Steinkohlen abgebaut. Insgeſamt en
ſich ſomit bei dem gegenwärtigen ſchlechten Stande der polniſchen Kohlen⸗
erzeugung eine jährliche Förderung von etwa 43 bis 45 Millionen Tonnen.
Die Qualität der Ware iſt in i und um Teſchen ganz ausgezeichnet
und eignet ſich zur Herſtellung vorzüglichen Hüttenkokſes. Das Kohlenvorkommen
gehört mit einer Mächtigkeit von etwa 70 Milliarden Tonnen zu den größten
und beſten der Welt. Theoretiſch iſt eine Förderung wie im Ruhrgebiet möglich.
Fischer / Unsere kriegsbereite Volkswirtschaft 15
Von den gefamten Kohlenſchätzen Europas bis zu einer Tiefe von 1500 Meter
entfallen auf das bisherige Deutſchland 30 Prozent, auf Oſtoberſchleſien und die
angrenzenden, bisher 1 Reviere 25 Prozent, auf England 24,1 Prozent, auf
den europäiſchen Teil der UdSSR. 7,5 Prozent und der Reſt auf die übrigen
Länder. Hieraus ergibt ſich eindeutig die überlegene Stellung des
Reichs auf dem Gebiet der Steinkohlen. Nebenbei fei vermerkt, daß
in bezug auf Braunkohlen Deutſchland die größten Vorkommen der Welt hat und
daß in den Provinzen Poſen und Pommerellen auch noch etwa 5 Milliarden Tonnen
Vorräte liegen!
In den vergangenen Monaten iſt oftmals über die ſchwierige deutſche Kohlen⸗
verſorgung geſchrieben worden, die trotz einer Förderung von etwa 190 Millionen
Tonnen Steinkohlen und über 200 Millionen Tonnen Braunkohlen nicht leicht
war, weil infolge des Wirtſchaftsaufſtiegs der Verbrauch außerordentlich gewachſen
war. Denn alle neuen Vierjahresplanwerke brauchen Kohle, ſei es als Wärme⸗
T oder als unmittelbaren Rohſtoff wie z. B. bie Benzin- und Bunaproduftion.
iele Sorgen find über Nacht ins Gegenteil verkehrt worden. Wir haben nicht
nur ausreichende Mengen, ſondern können in ſteigendem Maße von unſerem
ilberidub den neutralen Ländern abgeben. Das iit um fo
wichtiger, als England ſeine Kohlenausfuhr geſperrt hat und Kohlen mit
Bardeviſen N find, weil f in vielen europäiſchen Ländern
gänzlich fehlen, aber dringend benötigt werden. Für bie künftige Geſtaltung unſeres
auswärtigen Handels wurde eine neue Grundlage geſchaffen, die an Bedeutung
nicht geringer iſt als der Export deutſcher Fertigwaren, die ob ihrer Qualität in
aller Welt geſchätzt und begehrt ſind.
Wie die Polen die Förderziffern der Steinkohle des Jahres 1913 dank ihrer
Unfähigkeit zu organiſieren niemals wieder erreicht haben, genau fo
hat auch die Eiſen ſchaffende Induſtrie in den letzten beiden Jahr⸗
zehnten Rückſchläge aufzuweiſen gehabt. Der vorhandene Hochofenraum wurde
nicht ausgenutzt. Beim Einmarſch der deutſchen Truppen beſtanden 22 größere
Hüttenwerke, von denen neun auf Oſtoberſchleſien, zwei auf das Olſagebiet, acht
auf den Dombrowaer Diſtrikt und nur drei auf das in Aufbau befindliche zentrale
Induſtrierevier um Sandomir entfielen. 29 Hochöfen, 70 Siemens-Martin⸗Ofen
und 7 Elektroöfen waren die Erzeugungsſtätten für Roheiſen und Rohſtahl. In
Oſtoberſchleſien wurden 1938 rund 500 000 Tonnen Roheiſen und 900 000 Tonnen
Nohſtahl, in Dombrowa 160 000 und 470 000 Tonnen und im zentralen Induſtrie⸗
revier Sandomir 50 000 Tonnen Kabelen und 70 000 Tonnen Rohſtahl produziert.
Das Olſagebiet hat eine Kapazität von 500 000 Tonnen Roheiſen und 600 000
Tonnen Rohſtahl. Wenn in Rechnung geſtellt wird, daß in der gleichen Zeit die
reichsdeutſchen Werke 23 Millionen Tonnen Rohſtahl produzierten, nehmen ſich
die 2 Millionen Tonnen der Polen vielleicht etwas kümmerlich aus. Es darf hier⸗
bei aber nicht überſehen werden, daß bie Erzeugungs fähigkeit größer ift und daß
die tatſächliche Produktion immerhin noch die Größe der Belgiens oder Italiens
erreicht. Der deutſche Gewinn beſteht genau wie bei der Kohle nicht allein in den
Erzeugungsſtätten; nicht minder bedeutſam für die künftige induſtrielle Ent⸗
wicklung des Reiches iſt, daß die Verteilung der Werke über das geſamte Reichs⸗
gebiet viel beſſer wurde. Bei der Steinkohle liegt ein großes Erzeugungszentrum
künftig im [en unb eins im Oſten, dazwiſchen ſchiebt jid) der wichtige mittel-
deutſche Braunkohlenbergbau. Die gleiche Lage ergibt ſich beim Eiſen: Ruhrrevier
im Weſten, Oſtmark im Süden, Reichswerke Hermann Göring und mehrere kleinere
Hütten in der Mitte und Oberſchleſien im Oſten iſt die künftige Gliederung.
Sowohl für die innerdeutſche Verteilung als auch für eine zweckmäßige Geſtaltung
der Ausfuhr liegt hierin eine Verbeſſerung der bisherigen Lage.
16 Fischer / Unsere kriegsbereite Volkswirtschaft
Die polniſchen Nohſtoffe
Außer Kohlen birgt der polniſche Boden reiche Schätze, die nur zum Teil er⸗
forſcht ſind. Erſt in den letzten zwei Jahren hat die bisherige polniſche Regierung
damit begonnen, den Boden zu V Trotz des Einſatzes geringfügiger
Mittel wurden dabei beachtliche Ergebniſſe erzielt. So entdeckte man bei
Sandomir ein reiches Erzvorkommen, das auf einer Längen:
ausdehnung von etwa 75 Kilometer mehr als 100 Millionen Tonnen Erze mit
einem Eiſengehalt von 47 Prozent enthalten ſoll. Auch bei Wielun nahe der
deutſchen Grenze wurden gute Eiſenerze entdeckt. Im vergangenen Jahre wurden
in den noch von Deutſchen vor dem Weltkrieg erſchloſſenen Gruben rund 900 000
Tonnen Eiſenerz gefördert.
Im Jahre 1909 ſtand Polen mit einer Erdölförderung von über 2 Mil⸗
lionen Tonnen an der fünften Stelle der Welterzeugung. In⸗
zwiſchen ſind die Erträgniſſe immer niedriger geworden und haben in den letzten
Jahren jeweils etwas über 500 000 Tonnen gelegen. Die Erdgasgewinnung hat
dagegen eine Steigerung auf knapp 600 Millionen Kubikmeter erfahren. Trotz
der vernachläſſigten Erdölquellen wurde immerhin 1 noch ſoviel produ⸗
ziert wie trotz der intenſiven Bohrungen der letzten Jahre im Altreich und der
Oſtmark zuſammen. Bei der Rolle, die das Erdöl in den modernen Volkswirt⸗
ſchaften ſpielt, kann das galiziſche Erdölvorkommen gar nicht hoch genug als
Gewinn veranſchlagt werden.
Mit den polniſchen Zinkgruben und Erzeugungsſtätten iſt Deutſchland in Zink
vom Ausland vollkommen unabhängig. Die Bleierzvorkommen verbeſſern
die Verſorgungslage in dieſem wichtigen Metall, ohne ſie allerdings reſtlos zu
decken. In Sandomir wollten die Polen eine Kupferhütte bauen. Sie behaupteten,
Kupfervorkommen entdeckt zu haben. In den Karpaten liegen ungeheure Waſſer⸗
kräfte brach, die ſehr viel elektriſchen Strom erzeugen könnten. Von den polniſchen
Munitionsfabriken und dem in unſere Hände gefallenen Material der Armee
können ſich die Politiker Londons au Grund der ſelbſtbewußten Berichte der
dortigen polniſchen Botſchaft aus dem letzten halben Jahr ein Bild machen. Der
um die eroberten polniſchen Provinzen verbreiterte deutſche Lebensraum gewähr⸗
leiſtet ſicher — alles in allem betrachtet — die i unjerer Wirtſchaft. Das
ſteht nicht im Widerſpruch dazu, daß wir uns bemühen werden, einen jo regen
Güteraustauſch mit dem Ausland zu pflegen, wie er nur möglich iit. Denn zwiſchen
einer ausreichenden Verſorgung und einer allen Wünſchen gerecht werdenden
Anlieferung beſteht ein beträchtlicher Unterſchied. Auf dem induſtriellen Sektor
werden wir immer zahlreiche ausländiſche Produkte verarbeiten. Auch beſtimmte
Nahrungs⸗ und Genußmittel, die der europäiſche Boden nicht hergibt, ſind nützlich
und begehrenswert. .
Nicht unerwähnt bleiben darf der Wirtichaftsaufftieg, vor dem jetzt wieder bas
alte deutſche Danzig ſteht. Das Hinterland war ihm in Verſailles genommen
worden. Jetzt iſt es wieder vorhanden und in Kürze pulſierender, als es jemals
in der Danziger Geſchichte geweſen iſt. Man wird ſich in den Häfen und Umſchlag⸗
ſtellen ſputen müſſen, um den Verkehr zu bewältigen, der ſchon während der
Erſchließung jener Provinzen anfallen wird.
Was aber auf Grund des nüchternen Zahlenbildes feſtzuhalten iſt: Englands
Hoffnung, auf der wirtſchaftlichen Ebene das Deutſche Reich erfolgreich bekämpfen
zu können, iſt ein Trugſchluß, den es teuer bezahlen wird. Dieſe Illuſion iſt ebenſo
lächerlich wie der Propagandakrieg mit den alten abgedroſchenen Phraſen von
1914 und die Empirepolitik mit denſelben, nur älter gewordenen einfallsloſen
Demokraten von 1914.
eufenpolitifhe Hotie
Neues Osteuropa
Nach dem Zuſammenbruch des Napos
leoniſchen Imperiums hatte ſich das Schwer⸗
ewicht Europas von Weſt nach Oſt ver⸗
agert. Rußland, Preußen und Ofterreid
entſchieden die europäiſchen Probleme, bis
im Krimkriege der Weſten den erſten Stoß
gegen dieſe Machtverhältniſſe führte.
er Weltkrieg brachte eine Erſchütterung
der Oſtſtellung / Deutſchlands, deſſen Gebiet
erriſſen wurde, eine Auflöſung der Habs⸗
urger⸗Monarchie und ein Abdrängen Ruß⸗
lands von Europa. Der Weſten errichtete
auf öſtlichem oben ein Syſtem von
Vaſallenſtaaten. Polen und die Tſchecho⸗
Slowakei wurden in Verſailles eigens zu dem
Zweck geſchaffen, die öſtliche Ergänzung zu
einer Mächtegruppierung zu bilden, deren
alleiniger Sinn die EE Deut
lands war. Clemenceau trat für die Schaf:
fung bes Korridors ein in der klaren Bes
redjnung daß dadurch ein unlösbarer Gegen:
ſatz zw ſchen dem Reich und dem neuen
polniſchen Staat pans; Dieſer Gegenſatz
ee die Polen feft in der Gefolgſchaft des
eſtens. Und ſo ſollte es ſein. Auf Feind⸗
ſchaft und nicht etwa auf Verſöhnung be⸗
ruhte das Spiel von Verſailles.
Die Zerſtückelung und Balkaniſierung des
Oſtraumes hatten die ſchwerſten äußeren
und inneren Folgen für den Oſten ſelbſt.
dep eni bedeutete er nichts mehr. Er
war Objekt. Im Innern vermochten die
neuen Staaten die Probleme eines harmo⸗
niſchen grammai ens der erworbenen
Gebiete, bes nationalen Ausgleichs und der
ſozialen Hebung nicht zu löſen. Große Indu-
ſtrien verloren ihre natürlichen Abſatz⸗
märkte. Gleichzeitig bemächtigte ſich die
führende politische chicht der neuen Staa⸗
ten der erfaßbaren Vermögenswerte. Ein
rieſiger Enteignungsprozeß der entrechteten
nationalen Gruppen, die von ihrem Boden
vertrieben werden und ſpäter auch den
Induſtriebeſitz verlieren, kennzeichnet die
erſte Periode der Geſchichte der europäiſchen
Zwiſchenzone.
Die polniſche Vermeſſenheit
Welches war das Ordnungsprinzip, das
in Verſailles deer gelegt wurde? For⸗
mel war es bas ethnographiſche, bas fid
jedoch bei bem völkiſchen Miſchcharakter ber
Zwiſchenzone einwandfrei überhaupt nicht
durchführen ließ. Die Staaten, die entſtan⸗
den, waren alle überſaturiert und hatten
doch das Ste zu ſchmale Grundlagen zu
beſitzen. Sie ſuchten ihre ethnographiſche
Schwäche durch „hiſtoriſche Anſprüche“ zu
verdecken, deren fete Beile zumindeſt
ſtrittig war. Das kraſſeſte Beiſpiel in dieſer
Polen war Polen. Schon die Frage, was
olen war oder ſein ſollte, wurde von An⸗
fang an unflar beantwortet. Die National:
emofraten unter Roman Dmowſki gingen
zwar von ethnographiſchen Vorausſetzungen
aus, verknüpften ſie aber mit der Vor⸗
tellung des geſchichtlichen Polens. Dabei
choben ſie in ihren Forderungen die Gren⸗
zen weit nach Weſten in deutſches Gebiet
vor, während ſie im Oſten bereit waren,
Konzeſſionen zu machen. Dagegen hatte der
Pilſudſkikreis die Abſicht, Polen zur oſt⸗
europäiſchen Vormacht zu erheben, durch Be⸗
ründung einer Föderation mit Ukrainern,
eißruſſen und den baltiſchen Völkern. Die
Aufteilung Rußlands war das Ziel, das in
dem Kriege von 1920 nicht erreicht wurde.
Das Polen, das übrigblieb, verlor, obwohl
es ſchon ein reichliches Drittel fremdvölki⸗
ſcher Elemente in ſich vereinigte, das Ziel
der Gewinnung der „hiſtoriſchen Grenzen“
im Weſten und Oſten nie aus den Augen.
In dieſem Sinne wurde die Jugend erzogen.
Oſtpreußen wurde eine „Inſel im polniſchen
Meer“ genannt. Die polniſche „Löſung“ der
Korridorfrage hieß immer Eroberung Oſt⸗
preußens, von den Abſichten auf Schleſien
und Oſtpommern zu ſchweigen.
Es war auf die Dauer unausbleiblich, daß
die polniſche Expanſion einen deutſchen
Gegenſtoß auslöſte und die unſinnige Kor⸗
ridorſchöpfung nicht beſtehen bleiben konnte.
Dieſer Notwendigkeit war nur dann zu ent⸗
rinnen, wenn Polen ſich beſchied und zu
einer weitgehenden Zuſammenarbeit mit
dem Reiche bereit war. Da es aber durchaus
als „Großmacht“ anerkannt werden wollte,
ein Erſtarken und Wachſen Deutſchlands als
„Verletzung des Gleichgewichts der Kräfte“
anſah und eiferſüchtig darüber wachte, daß
der „Raum der polniſchen Intereſſen“, der
über die Staatsgrenzen noch erheblich bins
ausreichte, nicht von anderen Einflüſſen
18 Außenpolitische Notizen
berührt wurde, fonnte ein Verhältnis, das
den wahren Geſetzen beider Länder ent⸗
ſprach, nicht hergeſtellt werden, obwohl es
an ſich möglich geweſen wäre, die Raum⸗
intereſſen als ergänzende und verbindende
u betrachten, ſtatt ſie nur aus der Gegen⸗
ſätzlichkeit heraus zu verſtehen. Wurde die
Möglichkeit einer Abſtimmung der Raum⸗
intereſſen geleugnet, ſo blieb eigentlich nur
die andere Konſequenz übrig, die von der
polniſchen öffentlichen Meinung denn auch
deutlich genug gezogen wurde, nämlich die
Ausdehnung der polniſchen Macht auf Koſten
der deutſchen, die endgültige Liquidierung
der deutſchen Oſtſtellung. Der „Verſailler
Kompromiß“ — ſo lautete die polniſche For⸗
mulierung — ſollte zugunſten einer „Er⸗
weiterung der polniſchen Seebaſis“ beſeitigt
werden. Außenminiſter Beck hat einmal be⸗
kannt, Marſchall Pilſudſki habe ihm die
Mahnung hinterlaſſen, vah olen in jedem
all Kämpfe zur „Verbeſſerung“ feiner
tellung durchführen ſollte. Die Verſuche,
die Beck in dieſer Beziehung unternahm,
saver mit dem Untergang des Staates ge:
endet.
Nach der Machtergreifung des National⸗
ſozialismus erklärte der polniſche Außen⸗
miniſter, Propaganda möge man treiben, ſo
viel man wolle, aber mit Worten habe noch
niemand das territoriale Statut von Europa
erſchüttert. Mochte dieſe Feſtſtellung ſogar
hiſtoriſch richtig ſein, ſo bewies doch die
tſchechiſche Kriſe, daß ſchon das Wort Hitlers
enügte, um das Verſailler Statut zu er⸗
füttern Während dieſer Kriſe meinte
ed, daß die Staaten Nachkriegs europas ein
„neues Examen“ ablegen müßten. Polen
hat dieſes Examen nicht beſtanden.
Die s gf is Pilſudſkis haben oft be-
tont, daß die Stützung auf bie eigene Kraft
die Grundlage ihrer Politik ſei. Leider
haben ſie verſäumt, die Maſſe ihrer Kraft
richtig zu berechnen, ſonſt hätten ſie es ver⸗
mieden, eine militäriſche Niederlage dieſes
Ausganges heraufzubeſchwören. Die poti:
tiſche durch Verſagen des Vertragsſyſtems
iſt nicht geringer. Die Weſtmächte erklärten
zwar den Krieg, zeigten ſich aber außer:
Polen zu einer militäriſchen Aktion, die
olen eine Entlaſtung hätte bringen kön⸗
nen. Rußland ſah nach den deutſchen Siegen
den polniſchen Staat und damit auch den
Nichtangriffspakt mit ihm als nicht mehr
beſtehend an. Rumänien, durch einen gegen
die Sowjetunion gerichteten Beiſtandspakt
mit Polen verbunden, nahm eine entſpre⸗
chende Haltung ein und wahrte Neutralität.
Die Geſchichte des polniſchen Staates in den
Formen von Verſailles war zu Ende.
Deutſch⸗ruſſiſcher Aufbau
Mit dem deutſch⸗ruſſiſchen Nichtangriffs⸗
vertrag und dem Zuſammentreffen von
deutſchen und ruſſiſchen Trunpen auf pol⸗
niſchem Boden hat eine neue Periode in der
Entwicklung Oſteuropas begonnen. Die Ber-
ſailler Oſtſchöpfungen ſollten eine „Barriere“
zwiſchen Deutſchland und Rußland bilden.
Dieſe „Barriere“ iſt heute zerſchlagen. Die
deutſche Oſtſtellun p wiederhergeſtellt, fie
iit fogar, an bem Vorkriegsrahmen gemeſſen,
nod gewachſen. Nur die beiden großen
Länder Deutihland und Rußland ents
ſcheiden wieder über das Schickſal von (e:
bieten, in denen fie im Gegenſatz zu den
Weſtmächten wirkliche Lebensintereſſen zu
vertreten haben. In ſeiner Danziger Rede
gmi der Führer erklärt: „Deutſchland unb
ußland werden jedenfalls hier an die
Stelle eines Brandherdes Europas eine
Situation ſetzen, die man dereinſt nur als
eine e wird werten können.“
Nach der Ausmerzung der Widerſtände be⸗
on das Problem eines Neuaufbaus bes
jtraumes, der in ben Begrenzungen von
Verſailles zu einer Entfaltung nicht kom⸗
men konnte.
.Das Hineinwachſen Deutſchlands in die
öſtliche Landſchaft hat eine materielle und
geiſtige Seite. Wir tragen in ein noch un⸗
entwickeltes Gebiet unſere ganzen Energien,
unſere techniſche Geſtaltungskraft und unſer
organiſatoriſches Vermögen hinein. Es
zweifelt wohl niemand daran, daß das Bild
eines Landes, in dem ärmliche Hütten ſtehen
und der Anbau oft mit primitiven Geräten
erfolgt, unter deutſchen Händen ſehr bald
eine Wandlung erfährt. Doch wollen wir
nach dem Geiſt, den eine deutſche Erſchlie⸗
bung bes Oſtens von 1900 erfüllte, daß der
Pionier mit ſeinem Boden verwurzelt, daß
er ihm zur Heimat wird, damit der Gewinn
ein dauernder iſt.
rüft man den polniſchen ee i
auf ſeine geiſtigen Urſachen, ſo gibt es dafür
nur die Erklärung, daß der Staat in Volk
und Raum nicht genügend verankert war.
Polen war nicht nur eine weſtliche Schöp⸗
fung, ſondern es wollte auch ſeinem ganzen
eiſtigen Zuſchnitt nach durchaus „weſtlich“
fein Es entitanb eine für jeden Beobachter
pürbare Kluft zwiſchen der regierenden
Intelligenz und der Maſſe des Volkes, die
in weſtliche Lebensformen und weſtliches
Denken gar nicht hineinpaſſen wollte. Das
höchſte Streben der polniſchen Geiſteswiſſen⸗
Außenpolitische Nolizen 19
ſchaft beſtand darin, Polen als ein voll:
kommen der weſtlichen, lateiniſchen Kultur
zugehöriges Land hinzuſtellen. Die führende
Schicht gab ſich gerne einen franzöſiſchen
Anſtrich. In der jungen Generation galt es
als „dernier cri“, angliſiert zu erſcheinen.
Was ſollte dieſes SE in einem Lande,
in dem die große Malle überhaupt nicht in
der Lage war, fremde Vorbilder zu erfaſſen
und zu verarbeiten, in dem es Provinzen
gab, die zu 50 Prozent Analphabeten auf⸗
wieſen und die Bauernbevölkerung großen⸗
teils auf der Stufe der Naturalwirtſchaft
verharrte? Wer das Bodenſtändige und Ur⸗
ſprüngliche in Polen ſuchte, der konnte ſich
nicht davon begeiſtern laſſen, daß auch in
dieſem Lande Fabriken gebaut wurden und
in einigen wenigen Städten moderne
Wohnviertel entſtanden, während die Maſſe
ein Leben in Wer tes Zurückgebliebenheit
weiterfriſtete. Wer ſich von der polniſchen
Literatur, die ſich in krankhafter Pſychologie
gefiel, abwandte, war erfreut, im einfachen
olke einen unverdorbenen künſtleriſchen
Sinn zu entdecken, der ſich in ſeiner Teppich⸗
kunſt, Schnitzereien oder Keramik, in beinahe
kultiſch wirkenden Tänzen und in den For⸗
men der Geſelligkeit ausdrückte. Solche An⸗
ſätze wurden nicht weiter entwickelt, weil
die Intelligenz krampfhaft verſuchte, alle
nicht weſtlich erſcheinenden Züge des pol⸗
niſchen Weſens niederzuhalten.
Wenn der deutſche Aufbau im Oſten be⸗
ginnt, ſo wird er dem Charakter Rechnung
tragen, der dem Lande eigen iſt. Es geht
uns nicht nur um die Beherrſchung eines
Raumes, ſondern auch um die Verwurzelung
in ihm, um ſeine Geſtaltung und Hebung
auf ein höheres Niveau. Verſailles hat ſich
als ein zerſtörendes Prinzip gerade im Oſten
erwieſen. Die Neuordnung im Oſtraum
durch Deutſchland und Rußland wird einen
poſitiv geſtaltenden Wert beſitzen. Das
Schwergewicht Europas verſchiebt ſich von
Weſt nach Oſt. Die Weſtmächte haben erneut
an europäiſcher Geltung eingebüßt, noch
bevor ſie den Krieg recht eigentlich haben.
Harald Laeuen.
Rumänien für Realpolitik
Bukareſt, Ende September.
Politiſchen Geſprächen mit rumäniſchen
Freunden gebe man dadurch eine Wendung,
daß man plötzlich ſage:
„Was wollt Ihr denn, Euch kann doch
nichts paſſieren, Rumänien hat ja Englands
Garantie in der Taſche.“
Der Erfolg iſt jedesmal verblüffend.
Unſer Geſprächspartner ſcheint Zahnſchmer⸗
zen zu haben. Eine ärgerliche Hand⸗
bewegung ſoll die Folgen dieſer unangeneh⸗
men Bemerkung verſcheuchen. Eine Antwort
freilich bleibt er ſchuldig. Was ſollte er auch
antworten? Seit an dem Fall Polen für
jeden denkenden Menſchen klar wird, was
eine engiiide Garantie wert ijt, feit die pols
niſche Uberhebung ihren gerechten Lohn
findet, ohne daß England auch nur einen
ginger krumm gemacht hätte, gibt es genug
Rumänen, bie ein gelinder Schauer bet bem
Gedanken an Chamberlains i bee bie
erklärung vom 13. April befällt: daß bie
britiſche ie der griechiſchen bzw.
rumäniſchen Regierung „alle in ihrer Macht
falle di. Unterſtützung“ zuteil werden laſſe,
alls diefe Regierungen es wünſchten.
Die intellektuelle Clique
Es hat in Rumänien niemals an Män⸗
nern gefehlt, die ein Umlernen und Um:
ſtellen der rumäniſchen Außenpolitik betrie⸗
ben haben. Hier ſeien nur Vaida⸗Voevod
und Georg Bratianu genannt. Immer aber
hat es eine Schicht gegeben, die teils aus
Herkommen, teils aus Sentimentalität,
teils aus ihrer geographiſchen Unkenntnis
und ihrer unpolitiſchen Haltung in Bukareſt
eine Stimmung ſchuf, die ein franzöſiſch⸗
britiſcher Cocktail war und den klaren Aus⸗
blick auf die rumäniſchen Realitäten ver⸗
nebelte. Dieſe Clique, die in Salons und
auf der Straße, in Redaktionen und Amts⸗
ſtuben ihr Unweſen treibt, die bereit iſt,
jeden Unſinn für bare Münze zu nehmen,
auf jedes Gerücht hereinzufallen und jedes
Geſchwätz weiterzugeben, trägt ihren red-
lichen Teil Schuld an der Unentſchloſſenheit
und Zweideutigkeit ber rumäniſchen Außen-
politik. Dieſe Clique war ſelbſtverſtändlich
bemüht, Einfluß auf die Krone zu nehmen
und den König durch ihr Intrigenſpiel
ſeiner Handlungsfreiheit zu berauben. Es
kann feſtgeſtellt werden, daß alle rumäni⸗
ſchen Entſcheidungen dieſes Jahres, die das
deutſch⸗rumäniſche Verhältnis beeinflußt
und zum Guten gewendet cher vom Konig
ausgegangen find, ber [jid den genannten
Einflüſſen entzogen und verſucht hat, Ru-
mänien einen 1 Weg zu führen.
Darüber hinaus zeigt die Tatſache, daß vier
der wichtigſten irtſchaftsjuden (Max
Auſchnitt, Oskar Kauffmann, ee Scha⸗
pira und Lazar Margulies) aus ihren Stel⸗
lungen, Schlüſſelſtellungen der rumäniſchen
Wirtſchaft, entfernt und kaltgeſtellt worden
ſind, einen neuen Weg in der rumäniſchen
20
Innenpolitik an, der ſelbſtverſtändlich von
Deutſchland bemerkt wurde und auf deſſen
Fortſetzung wir mit Spannung warten.
Die Bombe
Wir tun dieſer inneren Entwicklung kein
Unrecht, wenn wir Du bas qröbte Ereignis
ber rumäniſchen Politik den Moskauer Pakt
halten. Es war in den ce Pol vor dem
21. Auguſt in die rumäniſche Politik ſo viel
Zwielicht hineingekommen, daß deutſcher⸗
ſeits ernſte be ſic das d geäußert werden
mußten. Würde ſi
1916 wiederholen, mit demſelben Ausgang,
daz Rumänien ſeiner anfänglichen Neu⸗
tralität untreu und zu den Feindmächten
toßen würde? Mancherlei Anzeichen ließen
ie fieberhafte engliſche Tätigkeit erkennen
— und das rumäniſche Wohlwollen. In dieſe
goun unſauberen Verhältniſſe platzte
ie deutf ⸗ruſſiſche Bombe. Wie anderswo,
DE ete e auch hier eine reinigende
nung Unbeſchreiblich war der Ragen:
ege er rumäniſchen Einkreiſungs⸗
reunde. Die Neutralitätspolitik bekam
Oberwaſſer.
Der Schlußſtein wurde im Kronrat vom
6. September geſetzt: Rumänien erklärte ſich
neutral. Wenn wir über dieſe Sitzung recht
im Bilde i Jo Bat fid dort folgendes ab:
HAAS er kurz zuvor abgeſägte Pariſer
otſchafter Tatarescu und der alte Profeſſor
Jorga machten Stimmung für den Kriegs⸗
eintritt an der Seite Frankreichs und Eng⸗
lands; der erſte mit Erwägungen über die
Stärke der Weſtmächte, die ihren Sieg wahr⸗
ſcheinlich mache, der zweite mit ſentimen⸗
talen Sprüchen über Dankbarkeit für die
Schaffung Großrumäniens durch die Weſt⸗
mächte 1918/19. (Im allgemeinen pflegt d
ber Rumäne ſcharf dagegen zu wenden, ba
Großrumänien von Frankreichs und Eng⸗
lands Gnaden entitanden ſei; vgl. einen
Aufſatz Georg Bratianus im Aprilheft des
„Deutſchen Wollens“). Die andere Seite
am durch Argetoianu und Vaida⸗Voevod zu
Worte; der eine führte ins Feld, daß Ru⸗
mänien ewig auf Deutſchland angewieſen
ſei, daß das rumäniſche Volk blühe, wenn es
dem deutſchen Volk gut gehe, und umgekehrt;
der andere bezweifelte rundweg Tatarescus
Prognoſe über den Kriegsausgang. Den
aaa gab der König. Selbſtverſtändlich
erfolgte ber Neutralitätsbeſchluß mit Gin:
ſtimmigkeit. Was beweijt biejer Vorgang?
Glaube an die Weſtmächte geſchwunden
Daß in einem Lande wie Rumänien der
Glaube an den Sieg der Weſtmächte nur
das Spiel von 1914 bis
Außenpolitische Notizen
noch von Menſchen geteilt wird, mit Deren
Urteilsfähigkeit es nach allgemeiner Über⸗
Ka nicht ſonderlich weit her ijt. Iorga
elbſt hat über ſich unb feinen Vorſchlag ben
Stab gebrochen, als er in einem Vortrag
am 15. September von Becks Außenpolitik
ſagte, daß ſie Polen in die unangenehme
Lage geführt habe, am En de zwiſchen
allen Stühlen zu figen. Anſchei⸗
nend hat ein Mann vom Schlage Jorgas
denſelben Ehrgeiz für Rumänien. Jeder
Einſichtige weiß daß Rumänien feine Polis
tif gegen das Deutſche Reih führen kann.
Der polniſch⸗rumäniſche Beiſtands⸗ und
Militärpakt ift trotz des ruſſiſchen Cin-
marſches in Polen nicht in Kraft getreten.
Die auf der Flucht befindliche t Re⸗
gierung hat Rumänien gar nicht mehr in
ie Verlegenheit gebracht, die Hilfe ver⸗
weigern zu müſſen. Es wäre auch gleich⸗
bedeutend mit einem Selbſtmord geweſen.
So endete ein Bündnis
Wenden wir uns nunmehr den eigentlich
rumäniſchen Problemen zu: Der ermordete
Miniſterpräſident Calinescu war ein Ver⸗
fechter eines vernünftigen deutſch⸗ rumä⸗
niſchen Verhältniſſes. An ſeiner Beſeitigung
konnte nur England Intereſſe haben. Die
Gardiſten, die Calinescu aus dem Wege
räumten, haben in ſolcher Kriſenzeit ihrem
Lande einen ſchlechten Dienſt erwieſen! —
Was aber ijt die Argumentation ber rumä⸗
niſchen Politiker uns gegenüber:
Deutſchland betreibt gegenüber Rumänien
die Politik eines Erpreſſers, indem es ſich
zwei Staaten an der Kette hält (Ungarn
und Bulgarien), die nur auf den Wink
warten, um auf Rumänien losgelaſſen zu
werden. Das iſt an prea Rumänien
würde gern mit Deutſchland gehen, aber
wie kann es, wenn es unter dieſem furcht⸗
baren Drucke ſteht, zu dem jetzt noch die
Angſt um Beſſarabien A mn, und
nicht weiß, was es von Deutidlands Wb:
ſichten zu halten hat? Warum will Deutſch⸗
land mif Rumänien nicht ehrliche RE
ſchaft ſchließen, wozu freilich bie erte Bor:
ausſetzung wäre, daß Rumänien an he
feiner heutigen Grenzen eine beruhigende
Zuſicherung hätte?
Deutſche Antwort an Bukareſt
Wir wollen dem in gebotener Kürze
antworten:
1. Rumänien hatte ſeit dem Weltkrieg zwan⸗
zig Jahre Zeit, ſeine Beziehungen mit
Deutſchland ſo zu geſtalten, daß ſie für
beide Teile fruchtbar und nutzbringend
AuBenpolitische Notizen 21
wurden. Nachdem man zwanzig Jahre
verloren hat, verſucht man jetzt in einigen
chen und onaten das Verſäumte
nachzuholen. Das nationalſozialiſtiſche
Deutſchland hat Großrumänien auf ver⸗
ſchiedenen Wegen ſeine poſitive Einſtel⸗
lung zu erkennen gegeben, ohne daß dies
eine beſondere Wirkung ausgelöft hätte.
Außerungen des Führers ſind einfach in
den Wind geſchlagen worden. Man hätte
fon zur rechten Jeit damit beſchäftigen
ollen.
2. Trotzdem iſt viel iere worden durch
die königlichen Entſcheidungen bieles
Jahres, und wir wiſſen auch die rumä⸗
niſche Olpolitik richtig zu würdigen. Uns
en! nod) nichts verloren zu fein, wenn
umänien begreift, daß die Initiative
nicht bei uns, ſondern bei ihm zu liegen
got Das heißt: Man verkehrt Mae und
irfung, wenn man von Deutſchland eine
Einflußnahme auf andere Länder er:
wartet, ohne ſelbſt Vorleiſtungen anzu⸗
bieten. Es heißt auch, die Größenordnung
der Länder durcheinanderzuwerfen, wenn
Rumänien heute an Deutſchland Forde⸗
rungen ſtellt.
3. Der Führer hat wiederholt zu erkennen
gegeben, daß er an der Landkarte in Süd⸗
oſteuropa von ſich aus nicht zu rühren
wünſche. Die grundſätzliche Klarheit, daß
wir mit allen Ländern Südoſteuropas
te Beziehungen zu unterhalten wün⸗
ſchen, verpflichtet uns indeſſen nicht, die
Augen zu ſchließen und Gut und Böſe nicht
mehr zu unterſcheiden. Eine der vordring⸗
lichſten Fragen iſt und bleibt die der Be⸗
handlung unſeres Volkstumes durch die
Südoſtſtaaten.
4. Die Politik Rumäniens gegenüber der
deutſchen Volksgruppe iſt immer nur durch
die entſprechende Politik Ungarns in
gutem Lichte geſtanden. Das iſt eine rela⸗
tive Betrachtungsweiſe. Es iſt alſo auch
die Frage möglich, ob Rumänien in zwan⸗
zig Jahren das Seine getan hat, um
unſeren deutſchen Volksgenoſſen eine Hei⸗
mat zu ſein. Das betrifft beſonders die
unhaltbaren Sal im Banat und
in Beſſarabien. Soeben haben wir eine
Erklärung des Minifterpräfidenten ver:
nommen, daB es beffer werden folle. Das
ift bie ſoundſovielte Erklärung der ſich ab:
wechſelnden rumäniſchen egierungen,
auf die Taten niemals gefolgt ſind. Wir
ſehen nicht auf Erklärungen, wir ſehen
auf Handlungen. Es tut uns leid, feſt⸗
ſtellen zu miten, dak Rumänien in zwan:
zig Jahren der ungariſchen Reviſions⸗
propaganda nichts entgegengeſetzt hat,
was von Wirkung auf das Deutſchtum
geweſen wäre. Im Banat bilden Rumä⸗
nen und Deutſche die Mehrheit. Was
liegt näher, als daß das Rumänentum
alles getan hätte, um das Deutſchtum für
ro zu gewinnen? Nichts davon! So ſteht
as Banater Deutſchtum dem rumäniſchen
PE E nicht mit
gegenü
der Liebe
er, die allein den Zuſammenhalt
gemährleiltet, In anderen Landesteilen
tegen bie Dinge nicht jo trak, aber
ähnlich.
5. Die von uns oben geſchilderte Clique hält
durch ihre unheilvolle Tätigkeit unſer
Mißtrauen wach. Die „öffentliche Mei⸗
nung“ des Landes wird ſich umſtellen
müſſen, wenn es zu einer offenen und
ehrlichen deutſch⸗rumäniſchen Zuſammen⸗
arbeit . Dazu gehört das Ka⸗
pitel Preſſe. Was ſoll man dazu ſagen,
daß das „antiſemitiſche“ Blatt „Univer⸗
ſul“ den Juden Fermo als Außenpolitiker
Ger unb den Juden poliakofß (Augur) als
ondoner Korreſpondenten? Beide tun
alles, um die Haltung des Blattes deutſch⸗
feindlich zu machen. Oder daß „Timpul“,
deſſen Direktor der Außenminiſter Ga⸗
We war, der heute nod „mein Blatt“
agt, nach Beſitz und Verwaltung rein
jüdiſch (Verwaltungsdirektor und Ver⸗
trauensmann der Aktionäre Jean Hurtig),
in der Schriftleitung zu drei Vierteln
id iit? Wenn bie Regierung bie Ab⸗
icht hätte, zu Deutſchland in ein Ber:
trauensverhältnis zu kommen, ſo würde
dieſe Abſicht von der verjudeten und
widerſtrebenden Preſſe ſabotiert werden.
6. Die ſchlimmſten Auswüchſe der Preſſe
werden ſeit etwa dem 5. September von
der Militärzenſur verhindert. Vorher ſah
es wild aus, und die polniſchen Hetzlügen
ſchlugen Purzelbäume. Polniſchen Greuel—
meldungen gab man Raum, die deutſchen
Schilderungen der polniſchen Greueltaten
ließ man eine Woche ſpäter nicht erſchei—
nen. Den deutſch⸗rumäniſchen Beziehungen
nutzt keine „Objektivität“ der von uns
beobachteten Art. Es geht nicht an, daß
Aufſätze, die verſuchen, Deutſchland ge—
recht zu werden, rückſichtslos der Zenſur
um Opfer fallen. Wenn von engliſch⸗
franzöſiſcher Seite ein unzuläſſiger Druck
ausgeübt wird (auch, und gerade in wirt⸗
ſchaftlicher Beziehung), ſo möge ſich Ru⸗
mänien wehren, aber es möge nicht auf
die deutſche Gutmütigkeit rechnen.
I
22 AuBenpolitisehe Notizen
Immer hat diefe Zeitſchrift den Gedanken
der deutſch⸗rumäniſchen Zuſammenarbeit
hochgehalten und ger t. Immer hat fie
ein Großrumänien be at Gie tut es aud
in dieſen Tagen, ba Entſcheidungen von
Ates e Bedeutung ſich vollziehen.
Aber — wir ſagen es mit der an uns ge⸗
wohnten Ehrlichkeit — nicht an uns liegt
es, es liegt an Rumänien!
England und die Mohammedaner
(Von unſerem Mitarbeiter im Orient)
In der letzten Zeit konnten die Eng⸗
länder ſich nicht genug damit tun, der er⸗
ſtaunten Welt geenüber von ber alls
gemeinen und eiſterten Unterſtützung
des Friedens durch die mohammedaniſche
Welt zu ſprechen. Was es damit für ein
Bewenden hat, zeigt die große Rundfunk⸗
anſprache des Londoner Senders der letzten
age, die als Muſter einer proengliſchen
Haltung auf die paläſtinenſiſche Zeitung
„Falaſtin“ hinwies und zum Beweis deſſen
einen englandfreundlichen Artikel dieſes
Blattes wörtlich zitierte. Dieſes que!
ſprach allerdings mehr gegen als fiir Eng⸗
land, denn es hieß darin: „Der Krieg hat
alle Beziehungen zu Großbritannien auf
eine völlig neue Grundlage geſtellt. Es geh
um ein Problem, das größer iſt als unſer
eigenes Problem. Mit dieſer Feſtſtellung
wollen wir nicht etwa einer Vernach⸗
läſſigung unſerer eigenen Sache das Wort
reden, ſondern wir wollen lediglich zum
Ausdruck bringen, daß uns bei dem jetzigen
Konflikt keine andere Wahl bleibt, als die
Partei der einen oder der anderen zu er⸗
greifen.“
Die Worte „uns bleibt keine Wahl“
jeigen klar und deutlich, in welche Gis
uation die arabiſchen Zeitungen von Eng⸗
land gebracht worden ſind. Die engliſchen
Truppen ſtehen in Agypten, in Paläſtina
und im Irak, und dieſer äußere Umſtand
läßt faſt keine Wahl, als ſich vorläufig dem
Zwang der i Gewaltpolitik zu
fügen. Welchen Wert überdies der Artikel
der Zeitung „Falaſtin“ hat, zeigte ſich ein
paar Tage ſpäter durch eine Veröffent-
lichung von arabiſcher Seite aus Kairo.
Dieſe Veröffentlichung lautet wie folgt:
„In Paläſtina hat die britiſche Man⸗
dats regierung den arabiſchen Zeitungen die
ultimative Forderung geſtellt,
offen für England einzutreten, widrigen⸗
falls Verbot der Zeitungen und unter
Umftänden Verhaftung der Heraus
eber und Chefredakteure angeordnet iſt.
Is einzige Zeitung hat das in Jaffa er»
ſcheinende Blatt „Falaſtin“ dieſem Ultima⸗
tum Folge geleiſtet und trägt in Artikeln
und Meldungen neuerdings eine probritiſche
Haltung zur Schau. Der Gegenſatz dieſer
plötzlichen Neueinſtellung zur geſamten
arabiſchen Haltung in Paläſtina gegenüber
der engliſchen Blutherrſchaft hat jeden
Araber in Paläſtina fühlen laſſen, daß der
Umfall der Zeitung Falaſtin“ nicht frei:
willig oder aus Überzeugung, ſondern auf
Befehl erfolgte.“
Die beiden großen arabiſchen Länder
Agypten und der Irak haben letzthin auf
Grund ihrer Allianzverträge mit England
automatiſch ſich als im Kriegszuſtand mit
Deutſchland befindlich erklären müſſen.
Allianzverträge werden gewöhnlich nur
zwiſchen freien Staaten . ite aber
“gopten und der Sraf haben jeinerzeit
„Verträge“ mit bem fie unterjocht Halten:
den England nur dadurch erreichen
können, daß [te [fid bereit:
erklärten, im Kriegsfall Hilfs⸗
ſtellung für England einzu⸗
nehmen.
Im Schlepptau des Foreign Office
1 hat allerdings, als es am 22. De⸗
ember 1936 den Vertrag ratifizierte, nicht
aran gedacht, daß der Artikel 7 ſo bald
in Kraft treten würde. Abſatz 1 lautet
nämlich:
„Sollte ungeachtet der Beſtimmungen des
Art. 6 eine der Hohen Vertragſchließenden
Parteien in einen Krieg verwickelt werden,
ſo wird die andere Hohe Vertragſchließende
Partei, immer in Übereinſtimmung mit den
Beſtimmungen des Art. 10 unten, ſogleich
der Hohen Vertragſchließhenden Partei zu
Hilfe kommen als Verbündeter.“
Nebenbei war der ägyptiſchen d dde
bie Annahme bes Art. 7 Abſ. 1 nur ur
ſchmackhaft gemacht worden, daß Abſ. 2 bes
Art. 7 die Hilfe Agyptens für England aus⸗
drücklich beſchränkte und nach den münd⸗
lichen Zuſagen eine militäriſche aktive
Hilfe überhaupt nicht vorſah. Abſ. 2 lautet:
„Die Hilfe Sr. M. des Königs von
Agypten im Falle eines Krieges, einer
drohenden Kriegsgefahr oder einer inter⸗
nationalen Verwicklung wird darin be⸗
ſtehen, daß es Sr. M. dem König und
Kaifer auf ägyptiſchem Territorium in
Übereinſtimmung mit dem ägypt. Verwal»
Außenpolitische Notizen 23
tungs⸗ und Geſetzgebungsſyſtem alle in
ſeiner Macht liegenden Erleichterungen und
Hilfe zuteil werden läßt, einſchließlich des
Gebrauchs der Flughäfen und der Verkehrs⸗
mittel. Die ägyptiſche Regierung wird alle
adminiſtrativen und geſetzlichen Maßnah⸗
men treffen — einſchließlich der Ausrufung
des Standrechtes und einer ſtrengen Zenſur
— um dieſe Erleichterungen und die Hilfe
wirkſam zu machen.“
Agypten hat die Tatſache, daß es in dem
Vertrag als „ſouveräner und unabhängi⸗
ger Staat“ bezeichnet wurde, teuer bezahlen
müſſen. Geradezu lächerlich, wenn nicht je⸗
doch beſſer gelagt teufliſch, mutet Art. 1 bes
Vertrages an, der mit großen Worten ver⸗
kündet: „Die militärische Belebung Hann
tens durch die Streitkräfte Seiner jeſtät
des Königs und Kaiſers iſt beendigt.“
Dieſes „laiſerlich⸗königliche“ Wort war
ein reiner Betrug, denn ſofort nach der
Katifizierung des Vertrages durch beſtochene
ägyptiſche Politiker wurde die Beſatzung
verfünffacht.
Ebenſo wie Agypten hat auch der I taf
zunächſt verſucht, aus dem it aa Krieg
mit Deutſchland herauszubleiben und ſeine
„Hilfe“ für England „vertragsgemäß“ auf
die Surperfügungitellung von Flughäfen
und Verkehrsmitteln zu beſchränken, bis er
von ſeinem Herrn und Meiſter eines an⸗
deren belehrt und darauf hingewieſen
wurde, daß er Alliierter mit allen Rechten
und Pflichten ſei.
Beziehungen im Herzen der Völker nicht
abgebrochen
Wir wiſſen genau, was das ägyptiſche und
das irakiſche Volk von uns hält, und wir
SCH gerade in der Zeit vor Abbruch der
eziehungen ae Stimmen der Sym⸗
pathie für Deutſchland ſowohl in der ägyp⸗
liſchen wie auch in der irakiſchen Preſſe
leſen können. Deutſchland bedauert es lee
daß feine Beziehungen zu dieſen arabiſchen
Völkern abgebrochen Ind aber es weiß, daß
es im Herzen dieſer ölker zurückgeblieben
iſt und daß der Tag kommen wird, wo ſich
dieſe Völker p für ihre wahren Freunde
entiheiden können und die feilen Kon⸗
junfturpolitifer aus ihrer e die
gegen eld das Blut ihres Volkes an Eng:
and verſchachert haben, davonjagen.
England will Ibn Sand in Schach halten
Bei Betrachtung der arabiſchen Welt
freut es uns, daß immer noch eine große
arabiſche Nation frei von England auf
Erden lebt, und zwar das Volk Ibn
Sauds, zuſammen mit dem Volk des
Yemen unter dem Ismam Pahia. Leider iſt
dem Reich Ibn Sauds in den letzten Jahren
faft die Hälfte des benutzbaren Bodens von
England geraubt worden, ohne daß man
in der Welt davon größere Notiz genommen
ätte. England hatte es bereits früher ver⸗
tanden, die zum nationalen Lebensraum
des ſaudiſchen Reiches gehörigen arabiſchen
Einzelſtaaten am enen Golf langſam
aber ſicher unter ſeine Aufſicht zu bringen.
Die wichtigſten dieſer arabiſchen Fürſten⸗
tümer am Arabiſchen Golf waren
pm Kuweit und bas Fürſtentum
ahrein. Dann war England weiter
nach dem Süden vorgerückt und hatte das
Sultanat von Oman unter ſeine „Kon⸗
trolle“ gebracht. Es folgte ſodann das große
Sultanat von Hadramaut. Wenn man
ſich fragt, weshalb die Engländer die ſüd⸗
lichen Fürſtentümer, die ſie bis zum Jahre
1937 durch "ete beaufſichtigten, 1937
unter ihre effektive Herrſchaft gebracht
haben, ſo iſt darauf zu antworten, daß es
zunächſt deshalb Ge ah, weil fie Stig:
punkte für ihren Weg nach Indien und Oſt⸗
aſien brauchten, dann aber auch, weil Eng⸗
land mit en in den Hinterländern Erdol
vermutete. Gleichzeitig wollte England
durch die Inbeſitznahme dieſer arabiſchen
Fürſtentümer eine E Sbn Sauds
nad Süden verhindern und KE Die
Möglichkeit haben, gegebenenfalls Ibn aud
von Süden her angreifen qu können. Im
Srünlaht 1937, zu einer Zeit, als Ibn Gaud
eſchäftigt war, geſchah der große Coup, daß
England auf einmal das geſamte Hinter⸗
land dieſer arabiſchen Staaten einſchließ⸗
lich des arabiſchen Hinterlandes von Aden
blitzſchnellmit Bombengeſchwa⸗
dern angriff und beſetzte. Engliſche
Zeitungen vom Frühjahr 1938 brüſteten ſich
damit, agen land ohne viel Blutvergießen,
lediglich durch Bombenangriffe, im letzten
Jahr Hundertauſende von Quadratkilo⸗
metern unter Englands Herrſchaft gebracht
hätte. Es iſt empörend zu leſen wie die
engliſchen Zeitungen dieſen Raub verherr⸗
lichten und als eine Selbſtver tändlichkeit
hinſtellten, in einer Zeit, wo ſie ſich nicht
genug tun konnten, bie Lebensrechte Deutſch⸗
ands auf deutſches Land zu beſtreiten und
mit den brutalſten Mitteln zu bekämpfen.
England war eben in der Anwendung ſeiner
Mittel niemals wähleriſch, wenn es ſich
darum handelte, die engliſche Staatskaſſe
zu füllen.
24
Indiens Jugend auf Englands Schlacht⸗
feldern?
Auch die 80 bis 90 Millionen Mohamme⸗
daner in Indien haben in den letzten
Wochen offen zum Ausdruck gebracht, daß
ſie mit der engliſchen Einkreiſungspolitik
gegen Deutſchland nichts zu tun eech
wollen. Ein großes Blatt Nordindiens fragte
bereits vor einiger Zeit, weshalb Indien
feine Jugend nach Europa ſchicken folle, um
die Schlachten Englands zu führen und die
Gegner Englands zu ſchwächen. Die Folge
würde doch nur fti. daß nachher das
indiſche Volk weiterhin auf Jahrzehnte von
England unterjocht und ausgebeutet würde.
Ein anderes großes nordindiſches Blatt, der
„Zamindar“ aus Lahore, ſchrieb vor kurzem,
„daß Englands Politik immer dahin gehe,
die Nationen ſchwach zu halten und ſie
als ſchwache Staaten unter ſeiner Gewalt
feſtzuhalten. Es würde dies aber doch nichts
daran ändern, daß der deutſche Adler ſich
ſehr ſchnell der Stadt Danzig nähern werde
und Hunderttauſende von bewaffneten
deutſchen Soldaten an den Grenzen Polens
ſtehen würden. En land werde eines Tages
in ſeinem eigenen heißen Blute verbrennen.
Es iſt leider ſo, daß England in den
letzten Monaten alles getan hat, um jede
freie Meinung in den mohammedaniſchen
Ländern zu unterdrücken. In den mohamme⸗
daniſchen Ländern gehört ja auch nicht viel
dazu, ſondern man braucht angeſichts der
ſozialen Struktur dieſer Länder immer nur
ein paar feile Subjekte zu erkaufen, um
mit ihrer Hilfe einen Druck auf die große
Bevölkerung, die nichts, aber auch gar nichts
von England wiſſen will, auszuüben. Dank
der engliſchen Luftwaffe und den engliſchen
Maſchinengewehren iſt es dem Inder, der
keine eigene Armee aufſtellen kann und
darf, auch ſchwer möglich, ſich gegen das
engliſche Regime zu erheben, wie er das
gern möchte. Dort aber, wo auch die eng⸗
liſchen Flugzeuge und Maſchinengewehre
nicht viel ausrichten können, flackert der
Widerſtandsgeiſt des indiſchen Volkes
immer wieder auf, und dort oben in den
Bergen Nordweſtindiens ſind heute noch
Außenpolitische Notizen
die großen Stämme in einem
ewigen Krieg mit England. Eng⸗
land hat es nicht fertiggebracht, dieſe
Stämme zu unterdrücken, und der Fakir von
Ipi darf dieſes Jahr auf einen ſechsjährigen
Kampf gegen England hinweiſen. Daß der
altersſchwache Ghandi ein Kompromiß mit
England abgeſch gll hat unb fid augen:
blicklich der Gunſt bes engliſchen Vizekönigs
bi nicht viel beſagen. Die jüngeren
indiſchen Nationaliſten und ihr Führer
Pandit Javaharlal Nehru haben alles getan,
um Ghandi von ſeinen anglophilen Ideen
abzubringen, weil fie mit Recht fürchten,
daß Ghandi in ſeiner Gefühlsſchwäche ſein
Land an England verraten könnte.
Alexander M. Randa: „Europa eroica"
. Europa). Univerſul⸗Verlag
ukareſt.
Ein mutiges Buch in rumäniſcher Sprache,
das verdient, hier angezeigt zu werden,
weil es durch feinen Gedankenteichtum und
die Tiefe ſeiner Planung auffällt. Die ſtaat⸗
liche Erneuerung Rumäniens, die im
ebruar 1938 einſetzte, hat im geiſtigen
eben kein Gegenſtück gefunden. Im Gegen⸗
teil, der rumäniſche Nationalismus, der
eine reiche Geſchichte hinter ſich hat, iſt ſeit
dieſem Zeitpunkt arm an Literatur. Er hat
dem neuen Staatsgedanken keinen geiſtigen
Inhalt gegeben. Die „rumäniſche Idee“ der
Gegenwart muß Buch beſchrieben werden.
Da kommt dieſes Buch, deſſen Grundgedanke
iſt: daß Rumänien zwiſchen Oſt un Weſt
eine eigenſtändige Aufgabe hat. Der Ver⸗
faſſer ſucht an Hand einer Unterſuchung
über Faſchismus, Nationalſozialismus, De⸗
mokratie, Judentum und andere brennende
Gegenwartsfragen Rumäniens Platz aus⸗
indig zu maden, und findet ihn neben
en heroiſchen Mächten unferer Zeit — ba:
mit es in eine weitere Zukunft hinein:
reiche. Leider hat offenbar der Stift der
SEU in reichlichem und überflüſſigem
aße in dem Manuſkript gewütet. Es mate
ſonſt farbiger und kräftiger geworden. Auch
das ein Beiſpiel für die Kurzſichtigkeit, die
heute noch in Rumänien gang und gäbe iſt.
geg
Hauptschriftleiter: Günter Kaufmann.
Anſchrift der Schriftleitung: Reichsjugendführung, Berlin W 35,
Verlag: Franz Eher Nachf. G. m. b. H., Zentralverlag der NSDAP., Berlin SW 68,
für den Anzeigenteil:
hedtonto: Berlin 4454. Verantwortli
rud: M. Müller & Sohn KG., Münden,
und Macht“ erſcheint am 1. und 15. jedes
und alle Buchhandlungen. Bezugspreis vierteljährli
3 einzelnen Nummern bitte den Betrag in Briefmarken beizulegen, da
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jille
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hrerorgan der nationallozialiſtiſchen Jugend
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HERAUSGEBER: BALDUR VON SCHIRACH
dem Inhalt:
ffai | Einheit der faschistischen Erziehu
Ludendorfs Ratschläge an Wilhelms Kabineff
Chamberlain / Englands Politik
d Wolfgang Möller: Grundsätze im Kriege / Wolfgang Kohte: Deutsch-polir-
al an der Weichsel / Friedrich Lange: Die neue Lage der Reichshaupe:
Prof. Olaf Gulbransson: Ein Beistandspakt macht sich bezahlt / Neue Büche
is Heft 20 Berlin, 15. Oktober 1939 Preis 30 Pf.
INHALT
Giuseppe Bottai, ital. Erziehungsminister, Rom: Die Einheit der
italienischen Erziehung
Eberhard Wolfgang Möller: Grundsätze im Kriege
Houston Stewart Chamberlain: England
. Prof. Olaf Gulbransson: Ein Beistandspakt macht sich bezahlt (Zeichnung)
Wolfgang Kohte: Deutsch-polnisches Schicksal an der Weichsel
KLEINE BEITRÄGE
Ld
Wilhelm Jung: Ludendorffs Ratschläge an Wilhelms Kabinett
Friedrich Lange: Die neue Lage der Reichshauptstadt
NEUE BÜCHER
KUNSTDRUCKBEILAGE
9
Ragimund Reimesch: Mewe an der Weichsel. Marktplatz in Lissa
Hansvon Kulmbach: Anbetung der Könige, Krakau (Foto: G. Schwarz)
Hans Dürer: Apostelkopf, Czerwinsk (Foto: Sappok)
e
Pille acht
in der nationallozialiſtiſchen Jugend
HERAUSGEBER: BALDUR VON SCHIRACH
Jahrgang 7 Berlin, 15. Oktober 1939 Heft 20
S. E. Giuseppe Bottai, italienischer Erziehungsminister, Rom:
Die Einheit der italienischen Erziehung
Bewußt [telle ich hier die drei erzieheriſchen Einrichtungen: Staat, Partei und
Schule, nebeneinander, nicht, weil ſie einen Gegenſatz darſtellen, ſondern weil ſie
von mir und allen italieniſchen Erziehern als eine Einheit empfunden werden.
Dieſes gemeinſame Empfinden ijt nicht zufällig, ſondern drückt die tiefe ilber-
zeugung der italieniſchen Erzieher aus, die von dem hohen erzieheriſchen Wert
dieſer Einheit überzeugt ſind. Sie iſt aber auch gleichzeitig der Ausdruck dafür, daß
das italieniſche Volk ſeine Art und Weiſe zu denken und zu leben gründlich ge⸗
ändert hat.
Im faſchiſtiſchen Staat hat ſich bereits auf vielen Gebieten des nationalen Lebens
die entſcheidende Überwindung liberaliſtiſcher Vorſtellungen und Lebensgrundſätze
vollzogen. So haben wir zum Beiſpiel auf wirtſchaftlichem Gebiet durch die Ein⸗
tichtung von Korporationen eine Erziehung zum volkswirtſchaftlichen Denken
vollbracht. Der volle Erfolg im Erziehungsweſen, wie wir ihn in der Herſtellung
einer vollftändigen Einheit von Staat, Partei und Schule erblicken, ijt, rein äußer⸗
lich betrachtet, ſehr verſpätet eingetreten. Aber wenn dieſer Sieg hier auch weniger
hervortritt, ſo iſt er doch um ſo gewichtiger und bedeutungsvoller. Er ſtellt den
poſitiven und glücklichen Abſchluß einer geiſtigen Kriſe und die glückliche Beendi⸗
gung eines langen Irrweges dar. Für die Intellektuellen und vor allem für die
vom Zuſammenbruch ihrer alten Welt überraſchten Lehrer war die Umſtellung von
heute auf morgen und die innere Bereitſchaft, der neuen geiſtigen Auffaſſung zu
dienen, natürlich ſchwieriger als für die jungen, im Sturm der Revolution ſelbſt
geborenen Erzieher. Dieſe Löſung darf aber auch als ein Zeichen für den tief⸗
geiſtigen Reifeprozeß ber faſchiſtiſchen Gedankenwelt verſtanden werden. Vor allem
wäre es tatſächlich nicht möglich geweſen, vom grundſätzlichen Standpunkt aus ge⸗
ſehen, ſowohl pädagogiſch wie politiſch die Schul ige insgeſamt zu löſen, da für ſie
eine neue innere Haltung der Lehrer und Erzieher Vorausſetzung iſt, die ſich der
Miffion und Aufgabe, die ihnen der faſchiſtiſche Staat geſtellt hat, jederzeit bewußt
ſind. Will man den zurückgelegten Weg und das Ausmaß der inneren Eroberung
auf dieſem Gebiet wirklich richtig beurteilen, iſt es erforderlich, ſofern man in der
2 Bottai / Die Einheit der italienischen Erziehung
früheren Zeit gelebt unb die völlige Zerſplitterung aller ſtaatlichen Einrichtungen
mitangeſehen hat, ſich der italieniſchen Schule von einſt zu erinnern. Sie wurde
als eine vom Leben und vor allen Dingen vom Leben der Nation völlig ab⸗
geſchloſſene Einrichtung betrachtet. Sie war eine Anſtalt zur Auf⸗
füllung abſtrakten Wiſſens, und nicht etwa zur Vermitt⸗
lung wirklicher Kulturgüter, in der allein wir menſchliche Erziehung
erblicken. Wir ſehen in ihr nur eine literatenhafte Oaſe, von der ſich
jeder junge Menſch voll ſchmerzlicher Enttäuſchung losriß, um ſich nach ſolch bitterer
Erfahrung den Kämpfen des Lebens zuzuwenden, auf die man ihn nicht vor⸗
bereitet hatte; endlich war ſie eine Schmiede für Zeugniſſe und für Karrieren,
die die Menſchen entweder aus Laune oder aus Geldgründen wählten, ohne daß
man ſie ihren wirklichen eigenen Anlagen gemäß ausbildete, wie es im Hinblick
auf das allgemeine Wohl erforderlich wäre. Die Schule der Vorkriegszeit war rein
bürgerlich.
Als der Faſchismus an die Macht gelangte, erkannte ſeine Führung ſofort, welche
Bedeutung der Schule für die Heranbildung der jungen Generation im faſchiſtiſchen
Staat zukommen mußte. So leitete er ſchon 1923 eine umfaſſende Neugeſtaltung
ein, die jedoch angeſichts der politiſchen Unzulänglichkeit der Lehrer und der
Kompromißloſigkeit der faſchiſtiſchen Lehre und ihrer inneren
Geſetze ſich darauf beſchränken mußte, eher eine Verordnung und ein Fach der
bürgerlichen Schule zu ſein als die angeſtrebte wahre Überwindung dieſer Schul⸗
einrichtung ſelbſt. Muſſolini ſagte 1925 in einer Lehrerverſammlung entſcheidende
Worte, durch die er den Erziehern die idealiſtiſche Grundhaltung ihres Berufs⸗
ſtandes deutlich machte: „Die Regierung fordert, daß die Schule ſich für den
faſchiſtiſchen Gedanken begeiſtert, und ſie verlangt ferner, daß dieſe Schule
nicht feindlich, nicht einmal ablehnend oder neutral der faſchiſtiſchen Ideenwelt
gegenüberſteht, ſondern die Regierung beſteht darauf, daß die geſamte Schul⸗
einrichtung in allen ihren Klaſſen und Unterrichtsformen die italieniſche Jugend
dahin erzieht, daß ſie die faſchiſtiſche Lehre begreift und bereit iſt, ſich nach ihren
Geſetzen ihr Leben einzurichten und in dem von der faſchiſtiſchen Revolution ge⸗
ſchaffenen Klima ihre Aufgabe zu erfüllen.“
In jenem Jahr handelte es ſich noch darum, mit einer von der Schulbehörde
getroffenen Anordnung ſich auseinanderzuſetzen, die in der Schule die Politik nur
als Unterrichtsgegenſtand anſehen wollte. Eindeutig erklärte aber im September
1929 der Duce: „Der Staat hat nicht nur das Recht, ſondern die Pflicht, das Volk zu
erziehen, und es nicht allein nur zu unterrichten.“ Hier hat er ſichtbar das Problem,
um das es ging, zu einer Frage der Erziehung des Volkes hervorgehoben. Damit
ordnet ſich die Schule völlig dem Aufgabenbereich des Staates unter.
Wenn man überhaupt eine ſolche Tatſache nach Vorteilen und Werten berechnen
will, ſo möchte ich ſagen, daß von beiden, nämlich Schule und Staat, die Schule es
geweſen iſt, die den größten Nutzen aus dieſer Einigung zog. Die Schule ſoll auf
das Leben vorbereiten. Aber auf welches Leben kann ſie anders vorbereiten,
als auf jenes Leben, bas der junge Menſch eines Tages in feinem Staat führen
muß? Die Schule nimmt alſo eine lebenswichtige unmittelbare Aufgabe
bei der Heranbildung des Staatsbürgers ein, der junge Menſch fühlt ſich ſchon
frühzeitig als ein Glied des Ganzen, ja, er betrachtet den Raum ſeiner Erziehung
und die Einrichtung der Schule als ſeinen kleinen eigenen Staat, aus dem er ſchon
morgen als Arbeiter und Bauer, in einem freien Beruf oder als Künſtler hervor⸗
treten kann, um in dem größeren Staat der Gemeinſchaft der geſamten Nation
Bottai / Die Einheit der Italienischen Erziehung 3
mitzuarbeiten. Und deshalb iit heute der Schüler allgemein nicht nur ein Schüler,
ſondern ein Balilla, ein Avangardiſt, ein Kleinitaliener, eine Jungitalienerin
oder ein Jungfaſchiſt. Die Schulorganiſation arbeitet in Verbindung mit den
übrigen faſchiſtiſchen Organiſationen und erfährt durch ſie eine Bereicherung ihres
Erziehungsauftrages. So haben die Grundſchulen (scuole elementari) engſte Ver⸗
bindung mit den Jugendorganiſationen, die Mittel⸗ und Berufsſchule (avviamento
al lavoro) mit den Syndikaten und Korporationen zu halten. Auf jeden Fall
handelt es ſich um Verbindungen, die in das Lehren und Lernen Wirklichkeitsnähe
bringen. So verliert die Schulerziehung ihre dem Leben abgewandte trockene Art
und wird das, was ſie ſein muß: Trägerin der ſtaatstragenden Ideen, aus denen
die Unternehmungen und die Eroberungen des Staates geboren werden. Staat und
Schule ſtimmen alſo völlig überein, und um das auszudrücken, gibt es keine beſſere
als die von Muſſolini 1929 abgegebene Erklärung: „Der Staat erzieht ſeine
Bürger zur ſtaatsbürgerlichen Tugend, er läßt ſie ihrer Aufgabe bewußt werden,
er ruft ſie zur Einigung auf und bewegt ſie, ihre perſönlichen Intereſſen mit den
allgemeinen Intereſſen in Übereinſtimmung zu halten, überträgt die Errungen⸗
ſchaften menſchlicher Erfindungsgabe auf die Lehre, auf die Kunſt, auf das Recht,
in das menſchliche Verantwortungsbewußtſein und bringt bie Menſchen vom
primitiven Leben einzelner Stämme zu der höchſten menſchlichen Machtentfaltung,
die das Imperium bedeutet.“
Die Übereinſtimmung von Staat und Schule bedeutet auch gleichzeitig Überein⸗
ſtimmung von Schule und Partei. Obſchon Staat und Partei organiſatoriſch geſehen
verſchiedenartige Funktionen ausüben, ſind ſie doch geiſtig nicht zu trennen oder gar
gegenüberzuſtellen. Ehe man eine Einordnung der Schule vornahm, war es eben
notwendig, Dinge und Menſchen heranreifen zu laſſen. Da die Haltung der Lehrer
durch den Zuſammenbruch ihrer alten geiſtigen Welt reſerviert war und, ich möchte
nicht ſagen die Zuſtimmung, aber doch ihre entſchiedene und begeiſterte Mitarbeit
fehlte, konnte durch irgendeine Schulreform ein zufriedenſtellendes Ergebnis nicht
erhofft werden. Während ſich im Leben der Nation große Ereigniſſe vollzogen und
überſtürzten, wie etwa die Schaffung des Korporationsſyſtems, die Bildung der
Opera Nazionale Balilla und [pater der italieniſchen Liktorenjugend und ferner
die Eroberung des Imperiums, war es hier notwendig, die Unvollkommenheit der
alten Erziehungseinrichtungen von ſelbſt offenbar werden zu laſſen und erſt auf
Grund von Erfahrungen den Weg zu den erforderlichen Verbeſſerungen einzu—
ſchlagen. So erreichten wir die gründliche und ſaubere Vorbereitung einer voll⸗
ſtändigen Revolutionierung, durch die ein möglicher Gegenſatz zwiſchen der neuen
Ideenwelt und ihren neuen jungen Menſchen zu den überwundenen Einrichtungen
und Gedanken vermieden werden konnte. Und um nun eine Einrichtung weſentlich
individuellen Charakters durch eine völlig politiſche zu erſetzen, ſchufen wir die
„Carta della Scuola“. Sie legte zum erſtenmal Aufgaben, Ziele und Unterrichts⸗
weiſe der faſchiſtiſchen Schule feſt: „In der ſittlichen, politiſchen und wirtſchaftlichen
Einheit der italieniſchen Nation, die im faſchiſtiſchen Staatsweſen verkörpert iſt,
bildet die Schule die erſte Stufe der Gemeinſchaft aller ſozialen Kräfte, von der
Familie angefangen bis zur Korporation und bis zur Partei. Sie erweckt in einer
neuen Generation das faſchiſtiſche politiſche Gewiſſen. Die Schule ſoll, indem ſie
die jungen Menſchen in ihrer Einrichtung zur Reife gelangen läßt, die ewigen
Werte der italieniſchen Raſſe und ihrer Kultur der jungen Nation bewußt werden
laſſen. Sie ſoll die Zukunft Italiens durch ihre Erziehung auf die beruflichen Auf⸗
gaben dieſer Zukunft, auf das Handwerk, auf die freien Künſte, auf die Wiſſenſchaften
4 Möller / Grundsätze im Kriege
und auf den ſoldatiſchen Beruf vorbereiten. Die Grundlagen der faſchiſtiſchen
Schulerziehung finden, rechtlich geſehen, ihre Beſtätigung in einer dem bürgerlichen
Schulideal völlig entgegengeſetzten Auffaſſung: der Beſuch der Schule (servizio
scolastico), der bisher wenigſtens formell freiwillig war und durch alte Schul⸗
verfaſſungen ſogar als ein Privileg beſtimmter ſozialer Schichten aufgefaßt wurde,
wird ein Dienſt, eine zwiſchen der eigentlichen Schule und den Jugendorganiſationen
geteilte Miliz, die alle Kräfte und die Einſatzfreudigkeit der jungen Generation
für Staat und Nation mobil macht.
In der faſchiſtiſchen Verfaſſung, ſo beſtätigt die zweite Erklärung der Carta,
fallen das politiſche und das ſchulmäßige Alter zuſammen. Schule, GIL und GUF
bilden gemeinſam ein einheitliches Mittel faſchiſtiſcher Erziehung. Die Verpflich⸗
tung, ſie zu beſuchen, ſetzt der Schuldienſt feſt, der die Jugend bis zum 21. Lebens⸗
jahr bindet. Dieſer Dienſt beſteht im Beſuch der Schule und der GIL vom 4. bis
14. Lebensjahr und wird in der GIL bis zum 21. Lebensjahr für alle jene, die nicht
ſtudieren, fortgeführt. Die Studenten müſſen der GUF angehören. Ein Perſonal⸗
ausweis beſtätigt den vollendeten Schuldienſt. Hieraus geht klar hervor, daß man
im faſchiſtiſchen Staat zwiſchen Schule und Partei keinen wirklichen weſensmäßigen
Unterſchied machen kann.
Ein Unterſchied zwiſchen den Funktionen der Partei und der Schule iſt nur formell
und organiſatoriſch zu erkennen, und in einem ſolchen Fall ſpricht man mit Recht
von verſchiedenen Pflichten, Amtern und Kompetenzen in der Erziehung und
Schulung der Jugend und daher auch von lebendiger und eifriger Mitwirkung.
Wenn man aber das geiſtige Fundament unſerer Erziehung und die Werte, von
denen ſie ausgeht, überblickt, ſo iſt es nicht mehr erforderlich, eine Beeinträchtigung
von Kompetenzen in der Zuſammenarbeit zu ſehen, wohl aber von einer grund⸗
legenden Einigung oder beſſer geſagt von einer unlösbaren Einheit unſeres Er⸗
ziehungsweſens zu ſprechen.
Eberhard Wolfgang Möller:
Grundsätze im Kriege
Alle Kriege werden gegen den Feind in uns gewonnen, Feigheit, Kleinmut.
Bequemlichkeit und Leichtsinn. Es liegt immer an der eigenen Schuld, wenn ein
Volk besiegt wird.
Nicht nur am Angriff erkennt man die tapfere Gesinnung; was ein Mann ist,
zeigt sich in der Verteidigung.
Nicht der Väter, der Kinder soll man sich würdig zeigen.
Es gibt wohl Völker, die sich rühmen, nie die letzte Schlacht zu verlieren.
Aber doch nur so lange, wie es die anderen nicht verstehen, die erste Schlacht
zu gewinnen.
Die Kinder sind die ersten, denen man klarmachen soll, warum gekämpft und
gestorben sein muß; denn um sie werden alle Kriege geführt.
Wenn die Frauen vor Tränen, die Kinder vor Hunger entkräftet sind. ist der
Krieg entschieden. Denn es kommt nicht auf die Geschütze an, sondern auf den
Willen, der sie bedient.
Die Tugenden der Deutschen sind ihre Phantasie und das Herz, mit dem sie alle
Dinge tun. Aber sie schämen sich dieser Tugenden, daher werden sie ihnen oft
zum Verhängnis.
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ing von Ragimund Reimesch
platz in Lissa (Posen):
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Houston Stewart Chamberlain:
England
In den Monaten September und Oktober des Jahres 1914 erschienen in einigen
deutschen Zeitungen und Zeitschriften die Kriegsaufsätze des großen englischen
Geschichtsphilosophen Chamberlain, dessen Werk über die Grundlagen des
19. Jahrhunderts in der ganzen Welt „ und Anerkennung hervorgerufen
hatte. In zweiter Ehe mit Richard Wagners Tochter Eva verheiratet, lebte der
große d und Freund Deutschlands in Bayreuth. Sein heute fast ver-
gessenes Urteil über den Charakter der Engländer und Englands Politik ist
nicht verdächtig, von den ebenso verleumdeten wie gefürchteten Lehren des
Nationalsozialismus vergiftet worden zu sein. Wir benötigen 1939 auch absolut
keine neue antibritische Propaganda. Wir brauchen nur die Wahrheiten ge-
schichtlicher „„ und Bekenntnisse, wie sie dieser große Geist
hinterlassen hat, unserer Zeit ins Gedächtnis zurückzurufen.
Nicht minder fehlt in England die Möglichkeit zu einer Volksarmee, zu jener
gewaltigen ſittlichen Schöpfung, die man das Rückgrat des heutigen Deutſchlands
nennen kann. Denn das deutſche Heer beſäße nicht dieſe ungeheure moraliſche
Kraft, wenn ſich nicht in ihm die unbedingte Einheit aller Kräfte der Nation
betätigte und beſpiegelte: von des Kaiſers Majeſtät an der Spitze bis zu dem
jüngſten Bauernrekruten, alle bilden eine einzige Familie, jeder iſt jedem ein
Kamerad, ſie alle eint der Gehorſam, eint die Pflicht, eint die Liebe zum Vater⸗
land. Ehe die Armee entſtehen und die Einheit Deutſchlands zu höchſter Macht
ausgeſtalten konnte, mußte die moraliſche und geiſtige Einheit da ſein, eine ſolche
Armee zu wollen und zu ſchaffen. Dieſe fehlt in England.
In England wiſſen die zwei Hälften des Volkes — die kleine und die große —
nichts voneinander, gar nichts. Ich kann zwanzig Jahre lang einen Diener haben
und weiß nicht mehr von ihm und über ihn als von der Seele meines Spazier⸗
ſtocks; der Stolz des Engländers, der nicht zur oberen Kaſte gehört, iſt ſeine Un⸗
nabbarfeit; er will nicht gefragt werden, er will nicht ſprechen, er wünſcht nicht
„Guten Morgen“ und „Gute Nacht“, begegnet er ſeiner Herrſchaft auf der Straße,
geht er auf die andere Seite hinüber, um nicht grüßen zu müſſen. Was für eine
Kameradſchaft kann es da zwiſchen Offizier und Soldat geben? Woher ſoll die
Einheit kommen? Es iſt und bleibt das Verhältnis eines Adligen, der Menſchen
aus einer anderen Welt Befehle gibt und Gehorſam durch feine angeerbte ilber»
legenheit erzwingt.
Nebenbei geſagt, iſt der Engländer aus dem Volke von jeher durchaus
unkriegeriſch. Die Plantagenets hatten viele Kriege in Frankreich und
zeichneten ſich im Heiligen Lande aus; doch außer dem Adel bekamen ſie in Eng⸗
land keine Soldaten; Green — der bekannte Geſchichtsforſcher — ſchreibt: „Um
Kriege und Kreuzzüge kümmerte ſich die Bevölkerung Englands gar nicht; an
ihren Königen ſchätzte ſie das eine, daß ſie der Inſel dauernden Frieden ver⸗
ſchufen.“ Und das blieb ſo bis auf den heutigen Tag, wo die engliſche Armee zum
überwiegenden Teil aus keltiſchen Iren und keltiſchen Schotten beſteht; die eigent⸗
lichen Engländer laſſen ſich nicht anwerben. In den engliſchen Schlachten der Ver⸗
gangenheit haben wohl Engländer aus dem Adel befehligt, doch die Heere be⸗
ſtanden aus fremden Söldnern, zumeiſt aus deutſchen. Die Schlachten in Indien
6 Chamberlaln / England
find von Anfang an der Hauptſache nach von indiſchen, nicht von engliſchen Gol:
daten geſchlagen worden; ein Fünftel Engländer war die geſetzlich beſtimmte
Norm und dieſe „Engländer“ waren, wie geſagt, zumeiſt Iren.
Die köſtlichen Schilderungen der Anwerbung von Soldaten in England, die wir
Shakeſpeare verdanken, ſind jedem gebildeten Deutſchen aus Heinrich IV., zweiter
Teil, vertraut; in den Briefen des engliſchen Geſandten in Venedig, Sir Henry
Wotton, wird man aus der ſelben Zeit eine ergötzliche hiſtoriſche Beſtätigung
finden. Anfangs 1617 will England der Republik gegen Spanien beiſtehen. Die
Dienſte eines ſchottiſchen Grafen, welcher Soldaten aus Schottland und Irland
mitbringt, nimmt der Doge an, doch für die angebotenen engliſchen Streitkräfte
bedankt er ſich, „er habe von ihnen keine hohe Meinung und wiſſe, wie ſehr ihre
Kampfluſt von den drei B's abhänge — Beef, Bier und Bett!“ Dann ſchlage man
in von Noordens „Spaniſchem Erbfolgekrieg“ nach; man wird ſehen, daß 1708
England ſich entſchließen muß, „dem von Jahr zu Jahr empfindlicheren Mangel
an engliſchen Rekruten auf geſetzgeberiſchem Wege abzuhelfen“. Es iſt immer
dieſelbe Geſchichte: 1200, 1600, 1700 und 1900; ich könnte mit Dutzenden von Be⸗
legen dienen. Die Inſellage allein genügt nicht zur Erklärung; unter unſeren
Augen hat das Inſelreich Japan eine formidable Volksarmee ausgebildet. Ich
bin überzeugt, die wahre Urſache iſt in jener „Begebenheit“ der Raſſenmiſchung,
gefolgt von geſellſchaftlicher Spaltung, zu ſuchen; ſpäter dann vermehrt noch durch
die „Wendung“, von der ich gleich ſprechen werde.
Zur Ergänzung ſei noch erwähnt, daß die Theorie, England brauche keine größere
Armee unb folle beileibe keine ausbilden, [hon frühzeitig die Praxis unter[tübte;
kein Staatsmann wurde — und wird wohl noch heute — höher von ſeinen Lands⸗
leuten geachtet als Lord Bolingbroke; weit über ſein Leben hinaus blieb er der
Prophet des beſonderen Entwicklungslaufes des modernen Englands; mitten
unter den Siegen der Königin Anna führt nun Bolingbroke in ſeinen „Bemer⸗
kungen über die Geſchichte Englands“ aus, England ſolle eine große Flotte be⸗
ſitzen, nicht aber eine ſtehende Armee; denn dieſe „bringe die Inſel dem Feſtlande
zu nahe“, wogegen es Englands Intereſſe ſei, die Kontinentalmächte ſich gegen⸗
ſeitig bekriegen zu laſſen, „ohne ſich zu tief einzumiſchen“; eine Armee würde
„große ökonomiſche Unzuträglichkeiten mit ſich führen und zugleich Gefahren“.
Nur kurz ſei noch ein Drittes erwähnt: die geſamte Geſetzgebung Englands —
der Staat, ſeine Konſtitution, ſeine Politik — iſt das Werk der einen geſellſchaft⸗
lichen Schicht nur, ohne jede wahre Beteiligung der anderen. Hobbes, der Auf⸗
richtige, geſteht es: „Das Parlament hat nie die ganze Nation vertreten.“ Der
ſpringende Punkt wäre doch die Reformation; denn überall bildet die Religion
das innerſte Rad aller Politik; und was finden wir hier? Diejenigen Engländer,
die ſich im Ernſte von Rom losriſſen, mußten das Vaterland bald fliehen und ſich
in den Wüſteneien Nordamerikas die Gewiſſensfreiheit ſuchen; hingegen die Los⸗
löſung der Staatskirche als eine rein politiſche Maßregel erfolgte, vom ſehr ab⸗
ſolutiſtiſch regierenden Heinrich VIII. faſt ohne Befragen des Parlaments be⸗
ſtimmt, die Bevölkerung Englands hatte ſich „römiſch⸗katholiſch“ ſchlafen gelegt
und erwachte am nächſten Morgen „anglikaniſch“. Es gehört zu den Dingen, die
mich immer gereizt haben, das Gerede über die politiſche Freiheit Englands: hat
es fid) doch von Anfang ber Geſchichte bis jetzt nur um die Freiheit einer
Kaſte gehandelt.
Dë E £99 ee E JF m, De 7s
Zeichnung: Prof. Olaf Gulbransson
Ein Beistandspakt macht sich bezahlt!
Kein Brite gestorben, aber einen Goldschatz und drei Kreuzer für das Empire gewonnen
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8 ` Chamberlain / England
Athen hatte Muße frei zu fein, weil den 20 000 freien Bürgern 400 000 Sklaven
dienten; England hat ſich den Luxus eines ſogenannten freien Parlaments leiſten
können, weil dieſes Parlament ganz und gar in den Händen reicher
Leute war, denen das Regieren Luſt und Leben bedeutete. Ein in Deutſchland
viel zu wenig bekannter Schriftſteller, Thomas de Quincy, eine der reichſten
Begabungen an Geiſtesſchärfe, Wiſſen, Gedächtnis, Federkraft, die England je
hervorgebracht — zeigt, daß die Erweiterung des Einfluſſes und der Befugniſſe
des Unterhauſes ſeit zirka 1600 nicht etwa einem Aufleben der Volkskraft zu⸗
zuſchreiben ſei, ſondern der Vermehrung des Kleinadels, alſo der von jüngeren
Söhnen herſtammenden Familien; dieſe haben nach und nach den großen Feudal⸗
adel und die Biſchöfe beiſeite gedrängt. Sehr klug war es vom Parlament, auch
dem Volke Rechte zu ertrotzen: Das hat es gegen den König geſtärkt und ihm er⸗
laubt, denjenigen zu enthaupten, der ſich von der herrſchenden Kaſte nicht wollte
dreinreden laſſen; nicht weniger blutig hat es aber jedes Volksgelüſt nach Macht
zu unterdrücken gewußt. |
Auch heute, wo die Wahlberechtigung derart erweitert ift, daß bedeutende Teile
des unvornehmen Volkes mitreden, behauptet ſich noch immer die alte Gewalt⸗
tätigkeit der herrſchenden Klaſſe; mancher Leſer wird Dickens' Schilderung einer
Parlamentswahl aus „Pickwick“ kennen. Ich ſelber kann ſie aus ſpäterer Zeit
beſtätigen. Am Tage der Wahl brachte früh in die kleine Provinzſtadt, wo ich
weilte, ein Extrazug 400 „roughs“, das heißt rohe Männer, unheimliche Kraft⸗
geſtalten mit frechen oder verbrecheriſchen Phyſiognomien aus der nächſten Fabrik⸗
ſtadt, ein jeder mit einem gewaltigen Knüppelſtock verſehen. Das war die von der
konſervativen Partei engagierte Garde; an und für ſich ging dieſe Männer die
Wahl in einer fremden Stadt nichts an, ſie waren aber dazu da, um unangenehme
liberale Wähler einzuſchüchtern und — wenn das nicht genügte, ihnen den Schädel
einzuſchlagen. Gottlob war der liberale Ausſchuß auch nicht faul geweſen, und
kurz nachher trafen 300 noch unheimlichere Geſellen aus einer anderen Gegend ein.
Den ganzen Tag über wurde nun gejohlt, geprügelt, die Wähler aus den Wagen
bei den Füßen herausgezogen, die Redner mit faulen Eiern ins Geſicht beworfen uſw.
Eine eigentümliche Auffaſſung von der Freiheit der politiſchen
Meinung und des Wahlrechts! Abends erfuhr ich's noch am eigenen
Leibe. Denn ich war damals Schüler in einem „College“ und von den 80 Inſaſſen
des Lehrerhauſes der einzige, der die liberalen Farben trug und ſich dadurch zu
Gladſtone bekannte; auch die Bitten der Lehrer vermochten mich nicht, die Farben
meiner Geſinnung abzulegen und Disraelis ans Knopfloch zu heften; ſo fiel
denn auf einmal die ganze Meute über mich her, warf mich zu Boden und
verprügelte mich, bis Lehrer und Diener zu Hilfe eilten. Ich habe an jenem
Tage — 46 Jahre ſind es her — mehr über engliſche Verfaſſung und engliſchen
Freiheitsbegriff gelernt als ſpäter aus den Büchern von Hallam und Gneiſt.
Es ſtehen ſich in der Politik Englands zwei Roheiten gegenüber und ergänzen
fi: Die rohe Gewalttätigkeit der ans Herrſchen gewöhnten Klaſſe unb bie Grund:
roheit der gänzlich unkultivierten Maſſe, die, wie oben dargelegt, nirgendswo
mit etwas Höherem Fühlung gewinnt.
Alle dieſe Erſcheinungen gehen auf jene Begebenheit zurück, die als jähe Ge⸗
walttat im Jahre 1066 die [hone Kultur des angelſächſiſchen Staates vernichtete
—
— 4
Chamberlain / England 9
und das Königreich „England“ ſchuf. Ich bin der Meinung: Englands Aufſchwung
und Englands Niedergang wurzeln beide hier.
*
Schon längſt iſt John Robert Seeley, in ſeinem klaſſiſchen Buche „The Expansion
of England“, gegen die Legende aufgetreten, als ſeien die Engländer von Hauſe
aus kühne Seefahrer, nach Art der Wikinger und der frühen Normannen. Das
Gegenteil iſt wahr. Es hat viel Mühe und viel Zeit gekoſtet, den Engländern
Geſchmack fürs Waſſer beizubringen. Seeley macht zugleich aufmerkſam, daß die
Engländer in Wirklichkeit gar keine Eroberer ſind: Kolonien haben ſie gegründet,
wo die Länder leer ſtanden oder nur von nackten Wilden bewohnt waren; andere
haben ſie von Holländern, Franzoſen, Spaniern durch Verträge ergattert — oder
aber, wie zum Beiſpiel Malta, durch Vertragsbruch. Indien iſt durch indiſche Trup⸗
pen unterworfen worden; niemals hat England mit Waffengewalt Eroberungs⸗
züge unternommen, wie die Spanier und Franzoſen. Der Engländer führt nicht
wie Alexander oder Cäſar um des Ruhmes willen Krieg. „Für England“,
ſagt Seeley, „ift ber Krieg eine Induſtrie, eine der möglichen
Arten reich zu werden, das blühendſte Geſchäft, die einträg⸗
lichſte Geldanlage.“ Man mag das loben oder nicht: daß die Engländer
keine Soldaten ſind und auch nicht kühne, verwegene Seefahrer, ſondern einzig
und allein durch den Handel aufs Waſſer gelockt wurden: Handel im Frieden,
Handel durch Krieg; Armee und Marine, beide nicht zur Verteidigung und
Stärkung der Heimat, ſondern zur Beförderung der in allen Weltteilen be⸗
triebenen Bereicherung; ſicherlich tüchtig und tapfer, doch nicht der Ausdruck einer
nationalen Not und einer moraliſchen Idee.
*
Zum allererſten Male in der Geſchichte ſegelten Juli 1518 ſieben engliſche
Kriegsſchiffe ins Mittelländiſche Meer ein, als beſcheidener Beſtandteil einer
mächtigen holländiſchen und venezianiſchen Flotte (Corbett: England in the
Mediterranean). Jetzt hatte England die neue Weltlage und die Gelegenheit, die
ſie gerade ihm zur Bereicherung bot, erkannt. Alles Problematiſche war ja ſchon
von anderen geleiſtet: der Oſt⸗ und der Weſtweg entdeckt, die Neue Welt auf⸗
geſchloſſen, Indien zugänglich, mit China Fühlung gewonnen, jetzt hieß es nur
zugreifen nach der Moral des Mephiſtopheles:
Man fragt ums Was? und nicht ums Wie?
Ich müßte keine Schiffahrt kennen:
Krieg, Handel und Piraterie,
Dreieinig find fie, nicht zu trennen.
Hiermit iſt die nun einſetzende Politik Englands genau bezeichnet: Krieg,
Handel und Piraterie.
Sobald ſich England auf den überſeeiſchen Handel legt, iſt gleich der Haß da:
und zwar als erſtes der Haß gegen die deutſche Hanfa; wer Näheres erfahren
will, braucht nur in Schanz: „Engliſche Handelspolitik“, nachzuſchlagen. Sofort
iit auch das Räuberweſen da: ohne Krieg zu erklären, fällt England wie
ein Geier auf das nichts ahnende ſpaniſche Jamaica und gründet ſo ſein weſt⸗
indiſches Reich. Lange Zeit hindurch beſchränkt ſich Englands „Kolonialtätigkeit“
darauf, auf offenem Meere die ſpaniſchen Galeonen abzufangen, die mit Gold
10 Chamberlain / England
und koſtbaren Waren beladen heimfahren. Überhaupt wächſt das Kauffahrtei
treibende England überall an den anderen Nationen empor und wird dann
durch deren Vernichtung groß und größer. Die Piraterie geht voran; an ihr
blüht der Handel auf; Krieg macht man, wo es nicht anders geht, doch immer
eingedenk der „Island policy“ Lord Bolingbrokes. Erſt verbindet ſich England
mit Holland, um Spaniens Kolonialreich zu vernichten, dann mit Frankreich, um
Holland den Lebensnerv zu durchſchneiden, dann erſpäht es, wie genial der
große Franzoſe Dupleix das indiſche Problem erfaßt hat, macht's ihm nach und
hetzt die Inder gegen die Franzoſen, die dort friedlich ihren Handel trieben,
dann die Inder gegen die Inder, bis es zuletzt — wie Seeley ſagt — „ohne
Eroberung“ eines der größten Reiche der Welt ſich unterworfen hat. An der
Schwelle des 19. Jahrhunderts urteilt der milde und zugleich unbeirrbar ſcharf
blickende Kant, England ſei „der gewaltſamſte, kriegerregendſte Staat“.
Wie gottverlaſſen amoraliſch das Volk unter dem Einfluß dieſes neuen Geiſtes
bald wurde, das möge ein einziges Beiſpiel vor Augen führen. Wie werden in
engliſchen Schulen die Schlachten gefeiert, die Marlborough mit ſeinen deutſchen
Soldaten gewann! Was war nun ihr wahres Ziel und ihr Erfolg? England das
Monopol des Sklavenhandels zu ſichern! Lecky, der Verfaſſer der großen „Geſchichte
Englands im 18. Jahrhundert“, ſagt, nach den Utrechter Friedensverträgen (1713)
habe der Sklavenhandel „den Mittelpunkt der ganzen engliſchen Politik“ ausgemacht.
Solange dieſer Handel einträglich blieb, betrieben ihn die Engländer; Liver:
pool 3. B. iſt nicht durch ſeine Induſtrie, ſondern durch
das Erjagen und Verſchachern unſeliger Millionen von
Schwarzen groß geworden. Der patriotiſche Geſchichtsſchreiber Green
bezeugt wörtlich: „Die entſetzlichen Grauſamkeiten und die Ruchloſigkeit dieſes
Handels, der Ruin Afrikas und die Zerſtörung der Menſchenwürde erregten bei
keinem Engländer Mitleid.“ Dann allerdings geht Green über zur Schilderung
der Bemühungen einzelner Philanthropen; doch vermochten dieſe jahrzehntelang
gar nichts; das Parlament blieb taub, die Kaufleute waren empört .... bis zu
dem Tage, wo eine neue Situation dieſen Handel unerwünſcht ſcheinen ließ und
nun unter widerlich heuchleriſchen Beteuerungen von Hu⸗
manitát und von Englands Miſſion, allen anderen Völkern leuchtend
voranzugehen uſw., der Sklavenhandel geſetzlich abgeſchafft wurde. Hierüber ſind
wir ſo glücklich, das klare, unvergängliche Urteil Goethes zu beſitzen: „Jeder⸗
mann kennt die Deklamationen der Engländer gegen den Sklavenhandel, und
während ſie uns weismachen wollen, was für humane Maximen ſolchem Verfahren
zugrunde liegen, entdeckt ſich jetzt, daß das wahre Motiv ein reales Objekt ſei,
ohne welches es die Engländer bekanntlich nie tun und welches man hätte wiſſen
ſollen. An der weſtlichen Küſte von Afrika gebrauchen ſie die Neger ſelbſt in ihren
großen Beſitzungen, und es iſt gegen ihr Intereſſe, daß man ſie dort ausführe. In
Amerika haben ſie ſelbſt große Negerkolonien angelegt, die ſehr produktiv ſind und
jährlich einen großen Ertrag an Schwarzen liefern. Mit dieſen verſehen ſie die
nordamerikaniſchen Bedürfniſſe, und indem ſie auf ſolche Weiſe einen höchſt ein⸗
träglichen Handel treiben, wäre die Einfuhr von außen ihrem merkantiliſchen
Intereſſe ſehr im Wege, und ſie predigen daher nicht ohne Objekt gegen den
inhumanen Handel.“
*
Chamberlain / England 11
Mit Beſtimmtheit glaube id) behaupten zu dürfen, bie Kataſtrophe des völligen
Niedergangs der engliſchen Heiterkeit, der engliſchen Weisheit, der engliſchen
Redlichkeit (denn auch diefe war in früheren Zeiten ſprichwörtlich) ift dem Umſtand
zuzuſchreiben, daß die Wendung zu Krieg, Handel und Piraterie ein Volk traf in
jener eigenartigen, zwielpältigen Zuſammenſetzung. Alle Kultur — Religion, Schule,
Heer, Kunſt, Geſetzgebung, Lebensgewohnheiten — ſetzt, wohlbetrachtet, Einheit
voraus, ſobald ſie eine ganze Nation durchdringen ſoll, in der Weiſe durchdringen,
daß jeder einfachſte Menſch etwas davon abbekommt; was damit geſagt wird,
wiſſen wir in Deutſchland genau und brauche ich darum nicht zu ſchildern; in Eng⸗
land weiß man nichts davon. Sobald der brave angelſächſiſche Bauer zum Piraten
umgewandelt war, da ſtand die blonde Beſtie da, wie ſie der deutſche Philologe in
ſeinem Wahnſinnstraum erblickte; und ſobald der „verfeinerte“ Adelige des
15. Jahrhunderts die „geiſtigen Intereſſen“ verloren hatte und nach Gold lüſtern
geworden war, da ſtand der herzloſe Sklavenhändler da, der ſich von dem ſpaniſchen
Gewaltmenſchen einzig durch die Heuchelei unterſchied. Nichts Noheres gibt es auf
der Welt, als einen rohen Engländer; er beſitzt gar keinen anderen Halt
als eben ſeine Roheit. Meiſtens iſt er kein ſchlechter Menſch; er hat
Offenheit und Energie und Lebensmut; er iſt aber ignorant wie ein Kaffer,
macht keine Schule des Gehorſams und der Ehrfurcht durch,
kennt kein anderes Ideal als „to fight his way through“, ſich durchzukämpfen.
Dieſe Roheit hat nach und nach von unten bis oben — wie das ſtets der Fall
iſt — faſt die ganze Nation durchtränkt.
Noch vor 50 Jahren galt es für einen Verſtoß gegen die Standeswürde, wenn
ein dem Adel Angehöriger ſich an Induſtrie, Handel und Finanz beteiligte; heute
iſt das Haupt des älteſten und größten Hauſes von Schottland, Schwager des
Königs, Bankier! Söhne von Grafen und Herzögen entſchwinden aus der
Geſellſchaft; man fragt nach ihrem Verbleib: „Oh, he's making his heap!“ er
ſcharrt ſich ſeinen „Haufen“ zuſammen, das heißt ſeine Million, wo und wie, das
wird nicht gefragt und nicht geſagt, plötzlich taucht er als reicher Mann wieder auf,
und da iſt alles wieder gut. Inzwiſchen hatte ſich aber in der oberen Kaſte eine
andere Art von Verrohung durchgeſetzt, die in politiſcher Beziehung noch bedenk⸗
licher iſt: bei äußerlich gleichbleibender guter Geſittung und zartem Anſtand hat
der moraliſche Kompaß „ſeinen Norden verloren“; die Verſuchung nachun⸗
geheurer Macht auf Grund von ungemeſſenen Schätzen iſt zu
ſt ark gewefen; im Adel und den ihm verwandten Kreiſen
wußte man bald nicht mehr zwiſchen Recht und Unrecht zu
unterſcheide n. Derſelbe Mann, der im Privatleben nie von dem ſkrupulöſeſten
Anſtand abgewichen wäre, beging im vermeintlichen Intereſſe ſeines Vaterlandes
jedes Verbrechen. Die Propheten unter uns — ein Burke, ein Carlyle, ein
Ruskin — haben ſchon ſeit 100 Jahren und mehr auf die erſchreckende Abnahme
der Wahrheitsliebe — einſt in England ſo einzig heilig gehalten! — aufmerkſam
gemacht.
Das iſt das heutige politiſche England, wie Burke es vor⸗
aus verkündet hatte: Hehler, Heuchler, Lügner, Falſch⸗
ſpieler. Bitter tröſtet fid) Ruskin: „Sorgen wir uns nicht um dieſes
England; in hundert Jahren zählt es zu den toten Nationen.“
12 Kohte / Deutsch-polnisches Schicksal an der Weichsel
Auch ich glaube nicht an die ungeheure Kraft Englands, von der wir fo viel hören;
wahre Kraft kann nur im Moraliſchen wurzeln; der einzelne Engländer
iit tapfer und tüchtig, der Staat „England“ ift morſch bis auf
die Knochen; man faſſe nur feſt zu.
Deutſchland iſt nun ſo gänzlich anders geartet, daß es England — das heutige
politiſche England — ſeit Jahren gar nicht verſtand und ſich immer von neuem
von ihm irreführen ließ; faſt fürchte ich, es geſchieht in Zukunft nicht minder; das
könnte verhängnisvoll werden. Darum mußte ich Engländer den Mut haben, die
Wahrheit zu bezeugen. Uns alle kann einzig ein ſtarkes, ſieg⸗
reiches, weiſes Deutſchland erretten.
Wolfgang Kohte:
Deutsch- polnisches Schicksal an der Weichsel
Ein geſchichtlicher Abriß deutſcher Sendung in Polen
Keines anderen Volkes Siedlungsboden iſt ſo eng mit dem deutſchen verzahnt
wie der des polniſchen Volkes; kaum eine andere Sprache zeigt ſo viele Lehn⸗ und
Fremdworte aus dem Deutſchen wie die polniſche; kaum ein zweites Volk außer
den Tſchechen hat in Staat und Recht, Kunſt und Wiſſenſchaft, Siedlung und Wirt⸗
ſchaft P ſtarke Einwirkungen von Deutſchland her erfahren wie das polniſche.
Doch iſt das Verhältnis zwiſchen Deutſchland und Polen nicht allein von dieſer
breiten und tiefgehenden Friedensarbeit beſtimmt worden, ſondern ebenſoſehr von
einem Gegenſatz, der ſich in manchen Zeiten zu haßerfüllter Feindſchaft des Emp⸗
fangenden gegen den Gebenden geſteigert und der in weiteſten Kreiſen des
e SE "à fes das Bild bes deutſchen Nachbarn zu einer verzerrten Fratze ums
geſtaltet hat.
Als Polen vor nahezu 1000 Jahren in die ſchriftlich überlieferte Geſchichte ein⸗
trat, waren ſeine Staatsverfaſſung wie ſein Herrſcherhaus aller Wahrſcheinlichkeit
nach e Hd. Urſprungs. Eine ganze Reihe von Anzeichen deutet darauf
hin, daß Wikinger wie andere Staaten, ſo auch den polniſchen begründet haben.
In den letzten Regierungsjahren Ottos d. Gr. wurde dann den Polen aus dem
germaniſchen Weſten das Chriſtentum gebracht: die erſten Biſchöfe in Polens
älteſtem Bistum, Poſen, waren Deutſche. Im Jahre 1000 hat Kaiſer Otto III.
den Polen ſogar ein eigenes Erzbistum in Gneſen gegründet. Er hoffte damals,
e durch diefe und ähnliche Maßnahmen feſter ans Reich binden zu können.
ennoch kam es ſchon wenige Jahre ſpäter zu langwierigen Kämpfen, da das er⸗
ſtarkende Polen unter Boleslaus dem Tapferen nach Weſten über die alten
Grenzbefeſtigungen der Pommern und der wendiſchen Liutizen an der Netze⸗Warthe⸗
Linie bzw. an der mittleren Oder kriegeriſch ausgriff und dabei in der Lauſitz an
ein Gebiet taſtete, das ſchon ſeit zwei Menſchenaltern unter deutſchem Einfluß
ſtand. Dieſe polniſche Ausdehnung nach Weſten wurde ſchließlich an den meiſten
Punkten zurückgeſchlagen, und die Konſolidierung des polniſchen Staatsweſens fand
ihren Ausdruck in der Königskrönung des Boleslaus. Der junge polniſche Staat
hat für ſeinen Aufbau deutſche Krieger und deutſche Geiſtliche in großer Zahl
herangezogen. Dies wurde auch nicht anders, als die Erbſitte der Teilungen in der
Mitte des 12. Jahrhunderts Polen in eine Reihe von Teilfürſtentümern zerriß,
die ſich gegenſeitig befehdeten. Dabei ſuchten die — mit deutſchen Adelsgeſchlechtern
Kohte / Deutsch-polnisches Schicksal an der Weichsel 13
verſchwägerten — ſchleſiſchen Piaſten Schutz beim deutſchen Kaijertum. Friedrich
Rotbart hat feit 1157 mehrmals in Polen zu ihren Gunſten eingegriffen und damit
die rung Schleſiens zu Deutſchland eingeleitet. Dies Land öffneten feine
Herrſcher in den folgenden Menſchenaltern der deutſchen Wiederbefiedelung, weil
ſie es wirtſchaftlich und kulturell auf den Stand heben wollten, den die deutſchen
Lande in der Stauferzeit ſchon erreicht hatten. Deutſche Bürger und Bauern, Ritter
und Mönche halfen ihnen, ihr Ziel raſch zu erreichen, und im Jahre 1241 war
Schleſien bereits, nahezu allein auf fid) geſtellt, imſtande, den Mongolenſturm bei
Liegnitz abzuwehren.
Schleſiens Aufblühen wurde zum Vorbild, dem die polniſchen Teilfürſten mit
der Gründung deutſcher Städte, Dörfer und Klöſter folgten. Das wichtigſte Er:
eignis bei dieſer Heranziehung deutſcher Kräfte durch polniſche Herrſcher war der
Ruf, den Herzog Konrad von Maſowien 1226 an den Deutſchen Orden zum Kampf
egen die heidniſchen Preußen ergehen ließ. Es waren beſonders die Nachbarland⸗
chaften Schleſiens, das Poſener Land und Galizien, die jetzt durch einen Strom
deutſcher Einwanderer einer bisher nicht gekannten Blüte entgegengeführt wurden:
1253 wurde Poſen, 1257 Krakau als deutſche Stadt zu Magdeburger Recht be⸗
ründet. Wohl gab es ſchon vorher in Polen Fürſtenſitze und Handelsnieder⸗
aſſungen; aber die ſtädtiſche Siedlung durch Deutſche zu deut⸗
ſchem Recht brachte dem Oſten neben einem entwickelten Handwerker⸗
tum und einer weitſchauenden Kaufmannſchaft zum erſten Male Gemein»
ſchaften rechtlich freier, ſich ſelbſt verwaltender und ſich
ſelbſt verteidigender Bürger, eine rechtlich⸗ſittliche Erſcheinung von
weltgeſchichtlicher Bedeutung! Dies deutſche Bürgertum verſtand es auch, große
Räume wirtſchaftlich zu erſchließen und zu organiſieren: der Oſten wurde für den
Weſten Europas der große Erzeuger von Korn, Holz und anderen land⸗ und forſt⸗
wirtſchaftlichen Gütern und bezog von ihm Erzeugniſſe verfeinerten Gewerbes.
Träger dieſes Austauſches waren im Norden die Städte der Hanſe — voran
Danzig und Thorn —, im Süden die oberdeutſchen Handelsſtädte wie Nürnberg
und Ravensburg; beide Ströme begegnen ſich in Krakau, der polniſchen Königs»
ſtadt und dem Mittelpunkt deutſchen bürgerlichen Lebens im Polen des ſpäten
Mittelalters. Die ſchachbrettförmige oſtdeutſche Stadtanlage
UM m rechteckigen Markt wurde bis in den ruſſiſchen Often hinein
errſchend.
Neben den deutſchen Bürger trat der deutſche Bauer, der ebenfalls im
Nordweſten und im Süden Polens weite Räume menſchlicher Siedlung erſchloß.
Auch er ſtand dem hörigen polniſchen Bauern ſowohl in einer Genoſſenſchaft recht⸗
lich freier Männer wie im Beſitz beſſeren Ackergeräts und der erprobten Drei⸗
felderwirtſchaft gegenüber. So konnte er Böden re al an bie fid) ber Pole
bisher noch nicht gewagt hatte. Die in ben oſtmitteldeutſchen Gebirgen entwickelte
Siedlungsform des Waldhufendorfes fand ebenſo wie das deutſche Dorfrecht bis
weit in den Oſten Verbreitung.
Obwohl ſich ſchon im 13. Jahrhundert in Adel und Geiſtlichkeit deutſchfeindliche
Strömungen gezeigt hatten, war doch der einzige König, dem die polniſche Ge⸗
ſchichte den Beinamen „der Große“ verliehen hat, Kaſimir (1333—1370), ein
eifriger Förderer vor allem des deutſchen Bürgertums, mit deſſen Hilfe er das
„hölzerne Polen“ in ein „ſteinernes“ verwandeln konnte. Die Siedlungskraft
eutſchen Bauerntums ſetzte er an der Südoſtgrenze polniſchen Volkstums ein,
oſtwärts der durch die Heeresberichte bekanntgewordenen Wijlofa, um den polni⸗
ſchen Volksboden gegenüber den heutigen Ukrainern nach Oſten vorzuſchieben.
Nach Weſten hin beſchränkte er ſich auf kleinere Erwerbungen an der Grenze gegen
14 Kohte / Deutsch-polnisches Schicksal an der Weichsel
das damals ſchwache Brandenburg unb Schleſien, fudte aber Frieden mit ben
führenden Mächten Oſtdeutſchlands: gegenüber Böhmen verzichtete er 1335 end⸗
gültig auf Schleſien, gegenüber dem Deutſchen Orden 1343 auf Pommerellen, das
noch ſein Vater Wladislaus Ellenlang, der kraftvolle Erneuerer des polniſchen
Königtums, mit allen Mitteln zu erringen verſucht hatte. Dagegen nutzte er die
Ermordung des letzten ukrainiſchen Großfürſten von Halitſch im Jahre 1340 aus,
um deſſen Land an Polen anzugliedern.
War dies der erſte Schritt Polens auf dem Wege zum Vielvölkerſtaat, ſo war
der zweite noch folgenſchwerer: die Heirat zwiſchen der Erbin des Piaſtenthrons
Hedwig und dem Großfürſten Wladislaus Jagiello von Litauen 1386 führte dem
polniſchen Staat das litauiſche Großfürſtentum mit ſeinen litauiſchen, weiß⸗
ruſſiſchen, ukrainiſchen u. a. Untertanen zu. Sie verband ferner in Polen und
dem nunmehr chriſtlichen Litauen die beiden Gegner des Deutſchen Ordens. Wla⸗
dislaus konnte zum Angriff gegen dieſen vorgehen und ihn 1410 bei Tannenberg
mit einem aus allen Völkern des Oſtens a Heer ſchlagen. Nur die Tat:
kraft Heinrichs von Plauen hat ja damals den Beſtand des Ordens gerettet.
Doch trug der Ordensſtaat in ſich den Keim gefährlicher Kriſen: der Kampf des
SE mit feinen Ständen, der damals überall in Deutſchland entbrannte —
hier beſonders mit den reichen weſtpreußiſchen Städten — mußte im Grenzland
ganz andere Auswirkungen haben als im Binnenland. Als die weſtpreußiſchen
Stände 1454 vom Orden abfielen und ſich dem Schutz des Königs von Polen
unterſtellten, benutzte dieſer die Gelegenheit, um zur Oſtſee vorzuſtoßen. Um aber
ſeinen Adel in den nun entbrennenden Krieg mitzureißen, mußte er ihm weit⸗
reichenden Einfluß in den Staatsgeſchäften durch die Neſſauer Statuten gewähren,
die ben Beginn des polniſchen Adelsparlamentarismus bedeuteten.
Ein halbes Jahrhundert ſpäter wurde das freie Einſpruchsrecht jedes einzelnen
Adligen auf dem Reichstag feſtgelegt, das ſogenannte „Liberum Veto“, das zum
Kernübel der altpolniſchen Verfaſſung wurde.
Die ſchwere Laſt des 13jährigen Krieges gegen den Orden aber trugen mit in
erſter Linie die großen Städte Weſtpreußens, und ſo wurde — nach völliger Er⸗
ſchöpfung des einſt blühenden Preußenlandes — Weſtpreußen im zweiten Thorner
Frieden nicht etwa einfach Polen eingegliedert, ſondern nur in Perſonalunion
mit der Krone Polen verbunden. Es konnte als deutſch regierter Ständeſtaat ſeine
Autonomie zäh verteidigen, bis fie ihm durch einen Gewaltaft auf dem Lubliner
Reichstag 1569 geraubt wurde. Doch konnten Elbing, Thorn und beſonders das
wehrhafte, handelsreiche Danzig, das ſich 1577 gegen den polniſchen König erfolg⸗
reich zur Wehr ſetzte, ihre Stellung etwa als freie Städte wahren. Oſtpreußen
wurde dagegen 1525 polniſcher Lehnsſtaat, aber — was für die Bewahrung ſeiner
deutſchen Stellung entſcheidend wurde — als evangeliſches, weltliches Herzogtum
unter den fränkiſchen Hohenzollern.
Trotz des Kampfes mit dem Deutſchen Orden ging die deutſche Einwanderun
weiter, und zwar waren es im 15. und 16. Jahrhundert beſonders einzelne Raut
leute und Künſtler, bie in bie polniſchen Städte, vor allem in bie Reſidenz Krakau,
kamen. Hier wirkte Hans Boner, der deutſche Bankier der polniſchen Könige, hier
wirkten die Thurſos, die deutſchen Herren der Erzgewinnung in der Slowakei,
neben ihnen ſtanden dabei die Augsburger Fugger, an die noch heute das SI
haus in Warſchau erinnert. In Krakau ſchuf der aus ſüddeutſcher Familie
ſtammende große Bildhauer Veit Stoß ſein Meiſterwerk, den Marienaltar; aus
einer (urſprünglich ſchleſiſchen) Krakauer deutſchen Bürgerfamilie ſtammte der in
Thorn geborene Aſtronom Nicolaus Coppernicus, der als Domherr zu Frauenbutg
am Friſchen Haff mit der Lehre von den Umdrehungen der Himmelskörper das
Kohte / Deutsch-polnisches Schicksal an der Weichsel 15
naturwiſſenſchaftliche Weltbild des Mittelalters zerbrach. Auch zahlreiche andere
Städte Polens hatten damals teil an dem breiten Strom, mit dem die
eiſtige und wirtſchaftliche Blütezeit Deutſchlands im 16. Jahrhundert nach Oſten
hinüberwirkte.
Dennoch blieben Adel und hohe Geiſtlichkeit wie früher aus Standesegoismus
Gegner des deutſchen Bürgertums und konnten ſeinen Lebensraum auf Grund der
Machtſtellung, die ſie dem Königtum abgetrotzt hatten, tatſächlich einengen. Hinzu
traten ſprachliche und blutsmäßige Vermiſchung. Das deutſche Großbürgertum
ging im polniſchen Adel auf, die Zünfte wurden mehr und mehr von Polen beſetzt,
die bäuerlichen Volksinſeln wenigſtens ſprachlich polonifiert. Die wirtſchaftlichen
und kulturellen Einrichtungen, die deutſche Menſchen geſchaffen hatten, verfielen
damit. „Mit dem Augenblick, als die Städte in Polen durch und durch national
wurden“ — fo urteilt Ptaſnik, der Hiſtoriker des polniſchen Städteweſens —, „als
das polniſche Element in den Zünften und ſtädtiſchen Amtern herrſchte, trat ihre
vollkommene Zerſetzung und ihr Verfall ein!“ Das Polentum war zumeiſt außer⸗
ſtande, die Leiſtungen des deutſchen Bürgertums fortzuführen; an deſſen Stelle
trat von nun an — wenn auch unfähig EN Geftaltung großer Stadtgemeinden —
das Judentum, dem Königtum und Adel feit bem 14. Jahrhundert ſehr entgegen:
gekommen waren. Nahezu alle kleinen deutſchen Stadtgründungen wurden im
16. und 17. Jahrhundert zu Herden des Schmarotzertums, das Stadt und Land
in ſeine Gewalt brachte. Kennzeichnend ſind die Worte des polniſchen Geſchichts⸗
ſchreibers Fryderyk Papée: „Man bedrückte das deutſche Element unter dem Vor⸗
wand der nationalen Aſſimilation und holte ein Element herbei, das noch ſchwerer
zu aſſimilieren war.“ (1) Mit dem Rückgang des Deutſchtums verſchwanden auch
die ordnenden und aufbauenden Kräfte; an ihre Stelle traten Adelswillkür oder
jüdiſche Zerſetzung.
Aber zu gleicher Zeit hatte der Adel des Poſener Landes ſchon von neuem
begonnen, den Ertrag ſeiner Beſitzungen durch die Heranziehung deutſcher Bauern
und Handwerker zu ſteigern, da die rechtloſen polniſchen Bauern nicht in der Lage
waren, die Erzeugung ſo zu heben, wie es der lohnende Abſatz von Getreide nach
Weſteuropa durch Vermittlung der deutſchen Hafenſtädte erlaubte. Im 16. Jahr⸗
hundert hatten bereits Bauern und Handwerker aus Schleſien, der Neumark,
Pommern ſowie von der Nordſeeküſte, von religiöſen, wirtſchaftlichen oder ſozialen
Beweggründen getrieben, in Weſtpreußen und im Poſener Land neue Städte und
Dörfer anzulegen begonnen. Dieſer Zuſtrom deutſcher Siedler dauerte bis ins
18. Jahrhundert fort und hat wieder neuen Lebensraum im Oſten geſchaffen —
zum eigenen Nutzen ſowie zum Beſten des polniſchen Volkes. Der Strom dieſer
zweiten deutſchen Oſtſiedlung, auf den der größte Teil des heutigen
oſteuropäiſchen Deutſchtums außer den Balten zurückgeht, hat weit bis nach Ruß⸗
land hinein fortgewirkt. Wieder waren deutſche Menſchen Träger rechtlicher Frei⸗
heit, ausdauernden Unternehmungsgeiſtes und rationeller Arbeitsweiſe.
‚Diefe neue große Oſtbewegung begann mit der Anſetzung holländiſcher und
niederdeutſcher Siedler im Großen Werder durch den Danziger Rat; von hier aus
drangen deutſche Niederungsbauern im 16. und 17. Jahrhundert die Weichſel und
den Bug aufwärts bis ſüdlich Warſchau. Gleichfalls im 16. Jahrhundert entwickelte
ſich eine ſtarke Wanderungsbewegung aus Oſtpommern und der Neumark in den
etzegau und das Poſener Land hinein. Dieſe Pommernwanderung ſetzte ſich im
18. Jahrhundert nach Mittelpolen, im 19. Jahrhundert von dort nach Wolhynien
und Beſſarabien fort. Schließlich brachte beſonders die Not des Dreißigjährigen
Krieges eine Bewegung aus Schleſien in den Süden bes Poſener Landes hervor,
ns ſich [piter auch in bas Kaliſcher Land fortſetzte. Wie im Mittelalter brachte
er deutſche Menſch Freiheit und Ordnung in ſeinen dörflichen und ſtädtiſchen
Ken Heichsgrenze
wa
* th t m
RZ Andere Staatsgrerizen
® 200 Fahre deutsch gewesen
Mitdeutschem Hecht belehrt
(1200 Jahreszahl)
Deutsche Kullurkarle des besetzten Gebietes
Diese Karte wil! durch kleine Zeichen für nur wenige, beispielhafte Kulturleistungen verdeutlichen.
wie stark der besetzte, einstmals schon deutsche, nur in den 20 Jahren nach Versailles polnische
Raum von deutschem Geist und Kuiturwillen durchdrungen ist Hier liegen die deen Wurzeln für
den deutschen Führungsanspruch in diesem Raum
— I [| í N
Digitized by NWN
Kothe / Deutsch-polnisches Schicksal an der Weichsel 17
+ Gemeinwefen, wieder erſchloß er d feine Leiſtung neuen Lebensraum, fei es
durch Rodung in Sumpf unb Wald, fei es durch Schaffung neuer Gewerbe, wie
beſonders der Tuchmacherei im Poſener Land. Nutznießer dieſer Leiſtung und des
neu erſchloſſenen Lebensraumes wurde ſpäter nicht ſelten der Pole.
i Diele deutſchen Einwanderer, die größtenteils evangeliſch waren, wurden an:
fangs in ihrem Glauben nur wenig geſtört. Nach dem Sieg der Gegenreformation
aber verbanden ſich Ketzerverfolgung und Deutſchenhaß zu einer erbitterten Feind⸗
ſchaft, die das Leben der Deutſchen in Polen durch einundeinhalb Jahrhunderte
zum Martyrium machte. Die Verfolgungen nahmen in der Mitte des 17. Jahr⸗
hunderts den Charakter wahrer Jagden auf die Deutſchen und ihre Führer (damals
beſonders die evangeliſchen Paſtoren) an, und die Metzeleien und Greuel, von
denen wir während des Feldzugs in Polen ſchaudernd laſen, haben damals bereits
ihre Vorbilder gefunden. Ganze Dörfer wurden dabei ausgerottet und am 22. April
1656 wurden auf Befehl eines polniſchen Generals alle Evangeliſchen in Bromberg
und Umgebung erſchlagen! Eine Woche ſpäter brandſchatzte ein polniſches Adels⸗
aufgebot die deutſch⸗evangeliſche Stadt Liſſa. Die Verfolgungen ſetzten ſich noch
durch Jahrzehnte fort und erreichten 1724 einen neuen Höhepunkt im Thorner
Blutgericht, das gleióaeitig einen Sieg bes Jeſuitenordens und die Brechung der
Freiheiten der deutſchen Stadt bedeutete.
Die jahrzehntelangen Verfolgungen der Evangeliſchen, d. h. der Deutſchen, ſind
ein Beweis dafür, wie Polen bereits im 17. Jahrhundert im Chaos verſank. Die
ſchrankenloſe Adelsherrſchaft machte alle Machtbildung
des Königtums und damit jede neue ſtaatliche Ordnung
unmöglich. Das Land geriet daher völlig unter den Einfluß des erſtarkenden
Rußland, das 1717 vom Reichstag die Erlaubnis zur Unterhaltung ſtändiger Gar⸗
niſonen in Polen erhielt. Zu Reformen kam es nicht, und der allgemeine Zerfall
von Staat und Geſellſchaft ging immer weiter. Angeſichts ſchwerer innerpolniſcher
Wirren entſchloß Friedrich d. Gr. ſich daher 1772 gemeinſam mit Maria Thereſia
und der Zarin zur ſogenannten erſten Teilung Polens, bei der Sſterreich Galizien,
reupen aber das alte Ordensland Weſtpreußen, dazu den Netzegau erhielt. Dieſe
iden Landſchaften waren damals ſchon überwiegend deutſch beſiedelt, zeigten aber
vielfach die Spuren jahrzehntelanger polniſcher Mißwirtſchaft und erfuhren nun —
ebenſo wie Galizien — erſt die Fürſorge einer geregelten Staatsverwaltung. 1795
ſchließlich zerbrach der alte polniſche Staat völlig; in der zweiten und dritten
Teilung erhielt Preußen das Poſener Land und den nördlichen und weſtlichen,
Oſterreich den ſüdlichen Teil des ſpäter Kongreßpolen genannten Gebietes.
Wenn auch die Herrſchaft der deutſchen Großmächte hier nicht viel über ein Jahr⸗
zehnt dauerte, ſo trägt doch beſonders das weſtliche Kongreßpolen bis heute noch
ſichtbare Spuren dieſer kurzen Zeit preußiſcher Landesfürſorge, obwohl die Zahl
der als Muſterwirte berufenen deutſchen Einwanderer nicht überſchätzt werden darf.
Napoleon I. bildete 1807 aus den preußiſchen und öſterreichiſchen Erwerbungen
der zweiten und dritten Teilung das Herzogtum Warſchau als Pufferſtaat gegen
Rußland (zur Bildung eines Korridors griff ſelbſt der Korſe im Tilſiter Gewalt⸗
frieden nicht!). Davon fiel die Provinz Poſen 1815 wieder an Preußen, während
der Reſt vom Wiener Kongreß als eigenes Königreich mit Rußland in Perſonal⸗
union verbunden wurde („Kongreßpolen“). Die polniſche Regierung dieſes König⸗
reiches hat in den 5 Jahrzehnten ihres Beſtehens mit größtem Eifer
deutſche Einwanderer ins Land gezogen, ſowohl Bauern als Städter, unter dieſen
ganz beſonders Tuchmacher, denen die meiſten Städte des Lodzer Induſtriegebietes
Gründung und Aufſchwung verdanken. Die Lodzer Textilinduſtrie,
die größte in Oſteuropa, iit ausſchließlich von deutſchen
18 Kothe / Deutsch-polnisches Schicksal an der Weichsel
Handwerkern unb Induſtriellen geſchaffen worden; ech
ſpäter haben ſich Juden und Polen in ihr feſtgeſetzt. Von dem deutſchen Bürgertum,
das ſich im 18. und 19. Jahrhundert hier und anderswo in Polen anſäſſig machte,
iſt ein guter Teil ins polniſche Volkstum übergegangen; ihm entſtammen nicht
wenige Angehörige der polniſchen Führungsſchicht.
Neben der wirtſchaftlichen und „ en Stärkung des Polentums durch
deutſche Menſchen ſteht der fördernde Einfluß deutſchen Geiſtes auf Polen. Die
deutſche Dichtung und Philoſophie der klaſſiſchen Zeit hat auf die polniſche Dich⸗
tung, beſonders auf Polens größten Dichter Adam Mickiewicz, zutiefſt eingewirkt.
Deutſche Wiſſenſchaftler waren auf vielen 1 der polniſchen Hochſchulen
tätig und haben an der Erneuerung des polniſchen Geiſteslebens ihren großen
Anteil. Die Baukunſt ſtand bis weit in die ruſſiſche Zeit hinein unter dem Einfluß
des Berliner Klaſſizismus.
Vor allem das Polentum unter preußiſcher Herrſchaft trat
in den Wirkungsbereich deutſcher Formungskräfte. An erſter Stelle ſtehen hier die
Wirkungen der geordneten preußiſchen Verwaltung, des preußiſchen Heeres, der
preußiſchen Volksſchule, die aus dem Poſener Polen im Laufe weniger Jahrzehnte
einen ganz anderen Menſchen gemacht haben. Hinzu kam ſpäter die Teilnahme am
politiſchen Leben Preußens und des Reiches und die Annahme deutſcher wirtſchaft⸗
lich⸗geſellſchaftlicher Formen, wie etwa des Genoſſenſchaftsweſens oder der Spar⸗
und Darlehnsvereine. Unendlich folgenreich für das polniſche Volk war die
Schaffung eines eigenen freien Bauernſtandes durch die Stein⸗Hardenbergſche
Reform, die auch der Entſtehung eines polniſchen ſtädtiſchen Mittelſtandes die
Wege ebnen half. Zugleich bot die Eingliederung Poſens in den deutſchen Wirt⸗
Gattsorganismus bem Polentum eine bisher ungefannte Möglichkeit der Wohl⸗
tandsſteigerung.
So entſtand gerade in Poſen dank der preußiſchen Führung ein neuer, härterer
Typus des polniſchen Menſchen. Je länger, je mehr erſtarkte das Polentum unter
preußiſcher Herrſchaft innerlich und gewann neue EH in ber Führung bes
Volkstumskampfes. In Weſtpreußen und Oberſchleſien, wo man zu Beginn des
vorigen Jahrhunderts ein polniſches politiſches Leben nicht gekannt hatte, drang
in deſſen letztem Drittel die polniſche Nationalbewegung ein. Eine deutſche Ein⸗
wanderung, die die bei den Teilungen vorhandenen Volkstumsverhältniſſe weſent⸗
lich hätte verändern können, hat es im 19. Jahrhundert nicht gegeben, weil der Be⸗
völkerungsüberſchuß damals von der eigenen Induſtrie aufgenommen wurde.
Der größere Teil des Polentums ſtand unter ruſſiſcher Herrſchaft und hat ſich
gegen dieſe in den un von 1830 und 1863 vergeblich erhoben. Es büßte
danach jedes politiſche Eigenleben ein; das Land erfuhr keine wirtſchaftliche und
ſoziale Pflege und Entwicklung. Immerhin gelang es, fußend auf der Arbeit
deutſcher Induſtriepioniere in Warſchau und Lodz ein Großtextilgewerbe und
JE andere Induſtriezweige aufzubauen, bie im weiten Zarenreich ihren guten
bſatzmarkt fanden. Damit entſtanden Anſätze eines modernen kapitaliſtiſchen
Bürgertums (mit deutſchem und auch jüdiſchem Einſchlag) ſowie beſonders ein
ſtarkes polniſches Induſtrieproletariat.
Galizien ſchließlich, das mit ſüddeutſcher Einwanderung und öſterreichiſcher Ver⸗
waltung am Anfang des 19. Jahrhunderts ebenfalls ſtarke deutſche Formungskräfte
aufgenommen hatte, ſtand ſeit 1867 unter autonomer polniſcher Verwaltung. Die
galiziſchen Polen nahmen auch am Wiener politiſchen Leben teil und haben hier
vielfach eine entſcheidende Rolle geſpielt. In Galizien wurde es möglich, ein polni⸗
ſches Beamtentum und eigenes Hochſchulleben zu entwickeln (aber auch die Unter⸗
Kothe / Deutsch-polnisches Schicksal an der Weichsel 19
drüdungsmethoden gegen die Ukrainer auszubilden —); hier konnten ſich auch
die allpolniſchen Ideen und die Parteien der Polen beliebig tummeln.
Zwei Gruppen zeichneten jid [hon kurz vor 1900 deutlich
a b: die bürgerliche ationaldemokratie unter Führung Dmowſkis,
geſtützt auf Bürgertum und Mittelſtand Polens und Kongreßpolens jah in Deutſch⸗
land den Hauptgegner Polens und verfocht ein Bündnis mit Rußland mit dem
Ziel der Ausdehnung gegen Weſten. Hier wurden ſchon vor 40 Jahren die Schlag⸗
worte vom angeblichen Polentum Königsbergs, Danzigs und Oppelns in die Welt
geſetzt. Auf der anderen Seite ftand der Sozialismus Pilſudſkis, dem
beſonders die Arbeiter der kongreßpolniſchen Induſtrie folgten und der die Über⸗
lieferung des Kampfes gegen das Zarentum und der Ausdehnung nach Oſten
fortführte.
Folgerichtig marſchierte Pilſudſki mit feinen Legionären im Auguft 1914 an der
Seite des öſterreichiſchen Heeres in Ruſſiſch⸗Polen ein, während die National⸗
demokraten ihre Propaganda im Lager der Entente fortſetzten. Die Wieder⸗
begründung des polniſchen Staates war eine Frucht der deutſchen Siege im Oſten:
ſie erfolgte durch die Proklamation der beiden Kaiſer vom 5. November 1916.
a übernahm — nach zeitweiligem Konflikt mit den Mittelmächten — erft
nach ber Novemberrevolte die Macht in Warſchau, während Dmowffi in Paris,
London und Waſhington für die Durchſetzung ſeiner Annexionsträume eintrat
und in Verſailles ſchließlich die Zerreißung des deutſchen Oſtens erreichte. Dabei
bediente er ſich übelſter propagandiſtiſcher Tricks — wie z. B. einer gefälſchten
Volkstumskarte — und konnte die Schaffung des Korridors doch erſt ſpät gegen
die engliſchen Delegierten durchſetzen, die ſich damals über den Unſinn dieſer Tat
durchaus im klaren waren.
In der Heimat begannen ſich ſeit dem Poſener Weihnachtsaufſtand 1918 der von
der Nationaldemokratie gepredigte Deutſchenhaß, der ſeit langem angeſammelte
Neid gegen den erfolgreichen deutſchen Nachbarn, das alte Unverſtändnis der
polniſchen Maſſen gegen deutſche Kulturleiſtungen auszutoben. Mit allen Mitteln
wurden dem Deutſchtum Weſtpreußens, Poſens und Oſtoberſchleſiens die wirtſchaft⸗
liche Exiſtenz und der kulturelle Lebensraum genommen. Wohl nahezu eine Million
deutſcher Menſchen iſt im erſten Jahrzehnt der Zugehörigkeit ihrer Heimat zum
neuen Polen gewaltſam von dem Boden verdrängt worden, auf dem ihre Ahnen
ſeit Jahrhunderten gelebt und geſchafft hatten. Die unter preußiſcher Herrſchaft
hochentwickelten Provinzen mußten ſich langſam dem viel tieferen Lebensſtand
Kongreßpolens anpaſſen. Die Feindſchaft, der fih jetzt auch die Deutſchen in Mittel-
und Oſtpolen gegenüberſahen, hat auch dieſe, vor dem Weltkrieg politiſch wenig
entfalteten Volksgruppen zum tätigen Volksbewußtſein erweckt und das Echo der
nationalſozialiſtiſchen Revolution hat in den letzten Jahren den deutſchen Er⸗
neuerungsgedanken bis in die entlegenſten deutſchen Siedlungen Oſtgaliziens,
Wolhyniens oder der Bialyſtoker Gegend getragen.
Inzwiſchen hatte Pilſudſki nach zeitweiſer Zurückziehung vom politiſchen Leben
1926 die Macht wieder an ſich geriſſen und der Parlamentsherrſchaft ein Ende
gemacht. Er wußte, daß das polniſche Volk vor allem Zucht und Ordnung brauche
und hat daher das Heer zum Mittelpunkt des ſtaatlichen Lebens und beſonders der
politiſchen Erziehung gemacht. Durch eine einheitliche politiſche
Weltanſchauung das polniſche Volk innerlich zu formen,
war dem Marſchall nicht beſchieden. Die durch ihn von der Macht
ausgeſchloſſenen Nationaldemokraten, die über ein ſolches Weltbild verfügten,
20 Kleine Beiträge
ewannen daher von Jahr zu Jahr größeren Einfluß auf bas polniſche Denten —
elbſt im Regierungslager. S pa gegen Deutſchland war und blieb bie
bequemſte politiſche Parole! ährend Piljudjfi weitblickend erkannte, daß eine
Befriedung des deutſch⸗polniſchen Verhältniſſes vor allem der Sicherung des
polniſchen Staates ſelber diente und mit dem Führer den Gewaltverzichtspakt
abſchloß, ging in ſeinem Lande die deutſchfeindliche Agitation beſonders in Preſſe
und Wiſſenſchaft — z. T. ſogar mit 5 Unterftü ung! — weiter. Sein Nad:
folger Rydz⸗Smigly, dem bas Anſehen bes er[ten Marſchalls fehlte, mußte bei dem
Fehlen klarer weltanſchaulicher Leitſätze erft recht in die Abhängigkeit von Melen
deutſchfeindlichen Strömungen geraten. Die wachſenden innerpolitiſchen Schwierig⸗
keiten ſeiner Staatsführung waren ſchließlich nur noch in dem alle einigenden
Zeichen der Feindſchaft gegen das Dritte Reich und das Deutſchtum in Polen zu
überbrücken. Damit gab Rydz⸗Smigly das oberſte politiſche Ziel ſeines größeren
Vorgängers, Polen im Frieden mit ſeinen Nachbarn zu einer unabhängigen Groß⸗
macht zu erheben, auf und machte ſein Volk zum Stein im Spiel der Weſtmächte.
Dieſer Verrat am politiſchen Erbe des großen Marſchalls
hat unerwartet raſch Polen zum völligen Zuſammenbruch geführt. Seine Urſachen
liegen letztlich — ähnlich wie es im 18. Jahrhundert der Fall war — in der Maß⸗
W Zuchtloſigkeit und Unduldſamkeit politiſchen Denkens und Handelns in
Polen. Die Notwendigkeit, endlich zu dauernder xad Magali unſerer Oſtgrenze
zu gelangen, ſtellt uns heute vor Aufgaben des Ordnens und Führens, die viel
weitreichender und in Beachtung geſchichtlicher Lehren gründlicher ſein werden,
fs d es je zuvor in der wechſelreichen Geſchichte ber deutſch⸗polniſchen Nachbar⸗
aft waren.
Kleine Beitrage
Seelen“ ſprach, der dem ſchwerſten Anſturm
der Feindpropaganda ſtandhalten mite.
Die Reden bes Generalfeldmarſchalls und
Ludendorffs Ratschläge
an Wilhelms Kabinett
Selbſtverſtändlichkeiten von 1939
In feiner Rede vor ben Rüſtungsarbeitern
hat Hermann Göring die Entſchloſſenheit
des deutſchen Volkes verſichert, wie auf
militäriſchem und wirtſchaftlichem Gebiet,
auch auf dem inneren Kriegsſchauplatz alle
Einbruchsverſuche der Feindſeite zurück⸗
zuſchlagen. er Generalfeldmarſchall hat
das Ziel der „verlogenen britiſchen Propa⸗
ganda“ bloßgeſtellt, die verſucht, „das Volk
aufzuwühlen, es zur Revolution zu bringen,
dadurch innerlich zu ſchwächen und ſchließ⸗
lich zum Erliegen zu bringen“. Reichspreſſe⸗
chef Dr. Dietrich hat ebenfalls in einem
Appell an die deutſche Preſſe die Lebens⸗
notwendigkeit einer ſtarken inneren Front
betont, als er von dem „Weſtwall der
des Reichspreſſechefs laffen erkennen, d
die Führung des deutſchen Volkes im
Gegenſatz zu den verantwortlichen Politikern
Deutſchlands im Kriege 1914 bis 1918 heute
auch auf dem inneren Kriegsſchauplatz den
britiſchen Angriffen und Störungsverſuchen
die richtige Antwort geben wird.
Nur ein Mann hat während des Welt
trieges die Gefahren der feindlichen Propa:
ganda und die Hilflosigkeit der deutſchen
kaiſerlichen Regierung ihr gegenüber er⸗
kannt — der Feldherr Ludendorff. Neben
den gewaltigen Leiſtungen, die Ludendorff
auf militäriſchem und organiſatoriſchem
Gebiet während des Weltkrieges vollbracht
hat, wird wenig beachtet, daß er die einzige
führende deutſche Perſönlichkeit geweſen 1,
die mit Inſtinktſicherheit die ungeheure
Hans Sues von Kulmbach; „„Anhetung) den Könige‘
Teil eines 1511 in Krakau gemalten Altars
|) ER fe We fo?
S ‚ — wT ` em, gr em ma
Por | ef — emt
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1
[
Apostelkopf von Hans Dürer, dem Bruder des großen deutschen Meisters
Neuentdeckte Fresken in Czerwinsk
Kleine Beiträge 21
rus der ſeeliſchen ipi des deut:
den Volkes durch bie gegneriſche Propa:
anda richtig eingeſchätzt hat. Leider find
ie E de Vorſchläge Ludendorffs, bie
auf eine ſtraffe Zuſammenfaſſung aller
. durch eine zentrale
telle und au eine geſchickte ſeeliſche Füh⸗
rung des Volkes hinzielten, unbeachtet ge⸗
blieben oder viel zu ſpät und dann noch
unvollkommen befolgt worden.
Aus den Kriegserinnerungen des Feld⸗
ae geht hervor, mit weld e teed
ge er die raffinierte feindliche Propa⸗
nba und ihre Auswirkungen auf bie
eeliſche Spannkraft und die „ geiſtige
Kriegsfähigkeit“ des Volkes verfolgte.
Scharfe rte fällt Ludendorff über die
unzureichende und falſch angelegte, ſehr oft
nor Haltung deutſcher Blätter.
„Auf die feindliche Propaganda ſtarrten
wir wie das Kaninchen auf die Schlange.
Sie war ausnehmend probail ig und ges
(fidt, arbeitete mit ftarten, au ie Maſſen
wirkenden Gedanken in vollſtändiger Über:
einſtimmung mit der Kriegsführung und
gebrauchte ſtrupellos alle Mittel.“
Ludendorff hat die Überlegenheit der
feindlichen Propaganda an ihren großen
Erfolgen klar erkannt. Die „geiſtige
Blockade in den neutralen Ländern“ führt
er auf die Auswirkungen der feindlichen
SR zurüd, die bereits vor dem
tiege klar erkennbar und planmäßig aus:
erichtet geweſen fei. Über bie empfind⸗
ichen Auswirkungen der feindlichen Preſſe⸗
hetze im Lande ſelbſt äußert der Feldherr
an anderer Stelle: „Wir ſahen uns nach
und nach durch die feindliche Propaganda
in Wort und Schrift jo geſchickt ange A
daß viele bald nicht mehr zu unterſcheiden
vermochten, was feindliche Propaganda,
was eigenes Empfinden war. — Während
wir auf dem Kriegsſchauplatz die Initiative
faſt bis zuletzt in der Hand dE führte
der Feind den Kampf der Geiſter von vorn⸗
herein in geſchloſſener Einheitsfront auf
der ganzen Linie angriffsweiſe und fand
Hilfstruppen in vielen Deſerteuren, in den
neutralen Staaten, aber leider auch Unter⸗
ſtützung im deutſchen Vaterlande ſelbſt.“
Ludendorff führt in ſeinen nach dem
Kriege erſchienenen Büchern und riften
über den Itfrieg zahlreiche Beweiſe für
die deutſche politische Unreife und Urteils⸗
loſigkeit“ an, die auch auf die Haltung des
topten Teiles der deutſchen Preſſe im
tiege zutreffen. Er macht der Preſſe
während des Weltkrieges den Vorwurf,
durch die zum Schluß des Krieges immer
tärker werdenden yy al von einem Gers
ändigungs⸗ und Kompromißfrieden den
eind keineswegs . tig, dafür
aber das deutſche Volk in ſeinem Willen
zum Siege beeinträchtigt zu haben: „Man
glaubte, die feindlichen Völker müßten den
verſöhnlichen Worten ſehnſüchtig lauſchen
und würden ihre Regierungen zum Frieden
drängen. So wenig kannte man die Geiſtes⸗
richtung der feindlichen Völker und Res
gietungen mit ihrem 9 185 nationalen
enken und ſtahlharten Wollen.“ In ſeinen
Kriegserinnerungen verurteilte Ludendorff
hart das ungeſchickte Verhalten deutſcher,
öſterreichiſcher und ungariſcher Blätter, die
bei den Verhandlungen rage Deutſch⸗
land und dem ſowjetruſſiſchen Bevoll⸗
mächtigten Trotzki durch ihre past te per
Redensarten die Stellung Trotzkis feltigten.
„Unter dieſen Umſtänden hätte Trotzki ein
hatte ſein müſſen, wenn er nachgegeben
ätte.“
Ludendorff hat während des Krieges nicht
etwa nur in abweiſender Kritik gegenüber
dem ee en ber deutſchen Propaganda
und der ute keit der deutſchen Preſſe
verharrt. Obwohl für die politiſchen Ver⸗
hältniſſe im Landesinnern, alſo auch für
die Volksſtimmung nur der Reichskanzler
verantwortlich war, hat 1 es ne
feine Pflicht gehalten, auch auf dieſem Ges
biet Vorſchläge zu unterbreiten, deren weit⸗
blickende Gesichtspunkte und Leitgedanken
von unabſehbar günſtigen Auswirkungen
geweſen wären, hätte man dieſe Pläne ver⸗
wirklicht. Ludendorff war angeſichts der
von außen gegen die geiſtige Schlagkraft
und gegen den Siegeswillen des deutſchen
Volkes arbeitenden Auslandshetze von der
Notwendigkeit einer einheitlichen Leitung
der Preſſe überzeugt, „um eine geſchloſſene
Stimmung im deutſchen Volk von neuem
ins Leben zu rufen und das Trennende
verſchwinden zu laſſen“.
Die feindliche Propaganda konnte nach
ſeiner Anſicht nur in der Form einer un⸗
mittelbaren und ſchlagartigen Aufklärung
bekämpft werden. „Jedem Deutſchen war
täglich zuzurufen, was ein verlorener Krieg
für Deutſchland bedeutete. Bild und Film
hatten gleiches zu verkünden. Ein r⸗
ſtellen der efahren hätte anders gewirkt
als das Denken in Kriegsgewinnen aller
Art, als Reden und Schreiben von Ver⸗
ſtändigungsfrieden.“
Um die Seele des deutſchen Volkes nicht
„ſteuerlos und führerlos allen auf ſie ein⸗
22 Kleine Beiträge
ſtürmenden Gefahren zu überlaſſen“, wandte
ch Ludendorff im Dezember 1916 an den
eb el mit dem Vorſchlag, „bei der
Reichskanzlei eine Stelle für die einheitliche
Führung der Preſſe im ganzen Reich auf
allen Gebieten zu ſchaffen“ Unter einer
maßgebenden. dem Reichskanzler unmittel-
bar unterſtellten Perſönlichkeit ſollten alle
Preſſeämter der zivilen Behörden zuſam⸗
mengefaßt und in Zuſammenarbeit mit dem
Kriegspreſſeamt und der Preſſeabteilung
des Admiralſtabes gebracht werden. Die
Preſſeabteilung des Auswärtigen Amtes
ſollte auf außenpolitiſche Fragen beſchränkt
werden, ſollte ſich jedoch intenſiver mit den
feindlichen. neutralen und verbündeten
eitungen befaſſen. Beſonders aufſchlußreich
ür den Einblick. den Ludendorff in das
eitungsweſen hatte, war der gleichzeitige
orichlag, eine zentrale Stelle für die wirte
ſchaftlichen Intereſſen der Preſſe zu ſchaffen.
Sämtliche Vorſchläge Ludendorffs
wurden von dem damaligen Reichskanzler
Bethmann Hollweg glatt abgelehnt.
Eine einheitliche Sührung der deutſchen
Preſſe war damit vereitelt, der pazifiſtiſchen
und marxiſtiſchen Zerſetzung ſtanden alle
Möglichkeiten offen.
Ludendorff verſuchte, auf dem Wege über
das Kriegspreſſeamt, das der Oberſten
e aren unterſtand, eine gewiſſe ein⸗
eitliche Linie zumindeſt in bezug auf mili⸗
täriſche Dinge ae abi qid Wiper.
konnte bas Kriegspreſſeamt niemals au
nur entfernt ein Erſatz für eine einheitliche
Reichsorganiſation ſein. Das Fehlen einer
entralen Reichsſtelle für die Leitung der
reſſe machte ſich auch in anderer Hinſicht
unheilvoll bemerkbar. Die verantwortlichen
militäriſchen quot bie das deutſche
Schickſal im Kriege auf ihren Schultern
trugen, hatten nicht ausreichend Gelegen⸗
a: mit bem Volk in Berührung zu
ommen. „Mir a das Podium, um mid
auszuſprechen“, ſtellte Ludendorff felt.
Die Kriegspreffequartiere Oft und Welt.
in denen die Kriegsberichterſtatter unter:
ie waren, wurden von Ludendorff,
em an einer engen Verbindung zwiſchen
Heimat und Da außerordentlich gelegen
mar, ſoweit dies überhaupt möglich mar
gefördert. Ebenſo bemühte fid) udendorff
durch die Einrichtung von Armeezeitungen
den Geiſt der Truppe zu heben. Im Bereich
des Oberbefehlshabers Oſt wurde ein be⸗
ſonderer Nachrichtendienſt ſür die Armee⸗
zeitungen eingerichtet, Feldbuchhandlungen
mit Zeitungen aller Parteien — mit Aus⸗
nahme ſozialdemokratiſcher Blätter —
wurden ebenfalls angelegt. „Die Schnellig⸗
keit der Briefs und Zeitungsſendungen
e ich Nachprüfungen Es lag mir
daran, Soldat und Heimat einander fo nahe
wie möglich zu bringen.“
Noch viele Worte des Feldherrn ließen
Ki anführen, aus denen hervorgeht, wie
ehr Ludendorff durch den Krieg auf die
große politiſche Bedeutung der Breie für
die Stimmung des Volkes im Innern unb
bin die Beeinfluſſung der übrigen Welt
ingelenkt wurde. Ludendorff erkannte mit
ſeiner genialen organiſatoriſchen Begabung
auch die Mängel unſerer deutſchen Volks⸗
aufklärung. „Wir hatten keinen Welt⸗
telegraphendienſt mit eigenem Kabel und
Ge Wir entbehrten einer
ührenden deutſchen Zeitung auf ſtark natio:
naler Grundlage von dem Einfluß auf das
Ausland und der Bedeutung für das In⸗
land, wie die „Times“ in England und
der „Temps“ in Frankreich.
Ludendorff iſt es infolge des mangelnden
Verſtändniſſes der damaligen politiſchen
Stellen nicht möglich geweſen, die einheit⸗
liche Leitung der deutſchen Preſſe, bie Ause-
richtung der Pe en auf das Schickſal
der Nation . aß er En
unter dem Druck der ungeheuren, mehrere
Jahre auf ihm laſtenden ſchweren Verant⸗
wortung noch Zeit fand und es für not⸗
wendig hielt, ſich mit der Aufgabe der
Preſſe zu befaſſen, iſt kennzeichnend für die
Bedeutung, die Ludendorff der Wirkſamkeit
an der inneren Front der Nation beimaß.
Das Deutſchland von 1939 iſt im Gegen⸗
ſatz zu dem kaiſerlichen Deutſchland von
1914 auch im Inneren die beſtgerüſtete und
eſchloſſenſte Macht der Welt. Göring hat
n feinem großen Appell an das deutſche
Volk dies feierlich verſichert, als er er⸗
Härte: „Auf dieſem Gebiet uns zu ſchlagen,
ijt unmöglich, ſolange das Volk einig ilt,
ſolange die Partei das Volk führt und ihm
Kraft gibt, ſolange die alten Parteigenoſſen
willen, daß fie wieder aufgerufen find,
voranzugehen wie in den Kampfjahren und
— vor allen Dingen — ſolange unſer
Führer vor uns ſteht.“
Heute ſteht der „Weſtwall der Seelen“
unbezwingbar aufgerichtet und iſt weder
durch die „Platzpatronen“ der Flugblatt⸗
de noch durch bie Fehlzünder und
lindgänger der ſchwerſten ritiſchen Rund:
funk⸗Kanonaden zu erſchüttern.
Wilhelm Jung
7
XY
A
7
RI an
Die neue Lage der Reichshauptstadt
Als Adolf Hitler vor mehr als sechs Jahren in die damalige Reichskanzlei einzog,
war Berlin dreifache Grenzstadt: 150 km Luftlinie von der tschechischen Grenze ent-
fernt, 150 km von der polnischen Staatsgrenze und 150 km Luftlinie von der damals
schutzlosen Ostsee. Heute, nach nur 6'/, Jahren nationalsozialistischer Regierung, ist
die Hauptstadt des Reiches nach allen Seiten geschützt und auch räumlich weit mehr
eine Mitte geworden. Böhmen, das „Herzland Germaniens“, kehrte heim ins
Reich, die Ostsee wird durch unsere starke Kriegsmarine geschützt, wobel die deutsche
Seegeltung weit über die Dreimeilenzone der pommerschen Küste hinausreicht, und
schlieBlich hat die Ausráumung des polnischen Unruheherdes die Ostgrenze um rund
550 km, vom FlüBchen Obra zum großen Bug, hinausgerückt.
Wenn wir uns um Berlin als Mittelpunkt einen Kreisbogen (mit etwa 530 km Halb-
messer) geschlagen denken, so liegen auf diesem Kreisbogen die großen Arbeits-
mittelpunkte Kónigsberg, Warschau, Krakau, Wien, Münchén, Karlsruhe (also etwa
die französische Staatsgrenze) sowie Aachen.
Berlin ist damit weit mehr als eine deutsche Mitte geworden, mehr als Paris es für
Frankreich ist. Dr. Dr. F. Lg.
24 Neue Bücher
Neue Bücher
Aus Gründen der Waumceriparnis zeigen wir empfeh⸗
lenswerte Bücher nur in Kürze an, behalten uns jedoch
längere Besprechungen von Jall zu Gall vor.
Paul Stedertz: Freimaurer im Rampf um die
Macht“, Hanſeatiſche Verlagsanſtalt.
Es tft der Kampf des portu ieſiſchen Königs Dom
Miguel um die Freiheit jeines Volkes, der hier in einer
jeb: wiſſenſchaftlich gehaltenen Urdeit geſchildert wird.
ie Sabre 1820 bis 1834 liegen gwar weit zurück, aber
der niederträchtige Kampf der internationalen Frei⸗
maurerei der hier an Hand von untrüglichem Beweis⸗
material geſchildert wird, iſt der gleiche geblieben wie
damals. Die Fäden des Logenweſens reichen damals
don nach London und Yaris, woher jene geheime Hilfe
ezogen wurde, um einen König zu ſtürzen, deſſen Leben
nur einer ftarten 0 und umſichtigen Staats⸗
reformen gegolten hatte. Ein intereſſantes Dokument
IR bieles Buch, aus dem viele Europäer eine Menge
lernen können. Die Freimaurercliquen der Demokratien
laſſen heute in den Schützengräben Frankreichs die
Völker ihre letzte große Schlacht in Europa austragen.
Alfred Rapp: „Die Habsburger“, Frandh ide
Verlagsbuchhandlung, Stuttgart.
Die umfangreiche Geſchichte der Habsburger trägt
den Charakter einer Anklageſchrift. Sie hat die graben
deutſch⸗ bewußten Führerperſonlichkeiten bes Geſchlechtes
nicht ins Licht gerü t, bas fie von ber ſchwarzen Nacht
bes Wirlens anderer mitglieder dieſer Familie ſcheidet.
Das Material über Patsburgs etbrefen an
Deutſchlands Geſchichte tft jedoch im ganzen eindrucks⸗
voll. „Die Habsburger find eine Dynaſtie ohne
Nation, immer nur ein Fürſtengeſchlecht, nie das
Führergeſchlecht eines Volkes“, fo lautet Rapps Urteil,
auf das — von den ftarten deutſchen Perſönlichkeiten
auch hier ab ah An — andere Fürſtenfamilien in eben⸗
de mſelben Ma nſpruch erheben können.
Adolf Bartels: „Die Dithmarſcher“, Hanſeatiſche
Verlagsanftalt.
Perſönlichkeit und Werk des großen Sohnes von
Weimar haben wir in dieſer Zeitſchrift don ausführ⸗
lich behandelt. Wir weiſen auf die Volksausgabe des
hiſtoriſchen Romans hin, in dem er eine Chronik der
dithmarſiſchen Bauerngeſchlechter aufzeichnet. Alte
Sippengeſetze und eine Freibauernverfaſſung ruft ber
meiſterhafte Bericht ins Gedächtnis, die unſere Er⸗
neuerung des Bauerntums in feiner völkiſchen Wurzel
offenbaren. Es fei ferner auf die uns vorliegende kleine
Schrift von Adolf Bartels „Weimar und die
beutíde Kultur“ verwieſen, die im Fritz Fink
Verlag. Weimar, erſchien.
Martin RNaſchke: „Die ungleichen Schweſtern“,
Paul iit Verlag, Leipzig.
Das ſchöne Dresden mit ſeinen barocken Faſſaden,
Türmen und Schlöſſern, die Elbbrücken und die
grünen on am Strom find der Hintergrund
eines febr feinen Romans, der in die Stille des
Herzens führt und die feinen Regungen des Gefühls
dichteriſch geſtaltet. Dieſe Kunſt hat eine erzieheriſche
Macht deſonders dort. wo einer glaubt, dieſen
Regungen nicht nachgeben zu dürfen.
Schwertfeger / Volkmann: „Die deutſche Sols
„ 2 Bde. Wibliographiſches Inſtitut,
eipzig.
Die Verfaſſer wollten keine Sondergeſchichte des deut⸗
daffen, ſondern den deutſchen
uern, Arbeiter, Gelehrten uſw. im Gewand des
Soldaten als den ewig unberdnberfifen deut
Menſchen zeigen. Notwendig erſchien es ihnen, eine
kulturgeſchichtliche und volkskundliche Arbeit über dieje
wichtige Lebensform unferes Volkes vorzulegen. In
zwei dicken Bänden, von denen der zweite ein Bilder⸗
atlas mit Erläuterungen wurde, iſt man dieſer Aufgabe
ege E nint der in dieſen Wochen ein brennendes
ntereſſe entgegengebracht wird.
i Werle zur Kunſtgeſchichte
Wilhelm Binder: „Die Kun der erſten
80 erzeit“ bis zur Mitte des 15. e irch
Verlag E. A. Seemann, Leipzig.
Der zweite Band einer Reihe kunſtgeſchichtlicher
Werke Pinders, die in das Weſen der deutſchen Formen
einführen, gilt der Zeit eines in den Städten auf⸗
blühenden Bürgertums und einen maleriſchen Zeit⸗
alter. Gute Aufnahmen veranſchaulichen, was der nam
SE Kunſthiſtoriker unjerer Tage intereſſant be
andelt.
Max Wegner: „Tilman Nienenſchneider“, Verlag
Pfeſſer & Co., Landsberg -W.
Eine knappe, febr ſpannende Darſtellung vom Schick
ſal des großen e Bildſchnitzers. Neben dem
zn von 1500, bas unjer um Freiheit ringenbes
olk im N dieſes deutſchen Meiſters zeigt, finden
wit eine Würdigung ſeines Werkes ſowie E
Reproduktionen. Wir weiſen ferner auf L. G. Sad
manns Riemenſchneider⸗Roman „Meiſter Bürs
er, Rebell“ hin, der bel Ferdinand Schöningh,
aderborn, verlegt wurde.
Georg Schorer gibt im niis ru %oltsverlcg,
München, eine [ehr knappe, Dur tlhe Abbildungen
erläuterte Überſicht über die deutſchen Kunſtformen
eraus. Seine „Deutſche Kunſtbetrachtung“ eignet
d zum Einarbeiten in die Entwicklung der Foren
von ber Frühzeit bis in unfere Tage. Die bejte An:
leitung für das Erkennen der Kunſtepochen, die aller⸗
dings ein fleißiges Studium votausſetzt, erblicken wir
in der Neuauflage von Paul Brandts vergleichender
Kunſtbetrachtung. Das Werk „Sehen und Erkennen
erſchien im Alfred Kröner Verlag, Stuttgart.
Die Völker im Donauraum
Der ausgezeichnete Kenner Gübofteuropas Hermann
Ullmann verſteht es, in großen Linien in feinem bei
Eugen Diederichs. Jena, erſchienenen Buch „Die
Völler im Südoſten“ ein Bild von Herkunft unb Auf ⸗
gabe der Volker bes Südoſtens zu entwickeln. Da Ul
mann vor allem die hiſtoriſche Entwicklung aufzeigt
und Zuſammenhänge aus der Fülle ſeines Willens
deutet, erhält Diele Arbeit in Zeiten eutopäiſcher
Spannungen ein erhöhtes Intereſſe. Die Einzel⸗
heiten ber neueren Geſchichte bes Donauraumes (ab
E Wat 1938) erhält das iar "urina
[fen uui lire ens
erk Egon Heymanns, „Balkan,
niſſe, Revolutiounen” (Junker & Dünnbaupt tlag).
Dieſe faubere Darftellung ift befonders für ben Zeit
raum der e be olitif bie hervorragendſte Quelle,
bie in den legten abren erihien. Der Luſer⸗Verlag in
Wien brachte in den erſten Kriegstagen eine aktuelle
Arbeit „England greift nach Südeſtenrepa von
Helmut Böttner heraus, die jene verderblichen
weſtdemokratiſchen Einflüſſe in den aufſtrebenden
Staaten ber jungen Völker Südaſteuropas belegt.
Hauptschriftleiter: Ginter Kaufmann.
Anſchrift der Schriftleitung: Reichsjugendführung, Berlin W 35 C 53. Fernſprecher 22 90 91. —
tlin
Verlag:
checkkonto: Berlin 4454. Verantwortli
ruck: M. Müller & Sohn KG., München;:
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tolgende Nummern der Zeitfchrift „Wille und Macht“:
Jahrgang 1933:
Die Folgen 1 bis 24 und das Tıhaltewerseichnie
Jahrgang 1934:
Die Folgen 1, 2, 3, 4, 5, 6, 8 (je 2 Stück),
die Folgen 11 und 22 (je 1 Stück)
Jahrgany 1935:
Die Folge 24 (1 Stück)
Jahrgang 1936:
Die Folge 1 (3 Stück)
Jede einzelne dieser Nummern ist von hóchstem Wert. In Deinem
Schrank sind die Hefte der Allgemeinheit nicht zugänglich. Sende sie daher an das
HAUPTARCHIV DER NSDAP.
Abt. IV/B
München 33, Barerítra Be 15
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tecorgan der nationallozialiſtiſchen Jugend
HERAUSGEBER: BALDUR VON SCHIRACH
* Inhalt:
Der Aufstand gegen den Kapitalismus
Bruno Brehm I Im Osten des Reiches
Deutsch-russische Wirtschaffsplanung
ner Schlösser: Soldatenabschied / Hans Friedrich Blunck: Kleine Sprüche | Außen-
tische Notizen = Johannes Stoye: Wo steht Spanien heute? } Jugoslawien im Auf-
bau | Kleine Beiträge — Gottfried Schlag: Anselm Feuerbach
ibmonatsschrift / Heft 21 Berlin, 1. November 1939 Preis 30 Pf.
‚ INHALT
Bruno Brehm: Im Osten des Reiches
Rainer Schlösser: Soldatenabschied
Kurt Seesemann: Der Aufstand gegen den Kapitalismus
Hans Friedrich Blunck: Kleine Sprüche
AUSSENPOLITISCHE NOTIZEN
Johannes Stoye: Wo steht Spanien heute?
Werner A. Fischer: Deutsch-russische Wirtschaftsplanung
Jugoslawiens Ausgleichspolitik
KLEINE BEITRÄGE
Gottfried Schlag: Anselm Feuerbach
KUNSTDRUCKBEILAGE
Anselm Feuerbach: Selbstbildnis. Das Konzert. Studie zur Iphigenie.
Weiblicher Studienkopf
lle. Macht
Führerorgan dernationallozialiftilchen Jugend
HERAUSGEBER: BALDUR VON SCHIRACH
Jahrgang 7 Berlin, 1. November 1939 Heft 21
Bruno Brehm:
Im Osten des Reiches
In Prefov, in der Slowakei, gehe ich auf dem Marktplatz umber und fefe mir die
Häuſer an. Die Mitte des langgeſtreckten Platzes nimmt eine Anlage ein, die ein
Denkmal umſchließt, von dem nur noch der breite Sockel erhalten iſt. Es mag dort
zur Zeit, da Preſov noch Eperjes hieß, ein ungariſches Milleniumsdenkmal geſtanden
ſein, eines jener Denkmale, wie ſie Ungarn zur Erinnerung an den tauſendjährigen
Beſtand des Königreiches an allen Orten errichtet hatte. Die Mehrzahl von dieſen
Denkmälern ſind von den Serben, den Rumänen, den Tſchechen und den Slowaken
geſtürzt worden, die leeren Sockel zeigen an, wo dieſe Erinnerungszeichen einſt ge⸗
ſtanden. An der ſchmalen Stirnſeite des Parkes iſt ein zweiter leerer Sockel: dort
war das Maſarykdenkmal von den Tſchechen errichtet worden, und vor dieſem ſteht
nun das große Doppelkreuz der Slowakei. Mir gegenüber lehnt in der Türe ſeines
Geſchäftes ein junger Mann von geradezu fataler Schönheit, den wir nur mit den
Worten eines Schlagers kennzeichnen können, der gewiß von einem ſeiner weiter
nach Weſten verſchlagenen Volksgenoſſen ſtammen mag: „Was kann der Sigismund
dafür, daß er ſo ſchön iſt.“ Das Haar des jungen Herrn iſt leicht gekräuſelt, ſeine
Schuhe ſind von zweifarbenem Leder, aus der Bruſttaſche ſeines allzu ſchmiſſig ge⸗
ſchnittenen Rockes ragt ein ſeidenes Taſchentüchlein, der umflorte Blick der dunklen
Augen verfolgt gleichgültig die ſingend über den Platz ziehenden Kolonnen eines
Alpenjägerregiments, deren Nagelſchuhe über das holperige Pflaſter klirren. Ein
Soldat bes ſlowakiſchen Arbeitsdienſtes, der durch feine blaue Armbinde als Jude
gekennzeichnet iſt, verſchwindet neben dem ſchönen Sigismund im Geſchäft, um die
durch ſeinen Dienſt wohl recht unwillkommen unterbrochene Handelstätigkeit wieder
aufzunehmen. Ein paar Fiaker döſen neben der Anlage in der heißen September⸗
ſonne vor ſich hin, und ein jüdiſcher „Waſſerer“ ſchüttet das Fahrgeſtell mit einem
Kübel Waller an, damit das Fuhrwerk feinen Glanz behalte. Einige Jüdinnen,
ganz nach der letzten Mode gekleidet, in Gang und Weſen genau ſo, wie wir ſie noch
vor nicht allzu langer Zeit in Wien oder Prag, wie wir ſie heute noch in Bukareſt
oder Budapeſt ſehen können, durch keinen Hauch von Provinz etwa verſtaubt,
trippeln vorbei, von unſerem Sigismund achtungsvoll gegrüßt. Drüben, jenſeits
2 Brehm / Im Osten des Reiches
des Partes, klappern nun die Hufe ber Maultiere mit den Maſchinengewehren
vorbei. — Irgend etwas an dieſem Bild, in dem ſo viele Schichten übereinander
liegen, ſtimmt mir nicht. Ich gehe an das andere Ende des Marktplatzes zu der großen
gotiſchen Kirche hinüber. Richtig, da iſt es: der breite Balken, auf dem ſich das
große ſpätgotiſche Lettnerkreuz erhebt, hat eine deutſche Inſchrift. Ich ſehe mir das
ſchöne Gewölbe an, verweile bei dem prunkvollen Chorgeftühl und betrete dann
wieder den weiten Platz. Die Alpenjäger ſind ſchon durchmarſchiert. Nun weiß ich
auch, was mich ſo beunruhigt hatte: Der weite Platz hier mit ſeinem Park in der
Mitte iſt der Platz eines deutſchen Angerdorfes, durch alle Zeiten hindurch, durch
alles Verbauen und Vermauern iſt noch die alte Sprache der Anlage zu vernehmen.
Ein paar Stunden vorher hatte ich auf einer Paßhöhe über dem Zipſerland ver⸗
weilt und gemeint, in ein vergeſſenes und von uns vertanes Paradies zu blicken.
Deutlich hatte ich tief unter mir, rings um die mächtigen Trümmer der Zipſerburg,
die deutſchen Dörfer erkannt. Auch dort auf der Höhe war, verborgen von einer
Baumgruppe, ein Denkmal zu ſehen geweſen, ein Honveddenkmal aus dem Jahre
1848, das an eine entſcheidende Schlacht der Honved gegen die kaiſerlichen Truppen
erinnerte. Ein Geiſtlicher hatte ſich zu uns geſellt und im Verlaufe des Geſpräches
geſagt: „Ich bin Dechant in einem Ort nicht weit von hier. Mein Name iſt polniſch.
Erzogen bin ich als Ungar. Studiert habe ich in Wien im Pazmaneum, Sie kennen
ja wohl die jungen Theologieſtudenten in dem blauen Habit; dann ſind wir
Tſchechoſlowaken, ſpäter Slowaken geworden, was wir morgen fein werden, ob
Polen oder Deutſche, wir wiſſen es nicht.“ „Polen kaum“, erwiderte ich. Aber mehr
ſagte ich nicht, denn ich hatte im Verlauf des Geſpräches herausgehört, daß das
Herz des Dechants für Ungarn ſchlug. Auch er hatte geſtürzte Denkſäulen in ſeiner
Bruſt, und ich hütete mich, an Wunden zu rühren. Hier kann jedes Wort Gift oder
Balſam ſein, es iſt nicht gut, in dieſer Dämmerung zu laut und zu deutlich zu
ſprechen, denn dieſe Geſchichte, die nun anhebt, iſt ja auch nicht mit Worten gemacht.
Kameraden, ich bitte euch alle, die ihr in den Oſten geht: hütet eure Zungen, ſeid
klug und zeigt Takt. Schaut mehr mit den Augen, habt Achtung vor fremdem Leid
und laßt den Menſchen Zeit, ſich an das Neue, das allenthalben Werdende zu ge⸗
wöhnen. Glaubt nicht, daß dieſe Menſchen, denen ihr begegnet, falſch ſind, weil ſie
mit ihrer Meinung nicht herausrücken wollen. All dieſe Völker haben maßlos ge⸗
träumt, haben den Boden unter den Füßen verloren und haben — das müßt ihr
euch immer vor Augen halten, auf unſere Koſten geträumt! Wenn wir vor ſie
hintreten, ſo tritt die neue Wirklichkeit vor ſie hin, die ſie ganz und gar vergeſſen
hatten. Der alte, nun endlich überwundene Zwieſpalt preußiſch⸗öſterreichiſcher Ge⸗
ſchichte allein war es, der unſere großen Verluſte im Oſten bewirkte. Nun find wir
wieder hier. Und ihr werdet die Spuren unſerer Arbeit in faſt allen Städten des
Oſtens finden. Haltet die Augen offen! Nicht allzu oft haben Geſchlechter, wie das
eure, das Glück, ſelbſt Geſchichte machen zu dürfen. Erweiſt euch dieſer Ehre würdig!
Weiter nach Norden geht es; mit Wehmut nur verlaſſe ich dieſes ſchöne Land der
einſt deutſchen Bergſtädte, von dem mir mein Vater einſt nicht genug hatte erzählen
können. Er hatte als Leutnant hier in den Karpaten gedient und mit anſehen
müſſen, wie die Deutſchen damals madjariſiert wurden. Er dachte nur mit Bitter⸗
keit an jene Zeit, in der ein Stück Volkstum nach dem anderen abgewürgt worden
war. Die Städte waren verlorengegangen, die Bauern ſind geblieben, bis weit
über Lemberg hinaus. Was wir nun ſehen, wirkt geradezu geſpenſtiſch. Wir kommen
durch Ortſchaften, die nach ihren Häuſern und Kirchen ein rein deutſches Gepräge
haben, waren es doch einſt deutſche Gründungen, deren Siedler den Weg über
Brehm / Im Osten des Reiches 3
Breslau und Krakau genommen hatten. Die Deutſchen find verſchwunden, fie haben
bas Geftange des ungariſchen Königreiches gebildet, in ihren Häuſern wohnen auf
den weiten Plätzen nur mehr Juden.
Wie dieſe Juden ausſehen, hat ein Jude, nämlich Heinrich Heine, im Jahre 1822
beſchrieben, und es hat ſich ſeit dieſer Zeit faſt nichts geändert: „Das Außere der
polniſchen Juden iſt ſchrecklich. Mich überläuft ein Schauder, wenn ich daran denke,
wie ich hinter Meſeritz zuerſt ein polniſches Dorf ſah, meiſt von Juden bewohnt
Bis auf wenige Ausnahmen ſind alle Wirtshäuſer Polens in den Händen der
Juden, und ihre vielen Branntweinbrennereien werden dem Lande ſehr ſchädlich,
indem die Bauern dadurch zur Völlerei angereizt werden.“
Dieſe Juden des Oſtens gehen nicht, ſie flattern in ihren langen ſchwarzen Röcken,
ſie hüpfen, ſie ſchlürfen, ſie ſtehen herum und fahren haſtig auseinander, ſie arbeiten
nicht, ſie haben ſich in den Brennpunkten des Lebens eingeniſtet, um einen ſchmieri⸗
gen Zwiſchenhandel zu treiben, von deſſen Gewinn nicht ein Groſchen dem Gaſtvolke
zugute kommt. Sie ſind es, die nicht nur hier, die in dem ganzen heute im Zwielicht
liegenden öſtlichen Raum alles verſperren und verſtopfen, ſie ſind es, die ſich in den
von uns gebauten und dann wieder von uns aufgegebenen Städten an unſerer
Stelle eingeniſtet haben. Sie ſind unſer häßlichſtes Zerrbild, ſie ſprechen noch unſere
verderbte Sprache, aber ſonſt haben ſie nirgends auch nur einen Bruchteil jener
Arbeit geleiſtet, die unſere Siedler im Oſten getan haben. Es iſt betrübend für uns,
daß es noch keine Geſchichte dieſer Ablöſung unſeres Volkes durch die Juden gibt,
und vielleicht findet ſich einer unter euch, der ſich dieſer ſo notwendigen Arbeit
unterziehen will. Sie muß geleiſtet werden, wenn wir mit den Völkern des Oſtens
zuſammenleben wollen. Denn darüber dürften wir uns wohl alle klar ſein, daß
in Hinkunft nirgends mehr Heines Wort gelten darf: „Zwiſchen Bauer und Edel⸗
mann ſtehen in Polen die Juden. Dieſe betragen faſt mehr als den vierten Teil
der Bevölkerung, treiben alle Gewerbe und können füglich der dritte Stand Polens
genannt werden. Unſere Statiſtik⸗Kompendienmacher, die an alles den deutſchen,
wenigſtens den franzöſiſchen Maßſtab anlegen, ſchreiben alſo mit Unrecht, daß
Polen keinen tiers état habe, weil dieſer Stand dort von den übrigen ſchroff ab⸗
ML. ift, weil feine Glieder am Mißverſtändnis des Alten Teſtaments Gefallen
nden...“
Nun, dak es auf das Alte Teftament, dak es auf die Religion anfomme, das
glaubte wohl auch der Freigeiſt Heine nicht. Die Dinge liegen etwas anders, bie
Wurzel des Übels reicht tiefer. Die Judenfrage in dieſem ganzen Raume iſt die
eigentliche Frage der Zukunft. Nun, da wir nach jahrhundertelanger Abweſenheit
dahin wieder zurückkehren, kann es uns niemand verargen, daß wir jenen, die uns
mittlerweile ſo ſchlecht und ſo verzerrt vertreten haben, klar und deutlich ſagen, daß
wir wieder da ſind. Und wenn wir dieſe Stelle wieder mit rechtſchaffener Arbeit,
mit Fleiß, mit Maß und Gerechtigkeit ausfüllen, dann werden die anderen Völker
erkennen, daß ſie keinen ſchlechten Tauſch gemacht haben.
Wenn ſich die Juden über ihr Schickſal vor der ganzen Welt beklagen, dann müſſen
wir ihnen doch ſagen, daß ſie ſelbſt es waren, die dieſes Schickſal heraufbeſchworen
haben. Denn nur ihrer über die ganze Welt hin wirkenden Hetze, ihrer haßvollen
Unterſchätzung des Deutſchen Reiches war es gelungen, Polens übertriebenes Selbſt⸗
bewußtſein bis zum Irrſinn zu ſteigern. Ich entſinne mich noch, wie es 1914 ge⸗
melen, Da zogen in der Gegend von Rawaruſka ſtundenlang unſere Regimenter
durch die kleinen Judenſtädtchen, und die Juden ſaßen geduckt hinter den kleinen
4 Brehm / Im Osten des Reiches
Fenſtern ihrer Häuschen. Nach unſeren Truppen zogen die Suiten durch — die
Juden blieben, fremd ihnen, fremd uns. So werden fie nicht mehr bleiben können,
denn nirgends zeugt irgendein Ban, ein Feld, eine Straße, ein Platz von ihrer
Leiſtung. Nirgendwo in Europa waren ſie ſo dicht beiſammen geweſen, hatten ſie
fait wie ein Volk gelebt. Aber ein Volk muß Spuren feines Wirkens, Zeugen feiner
Tätigkeit hinterlaſſen. Sie haben Unordnung, Schmutz und keine Spur irgendeiner
Arbeit zurückgelaſſen, ſie konnten nicht einmal ſelbſt emporſteigen, denn ſie wagten
es nicht, ihren Reichtum zur Schau zu ſtellen, um nicht den Neid zu erregen. Daß
uns die Kaftanjuden lieber ſind als jener ſchöne Sigismund vor dem Geſchäft, geben
wir ruhig zu. Aber lieber ſein heißt doch noch nicht lieb ſein. Alle guten Eigen⸗
ſchaften, die ſie als recht⸗ und ſtrenggläubige Juden noch beſaßen, haben ſie auf
ihrem Weg nach dem Weſten verloren, geblieben war ihnen allein jener gierige
Blick und jene Fähigkeit, alles auf Handel und Verkauf, auf Wucher und Geld hin
anzuſehen.
Die Grenze von der Slowakei nach Polen iſt kaum fühlbar. Einzig der von den
Tſchechen in zwanzig Jahren nach der Slowakei getragene Amerikanismus, der mit
Bata⸗Häuſern begann und ſich in faſt neuen, aber kalten und unorganiſch wirkenden
Siedlungen fortſetzte, bleibt zurück, die Dörfer löſen ſich am Nordhang der Karpaten
mehr in Einzelſiedlungen auf, wie ſie etwa die Slowenen in Krain bewohnen, die
ſchönen alten Holzkirchen tauchen auf, und inmitten dieſes ſanften Bauernlandes
ſtehen glücklos und manchmal — wie Gorlice — noch vom letzten Kriege nicht ganz
aufgebaut, die Judenſtädte, noch immer ohne Waſſerleitung und ohne Kanaliſation,
und alle mit den Spuren einer unverwiſchbaren deutſchen Siedlungsgrundlage, fei
dieſe nun das in der Marktmitte ſtehende Rathaus nach ſchleſiſcher Art, ſei es die
geräumige Ringanlage mit unverkennbaren Reſten einſt ſchöner Empire⸗ oder gat
Barockhäuſer. i
Nun find wir wieder in jenem Land, das als Galizien einft zu Öfterreich gehörte
unb bas wir im Jahre 1914 als Soldaten durchzogen haben. Alle Ortsnamen find
uns bekannt, alle Flußläufe wurden in den damaligen Kriegsberichten oft und oft
genannt. Auf der Straße nach Rawaruſka ſind auch wir damals marſchiert, dort
glänzt die Kirchenkuppel von Tomaſchow auf, dort ſind wir damals verwundet und
gefangen worden. Die einſt grünſchimmernden Kupferkuppeln der griechiſch⸗katho⸗
liſchen Kirchen ſind im Kriege abgetragen und durch ſtumpfes Zinkblech erſetzt
worden. Statt der toten Pferde von einſt liegen an den Straßenrändern jetzt zer⸗
ſchoſſene polniſche Autos, umgeſtürzte kleine Tanks, große Autobuſſe mit bem Fahr:
geſtell nach oben. Auf den Feldern pflügen die Bauern, ein alter Mann geht und
ſtreut aus ſeiner blauen Schürze im weiten Schwung den Samen in die aufgepflügte
Erde. In endloſen Zügen kommen uns die braunen Kolonnen der Gefangenen ent⸗
gegen, müde und abgehetzt von ihren endloſen Märſchen ſtolpern ſie an uns vorbei,
nur von ganz wenigen älteren Leuten unſerer Truppen eskortiert. Über bie Rüben:
felder hin zerſtreuen ſich die Polen und ziehen die weißen Rüben oder die Kartoffeln
aus dem Boden. Schlafende polniſche Reiter auf abgetriebenen Pferden reißt unfer
Scheinwerfer aus der Nacht, ein ganzes beſpanntes Artillerieregiment zieht mit
döſenden Fahrern auf den Sattelpferden an uns vorbei in die Gefangenidaft.
Zwiſchen den Kolonnen der Gefangenen rattern unſere Panzerwagen zurück, und
dann kommt in unüberſehbaren Fuhren, von den kleinen ſtruppigen Pferdchen
gezogen, das fliehende und zurückkehrende Volk dieſes unglücklichen Landes, Frauen
und Kinder zwiſchen Heu und Federbetten, Polen, die vor den Deutſchen nach dem
Oſten flüchteten und nun wieder vor den Ruſſen nach Weſten zurück wollen. Wir
— 2
Brehm / Im Osten des Reiches 5
kommen durch viele bentide Dörfer, durch die Kolonien im Cholmer Ländchen, wir
ſprechen mit ben deutſchen Siedlern, die nun ſchon — ach, fie willen gar nicht wie
oft ſchon, wieder einmal den Krieg durch ihr Land gehen ſehen. Ein Bauer bittet
uns in ſein Haus, die anderen ſollen nicht hören, was er uns zu fragen hat. Seine
Mutter, die noch von den Ruſſen aus dem Jahre 1914 her ein Nervenfieber hat,
liegt teilnahmslos und ausgezehrt in ihrem Bett. Der Bauer nimmt den Hut ab
und fragt flüſternd: „Bitte, ſagen Sie mir die reine Wahrheit.“ „Gut.“ „Dann
will ich Sie etwas fragen: Wie ſteht es im Weſten?“ Wir ſagen ihm, daß es im
Weſten noch zu keinen größeren Kampfhandlungen gekommen iſt. Der Bauer atmet
auf. „Das iſt wirklich wahr?“ Er möge es uns nur glauben, ſagen wir. „Die
Polen, die hier durchgekommen find, haben es anders erzählt.“ „Ja“, ſagten wir,
„die hatten ihren Leuten doch erzählt, daß ſie ſchon in Berlin ſeien mit der Haupt⸗
macht, ſie hier wären abgeſprengt und müßten ſich nur noch einige Tage halten.“ Der
Bauer ſtrich ſich das Haar aus der Stirn: „Dann iſt alles gut. Wenn Deutſchland
nur nicht fällt. Dann werden wir hier auch nicht zugrunde gehen.“
Zwiſchen den großen Straßen, auf denen unſere Panzerwagen ſo ſchnell vorgerückt
ſind, dehnen ſich endlos die Wälder und Felder mit den kleinen Dörfern den Bächen
entlang. Stundenlang konnten wir auf den tiefen Sandwegen fahren, ehe wir
wieder auf unſere Soldaten trafen. Bis in die ſpäte Nacht hinein war Volk auf den
Straßen, wartend, ſchauend, zagend, hoffend, den Abmarſch der Unſeren erwartend
und die Ankunft der Ruſſen. Ruthenen in ihren bunten, ſchönen rotweißgeſtickten
Hemden und Röcken, Burſchen, die auf ungeſattelten ſtruppigen Pferdchen Vieh aus
den Wäldern trieben, barfüßige Frauen und Männer in Stiefeln. Große Viehherden
auf den Weiden rings um die Adelsſitze der geflohenen polniſchen Herren, hin und
wieder auf einem Motorrad ein verſtaubter Meldefahrer, rot noch der Himmel
vom Brand eines noch nicht gelöſchten Bahnhofes oder einer in Brand geſteckten
Raffinerie. Ein ſchönes Land, dieſes Galizien mit ſeinen leicht wogenden Hügeln
und den kleinen Dörfern. Es hat nicht ſtark unter dem Krieg gelitten, der Zugriff
war zu raſch, nur Weggabeln und Bahnknotenpunkte, Brücken und Kreuzungen
weiſen die Trichter der Bombeneinſchläge auf. Langſam werden auch die langen
Reihen der auf den Gleiſen ſteckengebliebenen Züge in Bewegung gebracht, im
heimkehrenden Flüchtlingſtrom tauchen immer wieder die dunklen Uniformen der
polniſchen Eiſenbahner auf. Schon ſehen wir, ein Zeichen des kommenden Friedens
in dieſem Lande, die erſten Rauchwolken aus einer Lokomotive aufſteigen, ein mit
Flüchtlingen und Gefangenen vollbeſetzter Zug ſetzt ſich langſam in Bewegung, im
zerſchoſſenen Bahnhofsgebäude amtieren deutſche Eiſenbahner. Und dann die nach
Weſten zurückmarſchierenden deutſchen Soldaten. Es iſt faſt nicht zu glauben, daß
dieſe bayeriſchen, oſtmärkiſchen und ſchleſiſchen Regimenter ſolche gewaltige Marſch⸗
leiſtungen hinter ſich haben, ſo friſch ſehen die Leute aus, ſo prall ſind die Maultiere
und die Pferde. Das kann nicht allein die Unbeſchwertheit der vom ſchweren Gepäck
befreiten Soldaten ſein, was uns da ſo friſch entgegenkommt: ſo marſchieren Sieger,
ſo ziehen Truppen durch ein Land, das ſie in unvorſtellbar kurzer Zeit ſich unter⸗
worfen haben. Es mag wohl viele ſtolze Gefühle geben, eines der ſchönſten aber
iſt doch dies: als Soldat durch ein erobertes Land zu marſchieren. Es iſt dann ſo,
als begönne mit dieſem Marſch eine neue Zeit und ein neues Leben, als trügen
dieſe Truppen des Reiches Zukunft ſelbſt mit ſich in die Ferne. In eine Ferne wird
dieſe unſere Zukunft getragen, die wir mit unſerem Herzſchlag durchpochen müſſen.
Denn nach dieſen braven Soldaten, von denen jeder einzelne das ganze Reich ver⸗
tritt, hat unſere Arbeit, hat unſere Ordnung zu kommen. Wir hoffen, daß es keine
6 Brehm / Im Osten des Reiches
feelenlofe, feine mechaniſche Ordnung allein fein wird, die wir zu bringen haben.
Was wir dafür erhalten? Licht, Luft, Weite! Befreiung von zu engem Aneinander⸗
kleben, Freiwerden von zu großem Druck aufeinander, Möglichkeit für viele junge
Menſchen, die in das warme Werden und Leben hinaustreten und dort auf ver⸗
antwortungsvollem Poſten ganze Arbeit werden leiſten können. Wir wiſſen es und
unſere Gegner werden es mit Staunen ſehen, wie ſehr ſich unſer Volk ſtrecken läßt,
das heute noch immer auf der Stelle treten muß. Einer dieſer Schritte iſt getan.
Die andern werden ſich das nicht erklären können. Aber ſie hätten doch ahnen
müſſen, wie ſtark der Dampfdruck ſchon geſtiegen war. Denn nur ein Volk, das ſo
zuſammengepreßt worden war, kann ſolche Schnellkraft zeigen.
Nun werden die wahren Verhältniſſe nach Größe und Kraft unter den Völkern
im Oſten wiederhergeſtellt. Wir werden vieles beſſer zu machen haben, als wir es
früher gemacht hatten. Wir haben alle aufmerkſam zu ſein und uns um Tatſachen
zu kümmern. Das, was uns vor der Geſchichte allein rechtfertigen kann, werden
unſere Leiſtungen ſein müſſen, hinter denen Gerechtigkeit ſtehen wird. Wir haben
ſeit Jahren ſchon die Größe der Stunde geahnt, nun iſt ſie vor uns hingetreten und
ruft uns zu, die Augen offen zu halten und wach zu bleiben. Ihr habt es bei der
Tſchecho⸗Slowakei, ihr habt es bei Polen geſehen: es läßt ſich nichts ſchenken, und
wenn ſich noch ſo viele Mächtige in Verſailles verſammelt hatten, um dieſe Geſchenke
zu verteilen. Uns hat man nichts geſchenkt. Das, was der Führer erworben hat,
das hat unſer Volk ſich verdienen müſſen. Hoffen wir, daß ihr, die nach uns
Kommenden, es verſteht, das Erworbene auch zu halten. Denn von nun an wird
unfer ganzes Volk Dienſt tun müſſen, und immer werden wir Ronden ausſchicken,
die mahnen und rufen, daß niemand in Schlaf ſinke von jenen, die auf der Wache
zu ſtehen haben.
doldatenablchied
Aber fiche! {chon hat Gott gelprochen,
und das Zärtliche zerltiebt.
Unleres Glückes Glocken find zerbrochen,
und das Herz muß Heiligerem pochen
als der Wolluft, die das Leben liebt.
Doch ein Nachklang von dem Sang der Süße -
Gott wird gnädig fein! —
geht, Oeliebte, die ich ewig grüße,
in den Schlußchoral der Feldfchlacht ein.
Rainer Schlöffer
Kurt Seesemann:
Der Aufstand gegen den Kapitalismus
Imperialismus der britiſchen Händler und deutſcher Sozialismus
Die e Verantwortungsloſigkeit der politiſch führenden Schichten der
britiſchen Plutokratie gegenüber dem gemeinſamen europäiſchen Schickſal, die mit
der engliſchen Kriegserklärung an Deutſchland am 3. September 1939 unverhüllt
zu Tage trat, wirft erneut die A nach den eigentlichen pſychologiſchen und
geſchichtlichen Gründen für das Verbrechen auf, durch das die Welt ſchon genau
ein Vierteljahrhundert zuvor in eine Kataſtrophe allergrößten Ausmaßes — den
Weltkrieg — geſtürzt wurde. |
Wir willen heute, daß der Weltkrieg bie logiſche golge der ſyſtematiſchen
britiſchen Einkreiſungspolitik Deutſchlands ſeit der Jahrhundertwende war.
Deutſchland ſollte als der mächtigſte Staat des Kontinents vernichtet werden!
Was aber verſprach ſich die führende Schicht der britiſchen Plutokratie von einer
Vernichtung Deutſchlands? Hat nicht die Weltwirtſchaftkriſe es mit genügender
Deutlichkeit gezeigt, daß die Ausblutung eines wichtigen Handelspartners auch
ber übrigen Welt nur zu unendlichem Schaden gereicht? Und kaum, daß fid) die
Welt von dieſer größten aller Wirtſchaftskataſt rophen zu erholen begann, ſetzte
die britiſche 9 spolitik gegen das wiedererſtarkende Deutſchland ein,
ohne Rückſicht darauf, ob Europa und womöglich noch die übrige Welt — man
denke nur an den britiſchen Königsbeſuch in den Vereinigten Staaten von Nord⸗
amerika — wieder in eine Kataſtrophe rieſigen Ausmaßes ſtürzt.
Mit Schlagworten wie etwa denen vom Kampf um die Vormachtſtellung zwiſchen
Athen und Sparta oder Karthago und Rom wird man die eingangs aufgeworfene
rage nicht löſen, denn e geſchichtliche Vorgang ijt einmalig und wiederholt
d nicht. Wohl aber wird man auf den Verlauf der geſchichtlichen Entwicklung
er letzten Jahrhunderte zurückgreifen müſſen, um jene Kräfte und geſchichte⸗
bildenden Mächte zu entſchleiern, bie das Verhängnis einer neuen Weltkataſtrophe
jetzt zu vollenden bemüht find. Sie wurzeln in der Zeit der Entſtehung des
Merkantilismus und Parlamentarismus, in der Zeit der Entſtehung einer neuen
Geldherrſchaft. Zunächſt ſei jedoch vermerkt, daß die Plutokratie der ſogenannten
neuen Geſchichte, verglichen an den Methoden der Plutokratie des Altertums, es
meiſterlich verſtanden hat, unter den Schlagworten der Preſſe- und Redefreiheit,
der politiſchen Gleichheit, des allgemeinen geheimen Wahlrechts, des Parlaments
und anderen politiſchen Tarnungen ein Herrſchaftsſyſtem zu errichten, das die
eigentlichen plutokratiſchen Drahtzieher den Blicken der Offentlichkeit völlig ver⸗
birgt. Darüber hinaus bewahrte ſie das von ihr geförderte Syſtem der liberalen
und liberaliſtiſchen Wiſſenſchaft in Geſchichte und Volkswirtſchaftslehre vor den
Nachforſchungen und Enthüllungen ſeitens der Wiſſenſchaft.
Merkantilismus und Kameralismus
Unter dem Merkantilismus verſteht die liberale Volkswirtſchaftslehre jenes
wirtſchaftspolitiſche Syſtem, das vom franzöſiſchen Miniſter und Wirtſchafts⸗
politiker J. B. Colbert in nn im 17. Jahrhundert eingeführt wurde. Durch
eine aktive Handelspolitik und die hierzu notwendige KC einer kapitaliſti⸗
ſchen Induſtrialiſterung war Colbert beſtrebt, die Kaſſenbeſtände der abſolutiſti⸗
ſchen Regierung Frankreichs zu erhöhen, um ein vermehrtes Beamtentum und
ein größeres Söldnerheer zur Sicherung des Regimes unterhalten zu können.
Durch die Erzielung eines Ausfuhrüberſchuſſes waren die merkantiliſtiſch regierten
Staaten des 17. und 18. Jahrhunderts beſtrebt, ihre Metallgeldbeſtände zu vermehren.
Um das zu erreichen, ER Jie nad Möglichkeit alle Roh: und Werkſtoffe ſelbſt zu
erzeugen und zu fertigen Gewerbeerzeugniſſen teils im ſogenannten Verlagsſyſtem eines
8 Der Aufstand gegen den Kapitalismus
kaufmänniſchen Unternehmers, das auf der Heimarbeit aufbaute, teils in neu erftehenden
Manufakturen, den erſten Fabriken, zu verarbeiten, um dieſe Fertigerzeugniſſe alsdann
u exportieren. Rohſtoffausfuhrverbote und Einfuhrverbote für Fertigerzeugniſſe unter⸗
Küsten dieſes protektioniſtiſche wirtſchaftspolitiſche Syſtem bes Merlantilismus. Die Gin:
wanderung von Unternehmern und Facharbeitern wurde gefördert.
Das Streben nach 8 von Rohſtoffquellen und Abſatzmärkten führte in
den merkantiliſtiſch W ds taaten zu einer auf kolonialen Erwerb ausgehen⸗
den Politik, der die Kolonien, wohlgemerkt, nicht etwa neues Siedlungsland für
bas eigene Volkstum, ſondern lediglich Gebiete der Rohſtoffausbente und überdies
noch Abſatzmärkte für die Induſtrieerzengniſſe des imperialen Kapitalismus
bedeuteten. Mit wechſelnden Erfolgen und ſehr blutigen Kriegen vollzog ſich
deshalb die Entwicklung der kolonialen Imperien Englands und ichen dis im
17. und 18. Jahrhundert. Und doch beſtanden zwiſchen der merkantiliſtiſchen Politik
Englands und Frankreichs Weſensunterſchiede, die weder von der hiſtoriſchen
noch nationalökonomiſchen Forſchung bisher ausreichend gewürdigt wurden.
War denn Colbert der eigentliche Schöpfer des Merkantilismus? Hatte nicht
ſchon vor ihm der um 20 Jahre ältere Oliver Cromwell in England, anknüpfend
an die Wirtſchaftspolitik der Königin Eliſabeth, eine durchaus merkantiliſtiſche
Wirtſchaftspolitik getrieben?
Schon unter Heinrich VIII., Eduard VI. und Maria der Blutigen war der engliſche
Adel zu einer Vermehrung der Schafzucht und zum „Bauernlegen“ übergegangen. Die
vom Lande vertriebenen Bauern zogen als Proletariat in die engliſchen Städte und ſtanden
dort als billige Arbeitskräfte der ſich ſchnell entwickelnden engliſchen Textilinduſtrie zur
Verfügung. Die engliſchen Kaufleute aber ſuchten neue Abſatzmärkte im kolonialen Raum.
Schon im Jahre 1600 wurde die engliſche Oſtindiſche Kompagnie von der Königin
Eliſabeth mit beſonderen Handelsprivilegien ausgeſtattet.
Doch T Cromwell war der erfte engia: Regent, der nach den Grundlagen
des Merkantilismus eine Gre planmäßige Kolonialpolitik trieb. Seine
berühmte, im Herbſt 1651 erlaſſene Navigationsakte griff noch weit über die
ſonſtigen wirtſchaftspolitiſchen Maßnahmen des Merkantilismus hinaus und
beſtimmte, daß die Erzeugniſſe fremder Länder nur auf den Schiffen dieſer
Länder oder engliſchen Schiffen nach England eingeführt werden durften.
Erſt im Jahre 1661, b. h. drei Jahre nach Cromwells Tode, wurde Colbert zum
Oberintendanten der en Finanzen in Frankreich berufen. Der englifde
Merkantilismus iſt alſo weſentlich älter als der Frankreichs. Doch auch der
Boden, auf dem der engliſche Merkantilismus erwuchs, war ein gänzlich anderer
als in Frankreich. Cromwells politiſche Laufbahn begann im engliſchen Unter:
haus, im Parlament, das die Intereſſen der wohlhabenden Schichten, der
Bourgeoiſie, vertrat. Colbert dagegen war Vertreter bes königlichen Abſolutismus.
Diefer febr verſchiedene Urſprung des engliſchen und franzöfiſchen Merkantilismus
iſt im Lauf der Geſchichte niemals ganz verwiſcht worden.
Noch weit weſensverſchiedener verlief jedoch die Entwicklung des ſogenannten
Merkantilismus in den deutſchen Fürſtenſtaaten und vor allem in Preußen.
Zwar hatte der Große Kurfürſt itaniſch Wilhelm von Hohenzollern im Jahre 1681
koloniale Erwerbungen an der afrikaniſchen Goldküſte durchſetzen können, und ſein
Schwager, der Herzog Jakob von Kurland, konnte in Weſtindien zeitweilig die Inſel
Tobago erwerben. Doch der Herzog von Kurland ſah ſich gezwungen, Tobago an die
Holländer abzutreten, und die brandenburgiſchen Erwerbungen an der Goldküſte wurden
vom preußiſchen Soldatenkönig Friedrich Wilhelm I. im Jahre 1717 wieder aufgegeben.
Das Kolonialſyſtem im Geiſte des Merkantilismus mit ſeiner ſtrengen Ab⸗
ſperrung der Kolonie gegen allen fremden Handel blieb im deutſchen Merkantilis⸗
mus nur eine vorübergehende Epiſode. Unter dem größten „inneren“ König von
Der Aufstand gegen den Kapitalismus 9
Preußen, dem Soldatenkönig, aber wurde der Merkantilismus der weſteuropäiſchen
Reiche umgewandelt zum Kameralismus, der abſolutiſtiſchen Form des —
preußiſchen Sozialismus.
Das gewaltige Werk der inneren Koloniſation Preußens und des deutſchen
Oſtens unter der 73 Jahre währenden Herrſchaft Dre. Wilhelms I. und
feines Sohnes Friedrichs des Großen, vermehrte den Bevölkerungsſtand Preußens
um über fünf Millionen Menſchen, um mehr als das Dreifache. Überdies aber
verhinderte die innere preußiſche Koloniſation das Entſtehen eines arbeitsloſen
toletatiats und Maſſenelends in Deutſchland, durch das die Zeit des Gr
apitalismus in England und Frankreich djarafteriftert ift. Zwar trieben auch die
preußiſchen Könige eine weitgehend protektioniſtiſche Wirtſchaftspolitik nach dem
Muſter des Merkantilismus. Sie gründeten Wollmanufakturen, Papierfabriken,
5 und andere Induſtrieunternehmungen in allen Teilen ihres
andes. Doch gleichzeitig ſchufen fie durch ihre Bauernfiedlungen eine fihere und
kaufkräftige Konſumentenſchicht für die induſtriellen Erzeugniſſe, für deren re:
Re nicht auf bie Märkte eigener Kolonien angewieſen waren. Andererſeits erſchlo
ie agrariſche Siedlung in Preußen dem Lande neue Rohſtoffquellen. Die Über⸗
ſchüſſe des preußiſchen Gewerbefleißes aber ermöglichten eine aktive Handelspolitik
und Handelsbilanz, die dank der geſunden, auf agrariſcher Baſis viel ert a
Wirtſchaftsſtruktur des Staates auf die wucheriſche Ausbeutung des merkantiliſti⸗
ſchen Kolonialſyſtems ruhigen Herzens verzichten konnte.
Beſcherte das Merkantilſyſtem in England und Frankreich zwar auf der einen
Seite einer kleinen Schicht der Bourgeoifie Wohlhabenheit und Reichtum, auf
der anderen Seite jedoch einem entwurzelten Bauerntum die Proletariſierung in
den Städten, ſo brachte der Kameralismus dem preußiſchen Lande allgemeinen
Wohlſtand. Dieſen kraſſen Unterſchied in der Entwicklung des Merkantilismus
und Kameralismus, der in den ſozialiſtiſchen Elementen des Kameralismus
wurzelt, unterſchlug uns jedoch bie liberale Wiſſenſchaft, indem fie den Kamera:
lismus der preußiſchen Könige als eine Abart einer allgemeinen hiſtoriſchen
Erſcheinung, des Merkantilismus, hinſtellte. Doch erft die Klarſtellung dieſer
5 aus denen die geſchichtebildenden Mächte der letzten zwei Jahr⸗
underte erwuchſen, vermag uns den Blick dafür zu eröffnen, warum auf deutſcher
Seite das aus ſozialiſtiſcher W'5n, ae entſpringende Gefühl der
Verantwortung gegenüber der europäiſchen Kultur heute ſo wach und rege iſt,
und warum es in England und punt Teil aud in gewiſſen an iſchen Kreiſen
hinter die Intereſſen des persönlichen Profitſtrebens, das fid) im Parlament die
getarnte politiſche Machtſtellung ſchuf, zurücktritt.
Nach der Revolution von 1688/89 hatte das engliſche Parlament den zum
König gewählten Wilhelm III. von Oranien auf die „Declaration of rights“, die
Vorrechte des Parlaments zur Steuerbewilligung und Geſetzgebung, verpflichtet
und dieſe Vorrechte in der „Bill of rights“, einem Geſetz der Vorrechte, zum
Staatsgrundſatz erhoben. ns bedeutete das in der weiteren Entwidlung
des engliſchen ame daß der engliſche König fi [eine Miniſter aus der
Mehrheitspartei des Parlaments holen mußte und daß das auf dieſe Weiſe
guitandege ommene Kabinett, bie engliſche Regierung, zum geſchäftsführenden
usſchuß der Mehrheitspartei wurde. Daß aber in das Parlament uur die Ver⸗
treter der Plutokratie gewählt werden konnten, dafür allein ſorgten ſchon die
Koſten einer Wahlkampagne für eine Parlamentswahl, die ſich nur der Begüterte
leiſten konnte. An dieſer Tatſache hat auch die ſogenannte Demokratiſierung des
Parlaments im 19. und 20. Jahrhundert nur wenig ändern können, betrug doch
à. B. die Zahl der Abgeordneten der Labour Party, der Arbeiterpartei, nach den
Wahlen vom 27. Oktober 1931 nur 52 von insgefamt 615 Abgeordneten.
10 Der Aufstand gegen den Kapitalismus
Für bie plutokratiſchen Intereſſen blieb es zwar nicht für den Einzelfall, wohl
aber grundſätzlich gleichgültig, welcher 7 der Abgeordnete angehörte, ob er
zu den Sec oder Tories, zu den Liberalen ober den Konſervativen zählte,
denn als Angehöriger der Plutokratie nahm er auch bei allen politiſchen
Meinungsverſchiedenheiten über die Zweckmäßigkeit dieſer oder jener Geſetze und
Maßnahmen ſchließlich doch die Intereſſen der Plutokratie wahr. Beſter Beweis
hierfür iſt die Geſchichte der engliſchen Geſetzgebung, vor allem aber die Geſchichte
der kolonialen engliſchen Eroberungen.
Bevor wir jedod) auf diefe näher eingehen, müſſen wir hier nod kurz bie Entwicklung
des Merkantilismus in 0 ſtreifen. Im abſolutiſtiſch regierten Frankreich war der
Finanzbedarf Ludwigs XIV. (1643—1715) und Ludwigs XV. (1715—1774) für SIN unb
bie Verſchwendungen eines üppigen Hoflebens außerordentlich hoch. Die merkantiliſtiſche
Wirtſchaftspolitik Colberts vermochte nur zeitweilig die Staatsfinanzen zu ordnen. Die
kolonialen Eroberungen Frankreichs gingen 1763 fal gänzlich an England verloren. Qud-
wig XVI. (1774—1792) verſuchte vergeblich, den Staatsbankerott aufzuhalten. Die Ein⸗
SR ber Reichsſtände am 5. 5. 1789, die er als letztes Mittel in ſeinen Finanznöten
wählte, um neue Steuerquellen zu erſchließen, führte zur großen Franzöſiſchen Revolution.
Der dritte Stand, die Bourgeoiſie, erkämpfte ſich politiſche Rechte, die Macht im Staate,
Gef verfügte die Plutokratie des franzöſiſchen Bürgertums noch nicht über das politiſche
Geſchick, das die Plutokratie des engliſchen Nachbarvolkes ei eler war gelang es
uns den politiſchen Führern der franzöſiſchen Plutokratie, eine Wuffiedlung der
andgüter des emigrierten franzöſiſchen Adels zu verhindern. Die Begründung, man dürfe
dem foe Fabrikanten bie billigen Arbeitskräfte in der Stadt durch eine Wuffiedlung
des franzöfiſchen Großgrundbeſitzes nicht entziehen, tjt typiſch für das perſönliche Profit-
an der merkantiliſtiſchen ponen en Plutokraten. Doch in der nachfolgenden
chreckensherrſchaft Robespierres verlor die franzöſtſche Plutokratie die politiſche Führung,
die Adelsgüter wurden aufgeteilt, und die bäuerliche Siedlung ſchuf jenen militäriſchen
Kraftquell Frankreichs, den man wohl nicht zu Unrecht als das tiefere Geheimnis der
ſpäteren Napoleoniſchen Siege bezeichnen darf.
Die franzöſiſche 5 hatte in der a Mee en Stunde der Gran Ten
Revolution ihre große Chance verpaßt. Kaiſertum, Reftauration und die Zeit Napoleons III
ließen eine verſchleierte Herrſchaft der franzöſiſchen Plutokratie nicht ſo recht aufkommen.
Erſt die franzöſiſche Republik, die nach 1871 erſtand, ſchuf die Vorausſetzungen zur Er⸗
richtung einer neuen politiſchen Herrſchaft der aa öſiſchen Plutokratie. Doch wie ſtümper⸗
haft im Vergleich zur engliſchen wurde dieſe „ errſchaft der 200 Familien“, von der Messe
in Frankreich ſpricht, errichtet. Wie engem arbeitet im Vergleich zur engliſchen Preſſe
das franzöſiſche Tie item, von dem jeder im Lande weiß, welchen Intereſſen es in
Wirklichkeit dient, mesbalb aud die Wahlen in Monk meiſt anders ausfallen als
das Bild, das zuvor die Preſſe bietet. Frankreich blieb nach der zur Zeit der Franzöſiſchen
Revolution vollzogenen bäuerlichen Koloniſation im Grunde genommen ein bäuerliches
Land, und die in die Tauſende gehenden Verurteilungen jener Männer in den erſten
Wochen des jetzigen Krieges, die ſich gegen den von der engliſchen Plutokratie vom Zaune
ebrochenen Krieg mit Deutſchland wandten, beweiſen es zur Genüge, daß der wirkliche
achtbereich der Plutokratie in Frankreich im Grunde genommen erheblichen Beſchrän⸗
kungen unterliegt.
Merkantilismus und Liberalismus
Um wieviel geriſſener hat demgegenüber die engliſche Plutokratie im Laufe der
letzten 250 Jahre gearbeitet. Um dieſe Arbeit jedoch zu verſtehen, iſt die Er⸗
kenntnis des eigentlichen Zuſammenhanges beim Übergang vom Merkantilismus
zum Liberalismus in England erforderlich, zumal beide wirtſchaftspolitiſchen
Doktrinen von der liberaliſtiſchen en bisher ſtets im Lichte kraſſeſter
Gegenſätzlichkeit geſchildert wurden. In Wirklichkeit hat ein Gegenſatz zwiſchen
dem engliſchen Merkantilſyſtem und dem Syſtem des engliſchen Wirtſchafts⸗
liberalismus nie beſtanden, denn in beiden Syſtemen handelte es ſich für das
Profitſtreben der engliſchen Plutokratie lediglich um Methoden, von denen bald
Der Aufstand gegen den Kapitalismus 11
die eine bald die andere als die zweckmäßigere und vorteilhaftere erſchien; vom
Geſchäftsſtandpunkte aus geſehen handelte es ſich um folgende Tatbeſtände:
Das n Kolonialſyſtem hatte neue überſeeiſche Rohſtoffquellen
erſchloſſen und die kolonialen Rohſtoffe waren oft bedeutend billiger als die des
Mutterlandes. Wenn man den Weizen aus Überſee billiger beziehen konnte als
es die heimiſche Produktion geſtattete, ſo war es offenbar vorteilhafter, den
Fabrikarbeiter mit billigem ausländiſchen Weizen zu ernähren, denn dann konnte
man ihm auch niedrigere Löhne zahlen und die Induſtrieerzeugniſſe mit noch
W Profit exportieren. Zölle auf die Weizeneinfuhr mußten offenbar der
nduſtriellen Proſperität abträglich ſein und dementſprechend der merkantiliſtiſchen
Forderung nach einer möglichſt weitgehenden 5 Handelsbilanz durch
verſtärkten Export von Induſtriewaren widerſprechen. Aus der Entwicklung der
engliſchen Schafzucht und Tuchinduſtrie hatte man la gelernt, daß bas Bauern:
legen beim Übergang von ber Aders zur Weidewirtſchaft billige Arbeitskräfte
für die Textilinduſtrie freiſetzte und se dementſprechend auch bie Profite der
Textilfabrikanten und serporteure zunahmen. Getreides und andere Rohſtoff⸗
EL. entſprachen alfo keineswegs der merkantiliſtiſchen giellegung einer
profitablen Exportwirtſchaft mehr, ſobald fie den Produktionsfaktor der Arbeit,
die Löhne der Textilarbeiter, unnötigerweiſe hochhielten. Zudem aber machte der
techniſche Vorſprung, den die engliſche Induſtrie gegenüber den Induſtrien der
kontinentalen Länder errungen hatte, auch den Zollſchutz gegen die Einfuhr aus⸗
ländiſcher Induſtrieerzeugniffe in England ſelbſt überflüſſig.
Das merkantiliſtiſche Wirtſchaftsziel einer aktiven Handelsbilanz ließ ſich alſo
beſſer bei einem Freihandelsſyſtem erreichen, und zwar beſonders dann, wenn
man durch eine Propaganda für das Freihandelsſyſtem dahin kam, daß andere
Staaten mit einer techniſch rückſtändigen Induſtrie auch zum Freihandelsſyſtem
übergingen, den Zollſchutz aufhoben und ihre gewerbliche Wirtſchaft damit, wie
das der deutſche Nationalökonom Friedrich Liſt (1789 bis 1846) klar erkannte,
dem überlegenen engliſchen Wettbewerb auslieferten. Damit iſt jedoch keineswegs
geſagt, daß ſich die Handelspolitik der britiſchen Plutokratie auf die Mittel einer
pſeudo⸗wiſſenſchaftlichen Propaganda beſchränkte. Im Gegenteil — mit Krieg
und Waffengewalt wurde nur zu häufig ein läſtiger ausländiſcher Wettbewerb
beſeitigt. Während des Spaniſchen Erbfolgekrieges zwang z. B. der britiſche Ge⸗
ſandte Se Methuen König Pedro II. von Portugal zum Abſchluß bes ſogenannten
Methuen⸗Vertrages, der die Einfuhr engliſcher Wollwaren in Portugal erzwang
und die blühende portugieſiſche Wollinduſtrie vernichtete. Hier war der Spaniſche
Erbfolgekrieg gleichſam nur ein Deckmantel für die Erſchließung eines neuen Ab⸗
ſatzmarktes zugunſten des Profits der engliſchen Textilinduſtrie. Und ebenſo wurde
nach der Eroberung Indiens das uralte indiſche Handwerk der Herſtellung von
Baumwollſtoffen durch den Import engliſcher Textilwaren vernichtet.
Die Erſchließung von Abſatzmärkten und die Beſetzung wichtiger Rohſtoffländer
war und blieb die politiſche Aufgabe des engliſchen Parlaments, der politiſchen
Tarnungsinſtitution der britiſchen Plutokratie, ſowohl zur Zeit des Merkantilis⸗
mus als auch in der nachfolgenden liberaliſtiſchen Zeit, und zwar mit dem letzten
e der Kontrolle ao tele aller Robhjtoffmartte der Erde und des gelamten
andels der Welt. Und bieles Ziel war ein politiſches unb wirtſchaftliches Dol
Beherrſchte England die Rochſtoffmärkte und den Handel der Welt, jo ſtanden alle
Länder in wirt y Slacade ma Abhängigkeit von England und konnten im Kriegs⸗
fall durch engliſche Blockademaßnahmen in die Knie gezwungen werden. Im Frieden
aber gapin diefe Länder ber engliſchen Handelsporherrihaft ihren Tribut, ber es
dem britiſchen Imperium ermöglichte, mühelos die größte Kriegsflotte der Welt zu
bauen und zu unterhalten, um auch machtpolitiſch jederzeit die Vorherrſchaft des
12 Der Aufstand gegen den Kapitalismus
britiſchen Handels durchſetzen zu können. Daß die durch bie Kriegsflotte geſicherte
5 des engliſchen Handels äußerſt profitabel war, zeigt vor allem der
ungeheure Reichtum, den England bis zum Weltkrieg in ſeinem Welthandels⸗
zentrum London aufzuhäufen vermochte.
Doch dieſe Häufung von Reichtümern an den Ufern der Themſe im Verlauf der
letzten 300 Jahre iſt gekennzeichnet durch eine endloſe Kette blutiger und blutigſter
Kriege, die alle im Dienſte des er ber engliſchen Plutokratie durch⸗
gejo ten wurden. In den letzten 3 ahren, d. h. ſeit dem Jahre 1639, in welchem
önig Karl I. mit einem Heere nach Schottland zog, zählt die britiſche Geſchichte
161 Kriegsjahre und nur 139 Friedensjahre. In dieſen 161 Kriegsjahren raubte
dk er fein Weltreich 1 Oft waren es mehrere Kriege, die England
leichzeitig führte. Die letzte Triebfeder bei allen dieſen pie Be aber war ftets
as Geſchäftsintereſſe der britiſchen Plutokratie, denn fie bewilligte ja in jedem
all die für die Kriegführung erforderlichen Geldmittel und die aus ihren Reihen
ammenden Parlamentsführer waren es, die die Kriege anzettelten und führten.
Ob hierbei religiöſe, kulturelle oder ſonſtige Motive zur Verſchleierung der eigent⸗
lichen imperialtilen Kriegsziele als Kriegsgründe propagiert wurden, war ftets
nur eine Frage der I Zweckmäßigkeit, bod) würde der ins einzelne ee
Nachweis ber Scheinheiligkeit der engliſchen Rriegsmotivierungen den Umfang
eines größeren Geſchichtswerkes füllen, weshalb wir uns hier nur mit wenigen
Beiſpielen begnügen müſſen.
Englands Naubkriege
Im Kampf um die Weltherrſchaft ſiegte England zuerſt über Spanien, alsdann
über Holland und ſchließlich über Frankreich.
eko? unterlag den Engländern in den Kriegen von 1652 bis 1667. Der Sieben»
jährige Krieg und Friedrichs Sieg entſchied die koloniale Vormachtſtellung Englands aud
E Frankreich. Im Frieden von Paris mußte fen. Dies Kanada, Louiſiana und
enegambien ſowie Oſtindien den Engländern überlaſſen. Die Hauptlaſt a ag Krieges
durfte Preußen für England tragen. Die Kriegskoſten aber wollte England auf feine
Koloniſten in Amerika, die ohnehin bereits den größten Teil der Kriegslaſten getragen
hatten, abwälzen, weshalb das engliſche Parlament im Jahre 1764 nach den Prinzipien
des kolonialen Ausbeutungsſyſtems ein ec für die Kolonien erließ, das Einfuhr⸗
ölle für Kaffee, Zucker, Seide und Wein, d. h. für Waren, die nicht aus England ſelbſt,
te aus dem Ausland ftammten, vorſchrieb. Dieſe neue Methode der kolonialen Aus⸗
M durch die engliſche Plutokratie aber Dose zum Aufſtande der amerikaniſchen
Anſiedler, zum Unabhängigkeitskriege der Amerikaner und zur Gründung der Vereinigten
Staaten von Nordamerika.
Der nordamerikaniſche Anabhängigkeitskrieg war der einzige Krieg, den die eng»
liſche Plutokratie im Laufe der letzten 300 Jahre verlor, aus dem ſie Ko die
politiſche Lehre zog, bie Ausbeutung der Kolonien mit Jubtileren Mitteln und in
verſchleierteren Formen durchzuführen. Es genügte ja auch voll und ganz, wenn
die in den Kolonien inveſtierten Kapitalien der engliſchen Plutokratie ihre Profite
nach England abführten. Seit dieſer Zeit wurde die Kapitalinveſtierung der eng⸗
liſchen Plutokratie im Auslande, in den kolonialen Räumen, zur wichtigſten Trieb⸗
kraft der britiſchen Eroberungspolitik. Wir greifen deshalb hier die wichtigſten
Fälle dieſer engliſchen Raubkriege heraus. |
Wie bereits 15 war die Britiſch⸗Oſtindiſche Kompanie im Jahre 1600 durch einen
königlichen Freibrief entſtanden. Sie gründete Faktoreien in Surat 1612, in Madras 1639,
in Bombay 1661 unb in Kalkutta 1690. 1661 wurde ihr von Karl II. die ue
barkeit, die Militärgewalt und das Recht der ſelbſtändigen Kriegsführung in Oſtindien
verliehen. 1686 erhielt ſie von Jakob II. das Recht, Truppen auszuheben und Münzen zu
EH g Ihre Handelsgewinne waren enorm. 1765 fam ganz Bengalen unter ihre Herr:
chaft, während der Napoleoniſchen Kriege kam Ceylon in engliſchen SE Die weitere
Eroberung Indiens vollzog fih im Lauf des 19. Jahrhunderts. Indien aber wurde eines
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Der Aufstand gegen den Kapitalismus 13
der wichtigſten Abſatzländer für engine Induſtriewaren. Zwar wurde bie Britiſch⸗Oſt⸗
indiſche Kompanie nach dem großen Aufſtand von 1857/58 aufgelöſt, und Indien kam unter
die unmittelbare Herrſchaft eines von London aus ernannten izekönigs, doch war das
ſchließlich nur ein Wechſel in der politiſchen Form, denn die Ausbeutung Indiens durch
die engliſche Plutolratie blieb nach wie vor beſtehen; fie war durch die Anderung ber
ei en Form nur beffer getarnt. Es war ja doch dieſelbe engliſche Schicht, bie ſowohl
e Britiſch⸗Oſtindiſche Kompanie beherrſchte und die durch ihren parlamentariſchen Ein⸗
fluß die Ernennung des Vizekönigs praktiſch beſtimmte.
Die Britiſch⸗Oſtindiſche Kompanie hatte mit China einen lebhaften Opiumhandel
getrieben. Mit dem Erlöſchen der Monopolrechte der Kompanie im Jahre 1834 ging die
“dpe eet Verwaltung ns gegen bie im offenen Schmuggel von den Engländern
betriebene Einfuhr indiſchen Opiums vor, um die verheerenden Wirkungen bes Opium»
genuffes in China einzudämmen. Der chineſiſche Vizekönig Lin Tſe⸗Sü erzwang 1839 in
anton die Auslieferung und Vernichtung von 20 283 Kiſten Opium, was England ver⸗
anlaßte, China den Krieg zu erklären. Das Ergebnis dieſes aus ſchmutzigſten und
aſozialſten Handels intereſſen von England vom Zaune gebrochenen ſogenannten „Opium⸗
krieges“, der ſich von 1840—1842 erſtreckte, brachte England im Frieden von Nanking die
Abtretung von Hongkong.
Die Gold⸗ und Diamantenfunde in den Burenrepubliken Südafrikas erregten in den
Kloer Jahren bes vorigen Jahrhunderts bie Begehrlichkeit ber nalen ändlerkaſte.
itten im Frieden, Ende Dezember 1895, unternahm der Engländer L. S. Jameſon einen
Handstreich gegen bie Burenrepublik Transvaal, wurde jedoch am 2. 1. 1896 von den
uren bei Krügersdorp überwältigt. Doch Cecil Rhodes, der Vorkämpfer des engliſchen
Imperialismus in Südafrika, war nicht gewillt, dieſe engliſche Niederlage hinzunehmen.
1 fam es zum Burenkriege, ber 1900 zur Annexion Transvaals Do und der
engliſchen Plutokratie die reichſten Goldfelder der Erde ſicherte. Der Weltkrieg aber brachte,
abgeſehen von den deutſchen Kolonien, eines der reichſten Erdölvorkommen der Welt, den
Staf, in engliſche Hand.
Schlußwort
Die wenigen hier 1 Beiſpiele engliſcher Raubkriege, die ſich noch
dutzendweiſe vermehren ließen, zeigen mit aller Eindringlichkeit, daß als Trieb⸗
feder zu allen dieſen Kriegen nur das eine Einzige gewirkt hat: die Profits
der u ML MA Plutokratie. Und dieſer Profitgier wollte ſich
entichlaud entziehen, indem es [einen Außenhandel auf nene, von England unab⸗
pengige Grundlagen bes gegenjeitigen Gütertauſchs ſtellte und indem es [eine
irtſchaft durch die Stärkung der Agrarbaſis dem würgenden Zugriff Englands
entzog. Erſt entfeſſelte England dagegen eine wütende Propaganda mit den
Schlagworten, Deutſchland wolle ſich durch Autarkie der Gemeinſchaftsarbeit der
Völker entziehen, und ſuchte hinter dieſen Schlagworten die eigentlichen Motive,
die Einſchränkung der Profite des engliſchen Zwiſchenhandels und die Befreiung
Deutſchlands vom engliſchen wirtſchaftspolitiſchen Druck zu ver⸗
bergen, wurde doch die Gefahr immer größer, ae ch Deutſchland durch bie Qos-
öſung von der zwingenden Abhängigkeit ausländiſcher Zufuhren den Wirkungen
einer engliſchen Blockade entzog und damit die Unbedingtheit der en oen Vor⸗
errſchaft in Frage ſtellte. Vor allem aber gab es im neuen Deutſchland keine
lutotratie, mit der man ſich hätte verſtändigen können und die durch ihren
anonymen Einfluß über ein Parlament die politiſche Entwicklung hätte beeinfluſſen
nnen, wie etwa in Frankreich oder in den USA. Dagegen wirkte in Deutſchland
der bereits im Kameralismus zum Ausdruck gekommene Sozialismus der preu⸗
dän Könige, ber den Korruptionen parlamentariſcher Syſteme unzugänglich
leibt. So ſtehen ſich denn merkantiliſtiſche Profitgier und kameraliſtiſches Verant⸗
wortungsbewußtſein, imperialiſtiſches Weltherrſchaftsſtreben und ſozialiſtiſcher Ge
meinſchaftsſinn feindlich gegenüber. Die Gelege, unter denen die Völker bereits
vor 250 Jahren antraten, ſollen jetzt, fo Ve es der Wille der britiſchen Plutokratie,
zum blutigen Austrag kommen. Und weil es ſich um Grundgeſetze des Volkslebens
a
14 Blunek / Kleine Sprüche
ane ſoll > das deutſche Volk als ſolches nach dem Willen ber melt;
eherrſchenden Plutokratie vernichtet werden. Aber die Lektion von Verſailles
wurde dem deutſchen Volk zu blutig ins Herz geſch . Es hat in den Stunden,
da die alte engliſche a ſchon den endgültigen Beſchluß gefaßt hatte,
den unbequemen wirtſchaftlichen Nebenbuhler zu zerſchlagen, in der Weltmacht
Sowjet⸗Rußland einen Verbündeten erhalten, der as gleiche Intereſſe an einer
gerechten europäiſchen Ordnung wie wir beſitzt, in dem wir aber gleichzeitig einen
entſchiedenen Partner haben, wenn wir den aufgezwungenen Kampf annehmen und
ihn als den Auſſtand der jungen Völker gegen den alten meftenropáliden Kapis
talismus begreifen.
Hans Friedrich Blunck:
Kleine Sprüche
Harte Äcker, magere Garben
Haben Not und Tat vermählt.
Große Völker müssen darben,
Eh’ sie Gott zu Herren wählt.
Dank ihm, wenn dich Kargheit stählt.
Du möchtest Freiheit? Möchtest ohne Bürde,
Gehorsam und Befehl dein Leben küren?
Adliger, Freund, und höhere Menschenwürde
Sind Zucht und Fügung. Ehre nach Gebühren
Den größ’ren Geist, sel stolz, will er dich führen.
Vergiß den Tag nicht abzuschließen, Bruder,
Er will noch eine Welle des Gerichts,
Da du mit dir zu Rat gehst, überprüfst,
Was du In dir geweckt. So reich ist nichts
Wie diese Muße mitternächtigen Lichts.
Wo Ordnung schlaff wird, hebt sich in Gewittern
Der Geist, der gellend unsere Welt zerstört.
Der heiße Dunst, der durch die Ebene schwärt,
Weekt auch den Strahl, in dem die Eschen splittern.
Reden mögen die andern, du, Deutscher, schau in die Ferne,
Denk zukünftiger Zeit, die Gottes Sinnen entschwebt.
Kurz ist der Tag der Kleinen, da aber lerne,
Wle ein Ewiges in dir ins Ewige lebt.
Hüt dich, dein Leben nur als Bürde tragen,
Hüt dich, es leicht, ein flüchtiger Gast, zu nehmen;
Werde zur Mitte, werde wie der Baum,
Um den die Wiese blüht, sei Leib statt Schemen.
Was gestern recht, ist heut verkehrt,
Was gestern strahlt, ist heut geblendet.
Hüt dich vorm Alltag. Wahrhelt wendet
Nur dem sich zu, der aus dem Ewigen lehrt.
eufenpolitifche Holzen
Johannes Stoye:
Wo steht Spanien heute?
Es iit nicht leicht, bie geiftige Situation
Spaniens von heute xta einen Generals
nenner zu bringen. Dazu find die einzelnen
Spanier viel zu große Individualiſten mit
einem gewiſſen Hang zur Anarchie. Es ift
aber Franco gelungen, die Extremiſten ver⸗
ſchiedener Gattungen in den Hintergrund
zu drängen, indem er die Einbeziehung der
im Bürgerkrieg notgedrungen auf roter
Seite kämpfenden Spanier und mancher
anderer Irregeleiteter und nun ehrlich
Überzeugter in den neuen Staat vollzog.
Er hat feine Poſttion verſtärkt, indem er
neben der exekutiven auch ſeine legis⸗
lative Gewalt erhöhte. Zwiſchen Partei
und Regierung ſchob man die „Junta
Política^ (Politiſcher Ausſchuß) ein, mit
erences Schwager Serrano Süner als
pitze; gleichzeitig iſt Süner „Ministro de
la Gobernaciön“, alfo Innenminiſter. Ne⸗
ben der Junta Politica wurde ein Ver⸗
teidigungsdirektorium ins Leben pue
bas bem Caudillo direkt unterſteht. Es ging
nicht ohne die Ausbootung einiger Perſön⸗
lichkeiten ab; wir erwähnen nur Fernando
Cueſta, den früheren Parteiſekretär, der
greidiaeitig Ackerbauminiſter war und im
dieſer Eigenſchaft ſeinen Nachfolger in
Banjumen fand, während General Muñoz
Grande nunmehr Parteiſekretär iſt. Man
on im Lager der weſteuropäiſchen Demo:
tatien hämiſche Bemerkungen über dieſes
Revirement natürlich nicht unterdrücken
können, aber ſogar der „Economiſt“ hat in
ſeiner Ausgabe vom 26. Auguſt 1939 zu⸗
geben müſſen, daß gar keine en für
die Feinde des neuen Spaniens beſtehen,
einen Keil in die Regierungseinheit zu
treiben. Dieſer Konſolidierung der ſpani⸗
ſchen Haltung entſpricht es außenpolitiſch,
daß Spanien zwar eine ſtrikte Neutralität
im gegenwärtigen Konflikt erklärte, in
ſeinen Zeitungsäußerungen aber keinen
Zweifel darüber läßt, wem ſeine Sympa⸗
thien gelten und wie ſcharf es die eng⸗
liſchen Machenſchaften verurteilt, während
Frankreich nicht Gegenſtand des Tadels ijt.
Im Zeihen der Jugend
Für bie Erkenntniſſe der jetzigen Lage
in Spanien iſt zunächſt wichtig, daß die
1 Jugend als Quelle des neuen
eiſtes gilt. Im „Boletin Informativo de
la Delegacion Nacional del Servicio
Exterior“ hieß es in einem le von
Javier de Bedoya kürzlich: „Nationale Re⸗
gierungsformen totalitären Charakters ſind
immer von der Tätigkeit der Jugend ein⸗
gerichtet worden.“ Viele Fähigkeiten müß⸗
ten dazu in der Jugend e ſein,
und er müſſe immer an die Worte Goethes
denken, die dieſer am 11. März 1828 als
79 jähriger an Eckermann richtete: „Wär
ich ein Fürſt, ſo würde ich zu meinen erſten
Stellen nie Leute nehmen, die bloß durch
Geburt und Anciennität nach und nach her⸗
aufgekommen ſind und nun in ihrem Alter
im gewohnten Gleiſe langſam gemächlich
fortgehen, wobei dann freilich nicht viel
Geſcheutes zutage kommt. — Junge Männer
wollte ich haben! — Aber es müßten Ka⸗
pazitäten ſein, mit Klarheit und e
ausgerüftet und dabei vom beiten Wollen
und s Charakter. Da wäre es eine
Luft zu herrſchen und fein Volk vorwärts
zu bringen!“
Spanien befindet ſich gegenwärtig im Zu⸗
ſtand der Beſtandsaufnahme ſeiner Kräfte
und der Beſinnung auf ſeine Möglichkeiten,
denn wenn man die Jugend maßgeblich zur
Staatsführung heranziehen will, dann muß
man ſich über die Urkräfte, die unzerſtör⸗
baren Raſſeſtröme einer Nation klar ſein.
Spanien iſt dabei, ſeine echte Jugend zu
erkennen, ſie aber auch zu bilden, damit ſie
die ungeheure Wiederaufbauarbeit recht
durchführt und nicht an ihr zerbricht. Denn
im „Fuero del Traba jo“, dem Grundgeſetz
ur Ordnung der Arbeit vom 9. März 1938
ſtehen die inhaltsſchweren beiden Ar⸗
tikel XV und XVI: „Der Opferfreudigkeit
der kämpfenden Jugend Spaniens haben
alle Elemente der nationalen Produktion
zu entſprechen. Der Staat verpflichtet ſich,
die kämpfende Jugend auf die Arbeitsplätze
zu ſetzen und in die Ehrenämter oder lei⸗
tenden Stellen einzuführen, auf welche ſie
als Spanier ein Anrecht, die ſie als Helden
erobert haben.“
Dieſe Jugend hat die Aufgabe, die nach
wie vor und trotz aller gelegentlichen Um⸗
ſtellungen und Reviſionen voll anerkannten
Prinzipien von Joſé Antonio Prima de
Rivera, dem Schöpfer der Falange, in die
Tat umzuſetzen. Dieſer junge Draufgänger,
16 AuBenpolitisehe Notizen
der noch nicht dreißig Jahre alt war, als
er im politiſchen n eine fo hervor⸗
ragende Rolle ſpielte, ging davon aus, daß
der liberale Staat in Spanien dy
werden müßte, weil er nicht mehr der Voll»
ſtrecker des Staatswillens habe ſein können,
er ie zum einfachen Zuſchauer bei den
Wahlkämpfen herabgeſunken. Die Völker
hätten ihre geiſtige Einheit verloren, die
Parlamentarier fanden keine Zeit zu wirk⸗
licher Regierungsarbeit, ſchließlich führte
das liberale Syſtem zu wirtſchaftlicher Ver⸗
ſklavung. Die den Arbeitern gemachten
groben Verſprechungen ſtanden in kraſſem
iderſpruch zu dem Nebeneinander von
Prunk und Entſittlichung. Die Landarbei⸗
ter verdienten in Spanien drei Peſeten am
Tage — und das nur 80 Tage im Jahre!
So mußte zwangsläufig der Sozialismus
hochkommen, aber er entgleiſte, weil er
erſtens die materialiſtiſche Deutung des
Lebens und der Geſchichte, zweitens den
Ungeiſt der Vergeltungs maßnahmen und
drittens die Predigt des Klaſſenkampf⸗
gedankens als Grundlage nahm.
„Wenn wir Männer unſerer Generation
die Augen öffnen, finden wir uns in einer
Welt fittliden Verfalls, wir fehen ein Spas
nien in moraliſchem Verfall, ein durch alle
Arten von Haß und qol entzweites
Spanien. Als wir durch die Dörfer diefes
augen Spaniens zogen, haben wir im
nneriten unſerer Seele weinen müſſen.
Als wir die Bauern trafen, Menſchen ohne
übertriebene Gebärde und ohne müßige
Worte, die auf anſcheinend trockenen Ackern
erſtaunlich viel Wein und Weizen zogen,
und als wir erfuhren, daß ſie von kleinen
Bonzen (Kaziken) gequält und von allen
Parteien verlaſſen waren, da mußten wir
von dieſem ganzen Volk unwillkürlich das⸗
ides denken, was dieſes einſt vom Cid
agte, als er verbannt auf den Feldern
Kaſtiliens Be me „Mein Gott, welch
ein guter Vaſall, wenn er einen guten
Herrn hätte!.“
Darum geht es jetzt in Spanien, für den
uten Lehnsmann einen guten Herrn zu
finden Nicht nur in der Perſon des Caus
illo, ſondern in der Geſamtheit der die
Regierung führenden Männer. Der neue
wert ſoll weder Sklave ber Intereſſen einer
ruppe noch einer Klaſſe fein: Die Falange
iſt eine Bewegung, keine Partei. Denn auf
der Seóten fut man bas Beſtreben, eine
ungeredte D aufrechtzu⸗
erhalten (wir denken an die Granden und
Latifundienbeſitzer), auf der Linken wollte
man die Wirtſchaftsordnung ſo umſtürzen,
daß auch Gutes mit zerſtört wurde. Das
neue ſpaniſche Vaterland ſoll aber eine to⸗
tale Einheit ſein, die alle Menſchen und
ve eal e be Für Joſé Antonio
ſollte Spanien eine „überfinnliche Syntheſe“,
ein unteilbares Ganzes mit eigenen Zielen
und i ſein. An die Stelle
der politiſchen Parteien tritt
der ſyndikale oder ſtändiſche
Aufbau.
Das religiöſe Gefühl, das Joſé Antonio
den „Schlüſſel zu den beſten Schöpfungen
der ſpaniſchen Geſchichte“ nannte, ſoll bei
alledem nicht unterdrückt werden. Hier fin⸗
det der Radikalismus der Falange [eine
hiſtoriſch bedingte Grenze. In Spanien
and der Staat immer neben der Kirde,
er achthundertjährige Befreiungskampf
vom Maurenjoch war weſentlich, wenn auch
nicht ausſchließlich, ein Glaubenskampf, und
er machte die Spanier zu begeiſterten
Katholiken, jedoch nicht zu kritikloſen Jün⸗
gern Roms. Denn gleichzeitig entwickelten
die Reconquiſtakämpfe den ſpaniſchen In⸗
dividualismus, der in Europa nicht ſeines⸗
poan Bat, mit Ausnahme vielleicht
rlands.
So ſoll es uns nicht verwundern, wenn
heutige ſpaniſche Staatsmänner immer
wieder von der Religion im allgemeinen
und der Katholizität im beſonderen ſpre⸗
chen. Wir finden das vor allem in dem
erwähnten Grundgeſetz der Arbeit (Fuero
del Traba jo). Im amtlichen Kommentar
dazu heißt es, wenn die Präambel dieſes
Geſetzes mit einer Beteuerung der Katho⸗
lizität beginne, fo liege feine eitle Rhetorik
vor, denn der Inhalt finde zutiefſt ſeine
Rechtfertigung im innerſten Weſen Spa⸗
niens. enn es hier heiße, Spanien er⸗
neuere die katholiſche Tradition der ſozialen
Gerechtigkeit und des hohen Menſchengeiſtes,
lo bedeute bas eben den Bruch mit bem
iberalsbourgeoifen Kapitalismus. Diele
Lehre habe das Leben in der Wirt:
[daft begründen wollen, in Spanien
abe es aber nie ein eh dei
older Art, eine Ausrichtung der Menſchen
uf Betätigung zwecks Bereicherung ge
geben, — eben wegen der „lauteren und
innigen katholiſchen Religiofität“. Spanien
habe eine Dekadenzperiode erlebt und wie
es politiſch von England und Holland
niedergerungen worden ſei, ſo ſei es auch
wirtſchaftlich allmählich immer mehr ab⸗
Ren der Proteſtantismus nr
Ger (calviniſtiſcher und anglikaniſcher)
Außenpolitische Notizen 17
Ridtung aber fet der Vater der „Religion
der Arbeit“ geworden; er machte die Ar⸗
beit gum höchsten Ziele menſchlichen Lebens,
erhob ſogar den wirtſchaftlichen Erfolg zum
zeigen göttlicher Gnade. Damit fet die
tbeit entperſönlicht worden; wie aber bas
Arbeitsgrundgeſetz in Abſatz 2 des erjten
Artikels ſagt, ſoll künftig in Spanien
menſchliche Betätigung Sache der Perſon
ſein, ſie dürfe nicht zum Begriff der Ware
abfinten.
Die nene Arbeitsauffaſſung — ſpaniſch
überſetzt
Das nationalſyndikaliſtiſche Spanien be⸗
tont die Katholizität nicht als religiöſes
Dogma, ſondern als geiſtige Grundhaltung
einer Nation, die ihre ganze Geſchichte an
die Verteidigung ihres Glaubens geſetzt
hat. Der gottgeſchaffene und gottbeauftragte
Menſch ſoll in Spanien wieder zu ſeinem
Rechte kommen, der marxiſtiſchen Irrlehre
ſoll ein Gedankengebäude gegenübergeſtellt
werden, das im Lande ſelbſt wurzelt. So iſt
es zu verſtehen, wenn im „uero bel Tras
bajo“ geſagt wird, die Arbeit ſei ein Mittel
zur Erfüllung der Ziele der Einzelmenſchen
wie auch zur Erreichung des Wohlergehens
und der Größe des ganzen Vaterlandes;
darum auch wird verlangt, daß alle Spanier
ihre Fähigkeiten reſtlos in den Dienſt des
Staates ſtellen. Man wolle nicht nur die
Arbeit völlig vom Begriff der Wirtſchaft
löſen, ſie ſei nicht nur das „moraliſche
Grundprinzip der Perſon“, nein — der
Menſch finde in ihr auch ein Mittel zur
Buße (zur Läuterung des Weſens) und zur
ewigen Erlöſung. Von da her kommt man
auch dazu, ein „Recht auf Arbeit“ zu er⸗
klären, dieſes Recht aber mit der Pflicht zu
verkoppeln, bie Gott dem a zur Er:
füllung feiner individuellen Aufgaben out:
erlegt Hat.
Arbeit ift Gemeinſchaftspflicht, fie ftellt
„eines ber edelften Attribute der Hierarchie
und ber Ehre dar“ und ift mit heldenhaftem
Einfag und AUneigennützigkeit zu leiſten.
Denn es wird geſagt, der Einzelmenſch habe
dasſelbe Schickſal wie der Staat, und der
Staat habe zwei klar umriſſene Ziele: ein
äußeres, die Sicherung des Vaterlandes, ein
inneres, die Menſchen glücklicher, menſch⸗
licher zu machen; der Staat ſoll „eine
größere Anzahl Menſchen teilhaftig machen
am menſchlichen Leben“: Es geht dabei aber
nicht um äußere Wohlhabenheit, ſondern um
innere Zufriedenheit. Die geiſtige Situation
des heutigen Spaniens hat tatſächlich im
Religiöfen ihre Wurzeln. Im o abet
wird mit biejem Arbeitsgeſetz zugleich der
Anſchluß geſucht an bie „Legislación de
Indias“, an bie Geſetzgebung für Spaniſch⸗
Amerika im 16. Jahrhundert, auf die Spa»
nien ſo ſehr ſtolz iſt und die es heute wieder
von aller mißgünſtigen Verleumdung be⸗
freien will.
Praktiſch für den Neubau wichtig iſt die
gi e, wie Spanien feine Wirtſchafts⸗ und
andelspolitik zu geſtalten as iit. Die
Grundhaltung ift bie Autarkie. Im Dezem⸗
ber 1939 wird ein Kongreß zuſammentreten,
bei dem die notwendigen 9 der
Autarkie für den ſpaniſchen Wiederaufbau
behandelt werden. Die Falange als Träger
des neuen Staatsgedankens hat ſich die Auf⸗
abe geſtellt, die Grundlagen für die
utarkiebeſtrebungen auszuarbeiten und die
Ergebniſſe der Beratungen dem Caudillo
als Anregungen vorzulegen: Regelungen
der privaten wirtſchaftlichen Arbeit, die für
die ſpaniſche Haltung grundſtürzend neu und
eingreifend ſind.
Die Revolution bes Franenlebens
Da Spanien nur geſunden kann, wenn es
im Gegenſatz zu früher die letzten Erwerbs⸗
möglichkeiten ausnützt, griff die neue Wirt⸗
ſchaftsgeſinnung des Nationalſyndikalismus
auch auf das Reich der Frau über. Die
ſpaniſche Frau nahm bisher eine Sonder⸗
ſtellung ein, ſie führte ein Daſein abſeits
der Offentlichkeit, eine Folge der Bedin⸗
ungen des ſüdlichen Temperaments und
jahrhundertelanger iſlamiſcher Einflüſſe.
Ins Kaffeehaus ging nur der Mann, ins
Kino ging das junge Mädchen nur in Be⸗
Be ung möglichſt der ganzen Familie.
Einen Beruf übte die Tochter „von Stand“
unter keinen Umſtänden aus, nur Ange⸗
hörige der allerärmſten Schichten ließen auch
Frau und Tochter arbeiten.
Damit hat die Falange gründlich auf⸗
eräumt. Es gibt ſeit 1937 einen weiblichen
ialen Arbeitsdienſt (Servicio Social de
la Mujer Española). Da alle arbeitsfähigen
Spanier zur Arbeit verpflichtet find, wird
es nun auch bie ſpaniſche Frau. Sie Dat
während des Bürgerkrieges bewieſen, was
ſie zu leiſten fähig iſt. Alle Spanierinnen
im Alter von 17 bis 35 Jahren nehmen am
ſozialen Arbeitsdienſt teil, ausgenommen
In Ehefrauen, geſundheitlich behinderte
rauen und Mädchen, Witwen mit Kindern
und ſolche, die eine mindeſtens ſechsmonat⸗
liche Tätigkeit in Lazaretten und anderen
Kriegshilfswerken nachweiſen können. Ein
18 Außenpolitische Notizen
eigentlicher Zwang zur Ableitung der
Arbeitsdienſtzeit von ſechs Monaten beſteht
nicht, aber der Staat macht doch in Zukunft
den Zugang zu öffentlichen Amtern, die Ver⸗
gebung einer Stellung in den vom Staate
abhängigen Betrieben ſowie die Erteilung
von akademiſchen Graden und beruflichen
Titeln vom Nachweis der Ableiſtung der
Arbeitsdienſtzeit abhängig. Nur der, der
das Spanien der früheren ps fannte, fann
ermeſſen, welche gewaltige ſoziologiſche Um:
ſchichtung ſich damit vollzieht. Ein SE
reifendes Umdenken beſonders in ben Kreis
fen der ſpaniſchen Mittelſchicht wird nötig
ein, bis die neue Plattform gefunden iſt.
Eine ganz neue ſpaniſche Kultur wird aus
der Mitarbeit der Frau erwachſen. Nur die
Kirche wird hier noch einige Zeit grollend
beiſeiteſtehen, bis ſie den Verluſt dieſer
ait als ein Zugeſtändnis an das neue
eitalter, das ja nicht im Gegenſatz zu ihr
ſteht, begreift.
Imperialer Wille
Die Wirtſchaftspolitik Spaniens wird ſich
auch in mancher anderen Hinſicht grund⸗
ſtürzend ändern. Katalonien wird am heftig⸗
ſten betroffen werden. Aus wehrpolitiſchen
wie aus Gründen der Arbeitsbefriedung
wird ein großer Teil der jetzt dort beheima⸗
teten Betriebe in das Innere des Landes,
in den Raum von Valladolid Salamanca,
verlegt werden. Einmal fol die Randlage
nicht wieder zum Gefahrenherd im Kriege
werden, daneben ſoll die ſpaniſche Volks⸗
wirtſchaft nicht von dem beſonders un⸗
ruhigen und politiſch vielleicht noch auf
lange Zeit am wenigſten zuverläſſigen kata⸗
loniſchen Stamm abhängen. Es wird bei
dieſer Induſtrieverlagerung nicht aus⸗
bleiben, daß manche „hiſtoriſchen Rechte“ be⸗
eintrüdjtigt werden; daneben wird die tatas
loniſche Induſtrie nicht mehr wie früher
durch unmäßige Schutzzölle die geſamte ſpa⸗
niſche Handelspolitik belaſten dürfen. Der
Staat wird vielleicht noch mehr als während
des Bürgerkrieges in den Wirtſchaftsablauf
eingreifen, denn die gewaltigen wirtſchaft⸗
lichen Aufgaben machen eine ſtraffe zentrale
Leitung dringend nötig. Manche neue Indu⸗
Nase ſind zu ſchaffen. Die Franco⸗
egierung kann ſich nicht auf das „freie
Spiel der Wirtſchaftskräfte“ verlaſſen.
Sls werden angeſichts der ſpaniſchen
harakteranlage hier noch mancherlei Span⸗
nungen auszufechten ſein.
In der Handelspolitik wird, unter Berück⸗
ſichtigung der Außenpolitik, eine völlige
Neuordnung nötig, ſtrebt doch das neue
Spanien zu einem hiſpaniſchen „Imperio“,
alſo zu einer Gemeinſchaft mit den früheren
ſpaniſchen Kolonien, wenn nicht ſogar zu
einer Zuſammenarbeit mit Portugal und
deſſen AY Kolonie Brafilien. „Unſer
Wille iſt das Imperium. Wir betonen, daß
die geſchichtliche Leiſtung Spaniens das
Imperium iſt. Wir erſtreben für Spanien
einen hervorragenden Platz in Europa. Wir
dulden weder eine internationale Iſolierung
noch eine Einmiſchung des Auslandes. In
unſeren Beziehungen mit den hiſpano⸗
amerikaniſchen Ländern erſtreben wir die
einheitliche Ausrichtung der Kultur, der
wirtſchaftlichen und machtpolitiſchen Inter⸗
eſſen. Spanien iſt die geiſtige Achſe der
ſpaniſchen Völker; dieſe Tatſache begründet
unſeren Anſpruch auf Teilnahme am inter⸗
nationalen Geſchehen.“ Dieſe „Achſenpolitik“
wird zunächſt der Empire⸗Politik der Briten
Schwierigkeiten machen, man denke an
Argentinien; weiterhin werden bie US⸗ame⸗
rikaniſchen Intereſſen in Lateinamerika pe
ftört werden. Ioje Ibanez Martin [dried
kürzlich in der „Europäiſchen Revue“: „Bei
dem machtvollen EE Spaniens
wird eine der vornehmſten Sorgen des
Neuen Staates der Pflege der Wirtſchafts⸗
beziehungen mit den ibero⸗amerikaniſchen
Ländern gelten. Unſere Wirtſchaftspolitik
gegenüber Ibero⸗Amerika muß ſich auf neu
zu begründende große Kreditinſtitute ftüßen,
die den Handel fördern; es müſſen Handels⸗
auskunfteien errichtet werden, die eine
ſichere Grundlage für eine ſolide Arbeit
gewährleiſten. Schiffahrtslinien müſſen ein⸗
gerichtet werden — kurz, es gibt eine Fülle
von Möglichkeiten für den Wirtſchaftsaus⸗
tauſch, die, wenn wir ſie mit Energie an⸗
acken, zugleich den Reichtum Spaniens und
bero⸗Amerikas fördern werden. In dieſem
Zuſammenhang ſind auch die gewaltigen
Wirtſchaftskräfte aller jener Spanier nicht
u vergeſſen, die in den ibero⸗amerikaniſchen
ändern leben. Der Neue Staat wird nicht
verfehlen, zum Nutzen aller, jede Privat⸗
initiative zu fördern.“
Spanien wird ſeine Autarkiepolitik ſehr
weit treiben. Der Staatschef Franco hat im
Juni 1939 darüber in einer Rede Klarheit
Se Er ſagte darin, bis 1914 hätte
panien immer einen Paſſivſaldo von 100
bis 150 Millionen Peſeten pro Jahr gehabt,
allerdings erheblich gemildert durch die
Geldüberweiſungen der in Amerika leben⸗
den Spanier. Von 1916 bis 1919 hätte es
dann als Folge des Weltkrieges einen durch⸗
= — ha ——— =
AuBenpolitische Notizen 19
ſchnittlichen flberiduB von jährlich 700 Mil⸗
lionen Peſeten erzielt. Nach Kriegsende ſei
aber wieder ein Defizit entſtanden, zwiſchen
1920 und 1930 von nicht weniger als 600
Millionen im Jahre. Die Ausrufung der
Republik hätte dann eine allgemeine Wirt⸗
ſchaftsſchwächung mit ſich gebracht, und da⸗
Fir fei auch der Paſſivſaldo bis 1935 auf
durchſchnittlich 250 Millionen Peſeten ab⸗
geſunken. Unter allen Umſtänden müßten
zukünftig erhebliche emia Überſchüſſe
erzielt werden. Vor allem Lebensmittels
einfuhren ſeien zu unterbinden, der ſpaniſche
Boden gäbe bei richtiger Bewirtſchaftung
Nan her. Darüber hinaus verfüge das
and über genügend Kohlen, um durch
Hydrierung den eigenen Treibſtoffbedarf zu
decken. Die Landesverteidigung mache die
Löſung dieſer Aufgabe zur dringenden Not⸗
wendigkeit. Dann aber dürfe die Zahlungs⸗
bilanz Spaniens nicht mehr durch Fracht⸗
raten, Verſiche rungsprämien, Filmlizenzen
und Patentgebühren belaſtet werden. Nun
werde man aber angeſichts der ſchlechten
Deviſenlage Spaniens trotz aller Anſtren⸗
gungen nicht ſo ſchnell zu einem Ausgleich
elangen, und ſo müſſe zunächſt die Einfuhr
o weit wie irgend tragbar gedroſſelt wer⸗
den, den bequemen Weg der Auslandskredite
wolle er nicht beſchreiten, weil er auf der
anderen Seite ſchwere e en mit fid)
bringe. So bleibe nichts übrig als ſtärkſte
Exporterhöhung zum Zwecke der Deviſen⸗
ewinnung und Erreichung der Wirtſchafts⸗
reiheit, die wiederum die politiſche Freiheit
chere. Um dieſe Ziele zu erreichen, müſſe
as ſpaniſche Volk produzieren, produzieren
und nochmals produzieren.
England verliert eine wirtſchaftliche
Kolonie
Das hat den Spaniern noch niemand zu
ſagen gewagt. Franco iſt als Rufer in der
Wüſte aufgetreten, denn Spanien war bis:
er der Geſinnung nach ein wirtſchaſtliches
dland, hier lebten Menſchen ohne Wirt⸗
ſchaftsdenken. Sie hatten in bem 800 jährigen
Kampf um Land und Glauben den Sinn für
Gewerbefleiß nicht entwickelt und miß⸗
achteten den, der gegen Entgelt für andere
tätig war. Nur die Katalanen 15 anders
eartet und bauten ſich eine kräftige Indus
frie und einen lebendigen Handel auf, ob:
wohl gerade in ihrem Gebiet der Boden:
ra ber bas übrige Spanien aus:
zeichnet, fehlt. Nun follen bie Spanier auf
einmal bie Warenerzeugung, die jie bisher
fremden Völkern überließen, mit Hochdruck
betreiben. Es kann keinem Zweifel unter⸗
liegen, daß eine ſol Umſtellung, ein
ſolches Umdenken nicht von heute auf
morgen und nicht ohne stoe Reibungen
durchgeführt werden kann. Wir wollen als
Freunde der Spanier hoffen, daß ſie in recht
grober Zahl unb in recht kurzer Zeit bie
otwendigkeit der neuen Staatsauffaſſung
und der neuen Wirtſchaftsgeſinnung ein⸗
ſehen und entſprechend handeln. Da das
ſpaniſche Volk im Kerne betriebſam und zäh,
geiſtig und körperlich unverbraucht und
tapfer iſt, brauchen wir am Erfolg nicht zu
zweifeln.
Werner A. Fischer:
Deutsch - russische
Wirtschaftsplanung
Ein nenes Kapitel enropäiſcher Politik
Die Neuordnung der wirtſchaftlichen Bes
ann amiiden Deutſchland und ber
DSH. ift ein Ereignis von weittragen⸗
der Bedeutung. Es hat nicht nur für die
egenwärtige jet Bedeutung, fondern ftellt
958 beiden Volkswirtſchaften auf lange
Sicht neue Ziele und dient beiden im an
Make. Die EL mig ee ind
fo ideal, wie fie in dieſer Vollkommenheit
in der Welt nicht wieder anzutreffen find.
Auf der einen Seite ſteht ein hochindu⸗
ſtrialiſiertes und dichtbeſiedeltes Land, be⸗
rühmt ob ſeiner Qualitätswaren, ob ſeiner
Spezialitäten, die es eben nur in Deutſch⸗
land gibt, mit einem Hunger nach Rohe
ſtoffen — auf der anderen der unermeßlich
weite ruſſiſche Raum, von deſſen Größe man
ſich ſchlechterdings keine richtige Vorſtellung
macht. Mit 21.2 Millionen Quadratkilo⸗
metern ijt die UDSSR. fait dreimal fo groß
wie die Vereinigten Staaten von Amerika
und bald zwanzigmal fo groß wie Deutſch—
land ohne das Protektorat und ohne die
beſetzten Gebiete des bisherigen Polens.
Vielfach noch nicht einmal hinreichend er⸗
forſcht, ſind die Landſtrecken Rußlands nicht
nur ein unerſchöpfliches Reſervoir für lands
wirtſchaftliche Produktionsmöglichkeiten,
ſondern gleichzeitig ein in ſich autarkes Ge⸗
bilde, das faſt alle Rohſtoffe in ſich ſchließt,
die von den modernen irtſchaften ge⸗
braucht werden. Erdöl oder Holz. Eiſen⸗
erze, Metalle oder Kohle ſind in Mengen
vorhanden, an die kein anderes Land der
Erde heranreicht. Aber es éi an ihrer
Erſchließung, es fehlt vorläu g nod) der
Arbeiter, der fie weiter verarbeitet. Die
ruſſiſche Bevölkerung beſteht zu mehr als
80 Prozent aus Bauern, Waldarbeitern
unb Fiſchern. Die großen e We
die in den vergangenen Jahren im Rahmen
groß angelegter Wirtſchaftspläne gemacht
worden find und die Erfolge gebrach N
die beachtet werden müſſen, haben dieſen
Grundzug nicht geändert. eutſche Er⸗
Rot unb bie ruſſiſchen wirtſchaftlichen
öglichkeiten, die Raum und Bodenreichtum
bieten, RCM enommen, find eine Gadje
bie bie gelamte Weltwirtſchaft auf ben Kopf
ftellen fann. Das ift der Hintergrund einer
wirtſchaftlichen uſammenarbeit beider
Staaten, die möglich wurde, nachdem durch
den Konſultativpakt von der Politik her die
Vorausſetzungen geſchaffen worden waren.
Rußland hat eine Reihe von Fünfjahres⸗
plänen durchgeführt, um die Landwirtſchaft
zu intenfivieren und die Induftrialifierung
qu e Die Induſtrieproduktion hat im
ahre 1932 43,3 Milliarden Rubel betragen,
ſie wird für 1937 mit 95,5 Milliarden aus⸗
ee und fol nach ben Planziffern im
ahre 1942 nicht weniger als 180 Milliar⸗
den Rubel erreicht haben. Einige praktiſche
Beiſpiele zeigen die Bemühungen um eine
Voranbringung der gewerblichen Erſtellung
von Gütern. 1932 wurden nur 23 900 Kraft⸗
wagen hergeſtellt, 1937 waren es bereits
200 900 und im Jahre 1942 ſollen rund 400 000
Stück angefertigt werden. Von den unermeß⸗
lichen Kohlenvorräten wurden 1932 64 Mil⸗
lionen Tonnen abgebaut, 1937 127 Millionen
Tonnen, und der Plan ſieht für 1942 eine
e von 230 Millionen Tonnen vor.
hnlich ſind die Verhältniſſe auf vielen
anderen Sektoren.
Die Eilenerpeugung it ſtark im Bor:
rücken. Die UdSSR. wird heute in ber
Welt nur noch von den USA. und ud.
land auf dieſem Gebiet übertroffen. Es
daß Pl nicht darauf hingewieſen zu werden
daß Planziffern etwas Theoretiſches an ſich
haben. Selbſt wenn ſie nicht voll erzielt
werden, bleibt doch die Erkenntnis, daß der
ertenfin ae: Raum ſicher in die
eihe der großen SE der
Welt hineinwächſt. Der Abſtand zu der Ars
beitsintenſität in Deutſchland z. B. iſt noch
gemaltig — aber er ijt in den letzten Jahren
leiner geworden.
Es wäre verfehlt, zu glauben, daß dieſe
ruſſiſche Induſtrialiſierung ein Verhängnis
für Deutſchland würde. Die Wirtſchafts⸗
geſchichte zeigt, daß der größte Güteraus⸗
tauſch ſtets zwiſchen béide
Ländern en at. Das Hod:
kommen ber deutſchen Induſtrie im vergan:
genen Jahrhundert war nicht ein Grund
Außenpolltische Notizen
aut Einſchränkung bes Handelsverkehrs mit
ngland, das en s wir feine Gewerbe
ausgebaut hatte, ſondern im Gegenteil bit
Grundlage Ké einen ſtändig ſteigenden
Güteraustauſch. Bis in die füngſte Vere
gangen eit waren Großbritannien und
eutſchland einander bie wichtigſten Han:
delspartner. Jede neue Fabrik im bet
UdSSR. ſchafft zusätzliche Bedürfniſſe. Sie
braucht Vormaterialien, die in der ge⸗
wünſchten Qualität in nn erzeugt
werden. Das ftarfer pulfierende Leben for
dert die Erhöhung bes Lebensſtandards ber
Arbeiter, was wiederum Einfuhrbedürfniſſe
neuer Art auslöſt. Ein Rad greift in das
andere. Wenn Deutſchland und die UdSSR.
ſich jetzt entſchloſſen haben, wirtſchaftlich
enger zuſammenzuarbeiten, als das bisher
der Fall war, ſo gereicht das beiden Tm
Nutzen. Denn auf der einen Seite erhält
Deutſchland ruſſiſche Rohſtoffe, deren Ver⸗
kauf ein Gewinn für Moskau iſt, und auf
ſche „ are ge. Gleich n eh
erſorgungslage. Gleichzeitig bekomm
bie Ad SS. dafür ene ial ines und
Yusrüftungsgegenftände, bie fie gebraucht,
um bie gehteffen Planziffern erreichen zu
können, bie ſomit wiederum wefentlid für
ihren eigenen weiteren wirtſchaftlichen Auf
ſtieg ſind.
Deutſchland hat ſich ſeit 1933 bemüht, die
wirtſchaftliche Abhängigkeit vom Auslande
zu lockern. Der Vierjahresplan war eine
Kra tany rening ſondergleichen. Es find
Produktionen aus dem Boden geſtampft
worden, die dem deutſchen Erfinder und
Techniker vor der Wirtſchaftsgeſchichte ein
eugnis ausſtellen, das ſich ſehen laſſen
ann. Nach der Wiedervereinigung der Oſt⸗
mark mit dem Reich, nach der Maren
des Protektorats Böhmen und Mähren,
nach der Rückkehr der Memeldeutſchen in
den alten Reichsverband und ſchließlich
nach der iche Bol des polniſchen Raumes
iſt die deutſche Volkswirtſchaft in eine ai
verſetzt worden, jeder Blockade, woher fe
auch kommen mag, mit Ruhe ins Auge
ſehen und jene Entſcheidungen treffen zu
können, die geeignet ſind, ſie zu brechen.
Der bisherige Verlauf der kriegeriſchen
Verwicklungen im on hat bewieſen, daß
Deutſchland wirtſchaftlich nicht nur der
Blockade gewachſen iſt (denn es können
nahezu 80 en bes deutſchen Außenhan⸗
dels reibungslos abgewickelt werden), ſon⸗
dern auch die geeigneten Machtmittel be⸗
LN fie zu zerſchlagen. Wenn zu ber Ge
amtlage der Wirt Haft, die für Deutid:
land zum Leidweſen der Engländer gut iit,
jetzt das Abkommen mit ber UDSSR. tritt,
l
|
Außenpolitische Notizen 21
kann, vom Standpunkt ber Verſorgung aus
betrachtet, einer beliebig langen Kriegs-
dauer mit Ruhe und Zuverſicht entgegen⸗
geſehen werden. Es iſt hier die Unterſchei⸗
dung zu machen, daß die Unwirkſamkeit
einer Blockade, d. h. die Verſorgung eines
Volkes mit dem Lebensnotwendigen, nichts
damit zu tun hat, daß der Konſum der
breiten Maſſen der Bevölkerung höher ſein
kann und von einer verantwortungsbewuß⸗
ten Staatsführung in größerem Umfange
angeſtrebt wird, als die auf die deutſche
eigene Erzeugung gegenwärtig zugeſchnit⸗
tenen Nationen es zulaſſen. Von dieſem
Blickpunkt aus gewinnt die Wirtſchafts⸗
planung nach Diten eine große Bedeutung.
Sie iſt nicht nur auf lange Sicht ein Ge⸗
winn für die deutſche und auch ke die
ruſſiſche Wirtſchaft, ſondern gleichzeitig bie
Gewähr. daß draſtiſche Einſchränkungen
auch während des Krieges von der deutſchen
Bevölkerung ferngehalten werden können.
Der deutſch⸗ruſſiſche Güteraustauſch hat
in den letzten Jahren einen nie erreichten
Tiefſtand zu verzeichnen gehabt. Dies reiche
und große Land war im deutſchen Außen⸗
handel auf eine Beteiligungsziffer abge⸗
ſunken, die niedriger war als die des
an ſüdoſteuropäiſchen Staates. Nur
80 Millionen RM. wurden 1938 in beiden
Richtungen des Güteraustauſches mit Rubs
land um eſetzt, und in der erſten Hälfte 1939
wurde ſelbſt dieſe Ziffer mit einem Geſamt⸗
umſatz von nur 27 Millionen RM. noch
unterſchritten. Dabei iſt zu berückſichtigen,
daß die deutſchen Ein⸗ und Ausfuhren im
Jahre 1931 nahe an die Grenze von
1100 Millionen RM. herangekommen ſind,
das heißt ein Ausmaß annahmen, das über
die Bedeutung des geſamten europäiſchen
Südoſtens hinausging. Dieſes eine Land
ſchlug mit Deutſchland damals mehr Waren
um, als Jugoſlawien, Ungarn, Griechenland,
die Türkei, Rumänien und Bulgarien zu⸗
ſammen. Wer die Pflege des Balkanhandels
in den vergangenen Jahren verfolgt hat und
wer weiß, welche Bedeutung in deutſchen
Kreiſen dieſem Raum e wird, wie
lig der dispen Wiener Meſſe wieder deut⸗
lich in Erf einung trat, kann ermeſſen, was
ein florierender Rußland⸗Handel beſagt.
Vor 1 Monaten wurde gewiſſer⸗
maßen als uftakt für die deutſch⸗ruſſiſche
nung ein neues Wirtſchaftsabkom⸗
men vereinbart. Deutſchland gewährte den
Rufen einen Lieferkredit über 200 Mil-
lionen RM., der innerhalb der nächſten
ei Jahre in Anſpruch genommen werden
ollte. Die Ruſſen gaben die Verſiche rung
ab, im SEN Zeitraum für 180 Mil-
lionen Rohſtoffe an Deutſchland E
liefern. Das ſogenannte „laufende“
ſchäft blieb erhalten und war mit etwa
120 Millionen RM. einzuſetzen. Dadurch
ergab ſich für den Zweijahreszeitraum ein
Umſatz von rund 500 Millionen RM., d. h.
he ein Jahr 250 Millionen RM. Die eng»
ifden Artikelſchreiber find damals gerades
u aus der Faſſung geraten, als die Einzel⸗
eiten des Vertrages er eler wuts
den. Wieviel mehr muh ihnen das reis
ben des Regierungschefs und Außentoms
miſſars Molotow an Reichsaußenminiſter
von Ribbentrop auf die Nerven gefallen
ſein, das eine Ausweitung des Wirtſchafts⸗
verfehrs auf den früher erreichten Höchſt⸗
ſtand, das heißt auf rund 1100 Mil⸗
lionen RM. jährlich, ankündigt. Das iſt
egenüber den Umſätzen von 1938 immers
in eine Vervierzehnfachung. Beſonders
unangenehm wird die Blodade-Bolititer
dabei berührt haben, E mehr beute
Ihe Lieferungen an bie Ruffen abjolut im
Vordergrunde ftehen, jonbern die Verſor⸗
gung des Reichs mit Rohſtoffen aus ber
dSSR. minbeitens die gleiche Rolle ſpielt.
Hier ME Se ein Handelsabkommen
ſchlechthin zur Debatte, hier geht es um
eine grokislisige Wirtſchaftsplanung, die
wei Länder — ausgerichtet auf die Be⸗
ürfniſſe des Partners und die Möglich⸗
keiten der eigenen Volkswirtſchaft — in
Angriff nehmen. Es iſt uns durchaus ver⸗
fenum wenn Engländer und Franzoſen mit
oe längſt veralteten und ſchwerfälligen
ußenhandelsmethoden Me vor einem
ähnlichen Unterfangen ſtehen. Sie können
nicht anders als mit ihren eigenen Maßſtäben
meſſen und denken offenbar an die guten
Ratſchläge, die man den eigenen Impor⸗
teuren gab, doch mont viel Waren im
Südoſten und vor allem in der Türkei zu
kaufen, weil das politiſch zweckmäßig war,
ohne daß ale Bemühungen von Erfolg bes
eitet geweſen wären, weil bie Einfuhr⸗
händler ſtur auf dem Standpunkt ſtanden,
die betreffenden Waren ſeien an anderen
Stellen billiger als in der Türkei oder in
Rumänien zu bekommen. Eine ſo weit⸗
gehende Wirtſchaftsplanung, wie ſie Groß⸗
deutſchland und die UdSSR. eingeleitet
haben, iſt nur durchzuführen, wenn eine
einheitliche politiſche Führung vorhanden
iſt, die nicht heute auf dieſen und morgen
pa jenen Intereſſentenhaufen Rückſicht zu
nehmen hat.
Die Entwicklung des deutſch⸗ruſſiſchen
Außenhandels ergibt ſich aus folgender
Überſicht:
22 AuBenpolitische Notizen
Der deutſche Außenhandel mit der UNSSR.
Einfuhr Ausfuhr
Mill. *j ber Gee Mill. % der Ge⸗
RM. ſamtausfuhr RM. ſamtausfuhr
1913 1425 13,23 880 8,72
1926 323 9,23 266 2,55
1930 436 4,20 431 3,58
1932 371 5,81 626 10,90
1933 194 4,62 282 5,79
1935 215 5,17 39 0,92
1936 93 2,21 126 2,65
1937 65 1,19 117 1,99
1938 47 0,86 32 0,60
Die Aufſtellung zeigt den Umſatzſchwund
in den vergangenen Jahren, beleuchtet den
ochſtand in den Jahren 1930 bis 1932 und
enkt vor allem die Aufmerkſamkeit auf
den rieſigen Umfang des Handelsverkehrs
wiſchen Deutſchland und Rußland vor
usbruch bes eee Nachdem dort
inzwiſchen Rohſtoffquellen erſchloſſen und
neue Induſtrien gegründet, die Bevölkerung
geltiegen und aud 1 die deutſche
olkswirtſchaft größer und betriebſamer
geworden iſt, wäre es theoretiſch durchaus
möglich, im Laufe der Zeit bei beider⸗
Eu em guten Willen aud) den Stand bes
orkriegsaußenhandels zu erreichen und zu
übertreffen. Das iſt zwar eine theoretiſche
Erwägung, deren Realiſierung aber im Be-
reiche des Möglichen liegt.
Es iſt müßig, zu unterſuchen, welche
Waren im einzelnen umgeſchlagen werden
können. Rußland braucht vor allem Maſchi⸗
nen, hochwertiges Alter komplette In⸗
duſtrieanlagen und hemikalien. Der
Bedarf kann in Deutſchland befriedigt
werden. Andererſeits ilt die UdSSR. in
der Lage, alle möglichen Kategorien von
Rohſtoffen abzugeben. Es ilt bekanntlich
das reichſte Erdölland der Welt; es e
ungeahnte Holz: und Metallvorräte; lett
kurzem iſt es der drittgrößte Baumwollpro⸗
duzent der Welt, Pelze und Felle ſind ſeit
alters her mit die wichtigſten deutſchen
Einfuhrwaren aus Rußland, vor Jahren
wurden umfangreiche Lebensmittelimporte
durchgeführt, die in der letzten Zeit zum
Stillſtand gekommen ſind. Da auch die
Transportfragen in einem Zuge mit der
Aufſtellung der beiderſeitigen Wirtichafts-
pläne geregelt werden, kann feſtgeſtellt
werden, daß für den deutſch⸗ruſſiſchen
Handelsverkehr eine Blütezeit bevorſteht,
die zu den ſchönſten Hoffnungen für die
beiden Volkswirtſchaften Anlaß gibt, die
gleichzeitig aber auch die EE Ideen
von einer Aushungerung des deutſchen
Volkes der Lächerlichkeit preisgibt.
Jugoslawiens Ausgleichspolitik
(Von unſerem Mitarbeiter in Belgrad)
Belgrad, Ende Oktober.
Obwohl der am 26. Auguſt d. J. erfolgte
Ausgleich Belgrad Agram noch ſehr jung
if läßt der politiſche Verlauf der feit feinem
uͤſtandekommen vergangenen Wochen doch
ſchon ein Urteil über ſeinen inneren Wert
und über die vorausſichtliche weitere Ent⸗
wicklung di Es kann gleich gelagt werden,
daß die Beurteilung der Tragfähigkeit und
Lebensdauer dieſes Ausgleichs auch in
ſolchen Kreiſen, die urſprünglich zur Skepſis
neigten, heute ſchon viel optimiſtiſcher iſt.
Die Zuſammenarbeit zwiſchen den in die
Regierung eingetretenen Kroaten und den
ſerbiſchen Regierungsmitgliedern geht nicht
nur reibungslos, ſondern ſogar ausgeſprochen
freundſchaftlich vor ſich. Der Kroatenführer
Dr. Macek ſchätzt den Miniſterpräſidenten
Cvetkovic als überaus loyalen Partner,
mit dem ſich arbeiten isch Ebenſo ſcheinen
auch alle anderen kroatiſchen Miniſter mit
ihren ſerbiſchen Kollegen gute Erfahrungen
zu machen. So wird langſam die in manchen
kroatiſchen Kreiſen immer vorhandene Be⸗
ürchtung zerſtreut, daß man ſie in Belgrad
och nur „hineinlegen“ wolle, weshalb ſie
es viele er hindurch vorgezogen hatten,
lieber überhaupt nicht nach Belgrad zu
kommen.
Wenn man feſtſtellt, daß die bisherige
kroatiſch⸗ſerbiſche Zuſammenarbeit au
Grund des Abkommens Macek—vetkovic
gut verläuft, bedeutet das natürlich nicht,
aß [don alle Fragen gelöſt find. Der Aus:
gleidh vom 26. Auguft ftellt ja nur einen
ahmen bar, ber erſt ben entſprechenden
Inhalt bekommen foll. Diefer Inhalt foll
ihm zuerſt durch die Übertragung aller
Selbſtverwaltungsbefugniſſe gegeben wer⸗
den, die der Banſchaft Kroatien durch den
Ausgleich zukommen. Schon dieſe Über⸗
tragung der Selbſtverwaltungsbefugniſſe
erfordert eine Menge von Kleinarbeit,
deren Durchführung einige Zeit in Anſpruch
nehmen wird. Mit ihr ſteht in Zuſammen⸗
hang die Löſung der Perſonalfrage ſowohl
innerhalb der kroatiſchen Selbſtverwaltung
als auch in den Belgrader Zentralen, auf
die die Kroaten jetzt natürlich auch den ent⸗
ſprechenden Einfluß nehmen wollen. Aber
auch wenn alle diefe Fragen gelant fein
werden, wird damit der Ausgleich noch
immer nicht endgültig ſein. In dem Ab⸗
kommen Cvetkovic—Macek heißt es aus:
drücklich, daß die neue Regierung „alles
Kleine Beiträge 23
Notwendige für die Neuregelung der ſtaat⸗
lichen Gemeinſchaft“ vorbereiten ſolle. Dieſe
Neuregelung ſoll den Umbau der geſamten
inneren Staatseinrichtung Jugoflawiens
umfaſſen, zu dem die Einrichtung der mit
weitgehenden Selbſtverwaltungsbefugniſſen
ausgeſtatteten Banſchaft Kroatien nur den
erſten Schritt bildete. Deshalb iſt die durch
das Abkommen Cvetkovic—Macek gefun:
dene Regelung auch nur als vorläufige an⸗
zuſehen. Es ge in ihm ausdrücklich beſtimmt,
daß der endgültige territoriale Umfang der
Banſchaft Kroatien un ihre endgültigen
Kompetenzen anläßlich der abſchließenden
Neuregelung des Staates neu feſtgelegt
werden ſollen.
Somit hat Jugoſlawien durch den Aus⸗
gleich mit den Kroaten den eg einer
grundlegenden inneren Neuordnung be⸗
ſchritten, deren Richtung ganz offenkundig
ein bundesſtaatlicher Aufbau ijt. Dies wird
ſchon daraus klar, daß die Banſchaft
Kroatien auf Grund des Abkommens vom
26. Auguſt gegenüber den anderen Staats⸗
gebieten jetzt eine Sonderſtellung genießt,
da nur ſie allein weitgehender Selbſt⸗
verwaltungsbefugniſſe teilhaftig wird,
während die anderen Banſchaften lediglich
über eine beſchränkte Selbſtverwaltung vet:
fügen. Alle dieſe Fragen werden aber natür⸗
lich nur ſchrittweiſe und auf längere Sicht
gelöſt werden können. Sie werden ſich ſicher⸗
lich auch löſen laſſen. Eine Hauptvoraus⸗
ſetzung Juf wird die Tatſache ſein, daß
N bie Zuſammenarbeit innerhalb der
usgle ichsregierung Cvetkovic—Macek gut
entwickelt, wodurch auch das notwendige
Vertrauen gebildet wird, das für die End⸗
Kleine
Anselm Feuerbach
Leben und Schaffen Anſelm Feuerbachs
(1829 bis 1880) fällt in eine künſtleriſche
Kriſenzeit. Der große Anſporn der Schiller⸗
may EE war zum philologiſchen, ſeeliſch
und ſchöpferiſch leeren C ee kN ges
worden, und als bann bie Kampfanſagen
Nietzſches gegen den kleinbürgerlichen und
innerlich hohlen Zeitgeiſt ertönten, ſtarb
Feuerbach in Venedig, zu früh.
Es iſt tragiſch, daß die ſorgfältige ſchön⸗
geiſtige Erziehung der Eltern ſeinen Blick
löſung aller noch vorhandenen Probleme
unbedingt nötig iſt.
Unbedingte Neutralität
Wenn die außenpolitiſche Haltung Jugo⸗
lawiens in den letzten onaten ſchon
mmer als neutral gekennzeichnet war, hat
ſich dieſe Neutralität im bisherigen Ver⸗
lauf des europäiſchen Konflikts nur noch
klarer und beſtimmter herausgearbeitet. In
manchen jugoflawiſchen Kreiſen herrſchte zu
Beginn des le bie Befürchtung, daß
der Konflikt auf den Balkan übergreifen
und an den jugoſlawiſchen Grenzen nicht
haltmachen würde. Dieſe Befürchtung iſt
inzwiſchen faſt ganz verſchwunden. Dazu hat
auch ſehr ſtark die Haltung Italiens bei⸗
etragen, von der man anerkennt, daß ſie
in hohem Maße geeignet iſt, den Frieden
auf dem Balkan zu erhalten. Es gibt in
Jugoſlawien keinen Politiker, der eine
andere Politik als die der völligen Neu:
tralität befürworten könnte. 3 ben nad:
brüdlidjten Vertretern der Neutralitäts⸗
politik gehören ſämtliche Führer der
Kroatiſchen Bauernpartei mit Dr. Macef
an der Spitze, die immer wieder den Grund⸗
jag betonen, daß es für Jugoſlawien eine
andere Politik überhaupt nicht gebe. Dabei
iſt bei den Kroaten erfreulicherweiſe
jetzt auch ein ſtärkeres Verſtändnis für
Deutſchland und für ſeine aufbauende Süd⸗
oſtpolitik zu erkennen. Nach dieſer Richtung
cheint ſich auch eine Wandlung in der Ein⸗
tellung der ziehe der Kroatiſchen Bauern⸗
artei zu vollziehen, die ſich früher, ſolange
ſie ſich in der Oppoſition befand, manchmal
recht ſtark von ie
Schlagworten beeinfluſſen ließ.
immer wieder nur auf die alten Kultur⸗
werte zu lenken verſtand, ſo daß er an den
aufbrechenden Kräften des jungen Deutſch⸗
land nicht teilhaben konnte. Feuerbachs
Ideal war die reine und monumentale
Geſtalt; ihn feſſelten die tragiſchen Heroen
der Antike. Die ihm als Erziehung und
Bildung mitgegebene Ideenwelt entzündete
ſich tief im Grunde ſeiner Seele. Dem
zarten und feinſinnigen Akademieſchüler
konnte nicht von ſeinen Düſſeldorfer,
Münchener, Antwerpener und Pariſer Leh⸗
rern geholfen werden: das entſcheidende
24 Kleine Beiträge
Erlebnis fonnte ihm nur unmittelbar aus
dem formitrengen und in einer großen
menſchlichen Form lebenden Süden
kommen. Als ihm dann in der Römerin
Nanna endlich das langgeſuchte Idealbild
lebend entgegentritt, iſt ſein Schwanken und
der immer wiederkehrende Hang zur Ver⸗
äußerlichung überwunden, und der 27jährige
a teht als Meiſter vor uns. „Rom
mein Schickſal“ ruft er in klarer Er⸗
kenntnis aus. Und wenn Feuerbach ſeiner
biedermeieriſch kleinlichen oder bereits tafs
ſenkämpferiſch zerfallenden Zeit das Bild
eines großen und geadelten Menſchentums
in einer erhabenen Form entgegenhalten
wollte, Edel er es welt
Die gleiche ſtrenge Architektonik wie die
„Iphigenie“ etwa, beherrſcht das Münchner
ruppenbild der Medea und ihrer Kinder,
die ihr genommen werden ſollen. Nicht die
Tat des Kindermordes iſt dargeſtellt, ſon⸗
dern die dumpfe Stille, in der der Entſchluß
reift. Fast blockhaft baut Rd) die vordere
Dreierg ruppe und dahinter die ſtillweinende
Begleiterin auf. Die bewegte Gruppe der
Seeleute und die aufſpritzenden Wogen
bleiben unbeachtet. Mit mächtig auslabens
der Kontur umſchließt das Gewand Medea
und ihre Kinder. er Vergleich mit den
beiden früheren Faſſungen des Themas (in
Breslau und in Berlin) zeigt, wie die ur⸗
prünglich erregte Handlung ich immer mehr
eſtigt und in dem vorliegenden Bilde, der
ritten Ausführung, wiederum zum Einfach⸗
Großen abklärt.
Viele kleinere „Auftragbildchen“ malt
euerbach, aber über ihnen ſtehen als die
tarken Akzente monumentale Gruppen, wie
as Stuttgarter Bild der Iphigenie, die faſt
marmorhaft geſchloſſenen Geſtalten der
Hagener Orpheus: und Eurydikedarſtellung,
oder die zweite, die Karlsruher Ausführung
von Platons Gaſtmahl.
An dieſe aus unperſönlichem Drange ge⸗
ſtalteten Gemälde muß man ſich halten,
wenn man das Ziel ſeines Strebens erfaſſen
will. Im fünften Jahrzehnt, dem letzten ſeines
Lebens, das ihm neben Ehrungen auch die
rößte Enttäuſchung und Wehnen durch
ie Wiener Kunſtausſtellung brachte, be—
ginnt jid fein Weſen und [eine Vorſtel—
lungsform qu wandeln. Jetzt öffnet fig bem
Idealiſten der Blick für die Wirklichkeit,
und es gelingen ihm Porträts von ein⸗
dringlicher Naturhaftigkeit. Bei der Be⸗
wertung aller ſeiner Selbſtbildniſſe muß
man weniger von den jugendlichen Gemäl⸗
den ſeiner Lernzeit ausgehen, auch nicht
von den letzten, die zu deutlich den Stempel
der Verbitterung und der Krankheit zeigen,
ſondern wiederum auf die der ſechziger und
e Kies ſiebziger Jahre.
ie innere Freiheit, zu der ſich Feuer⸗
bach damals durchgerungen hat, iſt kenn⸗
zeichnend. Das ſtreng Lineare iſt gemildert,
und fajt flodig weich rahmt das Haar bie
flar geformten Geſichtszüge mit ben ſcharfen,
aber ruhig blidenden Augen. Der breit»
pegogene mriß der Schultern gibt wiederum
em Bildganzen eine feſte Tektonik, die noch
durch den rechts an der Bildkante gezogenen
Mauerſtrich verſtärkt wird.
Die menſchlich tiefſte Ausſage iſt wohl
das Bild ſeiner Mutter, der treuen und
unermüdlich helfenden Lebens begleiterin,
die mit grenzenloſer Liebe und Anteil⸗
nahme ſeine Entwicklung behütet und ge⸗
fördert hat. Man muß ſich den ſchweren
Kampf beider Menſchen vor Augen halten,
um ihren Ausdruck, in dem ſich Güte und
eine verhaltene ſeeliſche Spannung miſchen,
zu begreifen.
Sie durfte erleben, wie ihr in Venedi
einſam geſtorbener Sohn plötzlich dur
ſein geſchriebenes Wort begriffen und dann
unehmend anerkannt wurde. Als der
ericht über ſein Leben und Wollen
und die Anklagen gegen ſeine Zeit, das
„Vermächtnis“, 1882 erſchien und allſeitig
pm wurde, verwandelte fih bie einitige
erſtändnislofi keit in zunehmende Be⸗
wunderung. Und wenn wir heute im
19. Jahrhundert ſuchen, um in dieſer künſt⸗
leriſchen Verfallszeit die Kräfte aufzu⸗
ſpüren, in denen ſich das Wollen unſerer
Gegenwart, das Streben zur Bild empfun⸗
denen und groß geſtalteten Bildform an⸗
kündigt, ſo finden wir Anſelm Feuerbach,
deſſen Schaffen unter einem reinen und
idealiſtiſchen Leitgedanken ſtand, in ge⸗
wiſſem Sinn gültig auch für unſere Tage.
Gottfried Schlag.
Hauptschriftleiter: Günter Kaufmann.
Anſchrift der Schriftleitung: Reichsjugendführung. Berlin MW 35, Kurfürſtenſtraße 53. Fernſprecher 229091. —
Verlag:
hedtonto: Berlin 4454. Verantwortlich für den Anzeigenteil:
Franz Eher Nachf. G. m. b. H., Zentralverlag der NONE, Berlin SW 68, rn or
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id Herold, Berlin. —
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folgende Nummern der Zeitichrift „Wille und Macht:
Jahrgang 1933:
Die Folgen 1 bis 24 und das Inhalts verzeichnis
Jahrgang 1934:
Die Folgen 1, 2, 3, 4, 5, 6, 8 (je 2 Stück),
die Folgen 11 und 22 (je 1 Stück)
Jahrgang 1935:
Die Folge 24 (1 Stück)
Jahrgang 1936:
Die Folge 1 (3 Stück)
Jede einzelne dieser Nummern ist von höchstem Wert. In Deinem
Schrank sind die Hefte der Allgemeinheit nicht zugänglich. Sende sie daher an das
HAUPTARCHIV DER NSDAP.
Abt. IV/B |
München 3, BarerftraBe 15
NON
iM
hrecorgan der nationallozialiſtiſchen Jugend
*
HERAUSGEBER: BALDUR VON SCHIRACH
dem Inhalt:
asEnde eines gefälschten Geschichtsmy. —
Sepp Keller / Die Einberufung in den Krieg
Niefzsche über Engländer und Russe
Weidemann: Ich sprach mit dem Burger Morat | Gedichte von Ha:
Kumstdruckbeilage: Alte deutsche Kunstwerke im neuen Reichsland
lbmonatsschrift / Heft 22 Berlin, 15. November 1939 Preis 30 Pf.
INHALT
Sepp Keller: Die Einberufung in den Krieg
Alfred Weidemann: Ich sprach mit dem Bürger Morat
Hans Gstettner: Gedichte
Gerhard Krüger: Das Ende eines gefälschten Geschichtsmythos
KLEINE BEITRÄGE
Richard Oehler: Nietzsche über Engländer und Russen
NEUE BÜCHER
KUNSTDRUCKBEILAGE
Ausschnitt aus dem Graudenzer Altar (Photo: Prof. Clasen, Königsberg)
Windgott von Andreas Schlüter, Wilanów (Photo: Koch, Warschau)
Ausschnitt einer Kreuzigung, Pelplin (Photo: Prof. Clasen, Königsberg)
Engel vom Altar der Johanniskirche, Thorn (Photo: Prof. Clasen, Königsberg)
Wille Hadt
führecorgan der nationallozialiſtiſchen Jugend
HERAUSGEBER: BALDUR VON SCHIRACH
Jahrgang 7 Berlin, 15. November 1939 Heft 22
Sepp Keller:
Die Einberufung in den Krieg
Damals dunfelte ein düſteres Gewölk, bas über das Gebirge her zog, jäh
den Abend im frühen Herbſt. Es hatte jegliche Arbeit auf den Wieſen und Feldern
ein Ende gefunden. Die Fuhren mit dem Grummet und bei den oberen Höfen im
Bachtal die Fuhren mit der Gerſte oder mit dem Hafer waren noch auf der Tenne
abgeladen worden. Bereits im dämmernden Schein packten die Knechte oder die
älteren Söhne der Bauern mit den Gabeln die Wagen ab und ſchleuderten die Laſt
in die ſeitlichen Abteile der Scheunen. Dort ſtanden die Kinder und traten das
Grummet feft und lagerten bie Garben gut. Auch der Knabe Ambros ſtand in feines
Vaters Tenne und lud bereits die Fuhren ab. Er und wohl auch auf anderen
Tennen die Knaben ſagten ſcherzende Worte zu den Mädchen, die vom hohen Heu—
ſtock ober vom Stock nieder, den das Getreide bildete, lachend die Antwort gaben.
Die junge Trud rief aus der Finſternis von oben: „Du hebſt dir ja einen Bruch,
da reißt dir was im Bauch.“
„Oh“, ſagte der Junge und ſchleuderte eine Gabel voll Grummet hoch, „morgen
iſt erſt der Samstag, gib obacht, daß dir nicht was zerriſſen wird.“ Ä
Cie ſchwiegen und kicherten, und dann arbeiteten fie alle in den Abend hinein.
Die Alten, die auf dem Feld die Fuder luden, redeten anders. Einer ſagte: „Man
weiß nicht, was nach dem Hinundherſtreiten geſchieht.“
„Es geht wieder nach Galizien.“
„Nein“, redete der andere, „er wird es etwan verhindern, daß es ſo weit kommt.“
Seite her. ſagte der zweite weiter, „der Hauptſchlag kommt von der preußiſchen
eite her.“
Da fragte voll Angſt ein Weib und hielt an mit der Arbeit: „Ihr redet doch
nicht etwa vom Krieg?“
„Vom Krieg?“
„Ein Feldzug nach Oſten kann es genannt werden.“
„Am San und am Bug waren wir, vor Przemyſl, Lemberg oder Limanova,
für he Breſt“, redete der Mann, und er ſagte die Namen langſam aus. Sie waren
ür den alten Knecht und auch für die Frau vollbeladen mit dem Erinnern aus der
lang vergangenen Zeit.
2 Keller / Die Einberufung in den Krieg
„San und am Bug und der Sumpf in Wolhynien“, murmelte der Knecht in bie
Abendſtille. Das Haferſtroh kniſterte am Wagen.
„Hü“, ſchrie leifer der Bauer, die Frau ſchulterte den Rechen. Hinter den Roſſen,
hinter dem Wagen mit der Ernte, gingen ſie heim auf den Hof.
Zwei Stunden nach der ſchwarzen Mitternacht wurde der Knabe Ambros wach.
Ein Mann hatte am offenen Fenſter der ebenerdigen Kammer geſagt: „Du,
Ambros, du mußt aufſtehen und zum Gemeindeamt gehen.“
Der Knabe jak aufrecht im Bett, er fragte [hon hellwach: „Iſt bie Mobilifierung?“
Er bekam auf die Frage mit jenem fremden Wort, das von den älteren Knaben und
von den Männern an den Tagen vorher oft ausgeſprochen worden war und das die
Knaben zögernd und unvertraut ſagten und das für ſie erſt nur der Ausſage nach
einen Sinn hatte, keine Antwort. Der eilende Bote war in die Nacht verſchwunden.
Als der Knabe in die Gemeindekanzlei trat, flackerten die zwei Kerzen auf dem
Beratungstiſch. Über die Geſichter der zwei ſitzenden Männer, das waren der
Bürgermeiſter und der Sekretär, huſchten Schatten, gleich auch über die drei ſtehen⸗
den Knaben, die Ambros begrüßten. Die zwei Männer hatten Stöße von vor⸗
gedruckten Karten vor ſich, auf jeder Karte ſtand handgeſchrieben ein Name, den ſie
in ihren Liſten nachſuchten und dort anſtrichen. Eine halbe Stunde vorher war ein
Auto durch das Dorf gefahren und ein Mann war ausgeſtiegen, hatte den Bürger⸗
meiſter geweckt und ihm die Karten gegeben. Auf denen aber ſtand, daß ſich ein
jeder, der eine ſolche Karte zugeteilt bekam, ſogleich auf den Weg nach dem be⸗
fohlenen Sammelort zu begeben habe. Alsdann ſetzten ſich die Buben an den Tiſch
und ordneten die Karten danach, daß ſie auf dem nächſten Wege die in den Krieg
befohlenen Männer erreichen könnten. Als ſie damit fertig waren und gehen
wollten, gaben ihnen die Männer noch grüne Scheine, auf denen ſtand, daß der und
der Bauer ein Roß oder gar zwei für eine Wehrübung zu ſtellen habe, ſamt dem
nötigen Geſchirr. Für drei Bauern war geboten, ihre leichten Pferde als Reit⸗
pferde abzuſtellen.
Der Bürgermeiſter ſtand auf und ſagte: „Es darf euch niemand anhalten auf
dem Weg. Ihr ſteht, ſo heißt das, jetzt unter dem Kriegsrecht, und ihr habt jedem
Einberufenen zu ſagen, daß er ſich mit dem nächſten Zug oder bei einigen zur be⸗
ſtimmten Stunde in ſeinem Sammelort unbedingt 1 muß. Das gilt auch
für die Pferde. Mehr könnt ihr nicht ſagen, weil mehr über das, was geſchieht,
keiner von uns weiß.“
Auf dem finſteren Platz vor dem Haus, in dem die Poſt und die Gemeindekanzlei
waren, trennten ſich die vier Knaben. Im ſchwarzen Himmel glimmten die Sterne,
die kühle Nacht blieb dunkel, voller Ferne und angetan mit dem Ungekannten.
Ambros ſchritt eilig am Bach entlang, die Erlenzweige huſchten an feinem (Gebäi
vorbei. Die Füße taſteten über die Steine des Weges. Bald querte er den Bach,
die Brückendielen dröhnten laut, wie leiſe er auch niedertrat, das mon vom
Waller blieb dahinter. Der ſchmale Weg, der dort im Tal dahinlief, wo der Wieſen⸗
hang übertrat zu den ebenen Feldern, die gegen den 5195 zu ſumpfig wurden, der
Weg war für die Augen an den Feldſteinen zu ſehen. Vom Flugfeld, das mitten
im Bergtal lag, war kein Schimmer wach. Die Soldaten und die Maſchinen ruhten,
und ein Fremder wußte ſelbſt nichts von den Wachpoſten am hohen Zaun.
„Überall“, ſagte Ambros leiſe, „gehen wir jetzt umher und wecken die Männer.
pueri find wir Buben munter, aber ſpäter, morgen werden wir wohl ſchlafen.
ann ſind die Männer im Krieg.“
Wenngleich der Knabe in ſolcher Stunde nie an der Wegſcheid war, fand er ſie
und ſtieg im Hohlweg bergauf. Dann öffnete er, als wäre das alles am Tage, ein
Tor, das am Abend und am Morgen das Vieh abhielt. Er ging an Stall und Wagen⸗
Keller / Die Einberufung in den Krieg 3
hütten vorbei zu dem hohen, weißgetünchten Haus. Er ſtieg über bie Vortreppe,
da fiel ein Lichtſchein aus dem offenen Flur, er trat ein und ging in die Küche,
aber das Licht der Lampe war einzig wach. Er trat aus dem Haus über den Hof⸗
platz. Nun ſah er einen Lichtſtreif aus dem Roßſtall fallen, er öffnete die Tür
vollends. Im trüben Schein und auch von dem noch geblendet nach dem Nachtgang,
ſah er den Bauern in dem Stand bei einem Füllen, das krank war. Der alte Bauer
ſchaute auf und ſtaunte, aber da redete Ambros: „Der Leitner Emmerich, der
Knecht, muß aufſtehen, er muß einrücken!“
„In den Krieg, dann iſt der Krieg da?“ Der große Mann mit dem roten Geſicht
wiſchte ſich mit der breiten Hand über die Stirn. Er trat in den Rahmen der Stall⸗
tür und rief laut über den nächtlichen Hof: „Emmerich, auf, aufſtehen, einrücken,
es iſt Krieg!“
Dann wendete er ſich um. Ambros aber ſagte: „Es iſt vielleicht kein Krieg,
ſondern nur eine Übung. Ihr müßt aber auch ein Pferd abliefern, es ſteht auf
dem grünen Schein geſchrieben.“
„Was für ein Roß“, fragte der Bauer und trat zu der Stute in den Stand.
„Die hier iſt tragend, die anderen zwei ſind untauglich geweſen bei der Muſterung.“
Der Knabe beſah wieder den Schein, er reichte ihn dem Bauern, er ſagte: „Ich
kann das nicht entſcheiden, Ihr müßt auf das Gemeindeamt gehen; ich ſoll nur
ſagen, daß von Euch ſofort der Leitner Emmerich und ein Pferd mit dem Geſchirr
einrücken müſſen zum Heeresdienſt.“
Darauf ging der Mann aus dem Stall, der Knabe folgte ihm. Auf der Haus⸗
treppe ſagte der Bauer: „Ich wecke den Bertel, der ſoll gleich zum Gemeindeamt.“
Der große Sohn aber war bereits wach geworden, er kam barfuß über die Stiege,
er eilte zuerſt in die Küche und ſchaltete den Radioapparat ein. Sein Vater gab
ihm den Zettel. Er ſagte: „Das muß ein Irrtum ſein. Die Stute iſt freigeſtellt
als Zuchttier.“
Die beiden blickten auf den Knaben Ambros. Der wiederholte ſeine Rede. Es über⸗
kam ihn jay der Gedanke, unklar, aber ſchwer und arg, daß ein riejiges Räderwerk
zu laufen begonnen hatte, in das waren die einſchichtigſten Weiler mitſamt den
Menſchen, Tieren und Dingen eingeſchaltet, in dem war er ein winziges Rad, das
nur vorwärtszutreiben hatte, und durch das hoben ſich nun andere zu bewegen an,
und in dem allem gab es nicht Fragen und Antworten, in dem gab es allein den
befohlenen Schritt, und der war zu tun. Der Knecht ſtand bereits da. Es ſollte
hier nur die Frage um das Tier ſein. Der Knabe gab dem Knecht die Karte mit
dem Befehl und verließ den Hof. |
Ambros ftapfte eine Weile noch bergan. Bei bem nächſten Haus leuchteten die
BR der unteren Stube. Als er pochte, wurde das Fenſter geöffnet, unb er:
chrocken fragte die Frau. Aber Ambros, der wußte, daß ber Bauer krank lag, jagte,
er wolle die Buben wecken, er ſagte, ſie müßten ein Paar Pferde abliefern zum
Dienſt bei dem Heer. Es kam ſchon einer der Söhne vom Stockwerk nieder. Im
Taſchenlampenſchein las er die Einberufung. Die Nachtkälte fiel ihn an nach dem
Schlaf, ſeine Stimme jedoch wurde feſt, und es war, als er zu Ambros ſprach, die
Stärke darin, die um den kranken Vater wußte und die wußte, daß einfache und
harte Werke geſchahen. Es war, wie es der Zufall fügte, für ein Pferd die Frei⸗
Se da, aber es lag wieder nicht an dem Boten noch an dem Sohn bie Ent-
eidung.
„Gehe auch du zum Amt und ſage wie es iſt, ich muß weiter und muß noch viele
wecken, es wird verdammt ſein, wenn mir überall das entgegen geſagt wird.“
Mit eiligen Schritten ging der Knabe talab. Die Duſterkeit tat gut, und der
feſte Laut der groben Schuhe verſcheuchte die Verwirrtheit, die über ihn zu kommen
& Keller / Die Einberufung in den Krieg
fien. Der Gang währte eine rechte Weile. Ambros fab den Steinbruch heller im
Dunkel des Waldes, der zur rechten Seite anſtieg. Später drän en Zäune
den Weg zuſammen. Aus der Nacht wehten Nebelballen über die Weiden, unb
einmal, als Ambros den Schritt anhielt, vernahm er das Schnauben von Pferden.
Fohlen drängten an ruhig grajende Stuten. Im tiefen Staub des Weges verſank
der Tritt. Nur einmal klirrten die Nägel der Schuhe an einen weißen Stein. Nur
ſolche wie ich ſind wach in der Stunde und gehen auf allen Wegen in der Nacht
umher, ſagte ſtehenbleibend Ambros. Der Weg lief eben aus. Schwarze Dächer
ſtanden vor dem duſteren Himmel. Die Häuſer mit weißem Unterſtock und len
nem Aufbau ſäumten den Weg. Ambros wußte die Höfe, wo bie Männer ſchliefen,
die er zu wecken hatte. Im Lichte der Taſchenlaterne las er den Namen auf der
erſten Karte: Lackner Johann. Er ging um das Haus. Dann pochte er an eines
der Fenſter. Vor dem ſtanden in blechernen und tönernen Töpfen die Blumen
wiſchen den Stäben des Eiſengitters. Eine Frauenſtimme fragte. Ein Flügel vom
Genfer «ne geöffnet. In bie Nachtfinſternis dämmerte ber früheſte Tagesſchein.
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ot Johann Lackner muß aufſtehen und ſofort einrücken. Da iſt der ſchriftliche
efehl.“
„Mein Gott“, ſagte voller Angſt das Weib, „es iſt Krieg!“
Tief im Dunkel der Kammer rief der Bauer: „Jawohl, ich habe es gehört.“
„Oh, der Krieg“, flüſterte die Frau und weinte und faltete die Hände vor der
Bruſt und ſchaute mit erſchrockenem Blick zu Ambros nieder.
„Es ſteht davon“, ſagte er, „nichts auf der Karte. Vielleicht iſt es nicht ſo weit.“
„Oh, wer tut die Arbeit, wer?“ — aber da ſchob der Mann die Frau vom
Fenſter fort.
Ambros reichte ihm den Befehl: a Haft du, es foll gleich fein, du brauchſt
nicht mit der Bahn, bu biſt zu Fuß geſchwinder am Sammelplag ^
Er grüßte und eilte fort durch eine Seitengaſſe.
Am nächſten Hausbrunnen pom [don ein Mann, ber fid) wuſch. An der Hause
wand lehnte bie Senſe. Weil Ambros ralh daherkam und weil ber Frühſchein
noch gering war, erkannte er ihn nicht: „Biſt du der Peter Saller?“ fragte er.
„Ja, was willſt du ſo früh?“
„Du brauchſt nicht mit der Senſe auf das Feld.“
„Warum nicht?“
„Weil du auf ein anderes Feld mußt. Mit einem anderen Werkzeug.“
Da ſagte der Mann: „Du biſt doch der Ambros Perwein, warum redeſt du ſo?
Iſt das ein ee dafür ift in ber Früh feine Zeit.“ — „Nein, es ift feines. Es
tft nur der Befehl, daß du und andere, bie bereits bei dem Heer gedient haben, unb
etliche, die ſchon im anderen Krieg ſtanden, daß ihr einrücken müßt, ſofort.“
Der Mann hob die Arme hoch, reckte ſich und ſog tief den kalten Atem. Er ſagte
mit heller Stimme und mit hellen Augen im Morgendämmern: „Ja, ein anderes
Feld und ein anderes Werkzeug, wohl auch eine andere Ernte. Aber was tut das.
Vielleicht auch ein anderer Erntedank.“ Er nahm die Senſe und ſah ſie an. Das
erſte Taglicht blinkte auf dem ſchneidenden Stahl. „Sie iſt ſcharf“, murmelte er
und hing ſie auf den hölzernen Nagel an der Stallwand. Er wandte ſich um, aber
jäh beugte er ſich zurück, hob die Senſe wieder vom Nagel und ſagte: „So geht es
nicht, es muß auch auf dem Feld gemäht werden, der Bub muß mit der Senſe um⸗
gehen, dieweil ſein Vater bei der anderen Ernte hilft.“
Als der Knabe das vernahm, ſtreckte er den Kriegsbefehl ſcheu dem großen Mann
hin, der gab ihm ohne Wort die Hand, dann wendete er ſich, und voll Haſt ging
Ambros weiter. Er weckte den Wirt von dem Weiler. Der wohnte in einem großen,
Keller / Die Einberufung in den Krieg 5
alten Steinhaus. Bor der Zeit der Rose war die Hauptſtraße vorbeigegangen
und waren bei der Taverne die Poſtpferde gewechſelt worden. Der Wirt ſtand auf
und kam ihm mit Lachen auf der Haustreppe entgegen: „Du bringt den Urlaub“,
ſagte er laut.
„Nein, den Dienſt.“ |
„Das verſtehſt du nicht, Bub“, ſagte er, „das ift doch ein Urlaub, und arg wird
es nicht werden. Wir haben viele Geſchütze und noch mehr Flugzeuge.“
Er hatte das laut geſagt. Aus der Kammer hörte Ambros die Frau. Sie weinte
laut auf und ſagte darein: „Aber die Männer brauchen ſie doch, allein ſchießen die
Kanonen nicht und fliegen die Flieger nicht. Aber allein bleiben wir Weiber.“
„Ihr ſeid genug, und die Alten bleiben und die Kinder, und dann, hörſt du, die
Gefangenen kommen zu euch, die ſind recht fromm, mehr fromm als wir, die werden
euch tröſten.“ ; |
„Aber euch“, klagte 9 weiter, „euch holt der Tod, der Tod“, klagte ſie und
weinte ſchluchzend. Der Wirt ging pfeifend in den Stall.
Ambros folgte ihm: „Es iſt auch ein Roß von dir gefordert, es ſoll gleich
abgeliefert werden.“
Da erſchrak der Mann, aber der Anlauf zu ſeinem Frohſein überwand das
Dunkle: „Ja, ſo wird es ſein müſſen“, redete er und warf den Gäulen Heu in die
Raufen, „das Roß und der Herr; und dort, wo kein Weg ilt, ziehen die Röſſer wohl
am ſicherſten vor dem Geſchütz.“ :
Ambros antwortete haftig: „Wir find bloß Knaben, ſagt ihr und Kinder jagt ihr
und Buben und lacht!“ Er ſchaute mit weiten Augen durch bie offene Tür in den
weiten Himmel, der ftählern blau aus der Nacht aufbrad. Er ſagte nichts mehr,
ſondern eilte weiter von Haus zu Haus und übergab den Männern die Befehle
füt ſie und für ihre Pferde. Etliche ſtanden ſchon auf dem Feld und mähten, etliche
tterten die Tiere im Stall. Sonach ging er wieder heim in das Dorf. Es war
Tag geworden, als er auf ſeines Vaters Hof kam.
Der Vater ſtand im Sonntagsgewand bei den Roſſen und fütterte ſie. Die
Knechte ſtanden umher und ſagten zu den Knaben: „Er muß auch einrücken, er und
zwei Pferde.“ Nachher ſagte der Vater: „Du und der Hans, ihr bringt die Pferde
fort. Mit dem Mittagszug fahrt ihr wieder zurück. Ich brauche mich erſt um
12 Uhr zu ſtellen. Dort kreuzen die Züge, und wir ſehen uns noch.“
Ambros aß in der Eile wenig von dem Frühſtück, bas die Mutter auf den Tiſch
ſtellte. Sie richteten das Geſchirr. Mit Lappen und einem Fett rieben ſie den
Meſſingbeſchlag der Kumte blank und putzten die Schnallen der Riemen. Ein großer
Sack mit Heu und auch Hafer wurden aufgepackt. Sonach zogen die zwei Jungen
mit den Tieren fort. Alle ſtanden und ſahen nach, die Eltern und die Knechte und
die Mägde. Es fehlte die Rede dabei, aber ohne Wünſche und den heimlichen
Segen zogen die Tiere nicht fort von Hof und Acker in den Krieg. Hintereinander
führten die Buben die Roſſe. Es war ein Weg von vier Stunden, auf dem
begegneten ſie Männern und Frauen und anderen Pferden. Etliche zogen in
Gruppen. Die Holzknechte wurden von ihren Frauen bis zum Bahnhof begleitet.
Die Reſerviſten trugen ihre kleinen Koffer. Viele der Männer führten die Frauen
im Arm, was ſie ſonſt nie getan hatten. Alle ſcherzten und lachten und redeten.
„Oh, das iſt gut, daß die Mannsbilder mit ihrem Übermut in den Krieg müſſen.“
„Ja, das iſt gut“, war die Antwort, „daß ihr Weiber wißt, was wir euch ſind
und wie ihr nun allein mit der Arbeit fertig werden ſollt.“
„Sagt nicht ſo ein Zeug“, ſprach eine Frau und ging mit ſchwerem Schritt und
ſchaute ohne Lachen auf den grauen Weg.
6 Keller / Die Einberufung in den Krieg
Einige hatten zum Abſchied bei ben Nachbarn Schnaps getrunken. Sie ſchwenkten
ihre Hüte und übten bereits den rechten Tritt. Sie ſagten laut: „Jawoll, Herr
Feldwebel.“ Und einer ſagte: „Ich bitte gehorſamſt, darf ich hinter den Buſch?“
Und ein Mutiger rief: „Das Gewehr über!“
Die Mehrzahl aber war von einer klaren Freude befallen, das gab nicht laute
Worte, ſondern ein gutes, gewogenes Reden über das Tagewerk, das zurückblieb,
und über das Tagewerk, dem ſie alle entgegengingen.
Die Knaben und die Knechte mit den Roſſen gingen raſcher, ſie n bie
kleinen Scharen, bie zur Bahn wollten. Am Flugfeld vorbei fagten fie nichts.
Dort übten wie bisher die Flugſchüler mit den maanen und mit den großen
lugzeugen, aus deren gläjerner Bugkanzel bas Maſchinengewehr ragte. Drohnend
rauſten ſie nieder über die Straße, wenn ſie ſtarteten. Viele der Pferde, die ſelten
auf dieſer Straße gingen, legten die Ohren zurück und ſcheuten. Mit hohem Singen
ſanken die einſchwebenden Maſchinen nieder, rollten aus, um von neuem zu ſtarten.
Ein Bauer ſagte, und weil er einer der Alteren war, deſſen Wort galt, horchten
die anderen zu ihm hin: „Nun hat es doch Sinn gehabt, daß aus dem Weizenfeld
ein Flugfeld geworden iſt.“
„Ja“, gab einer zur Antwort, „wir wollen auch daran glauben.“
Sie redeten danach nichts mehr. Auf dem kleinen Bahnhof war die Wartezeit
lange für die, denen die Stunde doch ein Abſchied war. Sie blieb aber nicht leer
ſondern erinnerte an einen feltenen, feſtlichen Tag, der auch den Leuten von Ho
und Wald und Acker das gute Hinſchauen auf den Weg bisher gab, den a
Hände Arbeit und ihr Herz gewandert war. Als der Zug einfuhr, hörte ber Tag
nur das frohe Rufen derer, die mit leichtem Sinn im Gaſthaus geſeſſen rn
Von den anderen Worten, die Mann und Weib noch ſcheu zueinander ſagten,
vernahmen die Nachbarn nichts mehr. .
Ambros und Hans und alle die mit den Pferden von den Dörfern bes Flußtales
zogen auf der breiten dunkelgrauen Straße dem Sammelort zu. Sie trafen ein⸗
ander, und näher waren es nicht mehr einzelne, die ein Pferd mit blankem Geſchirr
führten, ſondern ganze Haufen. Sie zogen am Talrand dahin, wo zur einen Hand
der Hügelkegel abfiel in die weite Sohle zum Moor und wo zur anderen Hand die
hellen Grummetwieſen lagen oder die braunen Acker nach dem Stoppelſturz. Am
ire. Rand verkündeten bie Herbſtzeitloſen bas [pite Jahr. Es war manchmal ein
ädchen, das ein Roß führte, weil daheim die Arbeit drängte und bereits die
jüngſten Männerhände nötig waren. Dann gab das eine lachende Schar, die da
wanderte und die ſchweren Roſſe in den harten Dienſt trieb.
In der kleinen Stadt wurden die Pferde den Soldaten vorgeführt. Ein alter
Rittmeiſter und ein Tierarzt ſagten alsdann, was die Tiere Wert wären und was
ein Beſitzer bekäme, falls es im Dienſt bei dem Heer zugrunde ginge. Der Ritt-
meiſter redete mit dem Knaben und den Knechten, dieweil der Tierarzt um das
Roß herum ging und nachſah, ob ihm was fehle. Danach wurden alle Pferde von
Soldaten fortgeführt, und die Schar der Knaben und Knechte ſtand mit den Mädchen
allein auf dem Marktplatz. Sie ſahen umher und redeten miteinander vom Kriege
und was ſie davon zu wiſſen vermeinten. Die Mädchen hörten zu. Aber es war
eine Leere um ſie, ſie ſchwenkten die Arme ohne Rat; die Hand, die eine lange
Weile die Zügel eines Pferdes gehalten hatte, vermißte den Griff.
Ambros ging wie die meiſten zum Bahnhof. Dort ſtanden Soldaten und warteten
auf einen Zug mit Reſerviſten. Da dachte der Knabe an ſeinen Vater, und ihm war,
als hätte er ein Hellgeſicht, das noch genau den Gang des Vaters zur Bahn ſähe.
Er ſah, und das geſchah ihm nicht verwunderlich, ſondern als wäre es eben recht in
der Stunde, er ſah, wie der Vater mit dem Koffer mit den anderen zum Zuge ſchritt.
Keller / Die Einberufung in den Krieg 7
Aus allen Fenſtern der Wagen ſchauten Männer vom Tal. Nur etliche Weiber⸗
leute, die faſt der Zufall mit dieſem Männerzug führte, blickten ſcheu inmitten der
vielen lautredenden Männer in den Tag. Es ſtiegen die aus dem gleichen Dorf
gar nicht in den gleichen Wagen. Von dem und jenem Wagen rief ein Bekannter;
dahin eilten ſie alſo, und ſo waren ſie auch ſpäter im Wagen noch, der aus Aiglern
und der aus Ardning und der aus dem Sölktal.
„Du, Franz, du biſt auch da“, ſagten ſie alle.
„Ja“, redete der Neue, „und du mußt auch einrücken.“ Dabei rollte ſchnaubend
der vollbeladene Zug bereits an. Die Neuen, die es noch merkten, drängten eilig
zum Fenſter, um hin in den Talwinkel zu ſchauen, der ihre Heimat barg, ihre
Weiber und Kinder und all das, was ohne lauten Namen an den Dingen haftet,
die ihren Lebensort füllen. Das Tal rauſchte vorbei. Die Männer redeten. Es
wurde aber ſtiller und ſonderlich die, die bisher mit den Weibsleuten ſcherzten,
die verſtummten.
Die kreiſchenden Bremſen zeigten das Ziel an. Da ſchlugen eilig alle Türen auf,
die Männer ſprangen, damit es raſcher ginge, über die Stufen. Sie ſchwenkten die
ee einander zu, unb fie verſuchten, fid) in Haufen zu teilen. Die aus den Dörfern
ſtrebten zuſammen. Die Soldaten riefen dazwiſchen, einer gab den Befehl, daß
Dë alle Männer in Reihen zu einem Zuge aufzuſtellen hätten. Sie ließen jäh von
em Vorhaben ab, eilten dem Platze vor dem Bahnhof zu. Dort wieſen ihnen die
Soldaten namenlos an, wie ſie {i in drei Gliedern aufzuftellen hätten. Aus den
einzelnen Stimmen wurde ein leiſeres Summen, und aus den einzelnen Bauern
We den Knechten und Arbeitern wurde ein langer dunkler Zug mit der Front
nach vorn.
Der Knabe Ambros, der voll Bangen, er könnte den Vater nicht mehr ſehen, am
Eingang geſtanden hatte, war zur Seite gedrängt worden. Obgleich er bisher
eduldig gewartet hatte, war er nun doch glücklich, als er in der langen Männer⸗
9 den Vater ſah. Er eilte hinzu, und der Vater, der den Koffer einen Augenblick
niedergeſtellt hatte, gab ihm die Hand. Da rief der Unteroffizier einen Befehl, und
alle Männer machten Kehrt. Der Knabe Ambros war nicht allein, als er zurück⸗
ſprang, taten das noch etliche, auch Mädchen und ein paar Frauen waren darunter.
Der Männerzug hob zu gehen an. Die erſten Schritte waren noch ein Gang wie
ſie ihn vorher zur Bahn getan hatten. Aber die gefügte Ordnung der Kolonne, der
eine Reihe Soldaten voranſchritt, ſtraffte eilends den Tritt, und ſpäter, auf dem
Wege, der vom Bahnhof über ein Feld in die Stadt führte, da marſchierte dort
bereits ein langer Zug von Soldaten.
Auf der Heimfahrt begegnete Ambros im Zug ein Mädchen aus dem Dorf.
Hedwig war ein Jahr nad ihm aus der Schule gegangen. Ihr helles, lockeres Haar
war ein lichter Schein in dem dunklen Abteil. Die Knaben redeten wenig mit ihr.
Zumeiſt ſahen ſie durch die Fenſter. Ihre Geſichter ſpiegelten ſich darin. Und eines
ſah den andern im Spiegelbild. Die ſtillen grauen Augen des Mädchens lachten
wie ein fröhlicher Stern. Auf dem Heimgang ſchritt ſie zwiſchen den Knaben. Das
war das erſtemal, dak Ambros neben ihr auf einem weiten Weg war. Aber es
überkam ihn nimmer die bisherige Scheu, es ſtrömte ohne Namen und Rede eine
liebe Geborgenheit von ihr aus, die er dankbar annahm an dieſem Tag, an dem
zum erſtenmal der Vater fehlte auf dem Hof. e
Der Bater war mit all den andern Männern in den Krieg gezogen.
Am nüdjten Tage, es war ein Sonntag, fam in das Dorf und zu allen Weilern
unb bis in die Dinterite Einſchicht die Nachricht: Die Männer und die Pferde find
an die öſtliche Grenze abgerückt.
Alfred Weidemann:
Ich sprach mit dem Bürger Morat
Malgré nous — gegen uuſeren Willen — En avant!
In irgendeinem gleidgiiltigen Reſtaurant. Der Lautſprecher meldete eben die
neueſten Nachrichten. Und wie nun der „Marſch der Deutſchen in Polen“ aufklingt,
dröhnen von der Straße her Trommeln und Fanfaren dazwiſchen. Auf dem freien
Platz, gleich neben dem Muſikpavillon hat ſich ein Muſikzug des Jungvolks aufgebaut.
Die Vollkommenheit ſeines Spiels mag den Leiſtungen der gewohnten Militärkapelle
nachſtehen, an Lautſtärke bleibt jedoch nichts zu wünſchen übrig. Weit vor der Front
ſteht der junge Führer mit geſpreizten Beinen und lenkt Trommeln und Fanfaren
mit ſeinen geballten Fäuſten. Vielleicht, daß er das erſte Mal ſo vor der Front ſteht.
Sein Platz iſt ſonſt dort drüben links, im erſten Glied. Heute vertritt er nur einen
anderen. Dieſer andere kämpft zur Stunde irgendwo in Polen. Ebenſo wie jene
Männer, die früher an einem ſolchen Sonntagmorgen hier in dieſem Muſikpavillon
muſizierten.
Und da eilen beim Anblick dieſer trommelnden und blaſenden Pimpfe, wie ſo oft
in dieſen Tagen, meine Gedanken um ein paar Wochen zurück zu Armand Morat.
Zu jenem Armand Morat, der heute wohl in einem der franzöſiſchen Bunker der
Maginotlinie liegt, wenn es ihm nicht gelang, ſich zu drücken, ſo wie er es im Falle
eines Krieges feſt im Sinne gehabt hat. Wir trafen uns damals in Paris, drunten
im ſchwankenden Leib einer U-Bahn. Faſt ſchweigend waren wir die Metro⸗Station
„Odeon“ zum Boulevard de St. Germain heraufgeſtiegen, bis wir dort vor dem
unſcheinbaren Danton⸗Denkmal geſtanden waren, in deſſen Stein man mit viel
Sorgfalt jenen unbekannten Satz ſchrieb: „Apres le pain, l'Education de sa
jeunesse est le premier besoin du peuple.“ Dieſe Worte hatten unſer damaliges
Geſpräch beſtimmt.
„Europa iſt mit einem Schwerkranken zu vergleichen. Es iſt ſinnlos, ſich auf
allmähliche Heilung zu verlaſſen. Man muß operieren. Sofort operieren.“ Armand
Morat iſt Südfranzoſe. Abgeſehen davon, daß er in Bälde damit rechnet, einmal
als „depute de la Seine“ in die Kammer einzuziehen, iſt er ein Bürger, wie viele
tauſend andere. Aber er will es nicht ſein. Er will neue Chefs, neue Geſetze, er
will andere Bürger und er will vor allem eine neue Jugend. Armand Morat hat
tiefliegende, feurige Augen. Er könnte der gewehrtragende Jakobiner auf Dela:
croix's Bild von der franzöſiſchen Revolution ſein, dachte ich mir, als ich ihm dann
ſtundenlang in ſeinem kleinen Dachzimmer gegenüberſaß. Aber als er ſchließlich
nach vielen fanatiſchen Reden ergeben die Hände hängen ließ, wie er von der
franzöſiſchen Jugend ſprach, da wußte ich, daß ich mich getäuſcht hatte.
„Perdu la partie...“ Ich hatte Armand Morat nicht von ungefähr getroffen.
Er iſt erſter Vorſitzender der Generalſtände der franzöſiſchen Jugend und in dieſer
Eigenſchaft hatte ich ihn um eine Unterredung gebeten. Es iſt viel geſprochen worden
in dieſen drei Stunden. Tauſend Schwingungen klangen in den Worten des
temperamentvollen Franzoſen. Aber am Ende war alles zerredet und zerpflückt,
nichts war vergeſſen geblieben, dennoch fehlte eine endgültige klare Sicht. Es war
wie ein Schwimmen in einem uferloſen Teich. Es fehlte das, was wir „Haltung“
nennen und was man drüben nur kopfſchüttelnd und unzulänglich mit „tenue“
überſetzt. Aber Armand Morat ſtand nicht allein. Seine Rede war nur eine Zu⸗
Weidemann / Ich sprach mit dem Bürger Morat 9
ſammenfaſſung all defen geweſen, was ich Tag für Tag von feinen Kameraden,
von jungen franzöſiſchen Studenten, Arbeitern und Schülern immer wieder er⸗
fahren hatte: „Complettement changer“ — von Grund aus ändern!
Es waren die letzten Tage vor dem Krieg, als ich mich in Paris aufhielt. Wer
mit einem Deutſchen zuſammen geſehen wurde, machte ſich verdächtig. So trafen
wir uns in privaten Wohnungen oder in menſchenüberfüllten Lokalen. Kein ein⸗
ziger der jungen Franzoſen hat meine Bitte um ein Zuſammentreffen abgelehnt.
„Haß des Nazismus!“ Eine Lüge der Preſſe, weiter nichts. Der Franzoſe brennt
in Wirklichkeit darauf mit dieſen ſagenhaften Nazis zuſammenzukommen. Nicht
aus Freundſchaft oder purer Sympathie. Dieſe Illuſion habe ich mir nie gemacht.
Es iſt mehr Neugierde, was ihn treibt. Oder, um mit Montagnon zu ſprechen: Das
Publikum will in Erfahrung bringen, wie es der ſchwarz⸗befrackte Mann dort droben
auf der Bühne anſtellt, daß er aus ſeiner leeren Hand Bälle, Tücher und ganze
Hühner hervorzaubert....
Denn Deutſchland wird an der Seine irgendwie als Kabinettſtück der „Schwarzen
Kunſt“, als „miracle“ empfunden. Ebenſo wie Italien. Aber das iſt ja gerade
das Beängſtigende; es blieb nicht bei dieſen beiden Ländern allein. Ganz am
Weſtrand Europas hat ſich das ſchlafende Portugal aus ſeinen melancholiſchen
Träumen wieder aufgerichtet. Spanien ſcheint in dieſem Reigen der Wunder ſeine
eigene Pirouette zu tanzen. Griechenland, die Türkei, Bulgarien werfen ſich auf,
Jugoſlawien ſchlägt fein beſonderes Rad, der ganze ſorgſam behütete Balkan ſcheint
im Bunde zu ſein. Man wird etwas unſicher in Frankreich und rückt aufgeregt auf
dem Stuhl hin und her. Sarkaſtiſche Bonmots genügen nicht mehr, um die trüben
Gedanken zu zerſtreuen. Beſonders die Jugend Frankreichs ſchaut mit den offenen
Augen am Beginne ihres Lebens ſtehender Menſchen über die Grenzen. Aber
während die Lava einer neuen Welt die Jugend andrer Länder durchglüht und bis
zum Grunde aufwühlt, fühlt ſie nur aus der Ferne die heiße Glut dieſes Stromes.
Steht tatenlos am Ufer und weiß nichts Beſſeres zu tun, als fragend und mit
erhitzten Schläfen über den Kanal hinüberzuſchauen. „Laßt ſie nur, ſie haben wohl
recht — — — aber wir haben die Macht!“ hallt es von drüben beſchwichtigend zurück.
Aber das iſt eine alte engliſche Platte. Frankreichs Jugend weiß das. Das
weiß auch der Bürger Armand Morat. Viele Jahre mochte dieſe Platte ihre
Richtigkeit beſeſſen haben. Seit geraumer Zeit jedoch hat ſie an Aktualität verloren.
Ihr Inhalt iſt nämlich in bezug auf die Macht nicht mehr von abſoluter Gültigkeit.
Und nun kommt noch hinzu, daß der Bürger Morat ein glühender Gogialift ijt,
der ſich fragt, was England und Frankreich für die propagierte „ſozialiſtiſche
Revolution“ geleiſtet haben. Enttäuſcht zieht er die Bilanz, räumt alle Zeitungen
beiſeite, ſtellt ſeinen Rundfunk ab und ſchaut mit nüchternen Augen nach dem
Deutſchen hinüber und ſchweigt. Das Herz des Bürgers Morat ſchlägt für die Jugend,
deren Erziehung auch ihm „gleich nach dem Brot“ kommt. Wieder bleibt ihm nur
der ſchweigende Blick über die Grenze. Und wie bei jeder weiteren Frage und bei
jedem neuen Begriff die Antwort auf ſich warten laſſen will, wie da am Ende
immer wieder nur dieſer ſtille, vergewiſſernde Blick die Entſcheidung fällt, da fährt
mir der Bürger Morat zwiſchen ſeinen vier ſchmalen Wänden „über den Dächern
von Paris“ mit dem Zeigefinger dicht vor die Bruſt und ruft: „Ihr ſchafft und ihr
wühlt hinter euren befeſtigten Grenzen, weil ihr uns und unſre Ruhe haßt. Ihr
wollt den Krieg. Ihr erzieht eure Jugend zum Krieg. Alle autoritären Staaten,
all dieſe neuen Völker wollen die Vernichtung! Weshalb denn ſonſt dieſe Revo⸗
lutionen? Weshalb denn ſonſt überall dieſe Haſt, dieſe Arbeit und dieſe Eile?!
10 Weidemann / Ich sprach mit dem Bürger Morat
Man muß eine Konferenz aller Völker einberufen, damit die Ruhe wieder über
Europa kommt. Wir müſſen an bie Genies aller Raſſen appellieren. Mon dieu!
Europa revolutioniert, nur Frankreich und England nicht...“
Das waren etwa die Worte, mit denen mich der Bürger Morat verabſchiedete.
Galant fügte er dann noch hinzu, daß die Welt doch reichlich komiſch ſei. Hier würden
wir uns nun freundſchaftlich die Hände drücken, und morgen ſchon ſei es möglich, daß
wir mit denſelben Fäuſten die Gewehre umfaßten, um gegeneinander loszufeuern.
Noch einmal packte er mich bei der Schulter, ich weiß noch genau, es war am Ende
der Treppe vor dem Schiebefenſter des ſtaunenden Hausportiers, und meinte: „Wenn
ein Krieg kommt, dann wird er nicht zur Ehre unſerer Republik geführt werden.
Frankreichs Jugend wird ſich ihm fernhalten, ſolange es geht. Wenn wir aber
kämpfen müſſen, dann: malgré nous — gegen unjeren Willen — en avant!“
Dabei lachte er wie über einen der vielen amüſanten Pariſer Boulevard⸗Witze.
Das war drei Tage vor dem deutſch⸗polniſchen Krieg, den der Duce einen
„abſurden Krieg“ genannt hat und von dem er ſagt, daß er um das Recht der
jungen Völker geführt werde, denn ein Krieg zur Rettung Polens allein, das
hieße für England, um des Hoſenknopfes willen die Hoſe riskieren. Was der Bürger
Morat klar erkannt hat und was heute auch jedem anderen jungen Franzoſen oder
Engländer dämmert, das ſcheint man in London nun ſehr plötzlich erkannt und nach
Paris geblinkt zu haben: Europa wandelt ſich. Seine Völker ſtehen vor der Ent⸗
ſcheidung. Jeder Staat muß ſich mit eigener Kraft zum letzten Entſchluß und zum
neuen Werden hindurchringen. Revolutionen und Gewitter ſtehen an der Wiege
jeder neuen Geburt. Und wenn die letzten Feuer verglommen ſind, wenn die Winde
ſich wieder legten, dann wächſt dem neuen Volk aus den Trümmern der Vergangen⸗
heit auch ſeine neue Jugend. Auf dieſer Jugend liegt der ganze Glaube und die
volle Hoffnung des erblühten Staates. Denn es ſoll ihr Staat ſein. So war es in
Portugal, wo Salazar ſchon in den erſten Jahren ſeiner glückvollen Diktatur die
Staatsjugend der „Mocidade Portuguesa“ ſchuf. So war es in Spanien, wo [don
Flechas und junge Falangiſten ihr Leben für das neue Vaterland in die Schanze
warfen. Italiens Wiedergeburt iſt zu einem Triumph der faſchiſtiſchen Jugend
geworden. Die Türkei lief Sturm gegen den Zwang alter Überlieferung. An der
Spitze, als Stoßtrupp, die Jugend. Metaxas ergriff in letzter Minute Hellas
ſchwankende Fahne und weiht ſein Werk der Wiedergeburt ewiger, griechiſcher
Jugend. Das junge Bulgarien löſt ſich von der Vormundſchaft engliſcher Organi⸗
ſation, Jugoſlawien gründet fid) feine eigene Staatsjugend. Ebenſo Rumänien,
ebenſo Ungarn.
Rund um Frankreich und Englands einſame Inſel hat ſich Europa entſchieden.
Die Art dieſer Entſcheidung wird am augenſcheinlichſten in den Reihen der Jugend⸗
organiſationen dieſer Staaten. So wie auch gerade beim Anblick der Jugend aller
autoritären Staaten der himmelweite Unterſchied zu den Demokratien ſo offen⸗
ſichtlich wird, wenn man ihr deren Jungmannſchaft gegenüberſtellt. Damit ſoll kein
Werturteil gefällt ſein. Jede Entwicklung hat ihre Abſchnitte, jede Stufe iſt nötig.
Wenn Sir Baden-Powell heute aus aller Welt feine Abſagen erhält, jo bedeutet
das keine plötzliche Verneinung der Boy Scouts-Bewegung an ſich. Aber alles zu
ſeiner Zeit! Heute iſt die Form der engliſchen Pfadfinder ebenſo überholt wie die
durch ſie geübte britiſche Bevormundung. Alſo muß ſie heute bei allen jenen
Ländern fallen, die ſich ihrer ſelbſt beſonnen haben und ihre Jugend beſſer zu
erziehen wiſſen. Der internationale Charme geht damit der Sache verloren, was
jedoch kein Hindernisgrund für ein weiteres, geruhſames Fortbeſtehen im eigenen
Weidemann / Ich sprach mit dem Bürger Morat 11
Lande ift. Desgleichen, wer wollte etwas gegen die engliſchen Public Schools fagen,
gegen die „ſtrohbehüteten“ Eton-boys oder die Sportklubs der „leading class“?
Kein Menſch verliert ein Wort über die Vielfalt franzöſiſcher Jugendorganiſationen,
und wenn es auch ſchwer iſt, ſo verkneift man ſich dennoch ſein Lächeln, wenn man
franzöſiſche Jugend jeder politiſchen Schattierung für alle nur denkbaren Parteien
bis zum Néo-Socialisme ſingen, ſchreiben, leſen und zahlen fieht.
Der Begriff der „jungen Völker“ demonſtriert ſich in der Jugend am deutlichſten.
So deutlich, daß ſich alle Worte erübrigen, wenn man einen engliſchen Journaliſten
der „Daily Mail“ zu Wort kommen läßt, der als einer der wenigen über den
Kanal herüberkam, um der anſcheinend ſo harten Wahrheit die Ehre zu geben:
EM Wie ihre Leiber fonnenverbrannt find! Sie erſcheinen wie zukünftige
Olympia⸗Athleten. Kein anderes Land der Welt könnte eine Gruppe junger Men⸗
ſchen ſolider, geſünder, glücklicher, ſchöner zeigen. Und vor allem, das ſind Jungen
aus einer Maſſe von Millionen. Zufällig, nicht ausgewählt. Das Volk. Wer glaubt,
das Naziregime würde wie ein Sturm vorüberbrauſen, hat nicht mit dieſer deutſchen
Jugend gerechnet E
Inzwiſchen hat man folde Stimmen in den Ländern ber „freien Meinungs»
äußerung“ zum Schweigen gebracht. Man publizierte die Anſicht, daß aller Glanz
und alle Schönheit bei einer härteren Zerreißprobe bald ihr Ende nehmen würde.
Man verſuchte alles, bis nur noch der Krieg blieb und der alte britiſche Laden⸗
hüter, die Blockade. Nach 18 Tagen lieſt man in der franzöſiſchen Preſſe, wenn auch
nur ſehr ſelten: „Fürs erſte hat ſich Deutſchland bewieſen.“ Und ſo freundlich,
wohlgemeint das iſt, man macht dabei den grundſätzlichen Fehler, der immer neu
und wohl mit überlegter Abſicht wiederkehrt: Das nationalſozialiſtiſche Deutſchland
hatte keinen Krieg nötig, um ſich zu beweiſen. Mag ſein, daß ſich die Stärke des
Reiches durch dieſen neueſten Waffenfieg vor den Feinden erft feine endgültige
Anerkennung erringen mußte, ſo wie der Stahl ſeine letzte Geſchmeidigkeit unter
den Hammerſchlägen des Schmiedes empfängt. Aber dieſer Beweis iſt von den
Gegnern gefordert worden. Das deutſche Volk ſelbſt hatte ihn nicht nötig.
Es iſt gedankenlos, die Ziele der jungen Völker in der Zerſtörung und im Krieg
zu erblicken. Deutſchland iſt ſtolz auf ſeine Autobahnen, ſeine Fabriken, die Ar⸗
beiterſiedlungen, Schiffe, Organiſationen. Stolz auf ſeine Ingenieure, ſeine tapferen
Soldaten und die Waffen. Jene ſchreckliche Wirkung ſeiner Bomben und Kanonen
aber, deren Einſatz man ihm abgezwungen hat, bedauert es tief. In Wirklichkeit
nd die Schüſſe nicht von deutſchen Soldaten ausgelöſt worden. Das waren
Menſchen, die von der Werkbank kamen, aus den Fabriken, den Ateliers und den
Univerſitäten. Menſchen, deren Schaffen ſtets dem Frieden und dem Aufbau
gegolten hat, und das Ende der Abzugsleine an unſeren Geſchützen iſt in Wirklich⸗
keit in London gelegen, und man hat dort ſehr übermütig, verantwortungslos und
gegen unſeren Willen daran gezogen.
Was aber für das geſamte Volk gilt, beſtimmt auch ſeine Jugend. Es iſt einfalls⸗
los, ihr Kriegslüſternheit zu unterſchieben. Auch ſie braucht den Kanonendonner
nicht, um ihre Leiſtungsfähigkeit und Einſatzbereitſchaft unter Beweis zu ſtellen,
wenn auch gerade die harte Zeit des Krieges dazu angetan iſt, die Richtigkeit
ihrer friebooffen Erziehungsarbeit auf allen Gebieten offenſichtlich erſcheinen zu
lajen. Aber man muß fih darüber in London und Paris, beſonders in dieſen
Tagen zwiſchen Krieg und Frieden, im klaren ſein, daß die deutſche Jugend im
alle eines erneut inſzenierten Kampfes ebenſo millionenfach ihren Mann ſtehen
wird, wie ſie das ſchon in dieſen Wochen tut. Man wird neben der Armee unſerer
12 Weidemann / Ich sprach mit dem Bürger Morat
Soldaten und neben der Armee unſerer Wirtſchaftsfront noch mit einem dritten
Heerbann, der Armee der deutſchen Jugend, zu rechnen haben, die nicht weniger aus⸗
dauernd und mit derſelben Leidenſchaft, wie jeder Kanonier, Schütze, Flieger und
Pionier, ihren Grabenabſchnitt verteidigt. l
* * *
Auf dem freien Platz vor meinem Reſtaurant ftehen bie Menſchen eng zuſammen
um die trommelnden und blaſenden Pimpfe. Wäre es nicht die Muſik allein, ſo
würden auch die ſonntäglichen Strahlen der Herbſtſonne die Leute auf dieſer Stelle
verſammeln, denn als fih die Jungen gerade am Muſikpavillon aufſtellten, hatten
ſie wohl gewußt, daß nur hier wife en Häuſern und Bäumen hindurch die Sonne
u ſpüren ſei. Ich ſah ringsum die ſchmunzelnden Geſichter der Spaziergänger, ich
fab ben jungen Führer bes Muſikzuges, der feine Sache jo wichtig nahm. Dabei
war fie im Grunde nebenſächlich. Würde es bie Widerſtandskraft des Reiches
ſchwächen, wenn dieſes Sonntagskonzert ausfiele? Doch ich weiß, daß mir der
Jungzugführer da vorne auf dieſe Frage ſo einiges geantwortet hätte. Vielleicht
würde er geſagt haben, daß Deutſchland trotz Kampf und Krieg ſeinen Export auf⸗
recht erhalte, daß es Flugzeuge baue, Fabriken, Straßen und an keiner Stelle
anhalten wolle. Freilich ſei ſo ein dp e air d ohne große Bedeutung. Aber
gerade darin würde die Jugend ihren Ehrgeiz befiten, ſelbſt bie unweſentlichſten
u ſoweit das in ihren Kräften Dark weiterzuführen. Millionen von Jungen
und Mädeln wurden ebenſo ſelbſtverſtän lich zu notwendigen Helfern bei der Ernte⸗
einbringung, wie ſie auch hier am Sonntag mit ihren Trommeln und Fanfaren
auf der Straße ſtehen.
Bei dieſen Gedanken, unter dem Applaus der Menſchen und bei den letzten Fan⸗
farenklängen nehme ich auch Abſchied von dem Bürger Armand Morat. Dan lieft
in dieſen Tagen in den Pariſer Zeitungen nichts vom Einſatz einer franzöſiſchen
Jugend. Und wenn der Bürger Morat nicht mit der britiſchen Piſtole im Rücken
irgendwo in einem der Maginot⸗Bunker liegt, fo wird er jetzt wohl mit feinen
e und Mitgliedern zuſammen um kleine Cafetifche bei langen Konferenzen
itzen.
Es iſt gekommen, wie du es lachend geahnt haſt, Bürger Morat! An unſeren
Grenzen ſollen wir die Waffen kreuzen. Ich glaube dich ſoweit zu kennen: du wirſt
darüber nicht traurig fein. Vielmehr wirft du lächelnd die Schultern hochziehen,
wenn du zum Karabiner greifen mußt, und du wirſt wohl deinem Korporal den
neueſten Witz des „Soir“ in die Ohren flüſtern: England hat eine große Armee,
die franzöſiſche. Frankreich hat eine gute Politik, die engliſche.
Aber — und nun verſtehe mich recht, Bürger Morat — du ziehſt zur Front, wie
du ſelbſt es gejagt Haft — , malgré nous“ gegen deinen Willen. Denn dieſer Krieg
würde nicht zur Ehre deiner Republik geführt. Es fehlt ihm jeder Sinn und jedes
Ziel. Uns aber wird ein Kampf um unſer Recht und um unſere Ehre und um
m Freiheit aufgezwungen werden Kä bie jtd) jeder tapfere Soldat, gleichgültig
welcher Nationalität, bereitwillig einſe t
Es ging tatſächlich nicht um Polen, Bürger Morat. Auch das hatteſt du ſchon
erkannt. „Gegen den Hitlerismus!“ Du lächelſt wieder dein ſarkaſtiſches, über:
aU Lächeln. „Man hat ſchon einmal gegen den Kaifer gekämpft“, wirfſt du
azwiſchen.
„Europa iſt mit einem Schwerkranken zu vergleichen.“ Auch dieſer Vergleich
tammt von dir. „Man darf nicht warten, man muß operieren, ſofort operieren!“
e oe Bürger Morat, wieder einmal haſt du recht. Aber wenn es geht, ohne
arkoſe.
Gedichte von Hans Gftettner
Antikes Relief
Machtlos hebft du, fie zu trennen,
deine Hände, dein Geficht.
Doch Vernichtung will entbrennen,
und fie fehn dich, Mutter, nicht.
Sehn nicht Deiner fammerivelten
Augen Aufblick In das Nichte.
Alle gegen alle ftreiten,
glerig ihres Selbftgerichte,
Die Giganten, deine Söhne,
Gata, halt? du nimmer auf.
Tauche unter, Mutter, ftóhnel
Auf dir dröhnt Ihr Todeslauf.
Spruch Des Helden
. Gewöhne dich, entfetztes Blut,
Das Schreckliche zu fchauen.
Athena, zeige mir im Schild.
das Angeficht voll Grauen!
Ee ift nicht fern, Ich fühle ſchon
Flughäute dumpt fich regen.
Die Schlangenhaare blähen fich
dem Mordenden entgegen.
lch will thm nahen abgewandt,
damit Ich nicht verſteine.
O diefes Antlitz, dlutentflammt !
lch ſchaue In das meine.
Dle Maske fiel. Gorgonenhaupt,
du bift des Menſchen Spiegel.
lch habe dich im Kampf geraubt.
Gewalt nur bricht dein Siegel.
14 Gedichte von Hans Gstettner
Der Wagenlenker
Aufrecht, unbewegt
hinter dem Gelpann
ſtehſt du groß, umfegt
von der Wolke, Mann.
In der Ralerel,
der die Welt verſchwimmt,
ragſt du ſtolz und frei,
blickſt du klar, beſtimmt.
Gebet
Deine Hand, fie lenkt
wilder Renner Kraft.
Deine Stirne denkt
Zügel, zielgeftrafft.
Säulenhaft gerillt
fällt des Rockes Lot.
Herrfcher, ſleggewillt,
Gottheit dich umloht
Still verharren und dich,
Helios, wunſchlos verehren l
Fühlen die leuchtende Kraft
Deiner vollendeten Stirn!
Uber dem Chaos fchon ſtand
ſchweiglam dein runder Gedanke.
Liebend mit großer Geduld
lockteſt du Blume und Tier.
Felerlich lehrteſt du uns
Menſchen dle Ordnung der Zeiten.
Kommen und Schelden, durch dich
heilig It uns das Geſetz.
Einfamer, einziger Gott,
geftern, heute und morgen,
deln erhabenes Bild
füllet ewig mein Herz.
Der Sieg
Wille,
Windsbraut,
Taue fingen,
ftürmft Du über Dedi!
Weint und lacht!
Ihre Brüfte,
Ihre Lenden,
faht Ihr fie geftrafft?
Meteor Alles, alles
mit langen Schwingen, mag fich wenden
Todesluſt nun in Lebenskraft!
und Schreck! Einmal noch
Ift es wirklich, die Nacht bezwungen,
Kameraden die aus Chaos flieg!
Diefer ſchwarzen Nacht, Im Titanenkampf errungen
ift es Nike, einmal noch
Kameraden? der Sieg!
Gerhard Krüger:
Das Ende eines gefälschten Geschichtsmythos
Das Ende der Tſchecho⸗Slowakei war nicht nur der Zuſammenbruch eines gegen
alle natürlichen Gegebenheiten und gegen alle Vernunft konſtruierten Staates.
Ihm muß zwangsläufig auch eine tiefe geiſtige Wandlung folgen, die nicht
abgeſchloſſen ſein kann mit der Auflöſung jenes in Verſailles errichteten Gebildes
Tſchecho⸗Slowakei, ſondern die eigentlich erſt mit dieſer Auflöſung beginnt. Geiſtige
Wandlungen bereiten ein politiſches Ereignis vor oder werden durch ein politiſches
Ereignis erſt ausgelöſt. Verbunden mit der durch den 14. März 1939 hervor⸗
gerufenen andlung iſt notwendigerweiſe auch der Zuſammenbruch jener
Geſchichtslegende, jenes gleichfalls konſtruierten Geſchichtsmythos, der als Grund-
lage für das in Paris geborene Staatsgebilde erſonnen worden iſt. Die Erfindung
eines eigenen tſchechiſchen Geſchichtsmythos war ein Teil der gegen das Deutſchtum
und gegen die natürlichen Intereſſen des tſchechiſchen Volkes gerichteten m.
Es wird, auf die Dauer geſehen, unumgänglich fein, aus dieſem Zerfall einer
Geſchichtslegende in der Wiſſenſchaft und vor allem im Schulunterricht des Reichs⸗
protektorats eindeutig die Folgerungen zu ziehen.
Der Unterſchied zwiſchen einer echten Volksdichtung und der Märe von der
ſelbſtändigen tſchechiſchen Geſchichte iſt, daß wir den Tag der Entſtehung der Märe
genau feſtlegen können. Die Konſtruktion des tſchechiſchen Geſchichtsmythos begann
am 16. September 1817 mit einer Fälſchung, der von Wenzel Hanka „entdeckten“
ſogenannten „Königinhofer Handſchrift“. Sie iſt ein Teil einer Geſamtaktion,
deren Ziel es war, die ſelbſtändige kulturelle Entwicklung des Tſchechentums bis
in das 13. Jahrhundert, bis in das 9. Jahrhundert und ſchließlich bis in die Urzeit
hinein nachzuweiſen. Demgegenüber iſt feſtzuſtellen, daß die geiſtige und politiſche
Entwicklung des tſchechiſchen Volkes von ſeinem Eintritt in die Geſchichte an
beſtimmt iſt durch die ſchöpferiſche Beeinfluſſung durch das Deutſchtum, durch die
GAN Sede D den naturgegebenen deutiden Lebensraum und durch die ſtändige,
unlösbare Verbundenheit mit der Geſchichte des deutſchen Volkes und ſeines
Reiches. Es gibt keinen die tſchechiſche Entwicklung beſtimmenden oder irgendwie
beeinfluſſenden Vorgang, der aus ſich ſelbſt heraus, losgelöſt von der Entwicklung
des Geſamtreiches zu begreifen wäre. Dies gilt — und das iſt der ſchlagendſte
Beweis für die Behauptung — gerade auch für jene für ihre und geſchichtlichen
Geſtalten, die von den Erfindern jener Geſchichtsmäre für ihre Theſe in Anſpruch
genommen werden. Die größte Ironie der Geſchichte aber iſt, daß ſie ſelbſt in keiner
Weiſe eine Ausnahme von der innigen Verbindung jeder tſchechiſchen Entwicklung
mit dem Deutſchtum machen.
Jeder, der die Vorgänge um die Entſtehung des gefälſchten tſchechiſchen Geſchichts⸗
mythos kennt, wird zugeben müſſen, daß ſie überhaupt nicht möglich und verſtänd⸗
lich geweſen wären ohne einen großen Anreger deutſchen Blutes, ohne Johann
Gottlieb Herder. Schließlich ſind nicht jene Fälſcher die Urheber eines
unwahren tſchechiſchen Geſchichtsmythos, ſie haben ihn nur entliehen, abgelöſt aus
dem Geſamtwerk eines großen Deutſchen, der, ohne jede ſlawiſche Sprach- und
ohne genügende Quellenkenntnis, aus ſeiner Humanitätsideologie heraus eine
Wealiſterung und Mythiſierung beſonders der ſlawiſchen Urzeit vornahm. Bei
keinem anderen als Thomas G. Maſaryk kann man nachleſen, wie dieſe deutſche
Philoſophie die Grundlage für ein antideutſches Streben gab. Auf dieſem Boden
erwuchs die Fälſchung von 1817. Viel wahrer und echter iſt das Wort, das der
große tſchechiſche Humaniſt Bohuslaus Lobkowitz von Haſſenſtein 1507 an
einen Deutſchen ſchrieb: „Einſtmals, da Deutſchland unter den Ottonen, Heinrichen
16 Krüger / Das Ende eines gefälschten Geschichtsmythos
unb Friedrichen blühte, ba wuchs auch unſere Macht ins unendliche und Böhmen
galt als einer der edelſten Teile enres Reiches; jetzt aber, da euer Staatsweſen
wankt, wanken wir nicht nur auch, ſondern brechen völlig zuſammen.“ Klarer kann
die Verbundenheit des Tſchechentums mit dem Deutſchen Reich und ſeinem Schickſal
nicht zum Ausdruck gebracht werden. In dieſem Satz iſt das wirkliche Bild
tſchechiſcher Geſchichte echter enthalten als in dem im 19. Jahrhundert konſtruierten
Geſchichtsmythos.
Von den über ein halbes Jahrtauſend im böhmiſch⸗mähriſchen Raum anfällig
geweſenen Markomannen und Quaden und von den Langobarden, von denen Teile
dort zurückblieben, haben die nachdringenden ſlawiſchen Kleinſtämme die Ordnung
und wohl ſogar die Gaueinteilung dieſes Raumes übernommen. Ein Franke
namens Sa mo war es, ber im 7. Jahrhundert den Zuſammenſchluß der Tſchechen
vollzog und ſie vor der Vernichtung durch die Awaren rettete. Politiſch gehörte
Böhmen⸗Mähren in das Machtgebiet des Fränkiſchen Reiches; die Wendung zum
Chriſtentum wurde den Tſchechen — von einigen Verſuchen griechiſcher Mönche
abgeſehen — von der bayriſchen Kirche gebracht. Die Begründung des ee
in der tſchechiſchen Geſchichtsmythiſierung eine Rolle ſplelenden, unabhängigen
„Großmähriſchen Reiches“ war durchaus keine ſelbſtändige Erſcheinung,
ſondern ein Teil der innerfränkiſch⸗innerdeutſchen Wirren am Ausgang der
Karolinger. Beide mähriſchen Fürſten, die dabei eine Rolle ſpielten, konnten fid
in dem unruhigen, von Zwieſpalt erfüllten Land nur mit Hilfe der deutſchen
Macht durchſetzen. Dies gilt ſowohl von Raſtiſlaw, der von den Franken eingeſetzt
wurde, wie von ſeinem Neffen Zwentibold, der nur dank der Unterſtützung
Ludwigs des Deutſchen an der Spitze eines deutſchen Heeres 871 in Mähren
eindringen und die Herrſchaft übernehmen konnte. Er wurde ſogar der Namenspate
für den unehelichen Sohn des oſtfränkiſchen Königs Arnulf. Kirchlich ſtützte fid
Zwentibold im Gegenſatz zu feinem öſtlich orientierten Oheim auf den ranten:
biſchof Wiching von Neutra. Mit dem Ende der fränkiſchen Wirren brach dann
auch das „Großmähriſche Reich“ zuſammen, die Oberhoheit des Reiches war
wiederhergeſtellt.
Ebenſowenig ſprechen die Vorgänge um den erſten tſchechiſchen Nationalheiligen
und Namensgeber der mythiſchen Wenzelskrone, den Premyſliden Wenzel l.,
für die Auffaſſung von einer vom Deutſchtum unabhängigen Geſchichtsentwicklung
des Tſchechentums. Regensburg war inzwiſchen zu dem kirchlich für Böhmen ent⸗
17 en Bistum geworden. Die innerböhmiſchen Wirren unter den beiden
rüdern Wenzel und Boliflaw |. find zugleich ein Ausſchnitt aus dem großen
Kampf um die Einigung des Reiches zur Zeit Heinrichs I., des Sachſenkönigs.
Erzieher Wenzels war ein Deutſcher, der ſpätere Biſchof Michael von Regensburg.
Als Vertreter der bayeriſchen Partei wurde der junge Herzog am 28. September 929
in Bunzlau durch den eigenen Bruder ermordet. Mindeſtens in gleichem Maze wie
für ſeinen Glauben iſt Wenzel für die Idee der Einordnung Böhmens in das
Deutſche Reich geſtorben. Durch dieſen Tod erhält die heilige Wengelstronc
Böhmens — wie fih auch ſonſt nod erweiſen wird — eine ganz andere mythiſche
Bedeutung, als ihr ſpäter deutſchfeindliche Propagandiſten nur zu gern gegeben
hätten. Mit vollem Recht konnte denn auch Reichsprotektor Freiherr von Neurath
in ſeiner Rede auf dem Feſtbankett in der Prager Burg Herzog Wenzel für jene
1 Wende in Anſpruch nehmen, die in unſeren Tagen eine Rückkehr zu
einem Jahrtauſend politiſcher Entwicklung bedeutet.
Auch die Kämpfe von Wenzels Bruder und Gegenſpieler, Herzog Boliſlaw l.
gehören in das Ringen um die Reichseinheit unter Heinrich I. und Otto dem
Großen. Auf die Unterwerfung Bayerns folgte 950 die Einordnung des dieſem
traditionsgemäß verbundenen Böhmen durch den großen Sachſenkönig. Mitten im
Krüger / Das Ende eines gefälschten Geschichtsmythos 17
deutſchen Reichsheer Ottos des Großen kämpften nach hergeſtellter Reichseinheit
die Böhmen 955 unter dem gleichen Boliſlaw in der weltgeſchichtlichen Schlacht
auf dem Lechfeld gegen die Ungarn. Noch enger war die Anlehnung des Beherrſchers
des damals noch nicht premyſlidiſchen Teil Böhmens, Slawniks, ber wohl das
Blut des [cin bate en Königshauſes in feinen Adern hatte und deffen Frau
Adelburg deutſcher Abſtammung war. Der Kampf zwiſchen Slawnikingern und
Premyfliden um die Macht in Böhmen war ein Teil des Kampfes zwiſchen Sachſen
und Bayern unter den Ottonen. Einer der Söhne Slawniks war der zweite
tſchechiſche Nationalheilige Adalbert von Prag, ſein tſchechiſcher Name war
Woitech. Durch den RE Sachſen Otrik war er in der Stiftſchule in Magdeburg
unter Erzbiſchof Adalbert, nach dem er auch ſeinen deutſchen Namen erhielt,
erzogen worden. Nicht zuletzt als Verwandter des ſächſiſchen Königshauſes wurde
er Nachfolger des Sachſen Thietmar in dem 973 gegründeten Bistum Prag. Aber
Adalbert weilte nur au in ber Premyſliden⸗Stadt, er war lieber, gleich feinem
Freunde Kaifer Otto III., in Rom. Die ſtändige Weigerung Adalberts, nad) Prag
zurückzukehren, Wonn in engem Zuſammenhang mit der völligen Ausrottung der
Slawnikinger⸗Familie durch Boliſlaw II. Nur kurze Zeit hielt Adalbert jid) nod)
einmal in Prag auf, um dann als Miſſionar nach Preußen zu gehen, wo er auch
ſein Ende fand. Auch Adalbert von Prag, den eine geradezu verhängnis voll
ſchwärmeriſche Freundſchaft mit einem deutſchen Kaiſer verband, kann als alles
andere angeſehen werden, nur nicht als Vertreter einer tſchechiſchen Unabhängigkeits⸗
politik vom Reid.
Unendliches verdankt die böhmiſche Herzogsfamilie der Premyſliden dem
deutſchen Königstum. Der vom Bayernherzog zum deutſchen König emporgeſtiegene
Heinrich ll. ſtellte ſofort nach ſeinem Regierungsantritt die von Polen her
zerſtörte Premyſliden⸗Herrſchaft wieder her. Mit Unterſtützung Kon-
trads Il. wurde dann auch Mähren wieder den Polen abgenommen, eine Macht⸗
erweiterung zugleich für das Reich wie für die böhmiſche Herzogsfamilie. Der erſte
Salierkaiſer war es auch, der ſtillſchweigend ben Brautraub bes jungen Bretijlaw I.
und damit die Ehe mit der Babenbergerin Judith von Schweinfurth duldete, die
erſte klar nachweisbare Deutſchenheirat eines Premyſliden, die jene Entwicklung
einleitet, durch die die „nationaltſchechiſche“ Herrſcherfamilie blutsmäßig nahezu
rein deutſch wurde.
Immer wieder waren die deutſchen Kaiſer genötigt, in die innertſchechiſchen
Wirren und Erbſtreitigkeiten einzugreifen und die Ordnung in Böhmen-Mähren
zu ſichern. Selbſtverſtändlich mußten ſie auch, wie Heinrich III. es tat und wie es
auch ſonſt gegenüber Herzögen des Reiches geſchah, darauf achten, daß nicht eine
für das Reich ungeſunde Machtüberſteigerung eintrat. Aber ſelbſt der machtvolle
Bretiſlaw J. war, nachdem er in ſeine Schranken zurückgezwungen worden war,
wieder der zuverläſſigſte und treueſte Anhänger des Kaiſers. Das gleiche if pon
ben zahlreichen ag ae des großen Böhmenherzogs zu lagen, von denen WWrati-
flaw L für feine Treue in des Reiches ſchwerſter Zeit von dem unglücklichen
deutſchen Kaiſer Heinrich IV. den perſönlichen Königstitel verliehen bekam. Der
1059 te Bruder des erſten Böhmenkönigs, Biſchof Jaromir⸗Gebhard von Prag, war
1077 bis 1084 als Kanzler des Reiches der engſte politiſche Berater des ſchwer
5 Saliers. Das dann unter den Staufen errichtete erbliche Königtum
öhmen war ein Werk der deutſchen Kaiſer und zugleich ein erneuter Dank für
treue Dienſte am Reich: in dieſer Zwiefältigkeit ſeiner Herkunft iſt es ſymboliſch
für die feſte Eingliederung Böhmens in das Deutſche Reich.
Überall im Deutſchen Reich hat ſich in jener Zeit die große geiſtige Auseinander⸗
ſetzung zwiſchen ber ſtark germaniſierten Reichskirche und den aſßzetiſch⸗romaniſchen
hochkirchlichen Beſtrebungen als ein Teil des Machtkampfes von Kaiſertum und
18 Krüger / Das Ende eines gefälschten Geschichtsmythos
Papſttum vollzogen. Von dem franzöſiſchen Kloſter Cluny aus und dann in immer
neuen Wellen (Ziſterzienſer, Prämonſtratenſer, Franziskaner, Dominikaner uſw.)
ſtets mit dem romaniſchen Gebiet als Urſprungsquelle drangen dieſe artfremden
Gedanken von Weſten na Often vor. Je weiter fie vorgeſchritten waren, in um fo
tärkerem Maße wurden deutſche Klöſter die Mittler. Einſeitig konfeſſionell be⸗
immte Darſteller dieſer Vorgänge, in letzter Zeit z. B. der Prager katholiſche
heologe Eduard Winter, haben im Banne ihrer konfeſſionellen Gebundenheit den
angeblichen Gegenſatz zwiſchen tſchechiſchem Huſſitentum und ſtrenggläubigem
deutſchem Katholizismus vorzuverlegen verſucht und für die Auseinanderſetzung im
Mittelalter einen völkiſchen Hintergrund konſtruiert. Natürlich hatte eine gegen
das Deutſchtum gerichtete Derik Geſchichtsdarſtellung diefe ihr genehme ton-
feſſionelle Theſe ſofort aufgegriffen. In Wirklichkeit handelte es fid) bet der Auf:
lehnung gegen die vom Weſten vordringenden Ideen um ein Bekenntnis zu Kaiſer
und Reich; in Magdeburg erhob ſich das deutſche Bürgertum gegen den romani⸗
ee 5 Norbert von Xanten genau fo wie diefe Neugründungen in
öhmen auf Widerſtand ſtießen. Das hatte mit nationalen Gegenſätzen nichts zu
tun, war vielmehr ein Ausdruck der gemeinſamen Treue zur Reichskirche.
Die Zahl der Hiſtoriker, bie in der Niederlage des letzten großen Premyſliden
Ottokars Il. in der Schlacht auf dem Marchfelde 1278 gegen den Habsburger
Rudolf einen ſchweren Schickſalsſchlag für das Reich ſehen, iſt groß. Es war kein
Tſcheche, der nach der Krone des Reiches griff, ſondern der Sohn einer Staufin,
der, wie einſt Salier und ſdshauſes für beim Ausſterben der männlichen Linie des
bisherigen deutſchen Königshauſes für ſich das alte germaniſche Geburtsrecht in
Anſpruch zu nehmen ſuchte. Ein Sohn der alten, im Oſtkampf ſo bewährten deutſchen
Grafenfamilie von Schauenburg, Biſchof Bruno von Olmütz, war unter Ottokar
wie ſchon unter deſſen Vater Wenzel der entſcheidende Träger der böhmiſchen
Politik. Das Fehlen jeder Zentralgewalt während des Interregnums wurde dazu
benutzt, um einen gewaltigen, von den Sudeten bis zur Adria reichenden Machtblock
innerhalb des Reiches zu ſchaffen. Durch Unterſtützung der Askanier in Branden⸗
burg und des Deutſchen Ordens in Preußen wurde dieſer Einflußbereich bis zur
Oſtſee erweitert. Die Erhaltung dieſes rieſigen Blocks und die Übernahme der
zentralen Reidsgewalt durch ſeinen Herrſcher wäre für die Oſtpolitik und die
Geſamtentwicklung des Deutſchen Reiches von entſcheidender Bedeutung geweſen.
Böhmen ſchien germaniſch⸗deutſche Vormacht zu werden. Die deutſche Beſiedlung
nahm durch die Politik Brunos von Olmütz größten Umfang an. Deutſche Kultur
und Wirtſchaft entfalteten in Böhmen ihre Blüte. Neue Städte und die älteren
Siedlungen erhielten durchgehend deutſches Recht. Aber für Fürſten und Papſt war
nicht ein machtvoller Herrſcher, ſondern ein kleiner Herr ohne eigene Macht, der
ihre Unterſtützung mit der Aufgabe wichtiger Reichsrechte erkaufen mußte, der
geeignete Kandidat für das deutſche Königtum. Vom Reich geächtet, vom Papſt
gebannt, ſuchte Ottokar in Abkehr von ſeiner bisherigen Politik beim Slawentum
Unterſtützung und unterlag 1278 in der Schlacht von Dürnkrut. Die alte böhmiſche
Herzogsfamilie ber Premyſliden, in deren Adern das Blut der größten deutſchen
Fürſtengeſchlechter, der Babenberger, Hohenſtaufen und Habsburger floß, über⸗
dauerte dieſen Zuſammenbruch ihrer Macht nur um zwei Generationen und ging
mit dem Ausſterben der männlichen Linie in das deutſche Kaiſerhaus der
Lützelburger auf. Unter ihnen wurde 1347 die E Wenzelskrone unter
Benutzung des aus der Zeit bes Premyſlidenherzogs Wenzel I. ſtammenden
Materials neugeformt.
Vergeblich ſind die Bemühungen der fälſchenden tſchechiſchen Geſchichtsdarſtellung
geweſen, bie Premyſlidenpolitik in ihrem Sinn umzudeuten, noch unſinniger aber
müſſen derartige Beſtrebungen bei den Lützelburger Böhmenkönigen ſein. Der
Krüger / Das Ende eines gefälschten Geschichtsmythos 19
deutſche Arzt Peter von Aſpelt, pater als Erzbiſchof von Mainz entſcheidender
Träger der deutſchen Reichspolitik, leitete 16 Jahre als Kanzler von Böhmen unter
Wenzel II. die deutſche Politik ber Prempfliden auf die Lützelburger über. Bereits
die Premyflidenkönige hatten einen ſchweren Kampf gegen den einheimiſchen
Großadel um ihre Machtſtellung führen müſſen. Der Zuſammenbruch Ottokars ll.
war von dieſem Gegenſatz weiteſt gehend beeinflußt geweſen. Unter den Lützel⸗
burgern wurde dies nicht anders. Mit nationalem Gegenſatz, wie man es allzu
gern möchte, hat dieſer Kampf kaum zu tun, war der einheimiſche Adel doch zu
entſcheidendem Teil deutſch, auch in ſeiner Führung, wie die Namen Albert von
Roſenberg, Johann von Wartenberg, Heinrich von Lipa zeigen. Der Adel ſuchte
ſeine Stellung möglichſt ſelbſtändig zu erhalten und ſetzte ſich gegen die aus dem
übrigen Reich herangezogenen adeligen Berater der Könige beider Häuſer zur
Wehr. Obwohl man dieſe Auseinanderſetzung um at Preis zu einer nationalen
hat ſtempeln wollen, hat die gleiche tſchechiſche Geſchichtsſchreibung auch die beiden
Königshäuſer für ſich in Anſpruch genommen. Dies gilt beſonders für Kaiſer
Karl IV. und den deutſchen König Wenzel, obwohl deren deutſche Herkunft,
deutſches Bewußtſein und deutſcher Kulturaufbau billigerweiſe nicht geleugnet
werden können. Mit der Gründung der erſten deutſchen Univerſität in Prag, mit
Geſtalten wie Peter Parler, dem großen Baumeiſter, Johann von Neumarkt, dem
Frühhnmaniſten und Kanzler Karls IV., und Johann von Saaz, dem Schöpfer bes
„Ackermann aus Böhmen“, ſtieg die deutſche Kultur Böhmens zu ihrer höchſten
Blüte. Demgegenüber hat man die Hausmachtpolitik Karls und ſeine damit ver⸗
bundene verhängnisvolle Reichspolitik für die Bildung eines unechten tſchechiſchen
Geſchichtsmythos heranziehen wollen. Zweifellos kannte der Kaiſer eine Natio⸗
nalitätenpolitik im modernen Sinne nicht; er war aber in erſter Linie Deutſcher,
bei aller Bedeutung feiner böhmiſchen Hausmachtpolitik darf feine Reichspolitik,
von der jene der entſcheidende Teil war, nicht in den Hintergrund treten.
Unter Wenzels IV. Regierung fällt die Haupttätigkeit jener Geſtalt, die wegen
gewiſſer Auswirkungen ihrer Lehre ſowohl von tſchechiſcher als auch von deutſcher
Seite immer wieder als eine Art Nationalheros des Tſchechentums hingeſtellt
worden iſt, die Tätigkeit des Johann Huß. Zweifellos hat der Huſſitismus für das
Deutſchtum Böhmens ſehr nachteilige Folgen gehabt und wiederholt ſtark anti⸗
deutſche Charakterzüge gezeigt. Und dennoch iſt ſelbſt dieſe Geſtalt nicht heraus⸗
zulöſen aus der großen geiſtigen Entwicklung, der vorreformatoriſchen Stimmung
im Deutſchen Reich. Ohne die deutſchen Einflüſſe, die ſich auf ihn ausgewirkt haben,
und ohne die Ausſtrahlungen, die von ihm für das Geſamtreich ausgingen, iſt ſelbſt
eine Perſönlichkeit wie Johann Huß nicht zu begreifen. Böhmen war damals ſo
eng mit der politiſchen und len Entwicklung des Deutſchen Reiches verbunden,
daß man es nicht vollſtändig iſolieren kann. Die kirchlichen Mißſtände in Böhmen
waren ein Teil der allgemeinen Lage der Kirche in Deutſchland; das gleiche Streben
nach innerer und äußerer Reformation war überall im Reich ſeit langem vor⸗
nen Die deutſche Myſtik und Innerlichkeit, deren Hauptvertreter Meiſter Eckhart
nge in Böhmen gewirkt hatte, war der tiefſte Ausdruck für dieſe Sehnſucht. Das
Waldenſertum hatte in Sachſen und Böhmen Zuflucht gefunden und ſtrahlte
beſonders immer wieder von Dresden nach Prag hinüber.
Zur einflußreichſten Geſtalt dieſer vorreformatoriſchen Zeit in Böhmen aber
wurde ber 1358 aus Oberöſterreich nach Prag kommende deutſche Mönch und Sitten-
prediger Konrad von Waldhauſen, der von tiefſter ſeeliſcher un auf
Deutſche und Tſchechen Böhmens war. Ohne die weitgehende Tätigkeit dieſes
Deutſchen wäre die von Johann Huß ausgelöſte Bewegung nicht möglich geweſen.
Der Kampf, der ſich nun vollzog, war im Anſatz ein ausſchließlich religiöſer, der
auf Grund der beſonderen Verhältniſſe in Böhmen jedoch wiederholt ſtark natio-
20 Krüger / Das Ende eines gefälschten Geschichtsmythos
nale Auswirkungen zeigte. Soziale Probleme und der Gegenſatz zwiſchen König
und Adel ſpielten hinein. Der berühmte Konflikt an der Univerſität Prag wurde
ausgelöſt durch die Forderung König Wenzels nach einer Erklärung im Sinne
ſeiner Politik im Papſtſtreit zwiſchen Rom und Avignon. Die böhmiſche Nation
an der Univerſität, bie im Gegenſatz zu den drei anderen fid) für den König
erklärte und deshalb die er s behielt, war gemiſcht deutſch⸗tſchechiſch. Der
Auszug von etwa der Hälfte der Prager Studenten 1409 war in
erſter Linie religiös begründet, was ſich ſchon daran erwies, daß die
Deutſchen der böhmiſchen Nation in Prag zurückblieben.
1410 wurde nach Abebbung der Erregung bereits wieder ein Deutſcher, Johann
Schindel, als Nachfolger Huß' Rektor der Prager Univerſität. Abgewanderte
deutſche Magiſter kehrten wieder zurück. Die religiöſe Bewegung erhielt will⸗
kommenen Zuzug von deutſchen Waldenſern aus Dresden und Meißen. Auch das
heimiſche Deutſchtum Böhmens nahm an ihr ſtärkſten Anteil, wie u. a. die Haltung
des Dichters Johann von Saaz zeigt, deſſen Werk Auflehnung gegen das mittel⸗
alterliche Weltbild war. Die huſſitiſche Forderung nach dem Abendmahl
in beiderlei Geſtalt ſtammt nicht von Huß, ſondern von dem deutſchen
Magiſter Peter. Nicht zuletzt deutſche Grundherren waren es, die die Einführung
des Laienkelches durchſetzten. Dies alles darf man über dem landläufigen Bild des
Huſſitismus nicht vergeſſen. Luther ſelbſt hat 1522 in ſeinem Sendſchreiben an die
böhmiſchen Landſtände bezeugt, wie ſehr Johann Huß für ihn ein Teil der großen
deutſchen Reformation war: „Wenn auch gleich ganz Böhmen, da Gott für ſei,
. feine Lehre verleugnete, jo foll er doch ber unſere fein.“ In dem [o durch das
P aufgeloderten Boden Böhmens fonnte ber Proteltantismus unter
eutſchen und Tſchechen derartige Fortſchritte machen, daß vor dem Einſetzen der
Gegenreformation Böhmen für die römiſch⸗katholiſche Kirche verloren ſchien.
Wie ſehr die Geſchichte des „ Böhmens ein untrennbarer Teil
der Geſchichte des vorreformatoriſchen Deutſchen Reiches iſt, beweiſt auch die
Geſtalt Georgs von Kunſtatt und Podiebrad, den man zu einem tſchechiſch⸗huſſitiſchen
Nationalkönig hat erklären wollen. Die Zeit Georgs iſt nur ein Abſchnitt jener
ſtändiſchen Erhebung gegen den kraftloſen Habsburger Friedrich III., die in Böhmen
vor ihm unter Führung Heinrichs von Pirkſtein, in Ungarn unter den Hunyads
und in Öfterreih unter Ulrich von Eizinger ſtand, natürlich unter Tſchechen und
Madjaren einen nationalen Anſtrich erhielt.
Schließlich war es die Unfähigkeit der zentralen Reichsführung, die immer
wieder dieſe ſtändiſchen Beſtrebungen im Geſamtreich hervorrief, an deren Spitze
ſchließlich die Erzkanzler des Reiches von Diether von Iſenburg bis Berthold von
Henneberg traten. Georg von Kunſtatt und Podiebrad iſt ein Glied in jener Kette
des Kampfes um die Reichs⸗ und Kirchenreform, der die 6 ele 0 Zeit in
Deutſchland kennzeichnet. Die alte deutſche Reichsſtadt Eger, das mächtige Nürnberg
und der deutſche Burggraf Mathias Schlick hatten eine entſcheidende Rolle bei det
Anerkennung Georgs als König geſpielt. Seit 1459 war der große Vorkämpfer
gegen das Papſttum und für deutſches Reichsbewußtſein, der deutſche Staatsmann
Gregor von Heimburg, in den Dienſten König Georgs. Der deutſche Juriſt Martin
Mair, Rechtsberater zahlreicher deutſcher Fürſten, war es, der ſeinen alten Ge⸗
danken, durch die Wahl eines deutſchen Königs und durch ein Regiment der Reichs⸗
ſtände der Führungsloſigkeit des Reiches unter Friedrich III. ein Ende zu bereiten,
wieder aufnahm. Seit 1459 hatte er Georg zu ſeinem Königskandidaten gemacht
und damit ſeit 1463 den Böhmen in den Mittelpunkt der deutſchen Politik gehoben.
Martin Mair und Gregor von Heimburg bemühten ſich, einen Bund der maß⸗
gebenden deutſchen Reichsfürſten für Reichs- und Kirchenreform und für eine Wahl
Georgs zuſtande zu bringen. Im Rahmen dieſer großen innerdeutſchen Auseinander⸗
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Ausschnitt aus einer Darstellung der Kreuzigung, um 1400, Pelplin (Warthegau)
Engel von einem Altar der Johanniskirche in Thorn, um 1400
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Kleine Beiträge 21
SN um eine ſtarke Neihsführung wurde Georg der Bundesgenoſſe bes Erz⸗
bilho Diether von Iſenburg, eines der letzten groben Vertreter des Gedankens
einer deutſchen Nationalkirche. Die alte deutſche Stadt Eger wurde fo in dieſer Zeit
Mittelpunkt der deutſchen Politik, Stätte zahlreicher glänzender Verſammlungen
deutſcher Reichsſtände. Georg von Kunſtatt und ee bieler angeblich
nationaltſchechiſche Ketzer, war in Wirklichkeit der weltlichſte Reichsfürſt feiner Zeit,
ein nüchterner eise [tei wie fein anderer von religiöſer Schwärmerei. Seine
entſcheidenden Ratgeber waren Nichttſchechen, außer den ſchon Genannten ſein
Sekretär Joſt von Einſiedel, von denen Gregor von Heimburg 1466 als ein vom
Papft Gebannter die tatſächliche Leitung der böhmiſchen Politik übernahm und bis
zum Tode Georgs am 22. März 1471 ihr Geſicht beſtimmte.
Wie ſtark dieſe ganze Entwicklung vom Reichsſchickſal beeinflußt war und ihrer⸗
ſeits immer wieder das Reichsſchickſal beeinflußte, wurde in dem verhängnisvollen
Jahr 1618 deutlich. Böhmen war der Brennpunkt des Kampfes zwiſchen
deutſcher Reformation und römiſcher Gegenreformation. Die böh⸗
miſchen Stände, in deren Reihen Deutſche wie die Grafen Andreas und Heinrich
Schlick eine einflußreiche Stellung einnahmen, wandten ſich gegen habsburgiſch⸗
jeſuitiſche Willkür. Sie erhoben nicht einen Tſchechen, ſondern den deutſchen
Kurfürſten Friedrich V. von der Pfalz zu ihrem König. Damit wurde von
Böhmen her die dreißigjährige Selbſtzerfleiſchung des Deutſchen
Reiches ausgelöſt. Böhmiſches und deutſches Schickſal waren auch in dieſer
ſchwerſten Kataſtrophe wie auch in den dann folgenden Jahrhunderten des habs⸗
burgiſch⸗preußiſchen Dualismus eine untrennbare Einheit.
Mit Bewußtſein habe ich in dieſem Überblick gerade diejenigen Geſtalten
herausgegriffen, die immer wieder von dem antideutſchen, geraten Geſchichts⸗
mythos als ſtärkſte Beweiskräfte angeführt worden ſind. Selbſt an ihnen lä ai.
zeigen, daß „der tauſendjährige antideutſche Kampf Böhmens“, bie Selbſtändigkeit
der politiſchen und of! tigen Entwicklung bes Tſchechentums eine Erfindung der
jüngſten Zeit find. Auch dies ift ein Stück bes Beneſch⸗Geiſtes, der endgültig über-
wunden werden muß. Die Wenzelskrone, das heiligſte Symbol böhmiſcher
Geſchichte, ift eine Schöpfung deutſcher Könige; ihr Mythos erwuchs aus ber
Treue ihrer Träger zum Reich.
Kleine Beiträge
Nietzsch Kredit zu verlieren... Für bie Aufgaben
" e E der nächſten Jahrhunderte find die Arten
über Engländer und Russen „Offentlichkeit“ und Parlamentarismus die
unzweckmäßigſten rganiſationen.“ Die
Etwa 1885 [don hat Nietzſche in welts Prophezeiung, die eben jetzt nach etwa
politiſchen Ausblicken geſagt: „Niemand 50 Jahren in Erfüllung zu gehen ſcheint,
1 mehr daran, daß England ſelber mag bei Nietzſche mit einem tiefen Wider⸗
atf genug ift, feine alte Rolle nur noch willen gegen alles Engliſche zuſammen⸗
fünfzig Jahre fortzuſpielen; es geht an der hängen. Wie bei dem Kulturphiloſophen
Unmöglichkeit, die homines novi von der natürlich, iſt er zunächſt gegründet auf der
egierung auszuſchließen, zugrunde, und Ablehnung bes Philoſophierens der Engs
man muß keinen ſolchen Wechſel ber Pars länder überhaupt, ihres Utilitarismus,
teien haben, um ſolche langwierigen Dinge ihrer moraliſtiſchen und pſychologiſchen
vorzubereiten: man ye heute vorerjt Gols Oberflächlichkeit. „Das iit feine pbilojos
at fein, um als Kaufmann nicht feinen phiſche Raſſe — diefe Engländer: Bacon bes
22 Kleine Beiträge
deutet einen Angriff auf ben philoſophiſchen
Geiſt überhaupt, Hobbes, Hume und Locke
eine Erniedrigung und Wertminderung des
Begriffs „Philoſoph' für mehr als ein
Jahrhundert. Gegen Hume erhob ſich Kant;
im Kampfe mit der engliſch⸗mechaniſtiſchen
Weltvertölpelung waren Hegel und Scho⸗
penhauer (mit Goethe) einmütig. Woran
es in England fehlt und immer gefehlt hat,
das wußte Carlyle gut genug..., an eigent⸗
licher Macht der Geiſtigkeit, an eigentlicher
Tiefe des geiſtigen Blicks, kurz an Philoſo⸗
phil, — Es kennzeichnet eine ſolche un⸗
iloſophiſche Raſſe, daß ſie ſtreng zum
Portage hält: ſie braucht ſeine Zucht
M „Moraliſierung“ und Vermenſchlichung.
er Engländer, düſterer, nee: willens:
ſtärker und brutaler als der Deutſche — iſt
eben deshalb, als der Gemeinere von
beiden, auch frömmer als der Deutſche: er
hat das eben noch nötiger.“ (Jenſeits von
Gut und Böſe, 1886.)
Für die geſamte neuere Geiſtesentwick⸗
lung ſieht Nietzſche verhängnisvolle Folgen
entſtanden und entſtehen durch die engliſche
philoſophiſche Mittelmäßigkeit von Köpfen
der Art eines Darwin, John Stuart Mill
und Herbert Spencer. „Vergeſſe man es den
Engländern nicht, daß ſie ſchon einmal mit
ihrer tiefen Durchſchnittlichkeit eine Ge⸗
ſamtdepreſſion des europäiſchen Geiſtes ver⸗
urſacht haben: Das, was man bie moder⸗
nen Ideen“ ober ‚die Ideen des achtzehnten
Jahrhunderts“ oder auch die franzöſiſchen
Ideen“ nennt — das alſo, wogegen ſich der
deutſche Geiſt mit tiefem Ekel erhoben hat —,
war engliſchen Urſprungs, daran iſt nicht zu
weifeln. Die Franzoſen m nur bte Schau⸗
IRC dieſer Ideen geweſen, auch ihre beiten
Soldaten, insgleichen leider ihre erſten und
grundſätzlichen Opfer: denn an der ver⸗
dammlichen Anglomanie der ‚modernen
Ideen“ ijt zuletzt die äme francaise fo dünn
geworden und abgemagert, daß man ſich
ihres 16. und 17. Jahrhunderts, ihrer tiefen
1 Kraft, ihrer erfinderiſchen
Vornehmheit heute faſt mit Unglauben er⸗
innert. Man muß aber dieſen Satz hiſto⸗
riſcher Billigkeit mit den Zähnen feſthalten
und gegen den Augenblick und Augenſchein
verteidigen: Die europäiſche Nobleſſe — des
Gefühls, des Geſchmacks, der Sitte, kurz das
Wort in en hohen Sinne genommen —
ijt Frankreichs Werk und Erfindung, bie
europäiſche Gemeinheit, der Plebejismus
der modernen Ideen — Englands“ (1886).
Ebenſo gehört die herkömmliche Gleich⸗
heitsmoral zu „den landläufigen, von Eng⸗
land herkommenden Beſchränktheiten.“ „Man
vergebe mir die Entdeckung, daß alle Moral⸗
D oſophie bisher langweilig war und zu
en Schlafmitteln gehörte — und daß die
„Tugend“ durch nichts mehr in meinen
Augen beeinträchtigt worden iſt als durch
dieje Langweiligkeit ihrer Fürſprecher
Man ſehe ſich z. B. die unermüdlichen, un⸗
vermeidlichen engliſchen Utilitarier an, wie
fle plump und ehrenwert in ben Fußtapfen
enthams daherwandeln, babinmanbeln...
Kein neuer Gedanke, nichts von feinerer
Wendung und Faltung eines alten Gedan⸗
kens, nicht einmal eine wirkliche Hiſtorie
bes früher Gedachten ... Es hat fid) näm:
lich auch in mere Moraliſten jenes alte eng:
liſche Laſter eingeſchlichen, das cant heißt
und moraliſche Tartüfferie iſt, diesmal
unter die neue Form der Wiſſenſchaftlichkeit
verſteckt ... Zuletzt wollen fie alle, daß die
engliſche Moralität recht bekommt: in⸗
ofern gerade damit der Menſchlichkeit, oder
em „allgemeinen Nutzen“, oder „dem Glück
der meiſten“, nein! dem Glück Englands
am beſten gedient wird. Sie möchten mit
allen Kräften ſich beweiſen, daß das Stre⸗
ben nach engliſchem Glück, ich meine nach
Komfort und Faſhion (und, an höchſter
Stelle, einem Sitz im Parlament), zugleich
der rechte Pfad der Tugend ſei, ja daß, ſo⸗
viel Tugend es bisher in der Welt ge⸗
eben hat, es eben in einem ſolchen
treben beſtanden habe.“
Den engliſchen Pſychologen wirft er vor,
daß „man ſie immer am gleichen Werke
uud nämlich bie partie honteuse unſeret
nneren Welt in den Vordergrund zu
drängen und dort das A irkſame,
Leitende, für die Entwicklung Entſcheidende
in ſuchen, wo der intellektuelle Stolz bes
enſchen es am letzten zu finden wünſchte
(zum Beiſpiel in der vis inertiae der Ge⸗
wohnheit oder in der Vergeßlichkeit oder in
einer blinden und zufälligen Ideenverhäke⸗
[ung und mechanik oder in irgend etwas
rein Paſſivem, „ A
may gem, Molekularem u Gründlich⸗
Stupidem)“ (1887).
Ohne Zweifel, Nietzſche iſt ein ſtarker
Kulturkämpfer gegen alles Engliſche. Seine
Einwände ii: ranfen fid nicht auf ben
Mangel an Philoſophie ober bie philo-
[opbi "e Mangelhaftigkeit, immer wieder
bricht ſeine Gegenſätzlichkeit in Einzelheiten
durch. Er tadelt die „ſtarrköpfiſche Selbſt⸗
herrlichkeit“, ſagt „bisher find die Englander
dumm“, macht „Randbemerkungen zu einer
niaiserie anglaise“, ſagt, „der engliſche
Genius vergröbert und vernatürlicht alles“,
tadelt den Mangel an Muſik („Was noch am
Neue Bücher
humanſten Engländer beleidigt, bas ift fein
M an Muſik, im Gleichnis — und ohne
Gleichnis — zu reden: er hat in den Be⸗
wegungen ſeiner Seele und ſeines Leibes
keinen Takt und Tanz, ja noch nicht einmal
die Begierde nach Takt und Tanz“) und
bricht einmal zuſammenfa end in den em⸗
pörten Ausruf aus: „Wieviel viehiſche
Gemeinheit im Engländer, daß er jetzt noch
nötig hat, mit aller Gewalt das utile zu
predigen!“ (1884).
Weltpolitiſch betrachtet, ſpricht Nietzſche
den Engländern die innere Berechtigung zur
Erdbeherrſchung, Erdregierung ab. Im Sur
ſammenhang mit dem großen Kreis feiner
Zukunftsfrageſtellungen: wer wird der Erde
m fein, wer darf und Wé ihr Herr
ein — natürlich eine kulturpolitiſche
Frage —, richtet er feine Augen nach einer
ganz anderen Richtung. Trotz aller Kritik,
die er am Deutſchtum linſonderheit dem
ſeiner Zeit) übt, ſetzt er darauf ſeine höchſten
Hoffnungen. „Die Deutſchen ſollten eine
herrſchende Kaſte züchten.“ Aber mit ihnen
ſoll ſich zu den großen kulturellen Abſichten
über die Erde hinweg das llawiſche
Element verbinden. Deshalb iſt der Blick
nz ſtark ein B gerichtet, auf Rube
and. „Mir ſcheint das erfinderiſche Ver⸗
mögen und die Anhäufung von Willenskraft
am größten und unverbrauchteſten bei den
Slawen zu ſein; und ein deutſch⸗flawiſches
Erdregiment gehört nicht zu dem Anwahr⸗
immer in Gegenſatz zu England geſtellt.
„Englands Kleingeiſterei iſt die große
Erde. Ich ſehe
mehr Dang zur Größe in den Gefühlen der
ruſſiſchen Nihiliſten als in denen bet eng:
liſchen Utilitarier. Ein Ineinanderwachſen
der deutſchen und ſlawiſchen Raſſe. ., um
die Herrſchaft auf der Erde zu haben
wir brauchen ein unbedingtes Zuſammen⸗
gehen mit Rußland, und mit einem neuen
gemeinſamen Programm, welches in Ruß⸗
land keine engliſchen Schemata zur Herr⸗
Neue Bücher
„Neger all’s was auber bir", „Herz, wages aud bu",
„Ihr gelben Chryianthemen“, Verlag W. Scheuer⸗
mann, Wien.
Spruchſammlungen findet man in Deutſchland wie
efallene Blätter im erbſt. Und es iſt en wk
Sorte von Büchern nichts einzuwenden, Yo ange fte
Käufer finden. Wir P en jedod bereits früher mit
wirklicher Freude auf die innbücher des Verlages
Scheuermann verwieſen, weil ſchon die Ausſtattung
der ſchmalen, biegſamen Ganzleinenbände zum Blättern
P t kommen läßt.“ Dieſe SE find
rigens niedergeſchrieben einige Jahre
bevor Bismarck ſeinen Kückverſicherungs⸗
vertrag mit Rußland 1888 durchſetzte Ge
Reichstag ben Ausſpruch tat: „Unſre natürs
lichſte Anlehnung bleibt die ruſſiſche.“
Es wird bei Nietzſche auch vollkommen
deutlich, weshalb er auf Rußland ſeine Zu⸗
kunftshoffnungen für eine wirklich „große
olitik“, eine Erdpolitik ſetzte. „Damit es
en San gibt, muß es eine Art Wille,
Inſtinkt, Imperativ geben, antiliberal bis
p Bosheit: ben Willen zur Tradition, zur
utorität, zur Verantwortlichkeit auf Jahr⸗
hunderte hinaus, zur Solidarität von Ge⸗
ſchlechtsketten vorwärts und rückwärts in
infinitum. Iſt dieſer Wille da, ſo gründet
ih etwas wie das imperium romanum:
oder wie Rußland, die einzige Macht, die
heute Dauer im Leibe hat, die warten kann.“
Wie Nietzſche allgemein dem Engliſchen
gegenüber gefü lsmäßig nur Widerſtreben
KR [o ijt ihm dagegen bas Ruſſiſche an fid)
ympathiſch. Bei den Ruſſen findet er wirk⸗
liche e "Bin ologen; ruſſiſche Bücher
ſchätzt er hoch: „ich rechne irgendein ruſſiſches
Buch, vor allem oftojemffij ... zu meinen
größten Erleichterungen“ (Brief vom 20. 10.
1888). „Mit Doſtojew kij iſt es mir gegangen
wie früher mit Sten hal: die zufällige Be⸗
rührung, ein Buch, das man in einem Buch⸗
laden aufſchlägt, Unbekanntſchaft bis auf
den Namen — und der plötzlich redende
Inſtinkt, hier einem Verwandten begegnet
zu ſein“ (Brief vom 7. 3. 1887). Faſt über⸗
raſchend ſogar iſt Nietzſches Verſtändnis lim
das Seeliſche des ruſſiſchen Volkes (i
Gegenſatz zu der „Seele“ der gekünſtelten
da rüberſtehenden Allerweltsſchicht von da⸗
mals): „Die ruſſiſche Muſik bringt mit einer
rührenden Einfalt die Seele des Muſchik,
des niederen Volkes ans Licht: nichts redet
mehr d Herzen als ihre heiteren Weilen —
die abjolut traurige eifen find. Ich würde
das Glüd des ganzen Weſtens eintauſchen
gegen die ruſſiſche Art, traurig zu ſein.“
Richard Oehler.
und Nachſinnen einlädt. Die drei GK Bände bet
Reihe empfehlen wir barum mit bet alten EG
Bücher über das Deutihtum im Often
Ein ſoeben erſchienenes Bändchen bes Volk⸗ und
Reich⸗Verlages, Berlin, vereint „Jeugniſſe der Bahr:
heit“, die bas Ausland über Danzig unb ben Korridor
einſt und bis heute abgab: e Beweis für
unfer Recht und für die erſchütternde Hilfloſigkeit einer
24 Neue Bücher
orge und Chamberlain zu Zeugen der
werden und — wie auch der General Smuts (Süd⸗
afrikaniſche Union) — [don 1919 die gefährlichen Fols
en der Verſailler Jeſtlegungen voll und ganz voraus-
kauen ur Orientierung im öſtlichen Raum dient ein
app[a liches Bändchen „Deutſche in Polen unb im
Wi pru von Gerhard f appo? (Lühe & Co., Le
dig.
e
der vieles lit 2 sine)
eines kundigen Journaliften, Peter E
ch, pe tre
und TUE. (Deutſcher rlag, Ed überall tti
bie ls t dem Mittelalter rapi
1
gone hohen Politik, wenn deus Churchill hr
©) und
anwachſende, ungeheure
Ver yrs Polens, bie von der Maſſe der ſtä ace
und ländlichen Bevölkerung bis in fdmtlidhe polltiſch
und wirtſchaftlich Nk vg ei Stellen geht, erſchrek⸗
fend hervor. Kurt 9 üd in „Der Mythos vom Deutſchen
in der RTE Volksüberlieſerung und Literatur“
(erlag Hirzel, iche 1938) fammelte in exakter
DEEN polniſche fiuBerungen tn Wort, Kunſt unb
Sitte, die der ordnenden Überlegenheit der Deutſchen
mit Abwehr und Haß begegnen und fle verzerrt über⸗
liefern; et weit aber einſichtsvoll auch darauf hin, dab
jedes Volksgrenzengebiet 1 hervorbringt,
und daß das Übermaß polniſcher Reaktion, für die der
Deutſche zum sprichwörtlichen „Teufel“ wurde, in der
hemmungsloſen Gefühlsbetontheit der Polen, die der
deutſchen Willens und Vernunftklarheit entgegengejeht
ift, eine pſychologiſche Begründung habe; bas Buch tit
ein wichtiger Beitrag für die große künftige Aufgabe
des Deutſchtums, in einer fruchtbaren Ordnung mit
dem Oſten zu leben.
Die „Agrarverſaſſung der deutihen Auslaudsſiedlun⸗
gen in Oſten ropa“ behandelt eine von Prof. Gering
unb v. Dietze herausgegebene ſtreng fachliche Unter
udung. (Verlag F. Vahlen, Berlin), die einleitend
einen Überblick über die zu den jeweiligen Siedlungen
ührenden und ſie beſtimmenden hiſtoriſchen Entwick⸗
ungen gibt, und dann in i der
ruſſiſchen, baltiſchen, polnijden, mitteleutopäiſchen deut⸗
chen Dorfſiedlungen den lebendigen Reichtum der eae
m Lande anregend weiterwirkenden Formen — die
perſönliche Freiheit, „der dorfweiſe geſchloſſene Nachbar⸗
verband und der darin herrſchende genoſſenſchaftliche
Geiſt“ — aufzeigt. Eine letzte Überſchau über bte Kor⸗
ridorfrage gibt das Buch „Deutſchland und der Korri⸗
dor“, das mit reichem Bildmaterial verſehen, die Auf⸗
K* e, die über die hiſtoriſche und aktuelle Seite dieſes
1 in der Zeitſchrift „Volk und Reich“ im gleich⸗
namigen Verlag erſchienen, zuſammenfaßt. St.
„Reife“
Man iſt d ein bißchen mißtrauiſch geworden vor
den fonfunfturbeflificncn Romanen von Boden und
Bauerntum. Um ſo wichtiger iſt jedes wirklich echte
Buch vom Land; d. h. alſo ein Buch, das der Stadt⸗
ucht einen Riegel vorzulegen hilft, weil es nicht
tgendwelhe Schönheiten oder Urigkeiten der Lands
lichkeit aufzählt, ſondern das Ganze von Arbeit und
Mühe mitſamt der Freude hinſtellt und fab Einleben
in die eigenen Geſetze des Landes führt. Denn
darauf kommt es ja an, auf bie Umftellung der Gre
lebnisweiſe. Wer die Eile und den ſcheinbar fo
aktuellen und intereſſanten“ Wirbel bes Rädtiſchen
Dafeins beibehält, wird niemals den Zugang zum
Land finden, es wird ihn langweilen, well er den
anderen Rhythmus nicht auffaßt unb die Weile nicht
von ſich aus füllen kann. an muß den Sprung
wagen, die Schwelle der Ungeduld ertragen, und hinein⸗
per E in ben großen, firengen Atem des lebendigen
$ ums.
Nur wenn man da mit hineinwächſt, wird man auch
die beſonders ſchwete Arbeit, die unjere Kriſenzeit vom
Bauern oft fordert, frei ertragen können. Man muB
in fig die Gewalt der Formwerdung und Formvers
wandlung miterleben, aus der die lebendigen alten
von Erde, Pflanze und Tier reifen und an der man
nun tätig mittut. Die unendliche Fülle der Formen
und Farben, in denen Blatt und Blüten, Wolken
Bäume und Tiere immer neu peprägt fnb und fi
entfalten zu einem Kosmos ine eneinalenn: Ber
megungen — dies ift fo über allen ſtädtiſchen Nerven⸗
reiz und Nervenverſchleiß erhaben, daß jemand, der
einmal den Mut hatte, umzuſtelle tte an
Erleben und Kraft if, SCHER D
Aber es war eben in der Vergangenheit fo, daß
das Natürliche, Vorgegebene, in das man hineingeboren
war, [o ſelbſtverſtändlich gewohnt wurde, daß es vers
blaBte und ſchließlich erſtarrte; febr oft bemerkt man,
daß die Landleute von Pflanze, Tier und Erde weniger
willen und es in feiner Größe weniger erleben als
der el a Menſch, der gedanklich, auf dem Weg
bet Wiſſenſchaft oder nur aus Sehnſucht und Stadt:
rauen, ) willentlich wieder hineintaſtet. Die Land⸗
lucht geſchieht, weil die echte und Innere, die lebendi
römende Verbindung zur Natur abgerinen ift. Auf
em Weg des Wiſſens und des W
finberung allmählich vor fid) geben.
Darum können hierzu nur Bücher helfen, die ohne
jenes Pathos find und aus der ftillen Echtheit des Cre
ebens kommen. Das aber gilt für bas Buch der Ober⸗
gauführerin Gertrud Kunzemann „Reife“
seid Junge Generation 1939, mit kleinen feinen
Deng muß die
eichnungen und Photos ausgcítattet); es ift ohne
eglichen dade lite rariſchen ampo geſchrieden, aber
gerade aus bet fauberen Schlichtheit des Erzählens
entſteht die mitreißende Wirkung. Eigentlich wird nur
ein Bericht gegeben, wie ein Mädel aus der Stadt zur
Erholung aufs Land fährt. wie es allmählich hinein⸗
gezogen wird in den Tageslauf des Gebirgshofes, noch
einmal zurückkehrt in die Stadt, um dann doch end⸗
ültig ſich davon pu löſen und als Führerin einer
anddienſtgruppe hinauszugehen in ein Neuſtedeldorf,
in das es auch den Verwalter des Gebirgshofes zum
Einſatz holt und ſchließlich mit ihm zuſammen fid
etwas Eigenes aufbaut. Der Ablauf der Arbeiten wird
erzählt, das innere Sträuben und Begreifen, Schatten⸗
und e gezeigt. Alles mit ber Einfachheit und
Klarheit, die ſo wohl tut und die allein heute einen
wirklich fruchtbaren Neubeginn tragen kann.
Ortrud Stumpfe.
Hauptschriftleiter: Günter Kaufmann.
Anſchrift der Schriftleitung: Reichsjugendführung, Berlin W 35, Kurfürftenftraße 53. Fernſprecher 22 90 91. —
Verlag: Franz Eher Nachf. G. m. b. H., Zentralverlag ber NSDAP., Berlin SW 68, Zimmerſtraße 87—91. Pok
Ihedtonto: Berlin 4454. Verantwortlich für den Anzeigenteil: Ulrich Herold, Berlin. — Pl. Nr. 8. —
Druck: M. Müller & Sohn KOG., München; Zweigniederlafjung Berlin SW 68, Dresdener Straße 43. — „Wille
und Macht“ eriheint am 1. und 15. jedes Monats unb ijt zu beziehen durch den Verlag ſowie durch die Pok
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Die Folgen 1 bis 24 und das Inhalts verzeichnis
Jahrgang 1934:
Die Folgen 1, 2, 3, 4, 5, 6, 8 (je 2 Stück),
die Folgen 11 und 22 (je 1 Stück)
Jahrgang 1935:
Die Folge 24 (1 Stück)
Jahrgang 1936:
Die Folge 1 (3 Stück)
Jede einzelne dieser Nummern ist von höchstem Wert. In Deinem
Schrank sind die Hefte der Allgemeinheit nicht zugänglich. Sende sie daher an das
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mehr. In 18 Tagen hat sie der mit beispielloser Energie
vorgetragene deutsche Angriff zerschlagen. Kampf
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terorgan der nationallozialiſtiſchen Jugend
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dem Inhalt :
Italian
orte vom Brot | Aus dem Ewigen Vorrat der Dichtung Aus
er Reise | Bruno E. Werner: Malerei und Plastik der Gegenwart | Ay
‘Vom Wesen des neuen Schrifttums | Fabio Tembari: Die x Vl. Chronił aus
Politik um den: Balkan
Me Fugendfiihrer Ettore Muti | Die zeitgenössische Architektur. ,
Musikleben | Bücher über Italien
limonatsschrift / Heft 23 Berlin, 1. Dezember 1939 Preis 30 Pf.
INHALT
Mussolini: Die Worte vom Brot
Zum Geleit
Aus dem Schatz der italienischen Dichtung
Bruno E. Werner: Die Malerei und Plastik der Gegenwart
Fabio Tombari: Chronik XVII aus Frusaglia
Antonio L. Erné: Italiens zeitgenössisches Schrifttum
Aus Goethes Italienbriefen
AUSSENPOLITISCHE NOTIZEN
Der neue italienische Jugendführer Ettore Muti
Fritz Zietlow: Politik um den Balkan
KLEINE BEITRÄGE
A.Dehio, Rom: Moderne italienische Baukunst
L. Nediani: Vom gegenwärtigen Musikleben in Italien
B. von Graefe: Förderung des italienischen Kunstschaffens durch den Staat
Italiens Frau in Anmut und Disziplin
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Antonio Berti: Erste Blüte (Foto: Giacomelli, Rom)
Giannino Marchig: Das Ende eines Sommertages (Foto: Deutscher Verlag)
Italo Griselli: Bildnis des Silvano (Foto: Giacomelli, Rom)
Beilagenhinweis
(Außer Verantwortung der Schriftleitung)
Die vorliegende Folge enthält einen Proſpekt betitelt „Neue und alte Bücher“ des Ver
lages Albert Langen / Georg Müller, München. Wir empfehlen unſeren Lefern dieſe
Werbung zur beſonderen Aufmerkſamkeit.
Wille. Kladıt
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HERAUSGEBER: BALDUR VON SCHIRACH
Jahrgang 7 Berlin, 1. Dezember 1939 Heft 23
Benito Mussolini:
Die Worte vom Brot
Liebet das Brot, das Herz des Hauses,
Den Duft des Tisches, das Freudenzeichen des Herdes.
Achtet das Brot, den Schweiß der Stirne,
Den Stolz der Arbeit, das Sinnbild des Opfers.
| Ehret das Brot, den Ruhmesglanz der Felder,
| Den Ruch der Erde, die Feier des Lebens.
| Vergeudet nicht das Brot, den Reichtum des Vater-
landes, die mildeste Gabe des Himmels, den heiligsten
| Lohn menschlicher Mühe.
|
Übersetzt von Gertrud Diettrich
Zum Geleit!
Von altersher [don und in immer neuen Formen beſteht bie Verbindung bet
beiden Herzvölker Europas. Die äußeren Verhältniſſe wechſelten, der Austauſch des
kulturellen Lebens aber blieb ununterbrochen. In einem Wechſelſtrom der Meiſter
und Schüler entſtand die große europäiſche Kunſt; die M u fif, die reihum in Süd:
deutſchland, den Niederlanden, Frankreich, Italien und Deutſchland ihre Fülle und
Kraft ausbildete; die Malerei, deren höchſte Entfaltung in Italien erſt und
ſpäter zugleich in Deutſchland geſchah; die Plaſtik, die beiden Ländern nach ver:
ſchiedenen Geſtaltungsgeſetzen, aber in höchſter Vollendung gelang; die Dichtung
und das Denken, gegenjeitig Anregung und Vorbild ſchaffend. Und über allem
En der Strom der Reiſenden, bie immer aus dem Norden kamen, das Erlebnis von
icht Form, Grazie und Wärme im Süden fanden, an dieſer corona ihre v psi
Kräfte erſchloſſen, und bereichert zurückkehrten, wie es Goethes „Italieniſche Reife“
ſo gültig berichtet, ſeine „Iphigenie“ beweiſt.
Heute aber iſt dieſe Begegnung der beiden Völker wieder einmal gewandelt und
erneuert. Beide ſind dabei, vom Kern her, vom bäuerlichen Urweſen aus ihre Länder
neu zu geſtalten. Lange verborgene Kräfte ſind aufgebrochen. Frei von Schwär⸗
merei und Einſeitigkeit mögen ſich darum beide Völker heute treffen und kennen⸗
lernen, Anregung, Freude und Freundſchaft austauſchen! Die Schriftleitung.
Aus dem Schatz der italieniſchen Dichtung
Dante Alighieri (1265-1321)
Die Göttliche Komödie, Inferno, fünfter tona. ber von bem unglücklichen Liebespaar (raw
cesca und Paolo berichtet, das Dante, geführt vom Dichter Vergil, auf [einer Wanderung trifft.
Es liegt, die mich geboren hat, die Erde,
Am Ufer, wo der Po enteilt zur Münde,
Daß ihm und feinen Folgern Ruhe werde.
Liebe, die edlen Herzen raſch ſich künde,
Zog jenen hin zu meinem ſchönen Leibe,
Den mir entriß - noch grämt mich welche - Sünde.
Die nie will, Dap Geliebtes lieblos bleibe,
Liebe band mich an ihn mit folchem Knoten,
Daß, wie du fiehft, kein Los ihn von mir treibe.
Liebe fandt’ uns zufammen zu den Toten.
Der uns erfchlug, kommt ins Bereich der Kaine.«
Dies war die Rede, die fie uns erboten.
Ale ich vernommen Oiefer Seelen Peine,
Neigt ich das Haupt und hielt fo tief die Blicke,
Daß mich der Dichter fragte, was dies meine.
Da kam mein Wort, als ob es mich erftiche:
Ach, wieviel füßes Sinnen, füßer Schauer
Hat fie geführt zum fchmerzlichen Gefchidie!
Dann wand?’ ich an Die beiden mich genauer,
Und ich begann: Franziska, deine Wunde
Weckt bis zum Weinen Mitleid mir und Trauer.
Doch fag mir: Zu der füßen Seufzer Stunde,
Wobei und welcherart gab der Begehrer
Euch von den zweifelhaften Wünſchen Kunde?
— — 0n
Aus dem Schatz der italienischen Dichtung
Und zu mir fprach fie: »Keine Qual ift ſchwerer,
Ale der glückfeligen Zeiten zu erwähnen
Im Ungemach. Davon weiß auch dein Lehrer.
Doch wenn zu forfchen liegt In deinen Plänen
Nach unfrer Lieb In ihren erften Zügen,
So will ich tun wie er, der Ipricht mit Tränen...
Wir lafen eines Tages zum Vergnügen
Von Lanzelot, wie Liebe thn bedriichte.
Ich war allein mit ihm und fah kein Trügen.
Mehrmalen fchon in unfren Augen zuckte
Dies Lefen und verfärbte une die Wange,
Doch eine Zeile wa re, dle une berückte:
Da ftand, wie unter dem fehnfüchtigen Drange
Sotanen Freundes fich die Lippen heben -
Als er, der nun auf ewig an mir hange,
Mich auf den Mund geküßt hat ganz In Beben...
Verführer war das Buch und ders verfaßte.
Den Tag war unfer Leien aufgegeben.
Als fo der eine Geiſt gefprochen, faBte
Den andren folches Schluchzen, daB vor Weiche
Mir die Befinnung ſchwand und Ich erblaßte.
Und ich fiel hin, alo flele eine Leiche.
Deutich von Stefan George
Ludovico Arlofto (1474-1533)
Den Frau'n wird beſſer guter Rat gelingen,
Wenn unbedacht ihn der Moment gebiert;
Denn dies ift eins von den unzähl'gen Dingen,
Womit der Himmel ſie beſonders ziert.
Des Mannes Nat wird wenig Nutzen bringen,
Wenn nicht das reife Urteil mitregiert
Und wenn er zum Erwägen und Beſprechen
Nicht etwas Zeit verbraucht und Kopfzerbrechen.
Deutſch von Otto Gildemeiſter
Lorenzo di Medici (1449-1499)
Sonett
Wie eitel iſt all unfre por , wie
Voll Selbitbetruges find a unl Pläne! |
Wie auch die Welt fei, ſtumpf find ihre Zähne
Gegen den Biſſen Tod, den ſchlingt fie nie!
Wie anders lebt Re in der Harmonie
Von Lied und Spiel, die ich vollkommen wähne;
Doch nicht um fie löſt zärtlich fid) die Träne:
Der Schrecken nur zwingt alle auf die Knie.
Sorgengeweb, das ſchnell der Sturm zerreißt,
And eitles Sinnen, das Natur beendet,
Daran erkennt die blinde Welt zumeiſt,
Welch dürftigem Tun ſie flüchtig zugewendet.
Ihr fte ben lück iſt ſchon dem Tod verpfändet,
Der ſie den Weg aus der Zerſtreuung weiſt.
Deutſch von Fritz Diettrich
Aus dem Schatz der italienischen Dichtung
Giovan Battifta Strozzi (1505-1571)
Auf bie „Nacht“ des Michelangelo Buonarroti
Die Nacht, die du hier dn im Gleichgewicht
des ſchönen Schlafes, bildete im Stein
ein Engel. Schlaf heißt pA Lebendigſein.
Wenn du's nicht glaubſt, ſo weck ſie auf: ſie ſpricht.
Michelangelo Buonarroti (1475-1564)
Antwort
Schlaf iſt mir lieb, doch über alles preiſe
ich, Stein zu ſein. Währt Schande und Zerſtören.
nenn ich es Glück: nicht ſehen und nicht hören.
Drum wage nicht zu wecken. Ach! Sprich leiſe.
Sonett
Ein jeder hohle, eingefchlofine Ort,
woraus auch Immer feine Wände felen,
bewahrt die Nacht vor jenem Tag Im Freien
und hält von thr das Spiel der Sonne fort.
Die Sonne freilich dringt als Uberwinder
mit Flammen ein doch felbft dem Mangelhaften
weichen der Nacht göttliche Eigenfchaften,
ein Glühwurm ſchon durchbricht fie mehr und minder.
Was often bleibt der Sonne, die den ganzen
Boden entbrennt, daß er gewaltig trage,
das greift der ftolze Acher pflügend an.
Der Menfch ift nur im Schatten gut zu pflanzen.
So find denn Nächte heiliger als Tage,
well keine Frucht foolel ift wie ein Mann.
Deutſch von Rainer Maria Rilke
Giacomo Leopardi (1798-1837)
Not des Baterlandes
Warum, o Schickſal, zu ſo, böſen Tagen
pait du uns aufbehalten?
arum nicht ward zu ſterben
Vergönnt uns, eh wir ſchauten ſo geſchlagen
Von Frevlern unſer Vaterland in Ketten
Und ſeinen Ruhm, den alten,
Geſchändet freventlich! — Ach, nicht gegeben
Ward uns, mit Troſt die Schmerzen
u lindern dir, o Teure dich zu retten
us wilder Qual, die dir das gers zerfleiſchte!
Nicht konnten wir dir weihen Blut und Leben,
Doch nimmer uns im Herzen
Erſtarb der Jammer, den dein Los erheiſchte!
So voll iſt unſer Herz des ieee der Schande:
$a, wir aud Tarde Ze en, Ströme rannen
on unjerm Blut — do nicht dem Baterlande:
Wir bluteten für unjere Tyrannen!
Francesco Messina: Knabe am Meer am n
Aus dem Schatz der italienischen Dichtung
Auf einen Sieger im Ballonipiel
Des Ruhmes Angefiht und Ruf, den Hellen,
Will ich bid, Knabe, lehren
Und wie voranſteht edlem Müßiggange `
Die ſchweißbedeckte Tugend. Komm zu hören,
zen oer Kämpe bu, wenn ja der ſchnellen
tromflut ber Sabre bu in mut'gem Drange
Willſt ſtreitig machen deines Namens Beute,
Und laß dein Herz zu Höherem befeuern!
Die Menge lärmt, begeiſtert auf dich ſchauend,
Und Volksgunſt ſpornt zu edlem Tun dich heute;
Dich ruft, auf neuen Alters Blüh'n vertrauend,
Das Vaterland, das teure,
Daß altes Beiſpiel ſich durch dich erneure.
Deutſch von Robert Hamerling
Giofue Carducci (1835-1907)
Der Ochſe
Ich liebe dich, du frommes Tier; es flößt
Gefühl von Kraft und Frieden mir dein Bild
ins Herz, wenn du im freien Saatgefild
ſo feierlich gleich einem Denkmal ſtehſt,
und wenn du willig an die Arbeit gehſt,
ins Joch gebeugt, getrieben immerzu,
geſtachelt von dem ſtrengen Herrn, dem du
als Antwort nur ſtill das Auge zudrehſt.
Es raucht dein Atem aus den ſchwarzen feuchten
und breiten Nüſtern, und dein Brüllen ſteigt
zum hellen Himmel wie ein Lied der Freude.
Die ernſten, einfaltvollen Augen leuchten
und ſpiegeln klar und ruhevoll die Weite
der grünen Ebene, die gottgleich ſchweigt.
Deutſch von Friedrich K. Benndorf
Giovanni Pascoli (1855-1912)
Es fchneit und fchneit geruhfam in der Runde.
Horch: eine Wiege, die fich leife ſchwingt!
Ein Kind, das weint, das Fingerchen im Munde;
in fich gebückt ein altes Weib, das fingt.
Es fingt das Weib: »Rund um das Bette dein
blüht dir von Rofen eine folche Pracht!«
Dae Kind fchläft in dem Rofengarten ein.
Der Schnee fällt immer noch fehr facht, fehr facht.
Deutich von B. Steiger
Gabriele d’Annunzio (1863-1938)
Traumbefangen
Städte, liebliche, gab es dort
Auf einſamen Hügeln
Wie Beter, eingeſchloſſen
In Schweigen;
Und Pfalzen, ſchlanke, aufgetan
Aus dem Schatz der italienischen Dichtung
Mit weiten Bogengängen
Mie einer, der atmet,
Den Mufen geweiht;
Und Gärten gab es
Verwun ane Gehege ann quellreich,
Wie Labyrinthe,
Draußen mit einer ee nur
Und drinnen mit tauſend Umſchweifen,
Wo Säuſeln jeden Stengel
Biegt und ſich aie”
Wie wer da flücht
Kränze windet ei ie nicht bindet;
Es gab dort Nektar,
Früchte, Muſik zu unſerer Muße;
And Melanchol lie.
Deutſch von Fritz Diettrid
Das Wort
O Wort, das ſich wie Balſamdüfte wiegt,
wenn es aus weichem Munde liebend ſchwebt —
o Wort, das ziſchend ihm, wenn er erbebt
im Haſſe, wie ein Schleuderſtein entfliegt —
Einzi ige Kraft, bie ſchnödes Fleiſch befiegt,
ven eift mit Glanz erfüllt und ihn erhebt,
rzen unverwelkbar keimend lebt —
rt, in dem ſo tiefer Zauber liegt:
is kenne deine Art und wie ſich rührt
in dir der Zauberkräfte dunkle Schar —
kenn auch die Süßigkeit, die dir entfließt.
Daß bu — ein Strom — mit großen Strömen ziehſt
als größter nun, das wollt ich, der mir klar
in Lebens Tiefen die Gedanken führt!
Mare noſtrum
Zu dir, o Gott, dem großen ſchreckensreichen,
Ruf Ich, zu dem dle Väter fchrien im Kampf
Auf Deck: hier lodern Scheiterhaufen dir und Flammenzeichen.
Von Pola und von des Quarnero Seiten
Fällt ich die ftolze Tanne, bittern Lorbeer
Und heilige Eichen mit den rafchen Streichen zmwiefacher Schneiden;
Und als Ich fchmückte Maſte, Rah und Schoten
Und das Gebälk des Rumpfes mit dem Reis,
Dem nimmerwelkenden, des Siegs, gedacht ich all der Toten;
Gedachte all der Toten, unfrer Toten
Am Grund des Meeres; aller unfrer Toten
Am Grund des Meeres, das verfchlang die Tapfern famt Ihren Booten.
Allein ich fagte: der du weckſt die Heere
Der Völker, Herr mein Gott, und fie zermalmſt,
Es werden leben, werden leben die, die über Meere
Verkünden deine Größe, über Meere
Verkünden deinen Ruhm; die über Meere
Dir opfern Blut und Myrrhen vom Altar, der trägt Das Roftrum.
Durch alle Ozeane - Fiat mare noftrum!
Amen.
Bruno E. Werner / Die Malerei und Plastik der Gegenwart 7
Rom, den 1. November 17886.
Endlich kann ich den Mund auftun und meine Freunde mit Frohsinn begrüßen. Ver-
ziehen sei mir das Geheimnis und die gleichsam unterirdische Reise hierher. Kaum wagte
ich mir selbst zu sagen, wohin ich ging, selbst unterwegs fürchtete ich noch, und nur
unter der Porta del Popolo war ich mir gewiß, Rom zu haben.
Die Begierde, dieses Land zu sehen, war überreif; da sie befriedigt ist, werden mir
Freunde und Vaterland erst wieder recht aus dem Grunde lieb und die Rückkehr
wünschenswert, ja um desto wünschenswerter, da ich mit Sicherheit empfinde, daß ich
so viele Schätze nicht zu eigenem Besitze und Privatgebrauch mitbringe, sondern daß
sie mir und andern durchs ganze Leben zur Leitung und Fördernis dienen sollen.
Goethe an die Freunde in Weimar.
Bruno E. Werner:
Die Malerei und Plastik der Gegenwart
Weſen und ui DN heutigen italieniſchen Kunſt unterſcheidet fid in vielem
von der deutſchen Malerei der Gegenwart. Gemeinſam aber iſt beiden die keniſche
Wurzel als eigentliche Triebkraft, und darin unterſcheidet ſich die italieniſche
Kunſt etwa von der franzöfiſchen Malerei, bie rein von formalen, von äſthetiſch⸗
künſtleriſchen Problemen bewegt wird. Wer im letzten Jahrzehnt öfters die
Biennale in Venedig beſuchte oder die Ausſtellungen in Rom, weiß, daß die il:
Italiens unter bem Faſchismus einen Aufſchwung genommen hat, ber bie Auf⸗
merkſamkeit der Welt wieder auf ein Land zieht, das in früheren Jahrhunderten
einmal die Meiſterwerkſtatt Europas war.
Die italieniſche Kunſt im 19. Jahrhundert war vor allem eine inneritalieniſche
Angelegenheit, aber dafür war dieſes Jahrhundert für Italien das der nationalen
Wiedergeburt von Napoleon über das Riſorgimento bis zur Einigung unter
Victor Emanuel L, und ijt damit zugleich bas Sundament bes neuen faſchiſtiſchen
Smperiums unter bem Mann, der Italien wieder eine führende Stimme in der
Weltpolitik und die geiftig machtpolitiſche Zukunftsidee gab: Muſſolini. Und die
Künſtler des vorigen Jahrhunderts ſtanden dieſem nationalen Vorgang durchaus
nicht Sicht Sie waren weit weniger angeſiedelt in jenem abgelöſten ſog. Reich
der „Dichter und Denker“ und jeweils in ihren provinziellen Regionen wurden
ſie vom Reifen einer neuen Nationalidee faſt ſtärker beſchäftigt als von den rein
künſtleriſchen Fragen, ſo daß eben die Werke des 19. Jahrhunderts deutlich die
Übergangszeit verraten.
Stürmiſche Erneuerung
Als dann im Jahre 1909 in der Kunſt ein Sturm gegen die Vergangenheit
einfegte, waren bie Vorausſetzungen völlig andere als bie bes Expreſſionismus in
Deut land und des Kubismus in Frankreich. „Futuriſten“ nannten fih diefe
Maler, und ihr Führer M arin etti proklamierte in einem Manifeſt, daß es bie
e ber Kunſt fei, den revolutionären künſtleriſchen Ausdruck bes italieniſchen
Volkes aus dem Geiſt einer neuen unbürgerlichen Welt aufzubauen. Noch vor dem
Ende des Krieges gründete Marinetti die erſten „fasci politici futuristi“, denen
Muſſolini naheſtand. Nach dem Krieg aber erkannten ſie in Muſſolini ihren
ührer und begannen mit einer en von Frontſoldaten an der Gründung bes
aſchismus mitzuarbeiten. Es waren junge Männer, die auf der Straße kämpften,
in Verſammlungen auftraten, ſich ins Gefängnis ſchicken e Wenn fie gelegents
lich im Überſchwang forderten, bie Bibliotheken und Muſeen zu verbrennen, fo
8 Bruno E. Werner / Die Malerei und Plastik der Gegenwart
war das nicht ein Verwerfen der Tradition. Man muB es aus ber damaligen
italieniſchen Situation begreifen. Die nationale revolutionäre Jugend der
. wollte damit ſagen: Wir wollen nicht länger ein Volk von
Fremdenführern und Muſeumsdienern ſein!
Der alte Kämpe Marinetti iſt heute eine Exzellenz und Senator der Akademie.
Andere Vorkämpfer ſind gefallen wie z. B. Boccioni. Der Futurismus iſt ob ſeines
kulturkritiſchen und polemiſchen Wertes längſt ein Stück Geſchichte geworden,
obwohl er im neuen Gewand, der „Aeropittura“, der ſog. Luftmalerei, deren
Vertreter vor allem im abeſſiniſchen und ſpaniſchen Krieg teils kämpfend, teils
malend hervorgetreten ſind, noch eine kleine Auferſtehung feierte. Seine Malerei,
die unterdeſſen vor allem im Vorjahre in Italien ſchweren Angriffen ausgeſetzt
war, intereſſiert uns auch weniger als die Tatſache, daß die junge, vor:
wärtsſtürmende Künſtlerſchaft Italiens politiſch keines⸗
wegs abſeits ſtand, ſondern zu den Wegbereitern des
J a ſch ismusgehört. Man muß dies wiſſen, um die Stellung des faſchiſtiſchen
Staates zu den Künſtlern und die heutige italieniſche Kunſt zu begreifen. Denn
die Verbindung mit dem Faſchismus iſt in der Kunſt überall bei der Kriegs⸗ und
Nachkriegsgeneration feſtzuſtellen. Das Novecento Italiano, das in einem
tieferen Sinne den Futurismus ablöſte, war vom gleichen Geiſt getragen. Nur
wurde bei ihm die Beſinnung auf die große Tradition beſtimmend, und der Name
dieſer Künſtlergruppe ſollte nichts anderes bedeuten, als daß ſpätere Jahrhunderte
geradeſo von einem Novecento reden ſollen wie wir heute vom Quattrocento oder
vom Cinquecento. Auch diefe, um 1920 in Mailand ins Leben gerufene Künſtler⸗
gruppe iſt längſt zerſtreut. So wie die daun der Ismen vorüber iſt, ſo auch die der
Künſtlergruppen. Geblieben ſind Begabungen und die beſten Kräfte. Geblieben
und gewachſen ſind die Bemühungen des faſchiſtiſchen Staates um die Kunſt.
Auch in Italien hat man eine Summe (von 2 Prozent) von den öffentlichen
Bauausgaben ausgeſetzt, die zur Ausſchmückung durch lebende Künſtler verwendet
wird. Etwa 1% Millionen Lire ſtehen für Preiſe zur Verfügung. Maler und
Bildhauer find in den großen Rat des Faſchismus berufen worden, und die
großen Ausſtellungen — die Biennale in Venedig, die Triennale in Mailand
und die Quadriennale in Rom — ziehen nicht nur die Aufmerkſamkeit des
italieniſchen Volkes auf ihre Werke.
Überlieferung und Landſchaft
So radikal in der Abſage an die Vergangenheit der Beginn der jungen italieni⸗
En Kunſt ſchien, |o deutlich bat jid im Laufe des letzten Jahrzehnts eine Linie
abgezeichnet, die auf der beſten italieniſchen Tradition aufbaut. Während man
a den großen Ausſtellungen im Haus ber deutſchen Kunſt immer wieder
beobachten kann, daß die deutſchen Maler vor allem am 19. Jahrhundert und
bevorzugt an der Romantik anknüpfen, ſo hat die italieniſche Kunſt ſich vornehm⸗
lich auf die große Epoche ihrer Geſchichte beſonnen: das Quattrocento und frühe
Cinquecento. Der Menſch und der menſchliche Körper ſteht durch
alle Epochen im Mittelpunkt der italieniſchen Kunſt, und
man findet auch heute häufig wieder eine Prägnanz und Schärfe der Darſtellung
wie in jener alten Zeit. Die ſeltſame, von Licht und Klima bedingte Plaſtizität,
die der deutſche Reiſende mit Staunen in der italieniſchen Landſchaft ſo kriſtallklar
Zufall it es iſt damals wie auch heute Häufig in der Kunſt angeitrebt, und fein
Zufall ijt es, daß eine ber wichtigſten Künſtlergruppen der Nachkriegszeit dies als
Ideal auf die Fahnen geſchrieben hatte und fid ,valori plastici“ nannte.
Dem entſpricht auch der Wille nach einer ſtrengen tektoniſchen Gliederung des
Bildes, wie ſie auch im 15. und 16. Jahrhundert zu finden war. Nicht das
Landſchaftliche, Stimmungshafte, ſondern das architekto⸗
Bruno E. Werner / Die Malerei und Plastik der Gegenwart 9
nile Moment ſpielt hier die große Rolle, und man muß immer
wieder an Heinrich Wölfflins wunderbar treffenden Ausſpruch denken, der auf
den Gegenſatz zwiſchen italieniſcher und deutſcher Malerei hinweiſt: „Der Süden
hat die Säule in den Baum geſehen, der Norden den Baum in die Säule.“
Es wäre jebod falſch und gefährlich, wenn man verſuchen würde, zeitgenöſſiſche
Kunſt auf beſtimmte Formeln feſtzulegen, ſo verlockend dies fluß oft fein mag.
Auch in Italien ift die künſtleriſche Entwicklung durchaus im Fluß, und nicht bte
Schulen und Gruppen ſiegen, ſondern die einzelne Künſtlerperſönlichkeit. Wenn
wir nachfolgend einige dieſer Maler Italiens namentlich aufführen, ſo kann
dabei keine Vollſtändigkeit erreicht werden. Es ſind Künſtler, die in Italien und
zuweilen in der Welt bereits einen Namen haben, teils ſolche, die uns auf den
großen wait bee tue in Venedig, in Rom, in Mailand ober im italieniſchen
Pavillon auf der Weltausſtellung in Paris aufgefallen ſind.
Künſtlerperſönlichkeiten
Da find zunächſt die älteren. Der 68jährige Arturo T oft ift einer der bekannte⸗
ſten italieniſchen Landſchaftsmaler, der mit ſeinen ſonoren Farben einen eigenen
faſt lyriſchen Stimmungswert wiedergibt. Neben ihm gleichfalls ein Lehrer der
italieniſchen Jugend mit ſtarkem Einfluß Carlo Car ra, der, aus dem Futurismus
hervorgegangen, heute nach einer ſtrengen tektoniſchen Monumentalmalerei ſtrebt.
Mario Sironi, ein ungewöhnliches Temperament, gleichzeitig Kritiker am Popolo
d'Italia, malt Figurenbilder von herbem römiſchem Geiſt in wuchtigen Kompoſitionen,
wie es auch ſeine glühenden Glasfenſter im römiſchen Korporationsminiſterium
zeigen. Zu den in der Welt bekannteſten Künſtlern gehören Gino Severini und
Giorgio de Chirico, der in Phantaſie und vorwiegendem Intellekt den Einfluß
von Paris verrät. Severini, einer der überragendſten Maler, hat ſeine abſtrakte
(rein formal experimentierende) Periode überwunden und ſtrebt gleichfalls nach
dem monumentalen Figurenbild und dem Fresko, das er mit ungewöhnlicher
Ausgewogenheit der Kompoſition anlegt. Er erhielt 1935 den 100 000⸗Lire⸗Preis
der Regierung.
Achille Funi, Gabriele Mucchi, ber Malerarchitekt, die beiden jungen Bologneſer
Bruno Gaetti und Giorgio Moranda zeigen deutlich, wie eine große, längſt abs
apos Tradition wieder aufgenommen unb von einem völlig neuen Geilt erfüllt ijt.
In Florenz leben der Präſident ber Akademie Felice Carena, Ardengo Goffict mit
ſeinen reizvollen, tonigen Bildern aus dem toskaniſchen Volksleben, die Maler Peyron
und Roſa i. In Turin iſt vor allem Caſorati zu nennen, einſt Führer der valori
plastici, ein Künſtler, Dellen Klaſſizismus einen ſtarken, plajtijd-farbigen Reiz hat,
erner Mencio und Paulucci. In Mailand neben Gironi, Carra und Mucchi die
aler Galietti, Birolli, Saſſu, Uſellini. In Rom ſchließlich hat fid
neben Toſi, Oppo und Donghi in den letzten Jahren eine grobe a jun er Künſtler
angefiedelt, wie Mafai, Janni, Cavalli, Cagli, Capogroſſ unb Ziveri,
um einige Namen herauszugreifen. Hervorzuheben iſt ſchließlich der Maler Alberto
Salietti mit ſeinen bedeutenden Blumenſtilleben, der Landſchafter Memo Vagag⸗
ini und der Freskenmaler Feruccio Ferrazzi, der zu den Künſtlern gehört, die an
der Erneuerung des Wandbildes arbeiten, das in der Geſchichte der italieniſchen Kunſt
bis zurück nach Pompeji ſo großartige Vorbilder hat.
Bildhaueriſche Urbegabung
Daß bei einem Volk, bei dem das Körpergefühl ein ſo ſelbſtverſtändlicher Beſitz
iſt und bei dem der Sinn für das Plaſtiſche, Klare (im Gegenſatz zur ſchweifenden
und deutenden Haltung des Nordens) das künſtleriſche Schaffen beſtimmt, die
Skulptur eine bedeutende Stellung einnimmt, iſt ſelbſtverſtändlich. Die Schwierig⸗
keiten, die ſich für die Künſtler ergeben, liegen weit eher darin, daß das plaſtiſche
Schaffen dem Italiener ſo leicht fällt wie wohl keiner anderen europäiſchen
10 Fabio Tombari / Chronik XVII aus Frusaglia
Nation. Wer Italien kennt, weiß, mit welcher Geſchicklichkeit große Teile bes
Volkes begabt find zu modellieren, und ein großer Imitator wie Doſſe na, ber
mit ſeinen in Stein, Holz oder Ton geformten Skulpturen „aus dem Geiſt der
italieniſchen Renaiſſance“ die Muſeumsdirektoren und Kunſtgelehrten Europas
in Verlegenheit brachte, iſt wohl nur in Italien möglich. Aber der außerordentli
Schwung, den das ange Kunſtſchaffen erfahren hat, drängte auch die Gefahr
in den Hintergrund, daß die leere Geſchicklichkeit, das Bilden von außen per, fiegte,
und er hat bewirkt, daß in Italien eine Reihe von Plaſtikern am
Werke iſt, die wahrhaft die Form, die ein Gottesgeſchenk
dieſes Volkes ift, „von innen nach außen“ ſchaffe n. Da ift als
eine der 5 Perſönlichkeiten Arturo Martini zu nennen, der etwas
vom Geiſt des großen antiken 9 in ſeinen Plaſtiken wieder aufleben läßt,
wie etwa in der Denkmalsbronze für den Flieger Miniti, der im äthiopiſchen
Krieg gefallen ijt. Romano Romanelli hat vorzügliche Bildnisköpfe von
bekannten Perſönlichkeiten des heutigen Italiens woot en. Marino Marini,
ee? Meſſina, von den älteren Antonio Maraini und ber verftorbene
ibero Andreotti find einige der markanteſten Namen, denen man in den
großen Ausſtellungen immer wieder begegnet.
Eine neue künſtleriſche Jugend iſt in Italien herangewach⸗
Jen. Die großen Impulſe, die das faſchiſtiſche Imperium dem Schaffen aller gibt,
hat ſie mit der Selbſtverſtändlichkeit eines Geſchlechtes aufgenommen, das in
entſcheidende Augenblicke der Geſchichte hineingeboren iſt. Wohin der Weg dieſer
Jugend führt, wird die weitere Entwicklung der italieniſchen Malerei zeigen. Die
Beſinnung aber auf die große Vergangenheit iſt lebendig wie noch nie.
Fabio Tombari: |
Chronik XVII aus Frusaglia
Vor den Toren meiner Stadt Frujaglia fever drei kleine Häuſer und der Backofen der
Vilelma. In dem einen wohnt die rgen ina, fie mag adtgig Sabre alt fein, eitel, ganz
mit Bändern und litter behängt. „Mein Sohn ſchickt mir jede Woche Dollars.“
„In dem anderen wohnt die 5 geſchlagene Beat Jahre iſt fie alt, fie geſteht
vierzig ein, obwohl fie wie neununddreißig ausſieht. Häßlich unb un reundlid, daß nicht
einmal der Efeu an ihr aufranken möchte.
Ganz hinten nach dem Heuſchober wohnt die Ghita, eine Heilige, ſehr ſauber, jung
verheiratet mit Clemente, Mutter eines kleinen Jungen.
Heute an einem Montagmorgen finden ſich alle drei zur gleichen Zeit am Backofen ein.
Wer darf nun aert in den Ofen ſchieben? Die Sargentina hat ein Hähnchen, die
Romagnola einen Kuchen, die Ghita ſechs Reihen Brot.
„Ich komme zuerſt“, ſagte die Sargentina, „denn ich habe die beſte Speiſe.“
„Dann komme ich daran!“
a tomme daran“, unb fie gehen aufeinander los.
„Ruhe!“ jagt bie Gargentina, „hören wir bie Meinung des Herrn Kuraten.“
Der Reverendo kam hinter der blühenden Hecke daher, in fein Brevier verſunken. Er
ſah wie eine dicke Witwe aus. Von Zeit zu Zeit ſah er nach den Erbſen, Tomaten und
Puffbohnen und nach dem byzantiniſchen Blau des Meeres.
„Monfignore“, ſagte die Sargentina, „was würden Sie lieber effen, einen häßlichen
Brocken verſchimmeltes Brot oder einen ſchönen, jungen Hahn mit gebratenen
n : |
Der Reverendo blieb ſtehen, dachte nach, bann ſagte er: „Ich für meinen Teil, ba heute
kein gebotener Vigilfaſttag zu Ehren der heiligen Väter iſt, würde lieber den Flügel eines
jungen Huhns verſuchen. Schickt ihn mir nur!“
Fabio Tombari / Chronik XVII aus Frusagiia 11
„Habt gehört?“ jagt bie Gargentina, „habt ihr gehört? Ich komme daran.“ Und
fie ſchiebt ihren Braten in den Ofen.
Jetzt kommt bie Romagnola an die Reihe. Ein kleiner Junge geht vorbei, der Sohn
der Tabakhändlerin, ſchmutzig, ungezogen, eine Landplage, er heißt Pepe.
Kuch Bepe, Pepe, was ift dir lieber, ein Stück Schwarzbrot ober ein ſchöner knuſperiger
en
Pepe verdreht die Augen, ſeufzt, runzelt das Geſicht, lacht und ſtreckt die Hand aus:
„Gebt mir den Kuchen!“
„Seht ihr“, vagt ar Romagnola, „auch die Kinder geben mir recht.“ Und ſie ſchiebt
ihren Kuchen in Ofen.
Unſere arme Ghita [st pin daneben mit ihrem zugedeckten Teig, als ob fie einen Toten
auf den Knien hielte. Sie ſieht aus wie bie Pietà von Michelangelo. Wenn die Sargentina
und die Romagnola fort find und der Ofen beinahe erkaltet, wird fie ein paar Prügel
zuſammenſuchen, durchräumen, neu anzünden und ihr Brot hineinſchieben. Geduld!
Aber is erfüllt bas Geſchrei ber Romagnola bas Haus. Was ift los? Die Kinder
balgen fid um die größten Stücke des Kuchens, fie werfen mit Fäuſten und Fußtritten
alles in die Luft. Der Mann, der ein bißchen nervös iſt, kommt mit der Frau in Streit,
zerbricht die Teller, ſchlägt die Stühle entzwei, zertrümmert den Spiegel, gibt der Katze
einen Tritt... Heilige Madonna, was ijt los, iit die Revolution ausgebrochen?
Im nächſten Haus freut ſich die Sargentina, ſie hat für einen Augenblick den Tiegel auf
den Mehlkaſten geſtellt, und ganz leiſe ſchleicht ſie hinter die Vorhänge, um die häusliche
Szene zu genießen.
Der nackte Hahn ſchämte ſich indeſſen zwiſchen den Kartoffeln. Aber was ihm noch mehr
Kummer machte, war der Ee Kater, den bie Alte Vincenzo nannte, zur Erinnerung
an ihren dritten Mann, Gott hab' ihn jelig; Vincenzo, der als Wachtpoſten auf dem
Fenſterbrett fab. Zwiſchen dieſem ſalz⸗ unb pfefferfar igen Schnäuzchen und dem Geſchrei
der Romagnola GR der We liche Hahn vor Angſt. Und der Kater? Er ging
mies ben Flaſchen auf und ab mit ber zeritreuten ene ber gebildeten Leute. Er
chien über bie Metamorphoſen bes Ovidius Naſo nachzudenken, fo ernft war er. Dann,
mit einem Satz, als echter Philoſoph, verwandelte er fi in einen Artiſten, ſtreichelte
zwei⸗ bis dreimal den Rauch mit der Pfote, und beim vierten Male packte er unter einer
Kataftrophe von Tiegeln, Flaſchen und gebratenen Kartoffeln den Hahn und entfloh wie
ein Verdammter.
m ber Räuber!“
r Kochlöffel landete auf feinem Rücken, bas Nudelholz lief ihm durch das Haus bis
auf die Straße nach.
Und die Sargentina? Sie konnte ſich nicht mehr beruhigen. Sie wollte Vincenzo um⸗
bringen um jeden Preis, Rahe, Rache! Vincenzo muß ſterben.
Am Abend fah fie ihn wieder. Auf der Gartenmauer im Mondſchein Fee M uiid
pathetiſch fann Vincenzo über den ſechſten Band der Ethica Nicomachea bes Ariftoteles nach.
Die Ghita hatte indeſſen zu Mittag das Brot bereits fertig. Ein a war das, ein
ter warmer, heiliger Geruch. Zwiſchen den Lilien war es wie ein Duft von erter
ommunion. Baſtia, der ihn mitten im Lupinenacker roch, lächelte und jegnete in feinem
Herzen die Güte ber Erde. Auch Drea roch ibn, fogar von der Bahn aus, denn der Wind
kam von Norden.
Was für ein grunner Geruch! Es gibt nichts Schöneres als ben Duft des Brotes. Wenn
ich Arzt wäre, würde ich meine Kranken dorthin bringen, alle vor den Backofen, um die
Luft des Brotes zu atmen. Kräftig, fröhlich, fruchtbar iſt er, er riecht nach Italien, der
Duft des Brotes.
Der a ber Ghita, Menchino, als er erfuhr, daß er aus feinem Haufe fam, fpran
auf der Wieſe dreimal in die Höhe wie ein Böcklein. Er lief nach Haufe, rückte bie Ban
an den Tiſch, zog ein wenig gebackenen Speck mit Kräutern herunter und griff nach
einem Brotlaib.
„Zuerſt“, gie die Mutter, „warten wir auf den Vater.“
Der Vater kam bald darauf.
„Iſt es gut geraten?“
12 | Erné / Italiens zeitgenössisches Schrifttum
Er ſchaute es an, bräunlich und fnu[perig war es und gut aufgegangen.
„Gott fet Dank, recht jo, Ghita!“
Es klopft. „Wer iit es?“
„Ich bin ein armer Teufel, ich komme von Forli, ich gehe nach Loreto. Gebt ihr mir
einen Biſſen Brot um Gottes willen? Ich habe an den zwei anderen Häuſern geklopft,
wenn ich nicht fliehe, treiben ſie mich fort. Und ihr, gute Leute, gebt ihr mir ein
Stückchen Brot?“
Gbita ſchaut ihren Mann an.
„Gib es ihm!“
„Nehmt, guter Mann, etwas anderes iſt nicht da.“
„Gott ſegne euch dafür!“ und er ſegnete die Schwelle.
: <a empfing Ghita die Freude ihres Kindes, das Lob ihres Mannes und den Gegen
es Armen.
Von dieſem Brote verkam nichts. Nur ein Krümlein fiel dem Pilger zu Boden, zwanzi
Schritte vom Dale entfernt. Eine Lerche erblickte es auf der Erde, flog hin, pidte es au
und trug es zum Himmel hinauf.
Die Sonne ſtand hoch. Sie ſchaute herunter.
Entnommen: Die Leute von Fruſaglia, Verlag J. Bruckmann, Minder.
Antonio L. Erné:
Italiens zeitgenössisches Schrifttum
Will man aufzeigen, was das neue italieniſche Schrifttum bedeutet, ſo wird es
am beſten gelingen, wenn man es mit dem der Vorkriegszeit vergleicht. Man
ſieht dann ſofort, daß eine weſentliche Wandlung ſtattgefunden hat. Bemerkens⸗
wert und auffallend iſt es, daß die neue Generation der italieniſchen Literatur
keine markanten Anhaltspunkte, keine Sterne oder Spitzenleiſtungen, keine großen
Namen von internationalem Klang aufzuweiſen hat. Ihr Kennzeichen iſt vielmehr
eine Art kollektiviſtiſches Hervortreten, ein Auf⸗den⸗Plan⸗Treten „en bloc“, ein
langſamer aber um ſo ſicherer Aufſtieg des Schrifttums als ſolchen.
Aufſtand gegen die Konvention
Vor dem Kriege waren es die Namen der großen National⸗Dichter Carducci,
Pascoli, D'Annunzio, um die geſtritten wurde. Das Schrifttum war beſtändig in
zwei Lager geſpalten, die pro oder contra dieſe Namen auftraten. Aber ſchon
ziemlich bald nach der Jahrhundertwende machen neue Tendenzen von ſich reden,
das Gepräge eines rebelliſchen Sturms und Drangs tragend. Das Hauptmotiv, das
dieſe Bewegung beſeelt, iſt die betonte und zum Teil bewußt übertriebene Auf⸗
lehnung gegen jegliche konventionelle oder akademiſche Form und die Suche na
neuen Horizonten. Hauptträger dieſer Tendenzen ſind die jungen Leute, die fi
um die in Florenz 1908 ins Leben gerufene Zeitſchrift „La Voce“ gruppierten und
Giovanni Papini Dm Führer Hatten, unb bie Futuriſten um Filippo Tommaſo
Marinetti, der dann unmittelbar nach dem Kriege mit ſeinem politiſchen
. und Dynamismus die Vorhut der damals entſtehenden
ampfverbände der ,fasci di combattimento" Muſſolinis
pem wird. So haben wir [don vor dem Kriege ben energiſchen unb wirkſamen
erſuch, eine Art Tabula rasa mit dem Althergebrachten zu machen, der es in
jugendlichem Überſchwang unternimmt, die alten Einrichtungen und Über⸗
lieferungen fortzufegen. Die junge Schriftſtellergeneration, die aus den Schützen⸗
Monat heimkehrte, konnte dann im großen und ganzen von neuem anfangen.
er geiſtige Zuſtand, den ſie vorfand, als ſie den Waffenrock mit der Zivil⸗
kleidung vertauſchte, war aber alles andere als ermunternd, denn ſie mußte, wenn
ſie tiefer ſchaute, bitter wahrnehmen, daß der Krieg zwar gewonnen, aber der
Erné / italiens zeitgenössisches Schrifttum 13
Frieden verloren mar. Sie fand eine 1 kommuniſtiſche Gärung der Maſſen
vor, und demgegenüber den tollen SE der Neureichen und
Müßiggänger, in deren ungeſunder Treibhausatmoſphäre eine minderwertige,
bemagogifihe unb pornographiſche Literatur flüchtige Triumphe feierte. Was es
auf literariſchem Gebiet gab, ſah eben doch ſtark nach Unordnung, Zügelloſigkeit
und Undiſzipliniertheit aus.
Kämpfe um die künſtleriſche Form
Und da unternimmt es in den Jahren zwiſchen 1919 und 1923 die Zeitſchrift
„La Ronda“, in der Riccardo . Antonio Baldini, Vincenzo Cardarelli,
Emilio Cecchi und andere ihre Arbeiten . eine Rückkehr zur
Ordnung, zum literariſchen Gewiſſen, zur Klarheit, zur
klaſſiſchen, nationalen Tradition der Form zu verfechten, ſchon
wieder im Gegenſatz zum literariſchen Sturm und Drang der unmittelbaren
Vorkriegszeit, der ſeine Berechtigung in der polemiſchen Funktion als Verneiner
und Zerſtörer der Überalterung gehabt hatte. Gewiß, Ereigniſſe aus dem Jahre
1923 und früher gehören bereits der Geſchichte an, und die Geſchichte hat in
dieſen letzten Jahren 1 Schritte weiter getan, dennoch iſt die Feſtſtellung
wichtig, CH erade aus den Reihen der Mitarbeiter der „Ronda“ Werke Hervor:
gegangen find, die durch den Wandel der Zeit zu beitehen verſprechen. Zumal
Riccardo Bacchelli, der eine breite, mitunter ſogar 5 weitatmige
Profa ſchreibt, verdient hervorgehoben i werden als Fortſetzer ber italieniſchen
Kulturtradition ſeit Manzoni; namentlich im hiſtoriſchen Roman hat Bacchelli
ſein Beſtes geſchaffen, etwa in dem 1927 erſchienenen „Il Diavolo al Pontelungo“,
der die ſeltſame anarchiſtiſche Gemeinſchaft Bakunins am Luganerſee und den
Verſuch dieſer Gruppe in Bologna zum Gegenſtand hat, und mit dem kürzlich
erſchienenen Roman „Il Mulino del Po“, der vom Italien der napoleoniſchen Zeit
bis in die Zeit vor dem Kriege handelt. Bacchelli hat nach der Ronda an den
eitſchriften „l'Italiano“ und „Il Selvaggio“ mitgearbeitet, die bie Verbunden⸗
eit mit den ländlichen Traditionen Italiens auf ihr Banner ſchrieben und ihre
olemik in einer für das Italien der Neuzeit typiſchen ironiſchen und extra⸗
vaganten Weile führten. Diele Bewegung zug unſten der ländlichen
Traditionen „ ſich mit „Strapaeſe“ und war gegen die Ver⸗
treier von „Stracitta“ gerichtet, deren Organ die von Maſſimo Bontem⸗
pelli gegründete Zeitſchrift „1900“ war. Bontempelli, eine der ſonderbarſten
und intereſſanteſten Geſtalten des modernen literariſchen Italiens, bevorzugt
phantaſtiſche Motive, die er in einer Proſa voller Magie entwickelt, fußt aber doch
auch auf einer echt italieniſchen Tradition, die bis auf Arioſt zurückgeführt
werden kann, ſelbſt wenn er ſich noch ſo ultramodern gebärdet und eine Art
literariſchen Kubismus zur Schau trägt. Es iſt aber doch etwas ſchwierig, be⸗
ſtimmte Schriftſteller als ausgeſprochene Verfechter von Stracittà anzuſprechen,
da ſie dazu mehr der Stoffwahl als der geiſtigen Einſtellung nach gehören.
Aus ihnen find bis zu einem gewiſſen Grade Antonio Aniante und
Corrado Alvaro hervorgegangen. Letzterer aber, typiſcher Wortführer Kala⸗
briens, ſteht mit der kraftvollen Proſa ſeiner landſchaftlich gebundenen Novellen
und ſeines wunderſchönen Kriegsbuches „Vent'anni“ doch dem Programm von
Strapaeſe näher. So auch Achille Campanile, der mit grotesk humoriſtiſchen
Romanen begann, in denen er den Kalauer ſozuſagen zur Kunſtform erhoben hat,
und dann in den kurzen Skizzen ſeines beiten Buches, „Cantilena all'angolo della
strada", in dem er an den vielen alltäglichen Erſcheinungen des Stadtlebens die
Fragwürdigkeit der modernen Ziviliſation aufzeigt, ſtarke dichteriſche Viſionen
und Gedanken voller Poeſie entwickelte. Eher ſind zu „Stracitta“ Orio Vergani
mit ſeinem ſtark realiſtiſchen „Levar del Sole“ (Sonnenaufgang) und G. B. An⸗
14 Erné / Italiens zeitgenössisches Schrifttum
gioletti mit „Il giorno del giudizio“ (Der Tag des Gerichts) zu zählen.
Während Curzio Malaparte, Sohn einer toskaniſchen Mutter und eines
deutſchen Vaters, mit ſeiner wuchtigen, polemiſchen Proſa und vor allem Giovanni
Comiſſo mit der wunderbar einprägſamen Proſa ſeiner Meerſtücke als aus⸗
geſprochene Strapaeſiſten anzusprechen find.
Das neue Gleichgewicht
Doch neben den Auseinanderſetzungen und der freundſchaftlich derben Fehde
zwiſchen Stracitta und Strapaeſe gab es auch die zwiſchen Calligrafiſti und
Contenutiſti, zwiſchen denen, bie die Form, und denen, die den Inhalt in
den Vordergrund ſtellten. Während die Calligrafiſti mit ihrem Schwelgen in der
Schönheit des Ausdrucks fih direkt von D'Annunzio herleiten, find die Contenutiſti
am meiſten von dem Geiſt des neuen Italiens ergriffen. Sie find bemüht, den
„Sano equilibrio“, die geſunde Ausgeglichenheit als ſpezifiſches
Kennzeichen echt völkiſch italieniſcher Eigenart zu erreichen,
ewiſſermaßen den neuen italieniſchen Menſchen zu geſtalten. Mehr als den ſchön⸗
ten, gelingt es ihnen in manchmal überraſchender Weiſe, den zutreffendſten
Ausdruck für die Empfindungen, die ſie bewegen, für die Probleme, die ſie
unerſchrocken anpacken, zu finden. Im Drang peinlicher Gewiſſenhaftigkeit machen
ſie ſelbſt vor dem Grauſigen und dem Sinnlichen nicht halt, zumal wenn dieſe
Elemente die ſozialen Probleme kreuzen. Und in ihnen bricht ſich ſo etwas wie
eine Syntheſe zwiſchen Stracitta und Strapaeſe Bahn, inſofern als ſie den
Gegenſatz von Stadt und Land zum Einklang zu bringen verſuchen, das Starke,
Unverdorbene des Landes dem Sittenloſen, Dekadenten der Städte gegenüber⸗
tellen. Als ſtärkſter erſchütterndſter Darſteller der Welt der Verſtoßenen und der
ragwürdigen ſozialen Exiſtenzen, dabei als ein großer Meiſter der Novelle als
Kunſtform gilt Arturio Loria.
Während die früheren Nichtungen, bis auf wenige Ausnahmen, eine Art
„Fragmentarismus“ bevorzugten und ſo eine Läuterung der Form und des Stils
zu erreichen ſuchten und ihr künſtleriſches Gewiſſen ſchärften b ). Schule, durch
die in irgendeiner Art ln Schriftſteller einmal hindurchgeht), ſcheint es, als
habe das italieniſche Schrifttum mit den Contenutiſti eine neue, ausgereiftere
Stufe erreicht, die in die Zukunft weiſt und das weitere Feld des Ro⸗
mans als künſtleriſche Ausdrucksform ſich zum Vorwurf nimmt. Die pond
umgrenzte, dramatiſch knapp zufpigende Form der Novelle, bie für das italieniſche
Schrifttum typiſch war, ſcheint von dem längeren Atem des Romans, der menſch⸗
liche Entwicklungen auffaltet, durchbrochen zu werden. Zu dieſen Neuerern müßte
man heute in erſter Linie den leider zu früh verſtorbenen Umberto Fracchia
zählen, der mit ſeinen Romanen „Angela“ und vor allem „La Stella del Nord“
gewiſſermaßen den Ton zu dieſer neuen Richtung angeſchlagen hat. Dazu gehört
auch Alberto Moravia, der mit ſeinen „Indifferenti“ die Unmoral gewiſſer
Kreiſe der modernen n Geſellſchaft ſachlich darſtellt und brandmarkt,
und in jüngſter Zeit geſellte Dé Bino Sanminiatelli beſonders mit feinem
Roman „Fiamme a Monteluce“ dazu. Dieſer Roman, der den un und Kampf
zweier Epochen entwickelt, bie Vernichtung der alten, nun überholten Mächte am
Beiſpiel zweier dem Untergang geweihter Familien ſchildert, und die Auf⸗
erſtehung aus den Ruinen dieſes Unterganges, einer neuen
a milie und einer neuen Macht: der Erde, preiſt, hat großes
uflehen in Italien hervorgerufen und deutet vielverſprechend in eine pofitive
Entwicklung und Entfaltung. Es iſt bemerkenswert, daß ſich hier (mit dem Roman
„Sorelle Materassi“) auch Aldo Palazzeschi zugeſellt, der vor dem Krieg als
1 Futuriſt war und heute eine wirklichkeitsnahe, farbenreiche, ſchöne Proſa
reibt.
|
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- BufeupotitifcRotiocm
Außenpolitische Notizen 18
Abſchließend kann alfo füglich gejagt werden, daß bas junge zeitgenöſſiſche
italieniſche Schrifttum dabei ijt, wenn nicht mit raſchen und ſenſationellen, P bod)
mit um fo fidereren Schritten, feinen Platz neben den anderen europäiſchen Litera:
turen zu erobern und die allgemeine Beachtung und Schätzung zu beanſpruchen.
Rom, den 10. November 1786.
Ich lebe nun hier mit einer Klarheit und Ruhe, von der ich lange kein Gefühl hatte.
Meine Ubung, alle Dinge, wie sie sind, zu sehen und abzulesen, meine Treue, das Auge
Licht sein zu lassen, meine völlige Entäußerung von allem Vorurteil kommen mir einmal
wieder recht zustatten und machen mich im stillen höchst glücklich. Alle Tage ein neuer.
merk würdiger Gegenstand, täglich frische, große, seltsame Bilder und ein Ganzes, das
man sich lange denkt und träumt, doch nie mit der Einbildungskraft erreicht.
Neapel, zum 17. März 1787.
Wenn ich Worte schreiben will, so stehen mir immer Bilder vor Augen des fruchtbaren
Landes, des freien Meeres, der duftigen Inseln, des rauchenden Berges, und mir fehlen
die Organe, das alles darzustellen.
Ich habe viel gesehen und noch mehr gedacht; die Welt eröffnet sich mehr und mehr;
auch alles, was ich schon lange weiß, wird mir erst eigen. Welch ein früh wissendes und
spät übendes Geschöpf ist doch der Mensch!
J. W. von Goethe, Italienische Reise.
Neapel, Sonnabend, den 2. Juni 1787.
Wir standen an einem Fenster des oberen Geschosses, der Vesuv gerade vor uns; die
herabflieBende Lava, deren Flamme bei längst niedergegangener Sonne schon deutlich
glühte und ihren begleitenden Rauch schon zu vergolden anfing; der Berg gewaltsam
tobend, über ihm eine ungeheure feststehende Dampfwolke, ihre verschiedenen Massen
bei jedem Auswurf blitzartig gesondert und körperhaft erleuchtet; von da herab bis gegen
das Meer ein Streif von Gluten und glühenden Dünsten; übrigens Meer und Erde, Fels
und Wachstum deutlich in der Abenddämmerung, klar friedlich, in einer zauberhaften
Ruhe. Dies alles mit einem Blick zu übersehen und den hinter dem Bergrücken hervor-
tretenden Vollmond als die Erfüllung des wunderbarsten Bildes zu schauen, mußte wohl
Erstaunen erregen.
J. W. von Goethe an Herder.
sabens i und gründet in Ravenna bie Kampfbünde.
Der neue italienische Jugendführer 1923 Grants auf Nom. 1921 bis 1020 Bize,
Ettore Muti gauleiter von Ravenna. Später Komman⸗
S. E. Ettore Muti wurde am 22. Mai 1902 deur der 18. und 11. Miliz⸗Legion. An⸗
in Ravenna geboren. Im Alter von 14 Jah⸗ ſchließend Vizekommandeur der faſchiſtiſchen
ren meldete er fid) mit gefälſchten Urkunden Hafenmiliz. Als Fliegerfreiwilliger im
als Freiwilliger. Im re 1917 und 1918, EE mit einer Elite von Män- .
alſo als Fünfzehn⸗ und Sechzehnjähriger, nern: Ciano, ber nee Pavolini,
nimmt er aktiv an ber italieniſchen Front der Propagandaminijter, Muti, der Gene:
teil. Mit b'SInnungios Legionären mar- ralſekretär der Partei, und Bruno und
ſchiert er 1919 in Fiume ein. Kurz darauf Vittorio Muſſolini, die Söhne des Duce, alle
wird er Mitglied der faſchiſtiſchen Partei gehörten zu der von Ciano geführten Staffel
16 Außenpolitische Notizen
„La Diſperata“. Ab 28. Juli 1936 in Spanien
mit den erſten italieniſchen Fliegern. Erſt
mit Kriegsende kehrt er zurück. Beim Ein⸗
na in Albanien wieder an erfter Stelle.
Beförderung zum Generalkonſul der Miliz.
Am 15. Auguſt 1939 Ernennung zum Inſpek⸗
teur der „Fasci all'Estero" (Auslands⸗
organiſation der faſchiſtiſchen Partei) und
um Nationalrat. Mitglied der Kammer
s Faſchios und der Korporationen. Kriegs⸗
auszeichnungen: eine goldene Tapferkeits⸗
medaille (entſpricht unſerem „Pour le
mérite"), ſechs ſilberne und eine bronzene,
Hausorden von Savoya und andere italie⸗
niſche Auszeichnungen. P AAA die höchſten
ſpaniſchen Kriegsauszeichnungen, darunter
das Kriegsgroßkreuz. Dreimal an der
Hodel nee Mut und reftlofer pers
önlicher Einſatz find feine hervorſtechendſten
Eigenſchaften. Als Inſpekteur der „Fasci
all Estero“ hatte Muti Gelegenheit, Deutſch⸗
land aus eigener Anſchauung nen
lernen. Er weilte unter anderem in Berlin
und Ug rp En, wo er bie 6000 italieni-
hen Arbeiter, die am Bau der neuen
Vg beſchäftigt find, be⸗
uchte.
iſt in kurzen Worten der Werdegang
des neuen Sekretärs der faſchiſtiſchen Partei
und Oberbefehlshabers der italieniſchen Su:
gend, dem die Hitler⸗Jugend die kamerad⸗
ſchaftlichſten Grüße und Wünſche für ſeine
verantwortungs volle Aufgabe entbietet.
Politik um den Balkan
Der von England angezettelte Krieg
gegen das Reich hat auch den Balkan er⸗
neut und ſogar ſtärker als bisher in das
Blickfeld der politiſchen Intereſſen, Wünſche
und Spannungen gezogen. Und obwohl
keiner der Anrainer des öſtlichen Mittel⸗
meers einen größeren Wunſch hat als den,
dieſer Auseinanderſetzung dreier Groß⸗
mächte fernzubleiben: London hat ſeit je
an einer möglichſt weitreichenden Zerſtück⸗
lung des Kontinents und beſonders des
Südoſtens gelegen, um die eigene Macht
auf den Streitigkeiten anderer Völker um
ſo ſicherer zu befeſtigen und zu erweitern.
Dagegen ſetzen ſich heute nicht nur diejeni⸗
gen zur Wehr, die abermals unmittelbar
find bjekt britiſcher Intereſſen auserſehen
ind.
Das Mittelmeer bedingt Italiens Politik
Das gilt vor allem für Italien. Seine
Politik tft in erſter Linie Mittelmeerpolitik
und muß es aus allen natürlichen Gegeben⸗
heiten heraus ſein. Darum wird Nom ebenſo⸗
wenig jemals überſehen können, daß mit
Gibraltar und Suez das von engliſchen
Stützpunkten überſäte Mittelmeer jederzeit
wie eine Flaſche verkorkt werden kann, wie
die Tatſache aus dem Auge verlieren, daß
Englands Politik hier nicht nur die eigenen
Machtpoſitionen ausbauen, ſondern Italien
bedrohen und ihm die zu Recht angeſtrebte
Gleichheit der Stellung und des Rechtes
vorenthalten will. Und man hat im Italien
Muſſolinis auch keineswegs vergeffen, bag
der Weſtenim Mittelmeer grund:
ſätzlich die anti⸗italieniſche
Linie eingehalten hat, bei der
Gründung der Balkanentente, im Genfer
Sanktionskrieg, anläßlich der ſpaniſchen
Auseinanderſetzungen und mit bem Türken⸗
pakt. Rom hat nicht verkannt, daß dieſer
Vertrag ſich ebenſo eindeutig gegen Italien
richtet, wie es das engliſch⸗polniſche Bünd⸗
nis gegen Berlin tat, um die erſtrebte Aus⸗
führen der de - herbeizu⸗
führen und die in Weſten, Norden und
Oſten unangreifbare deutſche Front viel⸗
leicht vom Südoſten her zu umgehen. Es
liegt nahe, die Auswirkungen ſolcher Be⸗
ſtrebungen auf Italien zu erraten. Aber
Rom hat darauf nicht erſt ſeit heute oder
geſtern reagiert.
Weſtliche Ballanpläne und ihr Ende
Frankreich, ſeit dem Weltkriegsende er⸗
neut zur führenden Landmacht e
ſchuf, ſeiner securité zuliebe, die „Maginot⸗
linie des Oſtens“, die Kleine Entente
wiſchen Prag, Belgrad und Bukareſt. Sie
Lat eine Intereſſengemeinſchaft zur Auf:
rechterhaltung des neuen Beſitzſtandes fein,
den die Tſchecho⸗Slowakei, Jugoſlawien und
Rumänien aus dem Zerfall der Mittel⸗
mächte gewonnen hatten. Beneſch war es,
der fid lange um die Ausdehnung des Pal-
tes bemühte; aber Polen fand von Anfang
an wenig Gegenliebe, und Griechenland, als
der andere ins Auge gefaßte Partner. zeigte
größeres Intereſſe an den eigenen Proble⸗
men und denen des Nahen Oſtens, als etwa
an einer Garantierung des Status quo an
der Donau und an Tardieus Föderations⸗
plänen.
Als mit der Tſchecho⸗Slowakei 1938/39 auch
die Kleine Entente für immer unterging,
erlitt der Balkanpakt, dem die übrigblei⸗
benden Ententemitglieder Rumänien und
Jugoſlawien ebenfalls angehörten, den piel:
leicht letzten, entſcheidenden Stoß. Dieſer
Balkanpakt war von Anfang an dazu ver⸗
urteilt, niemals ein echter Balkanbund aller
= * A W
———— ꝑ —
Außenpolitisehe Notizen
Länder dieſer Halbinſel werden zu können,
weil Bulgarien ſich ihm beharrlich verſagte.
Denn in Sofia Lp e man feit 1919 am
Gedanken einer Revifion von Neuilly feft-
ehalten und erkannt, daß ein freiwilliger
itritt zur Balkanentente alle Reviſions⸗
nungen für immer zerſtören mußte:
tten doch die Unterzeichner des Paktes
einander feierlich alle ihre Grenzen garan⸗
tiert und durch — bis heute unveröffentlicht
. — Geheimprotokolle ſich Waffen⸗
ilfe gegen unfriedliche Revifion verſprochen.
Hier nun ſchlug Belgrad die wichtigſte
Breſche. In Sugoflawien hatte die Einſicht
great, da Abmachungen zur
uftechtekhal tun eines uns
„ gupen es in Zeiten
öter poli d cher Dynamik
ſinnlos ſind, beſonders, wenn man
gegenſätzliche Intereſſen miteinander zu
vereinigen ſucht; man hatte erkannt, daß
mit den bisherigen Mitteln eine echte Be⸗
friedung auf dem Balkan nicht zu ſchaffen
war, noch weniger eine wirkliche Freund⸗
ſchaft wiſchen ſtarren Fronten, an deren
Gortbeſtand einzig raumfremde Großmächte
ein Intereſſe hatten.
Hinter Belgrad aber ſtand Muſoolini.
Italien hatte ſeit langem gute Beziehungen
zu Bulgarien Ane dem Schnitt⸗
punkt balkaniſcher und außerbalkaniſcher
Intereſſen; dies aber bildete durch ſein
Slawentum immer eine Brücke nach Nord⸗
oſten hin; ſein Zar Boris hatte eine Toch⸗
ter des italieniſchen Herrſcherhauſes zur
Königin erhoben, und die traditionell engen
Verbindungen zu Deutſchland hatten es
ſtets ſtark no Mitteleuropa Hin ausge:
richtet. Sofia, jeit je ein Gegner weſteuro⸗
päiſcher Konſtruktionspolitik, erkannte Gunſt
und Gebot der Stunde, als Belgrad 1937
ben Abſchluß eines bedingungslojen Freund⸗
ſchaftsvertrages vorſchlug. Wenn man früher
geglaubt hatte, der mazedoniſche Zankapfel
würde eine Annäherung der beiden „Erb⸗
feinde“ niemals zulaſſen, ſo zeigte ſi i
bald, daß Italiens Politik au
dem Bal an auch vor der Löſung
unlösbar erſcheinender Wu f=
gaben nicht zurückſchreckte. Die
neue Freundſchaft trug den Bulgaren die
jugoflawifhe Unterſtützung beim Salo:
nifiabtommen 1938 ein, das Sofia
die Wehrhoheit zurückgab; ſeither beſchränkt
ulgarien feine Revifionsforderungen auf
ie an Rumänien gefallene Dobrudſcha unb
auf die thraziſchen Grenzſtreifen Griechen⸗
lands, ohne daß von Mazedonien noch die
ede wäre. Italiens zweiter Schritt war
17
ein Freundſchaftsabkommen mit
Jugoſlawien, womit der lange Hader
um das Adriatiſche Meer, die Fiumefrage
und manches andere für immer begraben
wurde. So konnte es nicht verwundern, daß
auch die Eingliederung Albaniens in das
wiedererſtandene römiſche Imperium ge⸗
rade in Belgrad ſehr ruhig aufgenommen
wurde; man vertraute, und mit Recht, auf
die Zuſicherungen, die Muſſolini gegeben
hatte und jetzt wiederholte.
Das Erſtaunen Weſteuropas war groß.
Man hatte Belgrad, ebenſo wie Bukareſt,
durch die Doppelmitgliedſchaft in Kleiner
Entente und Balkanentente ſicher gebunden
geglaubt. Nun erwies ſich das naturgemäß
gegebene und entſprechend genußte aud
wirtſchaftliche Anlehnungsbedürfnis an ben
mitteleuropäiſchen Großwirtſchaftsraum als
weit ſtärker denn jede Paktkonſtruktion.
Somit verwies Rumänien zutreffend auf
die Haltloſigkeit der Vorwürfe über dene
„Treuloſigkeit gegenüber Bundes genoſſen“,
als es beim Abſchluß des deni
niſchen Wirtſchaftsvertrages betonte, ihm
erſchienen die Methoden der Achſenmächte
beffer und richtiger als die des Weſtens;
Warenaustauſch, Ausbau der eigenen Pro⸗
duktion und Verrechnungsverkehr ſeien
engliſch⸗franzöſiſchen Krediten vorzuziehen,
deren Zinſen durch einſeitig feſtgelegte
Ausfuhren herausgewirtſchaftet werden
müßten.
Englifche Gegenpolitit
Jetzt glaubte London, nicht länger um:
tätig bleiben zu dürfen; neben einſeitigen
und unerbetenen Garantien für Rumänien
und Griechenland ſollte vor allem der
Türkenpakt die Waffe abgeben, mit der der
Balkan verteidigt werden mußte. Dieſe
Hoffnung iſt bereits jetzt fehlgeſchlagen.
England und Frankreich verſprachen, auf
un t 15 Sabre, Hilfe gegen Angriffe
rember Mächte unb bei Verwicklungen in
einen Mittelmeerkonflikt, während ntara
bei Kriegen Englands und Frankreichs im
öſtlichen Mittelmeer eingreifen muß und
bei Konflikten, die ſich aus den Garantien
ür Athen und Bukareſt ergeben könnten.
ls vorläufige Belohnung trug die Türkei
engl lie Anleihen und den Sandſchak Alex⸗
andrette davon, ein franzöſiſches Mandats⸗
gebiet (!). Die Engländer aber hatten viel
weiter gehende Erwartungen. Nicht nur, daß
Ankara für London abermals die Wacht an
den Dardanellen gegen Rußland halten
ſollte, nein, man erwartete, durch die tür⸗
tijden Verhandlungen in Moskau Sowjet-
18
rußland doch noch in bie weſtlichen Spekula⸗
tionen einbeziehen zu können. Dieſe Er⸗
wartung ſchlug fehl; man erreichte nur,
daß die traditionelle greundfoaft nfara—
Moskau einer kühlen Wachſamkeit Rußlands
wich, und daran hat ſich auch durch das
en nidts geändert, burd) bas
ondon den Türkenpakt von vornherein
weſentlich entwertete: Ankara darf einer
Aktion fernbleiben, die einen Krieg mit
der Sowjetunion heraufbeſchwören würde.
Und weiter hatte man in Weſteuropa
gehofft, auch Rom abermals dem Weiten
nähern zu können, indem man Muſſolini
anbot, zuſammen mit der Türkei die
Führerſcha auf dem Balkan zu über:
nehmen. Italien zeigte ſehr bald die kalte
Schulter. Man habe nicht die Abſicht, weſt⸗
liche Einflüſſe auf dem Balkan mit ſolchen
Mitteln zu ſtärken, ebenſowenig dadurch,.
daß man einem Vorſchlag nähertrete, zu⸗
ſammen mit England un rankreich im
Südoſten Europas ohne Zwiſchenſchaltung
anderer Mächte gemeinſame Ziele zu er⸗
ſtreben. Als daraufhin Stimmen gegen
Italien laut wurden, ein einſeitiges „Pa-
tronat“ auf dem Balkan wolle man nicht
dulden, 2 Rom bie Bilanz, der Weiten
de Ze n feiner demokratiſch getarnten
iBadtung Eee: Intereſſen rajh und
ſchonungslos ſelbſt entlarvt. Die italieniſche
Preſſe wies nach, daß Rom auch auf dem
Balkan ſtark genug ſei, um ohne neue Block⸗
bildungen auszukommen, ſelbſt wenn dieſe
als „neutral“ ausgegeben würden; Neu⸗
tralität alten Stils entſpreche
nicht dem neuen Italien, das
nach eigenem Ermeſſen, nach
ſeinen Lebensintereſſen und
nach dem Gebot der Stunde zu
handeln wünſche; Wachſamkeit und
ausreichende Rüſtung auf alle Rio
entſprächen, wie bie ffung der Achſe
zeige, den Grundſätzen faſchiſtiſcher Politik.
Es lag nahe, engliſche Gegen⸗
maßnahmen zu erwarten. London hat
als eines ſeiner Kriegsziele die Schaffun
eines Staatenblocks zwiſchen Oſtſee un
Donau unter Einbeziehung Ungarns, der
Slowakei und Oſterreichs proklamiert, den
Polen beherrſchen P da durch wurde ſelbſt
Paris brüskiert. London hat Lord Lloyd,
ehemals Oberkommiſſar in Agypten und
Mitglied des Kronrats, nach dem Balkan
entſandt, wo er „Kultur“⸗Propaganda bes
treiben ſoll, namentlich in Rumänien, das
durch den Krieg vorübergehend irritiert
wurde, aber nicht zuletzt durch die auf eng⸗
liſche Anſtiftung zurückgehende Ermordung
Es T burd) den Tiirfenpa
e
AuBenpolitische Notizen
[eines ftreng neutralen Minifterpräfidenten
Calinescu über feine wahren Feinde umb
Freunde belehrt worden ijt, weiter in Sul
Be das man mit egenſtandsloſen Ver⸗
prechungen auf die Dobrudſcha zu ködern
hoffte. London bem "e in Jugoſlawien,
das ſoeben feine Schiffahrt nach land
hat einſtellen müſſen, um einen neuen
Handelsvertrag und ſpart dabei nicht mit
Verſprechungen. London wirbt eifrig um
Griechenland und hat hier unlängſt ein
engliſches Inſtitut eröffnet, das z B. durch
Gratisunterricht im aan werben joll
unb große Propagandaaufgaben hat. Lon:
don aber hele vor allem mit der bolide:
wiſtiſchen Gefahr, bie über dem ganzen
Balkan laſte.
Der Balkan gibt ſich feine eigenen Geſetze
Italien hat i reagiert.
t, die Antwort
ine Albanienpolitik, nicht überraſcht
ch bedroht
igkeit durch
riechenland,
etzung Albaniens
t Mo m Ber:
auf
worden, geſchweige, daß es
115 weil Ankaras Aftionsfa
ostau gelähmt wird. ©
das zuerſt durch bie B
ve en mar, bat m
ein
noch engere Annäherun
als ſie der inzwiſchen abgelaufene Vertrag
von 1928 ſchuf; beide Länder haben
ihre Truppen von den Grenzen zurüd
geao en und find I De einge onen. „den
eiſt der Freundſchaft und der Kooperation
3 kunft Gele in der Erwartung, „in naher
erwarten laſſen,
ukunft Gelegenheit zu einer fonfreteren
eſtaltung der Beziehungen im Intereſſe
einer vertraulichen und fruchtbaren Zuſam⸗
menarbeit“ zu finden. Dadurch iſt die italie⸗
Kär Stellung auf dem Baltan weiter
ge eftigt worden, und Athen hat zugleich
eine Rückendeckung gegen etwaige Verpflich⸗
tungen aus der formell noch immer gelten⸗
den Balkanentente gewonnen, die jedo
praktiſch faſt völlig entwertet worden iſt,
weil die Türkei die vereinbarte Neutralität
aufgegeben hat. Unnötig dürfte es ſein,
nachzuweiſen, daß Roms Beziehungen
zu Belgrad und Sofia unver:
ändert gut geblieben find und forglid
weiter gepflegt werden.
Auch die ruſſiſche Karte ſticht im eng⸗
liſchen Balkanſpiel nicht mehr. Moskau
erſcheint im Südoſten wie an der Donau
keineswegs mehr als „Aggreſſor“, ſeitdem
es an der vereinbarten Linie im bisher
olniſchen Raum ſtehengeblieben iſt und
ede weitere politiſche oder territoriale
Expanſion in dieſer Richtung ausdrücklich
abgeſtritten hat. Molotow hat dafür die
. getroffen, die eine |
|
Kleine Beiträge 19
t der Londoner Politik auch auf bem
alkan ſchonungslos aufgedeckt und ver⸗
chert oskau wünſche durchaus
ie Konſolidierung im Umkreiſe
um das Schwarze Meer. Rußland hat
gegenuber Rumänien das beſſarabiſche Pro:
lem als nicht aktuell bezeichnet und im
Verhältnis zu Ungarn, dem neuen Grenz⸗
nachbarn, unterſtrichen, e gäbe feine
Gegenſätze, ſondern nur Dögtid eiten enger
wirtſchaftlicher Zuſammenarbeit. Moskaus
Politik gegenüber dem Balkan beſchränkt
ſich in der Hauptſache auf die Fernhaltung
Englands von den Dardanellen, wo es ſich
eine neue Operationsbaſis zu ſchaffen hofft,
und ſie geht darin durchaus mit den italie⸗
gen ünſchen parallel. Aber nicht nur
arin:
Beide Länder wollen Frieden auf dem
Balkan, nicht aber die Entſtehung gefähr⸗
licher neuer M Italien will darüber
hinaus im ittelmeer aus der undank⸗
baren Rolle des Juniorpartners heraus
und weſteuropäiſche Vormachtsanſprüche auf
ein SE Maß zurückſchrauben, woran
der Sowjetunion ebenfalls nur liegen kann,
für die die Dardanellen ein altes Lebens⸗
Pm find. Und wenn Rom auf bem
alfan verhindern will, daß die chaotiſchen
e der Pakte ſeit 1919 wiederkehren,
egegnet es ſich darin überdies mit den
deutſchen Abſichten. Wir haben auf dem
Balkan keine vitalen politiſchen Intereſſen
wie vor Jahrzehnten in der „Berlin Dog:
dad“⸗Ara, ſondern wir wollen dort nur
wichtige wirtſchaftliche Intereſſen und
natürliche Ergänzungsmöglichkeiten behaup⸗
ten und ausbauen, die heute mehr denn je
entſcheidende Bedeutung gewonnen haben.
Was Italien M bem Baltan
zur weiteren Befriedung bes
Südoftens unternimmt, liegt
aud im wohlverſtan denen Ins
tereſſe des Reichs, weil jeder feiner
Schritte engliſchen Kriegsintereſſen wirkſam
begegnet, Und fo hat auch ber Türkenpakt
bie Achſe nicht geſprengt, wie feine Urheber
it de ſondern gefeftigt; führt er zu fon:
litten, ruft er notwendig Italien auf ben
Plan. London hat ſein Spiel auf dem
Balkan verloren.
Fritz Zietlow.
Kleine Beitrage
Moderne italienische Baukunst
Während jenſeits der Alpen die Erneue⸗
rung in der Architektur ſchon im Nachkriegs⸗
jahrzehnt 1920—1930 durchgriff, go es bas
mals in Italien nur einige fühne Vorläufer,
die meiſt ber futuriſtiſchen Richtung an:
gehörten und erregte Auseinanderſetzungen
entfeſſelten, ohne ſich doch durchſetzen zu
können. Herrſchend blieb eine gemä ipie
neuklaſſiſche Richtung, bie auf bet bewährten
italieniſchen Tradition fußte. Diefer Bau:
ftil entſpricht dem italieniſchen Klima und
den eingewurzelten Lebensgewohnheiten des
Volkes, die in Italien keine ſo große Um⸗
wälzung erfahren haben wie in den nor⸗
diſchen Ländern, da hier die Induſtrialiſie⸗
rung und Verſtädterung geringer blieb.
Trotzdem athe aud er Wandlungen, und
zwar etwa feit bem Jahre 1928 unter dem
Drude der „idea moderna integrale“, einer
radikalen modernen Richtung, bie lid in
Norditalien durchzuſetzen begann. Sie war
angeregt vom Norden, aber es zeigte ſich
bald, daß deſſen exakte Nüchternheit der
italieniſchen Weſensart nicht entſprach. Die
neue rationaliſtiſche Richtung übernahm
vom traditionellen italieniſ Bauſtil
Elemente des Gleichgewichts, der konſtruk⸗
tiven Logik, der n und Rube. Die
traditionelle akademiſche Ridtung verſchloß
ſich ihrerſeits nicht den Anregungen der
Moderne, ſo daß man von einer Verſchmel⸗
zung der beiden Richtungen ſprechen kann,
aus der der moderne italieniſche Bauſtil
erwächſt, der ſich von der modernen Bau⸗
kunſt anderer Länder ſelbſtändig zu unter⸗
ſcheiden beginnt.
Einen gewiſſen klaſſiſchen
Rhythmus atmen die großen
repräſentativen Bauten e 5
letzten Jahrzehnts, ob ſie nun klaſſi⸗
ſche Bauelemente haben, wie das Luftfahrt⸗
miniſterium und Muſſolini⸗Forum in
om, oder nicht, wie das Korporations⸗
ministerium oder die Gebäude der Univerſi⸗
tätsſtadt in Rom. Bei Bauten, die nicht nur
monumental, ſondern zweckbedingt ſind, oder
20 Kieine Beiträge
bei Eiſenbetonkonſtruktionen meiden Rom:
pofition und SC oft vom Hergebrach⸗
ten ab, und es entſtehen ſo originelle Schöp⸗
fungen wie der Bahnhof in Florenz, die
Hauptpoſt in Neapel, das Technikum in
Bologna.
Die rationaliſtiſche Richtung kommt
naturgemäß beſonders beim Bau von aus⸗
geſprochen neuzeitlichen oder techniſchen
Anlagen zur Geltung, wie Fabriken (3. B.
die der Fiat in Turin), Flughäfen,
Garagen, Stadien, Schwimmbäder, Aus⸗
ſtellungsgebäude, Kaſernen, Kinos und der⸗
gleichen. Hier findet ſich noch bisweilen
neben der Verherrlichung abſtrakter geo⸗
metriſcher Formen eine Umkehrung des
normalen ſtatiſchen Gefühls und bes äſthe⸗
tijden Empfindens. Die äußere Gdmud:
a feit aber wird oft durch Verwendung
fojtbaren und originellen Materials aus:
lichen, verſchiedener Marmorjorten und
etalle, Glas, Spiegel und anderer Kunſt⸗
Bee Für Wohnhäuſer wurden derartige
erſuche als unzweckmäßig bald abgelehnt,
und man kehrte zu einer mehr oder weniger
traditionellen Bauart zurück. So ſind, um
nur ein Beiſpiel zu nennen, die modernen
niedrigen und breiten Fenſter im ſüdlichen
Klima durchaus unangebracht. Auch einige
Verſuche mit Hochhäuſern und turmartigen
Rundbauten blieben bisher ohne Nachfolge.
In den letzten Jahren hat der faſchiſtiſche
Staat der italieniſchen Baukunſt große Auf⸗
gaben und damit Anregungen gegeben durch
die N e n Ton Dot:
Banbener Städte unb bie Gründungen von
Siedlungszentren in den urbar
pedcs ebieten Italiens unb Libyens.
azu kommen in ſteigendem Maße Baus
aufträge für Italieniſch⸗Oſtafrika. Der Bau
der Siedlungszentren in den ehemaligen
Pontiniſchen Sümpfen Littoria, Sa⸗
baudia, Pontinia, Aprilia und
omezia wurde Gruppen von jungen
rchitekten anvertraut, die als Sieger aus
den betreffenden Wettbewerben hervor⸗
gingen. Dieſe Zentren beſtehen aus einer
ruppe von öffentlichen Gebäuden, die
einen freien Platz einſchließen, und ſind in
weitem Umkreis von Hunderten von
Bauerngehöften umgeben, die nach einem
beſonders praktiſchen und harmoniſchen Ein⸗
eitsſchema erbaut ſind. Es hat ſich eine Art
ändliche Architektur für dieſe Zentren
durchgeſetzt, die ſich gut in die Landſchaſt
einfügt. Die Marktplätze ſind meiſt von den
traditionellen Bogengängen umgeben, die
Schutz gegen Sonne und Regen bieten.
Eine Ausnahme macht die RE
post Guidonia bei Tivoli, bie von
m „Istituto per le Case Popolari“ erbaut
worden ijt, bas die modernen Mietsblöcke in
den Großitädten baut. Da diefe (Gründung
der Fliegerei, alfo neuzeitlicher Technik, zu
dienen hat, fo hat fie keinen ländlichen, jon:
dern einen durchaus ſtädtiſchen Charakter,
ür den der Italiener auch ſonſt eine emi
orliebe hat. Die Gebäude find nüchtern,
zweckentſprechend, WE it bem Gire:
ben nach wirtſchaftlicher Autarkie hängt bie
immer e KE Verwendung des ein:
omues aditeins an Stelle von Gijen:
ton zuſammen, was farblich ſehr [don
wirkſam ijt.
Eine ſehr geſunde und ſelbſtändige Ent⸗
wicklung nab der moderne italieniſche
Kolonialſtil in Libyen, Abeffinien und
auf Rhodos. Selbſt in den entfernteiten
Daler fann man bereits Hotels, Schulen,
Faſciohäuſer u. a. in dieſem Stil antreffen,
der Motive der örtlichen arabiſchen Bauart
mit Geſchick zu verwerten weiß. Für die um⸗
faſſenden Siedlungen in Libyen, das DE
Werk Marſchall Balbos, hat man ſich die
Erfahrungen aus den Neuſiedlungen in
Italien ſelbſt zunutze gemacht, nur der
Typus ber Bauerngehöfte und der Zentren
wurde natürlich den afrikaniſchen Gegeben⸗
heiten angepaßt. Dieſe Zentren bei Tri⸗
polis, Miſurata und in ber Cyre:
naica ſind mit großem Aufwand an Geld,
Material und Arbeitskraft hergeſtellt wor⸗
den, und es ijt ein unvergeßlicher Eindruck,
die weißen Gebäude und Türme, dieſe
Wahrzeichen italieniſchen Pioniergeiſtes,
von weitem wie eine Fata Morgana am
Rande der Wüſte aufragen zu ſehen.
A. Dehio, Rom.
Vom gegenwärtigen Musikleben
in Italien
„In Italien“, fagen die Ausländer, „finge
man ſchon in der Wiege, und von da ab
immer und überall!“ Das iſt nun wohl
übertrieben, aber daß die Muſik bei uns
eine ſelbſtverſtändliche Ausdrucksform des
Weſens ift, gilt. Der Fremde, der unler
Land beſucht, fühlt ſofort, wie ſehr Land⸗
ſchaft und Klima in ihrem harmoniſchen
Sure die Geele ee und fie
bet Muſik öffnen. Gs ift on 0, dak bit
Muſik für den einzelnen Italiener ſowohl
wie für das ganze Volk eine Bedeutung hat,
die umfaſſender iſt als das bloße Vergnügen
oder das akademiſche Studium; man könnte
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Giannino Marchig
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Italo Griselli: Bildnis des Silvano
Kleine Beiträge 21
fie mit „ſozial“ bezeichnen. Der Straßen:
händler, der von einer Straße zur andern
zieht, bietet feine Ware fingend an, jeder
hat dabei ein eigenes und charakteriſtiſches
muſikaliſches Motiv, an dem man ihn fofort
aus vielen anderen herauskennt. Und der
gene muſikaliſche Rhythmus begleitet die
ewegungen des abruzziſchen Schmiedes,
wenn er auf ſeinem Amboß das Eiſen be⸗
arbeitet, und den venezianiſchen „gondoliere“,
der mit ſtarkem Arm ſeine Gondel vorwärts⸗
treibt. pede. ift bie italieniſche Sprache —
jo teich an offenen, klangreichen Vokalen —
don an fic) eine Muſik, die das Ohr ers
quickt. Wer aufs Land geht oder durch die
entlegeneren Straßen der Stadt und die
Mundart der Bauern und kleinen Leute
vernimmt, hört in ihren Unterhaltungen
und Ausrufen eine angeborene nase ie
mehr ift als bloß der dort übliche ent
und wie eine muſikaliſche Tonfolge aus
Pauſen, Tonhebungen und Tonſenkungen
gebildet wird. Und entſprechend dieſem
muſikaliſchen Urſinn hat iſt in der Luft“
ſagen die Italiener) hat Italien auch eine
reiche mufikaliſche Tradition. Sie war früher
runghaft und nur aus natürlicher Kraft
erporquellenb, heute dagegen wird fie
wirkſam m ge und geleitet durch bie
1 flege des faſchiſtiſchen Re⸗
mes.
Die Hausmuſik allerdings, im Sinne
Deutſchlands, wird beinah gar nicht ge⸗
flegt. Auch d der Chorgeſang bei uns
aft immer ein immig, das find die beiden
wichtigſten Unterſchiede der Praxis zwiſchen
Deutſchland und Italien. Schon in den
unterſten Klaſſen der Grundſchule wird das
Kind an Diſziplin gewöhnt, und zwar gerade,
ohne es zu merken, beim Shorgelang mit
den Kameraden. Von dieſer Stufe, bte die
Grundform muſikaliſcher Kultur EE
die alle italieniſchen Kinder beſitzen, ſteigt
man auf zu dem befonderen Unterricht in
den eigentlichen Mu 1 8 (genannt Mu⸗
fikaliſche Lyzeen, Konſervatorien) oder im
„Kulturunterricht“ in allen anderen ſtaat⸗
lichen Mittelſchulen. In ſämtlichen Schul⸗
arten veranſtaltet man regelmapige Ron-
zerte und ſogenannte „muſikaliſche Medail⸗
lons“ (Unterrichtsſtunden, die einem be⸗
immten Komponiſten gewidmet ſind),
urch die die Jugend in eine immer enger
werdende Verbindung mit unſerer ruhm⸗
reichen klaſſiſchen Muſik hineinwächſt.
Zur Krönung der Studien nehmen die
faſchiſtiſchen Studentengruppen jedes Jahr
gemeinſam teil an den ſehr wichtigen
„Littoriali della cultura e dell'arte" durch
Wettbewerbe, die von der Kompoſition bis
zur Ausführung von Sp a ris teichen,
vom Chorgeſang E. Muſikgeſchichte und
Muſikkritik. So wird die lernende italie⸗
niſche Jugend vom 6. bis 17. Lebensjahr
und weiter auf der Univerſität nicht nur
erzogen und herangebildet, ſondern auch zur
perjonliden Initiative angefeuert.
Alles das würde nicht genügen wenn man
nicht die große Leiſtung des Dopolavoro
(O. N. D.) einbezöge. Eine wichtige "nie
tiative des Dopolavoro war die Einrichtung
eines fahrenden Theaters und die des Thea⸗
ter⸗Samstags. Samstags beſuchen die Ar⸗
beiter, ee des Dopolavoro, Bors
perunan, die eigens für fie gegeben wers
en. In den Sommermonaten übernimmt
bas „Theater der Maſſen“ diefe Aufgabe:
Die Freiluftbühnen zwiſchen den Mauern
der alten römiſchen löſſer (z. B. das
Caſtello Sforzesco in Mailand), die ges
waltigen Arenen und Thermen aus alter
römiſcher Zeit füllen ſich mit einer dichten
und begeiſterten Menge, die die berühmte⸗
ſten AA UNE mit ausgezeichneten
Enſembles anhört. Und mehr als ein bes
rühmter Sänger iſt gerade hierbei „ent⸗
deckt“ worden.
Selbſtverſtändlich gibt es auch zahlreiche
ſinfoniſche Orcheſter, Kammermuſik⸗Orche⸗
ſter, inſtrumentale Gruppen u. a. Und das
Publikum drängt ſich zu dieſen Konzerten
ebenſo wie zu den verſchiedenen Konzert⸗
orcheſtern der Dopolavoro-Rapellen, die
unſeren Städten ein ſo charakteriſtiſches
und feſtliches muſikaliſches Gepräge geben.
Unter Auswahl der Beſten veranſtaltet
man periodiſch „concertoni“ — große fons
zerte unter Leitung berühmter Meiſter wie
ascagni, i u. a. Das iſt dann
ein wahres Volksfeſt: Choriſten und Orche⸗
ermitglieder ſind in den alten Trachten
ihres Landes erſchienen und laſſen i bie
alten Traditionen in einem Kreis vo
tetfeit und Freude neu erftehen. Zur Pflege
der leichten und volkstümlichen Muſik aber
wird jedes Jahr das berühmte Feſt des
napolitaniſchen Volksliedes (Piedigrotta)
mit neuem ann gefeiert, nachdem man es
von ber bürgerlichen Übertünchung befreit
hat. Es werden Wettbewerbe für Lieder
und Sänger ausgeſchrieben und dazu haben
ſich ganze Gruppen gebildet: Die Okarina⸗
Spieler von Budrio, die Gebirglerinnen
(Montanine di Parre), die „Maggiolate
von Ortona am Meer“, die „Kleinen Sän⸗
ger der Romagna“.
22 Kleine Beiträge
Schließlich aber werden das Radio im
Schulunterricht und die Werkskonzerte im
Betrieb eingeſetzt, und alles dient gleicher⸗
maßen der Stärkung des muſikaliſchen Lebens.
L. Nediani.
Förderung des talienischen Kunst-
schaffens durch den Staat
„Im 55 Ne Italien muß man den Mut
en, das Kunſtproblem als ein Problem
des Handelns ads its — des künſtleriſchen
Handelns ſelbſtverſtändlich — und nicht als
eine trockene intellektuelle Kriſis; deshalb
tut es not, daß die Künſtler ihre ganze
Energie und den angeſpannten Willen des
lebe gen und hiſtoriſch bewußten Menſchen
in ihre Arbeit legen; ihre ganze dramatiſche
Spannung, ihre ganze Freude, denn Span⸗
nun a find gleichermaßen Leben.“
So ſchrieb kürzlich der Erziehungsminiſter
Bottai in der Zeitſchrift für Kunſt und Lite⸗
ratur „Anſedonia“. Damit ijt Weſentliches
ee an E 25 „ang Staa⸗
es zum Kunſtſchaffen überhaupt geſagt wor⸗
den. In dieſem Sinne d anch ole örde⸗
rung jeglichen Kunſtſchaffens durch den
Staat betrieben. Der Staat ſucht weniger
einen direkten Einfluß auf die Ausdrudsart
des Künſtlers auszuüben, als ihn vielmehr
in ſeinem Schaffensdrang anzuregen. Dieſe
vitalen Ströme alsdann zu vereinheitlichen
und über das ganze Land gerecht zu ver⸗
teilen, betrachtet er als ſeine zweite Auf⸗
herauszubringen, bas die Ausleihu
niſcher antiker Kunſtwerke an ausländiſche
Film beitehen im Miniſterium
ultur beſondere Abteilu :
men
onf.
rofessionisti ob, deren at Vë
Mits
Arti
aber verkörpert im italienischen Kunſtleben
das hierarchiſche Prinzip.
Wie wirkt ſich nun die ſtaatliche Förde⸗
rung praktiſch aus? Da gibt es auf dem
Gebiet der Literatur zahlreiche Wett⸗
bewerbe, teils private, teils ſtädtiſche
Stiftungen mit ſtaatlichen Subventio⸗
nen. Um nur einige zu nennen: Premio
San Nemo, Viareggio, a bi Lucca,
Riccione, t di Napoli, ia u. a. m.
Miniſter Alfie ri erließ vor kurzem ein
Geſetz, das dieſes bunte Durcheinander ört⸗
lich, zeitlich und thematiſch zuſammenfaßte.
Ferner ſtiftete er einen Şilmpreis von
100 000 Lire und förderte bie italieniſchen
Theaterautoren durch eine lebhafte Propa:
ganda für die „Autarkie des Theaterpro⸗
pomm Die bildenden Künfte erfahren
hre Förderung außer durch bie unter
ſtaatlichem Patronat ſtehenden
regelmäßig itattfinbenben Aus:
br llungen, z. B. Quadriennale in Rom,
iennale in Venedig uſw., bei denen ein
großer Teil der Werke von Staatsſtellen er⸗
worben wird, durch lokale Wettbewerbe.
Wie groß das Intereſſe des Duce beiſpiels⸗
weiſe für den Premio Cremona iſt,
brachte eine für das ſichere
ormgefühl typiſche Fülle von
usdrucksſtudien vor dem Laut⸗
ſprecher horchender Menſchen. Das Thema
für 1940 iſt: „La battaglia del grano“ (die
Getreideſchlacht).
Einer Muſikpropaganda ſeitens bes Staa»
tes bedarf es bei der großen Mufikalität des
italieniſchen Volkes weniger als nur einer
eregelten Verteilung quali⸗
[isierter Aufführungen. Auf
: on perſönliche Initiative hin wurde
im Vorjahr zum erſtenmal durch das Volls⸗
kulturminiſterium, den Parteiſekretär und
den Präſidenten des Dopolavoro der E.M.L
(Estate musicale italiana — italieni:
ſcher Muſikſommer) organifiert. Mi
niſter Alfieri berichtete dem Duce am
22. September 1939 voll Stolz das Ergebnis
dieſes Sommers: 1004 Freilicht⸗Aufführun⸗
en erfreuten 2% Millionen Zuſchauer, dazu
mmen 454 Veranſtaltungen des ſeit if n
Jahren beſtehenden Wandertheaters. t
Diele saul Oh bro si können bei befter künſt⸗
leriſcher sung, ihre Eintrittspreiſe auj
durchſchnittlich 5 Lire ſenken. Daneben be⸗
„eben örtliche Muſikwochen, wie ber welt
bekannte aggio fiorentino in
Florenz und neuerdings in Siena eine Ber
anſtaltungsfolge, die privater Initiative
und dem Protektorat des Volkskultur⸗
Neue Bücher
minifteriums zu verdanken ift, bie Setti-
mana Vivaldiana, der des
alten Meiſters Vivaldi gewidmet.
Durch dieſe großzügige Verbreitungsaktion
verwirklicht 75 ita ieniſche Staat auch für
die Kunſt den G :andare vers o
il popolo (ben d zur Volksgemein⸗
ſchaft gehen). von Graefe.
Italiens Frau in Anmut und
Disziplin
„Die Italienerin meidet auch heute noch
die Offentlichkeit. Daran wird fid wohl in
abſehbarer Zeit nichts Weſentliches 1
vor allem nicht in Süditalien. Das liegt in
t Tradition, im Weſen der Italienerin,
ine Klima und Ble zuletzt im Weſen des
italieniſchen Mannes begründet.“ Eine
. Italiens ſchrieb das, und mit Recht.
Auch den Beruf ergreift die Italienerin
nicht aus Drang zum fen und perſön⸗
lichen Leben wie die Nordländerin, ſondern
nur wenn und weil die eigene Lage und die
des Vaterlandes es . Viele Frauen
ſind Lehrerinnen und erfüllen damit wich⸗
tigſte Aufgaben; viele ſtudieren, ohne doch
immer in den Beruf gehen; viele — mehr
als 100 000 — machten die vorkolonialen
Kurſe mit, die in Italien oder Libyen ab⸗
gehalten werden; unzählige treiben Sport;
die fascifemminile (Frauenor ni»
führen 6,5 Millionen Frauen umfaſſe
ühren in großzügiger rt die Bu Be:
treuung durch, die weibliche ugenb iit
formiert als CH ber Wölfin“, „Kleine
Italienerinnen“, Jungitalienerinnen und
Jun chiſtinnen. Alle Ordnung dient der
Straffu fü ng und dem gerechten Einſatz, nichts
aber führt zu irgendeiner Vermännlichung
oder zur Sprengung der Damen es die
a die e spat der italieniſchen Gemein⸗
chaftsformen bilde
Das . Zechen dieſer heutigen Weib⸗
lichkeit i Frauenakademie in
der Ber . in der die Führe⸗
rinnen der weiblichen Littorenju die
Sportlehrerinnen der Mittelſchulen oder der
örtlichen Faſci und des Dopolavoro aus:
bildet werden. Dort leben die Mädels in
raffer Unterrichtsfolge; rhythmiſche Plaids un
naſtik und Sport nehmen den
nicht aber den einzigen ein und KEE
bie eingeborene ſüdländiſche Grazie, bas
Schönheitgefühl, alle italienife Runit
pragte, jener Vollendung, die in vielen
fent lige en Veranſtaltungen dann zum Vors
[b wird. Keinerlei „Tanzabende“ vereinen
die . femminile und die benach⸗
barte Offiziersakademie; hier ſchreiben
Klima und Temperament andere Sitten vor
als bei uns. Aber die Mädels in den ſchwarz⸗
weißen der [hie] um mit bem kühn⸗
gel nittenen, ſchief um T en weißen
ragen oder Us 5 t der weiten
kurzen Hoſe u en mi Bs Sweater
KC nicht Wee Em aus, fie
nb gang und gar bie a rung jener
reien und ſprühenden Grazie Un⸗
befangenheit, die wir ſo lieben und die durch
die kräftige und willensſtarke Dif 12 5 des
Faſchismus von neuem zur ſchönſten Ents
wicklung kam. O. St.
Reue Bucher
Die Staats⸗ und Wietſchaſtsserſa
Es iſt nicht nur nützlich, ſondern au
wir uns mehr als bisher mit den w dnm Grund:
lagen des italieniſchen Staats: und Wirtſchaftsauf⸗
baus vertraut machen, der ſo viele Vergleiche mit der
in tena toatl die prr uo mung anregt, und bod
tg klar davon unter[d eden if.
PH bisher 4 755 an einem größeren Werte dieſer
an’ gefehlt nun un bie Aufgabe das Buch von
el Muf Vollweile („Der Staats und Wirt:
chaftsaufbau im faſchiſtiſchen Italien, mit einem An-
ng über die wichtigſten rundgeſetze des faſchiſtiſchen
taats: und Wirtſchaftsaufbaus im italieniſchen Wort⸗
laut und in deutſcher Überſetzung“. Verlag Konrad
Sud, Würzburg⸗Aumüühle),
Im Rahmen elner ausführlichen Darftellung der
faſchiſtiſchen Staats verfaſſung zeigt Vollweiler
{tsverfafjung Italiens
die daB
bie riede eh SE des italieniſchen Köni s,
= Ce der italtenifhen Ce ele a
Geſetzgebung, di tung J e Gewalt, die Mä DE
und Kommunalverfaflun taliens u.a. auf.
vollſtändig werden die
die im Korpo⸗
Die ttalienſſche
irt ZG flange ik en
C en, bie nad i
Tyeugungsgu ame
nba Ifo im 1 A a:
(ett ` erqani{tert e De Auge
Aung ähnelt der des Rei sud titandes, während die
Gier ber ran teller Deutſchlands
tärker davon abweicht. Das italieniſche Berufs
eben iſt in der eee E E
geordnet; während innerhalb der Betriebsgemein-
rat dines und
24 Neue Bücher
ften der Deutſchen Arbeitsfront Arbeitgeber und
rbeitnehmer organiſatoriſch vereinigt find, werden in
Italien in den insgeſamt 1116 Berufsverbänden Ur
beitgeber und Arbeitnehmer getrennt erfaßt. In
Deutihland gibt es nur noch Arbeitsbeauftragte, in
Italien fällt die Trennung etit in den über den Be:
tu[sperbánben wenn torporationen fort, dabei
find hier im Gegenſatz zu Deutſchland die Kollettiv-
arbeitsperträge und das i von großer
ne. Vollweiler gibt darüber genauen Auf
oh ebenſo über die Arbeitsgerichtsbarkeit, die
ozialverſicheru
erfreulich iſt, daß in eine nhang die einſchlägigen
EUM A m italieniſchen Wortlaut und in deutſcher
über chung wiedergegeben find.
So bas Bud eine ausgezeichnete Wée e
Orientierung und ift ber Ausgangspunkt für alle eins
gehenden Einzelfragen. A. W Schüttauf, Berlin.
Sicher über das neue Italien
Von ben römiſchen faijern bis zum Duce, vom Auf⸗
bau des Legion dd bis zum Feldzug in Abeſſinien
childert Anton Maher (Imperium⸗Faſchismus: „Une
erbliches Rom“, Buchhandlung des Waiſenhauſes
maß, Halle» Berlin) die Geſchichte der römiſchen
Staatsidee. Er verſteht es, die Entwicklung zu
analofieren und in ihren geiſtigen Vorausſetzungen
klarzulegen. So kommt er — im Gegenſatz zu vielen
einſeitiger eingeſtellten Italien⸗Hiſtoriographen — auch
zu einer gerechteren Würdigung der Jahrhunderte, die
„zwiſchen den Imperien“ liegen, die ces Renal de⸗
deutungslos die aber das Zeitalter ber Renaiſſance
bzw. bes Katholizismus geweſen find. Wieder war
m, als Hauptitadt eines Glaubens und als Haupt:
ſtadt der Kunſt, Mittelpunkt eines „Imperiums“ ge⸗
worden; und erſt mit der Reformation und dem
Niedergang des Barock als letztem mittelalterlichem
Kunſtſtil begann jener Niedergang aller Weltbedeu ;
tung, den der Faſchismus kulhe und aus dem er
unter ber Führung Muſſolinis Italien nun wieder
an die Tradition der eren Roma anſchloß.
Gibt Anton Mayer einen hiſtoriſchen Grundriß der
SGeſchichte Italiens, fo malt Nikolas Bendifer
„Das Dritte Rom“, Frankfurt a. M., Societäts⸗Ver⸗
ag) das Antlitz der Ewigen Stadt. Daten, geiſtige
Linien werden nur e aufgezeichnet; die Im⸗
preffion herrſcht vor Benckiſer ſchaut die Stadt, und
er erzählt dem Leſer, was dieſe Stadt ihm erzählte.
Nicht mehr — aber auch nicht weniger! So erſchließen
ſich Kaiſerreich, Papſttum, faſchiſtiſches Rom durch das,
was fie ſichtbar auf dem Boden der Sieben⸗Hügel⸗
Stadt geſchaffen haben. Kein Werk, das den uner-
fahrenen Leſer nun zum Italienkenner machte — aber
ein Buch, das den Italienfreund durch ſeine Wärme
und die zärtliche Liebe zu Nom erfreut.
Das umfangreiche Buch von ert Buchheit
„Muſſolini und das neue Italien“, Paul Neff erlag,
erlin) geht nach einem kurzen Überblick über das Alte
Rom foglei an das Problem des Faſchismus, bas Bud»
it in außerordentliher und dazu auch anmutiget
ründlichkeit Are Der wirtſchaftliche Aufbau des
faſchiſtiſchen Impetiums, die Ordnung der Partei, die
und die ſoziale AN Belonders -
m
Gliederung bes Ctaates, bie politiſchen Probleme — af
dies wird in einer tatſächlich ausreichenden und gut ge
ormten Darftellung gebracht. Der kundige Italics:
reund wird beſonders beet in den Kapiteln, die
m Ende des neunzehnten hrhunderts die geiſtige
Lage zeichnen, aus der Muſſolini entſtammt, Sie et
überwand, der er aber doch in vielem auch verpflichtet
war. Schade, daß dem Buch ein notwenbiges Regie
der Namen und Sachen fehlt, wie bann aud) als
abe eine Aunmoztartige Chronik ber widtighes Daten
in allen Italien⸗Werlen nem) hier erwünscht
wäre. ans Erne.
Aberſetzungen ſchöner Literatur
Es pibt bei uns ein paar Überfegungen ah
Erzähler, gerade genug, um das eigene Weſen drejer
Dichtung erfaſſen zu konnen. ba tft z. B. das kleine
Buch „Frühdämme rung“ (Brudmann- Verlag. München)
von der Trägerin des Lyrikpreiſes, Ada Negri, die
1870 als Arbeiterkind geboren wurde, alſo der Zeit
der ſozialen B en angehört, ig
aber durch alle Not zum Mut der Mor er GT des
jungen Tages, „leben, leben, bereit fein“ entidetdet.
Muſſolinf ſchrieb dazu 1921 eine Kritit, im der es
eißt: „bedeutet Poeſie Ergriffenheit oon einer inneren
iſton, dann ift dies letzte Buch der Ada Negti ein
Delon Buch, eine Dichtung... Eine 9üdtebr g
Weſentlichen ohne Aufwand an Beiwerk“. In dem Bud
des viel jüngeren Fabio Tombart „Die Leute von
SCH aglia“ (Brudmann-Berlag München) tritt die
erbindung von H abgeriſſener Art und
atter und faftiger, fer
n mit unbändig
iger Lebensfülle, die fo ob für Italiens neuere
tung tit, nod weit ſtärker hervor. Es find Chrosil:
blätter einer Kleinſtadt an der Adria, überihülfig in
Kraft und ſchweifender Phantaſte, leidend an der harten
Doppelpoligteit aller Dinge, aber nie rein KE
wirkend. Cin Roman in unferem Ginn perjönlider
Entwicklungsdarſtellung allerdings iR höchſtens der
von Bianca de af 800 e t Lom
bardei“ (Verlag Köſel & Puſtet); es iſt die air inde
einer harten Frau des [próben lombardiſchen Berg
landes, die das Wohlergehen ihrer milie GON
will, dabei aber doch ein hütendes Führen mit fe gé
EE Herrſchen verwechſelt, Herz und Li
und die Blüte ihres . zerſtört, nur Achtung
vor ihrer Arbeitsleiſtung er t: es if wieder feum
GES bab bie grauſame Spröde bes Gel
urch die Einbettung in die Fülle bes ſüdlichen Le
te gedämpft ift, daß ber Lefer niemals verletzt wind!
ine Sammlung „JItalieniſche Gedigte”,
ein Durchſchnitt vom ir ita. Peran durch Kunſt⸗ und
Volksdichtung, erſchien im Rauch Verlag. befonders
ut, weil jeweils der italieniſche neben dem denti
ext ſteht, fo daß jeder, der ein wenig Kenntnis hat.
an der reichen tönenden Fülle der Ursprache ermeſſen
kann, mie ſehr unwägbare Werte und Wirkſamkeiten
da mitſchwingen und ein Gewicht geben, das in der
überfe ung notwendig oerblafien muB. Dennoch lommt
der lebendige Klang der italieniſchen pore iea
gmpfinbungsmäßigen Itbetradtung auch fo nod den
deutſchen Lefer nahe O. St.
Hauptschriftleiter: Günter Kauf mann (z. Zt. b. d. Wehrmacht).
Verantwortlich für den Geſamtinhalt: Wilhelm Utermann. Anſchrift der Schriftleitung: Reichsjugendführung.
Berlin W35, Kurfürſtenſtraße 53. Fernſprecher 22 90 91. — Verlag Franz Eher Nachſ. G. m. b. H., Zentralverlag
ber NSDAP., Berlin SM 68, Zimmerſtraße 87—91. Poſtſcheckkonto: Berlin 4454. Verantwortlich für den Anzeigen:
teil: Ulrich Herold, Berlin. — Pl. Nr. 8. — Druck: M. Müller & Sohn KG., München; Zweigniederlaſſung
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— „Wille und Macht“ erſcheint am 1. unb 15. jedes Monats und ijt zu
beziehen durch den Verlag ſowie durch die Poſt und alle Buchhandlungen. Bezugspreis vierteljährlich 1.80 RM.
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Prospekt 121
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ERFOLGREICHEN
CARL WALTHER
WAFFENFABRIK
ZELLA-MENLIS
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Eine wichtige Neuerfcheinung!
Die Verwaltung der
Natlionalfozlalistischen
Deutschen Arbelter;
partel
in diefer dem Reiche ſchat meiſter der NSDAP.
gewldmeten Arbeit gibt Reichehauptamte-
leiter Dr. Anton Lingg eine ausführliche Dare
ftellung dee Wachfens und werdens der Par»
teiverwaltung bie zur Gegenwart und fomit
einen grundlegenden Beitrag zur Erkenntnis
beo Parteirechte. Ausgehend von der Führers
und Gefolgichafteordnung der NSDAP. wird
u. a. Die rechtliche Stellung der NSDAP. in der
vðlklichen Gemeinſchaſte ordnung, die Ge-
ſchichte der Verwaltung der NSDAP. der
Reichofchagmeifter ale Chef der Partetverwals
tung, der Gefchäftebereich des Reichsichat-
meiſtero, die Hilfekaffe der NSDAP. behandelt.
Diele Neverfcheinung ift für a.le Verwaltunge»
beauftragten der Partei, der Gliederungen und
ber angefchlofienen Verbände, aber auch für
alle, die fich mit bem neuen deutichen Volke»
recht befaffen, ein unentbehrliches Handbuch
für ihre verantwortungevolle Arbeit
Umfang 327 Seiten 7 In Leinen geb. RM 4,80
Zentralverlag der NSDAP.,
Franz Eher Nachf. G.m.b.H.
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Wie unfere Truppen an
der Front, fo wird das
gefamte deutliche
Volk im
unferen Feinden
eine
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Kriegs-WHW.
zeigen, daß wir
Schicklals⸗
gemeinfchaft geworden find.
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Das kommende Deutſchland
Augenderziehung im Reich Adolf Hitlers
von
Hauptbannführer Günter Kaufmann
Chef der Befehlsſtelle 3 der Reichsjugendführung
Mit einem Bild des RNeichsjugendführers
Leinen RM. 4,80
Im Tempo der nationalſozialiſtiſchen Aufbauarbeit entſtand neben den
bekannten Erziehungseinrichtungen der Schule und der Armee eine neue
revolutionäre Erziehungsmacht: Die Hitlerjugend. Nach fieben Aufbau-
jahren kann dieſe Jugendbewegung ein nahezu geſchloſſenes Bild der
von ihr geſchaffenen Einrichtungen und der erzielten Ergeb-
niſſe vorweiſen. Mit ſeinem Buch „Das kommende Deutſchland“ hat
jetzt der Chef der Befehlsſtelle 3 (politiſche Ausrichtung) der Neichsjugend-
führung, Günter Kaufmann, eine überſichtliche Darſtellung der geſamten
Jugendarbeit und der bisher erzielten Leiſtungen gegeben. Alle Fragen
der Jugendführung will dieſes Buch beantworten helfen. Dem HI.-Führer
ober der BOM.-Führerin bietet es ebenſoſehr Einblick wie dem Elternhaus.
Ein ausführliches Kapitel über den Kriegseinſatz der HJ. ſorgt für eine zeit-
gemäße Betrachtung dieſer Jugendarbeit. Zu einem guten Teil vermag der
Verfaſſer bisher nicht bekanntgewordenes ſtatiſtiſches Material vorzulegen.
Junker und Dünnhaupt Verlag / Berlin
Ié
terorgan der nationallozialiſtiſchen Jugend
LL wth
Deutsche mif Goff
‘ ee eee
fber den Umgang mit Gott / Bekenntnisse deutscher Menschen aus
Mer und neuer Zeit — Fritz Helke / Johann Gottlieb Fichte als Beispiel
ines gläubigen Deutschen — Fritz Diettrich / Wintersonnenzende
Das Aulbauwerk der Rücksiedlung
glander über sich selbst — Friedrich Lange | Die Nordsee als deutscher
Lebensraum — Weihnachtsbüchertisch
arift / Heft 24 Berlin, 15. Dezember 1939 Preis 30 Pf.
Ausgabe A
en Google
INHALT
Fritz Diettrich: Wintersonnenwende
Günter Kaufmann: Deutsche mit Gott
Bekenntnisse deutscher Menschen
AUSSENPOLITISCHE NOTIZEN
Rücksiedlung
Englisch— Allzuenglisch
Friedrich Lange: Deutschland, England und das Meer
KLEINE BEITRÄGE
Fritz Helke: Johann Gottlieb Fichte
Zur Kunstdruckbeilage
NEUE BÜCHER
KUNSTDRUCKBEILAGE
Landgraf Ludwig I., Grabplatte in Marburg 1458 (Photo: Staatl. Bilds telle)
Meister und Jünger, Um 1330, bemaltes Holz (Photo: Staatl. Bildstelle)
Albrecht Dürer: Maria in der Landschaft (Berlin, Kupferstich-Kabinett)
C. D. Friedrich: Nebelwolken im Tal (Photo: Bruckmann)
Bille. Hlacht
ihrerorgan der nationallozialiſtiſchen Jugend
HERAUSGEBER: BALDUR VON SCHIRACH
hrgang 7 Berlin, 15. Dezember 1939 Heft 24
Winterſonnenwende
Es hängt der Himmel voll Schnee.
Eis treiben Me Flüſſe.
Leer iſt das Zand, und der Tann
Steht, ein ſchweigſamer Chor.
Milder erſcheint uns der Tag,
Als ſcheute er, ſich zu erheben.
Schneller fällt er zuruck.
Lang iſt die Nacht, die ihn deckt.
Mienſchen verließen das Zand
Und ſind hinter Mauern verſchollen.
Mancher bewahrt eine Blum
Über den Winter der Welt.
Schüure, o ſchüre die Glut,
Oak du ein Helfer des Lichtes
Seiſt, wenn am Cage Me Sonn
Diener dir mitten ins Herz.
| Sriti Diettrid
Deutfche mit Gott
„Schließen Sie von feinem Gefühl, von feinem Genuß der Schöpfung ben
Gedanken aus; er iſt uns zum Anſchauen Gottes notwendig. Der verkennet die
Menſchheit, der den Schöpfer nur ſchmecken und fühlen wollte,
ohneihn zuſehen und zu erkennen“, fo mahnt Herder in dem fünften
ſeiner Geſpräche über Gott. Es ſcheint mir, da ſich unſere Herzen Weihnachten zu⸗
wenden, dieſer Rat gut und zeitgerecht zu ſein. Denn das Schickſal zwingt ein
ganzes Volk und jeden einzelnen unter uns ſpürbarer als je in ſeine Arme, und
öfter wendet der Menſch ſeine Gedanken dem Allmächtigen zu. So erhält unſer
erſtes Kriegsweihnachten einen wahrhaft tieferen Sinn. Der Krieg bringt es mit
ſich, daß unſer großes Feſt der Familie nur überall dort wirklich begangen werden
kann, wo der Weihnachtswunſch für das Volk und den einzelnen in dem klaren,
ſo deutſchen Wort umſchloſſen liegt: „Gott befohlen!“
Es wird uns allen offenbar, daß im Reichtum des Herzens der wahre Beſitz
liegt. Er wird genährt durch den tiefen Glauben an Gott; von ihm zu ſchenken,
iſt dir und mir wichtiger geworden als vordem!
Wir Deutſchen find im Grunde ein frommes Volk. Unter der weißen Raffle
haben wir am tiefſten und furchtbarſten um unſeren Glauben gerungen. Wir
führten im 17. Jahrhundert um unſere Gottesanſchauung Krieg miteinander,
während die anderen die materiellen Güter der Welt verteilten. Sehr ſpät haben
wir uns als Volk gefunden und in dieſem Bewußtſein und Glauben auch den
Hader erſtickt. Heute mag ein jeder auf freien Bahnen zu Gott finden.
Sichtbar hat der Allmächtige ſeine ſchützende Hand über der deutſchen Wieder⸗
geburt gehalten. Wir denken beſonders an den Abend des 8. November. Jeder
ſpürt es: Wir find mit Gott, Gott aber iſt mit uns!
Das religiöſe Gefühl hat im Laufe des Jahrhunderts eine Wandlung ſeines
Ausdruckes erfahren. Immer hat es uns Deutſche erfüllt, immer gaben wir den
religiöſen Formen auch unſere Züge. Wer ſpürt nicht in ſich die Antwort vor dem
deutſchen Geſicht einer Madonna der Zeit des Riemenſchneider oder Veit Stoß!
Wer erkennt nicht die Bauerngeſichter in den Jüngerdarſtellungen, wer fühlt
nicht in jenen altüberlieferten Formen der Frömmigkeit unſeres Volkes, in jeder
Weiſe unſerer Kunſt, unſeres Denkens, unſerer Muſik, die alle unerbittlich um die
innerſte Wahrhaftigkeit ringen, die deutſche Seele!
Die Außerungen des religiöſen Gefühls ſpiegeln je nach der Zeit und ihrem
Geiſt ein Bild der eigenen Empfindungen wieder. Wir find ihnen nachgegangen.
Wir ſuchten große Deutſche unſerer Geſchichte auf, Vorbilder und Kämpfer, die
ihrem Herrgott ins Antlitz ſchauen konnten, für die er — nach Luthers deut⸗
ſchem Wort — „eine feſte Burg“ war.
Wenn nach einer böſen Meinung in jedem Deutſchen ein Held und ein Philiſter
wohnt, ſo iſt gewiß Gott mit dem Helden in uns. Wenn die Helden auf⸗
ſtehen, iſt er mit ihnen, denn dem Feigen und Verzagten hilft er nie. So will es
ein Bekenntnis in unruhiger Zeit ſein, das der Front und der Heimat in der
Weihnacht den Weg weiſt:
Deutsche mit Gott! 5. K.
Zugang zu Gott
Das erfuhr ich unter Menichen als des Wiffens Höchſtes:
Als Erde nicht war, noch Himmel oben,
Noch Baum, noch Berg mar,
Noch irgendein Stern, noch Sonne fchien,
Noch der Mond erglänzte, noch das herrliche Meer:
Da war der eine allmächtige Gott,
Der Mannen mildefter, und mit ihm viele göttliche Geifter.
(Weffobrunner Gebet um 800)
Wurzeln des Waldes
Und Erde des Goldes
Und aller Abgriinde Grund,
Die find dir, Herre, kund:
Sie ruhn in der Hut deiner Hände.
Alles himmliſche Heer
Kann dein Lob nicht ausfingen an ein Ende.
(Unbekannter Dichter des 19. Jahrhunderts,
genannt »der ältere Spervogel«)
In feinem Felde ift wohl der Spruch „Richtet nicht, fo werdet ihr nicht gerichtet“,
auwendbarer als gerade in Glaubensſachen.
Letztere ſind meines Erachtens für irdiſche Verbindungen überall kein Hindernis,
ſobald unter den Verbundenen kein Spötter und Verächter ſich befindet; eine Stufe
weiter geben ſie ein Element gemeinſamen geiſtigen Lebens ab, ſobald beide ver⸗
bundene Teile „gläubig“ ſind, worunter ich nicht verſtehe, daß beide dasſelbe grade
lauben und ſich genau und wörtlich demſelben formulierten Bekenntnis an⸗
ſchließen, ſondern nur daß beide in Ernſt und Demut forſchen und beten, um zum
wahren Glauben zu gelangen, den Erfolg aber Gott anheimſtellen.
Bismarck an ſeine Braut, 1847
Sie zertrümmerten den alten Gott, womit ſie das Welträtſel gelöſt zu haben
meinten: aber ſiehe, es zerſprang der alte Gott in tauſend Stückchen, tauſend
Fragen, tauſend Rätſel. Nun find fie am Werk, diefe verſprengten Stückchen zu
ſammeln und zuſammenzuſtellen. Wenn ſie alle gefunden und zuſammengeklebt
haben, ſind ſie wieder ſoweit wie die Alten, haben wieder eine dunkelglänzende
Kugel, die am beſten den kurzen Namen „Gott“ erhält. Gorch Fock, Tagebücher
Wenn der Himmel über mir von unzähligen Sternen wimmelt, der Wind ſauſt durch
den weiten Raum, die Woge bricht ſich brauſend in der weiten Nacht, über dem Walde
tötet ſich der Ather, und die Sonne erleuchtet die Welt; das Tal dampft, und ich werfe
mich im Graſe unter funkelnden Tautropfen hin, jedes Blatt und jeder Grashalm wimmelt
von Leben, die Erde lebt und regt ſich unter mir, alles tönet in einem Akkord zuſammen,
da jauchzet die Seele laut und Jk umher in bem unermeßlichen Raum um mich, es iſt
kein Unten und kein Oben mehr, keine Zeit, kein Anfang und kein Ende, ich höre und
fühle den lebendigen Odem Gottes, der die Welt hält und trägt, in dem alles lebt und
wirkt: hier iſt das Höchſte, was wir ahnen — Gott!
Dieſes tiefſte Ahnen unſerer Seele, daß Gott über uns iſt, daß wir ſehen, wie alles
entſtanden, geweſen und vergangen iſt; wie alles entſteht, gegenwärtig iſt, und vergeht
um uns, und wie alles entſtehen wird und wieder vergehen wird, wie keine Ruhe und
kein Stillſtand in uns iſt, dieſe lebendige Seele in uns, die von ihm ausgegangen iſt und
3
zu ihm kehren wird, bie sei n wird, wenn Himmel und Erde vergehen, das iſt das
gewiſſeſte deutlichſte Bewußtſein unfrer ſelbſt und unſrer eignen Ewigkeit.
Wir empfinden, daß ein unerbittlich Strenges und fürchterlich
Ewiges und eine ſüße, ewige, grenzenloſe Liebe ſich hart und im
EEN Pih einander entgegenſtehen, wie Hartes und
eiches, wie Felſen und Waſſer; wir ſehen diefe beiden überall, im Kleinſten
wie im Größten, im ganzen wie im einzelnen: dieſe beiden ſind die Grundweſen der
Welt und in der Welt gegründet und kommen von Gott, und über dieſen iſt allein Gott.
Sie ſtellen ſich beim Anfang eines jeden Dinges, das von Gott kommt, das im Menſchen
und in der Natur gegründet iſt, feſt und im heftigſten Kampf einander entgegen. Je
roher ſie ſich einander entgegenſtellen, je weiter iſt ein jedes
Ding von ſeiner Vollendung, und je mehr ſie ſich vereinigen, deſto
mehr nähertjedes Ding ſichſeiner Vollendung. Nach dem höchſten Punkte
dieſer Vollendung kehrt der Geiſt zu Gott zurück, die lebloſen Grundſtoffe aber zerſtören
ſich ineinander im ett ka Kern ihres Dajeins; dann vergehen Himmel und Erde, und
aus ber Aſche entwickelt ſich eine neue Welt.
Ph. O. Runge, Brief an den Bruder Daniel vom 9. 3. 1802
Alle, welche dich ſuchen, verſuchen dich. Ich aber will dich begreifen
Und die, ſo dich finden, binden dich wie dich die Erde begreift;
an Bild und Gebärde. reift meinem Reifen
rei
dein Reich.
Ich will von dir keine Eitelkeit Tu mir kein Wunder zulieb.
die dich beweiſt. Gib deinen Geſetzen recht,
Ich weiß, daß die Zeit die von Geſchlecht zu Geſchlecht
anders heißt ſichtbarer find.
als du. Rainer Maria Rilke, Stundenbuch
Wer Gott einmal ſuchen will, der findet ihn überall. Novalis, Fragmente
Wem es nicht zu Kopfe will, daß Geift und Materie, Seele und Körper,
Gedanke und Ausdehnung, oder Wille und Bewegung die notwendigen Doppel⸗
ingredienzien des Univerſums waren, ſind und ſein werden, die beide gleiche Rechte
für ſich fordern und deswegen beide zuſammen wohl als Stellvertreter Gottes an⸗
geſehen werden können, der hätte das Denken längſt aufgeben und auf gemeinen
Weltklatſch ſeine Tage verwenden ſollen. i Goethe
In allen Kreaturen ijt uns Gott gleich nahe. Der weile Mann jagt: Gott hat feine
Netze und Stride auf alle Kreaturen ausgebreitet, jo daß man ihn in einer jeden finden
und erkennen kann — wenn man es nur wahrnehmen will! Der nur erkennt Gott recht,
jagt ein Meiſter, wer feiner in allem 52 inne wird. Gott in Furcht dienen it gut;
hm aus Liebe dienen iſt beſſer: aber wer Liebe und Furcht zu verbinden weiß, das iſt
das allerbeſte. Ein Leben der Raſt und Ruhe, in Gott geführt, iſt gut; ein Leben voller
nn in Geduld gelebt, ijt befer: aber Raft zu haben in einem Leben voller
Schmerzen, bas ilt bas allerbeſte. Es gehe einer über Feld unb ſpreche fein Gebet und
werde Gottes inne, oder er ſei in der Kirche und werde Gottes inne: wird er Gottes
darum mehr inne, weil er an einer raſtlichen Stätte weilt, ſo rührt das von 1 Un voll-
kommenheit her, nicht geſchieht es von Gottes wegen. Denn Gott ¿lt der gleiche in allen
Dingen und an allen Stätten, und immer bereit, ſich in gleicher Weiſe zu geben, ſoweit
das an ihm liegt; und der nur hat Gott wirklich gefunden, der ihn überall in gleichem
Maße findet. Meiſter Eckehart, Predigt über Lucas, 21,31
It indeſſen ein Gott in der Natur, ſo iſt er auch in der Geſchichte: denn auch der Menſch iſt
ein Teil der Schöpfung und muß in ſeinen wildeſten N ir und Leidenſchaften
Geſetze befolgen, die nicht minder ſchön und vortrefflich ſind als jene, nach welchem ſich alle
Himmels⸗ und Erdkörper bewegen. Herder, Ideen
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der Elisabethkirche, Marburg 1458
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Um 1330, bemaltes Holz (Deutsches Museum, Berlin)
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In aller Geſchichte wohnt, lebet, ijt Gott zu erkennen. Jede Tat zeuget von ihm, jeder
Augenblick predigt ſeinen Namen, am meiſten dünkt mir aber, der Zuſammenhang der
großen Geſchichte. Ranke, Briefe
Es gibt keinen Weg zur Gottheit als durch das Tun des Menſchen. Durch die vorzüg⸗
lichſte Kraft, das hervorragendſte Talent, was jedem verliehen worden, hängt er mit dem
Ewigen zuſammen, und ſoweit er dies Talent ausbildet, dieſe Kraft entwickelt, fo weit
nähert er ſich ſeinem Schöpfer und tritt mit ihm in Verhältnis. Alle andere Religion
iſt Dunſt und leerer Schein. Friedrich Hebbel, Tagebücher
Es gibt Augenblicke in jedes Menſchen Leben, in welchen er eines Planes gewahr wird,
der durch ſein Dalein hindurchgeht, eines Planes, den er nicht entworfen hat und den er
nicht ausführt, deffen Gedanke ihn gleichwohl entzückt, als habe er ihn ſelbſt gedacht,
deſlen Ausführung ihn Segen und allereigenſte Förderung deucht, obwohl nicht feine
Hände an ihr arbeiten. Er ift frei, wie der Schachipieler für jeden feiner Züge fret ift: er ift
gleichwohl nicht fein Herr, wie der Schachipieler von einem überlegenen Gegner gezwungen
wird, er hat das BerouBtfein, das das Ende für ihn nicht ein Matt, ſondern in einer Nieders
lage Sieg fein werde, und je näher dies Ende rückt, deſto ungeduldiger wartet dle Freude
an dem nun kaum noch mißzuverftehenden Willen Oeffen, der den Freien dahin gezwungen,
wo ihm höchfte Freiheit, weil unbefchränkte Ausgeftaltung und Darlegung feines elgenſten
Wefens befchieden fein wird. Der Meißel tut weh, der aus dem empfindenden
Blocke den Gott herausfchlägt: je weiter aber der Stahl in feiner Arbeit
vorgeſchritten, deſto ftiller hält der Marmor, der fich Ihon über die aue
der Natur entſtehende Geiſtesgeſtalt freut. Lagarde, Schriften für Deutichland
Wohl jeder, der ernft an das Wefentliche des Lebens denkt, wird oft gefragt werden von
Suchenden: Was muß Ich tun, um Gott zu finden? Was kann ein heutiger Menfch auf eine
lolche Frage antworten? Er hann nur lagen: »Suche dich felber, vielleicht gelangt du dann
auf den Weg, der dich zu Gott führt.« Paul Ernft, Tagebuch eines Dichters
Du brauchft nicht erft nach thm zu fuchen hier und Sort, er ift nicht meiter als
vor der Tür des Herzens: da fteht er und harrt und wartet, wen er bereit finde, ihm
aufzutun und ihn einzulaffen; du brauchft thn nicht erft von weit her herbeizurufen:
er wartet ungeduldiger als du, daß du ihm auftueft, ihn verlangt taufendfach drin⸗
gender nach dir, als dir nach ihm! Es if nur eines, das Auftun und Eingehen.
Meifter Eckehart, Von der ewigen Geburt
Indem das Herz, abgezogen von allen einzelnen wirklichen Gegenſtänden, ſich all.
empfindet, fid) jelb[t zu einem idealiſchen Gegenſtande macht, entiteht Religion. Alle
einzelnen Neigungen vereinigen ſich in eine, deren wunderbares Objekt ein höheres Weſen,
eine Gottheit iit — daher echte Gottesfurcht alle Empfindungen und Neigungen umfaßt.
Dieſer Naturgott ißt uns, gebiert uns, ſpricht mit uns, erzieht uns, bay uns, [apt
5 von uns effen, von uns zeugen und gebären; kurz — ilt der unendliche Stoff unſrer
ätigkeit und unſres Leidens. Novalis, Fragmente
5
Ich will dich immer spiegeln in ganzer Gestalt, / und will niemals blind sein oder zu alt /
um dein schweres schwankendes Bild zu halten. / Ich will mich entfalten. / Nirgends will
ich gebogen bleiben, / denn dort bin ich gelogen, wo ich gebogen bin. / Und ich will
meinen Sinn / wahr vor dir. Ich will mich beschreiben / wie ein Bild, das ich sah, / lange
und nah, / wie ein Wort, das ich begriff, / wie meinen tüglichen Krug, / wie meiner Mutter
Gesicht, / wie ein Schiff, / das mich trug / durch den tódlichsten Sturm.
Rainer Maria Rilke
Sonderbar genug ift, wie [o ganz unbemerkt bleiben konnte, daß ſchon der öffentliche
Zwieſpalt religiöſer Bekenntniſſe dem deutſchen Volk ein weit höheres Ziel als jedem
andern beſtimmt. ... Damals, D jener Zeit entſchiedener Losſagung vom überlieferten
Glauben, gelobte deutſcher Geiſt und tat ſich ſelbſt den Schwur, den Gegenſatz bis zur
vollkommenen Auflöſung durchzuführen, die Einheit, die erals einen Zuſtand
erkenntnisloſen Friedens verließ, auf einer höheren Stufe als
bewußte Einheit, in E EE Sinn und weiterem Umfang einit
wiederherzuſtellen. Dies ilt das Ziel deutſchen Geiſtes, jenes Gelübde, bas, was
ba arm erſcheinen läßt gegen den Reichtum, demütig gegen den Übermut anderer
ationen, der Stachel des Eifers, der, während jene die höchſten ed eet al ab:
geſchloſſen und Prinzipien vorhanden wähnen, über bie es feine höheren gebe, ihn
antreibt, ave neue bie Grundfeſten aller Erkenntnis aufzurühren unb in unabjebbare
Tiefen hinabzuſteigen. Fr. W. von Schelling, Über das Weſen deutſcher Wiſſenſchaft 1811
Es wäre denkbar, daß die Natur das Erzeugnis eines en Einverſtändniſſes
unendlich verſchiedener Weſen wäre, das wunderbare Band der Geiſterwelt, der Ver⸗
einigungs⸗ und Berührungspunkt unzähliger Welten. Novalis, Die Lehrlinge von Sais
Der Abend war heiter und warm. Der Mond ſtand in mildem Glanze über den Hügeln
und ließ wunderliche Träume in allen Kreaturen aufſteigen. Selbſt wie ein Traum der
Sonne, lag er über der in ſich gekehrten Traumwelt und führte die in unzählige Grenzen
geteilte Natur in jene fabelhafte Urzeit zurück, wo De Keim nod) für hid ſchlummerte,
und einſam und unberührt ſich vergeblich Ris die dunkle Fülle [eines unermebliden
Daſeins zu entfalten. In Heinrichs Gemüt ſpiegelte ſich das Märchen des Abends. Es
war ihm, als ruhte die Welt aufgeſchloſſen in ihm und zeigte ihm, wie einem e
alle ihre Schätze und verborgenen Lieblichkeiten. Ihm dünkte die große, einfache Erſcheinung
um ihn [o verſtändlich. Die Natur ſchien ihm nur deswegen ſonſt jo unbegreiflich, weil fie bas
5 und Traulichſte mit einer ſolchen Verſchwendung von mannigfachen Ausdrücken
um
en Menſchen her türmte. Novalis, Heinrich von Ofterdingen
Das find glückliche Leute, die überall Gott vernehmen, überall Gott finden —
dieſe Leute ſind eigentlich religiös. e Novalis, Fragmente
Gottes iſt der Orient!
Gottes ift der Okzident!
Nords und füdliches Gelände
Ruht im Frieden feiner Hände.
Goethe, Welt=öftlicher Diwan
Umgang mit Gott
Wer feines Lebens viele Widerfinne Du bit der Zweite feiner Einfamkeit,
verlöhnt und dankbar in ein Bildnis faßt, die ruhige Mitte feinen Monologen,
der drängt und jeder Kreis, um dich gezogen,
die Lärmenden aus dem Palaft, ſpannt ihm den Zirkel aus der Zeit.
wird anders feſtlich, und Du biſt der Gaſt, Rainer Maria Rilke, Stundenbuch
den er an fanften Abenden empfängt.
Wer zurecht kommen will, dem muß je unter zwei Dingen eines gelehen: entweder
er muß Gott ergreifen und feithalten lernen in feiner Arbeit, oder er muß Welt und
Werke überhaupt laſſen! Da nun ber SWenid in dieſem Leben nicht beſtehen kann ohne
Arbeit, dieje vielmehr des Menſchen Teil ijt und von vielerlei Art, darum fo lerne der
Menſch, feinen Gott zu haben mitten in den Dingen und ungehindert zu bleiben von
Geſchäft und Ort. Meiſter Eckehart, Geiſtliche Unterweisung
Obgleich mir aber auch das, was man gewöhnlich Religion nennt, eins der wunder⸗
barſten, größeſten Phänomene zu ſein ſcheint, ſo kann ich doch im ſtrengen Sinn nur das
für Religion gelten laſſen, wenn man göttlich denkt und dichtet und lebt, wenn man
voll von Gott iſt; wenn ein Hauch von Andacht und Begeiſterung über unſer ganzes Sein
ausgegoſſen iſt; wenn man nichts mehr um der Pflicht, ſondern alles aus der Liebe tut,
bloß weil man es will, und wenn man es nur darum will, weil es Gott ſagt, nämlich
Gott in uns. Friedrich Schlegel, Über die Philoſophie
Mancher gehet zwanzig oder dreißig Jahre in die Kirche, höret Predigen und braucht
Sakrament, läßt ſich abſolvieren und iſt einmal ein Tier des Teufels und der Eitelkeit
wie das andere. Ein Tier gehet in die Kirche und zum Abendmahl, und ein Tier gehet
wieder davon. Wie will der eſſen, der kein Gebet hört? Mag auch einer Speiſe genießen,
die ſeinem Munde verſchloſſen iſt? Wie will der trinken, der fern vom Waſſer iſt? Was
hilft's mich, daß ich in die Mauerkirche gehe und fülle meine Ohren mit einem leeren
Atem? ober gehe zum Abendmahl und ſpeiſe nur den irdiſchen Mund, der ſterblich um
verweslid ijt? ..
Der Heilige Bat feine Kirche an allen Orten bei fid) und in fid. Denn er [teet ai
ebet, er liegt unb fit in feiner Kirche, er ift in der wahren chriſtlichen Kirche, im
empel Chrifti. Der Heilige Geiſt predigt ihm aus allen Kreaturen. Alles, was er anſieht,
da fiehet er einen Prediger Gottes. Satob Böhme, Weg zu Chrifto
Und wie wenn man reines Waſſer in ein völlig reines Gefäß göfle und ließe es ſtille
ſtehen, und es hielte dann jemand ſein Antlitz darüber: ſo erblickt er es am Boden ſo,
wie es an ſich iſt. Das kommt davon, weil das Waſſer lauter und ſtille iſt.
Genau ſo iſt es mit all denen, die in Freiheit und Einheit in ſich ſelber ruhen und —
Gottes gewahr werden in dem Frieden und in der Ruhe! Aber ebenſo ſollen ſie ſeiner
auch gewahr werden in Unfrieden und Unruhe, dann erſt ſteht es wirklich mit ihnen
recht! Finden ſie ihn aber ſchwerer in Unfrieden und in Unruhe, ſo iſt es mit ihnen
ſchlecht beſtellt. Meiſter Eckehart, Predigt über Apoſtelgeſchichte 1.4
Zu Gott gelangt man nicht durch die Furcht, nicht durch Das Gefühl der Abhängigkeit,
nicht durch den Verſtand, nicht durch Fürmahrhalten oder Glauben, fondern nur durch das
Beftreben, beffer zu werden, well nur dlefes auf das Gute hinaus will, das mit Gott eines
und Oaelelbe ift. Fromm fein heißt, das eigne Leben und die Gefchichte als ein zu einem
Ziel dringendes Ganze verſtehn: darum iſt die Anerkennung eines Zieles die
notwendige Vorbedingung aller Frömmigkeit.
Lagarde, Schriften für Deutichland
Es hilft überall nichts, von dem Göttlichen und Höchſten zu ſprechen, wenn dies auch mit
Engelzungen geſchieht. Es ſoll dargeſtellt werden, d. h. es [oll leben. Dies tut es nur dann,
meum es aus der Erde, ihrer Beſchränkungen ungeachtet, in markiger, kräftiger Geſtalt
hervorgeht und ſich mit ihr verträgt. Friedrich Hebbel, Tagebücher
7
Die Religion foll unfern Blick nicht von diefer Welt abziehn; fie ift eine himmliſche Macht,
die in den Bund tritt mit dem Edlen diefes Lebens, und mich hat noch nie ein religiöfes
Gefühl durchdrungen und geftärkt, ohne mich zu einer guten Tat anzufeuern, zu einer
großen mir den Wunfch, ja felbft die Hoffnung zu geben. Ciauſewitz
Wahre Religion ift Heroiemus, nicht ein müßiges Britten, empfindfames Hinfchauen oder
Ahnden. Diejenigen nennt man Männer Gottes, in denen das Erkennen des Göttlichen
unmittelbar zur Handlung wird, die im Großen und Ganzen gehandelt haben ohne
Bekümmerung um das Einzelne. Schelling, Syftem der gefamten Philofophie
Was wir ſelbſt tun können, dürfen wir Gott nicht überlaſſen.
Gord Fock, Tagebücher
Ich kenne Gott durch das Licht der Vernunft, ſein Geſetz iſt in mein Herz gegraben:
es ift das der Natur, das einzig wahre und das allein feine Reinheit bewahrt hat; es iſt
das, welches mich meine Pflichten lehrt. Damit verbinde ich die chriſtliche Moral, und
das genügt mir. Wenn ich Kummer habe, den ich mir ſelbſt zuzog, lerne ich dadurch weiſe
ſein; wenn ich einen habe, der mir ohne meine Schuld kommt, nehme ich ihn hin als
vom Willen des höchſten Weſens kommend, das unſer Geſchick regelt und das dieſe Wider⸗
wärtigkeiten mit der Rolle, die ich ſpiele, verbunden hat; den Tod aber fürchte ich nicht;
denn ich weiß, daß mein Schöpfer ein Geſchöpf, das er liebt und das ihn mit der Ver⸗
ehrung, die ich für ihn hege, anbetet, nicht in den Abgrund ſtoßen wird. ... Es handelt
ſich darum, die Pflichten des ſeinem Schöpfer dankbaren Geſchöpfes und des guten Bürgers
gegen ſeinesgleichen auszuüben. Da haben Sie meinen ganzen Moralkurſus, und ich bin
völlig überzeugt, daß ich mit dieſem Glauben mein Heil erreichen werde.
Friedrich der Große an Grumbkow, 28. 4. 1736
Ich beuge mich jedem Höheren und alſo gewiß dem Höchſten. Aber nur dadurch, daß
ich ihn möglichſt zu entbehren ſuche, kann ich mich in ein würdiges Verhältnis zu ihm
ſetzen. Er will nicht die Krücke des Menſchen ſein, darum hat er ihm Beine gegeben.
Fordert das Leben von mir das Unmögliche, ſo erdrückt es mich entweder — oder es iſt
nicht das Unmögliche geweſen. In jedem Fall ſoll ich alles aufbieten, was
an Kraft in mich gelegt ift; diefe Kraft macht mich gewiß frei, ift es nicht nach
außen, indem ſie das Hindernis überwältigt, ſo iſt es nach innen, indem ſie die Körper⸗
ketten zerreißt. Friedrich Hebbel, Briefe, 12. 2. 1837
Die Religion der meiſten Leute ift nichts weiter als ein „Sich⸗ſchlafen⸗ legen“, und
es iſt wirklich zu fürchten, Gott möchte ſie für ihre Gottesfurcht noch einmal ſcharf anſehen,
denn es iſt keine Kunſt, zu Bett zu gehen, wenn man müde iſt, oder gar — der Fall iſt
noch häufiger — niemals aufzuſtehen, und die Natur mit all ihren Unbegreiflichkeiten
und ben Menſchengeiſt mit all [einen Rheinfällen und Gewittern im Schlaf — d. h. im
Glauben — an ſich vorüberziehen zu laſſen. Friedrich Hebbel, Briefe, 11. 4. 1837
Denn fo frei Gott waltet, er tut nichts von ungefähr, und
wer ihn im Schweren gefunden, derweiß, daß er nun nicht im
Leichteren, ſondern im Schwereren zu finden fein wird.
Lagarde
Keiner sei gleich dem andern, doch jeder sei gleich dem Höchsten!
Wie das zu machen? Es sei jeder vollendet in sich. Schiller, Distichon
Wachſen — bas ift alls: Gott in uns, Gott der Welten und Himmel. Nit Werden nod)
Vergehen, nit Rennen noch Ruhen, fein totes Spiel, das in fid) zurüde kehrt! Wachſen!
Vom Ich zum Selbſt und weiter über dein Selbſt hinaus! Das iſt
Weltleben, nur das iſt Gott. Kolbenheyer, Pauſewang
Halte dich im Stillen rein
Und laß es um dich wettern:
Je mehr du fühlst ein Mensch zu sein,
Desto ähnlicher bist du den Göttern.
Goethe, Sprüche in Prosa
Eingang in Gott
A ues geben die Götter, Die unendlichen,
Ihren Lieblingen ganz:
Alle Freuden, die unendlichen,
Alle Schmerzen, die unendlichen, ganz.
Goethe
„Wann wird es doch“, fagte Heinrich, „gar keiner Schrecken, keiner Schmerzen, feiner
Not und keines Übels mehr im Weltall bedürfen?“
„Wenn es nur eine Kraft gibt — die Kraft des Gewiſſens. Wenn die Natur zuchtvoll
und ſittlich en ift. Es gibt nur eine Urſache des Übels — die allgemeine Schwäche,
und dieſe chwäche iit nichts als geringe fittlide Empfänglichkeit und Mangel an Reiz
der Freiheit.“
„Macht mir doch die Natur des Gewiſſens begreiflich.“
c ich das könnte, [o wäre ich Gott, denn indem man das Gewiſſen begreift,
entſteht es.
„Das Gewiſſen erſcheint in jeder ernſten Vollendung. in jeder gebildeten Wahrheit.
Jede durch Nachdenken zu einem Weltbild umgearbeitete un und Fertigkeit wird
zu einer Erſcheinung, zu einer Verwandlung des Gewiſſens. Alle Bildung führt zu dem,
was man nicht anders wie Freiheit nennen kann, ohnerachtet damit nicht ein bloßer
Begriff, ſondern der ſchaffende Grund alles Daſeins bezeichnet werden ſoll. Diele ert
„ ft. ... Und gerade dieſe allumfaſſen de Freiheit,
V t iit das efen, Der Trieb des
Gewiſſens. In ihm offenbart fid die heilige Eigentümlichkeit, das unmittelbare
Schaffen der 5 und jede Handlung des Meiſters ift zugleich Kundwerdung
der hohen, einfachen, unverwidelten Welt — Gottes Wort.“
Novalis, Heinrich von Ofterdingen
Menſch, wird das Paradies in dir nicht ernſtlich ſein,
So glaube mir gewiß, du kommeſt nimmer drein.
Ungelus Silefius, Der Cherubiniſche Wandersmann
Wer die Religion auf das Heiligtum des Gemütes beſchränken zu können glaubt, ber
hat nie, weder an ſich noch an anderen, Religion erlebt. Wirkliche Religion
nimmt ſichſtets die Freiheit, das ganze Leben zu durchdringen. Sie
iſt nicht nur ſonntags von neun bis elf, bei Einſegnungen und Be zu zu finden,
ſondern überall ober nirgends. Denn fie ijt nicht eine vorübergehende Aufregung des
Nervenſyſtems, ſondern das, leider oft von Sünde, aber nie von etwas ihr als Gleich⸗
9
berechtigtes Nebengeordnetem geftörte Leben unter ben Augen des allgegen:
wärtigen Gottes. Sie it bas Horchen des Schülers auf dien ur
E aber nie wegen: Stimme dieſes Gottes, ber in allem,
n Kleinftem und in Größeftem, redet und deſſen Sprache nicht auf die Paragraphen einer
für alle gültigen Grammatik abgezogen, aber von jedem gehört und verſtanden werden
kann, der ſie hören und verſtehen will. Sie iſt das ſtille, aber unaufhaltſam harmoniſche
Auswachſen bes eigenen Weſens, das, weil von Gott geſchaffen zu fein der is, auch
überzeugt ift, i gerade feine vollſte unb Spem amiin: ung mit ber vollſten
und eigent a Entwicklung bes ebenfalls von Gott ER ächſten Reie mur
einen richtigen Akkord geben wird. Sie iſt Heimweh, die bitterſüße, wie eines Atems
Steigen und Fallen raſtlos durch die Seele webende Sehnſucht des Kindes, nach Haufe
zu kommen. Lagarde, Schriften für Deutſchland
Wir haben nur alle einen einzigen Orden, der ift: das wir mit dem Herren aller Welen
ftillehalten und unferen Willen ihm ergeben und laffen feinen Geiſt in uns wirken, fpielen
und machen, was er will, und was er in uns wirket und offenbaret, das geben wir ihm
wieder dar als feine Frucht. Jakob Böhme, Der Weg zu Chrifto
In allem, was ift, ift nichts »verboten«, nichts, das Gott entgegen ift, als eines allein, der
Eigenmille: daß man anders wolle ale der einige und ewige Wille Gottes. Das will
recht verftanden fein! Gott fpricht zu Adam, das heißt zu jedem Menfchen: Was du bif,
tuft und laffeft, das ift alles unverboten und erlaubt: dafern es nicht aus deinem Willen
gefchieht, fondern aus feinem. Was aber gefchieht aus deinem Willen, das Ift alles wider
den ewigen Willen. Nicht ale ob nun alle Taten, die von dir ausgehen, wider den ewigen
Willen feien: Darauf hommt'e an, ob fie hervorgehen aus einem andern denn dem ewigen
und göttlichen Willen. Der Frankfurter, Theologia deutſch
Wir finden im Univerſum Dinge, die uns nicht gefallen; aber wir müſſen willen, daß
das Univerſum nicht In uns allein geſchaffen ift. Dennoch ijt es für uns geſchaffen, wenn
wir weiſe find: es wird fid) uns anpaſſen, wenn wir uns ibm anpaflen; wir werden
in ihm glücklich fein, wenn wir es fein wollen. Leibniz Theodizee
Nicht human ſollen wir ſein, ſondern Kinder Gottes: nicht liberal, ſondern frei: nicht
fonjervativ, ſondern deutſch: nicht gläubig, ſondern fromm: nicht Chriften, ſondern evan:
eliſch: das Göttliche in jedem von uns leibhaftig lebend, und wir alle vereint zu einem
iich KEE Kreiſe: keiner wie der andere, und feiner nicht wie der andere: täglich
wachſend in neidloſer Liebe, weil auf dem Wege aufwärts zu Gott wohl einer dem
immer näher kommt, aber nie der eine den g des anderen ſchneidet. Das walte Gott.
Lagarde, Schriften für Deutſchland
Ich weiß, daß ich Gottes bin und daß mein Schickſal nicht von einem Zufall oder von dem
Jägerauge eines ſibiriſchen Schützen abhängt. Die Nornen walten über mir.... Ich fehe allen
Wandlungen und Wanderungen geruhig und getroſt entgegen und bleibe tapfer. Es kann
mir ohne Gottes Willen nichts geſchehen. Gorch Fock, 24. 9. 1915, Tagebuch
Ich weiß, e es kein blindes, fondern ein weitſichtiges Schickſal ift, bas über mir
waltet, und daß es mich behält, wenn ich mich vollendet habe. Und i Vie rf, dak
noch viele Stufen vor mir liegen. Jedenfalls darfſt bu mir glauben, daß ich, wie es auch
komme, nicht aus Furcht ſterbe. Ich ſehe dieſen Wes ſchon lange vor mir und gehe ihn
aufrecht, wenn nicht gerade „Hinlegen“ gerufen wird. Jedenfalls denke ich nicht daran,
da dieſer Gorch Fock in mir zertrümmert werden könnte: . weiß, daß ich ihn aus Dem
Schützengraben zurückbringen werde. Sind bie Menſchen in dieſem Kriege aud wie
Sperlinge und fallen ſie ſo vom Dache, ſo geſchieht es doch nicht ohne den ewigen Willen.
Gorch Fock, Tage buch
10
Soll ich trinken, fo muß Der Trank zuerft über Die Zunge gehn, da empfängt er feinen
Geſchmack. If die Zunge bekleidet mit Bitterkeit, dann mag der Wein an fich noch fo
füB fein, er muß ja bitter werden auf dem Wege, auf dem er an mich kommt. So auch ein
feines icho entkleideter Menſch würde dermaßen mit Gott umfangen fein, das die Er-
ſchaffenen allelamt unfähig wären, thn zu rühren, fie rührten denn Gott zuerft: was an ihn
kommen follte, das müßte durch Gott hindurch zu ihm gelangen, da empfängt es feinen
Geſchmack und wird gottartig. Wie hart daher ein Leiden fei, kommt es auf dem Wege
über Gott, Darunter leidet Gott an erfter Stelle. Und fogar dies: vor Gott ift nie ein Leid,
das uns befällt, fo gering, eine Mißftimmung, eine Widermärtigkeit, daß es nicht in Gott
gefetzt, ihn ohnmaßen näher rührte und viel ärger zumiderliefe als dem Menſchen. Läßt
aber Gott es fich gefallen um irgendeinen Vorteil, den er dir darin erfehen hat, und mwilin
Ou leiden, was er erleidet und durch ihn an dich kommt, fo wird es von felber gottartig,
Verfchmähung und Bitternie wie das Allerfüßelte und die dickſte Finfternis wle das klarſte
Licht: es nimmt alles feinen Geſchmack an von Gott und wird göttlich, es formt fich alles
nach deſſen Bilde, was immer an diefen Menſchen kommt.
Meiſter Eckehart, Geiftliche Unterwelfung
Man kann ſich vielleicht ſo ausdrücken, daß das, was das gequälte pen von Gott
erfleht, ein Zweck des Lebens in dieſer ſcheinbaren allgemeinen Sinnloſigkeit iſt. Aber
der Fromme — der eben ein Skeptiker iſt und ein weiſer Mann — läßt dieſen Zweck
dann ganz in Gott ruhen, er iſt nicht ſo unbeſcheiden, daß er ihn ſchwarz auf mee aben
will: bas ift ja eben feine Religion, daß er die Ee m der Zweckmäßigkeit
feines Lebens bekommt, auch ohne verſtandes mäßige Aufklärungen, durch ein Gnaden:
geſchenk, eine Empfindung, ein Einswerden mit Gott, die Wiedergeburt oder wie man
nun ſonſt dieſen Zuſtand nennen möge. Paul Ernſt, Tagebuch eines Dichters
Eins und Alles
Im Grenzenlosen sich zu finden,
Wird gern der Einzelne verschwinden,
Da löst sich aller Überdruß;
Statt heißem Wünschen, wildem Wollen,
Statt läst'gem Fordern, strengem Sollen
Sich aufzugeben, ist Genuß.
Weltseele, komm, uns zu durchdringen!
Dann mit dem Weltgeist selbst zu ringen,
Wird unsrer Kräfte Hochberuf.
Teilnehmend führen gute Geister,
Gelinde leitend höchste Meister
Zu dem, der alles schafft und schuf.
Und umzuschaffen das Geschaffne,
Damit sich's nicht zum Starren waffne,
Wirkt ewiges, lebendiges Tun.
Und was nicht war, nun will es werden
Zu reinen Sonnen, farbigen Erden,
In keinem Falle darf es ruhn.
Es soll sich regen, schaffend handeln,
Erst sich gestalten, dann verwandeln;
Nur scheinbar steht's Momente still.
Das Ewige regt sich fort in allen;
Denn alles muß in Nichts zerfallen,
Wenn es im Sein beharren will. Goethe
11
K
Hupenpolitiſche Hotim
Riicksiedlung
Erſt kommende Generationen werden in
vollem Umfang ermeſſen können, welche
ſtaatsmänniſche Vorausſicht des ührers
und welche Summe deutſcher Organiſations⸗
und Koloniſationsarbeit zuſammenwirken
mußten, um eines der größten Werke un⸗
ſerer Zeit erſtehen zu laſſen: die ethnogra⸗
Wolter Neuordnung im Streugebiet der
ölker und Stämme ner unjerer Gren:
zen, vor allem im Often. Die 8715 Ss
erklärung Adolf Hitlers vom 6. Oktober
J. mit der Ankündigung, das Reich
werde ſeine Volksgenoſſen aus verlorenen
Auslandspoſitionen zurückberufen und da⸗
mit zu einer Befriedung in jahrhunderte⸗
lang umſtrittenen Räumen beitragen, hat
eine Entwicklung angebahnt, deren Bedeu⸗
tung und deren Ende wir heute nur ahnen
nnen.
Baltendentſchtum auf Sturmpoſten.
Im Vordergrund ſteht dabei die Aktion,
die das Baltendeutſchtum für immer pus
rückholt. Damit wird eine 700jährige
Epoche des Grenz⸗ und Auslandsdeutſch⸗
tums abgeſchloſſen, die in buntem Wechſel
erfüllt war von blutigen Kämpfen und ſtol⸗
zen Siegen, langer harter Bedrückung und
unzerſtörbarer oning auf eine glück⸗
lichere udn t. ange haben ſich Deut:
ſcher Orden, Schwertbrüder und Hanſa be⸗
müht, die früher von Kuren, Liven und
Eſten bewohnten Gebiete einzudeutſchen
und die hier einmal erkämpften Stellungen
n Etwa ſeit der letzten Jahr⸗
hundertwende und erſt recht mit dem Ende
des Weltkrieges wurde es dem Einſichtigen
klar, daß in den baltiſchen Ländern das
Deutſchtum auf verlorenem Poſten ſtand
und im Bereich der jungen, durchweg fana⸗
tiſch⸗chauviniſtiſch geleiteten Kleinſtaaten
Nordoſteuropas ſchrittweiſe, aber unauf⸗
haltſam dem Volkstode entgegenging. Die
Revolution des Jahres 1905 hatte mit bru⸗
taler Deutlichkeit offenbart, welche wahr⸗
haft tödliche Gefahr den Balten drohte. Sie
ſaßen als dünne Oberſchicht auf dem Lande,
um großen Teile in den wenigen Städten,
hier von der Ruſſifizierung bedroht und
dort namentlich von den Letten völkiſch un⸗
terwandert; es fehlte ihnen ſeit langem die
12
junge Volkskraft, wie fie beſonders ein ſtar⸗
tes Bauerntum immer wieder Bervorbringt.
Man durfte mit Sicherheit erwarten, daß
der Landhunger namentlich des Lettentums,
das dieſe erſte revolutionäre Schlacht 1905
verlor, fid bald und noch nadbrüdlidjer
Luft machen würde. Die Verſuche des bal⸗
tijden Großgrundbeſitzes, eine ausreichende
deutſche Landbevölkerung durch Anſetzen
von Pächtern und Bauern auf ihren Gütern
gu ſchaffen, blieben ohne Erfolg. Bald nach
em blutigen Jahre 1905 berief man, unter
der Führung des Katzdanger Manteuffels
und Silvio Broederichs, Deutſche aus dem
Wolgagebiet und aus Wolhynien. Aber
die jablenmabig ſtärkſte Gruppe, bie aus
den olgagouvernements wie Saratow
geholten Siedler, ſchlug nicht ein, da ihnen
die örtlichen Verhältniſſe in den Oſtſeepro⸗
vinzen migi ene Von den urſprüng⸗
lich rd. 20 en Menden, bte hier
eine neue imat finden ſollten, hielten
ſich bis in die neueſte Zeit hinein vielleicht
5000, während die übrigen bald weiter⸗
gewandert waren, meiſtens nach Überſee,
viele auch in den Stürmen des Weltkrie⸗
ges verſchleppt wurden oder in den Wirren
des Bürgerkrieges umkamen oder flüͤchte⸗
ten. Einen neuen Verſuch machte man, als
eit 1915 der größte Teil des Baltikums
urch deutſche Truppen erobert war; ob⸗
gleich die Balten ein volles Drittel ihrer
Beſitzungen für Siedlungszwecke bereitſtell⸗
ten, ſchlug dieſes Unternehmen RR als der
Yusgang bes großen Krieges biele Gebiete
in neue Erſchütterungen ſtürzte. Auch bie
Ziele vieler deutſcher Soldaten, die von
Ende 1918 an im Baltikum weiterkämpf⸗
ten, um ſich dort endlich eine Heimſtätte als
Soldatenſiedler zu ſchaffen, blieben mit dem
Scheitern des Awaloff⸗Bermondt⸗Unter⸗
nehmens unerreichbar.
Nationale Agrarreform in den Nandſtaaten
Die härteſten Schläge jedoch ſtanden dem
bodenſtändigen Deutſchtum in den neuen
Staaten Eſtland und Lettland noch bevor,
nämlich durch die Agrarreformen beider
Länder. Die eſtniſchen Balten ver⸗
loren durch die Enteignung des Großgrund⸗
beſitzes annähernd 2 illionen Hektar
Land, ſo daß im Herbſt 1939, als der Ruf
zur Rückkehr ins Reich erging, kaum noch
4500 Deutſche auf dem Lande lebten, und
zwar auf Reſtgütern und Bauernitellen, die
nicht einmal mehr 30 000 Hektar ausmach⸗
ten. Kaum günſtiger war die Lage in den
Städten, wo das Deutſchtum zuſammen⸗
ballte, namentlich in Reval, Dorpat, Per⸗
nau, Arensburg, Weſenberg, Fellin, Walk
und Hapſal, und auch hier verlor es zu⸗
SE unb immer ſichtbarer an Zahl und
utung, wie am beiten bas Schickſal ber
alten Univerſitätsſtadt Dorpat beweiſt.
Noch ſchlechter ſtand es für die gegenüber
den Eſtlandbalten zahlenmäßig Gi viers
fach überlegenen Deutſchen in Lett:
land. eit mehr als die Hälfte dieſer
70 000, nämlich rd. 45 000, ſaß in der Lan⸗
deshauptſtadt Riga, weitere 13 000 lebten
in mittleren und kleinen Städten, kaum noch
12000 auf dem flachen Lande. Im Herbſt
1920 hatte die große Flucht in die Stadt
begonnen, als ein lettiſches Geſetz ohne jede
Entſchädigung gegen 2,8 Millionen Hektar
deutſchen Beſitzes enteiqnete unb weniger
als 60000 Hektar den Balten beließ, unb
wir erinnern uns noch gut genug, daß dieſe
Tendenzen der Letten bis in die neueſte
Zeit hinein ſichtbar waren. 1932 verlor
bas Deutſchtum den Rigaer Dom, 1935 das
Sildenhaus, die trotz deutſchen Urſprungs,
deutſcher Arbeit und einwandfreier deut⸗
[fer Rechtstitel von Staats wegen dem
Lettentum übereignet wurden.
Heimkehr in den eigenen Naum
Bei aller Wehmut, die das Scheiden der
Balten aus ihrer Heimat begleitet, die ſie
700 Jahre lang zäh, aber glücklos verteidigt
ben, iſt es oftmals erſchütternd und er⸗
bend zugleich, zu ſehen, mit welchem
Glauben und mit welcher Zuverſicht dieſe
deutſchen Menſchen zurückkehren und ans
i gehen, um fid im Often des Reiches
eine neue, fidere Heimat zu gründen. Es
wird ſpäteren Schilderungen vorbehalten
eiben müſſen, aufzuzeigen, mit welcher
Großzügigkeit und zugleich Gründlichkeit
und in wie kurzer Zeit Großdeutſchland
diefe Rückkehrer eingegliedert und erneut
feſt verwurzelt hat. Nur wenige Stunden
vergehen heute in Poſen, wo durch die deut⸗
ſchen Zentralſtellen alltäglich etwa 1000
Balten, die über Gotenhafen oder Stettin
eingereiſt ſind, eingebürgert und ſofort in
ihre neuen Wirkungskreiſe geſtellt werden.
ber in dieſen wenigen Stunden zeigt es
nó. was deutihes Organijationspermógen
leiften kann. Nach der Prüfung der Per:
e Aa unb einer Beſtandsaufnahme bes
Jeft&tums, des mitgebrachten wie bes zus
tudgelaffenen, folgen eingehende medis
ziniſche und erbbiologiſche Unterfuhungen
und ſchließlich die beruflichen und ſozialen
i und mit Geld⸗
mitteln, Anweiſungen auf Wohnung, Ar⸗
beitsgerät, landwirtſchaftliches und ande-
res Inventar und in Begleitung orts⸗ und
ſachkundiger Führer verläßt der baltiſche
Riidwanderer als deutſcher Reichsbürger
das Amt. Ob nun dieſe Menſchen an
Weichſel oder Warthe auf dem Lande ange⸗
ſiedelt werden und bäuerliche Betriebe über⸗
nehmen, deren polniſche Eigentümer abge⸗
wandert oder von ihrer Flucht nicht zurück⸗
ekehrt ſind, ob ſie in Handwerker⸗ oder
aufmänniſche Berufe eingewieſen werden,
ſie alleübernehmenihren Beſitz
vorerſt als Treuhänder, um [id
zu bewähren, bis eine endgültige Klä⸗
rung der Beſitztitel möglich iſt. Aber ſie
alle gehen mit einem beiſpiel⸗
haften Eifer und mutig vor⸗
wärts ſchauend an die neue Ar⸗
beit, voll dankbarer Anerkennung für
das, was man für ſie tut. Das gilt nicht
minder für die mehreren Hunderte balti⸗
ſcher Arzte, das gilt für Ingenieure, Archi⸗
tekten, Betriebsführer und alle anderen
Berufe gleichermaßen.
Oſtpolniſche Deutſche endlich in geſicherter
Lage
Noch weniger Schwierigkeiten gibt es bei
der zweiten großen Gruppe von Rückwande⸗
rern zu bewältigen, die in den öſtlichen Reichs⸗
gauen neue Wurzeln ſchlagen werden, für
das Deutſchtum aus Oſtpolen, deſſen weiß⸗
ruſſiſche und ukrainiſche Gebiete Rußland
dr ee hat. Beim Ausbruch des
eutſch⸗polniſchen Krieges waren es viel⸗
leicht 20 000 Deutſche, die am mittleren
Narew und beiderſeits des Bug ſaßen, be⸗
ſonders dicht um Bialyſtok, faſt ausnahms⸗
los waren ſie Bauern und ländliche Hand⸗
werker. Dazu kamen rund 60 000 Menſchen
unſeres Blutes in Wolhynien und an⸗
ee 70000 in Oſtgalizien, bas als
„Weſtukraine“ in den Staatsverband der
Sowjetunion zurückgekehrt iſt. Im rei⸗
bungsloſen Einvernehmen mit ihr, das
durch die Auguſtabmachungen begründet
wurde, ſollen auch dieſe Volksgenoſſen —
oder das, was polniſcher Terror von ihnen
verſchonte — zurückkehren. Mit ihnen kom⸗
men die Nachfahren jener Koloniſten in
den Reichsverband, die in den beiden gro⸗
Ben Wellen, bis zum 14. und vom 17. Jahr:
undert ab, gen Often zogen, zuerſt por:
wiegend Bürger und Städtegründer, beim
zweiten EOD überwiegend büuerlide
Siedler. Aus b len Männern ift ein guter
13
Teil der ehemaligen polniſchen Oberſchicht
gerporgegangen, deren Namen ihre deutſche
bſtammung verriet: Polens letzter Außen⸗
miniſter Beck ebenſo wie der vor einigen
Jahren durch einen Flugzeugabſturz ums
Leben gekommene General aus (= Dres
fer), der Admiral m. (= Unrub), die
Pryſtor (Prieſter) und Ulrych und bis Her:
ab zu den Wortführern der polniſchen
Volksräte in den SE Poſen und
Weſtpreußen Ende 1918. Hier fand ich gar
nicht oder nur ſehr oberflächlich entdeutſchte
Namen wie Leitgeber, Szuman, Sztark und
viele andere unter den Proklamationen, die
zur Wahl der „naczelna rada ludowa“
(Oberſter Volksrat) warben oder zum Ein⸗
tritt in die örtliche „tag ludowa“ (Volks⸗
wehr) le Es th ber ille
Großdeut nn daß deutſche
Menſchen mehr
ünftig nicht
Kulturdünger für fremdes Volts:
tum fein follen!
Südtiroler ins Reid
Eine weitere Welle von Riidfehrern wird
in einiger Zeit Südtirol verlaſſen. Seit⸗
dem der Führer in verbindlichſter Form
die deutſche Südgrenze am Brenner als un⸗
verrückbar bezeichnet hat, um endlich aud
in dieſem Gebiet des völkiſchen Grenz⸗
kampfes klare und dauerhafte Babu
n ſchaffen, find in ſorgfältiger Vorarbeit
ie Bedingungen für eine reibungsloſe
Scheidung zwiſchen deutſchem und italieni⸗
ſchem Volkstum gelhaften worden. Ein
uter Teil ieſer füdtiroler
üdwanderer dürfte in den
nördlichen und öſtlichen Teilen
der deutſchen Alpen eine neue
Lebensheimat finden, doch ſteht
zu erwarten, daß mancher auch von ihnen
den Weg in den wieder deutſch gewordenen
Oſten nimmt.
Schapferiſches Aufbauwert
Wir wiſſen heute noch nicht, ob und, falls
ja, welche weiteren deutſchen Volksgruppen
aus anderen Ländern zurückgerufen werden
ſollen, ob vielleicht die rd. 50 000 Bauern
aus Litauen, bie zwiſchen Reichsgrenze und
oberer Memel ſiedeln, ob die etwa 100 000
Volksgenoſſen in der rumäniſchen Dobru⸗
dſcha und in Beſſarabien. Ebenſowenig iſt
bereits jetzt zu überſehen, in welchem Aus⸗
maße Deutſche aus Überſee zurückkehren,
wenn die Waffen wieder ruhen; aber man
kann ſich gut vorſtellen, daß Zielklarheit
und Umfang bes Rückwanderungswerks zur
Eindeutſchung der Oſtgebiete ebenſo, wie
14
der Zwang des Krieges es tut, noch man⸗
en Deutſchen in die große Heimat zurüd:
zieht.
Diefes Oſtwerk dient, fo betonte Adolf
Hitler, zur Schaffung einer Reichsgrenze
nach ethnographiſchen Geſichtspunkten und
einer völkiſchen Neuordnung, die mit einer
planmäßigen Umſchichtung der
Nationalitäten künftige Konflikts⸗
alte aa von vornherein unterbinden
wi Damit und infolge einer
Löſung des Judenproblems auch
von der territorialen Seite her
eht mit dem bisher polniſchen
aum manches Land vor einer
weit⸗ und tiefreichenden Wand:
[ung überkommener völkiſcher
und politiſcher, ſozialer und
wirtſchaftlicher 3utände Daß
bliche Schwie⸗
dieſe Umſtellung vielfach er
rigkeiten mit to ringt, liegt auf bet
Hand; wir brauchen da etwa nur einmal zu
unterſtreichen, daß die Liquidierung bes
von Balten hinterlaſſenen Befikes an
Grund und Boden, Häuſern und Rechten
für ein wirtſchaftlich und finanziell ſchwa⸗
ches Land wie Lettland nicht einfach iſt,
ebenſo die Rückführung alter deutſcher
Kulturgüter wie die des Herderinſtituts
aus Riga. Aber das find Widerſtände, die
überwunden werden.
Das on bietet, eigentlich zum erſten
Male ſeit Jahrhunderten, den Deutſchen
ausreichend aum, Sicherheit, Arbeits⸗
und Entfaltungs möglichkeiten ohne Zahl,
und dadurch il es möglich, Lebensfragen
unſeres Volkstums auch jenſeits unſerer
Grenzen zu löſen. Wenn jetzt verlorene
Außenpoſten aufgegeben werden, findet
eine Entwicklung ihr Ende, die viele un⸗
ſerer Beſten zwang, ins Ausland zu gehen
und dort Träger einer Kulturmiſſion zu
ſein, die immer anderen, oft ſogar feind⸗
lich geſinnten Völkern zugute kam. Zu⸗
gleich gewinnt das Reich im Kampf be⸗
währte Glieder des Deutſchtums wieder,
führt es koloniſatoriſch er⸗
probte Kräfte im Zeichen einer
entkapitaliſierten iedlung
auf bte deutſche Scholle zurück
und wächſt es an völkiſcher Kraft und wirt:
ale ee Macht in zunächſt noch unüber⸗
ehbarem Ausmaß. nd wir wollen e⸗
niemals überſehen, daß dieſes Werk der
9 utſcher Volksgruppen glei⸗
chermaßen dem Beſten dieſer Menſchen wie
dem Frieden zwiſchen den Völkern und
Staaten gerade in einer Zeit des Krieges
dient. —ie—
Z6 ge er eg e
Englisch — Allzuenglisch
„Das ale STE das man
von einem Minifter unleres Landes
erhalten kann, it ein Bers
ſprechen — zumal wenn es durch einen
Schwur bekräftigt wird. Jeder kluge Menſch
zieht ſich, ſobald er ein ſolches erhält, ſofort
ric und läßt jede Hoffnung fahren.“
Jonathan Swift vor 200 Jahren im „Gulliver“.
Als im Jahre 1878
slider Proteſte von uns beſetzt wurde, ba
gone RM. Waddington, bem franz
Renbpunti aus iff has toniel wie ein Ab.
unkt aus ovie e ein Ab⸗
tommen
leinaſien gern babe,
b niebers
KM Win, Gall: : Si wir 1882
wenn bie Ordnung 8 t ſei.
tb Salis⸗
t9
legenhetten wiederholt, u t höchſt
offen. Die mabe Anderten fid) und wir
t i w
ihnen:
W. H. Dawfon, Hitler Challenge. The Nine-
teenth century and after, April 1936.
„Ich kenne kein Mitglied dieſes Haufes —
unter meinen Kollegen unter
denen, die auf der anderen Se des
pantes Risen — das jemals den e
tihlag vertreten hätte ngland
olte ich niemals, unter feinen Umftänden
R bie Angelegenheiten fremder Länder
einniſchen. Es t Lagen, in denen es
der eee Pflicht ſein kann, uns
Cat ger Wir können uns offen
indie Angelegenheiten fremder
Länder einmiſchen, wenn die
Intereſſen oder die Ehre Eng⸗
lands auf dem Spiel ſtehen oder
wenn nach unſerer Meinung die Unab:
hängigkeit Englands bedroht ift.“
Disraeli im Unterhaus, 1860.
„Warum hängt die Ehre unſeres Landes
von dieſem Kriege ab? Vor allen Dingen,
weil wir die ehrenvolle Verpflichtun
, bie Unabhängigkeit, Freiheit un
egrität eines ſchwächeren Nachbarn és
mals Belgien), der immer in Frieden gelebt
hat, zu verteidigen. Er hätte uns nicht dazu
wingen können, denn er u Pflichten aber
Cher. der es ablehnt feinen flichten nad:
zukommen, weil fein Gläubiger zu ſchwach
tft um ihn dazu zu zwingen, tjt ein Schuft.“
(Wer ſpricht da von Polen?
Lloyd George, Queens⸗Hall⸗Rede, 19. Sept. 1914.
„Wir verteidigen Belgien, weil es das
enſeitige Ufer des Kanals iſt und die Mün⸗
ungen der Schelde und des Rheines über⸗
Sek Wir find Verbündete Portugals, weil
es uns eine Hintertür nach Spanien offen
19 5 MP weil es eine
tofung gegen Frankreich u terreich⸗
Ungarn bildete. Wir waren der Pate
Japans, weil es eine Fehde Rußland
gate und jetzt die Vereinigten Staaten im
uge behält. — Wir mögen manche Völker
allezeit und alle Völker eine Zeitlang zum
beſten haben, aber wir werden nicht
mehrlangealle Völker zum Nar⸗
ren halten.“ .
„The Labour Leader‘, März 1915.
„Es hat Zeiten in der Weltgeſchichte ge:
geben, in der zwei oder drei Nationen gleich⸗
eitig die Schützer der Ziviliſation geweſen
ind, aber eine nach der anderen hat verſagt.
Sie haben ihre Funktionen nicht ul und
trotz ben Anſtrengungen und der Macht, der
fe d in den Tagen ihrer Herrſchaft er:
reuten, verſchwanden ſie eine nach der
andern, und neue Völker ſtanden auf, um
ihren Platz einzunehmen. Das Amt des
Ziviliſationsſchutzes kommt nicht
von Königen, nicht von Herrſchern oder
rſten, nicht von Senaten, Parlamenten
oder Räten, es kommt von oben, aber nicht
nach der Wahl der Völker, ſondern nach
Gottes Willen.
Dieſes Amt — dieſes Amt iſt heute das
eure und das unſrige. Die Handlung iſt eine
öttliche: Sie antworteten auf die unſicht⸗
re Botſchaft vom Jahre 1917, als wir
ſchon ſo getan hatten; aber das Amt iſt noch
nicht erfüllt, das Werk iſt nur halb getan.
Wenn es NN ganz — ganz zu Ende ge:
bracht wird, |o iſt die Ziwiliſation noch in
dieſer Generation zu einer Kataſtrophe ver⸗
urteilt, wie ſie die Welt noch niemals ge⸗
ſehen hat. enn Sie aber, Ihr mächtiges
Volk, wenn unſer Volk im ganzen britiſchen
Empire die Botſchaft entſchloſſen, feſt, muti
und a zu zögern ausführt, dann e ich
keine Beſorgnis, daß die Menſchheit höhere
Höhen des Edelmutes, der Sicherheit, des
Glückes erklimmen wird, als ſie bis jetzt ge⸗
kannt hat.“
Lloyd George zu den Amerikanern, New Pork, 1923.
15
„Die traditionelle engliſche
Politik hat zum Ziele die e⸗
ſtaltung der Welt zu immer
5 Vollkommenheit zu⸗
gunſten des Menſchengeſchlech⸗
te s— unter welchen gegenwärtigen Opfern
dies auch immer geſchehen muß. Und das
britiſche Empire iſt die Ai E Skizze für
bie ſpätere Geſtaltung der Welt.“
Gerard Collier, The leading ideas of british
Policy. Oxford 1914/15 (Oxford Pamphlets, Bd. 43).
Deutschland, England und das Meer
Deutſche und Engländer, raſſiſch ſo nahe
verwandt, find politiſch und weltanſchaulich
zu Antipoden 5 Das offizielle, das
nach außen allein vernehmbare England,
das uns bei unſerer Ordnungsaufgabe in
Mitteleuropa mit der Kriegserklärung in
den Rücken gefallen iſt, will unſeren Unter⸗
gang. Mit ihm haben wir uns auseinander⸗
zuſetzen und werden es mit der Folgerich⸗
tigkeit und Härte tun, die jener britiſchen
Hartnäckigkeit angemeſſen iſt.
Als im Herbſt 1914 unſere d Mee
im feuchten Flandernwind über Brügge
d'In vorſtießen und bei Oſtende in ehr:
irditiger rgriffenheit das Meer erblid-
ten, glaubten viele von ihnen, Volk und
Vaterland aus der Enge der en
Nordſee befreit zu haben, jenem „naſſen
Dreieck“ Emsmündung — Elbemündung —
Sylt, in das frühere deutſche Zwiſtigkeit
und böſer Wille Englands das Deutſchtum
des 19. Jahrhunderts gezwängt Ben Wher
fie merkten nur zu bald, daß nur vier
Dampferſtunden von Oſtende entfernt die
Kreideklippen von Dover on England
verriegelt und verfiegelt bie Nordſee. Ohne
England wären unſere Nordſeehäfen das
„Gegenüber“ von Kanada, Neuyork und dem
Paradies der weſtindiſchen Inſelflur.
Die enge Gaſſe
Dem „naſſen Dreieck“ im innerſten
Winkel der Nordſee entſpricht ein „trodes
nes Dreieck“ an ihrem ſüdweſtlichen
Ausgang, das Dreieck AE Kap
Graue Rafe, Sommemündung. Mit dieſem
Dreieck unb feiner Spitze in der Grauen
Naſe ſchiebt ſich bis auf 30 Kilometer Ent⸗
fernung das europäiſche Feſtland gegen die
britiſche Inſel vor. In den erſten Jahr⸗
hunderten unjerer deutſchen Staatsgeſchichte
teichte niederdeutſcher Volksboden bis zum
Atlantiſchen Weltmeer. Boonen war
niederdeutſch, bevor es Boulogne wurde.
Als Calais noch ein niederdeutſches Kales
war (verwelſcht wurde es um 1200, von
16
Flandern abgetrennt erft im 14. Jahrhun⸗
bert), konnten unjere Vorfahren von hei:
matlicher Scholle mit bloßem Auge die
Küſte Englands erblicken. Und dieſes Eng⸗
land war vor tauſend Jahren nicht von
„Engländern“ bewohnt, ſondern von An⸗
geln und 1 Die Kahle von Kales
oder Dover, heute die Nahtſtelle zwiſchen
britiſcher Seeräuberei und franzöſiſcher
Hörigkeit, war zu beiden Seiten von unſeren
Brüdern beſiedelt.
Wir ſtellen das nicht feſt, um daraus
einen Anſpruch für die Gegenwart oder
Zukunft herzuleiten, aber ſolches Wiſſen
macht unſeren Entſchluß noch härter, Eng⸗
land aus unferem gegenwärti⸗
gen Lebensraum Mitteleuropa
ein für allemal zurückzuweiſen.
Die Engländer u von Haus aus
fein ſeefahrendes Volk geweſen. Vom
12. bis 15., d 16. Jahrhundert beherrſchten
nicht engliſche Pie per die Nordſee, fon:
dern deutſche. Die Themſe war ſozuſagen
„Zubringer des Rheins“.
In London galt bas Wort des hanſiſchen
Kaufmanns aus Köln, Bremen und Lübe
viel. Der deutſche Stalhof zu London
war Englands wirtſchaftlicher
Mittelpunkt. Engliſche Könige ver⸗
pfändeten nicht nur Zölle oder Zinnberg⸗
werke, ſondern ſogar die Königskrone an
die „ktlöniglichen Kaufleute“ aus dem Oſten
(„Diterlinge“), an die heute noch bie eng:
liſche Münzbezeichnung „Pfund Sterling“
erinnert.
Erſt als Schüler der deutſchen Hanſe ſind
Engländer wirkliche adeps geworden.
Sie haben das leuchtende Beiſpiel des Ban:
ſiſchen Kaufmannes vergröbert und ins
Sa ige überſteigert. Während der
anſekaufmann durch ſtrenge Erziehungs⸗
ordnungen ſich und ſeinesgleichen immer
wieder auf den allgemeinen Nutzen aus⸗
richtete, wurde der britiſche Überſeekauf⸗
mann immer wieder en Großverdiener
und Ausbeuter. Die Briten halten i
für bas auserwählte Volk und falen
jeit e ice jedes Auftauden einer
neuen Macht zur See, ja [don zu Lande
als eine Beleidigung und als eine Ver⸗
letzung britiſcher Intereſſen auf.
Beharrliches Gegenipiel
Unſer Volk nun hat nicht erſt ſeit geſtern,
ſondern m ar ſeit dem Frieden zu
Utrecht im Jahre 1713 mit Englands Geg:
nerſchaft zu rechnen. Damals konnte Eng⸗
land die Ipae wie bie niederländiſche
Seegeltung als endgültig überwunden
betrachten und die franzöſiſche als ſo ge⸗
m fi d
0
|
|
ſchwächt, daß mit ihrer demnächſtigen
Überwindung zu rechnen war. Sogleich ſtell—
ten ſich die wendigen Londoner Politiker
darauf ein, das fà tapfer aus ben Folgen
bes égen gen Krieges wieder her:
aufarbeitende deutſche Volk nicht zu ſtark
und vor allem nicht einig werden zu laſſen.
Überall arbeiteten Englands Ränke und
Englands Geld. Von nun ab wurde es eng—
licher Grundſatz, auf der feſtländiſchen
Seite der Nordſee ein Vorfeld
gegen Deutſchland zu beſitzen. Zunächſt war
s Hannover, mit dem die engliſche
Krone ab 1714 durch Perſonalunion ver:
bunden war. Damals gehörte Flandern mit
ſeiner Küſte noch zum Reich. Was war für
London „natürlicher“, als des Kaiſers Geg—
ner zu unterſtützen. So kam es zu Englands
„Freundſchaft“ für das friderizianiſche
Preußen. Als aber Deutſchland unter preu—
kilher Führung zuſammenzuwachſen ſchien,
wurde Friedrich der Große im Stich gelaſſen.
Im Wiener Kongreß verhinderte Eng—
land, daß Flandern „heim ins Reich“
kehrte oder ar daß die Hoffnung
eines Ernſt oritz Arndt und anderer
Patrioten auf Rückkehr der Niederlande
erfüllt wurde. Um die Deutſchen von der
Nordſee abzulenken, ſchanzte England auch
das Elſaß wieder dem beſiegten Frankreich
zu. Unter britiſcher Patenſchaft entſtand
ein großniederländiſcher Staat, der die Län—
17
der des mie Bundes von ber Moſel
bis zur Emsmündung vom Meere abriegelte.
1830 wurde dann dieſe Rolle auf den neuen
belgiſchen Staat übertragen. Als „Lohn“
sa k England obendrein nod) bie deutſche
Inſel Helgoland. Als 1848 das deutſche Volk
in jugendfriſcher e put, H und ange:
borener Liebe zum Meere das Geld für eine
lotte ſammelte (und p im ganzen deut-
en Gebiet bis zur Bergakademie Shem-
nig in ber Glomatei!), drohte England von
ege aus, diefe Flotte als Seeräuber
16 ehandeln und erzwang ſo ihre Auf⸗
öſung.
Daß dann eine Einer ee
Frage entſtand und ſo bitterböſe wurde, war
z. T. engliſcher Putſcharbeit in Dänemark
zu verdanken. Der deutſche Bruderkrieg von
1866 war nach Englands Sinn, desgleichen
der deutſch⸗franzöſiſche Krieg von 1870/71;
denn wenn Deutſche und Franzoſen ſich
egenſeitig beſchäftigten, war nichts für das
eſtländiſche „Vorfeld zwiſchen Somme und
Ems“ zu fürchten. Als 1871 die nieder⸗
deutſch⸗flämif e Bevölkerung um Dün⸗
kirchen und Caſſel deutſche Beſetzung er⸗
E te, wußte bie engliſche Königin beim
erliner Hofe es durchzuſetzen, da
von der
bis 1873) gemäß dem Frankfurter Friedens:
vertrag das Gebiet um die Graue Naſe mit
Dünkirchen, Kales, Boonen ausgenommen
wurde.
Wie das SH Reih an England zer:
brach, ijt bekannt. Es hatte die „Todſünde“
begangen, in dem ihm vie anf den
Weltkrieg das engliſche Vorfeld auf dem
Feſtland, vor allem die flandriſche Küſte,
anzutaſten. Nach engliſcher Auffaſſung war
Verſailles ein „Friede der rechtigkeit“,
weil es bie Deutſchen in das enge „ naſſe
Dreieck“ zurückverwies und gleichzeitig an
vielen anderen Stellen beſchäftigte.
Auch der ganze Nachkrieg unter den Be⸗
ſtimmungen von Verſailles und St. Ger⸗
main iſt zu entſcheidendem Teil Englands
Werk. Mit allen unſeren Gegnern hätte
ſich ein Ausgleich finden SE wenn Eng:
land ihn nidt verhindert hätte. Mit allen
unſeren Nachbarn könnten wir Frieden
haben, wenn es gelänge, die Seemacht Eng⸗
land zum Frieden zu bringen. Län
ée wir mit unſerem Fleiß eine höhere
LEES errei wenn England
bis 1870) Nord- und Oſtfrankreichs (1871
nicht ſeit Jahr und Tag Wirtſchaftskrieg
gegen uns geführt hätte oder durch Hilfs⸗
völker hätte führen laffen. Es gibt keinen
Bereich deutſcher Arbeit, in den nicht Eng⸗
lands rauhe Hand gegriffen hätte oder
noch greifen würde.
Die Nordſee — unſer Lebensraum
Dieſe zentrale Bedeutung des nun ſchon
226 Jahre währenden britiſchen Dauerkrie⸗
ges gegen die deutſche Einigung zwingt
zu der Frage, ob nicht das deutſche Volk
ebenfalls die ihm zukommende Seegeltung
erringen kann. Ob es nicht Mittel und
Wege gibt, England mit ſeinen eigenen
Waffen u ſchlagen und der dauernden eng⸗
liſchen Bedrohung ein Ende zu machen. Die
Frage ſtellen heißt ſie beantworten. Auch
wir haben Heimatrecht auf den
Wogen.
Der Feſtſetzung des Inſelſtaates England
auf dem „trockenen Dreieck“ des Feſtlandes
müſſen wir i begegnen, daß wir noch
viel ſtärker als bisher das Meer, die
Nordſee bis hinauf zu den Shetlandinſeln,
in den Kreis unſerer Betrachtung und
unſerer Arbeit einbeziehen. uch das
cine
Das Beispiel eines gläubigen
Deutschen: Johann Gottlieb Fichte
Es ift eigenartig und nicht ohne Ironie,
daß revolutionäre Bewegungen gegen ben
Dogmatismus ber Kirchen nicht se ihren
Urſprung in der ſelbſtſicheren Atmoſphäre
evangeliſcher Pſarrhäuſer fanden. Das gilt
von Friedrich Nietzſche, vor allem aber und
in weiterem Sinn von einem Mann, deſſen
Leben und Werk von grundlegender Be⸗
deutung für die deutſche Sache wurde, und
der in dieſer ſtürmiſch bewegten Zeit wohl
berufen iſt, auch uns Heutigen Künder und
Deuter zu ſein: Johann Gottlieb Fichte.
Fichte iſt freilich nicht eines Pfarrers,
ſondern eines Bandwirkers Sohn, und an
I do Wiege ftand, wenn nicht die Armut,
o doch die Sorge Pate. Aber ſeine Lehr⸗
ahre verliefen entſcheidend unter pfarr⸗
herrlichem Einfluß. Ein Pfarrer war es,
der des Knaben Fichte ungewöhnliche Be⸗
abung entdeckte und ihm, den das Schickſal
ür eine Handwerkerſtube beſtimmt zu
haben ſchien, die erſten Sproſſen der Leiter
erklimmen half, die dann unmittelbar in
Meer iſt unſer Lebensraum. Die
Grenzen unſeres Reichen liegen bei Borkum,
Helgoland und Sylt, die Grenzen unſerer
Aufmerkſamkeit und Anteilnahme müſſen
draußen auf den Wogen liegen, wo England
uns unfere Nordſee verriegelt und vers
fegelt. Hinter den Verſuchen unjerer
Kriegsmarine, dieſe Sperren zu durch⸗
brechen, muß der leidenſchaftliche Wunſch
unſeres Volkes nach Seegeltung und Arbeit
in der weiten Welt ſtehen. Denn: Ohne
Seegeltung keine Kontinental⸗
u^ pos England ift ein ſch
in Krieg ge ein ſchwerer
Krieg; das bat England gewußt, als es ihn
uns aufzwang. Es kann ein langwieriger
Krieg werden. Aber er muß um des Frie⸗
dens willen gewonnen werden, auch wenn
wir das rt Geduld groß ſchreiben
müſſen. Und nur ein ſtraffes und bewußt
blockademäßig s Verhalten wird uns jene
zuſätzliche Härte erringen laſſen, die im
Endkampf gegen England das letzte, ent⸗
ſcheidende rt ſprechen wird.
, Friedrich Lange.
eltſage
die fernen Höhen gedankenſtrenger Wiſſen⸗
ſchaft führte.
Die nächſte Station des eS Bils
bungsmeges, die fürftlide Lehranſtalt
Schulpforta, atmete den gleichen pfarrherr⸗
lichen Geiſt. Die Welle der Aufklärung
durchdrang ihre Mauern nicht, und gar
Leſſings ſcharfzüngiger Dialektit war Bier
feine Pforte geöffnet Wenn aber Jugend
hinter verſchloſſenen Türen und dicht
Deren enen Fenſtern verpönte Schrift»
eller lieſt, dann ſtimmt etwas nicht mit
er Zeit, dann geht ein ſpürbarer Ri pe
bas Gefüge überlieferter Ordnung; au
ſolche eile pflegen Revolutionen ſich an⸗
zukündigen.
m. Pe hatte damals ſeinen Streit mit
dem Pfarrer Goeze, und ſein „Anti⸗Goeze“,
von dem jungen Fichte fo begierig und
heimlich verſchlungen, ließ keinerlei Zweifel
daran, daß in der Perſon des beſagten
Pfarrers eine ganze Inſtitution gemeint
war, eine Inſtitution, die Johann Gottlieb
Fichte, bei aller ſchuldigen Dankbarkeit, zu
ut kennengelernt hatte, um ſich an der
Ve slos zupadenden Art Leſſingſcher
Beweisführung nicht zu entzünden. Ohnehin
19
rüttelte es bereits allerorten an Thronen
und Altären; eine Zeit hatte ſich erfüllt,
eine neue, ungewiß noch und mehr erfühlt
als geſchaut, ſtand auf der Schwelle. Jen⸗
ſeits des Rheines blitzten die erſten Wet:
terzeichen kommender Stürme, des unge⸗
bärdigen Rouffeau krauſe Ideen erhitzten
die Köpfe der Jugend.
Dennoch ging der Inge Fichte nach Jena,
um Theologie zu ſtudieren. Gewiß nicht
aus Dankbarkeit, — er hat zeitlebens nie
gegen ſeine Überzeu ung gehandelt —, wohl
aber aus dem raſtloſen rang nach Erkennt⸗
nis. Man muß wiſſen, wenn man er:
kennen, wenn man gar lehren will.
Und das wollte er. Beeinfluſſen überzeugen,
formen, durch das Wort und durch die
Gebärde: dieſe Notwendigkeit war ſchon in
dem Knaben lebendig; er war der geborene
Redner. Die Theologie konnte dem Suchen⸗
den und Ringenden nicht genügen. Er
belegte daneben klaſſiſche und juriſtiſche
Vorleſungen; dann ſtieß er auf Kant. Und
wie zehn Jahre ſpäter für den jungen Kleiſt,
ward die Bekanntſchaft mit dem Königs⸗
berger zone en für Fichte zum Wendes
punkt. Dem eologieftudenten war bie
Theſe von der abfoluten Souveränität
des Willens EE tief empfun⸗
dener Überzeugung. „Dies hat mir eine
Ruhe gegeben, die ich noch nie empfunden
habe“, ſchreibt er an ſeine Braut.
Er mochte dieſe innere Ruhe wohl nötig
haben, denn um die äußere, ja um [ein
anges „bürgerliches Leben“ mar es hinfort
f [edt beſtellt. Dem , Gottesleugnet" ver:
ſchloſſen fid) alle Tore. Schlecht bezahlte und
entwürdigende Hauslehrerſtellen hielten ihn,
mühſam genug, über Waſſer. Von Zürich
über Warſchau nach Königsberg führt es
den Ringenden. Hier, in der Stadt Kants,
trifft er perſönlich mit dem großen Philo⸗
y en zuſammen; bald darauf erſcheint die
„Kritik aller Offenbarung“, die ihn, be⸗
trächtliches Aufſehen erregend, mit einem
Schlage aus der Anonymität ſeines bis⸗
herigen Daſeins reißt und in den Blickpunkt
der wiſſenſchaftlichen Welt rückt. Die Uni⸗
verſität Jena beruft E ehemaligen
Schüler auf einen Lehrſtuhl. Hölderlin ſitzt
hier zu ſeinen Füßen.
Aber Johann Gottlieb Fichte will nicht
nur lehren, er will vor allem bilden, er⸗
iehen. Da er die Pete did ſtudentiſchen
Einrichtun en ſeinen Abſichten hinderlich
findet, müht er ſich, ſie zu ändern und ſtößt
dabei, nicht bei den Studenten, wohl aber
bei der Regierung, auf Widerſtand. Vor
allem aber ein ener Angriff gegen den
20
Dogmatismus der Kirche mußte als unver⸗
zeihlich erſcheinen. „iber den Grund unjetes
Glaubens an eine göttliche Weltregierung“,
hatte gigi u ſchreiben gewagt und in
dieſer Schrift Anſichten geäußert, die denen
der herrſchenden Gewalten erheblich wider⸗
prachen. Die Folge war eine Unterſuchung,
ie, wie nicht anders zu erwarten, mit
ſeiner Entlaſſung endete. Nach einem ver⸗
eblichen lud. in d red ut Hg einen
ſtillen Arbeitsplatz zu finden, holt A. W.
ead ben Geſcheiterten im Frühjahr 1798
nad Berlin, und hier in ber preubiifen
Hauptſtadt, bie nod) ganz des großen Fried⸗
richs Geiſt atmet, gelangt ber Jünger der
franzöſiſchen Revolution, die er ſechs Jahre
zuvor in zwei flammenden iften ver⸗
teidigt, zum Bewußtſein feiner eigentlichen
Sendung: Der Revolutionär wird
nn Patrioten, der wiſſenſchaft⸗
iche Lehrer zum Erzieher der
deutſchen Nation.
Fichte wie Kleiſt, beide in der deutſchen
Niedergangszeit in einer Front ſtehend,
fanden eine Quelle ihrer Kraft in der
Kantiſchen Philoſophie. „In uns flammt
eine Vorſchrift — und die muß göttlich
ſein“, ſchreibt Heinrich von Kleiſt an Wil⸗
helmine von Zenge, und — hier vernehmen
wir den kategoriſchen Imperativ —, „fie
peiit Erfülle deine Pflicht; dieſer Satz
enthält die Lehren aller Religionen.“ Und
Fichte ſieht den Urſprung des Glaubens im
eigenen ſittlichen Bewußtſein:
„Nicht darin beſteht die Neligion, worin
die gemeine Denkart ſie ſetzt, daß man
glaube, — dafürhalte unb fid) gefallen laffe,
weil man nicht den Mut hat, es Ce leugnen,
auf ponen und fremde Verſicherung
hin: es ſei ein Gott; denn dies iſt eine
abergläu ge Superſtition, durch welche
höchſtens eine mangelhafte Polizei ergänzt
wird, das Innere des Menſchen aber ſo
Ke bleibt als vorber, oft fogar nod
chlechter wird; weil er Melen Gott fid
bildet nad feinem Bilde unb ihn ver:
arbeitet zu einer neuen Stütze [eines Ber-
derbens. Sondern darin beſteht die Religion,
daß man, in e eigenen Perſon, unb
nicht in einer fremden, mit feinem eigenen
geiſtigen Auge, und nicht durch ein fremdes,
Gott unmittelbar anſchaue, habe und be
Dies aber iſt nur durch das reine und ſelb⸗
ſtändige Denken möglich; denn nur durch
diefes wird man eine eigene Perſon; und
dieſes allein ijt das Auge, dem Gott idt
bar werden kann. Das reine Denken iſt
oe das göttliche Daſein, und umgelehrt,
as göttliche Daſein in ſeiner Unmittel⸗
1
d
Albrecht Dürer: Maria in der Landschaft (Kupferstich
C. D. Friedrich: Nebelwolken im Tal
|
|
barkeit ift nichts anders, denn das reine
Denken.“
Mit dieſen Sätzen D das Verhältnis
Fichtes zur „göttlichen Weltregierung“ im
weſentlichen ausgeſagt. Er ift niemals gott:
los geweſen, nur der von einer innerlich
erſtarrten Kirche dogmatiſierte Gott war
ihm fremd geblieben; mehr, er erſchien ihm
u allen Zeiten als eine Entwürdigung des
ohen Begriffes, den er ſelbſt ſich Gären
tte. Gott, bas war bie ſittliche Weltord⸗
nung ſchlechthin, Gott war in ihm, in allen
ten Kräften dieſer Welt. Gott nur als
lücks⸗ und Unglücksbringer, wie ihn das
ausgehende Mittelalter und der Pietismus
ſah, erſchien ihm nicht denkbar; ja mehr,
als ein unwürdiger 5 egenüber
den eigenen Schwächen: „Das Syſtem, in
welchem von einem übermächtigen Weſen
Glückſeligkeit erwartet wird, iſt das Syſtem
der Abgötterei und des Götzendienſtes,
welches ſo alt iſt als das menſchliche Ver⸗
derben und mit dem fyorigange ber zeit
bloß feine äußere Geftalt verändert Bat.
Das war ein Feldgeſchrei gegen bie Be:
quemlichkeit, gegen jede Art Läſſigkeit; es
hieß: Handele gut, erfülle deine Pflicht,
diene der Geme och, in bie bu geftellt
Dit, und du wirft gut fein. Denn Gott ift
in dir, oder et ift gar nicht. Hier klingen
bie Gedanken Leſſings an, der dem jungen
. und ringenden Fichte Führer und
egbereiter geweſen: „Einen Gott erkennen,
ſich die würdigſten Begriffe von ihm zu
machen ſuchen, auf dieſe würdigſten Begriffe
bei allen unſeren Handlungen und Gedan⸗
ken Rückſicht nehmen: iſt der vollſtändigſte
Inbegriff aller natürlichen Religion.“
Freilich, die Kantiſche Lehre: Tue deine
Pflicht, ſo biſt du in Gott und Gott iſt in
dir! blieb letztlich zu nüchtern und kühl,
um Fichtes leidenſchaftliches Sehnen nach
Gotterfüllung auf die Dauer zu befriedigen.
Schon 1799, in der „Beſtimmung des
Menſchen“ wird ihm Gott in allen Dingen
ſichtbar: „Es iſt alles belebt und
beſeelt und blickt mit hellen
Geiſteraugen mich an und redet
in Geiſtertönen an mein Herz.“
Sichte, Kind einer Zeit, bie Sean Iacques
oufleaus ee trunfen ge:
macht, war, wie hätte es anders fein können,
zunächſt von der Menſchheit ausgegangen;
erſt der Zuſammenbruch ſeiner Wahlheimat
ER ließ ihn das Volk als eigene
töke erleben, führte ihn zum Bewußtſein
ſeines Deutſchtums, formte aus ihm den
wortgewaltigſten Prediger der deutſchen
Sache. Die gleiche Unbedingtheit und Kom⸗
romißloſigkeit, die bisher in allen Phaſen
ein Leben beſtimmt, begleitete ihn auf
dieſem Weg.
Preußen, das ſoeben geſchlagene, nahezu
in der Subſtanz vernichtete Preußen, wird
ihm zum neuen Gottesſtaat, von dem die
große Erneuerung ausgehen muß. Schon in
den Vorleſungen über „die Grundzüge des
egenwärtigen Zeitalters“, 1804/05 in Ber⸗
in gehalten, ſieht er Gott in der Geſchichte,
hier noch der Menſchheitsgeſchichte, wirkſam
werden. Nun aber erlebt er zutiefſt die
Geſchichte ſeines, des deutſchen Volkes. An
einem Dezemberſonntag des Jahres 1807,
mittags 12 Uhr, hält er im Runden Saal
der Berliner Akademie die erſte jener Vor⸗
leſungen, die als „Reden an die deut⸗
che Nation“ bekannt wurden und die
um Weſentlichſten gehören, was jemals
in deutſcher Junge zu deutſchen Menſchen
geredet wurde. Jeder Satz dieſer Reden
enthält ein Bekenntnis, hinter jedem Wort
lodert ein fanatiſcher, durch nichts zu er⸗
ſchütternder Glaube an die göttliche Miſſion,
die ihm wurde: die deutſche Nation
un Bewußtſein ihrer ſelbſt unb
hrer Sendung zu erziehen.
Jetzt ſind ihm die Deutſchen das Urvolk,
„das das Recht hat, ſich das Volk ſchlecht⸗
weg im Gegenſatz mit anderen von ihm
abgeriſſenen Stämmen zu nennen“. Er
ſieht den unaufhaltſamen en einer
Welt, die, alt und faul und morſch ge⸗
worden, zum Untergange reif iſt, aber er
ſieht und ſpürt und erfühlt zugleich auch die
ſchlummernden Titanenkräfte im Wurzel⸗
boden dieſes deutſchen Volkes. Sie zu wecken
und wirkſam zu machen, redet er „für
Deutſche ſchlechtweg von Deutſchen ſchlecht⸗
weg, nicht anerkennend, ſondern durchaus
beiſeiteſezend und wegwerfend alle die
trennenden Unterſcheidungen, welche un⸗
.felige Ereigniſſe feit Jahrhunderten in der
einen Nation gemacht haben“. Und dieſe
Reden, gehalten vor deutſcher
Jugend in des Vaterlandes bit⸗
terſter Zeit, unter den Augen
franzöſiſcher Spitzel, geboren
aus einemtief verwurzelten un⸗
erſchütterlichen Glauben an
eines großen Gottes unendliches
Wirken, ſie werden zum flam⸗
menden Fanal bes Lebens⸗ und
Widerſtandswillens eines bis
aufs Blut gepeinigten Volkes;
fie werden zum Fanal des
Sieges.
i
Wir Heutigen, die wir wieder einmal im
Kampfe ſtehen um die Bewahrung und
21
Erhaltung unferer gottgewollten Art und
unjeres Erbes, wir wollen diefe Reden
eines a Größten und Beſten zum
anderen Male auf uns wirken laſſen; fie
find für uns, fie find für die Deutſchen aller
Zeiten geſchrieben und gehalten worden.
Gläubiger und gottverbundener hat ſelten
ein Deutſcher zu Deutſchen geredet als diefer
Gottesleugner“. Gläubig, b. h. zutiefft er»
üllt vom Glauben an die wig⸗
keit des Menſchen und des gottgewollten
Volkes. In ſeinen „Reden“ ſteht gültig bis
in die fernſten Zeiten, dieſes Bekennt⸗
nis: „Der Glaube des edlen Menſchen an
die ewige Jer Erbe ſeiner Wirkſamkeit
auch auf dieſer Erde gründet ſich auf die
Hoffnung der ewigen Fortdauer des Volkes,
aus dem er ſelber ſich entwickelt hat, und der
Eigentümlichkeit desſelben, nach jenem ver⸗
borgenen Geſetze, ohne Einmiſchung und
Verderbung durch irgendein Fremdes und
in das Ganze dieſer Geſetzgebung nicht
Gehöriges. Dieſe Eigentümlichkeit iſt das
ige, dem er die Ewigkeit ſeiner ſelbſt
und ſeines Fortwirkens anvertraut, die
SH Ordnung ber Dinge, in bie er fein
Ewiges legt; ihre Km muß er wollen,
denn fie allein ijt ibm das entbinbenbe
Mittel, wodurch bie kurze Spanne feines
Lebens hienieden ausgedehnt wird. Sein
Glaube und ſein Streben, Unvergängliches
zu pilangen; fein Begriff, in welchem er fein
eigenes Leben als ein ewiges Leben erfaßt,
iit das Band, welches zunächſt feine Nation
und vermittels ihrer das ganze Merſchen⸗
geſchlecht innigſt mit ihm ſelber verknüpft,
und ihrer aller Bedürfniſſe, bis ans Ende
der Tage, einführt in ſein erweitertes Herz.
Dies iſt ſeine Liebe zu ſeinem Volke, zu⸗
vörderſt achtend, vertrauend, desſelben he
freuend, mit ber Abſtammung daraus fid)
ehrend. Es iit Göttliches in ibm erſchienen,
und das Urſprüngliche hat dasſelbe ge⸗
würdigt, es zu ſeiner Hülle und P feinem
unmittelbaren Verflößungsmittel in der
Welt zu machen; es wird darum auch ferner
Göttliches aus ihm hervorbrechen.“
Fritz Helke
Neue Bücher
Allerlei für den Weihnachtstiſch
Wem der Auſſatz Houfton Stewart Chamberlains
im 15.⸗Oktober⸗Heft von „Wille und Macht“ etwas
gegeben hat, mag den begreiflichen Wunſch begen, die
gelammetten Kriegsauffäße dieſes großen Freundes
er Deutſchen zu befigen. Ste ga“ et et F. Brud:
mann Verlag unter dem Tit.! „Deutſchland /
England“ neu heraus. Au, dem gleichen Verla
ging uns das erſte Polenbuch zu. das unter dem Tite
„Unſer Kampf in Polen“ eine Vorgeſchichte
des Krieges, eine ſtrategiſche Giniling und diplo⸗
matiſche wie militäriſche Dokumente wiedergibt. Mit
22
Zur Kunstdruckbeilage
Die geſamte Schöpfung iſt von göttlichem
Weſen Gott geigaffen: die
nbrünftige
Gefühl des
und Lebens n der Natur Got⸗
tes Wirken t und ihm nachtaſtet, ganz
So fel m sermon Den Umkreis [don
febr frü e ene Ag AAS Tun
eine wichtige Rolle gefptelt, [hon etwa a
1400, als die neue, hochmittelalterliche
Stufe des Kunſtausdruckes erſchien. Aus⸗
ſchnitte aus Bildern jener Zeiten können
oft als ſelbſtändige Landſchaften gelten, und
die kosmiſche Bewegtheit und eimnis⸗
were, die die Meiſter — etwa Konrad
A Altdorfer und Dürer, Grünewald,
Wol Forde Lautenſack, ſpäter Elsheimer
— in Farben und Formen der Natur ein⸗
angen, iſt einzigartig in Europa. Es ge⸗
chieht bei dieſen Meiſtern zum erſtenmal,
aß die Landſchaft ganz für zum Erleb⸗
nis und zum Bildgegenſtand wird; die
Dürerſchen Studienaquarelle ſind dafür
einer der impulfivften Beweiſe. Von hier
aus aber geht die Verbindung ganz unge⸗
ern zu den großen romantiſchen Ma:
ern, Ph. O. Runge und C. D. Fried⸗
rich u. a., für die die Landſchaft der Natur
der Weg war, um den geheimen Geſetzen
der Schöpfung auf die Spur zu kommen.
Die große Menſchendarſtellung
unſerer Kunſt aber iſt der gemäße Spiegel
olcher Seelen, der inſtändige und ernſte,
ille und frohe, immer aber reine und ge⸗
ammelte Ausdruck iſt ihr Weſen, been
eichtum und Schönheit wir als unfer
Erbe aufnehmen und erkennen wollen.
St.
Heetesberichten und Karten ſtellt dieſes Buch eine
ausgezeichnete Materialſammlung bar, die einer néie:
ren ſchichte dienen wird Gute Hilfe zur LO
tierung mit Karten unb Statiſtik in den gegenmüttiget
gc e een des o Sanitat, Ben
nah“ Bändchen ;
0.50 AM.), We alig. E tantreth umb Suen
vermehrt wurden.
Ein [efr ſchönes Werk hat der Kunſthiſtoriker Oster
Schürer im Georg Callwey Verlag finden, Amt
ge tacht: * tag“, eine Darftellung von Kultur,
unft und Geſchichte dieſer Stadt, in der zwei Boller
wirkten. Eine „Geſchichte oer oR»eutídótt
folonijation", die Rudoly Kötzſchke und Wolf»
ang Ebert im Bibliographiſchen Inſtitut, Leipzig.
berauabcadten. dürfte auf ein ganz aktuelles Inte reſſe
oben. Dasſelbe gilt von Walter Pahls Buch „Welt ⸗
met um Rohſtoffe“ (Wilhelm Goldmann Ber:
fag), bas viel wiſſenswertes Material enthält. Es fet
ferner auf ein von Brofellor Lehmann herausgegebenes
Schweizer Werk, das im Br & GE erlag,
Zürich, erſchien, hingewieſen, das ein bedeutſames
chwe derije es Dokument über die kulturelle Verbunden⸗
em deutſchen Raum ift.
ver vom tein politiſchen Leſeſtoff liegen gleid:
falls ſchöne Werke auf dem Büchertiſch unſeres erſten
Kriegsweihnachten. Der Eugen Diederichs Verlag hat
wohl bie auffebenerregenbite Publikation für literariſche
genomet aufzuweiſen. „Vas unſterbliche
eben“ heißt der umfangteiche Band unbekannter
Briefe von Clemens Brentano, die aus dem 1 von
riedrich Carl von Savigny tammen. Im ſelben Ber:
ag erſcheint in der Reihe „Märchen der Völker in
aller Welt“ ein Band „Märchen aus Iran“, die
uns in die Welt eines tapferen neutralen Volkes des
Nahen Orients einführen. Der Alfred E AMET Verlag,
Berlin, legte vor einiger Zeit den Briefwechſel des
letzten Zaren Nikolaus II. mit ſeiner Mutter vor, der
die menſchlichen Züge dieſes letzten, Jopin en Zaren
offenbart und in bas dekadente Rupland vor der Revo”
lution Lenins einen Blick öffnet. Und wer ſchließlich
nach dem fragt, was unſer Freund Bruno Brehm
Neues und Beglückendes gel affen hat, bem fei „Das
elbe Ahornblatt“ (Adam Kraft Verlag) emps
Posten, bas von feiner Jugend und bem erſten Krieg
erzählt, aber auch bie ſchöne Freundſchaft zwiſchen thm
und Dwinger offenbart, die kleine, intenſive Erzählung
„Det dümmſte Gibiriat" (Reclambandden) und eine
von Dank und Glück, aber auch von ernſter a in
tung kündende Arbeit „Ta Erfüllung“ (Luſer⸗
Ver ag); Aus dem gleichen Geift entftanb bie flbet[dau
„Von 1914—1939, Sinn und Erfüllung bes Weltkrieges“
(Keclambändchen), in der Werner eumelburg
eine herbe, ſtarke und erfriſchende Darftellung bes neuen
Geiſtes nach ſeinem Werden und ſeinen Aufgaben gibt.
Biteraturgeſchichte
We Gw die von den Jahren
oſſen wird, bezeichnet Joſef
Lr eim.
chtung
fiedelten Räumen Europas wat. fo t
ration, Berlin, herausgebrachten Werk „Rufe über
Grenzen“ zu finden. „Daß der Literaturkenntnis
Lage ebildeten Deutſchen Neuland zuwachſe“, ift ber
unſch des Siebenbürgener Deutſchen arl Kurt
Kleine, der im Bibliographiſchen Inſtitut, Leipzig.
eine umfangreiche „Literaturgeſchichte des
Deutſchtums im Ausland“ erſcheinen ließ.
Ein ſehr verdienſtvolles Beginnen, das unſeren Blick
auf die kulturellen Leiſtungen unſerer völkiſchen Vor⸗
poſten in der Dichtung und im Schrifttum verweiſt.
Wer bisher nur Burgen, Dörfer und Städte als Kul⸗
turzeugniſſe des Deutſchtums jenſeits bet Neihsgrenzen
kannte, der findet nun hier einen Reichtum ag im
Bezirk der Dichtkunſt, der Bewunderung und Liebe
verdient. In dieſem ee e ſoll des Standard⸗
werkes der „ ite taturgeſchichte gedacht werden.
das von Adolf Bartels bereits 1919 als erſtes
völkiſches Werk über die deutſche Literatur heraus⸗
gegeben unb von ihm 1997 ergärzt in einer Neuaus⸗
gabe im Verlag Georg Weſtermann. Braun zo
u der poltenent den i Uc att eferte
t feinem „Bukowiner
deutſches 5 (erſchienen im Gere
lag Eugen Wahl, Stuttgart) einen beſonderen nn
Kunſt⸗ und Bilderbücher
„Deutſche Landſchaft in fünf Jahrhunderten deutider
Malerei“ géie knapp eingeleitet von Paul Ort-
min Rave, der Atlantis⸗Verlag heraus. Wie innig
der Deutſche jederzeit das Geheimnis der Natur als
Gottesſchöpfung umwarb, wird hier ergreifend deutlich.
Da zu geben die zwei Bände über den großen roman:
tiſchen Maler C. D. Friedrich — im Rembrandt-
Verlag von Herbert von Einem in der Reihe
RS und freieren Rahmen — eine
naung. Von der überſchauenden Warte „
ti
ber ungen find ſehr wirkſam, a
ſondern aufmerkſam hinſchaut und mit Augen und Seele
augleih aufnimmt. we reizvolle Schulung des Slides
Watt ie Aufnahmen von A Ehrhardt „Das
Rtederhelte
Der Verlag Kallmeyer gab in ee mit
ber RIF. ein paar Hefte zur Wei name heraus,
die für Singstimme allein (Hrsg v. Ilſe Lang), mit
leichten Inſtrumentalſätzen (., Hohe Nacht der klaren
Sterne“), und mit Klavierbegleitung („Tut auf das
Tor“), alte und neue Lieder vereinen, und durch die
liebevolle Ausführung und die ſehr Dann eichnungen
+h Heinrich Pauſer ebenſo ſchön wie nügli RE n
nd. . St.
Das Buch der nationalſozialiſtiſchen Bauernpolitik
Im Rompi pe en die Landflucht, diefe Geißel unferes
Volkes, hat die deutihe Jugend ih am ſtärkſten in die
vorderſten Reihen geſtellt und damit bekundet, daß es
> um bie Erkennkniſſe von Blut und Boden, um bie
u und Erhaltung bes deutſchen Bauerntums
ern ;
Run ift in dieſen Tagen ein Buch herausgekommen,
das die weſentlichſten unb grundlegendſten Auſſätze und
Reden des Reichsminiſters für oed gy unb Lande
wirtſchaft felt feinem Eintritt in die Reichsleitung ber
NSDAP. bis zum heutigen Tage enthält. „Um Blut
und Boden“ (Franz Cher-Verlag er beißt der Titel
bieles Buches, und es ift das kenntnis eines
Mannes, der, dem puse verſchworen, nichts anderes
als ſeine Lebensau gabe erkennt, als Diener am Auf-
bau unferes ewigen Deutſchlands zu ſein. Darré
will, auf dem 0e aufbauend, Deutſch⸗
land ſeine politiſche Zukunft ſchaffen helfen, in⸗
dem er, als Schöpfer eines Bauern⸗ und Bodenrechtes,
unſerem Vaterland wieder ſeinen bäuerlichen Unter⸗
en ſichert. Gerade jetzt, wo im Often unferer bie
ewährung Barrt, altes deutſches Land wieder deutſch
qu machen und einen bäuerlichen Lebensraum als beften
aranten der Deutſcherhaltung zu geltalten, beweifen
die Ideen R. Walther Darres erneut ihre Gewichtigkeit.
ier tm Often werden wir beweiſen müljen, ob wir
t die gewaltige Aufgabe einer deutſchen Kolonifation,
einer Landnahme, nod lebendig und fähig find. Wir
sungen bejahen es aus 1 eraen, aus ber Er⸗
fenntnis der Größe blefer Aufgabe und aus unferem
lebendigen nationalſozialiſtiſchen Wollen heraus. Und
die Jugend und ihr Verhalten tf für Darré der
Schlüſſelpunkt unferer Entwicklung zur Stadt oder zum
23
Lande hin. Daß die Jugend aber ihre Aufgabe erkannt
hat, zeigt die enge Verbundenheit der beiden führenden
e ber N. Walther Darré und Baldur von
Schirach, die nicht nur im Weltanſchaulichen begründet
liegt, ſondern fid) immer wieder von neuem am Prats
tiſchen bewährt. H. D.
Bücher der $3.
„Das kommende Deutſchland“ (unter u. Dünnhaupt).
Baldur von Schirach hat in ſeinem Buch „Idee und
Sejtalt" in grundſätzlichen Ausführungen die Erziehung
der nationa band iſtiſchen Jugend, ihre Aufgaben und
zhre Ziele behandelt. Der praktiſchen Ausführung dieſer
Jugenderziehung mit ihren vielgeſtaltigen Arbeits⸗
ebieten gab der Chef des Preſſe⸗ und Propagandaamtes
er Reidstugendfihrung, Hauptbannführer Günter
Kaufmann, in feinem Buch „Das kommende
Deutſchland“ eine lückenloſe und umfaſſende Dar⸗
ſtellung. Das Buch vermittelt dem Leſer einen tiefen
Einblick in das größte Jugenderziehungswerk der Welt,
bas aus dem Nichts heraus in 6½ Jahren geſchaffen
wurde. Es beweiſt, mit wieviel Verantwortung, Sorg⸗
falt und Umſicht die Jugendführung des Dritten Reiches
alle Fragen der Jugenderziehung are bat. Neben
dem organiſatoriſchen Aufbau ber 8 „der geſundheit⸗
lichen Ertüchtigung, den Leibesübungen, dem Wehr⸗
{pores der Schulungs-, Preſſe⸗ und agenda
egte der Verfaſſer beſonderen Wert auf eine klare Dar⸗
ſtellung der kulturpolitiſchen, grenz: und volkspolitiſchen
und eee Arbeit. it dem Schlußkapitel
„Der Kriegseinſatz der HI.“ aber gab Günter Kauf⸗
mann ſeinem Buch einen aktuellen und ſehr erfreulichen
Abſchluß: feds Jahre Jugenderziehungsarbeit haben fid)
ſchon in den erſten Wochen des Krieges bewährt. 8
p.
5J.⸗Jahrbuch und Jungvolk⸗Jahrbuch. Herausgegeben
von der Reichsſugendführung (Eher⸗Verlag).
Zu liebenswerten Begleitern im jährlichen Ablauf des
Dienſtes ſowohl in der HJ. wie auch im Jungvolk ſind
die Jahrbücher geworden, kleine Taſchenkalender mit
ier Leinendeckeln, beſtimmt, Fahrten und Lager zu
überſtehen, Freunde des Torniſters, Helfer und Be⸗
rater bei vielen Angelegenheiten des Dienſtes und auch
des Alltags. Es ſind keine Kalender der üblichen Art,
ſondern ſchon in a EU klar und überſichtlich, aus:
neftattet mit Bildern, Gedichten, Liedern und Berichten.
Die HJ. hat aus dieſen einfachen Büchern etwas Be⸗
de AC geſchaffen. Zweckmäßigkeit vereint fid mit
ildhafter Schönheit, fo pas diefe neuen Jahrbücher
wirkliche Erfolge ſind und allen zu empfehlen.
Die Heimbüderei. Heraus neben im Wecker bes
Cor br habe ührers von ilhelm Utermann, Verlag
„Die Heimbücherei“.
Ein beſonders ſchöner Gedanke war es, für die Heime
der Hitler⸗Jugend, die als Bauwerke wahrhaft Ausdruck
einer neuen Haltung ſind, eine Bücherei zu ſchaffen, die
in ſich ebenſo klar, ſauber und ae sec ift. Längſt
haben Kriminalſchmöker und töricht fonftruierte Aben:
teuerbüdjer an Boden verloren. Die gefunde Jugend
von heute verlangt ihr Bud, in dem ihre Auffallung
und ihr Geiſt ſich ſpiegeln. Daß trotzdem alle natürlichen
Gebote der Spannung erhalten werden können, beweiſt
die Heimbücherei. Die erſten Bände in der Reihenfolge
ihres Erſcheinens ſind: Eberhard SE Möller:
„Der Reiterzug“, Schickſalsminuten der deu Iden Ge:
ſchichte; Felix Lützkendorf: „Kadetten des großen Königs“,
eine ee aus dem Siebenjährigen Krieg; Franz
Taut: „Flieger über Urwald und Savanne“, ein deut⸗
[hes Schickſal in Kolumbien; Herbert Reineder: „Der
Mann mit der Geige“; Hans Friedrich Blunck: „Der
fremde Garten“, ein Sagen⸗ und Märchenbuch; Hans
Reifer: „So war bas mit Tetjus Uhl“, eine Robinionade;
Hermann Pirich: „Die verrufene Inſel“, eine Erzählung
aus deutſchem Grenzland sb Weitere Bände find in
Vorbereitung. Die Linie d der Bücherei tft Mar auf:
ezeigt, M heißt: Das Befte für die Jugend! Gs ift nicht
o, daß die Autoren ſchreiben was fie können, fondern
was der Jugend frommt. Ausgeſucht, geſiebt, gerichtet
nach Inhalt und Stil bietet die Heimbücherei den Anfas
zu einem vollkommenen Buchſchaffen für die Jugend.
„Jungen — eure Welt.“ Herausgegeben von Wilhelm
Utermann (Eher⸗Verlag).
Neu muß das Jugendbuch der Jetztzeit fein, weder
tromantiſch noch ſentimental, noch unwahr, es muß
vielmeht ehrlich fein in der Sprache, umfaſſend im In⸗
halt, geklärt in [einen Meinungen und leidenſchaftlich
in ſeiner Tendenz. Der junge, kräftige Standpunkt, den
die HI. allen Problemen gegenüber einnimmt, verlangt
ſeinen Anwalt. So ſpürt man beim Durchblättern des
neuen Buches der HI.: hier find Geſundheit, Lern:
begierigkeit, Wiſſen und guter Geſchmack beheimatet.
Nicht wird hier die Jugend abgeſchnitten von den Ge⸗
bieten des Träumens und Nachdenkens, vielmehr hin:
geführt zum Studium aller wiſſenswerten Dinge, an⸗
Fa ten, fid Gedanken zu machen und Kenntniſſe zu
ammeln, die zu haben für einen jungen Deutſchen
notwendig ſind. Die namhafteſten Autoren der Zeit
ha ben lid mit ihren vielen Beiträgen in dieſem Bud
ein Ste en gegeben und mit dazu beigetragen,
das Buch „Jungen — eure Welt“ zur Repräjentation
des modernen Jugendbuchs zu machen.
Auch die Mädel haben in dem eritmals heraus⸗
gegebener, Buch „Mädel — eure Welt“ (Chere
erlag) die Belange eines gefunden, modernen Mädel
ſchrifttums gewahrt. Es ijt ſowohl in der Anlage wie
auch in Durchführung und Geiſt ausgezeichnet gelungen.
5. N.
ROME der dentſchen Jugend. Im Auftrag
des Jugendführers des Deutſchen Reichs und im Cin
vernehmen mit den Oberkommandos des Heeres und
der Kriegsmarine und dem Oberbefehlshaber der Luft⸗
waffe erſchlenen beim Steiniger⸗Verlag Berlin. Preis
RM. 0,20.
Kriegserlebniſſe vom e und ſorgſam aus
ewählte Frontberichte bilden den Inhalt der Kriegs-
ücherei der deutſchen Jugend, die in dieſen Tagen mit
ihren vier erſten Heften erigienen tft. In einem Brief
an den deutihen Buchhandel, der dieles neue Jugend
| rifttum empfiehlt, ſchreibt der Jugendführer bes Deut
en Reichs über bie Richtung und Aufgabe ber Kriegs⸗
bücherei: „Wenn heute ein P me oder ein Hitlerjunge,
ber eben noch in irgendeinem Büro feine aushelfende
Arbeit tat oder vom GR Gen Feuerwehrdienſt kommt,
iak: am Abend pu einer Lungen Lektüte Zeit findet, fo
muß ihm für folde kurze Stunde ein Schrifttum mit:
egeben werden, das ihn in feiner Opferfreude nr
Gs tärkt und fein natürliches Leiden
ördert. Nichts erfüllt dieſe . beſſer als die
mit Spannung erwarteten Berichte vom Fronterleben
deutſcher Soldaten in Polen ober am Weſtwall, die
Jugendführer, Jungen und Väter in der Kriegsbüderel
der deutſchen Jugend veröffentlichen.“
Die peite ber Kriegsbücherei werden in wöchentlichen
Abſtänden erſcheinen und kommen in ihrer textlichen und
graphiſchen Geſtaltung den natürlichen Spannungs
momenten eines jungen ige entgegen. Jedes Heft
enthält eine durchgehende Erzählung und fteht jeweils
im Zeichen einer beſonderen ffengattung.
Hauptschriftleiter: Günter Kauf mann (z. Zt. b. d. Wehrmacht).
Verantwortlich für den Gesamtinhalt: Wilhelm Utermann. Sale der F
ag: Franz t Nachf.
Reichsjugendführung, Berlin 3835, Kurfürſtenſtraße 53. Fernſprecher 22 90 91. :
(5. m. 68, Zimmerſtraße 87—91. dd d Berlin 4454.
Zentralverlag der NSDAP., Berlin S
Verantwortlich für den Anzeigenteil: Ulrich Herold, Berlin. —
SW 68, Dresdener Straße 43. — „Wille und Macht“ erſcheint am 1. und
wie durch die gott unb alle Buchhandlungen. Bezugspreis
ung von 1 bis
Münden; Zweigniederlaffung Berlin
15. jedes Monats unb ift zu beziehen durch ben A Bel I
e
vierteljährlich 1,80 RM. zuzüglich Beſtellgeld. Bei Be
— Ver
l. Nr. 8. — Dru Müller & Sohn KG.,
einzelnen Nummern bitte den Betrag in
Briefmarken beizulegen, da Nachnahmeſendung zu teuer tjt und diefe Beſtellung ſonſt nicht erledigt werden tann.
Wilhelm Utermann
Vorkannte Bekannte
Ein heiterer Roman
Der Titel des Buches deutet den tragl-
komischen Vorwurf, dessen sich der Autor
bemächtigt hat, bereits vielversprechend
an. Die Handlung bildet mit ihrer Fülle
von heiteren Szenen und komischen Ver-
wicklungen einen ungetrübten Quell der
Freude und des Humors. Eine ganze
Reihe gut gezeichneter Nebenfiguren
schart sich um die beiden Hauptpersön-
lichkelten: den Obersekretär Paul Schlee-
miller und den Inhaber eines Friseurge-
schäfts namens Emil Kurz. Diese beiden
sind die Urheber der zahlreichen Irrungen
und Wirrungen dieses wirklich unter-
haltenden Romans,
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