Skip to main content

Full text of "Winckelmann und seine Bildnisse; Vortrag gehalten für die Freiburger Wissenschaftliche Gesellschaft am 8. Dezember 1917 zur Vorfeier von Winckelmanns 200. Geburtstag"

See other formats


V2) 


Gemälde  von  J.  H.  Br(andt  ?)  1759 
im  Besitze  des  Herrn  Geh.  Hofrat  Professor  Dr.  R.  Merkel  in  Freibufg 


WINCKELMANN 
UND  SEINE  BILDNISSE 


VORTRAG 

GEHALTEN 

FÜR  DIE  FREIBURGER 
WISSENSCHAFTLICHE  GESELLSCHAFT 

AM  8.  DEZEMBER  1917 
ZUR  VORFEIER  VON 

WINCKELMANNS  200.  GEBURTSTAG 

VON 

HERMANN  THIERSCH 


MIT  5  ABBILDUNGEN 


C.  H.  BECK'SCHE  VERLAGSBUCHHANDLUNG 
OSKAR  BECK  MÜNCHEN  1918 

By 


VORWORT 

XV/as  hier  im  Druck  erscheint,  gibt,  durch  Anmerkungen 
vermehrt,  den  Vortrag  ziemlich  so  wieder,  wie  er  im 
Dezember  vorigen  Jahres  im  Auditorium  maximum  unserer 
Universität  gehalten  wurde.  Für  die  Bestimmung  des  Frei- 
burger Bildes  als  einer  Kopie  von  der  Hand  des  Johann 
Heinrich  Brandt  hat  sich  erst  seither  die  Wahrscheinlichkeit 
ergeben,  wie  sie  hier  ausgeführt  ist. 

Von  den  wenigen  Gemälden,  aus  denen  eine  authentische 
Kenntnis  der  äußeren  Erscheinung  Winckelmanns  fließt,  gleich 
hier  schon  eine  bildUche  Vorstellung  geben  zu  dürfen,  haben 
ihre  Besitzer,  die  unter  den  Abbildungen  jeweils  genannt 
sind,  in  liebenswürdigster  Weise  gestattet.  Ihnen  allen  sage 
ich  auch  an  dieser  Stelle  aufrichtigen  Dank.  Vier  der  Ab- 
bildungen sind  zugleich  Erstveröffentlichungen.  Abb.  III  gibt 
mit  gütiger  Erlaubnis  der  E.  A.  Seemannschen  Verlagsänstalt 
die  Tafel  der  Zeitschrift  für  bild.  Kunst  N.  F.  XVI  (1905,  zu 
Seite  173)  verkleinert  wieder. 

Für  eine  Abbildung  des  Wiesbadener  Bildes  nach  seiner 
Wiederherstellung,  des  Maron'schen  Originals  in  Weimar  wie 
seiner   trefflichen   Kopie    in   Dessau,    endlich    der   Als'schen 

III 


Federzeichnungen  in  Kopenhagen  muß  ich  einstweilen  auf 
die  hoffenüich  bald  nachfolgende  weitere  VeröffentHchung 
verweisen. 

Dies  Heftchen  ist  ja  nur  als  bescheidener  Vorläufer  einer 
größeren  Publikation  gedacht,  welche  die  Bildnisse  Winckel- 
manns  auf  etwa  40  Tafeln  möglichst  vollständig  umfassend 
als  „Ikonographie  Winckelmanns"  in  den  Schriften  der  „Frei- 
burger Wissenschaftlichen  Gesellschaft"  erscheinen  soll,  so- 
bald als  es  die  Kriegsschwierigkeiten  jetzt  zulassen. 

Freiburg  i.  Br.,  im  März  1918 

H.  THIERSCH 


IV 


VV/ie  ist  es  nur  möglich,  daß  ein  Menscli,  der  den  Kopf 
"  ^^  voll  lauter  griechischer  Würmer  hat,  an  den  subtilen 
Strichen  eines  Malerpinsels  Vergnügen  finden  kann!?"  Mit 
diesem  Ausruf  der  Verwunderung  i  ging  um  die  Mitte  des 
18.  Jahrhunderts  kopfschüttelnd  ein  sächsischer  Edelmann  von 
dannen,  der  in  der  Dresdner  Galerie  neben  der  Staffelei  eines 
italienischen  Malers  soeben  einen  aufmerksamen  unbekannten 
Zuschauer  angetroffen  hatte,  der  schon  seinem  dürftigeren 
Äußeren  nach  keiner  von  der  Zunft  der  Künstler  sein  konnte. 

Der  unbekannte  Bücherwurm,  der  gelehrteste  Mann  in 
Dresden,  war  —  Johann  Joachim  Winckelmann. 

Die  kleine  Episode  ist  bedeutsam.  Sie  bezeichnet  das  erste 
Gesichtetwerden  des  neuen  Sternes,  der  kometenhaft  gerade 
aus  tiefem  Dunkel  aufzutauchen  begann,  sich  seines  Weges 
selbst  nur  unbestimmt  bewußt,  um  bald  leuchtend  seine  Bahn 
aufwärts  zu  nehmen  und  dann  mitten  im  höchsten  und  hellsten 
Glänze  urplötzlich,  tragisch  zu  verlöschen. 

Schon  war  er  über  die  Dreißig  hinaus,  äußerste  Armut, 
Arbeit  und  Not  war  sein  Teil  gewesen  bisher,  in  einer  niedrigen 
Kindheit,  in  einer  harten,  freudlosen  Jugend,  in  zerfahrenen 
Studien,  in  undankbaren  Mühen  als  Hauslehrer  da  und  dort, 

H.  Thiersch,  Winckelmann  und  seine  Bildnisse  1  l 


als  Schulmeister  zuletzt  in  Seehausen  in  der  Mark  —  ein 
wahres  Martyrium  — ,  endlich  in  aufreibendem  Dienst  als 
Bibliothekar  und  wissenschaftlicher  Hilfsarbeiter  bei  dem 
Reichsgrafen  von  Bühnau  in  Nöthnitz.  Da  endlich  war  es 
Winckelmann  gelungen,  den  drückenden  Verhältnissen  seiner 
Heimat  zu  entkommen  und  ganz  nahe  der  großen  Welt,  von 
der  er  instinktiv  seine  Rettung  erwartete,  eine  Stunde  südlich 
von  Dresden  Fuß  zu  fassen. 

Nöthnitz  wurde  der  entscheidendste  Aufenthalt  in  Winkel- 
manns Leben.  Von  hier  aus  war  es  ihm  zum  allerersten  Male 
möglich,  mit  dem  Lebenselement,  für  das  er  bestimmt  war,  in 
Fühlung  zu  treten:  mit  der  bildenden  Kunst.  Von  nun  an 
traten  alle  Bücher  und  Bibliotheken,  die  er  während  seiner 
labyrinthischen  Jahre  geradezu  verschlungen  hatte,  zurück, 
und  die  Kunstwerke  beginnen  mehr  und  mehr  an  die  erste 
Stelle  zu  rücken.  Winckelmann  fängt  an,  sich  selbst  zu  ent- 
decken. 

Nöthnitz  war  wie  das  mit  Bedacht  gewählte  Fenster,  durch 
das  er  zuallererst  das  neue  Land  der  Kunst  erblickte  und 
immer  wieder  mit  heißem  Sehnen  betrachten  konnte.  Dresden 
wurde  das  hohe  Portal,  durch  das  er  dann  in  das  ersehnte 
Gebiet  wirklich  hineinfuhr.  Denn  Dresden,  die  Residenz 
August  III.  war  damals  die  erste  Kunststadt  Deutschlands  und 
zwar  eine  in  den  Norden  vorgeschobene  Kolonie  des  Südens, 
Italiens.  Für  Winckelmann  wurde  Dresden  das  Sprungbrett 
nach  Italien. 

Es  sind  die  reichen  Gemäldeschätze  der  Dresdner  Galerie, 
an  die  er  sich  zunächst  verliert,  es  ist  der  Umgang  mit  den 
in  Dresden  lebenden  Künstlern,  den  er  mehr  und  mehr  sucht, 
es  ist  der  Drang  in  das  Verständnis  all  dieser  Herrlichkeiten 
tiefer  einzudringen,  der  ihn  Zeichenunterricht  nehmen  läßt, 
und  es  ist  endlich  das  wachsende  Verlangen,  den  Süden  selbst 
kennen  zu  lernen,  das  ihn  Verbindung  mit  Italienern  suchen 


läßt,  Italienern,  die  ihm  unvermutet  rasch  diesen  Wunsch  zu 
erfüllen  verheißen  und  tatsächlich  zu  erfüllen  wirksam  sind, 
in  einer  Weise,  die  ihn  selbst  in  die  allergrößte  Bestürzung 
und  Seelennot  bringt. 

Denn  dieser  eifrige,  ungewöhnliche  junge  Mann,  dem 
Geist  und  Seele  verschmachteten  vor  Sehnsucht  nach  Rom, 
war  unterdessen  auch  von  der  Gegenseite  aus  bemerkt  worden. 
Es  war  ihm  gelungen  Zutritt  zur  Galerie  zu  erlangen,  auch  an 
solchen  Tagen,  an  denen  sie  für  die  Allgemeinheit  geschlossen 
war,  und  ganz  allein.  „Es  hat  mich  nicht  wenig  Mühe  ge- 
kostet, und  dies  hat  mich  verhindert  nur  ein  einziges  Mal  eine 
Promenade  in  Dresden  zu  genießen.  Ich  bin  etwa  alle  vier- 
zehn oder  acht  Tage  nach  Tische  (von  Nöthnitz  aus)  hinein- 
gelaufen, oder  früh  und  gegen  Tische  wieder  heraus."  Ja, 
der  Galeriedirektor  Riedel  erlaubte  ihm  wie  ein  zum  Hause 
Gehöriger  zu  einer  geheimen  Tür  heraufzukommen,  in  seinem 
warmen  Kabinett  zu  sitzen  und  des  Mittags  bei  ihm  zu  essen. 
Es  eröffnet  sich  sogar  die  Möglichkeit  einer  Anstellung  an 
der  Galerie,  und  nun  studiert  Winckelmann  was  ihm  an  Kunst- 
büchern irgend  unter  die  Hände  kommt.  „Ich  bin  unter  die 
Maler  geraten,  und  dieses  unter  Leute,  die  auch  sagen  können: 
Romam  adii.  Ein  einziger  solcher  Maler  ist  mir  lieber  als 
zehn  Titelstutzer!" 

Aber  gerade  dieser  neue  Umgang  läßt  ihn  auch  die  Grenzen 
seiner  Anlagen  erkennen:  „Gott  und  die  Natur  haben  wollen 
einen  Maler,  einen  großen  Maler  aus  mir  machen,  und  beiden 
zum  Trotz  sollte  ich  ein  Pfarrer  werden.  Nun  ist  Maler  und 
Pfarrer  an  mir  verdorben.  Allein  mein  ganzes  Herz  hängt 
an  der  Kenntnis  der  Malerei  und  Altertümer,  die  ich  durch 
fertige  Zeichnungen  gründlicher  machen  muß." 

Den  erfrischenden  Umgang  mit  den  lebenden  Künstlern 
hat  Winckelmann  auch  später,  wo  sich  ihm  Gelegenheit 
bot,   immer  festgehalten.    Ein  Umgang  für  den  Archäologen 

1*  3 


in  der  Tat  so  wichtig,  wie  der  Umgang  mit  den  Werken  der 
Kunst  selbst;  so  unentbehrlich  wie  etwa  für  einen  theoretischen 
Mediziner  der  beständige  Verkehr  mit  praktischen  Ärzten,  wie 
für  einen  Religionshistoriker  der  geistige  Austausch  mit  Ver- 
tretern des  kirchlichen  Amts.  Oder,  was  wäre  das  für  ein 
Botaniker,  der  seine  Kenntnisse  der  Pflanzenwelt  ausschließ- 
lich aus  dem  Herbarium  bezöge  und  nicht  auch  in  beständiger 
Fühlung  bliebe   mit  dem   lebendigen  Wachstum   der  Flora. 

Der  Verkehr  mit  den  Dresdner  Künstlern  ist  für  Winkelmann 
sofort  auch  äußerlich  von  entscheidender  Bedeutung  gewesen. 

Friedrich  Adam  Oeser,  der  spätere  Lehrer  und  Freund 
Göthes,  der  feine  Menschenkenner,  die  liebenswürdigste  und 
vielseitigste  Natur  unter  den  damaligen  Malern  zu  Dresden, 
hatte  sogleich  den  Heros  erkannt,  der  in  dem  erkenntnis- 
hungrigen Winckelmann,  dem  gleichaltrigen  Freund,  mit  einer 
wahren  Feuerseele  auf  ihn  zusteuerte.  Er  Hest  ihn  an  einem 
trüben  Novembertage  förmlich  von  der  Straße  auf,  als  Winckel- 
mann resigniert  und  wegen  seines  Obertrittes  und  seines  Ab- 
schiedes von  Bühnau  mit  sich  selbst  zerfallen,  umherirrt.  2  Oeser 
nimmt  ihn  auf  in  sein  eigenes  Haus,  er  gibt  ihm  selber  Zeichen- 
unterricht, er  läßt  sich  mit  ihm  in  die  längsten  Gespräche 
über  Kunstfragen  ein  und  teilt  ihm  freigebig  seine  eigensten 
und  wertvollsten  Erfahrungen  mit.  „Herr  Oeser  ist  hier  mein 
einziger  Freund  und  wird  es  bleiben." 

Wie  Winckelmann  durch  Oeser  erst  die  Augen  geöffnet 
wurden,  wie  dieser  ihn  erst  künstlerisch  sehen  lernte,  erzählt 
Seume  in  Oesers  Nekrolog.  Am  anschaulichsten  aber  tritt 
uns  die  damalige  Gestalt  Winckelmanns,  auch  rein  menschlich, 
entgegen  in  einer  Notiz,  die  Oeser  später  für  dessen  Bio- 
graphie beisteuern  wollte,  die  aber  unbenutzt  blieb,  und  die 
ich  hier  zum  erstenmal  mitteilen  darf:^ 

„Wir  waren  vertraute  Freunde"  (sie  wohnten  Zimmer  an 
Zimmer);  „ich  kann  wohl  sagen,  daß  ich  unter  den  Menschen- 


kindern  seinesgleichen  nicht  gefunden  habe.  Denn  zur  Gesell- 
schaft, wo  Verstand  und  Einsicht  erfordert  wurde,  war  er 
Bester,  und  wo  Scherz  und  Freude,  war  er  der  Alleruntaug- 
lichste  und  sich  selbst  zur  Last.^  Bei  seinem  fürtrefflichen 
Herzen  wußte  er  gar  nicht,  was  Mißtrauen  war;  sich  zu  ver- 
stellen war  ihm  ganz  unmöglich.  Er  fand  in  nichts  seine 
Zufriedenheit  als  seine  Einsichten  zu  erweitern.  Das  Studium 
der  Alten  war  sein  Lieblingsgeschäft,  und  diesen  opferte  er 
alles  auf.  Er  stand  gemeiniglich  früh  um  4,  höchstens  5  Uhr 
auf,  nahm  etwas  Tee  zu  sich  und  griff  nach  seinen  Freunden. 
Dieses  waren  Homer,  Xenophon,  Herodotus  oder  Thukydides, 
und  las  laut  2 — 3  Stunden  beim  Auf-  und  Abgehen  darinnen. 
Alsdann  nahm  er  erst  andere  Bücher  zur  Hand,  die  er  etwan 
zu  seinen  Arbeiten  in  der  Geschichte  nötig  hatte.  Alles  was 
er  unternahm,  geschah  mit  einer  männlichen  Standhaftigkeit, 
welche  ein  auffallender  Fleiß  unterstützte." 

Das  Wichtigste,  das  aus  diesem  intimen  Zusammensein 
der  beiden  Männer  hervorgegangen  ist,  was  als  der  dauernde 
Niederschlag  ihrer  Kunstgespräche  auf  einmal  auch  in  die 
weitesten  Kreise  drang,  war  1755  Winckelmanns  Erstlings- 
schrift: „Gedanken  über  die  Nachahmung  der  griechischen 
Werke  in  der  Malerei  und  Bildhauerkunst."  Eine  Broschüre, 
die  nur  in  50  Exemplaren  gedruckt  wie  ein  Donnerschlag 
in  den  heiteren  Himmel  der  Rokoko-Kunst  hineinfuhr,  ihr 
Ende  ganz  wesentlich  beschleunigen  half  und  den  Wieder- 
anschluß an  die  Antike,  ihre  „edle  Einfalt  und  stille  Größe" 
als  Ziel  auch  für  die  Neueren  aufstellte.  Wie  Winckelmann 
selbst  später  gestand,  war  diese  epochemachende  Streitschrift 
inhaltlich  ganz  Oesersches  Gut,  das  eben  zitierte  berühmte 
programmatische  Schlagwort  nicht  ausgenommen.  Und  doch 
war  dieser  Posaunenstoß  nicht  nur  oeserisch.  Der  eigentümlich 
kraftvolle  Stil:  markig  gedrängt,  gedankenschwer,  ernst,  feurig 
und  schwungvoll:   das  erste  Denkmal   einer  wissenschaftlich 


gediegenen  Prosa  in  Deutschland.  Das  war  das  Winckel- 
mannsche  daran. 

Die  Widmung  an  den  König  brachte  den  bald  nicht  mehr 
anonymen  38  jährigen  Autor  mit  einem  Schlage  an  die  Schwelle 
des  ihm  gleich  sehr  gewogenen  Hofes,  der  sich  seiner  Sehn- 
sucht nach  dem  Süden  nun  tatkräftig  annahm. 

„Dieser  Fisch  soll  in  sein  rechtes  Wasser  kommen!"  soll 
der  König  bekanntlich  gesagt  haben.  Wenige  Monate  darauf 
konnte  Winckelmann,  wie  ein  junger  Künstler  zu  Studien  in 
Italien  ausgestattet,  als  „Pensionär  du  Roy  de  Pologne"  die 
Romreise  wirklich  antreten.  Oeser,  dem  solches  Glück  nie 
beschieden  war,  fiel  der  Abschied  schwer.  Um  so  ausführlicher 
schreibt  ihm  dann  Winckelmann  von  Rom  aus.  Die  beiden 
Freunde  haben  sich  nie  mehr  wieder  gesehen.  Als  aber  13  Jahre 
später  Winckelmann  durch  Mörderhand  in  Triest  gefallen 
war  —  aus  Goethe  wissen  wir,  wie  dieser  Schlag  Oeser  ge- 
troffen hat  — ,  da  hat  ihm  Oeser  ein  Denkmal  entworfen, 
zu  dem  die  Skizzen  noch  erhalten  sind.  Dieser  Entwurf  zeigt 
auch  ein  Medaillonrelief  mit  Winckelmanns  Büste  im  Profil. 
Aber  so  skizzenhaft  allgemein  gehalten,  daß  es  als  Porträt 
kaum  zählt.  Doch  hat  man  schon  lange  vermutet,  daß  Oeser 
Winckelmann  auch  gemalt  haben  wird,  als  er  noch  bei  ihm 
wohnte,  um  wenigstens  die  Züge  des  abreisenden  Freundes 
bei  sich  zu  bewahren.  ^  Aber  niemand  konnte  bisher  ein 
solches  Winckelmann-Bild  Oesers  wirklich  nachweisen. 

Heute,  meine  Damen  und  Herren,  kann  ich  Ihnen  melden, 
daß  dies  Bild  gefunden  zu  sein  scheint,  und  gefunden  auf 
einem  Wege,  der  diesmal  von  Freiburg  ausgegangen  ist,  ja 
von  unsrem  eigenen  Kollegenkreise  aus. 

Und  das  ging  so  zu. 

Es  sind  jetzt  gerade  zwei  Jahre  her,  als  ich  Herrn  Kol- 
legen Merkel  zum  erstenmal  in  seiner  neuen  größeren  Woh- 
nung besuchen  konnte,  die  er  nach  dem  Tode  seiner  Mutter, 


der  Witwe  des  bekannten  Straßburger  Juristen,  in  der  Hoch- 
meisterstraße  eben  damals  bezogen  hatte.  Da  waren  nun 
aus  dem  mütterlichen  Nachlaß  allerlei  neue  Bilder  an  den 
Wänden  zu  sehen,  und  im  Salon  hieß  es  auf  einmal:  „Und 
das  ist  unser  Winckelmann!"  —  „Unser  Winckelmann".  Ja, 
alter  Familienbesitz  aus  dem  Nachlaß  des  durch  seinen  Neffen 
Leander  Heidenreich  mit  der  Familie  Merkel  verwandt  ge- 
wordenen Theologen  und  bekannten  Bibelübersetzers  Leander 
van  Eß,  des  Ehrendoktors  unsrer  Freiburger  theologischen 
Fakultät  vor  hundert  Jahren! 

Es  stand  keinerlei  Bezeichnung  auf  dem  alten  Bilde  (Abb.  I), 
auch  sah  man  keine  Künstlersignatur,  aber  alle  Generationen 
hindurch  seit  van  Eß  hat  es  niemand  in  der  Familie  anders 
gewußt  als:  das  ist  Winckelmann;  Winckelmann,  der  Begründer 
der  Archäologie. 

Wohl!  —  Nun  aber  ein  Winckelmann,  der  den  andren,  be- 
kannten und  sicher  bezeugten  Winckelmann-Bildern  so  wenig 
ähnlich  schien!  Auf  der  einen  Seite  die  feste  mündliche  Tra- 
dition, die  man  wohl  anzweifeln,  aber  nicht  verwerfen  konnte, 
auf  der  andern  Seite  die  ungewöhnliche  Physiognomie,  etwas 
ähnlich  den  beglaubigten  Porträts  und  doch  auch  wieder  nicht! 

Die  Sache  hatte  etwas  so  Beunruhigendes,  daß  ich  es 
als  meine  Pflicht  ansah,  ihr  baldigst  auf  den  Grund  zu  gehen. 

Da  ich  binnen  kurzem  sah,  wie  die  Ikonographie  Winckel- 
manns  noch  im  argen  liegt,  wie  viel  ungelöste  Fragen  sie 
uns  noch  gelassen  hat  für  die  Geschichte  dieses  Gesichts, 
war  das  Erste  systematisch  alle  Winckelmann-Bildnisse,  auch 
die  sekundärer  und  tertiärer  Bedeutung,  zu  sammeln,  um  diese 
Arbeit  in  ihrem  ganzen  Umfange  neu  aufzubauen.  Um  ja 
nichts  zu  übersehen,  fragte  ich  auch  in  Winckelmanns  Heimat 
zu  Stendal  an,  ob  dort  etwa  noch  irgend  etwas  zu  diesen 
Fragen  wäre?  Da  erfuhr  ich  denn  von  Otto  Freiherrn  von 
Bönigk,  früher  Syndikus  der  Handelskammer  in  Halberstadt, 


der  sich  speziell  mit  Winckelmann-Forschung  abgegeben  hatte, 
und  der  sogar  ein  noch  unbekanntes  Bild  Winckelmanns  be- 
sitze. Nach  einiger  Zeit  erhielt  ich  auch  seine  neue  Adresse 
in  Greifswald,  von  wo  aus  er  die  große  Liebenswürdigkeit 
hatte,  mir  erst  eine  Photographie  (Abb.  II),  dann  das  frag- 
liche Bild  selbst  zur  Untersuchung  zugehen  zu  lassen.  (Da 
die  Nachforschung  über  die  Provenienz  als  letzten  festen 
Punkt  nur  ein  Antiquariat  in  Wiesbaden  ergeben  hat,  wird 
dies  Bild  im  folgenden  kurz  als  das  „Wiesbadener  Bild"  auf- 
geführt.) 

Welch'  neue  Überraschung!  Das  war  ja  ganz  dieselbe 
Physiognomie  und  ganz  dieselbe  Tracht  wie  auf  dem  Frei- 
burger Bilde,  nur  in  Kleinigkeiten  abweichend!  Beide  Bilder 
gehörten  zweifellos  zusammen.  Entweder  waren  beide  Kopien 
von  einem  noch  unbekannten  Original  oder  eines  war  selbst 
das  Original  und  das  andre  seine  Kopie. 

Das  Wichtigste  aber  war  dies:  daß  das  neu  auftauchende 
Bild  ein  sicher  bezeugter  Winckelmann  war,  und  daß  da- 
durch die  ganz  unabhängig  davon  bestehende  mündliche 
Tradition  in  der  Familie  Merkel  in  ihrer  Richtigkeit  vollauf  be- 
stätigt wurde.  Hinten  auf  dem  Blendrahmen  des  Wiesbadener 
Bildes  steht  nämlich  in  guter  alter  Schrift  aufgeschrieben 
nicht  nur  der  volle  Name  Winckelmanns  mit  Geburts-  und 
Todesdatum,  sondern  dazu  noch  die  Bemerkung:  „Auf  seiner 
Reise  nach  Italien  erstochen."  Diese  Aufschriften  als  nicht 
ursprünglich  oder  als  unecht  anfzufechten  hat  keiner  der 
Sachverständigen,  denen  ich  sie  vorlegen  konnte,  den  geringsten 
Anlaß  gefunden. 6 

Nun  hatten  wir  also  zwei  ganz  neue  Winckelmann-Bilder, 
als  Darstellungen  Winckelmanns  unangreifbar  und  auf  ein 
und  dieselbe  Auffassung  zurückgehend. 

Leider  kann  ich  nun  noch  kein  ganz  klares  Ergebnis  über 
die  beiden  Bilder  und  ihr  gegenseitiges  Verhältnis  mitteilen.  Die 


Meinungen  der  Sachverständigen  gehen  darüber  noch  ziemHch 
auseinander.  Nach  der  gründhchen  Prüfung,  zu  der  ich  mit 
gütiger  Erlaubnis  der  beiden  Besitzer  die  Bildnisse  unter  anderem 
auch  den  Autoritäten  der  K.  Alten  Pinakothek  in  München  vor- 
legen durfte,  muß  für  mich  deren  Urteil  maßgebend  sein."^  Dieses 
entspricht  in  allen  wesentlichen  Punkten  meiner  eigenen  Auf- 
fassung, die  ich  bis  dahin  fast  allein  gegen  die  Meinung  der 
kunsthistorischen  Fachgenossen  zu  verteidigen  hatte.  Darnach 
liegt  der  Sachverhalt  so:  bei  dem  Wiesbadener  Bild  sind  zu 
unterscheiden  zwei  verschiedene  Phasen,  eine  ursprüngliche, 
leider  stark  alterierte  und  eine  durch  ungeschickte  Reinigung 
und  Übermalung  etwa  in  der  Mitte  des  19.  Jahrhunderts  ent- 
standene jüngere  Schicht.  In  seiner  ursprünglichen  Schicht 
ist  das  Wiesbadener  Bild  aber  etwas  älter  als  das  Freiburger. 
Vielleicht  —  mir  persönlich  ist  es  dies  sogar  durchaus  wahr- 
scheinlich —  ist  das  Wiesbadener  Bild  das  alte,  etwas  ver- 
dorbene Original  selbst.  Das  besser  konservierte,  äußerlich  durch 
mehr  Routine  zunächst  bestechende  Freiburger  Bild  ist  vom 
Original  jedenfalls  durch  einen  erheblichen  Abstand  getrennt. 
Das  Wiesbadener  Bild  ist  malerisch  das  unscheinbarere  von 
den  beiden,  technisch  nicht  bedeutend,  zeichnerisch  nicht  fehler- 
frei, in  allem  sehr  anspruchslos,  aber  psychologisch  offenbar  sehr 
getreu,  liebenswürdig  und  fein  in  der  Auffassung;  der  Grundton 
grünlichbraun,  an  Rembrandt  gemahnend.  Das  Freiburger  Bild 
steht,  aber  nur  teilweise,  an  technisch -malerischen  Qualitäten 
höher  und  hat  darum  im  Ausdruck  mehr  Kraft  und  Lebendigkeit, 
besonders  aus  der  Entfernung.  Das  Bestreben,  die  Züge,  ins 
Bedeutende  zu  erheben  —  sie  scheinen  um  die  Augen  herum 
Goethe  etwas  angeglichen,  vielleicht  unbewußt  — ,  ist  deut- 
lich. Und  dennoch  haben  die  Züge  dabei  sich  nicht  ver- 
feinert, sondern  im  Gegenteil  einen  unerfreulichen,  sinnlicheren 
Ausdruck  bekommen.  Das  Freiburger  Bild  ist  auch  signiert.» 
Nur  ist  die  Signatur  im  dunklen  Grunde  leider  so  wenig  gut 


erhalten,  daß  sie  bis  jetzt  noch  niemand  mit  Sicherheit  hat 
lesen  können.  Sicher  sind  bis  jetzt  nur  die  Anfangsbuchstaben 
der  beiden  Vornamen:  J.  H.  und  des  FamiHennamens:  B., 
worauf  ein  „r"  zu  kommen  scheint;  sicher  dann  die  beiden  ersten 
und  die  letzte  Ziffer  der  Jahreszahl  17.  9.  Auch  eine  Röntgen- 
aufnahme, in  der  Alten  Pinakothek  zu  München  unternommen 
—  man  röntgt  ja  jetzt  auch  die  Patienten  unter  den  Ge- 
mälden — ,  hat  leider  nicht  weiter  geführt,  da  die  Buch- 
staben sich  nicht  als  mit  metallhaltiger  Farbe  aufgemalt  er- 
wiesen.'-> 

Wichtiger  aber  als  der  Name  des  Kopisten  —  und  so 
darf  und  muß  er  aufgefaßt  werden  — ,  muß  uns  der  des 
originalen  Meisters  sein,  von  dem  das  Wiesbadener  Bild  her- 
stammt in  seiner  ersten  Phase. 

Wenn  nun  schon  die  Kopie  in  der  zweiten  Hälfte  des 
18.  Jahrhunderts  entstanden  ist,  und  darauf  weist  auch  alles 
in  der  Malweise  hin,  nicht  nur  die  Signatur,  so  kann  das 
Original  nicht  viel  früher  und  kaum  anderswo  als  in  Sachsen 
angesetzt  werden.  Und  wenn  Winckelmann  so  getreu  und  mit 
soviel  innerer  Anteilnahme  konterfeit  wurde,  wie  dies  hier 
geschehen  ist,  so  kann  dies  nur  von  einem  ihm  wirklich  nahe- 
stehenden Freunde  geschehen  sein.  Wenn  weiter  an  diesem 
Gemälde  Schwächen  in  der  Zeichnung,  Eigenheiten  im  Kolorit 
auffallen,  die  eben  diesem  Freund  als  Maler  in  hohem  Maße 
eigen  sind,  so  kann  dieser  Maler- Freund  eben  nur  —  Fr.  Ad. 
Oeser  gewesen  sein,  als  Mensch  bekanntlich  erheblich  be- 
deutender denn  als  Künstler,  als  der  er  immer  etwas  im  Di- 
lettieren  hängen  geblieben  war. 

Und  ebenso  von  der  anderen  Seite  her:  wenn  Winckel- 
mann in  seiner  deutschen  Zeit  überhaupt  gemalt  worden  ist, 
so  konnte  dies  nur  in  seiner  allerletzten  Zeit,  in  dem  Dresdner 
Jahr,  gewesen  sein.  Vorher  hat  er  überhaupt  keinen  Umgang 
mit  Künstlern  gehabt;  von  seinen  früheren  Freunden,  die  wir 

10 


nach  Namen  und  Wesen  genau  kennen,  hat  sich  nicht 
einer  selbst  aufs  Malen  verstanden.  Von  den  Dresdner 
Malern  stand  ihm  aber  kein  einziger  so  nahe  wie  Oeser. 
Oeser  ist  es  allein,  auf  den  wir  von  allen  Seiten  aus  immer 
wieder  aufs  neue  hingelenkt  werden. 

Wie  das  Bildnis  seinen  Weg  aus  Oesers  Atelier  ins  Un- 
bekannte gefunden  hat,  entzieht  sich  einstweilen  noch  völlig 
unserer  Kenntnis.  Die  Möglichkeit,  daß  es  für  Winckelmanns 
theologischen  Jugendfreund  Genzmar  —  er  nennt  ihn  „liebster 
Bruder"  —  bestimmt  und  in  dessen  Besitz  war,  muß  erst  noch 
untersucht  werden.  Leider  waren  alle  Versuche,  die  Provenienz 
aufzuklären,  soweit  das  18.  Jahrhundert  in  Frage  kommt,  vor- 
erst noch  ganz  vergeblich,  und  zwar  für  beide  Bilder.  ^^  Diese 
Lücke  in  der  Geschichte  der  beiden  Dokumente  soll  uns  aber 
nicht  die  Freude  verkümmern  an  der  frohen  Tatsache, 
daß  uns  das  älteste  Winckelmann-Bild  nun  wieder  geschenkt 
ist,  das  einzige  Bild,  das  von  Winckelmann  noch  in  Deutsch- 
land gemalt  worden  ist,  und  gleich  in  zwei  Ausgaben,  wenn 
man  so  sagen  darf. 

Denn  daß  das  Bild  wirklich  noch  aus  jener  Dresdner  Zeit 
kurz  vor  der  Reise  nach  Italien  stammt,  scheint  mir  das  dar- 
gestellte Kostüm  zu  verraten,  das  sich  trachtengeschichtlich 
eben  nur  bald  nach  1750  ansetzen  läßt.^^  Ein  Kostüm,  das 
zudem  in  Winckelmanns  Lebenslauf  noch  seine  chronologisch 
genau  bestimmbare  Stelle  hat.  Das  ist  der  dicke  graue  wollige 
Rock  mit  matrosenartig  breitem  Kragen,  der  graue  „Rockelore", 
den  Winckelmann  aus  Deutschland  mit  nach  Rom  gebracht 
hat,  wo  er  ihm  noch  im  ersten  Winter  dort  gute  Dienste 
tat.  12  Erst  später  trägt  er  an  Stelle  dieses  Reisemantels,  den 
die  Künstler  auch  im  Atelier  so  gerne  anhatten,  das  schwarze 
Seidenkleid  des  Abbate. 


11 


IL 

A^ein  großes  Glück  ist  ein  (Empfehlungs)brief  an  Herrn 
„iVi  jviengs,  Premier  Peintre  du  Roi  de  Pologne,  gewesen, 
der  mir  als  ein  redlicher  Freund  gedienet  hat  und  noch  dienet. 
Sein  Haus  ist  meine  Zuflucht,  und  ich  bin  nirgends  vergnügter 
als  bei  ihm."  So  heißt  es  gleich  im  allerersten  Briefe,  den 
Winckelmann  von  Rom  aus  schreibt,  nachdem  er  eben  erst 
angekommen.  —  „Ohne  diesen  Mann  würde  ich  hier  wie  in 
einer  Einöde  gewesen  sein.  Ich  bringe  die  meiste  Zeit  bei 
ihm  zu  .  .  .  Er  ist  der  Mann,  der  mir  hier  in  allem  nützlich 
sein  kann.  Selbst  diesen  Brief  schreibe  ich  in  seinem  Zim- 
mer ..."  —  „Ich  bringe  fast  den  ganzen  Tag  bei  Herrn 
Mengs  zu,  wenigstens  esse  ich  alle  Fasttage  bei  ihm.  Ich 
trinke  nicht  einmal  den  Kaffee  anderwärts,  und  ich  habe  so- 
gar meine  Bücher  und  Schriften  in  seinem  Zimmer."  —  „Ich 
habe  das  Glück  bei  dem  größten  Maler  unserer  Zeit,  Herrn 
Mengs,  zu  wohnen,  und  wenn  es  mir  gefällt,  zu  essen."  — 
„Einige  Monate  nacheinander  habe  ich  mittags  und  abends 
bei  Mr.  Mengs  gegessen  und  prächtig  gegessen."  —  „Wenn 
Herr  Mengs  nach  Neapel  geht,  so  werde  ich  mit  ihm  gehen." 
—  „Ich  machte  Freundschaft  mit  Herrn  Mengs,  dem  größten 
Maler,  der  seit  200  Jahren  in  der  Welt  gewesen  ist.  Diese 
Bekanntschaft  ist  mein  größtes  Glück  in  Rom." 

So  geht  es  voll  dankbaren  Glücksgefühls  und  voll  An- 
hänglichkeit das  erste  Halbjahr  hindurch,  da  Winckelmann  in 
Rom  ist.  Aber  noch  weit  darüber  hinaus  verfolgt  Winckel- 
mann das  Tun  und  Treiben  des  Freundes  mit  lebhafter  An- 
teilnahme. Er  berichtet  getreulich  von  Mengsens  Arbeiten  in 
Rom  und  Neapel,  seinem  Ruf  nach  Spanien,  seinem  Wirken 
in  Madrid.  „Sein  Verlust  ist  mir  unersetzlich,  welches  mir 
kein  Glück  in  der  Welt  und  keine  Freundschaft  nimmermehr 
ersetzen  kann."    „Er  ist  mein  Freund  und  war  mein  bester 

12 


Freund  auf  Erden."  Auch  als  dieser  Freund  schon  längst  fern 
von  ihm  in  Madrid  weilt,  gelten  ihm  noch  Winckelmanns  letzte 
Gedanken  vor  dem  Einschlafen  des  Abends,  wie  die  ersten 
beim  Erwachen. ^^  Zu  Fuße  wäre  er  bereit  den  weiten  Weg 
zu  ihm  zu  machen,  um  an  seiner  Freundesbrust  auszuruhen 
und  seine  Tage  zu  beschließen.  ^^ 

Und  Mengs,  der  Winckelmann  gleich  in  den  ersten  Wochen 
und  Monaten  mit  Adressen  und  Empfehlungen  aufs  artigste 
bedacht  hat,  hört  nicht  auf,  ihm  mit  kleinen  Aufmerksam- 
keiten erkenntlich  zu  sein,  er  berät  ihn  beim  Verkauf  von 
Büchern,  besorgt  ihm  die  später  leider  so  notwendige  Brille 
aus  London  —  über  der  angestrengten  Arbeit  am  Gemmen- 
Kabinett  des  Baron  v.  Stosch  in  Florenz  hatte  Winckelmann 
die  Schärfe  seines  Sehens  eingebüßt  — ,  beschenkt  ihn  mit 
schönsten  englischen  Bleistiften,  zeichnet  ihm  für  sein  her- 
kulanensisches  Sendschreiben  das  Demosthenesbüstchen  als 
Schlußvignette,  befördert  ihm  wichtige  Briefschaften  an  den 
Hof  in  Dresden  und  nach  London,  und  denkt  darauf,  Winckel- 
mann auch  für  Madrid  zu  empfehlen.  Ja,  er  widmet  Winckel- 
mann zum  Abschied  seine  erste  und  einzige  deutsche  Schrift 
„Gedanken  über  die  Schönheit  und  über  den  Geschmack  in 
der  Malerei"  und  sendet  ihm  noch  aus  Spanien  genaue  Notizen 
über  die  dorthin  verschlagenen  Antiken.  Wichtig  ist  für 
unseren  Fall,  was  aus  dieser  engen  Freundschaft  und  diesem 
geistigen  Austausch  auf  Winckelmanns  Seite  entsteht. 

Schon  nach  vier  Wochen  meldet  Winckelmann  aus  Rom : 
„Wir  haben  schon  viel  zusammen  entworfen"  und  nach  acht 
Wochen:  „wir  haben  beide  einen  Plan  gemacht  zu  einem 
großen  Werke  ,Von  dem  Geschmacke  der  griechischen  Künstler'. " 
Nach  eineinhalb  Jahren:  „Mein  einziger  Richter  ist  mein  Freund 
Mengs,  der,  seitdem  ich  hier  bin,  mehr  als  sonst  über  die 
Altertümer  gedacht  hat  .  .  .  er  kennt  das  Schöne."  Und 
noch   nach   fünf  Jahren:    „Meine  Freundschaft   mit   diesem 

13 


großen  Künstler  befestigt  sich  mehr  und  mehr;  unsere  Ge- 
spräche beziehen  sich  allein  auf  die  Kunst;  allein  wir  sprechen 
nur  italienisch  zusammen." 

Und  Mengs  berichtet  seinerseits  von  Winckelmann:  „Ich 
bin  so  glücklich  seine  Freundschaft  zu  genießen,  und  wenn 
er  müde  ist,  dann  fange  ich  an  ihm  meine  Ideen  zu  ent- 
wickeln .  .  .  über  die  Kunst,  über  die  auserlesenen  Schön- 
heiten, die  hohen  Gedanken,  das  gründliche  Wissen  der  alten 
Meister;  und  darüber  ist  er  dann  ebenso  erbaut  wie  ich,  wenn 
ich  ihm  zuhöre." 

Diese  Kunstgespräche  waren  etwas,  wovon  man  in  Rom 
noch  lange  sprach,  so  gingen  sie  in  die  Tiefe  und  ins  Frucht- 
bare. Die  nachfolgende  schriftstellerische  Tätigkeit  der  beiden 
Männer  —  Mengs  stand  damals  erst  in  der  Mitte  der  zwanziger, 
Winckelmann  am  Ende  der  dreißiger  Jahre  —  ist  im  wesent- 
lichen aus  diesen  Disputationen  hervorgegangen.  Durch  sie 
erst  ward  Mengs  zum  philosophierenden  Ästhetiker  und  Kunst- 
schriftsteller, Winckelmann  zum  inspirierten  Propheten  antiker 
Bildhauerideale  und  divinatorischen  Wiederhersteller  der  alten 
Kunstgeschichte. 

Zwei  ungewöhnliche  Geister,  deren  Hunger  nach  Schön- 
heit die  Not  und  Zuchtrute  einer  harten,  freudlosen  Jugend 
nur  ins  Unstillbare  gesteigert  zu  haben  schien,  waren  hier  im 
Mittelpunkt  der  alten  Kunstwelt  unvermutet  aufeinandergestoßen. 
Über  die  Gegenseitigkeit  der  Befruchtung  und  auch  darüber, 
wer  von  beiden  den  reicheren  Gewinn  vom  anderen  davon- 
trug, kann  kein  Zweifel  sein. 

Es  ist  Mengs,  der  Jüngere,  der  äußerlich  Glänzendere, 
der,  trotz  einer  gewissen  Sprödigkeit,  im  Geben  dennoch  dem 
anderen  mindestens  gewachsen  war,  und  der  dafür  Dinge 
aufnimmt,  die  seiner  künstlerischen  Entwicklung  als  Maler 
keineswegs  günstig  waren.  Und  es  ist  Winckelmann,  der  un- 
ruhig Suchende  und  immer  noch  Schmiegsame,  dessen  feines 

14 


kunstkritisches  Erfassungsvermögen  durch  diesen  Umgang 
rasch  bis  an  seine  äußerste  Grenze  entfaltet,  ja  bis  ins  Über^ 
schwengliche  erhoben  wird. 

Nun  zeigte  sich  die  Grundverschiedenheit  dieser  beiden 
Naturen,  gerade  indem  sie  ein  und  demselben  Ideale  zu- 
strebten. Winckelmann  selbst  sagt  einmal  von  Mengs:  „er 
ist  wie  das  andere  Ende  von  mir!"  Weniger  durch  das, 
worauf  es  jedem,  bei  dem,  was  er  vorbrachte,  in  erster  Linie 
ankam,  als  vielmehr  durch  das,  was  jedem  als  etwas  ganz 
Selbstverständliches  innewohnte,  unbewußt  von  ihm  aus- 
strahlte, hat  er  das  im  Anderen  wachgerufen,  was  dort  noch 
schlummerte.  Das  Ungewollte,  Unbewußte  ist  immer  der 
stärkere  Faktor. 

Mengs  war  trotz  seiner  größeren  Jugend  —  elf  Jahre 
jünger  als  Winckelmann  —  die  kühlere  Natur.  So  besonnen 
und  nüchtern  klar,  daß  er  vollkommen  richtig  —  er  allein 
damals  —  der  ganzen  großen  Masse  der  Skulpturen  in  Rom, 
die  vielgepriesenen  Niobiden  nicht  ausgenommen,  griechischen 
Originalcharakter  absprach  und  alles  nur  als  römische  Kopien 
gelten  ließ.  Mengs  wurde  jetzt  aber  immer  noch  kühler,  ja 
etwas  frostig  und  trocken,  gerade  auch  in  seiner  Malerei, 
deren  reizvolle  ursprüngliche  Naivität  darüber  mehr  und  mehr 
verloren  ging. 

Winckelmann,  warmherzig  und  feurigen  Geistes,  brennt 
dagegen  jetzt  lichterloh  in  glühendstem  Enthusiasmus. 

Merkwürdig!  Der  warm  empfindende  Gelehrte  hat  er- 
kältend auf  den  Künstler  gewirkt,  und  der  nüchtern  besonnene 
Künstler  hat  den  ruhigen  Gelehrten  in  höchste  Erregung 
versetzt. 

Das  ungeheure  Wissen,  das  der  Forscher  dem  Maler  zu- 
führte —  um  nur  an  Eines,  die  Kunstlehre  Piatons,  zu  er- 
innern —  brachte  dessen  verstandesmäßigen  Untergrund,  das 
Grüblerische,   Krittelige   und  Theoretisierende  seines  Geistes 

15 


aus  der  Versenkung  hervor,  in  der  es  bis  daliin  zum  Segen 
seines  Pinsels  geschlummert  hatte.  Das  große  Können  des 
Malers,  seine  technische  Erfahrung  und  seine  Reflexionen 
andererseits  holten  all  die  Formenkritik,  die  Fähigkeit  plastisch 
zu  gestalten,  zu  reproduzieren,  sich  einzufühlen  und  die  kom- 
binierende Phantasie  bei  dem  Gelehrten  aus  der  Tiefe  her- 
vor, in  der  sie  durch  so  lange,  lange  Bücherarbeit  immer  noch 
etwas  gebunden  war. 

Das  ist  der  eigenartige  geistige  Chiasmus,  der  innere 
Kontrapost  bei  diesem  Dioskurenpaar  des  Klassizismus,  der 
ihrer  in  Freundschaft  eng  verschlungenen  Gruppe  einen  so 
anziehenden  Umriß  gibt. 

Meine  Damen  und  Herren!  Bei  Mengs  wurde  durch  Winckel- 
mann  an  den  Tag  gebracht  der  bisher  verschleierte,  kühl  zer- 
legende Charakter  seines  Geistes,  ein  weit  mehr  nach  der 
Seite  der  kritischen  Analyse  als  nach  der  Phantasie  hin  ge- 
richteter Sinn,  ein  geistiges  Vermögen,  das  in  diesem  Falle 
eine  nordische  Heimat  hat.  Vater  Ismael  Mengs,  der  Pastell- 
maler, war  noch  in  Kopenhagen  geboren.  Wer  Dänemark 
kennt,  weiß,  wie  eine  der  beiden  Grundlagen  der  sehr  har- 
monisch zusammengesetzten,  allem  Gemeinen  abholden,  ur- 
germanisch keuschen  dänischen  Psyche  ein  sehr  nüchternes, 
vernunftmäßiges  Denken  und  Empfinden  ist,  das  auf  durch- 
dringende Klarheit,  Einfachheit  und  Natürlichkeit  hindrängt  bei 
einer  erstaunhch  gewandten  Beherrschung  der  äußeren  Form. 
Dadurch,  und  noch  begünstigt  durch  den  segensreichen  Einfluß 
eines  überaus  glücklichen  sonnigen  Klimas  und  einer  Hellas 
analogen  gegenseitigen  Durchdringung  von  Land  und  Meer 
ist  dort  etwas  dem  alten  Griechenland  und  Griechentum  von 
vornherein  Verwandtes  gegeben,  und  eben  darin  liegt  das 
Geheimnis  der  Prädestination  Dänemarks  zum  Klassizismus. 
Dabei  ist  Rafael  Mengs  keineswegs  der  einzige  landsmännische 
Vorläufer  des  großen  Dänen,  der  eine  Generation  später  in 

16 


Berthel  Thorvaldsen  die  Plastik  ganz  Europas  der  „edlen 
Einfalt  und  stillen  Größe"  der  Antike  zuzukehren  vermag  — 
zwei  Ausdrücke,  die  den  Kern  des  Besten  bezeichnen,  was 
gerade  aus  Dänemark  jemals  gekommen  ist  und  kommen 
wird.  Wenn  die  Vorzüge  und  Schwächen  in  der  Kunst  von 
Mengs  und  von  Thorvaldsen  sich  oft  auffallend  decken,  so 
wird  das  auch  von  der  gemeinsamen  ethnologischen  Grund- 
lage herrühren.  1**^ 

Statt,  wie  es  ungenau  und  summarisch  meist  geschieht, 
Mengs  einen  „sächsischen  Apelles"  oder  „deutschen  Rafael" 
zu  nennen,  möchte  ich  ihn  eher  als  einen  „nordischen  Proto- 
genes"  bezeichnen.  Damit  würde  nicht  nur  seine  wahre  und 
bescheidenere  Bedeutung  gegen  den  wirkHchen  Rafael  hin  ab- 
gestuft, sondern  auch  der  hohe  Ernst  seiner  vollendet  feinen 
Technik,  seine  Neigung  zur  theoretischen  Schriftstellerei, 
sein  grüblerischer  Hang  zum  Reflektieren,  zum  unermüdHchen 
sich  Verbessernwollen  gekennzeichnet,  der  selbstquälerische 
Fleiß  dieses  „arbeitsamsten  Menschen  seines  Jahrhunderts". ^^ 
Jedenfalls  zeigt  die  Kunst  von  Rafael  Mengs  eine  Gediegenheit, 
Sauberkeit  und  Akkuratesse  der  Technik,  sicherste  Beherrschung 
der  Form,  strengen  Ernst  des  Idealisierens  und  doch  auch 
wieder  leichte  Anmut  natürlicher  Grazie  zu  solcher  Vollendung 
und  Reinheit  miteinander  verschmolzen,  wie  sie  meiner  Kenntnis 
nach  erst  nördUch  unsrer  Reichsgrenzen,  eben  in  Dänemark 
zu  Hause  ist. 

Wenn  Rafael  Mengs'  Leben  auch  keinerlei  eigene  Ver- 
bindung mehr  mit  Dänemark  hat  —  er  wurde  ja  erst  in  der 
schon  sächsischen  Zeit  seines  Vaters  von  einer  sächsischen 
Mutter  in  Böhmen  geboren  — ,  so  ist  es  doch  gerade  ein 
skandinavisches  Erbteil,  das  wie  verweht  fern  im  Süden  bei 
ihm  wieder  zum  Vorschein  kommt. iß 

So  bei  Mengs.  Bei  Winckelmann  hingegen  wurde  durch 
Mengs  vollends  ans  Licht  geboren  der  zu  männlicher  Kraft 

H.  Thiersch,  Winckelmann  und  seine  Bildnisse  2  J7 


und  Selbständigkeit  großer  schöpferischer  Ideen  organisatorisch 
veranlagte  Preuße;  ihm  selbst  ganz  unbewußt,  denn  er  glaubte 
sich  noch  zu  Sachsen  rechnen  zu  sollen. 

Und  das  beides  in  Rom,  das  mit  seinem  anregenden, 
anstrengenden  Boden  schon  so  manche  gärenden  Geister 
zur  Entscheidung  gebracht  hat.  Das  gefällige  Sachsen  und 
Dresden,  das  anmutige  Eibathen,  hätte  die  geistigen  Energien 
der  beiden  Männer  niemals  so  kräftig  herauszukristallisieren 
vermocht.  1'^ 

Wie  unmittelbar  und  stark  Winckelmann  durch  Mengs 
angeregt  wurde,  zeigt  aufs  neue  ein  erst  kürzlich  wieder  auf- 
gefundener, an  Oeser  gerichteter  Brief:  „Herr  Mengs  spannet 
mir  die  Saiten  bei  meiner  Arbeit  so  hoch,  daß  ich  nicht 
weiß,  ob  ich  ihm  und  mir  selbst  werde  ein  Genüge  tun 
können.  Die  Beschreibung  des  Apollo  (von  Belvedere)  wird 
mir  fast  die  Mühe  machen,  die  ein  Heldengedicht  erfordert." ^^ 

Mehr  und  mehr  hatte  Winckelmann  wie  ein  Künstler  sehen 
gelernt.  Aber  nun  war  es  nicht  mehr  wie  in  Dresden,  wo 
Winckelmann  von  den  Brocken  lebte  und  noch  viele  andre 
speiste,  die  von  Herrn  Oesers  Tische  fielen.  Jetzt  in  Rom 
stellte  Winckelmann  neben  dem  ebenso  überfließenden  gast- 
lichen Tisch  von  Mengs  bald  einen  eigenen  auf  mit  höchst 
eigenen  Gerichten,  wie  nur  er  allein  sie  zubereiten  konnte. 
Denn  nun  kam  noch  etwas  anderes  hinzu.  Und  dies  Neue 
machte  ihn  fortan  unabhängig  auch  von  den  Künstlern,  selbst- 
ständig selbst  Mengs  gegenüber.  Die  anfangs  gemeinsam  mit 
diesem  geplante  Kompagniearbeit  wurde  völlig  aufgegeben.  Ihr 
Manuskript,  das  Justi  seinerzeit  in  Florenz  wieder  aufgefunden 
hat,  zeigt,  wie  recht  Winckelmann  getan,  es  gar  nicht  mehr 
zu  berücksichtigen ;  es  ist  nach  Inhalt  und  Form  noch  zu  neun 
Zehnteln  mengsisch,  wie  Winckelmann  von  Mengs  unmittelbar 
in  die  Feder  diktiert,  völlig  andren  Geistes  als  die  bald  darauf 
von  Winckelmann  nun  ganz  allein  über  dieselben  belvederischen 

18 


Statuen  verfaßten  Ergüsse. i«^  Winckelmann  wußte  jetzt  etwas 
Besseres  zu  tun.  Nun  war  er  ganz  er  selbst,  nun  erst  ganz 
mündig  geworden.  Jetzt  sah  er  mit  seinen  eignen  Augen. 
Jetzt  duldete  er  nur  noch  allereigenste  Gedanken,  jetzt  hörte 
bei  ihm  jede  Abhängigkeit  auf,  formal  und  ideell. 

Durch  Mengs  war  Winckelmann  den  Kunstwerken  so  viel 
näher  gekommen,  daß  deren  Gehalt  jetzt  unmittelbar  auf  ihn 
selber  übersprang.  Er  hatte  angefangen,  an  ihnen  selbst  Feuer 
zu  fangen.  Das  heißt:  er  hatte  allmählich  so  sehr  gelernt,  sich 
in  die  Seele  der  alten  Bildhauer  hinein  zu  versetzen,  daß  er 
deren  schöpferisches  Bilden  in  seinem  Geiste  nun  von  neuem 
selbst  zu  erleben  glaubte.  An  Stelle  der  aufklärenden  Erläute- 
rung durch  den  zeitgenössischen  Künstler  und  Freund  war 
unvermutet  ein  Höheres,  Echteres,  Unmittelbareres,  getreten: 
die  Inspiration  durch  das  Kunstwerk  selbst,  wie  Justi  es  nennt. 

Nun  zeigte  sich's,  welch  richtige  Ahnung  Winckelmann 
seinen  langen  entsagungsvollen  Weg  hatte  finden  lassen,  wie 
echt  und  tief  die  Veranlagung  zur  Wiederentdeckung  der  antiken 
Schönheit  in  ihm  wurzelte.  Das  hätte  er  in  keinen  Bibliotheken 
der  Welt  finden  können.  Diese  vornehmste  Eigenschaft,  welche 
die  Beschäftigung  mit  der  antiken  Kunst  erfordert:  die  unmittel- 
bare künstlerische,  dichterische  Intuition:  sie  muß  angeboren 
sein.  „Er  muß  Poet  sein,  er  mag  daran  denken,  er  mag 
wollen  oder  nicht",  sagt  der  größte  der  Poeten,  Goethe,  von 
Winckelmann. 

Das  war  es  auch  im  Grunde,  was  Winckelmann  für  die 
Künstler  so  anziehend  machte,  warum  sie  von  ganz  wenigen 
neidischen  Ausnahmen,  wie  dem  falschen  Casanova,  abgesehen 
seinen  Umgang  schätzten  und  suchten;  sie  spürten  instinktiv: 
da  war,  bis  zu  einem  gewissen  Grade,  Geist  von  ihrem  Geist 
und  Bein  von  ihrem  Bein.^^ 

Diese  geistige  Nähe  zu  gewinnen  —  man  könnte  es  manch- 
mal  eine  Art  künstlerischen  zweiten  Gesichts,   ein  visionäres 

2*  19 


Fernsehen  nennen  —  hatte  Winckelmann  in  aller  Stille  den 
rechten  Weg  gefunden:  die  kontemplative  Versenkung,  ich 
möchte  fast  sagen,  des  Mystikers,  in  völliger  Isolierung.  Er 
schreibt  damals:  „Diese  Arbeit  fordert,  daß  ich  mich  von 
neuem  dem  einsamsten  Nachdenken  überlasse,  und  der  Gesell- 
schaft entziehen  muß.  Die  Beschreibung  des  Apollo  erfordert 
den  höchsten  Stil:  eine  Erhebung  über  alles,  was  menschlich 
ist."  „Ich  habe  ein  gewisses  Geld  gegeben,  um  den  Apollon, 
den  Laokoon,  wenn  ich  brauche,  zu  sehen,  um  meinen  Geist 
durch  das  Anschauen  dieser  Werke  desto  mehr  in  Bewegung 
zu  setzen."  „Diese  Arbeit  beschäftigt  mich  dergestalt,  daß, 
wo  ich  gehe  und  stehe,  ich  daran  gedenke." 

Die  Beschreibung  des  Kunstwerks  muß  von  jetzt  an  für 
Winckelmann  aus  einem  dem  des  schaffenden  Künstlers  ver- 
wandten Geisteszustand  hervorgehen,  und  selbst  zum  Kunst- 
werk werden,  zu  einem  getreuen  Abbild  des  in  ihr  beschrie- 
benen Denkmals.  In  Gedanken,  Buchstaben,  Silben,  Worten, 
Sätzen,  muß  die  Skulptur  in  geistiger  Weise  und  nach  dem 
Genius  ihres  Meisters  noch  einmal  ein  zweitesmal  geschaffen 
werden.  „Meine  Absicht  ist,  ein  vollkommenes  Werk  zu  liefern 
und  das  Denken  und  die  Schönheiten  der  Gedanken  und  der 
Schreibart  aufs  Höchste  zu  treiben". 

Daher  das  Originelle,  Kühne,  Kraftvolle,  Plastische,  Hin- 
reißende jetzt  in  seiner  Sprache,  daher  die  enthusiastisch  an- 
steckende Wirkung  seiner  Beschreibungen  des  Apollon  und 
des  Torso  von  Belvedere.  Herder  rühmte  schon  das  Pindarische 
seiner  Schreibart;  des  öfteren  erinnert  die  künstlerische  Form- 
gebung an  Plato.2o  „Es  ist,  als  erstrahle  sein  Stil  vom  Feuer 
der  Sonne  Griechenlands"  (Parisot).  „Es  klingt,  wie  wenn 
ein  Prophet  seine  Gesichte  erzählt",  sagt  Justi.  „Wenn  man 
etwas  vermißt,  so  sind  es  die  Verse.  Die  Paragraphen  müßten 
Strophen  sein."  „Es  sind  die  Akzente  eines  Dichters  und 
Musenpriesters. " 

20 


Daß  Winckelmann  von  Mengs  während  des  etwa  fünf- 
jährigen Zusammenseins  mit  ihm  in  Rom  nicht  gemalt  worden 
sei,  ist  viel  unwahrscheinlicher  als  das  Gegenteil,  und  daß  dies 
Porträt  bei  dem  Können  von  Mengs  gerade  in  der  Bildnis- 
malerei und  bei  seinem  starken  persönlichen  und  geistigen 
Interesse  an  Winckelmann  ein  ganz  hervorragendes  Stück 
geworden  sein  müßte,  ist  ebenso  sicher.  Um  so  auffallender 
ist  es,  daß  eines  solchen  Bildes  zu  Lebzeiten  der  beiden  Männer 
nirgends  Erwähnung  geschieht.  So  oft  Winckelmann  auch 
von  Mengs  und  dem,  was  er  gerade  unter  dem  Pinsel  hat, 
in  seinen  Briefen  spricht,  —  daß  er  von  ihm  gemalt  worden 
sei,  davon  keine  Silbe! 

Und  doch  ist  es  geschehen.  Mengs  hat  Winckelmann 
gemalt  und  das  Bild  ist  vorhanden!  und  ist  wirklich  ein 
Meisterstück. 

Es  ist  freilich  wenig  bekannt  und  vom  Schicksal  zu  eigen- 
tümlich verstecktem  Dasein  verurteilt  gewesen.  Rund  ein  Jahr- 
hundert war  es  für  die  Allgemeinheit  verloren,  erst  vor  zwölf 
Jahren  ist  es  an  entlegener  Stelle  durch  einen  Breslauer  Kunst- 
freund, Julius  Brann,  wieder  aufgefunden  worden:  in  Krakau, 
in  einer  jener  fürsthchen  Privatsammlungen,  welche  die  pol- 
nischen Granden  in  den  Palästen  dieser  reichen  alten  Haupt- 
stadt Polens  mit  feinem  Geschmack  Jahrhunderte  hindurch 
zusammengebracht  haben,  so  daß  sie  vereinigt  eine  der  aller- 
ersten Galerien  Europas  bilden  würden. 

Dort  in  Krakau,  im  Palais  des  Fürsten  Casimir  Lubomirski, 
hängt  Winckelmanns  Bild  (Abb.  III),  gemalt  von  Mengs,  dem 
„Premier  peintre  du  Roi  de  Pologne". 

Es  hängt  dort  und  ist  der  Familie  selbst  als  solches  immer 
wohl  bekannt  gewesen,  seit  Generationen;  denn  schon  1810 
hatte  es  die  Fürstin  Isabella  Lubomirski,  die  schöne,  geist- 
und  temperamentvolle  Kunstfreundin,  die  „princessemarechale", 
auf  einer  Pariser  Auktion  erworben.   Nach  Paris  war  das  Ge- 

21 


mälde  gekommen  aus  dem  Besitze  des  1804  dort  verstorbenen 
Cavaliere  d'Azara,  des  früheren  spanischen  Gesandten  am 
Vatikan,  des  begeisterten  Verehrers  und  Freundes  sowohl 
von  Winckelmann  wie  von  Mengs.  Nach  Mengsens  Tode 
hatte  er  ja  dessen  ganzen  künstlerischen  Nachlaß  aufgekauft, 
dessen  verarmende  Familie  zu  unterstützen.  Er  ist  auch  Mengs' 
enthusiastischer  Biograph  und  Herausgeber  seiner  Schriften 
gewesen.  Das  Bild  befand  sich  also  immer  in  allerbesten 
Händen  und  ist  auf  der  Rückseite  als  JOANNES  WINCKEL- 
MANN bezeichnet.   Es  ist  gut,  daß  es  so  wohl  beglaubigt  ist. 

Denn  es  ist  wieder  eine  Überraschung.  Nicht  als  Kunst- 
werk —  da  kann  nach  Technik,  Kolorit  und  Auffassung  an 
einem  echten  und  glänzenden  Mengs  gar  kein  Zweifel  sein  — 
aber  in  bezug  auf  Winckelmann,  den  Menschen  Winckel- 
mann. Wie  ganz  verschieden  von  dem  vorigen  deutschen 
Bilde! 

Es  fragt  sich  vor  allem,  wann  das  Bild  entstanden  ist? 
Daß  es  erst  in  Spanien  oder  gar  erst  nach  Winckelmanns 
Tode  als  ein  Erinnerungsbild  gemalt  worden  sei,  ist  bei 
seiner  frappanten  Lebendigkeit  zu  unwahrscheinlich.  Es  muß 
noch  in  Rom  gemalt  sein.  Für  Rom  aber  scheiden  gleich 
aus:  L  das  Frühjahr  1758  (1.  Februar  bis  Ende  April),  da 
Winckelmann  in  Neapel  und  Portici  weilte,  2.  die  Zeit  vom 
Herbst  1758  bis  Juni  1760,  da  einerseits  Winckelmann 
neun  Monate  in  Florenz  und  Mengs  anderthalb  Jahre  in 
Neapel  ist.  Es  bleiben  also  als  Möglichkeiten  nur  die 
Jahre  1756  und  1757  und  dann  die  Zeit  vom  Juli  1760  bis 
Juli  1761.  Der  Rest  des  Jahres  1755,  gleich  die  allerersten 
sechs  Wochen  Winckelmanns  in  Rom,  kommen  nicht  nur  als 
zu  bald  schon  nicht  in  Frage,  sondern  auch  weil  das  Bild 
durchaus  nicht  zu  einem  Manne  paßt,  der  von  sich  damals 
meldet,  daß  ihm  die  Kleider  zu  eng  werden  und  platzen;  —  so 
gut  war  Winckelmann  die  lange  Reise  und  die  römische  Kost 

22 


daraufhin  bekommen.  Das  Krakauer  Bild  macht  einen  anderen 
Eindruck,  gibt  eher  etwas  nervös  abgespannte  und  angegriffene, 
stark  vergeistigte  Züge. 

Eine  Datierung  in  das  Jahr  1756,  wie  sie  JuHus  Brann, 
der  das  Krakauer  Bild  1905  wieder  aufgefunden  und  in  einer 
schönen  Heliogravüre  zum  erstenmal  veröffentlicht  hat,2i  wäre 
schon  eher  möglich;  und  zwar  im  Sommer  oder  Herbst  1756. 

„Ich  habe  mir  Sommerkleider  machen  lassen,  das  eine  von 
Seide,  und  ich  trage  Perücken,  weil  meine  Haare  anfingen  aus- 
zugehen." Diese  damals  geschriebenen  Worte  könnte  man  ohne 
weiteres  unter  das  Mengs'sche  Porträt  setzen  mit  seinem  leichten 
Habit  und  den  sichtlich  dünnen  Haaren.  Und  hinzufügen 
könnte  man  eine  Briefstelle  vom  November  des  folgenden 
Jahres  1757,  die  ein  offenbar  auch  schon  weiter  zurückreichen- 
des Gehaben  schildert.  Da  erzählt  Winckelmann  welch'  un- 
gezwungenes Leben  er  bei  Passionei,  dem  lebenslustigen, 
sarkastischen  Kardinal,  diesem  derben  und  temperament- 
sprühenden Porporato  führte,  der  seinerseits  an  Winckelmanns 
gerader,  schlichter  Natur  seine  helle  Freude  hatte.  Der  alte 
Kirchenfürst  war,  ganz  wie  nachher  sein  noch  geistvollerer 
Kollege,  der  Kardinal  Albani,  dem  jungen  deutschen  Biblio- 
thekar mit  seiner  ganzen  Liebe  und  Freundschaft  zugetan, 
hatte  ihm  seine  Bibliothek  in  der  heutigen  Consulta,  die 
bedeutendste  der  großen  Privatbibliotheken  in  Rom,  zu  un- 
begrenzt freier  Benützung  angeboten,  ihn  oft  an  seiner  Tafel 
gehabt,  persönlich  dann  im  Wagen  nach  Hause  gebracht 
und  ihn  immer  wieder  auf  seine  Villeggiatur  in  Camaldoli 
eingeladen.  „Hier  in  seiner  Bibliothek",  schreibt  Winckel- 
mann, „habe  ich  eben  die  Freiheit  wie  in  Nöthenitz,  von  9 
bis  12  Uhr  mit  aller  Freiheit  herumzuklettern.  Man  ist  bei 
ihm  mit  einer  Freiheit,  die  ihresgleichen  nicht  hat.  Man  muß 
in  der  Mütze  und  im  Kamisol  und  Pantoffeln  bei  ihm  er- 
scheinen —  und  wenn  ich  es  mache,  wie  er  es  haben  will, 

2a 


auch  im  Hemde."  „In  seinem  Palaste  in  Rom  ist  das  erste, 
daß  ich  meinen  Rock  ausziehe^  wenn  ich  in  der  BibHothek 
sein  will." 

Draußen  in  Camaldoli-Frascati  —  wohin  Winckelmann 
gerne  Zuflucht  nahm,  um  den  lauten,  unerträglich  heißen 
Sommernächten  im  steinernen  Häusermeer,  die  ihm  Schlaf 
und  Nerven  raubten,  zu  entgehen  — ,  da  waren  eigene 
Pavillons  oder  Gellen  für  die  Gäste  des  Kardinals  bestimmt. 
Er  nannte  sich  ihren  Prior  und  sie  seine  Frati.  So  hieß 
Winckelmann  „Fra  Giovanni". 

Ganz  im  Sinne  eines  solchen  ungebundenen  „Fra  Gio- 
vanni" hat  Mengs  Winckelmann  aufgefaßt  und  dargestellt. 
Wirklich  etwas  mönchisch,  fast  asketisch  blickt  das  blasse  und 
hagere  Gesicht  mit  den  forschenden,  unheimlich  lebendig 
dunklen  Augen.  Aber  künstlerhaft  frei  und  etwas  salopp  das 
Kostüm:  ein  vorn  weit  offenes  Hemd,,  ein  feines,  helles,  mit 
reichen  Spitzen  besetztes  seidenes  Kamisol  und  ein  malerisch 
einseitig  übergeworfener  Mantel.  In  der  Hand,  pergament- 
gebunden, der  Lieblingsautor  Winckelmanns,  Homer. 

In  diesem  Aufzug  las  Winckelmann  tatsächlich  seine 
Griechen  in  der  Consulta,  seinen  Plato  in  Frascati,  seinen 
Homer  bei  Mengs.  So  lebhaft,  mit  Lektüre  geladen,  gedanken- 
erfüllt hat  der  Freund  ihn  oft  bei  sich  gesehen,  mit  ihm  sich 
unterredet  über  die  höchsten  Fragen  der  Kunst. 

Das  ist  der  Krakauer  Winckelmann!  Der  Winckelmann 
der  ersten  römischen  Jahre;  nicht  mehr  der  allerersten,  meine 
ich,  aber  der  dann  folgenden,  da  er  einerseits  die  große 
Arbeit  der  Florentiner  Gemmenpublikation  schon  hinter  sich 
hat,  und  nun  an  seinem  größten  Werk,  der  Kunstgeschichte 
sitzt,  andererseits  schon  in  den  vollen  Strudel  der  inter- 
nationalen Gesellschaft  Roms  hineingerissen  wird.  Das  ist 
der  Mengsische  Winckelmann,  mengsisch  nicht  nur  als  von 
Mengs  gemalt,  sondern  auch  als  der  von  Mengs  damals  in 

24 


geistigen  Schwung  Versetzte,  durch  Mengsische  Anregungen 
zur  vollen  Selbständigkeit  Erwachte,  zur  geistigsten  Tiefe 
Gebrachte. 

Dazu  hat  Mengs  hier  noch  ein  Besonderes  getan.  Schon 
im  Gewand  und  Beiwerk  ist  alles  ins  Elegante,  Hohe  er- 
hoben. Auch  im  Gesichte  ist  eine  Idealisierung  zum  Klassischen 
unbestreitbar.  Die  Augen  sind  etwas  vergrößert,  das  Kinn  monu- 
mental umkantet,  die  Nase  vor  allem  gerader,  kürzer  und 
ebenmäßiger  geführt  als  auf  allen  sonstigen  authentischen 
Winckelmann-Porträts.  Durch  diese  auffallenden  Züge  unter- 
scheidet sich  Mengsens  Bild  nicht  nur  von  dem  Oeserschen 
des  vorangehenden  Dresden,  sondern  auch  von  den  nach- 
folgenden Darstellungen  durch  Angelica  und  Maron.  Die  Ab- 
weichungen sind  also  bewußter  Art,  gehören  zu  Mengsens 
Stil,  ja  es  beruht  auf  ihnen  ganz  wesentlich  mit  die  be- 
deutende monumentale  Wirkung  des  Bildes.  Künstlerisch  ist 
das  Krakauer  Porträt  unter  allen  Winckelmann-Bildnissen  das 
am  höchsten  stehende. 

Als  Mengs  im  Sommer  1760  aus  Neapel  zurückgekehrt 
war,  wurden  die  kunstphilosophischen  Konversationen  mit 
Winckelmann  eifrig  fortgesetzt;  auch  rein  freundschaftlich,  als 
heiterer  Gesellschafter  kommt  Winckelmann  wieder  ins  Mengs- 
ische Haus  und  schlägt  Purzelbäume  mit  den  Kindern  dort. 
Aber  Mengs  hat  zunächst  alle  Hände  voll  zu  tun  für  seinen 
großen  Plafond,  den  „Parnass"  in  der  Villa  Albani,  sein 
größtes  und  klassizistischstes  Werk.  In  der  Zeit  zwischen  der 
Vollendung  des  Parnasses  und  der  Abreise  Mengsens  nach 
Madrid,  also  im  Frühsommer  1761,  möchte  ich  mir  die  Ent- 
stehung des  Winckelmann-Porträts  denken. 

Erst  bei  einem  solchen  Abstand  von  sechs  Jahren  wird 
auch  das  Verhältnis  der  beiden  Bilder,  Krakau  und  Wiesbaden, 
Oeser  und  Mengs,  verständlich.  Läge  nur  ein  Jahr  zwischen 
beiden,  so  ständen  wir  vor  einem  ikonographischen  Rätsel. 

25 


Mehr:  einer  physiognomischen  und  psychologischen  Un- 
möglichkeit. 

Auch  noch  andere  Gründe  sprechen  für  diese  spätere 
Ansetzung,  für  die  Datierung  des  Mengsischen  Bildes  ins 
Jahr  1761. 

Wir  wissen  aus  Winckelmanns  eigenen  Briefen,  daß  er  zu 
Anfang  des  Jahres  1760,  also  während  Mengs  noch  in  Neapel 
weilte,  von  einem  Mengs-Schüler  gemalt  worden  ist:  Peder 
Als,  dem  allerersten  Staatsstipendiaten,  den  die  damals  eben 
erst  gegründete  Kopenhagener  Akademie  1757  nach  Rom  aus- 
gesandt hatte.  Winckelmann  war  von  diesem  Bild  des  jungen 
Dänen,  den  er  durch  seinen  Freund,  den  dänischen  Bildhauer 
Wiedewelt,  kennen  gelernt  hatte,  sehr  erbaut:  er  erklärt  es  für 
ein  Porträt,  „dergleichen  wenige  gemacht  sind"  (29.  März  1760), 
ohne  es  indes  später  wieder  zu  erwähnen.  Ja,  das  Bild  selbst 
ist,  trotz  eifrigsten  Suchens  bis  heute  verschollen.  Nur  zwei 
Federskizzen  dazu  gelang  es  mir  durch  einen  wertvollen  Hin- 
weis des  Direktors  des  Thorvaldsenmuseums,  Herrn  Dr.  Mario 
Krohn,  bei  Herrn  Ingenieur  H.  Rump  in  Kopenhagen  noch 
ausfindig  zu  machen.  Auch  fand  ich,  daß  in  Dänemark  über 
den  Verlust  des  Bildes  keine  besondere  Trauer  herrscht.  Als 
ist  in  der  Tat  kein  sehr  bedeutender  Künstler  gewesen.  In 
Rom  war  er  ganz  und  gar  Mengs-Schüler  geworden,  beruft 
sich  auf  Mengs  als  auf  seinen  Meister  und  Patron  in  sämt- 
lichen Schreiben  an  seine  Kopenhagener  Akademie  und  wird 
von  ihm  aus  dem  Rokoko  zum  Klassizismus  hinübergeführt. 

Nun  ist  es  wenig  wahrscheinlich,  daß  Winckelmann  noch 
Lust  gehabt  hätte,  besonders  wo  keinerlei  Auftrag  von  irgend- 
einer Seite  dazu  vorlag,  einem  Schüler  von  Mengs  zu  sitzen, 
wenn  er  kurz  vorher  von  dem  Meister  selbst  in  so  glänzen- 
der Weise  gemalt  worden  wäre.  Umgekehrt  aber  ist  es  zu 
verstehen,  wenn  Mengs,  unzufrieden  mit  der  Leistung  seines 
Eleven,  seinem  Freunde  einmal  hat  zeigen  wollen,  wie  er 

20 


wirklich  gemalt  werden  müßte!  Auch  aus  diesem  Grunde 
scheint  mir  das  Mengsische  Bild  nach  und  nicht  vor  dem 
des  Peder  Als  entstanden  zu  sein,  also  nach  1760,  somit  — 
es  bleibt  keine  andere  Wahl  —  im  Jahr  1761,  erste  Hälfte. 

Damals,  als  mit  der  Abreise  Mengsens  nach  Madrid  die 
Trennung  der  beiden  Freunde  bevorstand,  war,  wenn  irgend 
wann,  der  psychologische  Moment  für  die  Entstehung  des 
Bildes  gegeben.  Daß  Mengs  es  heimhch,  zum  Teil  frei  nach 
der  Erinnerung,  ohne  Wissen  des  Freundes  gemalt  habe, 
braucht  dabei  keineswegs  ausgeschlossen  zu  sein.  Dies  würde 
sogar  manches  verständlicher  machen:  die  von  der  Realität 
ziemlich  abweichende  starke  Stilisierung  und  das  Fehlen  jeder 
Erwähnung  seitens  Winckelmanns. 

Endlich  scheint  das  Krakauer  Bild  nicht  nur  in  die  zeit- 
liche, sondern,  in  gewissem  Sinne,  auch  in  die  geistige 
Nähe  des  Albanischen  Parnasses  zu  gehören.  Des  auffallend 
idealisierenden  Stiles  im  Krakauer  Bild  wurde  schon  ge- 
dacht. Eben  durch  diese  Idealisierung  steht  es  dem  Albani- 
schen Deckengemälde  nahe.  Auch  dieses  enthält  idealisierte 
Porträts.  Die  Muse  der  Geschichte  dort  neben  Apoll  ist  nie- 
mand anders  als  des  Künstlers  Gattin,  die  schöne  Frau  Mar- 
garita  Mengs.  Auch  die  anderen  Musen  ringsum  tragen  be- 
kanntlich die  Züge  verschiedener  damaliger  Schönheiten  zu  Rom. 

Wer  aber  hätte  in  des  Künstlers  Augen  eine  solch  idea- 
lisierende Verklärung  ins  Klassische  mehr  verdient,  als  gerade 
der  Freund,  der  ihm  nicht  nur  den  Auftrag  zu  eben  diesem 
„Parnaß"  verschafft,  sondern  der  wie  gar  kein  anderer  die 
Antike  ihm  überhaupt  erst  nahegebracht  hatte?! 

Jedenfalls  war  das  Bild,  das  Mengs  von  seinem  Freunde 
Winckelmann  malte,  keine  Bestellung,  sondern  ganz  so  wie 
schon  das  Oesersche  in  Dresden  spontan,  rein  aus  Freund- 
schaft entstanden  und  nur  für  den  Künstler  selbst  bestimmt. 
Auch  daher  mag  es  kommen,  daß  von  ihm  in  Winckelmanns 

27 


Briefen  an  andere  niemals  die  Rede  ist.  Am  ehesten  müßte 
es  erwähnt  worden  sein  in  der  Korrespondenz  mit  Mengs 
selbst.  Von  Briefen  Winckelmanns  an  Mengs  aber  haben  wir, 
ebenso  wie  an  seine  Gattin,  heute  nur  noch  verhältnismäßig 
wenige.22 

Das  Bild  muß  mit  Mengs  nach  Madrid  gewandert  sein 
und  war  zweifellos  ohne  Unterbrechung  in  des  Künstlers  Be- 
sitz geborgen.  Erst  nach  dessen  Tode,  als  es  mit  dem  künstle- 
rischen Nachlaß  von  Azara  erworben  wird,  fängt  es  an  für 
die  Allgemeinheit  sichtbar  zu  werden,  wenn  auch  zunächst 
nur  auf  ein  einziges  Jahrzehnt.  Dann  sinkt  es  gleich  wieder 
für  hundert  Jahre  in  jene  Verborgenheit  zurück,  aus  der  es 
erst  im  Anfang  des  20.  Jahrhunderts  wieder  hervorgelockt 
worden  ist. 


III. 

Am  18.  August  1764  schreibt  Winckelmann  an  seinen  alten 
-'^  sächsischen  Bibliotheksgenossen  Franke  in  Nöthnitz:  „Mein 
Bildnis  ist  von  einer  seltenen  Person,  einer  deutschen  Malerin 
gemacht.  Sie  ist  sehr  stark  in  Porträts  in  Öl,  und  das  meinige 
kostet  30  Zechini.  .  .  .  Das  Mädchen,  von  dem  ich  rede,  ist 
zu  Costnitz  geboren,  aber  zeitig  von  ihrem  Vater,  der  auch 
ein  Maler  ist,  nach  Italien  geführt  worden,  daher  sie  wälsch 
so  gut  wie  deutsch  spricht.  Auch  spricht  sie  fertig  fran- 
zösisch und  englisch,  daher  sie  alle  Engelländer,  welche  hier 
her  kommen,  malet.  Sie  kann  schön  heißen  und  singet  um 
die  Wette  mit  unsren  besten  Virtuosen.  Ihr  Name  ist  Angelica 
Kauff  mannin." 

Winckelmann  porträtiert  von   der  gefeiertsten  Künstlerin 
damals    in    Rom,    der    eben    erst    zweiundzwanzigjährigen 

28 


Angelica,  der  seelenvollen  Vorarlbergerin,  dieser  „vielleicht 
kultiviertesten  Frau  von  Europa",  wie  Herder  sie  nannte,  der 
madonnenhaft  reinen  und  sanften  Grazie  in  Mädchengestalt, 
gemalt  in  Schweizer  Auftrag,  der  von  fernher  über  die  Alpen 
kam.  Winckelmann,  —  der  niemals  Schweizer  Boden  betreten 
hat!   Wie  war  das  zugegangen? 

Hier  hatte  einer  jener  weitschauenden,  idealgesinnten  und 
zugleich  praktisch  entschlossenen  Männer,  an  denen  die 
Schweiz  von  jeher  reich  war,  und  durch  die  sie  schon  oft 
auch  ihren  Nachbarn  zum  Segen  geworden  ist,  mit  seinen 
Falkenaugen  die  rechte  Gelegenheit  erspäht. 

Es  war  im  Frühjahr  1758  gewesen  auf  seiner  allerersten 
Reise  nach  Neapel  und  der  Rückkehr  soeben  von  Paestum, 
das  auch  Winckelmann  zuerst  uns  wieder  entdeckt  hat,  als 
diesen  unvermutet  ein  gewichtiger  Wertbrief  mit  dem  Ge- 
schenk eines  Unbekannten  als  Beisteuer  zu  seinen  Reise- 
geldern erreichte.  Diese  Sendung  war  in  ganz  richtiger  Er- 
kenntnis der  Sachlage,  von  der  man  auf  Umwegen  über  Paris 
erfahren  hatte,  aus  Zürich  gekommen.  Von  Joh.  Kaspar  FüßH, 
dem  schöngeistigen  Gewissen,  möchte  ich  sagen,  der  deutschen 
Schweiz  damals,  jenem  angesehenen  Ratschreiber,  der  dort 
in  gut  demokratisch  einfacher  Weise  sein  gastfreies  Haus  zu 
einer  Art  Akademie  der  schönen  Künste  ausgestaltet  hatte, 
zur  „DomusFüsslinorum  artis  pingendi  cultrix",  wie  die  Familie 
selbst  stolz  sich  nannte.  Von  seinen  Kindern  pflegten  nicht 
weniger  als  fünf  die  Malerei,  und  er  selbst,  in  Wien  und  an 
Rugendas  und  Kupetzky  geschult,  war  ein  erfahrener  Porträtist. 

Diesem  Züricher  Mäzen,  dem  „edlen  FüßU",  ist  es  zu  ver- 
danken, wenn  wir  von  Winckelmann  ein  so  gutes  und  anmutiges 
Bild  (Abb.  IV)  besitzen,  das  ihn  auf  der  höchsten  Höhe  seines 
Lebens,  im  Zenith  seines  römischen  Ruhmes  zeigt,  im  selben 
Jahre,  da  auch  sein  bedeutendstes  und  reifstes  Geisteserzeugnis, 
seine  Geschichte  der  Kunst  des  Altertums,  erschienen  ist. 

29 


Seitdem  Mengs  Winckelrhann  gemalt  hatte,  waren  drei 
Jahre  ins  Land  gegangen,  drei  schwere  Jahre  für  Winckel- 
mann.  Das  Jahr  1762  hatte  ihn  mit  Fieber  und  Schwäche- 
anfällen bis  an  den  Rand  des  Grabes  gebracht,  und  mit  innig- 
ster Teilnahme  saß  damals  sein  Herr,  der  greise  Kardinal 
Albani,  väterlich  besorgt,  täglich  zweimal  an  seinem  Bette. 
Vorher  war  als  Frucht  der  zweiten  Reise  nach  Neapel  gerade 
noch  das  Sendschreiben  über  die  herculanensischen  Ent- 
deckungen niedergeschrieben  worden,  das  Europa  zum  ersten- 
mal wirklich  sachlichen  Aufschluß  über  die  dortigen  Funde 
brachte.  Gleich  darauf  fängt  Winckelmann  an,  seinen  alten 
Lieblingsplan,  die  „Allegorie  für  Künstler"  auszuarbeiten.  Von 
neuen  Schwächeanfallen  sucht  er  Erholung  am  Strand  von 
Nettuno.  Da  bringt  das  Jahr  1763  die  Erfüllung  seiner  kühnsten 
Wünsche:  seine  Ernennung  zum  Oberaufseher  der  vatikanischen 
Antikensammlungen. 

„Ich  habe  mehr  erlangt  als  ich  verdiente,  und  als  ich  im 
Traume  mir  bilden  können."  „Es  ist  die  schönste  Stelle,  die 
ich  mir  hätte  wünschen  können."  „Es  ist  ein  seltenes  Glück, 
und  ich  kenne  niemand  in  Rom,  mit  dem  ich  tauschen  möchte." 
„Meine  Pflicht  ist,  über  alle  Altertümer  in  und  um  Rom  ein 
wachsames  Auge  zu  haben.  Es  darf  auch  niemand  ohne 
meine  Erlaubnis  nach  Altertümern  auf  eignem  Grunde  graben. 
Es  muß  mir  daher  Alles  gezeiget  werden:  und  was  auf- 
blicket, bleibt  mir  nicht  verborgen."  „Die  Freiheit,  die  ich 
genieße,  ist  uneingeschränkt  und  niemand  fragt  mich,  was 
ich  mache."  „Ich  habe  meine  Hütte  nunmehro  auf  ewig  in 
Rom  aufgeschlagen." 

An  die  mit  dem  neuen  Amt  bisher  verbundenen  er- 
niedrigenden Ciceronedienste  gedenkend,  versichert  Winckel- 
mann: „Ich  werde'  versuchen  diese  Stelle  zu  einer  höheren 
Würdigkeit  zu  erheben." 

Und  er  sonnt  sich  in  der  höchsten  Gunst:  „Ich  habe  die 

30 


ausnehmende  Ehre  gehabt  Sr.  Heiligkeit  ein  Stück  aus  meinem 
Werke  vorzulesen,  zu  Castel  Gandolfo  ..."  „ich  saß  zwischen 
dem  Papst  und  zwei  Kardinälen  und  es  war  eine  ansehn- 
liche Versammlung  zugegen.  —  Ich  stand  neben  ihm  und 
erhielt  seinen  gewöhnlichen  reichen  Segen  dafür." 

„Ich  habe  alles,  was  ein  Mensch  von  mäßigen  Wünschen, 
auch  weit  mehr  als  ich  wert  bin,  verlangen  kann.  Ich  habe 
an  meinem  Herrn  (Kardinal  Albani)  meinen  besten  Freund 
und  Vertrauten,  dem  ich  das  Geheimste  meiner  Seele  nicht 
verhehle.  Ich  scherze  mit  ihm;  er  empfindet  was  mir  nahe 
gehet,  er  teilet  sich  ganz  mit  mir  und  ist  der,  welcher  mein 
Leben  genießen  macht  ...  Es  sollte  scheinen,  er  baue  für 
mich,  er  kaufe  Statuen  für  mich;  denn  es  geschieht  nichts, 
was  ich  nicht  billige.  Ich  bin  Herr  auf  all  dessen  Land- 
häusern, und  in  allen  ist  eine  Reihe  Zimmer  für  mich.  In 
Rom  selbst  wohne  ich  sehr  angenehm  im  Palaste  des  Kar- 
dinals. Meine  Zimmer  daselbst  würde  sich  mancher  Fürst 
wünschen." 

„In  meiner  Person  habe  ich  erfahren,  daß  der  ehrliche 
Mann  und  ein  bescheidenes  und  demütiges  Herz  in  aller 
Welt  gefällt,  ja  angebetet  wird.  Und  ich  habe  hier  viel  tätigere 
Freunde  als  in  Deutschland  gefunden.  Daher  muß  ich  diese 
Nation  und  dieses  Land  lieben,  und  es  war  hier  allein  der 
einzige  Hafen  meiner  Ruhe  zu  finden." 

Unwillkürlich  und  bitter  drängt  sich  uns  bei  dieser  glück- 
lichen Vergangenheit  die  so  ganz  andere  Gegenwart  auf,  da 
das  verblendete  Rom  seine  besten  Geistesarbeiter  aus  Ger- 
manien vertrieben,  die  bleibenden  Schöpfungen  Winckel- 
mannschen  Geistes  in  Rom,  die  deutschen  kunstgeschicht- 
lichen Institute  geschlossen  werden  mußten,  von  ihren  Sitzen 
womöglich  für  immer  vertrieben  und  ihrer  wertvollen  Biblio- 
theken beraubt  werden  sollen. 

Wie  warm  empfinden  wir  in  dieser  feindlichen   Gegen- 

31 


wart  die  freundliche  Sonne  Roms  im  glücklicheren  18.  Jahr- 
hundert! 

In  jenen  beglückenden,  lebhaft  bewegten  Monaten,  da  der 
deutsche  Forscher  aus  seiner  Einsamkeit  heraus  in  den  Mittel- 
punkt der  großen  Welt  gerückt  war,  hat  Angelica  ihn  ge- 
sehen, kennen,  schätzen  gelernt  und  —  verewigt.  Etwas  von 
dem  strahlenden  Glanz  jener  Hochjunktur  ist  in  ihr  Bild 
mit  übergegangen.  In  demselben  Briefe  vom  13.  Juli  1764, 
in  dem  Winckelmann  von  ihrem  Bilde  meldet:  „heute  ist 
mein  Porträt  geendigt",  schreibt  er:  „Unsre  rasende  Vil- 
leggiatur  (in  der  vor  einem  Jahr  mit  größten  Festlichkeiten 
eingeweihten  Villa  Albani)  ist  geendigt,  weil  der  Papst  selbst 
sein  Mißvergnügen  bezeiget  hat."  „Sie  hat  anderthalb  Monate 
gedauert  und  ist  einzig  in  ihrer  Art  gewesen.  Ganz  Rom 
war  alle  Abende  daselbst  versammelt  und  vielmals  waren  bis 
60  Personen  zum  Abendessen,  wo  auch  alle  Fremden  kamen 
und  speisten.  Und  man  tanzte,  sang  und  spielte,  ohngeachtet 
der  Kardinal  unpäßlich  war,  bis  zum  hellen  Morgen." 

„Ich  bin  niemals  einsamer  gewesen  als  daselbst,  ich  habe 
in  dem  großen  Getöse  Nachrichten  von  den  neuesten  her- 
culanensischen  Entdeckungen  aufgesetzt."  „Ich  bin  mitten 
in  diesem  Geräusche  wie  ich  verlange  zu  sein,  und  ich  lebe 
beständig  nach  einerlei  Weise,  so  daß  ich  allezeit  vor  der 
Sonne  schon  auf  dem  platten  Dache  des  Palastes  den  An- 
bruch der  Morgenröte  betrachte." 

Dies,  meine  Damen  und  Herren,  ist  der  Kauffmannsche 
Winckelmann  vom  Sommer  1764:  der  46  jährige,  der  gesund- 
heitlich neu  Gefestigte,  der  viel  umneidete  „Romanarum  Anti- 
quitatum  Praeses",  der  „Sovraintendente  delle  Antichitä  della 
Camera  Apostolica",  der  zärtlich  geliebte  Freund  und  Berater 
des  kunstfreudigsten  Kirchenfürsten  in  Rom,  des  73jährigen 
Kardinals  Albani,  der  innige  Vertraute  der  gerade  damals 
seiner  Obhut  anbefohlenen  schönen  Frau  Margarita  Mengs. 

32 


Und  vor  allem  der  Verfasser  der  „Kunstgeschichte",  dieses 
kühnen  Werkes,  das  zum  erstenmal  seit  dem  Altertum  selbst 
es  wieder  gewagt  hat,  die  großen  Epochen  der  antiken  Kunst 
aus  der  Vergessenheit  neu  aufzubauen.  Ein  Unternehmen 
nur  möglich,  wo  wie  hier  solch  umfassende  Belesenheit,  aus- 
gedehnteste Kenntnis  der  antiken  Skulpturen  selbst  und  seltenste 
Kombinationsgabe  zusammentrafen.  Winckelmann  selber  meinte 
damals:  „Vielleicht  geht  ein  Jahrhundert  vorbei,  ehe  es  einem 
Deutschen  gelingt,  mir  auf  dem  Wege,  welchen  ich  ergriffen 
habe,  nachzugehen,  und  welcher  das  Herz  auf  dem  Flecke 
hat,  wo  es  mir  sitzet." 23 

Lessing,  der  damals  gerade  an  seinem  Laokoon  saß,  schrieb : 
„  Winckelmanns  Kunstgeschichte  ist  erschienen.  Ich  wage  keinen 
Schritt  weiter,  ohne  dieses  Werk  gelesen  zuhaben."  Erfühlte 
sogleich  die  Überlegenheit  des  andren  in  der  persönlichen 
Kenntnis  der  Kunstwerke  selbst.  Das  Ausland  riß  sich  um 
das  neue  Werk,  dies  erste  einer  ganz  neuen  Wissenschaft, 
und  nach  Inhalt  und  Form  gleich  ein  so  vollendetes  Meister- 
werk! Paris  und  Amsterdam  konnten  es  gar  nicht  erwarten 
mit  Übersetzungen,  Italien  und  England  meldeten  sich  bald 
ebenfalls  darum.  Das  Werk  ist  noch  heute  klassisch  und  in 
seinem  weihevollen  Stil  mit  Recht  einem  Tempel  vergHchen 
worden,  dessen  Fundamente  und  Hauptteile  wie  für  die  Ewig- 
keit gegründet  scheinen. 

Auf  Angelicas  jugendliches,  für  alles  Hohe  begeisterungs- 
fähiges und  rein  weiblich  zartes  Gemüt  hatte  Winckelmanns 
männliche  Kraft  und  lebhaftes  Feuer  tiefsten  Eindruck  gemacht. 
Durch  Winckelmann  hat  ihre  Malerei  damals  den  ersten  ent- 
scheidenden Anstoß  erfahren,  von  der  Zierlichkeit  des  Rokoko 
zum  würdevolleren  Ausdruck  des  Klassizismus  überzuschwenken. 
Das  Studium  von  Mengs  später,  als  dieser  schon  gestorben 
war,  hat  diese  neue  Richtung  bei  ihr  nur  noch  weiter  ver- 
stärken können.  Selbst  die  griechische  Baukunst  begann  Angelica 

H.  T  hier  seh,  Winckelmann  und  seine  Bildnisse  3  33 


damals  bei  ihrem  zweiten  römischen  Aufenthalt  zu  studieren. 
Nach  ihrer  Rückkehr  von  Neapel  und  Ischia  nach  Rom  eben- 
damals  im  April  1764  war  Winckelmanns  Bildnis  ihr  erstes 
Gemälde  geworden:  unter  ihren  sehr  zahlreichen  Porträts 
eine  sehr  glückliche  und  für  ihre  immer  noch  große  Jugend 
ganz  erstaunliche  Leistung,  nur  verständlich  durch  die  lange, 
ungewöhnliche,  schon  mit  dem  neunten  Lebensjahre  bei  ihr 
einsetzenden  Übung  gerade  im  Bildnisfache.  24  Die  freund- 
schaftliche Verehrung  für  den  unheimlich  gelehrten  und  in 
seiner  frischen  Natürlichkeit  so  anregenden  Mann  hat  sie  über 
sich  selbst  hinausgehoben.  Nicht  immer  ist  Angelica  im  Treffen 
so  glücklich  gewesen;  bei  Goethe  später  bekanntlich  viel 
weniger.  Hier  aber  hatte  sie  in  Winckelmann  den  Seher  und 
Dichter,  die  ihr  selber  kongeniale  Natur,  den  Künstler,  erfaßt. 
Selbst  ein  so  gestrenger  Richter  wie  Carl  Justi  faßt  sein  Urteil 
über  dies  Bild  dahin  zusammen:  „Ihre  Treue  dürfen  wir  wohl 
nicht  bezweifeln.  Aber  sie  hat  über  das  Bild  einen  Geist, 
eine  Eleganz  ausgegossen,  die  den  andren  fehlt."  Und  ich 
möchte  hinzufügen:  der  feine  Reiz  kommt  her  von  ihrem 
eigenen  andächtigen  Gemüte,  mit  dem  sie  kindlich  ehrfurchts- 
voll dem  Geiste  Winckelmanns  genaht  und  gerade  darum 
ihn  so  rein  und  hoch  hat  erfassen  können. 

„Angelica  besaß,  fährt  Justi  fort,  die  Fähigkeit,  nicht  nur 
die  Formen,  sondern  auch  die  Gemütsart  zu  treffen;  sie  wußte 
den  günstigsten  Gesichtspunkt  auszufinden;  sie  erspähte  eine 
malerische  Pose,  die  der  Person  eigentümlich,  wenn  auch  selten 
war;  sie  entdeckte  oder  ersann  eine  Wendung,  einen  sinnenden 
Blick,  der  andren  Künstlern  entging;  sie  ordnete  die  Gewan- 
dung, unabhängig  von  der  Mode,  mit  weiblichem  Geschmack." 

Dies  alles  trifft  wörtlich  auf  Angelicas  Bild  zu,  das  Winckel- 
mann nach  Füßlis  sicher  ganz  richtiger  Erklärung  zeigt, 
„wie  er  sich  von  Eintretenden  auf  seinem  Studierzimmer, 
eben  nicht  gerne,  überraschen  ließ".  Es  liegt  eine  Bewegung 

34 


darin,  wie  sie  entsteht  beim  lebhaften  Nachsinnen  einem 
plötzlich  aufleuchtenden  Gedanken  nach.  Das  Momentane 
und  Charakteristische  dieses  für  intensive  geistige  Arbeit  präg- 
nant gewählten  und  geschickt  erfaßten  Zuges  macht  das  Bild 
so  überzeugend  lebendig. 

Angelicas  Bild  muß  der  Bestellung  gemäß  prompt  über 
die  Alpen  nach  Zürich  gewandert  sein.  Schon  ein  Jahr  nach 
seiner  Fertigstellung  ist  es  nach  Winckelmanns  eigenen  An- 
gaben dort.  Da  sah  es  in  Füßlis  Arbeitszimmer  noch  im 
Jahre  1778  der  Dichter  Matthison.  Später  erbte  es  als  Enkel 
Füßlis  der  Maler  Conrad  Zeller,  der  es  seinerseits  wieder  der 
Züricher  Kunstgesellschaft  vermachte.  Und  so  kann  es  heute  in 
dem  prächtig  modern  eingerichteten  Züricher  Kunsthaus  jederzeit 
öffentlich  besichtigt  werden;  ein  großer  Vorzug  gegenüber  dem 
jetzt  während  des  Krieges  leider  ganz  unzugänglichen,  künst- 
lerisch noch  höher  stehenden  Krakauer  Bild  des  Rafael  Mengs. 


IV. 

KTur  noch  vier  Jahre  waren  Winckelmann  zu  leben  be- 
^  ^  schieden,  und  man  sollte  denken,  daß  nun,  da  er  das 
Höchste  in  Rom  errungen,  wirklich  Ruhe,  eine  Art  Sabbat- 
stille in  sein  Dasein  kommen  wollte.  Aber  nur  sehr  kurze 
Zeit  schien  seinem  Leben,  das  sich  ja  auch  erst  dem  50.  Jahre 
zuneigte,  etwas  wie  Feierabend  beschieden.  Gleich  kam  wieder 
ein  Wirbel  äußeren  Umtriebes  über  den  vielbegehrten  apo- 
stolischen Antiquar  und  bald  noch  schlimmer  eine  innere, 
unheimHch  sich  steigernde  Unrast  und  seelische  Zerspalten- 
heit,  die  ihn  vollends  zermürbte.  Hochgradig  überreizt,  über- 
arbeitet, ein  kränkerer  Mann,  als  er  selbst  es  weiß,  macht  er 
sich  endlich  am   10.  April  1768  auf,  seine  deutsche  Heimat 

3*  35 


noch  einmal  wieder  zu  sehen.  Kaum  umfängt  ihn  aber  der 
düstere  Ernst  der  hohen  Tiroler  Berge,  da  bricht  er  psychisch 
zusammen  und  weiß  nur  noch  eine  Rettung:  zurück  nach 
Italien!  zurück  zur  Sonne!  heim  nach  Rom!  Wie  in  einer 
antiken  Tragödie  von  dunkler  Macht  getrieben,  eilt  er  eben 
auf  diesem  Rückwege  seinem  grausigen  Ende  am  9,  Juni  1768 
in  Triest  schnurstracks  entgegen.  Die  seit  zwei  Jahren  in  ihm 
aufsteigenden  Todesahnungen  sollten  Recht  behalten. 

Wie  glücklich  war  er  noch  in  jenem  entscheidungsreichen 
Jahr  1764  gewesen,  als  er  endUch  festen  Boden  unter  seinen 
Füßen  fühlte!  „Mein  Entschluß  ist  gefaßt,  niemals  aus  Rom 
zu  gehen.  Rom  ist  mir  das  Vaterland  geworden.  Rom  zu 
verlassen  ist:  mich  von  meinem  Liebsten  trennen.  ...  Ich 
will  meine  Tage  in  Ruhe  hier  beschließen!" 

Und  während  der  siebenjährige  Krieg  in  seinem  Heimat- 
lande weitertobt,  schreibt  er:  „Meine  Hände  hebe  ich  alle 
Morgen  auf  zu  dem,  der  mich  dem  Verderben  entrinnen  lassen 
und  in  dies  Land  der  Menschlichkeit  geführt  hat,  wo  ich  fern 
von  Kriegsgeschrei  die  Ruhe,  ja  mich  selbst  genieße." 

„Ich  bringe  alle  Tage  eine  halbe  Stunde  zu,  ohne  zu 
arbeiten,  und  dieses  ist  des  Morgens,  wo  ich  meinem  Glück 
nachdenke.  Bei  dieser  Betrachtung  singe  ich  Lieder  aus  dem 
lutherischen  Gesangbuch,  wie  mir  dieselben  einfallen,  und  in 
diesem  Augenblick  bin  ich  vergnügter  als  der  große  Mogul!" 

Ein  volles  Jahrzehnt  nun  in  Rom  fühlte  sich  Winckel- 
mann  immer  mehr  mit  Italien  verwachsen.  Er  beginnt  jetzt 
selbst  eine  kleine  Antikensammlung  anzulegen  und  beschließt 
sein  nächstes  großes  Werk  „denen  darzubieten,  deren  milder 
Himmel  und  gastliche  Aufnahme  aus  ihm  all  das  hatte  werden 
lassen,  was  er  nun  war".  Es  sollte  das  neue  Buch  ganz  nach 
italienischer  Art  eingerichtet  und  ausgestattet  werden,  für  römi- 
schen Geschmack  bestimmt  sein.  Das  ist  sein  zweites  Haupt- 
werk: Monumenti  antichi  inediti  spiegati  ed  illustrati  da  Gio- 

36 


vanni  Winckelmann,  Prefetto  delle  Antichitä  di  Roma.  A  spese 
deir  autore,  1767. 

Dies  mit  vielen  Kupfern  als  Prachtwerk  versehene  und  von 
gelehrter  Erudition  nun  richtig  strotzende  Opus  war  schon 
rein  äußerlich  ein  kühnes  Unternehmen.  Mit  völliger  Um- 
gehung des  Buchhandels,  mit  dem  er  in  Dresden  so  viel 
Ärger  gehabt,  hatte  Winckelmann  nicht  nur  Druck  und  Aus- 
stattung allein  aus  eigener  Tasche  bestritten,  sondern  selbst 
auch  den  ganzen  Versand,  mit  der  Verpackung  sogar,  über- 
nommen. Er  hatte  kümmerlich  deswegen  gelebt  und  sich  tief 
hineingeritten,  aber,  wie  Goethe  sagt,  als  armer  Privatmann 
mit  dieser  Publikation  mehr  geleistet  als  sonst  eine  ganze 
Akademie.  Und  er  hatte  den  Geschmack  seines  Publikums 
getroffen.  „Man  sagt  mir,  daß  niemand  anders  dergleichen 
zu  machen  imstande  sei."  Für  seinen  greisen  Kardinal  und 
Gönner  war  es  der  edelste  Zeitvertreib,  sich  daraus  vorlesen 
zu  lassen.  „Mein  Freund  macht  mit  aller  Strenge  den  Zensor, 
doch  bittet  er  bei  jedesmaliger  Erinnerung  um  Vergebung." 
Ja  selbst  „Sua  Santitä  gradi  infinamente  questa  lettura". 

Und  was  war  es,  was  Winckelmann  die  gelehrten  Geister 
so  gewann?  Es  war  die  heute  selbstverständliche,  damals  aber 
ganz  neue,  eben  durch  Winckelmann  erst  ans  Licht  gebrachte 
Tatsache,  daß  bei  den  allermeisten  antiken  Darstellungen  aus 
dem  Mythos  und  der  Heroengeschichte  die  griechische 
Sagenwelt  herangezogen  werden  muß.  Bis  dahin  hatte  man 
in  Italien  —  auch  aus  einem  naiven  sacro  egoismo  heraus  — 
den  Deutungen  immer  die  r  ö  m  i  s  c  h  e  Sagengeschichte  zugrunde 
gelegt.  Damit  hat  Winckelmann,  der  gründlich  Belesene,  diese 
wandelnde  Griechenbibliothek,  für  immer  aufgeräumt.  Zu  Hun- 
derten antiker  Schriftstellen  wußte  er  den  Beleg  aus  der  bil- 
denden Kunst  zu  bringen  und  umgekehrt  Hunderte  schwer 
verständlicher  Kunstdenkmäler  aus  den  alten  Autoren  zu  er- 
läutern. Mit  gleicher  Sicherheit  blätterte  er  in  dem  Riesen- 

37 


bilderbuch  der  römischen  Ruinen  und  Museen  wie  in  seinem 
Homer,  Herodot  und  Sophokles  und  fand,  nachdem  einmal 
das  richtige  Prinzip  der  Interpretation  gewonnen,  mit  glück- 
licher Hand  das  Zusammengehörige  in  den  meisten  Fällen 
wirklich  zusammen. 

Aber  kaum  sind  die  beiden  Folianten  dieser  Monumenti 
heraus,  da  arbeitet  er  schon  fieberhaft  an  einem  dritten  Bande. 
So  strömen  ihm  Ideen  und  Material  zu.  Daneben  her  geht 
der  immer  weitere  Ausbau  der  Kunstgeschichte.  Denn  auch 
da  bringen  die  neuen  Antikenfunde  immer  weitere  Belehrung 
und  bessere  Erkenntnis.  So  erscheinen  bald  die  „Anmer- 
kungen zur  Geschichte  der  Kunst  des  Altertums".  Dann 
halten  ihn  die  Vorarbeiten  zu  einer  neuen  englischen  und 
französichen  Ausgabe  der  Kunstgeschichte  in  Atem.  Dazu 
eine  erdrückend  wachsende  Korrespondenz  „per  totum  orbem 
terrarum",  daß  er  sich  oft  nicht  mehr  zu  raten  weiß.  „Ich 
glaube,  daß  ich  mehr  Briefe  abfertige  als  eine  ganze  Uni- 
versität in  corpore." 

Endlich  noch  etwas  anderes,  was  Winckelmann  viel  Zeit, 
Geduld  und  Kraft  kostete,  aber  zum  Glück  auch  vom  Ver- 
hocken  am  Schreibtisch  etwas  abzog  ins  Freie.  Das  war  seine 
Tätigkeit  als  Antiquario  nobile,  als  Cicerone  höheren  Stils 
im  Sinne  Jakob  Burckhardts  später,  als  Mentor  so  mancher 
deutscher  Fürstensöhne  und  von  Aristokraten  der  verschieden- 
sten Länder,  die  gekommen  waren,  um  von  Winckelmann 
sich  Rom  zeigen  und  erklären  zu  lassen.  Besonders  nach 
dem  Ende  des  siebenjährigen  Krieges  wurde  Rom  über- 
schwemmt mit  vornehmen  Forestieri  aller  Art.  Gleich  das 
Jahr  1765  war  für  ihn  darin  das  alleranstrengendste  gewesen. 
„Alle  wünschen,  daß  ich  um  jeden  den  ganzen  Tag  sei.  Ich 
behalte  sehr  wenig  Zeit  für  meine  eigne  Arbeit  übrig."  Und 
nicht  alle  waren  ein  so  erfrischender  Umgang  wie  der  17jährige 
Prinz  von  Mecklenburg-Strelitz,  dies  „allerliebste  Kind",  der 

38 


ein  ganzes  Jahr  dem  römischen  Aufenthalt  widmete  —  „er 
ist  mir  Freund,  Sohn,  Schüler  und  Spielgenosse"  — ,  oder 
wie  der  Enkel  des  alten  Dessauers,  Fürst  Franz  von  Anhalt- 
Dessau,  dieser  „Phönix"  und  dieses  „Muster  der  Prinzen  und 
Menschen",  „der  ein  Kaiser  sein  sollte",  und  der  mit  seinem 
trefflichen  Architekten  Erdmannsdorff  volle  fünf  Monate  unter 
Winckelmanns  Führung  Rom  sah.  Mit  dem  strammen  Neffen 
Friedrichs  des  Großen,  dem  wortkargen  Erbprinzen  von  Braun- 
schweig,  um  die  Wette  zu  laufen  war  schon  anstrengender. 
„Wir  haben  zuweilen  vor  Müdigkeit  in  einer  Stunde  nach 
einem  langen  Laufe  nicht  essen  können."  Der  charmante 
und  großzügige  Duc  de  la  Rochefoucauld  mit  seiner  warmen 
aufrichtigen  Verehrung  für  Winckelmann  bringt  es  fertig  diesen 
ganz  von  seiner  bisherigen  Franzosenfresserei  zu  bekehren. 
Am  wenigsten  Freude  aber  erlebte  Winckelmann  an  apathisch 
stolzen,  anspruchsvollen  Engländern,  kaltsinnigen  „Steinkohlen- 
seelen", wie  er  sie  nennt. 

Bei  diesen  Führungen  der  Blüte  des  Adels  und  der 
Kronen  —  und  wer  wollte  nicht  gerne  geführt  sein  von  einem 
Manne,  der  Rom  kannte  wie  keiner  sonst,  und  von  dem  man 
wußte,  daß  Friedrich  der  Große  ihn  für  Berlin  ins  Auge  ge- 
faßt hatte!  — ,  da  kam  Winckelmanns  innerster  Beruf  auf  ein- 
mal zum  Vorschein:  ein  Lehrer  der  Jugend  zu  sein,  mitteilsam, 
anregend,  lebendig,  unermüdlich,  gründlich,  kenntnisreich. 
Winckelmann  selbst  spürte  das  auch  und  war  glücklich  in 
solchem  Geben. 

Aber  all  dies  zusammen,  dieser  vielfache  Aufwand  von 
Energie  war  zu  viel  für  die  längst  überanstrengten  Kräfte. 
Winckelmann  wütete  einfach  gegen  sich  selbst.  Die  Er- 
holungspausen auf  dem  Lande  in  Castel  Gandolfo,  am  Strand 
von  Porto  d'Anzo,  ein  letzter  Ausflug  nach  Neapel  und  Pom- 
peji, wo  er  voll  freudiger  Erregung  über  das  gewaltige  Natur- 
ereignis noch  den  grandiosen  Vesuvausbruch  von  1767  er- 


lebte,  das  alles  vermochte  nur  noch  vorübergehend  zu  helfen. 
Die  geplante  Reise  nach  Sizilien  und  Griechenland,  das  viel- 
verheißende Projekt  einer  großen  Ausgrabung  in  Olympia  — 
denn  auch  dies  geht  auf  Winckelmann  zurück  —  mußte  ver- 
schoben werden. 

Nun  ist  es  ergreifend  aus  den  Briefen  Winckelmanns,  be- 
sonders seiner  beiden  letzten  Lebensjahre,  zu  sehen,  wie  er 
sich  zusehends  aufreibt,  aufgepeitscht  durch  den  Stimulus 
des  besten,  aber  stärksten  Kaffees,  der  in  Rom  zu  haben  war, 
den  Freund  Stosch  auf  Jahre  hinaus  ihm  direkt  aus  Kairo 
hatte  kommen  lassen;  wie  Winckelmanns  Klagen  über  seine 
zunehmende  Vereinsamung,  die  Anzeichen  des  Alters  sich 
mehren;  wie  er  schon  Ruine  ist,  als  er  endlich  die  verhängnis- 
volle Heimreise  antritt,  von  der  er  ein  neues  Wiederaufleben 
sich  versprach. 

Schon  im  Herbst  1763  hatte  er  klagen  müssen,  daß  ein 
gewisser  feiner  Geist,  der  ihn  früher  zu  den  höchsten  Höhen 
der  Betrachtung  erhoben,  verrauche.  „Die  große  und  schwere 
Arbeit  hat  meinen  Magen  gänzlich  geschwächt."  Und  ein 
Jahr  darauf:  „Gott  weiß,  daß  ich  oft  kaum  Zeit  zum  Essen 
habe."  —  „Ich  bin  der  geplagteste  Mensch  in  Rom.  Der 
Prinz  von  Mecklenburg  will  ohne  mich  nicht  aus  dem  Hause 
gehen;  ich  muß  zwo  Stunden  essen,  da  ich  mit  einer  Viertelstunde 
fertig  werden  könnte."  —  „Ich  sehne  mich  aus  dieser  un- 
beschreiblich schweren  Arbeit  hinauszukommen,  voller  Un- 
geduld die  gewünschte  Reise  machen  zu  können."  —  „Wenig 
wird  übrig  sein  zu  leben.  Die  viele  Arbeit  machet  mich 
stumpf,  und  ich  fange  an  die  untrüglichen  Kennzeichen  des 
Eintritts  ins  Alter  zu  empfinden."  —  „Wenn  Ihr  mein  Leben 
vom  Morgen  bis  in  die  Nacht  sehen  solltet,  würdet  Ihr  Euch 
wundern,  wie  ein  Mensch  allein  alles  machen  kann;  ich  bin 
mir  selbst  Magd,  Diener,  Schreiber,  Bote."  —  „Ich  sitze  und 
arbeite  wie  auf  den  Tod."  —  „Ich  bin  vergraben  in  so  viel 

40 


Arbeiten,  daß  ich  kaum  frei  atmen  kann."  —  „Bald  werde  ich, 
die  Feder  in  der  Hand,  zerstauchen."  —  „Ich  komme  nicht 
zur  Ruhe,  bis  ich  bUnd  werde;  von  einer  Märtelei  in  die  andre." 

Andere  Trübungen  lagen  schwer  auf  seinem  Gemüte:  zu- 
erst die  Enttäuschung  des  lediglich  an  der  Honorarfrage  ge- 
scheiterten Berliner  Rufes  —  und  es  wäre  Winckelmanns 
höchster  Stolz  gewesen,  sich  seinem  großen  Könige  selbst 
vorzustellen!  — ,  dann  das  Zerwürfnis  mit  dem  alten  Freunde 
Mengs,  von  dem  er  sich  übermütig  hintergangen  glaubte, 
die  Entzweiung  mit  seinem  zeichnerischen  Mitarbeiter  an  den 
Monumenti,  dem  hinterlistigen  Casanova,  ^s  dem  Bruder  des 
bekannten  Abenteurers,  endlich  eine  böswillige  Verketzerung 
bei  seinem  gütigen  Kardinal:  dies  alles  lag  zentnerschwer  auf 
seiner  Seele. 

Mit  dem  Sommer  1767,  ein  Jahr  vor  seinem  Tode,  be- 
ginnen immer  bestimmter  die  Ahnungen  von  einem  nahen 
Ende  aufzutreten:  es  herbstelt  stark  in  ihm,  und  tiefe  Abend- 
schatten fallen  lang  und  breit  herein:  „Ihr  seht,  daß  ich  an 
mein  Ende  denke."  —  „Niemand  hat  sich  nach  meinem 
Tode  etwas  zu  versprechen,  denn  ich  gehe  wie  ein  leichter 
Fußgänger  mit  fröhlichem  Gesicht  aus  der  Welt  und  arm, 
wie  ich  gekommen  bin."  —  „Aber  warum  finde  ich  in  dem 
hannoverschen  Gesangbuch  mein  Leiblied  nicht?: 
,Ich  singe  dir  mit  Herz  und  Mund, 
Herr,  meines  Herzens  Licht!'"  — 

„Ich  war  sehr  mit  Schwindeln  befallen,  welche  mich  er- 
innern können  mein  Haus  zu  bestellen  oder  nicht  weitaus- 
sehende Unternehmungen  anzufangen."  Und  dann  reißt  er 
sich  wieder  empor:  „Es  kostet  was  es  wolle,  ich  habe  den 
endlichen  Entschluß  gefaßt,  mein  Vaterland  wieder  zu  sehen!" 

Auch  aus  dieser  letzten  kritischen  Zeit  Winckelmanns  be- 
sitzen  wir  ein   Bild,   von   tüchtiger   Hand   gemalt   und    mit 

41 


packender  Lebendigkeit  den  Fünfzigjährigen  in  seiner  römi- 
schen Klause  schildernd,  etwa  ein  Jahr  vor  seinem  Tode  be- 
gonnen, ein  halbes  Jahr  darauf  vollendet  (Abb.  V).  Von 
Freund  Stosch  in  Berlin  für  sich  selbst  bestellt,  stammt  es 
von  einem  Künstler,  der  nicht  nur  damals  für  den  besten 
Porträtisten  nach  Mengs  in  Rom  galt,  sondern  der  auch  in 
allerneuester  Zeit  nach  einer  hundertjährigen  Periode  des  Ver- 
gessenseins wieder  zu  Ehren  gekommen  ist.^e  Auf  der  Darm- 
städter Jahrhundertausstellung  von  1914,  unmittelbar  vor  dem 
Kriege,  ist  seine  Kunst  in  ihrem  warmen  Kolorit  und  ihrer 
reizvollen  Natürlichkeit  als  „die  erste  Verheißung  einer  neuen 
Kunstanschauung,  deren  Erfüllung  eigentUch  erst  die  Moderne 
gebracht  hat",  hervorragend  anerkannt  worden.  Sein  lebens- 
großes, eben  damals  1766  in  Rom  entstandenes  Bild  von 
Winckelmanns  Freund,  dem  Fürsten  Franz  von  Anhalt-Dessau, 
könnte  gestern  oder  vor  zehn  Jahren  gemalt  sein,  sagt  Georg 
Biermann.  27 

Dieser  Künstler  ist  Anton  Maron,  ein  mit  allen  malerisch- 
harmonischen Vorzügen  seines  österreichischen  Stammes  aus- 
gestatteter Schüler  der  Wiener  Akademie,  in  Rom  dann  von 
A.  R.  Mengs,  dessen  Mitarbeiter  und  Schwager  er  alsbald 
wird.  Trotz  der  gefährlichen  Nähe  dieses  seines  großen 
Schwähers  und  Meisters,  trotz  des  klassischen  und  klassi- 
zistischen Bodens  von  Rom,  wo  er  den  größten  Teil  seines 
Lebens  verbringt,  gehört  Maron  zu  jenen  im  besten  Sinne 
konservativen  und  gefälligen  Österreichern,  welche  die  ge- 
winnende Grazie  des  Rokoko  noch  ein  Menschenalter  länger 
bewahren,  als  dies  selbst  in  Deutschland  möglich  war.  Für  seine 
hervorragenden  Verdienste  gerade  im  Porträtfach  wurde  er  ge- 
adelt, schon  bevor  er  Maria  Theresia  und  Joseph  II.  konterfeite. 

Maron  muß  Winckelmann  auch  persönlich  nahegestanden 
haben  als  unbedingt  zuverlässig  und  vertrauenswürdig.  Bei 
ihm  deponiert  Winckelmann  die  für  die  geplante  griechische 

42 


Reise  zurückgelegte  große  Summe,  welche  er  erst  sterbend 
einer  anderen  Verwendung  zuweist. 

Die  allmähliche  Entstehung  des  Maronschen  Bildes  läßt 
sich  in  Winckelmanns  eigenen  Briefen  genau  verfolgen.  Gleich 
nach  Vollendung  jenes  Dessauer  Fürstenbildes  ist  Winckelmann 
mit  Maron  wegen  seines  eigenen  Bildnisses  in  Unterhandlung. 

„Ich  habe  wegen  meines  Bildnisses  geredet.  Der  Künstler, 
welcher  ein  Deutscher  ist  und  der  einzige  Schüler,  der  Mengs, 
seinem  Meister,  Ehre  macht,  fordert  für  die  gewöhnliche  Größe 
25  Zecchini.  Aber  zwischen  uns,  da  wir  genaue  Freunde  sind, 
würde  der  Preis  nicht  so  hoch  sein.  Wollten  Sie  es  aber  etwas 
größer  haben,  um  etwa  allegorische  Nebendinge  anzubringen  — 
(und  dies  geschah  dann  auch)  —  wird  es  ebenfalls  nicht  über 
dessen  gewöhnlichen  Preis  gehen.  Sie  können  aber  versichert 
sein,  alsdann  ein  Porträt  zu  haben,  dergleichen  niemand  viel- 
leicht auf  der  Welt,  außer  dem  Mengs  machen  kann."  Endlich 
am  7.  März  1767  heißt  es:  „Morgen  gedenke  ich  mein  Bild- 
nis für  Sie  anzufangen  und  es  wird,  auch  die  Idee  der  Freund- 
schaft beiseite  gesetzt,  ein  schönes  Bildnis  werden."  Dann 
am  2.  April:  „Der  Kopf  meines  Bildnisses,  welches  ein  Knie- 
stück ist,  aber  in  sitzender  Figur,  ist  fertig,  und  der  Maler, 
der  hier  der  geschickteste  ist  und  folglich  auch,  Mengs  aus- 
genommen, anderwärts  sein  kann,  hat  sich  vorgesetzt  in  dem- 
selben ein  Bild  der  Freundschaft,  —  die  er  selbst  fühlt  — , 
und  der  Redlichkeit,  wie  er  saget,  zu  schildern.  Um  den  Kopf 
wird  ein  seidenes  Tuch,  anstatt  der  Mütze,  verloren  gebunden 
geleget.  Die  Bekleidung  ist  mein  weißer  russischer  Wolfspelz 
mit  Cramoisi  überzogen  und  auf  die  Parerga  werden  wir  beide 
bei  der  Ausführung  denken.  Ich  kann  versichern,  daß  dieses 
Stück  als  ein  schönes  Porträt  neben  einem  Van  Dyck  und 
Rigaud  stehen  kann." 

Diese  Erwartung  griff  freilich  ein  wenig  zu  hoch,  aber 
die  Ausführung  des  Bildes  zeigt  im  Weimarer  Museum,  daß 

43 


es  sich  auch  neben  einem  so  kräftigen  und  treffsicheren  Por- 
trätisten  wie  Anton  Graff  durchaus  halten  kann. 

Zunächst  kann  es  nur  zu  einer  Skizze  gekommen  sein. 
Am  9.  Mai  heißt  es:  „Die  Arbeit  an  meinem  Porträt  ist  wegen 
überhäufter  Arbeit  des  Malers  unterbrochen;  ich  werde  aber 
suchen,  dasselbe  diesen  Monat  untermalen  zu  lassen."  Es 
geht  auch  richtig  vorwärts;  am  27.  Mai  schreibt  Winckelmann: 
„Der  Kopf  meines  Bildnisses  ist  vergangenen  Dienstag  zum 
dritten  Male  ganz  und  gar  übermalet,  und  es  kann  geschehen, 
daß  derselbe  die  vierte,  letzte  Hand  bekommt.  Ein  jeder  rühmt  die 
vollkommenste  Ähnlichkeit,  und  Kunstverständige  sagen,  daß 
Mengs  selbst  nichts  Schöneres  hätte  machen  können."  Aber 
dann  heißt  es  im  September:  „Mein  Porträt  wird  allererst 
diesen  Winter  fertig.  Der  arme  Mann  hat  nur  eine  Hand, 
die  malen  kann,  und  hundert  Werke  sind  angefangen." 

Im  Dezember  1767  hofft  Winckelmann  doch  noch  vor 
seiner  Abreise  sein  „schönes  Ebenbild"  abfertigen  zu  können, 
„wovon  der  Kopf  nach  meiner  Rückkehr  zum  vierten  Male 
übermalet  worden.  Es  ist  derselbe  so  wohl  geraten  und  so 
meisterhaft  gearbeitet,  daß  viele  Menschen  hingehen,  den- 
selben zu  sehen,  und  es  sind  sogar  vier  bis  fünf  Kopien 
bestellet,  wozu  ich  dem  Künstler  aber  keine  Zeit  lassen  kann." 

Dann  am  18.  März  1768:  „Mein  Bild  wird  nach  Ostern 
geendigt  werden.  Herr  Hamilton,  der  englische  Minister  zu 
Neapel,  der  größte  Bilderkenner  unter  allen  Lebenden,  ver- 
sichert, daß  er  niemals  einen  schönern  Kopf  als  den  meinigen 
(von  Maron  gemalt)  gesehen:  und  er  hat  Recht,  und  die  Kunst 
kennet  keine  höheren  Grenzen."  Endlich  schon  unmittelbar 
vor  der  Abreise  in  einem  der  allerletzten  Briefe  an  Muzel- 
Stosch  heißt  es  am  23.  März:  „Mein  Bild  wird  allererst  nach 
meiner  Abreise  von  hier  gehen  können;  binnen  der  Zeit  mag 
das  Original  die  Stelle  der  schönen  Kopie  vertreten,  die 
wahrhaftig  mit  der  Empfindung  eines  Freundes  gemacht  ist." 

44 


Also  war  das  Maronsche  Gemälde  endlich  doch  noch 
fertig  geworden,  kurz  vor  der  Abreise;  wie  vorher,  nach 
unserer  Vermutung,  das  von  Oeser  und  das  von  Mengs. 

Für  Marons  Bild  sind  nun  folgende  wichtige  Eigenschaften 
bezeugt:  1.  daß  es  mit  ganz  besonderer  Sorgfalt  gemalt 
worden,  2.  daß  es  nach  dem  Urteil  der  damaligen  Zeit- 
genossen, die  es  wissen  konnten,  in  höchstem  Maße  Ähnlich- 
keit besaß,  3.  daß  es  in  der  ganzen  Anlage  wie  im  Neben- 
werk von  Winckelmann  selbst  noch  bestimmt  worden  ist, 
4.  daß  es,  was  die  Zeitgenossen  zugunsten  der  psychologi- 
schen Schilderung  ebenfalls  ausdrücklich  hervorheben,  wieder 
die  Hand  eines  nahen  Freundes  war,  die  den  Pinsel  führte. 

Es  verdient  also  den  Charakter  der  Authentizität  in  be- 
sonderem Maße  und  ist  von  der  damaligen  Generation  auch 
ganz  so  eingeschätzt  worden.  Das  Maronsche  Gemälde  ist 
darum  auch  durch  die  Vermittlung  der  Döllschen  Büste  in 
Rom  die  Grundlage  der  weitaus  meisten  Büsten,  Medaillons 
und  Stiche  geworden,  welche  Winckelmann  nach  seinem 
Tode  zugedacht  worden  sind. 2» 

Das  Maronsche  Winckelmannbild  ist  erst  im  November 
1768  durch  Kardinal  Albani  nach  Berlin  abgesandt  worden. 
Bis  dahin  war  es  in  Rom  verblieben,  um  dem  Künstler  die 
Fertigstellung  der  noch  in  Auftrag  gegebenen  Kopien  zu  er- 
möglichen, deren  beste  jetzt  im  Palais  von  Dessau  hängt.  29 
Kurz  vor  Weihnachten  1767  hing  das  Original  selbst  aber  noch 
über  Winckelmanns  eigenem  Schreibtisch,  damals  vielleicht 
gerade  erst  aufgehängt.  Dort  sah  es  der  Dresdener  Hof- 
baumeister Christian  Traugott  Weinlig,  dessen  anschaulicher 
Bericht  vom  26.  Dezember  1767^0  als  des  letzten  deutschen 
Landsmanns,  der  Winckelmann  in  Rom  aufgesucht  hat,  hier 
den  Schluß  bilden  mag: 

„Endlich  habe  ich  auch  den  so  berühmten  Abt  Winckel- 
mann persönlich  kennen  lernen  ..."    „Ich  ward  in  ein  kleines 

45 


Zimmer,  sein  Museum  gebracht.  Ein  heiliger  Anblick:  alte 
Basreliefs,  Büsten,  Kupfer,  Skripturen  und  Bücher  lagen  auf 
seinem  Schreibtisch  und  auf  dem  Bette  herum.  Über  dem 
Schreibtisch  hing  sein  von  Herrn  Maron  gemaltes  Porträt. 
Kurz  darauf  erschien  er  selbst.  Stellen  Sie  sich  einen  Mann 
von  mittlerer  Größe,  hagerem  Gesicht  und  leutseligem  Um- 
gang vor!  Die  Art,  mit  der  er  mich  empfing,  nahm  mich 
den  ersten  Augenblick  für  ihn  ein.  Er  denkt  ganz  im  alten 
griechischen  und  römischen  Stil  und  gerät  über  die  Neueren 
leicht  in  Eifer  ...  Ich  hielt  mich  ungefähr  eine  Stunde  bei 
ihm  auf,  und  er  war  so  gütig,  mich  auf  den  folgenden  Tag 
in  die  Villa  seines  Kardinals  einzuladen." 

Ein  Zug  ist  es  endlich,  der  uns  in  Marons  Bild  besonders 
wehmütig  berührt:  das  Hereinragen  der  Todesahnung.  In 
einem  Briefe  Reiffensteins  aus  Rom  noch  vom  19.  November 
1768,  den  mir  Emil  Jacobs  aus  der  Berliner  Bibliothek  zu- 
gänglich gemacht  hat,  wird  zuerst  ausdrücklich  darauf  hin- 
gewiesen: „Im  Grunde  unter  einem  schwebenden  Teppich 
erscheint  ein  Basrelief,  auf  welchem  Mercur  eine  Seele  eines 
erschlagenen  Helden  in  die  Elysäischen  Felder  trägt,  aus 
einem  geschnittenen  Steine  des  Stoschischen  Musei,  welchen 
unser  sei.  Freund  erläutert  (hat),  wodurch  der  Künstler  sein 
unglückliches  Ende  andeuten  wollen."  ^^ 

Da  wir  wissen,  wie  Winckelmann  auch  die  Parerga  dieses 
Bildes  selbst  mitbestimmt  hat,  so  haben  wir  in  der  Wahl 
gerade  dieses  Symbols  einen  unerwarteten,  allerstärksten  Be- 
weis dafür,  wie  er  in  jenen  letzten  römischen  Monaten  von 
düsteren  Ahnungen  befallen  war,  die  als  dunkle  Schatten 
auch  seine  Briefe  durchziehen.  Nicht  erst  Maron,  der  Maler, 
wie  man  nach  Reiffenstein  denken  könnte,  sondern  Winckel- 
mann selbst  noch  hat  diesen  melancholischen  Hinweis  in 
das  Bild  gebracht. 

46 


V. 

V  Tun  aber:  Oeser-Mengs- Angelica-Maron,  wie  verschieden 
^  ^  alle!  Und  doch  nicht  zu  verschieden!  Die  durch  sie 
alle  hindurchschimmernde  einheitliche  Persönlichkeit  ist  un- 
leugbar. Mußte  deren  Darstellung  denn  nicht  ganz  ver- 
schieden ausfallen?!  Nicht  nur  infolge  der  grundverschiedenen 
geistigen  Art  der  malenden  Künstler,  ihres  ebenso  überaus 
verschiedenen  technischen  und  malerischen  Könnens,  sondern 
auch  nach  den  außerordentlich  verschiedenen  Lebensumständen 
des  Dargestellten  selbst!  In  dem  ereignisreichen  Wechsel  der 
Jahre,  die  Winckelmanns  inneres  Porträt  so  stark  veränderten 
und  beständig  modelten,  mußte  notwendigerweise  auch  seine 
äußere  Erscheinung,  der  Ausdruck  in  seinem  Gesicht  sich 
wandeln.  Es  ist  darum  ganz  überflüssig  darüber  zu  streiten, 
welches  jener  vier  Bilder  nun  das  echteste,  das  allein  maß- 
gebende sei.  Sie  sind  alle  vier  in  gleich  hohem  Grade  maß- 
gebend und  echt.  Ein  jedes  von  ihnen  ist  das  echteste  und 
authentischste  für  diejenige  Lebensphase  Winckelmanns,  in 
der  es  gemalt  worden  ist. 

Alle  vier  zusammen,  ohne  Ausnahme,  gehören  mit  zur 
inneren  Biographie  Winckelmanns,  wie  ich  sie  Ihnen  soeben 
möglichst  mit  seinen  eignen  Worten  zu  skizzieren  suchte. 
Keines  ist  für  eine  solche  zu  entbehren,  wenn  sie  ganz 
authentisch  sein  will.  Diese  vier  Bilder  umkränzen  das 
Andenken  Winckelmanns,  sein  geistiges  Porträt,  in  gewissem 
Sinne,  —  wenn  es  erlaubt  ist,  etwas  Profanes  und  sehr 
Entferntes,  Tieferliegendes  mit  etwas  weit  Höherem  zu  ver- 
gleichen —  wie  die  vier  Evangelien  das  Bild  Christi.  Die  in 
vierfacher  Brechung  von  ihrem  Mittelpunkt  ausgegangenen 
Strahlen  zusammengenommen  ergeben  erst  die  ganze  Per- 
sönHchkeit.  Auch  hier  kann  man  von  einer  Konkordanz 
sprechen. 

47 


Und  nicht  nur  äußerlich  weisen  die  vier  Bilder  in  Kostüm, 
Aufmachung  und  Beiwerk  eine  fortgesetzte  Steigerung  vom 
ganz  Schlichten  zum  Stattlich  -  Prächtigen  auf.  Diese  auf- 
steigende Linie  entspricht  Winckelmanns  Lebensentwicklung 
selbst:  wie  jugendHch  bescheiden,  noch  befangen  und  an- 
spruchslos bei  Oeser;  wie  viel  ungezwungener,  künstlerhaft 
preziöser  schon  bei  Mengs;  wie  männlich  stattlich  und  zu- 
gleich elastisch  bei  Angelica;  wie  würdig,  reich  und  ein- 
drucksvoll, fast  pompös  bei  Maron! 

Aus  einem  Zeitraum  von  zwölf  Jahren  vier  authentische 
Bildnisse  in  Öl,  gemalt  von  anerkannten  Meistern  ihres  Fachs, 
geschildert  von  solchen,  die  Winckelmann  durch  intimen, 
zum  Teil  jahrelangen  Umgang  genau  kannten,  die  ihm  alle 
auch  freundschaftlich  nahe  gekommen  waren:  so  günstig 
liegen  durchaus  nicht  alle  ikonographischen  Fälle!  Als  dann 
sein  jäher  Tod  das  Mitleid  ganz  Europas  wachgerufen,  ist 
es  weiter  begreiflich,  daß  diese  vier  noch  zu  Winckelmanns 
Lebzeiten  entstandenen  Bildnisse  eine  sehr  erhebHche  Anzahl 
weiterer  Porträts  hervorgerufen  haben,  die  als  oft  höchst 
interessante,  wenn  auch  immer  abgeleitete  Werke  sich  bis  in 
die  neueste  Zeit  hinein  erstrecken.  So  gibt  es  jetzt  fast  hun- 
dert solcher  postumer  Winckelmann-Porträts,  nun  natürlich 
erst  recht  verschieden  untereinander  und  eben  darum  be- 
sonders lehrreich  nicht  nur  für  die  Geschichte  des  Winckel- 
mann-Porträts allein,  sondern  des  Porträtierens  überhaupt. 

Diesen  auch  an  allerlei  Überraschungen  nicht  armen  Stamm- 
baum der  Winckelmann -Bildnisse  aufstellen  zu  können  und 
in  würdiger  Gestalt  mit  Abbildung  all  dieser  Dokumente  dem- 
nächst veröffentlichen  zu  dürfen,  das  danke  ich  unsrer  Frei- 
burger Wissenschaftlichen  Gesellschaft,  derselben,  die  mir 
gütigst  gestattet  hat,  auch  diese  Stunde  dem  Gedächtnis 
Winckelmanns,  dessen  Geburtstag  morgen  am  9.  Dezember 

48 


zum  200.  Male  wiederkehrt,  in  Ihrer  aller  freundlichen  Gegen- 
wart zu  weihen. 

Jene  Veröffentlichung,  welche  an  ihrer  Stirn  den  Namen 
unsrer  Freiburger  Wissenschaftlichen  Gesellschaft  tragen  wird, 
und  welche  auch  die  noch  unveröffentlichten  Briefe  Winckel- 
manns  in  der  kgl.  Bibliothek  zu  Berlin,  nunmehr  von  Emil 
Jacobs  herausgegeben,  bringen  wird,  soll  ein  Zeugnis  sein 
auch  dafür,  wie  wir  in  Deutschland  mitten  im  Krieg  und 
Streit  der  Nationen  nicht  vergessen  der  höheren  Einheit, 
für  deren  völkerverbindende  Kraft  gerade  Winckelmann  ein 
wahres  Symbol  darstellt:  dieser  klärende,  zusammenfassende 
und  verbindende  Geist,  von  allen  Nationen  hoch  gefeiert, 
und  dieser  trotz  alledem  auch  in  Rom  im  Kern  seines  Wesens 
durchaus  deutsch  gebliebene  Mann  —  mit  seiner  genügsamen 
Anspruchslosigkeit,  seiner  kindlichen  Dankbarkeit,  hingeben- 
den Selbstlosigkeit  und  Aufopferungsfähigkeit,  mit  seiner  Her- 
zensgüte, freimütigen  Offenheit  und  mannhaften  Selbständig- 
keit, mit  seiner  gründlichen  Schaffenskraft,  seinem  umfassen- 
den Wissen  und  rastlosen  Streben  nach  Vollkommenheit I^s 

Ja,  so  deutsch  war  er,  daß  in  gewissem  Sinne  auch  über 
seinem  Leben  jene  geheimnisvollen  Worte  stehen  dürfen, 
welche  mir  für  unser  ganzes  deutsches  Volk  in  all  seiner  Not 
und  all  seinem  Ringen,  nicht  nur  dem  jetzigen,  wie  eine 
Weissagung  für  alle  Zeiten,  eine  tröstHche,  bestimmt  erscheinen: 

„Ich  weiß  deine  Werke  und  deine  Trübsal  und  deine 
Armut  —  du  bist  aber  reich!  Fürchte  dich  nicht  vor  der 
keinem,  das  du  leiden  wirst!  Sei  getreu  bis  in  den  Tod,  so 
will  ich  dir  die  Krone  des  Lebens  geben.  Wer  überwindet, 
dem  soll  kein  Leid  geschehen  von  dem  andren  Tode!" 


H.  Thiersch,  Winckelmann  und  seine  Bildnisse  4  49 


ANMERKUNGEN 

1.  Diesen  Ausspruch  des  Grafen  Wackerbarth,  der  selbst  eifriger  Kunst- 
sammler war,  erzählt  J.  Gurlitt  in  seinem  „Nachtrag  zu  der  biographischen 
und  literarischen  Notiz  von  Joh.  Winckelmann".  Programm  des  Johanneums 
zu  Hamburg  1820  S.  25. 

2.  Nach  der  handschriftlich  zum  Druck  fertigen  2.  Auflage  von  A. 
Dürrs  Monographie  über  Oeser.  Dies  wichtige  Handexemplar  Dürrs  ist 
testamentarisch  der  Leipziger  Stadtbibliothek  überwiesen  worden,  wird 
jedoch  noch  von  der  Witwe  Dürrs  verwahrt.  Dieser,  Frau  Luise  Dürr,  geb. 
Kessler,  für  die  freundliche  Erlaubnis  der  Benutzung  aufrichtigst  zu  danken, 
sei  mir  auch  an  dieser  Stelle  gestattet. 

3.  Ebenso.  Der  Passus  war  für  Riedels  Vorrede  der  Wiener  Ausgabe 
von  Winckelmanns  Kunstgeschichte  bestimmt.  Er  wird  hier  zum  ersten 
Male  mitgeteilt. 

4.  Was  später  Bianconi  (Opere  II,  177)  seine  „scorcia  pedantesca" 
nennt,  seine  weltfremde  Unbeholfenheit,  von  der  ihn  erst  Mengs  in  Rom 
etwas  befreit  habe. 

5.  So  Julius  Vogel  in  der  Zeitschrift  f.  bild.  Kunst  N.  F.  X  (1898—99), 
156.  Das  von  ihm  dort  publizierte  schöne  Porträt  der  Leipziger  Universi- 
tätsbibliothek stellt  weder  Winckelmann  dar,  noch  ist  es  von  Oeser  ge- 
malt. Hierfür  muß  ich  einstweilen  auf  meine  demnächst  erscheinende 
Winckelmannikonographie  verweisen. 

6.  Freiherr  v.  Bönigk  hat  selbst  über  dieses  Gemälde  und  sein  Verhältnis 
zu  den  anderen  bekannten  Winckelmannporträts  einen  Aufsatz  veröffent- 
licht im  „ Montagsblatt ",  der  wissenschaftHchen  Wochenbeilage  zur  Magde- 
burgischen Zeitung  1906  Nr.  28  S.  220—222  „Winckelmann  im  Bilde". 

7.  Herr  Geheimrat  Prof.  Dr.  Dornhöffer,  Generaldirektor  der  kgl. 
bayer.  Staatsgemäldesammlungen,  hatte  die  Güte  mir  sein  Urteil,  wie  folgt, 
mitzuteilen:  „Das  dunklere  der  beiden  Bilder  ist  in  einem  sehr  üblen  Zu- 
stande, so  daß  es  nur  mit  Vorbehalt  beurteilt  werden  kann.  Was  man 
sieht,  ist  größtenteils  spätere  Überarbeitung.  Immerhin  lassen  es  die 
wenigen  Stellen,  die  noch  von  der  ursprünglichen  Malerei  vorhanden  sind, 
als  möglich  erscheinen,  daß  das  Bild  aus  der  Zeit  Winckelmanns  stammt. 
Das  andere  (das  Freiburger)  Bild  ist  gut  erhalten,  einheitlich  im  Eindruck, 
flott,  aber  auch  flau  und  oberflächlich  in  der  Mache.  Es  sieht  nicht  aus, 
als  ob  es  nach  dem  Leben  gemalt  sei.  Von  der  Signatur  sind  deutlich 
die  Vornamen  J.  H.  zu  erkennen;  vom  Zunamen  nur,  daß  er  mit  B  be- 
ginnt und  5—6  Buchstaben  lang  ist.  Leider  kann  ich  auch  nicht  einmal 
eine  Vermutung  über  den  Namen  äußern.  Die  darunter  stehende  Jahres- 
zahl scheint  mir  deutlich  1759  zu  lauten.  Nach  Stil  und  Vortrag  der  Bilder 
aber  würde  ich  es  gern  später  —  Ende  des  Jahrhunderts  —  setzen.  Es 
dürfte  aber  wohl  eine  Kopie  sein,  bei  der  die  Signatur  mitkopiert  wurde. 

50 


Untereinander  stehen  die  Bilder  natürlich  in  Zusammenhang.  Ob  das 
hellere  (Freiburger)  nach  dem  dunkleren  (Wiesbadener)  kopiert  ist,  ist  bei 
dem  unklaren  Zustand  des  letzteren  schwer  zu  sagen.  Ebenso  möglich 
scheint  mir,   daß   beide   auf   ein  gemeinsames  drittes  Bild  zurückgehen." 

In  ähnlicher  Weise  hatte  sich  vom  rein  technischen  Standpunkt  aus 
auch  der  Gemälderestaurator  der  Alten  Pinakothek,  Herr  Kunstmaler  Max 
Müller,  ausgesprochen.  Ganz  unabhängig  davon  hatte  vorher  schon  der 
Restaurator  des  Museums  der  Bildenden  Künste  in  Leipzig,  Herr  Hof  rat  Ritter, 
das  Wiesbadener  Bild  als  das  ältere,  ursprünglichere  von  den  beiden  erklärt. 

8.  Die  Signatur  mit  dem  Datum  wurde  erst  im  Oktober  1917  entdeckt 
durch  Herrn  Kunstmaler  Walter  Kühn  in  Leipzig,  dem  als  dem  besten 
Kenner  Oeserscher  Malweise  —  er  hat  in  den  letzten  Jahren  vielfach 
Oesersche  Originale  zur  Wiederherstellung  unter  Händen  gehabt  —  beide 
Gemälde  ebenfalls  zur  Prüfung  vorgelebt  werden  konnten. 

9.  Herr  Professor  Dr.  JuHus  Vogel,  Direktor  des  Museums  der 
bildenden  Künste  in  Leipzig,  glaubte  den  Künstlernamen  als  J.  H.  Schmidt 
lesen  zu  sollen.  Dieser  Dresdener  Hofmaler  (1749—1829)  aus  Hildburg- 
hausen, ein  überaus  vielbeschäftigter  Porträtist,  wäre  nach  Zeit,  Kolorit 
und  Technik  auch  durchaus  mögUch.  Aber  er  scheidet  aus,  weil  es  bet 
genauerer  Untersuchung  des  Anfangsbuchstabens  des  Zunamens  unmöglich 
erscheint,  darin  ein  S  zu  sehen.  J.  H.  Beck  (1788 — 1875),  der  Dessauer 
Hofmaler,  kommt  nicht  in  Betracht,  einmal  weil  die  Buchstabenreste  einen 
längeren  Namen  fordern,  und  dann,  weil  eine  Arbeit  von  ihm  noch  inner- 
halb des  18.  Jahrhunderts  unmöglich  ist.  Beziehungen  Winckelmanns  zu 
Dessau  lägen  ja  sonst  ebenso  auf  der  Hand  wie  zu  Dresden.  Eine  dritte 
Möglichkeit  —  die  Initialen  der  beiden  Vornamen,  die  nur  als  Johann 
Heinrich  gelesen  werden  können,  lassen  in  Verbindung  mit  dem  Datum 
des  18.  Jahrhunderts  nur  wenig  Spielraum  —  scheint  mir  dagegen  in 
hohem  Maße  wahrscheinlich:  J.  H.  Brandt  (1740—1783).  Daß  der  zweite 
Buchstabe  des  Zunamens  höchst  wahrscheinlich  ein  „r"  war,  sagte  ich 
schon;  auch  die  schwachen  Reste  der  beiden  letzten  Buchstaben  können 
sehr  wohl  von  einem  „dt"  stammen.  Brandt  —  auch  sein  Vater,  eben- 
falls Maler,  hieß  schon  Johann  Heinrich,  —  war  in  Lüneburg  geboren, 
in  Schwerin  bei  G.  D.  Matthieu  als  Porträtmaler  ausgebildet  worden  und 
seit  1768  in  Hannover  seßhaft.  Seine  Porträts  sind  heute  verschollen: 
weder  in  Hannover,  noch  in  Herrenhausen,  noch  in  Schwerin,  noch  in  Neu- 
strelitz,  noch  in  Kiel  kennt  man  welche.  Bekannter  hat  er  sich  gemacht 
durch  eine  Nebenarbeit:  landschaftliche  Szenerien,  die  er  als  Illustrationen 
zu  dem  wichtigsten  Werk  der  damaligen  Zeit  über  die  neue  (englische) 
Art  Gärten  anzulegen  (Hirschfelds  „Theorie  der  Gartenkunst",  5  Bände, 
Leipzig  1779 — 85)  beigesteuert  hat.  Was  für  ihn  als  Maler  des  Frei- 
burger Bildes  spricht,  sind  einmal  die  nahen  persönlichen,  ja  freund- 
schaftlichen  Beziehungen,    die   er   speziell   zu   den   Prinzen   des  Hauses 

4*  51 


Mecklenburg  -  Strelitz  unterhalten  hat,  dann  eine  sehr  eigenmächtig, 
stilisierende  Manier,  von  der  er  sich  den  Objekten  seines  Pinsels  und 
Stichels  gegenüber  nicht  einmal  beim  Landschaftern  freizuhahen  vermochte. 
Diese  Schwäche,  an  der  unser  Freiburger  Bild  in  hohem  Maße  leidet, 
wird  ihm,  dem  „restaurator  formosae  naturae",  wie  er  sich  bezeichnender- 
weise selber  nannte,  in  der  einzigen  ausführlicheren  Nachricht,  die  es  von 
ihm  gibt  (Annalen  der  Braunschweigisch-Lüneburgischen  Churlande  I  (1788) 
3.  Stück  Nr.  VII  S.  121 — 126),  und  auf  welche  alle  neueren  kurzen  Notizen 
bei  Nagler,  Thieme-Becker  und  in  der  Allgemeinen  deutschen  Biographie 
zurückgehen,  besonders  nachgesagt.  Die  strenge  Regelmäßigkeit  des  Herren- 
hauser Gartens  hat  er  im  Bilde  einmal  völlig  umgestaltet  in  eine  freie  un- 
regelmäßige Szenerie.  Auch  seine  Gewohnheit  nach  dem  lebenden  Modell 
selbst  nur  rasche  Skizzen  anzufertigen  und  diese  dann  zu  Hause  zu  „wohl- 
getroffenen* Porträts  auszugestalten,  und  die  wohl  eben  davon  herrührende 
Tatsache,  daß  seine  Bildnisse  oft  die  erwünschte  Ähnlichkeit  vermissen 
ließen,  wird  schon  da  hervorgehoben. 

Es  ergäbe  sich  also  folgende  Kombination:  Prinz  Georg  August  von 
Mecklenburg-Strelitz  (1748—1785),  von  Winckelmanns  liebstem  Jugend- 
freund, Propst  Genzmar  in  Stargard  erzogen,  als  dessen  Zögling,  sein 
Prinz,  mit  17  Jahren  (1765/6  —  „Graf  Stargardt")  acht  Monate  lang  in 
Rom  Winckelmanns  liebenswürdigster  Schüler  und  Gefährte,  —  dies  „aller- 
liebste Kind"  — ,  läßt  sich  in  die  Heimat  zurückgekehrt  zum  Andenken 
an  den  verehrten  Mann  durch  den  damals  in  Mecklenburg,  Hamburg  und 
Schleswig  als  Porträtmaler  tätigen  J.  H.  Brandt  eine  Kopie  nach  einem 
Winckelmannbilde  anfertigen,  auf  das  er  am  ehesten  wieder  durch  Genzmar, 
dessen  Kunstsinn  und  lebhaftes  Interesse  gerade  für  Gemälde  und  Stiche 
aus  Winckelmanns  Briefen  merklich  hervorsticht,  aufmerksam  geworden 
sein  könnte.  Die  Korrespondenz  Winckelmanns  aus  Rom  wird  an  Genzmar 
vermittelt  durch  Maler  Harper  in  Berlin  und  laut  Brief  vom  I.Juni  1756 
durch  —  Oeser!  Als  Zeugnis  der  unmittelbaren  Beziehungen  Winckel- 
manns zu  Neustrelitz  bewahrt  die  dortige  großherzogliche  Bibliothek  heute 
noch  das  Exemplar  seines  Stoschischen  Gemmenwerkes  auf,  das  Winckel- 
mann  mit  eigenhändiger  Dedikation  dem  Prinzen  gewidmet  hat  (Justi, 
Winckelmann2  III,  281  Anm.). 

Die  äußerliche  geschickte  Manier  des  Freiburger  Bildes,  die  Wahrschein- 
lichkeit, daß  es  nicht  nach  dem  Leben  gemalt  ist,  die  Tatsache,  daß  es  von  den 
Zügen  der  wirklichen  Physiognomie  nicht  unwesentlich  abweicht  und  sicht- 
lich von  keinem  bedeutenden  Maler  herrührt  —  so  wenig  wie  sein  Vor- 
bild — ,  dies  alles,  zusammen  mit  den  eben  angedeuteten  personal- 
geschichtlichen Zusammenhängen,  spricht  mit  hoher  Wahrscheinlichkeit 
dafür,  daß  wir  uns  hier  auf  der  richtigen  Fährte  befinden.  Für  alles  weitere, 
auch  für  die  künstlerische  Würdigung  der  beiden  Bilder  im  einzelnen  muß 
ich  einstweilen  auf  meine  Winckelmann-lkonographie  verweisen. 

52 


10.  Um  die  Aufhellung  des  Dunkels,  das  über  der  Herkunft  des  Frei- 
burger Bildes  liegt,  hat  sich  Emil  Jacobs,  der  energische  Direktor  unserer 
Freiburger  Universitätsbibliothek,  besonders  bemüht.  Es  gelang  ihm  fest- 
zustellen, daß  Leander  van  Eß,  der  älteste  jetzt  nachweisbare  Vorbesitzer 
des  Merkeischen  Bildes,  als  Anerkennung  für  seine  Verdienste  um  die 
Auseinandersetzungen  bei  der  Aufhebung  des  westfälischen  Benediktiner- 
klosters Marienmünster  (bei  Paderborn),  dem  van  Eß  seine  eigene  geist- 
liche Erziehung  verdankte,  ein  Teil  der  Bibliothek  und  eine  große  Anzahl 
Bilder  überlassen  worden  waren:  8  große  Gemälde,  39  kleinere,  7  Porträts, 
ungerechnet  eine  Serie  von  34  Bildnissen  Marienmünsterischer  Äbte.  So 
nach  einem  dürftigen  Inventar  des  Klosterarchivs  von  1803.  Ob  sich  auch 
das  Winckelmannbild  unter  diesen  Gemälden  befand,  ist  einstweilen  ebenso 
unsicher,  wie  es  unklar  ist,  auf  welche  Weise  es  nach  Marienmünster  kam, 
wenn  es  wirklich  von  dort  stammte. 

Freiherr  von  Bönigk  hat  sein  Winckelmannbild,  wie  er  mir  brieflich 
mitteilt,  1906  bei  dem  Antiquar  Jacob  Levi  in  Wiesbaden  erworben,  zu- 
sammen mit  anderen  Gemälden,  die  aus  der  Harzer  Gegend  (Wernigerode 
u.  a.  0.)  stammen  sollten.  Levi  will  das  Bild  von  einem  Antiquar  in  Mainz 
gekauft  haben.  Meine  Bemühungen,  bei  den  Mainzer  Händlern  Weiteres 
zu  erfahren,  waren  leider  vergeblich. 

11.  Auf  dem  Wiesbadener  Bild  ist  dieser  graue  Rock  in  seiner  schlichten 
Stoffstruktur  vorzüglich  gelungen.  Das  Freiburger  Bild  übersetzt  ihn  höchst 
eigenmächtig  in  einen  plüschartigen  Stoff  ganz  anderer  Art  und  ist  so 
unvorsichtig,  sogar  die  Knöpfe  damit  zu  überziehen. 

12.  Vgl.  Winckelmanns  Briefe  aus  Rom  vom  7.  Dezember  1755  an 
Franke  (Eiselein  X,  126):  „Man  gehet  im  Rokelor  ohne  alle  Umstände; 
denn  dieses  ist  hier  Mode."  —  Vom  20.  Dezember  gleich  darauf,  an  Berends 
(ebenda  133):  „Ich  bin  noch  in  meiner  alten  Form  und  lebe  hier  als  ein 
Artist,  das  heißt,  ich  gehe  mehrenteils  mit  meinem  grauen  Rokelor  und 
in  denselben  eingehüllt."  —  Vom  20.  Januar  1756,  an  Franke  (ebenda  141): 
„Ich  bin  noch  immer  in  meiner  alten  Tracht  und  finde  noch  nicht  nötig 
zu  ändern." 

13.  So  in  einem  der  wenig  beachteten,  18  italienisch  geschriebenen 
Briefe  an  Mengs,  die  in  keiner  der  Ausgaben  von  Winckelmanns  Werken 
stehen,  selbst  nicht  in  der  1830—34  zu  Prato  erschienenen  italienischen 
Gesamtausgabe,  dagegen  ganz  am  Schluß  der  von  d'Azara  herausgegebenen, 
von  Fea  vervollständigten  Mengs-Biographie:  Opere  di  Ant.  Raf.  Mengs, 
Roma  1787.    Die  Stelle  steht  p.  425  in  dem  Briefe  vom  19.  Januar  1763. 

14.  Ebenda  p.  432  in  dem  Briefe  vom  28.  März  1765. 

14a.  VgL  was  Justi  (Preuß.  Jahrbücher  Bd.  28  (1871),  S.  123,  126,  127, 
130)  von  R.  Mengs  sagt:  „in  so  hohem  Grade  er  die  analytische  Fähigkeit 
besaß,  ein  Phänomen  in  seine  Teile  zu  zerlegen,  so  schwach  war  bei  ihm 
die  synthetische  Kraft,   welche  das  Viele  zu  einem  Ganzen  vereinigt,  das 

53 


fortan  seinen  Platz  erhält  im  Reiche  des  Lebendigen,  Ihm  fehlte  dieser 
Prometheusfunke,  den  alles  was  Geschmack,  Wahl,  Wissenschaft  heißt, 
ganz  ungeschickt  ist  zu  ersetzen."  —  „Langeweile  ist  der  schlimme  Dämon, 
der  über  Mengs'  Bildern  lagert."  —  Kenntnis,  Ernst,  Gründlichkeit  habe 
Mengs  sich  in  höchstem  Maße  erworben;  Leben,  Phantasie,  Feuer  und  Geist 
aber  gehe  ihm  gänzlich  ab.  Er  habe  wirklich  eine  Einsicht  in  das  künstle- 
rische der  Antike  erlangt,  wie  sie  in  der  neueren  Zeit  niemand  vor  ihm 
und  kaum  einer  nach  ihm  besessen  habe. 

Thorvaldsen  steht  an  Unmittelbarkeit  und  Ursprünglichkeit  der  Be- 
gabung höher  als  Mengs,  aber  manches  von  diesem  Lob  und  Tadel  trifft 
fast  ebenso  gerade  auch  ihn. 

15.  Über  Protogenes  immer  noch  das  Beste  bei  Brunn,  Geschichte 
der  griechischen  Künstler  II,  233—243. 

16.  Eine  Zeitlang  glaubte  ich  die  Erklärung  des  Phänomens  ganz  wo 
anders  suchen  zu  sollen.  Allein  der  Fingerzeig,  den  ich  dazu  fand,  hat 
sich  als  irrig  und  irreführend  herausgestellt.  Es  gibt  nämlich  eine  alte 
Tradition  in  Dänemark,  nach  der  Ismael  Mengs  jüdischer  Herkunft  ge- 
wesen sei.  Bei  N.  H.  Weinwich,  Dansk,  norsk  og  svensk  Kunstner-Lexicon 
(Kopenhagen  1829)  heißt  es  S.  122:  „Er  ist  1690  in  Kopenhagen  geboren, 
nach  einer  noch  erhaltenen  Tradition  war  er  jüdischer  Herkunft,  hat  aber 
später  die  jüdische  Religion  aufgegeben."  Ähnlich  bei  Ph.  Weilbach,  Nyt 
dansk  Kunstnerlexikon  (1896)  und  bei  Bricka,  Dansk  Biograf isk  Lexikon 
XL  (1897),  260:  „es  wird  vermutet,  daß  er  jüdischer  Herkunft  war". 

Hierauf,  aber  ausschließlich  auf  dieser  Na.chricht,  ohne  einen  Versuch 
ihrer  Glaubwürdigkeit  auf  den  Grund  zu  gehen,  beruht  dann  die  im  Organ 
der  AHiance  Jsraelite  Universelle  „Ost  und  West"  (XIX.  Bd.  1914,  198 ff.) 
tatsächlich  erfolgte  Einreihung  von  Ismael  und  Rafael  Mengs  in  eine  Gruppe 
jüdischer  Porträtminiaturisten,  für  die  gerade  Kopenhagen  allerdings  eine 
besondere  Anziehungskraft  gehabt  zu  haben  scheint.  (E.  Lemberger,  Ein 
Beitrag  zur  Geschichte  der  Kunst  bei  den  Juden.) 

Manche  Züge  —  andere  freilich  wieder  gar  nicht  —  im  Leben  und 
Charakter  sowohl  von  Ismael  wie  von  Rafael  Mengs  schienen  auf  diesem 
Hintergrunde  auf  einmal  eine  neue,  größere  und  verständlichere  Bedeutung 
zu  gewinnen:  die  sinnlich-leidenschaftliche  Natur  mit  der  südlich  brünetten 
Erscheinung  bei  Ismael,  sein  bis  zur  Härte  energischer  Geschäftsgeist, 
seine  große  Passion  für  Musik,  sein  freigeistiges,  konfessionsloses  Meiden 
alles  kirchlichen,  wie  es  so  oft  den  Übergang  vom  Judentum  zur  christ- 
lichen Gemeinschaft  begleitet;  bei  Rafael  die  rührend  anhängliche  kind- 
liche Pietät  an  den  gestrengen,  harten  Vater,  die  internationale  Beweglich- 
keit und  diplomatische  Gewandtheit  im  persönlichen  Verkehr,  das  etwas 
Heimatlose  seiner  ganzen  Art  und  Kunst,  das  im  Grunde  Unselbständige 
und  Unkünstlerische  seines  Eklektizismus  bei  allem  Raffinement  im  Sich- 

54 


aneignen  fremder  Vorzüge  und  das  Verstandesmäßig-Begriffliche  seiner 
tfieoretischen  Denkweise. 

Und  doch  ist  diese  Fährte  ein  Irrweg.  Schon  der  geistige  Habitus 
des  Rafael  A.  Mengs  ist  deutlich  kein  orientalischer.  Er  hat  in  seinen 
Schriften  nichts  von  den  scharfsinnig  interessanten  Windungen  kompliziert 
kühner  oder  reicher  Gedankengänge,  sondern  verrät  ganz  und  gar  die 
simple  Lehrhaftigkeit  des  Praktikers:  teils  lose  und  trocken  aufgehäuft, 
teils  in  ein  schulmäßig  einfaches  und  übersichtliches  Schema  zusammen- 
gebracht, eine  Menge  guter  Einzelbeobachtungen,  wie  sie  mit  ausgeprägtem 
Wirklichkeitssinn  der  ausübende  Künstler  an  seinen  eigenen  Arbeiten,  wie 
denen  seiner  Schüler  und  Kollegen,  ein  Anatom  am  Leichnam  und  Prä- 
parat oder  der  Lehrer  einer  Kunst-  oder  Aktklasse  am  Modell  beständig 
zu  machen  Veranlassung  hat.  Neu  daran  war  eigentlich  nur  das  Bedürfnis 
dies  alles  auch  literarisch  bekanntzugeben.  Dazu  haben  ihn  sichtlich  erst 
Winckelmanns  Lorbeeren  gebracht. 

Dann  die  Abstammung.  In  der  Lausitz,  aus  der  die  Familie  nach  dem 
Norden  ausgewandert  sein  soll,  fehlt  der  Name  Mengs  unter  den  dortigen 
Juden,  deren  Geschichte  sich  das  ganze  Mittelalter  hindurch  und  bis  1850 
genau  verfolgen  läßt,  völHg.  Diese  negative  Feststellung  verdanke  ich 
Herrn  Professor  R.  Jecht,  Sekretär  der  Oberlausitzischen  Gesellschaft  der 
Wissenschaften  in  Görlitz,  der  sich  speziell  mit  der  Geschichte  der  Juden 
in  der  Oberlausitz  und  ihrer  Namen  dort  von  1300 — 1700  befaßt  hat 
(Neues  Lausitz.  Magazin  Bd.  68).  Auch  in  Dänemark  gab  es  und  gibt  es 
keine  jüdischen  Familien  Namens  Mengs,  wie  mir  der  beste  Kenner  des 
dänischen  Judentums,  Professor  D.  Simonsen  in  Kopenhagen  bestätigt. 
In  der  dortigen  jüdischen  Gemeinde  ist  jene  Tradition  über  Ismael  Mengs 
völlig  unbekannt.  Unter  den  im  Pestjahre  1711  dort  gestorbenen  Juden, 
als  eben  diese  Seuche  die  sämtlichen  22  Geschwister  Ismaels  dahinraffte, 
kommt,  wie  schon  vor  Jahren  durch  Fischer,  den  jüdischen  Gemeinde- 
bibliothekar dort,  festgestellt  wurde,  kein  Mengs  vor.  Der  Name  fehlt 
auch  völlig  unter  den  älteren  jüdischen  FamiHen  Kopenhagens  und  ist 
auch  jetzt  bei  Juden  dort  ganz  unbekannt.  Dagegen  kommt  der  Name 
schon  im  18.  Jahrhundert  bei  Christen  in  Dänemark  vor  und  findet  sich 
dann  weiter  in  allerlei  Variationen,  wenn  auch  nicht  gerade  häufig.  Es 
scheint  also  die  „Tradition"  von  der  jüdischen  Herkunft  Ismaels  nur  aus 
dessen  alttestamentlichem  Vornamen  und  irrtümlich  entstanden  zu  sein; 
denn  gerade  dieser  Vorname  ist  bei  Juden  keineswegs  beliebt.  Die  Anekdote, 
welche  die  Mengsbiographen  für  seine  Wahl  anführen,  wird  in  ihrer  Harm- 
losigkeit also  wohl  richtig  sein. 

Bei  diesem  Sachverhalt  ist  man  versucht  auch  an  der  Tradition  von 
der  Einwanderung  der  Mengse  aus  der  Lausitz  und  der  ursprünglichen 
Herkunft  dort  zu  zweifeln.  Sicher  scheint  mir  einstweilen  nur,  daß  Rafaels 
Mutter,   die  geb.  Charlotte  Bornemann,   aus   der  Lausitz  (Zittau)  stammte. 

55 


Auch  unter  den  christlichen  FamiHen  der  Oberlausitz  gibt  es,  wie  Professor 
Jecht  briefhch  hervorhebt,  keine  Mengse. 

Damit  stimmt  überein,  daß  auch  die  verschiedenen  sächsischen  Archive, 
deren  Instanzen  Paul  Herrmann  in  Dresden  für  mich  zu  befragen  die  Güte 
hatte,  rein  nichts  über  die  „Lusaticität"  der  Mengse  enthalten.  Herr  Re- 
gierungsrat Dr.  Lippert  vom  K.  Sächsischen  Haupt-Staatsarchiv,  zugleich 
Schriftführer  des  K.  sächsischen  Altertumsvereins  in  Dresden,  bemerkte 
dazu  brieflich  am  27.  März  1918:  „Obwohl  ich  seit  Jahren  auch  mit  ober- 
und  niederlausitzischer  Geschichte  viel  zu  tun  gehabt  habe,  kann  ich  mich 
nicht  entsinnen,  daß  mir  je  in  rebus  Lusaticis  der  Familienname  Mengs 
aufgestoßen  wäre.  Vielleicht  beruht  die  Tradition  bloß  darauf,  daß  die 
Mutter  eine  Lausitzerin  war,  wie  Pecht  (Allg.  deutsche  Biographie  XXI,  348) 
angibt."  Das  Dresdener  Bürgerrecht  hat  Ismael  Mengs,  wie  Herr  Dr.  Gg. 
Müller  vom  Dresdener  Stadtarchiv  mitteilt,  niemals  erworben.  Auch  die 
Akten  der  k.  Kunstakademie  enthalten  nichts  zur  Frage. 

Darnach  möchte  man  annehmen,  daß  die  Familie  Mengs  doch  däni- 
schen Ursprungs  oder  doch  schon  länger  in  Dänemark  ansässig  gewesen 
sei.  Das  Dunkel,  das  hier  herrscht,  ist  aber  auf  jeden  Fall  erst  noch  auf- 
zuhellen. Denn  ein  so  gediegener  und  kenntnisreicher  Personalhistoriker 
wie  Dr.  Louis  Bobe  in  Kopenhagen  meldet,  daß  er,  schon  längst  auf 
Ismael  Mengs  aufmerksam,  doch  niemals  bei  seinen  Archivstudien  dem 
Namen  Mengs  begegnet  sei. 

Über  die  Etymologie  des  Namens  Mengs  gehen,  wie  ich  mich  durch 
Umfrage  bei  den  Fachkollegen  habe  überzeugen  müssen,  die  Meinungen 
viel  zu  sehr  auseinander,  als  daß  ich  hier  eine  bestimmte  Erklärung  geben 
könnte  oder  dürfte.  Die  Aufhellung  dieser  Frage  wäre  eine  kleine  Spezial- 
untersuchung von  zuständiger  Seite  wert. 

17.  Zur  Bedeutung  Sachsens  für  Winckelmann  vgl.  jetzt  prägnant  Albert 
Köster  a.  a.  O.  81 :  „Sachsen  hat  ihn  vorbereitet  für  sein  kommendes 
Lebenswerk;  Sachsen  hat  ihn  aber  auch  fühlen  lassen,  was  alles  ihm  noch 
fehlte.   Und  das  war  nötig."  —  Dazu  jetzt  auch  H.  Ermisch  (s.  Nachtrag). 

18.  Die  Stelle  ist  mitgeteilt  von  H.  Uhde-Bernays  in  der  Zeitschr.  f. 
bild.  Kunst  N.  F.  XXIX  (1917/18)  S.  28;  der  Brief  am  20.  März  1756  ge- 
schrieben, erhalten  in  einer  von  Fernow  sorgfältig  kollationierten  Abschrift. 

18a.  Vgl.  Justi,  Preußische  Jahrbücher  28.  Bd.  (1871)  581—599  „Ein 
Manuskript  über  die  Statuen  im  Belvedere"  und  Winckelmann  11-,  38 ff. 

19.  Das  Vorwiegen  trotz  allem  des  Gelehrten  in  Winckelmann,  der 
innere  Abstand  von  einer  wirklichen,  vollen  Künstlernatur,  wie  Goethe,  jetzt 
richtig  betont  von  Albert  Köster  in  seiner  schönen  Festrede  zu  Winckel- 
manns  200.  Geburtstag  (Zeitschr.  f.  bild.  Kunst  N.F.  Bd.  29  (1917/18)  S.  77). 

20.  Das  Beste  über  Winckelmann  als  Stilisten  steht  jetzt  wiederum 
in  Kösters  Festrede  (a.  a.  O.  82). 

21.  Zeitschr.  f.  bild.  Kunst  N.  F.  XVI  (1905)  173—175. 

56 


22.  Selbst  die  vollständigste  Ausgabe  von  Winckelmanns  Werken,  die 
Donaueschinger  Eiseleins,  gibt  nur  je  einen  Brief  an  Mengs  und  seine 
Frau.  Dazu  kommen  aber  die  schon  oben  erwähnten  achtzehn  italienischen 
Briefe  Winckelmanns  an  Mengs,  welche  d'Azara  mitteilt.  Einmal,  in  dem 
Briefe  vom  19.  Januar  1763,  wird  eine  Bestellung  FüßHs  (del  mio  garbato 
Suizzero)  erwähnt,  durch  Winckelmann  an  Mengs  vermittelt  und  aufs  neue 
lebhaft  und  warm  befürwortet,  aber  doch  nicht  so,  daß  man  auf  ein 
Porträt  schließen  kann:  „La  misura  del  quadro  e  il  gabinetto,  ed  in  con- 
seguenza,  al  parer  mio,  la  metä  del  naturale.  La  scelta  dell'  oggetto  non 
sagro  riposa  di  voi  o  il  pagamento  sarä  in  conformitä  de'  prezzi  soliti  vostri." 
Von  diesem  Tafelbild  muß  in  anderen  verlorenen  Briefen  die  Rede  ge- 
wesen sein. 

Die  Wichtigkeit,  die  das  Bild  für  Füßli  und  die  ganze  Schweiz  habe 
(tutta  la  sua  patria  vi  concorre  co  desideri  e  coi  voti),  der  Wert,  den 
gerade  Füßli  auf  Porträts  legte,  die  Tatsache  einer  von  ihm  ausgehenden 
Bestellung  und  die  Hervorhebung  des  Freundschaftsmotivs  durch  Winckel- 
mann (io  vi  prego  per  la  sante  leggi  della  nostra  amicizia)  könnten,  wenn 
eben  nicht  der  Hinweis  auf  ein  Genrebild  profanen  Charakters  zu  deut- 
lich wäre,  sonst  darauf  schUeßen  lassen,  daß  hier  von  einem  Porträt 
Winckelmanns  die  Rede  sei,  das  sich  Füßli  bei  Mengs,  etwa  als  ver- 
kleinerte Kopie  des  ihm  selbst  gehörenden,  bestellt  habe.  Erst  als  er  da- 
mit nicht  zum  Ziele  kam,  hätte  er  sich  dann  das  Jahr  darauf  mit  dem- 
selben Anliegen  und  nun  mit  Erfolg  an  Angelica  Kauffmann  gewandt. 
Aber  leider  ist  diese  Auffassung  der  Briefstelle  unhaltbar.  Immerhin  läßt 
der  Passus  ganz  deutlich  erkennen,  wie  in  einem  der  sicher  viel  zahlreicheren 
verlorenen  Briefe  von  Winckelmann  an  Mengs  auch  mit  Angabe  von 
Einzelheiten  selbst  von  seinem  eigenen  Bilde  die  Rede  gewesen  sein  kann. 

23.  Herder  (Denkmal  Joh.  Winckelmanns,  herausg.  von  Duncker  1882 
S.  32—33,  vgl.  Suphans  Ausgabe  von  Herders  sämtUchen  Werken  Bd.  8, 
462 — 463)  sagt  in  seiner  bilderreichen  Sprache,  es  sei  dies  Werk  geschaffen 
worden  aus  einem  Walde  von  70000  Statuen  und  Büsten  in  Rom,  aus 
dem  noch  wilder  verwachsenen  Urwalde  betrüglicher  Fußstapfen  voll 
schreiender  Stimmen  ratender  Deuter,  unwissender  Antiquare,  hungriger 
Ciceroni  und  endlich  aus  der  schrecklichen  Einöde  antiker  Nachrichten, 
da  Plinius  und  Pausanias  nur  wie  ein  Paar  abgerissene  Ufer  dastehen, 
auf  denen  man  weder  schv/immen  noch  ernten  kann. 

24.  Die  Bedeutung  Angelicas  als  Bildnismalerin  besonders  zu  er- 
kennen aus  Const.  v.  Wurzbachs  Schilderung  in  seinem  Biographischen 
Lexikon  für  das  Kaisertum  Österreich  Bd.  XI  (1864)  S.  44  ff. 

25.  In  welcher  Weise  Casanova  noch  von  Dresden  aus,  an  dessen 
Akademie  er  eben  auf  Winckelmanns  Empfehlung  hin  berufen  worden 
war,  gegen  diesen  intriguierte,  dafür  sind  bezeichnend  die  Randglossen 
und   besonders   die  Schlußbemerkung,   die  sich  in  seinem  Handexemplar 

57 


von  Winckelmanns  französischer  Kunstgeschichte  von  seiner  Hand  in 
fehlerhaftem  Französisch  eingeschrieben  finden  (Amsterdam  1766,  in  der 
kgl.  Landesbibliothek  zu  Dresden.  —  Archaeol.  Nr.  901).  Diese  Aus- 
lassungen strotzen  von  Neid,  Mißgunst  und  niedrigen  Verdächtigungen. 
2ß.  Schon  vorher  hatte  Dr.  Friedrich  Noack  die  Aufmerksamkeit  auf 
Maron  zurückgelenkt  durch  einen  seinem  100.  Todestag  (3.  März  1808) 
gewidmeten  Aufsatz  „Der  Wiener  Maler  Anton  Maron"  in  der  Öster- 
reichischen Rundschau  1908  (Bd.  XIV),  389—392.  Eine  etwas  gekürzte 
Übersetzung  davon  steht  in  der  Nuova  Antologia  1908  (Bd.  135),  176—178. 
Noack  stellt  nach  bisher  unbenutzten  römischen  Quellen  das  Leben  und 
Schaffen  Marons  dort  zum  erstenmal  in  einiger  Vollständigkeit  dar.  Die 
künstlerische  Selbständigkeit  und  Eigenart  Marons  Mengs  gegenüber  tritt 
dabei  erneut  und  verstärkt  hervor.  Bei  den  Deckenfresken  von  S.  Eusebio 
und  in  Villa  Albani  war  Mengs  im  Technischen  auf  Marons  gute  Wiener 
Schulung  geradezu  angewiesen.  Goethes  geringe  Meinung  von  Maron 
rührt  her  von  der  aus  Angelicas  Kreis  stammenden  Unterschätzung,  die 
zum  Teil  wieder  aus  Konkurrenzneid  hervorgegangen  war,  der  für  Maron 
in  seinen  letzten  Jahren  empfindlich  spürbar  gewesen  ist. 

27.  Deutscher  Barock  und  Rokoko  L  Bd.  p.  XXXVI. 

28.  Dies  wird  in  meiner  „Ikonographie  Winckelmanns"  gezeigt  werden. 

29.  Bei  Hosaeus,  die  Wörlitzer  Antiken  (1873)  S.  6  nur  irrtümlich  als 
ein  Gemälde  von  Angelica  Kauffmann  bezeichnet;  denn  in  seinem  Auf- 
satz „Herzog  L.  F.  Franz  von  Anhalt-Dessau  und  J.  J.  Winckelmann"  (Mit- 
teilungen des  Vereins  für  Anhaltische  Geschichte  und  Altertumskunde 
II.  Bd.  1878,  S.  42—44)  ist  das  Bild  ausführlich  als  eine  Kopie  nach  Marons 
Original  in  Weimar  besprochen. 

30.  Christian  Traugott  Weinlig,  Briefe  über  Rom  (Dresden  1782)  Bd.  I, 
14—15.  Der  Brief  vom  15.  Januar  1768  (S.27ff.)  kündigt  dann  Winckelmanns 
bevorstehende  Reise  nach  Deutschland  an  und  erzählt  ausführlich,  in  welch 
liebenswürdiger  Weise  Winckelmann  Weinlig  noch  den  Cicerone  in  der 
Villa  Albani  gemacht  hat:  „Auf  Winckelmanns  Einladung  eilte  ich  gleich 
folgenden  Tages  in  die  Villa.  ...  Er  empfing  mich  hier  ebenso  freundschaft- 
lich als  vorher  in  der  Stadt  und  zeigte  mir  mit  bewundernswürdiger  Herab- 
lassung das  viele  Sehenswürdige.  ...  In  Winckelmanns  Gesellschaft  sah 
ich  freilich  vieles  ganz  anders  als  vorher.  Wir  besahen  zuerst  im  Parterre 
die    mit   so   vieler  Wahl  gemachte  mehr   als   königliche  Sammlung  von 

Statuen,  Büsten  und  Gemälden ich  empfand  in  Winckelmanns 

Begleitung  ihre  Schönheit  doppelt.  Seine  mündlichen  Erklärungen  über 
verschiedene  Stellen  seiner  Schriften,  deren  ich  mich  erinnerte,  zogen  den 
Schleyer  hinweg,  den  viele  Leute  teils  aus  Stolz,  teils  aus  Unwissenheit 
für  Licht  halten.  ...  In  dem  oberen  Geschoß  erklärte  er  mir  mit  vieler 
Wärme  den  vortrefflichen  Plafond  von  Mengs.  .  .  .  Von  da  führte  er  mich 
mit   heiligem  Ernst  zu   dem  Hauptstück  der  ganzen  Villa,   zu  dem  Kopf 

58 


des  Antinous  von  weißem  Marmor  in  Basrelief.  .  .  .  Zuletzt  ließ  er  mir 
recht  feyerlich  ein  über  alle  Beschreibung  schönes  Kabinet  eröffnen,  welches 
größtenteils  mit  den  seltensten  und  kostbarsten  Fragmenten  aus  dem  Alter- 
tum ausgeziert  ist.  .  .  .  Zum  Beschluß  führte  er  mich  in  die  Werkstatt 
des  Bildhauers,  wo  ein  ansehnlicher  Vorrat  von  alten  verstümmelten  Figuren 
befindlich  ist,  die  unter  Winckelmanns  Aufsicht  ergänzt  werden  sollen. 
.  .  .  Winckelmann  schenkte  mir  wirklich  den  ganzen  Nachmittag  und  be- 
antwortete meine  Fragen,  die,  so  sehr  ich  auch  auf  meiner  Hut  war,  doch 
nicht  alle  gar  zu  unterhaltend  für  ihn  sein  konnten,  mit  einer  Nachsicht, 
die  ich  ganz  fühlte."  Endlich  gibt  er  ihm  noch  Empfehlungen  an  Reiffen- 
stein  und  Cavaceppi  mit  auf  den  Heimweg.  —  Diese  anschauliche  Beschrei- 
bung ist  die  einzige  ausführlichere  mir  bekannte  Schilderung  einer  der 
viel  begehrten  römischen  Führungen  durch  Winckelmann  selbst,  und  einer, 
bei  der  die  andächtig  dankbare  und  verständnisvolle  Empfänglichkeit  des 
Gastes  sichtlich  Winckelmanns  ganzes  Herz  gewonnen  hatte. 

31.  Berlin,  kgl.  Bibliothek.  Hss.-Abt.:  Ms  Germ.  Qu.  348:  Briefe  Reiffen- 
steins  an  von  Mechel  1766  u.  ff.  (Nr.  29).  —  Auf  der  Kopie  des  Maronschen 
Bildes  (Abb.  V)  in  Braunschweig  wird  dies  Detail  nicht  sichtbar.  Auch 
auf  dem  Originalgemälde  in  Weimar  ist  es  nur  undeutlich  zu  erkennen, 
dagegen  gut  auf  der  vortrefflichen  Kopie  in  Dessau,  welche  in  meiner 
Winckelmannikonographie  veröffentlicht  werden  wird. 

32.  Das  Deutschtum  in  Winckelmanns  Wesen,  auch  noch  im  römischen 
Süden  treu  bewahrt,  ebenso  anerkannt  auch  in  einigen  der  neuesten, 
Winckelmanns  Gedächtnis  gewidmeten  Aufsätzen:  so  von  Bruno  Sauer 
(Westermanns  Monatsheften  1917,  482—87)  und  von  Otto  Crusius  (Deut- 
scher Wille,  des  Kunstwarts  31.  Jahrg.  1917,  146). 

NACHTRAG 

Während  des  Druckes  geht  mir  soeben  noch  durch  des  Verfassers 
Freundlichkeit  der  ebenfalls  am  8.  Dezember  vorigen  Jahres  gehaltene  und 
jetzt  im  Neuen  Archiv  für  Sächsische  Geschichte  und  Altertumskunde 
Bd. 39,  52 — 83  erschienene  Festvortrag  von  Hubert  Ermisch  zu:  „Winckel- 
mann und  Sachsen".  Wenn  auch  dort  (S.  70)  die  Vermutung  zu  lesen 
steht,  daß  das  Winckelmannbild  im  Besitz  des  Freiherrn  von  Bönigk  ein 
Gemälde  Oesers  sei,  so  beruht  dies  auf  einer  persönlichen  Mitteilung 
meinerseits,  die  ich  dem  verehrten  Direktor  der  K.  Landesbibliothek  zu 
Dresden  gemacht  habe,  als  ich  im  Oktober  1917  Gelegenheit  hatte  ihm 
jenes  Bild  selbst  vorzulegen. 

Außer  der  bekannten  Bedeutung  Sachsens  für  Winckelmanns  innere 
Entwicklung  im  Allgemeinen  gibt  Ermisch  (S.  71  ff.)  zum  erstenmal  eine 
Darstellung  davon,  wie  in  Rom  die  starke  AnhängHchkeit  Winckelmanns 
an  sein  zweites  Vaterland,  Sachsen,  erst  sehr  nach  und  nach  verblaßt  ist, 
und  wie  spät  er  selbst  sein  preußisches  Herz  erst  wieder  entdeckt  hat. 
Vgl.  oben  S.  18  und  56. 

59 


C.  H.  Beck'sche  Buchdruckerei  in  Nördlingen 


Gemälde  vermutlich  von  Friedr.  Ad.  Oeser  (1755?) 

(vor  der  Reinigung) 

im  Besitze  von  Otlo  Freiherrn  von  Bönigk  in  Jena 


Gemälde  von  Rafacl  Anton  Mengs  (17C1  ?) 
m  Besilze  des  Fürsten  Casimir  Lubomirsl<i  In  Kral<au 


Gemälde  von  Angelica   Kauffmann  (1764) 
tze  der  Züriclier  Kunstgenossenscliaft  im  Kunsthans  211  Zürich 


Gemälde  von  Anton  Maron  (1768) 
'  Kopie  auf  Hotz  im  Herzoglichen  iMuseum  zu  Braunschweig 


CW^^^rV 


H     "'7     W       i  ■-■       i       V,.' 


University  of 
Connecticut 

Libraries 


39153028799205