V2)
Gemälde von J. H. Br(andt ?) 1759
im Besitze des Herrn Geh. Hofrat Professor Dr. R. Merkel in Freibufg
WINCKELMANN
UND SEINE BILDNISSE
VORTRAG
GEHALTEN
FÜR DIE FREIBURGER
WISSENSCHAFTLICHE GESELLSCHAFT
AM 8. DEZEMBER 1917
ZUR VORFEIER VON
WINCKELMANNS 200. GEBURTSTAG
VON
HERMANN THIERSCH
MIT 5 ABBILDUNGEN
C. H. BECK'SCHE VERLAGSBUCHHANDLUNG
OSKAR BECK MÜNCHEN 1918
By
VORWORT
XV/as hier im Druck erscheint, gibt, durch Anmerkungen
vermehrt, den Vortrag ziemlich so wieder, wie er im
Dezember vorigen Jahres im Auditorium maximum unserer
Universität gehalten wurde. Für die Bestimmung des Frei-
burger Bildes als einer Kopie von der Hand des Johann
Heinrich Brandt hat sich erst seither die Wahrscheinlichkeit
ergeben, wie sie hier ausgeführt ist.
Von den wenigen Gemälden, aus denen eine authentische
Kenntnis der äußeren Erscheinung Winckelmanns fließt, gleich
hier schon eine bildUche Vorstellung geben zu dürfen, haben
ihre Besitzer, die unter den Abbildungen jeweils genannt
sind, in liebenswürdigster Weise gestattet. Ihnen allen sage
ich auch an dieser Stelle aufrichtigen Dank. Vier der Ab-
bildungen sind zugleich Erstveröffentlichungen. Abb. III gibt
mit gütiger Erlaubnis der E. A. Seemannschen Verlagsänstalt
die Tafel der Zeitschrift für bild. Kunst N. F. XVI (1905, zu
Seite 173) verkleinert wieder.
Für eine Abbildung des Wiesbadener Bildes nach seiner
Wiederherstellung, des Maron'schen Originals in Weimar wie
seiner trefflichen Kopie in Dessau, endlich der Als'schen
III
Federzeichnungen in Kopenhagen muß ich einstweilen auf
die hoffenüich bald nachfolgende weitere VeröffentHchung
verweisen.
Dies Heftchen ist ja nur als bescheidener Vorläufer einer
größeren Publikation gedacht, welche die Bildnisse Winckel-
manns auf etwa 40 Tafeln möglichst vollständig umfassend
als „Ikonographie Winckelmanns" in den Schriften der „Frei-
burger Wissenschaftlichen Gesellschaft" erscheinen soll, so-
bald als es die Kriegsschwierigkeiten jetzt zulassen.
Freiburg i. Br., im März 1918
H. THIERSCH
IV
VV/ie ist es nur möglich, daß ein Menscli, der den Kopf
" ^^ voll lauter griechischer Würmer hat, an den subtilen
Strichen eines Malerpinsels Vergnügen finden kann!?" Mit
diesem Ausruf der Verwunderung i ging um die Mitte des
18. Jahrhunderts kopfschüttelnd ein sächsischer Edelmann von
dannen, der in der Dresdner Galerie neben der Staffelei eines
italienischen Malers soeben einen aufmerksamen unbekannten
Zuschauer angetroffen hatte, der schon seinem dürftigeren
Äußeren nach keiner von der Zunft der Künstler sein konnte.
Der unbekannte Bücherwurm, der gelehrteste Mann in
Dresden, war — Johann Joachim Winckelmann.
Die kleine Episode ist bedeutsam. Sie bezeichnet das erste
Gesichtetwerden des neuen Sternes, der kometenhaft gerade
aus tiefem Dunkel aufzutauchen begann, sich seines Weges
selbst nur unbestimmt bewußt, um bald leuchtend seine Bahn
aufwärts zu nehmen und dann mitten im höchsten und hellsten
Glänze urplötzlich, tragisch zu verlöschen.
Schon war er über die Dreißig hinaus, äußerste Armut,
Arbeit und Not war sein Teil gewesen bisher, in einer niedrigen
Kindheit, in einer harten, freudlosen Jugend, in zerfahrenen
Studien, in undankbaren Mühen als Hauslehrer da und dort,
H. Thiersch, Winckelmann und seine Bildnisse 1 l
als Schulmeister zuletzt in Seehausen in der Mark — ein
wahres Martyrium — , endlich in aufreibendem Dienst als
Bibliothekar und wissenschaftlicher Hilfsarbeiter bei dem
Reichsgrafen von Bühnau in Nöthnitz. Da endlich war es
Winckelmann gelungen, den drückenden Verhältnissen seiner
Heimat zu entkommen und ganz nahe der großen Welt, von
der er instinktiv seine Rettung erwartete, eine Stunde südlich
von Dresden Fuß zu fassen.
Nöthnitz wurde der entscheidendste Aufenthalt in Winkel-
manns Leben. Von hier aus war es ihm zum allerersten Male
möglich, mit dem Lebenselement, für das er bestimmt war, in
Fühlung zu treten: mit der bildenden Kunst. Von nun an
traten alle Bücher und Bibliotheken, die er während seiner
labyrinthischen Jahre geradezu verschlungen hatte, zurück,
und die Kunstwerke beginnen mehr und mehr an die erste
Stelle zu rücken. Winckelmann fängt an, sich selbst zu ent-
decken.
Nöthnitz war wie das mit Bedacht gewählte Fenster, durch
das er zuallererst das neue Land der Kunst erblickte und
immer wieder mit heißem Sehnen betrachten konnte. Dresden
wurde das hohe Portal, durch das er dann in das ersehnte
Gebiet wirklich hineinfuhr. Denn Dresden, die Residenz
August III. war damals die erste Kunststadt Deutschlands und
zwar eine in den Norden vorgeschobene Kolonie des Südens,
Italiens. Für Winckelmann wurde Dresden das Sprungbrett
nach Italien.
Es sind die reichen Gemäldeschätze der Dresdner Galerie,
an die er sich zunächst verliert, es ist der Umgang mit den
in Dresden lebenden Künstlern, den er mehr und mehr sucht,
es ist der Drang in das Verständnis all dieser Herrlichkeiten
tiefer einzudringen, der ihn Zeichenunterricht nehmen läßt,
und es ist endlich das wachsende Verlangen, den Süden selbst
kennen zu lernen, das ihn Verbindung mit Italienern suchen
läßt, Italienern, die ihm unvermutet rasch diesen Wunsch zu
erfüllen verheißen und tatsächlich zu erfüllen wirksam sind,
in einer Weise, die ihn selbst in die allergrößte Bestürzung
und Seelennot bringt.
Denn dieser eifrige, ungewöhnliche junge Mann, dem
Geist und Seele verschmachteten vor Sehnsucht nach Rom,
war unterdessen auch von der Gegenseite aus bemerkt worden.
Es war ihm gelungen Zutritt zur Galerie zu erlangen, auch an
solchen Tagen, an denen sie für die Allgemeinheit geschlossen
war, und ganz allein. „Es hat mich nicht wenig Mühe ge-
kostet, und dies hat mich verhindert nur ein einziges Mal eine
Promenade in Dresden zu genießen. Ich bin etwa alle vier-
zehn oder acht Tage nach Tische (von Nöthnitz aus) hinein-
gelaufen, oder früh und gegen Tische wieder heraus." Ja,
der Galeriedirektor Riedel erlaubte ihm wie ein zum Hause
Gehöriger zu einer geheimen Tür heraufzukommen, in seinem
warmen Kabinett zu sitzen und des Mittags bei ihm zu essen.
Es eröffnet sich sogar die Möglichkeit einer Anstellung an
der Galerie, und nun studiert Winckelmann was ihm an Kunst-
büchern irgend unter die Hände kommt. „Ich bin unter die
Maler geraten, und dieses unter Leute, die auch sagen können:
Romam adii. Ein einziger solcher Maler ist mir lieber als
zehn Titelstutzer!"
Aber gerade dieser neue Umgang läßt ihn auch die Grenzen
seiner Anlagen erkennen: „Gott und die Natur haben wollen
einen Maler, einen großen Maler aus mir machen, und beiden
zum Trotz sollte ich ein Pfarrer werden. Nun ist Maler und
Pfarrer an mir verdorben. Allein mein ganzes Herz hängt
an der Kenntnis der Malerei und Altertümer, die ich durch
fertige Zeichnungen gründlicher machen muß."
Den erfrischenden Umgang mit den lebenden Künstlern
hat Winckelmann auch später, wo sich ihm Gelegenheit
bot, immer festgehalten. Ein Umgang für den Archäologen
1* 3
in der Tat so wichtig, wie der Umgang mit den Werken der
Kunst selbst; so unentbehrlich wie etwa für einen theoretischen
Mediziner der beständige Verkehr mit praktischen Ärzten, wie
für einen Religionshistoriker der geistige Austausch mit Ver-
tretern des kirchlichen Amts. Oder, was wäre das für ein
Botaniker, der seine Kenntnisse der Pflanzenwelt ausschließ-
lich aus dem Herbarium bezöge und nicht auch in beständiger
Fühlung bliebe mit dem lebendigen Wachstum der Flora.
Der Verkehr mit den Dresdner Künstlern ist für Winkelmann
sofort auch äußerlich von entscheidender Bedeutung gewesen.
Friedrich Adam Oeser, der spätere Lehrer und Freund
Göthes, der feine Menschenkenner, die liebenswürdigste und
vielseitigste Natur unter den damaligen Malern zu Dresden,
hatte sogleich den Heros erkannt, der in dem erkenntnis-
hungrigen Winckelmann, dem gleichaltrigen Freund, mit einer
wahren Feuerseele auf ihn zusteuerte. Er Hest ihn an einem
trüben Novembertage förmlich von der Straße auf, als Winckel-
mann resigniert und wegen seines Obertrittes und seines Ab-
schiedes von Bühnau mit sich selbst zerfallen, umherirrt. 2 Oeser
nimmt ihn auf in sein eigenes Haus, er gibt ihm selber Zeichen-
unterricht, er läßt sich mit ihm in die längsten Gespräche
über Kunstfragen ein und teilt ihm freigebig seine eigensten
und wertvollsten Erfahrungen mit. „Herr Oeser ist hier mein
einziger Freund und wird es bleiben."
Wie Winckelmann durch Oeser erst die Augen geöffnet
wurden, wie dieser ihn erst künstlerisch sehen lernte, erzählt
Seume in Oesers Nekrolog. Am anschaulichsten aber tritt
uns die damalige Gestalt Winckelmanns, auch rein menschlich,
entgegen in einer Notiz, die Oeser später für dessen Bio-
graphie beisteuern wollte, die aber unbenutzt blieb, und die
ich hier zum erstenmal mitteilen darf:^
„Wir waren vertraute Freunde" (sie wohnten Zimmer an
Zimmer); „ich kann wohl sagen, daß ich unter den Menschen-
kindern seinesgleichen nicht gefunden habe. Denn zur Gesell-
schaft, wo Verstand und Einsicht erfordert wurde, war er
Bester, und wo Scherz und Freude, war er der Alleruntaug-
lichste und sich selbst zur Last.^ Bei seinem fürtrefflichen
Herzen wußte er gar nicht, was Mißtrauen war; sich zu ver-
stellen war ihm ganz unmöglich. Er fand in nichts seine
Zufriedenheit als seine Einsichten zu erweitern. Das Studium
der Alten war sein Lieblingsgeschäft, und diesen opferte er
alles auf. Er stand gemeiniglich früh um 4, höchstens 5 Uhr
auf, nahm etwas Tee zu sich und griff nach seinen Freunden.
Dieses waren Homer, Xenophon, Herodotus oder Thukydides,
und las laut 2 — 3 Stunden beim Auf- und Abgehen darinnen.
Alsdann nahm er erst andere Bücher zur Hand, die er etwan
zu seinen Arbeiten in der Geschichte nötig hatte. Alles was
er unternahm, geschah mit einer männlichen Standhaftigkeit,
welche ein auffallender Fleiß unterstützte."
Das Wichtigste, das aus diesem intimen Zusammensein
der beiden Männer hervorgegangen ist, was als der dauernde
Niederschlag ihrer Kunstgespräche auf einmal auch in die
weitesten Kreise drang, war 1755 Winckelmanns Erstlings-
schrift: „Gedanken über die Nachahmung der griechischen
Werke in der Malerei und Bildhauerkunst." Eine Broschüre,
die nur in 50 Exemplaren gedruckt wie ein Donnerschlag
in den heiteren Himmel der Rokoko-Kunst hineinfuhr, ihr
Ende ganz wesentlich beschleunigen half und den Wieder-
anschluß an die Antike, ihre „edle Einfalt und stille Größe"
als Ziel auch für die Neueren aufstellte. Wie Winckelmann
selbst später gestand, war diese epochemachende Streitschrift
inhaltlich ganz Oesersches Gut, das eben zitierte berühmte
programmatische Schlagwort nicht ausgenommen. Und doch
war dieser Posaunenstoß nicht nur oeserisch. Der eigentümlich
kraftvolle Stil: markig gedrängt, gedankenschwer, ernst, feurig
und schwungvoll: das erste Denkmal einer wissenschaftlich
gediegenen Prosa in Deutschland. Das war das Winckel-
mannsche daran.
Die Widmung an den König brachte den bald nicht mehr
anonymen 38 jährigen Autor mit einem Schlage an die Schwelle
des ihm gleich sehr gewogenen Hofes, der sich seiner Sehn-
sucht nach dem Süden nun tatkräftig annahm.
„Dieser Fisch soll in sein rechtes Wasser kommen!" soll
der König bekanntlich gesagt haben. Wenige Monate darauf
konnte Winckelmann, wie ein junger Künstler zu Studien in
Italien ausgestattet, als „Pensionär du Roy de Pologne" die
Romreise wirklich antreten. Oeser, dem solches Glück nie
beschieden war, fiel der Abschied schwer. Um so ausführlicher
schreibt ihm dann Winckelmann von Rom aus. Die beiden
Freunde haben sich nie mehr wieder gesehen. Als aber 13 Jahre
später Winckelmann durch Mörderhand in Triest gefallen
war — aus Goethe wissen wir, wie dieser Schlag Oeser ge-
troffen hat — , da hat ihm Oeser ein Denkmal entworfen,
zu dem die Skizzen noch erhalten sind. Dieser Entwurf zeigt
auch ein Medaillonrelief mit Winckelmanns Büste im Profil.
Aber so skizzenhaft allgemein gehalten, daß es als Porträt
kaum zählt. Doch hat man schon lange vermutet, daß Oeser
Winckelmann auch gemalt haben wird, als er noch bei ihm
wohnte, um wenigstens die Züge des abreisenden Freundes
bei sich zu bewahren. ^ Aber niemand konnte bisher ein
solches Winckelmann-Bild Oesers wirklich nachweisen.
Heute, meine Damen und Herren, kann ich Ihnen melden,
daß dies Bild gefunden zu sein scheint, und gefunden auf
einem Wege, der diesmal von Freiburg ausgegangen ist, ja
von unsrem eigenen Kollegenkreise aus.
Und das ging so zu.
Es sind jetzt gerade zwei Jahre her, als ich Herrn Kol-
legen Merkel zum erstenmal in seiner neuen größeren Woh-
nung besuchen konnte, die er nach dem Tode seiner Mutter,
der Witwe des bekannten Straßburger Juristen, in der Hoch-
meisterstraße eben damals bezogen hatte. Da waren nun
aus dem mütterlichen Nachlaß allerlei neue Bilder an den
Wänden zu sehen, und im Salon hieß es auf einmal: „Und
das ist unser Winckelmann!" — „Unser Winckelmann". Ja,
alter Familienbesitz aus dem Nachlaß des durch seinen Neffen
Leander Heidenreich mit der Familie Merkel verwandt ge-
wordenen Theologen und bekannten Bibelübersetzers Leander
van Eß, des Ehrendoktors unsrer Freiburger theologischen
Fakultät vor hundert Jahren!
Es stand keinerlei Bezeichnung auf dem alten Bilde (Abb. I),
auch sah man keine Künstlersignatur, aber alle Generationen
hindurch seit van Eß hat es niemand in der Familie anders
gewußt als: das ist Winckelmann; Winckelmann, der Begründer
der Archäologie.
Wohl! — Nun aber ein Winckelmann, der den andren, be-
kannten und sicher bezeugten Winckelmann-Bildern so wenig
ähnlich schien! Auf der einen Seite die feste mündliche Tra-
dition, die man wohl anzweifeln, aber nicht verwerfen konnte,
auf der andern Seite die ungewöhnliche Physiognomie, etwas
ähnlich den beglaubigten Porträts und doch auch wieder nicht!
Die Sache hatte etwas so Beunruhigendes, daß ich es
als meine Pflicht ansah, ihr baldigst auf den Grund zu gehen.
Da ich binnen kurzem sah, wie die Ikonographie Winckel-
manns noch im argen liegt, wie viel ungelöste Fragen sie
uns noch gelassen hat für die Geschichte dieses Gesichts,
war das Erste systematisch alle Winckelmann-Bildnisse, auch
die sekundärer und tertiärer Bedeutung, zu sammeln, um diese
Arbeit in ihrem ganzen Umfange neu aufzubauen. Um ja
nichts zu übersehen, fragte ich auch in Winckelmanns Heimat
zu Stendal an, ob dort etwa noch irgend etwas zu diesen
Fragen wäre? Da erfuhr ich denn von Otto Freiherrn von
Bönigk, früher Syndikus der Handelskammer in Halberstadt,
der sich speziell mit Winckelmann-Forschung abgegeben hatte,
und der sogar ein noch unbekanntes Bild Winckelmanns be-
sitze. Nach einiger Zeit erhielt ich auch seine neue Adresse
in Greifswald, von wo aus er die große Liebenswürdigkeit
hatte, mir erst eine Photographie (Abb. II), dann das frag-
liche Bild selbst zur Untersuchung zugehen zu lassen. (Da
die Nachforschung über die Provenienz als letzten festen
Punkt nur ein Antiquariat in Wiesbaden ergeben hat, wird
dies Bild im folgenden kurz als das „Wiesbadener Bild" auf-
geführt.)
Welch' neue Überraschung! Das war ja ganz dieselbe
Physiognomie und ganz dieselbe Tracht wie auf dem Frei-
burger Bilde, nur in Kleinigkeiten abweichend! Beide Bilder
gehörten zweifellos zusammen. Entweder waren beide Kopien
von einem noch unbekannten Original oder eines war selbst
das Original und das andre seine Kopie.
Das Wichtigste aber war dies: daß das neu auftauchende
Bild ein sicher bezeugter Winckelmann war, und daß da-
durch die ganz unabhängig davon bestehende mündliche
Tradition in der Familie Merkel in ihrer Richtigkeit vollauf be-
stätigt wurde. Hinten auf dem Blendrahmen des Wiesbadener
Bildes steht nämlich in guter alter Schrift aufgeschrieben
nicht nur der volle Name Winckelmanns mit Geburts- und
Todesdatum, sondern dazu noch die Bemerkung: „Auf seiner
Reise nach Italien erstochen." Diese Aufschriften als nicht
ursprünglich oder als unecht anfzufechten hat keiner der
Sachverständigen, denen ich sie vorlegen konnte, den geringsten
Anlaß gefunden. 6
Nun hatten wir also zwei ganz neue Winckelmann-Bilder,
als Darstellungen Winckelmanns unangreifbar und auf ein
und dieselbe Auffassung zurückgehend.
Leider kann ich nun noch kein ganz klares Ergebnis über
die beiden Bilder und ihr gegenseitiges Verhältnis mitteilen. Die
Meinungen der Sachverständigen gehen darüber noch ziemHch
auseinander. Nach der gründhchen Prüfung, zu der ich mit
gütiger Erlaubnis der beiden Besitzer die Bildnisse unter anderem
auch den Autoritäten der K. Alten Pinakothek in München vor-
legen durfte, muß für mich deren Urteil maßgebend sein."^ Dieses
entspricht in allen wesentlichen Punkten meiner eigenen Auf-
fassung, die ich bis dahin fast allein gegen die Meinung der
kunsthistorischen Fachgenossen zu verteidigen hatte. Darnach
liegt der Sachverhalt so: bei dem Wiesbadener Bild sind zu
unterscheiden zwei verschiedene Phasen, eine ursprüngliche,
leider stark alterierte und eine durch ungeschickte Reinigung
und Übermalung etwa in der Mitte des 19. Jahrhunderts ent-
standene jüngere Schicht. In seiner ursprünglichen Schicht
ist das Wiesbadener Bild aber etwas älter als das Freiburger.
Vielleicht — mir persönlich ist es dies sogar durchaus wahr-
scheinlich — ist das Wiesbadener Bild das alte, etwas ver-
dorbene Original selbst. Das besser konservierte, äußerlich durch
mehr Routine zunächst bestechende Freiburger Bild ist vom
Original jedenfalls durch einen erheblichen Abstand getrennt.
Das Wiesbadener Bild ist malerisch das unscheinbarere von
den beiden, technisch nicht bedeutend, zeichnerisch nicht fehler-
frei, in allem sehr anspruchslos, aber psychologisch offenbar sehr
getreu, liebenswürdig und fein in der Auffassung; der Grundton
grünlichbraun, an Rembrandt gemahnend. Das Freiburger Bild
steht, aber nur teilweise, an technisch -malerischen Qualitäten
höher und hat darum im Ausdruck mehr Kraft und Lebendigkeit,
besonders aus der Entfernung. Das Bestreben, die Züge, ins
Bedeutende zu erheben — sie scheinen um die Augen herum
Goethe etwas angeglichen, vielleicht unbewußt — , ist deut-
lich. Und dennoch haben die Züge dabei sich nicht ver-
feinert, sondern im Gegenteil einen unerfreulichen, sinnlicheren
Ausdruck bekommen. Das Freiburger Bild ist auch signiert.»
Nur ist die Signatur im dunklen Grunde leider so wenig gut
erhalten, daß sie bis jetzt noch niemand mit Sicherheit hat
lesen können. Sicher sind bis jetzt nur die Anfangsbuchstaben
der beiden Vornamen: J. H. und des FamiHennamens: B.,
worauf ein „r" zu kommen scheint; sicher dann die beiden ersten
und die letzte Ziffer der Jahreszahl 17. 9. Auch eine Röntgen-
aufnahme, in der Alten Pinakothek zu München unternommen
— man röntgt ja jetzt auch die Patienten unter den Ge-
mälden — , hat leider nicht weiter geführt, da die Buch-
staben sich nicht als mit metallhaltiger Farbe aufgemalt er-
wiesen.'->
Wichtiger aber als der Name des Kopisten — und so
darf und muß er aufgefaßt werden — , muß uns der des
originalen Meisters sein, von dem das Wiesbadener Bild her-
stammt in seiner ersten Phase.
Wenn nun schon die Kopie in der zweiten Hälfte des
18. Jahrhunderts entstanden ist, und darauf weist auch alles
in der Malweise hin, nicht nur die Signatur, so kann das
Original nicht viel früher und kaum anderswo als in Sachsen
angesetzt werden. Und wenn Winckelmann so getreu und mit
soviel innerer Anteilnahme konterfeit wurde, wie dies hier
geschehen ist, so kann dies nur von einem ihm wirklich nahe-
stehenden Freunde geschehen sein. Wenn weiter an diesem
Gemälde Schwächen in der Zeichnung, Eigenheiten im Kolorit
auffallen, die eben diesem Freund als Maler in hohem Maße
eigen sind, so kann dieser Maler- Freund eben nur — Fr. Ad.
Oeser gewesen sein, als Mensch bekanntlich erheblich be-
deutender denn als Künstler, als der er immer etwas im Di-
lettieren hängen geblieben war.
Und ebenso von der anderen Seite her: wenn Winckel-
mann in seiner deutschen Zeit überhaupt gemalt worden ist,
so konnte dies nur in seiner allerletzten Zeit, in dem Dresdner
Jahr, gewesen sein. Vorher hat er überhaupt keinen Umgang
mit Künstlern gehabt; von seinen früheren Freunden, die wir
10
nach Namen und Wesen genau kennen, hat sich nicht
einer selbst aufs Malen verstanden. Von den Dresdner
Malern stand ihm aber kein einziger so nahe wie Oeser.
Oeser ist es allein, auf den wir von allen Seiten aus immer
wieder aufs neue hingelenkt werden.
Wie das Bildnis seinen Weg aus Oesers Atelier ins Un-
bekannte gefunden hat, entzieht sich einstweilen noch völlig
unserer Kenntnis. Die Möglichkeit, daß es für Winckelmanns
theologischen Jugendfreund Genzmar — er nennt ihn „liebster
Bruder" — bestimmt und in dessen Besitz war, muß erst noch
untersucht werden. Leider waren alle Versuche, die Provenienz
aufzuklären, soweit das 18. Jahrhundert in Frage kommt, vor-
erst noch ganz vergeblich, und zwar für beide Bilder. ^^ Diese
Lücke in der Geschichte der beiden Dokumente soll uns aber
nicht die Freude verkümmern an der frohen Tatsache,
daß uns das älteste Winckelmann-Bild nun wieder geschenkt
ist, das einzige Bild, das von Winckelmann noch in Deutsch-
land gemalt worden ist, und gleich in zwei Ausgaben, wenn
man so sagen darf.
Denn daß das Bild wirklich noch aus jener Dresdner Zeit
kurz vor der Reise nach Italien stammt, scheint mir das dar-
gestellte Kostüm zu verraten, das sich trachtengeschichtlich
eben nur bald nach 1750 ansetzen läßt.^^ Ein Kostüm, das
zudem in Winckelmanns Lebenslauf noch seine chronologisch
genau bestimmbare Stelle hat. Das ist der dicke graue wollige
Rock mit matrosenartig breitem Kragen, der graue „Rockelore",
den Winckelmann aus Deutschland mit nach Rom gebracht
hat, wo er ihm noch im ersten Winter dort gute Dienste
tat. 12 Erst später trägt er an Stelle dieses Reisemantels, den
die Künstler auch im Atelier so gerne anhatten, das schwarze
Seidenkleid des Abbate.
11
IL
A^ein großes Glück ist ein (Empfehlungs)brief an Herrn
„iVi jviengs, Premier Peintre du Roi de Pologne, gewesen,
der mir als ein redlicher Freund gedienet hat und noch dienet.
Sein Haus ist meine Zuflucht, und ich bin nirgends vergnügter
als bei ihm." So heißt es gleich im allerersten Briefe, den
Winckelmann von Rom aus schreibt, nachdem er eben erst
angekommen. — „Ohne diesen Mann würde ich hier wie in
einer Einöde gewesen sein. Ich bringe die meiste Zeit bei
ihm zu . . . Er ist der Mann, der mir hier in allem nützlich
sein kann. Selbst diesen Brief schreibe ich in seinem Zim-
mer ..." — „Ich bringe fast den ganzen Tag bei Herrn
Mengs zu, wenigstens esse ich alle Fasttage bei ihm. Ich
trinke nicht einmal den Kaffee anderwärts, und ich habe so-
gar meine Bücher und Schriften in seinem Zimmer." — „Ich
habe das Glück bei dem größten Maler unserer Zeit, Herrn
Mengs, zu wohnen, und wenn es mir gefällt, zu essen." —
„Einige Monate nacheinander habe ich mittags und abends
bei Mr. Mengs gegessen und prächtig gegessen." — „Wenn
Herr Mengs nach Neapel geht, so werde ich mit ihm gehen."
— „Ich machte Freundschaft mit Herrn Mengs, dem größten
Maler, der seit 200 Jahren in der Welt gewesen ist. Diese
Bekanntschaft ist mein größtes Glück in Rom."
So geht es voll dankbaren Glücksgefühls und voll An-
hänglichkeit das erste Halbjahr hindurch, da Winckelmann in
Rom ist. Aber noch weit darüber hinaus verfolgt Winckel-
mann das Tun und Treiben des Freundes mit lebhafter An-
teilnahme. Er berichtet getreulich von Mengsens Arbeiten in
Rom und Neapel, seinem Ruf nach Spanien, seinem Wirken
in Madrid. „Sein Verlust ist mir unersetzlich, welches mir
kein Glück in der Welt und keine Freundschaft nimmermehr
ersetzen kann." „Er ist mein Freund und war mein bester
12
Freund auf Erden." Auch als dieser Freund schon längst fern
von ihm in Madrid weilt, gelten ihm noch Winckelmanns letzte
Gedanken vor dem Einschlafen des Abends, wie die ersten
beim Erwachen. ^^ Zu Fuße wäre er bereit den weiten Weg
zu ihm zu machen, um an seiner Freundesbrust auszuruhen
und seine Tage zu beschließen. ^^
Und Mengs, der Winckelmann gleich in den ersten Wochen
und Monaten mit Adressen und Empfehlungen aufs artigste
bedacht hat, hört nicht auf, ihm mit kleinen Aufmerksam-
keiten erkenntlich zu sein, er berät ihn beim Verkauf von
Büchern, besorgt ihm die später leider so notwendige Brille
aus London — über der angestrengten Arbeit am Gemmen-
Kabinett des Baron v. Stosch in Florenz hatte Winckelmann
die Schärfe seines Sehens eingebüßt — , beschenkt ihn mit
schönsten englischen Bleistiften, zeichnet ihm für sein her-
kulanensisches Sendschreiben das Demosthenesbüstchen als
Schlußvignette, befördert ihm wichtige Briefschaften an den
Hof in Dresden und nach London, und denkt darauf, Winckel-
mann auch für Madrid zu empfehlen. Ja, er widmet Winckel-
mann zum Abschied seine erste und einzige deutsche Schrift
„Gedanken über die Schönheit und über den Geschmack in
der Malerei" und sendet ihm noch aus Spanien genaue Notizen
über die dorthin verschlagenen Antiken. Wichtig ist für
unseren Fall, was aus dieser engen Freundschaft und diesem
geistigen Austausch auf Winckelmanns Seite entsteht.
Schon nach vier Wochen meldet Winckelmann aus Rom :
„Wir haben schon viel zusammen entworfen" und nach acht
Wochen: „wir haben beide einen Plan gemacht zu einem
großen Werke ,Von dem Geschmacke der griechischen Künstler'. "
Nach eineinhalb Jahren: „Mein einziger Richter ist mein Freund
Mengs, der, seitdem ich hier bin, mehr als sonst über die
Altertümer gedacht hat . . . er kennt das Schöne." Und
noch nach fünf Jahren: „Meine Freundschaft mit diesem
13
großen Künstler befestigt sich mehr und mehr; unsere Ge-
spräche beziehen sich allein auf die Kunst; allein wir sprechen
nur italienisch zusammen."
Und Mengs berichtet seinerseits von Winckelmann: „Ich
bin so glücklich seine Freundschaft zu genießen, und wenn
er müde ist, dann fange ich an ihm meine Ideen zu ent-
wickeln . . . über die Kunst, über die auserlesenen Schön-
heiten, die hohen Gedanken, das gründliche Wissen der alten
Meister; und darüber ist er dann ebenso erbaut wie ich, wenn
ich ihm zuhöre."
Diese Kunstgespräche waren etwas, wovon man in Rom
noch lange sprach, so gingen sie in die Tiefe und ins Frucht-
bare. Die nachfolgende schriftstellerische Tätigkeit der beiden
Männer — Mengs stand damals erst in der Mitte der zwanziger,
Winckelmann am Ende der dreißiger Jahre — ist im wesent-
lichen aus diesen Disputationen hervorgegangen. Durch sie
erst ward Mengs zum philosophierenden Ästhetiker und Kunst-
schriftsteller, Winckelmann zum inspirierten Propheten antiker
Bildhauerideale und divinatorischen Wiederhersteller der alten
Kunstgeschichte.
Zwei ungewöhnliche Geister, deren Hunger nach Schön-
heit die Not und Zuchtrute einer harten, freudlosen Jugend
nur ins Unstillbare gesteigert zu haben schien, waren hier im
Mittelpunkt der alten Kunstwelt unvermutet aufeinandergestoßen.
Über die Gegenseitigkeit der Befruchtung und auch darüber,
wer von beiden den reicheren Gewinn vom anderen davon-
trug, kann kein Zweifel sein.
Es ist Mengs, der Jüngere, der äußerlich Glänzendere,
der, trotz einer gewissen Sprödigkeit, im Geben dennoch dem
anderen mindestens gewachsen war, und der dafür Dinge
aufnimmt, die seiner künstlerischen Entwicklung als Maler
keineswegs günstig waren. Und es ist Winckelmann, der un-
ruhig Suchende und immer noch Schmiegsame, dessen feines
14
kunstkritisches Erfassungsvermögen durch diesen Umgang
rasch bis an seine äußerste Grenze entfaltet, ja bis ins Über^
schwengliche erhoben wird.
Nun zeigte sich die Grundverschiedenheit dieser beiden
Naturen, gerade indem sie ein und demselben Ideale zu-
strebten. Winckelmann selbst sagt einmal von Mengs: „er
ist wie das andere Ende von mir!" Weniger durch das,
worauf es jedem, bei dem, was er vorbrachte, in erster Linie
ankam, als vielmehr durch das, was jedem als etwas ganz
Selbstverständliches innewohnte, unbewußt von ihm aus-
strahlte, hat er das im Anderen wachgerufen, was dort noch
schlummerte. Das Ungewollte, Unbewußte ist immer der
stärkere Faktor.
Mengs war trotz seiner größeren Jugend — elf Jahre
jünger als Winckelmann — die kühlere Natur. So besonnen
und nüchtern klar, daß er vollkommen richtig — er allein
damals — der ganzen großen Masse der Skulpturen in Rom,
die vielgepriesenen Niobiden nicht ausgenommen, griechischen
Originalcharakter absprach und alles nur als römische Kopien
gelten ließ. Mengs wurde jetzt aber immer noch kühler, ja
etwas frostig und trocken, gerade auch in seiner Malerei,
deren reizvolle ursprüngliche Naivität darüber mehr und mehr
verloren ging.
Winckelmann, warmherzig und feurigen Geistes, brennt
dagegen jetzt lichterloh in glühendstem Enthusiasmus.
Merkwürdig! Der warm empfindende Gelehrte hat er-
kältend auf den Künstler gewirkt, und der nüchtern besonnene
Künstler hat den ruhigen Gelehrten in höchste Erregung
versetzt.
Das ungeheure Wissen, das der Forscher dem Maler zu-
führte — um nur an Eines, die Kunstlehre Piatons, zu er-
innern — brachte dessen verstandesmäßigen Untergrund, das
Grüblerische, Krittelige und Theoretisierende seines Geistes
15
aus der Versenkung hervor, in der es bis daliin zum Segen
seines Pinsels geschlummert hatte. Das große Können des
Malers, seine technische Erfahrung und seine Reflexionen
andererseits holten all die Formenkritik, die Fähigkeit plastisch
zu gestalten, zu reproduzieren, sich einzufühlen und die kom-
binierende Phantasie bei dem Gelehrten aus der Tiefe her-
vor, in der sie durch so lange, lange Bücherarbeit immer noch
etwas gebunden war.
Das ist der eigenartige geistige Chiasmus, der innere
Kontrapost bei diesem Dioskurenpaar des Klassizismus, der
ihrer in Freundschaft eng verschlungenen Gruppe einen so
anziehenden Umriß gibt.
Meine Damen und Herren! Bei Mengs wurde durch Winckel-
mann an den Tag gebracht der bisher verschleierte, kühl zer-
legende Charakter seines Geistes, ein weit mehr nach der
Seite der kritischen Analyse als nach der Phantasie hin ge-
richteter Sinn, ein geistiges Vermögen, das in diesem Falle
eine nordische Heimat hat. Vater Ismael Mengs, der Pastell-
maler, war noch in Kopenhagen geboren. Wer Dänemark
kennt, weiß, wie eine der beiden Grundlagen der sehr har-
monisch zusammengesetzten, allem Gemeinen abholden, ur-
germanisch keuschen dänischen Psyche ein sehr nüchternes,
vernunftmäßiges Denken und Empfinden ist, das auf durch-
dringende Klarheit, Einfachheit und Natürlichkeit hindrängt bei
einer erstaunhch gewandten Beherrschung der äußeren Form.
Dadurch, und noch begünstigt durch den segensreichen Einfluß
eines überaus glücklichen sonnigen Klimas und einer Hellas
analogen gegenseitigen Durchdringung von Land und Meer
ist dort etwas dem alten Griechenland und Griechentum von
vornherein Verwandtes gegeben, und eben darin liegt das
Geheimnis der Prädestination Dänemarks zum Klassizismus.
Dabei ist Rafael Mengs keineswegs der einzige landsmännische
Vorläufer des großen Dänen, der eine Generation später in
16
Berthel Thorvaldsen die Plastik ganz Europas der „edlen
Einfalt und stillen Größe" der Antike zuzukehren vermag —
zwei Ausdrücke, die den Kern des Besten bezeichnen, was
gerade aus Dänemark jemals gekommen ist und kommen
wird. Wenn die Vorzüge und Schwächen in der Kunst von
Mengs und von Thorvaldsen sich oft auffallend decken, so
wird das auch von der gemeinsamen ethnologischen Grund-
lage herrühren. 1**^
Statt, wie es ungenau und summarisch meist geschieht,
Mengs einen „sächsischen Apelles" oder „deutschen Rafael"
zu nennen, möchte ich ihn eher als einen „nordischen Proto-
genes" bezeichnen. Damit würde nicht nur seine wahre und
bescheidenere Bedeutung gegen den wirkHchen Rafael hin ab-
gestuft, sondern auch der hohe Ernst seiner vollendet feinen
Technik, seine Neigung zur theoretischen Schriftstellerei,
sein grüblerischer Hang zum Reflektieren, zum unermüdHchen
sich Verbessernwollen gekennzeichnet, der selbstquälerische
Fleiß dieses „arbeitsamsten Menschen seines Jahrhunderts". ^^
Jedenfalls zeigt die Kunst von Rafael Mengs eine Gediegenheit,
Sauberkeit und Akkuratesse der Technik, sicherste Beherrschung
der Form, strengen Ernst des Idealisierens und doch auch
wieder leichte Anmut natürlicher Grazie zu solcher Vollendung
und Reinheit miteinander verschmolzen, wie sie meiner Kenntnis
nach erst nördUch unsrer Reichsgrenzen, eben in Dänemark
zu Hause ist.
Wenn Rafael Mengs' Leben auch keinerlei eigene Ver-
bindung mehr mit Dänemark hat — er wurde ja erst in der
schon sächsischen Zeit seines Vaters von einer sächsischen
Mutter in Böhmen geboren — , so ist es doch gerade ein
skandinavisches Erbteil, das wie verweht fern im Süden bei
ihm wieder zum Vorschein kommt. iß
So bei Mengs. Bei Winckelmann hingegen wurde durch
Mengs vollends ans Licht geboren der zu männlicher Kraft
H. Thiersch, Winckelmann und seine Bildnisse 2 J7
und Selbständigkeit großer schöpferischer Ideen organisatorisch
veranlagte Preuße; ihm selbst ganz unbewußt, denn er glaubte
sich noch zu Sachsen rechnen zu sollen.
Und das beides in Rom, das mit seinem anregenden,
anstrengenden Boden schon so manche gärenden Geister
zur Entscheidung gebracht hat. Das gefällige Sachsen und
Dresden, das anmutige Eibathen, hätte die geistigen Energien
der beiden Männer niemals so kräftig herauszukristallisieren
vermocht. 1'^
Wie unmittelbar und stark Winckelmann durch Mengs
angeregt wurde, zeigt aufs neue ein erst kürzlich wieder auf-
gefundener, an Oeser gerichteter Brief: „Herr Mengs spannet
mir die Saiten bei meiner Arbeit so hoch, daß ich nicht
weiß, ob ich ihm und mir selbst werde ein Genüge tun
können. Die Beschreibung des Apollo (von Belvedere) wird
mir fast die Mühe machen, die ein Heldengedicht erfordert." ^^
Mehr und mehr hatte Winckelmann wie ein Künstler sehen
gelernt. Aber nun war es nicht mehr wie in Dresden, wo
Winckelmann von den Brocken lebte und noch viele andre
speiste, die von Herrn Oesers Tische fielen. Jetzt in Rom
stellte Winckelmann neben dem ebenso überfließenden gast-
lichen Tisch von Mengs bald einen eigenen auf mit höchst
eigenen Gerichten, wie nur er allein sie zubereiten konnte.
Denn nun kam noch etwas anderes hinzu. Und dies Neue
machte ihn fortan unabhängig auch von den Künstlern, selbst-
ständig selbst Mengs gegenüber. Die anfangs gemeinsam mit
diesem geplante Kompagniearbeit wurde völlig aufgegeben. Ihr
Manuskript, das Justi seinerzeit in Florenz wieder aufgefunden
hat, zeigt, wie recht Winckelmann getan, es gar nicht mehr
zu berücksichtigen ; es ist nach Inhalt und Form noch zu neun
Zehnteln mengsisch, wie Winckelmann von Mengs unmittelbar
in die Feder diktiert, völlig andren Geistes als die bald darauf
von Winckelmann nun ganz allein über dieselben belvederischen
18
Statuen verfaßten Ergüsse. i«^ Winckelmann wußte jetzt etwas
Besseres zu tun. Nun war er ganz er selbst, nun erst ganz
mündig geworden. Jetzt sah er mit seinen eignen Augen.
Jetzt duldete er nur noch allereigenste Gedanken, jetzt hörte
bei ihm jede Abhängigkeit auf, formal und ideell.
Durch Mengs war Winckelmann den Kunstwerken so viel
näher gekommen, daß deren Gehalt jetzt unmittelbar auf ihn
selber übersprang. Er hatte angefangen, an ihnen selbst Feuer
zu fangen. Das heißt: er hatte allmählich so sehr gelernt, sich
in die Seele der alten Bildhauer hinein zu versetzen, daß er
deren schöpferisches Bilden in seinem Geiste nun von neuem
selbst zu erleben glaubte. An Stelle der aufklärenden Erläute-
rung durch den zeitgenössischen Künstler und Freund war
unvermutet ein Höheres, Echteres, Unmittelbareres, getreten:
die Inspiration durch das Kunstwerk selbst, wie Justi es nennt.
Nun zeigte sich's, welch richtige Ahnung Winckelmann
seinen langen entsagungsvollen Weg hatte finden lassen, wie
echt und tief die Veranlagung zur Wiederentdeckung der antiken
Schönheit in ihm wurzelte. Das hätte er in keinen Bibliotheken
der Welt finden können. Diese vornehmste Eigenschaft, welche
die Beschäftigung mit der antiken Kunst erfordert: die unmittel-
bare künstlerische, dichterische Intuition: sie muß angeboren
sein. „Er muß Poet sein, er mag daran denken, er mag
wollen oder nicht", sagt der größte der Poeten, Goethe, von
Winckelmann.
Das war es auch im Grunde, was Winckelmann für die
Künstler so anziehend machte, warum sie von ganz wenigen
neidischen Ausnahmen, wie dem falschen Casanova, abgesehen
seinen Umgang schätzten und suchten; sie spürten instinktiv:
da war, bis zu einem gewissen Grade, Geist von ihrem Geist
und Bein von ihrem Bein.^^
Diese geistige Nähe zu gewinnen — man könnte es manch-
mal eine Art künstlerischen zweiten Gesichts, ein visionäres
2* 19
Fernsehen nennen — hatte Winckelmann in aller Stille den
rechten Weg gefunden: die kontemplative Versenkung, ich
möchte fast sagen, des Mystikers, in völliger Isolierung. Er
schreibt damals: „Diese Arbeit fordert, daß ich mich von
neuem dem einsamsten Nachdenken überlasse, und der Gesell-
schaft entziehen muß. Die Beschreibung des Apollo erfordert
den höchsten Stil: eine Erhebung über alles, was menschlich
ist." „Ich habe ein gewisses Geld gegeben, um den Apollon,
den Laokoon, wenn ich brauche, zu sehen, um meinen Geist
durch das Anschauen dieser Werke desto mehr in Bewegung
zu setzen." „Diese Arbeit beschäftigt mich dergestalt, daß,
wo ich gehe und stehe, ich daran gedenke."
Die Beschreibung des Kunstwerks muß von jetzt an für
Winckelmann aus einem dem des schaffenden Künstlers ver-
wandten Geisteszustand hervorgehen, und selbst zum Kunst-
werk werden, zu einem getreuen Abbild des in ihr beschrie-
benen Denkmals. In Gedanken, Buchstaben, Silben, Worten,
Sätzen, muß die Skulptur in geistiger Weise und nach dem
Genius ihres Meisters noch einmal ein zweitesmal geschaffen
werden. „Meine Absicht ist, ein vollkommenes Werk zu liefern
und das Denken und die Schönheiten der Gedanken und der
Schreibart aufs Höchste zu treiben".
Daher das Originelle, Kühne, Kraftvolle, Plastische, Hin-
reißende jetzt in seiner Sprache, daher die enthusiastisch an-
steckende Wirkung seiner Beschreibungen des Apollon und
des Torso von Belvedere. Herder rühmte schon das Pindarische
seiner Schreibart; des öfteren erinnert die künstlerische Form-
gebung an Plato.2o „Es ist, als erstrahle sein Stil vom Feuer
der Sonne Griechenlands" (Parisot). „Es klingt, wie wenn
ein Prophet seine Gesichte erzählt", sagt Justi. „Wenn man
etwas vermißt, so sind es die Verse. Die Paragraphen müßten
Strophen sein." „Es sind die Akzente eines Dichters und
Musenpriesters. "
20
Daß Winckelmann von Mengs während des etwa fünf-
jährigen Zusammenseins mit ihm in Rom nicht gemalt worden
sei, ist viel unwahrscheinlicher als das Gegenteil, und daß dies
Porträt bei dem Können von Mengs gerade in der Bildnis-
malerei und bei seinem starken persönlichen und geistigen
Interesse an Winckelmann ein ganz hervorragendes Stück
geworden sein müßte, ist ebenso sicher. Um so auffallender
ist es, daß eines solchen Bildes zu Lebzeiten der beiden Männer
nirgends Erwähnung geschieht. So oft Winckelmann auch
von Mengs und dem, was er gerade unter dem Pinsel hat,
in seinen Briefen spricht, — daß er von ihm gemalt worden
sei, davon keine Silbe!
Und doch ist es geschehen. Mengs hat Winckelmann
gemalt und das Bild ist vorhanden! und ist wirklich ein
Meisterstück.
Es ist freilich wenig bekannt und vom Schicksal zu eigen-
tümlich verstecktem Dasein verurteilt gewesen. Rund ein Jahr-
hundert war es für die Allgemeinheit verloren, erst vor zwölf
Jahren ist es an entlegener Stelle durch einen Breslauer Kunst-
freund, Julius Brann, wieder aufgefunden worden: in Krakau,
in einer jener fürsthchen Privatsammlungen, welche die pol-
nischen Granden in den Palästen dieser reichen alten Haupt-
stadt Polens mit feinem Geschmack Jahrhunderte hindurch
zusammengebracht haben, so daß sie vereinigt eine der aller-
ersten Galerien Europas bilden würden.
Dort in Krakau, im Palais des Fürsten Casimir Lubomirski,
hängt Winckelmanns Bild (Abb. III), gemalt von Mengs, dem
„Premier peintre du Roi de Pologne".
Es hängt dort und ist der Familie selbst als solches immer
wohl bekannt gewesen, seit Generationen; denn schon 1810
hatte es die Fürstin Isabella Lubomirski, die schöne, geist-
und temperamentvolle Kunstfreundin, die „princessemarechale",
auf einer Pariser Auktion erworben. Nach Paris war das Ge-
21
mälde gekommen aus dem Besitze des 1804 dort verstorbenen
Cavaliere d'Azara, des früheren spanischen Gesandten am
Vatikan, des begeisterten Verehrers und Freundes sowohl
von Winckelmann wie von Mengs. Nach Mengsens Tode
hatte er ja dessen ganzen künstlerischen Nachlaß aufgekauft,
dessen verarmende Familie zu unterstützen. Er ist auch Mengs'
enthusiastischer Biograph und Herausgeber seiner Schriften
gewesen. Das Bild befand sich also immer in allerbesten
Händen und ist auf der Rückseite als JOANNES WINCKEL-
MANN bezeichnet. Es ist gut, daß es so wohl beglaubigt ist.
Denn es ist wieder eine Überraschung. Nicht als Kunst-
werk — da kann nach Technik, Kolorit und Auffassung an
einem echten und glänzenden Mengs gar kein Zweifel sein —
aber in bezug auf Winckelmann, den Menschen Winckel-
mann. Wie ganz verschieden von dem vorigen deutschen
Bilde!
Es fragt sich vor allem, wann das Bild entstanden ist?
Daß es erst in Spanien oder gar erst nach Winckelmanns
Tode als ein Erinnerungsbild gemalt worden sei, ist bei
seiner frappanten Lebendigkeit zu unwahrscheinlich. Es muß
noch in Rom gemalt sein. Für Rom aber scheiden gleich
aus: L das Frühjahr 1758 (1. Februar bis Ende April), da
Winckelmann in Neapel und Portici weilte, 2. die Zeit vom
Herbst 1758 bis Juni 1760, da einerseits Winckelmann
neun Monate in Florenz und Mengs anderthalb Jahre in
Neapel ist. Es bleiben also als Möglichkeiten nur die
Jahre 1756 und 1757 und dann die Zeit vom Juli 1760 bis
Juli 1761. Der Rest des Jahres 1755, gleich die allerersten
sechs Wochen Winckelmanns in Rom, kommen nicht nur als
zu bald schon nicht in Frage, sondern auch weil das Bild
durchaus nicht zu einem Manne paßt, der von sich damals
meldet, daß ihm die Kleider zu eng werden und platzen; — so
gut war Winckelmann die lange Reise und die römische Kost
22
daraufhin bekommen. Das Krakauer Bild macht einen anderen
Eindruck, gibt eher etwas nervös abgespannte und angegriffene,
stark vergeistigte Züge.
Eine Datierung in das Jahr 1756, wie sie JuHus Brann,
der das Krakauer Bild 1905 wieder aufgefunden und in einer
schönen Heliogravüre zum erstenmal veröffentlicht hat,2i wäre
schon eher möglich; und zwar im Sommer oder Herbst 1756.
„Ich habe mir Sommerkleider machen lassen, das eine von
Seide, und ich trage Perücken, weil meine Haare anfingen aus-
zugehen." Diese damals geschriebenen Worte könnte man ohne
weiteres unter das Mengs'sche Porträt setzen mit seinem leichten
Habit und den sichtlich dünnen Haaren. Und hinzufügen
könnte man eine Briefstelle vom November des folgenden
Jahres 1757, die ein offenbar auch schon weiter zurückreichen-
des Gehaben schildert. Da erzählt Winckelmann welch' un-
gezwungenes Leben er bei Passionei, dem lebenslustigen,
sarkastischen Kardinal, diesem derben und temperament-
sprühenden Porporato führte, der seinerseits an Winckelmanns
gerader, schlichter Natur seine helle Freude hatte. Der alte
Kirchenfürst war, ganz wie nachher sein noch geistvollerer
Kollege, der Kardinal Albani, dem jungen deutschen Biblio-
thekar mit seiner ganzen Liebe und Freundschaft zugetan,
hatte ihm seine Bibliothek in der heutigen Consulta, die
bedeutendste der großen Privatbibliotheken in Rom, zu un-
begrenzt freier Benützung angeboten, ihn oft an seiner Tafel
gehabt, persönlich dann im Wagen nach Hause gebracht
und ihn immer wieder auf seine Villeggiatur in Camaldoli
eingeladen. „Hier in seiner Bibliothek", schreibt Winckel-
mann, „habe ich eben die Freiheit wie in Nöthenitz, von 9
bis 12 Uhr mit aller Freiheit herumzuklettern. Man ist bei
ihm mit einer Freiheit, die ihresgleichen nicht hat. Man muß
in der Mütze und im Kamisol und Pantoffeln bei ihm er-
scheinen — und wenn ich es mache, wie er es haben will,
2a
auch im Hemde." „In seinem Palaste in Rom ist das erste,
daß ich meinen Rock ausziehe^ wenn ich in der BibHothek
sein will."
Draußen in Camaldoli-Frascati — wohin Winckelmann
gerne Zuflucht nahm, um den lauten, unerträglich heißen
Sommernächten im steinernen Häusermeer, die ihm Schlaf
und Nerven raubten, zu entgehen — , da waren eigene
Pavillons oder Gellen für die Gäste des Kardinals bestimmt.
Er nannte sich ihren Prior und sie seine Frati. So hieß
Winckelmann „Fra Giovanni".
Ganz im Sinne eines solchen ungebundenen „Fra Gio-
vanni" hat Mengs Winckelmann aufgefaßt und dargestellt.
Wirklich etwas mönchisch, fast asketisch blickt das blasse und
hagere Gesicht mit den forschenden, unheimlich lebendig
dunklen Augen. Aber künstlerhaft frei und etwas salopp das
Kostüm: ein vorn weit offenes Hemd,, ein feines, helles, mit
reichen Spitzen besetztes seidenes Kamisol und ein malerisch
einseitig übergeworfener Mantel. In der Hand, pergament-
gebunden, der Lieblingsautor Winckelmanns, Homer.
In diesem Aufzug las Winckelmann tatsächlich seine
Griechen in der Consulta, seinen Plato in Frascati, seinen
Homer bei Mengs. So lebhaft, mit Lektüre geladen, gedanken-
erfüllt hat der Freund ihn oft bei sich gesehen, mit ihm sich
unterredet über die höchsten Fragen der Kunst.
Das ist der Krakauer Winckelmann! Der Winckelmann
der ersten römischen Jahre; nicht mehr der allerersten, meine
ich, aber der dann folgenden, da er einerseits die große
Arbeit der Florentiner Gemmenpublikation schon hinter sich
hat, und nun an seinem größten Werk, der Kunstgeschichte
sitzt, andererseits schon in den vollen Strudel der inter-
nationalen Gesellschaft Roms hineingerissen wird. Das ist
der Mengsische Winckelmann, mengsisch nicht nur als von
Mengs gemalt, sondern auch als der von Mengs damals in
24
geistigen Schwung Versetzte, durch Mengsische Anregungen
zur vollen Selbständigkeit Erwachte, zur geistigsten Tiefe
Gebrachte.
Dazu hat Mengs hier noch ein Besonderes getan. Schon
im Gewand und Beiwerk ist alles ins Elegante, Hohe er-
hoben. Auch im Gesichte ist eine Idealisierung zum Klassischen
unbestreitbar. Die Augen sind etwas vergrößert, das Kinn monu-
mental umkantet, die Nase vor allem gerader, kürzer und
ebenmäßiger geführt als auf allen sonstigen authentischen
Winckelmann-Porträts. Durch diese auffallenden Züge unter-
scheidet sich Mengsens Bild nicht nur von dem Oeserschen
des vorangehenden Dresden, sondern auch von den nach-
folgenden Darstellungen durch Angelica und Maron. Die Ab-
weichungen sind also bewußter Art, gehören zu Mengsens
Stil, ja es beruht auf ihnen ganz wesentlich mit die be-
deutende monumentale Wirkung des Bildes. Künstlerisch ist
das Krakauer Porträt unter allen Winckelmann-Bildnissen das
am höchsten stehende.
Als Mengs im Sommer 1760 aus Neapel zurückgekehrt
war, wurden die kunstphilosophischen Konversationen mit
Winckelmann eifrig fortgesetzt; auch rein freundschaftlich, als
heiterer Gesellschafter kommt Winckelmann wieder ins Mengs-
ische Haus und schlägt Purzelbäume mit den Kindern dort.
Aber Mengs hat zunächst alle Hände voll zu tun für seinen
großen Plafond, den „Parnass" in der Villa Albani, sein
größtes und klassizistischstes Werk. In der Zeit zwischen der
Vollendung des Parnasses und der Abreise Mengsens nach
Madrid, also im Frühsommer 1761, möchte ich mir die Ent-
stehung des Winckelmann-Porträts denken.
Erst bei einem solchen Abstand von sechs Jahren wird
auch das Verhältnis der beiden Bilder, Krakau und Wiesbaden,
Oeser und Mengs, verständlich. Läge nur ein Jahr zwischen
beiden, so ständen wir vor einem ikonographischen Rätsel.
25
Mehr: einer physiognomischen und psychologischen Un-
möglichkeit.
Auch noch andere Gründe sprechen für diese spätere
Ansetzung, für die Datierung des Mengsischen Bildes ins
Jahr 1761.
Wir wissen aus Winckelmanns eigenen Briefen, daß er zu
Anfang des Jahres 1760, also während Mengs noch in Neapel
weilte, von einem Mengs-Schüler gemalt worden ist: Peder
Als, dem allerersten Staatsstipendiaten, den die damals eben
erst gegründete Kopenhagener Akademie 1757 nach Rom aus-
gesandt hatte. Winckelmann war von diesem Bild des jungen
Dänen, den er durch seinen Freund, den dänischen Bildhauer
Wiedewelt, kennen gelernt hatte, sehr erbaut: er erklärt es für
ein Porträt, „dergleichen wenige gemacht sind" (29. März 1760),
ohne es indes später wieder zu erwähnen. Ja, das Bild selbst
ist, trotz eifrigsten Suchens bis heute verschollen. Nur zwei
Federskizzen dazu gelang es mir durch einen wertvollen Hin-
weis des Direktors des Thorvaldsenmuseums, Herrn Dr. Mario
Krohn, bei Herrn Ingenieur H. Rump in Kopenhagen noch
ausfindig zu machen. Auch fand ich, daß in Dänemark über
den Verlust des Bildes keine besondere Trauer herrscht. Als
ist in der Tat kein sehr bedeutender Künstler gewesen. In
Rom war er ganz und gar Mengs-Schüler geworden, beruft
sich auf Mengs als auf seinen Meister und Patron in sämt-
lichen Schreiben an seine Kopenhagener Akademie und wird
von ihm aus dem Rokoko zum Klassizismus hinübergeführt.
Nun ist es wenig wahrscheinlich, daß Winckelmann noch
Lust gehabt hätte, besonders wo keinerlei Auftrag von irgend-
einer Seite dazu vorlag, einem Schüler von Mengs zu sitzen,
wenn er kurz vorher von dem Meister selbst in so glänzen-
der Weise gemalt worden wäre. Umgekehrt aber ist es zu
verstehen, wenn Mengs, unzufrieden mit der Leistung seines
Eleven, seinem Freunde einmal hat zeigen wollen, wie er
20
wirklich gemalt werden müßte! Auch aus diesem Grunde
scheint mir das Mengsische Bild nach und nicht vor dem
des Peder Als entstanden zu sein, also nach 1760, somit —
es bleibt keine andere Wahl — im Jahr 1761, erste Hälfte.
Damals, als mit der Abreise Mengsens nach Madrid die
Trennung der beiden Freunde bevorstand, war, wenn irgend
wann, der psychologische Moment für die Entstehung des
Bildes gegeben. Daß Mengs es heimhch, zum Teil frei nach
der Erinnerung, ohne Wissen des Freundes gemalt habe,
braucht dabei keineswegs ausgeschlossen zu sein. Dies würde
sogar manches verständlicher machen: die von der Realität
ziemlich abweichende starke Stilisierung und das Fehlen jeder
Erwähnung seitens Winckelmanns.
Endlich scheint das Krakauer Bild nicht nur in die zeit-
liche, sondern, in gewissem Sinne, auch in die geistige
Nähe des Albanischen Parnasses zu gehören. Des auffallend
idealisierenden Stiles im Krakauer Bild wurde schon ge-
dacht. Eben durch diese Idealisierung steht es dem Albani-
schen Deckengemälde nahe. Auch dieses enthält idealisierte
Porträts. Die Muse der Geschichte dort neben Apoll ist nie-
mand anders als des Künstlers Gattin, die schöne Frau Mar-
garita Mengs. Auch die anderen Musen ringsum tragen be-
kanntlich die Züge verschiedener damaliger Schönheiten zu Rom.
Wer aber hätte in des Künstlers Augen eine solch idea-
lisierende Verklärung ins Klassische mehr verdient, als gerade
der Freund, der ihm nicht nur den Auftrag zu eben diesem
„Parnaß" verschafft, sondern der wie gar kein anderer die
Antike ihm überhaupt erst nahegebracht hatte?!
Jedenfalls war das Bild, das Mengs von seinem Freunde
Winckelmann malte, keine Bestellung, sondern ganz so wie
schon das Oesersche in Dresden spontan, rein aus Freund-
schaft entstanden und nur für den Künstler selbst bestimmt.
Auch daher mag es kommen, daß von ihm in Winckelmanns
27
Briefen an andere niemals die Rede ist. Am ehesten müßte
es erwähnt worden sein in der Korrespondenz mit Mengs
selbst. Von Briefen Winckelmanns an Mengs aber haben wir,
ebenso wie an seine Gattin, heute nur noch verhältnismäßig
wenige.22
Das Bild muß mit Mengs nach Madrid gewandert sein
und war zweifellos ohne Unterbrechung in des Künstlers Be-
sitz geborgen. Erst nach dessen Tode, als es mit dem künstle-
rischen Nachlaß von Azara erworben wird, fängt es an für
die Allgemeinheit sichtbar zu werden, wenn auch zunächst
nur auf ein einziges Jahrzehnt. Dann sinkt es gleich wieder
für hundert Jahre in jene Verborgenheit zurück, aus der es
erst im Anfang des 20. Jahrhunderts wieder hervorgelockt
worden ist.
III.
Am 18. August 1764 schreibt Winckelmann an seinen alten
-'^ sächsischen Bibliotheksgenossen Franke in Nöthnitz: „Mein
Bildnis ist von einer seltenen Person, einer deutschen Malerin
gemacht. Sie ist sehr stark in Porträts in Öl, und das meinige
kostet 30 Zechini. . . . Das Mädchen, von dem ich rede, ist
zu Costnitz geboren, aber zeitig von ihrem Vater, der auch
ein Maler ist, nach Italien geführt worden, daher sie wälsch
so gut wie deutsch spricht. Auch spricht sie fertig fran-
zösisch und englisch, daher sie alle Engelländer, welche hier
her kommen, malet. Sie kann schön heißen und singet um
die Wette mit unsren besten Virtuosen. Ihr Name ist Angelica
Kauff mannin."
Winckelmann porträtiert von der gefeiertsten Künstlerin
damals in Rom, der eben erst zweiundzwanzigjährigen
28
Angelica, der seelenvollen Vorarlbergerin, dieser „vielleicht
kultiviertesten Frau von Europa", wie Herder sie nannte, der
madonnenhaft reinen und sanften Grazie in Mädchengestalt,
gemalt in Schweizer Auftrag, der von fernher über die Alpen
kam. Winckelmann, — der niemals Schweizer Boden betreten
hat! Wie war das zugegangen?
Hier hatte einer jener weitschauenden, idealgesinnten und
zugleich praktisch entschlossenen Männer, an denen die
Schweiz von jeher reich war, und durch die sie schon oft
auch ihren Nachbarn zum Segen geworden ist, mit seinen
Falkenaugen die rechte Gelegenheit erspäht.
Es war im Frühjahr 1758 gewesen auf seiner allerersten
Reise nach Neapel und der Rückkehr soeben von Paestum,
das auch Winckelmann zuerst uns wieder entdeckt hat, als
diesen unvermutet ein gewichtiger Wertbrief mit dem Ge-
schenk eines Unbekannten als Beisteuer zu seinen Reise-
geldern erreichte. Diese Sendung war in ganz richtiger Er-
kenntnis der Sachlage, von der man auf Umwegen über Paris
erfahren hatte, aus Zürich gekommen. Von Joh. Kaspar FüßH,
dem schöngeistigen Gewissen, möchte ich sagen, der deutschen
Schweiz damals, jenem angesehenen Ratschreiber, der dort
in gut demokratisch einfacher Weise sein gastfreies Haus zu
einer Art Akademie der schönen Künste ausgestaltet hatte,
zur „DomusFüsslinorum artis pingendi cultrix", wie die Familie
selbst stolz sich nannte. Von seinen Kindern pflegten nicht
weniger als fünf die Malerei, und er selbst, in Wien und an
Rugendas und Kupetzky geschult, war ein erfahrener Porträtist.
Diesem Züricher Mäzen, dem „edlen FüßU", ist es zu ver-
danken, wenn wir von Winckelmann ein so gutes und anmutiges
Bild (Abb. IV) besitzen, das ihn auf der höchsten Höhe seines
Lebens, im Zenith seines römischen Ruhmes zeigt, im selben
Jahre, da auch sein bedeutendstes und reifstes Geisteserzeugnis,
seine Geschichte der Kunst des Altertums, erschienen ist.
29
Seitdem Mengs Winckelrhann gemalt hatte, waren drei
Jahre ins Land gegangen, drei schwere Jahre für Winckel-
mann. Das Jahr 1762 hatte ihn mit Fieber und Schwäche-
anfällen bis an den Rand des Grabes gebracht, und mit innig-
ster Teilnahme saß damals sein Herr, der greise Kardinal
Albani, väterlich besorgt, täglich zweimal an seinem Bette.
Vorher war als Frucht der zweiten Reise nach Neapel gerade
noch das Sendschreiben über die herculanensischen Ent-
deckungen niedergeschrieben worden, das Europa zum ersten-
mal wirklich sachlichen Aufschluß über die dortigen Funde
brachte. Gleich darauf fängt Winckelmann an, seinen alten
Lieblingsplan, die „Allegorie für Künstler" auszuarbeiten. Von
neuen Schwächeanfallen sucht er Erholung am Strand von
Nettuno. Da bringt das Jahr 1763 die Erfüllung seiner kühnsten
Wünsche: seine Ernennung zum Oberaufseher der vatikanischen
Antikensammlungen.
„Ich habe mehr erlangt als ich verdiente, und als ich im
Traume mir bilden können." „Es ist die schönste Stelle, die
ich mir hätte wünschen können." „Es ist ein seltenes Glück,
und ich kenne niemand in Rom, mit dem ich tauschen möchte."
„Meine Pflicht ist, über alle Altertümer in und um Rom ein
wachsames Auge zu haben. Es darf auch niemand ohne
meine Erlaubnis nach Altertümern auf eignem Grunde graben.
Es muß mir daher Alles gezeiget werden: und was auf-
blicket, bleibt mir nicht verborgen." „Die Freiheit, die ich
genieße, ist uneingeschränkt und niemand fragt mich, was
ich mache." „Ich habe meine Hütte nunmehro auf ewig in
Rom aufgeschlagen."
An die mit dem neuen Amt bisher verbundenen er-
niedrigenden Ciceronedienste gedenkend, versichert Winckel-
mann: „Ich werde' versuchen diese Stelle zu einer höheren
Würdigkeit zu erheben."
Und er sonnt sich in der höchsten Gunst: „Ich habe die
30
ausnehmende Ehre gehabt Sr. Heiligkeit ein Stück aus meinem
Werke vorzulesen, zu Castel Gandolfo ..." „ich saß zwischen
dem Papst und zwei Kardinälen und es war eine ansehn-
liche Versammlung zugegen. — Ich stand neben ihm und
erhielt seinen gewöhnlichen reichen Segen dafür."
„Ich habe alles, was ein Mensch von mäßigen Wünschen,
auch weit mehr als ich wert bin, verlangen kann. Ich habe
an meinem Herrn (Kardinal Albani) meinen besten Freund
und Vertrauten, dem ich das Geheimste meiner Seele nicht
verhehle. Ich scherze mit ihm; er empfindet was mir nahe
gehet, er teilet sich ganz mit mir und ist der, welcher mein
Leben genießen macht ... Es sollte scheinen, er baue für
mich, er kaufe Statuen für mich; denn es geschieht nichts,
was ich nicht billige. Ich bin Herr auf all dessen Land-
häusern, und in allen ist eine Reihe Zimmer für mich. In
Rom selbst wohne ich sehr angenehm im Palaste des Kar-
dinals. Meine Zimmer daselbst würde sich mancher Fürst
wünschen."
„In meiner Person habe ich erfahren, daß der ehrliche
Mann und ein bescheidenes und demütiges Herz in aller
Welt gefällt, ja angebetet wird. Und ich habe hier viel tätigere
Freunde als in Deutschland gefunden. Daher muß ich diese
Nation und dieses Land lieben, und es war hier allein der
einzige Hafen meiner Ruhe zu finden."
Unwillkürlich und bitter drängt sich uns bei dieser glück-
lichen Vergangenheit die so ganz andere Gegenwart auf, da
das verblendete Rom seine besten Geistesarbeiter aus Ger-
manien vertrieben, die bleibenden Schöpfungen Winckel-
mannschen Geistes in Rom, die deutschen kunstgeschicht-
lichen Institute geschlossen werden mußten, von ihren Sitzen
womöglich für immer vertrieben und ihrer wertvollen Biblio-
theken beraubt werden sollen.
Wie warm empfinden wir in dieser feindlichen Gegen-
31
wart die freundliche Sonne Roms im glücklicheren 18. Jahr-
hundert!
In jenen beglückenden, lebhaft bewegten Monaten, da der
deutsche Forscher aus seiner Einsamkeit heraus in den Mittel-
punkt der großen Welt gerückt war, hat Angelica ihn ge-
sehen, kennen, schätzen gelernt und — verewigt. Etwas von
dem strahlenden Glanz jener Hochjunktur ist in ihr Bild
mit übergegangen. In demselben Briefe vom 13. Juli 1764,
in dem Winckelmann von ihrem Bilde meldet: „heute ist
mein Porträt geendigt", schreibt er: „Unsre rasende Vil-
leggiatur (in der vor einem Jahr mit größten Festlichkeiten
eingeweihten Villa Albani) ist geendigt, weil der Papst selbst
sein Mißvergnügen bezeiget hat." „Sie hat anderthalb Monate
gedauert und ist einzig in ihrer Art gewesen. Ganz Rom
war alle Abende daselbst versammelt und vielmals waren bis
60 Personen zum Abendessen, wo auch alle Fremden kamen
und speisten. Und man tanzte, sang und spielte, ohngeachtet
der Kardinal unpäßlich war, bis zum hellen Morgen."
„Ich bin niemals einsamer gewesen als daselbst, ich habe
in dem großen Getöse Nachrichten von den neuesten her-
culanensischen Entdeckungen aufgesetzt." „Ich bin mitten
in diesem Geräusche wie ich verlange zu sein, und ich lebe
beständig nach einerlei Weise, so daß ich allezeit vor der
Sonne schon auf dem platten Dache des Palastes den An-
bruch der Morgenröte betrachte."
Dies, meine Damen und Herren, ist der Kauffmannsche
Winckelmann vom Sommer 1764: der 46 jährige, der gesund-
heitlich neu Gefestigte, der viel umneidete „Romanarum Anti-
quitatum Praeses", der „Sovraintendente delle Antichitä della
Camera Apostolica", der zärtlich geliebte Freund und Berater
des kunstfreudigsten Kirchenfürsten in Rom, des 73jährigen
Kardinals Albani, der innige Vertraute der gerade damals
seiner Obhut anbefohlenen schönen Frau Margarita Mengs.
32
Und vor allem der Verfasser der „Kunstgeschichte", dieses
kühnen Werkes, das zum erstenmal seit dem Altertum selbst
es wieder gewagt hat, die großen Epochen der antiken Kunst
aus der Vergessenheit neu aufzubauen. Ein Unternehmen
nur möglich, wo wie hier solch umfassende Belesenheit, aus-
gedehnteste Kenntnis der antiken Skulpturen selbst und seltenste
Kombinationsgabe zusammentrafen. Winckelmann selber meinte
damals: „Vielleicht geht ein Jahrhundert vorbei, ehe es einem
Deutschen gelingt, mir auf dem Wege, welchen ich ergriffen
habe, nachzugehen, und welcher das Herz auf dem Flecke
hat, wo es mir sitzet." 23
Lessing, der damals gerade an seinem Laokoon saß, schrieb :
„ Winckelmanns Kunstgeschichte ist erschienen. Ich wage keinen
Schritt weiter, ohne dieses Werk gelesen zuhaben." Erfühlte
sogleich die Überlegenheit des andren in der persönlichen
Kenntnis der Kunstwerke selbst. Das Ausland riß sich um
das neue Werk, dies erste einer ganz neuen Wissenschaft,
und nach Inhalt und Form gleich ein so vollendetes Meister-
werk! Paris und Amsterdam konnten es gar nicht erwarten
mit Übersetzungen, Italien und England meldeten sich bald
ebenfalls darum. Das Werk ist noch heute klassisch und in
seinem weihevollen Stil mit Recht einem Tempel vergHchen
worden, dessen Fundamente und Hauptteile wie für die Ewig-
keit gegründet scheinen.
Auf Angelicas jugendliches, für alles Hohe begeisterungs-
fähiges und rein weiblich zartes Gemüt hatte Winckelmanns
männliche Kraft und lebhaftes Feuer tiefsten Eindruck gemacht.
Durch Winckelmann hat ihre Malerei damals den ersten ent-
scheidenden Anstoß erfahren, von der Zierlichkeit des Rokoko
zum würdevolleren Ausdruck des Klassizismus überzuschwenken.
Das Studium von Mengs später, als dieser schon gestorben
war, hat diese neue Richtung bei ihr nur noch weiter ver-
stärken können. Selbst die griechische Baukunst begann Angelica
H. T hier seh, Winckelmann und seine Bildnisse 3 33
damals bei ihrem zweiten römischen Aufenthalt zu studieren.
Nach ihrer Rückkehr von Neapel und Ischia nach Rom eben-
damals im April 1764 war Winckelmanns Bildnis ihr erstes
Gemälde geworden: unter ihren sehr zahlreichen Porträts
eine sehr glückliche und für ihre immer noch große Jugend
ganz erstaunliche Leistung, nur verständlich durch die lange,
ungewöhnliche, schon mit dem neunten Lebensjahre bei ihr
einsetzenden Übung gerade im Bildnisfache. 24 Die freund-
schaftliche Verehrung für den unheimlich gelehrten und in
seiner frischen Natürlichkeit so anregenden Mann hat sie über
sich selbst hinausgehoben. Nicht immer ist Angelica im Treffen
so glücklich gewesen; bei Goethe später bekanntlich viel
weniger. Hier aber hatte sie in Winckelmann den Seher und
Dichter, die ihr selber kongeniale Natur, den Künstler, erfaßt.
Selbst ein so gestrenger Richter wie Carl Justi faßt sein Urteil
über dies Bild dahin zusammen: „Ihre Treue dürfen wir wohl
nicht bezweifeln. Aber sie hat über das Bild einen Geist,
eine Eleganz ausgegossen, die den andren fehlt." Und ich
möchte hinzufügen: der feine Reiz kommt her von ihrem
eigenen andächtigen Gemüte, mit dem sie kindlich ehrfurchts-
voll dem Geiste Winckelmanns genaht und gerade darum
ihn so rein und hoch hat erfassen können.
„Angelica besaß, fährt Justi fort, die Fähigkeit, nicht nur
die Formen, sondern auch die Gemütsart zu treffen; sie wußte
den günstigsten Gesichtspunkt auszufinden; sie erspähte eine
malerische Pose, die der Person eigentümlich, wenn auch selten
war; sie entdeckte oder ersann eine Wendung, einen sinnenden
Blick, der andren Künstlern entging; sie ordnete die Gewan-
dung, unabhängig von der Mode, mit weiblichem Geschmack."
Dies alles trifft wörtlich auf Angelicas Bild zu, das Winckel-
mann nach Füßlis sicher ganz richtiger Erklärung zeigt,
„wie er sich von Eintretenden auf seinem Studierzimmer,
eben nicht gerne, überraschen ließ". Es liegt eine Bewegung
34
darin, wie sie entsteht beim lebhaften Nachsinnen einem
plötzlich aufleuchtenden Gedanken nach. Das Momentane
und Charakteristische dieses für intensive geistige Arbeit präg-
nant gewählten und geschickt erfaßten Zuges macht das Bild
so überzeugend lebendig.
Angelicas Bild muß der Bestellung gemäß prompt über
die Alpen nach Zürich gewandert sein. Schon ein Jahr nach
seiner Fertigstellung ist es nach Winckelmanns eigenen An-
gaben dort. Da sah es in Füßlis Arbeitszimmer noch im
Jahre 1778 der Dichter Matthison. Später erbte es als Enkel
Füßlis der Maler Conrad Zeller, der es seinerseits wieder der
Züricher Kunstgesellschaft vermachte. Und so kann es heute in
dem prächtig modern eingerichteten Züricher Kunsthaus jederzeit
öffentlich besichtigt werden; ein großer Vorzug gegenüber dem
jetzt während des Krieges leider ganz unzugänglichen, künst-
lerisch noch höher stehenden Krakauer Bild des Rafael Mengs.
IV.
KTur noch vier Jahre waren Winckelmann zu leben be-
^ ^ schieden, und man sollte denken, daß nun, da er das
Höchste in Rom errungen, wirklich Ruhe, eine Art Sabbat-
stille in sein Dasein kommen wollte. Aber nur sehr kurze
Zeit schien seinem Leben, das sich ja auch erst dem 50. Jahre
zuneigte, etwas wie Feierabend beschieden. Gleich kam wieder
ein Wirbel äußeren Umtriebes über den vielbegehrten apo-
stolischen Antiquar und bald noch schlimmer eine innere,
unheimHch sich steigernde Unrast und seelische Zerspalten-
heit, die ihn vollends zermürbte. Hochgradig überreizt, über-
arbeitet, ein kränkerer Mann, als er selbst es weiß, macht er
sich endlich am 10. April 1768 auf, seine deutsche Heimat
3* 35
noch einmal wieder zu sehen. Kaum umfängt ihn aber der
düstere Ernst der hohen Tiroler Berge, da bricht er psychisch
zusammen und weiß nur noch eine Rettung: zurück nach
Italien! zurück zur Sonne! heim nach Rom! Wie in einer
antiken Tragödie von dunkler Macht getrieben, eilt er eben
auf diesem Rückwege seinem grausigen Ende am 9, Juni 1768
in Triest schnurstracks entgegen. Die seit zwei Jahren in ihm
aufsteigenden Todesahnungen sollten Recht behalten.
Wie glücklich war er noch in jenem entscheidungsreichen
Jahr 1764 gewesen, als er endUch festen Boden unter seinen
Füßen fühlte! „Mein Entschluß ist gefaßt, niemals aus Rom
zu gehen. Rom ist mir das Vaterland geworden. Rom zu
verlassen ist: mich von meinem Liebsten trennen. ... Ich
will meine Tage in Ruhe hier beschließen!"
Und während der siebenjährige Krieg in seinem Heimat-
lande weitertobt, schreibt er: „Meine Hände hebe ich alle
Morgen auf zu dem, der mich dem Verderben entrinnen lassen
und in dies Land der Menschlichkeit geführt hat, wo ich fern
von Kriegsgeschrei die Ruhe, ja mich selbst genieße."
„Ich bringe alle Tage eine halbe Stunde zu, ohne zu
arbeiten, und dieses ist des Morgens, wo ich meinem Glück
nachdenke. Bei dieser Betrachtung singe ich Lieder aus dem
lutherischen Gesangbuch, wie mir dieselben einfallen, und in
diesem Augenblick bin ich vergnügter als der große Mogul!"
Ein volles Jahrzehnt nun in Rom fühlte sich Winckel-
mann immer mehr mit Italien verwachsen. Er beginnt jetzt
selbst eine kleine Antikensammlung anzulegen und beschließt
sein nächstes großes Werk „denen darzubieten, deren milder
Himmel und gastliche Aufnahme aus ihm all das hatte werden
lassen, was er nun war". Es sollte das neue Buch ganz nach
italienischer Art eingerichtet und ausgestattet werden, für römi-
schen Geschmack bestimmt sein. Das ist sein zweites Haupt-
werk: Monumenti antichi inediti spiegati ed illustrati da Gio-
36
vanni Winckelmann, Prefetto delle Antichitä di Roma. A spese
deir autore, 1767.
Dies mit vielen Kupfern als Prachtwerk versehene und von
gelehrter Erudition nun richtig strotzende Opus war schon
rein äußerlich ein kühnes Unternehmen. Mit völliger Um-
gehung des Buchhandels, mit dem er in Dresden so viel
Ärger gehabt, hatte Winckelmann nicht nur Druck und Aus-
stattung allein aus eigener Tasche bestritten, sondern selbst
auch den ganzen Versand, mit der Verpackung sogar, über-
nommen. Er hatte kümmerlich deswegen gelebt und sich tief
hineingeritten, aber, wie Goethe sagt, als armer Privatmann
mit dieser Publikation mehr geleistet als sonst eine ganze
Akademie. Und er hatte den Geschmack seines Publikums
getroffen. „Man sagt mir, daß niemand anders dergleichen
zu machen imstande sei." Für seinen greisen Kardinal und
Gönner war es der edelste Zeitvertreib, sich daraus vorlesen
zu lassen. „Mein Freund macht mit aller Strenge den Zensor,
doch bittet er bei jedesmaliger Erinnerung um Vergebung."
Ja selbst „Sua Santitä gradi infinamente questa lettura".
Und was war es, was Winckelmann die gelehrten Geister
so gewann? Es war die heute selbstverständliche, damals aber
ganz neue, eben durch Winckelmann erst ans Licht gebrachte
Tatsache, daß bei den allermeisten antiken Darstellungen aus
dem Mythos und der Heroengeschichte die griechische
Sagenwelt herangezogen werden muß. Bis dahin hatte man
in Italien — auch aus einem naiven sacro egoismo heraus —
den Deutungen immer die r ö m i s c h e Sagengeschichte zugrunde
gelegt. Damit hat Winckelmann, der gründlich Belesene, diese
wandelnde Griechenbibliothek, für immer aufgeräumt. Zu Hun-
derten antiker Schriftstellen wußte er den Beleg aus der bil-
denden Kunst zu bringen und umgekehrt Hunderte schwer
verständlicher Kunstdenkmäler aus den alten Autoren zu er-
läutern. Mit gleicher Sicherheit blätterte er in dem Riesen-
37
bilderbuch der römischen Ruinen und Museen wie in seinem
Homer, Herodot und Sophokles und fand, nachdem einmal
das richtige Prinzip der Interpretation gewonnen, mit glück-
licher Hand das Zusammengehörige in den meisten Fällen
wirklich zusammen.
Aber kaum sind die beiden Folianten dieser Monumenti
heraus, da arbeitet er schon fieberhaft an einem dritten Bande.
So strömen ihm Ideen und Material zu. Daneben her geht
der immer weitere Ausbau der Kunstgeschichte. Denn auch
da bringen die neuen Antikenfunde immer weitere Belehrung
und bessere Erkenntnis. So erscheinen bald die „Anmer-
kungen zur Geschichte der Kunst des Altertums". Dann
halten ihn die Vorarbeiten zu einer neuen englischen und
französichen Ausgabe der Kunstgeschichte in Atem. Dazu
eine erdrückend wachsende Korrespondenz „per totum orbem
terrarum", daß er sich oft nicht mehr zu raten weiß. „Ich
glaube, daß ich mehr Briefe abfertige als eine ganze Uni-
versität in corpore."
Endlich noch etwas anderes, was Winckelmann viel Zeit,
Geduld und Kraft kostete, aber zum Glück auch vom Ver-
hocken am Schreibtisch etwas abzog ins Freie. Das war seine
Tätigkeit als Antiquario nobile, als Cicerone höheren Stils
im Sinne Jakob Burckhardts später, als Mentor so mancher
deutscher Fürstensöhne und von Aristokraten der verschieden-
sten Länder, die gekommen waren, um von Winckelmann
sich Rom zeigen und erklären zu lassen. Besonders nach
dem Ende des siebenjährigen Krieges wurde Rom über-
schwemmt mit vornehmen Forestieri aller Art. Gleich das
Jahr 1765 war für ihn darin das alleranstrengendste gewesen.
„Alle wünschen, daß ich um jeden den ganzen Tag sei. Ich
behalte sehr wenig Zeit für meine eigne Arbeit übrig." Und
nicht alle waren ein so erfrischender Umgang wie der 17jährige
Prinz von Mecklenburg-Strelitz, dies „allerliebste Kind", der
38
ein ganzes Jahr dem römischen Aufenthalt widmete — „er
ist mir Freund, Sohn, Schüler und Spielgenosse" — , oder
wie der Enkel des alten Dessauers, Fürst Franz von Anhalt-
Dessau, dieser „Phönix" und dieses „Muster der Prinzen und
Menschen", „der ein Kaiser sein sollte", und der mit seinem
trefflichen Architekten Erdmannsdorff volle fünf Monate unter
Winckelmanns Führung Rom sah. Mit dem strammen Neffen
Friedrichs des Großen, dem wortkargen Erbprinzen von Braun-
schweig, um die Wette zu laufen war schon anstrengender.
„Wir haben zuweilen vor Müdigkeit in einer Stunde nach
einem langen Laufe nicht essen können." Der charmante
und großzügige Duc de la Rochefoucauld mit seiner warmen
aufrichtigen Verehrung für Winckelmann bringt es fertig diesen
ganz von seiner bisherigen Franzosenfresserei zu bekehren.
Am wenigsten Freude aber erlebte Winckelmann an apathisch
stolzen, anspruchsvollen Engländern, kaltsinnigen „Steinkohlen-
seelen", wie er sie nennt.
Bei diesen Führungen der Blüte des Adels und der
Kronen — und wer wollte nicht gerne geführt sein von einem
Manne, der Rom kannte wie keiner sonst, und von dem man
wußte, daß Friedrich der Große ihn für Berlin ins Auge ge-
faßt hatte! — , da kam Winckelmanns innerster Beruf auf ein-
mal zum Vorschein: ein Lehrer der Jugend zu sein, mitteilsam,
anregend, lebendig, unermüdlich, gründlich, kenntnisreich.
Winckelmann selbst spürte das auch und war glücklich in
solchem Geben.
Aber all dies zusammen, dieser vielfache Aufwand von
Energie war zu viel für die längst überanstrengten Kräfte.
Winckelmann wütete einfach gegen sich selbst. Die Er-
holungspausen auf dem Lande in Castel Gandolfo, am Strand
von Porto d'Anzo, ein letzter Ausflug nach Neapel und Pom-
peji, wo er voll freudiger Erregung über das gewaltige Natur-
ereignis noch den grandiosen Vesuvausbruch von 1767 er-
lebte, das alles vermochte nur noch vorübergehend zu helfen.
Die geplante Reise nach Sizilien und Griechenland, das viel-
verheißende Projekt einer großen Ausgrabung in Olympia —
denn auch dies geht auf Winckelmann zurück — mußte ver-
schoben werden.
Nun ist es ergreifend aus den Briefen Winckelmanns, be-
sonders seiner beiden letzten Lebensjahre, zu sehen, wie er
sich zusehends aufreibt, aufgepeitscht durch den Stimulus
des besten, aber stärksten Kaffees, der in Rom zu haben war,
den Freund Stosch auf Jahre hinaus ihm direkt aus Kairo
hatte kommen lassen; wie Winckelmanns Klagen über seine
zunehmende Vereinsamung, die Anzeichen des Alters sich
mehren; wie er schon Ruine ist, als er endlich die verhängnis-
volle Heimreise antritt, von der er ein neues Wiederaufleben
sich versprach.
Schon im Herbst 1763 hatte er klagen müssen, daß ein
gewisser feiner Geist, der ihn früher zu den höchsten Höhen
der Betrachtung erhoben, verrauche. „Die große und schwere
Arbeit hat meinen Magen gänzlich geschwächt." Und ein
Jahr darauf: „Gott weiß, daß ich oft kaum Zeit zum Essen
habe." — „Ich bin der geplagteste Mensch in Rom. Der
Prinz von Mecklenburg will ohne mich nicht aus dem Hause
gehen; ich muß zwo Stunden essen, da ich mit einer Viertelstunde
fertig werden könnte." — „Ich sehne mich aus dieser un-
beschreiblich schweren Arbeit hinauszukommen, voller Un-
geduld die gewünschte Reise machen zu können." — „Wenig
wird übrig sein zu leben. Die viele Arbeit machet mich
stumpf, und ich fange an die untrüglichen Kennzeichen des
Eintritts ins Alter zu empfinden." — „Wenn Ihr mein Leben
vom Morgen bis in die Nacht sehen solltet, würdet Ihr Euch
wundern, wie ein Mensch allein alles machen kann; ich bin
mir selbst Magd, Diener, Schreiber, Bote." — „Ich sitze und
arbeite wie auf den Tod." — „Ich bin vergraben in so viel
40
Arbeiten, daß ich kaum frei atmen kann." — „Bald werde ich,
die Feder in der Hand, zerstauchen." — „Ich komme nicht
zur Ruhe, bis ich bUnd werde; von einer Märtelei in die andre."
Andere Trübungen lagen schwer auf seinem Gemüte: zu-
erst die Enttäuschung des lediglich an der Honorarfrage ge-
scheiterten Berliner Rufes — und es wäre Winckelmanns
höchster Stolz gewesen, sich seinem großen Könige selbst
vorzustellen! — , dann das Zerwürfnis mit dem alten Freunde
Mengs, von dem er sich übermütig hintergangen glaubte,
die Entzweiung mit seinem zeichnerischen Mitarbeiter an den
Monumenti, dem hinterlistigen Casanova, ^s dem Bruder des
bekannten Abenteurers, endlich eine böswillige Verketzerung
bei seinem gütigen Kardinal: dies alles lag zentnerschwer auf
seiner Seele.
Mit dem Sommer 1767, ein Jahr vor seinem Tode, be-
ginnen immer bestimmter die Ahnungen von einem nahen
Ende aufzutreten: es herbstelt stark in ihm, und tiefe Abend-
schatten fallen lang und breit herein: „Ihr seht, daß ich an
mein Ende denke." — „Niemand hat sich nach meinem
Tode etwas zu versprechen, denn ich gehe wie ein leichter
Fußgänger mit fröhlichem Gesicht aus der Welt und arm,
wie ich gekommen bin." — „Aber warum finde ich in dem
hannoverschen Gesangbuch mein Leiblied nicht?:
,Ich singe dir mit Herz und Mund,
Herr, meines Herzens Licht!'" —
„Ich war sehr mit Schwindeln befallen, welche mich er-
innern können mein Haus zu bestellen oder nicht weitaus-
sehende Unternehmungen anzufangen." Und dann reißt er
sich wieder empor: „Es kostet was es wolle, ich habe den
endlichen Entschluß gefaßt, mein Vaterland wieder zu sehen!"
Auch aus dieser letzten kritischen Zeit Winckelmanns be-
sitzen wir ein Bild, von tüchtiger Hand gemalt und mit
41
packender Lebendigkeit den Fünfzigjährigen in seiner römi-
schen Klause schildernd, etwa ein Jahr vor seinem Tode be-
gonnen, ein halbes Jahr darauf vollendet (Abb. V). Von
Freund Stosch in Berlin für sich selbst bestellt, stammt es
von einem Künstler, der nicht nur damals für den besten
Porträtisten nach Mengs in Rom galt, sondern der auch in
allerneuester Zeit nach einer hundertjährigen Periode des Ver-
gessenseins wieder zu Ehren gekommen ist.^e Auf der Darm-
städter Jahrhundertausstellung von 1914, unmittelbar vor dem
Kriege, ist seine Kunst in ihrem warmen Kolorit und ihrer
reizvollen Natürlichkeit als „die erste Verheißung einer neuen
Kunstanschauung, deren Erfüllung eigentUch erst die Moderne
gebracht hat", hervorragend anerkannt worden. Sein lebens-
großes, eben damals 1766 in Rom entstandenes Bild von
Winckelmanns Freund, dem Fürsten Franz von Anhalt-Dessau,
könnte gestern oder vor zehn Jahren gemalt sein, sagt Georg
Biermann. 27
Dieser Künstler ist Anton Maron, ein mit allen malerisch-
harmonischen Vorzügen seines österreichischen Stammes aus-
gestatteter Schüler der Wiener Akademie, in Rom dann von
A. R. Mengs, dessen Mitarbeiter und Schwager er alsbald
wird. Trotz der gefährlichen Nähe dieses seines großen
Schwähers und Meisters, trotz des klassischen und klassi-
zistischen Bodens von Rom, wo er den größten Teil seines
Lebens verbringt, gehört Maron zu jenen im besten Sinne
konservativen und gefälligen Österreichern, welche die ge-
winnende Grazie des Rokoko noch ein Menschenalter länger
bewahren, als dies selbst in Deutschland möglich war. Für seine
hervorragenden Verdienste gerade im Porträtfach wurde er ge-
adelt, schon bevor er Maria Theresia und Joseph II. konterfeite.
Maron muß Winckelmann auch persönlich nahegestanden
haben als unbedingt zuverlässig und vertrauenswürdig. Bei
ihm deponiert Winckelmann die für die geplante griechische
42
Reise zurückgelegte große Summe, welche er erst sterbend
einer anderen Verwendung zuweist.
Die allmähliche Entstehung des Maronschen Bildes läßt
sich in Winckelmanns eigenen Briefen genau verfolgen. Gleich
nach Vollendung jenes Dessauer Fürstenbildes ist Winckelmann
mit Maron wegen seines eigenen Bildnisses in Unterhandlung.
„Ich habe wegen meines Bildnisses geredet. Der Künstler,
welcher ein Deutscher ist und der einzige Schüler, der Mengs,
seinem Meister, Ehre macht, fordert für die gewöhnliche Größe
25 Zecchini. Aber zwischen uns, da wir genaue Freunde sind,
würde der Preis nicht so hoch sein. Wollten Sie es aber etwas
größer haben, um etwa allegorische Nebendinge anzubringen —
(und dies geschah dann auch) — wird es ebenfalls nicht über
dessen gewöhnlichen Preis gehen. Sie können aber versichert
sein, alsdann ein Porträt zu haben, dergleichen niemand viel-
leicht auf der Welt, außer dem Mengs machen kann." Endlich
am 7. März 1767 heißt es: „Morgen gedenke ich mein Bild-
nis für Sie anzufangen und es wird, auch die Idee der Freund-
schaft beiseite gesetzt, ein schönes Bildnis werden." Dann
am 2. April: „Der Kopf meines Bildnisses, welches ein Knie-
stück ist, aber in sitzender Figur, ist fertig, und der Maler,
der hier der geschickteste ist und folglich auch, Mengs aus-
genommen, anderwärts sein kann, hat sich vorgesetzt in dem-
selben ein Bild der Freundschaft, — die er selbst fühlt — ,
und der Redlichkeit, wie er saget, zu schildern. Um den Kopf
wird ein seidenes Tuch, anstatt der Mütze, verloren gebunden
geleget. Die Bekleidung ist mein weißer russischer Wolfspelz
mit Cramoisi überzogen und auf die Parerga werden wir beide
bei der Ausführung denken. Ich kann versichern, daß dieses
Stück als ein schönes Porträt neben einem Van Dyck und
Rigaud stehen kann."
Diese Erwartung griff freilich ein wenig zu hoch, aber
die Ausführung des Bildes zeigt im Weimarer Museum, daß
43
es sich auch neben einem so kräftigen und treffsicheren Por-
trätisten wie Anton Graff durchaus halten kann.
Zunächst kann es nur zu einer Skizze gekommen sein.
Am 9. Mai heißt es: „Die Arbeit an meinem Porträt ist wegen
überhäufter Arbeit des Malers unterbrochen; ich werde aber
suchen, dasselbe diesen Monat untermalen zu lassen." Es
geht auch richtig vorwärts; am 27. Mai schreibt Winckelmann:
„Der Kopf meines Bildnisses ist vergangenen Dienstag zum
dritten Male ganz und gar übermalet, und es kann geschehen,
daß derselbe die vierte, letzte Hand bekommt. Ein jeder rühmt die
vollkommenste Ähnlichkeit, und Kunstverständige sagen, daß
Mengs selbst nichts Schöneres hätte machen können." Aber
dann heißt es im September: „Mein Porträt wird allererst
diesen Winter fertig. Der arme Mann hat nur eine Hand,
die malen kann, und hundert Werke sind angefangen."
Im Dezember 1767 hofft Winckelmann doch noch vor
seiner Abreise sein „schönes Ebenbild" abfertigen zu können,
„wovon der Kopf nach meiner Rückkehr zum vierten Male
übermalet worden. Es ist derselbe so wohl geraten und so
meisterhaft gearbeitet, daß viele Menschen hingehen, den-
selben zu sehen, und es sind sogar vier bis fünf Kopien
bestellet, wozu ich dem Künstler aber keine Zeit lassen kann."
Dann am 18. März 1768: „Mein Bild wird nach Ostern
geendigt werden. Herr Hamilton, der englische Minister zu
Neapel, der größte Bilderkenner unter allen Lebenden, ver-
sichert, daß er niemals einen schönern Kopf als den meinigen
(von Maron gemalt) gesehen: und er hat Recht, und die Kunst
kennet keine höheren Grenzen." Endlich schon unmittelbar
vor der Abreise in einem der allerletzten Briefe an Muzel-
Stosch heißt es am 23. März: „Mein Bild wird allererst nach
meiner Abreise von hier gehen können; binnen der Zeit mag
das Original die Stelle der schönen Kopie vertreten, die
wahrhaftig mit der Empfindung eines Freundes gemacht ist."
44
Also war das Maronsche Gemälde endlich doch noch
fertig geworden, kurz vor der Abreise; wie vorher, nach
unserer Vermutung, das von Oeser und das von Mengs.
Für Marons Bild sind nun folgende wichtige Eigenschaften
bezeugt: 1. daß es mit ganz besonderer Sorgfalt gemalt
worden, 2. daß es nach dem Urteil der damaligen Zeit-
genossen, die es wissen konnten, in höchstem Maße Ähnlich-
keit besaß, 3. daß es in der ganzen Anlage wie im Neben-
werk von Winckelmann selbst noch bestimmt worden ist,
4. daß es, was die Zeitgenossen zugunsten der psychologi-
schen Schilderung ebenfalls ausdrücklich hervorheben, wieder
die Hand eines nahen Freundes war, die den Pinsel führte.
Es verdient also den Charakter der Authentizität in be-
sonderem Maße und ist von der damaligen Generation auch
ganz so eingeschätzt worden. Das Maronsche Gemälde ist
darum auch durch die Vermittlung der Döllschen Büste in
Rom die Grundlage der weitaus meisten Büsten, Medaillons
und Stiche geworden, welche Winckelmann nach seinem
Tode zugedacht worden sind. 2»
Das Maronsche Winckelmannbild ist erst im November
1768 durch Kardinal Albani nach Berlin abgesandt worden.
Bis dahin war es in Rom verblieben, um dem Künstler die
Fertigstellung der noch in Auftrag gegebenen Kopien zu er-
möglichen, deren beste jetzt im Palais von Dessau hängt. 29
Kurz vor Weihnachten 1767 hing das Original selbst aber noch
über Winckelmanns eigenem Schreibtisch, damals vielleicht
gerade erst aufgehängt. Dort sah es der Dresdener Hof-
baumeister Christian Traugott Weinlig, dessen anschaulicher
Bericht vom 26. Dezember 1767^0 als des letzten deutschen
Landsmanns, der Winckelmann in Rom aufgesucht hat, hier
den Schluß bilden mag:
„Endlich habe ich auch den so berühmten Abt Winckel-
mann persönlich kennen lernen ..." „Ich ward in ein kleines
45
Zimmer, sein Museum gebracht. Ein heiliger Anblick: alte
Basreliefs, Büsten, Kupfer, Skripturen und Bücher lagen auf
seinem Schreibtisch und auf dem Bette herum. Über dem
Schreibtisch hing sein von Herrn Maron gemaltes Porträt.
Kurz darauf erschien er selbst. Stellen Sie sich einen Mann
von mittlerer Größe, hagerem Gesicht und leutseligem Um-
gang vor! Die Art, mit der er mich empfing, nahm mich
den ersten Augenblick für ihn ein. Er denkt ganz im alten
griechischen und römischen Stil und gerät über die Neueren
leicht in Eifer ... Ich hielt mich ungefähr eine Stunde bei
ihm auf, und er war so gütig, mich auf den folgenden Tag
in die Villa seines Kardinals einzuladen."
Ein Zug ist es endlich, der uns in Marons Bild besonders
wehmütig berührt: das Hereinragen der Todesahnung. In
einem Briefe Reiffensteins aus Rom noch vom 19. November
1768, den mir Emil Jacobs aus der Berliner Bibliothek zu-
gänglich gemacht hat, wird zuerst ausdrücklich darauf hin-
gewiesen: „Im Grunde unter einem schwebenden Teppich
erscheint ein Basrelief, auf welchem Mercur eine Seele eines
erschlagenen Helden in die Elysäischen Felder trägt, aus
einem geschnittenen Steine des Stoschischen Musei, welchen
unser sei. Freund erläutert (hat), wodurch der Künstler sein
unglückliches Ende andeuten wollen." ^^
Da wir wissen, wie Winckelmann auch die Parerga dieses
Bildes selbst mitbestimmt hat, so haben wir in der Wahl
gerade dieses Symbols einen unerwarteten, allerstärksten Be-
weis dafür, wie er in jenen letzten römischen Monaten von
düsteren Ahnungen befallen war, die als dunkle Schatten
auch seine Briefe durchziehen. Nicht erst Maron, der Maler,
wie man nach Reiffenstein denken könnte, sondern Winckel-
mann selbst noch hat diesen melancholischen Hinweis in
das Bild gebracht.
46
V.
V Tun aber: Oeser-Mengs- Angelica-Maron, wie verschieden
^ ^ alle! Und doch nicht zu verschieden! Die durch sie
alle hindurchschimmernde einheitliche Persönlichkeit ist un-
leugbar. Mußte deren Darstellung denn nicht ganz ver-
schieden ausfallen?! Nicht nur infolge der grundverschiedenen
geistigen Art der malenden Künstler, ihres ebenso überaus
verschiedenen technischen und malerischen Könnens, sondern
auch nach den außerordentlich verschiedenen Lebensumständen
des Dargestellten selbst! In dem ereignisreichen Wechsel der
Jahre, die Winckelmanns inneres Porträt so stark veränderten
und beständig modelten, mußte notwendigerweise auch seine
äußere Erscheinung, der Ausdruck in seinem Gesicht sich
wandeln. Es ist darum ganz überflüssig darüber zu streiten,
welches jener vier Bilder nun das echteste, das allein maß-
gebende sei. Sie sind alle vier in gleich hohem Grade maß-
gebend und echt. Ein jedes von ihnen ist das echteste und
authentischste für diejenige Lebensphase Winckelmanns, in
der es gemalt worden ist.
Alle vier zusammen, ohne Ausnahme, gehören mit zur
inneren Biographie Winckelmanns, wie ich sie Ihnen soeben
möglichst mit seinen eignen Worten zu skizzieren suchte.
Keines ist für eine solche zu entbehren, wenn sie ganz
authentisch sein will. Diese vier Bilder umkränzen das
Andenken Winckelmanns, sein geistiges Porträt, in gewissem
Sinne, — wenn es erlaubt ist, etwas Profanes und sehr
Entferntes, Tieferliegendes mit etwas weit Höherem zu ver-
gleichen — wie die vier Evangelien das Bild Christi. Die in
vierfacher Brechung von ihrem Mittelpunkt ausgegangenen
Strahlen zusammengenommen ergeben erst die ganze Per-
sönHchkeit. Auch hier kann man von einer Konkordanz
sprechen.
47
Und nicht nur äußerlich weisen die vier Bilder in Kostüm,
Aufmachung und Beiwerk eine fortgesetzte Steigerung vom
ganz Schlichten zum Stattlich - Prächtigen auf. Diese auf-
steigende Linie entspricht Winckelmanns Lebensentwicklung
selbst: wie jugendHch bescheiden, noch befangen und an-
spruchslos bei Oeser; wie viel ungezwungener, künstlerhaft
preziöser schon bei Mengs; wie männlich stattlich und zu-
gleich elastisch bei Angelica; wie würdig, reich und ein-
drucksvoll, fast pompös bei Maron!
Aus einem Zeitraum von zwölf Jahren vier authentische
Bildnisse in Öl, gemalt von anerkannten Meistern ihres Fachs,
geschildert von solchen, die Winckelmann durch intimen,
zum Teil jahrelangen Umgang genau kannten, die ihm alle
auch freundschaftlich nahe gekommen waren: so günstig
liegen durchaus nicht alle ikonographischen Fälle! Als dann
sein jäher Tod das Mitleid ganz Europas wachgerufen, ist
es weiter begreiflich, daß diese vier noch zu Winckelmanns
Lebzeiten entstandenen Bildnisse eine sehr erhebHche Anzahl
weiterer Porträts hervorgerufen haben, die als oft höchst
interessante, wenn auch immer abgeleitete Werke sich bis in
die neueste Zeit hinein erstrecken. So gibt es jetzt fast hun-
dert solcher postumer Winckelmann-Porträts, nun natürlich
erst recht verschieden untereinander und eben darum be-
sonders lehrreich nicht nur für die Geschichte des Winckel-
mann-Porträts allein, sondern des Porträtierens überhaupt.
Diesen auch an allerlei Überraschungen nicht armen Stamm-
baum der Winckelmann -Bildnisse aufstellen zu können und
in würdiger Gestalt mit Abbildung all dieser Dokumente dem-
nächst veröffentlichen zu dürfen, das danke ich unsrer Frei-
burger Wissenschaftlichen Gesellschaft, derselben, die mir
gütigst gestattet hat, auch diese Stunde dem Gedächtnis
Winckelmanns, dessen Geburtstag morgen am 9. Dezember
48
zum 200. Male wiederkehrt, in Ihrer aller freundlichen Gegen-
wart zu weihen.
Jene Veröffentlichung, welche an ihrer Stirn den Namen
unsrer Freiburger Wissenschaftlichen Gesellschaft tragen wird,
und welche auch die noch unveröffentlichten Briefe Winckel-
manns in der kgl. Bibliothek zu Berlin, nunmehr von Emil
Jacobs herausgegeben, bringen wird, soll ein Zeugnis sein
auch dafür, wie wir in Deutschland mitten im Krieg und
Streit der Nationen nicht vergessen der höheren Einheit,
für deren völkerverbindende Kraft gerade Winckelmann ein
wahres Symbol darstellt: dieser klärende, zusammenfassende
und verbindende Geist, von allen Nationen hoch gefeiert,
und dieser trotz alledem auch in Rom im Kern seines Wesens
durchaus deutsch gebliebene Mann — mit seiner genügsamen
Anspruchslosigkeit, seiner kindlichen Dankbarkeit, hingeben-
den Selbstlosigkeit und Aufopferungsfähigkeit, mit seiner Her-
zensgüte, freimütigen Offenheit und mannhaften Selbständig-
keit, mit seiner gründlichen Schaffenskraft, seinem umfassen-
den Wissen und rastlosen Streben nach Vollkommenheit I^s
Ja, so deutsch war er, daß in gewissem Sinne auch über
seinem Leben jene geheimnisvollen Worte stehen dürfen,
welche mir für unser ganzes deutsches Volk in all seiner Not
und all seinem Ringen, nicht nur dem jetzigen, wie eine
Weissagung für alle Zeiten, eine tröstHche, bestimmt erscheinen:
„Ich weiß deine Werke und deine Trübsal und deine
Armut — du bist aber reich! Fürchte dich nicht vor der
keinem, das du leiden wirst! Sei getreu bis in den Tod, so
will ich dir die Krone des Lebens geben. Wer überwindet,
dem soll kein Leid geschehen von dem andren Tode!"
H. Thiersch, Winckelmann und seine Bildnisse 4 49
ANMERKUNGEN
1. Diesen Ausspruch des Grafen Wackerbarth, der selbst eifriger Kunst-
sammler war, erzählt J. Gurlitt in seinem „Nachtrag zu der biographischen
und literarischen Notiz von Joh. Winckelmann". Programm des Johanneums
zu Hamburg 1820 S. 25.
2. Nach der handschriftlich zum Druck fertigen 2. Auflage von A.
Dürrs Monographie über Oeser. Dies wichtige Handexemplar Dürrs ist
testamentarisch der Leipziger Stadtbibliothek überwiesen worden, wird
jedoch noch von der Witwe Dürrs verwahrt. Dieser, Frau Luise Dürr, geb.
Kessler, für die freundliche Erlaubnis der Benutzung aufrichtigst zu danken,
sei mir auch an dieser Stelle gestattet.
3. Ebenso. Der Passus war für Riedels Vorrede der Wiener Ausgabe
von Winckelmanns Kunstgeschichte bestimmt. Er wird hier zum ersten
Male mitgeteilt.
4. Was später Bianconi (Opere II, 177) seine „scorcia pedantesca"
nennt, seine weltfremde Unbeholfenheit, von der ihn erst Mengs in Rom
etwas befreit habe.
5. So Julius Vogel in der Zeitschrift f. bild. Kunst N. F. X (1898—99),
156. Das von ihm dort publizierte schöne Porträt der Leipziger Universi-
tätsbibliothek stellt weder Winckelmann dar, noch ist es von Oeser ge-
malt. Hierfür muß ich einstweilen auf meine demnächst erscheinende
Winckelmannikonographie verweisen.
6. Freiherr v. Bönigk hat selbst über dieses Gemälde und sein Verhältnis
zu den anderen bekannten Winckelmannporträts einen Aufsatz veröffent-
licht im „ Montagsblatt ", der wissenschaftHchen Wochenbeilage zur Magde-
burgischen Zeitung 1906 Nr. 28 S. 220—222 „Winckelmann im Bilde".
7. Herr Geheimrat Prof. Dr. Dornhöffer, Generaldirektor der kgl.
bayer. Staatsgemäldesammlungen, hatte die Güte mir sein Urteil, wie folgt,
mitzuteilen: „Das dunklere der beiden Bilder ist in einem sehr üblen Zu-
stande, so daß es nur mit Vorbehalt beurteilt werden kann. Was man
sieht, ist größtenteils spätere Überarbeitung. Immerhin lassen es die
wenigen Stellen, die noch von der ursprünglichen Malerei vorhanden sind,
als möglich erscheinen, daß das Bild aus der Zeit Winckelmanns stammt.
Das andere (das Freiburger) Bild ist gut erhalten, einheitlich im Eindruck,
flott, aber auch flau und oberflächlich in der Mache. Es sieht nicht aus,
als ob es nach dem Leben gemalt sei. Von der Signatur sind deutlich
die Vornamen J. H. zu erkennen; vom Zunamen nur, daß er mit B be-
ginnt und 5—6 Buchstaben lang ist. Leider kann ich auch nicht einmal
eine Vermutung über den Namen äußern. Die darunter stehende Jahres-
zahl scheint mir deutlich 1759 zu lauten. Nach Stil und Vortrag der Bilder
aber würde ich es gern später — Ende des Jahrhunderts — setzen. Es
dürfte aber wohl eine Kopie sein, bei der die Signatur mitkopiert wurde.
50
Untereinander stehen die Bilder natürlich in Zusammenhang. Ob das
hellere (Freiburger) nach dem dunkleren (Wiesbadener) kopiert ist, ist bei
dem unklaren Zustand des letzteren schwer zu sagen. Ebenso möglich
scheint mir, daß beide auf ein gemeinsames drittes Bild zurückgehen."
In ähnlicher Weise hatte sich vom rein technischen Standpunkt aus
auch der Gemälderestaurator der Alten Pinakothek, Herr Kunstmaler Max
Müller, ausgesprochen. Ganz unabhängig davon hatte vorher schon der
Restaurator des Museums der Bildenden Künste in Leipzig, Herr Hof rat Ritter,
das Wiesbadener Bild als das ältere, ursprünglichere von den beiden erklärt.
8. Die Signatur mit dem Datum wurde erst im Oktober 1917 entdeckt
durch Herrn Kunstmaler Walter Kühn in Leipzig, dem als dem besten
Kenner Oeserscher Malweise — er hat in den letzten Jahren vielfach
Oesersche Originale zur Wiederherstellung unter Händen gehabt — beide
Gemälde ebenfalls zur Prüfung vorgelebt werden konnten.
9. Herr Professor Dr. JuHus Vogel, Direktor des Museums der
bildenden Künste in Leipzig, glaubte den Künstlernamen als J. H. Schmidt
lesen zu sollen. Dieser Dresdener Hofmaler (1749—1829) aus Hildburg-
hausen, ein überaus vielbeschäftigter Porträtist, wäre nach Zeit, Kolorit
und Technik auch durchaus mögUch. Aber er scheidet aus, weil es bet
genauerer Untersuchung des Anfangsbuchstabens des Zunamens unmöglich
erscheint, darin ein S zu sehen. J. H. Beck (1788 — 1875), der Dessauer
Hofmaler, kommt nicht in Betracht, einmal weil die Buchstabenreste einen
längeren Namen fordern, und dann, weil eine Arbeit von ihm noch inner-
halb des 18. Jahrhunderts unmöglich ist. Beziehungen Winckelmanns zu
Dessau lägen ja sonst ebenso auf der Hand wie zu Dresden. Eine dritte
Möglichkeit — die Initialen der beiden Vornamen, die nur als Johann
Heinrich gelesen werden können, lassen in Verbindung mit dem Datum
des 18. Jahrhunderts nur wenig Spielraum — scheint mir dagegen in
hohem Maße wahrscheinlich: J. H. Brandt (1740—1783). Daß der zweite
Buchstabe des Zunamens höchst wahrscheinlich ein „r" war, sagte ich
schon; auch die schwachen Reste der beiden letzten Buchstaben können
sehr wohl von einem „dt" stammen. Brandt — auch sein Vater, eben-
falls Maler, hieß schon Johann Heinrich, — war in Lüneburg geboren,
in Schwerin bei G. D. Matthieu als Porträtmaler ausgebildet worden und
seit 1768 in Hannover seßhaft. Seine Porträts sind heute verschollen:
weder in Hannover, noch in Herrenhausen, noch in Schwerin, noch in Neu-
strelitz, noch in Kiel kennt man welche. Bekannter hat er sich gemacht
durch eine Nebenarbeit: landschaftliche Szenerien, die er als Illustrationen
zu dem wichtigsten Werk der damaligen Zeit über die neue (englische)
Art Gärten anzulegen (Hirschfelds „Theorie der Gartenkunst", 5 Bände,
Leipzig 1779 — 85) beigesteuert hat. Was für ihn als Maler des Frei-
burger Bildes spricht, sind einmal die nahen persönlichen, ja freund-
schaftlichen Beziehungen, die er speziell zu den Prinzen des Hauses
4* 51
Mecklenburg - Strelitz unterhalten hat, dann eine sehr eigenmächtig,
stilisierende Manier, von der er sich den Objekten seines Pinsels und
Stichels gegenüber nicht einmal beim Landschaftern freizuhahen vermochte.
Diese Schwäche, an der unser Freiburger Bild in hohem Maße leidet,
wird ihm, dem „restaurator formosae naturae", wie er sich bezeichnender-
weise selber nannte, in der einzigen ausführlicheren Nachricht, die es von
ihm gibt (Annalen der Braunschweigisch-Lüneburgischen Churlande I (1788)
3. Stück Nr. VII S. 121 — 126), und auf welche alle neueren kurzen Notizen
bei Nagler, Thieme-Becker und in der Allgemeinen deutschen Biographie
zurückgehen, besonders nachgesagt. Die strenge Regelmäßigkeit des Herren-
hauser Gartens hat er im Bilde einmal völlig umgestaltet in eine freie un-
regelmäßige Szenerie. Auch seine Gewohnheit nach dem lebenden Modell
selbst nur rasche Skizzen anzufertigen und diese dann zu Hause zu „wohl-
getroffenen* Porträts auszugestalten, und die wohl eben davon herrührende
Tatsache, daß seine Bildnisse oft die erwünschte Ähnlichkeit vermissen
ließen, wird schon da hervorgehoben.
Es ergäbe sich also folgende Kombination: Prinz Georg August von
Mecklenburg-Strelitz (1748—1785), von Winckelmanns liebstem Jugend-
freund, Propst Genzmar in Stargard erzogen, als dessen Zögling, sein
Prinz, mit 17 Jahren (1765/6 — „Graf Stargardt") acht Monate lang in
Rom Winckelmanns liebenswürdigster Schüler und Gefährte, — dies „aller-
liebste Kind" — , läßt sich in die Heimat zurückgekehrt zum Andenken
an den verehrten Mann durch den damals in Mecklenburg, Hamburg und
Schleswig als Porträtmaler tätigen J. H. Brandt eine Kopie nach einem
Winckelmannbilde anfertigen, auf das er am ehesten wieder durch Genzmar,
dessen Kunstsinn und lebhaftes Interesse gerade für Gemälde und Stiche
aus Winckelmanns Briefen merklich hervorsticht, aufmerksam geworden
sein könnte. Die Korrespondenz Winckelmanns aus Rom wird an Genzmar
vermittelt durch Maler Harper in Berlin und laut Brief vom I.Juni 1756
durch — Oeser! Als Zeugnis der unmittelbaren Beziehungen Winckel-
manns zu Neustrelitz bewahrt die dortige großherzogliche Bibliothek heute
noch das Exemplar seines Stoschischen Gemmenwerkes auf, das Winckel-
mann mit eigenhändiger Dedikation dem Prinzen gewidmet hat (Justi,
Winckelmann2 III, 281 Anm.).
Die äußerliche geschickte Manier des Freiburger Bildes, die Wahrschein-
lichkeit, daß es nicht nach dem Leben gemalt ist, die Tatsache, daß es von den
Zügen der wirklichen Physiognomie nicht unwesentlich abweicht und sicht-
lich von keinem bedeutenden Maler herrührt — so wenig wie sein Vor-
bild — , dies alles, zusammen mit den eben angedeuteten personal-
geschichtlichen Zusammenhängen, spricht mit hoher Wahrscheinlichkeit
dafür, daß wir uns hier auf der richtigen Fährte befinden. Für alles weitere,
auch für die künstlerische Würdigung der beiden Bilder im einzelnen muß
ich einstweilen auf meine Winckelmann-lkonographie verweisen.
52
10. Um die Aufhellung des Dunkels, das über der Herkunft des Frei-
burger Bildes liegt, hat sich Emil Jacobs, der energische Direktor unserer
Freiburger Universitätsbibliothek, besonders bemüht. Es gelang ihm fest-
zustellen, daß Leander van Eß, der älteste jetzt nachweisbare Vorbesitzer
des Merkeischen Bildes, als Anerkennung für seine Verdienste um die
Auseinandersetzungen bei der Aufhebung des westfälischen Benediktiner-
klosters Marienmünster (bei Paderborn), dem van Eß seine eigene geist-
liche Erziehung verdankte, ein Teil der Bibliothek und eine große Anzahl
Bilder überlassen worden waren: 8 große Gemälde, 39 kleinere, 7 Porträts,
ungerechnet eine Serie von 34 Bildnissen Marienmünsterischer Äbte. So
nach einem dürftigen Inventar des Klosterarchivs von 1803. Ob sich auch
das Winckelmannbild unter diesen Gemälden befand, ist einstweilen ebenso
unsicher, wie es unklar ist, auf welche Weise es nach Marienmünster kam,
wenn es wirklich von dort stammte.
Freiherr von Bönigk hat sein Winckelmannbild, wie er mir brieflich
mitteilt, 1906 bei dem Antiquar Jacob Levi in Wiesbaden erworben, zu-
sammen mit anderen Gemälden, die aus der Harzer Gegend (Wernigerode
u. a. 0.) stammen sollten. Levi will das Bild von einem Antiquar in Mainz
gekauft haben. Meine Bemühungen, bei den Mainzer Händlern Weiteres
zu erfahren, waren leider vergeblich.
11. Auf dem Wiesbadener Bild ist dieser graue Rock in seiner schlichten
Stoffstruktur vorzüglich gelungen. Das Freiburger Bild übersetzt ihn höchst
eigenmächtig in einen plüschartigen Stoff ganz anderer Art und ist so
unvorsichtig, sogar die Knöpfe damit zu überziehen.
12. Vgl. Winckelmanns Briefe aus Rom vom 7. Dezember 1755 an
Franke (Eiselein X, 126): „Man gehet im Rokelor ohne alle Umstände;
denn dieses ist hier Mode." — Vom 20. Dezember gleich darauf, an Berends
(ebenda 133): „Ich bin noch in meiner alten Form und lebe hier als ein
Artist, das heißt, ich gehe mehrenteils mit meinem grauen Rokelor und
in denselben eingehüllt." — Vom 20. Januar 1756, an Franke (ebenda 141):
„Ich bin noch immer in meiner alten Tracht und finde noch nicht nötig
zu ändern."
13. So in einem der wenig beachteten, 18 italienisch geschriebenen
Briefe an Mengs, die in keiner der Ausgaben von Winckelmanns Werken
stehen, selbst nicht in der 1830—34 zu Prato erschienenen italienischen
Gesamtausgabe, dagegen ganz am Schluß der von d'Azara herausgegebenen,
von Fea vervollständigten Mengs-Biographie: Opere di Ant. Raf. Mengs,
Roma 1787. Die Stelle steht p. 425 in dem Briefe vom 19. Januar 1763.
14. Ebenda p. 432 in dem Briefe vom 28. März 1765.
14a. VgL was Justi (Preuß. Jahrbücher Bd. 28 (1871), S. 123, 126, 127,
130) von R. Mengs sagt: „in so hohem Grade er die analytische Fähigkeit
besaß, ein Phänomen in seine Teile zu zerlegen, so schwach war bei ihm
die synthetische Kraft, welche das Viele zu einem Ganzen vereinigt, das
53
fortan seinen Platz erhält im Reiche des Lebendigen, Ihm fehlte dieser
Prometheusfunke, den alles was Geschmack, Wahl, Wissenschaft heißt,
ganz ungeschickt ist zu ersetzen." — „Langeweile ist der schlimme Dämon,
der über Mengs' Bildern lagert." — Kenntnis, Ernst, Gründlichkeit habe
Mengs sich in höchstem Maße erworben; Leben, Phantasie, Feuer und Geist
aber gehe ihm gänzlich ab. Er habe wirklich eine Einsicht in das künstle-
rische der Antike erlangt, wie sie in der neueren Zeit niemand vor ihm
und kaum einer nach ihm besessen habe.
Thorvaldsen steht an Unmittelbarkeit und Ursprünglichkeit der Be-
gabung höher als Mengs, aber manches von diesem Lob und Tadel trifft
fast ebenso gerade auch ihn.
15. Über Protogenes immer noch das Beste bei Brunn, Geschichte
der griechischen Künstler II, 233—243.
16. Eine Zeitlang glaubte ich die Erklärung des Phänomens ganz wo
anders suchen zu sollen. Allein der Fingerzeig, den ich dazu fand, hat
sich als irrig und irreführend herausgestellt. Es gibt nämlich eine alte
Tradition in Dänemark, nach der Ismael Mengs jüdischer Herkunft ge-
wesen sei. Bei N. H. Weinwich, Dansk, norsk og svensk Kunstner-Lexicon
(Kopenhagen 1829) heißt es S. 122: „Er ist 1690 in Kopenhagen geboren,
nach einer noch erhaltenen Tradition war er jüdischer Herkunft, hat aber
später die jüdische Religion aufgegeben." Ähnlich bei Ph. Weilbach, Nyt
dansk Kunstnerlexikon (1896) und bei Bricka, Dansk Biograf isk Lexikon
XL (1897), 260: „es wird vermutet, daß er jüdischer Herkunft war".
Hierauf, aber ausschließlich auf dieser Na.chricht, ohne einen Versuch
ihrer Glaubwürdigkeit auf den Grund zu gehen, beruht dann die im Organ
der AHiance Jsraelite Universelle „Ost und West" (XIX. Bd. 1914, 198 ff.)
tatsächlich erfolgte Einreihung von Ismael und Rafael Mengs in eine Gruppe
jüdischer Porträtminiaturisten, für die gerade Kopenhagen allerdings eine
besondere Anziehungskraft gehabt zu haben scheint. (E. Lemberger, Ein
Beitrag zur Geschichte der Kunst bei den Juden.)
Manche Züge — andere freilich wieder gar nicht — im Leben und
Charakter sowohl von Ismael wie von Rafael Mengs schienen auf diesem
Hintergrunde auf einmal eine neue, größere und verständlichere Bedeutung
zu gewinnen: die sinnlich-leidenschaftliche Natur mit der südlich brünetten
Erscheinung bei Ismael, sein bis zur Härte energischer Geschäftsgeist,
seine große Passion für Musik, sein freigeistiges, konfessionsloses Meiden
alles kirchlichen, wie es so oft den Übergang vom Judentum zur christ-
lichen Gemeinschaft begleitet; bei Rafael die rührend anhängliche kind-
liche Pietät an den gestrengen, harten Vater, die internationale Beweglich-
keit und diplomatische Gewandtheit im persönlichen Verkehr, das etwas
Heimatlose seiner ganzen Art und Kunst, das im Grunde Unselbständige
und Unkünstlerische seines Eklektizismus bei allem Raffinement im Sich-
54
aneignen fremder Vorzüge und das Verstandesmäßig-Begriffliche seiner
tfieoretischen Denkweise.
Und doch ist diese Fährte ein Irrweg. Schon der geistige Habitus
des Rafael A. Mengs ist deutlich kein orientalischer. Er hat in seinen
Schriften nichts von den scharfsinnig interessanten Windungen kompliziert
kühner oder reicher Gedankengänge, sondern verrät ganz und gar die
simple Lehrhaftigkeit des Praktikers: teils lose und trocken aufgehäuft,
teils in ein schulmäßig einfaches und übersichtliches Schema zusammen-
gebracht, eine Menge guter Einzelbeobachtungen, wie sie mit ausgeprägtem
Wirklichkeitssinn der ausübende Künstler an seinen eigenen Arbeiten, wie
denen seiner Schüler und Kollegen, ein Anatom am Leichnam und Prä-
parat oder der Lehrer einer Kunst- oder Aktklasse am Modell beständig
zu machen Veranlassung hat. Neu daran war eigentlich nur das Bedürfnis
dies alles auch literarisch bekanntzugeben. Dazu haben ihn sichtlich erst
Winckelmanns Lorbeeren gebracht.
Dann die Abstammung. In der Lausitz, aus der die Familie nach dem
Norden ausgewandert sein soll, fehlt der Name Mengs unter den dortigen
Juden, deren Geschichte sich das ganze Mittelalter hindurch und bis 1850
genau verfolgen läßt, völHg. Diese negative Feststellung verdanke ich
Herrn Professor R. Jecht, Sekretär der Oberlausitzischen Gesellschaft der
Wissenschaften in Görlitz, der sich speziell mit der Geschichte der Juden
in der Oberlausitz und ihrer Namen dort von 1300 — 1700 befaßt hat
(Neues Lausitz. Magazin Bd. 68). Auch in Dänemark gab es und gibt es
keine jüdischen Familien Namens Mengs, wie mir der beste Kenner des
dänischen Judentums, Professor D. Simonsen in Kopenhagen bestätigt.
In der dortigen jüdischen Gemeinde ist jene Tradition über Ismael Mengs
völlig unbekannt. Unter den im Pestjahre 1711 dort gestorbenen Juden,
als eben diese Seuche die sämtlichen 22 Geschwister Ismaels dahinraffte,
kommt, wie schon vor Jahren durch Fischer, den jüdischen Gemeinde-
bibliothekar dort, festgestellt wurde, kein Mengs vor. Der Name fehlt
auch völlig unter den älteren jüdischen FamiHen Kopenhagens und ist
auch jetzt bei Juden dort ganz unbekannt. Dagegen kommt der Name
schon im 18. Jahrhundert bei Christen in Dänemark vor und findet sich
dann weiter in allerlei Variationen, wenn auch nicht gerade häufig. Es
scheint also die „Tradition" von der jüdischen Herkunft Ismaels nur aus
dessen alttestamentlichem Vornamen und irrtümlich entstanden zu sein;
denn gerade dieser Vorname ist bei Juden keineswegs beliebt. Die Anekdote,
welche die Mengsbiographen für seine Wahl anführen, wird in ihrer Harm-
losigkeit also wohl richtig sein.
Bei diesem Sachverhalt ist man versucht auch an der Tradition von
der Einwanderung der Mengse aus der Lausitz und der ursprünglichen
Herkunft dort zu zweifeln. Sicher scheint mir einstweilen nur, daß Rafaels
Mutter, die geb. Charlotte Bornemann, aus der Lausitz (Zittau) stammte.
55
Auch unter den christlichen FamiHen der Oberlausitz gibt es, wie Professor
Jecht briefhch hervorhebt, keine Mengse.
Damit stimmt überein, daß auch die verschiedenen sächsischen Archive,
deren Instanzen Paul Herrmann in Dresden für mich zu befragen die Güte
hatte, rein nichts über die „Lusaticität" der Mengse enthalten. Herr Re-
gierungsrat Dr. Lippert vom K. Sächsischen Haupt-Staatsarchiv, zugleich
Schriftführer des K. sächsischen Altertumsvereins in Dresden, bemerkte
dazu brieflich am 27. März 1918: „Obwohl ich seit Jahren auch mit ober-
und niederlausitzischer Geschichte viel zu tun gehabt habe, kann ich mich
nicht entsinnen, daß mir je in rebus Lusaticis der Familienname Mengs
aufgestoßen wäre. Vielleicht beruht die Tradition bloß darauf, daß die
Mutter eine Lausitzerin war, wie Pecht (Allg. deutsche Biographie XXI, 348)
angibt." Das Dresdener Bürgerrecht hat Ismael Mengs, wie Herr Dr. Gg.
Müller vom Dresdener Stadtarchiv mitteilt, niemals erworben. Auch die
Akten der k. Kunstakademie enthalten nichts zur Frage.
Darnach möchte man annehmen, daß die Familie Mengs doch däni-
schen Ursprungs oder doch schon länger in Dänemark ansässig gewesen
sei. Das Dunkel, das hier herrscht, ist aber auf jeden Fall erst noch auf-
zuhellen. Denn ein so gediegener und kenntnisreicher Personalhistoriker
wie Dr. Louis Bobe in Kopenhagen meldet, daß er, schon längst auf
Ismael Mengs aufmerksam, doch niemals bei seinen Archivstudien dem
Namen Mengs begegnet sei.
Über die Etymologie des Namens Mengs gehen, wie ich mich durch
Umfrage bei den Fachkollegen habe überzeugen müssen, die Meinungen
viel zu sehr auseinander, als daß ich hier eine bestimmte Erklärung geben
könnte oder dürfte. Die Aufhellung dieser Frage wäre eine kleine Spezial-
untersuchung von zuständiger Seite wert.
17. Zur Bedeutung Sachsens für Winckelmann vgl. jetzt prägnant Albert
Köster a. a. O. 81 : „Sachsen hat ihn vorbereitet für sein kommendes
Lebenswerk; Sachsen hat ihn aber auch fühlen lassen, was alles ihm noch
fehlte. Und das war nötig." — Dazu jetzt auch H. Ermisch (s. Nachtrag).
18. Die Stelle ist mitgeteilt von H. Uhde-Bernays in der Zeitschr. f.
bild. Kunst N. F. XXIX (1917/18) S. 28; der Brief am 20. März 1756 ge-
schrieben, erhalten in einer von Fernow sorgfältig kollationierten Abschrift.
18a. Vgl. Justi, Preußische Jahrbücher 28. Bd. (1871) 581—599 „Ein
Manuskript über die Statuen im Belvedere" und Winckelmann 11-, 38 ff.
19. Das Vorwiegen trotz allem des Gelehrten in Winckelmann, der
innere Abstand von einer wirklichen, vollen Künstlernatur, wie Goethe, jetzt
richtig betont von Albert Köster in seiner schönen Festrede zu Winckel-
manns 200. Geburtstag (Zeitschr. f. bild. Kunst N.F. Bd. 29 (1917/18) S. 77).
20. Das Beste über Winckelmann als Stilisten steht jetzt wiederum
in Kösters Festrede (a. a. O. 82).
21. Zeitschr. f. bild. Kunst N. F. XVI (1905) 173—175.
56
22. Selbst die vollständigste Ausgabe von Winckelmanns Werken, die
Donaueschinger Eiseleins, gibt nur je einen Brief an Mengs und seine
Frau. Dazu kommen aber die schon oben erwähnten achtzehn italienischen
Briefe Winckelmanns an Mengs, welche d'Azara mitteilt. Einmal, in dem
Briefe vom 19. Januar 1763, wird eine Bestellung FüßHs (del mio garbato
Suizzero) erwähnt, durch Winckelmann an Mengs vermittelt und aufs neue
lebhaft und warm befürwortet, aber doch nicht so, daß man auf ein
Porträt schließen kann: „La misura del quadro e il gabinetto, ed in con-
seguenza, al parer mio, la metä del naturale. La scelta dell' oggetto non
sagro riposa di voi o il pagamento sarä in conformitä de' prezzi soliti vostri."
Von diesem Tafelbild muß in anderen verlorenen Briefen die Rede ge-
wesen sein.
Die Wichtigkeit, die das Bild für Füßli und die ganze Schweiz habe
(tutta la sua patria vi concorre co desideri e coi voti), der Wert, den
gerade Füßli auf Porträts legte, die Tatsache einer von ihm ausgehenden
Bestellung und die Hervorhebung des Freundschaftsmotivs durch Winckel-
mann (io vi prego per la sante leggi della nostra amicizia) könnten, wenn
eben nicht der Hinweis auf ein Genrebild profanen Charakters zu deut-
lich wäre, sonst darauf schUeßen lassen, daß hier von einem Porträt
Winckelmanns die Rede sei, das sich Füßli bei Mengs, etwa als ver-
kleinerte Kopie des ihm selbst gehörenden, bestellt habe. Erst als er da-
mit nicht zum Ziele kam, hätte er sich dann das Jahr darauf mit dem-
selben Anliegen und nun mit Erfolg an Angelica Kauffmann gewandt.
Aber leider ist diese Auffassung der Briefstelle unhaltbar. Immerhin läßt
der Passus ganz deutlich erkennen, wie in einem der sicher viel zahlreicheren
verlorenen Briefe von Winckelmann an Mengs auch mit Angabe von
Einzelheiten selbst von seinem eigenen Bilde die Rede gewesen sein kann.
23. Herder (Denkmal Joh. Winckelmanns, herausg. von Duncker 1882
S. 32—33, vgl. Suphans Ausgabe von Herders sämtUchen Werken Bd. 8,
462 — 463) sagt in seiner bilderreichen Sprache, es sei dies Werk geschaffen
worden aus einem Walde von 70000 Statuen und Büsten in Rom, aus
dem noch wilder verwachsenen Urwalde betrüglicher Fußstapfen voll
schreiender Stimmen ratender Deuter, unwissender Antiquare, hungriger
Ciceroni und endlich aus der schrecklichen Einöde antiker Nachrichten,
da Plinius und Pausanias nur wie ein Paar abgerissene Ufer dastehen,
auf denen man weder schv/immen noch ernten kann.
24. Die Bedeutung Angelicas als Bildnismalerin besonders zu er-
kennen aus Const. v. Wurzbachs Schilderung in seinem Biographischen
Lexikon für das Kaisertum Österreich Bd. XI (1864) S. 44 ff.
25. In welcher Weise Casanova noch von Dresden aus, an dessen
Akademie er eben auf Winckelmanns Empfehlung hin berufen worden
war, gegen diesen intriguierte, dafür sind bezeichnend die Randglossen
und besonders die Schlußbemerkung, die sich in seinem Handexemplar
57
von Winckelmanns französischer Kunstgeschichte von seiner Hand in
fehlerhaftem Französisch eingeschrieben finden (Amsterdam 1766, in der
kgl. Landesbibliothek zu Dresden. — Archaeol. Nr. 901). Diese Aus-
lassungen strotzen von Neid, Mißgunst und niedrigen Verdächtigungen.
2ß. Schon vorher hatte Dr. Friedrich Noack die Aufmerksamkeit auf
Maron zurückgelenkt durch einen seinem 100. Todestag (3. März 1808)
gewidmeten Aufsatz „Der Wiener Maler Anton Maron" in der Öster-
reichischen Rundschau 1908 (Bd. XIV), 389—392. Eine etwas gekürzte
Übersetzung davon steht in der Nuova Antologia 1908 (Bd. 135), 176—178.
Noack stellt nach bisher unbenutzten römischen Quellen das Leben und
Schaffen Marons dort zum erstenmal in einiger Vollständigkeit dar. Die
künstlerische Selbständigkeit und Eigenart Marons Mengs gegenüber tritt
dabei erneut und verstärkt hervor. Bei den Deckenfresken von S. Eusebio
und in Villa Albani war Mengs im Technischen auf Marons gute Wiener
Schulung geradezu angewiesen. Goethes geringe Meinung von Maron
rührt her von der aus Angelicas Kreis stammenden Unterschätzung, die
zum Teil wieder aus Konkurrenzneid hervorgegangen war, der für Maron
in seinen letzten Jahren empfindlich spürbar gewesen ist.
27. Deutscher Barock und Rokoko L Bd. p. XXXVI.
28. Dies wird in meiner „Ikonographie Winckelmanns" gezeigt werden.
29. Bei Hosaeus, die Wörlitzer Antiken (1873) S. 6 nur irrtümlich als
ein Gemälde von Angelica Kauffmann bezeichnet; denn in seinem Auf-
satz „Herzog L. F. Franz von Anhalt-Dessau und J. J. Winckelmann" (Mit-
teilungen des Vereins für Anhaltische Geschichte und Altertumskunde
II. Bd. 1878, S. 42—44) ist das Bild ausführlich als eine Kopie nach Marons
Original in Weimar besprochen.
30. Christian Traugott Weinlig, Briefe über Rom (Dresden 1782) Bd. I,
14—15. Der Brief vom 15. Januar 1768 (S.27ff.) kündigt dann Winckelmanns
bevorstehende Reise nach Deutschland an und erzählt ausführlich, in welch
liebenswürdiger Weise Winckelmann Weinlig noch den Cicerone in der
Villa Albani gemacht hat: „Auf Winckelmanns Einladung eilte ich gleich
folgenden Tages in die Villa. ... Er empfing mich hier ebenso freundschaft-
lich als vorher in der Stadt und zeigte mir mit bewundernswürdiger Herab-
lassung das viele Sehenswürdige. ... In Winckelmanns Gesellschaft sah
ich freilich vieles ganz anders als vorher. Wir besahen zuerst im Parterre
die mit so vieler Wahl gemachte mehr als königliche Sammlung von
Statuen, Büsten und Gemälden ich empfand in Winckelmanns
Begleitung ihre Schönheit doppelt. Seine mündlichen Erklärungen über
verschiedene Stellen seiner Schriften, deren ich mich erinnerte, zogen den
Schleyer hinweg, den viele Leute teils aus Stolz, teils aus Unwissenheit
für Licht halten. ... In dem oberen Geschoß erklärte er mir mit vieler
Wärme den vortrefflichen Plafond von Mengs. . . . Von da führte er mich
mit heiligem Ernst zu dem Hauptstück der ganzen Villa, zu dem Kopf
58
des Antinous von weißem Marmor in Basrelief. . . . Zuletzt ließ er mir
recht feyerlich ein über alle Beschreibung schönes Kabinet eröffnen, welches
größtenteils mit den seltensten und kostbarsten Fragmenten aus dem Alter-
tum ausgeziert ist. . . . Zum Beschluß führte er mich in die Werkstatt
des Bildhauers, wo ein ansehnlicher Vorrat von alten verstümmelten Figuren
befindlich ist, die unter Winckelmanns Aufsicht ergänzt werden sollen.
. . . Winckelmann schenkte mir wirklich den ganzen Nachmittag und be-
antwortete meine Fragen, die, so sehr ich auch auf meiner Hut war, doch
nicht alle gar zu unterhaltend für ihn sein konnten, mit einer Nachsicht,
die ich ganz fühlte." Endlich gibt er ihm noch Empfehlungen an Reiffen-
stein und Cavaceppi mit auf den Heimweg. — Diese anschauliche Beschrei-
bung ist die einzige ausführlichere mir bekannte Schilderung einer der
viel begehrten römischen Führungen durch Winckelmann selbst, und einer,
bei der die andächtig dankbare und verständnisvolle Empfänglichkeit des
Gastes sichtlich Winckelmanns ganzes Herz gewonnen hatte.
31. Berlin, kgl. Bibliothek. Hss.-Abt.: Ms Germ. Qu. 348: Briefe Reiffen-
steins an von Mechel 1766 u. ff. (Nr. 29). — Auf der Kopie des Maronschen
Bildes (Abb. V) in Braunschweig wird dies Detail nicht sichtbar. Auch
auf dem Originalgemälde in Weimar ist es nur undeutlich zu erkennen,
dagegen gut auf der vortrefflichen Kopie in Dessau, welche in meiner
Winckelmannikonographie veröffentlicht werden wird.
32. Das Deutschtum in Winckelmanns Wesen, auch noch im römischen
Süden treu bewahrt, ebenso anerkannt auch in einigen der neuesten,
Winckelmanns Gedächtnis gewidmeten Aufsätzen: so von Bruno Sauer
(Westermanns Monatsheften 1917, 482—87) und von Otto Crusius (Deut-
scher Wille, des Kunstwarts 31. Jahrg. 1917, 146).
NACHTRAG
Während des Druckes geht mir soeben noch durch des Verfassers
Freundlichkeit der ebenfalls am 8. Dezember vorigen Jahres gehaltene und
jetzt im Neuen Archiv für Sächsische Geschichte und Altertumskunde
Bd. 39, 52 — 83 erschienene Festvortrag von Hubert Ermisch zu: „Winckel-
mann und Sachsen". Wenn auch dort (S. 70) die Vermutung zu lesen
steht, daß das Winckelmannbild im Besitz des Freiherrn von Bönigk ein
Gemälde Oesers sei, so beruht dies auf einer persönlichen Mitteilung
meinerseits, die ich dem verehrten Direktor der K. Landesbibliothek zu
Dresden gemacht habe, als ich im Oktober 1917 Gelegenheit hatte ihm
jenes Bild selbst vorzulegen.
Außer der bekannten Bedeutung Sachsens für Winckelmanns innere
Entwicklung im Allgemeinen gibt Ermisch (S. 71 ff.) zum erstenmal eine
Darstellung davon, wie in Rom die starke AnhängHchkeit Winckelmanns
an sein zweites Vaterland, Sachsen, erst sehr nach und nach verblaßt ist,
und wie spät er selbst sein preußisches Herz erst wieder entdeckt hat.
Vgl. oben S. 18 und 56.
59
C. H. Beck'sche Buchdruckerei in Nördlingen
Gemälde vermutlich von Friedr. Ad. Oeser (1755?)
(vor der Reinigung)
im Besitze von Otlo Freiherrn von Bönigk in Jena
Gemälde von Rafacl Anton Mengs (17C1 ?)
m Besilze des Fürsten Casimir Lubomirsl<i In Kral<au
Gemälde von Angelica Kauffmann (1764)
tze der Züriclier Kunstgenossenscliaft im Kunsthans 211 Zürich
Gemälde von Anton Maron (1768)
' Kopie auf Hotz im Herzoglichen iMuseum zu Braunschweig
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University of
Connecticut
Libraries
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