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W. S. TEUFFELS GESCHICHTE
DER RÖMISCHEN LITERATUR
SECHSTE AUFLAGE
UNTER MITWIRKUNG VON
EKICH KLOSTERMANN • RUDOLF
LEONHARD und PAULWESSNER
NEU BEARBEITET VON
WILHELM KROLL und FRANZ SKUTSCH
ERSTER BAND
DIE LITERATUR DER REPUBLIK
DRUCK UND VERLAG B. G.TEUBNER ■ LEIPZIG - BERLIN 1916
MAR - 7 1958
105 &|
PA
6001
910
SCHUTZFORMEL FÜR DIE VEREINIGTEN STAATEN VON AMERIKA:
COPYRIGHT 1910 BY B. G. TEUBNER IN LEIPZIG.
ALLE RECHTE, EINSCHLIESSLICH DES ÜBERSETZUNGSRECHTS, VORBEHALTEN
VORWORT
Als W. S. Teuffel am S.März 1878 starb , hinterließ er den
Wunsch, daß sein Kollege L. Schwabe die weiteren Auflagen sei-
ner Römischen Literaturgeschichte bearbeiten möge. Schwabe hat
diesen Wunsch erfüllt und im J. 1882 die vierte , im J. 1890 die
fünfte Auflage veröffentlicht; in den Vorreden dankt er namentlich
den Herren 0 Crusius, R. Förster, A. v. Gutschmid, M. Hertz
und 0. Keller für ihre Beihilfe.
Die sechste Auflage bedarf hoffentlich weder der Empfehlung
noch der Entschuldigung, auch brauche ich es wohl nicht zu recht-
fertigen, daß die Selbständigkeit des Bearbeiters gegenüber dem
ursprünglichen Text immer mehr gewachsen ist. Anderseits wird
man es verstehen, daß tiefgreifende Änderungen in der Anordnung
des Stoffes bei dem Charakter des TEUFFELschen Werkes nicht
möglich waren. Der Einfluß des Krieges hat sich darin gezeigt,
daß die Drucklegung sich verzögerte und die neueste Literatur in
den früheren Abschnitten nicht mehr benutzt werden konnte, ferner
in dem öfteren Wechsel der Helfer bei der Korrektur, von denen
einer nach dem andern zur Fahne einberufen wurde und von denen
Einzelne sogar im Felde oder während eines durch Verwundung
veranlaßten Heimaturlaubes in dankenswerter Weise mitarbeiteten.
Durch militärische Einziehung wurde auch P. Wessner verhindert,
zu diesem Bande mehr beizusteuern als einige Bemerkungen zu
§ 164 — 169. Daher habe ich diesen Band fast allein bearbeitet;
von R. Leonhard rührt her:
§ 48. 49. 86. 87. 88,2. 89. 139,2 und 3. 207.
Den Herren W. Dopheide, R. Ganschinietz, H. Ottenjann
und A. Nehring bin ich für treue Hilfe bei der Korrektur,
B. A. Müller und H. Dessau für Bemerkungen zu § 41, 2 und
218 zu lebhaftem Danke verpflichtet. Das Register habe ich selbst
angefertigt.
Breslau, im Nov. 1915.
W. KROLL.
IV Vorwort
AUS DEN VORREDEN DES VERFASSERS ZUR ERSTEN
BIS DRITTEN AUFLAGE
I. (XVI u. 1052 SS.) Durch zweierlei hauptsächlich unterscheidet
sich die vorliegende Bearbeitung der römischen Literaturgeschichte
schon äußerlich von ihren Vorgängern; dem Umfange nach durch
ihre gleichmäßige Berücksichtigung der christlichen Literatur, der
Art nach durch ihre chronologische Anlage. Das eine wie das an-
dere ist der Ausfluß davon, daß vor allem mein Bestreben war eine
wirkliche Geschichte der römischen Literatur zu geben, eine Dar-
stellung ihrer Erscheinungsweisen während der Jahrhunderte ihres
Daseins.
Von diesem leitenden Gesichtspunkt aus mußte es als ganz un-
möglich* erscheinen, die christliche Literatur auszuschließen oder
auch nur zu verkürzen; denn vom Ende des zweiten Jahrh. n. Chr.
an ist sie nun einmal ein Bestandteil der römischen Literatur, und
zwar einer von immer zunehmender Wichtigkeit. Sie trotzdem
hintanzusetzen wäre nur dann zulässig, wenn man sich überhaupt,
mit Weglassung aller technischen Fächer, auf die sog. schöne
Literatur beschränken wollte. Behandelt man aber die Literatur
der Jurisprudenz, Naturwissenschaften u.s. f., so darf man auch
gegen die der Theologie sich nicht verschließen. Abhalten könnte
davon nur etwa ihr großer Umfang. Aber es versteht sich daß sie
Gegenstand der Literaturgeschichte nur in der Ausdehnung werden
kann, in der es auch die übrigen technischen Fächer sind; und was
die Art ihrer Behandlung betrifft, so war mein Bemühen sie mit
historischem Sinne anzufassen, also ohne Einmischung in die dog-
matischen Zänkereien, aber auch ohne Geringschätzung.
Das andere Unterscheidungsmerkmal ist die Anlage nach der
Zeitordnung. Sie ist eine so unmittelbare Folge des historischen
Grundcharakters . . . daß ich hoffe es werde auch in Zukunft dabei
sein Bewenden haben.
Eine weitere Folge der historischen Haltung welche meine Ar-
beit erstrebt war, daß für mich der zufällige Umstand ob von den
Schriften eines Mannes viel oder wenig oder vielleicht auch gar
nichts auf uns gekommen ist nur von untergeordneter Bedeutung
war. Ich habe die einzelnen Gestalten der Literatur nach ihrem
inneren Werte, an sich und für ihre Zeit, zu würdigen gesucht und
konnte mich dadurch, daß vielfach der Zufall gerade gegen die ge-
Vorwort V"
haltvollsteu und selbständigsten sich mißgünstig erwiesen, hat nicht
bestimmen lassen nun auch meinerseits sie in den Schatten zu
drängen.
Sonst war mein Bestreben auf Zuverlässigkeit gerichtet, wie
auf Unparteilichkeit. Ich habe mich fern zu halten gesucht gleich
sehr von blinder Bewunderung alles Geschriebenen wie von Partei-
nahme für und wider. Aber den unwandelbaren Gesetzen, nach
denen sich eines Mannes Tüchtigkeit und eines Schriftstellers Wert
bemißt, mußte unverkürzt ihr Recht werden.
Die Grenze für die Darstellung war dadurch gegeben daß mein
Werk eine römische Literaturgeschichte ist, eine Geschichte der
Literatur des römischen Volkes und des römischen Reiches. . . .
Nur durfte hier nicht mit Pedanterie verfahren werden. Mit der Ab-
setzung des Augustulus war weder das Reich noch vollends gar das
Volk vernichtet; es waren daher auch die Haupterscheinungen der
Literatur im sechsten Jahrh. mit -in Betracht zu ziehen, und um ihnen
ihre richtige Beleuchtung zukommen zu lassen, mußte auch manches
scheinbar Fremdartige und Unbedeutende noch Aufnahme finden.
Tübingen, 31. Oktober 1870.
II. (XVI u. 1164 SS.) Manches habe ich für die zweite
Auflage der freundlichen Mitteilung von Fachgenossen zu danken,
wie besonders M. Hertz, dann F. A. Eckstein, L. Müller,
E. Wölfflin . . .
Tübingen, 30. Juni 1872.
III. (XVI u. 1216 SS.) . . . Auch für die dritte Auflage konnte
ich manche wertvolle Zusendung dankbar benützen, die reichhaltig-
sten wieder von M. Hertz, dann besonders von F. A. Eckstein,
H. Nolte, W. Weissbrodt und meinem Collegen L. Schwabe.
... Im übrigen erlaube ich mir hinsichtlich der Grundsätze die
ich befolgte auf meine Selbstanzeige in Fleckeisens Jahrbüchern
107 (1873), 627 zu verweisen.
Tübingen, 31. Oktober 1874.
WILHELM SIGMUND TEUFFEL.
INHALT DES ERSTEN BANDES
A. ALLGEMEINES UND SACHLICHER TEIL
1. Römischer Volkscharakter. S. 1. 2. Stellung der Römer zur Lite-
ratur. S. 2.
3. Die Poesie, zunächst das Drama. Begabung der Römer dafür. S. 3.
4. Volkstümliche Aufführungen. S. 4. 5. Die Fescenninen. S. 5. 6. Die
saturae. S. 6. 7. Der mimus. Begriff und ältere Geschichte. Planipes.
5. 7. 8. Der mimus am Ende der Republik und in der Kaiserzeit. S. 9.
9. Die Atellanen als Volksposse. S. 14. 10. Die Atellanen als Literatur-
zweig. S. 16. 11. Volkspoesie der Römer. S. 17. 12. Das Kunstdrama
Übersicht. S. 18. 13. Die Tragödie. S. 20. 14. Die praetexta. S. 22.
15. Die palliata. Übersicht ihrer Geschichte. S. 23. 16. Nähere Charakte-
ristik der palliata. S. 25. 17. Die togata (tabernaria, trabeata). S. 32.
18. Die Rhinthonica. S. 34.
19. Das Epos. Geschichtliche und nationale Stoffe. S. 35. 20. Das
heroische Epos. S. 37. 21. Christliche Epiker. S. 39. 22. Epithala-
mium. S. 40. 23. Das Lehrgedicht. S. 41. 24. Spruchgedichte. S. 43.
25. Der poetische Brief. S. 43. 26. Rätsel. Centones. Akrosticha. S. 44.
27. Die Fabel. S. 46. 28. Die Satire als Literaturzweig. S. 47. 29. Das
Idyll. S. 49.
30. Älteste Lyrik. S. 50. 31. Das Epigramm. S. 51. 32. Die
Elegie. S. 53. 33. Der Jambus. S. 55. 34. Die Melik. S. 56.
35. Die Prosa bei den Römern. S. 58. 36. Die Geschichtschrei-
bung bei den Römern im allgemeinen. S. 59. 37. Die Annalisten. S. 63.
38. Die Historiker der ciceronischen und augusteischen Zeit. S. 66.
39. Die Historiker der Kaiserzeit. S. 67. 40. Die Inschriften. S. 70.
41. Die Altertumsforschung, Polyhistorie und Grammatik. S. 71. 42. Ein-
zelne Fächer: Lexikographie, Metrik, Mythographie usw. S. 76.
43. Die Beredsamkeit bei den Römern. S. 81. 44. Die Beredsam-
keit in der Republik. S. 82. 45. Die Beredsamkeit in der augusteischen
und der Kaiserzeit. Rhetorik. S. 88. 46. Briefe und Briefsammlungen.
S. 92. 47. Unterhaltungsliteratur: Romane u. dgl. S. 95.
48. Die Rechtswissenschaft in der Republik. S. 97. 49. Die
Rechtswissenschaft in der augusteischen und der Kaiserzeit. S. 100.
50. Die Philosophie bei den Römern in der Zeit der Republik. S. 105.
51. Die Philosophie in der Kaiserzeit. S. 108.
52. Mathematik und Astronomie. S. 110. 53. Die Naturwissenschaften.
S. 112. 54. Die Land- und Hauswirtschaft. S. 113. 55. Die Heilkunde.
S. 115. 56. Die Kriegswissenschaft. S. 118. 57. Die Architektur. S. 119.
58. Die Feldmeßkunst. S. 120. 59. Die Metrologeu. S. 120. 60. Die
Geographie S. 121.
Inhalt des ersten Bandes VII
B. BESONDERER UND PEESÖNLICHEE TEIL
I. VORGESCHICHTE DER RÖMISCHEN LITERATUR
bis zum J. 240 v. Chr.
60 a. Das Alphabet. S. 123. 61. Formeller Charakter der ältesten
Aufzeichnungen. Carmen. S. 123. 62. Der Saturnius. S. 124. 63. Mate-
rieller Charakter der ältesten Aufzeichnungen. Übersicht. S. 126. a) Gottes-
dienstliches. 64. Carmen saliare. S. 127. 65. Carmen fratrum ar-
valium. S. 127. 66. 67. Weissagungen. S. 128. b) Politisch-histo-
risches. 68. Foedera regum. S. 129. 69. Bundesverträge aus der
ältesten Zeit der Republik. S. 129. 70. Leges regiae. S. 130. 71. Ius
Papirianum. S. 130. 72. Commentarii regum. S. 130. 73. Libri und
commentarii pontificum. S. 131. 74. Fasti als Kalender. S. 132.
75. Fasti als Magistratsverzeichnisse. S. 134. 76. Annales pontificum.
S. 135. 77. Aufzeichnungen anderer priesterlicher Collegien. S. 137.
78) Aufzeichnungen weltlicher Behörden. S. 137. 79. Libri magistratuum.
S. 138. c) Monumenta privata. 80. Haus- und Familien-Chroniken.
S. 139. 81. Lobreden auf Gestorbene. S. 139. 82. Loblieder auf Ge-
storbene. Neniae. Tafellieder. S. 141. 83. Inschriften der fünf ersten
Jahrhunderte. S. 142. 84. Carmina triumphalia. S. 144. 85. Andere
carmina popularia. S. 144. d) Rechtsquellen und Rechtsliteratur.
86. Die zwölf Tafeln. S. 144. 87. Legis actiones. S. 146. 88. Cn. Fla-
vius (ius Flavianum). S. 146. 89. Alteste Rechtsgelehrte. P. Sempronius.
Ti. Coruncanius. S. 147. 90. Appius Claudius. S. 148.
IL GESCHICHTE DER RÖMISCHEN LITERATUR
ERS TER HAUPTTEIL: DIE ZEIT DER REPUBLIK UND DES AUGUSTUS
Erste Periode : von Andronicus bis in die sullanische Zeit. J.240 — 84
91 — 93. Charakteristik der beiden Jahrhunderte. S. 149. (91. Das
sechste Jahrhundert. S. 149. 92. Das siebente Jahrhundert. S. 155.
93. Sprache und Metrik in beiden Jahrhunderten. S. 157.)
A. SECHSTES JAHRHUNDERT D. ST.
I. Dichter
94. Andronicus. S. 162. 95. Cn. Naevius. S. 164. , 96. Plautus.
Leben und schriftstellerische Tätigkeit. S. 167. 97. Die erhaltenen
zwanzig Stücke in der überlieferten (alphabetischen) Reihenfolge. S. 169.
98. Dichterische Eigentümlichkeit des Piautas. S. 178. 99. Fortleben
des Plautus. Prologe. Alte Commentatoren. Handschriften und Ausgaben.
S. 184. 100. Q. Ennius. Sein Leben. S. 187. 101. Seine Annales.
S. 189. 102. Seine Tragödien und praetextae. S. 192. 103. Seine
Saturae. Epicharmus, Euhemerus u. a. S. 193. 104. Dichterische Eigen-
tümlichkeit des Ennius. S. 194. 105. M. Pacuvius. S. 196. 106. Sta-
tius Caecilius. S. 197. 107. Andere Palliatendichter. Trabea, Luscius
u. a. S. 199. 108. P. Terentius. Sein Leben. S. 199. 109. Seine
schriftstellerische Tätigkeit. Handschriften. Commentatoren. Didaskalien.
Ausgaben S. 201. 110. Seine sechs Stücke in der herkömmlichen Ord-
nung. S. 204. 111. Dichterische Eigentümlichkeit des Terenz S. 209.
VIII Inhalt des ersten Bandes
112. Der Togaten dichter Titinius. S. 212. 113. Der Palliatendichter Tur-
pilius. S. 213. 114. Andere Dichter des sechsten Jahrh. d. St. S. 213.
115. Metrische Inschriften aus dem sechsten Jahrh. d. St. S. 214.
II. Prosaiker
116. Älteste Geschichtschreiber: Q. Fabius Pietor. S. 214. 117. L. Cin-
cius Alimentus. S. 217. 118. M. Po r eins Cato, Leben und Charakter.
S. 218. 119. Cato als Redner. S. 220. 120. Cato als Geschichtschreiber.
S. 222. 121. Catos praeeepta ad filium und andere Schriften. S. 224.
122. Catos Schrift de agri eultura. S. 226. 123. Andere gleichzeitige
Redner. S. 228. 124. C. Sulpicius Gallus. S. 230. 125. Gleichzeitige
Juristen: P. und Sex. Aelius u. a. S. 230. 126. M. Fuivius Nobilior und
sein Sohn Q. S. 231. 127. Andere gleichzeitige Geschichtschreiber. S. 232.
128. Sp. Carvilius S. 233. 129. Prosaische Inschriften des sechsten Jahrh.
d. St. S. 233.
B. SIEBENTES JAHRHUNDERT D. ST
130. Die beiden ersten Jahrzehnte. S. 234. 131. Redner; der jüngere
Africanus, seine Freunde und Gegner. S. 234. 132. Geschichtschreiber
dieser Zeit, besonders Cassius Hemina und Piso Frugi. S. 238. 133. Ju-
risten dieser zwei Jahrzehnte, besonders M\ Manilius, M. Brutus und P. Mu •
cius Scaevola. S. 240. 134. L. Accius. S. 243.
135. Die Zeit der Gracchen (J. 134 — 119). Ti. und C. Gracchus.
S. 247. 136. Die andern Redner der gracchischen Zeit, besonders C. Carbo,
C. Fannius C. f., M. Scaurus, C. Curio. S. 249. 137. Geschichtschreiber
aus dieser Zeit, bes. C. Fannius M. f. und Coelius Antipater. S. 252.
138. Altertunisforscher und Gelehrte der gracchischen Zeit, bes. Tuditanus
und Iunius Gracchanus. S. 256. 139. Stoiker und Juristen dieser Zeit:
C. Blossius und Q. Tubero, Q. Scaevola Augur. S. 258.
140. Die Zeit nach den Gracchen (J. 119—104). Übersicht. S. ^59.
141. Redner darin: T. Albucius, C. Fimbria, C. Titius u.a. S. 260. 142. P.
Rutilius Rufus, Q. Lutatius Catulus und Sempronius Asellio. S. 262. 143. C.
Lucilius. S. 265. 144. Der Togatendichter Atta. S. 271. 145. L. Afra-
nius. S. 272. 146. Andere Dichter: Hostius, Pompilius, Valerius Aedi-
tuus, Porcius Licinus u. a. S. 273. 147. Didaktiker: Q. Valerius, Teren-
tius Libo, Volcacius Sedigitus. S. 274. 148. L. Aelius Stilo und an-
dere Grammatiker. S. 276.
149. Die Jahre 104—84. Übersicht. S. 278. 150. Dichter dieser
Zeit: A. Furius, Cn. Matius, Laevius. S. 278. 151. Die Atellanendichter
Pomponius und Novius. S. 281. 152. Die Hauptredner dieser Zeit: M.
Antonius und L. Crassus. S. 283. 153. Redner zweiten Ranges, bes.
L. Philippus, Caesar Strabo, C. Cotta, P. Sulpicius, C. Curio. S. 282.
154. Die Rechtsgelehrten dieser Zeit: Q. Scaevola Pontifex und seine
Schüler und Fachgenossen. S. 287. 155. Die Annalisten dieser Zeit:
Quadrigarius, Valerius Antias, Aufidius. S. 289. 156. Siserma
und Licinius Macer. S. 293. 157. Su]la und Lucullus, C. Piso. S. 297.
158. Anderes Geschichtliche aus der sullanischen Zeit: L. Manlius, Volta-
cilius, Tarquitius Priscus. S. 298. 159. Gelehrte, Lehrer und Literatoren,
bes. Plotius Gallus, Nicanor, Opilius, Gnipho, Cosconius, Ser. Clodius. S. 300.
160. Schriftsteller über Land- und Hauswirtschaft: Saserna, Scrofa u. a.
S. 303. 161. Anhänger der Philosophie. S. 305. 162. Die Rhetorik
ad Herennium. S. 305.
163. Prosaische und metr. Inschriften aus J. 154 — 84. S. 309.
Inhalt des ersten Bandes IX
Zweite Periode. Das goldene Zeitalter der römischen Literatur.
J. 83 v. Chr.— 17 n. Chr.
A. DIE CICERONISCHE ZEIT, J. 83-43.
Allgemeine Charakteristik u. Übersicht der ciceronischen Zeit. S. 311.
I. Erste Hälfte der ciceronischen Zeit, J. 83—63.
164. M. Terentius Varro. Sein Leben und sein Charakter. S. 321.
164 a. Varro als Forscher. S. 323. 165. Seine Schriftstellerei. Überblick
und Poetisches. S. 326. 166. Die prosaischen Schriften Varros. S. 330.
167. Varros Werk de lingua latina. S. 339. 168. Varros Bücher rerum
rusticarum. S. 341. 169. Erhaltung der varronischen Schriften. Die sog.
sententiae Varronis. S. 343. 170. Nigidius Figulus. S. 344.
171. Q. Hortensius und andere Redner, bes. der Optimaten. S. 347.
172. Atticus und andere Geschichtschreiber. S. 350. 173. Übersetzer
philosophischer Schriften, Amafinius u. a. S. 353. 174. Aquilius Gallus,
Sulpicius Rufus und andere Juristen. S. 354.
175. M. Tullius Cicero. Sein äußeres Leben. S. 357. 176. Cicero
als Mensch und Staatsmann. S. 358. 177. Cicero als Schriftsteller. S. 361.
177 a. Ciceros Jugendarbeiten. S. 363. 178. Cicero als Redner. S. 365.
179. Die erhaltenen Reden Ciceros. S. 370. 180. Sonstige Reste von
Ciceros rednerischer Tätigkeit. S. 390. 181. Cicero als Schriftsteller -über
Rhetorik. S. 392. 182. Ciceros rhetorische Schriften. S. 393. 183. Ci-
cero als Philosoph. S. 400. 184. Ciceros philosophische Schriften, S. 404.
195. Cicero als Jurist. S. 421. 186. Cicero als Historiker. S. 422.
187. Ciceros Briefe. S. 424. 188. Die erhaltenen Sammlungen dieser Briefe.
S. 429. 189. Cicero als Dichter. S. 432. 190. Q. Cicero. S. 434.
191. M. Tullius Tiro. S. 436.
192. Dichter dieser Zeit: Albucius, Egnatius, D. Laberius, M. Furius
Bibaculus. S. 438.
II. Zweite Hälfte der ciceronischen Zeit, J. 63 — 43.
193. Die ältere Generation. Übersicht. S. 442. 194. C. Iulius Cae-
sar. Sein äußeres Leben. S. 442. 195. Caesars Charakter und Schrift-
stellerei. S. 443. 196. Die erhaltenen commentarii des Caesar. S. 446.
197. Fortsetzung seiner commentarii durch Hirtius u. a. S. 452 198. Cor-
nelius Nepos. S. 455. 199. Auguralschriftsteller. S. 462. 200. Vale-
rius Cato, Orbilius und andere Grammatiker. S. 465. 201. M. Porcius
Cato der Jüngere. S. 468. 202. Die Redner M. Calidius, C. Memmius
u. a. S. 469. 203. T. Lucretius Carus. S. 472.
204. Die jüngere Generation. Übersicht. S. 479. 205. C. Sallustius
Crispus. Leben und Schriften. S. 480. 206. Sein schriftstellerischer Cha-
rakter. S. 488. 207. Die Juristen Ofilius, Trebatius, A. Cascellius u. a.
S. 494. 208. Q. Tubero, Alfenus Varus, C. Matius. S. 496. 209. An-
dere Caesarianer (bes. Redner), wie Q. Cornificius, M. Antonius, L. Baibus,
Caelius Rufus, Munatius Plancus u. a. S. 499. 210. Anticaesarische Red-
ner und Schriftsteller: M. und D. Brutus, C. Cassius, Cassius Parmensis,
Trebonius, Ampius u. a. S. 504. 211. Gelehrte und Lehrer: Ateius Phi-
lologus u. a. S. 507. 212. Dichter ohne Parteifarbe: Varro Atacinus,
Publilius Syrus u. a. S. 510. 212 a. Die Neoteriker. S. 515. 213. Ti-
cidas, Helvius Cinna und Licinius Calvus. S. 516. 214. Catullus. S. 520.
215. Politische Tagesliteratur. S. 529. 216. Acta senatus. Acta po-
puli. S. 531. 217. Briefe. S. 532. 218. Inschriften aus den Jahren
84—43. S. 533.
ABKÜRZUNGEN
(außer den vor Bd. III erklärten).
CEL. = Carmina Epigraphica Latina ed. Bücheler.
CGL. = Corpus Glossariorum Latinorum.
DESS(AU) = Inscriptiones Latinae selectae ed. Dessau.
DIE. = Dialectorum italicarum exempla ed. E Schneider.
GRF. = Grammaticae Romanae fragm. coli. Funaioli.
Harv. St. = Harvard Studies in Classical Philology.
IA = Iurisprudentia Anteiustiniana ed. Huschke, Seckel, Kübler.
IAH. = Iurisprudentiae Antehadrianae quae supersunt ed. Bremer.
LEO, LG. be Leo, Gesch. der röm. Liter., I. Berlin 1913.
LEO, PF = Leo, Plautinische Forschungen, 2Berlin 1912.
ORF = Oratorum Romanorum fragm. ed. HMeyer, Zürich 21842.
ALLGEMEINER UND SACHLICHER TEIL.
1. Den Römern fehlte die Beweglichkeit, Vielseitigkeit und
Phantasie der Hellenen; ihre Vorzüge lagen in der Nüchternheit
und Schärfe des Denkens, der Festigkeit und Ausdauer des Willens.
Ihre Verständigkeit richtete sich auf das Zweckmäßige und artete
wohl auch in Selbstsucht und Pfiffigkeit aus; wie ihre Festigkeit
in Eigensinn und Schwerfälligkeit. Auf dem Gebiete des Staates
und des Rechts haben jene Eigenschaften Großes und Dauerndes
hervorgeb rächt; für Leistungen auf dem Gebiete der Kunst und
Literatur waren sie entschieden ungünstig.
1. Cic. Tusc. 1, 2 quae tanta gravitas, quae tanta constanlia, magni-
tudo animi, probitas, fides, quae tarn excellens in omni genere virtus in ullis
fuit, ut sit cum maioribus nostris comparanda? (3) doctrina Graecia nos et
omni litterarum genere superabat etc. De imp. Pomp. 60 maiores nostros
semper in pace consuetudini, in hello utüitati paruisse, vgl. Plin. NH. 25, 4.
Tac. dial. 5 si ad utilitatem vitae omnia consilia factaque nostra dirigenda
sunt. Quintil. 12, 2, 7 ego illum quem instituo Romanum quendam velim
esse sapientem, qui non secretis disceptationibus, sed verum experimentis atque
cperibus vere civilem virum exhibeat.
2. Varro RR. 1, 2, 2 vetus proverbium: Romanus sedendo vincit. Liv.
23, 14, 1 insita {Romanorum) animis industria. Liv. 42, 62 Romana con-
stantia, vgl. 30, 7 und Polyb. 3, 75 extr. 27, 8 tdtov tovto Ttävtrj naga, 'Pco-
liaioLs i-frog ncä ndtQiov £gzl, tb v.axa y.ev rag iXccrvojasig av&ccdeötcitovg v.cd
ißocQVtdrovg cpcdvEöftai, nccra ds tag initv^iccg cog [LStQioiTccTOvg; ebd. 1, 38
ftvxsg iv navxl cpiX6tv\ioi dicccpSQOVTayg.
3. Fronto epist. p. 135 Nab. putem, quia reapse nemo est Romae cpvXo-
GtoQyog, ne nomen quidem huic virtuti esse Romanum. Die Romana simpli-
citas (zB. bei Martial. 11, 20, 10 und Symmach. epist. 7, 123; vgl. Hör. S. 1,
3, 52) ist häufig viel weniger Geradheit als Derbheit. Auch von der fides
Romana (Liv. 5, 27, 11; vgl. more Romano bei Cic. ep. 7, 5, 3. 16, 3. 18, 3)
bekamen die anderen Völker eigentümliche Begriffe. Liv. 9, 11, 7 semper
uliquam fraudi speciem iuris imponitis. Plut. Crass. 31.
4. Der jüngere Africanus bei Macr. sat. 3, 14, 7 eunt in ludum histrio-
num, discunt cantare, quae maiores nostri ingenuis probro ducier voluerunt.
ebd. 10 Cato, cui . . etiam cantare non serii hominis videtur. Sen. contr. 1,
praef. 8 cantandi saltandlque obscena studia. Tac. dial. 10 in Graecia, ubi
Teuffei: röm. Literaturgesca. Neub. 6. Aufl. I. 1
2 Sachlicher Teil
ludicras quoque artes exercere honestum est. Traian. ad. Plin. 40, 2 gymna-
siis indulgent Graeculi. Alle nicht unmittelbar praktischen Beschäftigungen
sind für den vornehmen, in Staatsgeschäften tätigen Römer artes leviores-
(Cic. Brut. 3) und mediocres (Cic. de or. 1, 6), studio, leviora (Cic. de or. lr
212. Cat. 50) und minora (Cic. Brut. 70). Nur wenn die praktischen Be-
schäftigungen nicht mehr möglich sind, werden auch jene zu optimae artes
(Cic. ep. 7, 3, 4).
2. Solange die römische Eigenart ungetrübt bestand, galt lite-
rarische Tätigkeit nur, soweit sie eine praktische Seite hatte, für
unbedenklich. Zwar die Wichtigkeit der Beredsamkeit und der
Rechtskunde als der Mittel für politische Wirksamkeit und den
Wert der Kenntnis des Geschehenen und des mos maiorum wußte
man früh zu würdigen, aber die ältesten Geschichtschreiber scheuten
die Schwierigkeit, die noch ungeschulte eigene Sprache literatur-
fähig zu machen, und schrieben griechisch. Alle übrigen Gebiete
des Wissens waren um so mehr vernachlässigt. Gebundene Form
fand zunächst fast nur beim Gottesdienste Verwendung. Die ältesten
Dichter waren Fremde, in geringer Stellung wenig geachtet und
dadurch in ihrem Einflüsse zwiefach gehemmt. Erst die wachsende
Bekanntschaft mit dem Hellenismus rief im Laufe des sechsten
Jahrhunderts d. St. neue Begriffe, Bedürfnisse und Bestrebungen
ins Leben.
1. Cic. Plane. 66 M. Catonis illud . . . clarorum hominum atque magno-
rum non minus otii quam negotii rationem exstare oportere (dagegen ist
graecari und pergraecari = epulis et potationibus inservire Paul. Fest. 215).
Derselbe Cato bei Gell. 11, 2, 5 zum Ruhme des alten Rom: poeticae artis
honos non erat. Festus 333 scribas proprio nomine antiqui et librarios et
poetas vocabant. Bezeichnend dafür, welche Literaturzweige als zulässig
galten, ist die Schriftstellerei des älteren Cato. Er fürchtete w? djro/?a-
Xovöi 'Pcöfwaot tu 7tqdy\iaxa y^a/tfiareoi; hl%r\viY.(bv avaitlr\o&ivTds (Plut. Cato-
mai. 23). Übersicht der Beteiligung der Römer an der Literatur bei Cic
(der gern im nationalen Sinne übertreibt: Landgraf zu p. Rose. A. 69) Tusc.
1, 1 — 6. Die Stimmung gegen die Griechen kennzeichnet etwa (außer § 1, 4)
Cic. de or. 1, 105 Graeci alicuius cotidianam loquacitatem sine usu. 3, 57
doctissimi homines otio nimio et ingeniis uberrimis adfluentes. 3, 131 (Graeci)
otio diffluentes. Frontin aqu. 1, 16. Norden Vergil Aen. VI S. 327. Den-
noch ist das Gefühl der Abhängigkeit von der griechischen Literatur und
die Überzeugung von ihrer Überlegenheit (auch da, wo sie nicht berech-
tigt ist) immer lebendig geblieben: Ennius ist ein zweiter Homer, Afranius
ein ganzer und Terenz ein halber Menander, Plautus wird mit Epicharm
verglichen, für den Lyriker ist der Vergleich mit Mimnermos oder Xalli-
machos das höchste Ziel des Ehrgeizes. Schon die erstmalige Übertragung-
einer in Rom noch nicht angebauten Gattung war ein Verdienst, zB. Hör.
C. 3, 30, 13 (dicar) prineeps Aeolium Carmen ad Italos deduxisse modos. Prop.
§ 2. Stellung der Römer zur Literatur 3
3, 1, 3 primus ego ingredior puro de fönte sacerdos Itala per Graios orgia
ferre choros. PLM 2, 177 B. von Vergil: vate Syracosio qui dulcior Hesiodoque
maior, Homereo non minor ore fuit. Argerlich war, daß die Griechen davon
keine rechte Notiz nahmen; daher die Klagen über die insolentia Graecorum,
Cic. de or. 2, 77 quis enim est istorum Graecorum, qui quemquam nostrum
quicquam intelligere arbitretur? Auct. ad Her. 1, 1 illa quae Graeci scrip-
tores inanis arrogantiae causa sibi assumpserunt. Heinze, de Hör. Bionis
imitat. 10. LHahn, Rom und Romanismus im griech. Osten, Lpz. 1906,
Einl. Die gesamte römische Kultur wurde von Poseidonios und Varro unter
dem Gesichtspunkt betrachtet, daß sie sich die griechischen svqtjiicctcc all-
mählich angeeignet hatte. Wendling, Herrn. 28, 351. Die Überlegenheit
der griechischen Sprache wird besonders von Lucrez willig zugestanden
(patrii sermonis egestas 1, 832 vgl. 136. 3, 258), doch s. Sen. ad Pol. 2, 6
Latinae linguae potentia aut Graecae gratia. Vgl. Kroll, JJ 11 (1903) 2.
2. MHertz, Schriftsteller u. Publikum in Rom, Berl. 1853. LFried-
länder, Sittengesch. Roms 48, 1. Über den römischen Buchhandel, der erst
in der ciceronischen Zeit größeren Aufschwung nahm und besonders in den
ersten Jahrhunderten der Kaiserzeit blühte, s. Birt, antikes Buchwesen 357.
LHänny, Schriftsteller u. Buchhändler in Rom, Zürich 1884. Dziatzko, PW.
3, 976. Vgl. § 172, 1. 219, 21. Über die Stellung der Schauspieler s. § 3, 4.
8. Eine natürliche Folge der konservativen und praktischen Richtung
der spezifisch römischen Literatur ist die Anzahl und Wichtigkeit der zur
Einleitung in die verschiedenen Gebiete des (öffentlichen) Lebens bestimmten
Schriften. In dieser isagogischen Literatur ragen außer juristischen Werken
(de officio consulis usw.) besonders die Schriften des älteren Cato und viele
des Varro hervor. Aber noch des Q. Cicero Schrift de petitione consulatus
und Frontins de aquis gehören dahin. LMercklin, d. isagogischen Schriften
der Rom., Phil. 4, 413. OJahn, über röm. Encyklopädien, Ber. sächs. Ges.
1850, 263. Norden Herrn. 40, 508.
4. Gesamtbearbeitungen der Geschichte der römischen Literatur: IAFa-
bricius, bibliotheca Latina, Hamb. 1697 (am besten herausg. von Ernesti,
Lps. 1773. 74 III); bibl. Lat. mediae et infimae aetatis, Hamb. 1734 — 46 VI
(zuletzt Flor. 1858 VI). NFunccius, de origine et pueritia, de adolescentia,
de virili aetate, de imminente senectute, de vegeta senectute, de inerti ac
decrepita senectute linguae Lat., Gießen u. a. 1720 fll. VI. — GBernhardy,
Grundriß der röm. Literatur, Halle5 1872. FBähr. Gesch. d. röm. Literatur,
Carlsruhe4 1868—70 III; mit 3 Suppl. I: die christl. Dichter u. Geschicht-
schreiber, Carlsruhe2 1872; II: d. Theologie u. d. Rechtsquellen, Carlsr. 1837;
III: d. röm. Lit. im karoling. Zeitalter, Carlsr. 1840. — MSchanz, Gesch. d.
röm. Lit., 4 Bde (z. T. in 3. Aufl.). München 1901 ff. (Bd. 4, 2 fehlt noch).
RPichon, Hist. de la litt. lat., 8Paris 1903. ASimcox, history of latin litera-
ture from Ennius to Boethius, London 1883 IL Ddff, A liter. hist. of Rome
to the close of the golden age, Lond. 1909. Leo, Gesch. d. röm. Lit., Bd. 1
(Die archaische Lit.), Berl. 1913; vgl. auch Kultur d. Gegenw. 1, 8 (2Lpz.
1907). Vgl. § 345, 1. Für die Literatur der Republik sind das Anregendste
die betr. Abschnitte in ThMommsens röm. Geschichte. — EHübnkr, Grund-
riß zu Vorles. üb. d. röm. Lit.-Gesch., Berl.4 1878. Für die Beurteilung
wichtig Leo, Die Originalität d. röm. Lit., Gott. 1904. Kroll, JJ 1903 XI 1.
1*
4 Sachlicher Teil
3. Unter den verschiedenen Gattungen der Poesie hat das
Drama einige Anknüpfungspunkte im römischen Volkscharakter.
Wie alle Italiener , so hatten auch die Römer einen scharfen Blick
für das Auffallende in der äußeren Erscheinung, die Gahe feiner
Beobachtung, lebendiger Nachahmung und rascher Erwiderung.
Das Improvisieren, die Neck- und Spottlieder, sowie die Form von
Wechselgesprächen und Wechselgesängen sind daher in Italien ur-
alt. Aber die künstlerische Kraft des Volkes war nicht groß ge-
nug, aus diesen Ansätzen ein wirkliches Drama zu entwickeln.
1. Darstellungen der Gesch. d. lat. Poesie: ORibbeck, Gesch. der röm.
Dichtung, Stuttg. 1887 ff. III (l2 1894, 22 1900). MPatin, etudes sur la
poesie lat., Par.4 1900 II. WYSellar, the Roman poets of the republic,
Oxf.8 1889. Plessis, la poesie lat., Par. 1909.
2. Proben des Italum acetum (Hör. S. 1, 7, 32; vgl. maledica civitas,
Cic. Cael38; JRomanorum facetiae, Trebell. Gallien. 9) geben die zahlreichen
Beinamen, die ursprünglich Spitznamen waren und sich auf körperliche
Eigentümlichkeiten bezogen; s. Quint. 1, 4, 25. EHübner in IwMüllers Handb.
1, 515. Später wurde diese Eigenschaft durch die politischen und gericht-
lichen Kämpfe weiter ausgebildet. Vgl. Cic. de or. 2, 216. Quint. 6, 3, 1.
Hosius, üb. d. Volkswitz d. Römer, Grenzb. 1906.
3. Eine alte Volkssitte ist die Bescheltung eines Bürgers, indem man
vor seiner Tür Beschuldigungen gegen ihn erhebt: occentare (in den XII Ta-
feln mit Todesstrafe belegt), flagitare, differre (Plaut. Epid. 118 quin edepol
egomet clamore differor difflagitor. Aul. 446 te iam . . . pipulo hie differam
ante aedes). Usener, Ital. Volksjustiz, Kl. Sehr. 4, 356. — Spottlieder auf
den Triumphator, s. § 84. — Die Sitte bei Suet. Vesp. 19 in funere Favor
archimimus personam eins (des Vesp.) ferens imitansque, ut est mos, facta
ac dieta vivi. — Die Wechselgesänge der Bettler- (Schol. Hör. E. 1, 17, 18)
und Hirtenlieder (Verg. ecl. 3, 59; noch heute so: vgl. AHolm, Gesch. Sicil.
2, 306) werden griechisch sein; doch s. Hör. s. 1, 5, 15. ep. 2, 1, 145 (§ 5,2).
— Die Vorliebe für dialogische Einkleidung, zB. schon bei dem Juristen
lunius Brutus (§ 133,2), bei C. Curio (§ 153,6), ist griechischen Ursprungs;
ebenso zB. die Form der Inschrift aus Aesernia (Gespräch zwischen Wirtin
und Gast), CIL. 9, 2689. WRasche, de Anth. graec. epigrammatis quae
colloquii formam habent. Münster 1910.
4. Den Schauspieler traf die Infamie. Cic. rep. 4, 10 cum artem ludi-
cram scaenamque totam in pröbro ducerent, genus id hominum non modo
honore civium reliquorum carere, sed etiam tribu moveri notatione censoria
voluerunt. Liv. 7, 2, 12. Mommsen, Staatsr. 2, 380. Warnecke, JJ 1914 XXXEI
95. Vgl. § 192, 3. — Für die Komödie ungünstig war der Schutz, den das
Gesetz dem guten Namen des Bürgers gewährte. Cic. rep. 4, 12 nostrae
contra (im Gegensatz zur TtaQQr\6ia der attischen Komödie) duodeeim tabulae
cum perpaucas res capite sanxissent, in his hanc quoque sanciendam puta-
verunt, si quis occentavisset (Usener, Kl. Sehr. 4, 358) sive Carmen condidisset,
quod infamiam faceret flagitiumve alteri. Hör. E. 2, 1, 152. Vgl. § 95, 3.
134, 2.
§ 3. Das Drama. § 4. 5. Fescennini 5
4. Seit der augusteischen Zeit begegnet uns bei Berichterstat-
tern über die Geschichte des römischen Dramas die Vorstellung
von lustigen Aufführungen, bei denen die Teilnehmer verkleidet,
das Gesicht gefärbt oder mit einer Maske bedeckt, zur Flötenbeglei-
tung tanzten; aus ihnen hätte sich allmählich ein Drama primitiv-
ster Art entwickelt. Volksmäßige Aufführungen dieser Art seien
die Fescenninen und die Saturae gewesen. In alledem können wir
nichts anderes sehen, als bloße Konstruktionen von Gelehrten, die
dem römischen Drama eine ähnliche Vorgeschichte geben wollten,
wie sie das griechische nach Ansicht der alexandrinischen Literatur-
historiker hatte.
1. Yerg. G. 2, 385 Ausonii . . cöloni versibus incomptis ludunt risuque
soluto oraque corticibus sumunt horrenda cavatis etc. schildert ebenso grie-
chische Sitte wie Tibull. 2, 1, 55 agricola . . minio suffusus . . rubenti pri-
mus inexperta duxit ab arte choros. Maass, Herrn. 18, 321.
5. Die derben und anzüglichen Scherze, wie sie bis in späte
Zeit bei der Hochzeit üblich waren und auch in die Literatur Auf-
nahme fanden, als diese das griechische Epithalamium übernahm,
nannte man Fescenninen nach der faliskischen Stadt Fescennium.
In der konstruierten Vorgeschichte des römischen Dramas wird die
Benennung auch auf ähnliche bei Ernte- und Götterfesten geübte
Scherze ausgedehnt, ohne daß wir für den wirklichen Gebrauch
des Wortes in diesem Sinne eine Gewähr hätten.
1. KZell, Ferienschr. 2, 121. OMüllee, Etrusker 28, 296. WCorssen,
Origines poes. 124. ThBroman, de versibus Fescenn., Upsala 1852. ARoss-
bach, röm. Ehe (1853) 340. WDeecke, die Falisker 111. Wissowa, PW. 6,
2222. — Festus bei Paul. 85 Fescennini versus, qui canebantur in nuptiis,
ex urbe Fescennina dicuntur allati, sive ideo dicti quia fascinum putabantur
arcere. Der unmittelbare Zusammenhang des Namens mit dem der Ort-
schaft wird sich, bei der sprachlichen Form des Wortes und der Analogie
der Atellanae, nicht abweisen lassen. Vgl. acies Fescennina Verg. Aen. 7, 695
und aus der Nachbarschaft von Fescennium zB. Arretium -Uni, Clusium
-sini, Crustumium -mini, Sutrium -trini. Die Ableitung von fascinum (jetzt
wieder bei Ribbeck, Gesch. d. röm. Dicht. 1, 9. EHofemann, RhM. 51, 324)
scheitert schon an den sprachlichen Schwierigkeiten.
2. Hör. E. 2, 1, 139 agricolae prisci . . condita post frumenta levantes
tempore festo corpus et ipsum animum . . Tellurem porco, Silvanum lade
piabant, floribus et vino Genium . . (145) Fescennina per hunc inventa licentia
morem versibus alternis (vgl. Sen. Med. 108) opprobria rustica fudit, libertas-
que recurrentes accepta per annos lusit amabiliter, donec iam saevus apertam
in rabiem coepit verti iocus und Liv. 7, 2, 7 non . . Fescennino versu similem
incompositum temere ac rudern alternis iaciebant folgen den in § 4. 6 be-
handelten Theorien; Horaz überträgt das sonst nur von Hochzeitsspäßen
gebrauchte Wort auf ein ganz anderes Gebiet.
6 Sachlicher Teil
3. Catull. 61, 122 ne diu taceat (bei der Hochzeit) procax Fescennina
iocatio. Sen. Med. 107 concesso iuvenes ludite iurgio. hinc illinc iuvenes
mittue carmina. rara est in dominos iusta licentia. ebd. 113 festa dicax
fundat convivia Fescenninus, solvat turba iocos. Sen. conti*. 7, 21, 12 inter
nuptiules Fescenninos (wie Plin. NH. 15, 86; vgl. Serv. Aen. 7, 695 Fescen-
nium oppidum est, ubi nuptialia inventa sunt carmina) in crucem generi
nostri iocabantur. Lucan. 2, 368 non soliti lusere sales nee more Sabino ex-
cepit tristis convicia festa maritus. Auson. opusc. 28 (cento nupt.) p. 145 Seh.
Fescenninos amat celebritas nuptialis verborumque petulantiam notus vetere
instituto ludus admittit. Symmach. or. 4, 13. Claudian. Fescenn. 4, 29 ducant
pervigiles carmina tibiae permissisque iocis turba licentior exsultet tetricis
libera legibus. Apoll. Sid. ep. 1, 5 g. E. (von Ricimers Vermählung) cum
per omnia theatra . . Talasio Fescenninus explicaretur. Dracont. 6, 71. 8, 644.
10, 288. Mach. sat. 3, 14, 9 M. Cato senatorem non ignobilem Caecilium . .
Fescenninum vocat, wohl wegen seines ridicularia fundere, iocos dicere (ebd.).
Vgl. Fest. 344 v. spatiator.
4. Catulls erstes Hochzeitsgedicht (61) bildet (v. l22ff.) die nationale
Sitte nach. Über des Faliskers Annianus Fescenninen s. § 353, 3. Von Claü-
dian haben wir de nuptiis Honorii Aug. et Mariae fescennina (vier Gedichte
in verschiedenen Maßen). Dagegen Macr. sat. 2, 4, 21 temporibus triumvi-
ralibus Pollio, cum Fescenninos (Spottgedichte) in eum Augustus scripsisset,
ait: at ego taceo; non est enim facile in eum scribere qui potest proscribere.
6. Die Vorstellung von dramatischen oder halbdrainatischen
Saturae beruht teils auf der zufälligen Ähnlichkeit des Wortes mit
den griechischen Satyrn teils auf den Versuchen, die seit Ennius
in der römischen Literatur sicher nachweisbare, durchaus undrama-
tische Satura in die vorliterarische Zeit zurück zu projizieren und
sie zu einer Vorstufe des in Wahrheit erst mit der Bearbeitung
griechischer Stücke beginnenden römischen Dramas zu machen.
1. Ableitung des Namens. Diomed. GL. 1, 485 (Comici 1, 56 Kaibel)
wohl nach Varro (Jahn, Herrn. 9, 629. Usener, kl. Sehr. 2, 290) satura dieta
sive a satyris, quod similiter in hoc carmine ridiculae res pudendaeque di-
euntur, velut quae a satyris proferuntur et fiunt; sive satura a lance, quae
referta variis multisque primitiis in sacro apud priscos dis inferebatur et a
copia ac saturitate rei satura vocabatur . . ; sive a quodam genere fareiminis
(Füllsel), quod multis rebus refertum saturam dicit Varro vocitatum . . . alii
autem dietam putant a lege satura, quae uno rogatu multa simul conprehen-
dat, quod scilicet et satura carmine multa simul poemata comprehenduntur.
Fest. 314 satura et eibi genus ex variis rebus conditum est et lex multis alis
legibus conferta (alle Zeugnisse bei Marx Lucil. I, CXX). Über die Bedeu-
tungsentwicklung handelt Marx a. 0. IX (dazu Leo GGA. 1906, 859). Hen-
drickson, Class. Phil. 6, 129. Wheeler, ebd. 7, 457. Ullmann, ebd. 8, 172;
9, 1. Am wahrscheinlichsten ging der Begriff von der lanx satura und dem
fareimen auf das staatsrechtliche (imperium per saturam dare, aliquid in
\_p)cr~\ saturam ferre, aedilem per saturam facere, sententias per saturam ex-
quirere vgl. Funck, Arch. Lex. b, 37) und das literarische Gebiet über. Zu
§ 6. Die angebliche dramatische Satura 7
natura (von satur) war ursprünglich ein Substantiv zu ergänzen (lanx, lex),
an das man später nicht mehr dachte. Vgl. noch das ital. farsa, eig. Füllselr
Gemengsei. Wegen des bunten Inhaltes nannte Ennius (§ 103) ein Gedicht-
buch satura (die Sammlung saturarum libri)\ dieser Titel wurde durch
Katachrese auf das einzelne Gedicht übertragen. — Versuche satura mit
den griechischen Zatvooi in Verbindung zu bringen s. Diomedes aü., Momm-
sen RG. I6, 28. 222. 457, OKeller, Phil. 45, 390, Ribebck, röm. Dicht. 1, 9.
S. auch § 28. — Satura als Name von Lustspielen des Quinctius Atta und
Pomponius; über Naevius s. § 95, 7. Vgl. Kroll, PW. s. v.
2. Die Hauptstelle über die Entwicklung des Dramas bei den Römern:
Liv. 7, 2 und die z. T. ähnliche Hör. E. 2, 1, 139 (§ 5, 2) geben willkür-
liche Kombinationen wieder, s. OJahn, Herrn. 2, 224 u. bes. Leo Herrn. 24,
«7. 39, 63. Hendrickson Am. J. Ph. 15, 1. 19, 285. Ullmann, Class. Phil. 9, 1.
Danach kommen im J. 364 zuerst etruskische Tänzer zur Flöte nach Rom
und die einheimische Jugend ahmt ihre Vorführungen durch kunstlose
Tänze und Lieder (nach Art der Fescennini § 5, 2) nach. Allmählich aber
bildet sich ein Stand von histriones, qui non sicut ante Fescennino versu
similem incompositum temere ac rüdem altemis iaciebant, sed inpletas modis
satur as descripto iam ad tibicinem cantu motuque congruenti peragebant.
Daran wird Livius Andronicus angeknüpft, qui ab saturis ausus est pri-
mus argumento fabulam severe d. h. eine den angeblichen Saturae fehlende
feste Handlung durchführte. Die Jugend überläßt nun die Aufführung von
Stücken den Berufsschauspielern und ipsa inter se more antiquo ridicula
intexta versibus iactitare coepit; quae exodia postea apellata consertaque fa-
bellis potissimum Atellanis sunt (A. 3). Aber die Satura ist nie dramatisch
gewesen, hat als literarische Form vor (Naevius und) Ennius nicht existiert,
also weder das (rein griechische) Drama des Andronicus noch das (ebenfalls
griechische) Exodium aus sich entwickeln können.
3. Exodium bezeichnet ptlog o i^tovtsg fjdov (Poll. 4, 108), dann über-
haupt den Schluß einer Aufführung (übertragen Lucil. 1264. Varro bei
Nonius 27 Socrates . . in exodio vitae; vitae cursum . . ab origine ad exo-
dium adductae; quod coeperas modo in via narrare, ut ad exodium ducas),
vgl. Plut. Crass. 33 stg toiovxo cpccöiv i^oSiov xr\v Kquöoov GXQaxnyiccv,
SöTtSQ TQccycpdlccv, Ts%8vrf)6caf insbesondere ein (heiteres) Nachspiel zu einem
ernsthaften Stücke. Vgl. Plut. Pelopid. 34 xr\v xa.yr\v olov rgocymSiag fisyd-
lr\g xr\g xvQccvvi&og St-odiov frsccTQixbv y&vo\x,&vy\v. Schol. luv. 3, 175 exodia-
rius apud veteres in fine ludorum intrabat, qui rldieulus foret, ut quidquid
lacrimarum atque tristitiae exissent ex tragicis affectibus, huius spectaculi risus
detergeret. — exodiarius Amm. Marc. 28, 4, 33. CGL 4, 234. 5, 454. Auf einer
Inschrift, CIL. 6, 1064: Äsinius Ingenuus exodiarius. Ebd. 9797 (GEL. 29), 19
(Vero patrono) cuius libenter dicor exodiarius. Ganz unsicher CIL. 2, 65.
Über die Verwendung des Mimus und der Atellana als Exodium s. § 7, 4.
10, 1. — Skutsch, PW. 6, 1686.
7. Der Mimus kam aus Grroßgriechenland: als possenhafte Dar-
stellung von Personen und Handlungen auf der Bühne ist er in
Rom vermutlich so alt als eine Bühne bestand. Aber er führt eine
8 Sachlicher Teil
unliterarische Existenz selbst da, wo er zum offiziellen Festpro-
gramm gehört (so namentlich noch später an den Flora- Spielen)
und unterwirft sich nur selten dem geregelten Gang des Dramas.
Daß er im ciceronischen Zeitalter in einer sehr zivilisierten Gestalt
in die Literatur aufgenommen wurde, bedeutet für sein eigentliches
Leben nicht allzuviel. Zeitweilig wurde er in Nachahmung des
griechischen Satyrdramas auch als Nachspiel zu Tragödien ver-
wendet, hatte aber hierbei gegen die atellanische Volksposse zu
kämpfen.
1. Diomed. GL. 1, 491 mimus est sermonis cuiuslilet (ety motus sine re-
verentia, vel factorum (et honestorumy et turpium cum lascivia imitatio, a
Graecis ita definitus: ftfyiog Igtiv fu/xTjtf/g ßiov xä rs avy^h^agr^iiva xccl occvy-
Xoagrita mqii%(üv. So sind nach Euanthius p. 7 Reiffersch. die mimi benannt
ab diuturna imitatione vilium rerum et levium personarum, und nach Isid.
orig. 18, 49 mimi sunt dicti graeca appellatione, quod rerum humanarum
sint imitationes. Grysar, der römische Mimus, Wien 1854 (= SB. Wiener
Akad. 12,237); LFriedländer in JMarquardts röm. Staatsverwaltung 32, 549;.
Sittengesch. 28, 441. HReich, der Mimus. 1, Berl. 1903, der vieles nicht
zum Mimus Gehörige eingemengt hat (dazu Körte JJ 11 [1903] 537). Sud-
haus, Herrn. 41, 264. Crusius, JJ 25 (1910) 81.
2. Solange der Mimus nicht schriftlich fixiert war, und damit nicht ab-
gegrenzt von den possenhaften Aufführungen im gewöhnlichen Leben, ent-
zog er sich der Beachtung der Gelehrten. Die Spuren seines Vorkommens
vor der sullanischen Zeit hat MHertz zusammengestellt, JJ. 93, 581. Die
älteste ist bei Festus 326, wonach an den ludi (Apollinares) C. Sulpicio
C. Fulvio cos. (vielmehr P. Sulpicio Cn. Fulvio — J. 211), ein libertinus
mimus magno natu qui ad tibicinem saltaret auftrat, während Sinnius Capito
den Vorfall Claudio et Fulvio cos. (J. 212) ansetzte. Aus dem siebenten
Jahrh. d. St. werden Ausschreitungen des Mimus durch nominatim com-
pellare in scena (Auct. ad Her. 1, 24. 2, 19) angeführt (Cassiodors Nachricht
aus J. 115, daß die Censoren artem ludicram ex urbe removerunt, bezieht
sich nicht speziell auf den Mimus). Aus derselben Zeit muß der mimus
vetus oppido ridiculus Namens Tutor bei Cic. de or. 2, 259 (Szene J, 91)
sein, und der suavis mimus Protogenes ' Plouruma qu(i) fecit populo soueis
gaudia nuge(i)s' (CIL. 1, 1297. 9, 4463. CEL. 361). — Mimen wurden be-
sonders an den Floralia (zum erstenmal gefeiert J. 238, ständig seit J. 173)
auf einer eigens für diesen Zweck vor dem Flora-Tempel aufgeschlagenen
Bühne (Aug. civ. d. 2, 26. Merkel zu Ov. Fast. p. clxiii) aufgeführt; Schluß-
effekt: exuuntur vestibus populo fagitante meretrices, quae tunc mimarum
funguntur officio (Lact. inst. 1, 20, 6). Dieselbe nudatio mimarum bezeichnet
Val. Max. 2, 10, 8 als priscus mos iocorum. Vgl. § 8, 8.
3. Diomed. GL. 1, 490 quarta species (fabularum latinarum) est planipe-
dis, qui graece dicitur \Ll^,og. ideo autem latine planipes dictus, quod actores
pedibus planis i. c. nudis proscenium introircnt, non nt tragici actores cum
cothwrnis neque ut comici cum soccis. . . cuius planipedis Atta . . ita . . me-
minit 'daturin cstis aurum? exsultat planipes? Festus 277 mimi planipes.
§ 7. 8. Der Mimus 9
Auson. epist. 11 de mimo planipedem. luv. 8, 191 planipedes audit (populus)
Fdbios (vgl. Süet. Ner. 4. Tac. hist. 3, 62). Donat. de com. p. 9 Reiff.
(Comici ed. Kaibel 68) planipcdia dicta ob humilüatem argumenta eins ac
vilitatem actorum, gui non cothurno aut socco nituntur in scaena aut pulpito,
sed piano pede. Gell. 1, 11, 12 si ut planipedi saltanti . . numeros et mo-
dos . . tibicen incineret. Macr. sat. 2, 1, 9 planipedis et fabulonis (sannionis ?)
impudica . . verba iacientis. Vgl. noch Sen. ep. 8, 8 excalceati im G egensatz
von coihurnati (s. auch die Stelle des Sen. gleich unten). Hiernach be-
zeichnet das volkstümliche planipes den Darsteller des Mimus im Gegen-
satz zu denen des höheren Dramas, mimus bedeutet, wie fujios, sowohl den
Darsteller als auch das Possenspiel selbst. — Der Mimus als Nachspiel
wurde auf dem vorderen nach hinten durch einen Zwischenvorhang (sipa-
rium) abgegrenzten Teile der Bühne gespielt. Donat. de com. p. 12 R. (p. 71
Kb.) mimicum velum quod populo öbsistit, dum fabularum actus commutan-
tur. Sen. tranq. 11, 8 Publilius (§ 212, 3) ... inier mulia alia cothurno,
non tantum sipario, fortiora et hoc ait. luv. 8, 185 vocem . . . locasti sipario,
clamosum ageres ut Phasma Catulli.
4. Der Mimus diente auch als Exodium (Reich 569. 607). Cic. ep. 9,
16, 7 secundum Oenomaum Acci non, ut olim solebat, Atellanam, sed, ut
nunc fit, mimum introduxisti. Vgl. §6,4. § 10,3. Der Ausdruck scaenicum
exodium bei Suet. Dom. 10] (vgl. § 324, 5) meint wohl auch einen mimus.
Übrigens brauchte der sterbende Augustus in seiner Frage (Suet. Aug. 99)
ecquid amicis videretur mimum vitae commode transegisse das Wort mimus
nicht vom 'Nachspiel' des Lebens, wie OHirschfeld, Wiener Stud. 5, 116
angenommen hat, sondern er verglich nach stoischer Weise das Leben mit
einem Schauspiele; vgl. Sen. epist. 80, 7 hie humanae vitae mimus, qui no-
bis partes quas male agamus adsignat; vWilamowitz, Herrn. 21, 626.
8. Zu einem Literaturzweig wurde der Mimus , die Posse, am
Ende der Republik durch D. Laberius, Publilius Syrus und viel-
leicht L. Valerius. Damit wurde er in seiner Form den übrigen
Dramengattungen näher gebracht und der Kreis seiner Stoffe er-
weitert, so daß er allmählich alle früheren Gattungen des Lustspiels
ersetzte. In der Kaiserzeit, als die höheren Gattungen des Dramas
kümmerlich von den alten Beständen ihr Dasein fristeten, hatte der
selbständig auftretende Mimus zusammen mit dem stummen Pan-
tomimus die Herrschaft: neue Mimen wurden bis in die späteste
Kaiserzeit für das tägliche Bedürfnis verfaßt, ohne daß ihnen —
ebensowenig wie heute den Possen u. dgl. — die höhere Literatur
besondere Beachtung geschenkt hätte. Als Mimographen werden
genannt ein Catullus und Lentulus, dann noch Atticus, Helvidiusr
Yergilius Romanus, Hostilius, Marullus, Aemilius Severianus und
Aesopus.
1. Plut. qu. conv. VII 8, 4 p. 712 e scheidet unter den /nT^ot ncdyviu und
vTCo^ißBi?, diese ausführlich und mit szenischem Apparat, iene aus derben
10 Sachlicher Teil
und obszönen Witzen bestehend. Der literarische M. würde danach zu den
v7zod-£asig gehören. Das Relief einer in Athen gefundenen Lampe aus der
Zeit um 200 v. Chr. zeigt drei Schauspieler, dazu die Inschrift: /ujio/lcayot
7} vn69-r\6i£ sI%vqo:. Watzinger, Ath. Mitt. 26, 1 (Daremb.-Saglio 3, 1902).
Über die mimiambi des Cn. Matius § 150, 2; über die angeblich von Sulla
rf] itcczQiG> qxovj) geschriebenen 6utvqikoL xco/zwdtat s. § 157, 3. Über Phili-
stion § 254, 6 und L. Crassicius § 263, 2. Über Lucilius § 307, 2. Ein Aemi-
lius Severianus mimographus in Tarraco CIL 2, 4092 Dess. 5276. — Die Über-
reste aus den Mimen der Kaiserzeit bei Ribbeck com.3 p. 337.
2. Cic. de or. 2, 242 mimorum est et ethologorum , si nimia est imitatio
(karikierende Charakterbilder), sicut obscenitas (vgl. CIL 6, 10 129 Dess. 5227
Dionysio . . hethologo). Vgl. ebd. 239. orat. 88 ridiculo sie usurum oratorem,
ut . . nee subobsceno {utatur), ne mimicum (sit). Ovid. trist. 2, 497 {quid si
scripsissem mimos obscena iocantes) und 515 (imitantes turpia). Quintil. 6, 1
47. Vgl. A. 5. — Hauptzweck: Lachen zu erregen, Hör. S. 1, 10, 6; Apulei.
flor. 1, 5 si mimus est riseris, . . si comoedia est faveris. Cassiod. Var. IVfin.:
mimus, qui nunc tantummodo derisui habetur. Mittel dazu auch das Ge-
sichterschneiden (Quintil. 6, 3, 29), Nachahmung von Tierlauten, Ohrfeigen
(Mart. 5, 61 A. 7 Z. 12), itogöiq im Mimos Charition (Heröndas ed. Crusius 102)i
scheinbares Blutvergießen (Suet. Cal. 57). Auftreten eines dressierten Hundes,
Plut. de sollert. animal. 10 (mor. p. 973 E).
3. Ökonomie und Plan. Cic. Phil. 2, 65 persona de mimo, modo egensi
repente dives. Cael. 65 mimi est iam exitus, non fabulae: in quo cum clau-
sula non invenitur, fugit aliquis ex manibus, deinde scabilla concrepant,
aulaeum tollitur. Also reichliche Anwendung der Improvisation (Sudhaus,
Herrn. 41, 270). Aber im literarischen Mimus herrscht größere Sorgfalt. Quint.
4, 2, 53 est quidam et duetus rei credibilis, qualis in comoediis etiam et in
mimis. Plut. de sollert. animal. 19 (aus Vespasians Zeit) ^u^o? 7tXoxr}v l%ovxi
<$QcnLuxwr\v v.al nolvTcgooconov. — Proben des Dialogs bei Cic. de or. 2, 274,
zB. quid est tibi ista mulier? f Uxor\ Similis, me dius ßdius. — Prolog, von
Laberius (Macr. sat. 2, 7, 2). Vgl. Isid. orig. 18, 49 habebant (mimi) suum ac-
torem, qui antequam mimum ageret fabulam pronuntiaret. Über die cantica
e. unten A. 11.
4. Als possenhafte Darstellung des gemeinen Lebens berührt sich der
Mimus mit der Togata und hat, soweit er literarisch ist, mit ihr viele Titel
gemeinsam, wie Aquae caldae, Augur, Compitalia, Fullo, Virgo, letztere
beiden auch mit der kunstmäßigen Atellane, mit der er außerdem die Titel
Gemini, Hetaera, Nuptiae, Piscator teilt. Das hauptsächlichste Unterschei-
dungsmerkmal wird, abgesehen vom Kostüm (A. 10), wohl beim Mimus wenig-
stens ursprünglich das Überwiegen der Mimik (A. 2) und die Einlage von
Kuplets (A. 11), bei den Atellanen das Vorkommen der Oscae personae ge-
wesen sein. Mit der Palliata hat der literarische Mimus die Titel Golax,
Hecyra (A. 1), Hetaera, Phasma gemeinsam, und auch Alexandrea, Beloni-
stria, Gacomnemon, Copliinus, Ephebus, Necyomantia, Scylax sind ursprüng-
lich griechische Titel von Mimen.
5. Die Handlung des mimus konnte sich auf das ganze Leben erstrecken,
vgl. Chorik. (A. 12) 13, 8 xlg #' ov% ecv anslnoi %atakijBiv £iii%siq&v, oacc pi-
{lovvtcci; ds6:i6tr}v oixsvag nccjtrilovg ccXlccvtOTtmXovg öiponoiovg söTLdroQcc <?ca-
§ 8. Der Mimus 11
xvpovccg, Gv^ißoXocicc ygäcpovxccg, rcccidugiov ipsXXigoiiEvov, vsccviöxov igävtcc,
&v^ov^ievov 8TEQ0V, aXXov T(o ^v[iov^iiv(p itgavvovxcc tt]v ögyrjv. Aber sie war
mit Vorliebe obszön (A. 2), bes. Verführungen, Ehebruchszenen, Überlisten
von Gatten und Vätern oder überhaupt Arglosen (Artemid. 1, 76 im Traume
liL{ioX6yot, kccl ecTtavvsg ol y£Xcozo7tOLol &7tdcTccg xccl ivtdgag 6rnicclvov6i). Vgl.
Cic. Rab. Post. 35 illinc omnes praestigiae, . . omnes fallaciae, omnia denique
ab iis mimorum argumenta nata sunt. Ovid. trist. 2, 497. luv. 6, 44. 8, 197.
Capitol. M. Anton. 29, 2. Lamprid. Heliog. 25, 4 (mimica adulteria). Donat.
zu Aen. 5, 64 mimi solis inhonestis et adulteris placent. Lactant. inst. 6, 20
(mimi) docent adulteria dum fingunt. Minuc. Fel. Oct. 37, 12 in scaenicis
(ludis) . . turpitudo prolixior, nunc enim mimus vel exponit adulteria vel mon-
strat, nunc enervis histrio amorem dum fingit infigit. Chorik. 6. axonoi ^garsg
vorwiegend nach fo. Chrys. 11, 464 F. In derselben Richtung wurden auch
die mythologischen Stoffe ausgewählt und behandelt, die auch in der Kaiser -
zeit noch beliebt waren. Arnob. adv. gent. 4, 35 etiam mimis et scurrüibus
ludicris sanctissimorum personae interponuntur deorum, et ut spectatoribus
vacuis risus possit atque Mlaritas excitari, iocularibus feriuntur cavillationi-
bus numina. Vgl. 7, 33. Tertull. apolog. 15 (dort werden als Mimen genannt
Anubis moechus, Luna mascula, Diana flagellata, Iovis mortui testamentum
recitatum, tres Hercules famelici; vgl. § 363, 7). Ähnliche Stoffe Kinyras und
Myrrha (Ioseph. ant. 19, 1, 13), Priamos und Achill (Chorik. 10, 6), Priapus
(Augustin. civ. dei 6, 7). Daher muß Chorikios den Mimus gegen den Vor-
wurf, daß er ein Hauptbeförderungsmittel der Sittenverderbnis sei, in Schutz
nehmen; und zweifellos haben die christlichen Eiferer seine Sittenlosigkeifc
arg übertrieben.
6. Mit dieser Possenhaftigkeit und Liederlichkeit bilden einen schein-
baren Widerspruch (Sen. ep. 8, 8) die weisen und moralischen Sprüche, von
denen besonders des Syrus Mimen unter dem Einflüsse der literarischen
Vorbilder (vgl. Plaut. Rud. 1249. Leo, Plaut. Forsch. 126) und des rheto-
rischen Pointenstiles förmlich strotzten. Doch ist diese Vereinigung von
Possenhaftigkeit und Altklugheit volksmäßig (vgl. Hertzberg zu Juvenal 15,
16), und bei den übrigen Mimendichtern wird der zweite Bestandteil wohl
minder hervorgetreten sein. Dagegen nahm sich der Mimus jetzt manchmal
persönliche Anzüglichheiten, wie er sie sich schon früher erlaubt hatte (Auct.
ad Her. oben § 7, 2. Laberius v. 7), gegen die Höchstgestellten heraus. Suet.
Vesp. 19 in funere Favor archimimus personam eius ferens imitansque, ut
est mos, facta ac dicta vivi • . . Capit. M. Ant. 8, 1 (vgl. § 363, 7), ebd. 29, 1.
Maximin. 9, 3 ff. Lamprid. Comm. 3, 4. Vgl. Vopisc. Aurel. 42, 5. Minuc. Fel.
34, 7 non philosophi studio, sed mimi convicio (vgl. Cic. Mur. 13) digna ista
sententia est. Reich 182.
7. Die Darstellung der Mimen geschah durch einen Hauptschauspieler
(vgl. Macr. sat. 2, 7, 7 unten § 212, 3), der zugleich der Direktor der Mimen-
truppe war (archimimus) ; er konnte besonders im Paignion (A. 1) den Gang
des Dialoges und sogar der Handlung (A. 3) maßgebend beeinflussen. Solche
werden oft erwähnt: zB. agp^l\Log Z&gi^ der Freund des Sulla (Plut. Süll.
36). Andere: Suet. Vesp. 19. luv. 8, 187. Mar. Max. in Schol. luv. 4, 53.
Porph. z. Hör. S. 2, 6, 72. Augustin. civ. d„ 6, 10. Vict. Vit. de persec. Vand.
1,47. CIL. 3,r6113Jvgl. Herrn. 17, 495). 6,1063. 1064. 4649. Dess. 5208ff.; vgl.
12 Sachlicher Teil
miten A. 9 und oben § 7, 2. Über die archimimae A. 8. Neben diesem ersten
Schauspieler gab es auch actores secundarum (Suet. Cal. 57), die jenem unter-
geordnet waren (Hob. E. 1, 18, 13. S. 1, 9, 46), ihn blind nachahmten (Suet.
1. 1.) und von ihm die Schläge einnahmen (to qanifeod-ui Chorik. 19, 1. luv.
5, 171. 8, 192. Martial. 2, 79, 3. 5, 61, 11. Arnob. adv. g.7, 33. Dieterich, Pul-
cinella 140). Der oben als archimimus genannte Sorix erscheint noch im
zweiten Rollenfach CIL. 10, 814 = Dess. 5198 (C. Norbani Soricis secunda-
rum usw.). Insbesondere war unter diesen die stehende Rolle des stupidus
(Dess. 5224 Aurelius Eutyches, stupidus gregis urbani, vgl. ebd. 2178 f. und
unten A. 9. luv. 8, 197. Capitol. M. Ant. 29, 2), dargestellt capite raso; Reich
116. 125. (Heinrich zu luv. 5, 171. Non. Marc 6 calvitur =» frustratur, tractum
a calvis mimis, quod sint omnibus frustratui. Arnob. 1. 1. delectantur dii stu-
pidorum capitibus rasis, salapittarum sonitu ac plausu, factis et dictis turpi-
bus, fascinorum ingentium rubore, vgl. Schol. luv. 6, 66 penem ut habent in
mimo, ebd. 276 strutheum in mimis praecipue vocant obscenam partem virilem
a salacitate videlicet passeris. Festus 326 s. v. salva res erzählt von einem
secundarum partium, qui fere omnibus mimis parasitus inducatur (wobei an
den literarischen Mimus gedacht ist). — CIL. 6, 10 104 = Dess. 5199 P. Cor-
nelius P. I. Esq. NigferJ tertiarum. Dess. 5200 L. Faenicis Faustus quar-
tar{um) par(asitus) Apol(linis). Ob hierher gehörig?
8. Dem Mimus eigentümlich und eine Hauptquelle der Liederlichkeit
war die Darstellung der weiblichen Rollen durch Frauenzimmer, die daher
oft meretrices (nogvca) genannt werden. Vgl. § 7, 2. Ammian. 23, 5, 3 cum An-
tiochiae . . scaenicis ludis mimus cum uxore immissus e medio sumpta quae-
dam imitarttur. Manche Mimae gelangten zu einer gewissen Berühmtheit,
wie Arbuscula, Dionysia, Cytheris, Origo, Quintilia, Thymele (bei Juv. und
Martial), Basilla (CIG. 3, p. 1023); Claudia Hermione, archimima, CIL. 6, 10106
Dess. 5211; Fabia M. et C. lib. Arete archimima CIL. 6, 10107 Dess. 5212.
Grabstelle sociarum mimarum CIL. 6, 10109. Dess. 5217. Vgl. Reich 117.
9. In der Kaiserzeit ist an eine Beschränkung in der Zahl der Schau-
spieler nicht zu denken, wohl aber an Gliederung nach Rollenfächern, da
dieselben Stoffe mit Variationen (A. 7 A.) immer wiederkehrten. So Faba
mimus, Erbschleichermimus Petron. 117, vgl. Petron. 80 grex agit in scena
mimum: pater ille vocatur, filius hie, nomen divitis (vgl. Sen. ep. 114, 6 in
mimo fugitivi divitis) ille tenet. Plut. de sollertia animal. 19 /ufico %loy.r\v
hxovti . . nolvTtQOöanov. So wird der Laureolus (§ 285, 1) ein großes Personal
erfordert haben. Sieben scenici, darunter neben archimimi und stupidi (näm-
lich stupidi Graeci und stupidi schlechthin) auch einen peciuniosus) und eine
mul(ier), verzeichnen zwei Inschriften vom Anfang des 3. Jahrh. CIL. 6, I063f.
= Dess. 2178 ff., vgl. Mommsen, Herrn. 5, 303.
10. Das Kostüm der mimi war eine bunte Harlekinjacke, centunculus
(Apulei. apol. 13), nach der eine Rolle geradezu panniculus hieß; sie trugen
keine calcei (excalceati, Sen. ep. 8, 8), daher planipedes (§ 7, 3), aber oft
(schwerlich immer) den Phallos (A. 7 E.). Die mimae waren ihrem Charakter
gemäß aufgeputzt und entblößt; ihnen war vielleicht eigentümlich das reci-
nium oder ricinium. Festus 274 recinium . . esse dixerunt vir(ilisy toga(e
simile vestimentum quo~) mulieres utebantur, praetextum clavo purpureo, unde
reciniati mimi planipedes. Vgl. Varro LL. 5, 132. Non. 542 ricinium . . pal-
§ 7. Der Mimus (Kostüm, Sprache). Der Pantomimua 13
liolum femineum breve. Serv. Aen. 1, 282 togas etiam feminas habuisse cycla-
dum et recini usus ostendit. recinus autem dlcitur ab eo, quod post tergum
reicitur. Masken waren schon durch die Mimik ausgeschlossen. Starkes
Schminken; vgl. Hieronym. ep. 60, 29 eas quae ruborj frontis addito parasitos
(vgl. A.7 E.) vineunt mimorum. Io. Chrys. 8, 110 A räv tcccqsiüv xa vitorgiiiiiata.
Über die Rangstufe der mimi in der öffentlichen Schätzung s. zB. Vopisc.
Carin. 16, 7 mimis, meretricibus, pantomimis. cantoribus, lenonibus. Vgl. Tre-
bell. Gallien. 21, 6. trig. tyr. 9, 1; oben A. 8.
11. Die Sprache der volksmäßigen Mimen war plebejisch, weniger die
der geschriebenen, schon wegen der gebundenen Form; über Laberius s.
Gell. 16, 7. Als Versmaße finden wir in den Überresten iambische Senare
und trochäische Tetrameter. Vgl. § 192, 7. Im volkstümlichen Mimus wird'
die gebundene Form sich wohl auf cantica beschränkt haben. Das Vor-
handensein solcher erhellt aus Petron. 35 (de Laserpiciario mimo canticum'
vgl. [Lipoid oi Plut. Süll. 2). Die obscena cantica, von denen omne convivium
strepit (Quint. 1, 2, 8), waren wohl hauptsächlich aus Mimen. Von ccIgxq&v
ccGudrcov axg6ci6ig redet Chorik. 16, 1 (A. 12), tb itegcc? avtolg slg ajdrjv tivcc
xccl yeXcota Xr\ysi ebd. 6, 3: 7COQViy.cc äöiiatcc Jo. Chrys. 7, 421 B. versus can-
tare bei Capitol. Maximin. 9, 5 (Sudhaus aO. 274). Auch salva res est dum
cantat senex, Fest. 326. Die Begleitung durch die tibia galt wohl haupt-
sächlich der saltatio; Festus 326 b, 13 ad tibicinem saltare; Gell. 1, 11, 12 si
ut planipedi saltanti . . numeros et modos . . tibicen incineret. Chorik. 15, 3
det yicci %oqzv£iv irciöraad-ai. Reich 476. Hübsche Grabschrift des Mimen
Vitalis AL. 683 PLM. 3, 245.
12. Ein interessantes Zeugnis für das Fortleben des Mimus und seine
Verbreitung auch im oströmischen Reich ist die vom Rhetor Chorikios unter
Justinian verfaßte Verteidigungsrede der Mimen, veröffentlicht von Graux,
Rev. phil. 1, 209 (dazu Reich 204). Vgl. auch Joh. Lydus magistr. 1, 40 lh^iikt]
7} vvv dfjd'sv Liovr} 6(o£oii£vr] , ts%vix6v [ihr %%ov6oc ovdsv, uX6ya> liovov rö
TtXfjd'og iTzdyovGcc yiXavi. Über den Mimus im Mittelalter vgl. Grysar aO. 331.
Krahner, ZfAW. 1852, 388. Reich 616. Glock, ZvglLG. NF. 16, 25. 172: ein
Fortleben des M. läßt sich sicher nur im Orient nachweisen, wo der tür-
kische Karagöz den Zusammenhang mit dem antiken M. deutlich verrät;
dagegen sind die Joculatoren und Spielleute des Abendlandes nicht drama-
tisch tätig, sodaß es mindestens vorläufig nicht möglich ist, die commedia
delF arte an ihn anzuknüpfen.
13. Der balletartige Pantomimus gehört kaum in die Literatur. Er ent-
wickelt sich aus dem Drama, das schon im canticum (§ 16, 3) die Trennung
des Darstellers und Sängers eingeführt hatte, infolge der stets zunehmenden
Neigung des Publikums für Tanz und Gebärdenspiel, und drängte das Wort
ganz zurück. Unter Augustus (22 v. Chr.: Hieron. chron.) wurde diese Gat-
tung zu einer selbständigen gemacht durch den Kilikier Pylades und den
Alexandriner Bathyllos: jener begründete den tragischen Pantomimus, der
bei weitem bevorzugt wurde, dieser den komischen. Ein Pantomimus (lusor
mutus CIL. 6, 4886 Dess. 5225) stellte, je nachdem es die Fabel erheischte,
nacheinander in verschiedenen Rollen (männlichen, weiblichen) und Kostümen
auftretend in einer Reihe von Soli die Hauptmomente einer Handlung dar
(canticum saltare; in mimis saltantibus = in Pantomimen CIL. 6, 10118, doch
14 Sachlicher Teil
s. A. 11 Z. 14), indessen ein Chor den Text während und zwischen den Tänzen
des Pantomimus sang. Dieser verbindende Text trat natürlich sehr zurück:
nur selten hören wir, daß namhaftere Dichter sich zur Lieferung solcher
Texte hergaben. Doch schrieb Lucan fabulae salticae (§ 303, 4), desgleichen
Statius (§ 321, 1) und Arbronius Silo (§ 252, 14). Vgl. LFriedländer, Sitten-
ges eh. 2B, 455; in Marquardts Staats verwalt. 32, 551. Der Pantomimus wurde
von einem Solisten gegeben: pantomimae sind ganz vereinzelt: Sen. ad Helv.
12, 6. AL. 310 = PLM. 4, 464 und auf einer Tessera CIL. 6, 10128 Dess. 5263
Sophe Theorobathylliana arbitrix imboliarum, als Schülerin des Bathyllos
und des gleichfalls als Pantomimus hoch berühmten (CIL. 6, 10115 Dess. 5197)
Theoros so genannt. Wegen der embolia (cEinlagen') vgl. embolium (Cic.
Seat. 116), emboliarius (CIL. 4, 1949), emboliaria (Plin. NH. 7, 158. CIL. 6,
10127 = Dess. 5262). — BAMüllek, Lübkers Reallex.8 760.
9. Die Atellanen (Atellanae fabulae) sind benannt nach dem
campanischen Landstädtchen Atella, das in einer ursprünglich oski-
schen Gegend gelegen war. Entweder bedeuteten Atellanae schon
in Campanien Krähwinkeliaden, komische Darstellungen kleinstädti-
schen Treibens mit gewissen stehenden Figuren, oder die Römer
nannten dieses oskische Spiel nach der Stadt, aus der es ihnen zu-
kam. Als die Römer szenische Spiele einführen wollten und es ihnen
an einheimischen Stücken gebrach, führten sie solche oskische Possen
auf und wagten auch in späterer Zeit nicht, diesen Bestandteil des
Rituals schlechtweg aufzugeben. Wann man anfing, diese Possen in
lateinischer Sprache auf die Bühne zu bringen, wissen wir nicht.
Eigentümlich waren ihnen pjje_festen Personen, Maccus, Bucco^
Pappus und Dossennus^und der Gebrauch der Masken; der Witz
war derb, die Gebärden lebhaft und gleichfalls gern schmutzig, die
Sprache volkstümlich.
1. Die Bruchstücke in Kibbecks com.3 267: daselbst 391 auch ein Ver-
zeichnis der überlieferten Atellanentitel. EMitnk, de fabulis Atellanis, Bresl.
1840. Mommsen, RG. 26, 437. Marx, PW.2, 1914. Leo, Herrn. 49, 169. LFried-
länder, Sittengesch. 28, 441; in Marquardts röm. Staatsverwalt. 32, 648. Mi-
chaut, Les treteaux latins, Par. 1912.
2. Diomedes GL. 1, 490 tertia species est fabularum Latinarum, quae a
civitate Oscorum Atella, in qua primum coeptae (eher etwa in Capua), appel-
latae sunt Atellanae, argumentis dictisque iocularibus similes satyricis fabulis
graecis. Die Benennung ähnlich wie die der megarischen Komödie in Athen.
Wirkliche Verwandtschaft mit dem griechischen Satyrdrama (A. 7) liegt nicht
vor (behauptet von Dieterich, Pulcinella, Lpz. 1897), wohl aber Ähnlichkeit
in der Verwendung als Nachspiel. (Daher die Verwechslung beider bei Porph.
zu Hör. AP. 221.) Mommsen aO. hält die Atellanen für ursprünglich und uralt
latinisch und die (seit J. 211) latinisierte Oskerlandschaft nur für ihren poe-
tischen Schauplatz. Dem widerspricht die Bezeichnung der Atellanen als
Osci ludi (Cic. fam. 7, 1, 3), Oscum ludicrum (Tac. A. 4, 14), der stehenden
§ 9. Die Atellana 15
Figuren als Oscae personae (Diomed. aO. 490, 20) und die kaum mißverständ-
liche Notiz des Strabon 5 p. 233 C x&v "Oaxcov ixXsXoinoTav j] didlsxrog ^ivti
TtccQcc toig 'Pooftatot?, cotfre xai Tcoir^tocroc axrivoßarslod'cci %axd riva ccyävcc
TtdtQiov xal yny.oloyBl6%'ui. Marx aO. 1915. Nur dieser Zusammenhang mit
dem Kultus erklärt es, daß die Schauspieler (A. 4) nicht der Infamie ver-
fielen. Ist bei den von Caesar dem Volke regionatim urbe tota per omnium
linguarum Mstriones gegebenen ludi bei Suet. Iul. 39 auch an Atellanen ge-
dacht?? Übrigens war dieses oskische Spiel gewiß von den großgriechischen
(dorischen) Possen beeinflußt (vgl. A. 3); Zielinski, Quae3t. comicae, Peters-
burg 1886.
3. Maccus (vgl. Mcacxoo, iicckkoccv) ist dumm, gefräßig und lüstern (vgl.
den stupidus des Mimus § 8, 7), maccu sardin. = Dummkopf. Bucco arbeitet
mit der lucca, fressend und plappernd (vgl. den rvd&cüv der neueren Ko-
mödie). Pappus {Ttdmcog) ist ein eitler, verblendeter Alter, der überlistet
wird, der Pantalone. Varr. 1. 1. 7, 29 item significant {-catT) in Atellanis ali-
quot Pappum senem, quod Osci Casnar appellant. Dossennus (gut lateinisch
von dorsitm; vgl. Vel. Long. GL. 7, 79, 4) ein pfiffiger Beutelschneider, der
dottore, auch er ein Fresser (Hör. E. 2, 1, 173 quantus sit Dossennus edaeibus
in parasitis). Diese typischen Personen traten in allen möglichen Rollen
auf, daher Titel wie Maccus miles, M. Sequester, M. virgo; Bucco auetoratus,
B. adoptatus; Pappus agricola, P. praeteritus. S. darüber Munk aO. 28.
Mommsen, unterital. Dial. 118. Ein maccus im CIL. 6, 10105 Dess. 5219
L.Annaeus M. f. Esq. Longinus maccus (vgl. Apul. apol. 81). Über maccus
und Maccius s. § 96, 1. — Jenen Typus des Dossennus, nicht einen komischen
Dichter dieses Namens, meint auch Horaz E. 2, 1, 173 in einer freilich noch
nicht sicher erklärten Stelle. Vgl. Ritschl, parerg. p. xni, opusc. 2, 544.
FRitter, RhM. 5, 216. Düntzer, ebd. 6, 283. Cron, JJ. 129, 63. Auch Sen. ep.
89, 7 zitiert wohl aus einer Atellanenszene : hoc verbo (öoepia) Bornani quoque
utebantur, sicut philosophia nunc quoque utuntur. quod et togatae tibi antiquae
probabunt et inscriptus Dossenni monumento titulus *Hospes resiste et sophian
Dossenni lege*. Dossennus freilich auch als wirkliches Cognomen: L. Rubrius
Dossennus CIL. 1, 430. C. Petronius Dossennus CIL. 5, 2256 und Fabius Dos-
sennus, ein römischer Schriftsteller unbekannter Zeit und unbekannten Faches
(Jurist? Grammatiker?), von Plin. NH. unter seinen Quellen zu B. 14 u. 15
(Fruchtbäume) genannt und 14, 92 zitiert. Skutsch, PW. 5, 1609.
. 4. Liv. 7, 2, 12 quod genus ludorum (Atell.) ab Oscis aeeeptum tenuit iuven-
tus nee ab lüstrionibus pollui passa est. eo institutum manet, ut actores Atel-
lanarum nee tribu moveantur et stipendia tamquam expertes artis ludicrae
faciant. Daraus in seiner Weise Val. Max. 2, 4, 4. Fest. v. personata 217 per
Atellanos, qui proprie vocantur personati, quia ius est iis non cogi in scaena
ponere personam, quod ceteris histrionibus pati necesse est. Vgl. Jahn, Herrn.
2, 225.
5. Non. 8, 29 Varro Gerontodidascalo : putas eos non citius tricas Atellanas
quam id extricaturos? Vgl. Tertull. spect. 17 Atellanus gesticulator. Juv. 6,
71 (§ 10, 1). Quint. 6, 3, 47 amphibolia, neque illa obscena quae Atellani e more
captant. Daneben aber Travestien des Mythos, die außer anderem auf den
Zusammenhang mit der unteritalischen Posse weisen und die At. zur Ver-
wendung als Exodium (§ 10, 1) geeignet machten ; vgl. Titel wie Agamemno
16 Sachlicher Teil
suppositus, Ariadne, Hercules coactor (gerade Herakles war eine Hauptfigur
der dorischen Posse), Sisyphus. Vgl. Novius Phoenissae V. 79 sume arma, iam
te occidam clava scirpea. Dieterich, Pulcinella 100.
6. Als J. 115 die Zensoren artem ludicram ex urbe removerunt, nahmen
sie davon nur aus Latinum tibicinem et luduin talanum. Cassiod. chron. ad
a. (S. 620 M.). MHertz (de ludo talario, Bresl. 1873) schreibt (mit Momm-
sen) talarium und versteht darunter ein ausgelassenes nationales und popu-
läres Spiel, Gesang mit Instrumentalbegleitung, ähnlich den iiccycodoi, und
benannt von der vestis talaris der Spieler. Doch war gerade dieses als
zuchtlos verpönt: Cic. Att. 1, 16, 3. off. 1, 150. Quint. 11, 3, 58. Fronto p. 160
Nab. laudo censoris illud, qui ludos talarios (effugerety , quod semet ipsum
diceret cum ea praelerireti^), difficile dlgnitati servire, quin ad modum cro-
tali aut cymbali pedem poneret. Lyd. magistr. 1, 40 (itXuvniBdotQiu f) -nccta-
ötoXccqlcc; vgl. Reifferscheid, JB. 23, 267).
7. Satyrdramen scheint es in der römischen Literatur nie gegeben zu
haben; vgl. bei Diomedes (A. 2) Graecis und satyrica est apud Graecos fa-
bula; Mar. Victor. GL. 6, 82 (haec apud Graecos metri species). Welcker,
griech. Trag. 1361. Ribbeck, röm. Trag. 623, s. unten § 190,2. Horaz hatte
bei seiner ausführlichen Besprechung des Satyrdramas (AP. 220) keine be-
stimmte Absicht im Auge (so Teuffel, RhM. 28,493; vgl. Birt bei Diete-
rich 297). Nicht glücklich Dieterich, Pulcinella 111.
10. In der sullaui sehen Zeit machten Pomponius aus Bononia
und Novius die Atellaue aus einer regellosen Posse zu einem Zweige
des Kunstdramas, indem sie unter Anlehnung an Palliata und To-
gata die Stücke vollständig schriftlich auszuarbeiten begannen.
Durch geordneten Plan, Charakterzeichnung und metrische Form
wurde die Atellane nunmehr den andern Arten der Komödie gleich,
blieb aber immer derber und burlesker als jene. Sie wurde jetzt
auch als Nachspiel verwendet und auch durch eigentliche Schau-
spieler aufgeführt. Noch in der Kaiserzeit bestand sie fort und
hatte an Mummius einen Vertreter, ging aber schließlich im Panto-
mimus unter.
1. Cic. ep. 7, 1, 3 (Aufführung von Osci ludi durch Pompeius J. 55).
9, 16, 7 (J. 46) seeundum Oenomaum Acci non, ut olim solebat, Atellanam,
sed, ut nunc fit, mimum introduxisti. Vgl. Suet. Tib. 45 Atellanicum exo-
dium. luv. 6, 71 (in der Kleinstadt) Urbicus exodio risum movet Atellanae
gestibus Autonoes. Doch führen diese beiden Stellen eher auf die Deutung
cEx. zur At.', und allein möglich ist diese bei Liv. 7,2,11 iuventus .. ridi-
cula intexta versibus iactitare coepit, quae exodia postea appellata consertaque
fabellis potissimum Atellanis sunt. Ob sich Suet. Dom. 10 oeeidit et Helvi-
dium filium, quasi scaenico exodio sub persona Paridis et Oenones dlvortium
suum cum uxore taxasset auf At. oder Mimus bezieht, ist nicht auszumachen.
5. auch Mär. Vict. GL. 6, 82 und § 6, 3. Leo Herrn. 39, 68. Skutsch, PW.
6, 1686. Pichon, Rev. Phil. 37, 254.
§ 10. Die literarische Atellana. § 11. Volkslieder 17
2. Sukt. Nero 39 Datus Atellanarum histrio in cantico etc. vgl. Galb. 13
Atellanis notissimum canticum exorsis. CIL. 4, 2457 (aus Pompeji): Methe
Oominiaes Atellana 6, 26806 C. Statio Gemello Atellano. Tac. A. 4, 14 Caesar
(Tiberius) de immodestia histrionum rettulit . . Oscum quondam ludicrum,
levissimae apud volgum oblectationis, eo flagitiorum et virium venisse,- ut
auctoritate patrum coercendum sit. Vgl. Suet. Calig. 27 Atellanae poetam
(den Muirtmius ?) ob ambigui ioci versiculum media amphitheatri arena igni
cremavit. — Macr. sat. 1, 10, 3 Mummius, qui post Novium et Pomponium
diu iacentem artem Atellaniam suscitavit. — Spartian. Hadr. 26, 4 in con-
vivio tragoedias, comoedias, Atellanus . . semper exhibuit (Hadrian). Tertull,.
spectac. 17. Arnos, adv. g. 7, 33. Über das Verhältnis zum Mimus s. § 8, 4.
11. Zur Volkspoesie gehört bei den Römern Alles, was in
der Zeit vor der Einführung kunstgemäßer Poesie, also vor Andro-
nicus und dem Jahre 240 ? in gebundener Form vorhanden war.
Auch manches aus der literarischen Zeit Überlieferte reicht nach
.seiner Bestimmung und Art in die älteste Periode zurück. Aus der
Kaiserzeit sind hierher zu rechnen Pasquille, Wandinschriften und
sonstige Gelegenheitsgedichte; sie sind vorzugsweise im trochäischen
Septenar gehalten mit Hinneigung zum Akzentuieren und Gleich-
gültigkeit gegen den Hiatus. Daher auch die für den Gebrauch
und das Verständnis des Volks berechneten christlichen Kirchen-
lieder in gleicher Weise gehalten sind.
1. Aufzählung der Erscheinungen in gebundener Form aus der Zeit vor .
Andronicus unten § 61 ff.
2. Sitte des Singens bei der Arbeit. Varro bei Non. 56 homines rusti-
eos in vindemia incondita cantare, sarcinatrices in machinis. Victorin. GL.
•6, 122 metrum . . usurpatum a pastoribus Calabris, qui decantare res rusticas
Ms versibus solent. KBücher, Arbeit und Rhythmus, Lpz. 81902. Singen der
Matrosen beim Rudern: Ein Rudererlied späterer Zeit in Hexametern aus
einem cod. Berol. s. VIII/IX. PLM. 3, 167. Außerdem lassen sich nach-
weisen: a) volkstümliche Liebeslieder, wie eines bei Hör. S. 1, 5, 15 an-
gedeutet ist. Kunstprodukte aber sind Ständchenlieder bei Plaut. Cure. 147
(in Kretikern), Hör. C. 3, 10 und Ovid. amor. 1, 6. — b) Wiegenlieder;
s. Schol. Pers. 3, 16 quae infantibus, ut dormiant, solent dicere saepe: lalla,
lalla, lalla aut dormi aut lacta (FPR. 34; vgl. RhM. 24, 619); vgl. lallare
bei Pers. 3, 18 und Auson. epist. 16, 90 nutricis inter lemmata Lallique somni-
feros modos. — c) Lieder bei Kinderspielen, Hör. E. 1, 1, 59. 2, 3, 417
(mit Schol.), woraus wohl (FPR. 56; s. LMüller, JJ. 89, 484) die Verse zu ge-
stalten: Häbeat scabiem quisquis ad me venerit novissimus. Rex erit <fui recte
faciet; qui non faciet nön erit. So sang wohl J. 46 Caesars Heer bei seinem
Triumphe: Plecteris si recte fades, si non facies rex eris (vgl. Dio 43, 20).
r
Trochäisch auch Vbi non sis qui füeris non est cur velis (tuy vivere (Cic.
ep. 7, 3, 4; vgl. Ribbecks com.3 p. 150, Teufpel JJ. 111, 432). Dergleichen
Sentenzen konnten übrigens auch aus der Literatur in den Volksmund über-
Teuffel: röm. Iäteraturgesch. Neub. 6. Aufl. I. 2
18 Sachlicher Teil
gehen und zu Sprichwörtern werden. — d) Lob- und Spottlieder der
Soldaten auf den Triumph ator s. § 84, Spottlieder auf verspätete Feld-
arbeiter (Hör. S. 1, 7, 28. Auson. Mosell. 166 navita labens . . probra canit
aeris cultoribus\ darüber Mannhardt, mythol. Forsch. 53), auf Geizhälse-
(Plaut. Trin. 350 „Quod habes ne habeds et illuc quod nön habes habeds:
malum, Quändo equidem nee tibi bene esse pöte pati neque älteri"). Aus An-
laß des Todes von L. Crassus (§ 152) entstand der Vers: Pöstquam Crassus:
cärbo factust, Cärbo (§ 153, 4) crassus fdetus est (Sacerdos GL. 6, 461.
MHaupt opusc. 3, 325). Spottverse aus Pompeji CEL 231. e) alte Zauber-
formeln (RHeim, Incantamenta magica, JJ Suppl. 19,463) wie terra pestein
teneto , salus hie maneto (N. 55), pastores te invenerunt, sine manibus colle-
gerunt, sine foco coxerunt, sine dentibus comederunt (S. 545). Norden 820
u. Nachtr.
3. Auch in den volkstümlichen Ergüssen aus der Kaiserzeit tritt Vor-
liebe für den (der lat. Sprache bequemen und anfangs auch von Luciliu»
bevorzugten) troch. Tetrameter zu Tage. In diesem Maße zB. CIL. 3, 293-
CEL. 243 (Grabschrift des Soldaten T. Cissonius: dum vixi bibi libenter:
bibite vos qui vivitis), CIL. 6, 18131 CEL. 244 (quod edi bibi, mecum habeo;
quod reliqui perdidi), sowie die Pasquille aus dieser Zeit bei Sueton..
Iul. 80 (vgl. 49. 51), Schol. luv. 5, 3. Vgl. Suet. Calig. 6. Galb. 6. Vopisc.
Aurel. 6, 5. 7, 2. Vgl. § 31, 2. Was nach Fest. 285 retiario adversus mir-
millonem pugnanti cantatur klingt sotadeisch: *Nön te peto, piscem peto:
quid me fugV , Galle? Ein epigrammatarius bei Vopisc. Florian. 16, 3. Vgl.
HBernstein, versus ludicri in Caesares priores, Halle 1810. Zell, Ferienschr.
2, 165. Stampini, Riv. fil. 26, 230. Die inschriftlichen troch. Septenare sind
gesammelt von Bücheler, CLE 227 — 247. — Bisweilen macht sich auch der
Reim (Assonanz) geltend, der schon in alten Besprechungsformeln (Heim 544)
und bei Plautus in der ersten Hälfte der troch. Tetrameter sich häufig genug
findet; s. Usener, Sehr. 2, 255; LBuchhold, paromoeosis 74; später in der
akzentuierenden Poesie gewinnt er unter dem Einfluß des rhetorischen
Homoioteleutons erhöhte Bedeutung, besonders in den Kirchenliedern wie
Apparebit repentina Dies magna dömini usw. und geht von da auf die mo-
dernen Literaturen über. Norden, Kunstpr. 810 mit d. Nachtr. Für semi-
tischen Ursprung des Reimes tritt mit Unrecht ein WMeyer, Ges. Abh. 2,
108; vgl. zB. ERichter Z. rom. Ph. Beih. 27, 117. Vgl. unten bei Commo-
dianus, Damasus, Ambrosius, Venantius Fortunatus u. a. ; auch die zwei
Volksgedichte aus dem sechsten Jahrh. n. Chr. bei Gregorovius, Gesch. d.
St. Rom 1, 372. WGrimm, zur Gesch. d. Reims, Abh. Berl. Akad. 1851.
4. Zell, Ferienschr. 2, 97. Edelestand du Meril, poesies populaire*
latines anterieures au XIIe siecle, Par. 1843. Teuffel, PRE. 6, 2736. LMül-
ler, de re metr.2 554 (de poesi rhythmica).
12. Das Kunstdrama wurde zuerst unter allen Gattungen von
Kunstpoesie seit dem J. 240 in Rom eingeführt, weil der Wunsch,
Götterfeste nach griechischem Vorbilde mit szenischen Spielen aus-
zustatten, auch Dramen nach griechischem Muster ins Leben rief.
Es fand rasch eifrige Bearbeitung, bald mit mehr bald mit weniger
§ 12. Das Kunstdrama 19
Selbständigkeit. Doch überwogen in der Volksgunst weitaus die
zur Belustigung dienenden Arten, die Palliata und Togata, noch
mehr aber der Mimus und die Atellana. Die Tragödie und ihre
Spielart, die nationale Stoffe behandelnde Praetexta, haben nur die
gebildeten Kreise zu fesseln vermocht.
1. Donat. de com.: Fabula generale nomen est; eins duae primae partes
sunt tragoedia et comoedia. Caesius Bassus GL. 6, 312 (vgl. ebd. 247) zählt
auf: tragoedia, praetextata, comoedia, tabernaria, Atellana, Bhinthonica, mimi.
Donatus aO. 6, 5: comoediarum formae sunt tres: palliatae Graecum habi-
tum referentes, togatae iuxta formam personarum habitum togarum deside-
rantes} . . Atellanae etc. und vorher: comoedia midtas (sntcc Lyd. de mag.
1, 40) species habet: aut enim palliata est aut togata aut tabernaria aut
Atellana aut mimus aut Bhinthonica aut planipedia (itlccviTCEdccgiu Lyd. aO.)
Euanthius de com. 4, 1: post viav xcopcodiccv (also nach der palliata) Lati-
nos multa fabularum genera protulisse, ut togatas ab scaenicis (? scaenis) at-
que argumentis latinis; praetextas ..; Atellanas, ..; Bhinthonieas ab aucto-
ris nomine; tabernarias ab humilitate argumenti ac stili; mimos ab diutuma
imitatione vilium rerum ac levium personarum. — Über sämtliche Gattungen
wertvolle auf Sueton zurückgehende Nachrichten (gemischt mit verkehrten)
bei Diomedes GL. 1, 487—492 (Koett, De Diom. art. poet. fönt., Jena 1904),
sowie bei Euanthius und Donatus de comoedia; alle diese Texte in Kaibels
Com. gr. fragm. 53. Vgl. § 405, 4.
2. Seit J. 240 kunstgerechte dramatische Aufführungen an den ludi
Bomani, § 94, 2. Schon um J. 214 gab man ludi scaenici jährlich an den
ludi Bomani, plebeii und Apollinares. Dazu seit J. 194 solche an den Me-
galesia. Auch an ludi votivi fanden schon früh theatralische Aufführungen
statt (s. vBoltenstern , de rebus scaenicis Rom., Greifsw. 1875). Aus den
Prologen des Terenz sehen wir, daß zeitweilig alte und neue Stücke neben-
einander gegeben werden nach Art der ■kuIocicci und -ncavai der Griechen.
Leo, Anal. Plaut. 2, 20. Alljährlich wurden Theater in griechischer Weise
mit erhöhten Sitzreihen errichtet, jedoch aus Holz und so, daß das Theater
nach gemachtem Gebrauche jedesmal wieder abgebrochen wurde. Im J. 154
wurde durch Senatsbeschluß der Abbruch eines schon angefangenen stei-
nernen Theaters verfügt und zugleich das Sitzen bei den Spielen untersagt.
Glänzendere Ausstattung (ludi curatius editi Tac. A. 14, 21) seit L. Mum-
mius J. 145. Erst J. 55 wurde durch Pompeius das erste steinerne Theater
in Rom gebaut, ihm folgten J. 13 die steinernen Theater des Cornelius
Baibus und des Marcellus: diese drei stehenden Theater — die einzigen,
welche Rom hatte — faßten zusammen etwa 50 000 Personen. — Der Schau-
spieldirektor (dominus gregis), in der Regel wohl zugleich der Träger der
Hauptrolle, kaufte vom Dichter (vgl. § 110, 2, 2; auch § 223, 2) das Stück
auf eigene Rechnung, schloß auf eigene Gefahr den Vertrag für die Auf-
führung mit den curatores ludorum, sorgte für Personal, Kostüme usw. (vestis,
ornamenta — apparatus scaenicus) und studierte unter Leitung des Dichters
die Rollen ein. WMeyer, quaest. Terent., Lpz. 1902, 65. Er konnte also
das als neues gekaufte Stück mit Einwilligung des Spielleiters wieder zur
Aufführung bringen. Im ganzen war der Geschäftsbetrieb der Schauspieler-
2*
20 Sachlicher Teil
truppen gewiß nach dem Vorbild der griechischen övvoSoi xüv nsgl xbv
zJlovvöov tsxvlt&v eingerichtet, von denen wir Spuren auch in Syrakus,
Rhegion, Neapel finden: später gab es solche griechische Truppen auch in
Rom selbst: AMüller, griech. Bühnenaltert., Freib. 1886, 392. — Im allg.
Ritschl, Parerga 227, dazu FBauer, Quaest. scaenicae Plaut., Straßb. 1902.
Ribbeck, röm. Trag. 647. LFriedländer. in Marquardts Staatsverw. 32, 528.
Vgl. § 6, 3. 16, 14.
13. Die Tragödie blieb bei den Römern in dauernder Ab-
hängigkeit von den Griechen. Zwar fehlte es im Charakter der
Römer, ihren Einrichtungen und ihrer Geschichte nicht an Um-
ständen, welche die Heryorbringung einer selbständigen tragischen
Poesie begünstigen konnten; aber die Fähigkeit zur poetischen Ge-
staltung solcher Stoffe war bei ihnen noch nicht vorhanden, als sie
die fertige und in ihrer Art vollkommene griechische Tragödie
kennen lernten. Sie wurde ihnen durch Übersetzungen nahegebracht,
die bei Andronicus noch roh gearbeitet waren, aber von Naevius,
Ennius, Pacuvius, Accius mit zunehmender Gewandtheit und Selb-
ständigkeit behandelt wurden. Der Schaulust des großen Publi-
kums, das an Stoff und Form der fremden Stücke nicht besonderen
Gefallen finden konnte, kam man bisweilen durch glänzende Aus-
stattung entgegen. Gravitätisch waren jene Tragiker der Republik
alle, von der rhetorisierenden Richtung der nacheuripideischen Tra-
gödie angesteckt, aber ungleichmäßig im Ton, so daß sie bald in
Schwulst ausarteten, bald in Trivialität herabglitten; im Versbau
nahmen sie sich die durch die Eigenart der lateinischen Sprache
geforderten Freiheiten. Dasselbe dürfen wir von den späteren Tra-
gödien des C. Iulius Caesar Strabo, Varro, Q; Cicero, Cassius aus
Parma, sowie wohl auch von denen des Santra und des Asinius
Pollio voraussetzen, zumal diese nur teilweise für Aufführungen ge-
dichtet waren. Da die Tragödie immer für die vornehmste Dich-
tungsgattung galt, so schuf auch die Kaiserzeit noch neue Stücke,
natürlich mit verfeinerter Technik und gesteigerter Rhetorik. Hier
sind zu nennen des L. Varius Thyestes, Ovids Medea, Pomponius
Secundus, Curiatius Maternus und endlich namentlich die Tragödien
des Seneca. Aber diese Dichtungen waren gewiß meist Buchdramen,
die auf Bühnenwirkung verzichteten und nur in Vorlesungen den
Beifall der Freunde des Dichters suchten. Historische Bedeutung
haben unter allen diesen Versuchen nur die Tragödien des Seneca
erlangt.
1. Tragicorum latin. reliquiae, rec. 0 Ribbeck:, Lps.s 1897. FGWelcker,
die griech. Tragödien (Rhein. Mus. Suppl. 2, 3), Bonn 1841, S. 1332—1484
§ 13. Die Tragödie 21
und ORibbeck, die röin. Tragödie d. Republ., Lpz. 1875. Irrig ist die An-
nahme Ribbecks (röm. Trag. 34. 204), man habe im ersten Jahrhundert n.
Chr. altrömische Tragödien, wie des Livius Ino, des Ennius Athamas mo-
dernisiert; vgl. § 290, 6. — Horstmann, de vet. trag. Rom. lingua, Münst.
1870. LBbunel, de tragoedia Rom. circa princip. Aug. corrupta, Par. 1884.
2. Die Zahl der uns irgendwie bekannten Dichter von Tragödien be-
läuft sich höchstens auf 36; die der Stücke auf höchstens 150 (Verzeich-
nisse bei Ribbkck trag.3 p. 332; röm. Trag. 684); erhalten sind mir die des
Seneca. Besonders beliebt waren die Stoffe des troischen Sagenkreises, z.
T. wohl wegen der angeblichen Abkunft der Römer von den Trojanern.
Allgemeine Beurteilung in bezug auf den Wert für die rednerische Aus-
bildung bei Quint. 10, 1, 97.
3. Auch die Tragödie bestand aus ruhigeren und bewegteren Partien,
Dialog und Gesang, diverbium (deverbium) und cantica. Der Dialog war über-
wiegend im iambischen Senar gehalten, der aber erst von der augusteischen
Zeit an genau nach dem griechischen Schema als Trimeter gebaut wurde
(vgl. § 93). Die cantica zeigen im Verhältnis zur Komödie wenig metrische
Mannigfaltigkeit; am häufigsten sind Anapäste und Kretiker, daneben tro-
chäische und iambische Tetrameter, auch daktylische Verse. Die cantica
wurden von den tibiae begleitet (Cic. or. 184. de or. 1, 254. Tusc. 1, 107.
Hör. AP. 215), und Geübtere erkannten schon aus der Ouvertüre des tibicen
das Stück (Cic. Acad. pr. 2, 20. Vgl. de or. 3, 196. Donat. de com. p. 12,
11 R). — Über den Prunk in der Ausstattung: Cic. ep. 7, 1. Hör. E. 2, 1,
187 ff., bes. 203 tanto cum strepitu ludi spectantur et artes divitiaeque pere-
grinae: quibus oblitus actor cum stetit in scaena, concurrit dextera laevae
(klatscht Beifall). Ribbeck, röm. Trag. 664. — Über crepidata (von crepida,
xQjftlg, s. v. a. cothurnus) als Bezeichnung der röm. Tragödie mit griechi-
schem Stoffe s. § 14, 2.
4. In der ciceronischen Zeit kamen durch den ausgezeichneten Schau-
spieler Aesopus (s. Ribbeck, röm. Trag. 674) die Tragödien (bes. des Pacu-
vius und Accius) sehr in Aufnahme; s. zB. Cic. Sest. 120. fin. 5, 63. Tusc.
1, 106. Lael. 24. Andere tragoediarum actores sind Rupilius (Cic. off. 1, 114),
Catienus und Fufius (Hör. S. 2, 3, 60), Apelles (Süet. Calig. 33), Glyko (Pers.
5, 9), Apollinaris (Suet. Vesp. 19). — Über die Teilung in fünf Akte s.
5. Einen Chor ganz in der Weise der Hellenen können die Römer
schon darum nicht gehabt haben, weil bei ihnen die orchestra durch den
Senat besetzt war. Chorische Orchestik (vgl. auch § 1, 4) , war schon da-
durch fast ganz ausgeschlossen, nicht aber zeitweiliges Erscheinen und Zu-
sammensingen einer Mehrzahl von Schauspielern (catervae atque concentus,
Cic. de or. 3, 196; vgl. Columella 12, 2; vgl. § 16, 5) auf der Bühne, die
eben darum geräumiger war (AMüller, Bühnenalt. 19). Also werden die
griechischen Chorlieder von der römischen Tragödie übernommen; von den
älteren Tragikern schon deshalb, weil sie überhaupt Übersetzer sind; dazu
kommen Titel wie Bacchae, Eumenides (vgl. Cic. Rose. Am. 66. Pis. 46),
Hellenes, Myrmidones, Phinidae, Phoenissae, Statiastae, Troades, sowie zahl-
reiche einzelne Spuren. So setzt die Erzählung von Lucullus bei Hör. E. 1,6, 40
(vgl. Plut. Luculi. 39) einen Chor voraus (§ 16, 4). Vgl. Polyb. 30, 13. So
22 Sachlicher Teil
sang in der Ino des Andronicus (§ 94, 5) chorus hymnum Triviae (Ter. Maur.
1934 = GL. 6, 383), trat im Lycurgus des Naevius ein Chor von Bacchae
auf, in der Iphigenia des Ennius ein chorus (Gell. 19, 10, 12), ebenso in
dessen Medea (fr. 14 = Eur. Med. 1251); bei Pacuvius gab es ein stasimum
(Mar. Vict. GL. 6, 77) und in Antiopa, Chrjses, Niptra gleichfalls Chor-
ähnliches. Einen chorus Proserpinae erwähnt Varro LL. 6, 94. Spärlicher
sind die betreffeüden Anzeichen bei Accius, doch deutlich in den Bacchae
und im Philocteta. Auch Pomponius Secundus (§ 284, 7) und Seneca hätten
ihre Chorpartien ohne den Vorgang der Älteren wohl nicht gedichtet
(§ 290, 3), Horaz (AP. 193) nicht so ausführlich über die Einrichtung des
Chors gesprochen, wenn er im römischen Drama nicht existiert hätte. Vgl.
auch über einen dexter actor Manil. astr. 5, 485 aequäbit choros gestu.
Phaedr. 5, 7, 25 tunc chorus ignotum modo reducto canticum insonuit, cuius
haec fuit sententia: Laetare, incolumis Koma, sdlvo Principe. Grysar, d.
canticum u. d. Chor in der röm. Trag., Wien 1855 = SBer. Wien. Ak. 15,
365. OJahn, Herrn. 2, 227." Ribbeck, röm. Trag. 637. Reisch, PW. 3, 1495.
Vgl. bes. § 15.
6. Die tragischen Aufführungen lösten sich in der Kaiserzeit in ihre
Bestandteile auf und entarteten in Soli von Virtuosen (Sängern und Pan-
tomimen). Über die Pantomimen s. oben § 8, 13. Wie diese im Gebärden-
spiel tragische Szenen wiedergaben, so trugen die Sänger gleichfalls in
einem der Rolle entsprechenden Kostüm tragische Arien vor. Plin. ep. 9, 34.
Über die Liebhaberei Neros dafür § 286, 9. Vgl. LPriedlandrr, Sittengesch.
28, 451. 633. GBoissier, de la signification des mots cantare et saltare tra-
goediam, Rev. archeolog. N. S. 4 (1861), 333. .
14. Die national-römische Tragödie ist die (fabula). praetexta,
die in Ermangelung eines einheimischen Heroenm vthns Jhistorisch,^
Stoffe behandelte und wohl durchweg von solchen Dichtern bear-
beitet wurde, die auch Tragödien mit griechischem Stoffe und nach
griechischen Originalen verfaßten. So Naevius (Clastidium^ Ro-
mulus), Ennius (Ambracia, Sabinae), Pacuvius (Paullus), Accius
(Aeneadae s. Decius, Brutus), Baibus ein Iter ad Lentulum; für
das Lesen Pomponius Secundus (Aeneas), Curiatius Maternus einen
Domitius und Cato. Auch die Octavia gibt sich als eine praetexta.
Form und Charakter der praetexta war der Tragödie nachgebildet;
die Verschiedenheit des Stoffes berechtigt nicht dazu eine besondere
Gattung aus ihr zu machen. Sie war eine künstliche Schöpfung,
die es nie zu wirklichem Leben gebracht hat.
1. Die Form praetexta haben Asinius Pollio (bei Cic. ep. 10, 32, 3. 5).
Horatius (AP. 288), Probus (vita Persii, p. 237 Jahn), Festus (223; vgl. 352);
bei den späteren Grammatikern herrscht der Name praetextata vor.
2. Diomedes GL. 1, 489 (p. 59 Kb.) prima species est togatarum (der
nationalen Dramen) quae praetextatae dicuntur, in quibus imperatorum ne-
gotia agebantur et publica et reges Homani vel duces inducuntur, personarum
§ 14. Die Praetexta 23
dignitate et sublimitate tragoediis similes. praetextatae autem dicuntur, qiiia
fere regum vel magistratuum, qui praetexta utuntur, in eiusmodi fäbidis acta
comprehenduntur. (Vgl. praetextati in magistratibus, in sacerdotiis , bei Liv.
34, 7. Auch Non. 541). Diomed. aO. 490 (p. 60 Kb.) togata praetextata a
tragoedia differt, quod in tragoedia heroes inducuntur, . . in praetextata
autem . . Brutus vel Decius, item Marcellus (§ 94, 6). Manit,. 5, 483 (dexter
•actor) magnos heroas aget civisque togatos. Donat. de com. 6, 1 tragoedia,
si Latina argumentatio sit, praetexta dicitur. Euanth. de com. 4, 1 prae-
textatas, a dignitate personarum tragicarum ex Latina historia. Lydus de
mag. 1, 40 (die Tragödie) t^vstai sig y.Qr\7ti8ccxav (§ 13, 3. Donat. Ter. Ad.
prol. 7)' xca TtQaLts^xdtav <x>v f] (ihr xQvmdcircc kXXr\viv,ag %%st vitoftiüBig , r\
■öl itQcuxet-xdxa (xüftcdWg. Jedoch nennt Tacitus dial. 2 (vgl. Plaut. Amphitr.
prol. 41. 93. Capt. 62) den Cato des Curiatius Maternus tragoedia: prae-
texta war im Grunde eine rein gelehrte Bezeichnung. Die praetextae meint
mit seinen togatae Sen. ep. 1, 8, 8; s. § 17, 1. Aufführung der praetextae
vielleicht bei ludi triumphales (GRöper). Benutzung einzelner Partien aus
griech. Tragödien ist so wenig auszuschließen als bei den Togaten (unten
§ 17) eine solche von Einzelheiten aus der neuen attischen Komödie. Be-
nutzung von Prätexten bei Livius zB. bei der Eroberung von Veji 5, 21
(vgl. daselbst § 8 liaec ad ostentationem scaenae gaudentis miraculis aptiora,
s. Ribbeck, RhM. 36, 321) ist öfter grundlos behauptet worden, so noch von
Soltau, Die Anf. d. röm. Geschichtschr., Lpz. 1909, 21. Vgl. Gubernatis,
Riv. Fil. 40, 444. Auf eine praetexta führte man auch das schöne pompe-
janische Wandgemälde zurück (abg. Mus. Borbon. 1, 34. Visconti, iconogr.
rom. 3, 56), das man auf die von Scipio und Masinissa umgebene sterbende
Sophoniba deutete; s. OJahn, der Tod der Sophoniba, Bonn 1859. Reiffer-
«cheid, JB. 23, 265. Aber diese Deutung ist keineswegs sicher; Bernoulli,
Röm. Ikonogr. 1, 56. — Sammlung der Überreste der praetextae bei Ribbeck,
trag.3 319. Vgl. Welcker, die griech. Trag. (1841) 1344..1388. 1402. Boissier
RPh. 17, 101. ASchoene, das histor. Nationaldrama der Römer, Kiel 1893.
15. Unter den Arten der Komödie (vgl. § 12) ist die früheste
die JjijUJjgiigb> d. h. die nach griechischen Vorbildern gearbeitete
und in Griechenland spielende. Sie beherrscht das ganze sechste
Jahrh. d. St. Zu ihr gehören Andronicus, Naevius, Plautus, Ennius,
Trabea; Atilius, Licinius Imbrex, Iuventius, Statius Caecilius,Luscius
Lanuvinus, Terentius, Plautius, Turpilius. Diese Namenfolge stellt^
soweit die einzelnen Dichter kenntlich sind, einen Fortschritt dar
in Verfeinerung der Form, damit aber zugleich eine Abnahme der
Selbständigkeit gegenüber den griechischen Originalen, die fast
durchweg der neueren attischen Komödie angehörten. Die älteren
Palliatendichter suchten (auch durch allerlei Zutaten, örtliche, zeit-
liche, vergröbernde) ihre auf ein attisches Publikum berechneten
Stücke wenigstens einigermaßen dem Volksgeschmacke anzupassen;
die späteren, wie Terenz, verschmähten dies, verloren aber darüber
24 Sachlicher Teil
die Fühlung mit dem Volke , das sich lustigeren Gattungen zu-
wandte, den Togaten, Atellanen und Mimen. Infolgedessen erlosch
die Produktion von Palliaten und die Bühne mußte, wenn sie solche
aufführen wollte, auf die ältere Literatur zurückgreifen. So er-
hielten sich besonders die Stücke des Plautus noch einige Zeit auf
der Bühne (vgl. § 99). Was die Kaiserzeit in dieser Gattung her-
vorbrachte, wie die Stücke des Vergilius Romanus und M. Pompo-
nius Bassulus, blieb auf enge Kreise beschränkt und ohne Wirkung.
1. Diomedes GL. 1, 489 Graecas fabufas ab habitu palliatas Varro ait
nominari. Plaut. Cure. 288 isti Graeci palliati etc. Pallium graecanicum
(Suet. dorn. 4) = liidxLov bllr\viY.6v (Lukian. merc. cond. 25). Sen. controv.
9, 26, 13 cum Latine declamaverant, toga posita sumpto pallio . . Graece
declamabant. Auch wurde die Palliata schlechtweg comoedia genannt und
ihre Dichter comici (Ritschl, Parerga 189). So Diomed. GL. 1, 490 togata
tabernaria a comoedia differt, quod in comoedia Graeci ritus indueuntur
personaeque Graecae . , , in illa vero Latinae .... Terentius et Caecilius co-
moedias scripserunt. Ebenso Fronto ep. p. 54 u. 211 Nab. (comoedias, Atel-
lanas). 106 (sententias comes ex comoedis) u. a. Aber wenn Quint. 11, 3, 178
als maximos actores comoediarum seiner Zeit den Deinetrius und Stratokies-
nennt, so scheint er griechische Schauspieler zu meinen.
2'. Die alte attische Komödie war zu eng mit ihrer Zeit verwachsen, als<
daß sie sich für eine andere Nation und Zeit zur Nachbildung geeignet
hätte (über den Nachahmer der altattischen Komödie Vergilius Romanus»
h. § 332, 7). Die mittlere Komödie hatte keine starke Nachwirkung (Legrand.
Daos 19) und war allmählich und fast unmerklich in die neue übergegangen.
Diese war den Römern zeitlich die nächste, im sechsten Jahrh. d. St. allein
noch auf der Bühne, und durch ihre typische Charakterzeichnung und all-
gemein menschliche Haltung für die Übertragung auf fremden Boden einiger-
maßen geeignet. Von ihren Vertretern wiederum betonte besonders Menander
das allgemein Menschliche, dann auch Diphilos und Philemon, die aber der
Posse näher blieben, andere bei Gell. 2, 23, 1 comoedias lectitamus nostrorum
poetarum sumptas ac versas de Graecis, Menandro aut Posidippo auL-Apol-
lodoro aut Alexide et quibusdam item aliis comicis. Doch fehlten Anspielun-
gen auf Zeitgenössisches auch in der neueren Komödie nicht ganz, die von.
den Römern z. T. übernommen, z. T. durch Hinweise auf Römisches ersetzt
wurden. Dietze, de Philemone 10. Im ganzen aber ist das Kolorit der Pal-
liatae griechisch, vgl. § 98, 4. Leo PF. 87. Legrand, Daos 55. Bugge, de
causis neglectae comoediae veteris et mediae, Christiania 1823.
3. Die Äußerung des M. Aurel. 11, 6 77 via xo^köicc nobg xl note
iKxQEilrpttcci, f) %av öliyov inl xr\v £% /u/xrjtffeas cpilor£%viav VTtsQQvr] bezieht
sich nicht auf die römische Palliata. Wohl nur Stilübung war der Versuch
des Surdinus, ingeniosus adulescens (in der augusteischen Zeit, § 268, 6), a quo-
Graecae fabulae eleganter in sermonem Latinum conversae sunt (Sen. suas.
7, 12). Comoedias audio bei Plin. ep. 5, 3, 2 ist wohl von rezitierten (wie de&
Vergilius Romanus) zu verstehen. Über die Spuren von Komödienauffüh-
rungen in der späteren Kaiserzeit s. Friedländer, Sittengesch. Roms 28, 632„
§ 15. 16. Die Palliata 2b
4. Eine sonderbare Rangliste der Palliatendichter (Caecilius Statius,
Plautus, Naevius, Licinius, Atilius, Terentius, Turpilius, Trabea, Luscius,
Ennius) von Volcacius Sedigitus bei Gell. 15, 24, s. § 147, 3.
5. Die Überreste der Palliatendichter (außer Plautus und Terenz) bes.
bei ORibbeck, Comicorum rom. . . fragtn. Lips.3 1898. ASpengel, die lat.
Komödie (Rede), München 1878 (Bayr. Akad.).
16. Aus der neuen Komödie nahm die Palliata nicht nur den all-
gemeinen Geist des späteren überfeinerten Hellenentums und dessen
sittliche Lässigkeit und Leichtfertigkeit, sondern auch im Ein-
zelnen Handlung, Charaktere, Aufbau und Form. Diese Anlehnung
erstreckte sich selbst auf Kleinigkeiten, zB. auf Prolog und Epilog.
Weder die geschilderten Zustände noch die herrschende Moral oder
Morallosigkeit paßten in das Born Scipios und Catos, und schon
deshalb mußte die Palliata dort ein Fremdling bleiben. Da sie einen
Chor so wenig kennt wie die neue Komödie, so zerfällt das einzelne
Stück in gesprochene Partien (diverbia) und gesungene oder musi-
kalisch begleitete (cantica). Der Dialog ist meist im iambischen
Senar gehalten, aber auch in iambischen und trochäischen Lang-
versen; für die cantica sind Anapästen, Kretiker und Bacchien be-
sonders häufig verwendet worden. Alle diese Verse werden mit
zahlreichen und starken, aber fest geregelten Zugeständnissen
an die lateinische Aussprache übernommen. Der Vortrag war in
Anlehnung an die griechische Sitte teils Deklamation (ohne Musik-
begleitung) teils Gesang teils Rezitativ; die beiden letzteren Arten
waren von der tibia begleitet. Masken hatten die Schauspieler wohl
erst nach der Zeit des Terenz.
1. Schilderung der neueren Komödie bei Legrand, Daos, Paris 1910,
vWilamowitz JJ. 1899,513; der Palliata bes. bei Leo, LG. 1,96. Ribbeck,
röm. Dicht. 1, 57. Der Kreis der Motive wie der Charaktere in der neueren
Komödie war überaus eng, und so monoton das Leben im hellenistischen
Athen sein mochte, so schöpfte sie es doch bei weitem nicht aus. Die Liebe
eines Jünglings zu einer Hetäre, die Mittel, die er anwendet, um in ihren
Besitz zu gelangen, die Auffindung ihrer Eltern und ihre Restitution ins
bürgerliche Leben kehren immer wieder. Daher bildet der aus der Tragödie
stammende ärayvoagiö^og meist die Lösung des Knotens. PHoffmann, de
anagnorismo, Bresl. 1910. Stehend ist auch die Intrigue, die dem verliebten
Jünglinge zu der Geldsumme verhelfen soll, deren er zum Loskauf seiner
Geliebten aus den Händen des grausamen aber glücklicherweise dummen
Leno bedarf; eingeleitet wird sie bisweilen von einem Parasiten, meist aber
von einem verschlagenen und selbst den schwierigsten Situationen gewach-
senen Sklaven; gerade diese Rolle wurde mit vieler Liebe und großem Ge-
schick ausgestaltet. KWeissmann, de servi currentis persona, Gießen 1911.
Die oft recht XDlatte Lebensweisheit berührt sich manchmal mit den Lehren
26 Sachlicher Teil
der zeitgemäßen Philosophie, deren Einfluß aber nicht überschätzt werden
darf. FRanke, Periplecomenus (de Epicuri Peripateticorum Aristippi vesti-
giis), Marb. 1900. Die Hauptcharaktere sind sorgliche Väter, leichtsinnige
Söhne, listige Sklaven, geld- und liebehungrige Hetären, gemeine Kuppler,
plumpe und aufschneiderische Kriegsmänner, hungerleiderische Parasiten.
Manil. 5, 472 ardentis iuvenes raptasque in amore pucllas elusosque senes
-agilesque per omnia servos. Quint. 11, 3, 178 (§15, 1) alter deos et iuvenes
et bonos patres servosque et matronas et graves anus optime, alter acres senes,
■callidos servos, parasitos, lenones et omnia agitatiora melius. Apul. flor. 10,
p. 24, 15 H. et leno perlurus et amator fervidus et servulus callidus et amica in-
ludens et uxor inhibens et mater indulgens et patruus obiurgator et sodalis opi-
tulator et miles proeliator, sed et parasiti edaces et parentes tenaces et meretrices
jprocaces. Isidor. origin. 18, 46 comoedl sunt, qui privatorum hominum acta
dictis ae gestu canebant atque stupra virginum et amores meretricum in suis
fabulis exprimebant. Vgl. die Übersicht bei Legrand 64 — 234. Die Wiederkehr
der gleichen Fabeln und Personen beruht u. a. auf der raschen Arbeit der
Dichter, die eine erstaunliche Produktivität entfalteten : von Menander hatte
man 105, von Diphilos 100, von Philemon 97 Stücke, und diese glichen sich
bisweilen wie ein Ei dem anderen. Legrand, Daos 300. Die Schnelligkeit
der Arbeit hatte viele Nachlässigkeiten der Komposition und Widersprüche
im Gefolge, welche die moderne Kritik in den Stücken des PI. und Ter.
gern aus Kontamination erklärt. Dazu kam das Streben nach possenhaften
Wirkungen, das wohl schon in manchen Originalen alle Konsequenz über
den Haufen rannte und solche Stücke wie Centonen erscheinen ließ, in denen
sich (wie in modernen Gesangspossen und Operetten) die verschiedensten
älteren Motive ein Rendezvous geben. Vgl. § 97, 14. Über die Personen-
namen der Komödie s. Donat. ad. Ter. Ad. L, 1, 1 und Andr. 1, 3, 21. Ritschl,
op. 3, 303. 333. 350. KSchmidt Herrn. 37, 173 ff. Merkwürdigerweise verän-
dern Plautus und Terenz die Personennamen des Originales, und Plautus
bildet viele frei und phantastisch, z. T. in der Art der alten Komödie (Poly-
machaerophagides, Pyrgopolinices).
2. Euanth. de com. 4, 4 comoediae motoriae sunt aut statariae aut mix-
tae. motoriae turbulentae, statariae quietiores, mixtae ex utroque actu con-
sistentes. Nach dieser (freilich für uns nicht verbindlichen) Einteilung fallen
die Plautinischen so ziemlich alle den motoriae zu (doch zB. Capt. und Trin.
den statariae), von Terenz die meisten den mixtae, Phormio den motoriae,
Heautontim. den statariae (Heaut. prol. 36). Darnach wurden auch die Schau-
spieler (vgl. Donat. zu Ter. Ad. prol. 24 nebst Quintil. 11, 3, 178) und weiter-
hin die Redner (Cic. Brut. 116. 239) in statarii und motorii eingeteilt. Dem
Inhalt nach sind die Stücke entweder Charakterstücke (zB. des Plautus Aul.,
allenfalls auch zB. Mil. Truc.) oder ganz besonders Intriguenstücke (zB.
Bacch. Pseud. Pers. Poen.) mit mancherlei Übergängen und Abarten und
starkem Eindringen von Situationskomik, die sich besonders bei Plautus
überall breit macht. Haile, The clown in greek literature after Aristo-
phanes. Princeton 1913. Die Einheit des Ortes und der Zeit wird auch auf
JKosten der Wahrscheinlichkeit inne gehalten; das Ärgste ist, daß Gelage,
Wochenbett, Toilette und Liebesszenen auf der Straße stattfinden, was Bethe,
Proleg. zur Gesch. des Theaters 311. Landström Eranos 1, 95 mit Unrecht
§ 16. Die Palliata 27
leugnen; vgl. Polcyzk, de unitatibus loci et temp. in nova com. observatis,
Breslau 1909. Legrand a. 0. 420.
3. Diomedes GL. 1, 491 Latinae comoediae chorum non habent, sed duobus
membris tantum constant, diverbio et cantico (vgl Ritschl, op. 3, 34). primis
autem temporibus, sicuti adserit Tranquillus (§ 347), omnia quac in scena ver*
santur in comoedia agebantur. nam et pantomimus et pyihaules et choraules
in comoedia canebant (in dieser Form verkehrt). Allmählich aber habe sich
eine Sonderung von histriones (actores comoediarum) , mimi und tibieines voll-
zogen. Vgl. Liv. 7, 2, 10 inde ad manum cantari histrionibus coeptum diver-
biaque tantum ipsorum voci relicta. Übertreibend, die Notiz in den glossae
Salomonis (Usener, Sehr. 3, 37. Com. gr. 1, 72 Kb.): apud JRomanos quoque
JPlautus comoediae choros exemplo Graecorum inseruit : so im Rudens 290 — 305
den Fischerchor, ein deutliches Rudiment des zur Füllung des Zwischenaktes
benutzten Chores (Koerte Herrn. 43, 299), an den eine Erinnerung in Plaut.
Bacch. 107. Ter. Haut. 171 vorliegt. Leo Herrn. 46, 292. Skutsch ebd. 47,
141. Flickinger, Class. Phil. 7, 24. Vgl. A. 7.
4. Die alte attische Komödie verwandte selten mehr als drei Schau-
spieler; s. AMüller, gr. Bühnenaltertümer 176. Kelley Rees, the so-called
Rule of three Actors, Chicago 1908. In der neueren scheint aber nach Weg-
fall des Chors jene Zahl häufiger überschritten worden zu sein; vgl. Euan-
thius de com. 2, 2: ad ultimum qui primär um partium, seeundarum tertia-
rumque, qui quarti loci atque quinti actores essent distributum et divisa
quinquepartito actu est tota fabula. In Rom waren die Dichter in der Zahl
ihrer Schauspieler noch weniger beschränkt. Diomed. aO. 491 in Graeco
dramate fere tres personae solae agunt . . ., quarta semper muta: at Latini
scriptores complures personas in fabulas indroduxerunt , ut speciosiores fre-
quentia facerent. Die centum chlamydes aber, die bei Hör. E. 1, 6, 41 (clüa-
mydes Lucullus . . centum scenae praebere rogatus) für die Bühne entlehnt
werden, sind sicher nur für Choreuten oder Statisten bestimmt. Vgl. § 13, 5.
Ps.-Ascon. zu Cic. div. in Caec. 48 Latinae fabulae per pauciores agebantur
personas (als die Palliaten), ut Atellanae, togatae et huiusmodi aliae. Auf
jene altgriechische Regel spielt an Martial 6, 6: comoedi tres sunt, sed amat
tua Paula, Luperce, quattuor: et xacpbv Paula tcq6cg)7zov amat. Unter den
Plautinischen Stücken ist nur bei zweien (Cist. und Stich., beide jedoch un-
vollständig erhalten) allenfalls mit drei Schauspielern auszukommen, vier
aber (Capt., Epid., Merc, Pseud.) erfordern mindestens vier, zehn mindestens
fünf Schauspieler, Poenulus und Rudens aber sechs. Sieben vermutet für
den Trinummus Ritschl p.2LV. Von den terenzischen machen Heaut. und
und Hec. fünf, Ad. und Phorm. sechs Schauspieler notwendig, Andr. und
Eun. sogar noch mehr. Nicht einmal in dem engeren Sinne, in dem Horaz
(AP. 192; vgl Diomed. GL. 1, 491, 23), von der griech. Tragödie ausgehend,
im Interesse der Einfachheit vor Szenen mit mehr als drei redenden Per-
sonen warnt, beschränken sich die Palliatendichter; s. die Aufzählung bei
FSchmidt S. 4. Im einzelnen ist hier vieles nicht auszumachen, zB. ob eine
bestimmte Maximalzahl der Schauspieler bestand — was schwerlich der
Fall war — (Steffen aO. meint sieben), wie die Verteilung der Schauspieler
unter eine Mehrzahl von Rollen stattfand und ob gar eine Rolle in ver-
schiedenen Akten unter mehrere Schauspieler verteilt wurde, um ein häufi-
28 Sachlicher Teil
geres Auftreten der besten Schauspieler zu ermöglichen; die zur Scheidung
der Personen in den Hss. verwendeten griechischen Buchstaben haben in
keinem Falle mit der Schauspielerzahl etwas zu tun. FSchmidt, d. Zahl der
Schauspieler bei Plaut, u. Ter., Erl. 1870, CSteffen, de actorum in fabulis
Terent. numero, Acta soc. Lips. 2, 109. HBosse, quaest. Terent. (c. II), Lps.
1874. FSchöll, JJ. 119, 41. GHSchmitt, qua ratione vet. Terentii fabula-
rum partes distribuerint, Festschr. z. Karlsruher Philol. Yers. 1882, 24.
Nencini, De Terentio, Livorno 1831. Legrand, Daos 366. Hodermann, Fest-
schr. 40. Philol. Vers., Görl. 1889. Vgl. A. 8.
5. GHermann, de canticis in Rom. fab., opusc. 1, 290. BWolff de can-
ticis etc., Halle 1824. Grysar (§ 13, 5 E.). Übrigens gibt es auch Komödien
ohne eigentliche cantica, wie Plaut, mil. glor., und solche, in denen sie sehr
spärlich sind, zB. Asin. Cure. Merc. öfters trat (so in Plautus' As. Bacch.
Capt. Cist. Epid.) die Gesamtheit der im Stück beschäftigt gewesenen Schau-
spieler als caterva mit einem Schlußwort (in troch. Septenaren) an die spec-
tatores am Ende des Stückes auf (Fleckeisen, JJ. 111, 547). Vgl. A. 3 und
§ 17, 5. Als C (canticum oder cantio) und somit von Musik begleitet werden
aber in den Hss. des Plautus nicht nur lyrische, aus freieren oder gemischten
Maßen bestehende Szenen bezeichnet, sondern auch in trochäischen Septe-
naren gehaltene; dagegen nur die in iambischen Senaren durch DV als
diverbia. Ob richtiger deverbia? s. Dziatzko und Ribbeck aO. Dagegen
Bücheler, JJ. 103, 273. Ritschl, op. S, 25. Von jenen cantica werden die
lyrischen Partien förmlich gesungen (Gesang mit Musikbegleitung), die
trochäischen Septenarszenen aber rezitativisch vorgetragen worden sein (reci-
tativo aecompagnato , 7CUQaxct%ccXoyr\ , Deklamation im Sington mit Musik-
begleitung). Ritschl, opusc. 3, 1, ed. Trin.2 p. lvi. Götz-Löwe zu PI. Asin.
p. xm. KDziatzko, RhM. 26, 97; JJ. 103, 819. Berge, op. 1, 192. WChrist,.
die Parakataloge, Abh. d. Bayr. Ak. 13, 3, 29. 48; Metrik2 676. Ribbeck,
röm. Trag. 632. Zielinski, Gliederung d. att. Korn., Lpz. 1885, 288. 313.
6. Ein Musiker lieferte die Begleitung (modos fecit), so zB. für Plautus
Marcipor Oppi, für Terenz Flaccus Claudi. Über die Art der Musik sind
die Hauptquelle die terenzischen Didaskalien (§109, 4): darin wird die im
einzelnen uns unverständliche Begleitung erwähnt als erfolgt tibiis paribus
oder tibiis imparibus oder tibiis duabus dextris oder tibiis Sarranis (tyri-
schen, Sarra = Tyrus). Varr. RR. 1, 2, 15 dextera tibia alia quam sinistra,
ita ut tarnen sit quodam modo coniuneta, quod est altera eiusdem carminis
modorum incentiva (erste Stimme), altera succentiva (zweite Stimme). Diomed.
aO. p. 492, 9. Donat. praef. Eun. p. 266, 10 W. u. praef. Adelph. p.4, 25 W.r
modulata est tibiis dextris , i, e. Lydiis, ob seriam gravitatem , qua fere in
omnibus comoediis utitur hie poeta (Ter.), saepe tarnen mutatis per scaenam
modis cantata, quod significat titulus scaenae Habens subieetas personis litteras
M. M. C. (mutatis modis cantici oder mutantur modi cantici; vgl. Ritschl,
op. 3, 39). So heißt es in der Didaskalie des Ter. Heauton.: acta primum
tibiis imparibus, deinde duabus dextris. Donat. de com. 8, 11 agebantur
tibiis paribus et imparibus, id est dextris aut sinistris. dextrae autem tibiae
sua gravitate seriam comoediae dictionem praenuntiabant, sinistrae [Serranae]
acuminis levitate iocum in comoedia ostendebant ; ubi autem dextra et sinistra
<acta fabulainscribebatur,mixtim ioci et gravitates denuntiabantur. Vgl. Dziatzko,
§ 16. Die Palliata 29
RhM. 20, 594. Grysar aO. 376. EBruner, quaest Terent., Helsingf. 1868.'
vJan, JJ. 119, 591, 21. Howard, Harv. St. 4 (1893).
7. In der alten attischen Komödie wurden die Pausen in der Handlung
durch Chorlieder bezeichnet und ausgefüllt, doch gab man diese allmählich
auf (AMüller, Bühnenaltertümer 342. Koerte, JJ. 5 [1900] 81), und in der
neueren Komödie vertrat wohl in der Regel ihre Stelle der avXr\tr\q. Vgl.
PLAut. Ps. 573 tibicen vos interibi hie delectaverit. Daneben hielten sich aber
Gesangseinlagen als Zwischenaktsmusik; s. A. 3 E. So ergab sich eine Ein-
teilung in Akte, ohne daß eine bestimmte Anzahl derselben erforderlich
gewesen wäre, wie denn auch Aristoteles darüber schweigt. Auch in der
lateinischen Komödie überließ der Dichter die Einschaltung der nötigen
oder wünschenswerten Pausen wenigstens teilweise der Regie (vgl. Donat.
Eun. p. 266, 1. Ad. p. 4, 7); im allgemeinen ergaben sie sich daraus, daß
die Bühne leer blieb, von selbst. Daher enthielten weder die ursprünglichen
Hss. des Plautus und Terenz eine Einteilung in Akte, noch ist in den auf
uns gekommenen Handschriften eine Spur davon. Aber im Prolog des
L. Ambivius (§ 16, 14) zu Ter. Hec. 39 kann primo actu placeo nicht, wie
man behauptet, in prima fabula sein, sondern muß wirklich den ersten Akt
bezeichnen. Seit hellenistischer Zeit wird die Einteilung des Dramas in
5 Akte (iidgri) von Grammatikern vorausgesetzt und zB. von Varro erwähnt
(Donat. praef. Hec. p. 192, 7) der auch bildlich von Akten spricht (RR. 1, 26
quartus actus; 2, 5, 2 seeundus actus; 3, 17, 1 tertius actus; ebenso Cic. ad.
Qu. fr. 1, 1, 46 tamquam poetae boni et actores industrii sölent, sie tu in
extrema parte (= pegei) . . . diligentissimus sis, ut hie tertius annus imperii
tui tamquam tertius (actusy perfectissimus atque ornatissimus fuisse videa-
tur, vgl. Apul. flor. 16, p. 24, 21 H. cum iam in tertio actu, quod genus in
comoedia fieri amat, iueundiores adfectus moveret. Von der Fünf zahl der
Akte als einem Erfordernisse des Dramas spricht bestimmt Horaz AP. 189
neve minor neu sit quinto produetior actu. Donat klagt wiederholt über die
Schwierigkeit der Akteinteilung. Vgl. Euanth. de com. 3, 1 postquam otioso
tempore fastidiosior speetator effectus est et tum, cum ad cantores ab actoribus
fabula transibat, consurgere et abire coepit, res admonuit poetas ut primo
quidem choros toller ent locum eis relinquentes , ut Menander fecit . . . : pos-
tremo ne locum quidem reliquerunt, quod Latini fecerunt comici, unde apud
illos dirimere actus quinquepartitos difficile est. Auch die nicht seltene Un-
zweckmäßigkeit der bei den Grammatikern überlieferten Akteinteilungen
beweist ihren späteren Ursprung. Vgl. Steffen (A. 4 E.) p. 147. Im allgem.
s. Donat. arg. Andr. p. 38, 21 W. : est attente animadvertendum, ubi et quando
scaena vacua sit ab omnibus personis, ita ut in ea chorus vel tibicen obaudiri
possint; quod cum viderimus, ibi actum esse fmitum debemus agnoscere. Fünf
Akte als das Regelmäßige setzt auch voraus Donat. zu den Ad. p. 4, 7W. :
hoc etiam ut cetera huiusmodi poemata quinque actus habeat necesse est, und
zur Hec. p. 189, 15 W. : divisa est ut ceterae quinque actibus legitimis. Bei
dieser Einteilung enthält der erste Akt gewöhnlich die Auseinandersetzung
(%QÖxa6t,s), im Akt II bis IV wird der Knoten geschürzt und die Verwick-
lung herbeigeführt [iTtitccGig) , im fünften erfolgt die Lösung (xccTa6TQocpri).
Victorin. Gl. 6, 78, 29 haec per medios actus varie, rursus in exitu fabula-
rum usw. Aber die Betrachtung der Stücke selbst führt selten auf mehr als
30 Sachlicher Teil
drei Akte. Ritschl, opusc. 2, 354. WSchmitz, de actuum in Plaut, fab.
discriptione , Bonn 1852. EBruner, quaest. Terent. (1868) 20. Leo, PF. 226.
Legrand, Daos 464. Keym, de fabb. Terenti in actus dividendis, Gießen 1911.
Über die metrische und musikalische Komposition der einzelnen Akte ASpengel,,
d. Akteinteilung d. Kom. d. Plaut., Münch. 1877.
8. Die Einteilung in Scenen findet sich in allen Handschriften des
Plautus und Terenz regelmäßig, da Namenüberschriften der jedesmal spre-
chenden Personen unentbehrlich waren. Die sprechenden Personen werden
innerhalb der Szenen in den Hss. gewöhnlich mit den Anfangsbuchstaben
ihres Namens bezeichnet: manchmal aber auch der Abkürzung wegen nur
mit einzelnen griechischen Buchstaben, zu deren Verständnis den Schlüssel
die Szenenüberschrift gibt, die neben dem Namen den betreffenden Buch-
staben verzeichnet. So stellenweise im cod. vet. (B) des Plautus (§ 99, 7;
am vollständigsten im Trin.) und am meisten durchgeführt im Bembinus
und Victorianus des Terenz (§109, 2). Ritschl, op. 2, 294. 365; ed. Trin.2
p. lv u. a. (Teuffel, JJ. 105, 108. CSteffen [A. 4] 116. 150. WWagner,
JB. 1, 446) haben mit Unrecht angenommen, daß diese Buchstaben drama-
turgische Bedeutung hätten, auf die Rollenverteilung unter die Schauspieler,
auf die Bedeutung der Rollen als Haupt- und Nebenrollen hinwiesen usw. ;
s. Leo zu Sen. trag. 1 p. 85. — ASpengel, Szenentitel in d. lat. Kom.,
Münch. SBer. 1883, 257.
9. Als Ersatz für vorgenommene Kürzungen des Originals und zur Er-
höhung der stofflichen Anziehungskraft eines Stückes nahmen schon Naevius,
Plautus (vgl. Götz, act. soc. Lips. 6, 310. 316), Ennius und nach deren Vor-
gang auch Terenz (Andr. prol. 18) aus einem griechischen Stücke verwandten
Inhalts einzelne Szenen in das von ihnen bearbeitete herüber, was Luscius
(§ 107, 5) tadelnd contaminare nannte (s. Andr. prol. 16. Heaut. prol. 16).
Dieses derbe Verfahren, das nur durch die Gleichheit des Milieus und die
Ähnlichkeit der Handlung in den benutzten Originalen ermöglicht wurde,
schädigte um den Gewinn wirksamer Einzelheiten oft genug die Komposi-
tion des Ganzen und verursachte besonders bei Plautus (§ 98, 2) mancherlei
unausgeglichene Widersprüche. Legrand, Daos 348. Vgl. § 98, 2.
10. Der Prolog enthielt der Regel nach die Ankündigung der Namen
und Darlegung des Inhalts des Stückes (Ter. Andr. prol. 5); bei Stücken
mit verwickelten Voraussetzungen, besonders denen mit ccvctyvmQioig, er-
zählte er die Vorgeschichte. Er wurde aber auch, wie die Parabase in der
alten Komödie, zur Erörterung persönlicher Anliegen des Dichters benützt.
Donatus de com. p. 69, 201 Kb. unterscheidet daher vier Arten: 6v6taTiti6g,
commendaticius ; irtiriiiriTixog, relativus; <5*(><xfi<rnxds, argumentativus ; juntrog,
mixtus. Alle diese Gattungen sind im Drama des 5. Jahrh. bereits vorge-
bildet, namentlich auch die Erzählung der Vorfabel durch einen Gott. Der
cvöratiTcog bzw. i7tixL^,7\tiY.6g des Terenz und seiner Gegner (WMeter, quaest.
Ter. 62) war, wie ein anonymes Komödienfragment zeigt (Kaibel Gott.
Gel. Nachr. 1899, 549. Reitzenstein , Herrn. 35, 622), schon in der rsa vor-
handen und nicht erst eine Erfindung des Terenz. Die manchmal etwas
aufdringliche Deutlichkeit der plautinischen Prologe rechnet mit der Be-
griffsstutzigkeit des römischen Publikums; PI. wird hier den Wortlaut der
Originalprologe erweitert haben. Vorgetragen wurde der Prolog unkostü-
§ 16. Die Palliata 31
miert (sine omamentis, Plaut. Poen. prol. 123, = ornatu prologi, Ter. Hec.
prol. B, 1) von einem Schauspieler, der nicht gleich zu Anfang des ersten
Akts aufzutreten hatte (Umkleidung , Poen. prol. 126; Ausnahmen bei
Ritschl Parerg. 19), oder vom dominus gregis (wie bei Terenz öfters). Doch
steht er nicht immer vor dem ersten Akt (Plaut, mil. 2, 2. Cist. 1, 3; vgl.
Donat. praef. Phorm. p. 347, 2W.) und kann auch überhaupt fehlen (Plaut.
Cure). Für neue Aufführungen eines Stückes, auch nach dem Tode des Ver-
fassers, wurden neue Prologe gedichtet oder die alten umgearbeitet, wovon
sich in den plautinischen Spuren finden. Vgl. § 99, 2. Leo, PF. 188.
Legrand 490.
11. Die 7tQo6cona TtQorati^d dienen vorzugsweise zur Erleichterung der
Exposition, auf die man überhaupt (da kein Theaterzettel dem Verständnis-
des Zuschauers zu Hilfe kam) besondere Sorgfalt verwandte. Donat. arg.
Andr. p. 36, 17W. : persona protatica ea intellegitur , quae semel indueta in,
prineipio fdbulae in nullis deineeps fabulae partibus adhibetur. Euanth. de
com. 3, 2 TiQOTccTixcc TtQOGartcc, i. e. personas extra argumentum accersitasr
non facile ceteri habent (doch zB. Plautus im Miles den Artotrogus u. in
d. Most, den Grumio); quibus Terentius saepe (in Andr. Phorm. u. Hec.)
utitur, ut per harum induetiones facile pateat argumentum.
12. Die stehende Form des Epilogs ist: plaudite. Ygl. Menand. fr.
831 it-ägecvTsg iitv^oxr\6ax^ mit Plaut. Truc. Schluß: plaudite atque exsur-
gite. Auch s. Quintil. 6, 1, 52 illud quo veteres tragoediae comoediaeque clu-
duntur rPlodite\ Hör. AP. 155 u. a.
13. Masken. Dtomed. GL. 1,489 antea galearibus (Haaraufsätze), non per-
sonis utebantur, ut qualitas coloris indicium faceret aetatis, cum essent aut
albi (Greise; vgl. albicapillus , Plaut. Mil. 631. Bacch. 1101. Trin. 873; dazu
langer Bart und Stock, Plaut. Men. 854. 856) aut nigri (Jünglinge; buhle-
rische zugleich gelockt, cincinnati, vgl. Plaut. Mil. 923) aut ruft (Sklaven).
personis vero uti primus coepit Roscius Gallus, praeeipuus histrio, quod oculis
perversis erat (vgl. Cic. nat. deor. 1, 79, s. über ihn Ribbeck, röm. Trag. 671)
nee satis decorus sine (in Hss.) personis nisi parasitus pronuntiabat. Dieser
offenbar sachkundigen Nachricht, die wohl aus Sueton und Varro stammt,,
steht gegenüber Donat. de comoed. 6, 3 personati primi egisse dieuntur co-
moediam Cincius Faliscus (nur hier genannt), tragoediam Minucius Prothy-
mus. Vgl. Donat. praef. zu Ter.-Eun. p. 266, 7 acta est . . etiam tunc personatis
L. Minucio Prothymo, L. Ambivio Turpione und praef. Ad. p. 4, 21 haec acta
est (J. 160) . . agentibus L. Ambivio et L. * * qui cum suis gregibus etiam tum
personati agebant. Wäre die Nachricht bezüglich des Ambivius Turpio rich-
tig, so ginge der Gebrauch von Masken bis in die Zeit des Terenz zurück:
Äußerungen über Minenspiel in dessen Stücken sprechen nicht unbedingt
dagegen (s. zB. Phorm. 210). Jedoch beziehen sich jedenfalls die Personen-
beschreibungen bei Plautus und Terenz häufig auf die hellenistischen Masken,
weil sie aus den Originalen herübergenommen sind; zB. stimmt es zu diesen,
wenn der Kuppler als crispus, recalvus, contraeta fronte (Rud. 125. 317), der
intriguierende Sklave als rufus (Asin. 400. Phorm. 51) geschildert wird. Roth
aO. 32. 54. Versuche, den Minucius Prothymus später anzusetzen und ihn
mit Roscius in Verbindung zu bringen (in der Truppe des Minucius habe
Roscius die Masken eingeführt), bei Dziatzko, RhM. 21, 68. Ribbeck, röm.
32 Sachlicher Teil
Trag. 661. Aus Cic. de or. 3, 221 in ore sunt omnia . . . personatum ne Boscium
quidem magnopere laudabant nostri Uli senes ergibt sich, daß man um J. 124
die Schauspieler noch ohne Masken sah, daß sie aber kurz darauf aufkamen
und zwar wohl, entsprechend dem allgemeinen Trieb des späteren römischen
Dramas, um die Aufführung möglichst der griechischen Weise anzubequemen.
Um J. 114 könnte Roscius schon in Masken aufgetreten sein. Einmal ein-
geführt, blieb das Tragen von Masken lange Regel; wenigstens erhellt dies
aus dem cogi in scena ponere personam (Fest. 217; s. oben § 9, 4); auch wird
seitdem an den actores comoediarum (im Unterschiede von den mimi = arti-
ftces scaenici, bei Sen. ep. 11, 7, die allein ohne Masken spielten) nur die
Stimme, der Vortrag und die Aktion als charakteristisch hervorgehoben, wie
bei Quintil. 3, 8, 51. 11, 3, 178. Die Terenzillustrationen (§ 109) zeigen uns die
Schauspieler durchweg mit Masken versehen; Robert aO. 87. Die Übelstände
der Masken suchte man zu vermindern, so durch große Augen- und Mund-
öffnungen, um den Blick (Cic. de or. 2, 193. 3, 221) und das Mienenspiel des
Schauspielers nicht ganz verloren gehen zu lassen. S. CRobert, die Masken
der neueren att. Komödie, Halle 1911. ERoth, novae com. adulescentes etc.
quomodo congruant cum Pollucis personis, Lips. 1913. Endlich schaffte man
die Masken wahrscheinlich unter dem Einfluß des Mimus wieder ab. Donat.
Ter. Andr. 4, 4 sive haec {femina = die Mysis) personatis viris agitur, ut apud
veteres, sive per mulierem, ut nunc videmus. Vgl. CSteffen 154. ChHofper,
de personarum usu in Terentii comoediis, Halle 1877. Leo, RhM. 38, 342.
Weinberger, WSt. 14, 126. Fiebiger, PW. 7, 576. — Antike Abbildungen von
Schauspielern: FWieseler, Denkm. d. Bühnenwesens, Gott. 1851. ThSchreibek,
kulturhist. Bilderatlas T. 1 — 6. AMüller, Bühnenaltert. 227. Robert aO. ; über
solche in den Terenzhss. § 109, 2.
14. Als actores comoediarum kennen wir aus der Zeit des Plautus einen
{T. Publüius) Pellio (§ 97, 8 A. 1. Ritschl, Parerga 250. 392. Studemund, com-
ment. Mommsen. 801), aus der des Terenz (vgl. auch A. 13) besonders: L. Am-
bivius Turpio, den namhaftesten Theaterdirektor und Schauspieler der
vorciceronischen Zeit (vgl. Cic. sen. 48. Tac dial. 20. Symm. ep. 1, 31, 3. 10,
2, 1), ferner L. Hatilius aus Praeneste, der in den Didaskalien zu Terenz'
Andr. Eun. Phorm. Adelph., vielleicht als Veranstalter einer zweiten Auffüh-
rung, genannt wird (vgl. § 107, 2). Noch aus der Zeit der Republik (wohl
dem 7. Jahrh.) M. Ofilius Hilarus (Plin. NH. 7, 184); über Stratokies und
Demetrius s. § 15, 1. Zu der Zeit des Terenz werden alte Stücke wieder
aufgeführt, wohl nach dem Vorbilde der nalccicci (JG. 9, 420. 1760. 1761).
Leo, Anal. Plaut. 2, 19.
17. Togata heißt im Gegensatz zur palliata das Lustspiel mit
römischem (italischem) Schauplatz, später auch tabernaria ge-
nannt. Es knüpfte an die neuere Komödie und die Palliata an,
übertrug aber deren Motive und Handlung auf römisch-italischen
Boden; es hatte deshalb einen derberen Ton als die palliata, zu-
gleich jedoch mehr Frische und wahres Leben. Insbesondere tritt
in der Togata die Familie stärker hervor: auch das weibliche Ge-
schlecht spielt darin eine bedeutendere Rolle als in der Palliata,
§ 17. Die Togata 33
während die Sklaven zurücktreten. Zeitlieh begrenzt ist die Togata
■einerseits durch die verfeinerte Palliata des Terenz, andererseits
durch die kunstmäßige Atellane und den Mimus. Ihre Hauptdichter
sind Titinius, Quinctius Atta und L. Afranius, alle aus der Zeit etwa
vom J. 160 bis 77. Afranius näherte die Togata durch engen An-
schluß an Menander der Palliata noch mehr und schuf dadurch eine
Art Mittelgattung, die aber nicht recht lebenskräftig war und mit
ihm erlosch. Noch in der Kaiserzeit wurden Togaten des Afranius
aufgeführt.
1. Im weitesten Sinn kann togata jede (ernste oder heitere) fabula mit
xömischem Stoff heißen. So rechnet Diomedes GL. 1, 489 zu den togatae
&) praetextatae, b) togatae = tdbemariae, c) Atellanae, d) planipedes, und de-
finiert sie : quae scriptae sunt secundum riius et habitum hominum togatorum,
i. e. Romanorum. So verstanden umfaßt togata auch die von Diomedes über-
gangene trabeata, freilich eine vorübergehende und wenig bedeutungsvolle
Erscheinung, die sich in der Sphäre des Ritterstandes bewegte, dessen spezi-
fische Tracht die trabea war (Pers. 3, 29. Dio 56, 31); ihr Schöpfer und einziger
Vertreter war C. Melissus (§ 244, 2). In derselben allgemeinen Bedeutung,
sogar vorzugsweise von praetextae , gebraucht togatae Skn. ep. 1, 8, 8 non at-
tingam tragicos nee togatas nostras. habent enim hae quoque aliquid severi-
tatis et sunt inter comoedias ac tragoedias mediae.
2. Diomed. aO.: seeunda species est togatarum, quae tabernariae dieuntur,
et humilitate personarum et argumentorum similitudine comoediis (= palliatis)
pares. Der Name tabernariae stammt von den tabernae, den Buden von
Handwerkern und überhaupt Gewerbetreibenden. Festus 352 v. togatarum
zählt unter den Personen der tabernariae u. a. auch auf plagiarii, servi deni-
que, überhaupt solche die ex tabernis honeste (?) prodeant. Vgl. auch die
Togatentitel Augur, Cinerarius, Fullonia, Libertus. Togatae heißen die Lust-
spiele dieser Art bes. bei Cic. Sest. 118. Hör. AP. 288. Vellei. 2, 9, 3. Sen.
■ep. 89, 7, vgl. Afran. v. 299. Suet. Ner. 11. Quint. 10, 1, 100. Gell. 10, 11, 8.
13, 8, 3.
3. Der Schauplatz der togatae ist wohl gewöhnlich Rom (was Mommsen
ohne Grund geleugnet hat); nicht selten aber wird die Szene in eine Pro-
vinzialstadt verlegt, um etwa die Kleinstädterei lächerlich zu machen oder
unter deren Maske Rom zu geißeln oder den Eindruck zu schildern, den
Rom auf ein Landkind macht; vgl. die Titel Brundisinae, Ferentinatis , Se-
■tina, Veliterna, Ulubrana. Schon aus den Titeln erhellt ferner die große
Beteiligung des weiblichen Geschlechts (auch von Jungfrauen, die in der
Palliata sehr zurücktreten), noch mehr aus den Bruchstücken. Vgl. auch
Serv. Aen. 11, 160 in togatis victrices appellantur, quae viros extulerunt. Sehr
bezeichnend ist weiter Donat. zu Ter. Eun. 12 concessum est in palliata poetis
■comicis servos dominis sapientiores fingere, quod item in togata non fere licet.
4. Diomedes GL. 1, 490 togatas tabernarias in scenam dataverunt praeci-
jpue duo, L. Afranius et C. Quintius. Ps.-Acro (aus Sueton? s. Kiessling, de
personis Horat. 8. Vollmer, Phil. Suppl. 10, 316) zu Hör. AP. 288 nach einer
Teuffei: röm. Literaturgesch. Neub. 6. Aufl. I. 3
34 Sachlicher Teil
törichten Erklärung der Begriffe praetexta (= Komödie mit römischem Stoff)
und togata (== Komödie mit griechischem Stoff) : praetextas et togatas scrip-
serunt Aelius Lamia, Antonius Bufus (diese beiden sonst unbekannt, vgL
auch § 254, 3), Cn. Melissus (§ 244, 2), Afranius, Pomponius (§ 284, 7). Auf-
führung des Incendium von Afranius unter Nero, Suet. Ner. 11. öffentlich
rezitierte Togaten: luv. 1, 3. — Ein togatarius Stephanio (cui in puerilem ha-
bitum circumtonsam matronam ministrasse compererat Augustus und den er
dafür per trina theatra virgis caesum relegavit) bei Suet. Aug. 45; vgl. Plin.
NH. 7, 159 minus miror Stephanionem, qui primus togatus (richtiger togatas,.
vgl. tragoediam saltare, § 13, 6) saltare instituit, utrisque saecularibus ludis
(J. 17 v. Chr. und 47 n. Chr.) saltavisse usw. Also bemächtigte sich der Pan-
tomimus nicht nur der Tragödien- und Palliaten- (§ 8, 13), sondern auch
der Togatenstoffe.
5. In Übertragung der Ökonomie der Palliata hat Afranius Prologe in
der Art des Plautus wie des Terenz (v. 25 — 30. Macr. S. 6, 5, 6 Afranium . .
qui in prologo ex persona Priapi ait, wie in der Bella die Sophia redend
auftrat) und cantica (sogar vielstimmige). Cic. Sest. 118 cum ageretur togata
— Simulans, ut opinor — caterva tota clarissima concentione . . contionata
est. Dahin gehört auch die Herübernahme der Hetären und Parasiten, für
die das römische Klientelwesen und die scurrae nur schwache Analogien
boten. — Sammlung der Überreste von Togaten bei Ribbeck, com.3 155. —
Neukirch, de fab. togata, Lps. 1833. Courbaud, dgl. , Paris 1899. Ladewig
PRE. 6, 3024. Mommsen RG. I6, 904. 26, 436.
18. Die römischen Literarhistoriker verzeichnen als besondere
Art der römischen Komödie auch die Rhinthonica, benannt nach
dem Possenschreiber {(pXvaxoyQayog) Khinthon aus Tarent, dessen
iXaQotQccywdicu tragische Stoffe ins Lächerliche zogen; doch sind
Namen lateinischer Bearbeiter und Namen oder Reste lateinischer
Rhinthonicae nicht überliefert und die Gattung ist nur der Voll-
ständigkeit wegen von den Grammatikern aufgezählt. Immerhin
kamen die Atellanen mythologischen Stoffes der Rhinthonica nahe.
1. Die angeblichen Belege für die römische Rhinthonica s. § 12, 1. Lyd.
de mag. 1, 40 'Piv^awai] (ißrlv) 7j it-coviKrj (vgl. Plaut. Men. 236 Graeciam-
que exoticam von Unteritalien). Über Rhinthon, blühend unter Ptolemaios I
Soter (J. 320—285), s. bes. Suid. s. v. ^Ptv&av. Steph. Byz. v. Tccgug. Comici
gr. 1, 183 Kb. Die xanLcpSoTgayadia des Alkaios, Deinolochos und Anaxan-
drides (Meineke, hist. crit. com. gr. 247) ist älter als die IXccgorgayadia, deren
agffiybg Rhinthon war (s. Suid. s. v.), also nicht mit ihr identisch. Vielleicht
war die v-oi^cpdotQccycodia gegenüber der possenhaften ikccQoxQccyepdLcc mehr
komödienartig, etwa wie Plaut. Amphitr., der im Prolog v. 59 u. 63 als tragi-
[cojcomoedia bezeichnet wird. {Tragicocomoedia auch bei Lutat. zu Stat.
Theb. 5, 160.) Vgl. auch Varros Pseudotragoediae (§ 165, 2). Eine Rhinthonica
ist jedenfalls der plautinische Amphitruo nicht; s. Vahlen, RhM. 16, 472.
2. Die Abspaltung der Rhinthonica von der Atellane beruhte wohl nur
auf einer Tiftelei der Theoretiker. Leo, Herrn. 24, 81. Atellanentitel , die
§ 18. Rhinthonica. § 19. Das geschichtliche Epos 35
auf possenhafte Travestien mythisch-tragischer Stoffe hinweisen, sind Aga-
memno suppositus, Ariadne, Armorum Judicium (?), Atalante, Sisyphus des
Pomponius, Phoenissae des Novius, Autonoe (luv. 6, 71). — Im allg. vgl.
Neukirch, de fab. tog. 15. Sommerbrodt, de phlyacogr. graec. (Bresl. 1875)
p. 43.
19. Für das geschichtliche Epos war es günstig, daß die Römer
schon frühe in den Ahnenliedern epenartige Dichtungen , freilich
primitivster Art, besaßen. Das hier angewendete satarnische Maß
war auch das der ältesten Epiker, des Andronicus und des Naevius.
Jener freilich war mit seiner lateinischen Odyssee nur Übersetzer,
Naevius aber griff mit dem bellum Punicum kühn in das Leben
seines Volkes und der Gegenwart hinein. Auch sein Nachfolger
Ennius wählte in den Armales einen nationalen Stoff, aber erweitert
zu einer römischen Geschichte von den Anfängen bis auf seine Zeit.
Er führte den daktylischen Hexameter ein, das Versmaß, das an Be-
deutung bald alle anderen überragen sollte. Auch inhaltlich fand er
Nachahmer; L. Accius, A. Furius und weiterhin Tanusius verfaßten
gleichfalls Epen mit dem Titel Annales, während Hostius sich auf
das bellum Istricum beschränkte. Cicero behandelte sein Konsulat
und seine Verbannung in Hexametern (de suo consulatu, de tem-
poribus meis), Varro Atacinus aber Caesars bellum Sequanicum;
Anser verherrlichte den M. Antonius, aus der augusteischen Zeit
sind größere epische Bruchstücke erhalten von Cornelius Severus
(Res Romanae), Albinovanus Pedo (de navigatione Germanici per
oceanum septentrionalem) und einem bellum Actiacum (Rabirius ?).
Ob Augustus' Gedicht Sicilia ein erzählendes Epos war, bleibt
zweifelhaft. In der Kaiserzeit wandte sich die epische Tätigkeit mit
Vorliebe der Schilderung der Vergangenheit zu: Lucans Pharsalia,
das Epos de bello civili (bei Petron. sat. 119) und des Silius Ita-
licus Punica. Noch um die Mitte des dritten christlichen Jahrhun-
derts waren solche Stoffe beliebt, und Alfius Avitus behandelte sie
damals sogar in iambischen Dimetern. Die eigentlichen Panegy-
rici, die nach antiker Auffassung zur rhetorischen Poesie gehören,
berühren sich inhaltlich oft mit den Epen; so schon in augu-
steischer Zeit Varius' Panegyricus auf Augustus und das Gedicht
eines unbekannten Verfassers auf Messala. Und wo immer man
unter der Kaiserherrschaft die Gegenwart zum Stoffe wählte, wie
unter Trajan die Verfasser eines bellum Dacicum und Parthicum,
konnte es nur in höfischem Sinne geschehen. Dahin gehören Gor-
dians Antoninias, Claudianus mit seinen zahlreichen panegyrischen
36 Sachlicher Teil
Epen auf Stilicho und dem bellum Gildonicum und Pollentinum;
zuletzt des Corippus Iohannis und Laudes Iustini.
1. Das historische Epos ist immer nur ein Ableger des heroischen (§ 20)
gewesen; es ist vielleicht eine römische Schöpfung, denn Gedichte wie
Rhianos1 Messeniaka behandelten eine weit zurückliegende Zeit. Die Schwie-
rigkeiten hebt nach Aristot. poet. 9 Cic. leg. 1, 4 hervor: multa quaeruntur
in Mario (Ciceros epischem Gedicht) fictane an vera sint, et a nonnullis,
quod et in recenti memoria et in Arpinati homine verseris, veritas a te postu-
latur . . . isti faciunt imperite, qui in isto periculo non ut a poeta, sed ut
a teste veritatem exigant usw. Über ein geplantes Epos, das Trajans Daker-
krieg verherrlichen sollte, schreibt Plinius ep. 8, 4 an Caninius (§ 332, 3)
u. a.: quae tarn poetica et quamquam in verissimis rebus tarn fabulosa mate-
ria? dices inmissa terris nova flumina, novos pontes fluminibus iniectos, in-
sessa castris montium abrupta, pulsum regia, pulsum etiam vita regem nihil
desperantem . . una sed maxima difficultas, quod haec aequare dicendo arduum,
immensum etiam tuo ingenio. Norden, JJ. 1901 VII 317. Befördert wurde die
Abfassung solcher Epen durch den stark ausgeprägten Familien- und Na-
tionalstolz der Römer, vgl. Cic. de imp. Pomp. 25 sinite hoc loco, sicut poetae
solent qui res JRomanas scribunt, praeterire me nostram calamitatem. Drang
der römischen Großen nach Verherrlichung, zB. Cic. Arch. 26. 27. So wurde
auch von Augustus die Abfassung eines seine Taten und sein Haus ver-
herrlichenden Epos systematisch begünstigt und veranlaßt, und es bedurfte
fast der Entschuldigung (wie bei Horaz), wenn man sich dieser Arbeit ent-
zog. Einen Haufen wirklicher oder vermeintlicher Epiker zählt Ovid. Pont.
4, 16 auf. In der neronischen Zeit war das Verfassen von Epen eine Art
Mode, s. Persius 1, 69. Vgl. Petron. 118. Martial. 4, 14. 10, 64. Stat. silv. 2,
7, 48. HSchiller, Nero 611. — Aus dem Epos eines Gannius (Cr. Annius?
vgl. auch § 209, 12) von mindestens drei Büchern drei Hexameter bei Pris-
oian. GL. 2, 237; vgl. Elter, RhM. 63, 472. Aus einem (Redner, vgl. § 136, 10)
Gannius Worte (in Prosa) Paul. Festi 369 v. veteratores. Ein Canius als Ver-
fasser eines iambischen Verses bei Varro LL. 6, 81; vgl. §324, 2.
2. Der daktylische Hexameter stand mit dem lautlichen Bestand und
dem Akzent der lateinischen Sprache vielfach im Widerspruch und seine
Anforderungen legten den römischen Dichtern manchen Zwang auf; es fehlte
namentlich an kurzen Silben, und durch allerlei Kunstgriffe, zB. Gebrauch
des Plural für den Singular und umgekehrt, mußte für diesen Mangel Er-
satz geschaffen werden. Vgl. bes. Köne, der Sprachgebrauch der röm. Epiker,
Münst. 1840. Hultgren, d. Technik der röm. Dicht, im ep. u. eleg. Versmaß,
JJ. 107, 745. Bednara, Arch. Lex. 14, 317. 532. Auch der Vers selbst erlitt
bei der Übernahme einige Veränderungen, namentlich wurde die männliche
Caesur im 3. Fuße entschieden vor der weiblichen bevorzugt. ThBirt, ad
hist. hexam. lat. symb., Bonn 1876. Humphreys, de accentus momento in
versu heroico, Lps. 1874. WMeyer, S.-B. bayr. Ak. 1884, 1024. 1889, 228.
Witte, RhM. 69, 205.
3. FWinkelmann, d. epischen Dicht, d. Röm. bis auf Virgil, Jahns Arch.
2, 558. OHaube, de carminibus epicis saec. Augusti, Bresl. 1870; die Epen
des silb. Zeitalters, Fraustadt 1886. 1887 II; die Epen der Republik, Schrimm
§ 20. Das heroische Epos 37
1896. 1897 IL Über die Einführung der Gleichnisse bei den Epikern und
Elegikern s. zB. Walser, ZöG. 29, 595.
4. Sammlung der Werke der lat. Dichter (mit Ausnahme der szenischen)
von EWeber (corpus poet. lat., Frankf. 1831), Postgate (Lond. 1894 ff.),
Cürcio (1 Acireale 1902); der handschriftlich erhaltenen kleineren lateini-
schen Gedichte von Wernsdorf (poetae lat. minores, Altenb. u. Heimst.
1780—99 VI), Bährens (poetae lat. min., Lpz. 1879—83 V, Neubearbeituug
von Vollmer erscheint seit 1910). Dazu als Ergänzung fragmenta poet.
Roman, coli. Bährens, Lps. 1886 (enthaltend die bei Schriftstellern zer-
streuten Dichterstellen außer den Fragmenten der scaenici und der satura
Menippea). Über die Ausgaben der sog. Anthologia latina und die Samm-
lungen der inschriftlich erhaltenen lat. Gedichte s. § 31, 4.
20. Ein heroisches Epos konnte im alten Rom nicht ent-
stehen, da eine italische Göttersage nicht vorhanden und götter-
gleiche Heroen dem Volksbewußtsein fremd waren. Als daher gegen
das Ende der Republik, unter dem Einflüsse der alexandrinischen
Dichter, auch diese Gattung Anbau fand, maßte man für die mytho-
logische Erzählung fremde Stoffe wählen. So Varro Atacinus
(Argonautae), Catull (epithalamium Pelei et Thetidos), Helvius
Cinna (Smyrna), Licinius Calvus (Io), Pedo (Theseis), sowie Ovid
(Metamorphosen, die freilich nicht ohne weiteres unter das große
Epos fallen), ferner die Ciris, weiterhin Valerius Flaccus (Argonau-
tica). Andere übersetzten die Ilias, wie C. Matius und später Gaurus;
etwas höher Strebende griffen nach dem epischen Zyklus, wie Nin-
nius Crassus (kyprische Ilias), Furius Bibaculus (Aethiopis), Pom-
peius Macer (Antehomerica und Posthomerica), Iulius Antonius
(Diomedea), Domitius Marsus (Amazonis), Camerinus (Excidium
Troiae), Lupus und Largus; aus späterer Zeit Neros Troica, Lucans
Iliaca, Statius' Thebais und Achilleis u. a. Am Ende des vierten
Jahrhunderts schrieb Claudianus sein mythologisches Epos Raptus
Proserpinae. Am Ende des fünften bearbeitete der Afrikaner Dra-
contius die Entführung der Helena, die Sage von Medea und Teile
des Heraklesmythus (Hylas und Hydra); höchst wahrscheinlich ist
er auch der Verfasser der Orestis tragoedia. In der Mitte zwischen
der historisch -nationalen und der alexandrinisch- mythologischen
Richtung steht Vergils Aeneis, die eine einheimische Sage in histo-
risch-psychologischer Weise, aber mit mythologischem Hintergrunde,
erzählt und für die poetische Technik der Nachfolgenden muster-
gültig wurde.
1. Wenn alle Gattungen der antiken Literatur unter dem starken Ein-
flüsse der Tradition stehen, so gilt das besonders vom Epos, das sich von
38 Sachlicher Teil
den durch Homer vorgezeichneten Bahnen niemals recht zu entfernen wagte.
Aus der Ilias ergibt sich die Vorstellung, daß bella et duces den eigentlichen
Inhalt des Epos bilden (Hör. AP. 74 Ep. 1, 3. 8. Prop. 2, 1, 17. Stat. silv.
5, 3, 149), aus der Odyssee hauptsächlich die, daß dem Dichter die freie Er-
findung ungewöhnlicher Vorgänge gestattet sei (Ov. amor. 3, 12, 41 exit in
immensum fecunda licentia vatum)\ fraglich war nur, wie weit er sich dabei
von der Wahrscheinlichkeit entfernen darf (Plaut. Pseud. 401 quasi poeta . . .
quaerit quod nusquamst gentium, reperit tarnen, facit illud veri simile quod
mendaciumst). Vgl. etwa die Definition des Proklos, nach der der Dichter
u. a. den ^ivd'os braucht, der ^svcov Ttgccyiidzeov ct7tr\Q%ea,co\L£vr\ diriyr\6ig rj
ädwatcav 7tccQsi6ay(oyr) ist. Kaibel, Abh. Gott. Ges. NF. 2, 20. KJNeumann,
Herrn. 21, 134. Beide Gedichte ließen das Eingreifen der Götter als ein un-
entbehrliches Motiv erscheinen; daher die stoische Definition Dioo. La. 7,60
7toirj(jLS iüTL 6Cö[KXTlxbv TtolrillCC, ^l}XT[6lV 7lSQl£%0V ftsiav nai CCV&QCOTtivCOV,
dazu Petron. 118 non enim res gestae versibus comprehendendae sunt, quod
longe melius historici faciunt, sed per ambages deorumque ministeria et
fabulosum sententiarum tormentum praecipitandus est Über spiritus, ut potius
furentis animi vaticinatio appareat quam religiosae orationis sub testibus fldes
(der sich gegen Lucans Versuch einer Ausschaltung des Götterapparates er-
klärt; s. § 303, 5). Diese Anschauungen schöpften die römischen Dichter
nicht bloß aus den griechischen Epen selbst, sondern lernten sie auch durch
die hellenistische Poetik kennen; sie beruhte z. T. auf den Ansichten der
Grammatiker, die bei der Erklärung des Homer auch auf die poetische
Technik achteten und den Dichter gegen die Angriffe des Piaton, Zoilos
u. a. in Schutz nahmen (Griesinger, die ästhet. Anschauungen der alten Homer-
erklärer, Tüb. 1907), z. T. auf den Debatten der Philosophen, die uns am
klarsten bei Strab. 1, 1 — 3 vorliegen. Diese erörterten nicht bloß die Frage
nach dem Nutzen der Poesie, dem nach stoischer Auffassung (Polybios und
gemäßigter Poseidonios, vgl. Sudhaus, Aetna 109) die später so beliebten
geographisch -ethnographischen Exkurse dienten (§ 303, 5. 317, 2), sondern
auch die nach der Lautwirkung und ihrer Bedeutung für die Wirkung der
Poesie überhaupt (Hauptquelle Philodem Ttsgl noirmatcov, vgl. Kroll zu
Cic. orat. 149 ff.). Aus Piatons Phaidros und hellenistischen Vorstellungen
von der Dichterweihe stammt die Forderung der amentia des Dichters
(Kroll zu Cic. orat. 98. Vahlen zu leg. 1, 4. Stat. Theb. 10, 830), der die
Praxis nicht gerade immer entsprach, die sich aber in den erhabensten
Gattungen der Poesie, Epos und Tragödie, wenigstens im Stil äußerte. Hier
griff der Einfluß der Rhetorik ein, der seit der augusteischen Zeit mächtig
wurde (Kroll JJ. 1908, 524) und der nicht selten das Manko an echter
Begeisterung durch künstliches Pathos zu ersetzen suchte; zB. macht es
Dio or. 11 p. 318 dem Homer zum Vorwurf, daß er sich die stark-patheti-
schen Effekte habe entgehen lassen, die mit der Zerstörung Trojas, mit dem
Tode des Achill, Aias und Memnon zu erzielen gewesen wären. Sie zeigt
sich u. a. bes. in der Manier der Beschreibungen (ixcpQa68Lg), die anzu-
fertigen man in der Rhetorenschule lernte. Liedlofp, de tempestatis necyo-
raanteae inferorum descriptionibus , Lips. 1884. Kroll zu Cic. orat. 66.
Vgl. zB. Sen. Apoc. 2, 3 omnes poetae, non contenti ortus et occasus describere
(wie Iulius Montanus, Sen. ep. 122, 11 — 13), etiam medium diem inquietant.
§ 20. Das heroische Epos. § 21. Christliche Epen 39
Das Pathos war der obligate Ton: heroici carnrinis sonus, Tac. dial. 10.
Vgl. § 19, 1.
2. Einfluß Vergils s. § 231. — Abweichend von der Überlieferung ist
schon der Gebrauch des Senars in der Troiae halosis bei Petron. 89. In dem-
selben Maße paraphrasierte später Avienus den Vergil und Livius (§ 420, 6).
Ähnliche griechische Paraphrasen im Trimeter lieferte in Menge ^zB. von
Theokrit, Apollonios, Kallimachos und anderen Alexandrinern) der helleni-
sierte Römer Marianus um das J. 500 n. Chr.; s. Suid. s. v. — Lactant. inst,
■div. 1, 11 (PPR. 405) non insulse quidam poeta triumphum Cupidinis scripsit
(folgt Inhaltsangabe): ob ein Epyllion oder in elegischem Maß? ob griechisch
(Rohde, gr. Rom. 108. 544) oder lateinisch etwa in der Art des Reposianus
<§ 398, 2)?
21. Nach dem Siege des Christentums wurden von den Epikern
dieses Bekenntnisses statt der römischen Geschichte und der grie-
chischen Sage nunmehr Stoffe aus der biblischen Geschichte des
alten und neuen Testaments bearbeitet. So von Proba Faltonia in
ihrem Cento; die des alten Testaments von Avitus, Claudius Victor
(Genesis) und Victorinus (Maccabäer), sowie von dem Verfasser der
metrischen Wiedergabe des Heptateuch (s. § 464, 13); die des neuen
von luven cus, Sedulius (carmen paschale) und Arator (Apostel-
geschichte). Den panegyrici auf Kaiser und auf weltliche Würden-
träger, wie sie auch jetzt noch Claudianus, Apollinaris Sidonius
(auf Avitus, Maiorianus und Anthemius), Merobaudes (auf Aetius),
Corippus (auf Anastasius) undVenantius Fortunatus (auf fränkische
Große) verfaßten, traten an die Seite Lobgedichte (epische Hymnen)
auf Gott, Christus, christliche Märtyrer und Heilige, sowie auf
Bischöfe und Päpste. Auf Christus z. B. von Mamertus Claudianus
(? s. § 439, 1), auf Märtyrer besonders von Damasus, Prudentius
{TtEQL 6ts(pdv(ov) und Paulinus aus Nola (Felix). Martin von Tours
wurde zum Gegenstande verherrlichender Epen gemacht durch
Paulinus aus Perigueux und Venantius Fortunatus, der auch andere
Bischöfe besang. Daneben wurden aber unter dem Einflüsse der
Khetorenschule fortwährend Lobreden im epischen Maße auch auf
Gegenstände aus dem Kreise des Heidentums verfaßt, scherzhafte
wie ernstgemeinte.
1. Aufzählung christlicher Epiker bei Venant. Fort, vita Mart. 1, 14 — 25.
Sammelwerke: GFabricius, poetarum vet. ecclesiasticorum opera et operum
reliq., Bas. 1564. PLeyser, hist. poetarum et poematum medii aevi decem
post annum a Chr. n. 400 saeculorum, Halle 1721. Henry, hist. de la poesie
chretienne, Paris 1856. Manitius, Gesch. d. christl. lat. Poesie, Stuttg. 1891.
Tgl. § 30, 2.
2. Die geringere Heiligkeit des A. T. gestattete auch den christlichen
Dichtern eine freiere Behandlung: des Stoffes. Christliche Gedichte von un-
40 Sachlicher Teil
bekanntem Verfasser wurden in den Hss. den Werken beliebiger Kirchen-
väter angehängt, besonders des Tertullian, Cyprian und Lactanz, und galten
daher lange Zeit für deren Arbeiten. So werden die originellen Epyllien
Sodoma (166 Hex.) und De Iona (tatsächlich vielmehr de Ninive, unvollendet
erhalten, 105 Hex.) — beide von einem Vf., wohl aus dem 4. Jahrh. — bald
dem Cyprian zugeschrieben (in Hartels Cyprian 3, 289. 297), bald dem Ter-
tullian. Vgl. § 464. 13. In Hss. des Cyprian und daher bei Hartel 3, 283,
finden sich außerdem 85 Hexameter an einen Consularen, der vom Christen-
tum wieder zum Isiskult abgefallen war; de pascha 69 Hex.; ad Flavium
Felicem de resurrectione mortuorum 406 Hex.
3. Über die spätere Hymnendichtung vgl. Wünsch, PW. 9, 170. Lau&
Herculis in 138 eleganten Hexametern von ungenanntem Verfasser (Mero-
baudes? s. § 439, 7. 464, 2), AL. 494b, in Birts Claudian p. 399, vgl. p. clxiii..
Vgl. EBährens, JJ. 105, 52. 503; LJeep, Begrüßungsschrift d. Leipz. Philo-
logenvers. (Leipz. 1872) 46; Riv. di filol. 1, 405. — Hymnus Claudii ad Lunam
(= Isis, Cybebe usw.) AL. 723 PLM. 3, 163. Gleichartige Anrufungen an
Mars, Iuno, Liber um glückliche Heimkehr: AL. 749—751 PLM. 3, 303 — 304.
In laudem Solis AL. 389 PLM. 4, 543; vgl. unten § 475, 5 E. Parodischer
Hymnus auf Pan AL. 682 PLM. 3, 170.
22. Zu einem rhetorisch stilisierten Lobgedichte aus Anlaß der
Vermählung wurde allmählich das Epithalamium, bewahrte aber
einzelne Motive seiner Schöpferin Sappho und eine gewisse sinn-
liche Keckheit und Derbheit der altrömischen Hochzeitsscherze.
Aus älterer Zeit besitzen wir drei Epithalamien von CatuU und
kennen Calvus und Ticidas als Verfasser von Ahnlichem; aus der
Kaiserzeit sind Epithalamien erhalten von Statius, Ausonius, Clau-
dianus, Paulinus aus Nola, ApoUinaris Sidonius, Dracontius, Enno-
dius, Luxorius, Venantius Fortunatus (auf Sigibert), und das Epi-
thalamium Laurentii.
1. Das Epithalamium, zur Verherrlichung eines jungen Paares, seiner
Eltern und Ahnen, ist meist im epischen Maße gehalten. Auch von Gallienus
wird eines erwähnt; s. § 385, 2. Zugleich vergilische Centonen (§ 26, 2) sind
die Epithalamien des Ausonius (§ 421, 2 k) und des Luxorius (§ 476, 3).
Über das Fortleben der Motive Sapphos Reitzenstein, Herrn. 35, 95; die
rhetorischen Vorschriften für den imd-ccXcifiios Xoyog bei Menand. Rhet. gr..
3, 399 Sp. Ps.Dionys. Hai. 2, 269 Us. Vollmer zu Stat. Silv. 1, 2.
2. Eine Beimischung von Sentimentalität hat das epithalamium Laurentii
(87 Hex., AL. 742 PLM. 3, 293) von unbekanntem Verfasser in Hss. des
Claudian (in Birts Ausg. p. 404), nach Verstechnik und der Hervorhebung
heidnischer Sitte (Bartweihe, Hochzeitsgebräuche, Unverblümtheit) wohl
noch aus saec. iV/V. Vgl. auch Jeep Ausg. 164. An dem Bräutigam (Lau-
rentius) wird seine Tätigkeit als Gerichtsredner gerühmt, an der Braut
(Florida?) ihre Bildung und das lanificium. Wernsdorf, PLM. 4, 2, 462.
ARiese, JJ. 97, 706. MHaupt, op. 3, 372. — In England im 7. Jahrh. bekannt:
s. Haupt aO.
§ 22. Epithalamien. § 23. Das Lehrgedicht 41
23. Das Lehrgedicht war in der alexandrinischen Poesie sehr
verbreitet und fand daher auch in Rom schon früh Vertretung.
Aus der Zeit vor dem griechischen Einfluß stammt die Unterweisung
eines Bauern an seinen Sohn (vgl. unten § 85, 1); in ähnlicher
Richtung schrieb Cato, der aber schon vom Griechischen berührt
sein mag. Die Sprüche des Appius Claudius scheinen hellenische
Spruchweisheit wiederzugeben. Mannigfaltig waren die Stoffe von
Ennius' durchaus alexandrinisierenden Lehrgedichten. Die Satiren
des Lucilius schlugen gleichfalls öfters die Bahn des Didaktischen
ein und behandelten sogar die Orthographie. Literaturgeschicht-
lichen Inhalts waren die Lehrgedichte des L. Accius (Didascalica),
Q. Valerius aus Sora, Volcacius Sedigitus, Porcius Licinus. Unter
diesen Lehrgedichten waren die wenigsten im Maße des griechi-
schen Epos gehalten, das erst am Ende der Republik das herr-
schende wurde. So waren in Hexametern verfaßt des Varro Atacinus
Chorographia und Ephemeris, Ciceros Übersetzung des Aratus und
des Lucretius Darstellung der epikureischen Philosophie (de rerum
natura), weiterhin Vergils Georgica, ein Werk, das einen glücklich
gewählten Stoff mit Wärme und vollendeter Kunst gestaltet. Ovid
verwandte das elegische Maß nach hellenistischem Vorbild zur Er-
klärung des Festkalenders durch einheimische Sagen (Fasti), sowie
zu spielend didaktischer Behandlung erotischer Gegenstände (Ars
amatoria, Remedia amoris, Medicamina faciei). Zeitgenossen Ovids-
von weniger Geschmack bearbeiteten, in blinder Nachahmung der
Alexandriner, auch ganz prosaische Dinge in Lehrgedichten. So
verfaßte Valgius Rufus ein Lehrgedicht über die Kräuter, Aemilius
Macer Theriaca und eine Ornithogonia, Grattius Cynegetica, Manilius
Astronomica. Gleichfalls noch im ersten christlichen Jahrhundert
gab Germanicus eine neue Bearbeitung des Aratus heraus, Columella
ein Lehrgedicht über den Gartenbau; auch das beschreibende Ge-
dicht Aetna ist hierher zu rechnen, sowie aus dem dritten Jahr-
hundert des Kirchenvaters Lactantius Carmen de ave phoenice in
Distichen, aus dem vierten des Palladius Lehrgedicht de re rustica,.
vielerlei Sachen des Ausonius, besonders seine Moseila, des Avienus
Descriptio orbis terrae und Aratea, sowie (in Iamben) seine Ora
maritima, auch die christlich-dogmatischen Gedichte desPrudentius;
aus dem fünften des Rutilius Namatianus Reisebeschreibung (Itine-
rarium) im elegischen Maße. In letzterem Metrum ist auch des
Orientius Commonitorium gehalten; dagegen die Lehrgedichte des
Dracontius über Gott und die Schöpfung, des Avitus über die
42 Sachlicher Teil
Trinität im epischen. Ist schon in den meisten dieser Arbeiten die
Versifikation eine äußerliche Zutat zu dem Stoffe, so schwindet der
poetische Gehalt vollends bei den Lehrgedichten von Grammatikern
für den Gebrauch der Schule, zu denen nicht nur die versus memo-
riales gehören (besonders zahlreich vertreten bei Ausonius), son-
dern namentlich die Lehrbücher der Rhetorik, Metrik, Prosodik,
Metrologie in gebundener Form, die carmina de figuris vel schema-
tibus (von unbekanntem Verfasser; zuletzt von Marbod); das von
Terentianus Maurus mit unleugbarem Geschick geschriebene Lehr-
buch de litteris, syllabis, metris, das wahrscheinlich ähnliche von
Albinus, des Rufinus aus Antiochia Verse de metris oratorum, die
•carmina de ponderibus et mensuris u. dgl. Unternehmungen ähn-
licher Art sind die Arzneimittellehren im epischen Maße von Serenus
Sammonicus, Flavius und Vindicianus und anderes. Besonders frucht-
bar an derartigen Erzeugnissen war dann das Mittelalter.
1. EBruner, de carm. didascalico Rom, Helsingf. 1840. RKnobloch,
<d. röm. Lehrgedicht bis z. Ende d. Rep., Roßleben 1881. Über die Lehr-
gedichte von Egnatius u. a. s. § 192. Rhetorische Schulgedichte von Dra-
-contius (§ 45, 9) u. a. Über die Gedichte der XII Sapientes s. § 421, 9. —
Über das Lehrgedicht adversus Marcionem § 373, 9 k.
2. Memorialverse über die Namen der Musen AL. 664 PLM. 3, 243;
über die Namen der Winde im Griechischen und Lateinischen AL. 484
PLM. 5, 383 (vgl. auch unten § 347, 3), letztere aus Isidor de rer. nat. 37
geschöpft und um dessen Zeit verfaßt, erhalten schon in Hss. s. VII/VIII. —
Hexameter über die Sternbilder, Zeiteinteilung udgl. AL. 676 fll. PLM.
5, 349 fll., frühestens aus s. VI. — Beschreibung einer Sternkarte {de sphaera
eaeli) nach Hygin in trockenem unbehilflichem Tone in 76 Hex., aus Hss.
«. XI AL. 761 PLM. 5, 380. Ob noch antik?
3. Mancherlei metrische Aufzählungen von Ausdrücken für die Stimmen
■der verschiedenen Tiere (vgl. WWackernagel , Yoces variae animantium,
Bas. 1869; s. auch Löwe, RhM. 34, 493) aus ganz später Zeit, doch im
Stoffe mittelbar auf Sueton zurückgehend (s. Reifferscheids Suet. 247.
Studemund, Anecd. 1, 102. 285) : zB. AL. 733 PLM. 5, 367 in Hss. s. X/XI,
ferner namentlich AL. 762 PLM. 5, 363 (*de philomela\ vielmehr über Stim-
men von Vögeln und Vierfüßlern in 70 elegischen Versen) in Hss. s. XI,
am Schlüsse (wie bei dem gleich zu nennenden Gedicht) eine erbauliche
Wendung, wohl erst in einem deutschen Kloster gedichtet (s. V. 11 dulce
per ora sonat, dicunt quam nomine droscam: vgl. adh. drosca, droscila
— Drossel). Daß in einer StGaller Hs. als Verfasser Albius Ovidius Iuven-
iinus angegeben sei, hat Goldast (catal. Ovid. 71) erdichtet; s. aurh Scherrer,
StGaller Hs.-Verzeichnis 72. Ebenso erdichtete er einen Iulius Speratus als
•den Verfasser eines jenem ersten ziemlich gleichzeitigen Gedichts auf die
Nachtigall AL. 658 PLM. 5, 368, erhalten in Hs. s. IX ff., nachgeahmt von
Alvarus von Cordoba (Ebert, LdMA. 2, 310): es wird auch dem Eugenius
von Toledo beigelegt, s. § 495, 3.
§ 23. 24. Lehr- und Spruchgedicht. § 25. Der poetische Brief 43
24. Eine Art Lehrgedichte im kleinen sind die Spruchgedichte,
die in der Kaiserzeit teils aus größeren Ganzen ausgelesen und zu-
sammensgestellt, teils auch (wohl besonders für den pädagogischen
Bedarf) selbständig angefertigt wurden. Eine Sammlung letzterer
Art sind die sog. di stich a Catonis.
1. Das Spruchgedicht beginnt mit Xlgcovog vnod'fj'Kca und Hesiods Mahn-
liedern an Perses; später versifiziert es meist nur vorhandene prosaische
Sprüche oder Spruchsammlungen, wie es deren seit Demetrios' Sammlung
der Siebenweisensprüche (Martini, PW. 4, 2835) viele gab. PFriedländee,
Herrn. 48, 558. Über die an Syrus anknüpfende Spruch literatur in iambi-
achen Senaren s. § 212, 4. Über die disticha Catonis s. § 398.
25. In vielen Gestalten erscheint der poetische Brief, der sich
mit zahlreichen anderen Gattungen kreuzt. Zu einem Briefe kann
jedes Gedicht werden durch die Anrede an eine bestimmte Person;
oft aber ist diese weiter nichts als eine Form der Widmung, die
auf Form und Inhalt des Gedichtes keinen eigentlichen Einfluß
ausübt. Im engeren Sinne aber heißen so Gedichte, in denen die
Bestimmung für einzelne Personen auf den ganzen Inhalt des Ge-
dichts und seine Haltung bestimmend einwirkt. Auch hier muß man
wieder scheiden zwischen wirklichen, aus einer bestimmten Situa-
tion heraus geschriebenen und durch sie bedingten Briefen und
solchen, die nur die Maske eines solchen Briefes vornehmen. Zu
jenen gehören die scherzhaften Briefe in Versen, die Sp. Mummius
aus dem Lager vor Korinth (J. 146), an seine Bekannten in Rom
richtete, und einige Gedichte des Catull, wie die an Hortensius und
an Manlius. Aber wie bei Catull die Grenze zwischen Epigramm und
Elegie einerseits und Brief anderseits sich bisweilen verwischt, so
ähnlich bei Properz und bei Horaz, dessen Satiren und Episteln sich
oft ganz nahe zu stehen scheinen, während er doch einen leise ver-
schiedenen Ton durchführt; sein Brief an die Pisonen ist das berühm-
teste Beispiel eines in Briefform gebrachten Lehrgedichtes. Auch
Ovids Tristia sind von den Epistulae ex Ponto nur durch eine schmale
Kluft getrennt. Ganz anderer Art sind Briefe, die rhetorische
Ethopoiien darstellen, wie Ovids Heroides, erdichtete Liebesbriefe
von Frauen der Sage; rhetorischen Einschlag weisen auch die
Briefe auf, die sich unter Statius' Silven finden. Aus späterer Zeit
haben wir wirkliche, aber sehr stilisierte Briefe von Ausonius in ver-
schiedenen Metren und teilweise von scherzhaftem Inhalte, auch von
seinem Schüler Paulinus, von Claudianus und Apollinaris Sidonius.
1. HPeter, der Brief in d. röm. Liter., Abh. Sachs. Ges. 20 (1901). Über
Mummius s. § 131, 8. Von Lucilius begann das 27. Buch oder eine Satire
44 Sachlicher Teil
darin: salutem fictis versibus Lucüius quibus potest impertit totumque hoc
studiose et sedulo (v. 688); vgl. § 143. Über Horaz, von dem auch Epod. 9. 11
hierher gezogen werden können, Heinze Herrn. 33, 443. Vgl. Babl, de epist.
lat. formulis, Bamberg 1893.
2. Ein Brief ist zB. auch Tib. (Lygd.) 3, 5; Brief einer Gattin an ihren
fern im Osten im Felde stehenden Gatten bei Prop. 5, 3; Namen wie Situa-
tion sind fingiert. Dido Aeneae AL. 83 PLM. 4, 271 mit Refrain; vgl.
Wernsdorf PLM. 4, p. 55. 439. Wirkliche Briefe zB. Stat. Silv. 4, 4 (an
Vitorius Marcellus) und 4, 8 (Glückwunschschreiben), sowie des Licentius an
Augustin. Über die Briefe des Claudian § 439, 6.
26. Gleichfalls meist im epischen Versmaße gehalten waren
allerlei Spielereien, die fast alle aus der Schule hervorgegangen
sind. Die Rätsel knüpften an die griechische Literatur an; erst in
den letzten Jahrhunderten Roms wurde diese Gattung in der Lite-
ratur beliebt und trieb bis weit in das Mittelalter hinein immer
neue Sprossen. Dagegen stammen aus den Kreisen der Schule die
Variationen über alte (besonders vergilische) Themata und die Flick-
gedichte (centones), die aus wilkürlich zusammengelesenen Versen
und Versteilen älterer Dichter einen neuen Inhalt hervorbrachten.
Auch andere Künsteleien namentlich im epischen und elegischen
Maße (Akrosticha und ihre Abarten), versus serpentini, recurrentes,
reciproci u. dgl. waren in der Spätzeit sehr beliebt.
1. Bei den Griechen dienten yqlcpoi als Tischunterhaltung (vgl. Athe-
naeus B. 10). KOhlert, Rätsel und Rätselspiele der Griechen, 2Berlin 1912.
Daher erdichtet auch der römische Rätseldichter Symphosius eine solche
Einkleidung. Ältestes lateinisches aenigma (perantiquum, perquam lepidum,
tribus versibus senaris compositum, mit Lösung in M. Varronis de sermone
lat. ad Marcelluni libro II) bei Gell. 12, 6. Drei volkstümliche Scherzrätsel
bei Petron. 58 (dazu Bücheler p. 1298 und Friedländer). Lösen von Rätseln
als Zeichen der Weisheit Hist. Apollonii 42, vgl. 4. Später wurden lateini-
sche Rätsel ein beliebter Zeitvertreib in den Klöstern, und es ist daher,
außer den Rätseln von Aldhelmus und Tatvinus (§ 500, 2. 4), vieles derartige
von ungenannten Verfassern erhalten; manches noch ungedruckt. Dreiund-
sechzig sechszeilige Rätsel aus s. YII/VIII (älteste Hs. Bern. 611 s. VIII) in
rhythmischen Hexametern (aus je 14 Silben, deren 6 vor und 8 nach der
Penthemimeres fallen) AL. 481 (vgl. 2, p. 376); PBrandt im Tirocin. philol.
Bonn. (Beri. 1883) 101. WMeyer, Anf. u. Urspr. d. lat. u. griech. rhythm.
Dicht. (Abh. d. bayr. Akad. 17, 2) 1885, 412. Andere mittelalterliche Rätsel
(in Hss. s. IX/X) zB. AL. 656—657% 738 a- b. AL. 685 PLM. 3, 170. AL. 727
PLM. 5, 370 (letztere Rätselaufgabe verfaßte ein Berno nach Paris. 7899
e. IX; s. WFrohner, Phil. Suppl. 5, 69). LMüller, JJ. 93, 266. 566. 95, 497;
RhM. 22, 151. JKlein, ebd. 23, 662. HHagen, antike und mittelalterliche
Rätselpoesie, 2Bern 1877. Wölfflin, Ioca monachorum, Beitr. z. mittel-
alterl. Rätsellit., Berl. SBer. 1872, 106. Im allg. vgl. PSchultz, PW. 1 a, 62
(bes. 116).
§ 26. Rätsel. Centonen, Akrosticha 45
2. Hieron. epist. 103, 7 legimus Homerocentones (griech. *On,r\Q6%£vtQov
oder -ytivtQcov) et Vergil iocentones. Tertull. de praescr. haeret. 39 (s. § 370,
5). Isidor. or. 1, 39, 25 centones apud grammaticos vocari solent, qui de
carminibus Homeri vel Vergüii ad propria opera more centonario in unum
sarciuntur corpus, ad facultatem cuiusque materiae. denique Proba, uxor
Adelphi (§436, 7), centonem ex Vergilio de fabrica mundi et euangeliis ple-
nissime expressit, materia composita secmidum versus et versibus secundum
materiam concinnatis. sie quoque quidam Pomponius ex eodem poeta inter
cetera stili sui otia Tityrum in Christi honorem composuit; similiter (wie aus
den vergilischen Bucolica) et de Aeneidos (versibus). Jener Tityrus des
Pomponius ist erhalten im cod. Vat. Palat. 1753 und herausgegeben von
Bursian, SBer. d. Münch. Ak. 1878 2,29. Auch sonst waltete das Bestreben,
die heidnischen Worte christlichem Inhalte dienstbar zu machen und da-
durch zu veredeln: Maronem mutatum in melius, AL. 735, 4. S. die Cen-
tonen de incarnatione verbi (§473, 5) und de ecclesia (§477, 3). — Außerdem
Centonen für scherzhafte Zwecke, zB. des Ausonius cento nuptialis (§ 421,
2, k) oder in lehrhafter Absicht, für Schulzwecke usw. Zwölf vergilische
Centonen AL. 7 — 18 PLM. 4, 191 — 240, darunter de alea, Narcissus, Hippodamia,
Medea (dialogisch, von Hosidius Geta, 461 Verse s. § 370, 5) usw., auch iudi-
cium Paridis des Mavortius (§ 477, 3) und epithalamium Fridi des Luxorius
{§ 22, 1. 476, 3). Im kleinen schon bei Petr. 132. S. auch Bährens, RhM. 31, 91.
Bei der Zusammenfügung von zwei Versteilen nahm man es in der späteren
Zeit mit dem Metrum öfters sehr wenig genau: zB. Medea (AL. 17) 93 nunc
scio quid sit amor. hospitio prohibemur harenae, und ebd. 64f. 87. 172. 196.
211f. 226. 250. 269. 315. 320. 357. 377. 387. 391 f. 430. 435. 446. Luxorius
(ebd. 18) 43 nomen inest virtutis et nota maior imago. AL. 719, 20. 25. 78
und sonst. — Delepierre, ouvrages ecrits en centons jusqu'au XIXe siecle,
Lond. 1868; tableau de la litterature du Centon, Lond. 1875 II. BBorgen,
de centonibus Homer, et Vergil., Kopenh. 1828. FHasenbalg, de centon.
Vergil., Putbus 1846. LMüller, metr. lat.2 585. Crusius, PW. 3, 1929.
3. Akrosticha, besonders zur verdeckten Angabe eines Namens zB.
des Verfassers oder des Stifters (AL. 120 PLM. 4, 298 Condentis monstrant
uersus primordia nomen), sind aus der griechischen Literatur herüberge-
nommen (ccvLQ06ti%ig, Ttccqa6xi%ig), vielleicht in der Orakelliteratur heimisch
(Diels, Sibyllin. Blätter 33. Dieterich, Kl. Sehr. 217) und schon der älteren
römischen nicht fremd; schon Ennius verfaßte eines (Cic. de div. 2, 111) und
dann Aurelius Opilius (Suet. gramm. 6. Ritschl, Parerg. p. xvi). Aus späterer
Zeit inschriftliche, zB. CEL 511 Buech. (mit der Gebrauchsanweisung Inspi-
cies, lector, primordia versiculorum). 512—516. 1366. 1829 f. 1838, vgl. CIL.
5, 6731 u. CEL 708 qui legis revertere per capita versorum et invenies pium
nomen). 594, ferner CIL. 3,6306. 5,6723. 6725; de Rossi, Inscr. christ. nr. 425
(vom J. 395). 753. 831. Beim Scholiasten (§ 250, 3) zur Ibis akrostichisches
(Enniani) Epigramm eines angeblichen Bacchus oder Battus poeta. Gedicht
auf Hadrian auf einer Inschrift ungefähr aus J. 135 CIL. 3, 77 (CEL 271),
nach dem Akrostichon von Iulius Faustinus. Verbindung von Akrostich
und Telestich CIL. 5, 1693, AL. 669 (Nichoalo Euantius), bei Belisarius und
Liberatus AL. 492. 493 (Sedulius antistes, vgl. § 473, 6), sowie (aus einem
cod. s. VI/VII) AL. 6a (Laurentius vivat senio). RhM. 23, 94. Von Flavius
46 Sachlicher Teil
Felix (§ 476, 2) Verbindung von Akrostich, Mesostich und Telestich. Über
anderes dieser Art s. § 99, 2. 384,3. 403, 2. 474, 2. 491, 8. 500, 2. 4. —
Graf, PW. 1, 1200.
4. Vielerlei schulmeisterliche und mönchische Tändeleien: Gedichte in
Form eines Kreuzes usw., wie von Porfirius Optatianus und Venantius For-
tunatus, mit einer bestimmten Buchstabenzahl (so von Flavius Felix u. a.)
oder ohne einen bestimmten Buchstaben (solches sogar in Prosa § 480, 8)
udgl. Versus echoici oder serpentini (epanaleptische), worin die ersten Worte
des Hexameters (bis zur Penthemimeres) sich als zweite Hälfte des Penta-
meters wiederholen, wie sie besonders Pentadius (§ 398, 11) verfaßte. Ande-
res bei Apoll. Sid. (ep. 8, 11), Sedulius, Venantius Fortunatus (§ 491, 4),
und eine Sammlung solcher serpentini AL. 38 — 80 PLM. 4, 260—267. —
Sidon. ep. 9, 14 versus . . . recurrentes, qui metro stante neque litteris loco
motis ut ab exordio ad terminum sie a fine releguntur ad summum. sie est
illud antiquum c Roma tibi subito motibus ibit amor (vgl. AL. 325, 3 PLM. 4,
404 Nemo te cedis, murorum si decet omen; CIG. 4, 2400 Kaibels epigr. gr.
1124 7/<$7j (tot 4 log dg ccjtdta itccgä 6ol ^Loinfjörj). nee non habentur pro
recurrentibus , qui pedum lege servata . . . per singula verba replicantur . . ,
qualia equidem legi multa multorum zB. { praeeipiti modo quod decurrit
tramite flumen tempore consumptum iam cito deficiet'. Solche Verse hießen
auch anaeyclici und reeiproei, dergleichen wir besonders von Porfirius haben,
vgl. AL. 81 PLM. 4, 268. Auch Carmen supinum bei Mart. 2, 86 (dazu Fried-
länder), der sich dort geringschätzig über solche Künsteleien ausspricht,
zB. auch über die Bildung von Hexametern, die rückwärts gelesen Sotadeen
geben (vgl. Quint. 9, 4, 90). Zuletzt mußte der Reim zur Ausschmückung
des Hexameters dienen, s. FZarncke, Leipz. SBer. 1871, 34. WMeyer, Ges.
Abh. 1, 75. JHuemer Wien. Stud. 4, 599. 5, 144. 6, 287 u. bes. Poet. lat.
aevi Carol. 3 ed. Traube.
27. Die Fabel, die Ermahnungen in scherzhafte Erzählungen
namentlich aus dem Tierleben einkleidet, erscheint in der römischen
Literatur zuerst vereinzelt in den saturae des Ennius, Lucilius und
Horaz, als selbständige Gattung aber erst bei Phaedrus (in Senaren)
in der Zeit des Tiberius und Claudius. Im dritten Jahrhundert ver-
faßte Titianus eine prosaische Übersetzung der Fabeln des Babrios.
Auch Symmachus scheint, wohl in gebundener Form, ähnliches ge-
arbeitet zu haben, und etwa ein Jahrhundert nach ihm dichtete
Avianus 42 Fabeln des Babrios im elegischen Maße nach. Griechi-
sche Fabeln mit lateinischer Übersetzung finden sich in dem Schul-
buche des sog. Dositheus. Die prosaische Bearbeitung der Fabeln
des Phaedrus durch den sog. Romulus, spätestens aus dem zehnten
Jahrhundert, bildete im Mittelalter den Ausgangspunkt für eine
Reihe anderer Fabelsammlungen.
1. Die äsopische Fabel von der Haubenlerche bei Ennius (in satiris . . .
versibus quadratis), Gell. 2, 29. Vgl. § 103, 1. Die vom kranken Löwen
§ 27. Die Fabel. § 28. Die Satura 47
(Hör. E. 1, 1, 73 ff.) schon bei Lucilius (V. 988). Andere bei Hokaz S. 2, 6r
79. E. 1, 7, 29. 1, 10, 34. Anspielungen auf Fabeln bei Hör. S. 2, 3, 299.
2, 5, 56. E. 1, 3, 19. 1, 16, 45. Die Fabel vom Fuchs und Storch auf einem
römischen Grabstein, Ost. Jahresh. 1, 1.
2. Seneca Cons. ad Polyb. 8, 27 non audeo te usque eo producere, ui
fabellas quoque et Aesopeos logos, intemptatum Bomanis ingeniis opus, solita
tibi venustate conectas. Vielleicht da er damals in der Verbannung lebter
kannte Seneca den Phaedrus noch nicht; s. § 284, 1. Avianus praef.: ha&
pro exemplo fabulas . . . poemati suo Flaccus aptavit, quod in se sub iocorum
communium specie vitae argumenta contineant, quas graecis iambis Babrius
repetens in duo volumina coartavit. Phaedrus etiam partem aliquam quinque
in libellos resolvit. Auson. epist. 16, 74 p. 242 P. apologos . . . Aesopiam tri-
metriam, quam vertu exili stilo, pedestre concinnans opus, fandi Titianus
artifex. ebd. 17 p. 223, 20 P. rühmt er von Symmachus: quis ita ad Aesopi
venustatem . . . accedat?
3. Fabeln waren eine Aufsatzübung für Schulknaben; Reichelt, Quaest.
progymnasmaticae , Lips. 1909, 49. Quintil. 1, 9, 2 Aesopi fabellas, quae
fabulis nutricularum proxime succedunt, narrare sermone puro et nihil se
supra modum extollente, deinde eandem gracilitatem stilo exigere eondiscant
(pueri aetatis nondum rhetorem capientis). Phaedr. 1, prol.: duplex libelli
dos est: quod rüum movet et quod prudenti vitam consilio monet. Vgl. ebd. 2,
prol.; 3, prol. 33; 4, 2, 1. Append. epil. : hoc . . . Musa quod ludit mea ne-
quitia pariter laudat et frugalitas.
4. Über die Geschichte der Fabel Hausrath, PW. 6, 1704. Über die
mittelalterlichen Fabelsammlungen KRoth, Phil. 1, 523. Oesterley, Romulus,.
die Paraphrasen des Phaedrus und die äsopische Fabel im Mittelalter,
ßerl. 1870. Hervieux, les fabulistes latins depuis le siecle d1 Auguste jusqu'a
la fin du moyen-äge, Paris2 1893 f. III.
28. Die Satura ist eigentlich nicht ein besonderer Literatur-
zweig, sondern eine Sammlung vermischter Gedichte, wie sie bei
den Alexandrinern üblich war und, wie es scheint, durch Ennius in
die römische Literatur eingeführt wurde. Dieses Beispiel befolgte
vielleicht sein Neffe Pacuvius, sicher der römische Ritter C. Lucilius.
Die bei diesem überwiegende Kritik der öffentlichen Zustände seiner
Zeit wurde fortan ein Hauptmerkmal im Begriffe der Satire, zumal
da Horaz, der nach einigen minder bedeutenden Nachfolgern mit
glänzender Begabung in der Weise des Lucilius weiter arbeitete,
mit Nachdruck dieselbe Richtung verfolgte. Doch milderte er die
Schärfe der persönlichen Angriffe und richtete, zum Teil unter
philosophischem Einflüsse, seine Kritik vorzugsweise auf die sozialen
und literarischen Zustände. Den von Lucilius schon sehr bevor-
zugten Hexameter verwandte Horaz ausnahmslos. Die aus Prosa
und Versen frei gemischten Saturae Menippeae des Polyhistors
Yarro gehen ganz auf populär-philosophische Anregungen zurück;
48 Sachlicher Teil
nur hinsichtlich dieser Form fanden sie Nachfolge in der Zeit des
Nero in Senecas giftiger persönlicher Satire {!47to%oXo%vvxa6ig) und
in dem realistischen Roman des Petronius. Dagegen hatte Horaz in
der neronischen Zeit einen Nachahmer an dem jugendlichen Stoiker
Persius. Nach dem Tode Domitians schrieb der Rhetor Iuvenalis
seine dunkel gefärbten Sittenpredigten und Sittengemälde. Außer
diesen Hauptvertretern der Gattung werden noch einige geringere
genannt. Satirischer Geist herrscht auch in manchen apologetisch-
polemischen Schriften des Tertullianus. Im fünften Jahrhundert
verfaßte Claudianus seine episch gehaltenen Angriffe auf Rufinus
und Eutropius.
1. Diomed. GL. 1, 485 satura dicitur Carmen apud Romanos nunc qui-
dem maledicum et ad carpenda hominum vitia archaeae comoediae charactere
(richtiger, aber auch nicht ganz zutreffend Quint. 10, 1, 93 satura quidem tota
nostra est) compositum, quäle scripserunt Lucilius et Horatius et Persius.
at olim Carmen quod ex variis poematibus constabat satura vocabatur, quäle
scripserunt Pacuvius et Ennius (über Naevius als Verfasser von Satiren s.
§ 95, 5). Lyd. de mag. 1, 41 ^isd"' bv (Lucilius) v.al xobg ftstr' avtov, ovg
XCCX0V61 'PcO[lCCLOl öCCZVQlKOVg, Ol VSCOtSQOl . . . TT]V 6<XZVQlY.r}V iüQCCTVVCCV XCö-
yicadLav (verkehrt), ^Ogatiog {isv ovh ££oö rfjg ti%vr\g %(üqcqv, JJiq6iog dh tov
itoir\r:r]V 2JwcpQ0va \ii^r\6a6%'ai frslcov ro AvnocpQOvog 7tctQT]kQ'£v a\iavQOV
Tovgvog (§ 323, 2) dh y.ccl 'Iovßsvdliog ■accl IlezQojviog avröd'sv xcctg loidogicug
i7te£,eXd'6vT8g xbv 6uzvqw,ov vo^lov 7caQEtQcoaav. Über die ursprüngliche Be-
deutung des Wortes satura s. § 6, 2. Vgl. auch § 103, 1.
2. Hör. S. 1, 10, 54 (46) hoc erat, experto frustra Varrone Atacino
(§ 212, 2 E.) atque quibusdam aliis, melius quod scribere possem. Zu diesen
quidam alii gehörte wohl auch der Polyhistor Varro mit seinen vier Büchern
Saturae, sodann L. Abuccius (§ 192, 1), C. Trebonius (§ 210, 9) und die Frei-
gelassenen Sevius Nicanor (§ 159, 3) und Lenaeus (§ 211, 3). — Andere
Satiriker waren noch Iulius Florus (§ 242, 3), Silius (§ 332, 9), Manlius
Vopiscus (§ 324, 2), Iulius Rufus (?§ 324, 5), weiterhin Tetradius (§ 421, 2m).
Über Lucilius s. § 448, 5; den Brief des Viktor an den Abt Salomo § 464, 7;
über Secundinus § 466, 10; Satire aus Arelate bei Ap. Sidon. 1, 11. Über
die der Sulpicia § 323, 7.
3. Die den saturae Menippeae eigentümliche Mischung von Prosa und
Versen zeigen noch Martianus Capella, Boethius de consol. philos., Iulius
Valerius (§ 399) und die Historia Apollonii regis Tyri. Doch können diese
nicht für eigentliche Menippeae gelten, da in ihnen die Einmischung von
Versen nur dazu dient, die Darstellung mannigfaltiger zu machen, ein
satirisches Element aber nicht vorhanden ist. Vielmehr zeigt der griechische
Alexanderroman, den Iulius Valerius übersetzt, daß es schon in hellenisti-
scher Zeit Erzählungen gab, in denen Prosa und Vers abwechselten.
Kuhlmann, de Ps. Callisthenis carminibus, Münster 1912. — Das gegen Kaiser
Claudius namenlos erschienene Pamphlet ficog&v i7cccvä6tcc6ig (Suet. Claud. 38)
war vielleicht eine satura wie die cc-xoxoIoy.v vraGig; s. Bücheleks Petr. ed.
§ 28. Die Satura. § 29. Das bukolische Gedicht 49
min. 44 246. — Satire in Form eines Testaments von Fabricius Veiento (§ 297, 7) ;
aus dem 3. bis 4. Jahrk. das schon von Hieronymus (vgl. § 47, 1) erwähnte
Testament eines Schweins, eine Parodie der juristischen Testamentsformeln,
aus Hss. s. IXfll. herausgegeben zuletzt von Haupt, op. 2, 175, Bücheleh,
Petron. ed. min.4 p. 243. Vgl. § 47, 1. 49, 1.
4. Ältere Literatur in PRE 3, 1474. 6, 819. ICasaubonus de satyrica Grae-
corum poesi et Roman, satira, Par. 1605. Halle 1774. LRoth, kl. Sehr. 2
(Stuttg. 1857), 384. 411; zur Theorie und innern Gesch. d. röm. Sat., Stuttg.
1848. Scheibe, de sat. Rom. orig. et progressu, Zittau 1849. FHaase, d.
röm. Satire, in Prutz' Deutsch. Mus. 1851, 858. Mac Ewen, origin and growth
■of the rom. satir. poetry, Oxf. 1876. Nettleship, the Rom. Satura, Lect.
and Essays, Oxf. 1895, 24. Grubel, de sat. Rom. origine, Posen 1883.
G. Friedrich, zur Gesch. d. röm. Sat., Schweidn. 1899. Kroll, PW. 2 A s. v.
— ESzelinski, de nominibus personarum . . . ap. poet. satir. Rom., Königsb.
1862. JSchultz, de prosodia satiricorum rom. (de muta cum liquida et de
synaloephe), Königsb. 1864.
29. Das ländliche (bukolische) Gedicht, das erst Theokrit in die
Literatur eingeführt hatte, blieb den Römern lange fremd. Erst der
junge Vergil wurde durch Asinius Pollio auf diese Gattung hinge-
wiesen und ahmte den Theokrit nach, blieb aber (auch wegen der
starken Beimischung von nicht verarbeiteten persönlichen Anspie-
lungen) weit hinter ihm zurück. Dagegen zeugt das Moretum vom
Humor seines Verfassers. Aus dem Anfange der Regierung des Nero
stammen die sieben Eklogen des Calpurnius Siculus; an ihn schloß
sich gegen Ende des dritten Jahrhunderts Nemesianus an. Viel-
leicht aus derselben Zeit stammen des Septimius Serenus Opuscula
ruralia in vielerlei lyrischen Metren, die dem Stoffe nach Idyllen
waren. Ferner zeigen ländlichen Charakter die unter Vergils Nach-
laß erhaltenen Dirae und einzelne Partien der Mosella des Ausonius
sowie das aus dem Ende des vierten Jahrhunderts stammende Ge-
dicht des christlichen Rhetors Endelechius de mortibus boum.
1. Knaack, Art. Bukolik, PW. 3, 998. Diomed. GL. 1, 486 bueolica di-
euntur poemata seeundum Carmen pastorale composita. Über den Namen
Idyll, der ursprünglich ein kleines Gedicht bezeichnet und erst später auf
diese Gattung beschränkt wurde, s. Christ, Verhandl. d. Würzb. Philologen-
vers. (Lpz. 1869) 49. Ecloga (auserlesenes Stück) in der Kaiserzeit für jedes
kleinere Gedicht = idyllium, poematium, s. Plin. ep. 4, 14, 9 sive epigram-
mata sive idyllia sive eclogas sive . . . poematia . . . vocare mälueris. Eclogae
sind in den Hss. betitelt die Hirtenlieder des Vergil, Calpurnius, Nemesia-
nus, sowie eine Sammlung von kleineren Gedichten des Ausonius.
2. Die Schwärmerei für das Landleben und die Idealisierung seiner Ver-
treter war eine gewisse Reaktion gegen die Überkultur der hellenistischen
Zeit. Bukolische Motive klingen daher vielfach an; Cornelius Gallus nahm
sie in die Elegie auf (Skutsch, Gallus und Verg. 157), ihm folgte Tibull, bei
Teuffei: röm. Literaturgesch. Neub. 6. Aufl. I. 4
50 Sachlicher Teil
dem man aber auch mit dem Einflüsse der griechischen Bukolika des Mes-
sala (§ 222, 3) rechnen muß. Auch Horaz (S. 2, 6. E. 1, 10) liebt und preist
das Landleben als das gesündere und unabhängigere, verspottet aber auch
die unaufrichtige Schwärmerei dafür (Epod. 2). — Über den Idyllendichter
Sueius § 150, 7; über Fontanus § 254, 1.
3. Über die beiden Einsiedler Gedichte (Nachahmungen der vergil. Eklo-
gen, zum Preise Neros gewendet) s. § 306, 4. Über Boethius' Carmen buco-
licum s. Usener, anecd. Holderi (1887) 42. (s. § 478, 3). — Der Wettstreit
des Frühlings und des Winters AL. 687 gehört dem Mittelalter an, s. Dümm-
lers poetae aevi Carolini 1, 270.
4. Die in den früheren Ausgaben des Ausonius und Claudianus als
Eidyllia bezeichneten Gedichte nicht bukolischen Inhalts tragen diesen Na-
men nicht in den Handschriften. Vgl. § 421, 2 k. — Hunger, de poesi Rom.
bucolica, Halle 1841. Rünger, Valg. Ruf. 285.
30. Die Lyrik, als subjektive Poesie im weitesten Sinne, stimmte
wenig zu dem auf das Handeln gerichteten und herben Wesen der
Römer und wurde daher unter griechischem Einflüsse erst spät und
in beschränktem Umfange bei ihnen betrieben. Dagegen finden sich
verhältnismäßig frühzeitig solche Lieder, die mit dem Leben irgend-
wie in Beziehung standen, wie Kultuslieder (der Salier, fratres ar-
vales, der Hymnus des Andronicus u. a.), Gesänge zu Ehren Ver-
storbener, Klagelieder, Zaubersprüche, und was sonst durch einen
gewissen Rhythmus oder durch das saturnische Maß zum Carmen
wurde. Außerdem führte der nationale Hang zu scharfer Kritik
schon frühe zu Spottliederu, wie es die Rügelieder und die Soldaten-
lieder auf den Triumphator waren. — Die christlich-lateinische Ly-
rik entfaltete sich in eigentümlicher Weise besonders in der Hym-
nendichtung, in der namentlich Ambrosius für die Folgezeit maß-
gebend wurde.
1. Sen. ep. 49, 5 indignor aliquos ex hoc tempore, quod sufficere ne ad
nccessaria quidem potest, . . . in supervacua maiorem partem erogare, negat
Cicero, si duplicetur sibi aetas, habiturum se tempus quo legat lyricos . . . Uli
ex professo lasciviunt (nicht zu ernst zu nehmen). — Offizielle Lyrik des
Livius Andronicus (Liv. 27, 37. Fest. 333), P. Licinius Tegula (Liv. 31, 12
s. § 114, 3), später des Catull (c. 34 auf Diana) und des Horaz (c. saec).
Gleichzeitig mit Ennius soll eine Memmia (?) Hymnen auf Apollo und die
Musen gedichtet haben (Isid. orig. 1, 39, 17)! Alles das ist aber gräzisierend
und von den alten carmina wesentlich verschieden.
2. Isid. offic. eccl. 1, 6 (vgl. noch § 433, 6) Hilarius Gallus, episcopus
Pictaviensis (§ 418), hymnorum carmine floruit primus. post quem Ambrosius
Mediolanensis episcopus . . . copiosius in huius modi carmine claruisse cogno-
scitur atque inde hymni ex eius nomine Ambrosiani vocantur, quia eins tem-
pore primum in ecclesia Mediolanensi celebrari coeperunt, cuius celebritatis
devotio deliinc per totius occidenüs ecclesias observatur. carmina autem quae-
§ 30. Die Lyrik. § 31. Das Epigramm 51
cumque in laudem Dei dicuntur hymni vocantur. — ADaniel, Thesaurus hym-
nologicus, Halle 1841—56 V. AEbert, Lit. d. MAlters 1, 164 u. sonst. Thier-
felder, de christianorum psalmis et hymnis, Lps. 1868. BKayser, Beitr. z.
Gesch. u. Erld. d. Kirchenhymnen, Paderb. 21881. 1886 IL GPimont, les
hymnes du breviaire romain, Par. 1874. Mone, lat. Hymnen des MAlters,
Freiburg- 1853 — 55 III. — Die christl. Hymnen haben vorzugsweise trochäi-
sches und iambisches Maß, namentlich beliebt ist der iamb. Dimeter, in
Strophen, die häufig mit Reim und Alliteration verziert sind. Die Verse
sind anfänglich mit allmählich zunehmender Freiheit nach der Quantität
gebaut, bis sie endlich ganz rhythmisch werden. Die Hauptvertreter der
Hymnendichtung nach Ambrosius (§ 433, 6) sind Prudentius, Sedulius, En-
nodius, Venantius Fortunatus, Gregorius d. Gr. Vgl. JHuemer, der iamb.
Dim. bei den christl.-lat. Hymnendichtern, Wien 1876; d. ältesten lat.-christl.
Rhythmen, Wien 1879. WMeyer, Ges. Abh. 1, 170. 2, 1.
31. Unter den Kunstformen der griechischen Lyrik wurde die
zierlichste, das Epigramm, am frühesten angebaut, teils als wirk-
liche Aufschrift, teils als literarische Gattung, und zwar begegnet
es hier als Gelegenheits- und Sinngedicht, aber auch als kleine ero-
tische Tändelei. In ernsterer Weise fand es seit Ennius aUmählich
immer häufiger auf Grabdenkmälern, Gebäuden, Geräten, Kunstwer-
ken u. dgl. Verwendung, bald in Hexametern (wie z. B. in der Weih-
inschrift des L. Mummius an den Hercules Victor, J. 146, CIL. 1,
542), bald in Distichen (wie in der Grabschrift des Cn. Cornelius
Scipio Hispanus, Praetor 139, CIL. 1,38), am umfassendsten in
Varros Imagines. Vertreter der beiden anderen Richtungen des Epi-
gramms sind aus der ersten Hälfte des siebenten Jahrh. d. St. Pom-
pilius, Valerius Aedituus, Porcius Licinus, Q. Lutatius Catulus, Quinc-
tius Atta; aus der zweiten Hälfte Varro Atacinus, Licinius Calvus
und Catiülus, der namentlich auch das Spottepigramm pflegt, und
wohl auch Q. Hortensius, C. Memmius, Q. Scaevola und andere,
denen erotische Gedichte zugeschrieben werden. In der augustei-
schen Zeit Augustus selbst, Domitius Marsus, Pedo, Cornificia,, Sul-
picia, Gaetulicus. Unter Domitian wurde das Epigramm in mehreren
Formen, namentlich aber als Spottgedicht, mit Virtuosität gehand-
habt von Martial; auch Ausonius hat manches dieser Art, und noch
lange wurden solche Kleinigkeiten angefertigt, insbesondere für das
Bedürfnis der Grab Schriften. Noch aus dem sechsten Jahrh. n. Chr.
haben wir eine Sammlung von Epigrammen des Luxorius. Gleich-
zeitig entstand die im codex Salmasianus erhaltene Sammlung klei-
nerer Gedichte, die den Grundstock abgegeben hat für die in neuerer
Zeit veranstalteten Sammlungen wenig umfangreicher, vereinzelt
4*
52 Sachlicher Teil
oder herrenlos überlieferten Gedichte , die man Anthologia la-
tina zu nennen pflegt.
1. Über die Geschichte des Epigrammes vgl. Reitzenstein, PW. 6, 71.
Viele Epigramme als wirkliche Aufschriften, die ältesten noch im Saturnier,
sind inschriftlich erhalten; vgl. auch das hexametrische Epigramm bei den
Malereien des Junotempels zu Ardea, antiquis litteris Latinis geschrieben,
Plin. NH. 35, 115. — Gell. 19, 9, 7 Ecquis nostrorum poetarum tarn fluentes
carminum delicias fecisset (wie Auakreon)? nisi Catullus forte pauca et Cal-
vus ibidem pauca. nam Laevius implicata et Hortensius invenusta et Cinna
inlepida et Memmius dura, ac deinceps omnes rudia fecerunt atque absona;
ebd. 10 ff. werden versus Valerii Aeditui, . . item Porcii Licini et Q. Catuli
angeführt quibus mundius, venustius, Umatius, tersius Graecum Latinumve
nihil quidquam reperiri puto. Martial. 1 praef. : lascivam verborum veritatem
i. e. epigrammaton linguam excusarem, si meum esset exemplum: sie scribit
Catullus, sie Marsus, sie Pedo, sie Gaetulicus, sie quicumque perlegitur. Plin.
ep. 5, 3, 5 zählt als Erotiker auf: M. Tullium, C. Calvum, Asinium Pollio-
nem, M. Messalam, Q. Hortensium, M. Brutum, L. Sullam, Q. Catulum,
Q. Scaevolam, Ser. Sulpicium, M. Varronem, Torquatum, immo Torquatos,
C. Memmium, Lentulum Gaetulicum, Annaeum Senecam, Annaeum Lucanum,
. . Verginium Rufum, . . d. lulium, d. Augustum, d. Nervam, Tiberium Cae-
sarem; ferner Neronem, weiterhin (ebd. 6) P. Vergilius, Cornelius Nepos et
prius Accius Enniusque. Mit jenen Torquati meint Plinius wahrscheinlich
die L. Torquati, Vater Cons. 65 und Sohn Praetor 49; f J. 47 in Afrika
(vgl. Cic. Brut. 239. 265. Auf die Vermählung des Sohnes geht wohl Catuli
61, s. LSchwabe, quaest. Catuli. 340). — Man hatte, scheint es, frühzeitig
eine erotische Anthologie, woraus vielleicht Plinius aO., dann Gellius aO.
und Apuleius (apol. 9) ihre Kenntnisse auf diesem Gebiete haben. Auch
AL. 23—25. 29. 427—435. 446. 448—453. 458—460 stammen wohl aus einer
solchen, freilich viel späteren Quelle. — HPaldamus, röm. Erotik, Greifsw.
1833.
2. Über die sog. Grabschriften des Naevius, Plautus, Ennius, Pacuvius
s. § 115, 2. Über die Topik der Grabgedichte BLier, Phil. NF. 16,445.563.
17, 54. Amanti, La poesia sepolcrale lat., Palermo 1912. Eine Art Cento aus
der früheren Grabdichtung ist das Grabgedicht auf Allia Potestas (Not. d.
sc. 1912, 156); s. Kroll (A. 3 E). — Über die Epigramme des M. Tullius
Laurea s. § 191, 6. Gegen das Ende der Republik erschienen zahlreiche
Epigramme auf Personen und Ereignisse des Tages. So auf den Bibulus
Cons. J. 59 (Suet; Iul. 20); auf den Feinschmecker Rufus (ciconiarum con-
ditor, Porph. Hör. S. 2, 2, 50), auf eine anrüchige Ehe (Porph. Hör. S. 1, 1,
19); viel später AL. 419 — 426 zum Preise Caesars, 462f. förmliche Gedichte
auf den Tod der feindlichen Brüder Mevius (§ 309, 1). In der ersten Kaiser-
zeit wurden Stoffe wie der Tod des Cato Uticensis, das Grab des Pom-
peius und seiner Söhne mit Vorliebe behandelt; s. AL. 392 ff. 413 f. (meist
jünger). Namentlich wurden die Kaiser nicht geschont, s. Suet. Aug. 70.
Tib. 59. Cal. 8. Nero 39. Dom. 14. 23 usw. Auf spätere Kaiser: s. FPR. 378.
Verwandtes s. § 11,2. 3.
§ 31. Das Epigramm. § 32. Die Elegie 53
3. Martial. 1, praef. (s. A. 1). 8, praef. : quamvis epigrammata a seve-
rissimis qiioque et summae fortunae viris ita scripta sint, ut mimicam ver-
borum licentiam affectasse videantur. Von seinem Vorgang her galt noch
dem Ennodius und Luxorius etwas Schmutz als unzertrennlich von der Gat-
tung. Fronto p. 212 novissimos in epigrammatis versus habere oportet aliquid
luminis. Das regelmäßige Maß für das Epigramm ist das elegische Disti-
chon: sechs Pentameter hinter einander in einem ursprünglich griechischen,
aber a malo poeta übersetzten Epigramm auf* Commodus (Lamprid. Diad. 7, 3).
Zwei Hexameter mit einem Pentameter Petron. 24 (dazu Friedländer). 55,
vgl. CEL 880. 1020. 1494. 1497 u. a. Kroll, Phil. NF. 27, 276.
4. Über den cod. Salmasianus § 476. — Anthologia lat. epigrammatum
et poematum ex marmor. et monum. inscr. et codd. msc. eruta. cura PBur-
manni, Amsterd. 1759. 73 II. Daraus Anthol. lat. ed. HMeyer, Lps. 1835 II.
— Dann Anthologia latina P. I: carmina in codicibus scripta, rec. ARiese,
Lpz. 21894. 1906 IL (P. II: FBuecheleri anthologia epigraphica lat. Lips.
1895/97 II, dazu Suppl. von Engström (Carm. lat. epigr.), Göteborg 1912,
ferner Carm. sepulcr. epigraphica ed. Cholodniak, 2Petersb. 1904. Außer
anderem enthalten auch den handschriftlich überlieferten Stoff der sog.
Anthol. lat. die Poetae latini minores von Baehrens, Lps. 1879 — 83 V, nament-
lich B. 4; s. § 19,4. — Zahlreiche Beiträge zur lat. Anthologie (neue Funde,
zur Handschriftenkunde, Kritik usw.): s. zB. Engelmann-Preuss, Bibl. Script,
class. 2, 56. Klussmann, dgl. 2, 1, 117. Handschriftlich sind (außer wenigen
mit Verfassernamen, zB. eines Modestus AL. 900 PLM. 5, 95, eines C. Aure-
lius Romulus AL. 905 PLM. 5, 97) zahlreiche namenlose Epigramme, bald
in kleineren Gruppen, bald in größeren Reihen erhalten, darunter Altes und
Neueres (aus dem Mittelalter, aus der ersten Humanistenzeit). Solche zB.
im Anhang von Schneidewins Martial, ferner aus Oxforder Hss. bei REllis,
Aneed. Oxon. 1 (1885), 1; aus Österreich. Hss. s. JHuemer, Wien. Stud. 9,51.
32. Am Ende der Republik gewann besonders die hellenistische
Elegie in Rom Boden, und hierin übertrafen die Schüler durch
Wahrheit und Wärme der Empfindung wie durch künstlerische
Vollendung ihre griechischen Vorbilder. Catull zwar bewegt sich
in dieser Form noch etwas unfrei; besser beherrschte sie schon
Cornelius Gallus (Lycoris); Tibull lieferte darin Meisterwerke,
Propertius leidenschaftliche Bilder, und Ovid war in der elegischen
Form ganz und gar zu Hause. Im ersten christl. Jahrh. war die
Elegie lange Zeit in der Mode, und auch die Schule bediente sich
ihrer zu Stilübungen; um so geringer war der Gehalt dieser Her-
vorbringungen. Später teilte sich dieses Maß mit dem epischen in
das Schicksal, für alle möglichen Stoffe verwendet zu werden; und
als die Verwilderung einbrach, als die Bande der alten quanti-
tierenden Kunstpoesie gelöst und die neue akzentuierende Poesie
noch nicht zur Reife gediehen war, da waren es wiederum jene
beiden metrischen Formen, die als die verbreitetsten und populärsten
54 Sachlicher Teil
davon vorzugsweise betroffen wurden. Doch stellt noch am Anfang
des sechsten Jahrhunderts eine so bemerkenswerte Gestalt wie die
des Elegikers Maximianus aus Etrurien.
1. Crusius, Art. Elegie, PW. 5, 2260. Die Alten bezeichnen mit elegi
usw. nur die metrische Form, [in der die verschiedensten Gegenstände be-
handelt werden können. Doch tritt in der römischen Literatur besonders
die subjektiv-erotische Elegie hervor, die von Jacoby, RhM. 60, 38 geradezu
für eine Schöpfung des Cornelius Gallus erklärt worden ist (§ 232, 1). Nun
war der Schritt, der bei dieser Erfindung getan werden mußte, kein sehr
schwerer; denn die Motive dieser Elegie lagen teils in der mythologischen
Elegie der Alexandriner teils im erotischen Epigramm so reichlich ent-
wickelt vor, daß ein jüngerer Dichter auch aus diesen Gattungen die sub-
jektive Elegie hätte schaffen können. Aber 1. konnte das ein Grieche wie
Parthenios eher wagen als ein Römer, weil die Römer sich weniger zu-
trauten, als sie nach ihren Leistungen durften. 2. zeigt schon Catulls
-68. Gedicht, dessen kunstvolle Anlage sicher aus einem griechischen Vor-
bilde stammt, eine Verquickung von mythologischer und subjektiver Elegie
(übrigens zeigt c. 76, wie fließend die Grenzen zwischen Epigramm und Elegie
sind). 3. sind die Elegien des Tibull und Properz nicht durch Erweiterung
von Epigrammen entstanden, sondern zeigen einen eigenen Stil; es ist ein
ähnliches Verhältnis wie zwischen Heldenlied und Epos. Troll, de elegiae
Rom. origine, Gott. 1911. 4. scheinen spätere Dichter wie Paulos Silentiarios
(Gtollnisch, Quaest. elegiacae, Bresl. 1905) und Epistolographen wie Alki-
phron, Philostratos, Aristainetos irgendwie mit der hellenistischen Elegie
zusammenzuhängen und Rückschlüsse auf sie zu gestatten. Daß diese Briefe
rein rhetorische Übungen sind, ist richtig (Heinemann, epistulae amat.
quomodo cohaereant cum elegiis Alexandrinis, Diss. Arg. 14, 1 : dort in
Kap. 1 eine gute Übersicht über den Stand der Frage), beweist aber nichts
für Tibull und Properz. Vgl. auch Pohlenz, Charites 76. — Diomed. GL.
1, 484 elegia est Carmen compositum hexametro versu pentametroque. . . quod
genus carminis praecipue scripserunt apud Romanos Propertius et Tibullus
et Gallus, imitati Graecos Callimachum et Euphoriona. Cic. Tusc. 3, 45
über Ennius: o poetam egregium, quamquam ab Ms cantoribus Euphorionis
(bes. Gallus) contemnitur (s. § 212 a, 1). Quintil. 10, 1, 93 elegia quoque
Graecos provocamus. cuius mihi tersus atque elegans maxime videtur auctor
Tibullus. sunt qui JPropertium malint. Ovidius utroque lascivior, sicut durior
Gallus. Vgl. MHaupt, op. 3, 205. Zeitliche Aufeinanderfolge s. Ovid. trist.
4, 10, 53 successor fuit hie (Tibullus) tibi Galle, Propertius Uli; quartus ab
his serie temporis ipse fui. Der älteste Dichter dieser Art, Varro Atacinus,
ist als minder bedeutend in diesen Aufzählungen übergangen. Über Cassius
aus Parma s. § 210, 7. Aus der augusteischen Zeit ferner die Verf. der
in Tibulls drittem Buch vereinigten Gedichte (Lygdamus usw.). Angeblich
horazische elegi hielt schon Sueton für unecht; s. § 240, 2. Elegische
äSiönota auf Maecenas und Messala § 229, 3. 230, 5. A. 1.
2. Pers. 1, 51 si qua elegidia (Epigramme?) crudi dietarunt proceres.
luv. 1, 3 impune . . mihi recitaverit ille togatas, hie elegos? So verfaßte
Elegien unter Domitian Arruntius Stella, in der Zeit des jüngeren Plinius
§ 32. Die Elegie 55
dieser selbst (Ep. 7, 4, 3. 7) und Passeimus Paulus, municeps und Nach-
komme des Propertius. Vielleicht noch aus dem ersten christlichen Jahr-
hundert ist die rhetorische Elegie auf die Spes AL. 415 PLM. 4, 65. Von
ähnlichem Charakter AL. 440 PLM. 4, 76.
3. Um die Person der von ihnen besungenen Mädchen verbreiteten die
erotischen Dichter der Römer ein heilsames Helldunkel teils durch die
Weglassung konkreter Züge, teils durch die Sitte, sie mit verändertem,
jedoch meist zugleich prosodisch übereinstimmendem (vgl. Acr. Hör. S. 1,
2, 64) Namen zu erwähnen. Aus guter Quelle Apul. apol. 10 accusent
C. Catullum quod Lesbiam pro Glodia nominarit, et Ticidam similiter quod
quae Metella erat Perillam scripserit, et Propertium qui Cynthiam dicat,
Hostiam dissimulet, et Tibullum quod ei sit Plania in animo, Delia in versu.
LSchwabe, quaest. Catull. 231. Kleemann, de Tib. 1. 111, p. 21. Aufzählungen
von Dichtergeliebten bei Martial. 8, 73, 5 ff. und Apoll. Sidon. ep. 2, 10.
Vgl. auch § 226, 2. 232, 1.
4. Die Motive der Elegie finden sich z. T. schon in der Komödie und
wiederholen sich bei den Elegikern selbst, die weniger auf die Erfindung
als auf die Gruppierung und Formulierung Wert legen. Vgl. Mallet und
Hoelzer (§ 246, 4). Dörfler, Progr. Nikolsburg 1906. Lier, Progr. Stettin
1914. Über Technik des eleg. Distichon, Gruppierung, Symmetrie seiner
Perioden usw. s. bei den einzelnen Dichtern. Im allg. : WGebhardi, de
Tib. Prop. Ovidii distichis, Königsb. 1870. Hultgren, Obs. metr. in poet.
eleg. I. IL, Lps. 1871; Ber. sächs. Ges. 1872, 3 (s. § 19, 2). Drobisch, Classific.
der Formen des Distichon, Ber. d. sächs. Ges. d. Wiss. 1871, 1. 1872, 1. 27.
Engbers, de metricis inter Tib. Propertiumque differentiis, Münst. 1873.
EEichner, de poet. lat. distichis, Bresl. 1866; metr. u. rhythm. Bau u.
Homoeoteleuta in d. Dist., Gnesen 1875. SKleemann de 1. III Tib. (Straßb.
1876) p. 24.
5. OFGruppe, die röm. Elegie; krit. Untersuchungen usw., Leipzig 1838 IL
Rasi, de carm. Rom. elegiaco, Padua 1890. Die Literatur zur Sprache bei
Engelmann-Preuss und Klussmann, Bibl. Script, class.
6. Den nahen Zusammenhang zwischen Epigramm und Elegie zeigen
auch die epitaphia und epicedia. So kommen durch ihren Umfang Elegien
nahe die Epitaphien des mimus Vitalis (AL. 48 7a PLM. 3, 245) und des Nym-
phius (AL. 722 PLM. 3, 270); während Epitaphe zur Charakteristik von Schrift-
stellern, wie des Seneca und Lucanus (AL. 667. 668 PLM. 5, 386), Epigramme
auf sie sind (vgl. § 31, 2). Der Unterschied ließ sich nur so lange durch-
führen, als das Epigramm eine wirkliche Aufschrift war. Jacoby, RhM. 60, 464.
7. Lehrgedichte im elegischen Maß, wie Ovids Fasten, der Phoenix
(§ 397, 8) und de rosis nascentibus, AL. 646. Vgl. § 229, 2 und oben § 23.
Über Rätsel, centones und Verskünsteleien in diesem Maße s. § 26.
33. Den Iambus lernten die Römer zuerst durch das Drama
kennen; hier wurden Senare, aber auch Septenare und Oktonare
nach freien, der römischen Sprache angepaßten Regeln gebaut.
Dieser Technik machten die Neoteriker ein Ende und verlangten
strenge Befolgung der griechischen Versregeln; ja sie bauten sogar,
56 Sachlicher Teil
über die griechische Technik hinausgehend, Gedichte aus reinen
Iamben. Daher verschwindet nun der altrömische Senar allmählich;
doch macht noch Phaedrus von ihm Gebrauch. Der Hinkiambus
wurde zuerst von Matius, dem Übersetzer des Herodas, dann von
Catull und seinen Nachahmern verwendet. Aber iambus bezeichnet
nicht bloß ein Versmaß, sondern auch eine literarische Gattung,
nämlich die von Archilochos begründete des persönlichen Spott-
gedichtes: sie wird von den Neoterikern eingeführt und von den
Nachahmern des Catull, besonders von Horaz, Vergil (Catalepton)
und Martial weiter gepflegt.
1. Diomed. GL. 1, 485 iambus est Carmen maledicum. . . cuius carminis
praecipui scriptores . . apud Romanos Lucilius et Catullus et Horatius et
Bibaculus. Qujnt. 10? 1, 96 iambus non sane a Momanis celebratus est ut pro-
prium opus, (sed aliis) quibusdam interpositus. cuius acerbitas in Catullor
Bibaculo, Horatio, quamquam Uli epodos intervenit, reperietur (vgl. ebd. 9, 4T
141. 10, 1, 9). Ovid. rem. am. 377 liber in adversos hostes stringatur iambus,
seu celer extremum seu trahat ille pedem (Hinkiambus). Catull. 36, 5 und
40, 2 gebraucht iambus wie die Griechen i'a^ßos (Procl. chrestom. 242, 25 W.)
von maledica carmina überhaupt, abgesehen vom Maße, auch von Hende-
kasyllaben, wie er (und später Martial) sie vorzugsweise anwandte.
2. Inhaltlich iambisch war auch die satura des Lenaeus (§ 211, 3) und
der Ibis des Ovid. Choliamben und Iamben bei Catull, auch in dem vergi-
lischen Catalepton; choliambisch auch die mimiambi des Matius, sowie
Petron. sat. 5, der Prolog des Persius und ein Teil der Gedichte des Mar-
tialis. Auch unter den Priapea ist der Iambus vertreten. Die Verse eines
vermeintlichen fIambographen' Flaccus (Paul. Festi 263) sind keine Iamben. —
Antistius Sosianus § 304, 4. Aurelius Apollinaris § 385, 3. Auf Constantins
Verwandtenmord ein Epigramm (Hendek.) angeblich vom Konsul Ablabius
(J. 331 n. Chr.) bei Ap. Sidon. epist. 5, 8. Scherzhafte Sinngedichte in Hende-
kasyllaben bei Lamprid. Alex. Sev. 38; inschriftliche Hendekasyllaben aus dem
l.bis 5. Jahrh. n. Chr. CEL 1504—1518. Von Ausonius s. bes. Epigr. 44. 46. 47
(p. 314. 334 P.) gegen den Rhetor Rufus. Vgl. Rieses AL. 947.
3. Inschriften in iambischen Versen sind nicht selten. In Buechelers
Sammlung (s. §31, 4) sind Nr. 18—211. 1788—1797 Senare, 212—216 Ska-
zonten, 217 — 226 Dimeter; davon Nr. 52 etwa aus der Gracchenzeit.
34. Am Ende der Republik, als die Kenntnis der griechischen
Literatur in Rom immer vielseitiger geworden war, versuchte fast
jeder höher gebildete Römer sich gelegentlich in kleinen Gedichten;
auch die Begabteren, wie Laevius, Varro Atacinus, Calvus und Ca-
tull, bewegten sich in verschiedenen Gattungen und metrischen
Formen; den Catull aber machte Liebe und Haß, die er darin nieder-
legte, zum ersten eigentlichen Lyriker der Römer. Auf seiner Bahn
wandelte Horaz fort, mit geringerer Leidenschaft, aber mit größerem
§ 33. Der Iambus. § 34. Poetische Spielereien 57
Kunstverständnis und in Anlehnung an die von Catull nur ausnahms-
weise beachtete altgriechische Lyrik. Sein Zurückgehen auf Alkaios
und Sappho blieb jedoch ohne Nachfolge. Andere in seiner Zeit
brachten es über Tändeleien und Anläufe nicht hinaus. Im ersten
christl. Jahrh. war Formgewandtheit sehr verbreitet und infolge
dessen auch poetisches Dilettantentum; hervorragend aber und von
nachhaltigem Einfluß war keiner der zahlreichen lyrischen Dichter
dieser und der nächsten Zeit, wie Caesius Bassus, Saleius Bassus,
Gaetulicus, Arruntius Stella , Vestricius Spurinna, der jüngere Pli-
nius7 P. Annius Florus, Voconius, Hadrian, Serius Augurinus, Pom-
peius Saturninus; durch Raschheit und Glätte ragt Statius hervor.
In der Zeit des Hadrian greifen die sog. jüngeren Neoteriker auf
die künstlichen Versmaße des Horaz zurück und machen Verse, nur
um ein bestimmtes Metrum darzustellen; Vertreter dieser Rich-
tung sind Annianus, Septimius Serenus, Terentianus Maurus und
später Ausonius, auch noch Apollinaris Sidonius und Boethius;
nicht minder ist das Pervigilium Veneris ein unverächtliches Zeugnis
für die lyrische Kunst des zweiten oder dritten Jahrhunderts. Unter
den christlichen Dichtern des vierten Jahrhunderts zeichnet sich
Prudentius durch die Mannigfaltigkeit der von ihm gehandhabten
melischen Metra aus. Teils zeitweise teils fortwährend waren in
besonderer Gunst Hendekasyllen, trochäische Tetrameter und iam-
bische Dimeter.
1. Die ältesten Meliker bezeichnen, unter dem Einflüsse der römischen
Anschauungen und wegen des spielenden Inhaltes, ihre Arbeiten selber als
nugae, ineptiae, {Eroto-)paegnia, opuscula udgl. Hierher gehören viele der
von Plin. ep. 5, 3, 5 (s. § 31, 1) genannten, vielleicht auch Cassius aus Parma.
In der augusteischen Periode vielleicht Titius (Hor.E.1, 3, 9), Iulius Antonius
(vgl. Hör. C. 4, 2) und Rufus (Ovid. Pont. 4, 16, 28); dann des Maecenas Tän-
deleien. Über des Melissus Ineptiae § 244, 2. — Vorzugsweise aus der augu-
steischen Zeit stammen wohl auch die Priapea; s. § 254, 5.
2. Quint. 10, 1, 96 lyricorum Horatius fere solus legi dignus. . . si quem
adicere velis, is erit Caesius Bassus, quem nuper vidimus; sed eum longe prae-
cedunt ingenia viventium (wobei er wohl an Arruntius Stella, Vestricius Spu-
rinna, vielleicht auch schon an Statius denkt, zugleich ein Maßstab für das
Urteil über Bassus). Diesen Spätlingen fehlte es weniger an Form als an
Inhalt. Versiculi des Plinius, erotischen Inhalts, bes. Hendekasyllaben, ep.
5, 3, 1. 7, 4, 1. 7 ff. Gleichzeitig Passennus Paulus Nachahmer des Horaz
(ebd. 9, 22, 2). Voconius poeta (§346, 5) unter Hadrian, der auch Ähnliches
schrieb. Damals Vorliebe für den volkstümlichen (s. § 11, 3) trochäischen
Septenar (Annius Florus) ; darauf für den iambischen Dimeter (zB. Annianus).
Im fünften Jahrh. waren die Hendekasyllaben wieder in der Mode (Sido-
nius u.a., s. §33, 2). Daneben mancherlei Raritäten, zB. Anakreonteen —
58 Sachlicher Teil
ein auch bei den späteren Griechen beliebtes Maß — bei Symmach. ep. 1, 8.
Ähnliches CEL 1519 ff. Absichtliche oder unwillkürliche Überschätzung von
Zeitgenossen zB. auch in bezug auf Numerianus (Caesar J. 284) s. § 385, 3.
Grabschrift auf ein Schoßhündchen in Hendekasyllaben mit catullischen An-
klängen (2. Jahrb.), CEL 1512. Christliche Hendekasyllaben AL. 768. — Ora-
kellose (sortes), zum Teil im paroemiacus, in der SGaller Hs. des Merobaudes,
ed. Winnefeld, Bonn 1887 (§ 464, 4).
3. Ob die melischen Gedichte, namentlich die des Horaz, auf Gesangs-
vortrag mit Instrumentalbegleitung berechnet waren? Er sagt C. 4, 9, 4 verba
loquor socianda cliordis , und spricht oft von seiner lyra, cithara, testudo,
barbitos, von plectrum und von fides, von canere, cantare, dicere. S. OJahn,
Herrn. 2, 418, der jene Frage bejaht. Zweifellos ist das Carm. saec. für Ge-
sang geschrieben, anderes (bes. Catull 34) konnte wenigstens gesungen
werden; geschehen ist es höchstens ausnahmsweise. Jene Äußerungen
schleppen sich seit der altgriechischen Lyrik weiter, die noch aufs engste
mit der Musik zusammenhing; aber dieser Zusammenhang hatte sich längst
gelöst und wurde nur manchmal künstlich hergestellt. Vgl. noch Fried-
länder, Sittengesch. 38, 350. ARiese, JJ. 94, 480. WFörster, quaest. Hör. 2
(Brunn 1870), 11. FSüss, ZföG. 30, 881. Die altrömische Abneigung gegen
das Singen (§1,4) kommt hier kaum noch in Frage. Cantus inter convivia
äulcis, Manil. astr. 5, 333. Ov. AA. 3, 345 composita cantetur epistula (eine He-
roide) voce. Des jüngeren Plinius Hendekasyllaben wurden von Römern, ja
selbst von Griechen gesungen (§ 340, 4). Derselbe rühmt ep. 4, 19, 4 von seiner
Frau: versus meos cantat etiam formatque cithara (s. auch ep. 7, 4, 9. 17, 3).
Ann. Flor. p. 184, 4 R. : urbem illam, ubi versus tui a lectoribus concinuntur.
Bei Gell. 19, 9, 10 (Iulianus rhetor) voce admodum quam suavi versus cecinit
Valeri Aeditui, Porcii Licini et Q. Catuli. Noch Apoll. Sidon. ep. 8, 4 iambos,
elegos, hendecasyllabos et cetera carmina . . Narbonensibus cantitanda.
35. Wie in der griechischen Literatur so ist auch bei den
Römern eine schriftmäßige Prosa verhältnismäßig spät und erst
nach griechischem Vorbilde entstanden und ausgebildet worden.
Der erste Schritt dazu geschah durch Veröffentlichung einer (J. 279)
gehaltenen Rede, durch Appius Claudius. Da indessen die nach-
folgenden Schriftsteller sich der griechischen Sprache bedienten, so
beginnt ^die Geschichte der Prosa eigentlich erst mit dem älteren
Cato. Lange blieb jedoch die geschriebene Rede hinter der ge-
sprochenen zurück und deckte sich mit ihr erst in Cicero, in dessen
Zeit die Prosa ihren Gipfelpunkt erreicht und ein vollständiger Aus-
druck der Eigenart des Schriftstellers wird. Einen rhetorischen An-
strich aber behielt sie infolge der Herrschaft der Schule fortwäh-
rend. Im ersten Jahrhundert der Kaiserzeit sinkt sie bereits von
ihrer Höhe herab, durch Vermischung mit dem poetischen Ausdruck
und durch Abkehr vom Natürlichen. Die Verarmung und Verknö-
cherung der Sprachformen beginnt schon in dieser Zeit und steigert
§ 35. Die Entwicklung der Prosa 59
sich immer mehr infolge der Bestrebungen der Schule, den Zustand
der klassischen Sprache festzuhalten. Auf die Dauer ließ sich das
nicht durchführen, und trotz aller puristischen Bemühungen drangen
mehr und mehr volksmäßige Elemente in die Schriftsprache ein. In-
dem nun Volks- und Schriftsprache und zugleich mit dem Sinken
des ästhetischen Geschmackes die Schriftsprache aller Zeiten und
Stilgattungen durcheinander gemengt wurde, riß immer größere
Verwirrung ein. Je weiter die Ausbildung des provinziellen Lateins
(der romanischen Sprachen) fortschritt, um so mehr wurde das
Schriftlatein zu einer fremden nur dem Gelehrten geläufigen Sprache.
1. Isidor. orig. 1, 37, 2 praeterea (ait Varro? aiunt?) tarn apud Graecos
quam apud Latinos longe antiquiorem caram fuisse carminum quam prosae.
omnia enim prius versibus condebantur (§ 61), prosae autem Studium sero
viguit. primus apud Graecos Pherecydes Syrius soluta oratione scripsit, apud
Romanos Appias Caecus adversus Pyrrhum (§ 90) solutam orationem primus
exercuü. iam exhine ceteri prosae eloquentiam condiderunt.
2. Die vorliterarische Prosa, zB. die der Zwölftafelgesetze, war ganz un-
gelenk und gewann erst durch den Einfluß der griechischen Grammatiker-
und Rhetorenschule allmählich Beweglichkeit und Stil. OAltenburg, de ser-
mone Italorum vetustissimo, JJ. Suppl. 24, 485. Norden, Kunstpr. 1, 156. Der
Unterschied zwischen gebildetem (Schrift- oder Hochlatein) und Vulgärlatein
{Volkslatein) konnte sich erst stufenweise herausbilden; die Geschichte der
Schriftsprache besteht zum großen Teile in ihrem wechselnden Verhältnisse
zur gesprochenen Sprache. Daß sich bes. bei Komikern, Satirikern, Tech-
nikern und Briefschreibern reines Vulgärlatein finde, ist eine irrige Vorstel-
lung; auch hat man unter Vulgärlatein sehr Verschiedenes verstanden, von
der Umgangssprache der Gebildeten, die in klassischer Zeit sich nur durch
syntaktische und stilistische Eigenheiten von der Schriftsprache unterschied,
bis zu der in Lautbestand und Formenbildung verwilderten Sprache des ge-
meinen Mannes. Woelfflin, Phil. 34, 137. Kempf, Rom. sermonis castrensis
rell., JJ. Suppl. 26, 339 (dazu Heraeus, Arch. Lex. 12, 255). Kroll, EMI. 52,
572. Unten § 345 (S. 48, 4). 385, 3. 4. Donat. zu Ter. Ad. 375 sie loquitur po-
pulus (s. § 385, 4). Eine Hauptquelle unserer Kenntnis des Vulgärlateins
bleiben immer die romanischen Sprachen; sehr wichtig ist GrÖbers cVulgär-
lat. Substrate roman. Worte' Arch. Lex. 1, 204. 539 ff. bis 6, 117 (vgl. ebd. 1,
35) und Heraeus' Ausg. der Appendix Probi (§ 301, 6) Arch. Lex. 11, 61
(dazu § 385, 3). S. WMeyers übersichtliche Geschichte u. Grammatik der
latein. Volkssprache in Gröbers Grundriß der roman. Philol. I2, 455. GMohl,
Introd. ä la chronol. du Lat. vulgaire, Paris 1899 ist nur mit Kritik zu be-
nutzen. Berichte über Vulgärlatein von ELudwig, JB. 6, 238. 10,84. Sittl,
ebd. 40, 317. 68, 226. Geyer, ebd. 98, 33.
36. Für Geschichte, insofern sie das Geschehene zum Ruhme
der Vergangenheit buchte, besaßen die Römer einen regen Sinn.
Uralt ist die Sitte amtlicher Aufzeichnungen durch die Pontifices,
60 Sachlicher Teil
sind die Jahres- und Monatsverzeiehnisse, die annales und fasti, die
libri pontificii, commentarii reguin, magistratuum ; schon der jähr-
liche Wechsel der Behörden war ein Antrieb zu solchen Aufzeich-
nungen. Aber auch für die Familien war die Sitte der imagines,
später der Stammbäume, der laudationes funebres, der Gesänge von
den Ahnen beim Mahle, Anlaß genug, das Geschehene, freilich in
einer durch Familienstolz getrübten Form, im Gedächtnis zu er-
halten. Als die Römer dann mit der griechischen Historiographie
bekannt wurden, waren von diesen älteren Aufzeichnungen fast nur
die Pontifikalannalen als Geschichtsquelle zu verwerten, und ihre
Spuren finden sich auch in der ganzen Annalistik, die sich nun nach
dem griechischen Vorbilde entwickelt. Mit dieser Anlehnung an die
griechische Historiographie ist gegeben, daß sie sich von der mo-
dernen Geschichtschreibung durch Zweck und Methode unterschied.
Die Forderung, das geschichtlich Wahre als solches zu ermitteln
und darzustellen, war vorhanden und wurde oft ausgesprochen. In
der Praxis aber bemühten sich die meisten Historiker, eine gefällige
und in sich geschlossene Darstellung zu erzielen, und bekümmerten
sich ziemlich wenig um Herkunft und Art des Tatsachenmaterials,
das sie verarbeiteten. Unter den römischen Historikern ist keiner,
der archivalische Quellenstudien getrieben oder an seinen Vorlagen
historische Kritik geübt hätte; sie befolgen meist die bequeme Me-
thode, das was sie in ihren Quellen vorfinden, für echte Überliefe-
rung anzusehen, falls es zu der Tendenz und dem Tone ihrer eigenen
Darstellung paßt. Daß sie, wenn es darauf ankam, die Tatsachen
in nationalem Sinne verschoben oder fälschten, ist kaum auffallend;
oft kam auch die Tendenz des Einzelnen hinzu, sein Haus, seine
Partei oder Person in ein günstiges Licht zu stellen. Viele dieser
Eigentümlichkeiten hingen damit zusammen, daß man die Aufgabe
des Geschichtschreibers als eine rhetorische auffaßte: das machte
gleichgültig, wo nicht gar leichtfertig gegen Zahlen und sonstige
Tatsachen, desto geneigter aber zu phantastischer Ausmalung und
dem Streben nach pathetisch-romanhaften Wirkungen. Alle diese
Ziele werden aber erst spät erreicht; Sallust ist der erste kunst-
gerechte Historiker der Römer; alles Frühere ist entweder register-
artig gehalten oder läßt doch die wirklich künstlerische Verarbei-
tung des Stoffes und den eigentlich historischen Stil vermissen. Die
ältesten Geschichtschreiber zogen es sogar vor griechisch zu schrei-
ben, weil das Lateinische für schriftliche Darstellung noch zu wenig
ausgebildet war.
§ 36. Die Geschichtschreibung 61
1. Neueste Sammlungen der Überreste der röm. Geschichtschreiber von
HPeter, Historicorum Rom. reliquiae; Lps. 1870. 1906 II (l2. 1914), und Hi-
storicorum Rom. fragmenta (bis auf die Zeit Constantins d. Gr.), Lps. 1883.
2. GJVossius, de historicis latinis, Leiden 1627. 21651. Ulrici, Charak-
teristik d. antiken Historiographie, Berl. 1833. Nipperdey, opusc. (Berl. 1877)
899.411. DGerlach, die Geschichtschreiber d. Römer, Stuttg. 1855. ASchäfer,
Quellenkunde d. gr. u. röm. Gesch. : 2. Abt. : röm. Gesch. 2. Aufl. v. HNissen,
Lpz. 1885. Wachsmuth, Einl. in d. Stud. der alten Gesch., Lpz. 1895. Büdinger,
Universalhistorie im Alt., Wien 1895. HPeter, Wahrh. u. Kunst, Geschicht-
schreibung und Plagiat, Lpz. 1911. Die Einleitungen zu den Darstellungen
der römischen Geschichte von Niebuhr, Schwegler, Mommsen (l6, 459). Unter-
suchungen über die Glaubwürdigkeit der altröm. Geschichte von Bröcker
(Bas. 1855), CLewis (übers, v. Liebrecht, Hann. 1858), HPeter, Hist. Rom.
rell. 1, xliii — lix, Nitzsch (§ 37, 6), CPeter (§ 37, 6), MZoeller, Latium u.
Rom, Lpz. 1878, 1 — 60, Mommsen, Röm. Forschungen 2, Berl. 1879, EPais,
Storia di Roma 1 (Critica della tradizione), Turin 1898 f. u. a.
3. Pontifices, penes quos scribendae historiae potestas fuit, Vopisc Tac.
1, 1 (s. § 76). Jedenfalls veranstalteten sie, um die griechischen Termini zu
brauchen, die avccyQctcpcd, die später die solide Grundlage der coqoi bildeten.
— Lange galt die Geschichtschreibung für ein Privileg der Vornehmen, und
es durfte Geschichte nur schreiben, wer auch Geschichte zu machen im
stände war: L. Voltacilius (§ 158, 3) . . primus omnium libertinorum . .. scri-
bere historiam exorsus, non nisi ab honestissimo quoque scribi solitam ad id
tempus, Suet. rhet. 3. Schönfärbend Tac Agr. 1 apud priores . . . celeberri-
mus quisque ingenio ad prodendam virtutis memoriam sine gratia aut ambi-
tione bonae tantum conscientiae pretio ducebatur. Die frühere Ansicht, daß
die ältesten Geschichtschreiber griechisch geschrieben hätten, um die Kunde
im engeren Kreise der Patrizier zu halten, widerlegt sich dadurch, daß einer
dieser ältesten, Cincius Alimentus (§117), Plebejer ist; vgl.Phil.Anz. 15,161.
Jene schrieben griechisch vielmehr so wie die ältesten deutschen Chronisten
lateinisch und im 17. — 18. Jahrh. manche deutsche Schriftsteller französisch.
Zarncke, Comment. Ribbeck. 271. 318. Rücksicht auf das Ausland ? s. Wölff-
lin zu Liv. XXI, p. vi. — Stadtchroniken auch außerhalb Roms , schwerlich
von Bedeutung: Liv. 5, 34. 8, 10. 10, 2. — Den großen Schatz öffentlicher Ur-
kunden in Rom haben die Geschichtschreiber nur obenhin benutzt. Archiv (?)
im tabularium auf dem Capitol seit dem Neubau (fertig 69 v. Chr.) des
Q. Lutatius Catulus, nach dem Brand des Capitols J. 83 v. Chr. Wiederher-
gestellt durch Vespasian (Suet. Yesp. 8) nach der Zerstörung im J. 69 n. Chr.
Kaiserliches Hofarchiv auf dem Palatin (Cass. D. ep. 72, 24, 2).
4. Praktische Interessen: angebliches Zurückgreifen auf einen älteren
Vorgang zB. Liv. 8, 18, 12. Pädagogische Zwecke: Plut. Cato mai. 20 xat
rag IßTOQiccg db övyyqd'^xxi cpr\6lv ccvtbg Idla %£iql nal (isydloig yQd\L[ia6iv,
OTtag oi'Kod'sv vTtdq^oi tw itccidl nqbg iyLTtsiQiav t&v TtaXai&v nai Ttargicov
äicpe%sl6fi'ca. Dieser Nutzen der Geschichtschreibung namentlich für Staats-
männer wird am meisten von Polybios betont, entspricht aber der allge-
meinen Anschauung; daher Cic. de or. 2, 36 historia . . magistra vitae, sie
liefert vetustatis exempla ebd. 1, 201 (PScheller, de hellenistica hist. conscri-
bendae arte, Lpz. 1911, 72). Daher sondert sich die Sammlung von exempla
62 Sachlicher Teil
als ein besonderer Literaturzweig ab (§ 198, 4. 262, 2. 279). Alewell, Über
das Paradeigma in d. röm. Lit. , Lpz. 1913. Heinze, Virgils Technik 472.
5. Die Geschichtschreibung erscheint geradezu als ein Zweig der epi-
deiktischen Beredsamkeit. Norden, Kunstpr. 81. Kroll zu Cic. orat. 66. Quint.
2, 18, 5 historiis, quod ipsum opus in parte oratoria merito ponimus. Cic. de
leg. 1, 5 cum sit (historia) opus, ut tibi quidem videri solet, unum hoc Orato-
rium maxime (hauptsächlich in bezug auf stilistische Darstellung). AWolff,
de Iosephi stud. rhetor. , Halle 1908, 33. Scheller aO. 50. Daraus ergibt
sich die Sparsamkeit in Zitaten, die leicht einen pedantischen und unkünst-
lerischen Eindruck hervorrufen; man wendet sie hauptsächlich da an, wo
die Meinungen der Gewährsmänner auseinandergehen, und nennt häufig
gerade den Autor, aus dem man eine Einzelheit entnimmt, während man
die Hauptquelle der ganzen Darstellung verschweigt. Stemplinger, s. § 37
A. 4. Natürlich nahmen die römischen Historiker gern die Sitte der Grie-
chen an, in ihre Darstellungen Reden einzuflechten. Schon der alte Cato
tat dies (mit seinen eigenen Reden) über das Bedürfnis hinaus, dann Anti-
pater usw. Die kunstmäßigen Historiker verwenden sie als Mittel der Ab-
wechslung und zur Charakteristik der Handelnden und der Situationen. Selten
sind sie bei dem auf künstlerische Abrundung verzichtenden Caesar, desto
häufiger bei Sallust (§ 206, 4) und Livius (§ 257, 12). An letzteren tadelte
vom Standpunkt des Geschichtschreibers Pompeius Trogus (Iustin. 38, 3, 11)
quod contiones directas pro sua oratione operi suo inserendo historiae modum
excesserit. Frühzeitig wurden für rhetorische Schulzwecke aus Sallust (§ 205,4,
vgl. 206, 4) und Livius (Suet. Domit. 10) die Reden (und Briefe) zusammen-
gestellt. ARüdiger, de orationibus in rerum scriptoribus , Schleiz 1875.
Atzert, Progr. Meppen 1911. Lauckner (§ 205, 3) 34. Stemplinger, das Pla-
giat 250.
6. Auch die Schlachtenberichte der rhetorisierenden Geschichtschreiber
sind (im Unterschiede von denen bei Technikern wie Xenophon, Polybios
und Caesar) Ausmalungen ihrer Phantasie oder nach berühmten Mustern
verfaßt und teilweise ziemlich einförmig gehalten. Yerhandl. d.Würzb. Philol.
Vers. (Lpz. 1869) 190. Stade, die Schlachtenschilderungen in Liv. 1. Dekade,
Jena 1873. Zielinski, zweiter pun. Krieg, Lpz. 1880, 149. HPeter, Geschieht].
Liter. 2, 307.
7. Geschichte und Roman wurden von vielen Geschichtschreibern tat-
sächlich verwechselt und die Forderung einer der tragischen ähnlichen Wir-
kung aufgestellt (Gramann, Quaest. Diodoreae, Gott. 1907, 22): sogar der
Theoretiker Quintilian sagt 10, 1, 31 historia est proxima poetis et quodam-
modo Carmen solutum, et scribitur ad narrandum, non ad probandum. Rich-
tiger Plin. 5, 8, 9 habet quidem oratio et historia multa communia, sed plura
diversa in his ipsis quae communia videntur etc. vgl. ebd. 4 orationi et car-
mini parva gratiay nisi eloquentia est summa: historia quoquo modo scripta
delectat. sunt enim homines natura curiosi et quamlibet nuda rerum cogni-
tione capiuntur. Dagegen Cic. Brut. 42 quoniam concessum est rhetoribus emen-
tiri in historiis, ut aliquid dicere possint argutius. Quint. 8, 3, 70 (bei Schil-
derung der Eroberung einer Stadt) licebii etiam falso adßngere, quiequid fteri
solet. Dazu kam das starke Hervortreten des persönlichen Elementes seit
den Alexanderhistorikern, das namentlich für die Historiographie der Kaiser-
§ 36. Die Geschichtschreibung. § 37. Die Annalisten 63
zeit wichtig wurde. Peter, Gesch. Lit. 1, 307. Cicero kann daher dem Luc-
ceius zumuten, seine Taten vom Beginn der Catilinarischen Verschwörung in
einer besonderen Schrift zu verherrlichen, in der seine Person im Mittel-
punkte stehen sollte, ohne daß durch das uno in argumento unaque in per-
sona versari der Rahmen des Geschichtswerkes gesprengt werden sollte (ep.
5, 12 und dazu Eeitzenstein, Hellenist. Wundererzählungen 84. Scheller 80.
Lauckner [§ 205, 3] 59). Vgl. § 39, 2. Nissen, RhM. 26, 500. 515. 41, 494.
PScheller aO., bes. 37. 87. Norden, Kunstpr. 91. Vgl. § 37, 3. 6. Über den
Unterschied antiker und moderner Geschichtschreibung Nipperdey, opusc. 411.
37. Bis zum Ende des zweiten punischen Krieges hat Rom nur
Geschichte und Geschichtsquellen geschaffen. Als es dann zu einer
literarischen Darstellung der Geschichte kam, schloß sich diese in
ihrer Form naturgemäß an die bisherigen annales an. Daher sind
die ältesten römischen Geschichtschreiber Annalisten. Diese
bilden eine ununterbrochene Reihe, aber so, daß zwei Generationen
besonders hervortreten: eine ältere und eine jüngere. Die ältere
reicht bis in das siebente Jahrh. d. St. hinein und besteht meist aus
Männern, die selbst eine Rolle im Staate gespielt hatten und dann
in magerer chronikartiger Fassung mit einer gewissen, freilich nicht
zu überschätzenden Zuverlässigkeit die Tatsachen in der Jahres-
folge verzeichneten. An ihrer Spitze steht Q. Fabius Pictor; ihm
folgten L. Cincius Alimentus, C. Acilius und A. Postumius Albinus.
Alle diese behandelten die älteste Geschichte summarisch, die der
eigenen Zeit ausführlicher, und schrieben in griechischer Sprache.
Bei Pictor und Acilius folgten aber bald lateinische Bearbeitungen
nach. Der erste, der lateinisch schrieb und zugleich den Gegenstand
zu einer Geschichte Italiens erweiterte, war Cato (Origines). Seinem
Vorgang folgten in bezug auf die Sprache L. Cassius Hemina und
wohl auch Ser. Fabius Pictor; dann L. Scribonius Libo, Fabius
Maximus Servilianus (Cos. 142), L. Calpurnius Piso Frugi (Cos. 133),
C. Sempronius Tuditanus (Cos. 129). Nach den gracchischen Kämpfen
beginnt die jüngere Annalistik, die unter dem Einflüsse von Partei-
rücksichten und mit zunehmender Weitschweifigkeit schrieb. Zu
ihr gehörten schon Yennonius und Cn. Gellius. Eine stärkere Ein-
wirkung griechischer Stilistik verriet C. Fannius, besonders aber
dessen jüngerer Zeitgenosse L. Coelius Antipater; der Einfluß von
Polybios' Pragmatismus trat bei Sempronius Asellio zutage. In die
Mitte des siebenten Jahrh. d. St. und in die sullanische Zeit fallen
mehrere Verfasser von Denkwürdigkeiten und Selbstbiographien y
nämlich M. Aemilius Scaurus, P. Rutilius Rufus, Q. Lutatius Catulusy
sodann Sulla selbst und der griechisch schreibende L. Licinius Lu-
64 Sachlicher Teil
cullus ; später M. Varro, Caesar, Augustus, Agrippa u. a. In der
sullanischen Zeit finden wir in Voltacilius den ersten nicht frei-
geborenen Geschichtschreiber. Die jüngere Annalistik hat ausge-
prägte Vertreter an Q. Claudius Quadrigarius und dem abenteuer-
lich ausmalenden Valerius Antias. Achtbarer war C. Licinius Macer,
für uns der letzte eigentliche Annalist. Denn L. Cornelius Sisenna
(Prätor 78) befolgte in seiner zeitgenössischen Geschichte viel mehr
eine sachliche als eine chronologische Ordnung. Aber noch Tacitus
wagt kaum die Fessel der annalistischen Anlage abzustreifen, und
auch manche Kaiserbiographien hatten die Form von Annalen.
1. Der Unterschied zwischen älterer und jüngerer Annalistik ist wohl mehr
quantitativ als qualitativ (so auch Pais, Storia crit. 1, 1, 85); bei der Dürftigkeit
der Überlieferung namentlich über die ältere Zeit war es von vornherein nötig,
hier zu erfinden oder fremde Erfindungen (zB. des Timaios) weiterzugeben.
Namentlich aber suchte die Annalistik unangenehme Tatsachen totzuschweigen,
wie Roms Unterjochung durch Porsena, den Loskauf der Stadt von den
Galliern, das caudinische Joch mit dem darauf folgenden Friedensbruch.
Auch Umstellungen nahm sie unbedenklich vor. Die jüngere Annalistik
strotzt von patriotischen Fälschungen; außerdem überträgt sie die Partei-
kämpfe des letzten Jahrhunderts der Republik in die Zeit des Gegensatzes
zwischen Patriziern und Plebejern und verdoppelt, wo es ihr an Stoff fehlt,
ungescheut Namen und Motive der älteren Geschichte. So zeigt zB. ESchwartz,
daß bei Dionys. 5, 53 f. ein Annalist benutzt ist, der die Erzählung der
Verschwörung des J. 500 zu Ausfällen gegen Ciceros Verfahren bei der
Unterdrückung der Catilinarischen Verschwörung benutzt (Notae de Rom.
annalibus, Gott. 1903). Je näher der augusteischen Zeit, desto größer ist
der Umfang der Annalen, desto geringer durchschnittlich ihre Glaubwürdig-
keit. Nissen, RhM. 25, 1. Vgl. ELübbert, de Liv. 1. IV fontibus, Gießen
1872, p. 3. Antipater verwertet zuerst auch gegnerische Quellen. Gemein-
sam ist allen Annalisten ihre völlige Unkenntnis fremder Länder. Über
das gesamte Verfahren der Annalisten vgl. Pais aO. 148; über die un-
historisch großen Zahlen (bei Schlachtberichten udgl.) der Annalisten s.
zB. CPeter, zur Kritik der Quellen 53. Vgl. auch § 155, 3. BNiese, de
annalibus Rom., Marb. 1886. Kahrstedt (A. 4 E.) 52. 67. 75.
2. Wo von der Mitte des siebenten Jahrh. d. St. an annales erwähnt
werden, da sind annalistische Schriftwerke gemeint, buchmäßige Fort-
setzungen der Annales maximi (§ 76). Vgl. Schwegler, RG. 1, 11 f.
3. Im Unterschiede von annales als Chroniken bezeichnet historia
(latoQia Untersuchung) eigentlich eine subjektive, mehr pragmatische Dar-
stellung des Stoffes: aber der Gebrauch hält diese Scheidung nicht fest.
Die alten Grammatiker erklärten zum Teil historia als -Darstellung von
Selbsterlebtem (unde Livius ex annalibus et historia constat, Serv. aO.),
woran schon Verrius Flaccus bei Gell. aO. mit Recht zweifelte. Vgl.
Gell. 5, 18. Serv. Aen. 1, 373. Isid. orig. 1, 40, 1. Zu schroff sondert
beide Begriffe Niebuhr, kl. Sehr. 2, 229. Vgl. HNissen, krit. Unters. 87.
§ 37. Die Annalistik 65
FThiersch, Münchner Gel. Anz. 1848, Nr. 131. Peter, HRR. 1, xlviii.
Sempronius Asellio bei Gell. 5, 18, 8 inter eos, qui annäles relinquere vo-
luissent, et eos, qui res gestas a Romanis perscribere conati essent, omnium
verum hoc interfuit. annales libri tantummodo quod factum quoque anno
gestum sit, ea demonstrabant, id est quasi qui diarium scribunt, quam Graeci
icpriiisgida vocant. nobis non modo satis esse Video, quod factum esset, id
pronuntiare, sed etiam quo consilio quaque ratione gesta essent demonstrare:
. . . (bloß die äußeren Tatsachen melden, nicht auch deren Gründe)
id fabulas pueris est narrare, non historias scribere. Die Zeitordnung
hielten begreiflicherweise alle Geschichtswerke im wesentlichen ein (Plin.
•ep. 1, 1 non servato temporis ordine, neque enim historiam componebam\
und die Römer dachten sich alle Geschichtschreibung chronologisch (Cic.
ep. 5, 12, 5 ordo ipse annalium mediocriter nos retinet quasi enumeratione
factorum).
4. In der Benützung der Vorgänger herrschte große Freiheit. Die Nach-
folger schrieben deren Werke, wenigstens was die Tatsachen betraf, mit
mehr oder weniger Zutaten und Umarbeitung ab, mit oder ohne Namens-
nennung. Meist erfolgt die Erwähnung der Quelle nur, um streitige Fragen
durch das Gewicht eines Namens oder die größere Zahl der Gewährsmänner
zu entscheiden, um den Gewährsmann zu tadeln oder um die Unmöglich-
keit einer Entscheidung klarzustellen. Auch werden Zitate aus der Haupt-
quelle mit herübergenommen, dagegen tritt das Zitat als Ursprungszeugnis
sehr zurück. Öfters legte der Schriftsteller seiner Arbeit eine Hauptquelle
zugrunde und änderte diese nach anderen Quellen oder nach eigenem Er-
messen ab. CPeter, das Verhältn. des Liv. usw., Anclam 1853; zur Kritik
der älteren röm. Gesch. (Halle 1879) 4. 6. Nissen, krit. Unters. 77. 90.
Peter, RR. 1, liv. Kahrstedt, die Annalistik von Liv. B. 31 — 45, Berl.
1913. — Im allgem. vgl. Stemplinger, das Plagiat in der griech. Lit., Lpz.
1912.
5. Cic. de or. 2, 52 erat historia nihil aliud nisi annalium confectio.
Tac. dial. 22 nulli sensus tarda et inerti structura in morem annalium com-
ponuntur. Dionys. 1, 7 siel Sh (die Ttgocy^iatsloci der Annalisten) raXg zlli\-
vwalg %QOvoyQttcpieas ioiKvlai. Den Maßstab rhetorischer Stilistik anlegend
Cic. leg. 1, 6 post annales pontificum maximorum . . si aut ad Fabium aut
ad . . Catonem aut ad Pisonem aut ad Fannium aut ad Vcnnonium venias,
quamquam ex his alius alio plus habet virium, tarnen quid tarn exile quam
isti omnes? Fanni autem aetati coniunetus Antipater paulo inflavii vehe-
mentius . . sed tarnen admonere reliquos potuit, ut adeuratius scriberent.
ecce autem successere huic belli (nette Historiker? Guilelmus: Gellii, s.
§ 137, 1 u. Vahlen zdSt. und FUnger, Philol. Suppl. 3, 2, 9), Clodius,
Asellio: nihil ad Coelium, sed potius ad antiquorum languorem et inscitiam.
Fronto ep. p. 114 historiam seriösere Sallustius struete, Pictor incondite,
Claudius lepide, Antias invenuste, Seisenna longinque, verbis Cato multiiugis,
Coelius singulis. Dionys. Ant. 1,7 ix tä>v Iözoqicov . . ag ol itQÖs avtcov incci-
vov{lsvol 'Pooftcatüv 6vv8yQdipav , Tlog-aiog xs Kdzcov nai <&äßiog Md^L^iog xcci
Ovccl&Qiog 6 kvtisvg %al Ai%Lvviog Mccksq, Allioi te %cu Tilltoi xcci KccX-
7Covqviol, ncci etsQOL 6v%voi TtQog xovtoig uvdQsg ovk dcpccvslg. Die aller-
ältesten (Q. Fabius und L. Cincius) hatte Dionys. schon 1, 6 genannt.
Teuf fei: röm. Literaturgesch. Neub. 6. Aufl. I. 5
66 Sachlicher Teil
6. Mommsen, RG. 26, 452. LKieserling, de rer. Rom. scriptoribus qui-
bus Livius usus est, Berl. 1858. vdBergh, de antiquiss. annalium scriptor.
Rom., Greifsw. 1859. Nitzsch, röm. und deutsche Annalistik, Sybels Hist.
Z. 11, 1; die röm. Annalistik bis Valerius Antias, Berl. 1873: die antike
Geschichtschreibung in s. Gesch. d. röm. Rep. 1 (1883) 5. HKlimke, Diodor
u. d. röm. Annalistik, Königshütte 1881. CPeter, zur Kritik d. Quellen d.
älteren röm. Gesch., Halle 1879. Bröcker, moderne Quellenforscher u. antike
Geschichtschreiber, Innsbr. 1882. Soltau, Liv. Geschichtswerk, Lpz. 1897;
die Anfänge der röm. Geschichtschreibung, Lpz. 1909. Cichorius, PW.
1, 2255.
7. Die Biographie und Autobiographie ist von den Alten für ein eigenes
yevog neben der Geschichtschreibung gehalten worden. Norden, Kunstpr.
205. Die Autobiographie wird erst nach der engeren Berührung mit der
hellenistischen Philosophie möglich, die für die Schilderung und Wertung
einer Persönlichkeit die Kategorien liefert. Misch, Gesch. d. Autobiogr. 1
(Lpz. 1907) 124. Cic. ep. 5, 12, 8 scribam ipse de me, multorum tarnen
exemplo et clarorum virorum. Tac Agr. 1 apud priores . . plerique suam
ipsi vitam narrare fiduciam potius morum quam adrogantiam arbitrati sunt,
nee id Rutilio et Scauro citra fidem aut öbtreetationi fuit. L Wiese, de vi-
tarum scriptoribus Rom., Berl. 1840. Suringar, de Rom. autobiographis,
Leiden 1846. AFrigele, om de Rom. sjelf biograferna, Ups. 1877. Köchly u.
Rüstow, Einl. zu Caes. gall. Krieg (Gotha 1857) S. 3. Die apologetische
Richtung war in diesen Memoiren so ausgesprochen, daß Cic. Brut. 112
ein solches Werk geradezu laudes nennt. Was andere nicht selbst taten,
das taten für sie dienstwillige Klienten, später auch hungernde griechische
Literaten.
38. In der ciceronischen Zeit veranlaßte der reiche Stoff, den
die Gegenwart bot, und die starke Nachfrage nach Nachschlage-
werken, zusammen mit der Verbreitung einer gewissen schrift-
stellerischen Fähigkeit, Viele zu geschichtlichen und chronogra-
phischen Darstellungen. So außer Atticus, Cicero und Cornelius
Nepos auch Hortensius, Varro, Procilius, Lucceius, Libo u. a. Unter
diesen zeichneten sich durch Stoffreichtum Atticus und Cornelius
Nepos mit ihren Chroniken aus; erheblich höher stand nach Inhalt
wie Form die Leistung des Sallustius. Caesar schuf mit seinen
anspruchslosen Commentarii etwas Eigenartiges und Mustergültiges;
er hat zugleich durch Begründung (J. 59) einer amtlichen Zeitung
den späteren Geschichtschreibern vorgearbeitet. Der Bürgerkrieg
förderte außer Caesars eigenen Schriften noch viele andere Dar-
stellungen zutage, die meist aus Parteirücksichten entsprangen.
Parteischriftsteller für Caesar waren Hirtius, Oppius und Cornelius
Baibus, für Pompeius traten Voltacilius und T. Ampius Baibus auf,
für Cicero sein Freigelassener Tiro. Den parthischen Krieg des
M. Antonius beschrieb Dellius. Auf der Gegenseite verfaßte M. Brutus
§ 38. 39. Die spätere Geschichtschreibung 67
o-leichfalls Denkwürdigkeiten, und sein Stiefsohn Bibulus wie sein
Freund Volumnius veröffentlichten Schriften zu seinem Lobe. Die
Zeitgeschichte behandelte auch Tanusius Geminus, sowie im letzten
Teile seines Werkes Q. Tubero, den Bürgerkrieg selbst Asinius
Pollio und M. Valerius Messala. Die augusteische Zeit brachte in
der römischen Geschichte des Livius ein Werk von künstlerischer
Formvollendung und hervorragender Erzählungsgabe hervor und in
den Historiae Philippicae des Pompeius Trogus die erste Universal-
geschichte, zu welcher Idee Varro, Atticus und Cornelius Nepos
kaum einen Anlauf genommen hatten. Varros sittengeschichtliche
Richtung aber fand achtungswerte Nachfolge bei Fenestella.
1. Am Ende der Republik wurde die Summe aus der historischen
Tätigkeit der Früheren gezogen. Sie liegt uns vor in den Werken des
Livius, des Dionysios aus Halikarnass und in der Redaktion der capitolini-
schen Fasten. Nissen, RhM. 25, 65.
2. Von den oben genannten Werken gehören die Zeittafeln des Nepos,
Atticus und vielleicht auch das Buch des Libo zur chronographischen Lite-
ratur, die von den Werken des Eratosthenes und Apollodor ausgeht. Peter,
Wahrh. u. Kunst 312. Varro ist in der Hauptsache Antiquar (§41): in
diesem Literaturzweige kreuzt sich die historische Forschung mit der kultur-
historischen und grammatischen (glossographischen). Cäsars und seiner
Fortsetzer commentarii gehören nicht zur kunstmäßigen Geschichtschrei-
bung. Über Yarros u. a. autobiographische Schriften vgl. § 37, 7.
39. Im Verlaufe der Kaiserzeit verlor sich immer mehr das
Verständnis für die Zeit des alten Rom und der Mut zu wahrheits-
getreuer Darstellung der Gegenwart und nächsten Vergangenheit.
Desto breiter machte sich Schmeichelei und Liebedienerei. Ihr
huldigten unter Tiberius (wenigstens in bezug auf die Gegenwart)
Velleius Paterculus und der Exempelsammler Valerius Maximus;
dagegen büßten ihren Freimut Labienus schon unter Augustus und
Cremutius Cordus unter Tiberius. Um so unbestrittener blieben
daher die Geschichtsdarstellungen, die Mitglieder der herrschenden
Dynastie selbst verfaßten, wie Augustus, Tiberius, Agrippina,
weiterhin der schreibselige Claudius, und noch später Trajan (Dacica)
und Septimius Severus. Neutrales Gebiet wählte Curtius. Aber
während des ganzen ersten Jahrhunderts glomm bei den Vornehmen
der Sinn für Geschichte fort. Davon zeugt die große Zahl der ganz
oder halb verschollenen Geschichtswerke aus dieser Zeit, wie von
Aufidius Bassus und seinem Fortsetzer, dem älteren Plinius, von
dem älteren Seneca, Servilius Nonianus, Lentulus Gaetulicus, Fabius
Rusticus, Cluvius Rufus, Tuscus; auch daß in einer der ersten
68 Sachlicher Teil
Pausen des Despotismus ein Tacitus auftreten konnte. Bezeichnend
für die Geschichtschreibung der Kaiserzeit ist ihre Richtung auf
das rein Persönliche, aus der teils eine Anzahl Biographien von
Privaten hervorging, teils die Geschichtsbehandlung, die Kaiser-
biographien an die Stelle der Kaiser- oder gar der Reichsgeschichte
setzte. Sie begann mit Sueton und wurde von seinen Nachfolgern
übertrieben und verzerrt. Unter diesen Hof- und Kaiser- Geschicht-
schreibern war der bedeutendste Marius Maximus, untergeordneter
lunius Cordus, Aemilius Parthenianus, Aelius Maurus u. a. Aus
ihnen schöpften dann ohne Urteil und Geschmack die angeblichen
sechs Scriptores historiae augustae: Aelius Lampridius, Iulius Capi-
tolinus, Vulcacius Gallicanus, Aelius Spartianus, Trebellius Pollio
und Flavius Vopiscus. Erst für das vierte Jahrh. haben wir an
Ammianus Marcellinus einen trefflichen Gewährsmann. Für die Ge-
schichte der republikanischen Zeit wurde in dieser Epoche des all-
gemeinen Verfalls Livius ausschließlich maßgebend, so sehr, daß
selbst die älteren Abrisse der republikanischen Zeit, die keineswegs
einfache Auszüge aus Livius sind, wie Florus und Victors viri
illustres, doch dafür galten. Den Livius selbst aber fand man zu
weitläufig. Er wurde daher (vielleicht schon im ersten Jahrh.) in
einen Abriß gebracht, aus dem die Späteren oft lieber als aus dem
Originalwerk geschöpft haben. Auch Licinianus gründet sich ganz
vorzugsweise auf Livius, weniger L. Ampelius; den Sallust zog
Iulius Exuperantius aus. Später trat an des Livius Stelle Eutrop;
sein Fortsetzer Paulus Diaconus fand dann wiederum seinen Fort-
setzer und Bearbeiter in Landolfus Sagax (Historia miscella). Vom
vierten Jahrh. an machte sich auch auf diesem Gebiete der Einfluß
des Christentums geltend. Der Chronograph des J. 354 gibt neben
Konsularfasten auch eine Ostertafel, neben einem Verzeichnis der
praefecti urbis auch eines der römischen Bischöfe und der Märtyrer.
Des Sulpicius Severus Chronik (um 400) enthält einen Abriß bibli-
scher und nachbiblischer Geschichte; des Orosius Werk hat einen
christlich- apologetischen Zweck; die Chroniken beginnen jetzt mit
Erschaffung der Welt. Im 5. und 6. Jahrh. war das gegenseitige
Abschreiben allgemeine Sitte: so schrieb Hieronymus den Eusebios
aus, Prosper (J. 455) den Hieronymus, Victorius (Ostertafel, J. 457)
den Prosper, Cassiodor (J. 519) den Victorius, Iordanis (J. 551)
den Cassiodor, und zwar jeder so, daß er seinen Vorgänger immer
bis auf die eigene Zeit fortsetzte. Andere Fortsetzer der Chronik
des Prosper sind Marcellinus und Victor aus Tunnuna. Wichtige
§ 39. Die Geschichtschreibung der Kaiserzeit 69
Spezialgeschichten besitzen wir von Iordanis (Gothen) und Gregor
von Tours (Franken).
1. Tac. hist. 1, 1 postquam bellatum apud Actium . . magna ingenia
cessere; simul veritas pluribus modis infracta, primum inscitia reip. ut alie-
nae, mox libidine adsentandi aut rursus odio adver sus dominantes. A. 1, 1
temporibus Augusti dicendis non defuere decora ingenia, donec gliscente adu-
latione deterrerentur. Tiberii Gaique et Claudii ac Neronis res florentibus
ipsis ob metum falsae, postquam occiderant, recentibus odiis compositae sunt.
Ein Beispiel letzterer Art ist wohl C. Fannius (Plin. ep. 5, 5, 3). Über die
Zeit vor Trajan Plin. pan. 54 quis iam locus miserae adulationis manebat
ignarus, cum laudes imperatorum ludis etiam et commissionibus celebrarentur,
saltarentur atque in omne ludibrium effeminatis vocibus modis gestibus fran-
gerentur? Ioseph. ant. 20, 8, 3 tcoXXoI xr\v nsol Nsqcovc: 6vvxsxcc%cc6lv Igxoqiocv,
(ov oi iisv diä %dgivf sv tcstzov&otes Vit* avxov , tfjs äXrid'SLccg i]yiilr\6av , ol
dh dicc {ilöos • . ccvccidcög ivs7tccQc6vr}6(xv xolg ipEv6{ia6iv . . ^ivSs x&v itqb av-
tov ysvoy.£vcov ygdcpovxsg xr\v ccXrjd'siccv rfjg i6xoglag xsxr\Qri>ux6iv, kuLxoi ngog
ixsivovg avxotg ovdhv {ilöog r\v , axs fier' avxovg 7toXXco %qovco y£vo\iivoig.
Peter, Gesch. Liter. 1, 275. 2, 1.
2. Plin. ep. 5, 5, 3 von C. Fannius: tres libros absolverat, subtiles .. at-
que inter sermonem historiamque medios. Die historia erforderte nach den
Zeitbegriffen (vgl. Quintilian, oben § 36, 7) höheren Schwung, Phantasie
und eloquentia. Tac. Agr. 10 quae priores nondum comperta (über Britanniae
situm populosque) eloquentia percoluere, verum fide tradentur (vgl. dial. 23).
Daher die Alternative, entweder auf eloquentia (Stilistik) oder auf veritas
und fides zu verzichten. Vopisc Prob. 2, 7 mihi id animi fuit, ut non Sal-
lustios, Livios, Tacitos, Trogos atque omnes disertissimos imitarer viros in
vita principum et temporibus disserendis, sed Maritim Maximum Suetonium
Tranquillum, Fabium Marcellinum, Gargilium Martialem ceterosque qui haec
et talia non tarn diserte quam vere memoriae tradiderunt. Von ähnlichem
Standpunkt aus Licinianus über Sallust, s. § 206, 4. Daher aber auch Ur-
teile wie von Seneca N. Q. 7, 16, 1 nee magna molitione detrahenda est
auetoritas JEphoro : historicus est . . haec in commune de tota natione (der
historici), quae adprobari opus suum et fieri populäre non putet posse nisi
illud mendacio adsperserit. apocol. 1 quis unquam ab historico iuratores
exegifi Verachtung der Geschichte findet sich im Kynismus, daher Sen. N.
Q. 3 pr. 5. M. Aurel. 3, 14. Über die rhetorisch-panegyrischen Geschicht-
schreiber des Partherkrieges vgl. Lukians für die Anschauungen über die
Geschichtschreibung wichtige Schrift nag Sei i6xoglav öv/ygcccpsiv.
3. In der Kaiserzeit kamen zu den sonstigen Geschichtsquellen (zB. den
acta) auch noch ephemerides (Tagebücher), zB. Aureliani (Vopisc Aurel. 1, 6),
Turduli Gailicani (Vopisc Prob. 2, 2, vgl. 3, 4. 5, 1). Daraus flössen wohl auch
die oft so kleinlichen persönlichen Züge, welche die Schriftsteller verzeich-
nen, weil etiam minor a plerique desiderant (Capit. Max. et Balb. 6, 1). Peter,
Gesch. Lit. 1, 370. In der früheren Kaiserzeit verfaßten Biographien von Pri-
vaten Plinius d. Alt, von seinem Freunde Pomponius Secundus (Plin. ep. 3,
5, 3), Iulius Secundus von Iulius Asiaticus (Tac. dial. 14), Tacitus von Agri-
cola, Claudius Pollio von seinem Freunde Annius (Plin. ep. 7,r31, 5). Dazu
70 Sachlicher Teil
die laudes des Paetus Thrasea und Helvidius Priscus durch Herennius Se-
necio und Arulenus Rusticas (Suet. Dom. 10. Plin. ep. 7, 19, 5). Die vitae
sanctorum der christlichen Zeit knüpfen an allerlei Antikes an, zB. an die
exitus clarorum virorum mit ihren Prozeßberichten und an die Pythagoras-
legende. Vgl. Ebert, Lit. des MA. 1, 429. Reitzenstein , Hellenist. Wunder-
erzähl. 37; SB. Heidelb. Ak. 1914 Nr. 8. Holl, JJ. 1912 XXIX 406.
4. Über das gegenseitige Abschreiben s. Mommsen, Cassiodor S. 565 f.
Petek, Gesch. Lit. 2, 341. Über das Fortsetzen des Vorgängers zB. Ausonius,
epigr. 2 de fastis suis (p. 120 Seh.). Auch Prokop. aedif. 6, 7.
5. Die historia Romana des Paulus Diaconus (§ 500, 6) in 16 Büchern
wurde ums J. 1000 von einem sonst ganz unbekannten Landolfus Sagax
durch reichliche Zusätze aus Orosius, der origo gentis Rom., Hieronymus,
Nepotianus (§ 279, 10), Victors epit. usw. erweitert, bis auf Leo den Armenier
fortgeführt und durch Spaltung zweier Bücher der hist. Rom. und Hinzu-
fügung von 8 neuen auf 26 Bücher gebracht. Die Originalhs. des Vfs. dieser
wüsten Zusammenstellung, die man Historia miscella zu nennen pflegt,
liegt im Vaticano-Palatinus 909 noch vor. S. HDroysen, Herrn. 12, 387. Aus-
gaben von Müratori, script. rer. Ital.2 1, 1 (1900) und Eyssenhardt, Berl. 1869.
Die Bücher I— XVIII auch in Droysens Eutrop. (ed. mai.) 1879 (s. § 415, 7).
Vgl. ebd. p. lxi.
6. Wie die älteste römische Geschichtschreibung mit Eintragungen in
die fasti (Kalender) begann, so die älteste mönchische mit Randbemerkungen
zu den Ostertafeln. Ebenso wurden auch in den Klosterannalen die Angaben
über die frühere Zeit aus den Vorgängern abgeschrieben und daran die Auf-
zeichnungen aus der eigenen Zeit angereiht. Aus Italien kam jene Sitte im
sechsten Jahrh. ins fränkische Reich, gegen Ende des siebenten auch nach
Belgien und Deutschland, sowie nach England (Baeda venerabilis). Watten-
bach, deutsche Geschichtsquellen l7 65. 154.
7. Malalas p. 187, 11 rjvriva H&eöiv — über die Rache des Manlius
Capitolinus am Senator Februarius — t\vqov iv &sGOccXovUiß Ttolsr xai ccvcc-
yvovg rivQov iTtiysyQa^svriv xr\v ßtßXov "Exd'86ig Bqovvi%Lov (ob ein ver-
kappter $>qvvi%o$T) fP(n\iaiov %QovoyQacpov. — Fälschungen des fünfzehnten
Jahrh. sind der Fenestella (§ 259, 5), Messala Corvinus (§ 222, 5), die historia
Papirii (Mommsen, Sehr. 7, 695) u. a.
40. Eine wichtige Geschichtsquelle sind die freilich nicht zur
Literatur gehörigen Inschrift en, deren sich einzelne schon aus
sehr früher Zeit erhalten haben. Im zweiten Jahrh. v. Chr. beginnen
sie zahlreicher zu werden, aus der Kaiserzeit aber ist ihrer eine
überströmende Menge in allen Provinzen des römischen Reichs ge-
funden worden.
1. Hauptwerk: Corpus inscriptionum latinarum consilio et auetoritate
academiae litterarum Borussicae editum, Berl. 1862 ff. (Das noch nicht Er-
schienene ist mit * bezeichnet): Vol. I: Inscriptiones antiquissimae ad C. Cae-
saris mortem, ed. ThMommsen. 1863. Dazu tabulae lithographae, ed. FRitschl
(a. u. d. T. Priscae latinitatis monumenta epigraphica) 1862. I2 (Fasti) ed.
Henzen-Huelsen-Mommsen 1893,* Fase. 2 ed. Lommatzsch). — II: Inscr. Hispa-
§ 40. Inschriften. § 41. Philologie und Grammatik 71
niae, ed. EHübner. 1869. Suppl. 1892. — III: Inscr. Asiae, provinciarum Eu-
ropas graecarum, Illyrici, ed. Mommsen. 1873. 1877 II. Suppl. 1892. 1902 IL —
IV: Inscr. parietariae Pompeianae, Hercul., Stab., ed. CZangemeister. Äcced.
vasorum fictilium inscr., ed. RSchöne. 1871. Suppl. 1898. — V: Inscr. Galliae
cisalpinae, ed. Mommsen. 1877. Suppl. ed. Pais, Atti Accad. Lincei 1888. —
VI: Inscr. urbis Romae, ed. EBormann, HDressel, WHenzen, ChrHüesen:
pars 1, 1876. 2, 1882. 3, 1886. 4, 1894. 1902. 5 (falsae) 1885. *6. *7 (indices).
— VII: Inscr. Britanniae, ed. EHübner. 1873. — VIII: Inscr. Africae, ed. GWil-
manns. 1881. Suppl. ed. Cagnat, JSchmidt, Dessau. 1891 — 1904 III. — IX: Inscr.
Calabriae, Apuliae, Samnii, Sabinorum, Piceni, ed. Mommsen. 1883. — X: Inscr.
Bruttiorum, Lucaniae, Campaniae, Siciliae, Sardiniae, ed. Mommsen. 1883. —
XI: Inscr. Aemiliae, Umbriae, Etruriae, ed. EBormann. 1888. 1901. — XII: Inscr.
Galliae Narbonensis, ed. OHirschfeld. 1888. — XIII: Inscr. trium Galliarum et
duarum Germaniarum, ed, OHirschfeld, Zangemeister, Domaszewski, Bohn.
1899—1905 III. — XIV: Inscr. Latii, ed. HDessau. 1887. — XV: Inscr. urbis
Romae, instrum. domesticum ed. Dressel. 1891. 1899 II. — Als Corporis I. L.
■auctarium erschien: Exempla scripturae epigraphicae ed. EHübner, Berl.
1885. — Die nach dem Erscheinen der betreffenden Bände des CIL. neu ge-
fundenen Inschriften werden veröffentlicht in der Ephemeris epigraphica
{Corporis inscr. Lat. supplementum), Berl. 1872 ff.
2. EHübner, Rom. Epigraphik in IwMüllers Handb. d. klass. Altert. -
Wiss. 1, 475. — Auswahlen zum Handgebrauch: JCOrelli (inscriptionum lat.
selectarum amplissima collectio, Zur. 1828 II; dazu Bd. 3 von WHenzen 1856),
GWilmanns (Exempla inscript. lat., Berl. 1873 H) und bes. HDessau (Inscr.
lat. sei., Berl. 1892 ff. III). Altlat. Inschr. von Diehl, Bonn 1909; Vulgärlat.
Inschr. dgl. Bonn 1910. — ESchneider, dialecti Lat. priscae et Faliscae in-
script., Lps. 1886. — Über die metrischen Inschriften s. § 31, 4.
3. Sammlungen der altchristlichen Inschriften der Stadt Rom von deRossi
(Rom 1861. 1888 H), Spaniens und Englands von EHübner (Berl. 1871. 1900
und 1876), Frankreichs von ELeBlant (Par. 1857. 65 H). Auswahl von Diehl 2
Bonn 1913.
41. Grammatische Studien konnten in Rom erst gedeihen, als
griechische Grammatiker sich als Lehrer dort ansiedelten: sie be-
gannen allmählich auch römische Dichter nach den Grundsätzen der
griechischen Wissenschaft herauszugeben und zu erklären, sowie
Sammlungen alter schwer verständlicher Wörter anzulegen. Sehr
bald fand auch die besonders von der Stoa beeinflußte Richtung
Eingang, die sich mit den Prinzipienfragen der Sprachgeschichte
und der Etymologie befaßte; dabei behandelte man im allgemeinen
die lateinische und die griechische Sprache als zusammengehörig
und leitete lateinische Worte unbedenklich aus griechischen Wurzeln
ab. Vertreter dieser Richtung sind, außer L. Accius und Lucilius,
Porcius Licinus, Q. Valerius aus Sora, Volcacius Sedigitus, Octavius
Lampadio, Sisenna, Sevius Nicanor, Aurelius Opilius, M. Antonius
72 Sachlicher Teil
Gnipho, Q. Cosconius, Santra, Octavius Hersennus, besonders aber
L. Aelius Stilo und dessen Schwiegersohn Ser. Clodius. Aus anderen
Anfängen erwuchs die Altertumsforschung, die an die lokalhisto-
rische Forschung der Griechen anknüpfte, sich aber vielfach mit
der Grammatik, besonders mit ihrem glossographischen Zweige be-
rührte. Dazu kam die spezifisch römische Literatur über die Kom-
petenzen der einzelnen Magistrate, die zunächst nur für die Praxis
bestimmt war, allmählich aber auch dem Staatsrecht und der Lokal-
geschichte dienstbar gemacht wurde. Auf diesem Gebiete waren
namentlich vornehme Leute tätig wie Cincius Alimentus, Cato,
M. Fulvius Nobilior, Cassius Hemina, C. Sempronius Tuditanus,
M. Iunius Gracchanus. In der ciceronischen Zeit, als Rom der aner-
kannte Mittelpunkt des geistigen Lebens im gesamten Reiche war
und alle Hilfsmittel der Forschung in sich schloß, erreichten diese
beiden Forschungszweige ihre Blüte mit Varro. Bei ihm und wohl
auch bei anderen wirkt die Tendenz mit, der in ihrer Kultur kom-
plizierten und in ihrer Moral gesunkenen Gegenwart die Einfach-
heit and Sittenstrenge der Vergangenheit vor Augen zu halten.
Neben ihm wirkten Nigidius Figulus, Yalerius Cato, Ateius Philo-
logus u. a. Von Staatsmännern schrieb z. B. Caesar selbst de analo-
gia, Appius Claudius (Cos. 54) und L. Caesar über das Augural-
wesen. In der augusteischen Zeit erlebte die gelehrte Forschung
einen Nachsommer durch lulius Hyginus, Verrius Flaccus, M. Va-
lerius Messala, Sinnius Capito, Scribonius Aphrodisius, L. Crassi-
cius, an die sich dann lulius Modestus, Pomponius Marcellus, A. Cor-
nelius Celsus und Asconius Pedianus anreihten. Die Vielseitigkeit
des Celsus wurde noch überboten durch die des älteren Plinius, und
noch im zweiten Jahrhundert n. Chr. zeigen Sueton, der frühere
Leistungen fleißig zusammenfaßt, und Apuleius eine mannigfaltige
gelehrte Bildung und literarische Tätigkeit.
Im ganzen aber hat seit dem ersten Jahrhundert n. Chr. die
Schule mit ihren engeren Zwecken und Bedürfnissen die Herrschaft
gewonnen; die Grammatiker geben jetzt in der Forschung den
Ton an und die Gelehrsamkeit wird immer mehr zunftmäßig, um-
faßt aber vorläufig noch das Gesamtgebiet der antiken Grammatik.
Hierher gehören Q. Remmius Palaemo, M. Valerius Probus aus Be-
rytos, Annaeus Cornutus, Caesius Bassus, Aemilius Asper, Flavius
Caper, Caesellius Vindex, Urbanus, Velius Longus; dann unter Ha-
drian Terentius Scaurus; unter M. Aurelius A. Gellius und wohl
auch Festus. Von den Ergebnissen dieser Alteren zehrten dann die
§ 41. Philologie und Grammatik 73
Späteren, die sich mehr und mehr auf die Grammatik im engeren
Sinne zurückziehen. So schon im dritten Jahrhundert Arruntius
Celsus, Helenius Acro, Iulius Romanus, Censorinus, Sacerdos und
Pomponius Porphyrio. So im vierten die Verfasser von Lehrbüchern
(Artes), wie Cominianus, Marius Victormus, Aelius Donatus, Chari-
sius, Diomedes; den Terenz erklärte derselbe Aelius Donatus, den
Vergil Servius und Claudius Donatus, selbständige Exzerpte aus
alten Autoren stellte der Lexikograph Nonius Marcellus zusammen.
Dann im fünften Jahrhundert Macrobius, Agroecius und zu Anfang
des sechsten Priscian. Auch auf diesem Gebiete ist der Schein der
Mannigfaltigkeit und Bewegung größer als die Wirklichkeit, da
auch hier die Ausnutzung der Vorgänger im weitesten Umfange
und oft mit sehr wenig Urteil betrieben wurde.
1. Suet. gramm. 1 grammatica Bomae ne in usu quidem olim, nedum in
honore ullo erat, rudi scilicet ac bellicosa etiamtum civitate necdum magnopere
liberalibus disciplinis vacante. initium quoque eins mediocre extitit, si quidem
antiquissimi doctorum, qui iidem et poetae et semigraeci erant (wie Livius
und Ennius), . . nihil amplius quam Graecos interpretabantur. . . ebd. 2 pri-
mus . . Studium grammaticae in urbem intulit Crates Mallotes, Aristarchi
aequalis, qui missus ad senatum ab Attalo rege inter secundum ac tertium
bellum Punicum, sub ipsam JEnni mortem, . . nostris exemplo fuit ad imitan-
dum (über den — bisweilen übertriebenen — Einfluß der Pergamener auf
die röm. Literatur AReifferscheid , ind. lect. , Bresl. 1881/82. vWilamowjtz,
Antig. v. Karystos 161. 176. Brzoska, de canone decem orat., Bresl. 1883, 75
u. bes. Rohde, Sehr. 2, 81; s. § 44, 10); liactenus tarnen ut carmina parum
adhuc divolgata vel defunetorum amicorum, vel si quorum aliorum probassent,
diligentius retraetarent ac legendo commentandoque et ceteris nota facerent;
ut C. Octavius Lampadio, . . ut postea Q. Vargunteius: . . instruxerunt auxe-
runtque ab omni parte grammaticam L. Aelius Lanuvinus generque Aeli Ser.
Clodius . . . ebd. 3 posthac magis ac magis et gratia et cura artis increvit, ut
ne clarissimi quidem viri abstinuerint , quo minus et ipsi aliquid de ea scri-
berent utque temporibus quibusdam super viginti celebres scholae fuisse in
urbe tradantur, auch grammatici (als Sklaven) teuer gekauft wurden, wie
Lutatius Baphnis (§ 134, 1. 142, 4. 244, 2. Vgl. HPeter, JJ. 115,750) und
L. Apuleius. iam in provincias quoque grammatica penetraverat, ac nonnulli
de notissimis doctoribus peregre docuerunt , maxime in Gallia togata, inter
quos Octavius Teucer et Sescennius (Fese, die Hss., Pescennius Osann) Iac-
chus (als Quelle genannt für Plin. NH. B. 32 u. 37 und zitiert 37, 148) et
Qppius Chares (vgl. 54, 5).
2. Die kritische Tätigkeit jener grammatici, wie sie besonders Probus
ausübte, umfaßte nach dem Muster der griechischen Vorgänger das emen-
dare, distinguere, adnotare (notas adicere, welche notae bald in bloßen
Zeichen, bald in kurzen Bemerkungen bestanden). Sueton (?) im Anecd.
Paris, (aus Paris. 7530 s. VIII zuerst herausg. von Bergk, ZfAW. 1845, 85 =
opusc. 1, 580; auch in Reifferscheids Sueton 137, Keils GL. 7, 533 u. sonst):
74 Sachlicher Teil
Notae xxi quae versibus apponi consuerunt: — obelus. v6 asteriscus. % —
asteriscus cum obelo. "> simplex cluctus. ]> diple. ^> diple periestigmene.
0 antisigma. D antisigma cum puncto. X coronis. > — diple obelismene.
•^ aversa obelismene. X ceraunion. -r- obelus adpunctus. — <[ obelus cum
aversa. ^> c%>Ze superne obelata. ^> <[ recia e£ aversa superne obelatae. ^ cM
ei rho. <ß /v* ei ro. /|v ancora superior. \\j ancora inferior. (5) alogus. his
solis in adnotationibus Ennii, Lucilii et historicorum (?) «m s*m£ Vargunteius
(Bergk: Varrus die Hs.), Ennius (§ 159, 13), Aelius (Stilo) aeqiie et postremo
Probus (s. § 300). Es folgt die Erklärung des Gebrauchs der einzelnen
Zeichen, wobei wiederholt nach Angabe der Anwendung bei den Griechen
bemerkt wird: item Probus et antiqui nostri, similiter (sie et) in nostris auc-
toribus usw. Vgl. Isid. orig. 1, 20. JSteup, de Probis 17. Aisteemann, de Probo 10.
Nach der Erklärung beziehen sich jene 21 notae mit wenigen Ausnahmen
auf die emendatio (diog&coGis), aber -Sueton kannte noch andere notae (vgl.
im Anecd. Paris, his solis) und es finden sich solche, die vom Gesichtspunkt
rhetorischer und ästhetischer Beurteilung (yiglöig) gesetzt wurden, im Anhang
eben desselben Anecd. Paris. GL. 7, 536, 16 als notae simplices verzeichnet.
Auch ein Anecd. Cavense (bei Reifferscheid , RhM. 23, 127) gibt solche zB.
-r- lemniscus in acutis. % asteriscus in sententiis. co oraeon in invineibilibus.
oraeon cum palma in invineibilibus acutis usw. Diesem Notenverzeichnis
aus La Cava geben zwei Epigramme voraus, das eine (AL. 772 a) von dem
Patricius Olybrius (vgl. § 436, 7), der dem für Erhaltung, sorgsame Verviel-
fältigung, Wertschätzung der alten lateinischen Schriftsteller tätigen Kreise
des Symmachus angehörte. Ahnliche notae wurden auch in der christlichen
Literatur benutzt, zB. von Cassiodor (s. § 483, 12). — Den erwähnten Be-
strebungen des Symmachus (§ 425, 9) und seines Kreises zu Gunsten der
alten Literatur verdankte ihre Entstehung eine Reihe von Schriftsteller-
Exemplaren. Jene letzten Vertreter des alten Glaubens suchten sich im
Kampfe mit dem Christentum Bundesgenossen zu schaffen an den alten
Schriftstellern, für deren Vervielfältigung in guten Texten sie darum sorgten
(§ 425, 9).
Wir erfahren von jenen Bemühungen durch Subskriptionen in Hss., die,
sowohl in weltlichen als in christlichen Hss. üblich, meist nur die nach
ihrem Original oder einem anderen Textexemplar vorgenommene Revision
der Abschrift, nicht aber eine wissenschaftlich-kritische Bemühung um den
Text bezeugen sollen. Jene Subskriptionen enthalten zunächst eine Bemer-
kung wie emendavi (legi, recognovi, contuli, distinxi udgl.), den Namen des
Revidenten, dann auch beliebig Ort, Zeit, Umstände, etwaigen Beistand
durch einen Mitleser, bisweilen auch noch formelhafte Wünsche für spätere
Benutzer der Hs. (utere felix u. ä.). Das Genauere s. bei den einzelnen
Schriftstellern: zB. § 196, 2 (Caes.). 231, 9 (Verg.). 240, 6 (Hör.). 256, 11
(Liv.). 279, 9 (Iul. Paris). 296, 3 (Mela). 302, 5 (Pers.). 322, 8 (Mart.). 325, 12
(Quintil.). 331, 8 (luv., vgl. Cremrr, De grammaticorum in luv. arte crit.,
Münster 1913, 70). 367, 8 (Apul.). 374, 5 (Cic). 390, 5 (Non.). 432, 6 (Veget.).
436, 5 (Prudent.). 444, 8 (Macr.). 452, 6 (Mart. Cap.). Vgl. ferner Auetor ad
Herennium ed. Marx p. 1. 208, Lucanus (cod. Voss. XVIII f. 63; vgl. Lucan.
ed. Hosius3 1913 p. VI), Ps.-Quintil. decl. (Lehnert, RhMus. 60, 154), Cyprian
(cod. Monac. Lat. 208 fol. 154 verso, 156 recto, und auch sonst), Hilarius
§ 41. Philologie und Grammatik (Subskriptionen) 75
(in Constantium: cod. Rom, Archivio di S. Pietro D 182; s. Steffens, Lat.
Paläogr. 1, 1903, 17; de trinit. : tab. Vindob. [papyrus] 2160*; Sedlmayer,
Serta Harteliana 1896, 177 ff), Hilarianus (vgl. § 442, 1), Sedulius (s. Huemer,
Ausgabe 1885 p. II. VI), Sulpicius Severus (cod. bibl. Veron. 36; vgl. Traube,
Neues Archiv f. alt. dtsch. Gesch. 26), Orosius (Laurent. 65, 1 ; vgl. Zange-
meister, ed. maior, p. VII), Vulgata (cod. Fuldensis; vgl. Cod. Fuld., ed.
Ranke 1868 p. VIII; Corssen, Z. f. neutest. Wiss. 10, 175), Cassiodor inst,
(cod. Bamberg. HJ. IV 15 fol. 67 v: codex archetypus , ad cuius exemplaria
sunt reliqui corrigendi). OJahn, d. Subskriptionen in den Hss. röm. Klass.,
Lpz. Sßer. 1851, 327. FHaase, de lat. codd. subscriptionibus, Bresl. 1860.
AReifferscheid, de lat. codd. subscriptionibus (in patristischen Hss.), Bresl.
1872. Lommatzsch, Z. vgl. Littgesch. NF. 15, 177. BAMüller, Lübkers Real-
lex.8 997.
3. Die lat. Grammatik ist fast durchaus» abhängig von der griechischen
und ermangelt beinahe aller wissenschaftlichen Selbständigkeit. — Von lite-
rarischem Eigentum haben wie überhaupt die Alten (s. § 37, 4) so nament-
lich die Grammatiker andere Begriffe als wir; unbefangen schreibt Verrius
Flaccus den Varro aus, Probus den Verrius, Plinius den Probus, Caper den
Plinius, Iulius Romanus den Caper, Charisius den Iulius Romanus, Aptho-
nius den Iuba, Marius Victorinus den Apthonius usw., und zwar gewöhnlich
mit geringer Sorgfalt. Ein früheres Lehrbuch wird in beliebigem Umfange
abgeändert und umgestaltet, ein ausführliches abgekürzt, eines für Vorge-
rücktere für die Bedürfnisse der Anfänger heruntergestimmt und dann als
eigenes herausgegeben — was übrigens ähnlich auch bei modernen Schul-
büchern vorkommen soll. Auch wird wohl der erste Teil eines Lehrbuches
aus dem einen Vorgänger herübergenommen, der zweite aus einem anderen,
wobei dann möglicherweise der Name des ersten Verfassers auf das ganze
Werk übertragen wurde, insbesondere wenn es ein berühmter Name war,
wie Probus. So wird in Zitaten dem Probus zugeschrieben, was anderswo
als Eigentum des Sacerdos oder des Diomedes erscheint. Gesteigert wurde
die Verwirrung dadurch, daß in derselben Handschrift Lehrbücher verschie-
dener Verfasser vereinigt wurden und daß man den alten Namen auch sol-
chen Umarbeitungen beließ, die vom ursprünglichen Werke sehr wenig mehr
enthielten. In den letzten Jahrhunderten des Altertums wurde es sogar
Sitte, in den Handschriften grammatischer Schulbücher leere Blätter mit Ex-
zerpten aus anderen (älteren) Werken von verwandtem Inhalte auszufüllen.
Daneben suchen die Verf., auch wenn sie nur einen oder zwei Vorgänger
abschreiben, öfters den Schein zu erregen, als ob sie eine größere Zahl von
Quellen benutzt hätten.
4. Arnob. adv. nat. 1, 59 quamvis Epicados omnes, Caesellios, Verrios,
Scauros teneatis et Nisos. Hieronym. apol. c. Rufin. 1, 16 (2, 472 Vall.): puto
quod puer legeris Aspri in Vergilium et Sallustium commentarios , Vulcacii
in orationes Ciceronis (§ 381, 7), Victorini in dialogos eins et in Terentii co-
moedias praeceptoris mei Donati, aeque in Vergilium et aliorum in alios,
Plautum videlicet, Lucretium, Flaccum, Persium atque Lucanum.
5. In einem cod. Bonon. s. XI (HKeil, de gramm. inf. aet. , Erl. 1868, 27.
Hagen, anecd. Helv. p. cl) finden sich folgende vielfach unrichtige Angaben:
In Roma fuerunt Donatus, Priscianus, Victorinus (als Verf. der ars gramm.),
76 Sachlicher Teil
Fothicius (dh. Euticius § 482, 1), Flavianus et Cominianus. in Spania Caper
et Ogretius (Agroecius). in Carthagine Pompeius, Hisidorus, Sergius tractator
(expl. in Donat.) et Augustinus, in Sicilia Honoratus et alter Sergius (de litt,
syll. usw.) Maximus (lib. de rat. metr.) et Metrorius (de final, syll.). HKeil,
quaest. gramm. 2, vm. Genauer am Ende des cod. Bern. 243 die Beischrift
von PDaniel (aus einer alten Hs.) : De Roma, de Sicilia, de Italia, de Africa,
de Ispania venerunt ad nos libri grammatici: de Roma quatuor libri Donati
(vgl. Hagen aO.): de Sicilia IUI discipulorum eius, i. e. Honorati et Sergii
et Maximi et Metrorii. de Italia duo libri Consentii de nomine et verbo et
de barbarismo, et libri Prisciani XX, et Eutitii duo, et Sergii novem de lit-
ter a et de barbarismo, et Asper i et Flaviani libri IUI. de Africa vero Co-
miniani et Pompeii. de Ispania Isidori et Capri et Agroeci et analogia (Ortho-
graphie) Papperini et Victorini. Hagen, anecd. Helvet. p. cxlix. — Petri gram-
matici (s, VIII/IX) excerpta in Hagens anecd. Helvet. 159.
6. Beste Ausg. der Grammatici Latini von HKeil, Lps. 1856 — 79 VII.
Dazu als Supplement von HHagen, Anecdota Helvetica quae ad grammati-
cam latinam spectant, Lps. 1870. — Eichenfeld u. Endlicher, Analecta gram-
matica, Wien 1837.
7. Sukingar, Historia crit. scholiastarum lat. , Leid. 1834f. III. LLersch,
d. Sprachphilos. der Alten, Bonn 1831 — 41 III. van Heusde, de L. Aelio Sti-
lone (1839) p. 17. Gräfenhan, Gesch. d. klass. Philologie im Altertum, Bonn
1843 ff. (bes. B. 4). Steinthal, Gesch. d. Sprach wissensch. bei d. Gr. u. R.T
Berl.2 1890 f. Sandys, Hist. of classical scholarship l2, Cambridge 1906.
EJullien, les professeurs de litterature dans l'ancienne Rome, Par. 1886.
42. Auch in den einzelnen Fächern macht derselbe Verlauf sich
geltend. Während in der Zeit der Republik auch die sachlichen Ge-
biete ? besonders politisch wichtige , wie die Kultusaltertümer, An-
bau gefunden hatten , blieben diese in der Kaiserzeit den Juristen
überlassen, und die Studien beschränkten sich auf die Grammatik,
einschließlich der Orthographie, Synonymik und Lexikographie,
sowie auf Metrik; dabei wurde fast nur noch gesammelt, ohne selb-
ständige systematische Durcharbeitung des Stoffes. Auch die Me-
triker, von denen die wichtigsten Caesius Bassus und Iuba sind,
hängen ganz von den griechischen Vorgängern ab. Nach einem
mehr als hundertjährigen Stillstand der grammatischen Studien
herrscht im vierten Jahrhundert das Bestreben zusammenfassende
Lehrbücher anzufertigen, die allmählich immer dürftiger, beschränk-
ter und unselbständiger werden. Von den realen Zweigen wird fast
nur noch die Mythologie — auch sie im Zusammenhange mit der
Klassikerlektüre — betrieben. Mit dem Ende des fünften Jahrhun-
derts beginnt die Barbarei sich in die Gelehrsamkeit einzumischen.
1. Zur antiquarischen Literatur sind griechische Vorgänger wie Auto-
kleides Istros Polemon Sosibios zu vergleichen; auch hier gingen Theorie
und Praxis oft Hand in Hand, und Autokleides wie Kleidemos, die 'E%r]yT\-
§ 42. Metrik, Orthographie, Synonymik 77
xi-acc schrieben, waren selbst Exegeten. Köhler, Herrn. 26, 45. Vgl. Baibus'
'EfjflyriTLKd § 209, 4. Schriftsteller über Auguralwesen, Haruspizin und Ver-
wandtes: Varro, Nigidius Figulus, Ap. Claudius Pulcher (Cos. 54), L.Caesar,
Tarquitius Priscus, Caecina, Caesius, Veranius, Granius Flaccns, Aufustius,
Clodius Tuscus, Umbricius Melior, Iulius Aquila, der Grammatiker Ennius
{§ 159, 13), Cornelius Labeo. RMerkels Proleg. zu Ovids Fasti (1841). OMüller,
Etrusk. 22, 19. GSchmeisser, de Etrusca disciplina, Bresl. 1872; die etr. Dis-
ziplin, Liegn. 1881; Beiträge zur Kenntn. der Techn. der Haruspices, Schwerin
a/W. 1884. Vgl. unten § 77. Über Vicellius und Fonteius s. § 170, 9.
2. Scriptores latini rei metricae ed. Gaisford, Oxon. 1837, jetzt be-
sonders in Bd. 6 von Keils Grammatici. Auf die hellenistische Grammatik
läßt sich die Scheidung von zwei metrischen Systemen zurückführen; das
eine betrachtet gleich Varro den Hexameter und den iambischen Trimeter
als metra principalia, von denen alle übrigen Metra Ableitungen seien (bloße
metra derivata, itccQccymyci), während das andere von den Füßen ausgeht und
die Metra nach den itQcotötvna einteilt. Bei den lateinischen Metrikern
gleichen sich die beiden Theorien bereits aus. Außerdem begannen einige
(wie das fragm. Bobiense und das centimetrum) mit dem Iambus und Tro-
chaeus, die meisten (wohl aus praktischen Gründen) mit dem Dactylus. Vgl.
bes. RWestphal, griech. Metrik l2, 105. 138. 203. 214. Leo, Herrn. 24, 280;
Gott. gel. Nachr. 1899, 495. HWentzel, symb. ad hist. scriptorum rei metr.,
Bresl. 1858. HKeil, quaest. grammaticae, Lps. 1860. JCaesar, de nonnullis
metricorum locis, Marb. 1874. OHense, de Iuba artigrapho, Acta Lips. 4
(1875), 37.
3. Cassiod. divin. lect. 30 orthographos antiquos legant Velium Lon-
gum, Curtium Valerianum, Papirianum, Adamantium Martyrium de v et b etc.
Außerdem nennt Cassiod. de orthogr. noch Annaeus Cornutus, Caesellius Vin-
dex, Eutyches und Priscianus (natürlich aber nicht die Hauptquelle der
ganzen Lehre, Verrius Flaccus; s. § 261, 2). Dazu kommen noch Flavius
Caper und Terentius Scaurus : alle diese in GL Bd. 7 vereinigt. Ferner Aue-
tores anonymi de orthographia IV in Hagens aneed. Helvet. 291, vgl. p. cxxxv.
WBrambach, lat. Orthogr. (1868) 27.
4. Die Synonymik (differentia sermonum), von Varro, Verrius Flaccus
u. a. gelegentlich schon mitbehandelt, war in der späteren Kaiserzeit (Charis.
GL. 1, 205, 16 Uli qui de differentiis scribunt) ein beliebter Gegenstand der
Schriftstellerei, und die betr. Schriften wurden dem Probus, Sueton, Fronto,
im Mittelalter sogar dem Cato, Cicero und Vergil zugeschrieben. Die er-
haltenen Sammlungen dieser Art zeigen große Ähnlichkeit untereinander
und sind nur zum kleinen Teil aus guten Quellen geschöpft. Sie gehen
vielleicht auf eine Ursammlung zurück, die etwa im 5. — 6. Jahrh. n. Chr.
aus den damaligen Einzelsammlungen hergestellt wurde. Doch vgl. Goetz,
der Liber glossarum (A. 8) 216. Wichtigster Sammelband für den synony-
mischen Nachlaß der Römer ist Codex Montepess. H 306 s. IX, darin auch
neben kleineren Sammlungen, wie den von Arevalo in s. Isidor 7, 426,
Hagen, aneed. Helvet. 275 (vgl. WBeck, de Sulpic. Apollin. p. 51) und Hand,
Jen. 1848 veröffentlichten, ferner neben den differentiae des Probus (§ 300,
8, b), Suetonius (§ 347, 3) und Isidors diff. spiritales (die größere profane
Synonymik des Isidor gibt der MPess. nicht, § 496, 1) eine besonders um-
78 Sachlicher Teil
fangreiche (fdifferentiae similium orationis partium a Cicerone et ab aliis
sapientibus viris in sensu et litteratura per alphabetum'); herausgegeben
von Beck, diff. scr. 28. Der Name Cicero ist natürlich unberechtigt und wohl
nach der inhaltlich übrigens ganz abweichenden Sammlung gewählt, die
den "Namen Ciceros trägt (§ 188. 9). Fragmente einer Sammlung von diff.
serm. JJ. 127, 649 (darüber Beck, JJ. 131, 639). Beck, de differentiarum scrip-
toribus lat., Groningen 1883. Goetz, PW. 5, 481.
5. Varr. 1. 1. 7, 10 qui glossas scripserunt. 7, 34 qui glossemata interpre-
tati. Fest. 166 b, 8 glossematorum scriptores. Charis. GL. 1, 229, 31 glossae
antiquitatum (altlateinische). 242 . . . ut esse in sacris Anagninorum vocum
veterum interpretes scribunt. Gell. 18, 7, 3 glosaria namque conligitis et lexi-
dia, res taetras et inanes et frivolas. Aus diesen u. a. Stellen ergibt sich,
daß es schon früh anonyme Glossare (für den Schulgebrauch) gegeben hat.
Daneben gab es ausführlichere gelehrte Werke, wie von Cincius (§ 117, 4),
Santra (§ 211, 2), Aurelius Opillus (§ 159, 4), Aelius Stilo (§ 148, 2) und
namentlich von Yerrius Flaccus; der von ihnen gesammelte Reichtum rettete
sich trümmerhaft versprengt in die Glossare, die in großer Zahl zum.
Teil durch hochalte Hss. erhalten, neben überwiegendem Ballast sehr wert-
volles aus verlorenen Quellen geschöpftes sprachliches Material, besonders
auch für Alt- und Vulgärlatein, in sich schließen. Stolz, W. Stud. 22, 307.
23, 158. Meyer-Lübke, ebd. 25, 90. Heraeus, die Sprache d. Petron. u. d.
Glossen, Lpz. 1899. Die Glossare erklären seltenere lat. Wörter (glossae) durch
daneben gesetzte gebräuchliche; manche fügen Belegstellen und Ausfüh-
rungen bei. — Die Erklärung ist meist gleichfalls lateinisch, doch auch
griechisch: seltener ist das Lemma griechisch und die Erklärung lateinisch
(s. A. 7), indessen liegt auch die Bedeutung dieser gr.-lat. Glossen im lat.
Teil. Die Anordnung ist meist mehr oder weniger streng alphabetisch (auch
mit wunderlicher Künstelei: s. Loewes Prodr. 129), seltener sachlich.
6. Rein lat. Glossare: das wichtigste ist das des Placidus (darüber
§ 482, 6), besonders für Altlatein (Plautus) ausgiebig. Dann Spezial- Glossare
zu Plautus (§ 99, 6), Terenz (§ 109, 3), Vergil (§ 231, 7), Sidonius (? § 467, 9)
u. a. Glossen zu Cicero und Juvenal CGL 5, 657. 652, zu Prudentius: Glossem.
de Prud. ed. Burnam, Cincinn. 1905. Ferner zahlreiche selbständige allge-
meine Glossare, zB. die so nach ihren Anfangsworten genannten Gl. Affa-
tim (aus guten Quellen, s. Usener, Sehr. 2, 195), Gl. Asbestos (im Vat. 1469
s. X mit merkwürdigen Lucilius-Glossen, s. Goetz, RhM. 40,324), Gl. Ab:
absens, Gl. Abavus minor u. a. — Die selbständigen Glossare wurden, bald
verkürzt, bald durch neuen Stoff erweitert, in Sammelglossare vereinigt; so
im Gl. Abavus maior (ed. FHildebrand, Gott. 1854; vgl. Rönsch, RhM.
30, 449. GLoewe, gl. nom. 101. 158). Besonders wichtige Hss. für die rein
lat. Glossare sind Leidens. 67 E s. VIII/IX, SGall. 912 s. VII/VIII (hrsg. v.
MWarren, Transact. americ. assoc. 15, 141, Cambr. 1885) und Yat. 3321 s.
VII (aus dieser und anderen Hss. stellte Mai, class. auet. 6, 501 sein glossa-
rium vetus zusammen, AWilmanns, RhM. 24,381). Ausgabe in CGL 4. 5.
Aus diesen Glossen, dem Liber glossarum u. a. Bestandteilen wurden im
9. bis 11. Jahrh. allerlei Sammlungen hergestellt; über die wichtigsten s.
A. 8. 9. — Die von Yulcanius, Thes. utriusque ling. (Leid. 1600) p. 667
zuerst herausgegebenen sog. glossae Isidori (7, 443 Arev.) sind (wie die ex-
§ 42. Glossographie 79
cerpta Pithoeana in Gothofredi Auetores ling. lat., S. Gervasii 1602) keine
selbständige Glossen Sammlung, sondern stellen eine von JScaliger ex variis
glossariis veranstaltete Zusammenstellung dar: s. Loewe, Prodr. 23. CGL 5,
xxxii. — Über die sog. glossae Petronii s. § 305, 2.
7. Die lateinisch -griechischen Glossen des Par. 7651 s. VIII/IX, dem
Flavius Theodorus Philoxenus (Cons. J. 525) ohne Grund (s. auch Mommsen
CIL. 5, 8120, 4) zugeschrieben, ragen durch ihren hohen Wert vor allen
Glossen hervor; sie enthalten juristische Glossen, Erklärungen von Worten
des Cicero Yergil Horaz Juvenal und Exzerpte aus Festus. Über die Quellen-
nachweisungen darin Osann, gloss. lat. spec, Giss. 1826. JKlein, RhM. 24,
289. Dammann, de Festo Ps. Philox. auetore, Comni. Jenens. 5, 1. Spuren
einer ähnlichen Sammlung bei Martyrius (§ 472,6): Bücheler, RhM. 35,69;
37, 330. Griechisch-lateinisch ist die ganz grundlos glossae Cyrilli genannte
Sammlung (im Harl. 5792 s. VII/VIII); in ihr befinden sich als wertvollster
Bestand sehr viele ursprünglich lat.-gr. Glossen (s. Loewe, Prodr. 216).
MHoffmann, de ratione quae inter glossas graecolat. et grammaticorum
scripta intercedat, Jena 1907. — Cyrilli Philoxeni aliorumque glossaria lati-
nogr. et graecolat. a CLabbaeo collecta, Par. 1697 (mit Vorsicht zu ge-
brauchen: s. RhM. 17,159. 18,253; Loewe, Prodr. 194). — Neue kritische
Ausgabe des Philox.- u. Cyrill.-Gl. im CGL Bd. 2, Lpz. 1887. Rudorff,
d. Gl. d. Philox. u. Cyr., Abh. d. Berl. Akad. 1865, 182. — Zu den zwei-
sprachigen Glossaren gehören auch die sog. glossae Servii (§ 431, 4gE.)
und die lateinischen glossae nominum, die aus zweisprachigen (etwa im
8. Jahrh.) übersetzt sind (herausg. von GLoewe, Lpz. 1884, s. A. 9E. Nach-
träge von Steinmeyer, Z. f. dtsch. Alt. 1889, 242) u. a. Über die Pseudo-
Dositheana s. § 431, 8. — Griechisch-lateinisch sind auch die medizinisch-
botanischen Glossare, die freilich nicht sprachliche, wohl aber sachliche
Bedeutung haben und sich mit Ps. Apuleius berühren: solche zu Siena (Hs.
s. X/XI, hrsg. von JSchmidt, Herrn. 18, 521) und im Vatic. Reg. 1260 s. X;
hierher auch die sinonima Bartholomei und Gl. Alphita (in Oxford, hrsg.
v. Mowat, aneed. Oxon. 1, 1. 2). Alles jetzt CGL. 3, 535. Vgl. § 487, 4 E.
8. Auszüge aus den glossographischen Schriften des Isidorus und aus
anderen kirchlichen Autoren und eine Reihe kleinerer Glossare wurden im
7./8. Jahrh. in Spanien (durch den noch immer rätselhaften Ansileubus,
dessen Name übrigens nur in einem jetzt verlorenen Glossar aus Moissac
gestanden zu haben scheint? s. A. 9 und OMüller, praef. Festi p. xxxiii.
Loewe, Prodr. 224. Bährens, JenLZ. 1877, 155), unter Quellenangabe für
die einzelnen Glossen (zB. Placidi, de glosis, dh. aus namenlosen Samm-
lungen wie Affatim, s. A. 6) mit anderem Stoff zu einer Art Enzyklopädie,
dem einst viel gebrauchten liber glossarum, vereinigt (zB. im cod. Paris.
11529. 30. s. VIII; Faksim. bei Goetz). S. darüber Wilmanns RhM. 24,364.
üsener Sehr. 2, 240. Proben bei Mai, class. au ct. 7, 550. 589. 6, 554. 576.
GThomas, SBer. Münch. Ak. 1868 2, 370; Exzerpte CGL. 5, 159 (vgl. praef.
xx). Fickert, Naumb. 1843. CPeter, Zeitz 1850. SBerger (A. 9) 6. Goetz,
der Lib. gloss., Abh. sächs. Ges. 13 (1891) 211 CGL. 5 pr. xx.
9. Aus dem liber glossarum flössen unmittelbar oder mittelbar unter
Hinzufügung anderen Stoffes die glossae Salomonis, Bischofs von Konstanz
(f 919), gedr. Augsb. 1483 (vgl. Üsener, Sehr. 2, 247. Goetz, Lib. gl. 245),
80 Sachlicher Teil
Papiae elementarium doctrinae rudimentum aus J. 1053 (oft gedruckt; Goetz,
SB. bayr. Ak. 1903, 267), ferner Osberni (Mönchs zu Glocester um 1150)
Panormia (ed. AMai, class. auct. Bd. 8. S. WMeyer, RhM. 29, 179. Goetz,
Ber. sächs. Ges. 1903, 133), Hugutionis Liber derivationum um 1190, von
dem Goetz aO. 122 103 Hss, nachweist, der sog. Breviloquus Benthemianus
(s. XV, darüber KHamann, Hamb. 1879 — 80 II; weitere Mitteil, aus d. Brevil.
nebst Anhang: Abschnitte aus dem Lib. derivat. des Ugutio, Hamb. 1882);
ferner die Summa quae vocatur catholicon des Johannes de Janua aus d.
J. 1286. Über Hugucio, Osbern und Johannes vgl. Goetz, Ber. Sächs. Ges.
1903, 121. Hierher auch das Philipps-Glossar 4626 in Cheltenham. REllis,
journ. of phil. 1885, 81. Ein Turiner Glossar in Pfluge: - Harttungs Iter
italicum 341 (dazu GLoewes Kommentar ebd. 821) usw. SBerger, de glos-
sariis . . . quibusdam medii aevi, Par. 1879. Alles dies ohne jeden Wert für
die Geschichte der antiken Wissenschaft.
Hauptschrift über lat. Gl.: GLoewe, Prodromus corporis glossariorum
lat., Lps. 1876. Dazu: Glossae nominum, ed. Loewe; accedunt eius opus-
cula glossographica, Lpz. 1884. Ausgabe: Corpus glossariorum latin. ed.
Goetz u. Gundermann , Lps. 1887 fl. (vollendet bis auf Bd. 1; Bd. 6. 7 ent-
hält den Thesaurus glossarum emendatarum, ohne den die übrigen Bände
nicht zu benutzen sind); s. A. 7. — Zusammenfassend Goetz, PW. 7, 1433.
Literatur bei Wessner, JB. 113, 219; 139, 195.
10. Als scriptores Mythographi latini werden zusammengefaßt Hygi-
nus (§ 262), Fulgentius (§ 480), Lactantius (Lutatius) Placidus (?vgl. § 249, 2),
Albericus philosophus (s. u.), zusammen herausg. von Muncker (Amst. 1681,
danach vStaveren, Leid. 1742). Vgl. CLange, de nexu Hyg. fabul. 11. Dazu
drei junge mythographi Vaticani, erstmals herausg. v. AMai, class. auct.
Bd. 3 (Rom 1831), und danach von HBode, Script, rerum myth. lat. tres
(Celle 1834 II). Der erste (mythographus Vaticanus I) ist der älteste und
mag etwa ins 8. Jahrh. gehören; er benutzt sehr stark des Servius Vergil-
Kommentar und andere Dichterscholien (zB. zu Statius), sowie die Narra-
tiones fabularum aus Ovids Metamorphosen (§ 249, 2), ferner die Quelle von
Fulgentius' Mitologiae u. a. Übereinstimmungen mit Ps.-Acro: AKiessling,
de person. Horat. 7. Überliefert ist dieser Autor durch Vatic. Reg. 1401
s. XII (?) Subscriptio darin: expl. Über seeundus centum hnf (= habens) fa-
hulas sicut et primus. Vgl. ORossbach, JJ. 131, 408. AMai las die Unter-
schrift falsch (hnf = hni usw.) und gab danach als hs. Titel des Werkes
C. Hygini libri fabularum. RSchulz, de mythogr. Vatic. I fontibus, Halle
1905. Der mythogr. Vat. II, der außer in der genannten Hs. auch in zwei
jüngeren erhalten ist, nimmt auf den ersten bereits Rücksicht und benutzt
etwa dieselben Quellen ; er entlehnt aus dem ersten vieles wörtlich. Keseling,
de mythogr. Vat. II fontibus, Halle 1908. Endlich mythogr. Vat. III (de
diis gentium et illorum allegoriis), in dem zB. Johannes Scotus (f um J. 875)
und Remigius von Auxerre (f J. 908) zitiert werden, gehört nach dem cod.
Goth. (poetarium Alberici) dem Albericus (lebte s. XIII), der auch die in
das Corpus mythogr. (s. o.) aufgenommene Schrift de deorum imaginibus
verfaßte. Vgl. EKlussmann, de Alberici mythogr. cod. Goth. (s. XIII), Rudolst.
1868. Schneider, de mythographis lat., Bresl. 1834. Osann, Haller Lit.-Ztg.
§ 42. Mythographen. § 43. Beredsamkeit 81
1834. Erg. Bl. 12. FJacobs, ZfAW. 1834. 1057. Süringar, de mythographo
astronomico, Lugd. 1842.
43. Für Beredsamkeit waren die Römer schon von Natur
durch ihren scharfen Verstand und ihre italische Lebhaftigkeit wohl
ausgestattet. Noch günstiger war der Einfluß von Sitte und Ver-
fassung, die Mündlichkeit aller Verhandlungen, die große Zahl der
Anlässe wo es gut zu reden galt, zum Volke, zum Senate, zu Ge-
schworenen oder zu Einzelrichtern, zum Heere, zu einer Trauer-
versammlung. Die Fähigkeit zu reden wurde daher ein unerläß-
liches Erfordernis für jeden, der zu politischer Bedeutung gelangen
wollte, vollends als die Standesvorrechte nacheinander fielen und
die politischen Parteikämpfe immer häufiger und hitziger wurden.
Infolgedessen hing die Beredsamkeit von Anfang an mit der Praxis
zusammen und wurde die Übung im öffentlichen Reden ein wesent-
licher Bestandteil im Bildungsgange eines jungen Römers, so daß
schon der ältere Cato — gewiß bereits unter griechischem Einflüsse
— schriftliche Anleitung dazu gab und in manchen Familien, wie
bei den Scribonii, sich die Beredsamkeit Generationen hindurch
forterbte. Daher auch der frühe Beginn der Beredsamkeit in Rom
und die hohe Blüte, die sie erreichte, ihr Steigen und Fallen mit
der politischen Freiheit.
1. Cic. off. 2, 66 eloquentiae a maioribus nostris est in toga dignitatis
principatus datus. Vgl. de or. 1, 30. or. 141. Brut. 182 . . in tanta et tarn
vetere republica maxumis praemiis eloquentiae propositis omnes cupisse dicere,
non plurumos ausos esse, potuisse paucos. Liv. 39, 40 ad summos honores
alios scientia iuris, alios eloquentia, alios gloria militaris provexit. Quint.
2, 16, 8 pop. Rom., apud quem summa semper oratoribus dignitas fuit; s. auch
Tac. dial. 37; A. 11, 6. Zu beachten ist, daß unsere Hauptquelle für die
Geschichte der römischen Beredsamkeit, Ciceros Brutus, die Zahl der Red-
ner in der ältesten Zeit mit allen Mitteln zu vergrößern sucht; vgl. 137
intellego me non ita disertos homines et rettulisse in oratorum numerum et
relaturum.
2. Cic. de or. 2, 55 nemo studet eloquentiae nostrorum hominum, nisi ut
in causis atque in foro eluceat: apud Graecos etc. (war das Beredtsein Selbst-
zweck). Dieses Ziel wurde auch auf Kosten der Moral verfolgt: eine Ver-
pflichtung bei der Wahrheit zu bleiben wurde für den gerichtlichen Redner
kaum anerkannt. Was Cic. Brut. 207 von M. Antonius sagt, daß er facüis
in causis recipiendis gewesen sei, gilt auch von ihm selbst, und wiederholt
lehrt er nach griechischer Theorie, daß für den Redner nicht das verum
Ziel sei, sondern das verisimile; s. de or. 2, 241. off. 2, 51. Ahnlich Quint.
2, 15, 32. 3, 8, 13. 12, 1, 33 ff. 6, 2, 5 ubi animis iudicum vis afferenda est
et ab ipsa veri contemplatione abducenda mens, ibi proprium oratoris opus
est. Dagegen 12, 7, 7 non convenit ei, quem oratorem esse volumus, iniusta
Teuf fei: röm. Literaturgesch. Neub. 6. Aufl. I. 6
82 Sachlicher Teil
tueri scientem; vgl. 4, 2, 93. Gell. 1, 6, 4 aliter , inquit (Castricius) , censor
loqui debet, aliter rhetor. rhetori concessum est sententiis uti falsis audacibus
versutis subdolis captiosis, hi veri modo similes sint et possint movendos ho-
minum animos qualicumque astu inrepere. praeterea turpe esse ait rhetori, si
quid in mala causa destitutum atque inpropugnatum relinquat.
3. Beginn in früher Jugend. Marx, Auct. ad Her. p. 77. Der 18jährige
Africanus minor sagt bei Polyb. 32, 9 doxa» slvcct, itüöiv r\Gv%iog xig . . xa!
tcoXv k£%(oqi6ii£vo£ tfjg Qco^ia'Cyifjg alQ^6£(og xccl 7tQa,£,S(og , ort KQi6Eig ov% ai-
gov^ica Xiyuv. Plin. ep. 5, 8, 8 undevicesimo aetatis anno dicere in foro coepi.
Besonders häufig machte man den Anfang mit der Lobrede auf einen eben
gestorbenen Verwandten. Noch Tiberius novem natus annos defunctum pa-
trem pro rostris laudavit (Suet. Tib. 6). Aus späterer Zeit Auson. prof.
Burd. 17, 10 pueros grandi mercede docendi formasti rhetor metam prope
puberis aevi. Der jugendliche Charakter solcher laudationes funebres war
daher wohl mit ein Grund, daß sie (später) so selten herausgegeben wur-
den, EHübner, Herrn. 1, 441. Auch mit Anklagen Schuldiger die rednerische
Laufbahn zu beginnen war häufig; s. Polyb. 32, 15 gE. Cic. off. 2, 49. Suet.
Iul. 4. Val. Max. 5, 4, 4. Quint. 12, 6, 1. Tac. dial. 34 gE. Apulei. apol. 66.
Doch war der Sachwalter in erster Linie Verteidiger; Cic. de or. 1, 32
quid tarn . . . munißcum quam opem ferre supplicibus, excitare afflictos, dare
salutem, liberare periculis, retinere homines in civitate? orat. 141. p. Mur. 29
Hör. c. 2, 1, 13 insigne maestis praesidium reis. ebd. 4, 1, 14. Sen. brev. vit.
6, 1. Laus. Pis. 39.
4. Die Reden, die spätere Historiker in die Königszeit verlegen, be-
weisen natürlich nichts für die Beredsamkeit jener Zeit; doch machte die
Verfassung schon früh ein gewisses Maß von politischer Beredsamkeit not-
wendig. Die Sammlung von Meyer (A. 5) bringt es von Appius Claudius
bis Symmachus auf 158 Redner, ungerechnet die vielen, deren Reden nie
aufgeschrieben wurden oder von denen uns wenigstens keine solchen be-
kannt sind. Vgl. § 44, 12.
5. Hauptquellen Ciceros Brutus, der Rhetor Seneca, Tacitus1 dialogus,
Suetons viri 111., Quintilian 10, 1, 105—122 u. 12, 10, 10—12. Auch Plinius'
Briefe. Oratorum rom. fragm. coli. HMeyer, Zur. 1832 (Pariser Nachdruck
1837). 21842. Cortese, Orat. Rom. reliquiae, Turin 1892 (mangelhaft). —
A Westermann, Gesch. d. röm. Beredsamkeit, Lpz. 1835. FEllendt, brevis
eloquentiae Rom. ad Caesares hist. vor s. Ausg. des Brutus 1844. ABerger
u. VCucheval, hist. de l'eloquence lat. jusqu'ä Ciceron, Par. 1872 II. JPoiret,
Teloquence iudiciaire ä Rome, Par. 1887. Tartara, [I precursori di Cic,
Annali delle univ. Tose. 18 (Pisa 1888), 291. Cima, L'eloquenza lat. prima
di Cic, Rom 1903. Amatucci, L'eloqu. giudiziaria prima di Catone, Neapel 1904.
44. Die älteste Beredsamkeit war naturalistisch, der kunstlose
Ausdruck einer durch eine bestimmte Lage und bestimmte Zwecke
angeregten, politisch bedeutenden und redebegabten Persönlichkeit.
Aber schon am Ende des fünften Jahrh. d. St. gab Appius Claudius
nach griechischem Vorbilde eine politische Rede nachträglich her-
aus, und von den Leichenreden, die aus dem sechsten Jahrh. er-
§ 44. Die Redner der Republik 83
wähnt werden, ist es wenigstens denkbar, daß sie von Anfang an
geschrieben waren. Jedenfalls der größte Redner des sechsten Jahrh.
d. St., der ältere Cato, muß seine Reden in der Regel niederge-
schrieben (und veröffentlicht) haben, wenn auch vielleicht erst, nach-
dem er sie gehalten hatte, als politische Streitschriften; seine Kennt-
nis der griechischen Praxis können wir an den Fragmenten seiner
Reden noch aufzeigen. Doch war im sechsten Jahrh. d. St. das ge-
sprochene Wort noch die Hauptsache; das Niederschreiben und
Veröffentlichen der Reden geschah für politische Zwecke. Außer
von Cato kennen wir herausgegebene Reden aus dieser Zeit beson-
ders von dem älteren Africanus, L. Papirius und C. Titius. Das
siebente Jahrh. d. St. traf die römische Beredsamkeit schon so ent-
wickelt, daß die immer nähere, durch griechische Lehrer vermittelte
Bekanntschaft mit der griechischen Rhetorik sie nur steigern und
bewußter machen, nicht aber ihres nationalen Charakters entklei-
den konnte. Die raffinierten Mittel des griechischen Barockstiles
gewannen im Munde der leidenschaftlichen Römer neue Kraft; na-
mentlich den jüngeren Gracchus machte die Verbindung von Tem-
perament, Begabung und Kunst zu einem vollendeten Redner. Auch
war es schon in der ersten Hälfte des siebenten Jahrh. d. St. eine
Ausnahme, wenn ein Redner keine seiner Reden herausgab, und
es gab schon solche, die für andere Reden schrieben. Nach wie
vor blieb die Rede ein wichtiges politisches Machtmittel; doch trat
bei den herausgegebenen der politische Zweck öfters zurück: man
schrieb und veröffentlichte Reden auch nur als Probe seiner Bered-
samkeit. Die hervorragendsten Redner dieser Zeit waren M. Anto-
nius (Cos. 99) und L. Crassus (Cos. 95); aber neben ihnen stand
noch eine ganze Reihe in ihrer Art bedeutender Redner, wie Q. Mu-
cius Scaevola (Cos. 95), L. Marcius Philippus (Cos. 91), L. Apuleius
Saturninus (tr. pl. 100), M. Livius Drusus (tr. pl. 91), C. Caesar
Strabo (Aedil 90), P. Sulpicius Rufus (tr. pl. 88), C. Aurelius Cotta
(Cos. 75). In den neunziger Jahren des letzten Jahrh. v. Chr. be-
gannen auch Einheimische in lateinischer Sprache rhetorischen
Unterricht zu erteilen. Doch war das eine vorübergehende Erschei-
nung; im ganzen waren es Griechen, die Rhetorik lehrten, und
griechisch war nicht bloß ihr System, sondern auch das jener latei-
nischen Lehrer. Für Inhalt und Disposition der Rede war die stark
scholastisch anmutende Lehre des Hermagoras maßgebend: ihren
Stil aber erlernten die jungen Römer mit Vorliebe in den neu-
modischen Schulen von Kleinasien und Rhodos. Während Horten-
84 Sachlicher Teil
sius für einen Vertreter der überladenen kleinasiatischen Redeweise
galt, wollte Cicero sich von ihren Unarten in der rhodischen Schule
freigemacht haben: ihn hat eine glückliche Verbindung von Ta-
lenten , gesteigert und veredelt durch unermüdlichen Fleiß, auf die
höchste Höhe der römischen Kunstberedsamkeit gehoben. Zugleich
erwarb er sich Verdienste um die Popularisierung der Hauptlehren
der Rhetorik. In seinen späteren Lebensjahren kam eine rückläufige
Gfeschmacksrichtung in Griechenland auf und fand rasch in Rom
Geltung, die auch ihn noch immer allzu asiatisch fand. Ein Kreis
jüngerer Männer ging grundsätzlich und mit starker Einseitigkeit
auf die echten alten Attiker zurück, und die meisten wählten sich
unter jenen sogar den schwunglosesten, den Lysias, zum Muster.
So M. Calidius, M. Brutus, Licinius Calvus, Q. Cornificius, und
weiterhin Asinius Pollio, der den Thukydides bewunderte. So häufig
in dieser Zeit die Veröffentlichung von Reden war, so war es doch
jetzt selten, daß die gehaltene und die herausgegebene genau über-
einstimmte; denn der Redner ließ sich nicht bloß durch die Ein-
gebung des Augenblickes zur Abweichung von dem vorher aufge-
setzten Wortlaut verleiten, sondern änderte diesen oft bei der Publi-
kation noch ab.
1. Cato: orator est, Marce fili, vir bonus dicendi peritus; (stoisch?
Radermacher, RhM. 54, 286. FSchoell, RhM. 57, 312). Sen. controv. praef. 9.
Vgl. Quint. 12, 1, lff. Plin. ep. 4, 7, 5.
2. Ciceros Brutus ist keine lautere Quelle für die ältere Zeit, da Cic.
das Bestreben hat, die Entwicklung der römischen Beredsamkeit möglichst
hoch hinaufzurücken. Zu den ältesten Rednern, über die eine Überlieferung
vorlag, gehören P. Licinius Crassus (Cos. 205) und M. Cornelius Cethegus
(Cos. 204). Schriftlich herausgegeben wurden besonders Leichenreden schon
in der ersten Hälfte des sechsten Jahrh. d. St., meist wohl für politische
Zwecke oder aus Familieneitelkeit. Vgl. § 43, 3.
3. Quint. 3, 1, 19 Bomanorum primus, quantum ego quidem sciam, con-
didit aliqua in hanc materiam (Theorie der Beredsamkeit) M. Cato ille Cen-
sorius (in seinen praeeepta). post M. Antonius incohavit. Aber noch lange
gab es Autodidakten, wie Curio (Cos. 76; s. Cic. Brut. 214). Doch waren
solche Fälle damals Ausnahmen, und mit Unrecht sagt Aper (Tac dial. 19)
noch von den Rednern der ciceronischen Zeit: paucissimi praeeepta rhetorum
aut philosophorum placita (letzteres ist eher richtig) cognoverant.
4. Cic. de or. 2, 92 nostri oratores . . scripta, ex quibus iudicium fieri
posset, non multa sane reliquerunt. orat. 132 Crassi perpauca sunt, nee ea
iudiciorum, nihil Antoni, nihil Cottae, nihil Sulpici. p. Cluent. 140 M. An-
tonium aiunt solitum esse dicere ideirco se nullam umquam orationem scrip-
sisse ut, si quid aliquando non opus esset ab se esse dictum, posset negare
dixisse. Dagegen erwähnt Cicero geschriebene Reden von den beiden Gracchen
(Brut. 104. 117), M. Aemilius Scaurus (ebd. 112), P. Rutilius Rufus (114),
§ 44. Die ältere Beredsamkeit 85
dem Sohne des jüngeren Africanus (77), Q. Tubero (117), Curio (122) und
dessen Sohn (220), Sulpicius Galba (127), Flavius Fimbria (129), T. Albu-
cius (131), Q. Lutatius Catulus (132), Q. Scaevola (163), Caesar (262); dazu
Livius eine angebliche Rede des älteren Africanus (J. 185), andere von C.
Titius (J. 161), Quint. 10, 1, 116 von Ser. Sulpicius Rufus, Sueton Iul. 55
von Caesar Strabo, Ascon. Cornel. p. 50, 9 St. von P. Cominius: extat oratio
Cominii accusatoris, quam sumere in manus est aliquod operae pretium, non
solum propter Ciceronis orationes, quas pro Comelio habemus, sed etiam
propter semet ipsam. Auch extra urbem, apud socios et Latinos, gab es Red-
ner und von ihnen veröffentlichte Reden (Cic. Brut. 169 f.), wie von L. Pa-
pirius aus Fregellae und T. Betutius aus Asculum.
5. Der ältere Cato und noch (C.) Gracchus begann jede seiner Reden
mit einer Anrufung oder doch Erwähnung von Göttern, Serv. Verg. Aen.
7,259. 11,301. Symmach. ep. 3, 44,2. Gell. 13,23 (22), 1 (in plerisque anti-
quis orationibus). Vgl. Cic. div. Caec. 43. Yal. Max. 1, praef. ; Plin. paneg. 1.
Die Ausnahmslosigkeit, womit dies von den Reden des Cato ausgesagt wird,
macht wahrscheinlich, daß es auch von den in Zivilprozessen (causae pri-
vatae) gehaltenen gilt. Sie sind die einzigen derartigen aus der Zeit vor
Cicero, von deren Veröffentlichung wir hören; wie auch aus der Zeit nach
Cicero nur einige vor dem Zentumviralgericht gehaltene zivilrechtliche uns
bekannt sind. HJordan, Caton. quae exstant, p. lxxxvii.
6. L. Aelius Stilo . . scriptitavit orationes multis, orator ipse numquam
fuit, Cic. Brut. 169 (vgl. 205 f.) M. Bibulus scriptitavit accurate, cum prae-
sertim non esset orator, ebd. 267. So C. Laelius für Tubero und für Fabius
Maximus, Plotius Gallus für Sempronius Atratinus (Suet. rhet. 2), Caesar
für Metellus (Suet. Iul. 55). Cicero selbst verfaßte so Reden für Cn. Pom-
peius und T. Ampius (Qui^til. 3, 8, 50) und (J. 54) für einen Vater die
Leichenrede auf seinen Sohn Serranus (ad Q. fr. 3, 8, 5 laudavit pater scripto
meo). Fronto p. 123 Ventidius ille, postquam Parthos fudit fugavitque , ad
victoriam suam praedicandam orationem a C. Sallustio mutuatus est.
7. Cic. Brut. 328 id declarat totidem quot dixit . . scripta verbis oratio.
Dies war aber nicht das Gewöhnliche: s. ebd. 91 videmus alios oratores
ineHia nihil scripsisse, ne domesticus etiam labor accederet ad forensem; ple-
raeque enim scribuntur orationes habitae iam, non ut habeantur. Vgl. ebd. 93.
Plin. ep. 4, 9, 23. Sen. suas. 15 huic actioni (des Asinius Pollio) qui inter-
fuerunt negant eum haec dixisse, . . sed postea composuisse. Plin. ep. 20, 7 . .
Ciceronis pro Murena (57), pro Vareno (auch p. Quinctio), in quibus brevis
et nuda quasi subscriptio quorundam criminum solis titulis indicatur. ex his
apparet illum permulta dixisse, cum ederet omisisse. Ähnlich machte es
C. Galba (Cic. Brut. 127) und L. Crassus (ebd. 160. 164). Nur ausnahms-
weise scheint Cicero seine Reden so, wie sie gehalten waren, herausgegeben
zu haben. So war die Corneliana iisdem paene verbis quibus edita est . ;
perorata (Cornel. Nep. fr. 45 H.). Kleine Abänderungen und Zusätze in
Berücksichtigung des Eindruckes, den die Rede beim Vortrage gemacht
hatte, sind aber auch in solchen Fällen nicht ausgeschlossen. Der jüngere
Plinius (ep. 9, 28, 5) und Fronto (ep. p. 184 Nab.) gaben ihre Reden ge-
wöhnlich überarbeitet und erweitert heraus. Vgl. § 178, 3. Eine ähnliche
86 Sachlicher Teil
Praxis herrschte bei den Griechen schon im 4. Jahrh. ; vgl. z. B. KHahn,
Demosth. contiones num revera habitae sint, Gießen 1910.
8. Quintil. 10, 7, 30 plerumque multa agentibus accidit, ut maxime ne-
cessaria et utique initia (von Reden) scribant, cetera quae domo afferunt cogi-
tatione complectantur, subitis ex tempore occurrant. quod fecisse M. Tullium
commentariis ipsius apparet. Sen. contr. 3, praef. 6 von Cassius Severus:
sine commentario numquam dixit, nee hoc commentario contentus erat in quo
nudae res ponuntur, sed maxima parte perscribebatur actio ; illa quoque quae
salse dici poterant adnotabantur ; sed cum procedere nollet nisi instruetus,
libenter ab instrumentis recedebat. In der Zeit des Cicero wurden die ge-
haltenen Reden stenographisch (§ 191,5) nachgeschrieben (wie die pro Mi-
lone). Suet. Iul. 55 von Caesars Rede pro Q. Metello: non immerito Augu-
stus existimat magis ab actuariis exceptam male subsequentibus verba dicentis
quam ab ipso editam. Noch Quintilian beklagt sich (7, 2, 24), daß Buch-
händlerspekulation nachlässig nachgeschriebene Reden von ihm herausge-
geben habe. Auch nicht gehaltene Reden wurden veröffentlicht, zB. von
Cato und von Cicero (Verrin. actio II, Miloniana, Philipp. II). M. Brutus
schrieb bloß exercitationis gratia eine Verteidigungsrede für Milo (Quintil.
3, 6, 93; vgl. 10, 1, 23), Cestius Pius in Milonem (Sen. contr. 3, praef. 16),
Lucanus sogar in Octavium Sagittam et pro eo. Auch untergeschobene
Reden gab es frühzeitig. Sulpici (§ 153, 5) orationes quae feruntur, eas post
mortem eins scripsisse P. Canutius putatur: . . ipsius Sulpici nulla oratio
est, Cic. Brut. 205. Dann in der nachciceronischen Zeit Reden gegen Cicero
unter dem Namen des Catilina und des C. Antonius, Ascon. p. 72, 18 St.
Quintil. 9, 3, 94 (§ 180, 1).
9. Suet. gramm. 25 (= rhet. 1) rhetorica quoque apud nos perinde
atque grammatica (oben § 41, 1) sero reeepta est, paulo etiam difficüius, quippe
quam constet nonnumquam etiam prohibitam exerceri . . paulatim' et ipsa
utilis honestaque apparuit, multique (wie M. Antonius, Cicero, Cn. Pompeius,
Augustus u. a.) eam et praesidii causa et gloriae appetiverunt . . plerique
autem oratorum etiam declamationes ediderunt (dies gilt aber erst vom Be-
ginn der Kaiserzeit), quare magno studio hominibus iniecto magna etiam
professorum ac doctorum profluxit copia, adeoque floruit, ut nonnulli ex in-
fima fortuna in ordinem senatorium atque ad summos honores processerint.
Einen Ausfall gegen novi rhetores hatte Cic. rep. 5, 11 dem Scipio in den
Mund gelegt: quae cum Scipio dixisset, admodum probans Mummius — erat
enim odio novorum (Leo, quorum Hs) imbutus. Hieronym. zu Euseb. Chr. a.
1929 = 88 v. Chr. JPlotius Gallus primus Bomae latinam rhetoricam doeuit.
Da er ein Freund des C. Marius war, so dürfen wir chauvinistische Beweg-
gründe bei ihm voraussetzen. Vgl. Suet. rhet. 2. Sen. contr. 2, 8, 5. Quintil.
2, 4, 42. Die im J. 92 durch die Zensoren L. Crassus und Domitius Aheno-
barbus erfolgte Aufhebung der latini rhetores (§ 159, 2. 162, 2) hatte an-
scheinend keine volle Wirkung, ebenso wenig wie die Maßregel des J. 161
(Gell. 15, 11). Hieron. aO. 1936 = J. 81 Vultacilius Plotus (§ 158, 3)
latinus rhetor, Cn. Pompei libertus et doctor, scholam Romae aperuit. Doch
lag der rhetorische Unterricht im allgemeinen in griechischen Händen; s.
§ 45, 1. Das erste lateinisch geschriebene und mit den Bestrebungen der
rhetores latini zusammenhängende Buch über die gesamte Rhetorik ist die
§ 44. Die Rhetoren; der Attizismus 87
Schrift ad Herenniurn (§ 162), s. 4, 7, 10 nomina rerum (Figuren udgl.)
Graeca convertimus. . . quae enim res apud nostros non erant, earum rerum
nomina non poterant esse usitata. RVolkmann, d. Rhetorik der Griech. u. Rom.,
Lpz.2 1885. RKröhnert, d. Anfänge der Rhet. bei den Rom., Memel 1877.
Marx, Au ct. ad Her. 133.
10. Griechische Lehrer der Beredsamkeit waren in der Zeit des C. Grac-
chus Diophanes von Mitylene und Menelaos von Marathus, um 100 v. Chr.
Menedemos, in Ciceros Zeit Molon und Apollodoros aus Pergamon. Schüler:
Apollodori praecepta magis ex discipulis cognoscas, quorum diligentissimus
in tradendo fuit latine C. Valgius (§ 241, 3), graece Atticus, Quintil. 3, 1, 18.
Vgl. Hieronym. aO. 1953 = 64 v. Chr. Apollodorus Pergamenus, graecus ora-
tor, praeceptor Cdlidii et Augusti, clarus habetur. vWilamowitz, Herrn. 12,333
hält den Apollodor für den Begründer des Klassizismus, d. h. der attizisti-
schen Reaktion, was nicht unmöglich ist (Herrn. 35, 46) : dagegen ERohde,
Sehr. 2,81; s. § 41,1. Cic. Brut. 263 C. Sicinius , ex Hermagorae disci-
plina; ebenso T. Accius aus Pisaurum, ebd. 271: damit ist nur Anschluß
an die Stasislehre (Thiele, Hermagoras, Straßb. 1893. Radermacher, PW.
8, 692), nicht ein persönliches Schülerverhältnis gemeint. Schüler des Molon
auch T. Torquatus, Brut. 245. — Hillscher JJ. Suppl. 18, 388. Friedländer,
SG. I8, 325.
11. Zur Charakteristik der attischen und der asiatischen Beredsamkeit
vgl. Cic. zB. Brut. 51. 325. or. 27. Quintil. 12, 10, 16 antiqua divisio inter
Atticos atqtie Asianos fuit, cum hi pressi et integri, contra inflati Uli et
inanes haberentur , in his nihil super fuerit, Ulis iudicium maxime ac modus
deesset. Das Schlagwort asianisch kam erst durch den extremen Attizismus
der ciceronischen Zeit auf, der eine sehr einseitige Nachahmung gewisser
attischer Redner empfahl, muß also mit Vorsicht verwendet werden. Den
Niedergang der attizistischen Richtung behauptet Cic. Tusc. 2, 3 (Mitte 45)
reperiebantur nonnulli, qui nihil laudaient, nisi quod se imitari posse confi-
derent, quemque sperandi sibi, eundem bene dicendi fmem proponerent, et cum
obruerentur copia sententiarum atque verborum, ieiunitatem et famem se malle
quam ubertatem et copiam dicerent; unde erat exortum genus Atticorum iis
ipsis qui id sequi se profitebantur ignotum, qui iam conticuerunt paene ab
ipso foro inrisi. Doch hatte Cic. eben noch den Brutus und den Orator
(§ 182) und de opt. gen. die. gegen sie gerichtet. Über den Kreis der hierher
gehörigen Redner Kroll, Cic. orat. S. 11. Norden, Kunstprosa 131. 218. 251,
vWilamowitz, Herrn. 35, 1. WSchmid, Über den kulturgesch. Zusammenhang
der griech. tRenaiss., Lpz. 1898.
12. Fronto p. 127 omnes universos, quicumque post JRomam conditam
oratores extiterunt . . si numerare velis, vix trecentorum numerum complebis
(vgl. § 43, 4). Charakteristik der Hauptredner bei Vellei. 2, 36, 2. Tac
dial. 18 (Cato, C. Gracchus, Crassus, Cicero, Corvinus). Fronto p. 114 con-
tionatur Cato infeste, Gracchus turbulente, Tullius copiose. iam in iudieiis
saevit idem Cato, triumphat Cicero, tumultuatur Gracchus, Calvus rixatur.
Apulei. apol. 95 neque Cato gravitatem requirat neque Laelius lenitatem
neque Gracchus impetum nee Caesar calorem nee Hortensius distributionem
nee Calvus argutias nee parsimoniam Sallustius nee opulentiam Cicero. Aus
•der ciceronischen Zeit Quintil. 12. 10, 11 vim Caesaris, indolem Caelii, sub-
88 Sachlicher Teil
tilitatem Calidii, düigentiam Pollionis, dignitatem Messakte, sanctitatem
Calvi, gravitatem Bruti, acumen Sidpicii, acerbitatem Cassii reperiemus.
45. Die augusteische Zeit besitzt in Asinius Pollio und M. Mes-
sala noch Vertreter der republikanischen Beredsamkeit, und auch
Augustus selbst, sowie Agrippa und Maecenas, besaßen eine redne-
rische Ausbildung. Aber mit der alten Verfassung schwinden auch
die Gelegenheiten und Stoffe für die Beredsamkeit und in demselben
Maße wachsen die Hindernisse und Schranken. So tritt immer mehr
die Theorie an die Stelle der Praxis, rhetores an die der oratores,
Deklamation an die Stelle der Rede. Noch in Augustus' Zeit fallen
daher die frühesten Vertreter der kaiserlichen Beredsamkeit, der
Redner Cassius Severus, die Rhetoren Porcius Latro, Albucius Silus,
Arellius Fuscus, lunius Gallio, Cestius Pius, Fulvius Sparsus, Argen-
tarius, Blandus, Q. Haterius, Iulius Bassus, Pom peius Silo, Varius
Geminus u. a. Das Wesen dieser neuen Beredsamkeit besteht in
dem Überwiegen der Deklamationen, d. h. in ausschließlicher Pflege
der Form neben wissentlichem Verzicht auf ernsthaften Inhalt und
praktische Zwecke. Die Rhetorenschule wird jetzt Selbstzweck und
Mittelpunkt des geistigen Lebens: sie lebt in einer Welt von künst-
lich erdichteten Fällen. Aus dem genus deliberativum nimmt sie
ihre suasoriae, vom iudiciale ihre controversiae; daneben sind die
laudationes (weniger die vituperationes) der epideiktischen Gattung"
beliebt, die eine mannigfache Verwendung bei vielen festlichen An-
lässen fanden. Die Manieren des rhetorischen Hörsals werden dann
auch auf die wenigen Gelegenheiten übertragen, wo man noch prak-
tisch tätig sein konnte, und diese zu Schaustellungen theatralischer
Deklamation benützt. Desto seltener war die auch vorher schon
oft dürftige Rechtskenntnis. Die namhaftesten nachaugusteischen
Redner dieser Art sind Votienus Montanus, Romanius Hispo, Cris-
pus Passienus, Domitius Afer, Vibius Crispus, Galerius Trachalus,
Iulius Africanus, Iulius Secundus, und zuletzt Tacitus und Plinius.
Vergebens weisen Quintilian und Tacitus auf die echten klassischen
Muster hin und kämpfen gegen die tändelnde Richtung ihrer Zeit
an, von der sie unwissentlich selbst mitergriffen sind. Im zweiten
Jahrh. wurde die Rede unter dem Einflüsse der zweiten Sophistik
noch überdies geschraubt und mit Archaismen geschmacklos be-
hängt. Diese Manier zeigt uns Fronto und der durch mehr Geist
und Beweglichkeit ausgezeichnete Apuleius. Je vielseitiger und
feiner das römische Recht sich, besonders im dritten christl. Jahrh.,
entwickelte, um so unzugänglicher wurde es für die Phrasenmacher,,
§ 45. Die Redner der Kaiserzeit 89
die so auch den letzten Rest von praktischer Tätigkeit einbüßten
und sich auf Prunkstücke beschränkt sahen , unter denen die
schmeichlerische Lobrede und die inhaltsleere und phrasenhafte
Briefstellerei besonders in die Breite gingen. Namentlich Gallien
hatte einen Überfluß an Rhetoren und war auf diesem Gebiete sehr
fruchtbar. Die in ihrer Art bedeutendsten Vertreter dieser Rich-
tung sind Symmachus und Ausonius; die Panegyriker erstrecken
sich von der Zeit Diocletians (Eumenius, dann Nazarius) bis in die
des Iulian (Claudius Mamertinus) und Theodosius I (Drepanius Pa-
catus), und noch aus dem sechsten Jahrh. haben wir des Enno-
dius Lobrede auf Theoderich. Gehaltreicher, aber in der Form ver-
wahrloster war die Art der afrikanischen Rednerschule, die im
dritten und vierten Jahrh. dem Christentum seine geistvollsten Ver-
fechter geliefert hat (Tertullian, Arnobius, Cyprian, Augustinus).
Die theoretische Rhetorik dieser Jahrhunderte beschäftigte sich da-
mit, die alten Meister auszuziehen und durch Verwässerung ihrer
Zeit mundgerecht zu machen.
1. Tac. dial. 38 extr. : (orationes) mediis divi Augusti temporibus liabitae,
postquam longa temporum quies et continuum populi otium et assidua sena-
tus tranquülüas et maxime principis disciplina ipsam quoque eloquentiam,
sicut omnia, pacaverat. Damals lehrte zu Rom Rhetorik (neben den einfluß-
reichen Griechen Theodoros aus Gadara und Caecilius aus Kaie Akte) auch
der römische Ritter Blandus (§ 268, 1). Sen. contr. 2, praef. 5 ante illum
(Blandum) intra libertinos praeceptores pulcherrimae disciplinae continebantur
et . . turpe erat docere (gegen Bezahlung) und lionestum erat discere. Für die
gewachsene Bedeutung der Rhetorik ist auch dies bezeichnend. — EAmiel,
Hist. de l'eloquence sous les Cesars, Par.2 1882 II.
2. Tac. dial. 14 extr.: novi rhetores, veteres oratores. Dieser novi werden
von dem älteren Seneca mindestens 100 genannt: Geschriebenes gab es von
ihnen wenig, Sen, contr. 1, praef. 11. Spätere auch bei luv. 7, 143ff. 214.
Nero war der erste Kaiser der julischcn Dynastie, der alienae facundiae
bedurfte, Tac. A. 13, 3. Die Hauptredner seiner Zeit charakterisiert Quint.
12, 10, 11 copiam Senecae, vires Africani, maturitatem Afri, iucunditatem
Crispi, sonum Tracliali, elegantiam Secundi.
3. Lateinische Schriftsteller über Rhetorik aus dem ersten Jahrh. (außer
Seneca und Quintilian): Celsus, Laenas, Luranius (?), Stertinius, Gallio, Por-
cius Latro, Cestius Pius, Plinius der Ältere, Verginius, Tutilius, Vettius.
Vgl. Quintil. 3, 1, 19 — 21. Quintilian war der erste von Staats wegen (durch
Vespasian) angestellte Lehrer der Beredsamkeit. Schon in dieser Zeit luv.
7, 147 accipiat te Gallia, vel potius nutricula causidicorum Africa, si placuit
mercedem ponere linguae. Ein Rufus als Cicero Allobrox ebd. 213. Über
Britannien Tac. Agr. 21 iam vero principum filios Uberalibus artibus erudire
et ingenia Britannorum studiis Gallorum anteferre, ut qui modo linguam
90 Sachlicher Teil
Bomanam abnuebant eloquentiam concupiscerent. luv. 15, 111 Gallia causi-
dicos docuit facunda Britannos.
4. Sen. contr. 1, praef. 6 ut possitis aestimare in quantum cotidie ingenia
decrescant et . . eloquentia se retro tulerit . . in deterius . . data res est sive
luxu temporum . . sive cum praemium pulcherrimae rei cecidisset. Wirklich
lagen die causae corruptae eloquentiae, die Tacitus (dial.) und Quintilian
(vgl. 5, 12, 23. 6, prooeni. 3. 8, 6, 76) in eigenen Schriften zu ergründen
suchten, nicht bloß in der licentia atque inscitia declamantium (Quint. 2,
10, 3), sondern diese war nur ein Anzeichen, und die eigentlichen Ursachen
lagen in den Zeitverhältnissen (vgl. Sen. ep. 114): denn eloquentia saeculo
servit (Lactant. inst. div. 5, 1). Das Publikum war nicht besser als seine
Redner und verlangte immer Neues und Pikantes; Peteon. sat. 3 f. Tac.
dial. 19. Quint. 4, 1, 57. 72. 4, 5, 10. 4, 8, 1. Ebenso waren die, welche
vividam et incorruptam eloquentiam tuendis civibus exercebant (Tac. A. 13, 42),
die gerichtlichen Redner, causidici (Maetial. 2, 64), nicht anders als die
Schulredner; vielmehr in ipsa capitis aut fortunarum pericula irrupit volup-
tas (Quint. 4, 2, 122. 127. 4, 3, 2. Sen. controv. 9, praef. 2. Pees. 1, 83. Mae-
tial. 6, 19). So wurde auch das Beifallklatschen (sogar durch bezahlte
Claqueurs) von der Schule (Qutnt. 2, 2, 9 ff.) auf das Centumviralgericht über-
tragen (Plin. ep. 2, 14, 4 ff.), in Gallien später auch auf die Kirche (Ap. Sidon.
ep. 9, 3). Rohde, Roman 311. Hatch, Griechentum u. Christent. (Freib.
1892) 78. Für das juristisch Technische sahen sich die meisten dieser Ge-
richtsredner, in Ermangelung eigener Kenntnisse, auf pragmatici (Cic. de
or. 1, 253) als monitores angewiesen, Quint. 3, 6, 59. 12, 3, 2 ff. luv. 7, 123.
Feiedländee, SG. I8, 336. — Schwanken zwischen dem Beruf des rhetor
und des causidicus Maet. 2, 64.
5. Der Unterricht des rhetor folgt auf den des grammaticus (Suet.
gvamm. 4). Zum Verfahren in den Rhetorenschulen vgl. Köebee, Rhetor
Seneca 39. Feiedländee, Sittengesch. 48, 15. Begonnen wurde mit den Pro-
gymnasmata, schriftlichen Übungen über verschiedene Gegenstände und
epideiktischen Versuchen (WReichel, Quaest. progymnasmaticae, Lips. 1909.
MHeinemann, Diss. Argent. 14); dann wurde in Übungsreden ((isUrca, decla-
mationes) aufgestiegen zu dem genus deliberativum (av^ißovlEvTLKov) oder
den suasoriae und von da zum iudiciale (Sl-kccvikov) oder den controversiae.
Die letzteren zerfielen in drei Teile: die sententiae (Ansichten über die
Anwendung des Gesetzes auf den Fall), divisio (Zerlegung in einzelne Fra-
gen, quaestiones) und colores (Mittel eine strafbare Handlung zu beschöni-
gen). Quint. 10, 3, 21 obstant fere turba discipulorum et consuetudo classium
certis diebus audiendarum, nonnihil etiam persuasio patrum numerantium
potius declamationes quam aestimantium. Vgl. § 44, 9.
6. Plin. ep. 2, 3, 5 schola et auditorium et ficta causa res innoxia est.
Quint. 2, 10, 4 sint et ipsae materiae quae ßngentur quam simillimae veritati,
et declamatio in quantum maxime potest imitetur eas actiones, in quarum
exercitationem reperta est. Peteon. 1 declamatores . . clamant: haec vulnera
pro libertate publica excepi etc. . . rerum tumore et sententiarum vanissimo
strepitu hoc tantum proficiunt, ut cum in forum venerint putent se in alium
orbem terrarum delatos. et ideo ego adulescentulos existumo in scholis stul-
tissimos fieri, quia nihil ex Ms quae in usu habemus aut audiunt aut vident,
§ 45. Die Rhetorik der Kaiserzeit 91
sed piratas cum catenis in litore stantes, sed tyrannos edicta scribentes, . .
sed responsa in pestüentiam data, ut virgines tres aut plures immolentur etc.
Tag. dial. 35 tyrannicidorum praemia aut vitiatarum electiones aut pesti-
lentiae remedia aut incesta matrum aut quidquid in schöla quotidie agitur,
in foro vel raro vel numquam, ingentibus verlris persequuntur. Vgl. Quint.
5, 12, 17 declamationes . . olim iam ab illa vera imagine orandi recesserunt
atque ad solam compositae voluptatem nervis carent. Lukillos Anth. Pal.
11, 141. Auch die abdicati gehörten zu diesen unpraktischen Aufgaben;
vgl. luv. 7, 168. Quint. 2, 10, 5. 8, 3, 23. Quint. 2, 10, 5 nennt magos et
pestüentiam et responsa (Orakelsprüche) et saeviores tragicis novercas als be-
liebte Themen. Über das Donnern gegen Tyrannen auch luv. 7, 151. Be-
liebte Geschichtsstoffe waren zB. Sulla (ebd. 1, 16), Hannibal (7, 161);
Themen aus der Literatur besonders aus Vergil und Ovid (namentlich für
Übungen in gebundener Form). Vgl. A. 9. Skizzen und Bearbeitungen
solcher Schulthemen sind erhalten in den quintilianisehen Deklamationen
(§ 325, 12) und in denen des Calpurnius FJaccus (§ 351, 5), besonders wichtig
aber ist der ältere Seneca, auch des Philostratos vitae sophistarum. Rohde,
Roman 337. Überhaupt muß die griechische Sophistik durchaus zum Ver-
gleiche herangezogen werden. Der Vortrag ging an pathetischen Stellen
fast in Gesang über und war übertrieben lebhaft und gebärdenreich, Quint.
2, 12, 9. 4, 2, 37. 39. 11, 3, 184. Rohde, Roman 312. Sitte des Beifall-
klatschens, s. A. 4.
7. Aus dem dritten Jahrh. Lamprid. Diad. 4, 2 solent pueri pileo in-
signiri naturali (f Glückshaube'), quod obstetrices rapiunt et advocatis credu-
lis vendunt, siquidem causidici hoc iuvari dicuntur. Alex. Sev. 35 oratores et
poetas non sibi panegyricos dicentes, quod . . stultum ducebat, sed aut ora-
tiones recitantes aut facta veterum canentes libenter audivit. . . ad Aihenaeum
audiendorum et Graecorum et Latinorum rlietorum vel poetarum causa fre-
quenter processit. audivit etiam forenses oratores causas recitantes, quas vel
apud ipsum vel apud praefectos urbis egerant. ebd. 44, 4. 68, 1 (s. § 375, 1).
Vgl. Capitol. Maximin. 29 (iun. 3), 4 Messalam ex familia nobili, oratorem
potentissimum eundemque doctissimum. Des jüngeren Maximin Lehrer war
orator Titianus, ebd. 27 (iun. 1), 5. Unter Gordian III Timesitheus (§ 375, 2)
. . . quem causa eloquentiae dignum parentela sua putavit (Capit. Gord. 23, 6)
Numerianus erhielt vom Senat eine Statue mit der Inschrift: Numeriano
Gaesari, oratori temporibus suis potentissimo (ebd. 11, 3). Der jüngere Pos-
tumus war nach Trebell. Poll. XXX tyr. 4, 2 ita in declamationibus diser-
tus, ut eius controversiae Quintiliano dicantur insertae.
8. Aus dem vierten Jahrh. die Lehrer des Ausonius, Ti. Victor Miner-
vius, dessen Sohn Alethius Minervius, dann Latinus Alcimus Alethius,
Lehrer des Kaisers Julian, Aemilius Magnus Arborius, rhetor Tolosae, Auson.
profess. Burdig. 1. 6. 2. 16. Stoffe panegyrici und fictae ludorum (Schulen)
Utes. Auson. aO. 1, 13 ff. Symmach. ep. 3, 5 mitto decantatas iudicialium me-
ditationum fictiones et inania simulacra causarum. Augustin. confess. 5, 8, 14
audiebam quietius (als in Karthago) ibi (in Rom) studere adolescentes et ordi-
natiore disciplinae coercitione sedari, ne in eius scholam quo magistro non
utuntur passim et proterve irruant, nee eos admitti omnino nisi ille permise-
rit. contra apud Carthaginem foeda est et intemperans licenüa scholasticorum-
92 Sachlicher Teil
irrumpunt impudenter et prope furiosa fronte perturbant ordinem, quem quis-
que discipulis ad proficiendum instituerit. multa iniuriosa faciunt . . et pu-
nienda legibus, nisi consuetudo patrona sit. Sievers, Leben d. Libanios, Berl.
1868, 16.
9. Noch im sechsten Jahrhundert hat Ennodius (§ 479) in seinen Schul-
reden dieselben Stoffe, zß. in novercam, quae cum marito privigni odia sua-
dere non posset, utrisque veneria porrexit; in eum qui praemii nomine Vesta-
lis virginis nuptias postulavit; in eum qui in lupanari statuam Minervae loca-
vit; und als ethicae (tj&otioucci): verba Thetidis, cum Acliillem videret extinc-
tum; verba Menelai cum Troiam videret exustam udgl. Solche Stoffe wurden
auch in Versen behandelt, und im Grunde gehören schon Ovids Heroides
hierher (§ 248, 3). Aus späterer Zeit zB. verba Achülis in parthenone cum
tubam Diomedis audisset, AL. 198 PLM. 4, 322; Erwägung des Augustus,
ob er wirklich die Aeneis verbrennen solle (AL 672 T'LM 4, 179); von Dra-
contius c. 4 (verba Herculis, cum videret Hydrae capita pullulare), und 9
(deliberativa Achülis, an corpus Hectoris vendat).
10. Über die Sammlung der Panegyrici s. § 391,1; vgl. auch § 483,2.
Beste Sammlung der späteren rhetorischen Schriften, bis auf Baeda herab:
Rhetores latini minores ed. Halm, Lps. 1863.
46. Briefe, amtliche wie persönliche, treten bei den Römern
frühzeitig in die Literatur ein; diejenigen bedeutender Männer wer-
den auch bald gesammelt. So Briefe des älteren Cato an seinen
Sohn, von Cornelia an ihren Sohn C. Gracchus, später von Caesar,
M. Brutus, und besonders der Briefwechsel des Cicero, auch in
seinem jetzigen Bestände eine reiche Quelle für die Zeitgeschichte.
Selten aber sind die erhaltenen Briefe so rein vertrauliche Ergüsse
augenblicklicher Stimmung wie die Ciceros an Atticus; gewöhnlich
dienen sie einem persönlichen oder politischen Zwecke und sind
von Anfang für die Veröffentlichung geschrieben. Außerdem war
der Brief seit Aristoteles und Epikur als eine bequeme und lockere
Form für didaktische Zwecke viel benutzt worden. Durch das
Hinzukommen der Rhetorik, die sich auch dieser Gattung längst
bemächtigt hatte, entstehen Essays in Briefform, wie die des Se-
neca; oder es wird ein beliebiger Stoff in dieser Einkleidung zwang-
los und populär behandelt. Die des Plinius sind darauf angelegt,
in bunter Abwechslung Fragen und Ereignisse zu besprechen und
Musterstücke rhetorischer Ekphrasis zu liefern. Unter dem Ein-
flüsse der zweiten Sophistik bildet sich der Brief zu einer eigenen
rhetorischen Stilgattung aus, worin der Inhalt oft sehr zurücktritt.
Solcher Art sind die Briefe des Fronto, Symmachus, Sidonius, im
fünften und sechsten Jahrh. die von Salvianus, Ruricius und En-
nodius. Einen Teil ihrer seelsorgerischen Wirksamkeit bilden die
§ 46. Die Briefliteratur 93
Briefe des Cyprianus, Lactantius, Ambrosius, Hieronymus, Augu-
stinus, Paulinus von Nola u. a., meist von salbungsreicher Wort-
fülle, oft förmliche dogmatische Abhandlungen, am inhalt reichsten
die von Hieronymus. Geschäftlicher Art sind auch die Cassiodors,
zum Teil amtliche Erlasse über weltliche Gegenstände, wie die
Papstbriefe über kirchliche. Unter letzteren sind die von Leo und
Gregor dem Großen auch literarisch bedeutsam. Die in solchen Er-
lassen erstrebte stilistische Rundung führte, als der byzantinische
Geschmack der herrschende war, zu endloser Breite.
1. Wirkliche Privatbriefe, an Vertraute und ohne den Gedanken an "Ver-
öffentlichung geschrieben, lassen sich in bezug auf Inhalt wie Form gehen.
Cic. Phil. 2, 7 quam mulia ioca solent esse in epistulis quae, prolata si sint,
inepta videantur! quam multa seria neque tarnen ullo modo divolganda! (vgl.
Plin. ep. 6, 16, 22). Cic. fam. 9, 21, 1 quid simile habet epistula aut iudicio
aut contioni? . . epistulas quotidianis verbis texer e solemus. 15, 21, 4 ego illas
Calvo litteras misi non plus quam has quas nunc legis existimans exituras.
aliter enim scribimus quod eos solos quibus mittimus, aliter quod multos lec-
turos putamus. 2, 4, 1 scheidet er drei Gattungen , unum illud (genus) . .
ut certiores faceremus absentis . . . reliqua sunt epistularum genera duo . .
unum familiäre et iocosum, alter um severum et grave. Gurlitt JJ. 137, 864.
Deissmann, Bibelstudien (Marb. 1895) 187. Doch ist sorgfältige Stilisierung
und daher vorherige Anfertigung eines Konzepts die Regel. Peter aO. 29.
Vgl. A. 9.
2. Briefe mit lehrhafter Tendenz und persönlichem Interesse als Aus-
gangspunkt (wie beim poetischen Briefe, § 25) die von Cato an seinen Sohn
und der des T. Livius gleichfalls an seinen Sohn. Mit politischer Tendenz
die der Cornelia. Dagegen war die Briefform Nebensache bei dem Schrei-
ben des älteren Afrikanus über seine Leistungen an König Philipp (§ 56, 1),
des Scipio Nasica über den von ihm mitgemachten Feldzug gegen Perseus
(Plut. Aemil. Paul. 15), auch wohl bei dem des C. Gracchus an M. Pom-
ponius und des Q. Catulus an A. Furius. Epistula ad instar voluminis
(Schol. Bob. zu Cic. Plane. 85, p. 167, 23 St.) von Cicero an Pompeius. Ähn-
lich Q. Cicero de petitione. Peter aO. 213.
3. Briefe in Geschichtswerken bei Antipater, Quadrigarius , Macer und
besonders Sallust, sind wohl durchweg frei erfunden und ebenso zu beur-
teilen wie die Reden. Schnorr v. Carolsfeld •(§ 206, 4) 1. Fronto p. 126
extant epistulae . . in serie partim scriptae historiarum vel a scripioribus (?)
compositae, ut illa Thucydidi (7, 11) nobilissima Niciae ducis epistula ex
Sicilia missa, item apud C. Sallustium ad Arsacen regem Mithridatis . . et
Cn. Pompei ad senatum (§ 205, 4) . . et Adherbalis apud Cirtam obsessi
(lug. 24) . . breves nee ullam rerum gestarum expeditionem continentes. latae
autem . . extant Catuli litterae. Auch die bei den scriptores hist. aug. mit-
geteilten Briefe sind ein Erzeugnis dieser Autoren; s. Czwalina, de epistu-
larum actorumque quae a Script, h. a. proferuntur fide et auet. P. I., Bonn
1870. Vgl. A. 7. Peter aO. 168. Ähnlicher Art sind Briefe in Romanen,
wie Petron 130; schon in der Komödie (Plaut. Pseud. 1, 1).
94 Sachlicher Teil
4. Häufig ist die Briefform bei Schriften von Juristen, wie Antistius
Labeo, Ateius Capito, Proculus, Neratius, luventius, Iavolenus, Africamis;
wohl ausgehend von schriftlichen Bescheiden (responsa) auf Anfragen über
Gegenstände des Rechts (§ 48, 5). Von solchen wurde die Sitte dann auch
auf andere Gebiete übertragen, wie auf Geschichte und Grammatik, später
auf Medizin. Gellius 13, 18, 2 Erucius Clarus . . ad Sulpicium Apollinarem
scripsit, . . quaerere sese et petere, uti sibi rescriberet, quaenam esset eorum
verborum (des Cato) sententia. Vgl. A. 5.
5. Gelehrte Erörterungen in Briefform in Varros Epistolae und Episto-
licae quaestiones, in Ciceros Briefwechsel zB. mit Brutus und Calvus über
Fragen des rednerischen Stils (§ 210, 2), bei Valgius Rufus, Valerius Mes-
sala, Sinnius Capito, Verrius Flaccus, Pomponius Secundus, M. Valerius
Probus, Sulpicius Apollinaris, Lactantius.
6. Epistulae medicinales, teilweise apokryphe (zB. Hippocratis ad Maece-
natem), finden sich in Hss. (wie der Brüsseler 3701 s. X) zusammengestellt,
sowie in dem Arzneibuche des Marcellus (Empiricus). Epistulae Oribasii
medici ad Eustathium filium suum, ad Eunapium nepotem suum.
7. In den Rhetorschulen der Kaiserzeit war das Abfassen von Briefen
eine beliebte Aufgabe; es gehörte zu den Progymnasmata, speziell zu den
■jtQ06(07t07ioUca, und man knüpfte dabei gern an berühmte Namen an. Auf
diesem Wege entstanden viele untergeschobene Briefe, wie des Horaz epistola
prosa oratione (s. § 240, 2) , der Brief ad Caesarem senem de rep. in sallu-
stischem Stil (s. § 205, 5), später auch die Senecas an den Apostel Paulus
(s. § 289, 9). Heinemann, Diss. Argent. 14, 18. Keine wirklichen Briefe, son-
dern moralische Paränesen, die sich in Wahrheit nicht an den Adressaten
Lucilius, sondern an ein weiteres Publikum richten, sind Senecas Briefe.
8. Apollin. Sidon. epist. 1, 1 (über die Sammlung seiner Briefe) Q. Sym-
machi rotunditatem , C. Plinii disciplinam maturitatemque vestiglis prae-
sumptuosis insecturus. nam de M. Tullio silere nie in stilo epistolari melius
puto, quem nee Iulius Titianus totum sub nominibus illustrium feminarum
digna similitudine expressit.
9. Quint. 9, 4, 19 est . . oratio alia vineta atque contexta, soluta alia,
qualis in sermone et epistulis, nisi cum aliquid supra naturam suam traetant,
ut de philosophia , rep. similibusque. Sen. ep. 75, 1 qualis sermo meus esset,
si una sederemus aut ambularemus, inlaboratus et facilis, tales esse epistulas
meas volo, quae nihil habent accersitum nee fictum. Plin. ep. 7, 9, 8 epistulam
diligentius scribas. nam . . pressus sermo purusque ex epistulis petitur.
Symmach. ep. 7, 9 ingeniorum varietas in familiaribus scriptis neglegentiam
quandam debet imitari. Apoll. Sidon. ep. 7, 18 ita mens patet in libro (Epp.)
veluti vultus in speculo. dietavi enim quaepiam hortando etc. 8, 16 in hoc
stilo, cui non urbanus lepus inest, sed pagana simplicitas. . . nos opuscula
sermone edidimus arido, exili, certe maxima ex parte vulgato. Vgl. ebd. 9, 3.
Vorschriften über den Briefstil von griechischen Rhetoren in Heechers
Epistolographi graeci (Paris 1873) p. 1 — 16, vgl. Demetrii tvtcol £ni6xo'kw.o'i
et Libanii iTH6xoXi\ialoi %aQccat. ed. Weichert, Lpz. 1910; von lateinischen
in Halms Rhet. lat. 447 f. 589. Vgl. Wölpflin, Phil. 34, 139. Radermacher,
Demetr. de elocut. 109.
§ 46. Die Briefliteratur 95
10. Symmach. ep. 2, 35, 2 olim parentes etiam patriae negotia, quae nunc
angusta vel nulla sunt, in familiäres paginas conferebant. id quia versis ad
otium rebus omisimus, captanda sunt nobis plerumque intemptata scribendi
semina, quae fastidium tergeant generalium litterarum. Je kümmerlicher aber
der Inhalt, desto pomphafter war seit dem vierten christl. Jahrh. die Form.
Das schon den alten Römern eigene förmliche Wesen war unter dem Ein-
flüsse der diokletianisch-konstantinischen Beamtenhierarchie ins Schnörkel-
hafte ausgeartet und tritt uns stark ausgeprägt schon in den Briefen des
iSymmachus entgegen. Mit einer Sentenz den Brief zu eröffnen wird Regel.
Die einfache Anrede Tu wird ersetzt und verbrämt durch allerlei zeremo-
niöse Wendungen. Der Kaiser wird von Symmachus mit tua (vestra) aeter-
nitas, perennitas, dementia, ?nansuetudo, serenitas, tranquillitas, maiestas oder
tuum numen angeredet, für andere sind, je nach ihrer Rangstufe, die Titu-
laturen tua sanctitas, religio, reverentia, praestantia, celsitudo, sublimitas,
excellentia, magnificentia, laudabilitas, eximietas in regelmäßigem Gebrauche,
und die ihm nahestehenden Nicomachi filii nennt Symm. wenigstens tua
(vestra) unanimitas. Ebenso ist das Epitheton sanctus überaus wohlfeil (zB.
Symm. ep. 5, 16. 21. 31. 41). Dazu gibt die Bezeichnung der Bekannten,
Freunde und Kollegen, je nach ihrem Altersverhältnisse, als parens, frater
oder filius, meist in Verbindung mit dominus (zB. dominus et filius meus), den
Umgangsformen etwas Süßliches. So tituliert Honorius in den amtlichen
Erlassen den Symm.: Symmache parens carissime (atque amantissime) . In
den Briefen christlicher Schriftsteller kommt dazu noch frater in Christo
dilectissime udgl. In ihnen ist gewöhnlich Anfang und Schluß sachlich ge-
halten, die Mitte aber ein überströmender pastoraler Erguß, durchzogen von
zahlreichen Bibelstellen.
11. Acht ungedruckte Briefe von Afrikanern s. VI (bes. Ferrandus) bei
Reifferscheid, Anecd. Casin., Bresl. 1871 (s. § 494, 5).
12. Altere Sammlungen der Papstbriefe von Carafa (1591), Holste-
nius (1662), in denen der Konzilienbeschlüsse, Kanones, Bullarien (neuestes
das Turiner, mit Appendix 1867) u. a. Beste von dem Benediktiner PCou-
stant: Epietolae romanorum pontificum et quae ad eos scriptae sunt a S.
demente usque ad Innocentium III quotquot reperiri potuerunt: T. 1 ab a.
Chr. 67 ad a. 440, Paris 1721. Fortgesetzt (aber nicht veröffentlicht) von
von SMopinot und UDuband. Aus deren Papieren rec. et ed. (die Briefe
a. S. Hilario ad Pelagium II) AThiel; Bd. 1, Braunsb. 1868. Löwenfeld,
Epist. pontif. Rom. ineditae, Lpz. 1885. Vgl. auch Maassen, Gesch. d. Quellen
d. kanon. Rechts (Graz 1870) 1, 226.
47. Die Novelle, d. h. die kurze, oft pikante Erzählung ist als
Unterhaltungsstoff uralt, als literarische Gattung aber jung; in die
römische Literatur wurde sie durch Sisennas Übersetzung der Mile-
siaca des Aristeides eingeführt. Dagegen entwickelt sich der aus-
führliche Roman erst unter dem Einflüsse anderer Literaturgat-
tungen, nimmt aber vielen novellistischen Stoff in sich auf. Er er-
scheint entweder als idealisierender Liebesroman oder als realisti-
sche Sittenschilderung: jener ist durch die Erzählung von Apollo-
96 Sachlicher Teil
nius, diese durch Petronius und Apuleius vertreten. Doch zeigen
gerade diese Werke ; wie weit die Kreuzung der Gattungen vorge-
schritten war und wie viele Einflüsse bei der Entstehung eines
solchen Gebildes zusammenwirken. Der Roman als Ableger des
Epos und der Geschichtschreibung ; deren Einwirkung von Anfang
an zu spüren war; ist durch die trojanischen Erzählungen des Diktys
und Dares und die Alexandergeschichte des Julius Valerius ver-
treten.
1. Apul. met. 4, 32 propter Milesiae conditorem. Tert. de anima 23.
Ygl. § 370, 4. Hieron. c. Sufin. 1, 17 (2, 473 Vall.): quasi non cirratorum
turba Milesiaram in scholis figmenta decantet et testamentum suis (oben
§ 28, 3) JBessorum cachinno membra concutiat atqui inter scurrarum epulas
nugae istiusmodi frequententur. Comment. in Isai. XII in. (4, 493 Vall.)
multo pars maior est Milesius fabellas revolventium quam Piatonis libros. . .
testamentum Grunnii Corocottae porcelli decantant in scholis puerorum agmina
cachinnantium. Martian. Cap. 2, 100 mythos poeticae diversitatis, delicias
Müesias historiasque mortalium . . se amissuram . . formidabat Schis sel v.
Fleschenberg-, die griech. Novelle, Halle 1913.
2. Die Entwicklung des griechischen Romans, von dem der römische
nur ein Ableger ist, ist von Rohde, der griech. Roman3, Lpz. 1914, nicht
ganz richtig gezeichnet worden. Indem er den Roman des Petronius bei-
seite schob und von den späteren griechischen Liebesromanen ausging, deren
ältesten — den der Chariton — er überdies zu spät ansetzte, kam er zu
der Ansicht, daß die sophistisch stilisierte Liebeserzählung in Verbindung
mit der Reisefabulistik den Roman hervorgebracht habe. Dem gegenüber
wies ESchwartz, Fünf Vortr. üb. den griech. Roman, Berl. 1896, auf die
romanhaften Elemente in Epos und G-eschichtschreibung hin und hob zB.
die Bedeutung der Erzählung des Euemeros für die Geschichte des Romans
hervor. Auch wurde in dem [von Wilcken Herrn. 28, 161 veröffentlichten
Ninosroman ein Werk bekannt, das sicher aus der Zeit vor Chr. stammt
und engere Beziehungen zur Geschichtschreibung aufweist als die anderen
Romane. Ob die antike Stiltheorie diese junge Gattung berücksichtigt hat,
ist zweifelhaft; zweifellos aber, daß die Schilderung des genus narrationis,
quod a causa civili remotum est, in quo tarnen exerceri convenit, und zwar
der Abart, quod in personis (nicht in negotiis) positum est, ungefähr auf den
Roman zutrifft: debet habere sermonis festivitatem, animorum dissimilitudinem,
gravitatem levitatem, spem metum, suspicionem desiderium dissimulationem,
misericordiam, rerum varietates, fortunae commutationem , insperaeum incom-
modum, subitam laetitiam, iucundum exitum rerum (auct. ad. Her. 1, 13).
Reitzenstein, Hellenist. Wundererzählungen , Lpz. 1908, 84. Vgl. § 36, 7.
Über Petron vgl. § 305, 3; den Versuch von Rosenblüth, Beitr. z. Quellenk.
von Petrons Sat. , Kiel 1909, einen starken Einfluß des Mimos in diesem
Roman nachzuweisen, kann ich nicht für gelungen halten. Vgl. Abbott, Cl.
Ph. 6, 257.
3. Wunderbuch des Senators L. Manlius. Reisebeschreibungen von
Trebius Niger, Sebosus u. a., später von Licinius Mucianus.
§ 47. Novelle und Roman. § 48. Die Rechtswissenschaft 97
4. Das volkstümliche Märchen, das auch den Römern nicht fehlte, wagt
sich in die Literatur nicht hinein. Es finden sich nur spärliche Anklänge
daran. Des Apuleius (met. 4, 28) Erzählung von Cupido und Psyche ist die
Umgestaltung eines griechischen Volksmärchens (s. Friedländer, Sittengesch.
Roms l8, 527), wie schon der Anfang lehrt: JErant in quadam civitate rex
et regina. Anspielungen auf häufige Wendungen in Märchen bei Persius
2, 37. 38 und im Sprichwort, zB. Petron. 77 qui fuit rana, nunc est rex
und 38 cum Incuboni püleum rapuisset, thesaurum invenit. Crusius, Verh.
40. Phil.-Vers., Lpz. 1890, 21. Vgl. MHaupt, opusc. 3, 570.
48. Die Rechtswissenschaft ist das einzige Gebiet der Lite-
ratur, das sich bei den Römern von Anfang an auf einer rein natio-
nalen Grundlage entwickelt hat. Der unbeugsame Sinn; der sich
auf sein Recht steift und nicht davon läßt, war den Römern immer
eigen und für das Festwerden eines Rechtes günstig; ebenso wie
die Eigenschaften der Verstandesschärfe, des praktischen Geschickes
und des Ordnungstriebes. Sie waren eine Folge der Notwendigkeit,
in den unausgesetzten Kämpfen nach außen und nach innen mit
Berücksichtigung der schwierigen Volksernährung einen festge-
fügten Zusammenhang der Volksgenossen als Lebensbedingung an-
zusehen. Daraus entstand die der römischen Rechtsverfassung
eigentümliche Vereinigung von Stetigkeit und Entwicklungsfähig-
keit. Sehr früh gab es feste Prozeßformeln, ursprünglich von hei-
ligem Charakter und im Besitze der patrizischen Pontifices, wes-
halb auch ihre Auslegung, Anwendung und Weiterbildung in der
Hand der Patrizier lag. Die Geistlichkeit hatte vielleicht schon seit
der Gründung Roms auf unblutige Schlichtung der Streitigkeiten
durch Schiedsrichter hingewirkt. Sie allein besaß die erforderliche
Bildung, um die Grundlagen eines Schiedsspruchs in zweifellosen
Worten für die Beteiligten festzustellen. Diese Feststellung blieb
zunächst ihr Vorrecht, als die Staatsgewalt die Richterbestellung
an sich riß. Nachdem aber (nach einem vielleicht sagenhaften
Berichte um J. 304) die Klageformen und das Verzeichnis der Ge-
richtstage veröffentlicht worden waren, wurde das Recht allgemein
zugänglich, und die Rechtsbelehrung fand schon frühe Vertreter
an den Plebejern P. Sempronius Sophus und Tib. Coruncanius. Seit
den zwölf Tafeln, deren Aufstellung mit Unrecht angezweifelt wor-
den ist, bestand die Rechtswissenschaft nicht mehr bloß in der
Aufstellung von Prozeßformularen und in der Prägung allgemeiner
der Praxis entnommenen Gewohnheitssätze, sondern in der Ergän-
zung des Gesetzesinhalts durch die dazu gehörigen Regeln der
Praxis (interpretatio) und Streitformulare. So in den „tripertita"
Teuffei: röm. Literaturgesch. Neub. 6. Aufl. I. 7
98 Sachlicher Teil
des Sex. Aelius Catus (um J. 204). Je mannigfacher sich das
Leben gestaltete, desto wichtiger wurde die Rechtskenntnis-, und
die auctoritas prudentium, wie sie sich in Rechtsbescheiden (responsa)
und in der Abfassung von Geschäftsformularen aussprach, wurde
allmählich zu einer förmlichen Rechtsquelle. Seit Anfang des sie-
benten Jahrhunderts d. St. finden wir responsa aufgezeichnet und
in Sammlungen veröffentlicht; so von dem Sohne des Cato Censo-
rius, von M. Iunius Brutus und P. Mucius Scaevola (Cos. 133),
während M'. Manilius eine Formularsammlung herausgab. In der
Mitte des siebenten Jahrhunderts d. St. wurde, wohl unter dem
Einflüsse griechischer Philosophen, das römische Recht schon
systematisch dargestellt durch Q. Mucius Scaevola (pont. max.,
Cos. 95), der namentlich auf Festigung und einheitliche Verwen-
dung der juristischen Berufssprache hinwirkte. Dessen Schüler war
C. Aquilius Gallus, und durch des letzteren Schüler, Servius Sulpi-
cius Rufus, der namentlich auch als Rechtslehrer wirkte, wurde die
Systematisierung des Rechts, zu der auch Cicero anregte, wesent-
lich gefördert. Durch sie wurden Gesetzesauslegung und Formel-
bildung um die verschiedenen Rechtsbegriffe gruppiert und zu einer
einheitlichen Darstellung verschmolzen. Daß ursprünglich die Rechts-
kenntnis überwiegend auf mündlichem Wege fortgepflanzt worden
war und in manchen Familien (wie den Aelii, Mucii, Porcii, Sul-
picii, später den Antistii) sich gleichsam vererbte, hatte die Juristen
allmählich zu einem eigenen Berufsstande vereint.
1. Quellen; Pomponius de origine iuris, dig. 1, 2. Weiterhin überhaupt
die Digesten. — Corpus iuris anteiustinianei, Bonn 1835 — 41. GBruns, fontes
iuris rom. antiqui, 7Tübing. 1909 (cur. Graden witz). EHuschke, Iurispru-
dentia anteiustiniana, 6ed. Seckel etKuEBLER, Lps. 1903. 1911. Collectio libro-
rum iuris anteiustiniani, ed. Krüger, Mommsen, Studemund, Berl. 1877 f. III.
2. Rudorff, röm. Rechtsgeschichte, Lpz. 1857. 59 II. Karlowa, römi-
sche Rechtsgeschichte 1, Lpz. 1885. vJhering, Geist des röm. Rechts auf den
verschiedenen Stufen seiner Entwicklung, Lpz.3 1873 — 77 III. Mommsen,
RG. I6, 430. 468. 2, 457. Zimmern, Gesch. d. röm. Privatrechts bis Justinian;
bes. 1, 1, Heidelb. 1826. Rein, das Criminalr. der Röm. bis Justinian, Eisen.
1844. Dirksen, hinterlass. Sehr. z. Krit. u. Ausleg. d. Quellen d. röm. Rechts-
gesch. , Lpz. 1871 II. Sanio, z. Gesch. d. röm. Rechtswissensch. , Königsb.
1858 (s. auch § 166, 6d). Esmarch, Rom. Rechtsgeschichte, Göttingen 1855f„
1, 78 ff. 2, 265 ff. Jörs, Röm. Rechtswissenschaft zur Zeit der Republik 1
(bis auf die Catonen) 1888. Fitting, Alter und Folge der Schriften der
röm. Juristen von Hadrian bis Alexander,2 Halle 1908. Krüger, Gesch.
d. Quellen u. Lit. d. Röm. Rechts,2 Leipzig 1912. Kipp, Gesch. d. Quellen d.
röm. Rechts,3 Leipzig 1909. Bruns-Lenel, Geschichte u. Quellen d. röm. Rechts
in vHoltzendorff-Kohlers Enzyklopädie der Rechtswissenschaft7 (1894) 343 ff.
§ 48. Die Rechtswissenschaft der Republik 99
RLeonhard, Institutionen d. Rom. R., Lpz. 1894. Jörs, Das röm. Recht, in
Birkmeyers Enzyklopädie der R. W. 1. Aufl., FrLeonhard ebenda in der 2.,
woselbst weitere Literatur S. 79; vgl. ferner Kuhlenbeck, die Entwicklungs-
geschichte des Römischen Rechts Bd. 1. München 1910. 197 ff. 299 ff. vMatr,
röm. Rechtsgeschichte (Sammlung Göschen) Lpz. 1912.
3. Den Griechen fehlte zur Entwicklung einer einheitlichen Rechts-
wissenschaft der politische Mittelpunkt. Cic. de or. 1, 198. 253. Desto
günstiger lagen die Verhältnisse bei den Römern; vgl. Jhering, Geist des
röm. Rechts] 1, 300. Bei ihnen wurde die Rechtskenntnis sogar populär:
vgl. die Sponsionsformeln für Viehhandel bei Cato (RR. 144 — 150) und
Varro (§ 133, 1). Vgl. § 49, 1. Je nationaler daher ein Dichter ist, um
so mehr tritt bei ihm das römische Recht gegenüber den benützten grie-
chischen Vorbildern hervor. So auch bei Plautus. Aber selbst Terenz (Eun.
prol. 10) glaubt ein Stück des Luscius damit abgetan, daß er ihm einen
groben Verstoß gegen den Zivilprozeß nachweist. Vgl. noch die Togaten-
titel Emancipatus, Iurisperita (auch Ida = Icta?) von Titinius und Afranius.
Daß Geschäftsmänner (wie M'. Curius, Cic. fam. 7, 29) Rechtskunde be-
saßen, ist ohnehin selbstverständlich. Über einzelne Frauen der späteren
Zeit vgl. luv. 6, 244. Zum Einfluß des griechischen Rechts vgl. Mitteis,
Röm. Privatr. 1, 16 ff.
4. Cic. de or. 1, 212 iuris consultus verc nominaretur . . . qui legum et
consuetudinis eius, qua privati in civitate uterentur, et ad respondendum et
ad cavendum peritus esset, off. 2, 65 in iure cavere, consilio iuvare atque hoc
scientiae genere prodesse quam plurimis vehementer et ad opes augendas per-
tinet et ad gratiam. itaque . . optime constituti iuris civilis summo semper
in hbnore fuit cognitio atque interpretatio. Liv. 39, 40 ad summos honores
alios scientia iuris ... provexit. Cic. (Brut. 151; vgl. or. 141. off. 2, 66)
schreibt dieser Kunst im Verhältnis zur 'Beredsamkeit den zweiten Rang
zu. Je nach Bedürfnis setzt er sie auch wohl herunter; vgl. de or. 1, 236.
Mur. 25. Zusammenhang mit dem Pontifikat (Cic. leg. 2, 47). Der bekannte
Censor M. Porcius Cato (§§ 118 — 122) war auch als Jurist bedeutend. Seine
Persönlichkeit wird auch in dieser Hinsicht näher geschildert von Jörs,
Röm. Rechtsw. 267. Sein Sohn (§ 125, 6) wird sogar als „Schöpfer einer
neuen Literaturgattung", der wissenschaftlichen Regularjurisprudenz ange-
sehen. Jörs a. O. 310; vgl. überhaupt daselbst 283 ff., vgl. auch Esmarch,
röm. Rechtsgeschichte 1, 85. Krüger, Gesch. d. Quellen 260.
5. Dem consulere der Klienten (consultores) steht das {de iure) respon-
dere (Cic. Brut. 113) der consulti gegenüber, das entweder zu Hause erfolgte
(Cic. de or. 2, 226. 3, 133) oder indem man transverso foro ambulabat (ebd.
3, 133; vgl. ebd. 1, 246). Cic. Mur. 19 Servius . . urbanam militiam respon-
dendi scribendi cavendi, plenam sollicitudinis ac stomachi, secutus est; . .
praesto multis fuit, multorum stultitiam perpessus est, adrogantiam pertulit,
diffhcultatem exsorbuit. Indem man bei diesen Befragungen Jüngere als Zu-
hörer zuließ, bildete man zugleich Schüler: so schon Coruncanius. So war
Cicero auditor des Augurs Q. Scaevola. Dabei gab es viel (Formeln) aus-
wendig zu lernen, Cic. de or. 1, 246. Über Servius Sulpicius Rufus vgl.
Scheider, Quaest. de Sulp.Rufo, Lips. 1834. Karlowa, Rechtsg. 1, 483. Krüger,
100 Sachlicher Teil
Gesch. der Quellen 2 66. 71. Kipp s 102ff. Jörs, röm. Rechtsw. 237, 2. v. Mayr,
röm. Rechtsg. 2, 1, 86; vgl. auch Huschke, jurispr. antejust. 6 32.
6. An Trebatius schreibt Cicero (ep. 7, 19): num ius civile vestrum ex
libris cognosci potest? qui quamquam plurimi sunt, doctorem tarnen usumque
desiderant. Dagegen de or. 1, 192 neque ita multis litteris aut voluminibus
magnis continentur. eadem enirri[sunt elata primum a pluribus, deinde paucis
verbis commutatis etiam ab eisdem scriptoribus scripta sunt saepius. Noch
stärker (aber im Scherze) Mur. 28 perpaucis et minime obscuris litteris con-
tinentur. itaque si mihi homini vehementer occupato stomachum moveritis,
triduo me iuris consultum profitebor.
7. Der Schematismus des stoischen Systems konnte bei Juristen nicht
ohne Einfluß bleiben. So war der Augur Q. Scaevola mit Panaitios befreun-
det (Cic. de or. 1, 45), und der Pontifex Q. Scaevola verrät stoischen Einfluß
in seiner Dreiteilung der Götterlehre (Augustin. civ. d. 4, 27) und in dem
Buchtitel "Oqov. Späterhin zeigte sich namentlich in der Auffassung des
Naturrechts (als cpv6sv dUcciov) Einwirkung des Aristoteles und der Stoiker.
M Voigt, das ius naturale I, Lpz. 1856. Hildenbrand, Rechts- und Staats-
Philos. 1, 593. Lafebriere, l'influence du stoi'cisme sur la doctrine des Juris-
consultes rom., Mem. de Tacad. des sciences morales 10 (1860), 579. Mit dem
Epikureismus hält die Jurisprudenz für unvereinbar Cic. ep. 7, 12. Über den
späteren Einfluß der Philosophie auf das röm. R. vgl. PSokolowski, die Phi-
losophie im Privatrecht, Halle 1902. 1907, der namentlich den Gegensatz der
Stoiker und der Peripatetiker in seinem Einflüsse auf die Rechtswissenschaft
betont.
49. Da das Hauptfeld der römischen Jurisprudenz, das Zivil-
recht, von der Beschaffenheit des Staatsoberhauptes ziemlich unab-
hängig war, so brachte der Prinzipat keine Störung in die Entwick-
lung der Rechtswissenschaft; vielmehr erforderte die monarchische
Tätigkeit um so dringender technische Ratgeber und Organe. Die
Zeit des Augustus besaß ausgezeichnete Juristen an A. CasceUius,
C. Trebatius Testa, auch an Q. Tubero und Alfenus Varus (vgl. unten
§ 207. 208). Unter ihm entstanden zwei Rechtsschulen und damit
die Spaltung der Juristen in Sabinianer und Proculianer: an der
Spitze der ersteren stand der schmiegsame C. Ateius Capito, das
Haupt der Proculianer war der republikanisch gesinnte M. Antistius
Labeo. Schon August verlieh das ius respondendi, welches das Recht
in sich schloß, unter der Autorität des Kaisers Gutachten zu ertei-
len, die für die Richter bindend waren. Dadurch erlangten die In-
haber dieses Rechts auch für ihre Schriften ein solches Ansehn, daß
man diese Werke schließlich wie Gesetzbücher ansah. Unter den
folgenden Kaisern des julischen Hauses blühten die Rechtsgelehrten
Masurius Sabinus, M. Coc^ftk^^ferJY^^^i®1, un(^ Sohn, C. Cassius
Longinus und Semprö^J«$^E2£&^ auch in
;hael*8
LGE '
§ 49. Die Rechtswissenschaft der Kaiserzeit 101
den schlimmsten Zeiten ungestört blieb und da die Juristen, die
den Kaisern unentbehrlich waren, die höchsten Stellen im Staate
einnahmen, so erhielt der Stand fortwährenden Zufluß an begabten
und charaktervollen Männern, die ihre Wissenschaft zu einer für
Laien unerreichbaren Feinheit ausbildeten und dem Rechte Ge-
dankenreichtum und Folgerichtigkeit verliehen. War schon unter
den Flaviern (Caelius Sabinus, Pegasus, Iuventius Celsus der Vater),
dann unter Nerva und Trajan (Celsus Sohn, Neratius Priscus, Pris-
cus Iavolenus, Titius Aristo) die Zahl bedeutender Rechtsgelehrten
und Rechtslehrer ansehnlich, so folgen sich vollends seit Hadrian,
etwa 120 bis 230 n. Chr., die großen Juristen in ununterbrochener
Reihe: Salvius Iulianus, L. Volusius Maecianus, Sex. Pomponius,
L. Ulpius Marcellus, Q. Cervidius Scaevola, ganz besonders aber die
Koryphäen und Klassiker der Jurisprudenz: Gaius, Aemilius Papi-
nianus, Iulius Paullus, Domitius Ulpianus, sowie Herennius Mode-
stinus. Solche geistige Größen erhoben die Rechtswissenschaft zu
einer solchen Höhe, daß, damit verglichen, die gesamte juristische
Tätigkeit der republikanischen Zeit als bloße Vorarbeit erscheint,
verliehen ihren Schriften die Klarheit, ja Schönheit wissenschaft-
licher Kunstwerke, und schufen das römische Recht aus einem na-
tionalen Bürgerrechte zu einem kosmopolitischen Menschenrechte
um, in dem die altrömischen Besonderheiten nahezu abgestreift, die
Rechtsbegriffe auf den klarsten Ausdruck gebracht sind, und das,
allenthalben vom Geiste der Humanität durchweht, zu einem Horte
der Bedrängten geworden ist. Manches, was ursprünglich rechts-
widrig uud hart war, wußten sie zu mildern oder umzuwandeln durch
ihre Auslegung, die freilich zugleich den Worten Gewalt anzutun
lehrte und die althergebrachte Sicherheit des Rechtes gefährdete.
In der Mitte des dritten Jahrhunderts n. Chr. erlischt die juri-
stische Produktion jählings, wozu neben dem despotischen Regi-
mente der Soldatenkaiser und der unübersichtlich gewordenen Über-
fülle der mit Autorität für die Praxis ausgestatteten wissenschaft-
lichen Schriften auch der Umstand beitrug, daß durch Iulianus
(unter Hadrian) das prätorische Edikt in eine endgültige Fassung
gebracht war, die durch schriftstellerische Anregungen nicht mehr
geändert werden konnte. Erst im vierten Jahrhundert beginnt wieder
die literarische Tätigkeit, aber jetzt beschränkt auf Sammeln von
Rechtsquellen, besonders kaiserlichen Verordnungen, womit schon
am Ende des zweiten Jahrhunderts Papirius Iustus begonnen hatte.
Unter Diocletian aber entsteht nun der codex Gregorianus, unter
102 Sachlicher Teil
Constantin folgen die Fragment a Vaticana und der codex Herrn o-
genianus. Unter Theodosius II und Valentinian III wurde dann die
Ordnung des römischen Rechts, wie es sich auf dem Boden des
Christentums in der Form kaiserlicher Erlasse entwickelt hatte,
unternommen, in dem codex Theodosianus, dem im J. 438 Gesetzes-
kraft verliehen wurde: er erhielt von 448 bis 468 in Novellae des
Theodosius und seiner Nachfolger Nachträge. Den Abschluß machte
die durch Justinian angeordnete und hauptsächlich von Tribonianus
ausgeführte Sammlung der Rechtsquellen, zuerst (J. 529) der Codex
Iustinianus, dann (533) die Institutionen und die Digesta, eine Aus-
wahl aus den Schriften der besten Juristen in 50 Büchern, darauf
(534) eine vermehrte Auflage des Codex (repetitae praelectionis).
Die Novellae constitutiones Iustiniani endlich wurden nach dem
Tode Justinians von Privaten zusammengestellt.
1. Populäre Vorstellungen von der Aufgabe der Juristen: qui iuris nodos
et legum aenigmata solvit, luv. 8, 58. Iurisconsulti , quorum summus circa
verborum proprietatem labor est, Quint. 5, 14, 34. Die Entwicklung des Kri-
minalrechts blieb weit zurück hinter der des Privatrechts. Auch noch
in der Kaiserzeit war ein gewisses Rechtsverständnis im Volke lange ver-
breitet. S. § 48, 3. Apuleius läßt met. 9, 27 einen Müller sagen : non herci-
scundae familiae, sed communi dividundo formula dimicabo und verwendet
auch im Psychemärchen (oben § 47, 3) nicht wenig Juristisches in Sprache
und Sachen (zB. met. 6, 8. 22. 23) der parodischen Wirkung wegen, vgl.
FNokden, Apulejus von Madaura und das röm. Privatrecht, Lpz. 1912. Ander-
seits finden wir auch populäre Sticheleien auf die Tiftelei (nimia et misera
diligentia, dig. 2,- 31, 88, 17) der Juristen, wie auf den Grabschriften: huic
monumento dolus malus abesto et iurisconsultus (oder ius civile), CIL. 6,
12133. 10525. So wird CIL. 10, 4919 (Dess. 7750). 6, 8861 f. ein librarius
gerühmt qui testamenta scripsit annos XXV sine iuris consulto. Ein panto-
mimus aus der Zeit des Tiberius qui primum invenit causidicos imitari (CIL.
6, 4886 (Dess. 5225). Auch das Testament eines Schweins (§ 28, 3) gehört
hierher, obgleich es wohl auch aus juristischen Kreisen stammt, wie auch
die etwa gleichzeitige scherzhafte lex convivalis am Querolus (auch gedruckt
in Büchelers Petr. p. s239); s. Bücheler, Bonner ind. schol. 1877, 10 (unten
§ 436, 9). Vgl. auch § 140, 1 über die lex Tappula.
2. Juristen verfaßten die kaiserlichen Verordnungen (constitutiones).
Capitol. Ant. Philos. 11, 10 habuit secum praefectos, quorum et auctoritate et
periculo semper iura dictavit. usus autem est Scaevola praecipue iuris perito.
Lamprid. Alex. Sev. 16, 1 neque ullam constitutionem sacravit sine XX iuris-
peritis et doctissimis ac sapientibus viris isdemque disertissimis non minus L.
Dieser Apparat war aber nicht gewöhnlich. Ihre amtliche Stellung brachte
die Juristen zuweilen in den Geruch, daß sie vorzugsweise das Interesse der
kaiserlichen Kasse im Auge hätten (luv. 4, 53 ff.); doch waren manche der
ausgezeichnetsten unter ihnen, ein Labeo, Cassius (Tac. A. 14, 43), Papinian
(Spartian. Carac. 8), von Servilismus weit entfernt.
§ 49. Die Rechtswissenschaft des Kaiserzeit 103
3. Quintilian (12, 3) verficht ausdrücklich die Notwendigkeit der Rechts-
kenntnis für die Redner und tröstet (ebd. 6 vgl. 9) diese: das Recht sei non
tarn arduum quam procul intuentibus fortasse videatur, wendet sich jedoch
(ebd. 11) auch gegen die Juristen, welche die Beredsamkeit verschmähen
und se ad album ac rubricas transtulerunt et formularii vel . . leguleii esse
maluerunt. In der Regel verstanden die Redner vom Rechte, das sich zu
ihren Phrasen so spröde verhielt, gar nichts (vgl. § 45, 4); ja sie glaubten
in ihrem Dünkel sogar sich darüber lustig machen zu können (Tac. dial. 32.
Apoll. Sidon. ep. 8, 16). Gegensatz von causidici und iurisconsulti schon bei
Seneca apocol. 12. In einem gewissen Zusammenhang aber wurden Rechts-
kenntnis und Beredsamkeit doch fortwährend gedacht; vgl. Lamprid. Alex.
Sev. 16, 2 si de iure aut de negotiis tractabat, solos doctos et disertos adhibe-
bat. Norden a. 0. (A. 1).
4. Die allgemeine Unkenntnis der Kaiserzeit über die Zustände der Re-
publik (vgl. § 39, 1) betraf auch deren Juristen. Die iuris auctores der Re-
publik wurden bald als veteres bezeichnet und vergessen. Celsus ist der
letzte, der noch einzelne Schriften der veteres vor Q. Mucius Scaevola be-
nutzt zu haben scheint. Auch die Schriften der veteres nach Q. Scaevola
sind wahrscheinlich schon von Pomponius und dessen Zeitgenossen nicht
mehr im Original benutzt worden, und Pomponius begeht daher in seiner
Übersicht über die ältere Zeit verschiedene Fehler.
5. Pompon. dig. 1, 2, 2, 47 hi duo (Labeo und Capito) primum veluti di-
versas sectas fecerunt; nam Ateius Capito in his quae ei tradita fuerant per-
severabat, Labeo ingenii qualitate et fiducia doctrinae, qui et ceteris operis sa-
pientiae operam dederat, plurima innovare instituit. Wenn hiernach Labeo
als Rationalist, Capito als Positivist sich bezeichnen läßt, so hebt Rudorff
(Rom. Rechtsgesch. 1, 182) daneben hervor, daß die Sabinianer der neuen
Staatsordnung zugeneigt waren, die Proculianer den älteren Grundlagen des
Rechts, und daß dieser Gegensatz seine Bedeutung verlor, nachdem Hadrian
durch Iulianus das geltende Recht hatte kodifizieren lassen. Vgl. Bremer,
die Rechtslehrer (1868) 68. Kuntze, Inst, und Gesch. des röm. Rechts 267.
MVoigt, das Aelius- und Sabinussystem, Lpz. 1875 (Abh. sächs. Ges. XVII)
Näheres über den Gegensatz der beiden Schulen s. unten § 265, 5.
6. In der juristischen Literatur des zweiten und dritten christl. Jahr-
hunderts finden wir neben Monographien zwei Hauptarten: Lehrbücher (ein-
schließlich der Kommentare) und Gutachten (responsa). Letztere geben
durchaus nur die Meinung des Begutachtenden, die Lehrschriften aber nicht
nur die ihres Verfassers, sondern auch der älteren Rechtsgelehrten, sowie
die betr. kaiserlichen Erlasse, und erstreben darin eine gewisse Vollständig-
keit. Äußerlich lehnen sie sich meist an bestimmte Texte an, seien es Ge-
setze oder ältere Lehrbücher. Daher die Häufigkeit der Titel Ad edictum,
Ad legem Iuliam , sowie Ad Q. Mucium, Ad Vitellium, Ad Plautium oder
die Anführung Apud Labeonem; zB. Cassius apud Urseium scribit besagt1
Cassius in seiner Bearbeitung des Werkes von Urseius ; Marcellus apud Iu-
lianum notat = macht zu Julian (dig.) die Anmerkung. So schrieb Paulus
Notae ad Papinianum, Ulpian ad Marcellum. Ex Plautio, ex Cassio be-
zeichnet Exzerpte aus diesen. Näheres vgl. unten § 376. 377.
7. Die Mitte zwischen Lehrbüchern und Gutachten halten die Quae-
104 Sachlicher Teil
stiones, hervorgegangen aus Fragen, teils über wissenschaftliche Bedenken
teils über praktische Rechtsfälle, die an den Fragenden gelangt waren.
Diese Literatur erstreckte sich auf das gesamte Zivilrecht. Zu ihr gehörten
schon Labeos Posteriora. Mommsen, Sehr. 2, 18.
8. Ein häufiger Buchtitel ist auch Digesta, zB. von Alfenus Varus,
Iuventius Celsus, Salvius Iulianus, Ulpius Marcellus, Cervidius Scaevola. Er
bedeutet die systematische Zusammenstellung der sämtlichen rechtswissen-
schaftlichen Arbeiten eines B/echtsgelehrten oder eines Kreises von solchen,
sei es daß sie von ihm selbst oder von einem späteren herrührt. Die ur-
sprüngliche Ordnung wird dabei aufgelöst zu Gunsten der neuen systema-
tischen. Mommsen, Sehr. 2, 7. 90. Dazu vgl. HPernice, Miscell. z. Rechtsgesch.
u. Textkrit. 1 (Prag 1870), 1. Jörs, Digesta, PW. 5, 484 (wo S. 543 Literatur
genannt ist). — Umfang der juristischen Literatur: das Quellen Verzeichnis
zu Justinians Digesten umfaßt 1539 Bücher mit 3 Millionen Zeilen (vgl.
constit. Jtdcoxsv 1), vgl. Jörs a. 0.
9. Der Rechtsunterricht blieb noch längere Zeit unentgeltlich oder doch
ohne rechtlichen Anspruch auf Bezahlung; s. Ulp. dig. 50, 13, 1, 5. Ein her-
vorragendes Lehrbuch des Rechts waren die Institutiones (= Einführung in
das Rechtsstudium) des Gajus, s. § 361. Es wurde die Grundlage der Insti-
tutionen Justinians, vgl. § 488, 8. Nach ihm verfaßten Inst, auch Callistratue,
Ulpianus; kürzere Paulus, ausführlichere Florentinus und Marcianus. PBremer,
die Rechtslehrer und Rechtsschulen im röm. Kaiserreich, Berl. 1868. Dern-
burg, d. Instit. des Gaius (1869) 3. — Einen M. Picarius Turranianus erwähnt
als magister iuris eine afrikanische Inschr. CIL. 8, 12418 (Dess. 7748) vgl. 6,
1602. Iuris Studiosi öfters auf Inschr. CIL. 3, 2936. 8, 18348. 10, 569. 12, 3339.
Sogar ein studens ohne weitere Bezeichnung CIL. 8, 12152. Iuris consulti zB.
CIL. 8, 7059 ff. 10490.
10. Vom vierten Jahrh. an betätigt sich die Rechtskenntnis im Leben
einzig in dem Berufe des Anwalts und fällt mit der Beredsamkeit zusammen,
Bei dem Astrologen und ehemaligen Anwalt Firmicus werden unter den
zahlreichen Berufsarten, die er erwähnt, Rechtsgelehrte niemals genannt,
wohl aber zB. 8, 26, 13: advocati optimi et amici regum. Auch im kaiser-
lichen Kabinett sind nach ihm nicht sowohl Juristen verwendet als Stilisten;
s. zB. 8, 27, 3 interpretes regum vel magistri, scribae sacrarum (kaiserliche)
litterarum traetantes officia. 30, 4 litterarum officia traetantes; erunt scribae
regii, noti regibus. Doch ist zu beachten, daß Firmicus infolge des An-
schlusses an seine griechischen Quellen hellenistische Zustände schildert
(§ 406, 3). Vgl. Mamertin. grat. act. 20, 1 iuris civilis scientia, quae Manlios
Scaevolas Servios in amplissimum gradum dignitatis evexerat, libertinorum
artificium dicebatur (von den Vornehmen des byzantinischen Hofes). Dagegen
von Julian: qui in oratoria facultate, qui in scientia iuris civilis excellit,
ultro ad familiaritatem vocatur (ebd. 25, 3). Ammian. 30, 4, 11 (J. 374) seeun-
dum est genus eorum qui iuris professi scientiam, . . ut dltius videantur iura
callere, Trebatium loquuntur et Cascellium etc. ebd. 16 (von den Rechtsan-
wälten) e quibus ita sunt rüdes nonnulli, ut numquam se Codices habuisse
meminerint. et si in circulo doctorum auctoris veteris ineiderit nomen, piscis
aut edulii peregrinum esse vocabulum arbitrantur.
11. FHommel, Palingenesia librorum iuris veterum, sive Pandectarum
§ 50. Die Philosophie 105
loca integra . . . exposita et ab exemplari Taurellii Florentino accuratissime
descripta, Lps. 1767 f. III überholt durch OLenel, Palingenesia iuris civilis,
Leipz. 1889. HFitting, d. Alter d. Schriften röm. Juristen von Hadr. bis Alex.
Sev. 2, Halle 1908. — Über die Sprache der Juristen: EDikksen, manuale
latinitatis fönt. iur. civ. rom., Berl. 1837 und desselben kl. Sehr. (§ 48, 2).
WKalb, das Juristenlatein, Versuch einer Charakteristik auf Grund d. Di-
gesten, Nürnb. 1886. Vgl. überhaupt über den Inhalt dieses §, insoweit er
die Kaiserzeit betrifft, § 265. 281. 298. 316. 342. 350. 360. 361. 369. 371. 372.
376—378. 393. 404. 461. 462. 488.
50. Für die Philosophie hatten die Römer wenig natürliche
Anlage: das Spekulieren erschien ihrem rein praktischen Sinne als
Müßiggang. Alle Philosophie kam ihnen nur durch die Griechen
zu, und zwar in einer Zeit, als in Hellas selbst an die Stelle der
großen Meister Epigonen getreten waren, die sich auf Wiederholung
und schulmäßiges Weiterspinnen eines verhältnismäßig kleinen Krei-
ses von Gedanken beschränkten. Der erste Vermittler der griechi-
schen Philosophie, Q. Ennius, griff sogar (um von dem Epicharmus
abzusehen) nach einem bedenklichen Erzeugnis religiöser Aufklä-
rung, der Schrift des Euhemeros, und noch bei Pacuvius und L. Ac-
cius klingt dieser Ton nach. Die Unvereinbarkeit solcher Lehren
mit der bestehenden Sitte und Religion veranlaßte J. 173 die Aus-
weisung der Epikureer Alkaios und Philiskos, J. 161 das SC. de
philosophis et rhetoribus (uti Romae ne essent), J. 155 die mög-
lichst baldige Entfernung der aus Athen gekommenen Gesandt-
schaft, bestehend aus dem Akademiker Karneades, dem Stoiker Dio-
genes und dem Peripatetiker Kritolaos, von denen besonders der
erstere durch seine beredte und scharfsinnige Dialektik auf die
Jugend tiefen Eindruck machte. Bald darauf fand der weitsichtige
und weltkluge Stoiker Panaitios bei Scipio Aufnahme, und durch
ihn wie seinen Schüler Poseidonios wurde der gemilderte Stoizismus
unter den Römern verbreitet. Seine Anhänger waren der jüngere
Laelius, Q. Aelius Tubero, C. Fannius, Sp. Mummius, C. Blossius,
P. Rutilius Rufus, Valerius Soranus, L. Aelius Stilo, ferner die Ju-
risten Q. Mucius Scaevola (der Augur wie der Pontifex), L. Lucilius
Baibus, Sex. Pompeius und Ser. Sulpicius Rufus, sowie zuletzt der
jüngere Cato und als Schriftsteller Stertinius. Andere Römer wur-
den durch den Griechen, dem sie in die Hände gerieten, für andere
Systeme gewonnen; namentlich die neue Akademie fand durch ihren
bequemen und praktisch verwendbaren Skeptizismus mannigfachen
Anhang, wie C. Aurelius Cotta (Cos. 75), L. Lucullus, L. Tubero. Zu
den Peripatetikern neigten sich M. Piso (Cos. 61) und M. Licinius
106 Sachlicher Teil
Crassus (Cos. 70). Den Epikureismus empfahl seine Faßlichkeit und
Selbstgenügsamkeit sowie die ehrliche Begeisterung seiner Vertreter
namentlich solchen Naturen, die sich aus dem politischen Getriebe
gern in behagliche Muße zurückzogen, wie in der Zeit des Cicero
dem Atticus, Papirius Paetus und M. Marius, außerdem Pansa. Eben
darum fand dieses System auch am frühesten literarische Vertre-
tung in lateinischer Sprache, nämlich durch Rabirius, Catius und
Amafinius, besonders aber durch Lucretius. Außerdem waren Be-
kenner des Epikureismus C. Velleius, L. Saufeius, L. Manlius Tor-
quatus (Prätor 48), Statilius, P. Volumrnus, einigermaßen auch
C. Cassius. Ein mit allerlei abergläubischen Bestandteilen durch-
setzter Pythagoreismus fand einen Apostel an Nigidius Figulus und
Gläubige wie P. Vatinius.
Zahlreicher waren solche, die nach dem Beispiele der angesehen-
sten griechischen Philosophen dieser Zeit, wie des Antiochos aus
Askalon, mehrere Systeme zu verbinden wußten; wie denn der Poly-
histor Varro in der Dialektik, Theologie und Naturphilosophie zur
Stoa hielt, in der Ethik aber zur Akademie, und M. Brutus umge-
kehrt in der Ethik Stoiker, sonst aber Akademiker war. Besonders
aber ist der Eklektizismus vertreten durch die zahlreichen philoso-
phischen Schriften des Cicero. Vorschub leistete, dieser Richtung
die einseitige Betonung der Ethik und das Streben nach dem Glück
des Einzelnen, das die hellenistische Philosophie beherrscht. Es
kommt am reinsten in der Popularphilosophie zum Ausdruck, die
es auf eine energische Propaganda anlegt und, um möglichst weite
Kreise für ihre Heilslehre zu gewinnen, unter Übergehung aller
knifflichen theoretischen Spekulation die leicht faßlichen, für das
praktische Leben wichtigen Lehren in den Vordergrund stellt. Die-
sem Zwecke diente auch die drastische, kein irgendwie wirksames
Mittel verschmähende Form der populär-philosophischen Schriften.
Man pflegt diese Literaturgattung nicht ganz zutreffend kynische
Diatribe zu nennen, doch ist in ihr fast überall ein Einschlag ky-
nischer Gedanken vorhanden. Am reinsten vertritt diese Gattung
Varro in seinen Saturae Menippeae, doch wirkt sie auch in Horaz'
Satiren, Senecas Briefen u. a.
1. Übersicht bei Cicero, Tusc. 4, 1 — 7; vgl. de or. 2, 154 f. Acad. pr. 2, 5.
Quint. 10, 1, 123 f. — Hepke, de philos. qui Romae docuerunt usque ad An-
toninos, Berl. 1842. EZeller, Religion u. Philosophie b. d. Rom ., Vorträge u
Abh. 2 (Lpz. 1877), 93; bes. 106. Mommsen, RG. 26, 410. 36, 570. Auch AStahr,
Aristot. bei d. Rom., Lpz. 1834. Friedländer, Sittengesch. 48, 283. VArnold,
Roman Stoicism, Cambr. 1911.
§ 50. Die Philosophie der Republik 107
2. Die Neigung der Römer zum Reflektieren bezeugen des Appius Caecus
Lehrgedicht (§ 90, 5), des Cato praecepta ad filium (§ 121, 2), der Sentenzen-
reichtum der Mimen (§ 8, 6. 212, 4) nur mangelhaft, da mit griechischem Ur-
sprünge gerechnet werden muß. Dasselbe gilt von philosophisch klingenden
Reflexionen im Drama, die damals in der Luft lagen (BSchlesingek, Philos.
Einflüsse bei d. röm. Dramendichtern, Bonn 1910). Auch die fatalistische
Färbung der Lebensweisheit, wie bei Scipio Africanus Cic. off. 1, 90 und in
der von Liv. 45, 8, 6 dem L. Paullus in den Mund gelegten Äußerung ent-
spricht hellenistischer Anschauung, die auch im Roman und in der Ge-
schichtschreibung zum Ausdruck kommt (Rohde, Roman 276). Des Ennius
Wort: philosophari est mihi necesse, at paücis, nam omnino haud placet (Sc.
376) ist zwar aus dem Original übersetzt, aber auch für römische An-
schauung bezeichnend. Die im J. 181 ausgegrabenen angeblichen Bücher des
Numa, mit scripta philosophiae Pythagoricae, wurden verbrannt, quia philo-
sophine scripta essent, Plin. NH. 13, 86. Der ältere Cato war olcog cpikoöotpia
7iQo6KEXQovyt<bs (Plut. Cat. mai. 23). Cicero rechtfertigt seine philosophische
Schriftstellerei fast in jeder seiner einschlägigen Schriften, s. bes. off. 2, 2 ff.
Noch Tacitus läßt seinen Agricola (Agr. 4) sagen: se prima in iuventa Stu-
dium philosophiae acrius, ultra quam concessum Romano ac senatori, hau-
sisse, und Gellius (5, 16, 6) meint; degustandum ex philosophia, non in tarn
ingurgitandum.
3. Was die Römer von der Philosophie verlangten, war Bildung des
Charakters, Belehrung über die sittlichen Aufgaben des Menschen, über die
Güter, durch deren Besitz seine Glückseligkeit bedingt ist, und über die
Mittel sie zu erlangen (Zeller, Vortr. 2, 160). So gab Varro als causa philo-
sophandi an, daß der Mensch dadurch bonus et beatus werde, und Cornelius
Nepos (bei Lactant. Inst. 3, 15, 10) macht gegen das Betreiben der Philo-
sophie geltend: video magnam partem eorum, qui in schola de pudore et con-
tinentia praecipiant argutissime , eosdem in omnium libidinum cupiditatibus
vivere (allgemein üblicher Vorwurf, s. zB. Geffcken, Kynika 139. Auch Pa-
cuvius 348 R. sagte : ödi ego homines ignava opera et philosopha sententia.
Vgl. § 51, 2.). Diese römische Auffassung der Philosophie deckt sich im
ganzen mit der in der späteren hellenistischen Zeit nach der Abschleifung
der eigentlichen Schulgegensätze üblichen. — Diatribe bedeutet eigentlich den
Lehrvortrag, während man beim heutigen Gebrauche des Wortes jede essay-
artige Behandlung eines philosophischen Themas so nennt (Halbauer, de
diatribis Epicteti, Lpz. 1911). Über die populäre philosophische Literatur
vgl. außer § 165, 3. 236, 2. 288, 1 bes. Wendland, Beitr. zur griech. Philos.,
Berl. 1895; die hellenist. röm. Kultur 39.
4. Abwägung der verschiedenen philosophischen Systeme hinsichtlich
ihrer Verwendbarkeit für die Beredsamkeit bei Quintil. 12, 2, 24. Am wenig-
sten förderlich erschien dafür der Stoizismus, weil er nur auf logische Schärfe
achtete und den Stil vernachlässigte; Cic. de or. 3, 66 u. ö. Quint. 10, 1, 84;
vgl. 12, 2, 25. Cic. parad. praef. 1 : animadverti saepe Catonem . . . , cum in
senatu sententiam diceret, locos graves ex philosophia tractare abhorrentes ab
hoc usu forensi et publico, sed dicendo consequi tarnen ut illa etiam populo
probabilia viderentur. Kroll, RhM. 58, 560. Reitzenstein, Straßb. Festschr.
1901, 143. Für geeigneter hielt Cicero die neue Akademie des Philon und
108 Sachlicher Teil
Antiochos, die selbst rhetorische Übungen veranstaltete; s. Cic. Tusc. 2, 9
nostra memoria Philo, quem nos frequenter audivimus, instituit alio tempore
rhelorum praecepta tradere alio philosophorum. de or. 3, 110. v. Arnim, Dio
v. Prusa 97.
5. Cic. Vatin. 14 tu qui te Pythagoreum soles dicere et hominis doctissimi
nomen tuis immanibus et barbaris moribus praetendere. Zu den Philosophen
kann man aber darum Vatinius nicht zählen, so wenig als etwa Caerellia
wegen Cic. Att. 13, 21, 5 mirifice Caerellia, studio videlicet philosophiae fla-
grans, describit (libros meos) de tuis; istos ipsos de finibus habet; vgl. ebd.
22, 3. So hat auch die Dame bei Hör. epod. 8, 15 libelli Stoici inter sericos
pulvillos.
51. Augustus begünstigte das Studium der Philosophie plan-
mäßig und verfaßte sogar selbst Hortationes ad philosophiam. Außer
ihm kennen wir jedoch nur T. Livius, Crispinus und den älteren
Sextius als philosophische Schriftsteller aus seiner Zeit. Philoso-
phische Bildung aber besaßen und bekundeten fast alle bedeuten-
den Schriftsteller dieser Periode, wie Vergil, Horaz, L. Varius. Viele
verbanden damit infolge der von Poseidonios ausgehenden Anre-
gung Interesse für Naturwissenschaften. Der Zeitströmung hatte
in den letzten Jahrzehnten der Republik am meisten der Epikureis-
mus entsprochen, der eine (in dieser Zeit unerquickliche) Beteili-
gung am öffentlichen Leben mißbilligte und in ernsteren Naturen
die Stimmung wehmütiger Resignation hervorrief; jetzt, unter dem
Eindrucke der wiederhergestellten Ordnung, gewann ihm der Stoi-
zismus Boden ab. Auch noch im ersten Jahrh. n. Chr. blieben der
Epikureismus und der Stoizismus die einzigen in Rom vertretenen
Systeme. Aber immer geringer wurde die Zahl derer, die (wie Au-
fidius Bassus) in sich die Freiheit und Selbstgewißheit des Sinnes
fanden, wie sie der Epikureismus zur Grundlage hat; die meisten
wandten sich dem Stoizismus zu, die einen indem sie, wie Seneca,
den popularisierenden Tendenzen der Kyniker nachgaben und ihn
durch Weglassung der kosmologischen Grübeleien und Härten des
Systems abschwächten, während andere, wie der jüngere Sextius,
ihm nach Poseidonios' Vorbilde durch Beimischung theistischer
und pythagoreischer Bestandteile eine theologische Färbung gaben.
Die charaktervollsten Männer, wie Paetus Thrasea, Helvidius Pris-
cus, und auch der junge Persius Flaccus, kehrten zum alten Stoizis-
mus und Kynismus zurück und verschärften noch die Schroffheiten
der Lehre und Praxis; bei ihnen wie bei dem Kyniker Demetrios
brach die alte kynische Abneigung gegen den Tyrannen durch und
äußerte sich in einer etwas posierenden Polemik gegen die Mo-
§ 51. Die Philosophie der Kaiserzeit 109
narchie; sie hatte zur Folge, daß Vespasian und Domitian die Philo-
sophen aus Rom und Italien verwiesen. Andere huldigten wenig-
stens der Mode, sich einen Philosophen zu halten und mit ihm zu
disputieren. So sah sich Rom von Philosophen überschwemmt,
unter denen manche durch persönliche Verächtlichkeit die Philo-
sophie selbst in üblen Ruf brachten. Auch noch im zweiten Jahrh.
überwog die stoische Richtung und war in Rom zahlreich vertreten,
durch Griechen wie Römer, unter letzteren besonders durch Iunius
Rusticus; mit M. Aurel gelangte der Stoizismus sogar auf den Thron.
Schon Papirius Fabianus und Seneca hatten die Mittel der mo-
dernen Rhetorik zur Behandlung philosophischer Themen ver-
wendet; jetzt erbauten Wanderredner, wie Apuleius, ihr Publikum
durch philosophische Plaudereien, die mit dem äußersten Raffine-
ment stilisiert waren und in denen die Rhetorik endgültig über die
Philosophie gesiegt zu haben schien. Daß dieser Sieg kein völliger
wurde, hinderte die jetzt mächtig vordringende mystisch-theologische
Richtung, der Taurus, Favorinus, und auch Apuleius angehörten.
Der Neuplatonismus des dritten Jahrh. hat in der römischen Lite-
ratur keinen namhaften Vertreter. Der Sieg des Christentums im
vierten Jahrh. trieb diejenigen, welche ihm nicht zufielen, zur
Wiederauffrischung der Schätze der alten griechischen Philosophie,
die durch Reproduktionen, Übersetzungen und Erörterungen zu-
gänglicher gemacht wurden. So durch Augustin in seiner vorchrist-
lichen Zeit, so besonders durch Boethius im sechsten Jahrh. Durch
solche Bemühungen wurden jene Schätze den abendländischen Völ-
kern überliefert, die während des Mittelalters davon zehrten.
1. L. Varius (oder Varus) Epicureus: § 223, 1. 3. Horaz verspottet in
seinen älteren Gedichten die Wunderlichkeiten der Stoa und bekennt sich
zur epikurischen Lehre; in den späteren läßt er dem Ernste und Gehalte
des Stoizismus Gerechtigkeit widerfahren. Heinze, Vergils epische Technik
471. Vgl. § 230, 2, 1. 235, 5. Liv. 43, 13, 1 nihil deos portendere vulgo nunc
eredunt Unter Caligula TLoyutridiog (Pomponius Dio), 6vynlr\rixbg \l&v , zag
ccQ%hg 8h dislrilvfi-cog c%£dbv itdßccg, 'Ent,y.ovQEiog dh allcog %ul dl ccvxb
ccTiQdyiLovog i7tix7]8Bvtr\g ßiov, Ioseph. antiq. 19, 1, 5. Die Sextii, Vater und
Sohn, schrieben in griechischer Sprache, wie auch Cornutus. Die meist in
starker Verwässerung auftretenden philosophischen Lehren der Grabepi-
gramme sind aus deren griechischen Vorlagen entlehnt; vgl. Lier, Phil.
NF. 16, 573. 17, 56.
2. Nach der einseitigen Ansicht des Tacitus studierten die meisten
Philosophie, ut nomine magnifico segne otium velarent (hist. 4, 5); auch
Frauen kokettierten damit, s. Friedländer, SG. I8, 503. Euphrosyne pia, docta
novem Musis, philosopha, v(ixit) a(nnis) XX, Dess. 7783. Von Nero erzählt
HO Sachlicher Teil
Tac. A. 14, 16 etiam sapientiae doctoribus tempus impertiebat post epulas ut-
que contraria adseverantium discordia frueretur. nee deerant, qui ore voltu-
que tristi inter oblectamenta regia speetari cuperent. Diese tristitia gehörte
zum Kostüm der Philosophen, sogut wie der lange ungepflegte Bart, der
Stock und der schäbige Mantel, den sie von den Kynikern entnahmen. Vgl.
Martial. 4, 53. luv. 13, 121. Nur daß zu dieser Weltabkehr die moralische
Haltung vieler Exemplare übel stimmte. Quint. 1, prooem. 15 voltum et
tristitiam et dissentientem a ceteris habitum pessimis moribus (wovon Proben
bei luv. 2, 4. 65) praetendebant ; vgl. noch, auch über ihren Hochmut, 12,
3, 12. 5, 11, 39. Dagegen die Redner gewöhnlichen Schlages sapientiae Stu-
dium et praeeepta prudentium penitus reformidant (Tac dial. 32). Weiter
vgl. Quint. 11, 1, 35 at vir civilis vereque sapiens, qui se non otiosis dispu-
tationibus, sed administrationibus reip. dediderit, a qua longissime isti qui
philosophi vocantur recesserunt. Ähnlich 12, 2, 6; vgl. ebd. 9 hanc artem
superbo nomine et vitiis quorundam bona eius corrumpentium invisam. Popu-
läre Sticheleien: facilius inter philosophos quam inter horologia conveniet
(Sen. apocol. 3, 3), und numquam pliilosophum audivit bei Petron. 71. Ähn-
liche Polemik gegen die griechischen Philosophen übrigens schon bei Plau-
tus, Cure. 288 (Dietze, de Philemone 9), und dieselben Klagen noch bei
Lukian und Gellius, zB. 7 (6), 10, 5 nunc videre est philosophos ultro currere,
ut doceant, ad fores iuvenum divitum eosque ibi sedere atque opperiri prope
ad meridiem, donec diseipuli nocturnum omne vinum edormiant. 13, 8, 5
nihil fieri posse indignius neque intölerantius dicebat (Macedo familiaris meus),
quam quod homines ignavi ac desides, operti barba et pallio, mores et emo-
lumenta philosophiae in linguae verborumque artes converterent et vitia faeun-
dissime aecusarent intercutibus ipsi vitiis madentes. Ähnlich aus derselben
Zeit Apulei. flor. 1, 7. Vgl. § 50, 3. — CMartha, les moralistes sous l'em-
pire romain . . philosophes et poetes, Paris 1865. LFriedländer, SG. 48, 283.
HSchiller, Nero 588. Helm, Lukian und Menipp, Lpz. 1906, 40.
3. Ulpian. dig. 50, 13, 1, 4 an et philosophi professorum numero sint (die
ein Klagerecht auf Unterrichtsgeld haben)? non putem, non quia non reli-
giosa res est, sed quia hoc primum proftteri eos oportet, mercenariam operam
spernere.
4. Capitol. M. Antonin. philos. 2, 7. 3, 2 (s. § 358, 2. 3). C. Tutilius
Hostilianus, philosophus Stoicus, domo Cortona, Dess. 7779. JEucratidas Bho-
dius, philosophus Epicurius, beerdigt in Brundisium, ebd. 7780. Gaius Stal-
lius . . ex Epicureio gaudivigente choro CEL 961. Iulius Iulianus . . . philo-
sophus primus CEL 1342. Ti. Claudius Paullinus philosophus, CIL. 3, 302.
Vgl. § 407, 6.
52. Mathematik und Astronomie betrachteten die Römer als
müßige Spekulation. Einzelne Liebhaber ausgenommen, wie Sex.
Pompeius und Sulpicius Gallus (Cos. 166), beschränkten sie sich
auf das niedere Rechnen und Messen. Daher sind die Römer in den
mathematischen Wissenschaften ganz abhängig von den griechi-
schen Meistern, insbesondere von Heron. Gewiß machten darin die
Schriften des Varro keine Ausnahme. Das einzige einigermaßen
§ 52. Mathematik, Astronomie und Astrologie 111
erhaltene Werk eines Römers über Geometrie ist das des Baibus
unter Trajan. Mit Astronomie beschäftigte sich Sulpicius Gallus
aus Liebhaberei, Yarro aus Polyhistorie, Nigidius Figulus aus Mysti-
zismus; vollends in der Kaiserzeit herrscht die Astrologie, deren
sich seit ihrer wissenschaftlichen Verteidigung durch Poseidonios
niemand zu schämen brauchte. Unter Tiberius machte sie Mani-
lius zum Gegenstande eines Lehrgedichts. Aus dem dritten Jahrh.
ist von Bedeutung des Censorinus Abhandlung de die natali, aus
dem vierten besitzen wir von Iulius Firmicus Maternus acht Bücher
über Astrologie, aus dem sechsten des Boethius zwei Bücher de
institutione arithmetica (und de geometria).
1. Inhalt und Form des mathematischen Wissens der Römer entspricht
dem Standpunkt der griech. Mathematik etwa im Jahr 100 v. Chr. S. MCan-
tor, röm. Agrimens. (1875) 139. Die Vernachlässigung der Astronomie
rächte sich in der Zeit der Republik durch beständige Kalenderverwirrnog ;
Cäsar mußte für seine Kalenderreform den Sosigenes heranziehen. Im all-
gemeinen Cic. Tusc. 1, 5 nihil (apud Graecos) mathematicis illustrius;
nos metiendi ratiocinandique utilitate huius artis terminavimus modum. Das
Rechnen nahm auch im Schulunterricht eine Stelle ein; s. Hör. S. 1. 6, 72.
E. 1, 1, 56. 2, 3, 325. Colum. 1, prooem. 5 scholas geometrarum esse . . ipse
vidi. Marquardt-Mau, Privatleben 97. Vgl. im allgemeinen MCantor, mathe-
mat. Beiträge zum Kulturleben (1863), 168; Geschichte der Mathem. I, Lpz.
1881. Hultsch, PW. 2, 1110.
2. Bei Varro zerfiel die Geometrie nach der theoretischen Seite in %a-
vovixrj (quae ad aures pertinet, Grundlage der Musik), und 07cxwr\ (quae ad
oculos pertinet, Optik nebst iTtiTCBdo^xQia und öTEgsotiSTgicc), nach der prak-
tischen Seite in Gromatik und Geographie, s. Ritschl, opusc. 3, 385.
3. Eine merkwürdige Aufgabensammlung geometrischen (auf Heron
zurückweisenden) und arithmetischen Inhalts, ziemlich planlos aus bereits
getrübten Quellen geschöpft, trägt die Überschrift: Epaphroditi et Vitruvi
Büß architectonis ; zuerst herausgeg. von ASchott, Antw. 1616, dann bes.
(aus cod. Arcerian. s. VI/VII, § 58, 3) von MCantor, Agrimens. (1875), 208
vgl. 114; aus Monac. 13084 p. IX/X von Mortet, Not. et Extr. 35, 2, 511.
Thulin, Zur Überlieferungsgesch. d. Corpus Agrimens., Göteb. 1911, 44. S.
auch BHase in Bredows ep. Parisienses (Lpz. 1812), 201. Hultsch, PW.
5, 2714.
4. Über den Einfluß der Astrologie in der römischen Gesellschaft vgl.
Friedländer, SG. I8, 367. Boüche-Leclercq, L'astrologie grecque, Paris 1899,
643. FCumont, Astrology and religion among the Greeks and Romans, New
York 1912. Fast alle Kaiser bekannten sich zu ihr, und viele bedeutende
Schriftsteller sind mit ihr vertraut, vgl. zB. Hör. c. 2, 17, 21 utrumque no-
strum incredibili modo consentit astrum usw. Prop. 4, 1, 71, wo ein Astro-
loge Horos, Nachkomme von Archytae suboles, Babylonius Horops auftritt
(dazu Dieterich, Sehr. 180). Die Gegengründe des Karneades und Panaitios
gegen die Astrologie gibt schon Cicero (div. 2, 87; de fato) wieder, dem
112 Sachlicher Teil
sie Augustin (civ. dei 5, 1. de gen. ad litt. 2, 17) nachspricht, ohne doch
ihr Eindringen in die weitesten Schichten des Volkes verhindern zu können.
Ein mathematicus tritt im Querolus auf (§ 421a), mehrmals auch in Ps.
Quint. Deklamationen, zB. 4 quidam de partu uxoris mathematicum consu-
luit: is respondit virum fortem futurum qui nasceretur, deinde parricidam.
Auf volkstümlichen Inschriften zB. Dessau 5121 planetam suum procurare
vos moneo. CEL. 174 cot (quod) debuit facere filius, scelesta gens (genesis, d. h.
was wir Horoskop nennen) fecit ut hoc faceret pater. 555, 4 invida fatorum
genesis mihi sustulit illam. Firmic. math. 2 praef. 2: Fronto noster (ob der
Stoiker § 829, 3? vgl. § 355, 11), Hipparchi secutus antiscia (uvtiöyucc), ita
apotelesmatum sententias protulit, tamquam cum perfectis tarn et cum peritis
loqueretur, nihil de institutione, nihil de magisterio praescribens. sed nee ali-
quis paene Latinorum de hac arte institutionis libros scripsit, nisi paueos
versus Iulius Caesar (= Germanicus s. § 275, 7), et ipsos tarnen de alieno
opere mutuatos. M. vero Tullius. . . etiam ipse de institutione pauca respon-
dit. . . Antiscia Hipparchi secutus est Fronto , quae nullam vim habent nul-
lamque substantiam. et sunt quidem in Frontone pronuntiationis atque apo-
telesmatum verae sententiae, antisciorum vero inefficax Studium . . antiscia
enim illa vera sunt, sicut et Navigius (Nigidius Fabricius) noster probat.
. . . apotelesmata et Fronto verissime scripsit et Graecorum libris ac monu-
mentis abundantissime continentur, vgl. 8, 5, 3 hi (Aratus, Caesar, Tullius)
nomina ipsarum (stellarum) et ortus, non etiam auetoritatem apotelesmatum
ediderunt, ut mihi videatur haec non aliqua astrologiae scientia, sed poetica
elatos licentia docilis sermonis eos studio protulisse. Den Manilius, den er
ausschreibt, gibt Firmicus also vor nicht zu kennen. Er hat sich zu seinem
Werke entschlossen ne omni diseiplinarum arte translata solum hoc opus
extitisse videatur, ad quod Bomanum non adfeetasset ingenium (5, praef. 4).
5. Andere Schriftsteller über Astrologie bei Ap. Sidon. c. 22 praef.:
Iulianum Vertacum, Fullonium Saturninum, in libris matheseos peritissimos
conditores; vgl. ebd. ep. 8, 11.
53. Auch für die sie umgebende Natur hatten die Römer kein
reines Interesse und nahmen sich nicht die Zeit, sie unbefangen zu
beobachten. Daher sind sie in den Naturwissenschaften immer
zurück und von den Griechen abhängig geblieben. Die von diesen
zu so hoher Ausbildung gebrachte Zoologie und Botanik erhielt
dürftigen Anbau, hauptsächlich im Zusammenhang mit der Land-
wirtschaft. Bei Nigidius Figulus wie bei den übrigen Schriftstellern
über das Augural- und Haruspizin-Wesen (§ 42, 1) fand sich die
wunderlichste Verquickung von Naturbeobachtung und Aberglauben;
übrigens blieben seine Schriften ohne Einfluß. In der augusteischen
Zeit bearbeitete Pompeius Trogus die Tiergeschichte des Aristoteles
und wahrscheinlich auch Theophrasts Pflanzenkunde; gleichzeitig
übersetzten Valgius Rufus und Aemilius Macer alexandrinische
Lehrgedichte botanischen und zoologischen Inhalts: hier wirkte wie
§ 53. Die Naturwissenschaften 113
so oft nicht das wissenschaftliche Interesse, sondern teils die Nei-
gung für das Kuriose, teils die Freude an der Überwindung tech-
nischer Schwierigkeiten. In dem enzyklopädischen Werke des Celsus
waren von den Naturwissenschaften nur Heilkunde und Land-
wirtschaft vertreten, während das große Werk des Plinius einen
weiteren Kreis von Disziplinen unifaßt; aber gerade in ihm macht
sich die Kuriosität und das stilistische Raffinement auf Kosten der
Wissenschaftlichkeit breit. Bei andern erklärt sich die dilettantische
Hinneigung zu den Naturwissenschaften daraus, daß sie an die
Naturerscheinungen unter dem Einflüsse des Poseidonios morali-
sierende Betrachtungen zu knüpfen liebte. Davon zeugen besonders
Senecas Quaestiones naturales und das Gedicht Aetna. Die späte-
ren Jahrhunderte begnügten sich mit einer immer mehr verdünnen-
den Wiedergabe älterer Werke.
1. Plin. NH. 25, 4 minus hoc (Botanik, Pharmakognosie, Toxikologie
udgl.) quam par erat nostri celebravere. . . primusque et diu solus idem ille
M. Cato . . paucis dumtaxat attigit. . . post eum unus illustrium tentavit
C. Valgius. antea condiderat solus apud nos . . Pompeius Lenaeus, Magni
libertus, quo primum tempore harte scientiam ad nostros pervenisse animo ad-
verto. . . Pompeius . . transferre ea (des Mithridates Rezepte für Gifte und
Gegengifte) sermone nostro libertum suum Lenaeum, grammatieae artis, iussit.
Von Cornelius Valerianus zitiert Plinius wiederholt (NH. 10, 5. 14, 11 vgl.
Quellenverz. B. 8) zoologische und botanische Angaben (vgl. auch 3, 108),
die aber den Charakter des Anekdotenhaften haben. Gleicherweise sonst
unbekannt sind die von dem älteren Plinius unter seinen Quellen zur Bo-
tanik zitierten Domitius Calvinus (im Quellenverz. zu B. 11. 18), Tergilla
(QVerz. zu B. 14. 15, zitiert 14, 147), Calpurnius Bassus (QVerz. zu B. 16
—19. 21. 22), Dessius Mundus (QVerz. zu B. 17), Q. Birrius (QVerz. zu B. 19),
Vestinus (QVerz. zu B. 21. 22).
2. Plinius NH. 22, 15 plerisque ultro etiam inrisui sumus ista (Botanik,
Pharmakologie) commentantes atque frivoli operis arguimur etc. Wie stark
auch hierbei die Rücksicht auf den beschränkten Standpunkt der Rhetorik
war, zeigt praef. 13: verum natura hoc est vita narratur, et haec sordidissima
sui parte ac plurimarum rerum aut rusticis vocabulis aut externis, immo bar-
baris etiam, cum honoris praefatione ponendis. Über die spätere Literatur
der Heilmittel s. unten § 55 mit A. 4 f.
3. RAlbani, de hist. naturali ap. veteres, Dresd. 1854. EHFMeyer, Gesch.
d. Botanik (Königsb. 1854ff.) 1, 334. 2, t.
54. Für die Landwirtschaft hatten die Römer lebhaftes In-
teresse und suchten sich neben den eigenen Erfahrungen auch die
fremder Völker nutzbar zu machen. So ließ der Senat das land-
wirtschaftliche Werk des Karthagers Mago ins Lateinische über-
setze^ und das einzige, was wir von dem älteren Cato besitzen, ist
Teuffei: röm. Literaturgesch. Neub. 6. Aufl. I. 8
114 Sachlicher Teil
seine Schrift de re rustica. An Mamilius Sura, Tremellius Scrofa
und den Sasernae (Vater und Sohn) hatte das siebente Jahrh. d.
St. weitere landwirtschaftliche Schriftsteller, und auch von Varro
haben wir noch eine Schrift dieses Inhalts. Vergils Georgica sind
eine poetische Verherrlichung dieser Seite menschlicher Tätigkeit.
In derselben Zeit schrieb Hyginus über Landbau und Bienenzucht
und widmete Sabinus Tiro dem Maecenas sein Werk über den
Gartenbau. Im Anfange der Kaiserzeit beschäftigte die landwirt-
schaftliche Schriftstellerei auch Männer von Ansehen, wie Iulius
Graecinus und neben ihm Cornelius Celsus und Iulius Atticus; er-
halten sind die zwölf Bücher des Columella aus der Zeit des Seneca,
ein treffliches und vielbenutztes Werk. Um die Mitte des zweiten
Jahrh. schrieben die Brüder Quintilii über diesen Gegenstand in
griechischer Sprache. Auch hier wird von da an nur noch exzer-
piert. Im dritten Jahrh. verband Gargilius Martialis in der Weise
des Plinius und Celsus Botanik und Pharmakologie mit der Land-
wirtschaft. Das Werk des Palladius aus dem vierten Jahrh., in vier-
zehn Büchern, behandelt zum Schlüsse die Baumzucht im elegischen
Maße; auch Columella hatte seinem B. X über den Gartenbau epische
Form gegeben. Das den Namen des Apicius tragende Kochbuch
ist etwa um die Mitte des dritten Jahrh. nach griechischen Quellen
gearbeitet.
1. Varro RR. 1, 1, 10 hos (Graecos scriptores de agriculturä) nobilitate
Mago Karthaginiensis praeteriit Punica lingua, quod res dispersas compre-
hendit libris XXVIII, quos Cassius Dionysius Uticensis vertu libris XX ac
graeca lingua Sextilio praetori misit (J. 88 v. Chr., Wellmann PW. 3, 1722)
. . hosce ipsos utiliter ad VI Ubros redegit Diophanes (vgl. Gargil. Mart. id
Mais class. auct. 1, 406) in Bithynia et misit Deiotaro regi. Cic. de or. 1,
249. Plin. NH. 18, 22 Poenus Mago, cui . . tantum honorem senatus noster
habuit Carthagine capta ut, cum regulis Africae bybliothecas donaret, unius
eins XXVIII volumina censeret in Latinam linguam transferenda, cum iam
M. Cato praecepta condidisset, peritisque linguae Punicae dandum negotium,
in quo praecessit omnes vir clarissimae familiae D. Silanus. Die Fundstellen
der Fragmente bei Reitzenstein aO. 57.
2. Isid. orig. 17, 1, 1 apud Romanos de agriculturä primus Cato insti-
tuit (die von Cato RR. 145. 151. 152 als Gewährsmänner erwähnten M'.
Percennius Nolanus und die Manlii waren wohl praktische Landwirte, nicht
Schriftsteller), quam deinde M. Terentius (Varro) expolivit, mox Vergilius
laude carminum extulit. nee minus Studium hdbuerunt postmodum Cornelius
Celsus et Iulius Atticus, Aemilianus (Palladius) sive Columella, insignis ora-
tor, qui totum corpus diseiplinae eiusdem complexus est. Cassiod. divin. lect. 28
in agris colendis . . inter ceteros Columella et Aemilianus auetores probabiles
extiterunt usw. Genauer Colum. 1, 1, 12 — 14 ut agricolationem Romana tan-
§ 54. Die Landwirtschaft 115
dem civitate donemus . . iam nunc M. Catonem Censorium illum memoremus,
qui eam Laune loqui primus instituit; post hunc duos Sasernaa, patrem et
filium, qui eam diligentius erudierunt; ac deinde Scrofam Tremellium, qui
etiam eloquentem reddidit (zu den Sasernae und Tremellius fügt Colum. 1,
praef. 32 noch den Stolo, s. § 293, 4), et M. Terentium , qui expolivit; mox
Vergilium, qui carmine quoque potentem fecit. nee postremo quasi paedagogi
eius meminisse dedignemur , Iulii Hygini, verumtamen ut Carthaginiensem
Magonem rusticationis par entern maxime vener emur. nam huius XXVIII
memorabilia illa volumina ex SCto in Latinum sermonem conversa sunt, non
minorem tarnen laudem meruerunt nostrorum temporum viri, Cornelius Celsus
et Iulius Atticus. . . cuius velut diseipulus duo volumina . . lulius Graecinus
. . posteritati tradenda curavit. — Reitzenstein, de scriptorum R. R. . . inter
Catonem et Columellam libr. deperditis, Berl. 1884.
3. Colum. 12, 4, 2 tum demum nostri generis, postquam a bellis otium
fuit, quasi quoddam tributum victui humano conferre non dedignati sunt, ut
M. Ambivius et Menas Licinius, tum etiam C. Matius, quibus Studium fuit
pistoris et coci nee minus cellarii diligentiam suis praeeeptis instituere. Ist
die Aufzählung, wie glaublich, eine chronologische, so dürfte Ambivius in
die erste Hälfte des siebenten Jahrh. d. St. zu stellen sein. Ein Menas wird
genannt auch bei Varro RR. 2, 3, 11. vgl. 2, 1, 1. 2, 8, 1. Über Matius, den
Zeitgenossen des Cicero, s. Colum. 12, 44, 1 quae C. Matius diligentissime
persecutus est; . . Uli enim propositum fuit urbanas mensas et lauta convivia
instruere. libros tres edidit, quos inscripsit nominibus Coci et Cellarii et Sal-
gamarii.
4. Plin. NH. 19, 177 Sabinus (Sabinius Detlefsen) Tiro in libro Cepu-
ricon {Kr\'rtovQi%(Qv), quem Maecenati dieavit. Vgl. das Quellenverzeichnis zu
B. 18 (Sabino Fabiano). Andere Verfasser von Kr\7tovQiv.cc nach dem Ind.
auet. zu Plin. B. 19 Caesennius, Castricius, Firmus. Ob auch Sergius Plau-
tus (v. 1. Paulus: ebd. zu Plin. B. 18)?
5. Macr. 3, 18, 7 vir doctus Oppius, in libro quem fecit De silvestribus
arboribus; ebenso ebd. 3, 19, 4. Er ist wohl der von Plinius im Quellen-
verz. zu B. 11 (zoologisch) und 11, 252 zitierte Oppius. Ein Grammatiker
(wie es scheint) Oppius bei Fest. 182b, 32. Vgl. § 41, 1 E. GRF. 1, 133.
6. Curtius Iustus wird angeführt von Gargilius Martialis im Neapoli-
taner Fragment c. 2 u. 4; Sextius Niger (§ 2G6, 7) in dem St. Galler Frag-
ment des Garg. Mart., bei VRose, Anecd. 2, 129; s. dessen Ausg. des Garg.
(§ 411, 1) S. 139.
7. Sammlungen der Scriptores rei rusticae latini von PVictorius, Lugd.
1541 V, IMGesner (adi. not. var. et lexicon rusticum), Lps.2 (v. Ernesti)
1773. 74 II, besonders von IGSchneider, Lps. 1794—97 IV.
55. Die wissens chaftliche Heilkunde fand in Rom erst spät
Eingang* lange behalf man sich mit Hausmitteln und Beschwörungs-
formeln für Mensch und Vieh. So dachte noch der ältere Cato und
eiferte gegen die griechischen Ärzte, die immer zahlreicher nach
Rom kamen, allmählich die ärztliche Praxis an sich rissen und auch
die Wissenschaft ausschließlich beherrschten, bis die arabische Me-
116 Sachlicher Teil
dizin der griechischen an die Seite trat. Nur wenige Schriften in
lateinischer Sprache begegnen uns. Unter Tiberius schrieb Celsus
seine Enzyklopädie und mußte so, ohne Arzt zu sein, auch die Me-
dizin behandeln. Diese Bücher de medicina, die wir noch besitzen,
sind daher ganz von den Griechen abhängig. Von einigen römischen
Ärzten, die schriftstellerisch tätig waren, kennen wir durch Plinius
nur die Namen. Plinius selbst bietet nicht nur vieles für die Ge-
schichte der Medizin, sondern er widmet auch zwölf Bücher seiner
Naturbeschreibung der Heilwirkung von Gegenständen der Natur-
reiche; diese wurden im vierten Jahrh. n. Chr. von einem Unge-
nannten epitomiert und in dieser Form im Mittelalter viel benutzt
(Medicina Plinii). Eigene Arzneimittellehren verfaßten die Empi-
riker Scribonius Largus (im ersten Jahrh. n. Chr.) und Serenus
Sammonicus (zu Anfang des dritten Jahrh.), von denen jener in
sachlichem Tone die zusammengesetzten Arzneien behandelte (wie
im vierten Jahrh. Vindicianus), während dieser in gebundener Form
ein Volks- und Haus -Arzneibuch lieferte. Den Methodiker Sora-
nus übersetzte im fünften Jahrh. der Afrikaner Caelius Aurelianus.
Außerdem bietet das vierte und fünfte Jahrh. eine Anzahl geistloser
Empiriker, die in roher Sprache neben den Resten alten Wissens
vielen Aberglauben vortrugen, wie Sex. Placitus, Marcellus (Empi-
ricus), Theodorus Priscianus, der sogenannte Apuleins (Barbarus),
und der vorgebliche Antonius Musa. Gleichfalls aus dem vierten
und fünften Jahrh. haben wir tierärztliche Schriften von Claudius
Hermeros, Pelagonius und P. Vegetius. Vom fünften bis achten
Jahrh. wurden für die germanischen Völker viele medizinische
Schriften ins Lateinische übersetzt, unter denen die von Anthimus
verfaßte eine der merkwürdigsten ist.
1. Plin. NH. 29, 11 milia gentium sine medicis degunt, nee tarnen sine
medicina, sicuti populus Born, ultra sexcentesimum annum, neque ipse in
aeeipiendis artibus lentus, medicinae vero etiam avidus. 12 Cassius Hemina
. . . auetor est primum e medicis venisse Romam Peloponneso Archagathum
(J. 219). 13 Cato, der von griechischer Heilkunde nicht unberührt ist, warnt
vor den griechischen Ärzten: iurarunt inter se barbaros necare omnes medi-
cina (vgl. Plut. Cato mai. 23). 15 profitetur (Cato) esse commentarium sibi,
quo medeatur filio servis familiaribus . . (17) solam hanc artium Graecarum
nondum exercet Romana gravitas in tanto fruetu; paucissimi Quiritium atti-
gere, et ipsi statim ad Graecos transfugae; immo vero auetoritas aliter quam
Graece eam traetantibus , etiam apud imperitos expertesque linguae, non est.
Je zahlreicher aber unter den griechischen Ärzten die Schwindler waren,
desto häufiger vernahm man die üblichen Schmähungen; vgl. illa infelix
monumentis inscriptio, turba se medicorum perisse (Plin. aO. 11), Peteon
§ 55. Medizinische Literatur 117
42, 5 medici illum perdiderunt, immo magis malus fatus; medicus enim nihil
aliud est quam animi consolatio, und bei Yopisc. Firm. 7, 4 die Zusammen-
stellung: sunt Aegyptii .. mathematici , haruspices, medici. Doch beweisen
solche Äußerungen nichts gegen die allgemeine Schätzung des Standes, von
der namentlich die kaiserlichen Leibärzte (Friedländer, SG. I8, 130. Dessau
1841—1846) Vorteil hatten. Inschriften von männlichen und weiblichen
Ärzten, unter denen immer viele Griechen waren, Dessau 7786 — 7817 (vgl.
zu 7786. 7805). Auch im Heere finden wir Ärzte, vgl. ebd. 2601 f. 2898 ff.
Über die archiatri, d. h. besonders die Hof- und Gemeindeärzte, vgl. Brian,
L'archiatrie Romaine* Paris 1877. Wellmann, PW. 2,464. JKeil, Ost. Jh.
8, 136.
2. Auch die Augenärzte, deren Namen wir aus ihren Stempeln noch
kennen, sind, nach ihren cognomina zu schließen, meist griechischen Ur-
sprungs und, wegen der Häufigkeit der Namen Iulius und Claudius, meist
aus dem ersten und der ersten Hälfte des zweiten christl. Jahrh. ; LGrote-
fend, die Stempel d. Augenärzte, Hannov. 1867; Heron de Villefosse et
Thedenat, cachets d'oculistes rom., Par. 1882. Esperandieu, Recueil de
cachets d'oculistes, Par. 1894. CIL. 13 p. 561, Auswahl Dessau 8734—8742.
Zur Erklärung auch WFröhner, Phil. Suppl. 5, 87. Vgl. Wellmann, PW.
2, 2310.
3. Unter seinen römischen Quellen für Medizin führt Plinius NH. auf
im Quellenverz. zu B. 28 Granius medicus, Ofilius medicus (beide zitiert
28, 38. 42) und Babirius medicus (zitiert 28, 74), ferner im QVerz. zu B. 29
Caecilius medicus (seine commentarii zitiert 29, 85). Marcellus (Empir.) praef.
zählt unter veteres medicinae artis auctores Latino sermone perscriptos auf:
uterque Plinius (Plin. d. Alt. und der sog. Plin. Valerianus) et Apuleius et
Celsus et Apollinaris ac Designatianus , aliique nonnulli etiam proximo tem-
pore illustres honoribus viri, cives ac maiores nostri, Siburius, Eutropius
atque Ausonius. Cassiod. inst. div. litt. 31 quodsi vobis non fuerit Graeca-
rum litter arum nota facundia, imprimis habetis Herbarium Dioscoridis , qui
herbas agrorum mirabili proprietate disseruit atque depinxit. post haec legite
Hippocratem atque Galenum Latina lingua conversos, i. e. Therapeutica Ga-
leni ad philosophum Glauconem destinata et Anonymum quendam, qui ex
diversis auctoribus probatur esse collectus. deinde Aureliani Caeli de medi-
cina et Hippocratis de herbis et curis (cibis Rose), diversosque alios de me-
dendi arte compositos, quos vobis in byblioihecae nostrae sinibus reconditos
.. dereliqui. Den Leibarzt des Nero, Marcellus, nennt als medizinischen
Schriftsteller Marcell. Empir. 20, 84. 30, 51. Vgl. Galen 14 p. 459. — Diäte-
tische Schriften von Soranus (in Form von Fragen und Antworten), über-
setzt durch Caelius Aur. , von Theodorus Priscianus, Anthimus u. a. —
*Dicta Marci medici ad * * virum clarissimum inter cetera sie: usw.' aus
Bern. 109 s. X bei HHagen, de cod. Bern. Tironianis, Bern 1880 p. 9.
4. Die zahlreichen Schriftsteller über Heilmittel (bes. über einfache
svTtOQiöTcc), zerfallen in zwei Klassen, je nachdem sie diese nach den Reichen
ordnen, denen sie entnommen sind, oder nach den leidenden Körperteilen,
worauf sie wirken sollen. Die erstere Anlage wird befolgt bes. von Sex.
Placitus (animalia) und Ps. -Apuleius (herbae); die meisten aber bedienten
sich, nach dem Vorgänge des Plinius (NH. 25, 132), der zweiten und be-
118 Sachlicher Teil
gannen die Aufzählung mit dem Kopfe; so Scribonius Largus, Serenus Sam-
monicus, Plinius Val., Marcellus Emp., Theodorus Priscianus.
5. Sammlungen der medici vet. lat. von Aldus (1547) u. HStephanus
(1567). Anonymus de re medica bei Mai, class. auct. 7, 459 (Fragment). —
Sammlung der Schriftsteller über Heilmittellehre von GAckermAnn (Parabi-
lium medicamentorum script. ant., Nürnb. 1788).
6. KSprengel, Gesch. d. Arzneikunde, B. I4 (von JRosenbaum), Lpz.
1846, 1, 199. CHecker, Gesch. der Heilkunde, Bd. 2. HHäser, Gesch. der
Medizin l3 (Jena 1875), 254. Ilberg, Celsus u. d. Medizin in Rom, JJ. 1907
XIX 377. Friedländer, SG. I8, 338. Über d. medicina Pliniana s. § 411.
56. Kriegswissenschaft und Kriegsgeschichte wurde erst in
der Kaiserzeit und nicht immer bloß von Fachleuten literarisch be-
handelt; wir haben aus der Zeit des Domitian die Strategemata des
Sex. Iulius Frontinus, sowie die viel jüngere Schrift des angeblichen
Hyginus über das Lagerschlagen (vgl. § 58) und die im vierten
Jahrh. geschriebene Epitoma rei militaris des Vegetius.
1. Aus der Zeit der Republik ist nur etwa zu erwähnen des älteren
Africanus Begründung seines strategischen Verfahrens in Spanien und vor
Karthago, die er in einem an König Philipp gerichteten Schreiben (in grie-
chischer Sprache) gab; s. Polyb. 10, 9, 3. Vgl. § 46, 2.
2. Veget. 1, 8 compulit evolutis auctoribus ea me in hoc opusculo . . di-
cere, quae Cato ille Censorius de disciplina militari scripsit, quae Cornelius
Celsus, quae Frontinus perstringenda duxerunt, quae Paternus diligentissimus
iuris militaris adsertor in libros redegit, quae Augusti et Traiani Hadriani-
que constitutionibus cauta sunt. ebd. 2, 3 Cato ille maior . . plus se reip.
eredidit pro futurum, si disciplinam militarem conferret in litteras . . idem
fecerunt alii complures, sed praecipue Frontinus, divo Traiano ab eius modi
comprobatus industria. Laur. Lyd. de magistr. 1, 47 ^dQtvgsg KiXöog ts y.cu
IIdt£QVogi y,al KariXivag (ov% 6 6vv(oii6tr\g, ccXX' tTEQog), Kdrav tzqo avtcav
6 rtQmrog, v.a\ <&QOVtlvog, {isd"' ovg v.ccl 'Psvdrog (Vegetius), *P<ö(iccioL Tcdvtsg.
3. Aus Vegetius abgeschrieben ist des angeblichen Modestus Büchlein
de vocabulis rei militaris ad Tacitum Aug. (vgl. A. 4), verfaßt im 15. Jahrh.
von Pomponius Laetus (oder einem Schüler desselben), mit dessen Schrift
de magistratibus (und de legibus) es ursprünglich (anonym) zusammen er-
schien. Peyron, notitia libr. bibl. Taurin. (1820) 85. — Hinter der notitia
dignitatum (§ 453, 6) ist der sogen. Anonymus de rebus bellicus überliefert,
eine an den oder die Kaiser gerichtete Schrift eines 'verrückten Projekten-
machers'. Der Verf. macht zunächst Vorschläge zur Abstellung der Finanz-
not, an der die seit Constantin eingerissene profusa largitio schuld sei, dann
empfiehlt er eine Reihe von militärischen Maßnahmen, unter denen tech-
nische Erfindungen obenan stehen, zB. verschiedene Sichelwagen, eine
Schlauchbrücke (ascogefrus), mehrere ballistae und eine von Schaufelrädern,
die Ochsen treiben, fortbewegte Liburna (letztere völlig beispiellos). Ab-
bildungen dieser Kriegsgeräte sind beigegeben und auch in den humanisti-
schen Abschriften des verlorenen Archetypus erhalten (eine Probe JJ. 1910
§ 56. Kriegsschriftsteller. § 57. Architekten 119
XXV 341). Der rhetorisch gezierte Stil, der die Klausel beobachtet, und die
Sprache weisen in das Ende des Altertums; dazu passen auch die voraus-
gesetzten politischen Verhältnisse. Die Perser sind gefährliche Feinde des
Reiches, c. 21 Persarum gens, cui praeter ceteras nationes et dolus cordi est
et corpori suppetit virtus , quadratis agminibus et maiori bellorum apparatu
superanda. In c. 5 (de iudicum pravitate) heißt es: hi (die Statthalter) de-
specta reverentia dignitatum velut mercatores in provincias se missos existi-
munt, eo graviores, quod ab his procedit iniquitas, unde debuit sperari medi-
cina. Et tamquam sua rebus sufficere non possit iniquitas, exactores in pro-
ßigandis rebus huius modi dirigit unusquisque, qui diversis rapinarum arti-
bus collatorum vires exhauriant. Auch das paßt auf die angegebene Zeit.
Jedoch erklärte RSchneider Ausg. 25; JJ. 1910 XXV 327 die Schrift für
mittelalterlich, weil die darin erwähnten technischen Errungenschaften z. T.
dem Altertum unbekannt gewesen seien. Dagegen spricht schon das Alter
des Archetypus, der Speyerer Handschrift, die zwischen 825 und 1100 ge-
schrieben war. Seeck setzt die Schrift in die J. 366 — 378, Berthelot, Journ.
d. Sav. 1900 in die Zeit des Theodosius und seiner Söhne, Neher, Der
Anon. de reb. beil., Tübing. 1911 in die Regierung Justinians. Gedruckt
ist die Schrift zuerst von Gelenius hinter der Not. digu., Basel 1552; seinen
Text wiederholen alle folgenden Ausgaben, zB. die von Scriverius (hinter
Vegetius, Leiden 1607) und Panciroli (Lugd. 1608), auch die von RSchnei-
der, Berl. 1908. Über die Grundlagen der Recensio s. Neher 8. — Seeck,
PW. 1, 2325; DLZ 1908, 3171. BAMüller, BphW 1911, 229. Diels, Ant.
Techn. 60. 95.
4. Vet. de re militari scriptores in unum redacti corpus, Wesel 1617.
Außerdem finden sich Frontinus und Modestus (A. 3) mit abgedruckt in
älteren Ausg. des Vegetius zB. von Stewechius (Antv. 1585) und PScriverius
(Antv. 1607). — MJähns, d. röm. Militärliteratur, Grenzboten 1878. Nr. 38.
57. Auf dem Gebiete der Architektur waren schon in der
Zeit der Republik Fuficius, Varro und P. Septimius schriftstellerisch
tätig. Erhalten ist nur das aus griechischen Quellen schöpfende
Werk des Yitruvius de architectura aus der Zeit des Augustus.
1. Vitruv. 7, praef. 14 animadverti in ea re ab Graecis volumina plura
edita, ab nostris oppido quam pauca. Fuficius nimirum de his rebus primus
instituit edere volumen, item Terentius Varro de novem disciplinis (s. unten
§ 166, 6, a) unum de architectura, P. Septimius duo. Als Praktiker, von
denen er aber keine Schriften kenne, nennt er ebd. 17 den Cossutius und
C. Mucius. Überhaupt war die Zahl der tüchtigen Praktiker auf diesem
Gebiete erheblich größer als die der Theoretiker. Vgl. CPromis, gli archi-
tetti e 1' architettura presso i Romani (Mem. d. Turin. Akad. Ser. II, t. 27.
1873). AChoisy, rev. arche'ol. 28 (1874), 260. vDomaszewski, PW. 2, 543.
2. Vitruv. 1, 1, 3 fordert stark übertreibend von dem Architekten ut
litteratus sit, peritus graphidos, eruditus geometria, historias complures nove-
rit, phüosophos diligenter audierit, musicam scierit, medicinae non sit igna-
rus, responsa iurisconsultorum noverit, astrologiam caelique rationes cognitas
habeat.
120 Sachlicher Teil
3. Yitruv. 5, 1 non de architectura sie scribitur uti historia aut poemata.
. . vocabula ex artis proprio, necessitate coneepta inconsueto sermone obiciunt
sensibus obscuritatem.
58. Die Feldmeßkunst, die den Römern schon früh beim
Lagerschlagen und bei der Verteilung von Ackerlosen unentbehr-
lich war, wurde, soweit wir wissen, zuerst selbständig von Varro
behandelt. Durch die Anlage von Milit'ärkolonien und die Reichs-
vermessung unter Augustus wurde ihre Bedeutung so gesteigert,
daß in der Kaiserzeit eigene Schulen dafür entstanden, sowie eine
eigene halb mathematische, halb juristische Literatur, die vom ersten
christlichen Jahrhundert bis ins sechste herabreicht. Der älteste
dieser schriftstellernden Feldmesser (gromatici, agrimensores) ist
Frontinus, dessen Werk im fünften Jahrh. von Aggenus Urbicus
erläutert wurde. Unter Trajan schrieben Baibus und Hyginus, bald
darauf auch Siculus Flaccus. Etwa ins fünfte Jahrh. fallen M. Iunius
Nipsus, Innocentius u. a., die sich teilweise einer barbarischen Lati-
nität bedienen. Von den hierher gehörigen Schriften des Boethius
sind gerade die gromatischen Teile unecht. Von anderen gromati-
schen Traktaten ist der Name des Verfassers nicht bekannt.
1. Caesar berief Astronomen und Geometer aus Alexandria nach Rom,
durch welche die Werke Herons oder (da Heron ans Ende des zweiten
Jahrh. v. Chr. zu gehören scheint) seiner Vorgänger in die röm. Literatur
Eingang fanden. Bis auf geringe Ausnahmen können sämtliche Formeln,
Rechnungen und feldmesserische Methoden, die sich bei röm. Schriftstellern
finden, in den heronischen Schriften nachgewiesen werden. MCantor, Agri-
mens. 86. Tittel, PW. 8, 1071. Über Verbindung der Feldmeßkunst mit
der Auguraldisziplin s. HNissen, Templum (Berl. 1869), 11; mit Jurisprudenz,
vgl. Cic. Mur. 22. Auch vgl. Marx. 10, 17, 5 mensorum longis . . vacat ille
libellis. Schulten, Gromatici, PW. 7, 1886.
2. Ps-Boeth. Sehr. d. röm. Feldmesser 1,403 nomina agrimensorum:
Igeni (Hygini), luli Frontini, Siculi Flacci, Ageni Urbici, Mar ei Iuni Nipsi,
Bdlbi mensoris, Cassi Longini, Igini, Euclidis. Gromatische Auszüge sind
uns erhalten auch ex libris Dolabellae, ex libris Latini (auch Latinus Toga-
tus genannt), ex libris Magonis et Vegoiae auetorum (vgl. p. 350 Lachm.
idem Vegoiae Arrunti Veltymno; vgl. § 77 u. Müllers Etr. 22, 31. 312. 560.
Nissen aO. 10); ferner einzelnes aus Faustus, Gaius, Innocentius (§ 447, 2),
Mysrontius (?Dy»pontius), Valerius, Vitalis.
3. Haupthandschrift der Arcerianus s. VI/VII in Wolfenbüttel. Thulin,
die Hss. des Corp. agrim., Abh. Berl. Ak. 1911 Anh.; zur Überlieferungs-
gesch. des Corp. agrim., Göteb. 1911; RhM. 66, 417. — Sammlungen: von
GGoesius (Rei agrariae auetores ]egesque, Amst. 1674), besonders aber: Die
Schriften der röm. Feldmesser herausg. u. erläutert von FBlume, KLachmann,
ThMommsen u. ARudorff, Berl. 1848. 52 II; von Thulin (1, 1 Lpz. 1913).
4. Paul. Festi 96 groma (vielleicht aus yv&iicc auf dem Umwege über
§ 58. Feldmesser. § 59. Metrologen. § 60. Geographen 121
das Etruskische: Schulten, PW, 7, 1881) appellatur genus machinölae cuius-
dam, quo regiones agri cuiusque cognosci pobsunt, quod genus Graeci yvm^iova
dicunt. Also ein Visierinstrument; ein Original am Limes gefunden (Schönc
aO.). Vgl. im allg. Mommsen, Sehr. d. röm. Feldm. 2, 174, Hultsch, Ersch
u. Grubers Enc. 1, 92, 97, Cantor, d. röm. Agrimensoren, Lpz. 1875, EStöber, ,
d. röm. Grundsteuervermessungen, Münch. 1877, GRossi, groma e squadro
ovvero storia dell' agrimeusura italiana, Rom 1877. deTissot, les agri-
mensores dans l'anc. Rome, Par. 1879. HSchöne, Arch. Jahrb. 1901, 127.
Schulten aO.
5. Über die volkstümlichen Bestandteile in der Sprache der Gromatiker
s. Pott, ZfAW. 1854, 219.
59. Erst in der Kaiserzeit begann eine selbständige Literatur
über Maße und Gewichte, teilweise sogar in gebundener Form.
1. Metrologicorum scriptorum reliquiae; coli. rec. partim nunc primum
ed. FHultsch. Bd. 2 (scriptores Romani) Lps. 1866.
60. Auch die Geographie wurde unter den Römern zuerst von
dem Polyhistor Varro gesondert behandelt, dann wohl von Corne-
lius Nepos, sonst aber meist nur als Anhang oder Beigabe zur
Geschichtschreibung. In Stoff und Behandlung blieb sie von den
Griechen abhängig; eigene Anschauung war weder für Cato noch
für Cäsar und Sallust von großer Bedeutung. Einzelne beschrieben
auch ohne wissenschaftliche Vertiefung ihre Reisen und was sie auf
ihnen gesehen hatten, wie Trebius Niger, Statius Sebosus, Turra-
nius Gracilis. Eine ziemlich eingehende Schilderung der Oikumene
mit Bevorzugung Italiens gab Varro in den Antiquitates. Unter
Augustus entwarf Agrippa eine von Erläuterungen begleitete große
Weltkarte, die nach seinem Tode in einer offenen Halle in Rom aus-
geführt und zur Schau gestellt wurde. Bald folgte dann die fleißige
und in ihrer Art kritische Arbeit des Pomponius Mela. Dazu kamen
fortwährend Einzelbeiträge, teils aus eigener Anschauung, teils auf
grund von Quellenstudien ; so schrieb Seneca über Indien und Ägypten,
Corbulo und Mucianus über den Osten, Suetonius Paulinus über
Afrika, L. Vetus und Plinius über Germanien, Tacitus über Ger-
manien und Britannien. Umfassenderes leistete auch nach der sta-
tistischen Seite des älteren Plinius Erdbeschreibung in B. III — VI
seiner Naturgeschichte. Senecas Quaestiones naturales enthalten
eine Art mathematischer und physikalischer Geographie. Die ganze
Erdbeschreibung unternimmt nach Plinius kein zweiter Römer.
Vielleicht aber wurde seine Arbeit um die Zeit Hadrians in einen
Auszug gebracht und mit Angaben aus andern Quellen vermehrt,
wonach dann im dritten Jahrh. n.Chr. Solin us seinen Auszug machte.
122 Sachlicher Teil
Gleichfalls im dritten Jahrh. schrieb der ältere Iulius Titianus seine
Chorographie. Aus dem vierten Jahrh. stammen die geographischen
Lehrgedichte des Avienus (orbis terrae und ora maritima); die Mo-
sella des Ausonius ist als eine poetische Ekphrasis einzuschätzen.
Verwandter Art ist das Itinerarium (de reditu suo), das zu Anfang
des fünften Jahrh. Rutilius Namatianus in elegischem Maße verfaßte:
um dieselbe Zeit (oder noch zu Ende des vierten Jahrh.) stoppelte
Vibius Sequester sein mageres Schulbuch über die bei den gelesen-
sten Dichtern vorkommenden geographischen Namen zusammen.
Ahnlicher Art ist die an eine Weltkarte sich anlehnende Zusammen-
stellung der Kosmographie des Redners Iulius Honorius. Aus der
Mitte des siebenten Jahrh. stammt die unter dem Namen des Aethi-
cus Ister laufende Kosmographie; aus dem Ende desselben der so-
genannte Geographus Ravennas. Verzeichnisse der Straßenzüge,
Stationen und Entfernungen geben die eigentlich nicht zur Litera-
tur gehörigen Itineraria, deren wir aus dem vierten Jahrh. mehrere
haben, namentlich das It. Antonini; das It. Hierosolymitanum (von
Burdigala nach Jerusalem) und das It. Alexandri. Das Original der
Peutingerschen Reisekarte aber gehörte wohl schon der Mitte des
zweiten Jahrh. an und geht vielleicht mittelbar auf Agrippas Werk
zurück. In dem engern Kreise der Hauptstadt bewegt sich des
Frontinus Schrift de aquis urbis Romae aus dem Ende des ersten
Jahrh., die mit Geographie im Grunde nichts zu tun hat; rein sta-
tistischer Natur ist das Regionenverzeichnis der Stadt Rom aus dem
vierten Jahrh., das in einer doppelten Redaktion (Notitia regionum
und Curiosum urbis) erhalten ist
1. Geographi lat. minores; coli. ARiese, Frankf. 1878. FUkert, Geo-
graphie der Griech. u. Rom., bes. 1, 1, Gotha 1816. HBunbury, Hist. of geo-
graphy arnong the Greeks and Romans, Lond. 1879 II. HBerger, Gesch. d.
wiss. Erdk. d. Griechen, Lpz.2 1903. HKiepert, Lehrb. d. alt. Geogr. (ßerl.
1878), 7 ff. HNissen, ital. Landeskunde 1, 17. Vgl. auch Detlefsen, JB. 77, 1.
2. Landkarten, Stadtpläne, Reisekarten: Karte der Insel Sardinien im
J. 174 in den Tempel der Mater Matuta geweiht: Liv. 41, 28. Varro RR.
1, 2, 1 spectantes in pariete pictam Italiam. Propert. 4, 3, 37. Agrippas
Weltkarte: § 220, 12. Auson. grat. act. 3, 9 p. 21 Seh.: ut qui terrarum
orbem unius tabulae ambitu circumscribunt , aliquanto detrimento magnitudi-
nis, nullo dispendio veritatis. Eumen. pro restit. schol. 20 (s. unten § 220, 12).
Über die Peutingersche Weg- und Reisekarte: § 412, 6. — Mommsen, Sehr.
5, 303. — Der sog. capitolinische Stadtplan im Anfang des dritten Jahrh.
in Marmor eingegraben, trüramerhaft erhalten: am besten in HJordans
Forma Urbis Romae, Berl. 1874.
BESONDERER UND PERSÖNLICHER TEIL,
I.
VORGESCHICHTE DER RÖMISCHEN LITERATUR
BIS ZUM J. 240 V. CHR.
60a. Die Römer haben sich bis ins siebente Jahrh. v. Chr. ohne
Schrift beholfen und sich zB. im Recht lange auch später noch des
mündlichen Verfahrens bedient. Die Einführung des chalkidischen
Alphabetes, die wohl im siebenten Jahrh. erfolgte, steht in Zu-
sammenhang mit dem lebhaften Kultureinfluß, der von den griechi-
schen Kolonien Unteritaliens ausgeht und dem die Römer viele
Kulturgegenstände und die Bezeichnungen dafür verdanken. Erst
das Vorhandensein einer Schrift ermöglichte das Aufkommen einer
Literatur, indem zunächst die bisher mündlich bewahrten Formeln
der Rechts- und Sakralsprache aufgezeichnet wurden.
1. Über die griechischen Lehnworte vgl. 0 Weise, Die griech. Worte im
Latein, Lpz. 1882. Das chalkidisehe Alphabet behandelt Kirchhoff, Stud.
z. Gesch. d. griech. Alph., Berl.4 1887. Vgl. JSchmidt, Italische Alphabete,
PW. 1, 1616. Über die Zeit der Übernahme Modestow, Der Gebrauch der
Schrift unter d. röm. Königen, Berl. 1871 und die Literatur über die Forums-
inschrift (§ 83, 4).
61. Als älteste Reste römischer Prosa treten uns Gebets- und
Zauberformeln entgegen, die durch Parallelismus der Glieder und
Alliteration gebunden sind. Die Römer nannten diese feierliche
Prosa Carmen. Sie findet sich ähnlich nicht nur bei den verwandten
italischen Stämmen, sondern auch bei den Etruskern, doch wird ihr
Ursprung bei den Indogermanen zu suchen sein.
1. Carmen (alt casmen, verwandt mit Casmena [Cämena], Carmenta und
Sippe) zB. Liv. 1, 24. 26 (lex horrendi carminis). 32. 3, 64 (rogationis Carmen).
10, 38 (Schwurformel). 41. 39, 15 (sollemne Carmen precationis quod praefari
magistratus solent). Cic. Mur. 26 (praetor ne . . aliquid ipse sua sponte lo-
queretur, ei quoque Carmen compositum est), leg. 2, 59 (XII tabb.). de or.
1, 245. Macrob. 3, 9, 6 ff. (carmen quo di evocantur), behandelt von Engel-
brecht, WSt. 24, 478. Sen. cons. ad Marc. 13, 1 (sollemnia pontificalis car-
124 . Die Zeit vor J. 240
minis verba). Ritschl, opusc. 4, 298. HDüntzer, ZfGW. 11, 2. 12, 526; Phil.
28, 242. HJordan, krit. Beitr. 167. — Solche rhythmische oft durch Allite-
ration gebundene Haltung (in Reihen von je vier Hebungen) zeigt zB. das
uralte Bauerngebet bei Cato RR. 141, die Konsekrationsformel bei Macr.
sat. 3, 9, 9, das Lied der Arvalen (§ 65). Die Zauberformeln bei Heim, JJ.
Suppl. 19, 644, bes. die bei Varr. r. r. 1, 2, 27 ego tui memini, medere meis
pedibus; terra pestem teneto, salus hie maneto in meis pedibus u. a. Aus ita-
lischem Sprachgebiet die Gebete der Iguvinischen Tafeln und die Inschrift
von Corfinium (CEL. 17); etruskisch die Agramer Mumienbinden (Krall,
Denkschr. Akad. Wien 41, Rosenberg, Glotta 4, 63). Ziemlich durchgeführt
ist das Prinzip, die Glieder mit der gleichen Zahl von Worten zu bauen,
so in der Devotionsformel (Liv. 8, 9, 6) vos precor veneror veniam peto oro-
que uti populo Romano Quiritium vim victoriam prosperetis hostesque populi
R. Quiritium terrore formidine morteque afficiatis. Die alte Neigung zur
Verbindung von zwei oder drei Worten, die sich in vielen Formeln lange
erhält, hängt damit zusammen; vgl. Preuss, de bimembris dissoluti usu,
Erlang. 1881. Es ist nicht immer leicht, solche carmina von regelrechten
Saturniern zu sondern; vgl. § 62, 4. Leo (§ 62, 3) 62. RWestphal, Metr. d.
Gr. 22, 36. JHüemer, älteste lat. - christl. Rhythmen 3. RPeter, de Rom.
precationum carminibus, Comment. phil. in hon. Reifferscheidii, Bresl. 1884,
67. Vgl. § 66, 2. 85.
2. WCorssen, origines poesis Rom., Berl. 1846. RWestphal, d. älteste
Form, der röm. Poesie, Tüb. 1852. Nettleship, the earliest Italian litera-
ture, Lectures 45. Norden, Kunstpr. 156. 820. Thulin, Italische sakrale
Poesie und Prosa, Berl. 1906. — JWordsworth, fragments and speeimens
of early Latin, Oxford 1874. DAllen, remnants of early Latin, Boston 1880.
3. Eine Neigung zu Wortspielen in der Art des Gorgias macht sich
schon in frühen Inschriften, dann bei Naevius und besonders Plautus be-
merkbar. Da die attischen Originale diese Rhetorik nicht kennen, so ist
ihr Ursprung anderswo zu suchen; ihn auf griechische Lehrmeister der
Rhetorik zurückzuführen macht Schwierigkeiten. Leo, Anal. Plaut. 2, Gott.
1898; LG. 1,34 (er denkt an einen sizilischen Redestil, der über Unteritalien
nach Rom gekommen sei, was nicht ohne Bedenken ist). Über die Allitera-
tion s. 93, 1.
62. Wo sich diese gebundene Prosa zur Poesie entwickelt, tritt
sie in einer Form auf, der die römischen Gelehrten den Namen
Saturnischer d. h. altitalischer Vers gaben. Dieser Vers berück-
sichtigt, wo er uns kenntlich wird, sowohl den Akzent als auch die
Quantität. Er besteht aus zwei Kola, die durch eine Diärese von
einander getrennt sind und deren jedes wiederum durch einen Ein-
schnitt in zwei Kommata zerfällt. Das erste Komma wird meist
durch eine viersilbige Gruppe gebildet, die mindestens zwei Längen
enthalten muß, im übrigen aber wandelbar ist, die übrigen drei in
der Regel durch dreisilbige Worte. Statt einer Kürze können auch
zwei eintreten. Die lockere Fügung wird nicht selten durch Allite-
§ 62. Der saturnische Vers 125
ration gekräftigt. Das bewegliche erste Komma gleicht dem cho-
riambischen Dimeter der Griechen so sehr, daß der Gedanke an
eine Urverwandtschaft nahegelegt wird. Es scheint, daß das quanti-
tierende Prinzip allmählich die Oberhand gewann, ohne doch das
akzentuierende jemals völlig zu verdrängen. — Die Auffassung der
römischen Metriker, die zeitweilig auch bei den Modernen Beifall
fand, hält den Vers für quantitierend, verlangt also für die Hebungen
entweder je eine lange oder je zwei kurze Silben, und stellt als
Grundschema auf:
Malüm ddbünt Metelli Naevio poe'tae.
Daneben finden sich Verse wie tumque remos iussit religare struppis
oder multa dlia in isdem inserinuntur, die sich in dieses Schema
nicht einfügen. Der Saturnius wurde durch die griechische Vers-
kunst der szenischen Dichter und des Ennius aus der Literatur
verdrängt, lebte aber als volkstümliches Maß eine Zeit lang fort.
1. Yarro LL. 7, 36 Fauni dei Latinorum . . . : hos versibus, quos vocant
Saturnios, in silvestribus locis traditum est solitos fari futura (vgl. Fest. 225).
Mar. Vict. GL. 6, 138 versus, cui prisca apud Latium aetas tamquam Italo
et indigenae Saturnio sive Faunio nomen dedit.
2. Akzentuierende Auffassung. Serv. Verg. G. 2, 385 *versibus incomptis
ludunf: id est carminibus Saturnio metro compositis; quod ad rhythmum
solum vulgares componere consueverunt. Vgl. Teuffel, JJ. 77, 281. Ansicht
von Niebuhr, RWestphal (Grieeh. Metr. 22, 36; Gott. gel. Anz. 1884, 340);
neuerdings wiederholt verfochten: OKeller, d. saturn. Vers als rhythmisch
erwiesen, Prag 1883. 86 IL FRamorino, riv. fil. 1883, 425. RThurneysen, d.
Saturnier, Halle 1885. HGleditsch in IwMüllers Handb. 2, 577. Lindsat, Am.
J. 14, 139. 305. Fitzhugh, the literary Saturnian, Charlotte sville 1910. — Die
Form der späteren Volkslieder wäre dann nur eine Wiederauffrischung der
ursprünglichen, durch die Kunstpoesie eine Zeit lang zurückgedrängten
(doch s. WMeyer, rhythmische Dicht., Abh. Münchn. Ak. 17, 269). Überhaupt
schien sich bei dieser Auffassung der Saturnius als gleichartiges Glied in
die Geschichte der indoeuropäischen Volkspoesie einzufügen (s. § 61, 1). Vgl.
Westphal aO. 35. KBartsch, d. saturn. Vers u. d. altdeutsche Langzeile, Lpz.
1867. FAllen, ZvglSprachf. 24, 572. Hüsener, altgriech. Versbau, Bonn 1887,
77. Fitzhugh, Indoeuropean Rhythm, Charlottesv. 1912.
3. Quantitierende Auffassung. Die spätere Metrik sucht den Saturnius
ganz in das System der griechischen Metrik einzureihen. Caes. Bass. GL. 6,
265 (Saturnium) nostri existimaverunt proprium esse Italicae regionis, sed
falluntur. a Graecis enim varie et multis modis tractatus est . . . nostri
autem antiqui, ut vere dicam quod apparet, usi sunt eo non observata lege
nee uno gener e custodito, ut inter se consentiant versus; sed praeter quam quod
durissimos fecerunt, etiam alios breviores alios longiores inseruerunt, ut vix
invenerim apud Naevium quos pro exemplo ponerem . . . optimus est quem
Metelli proposuerunt de Naevio . . . *Malum dabunt Metelli Naevio poetae* .
126 Die Zeit vor J. 240
hie enim Saturnius constat ex Hipponactei quadrati iambici posteriore com-
mate et phallico metro. Leo aO. 9. Charisius de versu saturnio: § 419, 4. Die
quantitierende Auffassung vertreten GHermann (Metrik § 525), KLachmann
(fder Urheber der Bemerkungen in s. Bruders Abh. de fönt. Liv. 1, 73, 2; de
die Alliensi thes. 11, wie er mir selbst gesagt hat' MHertz), OMüller (ad
Fest. p. 396), Ritschl (opusc. 4, 83 und sonst) und die weiterhin in dieser
Anmerkung genannten Gelehrten. Beschränkungen und Berichtigungen von
Ritschis Theorie: Bücheler, JJ. 87, 330. ThKorsch, de versu Sat., Moskau
1868. Bergfeld, de versu Sat., Marb. 1909.
Der Versuch Ritschis, von den Saturniern der Inschriften auszugehen
(gesammelt zB. in Büchelers CEL. 1 — 17 und bei Havet aO.), ist nicht ge-
glückt; vielmehr müssen die Saturnier des Andronicus und Naevius in
erster Reihe in Betracht gezogen werden. Nach der neueren Auffassung
läßt sich der Vers keinesfalls im Sinne der späteren gräzisierenden Metrik
quantitierend messen; aber daß die Quantität neben dem Akzent wichtig
ist, zeigt zB. der Bau des ersten Komma. Jedoch sind die von Leo zum
Vergleich herangezogenen Gebilde der Piautinischen Metrik und der Glaube,
daß der Saturnier im Prinzip mit diesen übereinstimme (Leo 30), fernzuhalten,
und es ist aus Plautus vielmehr die Lehre zu entnehmen, daß die bei diesem
herrschende ungriechische Rücksicht auf den Wortakzent nur aus der natio-
nalen Poesie entlehnt sein kann. Nach Thulins Untersuchungen scheint es,
als sei ursprünglich immer eine bestimmte Zahl von Worten (fünf, wie in
dem Musterverse malum dabunt usw.) zu einem Verse vereinigt worden. —
LHavet, de Saturnio Latinorum versu; inest reliquiarum sylloge, Par. 1880.
LMüller, d. saturn. Vers u. s. Denkmäler, Lpz. 1885. Zander, de numero
Sat., Lund 1895. Reichardt, JJ. Suppl. 19, 207. Leo, der Sat. Vers, Abh. Gott.
Ges. NF. 8 (1905). Thulin, ital. sakrale Poesie und Prosa, Berl. 1906. Skutsch,
Vollm. JB. 6, 1, 460. 11, 1, 51.
4. Anwendung in Volksmäßigem, in Inschriften udgl. vereinzelt bis in
die Mitte des 7. Jahrh. d. St. Wo angeblich Saturnier in Berichten der Ge-
schichtschreiber durchschimmern sollen, handelt es sich höchstens um car-
mina im Sinne von § 61. Caes. Bass. GL. 6, 265 in tabulis antiquis, quas
triumphaturi duces in Capitolio figebant. Livius 40, 52 (J. 179). 41, 28 (J. 174).
Über Saturnier des Accius s. § 134, 2. Vgl. § 83. 85. 90, 5. 115 und 163, 7.
Von den erhaltenen Inschriften sind die wichtigsten die beiden ältesten,
noch vorliterarischen Scipionenelogien. — Bücheler, JJ. 77, 61. Teuffel,
ebd. 281. WFröhner, Phil. 13, 208. EBährens, JJ. 129, 837. Auch bei den
Paelignern finden sich Inschriften im Saturnier. Vgl. Bücheler, RhM. 30,
441.33,274. 35,73.495. SBugge, altital. Studien (Christiania 1878) 83.
Über die saturnischen Anklänge in den iguvinischen Tafeln s. § 61. West-
phal, älteste röm. Poesie 57; Metr. 22, 37. Über die Alliteration im Satur-
nius s. HJordan, krit. Beitr. 175. Anderes § 93, 1.
63. Ihrem Inhalt nach sind die Denkmäler und Aufzeichnungen
der ältesten Zeit vorzugsweise praktischer Art, teils rein gottes-
dienstlich, teils politisch-historisch, und sie haben bald einen öffent-
lichen bald einen privaten Charakter: danach ist im Folgenden das
§ 63. 64. Älteste Aufzeichnungen. § 65. Das Lied der Arvalen 127
Material eingeteilt. Vom vierten Jahrh. d. St. an gewinnt auch das
Recht Bedeutung für die Literatur.
A) GOTTESDIENSTLICHES.
64. An den Frühlingsfesten der Salier im März wurden bei
feierlichen Aufzügen von jener Priesterschaft alte, der späteren Zeit
unverständliche und daher schon von Aelius Stilo kommentierte
Kultlieder (axamenta) besonders zu Ehren des Mars und Quirinus
abgesungen, deren treue Fortpflanzung auf frühzeitige Aufzeichnung
schließen läßt.
1. Zurückführung auf Numa: Varr. LL. 7, 3. Cic. de or. 3, 197. Hör.
E. 2, 1, 86. Liv. 1, 20. Terentius Scaur. GL. 7, 28. Diomed. GL. 1, 476.
Daß jedes der beiden Kollegien der Salier, das ältere der Palatini und das
jüngere der Collini (agonenses), eigene Lieder hatte, folgt nicht aus Serv.
Verg. Aen. 8, 285 duo sunt genera Saliorum, sicut m Saliaribus carminibus
invenitur. Im allg. Marquardt, Staatsverw. 32, 427. Wissowa, Relig. u. Kul-
tus 555.
2. Cic. de or. 3, 197 Saliorum versus. Vortrag der Lieder cum tripudiis
sollemnique saltatu, Liv. 1, 20, 4; vgl. Hör. C. 4, 1, 28 in morem Salium ter
quatient humum. — Unverständlichkeit, Hör. aO. Quint 1, 6, 40 Saliorum
carmina vix sacerdotibus suis satis intellecta: sed illa mutari vetat religio et
consecratis utendum est. ZB. promenervat = monet, petilam suram, pilumnoe
poploe. Daher Kommentar von L. Aelius Stilo (Varro LL. 7, 2. Fest. 141.
146. 210. 329) und dem zeitlich nicht bestimmbaren Sabidius (Schol. Veron.
zu Aen. 10, 241 Sabidius commentar. XII vers. Salior.). Vorliebe späterer
Altertümler für diese Lieder bezeugen Hör. aO. Capitolin. M. Ant. 4.
3. Sammlung und Erklärung der Überreste, zB. Bergk, opusc. 1, 477.
Corssen, orig. poes. rom. 43. 55. FPR. 29. Zander, carm. Saliaris reliquiae,
Lund 1888. Maurenbrecher, JJ. Suppl. 21, 315. Vgl. HJordan, krit. Beitr.
211. LHavet, de versu sat. 243.
4. In der Zeit des Verfalls der alten Religion wurden auch preisende
Erwähnungen von Fürsten in das Salierlied aufgenommen, wie des Augustus
(Dio 51, 20. Mon. Anc. 2, 21 (jiomenque meum senatus consulto incV)usum
est in saliare Carmen), Germanicus (Tac. A. 2, 83), Drusus (Tac A. 4, 9), Verus
(Iul. Cap. M. Ant. 21, 5) und Caracalla (Spartian. Carac. 11, 6).
65. Die Arvalbrüderschaft, die in der zweiten Hälfte des
Mai; kurz vor der Ernte, ihr Jahresfest mit feierlichen Opfern, Flur-
umgängen u. dgl. hielt, hatte gleichfalls ihre feststehenden uralten
Rituallieder, von denen eines in dem inschriftlichen Protokoll einer
Zusammenkunft dieses Kollegiums aus dem Jahr 218 n. Chr. auf
uns gekommen ist. Es wurde mit lebhaftem Tanz (tripudium) und
im Wechselgesang vorgetragen.
1. Von den acta collegii fratrum Arvalium sind in dem Hain der von
dieser Brüderschaft verehrten dea Dia beim fünften Meilenstein (heute Vigna
128 Die Zeit vor J. 240
Ceccarelli) der via Campana seit 1570 wiederholt, besonders 1777, dann
namentlich 1866 ff. sehr bedeutende Reste (vom J. 14 — 241 n. Chr.) zum Vor-
schein gekommen. Älteres Hauptwerk: GMarini, gli atti e monumenti de'
fratelli arvali, Rom 1795 IL Jetzt: Acta fratrum Arvalium, restituit et
illustr. GHenzen, Berl. 1874 und CIL. 6, 2023 ff. 32338 ff. Dazu weitere Funde
bei Huelsen, Ephem. epigr. 8,316; Klio 2,276. Auswahl bei Dessau 5026ff.
Vgl. im allg. Marquardt, röm. Staatsverw. 32, 447. Wissowa, PW. 2, 1463.
2. In dem Protokoll des J. 218 (CIL. 6, 2104; vgl. ebd. 1, 28. Dessau
5039. CEL 1) heißt es: Ibi sacerdotes clusi succincti libellis (Textbücher)
acceptis Carmen descindentes (Weissbrodt, obs. in S. C. de Bacc. 31) tripo-
daverunt in verba haec. Darauf folgt der Text des Liedes, dessen einzelne
Glieder immer dreimal wiederholt werden: enos Lases iuvate. neue lue rue
Marmar sins incurrere in pleores. satur fu, fere Mars, Urnen sali, sta her-
ber, semunis alternei advocapit conctos. triumpe (5 mal). Darin sind satur —
berber und semunis — conctos regelrechte Saturnier, während der erste Satz
ein saturnisches Kolon bildet. Faksimile bei Ritschl, PLM. Tf. 36 (dazu
Jordan aO. 192). Ältere Literatur gibt ESchneider, Exempla 392; vgl. Birt,
Arch. Lex. 11, 149. Thulin, sakr. Poesie 40. Norden, Agn. Theos 169.
66. 67, So hatten sicherlich auch noch andere kirchliche Körper-
schaften ihre uralten Lieder und Litaneien. Außerdem gab es alte
Sprüche und Weissagungen, die wirklich oder angeblich im satur-
nischen Maß gehalten waren und die der Volksglaube auf Faunus,
Carmentis u. a. zurückführte. Auf den Namen eines angeblichen
alten Sehers Marcius wurden nach der Schlacht bei Cannae zwei
Weissagungen gefälscht; an sie setzten sich im Laufe der Zeit
weitere Sprüche an.
1. Ennius ann. v. 222 V. versibus quos olim Fauni vatesque canebant.
vates heißt priesterlicher Sänger (im Gegensatz zu poeta, dem Kunstdichter),
und Ennius mag an Marcius denken. Fest. 325 versus antiquissimi , quibus
Faunus fata cecinisse hominibus videtur, Saturnii appellantur. Otto, PW.
6, 2058. Ebenso gab Carmentis angeblich i^itgovs %Qr\aybovg (Plut. quaest.
rom. 56). Similiter (wie die Fauni) Marcius et Publicius vates cecinisse di-
cuntur, Cic. div. 1, 115. Hör. E. 2, 1, 26 annosa volumina vatum, und dazu
Porphyrio: veteres libros Marci vatis Sibyllaeque et similium. Vgl. Fest. 326
ex libris Sibyllinis et vaticinio Marci vatis. Corssen, orig. 6. 162.
2. Marcius (Cic. aO. Liv. 25, 12 u. Hertz zdSt. u. JJ. 109, 268; Porphyr.
aO.; vgl. Fest. 165: in carmine Cn. Marcii) lebte angeblich vor dem
zweiten punischen Kriege (vates hie Marcius illustris fuerat etc. Liv. aO.).
Von mehreren dieses Namens sprechen Cic. div. 1, 89 (Marcii fratres, no-
bili loco nati). 2, 113 (nee Publicio nescio cui nee Marciis vatibus). Serv.
Aen. 6, 70. Symmach. ep. 4, 34, 3 Marciorum vatum divinatio caducis corti-
eibus inculcata est. Zwei dieser Sprüche waren nach der Schlacht bei Can-
nae fabriziert, wurden im J. 212 hervorgezogen und den Xviri sacris fa-
ciundis anvertrant. Diels, Sibyll. Blätter 7. Später liefen aber auch andere
Sprüche z. T. ethischen Inhalts unter seinem Namen um. Vgl. § 84, 2. Miß-
glückte Umbildung der Proben bei Liv. aO. in Saturnier von Westphal,
§ 66. 67. Lieder und Sprüche. § 68. 69. Verträge und Gesetze 129
Form d. alt. röm. Poesie 58; in Hexameter von Ribbeck, JJ. 77, 204; spä-
tere Fälschung nimmt Bährens FPR. 21 an. Es lagen wohl carmina im
Sinne des § 61 vor; Livius' Fassung hat hexametrische Anklänge, die auf
Umstilisierung durch seine Quelle (Fabius Pictor?) beruhen mögen. Isid. or.
6, 8, 12 (unglaubwürdig) apud Latinos Marcius vates primus praecepta com-
posuit, ex quibus est illud fpostremus dicas, primus taceas\ Vgl. FPR. 36. 294.
B) POLITISCH-HISTORISCHES.
68. Bundesverträge aus der Königszeit — alle mehr oder we-
niger zweifelhaft — sind 1) der sagenhafte hundertjährige des Ro-
mulus mit den Vej entern; 2) das Bündnis des TuUus Hostilius mit
den Sabinern; 3) das des Servius Tullius mit den Latinern; 4) der
Friedensschluß des Tarquinius (Superbus?) mit Gabii.
1. Dionys. antiq. 2, 55, 6 GzrfLcag ivexaga'^s zag 6/xoXoyi'as, nach griechi-
scher Sitte. — 2. Dionys. 3, 33, 1 6zrftag avxiyQacpovg frevzsg, vgl. Hör. E.
2, 1, 24 foedera regum vel Gabiis vel cum rigidis aequata Sabinis.
3. Dionys. 4, 26, 5 6zr\ki];v Y,ccza6K£va6ag %a%Kf\v lyqatysv iv xavxr) etc.,
und zwar yga^yLaxcov %aQay.xf]Q(xg kllr\viv.aiv, oig zb TtaXaibv rj 'EHa? £%quzo.
Geschichtlich? vgl. Mommsen, RGr. I6, 216. Ihne RG. 1, 58. Detlefsen, Phil.
20, 448. — 4. Geschrieben auf dem Fell des dabei geopferten Stieres, yqayi-
liccciv ccQ%uiKoig , und im Tempel des Sancus aufbewahrt, Dionys. 4, 58, 4.
Vgl. Paul. Festi 56 clipeum antiqui . . . corium bovis apellarunt, in quo foe-
dus Gabinorum cum Romanis fuerat descriptum. Hör. aO. Gegen die Be-
ziehung auf den letzten Tarquinius Mommsen, RG. I6, 216. Vgl. auch Schwegler,
RG. 1, 18. 21. 37. 43. 789.
69. Aus der ältesten Zeit der Republik finden wir 1) die Ur-
kunde des Schiffahrts- und Handelsvertrages mit Karthago, angeb-
lich aus J. 509 y. Cbr., dem ersten der Republik; 2) Vertrag mit
König Porsena; 3) Bündnis mit den Latinern vom J. 493. 4) Foe-
dus Ardeatinum aus dem J. 444. Dazu noch 5) die lex tribunicia
prima vom J. 493 und 6) die lex Icilia de Aventino publicando,
vom J. 456.
1. Polyb. 3, 22 diocd'rjKcu . . . ccg naft' oßov i\v dvvazbv dagißsötazcc disg-
[ir\vsv6avt£g reisig v7Coysyqdcpa[LBv . zr\ki,K(xvzr\ yäg i] diacpoga. ytyovs xfjg 8ia-
Ie-hzov kccl tcccqcc Pa^iaioig zf\g vvv TtQog zi)v ccq%aiav , axszs zovg övvsxoaxcc-
zovg %viu poltg i^ srtLCxdöscag §isv%qivslv. Diese oft angefochtene Angabe
des Polybios wird durch die in den letzten Jahren gefundenen Inschriften,
deren einzelne bis in die Zeit um 500 hinaufgehen (§ 83), mehr und mehr
bestätigt.
2. Plin. NH. 34, 139 in foedere, quod expulsis regibus populo Born, de-
dit JPorsena, nominatim comprehensum invenimus, ne ferro nisi in agri cultu
uteretur. — 3. Cic. Balb. 53 foedus . . quod quidem nuper in columna ahenea
meminimus post rostra incisum et perscriptum fuisse. Vgl. Liv. 2, 33. Fest.
166 (in foedere Latino). Dionys. 6, 95. Mommsen, Röm. Forsch. 2, 159. —
4. Liv. 4, 7. Mommsen, röm. Chronol.2 93. — 5. Fest. 318, 30 lege tribunicia
Teuffei: röm. Literaturgeach. Neub. 6. Aufl. I. 9
130 Die Zeit vor J. 240
prima cavetur, si quis eum, qui eo plebei scito sacer sii, occiderit, parricida
ne sit. — 6. Liv. 3, 31. Dionys. 10, 32. Schwegler, RG. 2, 395.
70. Die sogenannten leges regiae, angeblich Verordnungen
und Entscheidungen, die von den römischen Königen ausgingen,
in der Form altertümlich, waren uraltes Gewohnheitsrecht, das die
für das Publikum wichtigen sakralrechtlichen Bestimmungen ent-
hielt; sie sind erst später aufgezeichnet und willkürlich unter die
einzelnen Könige verteilt.
1. Dirksen, Versuche z. Krit. u. Ausleg. (1823) 234. Schwegler, RG. 1,
23. 572. 664. GBruns, fontes iur. lf. Bremer, JAH. 1, 133. Mommsen, Staatsr.
2, 41. M Voigt, d. leges regiae, Lpz. 1876. 77 II (Abh. sächs. Ges. 7, 555. 643).
71. Die Sammlung dieser angeblichen leges regiae hieß nach
ihrem Urheber ius Papirianum. Da das älteste ius civile mit
dem ius sacrum zusammenfällt, so ließ sich der Inhalt jener Samm-
lung, im Hinblick auf einzelne ihrer Bestimmungen mit einigem
Rechte auch als ius civile bezeichnen, eigentlich aber bestand sie
aus kirchenrechtlichen Satzungen. Öffentlichen Charakter scheint
die Sammlung nie gehabt zu haben.
1. Pompon. dig. 1, 2, 2, § 2 quae omnes (leges regiae) conscriptae exstant
in libro Sexti Papirii, qui fuit Ulis temporibus quibus Superbus. . . is Über
appellatur ius civile Papirianum . . quod (Papirius) leges sine ordine latas
in unum composu^it. ebd § 36 fuit in primis peritus (iuris) P. Papirius, qui
leges regias in unum contulit. Dionys. 3, 36 ccl tibqX xcav Isq&v diaygaqxxl
(eis noiiniliog 6vvsot^aaro) [ista rrjv ixßoli]v tav ßccöiXi-av slg ccvayQcccpr}v
8r\no6iav ccv&is T7#tb]ffav vtv' avdgbg Isgocpcivrov rcc'l'ov Hcczlqlov etc. Vgl.
ebd. 3, 70, 1. Unsicherheit über die Person und Zeit des Pap., den Dionys.
5, 1 Isqcov ßocöiXsvs nennt, s. Schwegler, RG. 1, 24. Clason, JJ. 103, 719.
Cicero und Varro kennen die Sammlung noch nicht; vielleicht ist Pap. der
Schüler des Scaevola (§ 154, 3)? Jedoch liegt bei Dionys. eine zurechtge-
machte Legende vor, die er einem jüngeren Annalisten entnommen haben
wird. Des Granius Flaccus (§ 199, 7) liber de iure Papiriano zitiert Paulus
dig. 50, 16, 144. Vgl. Rein, PRE. 4, 660. RScholl, XII tab. 51. MVoigt (s.
§ 70, 1) S. 670. Lambert, Nouv. rev. hist. du droit 26, 163. Hirschfeld,
Sehr. 239.
72. Die commentarii regum nehmen den Schein, als ob sie
von den Königen aufgezeichnet seien, nur mit Unrecht für sich in
Anspruch, mögen aber, soweit sie wirklich vorhanden waren, Be-
stimmungen über königliche (priesterliche) Rechte und Pflichten
oder Verfügungen namentlich sakraler Natur enthalten haben, die,
der Sache nach alt, in der historischen Zeit niedergeschrieben und
gesammelt wurden.
1. Cic. p. Rab. p. r. 15 ex annalium monumentis atque ex regum cnm-
mentariis. Besonders commentarii JSfumae (Liv. 1, 31, 8) sakralen Inhaltes,
§ 70. 71. Gesetze. § 72. 73. Commentarii regum u. pontificum 131
die Ancus Martins in album elata proponere in publico iubet (Liv. 1, 32.
vgl. Dionys. 3, 36 rag Ttsgl xwv Isg&v ßvyygoccpccg, ag TIoyLTtlXiog Ovvs6t7]6ato).
^Tno[Lvri[iccta Nov^iä (Plut. Marceil. 8) = libri Numae (Piso bei Plin. NH.
28, 14) = leges Numae (Serv. Aen. 6, 860) = lex Pompilii regis in pontifi-
cum libris (Fest. 189). Vgl. § 71, 1. Ferner commentarii Servi Tullii (Liv.
1, 60) = discriptio classium und centuriarum (Fest. 246. 249). Schwegler,
RG. 1, 27; vgl. 545. Mommsen, Staatsrecht 2, 12. 42. MVoigt aO. 647.
vPremerstein, PW. 4, 728.
2. Anderer Art sind die auf Täuschung oder Betrug beruhenden Bücher
Numas von religionsphilosophischem Inhalte, die im J. 181 ausgegraben
wurden, wofür Piso und Hemina die ältesten Zeugen sind; für uns ältestes
Beispiel des Vorkommens solcher verdächtiger c Ausgrabung' (Rohde, gr.
Roman 272, 2). Varro (de cultu deorum) bei Augustin. civ. dei 7, 34. Liv.
40, 29. Plin. NH. 13, 84. vLasaulx Stud. d. klass. Altert., Regensb. 1854, 92
und dagegen Schwegler, RG. 1, 564.
73. Den ausgedehntesten Gebrauch von der Schreibekunst
machten die Priester: sie verfaßten Anweisungen für den Gottes-
dienst und sein Ritual, fertigten Zusammenstellungen der von den
Priesterkollegien veröffentlichten Erlasse kirchen- und staatsrecht-
licher Art, die für künftige Fälle maßgebend sein sollten (libri
oder commentarii pontificum) und führten Sitzungsprotokolle
(acta, § 77).
1. Unbestimmte Anfährungen (pontifices dicunt, docent, apud p. legimus
etc.) Varro LL. 5, 23. Colum. 2, 21, 5. Macr. sat. 3, 20, 2. — Val. Prob.
GL. 4, 271 in legibus publicis pontificumque monumentis. Daß die Pontifices
keinerlei Anweisungen verfaßt, sondern nur über geschehene Amtshandlun-
gen berichtet hätten (vPremerstein 747), läßt sich nicht erweisen.
2. Pontificum libri (von den commentarii nicht zu trennen) Cic. de or.
1, 193. Hör. E. 2, 1, 26. Fest. 189 testimonio esse libros pontificum, in qui-
bus sit etc. Macr. sat. 1, 12, 21. — pontificii libri, Varr. LL. 5, 98. Cic. rep.
2, 54; vgl. ND. 1, 84. Fest. 356. — pontificales libri, Sen. ep. 108, 31. Serv.
Verg. Ecl. 5, 66. G. 1, 21. A. 12, 603; vgl. Lyd. mens. 4, 25. — libri sacri,
Serv. G. 1, 272. libri sacrorum, Fest. 141. commentarii sacrorum (pontifica
lium), Fest. 165. 286. 360. — commentarii pontificum, Cic. Brut. 55. de
dorn. 136. Liv. 4, 3. 6, 1. Plin. NH. 18, 14. Quint. 8, 2, 12. — isgocpccvt&v
ygucpcci, Dionys. 8, 56. legal d&toi, ebd. 1, 73. Isgal ßißloi, ebd. 10, 1. —
In der Verwahrung der Pontifices waren die indigitamenta (r Anrufungsfor-
meln' s. Wissowa, Ges. Abh. 177), i. e. pontificales libri, Serv. G. 1, 21. —
Ob aus den libri pontificii die von Varro LL. 5, 45 erwähnten sacra Argeo-
rum stammen? S. Jordan, röm. Topogr. 2, 237. 599.
3. Ambrosch, de sacris Rom. libris, Part. I, Bresl. 1840; d. Religions-
bücher d. Rom., Bonn 1843 (Z. f. kath. Theol.). Schwegler, RG. 1, 31.
ELübbert, quaest. pontificales, Berl. 1859, 79. EHübner, JJ. 79, 407. MVoigt
(§ 70, 1) S. 648. Preibisch, de libris pontificiis, Bresl. 1874; fragmenta libr.
pontificiorum, Tilsit 1878. RPeter, Quaest. pontif. spec, Straßb. 1886. Ro-
woldt, Libr. pontif. rell., Halle 1906. vPremerstein, PW. 4, 729.
9*
132 Die Zeit vor J. 240
74. Die Pontifices führten auch die fasti, das Verzeichnis
der Spruch- oder Gerichtstage (dies agendi, dies fasti), als Be-
standteil der Monatstafel (Kaien darium), mit Aufzählung der auf
jeden Tag fallenden Feste und Spiele, Märkte, Opfer u. dgl., woran
sich allmählich auch sonstige kurze Notizen über geschichtliche
Vorkommnisse anschlössen, sowie Bemerkungen über den Auf-
gang von Sternbildern. Seit der .Freigebung dieser fasti (§ 88) wur-
den auch von Privatpersonen fasti auf Tafeln und in Büchern ver-
öffentlicht und zum Gegenstande gelehrter Erläuterung gemacht.
Nach Einführung der julianischen Zeitrechnung (J. 45) nahm die
Veröffentlichung solcher Kalender einen neuen Aufschwung. Wir
besitzen eine größere Anzahl auf Stein gegrabener oder geschriebe-
ner (gemalter) Kalenderbruchstücke aus Rom und benachbarten
italischen Städten, die aus dem achten Jahrh. d. St. stammen (von
J. 31 v. Chr. bis 51 n. Chr.). Neben dieser wenigstens teilweise
offiziellen oder offiziösen Tätigkeit geht die der Privatindustrie ein-
her, die Kalender in Buchform herstellt. Erhalten sind noch zwei
vollständige Kalender, ein amtlicher des vierten Jahrh., geschrieben
von Furius Dionysius Philocalus (aus dem J. 354 n. Chr.), und eine
christliche Umarbeitung des amtlichen Kalenders, verfaßt von Po-
lemius Silvius (aus J. 448 f. n. Chr.).
1. Varro LL. 6, 29 dies fasti, per quos praetoribus omnia verba sine
piaculo licet fari . . contrarii horum vocantur dies ne fasti, per quos dies
nefas fari praetorum *do dico addico\ itaque non potest agi (die richtige
Ableitung vielmehr von fas und nefas). Vgl. ebd. 6, 53. Ovid. fast. 1, 48.
Liv. 1, 19, 7 idem (Numa) nefastos dies fastosque fecit. In den inschriftlichen
Kalendern werden die dies fasti und nefasti mit F und N, die comitiales
d. h. die für Verhandlungen cum populo geeigneten mit C, und einige Ab-
arten in entsprechender Weise bezeichnet. — Suet. Iul. 40 fastos correxit,
iam pridem vitio pontificum per intercalandi licentiam turbatos = Einführung
der julianischen Zeitrechnung; vgl. Aug. 31. Capit. M. Antonin. 10 fastis
dies iudiciarios addidit. — Cic. Phil. 2, 87 adscribi iussit in fastis ad Luper-
calia: C. Caesari . . M. Antonium . . regnum detulisse, Caesarum uti no-
luisse. Bei Vespasians Regierungsantritt wurde ein Senatsausschuß nieder-
gesetzt qui fastos adulatione temporum foedatos exonerarent, Tac. H. 4, 40
(Cass. Dio 60, 17 u. ö\). Vgl. CIL. 1, p. 299. — Ein astrologischer Kalender
(s. § 52, 4) bei Petron. 30 altera tabula in poste triclinii defixa habebat in-
scriptum lunae cursum stellarumque Septem imagines pictas, et qui dies boni
quique incommodi essent distinguente bulla notabantur.
2. Fulvius Nobilior (§ 126, 1) in fastis quos in aede Herculis Musarum
(J. 189) posuit, Macr. sat. 1, 12; vgl. 13 extr. Varro hatte sie eingesehen
und Fulvius öfter neben Iunius (§ 138, 2) zitiert. Varro LL. 6, 33. Censorin.
d. n. 20. 22. Charis. GL. 1, 138. Sie enthielten neben den Tag- und Fest-
angaben auch Erklärungen.
§ 74. Fasti 133
3. Suet. gramm. 17 Verrius Flaccus statuam habet Praenestc, in infe-
riore (superiore) fori parte, circa hemicyclium in quo fastos a se ordinatos et
marmoreo parieti incisos publicarat. Reste dieser fasti sind 1771, freilich
nicht auf dem Forum von Praeneste, sondern über 3 km vor der Stadt in
den Ruinen eines christlichen Gebäudes aus später Zeit entdeckt worden.
Henzen, bull, archeol. 1864, 70. — Herausg. am besten CIL. I2, p. 230, vgl.
Dessau 8744a. Bergk, JJ. 105, 37. Gegen den Zweifel OHirschfeeds (Sehr.
339), ob diese fasti Praenestini ein Originalwerk des Verrius seien, Yahlen,
Opusc. 1, 44. Vgl. § 261, 1. 2 E.
4. Bücher de fastis, d h. wohl meist Kalender mit Erläuterungen (Fest.
87, 19. Ovid. fast. 1, 657 evolvi signantes tempora fastos), verfaßten Iunius
Gracchanus, Cincius, Ovid (über Kaiendarien, die aus Ovids Fasten ausge-
zogen sind: § 249, 6), Nisus, Masurius Sabinus, Iulius Modestus (de feriis),
Labeo u. a. Macrob. sat. 1, 11, 50 qui rationem anni mensium dierumque et
ordinationem a C. Caesar e digestam plenius rettulerunt. Merkel zu den Fasti
Ovids p. liii. Mommsen, CIL. 1, p. 285h. — Astronomische Fasten von Clo-
dius Tuscus § 263, 5.
5. Beste Sammlung der epigraphischen Fasti (hemerologia und meno-
logia) von Mommskn, CIL. I2, p. 205 — 252 (dazu sachliche Commentarii, ebd.
p. 283 — 339). Auswahl Dessau 8744. — Die stadtrömischen fasti auch CIL. 6,
p. 625. 3315. Vgl. Mommsen, Rom. Chronol.2 208. Übersichtliche Zusammen-
stellung des stadtrömischen Festkalenders nach inschriftlichen und litera-
rischen Quellen in Marquardts Staatsverw. 32, 567. — Iullian, Dar. Saglio
2, 1042. Wissowa, PW. 6, 2015.
6. Nur das in unseren Steinkalendern mit großer Schrift Geschriebene
gehört zum ältesten röm. Festkalender und war wohl ursprünglich ein Be-
standteil der XII Tafeln; dies sind die Nundinalbuchstaben A — H, die Be-
zeichnung K(alendae), NON(ae), ElD(us), die Zeichen N, F, C usw. (A. 1)
und 45 alte Staatsfeste, zB. Luper(calia) , Matr(alia). Alles mit kleiner
Schrift Beigesetzte ist späterer Nachtrag von Privaten. Mommsen, RhM. 14,
82. 85; CIL. 1, p. 283 f. Die Auszüge aus dem amtlichen Kalender sind auf
dem erhaltenen mit Willkür und Unkenntnis gemacht. Mommsen, CIL. 1,
p. 286.
7. Auf dem Mons Albanus bei Rom in den Ruinen des Tempels des
Iuppiter Latiaris sind Reste der Jahrtafel der feriae Latinae (aus dem Zeit-
raum von J. 451 v. Chr. bis J. 109 n. Chr.) gefunden worden; jetzt gesam-
melt CIL. 6, p. 455. Vgl. Mommsen, röm. Forsch. 2, 97. deRossi, eph. epigr.
2, 93. — Verzeichnis der Festtage des Augustus-Tempels zu Cumae: CIL. I2,
p. 229; Dessau 4917. Mommsen, Sehr. 4, 259.
8. Den amtlichen Kalender der Mitte des vierten christl. Jahrh. schrieb
in J. 354 der Kalligraph Furius Dionysius Philocalus (§ 422, 2) ab und
stattete ihn mit zahlreichen Bildern aus (hrsg. von Strzygowski, Jahrb. d.
arch. Inst., Suppl. 1) und Epigrammen (darüber Bährens PLM. 1, 203). In
zwei Exemplaren erhalten, von denen das eine (Peirescianum, s. VIII/IX)
wieder verloren ging und nur in zwei Abschriften s. XVII (in Brüssel und
der Vaticana) noch existiert; vom zweiten (s. IX), ursprünglich in Straßburg,
jetzt in Bern, ist nur der Dezember noch vorhanden, dafür aber in Wien
eine vollständige Abschrift aus J. 1480. Am besten herausg. von Mommsen,
134 Die Zeit vor J. 240
CIL. 1, p. 254; Chron. min. 1, 13; vgl. seine Abh. über d. Chronographen
d. J. 354, Abh. sächs. Ges. 1 (1850), 550.
9. Der Kalender des Polemius Silvius ist geschrieben J. 448 f. unter
Valentinian III und gerichtet an den Bischof Eucherius (§ 457, 6). In seinem
christlichen Eifer hat der Verfasser alles an dem alten Kalender, was ihm
nach heidnischem Aberglauben aussah, weggelassen, dafür aber geschicht-
liche Data (zB. nomina omnium provinciarum vom J. 385; s. Seeck zur
not. dign. p. 254. Riese geogr. 130), grammatische und meteorologische
Bemerkungen udgl. aus eigenem Wissen hinzugetan. Erhalten in einer
Brüsseler Hs; abgedr. am besten (neben dem des Philocalus) von Mommsen,
CIL. 1, p. 254; Chron. min. 1, 511. Dazu dessen Abh. in den Abh. der sächs.
Ges. 3 (1853), 231; vgl. ebd. 8, 694.
10. Ein ländlicher Monatskalender, mit Angabe der ländlichen Ge-
schäfte (zB. Sept. dolea picantur, poma leguntur, arborum oblaquiatio) , der
Länge des Monats und Tages usw. (menologium rusticum) ist in doppelter,
inhaltlich nicht verschiedener Fassung erhalten: menol. Colotianum u. Val-
lense, abgedr. CIL. I2, p. 280 u. CIL. 6, 2305 f. 32503 f. Dessau 8745. Er ent-
hält auch astronomisch-astrologisches Beiwerk (die tutelae der einzelnen
Gottheiten), und eine Auswahl von Festen (darunter sacrum Phariae und
Heuresis); vgl. Wissowa, Apophoreton (Berl. 1903) 29.
75. Von den Tages- (und Monats-) Verzeichnissen her wurde
der Name fasti übertragen zunächst auf Jahresverzeichnisse mit
Angabe der eponymen Magistrate jedes Jahres (fasti consulares),
dann auch auf solche der in jedem Jahre gehaltenen Triumphe (fasti
triumphales) und der jeweiligen Priester (fasti sacerdotales). Auch
von fasti in dieser Bedeutung des Wortes sind Überreste auf uns
gekommen, unter denen die fasti Capitolini weitaus die wichtigsten
sind.
1. Fasti als Verzeichnisse bes. von Behörden zB. Liv. 9, 18, 12 paginas
in annalibus magistratuum fastisque percurrere licet consulum dictatorumque
(vgl, Schön, PW. 6, 2026). Cic. Pis. 30 hos consules fasti ulli ferre possunt?
ad Brut. 1, 15 in fastis nomen adscribitur •; vgl. Tac A. 3, 17 nomen fastis
rädere (s. Mommsen, Herrn. 9, 273). Vit. Gallien. 15 Gallienum tyrannum in
fastos publicos rettulerunt. Vit. Helii 5, 13 f fasti consulares. Lib. de prae-
nom. 2 consulum fasti. — Konsulverzeichnisse zum Handgebrauch: Cic. Att.
4, 8b, 2 non minus longas iam in codicillorum fastis futurorum consulum
paginulas habent quam factorum. — Cichorius, de fastis consularibus anti-
quiss., Lpz. Stud. 9, 171.
2. Die fasti Capitolini, genannt vom jetzigen Aufbewahrungsort der
Bruchstücke im Konservatorenpalast auf dem Kapitol, waren ein chronolo-
gisches Verzeichnis der Konsuln, Zensoren, Diktatoren und Magistri equi-
tum (fasti consulares benannt nach dem Hauptinhalt), im J. 36 v. Chr. oder
bald darauf auf der Außenwand der damals neu erbauten Regia, der Woh-
nung des Pontifex maximus, in Stein gegraben, dann in einzelnen Nach-
trägen bis ums J. 13 n. Chr. fortgesetzt: dazu kam anhangsweise, auf Pfei-
lern daneben, ums Jahr 12 v. Chr. das Verzeichnis der Triumphe, f. trium-
§ 75. Fasti consulares. § 76. Annales pontificum 1,35
phales, richtiger acta triumphorutn (Plin. NH. 37, 13), endlich auch die
Einzeichnung von ludi saeculares, zuletzt der domitianischen (J. 88). Die
Aufstellung war wohl durch Augustus veranlaßt; daß die Redaktion der
Liste ein Werk des Atticus sei (s. § 172), hat man oft vermutet. Der
gelehrte Charakter der Aufzeichnung ergibt sich daraus, daß wichtige Kriege,
Zulassung der Plebejer zum Konsulat udgl. und die vier erst auf Grund der
jüngsten Forschung angenommenen Diktatorenjahre (Matzat, Rom. Chron.
1, 345) verzeichnet sind.
3. Beste Bearbeitung der fasti Capitolini und der übrigen inschriftlich
erhaltenen Bruchstücke von Konsular- und Triumphalfasten aus der Zeit der
Republik und des Augustus von Henzen und Huelsen CIL. I2, p. 1 (Nach-
träge: Huelsen, Klio 2,248). Vgl. außerdem über die kapitolinischen Fasten
OHirschfeld, Sehr. 330. Mommsen, röm. Forsch. 2, 58. BBorghesi, oeuvr.
9, 1 und was Schoen aO. 2044 nennt. — Fasti der fratres arvales von J. 2
v. Chr. bis 37 n. Chr. enthaltend die Konsuln und den praetor urb. und
peregr. d. J. im Anhang von Henzens Acta fr. Arval., Berl. 1874 u. CIL. 6,
2295. — Eine vergleichende Zusammenstellung der Angaben der Schrift-
steller und der handschriftlichen und inschriftlichen Listen über die Kon-
suln der Jahre 509 v. Chr. bis 13 n. Chr. gibt Mommsen CIL. I2, p. 79 (der
Triumphe von J. 753 — 19 v. Chr. Huelsen ebd. 168). Dazu als Ergänzung :
JKlein, fasti consulares a Caesaris nece ad imp. Diocletianum, Lps. 1881.
Reste von Konsul arf asten mit Notizen über J. 46 und 289 n. Chr. (von dem-
selben Denkmal?) Röm. Mitt. 1904, 322. CIL. 10, 4631. Schoen, PW. 6,2023.
4. Die Reste der stadtrömischen Sacerdotalfasten (fasti augurum, salio-
rum Palatinorum, sodalium Augustalium Claudialium, sacerdotum Iovis pro-
pugnatoris usw.) sind gesammelt CIL. 6, 1976 ff. 32318. Vgl. Dessau 5024 f.
Huelsen, Klio 2, 275.
76. Von den ursprünglich nicht zur Veröffentlichung bestimmten
Aufzeichnungen der Priester sind zu unterscheiden die von Anfang
an mit Rücksicht auf die Bekanntmachung abgefaßten annales
pontificum, auch annales maximi genannt, aber nicht deshalb
weil sie vom Pontifex maximus geführt wurden. Dieser stellte all-
jährlich eine weiße Tafel Öffentlich auf, worauf die denkwürdigen
Ereignisse des Jahres, besonders auch die Prodigien, in kürzester
Fassung verzeichnet wurden. Diese Sitte war eine sehr alte und
bestand bis ins siebente Jahrb. d. St. hinein. Als aber Aufzeich-
nungen und Veröffentlichungen ähnlicher Art durch Schriftsteller
immer häufiger wurden, fand man jene amtlichen, deren primitive
Form sich auch überlebt hatte, entbehrlich. Als man sie jetzt zu-
sammenstellte und ihnen Buchform gab, bildeten sie eine Samm-
lung von 80 Büchern. Indessen, da ihr Aufbewahrungsort, die Amts-
wohnung des Pontifex maximus (die Regia neben dem Vestatempel
am Forum), wiederholt in Flammen aufging, so können die auf die
älteren Zeiten bezüglichen Teile jener Sammlung im besten Falle
136 Die Zeit vor J. 240
nur aus der Erinnerung nachgearbeitet sein, und was über die äl-
testen Zeiten nachträglich aufgenommen wurde, war ohnehin nur
freie Dichtung.
1. Paul. 126 maximi annales appellahantur non magnitudine, sed quod
eos poniifex maximus confecisset; vgl. Serv. Aen. 1, 373 (s. A. 2). Mach. sat.
3, 2, 17 und Cic. leg. 1, 6 annales pontificum maximorum quibus nihil potest
esse ieiunius. Vgl. 6 nagä tolg &q%isqbv6i (so Niebuhr statt äy%i6T£v6i', bei
dem jedesmaligen pont. max., also in der regia; s. § 75, 2) nsl^svog tcivu^
bei Dionys. Hal. 1, 74. Annales publiei bei Cic rep. 2, 28. Diomed. GL. 1, 484.
Der Name maximi kam ohne Zweifel erst später auf, als es auch noch an-
dere Annalen von anderen Urhebern und von kleinerem Umfange gab.
2. Serv. Aen. 1,373 ita annales conficiebantur : tabulam dealbatam (JSchmidt,
PW. 1, 1332) quotannis pontifex maximus habuit, in qua praescriptis consu-
lum nominibus et aliorum magistratuum digna memoratu notare consueverat,
domi militiaeque terra marique gesta, per singulos dies (also wurde zu An-
fang jedes Jahres eine Tafel aufgestellt und die im Laufe des Jahres ein-
tretenden Ereignisse unter den betreffenden Tagen vermerkt), cuius dili-
gentiae annuos commentarios in octoginta libros veteres rettulerunt eosque a
pontificibus maximis, a quibus fiebant, annales maximos appellarunt. Gell.
4, 5, 6 in annalibus maximis, libro undecimo. Scaevola hat wohl selbst diese
Buchausgabe veranlaßt, da die Tafeln ein unhandliches Material darstellten.
Aus der Stelle Cic. rep. 1, 25 (A. 4), wonach alle früheren Sonnenfinsternisse
nach der vom 21. Juni 400 (?Boll, PW. 6, 2355) berechnet worden seien,
hat man kaum mit Recht geschlossen, daß die Annales erst mit dieser Zeit
begonnen hätten (wobei dann die große Buchzahl Schwierigkeiten macht:
Cichorius aO. 2254). EMeyer, Apophoreton 158.
3. Cic. de or. 2, 52 ab initio rerum Bomanarum (rhetorische Übertrei-
bung und Phrase) usque ad P. Mucium pontificem maximum (ums J. 123
bis 114; s. § 133, 4) res omnes singulorum annorum mandabat litteris pon-
tifex maximus referebatque in album et proponebat tabulam domi, potestas
ut esset populo cognoscendi: ii qui etiamnunc annales maximi nominantur
(HRR 1, ix). Der offizielle Charakter und die Bestimmung für die große
Menge brachte neben dem Verschweigen von ungelegenen Tatsachen auch
tendenziöse Entstellungen des Sachverhalts mit sich: s. Nissen, krit. Unters. 97.
Von dem trockenen Stil geben besonders die Notizen über Prodigien noch
bei Livius einen Begriff; Luterbacher, Prodigienglaube u. -stil2, Burgdorf
1904. Vgl. auch die Zusammenstellungen HRR. 1, xxiv. Die Stelle Gell. 4, 5,
aus der man auf eine reichere Darstellung geschlossen hat, schöpft nicht
anmittelbar aus den Ann. max., sondern aus Verrius Flaccus.
4. Cato bei Gell. 2, 28, 6 non lubet scribere, quod in tabula apud pon-
tificem maximum est, quotiens annona cara, quotiens lunae aut solis lumini
caligo aut quid obstiterit Vgl. Cic. rep. 1, 25 ex hoc die, quem apud Enni-
um et in maximis annalibus consignatum videmus, superiores solis defectiones
reputatae sunt. Die regelmäßige Aufzeichnung der Prodigien durch die pon-
tifices erfolgte nicht erst seit dem J. 249 (Bernays, ges. Abh. 2, 307. OJahns
Obsequens p. xx), wie man behauptet hat.
§ 76. Annales pontificum. § 77. Commentarii der Priester 137
6. Livius und Dionysius haben die ann. max. nicht unmittelbar benützt,
vielmehr können wir ihre direkte Benutzung nur bei Cicero, Atticus und
Verrius nachweisen; s. Schwegler, RG. 1, 8. 11. Zwar sagt Dionys. 4, 30
iv xalg iviccvöioig avccyQucpcclg ytccxa xbv xsgöccqccxooxov iviccvxov xfjg TvlXiov
ccQ%fi<s xbv 'Aqqovvxcc X£xsl8vxrpi6xa 7taQsilvq>oc{isv. Doch kann er damit auch
Annalisten gemeint haben; vgl. 4, 7 (L. Piso Frugi iv xalg iviavöioig Ttqay-
Haxelccig) und 15 (derselbe iv xjj jtQooxr] xd>v iviavöicov avayQacp&v).
6. JGHullemann, de annalibus maximis, Amsterd. 1855. EHübner, JJ.
79, 401. Peter, HRR. 1, vin. Seeck, die Kalendertafel der Pontifices, Berl.
1885. Enmann, RhM. 57, 517. Pais, Storia crit. I 1, 56. Kornemann, der
Priesterkodex in der Regia, Tüb. 1912. Cichorius, PW. 1, 2248.
77. Wie das Collegium der Pontifices, so hatte auch das der
Augurn seine Bücher (libri oder commentarii augurum). Ebenso
gab es libri Saliorum und commentarii XVvirorum. Außerdem
hatten die einzelnen Priesters chaften ihr Album oder ihre Fasten,
chronologische Verzeichnisse der betreffenden Priester, sowie ihre
Protokolle (acta) über die vorgenommenen Amtshandlungen.
1. Libri augurum zB. Varr. LL. 5, 21. 33. 58. 7, 51. Cic. rep. 1, 63.
2, 54. Fest. 253. 322. Commentarii augurum, Cic. de div. 2, 42. Fest. 317.
Serv. A. 1, 398. Aus diesen libri augurales ist als einziges zusammenhän-
gendes Stück erhalten eine Formel bei Yarro LL. 7, 8 (s. HJordan, krit.
Beitr. 89 u. Goetz-Schoell im Anhang). — Regell, de augurum publico-
rum libris, part. I, Bresl. 1878; fragmenta auguralia coli. Regell, Hirschb.
1882; Commentat. in hon. Reifferscheidii, Bresl. 1884, 61. Brause, libr. de
discipl. augur. rell. I, Lpz. 1875.
2. Libri Saliorum, Varr. LL. 6, 14.
3. Commentarii XVvirorum, Censorin. 17, 9. 10. 11.
4. Über die Sacerdotalfasten s. § 75, 4. — Über die Acta fratrum ar-
valium s. § 65, 1. Lex collegii Aesculapii et Hygiae aus dem J. 153 n. Chr.
CIL. 6, 10234. Dessau 7213.
5. Von den in etruskischer Sprache geschriebenen Ritualbüchern der
Haruspices (Etruscae disciplinae libri, libri Tagetici, nach Tages, dem Ver-
künder dieser Lehre, Vegonici nach Vegone, Begoe nympha: Wissowa, Relig.
544, 2) waren lateinische Übersetzungen und Bearbeitungen vorhanden. Spuren
lateinischer Fassung zB. Serv. Aen. 1, 42, wo das Wort manubiae aus den
libri Etruscorum zitiert wird, in den Gromat. p. 348 Lachm. (Fragment der
f Vegone, s. auch § 58, 2); trügerisch wohl die Spuren hexametrischer
Fassung bei Amm. Marc. 17, 10, 2 (O Müller Etr. 22, 25. Bährens, FPR. 422).
78. Auch die weltlichen Behörden hatten ihre entsprechenden
Aufzeichnungen, meist Protokolle und Akten der verschiedensten
Art (tabulae publicae, commentarii oder libri magistra-
tuum). Ob sie nur Berichte über Geschehenes oder auch Instruk-
tionen für die Behörden erhielten, läßt sich nicht sicher ausmachen.
Die wichtigsten dieser Art sind die tabulae censoriae (ungenauer
138 Die Zeit vor J. 240
libri censorii), Listen über den Personal- und Vermögensstand der
römischen Bürgerschaft, als Ergebnis des abgehaltenen Census, so-
wie Übersichten über das Staatsvermögen. Aber das sind selbst-
verständlich Dinge, die die Literatur nichts angehen.
1. Tabulae publicae zB. Cic. Süll. 42 (A. 3). Verr. 3, 183. Balb. 11. Plin.
n. h. 35, 7 tabulina codicibus implebantur et monimentis verum in magistratu
gestarum. CIL. 10, 7852 descriptum et recognitum ex codice ansato L. Helvi
Agrippae proconsulis (von Sardinien). Die acta sind davon kaum zu unter-
scheiden (Kubit scher , PW. 1, 286). Grundlegend für diese Fragen ist Wilckens
Behandlung der ägyptischen v7to^vr}^cctia^oi, Phil. 53, 80. Commentarii con-
sulum, Varro LL. 6, 88. Im Bericht über den Prozeß von Oropos (Dittenb.
Syll. 1, 334) Z. 30 xovxo o kccl eis tr\v xcbv vTto^ivrnidtcov SiXtov y.ccte%(üqi-
6cc[isv. Z. 57 iv reo av^ißovXico Tta.Qj\Gav ol ccvrol ol i(i ngayiidtcov 6V[ißeßov-
Xsvitsvcov SeXtco Ttgoarj] %r\Qcoiiari TS66aQ86xe£i§sxccTG). Mommsen, Staatsr. 2, 109.
Dahin gehört auch Oriens consul magistrum populi dicat, Vel. Long. GL.
7, 74 (kein Saturnier); vgl. Reifferscheid, RhM. 15, 627. Commentarium ve-
tus anquisitionis M. Sergii M'. f. quaestoris (mit Instruktionen für den vor-
liegenden Fall), Varro LL. 6,90. 91. 92. — Libri magistratuum Liv. 4, 7, 10
neque in annalibus priscis neque in libris magistratuum 39, 52 (in mag. libris);
vgl. 9, 18 (§ 75, 1). — Im allg. MVoigt (§ 70, 1) S. 653.
2. Tabulae censoriae, Varr. LL. 6, 86. Cic. orat. 156. de leg. agr. 1, 4.
Plin. NH. 18, 11. Mommsen, Staatsr. 2, 361, 2. 434, 4. Libri censorii, Gell.
2, 10, 1 ; vgl. rtftrjrtxa yQcc(iiiatcc, Dionys. 4, 22, 2 xi\ir\xi%a v'jto^vrj^.ccTcc ebd.
1, 74, 5. Ähnliches auch in Municipien, vgl. CIL. 11, 3614 commentarium
cottidianum municipi Caeritum pagina XXVII Jcapite VI.
3. Commentarii elöaycoyixoi Gell. 14, 7, 1 in den Familien als Leitfaden
erblich; Cic. Süll. 42 cum pridem ita esse iudicium relatum in tabulas publi-
cas, ut illae tabulae privata tarnen custodia more maiorum continerentur.
Öffentliche Archive gibt es erst seit der Kaiserzeit; Memelsdorff, de archi-
vis imperatorum Rom., Halle 1890. Vgl. § 2, 3. 80, 2.
4. Schwegler, RG. 1, 28. Mommsen, Staatsr. 1, 5. — vPremerstein, PW.
4, 732 läßt auch diese Aufzeichnungen keine Instruktionen enthalten. Über
die commentarii aedilium (Quelle für didaskalische Notizen, Cic. Brut. 72)
Nitzsch, d. röm. Annalistik (1873) 210. 220.
79. Libri lintei, Verzeichnisse der Behörden jedes Jahres,
wurden auf dem Kapitol im Tempel der Moneta aufbewahrt und
werden von Livius als eine Quelle seiner Gewährsmänner öfters er-
wähnt.
1. Leinwand Schreibmaterial der alten Zeit, z. B. Liv. 10, 38 ex libro
vetere linteo der Samniten ritualen Inhaltes, wie die Agramer Mumienbinde
(§ 61, 1). Plin. NH. 13, 69 postea publica monumenta plumbeis voluminibus,
mox et privata linteis confici coepta aut ceris. Fronto ep. ad. Caes. 4, 4
(p 67 Nab.) multi libri lintei, quod ad sacra attinet. Symmach. ep. 4, 34, 3.
Auch später noch schreibt man auf Leinwand, Marquardt-Mau, Privatleben
800. Vgl. MVoigt aO. 661.
§ 78. 79. Libri magistratuum, lintei. § 80. Monumenta privata 139
2. Magistratuum libri, quos linteos in aede reposüos Monetae Macer Li-
cinius citat, Lrv. 4, 20, 8; vgl. ebd. 7, 10. 13, 7. 23, 2. Urkunden auf diesem
Material werden leicht der Zerstörung ausgesetzt gewesen sein, und die,
welche Macer benützte, waren daher, wenn überhaupt vorhanden, wohl
später nachgearbeitet. HRR. 1, cccxlv. Mommsen, Rom. Chronol. 83. FUnger,
JJ. 143, 650.
C) MONUMENTA PRIVATA.
80. Auch Privatleute machten sich Aufzeichnungen für eigenen
Bedarf, sowohl im Zusammenhang mit ihren Hausbüchern als selb-
ständig, namentlich über solche Ereignisse und Erlebnisse, die für
das Geschlecht, für die Familie, für den einzelnen, besonders für
seine öffentliche Tätigkeit, wichtig erschienen.
1. Privata monumenta, Liv. 6, 1, 2. Eigentliche Familienchroniken darf
man sich aber darunter nicht vorstellen, sondern abgesehen von Rechnungs-
büchern, Protokollen (§ 78, 3) udgl. höchstens laudationes (§ 81).
2. Gell. 13, 20, 17 quae ita esse . . cognovimus, cum et laudationes fu-
nebres et commentarium de familia Porcia legeremus. Plin. NH. 35, 7 tabu-
lina codicibus implebantur et monimentis rerum in magistratu gestarum. Fest.
356 tablinum proxime atrium locus dicitur, quod antiqui magistratus in suo
imperio tabulis (eum implebanty. Vgl. auch § 259, 10.
3. Die Niebuhrsche Ansicht vom Einfluß der Familienchroniken auf
unsere Überlieferung bedarf zum mindesten starker Einschränkung: es gibt
für das Vorhandensein solcher Familienchroniken aus republikanischer Zeit
kein Zeugnis. Mommsen, RG. I6, 467. Niese, Herrn. 13, 411. — Schwegler,
RG. 1, 12. ELübbert, de gentium Rom. commentariis domesticis, Gießen
1873; de gentis Serviliae, Quinctiae, Furiae, Claudiae comment. Kiel 1875
— 78. vPremerstein, PW. 4, 755.
81. Zu dieser Gattung gehören die Ahnenlisten und Familien-
stammbäume (stemmata), die Aufschriften (indices, elogia) unter
Ahnenbildern u. dgl., und die Lobreden auf gestorbene Angehörige
(laudationes oder orationes funebres), bei denen man früh und spät
auf Kosten der Wahrheit mit Lob und Anerkennung freigebig war.
1. Die Eitelkeit geringerer Geschlechter versuchte eine Verwandtschaft
mit vornehmen nachzuweisen, die der vornehmen (wie der Antonii und der
lulii, die schon um J. 150 den Venuskopf auf ihre Münzen setzen), ihre
Ahnen bis auf Trojaner und auf Götter zurückzuführen. Zusammenstellung
von Varro, de familiis Troianis (§ 166, 4e). Festus 130. 166. Dionys. 4, 68.
Plut. Fab. 1. Anton. 4. Num. 1. Plin. NH. 35, 8 etiam mentiri clarorum
imagines erat aliquis virtutum amor. Scet. Iul. 6. Vitell. 1 extat elogi . .
libellus, quo continetur Vitellios Fauno Aboriginum rege et Vitellia, quae mul-
tis locis pro numine coleretur, ortos toto Latio imperasse u. a. Über Atticus'
genealogische Arbeiten s. § 172, 2 c. Vgl. Norden, JJ. 1901 VII 257; unten
S. 151.
140 Die Zeit vor J. 240
2. Suet. Galb. 3 imagines et elogia generis. Vitell. 1 extatque elogi ad
Q. Vitellium . . libellus (§ 259, 10). Solche Aufschriften einer Reihe von
Ahnenbildern (elogia d. i. iXsyslcc??) wurden in späterer Zeit nach verschie-
denen Quellen angefertigt, und aus ihnen schöpften wohl hauptsächlich die
Leichenreden ihre Angaben über die Vorfahren. Augustus schmückte die
Hallen des Marstempels auf seinem Forum mit den Statuen römischer Hel-
den von Aeneas und Romulus abwärts; die elogia auf den Basen derselben
(Hör. C. 4, 8, 13 erwähnt sie schon: incisa notis marmora publicis, per quae
spiritus et vita redit bonis post mortem ducibus) sind teils im Original teils
in Kopien erhalten: CIL. 1, p. 186. Dessau 50 ff. Das darin verarbeitete ge-
schichtliche Material ist zum Teil verdächtig und sichtlich nicht nur aus
Urkunden, sondern auch aus gelehrter (mehr oder minder ehrlicher) For-
schung entlehnt. OHirschfeld, Sehr. 814. Hildesheimer, de libro de vir.
illustr. Berl. 1880, 30. vPremerstein, PW. 5, 2444. Ähnliche Elogien in der
Basilika Aemilia: Huelsen, Klio 2,248. Aufschriften auf Statuen oder Hermen
für Bibliotheken, CIL. 1, p. 281. Literarische Elogien in gebundener Form
von Varro, Titinius Capito (§ 332, 2), dem älteren Symmachus, sowie AL.
831—855 PLM. 8, 396 (s. § 357, 2). Anderes s. § 83. 90, 1. 115, 2.
3. GCurtius, d. Etymol. des Wortes elogium, kl. Sehr. (Lpz. 1886) 2,230.
AFleckeisen, JJ. 93, 3. Düntzer, ZvglSprachf. 16, 275. HJordan, Herrn. 15, 20;
vindic. serm. lat., Kgsb. 1882, 19. Mehr bei vPremerstein aO. 2440.
4. Liv. 8, 40 vitiatam memoriam funebribus laudibus reor falsisque ima-
ginum titulis, dum familia ad se quaeque famam rerum gestarum honorum-
que fallente mendacio trahunt; vgl. 4, 16 u. Cic. Brut. 61 nee vero habeo
quemquam (Catone) antiquiorem, cuius quidem scripta proferenda putem, nisi
quem Appi Caeei oratio haec ipsa de Pyrrho (§ 90, 3) et non nullae mortuo-
rum laudationes forte delectant. et hercules hae quidem extant: ipsae enim
familiae sua quasi omamenta ac monumenta servabant et ad usum, si quis
eiusdem generis oeeidisset, et ad memoriam laudum domesticarum et ad illu-
sirandam nobilitatem suam. quamquam Ms laudationibus historia rerum no-
strarum est facta mendosior ; multa enim scripta sunt in eis, quae facta non
sunt etc. Die Sitte solcher laudationes ist alt, Dionys. 5, 17. Plut. Poplic. 9;
vgl. Polyb. 6, 53. Noch M. Aurelius und Verus laudavere pro rostris patrem,
Capitol. Ant. phil. 7, 11.
5. Verhältnismäßig frühzeitig wurden laudationes in Buchform heraus-
gegeben. Solche gab es von Q. Caecilius Metellus (Plin. NH. 7, 139) auf
seinen Vater Lucius (J. 221), Fabius Cunctator auf seinen Sohn (zwischen
J. 207 und 203, vgl. Plut. Fab. 1), M. Claudius Marcellus (Liv. 27, 27) auf
seinen Vater (J. 208), Laelius auf den Jüngern Africanus usw. Aus späterer
Zeit s. § 195, 2. 210, 2E.; vgl. § 220, 2. 275, 2.
6. Die erste nicht amtliche (vgl. Liv. 5, 50, 7. Plut. Camill. 8) Leichen-
rede auf eine Frau (seine Mutter) hielt Lutatius Catulus (Cos. 102), Cic. de
or. 2, 44. Seitdem wurde auch dies Sitte (Suet. Iul. 6), wenigstens für Frauen,
deren Söhne emporgekommen waren (Plut. Caes. 5). Vgl. § 267, 4. 356, 5.
7. Schwegler, RG. 1, 16. HGraff, de Rom. laudationibus, Dorpat 1862.
CMartha, Foraison funebre chez les Rom., etudes morales, Par. 1883. Vollmer,
Laudat. funebrium historia, JJ. Suppl. 18, 445.
§ 81. Laudationes. § 82. Loblieder 141
82. Auch Loblieder auf Verstorbene gab es schon in alter
Zeit. Sie wurden bei den Leichenbegängnissen unter Begleitung
der tibia gesungen (naeniae), oder bei festlichen Gelagen durch
Knaben, später von den Teilnehmern im Rundgesang, gleichfalls
zur tibia. Beide Sitten sind uralt, und die erste bestand auch —
wiewohl entartet — bis in späte Zeiten fort; die zweite war schon
einige Menschenalter vor der Zeit des älteren Cato im Erlöschen.
1. Tac. A. 3, 5 Veterum instituta, . . meditata ad memoriam virtutis
carmina etc.
2. Fest. 161. 163 naenia est Carmen quod in funer e laudandi gratia
cantatur ad tibiam; vgl. Cic. leg. 2, 62 naenia, quo vocabulo etiam apud
Graecos cantus lugubres nominantur (Poll. 4, 79 ro ds v7]vlaxov hti [ilv &QV-
yiov yttl). Quintil. 8, 2, 8. Ursprünglich wurde sie wohl beim Leichen-
schmause und durch die Angehörigen (vgl. Suet. Aug. 100) gesungen, später
vor dem Trauerhause, beim Leichenzuge und &m Orte des Yerbrennens
durch bezahlte Klageweiber, praeßcae, die vielleicht aus Etrurien stammen
(schon Naevius bei Ribbeck Com. V. 129 haec . . praeficast, nam mortuum
collaudat; Plaut. Truc. 495 praefica, quae alios collaudare . . potest. Varro
LL. 7, 70 mulier . . quae ante domum mortui laudes eius caneret u. a. St.);
sie war bald als geschmacklos berüchtigt (naenia, ineptum et inconditum
Carmen etc. Non. 145; vgl. Plaut. Asin. 808 haec sunt non nugae; non
enim mortualia. Petron. 47. 58. Capitol. Clod. Alb. 12 naeniis quibusdam
anüibus occupatus, u. a. St. bei Teuffel, PRE. 5, 395) und kam daher ab.
JWehr, de Rom. nenia (im TLqq71z\jltixi%qv für Cürtius, Gott. 1868, p. 11).
de la Ville de Mirhont, Rev. Phil. 26, 263.
3. Cic. Brut. 75 utinam exstarent illa carmina, quae multis saeculis ante
suam aetatem in epulis esse cantitata (deinceps Tusc. 4, 3) a singulis convi-
vis (spätere, von den Griechen entnommene Sitte, Mommsen, RG. I6, 222. 452)
de clarorum virorum laudibus in Originibus scriptum reliquit Cato! Ygl.
Tusc. aO. u. 1, 3. Val. Max. 2, 1, 10. Dagegen bezeugt eine wohl ältere
Varro bei Non. s. v. assa voce: in conviviis pueri modesti ut cantarent car-
mina antiqua, in quibus laudes erant maiorum, et assa voce et cum tibicine.
Ygl. auch Hör. C. 4, 15, 25 virtute functos more patrum duces . . canemus,
und 1, 12. Zurückführung auf Numa bei Cic. de or. 3, 197. Angebliche Lob-
lieder auf Romulus und Remus bei Dionys. 1, 79, 10 mg iv zolg TtuxQioig
vpvoig V7ib *Pco[lcclcov %%i %a\ vvv adstca. Plut. Nnm. 5. Was von Coriolan
Dionys. 8, 62, 3 sagt: adsrcci ytal v^ivstrai TtQog Ttdvtcov <hg svösßrjg %a\ di-
Kcciog, gestattet keinen Schluß auf Heldenlieder. Ygl. CZell, Ferienschr. 2,
170. 193.
4. Schon Perizonius (Animadv. histor. cap. 6) hielt solche Loblieder für
eine Quelle der römischen Sagengeschichte. Ribbeck. Gesch. d. röm. Dicht.
1, 8. Niebuhr hat dann unter dem Einflüsse romantischer Anschauungen
diese Lieder für Rhapsodien eines zusammenhängenden Epos angesehen und
darauf die Vermutung gebaut, daß es der auf uns gekommenen Darstellung
der ältesten röm. Geschichte als Quelle gedient habe und deshalb diese
einen so poetischen Charakter an sich trage. Über diese viel zu weit gehende
142 Die Zeit vor J. 240
und jetzt mit Recht aufgegebene Ansicht s. bes. WCorssen, orig. 112. 162.
Schwegler, RGr. 1, 53. Soltau, Anf. d. röm. Geschichtschr. 2. Pais, Storia
crit. I 1, 21. Dafür wieder: Krepelka, Phil. 37, 450. de Sanctis, Storia dei
Romani, Turin 1907.
83. Denkmäler verwandter Art sind die Aufschriften auf Weih-
geschenken, Ehrensäulen, Grabdenkmälern und Geräten, deren uns
aus den ersten Jahrhunderten der Republik eine Anzahl literarisch
oder inschriftlich erhalten ist. Literarisch: 1) die Inschrift an dem
von A. Cornelius Cossus J. 437 (J. 428?) geweihten leinenen Panzer
des Tolumnius, den noch Augustus sah; 2) die tabula triumphalis
des Diktators T. Quinctius vom J. 380; 3) die Grabschrift des A. Ati-
lius Calatinus (Cos. 258). Inschriftlich: 4) die der Zeit um 500
(mit weitem Spielraum) angehörende Inschrift, die auf dem römi-
schen Forum unter dem lapis niger gefunden worden ist und die
Bestimmungen über den rex und den kalator zu enthalten scheint.
5) die Widmungsinschrift auf einer goldenen Fibel, etwa aus dem
3. Jahrh. d. St., gefunden in einem Grabe zu Präneste; 6) die In-
schrift des D venös, aus dem 5. Jahrh. d. St.; 7) die Weihinschrift
des Marsers Caso Cantovios etwa aus dem 2. Samniterkrieg (Ende
des 4. Jahrh.); 8) von den Scipionengrabschriften die drei ältesten,
die Namensaufschrift des L. Cornelius Cn. f. Scipio (Cos. 298), die
seines Sohnes L. Cornelius L. f. Scipio (Cos. 259) und des letzteren
elogium in Saturniern; 9) die Inschrift an der columna rostrata, die
dem C. Duilius, zu Ehren seines Seesiegs über die Karthager im
J. 260, errichtet wurde; 10) die Inschrift des ältesten uns erhaltenen
Meilensteins um J. 254. — Von anderen Inschriften reichen wohl
noch in das fünfte Jahrh. d. St. zurück diejenigen aus dem Grab
der Furier bei Tusculum, manche auf pränestinischen Cisten und
Spiegeln, sowie Weihinschriften aus dem Hain bei Pisaurum u. a.
1. Liv. 4, 20.
2. Liv. 6, 29. Festus 363 (saturnisch).
3. Cic. Cato 61 Carmen incisum in sepulcro-, vgl. fin. 2, 116 (saturnisch).
4. Altertümliche Bustrophedoninschrift auf einem Tuffcippus, der bei
einer Regulierung jener Forumsgegend, vielleicht in sullanischer Zeit, oben
abgehauen wurde; es lag darüber das lapis niger genannte Pflaster, unter
dem man das Grab des Romulus suchte. Buchstaben- und Sprachformen
sind sehr altertümlich: c steht auch für g, iouestod für iustod, iouxmenta
für iumenta (danach spricht man wohl von der Iouxmenta-Inschrift). Die
Worte recei und Tcdlatorem geben am ehesten eine Hindeutung auf den In-
halt: es kann ebenso gut der wirkliche König wie der republikanische rex
sacrorum gemeint sein. Gefunden 1899, zuerst publiziert Not. d. sc. 1899,
151 (Dessau 4913); vgl. etwa noch Hülsen, Klio 2, 228. WOtto, Arch. Lex.
§ 83. Älteste Inschriften 143
12, 102. Skutsch, Vollm. JB. 6, 453. Holzapfel, JB. 127, 257. Tropea, Riv.
stör. ant. 4, 469 usw.
5. rmanios med fhefhaJced numasioV (linksläufig) d. i. Manius me fecit
Numerio. 1886 entdeckt; Dümmler, Rom. Mitteil. 1887,40. Lignata, ebd. 139.
Bücheler, RhM. 42, 317. Wölfflin, Arch. Lex. 4, 143. CIL. I2 3, 370. Dessau
8561.
6. Auf einem kleinen Tongefäß, bestimmt für Totenopfer am Novendial
merkwürdige Ritualvorschrift, 1880 in Rom beim Quirinal gefunden, links-
läufig; Dressel, ann. d. inst. 52, 158. Bücheler, RhM. 36, 235. Thurneysen,
Zvgl.Spr 35, 193. Text und weitere Literaturangaben in ESchneiders DIE.
1,19. CIL. I2, S. 371. Dessau 8743. Außerdem andere kurze Weihinschriften
auf sehr alten Tongefäßen Südetruriens CIL. 1, 43 fl. DIE. 1, 20 fl.
7. Über diese halbfurchenförmige (ßovöTgocpridbv) Inschrift (Z. 1. 3. 4
rechtsläufig, Z. 2. 5 linksläufig) auf einer Erztafel, gefunden 1877 im Fuciner
See vgl. Bücheler, RhM. 33, 489. DIE. 83.
8. Die Scipionengrabschriften wurden 1614 und 1780 an der appischen
Straße ausgegraben: oft abgedruckt und erläutert. Neuerdings Priscae Lat.
Monum. Tfl. 37—42. CIL. 1, 29—39 (auch 6, 1284—1294). DIE. 1, 88—93.
CEL. 6—10. Dessau 1 — 10. Die in der Zeit vor J. 240 fallenden sind im
CIL. 1 Nr. 29. 31. 32. Die Sitte der Grabschriften ist griechisch; in ihrer
Annahme zeigt sich die hellenisierende Richtung der Scipionen.
9. FRitschl, opusc. 4, 183. 204; PLMon. t. 95; ferner CIL. 1, 195. 6, 1300;
DIE. 1, 391. Dessau 65. So wie die Inschrift vorliegt, ist sie keinesfalls
ursprünglich, sondern aus der Kaiserzeit; und zwar ist sie wohl die Er-
neuerung der ursprünglichen Inschrift mit Einmischung von jüngeren Sprach-
formen (Ritschl, opusc. 4, 234; Woelfflin SB. bayr. Ak. 1890, 295. 1896,
190. Münzer, PW. 5, 1777); nicht mehr haltbar scheint Mommsens Ansicht
(CIL. 1, p. 40), daß die neben späteren Formen sich findenden überalter-
tümlichen, sowie zahlreiche sachliche Schwierigkeiten und der ganze red-
selige Ton darauf schließen lassen, daß die Säule ursprünglich keine oder
nur eine ganz kurze und einfache Inschrift hatte, die erhaltene aber erst
bei einer Erneuerung des Denkmals unter Kaiser Claudius nach den vor-
handenen Geschichtsquellen und unter gesuchter Nachbildung der altertüm-
lichen Ausdrucksweise (bes. nach der Inschrift des L. Aemilius Regillus über
seinen Seesieg bei Myonnesos, Liv. 40, 52) angefertigt wurde.
10. Dieser Meilenstein (miliarium) von der via Appia, jetzt zu Mesa,
ist veröffentlicht CIL. 10, p. 1019 zu Nr. 6838. DIE. 1, 283.
11. Die tituli Furiorum CIL. 1, 65 DIE. 1, 60; die pränestinischen CIL.
1, 54 DIE. 1, 41; die von Pisaurum CIL. 1, 167 DIE. 1, 68. Bronzetäfelchen
aus dem Fucinersee mit Bustrophedoninschrift CIL. I2 p. 372. Diehl 161.
Anderes zB. Bücheler RhM. 52, 391. Skutsch Glotta 1, 414. Diehl, Altlat.
Inschr., Bonn 1909. — Was aus dieser Zeit durch Inschriften auf Münzen,
Gefäßen, Bildwerken und sonst an Geschriebenem auf uns gekommen ist,
findet sich im CIL. Bd. 1 gesammelt, dessen pars prior (p. 1 — 40) die In-
scriptiones vetustissimae , bello Hannibalico quae videntur anteriores, ent-
hält (in der 2. Aufl. Bd. 1 fasc. 2, lff.). Dazu die Auswahl: DIE. 1, 1—89.
Über die elogia § 81, 2.
144 Die Zeit vor J. 240
84. Alt ist ferner die Sitte, daß beim Siegeseinzuge eines Feld-
herrn das Heer Lieder preisenden nnd neckenden Inhaltes vortrug
(carmina triutnphalia), häufig im Weehselgesange.
1. Liv. 5, 49, 2 Camillus inter iocos militares , quos inconditos iaciunt,
Bomulus ac parens patriae conditorque alter urbis . . appellabatur. 45, 38, 12
militum . . qui et ipsi laureati et (suis) quisque donis, quibus donati sunt,
insignes triumphum nomine cientes suasque et imperatoris laudes canentes
per urbem incedunt. App. Pun. 66 r&v ccq%6vxcov ovg ^hv inaivovßiv ovg ds
6y.mntov6iv ovg 8s ipiyovöiv cccpslrjg yao 6 d'Qia^.ßog -aal iv it-ovöia Xsysiv
o tl dikoisv. Plut. Aemil. P. 34 ö 6TQcctbg . . a8cov tcc \isv adug nvccg na-
TQiovg avcc[i8[ii,yiL£vccg ysXmzL, xcc 8s nociüvag STiiviY.iovg y.ul r&v dicc7t87iQccyii4-
vav iitccivovg. — Form des Wechselgesangs {altemis versibus): Liv. 4, 53, 11.
Plin. NH. 19, 144. Vgl. auch § 3, 3. 11, 2 u. 3. — Refrain io triumphe,
Varro LL. 6, 68. Tib. 2, 5, 118. Liv. 3, 29. Vgl. Hör. C. 4, 2, 49 f. Ov. trist.
4, 2, 51.
2. Die erhaltenen Verse (durchweg troch. Septenare) FPR. 330. — Zell,
Ferienschr. 2, 148. Marquardt, Staatsverw. 2, 528. HBernstein, versus lu-
dicri in Caesares priores compositi, Halle 1810. Guicherit, de carminibus
Marciorurn (§ 66, 2) et de carm. triumphal. Rom., Leid. 1846. Kempf, JJ.
Suppl. 26, 357.
85. Volkstümlichen Charakter und teilweise saturnischen Rhyth-
mus hatten auch die alten Witterungsregeln, Beschwörungsformeln,
Zaubersprüche u. dgl.
1. Fest. 93 in antiquo carmine: hiberno pulvere, verno luto grandia farra
camille metes (vgl. Plin. NH. 17, 14. Macr. sat. 5, 20, 18 in libro vetustissi-
morum carminum . . invenitur hoc rusticum vetus canticum: hiberno usw.
Serv. Georg. 1, 101). Marx, ZöG. 1897, 220 stellt Senare her und vergleicht
Plut. aet. phys. 16 (PLG. 3, 669) Glxov iv tcvIco cpvrsvs, rrjv 8s kql^v iv
kovsi. Vgl. § 94, 9. — Plin. 28, 29 carmina quaedam exstant contra gran-
dines contraque morborum genera usw.; ebd. 27, 131 reseda, morbis (morbos
vulg.) reseda! scisne, scisne quis hie pullus egerit radices? nee caput nee
pedes habeat, was man in Verse zu bringen versucht hat. Heim JJ. Suppl.
19, 478. 549. Cato RR. 160 (Zauberformel in 'Ecpißia yocciiiiccrcc, Skutsch
bei Heim aO. 565). Varro RR. 1, 2, 27 (Heilspruch gegen die Gicht) terra
pestem teneto, salus hie maneto. Anderes bei Heim aO. Allgemein gehaltene
Äußerungen der augusteischen Dichter über carmina dürfen nicht auf latei-
nische Zauberformeln bezogen werden ; vgl. zB. Dedo, de antiqu. superstitione
amatoria, Greifsw. 1904. — Mommsen, RG. I6, 221. 459. Vgl. § 11. 61. Auch
Bücheler, RhM. 34, 343. Bergk, op. 1, 556. Leo, der Saturn. Vers 62.
D) RECHTSQUELLEN UND RECHTSLITERATUR
86. Nach römischer Überlieferung, die in der neueren Zeit wohl
mit Unrecht angezweifelt worden ist, führte die seit Abschaffung
des Königtums für die Plebejer immer drückender werdende Rechts-
unsicherheit und Rechtsungleichheit gegenüber den Patriziern nach
§ 86. Die zwölf Tafeln 145
langen Kämpfen am Anfange des vierten Jahrh. d. St. zur Herstel-
lung und Einführung eines gemeinen Landrechts, durch welches
das bestehende, aber größtenteils ungeschriebene Gewohnheitsrecht
zusammengestellt und inhaltlich durch eine neugewonnene Kenntnis
auswärtiger Staats- und Rechtsverhältnisse verbessert wurde: die
Gesetzgebung der zwölf Tafeln. Sie regelte das Zivilrecht und
Zivilverfahren, umfaßte aber auch religiöse, strafrechtliche und
polizeiliche Bestimmungen. Der fortschreitenden Praxis und Sprach-
entwicklung wurden diese Gesetze schon frühzeitig durch eine teil-
weise sehr freie Auslegung (interpretatio) angepaßt.
1. J. 454 lex Terentilia, angebliche Absendung dreier Gesandten nach
Hellas. Rückkehr J. 452, Wahl eines Gesetzgebungsausschusses (Xviri legi-
bus scribundis), Amtsantritt im Mai 451, Abfassung von 10 Tafeln, zu denen
im J. 450 noch zwei hinzukamen. Angebliche Beihilfe des Ephesiers Her-
modoros. FBoesch, De XII tab. lege a Graecis petita, Götting. 1893. Vgl.
über die nicht unbedeutende Literatur, die die Echtheit der Zwölftafelge-
setzgebung anzweifelt, und ihre Gegner Krüger, Gesch. der Quellen 8 ff. Kipp,
Geschichte der Quellen3 § 7 bes. 35 Anm. 4. Für die Echtheit namentlich
Girard, histoire de l'organisation judiciaire des Romains 1 (Paris 1901)
§ 50 n. 2., Nouvelle Revue historique 25 (1902) p. 381.
2. Einfluß der solonischen Gesetzgebung wird behauptet: Cic. leg. 2,
59. 64. Dig. 10, 1, 13. 47, 22, 4. Plut. Sol. 21. 23. FHofmann, Beitr. z. Gesch.
d. griech. u. röm. Rechts (Wien 1870). S. lff. Krüger, Gesch. der Quellen
2. 9. A. 8.
3. Die XII tabulae wurden fons omnis publici privatique iuris, Liv. 3, 34.
Vgl. Dionys. 10, 3. Auson. op. 26, 61. Tac. A. 3, 27. Die zwei letzten Ta-
feln werden oft vom allgemeinen Lobe ausgenommen, Cic. de rep. 2, 61. 63.
4. Diod. 12, 26 §Qcc%£cog v.al dcTCsgirrcos avy^si^vri. Gell. NA. 20, 1, 4
eleganti atque absoluta brevitate verborum scriptae, doch daneben quaedam
obscurissima aut durissima usw.
5. Auf Erz gegraben (Liv. 3, 57. Dionys. 10, 57. Diod. 12, 26). Nach
dem Rückzug der Gallier (J. 387) befahlen die Consulartribunen foedera ac
leges (erant autem eae XII tabulae . . .) conquiri quae comparerent (Liv. 6, 1).
Wahrscheinlich ist dies erst spät geschehen, nachdem inzwischen die ur-
sprünglichen Gesetze lediglieh in der Gewohnheit lebten und dabei Um-
formungen des Wortlautes und Änderungen des anfänglichen Inhalts er-
fuhren. Mit dieser Annahme wird man den Zweifeln an der Echtheit der
überlieferten Bruchstücke gerecht, ohne genötigt zu sein, die ganze über-
lieferte Geschichte der Zwölftafelgesetzgebung in das Gebiet der Sage zu
verweisen. Bis in die ciceronische Zeit in den Schulen auswendig gelernt,
Cic. leg. 2, 9. 59. In der Zeit des Diodor (12, 26 difysivE ^av^o^vr}
li£%Qi x&v xa-fr' T)(iäg kcciq&v) und des A. Gellius (20, 1) noch vorhanden. Für
die des Cyprian geht es aus dessen rhetorischer Wendung keineswegs her-
vor: ad Donat. 10 incisae sint licet leges XII tabulis et publico aere prae-
fixo iura proscripta sint, — inter leges ipsas delinquitur, inter iura peccatur.
Teuffei: röm. Literaturgeech. Neub. 6. Aufl. I. 10
146 Die Zeit vor J. 240
6. Commentatoren : Sex. Aelius Catus (Cic. leg. 2, 59. Top. 10. Pompon.
dig. 1, 2. 2. § 38), über dessen tripartita (das sog. ius Aelianum) zu ver-
gleichen ist Jörs, röm. Rechtsw. 203 if. Krüger, Geschichte der Quellen2 58
und die bei Kipp, Geschichte der Quellen 100, 9. 10 Genannten, auch Kar-
lowa, Röm. Rechtsgeschichte 1, 475 und vMayr, röm. Rechtsgeschichte 85,
auch Klebs Aelius, 105, PW. 1, 527. — L. Acilius (Cic. leg. aO.), L. Aelius
Stilo (§ 148, Iff.), Ser. Sulpicius Rufus (dig. 50, 16, 237. Fest. 210. 322 vgl.
174. 321. 376), Antistius Labeo (Gell. NA. 1, 12, 18. 7, 15, 1. 20, 1, 13),
Valerius (Fest. 321. vgl. 253. 355. Scholl, XII tabb. p. 35), Gaius (von dessen
Kommentar 20 Bruchstücke in den Digesten erhalten sind).
7. Sammlang und Bearbeitung der Überreste der zwölf Tafeln nächst
Gothofredus (zB. in Ottos The^aur. iur. rom. 3, 1) von Dirksen, Kritik und
Herstellung des Textes der Zwölftafelfragmente, Lpz. 1824. Legis XII tabb.
reliquiae, ed. RSchöll, Lps. 1866. M Voigt, d. XII Tafeln, Lpz. 1884 II.
Bruns, fontes5 14. — Über die Zwölftafelgesetzgebung s. bes. Schwegler,
RG. 3, 1. — OKarlowa, röm. Rechtsgesch. 1, 108 und die oben A. 1 Ge-
nannten.
87. Die Errungenschaft der zwölf Tafeln wurde den Plebejern
dadurch, verkümmert, daß die Patrizier sich in den Alleinbesitz
der Auslegung und Anwendung dieses Gesetzes zu setzen wußten.
Auch die Kenntnis der genaueren Formen des gerichtlichen Ver-
fahrens (legis actione s), sowie der Tage, an denen ein Rechts-
geschäft zulässig war, blieb den Plebejern verschlossen.
1. Interpretatio legum, auctoritas prudentum, disputatio fori (ius civile
im eng. Ö.), Pompon. dig. 1, 2, 2. § 5. Et interpretandi scientia et actiones
apud collegium pontißcum erant, ebd. § 6; vgl. Val. Max. 2, 5, 2.
2. Legis actiones teilweise älter als die 12 Tafeln, bes. die per sacra-
mentum und wohl auch die per iudicis (arbitrive) postulationem-, dagegen
nicht per condictionem, per manus iniectionem, per pignoris capionem. PRE.
4, 902. ASchmidt, de originibus legis actionum, Freib. 1857. vKeller, röm.
Civiiproc, 6v. AWach, Lpz. 1883 (u. die dort angeführte Literatur).
3. Plin. NH. 33, 17 diebus fastis, quos populus a paucis principum quo-
tidie petebat, vgl. Cic. Mur. 25. Vgl. § 74. Jörs, Römische Rechtswissen-
schaft 15 ff. Krüger, Gesch. d. Quellen 27 ff.
88. Abhülfe verschaffte nach einer in ihrem Inhalt zweifelhaften
Überlieferung Cn. Flavius als curulischer Aedil im J. 304, der mit
Unterstützung des Ap. Claudius den Festkalender und die Legis-
aktionen veröffentlichte: Fasti und ius Flavianum.
1. Cic. Mur. 25 posset agi lege necne, pauci quondam sciebant; fastos
enim vidgo non habebant. erant in magna potentia, qui consulebantur, a qui-
bus etiam dies tamquam a Chaldaeis petebatur. inventus est scriba quidam
Cn. Flavius, qui . . . singulis diebus ediscendis fastos populo proposuerit et
ab ipsis capsis iuris consultorum sapientiam compilarit. itaque irati Uli, quod
sunt veriti, ne dierum ratione pervulgata et coynita sine sua opera lege (agi)
§ 87. Legis actiones. § 88. Cn. Flavius 147
posset, verba quaedam composuerunt , ut omnibus in rebus ipsi Interessent.
Diese Darstellung weiß nichts von der Veröffentlichung der legis actiones
durch Flavius. Liv. 9, 46 Cn. Flavius . . . civile ius repositum in penetrali-
bus pontificum evulgavit fastosque circa forum in albo proposuit, ut quando
lege agi posset sciretur. Plin. NH. 33, 17 Appii Caeci (s. § 90) scriba, cuius
hortatu exceperat eos dies consultando assidue sagaci ingenio. Val. Max. 2,
5, 2. Krüger, Gesch. d. Quellen2 32. Da die Veröffentlichung auf Anraten
des Appius Caecus geschah, so kann sie nicht, wie man später annahm,
ein Schlag gegen den patrizischen Einfluß gewesen sein, wie Pomponius
Dig. 1, 2, 2, 7 erzählt, demzufolge die Sammlung von Appius Claudius ver-
faßt und diesem von Flavius zum Zwecke der Veröffentlichung gestohlen
worden ist. Vielmehr standen die Prozeßformulare und die Verhandlungs-
tage schon längst durch Gewohnheitsrecht und pontifikale Aufzeichnungen
fest. Verborgen können sie auch nicht gewesen sein, da sie in der Praxis
zutage traten. Immerhin war ihre Sammlung und Herausgabe dem Volke
erwünscht und hatte die vielleicht gar nicht beabsichtigte Folge, daß die
Kechtskonsulenz von den Priestern auf angehende Staatsmänner überging,
die in ihr eine Staffel der politischen Laufbahn sahen und zu denen auch
Plebejer gehörten, ebenso wie schließlich auch zu den pontifices.
2. Legis actiones composuit, Cic. Att. 6, 1, 8; vgl. de or. 1, 186. Pompon.
dig. 1, 2, 2, 7. Hie Über, qui actiones continet, appellatur ius civile Flavia-
num, Pompon. aO. Später ergänzt und fortgeführt durch Sex. Aelius, der
alias actiones composuit et Uhr um populo dedit, qui appellatur ius Aelianum;
vgl. § 125, 2. MVoigt (s. § 49, 5) S. 328. Auszüge aus dem ius Flavianum
bei Probus de notis? Mommsen, Lpz. Ber. 1853, 133. Jörs, Rom. Rechtsw.
70 ff. Kipp, Geschichte der Quellen3 99. Karlowa, röm. Rechtsg. 1, 475 u.
oben § 86, 6. Die Nachricht über die beiden Veröffentlichungen auf Ennius
zurückzuführen, während sich wenigstens für die Darstellung des Liv. und
Plin. Macer und Piso als Quellen ergeben (Münzer, Beitr. z. Quellenkr. 225),
und ihr jeden Wert abzusprechen (Seeck, Kalendertafel 1 — 56) geht nicht
an. Daß Fl. die Konsularfasten redigiert und dadurch eine Vorarbeit für
die Capitolinischen Fasten (§ 75, 2) geliefert habe, ist möglich, aber nicht
zu erweisen (KJNeumann, Hist. Z. 96, 44. Sigwart, Klio 6, 278). — Münzer,
PW. 6, 2526.
89. Nachdem so die Rechtsquellen alle öffentlich geworden
waren, hörte die Rechtskenntnis auf, ein Vorrecht der Priester zu
sein: unter den ältesten Rechtsgelehrten sind neben einigen Patri-
ziern die bedeutendsten die Plebejer P. Sempronius Sophus und
Tiberius Coruncanius, der erste Rechtslehrer.
1. Pompon. dig. 1, 2, 2 § 37 fuit . . maximae scientiae Sempronius, quem
populus Rom. öoepov appellavit (Cos. 304, unter den ersten plebej. Pontifices
J. 300, Censor 299; PRE. 6, 974); C. Scipio Nasica, qui Optimus a senatu
appellatus est (Verwechslung? Derjenige, welcher [aber erst im J. 204] den
Beinamen Optimus erhielt, heißt sonst immer Publius und war Konsul 191;
PW. 4, 1501), cui etiam publice domus in Sacra via data est, quo facilius con-
suli posset. deinde Q Mucius ('? Maximus vermutet Bynkerslioek). ... § 38:
10*
148 Die Zeit vor J. 240
post hos fuit Ti. Coruncanius, qui, ut dixi (§ 35), primus profiteri coepit.
cuius tarnen scriptum nulluni extat, sed responsa complura et memorabilia
eins fuerunt (feruntur Muretus). Er war Cos. 280 und der erste plebejische
Pontifex maxiinus. PW. 4, 1663. ESchrader, Civilist. Magazin 5, 187. Jörs,
Rom. Rechtswissenschaft 73. Karlowa, röm. Rechtsgeschichte 1, 475. Krüger,
Gesch. d. Quellen2. 55.
2. Ob Sophus und Coruncanius ihrer Rechtskenntnis ihr Priesteramt
verdankten oder umgekehrt ihrem Priesteramte ihre Rechtskenntnis, bleibt
zweifelhaft; Mommsen, RG. I6, 469.
90. Die hervorragendste Erscheinung dieser Zeit aber und ihr
um ein Jahrhundert voraus war Appius Claudius Caecus (Cen-
sor 312, Cos. 307 und 296), der geniale Edelmann, der die Be-
schränkung des vollen Gemeindebürgerrechts auf die Ansässigen
aufhob, der das alte Finanzsystem brach, von dem die römischen
Wasserleitungen und Straßen, die römische Jurisprudenz, Beredsam-
keit und Grammatik ausgehen, ja von dem auch die Anfänge einer
lateinischen Schriftprosa sowie einer Kunstpoesie herrühren.
1. Sein elogium: CIL. I2, p. 192. Dessau 54. Plin. NH. 35, 12 posuit
in Bellonae templo (von ihm gestiftet J. 296) maiores suos placuitque in ex-
celso spectari et titulos honorum legi. Frontin. aq. 1, 5 Ap. Claudio Crasso
censore, cui postea Caeco fuit cognomen. — Im allg. Mommsen, RG. I6, 454;
Röm. Forsch. 1, 301. Sieke, Ap. Cl. Caecus, Marb. 1890. Krüger, Gesch. d.
Quellen8 32. 57. Jörs, Röm. Rechtsw. 70. Kipp, Geschichte der Quellen8 99.
Münzer, PW. 3, 2681.
2. Pompon. dig. 1, 2, 2, 36 App. Claudius . . maximam scientiam habuit.
hie Centemmanus appellatus est. Appiam viam stravit et aquam Claudiam
induxit, et de Pyrrho in urbem non reeipiendo sententiam tulit (berühmte
Rede vom J. 280, angeblich lange erhalten, s. Varr. bei Isid. orig. 1, 38, 2.
Cic. Brut. 55. 61. Cato m. 16 et tarnen ipsius Appi extat oratio; die Späte-
ren, zB. Sen. ep. 114, 13. Tac. dial. 18. 21. Quint. 2, 16, 7 kommen als
selbständige Zeugen nicht in Betracht. Niese, Herrn. 31, 493 hält sie für
eine Fälschung der ciceronischen Zeit, und mindestens ist ihre Herausgabe
durch Appius selbst zweifelhaft. Cima, L'eloquenza rom. 9). hunc etiam ac-
tiones scripsisse traditum est (vielmehr hat er die legis actiones des Flavius
veranlaßt; Mommsen streicht actiones), primum de usurpationibus qui Über
non extat. idem . . JR litteram invenit (d. h. er schrieb r statt des intervoka-
lischen s, das längst nicht mehr gesprochen wurde, vgl. Mommsen, RG. I6,
470), ut pro Valesiis Valerii essent et pro Fusiis Furii. Doch s. über diesen
Übergang HJordan, krit. Beitr. (Berl. 1879) 104. Auch die Ausscheidung
des Z (das freilich kaum gebraucht worden war) aus dem Alphabet wird
auf ihn zurückgeführt, und vielleicht hat er das g eingeführt (unten S. 160.
Martian. Cap. 3, 261). Jordan aO. 155. Havet, Rev. phil. 2, 15. GMeyer,
ZöG. 31, 122. Vgl. § 93, 6.
3. Sollers iuris atque eloquentiae consultus, L*v. 10, 22; vgl. 19. Er war
der erste, der etwas Prosaisches niederschrieb und herausgab (s. § 35, 1).
§ 89. Sophus und Coruncanius. § 90. Ap. Claudius Caecus 149
4. Cic. Tusc. 4, 4 mihi Appii Caeci Carmen, quod valde Panaetius lau-
dat epistola quadam quae est ad Q. Tuberonem, Pythagoreum videtur. Viel-
leicht, weil es pythagoreischen Spruchsammlungen glich. Vgl. Fest. 317 in
Appii sententiis. Ps.-Sall. ad Caes. de rep. 1, 1, 2 quod in carminibits Ap-
pius ait, fabrum esse suae quemque fortunae. Pkiscian. GL. 2, 384 Appius
Caecus: amicum cum vides obliviscere miserias usw. Saturnier sind anzu-
nehmen, aber nicht überall sicher herzustellen; als Quelle der Sentenzen
erweist Marx, ZöG. 1897, 217. 394 die neuere Komödie. Appius war also
ein Kenner griechischer Literatur. FPR. 36.
IL
GESCHICHTE DER KOMISCHEN LITERATUR
ERSTER HAUPTTEIL
DIE ZEIT DER REPUBLIK UND DES AUGUSTUS
Erste Periode: von Andronicus bis in die sullanische Zeit
J. 240—84
91. Die Jahrhunderte, in denen Rom noch keine eigentliche
Literatur besaß , sind die seiner politischen Größe. Die Literatur
kam erst auf durch das Bedürfnis der Schule und der Schaubühne,
als die Unterweisung durch den Vater, auf dem Markt und im Rat
nicht mehr genügend erschien, und als die Bekanntschaft mit den
{iovölxoI aycbveg der Griechen deren Übertragung nach Rom ver-
anlaßte.
Die römische Literatur steht von vornherein unter dem Einflüsse
der griechischen. Gegenüber der äußerlich abgeschlossenen und
innerlich vollendeten griechischen Literatur, die nach Rom eindrang,
konnten die tastenden Anfänge, welche die Römer auf diesem Ge-
biete gewagt hatten, nicht zur Entfaltung und Geltung kommen.
Sie verkümmerten vom Fremden überwältigt, noch mehr als der
römische Glaube unter dem Drucke des griechischen. Eine römische
Literatur wird durch die griechische erst zum Leben erweckt, und
entwickelt sich deshalb auf Kosten des echtrömischen Wesens.1)
Aber was das römische Schrifttum durch diese unfreiwillige Hingabe
an Originalität einbüßte, hat die fremde Lehrerin mit ihrer groß-
artigen Tradition durch strenge Schulung, durch Behütung vor un-
zähligen Irrwegen, durch Hinweis auf die höchsten Vorbilder ver-
1) Mommsen, RG. I6, 876.
150 Republikanische Zeit: J. 240—84 v. Chr.
gölten. Die Römer aber haben auch in der Literatur die ihnen
sonst eigentümliche Zähigkeit und Anpassungsfähigkeit bekundet,
sich die fremden Formen vollkommen zu eigen gemacht, sie in ein-
zelnen Fällen fortgebildet und oft mit größerer Frische und Kraft
gehandhabt als die dekadenten Hellenen.
Kenntnis griechischer Sprache und Einrichtungen ist in Italien
und Rom uralt. Griechischer Herkunft ist das lateinische Alphabet
(s. u.), die römische Maß- und Gewichtsordnung; griechischen Ein-
fluß finden wir mächtig seit den Tarquiniern ; ihn verrät auch die
servianische Verfassung und die Beschaffenheit der ludi Romani2);
auf gottesdienstlichem Gebiete nährten ihn, nachdem Apollon, He-
rakles und die Dioskuren längst aufgenommen waren, die sibylli-
nischen Bücher. Seit der Eroberung Campaniens, zu Anfang des
fünften Jahrh. d. St., gewinnt dieser Einfluß an Ausdehnung: Bei-
namen wie Philippus, Philo, Sophus, Agelastus haben jetzt nichts
Fremdartiges mehr; die Sitte bei Tische zu liegen, Verstorbenen
Grabschriften und Denkmäler zu setzen u. a. wird den Griechen
entlehnt.8) Als am Ende des fünften Jahrh. auch die Beziehungen
zu dem griechischen Unteritalien immer häufiger werden, können
römische Große bei Gesandtschaften sich schon der griechischen
Sprache bedienen, wie die Seefahrer und Handelsleute unter den
Römern es schon früher verstanden. Durch die zahlreichen griechi-
schen Sklaven und Freigelassenen wurden auch die unteren Stände
Roms mit dem Griechischen bekannt. Im Laufe des vierten Jahrh.
d. St. wurde auf dem römischen Forum ein eigener Platz für die
Griechen (Graecostasis) eingerichtet.4)
Daher war es vielleicht von einiger Wirkung, daß der erste
punische Krieg die Mannschaft Roms in Sizilien mit griechischer
Bildung in engere und länger dauernde Berührung brachte. Von
dort nahm man Geschmack für feinere Genüsse mit nach Hause
und es ist vielleicht kein Zufall, daß schon im Jahre nach Beendi-
gung des ersten punischen Krieges (J. 264 — 241) Andronicus zu
Rom mit Dramen auftreten konnte, und seitdem solche Aufführun-
gen ohne Unterbrechung sich folgten. Selbst während des hanni-
balischen Krieges (J. 218 — 201) nahmen diese in der Hauptsache
2) Mommsen l6, 95. 228.
3) Plin. n. h. 33, 19. Die Nachricht von dein Einfluß der Solonischen
Gesetze auf die Lex XII tabb. ist zu verwerfen. Boesch, de XII tabb. lege
a Graecis petita, Gott. 1893. Doch s. Skutsch, Vollm. JB. 5, 57.
4) Mommsen l6, 452. Vgl. § 83, 7.
§ 91. Die Anfänge der Literatur 151
ihren ungestörten Verlauf; denn des Naevius schriftstellerische
Wirksamkeit fällt zum größten Teile und von der des Plautus
etwa die Hälfte in die Zeit dieses Krieges, in dem die altrömischen
Tugenden sich nochmals in ihrem schönsten Glänze gezeigt haben.5)
Aber als die furchtbare Anspannung aller Kräfte, die er verlangt
hatte, nachließ, als das Gefühl der Erlösung von einer ungeheuren
Gefahr und der Jubel über den endlichen Sieg für alle Genüsse des
Lebens zugänglicher machte, schlug auch die Literatur tiefere Wur-
zeln in Rom, zumal sie schon um J. 206 durch Verleihung der
Zunftrechte an die poetae als bürgerlich achtbar anerkannt worden
war. Zugleich traf es sich, daß J. 204 M. Cato, das künftige Haupt
der altrömischen Partei, den Ennius nach Rom brachte, einen Dichter,
der bald der Bannerträger der modernsten hellenisierenden Rich-
tung werden sollte. Seit dieser Zeit bewahrheitete sich immer mehr,
was Porcius Licinus bei Gellius (17, 21) sagt:
Poenico hello secundo Musa pinnato gradu
Intulit se bellicosam in Romuli gentem feram.6)
Mit Betrübnis sahen die Nationalgesinnten, wie die bewährte alte
Sitte durch fremdes Wesen verdrängt wurde, das ihnen nicht ganz
ohne Grund als Entartung und Verweichlichung erschien.7)
Der in gleichem Verhältnisse mit dem Reichtum wachsende
Ehrgeiz des Adels kam der Schaulust der Menge wetteifernd ent-
gegen; neben anderen Volksbelustigungen wurden daher auch die
dramatischen Aufführungen eifrig gefördert, die Anfertigung von
Stücken für diese wurde zu einer leidlich lohnenden Arbeit, und
neben und nach Plautus sehen wir daher Ennius, Pacuvius, Statius
Caecilius, Terenz hierfür tätig. Die Kriege mit Philipp III von
5) Das Lebensideal eirjes vornehmen Römers schildert Q. Metellus in
der Leichenrede auf seinen J. 221 verstorbenen Vater (§ 123, 2), Plin. NH.
7, 140 voluisse primarium bellatorem esse, Optimum oratorem, fortissimum
imperatorem, auspicio suo maximas res geri, maximo lionore uti, summa sa-
pientia esse, summum senatorem haberi, pecuniam magnam bono modo inve-
nire, multos liberos relinquere et clarissimum in civitate esse.
6) Vgl. auch Hör. E 2, 1, 162.
7) Cato bei Gell. 6, 2, 5 si qiiis in poetica arte studebat . . . grassator
vocabatur. Vgl. otium Graecum Cic. or. 108. De or. 1, 102 alicui Graeculo
otioso et loqiiaci. 3, 132 (Graeci) otio diffluentes. Daher gvaecari und per-
graecari = fein Lotterleben führen', Lorenz zu Plaut Most 22. In dem
Geschichtswerk des Calpurnius Piso ('§ 132, 4) war auf das allmähliche Ein-
dringen des neumodischen (übrigens teilweise recht harmlosen) Luxus sorg-
fältig geachtet.
152 Republikanische Zeit: J. 240—84 v. Chr.
Makedonien (J. 200— 197), Antiochus (J. 191 f.), Perseus (J. 172
— 168), und die immer stärkere Berührung mit dem Osten8) trugen
zur Umgestaltung altrömiscber Sitte wesentlich bei, erweiterten in-
dessen auch den Gesichtskreis und rückten den Gedanken eines
Weltreiches immer näher, damit aber zugleich die Notwendigkeit,
die angestammte Eigenart gegen die hellenische Zivilisation mit
ihrem weltbürgerlichen und bildungsfreundlichen Charakter zu ver-
tauschen. Ohne Mißgriffe konnte es hier freilich nicht abgehen.
Den meisten Römern fehlte die Fähigkeit, an dem Fremden, das
ihnen mit einer gewaltigen Autorität und Tradition gegenübertrat,
zu sondern zwischen dem Wertvollen und Unvergänglichen und dem
Ephemeren und Schädlichen; es war nur natürlich, daß die Erzeug-
nisse der Gegenwart zunächst den Vorrang behaupteten vor den
großen Werken der Vergangenheit. Nun wirkte die schöne Litera-
tur der Griechen damals auch in ihren besten Erzeugnissen mehr
durch Feinheit als durch Kraft und rechnete auf den Beifall der
Kenner, nicht der Masse. Das machte sie nicht besonders geeignet
für Rom, wo ein Publikum von Kennern zunächst nicht vorhanden
war. Soweit diese Literatur aber pikant und dekadent war, waren
die Römer vollends nicht reif dafür, und von den philosophischen
Gedanken, mit denen sie vielfach durchsetzt war, verstanden sie
kaum etwas.9) Anfangs waren es ausschließlich die Vornehmen, die
sich dem neuen Wesen zuwandten; insbesondere der Kreis der Sci-
pionen schätzte und förderte das Hellenische mit unleugbarem Ver-
ständnis.10) Seine Abkehr von der altrömischen Denkweise zeigte
der ältere Africanus besonders durch das Wort, das er im Munde
8) In dieser Zeit beginnen die Römer Wert auf ihre trojanische Ab-
stammung zu legen; Flamininus nannte sich auf seinem Weihgeschenk in
Delphi Alvsadäv tccybg iisyccg (Plut. Tit. 12), in dem nach der Schlacht bei
Cannae verfertigten Marciusorakel heißt der Römei Troiugena (§ 66, 2).
Diels, Sibyll. Blätter 99. Norden, JJ. 1901 VII 55. Mit welchem Interesse
die Griechen auch die innerpolitische Entwicklung Roms verfolgten, zeigt
ein Brief Philipps von Makedonien aus J. 214, der den Larisäern die Be-
handlung der Freigelassenen durch die Römer als vorbildlich hinstellt.
Dessau 8763. Vgl. § 81, 1.
9) Über das Wesen der hellenistischen Literatur s. vWilamowitz, Kul-
tur der Gegenw. 1, 8. Helbig, Unters, über die campan. Wandmalerei, Lpz.
1873. Rohde, Der griech. Roman, 1. Teil.
10) Was Naevius com. 108 R. und Val. Max. 6, 7, 1 von Jugendsünden
des älteren Africanus berichten, wird man kaum ernsthaft als graecari (S. 1617)
in Anspruch nehmen dürfen.
§ 91. Die Anfänge der graecisierenden Literatur 153
führte: numquam se minus esse otiosum quam cum otiosus esset11);
womit er aber seine Mußestunden ausfüllte, erhellt aus dem Vor-
wurf, den ihm die Gegenpartei, an deren Spitze Q. Fabius stand,
im J. 204 machte, daß er sich mit Scharteken und Turnen abgebe.12)
Ein hochachtbarer Vertreter der hellenisierenden Richtung war
auch L. Aeinilius Paulus (um J. 227 — 160). Beide schrieben und
sprachen geläufig griechisch, wie auch T. Quinctius Flamininus
(Cos. 198), Ti. Gracchus (Cos. 177. 163), C. Sulpicius Gallus (Cos.
166), Cn. Octavius und alle Annalisten des hannibalischen Krieges
(Fabius Pictor, Cincius, Acilius). Verse machten Q.Labeo (Cos. 183)
und M. Laenas (Cos. 173).
Selbst Cato entfaltete wenigstens in lateinischer Prosa eine rege
Tätigkeit, und er, der behauptete, daß die Römer über den griechi-
schen Büchern das Handeln verlernen würden18), mußte sich noch
in seinen alten Tagen dazu verstehen, das Griechische zu erlernen.
Aber es mehren sich auch schon die Anzeichen des Verfalls der
altrömischen Sittenstrenge14), so daß ein Mann vom alten Schlage
wie T. Manlius Torquatus sich in seiner Vaterstadt fremd und ein-
sam fühlte.15) Mit jeder Generation werden diese Zeichen bedenk-
licher, und in einzelnen Fällen kann man eine Zerklüftung des
Familienlebens, eine Mißachtung von Gesetz und Ordnung und so-
gar der väterlichen Götter beobachten. In demselben Maße steigerte
sich freilich auch der Widerstand der Anhänger des Alten, wie des
alten Cato, der namentlich in seiner Zensur (J. 184) den Kampf
rücksichtslos durchführte. 16)
Aber sie versuchten Unmögliches; es ging nicht mehr an, einen
Entwicklungsgang aufzuhalten, der das Ergebnis von tausend unab-
11) Cic. off. 3, 1. Vgl. ABaldi, die Freunde und Förderer der griech.
Bildung in Rom, Würzb. 1875; d. Gegner der griech. Bildung in Rom, Burg-
hausen 1876. ADupuy, de Graecis Romanorum amicis aut praeceptoribus,
Brest 1879. Hillscher, JJ. Suppl. 18, 353.
12) Liv. 29, 19. 12 cum pallio crepidisque inambulare in gymnasio, libel-
lis eum palaestraeque operam dare.
13) Vgl. § 2, 1 und bei Plin. NH. 29, 14 quandoque ista gens suas litte-
ras ddbit, omnia corrumpet
14) Liv. 26, 2, 15 (aus J. 211) eum (Cn. Fulvius) in ganea lustrisque, ubi
iuventutem egerit, senectutem acturum ist freilich kaum zu verwerten.
15) Liv. 26, 22, 9 (J. 211) neque ego vestros mores consul ferre potero
neque vos imperium meum. Die häufigen Klagen des Plautus über die ein.
reißenden mores mali (zB. Trin. 30. 531. 1028) sind kaum in diesem Sinne
zu deuten, sondern aus den Originalen entlehnt.
16) Besancon, les adversaires de l'hellenisme ä Rome. Lausanne 1910.
154 Republikanische Zeit: J. 240—84 v. Chr.
änderlichen Ursachen war, der Umwälzung sich entgegen zu stemmen,
die sich mit unwiderstehlicher Gewalt in Glauben, Leben und Sitte,
im Denken und im Handeln des Volkes vollzog. Wenn man für
die Übel der Gegenwart die neue Bildung allein verantwortlich
machte, so war dieser Vorwurf, der es ermöglichte, die Schuld von
sich abzuwälzen, freilich bequem, darum aber noch nicht begründet.
Überdies waren die Gegenmaßregeln vielfach verkehrt und zweck-
widrig. So verwies man J. 173 (oder J. 154) die epikureischen Philo-
sophen Alkaios und Philiskos aus Rom, so vertrieb man J. 161
abermals die Philosophen und Rhetoren, so schickte man J. 155
die athenische Gesandtschaft, an deren Spitze Karneades stand,
möglichst bald wieder nach Hause. Dafür aber lockte der Senat
J. 167 tausend vornehme und hochgebildete Achäer — darunter
Polybios — nach Italien und hielt sie dort 17 Jahre lang als Gei-
seln fest.17) Überhaupt hat die vom römischen Senat in dieser Zeit
befolgte Politik der Selbstsucht, die ihren Gipfel in dem Verfahren
gegen das unglückliche, zu Boden geworfene Karthago18) erreichte,
haben die mutwilligen, nichts als Vergrößerung und Bereicherung
bezweckenden Kriege, die Rom seit dem zweiten punischen fort-
während führte, den altrömischen Geist weit nachhaltiger unter-
graben als alle hellenische Kunst und Weisheit je vermocht hätte.
In erschreckender Steigerung wuchs wenigstens innerhalb der herr-
schenden Kaste, die sich ihr Moralgesetz selbst machte, das innere
Verderben, die Sittenlosigkeit19), Feilheit, die unersättliche Bereiche-
rungswut, die sich über Gesetze, Senatsbefehle, Staatsprozesse frech
hinwegsetzte, eigenmächtig Krieg führte, ohne Erlaubnis Triumphe
feierte, die Provinzen aussog, die Bundesgenossen beraubte. Schimpf-
liche Verträge und Friedensschlüsse werden immer häufiger. Eine ge-
wisse Bildung verbreitet sich freilich allmählich auch über die Masse:
17) Polybios sagt zum jüngeren Scipio um J. 160 (31, 24) TtSQi xcc (icc-
ftriticcTcc, 71£ql a vvv ögä) örtovdd^ovxccg v{i&g xccl Cpl%OTl[LOVlL£vOVg , OVK CC7tO-
Qijßsts xcbv 6W8Qyr]ö6vt(ov v\iiv Btol^Kog . . noXv yccg drj xi cpvXov cctco xfjg
EXXddog £-jiiqq£ov Öqöö kcctcc xb iiagov x&v xoiovxcov avd'Qoancov.
18) Vgl. über diese macchiavellistische (englische) Politik CPeter, Stu-
dien zur röm. Gesch., Halle 1863, 115. Selbst ein so warmer Bewunderer
der Römer wie Polybios wird dadurch wiederholt zu Äußerungen der Ent-
rüstung veranlaßt; s. 31, 18; vgl. 31, 8. 12. 19 extr. 32, 2.
19) Vgl. Polyb. 31, 24 und bes. 25, 4 ol [ihv sig igafiivovg xcbv vicov,
oi d' Big Bxalgag §£sk£%vvto, itoXXol 6' slg dzQod^iaxa ■Kai novovg nccl xr\v iv
xovroig TtoXvts'Xeuxv, xa%icog 7]Q7iay.6tBg iv to5 Ueqgiwo TtoXi\ico xijv xcov 'EXXtf-
VCOV 8ig XOVTO XO llBQOg SV%2QBICCV usw.
§ 92. Die Zeit von J. 146—84 v. Chr. 155
schon die vielen griechischen Fremdwörter bei Plautus zeugen teil-
weise hierfür20), und das Übergewicht, das die ludi scaenici über
die circenses gewinnen.21) Aber was in den dramatischen Spielen
dem Volke hauptsächlich geboten wurde, die Stücke der palliata,
war nicht eben geeignet, zur Bewahrung der alten Sittenstrenge
beizutragen. 22)
92. Was das sechste Jahrh. gereift hatte, das vollendete das
siebente; schon das J. 146 brachte Karthagos und Korinths Zer-
störung. Mit Karthago war eine Mahnerin zu fortgesetzter kriege-
rischer Bereitschaft für immer verstummt; weitsichtiger als der
alte Eiferer Cato beweinte der, welcher sie zerstören mußte, selbst
ihren Fall. Korinths Untergang und die Vernichtung der helleni-
schen Selbständigkeit trieb die Hellenen scharenweise nach Rom,
dessen Bildungshunger allen Literaten eine Existenz zu ermöglichen
versprach. Mit klug berechneter Schmeichelei pries man die in
Griechenland auftretenden römischen Machthaber als Retter und
Wohltäter, und solche Komplimente verfehlten ihre Wirkung nicht.
In breitem Strome flutete jetzt der griechische Einfluß über Rom
dahin: Graecia capta ferum victorem cepit. Aus dem sechsten Jahrh.
herüber ragt in das siebente herein die edle Gestalt des jüngeren
Africanus (J. 185 — 129), des Freundes von Panaitios und Polybios;
um ihn sammeln sich alle wahren Freunde einer höheren Gesittung
und Bildung: von Altersgenossen (außer Terenz) sein Bruder Q. Fa-
bius Maximus (Cos. 145), sein Schwager Q. Aelius Tubero, M'. Ma-
nilius (Cos. 149), der jüngere Laelius (Cos. 140), D. lunius Brutus
(Cos. 138), L. Furius Philus (Cos. 136), Sp. Mummius, Sex. Pom-
peius, P. Rupilius (Cos. 132), C. Lucilius; von jüngeren Männern
20) Mommsen, RG. I6, 877. — OWeise, d. griech. Wörter im Lat, Lpz.
1882; RhM. 38, 547. Saalfeld, Tensaurus italo-graecus, Wien 1884 u. a.
Doch sind viele der bei Plautus vorkommenden griechischen Worte ältere
auf dem Wege über Unteritalien rezipierte Lehnworte. Vgl. auch Jordan,
Krit. Beitr. 1.
21) Am Ende der Republik waren jährlich 66 Tage mit Festen besetzt:
darunter 2 Tage mit Festmahlen (epula), 16 Tage mit ludi circenses (und
Vorbereitungen), aber 48 Tage mit ludi scaenici. Im Kalender vom J. 354
n. Chr. (§ 74, 8) sind verzeichnet 175 Spieltage, darunter 10 Gladiatorentage,
64 circensische, aber 101 szenische. Mommsen, CIL. I2, p. 300 Friedländer,
SG. 28, 311.
22) Gelegentlich trat unverkennbar zutage, daß diese Bildung wie ein
leichter Firnis von selbst abfiel, sobald man sich gehen ließ, vgl. zB. Polyb.
30, 22 (bei Athen. 14, p. 615) vom J. 167.
156 Republikanische Zeit: J. 240—84 v. Chr.
die Schwiegersöhne des Laelius, C. Fannius und Q. Mucius, sowie
der jüngere Tubero, P. Rutilius, A. Verginius u. a.1) Aber je stärker
der Gegensatz war, in dem das Denken und Tun dieses Kreises zu
der herrschenden Richtung stand, desto mehr gerieten sie in aristo-
kratische Absonderung hinein, desto geringer wurde ihr Einfluß,
wenigstens auf die Zeitgenossen. Erst die folgende Generation hat
die Früchte ihrer Kulturarbeit geerntet.
Der Bankerott der Nobilität und die Fäulnis der höheren Stände
tritt zutage im numantinischen (J. 143 — 133) und bekundet sich
grell im jugurthinischen Kriege (J. 111 — 106); so wird es der rohen
Kraft des geistig wenig bedeutenden Marius möglich, erhebliche
Erfolge zu gewinnen. Dieser bildet, indem er Griechisch nicht ver-
steht, bereits eine Ausnahme in seiner Zeit2), zumal von der regie-
renden Klasse3); schon die Aufführung griechischer Stücke zu
Rom in griechischer Sprache zeigt die Verbreitung dieser Kenntnis.
Manche Inschriften aus dieser Zeit sind in beiden Sprachen ver-
faßt4), und der römische Senat überträgt seine Beschlüsse, die den
Osten angehen, ins Griechische, sowie auch die mit den Hellenen
verkehrenden Beamten in ihren Erlassen sich dieser Sprache —
nicht ohne Mißgriffe — bedienen . Die Römer, die sich früher in der
Palliata selbst als barbari mitbezeichnet hatten, teilen jetzt mit den
Griechen die Herrschaft, indem sie auf dem Gebiete der Politik, die
Griechen auf dem der Bildung den Vorrang haben. Die römischen
Schriftsteller erkennen das Übergewicht der griechischen Literatur
auch da an, wo sie Überlegenes leisten, und nachdem sie die ersten
Schwierigkeiten der Übersetzung überwunden haben, erstreben sie
in zunehmendem Maße Sauberkeit und Glätte, wie L. Accius; manche
lassen sich sogar zur Nachahmung von Tändeleien verleiten, wie
die erotischen Epigrammatiker. Die zunehmende Ausdehnung der
szenischen Spiele5) erfordert alljährlich eine Reihe von Stücken, und
daher überwiegt auch in der Literatur das Drama, das neben dem
Epos für die vornehmste Gattung gilt. Die Tragödie hat im siebenten
1) Vgl. Cic. Lael. 101. 2) Sall. lug. 85, 32.
3) P. Crassus, Cos. 131, versteht fünf griechische Dialekte, s. § 133, 5 E.
4) Viereck, Sermo graecus quo SPQR. . . usi suut, Gott. 1888. Cagnat,
Inscr. graecae ad res Rom. pertinentes, Paris 1903 ff. III. Doppelsprachig
•z.B. das SC. über Asklepiades und Genossen vom J. 78 CIL. 1, 203.. DIE.
308. Viereck n. 17.
&) Vgl« § 12, 2. Vereinzelt und wirkungslos war der Reaktionsversuch
der Zensoren des Jahres 115; s. § 9, 7.
§ 92. Die Zeit von J. 146—84 v. Chr. 157
Jahrh. an L. Accius einen achtbaren Vertreter; innerhalb der Ko-
mödie lösen sich Palliata, Togata, Atellana und Mimus in rascher
Folge ab, zeigen aber eben in dieser Stufenfolge ein immer tieferes
Herabsteigen zum Geschmacke der Masse, der die derbe und oft
gemeine Posse mehr zusagte als das feinere Lustspiel. Das Epos
zehrt noch von dem Aufschwünge, den es nach der Mitte des sechsten
Jahrh. durch Ennius genommen hatte, und findet in der Gegenwart
keinen eigentlichen Antrieb zu neuem Aufblühen; es leidet nament-
lich unter der starren Tradition der Gattung, die das Einschlagen
neuer Bahnen statt der ausgefahrenen alten unmöglich zu machen
schien. Überhaupt war außerhalb des Dramas der Trieb zur Dich-
tung fast erloschen; nur Lucilius macht eine erfreuliche Ausnahme.
Der Nation als solcher fehlte es an dichterischem Vermögen und
Streben, und bei den Griechen fand sie auch nicht gerade ein Vor-
bild schöpferischer Originalität; auch ließen es die inneren Unruhen
zu keiner rechten Sammlung kommen. Dagegen wachsen Geschicht-
schreibung, Beredsamkeit und Rechtskunde in der Treibhaushitze
der politischen Kämpfe rasch an Umfang und Gehalt. Unter den
Geschichtschreibern sind die bemerkenswertesten im siebenten Jahrh.
d. St. Piso Frugi, Antipater, Asellio, weiterhin die jüngsten Ver-
treter der Annalistik, Valerius Antias, Sisenna und Licinius Macer.
Die glänzendsten Redner sind, nächst C. Gracchus, M. Antonius und
L. Crassus. Die Jurisprudenz ist durch die beiden Q. Scaevola, Au-
gur und Pontifex, am besten vertreten. Die Forschung wird von
der Mitte des siebenten Jahrh. an emsig nach allen Seiten hin be-
trieben, jedoch meist nicht von eigentlichen Römern, außer dem
Philologen L. Aelius Stilo.
93. In Bezug auf Sprache und Metrik sind die beiden Jahrhun-
derte eine Zeit lebendigster Entwicklung und schließen schon alle
drei Stufen in sich, durch welche die Geschichte der römischen
Poesie überhaupt verlief, die des Saturnius, der szenischen und der
daktylischen Dichter. Schon im sechsten Jahrh. d. St. neigte die
Volkssprache dazu, die schließenden Konsonanten abzuwerfen, die
Flexionsformen zu trüben und so schon jetzt gleichsam auf die
Stufe einer romanischen Sprache zu gelangen. Der Hochton be-
wirkte häufig infolge der Hervorhebung der Akzentsilbe eine Ab-
schwächung und Trübung der umgebenden natur- oder positions-
langen Silben bis zu ihrer Verkürzung, sowie die Ausstoßung kurzer
Mittelsilben und Endvokale (Synkope). Namentlich erzwang bei
Wörtern und Wortverbindungen iambischer Quantität der vor oder
158 Republikanische Zeit: J. 240—84 v. Chr.
nach der Länge liegende Akzent deren Verkürzung.1) Die auslau-
tenden Konsonanten s und ni wurden in der Aussprache verdunkelt
und mehr und mehr unhörbar. Endlich wurden vielgebrauchte kleine
Wörter durch gewalttätige, oft nur andeutende Aussprache abge-
schliffen. Der enge Anschluß de]- ältesten Dichter, besonders des
Plautus und der übrigen Szeniker, an die Volkssprache bewirkt,
daß sie deren Betonung im ganzen ziemlich getreu wiedergeben.
Auch in metrischer Beziehung ließen sie sich von der Rücksicht
auf den Akzent leiten. Der Saturnier hatte noch die Unterdrückung
der Senkungen gestattet; die von den Szenikern nachgebildeten
griechischen Maße verboten das von selbst, stellten aber in die Sen-
kungen (außer der letzten) abweichend von der griechischen Metrik
unbedenklich lange Silben, vermieden jedoch die akzentwidrige
Betonung, soweit es irgend anging. Den Hiat beschränkten sie
bereits ziemlich gewissenhaft und folgten in der Zulassung des so-
genannten prosodischen Hiates der Volkssprache.2) Auch die alt-
italische in der ursprünglichen Anfangs betonung begründete Allite-
ration brauchten sie mit Vorliebe zur Verkettung und zum Schmuck
der Rede.3)
1) Über die sprachliche Entwicklung Skutsch, Kultur d. Gegenwart 1, 8.
Über die iambenkürzung und Synkope CFWMüller (§ 98, 9) und Skutsch,
Forschungen 1, Lpz. 1892, ferner etwa Ahlberg, de correptione iambica,
Lund. 1901. Vgl. die § 98, 8 genannte Literatur.
2) Über den Abfall des s und m Leo PF. 248. Proskauer, das aus-
lautende s auf d. Inschr., Straßb. 1910. Synizese: Skutsch, Sehr. 92. 227.
Exon, Hermath. 36, 121. Jachmann, Studia prosodiaca, Marb. 1912. Für die
Berücksichtigung des Akzentes kommt besonders das sog. Dipodiengesetz
in Betracht, über das nach WMeyer (§ 98, 9) W Allstedt, Studia Plautina 82
zu vergleichen ist; ferner die Behandlung enklitischer Worte, über die
Skutschs Forschungen, Lindsay, J. of Ph. 20, 135 und Radford, Transact.
Amer. Assoc. 34, 60 Licht verbreiten. Endlich die Betonungen fäcilius, mü-
lierem, über die Lindsay Phil. 51, 364. Seyffert JB. 80, 270 sprechen. Daß
tribrachische Worte nie, daktylische nur unter gewissen Bedingungen auf
der Mittelsilbe betont werden, fällt ebenfalls für den Anschluß an die wirk-
liche Betonung sehr ins Gewicht. Schlicher, Wordaccent in early Latin
Verse, Am. JPh. 23, 46. Exon, Cl. Rev. 20, 31. — Hiat: Leo PF. 334.
3) Selbst die spätere Kunstdichtung hat die auch in prosaischen Wen-
dungen stets beliebt gebliebene Alliteration nicht ganz verschmäht. Neuere
Literatur: WEbrard, d. Allit. in d. lat. Spr., Bayr. 1882. CBoetticher, de
allitt. ap. Rom. usu, Berl. 1884. HJordan, Krit. Beitr. (Berl. 1879) 167.
EWölfflin, d. allit. Verbindg. d. lat. Spr., Münch. SBer. 1882 2, 1. GLand-
graf, de figuris etymologicis lat., Acta Erl. 2, 1. Buchhold, de paromoeoseos
ap. veteres Rom. poetas usu, Lpz. 1883. Thurneysen, RuM. 43, 349. Norden,
§93. Sprache und Metrik 159
Erst Ennius hat sich in jenen Punkten größerer Strenge beflissen.
Zwar auslautendes s hat auch er, wo es ihm bequem war, für die
Silbenmessung unberücksichtigt gelassen; erst gegen Ende der Re-
publik wurde es wieder von der form strengen Dichterschule als
voller Laut anerkannt. Aber in allem übrigen hat sich Ennius der
Unbestimmtheit und Regellosigkeit schon darum entgegengestellt,
weil er den in feste Regeln gebundenen Bau des griechischen Hexa-
meters getreu nachzubilden versuchte.4) Freilich erstreckte sich
sein Einfluß nur auf die Schriftsprache und die sich nach dieser
modelnde Sprache der Gebildeten; die kunstlose Übung des gewöhn-
lichen Lebens ging daneben noch geraume Zeit ihre eigenen alten
Wege fort.5) ^Nicht nur daß der Saturnius auch nach Einführung
des Hexameters noch eine gute Weile fortgebraucht wurde: auch
eine Art von Yulgärmetrik bestand noch im siebenten Jahrh., die
sich zwar des Hexameters bediente, auf diesen aber die prosodischen
Freiheiten der szenischen Dichter übertrug und namentlich die Auf-
Aeneis 6, 407. JBinz, PJb.il. 44, 262; anderes s. bei den einzelnen Schrift-
steilern, bes. § 98, 9.
4) An Vergewaltigung des sprachlichen Stoffs oder Eigenmächtigkeit
des Ennius in dessen prosodischer Gestaltung darf man im allgemeinen
nicht denken. Ganz schief ist aber auch die früher verbreitete Vorstellung,
er habe in einem Ubergangszustand der Entwicklung die Sprache vor früh-
zeitiger Verwilderung bewahrt, für welche die älteren Dichter durch Zu-
lassung der Ereiüeiten der Volkssprache vorgearbeitet hätten. Das heißt
den Einfluß dieser auf enge Kreise beschränkten Poesie erheblich über-
schätzen. — Die Quantität der Silben hatte das Volk kraft seines untrüg-
lichen Sprachgefühls inne, nicht etwa schulmäßig beiehrt: Cic. de orat. 3,
195 omnes tacito quodam sensu sine ulla arte aut ratione, quae sint in arti-
bus ac rationibus recta ac prava diiudicant, idque .... ostendunt magis in
verborum numerorum vocumque iudicio , quod ea sunt in communibus infixa
sensibus nee earum verum quemquam funditus natura esse voluit expertem.
itaque non solum verbis arte posttis moventur omnes, verum etiam numeris
ac voeibus. quotus enim quisque est, qui ttneat artem numerorum ac modo-
rum? at in his si paulium modo oftensum est, ut aut contractione brevius
fieret aut produetione longius, theatra tota reclamant. or. 178 in versu theatra
tota exclamant, si fuit una syllaba aut brevior aut longior. nee vero multi-
tudo pedes novit nee ullos numeros tenet nee illud quod ojfendit aut cur aut
in quo off'endat intellegit: et tarnen omnium longitudinum et brevitatum in
sonis sicut acutarum graviumque vocum iudicium ipsa natura in auribus
nostris collocavit. parad. 3, 26.
5) Es findet sich zß. Auslassung der Endkonsonanten (m und s) auf
Inschriften noch im ersten Drittel des 7. Jahrh. d. St. — GEdon, ecriture et
prononciation du Latin savant et du Latin populaire, Par. 1882. ESeelmann,
d. Aussprache des Lat., Heilbr. 1885. Diehl, JJ. Suppl. 25.
160 Republikanische Zeit: J. 240—84 v. Chr.
lösung der Hebungen beibehielt; so in der Inschrift des Mummins
(§ 163, 8) und den sog. sortes Praenestinae.6) Aber Ennius hat
das Verdienst (wenn es denn ein solches ist), den drohenden Ver-
fall der Sprachformen wenigstens für das Schriftlatein auf mehrere
Jahrhunderte aufgehalten zu haben.
Wie die für die Literatur gültige Sprachform selbst in dieser
Zeit festgestellt wurde, so auch ihre Wiedergabe durch die Schrift.
Das lateinische Alphabet7) stammt von dem griechischen der chal-
kidischen Kolonien, namentlich der cam panischen (Kyme und Nea-
polis). Dieses altlateinische Alphabet bestand aus 21 Buchstaben:
darunter c (an 3. Stelle = gr. y), z (an 7. Stelle), k, q, x (dieses
am Schluß). Das k verschwand früh fast ganz aus dem Gebrauche,
und seine Vertretung übernahm c. Später als sich das Bedürfnis
der Scheidung zwischen gutturaler Tenuis und Media zeigte, schuf
durch leichte Veränderung des c der Freigelassene des Cos. 234
und 228, Sp. Carvilius (§ 128), das Schriftzeichen g und setzte es
an die Stelle des kaum gebrauchten z8), das erst in der ciceronischen
Zeit, zusammen mit y9), wieder in die Schrift kam und nun seinen
6) Ritschl, op. 4, 400. LMüller, d. saturn. Vers 80.
7) Vgl. Mommsen, die unteritalischen Dialekte (Lpz. 1850), 3; RG. I6,
210; bull. 1882, 91. 101. Kirchhoff, Stud. z. Gesch. d. gr. Alphab.4 117.
127. 133. Ritschl,! opusc. 4, 691. 765. WSchmitz, Beitr. z. lat. Sprach- u.
Literaturkunde , Lpz. 1877. WDeecke in Baumeisters Denkm. d. kl. Altert.
1, 50. EHübner in Iw. Müllers Handb. I2, 646. JSchmidt, PW. 1,1616. Vgl.
auch Weege, Va8Culorum Campanorum inscr. Italicae, Bonn. 1906.
8) Das z lasen die Alten im carmen Saliare (Vel. Long. GL. 7, 51, 6):
wir finden es vielleicht in der Dvenos-Inschrift (§ 83, 5) und auf Münzen
aus dem Ende des 5. Jahrh. d. St. (DIE. 1, 9). Nach dem Verlust des z
wurde etwa bis auf Cicero dieses Zeichen durch s oder ss ersetzt. HJordan,
krit Beitr. (Berl. 1879) 155 schreibt die Ausmerzung des z und Einsetzung
des g dem Appius Claudius (§ 90) zu, während die Überlieferung (Plut.
quaest. Rom. 54) den Gebrauch des g auf Carvilius zurückführt. Die bis
jetzt bekannten ältesten Inschriften mit g sind nicht älter als die Zeit des
Carvilius, so daß daraus kein Grund gegen die Überlieferung hergenommen
werden kann. Vgl. auch LHavet, rev. phil. 2 (1878), 15.
9) Das chalkidische v (= v) wurde in dem altlateinischen Alphabet
zur Wiedergabe des lateinischen u- Vokals (und des griechischen v), sowie
des labialen Spiranten v benutzt. Das für den letzteren Laut im chalkidi-
schen Alphabet vorhandene Digamma J- verwandte das Lateinische für den
labiodentalen Spiranten f; jedoch drückt ihn die alte praenestinische In-
schrift (§ 83, 5) durch fh aus. Das y findet sich auf Inschriften nicht vor
dem Ende des 7. Jahrh. d. St. Vgl. Mar. Vict. GL. 6, 8, 11 Accius .. nee
z Utteram nee y in libros suos rettulit, quod (?) ante fecerant Naevius et
Livius.
§ 93. Sprache und Metrik 161
Platz am Schlüsse des Alphabets erhielt. Das Alphabet "des Carvi-
lius bestand so gleichfalls aus 21 Buchstaben. Andere orthogra-
phische Neuerungen werden an die Namen von Dichtern angeknüpft,
teils weil einzelne Dichter wirklich Grammatiker waren, teils weil
die späteren Gelehrten solche Änderungen gern mit bestimmten
Namen in Verbindung brachten und sich unter Vernachlässigung
der Inschriften allein an die Literatur hielten. 10) So soll Ennius zu-
erst die Verdoppelung der Konsonanten angewandt haben, d. h. die
späteren Gelehrten konnten sie in der Literatur zuerst bei ihm nach-
weisen11); L. Accius bezeichnete die Länge der Vokale aeu im An-
schluß an die Dialekte durch Verdoppelung12) und Lucilius gab
Vorschriften über die Scheidung der Laute i und ei mittels der
Schrift, — alle mit viel geringerem Erfolge, als ihn die stille Tätig-
keit der Schule ausübte, die allmählich zu einer gleichmäßigen ortho-
graphischen Praxis führte.13) Auch die Orthographie des Vokalismus
arbeitete sich ganz allmählich in diesen beiden Jahrhunderten zur
festen Regel hindurch. In der älteren Sprache finden sich viele und
starke Schwankungen namentlich zwischen o und u, und oe sowie
zwischen e und i (ferner auch im Bereich von ai und ae, ei und i,
ou und u). Auf den Id Schriften beginnen etwa vom J. 234 an in
denjenigen Flexionsendungen, wo sich später u und i festgesetzt
hat, o und e zu weichen. Doch erst zwischen J. 204 und 186 siegten
u und i für die Dauer über o und e14), doch so, daß die Lautfolgen
10) Etwa wie die ältesten Setzer (besonders des Griechischen) Gelehrte
sein mußten.
11) Fest. s. v. solitaurilia p. 293. Damit stimmt der Inschriftenbefund:
freilich das Beispiel Hinnad CIL. 1, 530. 6, 1281 DIE. 1, 117 vom J. 211
fällt vor die literarische Tätigkeit des Ennius. Sonst erscheint diese Ver-
doppelung — und zwar noch neben der einfachen Schreibung — zuerst auf
dem Erlaß des L. Aemilius Paulus vom J. 189 (§ 123, 8) CIL. 2, 5041 DIE.
1, 96. Das S. C. de Bacchanalibus kennt sie noch nicht. — Ritschl, op. 4,
48. 231; pl. Excurse 1, 17. WWeissbrodt, specimen grammaticum (Cobl.
1869), 34: quaest. gramm. 2 (Braunsberg 1872), 10. EBährens, JJ. 127, 774.
— Vereinzelt findet sich auch der Sicilicus (') als Zeichen der Konsonanten-
verdoppelung (Mar. Vict. GL. 6, 8) angewandt; s. EHübner, Herrn. 4, 413;
exempla Script, epigr. lxxvi.
12) Der Inschriftenbefund stimmt damit: ältestes Beispiel aastutieis
(Lommatzsch, Arch. Lex. 15, 138), dann paastores vom J. 132 CIL. 1, 551. 10,
6950 DIE. 1, 275. Ritschl, op. 4, 142. Bersu, Bezz. Btr. 23, 252.
13) WWeissbrodt, specimen grammaticum, Cobl. 1869; quaest. gramm.
2, 3 (de simplic. et geminatis consonantibus lat.).
14) Ritschl, op. 4, 224. Mommsen, RhM. 9, 464. Solmsen, Stud. zur lat.
Lautgesch. (Straßb. 1894) 37.
Teuf fei: röm. Literaturgesch. Neub. 6. Aufl. I. 11
162 Republikanische Zeit: J. 240—84 v. Chr.
uv vu uu wie auch die Verbindungen zweier vokalischer i oder
des konsonantischen und vokalischen i fortwährend vermieden wur-
den. Die Aspiraten griechischer Wörter gab man anfänglich durch
die entsprechenden Tenues wieder: etwa seit J. 150 begann man
sie durch die Zeichen ch th ph auszudrücken.15) Auch hierin wie
in der Aufnahme von y und z erkennt man das Bestreben, sich den
griechischen Gewohnheiten zu fügen.
A. SECHSTES JAHRHUNDERT D. ST.
I. DICHTER.
94. Andronicus (gest. J. 204) kam als Gefangener nach Rom
und in das Eigentum eines Livius, vielleicht des M. Livius Salina-
tor, des nachmaligen Siegers von Sena. Er unterrichtete im Latei-
nischen und Griechischen, wurde später freigelassen und nannte
sich nun L. Livius Andronicus. Für seine Schüler übersetzte er
die Odyssee in Saturniern, unbehilflich und nicht ohne schwere
Mißverständnisse; aber diese Übersetzung war eine literarische Tat,
da von ihr alle Übersetzungskunst ausgeht. Als in Rom J. 240 die
ersten szenischen Spiele gefeiert wurden, lieferte er die dafür not-
wendigen Dramen, indem er griechische Dichtungen übersetzte und
herausgab, vorzugsweise Tragödien, unter Nachbildung der leichte-
ren griechischen Maße und mit Beibehaltung der volksmäßigen
Alliteration. Auch hier hat Livius den späteren Szenikern die Bahnen
gewiesen und die Normen für die Metrik des Dramas geschaffen.
Im J. 207 wurde ihm die Anfertigung eines Bittgesanges an die
aventinische Juno übertragen; den glücklichen Erfolg dieses Liedes
erkannte der Staat dadurch an, daß er den scribae Genossenschafts-
rechte verlieh: im Tempel ihrer Schutzherrin, der Minerva auf dem
Aventin, wurde ihnen für ihre Zusammenkünfte und ihr Inventar
Platz eingeräumt.
1. Die Nachrichten über Livius sind wohl von späteren Gelehrten ge-
sammelt, z. T. erschlossen und verlangen dann sorgfältige Prüfung; falls
sie, wie Marx, Lpz. Ber. 1911, 47 annimmt, auf ihn selbst oder Naevius
15) Man wandte diese Schreibung wohl auch am unrechten Ort und
mit Übertreibung an, und manche dieser Mißgriffe blieben durch die ganze
römische Literatur hindurch im Gebrauche. So die Schreibung Bosphorus.
Vgl. Cic. orat. 160. Catull. 84. Quintil. 1, 5, 20. Fleckeisen, JJ. 99, 656.
101, 458. Marouzeau, Mem. soc. ling. 17, 273. Über die Wiedergabe des q>
in lat. Schrift s. Mommsen, Sehr. 7, 792. Brandis, de aspiratione lat., Bonn
1881. — Vgl. die Indices CIL 1 und der DIE.
§ 94. Livius Andronicus 163
zurückgehen, so wäre diese Skepsis nicht nötig. — Vorname L. (Gell. 6,
7, 11. 17, 21, 42. Fest. 297b, 7. Cassiod. s. A. 2). Die Abweichung des Vor-
namens von dem seines Freilaseers (falls dieser nämlich M. Livius war und
nicht, was ebenfalls möglich, dessen Vater) entspricht dem Gebrauche dieser
Zeit; s. EHübner in IwMüllers Handb. I2, 679. Aus Verwechslung mit dem
Geschichtschreiber mehrfach irrig T. (Non. 207, 23. 368, 25. Hiekon. s. A. 2).
2. Cassiod. chron. ad a. 239: his conss. ludis Momanis primum tragoe-
dia a Lucio Livio ad scaenam data. Dagegen J. 240 Livius primus fabulam
C. Claudio Caeci filio et M. Tuditano coss. docuit bei Cic. Brut. 72 unter
Berufung auf Atticus und auf antiqui commentarii (§ 95, 4), sowie unter
Zurückweisung der Irrtümer des Accius (§ 134, 7. 146, 4), der behauptete, An-
dronicus sei J. 209, im Jahre der Eroberung Tarents, nach Rom gekommen
und habe dort zuerst J. 197 C. Cornelio Q. Minucio coss. ludis Iuventatis,
quos Salinator Senensi proelio voverat, ein Stück aufgeführt. Erst Neuere
haben Accius' Irrtum aus einer Verwechslung der zweiten Eroberung mit der
ersten (angeblich J. 272) hergeleitet, was in jedem Falle unsicher bleibt
und ganz undenkbar ist, wenn jene erste Eroberung eine Fabel ist. Niese,
Herrn. 31, 505. Für J. 240 auch Cic. Cato mai. 50 (dort auch die Notiz:
vidi [Cato geb. 234 spricht] Livium senem: qui . . . usque ad adulescentiam
meam processit aetate) und Varro bei Gell. 17, 21, 42 (Leo, PF. 67). Irrig
auch Hieronym. chron. ad a. 1830 (Bongars. ad a. 1831) — 187 (etwa ver-
anlaßt durch Vertauschung des M. Livius Salinator, Cos. 207, mit C. Liv.
Salin., Cos. 188??): Titus Livius tragoediarum scriptor clarus habetur, qui
ob ingenii meritum a Livio Salinatore, cuius liberos erudiebat, libertate do-
natus est.
3. Sueton. gramm. 1 antiquissimi doctorum, qui iidem et poetae et semi-
graeci erant, — Livium et Ennium dico, quos utraque lingua domi forisque
docuisse adnotatum est — nihil amplius quam Graecos interpretabantur aut
si quid ipsi Latine composuissent praelegebant.
4. Liv. 7, 2, 8 Livius . ., qui ab saturis (§ 6) ausus est primus argu-
mento fabulam serere, idem scilicet, id quod omnes tum erant, suorum carmi-
num actor. Daß Livius auch Schauspieler gewesen sei, behauptet außer den
gleich zu nennenden Gloseae auch Fest. 333 (A. 7); es war aber kaum mög-
lich, seitdem er das Bürgerrecht besaß (§ 3, 4). Cic. leg. 2, 39 (theatra) quae
solebant quondam conpleri severitate iucunda Livianis et Naevianis modis.
Aus guter Quelle die glossae Salomonis (§ 42, 9; s. Usener, Sehr. 3, 37):
Bomae tragoedias comoediasque primus egit idemque etiam composuit Livius
Andronicus, duplici toga (laena = övqiicc, das Schleppgewand der griech.
Tragödie; s. Usener, Sehr. 2, 193) involutus.
5. Titel der Tragödien des Andr. : Achilles, Aegisthus, Aiax (mastigo-
phorus), Andromeda, Danae, Equos Troianus (dazu Lallier, Melanges Graux,
Par. 1884, 103. Dieterich, Pulcinella 227), Hermiona, Ino (darin Chorlied,
§ 13,5), Tereus. Überreste: Ribbeck, trag.3 p. 1 — 7. — Komödien: Gladiolus,
Ludius, Virgus(??). Überreste: Ribbeck, com.3 p. 3 f. Livi et Naevi fabula-
rum fragm. ed. LMüller, Berl. 1885. — Für diese Übersetzungen hat Liv.
die Grundsätze in der Behandlung der griechischen Maße geschaffen, die
von seinen Nachfolgern beibehalten wurden; die Überreste enthalten außer
Senaren auch trochäische Septenare und Kretiker.
11*
164 Republikanische Zeit: J. 240—84 v. Chr.
6. Cic. Brut. 11 et Odyssia latina est sie tamquam opus aliquod Daedali
et Livianae fabulae non satis dignae, quae Herum legantur. Gell. NA. 18,
9, 5 offendi in biblioiheca Patrensi librum verae vetustatis Livi Andronici,
qui inscriptus est 'Odv66SLcc. in quo erat versus primus fvirum mihi Camena,
insece versutum9. Auf die Odyssia bezieht sich die Benützung der carmina
Livi als Schulbuch durch Orbilius, Hör. E. 2, 1, 69. Zitiert wird die Odyssee
als ein Buch (Liv. in Odissia udgl. ; nur einmal Prisc. GL. 2, 321 in I
Odissiae; das Zitat aus VI oder VII fr. 43 erweckt Zweifel), war also ebenso-
wenig in Bücher geteilt wie Naevius' bellum Poenicum (§ 95, 8). Über die
natürlich noch unbeholfene Übersetzungskunst Leo, PF. 30. Die Überreste
der Od. zB. in den Sammlungen der Saturnier von Havet und LMüller s.
§ 62, 3. FPR. 37 u. sonst.
7. Liv. 27, 37 (J. 207) decrevere pontiflces (zur Sühnung eines schlimmen
Vorzeichens), ut virgines ter novenae per urbem euntes Carmen canerent. . . .
conditum ab Livio poeta . . Carmen in Iunonem reginam (die aventinische)
canentes, illa tempestate forsitan laudabile rudibus ingeniis, nunc abhorrens
et inconditum, si referatur. . . . Also ein Parthenion griechischer Art auf
Veranlassung der sibyllinischen Bücher; darauf bezieht sich auch Fest. 333
cum Livius Andronicus bello Punico seeundo scripsisset Carmen, quod a vir-
ginibus est cantatum, quia prosperius res populi Rom. geri coepta est, publice
adtributa est ei in Aventino aedis Minervae, in qua liceret scribis histrioni-
busque consistere (Kornemann, PW. 4, 413) ac dona ponere, in honorem Livi,
quia is et scribebat fabulas et agebat. Diels, Sibyll. Blätter 90. Doch er-
weckt die Nachricht Bedenken (A. 4) und scheint ungenau; das Verhältnis
zu dem später bezeugten fcollegium poetarum' (§ 134, 2) bleibt unklar.
OJahn, Lpz. Ber. 1856, 294. ARiese, Heidelb. Philologenvers. (Lpz. 1866) 161.
Kornemann, PW. 4, 397. Sihler, Am. J. of Ph. 1905, 1. Warnecke, JJ. 1914
xxxni 101. Damit reihten sich die cscribae histrionesque' an die anderen
collegia opificum und artificum. Dieser c Dichterzunft ' ist am verwandtesten
da3 ältere und angesehene collegium tibicinum. Marquardt, Staatsverw.
32, 138.
8. Livii Andr. fragm. coli. HDüntzer, Berl. 1835. — Dollen, de vita
Livii Andr., Dorp. 1838. OGünther, ZGW. 14, 809. Mommsen, RG. I6, 881.
de laVillk de Mirmont, Etudes sur l'anc. poesie lat., Paris 1905. Sakellaro-
pulos, IIsqI A. k., Athen 1902.
9. Aus der Zeit des Livius, aber nicht von ihm selbst, ist das Nelei
Carmen (GL. 1, 84 ut in Odyssia veter e ... et in Nelei carmine aeque prisco),
aus dem durch Festus und Charisius Bruchstücke im iambischen Maße er-
halten sind (doch wohl eine Tragödie). FPR. 53. Ribbecks trag.3 p. 270 f.;
röm. Trag. 629. — Ein Carmen Priami (in Saturniern) Varro LL. 7, 28.
S. dazu HJordan, Krit. Beitr. 133.
95. Cn. Naevius, gebürtig aus Cainpanien, aber von Natio-
nalität ein Latiner, kämpfte im ersten punischen Kriege mit und
brachte seit d. J. 235 Stücke zur Aufführung, im allgemeinen in
der Weise des Andronicus, nur mit mehr Talent und Freiheit und
unter Bevorzugung der Komödie. Der rücksichtslose Freimut, mit
§ 95 Cn. Naevius 165
dem er darin auch politische Größen angriff, zog ihm zuerst Ge-
fängnis, dann Verbannung zu, in der er (angeblich J. 201) starb.
In seinen späteren Lebensjahren unternahm er es, auch den natio-
nalen Stoff des ersten punischen Krieges, den er selbst erlebt hatte,
dichterisch im saturnischen Maße zu behandeln. Vermöge dieser
nationalen Richtung wurde er ferner innerhalb des Dramas Schöpfer
der praetexta. Naevius erhielt sich Jahrhunderte hindurch im freund-
lichen Gedächtnisse seines Volkes; auch uns noch weht aus den
spärlichen auf uns gekommenen Überresten ein frischer, energischer,
reichbegabter und selbstbewußter Geist entgegen.
1. Gell. NA. 1, 24, 1 trium poetarum illustrium epigrammata, Cn. Naevi,
Plauti, M. Pacuvi, quae ipsi fecerunt (s. aber § 115, 2) et incidenda sepulcro
suo reliquerunt. . . epigramma Naevi plenum superbiae Campanae (vgl. Cic.
leg. agr. 2, 91. Liv. 9, 6, 5) . . Immortales mortales si foret fas flere, flerent
divae Camenae Naevium poetam. itaque postquam est Orci traditus thesauro
obliti sunt JRomai loquier lingua Latina (unecht; Thulin, Ital. sakrale Poesie 34.
Anders MRichter, Comm. Jenens. 11, 2, 6). Der Name auch sonst in Cam-
panien: Willers, Neue Untersuchungen, Hannover 1907, 87). — Gefälschtes
Bildnis des Naevius: Bernoulli, röm. Ikonogr. 1, 234.
2. Gell. 17, 21, 44 anno post Momam conditam quingentesimo undevice-
simo . . Cn. Naevius poeta fabulas apud populum dedit, quem M. Varro in
libro de poetis primo stipendia fecisse (folglich war N. nicht selbst Schau-
spieler, s. Mommsen, RG. I6, 899) ait bello Poenico primo, idque ipsum Nae-
vium dicere in eo carmine, quod de eodem bello scripsit. Also Varro setzte
im Gegensatz zu anderen (Porcius Licinus) die erste Aufführung des Nae-
vius in J. 235; wäre Nepos die Quelle, was nicht sicher auszumachen ist
(Leuze, RhM. 66, 263), so fiele sie in J. 231. Sterben ließ er ihn nach J. 204,
Cic. Brut. 60 his consulibus (J. 204), ut in veteribus commentariis scriptum
est, Naevius est mortuus (nach Atticus) ; quamquam Varro . . putat in hoc
erratum vitamque Naevi producit longius. Leo, PF. 69. Vgl. A. 4.
3. Gell. 3, 3, 15 de Naevio accepimus fabulas eum in carcere duas
scripsisse, Hariolum et Leontem, cum ob assiduam mdledicentiam et probra
in principes civitatis, de Graecorum poetarum more dicta, in vincula Romae
a triumviris coniectus esset, unde post a tribunis plebis exemptus est, cum
in his quas supra dixi fabulis delicta sua et petulantias dictorum, quibus
multos ante laeserat, diluisset. Ps. Ascon. zu Cic. Verr. act. pr. 29 (p. 215,
16 St.) dictum facete et contumeliose in Metellos antiquum Naevii est *fato
Metelli Romae fiunt consules' (worauf Cic. aO. anspielt), cui tunc Metellus
consul («J. 206 s. § 123,2) iratus versu responderat .. rdabunt malum Metelli
Naevio poetae' '; s. MWende, de Caeciliis Metellis 1 (Bonn 1875), 31. Daß
der Vers des Naevius trotz des Plurals eben auf jenen Metellus Cos. 206
gehen konnte, zeigt Marx Lpz. Ber. 1911, 39 gegen Wissowa, Genethliakon
für Robert (Berl. 1910) 39; doch gibt er keine befriedigende Antwort auf
die von diesem aufgeworfene Frage, wo die Meteller auf Naevius' Spott
geantwortet haben sollen. Wissowa hält den fVers der Meteller' für ein
von Metrikern fingiertes Musterbeispiel des Saturnius (§ 62). Den einge-
166 Republikanische Zeit: J. 140—84 v. Chr.
kerkerten Naevius erwähnt teilnehmend Plaut, mil. 211: ös columnatüm
poetae esse indaudivi bdrbaro , quoi bini custödes semper tötis horis öccubant
(dazu Paul. Festi 36 unde Plautus Naevium poetam Latinum barbarum
dixit). Ein Angriff gegen den älteren Scipio com. 108 Über das Verfahren
gegen ihn vgl. Marx aO. 68.
4. Hieron. chron. zu J. 1816 = 201 Naevius comicus Uticae moritur,
pulsus Borna factione nobilium ac praecipue Metelli. Atticus ließ ihn auf
Grund von Urkunden, die kaum mehr als die letzte Aufführung enthielten,
im J. 204 sterben, Varro erst später; Genaueres darüber konnte man schwer-
lich wissen.
5. Tragödien: Danae, Equos troianus, Hector proficiscens, Hesiona (Aesi-
ona), Iphigenia, Lycurgus. Die beiden ersten Titel schon bei Andronicus, den
Naevius wohl zu übertreffen versuchte. Reste : Ribbeck, trag. 3 p. 7 ; bei LMüller,
s. § 94, 5. Ygl. Ribbeck, röm. Trag. 44.
6. Praetextae: Clastidium (auf den Sieg des M. Mareellus, der wohl sein
Gönner war, J. 222; vgl. § 14, 2) undRomulus (Lupus?). Ribbeck trag. 3 p. 321.
MHaupt, op. 1, 189. Grauert, Phil. 2, 115. Röper, ebd. 7, 591. LMüller,
Q.Ennius 84.
7. Komödien: Acontizomenos (mit persönlichem Prolog in der Weise
des Terenz), Agitatoria, Agrypnuntes, Appella (= knsXXäg?), Ariolus (mit
Erwähnung von Praenestini et Lanuvini hospites V. 21), Astiologa (?), Car-
bonaria, Chlamydaria, Colax, Commotria (xo/x/icor^io:), Corollaria, Dementes,
Demetrius, Dolus, Figulus, Glaucoma, Gymnasticus, Lampadio, Leon, Nagido,
(Nautae?) Nervolaria, Paelex, Proiectus, Quadrigemini, Satura (?, s. A. 9),
Stalagmus, Stigmatias, Tarentilla, Technicus, Testicularia , Tribacelus (?),
Triphallus, Tunicularia. Als Neuerer zeigt ihn die personata fabula, in der
die Schauspieler wie in der Atellana maskiert auftraten; s. Marx aO. 80. Die
Überreste Ribbeck, com.3 p. 6; bei LMüller s. § 94,5. Vieles ist unsicher,
namentlich wegen der häufigen Verwechslung mit Laevius, Livius und No-
vius. Alle Stücke, auch die mit lateinischen Titeln, gehören der palliata
an; doch vgl. oben über den Ariolus. N. bewegte sich seinen Originalen
gegenüber, wie es scheint, freier als selbst Plautus, besonders durch die
persönlichen Angriffe (A. 3 und Cic. Cat. 20) , und nahm schon Kontamina-
nation vor (§ 16, 9. Ter. Andr. prol. 7). Leo, PF. 93.
8. Bellum punicum (poenicum). Cic. Cato 50 (zum Beweise des Satzes
nihil est otiosa senectute iucundius) quam gaudebat bello suo punico Naevius!
Also inUtica gedichtet?? — Suet. de gramm. 2 C. Octavius Lampadio (§ 138,
4) Naevii Punicum bellum . . uno volumine et continenti scriptura expositum
divisit in Septem libros. Santra bei Non. 170, 21 quod volumen unum nos
lectitavimus , id postea invenimus septemfariam divisum. Auch in den uns
erhaltenen älteren Zitaten aus Naevius1 bell, wird das Werk nicht nach Bü-
chern, sondern als Ganzes zitiert; s. Bücheler, RhM. 40, 149. LMüllers En-
niusausg. p. xxn. — Ein Cornelius und ein Virgilius als Kommentatoren bei
Varro LL. 7, 39. — Cic Brut. 75 Naevi . . bellum Punicum quasi Myronis
opus delectat. . . et lueulente quidem (Naevius rem scripsit), etiamsi minus
quam tu (Ennius) polite. Die beiden ersten Bücher enthielten die Vorge-
schichte Roms und Karthagos (Anchises, Aeneas ; Anna, Dido), im dritten be-
gann die Erzählung des ersten punischen Krieges. Der Stoff war in nüch-
§ 95. Cn. Naevius 167
terner Weise, etwa im Tone einer Reimchronik behandelt, doch in Anleh-
nung an die homerische Weise von einem mythologischen Rahmen umfaßt:
Juno Feindin, Venus Freundin der Trojaner; Juppiter und Apollon er-
scheinen persönlich tätig. Dido und Anna kamen vor (fr. 33); doch bleibt
es zweifelhaft, ob Aeneas1 Untreue erwähnt war und ob damit der Zwist
zwischen Rom und Karthago motiviert war; Heinze, Virgils Technik 114,
Dessau, Herrn. 49, 518. ABaehrens, Herrn. 50, 261. Seine Quelle für die
Vorgeschichte kennen wir nicht, Timaios vermutet v. Scala, Rom. StudM
Innsbr. 1893, 3. 12; für den Krieg selbst lag ihm vielleicht Fabius Pictor
vor. — Diesem Heldengedicht gilt wohl hauptsächlich Horaz' Frage (E. 2,
1, 53): Naevius in manibus non est et mentibus haeret paene recens? Vergil
hat es noch benutzt (fr. 13 B). Die Überreste rec. Vahlen, Lpz. 1854 und an
LMüllers Enniusausg. (darin auch quaest. Naev. p. xx), s. § 104, 6. FPR. 43.
Wordsw. EL. 292.
9. Fest. 257% 29 ut apud Naevium . . in satyra usw. Ob ein Lustspiel
(A. 7), wie es gleichnamige von Atta und Pomponius gab?? Andere denken
an Satiren: vermeintliche Bruchstücke solcher FPR. 51. Dem Inhalte nach
passen die überlieferten Worte in das bell. Poen.; oder ist vorher ein Autor-
name (Ennius?) ausgefallen? — Über angebliche Erhaltung des Naevius bis
ins Mittelalter s. RFörster, RhM. 37, 485. — EKlussmann, Naevii vitam des-
cripsit, reliq. coli., Jena 1843. PRE 5, 396. Mommsen, RG. I6, 899. 892. 917.
Ribbeck, röm. Trag. 44; röm. Dicht. 1, 20. deMoor, Nevius, Tournai 1877.
Villemain, l'instr. publ. 10 (1881), 142. Marx und Wissowa aO.
96. T. MacciusPlautus war in Umbrien, in der damals schwer-
lich schon ganz latinisierten Landstadt Sarsina, als Freier geboren.
Er war zuerst als Schauspieler tätig; später — wie es scheint, erst
in den letzten Jahrzehnten seines Lebens — fand er seinen Lebens-
beruf in der lateinischen Bearbeitung griechischer Lustspiele. Er
starb im J. 184. Über die Anzahl seiner Stücke entstand haupt-
sächlich dadurch Unsicherheit, daß man bald alle Palliaten aus der
Zeit des Plautus — von denen viele nur noch in Bühnenexemplaren
vorhanden sein mochten — als plautinisch zu bezeichnen sich ge-
wöhnte. Yarro unterschied unter diesen drei Klassen: 21 allgemein
als echt anerkannte, ferner wahrscheinlich echte und endlich un-
echte. Die der ersten Klasse (fabulae Varronianae) sind ohne Zweifel
die erhaltenen.
1. Sarsina, auf das Most. 770 angespielt wird, war die letzte Stadt des eigent-
lichen Italiens, die noch J. 266 den Römern Widerstand leistete. — Der
Name T. Maccius (statt M. Accius) aus dem Ambrosianus (am Schluß von
Cas. Men. Epid.; Merc. 6) und Gell. 3, 3, 9 festgestellt von Ritschl, de no-
minibus Plauti, Parerga p. 3, und gegen Geppert (Jahns Arch. 19, 262; vgl.
Ritschls Ausg. des Mercator p. xi) verteidigt von Hertz, T. Maccius Plautus
oder M. Accius Plautus? Berl. 1854; de Plauti nominibus, Bresl. 1867. Neue
Verteidigung des M. Accius von Cocchia, riv. filol. 13 (1884), 97; dagegen
168 Republikanische Zeit: J. 240—84 v. Chr.
namentlich Hülsen, Berl. phil. Woch. 1886, 420. — In Asin. prol. 11 (Demö-
philus scripsit, Mäccus vortit bärbare) hat man den Namen Maccius so (was
aus metrischen Gründen nicht angeht) oder in den Schreibungen Maccis
oder Mäcius eingesetzt. Bücheler, RhM. 41, 12 (ähnlich Leo PF. 82) ver-
mutet ansprechend, daß maccus dort cPossenmacher' (§ 9, 3) bedeute und
ein dem Plautus als Dichter oder Schauspieler beigelegter Name sei, aus
dem er, als er römischer Bürger wurde, sich den Geschlechtsnamen Maccius
(CIL. 5, 2437. 6, 1056, 81. 10, 8148) gebildet habe. Jedoch findet sich Mac-
cius als Gentilnamen zB. in Pompeji und Neapel: Zimmermann, RhM. 62, 486.
Plotus (Plautus) hieß ein Hund mit breiten Ohren (daher Cas. 34 Plautus
cum latranti nomine), umbrisch ein Plattfüßiger, Fest. 238; daselbst der
einzige Scheinbeleg für Accius: Paul. Festi 239, 4 poeta Accius, quia Umber
Sarsinas usw. (bei Fest. 238% 34 ist nur erhalten: . . . us poeta, quia Umber
usw.). Für den Gentilnamen Maccus (aus etrusk. Mace) tritt "W Schulze, zur
Gesch. lat. Eigennamen 298, ein. Vgl. Marx, ZöG. 1898, 398.
2. Cic. Brut. 60 (wohl aus Atticus) Plautus P. Claudio L. Porcio coss.
(J. 184) mortuus est, Catone censore. Cato 50 unter den Beispielen von Be-
schäftigungen der senectus: quam gaudebat . . Truculento Plautus, quam
Pseudulo (aufgeführt J. 191)! Dies stimmt auch zu der Aufführung des
Stichus im J. 200. Vgl. Ritschl, de aetate Plauti, Parergap. 45. Daher ist
jedenfalls unrichtig, was Hieronym. zu Euseb. chron. 1817 (Bong. 1818) =
J, 200 angibt: Plautus ex Umbria Sarsinas Bomae moritur (moratur Hertz;
andere denken an eine Verwechslung mit clarus habetur). — Gell. 1, 24, 3
epigramma Plauti, quod dubitassemus an Plauti foret (§ 115, 2), nisi a M.
Varrone positum esset in libro de poetis primo: Postquam est mortem aptus
Plautus, comoedia luget, scaena est deserta ac dein risus ludus iocusque et
numeri innumeri simul omnes conlacrimarunt.
3. Gell. 3, 3, 14 Saturionem et Addictum et tertiam quandam . . in pi-
strino eum scripsisse Varro et plerique alii memoriae tradiderunt, cum pecu-
nia omni, quam in operis artificum scaenicorum (gewiß nicht als Theater-
arbeiter, sondern als Schauspieler oder Dichter) pepererat, in mercatibus
perdita inops Pomam rediisset et ob quaerendum victum ad circumagendas
molas quae trusatiles appellantur operam pistori locasset. Hieronym. aO. (s.
A. 2) : qui propter annonae difflcultatem ad molas manuarias pistori se loca-
verat, ibi quotiens ab opere vacaret scribere fabulas soliius ac vendere. Leo
PF. 74 verweist das mit Recht ins Gebiet der literarischen Erfindung; anders
Marx ZöG. 1898, 385; Lpz. Ber. 1911, 39.
4. Gell. 3, 3, 11 feruntur sub Plauti nomine comoediae circiter centum
atque triginta. Serv. praef. in Aen. p. 4, 15 Th. : Plautum alii dicunt unam
et viginti fabulas scripsisse, alii quadraginta, alii centum. Letztere Zahl kaum
aus einer anderen Quelle als 130; Ritschl, Parerga 126. 173. Gell. aO. 12
homo eruditissimus L. Aelius XXV eius (Plauti) esse solas existimavit. Nach
ebd. 3, 3, lff. unterschied Varro zum Teil nach seinem persönlichen Gefühl
und Urteil, ob ein Stück des Plautus würdig sei oder nicht, seine Klassen:
(3) nam praeter illas XXI quae Varronianae vocantur, quas idcirco a ceteris
segregavit quoniam dubiosae non erant, sed consensu omnium Plauti esse
censebantur (also hier nicht nach eigenem Urteil), quasdam item alias pro-
bavit, adductus filo atque facetia sermonis Plauto congruentis, easque iam
§ 96. Plautus 169
nominibus aliorum occupatcts PJauto vindicavit. Bitschi vermutete (nicht stich-
haltig), daß Varro dieser zweiten Klasse (ccvTiXsyo^sva) 19 Stücke zuteilte,
und (erklärte daraus die Zahl 40 bei Servius, etwa (S. 128): 22. Saturio;
23. Addictus; 24. Boeotia; 25. Nervolaria; 26. Fretum; 27. Trigemini;
28. Astraba; 29. Parasitus piger; 30. Parasitus medicus; 31. Commorientes;
32. Condalium; 33. Gemini lemones; 34. Faeneratrix; 35. Frivolaria; 36. Si-
tellitergus; 37. Fugitivi; 38. Canones (? überl. Cesistio)\., 39. Hortulus; 40. Ar-
temo. Zur dritten Klasse (vo&a) könnten dann etwa gehören (ebd. S. 154):
1. Colax; 2. Carbonaria; 3. Acharistio; 4. Bis compressa; 5. Anus; 6. Agroe-
cus; |7. Dyscolus; 8. Pago (? Phago Pius, Paplago Hertz, Arpago Lowe);
9. Cornicula; 10. Calceolus; 11. Baccaria (über d. Namen Löwe Prodr. gloss.
292); 12. Caecus aut Praedones. Die Ausgabe der 21, auf die auch unsere
Hss. zurückgehen, hat schwerlich Varro selbst gemacht (§ 99, 4), aber sein
Ansehen hat bewirkt, daß man die von ihm anerkannten Stücke in einer
Ausgabe vereinigte. Sie hat allmählich die übrigen Stücke verdrängt, die
seit dem 2. Jhd. n. Chr. kaum noch gelesen wurden. PL fabul. deperdit. frgm.
coli. Winter, Bonn 1885 ; bei Götz-Schöll hinter Cist. usw.
5. Zur Entstehung der kritischen Schwierigkeit s. Gell. 3, 3, 13 non
clubium est, quin istae (alle?), quae scriptae a PJauto non videntur et nomini
eins addicuntur, veterum poeiarum fuerint et ab eo reiractatae atque expolitae
sint ac propterea rcsipiant stilum Plauiinwm. Dies könnte aber nur von
Stücken des Andronicus und Naevius gelten; s. Ritschl, Parerga 96. In § 10
erwähnt Gellius auch, daß in Varros liier de comoediis Plautinis id quoque
scriptum, Plautium fuisse quempiam poetam comoediarum, dessen Stücke
wegen der Namensähnlichkeit (Gen. Plauti) mit denen des Plautus zusam-
mengeworfen worden seien; was aber nicht weit hilft; s. Ritschl 95f. Doch
hat Hertz (de Plautio poeta ac pictore, Bresl. 1867) wenigstens erwiesen,
daß ein solcher Plautius einmal existierte. Hauptursache der Verwirrung
war (Ritschl 113), daß der Name plautinisch zu einer Art von Sammel-
bezeichnung für die Blütezeit der palliata wurde, indem das Namenlose sich
teils von selbst an den berühmten Namen anlehnte, teils mißverständlich,
von manchen Seh au Spielunternehmern auch wohl wissentlich, dem Plautus
zugeschrieben wurde. Vgl. Mommsen, RG. I6, 901. — Über die ganze Frage
s. Ritschl, die fabulae Varronianae des Plautus, Parerga 71.
97. Die erhaltenen zwanzig Stücke stehen in den Handschriften
ungefähr in alphabetischer Ordnung. Sie werden hier in der durch
die Palatinische Rezension überlieferten Reihenfolge aufgezählt.
Gesamtausgaben und Teile solcher s. § 99, 11. Übersicht über die über-
lieferten Reihenfolgen bei Lindsay, anc. edit. 85. Über die Zeit der Origi-
nale Hueffner, de Plauti comoed. exemplis Atticis, Gott. 1894.
1) Amphitruo, das einzige plautinische Stück mit mytholo-
gischem (komisch-wunderbarem) Stoffe , der mit formeller Meister-
schaft und übermütigster Laune behandelt ist. Das Original und
die Abfassungszeit sind unbekannt.
f 1. Die Grundlage der Handlung bilden Verwechslungen, wie in den
Menaechmi, aber nicht in einem, sondern in zwei Paaren, da Juppiter in
170 Republikanische Zeit: J. 240—84 v. Chr.
der Gestalt Amphitruos die Alcumena täuscht und Mercur ihm in der Ver-
kleidung des Sklaven Sosia beisteht. Wegen der Mischung göttlicher und
menschlischer Personen wird das Stück vom Prolog als tragicomoedia be-
zeichnet, wirklich liegt in der Täuschung der Alcumena etwas Tragisches,
jedoch stellen die Sklavenszenen die Verbindung mit der Komödie her. Auf-
fällig sind die Zwischenreden des Juppiter und Mercur an die Zuschauer,
die diese über den Gang der Intrigue auf dem Laufenden halten sollen.
Das Original stammt ohne Zweifel aus der neuen Komödie und ist weder
ein Stück des Archippos (alte att. Komödie, auch von Plato gab es eine
Nvt; iLccxQa) noch des Rhinthon; s. Vahlen, Ges. Sehr. 1, 437. Hueffner 71.
Über das Verfahren bei der Übersetzung des Originales Siewert, PI. in Amph.
quomodo exemplar transtulerit, Leipz. 1894. Kontamination behaupten Kak-
ridis, RhM. 57, 463. Leo, Gott. Gel. Nachr. 1911, 254, leugnet mit Recht
Wilamowitz, Sßer. Berl. 1911, 485. Nach Akt 4, 2 ist durch den Verlust
einer Blätterlage eine Lücke von einigen Szenen oder etwa 300 Versen ent-
standen; im 15. Jahrh. von Hermolaus Barbarüs durch eine mißglückte Nach-
dichtung ausgefüllt. Vgl. im allgemeinen WSchwering, ad PI. Amph. proleg.,
Münster 1907.
2. Sonderausgaben v. Lindemann (Lps. 1834), Holtze (Lps. 1846). Havet,
Paris 1895. Amatucci, Neapel 1904. — Osann, der A. des PI., RhM. 2 (1834),
305. Welcker, griech. Trag. 1478. Steinhoff, Proleg. zu PI. A., Blankenb.
1872. 79 IL EHoffmann, de PI. Amph. exemplari et fragm., Bresl. 1848.
JSchröder, de fragm. Amph. Plaut., Straßb. 1879. — Bearbeitung des Amph.
im Mittelalter durch Vitalis: § 436, 9.
2) Asinaria, von possenhaftem Stoffe und niedriger Moral, aber
mannigfaltiger und lebendiger Charakterzeichnung und mit Szenen
von großer derbkomischer Wirkung. Original der 'Ovayog eines
obskuren Demophilos.
1. Über Prolog, v. 11 s. § 96, 1. V. 13 inest lepos ludusque in hac co-
moedia, ridicula res est. Daß V. 124 f. nam ego illud argentum tarn paratum
filio scio esse quam nie hunc seipionem contui auf einem im Theater anwesen-
den Scipio geht, ist möglich, genügt alvr nicht zur Datierung in J. 212.
Radermacher, RhM. 58, 636. Die Nachlässigkeiten der Komposition sind ohne
die Annahme der Kontamination zu erklären; spätere Zusätze sind wie in
den meisten Stücken vorhanden (zB. V. 23 f. 480 — 484), schwere Störungen
aber (Havet, RPh. 1905, 94) nicht nachweisbar. PAhrens, de PI. Asin., Jena
1907. Langrehr, dgl. Friedland M. 1894. — Ausg. v. JRichter, Nürnb. 1833.
3) Aulularia, eines der besten Stücke des Plautus nach An-
lage wie Ausführung, in dessen Mittelpunkt die Charakterzeichnung
eines Geizhalses steht. Der Schluß ist verloren.
1. Original sicher ein Stück der neuen Komödie; Menander nach der
ganzen Anlage und nach V. 300 vgl. mit CAF. III p. 37, vielleicht der Av-
6y,o%og?? Geffcken, Stud. zu Men., Hamburg 1898; nach Francken die Hydria ,
nach Krieger, De Ant. exemplaris graeco, Gießen 1914 der Thesauros. Das Frag-
ment Hibeh Pap. 1, 24 hat trotz Blass, RhM. 62, 102 mit der Aulul. nichts
zu tun, s. Leo Herrn. 41, 629. Die Abfassungszeit wegen 3, 5 nach Aufhebung
§ 97. Plautus (die einzelnen Stücke) 171
•der lex Oppia (J. 195) anzusetzen, ist nicht berechtigt; auch zur Annahme
einer größeren Kontamination liegt trotz des doppelten Vorkommens des
Namens Strobilus (Dziatzko, RhM. 37, 261) und des wunderlichen Filodicus
(2, 7) kein Grund vor. — Ladewig ZfAW. 1841, 1085. BWolff, proleg. ad
PI. A., Naumb. 1836. WWagner, de PI. A., Bonn 1864. EPressler, dgl., Jena
1908. Bonnet, Mel. Havet 17. Tartara, Riv. fil. 27, 193. Francken, het ori-
gineel v. PI. Aul., Versl. en Mededeel. 2 (1882), 11.
2. Sonderausgaben von Göller (Köln 1825), Hildyard (Lond. 1839),
WWagner (Cambr.2 1876), EBenoist (Par.5 1878), Francken (Groningen 1877),
Langen, Münster 1889, JThomas, Lond. 1913. Übers, von Funck, Berl. 1914.
— Über den Querolus, eine Nachbildung der Aulularia, s. § 436, 9.
4) Bacchides, in der kunstvollen Anlage, namentlich in der
meisterlichen Steigerung der Intrigue, wie in der Charakterzeich-
nung und der Einheitlichkeit des Tones eines der besten Stücke.
Der Schluß fällt sehr ins Burleske. Die Eingangsszenen sind zu-
gleich mit dem Schlüsse der Aulularia verloren gegangen. Das
Original ist wohl Menanders 4ig s^ccTtatcbv. Aufführung nach dem
Epidicus.
1. Über Inhalt und Überreste der verlorenen 2 — 3 Szenen s. Ritschl,
op. 2, 292. Ribbeck, RhM. 42, 111. Baar (A. 2). Die schlechten Ergänzungen
in älteren Ausgaben sind wahrscheinlich von Antonio Beccadelli aus Paler-
mo verfaßt (§ 99, 8). Das Original ergibt sich teils daraus, daß die Hand-
lung zu dem Titel dig i^cutcct&v stimmt, teils aus Y. 816 vgl. mit Menand.
fr. 125.
2. Kontamination ist wahrscheinlich; s. Teuffel, Stud. u. Charakt. 256.
EFränkel, de media et nova com., Gott. 1912, 100. Tartara, De PL Bacch.,
Pisa 1885. Über vermeintliche spätere Überarbeitung Brachmann, Lpz. Stud.
3, 57 und Anspach, Bonn 1882 und dagegen PWeise, Berl. 1883. — Abfas-
sung vor J. 186 wegen Vers 53 und V. 1073 (Anspielung auf die vier
Triumphe des J. 189) behaupten Ritschl, Parerga 423. Götz, acta Lips. 6,
315. Anspach, JJ. 139, 355.
3. Die früher übliche Stellung des Stückes (nach Epid.) gehört erst
späterer Zeit an und gründet sich auf V. 214; Ritschl, Parerga 391; vgl.
op. 2, 321. Studemund, Würzb. Festgruß (1868) 39.
4. Ausgaben von Ritschl (Hai. 1835), GHermann (Lps. 1845). — Abhand-
lungen: Ritschl, Parerga 391; op. 2, 292. Fritzsche, Rostocker Sommer-
katalog 1846. EMeier, op. 2, 330.
5) Captivi, ein Rührstück, ohne weibliche Rollen und Liebes-
geschichte, gut aufgebaut und durch die Figur des Parasiten auch
mit einem komischen Element versehen.
1. Die ausdrücklichen Hinweise im Prolog (v. 55 non pertractate facta
est neque item ut ceterae: neque spurcidici insunt versus immemorabiles usw.)
und Epilog (v. 1029 ad pudicos mores facta liaec fabula est . . . huiusmodi
paucas poetae repperiunt comoedias) zeigen, daß eine bewußte Abkehr von
dem üblichen Stoffkreise vorliegt, aus dem aber doch der avocyrcogiö^og
172 Republikanische Zeit: J. 240—84 v. Chr.
stammt (§ 16, 1). Die Vermutungen über das Original bleiben unsicher; zB.
denkt Dietze (§ 15, 2) an Philemons AitcoXos. Der Parasit ist gewiß nicht
Zutat des Plautus; EHerzog, JJ. 113, 363. — Sonderausg. von Geppert (lat
u. deutsch, Berl. 1869), Ussing (Kopenh. 1869), Brix-Niemeyer (Leipz 61910)r
mit krit. App. und Bentlejs Emendat. z. ganzen Plaut, (vgl. § 99, 13) v.
Sonnenschein, Lpz. 1880. PMorris, Lond. 98. Lindsay, Lond. 1900. Vgl.
Lessing, Werke 3, 77. 127. Hertzberg vor s. Übersetz. S. xix.
6) Curculio (der Kornwurm), komischer Name des Parasiten
in dem Stücke, der die vom Üblichen wenig abweichende Intrigue
leitet; auffallend ist, daß der Vater des durch Wiedererkennung
restituierten Mädchens fehlt und der Offizier eine doppelte Funk-
tion hat, indem er erst überlistet wird und sich dann als der Bruder
des Mädchens herausstellt. Abfassung hat man auf Grund unsicherer
Indizien bald nach J. 193 gesetzt.
1. Teuffel, Studien u. Char. 262 sieht in V. 509 eine Anspielung auf
die lex Sempronia (Liv. 35, 7) vom J. 193. Merkwürdig ist 4, 1 als eine
ganz aus dem Stück herausfallende Schilderung des Forums (sogen. Para-
base), die für unecht zu erklären (H Jordan, Herrn. 15, 116. Huelsen, Mitt„
röm. Inst. 8, 283) kein Grund vorliegt.
2. Ausgabe von Geppert (lat. u. deutsch), Berl. 1845. WSoltau, Cure,
act. III interpret., Zabern 1882. Langrehr, de PI. Cure, Friedland M. 1893.
Bosscher, de PI. Cure, Leiden 1903.
7) Casina, nach den KItjqov^isvol des Diphilos gearbeitet, ein
Stück von starkem Hautgout und derber an die ccq%cclcc gemahnen-
der Situationskomik, die von Plautus wohl noch gesteigert wor-
den ist.
1. Nach V. 31 hieß das Stück zuerst Sortientes. Abfassung vor dem
Verbot der Bacchanalien (J. 186) folgert Mommsen, RG. I6, 892 aus V. 980 gegen
Ritschl, Parerga 191; Opusc. 2, 658, Abfassung nach Cist. aus V. 87 (s.u.)
Skutsch, RhM. 55, 274 = Sehr. 186. Plautus sagt selbst, daß er eine Haupt-
rolle gestrichen hat, V. 64 is, ne expectetis, hodie in hac comoedia in urbem
non redibit: Plautus noluit, pontem interrvpit, qui erat et in itmere. Auch
der Schluß ist gekürzt (V. 1012) und vielleicht an seine Stelle burleske
Szenen gesetzt oder die vorhandenen erweitert. Leo, Plaut. Cant. 106.
Schmitt, de Pseudolo 60. Süss, RbM. 65, 459. Vom Prolog, den Fides (nißtig)
spricht, stammen V. 5 — 20 von einer Wiederaufführung, der Rest kann alt
sein; Hindeutung auf einen Krieg V. 87 valete, bene rem gerite et vincite
virtute vera, qiiod fecistis antidhac. Skutsch, Sehr. 184. Teuffel, Stud. u.
Charakt. 257.
2. Die vermeintliche Theatermarke mit der Aufschrift Casina Plauti
(Or. 2539) ist nur ein Phantasiestück. Mommsen, Sehr. 8, 1. Ausgabe von
Geppert, Berl. 1866.
8) Cistellaria, kaum zur Hälfte erhalten, eine in der Hand-
lung dem Epidicus verwandte Crepundienkomödie ohne eigentliche
Komik mit rührenden Motiven. Aufgeführt vor J. 201.
§ 97. Plautus (die einzelnen Stücke) 173
1. Das Original von Menander (v. 89 = fr. 558). V. 408 wird von Fest.
301. 352 aus Plaut, in Sym . . oder Sy . . zitiert, woraus man Syro oder
Syra gemacht hat; Syra könnte der Name der lena gewesen sein. Im Pro-
log (V. 201 perdite perduelles, parite laudem et lauream, ut vobis vidi Poeni
poenas sufferant) einzige Erwähnung des (noch unbeendigten) hannibalischen
Kriegs. — Ausgabe: EBenoist, Lyon 1863. Versuch einer Wiederherstellung
von Studemund, Studien 2, 417.
9) Epidicus, ein Intriguenstück mit reicher , aber etwas ver-
wickelter Handlung und ohne besonderen Aufwand von Witz und
Lebendigkeit. Abfassung vor den Bacchides.
1. Die Verwickelung der Handlung erklärt sich vielleicht (mit Lade-
wig, ZfAW. 1841, 1086; dagegen RMüller aO. 5. LReinhardt in Studemunds
Studien 1, 103; JJ. 111, 194. Leo, PF. 198. Langen, Plaut. Stud. 137) aus
Kontamination. PL hatte das Stück dem Pellio (§ 16, 14) verkauft, sich aber
dann mit ihm überworfen; Bacch. 214 etiam Epidicum, quam ego fabulam
aeque atque me ipsum amo, nullam aeque invitus specto, si agit Pellio. — Daß
V. 226 die Aufhebung (J. 195) der lex Oppia sumptuaria voraussetzt, ist eine
ebenso verbreitete wie irrige Meinung.
2. Ausgaben von FJacob (Lüb. 1835) und Geppert, Berl. 1865. — RMüller,
de PI. Epidico, Berl. 1865. Langrehr, in Miscellanea philol. (Gott. 1876) 9.
GGötz, acta Lips. 6, 283. 322. CSchredinger, obs. in Epid., Münnerst. 1884.
— Übersetzung von Jacob, Lüb. 1843.
10) Mostellaria, das Gespensterstück, von sehr wirkungsvoller
Anlage, ausgezeichnet durch die Mannigfaltigkeit glücklich erfun-
dener Situationen und gut gezeichneter Charaktere. Im Mittelpunkte
steht die mit besonderer Liebe und glücklichster Laune gezeichnete
Rolle des verschlagenen und jeder Situation gewachsenen Sklaven.
1. Original wohl das <!>6l6\l<x des Philemon, vgl. Fest. 162. 305 Plautus
in Phasmate. Ritschl, Parerga 159. 272. 431. Komisches Selbstzitat des
Philemon, von Plautus V. 1149 beibehalten: Si amicus Diphilo aut Pliile-
moni es usw. Leo, Herrn. 18, 560.
2. Ausgaben von ALorenz, Berl.2 1883. WRamsay, Lond. 1869. Bugge,
Christiania 1873. EMorris, Bost. 1880. Sonnenschein, 2Oxf. 1907. Stamkart,
commentarius in PI. Most., Amst. 1858.
11) Menaechmi, eines der gelungensten Stücke; es behandelt
die lustigen Verwechslungen und Verlegenheiten, die durch die
täuschende Ähnlichkeit von Zwillingsbrüdern herbeigeführt werden.
Die Situationskomik überwiegt und steigert sich an einzelnen Stel-
len zu drastischen Wirkungen. Vorbild und Abfassungszeit unbe-
kannt.
1. Argumentum sicelissat (prol. 12) bezieht sich nur auf die Heimat der
Zwillingsbrüder. Daß Jidv^iot, (Oiioioi) zu Grunde liegen, ist sicher; ob ge-
rade die des Poseidippos (Ladewig, Phil. 1, 275), sehr zweifelhaft; s. Teuffel,
Stud. 263. Ribbeck, röm. Dicht. 1, 125. Für die Abfassungszeit vor J. 215
174 Republikanische Zeit: J. 240—84 v. Chr.
bietet V. 408 keinen Anhalt. Eine Überarbeitung behauptet Sonnenburg, de*
Men. retractata, Bonn 1882; vgl. Ribbeck, RhM. 37, 571.
2. Ausgaben von Hildyabd (Cambr. 1840), Geppert (lat. u. deutsch, Berl.
1845), Brix-Niemeyer (Leipz. 51912). WWagner (Cambridge 1878). Vahlen,
Berl. 1882. — Teuffel, Stud. u. Charakt. 263. PLangen, de Men. prologor
Münster 1873.
3. Stiefel, d. Menächmenfabel, in Symbolae philol. ad LSpengel., Münch.
1877; BlbayrGW. 15, 309. 340. ThZielinski, quaest. com. 71. Goldbacher,
Festschr. f. Vahlen 205.
12) Miles gloriosus, stark aufgetragene Zeichnung eines Bra-
marbas, den seine mit großer Dummheit gepaarte Neigung zum
schönen Geschlecht in arge Ungelegenheiten bringt. Das Stück führt
zwei Intriguen durch und ist nicht ohne Längen, aber von über-
sprudelnder glücklichster Laune. Es scheint aus zwei Originalen
ohne große Sorgfalt kontaminiert zu sein.
1. Miles gloriosus ist der überlieferte und richtige Titel: s. WHertzberg,
Übersetz. 356. ARiese, RhM. 22, 303. Lessing, Werke 7, 90 und Fleck
eisen, RhM. 14, 628 zogen Gloriosus vor. — Original nach V. 86 der k%a£av
eines griechischen Dichters; als dieser ist weder Philemon (Dietze 42) noch
Menander (FRanke, Periplecomenus, Marb. 1900, 87) zu erweisen. Mit diesem
Alazon ist vielleicht ein anderes Stück kontaminiert, in dem das später
weitverbreitete Novellenmotiv von der durchbrochenen Wand (EZarncke,
RhM. 39, 1), verbunden mit dem "Ofuuoi-Motiv, vorkam. Doch s. Hasper, de
compositione Mil., Dresden 1894; JFranke, dgl., Lips. 1910. Mesk, WSt. 35,
211. Vgl. Teuffel, Stud. 273. Ribbeck, Alazon, Beitr. z. antiken Ethologie;
nebst Übersetz, des PI. Mil. Lpz. 1882. Langen, Plaut. Stud. 313. Kakbidis,
RhM. 59, 626. — Abfassungszeit nach J. 204 (wegen V. 211 : s. § 95, 3). Ly-
rische Partien enthält das Stück nicht; Ritschl, op. 3, 29.
2. Ausgaben von ALorenz (Berl.2 1886), Brix-Niemeyer (Lpz.3 1901).
Ribbeck, Lps. 1881. YTyrell, Lond.3 1889.
3. Ritschl, op. 2, 404 (de argumento acrostichoMil.gl.). 3, 789. VFritzsche,
Rostocker Index Sommer 1850. FSchmidt, Unters, üb. d. Mil. gl., JJ. Suppl.
9, 321.
13) Mercator, mit einer der Casina ähnlichen Handlung; in-
dem der verliebte und von seiner Hausehre ertappte Alte in den
Vordergrund gerückt ist, tritt das Schicksal der Geliebten des Soh-
nes zurück. Original Philemons "Ejijropog.
1. Abfassung nach J. 196 folgert aus V. 525 Ladewig, ZfAW. 1841,
1085 ohne Grund; vgl. Ritschl, Parerga 344. Abfassung nach dem Rudens
erschließt Marx, Ind. lect., Greifsw. 1892/3; SBer. Wien. Ak. 140 aus der
Traumerzählung in 2,1, die PI. selbst der im Rud. nachgebildet habe;' doch
kann bereits der Dichter des Originales der Nachahmer sein. Leo, PF. 162.
Kellermann, Comment. Jenens. 7, 127. Dietze 13. — Über den Prolog s.
Dziatzko, RhM. 26, 421. 29, 63. LReinhardt, Studemunds Studien 1, 80. Lang-
rehr, de PI. Merc, Friedland M. 1906.
§ 97. Plautus (die einzelnen Stücke) 175
14) Pseudölus, ein übermütiges, aber etwas auseinander fallen-
des Intriguenstück mit ähnlicher Sklavenrolle wie die Mostellaria
und derbkomischen Episoden, aufgeführt J. 191.
1. Für die Namensform Pseudölus (s. die Wortspiele mit dolus 1205.
1244) Goetz, praef. IX. KSchmidt, Herrn. 37, 38Ö. OLorenz, Phil. 35, 153.
Dagegen und für Pseudulus Ritschl, op. 3, 7; vgl. 3, 332. Didaskalie: M.
Iunio 31. fil. pr. urb. (J. 191) acta Megalesiis. Danach erste Aufführung bei
der Einweihung des Tempels der magna mater (vgl. 2, 4, 19) am 10. April d. J.
(Ritschl, Parerga 286. 295). Vgl. Cic. Cato 50 quam (gaudebat in senectute)
Truculento Plautus, quam Pseudulo! — Bearbeitung nach einem Stücke der
rmittleren Komödie' behauptet Bergk, RhM. 20, 290: nach Menander
Hueffner 17, nach Philemon Dietze 33: alle ohne Beweis; auch bleibt ev.
immer die Frage offen, für welches der benutzten Originale man den Ver-
fasser ausfindig machen will. Der Gedanke an Kontamination scheint zu-
nächst kaum abzuweisen; Bierma, Quaest. de Pseud., Groningen 1897. Leo,
Gott. gel. Nachr. 1903, 347. Karsten, Mnemos. 31, 130. An Verkürzung des
Originales denkt ASchmitt, de Pseud. exemplo Attico, Straßb. 1909. Doch
s. vHarrer, Progr. Sophiengymn. Wien 1912. Der auf die Aufhellung der
Kontamination verwendete Scharfsinn hat (um das hier einmal auszuführen)
manche feine Beobachtung gezeitigt, die eigentliche Frage aber nicht ge-
löst. Das wird bei der Art dieser Stücke auch fast nie möglich sein, die
es (wenn wir von Menander absehen) darauf anlegen, eine Rolle für einen
Virtuosen zu schaffen, der namentlich auch Gesangs- und in diesem Falle
Tanzvirtuose sein muß, und die Zuschauer durch eine Reihe lustiger Szenen
zu unterhalten. Was darüber ist, das ist schon ein opus supererogationis.
Sieht man von allen möglichen Kleinigkeiten ab, die niemand einem mo-
dernen Possen- oder Operettendichter übel nimmt und die wir daher auch
Plautus und selbst, seinen Originalen übelzunehmen kein Recht habeu, so
bleiben folgende Unzutr'äglichkeiten übrig: 1. Calidorus erfährt den Verkauf
der Phoenicium durch den in der ersten Szene vorgelesenen Brief, weiß
aber in der 3. Szene nichts mehr davon und läßt sich den ganzen Sach-
verhalt als Neuigkeit mitteilen. Das könnte natürlich auf Kontamination
beruhen, und zwar könnte die ganze erste Szene oder doch der Brief zu-
gesetzt sein; aber gerade dessen Kenntnis wird in 2, 2 V. 649 vorausge-
setzt, man müßte also schon ein ziemlich kompliziertes Verfahren des
Plautus annehmen. Wer es daher vorzieht, die Dublette innerhalb des-
selben Stückes zu ertragen (deren Motive ja deutlich genug sind), wird
schwer widerlegt werden können. 2. Callipho wird in 1, 5 mehrfach ge-
beten (V. 547. 559), zu Hause zu bleiben und dem Pseudölus als Zeuge zu
dienen. Im weiteren Verlaufe der Handlung ist das völlig vergessen, Cal-
lipho betritt die Bühne nicht mehr und wird mit keinem Worte erwähnt.
Auch dafür macht man die Kontamination verantwortlich, jedoch wird Cal-
lipho als Zeuge gerade für den Pakt angerufen, der nachher erfüllt wird,
so daß man schon annehmen müßte, die Szenen, in denen er ursprünglich
auftrat, seien anderen, eingelegten zum Opfer gefallen. Dann kompliziert
sich die Entstehungsweise noch mehr. 3. Pseudölus hat sich verpflichtet,
dem Simo 20 Minen abzulisten, erfüllt dieses Versprechen aber nicht.
176 Republikanische Zeit: J. 240—84 v. Chr.
Früher half man sich durch Textänderungen (s. Götz zu V. 530 f.), mit denen
heute niemand mehr solche Anstöße beseitigen wird. Heute ist gerade diese
Stelle der Angelpunkt aller Erörterungen der Kompositionsfrage, und Bierma
und Leo haben von hier aus zwei Originale erschlossen, in deren einem
Simo, in dem anderen Ballio betrogen wurde. Aber Schmitt hat es für un-
möglich erklärt, diese beiden Originale voneinander zu trennen und vHarrer
hat eben jenen Doppelvertrag in 1, 5, der meist den Hauptbeweis für Kon-
tamination abgeben muß, auf einen psychologisch feinsinnigen Dichter
zurückgeführt, aus dem Plautus hauptsächlich diese eine Szene entlehnt
habe, während man ihm possenhafte Effekte nicht zuschreiben dürfe (sehr
bedenklich, da eben höchstens Menander sich von dem Herabsinken in die
Posse frei hält). Nun kann freilich der erste Teil des Stückes bis V. 521
den Eindruck machen, als sei es auf einen Betrug des Vaters abgesehen;
aber der Betrug des Kupplers ist auch von vornherein angelegt (durch den
Brief in 1, 1 und durch 1, 3) und wird ganz folgerichtig V. 526 versprochen.
Wer also annimmt, daß der Dichter des griechischen Originales bereits
zwar nicht verschiedene Stücke aber verschiedene Motive kombiniert und
dabei etwas flott gearbeitet habe, wird hier und in den meisten ähnlichen
Fällen nicht widerlegt werden können.
2. Ausgaben von Romeijn (Daventr. 1836), Lorenz (Berl. 1876). — Mit
Rud. u. Truc. denuo expl. Bothe, Lps. 1840.
15) Poenulus, behandelt die Auffindung zweier punischer Mäd-
chen durch ihren Vater; unter den zahlreichen komischen Motiven
ist die Anwendung des punischen Dialektes auffallend. Original ein
KccQxrjdövLog, vielleicht des Menander.
1. Auf den Titel Patruus puUiphagonides weist V. 54. Über die Zeit-
kriterien s. Teüffel, Stud. 274. Hueffner 35. V. 663 nam hie latro in Sparta
fuit . . apud regem Attalum ist nicht für die Zeitbestimmung zu verwenden,
eher V. 524 in re populi placida atque interfectis hostibus. Prol. 4 imperator
Histricus weist auf den Istrischen Krieg J. 178/77, ohne daß deshalb der
ganze Prolog nachplautinisch zu sein braucht. Die Mängel erklären sich
zum großen Teil aus Kontamination von zwei Stücken, deren eines im äto-
lischen Kalydon, das andere in Attika spielte (V. 372). Langen, Plaut. Stud.
181. Leo, PF. 170. Jachmann, Xagitsg 249. Reinhardt in Studem. Stud. 1,
109. Die Schlußszene ist in doppelter (unvereinbarer, aber ungefähr gleich
alter) Fassung erhalten; Ritschl, Parerga 601. Hasper, de Poen. duplici
exitu, Lps. 1868. Vgl. Götz, acta Lips. 6, 253. 326; ind. lect. Jenens. 1883/4.
Francken, de Poen. compositione, Mnemos. 4 (1876), 146. Langrehr, de PI.
Poen., Friedland 1883.
2. Ausg. von Geppert, Berl. 1864. — Über das Punische (5, 1) s. JGilde-
meister in Götz -Lowes Ausgabe. Hennen, de Hannonis precationis recensione
punica, Marb. 1882. FSoltau, Zur Erkl. der Reden des Hanno, Berl. 1889.
— Götz, act. Lips. 6, 328. KSchueth, de Poen. quaest. crit., Bonn 1883.
16) Persa, ein nur mit den üblichen Motiven arbeitendes Be-
dientenstück von einfacher Erfindung, doch teilweise sehr lebendiger
Ausführung; seinen Titel trägt es von der Verkleidung des Intriguanten.
§ 97. Plautus (die einzelnen Stücke) 177
1. Das Original scheint wegen V. 506 (Chrysopolim Persae cepere urbem
in Arabia) vor der Zerstörung des Perserreiches gedichtet, würde also noch
der mittleren Komödie angehören, von deren possenhaften Vertretern das
Stück einen guten Begriff gibt; vgl. vWilamowitz, ind. lect. Gott. 1893/4.
Leo, Herrn. 41, 441. Doch s. MMeyer, Comment. Jenens. 8, 1, 143. Die An-
sichten über die Entstehungszeit von Ladewig, über den Kanon des Yolc.
Sed. 38 (Abfassung J. 197) und GGötz, RhM. 30, 162 (J. 186) sind nicht über-
zeugend. Über die Komposition auch Hueffner 74. vanJisendijk, de Plauti
Persa, Utrecht 1884. Dareste, melanges Weil 107. Über die Rechtsverhält-
nisse JPartsch, Herrn. 45, 595.
17) Rudens (das Schiffstau), vorzüglicher durch die teils sen-
timentale teils heitere und witzige Ausführung einzelner Szenen als
durch die Anlage des Ganzen. Original von Diphilos.
1. Original Diphilos' Urfea? Schoell, RhMus. 43, 298. Marigo, Stud.it.
15, 480. Abfassung vor Merc. Amph. Truc. nimmt Marx, SBer. Wien. Ak.
140, 34 an, s.o. N. 13; Kontamination behauptet ohne Grund Kakridis, Bar-
bara Plautina, Athen 1904, 26. Vgl. Coulter, Class. Phil. 8, 57. Robertl,
Progr. Trient 1910. Über den Fischerchor s. § 16, 3. — Ausgaben von Reiz
(Lps. 1789), ChrSchneider (Bresl. 1824), Bothe (s. Pseud.), Geppert (Berl.
1846), EBenoist (Par. 1864), Sonnenschein (Oxf. 1901).
18) Stichus, aufgeführt J. 200 ludis plebeis, der Anlage nach
ein bürgerliches Lustspiel, das aber nicht durchgeführt wird, weil
Plautus burleske Szenen aus anderer Quelle anzuflicken vorzog.
1. Die im Ambros. erhaltene Didaskalie nennt das Original Adelphoe
Menandru. Des verschiedenen Inhalts wegen steht das in Terenz' Adelphoe
wiedergegebene menandrische Stück außer Frage. Für verderbt halten die
Didaskalie Ritschl, Parerga 270, Studemund (de actae Stichi Plautinae tem-
pore), comment. Mommsen. (Berl. 1877) 782 und andere. Vielmehr scheinen
zwei verschiedene Stücke Menanders den Namen Adelphi getragen zu haben
(vgl. Schol. Plat. p. 276 Mivavdgog iv 'ASslyol? ß). FSchöll, JJ. 119, 44. Da
Pellio das Stück aufführte, so fällt es vor die Bacchides.
2. Das Schicksal der beiden Schwestern, die treu auf ihre seit Jahren
abwesenden Gatten harren, wird bald zugunsten einer derben Situationskomik
vergessen, die zuletzt in einem Sklavengelage mit Tanz auf das Niveau
des Mimos herabsinkt. Kontamination ist sicher und nur fraglich, ob zwei
oder drei Stücke verarbeitet sind. Ritschl, Parerga 261. Bergk, op. 1, 36.
Teuffel, Stud. 277. GGötz, acta Lips. 6, 302. Guidani, annali della acuola
di Pisa, 1891. Silbernagel, de Stichi compos., Teplitz 1896. Leo, Gott. gel.
Nachr. 1902, 375.
19) Trinummus, ein sehr ansprechendes Familienstück ohne
weibliche Rollen von gemessener und moralischer Haltung und
darin den Captivi ähnlich; sogar die Intrigue dient hier ausnahms-
weise einem moralischen Zweck. Aufgeführt nicht vor J. 194. Ori-
ginal Philemons @rj6avQog.
Teuffel: röm. Literaturgesch. Neub. 6. Aufl. I. 12
178 Republikanische Zeit: J. 240—84 v. Chr.
1. Der Titel ist willkürlich gewählt, V. 843 huic ego die nomen Tri-
nummo facto; nam ego operam meam tribus nummis hodie locavi ad artis
nugatorias sagt eine Nebenperson. Die Aufführungszeit ist durch V. 990
vapulabis meo arbitratu et novorum aedilium bestimmt, da nur an den im
April gefeierten ludi Megalenses die Adilen neu waren und das Drama an
diesen Spielen erst J. 194 eingeführt wurde. Ausgaben von GHekmann (Lps.
1800 u. 1853), Geppert (lat. u. deutsch, Berl. 1844. Lpz. 1854), Brix-Niemeyer
(Lpz.5 1907), WWagner (Cambridge2 1875), ASpengel (Berl. 1875), Freeman
and Sloman, Lond. 1883, Cocchia, Turin 1886.
2. Ritschl, de actae Trin. tempore, Parerga 339. De interpolatione Trin.,
ebd. 511. EMeier, op. 2, 321. Bergk, kl. Sehr. 1, 53. 615. Fritzsche, Rostocker
Ind. 1849 f.
3. Übersetzt von Osthelder (Speier 1852 f.) u. WWagner (Frankf. 1861).
20) Truculentus, aus Plautus' späteren Jahren, hat zum Mittel-
punkt eine gewinnsüchtige Hetäre; wie diese drei Liebhaber gegen
einander ausspielt, ist mit übermütiger Laune ausgeführt. Die Cha-
rakterschilderung, auch die des bärbeißigen Sklaven, nach dem das
Stück heißt, tritt dagegen zurück.
1. Cic. Cato 50 (s. § 96, 2). Teuffel, Stud. 279. Reinhardt in Studem.
Stud. 1, 93 (de compositione Truc). Über den verstümmelten Prolog s.
Dziatzko, RhM. 29, 51. Leo, PF. 206. Die Vermutungen über das Vorbild
(Uwvmviog des Menander nach FSchöll aO. 15 u. in d. praef. s. Ausg.
— dagegen FSchmidt, GGA. 1877, 951. Ribbeck, Alazon 79, — Babylonios
des Philemon nach Dietze, de Philem. 30. 43) bleiben unsicher.
2. Ausgaben von Göller (Köln 1824), Bothe (s. Pseud.), Geppert (Berl.
1863), ASpengel u. Studemund (Gott. 1868).
21) Vidularia, 'die Koffergeschichte', vielleicht nach einer
E%eöCa (wohl des Diphilos), inhaltlich dem Rudens sehr ähnlich-
doch handelt es sich hier um den Anagnorismos eines Jünglings.
1. Das Stück stand auch in der Palatinischen Rezension, wie die in B
noch erhaltene Überschrift beweist. Reste noch im Mailänder Palimpsest;
außerdem Anführungen bei Grammatikern. WStudemund, de Vidularia, Greifsw.
1870; Verh. d. Karlsruher Philol.-Vers., Lpz. 1883, 33 (daselbst auch vervoll-
ständigte Fragmentsammlung). Leo, de Vid., Gott. ind. lect. 1894/5.
98. Plautus ist ausschließlich komischer Dichter und Bühnen-
dichter mit allen Vorzügen und Fehlern eines solchen. Von dem
Standpunkt des für das praktische Bedürfnis um des eigenen Unter-
halts willen rasch arbeitenden Theaterdichters erklärt sich die oft
wenig schonende Behandlung des griechischen Originals, das Inein-
anderarbeiten zweier Stücke, die Sorglosigkeit in bezug auf Wider-
sprüche, Unwahrscheinlichkeiten u. dgl. Schon bei der Wahl der
Originale, die er bearbeitet, zeigt er eine unverkennbare Hinneigung
zu Dichtern verwandter Eigenart; aus diesem Grunde hat er für
§ 98. Plautue: Zusammenfassung 179
den feinsinnigen Menander keine besondere Vorliebe. Aber Plautus
ist nicht nur Übersetzer, schon deshalb nicht, weil er durch Ein-
lage von Gesangsstücken aus den ihm vorliegenden Komödien Sing-
spiele und Gesangspossen macht. Freilich hat er, wie die meisten
komischen Dichter und Humoristen, seine Stärke nicht in der An-
lage des Ganzen, sondern in den Einzelheiten. In jener ist er ganz
abhängig von seinen Vorbildern, denen er an künstlerischer Ein-
sicht weitaus nicht gewachsen war. Dagegen versteht er es meister-
lich, innerhalb jenes Rahmens das Überlieferte sprachlich neu zu
gestalten. Unter seinen Händen nimmt das Fremde italisch-römische
Färbung an, die freilich eine Vergröberung der feinen attischen
Zeichnung verursacht; sein Geist prägt dem allerwärts hergeholten
Stoffe einen bestimmten einheitlichen Stil und Charakter auf von
urwüchsiger Kraft, Gesundheit und Frische. In dem Dichter sprudelt
ein reicher Quell von Witz und Humor. Die lustigen Einfälle strö-
men ihm zu, und gern läßt er sich durch sie von seinem Vorbilde
»fortlocken. Sein Witz hat gern etwas Derbes und Saftiges, ist oft
platt und gewöhnlich, aber selten matt. Das Höchste leistet er in
dem Wortgefecht zwischen zweien und mehreren, das er je nach
der Situation und dem Charakter der Beteiligten in Haltung und
Tempo verschieden abtönt und in treffenden, überraschenden Wen-
dungen zu führen und durchzuführen versteht. Unterstützt wird
hier Plautus durch seine vollkommene Beherrschung der Sprache.
In ihrer Handhabung zeigt er bewundernswerte Leichtigkeit und
Fülle, die nicht selten in übermütig wuchernde Überfülle ausartet, so
daß er die Fortführung der Handlung über den sich jagenden Spaßen
ganz zu vergessen scheint. Er bedient sich, wie es schon der Inhalt
seiner Stücke verlangte, der noch nicht durch längere literarische
Tradition fixierten Umgangssprache seiner Zeit (§ 93). Der Satzbau,
vielfach noch schwerfällig, ist im allgemeinen doch recht gewandt
und paßt sich den raschen Wendungen des Gespräches bequem an.
Auch im Metrischen macht er Gebrauch von den oben S. 157 f. ge-
schilderten Freiheiten, aber seine Verse sind durchaus kunstmäßig
gebaut, mit vollkommener Sicherheit auch in schwierigen Maßen
(Bakchien, Kretiker u. dgl.) und oft mit wirklichem Wohlklang.
Der reiche Nachlaß des Plautus, den uns ein günstiges Geschick
gerettet hat, ist deshalb, ganz abgesehen von seiner literarischen
Bedeutung, auch für die Geschichte der Sprache von hervorragender
Wichtigkeit.
1. Zur Charakteristik des Plautus zB. Lessing, sämtl. Werke 3, 1 Lachm.,
12*
180 Republikanische Zeit: J. 240—84 v. Chr.
Mommsen, RG. l6, 901. 2, 432. Musterung der einzelnen Stücke in Ritschls
op. 2, 732 (von Frauenhand). LKlein, Gesch. d. Dramas 2, 480. Hauptarbeit
FLeo, Plautinische Forschungen 2Berl. 1912. Denecke, zur Würdigung des
PI., Dresden 1911.
2. Unter den Alten übertreibt Cicero die Bewunderung (wenn er off.
1, 104 dem PI. das iocandi genus elegans, urbanum, ingeniosum, facetum auf
gleicher Linie mit den Attikern zuschreibt; Apoll. Sidon. 23, 148 gar: Graios,
Flaute, sales lepore transis), Horaz aber die Kritik (vom Standpunkte des
Kunstdichters) E. 1, 1, 170 (hier zB. gestit enim [Plautus] nummum in loca-
los demittere, post hoc securus, cadat an recto stet fabula talo). 1, 3, 270.
S. Ritschl, neue plautin. Exkurse 1, 122; op. 3, 156. In der augusteischen
Zeit priesen die Verehrer der altlateinischen Dichter seine Lebendigkeit und
Raschheit, die sie mit der des Epicharmos verglichen, wohl damit zugleich
seine vielfache Formlosigkeit beschönigend; über dieses vielfach mißver-
standene properare ad exemplar Epicharmi (Hör. E. 2, 1, 57) vgl. Aristoph.
Eccl. 583 mg tb xct%vv£iv ^agitcov jxsr£^£t 7iXsiatov itccgcc toloi ftecctalg und
ThLadewig, über den Kanon des Volc. Sed. (1842) 19; Phil. 1, 276; auch
Linge, de Plauto properante ad ex. Ep., Ratibor 1827. Leo, GRL. 1, 134.
Flüchtig ist PI.' Verfahren bei der Kontamination ; er bemüht sich nicht all-
zu sehr, die sachlichen Widersprüche zwischen den benutzten Originalen zu
tilgen, so daß man diese meist leicht herauskennt, und verzichtet oft dar-
auf, ein künstlerisches Ganzes herzustellen (Stich.). WWalther, de contam.
ap. PL et Ter. Jena 1910. Über Breite des Ausdrucks und Wiederholung
desselben Gedankens, die nur zum Teil aus Schauspielerinterpolation her-
zuleiten ist, s. Langen, Stud. 1; sie ist besonders auffällig in den Cantica,
wo die Musik zur Variation verführt haben mag. Kellermann, de PI. sui
imitatore, Comment. Jenens. 7, 127.
3. Abfassungszeit der Stücke. Windischmann, RhM. 1 (1833), 110. FRitter,
Allg. Schulztg. 1830, 873. Petersen, ZfAW. 1836, 615. Vissering, quaest. Plaut.
1, (Amst. 1842) 94. Ritschl, Parerga 177. 353 u. sonst. Die Häufigkeit der
Cantica gibt kein sicheres Indizium, da PI. hier von den jedesmal in seiner
Truppe vorhandenen Sängern abhängig war. S. das Besondere bei den ein-
zelnen Stücken § 97.
4. Verhältnis zu den griech. Originalen: in der Handlung und überhaupt
im Sachlichen meist enger Anschluß, der sich oft in der Beibehaltung solcher
Anspielungen bekundet, die das römische Publikum gar nicht verstehen konnte.
Dazu gehört namentlich die meist scherzhafte Polemik gegen andere Komö-
diendichter wie Capt. 55. 1029. Merc. 3. Pseud. 1081. 1239. MRichter, Comm.
Jenens. 11, 2, 18. Daß den Zuschauern griechische Stücke vorgeführt werden
sollen, zeigt schon die Bezeichnung des Römischen durch das Wort barba-
rus, zB. Asin. 12 Demophüus scripsit, Plautus vortit barbare, vgl. Trin. 19.
Thes. L. L. 2, 1735. Die griechische Färbung des Originals bleibt in den
Namen, im Ort der Handlung, in den Sitten usw. geflissentlich gewahrt; die
Ungebundenheit des Sklavenlebens, ohne die zB. die ganze Handlung des
Persa unmöglich wäre, wird Stich. 446 entschuldigt: atque id ne vos mire-
mini, hominis servolos potare amare atque ad cenam condicere: licet haec Athe-
nis nobis. Vgl. Cas. 67 — 77. Aber ein plötzliches Herausfallen aus der grie-
chischen Welt, meist nur in wenigen Worten und Wendungen, nimmt der
§ 98. Plautus (Allgemeines) 181
Dichter nicht schwer und spricht unbedenklich von legio,auspicium,magister cu-
riae udgl. Im Formalen und Sprachlichen wahrt sich PI. größere Freiheit gegen-
über den Originalen; doch sind Anspielungen des PI. selbst auf bestimmte
Zeitgenossen (§ 95, 3) oder gleichzeitige Ereignisse selten, häufiger lokalita-
lische, zB. Mil. 648 post Epliesi sum natus, non enim in Apulis, non sum
Animulas. WABecker, de com. Rom. maxime Plaut. (Lps. 1837) 82. Ritschl,
Parerga 271. VFritzsche, de graecis fontibus Plauti, Rost. 1845. AKiessling,
anal. Plaut. 1, 14. 2, 9. MSchuster, quomodo PI. Attica exemplaria trans-
tulerit, Greifsw. 1884. FGroh, quom. PI. poetas Graecos secutus sit, Prag
1892. FOstermayer, de historia fabulari in com. PI., Greifsw. 1884. Keseberg,
quaest. PI. et Ter. ad religionem spectantes, Lps. 1884. Hubrich, de diis Plaut,
et Ter., Königsb. 1883.
5. Die auffallendste Abweichung von den Originalen liegt in der Zu-
fügung der Gesangspartien (§ 16, 5). Sie sind ganz ungleichmäßig über die
Stücke verteilt ; während der Miles gar keine enthält, singen in Bacch. Cas.
Most. Pseud. Truc. fast alle Personen (A. 3). Metrisch knüpfen sie nicht an
die alte Chorlyrik an, sondern an die Technik des jüngeren Dithyrambos,
die wir zuerst bei Euripides ins Drama eindringen sehen und die in den
hellenistischen Hilarodien und Magodien wie dem Grenfellschen Liede (fDes
Mädchens Klage' vWilamowitz, Gott. gel. Nachr. 1896, 209) fortlebt. An die
Stelle der Responsion, die ganz aufgegeben wird, tritt die Gliederung in me-
trische Perioden, die sich dem Gedankengange anschließt. Auch die Maße
sind andere als in der Chorlyrik, zB. Logaöden kommen höchstens vereinzelt
vor (Leo, RhM. 40, 196); einzeln finden sie sich alle schon in jener Zeit,
aber ihre häufige und stichische Verwendung (besonders der Bakcheen) ge-
hört der hellenistischen Zeit an. Ob PI. seine Cantica unmittelbar aus der
Lyrik und nicht vielmehr aus den Couplets der Posse (§ 8, 11) entlehnt und
ob er die vorgefundenen Formen selbständig weiterbildet, ist eine offene
Frage. Vgl. A. 10. Inhaltlich sind diese Partien nur zum Teil lyrisch, durch-
weg aber bedeuten sie Ruhepunkte in der Handlung; sprachlich fallen sie
durch große Breite des Ausdrucks auf. Leo, d. plautin. Cantica u. d. hellenist.
Lyrik, Abh. Gott. Ges. NF. 1, Berl. 1897.
6. Häufig sind die Anspielungen auf das Kriegswesen und Juristisches:
Kampmann, res militares PI., Bresl. 1839. Wollner, die auf das Kriegswesen
bezügl. Stellen bei PI. u. Ter., Landau 1892. 1901. Romeijn, loca nonnulla
PI. iure civili illustrata, Daventr. 1836. IBekker, de emptione venditione
quae Plauti fabulis fuisse probetur (Berl. 1853); Loci Plautini de rebus cre-
ditis, Greifsw. 1861; ZSavSt. 13, 53. Demelius, ZfRechtsgesch. 1 (1862), 351.
2, 177. Sehr häufig sind Ausdrücke der römischen Rechtssprache, die oft die
Erkenntnis verdunkelt haben, daß die geschilderten Rechtsverhältnisse grie-
chisch sind. Eine Ausnahme machen die Klagen über die schlimmen Klienten
Men. 571 ff. ECosta, il diritto privato neue com. di PI., Turin 1890. Bernard,
le droit . . dans le theatre de PI. et de Ter., Lyon 1900. Partsch, Herrn.
45, 595. Fredershausen , de iure Plautino et Terentiano, Gott. 1906; Herrn.
47, 199. Vgl. § 48, 3. Lorenz Pseud. S. 28. — Das römische Geld erwähnt PI.
nirgends: s. WChrist, JJ. 97, 345. (Über Men. 1161 quinquagensiens s. Schwabe
ebd. 105, 418). Über die nummi plumbei bei PI. Benndorf, ZöG. 26, 611.
Vgl. auch Geppert, das plaut. Münzwesen, Plaut. Studien 1, 41.
182 Republikanische Zeit: J. 240—84 v. Chr.
7. Tatsächliche Widersprüche, Inkonsequenzen, Unwahrscheinlichkeiten,
Nachlässigkeiten sind bei PI. nicht selten und machen ihm wenig Beschwer;
sie sind nur zum Teile durch Annahme von Kontamination (A. 2) oder spä-
terer Überarbeitung zu erklären oder zu entschuldigen; vieles davon enthielten
schon die Originale. S. Geppert, plaut. Stud. 1, 61. PLangen, Berl. Stud. 5,
89. — Am meisten gelingt Plautus die Schilderung von Personen der nied-
rigen Volksklasse, wie Sklaven, Parasiten udgl. Die ungünstige Anschauung
vom weiblichen Geschlechte ist allgemein verbreitet, namentlich aber jung-
attisch und aus den Originalen mit entlehnt. Benoist, de personis mulie-
bribus apud PL, Marseille 1862. — EBertin, de Plautinis et Terent. ado-
lescentibus amatoribus, Paris 1879.
8. Plautinische Sprache (s. auch § 111, 6; Wörterverzeichnisse, Lexika s.
§ 99, 11): Auswahl. GLodge, Lexicon Plaut., 1, 1 — 7 (bis Herde), Lpz. 1901
— 14. Lindsay, syntax of PL, Oxf. 1907. GSchmilinsky, de proprietate ser-
monis PL usu linguarum romanicarum illustrato, Halle 1866. PLangen, Beitr.
z. Krit. u. Erkl. des PL, Lpz. 1880. Leo, Analecta Plautina de figuris sermonis,
Gott. 1896. 1898. 1906 III. Charakteristik d. Plaut. Spr. zB. Ribbeck, röm.
Dicht. 1, 119. — HPloen, de copiae verborum differentiis inter varia poesis
genera intercedentibus (Diss. Argent. 7, 233). EBallas, grammatica PL, Berl.
1884 IL HRassow, de PL substantivis (mit Index aller Stellen), JJ. Suppl.
15, 589. Allardice-Junks, Index of the Adv. of PL, Oxf. 1913. ALuchs, Ge-
netivbildung der lat. Pronom., in Studem. Stud. 1, Heft 2. FSchmidt, der
Plur. des Pron. mc bei PL u. Ter., Herrn. 8, 478; de pronominum demonstrat.
formis Plaut., Berl. 1875 (vgl. Stüdemund, JJ. 113, 57). JBach, de usu pronom.
demonstr. , Studem. Stud. 2, 145. WNiemöller, de pronom. ipse et idem ap.
PL et Ter., Halle 1886. AMahler, de pronominum personal, ap. PL colloca-
tione, Greifsw. 1876. WKämpf, de pronom. person. usu et colloc. (Berl. Stud.
3, 2). — Thulin, de coniunctivo PL, Lund 1899. WOlsen, quaest. PL de verbo
substantivo, Greifsw. 1884. ThMeifart, de fut. exacti usu PL, Jena 1885.
FCramer, de perfecti coniunctivi usu potentiali, Marb. 1886. Pradel, de
praepos. in prisca Latinitate vi, JJ. Suppl. 26, 463. HSjögrbn, de partic.
copulativis, Upsala 1900. PRichter, de usu particularum exclamativarum,
Studem. Stud. 1, 387. EBecker, de syntaxi obliquarum interrogationum,
Studem. Stud. 1, 113. JRotheimer, de enuntiatis condicionalibus PL,
Gott. 1876. CLindskog, dgl., Lund 1895. OBrugmann, Gebr. d. condicio-
nalen ni in d. alt. Lat., Lpz. 1887. EKellerhof, de collocatione verbo-
rum PL, Studem. Stud. 2, 47. — WAsmus, de apposit. ap. PL et Ter.
collocatione, Halle 1891. Ottenjann, de vocum enclit. ap. PL collocatione,
Münster 1910. Leo, Gott. gel. Nachr. 1895. BGraupner, de metaphoris PL et
Ter., Bresl. 1874. PLangen, d. Metapher im Lat. von PL bis Ter., JJ. 125, 673.
753; de execrandi formulis PL, RhM. 12, 426. Wortmann, de comparationi-
bus PL et Ter. ad animalia spectantibus, Marb. 1883. FGoldmann, d. poetische
Personifikation I Plautus, Halle 1885. — JSchneider, de proverbiis PL et
Ter., Berl. 1878. Pflügl, d. Sprichw. b. PL u. Ter., Straubing 1880. vWvss,
die Sprichw. bei d. röm. Kom., Zürich 1889. — Forberg, De salutandi for-
mulis PL et Ter., Lpz. 1913.
9. Über den von Plautus vorgefundenen und in seinen Versen sich ab-
spiegelnden Zustand der Sprache s. § 93. Man darf den Einfluß des Vers-
§ 98. Plautus (Sprache und Metrik) 183
maßes nicht außer acht lassen, der namentlich am Versschlusse und vor der
Diaerese die Wahl von Tempus, Modus, archaischen Worten und Formen
veranlaßt (Noetzel, de archaismis . . in finibus versuum. Berl. 1908. Lorenz
zu Pseud. 278). Ferner ist zu beachten, daß PI. vieles veraltete Sprachgut
aufnimmt, wie die Abi. auf d, die Genit. auf ai, Formen wie his, Ulis, istis
(Genet.), die z. T. nur der Vermeidung des Hiatus dienen. Auch die Bei-
behaltung alter Quantitäten wie diät percipit egö nisi uxore dient teilweise
der metrischen Bequemlichkeit. Leider versagt Neue- Wageners Formenlehre
für PL ganz; vgl. Seyffert, Berl. phil. Woch. 22, 530.
Schon die ciceronische Zeit verstand die plautinische Metrik nicht mehr
vollständig: Cic. or. 152 nobis ne si cupiamus quidem distrahere voces (= Hiat
zulassen) conceditur . . . indicant omnes poetae praeter eos qui, ut versum
facerent, saepe liiabant, ut Naevius. Lange legte man den Maßstab der völlig
entwickelten Literatursprache und der griechischen Metrik an die Leistungen
des Plautus und wurde so gegen ihn ungerecht. Erst die geschichtliche
Betrachtung der lateinischen Sprache ermöglichte hier richtigere Einsicht,
die in Plautus ebenso einen Meister der Sprache wie einen geschickten und
vielseitigen Verskünstler anerkennt. Die späteren Anschauungen von Ritschl,
op. 4, 400 (vgl. 2, 444. 600) bezeichneten schon einen Fortschritt über das
ältere in den Proleg. zum Trin.1 (Bonn 1848, wiederabgedr op. 5, 285) dar-
gelegte System: dazu WCorssen, Ausspr., Vokal, u. Beton, d. lat. Spr. 2, 400.
Die neuere Forschung ist aber auch darüber erheblich hinausgekommen,
vgl. CFWMüller, plautin. Prosodie, Berl. 1869; Nachträge dazu, Berl. 1871.
Skutsch, Plautinisches u. Romanisches, Lpz. 1892; kl. Sehr, passim. Brix,
Einl. z. Trin. (31879), S. 13. Hauler, Einl. zu Ter. Phormio *41. Lindsays Einl.
zu Capt. HKoehler, de accentus cum numerorum rationibus in troch. sept.
Plautinis consociatione , Halle 1877. OBrugmann, quaemadmodum in iamb.
senar. Romani verb. accent. cum num. consociarint, Bonn 1874. Hingst, de
spondeis et anap. in antepaenult. pede, Lpz. 1904. WHumphreys, influence
of accent in latin. iamb. trim., Americ. philol. associat. 1876, 1. MFrancken,
Woord- en Versaccent bij PL, Versl. en Mededeel. 2, 4 (Amsterd. 1873).
WMeyer, d. Beachtung des Wortaccents in d. altlat. Poesie, Abh. bayr. Akad.
17, 1 (1884). Hoischen, de verb. acc. in versib. Plaut, observato, Münster
1914. ALuchs, commentat. prosod. lat. Erl. 1883. 84 II, Marx, zwei Aus-
lautsgesetze d. iamb. troch. Verse, Lpz. Ber. 1907, 129. Über den Hiat
EBelow, de hiatu PL, Berl. 1885. EKrawczynski, dgl., Bresl. 1906. HJacob-
sohn, Quaest. Plautinae, Gott. 1894. Jachmann, Studia prosodiaca, Marb. 1912.
10. RKlotz, Grundzüge altröm. Metrik, Lpz. 1890. Leo, d. Plautin. Can-
tica (A. 5, grundlegend). Sudhaus, d. Aufbau d. Plaut. Cant., Lpz. 1909 (da-
zu Leo, Gott. gel. Anz. 1911, 65). Studemund, de canticis PL, Halle 1863.
FRitschl, op. 3, 1. 144; proleg. ad Trin.1 u. sonst. ASpengel, de versuum
cretic. usu PL, Berl. 1861 ; Reformvorschläge z. Metr. d. lyr. Versarten b. PL,
Berl. 1882 (vgl. § 99, 13). OSeyffert, de bacchiac. versuum usu PL, Berl.
1864. Sonnenburg, de vers. PL anapaest. in Exercitationis grammaticae spec.
(Bonn 1881) 16. Audouin, de PL anapaestis, Paris 1898. PMohr, de iambico
ap. PL septenario, Lps. 1873. Ahlberg', de proceleusm. iamborum trochae-
orumque, Lund 1900. Wengatz, de PL senariorum compos. artificiosa, Marb.
1910. ALuchs, quaest. metr. Plaut, in Studem. Stud. 1, 1. — Über das Ver-
184 Republikanische Zeit: J. 240—84 v. Chr.
hältnis von Satz und Vers Appuhn, Quaest. Plaut., Marb. 1893. Wiebe, de
versus sententiaeque concinnitate, Gott. 1909. Linpinsel, Quaest. Plaut., Mün-
ster 1913. — RKlotz, zur Alliteration u. Symmetrie bei PL, Zittau 1876.
JBaske, de alliterationis usu PI., Königsb. 1884. ORäbel, de usu adnomi-
nationis ap. Rom. poet. com., Halle 1887. FLeo, RhM. 40, 2. Oben S. 1583.
99. Die plautinischen Stücke erhielten sich auch nach dem Tode
des Dichters einige Zeit auf der Bühne, und für Wiederaufführungen
sind die Prologe teilweise umgearbeitet. Erst später wurde Plautus
nach Sprache und Inhalt Gegenstand gelehrter Behandlung, ganz
besonders durch Varro. Der Text der Stücke ist uns in zwei Re-
zensionen überliefert, deren eine in dem Ambrosianischen Palim-
pseste (A), die andere hauptsächlich in den sog. Pfälzer (Palatini)
Handschriften (BC) erhalten ist.
1. Die Wiederaufführungen der plautinischen Stücke verursachten ohne
Zweifel manche Schädigung des ursprünglichen Textes, der daher schon
früh verdorben war (A. 10): doch hat man ihnen in jüngster Zeit (s. die
Literatur bei den einzelnen Stücken § 97) zu viel aufgebürdet, indem man
mit einer gewissen Ausschließlichkeit die wirklichen oder vermeintlichen
Fehler der Stücke in Komposition und sprachlicher Darstellung aus späteren
zum Behuf von Wiederholungen veranstalteten Neubearbeitungen (retracta-
tiones) herleitete. PLangen, Berl. Stud. 5, 1. Deutlich sind vielfach Abkür-
zungen solcher Szenen, die für den Fortschritt der Handlung wenig be-
deuteten; vgl. Seyffert, Berl. Woch. 1887, 781. Leo, Gott. gel. Nachr. 1902,
377 u. a.
2. Über die Prologe s. § 16, 10. PI. erweitert die Prologe seiner Originale
gern durch breite Witzeleien und ausführliche Darlegungen, die für den da-
maligen Bildungsstand seines Publikums nicht überflüssig waren. Aber die
Meinung vom späteren Ursprünge der Prologe, die Ritschl, Pärerga 209.
225. 233. RLiebig, de prol. Terent. et Plautinis, Görlitz 1859. CDziatzko, de
prologis PI. et Ter., Bonn 1864; die plaut. Prologe, Luzern 1867 vertraten,
ist abzuweisen; vgl. Trautwein, de prolog. Plaut, indole, Berl. 1890 u. bes.
Leo, PF. 188. Namentlich ist die Meinung irrig, daß alle ein Sitzen der
Zuschauer voraussetzenden Stellen aus späterer Zeit stammen; FBauer, Quaest.
scaenicae PI., Straßb. 1902. Doch sind einige spätere Zusätze kenntlich, zB.
Cas. Y. 5—20. Cist. V. 125—132.
3. Metrische Inhaltsangaben (argumenta) zu den plaut. Stücken haben
wir zweierlei: 1) akrostichische (zu allen Stücken außer Bacch.), nur in
den Palatini erhalten. 2) nicht-akrostichische. Beide ahmen Plautus*
Sprache und Verskunst nach und stammen wohl von einem Zeitgenossen
des C. Sulpicius Apollinaris (§ 357, 2), nicht aus der Blütezeit der Plautus-
studien um 100 v.Chr. Vgl. Ritschl zum Trin. * p. cccxvi; op. 2, 404. Osann,
ZfAW. 1849, 199. Studemund, commentat. Mommsen. 803. Opitz, Lpz. Stud.
6, 204. 234. Klotz, JJ. 143, 829.
4. Verzeichnisse (indices) der (echten) plautinischen Stücke nach Gell.
3, 3, 1 von L. Accius, Aelius (Stilo), Aurelius Opilius, Volcacius Sedigitus,
Serv. Clodius, Manilius (§ 158, 1) und Varro; s. d. und § 96, 4. Die maß-
§ 99. Plautus: Fortleben und Überlieferung 185
gebende Ausgabe, auf die unsere gesamte Überlieferung zurückgehe, schreibt
Leo, PF. 23 dem Probus zu; doch sind die Varianten älter und es haben
sich wohl schon früh mehrere Texte gekreuzt. Seyffert, Berl. Woch. 1896,
234. Über die falsche Hypothese von Lindsay, the anc. editions of PL, Oxf.
1904 s. Leo, GGA. 1904, 359. Vgl. A. 9. — Kommentatoren des PI. waren
Sisenna und Terentius Scaurus. Ritschl, Parerga 374; unten § 156,4. 352. 1.
5. Einzelheiten des plautinischen Sprachschatzes erläuterten die Glosso-
graphen Aurelius Opilius, Ser. Clodius, sowie Aelius Stilo, Flavius Caper,
Arruntius Celsus. Ritschl, de veteribus Plauti interpretibus , in s. Parerga
357. Reste ihrer Arbeiten finden sich in den glossae Placidi und anderen
Glossensammlungen. S. Ritschl, op. 3, 65. GLöwe, Prodomus corp. gloss. lat.
254; vgl. §42, 5. 6. Über die bei Nonius benützten Plautus-Kommentare vgl.
Schottmüller, symb. philol. Bonn. 8£3. Überhaupt über die Plautus-Zitate
bei Festus-Paulus s. § 261, 8, bei Nonius 404 a, 4. WSchulte, de Prisciani
locis Plautinis, Jena 1910. Über die indirekte Überlieferung im allgemeinen
Lindsay, anc. edit. (A. 4) 2.
6. Ein altes vor der Zeit Friscians verfaßtes plautinisches Glossar s. bei
Ritschl, op. 2, 234; vgl. ebd. 228. 237. ASpengel, Plautus 50.
7. Im Mittelalter war Plautus kaum bekannt. RPeiper, Archiv f. Lit.-
Gesch. 5, 495; RhM. 32, 516. Auch Hrotswitha von Gandersheim, die Nach-
ahmerin des Terenz (um J. 960), kennt den Plautus nicht: s. MHaupt, op. 3,
587. — Im Anfang des 15. Jahrh. waren die 12 letzten plautin. Stücke (Bac-
chides bis Truculentus, s. § 97) verschollen. Bekannt waren nur die acht
ersten (Amphitruo bis Epidicus); diese waren in sehr vielen Hss. verbreitet,
zwar in verschiedener Ordnung, aber alle wesentlich in der alphabetischen
(Ritschl, op. 2, 236). Verzeichnis von 43 erhaltenen Hss. der ersten acht
Stücke (alle s. XIV/XV) bei Götz, symb. crit. 22. Von den letzten zwölf
wurde in Deutschland durch Nikolaus von Trier (über ihn GVoigt, Wiederbel.
d. klass. Altert. I3, 257) um 1428 eine Handschrift aufgefunden (in Italien
zuerst im Besitz des Kardinals Oisini, jetzt Vatic. 3870 s. XII, D bei Ritschl,
s. dessen op. 2, 19; Faksimile bei Chatelain, paleogr. d. classiq. lat. T. 4),
die aber außerdem noch die drei ersten Stücke Amph. Asin. Aul. und die
erste Hälfte des vierten Stücks, der Captivi, enthält. Im 16. Jahrh. gelangen
zur Benutzung die beiden Hss. des Camer arius, später in der Heidelberger
Bibliothek (daher Palatini), der vetus codex (B) s. X, der alle 20 Stücke ent-
hält (jetzt in Rem, Vaticanus 1615; Faksimile bei Chatelain aO. T. 2), mit
wertvollen Verbesserungen von zweiter Hand (Lindskog, de correcturis sec.
manus, Lund 1900), und der (von Pareus) so genannte decurtatus (C) s. X/XI,
der nur die 12 letzten Stücke noch enthält (seit 1815 wieder in Heidelberg.
Faks. b. Chatelain T. 3. 4, vollständig in Codd. gr. et lat. photogr. depicti, 5.
Leiden 1900). D stammt aus gleicher Quelle wie C. Der vorzüglichste Ver-
treter der jetzt am besten in BC vorliegenden Palatinischen Rezension (A. 10)
war die von ATurnebus benutzte leider verschollene Hs.; eine Kollation
einiger Stücke hat Lindsay in der Bodleiana gefunden und publiziert: The
cod. Turn, of PI., Oxf. 1898; Phil. Suppl. 7, 119. Vgl. Norden, Gott. Gel. Anz.
1899, 584. Über andere Hss. vgl. die Vorreden von Götz-Schöll.
8. Im Laufe des 15. Jahrh. wurde in Italien, wahrscheinlich auf An-
regung von Alfons I. in Neapel (reg. seit 1435), ein dem damaligen Bedürf-
186 Republikanische Zeit: J. 240—34 v. Chr.
nis und Geschmack entsprechender Text der 20 Stücke in höchst eigen-
mächtiger und kenntnisloser Weise, mit unzähligen willkürlichen Änderungen
hergestellt und in zahlreichen Exemplaren verbreitet. Der Urheber dieses
Textes war vielleicht Antonio Beccadelli aus Palermo: s. über ihn Voigt,
Wiederbel. d. klass. Altert. I2, 480 und über seine Plautusstudien Schepss,
BlbayrGW. 16, 97. Lejay, RPh. 16, 39. Zu jenen interpolierten Hss. gehört
der Lipsiensis (F). Vgl. Ritschl, op. 2, 23; und über die Hss. des Camera-
rius ebd. 103. 125. 3, 80. 105. 5, 59. Ausg. d. Trin.2 p. vm. — Über die Ein-
wirkung des PI. auf das Renaissancedrama ReinhakdstÖttner, Plautus, Lpz.
1886.
9. Jenen Hss. allen, die aus demselben Archetypus stammen (daher auch
dieselben Lücken und Verderbnisse zeigen, zB. Trin. 944 — 948), steht gegen-
über das aus Bobbio stammende Palimpsest der Ambrosianischen Bibliothek
zu Mailand (cod. Ambros. G 32 sup. s. IV/V), das freilich 7 Stücke gar nicht
und die anderen zum Teil sehr lückenhaft enthält. Vgl. AMai, M. Acci Plauti
fragmenta inedita etc., Mediol. 1815 (auch bei Osann, Anal. crit. p. 205). Fak-
simile in Zangemeister- Wattenbach , Ex. codd. latt. T. 6 und bei Chatelain
aO. T. 1. Nach Mai haben besonders Ritschl, Loewe und Studemund die
Hs. gelesen: maßgebend ist: Codicis Ambr. apographon confecit Studemund,
Berl. 1889. Doch zeigt schon der gleiche Inhalt der beiden Rezensionen, die
gleiche Reihenfolge im Buchstaben C (Curculio zwischen Capt. und Casina)
und die Übereinstimmung in vielen Korruptelen, daß sie beide auf eine Aus-
gabe zurückzuführen sind, deren Text sich freilich mit anderen ausgeglichen
hat (A. 4). Leo, PF. Kap. 1.
10. Gegenüber der im Ambr. vorliegenden Textrezension behauptet die
oft stark abweichende Rezension der Palatini entschieden hohen selbstän-
digen Wert, wenn auch dieser zuungunsten des Ambr. in neuester Zeit wohl
überschätzt worden ist, zB. von Ritschl z. Trin.2 p. xi; op. 3, 791. AFleck-
eisen, JJ. 101, 709. BBaier, de PI. fab. recensionibus, Bresl. 1884 (dazu
OSeyffert, BerlphWoch. 1886, 716). ELeidolph, comment. Ienens. 2, 208. In
gewissen Formeln ist die Verschiedenheit der beiden Rezensionen fast ste-
reotyp; Studemund, RhM. 21, 606. Dubletten verraten sich manchmal durch
Fehlen in der einen Klasse; vgl. Bacch. 540. Merc. 555. Stich. 48. Coulter,
Retractatio in the Ambr. and Pal. Recensions, Bryn Mawr 1911. Sicker,
Quaest. Plaut, ad orig. duarum recens., Berl. 1906; Phil. Suppl. 11, 179. Vgl.
FSchöll, divin. in Truc, Lpz. 1876. Niemeyer, de PL fab. recensione duplici,
Berl. 1877. Über Alter, Entstehung und gegenseitiges Verhältnis der beiden
Rezensionen Vermutungen bei Leidolph aO. 210. Lindsay (A. 4). Die indi-
rekte Überlieferung, zB. die bei Nonius, liefert den Beweis, daß viele Fehler
sehr alt sind; kein Wunder, da der Text z. T. auf Bühnenexemplaren be-
ruhte und von Gelehrten emendiert wurde, die die alte Sprache und Metrik
nicht mehr verstanden. Skutsch, Sehr. 134. — Spärliche Reste stichometri-
scher Notizen im Trin. und Truc: Ritschl z. Trin.2 p. lxv und Dziatzko,
JJ. 127, 61.
11. Kritische Geschichte der Ausgaben und des Textes des Plautus (bis
auf Bothe) von Ritschl, op. 2, 1. Erste Benutzung der späteren PfälzerHss.
durch ihren Besitzer Joach. Camerarius (Kammermeister): von ihm seit 1530
Einzelausgaben; die vollständige Ausgabe zu Basel 1552; Nachtrag dazu
§ 99 Plautus (Handschriften und Ausgaben) 187
1553; s. über Camerarius' Plautusausgaben Ritschl, op. 3, 67 u. Götz, RhM.
41, 629. DLambins Commentar (und Text) erschien Par. 1576, FTaubmanns
Commentar Wittenb. 1605, dann (mit reicheren Angaben aus den seitdem
nach Heidelberg gelangten Hss. des Camerarius u. a.) 1612, am besten (ex
recogn. Iani Gruteri) 1621. — Ed. PhPareus, Francof. 1610; mit der für ihre
Zeit vortrefflichen Varianten Sammlung aus den Pfälzer Hss. Neapoli Neme-
tum (Neustadt i. d. Pfalz) 1619 = Francof. 1623, und (ohne die Varianten-
sammlung, aber mit vollständigerer Aufzählung der Fragmente) Francof.
1641. Desselben Pareus lexicon Plautinum, 2Hanoviae 1634. — Ex rec. Guieti
ed. (unzuverlässig) deMarolles, Par. 1658 (s. Benoist, le Piaute de FGuyet,
Mel. Graux, Par. 1884, 461). — Die weiterhin, bis auf Ritschi, geltende Vul-
gata (und Verszählung) gründete sich auf die Ausgabe von JFGronov (Leiden
1664. 1669. 1684; c. praef. Ernesti, Lps. 1760 II). — Ed. Bothe, Berl. 1809—11
IV, und Bd. 1 u. 2 der Poetae scen. lat. Halberst. 1821 = Stuttg. 1829 f. IV.
— Cum not. var. cur. JNaudet, Par. 1830 IV (Bd. 4 Index). — Rec. interpr.
est WWeise, Quedlinb. 1837. 1847 (mit Wörterverzeichnis, davon ed. 2 1886)
II, und Lpz. bei Tauchnitz. — Epochemachend: ex rec. et cum app. crit.
FRitschelii, Tom. I (Prolegomena, Trin., Mil., Bacch.). II (Stich., Pseud., Men.,
Most.). III (Persa., Merc.) , Bonn 1848—54. Gleichzeitig eine Textausgabe.
(Vgl. Fleckeisen, JJ. 60, 234. 61, 17. Bergk, kl. Sehr. 1, 1. 29. 106.) Zweite
Bearbeitung begonnen von Ritschl, fortgesetzt von GLöwe, GGötz, FSchöll,
I Trin. (31884) Epid. Cure. Asin. Truc. 1871—1881. II Aul. Amph. Merc.
Stich. Poen. 1882—1884. III Bacch. Capt. Rud. Pseud. Men. 1886—89. IV Cas.
Mil. Pers. Most. Cist. Fragm. 1890 — 94. Dazu ed. minor von Götz-Schöll Lpz.
1892—96 VII. — Ex. recogn. AFleckeiseni, Lps. 1859 II (10 Stücke). Rec. et
enarr. LUssing, Kopenh. 1875 — 1887 V (z. T. in 2. Aufl., mangelhaft). Recogn.
FLeo I (Amph. As. Aul. Bacch.), Berl. 1885; vollständig Berl. 1895/6 IL Mit
kurzem App. von Lindsay, Oxf. 1904/5 IL — Piaute. Morceaux choisis publ.
par Benoist, Paris2 1877. — Lexikon begonnen von GLodge (§ 96, 8).
12. Deutsche Übersetzungen : Köpke, Berl. 1809. 1826 IL Rost (9 Stücke),
Lpz. 1836; Rapp, Stuttg. 1838 ff.; Hertzberg (Trin., Mil., Capt., Rud.), Stuttg.
1861; Binder, Stuttg. 1862 ff. (Berl. 1905); Donner, Heidelb. 1864 ff. III. Bardt,
röm. Komödien (8 Stücke), Berl. 1903—1911 III.
ALorenz, Berichte über die PI. Literatur seit 1873, JB. 341 ff. OSeyffert,
ebd. 31, 33 ff. Lindsay, ebd. 130, 116. 167, 1. Vgl. die sorgfältigen Angaben
in Götz-SchÖlls ed. maior.
100. Q. Ennius, geboren J. 239 zu Rudiae in Calabrien, diente
J. 204 auf römischer Seite in Sardinien, wo ihn M. Porcius Cato
traf und mit nach Rom nahm. Hier lebte auch er vom Unterrichten
im Griechischen und Anfertigen von Übersetzungen griechischer
Stücke für die römische Bühne , und gewann sich die Gunst des
älteren Africanus. M. Fulvius Nobilior Cos. 189 nahm den Dichter
in seine Provinz Ätolien mit, als Zeugen und Herold seiner Taten.
Dessen Sohn verschaffte J. 184 dem Ennius das römische Bürger-
recht, indem er ihm als triumvir coloniae deducendae mit Geneh-
188 Republikanische Zeit: J. 240-84 v. Chr.
migung des Volks ein Ackerlos (in Potentia oder Pisaurum) zuwies.
J. 169 starb Ennius an der Gicht.
1. Geburtsjahr bezeugt durch Varro, Gell. NA. 17, 21, 43 (s. § 101, 3);
vgl. Cic. Brut. 72. Tusc. 1, 3; auch s. A. 2. — Den Geburtsort nennt der
Dichter selbst A. 377 Nos sumu' Bomani, qui fuimus ante Budini: vgl. Cic.
Arch. 22 Ennium .... Budinum hominem. Auson. grammaticom. 17. Hör.
C. 4, 8, 20 Calabrae Pierides. Ov. AA. 3, 409 Ennius . . Calabris in monti-
bus ortus. Sil. It. 12, 393 Ennius . . antiqua Messapi ab origine regis ....
Miserunt Calabri: Budiae genuere vetustae, Nunc Budiae solo memorabile
nomen alumno. Serv. Aen. 7, 691 ab hoc (Messapo) Ennius dicit se originem
ducere. Suid. v. "Evviog' noiririjs MsöGartioq. Wirklich scheint der Name
messapisch zu sein (Skutsch aO. 2589). Also Rudiae (heute Rugge) bei Lu-
piae (h. Lecce) in Calabrien. Fälschlich wird ein anderes Rudiae bei Canu-
sium in Apulien von Strabo 6, p. 281 und Mela 2, 66 als Heimat des Ennius
angesehen. Verhandlungen darüber: Cocchia, riv. filol. 13 (1884), 31- LMante-
gazza, Bergamo 1885. Tamborrino, Ostuni 1885. — Fest. 293 quam consue-
tudinem {non geminandi litter as, § 104, 5) Ennius mutavisse fertur, utpote
Graecus graeco more usus. Suet. gramm. 1 antiquissimi doctorum, qui idem
et poetae et semigraeci erant, Livium et Ennium dico usw. Gell. 17, 17, 1
Q. Ennius tria corda habere sese dicebat, quod loqui graece et osce et latine
sciret. Die Volkssprache seiner Heimat, das Messapische, das keine Literatur
besaß, nennt er hier nicht: das Gebiet des Oskischen reichte bis nach Apu-
lien und Lukamen.*
2. Corn. Nep. Cato 1, 4 praetor provinciam obtinuit Sardiniam , ex qua
quaestor superiore tempore ex Africa decedens Q. Ennium poetam deduxerat.
Hängt damit Ann. 16 zusammen? Über die Chronologie vgl. Leo, LG. 1, 155.
Sil. 12, 393 denkt ihn sich als Centurio, wir wissen nicht auf Grund welcher
Überlieferung. Vgl. Hieron. z. Euseb. Chron. a. 1777 = J. 240 Q. Ennius poeta
Tarenti (Mißverständnis) nascitur, qui a Catone quaestore Bomam translatus
habitavit in monte Aveniino parco admodum sumptu contentus et unius (vgl.
Cic. de or. 2, 276) ancillae ministerio (vgl. Varro LL. 5, 163 . . ligionem Por-
cius — Licinus § 146, 4 — designat, quom de Ennio scribens dicit eum co-
luisse Tutilinae loca). FRitter, ZfAW. 1840, 370.
3. Cic. Arch. 22 carus fuit Africano superiori noster Ennius; itaque etiam
in sepulcro Scipionum putatur is esse constitutus ex mar more. Liv. 38, 56
Bomae extra portam Capenam in Scipionum monumento tres statuae sunt,
quarum duae P. et L. Scipionum dicuntur esse, tertia poetae Q. Enni. Vgl.
Welcker, Trag. 1360. Bildnis des Ennius auf dem Monnusmosaik (Ant.
Denkm. 1 T. 49); kopflose Herme mit Aufschrift Q. Ennius Not. d. sc. 1903,
600. Vgl. Bernoulli, röm. Ikonogr. 1, 234. — Vertrauliches Verhältnis zu
Scipio Nasica, Cic. de or. 2, 276; zu Sulpicius Galba, Cic. Luc. 51. Seine
Schüler waren Caecilius und Pacuvius.
4. Cic. Arch. 27 ille qui cum Aetolis Ennio comite bellavit Fulvius. Tusc.
1, 3 oratio Catonis, in qua obiecit ut probrum M. Nobiliori, quod is in pro-
vinciam poetas duxisset. duxerat autem consul ille m Aetoliam, ut scimus,
Ennium. Aur. Vict. ill. 52, 3 quam victoriam (des Fulvius über die Ätolier),
per se magnificam, Q. Ennius, amicus eius, insigni laude celebravit. Symmach.
§ 100. Ennius (Leben) 189
ep. 1, 20, 2 Q. Ennio ex Aetolicis mayiubiis captiva clxlamys tantum muneri
data Fulvium decolorat (vgl. Bergk, Beitr. z. lat. Gramm. 1, 33, 1).
5. Cic. Arch. 22 ergo ülum, . . Budinum hominem, maiores nostri in ci-
vitatem receperunt. Brut. 79 Q. Nobiliorem M. f. (§ 126, 2), qui etiam Q. En-
nium, qui cum patre eins in Aetolia militaverat (ungenau), civitate donavit,
cum triumvir (J. 184, s. Liv. 39, 44) coloniam deduxisset. Hat er den Vor-
namen von Nobilior angenommen? Vgl. FRitter aO. 383. Infolgedessen
Ennius' Ausruf: nos sumu' Bomani usw. (s. A. 1).
6. Cic. Cato mai. 14 annos septuaginta natus — tot enim vixit Ennius
— ita ferebat duo quae maxima putantur onera, paupertatem et senectutem,
ut eis paene delectari videretur. Brut. 78 hoc (C. Sulpicius Gallus) praetore
ludos Apollini faciente, cum Thyesten fabulam docuisset, Q. Marcio Cn. Ser-
vilio coss. (J. 169) mortem obiit Ennius. Hieron. zu Euseb. Chr. ad a. 1849 =
J. 168 : Ennius poeta septuagenario maior articulari morbo perit (vgl. Ennius
Sa. 64 numquam poetor nisi si podager; auch vgl. Hör. E. 1, 19, 7 Ennius
ipse pater numquam nisi potus ad arma prosiluit dicenda; Seren. Sammon. 713
ipse pater, dum pocula siccat iniqua, hoc vitio tales fertur meruisse dolores)
sepultusque (? vgl. A. 3) in Scipionis monumento, via Appia intra primum ab
urbe millarium. quidam ossa eius Budiam ex Ianiculo translata adßrmant
(vielleicht weil ihm dort irgendein Denkmal errichtet war). Grabschrift (s.
aber § 115, 2) bei Cic. Tusc. 1, 34 aspicite, o cives, senis Enni imaginis for-
mam. hie vestrum panxit maxima facta patrum usw.; vgl. ebd. 1, 117. Cato
mai. 73.
101. Den meisten Ruhm gewann Ennius als Epiker, durch seine
achtzehn Bücher Annales; welche die römische Geschichte von
Aeneas' Ankunft in Italien bis auf des Dichters eigene Zeit in chro-
nologischer Ordnung darstellten, bald in trocknem Chronikenton
und ungelenkem Stile berichtend, bald poetisch ergiebige Stoffe mit
mächtigem Pathos und glücklicher Gestaltungskraft ausmalend. Das
Epos, das mit seiner Behandlung der jüngsten Vergangenheit neue
Wege einschlug, sollte ein Seitenstück der homerischen Gedichte
werden, deren poetische Technik es im ganzen und vielfach auch
im einzelnen nachahmte, und galt den Römern auch dafür; der
künstlerische Wert des Ganzen war freilich geringer als seine histo-
rische Wirkung. Wichtig wurde es namentlich dadurch, daß hier,
neben vielem anderen was die homerische Weise nachahmte, der
epische Vers der Hellenen in die römische Literatur eingeführt und
eine epische Sprache geschaffen wurde. Der Dichter scheint dieses
Werk erst in seinen späteren Lebensjahren verfaßt und in einzelnen
Teilen nach und nach herausgegeben zu haben.
1. Vahlen, üb. d. Ann. d. Enn., Abh. d. Berl. Akad. 1886; üb. d. Stadt-
gründungsaugurium bei E., SBer. Berl. 1894, 1143; Praefatio d. Ausgabe und
die § 104, 6 angeführte Literatur. Über die Technik Fuochi, Xenia Rom.
(Rom 1907) 95.
190 Republikanische Zeit: J. 240—84 v. Chr.
2. Diomed. GL. 1, 484 epos latinum primus digne scripsit Ennius, qui res
Romanorum decem et octo complexus est libris, qui vel annales (iri)scribuntur,
quod singulorum fere annorum actus contineant, sicut publici annales quos
pontifices scribaeque confcciunt (an die er wirklich den Titel anlehnt), vel
Romais (nach Rejfferscheid, JJ. 79, 157, ein später aufgebrachter Titel; die
Hss. Romanis), quod Romanorum res gestas declarant. Die epische Behand-
lung eines z. T. ganz modernen und selbsterlebten Stoffes scheint ein Wag-
nis des Ennius gewesen zu sein; er ging dadurch über Rhianos' Messeniaka
hinaus. Wenn Theolytos' 'SIqol ein Epos waren, so brauchten sie nicht bis
auf des Dichters Zeit herabzugehen (Susemihl, Alex. LG. 1, 383).
3. B. I — III: Einleitung und Königszeit. Ennius erzählte nach der An-
rufung der Musen einen Traum, den er auf dem Musenberg geträumt hatte:
Homer war ihm erschienen und hatte ihm einen naturphilosophischen Vor-
trag über die Seelenwanderungslehre gehalten, der darauf hinauslief, daß
seine Seele auf Ennius übergegangen sei. Nächstes Vorbild war der Traum
in Kallimachos' Aitia. E. erhob dadurch den Anspruch, der römische Homer
zu sein (Hör. ep. 2, 1, 50 Ennius et sapiens et fortis et alter Homerus. Lucil.
1189). IV — VI: Gründung der Republik, Eroberung Italiens, Pyrrhus. Der
erste punische Krieg war, wie durch Cic. Brut. 75 feststeht, nicht erzählt,
da Ennius hier auf Naevius verweisen konnte. VII (rekonstruiert von Norden,
Ennius, bes. 149). Nach der Auseinandersetzung mit seinen Tadlern folgte
die Vorgeschichte von Karthago, das Eingreifen der Juno und der von dieser
aufgestachelten Discordia, um den Frieden zwischen Rom und Karthago zu
verhindern, eine Götterversammlung und die Anfänge des zweiten punischen
Krieges; die Schlacht von Cannae war bereits im 8. Buche erzählt. Cichorius
bei Norden aO. 135. Schwierigkeiten macht die Unterbringung von Versen,
die sich auf den Flottenbau des J. 260 beziehen (Norden aO. 95). Das Buch
enthielt eine Charakterschilderung (V. 234 ff.), worin nach Stilos Urteil En-
nius sich selbst abkonterfeit hatte (Norden, Ennius 133). VIII und IX:
hannibalischer Krieg. X — XII: makedonischer Krieg und Folgen (etwa bis
J. 196). Mit dem zwölften Buch wohl ein vorläufiger Abschluß, im Epilog
sprach der Dichter von sich: s. Gell. 17, 21, 43 consules Q. Valerius et C.
Manilius, quibus natum esse Q. Ennium poetam M. Varro . . scripsit eum-
que, cum septimum et sexagesimum annum haberet (also J. 172, drei Jahre
vor seinem Tode), duodecimum (XVII oder XVIII Skutsch) annalem scrip-
sisse, idque ipsum Ennium in eodem libro dicere (s. darüber Vahlen, die Ann.
des Enn. 1886). Dann neue Fortsetzung: XIII u. XIV: Krieg mit Antiochus
(bis J. 190). XV: Fulvius Nobilior in Ätolien (J. 189). Endlich letzte Gruppe,
auch mit besonderem Prooemium anhebend, XVI — XVIII. Plin. NH. 7, 101 (von
der fortitudo, die Gegenstand der poetica fabulositas geworden sei): Q. En-
nius T. Caecilium Teucrum fratremque eius praecipue miratus propter eos
sextum decumum adiecit annalem. Vgl. Bergk, opusc. 1, 252. LHavet, l'histoire
rom. dans le dernier tiers des Ann. d'Enn., Mel. de l'ecole des hautes etudes
1878, 21. Vahlen, d. Ann. d. Enn. 25. Wie weit die Annalen herabgingen,
ist aus den Fragmenten nicht ersichtlich. Die jüngsten in ihnen erwähnten
Ereignisse sind die Zensur des Fulvius und Lepidus J. 179 (Cic. de prov.
cons. 20) und der istrische Krieg des J. 178/7. Wahrscheinlich wurden die
Annalen nach und nach in Gruppen herausgegeben; am Anfang von B. 7
§ 101. Ennius (Annalen) 191
(v. 218) antwortete E. auf Kritik, die am Prooemium von B. 1 geübt worden
war. In B. 12 erzählte er, daß er bei der Abfassung dieses Buches 67 Jahre
alt gewesen sei (s. o.); damit ist aber schwer vereinbar, daß er in B. 16
(s. o.) den Krieg des J. 178/7 gegen den istrischen König Epulo (v. 421) be-
richtete. Skutsch, PW. 5, 2608 ändert deshalb die Bruchzahl in 17 oder
18 (FSchöll, RhM. 44, 158. Marx, DLZ. 1903, 2748. Rotter, Progr., Pola 1908).
Ausgabe in Hexaden ist unwahrscheinlich, in Triaden möglich. — Benutzt
sind außer Naevius wohl Annalisten wie Fabius Pictor (vgl. auch Norden
112); leider bleibt unklar, wem Ennius das Datum für die Gründung Borns,
etwa 1100 v. Chr. (A. 501, Soltau, Phil. NF. 25, 317. Norden 72), entnimmt.
4. Suet. gramm. 2 Q. Vargunteius (vgl. § 41, 1) annales Enni, quos certis
diebus in magna frequentia pronuntiabat. Ygl. ebd. 8 M. Pompilius Andro
nicus . . adeo inops atque egens ut coactus sit, praecipuum ittud opusculum
suum Annalium Ennii elencJiorum XVI milibus nummum cuidam vendere.
Über den Kommentar des Gnipho zu den Ann. s. § 159, 5. Cic. opt. gen. or.
2 licet dicere Ennium summum epicum poetam, si cui ita videtur. Martial.
5, 10, 7 Ennius est lectus salvo tibi Borna Marone et sua riserunt saecula
Maeoniden. Auf eine r pompejanischen Wandschrift der Anfang eines Verses
aus den Annalen CIL. 4, 3135 (s. Bücheler, RhM. 27, 474; CEL. 1785). Der
Schluß von V. 478 auf einem Mosaik in Afrika. Vitruv. 9, praef. 16 qui
litterarum iucunditatibus instinctas liabent mentes, non possunt non in suis
pectoribus dedicatum habere sicut deorum sie Ennii poetae simulacrum. Quint.
10, 1, 88 Ennium sicut sacros vetustate lucos adoremus, in quibus grandia et
antiqua robora iam non tantam habent speciem quantam religionem. Vgl. 2,
17, 24 dicet notum illud (des Ennius): Dum clavom rectum teneam; vgl. 9,
4, 115. Vulcac. Gall. Avid. Cass. 5, 7 scis versum a bono poeta dictum et
omnibus frequentatum : Moribus antiquis etc. Gell. 18, 5, 2 {Antonio) Iuliano
nuntiatur anagnosten quendam, non indoctum hominem, voce admodum scita
et canora Enni Annales legere ad populum in theatro (zu Puteoli), ebd. 3
Enniastam . . se ille appellari volebat. 4 quem cum iam inter ingentes cla-
mores legentem invenissemus etc. 7 cumque aliquot eorum qui aderant rqua-
drupes equus' apud suum quisque grammaticum legisse se dicerent etc. ebd.
11 wird erwähnt ein liber summae atque reverendae vetustatis (der Ann. des
E.), quem fere constabat Lampadionis (§ 138, 4) manu emendatum. Spart.
Hadr. 16, 6 Ciceroni Catonem, Vergüio Ennium, Sallustio Coelium praetulit.
Macr. sat. 6, 9, 9 quia saecidum nostrum ab Ennio et omni bibliotheca vetere
deseivit, multa ignoramus quae non laterent, si veterum lectio nobis esset fami-
liaris. Die Nachwirkung zeigt sich am deutlichsten in der starken Nach-
ahmung durch alle späteren, besonders epischen Dichter bis etwa auf Vergil;
sie ist bei ihm und Lukrez am greifbarsten und schon den Alten aufge-
fallen. Norden, Vergils Aeneis VI S. 359 und bes. Ennius und Vergil, Lpz.
1915. Vgl. § 177a 3. 203,2. 214,6. 228, 6 E. Benutzung durch Prosaiker
(Annalisten) läßt sich nicht erweisen; über Anklänge an Ennius bei Livius,
vor deren Überschätzung Vahlen praef. lxi warnt, s. Hagen, JJ. 109, 271.
Sieglin, Chronol. der Belager. v. Sagunt, Lpz. 1878. Bärwinkel, Ennius u.
Livius, Sondershausen 1883 u. § 257, 8. Ein Exemplar war noch im 5. Jahrh.
vorhanden, aber Isidorus las (trotz Vahlen praef. cxxvn) die Annalen nicht
mehr im Original. Norden, Ennius 82.
192 Republikanische Zeit: J. 240—84 v. Chr.
102. Nächstdem ist die Tragödie Ennius' wichtigstes Arbeits-
feld. Dabei scheint er mit Vorliebe Stücke des Euripides ins Latei-
nische übertragen zu haben, da ihn wohl dessen Interesse für die
Aufklärung und seine rhetorisierende sentenzenreiche Manier anzog.
Auch Prätexten verfaßte Ennius, sowie Komödien, ohne jedoch auf
diesem Gebiete zur Bedeutung zu gelangen.
1. Erhalten sind Bruchstücke von Achilles Aristarchi (schon in Plaut.
Poen. prol. zitiert), Aiax, Alcumeo, Alexander, Andromacha aechmalotis,
Andromeda, Athamas (? FALange, quaest. metr. 16. 30; BSchmidt, RhM. 16,
599), Cresphontes, Erectheus, Eumenides, Hectoris lutra (Bergk, op. 1, 295),
Hecuba (Osann, anal. crit. 126), Iphigenia in Aulis (Skutsch, kl. Sehr. 296),
Medea (vgl. Planck, EnniiMedea illustr., Gott. 1807. Osann, aO. 79. Vahlen,
Opusc. 1, 34), Melanippa, Nemea, Phoenix, Telamo, Telephus, Thyestes (auf-
geführt J. 169). Die Überreste auch bei Ribbeck, trag, lat.8 p. 17. Vgl.
Welcker, griech. Trag. 1373. Ribbeck, röm. Trag. 81. 212.
2. Glossae Salomonis (Usener, Sehr. 2, 159. 3, 38): tragoedias Ennius
fere omnes ex graecis transtulit, plurimas JEuripidis, nonnullas Aristarchi.
Von den uns bekannten Stücken sind sicher nach Euripides gedichtet:
Andromeda, Hecuba, Iphigenia, Medea, Melanippa, Telephus, sowie Alexan-
der, Cresphontes; wahrscheinlich aber auch Alcumeo, Erechtheus, Phoenix,
Thyestes. Die Andromacha entspricht der euripidischen nicht. Nach Aeschy-
los Eumenides (urfd Nemea sowie Hectoris lutra?), nach Sophokles wahrschein-
lich Aiax, nach Aristarchos der eine Achilles. Die Vergleichung mit den be-
treffenden Originalen zeigt, daß die Stücke des Ennius freie Übersetzungen
waren, und Kontamination bezeugt Ter. Andr. 18, der freilich wohl Komödien
im Auge hat; für die Iphigenie hat sie Bergk, Kl. Sehr. 1, 230 angenommen.
Daß er die griechischen Tragödien kommentiert las, zeigt Leo, PF. 98. Im
ganzen scheinen seine Stücke schon durch das Hervortreten der Rhetorik den
Charakter der nacheuripideischen Tragödie getragen zu haben. Vgl. Cic. fin. 1,
4 cum . . fabellas Latinas ad verbum e Graecis expressas non inviti legant.
quis enim tarn inimicus paene nomini Romano est, qui Ennii Medeam aut
Antiopam Pacuvii spernat aut reiciat, quod se isdem Euripidis fabulis delec-
tari dicat? de opt. gen. 18 eidem . . Andromacham aut Antiopam aut Epi-
gonos Latinas recipiwnt; quod igitur est eorum in orationibus e Graeco con-
versis fastidium , nulluni cum sit in versibus? Gell. 11, 4 Euripidis versus
sunt in Hecuba . . hos versus Q. Ennius, cum eam tragoediam verteret, non
sane incommode aemulatus est. Daß Ennius dieser Tätigkeit bis an sein Ende
treu blieb, zeigt Cic. Brut. 78.
3. Eine praetexta des Ennius waren die Sabinae (der Raub der Sabine-
rinnen), wie Vahlen (Sehr. 1, 418) vermutet wegen Iul. Victor, p. 402, 30 H:
ut (in) Sabinis Ennius dixit; dagegen Bergk, op. 1, 361. Vgl. Ribbeck, röm.
Trag. 205. Auch die Ambracia war wahrscheinlich eine praetexta (jedoch
ist V. 367 ein Hexameter) und behandelte die Eroberung der gleichnamigen
Stadt durch M. Fulvius Nobilior, den Gönner des Ennius, J. 189. S. Ribbeck,
röm. Trag. 207; Skutsch aO. 2599.
4. Der leichte Ton der Komödie scheint dem Ennius wenig geglückt zu
§ 102. Ennius (Tragödien). § 103. Saturae usw. 193
sein. Von zwei Komödien, Cupuncula und Pancratiastes, haben wir schwache
Spuren; s. Ribbeck, com.3 p. 5. Volcacius Sedigitus (§ 147, 3) führte ihn unter
den komischen Dichtern antiquitatis causa an letzter Stelle auf.
103. Ferner gab Ennius Saturae heraus, in dem Sinne einer
Sammlung vermischter Gedichte iu verschiedenen Metren. Außer-
dem ein Gedicht zum Lobe Scipios und Übersetzungen teils mo-
dernster teils durch ihre aufklärerische Tendenz merkwürdiger hel-
lenistischer Dichtungen : Sota, Protrepticus, die Heduphagetica, der
Epicharmus, dazu in Prosa der Euhemerus.
1. Porph. Hör. S. 1, 10, 47 Ennius quattuor libros saturarum reliquit.
Das Zitat aus B. 6 bei Donat. Ter. Phorm. 2, 2, 25 beruht nur darauf, daß
Stephanus die Lücke, die den Autornamen verschlungen hat, durch die Worte
e sexto satyrarum Ennii ausfüllte. Der Hinweis (OKeller, Phil. 45, 389) auf
die ödrvQoi des Timon von Phlius (f 226 v. Chr.) als Vorbild für Namen
und Inhalt fördert kaum, da wir über die Beschaffenheit jener Gedichte
nichts wissen (vgl. Wachsmuths sillogr. gr.2 25) und die Gedichte des Ennius eben
nicht saturoe oder saturi, sondern saturae hießen. Vielmehr benutzte E.
diesen altitalischen Begriff (§ 6, 2. § 28) zur Bezeichnung einer hellenistischen
Gattung, wie sie etwa durch Kallimachos,"/a^/3ot (v Arnim, SBer. Wien. Akad.
164), Arats vt,arcc Xstztov u. ä. vertreten war. Versmaße: Trochäen, Iamben,
Sotadeen (v. 59 ff.), daktyl. Hexameter; daß Ennius auch Saturnier gedichtet
habe, ist an sich nicht wahrscheinlich und nicht erwiesen. Inhalt nicht sati-
risch, aber z. T. lehrhaft, auch Fabeln, zB. die von der Haubenlerche (Babr.
88) in troch. Tetrametern (§ 27, 1; vgl. die von Bücheler, RhM. 41, 5 aus
Hygin. fab. 220 hergestellte Fabel im gleichen Maß); Streit zwischen Tod
und Leben (Dieterich, Pulcinella 78); Selbstlob v. 6 Enni poeta salve, qui
mortalibus flammas propinas pectoris medullitus. Auch die Epigramme (s.
§ 100, 6E.) können hier ihren Platz gehabt haben. — APetermann, über die
Satire des Ennius, Hirschb. 1851. 52. II.
2. Gell. 4, 7, 3 Enni versum (trochäisch) ex libro qui Scipio inscribitur.
Suid. v. "Evvlos' Syanliova adav kccl inl ^liya tbv uvögu i£,ÜQcu ßovXopsvog
<pr\6i \lqvqv av r'OiLr\QOv ina^iovg iituivovq inslv Uyunicovog. Sicher keine
Praetexta (wie GRöper, de Ennii Scipione, Danzig 1868 wollte; vgl. Rhaban.
Maur. oben § 14, 2) und schwerlich ein Teil der Saturae. Die spärlichen
Reste zeigen vorherrschend sorgfältig gebaute troch. Septenare (aber auch
daktyl. Hexameter). Abfassung wohl vor den Annales, etwa nach Scipios
siegreicher Heimkehr aus Afrika (J. 201); zu späterer Datierung (Müller)
liegt kein wirklicher Grund vor.
3. Sota (d.i. Saxäg) = Sotades (Hcorddrig), nach dem das sotadische Maß
benannt ist. Varro LL. 5, 62 in Sota Ennii. Fest. 356 Ennius . . . in Sota
(nasota die Hs.). Sota Ennianus bei Fronto p. 61; Ennius Sotadico versu
Paul. Festi 59.
4. Praecepta vielleicht identisch mit ^dern Protrepticus , der philoso-
phischen Inhalt gehabt hat. — Heduphagetica, gastronomischen Inhalts, nach
der parodistischen rjdvTtdd'SLcc des Archestrato3 von Gela. Vahlen, Sehr.
1, 419.
Teuffei: röm. Literaturgeach. Neub. 6. Aufl. I. 13
194 Republikanische Zeit: J. 240—84 v. Chr.
5. Epicharmus, eine Art naturphilosophischen Lehrgedichts, betitelt nach
dem gleichnamigen sizilischen Komiker, der (nach der Einkleidung) in der
Unterwelt die in dem Buche ausgesprochene (pythagoreische) Weisheit dem.
Ennius überlieferte. Bearbeitung eines griechischen Buches, das unter Epi-
charms Namen ging (Kaibel, Com. gr. 1, 134. Crönert, Herrn. 47, 402), in
trochäischen Tetrametern, in denen sich auch das Original bewegte. Hier
stand wohl das Akrostichon (§ 104, 4).
6. Euhemerus sive Sacra historia (vgl. auch Usener, Sehr. 3, 27), latei-
nische Bearbeitung der is qu uvayQatpr] des EvrjfieQog aus Agrigent (um J. 304)t
mit Übertragung dieses abenteuerlichen Systems der Mythendeutung auch
auf die italischen Götter. Cic. n. d. 1, 119 Euhemerus, . . quem noster et inter-
pretatus et secutus est praeter ceteros Ennius. Augustin. civ. d. 7, 26 (27) to-
tam de hoc Euhemerus pandit historiam, quam Ennius in latinum vertu elo-
quium. Die Anführungen des Lactantius zeigen eine altertümliche Prosa, welche
die des E. selbst und nicht etwa die Metaphrase eines ursprünglichen tro-
chäischen Rhythmus ist. Der Stil ist der schlichte Erzählungston der No-
velle, den E. aus Euemeros übernimmt (Norden, Agnostos Theos 374; vgl.
§ 305, 3). — Krahner, Grundlinien zur Gesch. d. Verfalls usw. 37. Mommsen,
RG. I6, 917. B. ten Brink, Varronis locus de urbe Roma, accedunt Ennii
apologus Aesopicus (vgl. A. 1) et reliquiae Euemeri, Utr. 1855. Skutsch aO.
2600. Hache, quaest. archaicae, Bresl. 1907, 52.
104. Ennius ist entschieden ein künstlerisches Talent. Zwar
verletzen seine Gedichte oft die Gebote der Schönheit und des guten
Geschmackes; aber auf der neuen von ihm eingeschlagenen Bahn
hatte er auch große Schwierigkeiten , namentlich formaler Natur,
zu überwinden. Das Bewußtsein, ihrer Herr geworden zu sein und
den Römern griechische Literatur und Lebensweisheit vermittelt zu
haben, steigerte sein Selbstgefühl. Er war vermöge einer wunder-
baren geistigen Beweglichkeit seiner Zeit ein Sendbote der Aufklä-
rung, die er in ihrem Werte freilich überschätzte; namentlich aber
hat er der römischen Poesie und Kunstsprache die Wege gezeigt
und eröffnet, auf denen sie Jahrhunderte lang fortwandelten. Sein
Schriftstellerei zeigt nach Form und Inhalt große Vielseitigkeit
und hat zur Belebung geistiger Interessen in Rom viel beigetragen.
Unsicher ist die Überlieferung, nach der er sich um die Recht-
schreibung bemühte und zuerst lateinische Schnellschrift (notae)
einführte.
1. Die Dichter der Kaiserzeit heben einseitig und undankbar (AZingerle,
Ovids Verhältn. 2, 1) an Ennius hauptsächlich seine relative Formlosigkeit
hervor: Horaz E. 2, 1, 50; AP. 259. Prop. 4, 1, 61. Ovid. Am. 1, 15, 19 En-
nius arte carens. Gerechtere Würdigung bei Ovid. trist. 2, 423 f. suo Martern
cecinit gravis Ennius ore, Ennius ingenio maximus, arte rudis. Auch Sen.
fr. 114 H. quidam sunt tarn magni sensus Q. Ennii ut, licet scripti sint inter
hircosos, possint tarnen inter unguentatos placere. Macr. 6, 3, 9 nemo ex hoc
§ 104. Ennius (Allgemeines) 195
viles putet veteres poetas, quod versus eorum scabri nobis videntur. ille enim
stilus Enniani saeculi auribus solus placebat etc. Fronto p. 114 Ennius
multiformis. Cicero lobt ihn geflissentlich: de or. 1, 198 u. de prov. cons. 21
summus poeta. Tusc. 3, 45 egregius poeta . . praeclarum Carmen. Doch or. 36
multa apud Ennium neglegentius. Mur. 30 ingeniosus poeta et auctor valde
bonus. Gezierte Bewunderung spricht auch Vitruvius aus; s. § 101, 4. Vah-
len, praef. xxiff. — Vgl. Lucr. 1, 118 ff. Mommsen', RG. I6, 910. Ribbeck,
röm. Trag. 77.
2. Selbstgefühl. Vgl. die Polemik gegen Naevius (Cic. Brut. 76) und den
die Annalen einleitenden Traum. A. 374. Sat. 6 f. Doch s. auch Ann. 560.
3. Freigeisterei, nur unter dem Schutze der römischen Großen möglich
(s. § 103, 6), bes. Sc. 316 Ego deum genus esse semper dixi et dicam caelitum,
Sed eos non curare opinor quid agat humanüm genus; Näm si curent, bene
bonis sit, male malis, quod nunc abest usw.
4. Auf den Versbau verwandte Ennius große Sorgfalt, namentlich ist
er in der Zulassung der Vokalverschleifung im Hexameter auffallend streng.
LMüller, Q. Ennius 228. Jedoch gestattet er sich Auflösung der Hebungen
(zB. capitibus A. 490), Schlüsse auf einsilbiges Wort (zB. vadunt solida vi
A. 273), Iambenkürzung (doch s. Jachmann, stud. prosod. 12) und kühne Hiate
und Synizesen (A. 221 Poeni dis soliti suos sacrificare puellos. 436 hie in-
sidiantes vigilant u. a.) Über die Caesuren vgl. Witte, RhM. 69, 205. —
Verskünsteleien, beziehungsweise Geschmacksfehler, zB. übertriebene Allite-
ration udgl. A. 109. 140. 310. 488. 519. Sc. 300. 422 f. Sa. 59; mißratene
Tmesis (609 saxo cere- comminuit -brum); Apokope (574 replet te laetiflcum
gau; 575 divum domus altisonum cael; 576 endo suam do). Holospondiaci
A. 33. 623. Das Sprachmaterial mußte er sich zum größten Teil erst schaffen,
da es dem Lateinischen an daktylischen Silbenfolgen fehlte, und er griff zu
jedem brauchbaren Mittel, außer zu Archaismen wie olle und indu und Neu-
bildungen namentlich von Komposita (sapientipotentes A. 181) auch zur Ver-
gewaltigung der Sprache in formaler wie syntaktischer Hinsicht: so gestattet
er sich den Gen. Metioeo Fufetioeo A. 126 nach den homerischen auf oio
und die Nom. veter, famul, debil: überall zeigt sich E. als Grammatiker, wie
namentlich das nach 8g eingeführte sus u. ä. zeigt. Der Einfluß der Rheto-
rik macht sich überall geltend; außer Fällen aus den Tragödien wie V. 151
caelum nitescere, arbores frondescere, vites laetificae pampinis pubescere, rami
bacarum ubertate ineurvescere vgl. zB. A. 493 qui vincit non est Victor nisi
victus fatetur. Daher sagte er von sich A. 216 nee dicti Studiosus quisquam
erat ante hunc. — Akrostichon: Q. Ennius fecit. Cic. de div. 2. 111.
5. Konsonantenverdoppelung: Festus 293 nulla geminabatur littera in
scribendo. quam consuetudinem Ennius mutavisse fertur, utpote Graecus Graeco
more usus, quod Uli aeque scribentes ac legentes duplicabant mutas, semi(vo-
cales et liquidasy. Im allg. über des E. Verdienste um die Sprache s. § 93.
LMüller, metr.2 55. Dazu vgl. § 159,13; leider erscheinen die Zweifel über
die Urheberschaft von Ennii de litteris, syllabis, metris libri II berechtigt.
— Schnellschrift: Suet. p. 135 Rffsch. und aus ihm Isid. orig. 1, 21 und
eine Kasseler Hs. der notae Tironis et Senecae (§ 289, 8. WSchmitz, symb.
phil. Bonn. 532): vulgares notas Ennius primus mille et cenlum invenit. no-
tarum usus erat, ut quidquid pro contione aut in iudieiis diceretur librarii
13*
196 Republikanische Zeit: J. 240-84 v. Chr.
scriberent simul astantes, divisis inter se partibus quot quisque verba et quo
ordine exciperet. Bomae primus Tullius Tiro usw. (s. § 191,4). Vgl. WSchmitz,
Beitr. 211; Verhandl. d. Trierer Philol.-Vers. (Lpz. 1880) 59. Auf stenogra-
phische Zeichen messapischer Inschriften macht aufmerksam WDeecke, RhM.
36, 577. Daß in einer Zeit, die kaum die ersten Anfänge kunstmäßiger Be-
redsamkeit sah, schon das Bedürfnis nach wortgetreuer Niederschrift sich
geltend gemacht habe, ist auffällig, aber nicht undenkbar. Johnen und Wein-
berger Phil. 63, 635 verstehen die Stelle so, daß E. nur die Zeichen M und
C eingeführt habe; andere teilen diese notae dem späteren Grammatiker
Ennius zu.
6. Über Ennius im allg. Ribbeck, röm. Dicht. 1, 27. Mommsen, RG. I6, 918.
LMüller, Q. Ennius, Petersb. 1884. Skutsch, PW. 5, 2589. — Ennianae
poesis reliquiae, rec. JVahlen, 2Lps. 1903 (dazu Knapp, Am. J. Ph. 32, 1).
Enni reliquiae; acc. Naevi belli Poen. quae supersunt; ed. LMüller, Petersb.
1885. FPR. 58. Die Fragm. der Annalen ed. Merula, Leiden 1595 (MHoch,
de Ennianorum Ann. fragm. a Merula auctis, Bonn 1839. Lawicki, de fraude
Pauli Merulae, Bonn 1852) u. Valmaggi, Turin 1900. RUnger, scheda En-
niana, Halle 1875. HJordan. quaest. Enn., Königsb. 1885. Frobeniüs, die
Formenlehre des E., Dillingen 1907; die Syntax des E., Tüb. 1910. — Über
vermeintliche Erhaltung von Werken des E. bis ins Mittelalter RFörster,
RhM. 37, 485.
105. M. Pacuvius, der Neffe des Ennius, war geboren um
J. 220 in Brundisium; er wurde von seinem Oheim nach Rom ge-
zogen und angeleitet und lebte dort als Dichter von Tragödien, in-
dem er daneben das Gewerbe eines Malers betrieb. Nachdem er
noch J. 140 ein Stück aufgeführt hatte, kehrte er nach Unteritalien
zurück und starb zu Tarent um das J. 132. Wir kennen von ihm
nur zwölf Tragödien und eine praetexta (Paulus). Die Reste zeigen
gegenüber den Tragödien des Ennius im ganzen mehr Flüssigkeit
und Leichtigkeit in Sprache und Vers, zugleich aber auch eine noch
stärkere Neigung zu Künstlichem und Gewagtem. Die Bühnenwir-
kung seiner Stücke war groß und nachhaltig. Noch das Kunsturteil
der ciceronischen Zeit sah in Pacuvius Roms größten Tragiker.
1. Cic. Brut. 229 Aerius isdem aedilibus ait se et Pacuvium doeuisse
fabulam, cum ille octoginta, ipse triginta annos natus esset. Accius aber war
J. 170 geboren. Hieron. zu Euseb. Chr. a. 1863 = 154 Pacuvius Brundisi-
nus tragoediarum scriptor clarus habetur, Ennii poetae ex ftlia (vielmehr
seiner Schwester, s. Plinius aO.) nepos, vixitque Bomae, quoad picturam
exereuit ac fabulas venditavit. deinde Tarentum transgressus prope nonage-
narius diem obiit. Varro sat. menipp. 356 Buch.: Pacvi (Pacius, Pacvius,
Paquius, Pacuius Nebenformen des oskischen Namens Pacuvius: s. Mommsen,
unterital. Dial. 284. WSchulze, Zur Gesch. lat. Eigenn. 476) discipulus di-
cor, porro is fuit Enni, Enniu' Musarum: Pompüius (§ 146,2) clueor. Plin.
NH. 35, 19 celebrata est in foro boario, aede Herculis, Pacuvii poetae pictura.
Ennii sorore genitus hie fuit, clarioremque eam artem Bomae fecit gloria
§ 105. Pacuvius 197
scaenae. Gell. 13, 2, 2 cum Pacuvius grandi iam aetate et morbo corporis
diutino adfectus Tarentum ex urbe Roma concessisset etc. Befreundet mit
Caelius, Cic. Cael. 24. Unverdächtige (Bücheler, RhM. 37, 521) Grabschrift
des Pacuvius bei Gell. 1, 24, 4 Adulescens tarn etsi pröperas te hoc saxüm
rogat Ut sese aspicias, deinde quod scriptum est legas. Hie sunt poetae Pd-
cuvi Marci sita Ossa. hoc volebam nescius ne esses. vale. Bormann, arch.
epigr. Mitt. 17, 227. Vgl. § 115, 2.
2. Tragödien: Antiopa (nach Euripides), Armorum iudicium, Atalanta,
Chryses, Dulorestes (OJahn, Herrn. 2, 229. CRobert, Bild und Lied 185),
Hermiona, Iliona, Medus, Niptra (nach Sophokles), Pentheus, Periboea,
Teucer (Protesilaus durchaus zweifelhaft). Pac. bevorzugt die nacheuripi-
deische Tragödie mit ihren entlegenen Stoffen; doch können Chryses Her-
miona Teucer aus Sophokles stammen. Die Überreste bei Ribbeck, trag.3
p. 86. Vgl. Welcher, Trag. 1380. Ribbeck, röm. Trag. 218.
3. Die Praetexta Paulus (Ribbeck trag.8 p. 325) hatte wohl den L. Aemi-
lius Paulus als Sieger bei Pydna zum Gegenstande; OJahn, Lpz. Ber. 1856,
301. Ribbeck, röm. Trag. 326.
4. Gell. 6 (7), 14, 6 exempla in latina lingua M. Varro esse dicit uber-
tatis (d. h. des hohen Stiles) Pacuvium, gracilitatis Lucilium, medioeritatis
Terentium. Dagegen Fronto p. 114 medioeris Pacuvius. Auct. ad Her. 4, 7
setzt die Stärke des P. in seine Botenerzählungen (nuntii). Cic. de opt. gen.
or. 1 itaque licet dicere et Ennium summum epicum poetam et Pacuvium tra-
gicum et Caecilium fortasse comicum. Brut. 258 illorum (des Laelius und
jüngeren Africanus) aequales Caecilium et Pacuvium male locutos videmus;
dabei mag er an die kühnen Neubildungen denken, besonders an das be-
rüchtigte Nerei repandirostrum ineurvicervicum pecus V. 408, das schon
Lucil. 212 verspottet (Pers. 1, 77; vieles derartige und Archaismen ent-
nimmt er aus Ennius). Spielerei mit den Synonymen von dicere V. 366 (Marx
Auct. ad Her. 92). Lucil. 875 tristis contorto aliquo ex Pacuviano exordio.
Hör. E. 2, 1, 55 (doctus). Quint. 10, 1, 97. Martial. 11, 91. Tac. dial. 20.
Würdigung dieser Urteile: Teuffel, Tüb. Progr. 1858, 11. — Koterba, de
sermone Pac. et Acciano. Diss. Vindob. 8, 111. Reitzenstein, PW. 6, 86. Vgl.
OJahn, Herrn. 2, 234.
5. Pacuvius als Verfasser von Satiren: Diomedes GL. 1, 485 satura . .
Carmen . . quäle scripserant Pacuvius et Ennius. Vgl. Porphyr, zu Hör. sat.
1, 10, 46 cum . . Terentius Varro Narbonensis (§ 212, 1) ... item Ennius . .
et Pacuvius huic generi versificationis non suffecissent. — Im allgemeinen
über Pacuvius Mommsen, RG. 26, 431. Teuffel, Caecil. Statius, Pacuvius
usw. Tüb. Progr. 1858, 5. Ribbeck, röm. Trag. 334. Goette, de Accio et
Pac, Rheine 1892.
106. Statius Caecilius, ungefähr gleichaltrig mit Pacuvius
gehörte durch Geburt dem keltischen Stamme der Insubrer an, kam
nach Rom wahrscheinlich als Kriegsgefangener und schloß sich
nach seiner Freilassung hauptsächlich an Ennius an. Er über-
lebte diesen nur wenig. Wie er zeitlich zwischen Plautus und Te-
renz in der Mitte stand, so auch dichterisch; er begann jene Hin-
198 Republikanische Zeit: J. 240—84 v. Chr.
wendung zu Menander in den Stoffen wie im Ton, die Terenz voll-
endete.
1. Hieronym. zu Euseb. Chron. a. Abr. 1838 = 179: Statius Caecilius
comoediarum scriptor clarus habetur, natione Insuber Gallus et Ennii pri-
mum contubernalis. quidam Mediolanensem ferunt. mortuus est anno post
mortem Ennii (III setzt Ritschl, op. 3, 233 hinzu, um den Caec. noch die
Andria des Terenz erleben zu lassen [§ 110, 1, lj) ei iuxta Ianiculum sepul-
tus. Vgl. KFHermann, de Script, ill. p. 3. Gell. 4, 20, 13 Caecilius ille co-
moediarum poeta inclutus servus fuit et propterea nomen habuit Statius. sed
postea versum est quasi in cognomentum appellatusque est Caecilius Statius.
Caecilius kurzweg zB. bei Cic. de or. 2, 40. Brut. 258. de opt. gen. 2. ad
Att. 7, 3, 10; Statius allein niemals, auch nicht de or. 2, 257. — Caecilius
wird nie zu den longaevi gerechnet (Ritschl, Parerga 183, Anm.); Ambivius
Turpio spricht als senex von seinen Bemühungen um die Stücke des Caeci-
lius, die in seine adulescentia fielen, im J. 160 (Ter. Hec. 10), so daß dessen
erste Aufführungen um J. 190 fallen mögen.
. 2. Anfängliche Mißerfolge als Dichter, Ter. Hec. Prolog 2, 6 ff. Später
wird er angeblich zur Beurteilung neuer Stücke bestellt, Suet. vit. Ter.
p. 28, 9. Ritschl, Parerga 329.
3. Von den etwa 40 Komödientiteln, die wir kennen (Ribbecks com.3
p. 40), stimmen 16 mit Menandrischen überein: Andria, Androgynos, Chalcia,
Dardanus, Ephesio, Hymnis, Hypobolimaeus (Rastraria), Imbrii, Karine,
Nauclerus, Plocium, Polumeni, Progamos, Synaristosae, Synephebi, Titthe.
Bei Philemon findet sich Harpazomene (vgl. Dietze, de Philom. 51). Die
Titel selbst zerfallen in drei Klassen: 1) rein lateinische, wie Plautus sie
zu wählen pflegte; 2) Doppeltitel, lateinische und griechische; 3) rein grie-
chische, in der Weise des Terenz und Turpilius. Letztere bilden die weit-
aus überwiegende Zahl. Danach Perioden in der Tätigkeit des Caecilius zu
scheiden (Ritschl, Parerga 145) geht aber nicht an. Daß er mit der Sitte
der Kontamination brach, wie Leo PF. 100 vermutet, ist möglich; vgl.
§ 107, 5.
4. Die antiken Urteile treffen zum Teil nur die Originale. Varro sat.
399 B. in argumentis Caecilius poscit palmam; bei Charis. GL. 1, 241 ituQ"r\
Trabea, Atilius, Caecilius facile moverunt. Vgl. Hör. E. 2, 1, 59 vincere Caec.
gravitate, Terentius arte. Im Kanon des Volcacius steht er an erster Stelle:
Caecilio palmam Statio do mimico (vgl. Reich, Mimus 1, 337). Teuffel,
Tüb. Progr. v. 1858, 3. Seine Übersetzungskunst lernen wir aus Gell. 2, 23
kennen, der drei Stellen aus dem Plocium mit dem (überall sehr frei be-
handelten) Original vergleicht; an der einen setzt er Trimeter geschickt in
ein lebhaftes Canticum um, an einer anderen vergröbert er in plautinischer
Art (nescio quae mimica inculcavit Gell.). Als geborener Insubrer und
spät nach Rom gekommen konnte Caecilius nicht als ein guter Gewährs-
mann für das, was fein lateinisch sei, gelten; Cic. ad Att. 7, 3, 10 malus
auctor Latinitatis. Vgl. Brut. 258 (§ 105, 4): die Reste rechtfertigen dieses
einseitig puristische Urteil kaum. — Im allgemeinen s. Mommsen, RG.
I6, 902 und Teuffel, Caecilius Statius usw. Tüb. 1858, 1. Skutsch, PW.
3, 1189.
§ 106. Statius Caecilius. § 107. Andere Palliatendichter 199
107. Außer Plautus und Caecilius hat jene Zeit noch mehr
Palliatendichter gesehen; wir dürfen zu ihnen wohl Trabea und
Atilius rechnen , sowie den Urheber der Boeotia, Aquilius, und
Licinius Imbrex. Ein älterer Zeitgenosse und Nebenbuhler des
Terenz war Luscius Lanuvinus.
1. Varro bei Charis. GL. 1, 241 /nd%"r\ Trabea, Atilius, Caecilius facile
moverunt. Vgl. Ritschl, Parerga 194, der demgemäß die Blütezeit der bei-
den ersteren vor die des Caecilius setzt. Der Gentilname des Trabea ist
unbekannt, der Vorname Q. ohne urkundliche Gewähr. Zwei Überreste von
lebhaftem Tone und gebildeter Sprache bei Ribbeck, com.3 p. 36.
2. Archaistischer sind die spärlichen Überbleibsel des Atilius (p. 37 bei
Ribb.3), der als Palliatendichter durch den Titel Misogynes bezeichnet wird.
Cicero ad Att. 14, 20, 3 nennt ihn poeta durissimus, ebenso aber Licinius
(richtig Licinus § 146, 3; Lucilius falsch Detlefsen, Phil. 42,182) bei Cic.
fin. 1, 5 den Atilius, der die Elektra des Sophokles (vgl. Suet. Iul. 84) über-
setzte: ferreum scriptorem. Danach sind wohl beide identisch; s. Ribbeck,
röm. Trag. 608. Weniger wahrscheinlich ist, daß er derselbe sei mit dem
Schauspieler L. Hatilius aus Praeneste (§ 16, 14), der (zu Anfang des sie-
benten Jahrh.? Dziatzko, RhM. 21, 72) in terenzischen Stücken auftrat.
3. Die Boeotia (der Titel bei Menander), ihrem Titel nach zur palliata
gehörig, für deren Verfasser schon zu oder vor Varros Zeit ein Aquilius galt,
schrieb Varro wegen ihres plautinischen Geistes dennoch dem Plautus zu
(Gell. 3, 3, 3), wogegen sich L. Accius nachdrücklich erklärt hatte (ebd. 9).
Die Zeitanspielungen ergeben nichts; Ritschl, Parerga 82. 123. 208. Oster-
mayer, de hist. fabulari 57. Leo, PF. 154. Ribbeck, com.3 p. 38.
4. Licinius Imbrex, vetus comoediarum scriptor, in fabula quae Neaera
(in)scripta est, Gell. 13, 23, 16. Paul. Festi 109 Imbrex nomen cuiusdam
aomici. Non. 196, 24 Licinius in Marte (vgl. Bergk, JJ. 101, 832)? Vielmehr
Licinius Macer (§ 156, 5)? Volcac. Sedig. bei Gell. 15, 24 si erit quod quarto
detur dabitur Licinio. Identisch mit Licinius Tegula (§ 114, 3)?
5. Luscius Lanuvinus (nicht Lavinius; s. über diese Form Hauler Phorm.
4S. 220), der Hauptgegner des Terenz (malivolus vetus poeta), der in allen
terenzischen Prologen, mit Ausnahme derer zur Hecyra, bitter getadelt wird.
Er übersetzte das ^da^icc des Menander (Ter. Eun. prol. 9) und dessen
SriöavQog (ebd. 10), so wortgetreu, daß er auch Züge, die einem römischen
Publikum Anstoß geben mußten, mit herübernahm. Er warf dem Terenz
die Abweichungen von seinem griechischen Original und die Zutaten aus
anderen griechischen Stücken (§ 16, 9) als Fehler vor; s. § 106, 3. Ter. Eun.
prol. 10. Vgl. Andr. prol. 15. Heaut. 16. Phorm. prol. 1. Ad. 1. Grauert,
Analekten 116. Ladewig, Kanon des Volc. Sed. 12. Ribbeck, com.3 96. —
Über Plautius s. § 96, 5.
108. P. Terentius Afer war zu Karthago geboren, gelangte
aber früh nach Rom, wo er Sklave eines Senators Terentius Luca-
nus war, der ihm die Erziehung eines Freien geben ließ und ihm
bald die Freiheit schenkte. Vielleicht als Afrikaner kam er mit
200 Republikanische Zeit: J. 240—84 v. Chr.
Scipio Africanus dem Jüngeren und mit dessen Kreis in ein näheres
Verhältnis, wodurch das Gerede hervorgerufen wurde, daß vornehme
Leute die wahren Verfasser seiner Lustspiele seien. Terenz brachte
sechs Stücke zur Aufführung und begab sich dann (J. 160) weiterer
Studien halber nach Griechenland. Auf der Rückreise starb er, noch
in Griechenland, im J. 159 in der Blüte seiner Jahre.
1. Vita des Terenz (aus Sueton de poetis, § 347, 7) erhalten vor Donats
(§ 409, 3) Terenz-Kommentar. Sie gibt vorzugsweise eine Zusammenstellung
der (mannigfach sich widersprechenden) Angaben der Grammatiker. Von
Ritschi bearbeitet in Reifferscheids Sueton (Lpz. 1880), auch in s. Opusc.
3, 204. Ferner in Donat ed. Wessner p. 3. Vgl. Büttner, Porcius Licinus 42.
2. Die Notiz bei Hieronymus zu Euseb. 1859 = 158 und die hs. er-
haltenen vitae (Norimbergensis , Ambrosiana) hängen sämtlich von Sueton
(A. 1) ab. Ritschl, opusc. 3, 374. Selbständigen Wert hat nur der ganz
kurze Zusatz des Donatus zur vita Suetons (p. 35, 1R.). Sabbadini, Stud. It.
2, 26. 5, 309.
3. Nach Rom kam Terenz vielleicht durch einen Sklavenhändler, der
ihn in Afrika kaufte oder raubte. Als Kriegsgefangener jedenfalls nicht
unmittelbar, da er nach dem Ende des zweiten punischen Krieges (J. 201)
geboren wurde und beim Beginn des dritten (J. 149) schon tot war; s,
Fenestella bei Sueton aO. Berge aO. 628. AL. 734 PLM. 5, 385 Bomanis
ducibus bellica praeda fui. Zu der Freilassung vgl. auch § 110, 1, 3.
4. Suet, p. 27, 2 Reiff. cum multis nöbilibus familiariter vixit, sed maxime
cum Scipione Africano et C. Laelio. quibus etiam corporis gratia conciliatus
existimatur . . . non obscura fama est adiutum Terentium in scriptis a Laelio
et Scipione, eamque ipse auxit numquam nisi leviter (vgl. Prolog zu Heaut.
und Ad.) refutare conatus. Cic. Att. 1, 3, 10 Terentium, cuius fabellae propter
elegantiam sermonis putabantur a C. Laelio scribi. Quint. 10, 1, 99 licet Te-
rentii scripta ad Scipionem Africanum referantur. f Vallegius in actione
(§ 147, 3) bei Donatus (Suet. p. 35, 5 R.). Ter. selbst antwortet auf den
Vorwurf des Gegners (Ad. 15), homines nobiles eum adiutare adsidueque una
scribere: eam laudem hie ducit maxumam, quom Ulis placet, qui vobis uni-
vorsis et populo placent, quorum opera in bello in otio in negotio suo quis-
que tempore usust sine superbia. Das konnte er von dem jugendlichen Scipio
nicht sagen; es sind ältere Freunde gemeint. Jedenfalls pflegte T. seine
Arbeiten vor ihrer Veröffentlichung im Kreise seiner Freunde vorzulesen
und berücksichtigte ihre kritischen Bemerkungen. Funaioli, PW. 1 A, 435.
Jedenfalls hängt des Ter. Purismus mit den puristischen Neigungen zu-
sammen, die wir im späteren Scipionenkreise nachweisen können. Vahlen,
MBer. d. Berl. Ak. 1876, 797. Cichorius, Unters, zu Lucil. 107.
5. Suet. p. 32, 4 post editas comoedias nondum quintum atque vicesimum
(XXXV interpolierte Hss.) egressus (ingressus Ritschl) annum, causa vitan-
dae opinionis, qua videbatur aliena pro suis edere seu pereipiendi Graecorum
instituta moresque, quos non perinde exprimeret in scriptis, egressus (urbe
add. Müret)> est neque amplius rediit. . . Q. Cosconius redeuntem e Graecia
perisse in mari (sinu Leucadiae hier Fleckeisen, der die Worte unten
§ 108. Terenz (Leben) 201
streicht^ dicit cum C et VIII (diese Zahl tilgt Ritschl) fabulis conversis a
Menandro: ceteri mortuum esse in Arcadia Stymphalif sive Leucadiae tradunt
Gn. Comelio Dolabella M. Fulvio Nobiliore coss. (J. 159, daraus Hieron. ad
a. 1859 = 158 Terentius . . . moritur), morbo implicitum aut dolore ac taedio
amissarum sarcinarum, quas in nave praemiserat, ac simul fabularum quas
novas fecerat. Vgl. Lucan. 5, 651 oraeque malignos Ambraciae portus, wozu
Schol. : malignos dixit, sive quia saxosi sunt sive quia Terentius illic dicitur
periisse. Auson. ep. 18, 16 Arcadiae medio qui iacet in gremio.
6. Das Todesjahr war überliefert (A. 7): daß aber Terenz in seinem
25. Lebensjahre gestorben sei, demnach geboren um J. 184, ist von den
röm. Literaturhistorikern wohl nur erschlossen worden, namentlich aus seiner
Gleichzeitigkeit mit Scipio (geb. J. 185) und Laelius (§ 131, 1. 3): vgl. Suet.
p. 27, 6 Nepos aequales omnes (Ter. Scip. Lael.) fuisse censet. Aber diese
bleibt bestehen, auch wenn Terenz mehrere Jahre älter war als seine Freunde.
Fenestella behauptete schon (Suet. aO.) utroque maiorem (Terentium) fuisse,
und Santra (Suet. aO.) nennt gar Scipio und Laelius adulescentuli gegen-
über dem Terenz. Für ein früheres Geburtsjahr spricht, daß das älteste
Stück (Andr.) schon J. 166 aufgeführt wurde. Daß der formstrenge peinliche
Terenz schon im 18. Jahr als Theaterdichter aufgetreten sei, ist zwar nicht
unmöglich, aber nicht recht wahrscheinlich, ebensowenig, daß ihm seine
Gegner, mit denen er sich in den Prologen oft herumschlagen muß, diese
Frühreife nicht vorgeworfen hätten. Roth, RhM. 12, 183. Sauppe, Gott.
Nachr. 1870, 114. Pirro, Riv. fil. 24, 382.
7. Suet. p. 33, 4 fuisse dicitur mediocri statura, gracili corpore, colore
fusco (Suet. aO.; vgl. Verg. Moret. 32 Afra genus, tota patriam testante
figura, torta comam labroque tumens et fusca colore). Sein Bild in den illu-
strierten Hss. (§ 109, 2) als Vignette (Bethe aO. 60), ferner auf einem Con-
torniaten in Gotha: alle nicht glaubwürdig; ebensowenig eine Büste mit
einer (eher tragischen als komischen) Maske an der recbten Schulter, ge-
funden 1826 in der Nähe des durch Sueton (s. u.) bezeichneten Landguts,
jetzt im capitolinischen Museum. Bernoulli, röm. Ikonogr. 1, 68. — . Suet.
p. 33, 5 reliquit filiam, quae post equiti Rom. nupsit, item hortulos XX iuge-
rum via Appia ad Martis (vgl. Dessau, 5386. 7213, 4).
109. Die sechs Komödien, die Terenz verfaßt und in Rom auf
die Bühne gebracht hat, sind erhalten. Die zahlreichen Handschrif-
ten zerfallen in zwei Klassen, den uralten Bembinus und die auf
die Rezension des Calliopius zurückgehenden. Auch Erklärer fand
Terenz; wir besitzen nur noch die Kommentare des Donatus und
des Eugraphius. Außerdem sind zu den Stücken Didaskalien und
metrische Inhaltsangaben auf uns gekommen.
1. Suet. p. 28, 8 scripsit comoedias sex, ex quibus primam Andriam etc.
Vgl. Auson. ep. 18, 15 von der Zahl Sechs: protulit in scaenam quot dramata
fabellarum etc.
2. Handschriften: Die beste ist Vatic. 3226 (A, s. IV/V, Bembinus;
Faksimile bei Wattenb.-Zangem. T. 8 u. 9; Chatelain T. 6, vgl. Kauer, WSt.
20,252. 22,56): ihr stehen die anderen Hss. gegenüber, die sämtlich zu-
202 Republikanische Zeit: J. 240—84 v. Chr.
rückgehen auf die zwar auch auf guter Grundlage ruhende, aber stark
und willkürlich ändernde Rezension eines unbekannten Grammatikers Cal-
liopius (aus s. IV? CBraun, quaest. Ter. 21. FLeo, RhM. 38,321). Die Sub-
scriptio (§ 41, 2 E.) lautet: Calliopius recensui und feliciter Calliopio (bono
scholastico); vgl. OJahn, Lpz. Ber. 1851, 362. Zu diesen Calliopischen Hss.
gehören u. a. Paris. 7899 (P, Reproduktion der Bilder von Omont, Paris 1907),
Vat. 3868 (C), Ambros. (F), Basilicanus (B), alle s. X; ferner als besondere
durch engere Beziehungen zum A sich hervorhebende Gruppe: Victorianus
(D s. X in Florenz) und Decurtatus (G, Vatic. 1640 s. XI/XII), Lips. s. X,
Paris. 10304 s. XI. Facsim. der Hss. BCDFGP bei Chatelain T. 7—11. In
welcher Gruppe dieser Hss. der Text des Calliopius am reinsten vorliegt,
ist oft untersucht und von den einen, z. B. von Dziatzko Comment. Wölfflin.
219, zugunsten der illustrierten, von anderen wie Leo und Wissowa, PW. 3,
1361 zugunsten der bildlosen Hss. entschieden worden. Vgl. A. 5. Die Frage
ist deshalb kaum zu lösen, weil Calliopius keine philologisch durchdachte
und planvolle Textrezension veranstaltet, sondern nur einen ihm vorliegen-
den Text, vielleicht von der Art des Bembinus, nach einer, im besten Falle
nach einigen Hss. abkorrigiert hat. Bei der mannigfachen Kreuzung der
Überlieferung vor und nach ihm wird seine eigene Arbeit nie zu fassen
sein. Ihn mit Alcuin zu identifizieren, ist natürlich unmöglich. Dziatzko,
RhM. 47, 635. Vgl. auch Ramain, quomodo Bemb. liber . . . adhibendus sit,
Paris 1904, 34. Webb, Harv. stud. 22, 55. — Zwölf Hss. sind durch ihre auf
antiker Überlieferung beruhenden (FLeo, RhM. 38, 334) und aus guter Zeit
stammenden Bilder zu den terenzischen Komödien ausgezeichnet. Die in F
bei Bethe, Ter. Cod. Ambros., Leiden 1903 (vgl. arch. Jahrb. 18,93. Leo,
Gott. Anz. 1903, 391). Auswahl von Weston, Harv. Stud. 14, 37. Wageningen,
Album Terentianum, Groning. 1907. Über die Zeit vgl. Robert, Masken der
neueren Kom., Halle 1911, 87 gegen Engelhardt, Die Illustr. der Terenzhss.,
Jena 1905, der sie unter Zustimmung von Birt, Die Buchrolle in d. Kunst
(Lpz. 1907) 293 ins fünfte Jahrh. n. Chr. setzen will. — Über die Terenzhss.:
CSydow, de fide librorum Ter. ex Calliopii recensione ductorum, Berl. 1878.
FLeo, RhM. 38, 317. Prinzhorn, de libris Ter. qui ad recens. Calliopianum
redeunt, Gott. 1885. Kauer, JB. 143, 176. — EBartels, de Ter. ap. Nonium,
Diss. Argentor. 9, 1 (s. § 390, 3). Über die Ter.-Zitate bei Arusianus (sie
stimmen meist mit D) HSchindler (A. 9) cap. 1. FArens de Ter. fab. memoria
in Donati comm. servata, Münst. 1910. Tschernajew, de Cic. studiis Terent.,
Kasan. 1898. — Steubing, anal, ad testimonia Terentiana, Marb. 1872.
AWilms, de personarum notis in codd. Ter., Halle 1881 (§ 16, 8). Die Über-
lieferung des Textes, der wohl von Anfang an als Buch existierte, ist vor-
trefflich, wie sich namentlich in den Cantica und im Fehlen des Hiats zeigt.
Leider trägt das kritische Verfahren der Herausgeber außer Hauler und
Kauer diesem Tatbestande keine Rechnung.
3. Zu allen Stücken sind metrische Inhaltsangaben in je zwölf Senaren
enthalten, die im Bembinus jedesmal die Überschrift haben: G. Sulpici
Apollinaris periocha: § 99,3. 357,2. — Erklärer: Valerius Probus, Aemilius
Asper, Helenius Acro, Aelius Donatus, Euanthius; zweifelhaft Arruntius Cel-
sus und der bei Donat. zu Ter. Eun. 4, 4, 22 erwähnte mit verderbtem
Namen: Ego Edesionum (Aedesium Schoell) sequor, qui rede intellexit usw.
§ 109. Terenz (Überlieferung) 203
Suringar, trist, crit. schol. lat. 1, 77. Ritschl, Parerga361. Wessner, Anh. zu
Donat. 1 S. 534. Der uns erhaltene Donat-Kommentar (§ 409, 3) ist wertvoll
auch durch Vergleichung der griech. Originale, fehlt aber zum Heauton timoru-
menos: als Ersatz hat JCalphurnius im 15. Jahrh. dazu einen für uns wert-
losen Kommentar verfaßt; JLöffler, de Calphurnio (f 1503) Ter. interprete,
Diss. Argentor. 6,261. Keinen selbständigen Wert hat der Kommentar des
Eugraphius (§ 482, 3). Die Scholien des cod. Bembinus bei Umpfenabach,
Herrn. 2, 337 (dazu WStudemund, JJ. 97, 546. 125, 51), die aus CDG usw. in
Scholia Terentiana ed. Schlee, Lpz. 1893. Vgl. Wessner, JB. 113, 187. 139
136. — Differentiae (Synonymen) Terentii bei HHagen, anecd. Helv. p. cxxxm.
Ein Glossar zu Ter. aus Vat. 1471 s. IX gab heraus GGoetz, ind. schol.
Ienens. 1885 = CGL. 5, 529.
4. Die Didaskalien sind in einer doppelten Redaktion erhalten, in der
des Bembinus und in der Calliopischen (A. 2): mit dieser stimmen Donats
didaskalische Angaben in den praefationes überein. Beiden lag eine ur-
sprünglich vollständigere Sammlung von szenischen Nachrichten zugrunde,
die aus amtlichen Aufzeichnungen (commentarii magistratuum , annales
maximi) von Philologen, etwa von Varro de actis scaenicis (§ 166,5), zu-
sammengestellt war. Daraus hat der Bemb. eine zwar lückenhafte und ver-
wirrte, aber nicht systematisch oder willkürlich entstellte Auswahl erhalten :
dagegen gibt die Calliopische Rezension eine überlegte, immer auf eine
einzige (die erste) Aufführung sich erstreckende, und teilweise mit Willkür
gemachte Auswahl. Vgl. überhaupt Ritschl, Parerga 263. WWilmanns, de
didascaliis Ter., Berl. 1864. Dziatzko, RhM. 20, 570. 21, 64. 39, 339. Steffen,
act. soc. Lips. 2,152. FSchoell, RhM. 31,469. Watson, Trans. Amer. Assoc.
36, 125. — Über Schauspielerzahl usw. bei Ter. § 16, 4. S. auch A. 6.
5. Die Aufzählung in § 110 folgt dem Bembinus, der mit dieser Ord-
nung die Reihenfolge in der Abfassung getroffen zu haben meint. Er allein
erwähnt diese regelmäßig, durch ''facta V {prima oder primo loco), c facta IP
usw. bis * facta W , während die andern Hss. die Nummer nur dreimal, aber
übereinstimmend geben. Die Bilderhss. CFP haben die Reihe: Andr. Eun.
Heaut. Ad. Hec. Phorm., DG aber: Andr. Ad. Eun. Phorm. Heaut. Hec. Ver-
mutungen über die Ursache dieser verschiedenen Anordnungen zB. bei WWag-
ner, JJ. 91,291. Leo, RhM. 38,318. Vgl. § 110,6. A. 1. Zu Lebzeiten des
Terenz erfolgten nach den Didaskalien nachstehende Aufführungen: J. 166
Andria im April (lud. Meg.). 165 Hecyra 1 (erstmals, lud. Meg.). 163 Heau-
ton timorumenos (lud. Meg.). 161 Eunuchus (lud. Meg.). Phormio (lud. Rom.
im September). 160 Hecyra 2 (zweiter Versuch) und Adelphoe (bei den
Leichenspielen für Aemilius Paulus). Hecyra 3 (vollständige Aufführung;
lud. Rom.). Dziatzko, RhM. 21, 84. Vgl. Päckelmann, de ordine Ter. fabula-
rum, Halle 1875. Herrmanowski, quaest. Ter., Halle 1892. WMeyer, quaest.
Ter., Lpz. 1902.
6. Über die Prologe vgl. § 16, 10 und RLiebig, de prologis Ter. et Plaut.,
Görlitz 1859. KDziatzko, de prologis Plaut, et Ter., Bonn 1863. GBoissier,
Melanges Graux (Par. 1884) 79. ARoehricht, quaest. scaen. ex prologis Ter.
petitae, Diss. Argentor. 9, 293. Fabia, les prol. de Ter., Paris 1888. WMeyer
(A. 5); MRichter, Comm. Jenens. 11,2,37, ferner die Angaben in § 110.
7. Gesamtausgaben: Ed. princeps, Straßb. 1470. Ausg. s. 1. et a. in
204 Republikanische Zeit: J. 240—84 v. Chr.
Italien um 1470—75 (Jahns Archiv 4, 325); von Muretus (Venet. 1555),
GFaernus (Florent. 1565), FLindenbrog (c. Donati et Eugraphii comm., Paris
1602; Francof. 1623), PhPareus, Neust. 1619, Boecler (acc. comm. Guieti,
Straßb. 1657), in usum Delphini (mit Wortindex, Par. 1675). — Ex rec. et
c. not. Bentleji, Cantabr. 1726 mit Wortverzeichnis, Neudruck von Voll-
behr, Kiel 1846; über Bentleys englische Ter.-Hss. Umpfenbach, Phil. 32,442.
MWarren, Am. J. Phil. 3,59. Hoeing, Am. J. Arch. 1900,310). Comm. perp.
illustr.; acced. Donat. Eugraphius etc., cur. Westerhovius , Haag 1726 II
(Neudruck von Stallbaum, Lps. 1830). Ed. GBothe in Poet. scen. T. IV
(Mannh. 1837). Illustr. Lemaire, Par. 1827 III. Cum schol. Donati et Eugra-
phii ed. Klotz, Lpz. 1838. 39. II. — Rec. Fleckeisen, Lps. 1857 (21898 ver-
fehlt). With notes etc. by WWagner, Cambr. 1869. Ed. et app. crit instr.
Umpfenbach, Berl. 1870. Rec. Dziatzko, Lps. 1884. Tyrrell, Oxf. 1902. Ausg.
von Kauer in Vorbereitung.
8. Neuere Übersetzungen: von Benfey, Stuttg. 1837 ff.; umgearbeitet
(Andr., Eun. und Ad.) Stuttg. 1854; von FJacob, Berl. 1845; JHerbst, Stuttg.
1854 ff. CDonner, Lpz. u. Heidelb. 1864 II. Ad. Andr. Haut. Phorm. bei
Bardt, Rom. Komödien.
9. Zur Kritik und Erklärung zB. GHermann, de Bentleio eiusque edit.
Terent. , opusc. 2,263. JKrauss, quaest. Ter. crit., Bonn 1850. AKlette,
exercit. Ter., Bonn 1855. JBrix, de Ter. fabulis emendandis, Liegnitz 1857.
ThLadewig, Beitr. z. Kritik des Ter., Neustrelitz 1858. EBruner, quaest.
Ter., Helsingfors 1868 ; acta societ. Fennicae 9, 1 ff. — Übersichten über die
Literatur zu Ter. seit 1873 von WWagner u. ASpengel. JB. 1, 445 ff. , zu-
letzt von Schlee 93,116; Kauer 143,176. Vgl. § 16, 2 ff. 98, 7 ff.
110. Diese sechs Stücke sind folgende:
1) Andria, aufgeführt J. 166 an den megalensischen Spielen,
eine Bearbeitung der 'Avögla des Menander, mit Zutaten aus der
JjEQiv&Ca desselben Dichters. Die Wirkung liegt hauptsächlich in
den wechselnden Stimmungen zweier Jünglinge, von denen der eine
ein Mädchen verführt hat, das sich schließlich als attische Bürgerin
herausstellt, aber auf Wunsch seines Vaters ein anderes Mädchen
heiraten soll; eben dieses liebt der zweite Jüngling. Die treuen
Sklaven der Beiden erleben ihre Leiden und Freuden mit. Die
Schlußszene ist in doppelter Fassung erhalten.
1. Im Bembinus ist die Didaskalie, zusammen mit dem Anfang des
Stücks, verloren; Donats titulus aber berichtet über die erste Aufführung
(und eine zweite, zwischen J. 143 — 134, durch Q. Minucius und Valerius,
Dziatzko, RhM. 21, 64). Vgl. die kaum wahre Anekdote bei Suet. vit. Ter.
p. 28, 8 primam Andriam cum aedilibus daret, iussus ante Caecilio recitare
ad cenantem cum venisset, dicitur initium quidem fabulae, quod erat con-
temptiore vestitu, subsellio iuxta lectulum residens legisse, post paucos vero
versus invitatus ut accumberet cenasse una, dein cetera percucurrisse non sine
magna Caecilii admiratione.
2. Ob der Prolog von der ersten Aufführung stammt (so Dziatzko, RhM.
§ 110. Terenz (einzelne Stücke) 205
20,579, 21,64. OBrugmann, JJ. 113,417. FSchoell aO. 3), ist sehr fraglich;
Leo, PF. 100. WMeyer (§ 109,5) 30. 41.
3. Über alle vier nach Menander gearbeiteten Stücke s. Benoit, Essai
sur la comedie de Men. (Paris 1854) 220. Verhältnis zum Original: Prol. 13
quas convenere in Andriam ex Perinthia fatetur transtulisse atque usum pro
suis. Wie er selbst V. 9 sagt und sich aus den Resten ergibt (Koerte, Herrn.
44,309), glich die Perinthia der Andria aufs Haar; durch Donat erfahren
wir, daß Ter. ihr die Szenen 1, 1 und 2, 1 entnimmt. Donat. zu prol. 14
conscius sibi est primam scaenam de Perinthia esse translatam, ubi senex ita
cum uxore loquitur ut apud Terentium cum liberto; at in Andria Menandri
solus senex. Die Ersetzung der Gattin durch den Freigelassenen begründet
Jacoby, Herrn. 44, 362 ansprechend damit, daß Ter. durch die V. 32 ff. seiner
Dankbarkeit gegen den eigenen Patron Ausdruck geben wollte. Vgl. Grauert,
Analekten 173. WIhne, quaest. p. 5. Benfey vor s. Übersetzung. WTeufpel,
Stud. u. Charakt. 280. Dziatzko, RhM. 31, 234. Sipkema, quaest. Ter., Amsterd.
1901, 71. FSchoell, SBer. Heidelb. Ak. 1912 (wo ältere Literatur).
4. Von den beiden Fassungen des Schlusses ist die kürzeste die echte,
die ausführlichere, die in allen maßgebenden Hss. fehlt, sicher nicht teren-
zisch; sie war für eine spätere Wiederholung des Stücks gedichtet. Ritschl,
Parerga 583. ASpengel, SBer. bayr. Ak. 1873,620; KDziatzko, JJ. 113,235.
AGbeipeld, de Andr. Ter. gemino exitu, Halle 1886. — Über einen dritten
exitus in cod. Erlang, nr. 300 s. Falbrecht, de tertio Andriae exitu, Wien
1893.
5. Sonderausgaben: mit Comm. von GPerlet, Ronneb. 1805; ex rec.
FRitteri, Berl. 1883; mit Anm. von RKlotz, Lpz. 1865; rec. et illustr.
Quicherat, Par. 1866. Erklärt von ASpengel, 2Berl. 1888; CMeissner, Bernb.
1876. Freeman and Sloman, Oxf. 1886. Fairclough, "Boston 1905.
6. ASpengel, d. Komposition der A., SBer. bayr. Ak. 1873, 599. —
Vogel, Ter. Andr. in graecum conversa, P. I., Treptow 1864. Übersetzt von
F . . . x (Felix Mendelssohn-Bartholdy), Berl. 1826. Bardt, Rom. Korn. 1, 123.
2) Eunuchus, kunstreich zusammengesetzt aus Menanders
Evvov%ög und Bestandteilen von dessen K6Xa^. Die Wirkung be-
ruht z. gr. T. auf dem Gegensatz der Charaktere und dem Wechsel
der Stimmungen: die edelmütige Hetäre bemüht sich, die Herkunft
ihrer Schutzbefohlenen aufzuhellen ? und kann deshalb ihrem eifer-
süchtigen Geliebten nicht so treu sein wie sie möchte; der verliebte
Jüngling bemächtigt sich durch die Verkleidung als Eunuch des
geliebten Mädchens. Das komische Element kommt hauptsächlich
durch die Einarbeitung des Kolax hinzu 7 aus dem der prahlende,
aber stets geprellte Soldat und sein Parasit entnommen sind. So
ergibt sich durch die Kontamination eine Mannigfaltigkeit und
Lebendigkeit der Handlung, die dem Stücke schon bei Lebzeiten
des Dichters entschiedenen Erfolg verschaffte.
1. Verhältnis zum Original: Prol. 30 Colax Menandrist: in east para-
situs colax et miles gloriosus. eas se non negat personas transtulisse in JEu-
206 Republikanische Zeit: J. 240—84 v. Chr.
nuchum suam ex Graeca; sed eas fabulas factas prius Latinas (nämlich von
Naevius und Plautus) scisse sese, id vero pernegat. Zu 539 bemerkt Donat:
bene inventa persona est (des Antipho), cui narret Chaerea, ne unus diu lo-
quatur ut apud Menandrum. Grauert, Analekten 147. WIhne, quaest. 15.
WTeuffel, Stud. u. Char. 281. KBraun, quaest. Ter., Jen. 1877. Oudegeest,
de Eun. exemplis, Amsterd. 1906. Nach Pers. sat. 5, 161 hieß Thais im
Evv. Chrysis, Phaedria aber Chaerestratus, Parmeno dort Davus, und Gnatho
hieß im KoX. Struthias.
2. Eunuchus bis die (die tilgt Leo, sachlich richtig) acta est meruitque
pretium quantum nulla antea cuiusquam comoedia, i. e. octo milia nummum,
Suet. vita Ter. p. 29 Rffsch. Vgl. Auctar. Donat. ebd. p. 35 (10, 6 W.) und
Donats praef. zum Eun. p. 266, 12 W. Ritschl, Parerga 330. Dziatzko,
RhM. 21, 68.
3. Die Konsuln des Aufführungsjahrs fehlen bei Donat; die Calliopische
Didaskalie gibt im titulus M. Valerius (J. 161), C. (?) Mummius (J. 146);
Fannius (J. 161); die aed. cur. bei Donat und in der Calliop. Rec. L. Pos-
tumius Albinus (Cos. J. 154, also Aedil um J. 160), L. Cornelius Merula
(wohl der Vater oder Großvater des gleichnamigen Cos. von J. 87) und Auf-
führung ludis Megalensibus; im Bemb. aber M. Iunius (Brutus, der Rechts-
gelehrte, ein praetorius? § 133,2) und L. Iulius (Caesar, Vater des gleich-
namigen Cos. von J. 90?), ludis Romanis. Daher wohl zwei Aufführungen,
J. 161 (Coss. M. Valerius Messala, C. Fannius Strabo; Aedilen Albinus und
Merula) und wieder J. 146 (Coss. Cn. Cornelius Lentulus, L. Mummius
Achaicus; Aedilen Iunius und Julius). Vgl. Dziatzko, RhM. 21,66.
4. Ausg. von Fabia, Paris 1895. Für die Erklärung wichtig JHartmann,
de Ter. et Donato, Leiden 1895. — Übers, von Gravenhorst, Hamb. 1852.
3) Heauton timorumenos, der Selbstquäler, nach dem gleich-
namigen Stücke des Menander, ohne Zuziehung eines zweiten ge-
dichtet; ein Intriguenstück, in dem aber die Charakteristik die
Hauptsache ist, mit kunstvoll verschlungener Doppelhandlung. Der
Anagnorismos, hier nicht das eigentliche Ziel der Handlung, erfolgt
schon in der Mitte des Stückes.
1. Der Prolog ist schwer verständlich: Ambivius verteidigt den Dichter
gegen die üblichen, nicht wegen dieses Stückes erhobenen Vorwürfe der
Kontamination und der Unselbständigkeit und bittet um Wohlwollen für
diese stataria, in der pura (d. h. nicht durch lebhaftes Spiel getrübte) oratio
(Flickinger, Class. Phil. 2, 157) herrsche. Vorher aber heißt es V. 4 ex In-
tegra Graeca integram comoediam hodie sum acturus Heautontimorumenon,
duplex quae ex argumento facta est simplici (duplici A1). Das heißt: das
Stück des Menander ist bisher nicht übersetzt worden, es enthält eine
Doppelhandlung (weil zwei verliebte Jünglinge mit Mädchen, Vätern und
Sklaven vorkommen). Skutschs (Kl. Sehr. 123) Gedanke an Kontamination
ist abzuweisen. Leo, Anal. Plaut 2,20. FSchoell, RhM. 57,48. Legrand,
Rev. et. gr. 16, 349. Gaffiot, Rev. Phil. 28, 128. OKoehler, de Haut, com-
positione, Lpz. 1908. — 'Eavrbv rinmgov^svog = se crucians (V. 81), se
exercens (V. 146); ipse se poeniens (Cic. Tusc. 3,65). Im Titel haben die Hss.
§ 110. Terenz (einzelne Stücke) 207
die vollere Form Heauton Um., ebenso die Grammatiker in ihren Zitaten;
daher ist das Stück so zu nennen, wenn auch prol. 5 die kürzere Form
Hauton Um, gesprochen wurde. Dziatzko, RhM. 27,159. Ahnliche Titel: des
Damoxenos *Eccvtbv Ttevft&v, Antiphanes 'Eavrov Sgatv, des Dexikrates 'Tcp'
sccvtätv nXcivm^tvoi und der von Caecilius übersetzte *JE| sccvtov E6tmg. — V. 63
agrum his regionibus meliorem neque preti maioris nemo habet, vgl. mit
den Worten des Originales (Reitzenstein Index Rostock 1890/1, 8) v.cu r&v
'"AXjjöl xagicav xsnrriiihog xakliötov sl zeigt, wie lokale Anspielungen, die
das römische Publikum nicht verstand, getilgt werden. Auch spielten im
Originale die Dionysien eine wichtigere Rolle als bei Ter. Im Mittelpunkte
steht nicht eigentlich der Vertreter der Titelrolle, sondern ein mit Unrecht
auf seine richtige Erziehung eingebildeter Vater; das Stück ähnelt also den
Adelphoe.
2. Konsuln des Aufführungsjahrs im Bemb. : Cn. Cornelius, Marcus (viel-
mehr Manius) Iuvenius (d. h. Iuvencius, Iuventius), in den andern Hss. M.
Iunio, T. Sempronio, wohl Hinweisung auf J. 163, wo Sempronius Gracchus
II und M'. Iuventius Thalna Konsuln waren " und auf Wiederholung im Kon-
sulat eines Cornelius (Cn. Cornelius Lentulus J. 146? P. Cornelius Scipio
Nasica Serapio J. 138?). Bei der ersten Aufführung (ludis Megalensibus)
wohl aed. cur. L. Cornelius Lentulus (ohne Zweifel der Gesandte von J. 162
bei Polyb. 31,23 und Cos. 156) und L. Valerius Flaccus (Cos. 152?). Vgl.
Dziatzko, RhM. 20, 574. 21, 68.
Erklärt von WWagner, Berl. 1872; by Shuckburgh, Lond. 1878. — Über-
setzt von Bardt, Rom. Kom. 2, 207.
4) Phormio, betitelt nach dem Parasiten und Intriguanten des
Stücks, der einen doppelten Betrug glücklich durchführt, während
das Original des Apollodoros aus Karystos 'Ejudi,xa£6{i£vog hieß.
Die Handlung ist spannend und ohne Seitensprünge durchgeführt,
die Charakterzeichnung mannigfaltig und fein, die Ausführung
lebendig und heiter, ohne jemals derb oder grob zu werden.
1. Über Titel und Original s. prol. 25 — 28 nebst Donatus, nach dem
Apollodors Stück vielmehr 'ETcidntccgoiisvri betitelt gewesen sein soll. Vgl.
Meineke, hist. crit. com. gr. 464. Dziatzko, RhM. 31, 248.
2. Im Bemb. lautet der titulus: acta ludis Megalensibus Q. Caspione
Gn. Servilio cos. Graeca Apollodoru Fpidicazomenos. Facta est IUI. Im
Vaticanus sind die Coss. Gr. Fannius, M. Valerius angegeben, wie bei Donat
praef. p. 14, 18 Rffsch. M. Valerio et C. Fannio coss.; auch haben die Calliop.
Hss. ludis Bomanis. Letztere berichteten die erste Aufführung, J. 161 unter
den Aedilen Albinus und Merula; der Bemb. eine spätere Wiederaufführung,
etwa J. 141 (wo Coss. Cn. Servilius Caepio und Q. Pompeius, wahrschein-
licher als 140, wo Coss. C. Laelius und Q. Servilius Caepio). Dziatzko, RhM.
20,575. 21,70.
3. Ter. Phormio ed. Elberling, Kopenh. 1861. Erkl. v. Dziatzko-Hauler,
Lpz.4 1913. By Bond and Walpole, Lond. 1879. Elmer, Boston 1895. über
den Text vgl. Ramain (§ 109, 2). Übersetzt von Bardt, Rom. Kom. 3, 207.
208 Republikanische Zeit: J. 240—84 v. Chr.
5) Hecyra, die Schwiegermutter, ein Stück mit wunderlicher
Fabel, das fast ohne Handlung und alles eher als ein Lustspiel ist;
die allgemeine Vortrefflichkeit der auftretenden Personen färbt so-
gar auf die Hetären ab. Das feine Konversationsstück war nicht
nach dem Geschmacke des römischen Publikums und hatte lange
mit Schwierigkeiten der Aufführung zu kämpfen.
1. Da das Stück 'Exvpa heist und nicht Socrus, so ist es gewiß (wie
die Adelphoe) nach einem *JLy.vq& betitelten griechischen bearbeitet. Damit
stimmt die Angabe des Donat praef. p. 12 R. : fdbula Apollodori (Carystii)
dicitur esse graeca, zumal da er sie im Kommentar fünfmal, unter Anführung
bestimmter Worte des Apollodor, wiederholt (vgl. CAF. 3, 285 K). Der Bemb.
sagt irrtümlich: graeca Menandru. Daß Menanders 'EnixQiitovtBg eine fdbula
similis argumenti (wie die Hec.) war (Apoll. Sid. ep. 4,12), ist richtig: in
beiden Stücken heiratet ein Jüngling ein Mädchen, dem er vorher im Dunk-
len Gewalt angetan hatte, ohne sie wiederzuerkennen. Ihre Schwangerschaft,
deren wahren Urheber er nicht kennt, droht beide zu entzweien; da löst
eine Hetäre mit Hilfe eines von ihm verlorenen Ringes den Knoten. Apol-
lodor ist der Nachahmer, der die menandrische Handlung umgestaltet und
dadurch zur Einführung der edelmütigen Hetäre gelangt; Ter. hat am
Schlüsse geändert (Donat zu V. 825). Die Handlung verläuft nur im Ge-
müte, und die schließliche Lösung hebt nur gemütliche Schwierigkeiten.
Das Stück sticht namentlich dadurch vom üblichen Schema ab, daß der
Jüngling seine Gattin liebt. Die Exposition erfolgt durch Ttgoacoita itgo-
ratmd. Dziatzko, RhM. 21, 76. 80. FHildebrandt , de Hec. Ter. origine,
Halle 1884. FKrause, de Apollodoris comicis, Berl. 1903. Stavenhagen,
Herrn. 45,576.
2. Sachlich richtig würde die Didaskalie lauten: facta II (es heißt aber
V). acta ludis Megalensibus Sex. Iulio Caesare (Cos. 157), Cn. Cornelio Do-
labella (Cos. 159) aedilibus cur., Cn. Octavio T. Manlio coss. (J. 165). pri-
mum acta sine prologo (Störung durch funambuli, prol. 1,4). relata est He-
rum L. Aemilio Paulo ludis funeralibus (J. 160; da^u prol. 1). non est pla-
cita (Störung durch Gladiatoren, prol. 2, 33). tertio relata est (mit prol. 2)
Q. Fulvio (Cos. 153) L. Marcio (Cos. 149) aed. cur. (an den ludi Romani des
J. 160). (Darauf Abreise des Terenz nach dem Osten.) Vgl. Dziatzko, RhM.
20, 576. 21, 72. Ritschl, op. 2, 237.
3. Zwei Prologe, der erste (unvollständig? WMeyer aO. 37) für die
zweite Aufführung, der zweite für die dritte. Letzteren spricht der Schau-
spieldirektor Ambivius (§ 16, 14) in eignem Namen: aber trotzdem wird
Terenz ihn gedichtet haben. HSchindler (§ 109, 9) cap. 3. Amdohr, prologi
Hec. Ter. . . . pertractantur, Frankf. a/O. 1873. WFielitz, RhM. 31, 304.
Fleckeisen, JJ. 113, 533.
6) Adelphoe, nach Menanders 'AdeXcpoi, unter Mitbenutzung
einer Szene aus dem Anfange der UvvaTto^vTJöKovrsg des Diphilos.
Die einfache, wohlberechnete Anlage, feine Charakterzeichnung
und Heiterkeit des Tones machen dieses Stück des Terenz zu seinem
§ 110. Terenz (die einzelnen Stücke) 209
gelungensten. Das Problem der richtigen Jugenderziehung wird
dichterisch behandelt, aber nicht gelöst; das Bestreben, keiner Partei
Unrecht zu geben, hat zu dem ,Motive der plötzlichen Heirat eines
alten Junggesellen geführt.
1. Acta ludis funeralibus Lucio Aemilio Paulo, quos fecere Q. Fabius
Maxumus, P. Cornelius Africanus. . . facta sexta, M. Cornelio Cethego L.
(Anicio) Gallo cos. (J. 160). So nach dem titulus. Daß diese Aufführung
nicht die erste war, haben Osann, WWilmanns, Dziatzko (RhM. 20,577. 21,
78) u. a. (Kauer Ausg. S. 1) wegen der (ganz töricht begründeten) Äuße-
rung des Donat p. 5, 13 hanc dicunt ex Terentianis secundo loco actam zu
beweisen gesucht. Dagegen s. WWagner, JJ. 91, 289. Der Dichter wird beim
Tode des Paulus sein Stück schon fertig gehabt haben; die Einübung er-
forderte wohl nicht mehr Zeit als alle andern Vorbereitungen zu den Leichen-
spielen. HBosse, quaest. Ter. (Lps. 1874) cap. I. Päckelmann aO. 27.
2. Verhältnis zum Original: nach prol. 6 entnahm Ter. aus dem An-
fange von Diphilos' Synapothnescontes , die Plautus in den Commorientes
bearbeitet hatte, eine Szene, in der ein Jüngling eine Dirne gewaltsam aus
dem Hause eines Kupplers entführt; Plautus hatte diese Szene übergangen.
Damit kann nur 2,1 gemeint sein; da aber zu V. 199 Donat bereits eine
Parallele aus Menander anführt, so wird der Einschub aus Diphilos nur bis
zum Monolog des Kupplers reichen. Da der Kuppler in dieser Szene ge-
prügelt wird, so handelt es sich um eine Konzession an das Publikum, das
mit der feinen Kost des Menandrischen Konversationsstückes nicht zufrieden
war. Ferner sagt Donat zu V. 938 apud Menandrum senex de nuptiis non
gravatur (sträubt sich nicht). Grauert, Analekten 124. KFHermann, Ter. Ad.
quam fideliter expressa sit, Marb. 1838. Ihne, quaest. 25. Teuffel, Stud.
284. Fielitz, JJ. 97, 675. Sipkema, Quaest. Ter., Amsterd. 1901. Kampe, über
die Ad., Burg 1902. Kauer, Wien. St. 23, 87. S. auch oben § 97, 18, 1. Über
den Schluß s. Teuffel, Stud. u. Charakt. 287. Spengel vor s. Ausg. S. vin.
Im allgem. vgl. Dziatzko, HhM. 31, 374.
3. Erklärt von A. Spengel, Berl.2 1905. Dziatzko -Kauer, 2Lpz. 1903.
FPlessis, Par. 1884. ASloman, Lond. 1886. EBenoist et JPsichari, Par.2 1900.
Gustarelli, Mailand 1909. Stampini, Turin 1891. Fabia, Paris 1892. — Über-
setzt von Bardt, Rom. Kom. 1, 181.
111. Terenz zeigt sich in seinen Lustspielen als einen sorg-
fältigen und feinsinnigen Nachdichter, während Plautus trotz seiner
Anlehnung an die Griechen ein schöpferischer Dichter ist. Terenz
geht seinen griechischen Originalen mit treuem Fleiße nach; auch
wo er ändert, kürzt oder erweitert, greift er nach einem griechi-
schen Vorbild. Er hat nicht die urwüchsige Frische, Lebendigkeit
und Beweglichkeit des Plautus, freilich auch nicht seine Unarten.
Er sucht den ruhigen Mittelton des Menander festzuhalten und
verzichtet auf die derb-komischen Wirkungen, die nur auf Kosten
der künstlerischen Einheit und durch Hinabsteigen in die Sphäre
Teuffel: röm. Literaturgesch. Neub. 6. Aufl. I. 14
210 Republikanische Zeit: J. 240—84 v. Chr.
der Posse zu erreichen waren. Er ist ein gewissenhafter und ge-
schmackvoller Kunstdichter, mehr nach dem Sinne vornehmer
Kenner als des Volkes. Daher zeigt auch seine Sprache überall
Glätte und Geschmack und verschmäht geflissentlich altertüm-
liche und willkürliche Bildungen und Wendungen. Seine Verse
sind verglichen mit denen des Plautus viel weniger mannigfaltig
und belebt: Terenz gebraucht fast ausschließlich iambische und
trochäische Maße.
1. Über Terenz im allg. Mommsen, EG. 26, 432. Ribbeck, röm. Dicht. 1T
131. MCroker, Terence, Lond. 1909. Musterung der Stücke auch (von Frauen-
hand) in Ritschis opusc. 2, 752. Siess, Charakterzeichn. bei Ter., WSt. 29, 81.
2. Verhältnis zu seinen Originalen. Duae {fabulae) ab Apollodoro (aus
Karystos) translatae esse dicuntur comico, Phormio et Hecyra: quattuor reli-
quae a Menandro. So Donats Zusatz (§ 108, 2) zu Suet. vita p. 35, 10 R.
Ter. stellt sich die Aufgabe, den Ton seiner Originale möglichst getreu
wiederzugeben, und unterscheidet sich dadurch von Plautus, mit dem man
ihn nicht ohne weiteres vergleichen darf. Nur wo die griechischen Ver-
hältnisse seinem Publikum unverständlich bleiben mußten, hat er leise ge-
ändert. Die Rechtsverhältnisse sind durchaus griechisch. Baret, de iure ap.
Ter., Paris 1878. Schwind, üb. d. Recht bei Ter., Würzb. 1901 (vgl. § 98, 6).
Donat zu Phorm. 91 Apoüodorus tonsorem ipsum nuntium facit . . . quod
scüicet mutasse Terentium, ne externis moribus spectatorem JRomanum offen-
deret. S. § 110,3,1.^ Er vermeidet es, seine Schauspieler aus der Rolle
fallen und zum Publikum reden zu lassen, Euanth. de com. 3, 8 p. 66 illud
quoque mirabile in eo . . . quod nihil ad populum facit actorem velut extra
comoediam loqai; quod Vitium Plauti frequentissimum. Mit vielleicht noch
größerer Konsequenz als Menander verfolgt er das Ziel, ein Lustspiel ohne
possenhafte Elemente zu schaffen, vielleicht in Nachahmung des Apollodor.
Auch sprachlich steckt er sich das Ziel, die 6vv^slcc ebenso sorgfältig
nachzubilden wie Menander, und löst sie recht gut. Über die Art der Be-
nutzung s. WIhne, quaest. Ter., Bonn 1843. Ladewig, üb. d. Kanon, d. Volc.
Sedig. (1842); Beitr. z. Kritik des Ter. (1858) S. 1—10. FKampe, d. Lustsp.
d. Ter. (Andr. Eun. Heaut.) u. ihre Originale, Halberst. 1884. GRegel, Ter.
im Verh. zu s. Originalen, Wetzl. 1884. GVallat, quo modo Menandrum
quoad personarum mores Ter. transtulerit, Par. 1887. Nencini, de Ter. eius-
que fontibus, Livorno 1891. — LHFischer, de Ter. priorum comicorum lat.
imprimis Plauti sectatore, Halle 1875.
3. Die Kontamination wendet Ter. so an, daß er in sein Original nur
einzelne Szenen aus anderer Quelle {einfügt, und geht dabei so sorgsam
zu Werke, daß der Fremdkörper die künstlerische Einheit nicht stört.
WWalther, de contaminationis ap. PL et Ter. div. ratione, Jena 1910. Sein
Ziel dabei ist, für den Fortfall der burlesken Elemente durch Stoffülle Er-
satz zu schaffen; auch mochte ihm die Arbeit mancher griechischen Komö-
diendichter nicht viel anders als eine Kontamination vorkommen. JKlasen,
quam rationem Ter. in contaminatis fab. secutus sit, I Adelphoe, Rheine
1886. Die Personennamen seiner Originale änderte Ter. meist ab, und zwar
§ 111. Terenz (Charakteristik) 2\\
oft so, daß die Personen einen Namen führen, dessen Appellativbedeutung
ihrer Rolle entspricht (f redende Namen', vgl. Donat zu Ad. 26; s. § 16,1).
Die Liebhaber heißen Phaedria, Charinus, Chaerea, Pamphilus ; die Mädchen
Pamphila, Philumena, Bacchis; die Sklaven Geta, Syrus, Parmeno usw.
Ohnehin sind die Stoffe etwas einförmig: die Liebe eines jungen Mannes
zu einem Mädchen, das schließlich als Freie erkannt und geheiratet wird,
bildet den Gegenstand der Andria, des Eun., Heaut., Phormio; auch in der
Hec. eine Art ävccyvcoQio^og. Ter. folgt also einer Kunstrichtung, der die
Fabel weniger wichtig ist als die Kunst der Durchführung, richtiger: er
wählt solche Originale aus, die dieser Richtung entsprachen. — Über die
Erleichterung der Exposition durch rtgoöcaitu Tiqoxaxi%a s. § 16, 11.
4. Quint. 10, 1, 99 Terentii scripta . . sunt in hoc genere elegantissima et
plus adhuc habitura gratiae, si intra versus trimetros stetissent (weil für
seinen Stil das Ethos des Senars allein passend erschien) — Wortspiele
plautinischer Art sind selten (wie bei Menander): Andr. 218. — Eun. 42. 236.
Heaut. 218. — Heaut. 356. 379. 526. Hec. 543. Ad. 220. 322. 427 u. sonst.
Dagegen zeigen die von Ter. unabhängig entworfenen, von den Stücken
losgelösten Prologe rhetorische Anlage und reichliche Verwendung rheto-
rischer Mittel. Leo, Anal. Plaut. 2,14. — Gell. 6,14,6 vera et propria . .
exempla in Latina lingua M. Varro esse dicit . . mediocritatis Terentium.
5. Aeranius in Compitalibus 29 Terenti numne similem dicent quem-
piam? (Ritschl, op. 3,263), und wohl auch v. 30: ut quidquid loquitur sal
merumst! Cicero Att. 7, 3, 10 Terentium, cuius fdbellae propter elegantiam
sermonis etc. und in Limone (bei Suet. vita Ter. p. 34 Rffsch.): . . lecto ser-
mone, Terenti, . . Menandrum in medium nobis sedatis vocibus {motibus Barth)
effers etc. Caesar (ebd., s. § 195, 3) . . puri sermonis amator. lenibus atque
utinam scriptis adiuncta foret vis, comica ut aequato virtus polieret honore
cum Graecis neve hac despecte ex parte iaceres! Caesar erkennt ihn daher
nur als dimidiatus Menander an.
6. Die Sprache des Ter. bezeichnet als pura Cäsar (A. 5), während seine
eigene Äußerung Heaut. 46 nicht ganz den Sinn von ''puristisch' hat (§ 110,
3, 1). Sie hält sich von den Derbheiten und Neubildungen des Plautus frei,
kann aber die Verwendung von Archaismen und andere Abweichungen von
den sonst geltenden Normen am Versschlusse nicht vermeiden. Maßgebend
war wohl auch hier das Bestreben, den Ton des Menander zu treffen; dazu
kamen aber bereits die puristischen Tendenzen des Scipionenkreises. Die
Gegner warfen ihm tenuis oratio und scriptura levis vor (Phorm. 5), d. h.
Steckenbleiben im yivog l6%vov, über das er absichtlich nicht hinausging;
die nicht ganz seltenen Alliterationen zerstören nach römischem Empfinden
dieses Ethos nicht. Andere Figuren finden sich besonders an pathetischen
Stellen (Lenz, de Ter. figuris verb., Hörn 1910. 1911 II). Vgl. besonders oben
§ 98,7 (Lit. über Altlatein). Hauler, Terentiana; cum specimine lexici, Wien
1882; Ausg. d. Phormio S. 65. Engelbrecht, Studia Ter., Wien 1883;
Beobachtungen über d. Sprachgebr. d. lat. Korn., WStud. 6,216. Wahr-
mann, Vulgärlat. bei Ter., WSt. 30, 75. EBartel, de vulg. Ter. sermone,
Karlsb. 1910. Blery, Syntaxe de la subordin. dans Ter., Paris 1909; Rev.
Phil. 34, 224. Schlossarek, Temp. et modorum syntaxis Ter., Bresl. 1908;
Festschr. d. Philologenvereins, Breslau 1911, 275. Johnston, de sermone Ter.,
14*
212 Republikanische Zeit: J. 240—84 v. Chr.
Königsb. 1905. — ChrGerdes, de translationibus Ter., Leer 1884. Vgl.
auch A. 7.
7. Metrisches (vgl. auch § 98,9): Den Metra seiner Originale steht Ter.,
mit ähnlicher Freiheit gegenüber wie Plautus, ersetzt aber den Mangel an
lyrischen Maßen dadurch, daß er innerhalb der Dialogszenen das Versmaß
mehrfach wechseln läßt. Er ersetzt ebenso wie Plautus die Trimeter seines
Vorbildes oft durch andere Maße, Mar. Victor. 6,78K. Terentianas vel maxime
fdbulas metrum ac disciplinam Graecarum comoediarum non custodisse. Auch
seine Cantica baut er aus iambischen und trochäischen Versen, wendet aber
in ihnen außer den Maßen der Dialoge auch trochäische Oktonare und Kurz-
verse an, die als Klauseln dienen und in dem raschen Wechsel der Lang-
verse Ruhepunkte bilden. Die lyrische Komposition findet sich nur in Sze-
nenanfängen; Gesetze im einzelnen für sie aufzuzeigen ist nicht möglich.
Nur folgen stets auf trochäische Oktonare andere trochäische Verse (Bent-
leysche Regel). Aridere Maße als iambische und trochäische finden sich nur
dreimal und jedesmal in kurzen Stellen: Andr. 481 — 485 (4 bacch. tetram.
1 iamb. dim.). 625 — 638 (1 daktyl. tetram. 9 cret. tetr. 2 iamb. dim. 2 bacch.
tetram.). Ad. 610 — 616 (unsicher: Choriamben mit umgebenden kurzen
iamb. und troch. Reihen). Wir haben also eine Weiterbildung der plauti-
nischen Art vor uns, die ebenfalls dazu beitragen soll, den Dramen einen
einheitlichen Ton zu geben. FSchlee, de versuum in canticis Ter. consecu-
tione, Berl. 1879. KMeissner, d. Cantica des Ter. u. ihre Eurhythmie, JJ.
Suppl. 12, 465; d. stroph. Gliederung in d. stich. Partien bei Ter., JJ. 12i>,
289; de iamb. ap. Ter. septenario, Bernb. 1884. Baese, de canticis Ter.,
Halle 1903. — CConradt, de versuum Ter. structura, Berl. 1870; Herrn. 10,
101; die metr. Kompos. d. Komöd. d. T.., Berl. 1876; JJ. 117, 401. BBorn,
de diverbii ap. Ter. versibus, Magdeb. 1868. Draheim, de iamb. et troch.
Ter., Herrn. 15, 238. Podiaski, quo modo Ter. verborum accentus cum nu-
meris consociaverit, Berl. 1882; d. troch. Sept. des T., Berl. 1894. WMeyer,
Wortakzent (s. § 98, 8) 21. Über die Cäsuren des iamb. Trim. OSchubert,
Weim. 1878 (§ 109, 9). — Über die Akteinteilung vgl. Keym (§ 16, 7).
8. In der Kaiserzeit war Ter. einer der gelesensten Schulautoren, weil
er der Sittsamkeit der Schüler nicht gefährlich war und weil sein Latein
zwar altertümlich, aber nicht zu sehr mit Glossen durchsetzt war. Vgl.
z. B. Commod. apol. 583. Vit. Sever. 21. Gl. 7, 449. 4, xxvm K. — Buc-
chioni, Ter. nel rinascimento, Casciano 1911.
112. Der erste Togatendichter ist für uns Titinius, aus einem
geachteten plebejischen Geschlechte; vielleicht gehört er noch in die
Zeit des Terenz, den er aber überlebt zu haben scheint. Seine Stücke
haben alle lateinische Titel und können stofflich als tabernariae be-
zeichnet werden. Die Überreste zeigen einen derben, volkstümlichen
Ton, eine Sicherheit, Lebendigkeit und Frische, die an Plautus er-
innert, während er nach dem Urteil der Alten die methodische Cha-
rakterzeichnung mit Terenz gemein hatte und sie namentlich auch
auf Frauenrollen erstreckte.
§ 112—114. Togaten- und Palliatendichter 213
1. Varro bei Charis. GL. 1, 241 ri%"r\ nullis aliis servare convenit (con-
tigit?) quam Titinio, Terentio, Attae. Ritschl, Parerga 194 (vgl. op. 3, 125)
schloß hieraus, daß Tit. vor Ter. geboren war; weder dieser Schluß noch
die Erwägung, daß Ter. schon jung als Schriftsteller auftrat und das Vor-
handensein von Togaten während seiner Bühnentätigkeit unerweislich und
unwahrscheinlich sei, also die des Titinius erst nach dem Tode des Ter. be-
gonnen habe, ist irgendwie zwingend.
2. Seren. Samm. med. 1037 f.: allia praecepit Titini sententia necti, qiii
veteri ciaras expressit more togatas.
3. Uns bekannt sind 15 Titel, darunter Ferentinatis (Psaltria), Setina,
Veliterna, Insubra (?), ferner Hortensius, Iurisperita, Fullones; die Bruch-
stücke bei Ribbeck, com.3 p. 157. Sprache und Metrik weisen auf Anleh-
nung an Plautus, während die Stoffe trotz der aufgesetzten italischen Lichter
die der Palliata sind. — Über Tit. s. Neukirch, fab. tog. 97. Ritschl, Pa-
rerga 194. Mommsen, RG. I6, 905.
113. Der Palliata treu blieb Turpilius, gleichfalls ein Alters-
genosse des Terenz, der aber weit ins siebente Jahrb. d. St. hinein
lebte. Auch er bearbeitete Stücke der neuen Komödie lateinisch
und hielt sich wie Terenz besonders an Menander, griff aber auch
auf die mittlere Komödie zurück. Der Ton seiner Überreste ist leb-
hafter als bei Caecilius und Terenz, die Sprache reich an volkstüm-
lichen Bestandteilen, der Versbau wie bei Terenz.
1. Hieronym. zu Euseb. Chr. a. 1914 (Amand. 1915) = 103: Turpilius
comicus senex admodum Sinuessae moritur. — Die Reste bei Ribbeck, com.3 98.
2. Von den 13 uns bekannten Titeln (alle griechisch) stimmen sechs,
darunter die Leucadia, mit solchen des Menander überein; Demetrius (co-
moedia nobilis nach Diom. 402, 12) war nach Alexis gearbeitet, Lemniae gab
es von Antiphanes, Diphilos, Nikochares, einen Philopator von Antiphanes
und Poseidippos. V. 50 hat Turp. den Monolog des Originales durch einen
Dialog ersetzt; ein Canticum V. 43, Baccheen 88, 139? T. hörte vielleicht
früh auf zu dichten, weil mit dem Ablaufe des sechsten Jahrh. d. St. die
Zeit der Palliata vorbei war. Ritschl, Parerga 188.
114. Andere Palliatendichter dieser Zeit waren Iuventius und
Valerius und vielleicht der fast verschollene Vatronius; als Ver-
fasser eines kirchlichen Liedes im j. 200 wird Licinius Tegula
genannt, und die beiden Konsuln des J. 173, Q. Fabius Labeo und
M. Popillius Laenas, finden wir als Dichter bezeichnet.
1. Iuventius comicus bei Varro LL. 7, 65; vgl. 6, 50. Iuventius in co-
moedia, Gell. 18, 12, 2. . Iuventius in Anagnorizomene bei Fest. 289 beruht
auf willkürlicher Vermutung. Paul. (p. 299 M.) setzte dafür irrtümlich Te-
rentius. — Ribbeck, com.3 p. 94 f.
2. Valerius in Phormione bei Priscian. GL. 2, 200, was manche auf
Valerius Valentinus (§ 140, 1) oder auf den Mimographen (§ 207, 5) beziehen.
Oder auf Val. Aedituus? Vetus poeta heißt dieser bei Gell. 19, 9, 10 und
214 Republikanische Zeit: J. 240—84 v. Chr.
wird vor Licinius und Catulus genannt. Vgl. noch § 86, 6 und 146, 2. Rib-
beck, com.8 p. 367. — Über Vatronius (der Name mehrfach auf Inschriften)
Placidus CGL 5, 8, 50 Burrae Vatroniae, fatuae ac stupidae, a fäbula
quadam Vatroni auctoris, quam Burra (IIvqqcc hieß ein Stück des Diphilos)
inscripsit, vel a meretrice Burra. Bücheler, Rh. M. 33, 309. — Herrenlose
Palliatentitel : Adelphi, Hydria, Georgos (alle auch unter Menanders Stücken);
Ribbeck, com.3 p. 131. Erwähnung einer alten (?) Komödie in einem Brief
des PCDecembrio an Niccolo Niccoli aus JJ. 1412 — 20 (abgedr. in Mehus,
epist. Travers. 35, 7 p. 1050) über die Werke, welche die Bibliothek des
Giov. Corvini (f 1438) in Mailand besaß: ex antiquissimis libris vetustissimi,
quos carte semesos ad legendum facesso: .... comoedia antiqua, quae cuius
sit nescio. in ea Lar familiaris (wie in Plaut. Aul. und namentlich im
Querolus § 436, 9) multum loquax est: volt ne parasitus antelucanum cubet,
ut plostrum vetus, pelves et rastros quatridentes ruri quam festinissime trans-
ferat; is ne volt parere quidem eo quod gallus nondum gallulat. meo denique
iudicio vetustissima. Vgl. Sabbadini, della bibliot. di Giov. Corvini, Livorno
1886.
3. Livius 31, 12 gE.: decemviri . . . Carmen ab ier novenis virginibus cani
per urbem iusserunt (infolge von Prodigien) donumque Iunoni Reginae ferri
. . . Carmen . . . tum condidit P. Licinius Tegula. Vgl. Ritschl, Parerga
197. 104. Diels, Sibyll. Blätter 44. Auch § 30, 1. 107, 4. — Über Fabius
und Popillius vgl. § 125, 5.
115. Ausführlichere metrische Inschriften des sechsten Jahrh.
d. St. haben sich nur spärlich erhalten.
1. Über das in Saturniern Überlieferte vgl. §62,4. Sonst gehören hier-
her von den Scipionengrabinschriften (vgl. § 83, 7) Nr. 30. 33 und 34 (CIL 1,
p. 19 f.).
2. Die bei Gell. 1, 24 und Cic. Tusc. 1, 34 (Enn.) überlieferten Grab-
schriften des Naevius (in Saturniern § 95, 1), Plautus (in Hexametern § 96, 2),
Ennius (im elegischen Maß § 100, 6 E.) stammen nicht, wie sie sich den An-
schein geben, von den darin gefeierten Dichtern selbst, sondern sind mit
der Absicht ihrer literarischen Charakteristik später verfaßt. OJahn, Herrn.
2, 242. Nur die Grabschrift des Pacuvius (bei Gell. aO , in iamb. Senaren
§ 105, 1) entspricht ganz den wirklichen gleichzeitigen Grabschriften und
kann sehr wohl das Grab des Dichters bezeichnet haben. Bücheler, RhM.
37,521. FPlessis, Epitaphes, Paris 1905.
II. PROSAIKER
116. Unter den ältesten römischen Geschichtschreibern, die sich
noch der griechischen Sprache bedienten (§ 2. 36), ist der früheste
und bedeutendste Q. Fabius Pictor (geb. um J. 254) aus der Zeit
des zweiten punischen Krieges. Seine löto^Ca reichte von Aeneas
bis auf seine Zeit und behandelte diese ausführlicher und nicht
ohne rhetorischen Aufputz. Polybios und Dionysios tadeln ihn zwar
§ 115. Inschriften. § 116. Q. Fabius Pictor 215
öfters; aber Polybios hat ihn für den hannibalischen Krieg doch
als eine Hauptquelle benützt, und'er hat auch die annalistische Über-
lieferung nachhaltig beeinflußt. Neben der griechischen gab es auch
«ine (jüngere) lateinische Bearbeitung seines Geschichtswerkes. Mit
geringer Sicherheit werden ihm Schriften über das ius pontificium
beigelegt.
1. Dionys. ant. 1, 6 o^oiag de xovxoig (den griechischen Darstellern der
römischen Geschichte) %aX ovdev diccyoQOvg it-edcoKuv icxoglccg ycal 'Pcoiiaicav
bcoi xd TtaXaid b'gycc xrjg noXecog eXXriviKfj diaXexxco GvveyQuipccv, &v slöi tvqsö-
ßvxccvoi Koivxog xe <&dßtog %a,l AsvKiog Kiyxiog, d^icpoxegoi nccxd xovg <&oivi-
xiKovg axtidoccvxsg TtoXe^iovg. xovxcov de x&v dvdq&v ezdtegog olg [ihr ctvxbg
Mgyoig Ttuqey&vexo did xi\v efiiteioiccv uKQtß&g dveygccvjs, xd de dg^ccla xd pexd
xrjv KxLaiv xf)g TtoXecog ysvofieva uscpccXccModag irtedocciisv. Polyb. 3, 9 nccxcc
xovg xccigovg (des hannibalischen Kriegs) 6 ygäcpav (Fab. P.) yiyove xort xov
cwedolov fisxslxe x&v *Pcoiicd(ov. Liv. 22, 7, 4 (bei der Schlacht am Trasi-
menersee) Fabium aequalem temporibus huiusce belli potissimum auctorem
habui. Vgl. Eutrop. 3, 5 L. Aemilio cos. (J. 225) ingentes Gallorum copiae
Alpes transierunt. sed pro Bomanis tota Italia consensit traditumque est a
Fabio historico, qui ei bello interfuit usw. Ebenso Obos. 4, 13. Vgl. Plin.
NH. 10, 71. Nach der Schlacht bei Cannae (J. 216) Q. Fabius Pictor Del-
phos ad oraculum missus est (Liv. 22, 57, 5 vgl. 23, 11, lff.). Plut. Fab. Max.
18 elg sdeXcpovg i7te(i(pd'r] fteoTtgonog IHkxcoq ovyyevi]g G>ccßlov (de« Cunctator).
App. Hann. 27 i] ßovXi] Koivxov (frdßiov, xov övyygacpecc x&vds x&v £pyeov, ig
deXcpovg 'ine^Tte etc., vielleicht gehörte er zu den Xvirl sacris faciundis ;
Diels, Sibyll. Bl. 11. 106. Über Rücksichtnahme auf sein Geschlecht in
seinem Werke s. Mommsen, röm. Forsch. 2, 278.
2. Cic. 1, 43 Aeneae somnium, quod in nostri (?) Fabi Pictoris Graecis
annalibus eiusmodi est (A. 6 E.). Liv. 1, 44, 2 scriptorum antiquissimus Fa-
bius Pictor. 2, 40, 10 Fabium, longe antiquissimum auctorem. Dionys. 7, 71
Kotvxm (frußico ßeßcaaxf) xQ&^ievog nccl ovde(iiäg %xi deo^ievog HLöxecog exeoccg"
itccXccioxctxog ydo dvi]Q x&v xd Qa^cciKd 6vvxcct-a{LEva)v kcu itiöxiv ov% i£ atv
7]kov6s [lovov dXXd y.cc.1 i£ &v avxög h'yvco Ttage^o^svog. Dion. teilt 1, 79 die
römische Gründungssage nach Fabius mit. S. Mommsen, röm. Forsch. 2, 9.
Dagegen 4, 6 und 30 tadelt Dionys. bei einem untergeordneten Punkte seine
Qad'vfiicc. Polyb. 1, 14 sagt, er habe die Geschichte des punischen Krieges
unternommen diu xö rovg eyuieiQoxaxa doxovvxag yqdcpeiv vjteo ccvxov, <I>iXivov
aal (frdßtov, firj deovxcog rj^iiv dnr\yyeX%ivui xt]v dXiqfteictv. snövxccg \iev ovv
itpsvadcu xovg dvdgccg ov% vitoXccußdvco, 6xo%ai,6\Levog ix xov ßiov xal xfjg
cclgiöecog avx&v, wohl aber habe den Pictor sein patriotisches Interesse für
die Römer irre geführt; vgl. ebd. 1, 58 u. unten. Wölfelin, Antiochus 37.
39. 53 f. Dagegen 3, 8 u. 9 spricht sich Polyb. auch über Pictor in seiner
kritischen Weise aus. ThLucas, Glogauer Progr. 1854, p. 10. HPetee, HRR.
1, lxxxiii. Reuss, Phil. NF. 14, 128. Liv. 1, 55, 8 magis Fabio, praeterquam
quod antiquior est, crediderim . . . quam Pisoni. Livius zitiert ihn (außer
dieser und den schon angeführten Stellen 1, 44. 2. 2, 40, 10. 22, 7, 4) noch
8, 30, 9 u. 10, 37, 14. Ob dieser, wo er unbestimmt antiquissimos scriptores
216 Republikanische Zeit: J. 240—84 v. Chr.
oder priscos annales oder vetustiores seriptores erwähnt, vorzugsweise den
Pictor meine, ja ob Livius ihn überhaupt in größeren Partien seiner Ge-
schichte unmittelbar als Hauptquelle benutzt habe, ist streitig (vgl. Heyden-
reich, Fab. P. und Livius, Freib. 1878); fast scheint es, als habe er ihn nur
in Zweifelsfällen aufgeschlagen. Eher ist wahrscheinlich, daß Diodors Be-
handlung der röm. Geschichte auf Fabius Pictor beruht (Diodor nennt kei-
nen römischen Geschichtschreiber außer ihm, ihn freilich auch nur einmal).
Letzteres hat schon Niebuhr, RG. 2, 192. 630 bejaht, dann namentlich Momm-
sen, röm. Forsch. 2,273 zu beweisen versucht; vgl. Bader, de Diod. rer.
Rom. auctoribus, Lpz. 1890. Schwartz, PW. 5, 696. Dagegen Schwegler,
RG. 2, 24. Nitzsch, Annalistik 226. BNiese, Herrn. 13, 412. EMeyer, RhM.
37,610. LCohn, Phil. 42,1 u. a. Sicher aber hat Polybios, der den Fabius
öfters erwähnt (1, 14, lfll. 1,15,12. 1,58,5. 3,8. 3,9), ihn benutzt. Niese,
Herrn. 13,410. Fünger, Herrn. 14,90; Phil. 39,69. Namentlich auch in
der Darstellung der Gallierzüge 2, 18fll. und besonders in dem Verzeichnis
der italischen Wehrfähigen 2, 24; s. Mommsen, röm. Forschungen 2, 382.
Plin. NH. nennt den Fabius, der ihm durch Varro vermittelt ist, im Q Verz.
zu B. 10. 14. 15 und zitiert ihn 10, 71. 14, 89. Münzer, Beitr. z. Quellen-
kritik 177. 189.
3. Die Überreste des Pictor bei Peter, HRR. 1,5. 109; HRF. 6. 74. —
Harless, de Fabiis et Aufidiis rer. rom. scriptoribus, Bonn 1853; duRieu, de
gente Fabia (Leiden 1856) 165. Nissen, RhM. 22, 565. HPeter, HRR. 1,
lxix; Wahrh. u. Kunst 273. ThPlüss, JJ. 99, 239. KWNitzsch, d. röm.
Annalistik (1873) S. 267 und dagegen Heydenreich aO. Wachsmuth, Einl.
622. Münzer, PW. 6, 1836.
4. Plut. Romul. 3 (vgl. 8) xa kvqlcotcctcc (der ältesten röm. Geschichte)
nQ&tos sig tovg r'EXXr\vccg if-edoay.s jdioyXf\g 6 nsTtccorjd'iog, co ytccl <&dßiog Unt-
tcoq iv xoig 7i%£i6T0ig iit7ixolovd"riG8. Aber die sachliche Übereinstimmung
zwischen Pictor und seinem Zeitgenossen Diokles erklärt sich nicht so; auch
wohl nicht aus der Gemeinsamkeit ihrer Quellen (Schwegler, RG. 1, 412),
sondern daraus, daß Diokles den Fabius benützt hat. Vgl. Mommsen, röm.
Forsch. 2, 279. Christ, SB. bayr. Ak. 1905, 115. Schwartz, PW. 5, 797.
5. Daß Fabius Pictor sein griechisches Geschichtswerk nicht vor Beendi-
gung des zweiten punischen Krieges begann, liegt in der Natur der Sache,
sowie daß er es bis zu dessen Ende fortgeführt haben wird. Letzteres wird
wahrscheinlich durch Appian. Hann. 27 (s. A. 1).
6. Aus dem Werke des Fabius Pictor werden Stellen in lateinischer
Sprache als Worte des Geschichtschreibers selbst mehrfach angeführt, zB.
spelunca Martis, lupus als Femininum, duovicesimo anno, letzteres in einem
umfänglicheren Zitat bei Gell. 5, 4, 3 (aus einem Exemplar der Annalen des
Fabius bonae atque sincerae vetustatis, für dessen Fehlerlosigkeit der Ver-
käufer in Ubraria apud Sigillaria sich verbürgte). Danach ist auch eine
lateinische Bearbeitung anzunehmen. Auch Fronto ep. p. 114 Nab. (§ 37,5)
kann nur diese lateinische Fassung meinen. Daß diese später gewesen sei,
als die griechische, ist aus inneren Gründen wahrscheinlich, da sie eine
höhere Ausbildung der lat. Prosa zur Voraussetzung hat, deren älteste Ur-
kunde Catos Origines sind (doch ist die Reihenfolge bei Cic. de or. 2, 51
ut noster Cato, ut Pictor, ut Piso, und ebd. 53 talis noster Cato et Pictor et
§ 116. Q. Fabius Pictor. § 117. Cincius Alimentus 217
Piso durch die Rücksicht auf die Klausel bedingt; dagegen de leg. 1, 6 die
Ordnung: ad Fabium aut Catonem aut ad Pisonem). Fraglich kann dann
sein, ob die lateinische Bearbeitung noch von dem Verfasser selbst ausge-
geführt worden ist oder von einem Dritten, vielleicht gleichfalls einem Fa-
bius. Möglich ist auch, daß es zwei Annalisten des Namens Fabius (Pictor)
gegeben hat (HPeter, HRR. 1, lxxvi. clxxviii. Mommsen, röm. Forsch. 2, 378.
Münzer, PW. 6, 1842). Viele halten für diesen zweiten Fabius den Juristen
Servius Fabius Pictor (§ 133, 3): so schon Non. 518 (A. 7); andere den Fa-
bius Maximus Servilianus (Cos. 142), der sicher Geschichtliches verfaßt
hat. Ein früher aus der Verderbnis bei Cic. de div. 1, 43 (Aeneae somnium,
quod in f numerum Fabi Pictoris graecis annalibus eiusmodi est) heraus-
gelesener Numerius Fabius Pictor muß weichen vor der Besserung von
MHertz, philol.- klinischer Streifzug 32; RhM. 17,579; JJ. 99,768, nostri;
vgl. vGutschmid, Sehr. 5, 513. Übrigens ließe sich aus der Stelle Ciceros
schließen, daß die lateinische Bearbeitung den Traum des Aeneas gar nicht
oder nicht in dieser Ausführlichkeit enthielt, also die Originalfassung ab-
kürzte. Diese lateinischen Annalen waren (oder wurden?) auch in Bücher
eingeteilt; B. 1 zitiert Non. 518,28; B. 4 Gell. 5,4,3. — Holzapfel, röm.
Chronol. 351. WSoltau, JJ. 133, 479.
7. Das Werk eines Fabius Pictor de iure pontificio gehört eher dem
Juristen Serv. Fabius Fictor als dem Annalisten Q. Fabius Pictor, trotz Non.
518 Fabius Pictor Herum gestarum lib. I . . . Idem iuris pontificii libro III.
Vgl. § 133, 3.
117. Des Pictor jüngerer Zeitgenosse L. Cincius Alimentus,
Praetor J. 210, schrieb ein ähnliches Werk wie jener, gleichfalls
griechisch, und wie es scheint nicht ohne Quellenforschung und
Kritik ; doch ist es eben von den Annalen des Fabius in den Hinter-
grund gedrängt worden. Von diesem Cincius ist ein späterer Anti-
quar des gleichen Namens zu unterscheiden.
1. Dionys. 1, 74 Aeviuog Kiyniog, ccvi)q ix xov ßovXsvxwov gvvsSqlov,
(setzt die Gründung Roms) %sqI xb xixaqxov hog xf\g 8(o8sY.dxr]g 6%v\L7uadog
= J. 729 v. Chr. (Mommsen, röm. Chronol.2 315. Plüss p. 34; JJ. 103, 385).
Liv. 21, 38, 3 Cincius Alimentus, qui captum se ab Hannibale (jedenfalls
nach seiner Praetur) scribit. 26, 23, 1 praetorum inde comitia habita. P.
Manlius Vulso . . . et L. Cincius Alimentus creati sunt. 27, 7, 12 legiones
decretae: M. Valerio cum Cincio (his quoqiie est enim prorogatum in Sicilia
imperium) Cannensis exercitus datus. Vgl. noch ebd. 26, 28. 27, 5. 7. 8. 26.
28. 29. Er war plebejischen Standes: (sein Bruder) M. Cincius Alimentus
war J. 204 Volkstribun, Liv. 29,20. Münzer, PW. 3,2556.
2. Dionys. 1,6 (s. § 116,1) und ebd. 79 7i8gi dh xmv in xrjg'Riccg ysvo-
lievav Koivxog phv <&ccßiog . . . & Asvniog xs Kiyaiog %al Kdxoav IJoQ-Kiog xcel
IJlöcov KalnovQviog nccl xmv aXlonv övyyQacptav ol nXslovg r)Kolo,vQ"ri6c(v. Liv.
7, 3, 7 Volsiniis quoque clavos indices numeri annorum fixos in templo Nor-
tiae Etruscae deae comparere diligens talium monumentorum auetor Cincius
adßrmat. Da Livius andere als Geschichtswerke sonst nie zitiert, so ist die
Stelle wohl mit MHertz u. a. auf den Annalisten Cinc. zu beziehen. Die
218 Republikanische Zeit: J. 240—84 v. Chr.
Gründe von Mhrcklin, Plüss (p. 17. 25) und HPeter (HRR. 1, xv) beweisen
nur die Möglichkeit, sie auch auf den Altertumsforscher Cincius (s. A. 4) zu
deuten. Liv. 21, 38, 3 — 5 Cincius AUmentus . . . maxime auctor nie moveret,
nisi confunderet numerum Gdllis Liguribusque additis . . . ex ipso autem
audisse <(se)> Hannibdle etc. Verteidigung dieser Angabe des Cincius bei
FLachmann, de fönt. Liv. 2,80; vgl. Plüss p. 5 — 8. HPeter aO. cix. Daß
andere Schriftsteller (zB. Polybios) ihn nicht erwähnen, mag sich aus der
Gleichheit des Stoffes mit dem Werke des berühmteren Fabius erklären und
beweist jedenfalls nicht, daß diese griech. Annalen des Cincius ein Mach-
werk aus augusteischer Zeit (Mommsen, röm. Chronol.2 315; RG. I6, 921)
waren.
3. Die Überreste des Cincius zuletzt bei HPeter, HRR. 1,40; HRF. 32.
MHertz, de Luciis Cinciis, Cinciorum fragm. ed., ßerl. 1842. Schwegler,
RG. 1, 78. ThPlüss, de Cinciis, Bonn 1865, vgl. N. Schweiz. Mus. 6 (1866),
43. Cichorius, PW. 3, 1556.
4. Einem Cincius (und zwar nach Fest. 218 L. Cincius) werden ferner
zugeschrieben (Hertz aO. 32. Huschke, Jurispr. anteiust.5 84. Bremer, JAH.
1, 252) ein Buch de fastis (Macrob. 1,12, 12; vgl. Kiynios iv reo nsgi koQt&v
bei Laur. Lyd. de mens. 4, 92 und ebd. 4, 44 Kly-aiog 6 ^Pcaficclog 6ocpi6t^g)y
de comitiis (Fest. 241, 21), de consulum potestate (Fest. 241, 8), de officio
iurisconsulti (wovon Festus 173, 10. 321, 29 ein zweites Buch zitiert), mysta-
gogica (ein zweites Buch bei Fest. 363, 26), de re militari (aus dem 3., 5.
u. 6. Buche bei Gell. 16, 4), de verbis priscis (bei Fest. 214, 31. 277,4. 330, 1).
Daß alle diese staatsrechtlich -antiquarischen Schriften von einem späteren
gelehrten Juristen Namens L. (Fest. 218,18) Cincius verfaßt sein müssen,
ist einleuchtend. MHertz aO. 61. Die Gegengründe von LCohn JJ. 1900,
V 323. 516 sind nicht stichhaltig. Hertz setzt diesen in die Zeit des Cicero
(und Varro) und hält ihn für den in Ciceros Briefen vorkommenden L. Cin-
cius; Plüss rückt ihn bis in das augusteische Zeitalter herab (§ 255, 6);
dafür scheint zu sprechen die Erwähnung der Hermunduli (Gell. 16, 4, 1)
und allenfalls die Aufzählung bei Arnob. adv. nat. 3, 38 und bei Charis.
GL. 1, 132 (Varro et Tullius et Cincius); vgl. auch Gell. 7, 15,5 (Aelii, Cin-
cii, Santrae) und Fest. 173 (Cincius et Santra). Dagegen aber s. Macr. 1,
12, 12 f. (Cingius . . . Cingio etiam Varro consentit) und Fest. 166. 174. 277
(Cincius et Aelius). 170 (Santra, Aelius, Cincius). Er müßte also mindestens
ein jüngerer Zeitgenosse des Cicero gewesen sein. Auch vermutet Plüss,
daß dieser Cincius zugleich (um J. 29) Annalen verfaßt habe, die vielfach
(zB. von Dionys. Hai.) mit dem Werke des gleichnamigen alten Annalisten
verwechselt worden seien, was nur dann glaublich wäre, wenn auch der
jüngere Cincius griechisch geschrieben hätte. Vgl. HPeter, aO. civ. cxiv.
Wissowa, PW. 3, 2555.
118. Der eifrigste Vertreter der nationalen Richtung in Leben
und Literatur ist im sechsten Jahrh. d. St. M. Porcius Cato, ge-
boren zu Tusculum J. 234, Quaestor 204, Aedil 199, Praetor 198,
Konsul 195, Zensor 184, gestorben 149. Eine kernhafte, tüchtige
Natur, ihrer Ziele klar bewußt und sie bald mit schroffer Festig-
§ 118. M. Poroms Cato (Leben) 219
keit, bald auch mit Schlauheit verfolgend , kampflustig und voll
Mutterwitz, ist Cato das Urbild eines alten Römers. Aber daneben
verrät er den Einfluß seiner Zeit in der Eitelkeit, mit der er seine
Person in ein helles Licht zu stellen liebte. In der Politik besaß er
nicht die Weitsichtigkeit seiner aristokratischen Gegner, aber an
wohlgemeintem Patriotismus übertraf ihn keiner. Trotz der gerin-
gen Achtung, die er vor aller Schreiberei bezeigte, war er doch ein
fruchtbarer Schriftsteller und trotz aller zur Schau getragenen An-
tipathie gegen die Griechen war er doch von ihrer Bildung mannig-
fach berührt. So ist er der erste eigentliche Prosaiker der Römer
geworden, in der Absicht, seinem Volke eine brauchbare und von
den Unarten der griechischen nicht angekränkelte Literatur zu
schaffen.
1. Beinamen des Cato (= Sapiens): Censor, Censorius, Orator, später
von dem Uticensis unterschieden durch den Beisatz priscus oder superior.
Vielseitigkeit; s. Quint. 12, 11, 23 M. Cato idem summus Imperator, idem
sapiens, idem orator, idem historiae conditor, idem iuris, idem rerum rusti-
carum peritissimus fuit. Vgl. Cic. de or. 3, 135. Brut. 294 sowie § 121, 2.
Liv. 39, 40 (beredte und warme Charakteristik, die aber von den Origines
nicht spricht). Über sein Leben und seinen Charakter s. des Cornelius Ne-
pos und des Cicero Cato, Plutarchs ßiog Kdxcovog (Soltau, JJ. 153, 123),
Victor vir. ill. 47; von neueren Drumann, GR. 5,97. PRE. 5, 1904. Außer-
dem Mommsen, RG. I6, 812. ORibbeck, Cato Cens. als Schriftsteller, Reden
u. Aufs. 236. Vollertsen, quaest. Caton. de vita Catonis eiusque fönt, atque
de originibus, Kiel 1880. GCortese, de M. Pore. Cat. vita, operibus et lin-
gua, Turin 1883 (dazu Grammatica Catoniana, ebd. 1883). Cima (§ 119, 4).
2. HJordan, M. Catonis praeter librum de re rustica quae exstant, Lpz.
1860. Auch HJordan, quaest. Caton., Berl. 1856.
3. Cic. Brut. 69 von Cato: cum ita sit ad nostrorum temporum rationem
vetus, ut nullius scriptum extet dignwn quidem lectione quod sit antiquius.
Vgl. ebd. 61 nee vero habeo quemquam antiquiorem, cuius quidem scripta
pro ferenda putem, nisi quem Appi Caeci oratio . . . et nonnullae mortuorum
laudationes forte delectant. Aber der erste, der eine größere Anzahl von
Schriften, darunter solche von größerem Umfange, in lateinischer Sprache
verfaßte und herausgab, ist Cato unzweifelhaft.
4. Cic. Cat. 26 läßt Cato sagen: litteras Graecas senex didici (vgl. ebd. 3).
Plut. Cato 2 ccXXag de naidslctg*EXXr\viY.fig oipifia^g X&ysxui ysvtßd'ca, kccl tcoqqco
TcavtccTtccöw rjXiKiccg iXr}lccKa>g *~EXkr\v i%a ßißXla Xecßcov slg fälgag ßQu%sa [ihv
cenb @ovY.vdidov itXüova d' und Zlr}iio6&£vovg sig xo Qr\xoQiY.bv 6iq}sXr\d"r]vcLi.
xu ybivxoi övyyQcc^iiaxcc ncci doyficcöiv *EX%7]Vi%oig nal löxogiaig £rtisi%&g dicc-
7t£7tolxikxui, Y.cu n,8%'riQ\i7\vsv[iiva noXXcc kccxcc Xi^iv iv xolg änocp%'iy^ci6t neu
ralg yvco[ioXoylaig x£xct%xou. Daß er sich mit den Athenern durch einen Dol-
metscher verständigte, obwohl er auch griechisch hätte reden können, er-
zählt Plut. 12. Cato hat scharfe Maßregeln gegen die Griechen veranlaßt
und aus seinem Mißtrauen gegen sie kein Hehl gemacht (o. S. 153), vgl.
220 Republikanische Zeit: J. 240—84 v. Chr.
aus der medizinischen Schrift bei Plin. n. h. 29, 14 dicam de istis Graeeis
suo loco Marce fili, quid Athenis exquisitum habeam et quod bonum sit illo-
rum litteras inspicere, non perdiscere. vincam nequissimum et indocile genus
illorum, et hoc puta vatem dixisse: quandoque ista gens suas litteras dabit,
omnia conrumpet, tum etiam magis, si medicos suos hoc mittet, iurarunt
inter se barbaros necare emnes medicina, sed hoc ipsum mercede faciunt, ut
fides iis sit et facile disperdant. nos quoque dictitant barbaros et spurcius
nos quam alios 'Omntöv appellatione foedant. interdixi tibi de medicis. Vgl.
p. 58, 12 J. Solche Äußerungen dürfen aber nicht über die Tatsache täu-
schen, daß Cato von griechischer Literatur und Lebensweisheit vielfach be-
einflußt war (s. o. Plut.). Ohne das wäre auch eine so umfangreiche Schrift-
stellerei, wie er sie trieb, unmöglich gewesen. Auch seine Kernworte und
Witze stammen z. T. aus dieser Quelle. Reuther (§ 122, 3) 45.
5. Plut. Cato mai. 7 Ev%ccQig a^cc v.a.1 dsivbg r\v, r\8vg xai Y.axanXr\%,ri-
xos, cpiXo6y.a)iin<ov nctl av6xr\Q6s, ccTtocpftsynatnibg v.al ccy<üVL6tiY.6g. Mit seinen
roten Haaren, seiner gewaltigen Stimme und den Keulenschlägen, die seine
Rede in Ernst und Witz führte, prägte sich Cato Freund und Feind tief
ein. — Über eine Statue mit der Inschrift m • p • cato s. Matz-Duhn, antike
Bildwerke in Rom nr. 1298. Bernoulli, röm. Ikonogr. 1, 289.
119. Da Cato sich an allen öffentlichen Angelegenheiten bis an
sein Lebensende aufs eifrigste beteiligte und mit der herrschenden
Partei und der hellenisierenden Zeitströmung unermüdlich im Kampfe
lag, hatte er reichste Gelegenheit, seine angeborene Rednergabe zu
erproben. Er war aber auch der erste Römer, der in ausgedehnterer
Weise seine Reden niederschrieb und herausgab. Cicero kannte de-
ren mehr als 150, wir nur von 80 (vom Konsulatsjahre Catos ab)
Bruchstücke oder Anlässe. Diese 80 verteilen sich ungefähr gleich-
mäßig zwischen gerichtliche und politische (im Senat oder vor einer
Volksversammlung gehaltene) Reden. Die Überreste zeigen eine
kräftige, aber keineswegs ungekünstelte, sondern von griechischer
Redekunst berührte Beredsamkeit, die sich trefflich auf alle wirk-
samen Tonarten, Scherz und Ernst, Selbstlob und schneidenden
Spott versteht.
1. Ungenau Cornel. Nep. Cat. 3, 3 ab adolescentia confecit (vielmehr ha-
buit) orationes. Richtiger läßt Cicero (Cat. mai. 38) ihn sagen: causarum
illustrium quascumque defendi nunc (in senectute) cum maxime conficio ora-
tiones. Unter den uns als veröffentlicht bekannten sind auch solche, die
nachweislich nicht wirklich gehalten worden sind (in M.' Acilium vom J. 189),
und in den gehaltenen sind nachträgliche Änderungen vorgenommen. Vgl.
§ 44, 8.
2. Cic. Brut. 65 refertae sunt orationes amplius centum quinquagintar
quas quidem adhuc invenerim et legerim, et verbis et rebus illustribus. Das
darf natürlich nicht wörtlich genommen werden, läßt aber erkennen, daß
dem Cic. eine Sammlung noch nicht vorlag. Daß diese von Atticus veran-
§ 119. Cato (Reden) 221
staltet wurde, vermutet Baumgart, Unters, zu Catos Reden, Bresl. 1905.
Einen Teil davon bildet die Sammlung dierum dictarum de consulatu suo.
Die auf uns gekommenen Titel Und Bruchstücke bei HMeyer, orat. rom.
fragm.2 p. 11 (der es auf 93 Reden brachte) und gesichteter bei HJordan,
Caton. q. exstant p. 33 vgl. p. lxi (Nachträge bei LMüller, RhM. 23, 541.
24, 331). Zivilrechtliche Fälle behandelten mehrere. Selbstverteidigungen:
Liv. 39, 40 führt unter seinen scripta omnis generis auch orationes pro se
multae auf. Wir kennen davon nur sechs (zB. de innocentia sua, Gell.
20, 9), während wir doch wissen, daß Cato 44 mal sich von Gegnern ange-
klagt sah, ohne indessen jemals verurteilt zu werden (Plin. NH. 7, 100.
Victor vir. ill. 47, 7. Plut. Cat. 15. comp. 2. Val. Max. 3, 7, 7. Ampel.
19, 8). Die Reden dieser Art waren der Natur der Sache nach oft Erwide-
rungen aus dem Stegreife, und Cato mochte wohl auch nicht selbst dazu
beitragen, die gegen ihn erhobenen Anschuldigungen auf die Nachwelt zu
bringen. Kernig und eindrucksvoll zB. p. 39 J. Antiochus epistulis bellum
gerit, calamo et atramento militat. p. 43 ego iam a principio in parsimonia
atque in duritia atque industria omnem adolescentiam meam abstinui, agro
colendo, saxis Sabinis silicibus repastinandis atque conserendis. 57 num-
quam tacet quem morbus tenet loquendi, tamquam veternosum bibendi atque
dormiendi. 69 für es privatorum furtorum in nervo atque in compedibus aeta-
tem agunt, fures publici in auro atque in purpura. Über seine Proömien s.
§ 44, 5.
3. Die Reden des Cato erhielten sich durch die Rhetoren und Gramma-
tiker, sowie durch die Altertümelei des zweiten Jahrh. (wie Hadrian Cice-
roni Catonem praetulit, Spart. Hadr. 16, 6) verhältnismäßig lange. Die bis
ins vierte christl. Jahrh. reichenden Zitate zB. bei Servius (ad Aen. 7, 259.
11, 301) und Marius Victorinus (Boeth. in Cic. Top. I p. 271 Or.) gehen
vielleicht auf Plinius' libri dubii sermonis zurück. Über das Fortleben vgl.
Baumgart 34.
4. Die beste Charakteristik der Redeweise des Cato gibt Gellius, der
Catos Rede für die Rhodier gegen die Ausstellungen des Tiro verteidigt,
NA. 6, 3, 17 ff. 52 f., wo zB. (53) ea omnia distinctius numerosiusque fortassean
dici potuerint, fortius atque vividius potuisse dici non videntur. Dazu Plut.
Cat. 12. Die Schilderungen des Cicero (bes. Brut. 63. 293, auch de or. 1, 171.
orat. 152) sind etwas getrübt durch das Bestreben, den Cato als Folie für
sich selbst zu benützen, anderseits seine Bedeutung im nationalen Interesse
zu übertreiben. Verständig Quint. 2, 5, 21. Der Einfluß griechischer Rhe-
torik ist nicht zu verkennen; schon Tiro und Gellius (s. o.) haben auf die
griechischen Kunstmittel geachtet. Gell. aO. 52 übertreibend animadvertere
est in tota ista Catonis oratione omnia disciplinarum rhetoricarum arma at-
que subsidia mota esse. Die Sprache ist von gedrungener Kraft, der Perioden-
bau in den Anfängen; Neubildungen und Häufung von Synonymen scheut
Cato nicht. Er mag bei der Veröffentlichung seiner Reden auch von dem
Wunsche geleitet worden sein, seinen Landsleuten stilistische Vorbilder zu
bieten. ESchober, de Catone oratore, Neisse 1825. AWestermann, Gesch.
d. röm. Bereds. 37. Cima, L'eloquenza latina, Rom 1903, 17. Norden
KP. 161.
222 Republikanische Zeit: J. 240—84 v. Chr.
120. Cato verfaßte ferner die erste römische Geschichte in latei-
nischer Prosa, die sieben Bücher Origines, die er erst in den späte-
ren Lebensjahren begann und fast bis zu seinem Tode fortführte.
Das Werk zog auch die übrigen Völkerschaften Italiens, einschließ-
lich Oberitaliens, in seinen Kreis und behandelte zugleich Länder-
und Völkerkunde, sowie Kulturgeschichte in einem Umfange, der
ohne Nachfolge blieb. Im übrigen war die Darstellung in der Weise
der Annalisten zuerst mager, dann in der Schilderung der selbst-
erlebten Zeit ausführlich gehalten und fand sogar Raum für die
Aufnahme ganzer Reden des Verfassers.
1. Cornel. Nep. Cat. 3, 3 senex (also wohl nicht vor dem 60. Lebens-
jahre, J. 174) historias (so nennen die Origines auch Serv. Aen. 6,842. Plut.
Cato 25) scribere instituit. earum sunt libri VII. primus continet res gestas
regum populi Rom.; secundus et tertius unde quaeque civitas orta sit Italica;
ob quam rem omnes Origines videtur appellasse. in quarto autem bellum
Poenicum est primum, in quinto secundum. atque haec omnia capitulatim
sunt dicta (d. h. xecpcdcciadag , summarisch vgl. Mar. Vict. ad Cic. rhet. I
p. 57 Or. Sallustius . . . tribuit in libro I historiarum Catoni brevitatem: (Bo-
mani generis disertissimus paucis absolvif , vgl. Ampel. 19, 8). reliqua quo-
que bella pari modo persecutus est, usqae ad praeturam Ser. Galbae (genauer
bis J. 149, s. A. 2), qui diripuit Lusitanos. atque horum bellorum duces non
nominavit, sed sine nominibus res notavit. in eisdem exposuit, quae in Italia
Hispaniisque aut fierent aut viderentur admiranda (bemerkenswert, ftccv-
lidöLcc, 7taQccdo^cc). in quibus (wohl überhaupt den Origines) multa industria
et diligentia comparet, nulla doctrina (keine Bücherzitate, s. Jordan p. xv).
Auffallend ist an dieser übrigens nicht sehr getreuen Inhaltsangabe, daß
die Geschichte vom Ende der Königszeit bis zum ersten punischen Kriege
nicht erzählt war. Daß die Erzählung der eigentlichen origines dafür einen
Ersatz geboten habe, ist nicht glaubhaft und wird durch die Reste von
B. 2. 3 in keiner Weise bestätigt; daß die Ereignisse dieser Zeit am An-
fang von B. 4 kurz zusammengefaßt gewesen seien, ist deshalb unwahr-
scheinlich, weil auch die knappste Zusammenfassung mehr Raum beansprucht
hätte, als in diesem mindestens auch noch einen Teil des zweiten punischen
Krieges enthaltenden Buche zur Verfügung stand. Über jenes Unterdrücken
der Namen der Feldherren, das auch sonst der älteren Analistik eigentüm-
lich war, noch Plin. NH. 8, 11 Cato, cum imperatorum nomina anndlibus
detraxerit, eum elephantum qui fortissime praeliatus esset in Punica acie Surum
tradidit vocatum. — Dionys. 1, 11 UoQKiog Kdtcov, 6 tag ysveaXoylag tav
iv 'ItaXla TtoXscov iTti^Xicx ata övvayayäv. Solin. 2, 2 sed Italia tanta cura
ab omnibus dicta, praecipue M. Catone usw. Serv. Aen. 7, 678 de Italicis
urbibus Hyginus plenissime scripsit et Cato in originibus. Fronto p. 203
Nah. Cato . . . Italicarum originum pueritias illustravit. Dionys. 1, 74 Kd-
tcov IIoqhios kXXr\vi%bv iisv ov% 6qL&i xqovov (als Gründungsjahr Roms),
£7iifisXi]g ds ysvo\L£vog sl y.ai tig aXXog tcsqI tr\v 6vvay(oyr\v tf]g aQ%uioXoyov-
\iivr\g iötogiag htsöiv anocpaivsi Svöl v.a\ Tgidnorta %a\ tstga-noölotg vßts-
govöav tübv 'IXiaucbv. 6 dh %Qovog ovtog ava[i£t()r}&£lg talg 'EQatoö&ivovg:
§ 120. Cato (Origines) 223
(der die Zerstörung Trojas J. 1183 setzte) %Qovoyqacpiaig natu ro itgatov
hos Tt'ntxu rfjg tßSo^rig oXv^Tfidöog (1183 — 432 = 751). Über diese Ära vgl.
Trieber,. Herrn. 27, 342.
2. Festus 198 Originum libros quod inscripsit Cato non satis plenum
titulum propositi sui videtur amplexus, quando praegravant ea quae sunt
verum gestarum p. Born. Fronto p. 203 Cato, . . qui . . Italicarum originum
pueritias inlustravit. Der Titel (Anfänge, Urgeschichte, a.Q%uioloyia) erklärt
sich am besten bei der Annahme, daß die drei ersten Bücher zuerst allein
erschienen. Daß Cato in B. 4 einen neuen Anlauf nahm, zeigt fr. 97 non
ludet scribere quod in tabula apud pontificem maximum est, quotiens annona
cara, quotiens lunae aut solis lumini ealigo aut quid obstiterit. Vom siebenten
Buche wenigstens ist gewiß, daß es erst nach den andern ausgearbeitet
und veröffentlicht wurde; s. Cic. Brut. 89 Lusitanis a Ser. Galba praetore
(J. 151) . . interfeetis T. Libone tribuno pl. (J. 149) populum incitante . .
M. Cato legem suadens in Galbam multa dixit; quam orationem in Origines
suas rettulit, paucis antequam mortuus est diebus an mensibus. Vgl. Cato
bei Cic. Cato mai. (Szene J. 150) 38 septimus mihi Über Originum est in
manibus. Gell. 13, 25 (14), 15 Cato ex Originum septimo, in oratione quam
contra Ser. Galbam dixit. Die Herausgabe der drei ersten Bücher könnte
J. 168 erfolgt sein, da das Alter von Ameria nach dem Kriege mit Perseus
bestimmt war (Plin. NH. 3, 114 Ameriam . . Cato ante Persei bellum condi-
tam annis dcccclxiii prodit). Abfassung von B. 4 ff. nach J. 154 folgert
KJNeumann, Herrn. 31, 528 aus fr. 84. Übrigens war die ins fünfte Buch
aufgenommene Rede Catos pro Rhodiensibus (quae et seorsim fertur et in
quintae originis libro scripta est, Gell. 6, 3, 7) gleichfalls schon aus J. 167.
Würde man daher (wofür nichts spricht) die ursprüngliche Veröffentlichung
auf fünf Bücher erstrecken, so wäre der Titel nach dem Hauptinhalt ge-
wählt, da die Hereinziehung der Urgeschichte auch des übrigen Italien Cato
eigentümlich war, während er für Roms Urgeschichte an Fabius Pictor
einen Vorgänger hatte, dem er hier manchmal folgte (vgl. Dionys. 1, 79),
und auch die Geschichte der beiden punischen Kriege von jenem vorher
bearbeitet war. Für B. 2. 3 war er auf die hellenistischen Legenden ange-
wiesen, die ihm wohl durch Timaios zugekommen sind. Allmähliche Her-
ausgabe der Orig. behauptet auch Bergk, Progr. Halle 1865 p. 7 f. — Zu-
sammenstellung mit den Annalisten bei Cic. de or. 2, 51 (§ 116, 6), leg. 1, 6
post annales pontificum maximorum . . si aut ad Fabium aut ad . . Catonem
aut ad Pisonem aut ad Fannium aut ad Vennonium venias. Plin. NH. 8, 11
(vgl. A. 1) nennt die Origines geradezu annales. Abweichend von der Art
der bisherigen Annalisten war jedenfalls auch die Aufnahme von Reden
des Verfassers, wie Cato überhaupt haud sane detrectator laudum suarum
(Liv. 34, 15, 9) war; fremde Reden scheint er nicht eingefügt zu haben.
Diese Reden scheinen später eigens zusammengestellt worden zu sein und
dadurch (wie die aus Sallusts Historiae) das Werk selbst, dem sie ursprüng-
lich angehörten, überlebt zu haben (vgl. Jordan p. lviii). Das Fehlen von
Namen (A. 1) wie die Ungleichheit der Behandlung erschwerte für die
Späteren die Benützung des Werkes, und sie zogen es daher meist vor, auf
Fabius Pictor zurückzugehen. Sehr bewundert und nachgeahmt hat es
Sallust.
224 Republikanische Zeit: J. 240—84 v. Chr
Überreste der Origines bei HJordan p. 3 (vgl. p. xix). Peter, HRR. 1, 51 ;
HRF. 40. — Vahlen, ZföG. 10, 480. WSoltau, WochklPh. 1886, 886. 916.
— Schwegler, RG., 1, 81. MoMMsen, RG. I6, 922. Peter, HRR. p. cxxvn.
vGutschmid, Sehr. 5, 518.
121. In der Form von Lehren für seinen Sohn veröffentlichte
Cato auf seine Erfahrungen gegründete Anleitungen zur Landwirt-
schaft, Gesundheitspflege, Beredsamkeit, vielleicht auch zu anderen
Fertigkeiten. Aber wo seine Schriften über Kriegführung und rö-
misches Recht erwähnt werden, sind selbständige Werke gemeint.
Namentlich aus den drei ersten Gebieten zeugt manches treffende
Wort von seinem Scharfblick. Das Carmen de moribus war ein
Gnomologion mit Betrachtungen über die Verschlechterung der
Zeiten. Auch Briefe an seinen Sohn waren veröffentlicht. Wie er
die Witzworte anderer gesammelt und herausgegeben hatte, so sam-
melte man bald auch die seinigen. Noch in der Kaiserzeit gab man
eine Spruchsammlung unter seinem Namen heraus, da man sich in
Cato die altrömische Weltweisheit verkörpert dachte (Catonis
disticha).
1. OJahn, üb. röm. Enzyklopädien, Lpz. Ber. 1850, 263. 281. HJordan,
Caton. q. exst. p. xeix ff.
2. Der sachlich passendste Titel für das didaktische Hauptwerk des
Cato ist praeeepta ad filium (Non. 143, 7). Daneben finden sich allgemeine
Angaben, wie ad filium, libri quos scripsit ad filium (Serv. Georg. 2, 95),
oder besondere Bezeichnungen, die entweder der Form entnommen sind
(oratio, epistula) oder dem Inhalt (de agri eultura, de oratore). FSchoell,
RhM. 33, 481, versucht den Titel Oraculum wahrscheinlich zu machen; vgl.
A. 6. Zweifelhaft ist ferner der Umfang dieses Werkes. War Cato auch
omnium bonarum artium magister (Plin. NH. 25, 4; vgl. 14,44 insignis ..
claritate litterarum praeeeptisque omnium rerum expetendarum datis generi
Romano) und konnte Cic. (de or. 3, 135) von ihm sagen: nihil in hac civi-
tate temporibus Ulis sciri diseive potuit, quod ille non cum investigarit et
scierit tum etiam conscripserit , so fragt es sich doch, ob diese umfassende
Schriftstellerei in einem einzigen Werke vereinigt war. Vorschriften über
Landwirtschaft enthielten die libri ad filium jedenfalls, und zwar hat er
für diesen Teil vielleicht seine commentarii, die uns in der Schrift de
agri eultura vorliegen, in eine glattere Form gebracht. Spätere wie Celsus
haben dann vielleicht diese besser stilisierte Bearbeitung benutzt. Jordan
p. 78 f. cif. Reuther (§ 122, 3) 31. Ebenso waren die Warnungen vor den
griechischen Ärzten (vgl. § 55, 1) und mancherlei Gesundheitsregeln an seinen
Sohn gerichtet (OJahn, S. 265. Jordan p. 77 f.), diese aus einem Rezeptbuch
mit Hausmitteln entnommen (Plin. NH. 30, 15 profitetur esse commentarium
sibi, quo medeatur filio servis familiär ibus); nicht minder Regeln für den
Redner (Jordan p. 80), um derer willen ihn Quint. 3, 1, 19 (s. § 44, 3) für
den ersten Römer erklärt, der condidit aliqua in hac materia. Hieraus die
§ 121. Cato (Ad filium usw.) 225
Sätze orator est Marce fHi vir bonus dicendi peritus (Schoell, RhM. 57, 312)
und rem tene, verba sequentur, mit deutlicher Ablehnung der griechischen
Rhetorik, die Cato freilich doch nicht entbehren konnte (§ 119, 4). Daß die
Anleitung sich auch auf das Kriegswesen erstreckte, somit der über de re
militari (Jordan p. 80 — 82 vgl. p. cn f.) ein Bestandteil der praecepta ad
filium gewesen sei (Jahn S. 270 f.), wäre an sich ganz glaublich, wird aber
durch die Überreste nicht unterstützt, da sich in diesen weder eine Anrede
noch eine besondere Berücksichtigung des Standpunktes eines Lernenden
«rkennen läßt. Vgl. Köchly u. Rüstow, griech. Kriegsschriftsteller 2 (1855),
61. Für die Tendenz vgl. fr. 1 scio ego quae scripta sunt si palam proferan-
tur , multos fore qui vitilitigent , sed ii potissimum qui verae laudis expertes
sunt, eorum ego orationes sivi praeterfluere. fr. 2 ut populus sua opera po-
tius ob rein bene gestam coronatus subplicatum eat quam re male gesta coro-
natus veneat. Noch mehr gilt dies von Catos juristischen Schriften, die er
jedenfalls verfaßt hat: Cic. de or. 3, 135 num quia ius civile didicerat, cau-
sas non dicebat? aut quia poterat dicere, iuris scientiam neglegebat? utroque
in genere et elaboravit et praestitit. Pompon. dig. 1, 2, 2, 38 deinde — nach
den Aelii — M. Cato, princeps Porciae familiae, cuius et libri exstant, sed
plurimi Marci (s. Mommsen zdSt.) filii eius, ex quibus ceteri oriuntur (ordi-
untur Mommsen). Aber da sein Sohn auf diesem Gebiete berühmter wurde,
so hat man das Zitat bei Festiis 157 {Cato in commentariis iuris civilis),
sowie Cic. de or. 2, 142 eher auf diesen beziehen wollen; s. § 125, 6. Bremer,
JAH. 1, 16. Huschke, JA.6 2. Jörs, Rom. Rechtswiss. 1, 278. Vgl. § 48, 4.
Was sicher den praecepta angehört, läßt diese als eine Art Not- und Hilfs-
büchlein für einen jungen Römer erscheinen, eigentümlich gefärbt durch
die originelle kräftige Persönlichkeit des Verfassers, zeugt (wie auch die
dicta) von einer merkwürdigen Gabe den Nagel auf den Kopf zu treffen
(zB. nihil agendo homines male agere discunt) und ist in kategorischem, fast
orakelhaftem (Plin. NH. 7, 171. Colum. 11, 1, 26) Tone gehalten.
3. Daß der Über Catonis qui inscriptus est Carmen de moribus (Gell. 11,
2, 2; vgl. Non. 465) den pracepta angehört habe, macht Über wie Carmen
unwahrscheinlich. Er hatte keine gebundene Form (vgl. § 61, 1), also kann
man weder saturnische Verse (Ritschl, op. 4, 297, Vahlen, ZföG. 10, 469,
Jordan aO. p. cm), noch trochäische Septenare (EKärcher, Phil. 8, 727; 9,
412. ABöckh, kl. Sehr. 6, 296) noch Sotadeen (Fleckeisen, Catonianae poesis
reliquiae, Lps. 1854) oder gar Anapäste (Bährens FPR. 25. 57) herstellen.
LMüller (d. saturn. Vers 95) meint, Gellius habe eine junge prosaische
Paraphrase (vgl. § 103, 6) benützt.
4. Briefe des Cato an seinen Sohn werden erwähnt von Cic. (off. 1, 10)
und Plutarch (Cato mai. 20. Quaest. rom. 39), ohne daß die Art der Anfüh-
rung auf einen Bestandteil der praecepta hinwiese. Ob Cato auch an andere
gerichtete Briefe veröffentlichte, ist unsicher; bei Diomed. 366 steht ein
Zitat aus Cato ad Magnum. Jordan p. 83 f. vgl. p. civf.
5. Cic. off. 1, 104 multa multorum facete dicta, ut ea quae a sene Catone
collecta sunt, quae vocant *Aito(f%iiy\ia.xa. Plut. Cato mai. 2 extr. iie&riQtir}-
v8V{L£vcc (aus dem Griechischen) nolXa natu Xi^iv iv xolg a7Cocpd'8yficc6i xai
reeig yvco{ioXoyLcug (Witzworte und Sentenzen wohl zwei Arten derselben
Gattung) zhccxTca. Vgl. Jordan p. evi und 83; RhM. 14, 261; JJ. 73, 384.
Teuf fei: röm. Literaturgesch. Neub. 6. Aufl. I. 15
226 Republikanische Zeit: J. 240—85 v. Chr.
6. Die eigenen dicta des Cato Bcheinen bald nach seiner Zeit gesam-
melt worden zu sein, aus persönlicher Erinnerung wie aus seinen Schriften
(bes. Reden). Cicero und Cornelius Nepos kannten ohne Zweifel schon eine
solche Sammlung, die meisten aber hat Plutarch überliefert; Zusammen-
stellung bei Jordan p. 97; vgl. p. cvif. Münzer, Beitr. z. Quellenkritik 56.
Curcio, Riv. fil. 26, 610. Kernige, meist auf die Landwirtschaft bezügliche
Sätze werden ex oraculo zitiert (Plin. NH. 18, 39 f. 170. 200. 319. 29, 27);
die — oder eine — Sammlung scheint also unter diesem Namen umgelaufen
zu sein. A. 2. Crusius, RhM. 47, 64. Dreizehn sententiae Catonis aus Gnomen-
sammlungen s. bei Wölfflin, Senecae monita (§ 289, 10) p. 26. — Viel
später wurden aus seinen Schriften (bes. Reden) scharfe Wortunterschei-
dungen (wie die von properare und festinare p. 44 J.) von Grammatikern
ausgehoben, was das Mißverständnis erzeugte, als hätte er selbst über Syno-
nymik (differentiarum liber) geschrieben; Jordan p. cvn f. Vgl. § 42, 4. —
Über die disticha Catonis s. § 398, 1.
122. Erhalten ist uns von sämtlichen Schriften des Cato nur
das Buch de agri cultura, ein Ratgeber für den praktischen Land-
wirt. Auf den ersten systematischen Teil folgt in ziemlicher Un-
ordnung eine bunte Menge von Rezepten, Anweisungen, Formeln
für Kauf und Miete, für Opfer und Hausmedizin. Wir haben also
wohl Aufzeichnungen Catos vor uns, die nur in ihrem ersten Teil
für die Herausgabe bearbeitet sind. In der hausbackenen Strenge
und Nüchternheit der Schrift, in der sicheren Sachkunde des Ver-
fassers und in seinem ehrenfesten Eifer, der alles im Befehlston
vorträgt, liegt ein eigentümlicher Reiz: ohne Verbindung hinge-
worfene kurze Sätze von großer Bestimmtheit lösen einander ab.
Der vorliegende Text hat die Altertümlichkeit der Sprache teil-
weise abgestreift und zeigt auch sonst manche Zerrüttung, aber er
gibt das catonische Werk und nicht eine spätere Umarbeitung.
1. Name des Werkes in der hs. Überlieferung: de agri cultura. So
auch Varro RR. 1, 2, 28 in magni illius Catonis libro, qui de agri cultura
est editus. M. Aurel. an Fronto p. 69 legi ex agri cultura Catonis. Dagegen
bei Cic. Cato 54 in eo libro, quem de rebus rusticis scripsi. Vgl. Gell. 3, 14,
17 {de agric.) mit 10, 26,8 (de re rust.). Text in den scriptores RR.; s. § 54, 7;
und bes. Catonis de agri cultura liber, Varronis rerum rusticarum ex rec.
HKeilii (mit Komm. ; Wortindex von Krumbiegel), Lps. 1884—1902 III. Die
hs. Überlieferung für Cato und Varro de RR. beruht auf einer alten längst
verlorenen Hs. der Marcus-Bibliothek zu Florenz (Marcianus, § 380, 2), die
APolitianus und PVictorius benutzen konnten. Erhalten ist deren Verglei-
chung durch Politianus (jetzt in Paris) und Abschriften des Marcianus, die
älteste Paris. 6884 A s. XII/XIII, ferner Laur. 30, 10 s. XIV u. a. Keils
praef. vor s. Ausg. — Übersetzt von GGrosse (Halle 1787). Ganter (Donau-
esch. 1844).
2. Im ersten Teil herrscht Ordnung, indem zuerst über Erwerb und
Einrichtung des Gutes gehandelt wird, dann über die Arbeiten der einzelnen
§ 122. Cato (De agri cultura) 227
Jahreszeiten vou der Weinlese an, vgl. c. 34 sed redeo ad sementim. Nachher
geht alles durcheinander, z. B. ist in einen zusammenhängenden Abschnitt
über Weinbereitung c. 104 — 127 das c. 124 eingeschoben: canes interdiu
clausos esse oportet, ut noctu acriores et vigilantiores sint. Wir finden hier
c. 138—141 Regeln für Festtage: was die Rinder dann tun dürfen, wie
man lucum conlucat und agrum lustrat, es folgen Verhaltungsmaßregeln
für vilicus und vilica (A. 3), Ratschläge für Verdingung und Verkauf, Ab-
führmittel und Zaubersprüche. Hier finden sich auch mehrere Dubletten,
zB. 51 und 52, 156 und 157. Reitzenstein, Woch. kl. Phil. 1888, 589. Er-
haltung etwa in der ursprünglichen Gestalt wird dadurch wahrscheinlich,
daß Plinius das Werk in der uns überlieferten Ordnung benutzte, während
wir daneben auch Benutzung des landwirtschaftlichen Teiles der praecepta
(§ 121, 2) nachweisen können. Jahns Archiv 10, 5, LDietze (A. 4) p. 4 f..
HJordan, DLit.-Z. 1882, 1529; 1885, 157. Schöndörffer, de genuina Catonis
de agri cultura forma I: de syntaxi, Königsb. 1885; Hauler, zu Catos Sehr.
üb. d. Landwesen, Wien 1896. Spuren modernisierender Überarbeitung zeigt
HKeil, observ. in Catonis et Varonis de r. r. (Halle 1849), bes. p. 65. Dagegen
läßt PWeise, quaest. Caton., Gott. 1886 die Schrift erst in augusteischer
Zeit aus zwei bis dahin getrennt umlaufenden Rezensionen entstehen. Ahn-
lich Reitzenstein, Woch. kl. Phil. 1888, 587. Leo, LG. 1, 272. Daß die
Schrift eine Anleitung geben solle zur Bewirtschaftung eines bestimmten
Gutes, nämlich des L. Manlius bei Casinum und Venafrum, wollte KWNitzsch,
ZfAW. 1845, 493 (vgl. Gummerus aO. 17) nachweisen: aber dem wenigen,
was dieser Ansicht günstig ist, steht damit nicht Vereinbares in großer
Überzahl entgegen. S. auch Reitzenstein, de Script. R. R. p. 61.
3. Bezeichnend für den Geist und Ton ist namentlich c. 143 über die
vilica, zB.: ea te metuat facito. ne nimium luxuriosa siet. vicinas aliasque
mulieres quam minimum utatur, neve domum [nevej ad sese reeipiat. ad cenam
ne quo eat neve ambulatrix siet. rem divinam ni faciat. . . scito dominum
pro tota familia rem divinam facere. munda siet. villam conversam muncle-
que habeat usw. Für die Sacherklärung ist wichtig Gummerus, der röm.
Gutsbetrieb, Klio Beih. 5, der folgendes Urteil fällt: fCato ist als Landwirt
kein einfacher Bauer im altrömischen Sinne, sondern ein Kapitalist, der
sein Gut schlechterdings als eine Einnahmequelle, nicht wie der Bauer zu-
gleich als seine Heimat betrachtet. In der Tat, sein landwirtschaftliches
Betriebssystem steht ganz im Zeichen des Kapitalismus. Die konsequente
Richtung der Produktion auf den Absatz, die Abschätzung der verschiedenen
Bodenkulturen nach ihrer Rentabilität, die Anschauungsweise, nach der jede
verlorene Zeit verlorenes Geld ist, die rücksichtslose Ausbeutung der Sklaven,
das Bestreben, alle unproduktiven Glieder aus der Wirtschaft möglichst zu
entfernen — alles zeigt den Kapitalisten, dem die Landwirtschaft nichts
ist als die Kunst, aus dem Grund und Boden mit Hilfe gehäufter Arbeits-
kräfte die höchstmögliche Rente herauszuwirtschaften.' — Der Inhalt stammt
zum großen Teil aus eigener Erfahrung und Erkundigung, vgl. 151, 1 M*
Percennius Nolanus ad hunc modum monstravit. 152 Q. A. M. Manlii mon-
straverunt. Doch sind auch schriftliche und zwar griechische Quellen zu
Rate gezogen. Reuther, de Catonis vestigiis ap. Graecos, Lpz. 1903.
4. Daß die Sprache durchaus den Charakter der catonischen Zeit trägt,
15*
228 Republikanische Zeit: J. 248—84 v. Chr.
ist jetzt anerkannt. Vgl. Fronto p. 114 verbis Cato multiiugis (§ 37, 5), p. 155
partim iligneis nucibus Catonis. Quint. 2, 5, 21. Verrius Flaccus schrieb
de obscuris Catonis (B. 2 zitiert Gell. 17, 6, 2). LDietze, de sermone Cato-
niano, Anklam 1871. Cortese: s. § 118, 1. Hauler, Arch. Lex. 1, 582.
PWeise und Schöndörffer : A. 2. Über die in der Schrift vorkommenden
Pflanzen s. Meyer, Gesch. der Botanik 1, 341. Über zwei Zauberformeln
darin s. Skutsch bei Heim, JJ. Suppl. 19, 534. 565.
123. Zeitgenossen des Cato, die wir als Redner kennen, sind
Q. Fabius Maximus (Cunctator), Q. Caecilius Metellus, M. Cornelius
Cethegus, P. Licinius Crassus (Dives), der ältere Africanus, der
Vater der beiden Gracchen, sowie L. Papirius und L. Paulus.
1. Q. Fabius Q. f. Q. n. Maximus Verrucosus, Cos. fünfmal 233 — 209;
Censor 230; Dictator 217; Münzer, PW. 6, 1814; Cic. Cato rn. 12 multa in
eo viro praeclara cognovi, sed nihil est admirabilius quam quo modo ille
mortem füii tulit, clari viri et consularis. est in manibus laudatio; quam
cum legimus, quem philosophum non contemnimus? Plut. Fab. 1 8ia6oa&Tca
ccvtov Xoyog ov slnsv iv rw di}\ifp , zov ncciöbg ccvtov ^is&' vitcctsiccv ccitod'cc-
vovtog iyv.(o\Liov. ebd. 25 rö d' iyY.mynov . . ccvtbg slits v.atcc6tccg iv ayogcc
y.al ygaipccg tbv Xoyov i&dcousv. Ob das Zitat bei Priscian GL. 2, 380 f Fa-
bius Maximus: amitti quam apisci'' daraus stammt, steht nicht fest; s. Hertz
zdSt. Der Sohn (Cos. 213) wird nicht vor J. 207 gestorben sein; s. PW.
6, 1789.
2. Q. Caecilius Metellns, Cos. 206; Münzer, PW. 3, 1206. Plin. NH. 7, 139
Q. Metellus in ea oratione quam habuit supremis laudibus patris sui L. Me-
telli (Cos. 251 u. 247; Dictator 224) . . scriptum reliquit etc. Vgl. Cic. Brut. 57.
MWende, de Caeciliis Met. 1 (Bonn 1875), 18.
3. M. Cornelius Cethegus, Cos. 204, fl96; Münzer, PW. 4, 1279. Als
Redner gepriesen von Q. Ennius (A. 303 suaviloquenti ore und flos delibatus
populi suadaeque medulla), danach Cic. Brut. 57. Cato 50.
4. P. Licinius Crassus Dives, Cos. 205, fl83; s. Teuffel, PRE. 4, 1054.
Liv. 30, 1, 5 facundissimus habebatur seu causa oranda seu in senatu, ad
populum suadendi aut dissuadendi locus esset; iuris pontiflcii peritissimus.
Vgl. Cic. de or. 3, 134. Cato 50 et pontiflcii et civilis iuris Studium.
5. Der ältere Africanus (Cos. 205 u. 194), f J. 183 (s. Mommsen, Rom. Forsch.
2, 481); Cic. Brut. 77 ipsum Scipionem accepimus non infantem fuisse. Liv.
39, 52, 3 tribunus pl. M. Naevius (J. 187 oder 185), adversus quem oratio
inscripta P. Africani est, vgl. 38, 56. Gell. 4, 18, 6 fertur etiam oratio, quae
videtur habita eo die a Scipione; et qui dicunt eam non veram usw. Cicero
glaubte nicht an ihre Echtheit; s. off. 3, 4 nulla eius ingenii monumenta
inandata litteris; und sicher war sie untergeschoben, s. Nissen, krit. Unters.
51. Mommsen, aO. 420. 502. Cima aO. 45. Polyb. 10, 9, 3 dm tfjg £%iGtolr\g
rfjg rtgbg ^iXinnov ccvtov rov UonlLov 6acp(ög i-x.Tsd'ei'iioTog, oti tovtoig
rotg iytloyt.6[Lolg %Qriacc{L£vog , olg reisig ccvojtsqov i£sXoyiecc(ie&cc, ■x.aQ'oXov
rs xolg iv 'Ißr}Qicc 7tQdy{ioc6Lv iiußdXoiro xcci xccta [ligog tf) xf]g KctQ%r\d6vog
itoXioQxia. Über seinen Sohn § 127, 3; über seinen Schwiegersohn Nasica
§ 123. Catos Zeitgenossen 229
§ 127, -4. Den Laelius auch dieses Africanus rühmt als politischen Redner
Sil. it. 15, 453.
6. Ti. Sempronius P. f. Ti. n. Gracchus, Cos. 177 u. 163 Censor 169;
PRE. 6, 978, 35. Cic. Brut. 79 erat isdem temporibus TL Gracchus . . cuius
exstat oratio graeca apud Bhodios (J. 165 oder 161), quem civem cum gravem
tum etiam eloquentem constat fuisse. Unterschrift der von ihm nach seinem
Triumph in Sardinien geweihten forma Sardiniae insulae (§ 60, 2) bei Liv.
41, 28. Auch von ihm (vgl. A. 5) gab es eine unechte (Verteidigungs-)Rede
in dem Prozesse seines Schwiegervaters, des älteren Africanus; s. Liv. 38,
56, 2 ff. Mommsen aO. Von seiner Gattin, Cornelia (Münzer, PW. 4, 1592)
sind in den Hss. des Cornelius Nepos (ex eodem Ubro d. h. de viris illustri-
bus excerpta; abgedruckt in den Neposausgaben, FHR. 222. HRR. 2, 38)
zwei größere Bruchstücke eines Briefes an ihren Sohn Gajus (vom J. 124)
erhalten. Daß es Briefe von ihr im Altertum gab, ist unzweifelhaft (Cic.
Brut. 211 legimus epistulas Corneliae, matris GraccJiorum: apparet filios non
tarn in gremio educatos quam in sermone matris. Vgl. Quint. 1, 1, 6. Plut.
C. Gracch. 13 iv roig iTtiotolioig avrriq); ob aber die auf uns gekommenen
echt seien, ist bezweifelt worden (AGLange, verm. Sehr. 108. JSörgel,
BlfbayrGW. 3, 101. 144), wenn auch gewiß mit Unrecht. Ein Rhetor hätte
die Mutter der Gracchen wohl eher für Freiheit und für Rache an den Mör-
dern des Bruders deklamieren lassen (vgl. § 45, 6); nimmermehr aber wäre
einem solchen diese Verbindung von altrömisch -männlicher Kraft des Ge-
dankens mit weiblicher Weichheit und Sorglosigkeit der Stilisierung ge-
lungen. Vgl. auch Mercklin, de Corneliae vita, Dorp. 1845. Nipperdey, op. 95.
Bergk, Phil. 16, 626. HJordan, Herrn. 15, 530. Hubel, die Brieffragm. der
Com., Erlang. 1900. Schlelein, de epistulis Corneliae vindicandis, Münch.
1900. Kappler, Progr. Weiden 1905. 06 IL Von ihrer Statue in Octaviae
operibus (Plin. NH. 34, 31) hat sich 1878 die Basis mit der Inschrift Cor-
nelia | africani • f | gracchorvm gefunden. CIL 6, 31610. Bernoulli, röm.
Ikonogr. 1, 72.
7. Cic. Brut. 170 apud maiores nostros video disertissimum habitum ex
Latio L. Papirium Fregellanum, Ti. Gracchi P. f. fere aetate; eins etiam
oratio est pro Fregellanis coloniisque Latinis habita in senatu. Diese Rede
kann aber erst J. 125 gehalten sein.
8. L. Aemilius L. f. M. n. Paulus, Cos. 182 u. 168, f 160; Klebs, PW.
1, 576. Über sein Interesse für Bildung vgl. § 131, 1. Cic. Brut. 80 etiam
L. Paulus, Africani pater, personam prineipis elvis facile dicendo tuebatur.
Vgl. Liv. 45, 8. Val. Max. 5, 10, 2 quem casum (Tod seiner Söhne) quo ro-
bore animi sustinuerit, oratione quam de rebus a se gestis apud populum
habuit hanc adiciendo clausulam nulli ambiguum reliquit. Vgl. Liv. 45, 41.
Plut. Aem. P. 36. Erlaß von ihm (L. Aemilius L. f. inpeirator) aus der
Zeit seines Oberbefehls in Spanien (vom 19. Jan. 189), utei quei Hastensium
servei in Turri Lascutana habitarent leiberei essent, auf einer Erztafel im
J. 1867 gefunden (jetzt zu Paris im Louvre); s. CIL. 2, 5041 und EHübner,
Herrn. 3, 243. DIE. 96.
9. Das Eindringen griechischer Rhetorik in Rom bezeugen auch die
meist als Verteidigungsreden angelegten Prologe des Terenz. Leo, Anal.
Plaut. 2, 14.
230 Republikanische Zeit: J. 240—84 v. Chr.
124. Unter den jüngeren Zeitgenossen des Cato, die sich im
sechsten Jahrh. d. St. als Redner auszeichneten, ist bemerkenswert
C. Sulpicius Gallus wegen des Umfangs und der Gründlichkeit
seiner Bildung; er hat zuerst astronomische Werke aus dem Grie-
chischen übertragen.
1. C. Sulpicius C. f. C. n. Gallus, Cos. 166, f 150; s. Cic. Brut. 90. PRE.
6, 1493. Cic. Brut. 78 de minoribus C. Sulpicius Gallus, qui maxime om-
nium nobilium Graeeis litteris studuit; isque et oratorum in numero est habi-
tus et fuit reliquis rebus omatus atque elegans. Off. 1, 19 videbamus in studio
dimetiendi paene caeli atque terrae C. Gallum. . . quam delectabat eum de-
fectiones solis et lunae multo ante nobis praedicere! Als astronomischen
Schriftsteller führt ihn Plinius im QVerz. zu B. 2 auf, der ihn vielleicht
aus Varro kennt (Münzer, Beitr. z. Quellenkritik 162); vgl. NH. 2,83 in qua
sententia (über die Entfernung der Gestirne) et Gallus Sulpicius fuit noster.
Vgl. ebd. 2, 53 ab imperatore productus ad praedicendam eclipsim (in der
Nacht vor der Schlacht bei Pydna J. 168), mox et composito volumine. Cic.
rep. 1, 23.
125. Namhafte Juristen aus dem sechsten Jahrh. d. St. sind
die beiden Aelii, Publius und besonders dessen jüngerer Bruder
S ext us, der erste Verfasser eines juristischen Buches, betitelt Tri-
pertita, weil es die zwölf Tafeln, deren Auslegung, und das Klage-
formular zum Inhalt hatte. Außerdem Scipio Nasica, L. Acilius
(oder Atilius), Q. Fabius Labeo und Catos Sohn.
1. P. Aelius Q. f. P. n. Paetus, Cos. 201, Censor 199, f 174, PW. 1, 526.
Pompon. dig. 1, 2, 2, 38 deinde (nach Ti. Coruncanius) Sex. Aelius et frater
eius, P. Aelius, et P. Atilius maximam scientiam in profitendo habuerunt,
ut duo Aelii etiam consules fuerint, Atilius autem primus a populo Sapiens
appellatus est.
2. Sex. Aelius Paetus Catus, Cos. 198, Censor 194. PW. 1, 527. Cic. de
or. 1, 212 eum (iuris consultum vere nominari) dicerem, qui legum et con-
suetudinis eius qua privati in civitate uterentur et ad respondendum et ad
agendum et ad cavendum peritus esset; et ex eo gener e Sex. Aelium, M'. Ma-
nilium, P. Mucium nominarem. Brut. 78 Sex. Aelius, iuris quidem civilis
omnium peritissimus, sed etiam ad dicendum paratus. Cato 27 nihil Sex.
Aelius tale (über das Alter), nihil multis annis ante Ti. Coruncanius, nihil
modo P. Crassus (§ 123, 4), a quibus iura civibus praescribebantur. Pompon.
aO. : Sex. Aelium etiam Ennius laudavit, et exstat illius Über qui inscribitur
Tripertita (Fragmente bei Huschke, JA6 1. Bremer, JAH. 1, 13), qui liber
veluti cunabula iuris continet. Tripertita autem dicitur, quoniam lege XII
tabularum praeposita iungitur interpretatio (vgl. Scholl, legis XII tab. reliq.
p. 22), deinde subtexitur legis actio, eiusdem esse tres alii libri referuntur,
quos tarnen quidam negant eiusdem esse; hos sectatus ad aliquid est Cato
(sed hos sectati ad aliquid Aeli Cati nach Huschkes Verbesserung). Vgl. ebd. 7
augescente civitate, quia deerant quaedam gener a agendi, non post multum
temporis spatium (nach Cn. Flavius) Sex. Aelius alias actiones composuit et
§ 124. Sulpicius Gallus. § 125. P. S. Aelii Paeti. § 126. Fulvius Nobilior 231
librum populo dedit, qui appellatur (in der späteren Zeit) ius Aelianum
(§ 88, 2). OKarlowa, röm. Rechtsgesch. 1, 475. Jörs , Rom. Rechtswiss. 1,
103. Versuch, den Inhalt der Tripertita im einzelnen zu bestimmen, bei
MVoigt, Abh. sächs. Ges. 7, 327, der auch auf dieses Werk mit Unrecht
die Aeliana studio, bei Cic. de or. 1, 193 (§ 148, 2) bezieht.
3. Pomponius, dig. 1, 2, 2, 37 fuit maximae scientiae (als Jurist) . . Gaius
(vielmehr Publius) Scipio Nasica, qui Optimus a senatu appellatus est (J. 204 ;
Cos. 191; doch kann auch der Cos. 162. 155 gemeint sein), cui etiam publice
domus in sacra via data est, quo f acutus consuli posset. Vgl. § 89, 1.
4. L. Atilius bei Pomponius, s. A. 1. Dagegen in der Quelle des Pomp,
bei Cic. Lael. 6 scimus L. Acilium apud patres nostros appellatum esse Sa-
pientem . . quia prudens esse in iure civili putabatur. Leg. 2, 59 hoc (lessum
der XII Tafeln) veteres interpretes Sex. Aelius, L. Acilius non satis se intel-
legere dixerunt.
5. Q. Fabius Labeo, Cos. 183. PW. 6, 1773. Cic. Brut. 81 Ser. Fabius
Pictor et iuris et litterar um et antiquitatis bene peritus; Quintusque Fabius
Labeo fuit omatus eisdem fere laudibus. Suet. vita Terent. 4 (p. 31 f. Rffsch.)
Santra Terentium putat . . uti potuisse . . Q. Fabio Labeone et M. Popillio,
consulari utroque ac poeta. Vgl. § 114, 3.
6. M. Porcius Cato (Licinianus), geb. um 192, f 152; PRE. 5, 1910.
Pomponius s. § 121, 2. Gell. 13, 20 (19), 9 ex maiore Catonis filio, qui prae-
tor designatus patre vivo mortuus est et egregios de iuris disciplina libros re-
liquit. Inst. 1, 11, 12 apud Catonem bene scriptum refert antiquitas etc. Ulp.
dig. 21, 1, 10, 1 Catonem bene scribere lego etc. Paul. ebd. 24, 3, 44 pr. :
Nerva et Cato responderunt, ut est relatum etc. u. 45, 1, 4, 1 Cato libro XV
scribit etc. Besonders bekannt ist er durch die regula Catoniana betr. die
Legate (dig. 34, 7). Vgl. § 48, 4.
126. Einer der aristokratischen Gegner des Cato, M. Fulvius
Nobilior, der Gönner desEnnius, verfaßte und veröffentlichte fasti.
Auch sein Sohn Quintus betätigte Interesse für die Literatur.
1. Der Vater war Cos. 189 (in Ätolien), Censorl79. Münzer, PW. 7, 265.
Die vielleicht gar nicht als Buch veröffentlichten fasti sind von Varro ein-
gesehen worden, auf den die späteren Zitate zurückgehen. Macr. 1, 12, 16
Fulvius Nobilior in fastis, quos in aede Herculis Musarum (gestiftet wohl
aus der ätolischen Beute, vgl. Plin. NH. 35, 66. Jordan-Hülsen, Topogr. 1,
3, 544) posuit, Bomulum dicit . . Iunium mensem vocasse. Vgl. Macr. 1, 13,
12 Fulvius id egisse 31'. Acilium cos. dicit a. u. c. a. DLXII, inito mox
bello Aetolico. Varro LL. 6, 33 ut Fulvius scribit et Iunius (über den Namen
Aprilis). Censorin. d. n. 20, 2 magis Iunio Gracchano et Fulvio et Varroni
et Suetonio aliisque credendum; ebd. 4 sive a Numa, ut ait Fulvius, sive,
ut Iunius, a Tarquinio. 22, 9 Fulvius et Iunius auctores sunt (über die
röm. MonatsDamen). Charis. GL. 1, 138 Nobüiore. comparativa Plinius e
putat ablativo finiri; antiquos tarnen ait per i locutos, quippe fastos omnes
et libros fa Fulvio Nobiliortf scriptum rettulisse. Vgl. § 74, 2 und über sein
Verhältnis zu Ennius A. 2, sowie § 100, 4. 5.
2. Cic. Brut. 79 Q. Nobiliorem M. f. iam patrio instituto deditum studio
litterarum, qui etiam Q. Ennium, qui cum patre eius in Aetolia militaverat
232 Republikanische Zeit: J. 240—84 v. Chr.
(vgl. § 100, 4), civitate donavit cum triumvir coloniam deduxisset (J. 184), als
coloniae duae, Potentia in Picenum, Pisaurum in Gallicum agrum deductae
sunt, Liv. 39, 44, 10; vgl. § 100, 5. Liv. per. 49 Q. Fulvius Nobilior ei (dem
Cato) saepe ab eo in senatu laceratus respondit pro Galba (J. 149, auf die
Klage der Lusitani). Konsul war Quintus J. 153, und wahrscheinlich Censor
J. 136. Münzer, PW. 7, 268.
127. Geschichtschreiber in Catos Zeit waren ferner A. Pos tu-
rn ins Albinus, C. Acilius, sowie der Sohn des älteren Africanus,
die aber alle in griechischer Sprache schrieben. Albinus war ein
eifriger Vertreter der griechischen Richtung und machte sich sogar
durch Übertreibung lächerlich. Auch der ältere Africanus selbst,
sowie Scipio Nasica, lieferte einen Beitrag zur Geschichte.
1. A. Postumius A. f. Albinus, praet. 155, Cos. 151; PRE. 5, 1941. Po-
lyb. 39, 1 AvXog TIoGxov^iog . . olxiug [ihv r\v xca ysvovg itqcoxov , xccxä de
xrjv idlccv (pvoiv cxcoiivXog vioc\ XdXog nccl 7t£Q7itQog dicccpsQnvxag. irtid-vurjöag
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xovxoig neu KccrccxoQTig, wöxs 6l' ixsivov neu xr\v ai'gsöiv xrjv k.XXr\vi%Y\v 7tgoo-
■Koipcci xolg Ttgsoßvx^QOig xcd xolg cc^ioXoycoxdtoig x&v 'Pcopccicov. xsXog dh
ytcci 7Coi7]\iu ygdcpsiv xca iiQciy\LCixiY,i]v löxoQiav i7Cs%siQ7}6sv. Ein Zitat aus
dem Proömium bei Gell. 11, 8, 2 (Bitte um Nachsicht für seinen griechi-
schen Stil; vgl. Polyb. aO.). Dieser griechelnde Römer war natürlich dem
nationalgesinnten Cato unleidlich. Plut. Cato 12. — Cic. Acad. pr. 2, 137
A. Albinum, . . doctum sane hominem, ut indicat ipsius historia scripta graece.
Brut. 81 vivo Catone minores natu multi uno tempore oratores floruerunt.
nam A. Albinus, is qui graece scripsit historiam, . . et litter atus et disertus
fuit. Aus Macrob. 3, 20, 5 Postumius Albinus annali primo de Bruto *ea
causa sese stultum brutumque faciebat, grossulos ex melle edebat' usw. könnte
man auf das Vorhandensein einer lateinischen Übersetzung auch dieses
Werkes schließen; doch mag die Übersetzung jener Worte ebenso gut von
dem Gewährsmanne des Macrobius herrühren wie die in praef. 14 ff. von
Cornelius Nepos (Gell. 11, 8, 5). Jedenfalls aber scheint es hiernach, daß
auch Albinus bis auf die Anfänge Roms zurückging. — Serv. Aen. 9, 710
Postumius De adventu Aencae (hieraus Orig. gent. Rom. 15, 4) et Lutatius
(§ 142, 4) Communium liistoriarum Boiam . . dieunt scheint auf einem Miß-
verständnis zu beruhen. Peter, HRR. 1, cxxv. 49. HRF. 37. — Das angeb-
liche Fragm. eines unbekannten Geschichtschreibers (von Cortese veröffent-
licht riv. filol. 12, 396; auch RhM. 39, 623), wonach u. a. Albinus sein
Geschichtswerk dem Ennius gewidmet hätte, ist von Traube, Abh. bayr. Ak.
1904, 47 als eine dreiste italienische Fälschung erwiesen worden.
2. Cic. off. 3, 115 (C.) Acilius, qui graece scripsit historiam, plures alt
fuisse qui in castra revertissent (nach der Schlacht bei Cannae). Dionys.
ant. 3, 67 (rdiov kxiXXiov noL7}6oi^svog . . ßsßccLcoxrjv). Isig. Nicae. (act. soc.
Lips. 1, 40) 'AuvXiog 6 'Pcoiicclog i6X0QiK0g cpr\6i kxX. Strabo 5, p. 230 (falls
hier für das hs. oys KvXiog mit Schwegler, RG. 1,80 o y' kxvXiog zu lesen
ist; andere denken an Coelius Antipater, s. Sieglin, Coel. Antip. 33; Berl.
phil. Woch. 1883, 1453). Liv. per. 53 C. Acilius (so Hertz, C. Iulius die
§ 127. Postumius Albinus, C. Acilius. § 128. Sp. Carvilius 233
Hss.) Senator graece res JRomanas scribit (um J. 142). Sicher ist er auch der
C. Acilius Senator, der nach Gell. 6, 14, 9 (vgl. Plut. Cat. mai. 22) im
J. 155 im Senat für die drei griechischen Gesandten und Philosophen (§ 50
und S. 154) den Dolmetscher machte. Das Werk ging (einleitungsweise?)
bis auf die Urgeschichte zurück (Plut. Romul. 21 rdtog 'AxiXiog Iötoqsi,
7tgb xfjg Tirloscog v.xX.) und reichte wohl bis auf die Zeit des Verfassers: die
wenigen Reste erwähnen als für uns jüngstes Ereignis eines aus J. 184
(Dion. 3, 67). — Später wurde das Werk von einem Claudius ins Latei-
nische übersetzt: s. Liv. 25, 39, 12 Claudius, qui annales Acilianos ex graeco
in latinum sermonem vertu (Holleaux, Herrn. 48, 98). Vgl. 35, 14, 5 (J. 193)
Claudius secutus graecos Acilianos libros. Vielleicht war dieser Übersetzer
(oder Benutzer?) kein anderer als Claudius Quadrigarius (vgl. § 155, 1). So
Mommsen, röm. Forsch. 2, 427, FUnger, Philol. Suppl. Bd. 3, 2, 4, Thouret,
JJ. Suppl. 11, 156. HPeter, JJ. 125, 103. — Dafür, daß beide verschieden
seien, entscheiden sich Sigonius, Nissen, Peter (früher HRR 1, ccxcvn). —
Im allgemeinen Nissen, krit. Unters. 39. Peter, HRR. 1, cxix. 44; HRF. 34.
3. Cic. Brut. 77 filius eius (des älteren Africanus), . . si corpore valuisset,
in primis habitus esset disertus; indicant cum oratiunculae tum historia quae-
dam graeca scripta dulcissime (die Taten seines Vaters behandelnd? s. Keller^
der zweite pun. Krieg, Marb. 1875, 77. OGilbert, JJ. Suppl. 10, 393; oder
der Krieg gegen Antiochos? s. Mommsen, röm. Forsch. 2, 513). Cato m. 35
ad paternam magnitudinem animi doctrina uberior accesser at. Vellei. 1.
10, 3 P. Scipioni, P. Africani filio, nihil ex paterna maiestate praeter speciem
nominis vigoremque eloquentiae retinenti. Augur ward J. 180 (Liv. 40, 42, 13).
Flamen dialis nennt ihn die Grabschrift in Saturniern CEL. 8, deren Be-
ziehung auf ihn freilich unsicher ist.
4. Plut. Aemil. Paul. 15 6 NuGLnäg iitixalov^ivog Uxrirticov (Cos. 162
u. 155, Censor 159; Münzer, PW. 4, 1497) . . ysygcccpcbg tcbqI tcöv ngcc^ecov
xovxav (im Kriege mit Perseus) iniGxöXiov itQog xivu x&v ßccötXsav. Vgl.
ebd. 16. Cic. Brat. 79 P. etiam Scipionem Nasicam . . habitum eloquentem
aiunt. Vgl. Cato m. 50. HRF. 115. Über die ähnliche Schrift des älteren
Africanus s. § 56, 1. 123, 5. Nissen, Unters, üb. d. Quell, des Liv. 267.
128. Eine literarhistorisch erwähnenswerte Persönlichkeit aus
dem sechsten Jahrh. d. St. ist auch der Freigelassene Sp. Carvilius,
der erste, der in Rom eine öffentliche Schule errichtete, und der
Ordner des römischen Alphabets von 21 Buchstaben.
1. Plut. quaest. rom. 59, p. 278 D ngiöxog ccvsm^s yqcxiiiiciXodida6Y.ul£iov
EnoQiog KuQßLXiog, ccneXsvd'SQog KccQßiXLov xov tiqooxov ycctiExi]v izßaXovxog.
Über die Zeit dieser ersten (willkürlichen) Ehescheidung schwanken die
Angaben zwischen J. 235 und 230; s. Ritschl, Parerga 68. Seine Schule
war also älter als die des Andronicus. Über das Alphabet des Carvilius s.
oben S. 160. Ritschl, op. 4, 226. HJokdan, Beitr. z. Gesch. der lat. Spr.
(Berl. 1879), 151. LHavet, Rev. phil. 2 (1878), 17.
129. Unter den prosaischen Inschriften des sechsten Jahrh.
nimmt sprachlich wie sachlich das SC. de Bacchanalibus die her-
234 Republikanische Zeit: J. 240—84 v. Chr.
vorragendste Stelle ein. Im übrigen ist ihre Zahl klein , und ihre
Bedeutung gehört der politischen oder der Geschichte der Schrift an.
1. Das SC. (richtiger epistula consulum ad Teuranos) de Bacchanalibus
vom J. 186 ist zB. abgedruckt und erläutert CIL. 1, 196. Prise. Lat. Mon.
Tf. 18 (Faksimile). Bruns, fontes7 164. DIE. 97. WWeissbrodt, obs. in SC.
de Bacc, Braunsb. 1879; miscell. epigr., Braunsb. 1883, 10; Phil. 39, 558
— Über den Erlaß des L. Aemilius Paulus vom J. 189 s. § 123, 8. — Von
den Scipionengrabschriften gehört hierher CIL. 1, 35 für L. Scipio, Quästor
167, f 161» sowie vielleicht ebd. Nr. 36 (c. 154?) für Scipio Asiagenus. Mit
dem J. 200 etwa beginnen griechisch abgefaßte amtliche Urkunden, deren
Griechisch man die Übersetzung aus dem Lateinischen anmerkt. So aus
J. 170 das SC. über Thisbe, bei Viereck Sermo graecus quo SPQR. usi sunt
(Gott. 1888) 12. IG. 7, 2225. Bruns, fönt.7 166. Mommsen, Sehr. 8, 274.
2. Erlaß des Prätors L. Cornelius Cn. f. (Cos. 156?) an die Tiburter
(aus J. 159?), CIL. 1, 201. Bruns, fönt.7 170. DIE. 305. Bücheler, JJ. 105,
568. Die übrigen datierbaren lateinischen Inschriften des sechsten Jahrh.
(vom Anfang des hannibalischen Kriegs an) s. im CIL. 1, 530—539. DIE.
1, 980?. Zwei sehr alte Inschriften au3 Luceria und Spoletium, die die Ver-
unglimpfung eines heiligen Haines mit Strafe bedrohen, sind wegen ihrer
altertümlichen Sprachform besonders merkwürdig: CIL. I2 366. 401. Dessau
4911 f. Bormann, miscellanea Capitolina (Rom 1879), 5 DIE. 1,94. 95. Bruns,
fontes7 283. Bücheler, RhM. 35, 627. MBreau, mem. soc. linguist. 4 (1881),
273. HJordan, quaest. Umbr., Königsb. 1882; ann. dell' inst. 56, 5.
B. SIEBENTES JAHRHUNDERT D. ST.
(153—54 v. Chr.)
130. Die beiden ersten Jahrzehnte des siebenten Jahrh. d. St.
(153 — 134) waren für Rom ausgefüllt durch Kriege, insbesondere
den lusitanischen (153 — 134, Viriatus) und den numantinischen
(J. 143 — 133), in deren schmachvoller Führung sich bereits der
Verfall der Nobilität zeigte. Die literarische Tätigkeit war in dieser
Zeit sehr untergeordnet.
131. Redner haben diese beiden Jahrzehnte an dem jüngeren
Africanus und dem jüngeren Laelius, sodann an Sulpicius Galba,
L. Scribonius Libo, M. Lepidus, Furius Philus, Q. Metellus Mace-
donicus, auch geringe z. B. an den beiden Mummii. Aber die eigent-
liche Bedeutung Scipios für die römische Kultur liegt darin, daß er
der griechischen Philosophie eine feste Stätte in Rom bereitete, von
der aus sie ungehindert wirken konnte. Durch seine nahe Freund-
schaft mit Polybios und Panaitios wurde er in die Lebensauffassung
der mittleren Stoa eingeführt, die zwischen dem altstoischen Rigo-
rismus und den Anforderungen des Lebens in glücklicher Weise
§ 129. Inschriften. § 130. 131. Der Scipionenkreis 235
vermittelte. Die reihe und hohe Moral dieses Stoizismus hat er zur
Richtschnur seines Lebens gemacht und ist so in ein engeres Ver-
hältnis zur Philosophie getreten als irgend ein Römer vor ihm und
die meisten nach ihm. Um ihn scharte sich ein Kreis gleichgesinn-
ter Freunde, der diese philosophischen und literarischen Interessen
an die folgende Generation vererbte und für Ciceros Popularisierung
der Philosophie den Boden bereitete.
1. P. Cornelius Scipio Aemilianus, Africanus (minor), geb. 185/4,
Cos. 147 und 134, Censor 142, fl29; Münzer, PW. 4, 1439. Cic. Brut. 82
C. Laelius et P. Africanus in primis eloquentes, quorum exstant orationes.
Lael. 96 quanta illa (Scipionis) fuit gravitas, quanta in oratione maiestas!
. . sed . . est in manibus oratio. Vgl. Mur. 58. de inv. 1, 5. de or. 1, 215.
off. 1, 116. Scipionis oratiunculae ausgezogen von M. Aurelius, nach Fronto
34 Nab. Unter den Überresten seiner Reden (Meyer, or. fr. 1, 101) sind
zwei etwas umfangreichere mit kunstvoller Periodisierung, bei Gell. 6, 11, 9.
Macr. 3, 14, 7. Norden, KP. 170. Die meisten geißeln in schneidender Weise
die einreißende Verweichlichung der Sitten. Art des Vortrags s. Cic. de or.
1, 255 multi oratores fuerunt, ut illum Scipionem audimus et Laelium, qui
omnia sermone (Gesprächston) conficerent paullo intentiore. Sein Ausdruck
war von dem Glauben an die Geltung der Analogie beeinflußt, Lucil. 963
(an Scipio) quo facetior videare et scire plus quam ceteri, pertisum hominum,
non pertaesum dicere humanuni genus. Ebenso sagte er reder guisse, Fest. 273.
— Bemühung des Aemilius Paulus für die griechische Bildung seiner Kin-
der: Plut. Aem. Paul. 6; Plin. NH. 35, 135. Von der makedonischen Beute
ILOvcc ta ßißlla tov ßaailsag (Perseus) cptXoyQcc^,[i(XTov6i rolg vlsciv STtirQitpsv
i&IJö&cu (Plut. Aem. P. 28). Allgemeine Bildung des Africanus: Cic. Tusc.
1, 5 Galbam, Africanum, Laelium doctos fuisse traditum est. 2, 62 semper
Africanus Socraticum Jienophontem in manibus habebat. Insbesondere die
ävqov Ttcudflu, Cic. ad Q. fr. 1, 1, 23. (Sokratische) Ironie hatte ihm C. Fan-
nius in Annalibus HRF. 88 zugeschrieben; vgl. § 137, 4.
Über den Scipionenkreis Cic. de or. 2, 154 non tulii ullos haec civitas
aut gloria clariores aut auctoritate graviores aut humanitate politiores P. Afri-
cano C Laelio L. Furio, qui secum eruditissimos homines ex Graecia palam
semper habuerunt. Mur. Q6. Die römischen Mitglieder dieses Kreises lernen
wir meist aus Ciceros Dialogen de rep. und Laelius kennen, außer Laelius
und Furius noch P. Rutilius Rufus, Sp. Muminius, Q. Aelius Tubero, C. Fan-
nius, Q. Mucius Scaevola, M\ Manilius, dazu kam noch C. Lucilius und
vielleicht Valerius Soranus. Vgl. die betr. Paragraphen; über Vigellius
§ 161, 1. Über die Freundschaft mit Polybios erzählt dieser selbst 32, 9 f.
Münzer 1441. Plin. n. h. 5, 9 Scipione Aemiliano res in Africa gerente Po-
lybius annalium conditor ab eo accepta classe scrutandi illius orbis gratia
circumvectus prodit. Darauf bezieht sich vielleicht die von Cichorius RhM.
63, 220 behandelte Stelle des Index Stoicorum Herculan. Über Panaitios,
der erst nach Polybios nach Rom kam, Vell. 1, 13, 3 Scipio tarn elegans
liberalium studiorum omnisque doctrinae et auctor et admirator fuit, ut Po-
lybium Panaetiumque . . domi militiaeque secum habuerit. Aufsehen erregte
236 Republikanische Zeit: J. 240—84 v. Chr.
es namentlich, daß er auf seiner Gesandtschaftsreise nach dem Orient (viel-
leicht J. 139/8: Cichoriüs, aO. 203) den Panaitios, doch wohl als Ratgeber,
mitnahm. Schmekkl, Philos. d. mittl. Stoa 4. 7. Cic. Acad. 2, 5. Daß in
diesem Kreise der Begriff der humanitas geprägt wurde, macht Reitzenstein,
Werden und Wachsen der Humanität im Altertum, Straßb. 1907 wahrschein-
lich. Über den Einfluß der stoischen Rhetorik in diesem Kreise vgl. Reitzen-
stein, Straßb. Festschr. 1901, 143. — Vgl. Mommsen, RG. 26, 82. 429. Schmekel
aO. 439. ESchwartz, Polybios und Poseidonios, Charakterköpfe l3, 72.
2. Q. Fabius Maximus Allobrogicus , Neffe des jüngeren Scipio Africa-
nus (Cos. 121; Münzer, PW. 6, 1794), hielt die Leichenrede auf seinen Oheim,
den Africanus (Cic. Mur. 75), die C. Laelius verfaßt hatte und später unter
seinem eigenen Namen herausgab; s. Schol. Bob. zu Cic. p. Mil. 16 p. 118,
11 St.: super eins laudibus exstat oratio C. Laeli Sapientis, qua usus videtur
Q. Fabius Maximus in Jaudatione mortui Scipionis. Doch s. Cicero de or.
2, 341 Q. Tuberoni [§ 139, 2] Africanum avunculum laudanti scripsit C. Lae-
lius. Einer von beiden scheint also infolge einer Verwechslung zweier Neffen
des Africanus zu irren.
3. C. Laelius (Sapiens), Sohn des gleichnamigen § 123,5, einige Jahre
älter als Aemilianus (Cic. de rep. 1, 18 Laelium quod aetate antecedebat ob-
servabat in parentis loco Scipio ; vgl. Lael. 104); Cos. 140. PRE. 4, 725. —
Freundschaft mit Scipio, Cic. de or. 2, 22 Laelium semper fere cum Scipione
solitum rusticari eosque incredibiliter repuerascere esse solitos. Hör. S. 2, 1,
72. — Cic. Brut. 84 ingeni, litterarum, eloquentiae, sapientiae denique, etsi
utrique (dem Africanus und dem Laelius) primas, priores tarnen lubenter de-
ferunt Laelio. Vgl. ebd. 82 (oben A. 1) und de or. 1, 255. Brut. 83 pluri-
mum tribuitur ambobus, dicendi tarnen laus est in Laelio illustrior ; at oratio
Laelii de collegiis non melior quam de multis quam voles Scipionis; . . multo
tarnen vetustior et horridior ille quam Scipio. de or. 1, 58 Ser. Galbae et .
C. Laelio, quos constat dicendi gloria praestitisse. Brut. 94 han'c ob causam
(weil Laelius limatius dicendi consectabatur genus) videtur Laeli mens spi-
rare etiam in scriptis (Reden), Galbae autem vis occidisse. 295 de Laelio,
cuius tu oratione negas fieri quidquam posse dulcius, addis etiam nescio quid
augustius. nomine nos capis summi viri vitaeque elegantissimae verissimis
laudibus. Vgl. de rep. 6, 2 (oratioy Laeli quam omnes habemus in mani-
bus. ND. 3, 43 in illa aureola oratiuncula. Anklagereden von Laelius kennen
wir nicht, wohl aber politische, Verteidigungen und Lobreden (s. A. 2). Vgl.
HMeyer, orat. fr.1 p. 96. — Cic. Att. 7, 3, 10 Terentii fabulae propter ele-
gantiam sermonis putabantur a C. Laelio scribi; vgl. § 108, 5; fin. 2, 24
Diogenem Stoicum adulescens, post autem Panaetium audier at Laelius. Von
seiner Vorliebe für Philosophie 6o<pog (Lucil. ebd.), Sapiens genannt (Brut.
213. off. 2, 40. 3, 16). Ob ihm Coelius Antipater sein Geschichtswerk ge-
widmet hat? s. § 137, 5.
4. Ser. Sulpicius Galba, geb. um J. 189 (aetate paulum his — dem
Laelius und jüngeren Africanus — antecedens heißt er bei Cic. Brut. 82),
übelberüchtigt seit seiner niederträchtigen Verwaltung von Lusitanien (J. 150),
aber trotzdem Cos. 144. PRE. 6, 1494. Als Redner war er nach Cic. Brut.
82 der erste Römer, der künstliche Figuren anwandte: ut egrederetur a pro-
posito ornandi causa, ut delectaret animos, ut permoveret, ut augeret rein, ut
§ 131. Die Mitglieder des Scipionenkreises 237
miserationibus, ut communibus locis uteretur. Dagegen war er, der als di-
vinus homo in dicendo gepriesene, ignarus legum, Jiaesitans in maiorum in-
stitutis, rudis in iure civili (Cic. de or. 1, 40). Sein Vortrag zeichnete sich
aus durch große Lebhaftigkeit: in agendo . . vehemens atque incensus, Brut.
88; incitata et gravis et vehemens oratio, ebd. 93; lateribus et clamore con-
tendebat, de or. 1, 255; nihil leniter dixit, or. 106; vgl. Brut. 86 atrocior
acriorque Laelio ; 89 elegantia in Laelio, vis in Galba; de or. 3, 28 gravi-
tatem Africanus, lenitatem Laelius, asperitatem Galba, proßuens quiddam
habuit Carbo et canorum. Daher machten seine Reden geschrieben minde-
ren Eindruck (Brut. 93 f.). Auch war sein sprachlicher Ausdruck weniger
gefeilt: exiliores orationes sunt et redolentes magis antiquitatem quam aut
Laelii aut Scipionis aut etiam ipsius Catonis; itaque exaruerunt, vix tarn
ut appareant, Brut. 82; vgl. ebd. 295. Tac. dial. 18. Nach Liv. epit. 49
hatte man von ihm drei Reden, in denen er sein Auftreten in Lusitanien
verteidigte. — Von dem Ankläger des Galba (J. 149) wegen dessen Ver-
waltung (s. o.), dem Volkstribunen L. Scribonius Libo, sagt Cic. Brut. 90:
Libonem non infantem video fuisse, ut ex orationibus eius intellegi potest.
5. M. Aemilius Lepidus, qui est Porcina dictus (Cic. Brut. 95),
Cos. 137; Klebs, PW. 1, 566. Cic. aO. isdem temporibus fere quibus Galba,
sed paulo minor natu, et summus orator est habitus et fuit, ut apparet ex
orationibus, scriptor sane bonus. Vgl. ebd. 295. 333. Doch teilte auch er
Galba3 Unkenntnis des Rechts (de or. 1, 40). Aemilius Porcina orator, in
oratione uti (ne Cichorius) lex Aemilia abrogetur, Priscian. GL. 2, 474. Auct.
ad Her. 4, 7 allatis exemplis . . a Laelio (A. 3), a Scipione (A. 1), Galba
(A. 4), Porcina. Zitiert auch GL. 5, 590, 3.
6. L. Furius Philus (Cos. 136). Münzer, PW. 7, 360 perbene latine
loqui putabatur litter atiusque quam ceteri, Cic. Brut. 108. Er war Freund
des jüngeren Africanus und hatte Umgang mit gelehrten Griechen (de or.
2, 154). Unter den durch die Stoa angeregten Weisen (sapientes) wird er
neben Cato und Laelius aufgeführt de leg. agr. 2, 64; vgl. de or. 2, 154.
p. Mur. 66. de rep. 3, 5. Vielleicht (Hertz, JJ. 85, 54) war er Verfasser
einer Schrift aus dem Sacralrecht und bezieht sich auf ihn Macrob. S. 3,
9, 6 ff. Carmen (quo di evocantur), quod ille (Sammonicus Serenus) se in
cuiusdam Furii vetustissimo libro repperisse professus est. Bremer, JAH. 1, 29.
Engelbrecht, WSt. 24, 478.
7. Q. Caecilius Metellus Macedonicus, Cos. 143, Censor 131, f 115;
politischer Gegner des jüngeren Africanus; Münzer, PW. 3, 1213. MW^ende,
de Caeciliis Met. (Bonn 1875) 36. Cic. Brut. 81 Q. Metellus . . in primis
est habitus eloquens . . cuius et aliae sunt orationes et contra TL Gracchum
exposita est in C. Fanni annalibus. Gell. 1, 6, 1 oratio Metelli Numidici
(vielmehr Macedonici; s. Wende 56) gravis ac diserti viri, quam in censura
dixit ad populum de ducendis uxoribus. Liv. per. 59 Q. Metellus censor cen-
suit, ut cogerentur omnes ducere uxores . . . extat oratio eius, quam Augustus
Caesar . . in senatu recitavit. Vgl. Suet. Aug. 89 recitavit . . orationem Q.
Metelli de prole augenda. Vgl. § 143, 4 gE.
8. Cic. Brut. 94 fuerunt etiam in oratorum numero mediocrium L. et
Sp. Mummii fratres, quorum exstant amborum orationes; simplex quidem
Lucius et antiquus, Spurius autem nihilo ille quidem ornatior, sed tarnen
238 Republikanische Zeit: J. 240—84 v. Chr.
astrictior ; fuit enim doctus ex disciplina Stoicorum. Lucius ist der Cos. 146
und der Zerstörer Korinths; PRE. 5,199; s. § 163, 7. Sein jüngerer Bruder
Spurius begleitete ihn als Legat nach Achaja und schrieb epistolas versicu-
lis facetis ad familiäres missas a Corintho (Cic. Att. 13, 6, 4). Vgl. § 25, 1.
Er ist wohl der ZTcdgiog 'Pcotialog, der nach IG. 2, 953 (etwa J. 139/8) Isqo-
noiog der 'Pco^iaia in Athen war. Cichorius RhM. 63, 199.
9. Cic. Brut. 94 multae sunt Sp. (Postumii) Albini (Cos. 148) orationes.
— Andere s. § 132, 4. § 133, 4 u. 5.
132. Die Geschichtschreiber um die Mitte des zweiten Jahrh.
v. Chr. halten sich noch an die Weise der älteren Annalisten, schrei-
ben aber nach Catos Vorgange alle lateinisch. Der früheste unter
ihnen ist L. Cassius Hemina, der bedeutendste L. Calpurnius Piso
Frugi; beide beginnen mit der Entstehung Roms und schließen mit
der eigenen Zeit. Außerdem gehört dazu Fabius Maximus Servilia-
nus. Über naturhistorische Gegenstände schrieben Trebius Niger,
sowie in ungewisser Zeit der Spanier Turranius Gracilis.
1. L. heißt Hemina bei Prisc GL. 2,482, 15. Schol. Veron. Aen. 2, 717.
— Censorin. d. n. 17, 11 (über die vierten Säkularspiele): at Piso Censo-
rius et Cn. Gellius, sed et Cassius Hemina, qui illo tempore vivebat, post
annum factos tertium adfirmant, nämlich im J. 146. Vetustissimus auctor
annalium heißt Cass. bei Plin. NH. 13, 84; vgl. 29, 12 Cassius Hemina ex
antiquissimis auctor est primum e medicis venisse Romam usw. Bei dem
Zitat Cassius Hemina de censoribus libr. II (bei Non. 346, 22) bleibt unklar,
ob de censoribus Worte des Nonius sind und es sich um ein Zitat aus dem
Geschichtswerk handelt, oder ob ein besonderes Werk gemeint ist (Hertz,
de hist. 1871, p. 2 f.). Von dem Geschichtswerk des Cass. H., das bald An-
nales bald Historiae genannt wird, werden vier Bücher angeführt, und zwar
hinlänglich oft, um eine größere Ausdehnung des Werkes unwahrscheinlich
zu machen. Die Urgeschichte war in B. 1 ausführlich behandelt und auch
auf andere Städte Italiens erstreckt. Das vierte Buch hatte den Titel bel-
lum Punicum posterior (vgl. prior bellum und foedus prior bei Claud. Quadr.,
angeführt von Prisc GL. 2, 347, 7); das dritte Buch behandelte also wohl
den ersten punischen Krieg, während das zweite die röm. Geschichte bis
zum ersten pun. Kriege kurz zusammengefaßt haben wird. Da Plinius in
seinem Quellenverzeichnis ihn zu B. XII (arborum naturae), XIV (de pere-
grinis arboribus et unguentis), XXXII (Heilmittel) mit aufführt, so scheint
er auch Kuriositäten mitbehandelt zu haben. Ebenso Kirchliches und Staats-
rechtliches, sowie Versuche der Wortforschung. Außer Plinius hat ihn
Varro direkt benutzt. Münzer, Beitr. z. Quellenkrit. 183. Die Überreste,
die sich teilweise gegen die anderer Cassii schwer abgrenzen lassen, Peter,
HRR. 1, 95; HRF. 68. Über ihn Schwegler, RG. 1, 87. Peter, HRR. 1, clxviii.
Cichorius, PW. 3, 1723.
2. Über den Geschichtschreiber Libo s. § 172, 6.
3. Q. Fabius Maximus Servilianus, Cos. J. 142. Münzer, PW. 6, 1811.
Macrob. 1, 16, 25 Fabius Maximus Servilianus pontifex in libro XII negat
o porter e atro die parentare. Möglicherweise Verwechslung mit Ser. Fabius
§ 132. Cassius Hemina, Piso Frugi u. a. Historiker 239
Pictor (§ 133, 3). Schol. Veron. zu Georg. 3, 7 . . Servilianus historiarum
scriptor. Serv. Verg. Aen. 1, 3 Fabius Maximus annalium primo. Dionys.
ant. 1, 7 ag ol ngbg avtü>v inaivov^ivoi 'Pco^taicov 6vvtyQccip<xv, IJog-niog *£
Koctgjv aal <&dßi,og Mdi-iuog xca Ovalsgiog o 'Avusvg usw. Da Polyb. 3, 8
außer Fabius Pictor noch keinen Geschichtschreiber der gens Fabia zu
kennen scheint, so wird Servilianus mit seinen Aufzeichnungen erst in
späteren Jahren begonnen haben. WHarless, de Fabiis 3. 37. Peter, HRR.
1, clxxxii u. 114; HRF. 76.
4. L. Calpurnius Piso Frugi, trib. pl. 149, Cos. 133, Censor wahr-
scheinlich 120 (Censorius, A. 1. Plin. NH. 13, 87; vgl. TIlocov Aevuiog 6 %i-
\L-r\xia6g bei Dionys. 2, 38. 39. 12, 4: der Beiname wird angeführt, weil Cato-
nischer Geist in dem Werke herrschte und über die Censuren eingehend
berichtet war. Münzer, Beitr. 199. 224). Zuhörer des Panaitios? Philodem.
Index Stoic. (Riv. filol. 3, 544) ist wahrscheinlich . 61 . 00N zu üsIgcov zu
ergänzen (Hertz). Gegner der Gracchen. Pisos Geschichtswerk begann schon
mit Aeneas, wenn Schol. Veron. Aen. 2, 717 additur etiam a L. Cassio (et
Pisoney Censorio usw. sein Name richtig ergänzt ist. Es reichte im siebenten
Buche mindestens bis J. 146 (Censorin. 17, 11). Als Titel wird gewöhnlich
Annales angegeben; nur Plin. aO. sagt: L. Piso Censorius primo commen-
tariorum: daher OJahn (Lpz. Ber. 1848, 429) und Plüss, de Cinc. 28 (auch
bei Dionysios) einen zweiten Piso, Hertz (philologisch-klinischer Streifzug,
1849, 15) wenigstens eine zweite Schrift dieses Piso (antiquarischen Inhalts)
unterscheidet; dagegen mit Recht Peter, HRR. 1, cxcin. An Wahrheitsliebe
fehlte es dem Piso gewiß nicht (gravis auctor nennt ihn Plin. NH. 2, 140)
und die Anführungen, die besonders in den zwei ersten Büchern des Livius
und bei Dionysios häufig sind, verraten zwar nicht immer guten Geschmack,
im ganzen aber einen schlichten, nüchternen, treuherzigen Sinn, auch einen
Anflug von Rationalismus, der dem Romantiker Mebuhr so widerwärtig
war. Über die Darstellung des Piso urteilt Cicero, vom Standpunkte des
Stilisten, ungünstig; Gellius, als Bewunderer alles Altertümlichen, findet
das einfache Nebeneinander seiner Sätze reizend. Brut. 106 Piso et causas
egit et multarum legum aut auctor aut dissuasor fuit, isque et orationes reli-
quit, quae iam evanuerunt, et annales seine exiliter scriptos. Vgl. de leg. 1, 6.
de or. 2, 51 ff. (oben § 37, 5). Dagegen Gellius 7, 9, 1 res perquam pure ei
venuste narrata a Pisone. 11, 14, 1 simplicissima suavitate et rei et orationis
L. Piso Frugi usus est in primo annali. Seine beiden Beispiele zeigen, daß
Piso sich in anekdotenhafte Kleinigkeiten einließ: auch führt ihn Plinius
als Quelle an zu B. 2f. (Erdkunde), 8 (Tiere), 12 bis 18 (Bäume), 28 u. 29
(medicinae), 33 f. (Metalle), 36 (Steine). Vgl. A. 1. Interesse für Sitten-
geschichte und den mos maiorum, wobei die griechische Heuremataforschung
mitwirken mag, verrät u. a. fr. 38 a quo tempore (J. 154) pudicitiam sub-
versam Piso gravis auctor prodidit. fr. 40 queritur adulescentes peni deditos
esse. Benutzt haben das Werk Varro, Cicero, Livius, Dionysios und Plinius.
Münzer aO. Daß Liv. 2, 1 — 21. 32 — 33 aus Piso geschöpft seien, will be-
weisen Virck, d. Quellen des Liv. und Dionys., Straßb. 1877. Daß Diodors
römische Geschichte auf Piso beruhe, behauptet Klimke, Diod. u. d. röm.
Annalistik, Königshütte O/S. 1881; ebenso LCohn, Phil. 42, 1 (vgl. aber
§ 116, 2). Seine Überreste bei Peter, HRR. 1, 118; HRF. 76. Liebaldt, de
240 Republikanische Zeit: J. 240—84 v. Chr.
Calpurnio annalium scriptore, Naumb. 1836. Schwegler, RG. 1, 88. Peter,
HRR. 1, clxxxviii. Aldenhoven, Herrn. 5, 151. LKeller, der zweite pun.
Krieg und seine Quellen (Marb. 1875) 127 und dagegen OGilbert, Gott. GA.
1875, 343. — Cichorius, PW. 3, 1392.
5. Plin. NH. 9, 89 L. Lucullo proconsule Baeticae (J. 150) comperta de
polypis, quae Trebius Niger e comitibus eius proäidit. Vgl. ebd. 93 ut
ipsius Trebi verbis utar. ebd. 80 Tr. N. und 10, 40 Trebius auetor est. Außer
für B. 8. 9 (de aquatilium natura) wird er auch für B. 32 (medicinae ex
aquatilibus) als Quelle genannt und 32, 15 zitiert.
6. Plin. NH. 3, 3 a vico Mellaria Hispaniae ad promunturium Africae
Album, auetor e Turranio Gracile iuxta genito. Daher wird er im QVerz.
zu B. 3 an erster Stelle genannt, wie auch zu B. 9 (vgl. A. 5), sowie zu
B. 18 (naturae frugum). Vgl. 9, 11 Turranius prodidit expulsam beluam in
Gaditano litore. 18, 75 in Baetica et Africa (hordei genus) glabrum appellat
Turranius. Die Zeit des hier untergebrachten Turranius ist unbekannt.
OHirschfeld, Phil. 29, 27, hält es für nicht unwahrscheinlich, daß er mit
C. Turranius (praef. annonae unter Tiberius und noch unter Claudius, f um
48 n. Chr. fast hundertjährig; PRE. 6, 2256, 6) und sogar auch mit dem
tragischen Dilettanten dieses Namens (§ 254, 3 E.) zu verbinden sei. Ebenso
Münzer, Beitr. 387. Falls bei Plinius dub. serm. 34, 24 Tyrannus de agri
eultura primo richtig Turranius emendiert wird, so hätte er auch über
Landwirtschaft geschrieben.
7. Von Plin. wird im QVerz. zu B. 31 und 32 ein Sornatius genannt
(zitiert 32, 68), sowie Iacchus (§ 41, 1 E.).
133. Bedeutende Juristen haben diese zwei Jahrzehnte an
Manius Manilius, M. Iunius Brutus, dem über Pontifikalrecht schrei-
benden Ser. Fabius Pictor, und besonders dem Consul des J. 133,
P. Mucius Scaevola, einem scharfsinnigen, jedoch mehr bedäch-
tigen und behaglichen als tatkräftigen Ehrenmanne, der auch die
offiziellen annales abschloß und vielleicht in Buchform bringen ließ.
Diese Männer waren angesehene Schriftsteller in ihrem Fache, ins-
besondere Manilius Verfasser von Formularen zu Kaufverträgen.
Auch des Scaevola Bruder, der Cos. 131, P. Licinius Crassus Mu-
cianus, sowie C. Marcius Figulus waren gründliche Kenner des Rechts.
1. M\ Manilius, Cos. 149, gehörte zum Freundeskreise des jüngeren
Africanus. — Pompon. dig. 1, 2, 2, 39 post hos (Cato und sein Sohn) fuerunt
P. Mucius et Brutus et Manilius, qui fundaverunt ius civile. ex his . . li-
bellos reliquit . . Manilius tres (s. Zimmern, Gesch. d. röm. Priv.-R. 1, 276),
et exstant volumina scripta (inscripta Pernice) Manilii monumenta. Eine
Hindeutung auf diesen Titel will Hirschfeld, SB. Berl. Ak. 1903, 3 in den
Worten Cic. rep. 2, 26 legibus his, quas in monumentis habemus kaum mit
Recht erkennen. Cic. de or. 1, 246 Manilianas venalium vendendorum leges
ediscere. Varro RR. 2, 3, 5 Manilius scriptum reliquit sie (Sponsionsformel
über den Kauf von Ziegen), ebd. 2, 5, 11 paulo verbosius haec (Stipulations-
form), qui Manili actiones sequuntur. 2, 7, 6 emptio equina similis fere ac
§ 133. Juristen (ManiJius, Brutus, Ser. Pictor) 241
boum, .■ . ut in Manili actionibus sunt perscripta. LL. 7, 105 nexum Mani-
Jius scribit omne qiwd per libram et aes geritur (bei Varro RR. und LL. hat
die maßgebende Überlieferung stets die Form Mamilius). Cic. fin. 1, 12
disseretur inter principes civitatis, P. Scaevolam Maniumque Manilium, ab
iisque M. Brutus dissentiet, . . nosque ea scripta . . legimus libenter. ep.
7, 22 ut scires id . . Sex. Aelium, M'. Manilium, M. Brutum sensisse. Vgl.
ebd. 7, 10, 2. p. Caecin. 69 si ut Manilius statuebat, sie est iudicatum. Gell.
17, 7, 3 Q. Scaevola patrem suum et Brutum et Manilium, viros adprime
doctos, quaesisse ait usw. Dig. 41, 2, 3, 3 Brutus et Manilius putant usw.
Als Jurist heißt er bei Cic. (rep. 1, 18, vgl. Brut. 108) vir prudens. Brut.
108 nee multo minus (als P. Scaevola) prudenter (loqui putabatur) M'. Ma-
nilius. de or. 3, 133 M'. Manilium . . vidimus transverso ambulantem foro,
quod erat insigne eum qui id faceret facere civibus Omnibus consilii sui co-
piam. Als ein Mitglied des Scipionenkreises (rep. 1, 18 vir prudens omni-
busque Ulis et iueundus et carus; vgl. 3, 17 hie iuris noster interpres) wird
er von Cicero am Dialoge de rep. beteiligt. Der über sakrale Gegenstände
schreibende Manilius (Fest. 334. Arnob. 3, 38) ist wohl trotz Hirschfeld
von ihm zu trennen. Huschke, JA.6 5. Bremer, JAH. 1, 25.
2. M. lunius Brutus, iuris peritissimus (Cic. Brut. 130; vgl. 175; iuris
civilis in primis peritus, off. 2, 50). Pompon. aO. 39 heißt er praetorius und
wird gesagt, daß er Septem libellos reliquit. Dagegen Cic. de or. 2, 223 tres
Bruti de iure civili libros tribus legendos dedit. p. Cluent. 141 tres excitavit
recitatores cum singulis libris, quos M. Brutus . . de iure civili reliquit. Die
dialogische Einkleidung erhellt aus Cic. de or. 2, 224, wo es auch heißt ex
libro tertio, in quo finem scribendi feeit (M. Brutus); tot enim, ut audivi Scae-
volam dicere, sunt veri Bruti libri. Also waren nach Scaevola die vier wei-
teren Bücher Fortsetzungen des ursprünglichen Werkes. Vgl. Zimmern, Gesch.
d. röm. Priv.-R. 1, 276. Brutus führte den Dialog mit seinem Sohne, und
zwar in jedem Buche auf einem andern Schauplatz. — Cic. de or. 2, 142
video in Catonis (des Sohnes) et in Bruti libris nominatim fere referri, quid
alicui de iure viro aut mulieri responderint. Gell. 6, 15, 1. 17, 7, 3. Dig.
49, 15, 4 (inter Brutum et Scaevolam varie traetatum est).
3. Cic. Brut. 81 Ser. Fulvius (Cos. 135) et una Ser. (et Num. Martha)
Fabius Pictor et iuris et litterarum et antiquitatis bene peritus. Gell. 1,
12, 14 in libro I Fabii Pictoris quae verba pontificem maximum dicere opor-
teat . . scriptum est. 10, 15, 1 item castus multiplices (flaminis Dialis), quos
in libris qui de sacerdotibus publicis compositi sunt, item in Fabii Pictoris
primo scriptos legimus. Non. 544 Fab. Pict. libr. XVI (folgt Ritualvorschrift).
223 Varro: commentario veteri Fabii Pictoris legi (folgt Ritualgebrauch).
Fest. 250 puilia saxa esse ad portum qui sit seeundum Tiberim ait Fabius
Pictor, quem locum putat Labeo (der Jurist Antistius Labeo) dici usw. Macr.
3, 2, 3 Veranius (§ 199, 6) ex primo libro Pictoris (vgl. § 49, 6). Nonius 518
Idem (vorhergeht ein Zitat aus dem Annalisten Q. Fabius Pictor) iuris pon-
tificii libro III, vielleicht die beiden gleichnamigen verwechselnd. S. oben
§ 116, 7. Möglicherweise hat auch Gellius dieses Werk de iure pontificio
dem berühmten Annalisten Fabius Pictor zugeschrieben. Immerhin ist der
Vorname Servius nur bei Cic. Br. 81 überliefert, und gerade dort nicht im
Zusammenhange mit dem Werke, dessen Kenntnis den Späteren durch Varro
Teuffel: röm. Literaturgeach. Neub. 6. Aufl. L 16
242 Republikanische Zeit: J. 240—84 v. Chr.
vermittelt zu sein scheint. Vgl. HPeter, HRR. 1, p. clxxix. 111. Huschke,
JA.6 2. Hertz, JJ. 85, 47. Bremer, JAH. 1, 9. Münzer, PW. 6, 1842.
4. P. Mucius Scaevola, 6 vonodsixTris (Plut. Gracch. 9), Cos. 133; PRE.
5, 181. Er und sein Bruder Crassus (A. 5) standen auf Seiten des Ti. Grac-
chus (Cic. acad. pr. 2, 13). — Pompon. aO. 39 (s. A, 1). Falls die dortige
Reihenfolge der Aufzählung (Mucius, Brutus, Manilius) nicht durch Ansehen
und Rang der einzelnen bestimmt, vielmehr chronologisch gemeint wäre, so
würde Pomponius den Vater und den Sohn verwechseln; s. PRE. aO. 182.
Außerdem Pomp. aO. : ex his P. Mucius etiam decem libellos reliquit . . Uli
duo (Manilius und P. Mucius) consulares fuerunt, P. autem Mucius etiam
pontifex maximus. Letzteres war er mindestens seit 123; s. Cic. de dorn. 136.
Als solcher scheint er die Abfassung der offiziellen Annales durch den pon-
tifex maximus, die durch die Privat-Annalisten überflüssig geworden war,
abgeschafft zu haben; wenigstens gingen jene (nach Cic. de or. 2, 52) nur
usque ad P. Mucium pontificem maximum. Gleichzeitig ist dann wohl die
Sammlung der bisher geführten annales und deren Herausgabe in Buchform
veranstaltet worden; s. § 76, 2 und 3. Mommsen, RG. 26, 453. Über den
Zusammenhang des Pontifikats mit Jurisprudenz vgl. Cic. de leg. 2, 47 (vgl.
52) . . Scaevolae (Vater und Sohn, letzterer Cos. 95), pontißces atribo et eidem
iuris peritissimi (vgl. de leg. 2, 52). saepe, inquit P. füius, ex patre audivi
pontificem bonum neminem esse, nisi qui ius civile cognosset. de or. 1, 170
P. Crassus ille Dives, . . cum P. Scaevolae frater esset, solitus est ei persaepe
dicere neque illum in iure civili satis facere posse, nisi dicendi copiam as-
sumpsisset . . neque se ante causas amicorum tractare atque agere coepisse
quam ius civile didicisset. Brut. 108 Latine loqui putabatur . . P. Scaevola
valde prudenter et acute, paulo etiam copiosius. de or. 1, 240 (von Crassus)
id quod ipse diceret et in P. Mucii, fratris sui, libris et in Sex. Aelii com-
mentariis scriptum protulisse. Die Proben seiner Entscheidungen und Äuße-
rungen, die uns erhalten sind, zeigen ihn ebenso scharf im Definieren (Cic.
top. 24. 29. 37. 38) als stark in der Kasuistik (Cic. de leg. 2, 57. fin. 1, 12.
Gell. 17, 7, 3. Dig. 24, 3, 66 pr. 49, 15, 4. 50, 7, 17; vgl. 47, 4, 1, 15), ins-
besondere auch bereits im Anleiten zu gesetzlicher Umgehung der gesetz-
lichen Bestimmungen (Cic. de leg. 2, 53). Nur eine Parteiansicht aber war
es, wenn Nasica ihm den Grundsatz fiat iustitia, pereat mundus zuschrieb
(Val. Max. 3, 2, 17 tum Scipio Nasica: quoniam, inquit, consul, dum iuris
ordinem sequitur, id agit ut cum omnibus legibus Pomanum imperium cor-
ruat etc.). In seinem Umgange bildete sich Rutilius Rufus (Cos. 105); s.
§ 142, 2. Sein glänzendster Schüler aber war sein Sohn, der Cos. 95 (§ 154, 1).
— Reste: Huschke, JA.6 7. ASchneider, die drei Scaevola Cic.'s, Münch.
1879. Bremer, JAH. 1, 32.
5. P. Licinius Crassus Dives Mucianus, leiblicher Bruder des Vorigen,
aber adoptiert von P. Crassus (Cos. 205; s. § 123, 4); Cos. 131, f 130; PRE.
4, 1057. — Gell. 1, 13, 10 is Crassus . . traditur habuisse quinque rerum
bonarum maxima et praecipua: quod esset ditissimus, quod nobilissimus, quod
eloquentissimus , quod iurisconsultissimus, quod pontifex maximus. Cic. de
or. 1, 216 P. Crassus idem fuit eloquens et iuris peritus (ebenso Brut. 127.
Cato 50); ebd. 240 fuit Crassus in numero disertorum, sed par Galbae
(§ 131, 4) nullo modo; ebd. 170 (s. A. 4). Brut. 98 P. Crassum valde proba-
§ 133. P. Scaevola u. a. Juristen. § 134. L. Accius 243
tum oratorem . . accepimus, qui et ingenio valuit et studio et habuit quasdam
etiam domesticas discipllnas. nam . . cum esset P. Muci (Cos. 175) filius
fratremque haberet P. Scaevolam (A. 4), domi ius civile cognoverat. in eo
industriam constat summam fuisse maximamque gratiam, cum et consuleretur
plurimum et diceret. Unter den Juristen nennt ihn, aber mit dem Vornamen
L. (wohl durch Verwechslung mit dem Redner L. Crassus, § 152, 3) und an
unrechter Stelle (nach Sex. Pompeius u. a.), Pompon. dig. 1, 2, 2, 40 L. Cras-
sus, fiater P. Mucii (des Cos. 133, s. A. 4), qui Mucianus dictus est.
Außerdem s. Val. Max. 8, 7, 6 P. Crassus, cum in Asiam ad Aristonicum
regem debellandum consul venisset, tanta cura graecae linguae notitiam com-
prehendit, ut eam in quinque divisam genera (d. h. Mundarten) . . penitus
cognosceret. Natürlich verstand er das Griechische schon vorher vollständig.
Bremer, JAH. 1, 31.
6. Valer. Max. 9, 3, 2 C. Figulum mansuetissimum , pacato iuris civilis
iudicio (studio?) celeberrimum, Sohn des Cos. 162 und 156, aber selbst nicht
zum Konsulat gelangt; daher die ärgerliche Frage an seine consultores: an
vos (nos?) consulere scitis, consulem facere nescitis?
134. Von Dichtern war L. Accius (geboren J. 170 zu Pi-
saurum, gestorben in hohem Alter) berühmt hauptsächlich als Ver-
fasser zahlreicher Tragödien: auch sie waren Nachbildungen von
griechischen. Die Auswahl, die Accius unter diesen traf, zeugt außer
von der üblichen Vorliebe für Euripides namentlich von einer Nei-
gung zu jüngeren, weniger abgegriffenen Stoffen; auffallend viele
Stücke gehören dem troischen Sagenkreis an. Der Ton der Über-
reste ist lebhaft und bewegt, häufiger verständig zugespitzt als pa-
thetisch. Auch original römische Stoffe behandelte er in den Prae-
texten Aeneadae s. Decius und Brutus. Accius war aber auch Gram-
matiker: er verfaßte neun Bücher Didascalicon, eine Art Geschichte
des Dramas, dann Pragmaticon libri, Annales und Parerga. In Viel-
seitigkeit, Formgewandtheit, aufgeklärter Richtung und auch künst-
lerischem Selbstgefühl dem Ennius ähnlich, übertrifft Accius diesen
Vorgänger an Sorgfalt und Feile.
1. Hieron. zu Euseb. Chr. a. 1878 = 139 L. Accius tragoediarum
scriptor clarus habetur, natus Mancino et Serrano coss. (J. 170) parentibus
libertinis, et seni iam Pacuvio Tarenti sua scripta recitavit. a quo et fundus
Accianus iuxta Pisaurum dicitur, quia illuc inter colonos fuerat ex urbe de-
ductus (wenn das wahr ist, vielmehr sein Vater, denn die deductio geschah
schon J. 184). Einen Attius Pisaurensis erwähnt auch Plin. NH. 7, 128
pretium hominis in servitio geniti maximum ad hanc diem fuit grammaticae
artis Daphnin Attio (so Detlefsen, RhM. 18, 236: daphni natio die Hss.)
Pisaurense vendente et M. Scauro principe civitatis HS DCC licente. Falls
das der Dichter war, so verlieh dessen Unterricht dem Daphnis (§ 41, 1.
142, 4) seinen großen Wert. Der Freilasser des Vaters des Dichters war
vielleicht ein Vorfahr des Ritters T. Attius (Accius) aus Pisaurum, des An-
16*
244 Republikanische Zeit: J. 240—84 v. Chr.
klägers des Cluentius (§ 179, 15). Accii (und Attii) auf Inschr. aus Pisau-
rum, CIL. 11, 6359. 6406 vgl. WSchulze, Zur Gesch. lat. Eigenn. 423.
Die Schreibungen Accius und Attius sind wohl mundartlich verschieden.
In den Hss. überwiegt die mit cc sehr (s. LMüllers Lucilius p. 320); da-
gegen ist auf den Inschriften die Schreibung dieses Namens mit tt die
weitaus häufigere. — Bild des Accius auf einem Contorniaten : Bernoulli,
röm. Ikonogr. 1, 289 (vgl. A. 2).
2. Cic. Brut. 229 Accius isdem aedilibus (um J. 140) ait se et Pacuvium
docuisse fabulam, cum üle LXXX, ipse XXX annos natus esset. pArch. 27
D. Brutus, summus vir et imperator (Cos. 138), Accii amicissimi sui carmi-
nibus templorum ac monumentorum aditus exornavit suorum, wozu Schol.
Bob. p. 179, 6 Acci . . . cuius plurimos versus, quos Saturnios appellaverunt,
vestibulo templi Martis superscripsit (nämlich Brutus). — Auct. ad Her. 1, 24
mimus quidam nominatim Accium poetam compellavit in scaena. cum eo Ac-
cius iniuriarum egit. hie nihil aliud defendit nisi Heere nominari eum, cuius
nomine scripta dentur agendo. Vgl. ebd. 2, 19 P. Mucius {iudex) eum, qui
L. Accium poetam nominaverat, condemnavit. — Plin. NH. 34, 19 notatum
ab auetoribus et L. Accium poetam in Camenarum aede maxima forma sta-
tuam sibi posuisse, cum brevis admodum fuisset. Vielleicht ein Weihgeschenk
nach einem tragischen Siege. Der Tadel ging wohl von Lucilius (V. 794)
aus. Cichorius, Unters. 153. — Cic. Brut. 107 D. Brutus M. fäius, ut ex
familiari eius (vgl. leg. 2, 54) L. Accio poeta sum audire solitus, usw. : nach
dieser Stelle kannte Cicero den Accius noch persönlich und pflegte sich
über literarische Dinge mit ihm zu unterhalten: dies setzt von Seiten Cice-
ros mindestens ein Lebensalter von etwa 20 Jahren voraus, so daß Accius
etwa bis J. 86 gelebt haben und über 80 Jahre alt geworden sein muß.
Cic. Phil. 1, 36 von der Wiederaufführung des Tereus des Accius (vgl. ad
Att. 16, 2, 3. 16, 5, 1) im J. 44: nisi forte Accio tum plaudi et sexagesimo
post anno palmam dari, non Bruto putatis. Hier rechnet Cicero nicht vom
Tode des Accius, sondern (rund) von der ersten Aufführung des Tereus,
welche danach ungefähr ins J. 104, etwa ins 66. Lebensjahr des Accius fiele.
— Val. Max. 3, 7, 11 poeta Accius . . Iulio Caesari, amplissimo ac floren-
tissimo viro (selbst auch Verfasser von Tragödien, s. § 153, 3), in conlegium
poetarum (§ 94, 7) venienti numquam adsurrexit, . . quod in comparatione
communium studiorum aliquanto se superiorem esse confideret. Überdies war
Accius um etwa 40 Jahre älter als dieser Kunstgenosse. Zum Scipionen-
kreise hatte er keine Beziehungen und wurde von Lucilius mehrfach an-
gegriffen; Porph. Hör. S. 1, 10, 53 (nil comis tragici mutat Lucilius Acci'i)
facit autem haec Lucilius cum alias, tum vel maxime in tertio libro; meminit
nono et deeimo. Cichorius, Unters. 132. 202. 261.
3. Quint. 5, 13, 43 aiunt Accium interrogatum , cur causas non ageret,
cum apud eum in tragoediis tanta vis esset optime respondendi, hanc reddi-
disse rationem: quod illic ea diceret quae ipse vellet, in foro dicturi adver-
sarii essent quae minime vellet. Bei Cic. Plane. 59 heißt er gravis et inge-
niosus poeta; Sest. 120 summus poeta. Die Bezeichnungen altus (Hor. E. 2,
1, 56), animosi oris (Ovid. am. 1, 15, 19) udgl. bezeichnen ebenso allgemein
seine Eigenschaft als Tragiker. Vgl. Gell. 13, 2, 2 cum Pacuvius . . Taren-
tum concessisset, Accius, tunc haud parvoiunior, proßeiscens in Asiam cum
§ 134. L. Aerius 245
in oppidum venisset, devertit ad Pacuviwm comiterque invitatus plusculisque
ab eo diebus retentus tragoediam suam cui Atreus nomen est desideranti legit.
(3) tum Pacuvium dixisse aiunt sonora quidem esse quae scripsisset et gran-
dia, sed videri tarnen ea sibi duriora paulum et acerbiora. (4) ita est, inquit
Accius, uti dicis: neque id nie sane paenitet; meliora enim fore spero quae
deineeps scribam.
4. Unter den Stoffen sind etwa ein Viertel aus Euripides, einige aus
Sophokles (über den Philocteta Bloch, Studi ital. 1, 97), ganz wenige aus
Aischylos (Myrmidones , Prometheus, kaum Armorum iudicium). Zahlreich
sind die epigonenhaften Stoffe und Titel wie Agamemnonidae Alphesiboea
Pelopidae Persidae Phinidae, den Grammatiker verraten Epinausimache und
Nyctegresia. In der Wahl der Worte und Formen ging Accius über die
Kühnheit seiner Vorgänger, die in der Tragödie Pflicht war, nicht hinaus
(Koterba § 105, 4), wohl aber in der Anwendung der Rhetorik, die seinen
ganzen Stil bestimmte (vgl. A. 3). Er strebt nach Periodenbau, gliedert
seine Sätze durch Antithese und Parallelismus und verwendet neben der
Paronomasie sehr reichlich die Alliteration und andere Klangmittel. Wo
wir ihn mit dem Original vergleichen können (zB. V. 581. 592. 595 mit
Euripides' Phoenissen), strebt er nach Steigerung und Bereicherung des Aus-
drucks. Er wurde in Ciceros Zeit wieder modern: Aufführung des Eury-
saces J. 57 (Cic. Sest. 120 mit Schol. Bob.), der Clutemestra J. 55 (Cic. ep.
7, 1, 2), des Tereus J. 44 (A. 2). Daher Horaz ep. 2, 1, 55 aufert Pacuvius
docti famam senis, Accius alti. Vellei. 1, 17, 1 in Accio circaque cum Ho-
mana tragoedia est. 2, 9, 3 clara . . ingenia . . Acci usque in Graecorum in-
geniorum comparationem evecti magnumque inter hos ipsos facientis oper
suo locum, adeo quidem ut in Ulis limae, in hoc paene plus videatur fuisse
sanguinis. Pers. 1, 76 est nunc, Brisaei quem venosus Über Acci . . moretur?
Von den Tragödien des A. sind uns noch etwa 45 Titel bekannt, d. h. die
meisten, die uns von einem römischen Tragiker überliefert sind, und wohl
so ziemlich alle, die er überhaupt verfaßt hat; dem entsprechend haben
wir von Accius auch die meisten Überreste; die berühmtesten Stücke waren
etwa Atreus (daraus oderint dum metuant V. 203), Epigoni (aus Sophokles
nach Cic. opt. gen. 18), Epinausimache, Philocteta (Zielinski, Eos 17, 129).
— Die Überreste bei Ribbeck, trag.8 p. 157. Aufzählung der Titel und des
Inhalts der Stücke bei Teuffel im Tüb. Progr. 1858, 17. Vgl. Ribheck, röm
Trag. 344. 599; röm. Dicht. 1, 177. Leo zu Sen. trag. 1, 158. Robert, Bild
und Lied 133. LMüller, de A. fabulis, Berl. 1890. Ambrassat, De Accii
fab. Androm. Telepho Astyan. Meleagro, Königsb. 1914.
5. Von seinen Praetexten (Ribbeck, trag.3 p. 326; röm. Trag. 586) be-
handelte Decius (s. Aeneadae) den Opfertod des jüngeren P. Decius Mus
(J. 295), Brutus, seinem Gönner Brutus zu Ehren gedichtet, den Sturz des
Tarq. Superbus und die Einsetzung der ersten Konsuln. — Varro LL. 6, 7
ut in Bruto Cassii quod dicebat Lucretia 'nocte intempesta nostram devenit
domum' '; vgl. ebd. 7,72 apud Cassium (folgt derselbe Vers): also eine Prae-
texta desselben Inhalts wie der Brutus des Accius; deshalb trotz des dop-
pelt überlieferten Namens Cassius gewöhnlich auf jenen bezogen. TRF. 331.
6. Die nichtdramatischen Überreste des Accius (A. 7 — 10) s. an LMül-
lers Lucilius (1872) p. 303 (vgl. p. 317). FPR. 266.
246 Republikanische Zeit: J. 240—84 v. Chr.
7. Didascalica (vgl. des Aristoteles didaanalica), eine Art Geschichte
der griech. und röm. Poesie in loser Form, mit besonderer Berücksichtigung
der Dramatik und noch die Zeit des Dichters selbst mitbehandelnd: sehr
spärliche Bruchstücke (bis B. 9 gehend). Madvig, op. 1 (Kopenh. 1834), 96.
Teuffel, Tüb. Progr. v. 1858, 35. Einige der erhaltenen Reste haben sota-
deisches Maß (Lachmann, kl. Sehr. 2, 67); aber Gell. 6, 9, 16 (vgl. Prisc GL.
2, 517, 5) L. Accius in Sotadicorum l. I meint ein anderes Gedicht (Plin.
ep. 5, 3, 6 kennt erotische Gedichte des A.). Doch ist die Anrede des Bae-
bius bei Charis. GL. 1, 142, 1 prosaisch (Bücheler, RhM. 35r 401): danach
hätte B. 9 ein Vorwort in Prosa gehabt (vgl. die prosaischen Vorreden bei
Mart. Auson. u. a.). Aber auch ein unzweifelhafter iambischer Senar findet
sich (Prisc. GL. 1, 253). Bücheler aO. hält den Kern des Werkes für pro-
saisch; GHermann, op. 8, 390 nahm trochäische Tetrameter an (vgl. § 146, 3).
Vielleicht hatte das Werk dialogische Form wie Satyros' ßiog Evgmidov.
Als eine benatzte Quelle läßt sich Aristophanes von Byzanz wahrscheinlich
machen. Norden, RhM. 48, 537. Hendrickson, Am. JPh. 19, 303. Über einen
starken literarhistorischen Irrtum des Accius s. § 94, 2. Leo, PF. 66.
8. Pragmaticon libri (mindestens zwei) in troch. Tetrametern, literatur-
geschichtlichen Inhalts; nQccy(.iccTLx6g (Gegs. Xsutwog) bezeichnet das, was
nicht Sprache und Ausdruck angeht. Norden, RhM. 48, 531. Über Spuren
literarischer Polemik (gegen Lucilius?) MRichter, Comm. Jenens. 11, 2, 59.
— Ein Bruchstück bei Non. 61, 19 aus parergorum Hb. I (zwei iambische
Senare) handelt vom Pflügen; diese Parerga darf man weder mit dem Praxi-
dicus (A. 12) zusammenwerfen noch vermuten, daß sie alle Schriften des
Accius außer den Tragödien zusammengefaßt hätten und sich so das Zitat
annali XXVII (Fest. 146, 31; s. A. 10) erkläre (es sollte doch wenigstens
parergorum XXVII heißen). — Die grammatischen Fragmente bei Funaioli,
GRF. 1, 22.
9. Annales im epischen Maß, woraus mythologische Anführungen (über
Hermes und die Xqovhx) erhalten sind. Zitiert werden B. 1 und B. 27
(letztere Zahl wohl zu groß und verderbt, s. A. 8). Der Titel erlaubt kaum,
an ein Werk von anderer Art als das des Ennius zu denken.
10. Nachdenken über die Sprache beweisen manche Wortkünsteleien
in Accius' Tragödien, insbesondere die Art der Anwendung der Alliteration
(Teuffel, Progr. v. 1858, 32), die Nachricht (bei Mar. Vict. GL. 6, 8) daß
er aggulos (statt ang.) schrieb, z und y nicht anwandte, daß er die Natur-
länge der Vokale a, e und u durch Verdoppelung in der Schrift bezeichnete
(§ 93, 10; ob letzteres vom älteren Plinius, wenigstens bei den Endungen
der vierten Deklination, wieder befolgt wurde? s. Detlefsen, symb. philol.
Bonn 712). Accius fand das Vorbild dieser Gemination in andern italischen
Dialekten, zB. dem oskischen, umbrischen, sabellischen, messapischen ;
Ritschl, op. 4, 142. 153. 361. 492. 687. Torf, Idg. Forsch. 5, 206. Sie findet
sich auch auf griechischen Inschriften; s. Viereck Sermo graecus 57. Lehrte
Accius auch K vor a, Q vor u und sonst C zu schreiben? Vgl. Jordan, krit.
Beitr. (Berl. 1879), 125. Schady, de Mar. Vict. (1869) 13. Vgl. Varro LL.
10, 70 Accius haec in tragoediis largius a prisca consuetudine movere coepit et
ad formas graecas verborum magis revocare, a quo Valerius (s § 147, 1) ait:
Accius Hectorem nollet facere, Hectora mattet; (aber Hectorem V. 667, Nesto-
§ 134. L. Accius. § 135. Die Gracchen 247
rem fr. 10 B.) und 5, 21 apud Accium non terminus, sed termen. Wo A. diese
Lehren vortrug, wissen wir nicht; Lucilius polemisierte dagegen (§ 143, 7).
M. Varro widmete dem A. seine Schrift de antiquitate litterarum (§ 166, 6,e).
11. GBoissier, le poete Attius, Paris 1857. Teuffel, Caecilius Statius
usw., Tüb. 1858, 14. Ribbeck, röm. Trag. 340. 602. Marx, PW. 1, 142.
12. Plin. NH. QVerz. zu B. 18 (naturae frugum) Attius qui Praxidica
scripsit. NH. 18, 200 Attius in Praxidico, ut sereretur cum luna esset in
ariete geminis leone libra aquario: also eine Schrift astrologischen Inhalts,
vielleicht ein Lehrgedicht: und dazu stimmt auch der Titel: Praxidikos ist
uns als Astrologe (wohl mit fingiertem Namen) bekannt. Plin. scheint
diesen Atticus von dem Dichter unterscheiden zu wollen. Aber schon die
Art der Anführung bei Plin. zeigt, daß er diesen Attius von dem Dichter
unterscheiden will. vWilamowitz, Herrn. 34, 637. Ist bei Plin. QVerz. Praxi-
dicea zu schreiben? Crusius, Phil. NF. 11, 642. ORibbeck, RhM. 41, 631.
135. Die Zeit der Gracchen (J. 134 — 119) erzeugte innere
Stürme, die den Staat in seinen Grundfesten erschütterten. In die-
sen leidenschaftlichen Parteikämpfen war die Rede eine mächtige
Waffe, deren Wert jetzt erst recht gewürdigt wurde. Am gewaltig-
sten handhabte das Wort in dieser Zeit der jüngere Gracchus (J.
154 — 121). Die zündende Kraft seiner Beredsamkeit, die sich mit
einer raffinierten Anwendung rhetorischer Mittel verband, tritt uns
aus den wenigen Proben, die wir besitzen, noch ergreifend ent-
gegen. Wie überhaupt so auch als Redner viel weniger bedeutend
war des Gaius älterer Bruder Tiberius (J. 163 — 133).
1. Ti. Sempronius Gracchus, geb. J. 163 oder 162, geriet als Volks-
tribun J. 133, ungeduldig über den Widerstand, den er bei seinen wohl-
gemeinten Vorschlägen fand, bald aus der gesetzlichen Bahn und wurde
von dem Pontifex maximus P. Nasica erschlagen (ov7tco tqiäy.ovxa ysyovmg,
Plut. G. Gracch. 1). Gaius neun Jahre jünger (Plut. Ti. Gr. 3. G. Gr. 1,
somit J. 154 oder 153 geboren) war J. 133 ff. triumvir agris dividundis, dann
Volkstribun J. 123 — 121: in letzterem Jahre erlag er dem Cos. L. Opimius.
2. Gemeinsames und Vergleichung beider. Plut. Ti. Gr. 2 idia %qo-
6co7cov %a\ ßXi\L\xati xul yivr^iari ngaog y.a.1 yata6tr\yiat iy.bg tjv 6 TißEQiog,
gvrovog dh v.al 6(poÖQog o rd'Cog. . . ö Xoyog tov [isv Tatov cpoßsobg %a\ itsoi-
7tccd,r}g slg Ssivtoötv , ijdiav d' 6 tov TißsQiov yal iiäXXov iTtayaybg oi'xzov.
xfi de Xs^si Kcc&ccQog v.al diait^novr\\iivog äyQißcbg Hsivog, 6 6b rcctov Jtid'a-
vbg xul ysyavco^tsvog ... tco d' iföst, . . 6 fihv iriLSiyi]g y.a.1 Ttgciog, 6 ds tga^vg
y.al ftviiosidrig. Mag hier der Unterschied allzusehr betont sein, so war. doch
jedenfalls Gaius der lebhaftere und durch die Erfahrungen seines Bruders ver-
bittert. Liv. per. 60 C. Gracchus . . eloquentior quam frater. Dio 1, 330 Boiss.
6 Tgay^og tr\v fihv yvca[ir]v o^ioiav tat adsXcpa zi%sv . . tfj ds 7caQaGKtv(j tav
Xoycov uoXv avtov ngoiepsosv. Vellei. 2, 6, 1 ingenio eloquentiaque longe
praestantior. Cic. Brut. 333 Gracchi in contionibus multo faciliore et Übe-
riore genere dicendi (usi sunt quam superiores). Plin. NH. 13, 83 Tiberii
Gaique Gracchorum manus (Handschrift) apud Pomponium Secundum . .
vidi annos fere post ducentos.
248 Republikanische Zeit: J. 240-84 v. Chr.
3. Tiberius. Cic. Brut. 103 fuit uterque (Carbo und Tib.) summus ora-
tor. atquehoc memoria patrum teste dicimus; (104) nam et Carbonis et Gracchi
habemus orationes nondum satis splendidas verbis, sed acutas prudentiaeque
plenissumas. fuit Gracchus . . Graecis litteris eruditus. nam semper habuit
exquisitos e Graecia magistros, in eis iam adulescens Diophanen Mytile-
naeum (vgl. Plut. Ti. Gr. 8. 20), Graeciae temporibus Ulis disertissimum. de
harusp. resp. 41 T%. Gracchus convellit statum civitatis: qua gravitate vir,
qua eloquentia, qua dignitate! Appian. b. c. 1, 9 Tl§sqlo? UetinQmvtog Fqccy.-
%og, avrjQ 87CL(pavrjg aal Xa^TtQog ig (piXort^tlccv, slmcslv ts Sjovaröaxarog. Daß
seine Stellung zum Numantinischen Vertrag in den Rhetorschulen frühzeitig
ausgebeutet wurde, zeigt Quint. 7, 4, 13 interdum culpa in hominem relega-
tur: ut si Gracchus reus foederis Numantini . . missum se ab imperatore suo
diceret. Martian. Cap. 5, 456 remotio est, cum obiectum crimen in alterum
vel in aliud .. removetur. in alium, ut Ti. Gracchus in Mancinum, qui
auctor faciendi foederis fuit. Jedoch ist das, was Plutarch (Ti. Gr. 9. 15) als
Probe der niftccvotrig und nvKv6tr\g tov ccvögog den Tib. zur Begründung
seiner Anträge sprechen läßt, wirklich aus seinen Reden geschöpft und
nicht Ausmalung von Rhetoren und rhetorisierenden Historikern, wie Fan-'
nius oder Livius, aus denen Appian b. c. 1, 9 seine Angaben über Reden des
Gr. haben mag. Die Quelle des Plutarch scheint wirklich Proben aus den
Reden gegeben zu haben; vgl. G. Gr. 4 extr. : xoiavtr\ [isv t\ ■jiiy.qLcc t&v X6-
ycov i]v ccvrov, y.cti noXXcc Xccßelv ix t&v ysyQaii^iivcov %G%iv o^ioiu. Bijvanck,
studia in Ti. Gr. hist., Leid. 1879. ThGreve, Krit. d. Quellen z. Leb. des
Ti. Gr., Aachen 1883.
4. Gaius. Allgemeine Charakteristik seiner Beredsamkeit. Plut. G. Gr. 1
tov Xoyov a>67i8Q (aximTSQcc necTccöxsvagoiiEvog inl xr\v itoXitslav . . U7t£dzi£,£
tovg ccllovg Qtjrogccg naid<ov (infantium) \lt]8ev diacpSQOVTccg. 3 l6%vcov ta>
Xiysiv cog aXXog ovdslg. 4 rjv 8s xal [isyocXocpcovoTcctog xai QCo^aXsatccrog iv
reo Xiysiv. Vgl. A. 2. Cic. de harusp. resp. 41 C. Gracchus quo ingenio, qua
eloquentia, quanta vi, quanta gravitate dicendi! pro Font. 39 exstat oratio
hominis, ut opinio mea fert, nostrorum hominum longe ingeniosissimi atque
eloquentissimi , C. Gracchi. Brut. 125 vir et praestantissumo ingenio et fla-
granti studio et doctus a puero, C. Gracchus, noli enim putare quemquam
pleniorem aut uberiorem ad dicendum fuisse . . damnum illius immaturo in-
teritu res JRomanae Latinaeque litter ae fecerunt. 126 diutius si vixisset, . . .
eloquentia quidem nescio an habuisset parem neminem, grandis est verbis,
sapiens sententiis, gener e toto gravis: manus extrema non accessit operibus
eius; praeclare incohata multa, perfecta non plane. Tac. dial. 18 Catoni seni
comparatus C. Grachus plenior et uberior. 26 mdlim C. Gracchi impetum.
Sein Lehrer war Menelaos aus Marathus (Cic. Brut. 100), er lernte also die
kleinasiatische Beredsamkeit. In der Zeit des Fronto erneuerte sich das
Interesse für Gracchus. Fronto ep. p. 145 tribunalia Catonis et Gracchi et
Ciceronis orationibus celebrata. p. 144 contionatur Cato infeste, Gracchus
turbulente, Tullius copiose. iam in iudieiis saevit idem Cato, triumphat Ci-
cero, tumultuatur Gracchus, Calvus rixatur. p. 54 oratores veter es, quorum
aut pauci aut praeter Catonem et Gracchum nemo tubam inflat. Beschäfti-
gung mit Reden des (C.) Gracchus ebd. p. 56. 61. 105. Dieser neuerwachten
Teilnahme verdanken wir die Erhaltung köstlicher Proben seiner Beredsam-
§ 135. Die Gracchen 249
keit durch Gellius, bes. NA. 10, 3,3—5. 11, 10,2—6. 11, 13, 3. 15, 12,2—4.
Dio hat bereits wieder aus abgeleiteten, dem C. Gracchus politisch abge-
neigten Quellen geschöpft, s. fr. 85 ßk. (1, 330 Boiss.) wo auch rfj 7caga~
6y.svji rcbv Xoyoav TtoXv ccvrov (sc. Tißsglov) itgoecpsQS . . . itoXXfj \ihv Ttvnvo-
tr\ti iv&viiriiiuTcov, TtoXXj) ds nai 6cpodQotr\ti 6vo(j.dtcov inntav idr^ir\yoQSi. —
Mommsen, RG. 26, 103. RSchmidt, Krit. der Quellen zur Gesch. der gracchi-
schen Unruhen, Berl. 1864.
5. Art der Beredsamkeit des C. Gracchus: Lebendigkeit des Vortrags
(Plut. GGr. 4) mit raffinierter Berechnung der Wirkung, Cic. de or. 3, 225
cum eburneola solitus est habere fistula, qui staret occulte post ipsum, cum
contionaretur , peritum hominem, qui inflaret celeriter eum sonum, quo illum
aut remissum excitaret aut a contentione revocaret. Auf dieser Stelle beruhen
alle anderen Zeugnisse (Büttner, Porcius Licinus 80); nur Gell. 1, 11, 10
polemisiert gegen Ciceros Darstellung. Norden, KP. 57. Heftige Aktion:
Auf- und Abgehen, Entblößen des Armes, Plut. Ti. Gr. 2. Dio aO. Cic. de
or. 3, 214 quae sie ab illo esse acta constabat oculis voce gestu, inimici ut
lacrimas teuere non possent. Einschneidende Schärfe gegen den Übermut
des Adels und auch einzelnen Gegnern gegenüber (Schol. Bob. in Cic.
pFlacc. 16 p. 96, 29: gegen Piso Gracchi exstat oratio maledictorum magis
plena quam criminum; vgl. Cic. pFont. 39). Cic. Tusc. 3, 48 lege orationes
Gracchi: patronum aerarii esse dices. Wahl der treffendsten Ausdrücke, Cic.
de or. 1, 154. — Gell. 11, 13, 2 in eius orationis prineipio collocata verba
sunt aecuratius modulatiusque, quam veterum oratorum consuetudo fert. Über
seine exordia § 44, 5. Die Überreste von (17 — 19) Reden bei Meyer, or.
rom. fragm.2 p. 227. — Norden, KP. 171.
6. Cic. de div. 1, 36 Ti. Gracchus P. f. . . nonne, ut C. Gracchus, filius
eius scriptum reliquit, duobus anguibus domi comprehensis haruspices convo-
cavit? Genauer ebd. 2, 62 C. Gracchus ad M. Pomponium (PRE. 5, 1876)
scripsit duobus anguibus domi comprehensis haruspices a patre convocatos.
Vgl. Plut. Ti. Gr. 1. Die betreffende Schrift hatte also Briefform, war so-
mit keinesfalls eine Rede, sondern wohl eine politische Schutz- und Streit-
schrift. Auf sie kann sich daher gleichfalls beziehen Plut. Ti. Gr. 8 6 d'
ccdslcpbg avrov Fdiog £V Ti.i>t ßißXLco ysygcccpsv (was dem Tib. den Anstoß
zu seinen leges agrariae gegeben habe). Vgl. Peter, HRR. 1, clxxxv; HRF.
117. Böhme (A. 1) S. 4 f.
136. Von den Rednern der gracchischen Zeit standen anf
Seiten der Gracchen nur die Brüder Crassus (Cos. 131) und Scae-
vola (Cos. 133), des Tiberius Schwiegervater Appius Claudius (Cos.
143), sowie M. Fulvius Flaccus (Cos. 125), C. Papirius Carbo (Cos.
120) und P. Decius (Praetor 115), vielleicht auch C. Scribonius
Curio (Praetor 121); auf der Gegenseite aber T. Annius Luscus
(Cos. 153), Q. Metellus (§ 131, 7), P. Nasica (Cos. 138), L. Piso
Frugi (§ 132, 4), P. Popilius (Cos. 132), C. Fannius (Cos. 122),
Q. Aelius Tubero (§ 139, 2), der prineeps senatus M. Scaurus (Cos.
115) und M. Livius Drusus (Cos. 112).
250 Republikanische Zeit: J. 240—84 v. Chr.
1. Da wir von dem Stil dieser Redner nicht genug wissen, so muß die
Gruppierung nach der politischen Zugehörigkeit statt einer anderen stehen
bleiben. Sie werden sich alle der modernen fasianischen' Redeweise be-
dient haben, soweit ihre Vorbildung sie dazu in den Stand setzte. Die
beiden Mucier waren dem Ti. Gracchus wohl gesinnt: § 133, 4._
2. Appi Glaudi volubilis, sed paulo fervidior erat oratio, Cic. Brut. 108.
Ap. Claudius C. f. Polc(er) auf termini Gracchani zB. CIL. 1,552, Censorl36;
Münzer, PW. 3, 2848.
3. Cic. Brut. 108 in aliquo numero (erant) etiam M. Fulvius Flaccus
et C. Cato . . , mediocres oratores, etsi Flacci scripta sunt, sed ut Studiosi
litterarum (dilettantischer Forscher auf dem Gebiete der Literatur). Münzer,
PW. 7, 241.
4. C. Papirius C. f. Carbo, tr. pl. 131, praetor 125, Cos. 120; PRE. 5,
1145. Cic. Brut. 104 et Carbonis . . habemus orationes (§ 135, 3). 105 Carbo
. . est in multis iudiciis causisque cognitus. hunc . . L. Gellius . . canorum
oratorem et volubilem (vgl. de or. 3, 28) et satis acrem atque eundem et vehe-
mentem et valde dulcem et perfacetum (vgl. Lael. 96) fuisse dicebat; addebat
industrium etiam et diligentem et in exercitationibus commentationibusque
multum operae solitum esse ponere (vgl. Quint. 10, 7, 27 C. Carbo etiam in
tabernaculo solebat hac uti exercitatione dicendi). 106 hie optimus Ulis tem-
poribus est patronus habitus. Vgl. 159 u. 221 (eloquentissimus homo)\ 103
(summus orator). Seine Bildung muß aber einseitig rednerisch gewesen sein,
wenn er, wie Galba und Porcina (§ 131, 4 u. 5), von den leges, instituta
maiorum und dem ius civile wenig verstand (Cic. de or. 1, 40). Auch war
er ebenso charakterlos wie talentvoll: er, der Genosse des C. Gracchus (Cic.
Lael 39. pMil. 8. Val. Max. 6, 2, 3), verteidigte und pries als Konsul dessen
Mörder L. Opimius (Cic. de or. 2, 106. 165. 169).
5. Cic. Brut. 108 Flacci (A. 3) aemulus P. Decius fuit, non infans ille
quidem, sed ut vita sie oratione etiam turbulentus (nach Ciceros einseitigem
Parteistandpunkte, weil er J. 120 den L. Opimius belangte). Münzer, PW.
4, 2277.
6. Cic. Brut. 79 et T. Annium Luscum, Q. Fulvi collegam (im Konsulat),
non indisertum dieunt fuisse. Plut. Ti. Gr. 14 Titos "Avviog, ovk &7ii£iY.r\g
{isv ovds oäcpQCOv av&QcoTios, iv 6h Xoyco Ttsgl rag igcorrfösig y.a.1 U7C0KQi6£ig
a[ia%os bIvcci doxeov. Fest. 314 T. Annius Luscus in ea . . quam dixit ad-
versus Ti. Gracchum. Er ist vielleicht der Annius, gegen den der ältere
Cato eine Rede hielt (Fest. 305), oder dessen Sohn PW. 1, 2270.
7. P. Cornelius Scipio Nasica Serapio (Cos. 138). Cic Brut. 107 Accius
. . illum . . cum omnibus in rebus vehementem , tum acrem aiebat in dicendo
fuisse. Münzer, PW. 4, 1501.
8. P. Popillius C. f. Laenas, Cos. 132 (vgl. CIL. 1, 550. PRE. 5, 1900, 10),
cum civis egregius (als Verfolger der Anhänger des Ti. Gracchus) tum non
indisertus fuit, Cic Brut. 95.
9. Cic Brut. 101 alter (s. § 136, 9) C. Fannius, M. f., C. Laeli gener
(s. aber unten), et moribus et ipso genere dicendi durior. is Panaetium audi-
verat. Vgl. ebd. 118 und § 137, 3. Kriegsgefährte des Ti. Gracchus bei
der Erstürmung Karthagos (Plut. Ti. Gr. 4 tov ys tsi%ovg ineßr} . . 7tQmtog
[Ti. Gracchus], wg qprjtft <Pdvviog leycov v.cu ccvtbg reo TißsQiG) ovvsmßfivca
§ 136. Redner der Gracchenzeit 251
xrl.) und (J. 141) in Spanien (Appian. Hisp. 67). Trib. pleb. J. 142 (Cic. ad.
Att. 16, 13 C). Um 129 — 125 Praetor (<Pdvvios Mdg-nov vlbs örparrjyd?, Jo-
seph, ant. 13, 9, 2). Er ist der C. Fannius M. f. (CIL. 1, 560) Strabo, Cos. 122,
und dann geboren um 174. Übrigens unterscheidet Cicero mit Unrecht zwi-
schen einem Redner C. Fannius C. f. und einem C. Fannius M. f.,; alle
Angaben (auch Cic. de rep. 1, 18) sind auf den letzteren Fannius M. f. zu
beziehen. Vgl. ad Att. 16, 13, 2. Mommsen, CIL. 1, p. 158 und Peter, HRR.
1, ccm. Doch s. Hirschfeld, Kl. Sehr. 776. Münzer, PW. 6, 1987. Cic. Brut.
99 C. Fannius C. f., qui consul cum Domitio fuit, unani orationem de so-
ciis et nomine Latino contra C. Gracchum reliquit sane et bonam et nobüem.
Manche bezweifelten freilich, daß Fannius diese Rede verfaßt habe, und
legten sie dem C. Persius bei (litteratus homo Brut. aO., omnium fere no-
strorum hominum doctissimus de or. 2, 25. fin. 1, 7; als solcher bei Lucilius
592. 596): andere meinten multos nobiles quod quisque potuisset in illam
orationem contulisse. Beiden Ansichten widerspricht jedoch Cic. Brut. aO.
Ebd. 100 cum Fannius numquam sit habitus elinguis. nam et causas defen-
sitavit et tribunatus eius (J. 142), arbitrio et auetoritate P.Afri cani gestus,
non obscurus fuit. Stellen aus einer Rede gegen C. Gracchus bei Cic. de
or. 3, 183, durch den Rhythmus merkwürdig (Nachahmung des Anfanges
der Kranzrede: Marx, Auct. ad Her. 99). Iul. Victor in Halms Rhet. lat.
min. 402. Charis. GL. 1, 143, 13. Norden, KP. 172.
Cic. Brut. 101 eius omnis in dicendo facultas historia ipsius non inele-
ganter scripta perspici potest, quae neque nimis est infans neque perfecte di-
serta. Victorin. in Cic. rhet. 1, 28 p. 57 Or. = 203, 27 Halm: Sallustius ..
in libro I historiarum dat Catoni brevitatem, . . Fannio vero veritatem.
Höchste bekannte Bücherzahl: Schol. Ver. ad Aen. 3, 707 C. Fannius in
VIII annali Drepanum modo, modo Drepana appellat. Die hier bezeugte
mehrfache Erwähnung von Drepana weist auf den ersten punischen Krieg
oder den ersten sicilischen Sklavenaufstand (J. 135 — 132) hin (Hirschpeld
aO., Rathke, de Rom. bellis servilibus, Berl. 1904, 19). Da die anderen
Reste sich auf die vom Verfasser erlebte Zeit beziehen (zB. Cic. de or. 2,
270 Fannius in annalibus suis Africanum Aemilianum . . appellat siqcovcc
= Brut. 299 ut ait in historia sua C. Fannius), so ist das letztere vorzu-
ziehen. Das Werk erzählte also die eigene Zeit und zwar ausführlich; s.
auch Cic. Brut. 81 : des Metellus Rede contra Ti. Gracchum exposita est in
C. Fanni annalibus. Dafür spricht auch, daß M. Brutus (§ 210, 2) es in
einen Auszug brachte: epitome Bruti Fanniana und Bruti epitoma Fannia-
norum, Cic Att. 12, 5, 3. Über den Einfluß des Werkes auf die Überliefe-
rung über die Gracchenzeit wissen wir (trotz Kornemann, Klio Beih. 1, 20)
nichts. Peter, HRR. 1, 138; HRF. 87. — Peter, HRR. 1, ccn.
10. M. Aemilius M. f. L. n. Scaurus, geb. J. 162 aus einem vornehmen,
aber verarmten Geschlechte, durch seine Tatkraft, Gewandtheit und Klug-
heit allmählich zum Vorkämpfer der Oligarchie in der nachgracchischen
Zeit geworden; Cos. 115, Censor 109, seit 114 (?) prineeps senatus, f um 89.
vRohden, PW. 1, 584. Peter, HRR. 1, ccliu. Wie er immer auf den guten
Schein Wert legte, so verfaßte er wohl auch deshalb eine Selbstbiographie
(tres ad L. Fufidium libri scripti de vita ipsius, Cic Brut. 112 vgl. 132.
Plin. NH. 33, 21. Val. Max. 4, 4, 11), die aber (vielleicht weil sie mehr
252 Republikanische Zeit: J. 240—84 v. Chr.
Selbstverteidigung als Geschichte gab) wenig Verbreitung fand (Cic. aO.).
Möglich, daß Ciceros Empfehlung der Schrift für einige Zeit das Dasein
fristete; wenigstens werden seltsame Formen (wie sagittis confictus, potera-
tur, possitur) aus Scaurus de vita sua noch bis zu der Quelle von Charisius
(GL. 1, 146 Scaurus libro III) und Diomedes (Plinius?) herab zitiert (s.
Peter, HRR. 1, 185), und nicht nur bei Valer. Max. und Frontinas (Strat.
4, 3, 13) finden sich Nachrichten daraus, sondern noch bei Aurelius Victor
geht das Kapital über Scaurus (ill. 72) mittelbar wohl auf diese Quelle zu-
rück. Daneben kannte Cicero Reden von ihm (Brut. 112 huius et orationes
sunt), wie es scheint sowohl gerichtliche als politische. Brut. 111 in Scauri
oratione . . gravitas summa et naturalis quaedam inerat auctoritas . . 112 hoc
dicendi genus ad patrocinia mediocriter aptum videbatur, ad senatoriam vero
sententiam . . vel maxime. de or. 1, 214 quamquam est in dicendo minime
contemnendus, prndentia tarnen rerum magnarum magis quam dicendi arte
nititur (in seiner öffentlichen Stellung). — Aus einer Rede seines erbitterten
Gegners Q. Servilius Caepio (§ 153,8; PRE. 6, 117,38) gegen ihn vom J. 91
Zitate bei Diom. GL. 1, 103, 19. 196, 7. 224, 21. — Ein anderer seiner Wider-
sacher war C. Canius (eq. B. nee infacetus et satis litteratus, Cic. off. 3, 58),
der den von Scaurus wegen Amtserschleichung angeklagten Rutilius Rufus
(§ 142, 1) verteidigte. Ein Witzwort des Canius bei Cic. de or. 2, 280. Ob
aus ihm das Zitat bei Paul. Festi 369, 11 (Gannius)? Vgl. § 19, 1.
11. M. Livius C. f. Drusus, trib. pl. J. 122, Cos. 112; PRE. 4,1108. Vir
et oratione gravis et auetoritate, Cic. Brut. 109 vgl. Plut. G. Gr. 8 rjfrsL xcel
Xoya neu tcXovvco tot? iiaXiGta xuLconivoig . . ivdniXXog. Der Anhaltspunkt
für seine juristische Schriftstellerei (Pbiscian. 8, 16 u. dazu Hertz p. 382, 1
vgl. JJ. 85, 44) ist mehr als schwach.
12. C. Scribonius Curio, Praetor 121, der erste von drei Rednern aus
der familia Curionum, in qua tres continua serie oratores exstiterunt (§ 153, 6.
209,1. Plin. NH. 7,133; vgl. Schol. Bob. in Cic. or. p. 85,17). Cic. de or.
2, 98 nennt ihn vel eloquentissimus temporibus Ulis. Genauer Brut. 122 fuit
. . sane ülustris orator , cuius de ingenio ex orationibus eius existumari po-
test. sunt enim et aliae et pro Ser. Fulvio de incestu nobilis oratio, nobis
quidem pueris haec omnium optuma putabatur. Vgl. ebd. 124. Eine Stelle
daraus bei Cic. de inv. l,80 = Auct. ad Her. 2,33. Scripsit etiam alia non-
nulla (Reden) et multa dixit et illustria et in numero patronorum fuit,
Brut. 124. Consul wurde er nicht (Cic. Brut. 122); vielleicht hatte er zu
den Gracchen hingeneigt.
137. Die G e s c h i c h t s c h r e i b e r dieser Jahrzehnte streben meist
aus der Weise der alten Annalistik empor. Zwar nicht Cn. Gellius
und wohl auch nicht Tuditanus und Vennonius, desto gewisser aber
der schon oben als Redner genannte C. Fannius, dessen Wahrhaf-
tigkeit von urteilsfähiger Seite besonders hervorgehoben wird, und
in stilistischer Hinsicht L. Coelius Antipater mit seiner rhetorisch
ausgeschmückten, aber auch stofflich als einer historischen Mono-
graphie bedeutsamen Geschichte des zweiten punischen Kriegs. In
§ 137. Historiker: Gellius, Fannius, Antipater 253
die gleiche Zeit fällt wohl der Abschluß der bisher amtlich geführ-
ten annales und deren Veröffentlichung in Buchform (§ 133, 4).
1. rvccio? relliog (Gnaeus Gellius Plin. QVerz. B. 7) in der Geschichte
der Königszeit erwähnt bei Dionys. Hal. 2, 31. 76 vgl. Fillio? 4, 6. 6, 11
(ol TtBQL rtlliov). 7, 1. Cn. Gellii annahm tertium mit einem Gebete der
Hersilia bei Gell. NA. 13, 23, 13 vgl. 18, 12, 6 Cn. Gellius in annalibus.
Ebd. enthielt B. 6, Kap. 14 verba quaedam ex Naevio poeta et Cn. Gellio
non usitate collocata. Censorin. d. n. 17, 11 Piso censorius et Cn. Gellius,
sed et Cassius Hemina (Säkularspiele des J. 14G). Macrob. 1, 16, 21 Gellius
annalium libro XV (aus J. 389) et Cassius Hemina. Charis. GL. 1, 54 Gel-
lius in II . . et in V . . et in VII . . idem Gellius XCVII (? exe. Cauchii
XXVII, vgl. Maixner, ZföG. 29, 332); ebd. 55 (wie auch 139) Gellius libro
XXXIII (? Cauch. XXX VI; bei Priscian. GL. 2, 318 dasselbe Fragment
Gellius libro XXX). Umfangreich und umständlich muß das Werk jedenfalls
gewesen sein. — Möglicherweise ist dieser Annalist der Cn. Gellius, gegen
den der alte Cato eine Rede hielt (Gell. NA. 14, 2, 21. 26) und der als
Münzmeister zwischen J. 154 und 134 erscheint. Nipperdey, op. 399. OMeltzer,
JJ. 105, 429. Erwähnungen des Gellius (FtlUoi und Gellii s. Nipperdey aO.)
noch bei Dion. 1, 7. Cic. leg. 1, 6 (danach schrieb er ad antiquorum lan-
guorem): s. § 37, 5 und Peter, HRR. 1, ccxxxvm. 165; HRF. 92. Münzer,
PW. 7, 998.
2. Erlogen ist das Zitat Sex. Gellius in origine gentis Bomanae in der
Origo g. rom. 16, 4; vgl. § 414, 5; verdächtig auch die Erwähnung A. Gel-
lius (agellias die Hss., Asellio Meltzer) historiarum lib. I bei Non. 194, 3.
3. Cic. leg. 1, 6 Fabium aut . . Catonem aut Pisonem aut Fannium aut
Vennonium. Att. 12, 3, 1 moleste fero Vennonii me historiam non habere.
Dionys. Hal. 4, 15 a>g Ovsvvcoviog iox6Q7]Y.sv.
4. Über Fannius als Historiker s. § 136, 9.
5. Cic. leg. 1, 6 Fannii aetate coniunetus Antipater paulo inflavit
vehementius habuitque vires agrestis ille quidem atque horridas, sine nitore
ac palaestra etc. de or. 2, 54 paululum se erexit et addidit historiae maiorem
sonum vocis vir optimus, Crassi familiaris, Antipater: ceteri non exornatores
rerum sed tantummodo narratores fuerunt .... sed ipse Caelius neque distin-
xit historiam varietate colorum neque verborum collocatione et tractu oratio-
nis leni et aequabili perpolivit illud opus; sed ut homo neque doctus neque
maxime aptus ad dicendum, sicut potuit, dolavit: vicit tarnen superiores.
Brut. 102 L. Caelius Antipater scriptor . . fuit ut temporibus Ulis luculentus,
iuris valde peritus, multorum etiam, ut L. Crassi (geb. 140), magister. Bezog
sich dieser Unterricht auf Jurisprudenz oder Rhetorik? Marx, Auct. ad
Her. 136. Pompon. dig. 1, 2, 2, 40 Caelius Antipater, qui historias conscripsit,
sed plus eloquentiae quam scientiae iuris operam dedit. Seine Rechtskenntnis
läßt auf seine römische Herkunft schließen. Freigelassener war er selbst
wohl nicht (s. Suet. rhet. 3 ; oben § 36, 3), aber jedenfalls seinem Beinamen
nach der Sohn eines solchen (FLachmann, de fönt. Liv. 2, 19). Daß er der
gracchischen Zeit angehört, zeigt Cic. de div. 1, 56 C. Gracchus multis dixit,
ut scriptum apud eundem Caelium est, sibi in somnis . . fratrem visum esse.
. . hoc, antequam tribunus pl. C. Gracchus f actus esset, et se audisse scribit
254 Republikanische Zeit: J. 240—84 v. Chr.
Caelius et ülum dixisse multis. Vellei. 2, 9, 6 vetustior Sisenna fuit Caelius.
— Über die Abfassungszeit des Werkes läßt sich nur sagen, daß darin der
Tod des C. Gracchus (J. 121) erwähnt war (Cic. de div. 1, 56). Coel. Antip.
bei Plin. NH. 2, 169 sagt vidisse se qui navigasset ex Hispania in Aethio-
piam commercii gratia. Wäre dieser Umsehiffer Afrikas Eudoxos von Kyzi-
kos (Poseidonios bei Strabo 2 p. 98 C. Mela 3, 90) gewesen, was trotz der
Empfehlung KJNeumanns, Phil. 45, 385 unsicher ist, so könnte Coelius kaum
früher als etwa J. 110 sein Werk verfaßt haben.
Gerichtet war es an L. Aelius Stilo (§ 148): Auct. ad Her. 4, 18 quo in
vitio (in der verborum transiectio) est Coelius (so oder Caelius die besten
Hss.) assiduus, ut hoc est Hn priore libro has res ad te scriptas Luci misi-
mus Aeli\ FMarx, stud. Luciliana, Bonn 1882, 96. Vgl. Cic. or. 230 quod
(traicere verba) se L. Coelius Antipater in prooemio belli Punici nisi neces-
sario facturum negat . . . et hie quidem qui hanc a L. Aelio (so APopma: a
Laelio die Hss.; aber der bald nach J. 125 gestorbene Laelius hat die Her-
ausgabe der Geschichte des Caelius schwerlich noch erleben können, s. o.),
ad quem scripsit, . . veniam petit, et utitur ea traiectione verborum et nihilo
tarnen aptius explet concluditque sententias. Diese Erklärung war aller Wahr-
scheinlichkeit nach am Anfange des Ganzen, nicht eines Teiles, abgegeben,
und das Werk behandelte sonach den (zweiten) punischen Krieg, auf den
sich auch die meisten der erhaltenen Fragmente (s. A. 7) beziehen. Vgl.
Fronto p. 62 rari veterum scriptorum in eum laborem . . verba industriosins
quaerendi se commisere. . . poetarum . . maxime Ennius eumque studiose
aemulatus L. Coelius. Fronto p. 114 historiam scripsere . . verbis Cato mul-
tiiugis, Coelius singulis. Gehört auch hierher p. 253 needum legi Coelianum
excerptum nee legam (? reddam) priusquam ipse sensus venatus fuerot. Cic.
de div. 1, 49 hoc item in Sileni, quem Caelius sequitur, Graeca historia est:
is (Silenus) autem diligentissume res Hannibalis persecutus est. Dieses Ge-
schichtswerk des Caelius hatte 7 Bücher. B. 1 schilderte die J. 21 8 f. B. 2
die J. 216 f. B. 3 begann mit J. 214 (s. Gell. 10, 1, 3). In B. 6 wurde Sci-
pios Landung in Afrika J. 204 (Non. 137) erzählt. B. 7 enthielt die drei
letzten Jahre 203—201. Sieglin aO. 46. Unger, Phil. 40, 183.
6. Dem Antipater fehlte es nicht an kritischem Sinn (Priscian. GL. 2,
383 Coelius *ex scriptis eorum qui veri arbitrantur' passive vTtolaiißuvovTcci)
und an Wahrheitsliebe (Liv. 21, 46, 10. 27, 27, 13): er benutzte zahlreiche
einheimische Quellen, z. B. Fabius Pictor, Catos Origines, Ennius (s. A. 5),
die laudatio des Marcellus (§ 81, 5); an Ausbeutung der Memoiren des
älteren Scipio denkt LKeller, d. 2. pun. Krieg u. s. Quellen, Marb. 1875;
auch Sieglin aO. 54: aber er verwandte auch gegnerische Quellen, nament-
lich den Silenus (A. 5; s. Bujack, de Sileno scriptore Hannibalis, Königsb.
1859) und tat damit einen bedeutenden Schritt über die bisherige Einseitig-
keit hinaus. Besondere Sorgfalt verwandte Coelius auf die äußere Form
seiner Geschichte, und es lag jedenfalls das Hauptverdienst des Werkes
auch nach der Absicht seines Verfassers in der anschaulichen, durch mo-
derne Kunstmittel stark gewürzten und in gedrängter Fülle dahinfließenden
Darstellung. Zarncke, Comment. Ribbeck. 323. Daher zeigen die Überreste
Einflechtung selbstverfaßter Reden (zB. von Karthagern), sowie Hang zu
Ausmalung und lebhafter Schilderung (Liv. 29, 27, 13 ff. Non. 137; häufiger
§ 137. Coelius Antipater 255
Gebrauch des praes. historicum), Übertreibungen, die bei Rhetoren übliche
Gleichgültigkeit gegen Geographisches (Wölfflin aO. 61) und gegen Zahlen
(Liv. 29, 25, 3 Caelius ut abstinet numero, ita ad immensum multitudinis
speciem äuget), daneben Hervorhebung von Traumdeutung und Vorzeichen
(Wölfflin aO. 75); an Parteilichkeit für die Römer hat auch er es nicht
fehlen lassen; s. Wölfflin aO. 28. 38. 44. 78. — Livius hat ihn in der
dritten Dekade viel häufiger verwendet als er ihn nennt; gegen BSturm,
quae ratio inter tertiana decadem Livii et Antipatri historias intercedat,
Würzb. 1883, siehe LBauer, philol. Rundsch. 1884, 1578. Außerdem soll
ihn Plutarch (im Fab. u. Marcellus; s. Soltau, de fönt., Bonn 1870. Wtölfflin
aO. 28. 79) und besonders Cassius Dio (s. MPosner, quibus auctoribus usus
sit Cass. Dio, Bonn. 1874) benutzt haben; doch s. ESchwartz, PW. 3, 1694.
Daß Polybios den um ein Menschenalter jüngeren Coelius benutzt habe, wie
Sieglin aO. 69 will, ist unerweislich und unwahrscheinlich, eher ist das
Gegenteil anzunehmen. Dagegen scheinen sich Spuren seiner Benutzung bei
Valerius Maximus (MKranz, Beitr. z. Quellenkrit. des Val. Max., Posen
1876, 24), Frontinus und dem Verfasser des Schriftchens de viris illustribus
(§ 414, 4 Wölfflin aO. 77. 80) zu finden; sie werden aber durchweg auf
indirekter Benutzung beruhen. Im allgem. vgl. über die Verwertung der
Geschichte des Coelius namentlich bei Livius KBöttcher, JJ. Suppl. Bd. 5,
351. Peter, HRR. 1, ccxxv. ASchäfer, Hist. Z. 23,436. Wölfflin aO. vGut-
schmid, Sehr. 4, 214. 5, 368. Nitzsch, röm. Annalistik, Berl. 1873. Soltau,
Liv. Quellen, Berl. 1894; Geschichtsw. d. Liv., Lpz. 1897. Hesselbarth,
Unters, zur 3. Dekade des Liv., Halle 1889. Kahrstedt-Meltzer, Gesch. d.
Karthager, 3, 143—362. — M. Brutus hatte auch dieses Werk (vgl. A. 4E.)
ausgezogen (Cic. Att. 13, 8 epitomen Bruti Caelianorum velim mihi mittas,
vgl. Charis. GL. 1, 220 Brutus et Coelius frequenter eo usi sunt). Auch einen
Erklärer (altertümlicher Formen) fand Antipater an Paulus (Iulius Paulus
in der Zeit Hadrians? s. § 353, 4); vgl. Charis. GL, 1, 143 Paulus in Coelii
hist(oriarum oder -ae) libr. I; vgl. ebd. 126. 217. 241.
7. Unter den Fragmenten des Coelius befinden sich nicht wenige, die
sich auf Völker- und Länderkunde, auf Sagen- und Wortforschung beziehen.
Diese lassen sich in die Geschichte des zweiten punischen Kriegs nur unter-
bringen, wenn man sie in Abschweifungen der genannten Geschichte ent-
halten glaubt: was wegen der verhältnismäßig großen Anzahl jener Notizen
Schwierigkeit macht. Es hat deshalb schon JMeursius, dann ThPlüss (de
Cinciis, Bonn 1865) und neuerdings WSieglin aO. die Abfassung eines
zweiten antiquarischen Werkes, das Catos Origines ähnlich war, durch Coe-
lius angenommen. Dann wäre das Geschichtswerk des Coelius die frühere,
das antiquarische Werk (dem die Erwähnung des Todes des C. Gracchus
und die Widmung an C. Laelius [s. aber A. 5] zugewiesen werden könnte)
die spätere Arbeit. Doch sind durchschlagende Beweise für die Zweizahl
von Werken des Coelius nicht zu erbringen. Auch aus der epitome Caelia-
norum (s. A. 6) läßt sie sich nicht erweisen; desgleichen ist auffällig, daß
die beiden Werke nicht durch bestimmte Namen auseinandergehalten sein
sollen (als historiae würden beide zitiert, das Geschichtswerk auch als an-
nales), endlich daß bei beiden die Bücherzahl in den Anführungen nicht
über VII hinausgeht. S. für zwei Werke außer Sieglin aO.; Berl. Woch.
256 Republikanische Zeit: J. 240—84 v. Chr.
1883, 1451 EZarncke, WochfklPh. 1886, 515; dagegen zB. RPöhlmann, Phil.
Anz. 10, 384 ff. HPeter, JJ. 125, 97 u. a.
8. Sammlung der Überreste des Antipater: Peter, HRR. 1, 147; HRF. 98.
OGilbert, die Fragm. des Coel. Antip., JJ. Suppl. Bd. 10, 365 und Sieglin,
die Fragm. des Coel. Antip., ebd. 11, 1. — Außerdem vgl. Groen van Prin-
sterer (Leiden 1821) und Nauta (Leid. 1822); OMeltzer, de L. Coelio Anti-
patro, Lps. 1867. Peter, HRR. 1, ccxiii; Wahrh. u. Kunst 294. Wölfflin,
Antiochus von Syrakus und Coelius Antipater (Winterthur 1872) 22; Ausg.
von Liv. XXI, S. viii. Zielinski, d. letzten Jahre d. 2. pun. Kriegs, Lpz.
1880, 112. Gensel, PW. 4, 185. Norden, KP. 176.
9. Fest us 158b, 21 cuius historiae auctor est Alfius libro I belli Cartha-
giniensis. Peter, HRR. 1, ccxxxvi. ccclxvii.
138. Altertumsforscher sind in diesen Jahrzehnten C. Sempro-
nius Tuditanus (Cos. 129) und der Gracchaner M. Iunius; jener Ver-
fasser von libri magistratuum, dieser einer Schrift de potestatibus.
Außerdem Iunius Congus. Auch der Dichter L. Accius, der um diese
Zeit blühte 7 war zugleich Gelehrter (§ 134, 7. 8. 11). Andere wie
Lampadio und Vargunteius befaßten sich nach dem Vjorbilde der
griechischen Philologen mit der Kritik der Dichter und verwandten
ihre Tätigkeit vorzugsweise darauf, die ältere Literatur zugänglich
und verständlich zu machen.
1. C. Sempronius C. f. C. n. Tuditanus, triumphierte als Cos. Kai.
Oct. 129 de Iapudibus (CIL. 1, p. 459, xxi) und weihte dem Timavus ein
Denkmal mit saturnischer Inschrift. Buecheler, RhM. 63, 321. PRE. 6, 976.
Cic. Brut. 95 C. Tuditanus cum omni vita atque victu excultus atque expolitus
tum eius elegans est habitum etiam orationis genus. Dionys. 1, 11 oi loyim-
tatoi tmv QcoiLcäKcbv 6vyyQcccpe(üv, iv olg iari Uögyaög rs Kcctcov . . v.ai rd'Cog
HsiLitQcowog y.al alXoi 6v%voi. Vgl. ebd. 1, 13. Die dortige Angabe über die
Ureinwohner Italiens, sowie die über Regulus bei Gell. 7, 4, 1 und über
den Triumph des Flamininus (J. 194) bei Plut Flam. 14 hat man aus
einem Geschichtswerke herleiten wollen, das in der Weise der Annalisten
Urzeit wie nähere Vergangenheit umfaßt hätte; aber an der letzten Stelle
ist oi tisqI Tovditavbv Konjektur statt toviravov, und die beiden anderen
können allenfalls aus dem staatsrechtlichen Werk stammen. Und zwar wird
genannt Tuditanus libro III magistratuum (Macrob. 1, 13, 21) über die
Schaltzeiten und in commentario XIII C. Tuditani (Messala bei Gell. 13,
15, 4) über den Praetor; diesem Werke werden auch die Angaben über die
nundinae (Macrob. 1, 16, 32) und die tribuni pl. (Ascon. ad Cornel. p. 60,
15 St.) angehören. Aus Anlaß der Einschaltung, die manche auf Numa zu-
rückführten, kann dort auch von den im J. 181 gefundenen angeblichen
Büchern des Numa (§ 72, 2) die Rede gewesen sein, so daß sich gleichfalls
auf dieses Werk beziehen läßt Plin. NH. 13, 87 hoc idem tradit L. Piso
censorius primo commentariorum . . Tuditanus tertio decimo (XIV v. 1., quat-
tuordecim Peter, HRR. 1, ccxi) Numae decretorum fuisse. Tuditanus wird
noch genannt Plin. NH. QVerz. zu B. 12- (wohl aus Varro). Die Überreste
§ 138. Antiquare. Tuditanus, Gracchanus 257
bei Peter, HRR. 1, 142; HRF. 89. Bremer, JAH. 1, 35. Cichorius, WSt.
24, 588.
2. Plin. NH. 33, 36 idque (die Bezeichnung trossuli für equites) duravit
ultra C. Gracchum. Iunius certe, qui ab amicitia eius Gracchanus appel-
latus est, scriptum reliquit. Censorin. d. n. 20, 2 magis Iunio Gracchano et
Fulvio et Varroni et Suetonio credendum; vgl. oben § 126, 1. Varro LL.
6, 33 ut Fulvius scribit et Iunius; Ulp. dig. 1, 13, 1 pr. : Gracchanus deni-
que Iunius libro septimo de potestatibus, wonach Lyd. de magistr. 1, 24
'Iovviog rQttK%icLvbs iv %<o rtsgi i^ovciav. Das Werk war an seinen Freund
Pomponius, den Vater des Atticus, gerichtet (Cic. leg. 3, 49 de potestatum
iure . . pluribus verbis scripsit ad patrem tuum M. Iunius sodalis, perite
meo quidem iudicio et diligenter). Varro LL. 6, 95 zitiert aber in M. Iunii
commentariis und kann damit ein anderes Werk meinen; und wirklich
fügen sich die Fragmente z. T. schlecht unter den Titel de potestatibus.
Die spärlichen Überreste zB. über die römischen Monate zeigen, wie Iunius
Sacherforschung und Worterklärung zu vereinigen bemüht war; gracchische
Parteitendenz ist möglich, läßt sich aber, abgesehen von der Behauptung,
die Quästoren der Königszeit seien vom Volke gewählt worden (Ulp. aO.),
nicht erweisen. Ebenso wenig erweislich ist unmittelbare Benützung der
Schrift des Gracchanus noch nach Varro. Dirksen, Bruchstücke der röm.
Juristen (Königsb. 1814) S. 56. LMercklin, de Iunio Gracchano, Dorp. 1840.
41 11. Hertz, de Cinciis (1842) 88. PRE. 4, 534. JBecker, ZfAW. 1854,
Nr. 16. Huschke, JA.5 8. Bremer, JAH. 1, 37. Vgl. A. 3.
3. Lucil. bei Plin. NH. praef. 7 (595 M.) nee doctissimis, Manium (?) Per-
sium (§ 136, 9) haec legere nolo, Iunium Congum volo d. h. (vgl. § 143, 8) er ver-
bittet sich hochgelehrte, wünscht aber gebildete Leser und als solchen Iunius
Congus. Cic. de or. 1, 256 (der Redner Antonius § 152, 1 spricht, Szene
J. 91) historiam et prudentiam iuris publici et antiquitatis literas et exem-
plorum copiam . . . a viro optimo et istis rebus instruetissimo, familiari meo
Congo (longo die Hss.) mutuabor. pPlanc. 58 (gehalten J. 54) neque fuit, qui
id (welcher Plebejer zuerst kurulischer Aedil war) nobis narraret, praesertim
mortuo Congo (conco die Hss.). Dazu der Schol. Bob. 163, 1: ideo mentionem
Congi videtur interposuisse , qui per illud tempus decesserat (? ist nur aus
dem mortuo Congo erschlossen; Congus war wohl älter als Antonius und
um J. 154 geboren), homo curiosus et diligens eruendae vetustatis. nam histo-
ricus * * * Hier kann etwas über ein historisches Werk des Congus gestan-
den haben, denn die Ergänzung non fuit ist jedenfalls zu verwerfen. Nun
hatte schon Marx zu Lucil. 612 (veterem historiam induetus studio scribis
ad amores tuos) vermutet, der hier angeredete Historiker, an den Lucilius
eine Satire des 26. Buches richtet, sei Congus; das nimmt Cichorius Unters.
zu Lucil. 121 auf und versteht unter den amores etwa den C. Gracchus.
Er identifiziert dann wie schon JBecker (A. 2 E.) ansprechend Junius Con-
gus mit Junius Gracchanus], so daß Congus das eigentliche Cognomen und
Gracchanus nur ein Spitzname wäre, und sieht in dem Werke de potesta-
tibus die demokratische Antwort auf das aristokratisch gehaltene Werk des
Tuditanus (A. 1). Roth, RhM. 8, 613. Peter, HRR. 1, clxxiii.
4. C. Octavius Lampadio war wohl ein freigelassener Grieche; nach
Suet. gramm. 1 (s. § 41, 1) war er der erste, der den Anregungen des Per-
Teuffel: röm. Literaturgesch. Neub. 6. Anfl. I. 17
258 Republikanische Zeit: J. 240—84 v. Chr.
gameners Krates (in Rom um J. 169) folgend Werke der ältesten lateinischen
Dichter kritisch bearbeitete, sie vorlas und erklärte; insbesondere beschäf-
tigte er sich mit den Gedichten des Naevius: er gab dessen bisher ohne
Buchteilung überliefertes bellum Punicum in 7 Bücher geteilt neu heraus
(Süet. gramm. 2, s. § 95,8), ähnlich wie Krates die homerischen Gedichte
eingeteilt hatte. Hillscher 358. Seine Ausgaben hatten Ruf und standen
noch spät in Ansehen (Fkonto p. 20; s. § 159, 10. Emmis' annales Lampa-
dionis manu emendati bei Gell. 18, 5, 11; s. § 101, 4). Jünger als Lam-
padio war Q. Vargunteius, der den Ennius certis diebus in magna frequentia
pronuntiabat (§ 101, 4) und vielleicht gleichfalls die alten Dichter mit gram-
matischer Technik behandelte (§ 41, 2, Z. 13). Übrigens hat die Anekdote
von Krates' unfreiwilligem Aufenthalt in Rom und die Konstruktion, nach
der er Studium grammaticae in urbem intulit (Suet. gramm. 2), schon des-
halb einen sehr beschränkten Wert, weil die Philologie in Rom erst einige
Jahrzehnte nach J. 169 beginnt.
139. Die stoische Philosophie hatte in der gracchischen Zeit
Bekenner an dem treuen Freunde des Ti. Gracchus, C. Blossius aus
Cumae, und an dem charakterv ollen , aber einseitigen Q. Tubero
(Cos. 118), der auch Jurist war. Bei dem Augur Q. Scaevola,
(Cos. 117), überwog die Rechtskenntnis den Stoizismus. Rechts-
wissenschaftliche Schriften verfaßte in dieser Zeit C. Livius Drusus.
1. Plut. Ti. Gr. 8 ^diocpdvovg zov- qtjtoqos hccI BXoööiov tov cpikoöocpov
7iccQ0Qiiri6dvTcov ccvtov. <bv . . rjv . . 6 BX. uvrofttv f| 'ItaXlag Kv[iaiog,'AvTi-
ncczQOV rov TccQöicog ysyovcog iv ccötsl övvrjd'rig Kai tsn^iri^svog vit avtov
7cgo6cpcovi]6i:6i yocciiiidtcov cpiXoGoyuiv. Vgl. ebd. 20. Cic. Lael. 37. Klebst
PW. 3, 571.
2. Q. Aelius Tubero, Enkel des L. Aemilius Paulus und Neffe des
jüngeren Africanus, cos. suff. 118 (?), Lieblingsschüler des Panaitios. Sein
Stoicismus war ihm nicht ungünstig in der Jurisprudenz, hinderlich aber
in der Beredsamkeit, und ließ ihn, bei der Schroffheit, womit er ihn auch
im Leben durchführte, in seiner Zeit als Sonderling erscheinen; Klebs, PW.
1, 535. Cic. Lael. 37 Ti. Gracchum, remp. vexantem a Q. Tuberone . . dere-
lictum videbamus. Brut. 117 Q. Aelius Tubero fuit . . nullo in oratorum
numero, sed vita severus et congruens cum ea disciplina quam colebat, paulo
etiam durior. . . ut vita sie oratione durus incultus horridus. . . fuit autem
constans civis et fortis et in primis C. Graccho molestus, quod indicat Gracchi
in eum oratio, sunt etiam in Gracchum Tuberonis. is fuit medioeris in di-
cendo , doctissumus in disputando. Daß ihm Laelius die Leichenrede auf
seinen Oheim Scipio Africanus verfertigt habe (Cic. de or. 2, 341), beruht
wohl auf einer Verwechslung (§ 131, 2). Pompon. dig. 1, 2, 2, 40 Q. Tubero,
ille Stoicus, Panaetii auditor, qui et ipse consul. Cic. bei Gell. 1, 22, 7 nee
vero scientia iuris maioribus suis Q. Aelius Tubero de fuit, doctrina etiam
super fuit, was Gellius erläutert: diseiplinas enim Tubero Stoicas et dialecti-
cas percalluerat. Panaitios selbst und Hekaton und Poseidonios richteten
an ihn philosophische Schriften. Cic. Tusc. 4, 4 Panaetius epistula quadam,
quae est ad Q. Tuberonem. fin. 4, 23 Panaetius cum ad Q. Tuberonem de
§ 139. Stoiker: Tubero, Scaevola augur 259
dolore patiendo scribcret. Acad. 2, 135 Crantoris de luctu aureolus et, ut
Tuberoni Panaetius praecipit, ad verbum ediscendus libellus. off. 3, 63. Plut.
nobil. 18, 3. Die staatsrechtlichen Schriften des Q. Tubero in der cicero-
nischen Zeit (8. § 208, 1) beziehen manche auf ihn. Krüger, Gesch. d.
Quellen 63. Karlowa, Rom. Rechtsg. 1, 488. Kipp, Gesch. der Quellen8 104.
3. Q. Mucius Q. f. Q. n. Scaevola, von seinem gleichnamigen Neffen
(§ 154, 1) unterschieden durch die Bezeichnung als Augur, geboren um
J. 159 (J. 129 ist er iam aetate quaestorius, Cic. de rep. 1, 18), Cos. 117,
gestorben nach 88 (Val. Max. 3, 8, 5). PRE. 5, 183. Eigentlicher Redner
war er nicht (Cic. Brut. 102 oratorum in numero non fuit; vgl. de or. 1, 39.
214. 234), noch weniger Philosoph, doch dem Panaitios befreundet (Cic. de
or. 1, 45). Seine Stärke war das respondere de iure ; Schriften aber scheint
er nicht verfaßt zu haben. Vellei. 2, 9, 2 Q. Mucius iuris scientia quam
proprie eloquentiae nomine celebrior fuit. Cic. Brut. 102 iuris civilis intelle-
gentia et omni prudentiae genere praestitit. 212 peritissimus iuris idemque
percomis est habitus. Atticus und Cicero pflegten als adolescentuli seinen
Rechtsbelehrungen beizuwohnen (Cic. leg. 1, 13. Lael. 1. Brut. 306). Bei
aller Charaktertüchtigkeit war er zugleich persönlich liebenswürdig (comiter,
ut solebat, Cic. de or. 1, 35 und 234 eximia suavitate), sogar ein ioculator
(ad Att. 4, 16, 3). — Aber der Q. Scaevola, den Plin. ep. 5, 3, 5 (§ 31, 1)
als Verfasser von lasciva carmina erwähnt (daraus de dub. nom. GL. 5,
575, 24 Scaevola (lassas clunes^ ; vgl. Charis. GL. 1, 101, 7), ferner der Ver-
fasser eines Epigramms auf Ciceros Gedicht Marius (Q. Cic. bei Cic. leg.
1, 2 ut ait Scaevola de fratris mei Mario *canescet saeclis innumerabilibus*),
endlich der Movyaog Unsvolccg, von dem ein Epigramm bukolischen Inhalts
Anth. Pal. 9, 217 steht, ist nicht sowohl er als vielmehr sein Sohn Q. Scae-
vola (trib. pl. 54; PRE. 5, 188), der sich J. 59 unter der cohors amicorum
des Dichterlings Q. Cicero befand. MHaupt, opusc. 1, 214. — ASchneider,
die drei Scaevola Ciceros, Münch. 1879, 5. Krüger, Gesch. d. Quellen2 62.
64. Karlowa, Rom. Rechtsgesch. 1, 488. Kipp, Gesch. d. Quellen3 101 f.
4. C. Livius C. f. Drusus, älterer Bruder des Cos. von 112 (§ 136, 11).
Cic. Tusc. 5, 112 C. Drusi domum compleri a consultoribus solitam accepi-
mus; . . caecum adhibebant ducem. Val. Max. 8, 7, 4 Livius Drusus, qui
et aetatis viribus et acte oculorum defectus ius civile populo benignissime
interpretatus est utilissimaque discere id cupientibus monumenta composuit.
Krüger aO. 60.
140. Die blutige Unterdrückung der gracchischen Bestrebungen
steigerte die Übermacht des Adels und machte die im jugurthini-
schen Kriege (J. 111 — 106) zutage tretenden Übelstände möglich,
erweckte aber auch den Widerstand der Volkspartei, der in C. Ma-
rius einen Mittelpunkt fand. Literarisch bilden die Jahre 119—104
die Blütezeit des C. Lucilius und des L. Afranius. Außerdem fallen
in diese Zeit der Tragiker C. Titius, der Togatendichter Atta, die
Epigrammatiker Pompilius, Valerius Aedituus und Catulus, der ge-
lehrte Q. Yalerius Soranus, sowie Porcius Licinus.
17*
260 Republikanische Zeit: J. 240—84 v. Chr.
1. Auch der Humorist Valerius Valentinus (aus Vibo Valentia?)
scheint dieser Zeit anzugehören. Festus 363 Tappulam legem convivdlem
(vgl. § 49, 1) ficto nomine conscripsit iocoso carmine Valerius Valentinus,
cuius meminit Lucilius (V. 1307) hoc modo f Tappulam rident legem concenae
(?) optima. Also etwas Ahnliches wie der vofiog ov66Ln,x6g der Gnathaina
(Athen. 13 p. 585 B). Val. Max. 8, 1, 8 C. Cosconium Servilia lege reum (um
J. 87) . . Valeri Valentini accusatoris eins recitatum in iudicio Carmen, in
quo puerum praetextatum et ingenuam virginem a se corruptam poetico ioco
significaverat, erexit. Vgl. § 114, 2. Bücheler, Bonner Ind. lect. 1877, 5. —
Im Jahre 1882 fand man in Vercelli ein Bronzefragment einer (lex} Tap-
pida, eines Kneipkomments, ganz gehalten in der Art wirklicher Gesetze,
aber mit komischem Personal usw. (M. Multivorus, P. Properocius (L. Vi-
nius Me}xo-, (pro trib^u Satureia), der Schrift nach etwa aus dem Ende
des 1. Jahrh. n. Chr.: entweder die alte lex Tappula des Valentinus (so
vPremerstein, Herrn. 39, 327) oder ein späterer Scherz in Anlehnung daran.
In Z. 1 ... ius Tapponis f. Tappo cis(tiber. Der Name Tappo, in Ober-
italien nicht selten, scheint eine anrüchige Bedeutung gehabt zu haben (vgl.
Catull. 104, 4). Mommsen, arch. Zeit. 40, 176; bull. arch. 1882, 186 (mit
Faksimile). Kiessling, Greifsw. lud. lect. 1884/85, iv. Text auch bei Bücheler,
Petron. 241.
141. Redner dieser Zeit waren des alten Cato Enkel M. Cato
(Cos. 118), Q. Metellus (Cos. 109), der von Lucilius gegeißelte Epi-
kureer T. Albucius, C. Galba, C. Fimbria (Cos. 104), C. Titius, der
oben als Tragiker schon erwähnt wurde, u. a.
1. Gell. 13, 20 (19), 10 M. Cato M. f. M. n. is satis vehemens orator
fuit multasque orationes ad exemplum avi scriptas reliquit et consul cum
Q. Marcio Rege fuit (J. 118) inque eo consulatu in Africa . . mortem obit.
Cicero gedenkt im Brutus seiner nicht. Vielleicht waren seine Reden mit
denen seines Großvaters vermengt. Vgl. noch Fest. 154, 25. Priscian. GL.
1, 90 {Cato nepos de actionibus ad populum, ne lex sua abrogetur).
2. Q. Caecilius Metellus Numidicus, Cos. 109 (gegen Iugurtha),
Censor 102; Münzer, PW. 3, 1218. Vellei. 2, 9, 1 nennt ihn und Scaurus
als Redner zweiten Ranges in ihrer Zeit. Vgl. Cic. Brut. 135. Er war ein
Schüler des Karneades (Cic. de or. 3, 68) und Freund des Aelius Stilo.
3. Cic. Brut. 131 doctus etiam Graecis T. Albucius, vel potius paene
Graecus. . . licet ex orationibus iudicare. fuit autem Athenis adulescens, per-
fectus Epicureus (vgl. nat. d. 1, 93) evaserat. So hatte ihn J. 120/19 Q. Scae-
vola dort getroffen und ihn verspottet, was Lucilius in seinen Satiren schil-
derte; s. § 143, 4gE. Cic. fin. 1, 8. or. 149. Varro Men. 127 Buch, de Al-
buci subus Athenis (vgl. Hör. E. 1, 4, 16). Im J. 103 der Erpressung ange-
klagt und verurteilt, begab er sich wieder nach Athen und philosophierte
dort in aller Gemütsruhe (Cic. Tusc. 6, 108). Vielleicht verfaßte er damals
auch ein epikureisches Lehrgedicht, falls nämlich Fronto p. 113 ihn meint:
in poetis quis ignorat ut gracilis sit Lucilius, Albucius aridus, sublimis Lu-
cretius? Hertz, JJ. 107, 338.
4. Cic. Brut. 127 C. Galba (Quaestor 120), Servi (§ 131, 4) .. filius
P. Crassi (§ 133, 5) . . gener, . . rogatione Mamüia, Iugurthinae coniuratio-
§ 140. Lex Tappula. § 141. Redner aus J. 120—100 261
nis invidia, cum pro sese ipse dixisset, oppressus est (J. 110). extat eius pero-
ratio, qui epilogus dicitur; qui tanto in honore pueris nöbis erat, ut eum
etiam edisceremus.
5. Cic. Brut. 129 C. (Flavius) Fimbria . . bonus auetor in senatu. idem
tolerdbilis patronus nee rudis in iure civili, et cum virtute tum etiam ipso
orationis genere Über, cuius orationes pueri legebamus, quas tarn reperire
vix possumus. Vgl. de or. 2, 91.
6. Aus derselben Zeit werden von Cicero als Redner genannt, aber ohne
daß er von ihnen herausgegebene Reden erwähnt, P. Scipio und L. Bestia
(Brut. 128), C. Licinius Nerva (ebd. 129), C. Sextius Calvinus, M. Brutus
und L. Caesulenus* (ebd. 130), M. Silanus, M. Aurelius Scaurus, A. Postu-
mius Albmus, der Hamen Albinus, Q. Caepio (ebd. 135), C. und L. Memmii
(vgl. Sall. lug. 30, 4), Sp. Thorius, M. Marcellus und sein Adoptivsohn
P. Lentulus (Brut. 136), L. Cotta (ebd. 137); ferner L. Apuleius Saturninus
(seditiosorum omnium post Gracchos eloquentissimus , ebd. 224), C. Servilius
Glaucia (ebd.). Hierher auch C. Canius, s. § 136, 10 E.
7. Macrob. 3, 16, 14 Gaius Titius, vir aetatis Lucilianae, in oratione
qua legem Fanniam (J. 161) suasit. Cic. Brut. 167 eiusdem (wie M. Antonius
und L. Crassus) fere temporis fuit eques rom. C. Titius, qui meo iudicio eo
pervenisse videtur, quo potuit fere Latinus orator sine Graecis litteris et sine
multo usu pervenire. huius orationes tantum argutiarum, tantum exemplorum,
tantum urbanüatis habent, ut paene Attico stilo scriptae esse videantur.
easdem argutias in tragoedias satis quidem ille acute, sed parum tragice
transtulit (also waren seine Tragödien ganz rhetorisch), s. § 145, 1. Diese
Zeitangaben stimmen nicht zusammen. Wenn Titius, geb. etwa 154, ums
J. 124 blühte (vgl. Fronto, ep. p. 20: contigisse quid tale M. Porcio aut
Q. Ennio aut C. Graccho aut Titio poetae? und Novius 68 Ribb. in tragoe-
dia Titi), so konnte er ein Mann aetatis Lucilianae und zugleich fere eius-
dem temporis wie Antonius und Crassus heißen; aber daß er schon J. 161
sollte pro lege Fannia gesprochen haben, ist kaum glaublich. Daher nahm
man entweder zwei gleichnamige C. Titii an (Piderit zum Brut. S. 284)
oder hielt bei Macrob. den Namen für verderbt (LMüller, Q. Ennius 96).
Vorzuziehen ist die Annahme von Cichorius, Unters, zu Lucil. 264, daß
Titius bei einem späteren Versuche, die lex Fannia abzuschaffen, dafür
eintrat. In seine Zeit fallen zB. die lex Aemilia sumptuaria J. 115 und die
lex Licinia (vgl. § 143, 1), die in plerisque cum Fannia congruit (Macr. 3,
17, 8). Die Charakteristik bei Cicero (Brut. aO.) namentlich bezüglich des
Reichtums an argutiae und exempla in den Reden des Titius wird bestätigt
durch den bei Macr. aO. erhaltenen größeren Überrest seiner Rede für das
Luxusgesetz (eine Schilderung des Treibens der vornehmen Jugend Roms):
nur verdient dieser Ausfluß einer derben satirischen Ader und unverblümter
Rücksichtslosigkeit kaum das Lob der urbanitas und des stilus paene Atti-
cus, und ebensowenig konnte Titius, da er Tragödien schrieb, sine litteris
Graecis gewesen sein; höchstens mochte ihm genauere Kenntnis der grie-
chischen Rhetorik gefehlt haben. Ein Tragödientitel (Protesilaus) von frei-
lich anfechtbarer Überlieferung; s. Ribbeck aO. 326 com.3 321. — Haym, de
C. Titio, Lauban 1832. Mommsen, RG. 26, 403. 454. Bücheler, Greifsw. Ind.
lect. 1868/69 p. 4. Ribbeck, röm. Trag. 612.
262 Republikanische Zeit: J. 240—84 v. Chr.
142. Eine mehrseitige literarische Tätigkeit entfalteten in die-
ser Zeit die beiden Optimaten P. Rutilius Rufus (Cos. 105) und
Q. Lutatius Catulus (Cos. 102): der edle Rufus ein überzeugter
und aufrechter Anhänger der Stoa, Redner und Kenner des Rechts,
namentlich aber Verfasser einer Selbstbiographie , die er auch in
griechischer Sprache selbst bearbeitete.- Der philosophisch gebildete
und feinsinnige Catulus verfaßte gleichfalls eine Erzählung seines
Lebens und gelegentlich sogar tändelnde Epigramme. Anderes ihm
Beigelegte hat wohl seinen Freigelassenen Lutatius Daphnis zum
Verfasser. Auch Sempronius Asellio beschränkte sich auf die
Schilderung der selbsterlebten Zeit, suchte aber in bewußtem Gegen-
satz gegen das seitherige Verfahren eine tiefere Auffassung der Ge-
schichte zur Geltung zu bringen. Er unternahm es, die innere Ent-
wicklung des Staates mitzubehandeln und erstrebte, offenbar von
Polybios angeregt, eine pragmatische Darstellung.
1. P. Rutilius Rufus, geb. ums J. 154 (vgl. Cic. Brut. 85 mit Appian.
Hisp. 88), im Kreise des jüngeren Africanus aufgewachsen, unter dem er
auch (wie Asellio und Lucilius) im numantinischen Kriege (J. 134 f.) als
trib. mil. diente (Appian. Hisp. 88 vgl. Cic. de rep. 1, 17). Als Praetor (in
unbekanntem Jahre vor J. 118) Urheber der actio (Gai. inst. 4, 35) oder
constitutio (fragm. Vat. 1) Rutiliana, sowie des Edikts über die Patronats-
rechte (dig. 38, 2, 1, 1) und wohl früher der lex Rutilia über die rufuli
(Festus 261). J. 109 — 107 nahm er am jugurthinischen Kriege teil, war
Cos. 105, und verwaltete J. 94/3 als Vertreter Scaevolas Asia. Hier kam er
in Konflikte mit den Steuerpächtern, die ihm nach seiner Rückkehr eine
Repetundenklage anhängten (J. 92); obwohl er schuldlos war, wurde er
nach sokratisch stolzer Verteidigung von den Ritter-Geschworenen verurteilt
und lebte zuerst in Mytilene, dann in Smyrna (Cic. pBalb. 28. Tac. A. 4,43);
Aurelius Opillius (§ 159, 4) begleitete ihn. Im J. 78 sah ihn dort Cicero
(Brut. 85 vgl. de rep. 1, 13 und de d. nat. 3, 80), und er scheint daselbst
auch (nach J. 77) gestorben zu sein; s. L'Oisel, vie de P.R.R. in Meermanns
Thesaur. iur. 1, 359. Majansius, Comment. 2, 1. PRE. 6, 586. Löwe, P. Ru-
tilii Rufi vita, Züllichau 1853. Huschke, ZfCivilr. 14 (1856), 1. Peter, HRR.
1, cclxi. Münzer, PW. 1 A 1269. Über seine Freundschaft mit Lucilius s.
Cichorius, Unters. 62. 108.
2. Vellei. 2, 13, 2 P. Butilium, virum non saeculi sui sed omnis aevi
Optimum. Capitol. Gordian. 5, 5. Ammian. 30, 4, 6. Cic. Brut. 113 Butilius
in quodam tristi et severo genere dicendi versatus est. . . multa opera multa-
que industria Butilius fuit; quae erat propterea gratior, quod idem magnum
munus de iure respondendi sustinebat. u(114) sunt eius orationes ieiunae,
multa praeclara de iure; doctus vir et Graecis litteris eruditus, Panaeti audi-
tor, prope perfectus in Stoicis. Er gehörte zu den Wenigen, die das stoische
Ideal des Redners ernsthaft zu verwirklichen trachteten. Reitzenstein,
Straßb. Festschr. (1901) 143. Suet. Aug. 89 libros totos . . recüavit . . ut
orationem . . Butili de modo aedificiorum. Diomed. GL. 1, 376 P. Butilius
§ 142. Rutilius Rufus, Lutatius Catulus 263
. . pro L. Cesutio ad populum: doch stammt diese Rede wohl von Cato.
HMeyer, orat.2263. Cato ed. Jordan p. xci. Seine Rechtskenntnis verdankte
er dem P. Scaevola (§ 133, 4), s. Cic. off. 2, 47; vgl. Pompon. dig. 1, 2, 1, 40.
Aus seinen juristischen Schriften, vielleicht auch nur aus Responsa udgl.,
wird in den Digesten (aus Schriften des Ulpianus) einiges angeführt, aber
ohne nähere Angabe; Zimmern, Gesch. d. röm. Privatrechts 1, 1, 280. Auch
was Macrob. 1, 16, 34 (Rutilius scribit etc.) über die nundinae ausführt,
könnte durch Vermittlung des Varro aus einem juristischen Werke des
Rutilius stammen (schwerlich aus seiner Selbstbiographie). Bremer, JAH. 1, 43.
3. P. Rutilius Rufus de vita sua zitieren Charisius (GL. 1, 120. 125.
130. 139. 146. 195) und Diomedes (GL. 1, 374. 376), ersterer wiederholt (120.
139) aus B. 5. Auf eine Darstellung von Selbsterlebtem führt auch Appian.
Hisp. 88 'PovtiXiov 'Po-öqpov, avyyQcccpscc tmvds t&v Voycov (vor Numantia),
tots %iliaQ%ovvtcc, ixEXsvoe usw. (daraus Suid. v. *PovTiXiog) ; und was Isidor.
orig. 20, 11, 4 aus Rutilius Rufus de vita sua anführt, stimmt gleichfalls
mit App. Hisp. 85. Ebenso kann aus der Schrift de vita sua stammen Plut.
Mar. 28 a>g ds PovTiXiog Iötoqsl, xk (isv ccXXcc cpiXccXrjd"rig ccvijQ ncci %qt\6t6<s,
idia dh top Magia 7tQ06Y.£XQOvx6}g , sowie Plut. Pompei. 37 (6 *PovTiXiog iv
ralg löTogieug). Dagegen fällt die Gesandtschaft des J. 155 (aiunt Ruti-
lius et Polybius, Gell. 6, 14, 10) in seine früheste Kindheit, und der Tod
des älteren Scipio (Scipionem et Polybius et Rutilius hoc anno mortuum
scribunt, Liv. 39, 52, 1) sicher vor seine Geburt: doch ist es nicht unmög-
lich, daß beide Ereignisse irgendwie in die Selbstbiographie hereingezogen
worden waren. Wenigstens aber muß neben der lateinischen Bearbeitung
eine in griechischer Sprache angenommen werden, worin vielleicht der per-
sönliche Standpunkt mehr zu einem allgemein geschichtlichen erweitert und
besonders auf griechische Leser Rücksicht genommen war. Vgl. Athen. 4,
p. 168 E (aus Poseidonios) ^PovtiXico xco xyyv q(a\Lcc'iv.r\v Igtoqiccv ixdedaxoTi,
xy 'EXXrjvcov cpoavy. 6, p. 274 C *PovTiXiog 'Povcpog 6 tt\v nccTQiov IßToglav
ysypcccpatg. 12, p. 543 B diccßör]Tog fjv Ttccga 'Pojfta/otg xat 2'iTTiog iitl Tgvcpy
. . , mg cpr\Qi 'PovriXiog, was aus Anlaß von Rutilius' Ankläger Apicius (vgl.
ebd. p. 168 E) bemerkt sein konnte. Beide Arbeiten scheinen in Smyrna
verfaßt zu sein; vgl. Oros. 5, 17 extr. Smyrnam commigrans lüterarum stu-
diis intentus consenuit. Sie sind ziemlich viel benutzt worden und haben
in der Darstellung jener Zeit manche Spuren hinterlassen. Im allgemeinen
Suringar, de rom. autobiogr, 8. Nissen, krit. Untersuchungen (1863) 41.
Peter, HRR, 1, cclvx. 187; HRF. 120. Münzer aO. 1277.
4. Q. Lutatius Catulus, geb. um 152, Cos. 102, mit Marius Sieger über
die Kimbern bei Vercellae, f 87. Cic. Brut. 132 non antiquo illo more, sed
hoc nostro . . eruditus (vgl. de or. 2, 28). multae litterae, summa non vitae
solum atque naturae sed orationis etiam comitas, incorrupta quaedam Latini
sermonis integritas (vgl. 259. de or. 3, 29. off. 1, 133. Quint. 11, 3, 35). quae
perspici cum ex orationibus eins (vgl. § 81, 6) potest tum facillume ex eo
libro, quem de consulatu et de rebus gestis suis conscriptum molli et Xeno-
phonteo genere sermonis misit ad A. Furium poetam (§ 150, 1), familiärem
suum. Plut. Mar. 25 o^ioia dh %ul tov KcctXov ccvtov ec7toXoyslcd'cci . . Iöto-
qovgi (Sulla?), vgl. 26 cog tov KcctXov ccvtov IgtoqsIv Xiyovöi, und 27 tcc ovv
XdcpvQcc . . ävsvsx&rivca Xsyovöiv. HJordan (Herrn. 6, 68) vereinigt mit Recht
264 Republikanische Zeit: J. 240—84 v. Chr.
diesen liber mit den Catuli litter ae bei Fronto p. 126, als eine Art politi-
scher Flugschrift in Briefform; die in der Lesung unsichere Frontostelle
lautet nach Hauler, Wiener Eranos (1909) 213 in hunc autem modum, quo
scribsisti tu (L. Verus), extant Catuli litter ae, quibus res a se iacturis atque
damnis sane gestas, at lauro merendas historici exemplo exposuit; ve^rutriy
turgent (?) elate prolata teneris prope verbis. Ob er diese Schrift an den
Epiker richtete, um dessen Muse zur Verherrlichung seiner Taten anzuregen?
s. HPeter, JJ. 115, 751. Anhänger der akademischen Skepsis nach Cic.
Acad. pr. 12. 18; post. 2, 148, Peripatetiker nach de or. 3, 182. 187; Be-
ziehungen zum Scipionenkreise sind nicht bezeugt, aber wahrscheinlich
(Cichorius, Unters. 151. 290. Buettner 132). Cicero läßt ihn deshalb mehr-
fach an seinen Dialogen teilnehmen. Wenn er absichtlich den Xenophon
nachahmte, so folgte er den scipionischen Traditionen (ERichter, Xen. in
d. röm. Lit., Berl. 1905, 4). Zwei halb erotische Epigramme des Q. Catulus
bei Gell. 19, 9, 14 und bei Cic. nat. d. 1, 79. Daher mit aufgezählt bei
Plin. ep. 5, 3, 5 (§ 31, 1). — Außerdem werden dem Catulus gewöhnlich
beigelegt Communes historiae (oder Communis historia) in wenigstens vier
Büchern (Philarg. zu Verg. G. 4, 564), deren Yerf. an den drei Stellen, wo
das Werk namentlich genannt oder angeführt wird, Lutatius heißt. Ohne
Augabe des Werkes wird Lutatius noch viermal angeführt, am frühesten
von Varro LL. 5, 150 und Yerrius zu den fasti Praenest. CIL. 1, p. 315.
Die Zitate beziehen sich auf Wortforschung und Altertümer, besonders ita-
lische. Schwerlich sollte wegen der euhemeristischen Richtung des Werks
der Titel s. v. a. 'weltliche Geschichte' bedeuten (s. Serv. Aen. 10, 175r
und ARiese, RhM. 18, 448); eher ist er im Anklang an des Timaios xowai
IgtoqIccl gewählt und als Sammlung griechischer und italischer Sagen usw.
(s. Mommsen CIL. 1, 385) zu verstehen oder richtiger als ""populäres, allge-
mein interessantes Wissen' (Leo, Biogr. 20). Wahrscheinlich aber ist das
Buch nicht dem Catulus selbst, sondern seinem gelehrten Freigelassenen,
Lutatius Daphnis (s. § 41, 1. 134, 1. 150, 3) zuzuschreiben; das Zitat aus
Catulus bei Varr. LL. 6, 6 (Pacuvius statt Catulus Scaliger) ergibt in kei-
nem Falle eine Gegeninstanz (s. auch OJahn ad. Pers. p. 143). Hauler aO.
218. — Im allgem. PRE. 4, 1246. OSimon, vita Catuli, Festschr. des Gymn.
z. gr. Klost. (Berl. 1874) 81. Buettner, Porcius Licinus, Lpz. 1893, 125.
Peter, HRR. 1, cclxx. 191; HRF. 125; JJ. 115, 751. — Verbirgt sich ein
Catulus in den commenta Bern, in Lucan. 1, 544 (p. 36 Usener) sed hoc fa-
bulosum esse inveni in libro Catulli, qui (inyscribitur permimo logiärum
{perperomimologiarum OCrusius, tisqI iii{ioloy l&v LMüller, RhM. 24, 622)
oder bei Serv. Verg. G. 2, 95 (Catullus eam [uvam Rhaeticam] vituperat et
dicit nulli rei esse aptam etc.)? Über seine Beziehungen zu Porcius Licinus
s. Buettner aO. 80.
5. Sempronius Asellio. Vorname unbekannt; kaum der L. Asellio,
der J. 100 in Sizilien Prätor war. Denn der Historiker Asellio sub P. Sei-
pione Africano tribunus militum ad Numantiam (J. 134 f.) fuit (wie Rutilius
Rufus und C. Lucilius) resque eas, quibus gerendis ipse interfuit, conscripsit
(Gell. 2, 13, 3). Geboren also spätestens J. 159. Sein im Greisenalter ver-
faßtes Werk reichte wenigstens bis J. 91 (Gell. 13, 22, 8; Tod des M. Li-
vius Drusus): ob fr. 13 (Charis. GL. 1, 195) sich noch auf das J. 86 oder 83-
§ 14*2. Sempromus Asellio. § 143. Lucilius 265
bezieht, ist unsicher. — Nächst dem sehr bedenklichen Zitat Asellio rerum
romanarum XL (XI? XX?) bei Chams. GL. 1, 195 ist die höchste Bücher-
zahl ebd. 220 Sempronius Asellio historiarum XIV; genauer der Titel bei
Gell. 13, 22 (21), 8 Sempronius Asellio in libro rerum gestarum XIV (dies
vielleicht der wahre Titel). Im 4. Buche stand ein Ereignis des J. 137 (fr. 4);
der Tod des Ti. Gracchus (J. 133) war im 5. Buche erzählt (Gell. 2, 13, 2. 4),
der des Livius Drusus (J. 91) im 14. Polemik des Asellio gegen die gewöhn-
liche Geschichsbehandlung der Annalisten und Darlegung seiner eigenen
Grundsätze bei Gell. 5, 18, 8 (vgl. § 37, 3) nobis non modo satis esse video
quod factum esset, id pronuntiare, sed etiam quo consilio quaque ratione gesta
essent demonstrare. . . nam neque alacriores ad remp. defendundam "neque
segniores ad rem perperam faciundam annales libri commovere quicquam
possunt. scribere autem bellum initum quo consule . . sit etc. . . non praedi-
care autem (?) interea quid senatus decreverit mit quae lex rogatiove lata sit,
. . id fabulas pueris est narrare, non historias scribere. In der Rücksicht
auf das Bedürfnis des Staatsmannes zeigt sich die Abhängigkeit von Poly-
bios. Daß Cic. leg. 1, 6 ihn neben Gellius und Clodius tief unter Antipater
stellt, geschieht aus einseitiger Hervorhebung der stilistischen Seite. Die
Fragmente bei Peter, HRR. 1, 178; HRF. 108. Vgl. Nipperdey, op. 134.
WStelkens, der röm. Geschichtschreiber S. A. , Crefeld 1867. Peter, HRR.
1, ccxlviii. WEggert, S. A. quem locum inter historicos Rom. habuerit,
Rost. 1899.
143. C. Lucilius war frühestens um J. 170 in der Latinerstadt
Suessa Aurunca in Cainpanien geboren und starb im J. 102/4 in
Neapel. Er stammte aus einem wohlhabenden Geschlechte, gehörte
zum Kreise des jüngeren Africanus und war ganz von hellenisti-
scher Bildung durchdrungen. Seine unabhängige Stellung, die er
durch die Abkehr von politischer Tätigkeit inne hatte, benutzte er
dazu, in seinen vermischten Gedichten (Saturae) das Leben der
Gegenwart nach allen Seiten hin — nach Politik, Sitten und Lite-
ratur — einer freimütigen Kritik zu unterziehen, wie sie weder ein
Komiker vor ihm noch ein Satiriker nach ihm gewagt hat. Die
Satura ist für ihn noch eine Sammlung vermischter Gedichte, unter
denen sich auch Schilderungen eigener Erlebnisse und Erörterungen
grammatischer Fragen finden; aber seine persönliche Lebhaftigkeit
und die Stärke seines Hasses gegen seine und seiner Freunde Wider-
sacher haben bewirkt, daß der satirische Ton in seinen Gedichten
hervortrat und die weitere Entwicklung der Satura bestimmte. Die
Überreste verraten Geist und vielseitige Bildung, scharfen Verstand,
sittliche Tüchtigkeit, heitere Laune und treffenden Witz, aber auch
herbe Rücksichtslosigkeit, Mangel an Delikatesse und Sorglosigkeit
in bezug auf die äußere Form. Ohne daß Lucilius selbst sich da-
rüber klar war, bedeuteten seine Gedichte den stärksten Versuch,
266 Republikanische Zeit: J. 240—84 v. Chr.
der jemals unternommen wurde, eine nationale römische Literatur
zu schaffen.
1. Hieron. ad a. Abr. 1914 (Amand. zu 1915) = J. 103 Gaius Lucilius
(so cod. Middlehill. s. VIII bei Schöne 1, p. 143: die anderen Hss. Lucius)
satirarum scriptor Neapoli moritur ac publice- funere effertur anno aetatis
XLV1. Hieron. zu a. Abr. 1870 (Freher. u. Amand. 1869) = J. 147 Luci-
lius poeta nascitur. Nach MHaupt (s. JJ. 107, 72. 365) Verwechslung von
A. Postumius Albinus und C. Calpurnius Piso (Coss. 180) mit Sp. Postumius
Albinus und L. Calp. Piso (Coss. 147), so daß Luc. schon im J. 180 geboren
wäre; aber Cichorius aO. 7 zeigt, daß Luc. nicht mit 47 Jahren hat dienen
können. Er kann, wenn man bei Hier. Verderbnis von XLVI aus LVI oder
LXVI annimmt, J. 157 oder 167 geboren sein; es sind aber auch andere
Auswege möglich. Vellei. 2, 9, 4 celebre et Lucilii nomen fuit, qui sub
P. Africano (J. 134 f.) Numantino hello eques militaverat. Kenntnis der Reit-
kunst verraten V. 507. 1041. Seinen ersten Kriegsdienst hatte L. wohl als
einer der von Suessa zu stellenden Reiter getan (Liv. 29, 15, 5. Marx, stud. 92).
Früheren Kriegsdienst in Spanien (J. 139 — 136) behauptet Cichorius 29,
doch s. Kappelmacheb aO. 90. Was seinen ;Tod angeht, so gibt es keine
sichere Spur, die über J. 103 hinausdeutet, da nichts hindert, die von Luci-
lius v. 1200 erwähnte und wahrscheinlich bereits J. 97 wieder aufgehobene
lex Licinia sumptuaria vor J. 102 anzusetzen (s. LLange, röm. Altert. 3, 70.
86). Auch die Bezeichnung des Lucil. als senex bei Hör. S. 2, 1, 34 zeigt,
daß er alt geworden ist. Der im J. 91 spielende Dialog von Cic. de orat.
(s. 1, 72. 2, 25) setzt den Lucilius als gestorben voraus.
2. luv. 1, 20 magnus Auruncae alumnus. Auson. ep. 15, 9 rüdes Came-
nas qui Suessae praevenis. — Ein Bruder des Luc. war Senator und Schwieger-
vater des Pompeius Strabo, also Großvater des Pompeius Magnus (Marx
praef. cxxv); Cichorius aO. 1 will ihn in Mdviog Asvy.£Xiog Mccagnov IIco-
(itvtsiva des S. C. von Adramyttion wiedererkennen, wogegen Kappelmacher
WSt. 31, 82 Bedenken erhebt. Daß er selbst römischer Bürger und nicht
Lateiner war, ist kaum zu bezweifeln, vgl. Cichorius 14 (doch s. Marx, Ber.
Sachs. Ges. 1911, 70). Hör. S. 2, 1, 75 nennt sich infra Lucili censum. Daß
Lucilius in guten Verhältnissen lebte, zeigt auch Asconius in Cic. Pis. p. 19,5:
domus (Antiochi regis filio obsidi publice aedißcata) postea dicitur Lucilii
poetae fuisse; s. A. 1. Cichorius 22 macht Besitzungen in Süditalien wahr-
scheinlich; solche bei Tarent sind wohl aus Hör. S. 1, 6, 54 zu erschließen
non ego me claro natum patre, non ego circum me Satureiano vectari rura
caballo. Das in B. 3 geschilderte iter Siculum war wohl eine Inspektions-
reise nach seinen Gütern (Marx, dessen Kommentar immer zu vergleichen
ist, zu V. 105).
3. Verhältnis zum jüngeren Africanus (J. 185 — J. 129) und Laelius (Cos.
140): Hör. S. 2, 1, 71 — 74; s. die hübsche Geschichte bei Acro zdSt. Erzäh-
lungen aus Luc. Kriegsdienst in Spanien waren über die Satiren verstreut
und fanden sich bes. in B. 11. 14 (Cichorius 29). Andere Freunde des Lu-
cilius: Iunius Congus, vielleicht der Historiker, an den eine Satire des 26. B.
gerichtet ist (Cichorius 109, s. § 138,3); (Postumius) Albinus (Cichorius 350),
Granius (praeco). Über den letzteren, einen berühmten Witzbold, s. Bücheler,
§ 143. Lucilius 267
RhM. 37, 521; daselbst auch über eine erhaltene metrische Grabschrift
(CEL. 53) auf Granius Stabilio, die sich möglicherweise auf diesen Granius
bezieht. Seine Gegner sind meist die des Scipio: Mucius Scaevola, L. Cor-
nelius Lentulus Lupus (Cos. J. 156; s. Marx, stud. 59), Caecilius Metellus
(Hör. S. 2, 1, 67, d. i. Q. Macedonicus § 131, 7) und dessen Sohn C. Capra-
rius; s. Cic. de or. 2, 267 (Marx, Stud. 89; Ausg. 1, xlvii), T. Albucius
(§ 141, 3), Hostilius Tubulus, Papirius Carbo; L. Cotta (V. 413) u. a. — Cic.
acad. 2, 102 Clitomachus (aus Karthago, der Skeptiker, gest. um J. 110) in
eo libro quem ad C. Lucilium scripsit poetam. Vielleicht war er sein Zu-
hörer in Athen gewesen; den Karneades erwähnt er V. 31. Einfluß der Lehre
des Panaitios findet sich in der Definition der virtus V. 1326 ff. Schmekel,
Philos. d. mittl. Stoa 443. Auct. ad Her. 2, 19 C. (L., nämlich Antipater,
Cichorius 59) Caelius iudex absolvit iniuriarum eum, qui C. Lucilium poetam
in scaena nominatim laeserat. Vgl. OHirschfeld, Sehr. 788.
4. Die Hauptquelle für unsere Kenntnis des L. ist Nonius, der drei Aus-
gaben benutzt: eine von B. 1 — 21, von B. 22 und von 26 — 30. Marx 1,lxxviii.
In den Zitaten und sonst heißen die Gedichte saturae: der Dichter selbst
erwähnt sie einmal als ludus ac sermones (V. 1039). Es waren 30 Bücher, die
wohl meistens mehrere Satiren enthielten. Nur aus B. 21 und 24 fehlen
Bruchstücke mit Angabe der Buchzahl; aus B. 25 sind nur zwei Worte, aus
B. 23 ist nur ein Hexameter überliefert. Nach den Resten waren verfaßt
B. 1 — 20 in Hexametern; B. 22 in Distichen; B. 26 — 27 in trochäischen
Septenaren; B. 28 — 29 in troch. Septenaren, iamb. Senaren, daktyl. Hexa-
metern; B. 30 in Hexametern. Dieses umfangreiche Lebenswerk ist allmäh-
lich veröffentlicht worden, zuerst jedenfalls die einzelnen Satiren, die we-
nigstens an die Freunde verschickt wurden; und zwar begann der Dichter
(nach dem Vorgang des Ennius, Accius u. a. in der Behandlung didaktischer
Stoffe) seine Satiren in troch. Septenaren abzufassen, versuchte sich dann
in anderen Maßen, bis er als das geeignetste den Hexameter erprobt hatte,
bei dem er verblieb. So sind die letzten Bücher die zuerst verfaßten. —
Zwei Hauptgruppen lassen sich unter den Büchern unterscheiden: B. 1 — 20,
bez. 21 in Hexametern und B. 26 — 30 in verschiedenen Maßen. Jene Samm-
lung von B. 1 — 21 meint Varro LL. 5, 17 a qua bipartita divisione (Himmel
und Erde) Lucilius (so Scaliger: Lucretius Flor.) suorum unius (unum Flor,
aus dem Zahlzeichen I entstanden) et viginti librorum initium fecit. Beide
Sammlungen hat Luc. selbst herausgegeben; die Bücher 22—25 sind später
an die erste Sammlung angehängt und noch später alle 30 B. in einem Cor-
pus vereinigt worden. Marx 1, xxix. Cichorius 63. Die früher für eine Zwei-
teilung des lucilischen Satirenwerkes verwendete Stelle beiAucT. ad Her.
4, 18 Lucilius (Coelius die Hss.) . . . in priore libro geht vielmehr auf Coe-
lius Antipater: s. § 137, 5; zugleich fällt mit der anderen Beziehung auch
die Widmung eines Teils der lucilischen Satiren an Aelius Stilo weg. —
Über die dritte Gruppe B. 22 — 25 ist bei der mangelhaften Überlieferung
alles unsicher; B. 22 enthielt vielleicht Grabepigramme auf Sklaven in Di-
stichen (ein solches sind sicher V. 579 f.). — Von wem und wann die Einzel-
sammlungen zu einer Hauptsammlung vereinigt wurden, wobei man die frü-
heren Arbeiten denen des reiferen Alters nachstellte, ist nicht zu ergründen.
— In dem frühesten Buche (26) verbreitete sich L. über seine Dichtung im
268 Republikanische Zeit: J. 240—84 v. Chr.
allgemeinen, hielt (wie Horaz mit Trebatius S. 2, 1) Zwiesprache mit einem
Freunde über sein Publikum, seinen inneren Drang zum Schreiben, seine
Abneigung gegen andere literarische Gattungen außer der satirischen usw.
Auch B. 30 begann mit der Widmung an einen Gönner, dessen Taten zu
besingen er wegen mangelnder Begabung ablehnte, nach Cichorius 181
C. Sempronius Tuditanus. — Abfassungszeit der Satiren: Hör. S. 2, 1, 63
beweist, daß Scipio (f 129) und Laelius (f nicht lange nachher, § 137, o)
noch Satiren des Lucilius erlebt haben, worin er den Lupus und Metellus
(Macedonicus, A. 3) angriff: dies bestätigen außer V. 1138 ff. (?) die Reste
von B. 26 fll., wo namentlich auch, der eingefleischte Junggeselle Lucilius
gegen das Heiraten loszieht, das Metellus in seiner Zensur (J. 131, § 131, 7)
kräftig empfohlen hatte. Anderseits kann V. 671 f. publicanus vero ut Asiae
ftam, ut scripturarius pro Lucilio, id ego nölo et uno hoc non muto omnia
erst nach der Verpachtung der Zölle von Asia d. h. J. 123 geschrieben sein.
Darnach sind B. 26—30 etwa abgefaßt 131—123 (Marx, stud. 91. Cichorius
70). — B. 1 nach Karneades' Tod (f um 128; s. V. 31) und bald nach dem
Tode des Lupus (nach Cichorius 83 f J. 123), über den Lucilius eine im An-
schluß an B. 1 von Ennius' Annales geschilderte Götterversammlung zu Ge-
richt sitzen läßt. PMoeller, Deos consiliantes qua ratione L. aliique effinxe-
rint. Jena 1912. — Die Erpressungsklage des Albucius (§ 141, 3) gegen den
Scaevola augur (§ 139, 3) J. 119 behandelte Lucilius namentlich auch, um
die verkünstelte Redeweise des Griechlings Albucius zu verhöhnen (wohl in
B. 2; s. Marx, stud. 70; Ausg. 1, xli). B. 5 wird durch die Erwähnung des
Metellus Caprarius als Praetor designatus auf spätestens J. 118 datiert. Cicho-
rius 87. — B. 1 nach J. 110 (V. 418 Verurteilung des L. Opimius) verfaßt.
Lucilius schrieb noch nach J. 107 (Cic. Brut. 160. 161. Marx, stud. 92) und
kann sehr wohl bis an sein Lebensende tätig gewesen sein. — vHeusde,
Lucil. 251. CLachmann, kl. Sehr. 2, 62. FMarx, studia Lucil., Bonn 1882;
im Kommentar.
5. Die Satiren des L. fanden frühzeitig gelehrte Bearbeitung, zB. durch
Laelius Archelaus und Vettius Philocomus (darüber § 148, 4). Suet. gramm. 14
huius (des Curtius Mcia in der Zeit Ciceros) de Lucilio libros etiam Santra
comprobat. Luciliusglossen liegen dem Varro LL. 7, 47 vor. Auch die acht
vor Hör. S. 1, 10 verschlagenen Verse eines Unbekannten handeln von kri-
tischen Bemühungen eines Cato um Lucilius, gewiß eben des bei Suet.
gramm. 2 (§ 148, 4) erwähnten Valerius Cato, und durch einen bespöttelten
grammaticorum equitum doctissimus d. h. Orbilius (§ 200, 3), nach Marx viel-
mehr Vettius Philocomus; s. die Ausleger zdSt. Bährens, Commentar. Cat. 2,
p. 9. Marx, RhM. 41, 552. Kritische Ausgaben der lucilischen Satiren be-
zeugt auch das aneed. Paris, de notis: s. § 41, 2, Z. 13. Gell. 2, 24, 5 (aus
Ateius Capito) erraverunt quidam commentariorum in Lucilium scriptores.
Marx 1, l.
6. Die Dichtung des L. zeigt eine starke Eigenart und ist aus der zweifellos
vorhandenen Anknüpfung an Ennius und hellenistische Vorbilder (§ 103, 1)
nur zum kleinen Teile zu erklären. Wie die Form, so war auch der Inhalt
mannigfaltig. Es fanden sich vielerlei launige Schilderungen der Freuden
der Tafel und des Bechers, Liebesgeschichten (Porph. Hör. C. 1, 12, 10 Über
XVI [XXI Cichorius] Lucüii ^Oollyra' inscribitur . . de Collyra amica
§ 143. Lucilius 269
scriptus), wozu wohl auch die Erstürmung des Hauses eines leno gehört
(B. 29); überhaupt wurde über erotische Dinge ohne Scheu geredet. Ferner
Reiseabenteuer (iter Siculum in B. 3, das Vorbild der Brundisischen Reise
des Horaz; darüber Varges, Stettin 1836. OKeller, Phil. 45, 553. Lafaye,
Rev. Phil. 35, 18; Mel. Chatelain 75), die Erzählung von dem Gladiator (in
B. 4), allerhand Schimpf und Ernst: als Probe von letzterem s. die Ausdeu-
tung des Begriffs virtus bei Lactant. inst. 6, 5, 2 (V. 1326), die in den
Worten gipfelt: (virtus est) hos (homines moresque bonos) magni facere, his
bene velle, his vivere amicum, commoda paeterea patriai prima putare,
deinde parentum, tertia iam postremaque nostra. Mehrfach war Scipio von
Lucilius verherrlicht: Hör. S. 2, 1, 16 (Trebatius zu Horaz) iustum pote-
ras (Caesarem) et scribere fortem, Scipiadam ut sapiens Lucilius. Dies be-
stätigen namentlich Bruchstücke des B. 30 (?) und des B. 14, worin viel-
leicht (s. Cichorius 320) die oft erwähnte Sendung des Scipio nach dem
Orient (um J. 140/39) geschildert wurde (Marx, stud. 81). Vorherrschend
aber war im allgemeinen die ethisch-kritische Tendenz, durch welche L.
der erste Satiriker wurde. Horaz setzt sich mit dem großen Vorgänger,
dessen hohes Ansehen ihm bei der Verschiedenheit der Stilprinzipien unbe-
quem war, öfters auseinander: Sat. 1, 4. 1, 10. 2, 1 u. sonst. Hör. S. 2, 1, 62
est Lucilius ausus primus in hunc operis componere carmina morem; 1, 10, 48
nennt er ihn inventor. Die Worte ebd. 66 rudis et Graecis intacti carminis
auctor sind nicht auf Lucilius zu beziehen; vgl. KPHermann, de satirae
auctore ex sententia Horatii, Marb. 1841. Teuffel, RhM. 30, 623. — Hör.
S. 1, 4, 6 hinc (von der alten Komödie) omnis pendet Lucilius ist unrichtig
und einseitig aus der 7tuQQr\6iu erschlossen (vgl. § 236, 4). Berührungen
mit der griechischen Komödie bei L.: Marx, stud. 46. Archilochos ist zitiert
V. 698. Die Behauptung von Lydus (magistr. 1, 41), Lucilius habe sich an
Rhinthon angeschlossen, beruht sichtlich auf Verwechslung.
7. Gegenstände der Kritik des L. Daß er primores (A. 3) populi arripuit
populumque tributim (Hör. S. 2, 1, 69), bestätigen die Überreste, besonders
der frühesten Bücher (26 fll.). Er muß wirklich die Tribus einzeln vorge-
nommen haben, etwa bei der Schilderung einer Abstimmung (Cichorius 335).
Pers. 1, 114 secuit Lucilius urbem te, Lupe, te, Muci (A. 3), et genuinum
f regit in Ulis. luv. 1, 165| ense velut stricto quotiens Lucilius ardens infre-
muit, rubet auditor cui frigida mens est criminibus usw. Schol. Persii 3, 1
hanc satiram poeta ex Lucili libro IUI transtulit castigans luxuriam et vitia
divitum. Vgl. Trebonius bei Cic. fam. 12, 16 qui magis hoc Lucilio licuerit
adsumere libertatis quam nobis? Apul. apol. 10 C. Lucilium, quamquam sit
iambicus, tarnen improbarim quod Gentium et Macedonem pueros (vgl. Dziatzko,
RhM. 33, 111) directis nominibus carmine suo prostituerit. Erwähnung von
Ti. Gracchus' Tod V. 691?, der Zerstörung von Fregellae in B. 30; Angriffe
gegen die Nobilität werden in B. 6 erzählt. ESzelinski, de nominibus per-
sonarum apud poetas sat. rom. (Königsb. 1862) p. 1. In B. 29 Ratschläge
über den Verkehr mit Frauen, von Horaz S. 1, 2 nachgeahmt; in B. 4 und
13 Tadel des überhand nehmenden Luxus, V. 1228 ff. der 7tolv7tQayiio6vvri.
Aber auch wissenschaftliche, überhaupt literarische Kritik (über diese
MRichter, Comm. Jenens. 11, 2. 62): Verhöhnung der Philosophen, zB. der
logischen Schlußlehre (s. die hübsche Probe V. 1284), der zerbrechlichen
270 [Republikanische Zeit: J. 240-84 v. Chr.
Rhetorik (A. 4 g E.). — Gell. 17, 21, 49 Pacuvius . . . et Accius clariorque
tunc in poematis eorum] obtrectandis Lucüius fuit. Hör. S. 1, 10, 53 nil co-
mis tragici mutat (parodiert) Lucüius Acci? non ridet versus Enni gravitate
minores? wozu Porph.: facit autem Lucüius hoc cum alias tum vel maxime
in tertio libro, meminit nono et decimo ; (wohl auch in B. 30). Polemik gegen
einen Tragiker auch in B. 26, gegen einen Komiker (Afranius?) in B. 30.
Selbst die griechischen Dichter (Euripides, Homer) finden ihren Richter an
L., der auch gegen die gespreizte Vornehmtuerei mancher Zeitgenossen mit
griech. Ausdrücken sich wendet: V. 15 porro clinopodas lychnosque ut dici-
mus asiiv&g, ante pedes lecti atque lucernas. Insbesondere verspottete er den
Schwulst der Sprache der Tragiker, handelte über andere Fragen der Poetik
(V. 338) und verwarf in B. 9 des Accius Neuerungen in Sprachgebrauch
und Schreibung, wobei er die von Accius eingeführte Doppelschreibung
langer Vokale (§ 134, 11) bekämpfte und nur in bestimmten Fällen auf
Grund einer grammatischen Theorie (Sommer, Herrn. 44, 70. Kent, Glott.
4, 299) ei für I beibehielt. Ritschl, op. 4, 153. Marx, stud. 4. Reitzenstein,
Joh. Mauropus 90. Die grammatischen Fragmente auch bei Funaioli, GRF.
1, 32. — Quint. 10, 1, 94 eruditio in eo (L.) mira et libertas atque inde acer-
bitas et abundantia salis.
8. Mittlere Haltung, Wirkung auf weitere Kreise berechnet: Cic. de or.
2, 25 C. Lucüius, liomo doctus et perurbanus, dicere solebat neque se ab in-
doctissimis neque a doctissimis legi velle; . . de quo etiam scripsit: Persium
(§ 136, 9) non curo legere, . . Laelium Decumum volo. S. darüber Cichorius
104. fin. 1, 7 nee vero, ut noster Lucüius, recusabo quominus omnes mea
legant. utinam esset ille Persius! Scipio vero et Rutilius multo etiam magis.
quorum ille iudicium reformidans Tarentinis ait se et Consentinis et Siculis
scribere. facete is quidem, sicut alia; sed neque tarn docti tum erant . . et
sunt illius scripta leviora, ut urbanitas summa appareat, doctrina medioeris.
Petron. 4 schedium Lucüianae humilitatis. Gell. 6, 14, 6 vera et propria . .
exempla in latina lingua M. Varro esse dicit . . gracilitatis Lucilium. Vgl.
Fronto p. 113 und 62.
9. Sorglosigkeit in der Form. Vgl. Hör. S. 1, 4, 9 ff. 1, 10, lff. 50 ff. Was
dieser behauptet (S. 1, 4, 9 f.), L. in hora saepe ducentos . . versus dietabat
stans pede in uno, bestätigt L. selbst, zB. V. 411 conicere in versus dictum
praeconis volebam Grani (A. 3). Die Lebhaftigkeit und Beweglichkeit des
Tones, die oft durch Dialog gesteigert ist, hätte sich mit äußerer Glätte
nicht vertragen. Griech. Wörter wendet Lucil. reichlich an, wohl im An-
schluß an die Gewohnheit des Scipionenkreises ; s. Lachmann, kl. Sehr. 2, 73.
Bouterwek, Phil. 32, 691. Marx' Index 1, 156. Er wendet auch griechische
Flexioneformen an, wie alochoeo V. 25. Die Sprache ist in der Hauptsache
volkstümlich, scheut aber archaische und ennianische Wendungen nicht, wo
sie für den Vers bequem sind. Anlehnungen an Plautus und Terenz sind
namentlich in den Trochäen und Jamben häufig: s. Marx' Nachweise unter
dem Text. Besonders im Versbau und in der Prosodie läßt sich L. gehen,
z. T. weil er die Freiheiten der alten Metrik beibehält. Skutsch, Kl. Sehr. 69.
RBouterwek, quaest. Lucil.; comm. prosodiaca, metrica, Elberf. 1867. Marx'
Index grammaticus metricus 1, 160.
10. Voll Selbstgefühls sagt Lucüius selbst (V. 1013): et sola ex multis
§ 143. Lucilius. § 144. Der Togatendichter Atta 271
nunc nostra poemata ferri; gegenüber den Neigungen des damaligen römi-
schen Adels will er bleiben wie und was er ist: publicanus vero ut Asiae
flam, ut scripturarius pro Lucilio, id ego nolo et uno hoc non muto omnia
(V. 671). Das Ansehen, das er noch in der augusteischen Zeit (wenigstens
in gewissen Kreisen) genoß, erhellt aus den angelegentlichen Erörterungen
des Horaz über sein Verhältnis zu ihm. Noch später gab es Leute, die Lu-
cilium pro Horatio, Lucretium pro Vergilio legunt (Tac. dial. 23); und wer
auf dichterische Kraft und Eigenart den Hauptwert legte, hatte darin ganz
recht. Marx 1, cxvn. — Plin. NH. praef. 7 Lucilius qui primus condidit stili
nasum. Quint. 10, 1, 93 saiira quidem tota nostra est, in qua primus insignem
laudem adeptus Lucilius quosdam ita deditos sibi adhuc habet amatores , ut
eum non eiusdem modo operis auctoribus sed omnibus poetis praeferre non
dubitent Altkamp, Quintiliani de Luc. iudicium, Warendorf 1913.
11. Fragmentsammlungen von FDousa (mit den wertvollen Bemerkungen
von Janus Dousa), Leid. 1597 (öfters wiederholt). Corpet, Par. 1845. DGer-
lach, Zur. 1846. LMüller, Lps. 1872, CLachmann, Berl. 1876 (dazu als Er-
gänzung Härders index Lucil. , Berl. 1878; vgl. auch Lachmann, kl. Sehr.
2, 62. 73). FPR. 139. Grundlegend FMarx, Lips. 1904 f. II. Vgl. Leo, Gott.
Anz. 1906, 837. Deubner, Herrn. 45, 311. — Die Glossare (§ 42, 6) enthalten
sehr wertvolle Reste lucilischer Sprache: s. darüber bes. GLöwe, prodrom.
gloss. lat. 293. Auch Götz, RhM. 40, 324. Gundermann, RhM. 41, 632. EBäh-
rens, JJ. 135, 483.
12. Über Lucilius: vHeusde, studia critica in Lucilium, Utr. 1842. Vgl.
KFHermann, Gott. GA. 1843, 361 (darauf Heusde: Epistola ad C. F. H., de
Lucilio, Utr. 1844). DGerlach, historische Studien (Bas. 1847) S. 3 ff. Teuffel,
PRE. 4, 1181. Mommsen, RG. 26, 443. Bouterwek, de L. satirico, Merseb.
1871. LMüller, Leben u. Werke des L., Lpz. 1876. Birt, Zwei polit. Sa-
tiren, Marb. 1888. Cichorius, Unters, zu Luc, Berl. 1908. — CGiussanl,
quaest. Lucil., Mail. 1885. — Härders und Marx' Wortindex: s. A. 11. Klein-
schmidt, de Lucilii genere dicendi, Marb. 1883 (dazu Marx, Gott. GA. 1883,
1246). EFischer, de voeibus Lucil., Berl. 1881. Petitjean, röle de L. dans
le progres de la langue usw., Ann. de Caen 2, 4 (1886).
141. In der ersten Hälfte des siebenten Jahrh. d. St. finden wir
zwei Togatendichter, Atta und Afranius. Von T. Quinctius Atta
(gestorben J. 77) kennen wir elf Titel, die alle lateinisch sind; die
spärlichen Überreste zeigen einen lebhaften, kecken Ton. Man
rühmte an Atta die folgerichtige Charakterzeichnung. Auch eine
Sammlung von Epigrammen in Distichen scheint er herausgegeben
zu haben.
1. Hieronym. zu Euseb. Chr. a. Abr. 1940 (Freh. 1939) = 77 T. Quin-
tius (so cod. Middlehill. s. VIII: Quinticius die übrigen) Atta scriptor toga-
tarum Eomae moritur sepultusque via Praenestina ad miliarium IL Das
späte Todesjahr des Atta läßt in ihm den jüngsten der drei Togatendichter
vermuten. — Diomed. GL. 1, 490, 8 Atta togatarum scriptor; ebd. 490, 16
togatas tabernarias in scenam dataverunt praeeipue duo, L. Afranius et C.
Quintius.
272 Republikanische Zeit: J. 240—84 v. Chr.
2. Varro bei Charis. GL. 1, 241 rfibj nullis aliis servare convenit quam
Titinio Terentio Attae. Fronto p. 62 animadvertas particulatim elegantis
Novium et Pomponium et id genus in verbis rusticanis et iocularibus ac ridi-
culariis, Attam in muliebribus. Bei Hör. Ep. 2, 1, 79 ist Atta Beispiel eines
der antiqui, die noch in die Gegenwart hineinwirken.
3. Non. (v. crines) 202 Atta in epigrammatibus (folgt ein Hexameter),
wo man Cinna ndgl. einsetzt; s. MHaupt, op. 3, 440. Vgl. § 146. — Isidor.
or. 6, 9 Atta in Satura (folgen iamb. Senare) versteht man gewöhnlich mit
Recht von einer Togata (vgl. § 6, 2 E.), Bährens FPR. 274 von einer Satire.
— Im allgem. über Atta Neukirch, de tog. 153. PRE. I2, 2049. Die Reste
bei Ribbeck3 188.
145. Nach Fruchtbarkeit wie nach künstlerischem Werte ist
der bedeutendste Dichter der togata L. Afranius, dessen Tätigkeit
in die Gracchenzeit zu fallen scheint. Von seinen Stücken kennen
wir wohl so ziemlich aUe Titel, weil die Teilnahme für sie lange
wach blieb. Er bearbeitete römische Stoffe, aber im Geiste des
Menander und Terenz und mit aasgedehnter Benützung von Motiven
der neueren Komödie; dadurch hob er das Wesen der Togata auf.
Seine Stücke bewegten sich vorherrschend in den mittleren Kreisen
und im Familienleben. In der Form wußte er, wie Titinius, die
Volkstümlichkeit des Plautus mit der Formenstrenge und Zierlich-
keit des Terentius zu verbinden.
1. V. 361 maiores vestri iucupidiores liberum fuere bringt Marx mit den
Bestrebungen des Metellus Macedonicus (§ 143, 4) zusammen. Auch wenn
man dies und Cichorius' Vermutung (Unters, zu Lucil. 197), daß Lucilius
in B. 30 gegen ihn polemisierte, nicht anerkennt, so wird seine Zeit unge-
fähr bestimmt durch Cic. Brut. 167 quem (den C. Titius, § 141, 7) studebat
imitari L. Afranius poeta, homo perargutus, in fabulis quidem etiam . . di-
sertus. Danach war Afranius auch Redner und widmete sich daneben der
Togata wie Titius neben der Beredsamkeit der Tragödie. Vellei. 2, 9, 3
clara etiam per idem aevi spatium fuere ingenia, in togatis Afrani, in tra-
goediis Pacuvii atque Attii, usque in Graecorum ingeniorum comparationem
evecti. Vgl. 1, 17, 1. Hör. E. 2, 1, 57. Quint. 10, 1, 100 togatis excellit Afra-
nius; utinam non inquinasset argumenta puerorum foedis amoribus, mores
suos fassus. Danach Auson. epigr. 67, 2 repperit obscenas veneres vitiosa
libido, . . quam toga facundi scenis agitavit Afrani. Dergleichen Stoffe, die
der neuen Komödie in der Hauptsache fremd geblieben waren, entsprachen,
wie die Atellanendichter zeigen, dem Durchschnittsgeschmack des damaligen
Rom. Wenn aber Cichorius aO. Recht hat, so beruht Quintilians Äußerung
auf der Polemik des Lucilius. — Macrob. 6, 1, 4 Afranius togatarum scriptor
in ea togata quae Compitalia inscribitur non invereeunde respondens arguen-
tibus, quod plura sumpsisset a Menandro *Fateor', inquit *sumpsi non ab
illo modo, Sed ut quisque liabuit conveniret quod mihi, Quod me non posse
melius facere credidi, Etiam a Latino\ Also Prologe in der Art des Terenz.
Cic. fin. 1, 7 locos quosdam, si videbitur, transferam. . . cum inciderit, ut id
§ 146. Hostius, Porcius Licinus u. a. Dichter 273
apte fieri posset, ut ab Homer o Ennius, Afranius a Menandro sölet. An-
lehnung an eine Rede des Cato p. 47, 14 J. in V. 23; vgl. 140 mit Cato
fr. 108 J., V. 274 mit Lucil. 957. Pacuvius wird V. 7 zitiert. Suet. v. Ter.
p. 33, 8 Terentium Afranius omnibus comicis praefert (aus V. 29 Terenti non
similem dices quempiam): was zu seiner ganzen Richtung stimmt, s. § 17.
2. Mehr als 40 Titel kennen wir; die berühmtesten waren Divortium,
Emancipatus, Epistula, Fratriae, Privignus, Vopiscus. Götterprologe in Pro-
ditus und Sella, Priapus spricht V. 402. Lyrische Partien bezeugt Mae. Yict.
6, 79, 4: Anwendung von Klauseln findet sich praecipue apud Plautum et
Naevium et Afranium ; nam hi maxime ex omnibus membris versuum (id
esty colis ab his separatis usi reperiuntur in clausulis. Die Reste bei Rib-
beck, com.3 193.
3. Aufführung seines Simulans J. 57 (Cic. Sest. 118), seines Incendium
unter Nero (Suet. Ner. 11). In der augusteischen Zeit stellten Enthusiasten
ihn dem Menander gleich (Hör. E. 2, 1, 57); ungefähr in der des Hadrian
widmete sich (Iulius?) Paulus seiner Erklärung (Chams. GL. 1, 241. Vgl.
§ 137, 6 gE. 352, 7). — Noch Apulei. apol. 12 pereleganter Afranius hoc
scriptum reliquit.
4. Neukirch, fab. tog. 165. Mommsent, RG-. 26, 437. Teuffel, Caecilius
Statius usw. (Tüb. 1858) 37. Marx, PW. 1, 708.
146. Die übrigen Gattungen der Dichtung fanden in dieser Zeit
geringen Anbau: das Epos vielleicht nur in dem bellum Histricum
eines Hostius; der in den Bahnen des Ennius wandelte. Mehrfach
wurde jedoch das Epigramm, die eigentliche Lieblingsgattung jener
Zeit, nach alexandrinischen Vorbildern geübt. Schon oben (§ 144; 3)
ist Atta's Sammlung solcher Gedichte erwähnt worden: andere meist
erotischen Inhalts verfaßten Pompilius, Valerius Aedituus, Por-
cius Licinus und Q. Lutatius Catulus (Cos. 102); Licinus überdies
ein Gedicht literarhistorischen Inhalts in trochäischen Septenaren,
das die schlimmsten Ausartungen der peripatetischen Methode mit-
machte.
1. Die spärlichen Anführungen aus dem bellum Histricum des Hostius
gehen nur bis B. 2. Sie verraten Nachahmung Homers (Macr. 6, 3, 6) und
(was davon unzertrennlich ist) mythologische Einkleidung (fr. 6). Den schon
von Ennius in seinen Annalen besungenen istrischen Krieg des J. 178 fll.
wird Hostius kaum behandelt haben; vielmehr einen jüngeren, wohl den-
jenigen des J. 129, infolgedessen Sempronius Tuditanus (§ 138, 1) trium-
phierte. So Bergk aO. Wahrscheinlich war das nie zu besonderer Geltung
gelangte Gedicht zur Verherrlichung des Siegers von dem ihm zu Dank
verpflichteten oder um seine Gunst werbenden Hostius verfaßt. Cichorius,
Unters, zu Lucil. 190 bezieht darauf Lucil. 1084 haec virtutis tuae cartis
monumenta locantur, wo mit cartae eben das Epos des Hostius gemeint sei.
Auf ihn geht vielleicht Prop. 3, 20, 8 splendidaque a docto fama refulget
avo; denn die dort angeredete Cynthia hieß in Wirklichkeit Hostia (§ 32,3.
246, 1). Vielleicht meint ihn auch Priscian GL. 2, 270 vetustissimi etiam
Teuffel: röm. Literaturgesch. Neub. 6. Aufl. I. 18
274 Republikanische Zeit: J. 240—84 v. Chr.
(hoc pecu' . . . dicebant. Hostilius in I annali (folgt Hexam.). Sicherlich
spricht Priscians vetustissimi nicht dagegen. AWeichert, poet. lat. rell. 3.
FPR. 138. Bergk, kl. Sehr. 1, 252. LMüller, Q. Ennius 278. Kroll, PW.
8, 2516.
2. Der Name des Pompilius ist hergestellt bei Varro LL. 7, 28 Pa~
pini i7tiyQaiL{L<xriov, quod in adolescentem fecerat Cascam (folgt ein erotischer
Scherz in zwei Distichen) und, wo dasselbe Epigramm aus Varro aO. zitiert
ist, bei Prisc. GL. 2, 90 Pomponius (pompnius eine Hs.) in epigrammate.
Die Existenz eines Epigrammatikers Pompilius ist daher zweifelhaft. Denn
das Epigramm (§ 105, 1) Pacui diseipulus dicor, porro is fuit (Enni), En-
nius Musarum: Pompilius clueo wird aus Varro (fr. 356 Buch.) zitiert und
kann von diesem herrühren oder einer Grabschrift angehöret. Da es den
Pompilius als Tragiker bezeichnet, so wird man auch den Senar heu qua
me causa Fortuna infeste preinis? (Varr. LL. 7, 93) einer Tragödie zuschrei-
ben und nicht einem Epigrammbuch, obwohl es Epigramme in Iamben ge-
geben hat (§ 158, 1). Vgl. Riese, Varr. sat. 183. Ribbeck Trag.3 263. LHavet,
rev. phil. 7, 193 versteht das Epigramm ohne Wahrscheinlichkeit von der
Nachfolge des Pompilius in der Satirendichtung. Pascal, Studi 30.
3. Gell. NA. 19, 9, 10 versus cecinit Valeri Aeditui, veteris poetaey
item Porcii Licini et Q. Catuli, quibus mundius, venustius, limatius, tersius
graecum latinumve nihil quidquam reperiri puto (sehr übertrieben). Vgl.
JBüettner, Porcius Licinus 101. — Über die Epigramme und die sonstigen
Arbeiten des Q. Catulus s. § 142, 4. — In dieselbe Zeit etwa und in diese
Nachbarschaft gehört ein erotisches Epigramm auf einer Wand in Pompeji,
veröffentlicht von Bücheler, RhM. 38, 474; CEL. 934 (Quid fi)t? vi me>
oculi, posquam deduextis in ignem usw.
4. Ein erotisches Epigramm des Porcius Licinus, in dem das Motiv
von Anth. Pal. 9, 15 verwendet ist, bei Gell. 19, 9, 13. Ebd. 17, 21, 45 Por-
cius Licinus serius poeticam Romae coepisse dicit in his versibus: Poenico
bellö seeundo usw. (oben S. 151). Es ergibt sich aus ihnen, daß Porcius dem
falschen Ansatz der ältesten römischen Dichter folgte (§ 94, 2, anders Buett-
ner, RhM. 55, 121). Elf trochäische Septenare von ihm in Suetons vita Te-
rentii p. 27, 9 R. besprechen in galligem Ton das Verhältnis des Terenz zu
den römischen Großen, seine Liebedienerei und ihre Rücksichtslosigkeit.
Also ein literarhistorisches Gedicht in der Art derer des Accius mit über-
wiegendem Klatsch. Ritschl, Parerga 244. 622. 637; op. 3, 225. Buettner 8
(der an die falsche Gleichsetzung des Licinus mit dem bei Cic. de or. 3, 225
genannten Licinius unhaltbare Kombinationen knüpft). — Auch vgl. Charis-
GL. 1, 129 (fretus, huius fretus' Porcius Licinus und Cic. fin. 1, 5 (§ 107, 2).
147. Ein vielseitiger und angesehener Gelehrter auf dem Ge-
biet der Sprach- und Altertumsforschung, ein Vorbote Varros, der
sich auch öfters wie dieser der metrischen Form bediente, war
Q. Valerius aus der Latinerstadt Sora7 gestorben als Volkstribun
im J. 82; auch als Redner war er aufgetreten. Ein didaktisches
Gedicht literarhistorischen Inhalts verfaßte Volcacius Sedigi-
tus.
§ 147. Valerius Soranus, Volcacius Sedigitus 275
1. Bei Cic. de or. 3, 43 (Szene J. 91) sagt L. Crassus: nostri (die eigent-
lichen Homer) minus Student litteris quam Latini. Dennoch übertreffe leicht
auch der ungelehrteste geborene Römer litter atissimum togatorum omnium,
Q. Valerium Soranum, Tenuate vocis atque ipso oris pressu et sono. Er ist
jedenfalls der Q. Valerius, cpiloloyog ccvtjq nccl cpLloiiccQ"i]g, den Pompeius im
J. 82 in Sicilien traf und als Marianer hinrichten ließ (Plut. Pomp. 10),
und der tribunus plebei quid am Valerius Soranus, der den geheimen Namen
Roms — etwa in den inoTttidsg — ausplauderte und angeblich zur Strafe
dafür auf Senatsbefehl getötet wurde, Yarro bei Serv. Aen. 1, 277 ut qui-
dam dicunt, raptus a senatu et in crucem levatus est, ut alii, metu supplicii
fugit et in Sicilia comprehensus a praetore (was Pompejus damals war) prae-
cepto senatus occisus est; vgl. Plin. NH. 3, 65. Plut. qu. rom. 61 p. 278 F.
vLeutsch, Phil. 39, 90. 130. — Varro (geb. 116) kannte ihn persönlich und
beruft sich öfters auf ihn als auf eine gewichtige Autorität; vgl. Gell. 2,
10, 3: Varro, von Ser. Sulpicius (§ 174, 2) über die favisae Capitolinae be-
fragt, gesteht, daß er nichts über die Herkunft des Wortes wisse, sed Q. Va-
lerium Soranum solitum dicere usw. Varro LL. 7, 31 apud Valerium Sora-
num: vetus adagio est, o P. Scipio. Dies kann nicht Aemmanus sein, son-
dern ein jüngerer, etwa der Praetor des J. 93. Auf ihn wird sich auch
beziehen Varro LL. 10, 70 Valerius ait: rAccius (§ 134, 11) Hectörem nollet
facere, Hectora malletf, ferner 7, 65 scrupipedas . . . dicit . . Valerius a pede
ac scrupea. Auch wird er der gleichnamige Erklärer der XII Tafeln (§ 86, 6)
sein. Zwei Hexameter (orphisch-stoischen Inhalts, über Juppiter als höchsten
und einen Gott) bei Augustin. civ. d. 7, 9 gE. (vgl. Mythogr. Vat. 152 Bode):
in hanc sententiam etiam quosdam versus Valerii Sorani exponit idem Varro
in eo libro, quem seorsum ab istis de cultu deorum scripsit. Plin. NH. praef. 33
hoc ante me fecit (nämlich seinem Buche eine Inhaltsübersicht beizugeben)
in litteris nostris Valerius Soranus, in libris quos inoTttidcov inscripsit. Er
wird um J. 140 geboren gewesen sein. Cic. Brut. 169 nennt zwei Brüder
Valerii, Quintus und Decimus, vicini et familiäres mei, non tarn in dicendo
admirabiles quam docti et graecis litteris et latinis: das ist unser Quintus
und sein Bruder, während Q. Valerius Orca pr. 57 sein Sohn sein kann.
Ihn mit Valerius Aedituus gleichzusetzen liegt kein Grund vor. Cichorius,
Herrn. 41, 59. Buettner, Licinus 117.
2. Gell. 15, 24, 1 Sedigitus '(im ind. capp.: Volcacius Sedigitus) in
libro quem scripsit de poetis, quid de his sentiat qui comoedias fecerunt et
quem ex omnibus praestare ceteris putet ac deinceps quo quemque in loco et
honore ponat, his versibus suis demonstrat. Es folgen 13 Senare, worin zehn
Palliatendichter bis auf Turpilius (f J. 104) in einer überaus wunderlichen
Reihenfolge mit großem Selbstvertrauen (contra si quis sentiat, nil sentiat)
aufgezählt werden : darein Vernunft zu bringen haben Ladewig (üb. d. Kanon
des Volc. Sed., Neustrel. 1842) und Reich, Der Mimus 1, 337 sich vergeb-
lich bemüht. Die Reihenfolge ist Caecilius, Plautus, Naevius, Licinius, Ati-
lius, Terentius, Turpilius, Trabea, Luscius, Ennius; schon die Äußerung
über den letzteren: decimum addo causa antiquitalis Ennium zeigt, daß
kein einheitliches Prinzip durchgeführt ist. Der Zusammenhang mit den
ästhetischen Kanones der griechischen Grammatiker ist deutlich; über die
(keineswegs auf pergamenischen Einfluß hinweisende) Zehnzahl s. Brzoska,
18*
276 Republikanische Zeit: J. 240—84 v. Chr.
De canone X orat. Bresl. 1883. Vgl. Iber, de Volc. Sed. canone, Münst.
1865; s. § 15, 4. Ist bei Suet. vit. Terent. p. 33 R. die Folge Porcius (Lici-
nus), Africanus, Volcacius, Cicero, Caesar die chronologische, wie wahr-
scheinlich, so wird Volcacius nach der Mitte des 7. Jahrh. d. St. geblüht
haben. Vier Senare von Sed. über Terenz bei Suet. v. Ter. p. 29, 6 und
32, 10. Auch die im Zusatz des Donat. zu Suet. v. Ter. p. 35, 5 R. ange-
führten drei Senare eines f vallegius (Vagellius Ribbeck u. a.) in actione
über Scipio als den Verfasser der terenzischen Komödien gehören vielleicht
dem Volcacius. Bücheler, RhM. 33, 492. Leo, ebd. 38, 321. Vgl. § 304, 3.
Einen Index der Fabeln des Plautus von ihm nennt Gell. 3, 3, 1; als in-
lustrem in poetica erwähnt ihn Plln. NH. 11, 244. Er scheint hiernach das
Leben und die Schriften der betr. Dichter kurz behandelt und eine Art
ästhetischer Würdigung gegeben zu haben. Über die Zeit der Palliata scheint
er aber nicht herabgestiegen zu sein, und auch darum ist es nicht ratsam,
ihn in die ciceronische Zeit hinabzudrücken. S. auch Ritschl, op. 3, 238.
Buettner, Licinus 34.
3. Donats Zusatz zu Suetons Leben des Terenz p. 35 R. : duos Terentios
poetas fuisse scrmit Maecius (§ 193, 1), quorum alter FregeUanus fuerit Te-
rentius Libo, der andere der Komiker.
148. Aber der bedeutendste Gelehrte und Forscher dieser Zeit
war der römische Ritter L. Aelius Praeconinus Stilo aus Lanuvium.
Er hielt sich zur Stoa, die seine Interessen und Anschauungen be-
einflußte, und war der erste, der (Befreundeten) in lateinischer Li-
teratur und lateinischer Redekunst eigentliche Unterweisung gab
und die lateinische Sprach- und Altertumsforschung wissenschaft-
lich begründete, indem er auf die ältesten Denkmäler zurückging
und sie erklärte. So war er der erste römische Philologe, der mit
den großen griechischen Grammatikern verglichen werden darf;
Umfang und Ziel seiner Forschung vererbte er auf seinen Schüler
Varro. Gleichzeitig mit Stilo wirkten in ähnlichem Sinne auch Ge-
lehrte griechischen Ursprunges, wie Laelius Archelaus und Yettius
Philocomus.
1. Suet. gr. 2 instruxerunt auxeruntque ab omni parte grammaticam
L. Aelius Lanuvinus generque Aelii Ser. Clodius (§ 159, 9), uterque eques
Rom. multique ac varii et in doctrina et in rep. usus. (3) Aelius cognomine
duplici fuit; nam et Praeconinus, quod pater eius praeconium fecerat, voca-
batur et Stilo, quod orationes nobilissimo cuique scribere solebat; tantus
optimatium fautor, ut Metellum Numidicum (§ 141, 2) in exilium comitatus
sit (J. 100). Den Vornamen bezeugt auch Varro LL. 8, 81 durch das Bei-
spiel Lucius Aelia. Cic. Brut. 205 L. Aelius . . fuit vir egregius et eques
Rom. cum primis honestus, idemque eruditissimus et Graecis litteris et Lati-
nis antiquitatisque nostrae et in inventis rebus et in actis scriptorumque vete-
rum litterate peritus. quam scientiam Varro noster acceptam ab Mo auctam-
que per sese . . pluribus et illustrioribus litteris explicavit. (206) sed idem
Aelius Stoicus esse voluit, orator autem nee studuit umquam nee fuit; scri-
§ 148. Aelius Stilo 277
bebat tarnen orationes quas alii dicerent, ut (205 Cottae pro se lege Varia,
J. 91) Q. Metello *F., ut Q. Caepioni (vgl. ebd. 169), ut Q. Pompeio Bufo. . .
(207) his scriptis etiam ipse interfui, cum essem apud Aelium adulescens eum-
que audire perstudiose solerem. Auct. ad Her. 4, 18 Goelius (§ 137, 5) . . In
priore libro has res ad te scriptas, Luci, misimus, Aeli. Varro bei Gell.
NA. 1, 18, 2 L. Aelius noster, litteris ornatissimus memoria nostra, und LL.
7, 2 homo in primis in litteris Latinis exercitatus. Vgl. noch Gell. 10, 21, 2
qui doetissimus eorum temporum fuerat, L. Aelius Stilo. Plin. 33, 29. 37, 9.
Bei Verg. catal. 5, 3 Valete . . Et vos, Stiloque Tarquitique (§ 1 58, 2) Var-
roque, Scolasticorum natio madens pingui vermutete schon Heyne Stiloque :
aber die Hss. führen auf Selique, und das ist beizubehalten, wenn auch die
von Ellis und Bücheier (RhM. 38, 514) angezogenen Selii aus Cic. acad. 2,
11 oder ep. 7, 32, 2 kaum in den Zusammenhang passen. — öfters in den
Hss. Laelius statt L. Aelius, zB. Cic. ep. 9, 15, 2. acad. post. 1, 8. or. 230
(de or. 1, 265 ist sicher Laelius gemeint). Plin. NH. 14, 93. — Da L. Aelius
ein Freund des Coelius Antipater war und Cicero noch bei ihm in die
Schule ging, so war er etwa J. 150 geboren und erreichte ein hohes Alter.
Vgl. Ritschl, Parerga 239.
2. Beziehungen zu Dionysios Thrax vermutet Marx, Auct. ad Her. 138.
Literarische Tätigkeit: Aeliana studia (antiquitatis Momanae) , Cic. de or.
1, 193? (anders MVoigt, Abh. d. sächs. Ges. d. Wiss. 7, 324, der unrichtig
an Sex. Aelius § 125, 2 denkt). Bei den inventae res denkt Cic. Brut. 205
an griechische svQrJiuxtcc und ihre Aneignung durch die Römer: Norden.,
Ind. lect. Greifsw. 1895 p. VI, der die actae res auf Studium des römischen
Rechtes bezieht. Berufung auf (mündliche?) Äußerungen bei Varro RR. 3,
12, 6. LL. 5, 66. 101. 6, 7. Gell. NA. 12, 4, 5. Schriften: Aelii .. inter-
pretationem carminum Saliorum videbis et exiliter (?) expeditam et praeterita
öbscura multa, Varro LL. 7, 2. Vgl. Fest. 146 (v. manuos). 141 (v. molu-
crum). 210 (v. pescia). Corssen, orig. 48 und oben § 64, 2. — Erklärung
der XII Tafeln: Cic. leg. 2, 59. Fest. 290 (v. sonticus morbus). RSchöll,
leg. XII tab. reliq. 29 will hierbei den Stilo überall verstanden wissen, wo
schlechtweg Aelius angeführt ist. Boesch, De XII tab. lege 13. — Gell.
NA. 16, 8, 2 commentarium de proloquiis (d. h. %sql u^lcollcctcov im Sinne
Chrysipps) L. Aelii, docti hominis, qui magister Varronis fuit, . . legimus.
sed in eo nihil edocenter neque ad instituendum explanate scriptum est, fecis-
seque videtur cum librum Aelius sui magis admonendi quam aliorum docendi
gratia. Benutzt hat diese Schrift Varro LL. B. 24. — Zur Kritik und Aus-
legung älterer lateinischer Dichter. Er lieferte kritische Ausgaben : s. Anecd.
Paris, de notis (oben § 41, 2: his solis in adnotationibus Ennii Lucilii et
historicorum usi sunt Varro S. Ennius Aelius) und Fronto p. 20 (unten
§ 198, 2gE.). Bewunderer des Plautus, Quint. 10, 1, 99. Indices Aelii der
Plautinischen Stücke, Gell. 3, 3, 1 und ebd. 12 homo eruditissimus L. Aelius
XX V (comoedias) eius (Plauti) esse solas existimavit. Vgl. § 96, 4. 99, 4 u. 5.
— Zahlreiche etymologische (in quo . . erravit aliquotiens, Varro bei Gell#
1, 18, 2) und grammatische Bemerkungen des Stilo zusammengestellt bei
vHeusde 64. Sie weisen auf ein größeres Werk, das Varro in LL. B. 5 — 7
benutzt hat; über den Umfang der Benutzung s. § 167, 3. Wenn Reitzen-
stein, M. Ter. Varro 47 mit der Behauptung Recht hat, daß Stilo auch
278 Republikanische Zeit: J* 240—84 v. Chr.
Quelle für 8, 26 ff. ist, so war er ein Anhänger der Anomalie, was zu seinen
stoischen Neigungen passen würde. Über seine philosophischen Interessen
Cic. Ac. post. 1, 8 (Varro spricht) ea (entlegene philosophische Gedanken)
quantum potui . . feci ut essent nota nostris ; a Graecis enim peti non poterant
ac post L. Aelii nostri occasum ne a Latinis quidem. — vHeusde, de L. Aelio
Stilone; inserta sunt Stilonis et Servii Claudii fragm., Utr. 1839. Mentz,
Comm. Jenens. 4, 1 (mit Fragmentsammlung). Funaioli, GRF. 1, 51. Goetz,
PW. 1, 532. Vgl. Mommsen, RG. 26, 425. 456.
3. Suet. gramm. 2 (vgl. § 41, 1) ut Laelius Archelaus Vettiusque
Philocomus (retractarunt ac legendo commentandoque etiam ceteris notas
fecerunt) Lucüi saturas familiaris sui (so die Hss. : familiaribus suis Heusde),
quas legisse se apud Archelaum Pompeius Lenaeus (§ 53, 1), apud Philoco-
mum Valerius Cato (§ 200, 1) praedicant. Da im folgenden dieser niedrigeren
Stufe gelehrter Tätigkeit die höhere, durch Stilo vertretene gegenüberge-
stellt wird {instruxerunt etc., oben A. 1), andererseits die Schüler der Ge-
nannten (Lenaeus und Cato) der ciceronischen Zeit angehören, so wird die
Blüte des Archelaus und Philocomus ungefähr gleichzeitig mit der des
Stilo, etwa J. 124 fll. zu setzen sein. — Jener Archelaus ist vielleicht
auch gemeint bei Charis. GL. 1, 141, 33 Q. Laelius ex prinoipibus gramma-
ticis librum suum ita inscripsit (de vitiis virtutibusque poematorum\
149. Die beiden Jahrzehnte 104 — 84 umschließen abermals hef-
tige innere Kämpfe teils mit den Bundesgenossen, die sich im mar-
sischen Kriege völlige Gleichstellung mit den Römern erstritten,
teils zwischen der wieder erstarkten Volkspartei und dem seine
Vorrechte verteidigenden und schließlich durch Sulla siegreichen
Adel. Das rege Leben, das sich in diesen Kämpfen entfaltet, bringt
auf den nationalen Gebieten geistiger Tätigkeit, in Beredsamkeit
und Rechtsgelehrsamkeit, glänzende Früchte hervor. Die Kunst zu
reden wird allgemeiner Unterrichtsgegenstand und vorübergehend
auch von Einheimischen gelehrt. Die Geschichtschreibung liegt in
den Händen der jüngeren Annalistik und. verrät in stärkerem Maße
als bisher Einfluß der Rhetorik und Parteifärbung.
1. Latini rhetores zu Rom, s. § 44, 9. — Über die jüngere Annalistik
s. § 37.
150. Auch auf dem Gebiete der Dichtung herrscht Leben: die
Atellanische Volksposse wird durch Novius und Pomponius in die
Literatur eingeführt, Cn. Matius verfaßt Mimiamben und übersetzt
die Ilias; Laevius (Melissus) beginnt in scherzhaften mythologisch-
erotischen Gedichten die mannigfaltigen Formen der modernen grie-
chischen Verskunst bis zu ihren Künsteleien mit Geschick nachzu-
bilden; ihren Epiker hat die Zeit an A. Furius aus Antium, ihren
Tragiker an C. Iulius Caesar Strabo. Auch der Idyllendichter Sueius
§ 149. Die Zeit von 104—84. § 150. A. Furius, Matius 279
mag etwa hierher gehören. Eben diese Jahrzehnte (104 —84) bil-
den die Jugendzeit des Cicero (geb. 106) und Caesar (geb. 100).
1. Q. Lutatius Catulus schrieb de consulatu et de rebus gestis suis ein
Buch ad A. Furtum poetam, familiärem suum (Cic. Brut. 132; s. § 142,4).
Gell. NA. 18, 11 im ind. cap. ex carminibus Furi Antiatis; ebd. § 2: Fu-
rtum veter em poetam. Gellius führt dort sechs Hexameter aus einem Epos
an und verteidigt den Dichter gegen den Vorwurf ungeschickter Wortbil-
dung. Vgl. AWeichert, poet. lat. rell. 348. JBecker, ZfAW. 1838, 597.
Nipperdey, op. 499. FPR. 276. — Über andere diesem Furius zugeteilte
Verse s. § 192, 9.
2. Varro LL. 7, 95 apud Matium r corpora Graiorum maerebat man-
dier ignf (Hom. A 56). Vgl. ebd. 96 apud Matium robsceni interpres'' usw.
(= A 62). Gellius, der den Matius fast nie nennt, ohne sich vor ihm als
einem doctus vir, homo impense doctus, vir eruditus udgl. zu verneigen, zi-
tiert 7, 6, 5 Cn. Matium . . in II Hiadis; 9, 14, 14 Cn. Matius in lliadis
XXI und ebd. 15 Matius in XXIII. Vgl. Charis. GL. 1, 117. 345. Diom.
GL. 1, 345. Prisc. GL. 2, 334. — Terent. Maur. GL. 6, 397, 2416 hoc (in
Hinkiamben) mimiambos Matius dedit metro: nam vatem eundem (Hipponax)
est Attico thymo tinctum pari lepore consecutus et metro. Dieses Versmaß
zeigen die spärlichen Überreste (14 Verse zB. auch an Büchelers und
Crusius' Herondas, LMüllers Catull. [Lpz. 1870] 91), die aufheitere Schilde-
rungen aus dem gewöhnlichen Leben (auch in dialogischer Einkleidung)
hinweisen; vgl. Crusius' Vermutungen zu den einzelnen Fragmenten. Fr. 9 f.
weisen auf epikureische Weltanschauung. Name (vgl. uslLaiißoi, (ivd'icc{Lßoi,)
und Sache ist von den gleichfalls choliambischen fu^tajißot des jetzt auch
im Original bekannten Herodas entlehnt, der auch später noch bei den Rö-
mern in Ansehen stand (Plin. ep. 4, 3, 4 von den griechischen Epigrammen
und Mimiamben eines Freundes: Callimachum me vel Heroden vel si quid
his melius tenere credebam). An rein dramatischen Charakter der fufuajxßot
und an deren Aufführung auf der Bühne ist nicht zu denken. Kühne Wort-
bilduugen scheinen häufig gewesen zu sein. — Wernsdorf, PLM. 4, 568.
MAubert, de Matio mimiamb. auctore, Christiania 1844. FPR. 281. Leo,
Herrn. 49, 189.
3. Außer Matius übersetzte die Ilias auch ein Ninnius Crassus. Vgl.
Priscian. GL. 2, 478, 12 Ninnius Crassus in XXIV Iliados, und Non. 475,
14 Crassus lib. XVI Iliados. Auf denselben bezieht sich wohl noch Prisc.
GL. 2, 502, 24 f nevius in lliadis secundo und Charis. GL. 1, 145, 21 f neuius
Cypriae lliadis libro I. Nach dem letzten Zitat hat er also auch ta Kvtzqvcc
$7tr\ (aus elf BB.) übertragen, falls das nicht vielmehr ein Naevius oder
Mevius (§ 233, 2) war. Die Zeit des Dichters ist unbekannt. FPR. 283.
4. Ausonius sagt im Nachworte zu seinem cento nuptialis (p. 146, 11
Seh.), zu dessen Rechtfertigung: quid antiquissimi poetae Laevii Eroto-
paegnion libros loquar? vgl. Prisc GL. 2, 281, 2 idem vetustissimi . . . Lae-
vius . . . Ennius. Diese Epitheta ergeben keinen Anhalt für die Zeitbestim-
mung, auch die Mannigfaltigkeit seiner Metrik und der Charakter seiner
Sprache (vgl. bes. Gellius 19, 7, 2) lassen einen Spielraum von Jahrzehnten.
Ob die Ordnung, in der Gellius 19, 9, 7 ihn unter den röm. Erotikern auf-
280 Republikanische Zeit: J. 240—84 v. Chr.
führt: Laevius .. Hortensius . . Cinna . . Memmius (vgl. § 31, 1) chronolo-
gisch ist, bleibt zweifelhaft. In die Zeit vor den Neoterikern führt der Bau
des Septenars fr. 21. Der Scherz mit der lex Licinia sumptuaria (gegeben
vor J. 103, s. § 143, 1) bei Gell. 2, 24, 8 weist in die Zeit um J. 100. Viel-
leicht ist bei Prisc GL. 1, 560 Laevius erotopaegnion in IUI rmeminens
Varro corde volutaf der Polyhistor gemeint. Mit unserer Zeitbestimmung
trifft auch Bücheler, JJ. 111, 306 überein, der — freilich nicht zwingend
— die Erwähnung des Phoenix (s. u.) durch Laevius einige Jahre nach der
Wundererzählung des L. Manilius oder Manlius (§ 158, 1) über diesen Vogel
setzt, also um J. 94 — 89. Derselbe (RhM. 41, 11) vereinigt den Laevius mit
dem bei Suet. gramm. 3 erwähnten: quem (den Lutatius Daphnis, § 142r
4gE.) Laevius Melissus per cavülationem nominis Tlavbs czyanruicc dicitr
und einem Griechen und Schulmeister würden wir den Versuch, das Latein
den Schnörkeleien der [späteren griechischen Metrik zum erstenmal anzu-
passen, am liebsten zuschreiben. Von seinen Zeitgenossen und nächsten
Nachfolgern wird Laevius (ähnlich wie später Phaedrus) geflissentlich nicht
beachtet. Er selbst sprach schon von seinen Verächtern als vituperones sub-
ducti supercüi carptores (Gell. 19, 7, 16). Früheste Erwähnung bei Fest.
206b, 15. — Häufige Verwechslung seines Namens mit Livius, Naevius,
Laelius, Lepidus, Laevinus, sogar mit Pacuvius. Der Name Laevius ist sehr
selten. — Porphyr, zu Hör. C. 3, 1, 2 JRomanis utique non prius audita,
quamvis Laevius lyrica ante Horatium scripserit; sed videntur illa non Grae-
corum lege ad lyricum char acter em exacta. Horaz verschwieg den nie recht
zu Ansehen gelangten längst vergessenen Vorgänger, der an den großen
Lyrikern vorbeigegangen war und sich an die bizarrsten Spielereien der
hellenistischen Zeit gehalten hatte. — Gell. 19, 7, 2 figuras hdbitusque ver-
borum nove aut insigniter dictorum in Laeviano Mo carmine. L. wurde zu
kühnen, ja gewalttätigen Wortbildungen und Wortzusammensetzungen durch
seine Versmaße gezwungen; dazu kam die vom neueren Dithyrambus aus-
gehende Technik seiner Vorbilder. Inhaltlich finden wir scherzhafte Be-
handlung erotischer Sagenstoffe, aber auch eigene Liebschaften (fr. 28 mea
Vatiena amabo)', formell vielerlei lyrische Maße (iambische Dimeter, Tro-
chäen, Skazonten, Anapäste, Hexameter, daktylische Tetrameter, phalaeke-
ische Verse, Ioniker a maiore, a minore u. a.) in freier Behandlung und
Mischung; endlich sogar die alexandrinische (vgl. des Simmias ytt^Qvys^
Egcütog, Anth. Pal. 15, 24) Spielerei des TttBQvyiov phoenicis mit zu- und
abnehmenden Versen, Künsteleien mit der Silbenzahl der Verse udgl. S.
A. 5 und Bücheler aO. vWilamowitz, Phil. Unters. 18, 112.
5. Höchste Bücherzahl: Laevius 'EgcoTOTtocLyviav VI bei Charis. GL. 1,
204. Vgl. ebd. 288, 5 in pterygio phoenicis Laevii novissimae ödes Eroto-
paegnion. Wahrscheinlich von Unterabteilungen dieses Gesamttitels die An-
führungen Laevius in Adone (Priscian. GL. 2, 269, 6), in Ione {Inone, ebd.
281, 3), in Protesilaodamia (Gell. 12, 10, 5. Non. 116. 209. Priscian. GL. 2r
242, 13; vgl. in ProtesiJao ebd. 484, 9; in Laudamia 496, 27; vgl. HARM0Nr
Am. J. Ph. 33, 186), in Sirenocirca (302, 1, Non. 120), in Centauris (Fest.
206; Ribbeck, röm. Trag. 11), Alcestis (Gell. 19, 7, 2). Laevius in pölyme-
tris bei Priscian. GL. 2, 258, 12, daraus der Vers omnes sunt denis syllabis
versi, d. h. Laevius hielt es für nötig, dem Leser das Versmaß zu erklären.
§ 150. Laevius, Sueius. § 151. Novius 281
— AWeicuert, de Laevio poeta, in poet. lat. 31. FWüllner, de Laevio,
Münst. 1829; allg. Schulzeit. 1830 2, 1259. PRE. 4, 732. LMüller, de re
metr. 75 und die Fragm. an s. Catull (Lps. 1870) p. 76, vgl. p. xxxviii. FPR.
287. EBährens, Catullkommentar 6. Häberlin, Phil. 46, 87. Havet, Rev. Ph.
15, 6; 20, 73. de la Ville deMirmont, Bibl. univ. du Midi 4 (1900). Leo,
Herrn. 49, 180.
6. Über Caesar Strabo s. § 153, 3. — Sueius: der Name selten, vgl.
CIL. 1, 1183 = 10, 5191. 6, 26919f. 7, 477? (jedoch auch Suius Suedius:
WSchulze, Zur Gesch. lat. Eigenn. 233). Die Hss. geben dem Dichter seinen
richtigen Namen nur bei Macr. , sonst ist er in suis, suemus, ueius u. a.
verderbt. Macrob. sat. 3, 18, 11 huius rei idoneus adsertor est Sueius, vir
longe doctissimus, in idyllio quod inscribitur Moretum. nam cum loquitur
de Jiortulano faciente moretum usw., worauf er 8 Hexameter daraus anführt,
die in ihrem steifen Kathederton sehr verschieden sind von der Art des
(vergilischen) Moretum (vgl. ebd. 3, 19, 1 Sueius poeta). Ob ein Zusammen-
hang besteht zwischen dem moretum des S. und dem ^vttmtös (?) des Par-
thenios von Nikaia (in Rom seit etwa 73; s. Meineke, Anal. Alex. 257 und
unten § 230, 3, 1)? — Aus des Sueius f Pulli' über Vogelzucht und -leben
führt Non. 139, 24. 513, 21. 72, 23 trochäische Septenare an. Ebendaraus
stark zerstörte Bruchstücke bei Varro LL. 7, 104? — Vielleicht aus einem
epischen Gedicht zitiert zwei Reste Macrob. 6, 1, 37. 6, 5, 15 (beidemal
Sueius in libro quinto). Ribbeck, röm. Dicht. 1, 306 möchte den Dichter
mit dem Ritter M. Seius, Aed. 74, Freund des Varro und Cicero', dem Be-
sitzer einer einträglichen Geflügelzucht (PRE. 6, 921) vereinigen. — Die
Bruchstücke an Müllers Lucilius p. 311. 322 (vgl. p. xxx). FPR. 285.
151. Die volkstümliche Atellane wurde zu einem Zweige der
komischen Literatur dadurch, daß Novius und L. Pomponius aus
Bononia das alte Volksstück in formeller Hinsicht der Palliata an-
näherten unter Beibehaltung des possenhaften Inhalts, der keiner
Derbheit aus dem Wege ging (§ 9. 10). Von den beiden Dichtern
war, wie es scheint, Pomponius der originellere und fruchtbarere.
1. Macrob. 1, 10, 3 Novius, Atellanarum probatissimus scriptor, und:
post Novium et Pomponium (§ 10, 2). Dieselbe Ordnung bei Fronto (§ 144, 2);
dagegen Velleius (s. A. 4): Pomp. . . novitate inventi etc. Cic. de or. 2, 255.
279. 285 läßt im J. 91 Stellen aus Novius anführen. Der Name scheint
kampanisch: Schwering, Idg. F. 32, 364. Vorname unbekannt: häufig Ver-
wechslung mit Naevius. Novianae Atellaniolae exzerpiert von M. Aurelius
nach Fronto p. 34 Nab. Überreste (43 Titel) bei Munk, fab. Atell. 165;
vgl. 117. Ribbeck, com.3 307.
2. Stoffe des Novius: personae oscae (Duo Dossenni; Maccus copo, exul;
Mania medica; Pappus praeteritus), Stände und Gewerbe (Agricola, Bubul-
cus, Ficitor, Vindemiatores ; Bubulcus cerdo, Fullones; Milites, Optio, Hetaera),
Landstädter (Milites Pometinenses), Literarisches (v. 5. 26. 38. 67. 116, viel-
leicht auch eine Travestie Phoenissae), parodisch Mythologisches (Hercules
coactor). Scheinbar in der Weise der alten Palliata sind die Titel Dotata
(Dotalis?), Gallinaria, Lignaria, Tabellaria, Togularia, in der Art der neuen
282 Republikanische Zeit: J. 240—84 v. Chr.
Paedium. Bemerkenswert auch Exodium (§ 6, 4); Mortis et vitae iudicium;
Malivoli, Parcus, Surdus, Dapatici rdie Schlemmer'?
3. Die possenhafte Haltung und die Unflätereien, die Häufigkeit der
Alliteration und volksmäßiger Formen und Wendungen, aber auch die Vers-
maße hat Novius mit Pomponius gemein (A. 5); doch sind lyrische Maße
nirgends sicher überliefert. Dem Novius eigentümlich ist vielleicht die ver-
hältnismäßige Häufigkeit von Bildern aus dem Kinderleben (v. 41. 62. 65).
4. Hieron. zu Euseb. Chr. ad a. Abr. 1928 = J. 89: L. Pomponius
Bononiensis, Atellanarum scriptor, clarus habetur. Cic. ep. 7, 31, 2 (J. 44)
vides exaruisse iam veterem urbanitatem, ut Pomponius noster suo iure possit
dicere: Nisi nos pauci retineamus gloriam antiquam Atticam (V. 191) scheint
ihn als lebend vorauszusetzen. Vellei. 2, 9, 6 sane non ignoremus eadem
■aetate (wie Valerius Antias u. a.) fuisse Pomponium, sensibus celebrem, ver-
bis rudern et novitate inventi a se operis commendabilem. Macr. 6, 9, 4 Pom-
ponius, egregius Atellanarum poeta. Vgl. Fronto p. 62 (s. § 144, 2). Sen.
contr. 7, 3, 9 auctorem huius vitii, quod ex captione unius verbi plura signi-
ficantis nascitur, aiebat (Cassius Severus) Pomponium Atellanarum scriptorem
fuisse. EMunk, de fab. Atell. (Lps. 1840) 93. PRE. 5, 1876. Seine Über-
reste (70 Titel) bei Munk, fab. At. 134. Ribbeck, com.3 269. Die Rechnung
uach victoriati genügt nicht zur Zeitbestimmung; Mommsen, RG. 26, 439.
5. Stoffe außer den oskischen Figuren (Bucco auctoratus, adoptatus ;
hirnea Pappi, Pappus agricola, praeteritus, sponsa Pappi; Maccus, Macci
gemini, Maccus miles, Sequester, virgo; Dossennus wird V. 27. 75. 109 ge-
nannt) besonders Stände (Rustici, Fullones, Decuma fullonis, Leno, Pictores,
Piscatores, Pistor, Praeco, Medicus u. a.), Stammesunterschiede (Campani,
Galli, Transalpini), politische (Petitor, Pappus praeteritus, Praefectus mo-
rum) und kirchliche (Aeditumus, Aruspex, Augur); Satire; Literarisches
(Philosophia; vgl. v. 83. 138. 181), auch (als Travestie?) Mythologisches
(Agamemno suppositus, Marsya, wohl auch Atalanta, Sisyphos, Ariadne,
Vahlen, RhM. 16, 473, und vielleicht Atreus). Von Tieren sind entnommen
die Titel Asina[ria], Capella, Porcetra, Vacca, Verres aegrotus (und salvos?),
vielleicht auch Pecus rusticum (MHertz, JJ. 107, 339). Endlich ein Stück
Satura (§ 6, 2. 95, 9. 144, 3; darauf bezieht sich auch das Zitat wbei Non.
112, 9 Pomponius . . . saturarum). Manche Titel klingen wie von Palliaten
(Adelphi, Synephebi, Syri, Citharista[?], Dotata); der Parasit trat auf (V. 80),
auch V. 191 nisi nos pauci retineamus gloriam antiquam Atticam führt in
die Sphäre der Palliata (doch s. Norden, De Stilone xi). Aus einem Pro-
loge wohl V. 101 poema placuit populatim omnibus. Persönliche Anspielun-
gen V. 15. Daß von unmäßigem Essen geredet wird (V. 71. 73. 169. 187),
entspricht dem Wesen der festen Personen. Prügeleien (V. 157. 178), Liebes-
geschichten derbster Art, wie Verkleidung als Mädchen, V. 57 ff. 67 f.; Mac-
cus virgo; Nuptiae; Prostibulum. Zahlreiche Zoten und sonstiger Schmutz
(V. 64. 75. 97. 99. 139 f. 148. 180); Wortwitze, sehr häufige Alliteration;
Sprichwörtliches und anderes Volksmäßige. Versmaße: iambische Senare
und Septenare, trochäische Septenare, auch (V. 164 f.) Kretiker. — Leo,
Herrn. 49, 169.
6. Einer Atellane gehörte sicher an der Überrest bei Varro LL. 6, 68
hos (die rustici) imitans Aprissius (?ein Aprissus Inscr. Rhen. 1711: Aprusius
§ 151. Pomponius. § 152. Die Redner Antonius und Crassus 283
WSchulze, Eigenn. 110) ait Ho Bucco, quis meiubilat? vicinus antiquus tuus\
Sulla selbst dichtet Atellanen: § 157, 3.
152. Die Hauptredner dieser Zeit sind M. Antonius (J. 143
— 87) und L. Licinius Crassus (J. 140 — 91). Antonius verdankte
was er war seinem trefflichen Gedächtnis und seiner angeborenen
Lebendigkeit und wirkte hauptsächlich durch glänzenden Vortrag.
Eine kleine rhetorische Schrift von ihm war wohl die erste eigentlich
technische in lateinischer Sprache. Crassus, ein Mann von feine-
rem Verstände und besserer juristischer Bildung, war ebendarum
als Redner minder hinreißend als Antonius, dafür aber überzeugend
durch die Klarheit seiner Auseinandersetzungen und gewinnend
durch heiteren Witz und Gewähltheit der Sprache. Seine Vorliebe
für kurze Sätze läßt ihn als Anhänger der modernen Beredsamkeit
erkennen.
1. M. Antonius, M. f. M. n. (so auf einem Fragm. der Konsularfasten,
CIL. I2, 27), geb. 143 (Cic. Brut. 161; vgl. de or. 2, 364), Praetor 102, Con-
sul 99, Censor 97, durch die Marianer getötet 87; s. Söderholm, de M. An-
tonio et L. Crasso, Helsingf. 1853. Klebs, PW. 1, 2590. OEnderlein, de
M. Antonio oratore, Lps. 1882. MKrueger, M. Antoni et L. Crassi fragm.,
Bresl. 1909. Charakteristik seiner Redeweise (außer de oratore, wo er und
Crassus die Hauptträger des Gesprächs sind) bes. Cic. Brut. 139 — 142 (vgl.
207. 215. 301. 304), zB.: erat memoria summa, nulla meditationis suspicio
. . verba ipsa non illa quidem elegantissimo sermone. . . sed tarnen in verbis
et eligendis . . et collocandis et comprehensione devinciendis nihil non ad ra-
tionem et tamquam ad artem dirigebat; verum multo magis hoc idem in sen-
tentiarum ornamentis et conformationibus. . . actio singularis. . . gestus erat
non verba exprimens, sed cum sententiis congruens. . . vox permanens, verum
subrauca natura, sed hoc Vitium huic uni in bonum convertebat ; habebat
enim flebile quiddam in questionibus aptumque cum ad fidem faciendam tum
ad misericordiam commovendam. Gesamtergebnis: omnium eloquentissimus
quos ego viderim (Cic. Tusc. 5, 55). Vgl. de or. 1, 172 Antonii incredibilis
quaedam . . vis ingenii videtur, etiamsi scientia iuris nudata sit, posse se
facile ceteris armis prudentiae tueri.
2. Seine Reden, unter denen die für M'. Aquilius (J. 98) wohl die be-
rühmteste war, gab M. Antonius grundsätzlich nicht heraus, nicht sowohl
(womit er selbst es scherzhaft zu begründen pflegte) aus advokatischer
Schlauheit (§ 44, 4) als vielmehr in der Erkenntnis, daß sie geschrieben un-
möglich gleichen Eindruck machen könnten wie von ihm vorgetragen. Nur
eine kleine, wenig bedeutende Schrift de ratione dicendi veröffentlichte er
gelegentlich; s. Cic. or. 18. Brut. 163. Quint. 3, 1, 19 (hoc solum opus eins,
atque id ipsum imperfectum, manet). 3, 6, 45. Eine Äußerung daraus bei
Cic. de or. 1, 94. or. 18 (und danach bei Späteren). Über angenommene
Benutzung s. § 162, 3. Die Nachrichten über die von Antonius gehaltenen
Reden s. bei MKrueger 15.
3. L. Licinius L. f. C. n. (CIL. I2, 27) Crassus, geb. 140 (Cic. Brut.
284 Republikanische Zeit: J. 240—84 v. Chr.
161), trat J. 119 zuerst als Redner auf (annos natus XXI, Cic. de or. 3, 74;
unrichtig XIX bei Tac. dial. 34; s. Nipperdey, op. 323), Schüler des
Coelius Antipater (§ 137, 5, Z. 10); J. 118 Führer der Kolonie nach Narbo
Martius. Cos. 95, Censor 92; damals wirkte er bei der Aufhebung der rhe-
tores latini (§ 44, 9) mit (Cic. de or. 3, 93. Tac. dial. 35) f 91. PRE. 4,
1058, 18. Söderholm (A. 1). MÖtte, de L. Licinio Crasso, Lps. 1873. Krueger
(A. 1).
4. Die Darstellung, die Cicero in seiner Schrift de oratore von Crassus
gibt, ist dadurch getrübt, daß er dem Crassus seine eigenen Ansichten in
den Mund legt und ihn zu einem Vertreter der akademischen Rhetorik
macht. Dies geht so weit, daß dem Crassus sogar (2, 142 vgl. 1, 190) die
Absicht beigelegt wird, ein Werk de iure civili in artem redigundo zu
schreiben. Ebenso werden 1, 154 ihm die Stilübungen zugeschrieben, die
Cic. in seiner Jugend gemacht hat (vgl. Quint. 10, 5, 2). Namentlich die
Betonung der Notwendigkeit vielseitiger Bildung für den Redner (zB. 1,
156 ff.) stammt aus dieser Quelle; denn in Wahrheit spricht nichts dafür,
daß sich Crassus in dieser Hinsicht von Antonius und andern VorDehmen
seiner Zeit wesentlich unterschied (Cic. de or. 2, 1). Kroll, RhM. 58, 585.
Treuer ist die Schilderung Brut. 143—145. 148. 158—165; zB. 143 erat
summa gravitas, erat cum gravitate iunctus facetiarum et urbanitatis . . lepos;
Latine loquendi accurata et sine mölestia diligens elegantia; in disserendo
mira explicatio; cum de iure civili, cum de aequo et bono disputaretur , ar-
gumentorum et similitudinem copia. 145 ut eloquentium iurisperitissimus
Crassus, iurisperitorum eloquentissimus Scaevola (§ 154, 1) putaretur. 158 vehe-
mens et interdum irata et plena iusti doloris oratio, . . idem et perornatus
et perbrevis. 159 iam in altercando invenit parem neminem, versatus est in
omni fere genere causarum. 162 quin etiam comprehensio et ambitus ille ver-
borum (der Satzbau) . . erat apud illum contractus et brevis, et in membra
quaedam, quae -neble: Graeci vocant, dispertiebat orationem libentius (vgl. orat.
223: es ist die asianische Manier). Tac dial. 18 Graccho pölitior et orna-
tior Crassus. 26 C. Gracchi impetum aut L. Crassi maturitatem. Macr. 5,
1, 16 sunt stili duo; . . unus est maturus et gravis, qualis Crasso adsigna-
tur, . . alter huic contrarius, ardens et erectus et infensus, quali est usus An-
tonius. Über abfällige Kritik des Rutilius an ihm s. Cic. de or. 1, 227.
5. Herausgegebene Reden des Crassus. Cic. or. 132 Crassi perpauca
sunt, nee ea iudiciorum. Brut. 160 orationis eins (für die Vestalin Licinia,
J. 113) scriptas quasdam partes reliquit . . exstat in eam legem (de colonia
Narbonem deducenda) . . oratio. 161 haec Crassi (pro lege Servilia) cum
edita oratio est (J. 106), . . XXXIV tum habebat annos. 162 est etiam L.
Crassi in consulatu (J. 95) pro Q. Caepione . . non brevis ut laudatio, ut
oratio autem brevis. postrema censoris oratio, in his omnibus inest quidam
sine ullo fueo veritatis color. 163 vellem plura Crasso libuisset scribere.
164 multa in illa oratione (pro lege Servilia) . . dieta sunt, plura etiam dieta
quam scripta, quod ex quibusdam capitibus expositis nee explicatis intellegi
potent, ipsa illa censoria contra Cn. Domitium collegam non est oratio, sed
quasi capita rerum et orationis commentarium paulo plenius. Vgl. § 44, 7.
MÖtte aO. 41. Die verhältnismäßige Einfachheit seiner Redeweise war nicht
nach dem Geschmacke der späteren Rhetorik. Nur durch Cicero sind uns
§ 152. Der Redner Crassus. § 153. Andere Redner 285
einzelne Stellen aus seinen Reden erhalten; s. Krueger 35. Diese Proben
zeigen häufige Anwendung der Anaphora und der rhetorischen Frage und
sind eben wegen ihrer Lebendigkeit angeführt, geben daher nur von einer
Seite der Beredsamkeit des Crassus ein Bild.
153. Neben diesen beiden hervorragenden Rednern besaß jene
Zeit tüchtige Vertreter der Beredsamkeit an dem Juristen Q. Scae-
vola (Cos. 95) und an L. Marcius Philippus (Cos. 91); unter den
etwas Jüngeren waren die bedeutendsten Redner C. Iulius Caesar
Strabo, der auch Komödien verfaßte, C. Aurelius Cotta (Cos. 75)
und P. Sulpicius Rufus, neben dem auch C. Scribonius Curio (Cos.76)
zu erwähnen ist.
1. Über Scaevola s. § 154, 1.
2. L. Marcius Philippus, geb. um 144, Cos. 91, Censor 86, gest.
nach 77. PRE. 4, 1538. Cic. Brut. 173 duobus summis, Crasso et Antonio,
L. Philippus proxumus accedebat, sed longo intervallo tarnen proxumus.
. . erat in Philippo . . summa libertas in oratione, multae facetiae; . . erat . .
Graecis doctrinis institutus, in altercando cum aliquo aculeo et mdledicto
facetus (vgl. 166). Da er aus dem Stegreif zu sprechen pflegte (Cic. de or.
2, 316), so kennen wir nur einige aus der Erinnerung angeführte Worte
aus Reden von ihm, bei Cic. off. 2, 73. de or. 3, 2. Sallust (hist. I) legt
ihm eine Rede gegen Lepidus (J. 78 f.) in den Mund.
3. C. Iulius L. f. Caesar Strabo (CIL. 1, p. 278, IV, auch Sesquicu-
lus und Vopiscus, Mar. Victor. GL. 6, 8. Varro RR. 1, 7, 10. Cic. Phil.
11, 11), aed. cur. (J. 90; Cic. Brut. 305. Ascon. p. 26, 24, somit geb. um
J. 120); Quaestor, tr. mil. bis, Xvir. agr. dand. adtr., iud., pontif. (nach dem
elogium im CIL. aO.), J. 87 mit seinem älteren Bruder Lucius (Cos. 90) von
den Marianern erschlagen. Cic. Brut. 177 festivitate et facetiis C. Iulius L.
f. et superioribus et aequalibus suis omnibus praestitit oratorque fuit minume
ille quidem vehemens, sed nemo umquam urbanitate, nemo lepore, nemo sua-
mtate conditior (vgl. de or. 2, 98. off. 1, 133. Tusc. 5, 55). sunt eius aliquot
orationes, ex quibus, sicut ex eiusdem tragoediis, lenitas eius sine nervis per-
spici potest. de or. 3, 30 novam quandam rationem attulit orationis. . . res
. . tragicas paene comice, tristes remisse, severas hilare, forenses scaenica prope
venustate tractavit. Wegen dieser Begabung läßt ihn Cic. in de or. B. 2 den
Vortrag über den Witz halten. Ascon. aO. : idem inter primos temporis sui
oratores et tragicus poeta bonus admodwm habitus est. huius sunt enim tra-
goediae, quae inscribuntur Iuli. Von letzteren kennen wir die Titel Adrastus,
Teuthras, Tecmessa; Welcker, Trag. 1398. Ribbeck, trag.3 263; röm. Trag.
610. Vgl. § 134, 3. Die Reste seiner Reden bei Meyer2 330. PRE. 4, 426, 8.
4. C. Aurelius M. f. Cotta, geb. um J. 124 (Cic Brut. 301), 91—82
in der Verbannung, Cos. 75, f 74. Klebs, PW. 2, 2482. Cic Brut. 182 aetate
inferiores paulo quam Iulius, sed aequales propemodum fuerunt C. Cotta,
P. Sulpicius, Q. Varius, Cn. Pomponius (vgl. ebd. 221. 308; dagegen de or.
3, 50); C. Curio (A. 6), C. Carbo (Praetor 85, f 82; Brut. 221), L. Fuftus
(Brut. 222), M. Drusus (ebd.), P. Antistius (ebd. 226). . . ex Ms Cotta et
Sidpicius cum meo iudicio tum omnium facile primas tulerunt. Vgl. de or.
286 Republikanische Zeit: J. 240—84 v. Chr.
1, 30. or. 204. Ascon. p. 53, 19. Cic. Brut. 202 inveniebat acute Cotta, dice-
bat pure ac solute. . . nihil erat in eius oratione nisi sincerum, nihil nisi
siccum atque sanum (vgl. 317. or. 106. de or. 2, 98. 3, 31). Zu dieser ver-
ständigen Weise stimmte es auch, daß er die Philosophie schützte und sich
an die neue Akademie (und Antiochos) anschloß; s. Cic. de deor. nat. 1, 16.
2, 1. de div. 1, 8. Veröffentlicht hat er keine Reden (or. 132). Cottae pro
se lege Varia quae inscribitur, eam L. Aelius (§ 148, 1) scripsit Cottae ro-
gatu, Brut. 205; vgl. 207 Cottam miror, summum ipsum oratorem minumeque
ineptum, Aelianas levis oratiunculas voluisse existumari suas. Sallust. (hist.)
legt ihm eine oratio ad populum rom. in den Mund. Cicero läßt ihn in de
or. und de deor. nat. am Dialoge teilnehmen. Meyer, orat.2 339.
5. P. Sulpicius Rufus, Altersgenosse des Vorigen, etwa 121 geb., als
Volkstribun J. 88 von den Sullanern geächtet und getötet. PRE. 6, 1495, 35.
Cic. Brut. 203 fuit Sulpicius vel maxime omnium, quos quidem ego audive-
rim, grandis et ut ita dicam tragicus orator. vox cum magna tum suavis et
splendida; gestus et motus corporis venustus; . . incitata et volubilis, nee ea
redundans tarnen nee circumfluens oratio. Crassum hie volebat imitari, Cotta
malebat Antonium (nach Ciceros Schilderung der Redeweise beider möchte
man dies eher umkehren); sed ab hoc vis aberat Antoni, Crassi ab illo lepos.
Vgl. de or. 1, 131. 2, 88. 96. 3, 31. de har. resp. 41. Brut. 205 (vgl. or. 132)
Sulpici orationes quae feruntur, eas post mortem eius scripsisse P. Canutius
putatur, aequalis meus, homo extra nostrum ordinem meo iudicio disertissi-
mus. ipsius Sulpici nulla oratio est, saepeque ex eo audivi, cum se scribere
neque consuesse neque posse diceret. Über jenen Cannutius (dies die bessere
Schreibung, Nipperdey, op. 307) Cic. Cluent. 29. 50. 58. 7 3 f.; ein Fragment
bei Prisc. GL. 2, 381, 12.
6. Cic. Brut. 207 Ms duobus (Cotta und Sulpicius) eiusdem aetatis ad-
numerabatur nemo tertius, sed mihi placebat (Cn.) Pomponius (s. A. 4) ma-
xume, vel dicam minume displicebat. 210 erant tarnen quibus videretur illius
aetatis tertius Curio, quia splendidioribus fortasse verbis utebatur et quia
Latine non pessime loquebatur, usu, credo, aliquo domestico. nam litterarum
admodum nihil sciebat. 213 fll., dort auch über sein Schaukeln beim Vortrag,
das ihm den Spottnamen Burbuleius eintrug (Val. Max. 9, 14, 5. Plin. NH.
7, 55). Vgl. § 136, 12. Als Curio pater (vgl. § 209, 1) angeführt bei Prisc
GL. 2, 385, 11 u. Plin. QVerz. zu B. 3 (Geographie). Volkstribun war dieser
C. Scribonius J. 90, Consul 76, und starb 53; PRE. 6, 879, 11. Er war ein
erbitterter Feind des Caesar (Suet. Iul. 9. 49. 50. 52) und verfaßte gegen
ihn eine Streitschrift in dialogischer Form; s. Cic. Brut. 218. Auch war er
Pontifex maximus und vielleicht Schriftsteller über sakrale Dinge; daher
Varros Logistoricus Curio de eultu deorum.
7. Cic. Brut. 174 horum (Antonius, Crassus, Philippus) aetati prope
coniunetus L. Gellius . . nee erat indoctus nee tardus ad exeogitandum nee
Bomanarum rerum immemor et verbis solutus satis. sed in magnos orator es
ineiderat eius aetas .. ita diu vixit (etwa J. 136 — etwa 54), ut multarum
aetatum oratoribus implicaretur. Vgl. ebd. 105 (familiaris noster L. Gellius).
Consul war er J. 72, Censor 70. Münzer, PW. 7, 1001. LSchwabe, Quaest.
Catull. 112.
8. Außer den genannten erwähnt Cicero im Brutus noch eine große
§ 153. Sulpicius Rufus u. a. Redner. § 154. Q. Mucius Scaevola 287
Anzahl von solchen, die Reden hielten (qui tantum in dicentium numero,
non in oratorum fuerunt, 176) oder gar nur clamatores (182) waren. Er
konnte hierbei nahezu jeden aufführen, den die Magistratsverzeichnisse ent-
halten, kümmert sich aber ziemlich wenig um die chronologische Ordnung,
sondern schüttet ab und zu einen Sack voll Namen mit magerer Charakte-
ristik aus, wie 165f. 168f. 175. 178—180. Noch am ehesten erwähnenswert
sind die, welche in dieser Zeit apud socios et Latinos oratores habiti sunt (169),
nämlich Q. Vettius Vettianus e Marsis, Q. et B. Valerii Sorani (s. § 147, 1 gE),
C. Rusticelius Bononiensis, und besonders omnium eloquentissimus extra hanc
urbem T. Be tut ins Barrus Asculanus, cuius sunt aliquot orationes Asculi
habitae et illa Romae contra Caepionem (§ 136, 10 gE) nobilis sane, cui ora-
tioni Caepionis ore respondit Aelius (§ 148, 1), Brut. 169. Ebd. 304 heißen
oratores non Uli quidem principes L. Memmius (vgl. ebd. 136. 247) et Q. Pom-
peius, sed oratores tarnen. Letzterer Q. Pompeius Rufus (Cos. 88) etiam
ipse scripsit eas (orationes), quibus pro se est usus, sed non sine Aelio (ebd.
206). Daraus ein Zitat bei Prisc. GL. 2, 385, 10?
154. Nächst der Beredsamkeit entfaltete die mit ihr unmittel-
bar zusammenhängende Rechtsgelehrsamkeit in dieser Zeit das
meiste Leben. Sie hatte einen glänzenden Vertreter an dem Pontifex
Q. Scaevola (Cos. 95), einer der wohltuendsten Gestalten des Römer-
tunis. Ebenso gründlich wie vielseitig gebildet, dabei feind aller Pe-
danterie, redegewandt und ein freisinniger Charakter von unbeug-
samer Rechtlichkeit und ungetrübter Lauterkeit verkörperte er das
Ideal von einem Manne des Rechts, dem er als Sachwalter, Ratgeber,
Lehrer und Schriftsteller sein Leben weihte. Er war der erste, der
mit Anlehnung an die stoische Logik eine systematische Bearbei-
tung der Rechtswissenschaft unternahm, die allen Nachfolgern als
Grundlage diente. Neben seinen Schriften lebte er auch durch zahl-
reiche Schüler fort, unter denen die hervorragendsten Lucilius Baibus
und Aquilius Gallus waren. Neben ihm wirkten als Juristen beson-
ders Sex. Pompeius, Aculeo und Q. Cornelius Maximus.
1. Q. Mucius P. f. (Sohn des § 133, 4 besprochenen) P. n. Scaevola,
Freund des Redners L. Crassus (§ 152, 3) und sein Amtsgenosse in allen
Ämtern (zB. dem Consulat 95) außer der Zensur und dem Yolkstribunat ;
Statthalter in Asien (Ehrung für ihn: Foucart, Rev. Phil. 25, 85); von den
Marianern ermordet J. 82; vgl. Zimmern, Privatrecht 1, 1, 284. PRE. 5, 184, 11.
Von seinem gleichnamigen Oheim (§ 139, 3) unterschied man ihn durch die
Bezeichnung als pontifex maximus, zB. Ascon. p. 54, 12 Q. Mucium Scae-
volam pontificem max. eundemque et oratorem et iurisconsultum significat.
L. Crassus nennt ihn bei Cic. de or. 1, 180 aequalis et collega meus, homo
omnium et disciplina iuris civilis eruditissimus et ingenio prudentiaque acu-
tissimus et oratione maxime limatus . . atque , ut ego soleo dicere, iuris peri-
torum eloquentissimus, eloquentium iuris peritissimus. Seine Redeweise zeich-
nete sich aus durch Klarheit, Feinheit und Bündigkeit des Ausdruckes,
288 Republikanische Zeit: J. 240—84 v. Chr.
s. Cic. de or. 1, 229 dixit . . more suo, nullo apparatu, pure et dilucide (was
auf stoische Redeweise hindeutet). Brut. 145. 148. 163 (Scaevolae dicendi
elegantiam satis ex iis orationibus quas reliquit habemus cognitam). De or.
1, 45 Panaetii tui läßt auf ein Schülerverhältnis schließen. Wie an den
Stellen, wo ein Scaevola kurzweg und fast sprichwörtlich genannt ist (wie
bei Hör. E. 2, 2, 89), vorzugsweise an ihn als den berühmtesten Träger
dieses Namens zu denken sein wird, so könnte er auch der von Quint. 11,
2, 38 wegen seiner Gedächtnisstärke erwähnte Scaevola sein. Sein Interesse
für Systematisierung des ius civile, zumal die Schrift Ttsgl oqcov (A. 2gE.)
macht glaublich, daß er zur Stoa hielt und daß er der doctissimus pontifex
(maximus) Scaevola ist, von dem Augustin. de civ. dei 4, 27 (nach Varro)
die stoische Dreiteilung der Götterlehre (Götter der Dichter, der Philosophen,
der Staatsmänner) und sehr freigeistige Äußerungen über die Volksreligion
anführt; s. EZeller, Vortr. u. Abh. 2 (Lpz. 1877) 119: nur sollte nicht aus
der Ungefährlichkeit solcher Äußerungen abgeleitet werden, was vielmehr
Ausfluß der stoischen Lehre (§ 166, 4) und der allezeit bewährten Offenheit
des Scaevola war.
2. Pompon. dig. 1, 2, 2, 41 Q. Mucius P. f. pontifex maximus ius civile
primus constituit, generatim in libros XVIII redigendo. Vgl. Gell. 6, 15, 2
Q. Scaevola in librorum quos de iure civili composuit XVI0. Zum erstenmal
erschien hier ein umfassendes einheitliches und gegliedertes System anstatt
der früheren Gesetzesausdeutung und Kasuistik, der Gutachten und Präju-
dizien. Er hat geleistet, was Crc. de or. 1, 190 den Crassus (§ 152, 4) als
Ideal hinstellen läßt: ut primum omne ius civile in genera digerat, quae per-
pauca sunt, deinde eorum generum quasi quaedam membra dispertiat, tum
propriam cuiusque vim deßnitione declaret. S. Rudorff, röm. Rechtsgesch.
1, 161. Karlowa, röm RGesch. 1,481. Vgl. MVoigt, Abh. sächs. Ges. 7, 337
(daselbst sogar Taf. 1 der Versuch einer Wiederherstellung der Anlage des
Werkes; vgl. Bremer 62). Es war getragen von dem spezifisch römischen
Grundgedanken des freien Verfügungsrechtes, letztwillig und unter Leben-
den (uti legassit super familia tutelave, ita ius esto, dig. 50, 16, 120 vgl. 122.
Gell. 4, 1, 17. dig. 33, 9, 3 pr. 34, 2, 27 pr.), woran sich die Verpflichtung
anderer aus Verletzungen und Verträgen (Gell. 6, 15, 2. dig. 17, 2, 30. 47,
2, 76, 1), sowie die Rechtsverfolgung (dig. 19, 5, 11) anschloß. Die Rück-
sicht auf den Landbau trat hervor, die auf den Handel zurück. In B. 2
war von den Legaten, in B. 14 von den Gesellschaften, in B. 16 vom Dieb-
stahl gehandelt. An dieses Werk lehnte sich die Rechtsschriftstellerei der
nächsten Zeit ergänzend, weiterbildend und berichtigend an. Vgl. § 49, 6.
So schrieb Ser. Sulpicius Notata Mucii (dig. 17, 2, 30 vgl. Gell. 4, 1, 20 in
reprehensis Scaevolae capitibus. Gai. inst. 1, 188 vgl. 3, 149), Laelius Felix
Ad Q. Mucium (Gell. 15, 27, 1. 4), Gaius (1, 188) Ex Q. Mucio, und Sex.
Pomponius (§ 350, 8) Ad Q. Mucium lectionum libri XXXIX; dieses letztere
Werk ist in den Pandekten statt des nicht exzerpierten Werkes des Q. Mu-
cius selbst sehr häufig ausgezogen und ist wohl auch dig. 41, 1, 53 f. ge-
meint (Zimmern aO. 287, A. 28). Außer diesem Hauptwerke verfaßte Scaevola
ein Handbuch, über singularis oqcov (definitionum), wohl eine kritische Zu-
sammenstellung von regulae iuris. Es wird in den Pandekten viermal an-
geführt (vgl. 35, 1, 7 pr. Muciana cautio), und ist das älteste in ihnen be-
§ 154. Q. Scaevola u. a. Juristen 289
nutzte Werk. Unverfälscht liegen uns Mucius' Worte kaum irgendwo vor.
— Die Fragmente in Huschkes IA.6 17. Bkemer, IAH. 1, 48. — ASchneider
(§ 133, 4E.) 22.
3. Pompon. dig. 1, 2, 2, 42 Mucii auditores fuerunt complures, sed prae-
cipuae auctoritatis Aquilius Gallus, Baibus Lucilius, Sex. Papirius, C. Iuven-
tius. . . omnes tarnen hi a Ser. Sulpicio nominantur. alioquin per se eorum
scripta non talia exstant ut ea omnes appetant; denique nee versantur om-
nino scripta eorum inter manus hominum, sed Servius (eis) libros suos com-
plevit, pro cuius scriptum ipsorum quoque memoria habetur. Unter diesen
gehört sicher Gallus (§ 174, 1) der ciceronischen Zeit an, wie Cicero selbst
eine Zeit lang Zuhörer bei den responsa auch (§ 139, 3) dieses Q. Scaevola
war (Lael. 1). Sex. Papirius und C. Iuventius sind sonst nicht bekannt,
falls nicht jener das ius Papirianum (§ 71) zusammengestellt hat; bei Cic.
Brut. 178 wird einem T. Iuventius zwar Trockenheit als Redner, dabei je-
doch magna iuris civilis intellegentia zugeschrieben. L. Lucilius Baibus, doc-
tus et eruditus homo von bedächtiger Langsamkeit (Cic. Brut. 154), war der
frühere Lehrer des Ser. Sulpicius (§ 174, 2).
4. Juristen neben Scaevola waren, außer Antipater (§ 137, 5), Q. Tubero
(§ 139, 2) und Rutilius Rufus (§ 142, 2), auch Q. Lucretius Vispillo (in pri-
vatis causis et acutus et iurisperitus , Cic. Brut. 178) und Paulus (Pompon.
aO. 40: richtiger nach Cic. Lael. 101 Aulus) Yerginius, sowie Volcacius, der
Lehrer des A. Cascellius (Plin. NH. 8, 144; vgl. Mommsen zu den dig. 1, 2,
2, 45), und wohl auch C. Sextius Calvinus (§ 141, 6), Pontidius (Cic. de or.
2, 275), sowie M. Buculeius (ebd. 1, 179).
5. Sex. Pompeius, Gnaei Pompei (Magni) patruus (Pompon. dig. 1, 2,
2, 40); praestantissimum ingenium contulerat ad summam iuris civilis et ad
perfeetam geometriae et rerum stoiearum scientiam (Cic. Brut. 175 vgl. de
or. 1, 67. 3, 78. off. 1, 19). — Wer ist der bei Fest. 170a, 25 (für altlat.
numero = nimiumf) zitierte Pompeius Sextus?
6. Der römische Ritter C. (Visellius) Aculeo (PRE. 6, 2679, 1 u. 2), der
Freund des Redners L. Crassus (Cic. de or. 2, 2), verstand nach Cic. de or.
1, 191 ita ius civile, ut ei (außer Q. Scaevola) nemo de eis qui peritissimi
sunt anteponatur, und vererbte seine Rechtskenntnis auf seinen Sohn C. Vi-
sellius Varro; Brut. 264. Dieser wird dort auch als Redner gerühmt; ein
Fragment aus einer seiner Reden bei Prisc. GL. 2, 386, 7.
7. Q. Cornelius Maximus, nur bekannt als der Lehrer des Trebatius
Testa (s. § 207, 3) und aus Cic ep. 7, 13, 3 (idem Q. Cornelio videbatur,
vgl. ebd. 7, 8, 2). Vgl. auch Gai. inst. 1, 136 (Maximus). Dig. 33, 7, 16, 1
(Cornelius).
155. Unter den Annalisten dieser Jahrzehnte zeigt Q. Clau-
dius Quadrigarius darin einen gewissen Fortschritt, daß er die
älteste Sagengeschichte beiseite ließ und seine römische Geschichte
erst mit dem Einfall der Gallier begann. Auch sonst unterscheidet
er sich immerhin zu seinem Vorteil von dem zeitlich nicht genau
bestimmten Valerius Antias. Dieser ist zwar mit seinem sehr
ausführlichen Werke der bedeutendste unmittelbare Vorgänger des
Teuffei: röm. Literaturgesch. Neub. 6. Aufl. I. 19
290 Republikanische Zeit: J. 240—84 v. Chr.
Livius, erscheint jedoch diyxh seine willkürlichen Ausmalungen,
ungeheuerlichen Zahlenangaben und das Bestreben, sein Geschlecht
zu verherrlichen, als ein bezeichnender Vertreter der jüngeren An-
nalistik. Cn. Aufidius schrieb sein Geschichtswerk wieder srrie-
chisch.
1. Vellei. 2, 9, 6 aequalis Sisennae . . . Claudius Quadrigarius (s. A. 2).
Die Person des Cl. ist unbekannt. Der Name Quadrigarius, der ein eigent-
liches römisches Cognomen nicht gewesen sein kann, kommt bei Livius nicht
vor, aber bei Velleius, Seneca und Späteren, und ist wohl eine Art litera-
rischen Spitznamens (Vermutungen über seine Bedeutung bei Unger aO. 12 ;
Mommsen, röm. Forsch. 2, 426). Als Titel seines Hauptwerkes ist Annales
durch Gellius verbürgt. Die höchste uns bekannte Buchzahl ist Q. Claudius
in XXIII annali bei Gell. 10, 13, 4. Daß schon das erste Buch von der
Eroberung Roms durch die Gallier handelte, zeigen die Überreste. Dieser
Beginn seines Werkes zeugt entschieden für den auch sonst bewährten kri-
tischen Blick des Verfassers, ebenso seine Beachtung der Chronologie und
der inneren Angelegenheiten. Allerdings hat auch er (vgl. A. 3) bei Schlacht-
berichten auf feindlicher Seite ungeheuere Verlustzahlen (Liv. 33, 10, 9. 38,
23, 8. Oros. 5, 3, 2. 5, 20, 6), doch braucht man diese nicht nur auf Rech-
nung der Geschichtschreiber zu setzen, sondern namentlich auch auf schön-
färbende Feldherrnberichte (man beachte, neben den hohen Zahlen der
Toten, die niedrigen — weil kontrollierbaren — der Gefangenen: Liv. 36,
19, 12. 36, 38, 8. 40, 28, 6. 40, 33, 6). Vgl. Unger aO. 17. — Nach der
herrschenden Gewohnheit wird Cl. sein Werk bis auf seine Zeit fortgeführt
haben; in Buch XIX kam Sullas Krieg gegen Archelaos und Mariue1 sie-
bentes Consulat (J. 87) vor. Die späteste sichere Angabe ist aus J. 82 bei
Oros. 5, 20 {Claudius historicus). Das erste Buch erzählte noch den zweiten
Samniterkrieg (wenigstens bis zum J. 320), das dritte Buch bereits den
ersten, B. 5 und 6 den zweiten punischen Krieg. Daher muß die Behand-
lung des Stoffes sehr ungleichmäßig gewesen sein: anfangs ganz übersicht-
lich, dann in zunehmender Breite je näher der Verfasser seiner eigenen
Zeit kam, so daß er auch selbstverfaßte Reden und (Gell. 1, 7, 9. 3, 8, 8)
Briefe seiner Erzählung einverleibte. Auch im einzelnen war die Darstellung-
umständlich. Die Sprache ist altertümlich, aber gelegentlich blumenreich,
die Sätze voll wuchtiger Worte, aber kurz und knapp, und unvermittelt
nebeneinander gerückt: daher sehr nach dem Geschmacke der Zeit des
Fronto; s. Fronto bei Gell. 13, 29, 2 vir modesti atque puri ac prope coti-
diani sermonis und ep. p. 114, 3 historiam scripsere . . Claudius lepide, An-
tias invenuste, Sisenna longinque. Gell. 15, 1, 4 Q. Claudi, optumi et since-
rissimi scriptoris; 9, 13, 4 Q. Claudius . . purissime atque inlustrissime sim-
plicique et incompta orationis antiquae suavitate descripsit. Dionysius von
Halikarnass erwähnt ihn nicht; Livius nennt ihn zehnmal, teilweise gegen
ihn polemisierend. Er scheint ihn besonders in der zweiten Hälfte der
ersten Dekade und in der vierten und fünften Dekade neben Val. Ant. be-
nutzt zu haben. S. Unger aO. Die meisten Überreste verdanken wir dem
Gellius. Sammlung derselben HPeter, HRR. 1, 205; HRF. 136. — Quadri-
o-arius könnte auch sein derjenige Claudius, qui annales Acilianos ex graeca
§ 155. Claudius Quadrigarius und Valerius Antias 291
in latinum sermonem vertu, bei Livius 25, 39, 12 (s. § 127, 2); aber das ist
höchstens eine Möglichkeit. Sicher aber darf man diese Übersetzung und
die Annalen des Cl. nicht für ein Werk halten, da die Annalen des Cl.
erst mit dem Einfall der Gallier, die des Acilius aber mit der Gründung
Roms begannen. Andere haben mit Unrecht gezweifelt, ob man wegen Liv.
aO. notwendig an eine 'Übersetzung' des Acilischen Werks durch Claudius
denken müsse, und wie Liv. 35, 14, 5 so auch jene Stelle nur von einer Be-
nutzung der griechischen Annalen des Acilius in den lateinischen des Cl.
verstanden. Vgl. HPeter, JJ. 125, 104. Cantarelli, riv. fil. 12, 1. — Plu-
tarch Num. 1 KXmSiog ng iv iXsy^co %q6vcov — ovrco ydg 7tcag iniyiyQUTtxai
xo ßißXlov — v.xX. meint, obwohl gerade dort von dem Verluste der älteren
Aufzeichnungen iv xolg KsXxiKotg itd&sai xfig noXscog die Rede ist, wohl
keinesfalls den Cl. Quadr. (Appian. Gall. 1, 3 iv %Qovmccig 6vvrcc^s6i donzi
TLuvlco t(p Klttvdlcp könnte allenfalls auf dieses Werk gehen). Der bei Cic.
leg. 1, 6 (§ 37, 5) als Nachfolger des Antipater genannte Clodius ist wohl
für Cl. Quadr. zu halten. S. Unger aO. 11. — Über Claudius s. Giesebrecht,
über Q. Cl. Quadr., Prenzlau 1831. Nissen, krit. Unters. 39. Peter, HRR.
1, ccxlv. cclxxxvii. ccxcvin. FUnger, Phil. Suppl. 3, 2, 4 fll. Niese, PW.
3, 2858. Kahrstedt, Die Annalistik von Liv. 31 — 45 S. 95.
2. Valerius Antias (wohl Nachkomme des Valerius Antias bei Liv.
23, 34, 9), Verfasser eines bald Annales bald Historiae (oder Historia) ge-
nannten Geschichtswerkes von mindestens 75 Büchern (B. 75 zitiert Gell. 6,
9, 17; B. 74 Priscian. GL. 2, 489; Münzer, Herrn. 32, 469 ändert mit Unrecht
die hohen Buchzahlen), das mit der Urzeit Roms begann (Gell. 7, 7, 6; erst
das zweite Buch handelte von Numa, das 22. von der sponsio des Ti. Grac-
chus, J. 136) und mit immer steigender Ausführlichkeit bis in die sulla-
nische Zeit herabreicht; er hatte noch von den Erben des J. 91 gestorbenen
Redners M. Crassus gesprochen, Plin. NH. 34, 14. Holzapfel, Riv. stör. ant.
4, 51. 456 läßt das Werk bis zum Tode Caesars reichen. Über die Lebens-
zeit des Valerius sind wir nicht genau unterrichtet. MVoigt, Abh. d. sächs.
Ges. d. Wiss. 7, 776 behauptet, daß Valerius sein Werk erst um J. 45 ver-
faßt habe, Holzapfel erst nach J. 44, was schon durch Vell. 2, 9, 6 wider-
legt würde (vetustior Sisenna [§ 156, 1] fuit Caelius [§ 137, 5], aequalis
Sisennae Mutüius [§ 142, 3] Claudiusque Quadrigarius [oben A. 1] et
Valerius Antias. Sane non ignoremus eadem aetate fuisse Pomponium
[§ 151, 4] etc.), falls dessen chronologische Angaben zuverlässiger wären. In
der Sprache fanden sich manche Archaismen (fr. 14. 16. 57 ff. 61 f.). —
Dionys. Hal." nennt ihn 2, 13 und 1, 7 (s. § 37, 5) unter den iitcavoviisvoi.
der röm. Geschichtschreiber und hat aus ihm vieles (zB. was zur Verherr-
lichung von Valerii dient); AKiessling, de Dionys. Hai. auct. 20. MVoigt
aO. 685. 777. Auch Plutarchs Poplicola scheint vorzugsweise aus ihm ge-
schöpft zu sein (HPeter, die Quellen Plut. 45 und HRR. 1, cccxvm), sowie
das elogium des M'. Valerius Maximus CIL l2, 183 (Hirschfeld, Kl. Sehr.
814), wie er denn für den Ruhm seiner gens gut zu sorgen verstand (Münzer,
De gente Valeria, Berl. 1891). Von Lateinern hat ihn außer Liv. (s. A. 3)
besonders Plin. NH. benutzt, nach den QVerzeichnissen in 9 BB (Münzer,
Beitr. zur Quellenkritik 233); Cicero nennt ihn niemals. — Fronto p. 114
Historiam scripsere . . . Antias invenuste (§ 37, 5).
19*
292 Republikanische Zeit: J. 240—84 v. Chr.
3. Den Val. Ant. kennen wir besonders durch Livius, der ihn häufiger
nennt (in den erhaltenen Büchern 35 mal) und stärker benutzt als irgend
einen Vorgänger; jedoch geht die Behauptung, daß er den Rahmen seines
Werkes von ihm entnommen habe, zu weit. In den ersten Dekaden folgt
er ihm arglos und gibt daher nicht bloß seine übertriebenen Bürgerzahlen
(bei den lustra), sondern spricht auch 7, 36, 13 gutes Mutes von 30000 Er-
schlagenen; 7, 37, 16 von ad quadraginta milia scutorum; 9, 27, 14 ad tri-
ginta milia caesa aut capta; 9, 43, 17 triginta milibus hostium caesis; 9, 37,
11 gar caesa aut capta eo die hostium milia ad sexaginta usw. Nur 3, 5, 12
die schüchterne Bemerkung: difßcüe ad fidem est, in tarn antiqua re, quot
pugnaverint ceciderintve exacto adßrmare numero; audet tarnen Antias Vale-
rius concipere summas. Vgl. 3, 8, 10. In den helleren Zeiten aber, wo er
auch bessere Quellen hat (wie Polybios), entdeckt Liv. die Unzuverlässig-
keit und Aufschneiderei seines Gewährsmannes und tadelt ihn nun mit um
so größerer Bitterkeit, je weniger die in früheren Büchern durch Antias
veranlaßten Irrtümer gut gemacht werden konnten, da die betr. Bücher
(Dekaden) schon veröffentlicht waren. In Buch 21—24 nennt er seinen Na-
men nie (obwohl er ihn vielleicht gelegentlich benutzt), in den späteren
Büchern namentlich da, wo er eine Angabe aus ihm zu dem polybianischen
Bericht hinzufügt. So heißt es 26, 49, 3 scorpiones maiores minoresque ad
LX captos scripserim, si auctorem Graecum sequar Silenum, si Valerium
Antiatem, maiorum scorpionum sex milia, minorum tredecim: adeo nullus
mentiendi modus est. 30, 19, 11 Valerius Antias quinque milia hostium caesa
ait. quae tanta res est, ut aut impudenter ficta sit (von Antias) aut negle-
genter (von andern) praeiermissa. 36, 38, 6 duodetriginta milia hostium caesa
Antias Valerius scribit, capta tria milia et quadringentos, signa militaria
CXXIV, equos MCCXXX . . ubi ut in numero scriptori parum fidei sit,
quia in augendo eo non alius intemperantior est, magnam victoriam fuisse
adparet. 33, 10, 8 si Valerio quis credat omnium rerum immodice numerum
augenti, quadraginta milia hostium eo die sunt caesa, capta ubi modestius
mendacium est, quinque milia septingenti. 38, 23, 8 Valerius Antias, qui
magis (als Claudius) immodicus in numero augendo esse solet. Vgl. auch 39,
43, 1 Valerius Antias, ut qui nee Catonis orationem legisset et fabulae tan-
tum sine auetore editae credidisset. Wenn daher für eine Angabe Valerius
der einzige Gewährsmann ist, fügt Livius häufig si Valerio credamus (cre-
das) bei (36, 19, 12. 39, 41, 6. 44, 13, 12) oder nennt nur den Gewährsmann
(38, 50, 5. 39, 22, 9. 39, 56, 7), teilweise unter ausdrücklicher Verwahrung,
wie 37, 48, 1 {Valerius Antias auetor est rumorem celebrem Bomae fuisse.
. . rumoris huius quia neminem alium auctorem habeo, neque adfirmata res
mea opinione sit nee pro vana praetermissd) und 45, 43, 8 (HS ducenties ex
ea. praeda redactum esse auetor est Antias. . . quod quia unde redigi potuerit
non apparebat auctorem pro re posui). In der Tat geht bei Valerius die
Zahlenlüge ins Abgeschmackte: 40000 Feinde und darüber in einer Schlacht
erschlagen zu lassen ist ihm ganz geläufig (Liv. 33, 10, 8. 33, 36, 13. 34,
15, 9. 36, 19, 12. Oros. 4, 20). Bei Tolosa aber ließ er, sich selbst über-
bietend, gar octoginta milia Homanorum sociorumque, . . quadraginta milia
calonum atque lixarum getötet werden (Oros. 5, 16). Hirschfeld, Kl. Sehr.
291. Daß dies wie andere Ausmalungen von ihm einfach erdichtet wurde,
§ 155. Valerius Antias, Aufidius. § 156. L. Sisenna 293
erhellt auch daraus, daß er mit seinen Angaben sehr häufig ganz allein
stand; s. Gell. 6, 19, 8 Valerius Antias contra decretorum memoriam con-
traque auctoritates veterum annalium dixit. Vgl. ebd. 6, 8, 6. Liv. 32, 6, 5
Valerius Antias tradit . . XII milia hostium eo proelio caesa. . . ceteri Graeci
Latinique auctores . . nihil memorabile actum . . tradunt. Über seine tenden-
ziöse Entstellung der Scipionenprozesse aus Verehrung für den älteren Scipio
Africanus s. Mommsen, röm. Forsch. 2, 491. Vgl. § 257, 8 und Kahrstedt
(A. 1). — Die Überreste bei HPeter, HRR. 1, 237; HRF. 151. — Liebaldt,
de Valerio Antiate, Naumb. 1840. Schwegler, RG. 1, 90. Nissen, krit. Unter-
such. 43. HPeter, HRR. 1, cccv. Nitzsch, d. röm. Annalistik (1873) 346.
MVoigt, Abh. d. sächs. Ges. d. Wiss. 7, 776. vGutschmid, Kl. Sehr. 5, 526.
Pascal, Studi, Turin 1900, 63. — ThFriedrich, Biogr. des Barkiden Mago,
ein Beitr. z. Krit. d. Val. Ant., Wien 1880.
4. Cic. Tusc. 5, 112 Cn. Aufidius praetorius (seine Praetur wird um
J. 104 fallen) pueris nobis (also etwa J. 94) et in senatu sententiam dicebat
nee amicis deliberantibus deerat et Graecam scribebat historiam et videbat in
Utteris. fin. 5, 54 equidem e Cn. Auftdio praetorio, erudito homine oculis
capto, saepe audiebam. Er erlebte ein hohes Alter (Cic. de dorn. 35). CIG.
2349 b = LeBas 2, 1802 {vnb Tvaiov Avcpidiov Tvalov viov xov cLvtiGxqa-
vriyov) aus Adramyttion bezieht sich wahrscheinlich auf seinen Sohn (PRE.
I2, 2128, 5). Von jener graeca historia haben wir keine Überreste; doch
war ihr Inhalt ohne Zweifel die Geschichte Roms. WHarless, de Fabiis et
Aufidiis (Bonn 1853) 46. Klebs, PW. 2, 2289.
156. L. Cornelius Sisenna (J. 118 — 67) verfaßte eine Geschichte
der jüngsten Gegenwart, hauptsächlich der sullanischen Zeit, in
künstlichem altertümelndem Stile. Außerdem übersetzte er die Er-
zählungen des Aristeides von Milet. Aber der Plautuserklärer Sisenna
ist von dem Geschichtschreiber zu scheiden. — Der Freund des
letzteren C. Licinius Macer ging in seinen Annalen wieder auf die
ältesten Zeiten zurück und berichtigte deren Darstellung infolge
fleißiger Quellenforschung mannigfach, gestattete aber zugleich der
Rhetorik und wohl auch der Vorliebe für sein Geschlecht und die
Sache der Plebejer zu viel Einfluß.
1. Sisenna muß um J. 118 geboren sein (Roth aO. p. 4), war Praetor
J. 78 (SC. de Asclepiade, CIL. 1, p. 110 6TQuxr\yov %axa tioI.iv -aal hcl j-eveov
AsvTtiov KoQvr\kLov <^ vlovy üiöewa, vgl. Cic. Cornel. 1, 18 mit Ascon.
p. 58, 27 St..) und starb J. 67 auf Kreta als Legat des Pompeius im See-
räuberkriege (Dio 36, 1 KoQvrjXiog UiGtvvccg, vgl. Appian. Mithr. 95 Aov%io<$
Ei6iwäg). LRoth, L. Sisennae vita, Bas. 1834. HPeter, HRR. 1, cccxxin.
2. Vellei. 2, 9, 5 (ungenau) historiarum (Milesiarum OJahn, s. A. 3)
auetor iam tum (ums J. 134) Sisenna erat iuvenis; sed opus belli civilis
(= socialis? ARiese aO. 54) Sullanique post aliquot annos ab eo senior e edi-
tum est (also wohl nicht vor J. 74). Cic. Brut. 228 inferioris aetatis (als
P. Antistius) erat proximus L. Sisenna, doctus vir et studiis optumis dedi-
tus, bene Latine loquens (s. aber A. 3), gnarus reip., non sine facetiis, sed
294 Republikanische Zeit: J. 240—84 v. Chr.
neque laboris multi nee satis versatus in causis (doch verteidigte er den
f Chirtilius [so die Hss. : C. Hirtilius., Hirtuleius, Rutilius d. Hrsgbr.] nach
Brut. 260, und J. 70 den Verres, s. Cic. Verr. acc. 2, 110. 4, 43 vgl. 4, 33
L. Sisenna, vir Primarius ; letzteren gemeinsam mit Hortensius, mit dem er
auch sonst befreundet war, Sen. controv. 1, pr. 19 und unten § 157, 4);
interiectusque inter duas aetates Hortensi et Sulpici nee maiorem consequi
poterat et minori necesse erat cedere. huius omnis facultas ex historia ipsius
perspici potest; quae cum facile omnis vincat superiores , tum indicat tarnen
quantum absit a summo quamque genus hoc scriptionis nondum sit satis La-
tinis litteris illustratum. de leg. 1, 7 Sisenna, eius (des Macer) amicus,
omnes adhuc nostros scriptores . . facile superavit. is tarnen neque orator . .
umquam est habitus et in historia puerile quiddam conseetatur, ut unum
Clitarchum neque praeter ea quemquam de Graecis legisse videatur. Diese
Vergleichung mit einem schwindelhaften und nach romantischen Effekten
haschenden Geschichtschreiber Alexanders d. Gr. ist bezeichnend, wenn
auch vielleicht zu ungünstig für Sisenna. Wenig bedeutet Sallust. lug.
95, 2 L. Sisenna optume et diligentissime omnium, qui eas (Sullae) res dixere,
persecutus parum mihi libero ore locutus videtur. Also stand er, wie schon
seine Herkunft es ergab, auf Seite der Optimaten. Sallust setzte das Werk
wohl mit seinen Historiae fort. Nach ihm nannte Varro den Logistoricus
Sisenna de historia (§ 166, 2).
3. Für die Beurteilung des Werkes von Sisenna ist zu beachten die
Äußerung (bei Gell. 1, 15, 2): nos una aestate in Asia et Graecia gesta lit-
teris ideirco continentia mandavimus , ne vellicatim aut saltuatim scribendo
lectorum animos impediremus. Titel Historiae. Umfang jedenfalls 12 Bücher;
über diese Zahl hinaus nur ein vereinzeltes Zitat bei Non. 468, 10 Sisenna
hißt. Hb XXIII (aus J. 82), letztere Zahl ist kaum richtig: in B. 6 war die
Erzählung schon bis J. 88 gelangt; danach müßte Sisenna für sechs Jahre
17 Bücher verbraucht haben! Über das Jahr 90 zurück weisen nur einige
Fragmente, die über die Urzeit (Aeneas usw.) handeln (Serv. Aen. 1, 108.
242. 11, 316) und wahrscheinlich aus einem Prooemium (in der Weise des
Sallust) oder einem Exkurse stammen. Die Überreste zeigen viel Einzel-
beschreibung, auch Spuren von Reden (bes. B. 4) und Abschweifungen (Philo-
sophisches im Sinne des Epikur): die Behandlung war demnach wohl um-
ständlich (longinque, Fkonto oben § 155, 1, Z. 34). Das Meiste bezieht sich
auf den marsischen Krieg (vgl. Cic. de div. 1, 99) und ist uns durch Nonius
erhalten, dessen Auszüge (hauptsächlich aus B. 3 u. 4) uns von der gezierten
teils altertümlichen teils wunderlich theoretisierenden Sprache des Sisenna
einen Begriff geben; vgl. Cic. Brut. 259 Sisenna quasi emendator sermonis
usitaii cum esse vellet, non . . . deterreri potuit quo minus inusitatis verbis
uteretur . . . ille familiaris meus rede loqui putabat esse inusitate loqui, und
Varro LL. 8, 73 (Sis. schrieb patres familiär um) und bei Gell. 2, 25, 9
Sisenna unus *adsentio* (nicht adsentior) in senatu dicebat: also bis zur
Karikatur übertriebener Analogist (Reitzenstein, Terentius Varro 62); vgl.
Qüint. 1,5,13. Tac dial. 23. Sammlung bei Peter, HRR. 1,277; HRF. 175.
— ARiese, d. Geschichtsw. d. Sis., Festschr. z. 24. Philol.-Vers. (Lpz. 1865) 53.
ASchneider, de Sis. bist, reliquiis, Jena 1882. Vgl. OJahn, Herrn. 2, 233. —
Als Lebemann nach dem Geschmacke des Sulla zeigt sich Sisenna darin,
§ 156. L. Sisenna 295
daß er des Aristeides Sammlung schlüpfriger Erzählungen {Milr\6iav.(k, s.
§ 47, 1. OJahn, RhM. 9, 628. Rohde, Roman 2584) übersetzte; Ovid. trist.
2, 443 vertu Aristiden Sisenna, nee obfuit Uli historiae (seinem Geschichts-
werk) turpes inseruisse iocos. Fronto ep. p. 62 scriptorum animadvertas
particulatim elegantis . . Sisennam in lascivis. Aus Buch 13 dieser Schrift
finden sich bei Charisius (B. 2) zehn Stellen, die auch in ihrer Dürftigkeit
einen Begriff von dem schlichten Erzählerton der Novelle geben. Auch in
Peters HRR. 1, 297 und Büchelers Petron.4 239.
Als Erklärer des Plautus wird ein Sisenna genannt von Rufinus GL.
6, 560. 561 bei metrischen Bemerkungen: Sisenna in commentario Poenuli
Plautinae, Sisenna in Pudente, S. in Amphitryone, in Captivis, in Aulularia.
Sprachliches aus Sisenna zum Amphitruo bei Charisius GL. 1, 198, 26. 203,
27. 221, 6. 9. Ygl. noch ebd. 107, 14. 120, 10. Peter, HRR. 1, 297. Dieser
Sisenna wird bisweilen mit dem Historiker Sisenna vereinigt, der dann zu-
gleich der älteste Erklärer des Plautus wäre. S. Ritschls Parerg. 374. 376.
385. Aus der Vorliebe des Historikers (s. oben) für altertümliche Sprache
ließe sich seine Beschäftigung mit Plautus herleiten, ja man hat darauf
hingewiesen (Ritschl aO. 385), daß von den 5 Fragmenten bei Charisius drei
über Adverbien auf -im handeln und daß in S.s Historien sich Vorliebe für
solche Adverbia zeige (Gell. 12, 15). Andererseits aber ist die Abfassung
einer Reihe von Plautus-Kommentaren für eine Persönlichkeit wie die des
Historikers S. auffällig, zumal das daraus Mitgeteilte gar geringfügig ist.
Daß in der Tat der Plautiner S. vom Historiker zu trennen ist, zeigt das
Fragment des ersteren bei Charisius p. 221, 9 Tractim Plautus in Amphi-
tryone, ubi Sisenna *pro lente' inquit rnon ut Maro georgicon IUI trac-
timque susurrant inquit*, wo, wie eine unbefangene Erklärung zeigt, das
Vergilzitat aus Sisenna stammt. Auch Bergk, Phil. 29, 328 und Bücheler
(lat. Deklin.2, Bonn 1879, 123) scheiden beide Sisennae; letzterer setzt wegen
der Bemerkung bei Charis. p. 203, 27 (?) den Plautuserklärer in die nach-
hadrianische Zeit. — Im allgem. vgl. über Sisenna Mommsen, RG. 36, 611.
Peter, HRR. 1, lii. cccxxviii. Niese, PW. 4, 1512.
4. C. Licinius L. f. Macer (auf Denaren aus der Zeit des Sulla,
J. 84—81, s. Mommsen, röm. Münzwesen 607; CIL. 1, p. 137. 434), Vater
des im J. 82 geborenen Redners und Dichters Calvus (s. § 213, 5), tr. pleb.
73 (als solchen läßt ihn Sallust [Hist.] eine Rede ad populum halten): J. 66
wegen Erpressungen in seiner praetorischen Provinz vor dem Praetor Cicero
angeklagt und von ihm verurteilt, gab er sich selbst den Tod; PRE. 4,
1075, 1. Ihn als Redner charakterisiert Cic. Brut. 238 C. Macer auctoritate
semper eguit, sed fuit patronus propemodum diligentissimus. huius si vita, si
mores, si voltus denique non omnem commendationem ingeni everteret, maius
nomen in patronis fuisset. non erat abundans, non inops tarnen, non valde
nitens, non plane horrida oratio; vox gestus et omnis actio sine lepore; at in
inveniendis componendisque rebus mira accuratio. . . hie etsi etiam in publi-
cis causis probabatur, tarnen in privatis illustriorem obtinebat locum.
5. Noch deutlicher tritt Ciceros Abneigung zu Tage in dem Urteil über
Macer als Geschichtschreiber, de leg. 1, 7 quid Macrum numerem? cuius
loquacitas habet aliquid argutiarum, nee id tarnen ex illa erudita Graecorum
copia, sed ex librariolis Latinis, in orationibus autem midtas ineptias, fdatio
296 Republikanische Zeit: J. 240—84 v. Chr.
summa impudentia. Also hat Macer gleichfalls Reden seinem Werke einver-
leibt, und dieses war überhaupt redselig gehalten. Nonius 259 Licinius Macer
in epistula ad senatum bezieht sich sicher nicht auf Sallusts Hist. , aber
auch kaum auf einen in das Geschichtswerk eingelegten Brief. Erheblicher
und in sich glaublicher als Ciceros Tadel sind die Ausstellungen von Livius
7, 9, 5 quaesita ea propriae familiae laus leviorem auctorem Licinium facit.
cum mentionem eius rei in vetustioribus annalibus nullam inveniam etc., und
von Dionys. 1, 7 (s. § 37, 5). 6, 11 AinivvLog -aal ol Ttsgl TiXXiov ovdsv i^r\-
tcckotss ovts t&v sIkotojv ovts tobv dwatcav und 7, 1 Aiyiivvvog aal rsXXiog
%ctl aXXoi 6v%vol ta>v 'Pcoficdav avyyQcccpicov ovdhv i^rjtccxotsg t&v 7tSQL xovg
Xqovovs ccnQißag. Wenigstens würde die Gleichgültigkeit gegen die Chrono-
logie (die freilich jene Annalisten mit ihren Mitteln doch nicht entwirren
konnten) zu dem rhetorischen Charakter des Werkes stimmen. Auch ist sehr
glaublich, daß die lebhaft antioptimatische Richtung des Verfassers sich in
seinem Geschichtswerke nicht verleugnete, obwohl es nicht in die eigene
Zeit hinabgereicht zu haben scheint. Andererseits hatte er vor fast allen
seinen Vorgängern den Vorzug unmittelbarer Quellenforschung, wenn er sich
auch dabei von Fälschungen täuschen ließ — falls er nicht selbst der Fäl-
scher war. Vgl. Liv. 4, 7, 12 Licinius Macer auctor est et in foedere Ardea-
tino et in linteis libris (s. § 79, 3) ad Monetae ea inventa. 4, 20, 8 quod tarn
veteres annales quodque magistratuum libri, quos linteos in aede repositos
Monetae Macer Licinius citat identidem auctores. 4, 23, 2 in tarn discrepante
editione (der Konsuln) et Tubero et Macer libros linteos auctores profitentur.
neuter tribunos mil. eo anno fuisse traditum a scriptoribus antiquis dissi-
mulat. Licinio libros haud dubie sequi linteos placet et Tubero incertus veri
est. In keinem Falle berechtigen diese Stellen zur Annahme ausgedehnter
Quellenstudien des Macer.
6. Titel des Geschichtswerkes von Macer ohne Zweifel Annales, daneben
auch ungenauer Historiae. Das Werk umfaßte jedenfalls die ältesten Zeiten
(Macrob. 1, 10, 17. Dionys. 2, 52), war aber in B. 2 schon bei Pyrrhus an-
gelangt; über die Benutzung des Licinius durch Dionys. Hai. s. M Voigt,
Abh. sächs. Ges. 7, 756. Bocksch, Lpz. Stud. 17, 165. Es wird von Livius
nur in der ersten Dekade (7 mal) genannt; das letzte Datum, wobei er es
anführt, ist aus dem Jahr 299. Auch die Bücherzahl ist unbekannt und die
Frage, ob er bis auf die eigene Zeit herabging, daher unlösbar: nur aus
Buch 1 u. 2 sind sichere Anführungen erhalten; dann folgen gleich Priscian.
GL. 2, 525, 3 Aemilius Macer in XVI annalium: omnium etc. (vgl. Diomed.
GL. 1, 369, 15 Aemilius Macer: omnium etc.), wo Verwechslung mit Licinius
Macer mindestens ebenso glaublich ist wie die umgekehrte bei Plin. NH.
(s. § 223, 7). Nonius 221, 11 Licinius rerum Eomanarum lib. XXI (wo Name
und Zahl gleich unsicher) ist mit Hertz u. a. auf Clodius Licinus (§ 259, 6)
zu beziehen. Er selbst scheint sich oft an Gellius (§ 137, 1) angeschlossen
zu haben. — Die Überreste bei Peter, HRR. 1, 300; HRF. 190. — Über
Macer einseitig preisend Liebaldt, Licinius Macer, Naumb. 1848; ebenso
einseitig herabsetzend Mommsen, RG. I6, 434. 36, 613; röm. Chronol.2 88. 93;
röm. Forsch. 1, 315. Gerechter Schwegler, RG. 1, 92 und Peter, HRR. 1,
cccxxxvin. Vgl. auch Nitzsch, röm. Annalistik 351. v. Gutschmid, Kl. Sehr.
5, 531.
§ 156. Liciniua Macer. § 157. Sulla, Lucullus 297
157. Wie in den vorangehenden Jahrzehnten Scaurus, Rutilius
Rufus und Catulus, so verfaßte jetzt der Diktator L. Cornelius Sulla
(J. 138 — 78) eine apologetische und sehr ausführliche Selbstbiogra-
phie, commentarii rerum gestarum in 22 Büchern, die nach seinem
Tode von seinem Freigelassenen Epicadus ergänzt und abgeschlos-
sen wurde. Lucullus (J. 114 — 57), an den sie gerichtet war, schrieb
in seiner Jugend selbst auch eine Geschichte des marsischen Krieges
in griechischer Sprache. Später behandelte ein C. Piso den Krieg
zwischen Sulla und Marius.
1. Sulla war Cos. 88 u. 80, Diktator 82—79; f 78. Froehlich, PW.
4, 1522. ThLau, C. Cornelius Sulla, Hamb. 1855. Leo, Herrn. 49, 161.
2. Sall. J. 35, 3 Sulla . . . litteris Graecis atque Latinis iuxta atque doc-
tissume eruditus. Plut. Luculi. 1 EvXXag tag ccvzov Ttqä^sig ccvccygdcpajv iusivcp
(Lucullus) TtQOö&cpwvrfiEv a>g 6vvxcc£,oiiEV(p ncci diccd"i]6ovxi xr\v loxogiav a^iSL-
vov. Vgl. ebd. 4. Süll. 6. Sulla 37 xb eiy.o6xov kccl Sevxeqov x&v V7t0(ivr}^cc-
xcov tcqo dvslv r\yb£Q<öv t) exeXevxcc ygcccpcov inavoaxo. Suet. gramm. 12 Cor-
nelius Epicadus (§ 159, 8) L. Corneli Sullae dictatoris libertus calatorque in
sacerdotio augurali, . . librum quem Sulla novissimum de rebus suis imper-
fectum reliquerat (die anderen waren also vollendet) ipse supplevit. Als Titel
wird rerum gestarum (Gellius) oder commentarii {vTio^vri^axa) genannt. Sulla
in XXI rerum suarum, Priscian. GL. 2, 476. In Sullae historia, Cic. div.
1, 172. Sulla hatte sich in dem Werke als begnadeten Götterliebling hin-
gestellt, der unter dem Schutze der Tyche stand, seine Gegner aber (bes.
den Marius) herabgesetzt. Plutarch hat, besonders im Sulla und Marius,
diese Denkwürdigkeiten sehr stark und unvorsichtig ausgebeutet, und auch
sonst haben sie zur Entstellung der geschichtlichen Wahrheit beigetragen.
Peter, HRR. 1, cclxxvi. Die Reste daraus ebd. 1, 195; HRF. 127.
3. Ein griechisches Epigramm Sullas (an Aphrodite: zwei Hexam. u. ein
Pentameter) bei Appian. bell. civ. 1, 97. — Athen. 6, p. 261 C: NinoXaog
(Damasc.) .... 2vXXocv cpr]6lv . . . %aiQSiv ^.i^ioig xca ysXmxo7toiolg cpiXoye-
X(ov ysvonsvov . . . i[Mpocvl£ov6i, ö' ccvxov xb nsgl tavxa IXccqov ccl VTt uvzov
ygaq)slaca 6uxvqiy.ul ncoiMpdica rrj Ttutglcp (pcovfj (vgl. Plut. Sulla 2 u. 36.
Welcher, griech. Tragödien 1362). Damit sind wohl Atellanen gemeint; s.
§ 10 u. 151. Wilamowitz, Gott. Anz. 1897, 510.
4. L. Licinius L. f. Lucullus (geb. um 114, Cos. 74, f 57; s. sein elo-
gium im CIL. 1, p. 292. WDrumann, GR. 4, 134. PRE. 4, 1070) war fein ge-
bildet. Besungen von Cordubae nati poetae (Cic. Arch. 26). Plut. Luculi. 1
6 AovnovXXog i\6y.i\xq %cci Xsysiv ixccvag exccxeqccv yXcöxxccv, mßxs xca UvXXocg
(s. A. 2) . . 4-nsivo) 7tQ06sq)<x)vr}6£v cog 6vvx(xh,o^iEV(p "Kai diccd"i]6ovtL xr\v iöxo-
qiccv afisivov. . . Xiysxai veov övxcc (ums J. 88) Ttgbg (ÖQxr}6iov xbv dtytoXoyov
xal Uigevvuv xbv iöxoginov ix itcadiüg xivog eis 6%ovdi]v 7tQOsXd,ov67}g ö^io-
Xoyi]Gui , 7Iqo&8ilevg)v Ttoir^ia neu Xoyov kXXr\viy.6v xs xca qcoiici'Ctiov, slg o xt
ocv Xd%rj xovzcov, xbv Mccqgixov ixxzXstv tcoXe\lov. kccl Ttcog eolksv slg Xoyov
kXXr\viKbv 6 xXfjoog cccpi'HEöd'cci. diccöoofexcu yao EXXi\vwr\ xig IöxoqLcx. xov Mccq-
6iY.ov tcoXe^iov (vgl. § 171, 3). Vgl. Cic. Att. 1, 19, 10 non dicam, quod tibi
ut opinor Panhormi Lucullus de suis historiis dixerat, se, quo facilius illas
298 Republikanische Zeit: J. 240—84 v. Chr.
probaret Eomani hominis esse, idcirco barbara quaedam et 66Xoixu disper-
sisse. Das soll man aber nicht ernst nehmen. Münzer, Herrn. 49, 199. Plut.
Luc. 33 nennt ihn dstvbg dnelv. Vgl. Cic. Brut. 222, der ihn ziemlich nichts-
sagend oratorem acutum nennt, und Tac. dial. 37 (§ 171, 5).
5. Auch für die Philosophie fehlte es dem Lucullus nicht an Interesse,
Tgl. Plut. Luc. 1 ysv6\iBvog TtQsaßvreQog jjdiq %avtäncc6Lv . . aqpfyjcs tr\v dicc-
voiccv iv (pLXoöocpicc 6%oXugsiv kcci ccvcc7tav8od'ai xo d'S(üQr\TLy.bv avtf]g iysiQag.
Cic. acad. pr. 1 magnum ingenium Lud Luculli magnumque optimarum ar-
tium Studium, tum omnis liberalis et digna homine nobili ab eo percepta
doctrina ... 4 maiore studio Lucullus cum omni litterarum generi tum phi-
losophiae deditus fuit quam qui illum ignorabant arbitrabantur, nee vero in-
eunte aetate solum, sed et pro quaestore aliquot annos et in ipso bello. . .
cum autem e philosophis . . putaretur Antiochus Philonis auditor excellere,
eum secum et quaestor Tiabuit (J. 87 f.) et post aliquot annos imperator. . .
delectabatur autem mirifice lectione librorum de quibus audiebat. Deshalb be-
teiligte ihn Cicero am Dialoge der Acad. pr. und nannte das zweite Buch
nach ihm. Antiochus sollte eine ähnliche Rolle spielen wie Aristoteles bei
Alexander und spätere Philosophen bei den Diadochen; Kroll JJ. 1903
XI 686. Vgl. de fin. 3, 7 f.
6. Plut. Mar. 45 Faiog xig üeiöcöv, ccvr]Q latogiKog , über den Tod des
Marius mit als Quelle genannt. Da er sonst nie wieder erwähnt wird, so ist
unbekannt, welcher der Calpurnii Pisones er war. Der § 132, 4 behandelte
L. Piso ist es jedenfalls nicht; eher der Cos. 67. Peter, HRR. 1, ccclxviii.
Vgl. § 179, 13, 1.
158. Der sullanischen Zeit gehört auch der Senator L. Manlius
an, der ein euhemeristisch gefärbtes Reise- und Wunderbuch ver-
faßte, übrigens von Autoren des Namens Manilius und Mallius
schwer zu trennen ist; ferner vielleicht Tarquitius Priscus, der die
etruskische Divinationsliteratur ins Lateinische verpflanzte. L. Vol-
tacilius war der erste nicht frei Geborene, der sich zu Rom an die
Geschichtschreibung wagte. Er war ein Anhänger der Pompejer
und verfaßte für sie Parteischriften. Auch seine scharfe Zunge
brauchte er zu ihren Gunsten.
1. Dionys. ant. 1, 19 %qr\6\ibg 6v qpijöt Asvniog Mdlltog, <xvi]Q ovy. u6t\-
{iog, avtbg Idslv (in Dodona, folgen 4 griech. Hex.). Plin. NH. 10, 4 primus
atque diligentissime togatorum de eo (den Vogel Phönix) prodidit Manilius
(die Hss. hier Mamillius, aber bei der gleich folgenden Erwähnung und im
Autorenverzeichnisse zu B. X: Manilius) Senator ille maxumis nobilis doc-
trinis doctore nullo. . . prodit idem Manilius . . fuisse eius conversionis an-
num prodente se P. Licinio Cn. Cornelio cos. (J. 97) CCXV. Hier wird die
Phönixperiode mit der Vorstellung vom großen Jahr in Verbindung gebracht
{Türk, Myth. Lex. 3, 3453). Vgl. Arnob. adv. nat. 3, 38 (Manilius). Macrob.
1, 10, 4 (Mallius). Arn. aO. nennt den Manilius neben Granius, Aelius, Varro,
Cornificius, Cincius als Schriftsteller über die novensiles; Macr. über die
Saturnalien. Fest. 334 Sexagenarios (de ponte olim deiciebaniy, cuius causam
§ 158. L. Manlius, Tarquitius Priscus 299
ManiKJius hanc referty. Vgl. noch Varro LL. 5, 31, der einen Manlius für
die Erzählung von der Entführung der Europa zum Zeugen anruft; 7, 16
(iambische Fragm. mythologischen Inhalts eines Manilius). 7, 28 (ein scherz-
haftes Epigramm [?] in Iamben; FPR. 283). Es ist aber nicht ausgeschlossen,
daß sich hinter diesen Anführungen mehrere verschiedene Leute verbergen,
von denen einer Verwandtschaft mit Nigidius zeigt. Wie weit die verschie-
dene Namensform dafür ins Gewicht fällt, bleibt zweifelhaft; vgl. WSchulze,
Zur Gesch. lat. Eigenn. 442. — Mommsen, Sehr. 7, 72 hält es für möglich,
daß jener L. Manlius der sei, den wir aus Münzen Sullas als dessen Pro-
quästor um J. 84 (Mommsen, röm. Münzwesen 595) und aus Schriftstellern
(Liv. per. 90. Oros. 5, 110. Caes. b. c. 3, 20. Plut. Sertor. 12) als Statthalter
von Gallia Narbonensis um 77 kennen. Ganz unklar bleibt, ob er mit dem
Manilius zu vereinigen ist, den Gellius (s. § 99, 4) als Verfasser eines Ver-
zeichnisses der echten plautinischen Stücke aufführt (Ritschl, Parerga 242).
Funaioli, GRF. 1, 84.
2. Macrob. 3, 20, 3 Tarquitius Priscus in ostentario arborario sie
ait. Über den echt etruskischen Geschlechtsnamen s. Deecke zu OMüllers
Etr. I2, 470. WSchulze, Zur Gesch. lat. Eigenn. 96. Über den M. Tarquitius
Priscus der neronischen Zeit s. Prosop. 3, 296. Vgl. Macr. 3, 7, 2 est super
hoc Über Tarquitii transscriptus ex ostentario Tusco. Plinius im QVerz. zu
B. 2: ex . . Caecina (§ 199, 4) qui de JEtrusca diseiplina scripsit, Tarquitio
qui item. Vgl. ebd. 2, 199. QVerz. zu B. 11. Lyd. de ostent. 2 p. 7, 6 W.
(%Qr\66n,£Q'<x dh xcciy TagxvTco reo (rsXE6T7)y. Ammian. Marc 25, 2, 7 (J. 363
n. Chr.): JEtrusci haruspices . . ex Tarquitianis libris in titulo de rebus di-
vinis id relatum esse monstrantes. Lactant. div. inst. 1, 10, 2 hune (Aescu-
lapium) Tarquitius , de illustribus viris disserens, ait incertis parentibus na-
tum etc. Also Verquickung mit Euhemerismus. Aus seinem Werke könnte
stammen, was Serv. Verg. ecl. 4, 43 (= Macrob. 3, 7, 2) aus libri Etrusco-
rum anführt. Er ist wohl auch gemeint bei Festus 274 v. ratitum: Tarqui-
<( folgt eine Lücke^>. Auf einer verstümmelten Inschrift (CIL. 11, 3370) scheint
T. (erhalten uitio) erwähnt zu sein unter Hinweis auf seine lateinische me-
trische Bearbeitung der etruskischen Disziplin (es hieß etwa ven\erandum
discipul\inae . . ritum] carminibus edidit, s. § 75,5; Spuren metrischer Fas-
sung finden sich in dem Fragment bei Macr. 3, 7). EBormann, Arch.-epigr.
Mitteil. 11, 99; Ost. Jahr. 2, 129 (der die Lebenszeit des T. ohne ausrei-
chende Gründe zwischen 90 — 10 setzt). Bei Verg. catal. 7, 3 ist er neben
Selius (? s. § 148, 1 gE.) und Varro als Vertreter der scholasticorum natio
genannt; dadurch ist seine Zeit ungefähr bestimmt. Haupt, op. 2, 152. Der
Vorname des Vaters M. auf der Inschrift spricht nicht gegen die nahe-
liegende Vereinigung mit C. Tarquitius P. f. Priscus quaest. 81 (PRE. 6,
1614, 5. Mommsen, röm. Münzw. 600). — GSchmeisser, de etrusca diseiplina
(Bresl. 1872) p. 14; d. etr. Disziplin (§ 42, 1), Liegn. 1881, 5. Thulin, Ita-
lische sakrale Poesie 1. 70.
3. Suet. gramm. 27 (= rhet. 3) L. Voltacilius Pilutus servisse dicitur
atque etiam ostiarius vetere more in catena fuisse, donec ob ingenium et Stu-
dium litterarum manumissus aecusanti patrono subscripsit, deinde rhetoricam
professus Cn. Pompeium Magnum (geb. J. 106) doeuit patrisque eius (Cn. Pom-
peius Strabo, Cos. 89, f 87) res gestas nee minus ipsius (ohne Zweifel bei
300 Republikanische Zeit: J. 240—84 v. Chr.
dessen Lebzeiten) compluribus libris exposuit, primus omnium libertinorum,
ut Cornelius Nepos opinatur, scribere historiam orsus (s. § 36, 3). Hieronymus
zu Euseb. Chron. 1936 = 81: Vultacilius Plotus latinus rhetor, Cn. Pompei
libertus et doctor, scholam Bomae aperuit. Daß er vielmehr Freigelassener
eines Voltacilius war, zeigt sein Name. Es ist natürlich bedenklich, diesen
L. Voltacilius Pilutus oder Plotus trotz der hs. Abweichung in Vor- und Bei-
namen zu vereinigen mit M. Voltacilius (uotacilius die Hss.) Pitholaus bei
Macr. 2, 2, 13, wo ein Witz von ihm über den eintägigen Consul (J. 45)
Caninius Rebilus angeführt wird: ante flamines, nunc consules diales fiunt,
iambisch gemessen von Crusius RhM. 44, 459 (Hertz, RhM. 43, 312). Dafür
spricht aber, daß Voltacilius als Parteigänger des Pompeius auch den Cae-
sar selbst verhöhnte. Suet. Iul. 75 Pitholai carminibus maledicentissimis la-
ceratam existimationem suam civili animo tulit. Bentley hält diesen neL&6-
laog auch für den Bhodius Pitholeon (IJsid'oXeav; vgl. TifioXaog und Tfyio-
leav, kgiötoXccog und kgt,6toXscov) bei Hör. S. 1, 10, 22, von dem Porph.
zdSt. berichtet: huius modi (dh. worin verba graeca orationi latinae beige-
mischt waren) epigrammata effutivit magis quam scripsit . . . per quam ridi-
cule Graeca Latinis admiscuit.
4. Über Trebius Niger und Turranius Gracilis s. § 132, 5 u. 6.
159. Seit der Mitte des siebenten Jahrh. d. St. scheint der
Jugendunterricht allmählich in ein festes Geleise gekommen zu
sein; es mehren sich daher die Namen solcher, die zu Rom und im
übrigen Italien als Lehrer der Grammatik und Rhetorik wirkten,
großenteils freilich Freigelassene und von fremder Herkunft. Die
meisten waren auf jenen Gebieten zugleich schriftstellerisch tätig
und verbanden mit grammatischer Forschung auch antiquarische
und literargeschichtliche. Einzelne gaben nach hellenistischer Mode
ihren gelehrten Werken gebundene Form; so L. Accius, Porcius
Licinus, Volcacius Sedigitus, Valerius Soranus. Als Rhetor wird uns
in dieser Zeit L. Plotius Gallus genannt, als Grammatiker, die zum
Teil auch Philosophie und Rhetorik lehrten, Sevius Nicanor, Aure-
lius Opilius, Antonius Gnipho und Pompilius Andronicus, weiterhin
Q. Cosconius, Ennius, Epicadus, Hypsicrates, Nicostratus, Servius
Clodius und Staberius Eros.
1. Sueton. gramm. 3 (§ 41, 1).
2. Suet. rhet. 2 L. Plotius Gallus. De hoc Cicero in epistula ad M.
Titinium sie refert: equidem memoria teneo pueris nobis primum Latine do-
cere coepisse Plotium quendam. ad quem cum fieret coneursus, quod studio-
sissimus quisque apud eum exerceretur, dolebam mihi idem non Heere; con-
tinebar autem doctissimorum hominum auetoritate, qui existimabant Graecis
exercitationibus ali melius ingenia posse; s. § 44, 9. Die Zeitbestimmung des
Sueton (bei Hieronymus), J. 88 — 77, stimmt zu Ciceros Angabe pueris nobis
(bei Suet. aO.; vgl. auch Sen. controv. 2, pr. 5). Vgl. M. Varro bei Non. 79
Automedo meus quod apud Plotium rhetorem bubulcitarat, erili dolori non
§ 159. Grammatiker und Rhetoren (Plotius, Opilius) 301
defuit. Nach Quint. 11, 1, 143 hatte er eine Schrift de gestu herausgegeben.
Hunc eundem (nam diutissime vixit) M. Caelius . . significat dictasse Atratino
accusatori suo actionem im J. 56, als Cicero den Caelius verteidigte (Suet.
rhet. 2). Marx läßt daher die lateinischen Rhetorenschulen bis in diese Zeit
blühen und Cicero in de or. gegen sie polemisieren; doch s. Kroll RhM.
58, 552. Auf ihn bezieht sich auch Cic. Arch. 20 Marius . . eximie L.Plotium
dilexit, cuius ingenio putabat ea, quae gesserat, posse celebrari; dazu Schol.
Bob. 178 hie primus üomae studio, Latina doeuisse (jertur}. Marx, auet. ad
Her. 141. Bei Fronto S. 20 N. (nach Hauler, Mel. Chatelain 622) erscheint
ein Plautius als Abschreiber, wie es scheint von Reden des C.Gracchus; das
könnte Plotius Gallus gerade als Demokrat sein.
3. Suet. gramm. 5 Sevius (s. Hertz, JJ. 107, 340. WSchulze, Zur Gesch.
lat. Eigenn. 223) Nicanor primus ad famam dignationemque docendo per-
venit fecitque praeter commentarios , quorum tarnen pars maxima intereepta
dicitur, saturam quoque, in qua libertinum se ac dicplici co gnomine esse (s.
EHübner in IwMüllers Handb. I2, 674) . . indicat. In seiner Satire fand
sich also (wie bei Lucilius und Horaz) eine Selbstdarstellung seiner Persön-
lichkeit. Sueton führt daraus zwei Hexameter an, worin auslautendes s pro-
sodisch unbeachtet bleibt; sie zeigen, daß er den Vornamen M. und das
zweite Cognomen Postumus führte.
4. Suet. gramm. 6 Aurelius Opilius (Opillius, vgl. WSchulze 276. 442),
Epicurei cuiusdam libertus, philosophiam primo, deinde rhetoricam, novissime
grammaticam doeuit. dimissa autem schola Rutilium Bufum (§ 142, 1) dam-
natum in Asiam secutus (J. 92?) ibidem Smyrnae simulque consenuit com-
posuitque variae eruditionis aliquot Volumina, ex quibus novem unius cor-
poris . . Musarum . . inscripsisse se ait et numero divarum et appellatione
(vgl. Gell. 1, 25, 17 Aurelius Opilius in primo librorum quos Musarum in-
scripsit wie der Rhetor Bion aus Syrakus, s. Diog. Laert. 4, 58). Die Musae
enthielten nach der Probe bei Gellius Worterklärungen; also beziehen
sich wohl auf dieses Werk die zahlreichen Anführungen bei Varro LL. und
besonders Festus, wo der Verf. bald Aurelius genannt wird (Varro 7, 65.
70. 106. Fest. 68. 147 u. sonst), bald Opilius (Varro 7, 50. 67. 79. Fest. 85),
von Festus auch Aurelius Opilius (141) oder Opilius Aurelius (163). Vgl.
Egger, serm. lat. reliq. p. 27 ff. Usener, Sehr. 2, 200. Als Glossograph hatte
er Plautus besonders zu berücksichtigen; auch zählt Gellius 3, 3, 1 ihn
unter den Verfassern von indices der Plautinischen Stücke auf, wohin ohne
Zweifel sein libellus qui incribitur pinax mit der akrostichischen Aufschrift
Opillius (Suet. aO.) gehört. Osann (aO. S. 199) vermutete daher, daß daraus
die akrostichischen Argumente der plautinischen Stücke (vgl. § 99, 3) ent-
nommen seien. Ritschl, Parerga 180. 239. 321. 364. xv. Osann, ZfAW. 1849,
Nr. 25—28. Goetz, PW. 2, 2514. Funaioli, GRF. 1, 86.
5. Suet. gramm. 7 M.Antonius Gnipho, ingenuus in Gallia natus, sed
expositus, a nutritore suo manumissus institutusque, Alexandriae quidem, ut
aliqui tradunt, in contubernio Dionysi Scytobrachionis : quod equidem non
temer e crediderim, cum temporum ratio vix congruat (letzteres können wir
nicht nachprüfen; über Dionysios aus Mytilene 6 6KVToßQa%icov vgl. ESchwartz,
PW 5, 929. Gnipho mag um J. 114 geboren sein), fuisse dicitur ingenii magni
. . . nee minus Graece quam Latine doctus. . . doeuit primum in D. Iulii
302 Republikanische Zeit: J. 240—84 v. Chr.
(geb. 100) domo pueri, deinde in sua privata. docuit autem et rhetoricam, ita
ut quotidie praecepta eloquentiae traueret, declamaret vero nonnisi nundinis.
scholam eius claros quoque viros frequentasse aiunt, in his M. Ciceronem,
etiam cum praetura fungeretur (J. 66, vgl. Macrob. 3, 12, 8). scripsit multa,
quamvis annum aetatis quinquagesimum non excesserit. etsi Ateius Phüologus
'sein Schüler, Suet. gramm. 10, s. § 211,1) duo tantum Volumina de Latino
sermone (vgl. Quint. 1, 6, 23) reliquisse eum tradit; nam cetera scripta dis-
cipulorum eius esse, non ipsius. Daß Gnipho zu Ennius' Annalen einen Kom-
mentar verfaßt habe, erschließt Bücheler, RhM. 36, 334 überzeugend aus
Schol. Bern. Verg. georg. 2, 119 ^acanthV Gnifo commentatur annalium
libro X usw., vgl. mit Liv. 31, 45. Aus demselben Werk vielleicht auch eine
jetzt falsch bezogene Erklärung bei Charisius GL. 1, 205, 1. — Vgl. noch
Welcher, kl. Sehr. 1, 436; vgl. ep. Cycl.1 84. Auch s. § 162, 5. Goetz, PW.
1, 2618. Funaioli, GRF. 1, 98.
6. Suet. gramm. 8 M. Pompilius Andronicus, natione Syrus, studio
Epicureae seetae desidiosior in professione grammaticae habebatur. . . itaque
cum 'se in urbe non solum Antonio Gniphoni sed ceteris etiam deterioribus
postponi videret, Cumas transiit ibique in otio vixit et multa composuit. Ar-
mut zwang ihn, sein Hauptwerk annalium, Ennii elenchi (s. § 101, 4) zu ver-
kaufen, quos libros Orbilius redemisse se dicit vulgandosque curasse nomine
auctoris. — Über seine Schriftstellerei eine ganz unsichere Vermutung von
ThGompertz, Wien. Stud. 2, 139.
7. Q. Cosconius, als Gewährsmann angeführt in der suetonischen vita
Terentii (p. 32, 13 Rffsch.); s. § 108,6. Er ist ohne Zweifel eine Person mit
dem von Varro LL. 6, 36 und 89 (Cosconius in actionibus) erwähnten Gram-
matiker; in actionibus ist Buchtitel und weist auf juristischen Inhalt, so
daß Cosc. grammatische und juristische Interessen vereinigt hätte. Bei Solin.
2, 13 Lavinium, quod post Troiae excidium, sicuti Cosconius perhibet, quarto
anno extruetum est kann derselbe gemeint sein. Ritschl, op. 3, 256. Hertz,
JJ. 85, 52. Norden, Ind. lect. Greifsw. 1895. Reitzenstein, Terent. Varro 41.
8. Victorinus GL. 6, 209, 9 Cornelius Epicadus (vgl. § 41,4. 157,2) in
eo libro quem de metris scripsit. Es scheint der erste römische Versuch auf
diesem Gebiete. Charis. GL. 1, 110, 3 Epicadus de cognominibus. Aus einem
antiquarischen Werke scheint entnommen Macr. 1, 11, 47 (de sigillaribus . .
Epicadus refert Herculem etc.); vgl. Peter, HRR. 1, cclxxvii. Goetz, PW.
4, 1311.
9. Ser. Clodius, eques Rom. und Schwiegersohn des L. Aelius; s. § 148,1.
Plin. NH. 25, 24 tradit M. Varro Ser. Clodium eq. Born. etc. Suet. gramm. 3
cum librum soceri nondum editum fraude intereepisset, ob hoc repudiatus se-
cessit ab urbe. Nach seinem Tode schenkte sein (Halb-)Bruder Papirius Pae-
tus seine hinterlassenen Papiere und Bücher dem Cicero; s. ad Att. 1,20,7
(Ser. Claudius) und 2, 1, 12 (beide v. J. 60). Vgl. ep. 9, 16, 4 (an Paetus)
Servius, frater tuus, quem litter atissimum fuisse iudico, facile diceret *hic ver-
sus Plauti non est. hie est\ quod tritas aures haberet notandis generibus poe-
tarum et consuetudine legendi. Varro LL. 7, 106 (vgl. 70 u. 66) nennt ihn
nach Aurelius (oben A. 4), dessen ganze Richtung er geteilt zu haben scheint,
da er auch ebensowohl Glossograph war (s. Varro aO. vgl. Gell. 13, 23, 19
in Commentario Ser. Claudii) wie Verfasser eines Verzeichnisses der echten
§ 159. Grammatiker: Cosconius, Serv. Clodius usw. 303
plautinischen Stücke (Gell. 3, 3, 1). Vielleicht ist der bei Serv. Aen. 1, 52.
176. 2, 229 genannte Clodius Scriba, der commentarii glossographischen
Inhaltes in mindestens 4 B. geschrieben hat, mit ihm zu vereinigen (§211, 5).
Vgl. Ritschl, Parerga 242. 365. Funaioli, GRF. 1, 95.
10. Staberius Eros . . emptus de catasta (vgl. Plin. NH. 35, 199) . .
temporibus Sullanis proscriptorum liberos . . gratis in disciplinam recepit.
Suet. gramm. 13. Fronto p. 20 quorum (der älteren römischen Schriftsteller)
libri pretiosiores habentur . . si sunt a Lampadione (§ 138, 4) aut Staberio
(scripti). Priscian. GL. 2, 385 Staberius de proportione (d. h. über die Ana-
logie). Er war noch Lehrer des Brutus (geb. um J. 80) und Cassius (Suet.
aO.). Ein Märchen war wohl, daß Pablilius, Manilius und er eadem nave
nach Italien kamen (Plin. aO., der ihn übertreibend conditor grammaticae
nennt, s. § 212, 3).
11. Festus 347 v. senacula: Nicostratus in libro, qui inscribitur de
senatu habendo. Vgl. Mercklin, Phil. 4, 428. — Macr. sat. 3, 12, 7 est Octavii
Hersenni (zwischen Varro und Antonius Gnipho genannt) Über qui inscri-
bitur de sacris Saliaribus Tiburtium, in quo . . . docet usw.
12. Varro LL. 5, 88 cohortem in villa Hypsicrates dicit esse Graece
%6qtov. Vgl. Paulus Festi 8 v. aurum, wo irrig Hippocrates. Gell. 16, 12, 6
id dixisse ait (Cloatius Verus) Hypsicraten quempiam grammaticum , cuius
libri sane nobiles sunt super his, quae a Graecis accepta sunt.
13. Suet. gramm. 1 quod nonnulli tradunt duos libros de litteris sylla-
bisque, item de metris ab eodem Ennio (dem Dichter, § 104, 5 E.) editos, iure
arguit L. Cotta (ob der § 197, 9 erwähnte?) non poetae, sed posterioris Enni
esse, cuius etiam de augurandi disciplina volumina feruntur. Mindestens
das letztere Werk kann man dem Dichter nicht zuschreiben. Aus der Schrei-
bung S. Ennius im Anecd. Paris, und bei Fest. 352 schließt Marx Lucil. lr
lviii auf den Vornamen Spurius, Funaioli GRF. 1, 102 auf Sextus. Ob
dieser Grammatiker Ennius auch die Schnellschrift ausbildete? s. § 104, 5.
Festus 352 v. topper Ennius vero sie: topper fortasse valet in Enni et Pa-
cuvi scriptis. Auf den Dichter ist aber wohl Varro LL. 5, 86 (foedus, quod
fidus Ennius scribit dictum) zu beziehen, und 5, 55 nominatae, ut ait Ennius^
Tatienses a Tatio. S. auch § 41, 2, Z. 13. Vgl. noch Charis. GL. 1, 98 erum-
nam Ennius ait per e solum scribi posse. MHertz, Sinnius Cap. 9; anal, ad
carm. Hör. hist. 3, 9. Ribbeck, JJ. 75, 314. Breidenbach, Zwei Abh. üb. d.
tiron. Noten, Darmst. 1900, 14.
14. Varro LL. 5, 55 sed omnia haec vocabula (nämlich Titienses Mam-
nenses Lucer es) Tusca, ut Volnius, qui tragoedias Tuscas scripsit, dicebat,
Wohl ein Grammatiker, gebürtig aus Etrurien, der, um die Literaturfähig-
keit der absterbenden Sprache seiner Heimat zu beweisen, etruskische Tra-
gödien schrieb. OMüller, Etr. 22, 293. — Über Cincius s. oben § 117, 4.
160, Schriftsteller über Land- und Hauswirtschaft waren
frühestens um die Mitte des siebenten Jahrhunderts die beiden
Saserna und gegen dessen Ende Tremellius Scrofa.
1. Saserna ist ein cognomen in der gens Hostilia (Münzer, PW. 8, 2512)r
und es wäre möglich, daß einer der bekannten Hostilii Sasernae, zB. der
Münzmeister J. 49 und 45, mit Saserna filius identisch ist. Colum. 1, 1, 12
304 Republikanische Zeit: J. 240—84 v. Chr.
(vgl. § 54, 2) post hunc (Catonem) duos Sasernas, patrem et filium, qui eam
diligentius erudierunt. Varro RR. 1, 2, 22 sequar Sasernarum, patris et filii,
libros. Sasernae in dem QVerz. von Plin. NH. B. 10 Sasernae pater et filius,
ebd. 14. 15. 17. 18, vgl. B. 11 (Saserna) und 17, 199 arbusti ratio mirum in
modum damnata Sasernae patri filioque, celebrata Scrofae, vetustissimis post
Catonem peritissimisque. Vgl. Varro RR. 1, 16, 5 Sasernae über praecipit.
1, 18, 2 Saserna scribit. 2, 9, 6 quod in agri cultura (dies ist der Name des
Werkes) Saserna praecepit. Columella 1, 1, 4 id non spernendus auctor rei
rusticae Saserna videtur adcredidisse. nam in eo libro quem de agri cultura
scriptum reliquit usw. Wahrscheinlich schloß der SoTin das vom Vater un-
vollendet hinterlassene Werk ab und veröffentlichte es. Wenn man Wert
darauf legen darf, daß Varro die Szenerie von B. 2 seiner (im J. 37 ge-
schriebenen) Bücher de re rust. in J. 67 verlegt, so müßte es vor diesem
Jahre erschienen sein. Er verwendete die auf dem Gute der Sasernae in Gallia
cisalpina gemachten Erfahrungen, zog aber auch Catos landwirtschaftliche
Schrift heran; es behandelte (wie Cato de r. r.) auch mancherlei nicht ge-
rade zur Aufgabe Gehöriges, aber dem Landwirte Nützliches, worüber Varro
sich öfters lustig macht, zB. RR. 1, 2, 22. Reitzenstein aO. 3.
2. Varro RR. 1, 2, 10 collegam (des Varro), XXvir qui fuit ad agros
dividundos Campanos (J. 59). . . Cn. Tremellium Scrofam, virum Omnibus
virtutibus politum, qui de agri cultura JRomanus peritissimus existimatur.
2, 1, 11 Scrofa noster , cni haec aetas defert rerum rusticarum omnium pal-
mam. Auf diesem Gebiete war er auch Schriftsteller; s. A. 1. Colum. 2, 1, 2
Tremellii auctoritatem revereri, qui cum plurima rusticarum rerum praecepta
simul eleganter et scite memoriae prodiderit etc. Vgl. ebd. 1, 1, 12 Scrofa
Tremellius, qui rusticationem eloquentem reddidit. 2, 1, 4. Tremellius legte
offenbar auf geschmackvolle Darstellung besonderen Wert; deshalb stieß
ihn die Arbeit der Praktiker Saserna ab: Varro RR. 1, 2, 25 Scrofa (Saser-
narum) libros despiciebat. Bei Varro RR. ist Scrofa in B. 1 u. 2 Hauptteil-
nehmer am Gespräch. Von Plinius wird er in dem QVerz. zur NH. B. 11.
14. 15. 17. 18 genannt, immer als Scrofa. PRE. 6, 2085, 5. Auch mit dem
etwa gleichalterigen Cicero und Atticus war er befreundet. Er stammte aus
vornehmer Familie, gelangte zur Praetur (Varro RR. 2, 4, 2) und war Pro-
praetor wohl in Gallia Narbonensis (vgl. Varro 1, 7, 8 und Mommsen bei
Reitzenstein aO. 13); Varro behandelt ihn im J. 37 anscheinend noch als
lebend. Lundström, Eran. 13, 210.
3. Ob der sehr erfahrene Gutsbesitzer C. Licinius Stolo, mit Tremel-
lius (A. 2) Träger der Unterredung in Varro RR. B. 1 und neben Cato,
Saserna, Tremellius, Vergil von Columella 1, praef. 32 (s. § 54, 2. 293, 4).
4, 11, 1 genannt, über Landwirtschaft geschrieben hat, ist ganz unsicher.
Er war jünger als Tremellius: Varro RR. 1, 3 (Stolo zu Tremellius) tu et
aetate et honore et scientia quod praestas, dicere debes. RReitzenstein , de
script. rei rust., Berl. 1884, p. 8.
4. Sonst unbekannt ist Mamilius Sura, von Plinius NH. in dem QVerz.
zu B. 8. 10. 11. 17—19 aufgeführt, im Texte selbst aber nur 18, 143 ge-
nannt (Cato . . Sura Mamilius . . Varro). Mit Aemilius Sura (s. § 277, 5)
ist er schwerlich zu vereinigen. — Über M. Ambivius, Licinius Menas, so-
wie C. Matius s. § 54, 3.
§ 160. Landwirte (Sasernae usw.). § 161. Philosophen 305
161. Die Neigung zum Philosophieren beschränkte sich
immer noch auf enge Kreise; auch mag es in Betracht kommen,
daß die ganze Zeit von 104 bis 79 wenig Muße dafür bot; die sich
damit befaßten, verteilen sich ziemlich regelmäßig so, daß die Ju-
risten der Stoa, die Redner der neuen Akademie oder den Peripate-
tikern zufielen. Die Lehre Epikurs fand nur unter solchen Anhang,
die dem öffentlichen Leben fern standen.
1. Cic. de or. 3, 78 quid . . G. Velleius afferre potest, quam ob rem vo-
luptas sit summum bonum, quod ego non possim vel tutari . . vel refellere . .
hac dicendi arte, in qua Velleius est rudis? . . quid est quod aut Sex. Pom-
peius (§ 154, 5) aut duo Balbi aut . . qui cum Panaetio vixit M. Vigellius
de virtute homines Stoici possint dicere? de nat. deor. 1, 15 cum C. Velleio
Senator e, ad quem tum Epicurei primas ex nostris deferebant. . . etiam
Q. Lucilius Baibus, qui tantos progressus habebat in Stoicis, ut cum excellen-
tibus in eo genere Graecis compararetur. Diesem Baibus widmete Antiochos
eine Schrift (ebd. 16). Gleichzeitig waren Q. Catulus (§ 142, 4), C. Cotta
(§ 153, 4) und L. Lucullus (§ 157, 4) Anhänger der eklektischen Akademie
des Antiochos; etwas später der ältere Zeitgenosse Ciceros (Cic. Brut. 230,
vgl. Ascon. in Pis. p. 20, 12) M. Piso (Cos. 61) Schüler des Peripatetikers
Staseas (Cic. de or. 1, 104. de n. deor. 1, 16. ad Att. 13, 19, 4), der Triumvir
M. Crassus des Alexander Polyhistor (Plut. Crass. 3). Zur Stoa aber hielt
außer den Genannten besonders Q. Scaevola (§ 154, 1), und von den noch
Älteren P. Rutilius Rufus (§ 142, 2) und L. Stilo (§ 148, 1). Epikureer
kennen wir (außer Velleius) in T. Albucius (§ 141, 3) und Pompilius An-
dronicus (§ 159, 6). Philosophisches Interesse hatte auch der Verf. der
Rhetorik ad Herennium (§ 162, 2).
2. Die frühesten epikureischen Schriftsteller unter den Römern, Ama-
finius, Rabirius, Catius, gehören — nach der Art zu schließen, wie bei Cic.
acad. post. 1, 5 von ihnen die Rede ist — erst der ciceronischen Zeit an;
s. unten § 173.
162. Eine achtungswerte literarische Erscheinung der sullani-
schen Zeit sind die vier Bücher Rhetorica ad C. Herennium,
eine vollständige Rhetorik nach griechischen Quellen, die in der
Lehre von der Erfindung dem Hermagoras folgt und auch sonst
hellenistische Lehren wiedergibt; aber der noch jugendliche Ver-
fasser steht auf römischem Standpunkte, streicht alles, was dem Rö-
mer als unpraktische Tiftelei erschien, und läßt auch die Beispiele
für die rednerischen Figuren meistens als römische erscheinen. Sein
Lehrer, dem er wohl durchweg folgt, gehörte zu den rhetores latini;
damit hängt wohl auch eine bisweilen auftretende Abneigung gegen
die Optimaten zusammen. Die Darstellung ringt mit der Sprache. Die
Überlieferung schreibt das Werk irrtümlich dem Cicero zu; die Hypo-
these, die den Verfasser mit Cornificius gleichsetzt, ist abzulehnen.
Teuffei: röm. Literaturgesch. Neub. 6. Aufl. I. 20
306 Republikanische Zeit: J. 240—84 v. Chr.
1. Der ursprüngliche Titel des Werkes ist nicht mehr zu ermitteln; s.
Marx 73. Zur Charakteristik vgl. bes. 1, 1 illa quae Graeci scriptores inanis
adrogantiae causa sibi adsumpserunt reliquimus ; . . nos ea quae videbantur
ad rationem dicendi pertinere sumpsimus ; non enim spe quaestus aut gloria
commoti venimus ad scribendum, quemadmodum ceteri etc. ; 4, 1 quibus in
rebus opus fuit exemplis uti, nostris exemplis usi sumus et id fecimus prae-
ter consuetudinem Graecorum, qui de hac re scripserunt. (Vgl. überhaupt die
ganze Vorrede zu B. 4). Doch hat der Verfasser Erinnerungen aus gehörten
und gelesenen Reden für seine Beispiele mit verwertet (s. H Jordan, Herrn.
8, 75); s. A. 2. 4, 10 nomina rerum Graeca convortimus. B. 1 — 3, 16 handeln
de inventione und zwar 1. 2 im genus iudiciale, 3, 2—9 im deliberativum,
10 — 15 im demonstrativum. B. 3, 16 bis Schi, de dispositione, pronüntia-
tione, memoria; B. 4 de elocutione (vgl. 3, 1 in quarto libro, quem, ut ar-
bitror , tibi librum celeriter absolutum mittemus): die erste erhaltene nach-
aristotelische Behandlung der Stillehre und dadurch wertvoll. Über die
Figurenlehre Münscher, PW. 7, 1613.
2. Persönliche Verhältnisse des Verfassers: 1, 1 etsi negotiis familiari-
bus impediti vix satis otium studio suppeditare possumus, et id ipsum quod
datur otii lubentius in philosophia consumere consuevimus, tarnen tua nos
C. Herenni voluntas commovit, ut de ratione dicendi conscriberemus. 4, 69
simul lubenter exerceamur (Herennius und der Verfasser) propter amicitiam,
cuius initium cognatio facit (v. 1. fecit), cetera philosophiae ratio confirmabit
(v. 1. confirmavit). Ein Ausfall gegen die nutzlosen amphiboliae der dialectici
steht 2, 16. 3, 3 si quando de re militari aut de administratione reip. scri-
bere velimus. 4, 17 haec qua ratione vitare possimus in arte grammatica . . .
dicemus. — Scheinbares Selbstlob 1, 16 (A. 3). 3, 19 (über die pronuntiatio)
quare et quia nemo de ea re diligenter scripsit — nam omnes vix posse pu-
tarunt de voce et vultu et gestu dilucide scribi, cum eae res ad sensus nostros
pertinerent — et quia magnopere ea pars a nobis ad diccndum conparanda
est, non neglegenter videtur tota res corisideranda. Aber keiner seiner Leser
hat angenommen, was neuere Gelehrte für möglich gehalten haben, daß er
selbst eine Neuerung in der Theorie der Rhetorik gewagt habe. Über Spu-
ren epikureischer Anschauungen s. Marx 83. — Über die Zeit der Schrift
ergibt sich aus den Beispielen folgendes': 1, 25 wird der Tod des Sulpicius
erwähnt (J. 88), 4, 68 scheint sich auf die Laufbahn des Marius und dessen
letztes Konsulat zu beziehen (J. 86). Anderseits werden 4, 47 die aus Sena-
toren und Rittern zusammengesetzten Gerichte der Jahre 89 — 82 vorausge-
setzt. Da die Beispiele aus vorhandenen umgebildet sein können, so kann
die Abfassungszeit auch etwas später fallen; doch paßt die Sprache gut in
jene Zeit. Über die Person des Verf. ist es deshalb schwer zur Klarheit zu
gelangen, weil er sich in starker Abhängigkeit von seinem Lehrer befindet,
den er 1, 18 nennt: causarum constitutiones . . . noster doctor tres putavit
esse. Diesem wird man auch zB. die geschwollenen Erörterungen über die
Bildung eigener Beispiele zuweisen (4, 1 — 10). Wahrscheinlich stand der
Vf. selbst auf seiten der Volkspartei, auch die Herennii hielten sich zu die-
ser. Vgl. das Sündenregister, das er in dem letzten Beispiel der adnomi-
natio 4, 31 der Nobilität vorhält, oder die Schilderung der Ermordung des
Ti. Gracchus 4, 68 als Beispiel der demonstratio. Fowler aO. vScala, JJ.
§ 162. Die Rhetorik an Herennius 307
131, 221. Doch finden sich auch entgegengesetzte Urteile wie 4, 45 aliquando
reip. rationes, quae malitia nocentium exaruerunt, virtute optimatium revi-
rescent. Auffällig ist ferner das Zurücktreten alles Griechischen namentlich
auch in den Beispielen (doch s. 4, 31. 34), das im Verein mit der antiopti-
matischen Tendenz auf Herkunft aus den Kreisen der rhetores latini weist
(Marx 141, vgl. § 44, 9. 159, 2). Während lateinische Namen fortwährend
genannt werden, auch die der in den Beispielen benutzten Autoren (zB.
Ennius und Gracchi), sind griechische selten und werden als Urheber der
Beispiele nie genannt. 4, 1 ff. erklärt der Vf. nur eigene Beispiele bringen
zu wollen, vgl. 10 postremo haec quoque res nos duxit ad lianc rationem,
quod nomina verum Graeea, quae convertimus, ea remota sunt a consuetudine.
quae enim res apud nostros non erant, earum rerum nomina non poterant
esse usitata . . . Ms de causis, cum artis inventionem Graecorum probassemus,
exemplorum rationem secuti non sumus. Im Folgenden finden sich aber doch
entlehnte Beispiele, und deshalb hat Marx 115 den Vf. einen Lügner ge-
scholten (vgl. über 4, 1 — 10 Wendland, Progr. Gott. 1914). Doch scheint es,
daß er die Übersetzung der griechischen und die Abänderung der lateini-
schen Beispiele für eine genügend große Arbeit gehalten hat, um die Bei-
spiele für eigene auszugeben. Das Verhältnis zu den unmittelbaren Quellen
bleibt ganz unklar; ob auf 2, 50 conquisite conscripsimus und 4, 69 omnes
rationes honestandae studiose collegimus elocutionis im Sinne eines ausge-
dehnten Quellenstudiums Wert zu legen ist, muß mindestens stark bezwei-
felt werden. Marx 75 wird Recht haben, wenn er in dem Vf. einen jungen
Mann und in seinem Buche eine Nachschrift von Vorlesungen sieht. Doch
s. Römer JJ. 119, 823. Brzoska 1614. Köhler 33. Vgl. bes. A. 3.
3. Die Einschätzung unseres Werkes ist z. gr. T. von dem Urteil über
ihr Verhältnis zu Ciceros rhetorica abhängig. Schon früh hat man sowohl
den Vf. von Cicero abhängig gemacht als auch umgekehrt Cicero von dem
Vf., und letztere Ansicht hat bis in neueste Zeit Anhänger gefunden (Kayser,
Kröhnert, Ammon). Beide sind unhaltbar: die beiden Werke zeigen, obwohl
sie beide in der Lehre von der Erfindung das System des Hermagoras in
einer jüngeren Gestalt wiedergeben, so starke Abweichungen (Thiele Diss. 3.
Marx 119), daß die Hypothese der direkten Abhängigkeit nicht weit hilft.
Auffallend ist namentlich, daß die Dreiteilung der insinuatio, die ad Her.
1, 16 als neu und als eigene Erfindung bezeichnet ist (adhuc quae dicta
sunt arbitror mihi constare cum ceteris artis scriptoribus , nisi quia de insi-
nuationibus nova excogitavimus, quod eam soli praeter ceteros in tria tem-
pora divisimus), von Cic. de inv. 1, 23 kurzweg angenommen wird. Doch
will der Vf. mit diesen Worten nicht sagen, 'daß die Neuerung von ihm
selbst herrührt. Schon Ascensius hatte in der Vorrede seiner Ausgabe
(Paris 1508) die Meinung ausgesprochen, daß beide die Ansichten desselben
Lehrers wiedergäben; sie ist neuerdings von Thiele namentlich durch die
auffallenden Übereinstimmungen im lateinischen Ausdruck gestützt worden,
die sich gerade in der Wiedergabe der griechischen Termini finden (Beide
übersetzen zB. avTilr\ipi$ 6cvti9,£6ig cvyyv6^ir\ mit absoluta adsumptiva con-
cessio). Da aber die zahlreichen Abweichungen in wesentlichen Punkten
der Lehre weder vom Au ct. ad Her. noch von Cicero herrühren können (so
richtig Marx 120), so ist eine ähnliche, aber noch kompliziertere Hypothese
20*
308 Republikanische Zeit: J. 240—84 v. Chr.
nötig, wie sie Marx zu begründen sucht. Er nimmt dann, um die überein-
stimmende Terminologie zu erklären, Benutzung des Handbuches des Anto-
nius an (§ 152, 2), was nicht ohne Bedenken ist. Vielleicht hat der Yf. den-
selben Lehrer wie Cicero gehört, und zwar nach diesem, und dieser Lehrer
hatte unterdessen unter dem Einflüsse griechischer Rhetoren seine Meinung
in verschiedenen Punkten geändert. Ein rhetor latinus konnte eine private
Wirksamkeit auch nach dem J. 92 entfalten. Vgl. Kroehnert 21. § 182, 1.
— Über das System des Hermagoras vgl. Thiele, Hermag., Straßb. 1893; da
es seinerseits an die ältere Entwicklung der Rhetorik anknüpft, so ergeben
sich zahlreiche Berührungen unserer Schrift mit Aristoteles' Rhetorik und
namentlich mit Anaximenes; s. HWeber 46. CPeters, De rationibus inter
artem rhet. IV. et I. saec. intercedentibus, Kiel 1907.
4. Die Darstellung ist schwerfällig, besonders im Ausdruck der Satz-
verbindungen, dem Gebrauche der Partikeln usw. Die Schlichtheit zeigt
sich namentlich im häufigen Wiederholen derselben Wendung. Vieles Ar-
chaische, das sich namentlich mit der Sprache der Komödie berührt; auch
die Orthographie und Formenbildung ist altertümlich. Marx 162. Thiel-
mann, de sermonis proprietatibus . . apud Cornific. et in primis Cic. libris,
Straßb. 1879; Herrn. 14, 629. Wölfflin, Phil. 34, 142. 144. Vgl. Marx' Ind.
verb.
5. Das Werk ist vor Hieronymus anscheinend von niemandem benutzt,
falls nicht Cornificius (s. u.) als Benutzer in Betracht kommt. In den Hand-
schriften, auch den ältesten, wird das Werk dem Cicero beigelegt; daß es
auch Hieronymus, Rufmus, Priscianus (aus Flavius Caper nach Jeep, DLZ
1897, 492) u. a. für ciceronisch hielten (Marx ed. p. 5), beweist nur ihre
Urteilslosigkeit. Eine Interpolation, die auf dem Glauben an Ciceros Autor-
schaft beruht, findet sich 1, 20. Die schon von RRegius im J. 1491 behaup-
tete, durch Kayser (Münchner Gel. Anz. 1852, 492 und in s. Ausgabe) wie-
der aufgebrachte Urheberschaft des Cornificius stützt sich auf Quintilian.
Vgl. diesen 3, 1, 21 nach Nennung von Cicero : scripsit de eadem materia (Rheto-
rik) non pauca Cornificius, dliqiia Stertinius. Aus dem Werke des Cornificius
führt Quintilian verschiedenes an, insbesondere lateinische Bezeichnungen
für griechische Kunstausdrücke (vgl. A. 1), die sich genau so in der Rhe-
torik ad Herennium finden. So Quint. 5, 10, 2 ideo illud Cornificius contra-
rium appellat = ad Her. 4, 25. — Quint. 9, 2, 27 oratio libera, quam Corni-
ficius licentiam vocat = Her. 4, 48. — 9, 3, 71 Cornificius lianc traductionem
vocat — Her. 4, 20. — 9, 3, 91 et hoc Cornificius atque Butilius 6%fnicc X^sag
putant = Her. 4, 35. — 9, 3, 98 adicit his . . Cornificius interrogationem etc.
= Her. 4, 22 — 41. An andern Stellen entnimmt Quintil. demselben Werke,
ohne es zu nennen, Beispiele, wie 9, 3, 31 (= Her. 4, 20). 56 (= Her. 4, 34).
70 (= Her. 4, 29). 72 (= Her. 4, 30). So sehr dies ins Gewicht fällt, so be-
weist es doch nicht die Autorschaft des Cornificius. Denn aus Quint. 9, 3, 89
ergibt sich, daß dieser eine Monographie über die Figuren verfaßt hat, aus
3, 1, 21 (scripsit de eadem materia non pauca Cornificius), daß er vielleicht
noch andere Teile der Rhetorik behandelt hatte. Für die Abfassung eines
vollständigen Handbuches durch ihn spricht nichts, und Quintilian hat
sicher nur das Werk über die Figurenlehre benutzt. Schon die Anführung
bei Quint. 3, 1, 21 (hinter Cicero und vor Celsus und Gallio) zeigt, daß
§ 162. Die Rhetorik an Herennius. § 163. Inschriften 309
Cornificius lange nach dem Auct. ad Her. geschrieben hat, und daß er seine
Abhandlung über Figuren nach Caecilius verfaßte, liegt nahe und wird durch
Quint. 9, 3, 89 (sicut Caecilius Dionysius JRutilius Cornificius Visellius aliique
non pauci) bestätigt. Köhler aO. 23. Die Übereinstimmung zwischen dem
Auct. und Cornificius erklärt sich vielleicht daraus, daß dieser (als Einziger
in dieser Zeit) den Auct. benutzt hat. Marx aO. 69 hat also die Identifikation,
an der er noch RhM. 43, 376 festhielt, mit Recht abgewiesen, und ihm sind
Brzoska 1605. Köhler 8 gefolgt, während Thiele Gott. Anz. 1895, 717 an
ihr festhält und Ammon Bl. bayr. GW. 33, 409 sie durch eine umständliche
Hypothese zu retten sucht. Vgl. JWerner, Zur Frage nach d. Vf. der Heren-
niusrhet. , Bielitz 1906. — Jener Cornificius ist also sicher keiner der um
die Zeit des Cicero lebenden (Münzer PW. 4, 1623) und auch nicht mit Cor-
nificius Longus (§ 209, 2) identisch.
6. Das Werk wurde im Mittelalter viel gebraucht, abgeschrieben und
interpoliert; über die Hss. s. Marx Ausg. p. 10. Die Lücken der ältesten
und besten (Paris. 7714 s. IX, Wirceb. s. IX/X, Bern. 433, Corbeiens. s. IX/X:
Facsim. des Paris. 7714 und d. Bern, bei Chatelain T. 16) sind in den jün-
geren (beste Bamberg. 423 s. XII/XIII) aus einer anderen Überlieferung
mehr oder weniger ausgefüllt. Gegen CHalm, analecta Tüll. I, Münch. 1852
und RhM. 15, 536, der die Zusätze der jüngeren Hss. nur als Interpolationen
ansieht, vgl. LSpengel, RhM. 16, 391; JSimon, die Hss. der Rhet. ad Her.,
Schweinf. 1863. 64 II; vDestinon, de codd. Cornific. ratione, Kiel 1874.
7. Ausgaben (s. Marx S. 60) v. PBurmann (mit Cic. de inv.), Leid. 1761.
Cornifici Rhetoricorum ad Herennium libri rec. et interpretatus est CLKayser,
Lps. 1854; maßgebend ed, Marx, Lips 1894 mit vollständigem Wortregister
(vgl. Thiele, Gott. Anz. 1895, 717). Übers, von Kuchtner, München 1911.
Außerdem in den Ausg. der rhet. Schriften Ciceros und in dessen Gesamt-
ausg. (§ 177, 5). — Kammrath, de rhet. ad Her. auctore, Holzminden 1858.
Mommsen, RG. 26, 456. RKrÖhnert, de rhet. ad Her., Königsb. 1873. Brione,
Annali della scuola di Pisa, 22, 3. Netzker, Hermag. Cic. Cornificius quae
docuerint de statibus, Kiel 1879; d. constitutio legitima des Cornif., JJ. 133,
411. GThiele, de Cornif. et Cic. artibus rhet. Greifsw. 1889. CKoehler, de
rhet. ad H., Berl. 1909. Roch, de Cornif. et Cic. artis rhet. praeceptoribus,
Bad. i/Östr. 1884. Bochmann, de Cornificii . . rerum Rom. scientia, Lpz. 1875.
HWeber, üb. d. Quellen d. Rhet. ad Her., Zürich 1886. Radtke, obs. crit.
in Cornif. libros, Königsb. 1892. — Brzoska, PW. 4, 1605.
163. Unter den prosaischen Inschriften aus den Jahren 150
— 80 sind besonders erwähnenswert die amtlichen Urkunden, wie
die tabula Bantina, lex repetundarum, lex agraria u. a. Die In-
schriften in gebundener Form aus dieser Zeit haben teils noch das
saturnische Maß, teils sind sie im volksmäßig gehandhabten Hexa-
meter gehalten oder in anderen griechischen Metren, besonders dem
iambischen Senar; sie lassen die steigende Sicherheit im Gebrauche
der hellenischen Formen und im Ausdruck der Gedanken deutlich
erkennen.
310 Republikanische Zeit: J. 240—84 v. Chr.
1. Tabula Bantina, Rest einer Erztafel in Neapel, gefunden 1790 zu
Bantia in Apulien, auf der einen Seite mit lateinischem, auf der andern mit
einem (verschiedenen) oskischen Texte, aus den J. 133—118. Der lateinische
Text ist der Schluß eines stadtrömischen Gesetzes. CIL. 1, 197. Bruns, fönt.
iur.7 48. DIE. 292.
2. Lex (Acilia, früher unrichtig Servilia) repetundarum vom J. 123 oder
122. CIL. 1, 198. Bruns, fönt.7 55. DIE. 293.
3. Gleichfalls aus der Zeit der Gracchen sind wohl die Überreste einer
lex de quaestione perpetua, CIL. 1, 207. 208. Bruns, fönt.7 117. DIE. 296,
sowie der Meilenstein des Popilius (Cos. 132) CIL. 1, 551. 10, 6950. DIE. 275,
und wohl die Inschrift des L. Betilienus L. f. Vaarus aus Aletrium, CIL. 1,
1166. DIE. 291.
4. Schiedsrichterlicher Spruch von Q. und M. Minucius in einer Grenz-
streitigkeit zwischen den Genuates und Viturii, vom J. 117. CIL. 1, 199 und
5, 7749. Bruns, fönt.7 401 DIE. 294.
5. Lex agraria vom J. 111, früher lex Thoria genannt (die aber in die
Zeit um 119 fiel); erhalten auf der Rückseite der lex repet. (oben A. 2):
CIL. 1, 200. Bruns, fönt.7 73. DIE. 295.
6. Lex parieti faciendo aus Puteoli vom J. 105, aber erst in der Kaiser-
zeit eingehauen, CIL. 1, 577. 10, 1781. Bruns, fönt.7 374. DIE. 306. Wiegand,
JJ. Suppl. 20, 661.
7. Im Saturnius oder doch ähnlich gefaßt: der titulus Mummianus
(§ 131, 8) vom J. 142 (CIL. 1, 541. 6, 331. Ritschl, op. 4, 82. DIE. 285; viel-
leicht ist die erhaltene Inschrift nicht das Original, sondern eine spätere,
nicht genaue Wiederholung: s. Bücheler, CLE. 3); die Grabschrift des Maar-
cus Caicilius (CIL. 1, 1006. 6, 13696. Ritschl aO. 735. CLE. 11. DIE. 322);
die Inschrift von Sora (CIL. 1, 1175. 10, 5708. Ritschl aO. 130. CLE. 4. DIE.
284); wie auch die Grabschriften des Bäckermeisters M. Vergilius Eurysaces
und seiner Frau Atistia (CIL. 1, 1013 fll. 6, 1958. Ritschl aO. 749. CLE 13.
DIE. 323) wohl als Saturnier gemeint sind, sowie vielleicht (?) CIL. 1, 1080
amantissima suis, ftäe maxsuma pia. Andere saturnische Trümmer in Inschr.
s. bei Bücheler aO. p. 10.
8. Im populären Hexameter (oben S. 159): der titulus Mummianus CIL.
1, 542. 9, 4672. CLE 248. DIE. 286, sowie die fälschlich Praenestinae ge-
nannten sortes (CIL. 1, 1438—1454. CLE. 331. DIE. 370 fll. Ritschl, op. 4, 395;
über die verwandten von Forum Novum ASwoboda, WSt. 24, 485. Außer-
dem die Grabschrift des Cn. Taracius (CIL. 1, 1202. CLE. 362. DIE. 334)
und des Protogenes (CIL. 1297. CLE. 361. DIE. 333). Ein daktylischer Okto-
meter CIL. 1480. Auch Nr. 1038 läßt daktylisches Maß erkennen. Distichen
Nr. 1011 und 1220 (DIE. 335 f. CLE. 959 f.), sowie von den Scipionengrab-
schriften Nr. 38 (DIE. 93. CLE. 958).
9. Iambisch sind von den inscriptiones lat. antiquissimae (CIL. Bd. 1),
die freilich zT. jünger als die sullanische Zeit sind, 1007 von rührender
Schlichtheit (CLE. 52- DIE. 324). 1008 (CLE. 59. DIE. 327). 1009 (CLE. 55.
DIE. 326). 1010 (CLE. 185. DIE. 328). 1012 (CLE. 58. DIE. 329). 1019 (CLE.
68. DIE. 332). 1027 (CLE. 74. DIE. 331). 1194 (23). 1267 (CLE. 57. DIE. 330).
1273 (32). 1277 (80). 1306 (CLE. 54. DIE. 325). 1422 (26). 1431 (84); tro-
chäisch wohl CIL. 1459; LMüller, JJ. 97, 214.
Ciceronische Zeit: J. 83—43 v. Chr. 311
ZWEITE PERIODE.
DAS GOLDENE ZEITALTER DER RÖMISCHEN LITERATUR.
CICERONISCHES UND AUGUSTEISCHES ZEITALTER
J. 83 v. Chr. — 17 n. Chr.
A. Die ciceronische Zeit
J. 83 — 43.
Das goldene Zeitalter der römischen Literatur nennt man die
Periode, in der sie in der stilistischen Vollendung ihren Höhepunkt
erreichte und die von den Griechen übernommenen Formen mit
einem reichen Inhalt erfüllte. Es verteilt sich an zwei Generationen:
die Prosa ersteigt den Gipfel in der ciceronischen Zeit, die Poesie
in der augusteischen.
Im Anfange der ciceronischen Zeit ist die Niederlage der
Volkspartei, der Sieg des Adels eine vollendete Tatsache. Dieser
Zustand war indessen ebenso unhaltbar wie unberechtigt. Die No-
bilität war zu entartet und zu sehr durch Selbstsucht zerrissen, als
daß ihre Herrschaft hätte von Bestand sein können ; das Volk aber,
äußerlich durch die Ausdehnung des römischen Bürgerrechts auf
alle Italiker zu einer furchtbaren Macht geworden, war in Wirk-
lichkeit das blinde Werkzeug in der Hand kühnen Ehrgeizes. Es
lag alles fertig für die Herrschaft eines Einzigen, die zu behalten
Sulla zu unbequem gefunden hatte, so daß sogar Abenteurer wie
Catilina es wagen konnten danach zu greifen. Dem Cn. Pompeius
wäre sie bei mehr Festigkeit des Willens nicht entgangen; aber
den verwöhnten Günstlinge des Glückes brachte seine Eitelkeit und
Empfindlichkeit zu einem Schaukelsystem, durch das er bei beiden
Parteien Achtung und Vertrauen einbüßte und dem klaren willens-
starken Caesar in die Hände arbeitete. Die nächste Frucht dieses
Verfahrens war das erste Triumvirat (J. 60), die weitere der Krieg
zwischen Pompeius und Caesar, des ersteren Tod, des Caesar Sieg
und Alleinherrschaft. Die sinnlose Ermordung Caesars bewirkte
nur, daß die fast schon tote Republik nochmals durch einen neuen
Bürgerkrieg sterben mußte; der Todeskampf begann von neuem,
abermals bildete ein Triumvirat die Zwischenstufe zur Monarchie,
und wie das erste dem Cicero die Verbannung gebracht hatte, so
DO /
kostete das zweite ihn das Leben.
Der Parteienkampf der Gracchenzeit setzt sich in unserer Zeit
fort, erstreckt sich aber weniger auf sachliche Gegensätze als auf
312 Ciceronische Zeit: J. 83—43 v. Chr.
das Streben Einzelner nach Einfluß und Herrschaft. Die Parteien
kämpfen gegeneinander unermüdlich mit den Waffen des Geistes,
mit Wort und Feder, auf dem Forum und im Senat, auch dann
noch, als bereits die rohe Gewalt sich geltend machte und zuerst
Gladiatorenbanden, dann förmliche Heere die Entscheidung herbei-
führten. Die Beredsamkeit, die Geschichtschreibung, die politische
Literatur hat daher auch in dieser Zeit noch fortwährend das Über-
gewicht. Neu ist aber, daß jetzt ein Zweig der Literatur um den
andern die Höhe der Kunst erklimmt, indem das Vorurteil schwin-
det, als sei die literarische Form etwas Unwichtiges und als komme
es nur auf die Sache an. Hierin zeigt sich die Unterwerfung des
Römertums unter den hellenischen Geist, die in dieser Zeit zum
festen Ergebnis wird und sich über immer mehr Gebiete ausbreitet.
Das gilt auch von Männern, die treu zur nationalen Fahne stehen,
wie Varro; auch sie unterwerfen sich dem literarischen Prinzipat
der Griechen.
In den herrschenden Kreisen ist der Abfall vom altrömischen
Wesen allgemein-, nur darnach trachtet ein jeder, daß er möglichst
rasch, auf irgend welchem Wege, durch Raub oder durch Käuflich-
keit, zu der Möglichkeit gelange, es andern in toller Verschwendung
gleichzutun.1) Den unnatürlich gesteigerten Gelüsten kam die über-
feinerte hellenische Kultur entgegen und ward zur Mode wie zum
Bedürfnis. Hellenen sind in allen Häusern, als Lehrer der Jugend,
als Vorleser, als Gesellschafter im Hause und auf der Reise; und
oft sind es durch Geist und Wissen bedeutende Männer, die sich in
den Dienst der römischen Großen begeben und ihnen zu imponieren
wissen: Lucullus hat seinen Antiochos, M. Crassus den Alexander
Polyhistor, L. Piso den Philodemos. Auch Staseas bei M. Piso,
Philagros bei Metellus Nepos scheinen sich über das Gewöhnliche
erhoben zu haben; Cicero hat Diodotos, Lyson, Apollonios in seiner
Umgebung; M. Brutus den Aristos, Straton, Poseidonios und Em-
pylos. Den meisten ist es zwar wenig Ernst, hüben und drüben:
der Grieche will sorgenfrei leben und der Römer in seinem Hof-
staat auch einen Philosophen, Dichter und eine dienstwillige Feder
haben; das Leben nach den Vorschriften der griechischen Ethik zu
gestalten fiel den Wenigsten ein.
Aber tüchtigere Naturen und solche, denen Reichtum und hohe
Stellung nicht schon als Erbe zugefallen war, erkennen in der hel-
1) Düstere Schilderungen bei Sall. C. 10 — 13. J. 41, wo die Tendenz
in Rechnung gezogen werden muß.
Allgemeine Charakteristik 313
lenischen Bildung das beste Mittel zur Bereicherung und Verschöne-
rung des Lebens oder doch ein treffliches Werkzeug, durch eigene
Leistungen ihre Vorgänger zu überbieten" und sich emporzuarbeiten.
Hatten schon vorher Verbannte ihren Aufenthalt mit Vorliebe in
hellenischen Städten genommen, wie Metellus und Rutilius Rufus,
so wurde es jetzt immer häufiger, daß strebsame junge Römer Bil-
dungsreisen in den Osten unternahmen, namentlich an die damaligen
Hauptsitze der philosophischen und rhetorischen Studien, nach Athen,
Rhodos und den kleinasiatischen Städten, und am Ende der cicero-
nischen Zeit war das Beziehen einer griechischen Hochschule schon
ein Erfordernis der Bildung, wie das Beispiel des jungen Cicero und
Horaz, des L. Bibulus, Messala u. a. zeigt.
Andrerseits ergossen sich nunmehr über Rom außer den Hellenen
der Gegenwart auch die Hellenen der Vergangenheit in ihren Bü-
chern: wie schon früher Aemilius Paullus nach seinem Siege über
Perseus eine griechische Bibliothek nach Rom gebracht hatte, so
kam jetzt, nach der Eroberung Athens durch Sulla, die Bibliothek
des Apellikon nach Rom, und mit ihr besonders die meisten Schriften
des Aristoteles und Theophrast; durch Lucullus ebenso reiche Bücher-
schätze aus der pontischen Beute2), so daß es jetzt Bücherfreunde
gab (wie Varro und Cicero) und allmählich ein Buchhandel sich
ausbildete, wie ihn z. B. Atticus betrieb (§ 2, 2); die geistige Be-
deutung Roms erhellt vielleicht am besten daraus, daß sein Verlag
auch Mustertexte griechischer Klassiker herstellte. Auch das Über-
setzen griechischer Schriften ins Lateinische wurde hierdurch ge-
fördert. Zwar die Vornehmeren bedurften dessen nicht, da sie des
Griechischen vollkommen mächtig waren; aber auf weitere Kreise
war doch nur durch Übersetzungen zu wirken. Indessen waren es
jetzt nicht mehr Dramen, auf die sich die Übersetzer vorzugsweise
warfen: die vornehme Welt ließ dem Volke seine hergebrachten
Belustigungen und vergnügte sich selbst in griechischen Schau-
spielen. Wohl aber wurden neben den Erzeugnissen hellenistischer
Frivolität, wie den milesischen Novellen des Aristeides, auch ernstere
griechische Schriften durch Amafinius, Cicero uud Messala über-
tragen.
Es war begreiflich und durch die griechischen Lehrer mitver-
anlaßt, daß außer der klassischen Literatur der Hellenen auch die
der Gegenwart und letzten Vergangenheit den Römern in die Hände
2) Vgl. die Zeugnisse bei Funaioli, GRF. 1, xxv.
314 Ciceronische Zeit: J. 83—43 v. Chr.
kam. So bildeten die Redner sich nicht sowohl nach Demosthenes
als nach den hellenischen Rhetoren Kleinasiens, die über die Kunst-
mittel der attischen Beredsamkeit weit hinausgingen; und als später
eine. jüngere Schule auf Lysias als den Attiker vom reinsten Wasser
zurückging, so wählten doch zum Teil eben dieselben Männer in
wunderbarem Gegensatz in der Poesie sich die Alexandriner zu Vor-
bildern. Aber so wunderbar reich und unverwüstlich war der helle-
nische Geist, daß er in allen seinen Äußerungen noch mächtige
Wirkungen übte; und gerade jetzt geht er mit dem Römertum einen
Bund ein, dessen Früchte die meisten literarischen Erscheinungen
dieser Periode sind. Unverkennbar sind die Spuren der griechischen
Einwirkung in dem Reichtum und der Mannigfaltigkeit, welche die
Literatur allmählich gewinnt, und ganz besonders in der Sorgfalt,
die jetzt der Form zugewendet wird, einer Sorgfalt, die am Ende
der ciceronischen Zeit teilweise sogar in einseitige Schätzung der
Form ausartet.
Die praktische Richtung der Literatur und der Einfluß der po-
litisch bewegten Zeit tritt hervor auf den Gebieten, die jetzt haupt-
sächlich Anbau finden. Vor allem erreicht nun der kunstmäßige
Betrieb der Beredsamkeit seinen Gipfelpunkt. Schon bisher, als
griechischer Geschmack und griechische Kunst nur vereinzelt oder
doch nicht in breitem Strome einwirkten, hatte sie es zu Leistungen
gebracht, die in Verarbeitung und Verwertung der politischen und
der Rechtsfragen und in packender Kraft den Hellenen mindestens
ebenbürtig waren; und noch zu Anfang dieser Periode ist Horten-
sius ein glänzender Beweis, was römisches Talent auch bei einseiti-
ger Schulung erreichen konnte.3) Ein Fortschritt war von Seiten der
Natur und Begabung kaum möglich; er war es nur vermittels der
Kunst, und hier erfolgte er durch Cicero. Unersättlich im Lernen,
unermüdlich arbeitend an seiner geistigen Vervollkommnung, hat
er den Gesichtskreis und die Stoffe der Beredsamkeit erweitert,
reiche Kenntnisse, klares Bewußtsein der Kunstgesetze und ein ver-
feinertes Gefühl für das Schöne und Passende im sprachlichen Aus-
druck in ihren Dienst gebracht und dadurch dem lateinischen Stile
Gesetz, Bestimmtheit und Fülle verliehen. Willig erkannten auch
die Besten seiner Zeitgenossen wie Caesar seine Überlegenheit und
3) Daß sich bereits eine gewisse Topik in Rom ausgebildet hatte, zeigt
Cic. div. Caec. 43 si quid ex vetere oratione aliqua: *Iovem ego Optimum
maximum9 aut : f Vellem si fieri potuisset iudices9 aut aliquid eiusmodi edi-
scere potueris, praeclare te paratum in iudicium venturum arbitraris.
Allgemeine Charakteristik 315
Mustergültigkeit an. Zwar mußte er am Abende seines Lebens die
Erfahrung machen, daß die Jüngeren sich über ihn hinausgeschritten
dünkten, ihn zu asianisch fanden und den Namen Attiker ausschließ-
lich für sich in Anspruch nahmen; auch in der Zeit unmittelbar
nach ihm sträubten sich Sallust und Asinius Pollio gegen seinen
Stil. Aber in der Hauptsache blieb dieser siegreich; sein Sprach-
schatz, Wortgebrauch und Satzbau wurde der klassische und fand
auch in späten Jahrhunderten immer wieder Bewunderung und Nach-
ahmung.
In Zusammenhang mit der kunstmäßigen Ausbildung der Bered-
samkeit gewann auch deren Theorie, die Rhetorik, an Bedeutung.
Hier herrschten in der Schule die griechischen Technographen,
z. B. Hermagoras, Molon, Apollodoros, Theodoros; ihre Lehrbücher
wurden beim Unterrichte entweder in der Urschrift zugrunde ge-
legt oder in einer lateinischen Übersetzung, wie sie Valgius anfer-
tigte. Cicero, der in seiner ersten Schrift den gleichen Weg ge-
gangen war, verfolgte in seinen reiferen Jahren die Bahn der philo-
sophischen Rhetorik; er ließ die Streitfragen der Rhetorenschulen
beiseite und paßte den Stoff dem Verständnis weiterer Kreise an.
Denn an die Stelle der knappen strengen und einseitigen Methodik
jener Jugendschrift setzte er unterhaltende, durch die Vielseitigkeit
seiner Kenntnisse und das Heranziehen allgemeiner Fragen an-
ziehende und belehrende Erörterungen.
Nächstdem gedieh in dieser Zeit die politische Literatur.
Mit der Verbreitung der Bildung war der Griffel immer mehr zu
einer Macht geworden, und an Händen, die bereit waren ihn zu
führen, war Überfluß. Um alle bedeutenden Persönlichkeiten und
Vorgänge der Zeit bildet sich daher alsbald eine Literatur von Flug-
und Streitschriften, von Denkwürdigkeiten und Lebensbeschreibun-
gen. Ebenso steht der Briefwechsel zu einem guten Teile in sol-
chem Zusammenhang, teilweise auch die Geschichtschreibung,
wie Cäsars Beispiel zeigt. Aber in der Hauptsache dient sie der
allgemeinen Bildung, die immer weitere Kreise erfaßt und auf deren
Bedürfnisse die Literatur Rücksicht nehmen muß. Die Annalistik
alten Stiles hört nicht auf, gerät aber in den Hintergrund, daneben
treten Abrisse der Chronologie, wie sie Atticus und Nepos ver-
faßten, und bequeme Sammlungen von Biographien und Exempla;
beliebt ist dabei die Gegenüberstellung von Griechen und Römern,
wie wir sie bei Varro und Nepos finden. Für die stoffliche Seite
der Geschichte war die Einführung einer amtlichen Zeitung (acta
316 Ciceronische Zeit: J. 84—43 v. Chr.
diurna) durch Caesar (J. 59) sowie die weitere Ausbildung und
Verbreitung der Stenographie (notae Tironianae) förderlich. An
Sallust hat diese Zeit einen glänzenden Vertreter der Richtung, die
von dem Bewußtsein , daß Geschichte zu schreiben eine Kunst sei,
durchdrungen ist und sowohl in der Schilderung der Begebenheiten
als auch der handelnden Charaktere den Kausalitäten gerecht zu
werden versucht.
Ihren Höhepunkt erreicht in dieser Zeit die antiquarische For-
schung, teils weil ihr jetzt erst die reichen bibliothekarischen Hilfs-
mittel zu Gebote standen, deren gerade dieser Wissenszweig nicht
entraten kann, teils weil das Gefühl von der Überlegenheit der alt-
römischen Zeit jetzt besonders rege wurde und man in der Betrach-
tung der großen Vergangenheit ein Mittel zur sittlichen Erneuerung
der Nation zu finden glaubte.4) Der berühmteste Forscher auf die-
sem Gebiet, den Rom je hervorgebracht hat, ist Varro, der sich in
einem langen Leben eine erstaunliche Fülle des Wissens erwarb
und es in Schriften niederlegte, in ehrlich nationalem Sinne und
so reich, daß Jahrhunderte davon zehren konnten. Nächst ihm ge-
nossen Valerius Cato, Nigidius Figulus und Santra das meiste An-
sehen; auch Aristokraten wie Valerius Messala (Cos. 53) beteiligten
sich an der Erforschung des vaterländischen Altertums. Mit diesen
Studien hängt die häufige Bearbeitung der religiösen Gebräuche
zusammen, wie sie Caecina, Appius Pulcher, Valerius Messala und
Trebatius unternahmen; hier mag der Wunsch mitgewirkt haben,
alte Riten aufzuzeichnen, ehe sie ganz in Vergessenheit gerieten,
auch wohl der Einfluß der griechischen Theologie und seit der Be-
gründung der Monarchie der Wille des Fürsten, der die alte Reli-
gion wiederherstellen wollte. Die Lehrer der Bildung waren noch
immer meistens Freigelassene griechischen Ursprunges, wie Curtius
Nicias, Lenaeus, Ateius Praetextatus, Caecilius Epirota; selten wid-
meten sich Freie diesem Berufe, wie Orbilius Pupillus. So kam es,
daß die Lehrer der Grammatik und Rhetorik meist eine Klienten-
existenz führten, die für die Besseren unter ihnen recht auskömm-
lich, gesellschaftlich aber keineswegs beneidenswert war.
Außer diesen Lehrern entsandte Griechenland nach Rom haupt-
sächlich Philosophen, und durch sie fanden philosophische Wort-
gefechte und philosophische Schriftstellerei in Rom immer mehr
Eingang. Eine Seltenheit aber war es, daß man es damit so wichtig
4) Norden, JJ. 1901 VII 251.
Allgemeine Charakteristik 317
nahm wie Cato mit seinem stoischen oder der ernste Lucretius mit
seinem epikureischen Bekenntnis; die meisten pflückten aus den
verschiedenen Systemen die ihnen zusagenden Früchte und hielten
es dabei keineswegs für nötig, die ethischen Lehren der Griechen
ins Leben zu übertragen. Auch die Schriftsteller auf diesem Ge-
biete waren, wie die Hauptphilosophen des damaligen Hellas selbst,
Eklektiker und mischten sich die einzelnen Bestandteile ihrer Über-
zeugungen nach ihrem persönlichen Behagen. So hielt Varro in
der Ethik zur Akademie, sonst zur Stoa, M. Brutus umgekehrt in
der Ethik zur Stoa, sonst zur Akademie, und Cicero ließ am liebsten
die verschiedenen Lehren gegeneinander reden. Außer Lucretius
haben wir aus dieser Zeit nur von Cicero Schriften philosophischen
Inhalts, deren Wert nicht zum wenigsten in ihrer Form liegt, in
der Gewandtheit, womit die lateinische Sprache den neuen Stoffen
angepaßt ist.
Die Dichtung spielte auch in dieser Zeit noch vielfach die
untergeordnete Rolle eines Zeitvertreibes für vornehme Leute; hier-
her gehört das, was Varro, M. Cicero und Q. Cicero auf diesem
Gebiet unternahmen. Das Bedeutendste unter diesen leistete noch
der freilich durch und durch prosaische M. Varro, der besonders
in seinen saturae Menippeae die Sprache schulte, sich mannigfaltigen
metrischen Formen anzubequemen : so wurde er ein Vorgänger der
sich an die Alexandriner anlehnenden Dichter, die ihn freilich als
solchen kaum anerkannt haben würden. Höheren Flug unternahm
die Dichtung in dem Lebenswerke des Lucretius. Sein Lehrge-
dicht ist vollkommen römisch in seiner ehrlichen Schroffheit und
altertümlichen Sprache, aber zugleich voll von dem Geiste der helle-
nischen Aufklärung: in seiner Form wandelt es auf der Bahn des
Ennius weiter. Die jüngere Generation, die sogenannten Neote-
riker, wählten sich vorwiegend die alexandrinischen Dichter und
ihre peinlich strenge Technik zum Vorbild, verbreiteten sich über
die von ihnen gepflegten Zweige der Poesie und versuchten sich in
den mannigfaltigsten Formen, die sie bis zu voller Meisterschaft
bewältigten. Hierher gehört vor allem Catullus, der größte Ly-
riker, den Rom erlebt hat, neben ihm seine Freunde Valerius
Cato, Furius Bibaculus, Licinius Calvus und Helvius Cinna; ihnen
standen nahe der proteusartige Varro Atacinus und Cassius aus
Parma. Nur das Drama wurde von den Neoterikern vernachlässigt:
in ihrer selbstgenügsamen Abkehr vom Volke fühlten sie sich durch
die Teilnahme der Schule, der Freunde, der Kenner befriedigt. Die
318 Ciceronische Zeit: J. 83—43 v. Chr.
Bühne sah sich daher nach dem Aussterben der Togata und der
kurzen Blüte der Atellana auf die Leistungen der Vergangenheit
angewiesen, und ausgezeichnete Schauspieler, wie im Trauerspiel
Aesopus und im Lustspiel Roscius, hauchten den Stücken der Tra-
giker und Palliatendichter des sechsten Jahrh. d. St. neues Leben
ein. Von den volkstümlichen Gattungen wurde im Laufe der cice-
ronischen Zeit der Mimus in die Literatur eingeführt, der mit seiner
Zügellosigkeit den Instinkten des hauptstädtischen Publikums ent-
gegenkam. Für ihn arbeitete der römische Ritter D. Laberius, so-
wie der Freigelassene und Schauspieler Publilius Syrus.
In dieser Zeit wurde auch der letzte Rest der volkstümlichen
Silbenmessung beseitigt. Das fast unhörbar gewordene und daher
von Ennius (s. S. 158) vor Konsonanten nicht berücksichtigte aus-
lautende s wurde von den formstrengen Dichtern dieser Zeit grund-
sätzlich und regelmäßig als voller Konsonant behandelt, nachdem
sich noch M. Varro und Lucretius jener Freiheit bedient hatten.
Nur die Verschleifung des auslautenden m vor anlautendem Vokale
blieb für alle Zeit bestehen. Auch die Rücksicht auf die volkstüm-
liche Jambenkürzung wurde von der jüngeren Dichterschule auf-
gegeben.5)
Unter den literarischen Persönlichkeiten der ciceronischen Zeit
besteht ein gewisser Unterschied, je nachdem sie der ersten oder
der zweiten Hälfte derselben, der älteren oder der jüngeren Gene-
ration, angehören. Die älteren, deren Jugend in die Schreckenszeit
der Kämpfe zwischen Sulla und Marius fiel, haben in Literatur und
Leben vielfach noch eine gewisse ernste Haltung. Das Ende des
siebenten Jahrh. d. St. und den Anfang des achten kennen wir aus
Cicero und Catull als eine stürmische, entfesselte Zeit; es ist die
Zeit eines Catilina, eines Clodius und einer Clodia, als Zuchtlosig-
keit für Genialität galt und die altrömische Ehrbarkeit aus Leben
und Literatur geschwunden war.5) Die jüngere Generation, die da-
mals aufwuchs und frühzeitig in den Strudel hineingeriet, wurde
von ihm auch verschlungen, verzehrte in Sinnentaumel rasch ihre
Kräfte und fand ein frühes Ende. Den altrömischen Dichtern gegen-
über, die auch durch das hohe Alter, das sie erreichten, als wahre
Patriarchen dastehen, ist es auffallend, wie kurzlebig die Schrift-
5) Vgl. Jachmann, Grlott. 7, 69.
6) Cic. pCael. 40 haec genera virtutum non solum in moribus nostris,
sed vix iam in libris reperiuntur. Dergleichen ist freilich zu allen Zeiten
gesagt worden.
Allgemeine Charakteristik 319
steller dieser Zeit sind, ein Catullus, Calvus, Caelius Rufus, ja auch
Lucretius und Sallust. Diejenigen unter ihnen, denen ein längeres
Leben beschieden war, erreichten zum Teil erst in der augusteischen
Zeit den Höhepunkt ihrer Wirksamkeit, wie Trebatius, Asinius
Pollio, Q. Tubero, C. Matius.
Epoche macht in dieser Zeit auf dem Gebiete der Prosa Cicero,
auf dem der Poesie die Neoteriker: Varro und Lucretius stehen
jenseits dieser Zeit. Man muß aber die Gattungen nicht verwischen:
derselbe Licinius Calvus, der als Dichter Revolutionär war, ge-
hörte als Redner zur attizistischen Reaktion, und Cicero, an dem
die jüngeren Redner moderne Unarten finden wollten, dichtet im
Ennianischen Stile und macht sich lustig über die neumodischen
Dichterlinge, die in der Poesie dem Euphorion nachleiern. 7) In der
Politik gehen die Vertreter der Literatur vollends auseinander; so
ist die jüngere Generation zu einem Teile republikanisch gesinnt
— wie Catullus, Calvus und die bedeutendsten Teilnehmer der Ver-
schwörung gegen Caesar, M. und D. Brutus, C. Cassius und Cassius
aus Parma — zum anderen steht sie auf Caesars Seite, wie Helvius
Cinna, Sallust, C. Matius, Q. Tubero, M. Antonius, Curio, Trebatius,
Asinius Pollio u. a.
Auch das ist eine Eigentümlichkeit dieser Zeit, daß, nachdem
mit dem marsischen Kriege die letzten Schranken zwischen Rom
und Italien gefallen waren, die italischen Landstädte sich in zu-
nehmendem Maße an der Literatur beteiligen und diese allmählich
aus einer römischen zu einer italischen machen. Als vollends auch
das diesseitige Gallien in den Verband gezogen war und Italien
nunmehr seine natürlichen Grenzen hatte, strömten auch von dort
die Talente auf den größeren Schauplatz. Catull, Cornelius Nepos,
Furius Bibaculus, Cassius (Parmensis) und weiterhin Aemilius
Macer, Cornelius Gallus, T. Livius sind aus Oberitalien gebürtig,
Varro (Atacinus) und Pompeius Trogus sogar aus dem jenseitigen
Gallien.8) Wollten feinere Ohren auch an der Sprache dieser Neu-
römer etwas heraushören, was sie von der urbanitas unterschied9),
7) Cic. orat. 161 (poetae novi). Att. 7,2,1 (vswtsQOL und anovdsid^ovtsg;
vgl. § 212 a). Tusc. 3,45 (cantores Euphorionis). Vgl. auch Quint. 12,10,12.
Kroll, Ausg. d. Orator S. 12. Sinzig (§ 189, 1).
8) Lagus, studia latina provincialium, Helsingfors 1849. ABudinsky, d.
Ausbreitung d. lat. Spr., Berl. 1881.
9) Cic. Brut. 171; de or. 3, 42: ob darin mehr liegt als das Bestreben,
etwas dem 'Arxi-AW^og Entsprechendes zu haben?
B20 Ciceronische Zeit: J. 83—43 v. Chr.
so besaßen diese umsoniehr Frische und Eifer. Die langsamere
Entwicklung der von Rom entfernteren Teile Italiens10) bot dazu
den Vorteil, daß sie, unabhäu giger von den rasch wechselnden
Moden der Hauptstadt, treuer am Alten festhielten11), und aus dieser
Quelle schöpfend führten sie in der folgenden Zeit oft genug neue
Lebenskraft in die von der ewigen Unruhe erschöpften Adern der
Weltstadt.
Durch Umfang und nachhaltigen Einfluß seiner schriftstelleri-
schen Tätigkeit nimmt Cicero in dieser Zeit die hervorragendste
Stellung ein. Um ihn gruppieren sich die Alteren und ein Teil der
Jüngeren. Etwas älter als Cicero sind Varro (geb. 116), Aquilius
Gallus, die Optimaten M. Crassus (geb. vor 115), L. Lucullus (geb.
um 114), Hortensius (geb. 114), M. Piso (geb. um 112), sowie Atti-
cus (geb. 109), die Übersetzer des Epikur (§ 173) und L. Albucius.
Gleichalterig mit Cicero sind Cn. Pompeius und Laberius (beide
geboren 106), Sulpicius Rufus, sowie ungefähr L. Lucceius, Q. Tu-
bero, Q. Cicero (geb. 102) und Furius Bibaculus (geb. 103?). Auch
Tiro, Trebatius Testa (geb. um 89) und etwa Nigidius Figulus
(Praetor 58) gehören noch zu seinem Kreise. Sonst aber übt auf
die Jüngeren Caesar (geb. 100) größere Anziehungskraft. Unter
diesen stehen an Lebensjahren dem Cicero näher Lucretius (geb.
99), Cato Uticensis (geb. 95), C. Memmius (Praetor 58), Cornelius
Nepos (geb. um 94), Valerius Cato, Hirtius, Oppius, Munatius
Plancus, M. Calidius, C. Trebonius, Maecius Tarpa, C. Cassius, Va-
lerius Messala. Orbilius Pupillus, obwohl schon 114 geboren, ent-
faltet erst jetzt seine Wirksamkeit. Die noch Jüngeren haben, so-
weit sie Gegner der werdenden Monarchie sind, viele Berührungs-
punkte mit Cicero gemein, sind aber fast noch mehr von ihm um-
worben als daß sie seine Gunst suchen. Dahin gehören M. Brutus
(geb. 85), D. Brutus (geb. nach 84), Calvus (geb. 82), auch Catull
(geb. 87). Unter den Caesarianern dieses Alters hat Cicero zu C. Ma-
tius (geb. um 84) und Caelius Rufus (geb. um 88) ein freundliches
Verhältnis, ein zweifelhaftes zu Asinius Pollio (geb. 84), ein feind-
seliges zu Sallust (geb. 87) und M. Antonius (geb. um 83). Von
Varro Atacinus (geb. um 82) sind die persönlichen und politischen
Beziehungen unbekannt.
10) Plin. ep. 1, 14, 4 Brixia ex illa nostra Italia, quae multum adhuc
verecundiae, frugalitatis atque etiam rusticitatis antiquae retinet ac servat.
11) Noch Suet. gramm. 21 sagt: in provincia . . durante adhuc ibi anti-
quorum memoria, necdum omnino abolita sicut Romae.
§ 164. Varro (Leben) 321
Das Consulatsjahr Ciceros (63) bildet einen gewissen Wende-
punkt wie in Ciceros Leben so auch in der Stellung der Parteien.12)
Wir zerlegen hiernach die ciceronische Zeit in zwei Hälften und
teilen der ersten diejenigen Schriftsteller zu, deren persönliche oder
literarische Blütezeit vor jenes Jahr fällt, der zweiten die erst nach
63 zur Blüte gelangten.
ERSTE HÄLFTE DER CICERONISCHEN ZEIT
Die Jahre 83—63
164. M. Terentius Varro, geb. J. 116 in der sabinischen Stadt
Reate, wohl aus einem ritterlichen Geschlechte, widmete sich von
Anfang an hauptsächlich der Forschung und literarischer Tätigkeit,
blieb aber auch dem öffentlichen Leben nicht fern und wurde na-
mentlich von Pompeius in amtlichen Stellungen verwendet, wo es
auf Zuverlässigkeit und Tüchtigkeit ankam. Auch im Bürgerkriege
kämpfte er auf Seiten der Verfassungspartei in Spanien gegen Cae-
sar, wurde vom Sieger zum Vorstande der zu gründenden öffent-
lichen Bibliothek bestimmt, von M. Antonius aber (J. 43) auf die
Achtungsliste gesetzt. Er entging dieser Gefahr und erreichte in
beständiger literarischer Tätigkeit fast das 90. Lebensjahr. Varro
ist ein Mann von wunderbarer Fruchtbarkeit und Vielseitigkeit;
dabei zeigt seine Schrifts teilerei eine eigentümliche Mischung von
schlichter Volkstümlichkeit und universeller Bildung, von haus-
backener Lustigkeit und altfränkischer Steifheit. Varro ist ein
ehrenhafter Charakter, bieder und nüchtern, ein Anhänger der guten
alten Zeit, der eifrig auf aUen Gebieten dem echt und alt Römischen
nachgeht, aber auch für griechische Bildung zugänglich. Seine Dar-
stellung hat etwas körnig Frisches, ist aber knapp, springend und
abgerissen und bemüht sich nicht um Ebenmäßigkeit und Rundung.
1. Varro schrieb de sua vita libri III (vgl. § 166, 3). Hiekonym. in Euseb.
chron. ad a. Abr. 1901 = 116 M. Terentius Varro filosofus et poeta nasci-
tur. Derselbe ad 1990 = 27 M. Terentius Varro filosofus prope nonagena-
rius moritur. Eeatinus nennt ihn Symmachus ep. 1, 2: vgl. Varro RR. 2,
praef. 6. 2, 8, 3. 5. 6. Ungenau August, civ. d. 4, 1 Romae natus et educa-
tus. Von sich wohl sagte er im Catus: mihi puero modica una fuit tunica
et toga, sine fasciis caleiamenta, equus sine ephippio, balneum non cotidia-
12) Es bedarf kaum eines Wortes, daß dies kein literarhistorischer
Gesichtspunkt ist und es in jener Zeit noch weniger war als heute. Bei
der Eigenart des Werkes ging es aber nicht an, diese Anordnung zu zer-
stören, und der wirkliche Schaden, den sie vielleicht stiftet, ist in der Tat
geringfügig.
Teuf fei: röm. Literaturgesch. Neub. 6. Aufl. I. 21
322 Ciceronische Zeit: J. 83—43 v. Chr.
num, alveus rarus. Schüler des Stilo (§ 148, 1) und des Antiochos aus As-
kalon (Cic. acad. post. 1, 12), wie Cicero. Befreundet mit Cn. Pompeius
(Gell. 14, 7, 2 Cn. Pompeius ... M. Varronem, familiärem suum, rogavit
usw.) und Atticus (Cic. Att. 2, 25, 1. Varro RR. 2, 1, 25. 2, 2, 2), mit Ci-
cero aber, bei der Verschiedenartigkeit des beiderseitigen Wesens, nie be-
sonders vertraut (Roth aO. 8). Briefe Ciceros an ihn, ep. 9, 1 — 8. Triumvir
(capitalis ?), Volkstribun (Gell. 13, 12, 6); Aedil (Vitruv. 2, 8, 9; vgl. Plin.
NH. 35, 173). Nach Münzen Pro Q(uaestore) des Procos. Pompeius wahr-
scheinlich 76 in Spanien gegen Sertorius (Roth aO. 12), wo er um diese
Zeit diente (Sall. hist. 2, fr. 69 haec postquam Varro in maius more rumo-
rum accepit), sicher im Seeiituberkriege (J. 67) sein Legat (Varro RR. 2,
praef. 7. Plin. NH. 3, 101. Flor. 1, 41, 10) und mit einer Corona navalis
(rostrata) geehrt (Plin. NH. 7, 115. 16, 7), wahrscheinlich (Roth aO. 17.
Münzer, Beitr. 278) auch im mithridatischen (J. 66). Wohl nach diesem
war er Praetor (Themist. p. 453 Dind. : Bccqcov trjv e^utieXexvv t]q%ev a.q%r\v,
vgl. Appian. b. c. 4, 47 £6%$axr\yy\%m<i), J. 59 Mitglied des Zwanzigeraus-
schusses für Ausführung der von den Triumvirn durchgesetzten lex Iulia
agraria (Varr. RR. 1, 2, 10, vgl. Plin. NH. 7, 176). Im J. 49 mit Afranius
und Petreius Legat des Pompeius in Spanien (Flor. 2, 13, 29) mußte er,
nach dem Abfall der einen seiner Legionen, sich Caesar ergeben (Caes. b. c.
1, 38. 2, 17 — 20) und scheint sich nun am Kriege gegen diesen nicht weiter
beteiligt zu haben. Er machte seinen Frieden mit der Monarchie des Cae-
sar wie später mit der des Augustus, hörte aber nicht auf, das Andenken
des Pompeius hochzuhalten und aus seiner Kenntnis mitzuteilen, was er
Günstiges über ihn berichten konnte. J. 47 widmete Varro dem Caesar
seine Antiquitates rerum div. (Lactant. 1, 6, 7. Augustin. civ. d. 7, 35). Be-
stimmung zum Bibliothekar, Suet. Caes. 44; vgl. Isid. orig. 6, 5, 1. M. An-
tonius, der J. 47 auf Caesars Befehl dem Varro ein schon geraubtes Gut
wieder hatte herausgeben müssen und J. 44 desselben sich abermals be-
mächtigte (Cic. Phil. 2, 103), ächtete ihn J. 43; aber Fufius Calenus rettete
ihm das Leben (App. b. c. 4, 47), während ein Teil seiner Bibliothek (Gell.
3, 10, 17) und sein reicher Grundbesitz, wie es scheint, für ihn verloren
blieb (Roth aO. 28 f.). Val. Max. 8, 7, 3 Terentius Varro . . non annis, qui-
bus saeculi tempus aequavit, quam stilo vivacior fuit in eodem enim lectulo
et Spiritus eius et egregiorum operum cursus exstinctus est. Plin. NH. 29, 65
ni M. Varro LXXXIII vitae anno proäiäisset etc. ebd. 7, 115 Varronis
(in der öffentlichen Bibliothek des Asinius Pollio, § 219, 21, gegründet J. 38)
unius viventis posita est imago. Vgl. § 165, 1. JGSchnelder, vita Varr., in
s. Script. R. R. 1,2,217. PRE. 6,1688. KLRoth, das Leben des Varro,
Bas. 1857. GBoissier, la vie et les ouvrages de V., Par. 1861. ARiese, Phil.
27, 288.
2. Allgemeine Charakteristik. Cic. Brut. 60 diligentissimus investigator
antiquitatis. acad. post. 1, 9 nos in nostra urbe peregrinantes . . tut lihri
quasi domum reduxerunt. . . tu aetatem patriae, tu discriptiones temporum,
tu sacrorum iura, tu sacerdotum, tu domesticam, tu bellicam disciplinam, tu
sedem rtgionum, locorum, tu omnium divinarum humanarumque rerum no-
mina, genera, officia, causas aperuisti plurimumque idem poetis nostris omni-
noque latinis et litteris luminis et verbis attulisti, atque ipse varium et ele-
§ 164. Varro (Leben und Allgemeines) 323
gans omni fere numero poema fecisti philosophiamque multis locis incohasti,
ad impellendum satis, ad edocendum parum. or. Phil. 2, 105. Bei August.
civ. dei 6, 2 homo omnium facile acutissimus et sine ulla dubitatione doctissi-
mus. Empfindlich ad Att. 13, 18 (J. 45) homo nolvyqacp corarog numquam me
lacessivit (durch Widmung einer Schrift behelligt). Dionys. 2, 21 TsQsvtLog
Ovccqqcov . . ccvrjQ tcbv xcctcc trjv ccvtr]v fjliKiccv ccn^iaaccvrcov TtoXvTtsiQOtcctog.
Quint. 10, 1, 95 Terentius Varro, vir Romanorum eruditissimus. plurimos
hie libros et doctissimos eomposuit, peritissimus linguae latinae et omnis anti-
quitatis et rerum graecarum nostrarumque , plus tarnen scientiae collaturus
quam eloquentiae. 12, 11, 24 quam multa, paene omnia, tradidit Varro!
Augustin. civ. d. 6, 2 M. Varro . . tametsi minus est suavis eloquio, doctrina
tarnen atque sententiis ita refertus est, ut in omni eruditione . . studiosum
rerum tantum iste doceat quantum studiosum verborum Cicero delectat. Weiter-
hin: *vir doctissimus undecumque Varro* (Terentian. Maur. GL. 6,409,2846)
qui tarn multa legit, ut aliquid ei scribere vacasse miremur, tarn multa scripsit
quam multa vix quemquam legere potuisse credamus. Sen. cons. ad Helv.
8, 1. Apulei. apol. 42 u. a. Plut. Romul. 12 Ovccqqcovcc xov qpiÄotfoqpov,
ccvöga *Pco[lccI(üv iv Iötoqlcc ßißliaxa>TccTov. Vgl. GRF. 1, 179.
3. Von dem Stilisten Varro sagt Cic. Att. 12, 6, 1 habes Hegesiae genus,
quod Varro laudat. Die Neigung zum zerhackten Stil der modernen Rhe-
torik wird sich in den Reden und anderen verlorenen Schriften deutlicher
ausgesprochen haben als in den erhaltenen Lehrschriften; am ehesten ver-
raten die Reste der Sat. Men. etwas davon. Wo wir ihn im Zusammen-
hange lesen können, erscheint er uns als einer der schlechtesten Stilisten,
die Rom hervorgebracht hat; er ist von Ciceros Stilreform ganz unberührt
und gemahnt häufig an die alte Gesetzessprache. Sein Satzbau ist unge-
lenk, da er mit den Subjekten wechselt, die Nebensätze vor die Hauptsätze
stellt und allerlei Satzteile vor die Relativa und Konjunktionen rückt. Er
braucht archaische Formen und vulgäre Wendungen, die sonst aus der
Literatursprache verbannt waren. Vgl. RR. 1, 2, 1 rogatus ab aeditumo, ut
dicere didieimus a patribus nostris, ut corrigimur a recentibus urbanis, ab
aedituo. Aber es ist nicht zu verkennen, daß die Masse des ihm zuströmen-
den Stoffes nicht bloß die geistige, sondern auch die stilistische Verarbeitung
gehindert hat; daher sind die auch inhaltlich verworrenen Bücher de LL.
am schlechtesten stilisiert und bereiten dem Verständnis erhebliche Schwie-
rigkeiten. Vgl. auch Quint. und August. (A. 2). — Über Varros Sprache
HReiter, Quaest. Varron. gramm., Königsb. 1862. Stünkel, de Varr. ver-
borum formatione, Straßb. 1876. AMüller, de priscis verborum formis Varr.,
Halle 1877. Heidrich, Varroniana, Melk 1890—92 III. Krumbiegel, de Varr.
scrib. genere, Lpz. 1892. Norden, RhM. 48, 547; Kunstpr. 194. Einiges auch
§ 98, 7. Goetz, Idg. Forsch. 31, 298.
164 a. Varro ist einer der größten Kompilatoren aller Zeiten.
Er hat wohl die gesamte römische und einen großen Teil der grie-
chischen Literatur durchgearbeitet, um Notizen zu finden, die sich
entweder unmittelbar auf römische Dinge bezogen oder durch Kom-
bination mit ihnen in Verbindung gebracht werden konnten. Na-
21*
324 Ciceronische Zeit: J. 83—43 v. Chr.
mentlich die römischen Antiquare hat er so gründlich ausgebeutet
daß die Späteren sich damit begnügen konnten, auf seine Angaben
zurückzugehen , und die älteren Werke in Vergessenheit geraten
ließen. Wie bei den meisten Polyhistoren, so war auch bei ihm das
Urteil wenig entwickelt; zudem folgte er der bequemen Sitte seiner
Zeit, die ihm gestattete, alles für wahr zu halten, was er irgendwo
überliefert fand. Da nun gerade auf dem Gebiet der römischen
Altertumskunde schon die Griechen und dann ihre römischen Zög-
linge einer zügellosen Kombinations- und Erfindungssucht gefröhnt
hatten, so konnte bei einer kritiklosen Sammlung dieser Gelehr-
samkeit nur ein wüstes Sammelsurium herauskommen. Wenn Varro
dennoch mehr bot, so verdankt er das seiner Bekanntschaft mit der
hellenistischen Philosophie, vor allem mit dem pythagoreisch ge-
färbten Stoizismus des Poseidonios. Wenn ihn dieser auch zu sche-
matischen Dispositionen verleitete, die mehr störend als förderlich
waren, so lieferte er ihm doch die leitenden Gesichtspunkte für
seine großen Arbeiten und brachte Ordnung in die chaotischen
Massen seiner Exzerpte. Was aber Varro namentlich über den Stand-
punkt eines bloßen Kompilators heraushebt, das ist sein warmher-
ziger Patriotismus und die überall hervortretende ehrliche Absicht,
seinen Zeitgenossen in der alten Zeit einen Spiegel vorzuhalten und
sie auf diese Weise zur Einfachheit zurückzuführen. Sein Bestreben,
in der Kultur- wie in der Sprachgeschichte Römisches vom Griechi-
schen abzuleiten, das so oft verwirrend gewirkt hat, erklärt sich aus
dem Wunsche, die Römer als Hellenen erscheinen zu lassen und sie
dadurch dem Verständnis der östlichen Reichshälfte näher zu bringen.
1. Unter den von Varro benutzten Autoren sind so unzuverlässige wie
Timaios und Alexander Polyhistor; über jenen vgl. zB. Geffcken, Timaios'
Geogr. d. Westens, Berl. 1892. Ritter, Diss. Halens. 14, 292. Maass, De
Sibyllarum indicibus, Greifsw. 1879, 32. Samter aO. 76, über diesen Ritter
344. Über die von Varro benutzten römischen Annalisten und Antiquare
vgl. Münzer, Beitr. z. Quellenkritik d. Plin. 162; zB. scheint Iunius Grac-
chanus (§ 138, 2) nur von ihm benutzt zu sein. Über die Benutzung des
Cn. Gellius vgl. Samter, Quaest. Varron., Berlin 1891, 60. Wie wenig es
ihm auf Kritik ankam, zeigt zB. die Herübernahme der Zahl der von Romu-
lus geraubten Sabinerinnen (527) aus Valerius Antias (Mommsen, Sehr. 4, 26).
Auch das Interesse für Paradoxa können wir bei ihm finden, zB. in den
zoologischen Merkwürdigkeiten, die er in RR. gelegentlich erwähnt und
dem Plin. NH. 8 vermittelt. Er benutzt zB. Ciceros admiranda (Münzer,
Beitr. 172), Philostephanos , Archelaos (Hempel, De Varr. rer. rustic. aueto-
ribus 36), Isigonos von Nikaia (Oder, Phil. Suppl. 7, 343; doch s. Oehler,
Paradoxi Florent. opusc, Tübing. 1914).
§ 164 a. Varro als Forscher 325
Von den Benutzern seien genannt Ovid (§ 249, 6), Verrius Flaccus (Kkiegs-
hammer, Comment. Jenens. 7, 73), Vitruv (Oder aO. 365), Sueton, Censorinus,
Cornelius Labeo (Agahd 113) und namentlich die Kirchenväter, die das von
Varro gesammelte Material zur Bestreitung der römischen Religion be-
nutzten, so Tertullian, und in weitem Umfange Augustinus (§ 166, 4). Vgl.
das Stemma bei Samter 87. Die Bedeutung Varros erhellt besonders da-
raus, daß er auch von Griechen stark ausgebeutet wird, so schon von Dio-
nys von Halikarnass (Kiessling, De Dion. Hai. auctoribus lat. , Bonn 1858.
ESchwartz, PW. 5, 960), dann von Juba (Gläser, Lpz. Stud. 4, 157) und
Plutarch (zB. im Leben des Romulus und Numa: Peter, Die Quellen Plut.,
Halle 1865, 146; im Leben des Poplicola: Soltau, Progr. Zabern 1905). —
Varros Gelehrsamkeit aus den Exzerptoren herzustellen gelingt vielfach ; aber
die wiedergewonnene Darstellung einem bestimmten Werke zuzuweisen, ist
nicht immer möglich, zumal da Varro sich in seinen verschiedenen Arbeiten
stark wiederholt hat (Münzer, Beitr. 137. Oder, Phil. Suppl. 7, 365). Na-
mentlich zogen sich dieselben Etymologien durch seine Werke hindurch;
Münzer 265. Samter 63. Kriegshammer aO. Goetz, Abh. Sachs. Ges. 27, 67.
2. Pythagoreisch ist Varros Vorliebe für Zahlenspielerei, die im Ver-
ein mit der Vorstellung von einer Sphärenharmonie auch seine Musiktheorie
beeinflußt (§ 166, 6 a). Er hat gewiß Poseidonios' Timaioskommentar be-
nutzt; vgl. Frick, RhM. 58, 115. Praechter, Herrn. 46,407; über die Sieben-
zahl s. § 165, 1. 166, 5. Eine eingehende Darstellung der pythagoreischen
Seelenlehre war in Ant. div. B. 1 gegeben, aus denen Ovid. Met. 15 schöpft,
s. Schmekel, De Ovidiana Pythagoreae doctrinae adumbratione, Greifsw.
1885 (dort S. 76 eine Übersicht der Stellen, an denen Varro über pythago-
reische Lehren handelt). In der Disposition folgt er gern der Vierzahl der
stoischen Kategorien (Usener, Sehr. 2, 277 ff.), vgl. rer. hum. 20 fr. 1 et ea,
quae ad mortales pertinent, quadrifariam dispertierim: in homines, in loca,
in tempora, in res (s. § 166, 4. 168, 1) und ähnlich LL. 7, 5 quare fit, ut
ideo fere omnia sint quadripertita . . igitur initiorum quadrigae locus et cor-
pus, tempus et actio, wo der bezeichnende Satz folgt: et si quid excedit ex
hac quadripartitione , tarnen in ea ut comprehendam. Ein Monstrum von
Disposition sind die 9x9 Teile RR. 2, 1, 12, deren Durchführung später
Schwierigkeiten macht (ebd. 25—28). Von Poseidonios hat Varro seine Vor-
stellungen von den Anfängen der Kultur (Norden, JJ. Suppl. 19, 426) und
von der Entlehnung fremder Heuremata durch die Römer (Wendling, Herrn.
28, 335), ihm dankt er wohl das Interesse für Geographie und namentlich
seine Anschauung von einer dreifachen Religion: die wahre ist die der
Philosophen, nach der die Götter Naturkräfte sind, aber sie ist zu hoch
für das Volk, dem die Staatsmänner eine für seinen Standpunkt geeignete
Religion zurecht gemacht? haben, die umzustoßen verfehlt wäre. Daneben
steht die Religion der Dichter, die voll von törichten Erfindungen ist und
sich besonders für das Theater eignet (Schmekel, Philos. d. mittl. Stoa 448).
Daß auch die Meteorologie des Poseidonios auf V. gewirkt hat, zeigt Oder,
Phil. Suppl. 7, 309. 363. Auch in seinen sprachwissenschaftlichen Arbeiten
zeigt sich der stoische Einfluß, der hier besonders durch Aerius Stilo ver-
mittelt ist, s. § 167. Damit vertrug es sich bei dem damaligen Eklektizis-
mus, daß er sich in vielen Dingen und besonders in der Erkenntnistheorie
326 Ciceronische Zeit: J. 83—43 v. Chr.
an Antiochos von Askalon anschloß, dessen Zuhörer er in Athen gewesen
war (Cic. Acad. 1, 12). Darum läßt ihn Cicero in der Neubearbeitung der
Academica die Lehre des Antiochos vortragen, vgl. Att. 13, 12, 3 illam Ä-ku-
Si\\iw.r\v ad Varronem transferamus ; etenim sunt Antiochia, quae iste valde
probat. Auf dem Standpunkt des Antiochos steht auch, was August, civ. d.
19, 1 — 3 aus der Schrift de philosophia mitteilt; vgl. bes. 349, 15 quomodo
refutatis ceteris unam eligat, quam vult esse Academieorum veterum (quos a
Piatone institutos usque ad Polemonem . . habuisse certa dogmata vult videri
et ob hoc distinguit ab Academicis novis, quibus incerta sunt omnia . .) eam-
que sectam, idest veterum Academieorum, sicut dubitatione ita omni errore
carere arbitretur, longum est . . demonstrare. Zeller, Philos. d. Gr. 3, l4, 692.
3. Das Lob Italiens verkündet Varro in begeisterten Tönen vom Stand-
punkte des Landwirtes RR. 1, 2, 3 vos, qui multas perambulastis terras, ec-
quam eultiorem Italia vidistis? . . 6. contra quid in Italia utensile non modo
non nascitur, sed etiam non egregium fit? quod far conferam Campano? quod
triticum Apulo? quod vinum Falerno? quod oleum Venafro? non arboribus
consita Italia, ut tota pomarium videatur? usw. Ahnliche Schilderungen
kamen auch sonst vor, s. Geffcken, Herrn. 27, 381. Auch engerer Lokal-
patriotismus machte sich geltend; s. § 168, 2 und LL. 5, 53 Aborigines ex
agro Beatino, qui appellatur Palatium, ibi consederunt (Samter, Quaest. Varr.
25); namentlich ließ Yarro die Römer allerlei von den Sabinern entlehnen
(Wendling, Herrn. 28, 348). Die Schilderung, wie sich die römische Kultur
aus einfachen Zuständen allmählich entwickelte, ist von einer gewissen
Schwärmerei für das Altertum mit seiner größeren Einfachheit und Sitten-
reinheit durchsetzt. Norden JJ. 1901, 251. Als Landwirt führt er das aus
RR. 2 pr., zB. 3 quod nunc intra murum fere patres familiae conrepserunt
relictis falce et aratro et manus movere maluerunt in theatro ac circo quam
in segetibus ac vinetis, frumentum locamus qui nobis advehat, qui saturi fia-
mus ex Africa et Sardinia, et navibus vindemiam condimus ex insula Coa
et Chia. In diesem Sinne handelte er über die tönernen Götterbilder der
alten Zeit und über die berühmten Männer, die der Staat wegen ihrer Ar-
mut unterstützen mußte (Münzer, Beitr. 217. 264), über das den Frauen im
alten Rom auferlegte Verbot des Weingenusses (Wessner, Herrn. 41, 462).
Vgl. § 165, 3.
4. Varro folgt der Meinung, nach der die Römer Abkömmlinge der Tro-
janer und die lateinische Sprache ein Ableger des äolischen Dialektes ist
(vgl. RR. 3, 12, 6. LL. 5, 25. 101 f. fr. 270. 295 Fun.). Aus diesem itQ&tov
ipsvdog erklären sich viele falsche Konstruktionen, die er weniger selbst
macht als von anderen übernimmt; vgl. zB. über die Penaten § 166, 4. So
ist es auch durchaus möglich, obwohl leider nicht zwingend zu beweisen,
daß er die verfehlten', die römische Satura mit den griechischen Satyroi
und der Freiheit der alten Komödie in Beziehung setzenden Hypothesen in
Umlauf gebracht hat, vgl. § 6. Auch den Namen Italiens leitete er aus dem
Griechischen ab (fr. 125 Fun.).
165. Die Gesamtzahl der Schriften Varros7 wie sie uns durch
ein wohl auf ihn selbst zurückgehendes Verzeichnis bekannt ist,
belief sich auf ungefähr 620 Bücher, die 74 verschiedenen Werken
§ 165. Varro: Schriftenkatalog, Poetisches 327
angehörten. Von den poetischen Werken (den saturae, den
pseudotragoediae und poemata) kennen wir nichts als den Namen;
dagegen läßt sich aus den Bruchstücken der zwischen gebundener
und ungebundener Rede schwankenden Saturae Menippeae (150 Bü-
cher) einigermaßen ein Bild der Gattung gewinnen. Hier erreicht
Varro eine Frische und Lebhaftigkeit des Tones, die an Lucilius
erinnert.
1. Gell. 3, 10, 17 tum ibi addit (M. Varro in primo librorum, qui in-
scribuntur Hebdomades), se quoque iam duodecimam annorum hebdomadem
ingressum esse (also über 77 Jahre alt) et ad eum diem septuaginta hebdo-
madas librorum (also 490) conscripsisse. Auson. profess. Burdig. 20, 1 omnis
doctrinae ratio . . quantam condit sexcentis (rund) Varro voluminibus. Ein
weder sachlich noch zeitlich geordnetes, doch aus guter Quelle, nämlich
aus Varro selbst, geschöpftes Verzeichnis der Schriften Varros gab Hiero-
nymus in einem der (verlorenen) Briefe ad Paulam (vgl. Hieron. de vir.
illustr. 54). Einige Anführungen daraus enthält Rufin. apol. 2, 20. Das
Verzeichnis des Hieronymus selbst aber fand sich in einer Hs. zu Arras in
der praefatio von Rufins Übersetzung der Homilien des Origenes zur Ge-
nesis: im J. 1847 veröffentlicht und erläutert in der Hauptabhandlung über
die Schrifts teilerei Varros von Ritschl, op. 3, 419. Ein Faksimile der Hs.
ebd. 506. Dann von Pitra, Spicil. Solesm. 3 (Par. 1855), 311 (vgl. p. i) und
(nach zwei Pariser Hss. der Homiliae in Genesim) von Chappuis, Sentences
de Varron (Par. 1856) 117. Vgl. Ritschl, op. 3, 524. Das Verzeichnis gibt
sich selbst als unvollständig (et alia plurima, quae enumerare longum est.
vix medium descripsi indicem et legentibus fastidium est), und enthält 39
oder (bei Einzelzählung der in einen Posten zusammengefaßten inhaltlich
nicht bestimmbaren singulares libri X, also }iov6ßißloi) 48 Nummern (mit
490 einzelnen Büchern), worin aber 21 uns aus sonstigen Anführungen be-
kannte fehlen. Das Verzeichnis muß aus Varros Vorrede zu den Hebdo-
mades stammen (s. o.), also ist die Zahl von 490 Büchern unbedingt zuver-
lässig und Hieron. hat nur an den einzelnen Titeln gekürzt. Es lehrt uns
Varros Schriftstellerei bis zum J. 39 oder, da die später verfaßten rerum
rust. libri aufgenommen sind, bis zu einem etwas späteren Termin kennen.
AKlotz, Herrn. 46, 1; doch s. Hendrickson, Cl. Ph. 6, 334. Die in diesem
Verzeichnis genannten Titel werden im folgenden mit einem * bezeichnet.
Hiernach hat Ritschl, op. 3, 485, die Gesamtzahl der von Varro überhaupt
verfaßten Werke auf 74, die Zahl der Bücher annäherungsweise auf 620
berechnet, so daß also auf die letzten in vollständiger Muße verbrachten
11 — 12 Lebensjahre Varros 130 Bücher fallen würden. Dem letzten Teile
seines Lebens gehören die wichtigsten und umfangreichsten Werke an,
seinen früheren Jahren aber die poetischen und rednerischen Arbeiten, na-
mentlich die saturae Menippeae und die logistorici. — Auffällig sind in
dem hieronymianischen Verzeichnis die drei zusammenstehenden imto^icd der
Antiquitates (§ 166, 4 gE), der Imagines (S. 335, Z. 8 v. u.), der BB. de 1. 1.
(§ 167, 2E.): es ist klar, daß Varro diese selbst veranstaltete.
2. Von Varros Arbeiten in metrischer Form waren vor der Ver-
328 Ciceronische Zeit: J. 83—43 v. Chr.
öffentlichung des Verzeichnisses des Hieronymus nur Epigramme zu den
Imagines und Verse aus den saturae Menippeae bekannt (s. u.). Wie sich
Varro in den Menippeae an den Kyniker Menippos anlehnte, so mag er in
den * pseudotragoediarum libri VI, die gewiß nicht für die Bühne bestimmt
waren, die tgaycodiai der Kyniker Diogenes nnd Oinomaos oder des Sillo-
graphen Timon zum Vorbild genommen haben. Rohde, gr. Rom. 249. Cru-
sius, lit. Centr.-Bl. 1887, 279. Ritschl, op. 3, 527. Dieterich, Pulcinella 82.
Gerhard, Phoinix von Kolophon 234. — Dann * poematum libri X; vgl.
Diom. GL. 1, 400 Varro in poetico libro. Varro bei Non. 428 verba plura
modice in quandam coniecta formam. — * Satirarum libri IUI, etwa in der
Art der Lucilischen und im Gegensatz zu den menippeischen (A. 3) ganz
in Versen? Aber Horaz nennt niemals den Varro als seinen Vorgänger in
der Satire. Schwerlich meint er ihn S. 1, 10, 47. Ritschl, op. 3, 431. — Auf
ein Lehrgedicht Varros de rerum natura hat man geschlossen aus Quint.
1, 4, 4 (die Grammatik könne nicht ignara philosopkiae sein vel propter
Empedoclea in Graecis, Varronem ac Lucretium in Latinis, qui praecepta
sapientiae versibus tradiderunt), den Lactant. div. inst. 2, 12, 4 {Empedocles
. . de rerum natura versibus scripsit, ut apud Romanos Lucretius et Varro)
ausschreibt, in jedem Falle ohne Grund, auch wenn Quint. nicht wie Vellei.
2, 36, 2 auctores carminum Varronem ac Lucretium den Ataciner meint
(s. § 212, 1). Vgl. ARiese, Varr. sat. Men. 16. Reifferscheids Sueton 408.
3. *Satirarum Menippearum libros CL nennt Hieronymus (A. 1).
Quint. 10, 1, 95 alterum illud etiam prius satirae genus, sed non sola carmi-
num varietate mixtum condidit Terentius Varro (vgl. LMüller, RhM. 24, 140).
Probus zu Verg. Ecl. 6, 31, p. 336, 22 (auch fr. 261 F.): Varro . . Menippeus
(Athen. 4, 160c Ovccqqcov 6 MsvLn-jiziog iTCiKccXoviLSvos), non a magistro, cuius
aetas longe praecesserat, nominatus , sed a societate ingenii, quod is quoque
(Menippus) omnigeno carmine satiras suas expoliverat (vgl. Rohde, griech.
Roman 249). Titel einer varron. Satire: Tucpr] Msvitckov. Cic. Acad. post. 8
(J. 45 ; Varro spricht) : in Ulis veteribus nostris, quae Menippum imitati non
interpretati quadam hilaritate conspersimus , multa admixta ex intima philo-
sophia, multa dicta dialectice. ebd. 9 (Cicero redet den Varro an ; vgl.
§ 164, 2) atque ipse varium et elegans omni fere numero poema fecisti: eine
Stelle, die sich wohl auch auf diese Menippeae bezieht, obwohl poema von
einem 150 Bücher umfassenden und zugleich Prosa enthaltenden Werke
nach Ausdruck und Numerus auffällt. Gell. 2, 18, 7 Menippus, cuius libros
M. Varro in satiris aemulatus est, quas alii cynicas, ipse appellat Menippeas.
Der Kyniker Menippos aus Gadara (um J. 250 v. Chr., über ihn Wachsmuth,
sillogr. gr.2 78. Helm, Lucian u. Menipp, Lpz. 1906) hatte als öitovdoys-
Iolos Fragen des Lebens und der Philosophie in lustigem Tone und mit
häufigen Seitenhieben auf Anhänger anderer Systeme in einer mit Versen
untermischten Prosa abgehandelt; seine Weise ist noch aus seinem Nach-
ahmer Lukianos zu erkennen. Ein sicherer Fall von Nachahmung liegt
fr. 269 if. vor (Himmelfahrt, Norden 269); übrigens soll der Titel Menippeae,
wie auch Cic. aO. sagt, mehr die Gleichheit des Tones, der Behandlung
und der Themen als eigentliche Nachahmung bedeuten. Man darf auch
nicht vergessen, daß es eine ausgedehnte an Menippos anknüpfende oder
sich in ähnlichem Fahrwasser bewegende Literatur gab, die auch auf Varro
§ 165. Varro: Saturae Menippeae 329
eingewirkt hat. Für Varro erhellt die Mischung von Prosa und Poesie außer
der Stelle des Probus auch aus den Überresten (s. auch fragm. 58 B.); sie
beruht z. T. auf den reichlichen Zitaten aus älterer Poesie (zB. Plautus,
Lucilius). — Es finden sich in den Fragmenten der Menippeae Varros be-
sonders häufig die bei ihm stets beliebten Rügen des Abfalls der Gegen-
wart von der Einfachheit der alten Zeit, zB. in iieqI iSsß^dtcov (Hense, RhM.
61, 1). Bunt war die Einkleidung (zB. barocke Personifikationen von Be-
griffen): Gelehrsamkeit und Leben, Mythologie und Geschichte, Vergangen-
heit und Gegenwart lieferte den Stoff; im Parmeno wurde die Poetik, in
"Ovog IvQccg der Wert der Musik behandelt (Holzer, Varroniana, Ulm 1890).
Pseudulus Apollo nsgl fts&v dtayvooascog verspottete den überhandnehmen-
den Serapiskult, im Prometheus über war die Zweckmäßigkeit der Menschen-
schöpfung erörtert (Norden, JJ. Suppl. 19, 428). Namentlich fanden sich,
wie auch bei Menippos, Verhöhnungen der Philosophen und ihrer Streitig-
keiten (Armorum iudicium, loyo^ia%ia, nsgl ccIqsöscov, tacpi] MeviTtnov, Pe-
riplu lib. II Ttegl cpiloöocpLccg: diese die einzige aus mehreren Büchern be-
stehende Satire; gegen die Astronomen richtet sich der Marcipor: Norden
269) und viele Beziehungen auf die Kyniker (Cynicus, l7t7toy.vav, kvvoSi-
da6y.ccliKoc. (von Norden, Ind. Greifsw. 1895, xn in die Zeit um J. 58 gesetzt),
xvvoQrJT(OQ, vSqoxvcov, vgl. Enaack, Herrn. 18, 148). In dem Titel aKicciia%Lcc
tcsql tvcpov erscheint eines der beliebtesten kynischen Schlagworte (Norden
311). Die Anlage ist häufig dialogisch, und Varro scheint dabei manchmal
in eigener Person aufgetreten zu sein (Anreden Varro, Marce [562 B. 60.
175. 505]; vgl. die Titel Marcopolis, Marcipor und Bimarcus); s. fr. 59 cum
Quintipor Clodius tot comoedias sine ulla fecerit musa, ego unum libellum
non edolem (ut ait Ennius)? Den Gedankengang werden wir uns in der
Weise der horazischen Satiren, locker und abspringend, vorzustellen haben;
daher ist eine Rekonstruktion nur selten möglich (vWilamowitz, Herrn. 34,
227). Das Ganze war offenbar eines der eigenartigsten Werke der römischen
Literatur, voll Geist und Gemüt, in Vielem den lucilischen Satiren eben-
bürtig; aber noch mehr von der Popularphilosophie abhängig. — Neben
vielem Volkstümlichen (Sprichwörter, Wortspiele, Derbheiten, Alliteration,
Deminutiva) findet sich auch Griechisches zahlreich eingemischt, einzelne
Worte wie ganze Verse. Die angewandten Versmaße sind sehr mannigfaltig
und wirklich omni fere numero gehalten; dabei meist streng durchgeführt.
Die iambischen Verse, bes. Senare, überwiegen; nächstdem Trochäen, iam-
bische und trochäische Skazonten, Hexameter (und Disticha), Anapäste; aber
auch Sotadeen (Lachmanns kl. Sehr. 2, 68), Galliamben, Hendekasyllaben,
Glykoneen, Kretiker, Bakchien. Büchelers Petronius (1904) p. 249. Über-
reste sind fast nur durch Nonius erhalten; die größte Zahl fällt auf die
Eumenides. Für die Ausscheidung des zu den saturae Menippeae Gehörigen
gibt Gellius die besten Anhaltspunkte, danach die Verzeichnisse bei Vahlen
aO. 203 und ARiese 38. Die Titel sind oft mythologisch und beruhen auf
allegorischer Mythendeutung, zB. Endymiones Eumenides Meleagri Sescu-
lixes, bald griechisch (zB. nsgi %cüqi6{lov d. h. über die Trennung der Seele
vom Körper; %a> 6s, itsol tv%r\g'. Norden, RhM. 48, 450) bald lateinisch, gern
aus einem Sprichwort bestehend (nescis quid vesper serus vehat; cras credo,
hodie nihil; longe fugit qui suos fugit; mutuum midi sedbunt; ccXXog ovtog
330 Ciceronische Zeit: J. 83—43 v. Chr.
*HQa.Y.Xf]s\ dlg Tcaldsg ol yiqovtsg u. a.), viele doppelt, zB. Äborigines tveqI
ocvd'gdi'jtcov cpv6scos; Est modus matulae 7tsgl itsd"r}g; Desultorius tcsqI tov
yguysiv; svqev i} XoTtäg tb it&^a nsgl ysya(ir}7t6ta)v usw. Solche Doppeltitel
zB. auch bei dem Kyniker Oinomaos und sonst in der kynischen Literatur
(§ 166, 2). Oft sind sie doppeldeutig, indem zB. Modius auf das Maßhalten
hinweisen soll (Norden 272). Über Manius fder Frühaufsteher' s. Lafaye,
Rev. Phil. 19, 211. Auf eine Satire des V. führt Geffcken, Kynika u. Ver-
wandtes, Heidelb. 1909, 58, Tertullians Schrift de pallio zurück — kaum
mit Recht. — J. 45 läßt Cicero (Acad. post. 8) den Varro diese Satiren
vetera sua nennen. Natürlich erstreckte sich aber die Herausgabe dieses so
umfänglichen Werkes über eine Reibe von Jahren: so schrieb Varro den
Sexagessis erst nach seinem 60. Jahr (s. fragm. 485. 491. 493 f. B.) und auch
den ysQovtodidd6Kcc%og (181 ff. B.) und den Tithonus tcsqI yiJQcog (544 ff. B.)
augenscheinlich erst als Greis. In der yL06^otoQvvr\ nsgl y&ogäg -noofiov
(225 B.) ist wahrscheinlich die Schlacht bei Thapsus (J. 46) erwähnt. Der
Tgindgavog (§ 166, 3), falls er hierher gehört, war J. 60 verfaßt. — Sonst
unbekannt ist Scantius im fr. 142 B. ut scribit S. rhorno per Dionysia? (der
Name auch Cic. Mil. 75. Plin. NH. 2, 240. WSchulze, Zur Gesch. lat.
Eigenn. 226).
4. Neuere Sammlungen der Überreste der sat. Men. von ARiese (Lpz.
1865) und Bücheler in d. kl. Ausg. d. Petronius (5Berl. 1912). — Plessis-
Lejay, La Menippee de V., Paris 1911. Merckltn, die Doppeltitel der var-
ron. Menippeae u. Logistorici, RhM. 12, 372; vgl. Phil. 13, 713. ENorden,
JJ. Suppl. 18, 267. — Mommsen, RG. 36, 603.
166. Die prosaischen Schriften Varros erstreckten sich
fast über alle Gebiete des Wissens und der literarischen Tätigkeit :
Beredsamkeit, allgemeine und Literaturgeschichte, Jurisprudenz,
Grammatik, Philosophie, Geographie, Landwirtschaft usw. Trotz
seiner enzyklopädischen Richtung hat Varro doch immer vorzugs-
weise das eigene Vaterland und dessen Vergangenheit im Auge be-
halten und durch diesen Teil seiner Schrift stellerei mittelbar und
unmittelbar noch lange einen großen Einfluß ausgeübt. Namentlich
die christlichen Kirchenväter, und unter diesen ganz besonders
Augustinus, haben ihn fleißig gelesen und benützt. Wenn wir von
der älteren römischen Religion noch einen Begriff haben, so ist es
fast ausschließlich Varros Verdienst. Die bedeutendsten unter den
prosaischen Schriften Varros waren die Antiquitates rerum huma-
narum et divinarum, die sich auch am längsten im literarischen
Verkehr behaupteten, die Bücher de lingua latina, rerum rustica-
rum, die Enzyklopädie der artes liberales (Disciplinarum libri), und
die Imagines.
1. Reden: *Orationum libri XXII und *Suasionum libri III. Daß erstere
nicht gehaltene Übungsreden (Flugschriften) waren, ist möglich, aber nicht
zu beweisen; dazu gehört wohl Varros laudatio Porciae (Cic. Att. 13,48,2).
§ 166. Varro: Reden, Logistorici 331
Die Suasiones waren gewiß politischen Inhalts. Jedes Buch bestand wohl
aus einer Rede. Ritschl, op. 3, 433. 492.
2. * Aoy latOQt'Kcbv libri LXXVI, Erörterungen philosophischen (beson-
ders ethischen) Inhalts (loyoi) mit einem reichen Beiwerk geschichtlicher
Belege (lötogica) aus Sage und Geschichte, vielleicht in der Weise des
Herakleides Pontikos, und wie Ciceros Cato und Laelius ernsthaft und po-
pulär gehalten; in Prosa, mindestens teilweise dialogisch. Jedes Stück hatte
einen Doppeltitel, dessen erste Hälfte der Name einer lebenden oder ge-
storbenen Person bildete, die mit dem Thema in irgend welcher Beziehung
stand und. die vielleicht jedesmal hauptsächlich das Wort führte, während
die zweite Hälfte den Inhalt in lateinischer Sprache angab; z. B. Atticus
de numeris (pythagoreische Zahlenlehre? Schanz, RhM. 54, 25); Catus de
liberis educandis; Messala de valetudine; Curio de deorum cultu, von dessen
Benutzung bei Späteren man sich eine Zeitlang übertriebene Vorstellungen
machte (Agahd, JJ. Suppl. 24, 8); Marius de fortuna (Norden, RhM. 48, 540);
Orestes de insania; Fundanius vel Gallus de admirandis (vgl. Havet, Rev.
phil. 7, 177. Lafaye, Metam. d'Ovide 212; Fund, war Varros Schwiegervater) ;
Sisenna de historia. Merkwürdig Censorin. 9, 1 transeo ad opinionem Pytha-
goricam Varroni tracta- tarn in libro, qui vocatur Tiibero et intus (f weiter
unten') subscribitur de origine humana. fScaurus' handelte über Theater-
geschichte (Norden, RhM. 48, 529). Abfassungszeit wohl im höheren Lebens-
alter, um J. 50 v. Chr. Noch Apoll. Sidon. ep. 8, 6 E. Varronem logistori-
cum . . misi. Ritschl, op. 3, 403. 440. 482. 493. ARiese, Yarr. sat. Menipp.
32. 53 und die Überreste (besonders zahlreich aus dem Catus) ebd. 247.
Krahner, Varronis Curio de cultu deorum, Friedland 1851 (vgl. Schwarz JJ.
Suppl. 16, 445). Mercklin, Phil. 13, 728. Chappuis, fragm. des ouvrages de
V. intitules Logistorici, Hebdomades, . . de forma philosophiae , Par. 1868.
Hirzel, Dialog 1, 329.
3. Zeitgeschichtliches: *Legationum libri III und *de Pompeio III,
sowie *De sua vita libri III (Charis. GL. 1, 89, 28 Varro de vita sua); die
ersteren behandelten wohl Varros Tätigkeit als Legat des Pompeius, im
Seeräuberkriege, gegen Mithridates und in Spanien; s. § 164, 1. Oehmichen,
acta Lips. 3, 432; Plinian. Stud. 27. Reitzenstein , Herrn. 20, 517. Münzer,
Beitr. 275. Die Schrift über Pompeius war wohl zu dessen Verteidigung
geschrieben. Ritschl, op. 3, 436. Appian. b. c. 2, 9 (vom J. 60) ncd nq ccv-
t&v (der Triumvirn Pompeius, Caesar und Crassus) tijvSs rrjv 6v\icpQ06vvr\v
övyygacpsvg Ovccqqcov svl ßLßXioi TtsgiXccßcbv i7t8yQUips Tqlxccqccvov (vgl. § 165,
3 E.). Hierher gehört auch der schon J. 71 (Pompeius cum initurus foret
consulatum, Gell.) verfaßte ElöccycnyL-abg (vgl. § 2, 3) ad Pompeium, ex quo
disceret quid facere dieereque deberet cum senatum consuleret (Gell. 14, 7, 2).
S. § 166, 6, d.
4. Werke zur römischen Altertumskunde, a) *Antiquitatum
libri XLI (im hieronymianischen Verzeichnis unrichtig XLV), eine römische
Altertumskunde, die nach sachlichen Gesichtspunkten in zwei Hälften zer-
fiel: rerum humanarum in 25 Büchern (vier Teile von je sechs Büchern,
nebst Einleitungsbuch), und. sodann (quod prius exstiterint civitates , deinde
ab eis res divinae institutae sint, Augustin. civ. d. 6, 4) 16 rerum divina-
rum (fünf Teile von je drei Büchern, gleichfalls mit einem Buche Einlei-
332 Ciceronische Zeit: J. 83—43 v. Chr.
tung); Augustin. civ. d. 6, 3: XLI libros seripsit antiquitatum ; hos in res
humanas divinasque divisit, rebus humanis XXV, divinis XVI tribuit. In
den res humanae legte der Verf. seiner Einteilung (vgl. auch Varro bei
Nor.. 92, 11) die Fragen zugrunde: qui (homines) agant, ubi, quando, quid
agant entsprechend dem stoisch-grammatischen Schema ysvscdoyixov, xoiti-
%6v, %qovikov, nguy [iccr lkov (Usener, Sehr. 2, 286); desgleichen in den res
divinae die entsprechenden: qui (homines) exhibeant, tibi, quando, quid ex-
hibeant, dazu kommt dann hier noch die Frage: quibus exhibeant (nämlich
deis). Aus der (bes. für die res divinae) genauen Inhaltsübersicht bei Au-
gustin. aO. ergibt sich folgende streng gegliederte Einteilung des ganzen
Werkes: I. Rerum Humanarum Libri XXV (vgl. August, civ. d. 6, 4 rerum
humanarum libros non quantum ad orbem terrarum, sed quantum ad solam
Momam pertinet seripsit): Buch 1 allgemeine Einleitung (librum unum sin-
gularem qui communiter prius de omnibus loqueretur in capite posuit). Buch
2- — 7 de hominibus (römische Geschichte mit Bevorzugung der Kulturge-
schichte). 8 — 13 de locis (Geographie des römischen Reiches mit starker
Bevorzugung Italiens: in B. 8 war Rom, in B. 11 Italien behandelt, so daß
für den Rest von Europa und Asien und Afrika nur B. 12. 13 übrig blieben.
Später benutzt von Verrius Flaccus, Hyginus de urbibus Italicis, Plinius u.
a.; Reitzenstein , Herrn. 20, 516. 530. Klotz, Quaest. Plin. geogr. 9. 104
u. ö. Samter aO. 72. 14 — 19 de temporibus (s. Gell. 3, 2, 1 Varro in
libro rer. human., quem de diebus seripsit. Serv. Aen. 8, 526 Varro de sae-
culis. Über diesen Abschnitt Kettner, krit. Bern, zu Varro usw., Halle
1868, 14. Gruppe, Herrn. 10, 51. Münzer, Beitr. 209. Willemsen, De Varron.
doctrinae vestigiis 8). 20 — 25 de rebus (Gell. 1, 25, 1 Varro in libro hu-
manarum qui est de bello et pace). — Jedenfalls lag dem Cic. Acad. 1, 9
(J. 45) das Werk vor; eine frühere Abfassung (um J. 56) sucht Norden, Ind.
Greifsw. 1895 p. xiv zu beweisen. — II. Rerum Divinarum Libri XVI: Buch 1
allgemeine Einleitung (et istorum exordio unum singularem, qui prius de
omnibus loqueretur, apposuit). B. 2 — 4 de hominibus (2 de pontifieibus.
3 de auguribus. 4 de xvviris sacrorum). 5 — 7 de locis (5 de sacellis. 6 de
sacris aedibus. 7 de locis religiosis). 8 — 10 de temporibus (8 de feriis,
9 de ludis circensibus. 10 de ludis scaenicis). 11 — 13 de sacris (11 de
consecrationibus.! 12 de sacris privatis. 13 de sacris publicis). 14 — 16 de
deis (14 de deis certis. 15 de deis incertis. 16 de deis praeeipuis atque
selectis). — Die rer. divin. libri suchten dem Verfalle der Staatsreligion
entgegenzuwirken und waren ad Caesarem pontificem gerichtet (Augustin.
civ. de 6, 2 se timere ne pereant [sc. di\ non ineursu hostili, sed civium ne-
glegentia, de qua illos velut ruina liberari a se dicit. 7, 35. Lactant. inst. 1,
6, 7), somit wohl Ende 47 herausgegeben. Sie bildeten das Hauptwerk über
römische Religion, die Varro in allen, selbst den kleinsten Lebensäußerun-
gen beobachtet und durchforscht hatte. Die ungemein fleißige Sammlung
und die Erhaltung des bei früheren Antiquaren und Annalisten verstreuten
Materiales entschädigt für die verzerrte Darstellung der römischen Religion,
die Varro in den Rahmen der stoischen, speziell der Poseidonischen Theo-
rien hineinzwängte (s. § 164 a 2). Wenn er die Penaten aus Troia her-
leitete (Wissowa, Ges. Abh. 95), so folgte er wenigstens einer patriotischen
Tendenz (§ 164a 3); aber er war überhaupt bereit, römische Götter mit
§ 166. Varro: Antiquitates 333
griechischen zusammenzuwerfen und jede sich bietende Kombination auf-
zugreifen, so daß er das Wesen der römischen Religion auf lange Zeit hin-
aus verdunkelt hat. Über die willkürliche Zusammenstellung der Listen der
Sondergötter s. Wissowa, Ges. Abh. 304. Otto, RhM. 64, 449. In B. 1 war
nach der Art des Poseidonios zuerst die Doxographie gegeben, dann über
die Unsterblichkeit der Seele und die theologia mythica, physica und civilis
gehandelt. Die Einteilung der Götter in B. 14 — 16 hat mit ihrem innern
Wesen nichts zu tun, sondern ergibt sich daraus, daß bei einigen Göttern,
besonders denen der indigitamenta, über Natur und Wirkungskreis kein
Zweifel sein konnte (certi), während über die eigentliche Bedeutung anderer
gestritten wurde. Unter di praecipui atque selecti verstand er 20 Götter,
die vom römischen Volke besonders verehrt und durch Tempel und Statuen
ausgezeichnet wurden. Agahd 126. — Uns sind besonders B. 1. 14 — 16 durch
die Kirchenväter, vor allem durch Augustin. civ. dei bekannt; die Reste dieser
Bücher am besten bei Agahd, JJ. Suppl. 24, 1; die von B. 16 auch bei
ESchwarz, De Varr. ap. sanctos patres vestigiis, JJ. Suppl. 16, 405; die von
B. 1 auch bei Schmekel, Philos. d. mittl. Stoa 117. Varro hat von dem
reichen Stoffe, den er in diesem seinem Hauptwerke gesammelt hatte, selbst
ausgiebigen Gebrauch gemacht und vieles daraus in späteren Schriften
wiederholt (§ 164a iE); s. auch Kriegshammer, Comm. Jen. 7, 87. 101. Viel-
leicht hat schon Cicero in nat. deor. B. 3 Varros Material benutzt; s. Bo-
beth, De indicibus deorum, Lpz. 1904, 24. Vom ganzen Werke gab es
auch eine kürzere Bearbeitung: *£;wroft>] antiquitatum ex libris XLI[I]
libri Villi: s. § 165, 1 gE. Ritschl, op. 3, 444. Krahner, de Varr. antiq.
.. libris XLI, Halle 1834; ZfAW. 1852,385. Mercklin, Phil. 13,731. Zu-
sammenstellung und Erläuterung der Überreste bei RMerkel in s. Ausg.
von Ovids Fasti p. cvi. Mirsch, de Varr. antiq. rer. humanarum libris (mit
Fragmentsammlung), Lpz. Stud. 5, 1 (dazu Gruppe, Phil. Wschr. 1883, 464).
JFrancken, fragmenta Varronis in libris Augustini de civ. dei, Leid. 1836.
Die grammatischen Fragmente auch GRF. 1, 228. Lüttgert, Theologu-
mena Varroniana a s. Augustino in iudicium vocata, Sorau 1858. 1859.
LMercklin, de Varrone coronarum Rom. interprete, Dorp. 1859. Über die
Benutzung der Antiq. rer. human, bei den späteren s. Gruppe, Comment.
Momms. 540.
b) *Annalium libri III, wohl ein chronologischer Abriß wie der annalis
des Atticus und die chronica des Cornelius Nepos. Ritschl, op. 3, 447.
Urlichs, Anfänge der griech. Künstlergesch. 35; die Quellenregister zu Plin.
S. 17. Daß diese annales (Charis. GL. 1, 105, 6 Varro ... in annali) ebenso
wie die res urbanae (unten g) entstellt seien aus Antiquitates rerum huma-
narum, ist eine haltlose Vermutung Gruppes Comment. Mommsen. 541.
550. 825. Vgl. Sanders, Amer. J. Archeol. 23, 28.
c) *de vita populi romani (vgl. Dikaearchs Biog 'EXXddog-, vgl. Varro
RR. 1, 2, 16) libri IUI, an Atticus gerichtet (Charis. GL. 1, 126), nach den
Überresten (gesammelt von Kettner p. 21) eine Art Kulturgeschichte; auch
hier war besonders auf das allmähliche Steigen des Luxus geachtet. Es
war z. B. von den Spielen die Rede, von Hochzeitsriten, von der Nahrung,
vom Hausgerät, aber auch das staatliche Leben war behandelt. Abfassung
vielleicht um J. 43 (Ritschl, op. 3, 450). Boissier aO. 188. HKettner,
334 Ciceronische Zeit: J. 83—43 v. Chr.
Varronis de vita pop. rom. . . quae exstant, Halle 1863. Wessnek, Herrn.
41, 460. Kriegshammer, Comm. Jenens. 7, 111.
d) de gente populi rom. vier Bücher; s. Arnob. adv. nat. 5, 8 Varro . .
in librorum quattuor primo, quos de gente conscriptos Born, pop. dereliquit,
curiosis computationibus edocet ab diluvii tempore (der deukalionischen) ad
usque Hirti consulatum et Pansae (J. 43) annorum esse milia nondum duo.
Somit verfaßt im J. 43 oder kurz darauf; ein Versuch, die römische Ge-
schichte in die Weltgeschichte einzureihen und damit gleichsam den ge-
schichtlichen Stammbaum des römischen Volkes aufzurichten; Rom erschien
hier als der Erbe der orientalischen Weltreiche (Roth, Leben d. Varro 27.
Trieber, Herrn. 27, 321). Diese Genealogie wurde, nach einer chronologischen
Einleitung, über die sikyonische und athenische Königsreihe (B. 1 u. 2) auf
die latinische (B. 3) und dann die römische (B. 4) weiter geführt, mit be-
sonderer Berücksichtigung desjenigen, quid Momani a quaque traxerint
gente per imitationem (Serv. Aen. 7, 176). Varro folgte hier der Ansicht
des Poseidonios, nach der die Größe der Römer besonders in der Fähigkeit
bestand, sich Fremdes anzueignen; vgl. RSchöll, Herrn. 11, 337. Wendling,
Herrn. 28, 335. Die] Schrift ist in der ersten Hälfte von AugusTiN. de civ.
d. Buch 18 stark benützt; s. bes. c. 2. 13. Francken, fragm. Varr. 124.
Kettner, varronische Studien (Halle 1865) 38; die Überreste ebd. 63 und in
Peters HRF. 228; HRR. 2 p. 10; RhM. 57,231. Fraccaro, Studi Varroniani,
Padua 1907.
e) de familiis Troianis (römische Patrizierfamilien, die von Aeneas oder
seinen Genossen abstammen wollten) in mehreren Büchern (Serv. Aen. 5, 704
Varro in libris quos de familiis Troianis scripsit). Vgl. Ritschl, op. 3, 445.
Hertzberg zu s. Übers, d. Aeneis 5, 116. S. 369. Samter aO. 17.
f) Aetia {Axxiu, nach dem Vorgange des Kallimachos) , Erklärung (der
ratio, causa) römischer Gebräuche bes. des Privatlebens, mittelbar die Haupt-
quelle für Plutarchs Aixia. (Jcof(caxa, deren unmittelbare Quelle Juba sein
wird; nur zweifelt man, ob Juba selbst den Varro benutzte oder ob er das
Varronische erst aus zweiter Hand hat. Mercklin, Phil. 3, 267. 13, 710.
Thilo, de Varrone Plut. auctore praecipuo, Bonn 1853 (dazu Samter aO. 40).
Lagus, Plutarchus Varronis studiosus, Helsingf. 1847. Ritschl, op. 3, 451.
FLeo, de Plutarchi quaestionum roman. auctoribus, Halle 1864. Glaesser,
de Varron. doctrinae ap. Plut. vestigiis, Lpz. Stud. 4, 157. Litt, RhM. 59, 603.
g) *rerum urbanarum libri III (vgl. Charis. GL. 1, 133 Varro de rebus
urbanis III), vielleicht eine Geschichte der Stadt Rom hauptsächlich aus
topographischen Gesichtspunkten. Ritschl aO. 449. Boissier aO. 169. OJahn,
Herrn. 2, 235.
h) tribuum über (angeführt von Varro LL. 5, 56), nach OMüller nur
ein Spezialtitel der Ant. rer. hum. Benutzt in den Tribusartikeln des Festus?
s. Mercklin, quaest. Varr. (Dorpat 1852) 5. Kriegshammer 90. Bormann,
Eranos 345.
Alle diese Schriften (b— h) sind Ergänzungen und weitere Ausführungen
des in den Antiq. rerum humanarum behandelten Stoffes. Dagegen kehrt
der in den res divinae erörterte Stoff in keiner Spezialschrift wieder: ob
das Zitat des Macrob. sat. 1, 16, 19 Varro in augurum libris richtig ist
(statt libro, nämlich antiquitatum), ist zweifelhaft, s. Ritschl, op. 3, 480.
§ 166. Varro: Antiquarische und literarhistorische Schriften 335
5. Literarhistorisches: *de bibliothecis III, wohl mit seiner Berufung
zum Bibliothekar zusammenhängend (vgl. fr. 297 F.). Traube, Abh. 1,103; *de
proprietate scriptorum III (stilistisch = tcsqi %aQay.xf]QO£ci Ritschl, op. 3, 463.
Usener, Sehr. 2, 284); de poetis (die römischen) in mehreren Büchern (Gell.
1, 24, 3 epigramma Plauti . . a M. Varrone positum in libro de poetis primo),
enthielt u. a. die für die Folgezeit maßgebenden chronologischen Untersu-
chungen (Leo, PF. 65. GRF. 1, 209); *de poematis III (wohl eine Art Poetik.
GRF. 1, 213, vgl. 319); *de lectionibus III (über die Rezitationen? Ritschl
aO. 460); de compositione saturarum (Non. 67). Insbesondere die drama-
tische Literatur, und innerhalb dieser namentlich Plautus, wurde von Varro
in einer Reihe von Schriften behandelt (Ritschl aO. 455). So *de origini-
bus scaenicis III, benutzt von Val. Max. und Plinius (Cichorius, Comment.
Ribbeck 417. Münzer, Beitr. 145. Leo, Herrn. 39, 75. GRF. 1, 215); *de
scaenicis actionibus (Aufführungen) III (so Hieronymus; bei Charis. GL. 1,95
Varro de actionibus scaenicis V; vgl. de dub. nomin. GL. 5,590. GRF. 1,323);
*de actis scaenicis III (so bei Hieron., dh. über die dramatischen Urkunden,
die Didaskalien; diese Schrift war wohl die Quelle für die uns erhaltenen
dramaturgischen Notizen, s. § 109, 4 u. FSchoell, RhM. 31, 471. GRF. 1,
219. — Ritschl, op. 3, 457 schrieb de actibus scaenicis = üb. die Aktein-
teilung); *de personis (Masken der Schauspieler) III; *de descriptionibus
(Charakterschilderungen?) III; *quaestionum Plautinarum V (wohl zur Er-
klärung einzelner dunkler Ausdrücke) und de comoediis Plautinis (über
echte und unechte Stücke, vgl. § 96, 4. GRF. 1, 220) mehrere Bücher (M
Varro in libro de comoediis PI. primo, Gell. 3, 3, 9). Servius Aen. 10, 894
(ut etiam Varro in ludis theatralibus docet) meint eher das Buch 10 der
Antiq. rer. div., das de ludis scaenicis handelte (s. oben S. 332, Z. 14 v. u.)
als die Einzelschrift de scaenicis actionibus. — Ein besonders merkwürdiger
Bestandteil der literarhistorischen Schriften Yarros sind seine
*Imaginum libri XV oder Hebdomades, ein biographisches Bilderbuch,
herausgegeben um J. 39 (Gell 3, 10, 17). Es enthielt außer dem prosaischen
Text 700 Bildnisse griechischer und römischer Berühmtheiten (Könige und
Feldherren; Staatsmänner; Dichter; Prosaiker; Fachmänner; Künstler; auf
andern Gebieten) mit je einem (metrischen) elogium. Das erste Buch bil-
dete wohl die Einleitung nebst den 14 Urvätern der in den folgenden Bü-
chern aufgestellten Gattungen; die weiteren 14 Bücher (oder 7 Zweibücher-
Gruppen, die geraden Zahlen für die Nichtrömer, bes. die Griechen, die un-
geraden für die Römer) enthielten wohl je 7 Hebdomaden oder 49 imagines
(14 x 49 = 686 -j- 14 = 700). Die Gliederung nach der Siebenzahl hing
mit Varros Neigung zur Zahlenspielerei zusammen, die er dem wiederauf-
blühenden Pythagoreismus verdankte; vgl. die 490 Bücher § 165, 1. Es gab
auch (wohl später) eine billigere (Volks-) Ausgabe, aber schwerlich ohne Bil-
der, *>E7tLto[i7]v ex Imaginum libris XV libros IUI. Vgl. § 165, 1 gE. Ritschl,
op. 3, 554. Nach Usener, Sehr. 3, 148 war das Werk eine buchhändlerische
Spekulation, bei der Varro in den Dienst des Atticus trat. Plin. NH. 35, 11
imaginum amorem flagrasse quondam testes sunt Atticus ille Ciceronis (s. § 172,
2, d) et M. Varro benignissimo invento, insertis voluminum suorum feeundi-
tati septingentorum inlustrium aliquo modo imaginibus. . . inventor muneris
etiam dis invidiosi, quando (die Berühmtheiten im Bilde) in omnes terras
336 Ciceronische Zeit: J. 83—43 v. Chr.
misit, ut praesentes esse ubiqite ceu di possent. Gell. 3, 10, 1 31. Varro in
primo librorum, qui inscribuntur hebdomades vel de imaginibus. 3, 11, 7
M. Varro in libro de imaginibus primo Homeri imagini epigramma hoc ad-
posuit. Symmach. epist. 1, 2 scis Terentium . . Reatinum . . hebdomadum libros
epigrammatum adiectione condiisse. . . in socerum . . tibi delegamus epigram-
mata. nam et Varronis libri diversis notantur auctoribus. Vgl. ebd. 1, 4.
Auson. Mosell. 305 forsan et insignes Jiominumque operumque labores (der
griechischen Architektur) hie habuit deeimo celebrata volumine Marci heb-
domas. — Die Kunst der Buchillustration war in hellenistischer Zeit voll
entwickelt; vgl. Bethe, Terenti cod. Ambros. (Leiden 1903) 54. Daß die
Schnellmalerin Iaia (Maia? Laia?) aus Kyzikos die Illustration besorgte (vgl.
Plin. NH. 35, 147. Fröhner, Phil. Suppl. 5, 18), ist eine unsichere auf Text-
änderung bei Plin. aO. beruhende Vermutung. An mechanische Vervielfäl-
tigung ist sicher nicht zu denken. — MHertz , Arch. Ztg. 8, 142. Ritschl,
op. 3, 452. 508. 528. 544. 564. Mercklin im Dorpater Ind. lect. 1857 (wieder-
abgedr. in Ritschls op. 3, 530); RhM. 13, 460; Phil. 13, 742. 15, 709. LÜrlichs,
RhM. 14, 607. JVahlen, JJ. 77, 737. MSchmidt, RhM. 20, 298. Thiele, De
antiq. libris pictis, Marb. 1897, 22.
Plinius schöpfte aus Varro viele Nachrichten über die bildenden Künste,
die dieser hauptsächlich dem Xenokrates und Antigonos verdankte: daß
indessen Varro besondere kunstgeschichtliche Werke verfaßt habe, ist un-
erweislich. Furtwängler, Plin. u. s. Quellen in der Kunstgesch. (Lpz. 1877),
56. ThSchreiber, de artificum aetatibus in Plin. NH., Lpz. 1872. Oehmichen,
Plinian. Stud. 106. 203. Münzer, Herrn. 30, 499 (bes. 540); Beitr. 285.
6. Fachwissenschaftliche Schriften (Ritschl aO. 441):
a) *Disciplinarum libri IX, bei den Römern die erste encyklopä-
dische Zusammenfassung der artes liberales, wie sie durch griechische
Wissenschaft ausgebildet waren, nämlich 1 grammatica, die systematische
Einteilung der Grammatik enthaltend (Wilmanns, Varr. gramm. 98. 208.
Usener, Sehr. 2, 278. 310), 2 dialectica (daraus wohl August, de princ. dial.
GRF. 1, 187. 278. BFischer, De Aug. libro de dial., Jena 1912, 3 rhetorica,
4 geometria, 5 arithmetica, 6 astrologia (OGruppe, Herrn. 11, 237), 7? mu-
sica (mindestens mittelbar benutzt von Martianus Capella; s. § 452, 3 und
Holzer, Varroniana, Ulm 1890. Deiter, Progr. Posen 1881), 8 medicina,
9 architectura (vgl. § 57, 1), woraus die sieben artes liberales wurden, wie sie
sich schon bei Augustinus und Martianus Capella finden. Bezieht sich auf
B. 8 die Angabe von Plinius NH. 29, 65 (eunetarer in proferendo ex his
remedio, ni M. Varro LXXXIII vitae anno prodidisset) , so wäre dieses
Werk eines der spätesten des Varro (anders Gruppe aO. 239). Falls die
Notiz über die Wiederherstellung des im J. 31 abgebrannten Cerestempels
bei Plin. 34, 154 aus B. 9 stammt, so würde dieses in Varros letzten Jahren
geschrieben sein; vgl. Degering, BphW. 1907, 1373 (doch s. Münzer, Beitr. 263).
Licentius (FPR. 413) bittet Augustinus, wie es scheint, um B. 6. 7 und sagt
von Varro V. 7 numerum dedit ille tonos mundumque Tonanti disseruit canere
etpariles agitare choreas . . ad summam astrorum causas clarosque meatus, obscu-
ros quorum ille situs per nubila monstrat. BFischer 55. — Wahrscheinlich in
diesem Werk, aber gewiß nicht bloß in diesem, hat V. die Metrik dargestellt.
Er folgt hier der Derivationstheorie d. h. einer hellenistischen Metrik, die alle
§ 166. Varro: Disciplinarum libri 337
Versmaße aus dem Hexameter bzw. iambischen Trimeter ableitet. Daß diese
Ableitung gerade auf vier Wegen geschieht, mag Varros eigene Erfindung
sein (Caes. Bass. 271, 5 omnia metra variantur aut adiectione aut detractione
aut concinnatione aut permutatione. Doch s. Usener, Sehr. 2, 287). Wir
kennen Varros Metrik am besten durch Caesius Bassus GL. 6, 255. Vgl. Leo,
Herrn. 24, 280 ; Gott. Gel. N. 1899, 495. Diesem System folgt Horaz im Bau
seiner lyrischen Verse, der natürlich nicht gerade von V. abhängig zu sein
braucht; vgl. Kiessling Einl. zu Hör. Oden. Im allgemeinen Ritschl, op. 3,
353. 441. 474. Mercklin, Phil. 13, 736.
b) Die in den Discipl. libri zusammengefaßten Fächer hat Varro über-
dies großenteils auch in Einzelschriften behandelt. So die Grammatik
(s. S. 338 e), die Philosophie (*de forma philosophiae libri EI; vielleicht
auch ein einzelnes Buch de philosophia, nach Augustin. civ. d. 19, 1; vgl.
Ritschl, op. 3, 441. Krahner, de Varrone ex Martiani satura supplendo;
c. 1: de Varronis philosophia, Friedland 1846. Diese philosophischen Schrif-
ten sind sicher nach Ciceroa Academica, also nach J. 45, verfaßt (Wilmanns,
Varr. gramm. libr. 9). Ferner eine eigene Rhetorik (Varro . . in libro III
Wietoricorum, Priscian. GL. 2, 489) und die ohne Zweifel pythagorisierenden
*libri IX de prineipiis numerorum. Über die geometria s. § 52, 2. Zur
Gromatik (§ 58) die Schrift de mensuris (Priscian. GL. 2, 420. Boethius
de geometr. p. 1234): Ritschl, op. 3, 475. 494. — *De valitudine tuenda
liber I: eher eine selbständige Ausführung als mit dem logistoricus Messala
de valetudine identisch (Ritschl aO. 440. 475).
c) Geographisches. Außer den BB. 8 — 13 der antiquit. hum. (s. oben)
die Bücher de ora maritima (Serv. Aen. 1, 108. 112. 5, 19. 8, 710), wie
es scheint, eine Anweisung für die Schiffahrt (über Küstenbildung und -Be-
siedlung, Hindernisse und Gefahren der Schiffahrt, Wind und Wetter, Ebbe
und Flut usw.); von Veget. 5, 11 libri navales, von Solin. 11, 6 opus quod
de littoralibus est genannt. Vielleicht ist ein Teil dieser Schrift das Buch,
auf das Varro LL. 9, 26 selbst hinweist in libro quem feci de aestuariis
(dh. über das Gebiet der Ebbe und Flut). Mommsen zu Solin. p. xix; Herrn.
18, 161. DDetlefsen, comment. Mommsen. 27. Reitzenstein, Herrn. 20, 523;
21, 240. Oehmichen, Plinian. Stud. 47. Schweder, Phil. 46, 276. — Sachlich
verwandt ist der Witterungskalender für den Seefahrer ephemeris navalis
(Non. 71, 19). Itiner. Alex. M. 3 p. 2, 11 Varro Cn. Pompeio per Hispanias
militaturo librum illum JEpJiemeridos sub nomine elaboravit (also verfaßt um
J. 77). Die Windrose beschrieb V. nach Poseidonios (Kaibel, Herrn. 20, 579).
Außerdem noch eine zweite Ephemeris (agrestis oder rustica?? Reitzenstein,
de script. R. R., Berl. 1884, 44): Prisc GL. 2, 256, 20 Varro in ephemeride:
postea honoris virtutum causa Iulii Gaesaris . . . mensis Iulius est appellatus
(also nach J. 46 verfaßt). Bergk, RhM. 1, 367. Oder, Phil. Suppl. 7, 364.
d) *de iure civili libri XV, wohl in dem Sinne als römisches Privat-
recht; Ritschl aO. 444. Für eine allgemeine Einleitung in das römische
Recht und die Hauptquelle von Pomponius hält ohne Begründung das Werk
Sanio, Varroniana in den Schriften der römischen Juristen (Lpz. 1867), 134;
vgl. ebd. 211. Bonfante, Rendic. Ist. Lombardo 42, 8. Verwandten Inhalts
sind wohl auch die libri de gradibus bei Serv. Aen. 5, 410, die sicher
über Verwandtschaftsgrade, vielleicht aber noch andere gradus (z. B. aetatis)
Teuffei: röm. Literaturgesch. Noub. 6. Aufl. I. 22
338 Ciceronische Zeit: J. 83—43 v. Chr.
handelten (Schanz, RhM. 54, 23). Antiquarische und staatsrechtliche Fragen
neben grammatischen finden sich erörtert in den Überresten der Episto-
licae quaestiones, mindestens in acht Büchern (Ritschl aO. 477): in
B. 4 dieser epist. quaest. stand die epistula ad Oppianum, wodurch Varro
den früher an Pompeius geschickten commentarius SLOayoayLübg (§ 166, 4 h)
de officio senatus habendi, der verloren gegangen war, ersetzte: Gell. 14,
7, 3. Außerdem Briefe ad (Iulium) Caesarem, ad Fabium, ad Fufium, ad
Marullum, ad Neronem (sämtlich bei Non. zitiert), ad Serv. Sulpicium (Gell.
2, 10); endlich epistulis Latiniae Non. 419, 13, vgl. ep. latina 141, 14 ep.
latina l. I. 121, 12 ep. Latina Hb. II (Non. 473, 20): nach Havet, Rev. phil.
7, 176 an Latinier gerichtet, eher eine lateinische Sammlung zum Unter-
schied von einer griechischen. — Ritschl, op. 3, 476. 494. — Über die *re-
rum rusticarum libri III s. § 168.
e) Grammatischen Inhalts waren (außer dem Hauptwerke *de lingua
latina libri XXV, s. § 167) folgende Einzelschriften: de antiquitate litterarum
(Priscian. GL. 2, 8 Varro in II de antiquitate litterarum), an (den Tragiker L.)
Accius gerichtet und daher eine der ältesten Schriften Varros (Ritschl aO.
469. 498. Wilmanns p. 117. 218. GRF. 1, 183), enthielt vielleicht die später
allgemein üblichen Benennungen der Buchstaben (Marx, Lucil. 2, 141); *de
origine linguae latinae III (an Pompeius gerichtet? Ritschl, aO. 470 GRF.
1, .184); rtsgi %uQuy.tr\Qo>v (== tvacov, Formen der Wortbildung, Usener, Sehr.
2, 162. GRF. 1, 206), mindestens drei Bücher (Charis. GL. 1, 189 Varro in
III 7t. #.); *de similitudine verborum III (= de analogia, Ritschl. aO. 468.
GRF. 1, 185); de utilitate sermonis (Charis, GL. 1, 123 Varro de ut. s. IUI),
die anomalia in den Vordergrund stellend (Ritschl aO. 469, GRF. 1, 186);
endlich *de sermone latino V (so Hieron. und Charis.; dagegen Rufin.
GL. 6, 555 Varro de lingua latina ad Marcellum , und ebd. 556 zweimal
Varro in lib. VII de lingua latina ad Marcellum, Donat. Ter. Eun. 649
Varro in Marcello, vgl. Wilmanns p. 47. 170. GRF. 1, 199), die Metrik mit-
behandelnd (Ritschl aO. 463, vgl. Westphal, griech. Metrik l2, 116, 173)
und für die Orthographie Hauptquelle der späteren Grammatiker. Einen
Auszug des Abschnittes über die Akzente, die Varro nach Tyrannion be-
handelte, enthält der Sergius in Donat. GL. 4, 525 ; vgl. Wilmanns 49, Lentz
zu Herodian 1, xxxi, Scholl, act. Lips. 6, 5. Usener, Sehr. 2, 304. Einen an-
deren die Orthographie des Terentius Scaurus GL. 7, 29 (fr. 267 F.); vgl.
LLsener, Sehr. 2, 201. Nach dem einzigen fr. 231 {Varro ad Libonem primö)
war auch die Schrift ad Libonem grammatischen Inhaltes; doch wird sich
unter diesem Titel eine der anderen Schriften verbergen.
Goetz Abh. Sachs. Ges. 27, 89 scheidet drei Perioden: der ersten ge-
hören die Spezialarbeiten an, der zweiten L. L. und de serm. lat., der
dritten die Zusammenfassung in disc. 1. I. — V. sieht in der lateinischen
Sprache eine Mischung aus gallisch, äolisch und etruskisch (fr. 296) und
achtet auf die dialektischen Einschläge darin, ein an sich gesunder Gedanke,
der aber infolge des damaligen Zustandes der Sprachwissenschaft und des
sabinischen Lokalpatriotismus (L. L. ed. Götz-Schoell p. 334 b. fr. 119. 231.
323 F.) mehr geschadet als genützt hat. In der Etymologie ist er natürlich
ein Kind seiner Zeit d. h. von den stoischen Anschauungen abhängig; was
dabei herauskam, zeigt zB. fr. 188 circenses dicti, quia exhibebantur in cir-
§ 166. 167. Varro: Grammatisches (de L. L.) 339
cuitu ensibus positis. 271 Mircurius per i dicebatur, quod mirandarum verum
esset inventor. 420 carceres quasi arceres. Vgl. Mentz, Comment. Jenens. 4,
11. FMuller, De veterum studiis etymologicis, Utrecht 1910. Er hat Laut-
wandel gelegentlich beobachtet (fr. 280. Samter, Quaest. Varr. 73), folgt
aber dem jede Willkür zulassenden Grundsatz (L. L. 5, 6), daß er eintrete
litterarum demptione aut additione et propter earum traiectionem aut commu-
taUonem (Usener Sehr. 2, 298). Vgl. WSchulze, Abh. Gott. Ges. NF. 5, 65.
„Für die italische Sprachkunde ist er eben durch seine Autorität, die die
Vorgänger erdrückte, recht eigentlich der Totengräber einer offenbar reichen
und respektablen Tradition geworden." Im allgem. AWilmanns, de Varr.
libris grammaticis scripsit relliquiasque subiecit, Berl. 1864, Die grammati-
schen Fragmente auch bei Funaioli, GRF. 1, 179 und hinter Götz-Schoells
Ausg. von de 1. 1.
167. Von der gesamten literarischen Tätigkeit Varros sind zwei
Schriften auf uns gekommen, de liugua latina und rerum rustica-
rum libri III. Aber von den ursprünglich 25 Büchern de lingua
latina sind uns nur die Bücher 5 bis 10 erhalten, und auch diese
am Ende von B. 8 und 10, sowie am Anfang von B. 7 und 9 ver-
stümmelt, außerdem vielfach stark verderbt. Das vollständige Werk
behandelte in seiner ersten Hälfte die Lehre von der Bildung und
Beugung der Wörter, in der zweiten die Syntax; die Grundlehren
sind Varro durchaus von der jüngeren stoisch beeinflußten Gram-
matik geliefert, und er hat auch im besten Falle nicht mehr getan
als das lateinische, meist schon von seinen Vorläufern gesammelte
Material in das fertige Fächerwerk eingeordnet. Das ist ihm nicht
ganz gelungen: das disparate Material will sich nicht recht zu-
sammenfügen, und der Schematismus in der Anordnung des Stoffs
tut diesem oft Gewalt an. Die Schreibweise ist altertümelnd abge-
rissen und ungefüge, da Varro im Stoffe erstickt ist und zu einer
stilistischen Schlußredaktion sich nicht die Zeit genommen hat.
B. 5 fl. waren dem Cicero gewidmet; das Werk ist daher — wenig-
stens teilweise — spätestens J. 43 herausgegeben.
1. Daß eine äußerliche Symmetrie die Anordnung auch (vgl. § 166,4 a)
der Bücher de lingua latina beherrschte, erhellt aus der wiederholten Her-
vorhebung der Disposition, in der sich die Drei- und Yierteilung kreuzen
(Usenee, Sehr. 2, 298). 1, 110 quoniam omnis operis de lingua latina tris
feci parteis, primo quemadmodum vocabula imposita essent rebus (Etymologie),
seeundo quemadmodum ea in casus declinarentur (Deklination und Konju-
gation), tertio quemadmodum coniungerentur (Syntax). Vgl. 8,1. — 5, 1
quemadmodum vocabula essent imposita rebus in lingua latina, sex libris ex-
ponere institui. de Ms tris (außer dem ersten, die Einleitung enthaltenden
Buche, also B. 2 — 4) ante hunc feci, quos Septumio (qui mihi fuit quaestor
fügt Varro 7, 109 hinzu) misi. in quibus est de diseiplina quam vocant
22*
340 Ciceronische Zeit: J. 83—43 v. Chr.
£xv\Lo%oyiY.r\v. quae contra eam dicerentur, volumine primo (B. 2); quae pro
ea, secundo (B. 3); quae de ea, tertio (B. 4). in his ad te (Cicero) scribam,
a quibus rebus vocabula imposita sint in lingua latina, et ea quae sunt in
consuetudine apud poetas. — 6, 97 quoniam de hisce rebus tris libros ad te
mittere institui, de oratione soluta duo, de poetica unum, et ex soluta ad te
misi duo, prior em (B. 5) de locis et quae in locis sunt, hunc (B. 6) de tem-
poribus et quae cum his sunt coniuncta, deinceps in proxumo (B. 7) de poe-
ticis verborum originibus scribere incipiam. — 7, 5 dicam in hoc libro de
verbis quae a poetis sunt posita, primum de locis , dein de his quae in locis
sunt, tertio de temporibus, tum quae cum temporibus sunt coniuncta. — 8, 24
de quibus utriusque generis (avaloylag und avca^aXias) declinationibus libros
faciam bis temos: prioris tris (B. 8 — 10) de earum declinationum disciplina,
posterior is (B. 11 — 13) de eius disciplinae propaginibus. de prioribus primus
(B. 8) erit hie: quae contra similitudinem (Analogie) declinationum dicantur,
seeundus (B. 9) quae contra dissimilitudinem (Anomalie), tertius (B. 10) de
similitudinum forma, de quibus quae expedier o, singidis tribus; tum de alter is
totidem scribere ae dividere ineipiamus. Buch 14 bis 25 behandelte dann die
Syntax (doch s. Riese, Phil. 27, 296). Vgl. Spengel praef. p. xxxiv. Goetz-
Schoell, Proleg. xxxviii. Wilmanns p. 22. Augustins Schrift de prineipiis
dialecticae wollten Wilmanns und Reitzenstein 69 aus B. 1 herleiten; jedoch
ist eher ein Zusammenhang mit discipl. 1. II -wahrscheinlich (Funaioli 187.
BFischer 47). Zusammenstellung der Überreste aus den verlorenen Büchern
bei Wilmanns 141. GRF. 1, 186. Oxe, Varr. librorum de 1. 1. argumentum,
Kreuznach 1871.
2. Die Widmung an Cicero erstreckte sich auf B. 5 — 25 (doch s. Riese,
Phil. 27, 297). Vgl. Gell. 16, 8, 6 M. Varro de lingua latina ad Ciceronem
quarto vicesimo; auch Priscian. GL. 2, 540 Varro in XXIIII ad Ciceronem..
Daraus, daß die ersten Bücher dem Septumius (A. 1) gewidmet waren, ist
wohl zu schließen, daß sie schon vollendet waren, als Varro sich entschloß
mit Cicero eine Art Tauschhandel der Widmungen einzugehen. Schon J. 47
versprach er dem Cicero magnam et gravem 7iQ06cpmvr\Giv (Cic. Att. 13, 12, 3),
wurde aber damit nicht so schnell fertig wie Cicero wünschte, so daß die-
ser J. 45 ungeduldig wurde (biennium praeteriit, cum ille Kal7.imci8ris assi-
duo cursu cubitum nulluni processerit aO.) und erst auf des Atticus Zureden
sich entschloß, selber den Anfang zu machen durch Widmung seiner Aca-
demica an Varro (Att. 13, 12, 3. 13, 16, 1. 18). Das Werk Varros wurde
also erst nach dem Erscheinen von Ciceros Academica (J. 45) fertig, ohne
Zweifel war aber vor Ciceros Tod (Ende 43) mindestens ein Teil veröffent-
licht. Unzureichend begründet ist OMüllers Vermutung, es sei erst nach
Varros Tod unfertig veröffentlicht worden. Vgl. OMüllers praef. p. in — xi
und dagegen LSpengel, Abh. bayr. Akad. 7, 2, 443; Roth, Leben Varros 25.
Wilmanns 37. Reitzenstein 80. Es gab von dem Werk einen Auszug: *tm-
ro^rjv de lingua latina ex libris X<X)>V libri Villi; s. § 165, 1 E. Über die
Benutzer Goetz-Schoell p. ix.
3. Das Streben nach einer schematischen Disposition (A. 1) hat auch
hier große Unzuträglichkeiten im Gefolge gehabt. So hat Varro das dritte
Buch über die Etymologie (B. 7) nur zustande gebracht, indem er die dich-
terischen Worte von den übrigen abtrennte, und die Gründe für und gegen
§ 167. Varro: de L. L. 341
die Analogie in ziemlich gewaltsamer Weise auf drei Bücher verteilt
(Reitzenstein 31. 44). Auch im einzelnen herrscht oft arge Konfusion, schon
deshalb, weil Varro gern über seine Belesenheit stolpert. Zur Entscheidung
der Quellenfrage tragen die ziemlich reichlichen Autorenzitate (Goetz aO. 76.
Goetz - Sohoell Proleg. xliv) nicht viel bei , da ein Teil davon sicher aus
den Quellen übernommen ist. Zwei Ansichten stehen sich gegenüber: nach
der einen hat Varro das Material selbst aus vielen Quellen zusammenge-
tragen und seine eigenen älteren Werke geplündert. Die in B. 8 ent-
wickelten Gründe gegen die Analogie werden in B. 9 widerlegt, aber ohne
daß die Widerlegung immer zur Behauptung stimmt; das erklärt Goetz 86
aus der Benutzung der früheren Schriften De similitudine verborum und
De utilitate sermonis. Während dies nur eine Möglichkeit bleibt, ist das
Zurückgreifen auf die auch zweimal (6, 13. 18) zitierten Antiq. sicher; die
vielen Berührungen des Verrius Flaccus mit unserer Schrift, die nicht auf
direkter Benutzung beruhen, erklären sich aus beiderseitiger Abhängigkeit
von den Antiq. (Kriegshammer, Comment. Jenens. 7, 101). Nach der anderen
Ansicht entlehnt Varro sein Material aus wenigen Hauptquellen, in die er
nur einzelne Lesefrüchte einarbeitet (Reitzenstein, M. Terentius Varro und
Johannes Mauropus, Lpz. 1901). Danach stammen die B. 5 — 7 (deren Kom-
position Ribbeck, RhM. 41, 618 erörtert hat) in der Hauptsache aus Aelius
Stilo, dessen Ausführungen V. in B. 6 aus einem Traktat des Cosconius de
verbis ergänzt hat. Von B. 8 bilden § 1 — 24 eine Einleitung in die Lehre
von der Analogie, den Rest des Buches führt Reitzenstein auf Stilo zurück,
und auf diesen weist § 81 si Marcus Perpenna virile est nomen et analogia
sequenda, Lucius Aelia et Quintus Mucia virilia nomina esse debebunt: hier
verwendet Stilo nach antiker Grammatikersitte seinen Namen, ferner den
des Mucius Scaevola und des Perpenna cos. 92. In B. 9 redet ein jüngerer
Grammatiker, der die Analogie energisch gegen Krates und seine Schule
verteidigt. Ob direkte Beziehungen zu Caesars Schrift de analogia vorliegen,
läßt sich nicht ausmachen (Reitzenstein 61). In der Einleitung zu B. 10
sagt V. : quarum rerum quod nee fundamenta ut debuit posita ab ullo neque
ordo ac natura, ut res postulat, explicita, ipse eius rei formam exponam.
Das mag in dem Sinne zu deuten sein, daß V. hier von lateinischen Quellen
unabhängig ist. Vgl. auch Röhrscheidt, Gott. Anz. 1908, 791. Woldt, De
analogiae diseiplina apud gramm. lat., Königsb. 1911. VHenry, De sermo-
nis hum. origine et natura V. quid senserit, Par. 1883.
4. Einzig maßgebende Hs.: Laur. 51, 10 s. XI in Florenz aus Monte
Cassino stammend (Faksim. bei Chatelain T. 12); von ihr, als sie noch voll-
ständig war (jetzt fehlt Q. II = 5, 118 — 6, 61) sind die übrigen Hss. (alle
s. XV f.) abgeschrieben. AGroth, de Varr. cod. Florentino (darin vollstän-
dige Vergleichung), Diss. Argentor. 4 (1880), 81. Auch das von Petrus Dia-
conus exzerpierte fragm. Casinense 361 s. XI zu LL. 5, 41 — 57 ist vom
Laur. abhängig; Goetz, quaest. Varron., Jena 1886. Goetz-Schoell, Ausg.
p. xn. — Neuere Ausgaben: von LSpengel (Berl. 1826; 2praef. est LSpengel,
ed. ASpengel, Berl. 1885) und OMüller (Lps. 1833; nach letzterem Egger,
Par. 1837) und bes. Goetz-Schoell, Lpz. 1910.
168. Weit erfreulicher für den Leser sind Varros drei Bücher
342 Ciceronische Zeit: J. 83—43 v. Chr.
reruni rusti carinii, die wir so gut wie vollständig besitzen. Das
erste handelt vom Ackerbau, das zweite von der Viehzucht, das dritte
von der Vogel- und Fischzucht. Wenn der achtzigjährige Verfasser
auch weniger auf Lebenserfahrung als auf Gelehrsamkeit fußt, so
fühlt man doch, daß er sich auf vertrautem Gebiete bewegt und
ein inneres Verhältnis zu seinem Gegenstände hat. Die Einkleidung
ist dialogisch in der Weise der philosophischen Schriften Ciceros,
aber mit lebhafterer Szenerie und Handlung: sie ist von Varro
dazu benützt, seinen etwas zopfigen, aber in seiner gutmütigen Be-
haglichkeit ansprechenden Witz spielen zu lassen. Dagegen verträgt
sich das Prunken mit Notizengelehrsamkeit und Zitaten schlecht
mit dem künstlerischen Charakter des Dialoges.
1. RR. 1, 1, 1 annus octogesimus admonet me, ut sarcinas colligam ante
quam proficiscar e vita. Die Abfassung fällt somit ins J. 37. Das Gespräch
von B. 2, an dem auch Atticus teilnimmt, wird ins J. 67 (21. April), das
von B. 3 ins J. 54 versetzt; s. 2, praef. 7. 3, 2, 3 spricht Axius von dem
Streit zwischen Interamnates und Reatini , den auch Cic. Att. 4, 15, 5 eben
im J. 54 erwähnt; dort wird auch Axius genannt. Ebd. 1, 1, 4 scribam tibi
(seiner Gattin Fundania) tres libros indices (übersichtliche). Dies blieb
stehen, obwohl B. 2 und 3 anderen gewidmet wurden, dieses dem Q. Pin-
nius, jenes dem Turranius Niger, der vielleicht auch in diesem Fache schrift-
stellerte; s. Diom. GL. 1, 368, 26 f tyrannus {Turranius Keil) de agri cul-
tura primo. 1, 1, 11 quo brevius (wegen der großen Zahl der Vorgänger)
de ea re conor tribus libris exponere, uno de agri cultura, altero de re pe-
cuaria, tertio de villaticis pastionibus. 1, 5, 3 agri culturae quattuor sunt
partes summae . . (4) de Ins quattuor generibus singida minimum in binas
dividuntur species . . 6, 1 igitur primum de solo fundi videndum haec quat-
tuor, qua sit forma, quo in genere terrae, quantus, quam per se tutus. 2,
praef. 6 quoniam de agri cultura librum Fundaniae uxori propter eius fun-
dum feci, tibi, Niger Turrani noster, qui vehementer delectaris pecore, . . de
re pecuaria breviter ac summatim percurram. 3, 1, 9 cum putarem esse rerum
rusticarum . . tria gener a, unum de agri cultura, alterum de re pecuaria,
tertium de villaticis pastionibus, tres libros institui, e queis duo scripsi: pri-
mum ad Fundaniam uxorem de agri cultura, secundum de pecuaria ad Tur-
ranium Nigrum. qui reliquus est tertius, de villaticis fructibus, hunc ad te
(Q. Pinnius) mitto, quod visus sum debere pro nostra vicinitate et amore scri-
bere potissimum ad te. Wie diese fortwährende Einprägung der Disposition,
die sich mit pedantischer Aufdringlichkeit bis in alle Einzelheiten erstreckt,
echt varronisch ist (vgl. § 167, 1), so kehren in diesem Werke auch die
Klagen über den Untergang der alten Sitteneinfalt oftmals wieder. Tenden-
ziös ist der Schluß von B. 1, wo der aedituus des Tellustempels, in dem
der Dialog stattfindet, auf der Straße durch einen Messerstich getötet wird :
de casu humano magis querentes quam admirantes id Romae factum disce-
dimus omnes. Über die Namenwitze (Fundania, Fundilius, Agrasius, Agrius,
Stolo, Scrofa, Vitulus, Vaccius, Merula, Pavo, Pica, Passer, Parra, Orata,
§ 168. Yarro: rer. rust. libri 343
Murena u. a.) s. ASchleicheu, nieletem. Varron. 1 (Bonn 1S46), 1 — 12. Über
die Führung des Dialoges Hirzel, Dialog 1, 552. Ein Versehen 2, 2, 20, wo
Atticus sagt ut dixl, während 1, 23 Scrofa gesprochen hatte.
2. Über seine Quellen sagt Yarro 1, 1, 12 (Yarros Belehrung entspringt)
ex radicibus trinis, et quae ipse in meis fundis colendo animadverti et quae
legi et quae a perüis audii. Er zitiert reichlich, und zwar nicht bloß Fach-
literatur (Waehler aO. 47), und gibt 1, 1, 8 ein Verzeichnis der mehr als
50 griechischen Schriftsteller, die den Gegenstand behandelt hatten. Ein
Verzeichnis der Zitate bei Gentilli aO. Was er aus eigener Erfahrung zu-
gefügt hat, wird man nicht auf sehr viel schätzen dürfen; doch s. 1, 8, 6
hßc consuetudine in Italia utuntur Beatini (vgl. 2, 1, 14. 2, 9. 6, 1 u. ö\);
vgl. Gentilli 159. Viel haben ihm gewiß seine römischen Vorgänger Cato,
die Sasernae, Licinius Stolo und Tremellius Scrofa geliefert; über Cato vgl.
Klotz, Jahns Arch. 10, 25. Gentilli 131. Tremellius wird redend einge-
führt und spielt im ersten und zweiten Buche eine erhebliche Rolle, ohne
daß seine Schrift erwähnt wird (§ 160, 2). Von griechischen Autoren sind
Aristoteles und Theophrast, die öfter zitiert werden, nicht oder nur aus-
nahmsweise eingesehen (trotz Grntilli 104. 115); vielmehr weisen die zahl-
reichen Berührungen mit den Geoponika (Hempel 75) auf weitgehende Be-
nutzung eines griechischen Werkes. Dieses wird in einer der Bearbeitungen
des Mago (§ 54, 1), wahrscheinlich der des Diophanes (zwischen 80 und 70
v. Chr.) zu suchen sein. Heinze, Comment. Ribbeck 434. Hempel 63. Des-
halb braucht Diophanes aber nicht der einzige griechische Autor zu sein,
den Varro ausschöpft (Waehler 63), und mindestens in den sich bis ins
Einzelne erstreckenden Dispositionsschemata wird man oft Varros eigene
Arbeit erkennen dürfen. Auch hat er aus seinem reichen Wissen allerlei
Allotria eingefügt und ist namentlich gern auf etymologische Fragen ein-
gegangen (Kkiegshammer, Comment. Jenens. 7, 104). Gentilli, Stud. it. 11,99.
Hempel, De Varr. rerum rust. auetoribus, Lpz. 1908. Waehler, De Varr.
rer. rust. fontibus, Jena 1912. — Yarro ist seinerseits von einem der in
den Geoponika verarbeiteten Autoren, aber nur in geringem Umfange, be-
nutzt worden (Hempel 64), in größerem von den späteren römischen Schrift-
stellern über Landwirtschaft, vor allem von Columella (Waehler aO. 8).
3. Über die hs. Überlieferung vgl. § 122, 1; über Cod. Vindob. 33
Schoell, WSt. 35, 75. — Kritische Ausg. von HKeil; s. § 122, 1. Ed. mi-
nor von Keil-Goetz Lpz. 1912. Sonst Ausg. in den Script. RR. (§ 54, 7)
und in den opera Varronis (§ 169, 3). Wortindex von Krumbiegel (in Bd. 3
von Keils Ausg.), Lpz. 1902. — Übersetzung von GGrosse, Halle 1788. —
HKeil, observat. crit. in Catonis et Varronis de RR. libros, Halle 1849;
obs. crit. in Varr. RR., Halle 1883. Zahlfeldt, quaest. crit. in Varr. RR.,
Berl. 1881.
160. Die übrigen Schriften Varros scheinen sich über das sechste
christliche Jahrhundert hinaus nicht erhalten zu haben. Die söge-
nannten sententiae Varronis , eine Spruchsainmlung wie die unter
dem Namen des Cato, Seneca, Publilius Syrus gehenden, enthalten
nichts Varronisches.
344 Ciceronische Zeit: J. 83—43 v. Chr.
1. Über das Verhältnis des Martianus Capella zu Varro CBöttger, Jahns
Aren. 13, 590. Krahner, de Varrone ex Martiani satura supplendo, Fried-
land 1846. BFischer aO. 21. Isidor hat die 36 Stellen, an denen er den
Varro nennt, nicht unmittelbar aus diesem selbst. HKettner, varronische
Studien (Halle 1865) 2 — 37. Schmekel, Isidorus von Sevilla. Berl. 1914.
Daraus ist mit ziemlicher Sicherheit zu schließen, daß dem Zeitalter des
Isidor (§ 496) von dem varronischen Nachlasse nicht mehr vorlag als uns.
2. Die Sententiae Varronis, 152 an Zahl (abgedruckt zB. bei Riese,
Varr. sat. 265), finden sich in den Handschriften unter verschiedenen Titeln
(Sententiae Varronis ad Papirianum Athenis audientem; Proverbia Varronis
ad Parianum; Sententiae Varronis ad Atheniensem auditorem morales at-
que notabiles; Varro in Moralibus oder in libro Moralium udgl.) Daß die
Sammlung den Namen Varros trägt, besagt sehr wenig; es finden sich An-
klänge an Horaz, Ovid und Syrus, noch mehr aber an Seneca, dessen Werke
eine Hauptquelle unserer Sammlung sind. Germann aO. 75. Zur Probe zB.
1 di essemus, ni moreremur. 4 cum natura litigat, qui mori grave fert. 10 in
multis contra omnes saper e desipere est. 62 eo tantum studia intermittantur ,
ne omittantur. 82 imperabis regibus, si imperes fortunae. qui scies? con-
temne ipsam. 86 sie multi libros degustant ut convivae delicias. 151 sie stu-
dendum, ut propter id te putes natum; dergleichen erinnert an Geist und
Ausdrucksweise des Seneca. Mercklin vermutete gar, daß der bei dem späten
Grammatiker Virgilius Maro (§ 482, 5) erwähnte Varro (p. 13, 24. 60, 22.
80, 11 Huemer) der Verfasser sei. In den enzyklopädischen Schriften des
Mittelalters (zB. Vincentii Bellovacensis Speculum historiale und doctrinale,
Arnoldi de Hollandia Liber Vaticani) wurden diese Sentenzen viel benützt,
Literatur: Sententias Varr. ed. Devit, Padua 1843. RKlotz, die Varro bei-
gelegten Denksprüche, Jahns Arch. 9, 582. HDüntzer, ebd. 15, 193; vgl.
JJ. 54, 135. Mercklin, Phil. 2, 480. 13, 739. Quicherat, pensees inedites de
Varron, Bibl. de l'ecole des chartes 3, 1 (Par. 1849), 3. Sentences de Varr.
ed. Chappüis, Par. 1856. Ritschl op. 3, 522. Maßgebend jetzt Ausg. von
Germann, Paderb. 1910. Eine apokryphe Äußerung auch fr. 463 F.
3. Eine verläßliche Sammlung und Bearbeitung des ganzen varronischen
Nachlasses fehlt noch. — Älteres : Varronis opera cum notis Scaligeri, Tur-
nebi all., Par. 1569. 1585. Cum fragm. APopma, Leid. 1601; c. not. var.,
Dortr. 1619 (wiederholt ed. Bipontina 1788 II). Brunetti, frammenti minori
di V., Vened. 1874. — Mercklin und Riese, die varronische Literatur vom
J. 1826—1868, Phil. 13, 683. 27, 286. Über die Literatur von 1898—1908
Mras, JB. 143, 63.
170. Die nächste Stelle nach Varro nahm unter den Gelehrten
P. Nigidius Figulus (Praetor J. 58) ein, der in umfassenden
Werken nicht bloß die Grammatik, sondern auch die Theologie
und verschiedene Zweige der Naturforschung behandelte, nament-
lich aber als ein zum Okkultismus und zur Astrologie hinneigender
Pythagoreer auftrat. Bei seiner Richtung auf das Entlegene und
Absonderliche gewann er wenig Einfluß und wurde bald durch
Varro in den Schatten gestellt.
§ 169. Yarro: Nachleben. § 170. Nigidius Figulus 345
1. P. Nigidius (Cic. pSull. 42. Timae. 1. Plut. Cic. 20. an seni 27 u.
sonst) Figulus (vgl. Schol. Lucan. 1, 639), Praetor 58 (Cic. ad Qu. fr. 1, 2,
16), also spätestens 98 geboren. Als eifriger Pompejaner wurde er von
Caesar verbannt (Cic. farn. 4, 13 vom J. 46). Hieron. zu Euseb. Chron. a.
Abr. 1972 — 45 Nigidius Figulus Pythagoricus et magus in exilio moritur.
Als Pythagoreer war er politisch konservativ und leistete dem Cicero gegen
Catilina wesentliche Dienste (pSull. u. Plut. aO.). Mystische und magische
Richtung des damaligen Pythagoreismus (Zeller, Ph. d. Gr. 3, 2, 109): auch
bei Nig. Fig. Geheimkünste, Herbeischaffen von Gestohlenem (Apulei. mag.
42), Nativitätsstellen (Suet. Aug. 94. Dio 45, 1, 4 uqigxo. t&v Kuft3 kavxov
xt\v xs xov itokov 8iaY,Q6\n\6iv Kai xäg xcav aötigcov diucpoQag oaoc xs . .
ccTtorsXovöi diiyvco ytal xccxct xovxo nccl aixlav a>g tivag unoQQr\xovg Siccxqi-
ßag icoiovybsvog l6%zv. Lucan. 1, 639), Abhalten von Konventikeln und Nach-
ahmung des zum Wundermanne sublimierten Pythagoras der Legende (A. 3).
Vielleicht auf hierdurch herbeigeführte Begegnungen mit der Polizei bezieht
sich das abiit in sodalicium sacrilegii Nigidiani bei Ps. Cic. in Sali. 14;
dem offenbar zu seinem Kreise gehörenden Vatinius wirft Cic. Vatin. 14
vor: tu, qui te Pythagoreum soles dicere ... cum inaudita ac nefaria sacra
susceperis, cum inferorum animas dicere, cum puerorum extis deos Manes
mactare soleas. Vgl. Mommsen, RG. 36, 573.
2. MHertz, de Nigidii studiis atque operibus, Berl. 1845. Quaest. Nigi-
dianae von JKlein (de vita Nigidii, Bonn 1861) und JFret (Rössel 1867).
Roehrig, de Nig. Fig., Coburg 1887. — Sammlung seiner Fragmente von
ARiccobonus (Bas. 1579), JRutgers (Var. lect., Leiden 1618, p. 246), ASwo-
boda, Wien 1889: der astronomischen bei RMerkel, Ovid. Fast. p. lxxxvi.
ABreysig, de N. F. fragmentis apud schol. Germanici servatis, Berl. 1854.
3. Cic. Timae. 1 fuit vir ille cum ceteris artibus, quae quidem dignae
libero essent, ornatus omnibus, tum acer investigator et diligens earum rerum,
quae a natura involutae videntur. denique sie iudico, post illos nobiles Py-
thagoreos . . hunc exstitisse qui illam (diseiplinam) renovaret. Gell. 4, 9, 1
Nigidius Figulus, homo, ut ego arbitror, iuxta M. Varronem doctissimus.
Vgl. ebd. 10, 11, 2 homo in omnium bonarum artium diseiplinis egregius
u. ö. Schol. Bob. Cic. Vatin. 146, 9 St. fuit Ulis temporibus Nigidius qui-
dam, vir doctrina et eruditione studiorum praestantissimus, ad quem plurimi
conveniebant. haec ab obtreetatoribus veluti f actio (so Bücheler, RhM. 34, 352 :
actio Hs.) minus probabilis iactitabatur , quamvis ipsi Pythagorae seetatores
existimari vellent. Serv. Aen. 10, 175 Nigidius est solus post Varronem, licet
Varro pi'aecellat in tlieologia, hie in communibus (vgl. § 142, 4) litteris. nam
uterque utrumque scripsit.
4. Commentarii grammatici wahrscheinlich in 30 Büchern (Gell. 10,
5, 1 P. Nigidius dicit in commentariorum undetricesimo), öfters bei Gell.
Non. und sonst angeführt: sie behandelten die Grammatik in ihrem ganzen
Umfange, auch Orthographie, Synonymik, Etymologie, und gingen gern auf
die Ursachen der Erscheinungen und die Bedeutung der Suffixe ein, teil-
weise im Anschluß an Varro. Gell. 17, 7, 5 anguste perquam et obscure
disserit, ut signa rerum ponere videas ad subsidium magis memoriae suae
quam ad legentium diseiplinam. 19, 14, 3 Nigidianae commentationes non
proinde (wie die des Varro) in vulgus exeunt, et obscuritas subtilitasque earum
346 Ciceronische Zeit: J. 83—43 v. Chr.
tamquam purum utüis derelicta est. — Daß von ihm die Bezeichnung der
Vokallänge durch einen apex herrührt, vermutet Usener, Sehr. 2, 223; doch
s. Swoboda 23. — Eine rhetorische Monographie bezeugt Quint. 11, 3, 143
qui de gestu scripserunt circa tempora illa (der veteres), Plotius Nigidiusque.
5. Gell. 16, 6, 12 P. Nigidius in libro quem de extis composuit. 7, 6, 10
Nigidius in libro I augurii privati. Lyd. de ostent. 45 ö Niyldiog iv xrj
r&v ovslqcov zTaoxB'ipEi. Boll (bei Bezold-Boll SB. Heidelb. Ak. 1911, 11)
weist darauf hin, daß von den dort angeführten Beispielen eines auf Pom-
pejus' Seeräuberkrieg, das andere auf Catilina paßt. Vgl. ebd. 27 (iqnJiLs-
oog ßgovroCxoTtici . . Tiara rbv *Pcoiialov <f>iyovlov in ttov Täyr]rog) , ein Ka-
lender, der die Bedeutung des Donners für die einzelnen Monatstage an-
gibt, in der vorliegenden Gestalt sicher nicht von Nigidius, von dem jedoch
ein ähnliches Werk zugrunde liegen kann; dafür spricht auch die Berufung
auf etruskische Weisheit. Jedenfalls knüpft der Text an altbabylonische
Beobachtungen an. Wachsmuth, praef. p.xxxvn. Bergk, op. 1,653. GSchmeisser,
de etrusca discipl. (1872) 23. Bezold-Boll 7.
6. Macrob. 3, 4, 6 Nigidius de dis libro nono deeimo (also mindestens
20 B.). Das Werk suchte das Wesen der Götter unter Heranziehung der
griechischen und etruskischen Religion mit Hilfe der Etymologie und der
Kultgebräuche aufzuhellen; es steht durchaus unter stoisch-pythagoreischem
Einflüsse, also wohl bereits dem des Poseidonios. Geffcken, Herrn. 49, 327.
337. Abgefaßt war es vor Varros Antiquitates divinae (Swoboda S. 27.
Wissowa, Ges. Abh. 121). Überreste auch bei Merkel Praef. zu Ov. Fasten
p. clxxxv ff.
7. Naturwissenschaftliche Schriften. Cic. Timae. 1 (s. A. 3). a) Ein
astronomisches (im Grunde astrologisches) Werk in zwei Teilen. Serv. Georg.
1, 43 Nigidius in sphaera graecanica; 218 Nigidius commentario sphaerae
graecanicae ; ebd. 19 Nigidius . . sphaerae barbaricae. Die Sphaera graeca-
nica behandelte den Tierkreis und die zugleich mit dessen Zeichen auf-
gehenden übrigen Sternbilder des griechischen Sternhimmels unter Berück-
sichtigung der Sternsagen; die barbarica die ägyptischen und vielleicht
auch babylonischen Zeichen ebenfalls nach ihrem Aufgange mit den Tier-
kreiszeichen unter Erzählung der entsprechenden Sternsagen. Die vorge-
tragene Lehre ist alt, die unmittelbare Quelle vielleicht Asklepiades von
Myrlea. Boll, Sphaera 349. 543. Für die Sternsagen scheinen Erastosthenes'
Katasterismen benutzt zu sein. Robert, Erat, catast. 16. Swoboda S. 49.
— b) P. Nigidii in seeundo librorum quos de vento composuit verba, Gell.
2, 22, 31. Nigidius de ventis IUI alt, Scholz Bern. Georg. 1, 428. Nach
Wachsmüth (Lyd. de ost. p. xxxi) stammt daraus, was sich bei Lydus ost.
p. 23, 6 über die Wetterzeichen findet. Das Werk beruhte auf uraltem
astrologischen Aberglauben. — c) Zoologisches. Gell. 6, 9, 5 P. Nigidius
de animalibus libro II Macrob. 3, 16, 7 Nigidius Figulus . . in . . libro de
animalibus quarto. Rutgers aO. 270. Serv. Aen. 1, 178 Nigidius de liomi-
num natura libro IUI (über die Zeugung); in Plin. NH. wird er zu B. 6.
7 — 11 (Zoologie) und B. 16 als Quelle genannt und 15 mal zitiert. — d) Eine
Schrift de terra steckt wohl in der Anführung bei Serv. Aen. 11, 715 Nig.
de terras; daraus wohl auch Plin. NH. 6, 211—219. Vgl. JKlein aO. 25.
Boll, Sphaera 351.
§ 170, Nigidius Figulus. § 171. Q. Hortensius 347
8. Mau vereinigte früher fälschlich mit Figulus einen sonst unbekannten
Schriftsteller Bivtlliog (Viceliius, vgl. WSchulze, Zur Gesch. lat. Eigenn.
261; oder Vecellius? da zweimal die "Variante ßsxelliog; vgl. den häufigen
Namen Vecilius, auch Vecillius CIL. 9, 936. S. auch Mommsen, RhM. 18, 590).
Ihn nennt Laurent. Lyd. de ostent. 3 p. 8, 25 neben Figulus selbst und
anderen Schriftstellern de etrusca disciplina, und ebd. p. 54 p. 110, 6, wo
er aus den etruskischen Ritual-Liedern des Tages ein Bruchstück nach der
lat. Übersetzung des Vicellius (Bi-aslXiog 6 ^Pcopcciog) griechisch mitteilt. Vgl.
Wachsmuth, Laur. Lyd. de ost. p. xxviii. Bezold-Boll 7. — Von einem
sonst gleichfalls ganz unbekannten Fonteius erwähnt Lyd. de ost. 3 eine
Schrift über die etr. Disziplin. Eine BgovroöKonlu iv, xüv <&ovxr\Lov xov
^PcopaLov gibt er ebd. 39 — 41 wieder. Eine Schrift desselben tvsqI aycclyicc-
tqjv erwähnt Lyd. de mens. 4, 2. Sonst wird er auch noch von Lyd. de
mens. 4, 80. de mag. in prooem., dann 2, 12. 3, 42 genannt. Wenn auf Lyd.
mag. pr. Verlaß wäre (iiäoxvQsg xovxcov o xs Kanixcov %<xl <Povxrj'Cog if- cav
-nee! 6 8iia.OY.ccliy.Ö3tcixog Ovccqqcov), so hätte er vor Varro geschrieben. S.
JFSchultze, quaest. Lydian. 1, 38. Wachsmuth aO. p. xxvi. LTraube, var.
libam. crit. (Münch. 1883) 37. Bezold-Boll 8. Kappelmacher, PW. 6,2842.
171. Unter den Rednern der Optimatenpartei war der bedeu-
tendste Q. Hortensius Hortalus (J. 114 — 50). Als Mensch, mit
den Fehlern der damaligen Nobilität behaftet, spielte er als Redner
durch seinen blühenden modernen Stil, die kunstreiche Gewähltheit
der Sprache und nie versagende Sicherheit des mündlichen Vortrags
lange Zeit die erste Rolle, bis Cicero ihn überholte. Auch litera-
risch war er tätig: nicht nur, daß er einen Teil seiner Reden her-
ausgab, sondern er verfaßte auch eine Schrift über allgemeine Fra-
gen aus dem Gebiete der Beredsamkeit, außerdem Annales im Stile
des Ennius und andere Kleinigkeiten. Neben ihm sind unter den
Optimaten als Redner nennenswert derTriumvir M. Licinius Crassus
(J. 116 — 53), L. Licinius Lucullus (J. 114 — 57), M. Pupius Piso
Calpurnianus (Cos. 61), sowie auch Cn. Pompeius Magnus (J. 106
— 48) und einige andere.
1. Hortensius war Aedil 75, Praetor 72, Consul 69; f 50, nach Seren.
Sammon. 261 ff., der Cic. Brut. 328 mißversteht, an einem Halsleiden. Cic.
Brut. 301 (der eine 6vyaQi6Lg des Hort, mit sich selbst anstellt) {erat Hor-
tensius) primum memoria tanta, quantam in nullo cognovisse me arbitror
(Probe bei Sen. controv. 1, praef. 19), ut quae secum commentatus esset, ea
sine scripto verbis eisdem redderet . . 302 aituleratque minume volgare genus
dicendi, duas quidem res quas nemo alius: partitiones , quibus de rebus dic-
turus esset, et collectiones eorum, qiiae essent dicta contra quaeque ipse dixis-
set. . . (die partitio macht Cic. pQu. 35 dem Hort. nach). 303 vox canora et
suavis, motus et gestus etiam plus artis habebat quam erat oratori satis.
326 Hortensius utroque genere (orationis Asiatico) florens clamores faciebat
adulescens. Jiabebat enim et Meneclium illud Studium crebrarum venustarum-
Q
48 Ciceronische Zeit: J. 83 — 43 v. Chr.
que sententiarum . . et erat oratio cum incitata et vibrans tum etiam accu-
rata et polita. 327 erat excellens iudicio volgi et facile primas tenebat adu-
lescens. . . sed cum iam Jionores et illa senior auctoritas gravius quiddam
requireret, remanebat idem nee decebat idem; quodque exercitationem studium-
que remiserat, quod in eo fuerat acerrimum, concinnitas illa crebritasque sen-
tentiarum . . vestitu illo orationis quo consneverat ornata non erat. Quint.
11, 3, 8 diu prineeps orator, aliquando aemulus Ciceronis existimatus est,
novissime, quod vixit, seeundus. Über seine intolerabilis potentia und seine
dominatio regnumque iudiciorum klagt Cic. Verr. 1, 35; vgl. div. Caec. 24.
44: es sind dieselben Vorwürfe, die später gegen ihn selbst gerichtet wur-
den. Hortensius' Verhältnis zu Cicero, der ihm im Verresprozeß eine Schlappe
beibrachte, blieb immer etwas gespannt, und dieser hatte sogar vor, eine
angebliche iniuria des H. gegen sich zu publizieren (ad Att. 4, 6, 3). Nach
dem Tode des H. aber ehrte Cicero ihn nicht nur durch Beteiligung an
den ersten Academica und am Hortensius, sondern er gab auch in seinen
rhetorischen Schriften eine unbefangene und warmherzige Würdigung des
früheren Rivalen. Auf freundschaftliche Beziehungen zu Catull weist dessen
c. 66, doch scheint c. 95, 3 auf ein Zerwürfnis hinzudeuten (A. 3). vWila-
mowitz, Reden 267.
2. Von den zahllosen Reden, die Hortensius im Laufe von 44 Jahren
(von J. 95 an) meist im Interesse der Nobilität gehalten hat, kennen wir
von 28 die Anlässe; s. Luzac 119. Meyer, orat. rom.2 361. Herausgegebene
Reden (zB. pro Verre, Quint. 10, 1, 23): Cic. Brut. 324 dicendi genus quod
fuerit in utroque, orationes utriusque etiam posteris nostris indicabunt. 328 id
declarat totidem quod dixit, ut aiunt, scripta verbis oratio, or. 132 'dicebat
melius quam scripsit. Quint. 11, 3, 8 actione valuisse plurimum . . fides est,
quod eius scripta tantum intra famam sunt, . . ut appareat placuisse aliquid
eo dicente quod legentes non invenimus. — Außerdem Quint. 2, 1, 11 com-
munes loci . . quibus quaestiones generaliter traetantur, quales sunt editi a
Q. quoque Hortensio, ut Sitne parvis argumentis credendum? vgl. ebd. 2, 4, 27.
Priscian. GL. 2, 381, 10.
3. Vellei. 2, 16, 3 (über die virtutes des Minatius Magius) maxime dilu-
eide Q. Hortensius in Annalibus suis rettulit. Das ist zu verbinden mit
Plut. Luc. 1, 5 veov ovta (Lucullus) TiQÖg 'ÖQTriöiov zbv dinoloyov y.ccl St-
csvväv xhv iöTOQixbv Iy. Ttaidius tivog slg 67tovdi]v 7CQO£XQ,ovGr\g öiioloyfjöcci,
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tovrcöv, tbv MagöLKov ixtsvslv tioIb^ov. Da Sisenna das lateinische und
Lucullus das griechische Geschichtswerk schrieb, so bleibt für Hort, das
Gedicht übrig, das eben die Annales waren; auf diese bezieht sich Catull
95, 3 milia cum interea quingenta Hortensius uno (lückenhaft, aber jeden-
falls stellt Catull den Hort, als Schnelldichter dem Helvius Cinna gegen-
über. Schwabe, Quaest. Catull. 268). Dagegen meint mündliche Mitteilungen
Cic. ad Att. 12, 5, 3 de bono auetore Hortensio sie aeeeperam; vgl. 13, 32, 3
ex Hortensio audieram; 13, 33, 3 non temere dixit Hortensius. Woelfflin,
Herrn. 27, 652. Fraccaro, Rendic. Accad. Lincei 1910, 660. Prter, HRR. 2,
xxix. Münzer, Herrn. 49, 196. — Liebesgedichte; s. Plin. ep, 5, 3, 5 (§ 31, 1).
Ovid. trist. 2, 441 nee minus Hortcnsi nee sunt mivus imprdba Servi car-
§ 171. Q. Hortensius u. a. Redner 349
mina. Gell. 19, 9, 7 (§ 31, 1). Varr. LL. 8, 14 Ortensins in poemaUs: cervix.
Vgl. ebd. 10, 78.
4. Luzac, de Q. H. oratore, Leid. 1810. WDrumann, Gesch. Roms 32, 78.
vdMühll, PW. 8, 2470. — Büste des Hortensius (qvintvs hortensivs) in der
Villa Albani zu Rom; abgebildet Bernoulli, röm. Ikonogr. 1, T. 4; auch
Ann. deir inst. arch. 54, T. L.
5. Cic. Brut. 230 Hortensius . . suos inter aequalis M. Pisonem (A. 7),
M. Crassum, Cn. Lentulum (Cos. 72), P. Lentulum Suram (Cos. 71) longe
praestitit. Tac. dial. 37 ex his (den vetera quae et in antiquariorum biblio-
tliecis adhuc manent et cum maxime a Mueiano contrahuntur ac iam . .
edita sunt) intellegi potest Cn. Pompeium (A. 8) et M. Crassum non viribus
modo et armis sed ingenio quoque et oratione valuisse, Lentulos (A. 9) et
Metellos (A. 10) et Lucidlos (A. 6) et Curiones (§ 136, 12. 153, 6 und 209, 1)
et ceteram procerum manum multum in his studiis operae curaeque posuisse.
Unter diesen war M. Licinius P. f. Crassus Dives im J. 55 über 60 J. alt
(Plut. Crass. 17), Praetor 72, Cos. 70 und 55, Censor 65, Mitglied des ersten
Triumvirats, f 53; s. Drumann, GR. 48, 84. PRE. 4, 1064. Cic. pMur. 48
vir summa dignitate et diligentia et facultate dicendi. Brut. 233 mediocriter
a doctrina instructus, angustius etiam a natura, labore et industria . . in
principibus patronis aliquot annos fuit. Stärker trägt die Farben auf Plut.
Crass. 3.
6. Über L. Lucullus s. § 157, 4. Dessen Bruder, M. Licinius Lucul-
lus, nach seiner Adoption (durch M. Terentius Varro) M. Terentius M. f.
Licinianus Varro, Cos. 73 (PRE. 4, 1074, 9), wird von Cicero (Brut. 222)
neben Q. Octavius Cn. f. und Cn. Oetavius M. f. (Cos. 76) unter den poli-
tischen Rednern aufgeführt.
7. Cic. Brut. 236 M. Piso (Cos. 61) quidquid habuit habuit ex disci-
plina, maximeque ex omnibus, qui ante fuerunt, Graecis doctrinis eruditus
fuit. habuit a natura genus quoddam acuminis, quod etiam arte limaverat,
quod erat in reprehendendis verbis versutum et sollers (vgl. ad Att. 1, 13, 2).
. . is cum satis floruisset (als Redner) adulescens, minor haberi est coeptus
postea; deinde ex virginum iudicio (J. 73?) magnam laudem est adeptus et
ex eo tempore . . tenuit locum tarn diu quam ferre potuit laborem. Ascon. zu
Cic. in Pis. p. 20, 13: Pupius Piso eisdem temporibus quibus Cicero, sed
tanto aetate maior, ut adulescentulum Ciceronein pater ad eum deduceret,
quod in eo et antiquae vitae similitudo et multae erant litter ae. orator quo-
que melior quam frequentior habitus est. Cic. fin. 5, 1 cum audissem (zu
Athen) Antiochum, ut solebam, cum M. Pisone. de nat. deor. 1, 16 M. Piso
si adesset, so wäre auch die peripatetische Schule vertreten, ad Att. 13,
19, 4 (J. 45, als Piso hiernach schon tot war): confeci V libros tcsqI rsl&v,
ut . . 7CSQL7tarririy.cc M. Pisoni darem. de or. 1, 204 est apud M. Pisonem . .
Peripateticus Staseas.
8. Cn. Pompeius Magnus, geb. 106, Cos. 70, 55 und (sine collega) 52,
Triumvir 60, f 48. Nach Tac dial. 37 (s. A. 5) gab es geschriebene Reden
von ihm. Cic Brut. 239 (kaum unbefangen) maiorem dicendi gloriam ha-
buisset, nisi eum maioris gloriae cupiditas ad bellicas laudes abstraxisset.
erat oratione satis amplus, rem prudenter videbat; actio vero eins habebat et
in voce magnum splendorem et in motu summam dignitatem. Vellei. 2, 29, 3
350 Ciceronische Zeit: J. 83—43 v. Chr.
sanctitate praecipuus , eloquentia medius. Quint. 11, 1, 36 Pompeius dbunde
disertus verum suarum narrator. Plut. Pompei. 1 Ttifta.v6xr\s loyov. Schreiben
von ihm aus dem Anfange des Bürgerkriegs (J. 49) bei Cic. ad Att. 8, 11
A. C und 12 A— D.
9. Die Lentuli bei Tac. dial. 37 sind wohl die Cic. Brut. 230 (s. A. 5)
genannten, von denen Cn. Cornelius Lentulus Ciodianus ebd. 234 und der
Catilinarier P. Cornelius Lentulus Sura ebd. 235 als Redner geschildert
wird (vgl. ebd. 308 Lentuli duö). Außerdem Cn. (Cornelius) Lentulus Mar-
cellinus (Cos. 56) ebd. 247; P. Cornelius Lentulus Spinther (Cos. 57) und
L. Cornelius Lentulus Crus (Cos. 49) ebd. 268.
10. Zu den Metelli bei Tac. dial. 37 (A. 5) vgl. Cic. Brut. 247 duo
Metelli, Celer (Cos. 60. Münzer, PW. 3, 1208) et Nepos (Cos. 57; Münzer
aO. 1216), non nihil in causis versati, nee sine ingenio nee indocti. ad Att.
6, 3, 10 (J. 50) orationem Q. Celeris mihi velim mittas contra M. Servilium.
Vgl. ep. 5, 4, 2.
11. Über L. Lucceius § 172, 5.
12. Andere Redner dieser Zeit zählt Cicero auf, ohne aber die Ver-
öffentlichung ihrer Reden zu erwähnen, Brutus 237 (P. Murena, C. Censo-
rinus, L. Turius). 239 (C. Piso, M\ Glabrio, L. Torquatus). 240 (D. Silanus,
Q. Pompeius A. f. Bithynicus). 241 (P. Autronius, L. Octavius Reatinus,
C. Staienus). 242 (C. und L. Caepasii, C. Cosconius Calidianus, Q. Arrius).
245 (T. Torquatus T. f., doctus vir ex Bhodia disciplina Molonis). 246 (M.
Pontidius; M. Valerius Messala (Niger) Cos. 61, s. Mommsen, ephem. epigr.
3, 1). Erucius, der Ankläger des Sex. Roscius (s. § 179, 2), heißt Antoniaster
(geschmackloser Nachahmer des Redners Antonius) bei Cic. p. Varen. fr. 10.
p. 232 Müll. = 930 Or.
172. Auf dem Gebiete der Geschichtschreibung war unter den
älteren Zeitgenossen Ciceros besonders tätig sein Freund T. Pom-
ponius Atticus (J. 109 — 32). Er veröffentlichte neben anderem
einen Annalis, eine knappe Jahrtafel der römischen Geschichte, mit
Hinzufügung der gleichzeitigen Geschichte auswärtiger Völker und
mit Berücksichtigung der Familiengeschichte der bedeutenden rö-
mischen Geschlechter. Außerdem verfaßten geschichtliche Werke
Procilius, Hortensius, Lucceius, Sulpicius, L. Tubero und andere
noch weniger bedeutende.
1. T. Pomponius Atticus, seit der Adoption durch seinen Oheim Q. Cae-
cilius Q. f. Pomponianus Atticus, der durch seinen Briefwechsel mit Cicero
(§ 184, 2) und durch des Nepos lobende Schilderung (§ 198, 7) bekannte
Geldmann und Buchhändler. Atticus ist (zufällig) der älteste römische Buch-
händler, den wir kennen. Er betrieb das Geschäft mittels seiner Sklaven
im großen. Cokn. Nep. Att. 13, 3 namque erant in ea (familia) pueri litte-
ratissimi, anagnostae optimi et plurimi librarii, ut ne pedisequus quidem quis-
quam esset, qui non utrumque horum pulchre facere posset. Vermutungen
über die Einrichtung des Verlages (Beziehungen zu Nepos, Varro, Tyran-
nion) bei Usenek, Kl. Sehr. 3, 145; über das Ansehen der jixxi%iavk ävti-
§ 172. T. Pomponius Atticus 351
YQacpcc griechischer Autoren ebd. 143. In seiner Freundschaft mit Cicero
war Atticus durchaus nicht etwa nur der empfangende Teil. Cicero hatte
vor seiner Einsicht in politischen und literarischen Fragen große Achtung:
ad Att. 1, 14, 3 meis orationibus, quarum tu Aristarchus es. 16, 11, 1 nostrum
opus tibi probari laetor; . . . cerulas enim tuas miniatulas illas extimescebam ;
vgl. 15, 14, 4. Attici epistularum ad Cic. reliquiae ed. Consoli. Rom 1913.
— Hullmann, de Pomp. Att., Utr. 1838. GBoissier, Ciceron et ses amis, Par.7
1884. PRE. I2, 2094. EFialon, de T. Pomp. Att., Par. 1861. Drumann, Gesch.
Roms 5, 5.
2. Schriften des Atticus: a) Cornel. Nep. Att. 18, 6 unus Über graeee
confectus de consulatu Ciceronis; vgl. Cic. Att. 2, 1, 1 (J. 60) tuus puer . .
mihi commentarium consulatus mei graeee scriptum reddidit . . . quamquam
tua illa . . horridula mihi atque incompta visa sunt, sed tarnen erant ornata
hoc ipso, quod ornamenta neglexerant. Also ein Hypomnema, kein Enkomion.
b) Annalis. Cic. Brut. 13 salutaiio . . illius Ubri, quo me hie (Atticus)
affatus . . excitavit. . . quo omnem rerum {nostrarum fügt OJahn aus 19 ein;
vgl. aber auch or. 120) memoriam breviter et . . perdiligenter complexus est. Dar-
aus ergibt sich Veröffentlichung im J. 47. Münzer, Herrn. 40, 50. — 15 . . ut
explicatis ordinibus temporum uno in conspectu omnia viderem. 19 eis (durch
Ciceros Schrift de rep. vom J. 51) . . ad veterum rerum nostrarum memoriam
comprehendendam . . incensi sumus (Atticus spricht). Vgl. ebd. 42. 44 (te,
quem rerum rom. auetorem laudare possum religiosissimum). 74. orat. 120
quem laborem (nicht bloß die römische Geschichte sed etiam imperiosorum
populorum et regum illustrium kennen zu lernen) nobis Attici nostri levavit
labor, qui conservatis notatisque temporibus . . annorum septingentorum me-
moriam uno libro colligavit. Er begann also erst mit Gründung der Stadt
und zählte nach deren Jahren, ad Att. 12, 23, 2 scriptum est in tuo an-
nali. Vgl. Cornel. Nep. Hann. 13, 1 und Ascon. zu Cic. in Pis. p. 19, 5 St.
{Atticus in annall). Schol. Veron. zur Aen. 2, 717. Solin. Polyh. 1, 27. Cor-
nel. Nep. Att. 18, 1 moris etiam maiorum summus imitator fuit antiqui-
tatisque amator; quam adeo düigenter habuit cognitam, ut eam totam in eo
volumine exposuerit , quo magistratus ordinavit. nulla enim lex neque pax
neque bellum neque res illustris (auch literarische, Cic. Brut. 72; s. § 94, 2)
est populi Rom., quae non in eo suo tempore sit notata, et . . sie familiarum
originem subtexuit, ut ex eo clarorum virorum propagines possimas cognoscere.
Also starkes Interesse für Genealogie, dem durch Zufügung der Filiation
gedient wurde. Die literarischen Daten entnahm er aus Varro (Leo, PF. 66
Münzer 56), die historischen anscheinend z. T. aus jüngeren Annalisten
(Münzer 70. 75); unter den Daten der auswärtigen Geschichte waren die
attischen bevorzugt (Münzer 80). Das Vorbild war die Chronik Apollodors.
FSchneider, de Attici annali, ZfAW. 6 (1839), 33. Benutzt hat das Werk
Cicero im Brutus und sonst in seinen letzten Jahren (Münzer aO. 53*. 60),
ferner Velleius, der daraus die warme Verteidigung der Athener (2, 23) ge-
nommen haben könnte. Hirschfeld, Kl. Sehr. 778. Münzer, Herrn. 49, 199.
Unsicher ist die Hypothese einer Abhängigkeit der Capitolinischen Fasten
von Atticus; vgl. Cichorius, Lpz. Stud. 9, 249. FUnger, JJ. 143, 472. Die
Reste bei Peter, HRR. 2, 6 (vgl. ebd. xx). HRF. 214.
c) Corn. Nep. Att. 18, 3 fecit hoc idem separatim in aliis libris, ut M. Bruti
352 Ciceronische Zeit: J. 83—43 v. Chr.
rogatu luniam familiam a stirpe ad hanc aetatem ordine enumeraverit (wozu
aber viel Erfindung oder unkritische Nachsicht gegen die Familiendichtungen
erforderlich war; vgl. § 80, 2. 81, 1. 4), notans qui a quoque ortus quos ho-
nores quibusque temporibus cepisset. pari modo Mareelli Claudii de Marcello-
rum, Scipionis Cornelii et Fabii Maximi Fabiorum et Aemiliorum. Vermu-
tungen über die Anlässe bei Münzeb aO. 93. Vgl. § 166, 4 e.
d) Imagines. Plin. NH. 35, 11 imaginum amorem flagrasse quondam
testes sunt Atticus itte Ciceronis edito de iis volumine et M. Varro (auch Plin.
QVerz. zu B. 7. 33 ist Atticus aufgeführt). Dasselbe Werk meint Nep. Att.
18, 5 attigit poeticen quoque . . nam de viris, qui honore rerumque gestarum
amplitudine ceteros Born, popidi praestiterunt, exposuü iia, ut sub singulorum
imaginibus facta magistratusque eorum . . quaternis quinisve ver&ibus de-
scripserit.
3. Cic. ad Att. 2, 2, 2 (J. 60) Dicaearchus . . a quo multo plura didiceris
quam de Procilio. Varro LL. 5, 148 a Procilio relatum. 154 ut Procilius
aiebat. Plin. NH. 8, 4 (Nachricht aus J. 81). Im QVerz. zu B. 12. 13, wo die
Hss. auf Flavius Proculus führen, will HBrunn, de indic. Plin., Bonn 1856,
21 Flavius Procilius einsetzen. Die Ausführungen weisen auf Annalen, Ci-
ceros Äußerung auf nolirslai. Möglicherweise der trib. pleb. 56 Procilius.
Peter, HRR. 1, ccclxii. 316. HRF. 198. Münzer, Beitr. z. Quellenkr. 165.
4. Über die Annalen des Q. Hortensius § 171,3. Über Luculis Geschichte
des marsischen Kriegs § 157, 4.
5. Cic. ad fam. 5, 12, 1 (J. 56) an L. Lucceius Q. f.: genus scriptorum
tuorum, . . vicit opinionem meam, . . ut cuperem quam celerrime res nostras
monumentis commendari tuis. (2) . . videbam Italici belli et civilis historiam
iam a te paene esse perfectam, dixeras autem mihi te reliquas res ordiri.
(3) . . gratiam illam de qua . . in quodam prooemio scripsisti. (4) si liberius
(freimütig), ut consuesti, agendum putabis usw. Ascon. p. 70, 22: fecit eum
(Catilinam, J. 64) reum inter sicarios L. Lucceius paratus (ad dicendum)
eruditusque; ebd. 71, 4 hoc Lucceius quoque Catilinae obicit in orationibus,
quas in eum scripsit. Vielleicht sind dies die scripta, die dem Cicero ge-
fielen und in ihm den Wunsch erregten, sein Konsulat von jenem behandelt
zu sehen, was Lucceius halb versprach (Cic. Att. 4, 6, 4), aber nie ausführte.
Ein Brief von ihm an Cicero (aus J. 45) ep. 5, 14. PRE. 4, 1156. Peter,
HRF. 213.
6. Cic. Att. 13, 30, 3 (J. 45): in Libonis annali quattuordecim annis
post (J. 132) praetor est factus Tuditanus quam consul Mummius. 13, 32, 3
eum (den Tuditanus) video in Libonis praetorem. 13, 44, 3 (J. 45) Cottam
(§ 197, 9) mi velim mittas. Libonem mecum habeo. Dies könnte derselbe Libo
sein, an den Varro eine Schrift von mehreren Büchern gerichtet hat {Varro
ad Libonem primo, Macrob. 3, 18, 13), also wohl sein und des Pompeius
Freund L. Scribonius Libo (PRE. 6, 881, 13). Dann wäre aber Appian. b. c.
3, 77 (oi)ds nsv xici itSQi tov Bcc66ov doxst, Aißcovi d' öxi . . .) auf einen andern
zu beziehen oder mit Perizonius Aißioj zu schreiben, da das dort Erzählte
(aus J. 46) eher auf einen Caesarianer schließen läßt. Vgl. MHertz, Bresl.
Ind. lect. 1864/65, p. 13. Peter, HRR. 1, ccclxiv. 318. HRF. 198.
7. Cornel. Nep. Hann. 13, 1 quibus consulibus inierierit (Hannibal) non
convenit. namque Atticus (gibt das Jahr 183 an) . . at Polybius (das J. 182),
§ 172. Libo u. a. Historiker. § 173. Philosophen (Amafinius u. a.) 353
, . Sulpicius antem Blitho (das J. 181). — Serv. Aen. 1, 6 Sauf eins La-
tium dictum ait, quod ibi latuerant incolae usw. Vielleicht der Freund des
Atticus L. Saufeius (PRE. 6, 847): vgl. zB. Cic. Att. 14, 18, 4 (hier scheint
eine Schrift des Saufeius erwähnt zu sein). 15, 4, 3 (Saufeius als Epikureer).
Nep. Att. 12, 3 L. Saufeii eq. R. aequalis sui, qui complures annos studio
ductus philosophiae habitabat (Athenisy.
8. L.Aelius Tubero, Jugendfreund und Schwager des M.Cicero, J. 61 — 58
Legat des Q. Cicero in Asien. Klebs, PW. 1, 534. Cic. pLig. 10 homo cum
ingenio tum etiam äoctrina excellens. ad Q. fr. 1, 1, 10 (J. 60) legatos habes
. . de quibus honore et dignitate et aetate praestat Tubero, quem ego arbitror,
praesertim cum scribat historiam, multos ex suis anncdibus posse deligere quos
velit et possit imitari. Zweifelhaft ist, ob dieses Geschichtswerk vollendet
und herausgegeben wurde oder als Stoffsammlung auf seinen Sohn Q. Tubero
(§ 208, 1) überging. Das erstere ist nicht zu schließen aus dem Plural AiXioi
bei Dionys. Hal ant. 1, 7 (oben § 37, 5). Nach ihm nannte Varro seinen
Logistoricus f Tubero de origine humana'. Wie Cicero hielt auch Tubero
sich zur (neuen) Akademie, und der Skeptiker Ainesidemos richtete an ihn
seine JJvqqöjvsiol loyoi (Phot. Bibl. 212, 1, p. 169 Bk.). Peter, HRR. 1, ccclvi.
HRF. 199.
173. Vorgänger Ciceros in gemeinverständlicher Behandlung
philosophischer Gegenstände in lateinischer Sprache waren C. Ama-
finius, Rabirius und T. Catius. Alle drei stellten unter Verzicht
auf stilistischen Aufputz die epikureische Lehre in engem Anschluß
an die griechischen Quellen treu und anspruchslos dar. Sie fanden
Beifall und Nachfolger.
1. Ciceros Äußerungen über diese Vorgänger gehen hauptsächlich vom
stilistischen Gesichtspunkte aus. Acad. post. 5 vides ipse . . non posse nos
Amafinii aut Rabirii similes esse, qui nulla arte adhibita de rebus ante oculos
positis vulgari sermone disputant. . . nullam denique artem esse nee dicendi
nee disserendi putant. (6) iam vero physica, si Epicurum i. e. si Democritum
probarem, possem scribere ita plane ut Amafinius. Tusc. 1, 6 multi iam esse
libri Latini dieuntur scripti inconsiderate ab optimis Ulis quidem viris sed
non satis eruditis. fieri autem potest , ut rede quis sentiat et id quod sentit
polite eloqui non possit usw. 2, 7 eorum qui se philosophos appellari volunt
. . dieuntur esse Latini sane multi libri, quos non contemno equidem, quippe
quos numquam legerim; sed . . . lectionem sine ulla delectatione neglego. 4,6
C. Amafinius . . . cuius libris editis commota multitudo contulü se ad eam
potissimum diseiplinam. (7) post Amafmium multi eiusdem aemuli rationis
multa cum scripsissent, Italiam totam oecupaverunt . . et facile ediseuntur et
ab indoctis probantur.
2. Rabirius wird außer Acad. 1, 5 (s. A. 1) nicht genannt, da er mit
dem Dichter C. Rabirius (§ 252, 9) nicht zu vereinigen ist.
3. Cic. ep. 15,16,1 (J. 45): Catius Insuber (aus Ticinum; vgl. § 198, 1),
Epicureus, qui nuper est mortuus, quae ille Gargettius (Epikur) et iam ante
Democritus si'dcoXcc, hie spectra nominat. 15, 19, 2 Epicurus , a quo omnes
Catii et Amafinii, mali verborum interpretes, proficiseuntur. Quint. 10, 1, 124
Teuffei: röm. Literaturgesch. Neub. 6. Aufl. I. 23
354 Ciceronische Zeit: J. 83—43 v. Chr.
in Epicureis levis quidem sed non iniucnndus tarnen auctor est Catius. Plin.
ep. 4, 28, 1 imagines Corneli Nepotis et Titi Cati (zur Aufstellung iri einer
Bibliothek, s. § 198, 1). Porphyr, zu Hör. sat. 2, 4, 1 *Unde et quo Catius?7
(in manchen Aufschriften der Satire heißt er M. Catius) : Catius Epicureus
fuit, qui scripsit quattuor libros de rerum natura et de summo bono. ebd.
Acro zu v. 48 (p. 166 K.): irridet eum, qui de opere pistorio in libro scripsit,
Catius Miltiades ; wo Cruquius hat: irridet eum, qui de op. pist. in suo libro
scribit de se ipso: *haec primus invenit et cognovit Catius Miltiades\ Vgl.
Teuffels Comm. zu Hör. sat. 2, S. 114.
174. Ein würdiger Schüler des Pontifex Q. Scaevola war der
ehrenfeste und tüchtige Jurist C. Aquilius Gallus, von dem es
freilich unsicher ist, ob er literarisch tätig war. Seine Gleichgültig-
keit gegen politische Tätigkeit zeugt ebenso von der zunehmenden
Abkehr vom Staate wie von der beginnenden Ausbildung der
Jurisprudenz zu einem selbständigen Berufe. Vielseitiger und frucht-
barer war sein Schüler Servius Sulpicius Rufus (J. 105 — 43),
eine friedliche Natur, den Extremen abhold, als Redner tüchtig,
achtbar als Gelehrter, und auch der Poesie nicht fremd. Weitaus
am bedeutendsten aber war er als Kenner und Lehrer des Rechts
und Verfasser zahlreicher Schriften, durch die er auf die Ausbil-
dung der Rechtswissenschaft einen lange fortwirkenden Einfluß ge-
wann. Er setzte die Bestrebungen seines Lehrers Q. Mucius Scae-
vola zur Systematisierung des Rechtes mit Hilfe der stoischen Logik
fort und scheute sich nicht, Scaevolas Ansichten zu bekämpfen.
Gleichzeitige Juristen waren P. Orbius und Precianus, mindestens
ein Rechtskenner C. Furius Camillus.
1. Plin. NH. 17, 2 pulcherrima domus . . . . C. Aquilii eq. JR., clarioris
illa etiam quam iuris civilis scientia. Prätor 66 mit Cicero, f vor 44; Klebs,
PW. 2, 327. Cic. pCaec. 78 (J. 69): iuris civilis rationem numquam ab aequi-
tate seiunxit, . . iustus . . et bonus vir . . . ita peritus ac prudens, ut ex iure
civili non scientia solum quaedam, verum etiam bonitas nata videatur. Brut.
154. Pompon. dig. 1, 2, 2, 42 ex quibus (den auditores Mucii) Gallum (vorher
Aquilius Gallus genannt) maximae auctoritatis apud populum fuisse Servius
(A. 2) dicit. Vgl. § 154, 3. Auch Ulpian kennt ihn nur aus zweiter Hand
(dig. 19, 1, 17, 6 Gallus Aquilius, cuius Mela refert opinionem, rede ait),
und in den Digesten, wo er etwa ein dutzendmal genannt wird, ist niemals
ein bestimmter Buchtitel namhaft gemacht. Vielleicht gehen daher diese
Erwähnungen auf Anführungen zurück, die sein Schüler Sulpicius Rufus
über mündliche responsa des Aquilius machte. Nur von einigen rechtlichen
Formularen wissen wir, daß Aquilius sie irgendwie (als Prätor?) veröffent-
licht hat. So zB. die Aquiliana stipulatio et acceptilatio (inst. 3, 29, 2. dig.
46, 4, 18, 1) und formulae de dolo malo aus seiner Prätur (Cic. off. 3, 60. 61.
nat. deor. 3, 74). Pernice, Labeo 1, 3 nennt ihn daher den letzten Ausläufer
der Cautelarjurisprudenz. Auch als Gerichtsredner übte er eine erhebliche
§ 174. Juristen: Aquilius Gallus, Sulpicius Rufus 355
Tätigkeit aus (illud suum regnum iudiciale, ad Att. 1, 1, 1); doch. s. Cic.
Top. 51. Zimmern, Gesch. d. röm. Privatrechts 1, 1, 287. Huschke, JA.6 23.
Bremer, JAH. 1, 111. Jörs, PW. 2, 328.
2. Ser. Sulpicius Q. f. Rufus, mit Cicero ungefähr gleichalterig (aetates
vestrae . . nihil aut non fere multum differunt, Cic. Brut. 150), Prätor 65,
Cos. 51 , J. 46 von Cäsar zum Prokonsul von Achaia ernannt ; f 43 auf
einer Sendung von Mutina. PRE. 6, 1497. Ursprünglich hatte er sich zu-
sammen mit Cicero zum Redner ausgebildet, verzichtete aber erst vom J. 77
an auf Wetteifer mit diesem und wandte sich vorzugsweise der Rechts-
wissenschaft zu, in der er einen bedeutenden Fortschritt begründete. Cic.
(der ihn immer geflissentlich lobt) Brut. 152 existumo iuris civilis magnum
usum . . apud multos fuisse, artem (Systematik) in hoc uno. quod numquam
effecisset ipsius iuris scientia, nisi eam praeterea didicisset artem . . . (die
Logik). 153 sed adiunxit etiam et litterarum scientiam et loquendi elegantiam,
quae ex scriptis eius, quorum similia nulla sunt, facillume perspici potest.
(154) cumque discendi causa duobus peritissimis operam dedisset, L. Lucilio
Balbo (§ 154, 3) C. Aquilio Gallo, Galli . . celeritatem subtilitate diligentia-
que superavit, Balbi . . tarditatem vicit expediendis conficiendisque rebus.
Pompon. dig. 1, 2, 2, 43 institutus a Balbo Lucilio, instructus autem maxime
a Gallo Aquilio, qui fuit Cercinae. itaque libri complures eius (des Rufus)
exstant Cercinae confecti. . . huius volumina complura exstant (noch in der
Zeit des Pomponius). reliquit autem prope CLXXX libros. Brutus bei Cic.
Brut. 156 audivi nuper (J. 47) eum (den Sulp. Rufus) studiose et frequenter
Sami, cum ex eo ius nostrum pontificium, qua ex parte cum iure civili con-
iunctum esset, vettern cognoscere. Gelehrter Briefwechsel mit Varro: § 166, 6, d.
Seine rege Responsionstätigkeit schildert Cic. pMur., zB. 9 tibi necesse pu-
tas etiam adversariis amicorum tuorum de iure consulentibus respondere.
Seine Berühmtheit beweist Petr. 137, 9 iurisconsultus . . . esto quicquid Ser-
vius et Labeo.
3. Eine Probe der rednerischen Bildung des Rufus gibt besonders sein
Trostschreiben an Cicero über den Tod der Tullia (J. 45), ep. 4, 5; ein
Muster sachlicher Erzählung ist sein Bericht über den Tod des M. Marcellus
ebd. 4, 12 (J. 45). Quint. 10, 1, 116 Ser. Sulpicius insignem non immeriio
famam tribus orationibus meruit. 10, 7, 30 feruntur aliorum quoque (als des
Cicero Entwürfe von Reden) et inventi forte, ut eos dicturus quisque com-
posuerat, et in libros digesti. ut causarum quae sunt actae a Ser. Sulpicio,
cuius tres orationes (vollständige, von ihm selbst herausgegebene) exstant.
sed hi de quibus loquor commentarii ita sunt exacti, ut ab ipso (Sulp.) mihi
in memoriam posteritatis videantur esse compositi (anders als die erst von
Tiro herausgegebenen commentarii des Cicero). Von jenen tres orationes
nennt Quintilian (4, 2, 106; vgl. 10, 1, 22 und Festus 153) eine pro Aufidia,
und eine andere contra Auftdiam (6, 1, 20), falls die letztere Bezeichnung
(statt der ersteren) nicht auf einem Schreib- oder Gedächtnisfehler Quinti-
lians beruht; s. auch FSchöll, RhM. 3 4, 86. Im allgem. s. Meyer, or. rom.2
398; auch oben § 44, 12. — Quint. 10, 5, 4 et illa ex Latinis conversio mul-
tum et ipsa contulerit. ac de carminibus quidem (Verwandlung lateinischer
Gedichte in Prosa) neminem credo dubitare, quo solo genere exercitationis
dicitur usus esse Sulpicius (falls dies nicht der § 153, 5 besprochene Redner
23*
356 Ciceronische Zeit: J. 83—43 v. Chr.
ist). Unter den Verfassern von Liebesgedichten führt Plin. ep. 5, 3, 5 (s. oben
§ 31, 1) auch Ser. Sulpicium auf. Vgl. Ovid. trist. 2, 441 (§ 171, 3).
4. Juristische Schriften des Sulpicius Rufus. (Die Bruchstücke bei
Huschke , JA.5 91. Bremer, JAH. 1, 139.) Ser. Sulpicius iureconsultus , vir
aetatis suae doctissimus, in libro de sacris detestandis secundo, Gell. 7,
12, 1. Ser. Sulpicius in libro . . de dotibus, ebd. 4, 3, 2. Gell. 4, 1, 20 Ser.
Sulp, in reprehensis Scaevolae capitibus. Commentar zu den XII Ta-
feln (§ 86, 6). Pompon. dig. 1, 2, 2, 44 Servius duos libros ad Brutum per-
quam (Ad Brutum itemque?) brevissimos Ad edictum subscriptos reliquit.
Vgl. Ulp. ebd. 14, 3, 5, 1 Servius libro primo Ad Brutum (ob verfaßt ums
J. 54? s. MVoigt; Abh. d. sächs. Ges. d. Wiss. 7, 338): die beiden letzteren
Titel bezeichnen dasselbe Werk. Vielleicht auch bei Varro LL. 5, 40 dividit
in eo, Servius scribit Sulpicius etc. Ableitung des Wortes religio von relin-
quere bei Macrob. 3, 3, 8 dem Ser. Sulpicius, von Gell. 4, 9, 8 dem Masu-
rius Sabinus (§ 281, 1) zugeschrieben. Plin. NH. 28, 26 Servii Sulpicii . .
commentatio est quamobrem mensa linquenda non sit. Über seine responsa
berichteten seine Zuhörer (A. 5). In den Digesten wird er öfters angeführt,
ohne daß sich aber unmittelbare Auszüge aus seinen Werken fänden; schon
Ulpian hat seine Schriften nicht mehr in den Händen. Zimmern, Gesch. d.
PRechts 1, 1, 290. RSchneider, de Ser. Sulp. Rufo, Lpz. 1834 IL Rüdorff,
RGesch. 1, 163. 235. OKarlowa, RG. 1, 483. Über seine Latinität Schmalz,
ZfGW. 35, 90.
5. Pompon. dig. 1, 2, 2, 44 ab hoc (dem Sulp. Ruf.) plurimi profecerunt,
fere tarnen hi libros conscripserunt : Alfenus Varus Gaius {Catus Huschke,
s. § 208, 3 E.), A. Ofdius, T. Caesius, Aufidius Tucca, Aufidius Namusa,
Flavius Priscus, C. Ateius, Pacuvius Labeo (§ 207, 6), Labeonis Antistii pater,
Cinna, Publicius Gellius (?). ex his decem libros octo conscripserunt, quorum
omnes qui fuerunt libri digesti sunt ab Aufidio Namusa in CXXXX libros.
Unter den genannten sind keine Schriften bekannt von T. Caesius und Fla-
vius Priscus. Zu den weniger berühmten gehört auch Cinna, als juristi-
scher Schriftsteller angeführt dig. 23, 2, 6. 35, 1, 40, 1 (Bremer 1, 272); so-
wie Publicius, ebd. 31, 50, 2. 35, 1, 51, 1. 38, 17, 2, 8 (Africanus et Publi-
cius), der aber wohl einer späteren Zeit angehört, so daß bei Pompon. aO.
vielleicht mit den Herausgebern Publius Gellius zu lesen sein wird. C. Ateius
ist wohl derselbe, von dem es dig. 23, 3, 79, 1 heißt: Ateius scribit Servium
respondisse, und vielleicht der Vater cles berühmten Juristen C. Ateius Capito.
Letzterer heißt bei Pompon. aO. 47 Schüler des A. Ofilius. Der Vater war
Volkstribun 55 und Prätor (vielleicht J. 52); PW. 2, 1903. Bremer 269. Servii
auditores werden, wohl nach dem Sammelwerke des Aufidius Namusa, an-
geführt dig. 33, 4, 6, 1. 33, 7, 12 pr. 33, 7, 12, 6. 39, 3, 1, 6. Bremer JAH.
1, 273.
6. Cic. Brut. 179 cuius (des T. Iuventius, § 154, 3) auditor P. Orbius,
meus Ifere aequalis, . . . in iure civili non inferior quam magister fuit. Im
J. 63 war er Prätor in Asien; vgl. Cic. pFlacc. 76. — Ein Precianus iure-
consultus bei Caesar in Gallien, Cic. ep. 7, 8, 2 (J. 54). Einen Volcacius s.
§ 154, 4. — C. Camillus, geschickter Jurist und geschäftlicher Berater Ci-
ceros und seiner Familie; ep. 5, 20, 3 (J. 49). 14, 5, 2 (J. 50). 14, 14, 2 (J. 49)
und sonst. Er ist wohl eine Person mit dem scherzhaft als Feinschmecker
§ 174. Sulpicius Rufus. § 175. Cicero (Leben) 357
(ep. 9, 20, 2 vom J. 46) und Neuigkeitskrämer (Att. 13, 33, 4; vgl. 13, 6, 1
aus J. 45) bezeichneten Camillus.
175. M. Tullius Cicero war geboren am 3. Jan. 106 auf seinem
väterlichen Gute bei Arpinum als Sohn eines römischen Ritters.
Nachdem er sich allseitig vorbereitet hatte, trat er als Redner zu-
erst unter Sullas Diktatur auf. Zu seiner weiteren Ausbildung
brachte er zwei Jahre (79 — 77) in Griechenland und Kleinasien
zu, war 75 Quaestor in Sicilien, 69 curulischer Aedil, 66 Praetor
(urbanus), 63 Consul. Die energische Unterdrückung der in seinem
Consulatsjahre ausgebrochenen catilinarischen Verschwörung brachte
ihm großen Ruhm, bot aber den Triumvirn den Vorwand zur Ent-
fernung des unbequemen Consularen durch seinen Feind P. Clodius.
Ende April 58 verließ Cicero Italien und lebte zu Thessalonike und
Dyrrhachion als Verbannter. Am 4. August 57 zur Rückkehr er-
mächtigt langte er am 4. September wieder in Rom an und ver-
suchte wiederum eine selbständige politische Rolle zu spielen, mußte
sich aber bald den Weisungen der Triumvirn fügen. Im J. 53 wurde
er Augur. Vom 31. Juli 51 bis 30. Juli 50 hatte er die Provinz
Kilikien als Proconsul zu verwalten. Nach Rom zurückgekommen,
traf er den Kampf zwischen Caesar und der Senatspartei, an deren
Spitze Pompeius stand, bereits ausgebrochen. Nach langem Schwan-
ken begab er sich im Juni 49 zu Pompeius nach Dyrrhachion, wo
er sich auch während der Schlacht bei Pharsalos (9. August 48)
befand. Von Ende September 48 bis September 47 lebte Cicero
zu Brundisium, des Siegers Ankunft und die Erlaubnis zur Rück-
kehr nach Rom erwartend, die ihm Caesars Großmut gewährte. Die
Jahre 46 und 45, in unfreiwilliger Muße verbracht, waren um so
fruchtbarer an literarischen Arbeiten. Der 15. März 44 rief Cicero
in die politische Tätigkeit zurück, verwickelte ihn aber bald in die
Kämpfe mit M. Antonius, die mit seiner Achtung durch das zweite
Triumvirat und seiner Tötung (7. Dezember 43) endigten.
1. Leben Ciceros von Plutarch, der besonders Tiro (§ 191, 2) benutzt.
Gudeman, The sources of Plut. life of Cic. , Philad. 1902. — Suringar, Cic.
comm. rerum suarum s. de vita sua; acc. annales Ciceroniani, Leid. 1854.
S Martini, Cic. autobiographia, Turin 1885. — Von neueren Darstellungen
CMiddleton, life of Cicero, Lond. 1741 IL Druman^, Gesch. Roms 5, 216 — 716.
6, 1 — 380. Teuffel, PRE. 6, 2182, sowie (ausgeführter u. ohne Quellennach-
weisungen) in Studien u. Charakt. (1871) 289. FBrückner, Leben d. Cic. I:
d. bürgerliche u. Privatleben, Gott. 1852. DGerlach, Cicero, Bas. 1864 (gegen
Mommsen, § 176, 2). WForsyth, life of Cic, Lond. 1864 IL ATrollope, life
of Cic, Lond. 1880 IL Morawski, Cicero (poln.), Krakau 1911. ESchwartz,
Charakterköpfe l3, 101. Bardt, Rom. Charakterköpfe, Lpz. 1913. GBoissier,
358 Ciceronische Zeit: J. 83—43 v. Chr.
Ciceron et ses amis, Par.14 1908. OESchmidt, Cic. u. Terentia, JJ. 1898 I
174; Cic.s Villen, JJ. 1899 III 328. 466.
2. Jäcklein, Cic.s Verbannung, Bamb. 1875. Buning, Progr. Coesfeld
1894. Rauschen (§ 187, 2). Oppenrieder, de Cic. proconsule Ciliciae, Augsb.
1853. d'Hugues, de Cic. in Cilicia proconsulatu, Straßb. 1859; sur le pro-
consulat de Cic, Paris 1876. FHoffmann, Phil. 15, 662. CHartung, de pro-
consulatu Cic, Würzb. 1868. WSternkopf, de rebus a Cic. inde a tradita Ci-
licia usque ad relictam Italiam gestis, Marb. 1884. JZiehen, ephemerides
Tüll, a Mart. 49 usque ad Aug. 48 a. Chr., Budapest 1887. OESchmidt, Der
Briefw. Cic.s vom Prokons, bis Cäsars Ermordung, Lpz. 1893. Strachan-
Davidson, Cic. and the fall of the republic, Lond. 1895. Beere, Die Haltung
Cic.s beim Ausbr. des Bürgerkr., Zürich 1900.
3. Über die erhaltenen Bildnisse des Cicero s. Bernoulli, röm. Ikonogr.
1, 132; 2 p. VI. An der neuerdings berühmt gewordenen Büste in Madrid
mit der Inschrift m • cicero an • lxiiii ist zwar das Bruchstück mit der In-
schrift (CIL. 1, p. 281) echt, der Kopf aber modern. Aldenhoven, Arch. Ztg.
1885, 235. Bernoulli aO. EHübner, Bildwerke in Madrid 115.
4. Cicero ist bei seinen Lebzeiten von Leuten wie Clodius, Piso und
Antonius wegen seiner politischen Haltung, von Licinius Calvus und Brutus
wegen seiner Redeweise angegriffen worden. Diese Polemik hat sich auch
nach seinem Tode fortgesetzt, wie das Verhalten des Asinius Pollio und
Cestius Pius und vielleicht die Ps. Sali. Invektive zeigt. Sie sammelt sich
in der Rede, die Cassius Dio dem Calenus in den Mund legt (46, 1 — 28).
Doch stempelte ihn sein Tod zu einem Märtyrer, und als solcher ist er in
den Deklamatorenschulen gefeiert worden; auch die Biographien des Tiro
und Nepos waren in enkomiastischem Tone gehalten. Die Mustergültigkeit
seines Stiles stand selbst denen fest, die in der Pointierung über ihn hin-
ausgingen (zB. § 288, 1 E.). Zu ihnen gehört auch Quintilian, der eifrigste
Verkünder seiner Ruhmes. Den Späteren ist er eine unantastbare Größe,
seine Schriften die Fundgrube der korrekten schriftlateinischen Prosa: als
der große Stilist rettet er sich durch das Mittelalter in die Renaissance,
die sich an ihm für antike Formschönheit begeistert. Zielinski, Cic. im
Wandel der Jahrh.8, Lpz. 1912. Petzold, De Cic. obtrectatoribus et lauda-
toribus Rom., Lpz. 1911.
170. Cicero ist eine geistig reichbegabte Natur, vielseitig, ge-
wandt, dabei wohlwollend, auf das Edle gerichtet und mit rastlosem
Eifer dem selbstgesteckten hohen Ziele nachstrebend, überaus ach-
tungswert in einer Zeit, da die meisten niedriger Selbstsucht fröhnten.
Aber er war aus weichem Stoff gebildet, allen Eindrücken von außen
zugänglich, ohne die Festigkeit des Innern, die auch in schwierigen
Lagen das Gleichgewicht bewahrt. Seine bewegliche Phantasie, seine
Feinfühligkeit und unendliche Erregbarkeit hat ihn zu einem lie-
benswürdigen Menschen und zu einem großen Redner gemacht, aus
dem jede angeschlagene Saite voll und reich wiederklang; sie machte
ihn vorzüglich geeignet zum Vermittler und Dolmetscher helleni-
§ 175. Cicero (Leben). § 176. Cicero (Charakteristik) 359
scher Feinheit und Formschönheit, aber zugleich auch zu einem
schwankenden Charakter, rasch wechselnd zwischen Aufschwung
und Abspannung, empfindlich, launisch, eitel, durch jede Schärfe
verwundet, ängstlich vor Gefahren und verzagt in bösen Tagen.
Wohl mochten auch andere ihre schwachen Stunden haben; aber
nicht bei vielen kehrten sie so regelmäßig wieder und keiner hatte
wie er das Mißgeschick, daß das Auf- und Abwogen seiner Stim-
mungen in urkundlichen Belegen auf die Nachwelt kam. Immer
vom Augenblick völlig hingenommen, eignete sich Cicero wenig
zum Staatsmanne und hatte doch weder Selbsterkenntnis genug
um dies einzusehen, noch Entsagung genug um danach zu handeln.
So dienten die Anläufe, die er machte, um eine politische Rolle zu
spielen, nur dazu, seine Schwäche an den Tag zu bringen. In einer
Zeit, wo nur Männer mit eiserner Energie, die alles aufs Spiel
setzten, etwas bedeuteten, träumte er von der Aufrechterhaltung
der überlebten Senatsherrschaft, unter derem Schutze auch politische
Mittelmäßigkeiten wie er selbst eine gewisse Wirksamkeit entfalten
konnten. Trotz alles guten Willens besaß er doch nicht die Ruhe
und den Scharfblick, um den rechten Weg zu erkennen, noch den
Mut und die Ausdauer um darauf fortzu wandeln. Abwechselnd sah
er sich daher benutzt und beiseite geschoben, angezogen und ab-
gestoßen, enttäuscht durch die Schwäche der Freunde und durch
die Stärke der Gegner, und schließlich gleich sehr bedroht von den
Extremen, zwischen denen hindurch er einen Weg gesucht hatte.
1. Von Urteilen der Alten s. bes. Asinius Pollio bei Sen. suas. 6, 24
huius viri tot tantisque operibus mansuri in omne aevum praedicare de in-
genio atque industria supervacuum est. . . utinam moderatius secundas res et
fortius adversas ferre potuisset! . . . sed quando mortalium nulli virtus per-
fecta contigit, qua maior pars vitae atque ingenii stetit, ea iudicandum de
homine est. Ferner das Elogium des Velleius 2, 66 Nihil tarn indignum Mo
tempore fuit, quam quod . . . Cicero proscriptus est abscisaque scelere Antoni
vox publica est, cum eius salutem nemo defendisset, qui per tot annos et pu-
blicam civitatis et privatam civium defenderat. Nihil tarnen egisti, M. Antoni
.... rapuisti tu M. Ciceroni lucem sollicitam et aetatem senilem . . ., famam
vero gloriamque factorum atque dictorum adeo non abstulisti, ut auxeris. vivit
vivetque per omnem saeculorum memoriam .... citiusque e mundo genus
hominum quam (Ciceronis nomen} cedet. Quint. 12, 1, 16. Ps. Sall. (§ 206) 5
homo levissimus, supplex inimicis, amicis contumeliosus, modo harum modo
illarum partium, fidus nemini, levissimus Senator, mercennarius patronus usw.
Schrift des Asinius Gallus (§ 276, 3) gegen Cicero und die Gegenschrift des
(nachmaligen Kaisers) Claudius (§ 286, 2), sowie die des Suetonius (§ 347, 2)
gegen Didy.mos; vgl. Zielinski, Cic. im Wandel der Jahrh., 13. 347. Lützen,
Progr. Eschwege 1907, 21.
360 Ciceronische Zeit: J. 83—43 v. Chr.
2. Cic. hat den bei einem Römer selbstverständlichen und von ihm auch
niemals geleugneten Ehrgeiz besessen, es im Staate möglichst weit zu bringen
und zuerst Senator, dann Konsul zu werden und als Konsular eine ange-
sehene Rolle zu spielen. Jenes war möglich, wenn er seine Beredsamkeit
geschickt ausnutzte, um sich einflußreiche Verbindungen zu schaffen, dieses,
wenn alle Versuche, den Einfluß des Senates zu brechen, vereitelt wurden.
Durch diese Erwägungen war seine politische Haltung gegeben, die kein
Verständiger ihm zum Vorwurf machen wird. Denn er war von der Würde
des Senates und dem Glänze der senatorischen Stellung, der ihn als homo
novus doppelt blendete, ehrlich überzeugt und konnte in seiner Lage kaum
anders handeln als er gehandelt hat. Ein festes politisches Programm, etwa
den Glauben an eine bestimmte Verfassung (Zielinski, Cic. im Wandel 5.
341), hatte er nicht: aber wer sonst hatte den? Was ihn leitete, war im
allgemeinen die Rücksicht auf die politische und persönliche Konstellation
des Augenblicks; aber etwas anderes war bei dem Fehlen eigentlicher Par-
teien und eines ausgebildeten Parteiprogrammes auch kaum möglich. Lehr-
reich sind namentlich die Äußerungen des Q. Cicero (§ 190, 4), die man
nicht abschwächen sollte; s. auch 1. agr. 2, 49; ad Att. 1, 1. 2. 4, 2. Vgl.
FCauer, Cic. polit. Denken, Berl. 1903. RHeinze, Cic. polit. Anfänge, Abh.
Sachs. Ges. 1909, 945 (dazu Bardt, BphW. 1910, 426). Volquardsen, Cic. als
polit. Charakter, Kiel 1907. Nachdem er das Ziel seines politischen Ehr-
geizes erreicht hatte, mochte ihm als Lebensideal erscheinen, was er —
vielleicht im Anschluß an jüngere Stoiker — de rep. 3, 4 f. ausspricht: quid
potest esse praeclarius, quam cum verum magnarum tractatio atque usus cum
illarum artium studiis et cognitione coniungitur? aut quid P. Scipione, quid
C. Laelio, quid L. Philo perfectius cogitari potest? qui ne quid praetermitte-
rent, quod ad summam laudem clarorum virorum pertineret, ad domesticum
maiorumque more metiam hanc a Socrate adventiciam doctrinam adlii-
buerunt.
3. Cic.s Bedeutung für die römische Literatur liegt zum großen Teil
auf dem formalen Gebiet. Das haben die Alten ganz richtig erkannt und
ihn zum Kanon der lateinischen Prosa gemacht, vgl. zB. Quint. 10, 1, 105 ff.,
bes. 112 quare nem immerito ab hominibus aetatis sitae regnare in iudieiis
dictus est, apud posteros vero id consecutus, ut Cicero iam non hominis no-
men sed eloquentiae habeatur. hunc igitur spectemus, hoc propositam nobis sit
exemplum, ille se profecisse sciat, cui Cicero valde placebit. Außer auf seinem
Streben nach Konzinnität beruht sein stilistischer Vorrang auf seinem Pu-
rismus, der ihn an das wirklich lebendige Sprachgut bindet und aus die-
sem eine sorgfältige und überlegte Auswahl treffen läßt. Wo er genötigt
ist, neue Worte zu bilden, tut er es mit der größten Vorsicht (§ 183, 2),
griechische Worte führt er in den sorgfältig stilisierten Werken nur mit
entschuldigenden Bemerkungen ein (Linderbauer, De verborum mutuatorum
apud Cic. usu, Metten 1892. 93. 11). Laurand, Etudes 19—106. Norden,
Kunstpr. 212.
4. In früheren Jahrhunderten trübte die Bewunderung des Stilisten den
Blick für unbefangene Beurteilung des Charakters und Staatsmanns. Doch
s. FGaliant, correspondance inedite (Par. 1818) 1, 295 (vgl. Ri^schl, op. 3,
701). Die versäumte Kritik wurde aber überreichlich nachgeholt durch
§ 176. 177. Cicero (Allgemeines) 361
Dkumann, GR. 6, 411, der den Charakter Ciceros nach allen Seiten hin zwar
gründlich, aber unter Verkennung aller entschuldigenden Umstände be-
leuchtet hat. Auch Mommsen, RG. 36, 619 hat fast nur hervorgehoben, was
Cic. nicht war (und z. T. gar nicht sein wollte). Vgl. jetzt bes. Zielinski,
der wiederum nach der apologetischen Seite zu weit geht.
177. Cicero besaß in wunderbarem Maße die Gabe, Fremdes
in sich aufzunehmen und es innerlich verarbeitet in leichter, fließen-
der Sprache aus sich herauszusetzen. Er hat infolgedessen die rö-
mische Literatur um mehrere Gebiete bereichert, die für sie bis
dahin kaum erschlossen waren, und ist der Schöpfer einer dem
Geist der lateinischen Sprache angepaßten Schriftprosa geworden,
deren Fülle und Rundung für lange Jahrhunderte mustergültig war.
Daß die sachliche Tiefe seiner theoretischen Schriften mit der sti-
listischen Leichtigkeit nicht immer gleichen Schritt halt, erklärt
sich daraus, daß er seinen eigentlichen Lebenszweck in der Beteili-
gung an der Politik erblickte und nur, wenn diese ihm verleidet
oder versperrt war, Zeit für eingehende Beschäftigung mit den
Wissenschaften faud, wie es namentlich in den Jahren 45 und 44
der Fall war. Seinen Lebensberuf erblickte Cicero bis in die besten
Mannesjahre in seiner Tätigkeit als Redner, und hier zeigte sich
sein Talent in vollstem Glänze. Er bereitete die zu haltenden Reden
sorgfältig vor und gab sie großenteils nachher in verbesserter Fas-
sung heraus. Ferner wurden die hier gewonnenen Erfahrungen und
die aus der akademischen Philosophie geschöpften Anregungen auf
dem rhetorischen Gebiete in rhetorischen Schriften verwertet. Dann
dehnte er die wissenschaftliche Schriftstellerei auch auf andere Ge-
biete aus, zunächst auf die Staats Wissenschaft, ferner auf Ethik
und Religionsphilosophie, und versuchte sich sogar in den faßliche-
ren Fächern der theoretischen Philosophie. Daneben führten aus-
gebreitete persönliche Beziehungen und die Gewohnheit, mit der
Feder zu denken, zu einem überaus regen Briefwechsel.
1. Zeitliche Aufeinanderfolge der Hauptschriften Ciceros: J. 81 pro
Quinctio. — ^0 pro Roscio Amerino. — 70 Verrinen. — 69 pro Caecina. —
66 de imperio Cn. Pompei. — 63 Consulatsreden: de lege agraria, pro Ra-
birio, in Catilinam, pro Murena. — 62 pro Sulla, p. Archia. — 59 pro
Flacco. — 57 f. Reden post reditum. — 56 pro Sestio, in Vatinium, pro
Caelio, de provinciis cons , pro Balbo. — 55 in Pisonem, de oratore. —
54 de republica, pro Plancio, p. Rabirio Postumo. — 52 pro Milone, de
legibus. — 46 Brutus, Paradoxa, Orator, pro Marcello, p. Ligario. — 45 pro
Deiotaro, de finibus, Academica, Tusculanae. — 44 de natura deorum, Cato
maior, de divinatione, de fato, topica, Laelius, de officiis, Philippicae I — IV.
— 43 Philippicae V— XIV.
362 Ciceronische Zeit: J. 83—43 v. Chr.
2. ELange, quid de ingenio, litteris, poetis Graec. Cic. senserit, Halle
1880. ESchollmeyer, quid Cic. de poetis Rom. iudicaverit, Halle 1884.
RWurzer, de Cic. tragoediae Rom. iudice, Czernowitz 1885. Kubik, de Cic.
poetarum lat. studiis, Diss. Yindob. 1, 237. Zillinger, Cic. u. d. altröm.
Dichter, Würzb. 1911. Rigal, Cic. quatenus artium amator extiterit, Paris
1890. AKiessling, coniectan. III, iv. JSchäfler, BlbayrGW. 20, 285. Causeret:
§ 181, 2.
3. Allgemeines über Ciceros Sprache (das Besondere bei den einzelnen
Gattungen und Schriften). Wörterbücher: MNizolii thesaurus Cic. (Brix. 1535),
Bas. 1559; Venet. 1570 und sonst, zB. Patav. 1734 (cur. Facciolati); Lond.
1820 III. Clavis Cic, ed. Ernesti (bei s. Ausg. u. sonst, zuletzt von Rein,
Halle 1831). Lex. Cic. von GSchütz, Lpz. 1817 (Bd. 18. 19. s. Ausg.). Mer-
guet, Handlex. zu Cic, Lpz. 1905. — Lebreton, Etudes sur la langue et la
gramm. de Cic, Paris 1901. Laurand, Etudes sur le style des discours de
Cic, Paris 1907. Norden, Kunstpr. 212. Parzinger, Beitr. z. Kenntn. d.
Entw. des Cic. Stils. Landshut 1911. Dillingen 1912 II. MWetzel, de consec.
temp. Cic, Gott. 1877. WKriebel, der Periodenbau bei Cic. u. Liv., Prenzl.
1873. WSchuppe, de anacoluthis Cic, Berl. 1860. Mihaileanu, De comprehens.
relat. ap. Cic, Berl. 1907. Hatz, Zur Hendiadys in Cic. Reden, Schwein-
furt 1886. MWiegandt, De metaphorarum usu Cic, Rostock 1910. JTheobald,
de annominationis et allitterationis ap. Cic usu, Bonn 1853. — HGenthe,
de proverbiis a Cic. adhibitis, Commentat. Mommsen. 268.
4. Die Überlieferung geht auf antike Ausgaben zurück, die z. T. eine
größere Anzahl von Schriften zusammenfaßten; vgl. § 178, 3. Hs. Apparat
zu Cicero von Garatoni in Ravenna: Hal^4, Münch. GA. 26 (1848), 285; von
HLagomarsini (über 80 Bde, s. WvHumboldts Werke 5,253. 264); jetzt ver-
schollen. — Halm, zur Hss.- Kunde der cic Sehr., Münch. 1850; RhM. 9,
321; Jahns Arch. 15, 165 u. sonst. — Über die Bekanntschaft des früheren
Mittelalters mit Ciceros Werken s. PSchwenke, Phil. Suppl. 3, 402. Norden,
KP. 700. 706 u. ö. — Genaueres s. bei den einzelnen Schriften.
5. Gesamtausgaben: Venet., Iunt. 1534 — 37 IV von PVictorics. Venet.
Aid., von PManutius 1540 — 46 IX. A DLambino emend. et aueta, Par. 1566
IV u. sonst. Cum notis var. cura Graevii, Amst. 1684 ff. XI; unvollständig.
Cum clavi Cic. ed. Ernesti, Lpz. 1737 ff. VI; zuletzt 1820 fll. V. Cum delect.
comm. (stud. JOliveti), Par. 1749 IX; Genev. 1743 ff. E rec Graevii (cura
GGaratonii), Neap. 1 7 7 7 fr . (unvollständig). Recogn. GSchütz, Lpz. 1814ff. XX.
— Rec. COrelli, Zürich 1826 — 30 IV; editio altera emendatior, cur. Orelli,
GBaiter, CHalm, Zürich 1845—62 IV; z. ed. I (u. II) als Bd. 5: Cic. scho-
liastae, C. Marius Victorinus , Rufinus, C. Iulius Victor, Boethius, Favonius
Eulogius, Asconius Pedianus, scholia Bobiensia, scholiasta Gronovianus, edd.
COrelli et GBaiter 1833, und als Bd. 6—8 Onomast. Tullianum, 1836—38 III.
— Cic opera omnia uno volumine ed. Nobbe, Lpz.2 1850. — Recogn. RKlotz,
Lpz.2 1863 — 71 XI Bände (Bd XI: index nominum): neu bearbeitet von
CFWMüller, Lpz. 1878 fll., davon P. I Vol. I. II scripta rhet. (rec. WFried-
rich), P. II Vol. I— III orat., P. III Vol. 1. II epist. P. IV Vol. I— III philos.
Neue krit. Ausg. in Bibl. Teubn. in Vorbereitung. — Edd. Baiter et LKayser
(Lpz. 1861—69 XI, in B. 11 ind. nom.).
§ 177 a. Cicero (Jugendschriften) 363
177a. Schon in früher Jugend versuchte sich Cicero auf ver-
schiedenen Gebieten der Literatur. Er verfaßte unter anderen Ge-
dichten einen Pontios Glaukos in trochäischen Tetrametern , über-
setzte im Maße der Urschrift die &cuv6{i£vcc des Aratos, ferner den
Olxovonixög des Xenophon u. a. Sogar an Theoretisches wagte er
sich schon: als junger Mensch schrieb er noch unter dem Einflüsse
der Schule eine unreife Rhetorik zusammen , in der die Lehre
von der Erfindung hauptsächlich nach Hermagoras vorgetragen
wird.
1. Plut. Cic. 2 iQQvr] izcog Ttgnd'VfiotsQov inl 7Coir\XLwqv, xai xi nonr^ia-
xiov %xi nctidbg ccvxov diccomfexcu üovxLog TXctv%o<s iv xBXQa^iixQO) ■nsnoiinLi-
vov. Vielleicht war es die Übersetzung einer Partie aus Aischylos' Drama.
Admodum adulescentulus (nat. d. 2, 204) übersetzte Cic. die <&atv6{isva des
Aratos; denen er, vielleicht erst J. 60 (HJokdan, krit. Beitr. 299) die IJqo-
yvaaxvad desselben Dichters folgen ließ; er schreibt ad Att. 2, 1, 11 pro-
gnostica mea cum oratiunculis prope diem expecta. Außer abgerissenen Frag-
menten beider, die sich fast sämtlich als Zitate bei Cicero selbst finden,
hat sich ein großes Bruchstück der Phainomena (von 480 Vv.) selbständig
erhalten (bes. Harl. 647 s. IX. Dresd. 183 s. X). Alles findet sich gedruckt
zB. Baiter-Kayser 11, 96. Müller 4, 3, 360. PLM. 1, 3. Die Übersetzung ist
recht frei und strebt mit Glück nach Abwechslung im Ausdruck. Cic. hat
den Arat bereits mit Schollen gelesen und berücksichtigt die Kritik des
Attalos und Hipparch, trotzdem sind ihm verschiedene Mißverständnisse
untergelaufen. Die Technik ist sauber und nähert sich in der Bildung des
Yersschlusses der derNeoteriker; schließendes s wird noch elidiert. MGündel,
De Cic. poetae arte, Lips. 1907, 51. Drachmann, Herrn. 43, 414. Über Ennius-
nachahmung s. Norden, Vergils Aen. 367. 413. Wreschniok, De Cic. Lucre-
tioque Ennii imit., Bresl. 1907. Die in dem genannten Harl. zu Cic. Arat.
erhaltenen Scholien gab heraus J Vogels, Crefeld 1884. 87. IL Vgl. Reiffer-
scheid, ann. d. inst. 1862, 108; Bresl. ind. schol. 1885/86, 11. GKaüffmann,
Bresl. phil. Abh. 3, 4. — Von anderen Gedichten Cic.s (§ 189) läßt sich
nicht entscheiden, ob sie schon in seine Jugend fallen. — Maybaum, De Cic.
et Germ. Arati interpr., Rost. 1889. Grollmus, De Cic. poeta, Königsb. 1887.
Atzert, De Cic. interprete Graecorum, Gott. 1908. Leo, Herrn. 49, 191.
2. Cic. off. 2, 87 Xenophon in eo libro, qui Oeconomicus inscribitur,
quem nos, ista fere aetate cum essemus qua es tu nunc (im einundzwanzigsten
Jahre) e graeco in latinum convertimus. Die Übersetzung, aus der Columella
vieles entlehnte, hatte drei Bücher; doch ist diese Einteilung vielleicht erst
später gemacht. Die Übersetzung war recht getreu, vgl. Hier. Eus. chron.
2 pr. 1 (Cic.) in Xenophontis oeconomico lusit; in quo opere ita saepe aureum
illud flumen eloquentiae quibusdam scabris et turbulentis obicibus retardatur,
ut qui interpretata nesciunt, a Cicerone dicta non credant. Reste: Baiter-
Kayser 11, 50. Müller 4, 3, 307. Quint. 10, 5, 2 vertere graeca in latinum . . .
id Cicero ipse frequentissime praecipit, quin etiam libros Piatonis atque Xe-
nophontis edidit hoc genere translatos (vgl. Hieron. ad Eus. chron. praef.
p. 1, 5 Seh.). ERichter, Xen. in d. röm. Litt., Berl. 1905, 5. Lundstrom,
364 Ciceronische Zeit: J. 83—43 v. Chr.
Eran. 12, 1. Virck, Cic. qua ratione Xen. oec. verterit, Berl. 1914. Über die
Übersetzungen von Piatos Timaeus und Protagoras s. § 186, 9 u. 9a.
3. De inventione: Cic. de or. 1, 5 (absichtlich verkleinernd) quae
pueris aut adulescentulis nobis ex commentariolis nostris incohata (er ließ sie
angeblich unfertig) ac rudia exciderunt vix hac aetate digna et hoc usur
quem ex causis . . . tot tantisque consecuti sumus. Vgl. 1, 23. Quint. 3, 6, 60
Cicero his pulcherrimos illos de oratore libros substituit. — Die Hss. (in den
besseren fehlt freilich der Titel, die Würzburger Hs. hat die Unterschrift
explicit Über rethoricae) nennen das Werk Rhetorica, ebenso Priscian GL.
2, 81. 469. 489. 545 {Cicero in 1 rhetoricon udgl.). Auch bei Quintilian blickt
dieser Name durch oder vielmehr der wohl außerdem gangbare Rhetorici
(sc. libri; vgl. des Plinius studiosi III, s. § 312, 2): 2, 15, 6 in rhetoricis,
quos sine dubio ipse non probat. 3, 1, 20 rhetoricos suos. 3, 5, 14 ex Cic.
rhetorico I. . . ipse hos libros improbat. 3, 6, 50 (Cicero in libris rhetoricis
= de inv. 1, 10) und 58 (in primo Ciceronis rhetorico). Hieronym. adv. Rufin.
1, p. 137 lege ad Herennium Tullii libros, lege Rhetoricos eins aut re-
volve tria Volumina de oratore. Quint. 2, 14, 4 cum M. Tullius etiam in ipsis
librorum, quos hac de re (über die Rhetorik) primum scripserat, titulis Graeco
nomine utatur. Unrichtig ist die Benennung, die ihr AWeidner in s. Aus-
gabe p. vi nach einigen Stellen der Schrift und nach Quint. 3, 6, 64 (vgl.
auch Iul. Vict. 429, 12 H.) gegeben hat: Ars rhetorica; auch der Name
frhetorice' (dafür Eussner, BlbayrGW. 16, 1) ist nicht genügend beglaubigt.
Haellingk, Comment. Studemund., Straßb. 1889, 333.
4. Cic. de inv. 2, 4 quod quoniam nobis voluntatis accidit , ut artem di-
cendi perscriberemus, non unum aliquid proposuimus exemplum, cuius omne&
partes . . exprimendae nobis necessario viderentur, sed omnibus unum in lo-
cum coactis scriptoribus , quod quisque commodissime praecipere videbatur,
excerpsimus etc. ebd. 5 quos (Aristoteles, Isokrates und deren Nachfolger)
. . . nobis omnes, quoad facultas tulit, proposuimus et ex nostra quoque non-
nihil in commune contulimus. Hermagoras wird genannt 1, 8. 12. 16. 97;
überhaupt verschleiert Cic. seine Abhängigkeit von griechischen Quellen
und Lehren nicht wie der Auct. ad Her. Quint. 3, 6, 59 sunt velut regestae
in hos commentarios\ quos adolescens deduxerat, scholae, et si qua est in his
culpa, tradentis est. ebd. 3, 11, 10. 18 (in Rhetoricis Hermagoran est secutus).
FBader p. 18 — 24. Trotz seiner Versicherung hat Cic. kaum etwas Eigenes
geboten, sondern die Lehren seines Meisters aufgezeichnet. Dieser folgte
dem System des Hermagoras, nahm aber auch an der Form, in der er es
benutzte, noch allerlei Veränderungen vor, die einen Ausgleich mit anderen
rhetorischen Systemen herbeiführen sollten, aber nicht durchweg zweck-
mäßig waren. Wer dieser Lehrer war und in welchem Verhältnis er zu
dem des Auct. ad Her. stand, bleibt unklar: s. darüber § 162, 3. Auf rho-
dischen Einfluß weist besonders die Einsetzung des Namens Rhodii in
ältere Beispiele 1, 47. 2, 87. Marx 161 erinnert daran, daß der rhodische
Rhetor Apollonios Molon J. 87 in Rom war und von Cic. gehört wurde.
Wie die Schlußworte zeigen (vgl. auch 1, 5 E. 9), wollte Cic. das ganze
System der Rhetorik darstellen, behandelt aber in den beiden Büchern nur
die inventio. Und zwar bespricht B. 1 nach einem kurzen Abriß der Stasis-
lehre (§ 10 — 19) die sechs Teile der Rede, B. 2 enthält die ausführlich©
§ 177. Cicero (de inventione) 365
Darlegung der Stasislehre. Vgl. Thiele, Quaest. de Cornifici et Cic. artibus,
Greifsw. 1889. Losgelöst sind die Prooemia, die philosophischen Einfluß
verraten; das zu B. 1 führt mitten in die hellenistischen Debatten über die
Berechtigung der Rhetorik hinein (vgl. Philodem ed. Sudhaus, Suppl. Lpz.
1895) und polemisiert sogar gegen Hermagoras, der die Behandlung der
Theseis für die Rhetorik in Anspruch nahm. Dies und Anderes (Norden,
JJ. Suppl. 19, 427) scheint auf Poseidonios zu weisen (vgl. Philippson A. 5).
Doch beruft sich Cic. auch 1, 61 auf Aristoteles, Theophrast und die Peri-
patetiker.
5. Da die Ansicht, daß Cic. die Schrift ad Herennium (§ 162) benutzt
habe, unhaltbar ist, so entfällt auch das auf diese Weise gewonnene Argu-
ment für die Bestimmung der Abfassungszeit. Unrichtig ist auch die Be-
hauptung von Philippson, JJ. 133, 421, Cic. habe die Lehren des Poseido-
nios (A. 4E.) mündlich von diesem gehört und die Schrift sei deshalb erst
im J. 77 ediert: das widerspricht Ciceros eigener Angabe (A. 3). Eher läßt
sich die Beobachtung verwerten (Marx, Auct. ad Her. 76), daß die beim
Auct. ad Her. angeführten Beispiele aus den 80 er Jahren hier fehlen und
nichts über J. 92 hinausweist, was bei der sonstigen Übereinstimmung der
beiden Schriften ins Gewicht fällt. Freilich gewinnen wir auch so nur den
Termin für Ciceros Studienzeit, nicht für die doch wohl von ihm selbst be-
sorgte Herausgabe (Eussner, BlbayrGW. 16, 2): viel später kann aber auch
diese nicht fallen, wegen pueris aut adulescentulis kaum nach J. 86. — Die
Sprache ist noch unausgeglichen und ungelenk, übrigens in den Prooemien
viel reicher als in den technologischen Partien. PhThielmann, de sermonis
proprietatibus . . ap. Cornificium et in primis Cic. libris (de inv. p.Quinct.
pSRosc), Straßb. 1879. Ströbel (A. 7).
6. Commentar des Marius Victorinus (§ 408, 6) zu der Schrift. Excepta
ex Grillii commento (§ 445, 7) bei Halm, Rhet. lat. min. p. 596. — Über
einen (wertlosen) mittelalterlichen Kommentar eines Theodoricus Brito,
homo barbaricae nationis zu Cic. de inv. s. PThomas, Mel. Graux 41. Noch
spätere Kommentare bei Delisle, Not. et extr. 36 (1899). Wisen, De schol.
rhet. ad Her. usw., Upsala 1905. Vgl. Suringar, hist. schol. lat. 1, 212.
REllis, Journ. phil. 9, 61. 13, 86. ERohde, Sehr. 2, 98. Bücheler, RhM.
38, 637. 39, 168.
7. Die besten Hss. sind eine Pariser (7774 A), Würzburger und St. Galler
Hs. (Facsim. Chatelain T. 18), alle s. IX: darüber Ströbel, Phil. 45, 469;
BlbayrGW. 30, 92; Tulliana, Münch. 1908. Dazu kommen die zahlreichen
Anführungen bei den späteren Rhetoren. — Sonderausgaben: cum not.
varior. von PBurmann, Leid. 1761 (neugedruckt v. Flindemann, Lpz. 1828).
Cic. artis rhetoricae libri II rec. AWeidner, Berl. 1878. — FBader, de Cic.
rhet. libris, Greifsw. 1869. AKnackstedt, de Cic. rhetoricorum libris ex
rhetoribus emendandis I, Gott. 1873; II Helmstedt 1874. Weidner vor s.
Ausg. p. xxn.
178. Zum Redner war Cicero wie wenige schon von Natur
berufen: die außerordentliche Beweglichkeit seines Geistes, seine
lebhafte Einbildungskraft, sein leicht entzündliches und warmes
Gefühl, ein ganz ungewöhnliches Formtalent, eine unerschöpfliche
366 Ciceronische Zeit: J. 83—43 v. Chr.
Fülle des Ausdrucks, ein glückliches Gedächtnis, die Gabe des
schlagenden und erheiternden Witzes, dazu günstige Stimmmittel
und eine würdevolle Gestalt, — dies alles führte ihn wie von selbst
auf das Hauptfeld seiner Tätigkeit. Aber er tat auch seinerseits
alles, um hier das Höchste zu erreichen: erst nach langer müh-
seliger Vorbildung, theoretischer wie praktischer, begann er öffent-
lich zu reden und stand nie stille, sondern arbeitete fortwährend
an seiner Vervollkommnung, trat immer wohlvorbereitet auf, be-
trachtete jede gelungene Leistung als eine Stufe und einen Sporn
zu einer noch vollendeteren, und suchte sich der Aufgabe und der
Mittel, sie zu erreichen, durch fortgesetztes Nachdenken und Stu-
dium bewußt zu werden. Dadurch hat er nach dem allgemeinen
Urteil schon der alten Kunstrichter den Platz zur Seite des De-
mosthenes oder gleich nach ihm erreicht, nach dem er selbst strebte.
Obwohl er an seinen Ernst und die daraus fließende Kraft nicht
hinanreicht, übertrifft er ihn an Mannigfaltigkeit, Glanz und Fülle
des Ausdrucks: die zwischen beiden liegenden Jahrhunderte hatten
nicht vergeblich an der Verfeinerung der rednerischen Mittel ge-
arbeitet. Die Worte strömen ihm so reichlich zu, daß er manchmal
breit wird, oft aber ist seine Redseligkeit auch ein Mittel, um die
Schwäche seiner Gründe zu verdecken. In der Form liegt seine
Stärke: sie ist klar, gewählt, rein, rund, sachgemäß, anschaulich,
geschmackvoll und blendend. Alle Tonarten, vom leichten Scherz
bis zum tragischen Ausdrucke, stehen ihm zu Gebote, besonders
aber gelingt ihm die Sprache der Überzeugung und Empfindung,
die er durch feurigen Vortrag noch wirkungsreicher zu machen
Do O
wußte, weshalb er überwiegend in Strafprozessen tätig war. Frei-
lich artet dieser Vorzug manchmal auch in Effekthascherei aus,
und der Prunk der Worte verhüllt oft die Armut der Gedanken
oder die Bedenklichkeit der Sache; aber dabei steht Cicero ganz
innerhalb der Tradition der antiken Gerichtsrede. Auch daß er in
der Annahme von Verteidigungen nicht sehr wählerisch war, hat
er mit den Sachwaltern aller Zeiten gemein. Als Ganzes sind
seine Reden oft nicht befriedigend und können es als aycjvCd^iatcc
eg tö 7taQa%Q'Y}{ia auch nicht sein; es fehlt ihnen nicht selten an
Schärfe der Auffassung und Anordnung; desto wirksamer sind viele
Einzelheiten.
1. Wir kennen Ciceros rednerische Entwicklung aus seiner Selbstschil-
derung im Brut. 301 ff., deren apologetische Tendenz man aber in Betracht
ziehen muß. Cic. gibt hier zu, daß er anfangs an einem gewissen Über-
§ 178. Cicero als Redner 367
schwang gelitten habe, der sich auch in übermäßiger Anstrengung der
Stimme zeigte. Seine Freunde rieten ihm, den Beruf des Sachwalters ganz
aufzugeben, aber das ließ sein Ehrgeiz nicht zu, und so beschloß er, ut
consuetudinem dicendi mutarem, nach Kleinasien zu gehen. Er hörte in
Athen den Demetrios Syros, in Kleinasien Menippos von Stratonikeia, Dio-
nysios von Magnesia, Aischylos von Knidos und Xenokles von Adramyttion,
zuletzt Apollonios Molon in Rhodos: is dedit operam, si modo id consequi
potuit, ut nimis redundantis nos et superfluentis iuvenili quadam dicendi im-
punitate et licentia reprimeret et quasi extra ripas diffluentis coerceret. ita
recepi nie biennio post (J. 77) non modo exercitatior, sed prope mutatus; nam
et contentio nimia vocis resederat et quasi de f erverat oratio, lateribusque
vires et corpori mediocris habitus accesserat. Er leugnet also keineswegs
seine Beziehungen zu den Asiani (§ 182, 3. 4), bemerkt aber von Menippos:
si nihil habere molestiarum nee ineptiarum Atticorum est, hie orator in Ulis
numerari recte potest. Jener jugendliche Überschwang ist in den beiden
ersten Reden bemerklich (§ 179, 1), und orat. 107 führt Cic. selbst p. Rose.
A. 72 als Beispiel dafür an. Die nach der kleinasiatischen Reise gehaltene
Rede p. Q. Rose, ist von Schwulst frei und zeigt den Charakter der Bered-
samkeit des Hortensius (§ 179, 3). Die spätere Entwicklung überschauen
wir noch nicht genügend; natürlich paßt Cic. den Ton dem Gegenstande
an, und Laurand Etudes 219 versucht sogar, die Anwendung der drei Stil-
arten zu verfolgen (§ 182, 4, 1). Fiegl, Cic. quatenus ad Asianum genus
accesserit, Görz 1870.
2. Die Praxis der Reden stimmt mit der Theorie im ganzen überein.
Da diese aber griechisch ist, so kommen allerlei durch die römischen Ver-
hältnisse und die Tradition des römischen Forums bedingte Abweichungen
vor; namentlich übt die Stasislehre (§ 177, 4) keine unbedingte Herrschaft
aus. FRohde, Cic. quae de inv. praeeipit quatenus secutus sit, Königsb.
1903. Preiswerk, De inventione orationum Cic, Basel 1905. Ziegeler, Zwölf
Reden Cic. disponiert, Bremen 1904. AHaacke, de disposit. orat. Cic, Burg
1873. Kunz, Inhalt und Gliederung Ciceron. Reden, Wien. Neustadt 1902.
Mury, Extraits et analyses des prineipaux discours de Cic. 3Paris 1910.
Geringer ist der Einfluß der philosophischen (akademischen) Rhetorik (§ 182, 2).
Eine ausgeführte Thesis enthält die Rede pro Murena, doch finden sich
auch sonst allgemeine Sätze und philosophische Sentenzen (nat. deor. 1, 6E.):
indeß kann dies ebenso wie die Verfeinerung der dialektischen Kunst im
Vergleich zur demosthenischen Zeit aus dem Eindringen der Philosophie in
die allgemeine Bildung stammen und braucht nicht mit den Forderungen
der Akademie zusammenzuhängen. Ranft, Quaest. philos. ad orat. Cic. per-
tinentes, Lpz. 1912. Lieby, Quantum philos. studio Cic. tribuerit, Paris 1901.
Preiswerk, Griech. Gemeinpl. in Cic Reden, Festschr. Basel 1907, 27.
FSauer, Die Verwendung der Gesch. in Cic. Reden, Ludwigsh. 1910. —
Vgl. Cics Urteil über sich Brut. 321 cum propter adsiduitatem in causis et
industriam tum propter exquisitius et minime volgare orationis genus animos
hominum ad me dicendi novitate converteram. nihil de me dicam, dieam de
ceteris, quorum nemo erat qui (wie ich) videretur exquisitius quam volgus
hominum studuisse litteris, quibus fons perfeetae eloquentiae continetur (wo-
bei besonders an die akademische Philosophie gedacht ist); nemo qui philo-
368 Ciceronische Zeit: J. 83-43 v. Chr.
sophiam . . ius civile . . memoriam rerum Romanarum teneret, . . . nemo qui
breviter arguteque inluso aäversario laxaret iudicum animos atque a severi-
taie paulisper ad hilaritatem risumque traduceret ; nemo qui dilatare posset
atque a propria ac definita disputatione hominis ac temporis (ady commune m
quaestionem universi generis orationem traducere (von der Hypothesis zur
Thesis übergehen, § 182, 2, 2); nemo qui delectandi gratia digredi parumper
a causa; nemo qui ad iracundiam magno opere iudicem, nemo qui ad fletum
posset adducere, nemo qui animum eins — quocumque res postularet impellere.
Orat. 108 nemo orator tarn multa ne in Graeco quidem otio scripsit quam
multa sunt nostra, eaque hanc ipsam habent quam probo varietatem; vgl. div.
Caec. 40 f. 72. Cic. sieht selbst seine Stärke in seiner Leidenschaftlichkeit,
orat. 129 ff., wo zB. 130 quid ego de miserationibus loquar? quibus eo sum
usus pluribus, quod etiamsi plures dicebamus, per orationem mihi tarnen omnes
relinquebant (vgl. pSull. Mur. Flacc. Sest. Balb. und die besonders ausge-
führte peroratio der Rede pMil.). Ebd. 132 nullo enim modo animus audien-
tis aut incitari aut leniri potest, qui modus a me temptatus non sit . . nulla
me ingenii, sed magna vis animi inflammat, ut me ipse non teneam. Quint.
10, 1, 105 — 112 (Vergleich mit Demosthenes, wie ihn Cic. selbst heraus-
gefordert und Caecilius von Kaiakte in der 6vyv.Qicig 4r\iio6%'£vovg %cu Ki-
■KSQcovog gezogen hatte). 12, 1, 19 — 21.
Über Cic.s Witz Quint. 6, 3, 3 non solum extra iudicia sed in ipsis etiam
orationibus habitus est (Cic.) nimius risus affectator. Deshalb läßt er auch
in de orat. B. 2 einen Vortrag über den Witz halten (s. § 182, 2, 2). Vgl.
Macrob. 2, 1, 13. Drumann, GR. 6, 599. AHaacke, de Cic. in orationibus
facetiis, Burg 1886. Faulmöller, Üb. d. Verwendung des Witzes u. d. Satire
bei Cic, Erlang. 1906. Herwig, Das Wortspiel in Cic. Reden, Attendorn
1889. Gürlitt, RhM. 57, 337.
3. Die Reden sind wohl alle für die Herausgabe verändert: namentlich
bei denen, die als politische Flugschriften dienen sollten, ist es vorauszu-
setzen. Daher läßt Dio 46, 7, 3 den Calenus zu Cic. sagen: rj oi'si xivcc
ccyvosiv, ort \ir\8iva td>v ftöLV\Lu.6xä)v Gov xovxcov Xoycov, ovg i-nSsdoaticcg, slgr]-
xag, aXXä 7tccvxag ccvxovg \isxcc xccvxa ovyyiyQCicpccg; Es wird auch bezeugt
teils durch das Vorhandensein der commentarii (§ 180, 3 und dort Quint.
10, 7, 30), teils durch das einer stenographischen Nachschrift, Ascon. in
Mil. 37, 15 itaque non ea qua solitus erat constantia dixit. manet autem illa
quoque excepta eius oratio, scripsit vero hanc quam legimus ita perfecte, ut
iure prima haberi possit. Cic. bezeugt selbst Zusätze ad Att. 1, 13, 5 in
illam orationem Metellinam addidi quaedam-, daß das z. T. auf Attikus' Rat
geschah, ergibt sich aus 1, 14, 5 meis orationibus, quarum tu Aristarchus es.
Vgl. Brut. 91. Tusc. 4, 55. Plin. ep. 1, 20, 7. § 180, Ib. Ofperskalski, De
Cic. orationum retractatione, Greifswald 1914. Ausnahmsweise wurde eine
Rede abgelesen wie post. red. in sen., pPlanc. 74 recitetur oratio, quae
propter rei magnitudinem dicta de scripto est. Von einer Rede für Cornelius
erzählte Cornelius Nepos HRF. 223 se praesente iisdem paene verbis, quibus
edita est, eam pro Cornelio seditioso tribuno defensionem peroratam. In be-
sonderen Fällen ist es auch unten bei den einzelnen Reden bemerkt. Lau-
rand, Etudes 1. Norden, SB. Berl. Ak. 1913, 29. Vgl. § 44, 7.
4. Die Reden wurden teils einzeln publiziert (vgl. ad Att. 4, 2, 2. Qu.
§ 178. Ciceros Reden (Allgemeines) 369
fr. 3, 1, 11. ad Brut. 1, 3, 4. 4, 2) teils in Corpora zusammengefaßt. Dies
geschah zB. bei den Verrinen, die Cic. or. 103 als accusationis Septem libri
zitiert und von denen Gkll. 1, 7, 1 (vgl. 13, 21, 16) einen Über spectatae fidei
Tironiana cura atque disciplina factus las. Von seinen orationes consulares,
dh. denen, die er in seiner Eigenschaft als Consul gehalten hatte, nicht
denen des Consulatsjahres, veranstaltete er selbst im J. 60 eine Sammlung,
die Demosthenes' philippischen Reden entsprechen sollte (ad Att. 2, 1, 3).
Die Caesarianae werden mehrfach unter diesem Titel zitiert. Auf eine zeit-
lich geordnete Ausgabe des Tiro führt die § 191, 2 genannte subscriptio;
vgl. dazu Fronto S. 20 N. nach der Lesung von Hauler, Mel. Chatelain 622:
exempla aut a Tirone emendata aut a Domitio Balbo deseripta aut ab Attico
aut Nepote. Auf eine Sammlung der Reden Ciceros, worin jede Rede ein
eigenes Buch bildete, weisen Zitate wie Chams. GL 1, 368, 28 Cicero cau-
sarum decimo tertio; vielleicht auch Quint. 5, 10, 98 Cicero pro Caecina
. . et alia in eodem libro plurima. Vgl. PHildebrandt , De Cic. schol. Bo-
biens., Gott. 1894, 9. Sammelhss., die eine Mehrzahl von Reden enthalten
und antike Corpora wiedergeben, sind zB. folgende: Vatic.-Basilic. S. Petri
H 25 s. IX (Facsim. bei Chatelain T. 26) enthält Pis., Font., Flacc, Phi-
lipp.; Paris. 7794 s. IX (Chat. T. 23) enthält pridie quam iret in exilium
(§ 180, 6), post red. in sen., post red. ad Quir., de domo, Sest., Vatin., de
prov. cons., de har. resp., Balb., Cael., also ein Corpus der den J. (58)57/6
angehörenden Reden (hg. von WPeterson, Oxf. 1910); dieselben zehn Reden
nebst den Caesarianae (§ 179, 41, 1) im Bruxell. 5345 s. XII; im Monac.
18787 s. X (Chatelain T. 27) Philipp., pro imp. Pomp., Mil., Süll., Plane,
Caec, Marc. Über Harleanus 2682 (früher Coloniensis) s. XI vgl. Clark,
Anecd. Oxon. I 7 (1891); über Holkhamensis (Cluniacensis) WPeterson ebd.
I 9 (Facsim. Chatelain T. 27 a). Die Reden oder einzelne Gruppen waren
öfters alphabetisch geordnet (vgl. Niebuhr zu Cic. pFont., Rom 1820, 67;
s. § 179, 3, 2), öfters zeitlich (so zB. in den oben erwähnten Paris. 7794
und Brux. 5345; HJordan, quaest. crit., Königsb. 1886, 3; vgl. § 295, 2.
374, 5). — Umfassendere Sammlungen namentlich in (jüngeren Hss. zB.
Wolfenbüttel. 205 s. XV (38 Reden); Laur. 48, 25 s. XV Chatelain T. 24)
gibt 41 Reden; Vatic.-Palat. 1525 s. XV (Chatelain T. 25) enthält die mei-
sten Reden. Wichtig ist Paris. 14749 s. XV, in dem der verlorene Clunia-
censis Poggios benutzt ist. — ■ Daß es schon früher erhebliche Varianter
gab und wir damit rechnen müssen, in jungen Hss. sehr alte Lesarten zu
finden, zeigt zB. das Papyrosfragment von pCael. aus s. V (§ 179 Nr. 34, 1),
Über die indirekte Überlieferung vgl. Emlein, De locis quos ex Cic. orat. lau-
davit Quintil., Heidelb. 1907.
4. Über den Kommentar des Asconius s. § 295, 2, Die scholia Bobiensia
stellen heute einen Kommentar zu zwölf Reden dar, darunter den verlorenen
in Clod. et Curionem, de rege Alexandrino, de aere alieno Milonis; doch
waren ursprünglich mehr Reden behandelt. Sie rühren von einem Verf.
her, der stilistischen Ehrgeiz besitzt und in erster Linie rhetorisch erklärt,
ohne doch das Historische außer Acht zu lassen. Ältere Kommentare, da-
runter der des Asconius (ob direkt?), sind natürlich benutzt. Die Stelle
155, 3 feriarum Latinarum sacrificio solebat hoc observari, ut de hostia civi-
tates adiacentes portiuneulas carnis aeeiperent ex Albano monte seeundum
Teuffei: röm. Literaturgesch. Neub. 6. Aufl. I. 24
370 Ciceronische Zeit: J. 83—43 v. Chr.
veterem superstitionem hat man für Abfassung in christlicher Zeit gel-
tend gemacht; das ist nicht zwingend, und vollends nicht, wenn die ent-
scheidenden Worte später zugesetzt sind (Stangl, RhM. 65, 106). Keines-
falls fällt die Abfassung vor das 4. Jahrh. — Mai fand den Kommentar in
einer Hs. aus Bobbio, deren Reste jetzt im Vatikan und Mailand sind (Va-
tic. 5750 und Ambros. E 147 sup.), und gab ihn zuerst in Cic. trium orat.
fragm. (Mail. 1814), namentlich aber Class. Auct. 2 (1828) heraus. Ferner
ed. Orelli, Züricher Ausg. 5, 2 (18 — 33). Hildebrandt, Lpz. 1907 und bes.
Stangl (s. u.). Vgl. Gaumitz, Zu den Bob. Cic. schol., Dresden 1884. BSchil-
ling, De schol. Bobiensibus, Dresden 1892. Hildebrandt, dgl. Gott. 1894.
Der sogenannte Scholiasta Gronovianus (s. auch § 177, 5 Z. 10), allein er-
halten im Leid. Voss. Q. 138 s. X, aus verschiedenartigen Kommentaren
zusammengewachsen, gibt Erklärungen zu Verr. 2, 1, 1 — 62 (dies ist der
älteste Teil, etwa aus s. V, ähnlich den Bobbio - Scholien) ; zu div. in
Caec; Verr. 1, 16—20; Verr. 1, 1—45; Catil. II— IV; Lig.; Marc; Deiot.;
Rose. Am.; de imp. Pomp.; Mil. ThStangl, der sog. Gronovscholiast, Prag
1884. GLandgrap zu Cic. Rose. p. 3 (§ 179, 2, 2). Ferner unbedeutende
kleinere Scholien. — Alle diese Texte jetzt zusammen in Cic. orationum
scholiastae ed. Stangl. Bd. 2, Lpz. 1912. — Sonstige alte Herausgeber und
Erklärer des Cic. sind Fronto, Flavius Caper, Volcacius, Statilius Maximus;
s. d. Auch Sacer: s. § 179, 19, 1. Vgl. Prisc. GL. 3, 316, 2 commentatores
pröbatissimi (der Reden).
5. Ausgaben sämtlicher Reden von Manutius (Ven. 1546 IH), Lambinus
(Ven. 1570 III), Graevius (cum not. var., Amsterd. 1695 — 99 III), Klotz (Lps.
1835—39 III). Clark u. Peterson, Oxf. 1900—1910 VI (maßgebender Ap-
parat).
6. Ausgewählte Reden für den Schulgebrauch zB. von Madvig (12 Reden,
Kopenh.4 1858). Halm (u. WSternkopf) (18 Reden erklärt, Berl.5-14 1882 ff.
VII) u. a. — Neuere Textausgaben der orationes selectae: die des Haller
Waisenhauses (21 1883 cur. OHeine); Halm (18 Reden, Berl. 21887), Eber-
hard u. Hirschfelder (19 Reden, Lpz.2 1879). HNohl, Lpz. 1884 ff. III.
7. Sprachliches zu den Reden: Merguet, Lexikon zu den Reden d. Cic,
Jena 1873 — 84 IV. — DRohde (§ 195, 10). JStraub, de tropis et figuris in
orat. Demosth. et Cic, Aschaffenb. 1883. ARoschatt, d. Gebr. der Paren-
thesen in Cics Reden u. rhet. Sehr., Acta semin. Erl. 3, 189. Schönberger,
Tulliana, Augsb. 1911. Vgl. § 179, 1, 1. — Berichte über die Literatur von
Landgraf, JB. 35, 1 u. ö. May, JB. 134, 123. 153, 38. Schönberger, JB. 167,
280. Luterbacher, JB. phil. Ver. seit 1898.
8. Ciceros sämtliche Reden, übersetzt v. Osiander, Stuttg. (Metzler).
Ausgewählte, übers, v. GWendt, Stuttg. (Metzler, Klass. d. Alt.) 1858;
Jenicke, Lpz. (Engelmann) 1858 ff. ; Siebelis, Stuttg. (Hoffmann) 1861 ff.
179. Die erhaltenen Reden Ciceros sind in zeitlicher Ordnung
folgende :
1) pro Quinctio, gehalten J. 81, eine Verhandlung in iudicio,
betrifft eine Privatklage, die sich aus einem Gesellschaftsverhältnis
ergab. Ciceros Klient ist in die Stellung eines Klägers gedrängt
I **M 8T' M,0HACL»8
COLLEGE
§ 179. Ciceros Reden (pQuinct., pRosc. A.) 371
und klagt auf Entscheidung der eingegangenen sponsio praeiudi-
cialis zu seinen Gunsten. Die Verhandlung ist nur ein Ausschnitt
aus dem Hauptprozesse; Quinctius soll nachweisen, bona sua ex
edicto P. Burrieni praetor is dies XXX possessa non esse.
1. In den älteren Reden zeigt die Sprache noch mehr vulgäre Bestand-
teile als später, nachdem sich Cicero einen festen Stil ausgestaltet hatte.
Richtiger sagt man, daß Cic. später in seinem Purismus noch strenger wird.
Auch ist er, dessen Vorzug niemals straffe Kürze war, in dieser Zeit häufig
sehr breit. — EWölfflin, Phil. 34, 142. GLandgraf, de Cic. elocutione in
orat. pQu. et pRosc. Am., Würzb. 1878. Hellmuth, de sermonis proprieta-
tibus in Cic. prioribus (von 81 — 69) orat., Acta semin. Erl. 1, 101. Thiel-
mann s. § 162, 4; stilist. Bemerk, zu den Jugendwerken Cic.s, BlbayrGW.
16, 202. 352. Ernst, de genere dicendi et compos. rhetorica in prioribus
Cic. orat., Neuruppin 1885. Vgl. unten Nr. 26, 1, Z. 6.
2. Den dritten Teil der Rede pQuinctio, der einen Punkt von unterge-
ordneter Wichtigkeit ausführte, scheint Cicero selbst bei der Veröffent-
lichung weggelassen zu haben; vgl. § 44, 7. Über die Wahrscheinlichkeit
des Sieges Kübler, Z. Sav. St. RA. 14, 74; über die politische Seite des
Prozesses RHeinze, Abh. Sachs. Ges. 1909, 954. — Drumann, GR. 32, 79. 5,
232. FLKeller, Semestria ad M. Tüll. Cic. 1, 1 (Zur. 1842); dazu Mommsen,
Sehr. 3, 548. ERau, disput. iuridica ad Cic. pQu., Leid. 1825. JFrei, der
Rechtsstreit des Quinctius, Zur. 1852. SBenfey, zur Jurist. Erkl. d. Rede pro
Q., Phil. 10, 126. WOetling, Cic.s Quinctiana, z. Verständnis u. zur rhetor.
Würdigung, Oldenb. 1882; philol.-jurist. Kommentar, Festschr. Hamm 1907.
Analisi giuridica von Nicastro, Melfi 1912. ECosta, Le orazioni di diritto
privato di Cic, Bologna 1899. Roby, Roman private law 2 (Cambr. 1902) 453.
3. Abgesehen von geringfügigen Bruchstücken im Turin er Palimpsest.
s. IV/V (s. Peyron, Cic. orat. p. Scauro usw. p. 214, vgl. § 180, 2) ist diese
Rede, die in Italien vor dem J. 1405 bekannt wurde, nur in jüngeren Hss.
s. XV erhalten. Clark, Anecd. Oxon. I 11 (1909) 3.
2) pro Sex. Roscio Am er in o, J. 80 gehaltene erfolgreiche
Verteidigungsrede gegen die Anschuldigung des Vatermords. Der
Fall war dadurch erschwert, daß ein Günstling des Diktators Sulla,
Chrysogonus, der eigentliche Gregner war. Auf das Zureden von
Roscius' vornehmen Freunden übernahm Cicero trotzdem die Ver-
teidigung und führte sie freimütig, aber doch vorsichtig, um Sulla
nicht zu verletzen. Die Rede ist schulmäßig streng gegliedert, breit
in der Darstellung und rhetorisch aufgeputzt.
1. Cic. Brut. 312 prima causa publica pro S. Roscio dieta tantum commen-
dationis kabuit, ut non ulla esset, quae non digna nostro patrocinio videretur.
Orat. 107. — Drumann, GR. 5, 234. ANikl, abundantiam iuvenilem in or.
p. R. A. notavit, Kempten 1836. Über das Politische RHeinze, Abh. Sachs.
Ges. 1909, 960; über die Beweisführung Lincke, Comment. Fleckeis. (Lpz.
1890) 187. May, Rhythm. Analyse d. Rede pRosc, Lpz. 1905.
2. Die Rede war schon Petrarca bekannt. AHortis, Cic. nelle opere
24*
372 Ciceronische Zeit: J. 83—43 v. Chr.
di Petr., Triest 1878. Später wurde sie auch von Poggio (um 1415) in Cluny
nebst der pro Murena aufgefunden; daher beruht der Text beider Reden
auf Abschriften des verlorenen Cluniacensis, der auch pMil. , pClu., pCael.
enthielt; wichtig ist bes. Paris. 14749 s. XV (21). Clark, Anecd. Oxon. I 10
(1905). Poggio fand auch die Reden pCaec, de leg. agr., in Pis., pRab.
Post., pRab. perduellionis reo, pRosc. com.; über die auf ihn zurück-
gehende Überlieferung dieser Reden s. Clark ebd. I 11 (1909). — Sonder-
ausgaben von Osenbrüggen (mit Einl. und Kommentar, Braunschweig 1844),
Gossrau (Quedlinb. 1853), Halm-Sternkopf (Ausgew. Reden I, Berl.12 1910),
SKarsten (Utr. 1861), FRichter' (Lpz.2 1877 von AFleckeisen, vgl. dens.
JJ. 93, 548). Mit . . dem schol. Gronov. hrsg. u. erkl. v. GLandgraf2, Lpz.
1914 (für das Sprachliche sehr reichhaltig). Auch eine Schulausgabe von
dems., Gotha 1882.
3) pro Q. Roscio comoedo, nach der gewöhnlichen Annahme
gehalten im J. 76. Gegenstand der Rede ist ein Sklave (Panurgus),
den der Kläger, C. Fannius Chaerea, dem Roscius zur Ausbildung
in der Schauspielkunst übergeben hatte, unter der Bedingung, daß
der Gewinn, den einst die Kunst des Sklaven eintrüge, zwischen
dem Herrn und dem Lehrer geteilt werde. Nun hatte aber ein ge-
wisser Flavius jenen Panurgus getötet und dafür zuerst dem Roscius
und dann dem Fannius Schadenersatz bezahlt; um dessen Tilgung
handelt es sich. Die Sachlage war für Roscius ungünstig, und Cicero
sucht sie daher zu verschleiern.
1. Die Rede verrät ein Streben nach gorgianischen Figuren, aber keinen
Schwulst; es ist die Art, die Cic. dem Hortensius zuschreibt (Brut. 302.325).
ThHuebner, De Cic. or. pRosc, Königsb. 1906. Fraglich ist, ob die Klage
auf Darlehen, Literalkontrakt oder Stipulation beruht und ob der zweite
Teil der Rede (von 15 an), den Cic. selbst als voluntaria bezeichnet im
Gegensatz zur superior oratio necessaria, einen eigentlichen Klagegrund ent-
hält. EHuschke, Richters krit. Jahrb. 1840, 481. vBethmann-Hollweg, röm.
Zivilproz. 2 (Bonn 1865), 804. JBaron, Zeitschr. d. Savigny-Stift. 1, 116.
ERuhstrat, ebd. 3, 34. Costa (s. o. Nr. 1, 2) 29. Roby (Nr. 1, 2) 486. HPflueger,
Cic. Rede p. Q. R., Lpz. 1904. Garrelon, Etüde sur le plaidoyer pRosc,
Bordeaux 1891. Morgan, Harv.-St. 12, 237. Drumann, GR. 5, 346, der die
Rede erst ins J. 68 setzt. S. dagegen Landgraf (§ 179, 1, 1), Anh. 1. Über
die Zeit auch WSternkopf, JJ. 151, 41. Mayr, WSt. 22, 115.
2. Der Anfang der Rede ist mit dem Schluß derjenigen pro C. Rabirio
perduellionis reo (Nr. 19), die in der von Poggio (s. oben Nr. 2, 2) gefun-
denen Hs. ihr unmittelbar vorausging, durch Ausfall einiger Blätter ver-
loren gegangen. — Or. p. R. C. ed., illustr. CASchmidt, Lpz. 1839. — Über-
setzt von Osenbrüggen, in Jahns Archiv 11, 544.
4) pro M. Tullio, gehalten vor reciperatores J. 12 oder 71,
Klage im Namen des Tullius gegen einen von dessen Nachbarn,
den sullanischen Veteranen P. Fabius, der ein Landhaus des Tullius
§ 179. Ciceros Reden (pRosc— Verr.) 373
(im Gebiete von Thurii) zerstört und seine Sklaven erschlagen hatte.
Cicero scheint um die Hauptfrage, ob Fabius sich der iniuria gegen
Tullius schuldig gemacht habe, vorsichtig herumzugehen.
1. Tac. dial. 20 quis (nunc) de exceptione et formula perpetietur illa
immens a volumina quae pro M. Tullio aut A. Caecina legimus? — Die Da-
tierung hängt davon ab, ob mit dem Praetor Metellus (39) P. oder L. ge-
meint ist (N. 74 oder 87 bei Münzer, PW. 3, 1230). Costa (Nr. 1, 2) 55.
Roby (Nr. 1, 2) 503. Drumann, GR. 5, 258.
2. Nur sehr unvollständig erhalten durch zwei Palimpseste s. IV/V zu
Turin und Mailand; zuerst herausg. v. APeyron und AMai, s. § 180, 2.
S. dort auch CBeiers Ausgabe. — EHuschkes Text und Kommentar in
GHuschkes Anal. lit. (Lps. 1826) 77. Keller, semestr. 1, 3, 653. PKrüger,
Herrn. 5, 146. Hubert, Herrn. 48, 631. — CBeier, iurispr. in Cic. p. T., Jahns
Jahrb. 1 (1826), 214. vSavigny, verm. Schrift. 3, 228.
5) Divinatio (in Caecilium), wodurch sich Cicero (J. 70) das
Recht erkämpfte, als Ankläger des Verres (gegen Hortensius) auf-
zutreten statt des von dem Bedrohten vorgeschobenen Scheinklägers
Q. Caecilius Niger; und
6 — 11) in Verrem, 6 Reden in zwei actiones, die einzige An-
klage, die Cicero übernommen hat. Auf Bitten der Sieuli, denen
er durch seine Quästur bekannt war, belangte er den Verres wegen
seiner Erpressungen in der prätorischen Provinz Sicilien. In der
ersten actio am 5. August 70 hielt Cicero die erste Rede als Ein-
leitung zur eigentlichen Klage. Darauf brachte er in der neuntägi-
gen Verhandlung die einzelnen Klagepunkte in der Weise vor, daß
er gleichsam nur die Überschriften gab, den Text aber durch Zeugen-
verhör und Verlesung von Urkunden sich von selbst bilden ließ.
Als dann der Beklagte seine Verurteilung voraussehend freiwillig
in die Verbannung gegarigen war, verarbeitete Cicero den reich-
haltigen Stoff zu den fünf Büchern der actio secunda: de praetura
urbana, de iurisdictione Siciliensi, de frumento, de signis, de sup-
pliciis. In diesen nicht wirklich gehaltenen Reden gibt sich Cicero
den Anschein, als habe sich Verres zur zweiten Verhandlung (accu-
satio) gestellt und als solle durch diese Reden auf die Findung des
Urteils noch eingewirkt werden. Sie gehören durch Reichhaltigkeit
des Inhalts, Lebendigkeit und Anschaulichkeit der Darstellung zu
den vorzüglichsten des Cicero.
1. Über die Motive zur Übernahme des Prozesses s. Heinze aO. 971.
Die Divinatio ist ein sachlich wie sprachlich glänzendes Beispiel einer di,a-
ßoXrj, voll von Ausfällen gegen die dem Untergange geweihten senatorischen
Gerichte (8 f. 24. 70). Caecilius (aus Sicilien) war ein u7tslevd'SQi7ibg uv&qoj-
Ttog, hvo%og reo iovdctt&iv (Plut. Cic. 7). LFriedländer, Sittengesch.8 4, 239.
374 Ciceronische Zeit: J. 83—43 v. Chr.
Daher des Cic. Witz: quid Iudaeo cum verre? (Plut. aO.). — WSluiter, de
Cic. div. in Caec. , Leid. 1832. WSternkopf, Gedankengang d. div. in C,
Dortmund 1905.
2. Nachdem Cic. die Anklage übertragen war, ließ er sich eine Frist
von 110 Tagen geben und verwendete 50 davon, um in Sicilien Material
gegen Verres zu sammeln. Da aber Gefahr vorlag, daß der Prozeß bis ins
folgende Jahr verschleppt wurde, denn beide Consuln standen auf Verres'
Seite, so beschloß Cic. die Sache womöglich durch die actio prima zur
Entscheidung zu bringen; diese bestand daher in ihrem wesentlichen Teile
in einer Anklage tabulis testibus privatis publicisque litteris auctoritatibus-
que (33), die auf perpetua oratio verzichtete und sich zur Publikation nicht
eignete; was Cic. veröffentlicht hat, ist nur die Einleitung. Sie begründet
mit den Machenschaften des Yerres, weshalb Cic. eine schleunige Entschei-
dung herbeizuführen sucht, und bereitet auf die schonungslosen Angriffe
gegen die Senatsgerichte vor. Über die Chronologie s. Zielinski, Phil. 52,
248. Kübler ebd. 54, 464. Bardt, Herrn. 39, 643. — Die actio secunda läßt
vielfach erkennen, daß sie nicht ivccymvios ist, indem sie oft in epideiktisch
gehaltene Beschreibungen übergeht. Cic. weist or. 103 selbst auf den Wechsel
des Tones in accusationis Septem libris hin und nennt die Stellen de Hen-
nensi Cerere, de Segestana Diana, de Syracusarum situ (4, 106. 72. 117) ebd.
210 (vgl. 167) als Beispiele für numerosa oratio. — Drumann, GR. 5, 263.
327. Zu B. 4 vgl. König, de Cic. in Verr. artis operum aestimatore, Jever
1863. WGöhling, de Cic. artis aestimatore, Halle 1877. HDegenkolb, die
lex Hieronica . . , Beitr. z. Erkl. d. Verrinen, Berl. 1861.
3. Die wichtigsten Hss. der Verrinen sind der Paris 7774 A s. IX (B. 4
u. 5. Facsim. Chatelain T. 31, 1), der sehr wertvolle vatikanische Palim-
psest (Regin. 2077 s. IV?, Facsim. Zangem. und Wattenb. Tf. 4, Chatelain
T. 32 vgl. Peterson, Praef. xm), Paris. 7776 s. XI (Chatelain, T. 31, 2),
und Cluniacensis (Holkham.) s. IX (B. 2. 3). Ein Palimpsest-Bl. (s. III?) zu
Verr. 2, 1, 44 — 45 in Turin (Chatelain T. 30). Papyrusfragm. aus B. 1 und 2
in Oxyrh. Pap. 8, 153. 10, 142. Pap. greci e lat., Firenze 1912, 43 (Ramo-
rino). — HKarbaum, de auctor. grammaticorum in constit. lect. in Verr.,
Diss. Hai. 6, 71. — Ausgaben der Verr. von GZumpt (Berl. 1831; Text be-
sonders, ebd. 1830), GLong (with a commentary, 2Lond. 1862). EThomas,
Paris 1892 ff., Peterson, Oxf. 1907. Einzeln lib. II von Creuzer und Moser,
Gott. 1847. — Rede g. Caecil. u. g. Verr. IV u. V, erkl. von CHalm (aus-
gew. Reden II, Berl.8 1882). Dieselben Reden einzeln von Richter-Eberhard -
Nohl (Div. in Caecil., Lpz.2 1884; in Verr. IV, Lpz.4 1988, und V, Lpz.2 1879).
— B. IV u. V par EThomas, Par. 1886. 85. B. IV nach Lehrs übersetzt
von Pfündtner, Königsb. 1879.
12) pro M. Fonteio, vom Jahre 697 in einer Repetundenklage;
nur unvollständig erhalten.
1. Den größten Teil des Erhaltenen verdankt man dem Vatic.-Basilic.
(s. § 178, 3). Niebuhr (§ 180, 2) fügte aus dem palimps. Palatino- Vaticanus
24 s. V (Chatelain T. 32) neue Bruchstücke des ersten Teils hinzu (auch
in Mais class. auct. 2, 363); die aus einer Hs. in Cues s. XII bei JKlein
(§ 180, 2) S. 57 gehören zum Teil nicht zu dieser Rede, sondern zu pFlacco
§ 179. Ciceros Reden (Verr.— pCluent.) 375
(s. u.). — Über den Inhalt der Rede s. Drumann, GR. 5, 329. ARSchneider,
quaest in Cic. p. Font., Lps. 1876. Fonteius hatte Gallien in einer für die
Provinzialen drückenden Weise verwaltet; in dem erhaltenen Teile sucht
Cic. besonders zu zeigen, daß seine Verwaltung für die Römer vorteilhaft
war und daß auf das Zeugnis der Gegner nichts zu geben sei.
13) pro Caecina, aus dem J. 69, gehalten vor reciperatores,
über eine sehr verwickelte Erbschaftsstreitigkeit, wobei Cicero auf
die juristische Seite der Sache sehr genau eingehen muß.
1. Cic. orat. 102 tota mihi causa pro Caecina de verbis interdicti fuit:
res involutas definiendo explicavimus, ius civile laudavimus, verba ambigua
distinximus. Vgl. Tac dial. 20 (oben S. 373, Z. 4). Verteidiger der Gegen-
partei (des S. Aebutius) war C. Piso.
2. Beste Hss.: Tegernseensis s. XI, Erfurtensis s. XII. Bruchstücke im
Turiner Palimps., s. oben Nr. 4,2; vgl. auch 2, 2. — Sonderausgabe von
AJordan (Lps. 1847, dazu Nachtrag de cod. Tegernseensi, Lps. 1848). —
EHuschke in JGHuschkes analect. lit. 164. Drumann, GR. 5, 335. LKeller,
semestr. lib. II (Zur. 1843) u. dazu Mommsen, Sehr. 3, 558. Costa (Nr. 1, 2)
73. Weitere Literatur bei Boegli, Üb. Cic. Rede für Caec, Burgdorf 1906, 5;
Beitr. z. Lehre vom ius gent., Burgd. 1913, 61». Analisi giuridica von Ni-
castro, Melfi 1912. Über den Stil Laurand, Etudes 284. ZfAW. 1848, 865.
GZimmemmann, de A. Caecina (1852), p. 6.
14) de imperio Cn. Pompei, gehalten im J. 66 von Cicero
als Praetor zur Unterstützung der von Catulus und Hortensius be-
kämpften lex Manilia, durch die Pompeius ein außerordentliches
Kommando zur Beendigung des Mithridatischen Krieges erhalten
sollte. Die Rede nähert sich dem ysvog enidEiKXLXov, das Lob des
Pompeius ist stark aufgetragen, die Anordnung durchsichtig, die
Darstellung meisterhaft.
1. Cic. or. 102 fuit ornandus in Manilia lege Pompeius: temperata ora-
tione ornandi copiam persecuti sumus. Fronto p. 221 mihi profecto ita vide-
tur, neminem umquam neque Romana neque Graecorum lingua faeundius in
contione populi laudatum, quam Cn. Pompeius in ista oratione laudatus est,
ut mihi ille videatur non ita suis virtutibus ut Ciceronis laudibus Magnus
cognominatus. Vgl. Schol. Gronov. p. 316 — 322 St. — Handschriften der
Erfurtensis (s. oben Nr. 13, 2), Harleianus, Tegernseensis u. a. — Drumann,
GR. 5,356. Heinze, Abh. Sachs. Ges. 1909, 983. ANikl, levitatem et falla-
ciam argumentationis in Cic. or. etc. ostend., Kempten 1842. Bauermeister,
Cic. Rede de imp. P. nach ihrem rhet. Werte, Luckau 1861. Über den Stil
Laurand, Etudes 284. — Ausgaben von CBenecke (Lps. 1834), Halm (Lps.
1849 und ausgew. Rdn. I, Berl.12 1910), Gossrau (Quedlinb. 1854), FRichter
(Lpz.3 1883 v. Eberhard). ASWilkins, Lond. 1885. Preud'homme, Gand 1893.
15) pro A. Cluentio H ab ito, Verteidigung wegen Giftmordes
und Richterbestechung aus dem J. 66, als sittengeschichtliches Do-
kument von großem Interesse.
376 Ciceroniselie Zeit: J. 83—43 v. Chr.
1. Quint. 2, 17, 21 Cicero se tenebras offudisse iudicibus in causa Cluentii
gloriatus est. Vgl. ebd. 4, 5, 11 (Tadel der partitio). 6, 5, 9. 11, 1, 61—63. 74.
Apoll. Sid. ep. 8, 10 M. Tullius .. pro Cluentio ipse se vicit. — Hss.: Pog-
gios Cluniacensis (o. 2, 2). Laur. 51, 10 s. XL Bruchstücke im Turiner Pa-
limpsest. — Ausgaben von JClassen, Bonn 1831, WRamsay, Oxf.8 1889.
WPeterson, Lond. 1899. JFausset, 4Lond. 1901. — Erörterungen des Rechts-
falls Drumann, GR. 5, 360. CNiemeyer, der Prozeß gegen Cl., Kiel 1871.
CBardt, zu Cic.s Cluentiana, Neuwied 1878. Nettleship, lectures and essays
(Lond. 1885) 67. Boll, Comment. Monac. 1891, 201.
16 — 18) Drei Reden de lege agraria contra P. Servilium Rul-
lum, die frühesten von Ciceros Consulatsreden (J. 63). Er bekämpft
darin den von Caesar veranlaßten demokratischen Vorschlag des
Volkstribunen Servilius, für den Ankauf und die Verteilung von
Ländereien in Italien einen Zehnerausschuß mit den ausgedehntesten
Befugnissen einzusetzen. Den zugleich gegen Pompeius gerichteten
Autrag bekämpft Cicero in schärfster Form, indem er ihn nament-
lich vor dem Volke als staatsfeindlich hinzustellen sucht. Die erste
Rede ist am 1. Jan. im Senat gehalten (übrig ist uur der letzte Teil),
die zweite und (kurze) dritte an das Volk gerichtet, eine vierte
(gleichfalls kurze) ist nicht auf uns gekommen.
1. Eine Übersicht seiner Consulatsreden gibt Cic. selbst Att. 2, 1, 3
(§ 178, 3) und nennt dort vier Reden gegen dieses Gesetz. Cic. ist ent-
schlossen, das Gesetz, dessen wahren Urheber Caesar {cum istis tuis aucto-
ribus 2, 98 vgl. 1, 16. 2, 23) und dessen gegen Pompeius gerichtete Absicht
er erkannte, um jeden Preis zu Falle zu bringen , 2, 101 si hoc dissuadere
est ac non disturbare atqiie peruertere. Von diesem Gesichtspunkte aus wollen
seine Reden beurteilt sein, nicht als Gradmesser für seine sozialpolitische
Einsicht, die freilich kaum größer war als die seiner Standesgenossen (Pöhl-
mann, Gesch. der sozialen Frage 2, 454). Vor dem Volke trägt er stark auf
und versucht mit dem Schreckgespenst des regnum (2, 15. 24. 57. 75) und
der Tyrannis (2, 32) sowie eines wiedererstehenden und Rom bedrohenden
Capua (2, 76 ff. vgl. 1, 18) die biederen Quiriten bange zu machen, ja er
operiert mit der Möglichkeit einer Kolonie auf dem Janiculum in capite at-
que cervicibus nostris (2, 74). Er selbst sucht als popularis zu erscheinen
(2, 6 ff. 102, vgl. 1, 23), der die libertas des Volkes verteidige (2, 16. 24. 29.
75), ein warmes Herz für dessen Nöte habe (genus ipsum legis agrariae
vituperare non possum 2, 10) und die Gracchen bewundere (2, 10. 31. 81).
Namentlich muß er sich von dem Verdachte reinigen, mit Sullas Regierung-
einverstanden zu sein, und diesem Zwecke dient die dritte Rede (vgl. 2, 81
und anderseits 1, 12). Vor dem Senat spricht er gemäßigter, greift aber
auch hier den Rullus (1, 2 vgl. 2, 48) und seinen Schwiegervater (1, 14 vgl.
2, 69. 3, 3. 8. 13) persönlich auf das heftigste an. Für die Beurteilung
kommt zunächst nur die Frage in Betracht, ob die von ihm angewendeten
Mittel zur Erreichung des beabsichtigten Zieles geeignet waren, und das
sind sie zweifellos. Rullus zog seine Anträge selbst zurück. Plin. NH. 7, 117
§ 179. Ciceros Consulatsreden 377
te dicente legem agrariam, hoc est alimenta sua, abdicarunt tribus. In der
zweiten Rede dankt er zugleich für das ihm, dem liomo novus, suo anno
übertragene Consulat.
2. Beste Hss.: Erfurtensis (s. oben Nr. 13, 2), Palat. 1525 s. XV. —
Rec. et expl. WZumpt, Berl. 1861. - Drumann, GR.2 3, 141. Mommsen, RG.
36, 182. — HSchwarz, miscellanea philol. (Lps 1878), 3—24. Haenicke, zu
Cic.s Reden de lege agr., Stettin 1883.
19) pro C. Rabirio perduellionis reo, aus J. 63. C. Caesar hatte
Rabirius wegen der 37 Jahre zurückliegenden Tötung des Volks-
tribunen Appuleius Saturninus belangen lassen, um gegen die Senats-
partei zu manifestieren. Der Volkstribun T. Labienus brachte eine
Klage auf perduellio nach dem veralteten duumviralen Verfahren
ein, und da dieses sich als undurchführbar erwies, strengte er einen
Multprozeß gegen ihn an. In diesem verteidigte ihn zuerst Horten-
sius, dann Cicero, der auch hier sein Verfahren als das wahrhaft
volksfreundliche hinstellt.
1. Cic. in Pis. 4 ego in C. Rabirio perduellionis reo . . senatus auctori-
tatem sustinui contra invidiam atque defendi. Aus dieser Stelle stammt wohl
die falsche Überschrift perduellionis reo. Orat. 102 ius omne retinendae
maiestatis Babirii causa continebatur : ergo omni genere amplificationis exar-
simus. Für, die Auffassung der Sachlage ist maßgebend bes. § 8 quid ego
ad id long am orationem comparem , quod est in eadem multae irrogatione
praescriptum , hunc neque suae neque alienae pudicitiae pepercisse? und 10
nam de perduellionis iudicio, quod a nie sublatum esse criminari soles, meum
crimen est, non Habiri. Die peroratio geht auf das Mitleid aus, bes. § 37.
Die Rede ist unvollständig erhalten (der Schluß fehlt, s. oben Nr. 3, 2) durch
junge Hss., die von dem Funde Poggios abhängig sind, s. oben Nr. 2, 2;
dazu gab Niebuhr 1820 einige Bruchstücke aus einem palimps. Palatino-
Vaticanus heraus (§ 180, 2). — Ein alter Erklärer bei Charis. GL. 1, 211, 20
quod iudicii genus (vorher ist Rabirius perduell. reus erwähnt) Sacer in
eandem orationem M. Tullii ab Horatio sumptum ait usw. — Über die Sache
vgl. Mommsen, RG. 36, 169. Drumann 32, 150. RLallier, rev. hist. 12 (1880),
257. HWirz, JJ. 119, 177. — HPutsche, d. genus iudicii der Rede Cic. pRab.,
Jena 1881. ASchneider, Festschr. f. Windscheid, Zürich 1889. OSchulthess,
d. Prozeß des Rab., Frauenfeld 1891. vdMühll, De Appul. Saturn., Basel
1906, 7. Dafür, daß die Rede wirklich in einem Perduellionsprozesse ge-
halten sei, tritt wieder ein WWegehaupt, Cic. Rede pRab., Hamburg 1912.
— Sonderausg. von EHeitland, Cambr. 1882.
20 — 23) Die vier Reden in L. Catilinam, in Sachen der catili-
narischen Verschwörung. Die erste, am 8. Nov. 63 im Senat ge-
sprochen, hält dem Catilina seine neuesten Schritte im einzelnen
vor; die zweite, vom 9. November, gibt dem Volke von den Vor-
gängen im Senat und Catilinas Abreise aus Rom Nachricht; die
dritte, vom Abend des 3. Dezember, teilt dem Volke die auf Grund
378 Ciceronische Zeit: J. 83—43 v. Chr.
der den Allobrogern abgenommenen Briefschaften erfolgte Verhaf-
tung der in Rom befindlichen Catilinarier mit; die vierte ist am
5. Dezember im Senat gehalten und unterstützt den Antrag auf
Hinrichtung der Verhafteten. Cicero hat alle Reden für die Her-
ausgabe erweitert, schon um das von ihm eingeschlagene Ver-
fahren nachträglich zu rechtfertigen, und wohl auch bei der Zu-
sammenfassung der Consulatsreden noch apologetische Zusätze
gemacht.
1. Daß Cic. mit der Veröffentlichung der in einer so heiklen Sache ge-
haltenen Reden außer dem Wunsche, seine Verdienste ins rechte Licht zu
stellen (3, 1. 4, 1. 20), den Zweck verbindet, seine angreifbaren Handlungen
zu motivieren, ist selbstverständlich. Es waren dies zwei: er hatte Catilina
nicht verhaftet, sondern aus der Stadt getrieben, und er hatte die Catili-
narier hinrichten lassen. Über jenen Punkt spricht er 1, 27. 2, 3. vgl. 3, 3.
16 f., über diesen 2, 28 und 4: Manches klingt so, als sei es zur Abwehr
späterer Angriffe geschrieben, so 4, 1. 9. 20 quanta manus est coniuratorum
. . tantamme inimicorum multitudinem suscepisse video . . . quodsi aliquando
■alicuius furore et scelere concitata manus ista plus vdluerit quam vestra ac
reip. dignitas, me tarnen meorum factorum atque consiliorum numquam pae-
nitebit. Über die Umarbeitung der 4. Rede bei der Herausgabe s. Chambalu,
Progr. Neuwied 1888. Eine Dublette, die durch einen Zusatz 3, 25 ent-
standen ist, bespricht Norden, SB. Berl. Ak. 1913, 6. Sonnenburg, RhM.
68, 459. — Zur Sache vgl. besonders Drumann GR. 5, 377. Mommsen, RG.
36, 175; Sehr. 7, 84. GBoissier, La coniuration de Cat.2, Paris 1908. RWirtz
(§ 205, 6). CHachtmann, die chronol. Bestimmung von Cic. in Cat. I u. II,
Seehausen 1877. AWeidner, Phil. Anz. 8, 410. AWZumpt, JJ. Suppl.
7, 577 und bes. CJohn, die Entstehungsgesch. der Catilinar. Verschwörung,
ebd. 8, 703. 782; JJ. 131, 841; Phil. 46, 650. Ogorek, wann hat Cic. in Cat.
I u. II gehalten? Rudolfswert 1878. 79 II. AKühn, quo die Cic. or. in Cat. I
habuerit, Bresl. 1885. Füsslein, Über Cic. 1. Rede geg. Cat., Merseb. 1889.
1899 II. Haccius, Gliederung der 1. catil. Rede, Weißenburg 1897. —
EvStern, Catil. u. d. Parteikämpfe in Rom der Jahre 66 — 63, Dorp. 1883.
2. F AWolf machte sich den Scherz, mit ernster Miene die Unechtheit
einer dieser Reden anzudeuten, und behauptete dies später, immer noch
doppelsinnig, von altera ex mediis duabus. Demgemäß wurde denn von
scharfsinnigen Leuten die Unechtheit zuerst bald von II, bald von HI, weiter-
hin von IV f erwiesen', ja schließlich auch von I! Der reichlich aufgewir-
belte kritische Staub hat sich jetzt längst wieder gelegt. Vgl. zB. über
diese Frage die verständigen Bemerkungen von Drumann, GR. 5, 470. Auch
Madvig, op. acad. 2, 338. Zielinski, Phil. Suppl. 9, 218. Eine besonnene
Kritik, die nicht aus scheinbaren oder wirklichen Anstößen sofort den Fehl-
schluß der Unechtheit zieht, wird diese Reden unangefochten lassen.
3. Diese Reden sind in sehr vielen zum Teil stark verfälschten Hss.
erhalten; zu den besten gehören zB. Vossian. s. XI, Ambros. C 29 inf. s. X
(Facsim. Chatelain T. 28, 3) und Holkhamensis s. IX. Ein Papyrusfragment
in Pap. Rylands 1, 61. — Ausgaben von CBenecke (Lpz. 1828), Halm (Aus-
§ 179. Ciceroa Reden (Catil.— pArch.) 379
gew. Rdn. III, Berl.14 1900), Richter (Lpz.7 1912 von Nohl). APasdera,
Turin 1885.
24) pro L. Murena, erfolgreiche Verteidigung des nach lex
Tullia de ambitu belangten designierten Cos. L. Licinius Murena
(Nov. 63). Die Rede enthält wenig eigentliche Argumente, da Hor-
tensius und Crassus vor Cicero gesprochen hatten , ist aber geist-
reich und heiter, mit allerlei Witzen über Jurisprudenz und Stoi-
zismus, deren Vertreter dem Cicero in Murenas Mitbewerber Ser.
Sulpicius Rufus und M. Cato gegenüberstanden; außerdem beutet
sie die Furcht der Geschworenen vor einem Consulat des Catilina
eifrig aus. Die Rede ist jedoch nicht so gehalten, wie sie geschrie-
ben ist.
1. Quint. 6, 1, 34. 11, 1, 69f. Plut. Cic. 35. In 57 sind de Postumii cri-
minibus, de Servii adolescentis nur die Überschriften gegeben; s. Nr. 34, 1.
§ 44, 7. Außerdem hat gegen das Ende der überlieferte Text durch den
Zufall verschuldete Lücken, wie 73. 80. 85. Gegen die unbegreifliche Ver-
dächtigung der Rede durch StHaupt, Ist Cic. R. p. Mur. echt?, Znaim 1911
vgl. Harrer, ClPh. 9, 83. Erweiterungen bei der Herausgabe im J. 62 sucht
Rosenberg, StudieD zur Rede Cic. p. M., Hirschberg 1902 wahrscheinlich zu
machen. — Vgl. Drumann, GR.2 4, 200. 5, 477. Niebuhr, kl. Sehr. 2, 213.
AGrumme, Cic. or. pMur. dispositio, Gera2 1898.
2. Über die Hss. s. oben Nr. 2, 2. — Ausgaben: Rec. et explieavit
WZumpt, Berl. 1859. Erklärt von GTischer (Berl. 1861), Halm (Ausgew. Rdn.
VII, Berl.5 1893), AKoch (und Landgraf, Lpz.2 1885). — Übersetzt von
GWendt, Stuttg. 1869.
25) pro P. (Cornelio) Sulla, aus dem J. 62, erfolgreiche Ver-
teidigung gegen die Anklage auf Teilnahme an der catilinarischen
Verschwörung. Da über die Teilnahme an der ersten Verschwörung
schon Hortensius gesprochen hatte, so beschränkt sich Cicero auf
die zweite, wobei er mit vielen Worten entschuldigen muß, daß ge-
rade er diese Verteidigung übernommen habe.
1. Schol. Bob. p. 77 — 84 St. Da über die Sache selbst nicht viel zu
sagen ist, so redet Cic. viel von sich und seinen Verdiensten und weist
eingehend den Vorwurf zurück, daß er ein peregrinus rex sei (22). Ein
eigentümliches Licht fällt auf diese Verteidigung, wenn die bei Gell. 12,
12, 2 erzählte Geschichte wahr ist: cum emere vellet in Palatio domum et
peeuniam in praesens non haberet, a P. Sulla, qui tum reus erat, mutua
sestertium viciens tacita aeeepit usw. Münzer, PW. 4, 1518. — Beste Hs.:
Monac. 18787 (Tegernseensis). — JEverts, de Cic. or. p. Sylla, Nymwegen
1835. — Ausgaben von Frotscher (Lps. 1831; Kommentar 1832), Halm (Lps.
1845 und Ausgew. Rdn. VII, Berl.5 1893), FRichter (und Landgraf, Lpz.3
1885), SReid (Cambr. 1882).
26) pro Archia, gehalten im Jahr 62 zur Verteidigung von
des griechischen Dichters Archias' bestrittenem Bürgerrechte.
380 Ciceronische Zeit: J. 83—43 v. Chr.
1. Tac. dial. 37 nee Ciceronem magnum oratorem P. Quintius defensus
aut Licinius Archia faciunt: Catilina et Milo et Verres et Antonius hanc
Uli famam circumdederunt. Die Rede enthält viel Deklamation und ist des-
wegen Cicero abgesprochen worden, zuerst von WSchröder (Lpz. 1818; da-
gegen Platz, Seebodes krit. Arch. 1820— 22j; dann von WBüchner (Schwe-
rin 1839. 1841, dagegen JLattmann, Gott. 1847). Aber Cic. bittet die Richter
selbst § 3 um die Erlaubnis, uti prope novo quodam et inusitato genere di-
cendi. Vgl. 18 utar vestra benignitate, quoniam me in hoc novo genere di-
cendi tarn diligenter attenditis. Und da die Rechtslage sehr einfach war, so
hatte er hier einmal Gelegenheit, &szLytoizsQov (§ 182, 2, 2) de studiis huma-
nitatis ac litterarum (3) und de amore gloriae (28) zu reden und Zeugnis
davon abzulegen, was er der griechischen Bildung verdankte. Daß die Er-
örterungen über die Beziehungen zwischen Dichtern und Feldherren (23 — 27)
sehr im Allgemeinen bleiben, liegt daran, daß er auf Archias' Verhältnis
zu Lucullus in jener Zeit, wo dieser mit Pompeius auf gespanntem Fuße
stand und Cic. es mit diesem nicht verderben wollte, nicht eingehen mag.
WSternkopf, Die Ökonomie d. Rede f. Arch., Herrn. 42, 337.
2. Beste Hss.: Bruxellensis (Gemblacensis) 5352 s. XII (Facsim. Chate-
lain T. 33), Erfurtensis s. XII (s. oben Nr. 13, 2). — Ausgaben von Stüren-
burg (Lps. 1832. Lpz. 1839), Halm (Ausgew. Rdn. III, Berl.14 1900), FRichter
(Lpz.6 1905 von Nohl). EThomas, Paris10 1912. PThomas, Mons 1882. Reid,
Cambr.2 1884.
3. Zur Erklärung: Schol. Bob. p. 175 St. ThReinach, De Archia, Paris
1890. FJacobs in Ersch und Grubers Allg. Enc. 1, 5, 137. Drumann, GR2
4, 213. JMay, Die Rhythmen in d. Rede pArch., Durlach 1906.
27) pro L. (Valerio) Flacco, aus dem J. 59, erfolgreiche Ver-
teidigung gegen eine Repetundenklage wegen der Verwaltung von
Kleinasien, die D. Laelius erhoben hatte.
1. Macrob. Sat. 2, 1, 13 pro L. Flacco, quem repetundarum reum ioci
opportunitate de manifestissumis criminibus exemit. is iocus in oratione non
exstat: mihi ex libro Furii Bibaculi notus est. Vor Cic. hatte Hortensius
gesprochen, der Flaccus1 Anteil an der Festnahme der Allobroger und Cic.s
Verdienste um die Entdeckung der Verschwörung gepriesen hatte (ad Att.
2, 25, 1). Cic. kann sachliche Gründe kaum vorbringen und versucht zB.
die Glaubwürdigkeit der griechischen Zeugen anzuzweifeln und Flaccus'
Verurteilung als ein Opfer an die Manen des Catilinariers Lentulus hinzu-
stellen. — Die Rede hat im Anfang eine Lücke, die von AMai mit Hilfe
des scholiasta Bobiensis (p. 93 — 108 St.) und aus einem cod. Ambros. (§ 180, 2)
zum Teil ausgefüllt wurde. Haupthandschrift der Vatic. Basilic. s. VIII/IX
(§ 178, 3), der indessen nur § 39—54 enthält. Sonst Paris. 14749. Für
§ 75—83 fehlt hs. Beglaubigung: sie sind nach Mitteilungen Peutingers
aus einer verschollenen Hs. zuerst gedruckt in der Ausg. des Cratander,
Basel 1528. Vgl. Mommsen, Sehr. 7, 36. — Drumann, GR. 5, 619. ABergmann,
Einl. in Cic. Rede f. Fl., Schneeberg 1893. FSchöll, RhM. 51, 381. Lezius
Phil. NF. 14, 593. — Ausgabe: erklärt von duMesnil, Lpz. 1883.
28 — 31) Vier Reden post reditum, nämlich (28) oratio cum
senatui gratias egit, (29) cum populo gratias egit, beide stark epi-
§ 179. Cicero3 Reden (pArch. — post red.) 381
deiktisch, (30) de domo sua ad pontifices, um die Ungültigkeit der
Weihung seines Hausplatzes durch Clodius und somit die Statt-
haftigkeit von dessen Rückgabe zu beweisen, diese drei aus dem
Sept. 57, (31) de haruspicum responsis, letztere aus dem J. 56 und
veranlaßt durch die Erklärung der haruspices, das Heilige werde
mißachtet, was Clodius auf Ciceros Hausbau an geweihter Stätte
gedeutet hatte, Cicero nun aber umgekehrt auf Clodius bezieht.
1. Die erste Rede ist eine Danksagung für das, was der Senat und be-
sonders P. Lentulus und Pompeius zu Gunsten von Ciceros Rückberufung
getan hatten; damit verbindet sich ein maßloser Ausfall gegen die ihm
feindlichen Consuln des J. 58, Gabinius und Piso, und eine Rechtfertigung
seines Verhaltens (ad Att. 4, 1, 5). Der zweiten Rede, ad Quirites, fehlt es
zwar an äußerer Beglaubigung, jedoch sind sachliche und zum Teil auch
wörtliche Berührungen mit der ersten Rede keine Verdachtsgründe. Auf den
Vergleich mit Marius (19 f.) wird hier mehr Nachdruck gelegt als vor dem
Senat. MLange, de Cic. altera post reditum oratione, Lpz. 1875. Als Datum
der dritten Rede ergibt sich aus ad Att. 4, 2, 2 der 30. Sept. 57: acta res
est accurate a nöbis, et si umqiiam in dicendo fuimus aliquid . . tum pro-
fecto dolor reique magnitudo vim quandam nobis dicendi dedit. Aus Quint.
10, 1, 23 sehen wir, daß auch Calidius de domo Ciceronis sprach. Auch
diese Rede ist eine Abrechnung mit den Feinden, vor allem mit Clodius:
3 — 31 hält er ihm eine Äußerung vor, die er über Cic.s Eintreten für Pom-
peius' Ausstattung mit einem fünfjährigen Imperium getan hatte, 34 — 42
seine rechtswidrige Adoption, namentlich aber sein ungesetzliches Vorgehen
gegen Cic, mit dem seine Anträge für Gabinius und Piso kontrastieren;
zur Sache kommt er eigentlich erst 100. — Die vierte Rede ist in der Form
eines Kommentares zu dem Gutachten der Haruspices eine heftige Schmäh-
schrift gegen Clodius; Cic.s eigene Sache ist in § 8 — 17 erledigt. Mit größe-
rer Ausführlichkeit als sonst wird dem Clodius sein ganzes Sündenregister
vorgehalten. Auch an einem so heiklen Punkt wie Clodius' Verhältnis zu
den Triumvirn (47) geht Cic. nicht vorüber. Hier wie in allen diesen Reden
ist von der avt-r}6is ein starker Gebrauch gemacht. Über die Zeit vgl. Hilde-
brandt, De schol. Cic. Bobiens. 24.
2. Die Reden sind unzweifelhaft echt, obwohl früher vielfach bestritten.
JMarkland (Remarks on the epistles of Cic, to Brutus etc., d. 1745, vgl.
Wolfs Ausg. p. xlvii) fand mit seinen Zweifeln gewichtige Unterstützung
an FAWolf (Cic. quae vulgo feruntur orat. IV etc., Berl. 1801), dessen An-
sicht für Kayser (in s. und Baiters Ausg. 4, ix) u. a. maßgebend war; vgl.
MLeopold, de orat. IV quae iniuria Cic. vindicantur, Leiden 1890. Darüber
vielerlei Verhandlungen; zB. Savels, De vindicandis Cic. V orationibus,
Köln 1828. Neuere Literatur: Drumann, GR. 22, 254. 262. GLahmeyer, orat.
de harusp. resp. originem Tullianam etc., Gott. 1849; WHoffmann, de fide
orat. Cic. de har. resp., Burg 1878. ADietzsch, RhM. 12, 529. Grotenfeld,
de or. Cic. de domo inventione et dispositione, Helsingf. 1879. CRück, de
Cic. or. de domo, Münch. 1881.
3. Beste Handschrift der Parisinus 7794 s. IX, dann Harleianus 4927
382 Ciceronische Zeit: J. 83—43 v. Chr.
b. XII, Bruxell. 5345 s. XII; zu dem Corpus dieser Reden gehört auch die
unechte pridie quam in exilium iret (§ 180, 6). — HWagner, Cic. or. post
red. in senatu rec, Lps. s. a. (1858).
32) pro P. Sestio, vom März 56, erfolgreiche Verteidigung
gegen die Anklage auf vis, mit Aufbietung aller Mittel der Bered-
samkeit. Mehr noch aber als von der Anklage und dem Angeklagten
spricht der Redner, vor dem schon Calvus, Crassus und Hortensius
gesprochen hatten, von sich selbst und der Partei der Optimaten
und stempelt dadurch auch diese Rede zu einer Selbstverteidi-
gung-
1. ad Q. fr. 2, 3, 5 a. d. IV Id. Febr. Sestius ab indice Cn. Nerio Pu-
pinia de ambitu est postulatus et eodem die a quodam M. Tullio de vi. is
erat aeger. domum ut debuimus ad eum statim venimus eique nos totos tra-
didimus idque fecimus praeter hominum opinionem, qui nos ei iure suseensere
putabant . . (6) a. d. III Id. Febr. dixi pro Bestia . . . incidique in eum lo-
cum in dicendo, cum Sestius multis . . vulneribus acceptis subsidio Bestiae
servatus esset, hie 7iQo<pKovoiiri6d{Lriv quiddam evxcciqcos de iis, quae in Sestium
adparabantur crimina, et eum ornavi veris laudibus. Ebd. 2, 4, 1 Sestius
noster absölutus est a. d. V Id. Mart., et . . omnibus sententiis absolutus est
. . scito hoc nos in eo iudicio consecutos esse, ut omnium gratissimi iudica-
remur. nam defendendo moroso homini cumulatissime satis fecimus et . . Va-
tinium . . concidimus. Die § 15 — 70 und 96 — 143 sind Exkurse, die Cic. im
eigenen Interesse einlegt; sie sind für die Herausgabe entweder erst ge-
schrieben oder doch erweitert. — Schol. Bob. p. 125 — 144. Madvig, op. ac.
1, 411. 524. Drümann, GR. 5, 664. LRoersch, rev. de l'instr. publ. Beige
1883, 285. AGrumme, Orat. Sest. disp., Gera 1902.
2. Haupths.: der Paris. 7794 s. IX, dann Bruxell. 5345 s. XII. — Aus-
gaben von MMüller (Köslin2 1831), Lotzbeck (Baireuth 1829, mit p. leg.
Man.), Orelli (mit der Cael., Zur. 1832, sodann vor dem Züricher Lektions-
katal. 1834 und Heidelb. 1835), Halm (Lps. 1845, sowie Ausgew. Rdn. IV,,
Berl.6 1886), HAKoch (Lpz.2 1877 von Eberhard).
33) (Interrogatio) in P. Vatinium testem, mit dem Prozesse
des Sestius zusammenhängend; Vatinius war in diesem als Belastungs-
zeuge aufgetreten und hatte Cicero durch abfällige Äußerungen über
seine Verteidigung des Cornelius und seinen Fortgang aus Rom im
J. 58 schwer gereizt. Auch diese Rede erreichte, wenigstens nach
Ciceros Überzeugung, ihren Zweck.
1. Cic. ad Qu. fr. 2, 4, 1 (s. Nr. 32, 1), wo Cic. fortfährt: dis liominibus-
que plaudentibus . . . homo petulans et audax valde perturbatus debilitatus-
que discessit. In der veröffentlichten Rede füllt die eigentliche interrogatio
nur die letzten Paragraphen; das übrige ist eine heftige und giftige Invek-
tive, in der Cic. sogar die Jugend des Gegners, über die er nichts zu sagen
weiß, verdächtigt (11) und ihm einen Toilettenfehler vorhält (30). Eine
Klippe, die Cic. vorsichtig zu umschiffen sucht (15. 22. 38), war des Vati-
nius Verbindung mit Caesar. Schol. Bob. p. 144 — 152. Drumann, GR. 5, 682.
§ 179. Ciceros Reden (pSest. — prov. cons.) 383
— Hss. wie in der Sestiana. — Ausgabe von Halm, Lps. 1846. Vgl. Madvig,
op. acad. 1, 508.
34) pro M. Caelio (§ 209, 5), aus dem April 56. Caelius war
auf Betreiben der Clodia, mit der er einige Zeit ein Liebesverhält-
nis unterhalten, sich aber dann überworfen hatte, wegen verschie-
dener Verbrechen belangt worden. Cicero sprach nach Caelius und
M. Crassus; daher geht die Rede von den eigentlichen crimina be-
sonders auf die Ermordung des Dio aus Alexandria und den Gift-
mordversuch an Clodia ein, die Cicero mit Bosheiten überschüttet;
einen breiten Raum nimmt die Schilderung von Caelius' Vorleben
und die Verteidigung seines Lebenswandels ein. Die Disposition
ist dadurch gestört, daß in die ausgearbeitete Rede Abschnitte, die
bei der Verhandlung improvisiert werden mußten, ohne ausglei-
chende Schlußredaktion eingelegt worden sind.
1. Quint. 4, 2, 27 ut si defendendus sit M. Caelius, nonne optime patro-
nus occurrat prius conviciis luxuriae petulantiae inpudicitiae quam veneficii?
in quibus solis omnis Ciceronis versatur oratio. Die Überschrift De teste
Fufio hinter § 19 beweist, daß Cic. hier gekürzt hat (vgl. Nr. 24, 1). Norden
aO. zeigt, daß die §§ 25 — 30. 35. 48 — 50 bei der Verhandlung selbst impro-
visiert sind und daher Dubletten zu anderen, vorher ausgearbeiteten Teilen
der Rede bilden. Caelius wurde freigesprochen. — Handschriften: Paris.
7794 s. IX (Facsim. Chatelain T. 23) und Poggios Cluniacensis (o. 2, 2):
für einige Stellen auch der Mailänder und der Turiner Palimpsest, s. § 180, 2.
Papyrosfragm. Oxyrh. Pap. 10, 142. — Ausg.: CVollgraff, Leiden 1887.
v Wageningen, Groning. 1908. Über den Ankläger L. Sempronius Atratinus
Münzer, Herrn. 44, 135. Ferner LSchwabe, Quaest. Catull. 63. 66. Madvig,
op. acad. 1, 375. WOetling, librorum mss. Cic. or. p. C. condicio, eiusdem
Caelianae virtutus et vitia, Gott. 1868. CBarwes, quaest. Tüll. spec. I ad
Cael. or. spectans, Gott. 1868. FSchöll, RhM. 35, 542. Norden, SB. Berl.
Ak. 1913, 12.
35) de provinciis consularibus, gehalten Ende Mai 56. Die
Rede bedeutet eine tiefe Demütigung Ciceros, der für die Abmachun-
gen der Triumvirn dh. für die Verlängerung von Caesars Statt-
halterschaft in Gallien eintreten muß und daher genötigt ist, diese
Schwenkung mit vielen Worten zu beschönigen. Ein Trost für ihn
lag darin, daß er gleichzeitig die Abberufung seiner Feinde Gabi-
nius und Piso beantragen und ihre Provinzialverwaltung in den
schwärzesten Farben malen kann.
1. Auf diese Rede bezieht sich wahrscheinlich ad Att. 4, 5, 1 (ich habe
dir mein letztes Werk nicht geschickt) etiam (dudum enim circumrodo, quod
devorandum est) sübturpicula mihi videbatur esse palinodia. sed valeant recta
vera honesta consilia. non est credibüe, quae sit perfidia in istis principibus
. . . ego mehercule mihi necessitatem volui imponere huius novae coniunctionis.
384 Ciceronische Zeit: J. 83—43 v. Chr.
— Handschriften wie bei Nr. 34. — Dbumann, GR. 5, 706. Mommsen, RG.
36, 323. Madvig, op. 2, 1. EMüller, Einleit. zu Cic. de pr. cons., Kattowitz
1886. Bernhard, Üb. Cic. Rede von d. Konsularprov. , Dresd. 1890. Hilde-
brandt, De schol. Cic. Bobiens. 25. — Erklärt von GTischer, Berl. 1861.
36) pro L. (Cornelio) Balbo aus dem J. 56. Baibus aus Grades
hatte im J. 12 durch Pompeius das Bürgerrecht erhalten und später
sowohl ihm als auch Caesar wichtige Dienste geleistet. Auf Be-
treiben eines Gegners der Triumvirn wurde er wegen Anmaßung
des Bürgerrechts verklagt; auf Pompeius' Bitten verteidigte ihn
Cicero, der nach Pompeius und Crassus zu Worte kam.
1. Handschriften wie bei Nr. 34. — Madvig, op. 2, 13. Drumann 22, 511.
WPaul, stud. Ciceroniana, Berl. 1875. EJullien, etude sur Cic. pBalbo,
Lyon 1881; de L. Com. Balbo, Paris 1886. JHoche, de Cornelio Balbo, Roß-
leben 1882. AGasqut, de Cic. pBalbo oratione, Paris 1886. HKaden, Quaest.
ad Cic. Balbianam spectantes, Gießen 1912. — Ausg. von Reid, Cambr. 1879.
37) in L. (Calpurnium) Pisonem, aus dem J. 55. Piso hatte
auf Ciceros Antrag (Nr. 35) seine Provinz eher verlassen müssen
als er wollte, und war zudem seit Jahren durch heftige Schmähun-
gen Ciceros gereizt worden. Nach seiner Rückkehr machte er seinem
Arger im Senat durch einige Ausfälle Luft: auf diese antwortet
Cicero durch eine maßlose Invektive, in der er sein Leben und seine
SteUung mit der des Piso vergleicht und namentlich dessen Zuge-
hörigkeit zur epikureischen Schule zu seiner Verhöhnung benutzt.
1. Ascon. 11, 2 haec oratio dicta est Cn. Pompeio Magno Herum M. Crasso
Herum coss. ante paucos dies, quam Cn. Pompeius ludos faceret (§ 65). Die
Synkrisis des Piso mit sich selbst führt Cic. bis § 67 durch, am Schlüsse
droht er mit einem Repetundenprozesse. Seine Angriffe erschöpfen ohne
jede Schonung den ganzen Vorrat der Invektiventopik. Ziemlich das Ärgste
steht § 13 meministine caenum cum ad te . . venissem, nescio quo c gurgustio
te prodire involuto eapite soleatum, et cum isto ore foetido taeterrimam nobis
popinam inhalasses, excnsatione te uti valetudinis, quod diceres vinulentis te
quibusdam medicaminibus soler e curari? . . paulisper stetimus in Mo ganea-
rum tuarum nidore atque fumo, unde tu nos . . turpissime ructando eiecisti.
Als Epikureer nennt er ihn maialis (19), Epicure noster ex hara producte
non ex schola (37) usw. Süss, Ethos, Lpz. 1910, 259. Drumann 6, 4. Piso
hat geantwortet, ad Qu. fr. 3, 1, 11 (Sept. 54) alterum est de Calventi Mari
(das ist Piso) oratione quod scribis. miror tibi placere me ad eam rescribeve,
praesertim cum illam nemo lecturus sit, si ego nihil rescripsero, meam in illum
pueri omnes tamquam dictata perdiscant. Diese Antwort Pisos liegt uns nach
einer modernen Hypothese in der Invektive des Ps. Sali. (§ 205, 6) noch
vor. — Der Anfang ist verloren. Elf Bruchstücke daraus gibt die Hand-
schrift zu Cues (s. oben Nr. 12, 1). Die Rede ist in guter Überlieferung nur
teilweise erhalten, in dem Turiner Palimpsest und in dem cod. Yatic. Basi-
lican. (§ 178, 3) s. VIII, der aber nur § 32 — 74 enthält nebst einigen alten
§ 179. Cicero: Reden nach der Rückkehr 385
Scholien (mitgeteilt von Reifferscheid, Bresl. ind. schol. 1885/86, 10); die
vollständigeren Hss., zB. der Erfurtensis und die Poggiohss., zeigen eine
starke Verschlechterung, namentlich viele Glosseme. Stroebel, Die Hss. zu
Cic. in Pis., Nürnb. 1893.
38) pro Cn. Plancio, vom J. 54. Plancius hatte als Quaestor
dem in der Verbannung weilenden Cicero wesentliche Hilfe geliehen;
bei der Bewerbung um die Adilität hatte er den Iuventius Late-
rensis geschlagen und war von ihm auf Grund der lex Licinia de
sodaliciis wegen unerlaubter Wahlbeeinflussung belangt worden.
Außer der Widerlegung dieser Beschuldigung und den üblichen Dar-
legungen über Plancius' Vorleben und seine Verdienste um Cicero
bringt dieser vieles vor, was Iuventius über seine repulsa trösten
und seinen eigenen discessus im J. 58 rechtfertigen soll.
1. ad Qu. fr. 3, 1, 11 (Sept. 54) orationes efflagitatas pro Scauro et pro
Plancio äbsolvi. Schol. Bob. p. 152 — 169. — Handschriften: Monac. 17787
(Tegernseensis) , Erfurtensis. Ein Pergamentfragment s. V mit schlechtem
Text ed. deRicci, Mel. Chatelain 442. — Drumann, GR. 6, 45. — Ausgaben
von GGaratoni, Bologna 1815, EWunder, Lps. 1830, EKöpke, Lpz.3 1887
(von Landgraf), Kerin u. Allcroft, Lond. 1891.
39) pro C. Rabirio Postum o, aus dem J. 54. Rabirius, der
Adoptivsohn des im J. 63 von Cicero verteidigten Senators, war
wegen seines Anteiles an den von Gabinius in Alexandria verübten
Erpressungen belangt worden. Cicero, der sich in seiner damaligen
Lage sogar zur Verteidigung seines Todfeindes Gabinius hatte ver-
stehen müssen, übernahm auch die anrüchige Sache des Rabirius.
1. Quint. 3, 6, 11 pro Bdb. Post. Cicero prima parte orationis in hoc
intendit, ut actionem competere in equitem Bomanum neget, secunda nullam
ad eum pecuniam pervenisse confirmat. 4, 2, 10. Vgl. Suet. Claud. 16. Cic.
muß natürlich Ausflüchte machen wie 33 : si nie invitum putas, ne Cn. Pom-
pei anvmum offenderem, defendisse causam, et illum et me vehementer ignoras.
Auch Caesar trat energisch für Rabirius ein (41). — Alle Hss. stammen
aus Poggios Cluniacensis (oben Nr. 2, 2). — Drumann, GR. 6, 71. Halm, über
Ciceros Rede pro R. P., Abh. Münch. Ak. 7, 3, 621.
40) pro T. Milone, aus dem J. 52. Milo war wegen der Er-
mordung des P. Clodius durch seine Banden angeklagt und die
Sache lag von vornherein ungünstig für ihn, da ihn Pompeius fallen
ließ. Cicero wollte aber den Mann, dem er vieles verdankte, nicht
im Stiche lassen und verteidigte ihn allein. Da das Forum von Be-
waffneten umstellt war, so sprach er befangen und stockend; die
sehr sorgfältig angelegte und mit den stärksten Mitteln arbeitende
Rede, die er veröffentlichte, hat mit der gehaltenen nur geringe
Ähnlichkeit. Milo wurde verurteilt und ging in die Verbannung.
Teuf fei: röm. Literaturgesch. Neub. 6. Aufl. I. 25
386 Ciceronische Zeit: J. 83—43 v. Chr.
1. Vorzügliche Sacherklärung des Ascon. p. 30 — 46 (ed. ill. Frotscher,
Freiberg 1845). Dort p. 30, 2 (vgl. 36, 29) hanc dixit Cn. Tompeio III cos.
a. d. VI Id. April. Ebd. 37, 3 respondet his (den Anklägern M. Antonius
und P. Valerius Nepos) unus M. Cicero: et cum quibusdam placuisset ita
defendi crimen, interfici Clodium pro rep. fuisse . . , Ciceroni id non placuit
. . itaque cum insidias Milonem Clodio fecisse posuissent accusatores, quia
f casum id erat (nam forte illa rixa commissa fuerat), Cicero apprehendit et
contra Clodium Miloni fecisse insidias disputavit, eoque tota oratio eius spec-
tavit. Ebd. 37, 14 Cicero cum inciperet dicere, exceptus acclamatione Clodia-
norum, qui se continere ne metu quidem circumstantium militum potuerunt.
itaque non ea qua solitus erat constantia dixit. manet autem illa quoque ex-
cepta (stenographisch nachgeschrieben) eius oratio: scripsit vero hanc quam
legimus ita perfecte, ut iure prima haberi possit. Schol. Bob. 112, 10 et extat
alius praeterea Über actorum pro Milone, in quo omnia interrupta et inpolita
et rudia, plena denique maximi terroris agnoscas. hanc orationem postea legi-
timo opere et maiore cura . . conscripsit. Dio 40, 54. Die veröffentlichte Rede
ist sehr sorgfältig disponiert und stilisiert, enthält aber, wie es bei dem
ungünstigen Tatbestande nicht anders möglich war, vieles extra causam (92),
namentlich eine fortwährende diaßoXrj gegen Clodius; Milo wird geradezu
als Tyrannenmörder gepriesen (80), ja sogar die Gottheit wird bemüht
(83 — 91). Die miseratio ist mit Tränen und der hochpathetischen Ethopoiia
des Milo (93) sehr wirkungsvoll ausgestattet. Quint. 6, 5, 10 quid pro Mi-
lone? (näml. consilium maxime mirer?) quod non ante narravit (§ 24 — 29)
quam praeiudiciis omnibus reum liberaret? quod insidiarum invidiam in Clo-
dium vertit, quamquam re vera pugna fuerat fortuita (vgl. 6, 3, 49)? quod
factum et laudavit et tarnen voluntate Milonis removit? quod Uli preces non
dedit et in earum locum ipse successit? Schol. Bob. p. 111 — 125. Schol. Gron.
p. 322f. Vgl. unten § 210, 2 gE. und § 268, 6. — Haupthss.: Tegernseensis,
Erfurtensis (aus ihm gab die Rede in lithographischer Nachbildung heraus
WFreund, Bresl. 1838), Harleianus, dazu für einzelne Stellen der Turiner
Palimpsest. KBecher, De codd. in Milon. aestimandis, Jena 1913. — Aus-
gaben von Osenbrüggen (2Hamb. 1872 von HWirz), CHalm (Berl.10 1899),
J. und A Wagener (Mons2 1876), FRichter (Lpz.5 1907 von Nohl). Clark,
Oxf. 1895, Wessner (mit d. ant. Komm.), Bonn 1911, AKlotz, Lpz. 1914. —
Ins Griechische übers, von WBirkler, Stuttgart 1860.
2. Curth, de artificiosa forma or. p. M., Berl. 1833. LSpengel, ZfAW.
1843, 432. Meusburger, quatenus Cic. in or. pMil. observaverit praecepta
rhetorica, Ried 1882. — LLange, obs. ad Cic. or. Mil., Gießen 1864. 65 II.
Grümme, Cic. or. Mil. dispositio, Gera 1900.
3. Auch die wirklich gehaltene Rede hatte sich erhalten. Vgl. A. 1
und Quint. 4, 3, 17 Ciceroni quoque in prooemio, cum diceret pro Milone,
degredi fuit necesse, ut ipsa oratiuncula qua usus est patet. Ein Fragment
dieser ersten Rede steht bei Quint. 9, 2, 54 und Schol. Bob. 173, 8. HGau-
mitz, zu den Bobienser Cic -Scholien, Dresd. 1884, 1.
41) pro M. Marcello, im J. 46 im Senat an Caesar gerichtet
zum Danke für die Zurückberufung dieses seines alten Gregners
(§ 202, 5).
§ 179. Cicero: Reden vor Caesar 387
1. Die drei Heden pMarc. Lig. Deiot. wurden schon im Altertum als
rCaesarianae' zusammengefaßt; s. Non. 437, 9 M. Tullius in Caesarianis
(= pMarc. 2). Sery. Aen. 11,438 Cicero in Caesarianis (== 'pDeiot. 12). Prob.
GL. 4, 27, 18 Cicero ... in Caesarianis (= pDeiot. 41) u. a.
2. Die Rede schließt an den Dank für die bewiesene Milde überschwäng-
liche Lobsprüche Caesars und die Bitte, im Interesse des Staates auf sein
Leben bedacht zu sein. Ep. 4, 4, 3 (Herbst 46): Caesar . . repente praeter
spem dixit se senatui roganti de Marcello ne ominis quidem causa negatu-
rum. . . itaque cum omnes ante me rogati gratias Caesari egissent . . ego ro-
gatus mutavi meum consilium. nam statueram . . in perpetuum tacere. fregit
hoc meum consilium et Caesaris magnitudo animi et senatus officium, itaque
pluribus verbis egi Caesari gratias. Auch diese Rede hat ihre Beglau-
bigung durch Anführungen und Zeugnisse nicht vor Anfechtungen der
Zweifelsüchtelei schützen können; namentlich hat F AWolf allen seinen
Scharfsinn aufgeboten, um zu beweisen, daß die Rede schlecht sei und des-
wegen nicht ciceronisch; s. die Vorrede vor s. Ausg. (Berl. 1802). Wolf fand
noch bei Kayber (in s. und Baiters Cic.-Ausg. 5, vin) und SSchmid, Üb. d.
Echtheit d. Rede pMarc, Zürich 1888 Zustimmung. Gegen Wolf zuletzt
FHahne, orat. pMarc. defendit, Jena 1876 und HSchwakke, de Cic. quae
fertur or. pMarc, Erl. 1886.
3. Schol. Ambe. p. 271. Schol. Gronov. p. 295 ff. Drumann, GR. 6, 262.
— Handschriften: Bruxellensis 5345 (Gemblacensis), Ambros. C 29 inf. s. X,
Harleianus 2682 s. XL Reeder, De codd. in orat. Caesar, aestimandis, Jena
1906. — Ausg. von Fausset, 2Oxf. 1906 (mit Ligar. und Deiot.), von FRichter
(Lpz.4 1904 von Eberhard), AKlotz, Lpz. 1914.
42) pro Q. Ligario, öffentliche Fürsprache bei Caesar für die-
sen verbannten Pompejaner, vom J. 46.
1. Ligarius wurde von Q. Aelius Tubero angeklagt, der selbst auf
pompejanischer Seite gestanden hatte, so daß Cic. sein Verhalten mit dem
des Ligarius vergleicht; er wendet sich an Caesars Milde (1), da es sich
nicht um einen eigentlichen Rechtsfall handelt. Unklar bleibt das Verhält-
nis der nach § 37 auf dem Forum gehaltenen Rede zu der vom 23. Sept.
46, über die Cic. ep. 6, 14, 2 an Ligarius schreibt: ego . . cum . . venissem
mane ad Caesarem atque omnem adeundi et conveniendi illius indignitatem
et molestiam pertulissem, cum . . ego essem locutus, quae causa quae tuum
tempus postulabat, non solum ex oratione Caesaris, quae sane mollis et libe-
ralis fuit, sed etiam ex oculis et vultu . . hac opinione discessi, ut mihi tua
salus dubia non esset. Daß die Rede erst später aufgezeichnet ist, ergibt
sich aus ad Att. 13, 44, 3 (Juli 45): Brutus mihi T. Ligari verbis nuntia-
vit, quod appellatur L. Corfidius in oratione Ligariana (§ 33), erratum esse
meum. sed ut aiunt iwritLoviKÖv aiiccgTr^ia. sciebam Corfidium pernecessarium
Ligariorum, sed eum video ante esse mortuum. da igitur quaeso negotium
Pharnaci Antaeo Salvio, ut id nomen ex Omnibus libris tollatur. Der Name
ist aber stehen geblieben. Über die Zeit s. Drumann 32, 635. OESchmidt,
Briefwechsel 257. Die Veröffentlichung erfolgte im Mai oder Juni 45 (ad
Att. 13, 12, 19); im Juni erklärt er, einen Zusatz über die Gattin Tuberos
nicht mehr anbringen zu können (OESchmidt 321). Schol. Gron. p. 291 ff.
25*
388 Ciceronische Zeit: J. 83—43 v. Chr.
— Die Hss. wie bei Nr. 41, 3. — Ausgaben von Soldan (Hanau 1839), Halm
(Ausgew. Rdn. V, Berl.10 1899), FRichter (s. Nr. 41, 3), Fausset 2Oxf. 1906.
— Übers, u. mit Anmerk. v. HKkatz, Stuttg. 1869. Vgl. FSchoell, RhM.
55, 489.
2. CGuttmann, de earum quae vocantur Caesarianae orationum genere
dicendi, Greifsw. 1883, wollte (nach vWilamowitz , Herrn. 12, 332) zeigen,
daß Cicero in der Rede pro Marcello vor Caesar Asianer sei, aber in den
Reden pLig. und pDeiot. aus Rücksicht auf Caesar den Attiker (oben S. 87)
spiele. Doch s. Laurand, ßtudes 338. Skrbinzek, Progr. Villach 1908.
43) pro rege Deiotaro, Verteidigung dieses galatischen Für-
sten gegen die Anschuldigung eines Mordversuches auf Caesar, ge-
halten in dessen Hause, Oktober oder November 45.
1. Cic. ep. 9, 12, 2 (Dez. 45) oratiunculam pro Deiotaro, quam require-
bas, habebam mecum, quod non putaram. itaque eam tibi misi, quam velim
sie legas ut causam tenuem et inopem nee scriptione magno opere dignam:
sed ego hospiti veteri et amico munusculum mittere volui levidense crasso filo,
cuiusmodi ipsius solent esse munera. Schol. Ambr. p. 272. Schol. Gron.
p. 298 ff. — Handschriften wie bei Nr. 41, 3. — Ausgaben von Frotscher
(Lps. 1835), Soldan (Hanau 1836), CHalm (Ausgew. Rdn. V, Berl.10 1899),
FRichter (s. Nr. 41, 2).
44 — 57) In M. Antonium orationum Philippicarum libri
XIV, aus den J. 44 und 43. Die erste (vom 2. Sept. 44) sucht den
Redner wegen seiner langen Abwesenheit vom Schauplatze der
politischen Tätigkeit zu rechtfertigen, beklagt sich über einen neu-
esten Angriff seines ^Freundes' M. Antonius und weist diesen auf
die richtige politische Bahn. Als Antonius hierüber aufgebracht
am 19. September im Senat eine Rede hielt, worin er des (ausge-
bliebenen) Cicero ganze öffentliche Laufbahn beleuchtete, arbeitete
der Angegriffene eine Gegenrede aus, der er die Einkleidung gab,
als sei sie auf der Stelle zur Erwiderung im Senat gehalten wor-
den, veröffentlichte sie (die zweite philippische) aber erst nach des
Antonius Abgang aus Rom. Die dritte, vom 20. Dezember, bean-
tragt, nach herber Kritik an den Handlungen des Antonius, den
man für einen Landesfeind erklären müsse, daß der Senat den D.
Brutus und Octavian für ihren Widerstand gegen den Consul An-
tonius belobe; als dies geschah, teilte Cicero den gefaßten Beschluß
noch an demselben Tage dem Volke in der vierten Rede mit, die
ebenfalls den Nachdruck auf die Staatsfeindlichkeit des Antonius
legt. Die fünfte (vom 1. Jan. 43) stellt den Antrag, jenen Gegnern
des Antonius Auszeichnungen zu verleihen, diesen selbst aber wie
einen Reichsfeind zu behandeln und nicht durch Gesandte mit ihm
zu verkehren. Nachdem am 4. Jan. die erste Hälfte dieses Antrags
§ 179. Cicero: Philippische Reden 389
angenommen, statt der zweiten aber noch ein gütlicher Versuch be-
schlossen war, verkündete dies Cicero dem Volke an demselben Tage
in der sechsten Rede. Die siebente (Ende Januar) dringt aber-
mals auf Kriegserklärung gegen Antonius, da der Friede schimpf-
lich, gefährlich und unhaltbar sei. Daß auch nach dem Scheitern
jenes Versuchs nur eine halbe Maßregel, nämlich die Erklärung
des tumultus, beschlossen wurde, tadelt die achte (3. Februar) und
macht neue, übrigens ziemlich belanglose Vorschläge. Die neunte
(4. Febr.?) befürwortet als Ehrenbezeugung für seinen auf der Ge-
sandtschaftsreise zu Antonius verstorbenen Freund, Ser. Sulpicius,
die Errichtung eines Standbildes-, von Antonius ist dabei kaum die
Rede. Die zehnte (spätestens Ende Februar) beantragt nach hefti-
gen Ausfällen gegen Q. Fufius Calenus, der eine andere Ansicht
vertreten hatte, die nachträgliche Bestätigung der von M. Brutus
in Makedonien und Griechenland eigenmächtig getroffenen Maß-
regeln. Die elfte (gegen Mitte März 43) spricht (vergebens) dafür,
daß die Bestrafung des Dolabella, der den Proconsul von Asien,
0. Trebonius, hingerichtet hatte, dem C. Cassius übertragen werde.
In der zwölften, die fast unmittelbar auf die vorige folgte, sucht
Cicero die beschlossene abermalige Gesandtschaft an Antonius, für
die er selbst in einer vorübergehenden Verblendung eingetreten
war, rückgängig zu machen und sich von der Teilnahme daran zu
befreien; er gibt als Grund die Gefahren an, die ihm auf dieser
Reise drohen. Die dreizehnte (20. März 43) verteidigt seine
Kriegspolitik gegen die Friedensmahnungen des M. Lepidus und
Munatius Plancus; Cicero benutzt namentlich einen Brief des An-
tonius an Hirtius und Octavian, um Stimmung gegen ihn zu machen.
Endlich die vierzehnte (22. April 43) beantragt ein großes Dank-
fest wegen des Sieges über Antonius bei Forum Gallorum und Aus-
zeichnungen für die siegreichen Feldherren; diese seien als Sieger
über einen Staat sfeind, für den man Antonius endlich erklären
müsse, mit dem Titel Imperator zu benennen. Der Ton dieser Phi-
lippiken ist gereizt, die Sprache leidenschaftlich und lebhaft.
1. Brut, ad Cic. 2, 3, 4 (April 43) nach Erwähnung der fünften und
zehnten Rede: iam concedo, ut vel Phüippici vocentur, quod tu quadam epi-
stula iocans scripseras. Cic. ad Brut. 2, 4, 2 de te etiam dixi tum quae di-
cenda putavi. liaec ad te oratio perferetur , quoniam te video delectari Phi-
lippicis nostris. Plut. Cic 24. 48. Nur Gellius zitiert sie als Antonianae.
Da Arusianus zwei Stellen aus einer 16. Rede anführt und Nonius aus lib.
IV und XIV Worte zitiert, die sich dort nicht finden (vgl. Schol. Bob.
120, 24 mit Stangls Anm.), so hat es noch ein zweites Corpus dieser Reden
390 Ciceronische Zeit: J. 83—43 v. Chr.
gegeben. Müller Ausg. 2, 3, 569. 4, 3, 287. Aber aus Appian. b. c. 3, 52 f. läßt
sich nicht mit LSimon, JJ. 1911 XXVII 412 folgern, daß Cic. zwischen Rede
5 und 6 noch eine gehalten habe, die von Appian benutzt sei. — Die Haupt-
hs. ist der Vatic.-Basilican. H 25 s. IX (§ 178, 3), dann Vossian. 0 2 s. X,
Tegernseensis s. XI u. a. OGuenther, De Philipp, cod. Jenensi, Jena 1909.
— Ausgaben der Phil.: von Wernsdorf (Lps. 1821 f. II; verb. Text ebcL
1825), von RKing, 2Oxf. 1877, Clark, Oxf. 1900; die erste von de la Yille
de Mirmont, Paris 1902; die zweite (welche besonders berühmt ist, luv. 10,
125) bes. herausg. von Wernsdorf (mit Übersetzung, Lpz. 1815), JGantrelle,
Par.2 1882, Sihler, New York 1903. Die erste und zweite erkl. von Halm
(Ausgew. Rdn. VI, Berl.8 1905) und AKoch (Lpz.8 1899 von AEberhard), die
dritte bis zehnte von WSternkopf, Berl. 1912 f.
2. Drumann l2, 122. Ganter, JJ. 149, 618. Ruete (§ 187, 2). JMitter-
mayr, Beitr. zur Erkl. der ersten Phil. R. (Aschaffenb. 1841); zur zweiten
(ebd. 1843. 45). Gegen AKrauses Verdächtigung der vierten (Cic. Phil. IV
expl. et Ciceroni derogavit, Berl. 1839, und Jahns Archiv 13, 297) s. AJordan,
ZfAW. 1840, 611. Schuster, vindiciae Cic. or. Phil, quartae, Lüneb. 1851 f.
Schirlitz, De Cic. phil. nona, Wetzlar 1844. Zur Chronologie OESchmidt,
de epist. Cassian. 25. 27. 34. — Einen besonderen Stil zeigen diese Reden
nicht, obwohl man es behauptet hat. OHauschild, de sermonis proprietat.
in orat. Phil., Diss. Halens. 6, 233. Laurand, liltudes 325.
180. Außer diesen 57 Reden sind Bruchstücke erhalten von
ungefähr 20 weiteren ? und von etwa 30 anderen wissen wir den
Namen. Dazu kommt noch eine Anzahl nur geschriebener (nicht
gehaltener) Lobreden, nämlich auf Caesar (vom J. 56) ? den jünge-
ren Cato (J. 46) und dessen Schwester Porcia (J. 51).
1. Erhebliche Bruchstücke sind erhalten: a) von den zwei Cornelianae:
pro C. Cornelio de maiestate, vom J. 65; die principes klagten den Corne-
lius wegen Umgehung der tribunizischen Interzession an, und Cic. über-
nahm die Verteidigung wohl mit Rücksicht auf die Bewerbung ums Con-
sulat (vgl. Vatin. 5); s. Ascon. p. 47 — 63 St. und Quint. 8, 3, 3 nee fortibus
modo, sed etiam fulgentibus armis proeliatur in causa Cicero Cornelii; vgl.
6, 5, 10. 10, 5, 13. GBeck, quaest. in Cic. p. Cornelio orationes, Lps. 1877.
Heinze, Abh. Sachs. Ges. 1909, 995. Münzer, PW. 4, 1252 ; b) von der oratio
in toga Candida, J. 64 im Senat gegen die Wahlumtriebe seiner Mitbewer-
ber C. Antonius und Catilina gehalten, vgl. Bücheler, Q. Cic. p. 9. PKöt-
schau, de Cic. or. in toga Candida, Lpz. 1881 ; zu Asconius' Zeiten (p. 72, 17)
liefen Erwiderungen auf diese Rede Cic.s um, die von Feinden Ciceros auf
die Namen des Catilina und des Antonius gefälscht waren; c) von der
Senatsrede in Clodium et Curionem aus J. 61 durch schol. Bob. 85 — 91.
Vgl. ad Att. 1, 16, 8. 3, 12, 2. Schol. Bob. 85, 4 non rei postulantur a Tullio
vel G. Curio vel P. Clodius, sed quoniam habuerant in senatu quandam iur-
giosam decertationem , visum Ciceroni est hanc orationem conscribere plenam
sine dubio et asperitatis et facetiarum. GBeck, Einl. und Dispos. zu Cic.
Rede in Clod., Zwickau 1886: d) von der pro M. Aemilio Scauro, der
wegen Erpressungen in Sardinien belangt wurde, vom J. 54; s. Drumann,
§ 180. Cicero: verlorene Reden 391
GR. 6, 36. Ascon. p. 22 — 29. HGaumitz, de Scauri caussa repetundarum,
Lpz. Stud. 2, 249 ; e) interrogatio de aere alieno Milonis aus dem J. 53, ver-
anlaßt durch Clodius' Behauptung, Milo habe seine Schulden zu gering an-
gegeben, und durch seine Ausfälle gegen Cic. Schol. Bob. 169 — 174.
2. Wichtigste Hss. für die Fragmente der Reden: Ambros. R 57 sup.
s. V palimps. (Facsim. Chatelain Tf. 29, 1), Taurinensis A II 2 (Chatelain
Tf. 29t 2), Vatic.-Palat. 24 s. V (Chatel. T. 32, 2). — Sammelausgaben der
Bruchstücke einzelner Reden: Sex orationum partes ineditae, ed. AMai,
2Mail. 1817; Auetor. class. 2, 277. Orat. p. Fonteio et C. Rabir. fragmenta
ed. Niebuhr, Rom 1820. Orat. p. Scaur., Tüll, et in Clod. fragmenta inedita
ed. Peyron, Stuttg. 1824. Orat. p. Tüll., in Clod., p. Scauro, p. Flacco
fragm. ined. coli. CBeier, Lps. 1825, nebst Indices, Lpz. 1831. JKlein, üb.
eine Handschr. des Nik. v. Cues nebst ungedruckten Fragm. Cic. Reden,
Berl. 1866; dazu Traube, 0 Roma nobilis, München 1891. — Die Bruch-
stücke der Reden in den Gesamtausgaben zB. bei Baiter-Kayser 11, 1 und
bei CFWMüller 4, 3, 231. Halm, Beitr. z. Berichtig, der cic. Fragmente,
Münch. SBer. 1862 2, 1. FBelin, de Cic. orationum deperditarum fragmen-
tis, Par. 1875. — Verzeichnis der Reden, von denen Bruchstücke nicht er-
halten sind, zB. bei CFWMüller 4, 3, 289.
3. Skizzen und Entwürfe von Reden des Cic. veröffentlichte aus dessen
Nachlaß sein Freigelassener Tiro. Quint. 10, 7, 30 plerumque autem multa
agentibus acciäit, ut maxime necessaria atque initia scribant, cetera quae
domo adferunt eogitatione complectantur , subitis ex tempore oecurrant quod
fecisse M. Tidlium commentariis ipsius apparet. ebd. 31 Ciceronis ad prae-
sens modo tempus aptatos (commentarios) Tiro contraxit. Vgl. ebd. 4, 1, 69
Cicero pro Scauro ambitus reo, quae causa est in commentariis (nam bis eun-
dem defendit), prosopopoeia . . utitur. Hieronym. apol. ad Rufin. 2, 469 Vall.
(in commentariis causarum, pro Gabinio). CFWMüllers Cic. 4, 3, 291.
4. Über Ciceros laudatio Porciae s. ad Att. 13, 37, 3. 13, 48, 2. Ob Bru-
tus1 Gattin oder deren Tante gemeint ist (PW. 5, 1343, 25), ist nicht sicher
auszumachen. — ad Q. fr. 3, 8, 5 Serrani Domestici filii funus perluctuosum
fuit a. d. VIII Kai. Dec. (J. 54), laudavit pater scripto meo.
5. Plut. Caes. 54 ^ygccips KmEgcov iynm[Liov Kdrcovog, övoiicc tq> Xoyco
fr^liEvos Kdtcovw nccl itollolg 6 Xöyog t)v diu 6itovSf\g, d>g slnog, vnb tov
dsivordtov rcov qtitoqcov slg trjv y.aVki6tr\v 7tZTtoii\\i,£vog vtco&sgiv. Abfassungs-
zeit J. 46 zwischen Brutus und Orator. FSchneider, de Ciceronis Catone
minore, ZfAW. 1837, Nr. 140. Göttling, opusc. 153. Busch (§ 201,4) 12.
Baiter-Kayser 11, 67. Müller 4, 3, 327. Der Inhalt dieser Lobrede auf
Cato erregte wegen freimütiger Äußerungen bei Caesar einigen Anstoß (ad
Att. 12, 40, 1. 13, 27, 1), obwohl er ihre formelle Vorzüglichkeit anerkannte
(ebd. 13, 46, 2); er veranlaßte daher zuerst den Hirtius zu einer Gegen-
schrift und schrieb dann selbst einen Anticato (s. § 195, 7). Auch M. Bru-
tus schrieb (Anfang 45) einen Cato (§ 210, 2 E). HPeter, Geschichtl. Lit.
1, 165.
6. Die untergeschobene Rede pridie quam in exilium iret (überliefert
in dem Corpus der Reden des J. 57/6) s. zB. bei Baiter-Kayser 11, 156 und
bei CFWMüller 4, 3, 425. Über die erdichteten Streitreden zwischen Sallust
und Cic. s. unten § 205, 6. Die Rede, die Cassius Dio 44, 23—33 dem Cic.
392 Ciceronische Zeit: J. 83—43 v. Chr.
in den Mund legt, ist auf Grund guten Materiales von dem Historiker selbst
gemacht; FStraumer, de Cic. or. ap. Cass. Dion., Chemnitz 1872.
181. In der Lehre von der Beredsamkeit war Cicero, wie es
nicht anders sein konnte, Schüler der Griechen. Nach einem Jugend-
versuch, den er später selbst verurteilte, trat er in reiferen Jahren
mit selbständigen rhetorischen Schriften auf, nicht um die Theorie
weiter zu führen, sondern teils um seiner Überzeugung von der
Notwendigkeit einer philosophischen Rhetorik Ausdruck zu geben,
teils um seine eigene Stellung in der Geschichte der römischen Be-
redsamkeit darzulegen und seine rednerische Weise gegen Wider-
sacher zu verteidigen. Dabei weiß er die Hauptsätze der Rhetorik
in anziehender Weise gemeinverständlich darzustellen und sein redne-
risches Ideal mit echter Wärme zu vertreten. In seinem Kampfe
gegen die unfruchtbaren Tifteleien der Schulrhetorik gerät Cicero
sogar, indem er absichtlich übertreibt, in das Extrem des bloßen
Empirismus und läßt öfters Schärfe der Begriffe vermissen.
1. Über Ciceros Stellung zu der asiatischen und der attischen Bered-
samkeit 8. auch S. 87. Harneckek, JJ. 125, 601. 129, 42. — Piderit, Kunst-
wert der rhetorischen Schriften Cic.s, JJ. 82, 503. LSpengel, RhM. 18, 495.
Corcio, le opere retoriche di Cic, Acireale 1900. Laurand, De Cic. studiis
rhet., Paris 1907. Kroll, JJ. 1903 XI 681. WHeinicke, De Cic. doctrina quae
pertinet ad materiam et inventionem, Königsb. 1891. HJentsch, Aristotelis
ex arte rhetorica quid habeat Cicero, Berl. 1866; de Aristotele Cic. in rhe-
torica auctore, Guben 1874. 75 II. Causeret, sur la langue de la rhetorique
en Cic, Par. 1887. — Über die Benutzung der ciceron. Rhetorica bei den
späteren Rhetoren ThStangl, BlbayrGW. 19, 184. 277. 334. — D Wollner,
d. aus der Krieger- u. Fechter-Sprache entlehnten Wendungen in den rhe-
tor. Sehr. d. Cic. Quint. Tac, Landau 1886. — Ausg. der rhetor. Schriften
von Friedrich, Lpz. 1891. Wilkins, Oxf. 1901. 03 II. — Literaturbericht
von Stroebel JB. 80, 166. 84, 319; von Ammon ebd. 105, 203 usw., zuletzt
143, 112.
2. Den Prosarhythmus hat nicht erst Cic in Rom eingeführt (s. zB.
§ 136, 9), aber er hat ihn zuerst eingehend geschildert und seine Berechti-
gung verteidigt. Der rhythmische Fall der Rede stellt sich häufig von selbst
ein (§ 61), als Kunstmittel ist er von den Sophisten des 5. Jahrh. eingeführt
worden und Isokrates hat die ersten Regeln darüber aufgestellt, die von
seinen Schülern und Nachfolgern weitergebildet wurden. Zu Cic.s Zeit
befolgten die Schulen darin eins feste Praxis. Obwohl die ganze Rede
rhythmisch sein kann, so sind fast nur die Rhythmen der Satzschlüsse
recht greifbar und auch allein in den hellenistischen Rhetorenschulen ge-
lehrt worden. Der ursprüngliche Reichtum der rhythmischen Satzschlüsse
(Klauseln) hat sich allmählich verringert, so daß in dieser Zeit noch vier
Klauseln in Gebrauch waren. Sie wurden in der Praxis allgemein ange-
wendet, und ihre Berechtigung zu ^bestreiten ist erst den Attizisten einge-
fallen (§ 182, 4). Cic hat die Anwendung des Rhythmus durch die Praxis
§ 181. 182. Ciceros rhetorische Schriften 393
der Rhetorenschule gelernt und wendet die rhythmische Klausel überall an,
wo er kunstmäßig stilisiert; als er aber die Klauseln wissenschaftlich be-
handeln wollte, mußte er sich erst in die Theorie hineinarbeiten. So kommt
es, daß seine theoretischen Erörterungen sich nicht völlig mit seiner Praxis
decken und auch die neuere Forschung (zß. Wüst, Diss. Argent. 5, 227) in
die Irre geführt haben. Das Richtige bei EMüller, De numero Cic, Kiel
1886. Norden, Kunstpr. 909. JWolff, JJ. Suppl. 26, 577. Vgl. Bornecque
(§ 187, 2). Zielinski, Das Klauselgesetz in Cic. Reden, Phil. Suppl. 9 H. 4.
Der konstrukt. Rhythmus in Cic. Reden, Phil. Suppl. 13, 1. Laurand, £tu-
des sur le style des discours, Paris 1907, 107. Zander, Eurythmia Ciceronis,
Lpz. 1914.
182. Die erhaltenen rhetorischen Schriften Ciceros sind nach
der Zeit ihrer Abfassung folgende:
1) Rhetorica (Rhetorici, de inventione): s. § 177a, 3.
2) de oratore libri tres, verfaßt J. 55, eingekleidet in die Form
eines Gesprächs, das die beiden größten Redner der letzten Gene-
ration, L. Crassus und M. Antonius, mit anderen namhaften Red-
nern ihrer Zeit im J. 91 halten. Durch diese Einkleidung hat die
Behandlung an Leichtigkeit, Vielseitigkeit und Lebendigkeit ge-
wonnen und die Trockenheit systematischer Darlegung mit Glück
vermieden. Die äußere Einkleidung ist die des platonischen Dia-
loges, vor allem des Phaidros; nach der Sitte des antiken Dialoges
läßt Cicero seine Personen unbedenklich seine eigenen Ansichten
aussprechen. Obwohl die dramatische Kunst des Piaton bei weitem
nicht erreicht ist, so ist das Werk doch durch den Reichtum sei-
nes Inhaltes und die gefeilte Darstellung zu den vollendetsten des
Cicero zu rechnen. Platonisch ist auch die Forderung einer philo-
sophischen Rhetorik, die das ganze Werk wie ein Leitmotiv durch-
zieht; aber Cicero entnimmt die Gedanken, mit denen er sie be-
gründet, nicht dem Piaton selbst, sondern den jüngeren Vertretern
der Akademie, deren persönliche Einwirkung er selbst erfahren
hatte. Das erste Buch erörtert die Bildung zum Redner, das zweite
die Behandlung des Stoffes, das dritte die Form und den Vortrag
der Rede.
1. Cic. ad Att. 4, 13, 2 (Nov. 55) de libris oratoriis factum est a me
düigenter; diu multumque in manibus fuerunt, describas licet, ad Att. 13,
19, 4 sunt etiam de oratore nostri tres mihi vementer probati. in eis quoque
eae personae sunt, ut mihi tacendum fuerit; Crassus enim loquitur, Antonius,
Catulus senex, C. Iulius frater Catuli, Cotta, Sulpicius. puero me hie sermo
inducitur , ut nullae esse possent partes meae. ep. 1, 9, 23 (J. 54) scripsi
Aristotelio more, quemadmodum quidem volui, tres libros in disputatione ac
dialogo de oratore . . . abhorrent enim a communibus praeeeptis atque omnem
antiquorum et Arlstoteliam et Isocrateam rationem oratoriam conplectuntur.
394 Ciceronische Zeit: J. 83—43 v. Chr.
Die Aristotelische Art liegt darin, daß die einzelnen Personen über ihre
Meinungen, die sie fertig mitbringen, längere zusammenhängende Vorträge
halten und nicht wie im sokratisch-platonischen Dialoge die Wahrheit durch
Hin- und Herreden und Fragen gefunden wird. Die Behauptung der An-
lehnung an Aristoteles' und Isokrates' Lehren bedeutet nicht, daß diese un-
mittelbar benutzt sind — was nirgends geschehen ist — , sondern daß Cic.
den Vertretern der philosophischen Rhetorik folgt, zu denen man auch den
Isokrates rechnete (de inv. 2, 7. ad Att. 2, 1, 1), nicht den Schulrhetoren.
FBrückner, quid Cic. in libris de or. ex Isocrate et Aristotele mutuatus sit,
Schweidnitz 1849. Warum Cic. den Scaevola nach dem 1. B. abtreten läßt,
begründet er Att. 4, 16, 3. Eine Anspielung auf die Schrift auch ep. 7, 32, 2.
Jedem Buche geht eine an Quintus als an den Adressaten des Werkes ge-
richtete Einleitung voraus, die mit dem eigentlichen Dialoge künstlerisch
nicht verbunden ist — auch das in der Weise des Aristoteles. Die Anleh-
nung an Piatons Phaidros zeigt sich u. a. 1, 28, wo Cic. selbst auf dieses
Vorbild hinweist, und am Schlüsse in dem vaticinium auf Hortensius, das
dem auf Isokrates nachgebildet ist. Hirzel, Dialog 486. Kiaulehn, Diss.
Hai. 23, 175.
2. Aus welcher Quelle die Argumente für die Notwendigkeit einer phi-
losophischen Rhetorik stammen, deutet Cic. selbst an 3, 110 nunc enim
apud Philonem, quem in Academia vigere audio, etiam harum iam causarum
cognitio exercitatioque celebratur. Das steht in einem kunstvoll in die Lehre
vom Ausdruck eingeschobenen Exkurse (54 — 143), der in seinem Hauptin-
halte nur von einem griechischen Philosophen und zwar einem Akademiker
herrühren kann. Vgl. orat. 12 fateor me oratorem . . non ex rhetorum offi-
cinis, sed ex Academiac spatiis extitisse. Brut. 332 E. vArnim, Dio v. Prusa
97 sieht Ciceros Quelle in Philon von Larissa (vgl. Tusc. 2, 9), Kroll RhM.
58, 552 weist auf den Einfluß des Antiochos von Askalon hin. Vgl. u. 5, 1.
Ranft aO. 9. Den Wert philosophischer Bildung erweist Cic. durch das
platonische Argument, daß der Redner die psychologische Wirkung be-
rechnen müsse, durch die Forderung ausgedehnter allgemeiner Kenntnisse
(verum silva magna 3, 92), über die eben in unserem Dialoge eingehend ge-
sprochen wird, und durch das Verlangen, den konkreten Fall (von Herrna-
goras Hypothesis genannt) nach Möglichkeit auf einen allgemeinen (Thesis)
zurückzuführen, vgl. Brut. 322 (o. § 178, 1). ad Qu. fr. 3, 3, 4 Cicero tuus
nosterque summo studio est Paeoni sai rhetoris, hominis opinor valde exerci-
tati et ooni. sed nostrum instituendi genus esse paulo eruditius et thetico-
teron non ignoras. Den Einfluß dieser Lehren auf die Praxis untersucht
Ranft, Quaest. philosophicae ad orationes Cic. pertinentes, Lpz. 1912. —
Cic. kennt aber auch die sonstigen Debatten zwischen Philosophen und
Ehetoren und scheint zB. 1, 82 — 93 einen Dialog des Charmadas zu be-
nutzen. Dem Vortrage des Caesar über den Witz (2, 216 — 289) liegt eine
uns auch sonst bekannte peripatetische Lehre zugrunde. Arndt, De ridiculi
doctrina rhet., Bonn 1904. Dagegen werden die technischen Lehren sehr
kurz abgehandelt und die Schulrhetoren mit Schmähungen überschüttet, die
sich deutlich gegen Griechen richten (1, 23. 105. 3, 228), nicht wie Marx
Auct. ad Her. 141 wollte, gegen die rhetores latini (§ 159, 2). Auf die atti-
zistische Bewegung (s. u. 3, 1) weist Cic. mit keinem Worte hin. Ein wirk-
§ 182. Ciceros rhetorische Schriften 39t)
liches Gespräch liegt nicht zugrunde, und die von den beteiligten Personen
vorgetragenen Ansichten sind nicht ihre eigenen, sondern im allgemeinen
■die des Cic. selbst (§ 152, 4). Vgl. ep. 9, 8 (an Varro bei Zusendung des
Academicus) puto] fore, ut cum legeris mirere nos id locutos esse inter nos,
quod numquam locuti sumus: sed nosti morem dialogorum. — vanVessem,
De Cic. de orat. libris, Galopiae 1896.
3. Die Überlieferung der Schriften de oratore, Brutus und orator (vgl.
unten Nr. 3, 2. Nr. 4, 2) ist eine doppelte; sie ruht einerseits auf dem alten
codex Laudensis, der auch de inv. und Auct. ad Her. enthielt; er wurde 1422
zu Lodi aufgefunden und ging später, nachdem davon Abschrift genommen
worden, wieder verloren. Unmittelbare Abschriften vom Laud. oder solchen
gleichwertig sind für die drei Schriften Vatican. -Ottobon. 2057 (im Nov.
1422 geschrieben); für Brut, und Or. Florent. Magliabecch. I, 1, 14 (1423
geschrieben); für de orat. und Or. Vatic.-Palat. 1469. Abhandlungen über
den Laudensis und seine Abschriften: Detlefsen, Kieler Phil. -Vers. 1869, 94.
Heerdegen, RhM. 38, 120; JJ. 131, 105. 245; BlbayrGW. 22, 98; vor s. Ausg.
des Or. PReis, Studia Tulliana ad Orat. pertin., Diss. Argent. 12, 161.
LMeister, Quaest. Tullianae, Lpz. 1912 (dazu Stroux JB. phil. Ver. 39, 171).
Sabbadini, Le scoperte dei codici usw., Firenze 1905, 99. Die Abkömmlinge
des Laud. geben allein das Werk de oratore vollständig (integri): außerdem
ist diese Schrift und der orator verstümmelt erhalten in sonst guten Hss.
(Codices mutili), zB. in dem wichtigsten Vertreter dieser Klasse, dem Abrin-
censis s. IX (Facsim. Chatelain T. 19), im Harleian. 2736 s. IX/X u. a.
Ströbel, Cic. de orat. cod. mutilos examinavit, Acta Erlang. 3, 1. — Aus-
gaben zB. von Hfnrichsen (Kopenh. 1830). FEllendt (Königsb. 1840 II).
Rec. IBake, Amsterd. 1863. Erklärt v. Piderit, Lpz.6 1886 (besorgt von
Harnecker); von GSorof, Berl.2 1882. B. LH. by SWilkins, Lond. 1879. 81;
Oxf. 1892. Stangl, Lpz. 1893. B. 1 von Courbaud, Paris 1905. — Übersetzt
v. Dilthey u. FBaur, Stuttg. 1859; RKühner, Stuttg. 1858.
3) Brutus, verfaßt zu Anfang des J. 46, eine DarsteHung der
Geschichte der römischen Beredsamkeit , deren wahrer Zweck ist,
die Stelle zu bestimmen, die Cicero selbst in dieser Entwicklung
einnimmt, und ihn gegen die Vorwürfe der Attizisten zu verteidigen.
Die Schrift ist höchst wertvoll durch die freilich manchmal er-
drückende FüUe des darin ausgeschütteten historischen Materials,
viele treffende und lebendige Charakteristiken, sowie durch die
Aufschlüsse über Ciceros eigenen Bildungsgang. Die dialogische
Form ist mit mehr Ernst und Geschick behandelt als in den philo-
sophischen Schriften; doch fehlt es nicht an größeren und kleineren
stilistischen Unfertigkeiten.
1. Die Schrift ist abgefaßt während Caesars Diktatur, von der Cic. mit
schlecht verhüllter Erbitterung redet (24. 157. 281), vor dem Tode des Cato
und Metellus Scipio (118. 212) und vor der Abfassung der Lobschrift auf
Cato und des Orator (de div. 2, 1). Er widmet sie dem Brutus z. T. wohl
in der Hoffnung, daß dieser etwas gegen den Tyrannen unternehmen werde
396 Ciceronische Zeit: J. 83—43 v. Chr.
(OESchmidt, Briefw. 38), namentlich aber weil Brutus in das feindliche atti-
zistische Lager übergegangen war und er ihn wieder zu sich herüberzuziehen
hoffte. Diese Absicht tritt außer in 22 namentlich im Schlußwort hervor,
s. 332 quid te exercuit Pammenes, vir longe eloquentissimus Graeeiae, quid
illa vetus Academia atque eius heres Aristus (der Bruder des Antiochos s. o.
2, 2) hospes et familiaris meus, si quidem similes maioris partis oratorum
futuri sumus? Diese Hoffnung trog, und es schloß sich an die Übersen-
dung der Schrift der in § 210, 2 behandelte Briefwechsel, auf den Cic. im
Orator mehrfach Bezug nimmt.
2. Auf eine Einleitung folgt ein Dialog zwischen Cic, Brutus und Atti-
cus, wobei diesen beiden die Aufgabe zufällt, allerlei für Cic. schmeichel-
hafte Dinge zu sagen, die er in eigenem Namen nicht vorbringen konnte.
Atticus ist deshalb beteiligt, weil sein liber annalis (§ 172, 2) dem Cic. das
chronologische Gerüst geliefert hat. Vieles entnimmt Cic. der Literatur,
auch Dinge, die er mündlich gehört zu haben vorgibt (Hendrickson, Am.
JPh. 27, 184). Zu Anfang steht ein Abriß der Geschichte der attischen Be-
redsamkeit (2(5 — 51), der bereits Gelegenheit bietet, die von den Attizisten
getadelte Verwendung des Rhythmus zu verteidigen (32 f.) und von den
Asiani abzurücken (51). Die Schilderung der römischen Beredsamkeit leidet
unter Überlastung mit Material, da Cic. gegen 200 Redner aufzählt, auch
solche, von denen rednerische Tätigkeit sich bloß vermuten ließ, wie C. Fa-
bricius und Ti. Coruncanius: hier und oft führt den Cic. die Rücksicht auf
befreundete Senatoren und das Interesse für die Geschichte der Nobilität
über sein Thema hinaus. Eingehend behandelt werden namentlich Cato
Censorius, Antonius und Crassus, Hortensius und Cicero, die beiden letzte-
ren Paare in der Form der Synkrisis. Von dem Grundsatz, Lebende nicht
zu erwähnen (231), macht Cic. außer bei sich fast nur bei Caesar eine Aus-
nahme, der hier (im Gegensatz zu den politischen Äußerungen, s. A. 1) mit
Lob überschüttet wird. Es kommt ihm auf eine Charakteristik des Stiles
der einzelnen Redner an, nicht auf das Biographische, das sich freilich
manchmal vorgedrängt hat (s. o.). Leo, Biographie 219. Dabei wendet er
die in der Rhetorenschule ausgebildeten Kategorien an, die er nicht etwa
neu zu schaffen braucht. Haenni, Die lit. Kritik in Cic. Brutus, Freib. Schw.
1905. Stroux, De Theophr. virtutibus, Lpz. 1912, 81. Das eigentliche Ziel
ist aber, die eigene Redeweise gegen die attizistischen Vorwürfe zu ver-
teidigen und die Verkehrtheit der attizistischen Bestrebungen aufzuzeigen.
Jenes geschieht in der berühmten Schilderung der eigenen Entwicklung:
er habe in seiner Jugend an einem gewissen Überschwange gelitten, doch
habe ihm Molon diesen abgewöhnt, Hortensius dagegen sei in der asiani-
schen Manier stecken geblieben. Dieses meist beiläufig (s. o.), besonders in
der Schilderung des Calidius (274) und Calvus (284), an die sich aber ein
eingehender Exkurs über die Attiker anschließt. FMüller, Brutus eine
Selbstverteid. des Cic, Colberg 1874.
3. Die Schnelligkeit der Abfassung und die Masse des Stoffes haben
nicht nur stilistische, sondern auch sachliche Unebenheiten im Gefolge ge-
habt (Kroll, Einl. 6). Das Auffallendste ist die doppelte Nennung des Mo-
lon (307. 312), über die Norden SB. Berl. Ak. 1913, 2. Mängel der Kompo-
sition bespricht auch Sabbadini, Riv. fil. 29, 259.
§ 182. Ciceros rhetorische Schriften 397
4. Die vorhandenen Handschriften stammen (alle s. XV) aus dem ver-
lorenen Laudensis (§ 182, 2, 2). Der Nebentitel de claris oratoribus scheint
auf Flavius Blondus zurückzugehen (Detlefsen, Verh. d. 27. Philol. Vers. 98).
— Ausgaben von HMeyer und GBernhardy (Halle 1838), CPeter (Lpz. 1839),
Ellendt (Königsb. 1825 u. besonders 1844), OJahn (Berl.5 1908 v. WKroll),
CBeck (Cambridge in Massachusets3 1853), Piderit (erklärt, Lpz.3 1889 von
Friedrich), rec. Stangl, Prag 1886. Martha2, Paris 1907. — Vgl. MNaumann,
de fönt, et fide Bruti Cic, Halle 1883. — Übersetzt v. WTeuffel, Stuttg.
1850.
4) Der Orator ad M. Brutuni ist durch die Debatte mit Brutus
über den richtigen Stil veranlaßt und gleichfalls noch' im J. 46 ver-
faßt. Er stellt ein Ideal des vollkommenen Redners auf und be-
handelt ausführlich die Lehre von den Stilarten und vom Rhythmus,
die geschickt zur Verteidigung des eigenen Stiles und zur Wider-
legung der Attizisten benutzt werden. Cicero hat sich diese Auf-
gabe nicht leicht gemacht und gute Quellen von Aristoteles' Rhe-
torik an sorgfältig studiert.
1. Die Abfassungszeit ergibt sich aus 35 itaque hoc sum adgressus sta-
tim Catone absolute- (§ 183, 5); als vollendet erwähnt Cic. die Schrift ad Att.
12, 6 a (s. u.), Mitte Sept. 46 ep. 12, 17, 2 (an Cornificius) proxime scripsi
de optimo genere dicendi und Ende Jan. 45 in ep. 6, 18, 4 Oratorem meum
tanto opere a te probari vehementer gaudeo. mihi quidem sie persuadeo, me
quiequid habuerim iudicii de dicendo in illum librum contidisse. Im Dez. 46
spielt Caecina ep. 6, 7, 4 auf § 35 an. Ferner s. ep. 15, 20, 1 Oratorem meum
(sie enim inscripsi) Sabino tuo commendavi. Die Schrift ist also ebenfalls
rasch gearbeitet; daher war dem Cic. § 29 ein Versehen passiert, indem er
Eupolis statt Aristophanes genannt hatte; er bittet ad Att. 12, 6a Chremes,
tantumne ab re tua est oti tibi, ut etiam Oratorem legas? macte virtute! mihi
quidem gratum, et erit gratius, si non modo in tuis libris sed etiam in alio-
rum per librarios tuos Aristophanem reposueris pro Eupoli. Die gewünschte
Änderung ist in unserer Überlieferung, die in § 29 Aristophane hat, durch-
gedrungen.
2. Die Veranlassung zu der Schrift war ein Briefwechsel mit Brutus,
der durch die Übersendung des Brutus veranlaßt war; Cic. spielt mehrmals
darauf an, bes. 52 quod quidem ego Brüte ex tuis litteris sentiebam, non te
id sciscitari, qualem ego in inveniendo et in collocando summam esse orato-
rem vettern, sed id mihi quaerere videbare, quod genus ipsius orationis Opti-
mum iudicarem. 174 sed quid quaero velisne (eine ausführlichere Rhythmus-
lehre), cum litter is tuis eruditissime scriptis te id vel maxime velle perspexerim?
Die ganze Anlage der Schrift ist bestimmt, die Unfähigkeit der Attizisten
ins Licht zu setzen und ihre Forderungen als unbegründet zu erweisen. Die
Lehre von den Stilarten soll die Notwendigkeit dartun, alle drei zu be-
herrschen, während jene nur das genus tenue anwenden, und der Abschnitt
über den Rhythmus soll diesen als ein natürliches Erfordernis der Rede er-
weisen, auf das jene mutwillig verzichten. Auch die Forderung allgemein-
philosophischer Bildung wird wiederholt, und § 11 — 19 sind eine Art Reka-
398 Ciceronische Zeit: J. 83—43 v. Chr.
pitulation des Exkurses in B. 3 de orat. Vgl. Schlittenbauer, Die Tendenz
von Cic. Oi%, JJ. Suppl. 28, 183. Krolls Einl. Die Quellen sind hauptsäch-
lich solche, die Theophrasts Lehren wiedergeben oder fortsetzen, vgl. Kroll,
RhM. 62, 87. Stroux (o. 3, 2) 99 u. ö. Mayer, Theophr. ttsql Mt-Ecog p. xi.
Für die grammatischen Erörterungen 149 — 164 scheint eine gegen die Ana-
logie gerichtete Schrift etwa des Varro benutzt zu sein. Zur Lehre vom
Rhythmus s. Münscher, Charites f. Leo 322 und Kroll Einl. 14, für 192—194
ist Aristoteles' Rhetorik direkt benutzt (woran Usener, Sehr. 2, 306 eine
gewagte Vermutung knüpft). Die Schrift verfehlte ihre Wirkung auf Bru-
tus, ad Att. 14, 20, 3 (Mai 44) quin etiam, cum ipsius preeibas paene ad-
duetus scripsissem ad eum de optimo gener e dicendi, non modo mihi sed
etiam tibi scripsit sibi illud quod mihi placeret non probari.
3. Die Hss. teilen sich wie bei den Büchern de oratore in zwei Klassen,
die Abkömmlinge des cod. Laudensis und die Codices mutili. Vgl. § 182,
2, 2 und die dort angeführte Literatur, bes. Reis; auch § 182, 3, 2. CSteg-
mann, de oratoris Tüll, mutilis 11., Jena 1875. — Ausgaben von HMeyer,
Lps. 1827, FGöller, Lps. 1838, CPeter und GWeller, Lpz. 1838, OJahn,
Berl.3 1869, Piderit, Lpz.2 1876, Stangl, Lpz. 1885. Bes. Heerdegen, Lpz.
1884 und (erkärt) von ESandys, Cambr. 1885. Kroll, Berl. 1913.
5) Partitiones oratoriae, um J. 54 verfaßt, eine Übersicht
über das Gesamtgebiet der Rhetorik in Form von Fragen (die Ci-
cero seinen Sohn stellen läßt) und Antworten, ein ziemlich trocke-
ner Katechismus.
1. Die Schrift muß um die Zeit verfaßt sein, wo Cic.s Sohn Rhetorik
trieb, dh. nach ep. ad Qu. fr. 3, 3, 4 (o. 2, 2) um J. 54. Cic. sagt dort: si
nobiscum eum rus aliquo eduxerimus, in hanc nostram rationem consuetudi-
nemque inducemus, d. h. in eine akademisch gefärbte Rhetorik. Marx, Berl.
Woch. 1892,44; Auct. ad Her. 81. Eine solche sind die part. , s. 139 ex-
positae tibi omnes sunt oratoriae partitiones, quae quidem e media illa nostra
Academia effloruerunt neque sine ea aut inveniri aut intellegi aut traetari
possunt (folgt ein Hinweis auf Logik und Ethik). Das Ganze ist eine e16cc>-
yayi] ttccrä ttsvöiv nal aitoKQiaiv, ohne daß die dialogische Form sehr durch-
geführt wäre; Gespräche zwischen Vater und Sohn sind gerade in der rö-
mischen Literatur nicht auffallend (Norden, Herrn. 40, 519). Das Streben
nach übersichtlichen Einteilungen hat manche Eigentümlichkeiten der Lehren
im Gefolge, doch läßt sich im Grunde alles bei anderen Rhetoren oder
Philosophen nachweisen. Die philosophisch beeinflußten Partien weisen auf
die Akademie als Quelle, so die Behandlung der Theseis 63 — 67, der vir-
tutes und vitia 76 — 82, die detaillierte Einteilung der Güter 86 f., die Lehre
von den Ursachen 93 f. Manches deutet auf Ansichten, die dem Antiochos
eigentümlich sind, so über die Gerechtigkeit 78, über bona necessaria und
non necessaria und die Freundschaft, die geistigen und körperlichen Güter
87, über die Lust 90, über die maximarum rerum artes 140 (o. Nr. 2, 2 re-
rum silva magna). 78 f. ist von einer virtus oratoria die Rede: nihil est enim
aliud eloquentia nisi copiose loquens sapientia (eine ursprünglich stoische,
von Antiochos aufgenommene Anschauung). Vgl. u. 6, 1. Ob Cic. einen
akademischen Abriß frei übersetzt oder die philosophischen Gedanken in
§ 182. Ciceros rhetorische Schriften 399
einen rhetorischen Katechismus hineinarbeitet, bleibt zweifelhaft. Kleine
Versehen finden sich 67 und 86 f. (eine Dublette wie Brut. 312, s. o. 3, 3).
Merchant, De Cic. part., Berl. 1890. PSternkopf, dgl., Münster 1914.
2. Den Titel Partitiones oratoriae (einige Hss. de partitione or.) be-
glaubigt Quint. 3, 3, 7. Beste Hs. Paris. 7231 s. XI (Facsim. bei Chatelain
T. 22); dann Paris. 7696 s. XII. Ströbel, z. Hss.-Kunde u. Krit. von Cic.
partit. orat., Zweib. 1887. Ausgabe von Piderit (erklärt, Lpz. 1867).
6) Topica ad C. Trebatium, eine Darstellung der Topik für
den Bedarf des griechischen Redners, im Juli 44 auf der Seefahrt
von Velia bis Regium niedergeschrieben. Cicero folgt einem Ge-
währsmann, der die aristotelische Topik in stoischem Sinne um-
arbeitet, wahrscheinlich dem Antiochos von Askalon.
1. Cic. top. 5 ut veni Veliam . . haec, cum mecum libros non haberem,
memoria repetita in ipsa navigatione conscripsi tibique ex itinere misi. Vgl.
ad fam. 7, 19 (an Trebatius, Juli 44) ut primum Velia. navigare coepi, in-
stitui Topica Aristotelia conscribere . . . cum librum tibi misi Regio scriptum,
quam planissime res illa scribi potuit. — Wie aus 1. 6 hervorgeht, glaubt
Cic. den Inhalt der aristotelischen Topik wiederzugeben, folgt also einem
Gewährsmann, der dasselbe behauptet. Nun erwähnt Cic. selbst die Stoa
(6), und es findet sich starker Einfluß der stoischen Logik, ja die ganze
Einteilung der Topoi erfolgt mit Hilfe der stoischen Kategorien. Dabei ist
Aristoteles' Rhetorik, bes. 2, 23, sehr ausgebeutet, so daß Thielscher, Phil.
NF. 21, 52 auf den Gedanken kam, in diesem Werke Ciceros eigentliche
Quelle zu sehen. Richtiger hat Wallies die Verquickung aristotelischer
und stoischer Lehren auf Antiochos zurückgeführt, auf den auch viele Einzel-
heiten weisen und auf den auch Boethius 392, 8 (zu § 76) aufmerksam
macht. Der Inhalt der Topik findet sich schon de or. 2, 163 — 173, wo eben-
falls Antiochos als Quelle wahrscheinlich ist (vgl. or. 46. 122). Kroll, RhM.
58, 590. Die Lehre von den Theseis und Hypotheseis 79 ff. stimmt mit dem
überein, was in den part. or. darüber gelehrt wird.
Auf die juristischen Interessen des Trebatius nimmt Cic. bisweilen
Bezug, Quint. 3, 11, 18. 5, 10, 64 (scribens ad Trebatium ex iure ducere
exempla maluit); vgl. 51. 72. 100. — Die Topica sind nicht mit den rheto-
rischen, sondern im Corpus der philosophischen Schriften überliefert. Hand-
schriften: Leid. 84 und 86 (§ 184, 2, 3), Einsidl. 324 s. X (Chatelain T. 21),
zwei SGall. s. X 830 (Facsim. Chatelain T. 21). 854. Ottob. 1406 s. X.
Friedrich, JJ. 139, 281. Über des Boethius Kommentar zu der Schrift s.
§ 478, 5. — Brandis, RhM. 3 (1829), 547. JKlein, de fontibus Top. Cic,
Bonn 1844. Wallies, de fönt. top. Cic, Halle 1878. CHammer, de Cic. to-
picis, Landau 1879.
7) De optimo genere oratorum, Vorwort zu den von Cicero
übersetzten Reden des Demosthenes und des Aeschines für und
wider Ktesiphon, aus der Zeit um J. 46.
1. Der Titel stammt gewiß nicht von Cic, steht aber schon bei Ascon.
30, 5. Das Schriftchen handelt zuerst über den Vorrang des Demosthenes
und den Nutzen einer Übersetzung aus ihm (1 — 18) und gibt dann eine
400 Ciceronische Zeit: J. 83—43 v. Chr.
historische Einleitung zu den beiden Reden (19—23). Die Übersetzung sollte
den Römern zeigen, daß die größten Attiker ganz anders reden als der da-
mals als echtester Attiker besonders zur Nachahmung empfohlene nüchterne
Lysias (s. S. 84. 315. 319). Der Gedanke von 3 optumus est orator, qui di-
cendo animos audientium et docet et delectat et permovet auch orat. 69.
Gegen die Asianer 8 eos (die kräftigen attischen Redner) imitemur, si possu-
mus; si minus, Mos potius, qui incorrupta sanitate sunt, quod est proprium
Atticorum, quam eos, quorum vitiosa abundantia est, qudlis Asia multos tulit.
Cicero erwähnt § 10 seine Rede pro Milone; vgl. Ascon. aO. — Haupths.
SGall. 818 s. XI (Chatelain T. 20). — Ed. cum comment. AStatti, Löwen
1552; (nebst top. u. partit.) v. Saalfrank, Regensb. 1823; OJahn an s. Ora-
tor. Quicherat (am Brutus), Paris 1900. Hedicke, Sorau 1889.
183. Die philosophischen Studien betrieb Cicero ursprüng-
lich wie die meisten vornehmen Römer, um seiner Bildung einen
Abschluß zu geben; erst in seinen letzten Jahren, als er sich in
seiner staatsmännischen und rednerischen Tätigkeit gehemmt sah,
schrieb er, um sich zu beschäftigen und zu vergessen, in kurzer
Zeit eine Menge von Büchern philosophischen Inhalts. Er gibt da-
rin seine griechischen Quellen in freier Weise und nicht ohne ge-
legentliche Mißverständnisse wieder. Seine Quellenstudien erstrecken
sich vorzugsweise auf neuere griechische Philosophen; von Piaton
und vollends von Aristoteles hat er wie die meisten seiner Zeitge-
nossen nur ungenügende oder getrübte Kenntnis. Da sein Interesse
wie das der gesamten zeitgenössischen Philosophie sich auf die
Ethik richtete, so ließ er die schwierigen Fragen der Logik und
Physik gern beiseite, und genaue scharfe Begriffsbestimmungen
sind ihm fast zuwider. Aus den verschiedenen Systemen wählte er
das ihm Zusagende aus. Am meisten sprach ihn die Lehre der
neueren Akademiker an, die sich mit der Darlegung des Für und
Wider und der Erkenntnis des Wahrscheinlichen begnügten und
durch ihre Berücksichtigung der Rhetorik seinen Bedürfnissen ent-
gegenkamen, so wie auf dem Gebiete der Sittenlehre der stoische
Idealismus in seiner gemilderten jüngeren Form; dagegen unterhielt
er wenigstens in seiner späteren Zeit keine Beziehungen mehr zum
Epikureismus. Erheblicher als der sachliche Wert dieser Schriften
ist der formale Nutzen, den Cicero gestiftet hat, indem er zuerst
philosophische Gegenstände in der Muttersprache auf faßliche und
geschmackvolle Weise behandelte und somit Schöpfer einer philo-
sophischen Sprache für die Römer wurde. Er kleidet den philoso-
phischen Vortrag meist dialogisch ein, ohne es mit der Durch-
führung des Dialoges sehr ernst zu nehmen; vielmehr sind diese
§ 183. Cicero als Philosoph 401
Schriften oft nicht viel mehr als geschickte Auszüge aus den
Quellen, die nur äußerlich in den Rahmen eines Gesprächs gefügt
sind.
1. Daß Cic. in der Schriftstellerei Trost für die Gestaltung der politi-
schen Verhältnisse suchte, sagt er oft, besonders in den Briefen, zß. ep.
4, 3, 4. 6, 12, 5 sed est unum perfugium doctrina ac litterae, quibus semper
usi sumus, quae secundis rebus delectationem modo habere videbantur , nunc
vero etiam salutem, vgl. 9, 2, 5. Acad. 1, 11 ego, dum me ambitio dum hono-
res dum causae, dum reip. . . . procuratio multis officiis implicatum et con-
strictum tenebat, animo haec (das Studium der Philosophie) inclusa habebam
et ne obsolescerent renovabam cum licebat legendo. nunc vero et fortunae
gravissimo percussus vulnere (Tod der Tullia) et administratione reip. libera-
tus doloris medicinam a philosophia peto et otii oblectationem hanc honestis-
simam iudico. In div. 2, 1 nach Caesars Tode gibt er eine Übersicht über
seine philosophische Schriftstellerei, die ihm während Caesars Tyrannis
Trost geboten habe: nunc .. tantum huic studio relinquendum, quantum va-
cabit a publico officio et munere. nat. deor. 1, 6 — 9. Drumann 6, 321. Von
diesen Studien sind die rhetorischen nicht zu trennen, vgl. § 182. — Über
seine Neigung für die Akademie Tusc. 2, 9 itaque mihi semper Peripateti-
corum Academiaeque consuetudo de omnibus rebus in contrarias partes disse-
rendi non ob eam caussam solum placuit, quod aliter non lasset quid in
quaque re veri simile esset inveniri, sed etiam quod esset ea maxima dicendi
exercitatio. div. 2, 4. paradox, prooem. 2 nos ea philosophia plus utimur,
quae peperit dicendi copiam et in qua dicuntur ea, quae non multum discre-
pent ab opinione populari. Q. Cic. pet. cons. 46 nennt ihn einen homo Pla-
tonicus.
2. Daß Cic. als Philosoph unselbständig und Eklektiker ist, versteht sich
von selbst; aus dem ersteren kann ihm einen Vorwurf nur machen, wer
die Geschichte der römischen Literatur, aus dem letzteren, wer die Ge-
schichte der hellenistischen Philosophie nicht kennt. Selbst die akademische
Skepsis, zu der Cic. sich öfters bekennt, hatte er durch Philon in einer
bereits abgeschwächten Form kennen gelernt, und er gibt ihr unter Anti-
ochos' Einfluß die Wendung, daß es bei der Entscheidung über Falsch und
Richtig auf die Übereinstimmung der hervorragendsten Philosophen an-
komme. Antiochos, der auf Cic. sehr stark gewirkt hat, bekannte den Eklek-
tizismus ganz offen, aber auch die mittlere Stoa, deren Einfluß ihm beson-
ders durch Poseidonios zukam, näherte sich akademischen, platonischen
und pythagoreischen Lehren. Tnsc. 4, 7 nullis unius disciplinae legibus ad-
stricti, quibus in philosophia necessario pareamus, quid sit in quaque re
maxime probabile, semper requiremus. 5, 82 quoniam te nulla vincula impe-
diunt ullius certae disciplinae libasque ex omnibus, quodcumque te maxime
specie veritatis movet. Daß aber ein römischer Senator eigene philosophische
Lehrmeinungen vortrug, kam gar nicht in Frage; Cie.s Arbeit konnte nur
darin bestehen, die fremden Gedanken geschickt anzuordnen und sie in
eine gefällige lateinische Form zu gießen. Jenes erreicht er gewöhnlich
durch Anwendung des Dialoges (A. 3), dieses durch Schöpfung einer philo-
sophischen Terminologie, nat, deor. 1, 8 complures Graecis institutionibus
Teuffei: röm. Literaturgesch. Neub. 6 Aufl. I. 26
402 Ciceronische Zeit: J. 83—43 v. Chr.
eruditi ea quae didicerant cum civibus suis communicare non poterant, quod
illa quae a Graecis accepissent Laune dici possc difjldercnt. quo in genere
tantum profecisse videmur, ut a Graecis ne verborum quidem copia vince-
remur. ad Att. 12, 52, 3 dices, qui talia conscribis? jiTCÖy^acpcc sunt, minore
labore fiunt; verba tantum affero, quibus abundo; vgl. ep. 13, 63, 1. Plut.
Cic. 40 avtm d' h'qyov t)v tb tovg cpLXoöncpovg övvtsXslv diuXoyovg kcc\ [ista-
cpQd£eiv tivd tov nidzcovos neu t&v diccXsHtixibv t) cpvöw&v 6vo[idt(av hY.CC.-
ütov sig cPooficd'x?jv astaßdXXsiv didXsntov. tnsivog ydg iötiv wg cpcc6iv 6 xocl
tr)v cpccvzccöLav uccl %i]v övyv.a.tdd'SGiv %ai tr\v S7to%r)v -aal tr)v Kcctdlrupiv,
%zi öl tb aTO{LOv tb d^iegsg tb "/.svbv äXXcc ts %oXXa twv toiovtcov i^ovoiidöccg
iCQ&Tog 7) {idXiötcc Pa^iccloLg, td {ihv \LSta(poQalg td d' oIy.ei6t7]Giv aXXcug yvm-
QLfia jcca 7tQoö7]yoQcc ti7i%avr}6diiEvog. Cic. hat diese sprachliche Aufgabe, die
ihm durch seinen Purismus nicht gerade erleichtert wurde, glänzend ge-
löst (fin. 3, 3. 15), fin. 3, 40 mihi videris Latine docere philosopliiam et ei
quasi civitatem dare, quae quidem adhuc peregrinari Momae videbatur nee
offerre sese nostris sermonibus, et ista maxime propter limatam quandam
et rerum et verborum tenuitatem. Die Zutat seines eigenen Urteils und Ge-
schmacks hebt er hervor de fin. 1, 6. 7. off. 1, 6. Man wird ihm gern glau-
ben, was er Att. 13, 19, 5 sagt: sunt vehementer mftuvd Antiochia, quae
diligenter a me expressa acumen habent Antiochi, nitorem orationis nostrum,
si modo est aliquis in nobis.
3. Cic. knüpft an die gleichzeitige hellenistische Philosophie an, nicht
an die des 4. Jahrh. oder die noch ältere. Wenn er trotzdem Piaton und
Aristoteles oft im Munde führt, so geschieht es natürlich nicht in der
Absicht der Täuschung, denn die Akademie behauptete auch dann noch
von Piatons Lehren auszugehen, als sie sich ganz von ihnen entfernt hatte,
und Antiochos wollte ebenfalls die Philosophie des Piaton und Aristoteles
wiederherstellen. An Piatons Schriften schätzt er besonders die künstle-
rische Form: den Protagoras und den Timaios hat er zwar übersetzt (§ 184,9),
aber letzteren als eine Darstellung der pythagoreischen Lehre aufgefaßt.
Mit Aristoteles' Lehrschriften ist er nur wenig vertraut, eher kannte er seine
Dialoge. vHeusde., Cic. cpiXonXdzav, Utr. 1836. FGloel, über Cic.s Studium
des Piaton, Magdeb. 1876. FSaltzmann, Cic.s Kenntnis der piaton. Sehr.,
Cleve 1885. 86 IL Ritter, üb. Cic.s Bekanntschaft mit aristotel. Philosophie,
Zerbst 1846. vBaumhauer, de Aristotelis vi in Cic. scriptis, Utr. 1841. WTho-
mas, de Aristotelis i^ooteowoig Xoyoig deque Ciceronis Aristotelio more, Gott.
1860. In vielen Dingen lehnt er sich an Piatons Dialoge an, bes. in de
rep. an die Politeia (vgl. auch § 182, 2), weist aber selbst auf Aristoteles hin
ad Att. 4, 16, 2 quoniam in singulis libris utor prohoemiis ut Aristoteles in
iis, quos i^atsgixovg vocat. ebd. 13, 19, 4 quae autem his temporibus scripsi,
kgiötöteXsLov morem habent, in quo sermo ita inducitur ceterorum , ut penes
ipsum sit prineipatus. Leo, Gott. Nachr. 1912, 274. Über die Prooemien
vgl. auch Att. 16, 6, 4 (§ 184, 15, 1). Gewiß aber liegen ihm auch Dialoge
seiner unmittelbaren Lehrer vor, die der Art der Popularphilosophen durch
Einlage von Dichterstellen und reichliche Verwendung von Beispielen fol-
gen, Tusc. 2, 26, wo er nach Übersetzung einer QjjGig aus Aischylos' Pro-
metheus sich auf den Vorgang der athenischen Philosophen beruft: der
Stoiker Dionysios habe viele Verse eingelegt, sed is quasi dietata, millo de-
§ 183. Cicero als Philosoph 403
kctu, nnlla elegantia: Philo et proprio numero et leeta poemata et low adiun-
(jebat. Vgl. das Lob des Epikureers Zenon nat. cleor. 1, 59 non igitur ille
ut plerique, sed isto modo ut tu, distinete graviter ornate. Der Sosos des An-
tiochos war jedenfalls ein Dialog. Hirzel, Dialog 1, 420. 457. — Nicht auf-
fallend ist also das Mißverständnis über das Wesen der platonischen Ideen
im Orat. 7—10. In Bezug auf Aristoteles' nikomachische Ethik heißt es de
fin. 5, 12 quare teneamus Aristotelem et eius filium Nicomachum, cuius aecu-
rate scripti de moribus libri dieuntur Uli quidem esse Aristoteli, sed non
video cur non potuerit patris similis esse filius, eine Äußerung, die es zweifel-
haft macht, ob Cicero je dieses Werk selber gesehen hat, s. Madvig zdSt.
4. Über die Art, wie Cic. seine Quellen benutzt, kann man aus seinen
eigenen Angaben ganz Verschiedenes entnehmen. Die Einen (bes. Usener
Epicurea lxvi) haben sich außer auf Att. 12, 52 (A. 2) auf Att. 16, 11, 4
berufen, wo er über die Arbeit an de off. spricht: eum locum Posidoniits
persecutus est. ego autem et eius librum accersivi et ad Athenodorum Calvum
scripsi, ut ad me xa xecpdXuicc mitter et , quae expecto. Daraus haben sie ge-
folgert, daß Cic. im allgemeinen nur eine Quelle und auch diese womög-
lich nur in Exzerpten benutze (so Hirzel, Madvig, Schmekel). Andere ver-
weisen auf Cic.s Quellenzitate und sehen in Störungen des Gedankenganges
Beweise seiner Selbständigkeit (die dann freilich wenig schmeichelhaft für
ihn sind) und seiner inneren Entwicklung. Vgl. bes. Lörcher, Das Fremde
(§ 184, 6); JB. 162, 2. Richtig ist im ganzen die erste Ansicht, nur muß
man damit rechnen, daß Cic. mit den Gedanken seiner Vorlage frei schaltet,
gelegentlich Nebenquellen heranzieht und aus dem reichen Schatze seiner
Belesenheit Zusätze macht, zu denen besonders die römischen Beispiele ge-
hören. Vgl. Att. 13, 19, 5 über die Academica (A. 2E.); und gewiß über-
traf er als Stilist die meisten seiner Gewährsmänner.
5. Ciceronis hist. philosophiae antiquae etc., collegit FGedike, Berl.3
1815. RKühner, Cic. in philosophiam inerita, Hamb. 1825. BKrische, For-
schungen, Bd. 1. Gott. 1840. Drumann, GR. 6, 650. EZeller, Philos. d.
Griechen 3, l4, 671. FÜberweg, Grundriß l10, 300. RHirzel, Unters, zu Cic.
philos. Schriften, Lpz. 1877 — 1883 III. CTuiaucourt, essai sur les traites
philosophiques de Cic. et leurs sources grecques, Par. 1885. Schmekel, Die
Philos. d. mittl. Stoa, Berl. 1892. MSchneidewin, Die ant. Humanität, Berl.
1897. Burmeister, Cic. als Neuakademiker, Oldenb. 1860. Goedeckemeyer,
Gesch. d. griech. Skeptiz., Lpz. 1905, 130. CHartfelder, de Cic. Epicureae
doctrinae interprete, Karlsr. 1875. GBehncke, de Cic. Epicureorum philoso-
phiae existimatore, Berl. 1879. MBernhardt, de Cic. graecae philosophiae
interprete, Berl. 1865. VClavel, de Cic. Graecorum interprete; acc. Cice-
ronianum lexicon Graeco-Latinum , Par. 1869. VLevin, six lectures intro-
duetory to the philosophical writings of Cic, Lond. 1871. JWalter, Cice-
ronis philosophia moralis, Prag u. a. 1878 — 1883 II. Stoerling, Quaest. Cic.
ad relig. spect., Jena 1894.
6. Eine Handschrift, die alle philosophischen Schriften Cic.s enthielte,
gibt es nicht. Doch läßt sich noch eine umfänglichere Sammlung nach-
weisen, die de nat. deor., de div., Tim., de fato, top., parad., Lucullus, de
leg. umfaßte. Von ihr sind abgeleitet die jetzt wichtigsten Hss , zwei Lei-
deuses (Vossiani 84 s. X und 86 s. XI; vgl. § 177, 4), der Laurentianus
26*
404 Ciceronische Zeit: J. 83—43 v. Chr.
S. Marci 257 s. X und der Vindob. 189 s. X. Vgl. darüber CFWMüller,
JJ. 89, 127. 261. 605. Reiffers cheid , RhM. 17, 295. Dickhoff (§ 184,10,3).
Schramm (§ 184, 2, 3). Ausgabe dieses Corpus von Plasberg, Lpz. 1908 ff.
Cod. Heinsianus (Leid. 118) phototypice ed. Plasberg, Leiden 1912. — Mehr
als 600 Auszüge aus Ciceros philos. Schriften, angefertigt von einem Pres-
byter Hadoardus, im Vatic-Regin. 1762 s. IX; sie enthalten nur bereits
Bekanntes. Darüber Narducci, bull, delle scienze matem. 15 (1882), 512;
Kendic. dell' Acad. dei Lincei 1885, 152. Suringar, de onlangs gevonden
fragm. v. Cic, Leid. 1883 und bes. Schwenke, Phil. Suppl. 5, 399 (daselbst
auch Abdruck der Sammlung). Mollweide, WSt. 33, 274. Über Cratanders
(§ 187, 5) Hss. zu Cic.s philos. Schriften KLehmann, WochklassPh. 1888, 472.
— Gesamtausgabe der philosophischen Schriften Ciceros cum scholiis PMa-
nutii, Ven. 1546 II. Die Ausgaben von JDavis (Cambridge 1736ff. VI; ed.
GRath, Halle 1804—20 VI) und AGörenz (Lpz. 1809—13 III) sind unvoll-
endet geblieben. Neueste kritische Revision v. Schiche, Prag 1884 fll.
7. Literaturberichte in ZGW. von Schiche, zuerst Bd. 34 JB. 341, zu-
letzt JB. phil. Ver. 29 (1903) 67; in JB. von Schwenke seit Bd. 35, 74,
Deiter seit Bd. 84, 69, Lörcher Bd. 162, 1 (bis 1911).
184. Eine Aufzählung seiner philosophischen Schriften gibt
Cicero selbst, de divin. 2, 1 — 3. Nach der Zeit ihrer Abfassung sind
es folgeude:
1) De republica, verfaßt im J. 54 ff. und vor seiner Abreise
nach Kilikien (J. 51) herausgegeben, in sechs Büchern, von denen
aber kaum ein Drittel auf uns gekommen ist. Die Schrift bildet
gewissermaßen den Übergang von Ciceros praktischer Wirksamkeit
zur theoretischen Schriftstellern; man kann sie als eine Umarbei-
tung der platonischen Politeia im römisch -stoischen Sinne be-
zeichnen. Der Grundgedanke ist, daß der Staat eine auf das Recht
und auf den Nutzen der Gesamtheit begründete Gemeinschaft ist.
1. Cic. de div. 2, 3 his libris adnumerandi sunt sex de rep., quos tum
scripsimus cum gubemacula reip. tenebamus. Caelius ep. 8, 1, 4 (Mai 51)
tui politici libri omnibus vigent. Att. 5, 12, 2 (Juli 51) omni de reip. statu
litteras exspecto tioXixiy.iox^ov quidem scriptas, quoniam meos cum Thcdlu-
meto nostro pervolutas libros. 6, 1, 8. leg. 3, 4. Tusc 4, 1. OESchmidt,
Briefw. 11. 75.
2. Die Entstehungsgeschichte dieses Werkes können wir aus Ciceros
Briefen verfolgen. Den ursprünglichen Plan, nur Verstorbene redend einzu-
führen, änderte Cic. auf das Zureden des Cn. Sallustius (§ 192, 1) dahin ab,
daß er selbst mit seinem Bruder das Wort führte, kehrte aber bald wieder
zu der ursprünglichen Anlage zurück, verlegte die Szene ins J. 129 und
machte zu Sprechern den jüngeren Africauus, Laelius, Aelius Tubero, Fu-
rius Philus u. a. Mitglieder des Scipionenkreises; unter ihnen Rutilius Ru-
fus, von dem Cic. den Inhalt des Gespräches erfahren zu haben vorgibt.
Vgl. ad Qu. fr. 3, 5, lf. Richarz, de politicorum Cic. libr. tempore, Würzb.
1829. Die Form ist ein Versuch, die platonischen Dialoge und speziell die
§ 184. Ciceros philosophische Schriften (de rep.) 405
Politeia nachzuahmen; der eschatologische Traum des Scipio am Schlüsse
entspricht auch in seiner Stellung dem des Armeniers Er. Hirzel, Dialog
1, 459. Doch ist sich Cic. über die Verschiedenheit seiner Politeia von der
platonischen klar, vgl. 2, 3. 21 f. 66. Hinze 2.
3. Die Erörterungen über Wesen und Zweck des Staates und den
Wechsel der Staatsformen im l.B. beruhen auf Panaitios. Für den im 2.B.
geführten Nachweis, daß der römische Staat dem Ideal entspricht, ist außer-
dem Polybios herangezogen; hier wird die Abfolge der verschiedenen römi-
schen Verfassungen erzählt. Für eine Einzelheit, den Passus über die Nach-
teile der maritimen Lage (§ 7 ff.), ist Dikaiarchos eingesehen (Att. 6, 2, 3).
Auch die im 3. B. vorgetragenen Lehren über Ursprung und Wesen des
Rechts, die sich mit de leg. 1 eng berühren, fußen wohl auf Panaitios;
beide Autoren werden auch 1, 15. 34. 2, 27. 4, 3 genannt. Schmekel 55. 67.
Leo, Mise. Cic. (Gott. 1892) 12. Daß die Grundbegriffe erst im 3. Buch er-
örtert wurden, war kein Vorzug der Komposition. Im 4. Buche war die
Frage der Erziehung unter beständiger Polemik gegen Plato behandelt, im
5. die Ausbildung des Staatslenkers; vom 6. ist nur der Schluß kenntlich:
der apokalyptische Traum des Scipio, der die Belohnung hervorragender
Männer nach dem Tode schildert, gibt eine aus Poseidonios, vielleicht aus
dessen Protreptikos stammende Apokalypse wieder. Cokssen (Nr. 8, 2).
Norden, Vergils Aeneis B. 6 Einl. WVolkmann, Die Harmonie d. Sphären
in Cic.s Traum, Bresl. 1908. Sueton verteidigte dieses Buch gegen die An-
griffe des Didymos, s. Suid. v. TgdyxvAXog (§ 347, 2). Gratama, de Cic. de
rep. et de leg. libris, Gron. 1827. vPersijn, de politica Cic. doctrina in
libris de rep., Amst. 1827. SZachariä, üb. Cic.s Bücher vom Staat, Heidelb.
1823. ISchubert, quos Cic. de rep. I et II auetores secutus sit, Würzb. 1883.
Hinze, Quos Script, gr. Cic. in libr. de rep. adhibuerit, Halle 1900. ADes-
jardins, De scientia civ. ap. Cic, Beauvais 1858.
4. Ein Teil des sechsten Buchs, der Traum des Scipio, ist früh geson-
dert, vervielfältigt und erklärt worden, letzteres namentlich von Macrobius
(s. § 444, 4), auch von Favonius Eulogius (vgl. § 443, 4). Deshalb ist das
Somn. Scip. auch in den Ausgg. des Macrobius abgedruckt. Haupthss. des
Textes (und des Macrobius-Kommentars): Paris. 6371 s. XI, Bamb. s. XI,
Monac. 6362 s. XI, 14436 s. XI u. a. — GGernhard, de Cic. somn. Scip.,
opusc. lat. p. 373. Eine griechische Übersetzung von Maximus Planudes (um
1330) s. bei CHess, Cic. Cato etc. ex gr. interpr., Halle 1832 p. 70 ff., auch
herausg. von FBrüggemann, Conitz 1840 und in Mosers Ausg. p. 547, end-
lich auch (von 1, 16 an) bei Matthaei, brev. hist. animal., Mosq. 1811, 91.
— Sonderausg. v. CMeissner, Lpz.3 1886.
5. Sonst war von dem Werk außer einzelnen Bruchstücken nichts be-
kannt, bis AMai sehr beträchtliche Teile in einem vatikanischen Palimpsest
(Vatic. 5757 s. IV? Faksimile bei Zangemeister u. Wattenbach, Taf. 17,
Chatelain T. 39, 2, auch bei Pfaff aO.) entdeckte und herausgab, Rom 1822
(und Stuttg. 1822), auch in Class. auet. Rom 1828, 2, 1 — 386 und abermals
Rom 1846. Nach ihm GSchütz (Lpz. 1823), FHeinrich (Bonn 1823; ed.
maior, cum comm. crit. in libr. I, Bonn 1828), HMoser (Frankf. 1826), Osann
(Gott. 1847). — Rieu, schedae Vaticanae (Leid. 1860) p. 1—126. Tran-
skription der Hs. von Buren, Suppl. Papers of the Am. School in Ronie 2
406 Ciceronische Zeit: J. 83—43 v. Chr.
(New York 1908) 84. Über den bedeutenden Wert der zweiten Hand des
Palimps. s. AStrelitz,' de antiquo Cic. de rep. librorum emendatore, Bres-
lau 1874. Bkltz, d. hs. Überlieferung von Cic. de rep , Jena 1880. KPfaff,
de diversis manibus quibus Cic. de rep. libri correcti sunt, Heidelb. 1883.
Francken (§ 177, 4). Über die Zitate bei Lactantius Brandt, Festscbr.
Heidelberg 1896, 19. — Neueste Ausg. von KZiegler, Lpz. 1915. Übersetzt
von HMoser (in der Metzlerscben Samml., Rom. Pros. 22 f.).
2) De legibus, angefangen wohl zwischen J. 52 und 48, nach
der Beendigung des vorigen Werkes, um der itolirela nun auch
vonoi zur Seite zu stellen, wieder aufgenommen J. 46, aber wahr-
scheinlich nicht zu Ende geführt und auch von Cicero selbst nicht
mehr herausgegeben; wenigstens erwähnt er das Werk weder in
seinen Briefen noch sonst jemals. Es bestand wohl ursprünglich
aus sechs Büchern, auf uns gekommen sind aber nur drei nebst
einigen Bruchstücken des Weiteren. Auch das Erhaltene hat Lücken;
und hätte Cicero das Werk selbst herausgegeben, so würde er ohne
Zweifel eine Vorrede hinzugefügt haben, während es jetzt sogleich
mit dem Gespräche beginnt. Das erste Buch behandelt dieselbe
Frage wie das dritte von de republica, nämlich die nach dem Ur-
sprünge des Rechts: dieses wird zu den Grundlehren der stoischen
Weltanschauung in Beziehung gesetzt und aus der Natur herge-
leitet. So nimmt das Buch die Stelle einer Einleitung ein; die eigent-
lichen Gesetze beginnen im zweiten Buche mit dem göttlichen Recht:
Cicero gibt nach einer sich mit dem ersten Buche inhaltlich decken-
den Einleitung (7 — 14) zunächst den Wortlaut der sakralen Be-
stimmungen und knüpft daran seine Erläuterungen. Dasselbe ge-
schieht im dritten Buche mit dem Beamtenrecht. Obwohl Cicero
fortwährend auf Plato Bezug nimmt, entwirft er doch seine Gesetze
für römische Verhältnisse und unter Anlehnung an geltendes rö-
misches Recht, indem er die Sprache der Zwölftafelgesetze geschickt
nachbildet. Das vierte Buch sollte de iudieiis handeln; über den
Inhalt der übrigen lassen sich nur unsichere Vermutungen auf-
stellen.
1. Auf Abfassung zwischen J. 52 (Augurat des Cic. 2, 32; Tod des Clodius,
ebd. 42) und J. 48 (Pompeius noch am Leben, 1, 8. 3, 22) fähren auch die Zeit-
anspielungen zwar nicht mit voller Sicherheit, da sie auch bloß der Einklei-
dung angehören könnten, aber doch mit Wahrscheinlichkeit; denn Cic. hatte
sich über die zeitliche Fixierung des Gespräches noch nicht entschieden und
ließ es vorläufig in der Gegenwart spielen. Damals aber wurde das Werk
nicht vollendet (Unterbrechung durch die kilikische Verwaltung und dann die
Bürgerkriege); vgl. Brut. 19 ut illos de rep. libros edidisti, nihil a te mne acce-
piimis, und Tusc. 4, 1 wird wohl die Schrift de rep. erwähnt, nicht aber de
§ 184. Ciceros philosophische Schriften (de leg.) 407
legibus. Wiederaufnahme J. 46, s. ep. 9, 2, 5 modo nobis stet . . et scribere et
legere TtoXiteias et si minus in curia atque in foro, at in litteris et libris . .
navare remp. et de moribus ac legibus quaerere. Auch weisen 1, 52. 54. 57
daraufhin, daß Cic. sich mit dem Gedanken an de fin. und Acad. trug; 5 ff.,
daß er Geschichte zu schreiben gedenkt (also nicht nach Caesars Ermordung
geschrieben). Aber auch jetzt blieb das Werk liegen, vielleicht infolge des
zunehmenden Eifers für systematische Philosophie oder überhaupt wegen
anderer literarischer Pläne und Arbeiten. Die Unfertigkeit zeigt sich in
Mängeln der Disposition und in dem Fehlen sowohl einer Vorrede, gegen
den Grundsatz in singulis libris utor prooemiis (Att. 4, 6, 2; vgl. 16, 6, 4),
als auch einer Einleitung zum Gespräch (Hirzel 476). Dieses wird von
Cicero, seinem Bruder Quintus und Atticus geführt. Dafür daß das Werk
sich ursprünglich auf sechs Bücher erstreckte oder erstrecken sollte, spricht
teils der Vergleich mit der Schrift de rep. teils die Anführung bei Macrob.
sat. 6, 4, 8 Cicero in quinto de legibus. Für acht Bücher nicht überzeugend
duMesnil, Ausg. S. 6. 10. Hirzel, Dialog 1, 471.
2. Über die Abfassungszeit s. CPeter Ausg. des Brutus (1839) p. 264.
Horrmann, JJ. 125, 601. Im allgemeinen Feldhügel, über C. de legg., Zeitz
1841. Drumann, GR. 6, 104. Reitzenstein, Gießener Festschr. f. Mommsen
1893/4, 1. Lazic, Die Entst. von Cic. de leg., Wien 1912. Über die Anlage
von B. 2 und 3 Boegel, Xagitsg 297. Möglich ist, daß B. 1 später hinzu-
gefügt ist.
3. Cic. hielt Piatons Nomoi für eine Fortsetzung der Politeia und wollte
demgemäß eine Ergänzung zu de rep. liefern. 1, 15 si quaeres, ego quid
expectem, quoniam scriptum est a te de optimo reip. statu, consequens esse
videtur ut scribas tu idem de legibus: sie enim fecisse video Piatonern illum
tuum, quem tu admiraris. 3, 4 quoniam leges damus liberis populis, quaeque
de optima rep. sentiremus, in sex libris ante diximus, aecommodabimus hoc
tempore leges ad illum quem probamus civitatis statum. Vgl. 1, 20. 2, 14. 23.
3, 32. Anklänge an Piaton und besonders an dessen Nomoi sind häufig.
Das erste Buch vertritt jüngere stoische Anschauungen über das Recht, wie
sie Panaitios vortrug, und folgt vielleicht diesem, aber sicher sind Einlagen
aus Antiochos gemacht, und dieser kann auch die Quelle des Ganzen sein.
Reitzenstein (A. 2). Schmekel 55. Hinze (Nr. 1, 3) 55. Laudien, Herrn. 46,
108. Für das zweite Buch sind Antiquare, Juristen (Scaevolae 47) und Inter-
preten der zwölf Tafeln, etwa Aelius Stilo, benutzt, für die Vergleichung
griechischer und römischer Gräbersitten 56 f. 63 — 66 wohl Poseidonios. Bösen,
De XII tabb. lege, Gott. 1893, 14. Bögel, Inhalt und Zerlegung des 2. B.,
Kreuzburg 1907. Lörcher, JB. 162, 129.
4. Haupthss.: Vossiani 84 s. X u. 86 s. XI, Heinsianus 118 s. XI, alle
in Leiden: darüber ESchramm, De Cic. 11. de leg. recensendis, Marb. 1897.
S. auch HJordan, Beitr. 225; Quaest. Tüll., Königsb. 1884. — Ausgaben
von JDavis (Cambr. 1727. 1745, wieder herausg. v. Rath, Halle 1818. Bd. 5),
Görknz (Lpz. 1803), Moser und.CREuzER (Frankf. 1824), Bake (Leid. 1842),
Feldhügel (Zeitz 1852 f. II). Ex recognitione IVahlen, Berl.2 1883. In
Htjschkes Jurisprud. Anteiust.5 (1886) 19. Erkl. v. duMesnil, Lpz. 1879, von
GSichirollo , Päd. 1885. Die von Cicero eingelegten Gesetznachbildungen
mit sprachlicher Erläuterung über die Archaismen darin abgedruckt bei
408 Ciceronische Zeit: J. 83—43 v. Chr.
HJordan, krit. Beitr. 230. — Übersetzt von FSeegek (Metzlersche Samml.)
und WZumpt (Klotzsche Übers, der philos. Schriften, T. 2).
3) Paradoxa, dem M. Brutus gewidmet, verfaßt im April des
J. 46, unmittelbar nach dem Brutus, ehe noch die Kunde vom Tode
des M. Cato nach Rom gelangt war, und vor dem Orator. Wegen
seines geringen Umfanges ist das Schriftchen de div. 2, 1 — 4 nicht
eigens aufgeführt. Der Inhalt ist eine in rhetorischem Diatriben-
stil gehaltene Darstellung von sechs auffallenden Sätzen der stoi-
schen Lehre.
1. In der Einleitung erklärt Cic, stoische Sätze behandeln zu wollen,
aber nicht in der dürftigen Manier der Stoiker, sondern nach der akade-
misch-peripatetischen Art (nos ea philosophia plus utimur, quae peperit di-
cendi copiam), was als eine Spielerei erscheint: ego tibi illa ipsa, quae vix
in gymnasiis et in otio Stoici pröbant, ludens conieci in communes locos . .
accipies igitur hoc parvum opusculum lucubratum his iam contractioribus
noctibus . . et degustabis genus exercitationum earum quibus uti consuevi,
cum ea quae dicuntur in scholis ftstixäg (§ 188, 2, 2) ad nostrum hoc Ora-
torium transfero dicendi genus. Er hält diese Sätze auch für sokratische,
prooem. mihi ista nagado^a quae appellant maxime videntur esse Socratica,
vgl. 23. Luc. 136. Der Ton ist populär und lebhaft, ein Zuhörer oder Gegner
wird angeredet, Beispiele angeführt, drastische Worte nicht gescheut. Aus
dem obigen Zeitansatz erklären sich die Berichtigungen, die für Parad. 2
in fin. 4, 52 und für Parad. 5 in fin. 3, 33 f. liegen. Anders Lörcher, Das
Fremde 209. — CMorgenstern, proleg. in Cic. P., Seebodes Mise. crit. 1,
1, 386. Drumann, GR. 6, 288.
2. Handschriften: Voss. 84 u. 86. Vindob. 189 s. § 183, 5. — Ausgaben
von Gernhard (mit Cato, Lpz. 1819). Borgers (Leid. 1823). Orelli (mit
Tusc, Zur. 1829), Moser (Gott. 1846). — Übersetzt von FBaur (Stuttg. 1854),
RKühner (Stuttg. 1864). Griechische Übersetzung von Petavius (Par. 1653
und bei CHess, Cic. Cato usw. s. oben Nr. 1, 4) sowie von Morisoto (ed.
Wensch, Halle 1841).
4) Wie Cicero mit den Paradoxa den Standpunkt des Redners
noch nicht völlig verlassen hatte, so war seine uns nicht erhaltene
Consolatio rein aus persönlichem Bedürfnis und augenblicklichen
Verhältnissen ? dem Tode seiner Tochter, hervorgegangen und sehr
populär gehalten. Sie wurde verfaßt im März des J. 45, unter haupt-
sächlicher Benützung von Krantors Schrift hsqI Ttev&ovg.
1. Vgl. ad Att. 12, 14, 3 (8. März 45) nihil de maerore minuendo scrip-
tum ab ullo est, quod ego non domi tuae legerim . . quin etiam feci quod
profecto ante me nemo, ut ipse me per litteras consolarer. quem librum ad te
mittam, si descripserint librarii: adfirmo tibi nullam consolationem esse talem.
12, 20, 2 velim me facias certiorem . . Pertinent ad eum librum, quem de
luctu minuendo scripsimus. Ein wörtliches Zitat Tusc. 1, 65; vgl. 3, 76. 4, 63.
divin. 2, 3. 22. Plin. NH. praef. 22 (Cicero) in consolatione filiae Crantorem,
inquit, sequor. — Die Bruchstücke bei Baiter-Kayser 11, 71 und Mür.T.er 4,
§ 184. Ciceros philosophische Schriften (parad., consol., Hort.) 409
3, 332. Vgl. Halm, Beitr. zu den Cic. Fragm. S. 32. FSchneider, de conso-
latione Cic, Bresl. 1835. B ASchulz, dgl., Greifsw. 1860. Drumann, GR. 6,
319. Cicero hat aus dieser consolatio Einlagen in Tuscul. 1 u. III gemacht.
Buresch, Lpz. Stud. 9, 94 (daselbst auch über deren Benützung durch Hiero-
nymus in ep. 60 ad Heliodorurn über den Tod des Nepotianus; vgl. KSchenkl,
WSt. 16, 38); vgl. Schmekel 150. Pohlenz, Herrn. 41, 330; Progr. Götting.
1909, 15.
2. Eine Fälschung ist M. Tullii Cic. Consolatio, liber nunc primum re-
pertus et in lucem editus, Colon. 1583 (gedruckt auch zB. in Klotz' Ausg.
4, 3, 372). Vgl. Schulz aO. 58. TSage, The Ps. Cic. Consolatio, Chicago
1910.
5) Erst in seinem Hortensius, den er im April oder Mai 45
veröffentlichte, gab Cicero eine Art Vorrede zu den beabsichtigten
eigentlichen philosophischen Schriften, um den Wert der Philoso-
phie für das Glück des einzelnen nach dem Vorgange des aristote-
lischen Protreptikos auch Laien klar zu machen. Auch der Hor-
tensius ist bis auf eine Anzahl Bruchstücke verloren gegangen.
1. Cic. de div. 2, 1 cohortati sumus ut maxime potuimus ad philosophiae
Studium eo libro, qui est inscriptus Hortensius. Vgl. Augustin. conf. 8, 7, 17
lecto Ciceronis Hortensio excitatus eram studio sapientiae etc. Trebell. Sa-
lon. Gallien. 2 M. Tullius in Hortensio, quem ad exemplum protreptici
scripsit. An dem Gespräche nahmen Cicero, Hortensius, Lucullus und Ca-
tulus teil; es spielte nach der fr. 16 erwähnten Rede pCornelio (J. 64) und
vor Catulus1 Tode (J. 60). Nachdem über den erziehlichen Wert von Poesie,
Geschichte und Beredsamkeit gesprochen war, griff Hort, die Philosophie
heftig an; ihre Verteidigung übernahm Catulus und Cicero. Die Darstellung
war schwungvoll, die Philosophie selbst wurde redend eingeführt. Die reli-
giöse Färbung einzelner Partien scheint auf Poseidonios hinzuweisen; aber
der Grundstock der Gedanken stammte aus Aristoteles' itQOTQsitTLY,6s-} vgl.
Bernays, d. Dialoge des Aristoteles (Berl. 1863) 116. Bywater, Journ. of
philol. 2, 55. 7, 64. Usener, Sehr. 3, 9. Hirzel, Herrn. 10, 80. Diels, Arch.
Gesch. Philos. 1, 477. Hartlich, Lpz. Stud. 11, 291. Plasberg, De Cic. Hort.,
Berl. 1892 (Hauptarbeit, dazu Usener, Sehr. 2, 353). — Benutzt hat die
Schrift Augustinus Contra Acad. B. 1 (vgl. conf. 3, 4, 7); s. Ohlmann, De
Aug. dialogis, Straßb. 1897. Dkewniok (Nr. 7, 2). Die Überreste bei Baiter-
Kayser 11, 55 und Müller 4, 3, 312. Vgl. Usener, Dion. Halic. de imit.
(Bonn 1889) 117. Drumann, GR. 6, 322.
2. Der Hortensius war angeblich noch im 11. und 12. Jahrh. auf der
Insel Reichenau und in der Abtei Bec (in Frankreich) vorhanden. Da aber
Ciceros Lucullus' (vgl. S. 411) im Mittelalter liber ad Hortensium oder ad
Hort, dialogus hieß, so wird jene Angabe vielmehr auf diesen zu beziehen
sein. KSchenkl, Phil. 31, 563. Hortis, Cicerone nelle opere del Petrarca
51—53. PThomas, Rev. Phil. 3, 152. GVoigt, Wiederbeleb, d. class. Altert.
I2, 39. Plasberg 12.
6) De finibus bonorum et malorum, fünf Bücher, verfaßt
in der ersten Hälfte des J. 45, unmittelbar vor den Academica, und
410 Ciceronische Zeit: J. 83—43 v. Chr.
dem Brutus gewidmet, eine Zusammenstellung der Lehren der wich-
tigsten Schulen über das höchste Gut und Übel,- also über eine
Hauptfrage der praktischen Philosophie, wie die Academica die
Hauptlehre der theoretischen Philosophie behandeln, die Erkennt-
nislehre. Ciceros Quellen für die Darstellung der epikureischen,
stoischen und akademisch-peripatetischen Lehre sind jüngere Ver-
treter der betreffenden Schulen, für die Kritik dieser Lehren der
auch im 5. Buche benutzte Antiochos von Askalon. Der Schwierig-
keit, aus diesen verschiedenen Elementen ein organisches Ganze
herzustellen, ist Cicero nicht ganz Herr geworden; doch ist dieses
Werk durch Sorgfalt der Darstellung vielleicht das vorzüglichste
unter Ciceros eigentlich philosophischen Schriften.
1. Cic. de div. 2, 2 cum fundamentum esset phüosophiae in fmibus bo-
norum et malorum, perpur gatus est is locus a nobis quinque libris, ut quid
a quoque et quid contra quemque philosophum diceretur intellegi posset. Aus
Att. 12, 12, 2 (März 45) geht hervor, daß Cic. am Epicurus (also wohl B. 1. 2)
keine Personen der Vergangenheit beteiligen will. Ende Mai ist der Torquatus
dh. B. 1 fertig (Att. 13, 32, 2). ad Att. 13, 12, 3 (Ende Juni) nunc illam Ttsgl
tsXgöv Gvvtcci-iv sane mihi probatam Bruto, ut tibi placuit, despondimus, id-
que cum non nolle mihi scripsisti. Wenige Tage später 13, 19, 4 ita confeci
quinque libros tieqI teX&v, ut Epicurea L. Torquato, Stoica M. Catoni, Peri-
patetica M. Pisoni darem. avs^EGntov id fore putaram, quod omnes Uli de-
ccsserant. Gleich darauf 21 a, 1 illud rectumne existimas quoiquam ante quam
Bruto, cui de auctore 7tQ06cpo)vä>? scripsit enim Baibus ad me se a te quin-
tum de finibus librum descripsisse, in quo non sane multa mutavi, scd tarnen
qnaedam. tu autem commodc feceris, si reliquos continueris, ne et ocSioQ^aita
liabeat Baibus et ecoXcc Brutus, de leg. 1, 52. Drumann, GR. 6, 323. Lörcher,
Das Fremde 82.
2. Eingekleidet ist das Werk in drei Gespräche, in denen Cicero nach
der Weise des Aristoteles sich selbst die Hauptrolle zugeteilt hat, im übri-
gen aber nur Gestorbene auftreten läßt, nämlich im ersten Gespräche (B. I
u. II), das ins J. 50 gesetzt wird, den L. Manlius Torquatus und C. Vale-
rius Triarius, von denen der erstere die epikureische Lehre vorträgt (B. I),
die dann Cicero (B. II) zu widerlegen sucht; im zweiten (B. III. IV), ins
J. 52 gesetzt, den jüngeren Cato, der die stoische Lehre darlegt (B. III),
worauf Cicero (B. IV) zeigt, daß sie von der des Antiochos aus Askalon
nicht wesentlich abweiche; im dritten (B. V), das sich als im J. 79 gehalten
gibt, den M. Pupius Piso, der die Lehre der Akademiker und Peripatetiker
darstellt, L. Tullius Cicero u. a. Das 5. Buch und mindestens Teile des 2.
und 4. beruhen auf Antiochos von Askalon, vgl. 5, 16 Carneadia nobis ad-
hibenda divisio est, qua noster Antiochus libenter uti solet. 81 scio ab An-
tiocho nostro dici sie solere. 8, 14. Das erste Buch ist wohl (trotz Lörcher
aO. 1) aus einem jüngeren Epikureer geschöpft (Bignone, Riv. Fil. 37, 54.
Phitjppson, RhM. 66, 231). Für das 3. Buch ist sicher die Benutzung eines
jüngeren Stoikers, den zB. Hirzel in llekaton, Lörcher in Diogenes von
§ 184. Cicero» philosophische Schriften (de fin., Acad.) 41 1
Babylon gesehen hat, während v Arnim, Stoic. fr. 1, xxvm eine Epitome aus
verschiedenen stoischen Werken mit doxographischen Zutaten die Quelle
sein läßt. Ob Chrysipp, dessen Lehre das Fundament bildet, direkt benutzt
ist, bleibt zweifelhaft. Lörcher will in der Entstehung des Werkes drei
Entwicklungsstufen scheiden, die sich aber nicht zur Evidenz bringen lassen.
3. Im allgemeinen vgl. die Vorreden von Madvig, Görenz u. a. Hirzel
(§ 183, 4) 2, 567. Lörcher, Das Fremde und das Eigene in Cic. de fin. u.
Acad., Halle 1911; JB. 162, 77. Fowler, Panaetii et Hecat. fragm. (Bonn
1885) 13. Hartfelder (s. § 183, 4), p. 8. 21.
4. Handschriften: Palatino -Vaticanus 1513 s. XI (Facsim. Chatelain
T. 43, 1), dann Palat. 1525 s. XV, Paris. 6331 s. XII (Facsim. Chatelain T.
43, 2) u. a. S. darüber Madvigs Proleg. Pur die Beachtung der sog. dete-
riores Schiciie, JB. phil. Ver. ZfGW. 33, 187, Gustafsson, Herrn. 15, 465.
— Ausgaben von JDavis (Cambridge 1728. 1741. Oxf. 1809, in Raths Ausg.
Bd. 1), Görenz (Lpz. 1813), Orelli (mit Acad., Zur. 1827), GWOtto (Lpz.
1831) und besonders Madvig (Kopenh. 1839. 31876). Ferner Alanus (Dublin
1856). Hutchinson, Lond. 1909. Erklärt von Böckel (Bd. 1, Berl. 1872),
Holstein (Lpz. 1873). Revised and explained by Reid, Lond. 1883 III.
5. Übersetzt von GDroysen, Lpz. 1841. FBaur (Stuttg. 1854, Class. d.
Alt. 1854). vKirchmann, Berl. 1875.
7) Academica, verfaßt im J. 45, zuerst in zwei Büchern, die
nach (Q. Lutatius) Catulus und (L. Licinius) Lucullus benanut wa-
ren, dann in vier Büchern. Von der ersten Bearbeitung ist das
zweite Buch (Lucullus) erhalten, von der zweiten (Academica poste-
riora) der erste Teil des ersten Buches und einzelne Bruchstücke.
Der Lucullus enthält die Erkenntnislehre der jüngeren Akademie
(des Antiochos und Philon), während der Catulus die Begründung
der extremen Skepsis des Karneades nebst einer allgemeinen Dar-
stellung der Geschichte der Akademie umfaßt haben mag. Der An-
fang der zweiten Bearbeitung gibt allgemeine Erörterungen und
eine Übersicht über die Geschichte der Philosophie von Sokrates
bis auf Arkesilaos, den Vorgänger des Karneades und Philon. Cicero
widmete der akademischen Lehre deswegen eine besondere Darstel-
lung, weil er sich durch dieses System überhaupt am meisten an-
gezogen fühlte (§ 183), und für unsere Kenntnis der Skepsis bildet
seine Schrift eine Hauptquelle.
1. Nach div. 2, 1 sind die Acad. vor de fin. geschrieben, was man mit
Unrecht bezweifelt hat. Plasberg (Nr. 5, 1) 6. Neben Catulus und Lucullus,
die beide die Ansicht des Antiochos vertraten, nahmen in der ersten Fas-
sung noch Hortensius und Cicero am Gespräche teil; bald aber setzte Ci-
cero an deren Stelle den Cato und M. Brutus; als darauf Atticus schrieb,
Varro nehme es übel, daß Cicero ihm noch nie eine Schrift gewidmet habe,
so wurde das ganze Werk noch einmal völlig umgearbeitet, in vier Bücher
abgeteilt und dem Varro gewidmet. Tn dieser /weiten Bearbeitung ließ
412 Ciceronische Zeit: J. 83—43 v. Chr.
Cicero den Varro die Ansichten des Antiochos vortragen und führte selbst
die des Philon aus. Die erste Bearbeitung hatte Atticus schon abschreiben
lassen, als Cicero sich zu ihrer Umschmelzung entschloß. Über die erste
Bearbeitung Att. 13, 32, 3 (29. Mai) Catulum et Lucullum ut opinor antea
(misi ut tibi daretur). his libris nova prooemia sunt addita, quibus eorum
uterque laudatur. Über das Verhältnis der beiden Bearbeitungen s. beson-
ders ad Att. 13, 13, 1 ex duobus libris contuli in quattuor. grandiores sunt
omnino quam erant Uli, sed tarnen multa detracta. . . multo Jiaec erunt splen-
didiora, breviora, meliora. 13, 16, 1 illam 'Ay.aoriiiaiy.riv övvtai-iv totam ad
Varronem traduximus. primo fuit Catuli, Luculli, Iiortensii. deinde . . eos-
dem illos sermones ad Catonem Brutumque transtuli. ecce tuae litterae de
Varrone. nemini visa est aptior Ävno%üa ratio. Vgl. ebd. 12, 3 etenim sunt
Antiochia, quae iste (Varro) valde probat. 19, 3 dbsolvi . . Academicam omnem
quaestionem libris quattuor. in eis quae erant contra äycctaXr]ipLuv praeclare
collecta ab Antiocho, Varroni dedi; ad ea ipse respondeo, tu es tertius in
sermone nostro. Fertig war diese zweite Bearbeitung vor Mitte Juli (Att.
13, 23, 2); der Brief, mit dem sie dem Varro übersandt wurde, ist ep. 9, 8.
Die übrigen Briefstellen bei Plasberg 28. Oben § 167, 2. Vgl. S. 409, Nr. 5, 2.
Allerlei Vermutungen darüber bei Birt, antikes Buchwesen 354.
2. Der Lucullus beginnt mit einem die Skepsis widerlegenden Vortrage
des Lucullus, der auf Antiochos beruht und zwar wie es scheint auf dem
Dialoge Sosos, neben dem Lörcher, Das Fremde (Nr. 6, 3) 240 die Benutzung
noch einer anderen Schrift des Antiochos annimmt. Die Einwürfe des Ci-
cero gegen den Standpunkt des Antiochos sind mit Hirzel aus Philon her-
zuleiten, während Schmekel, Festgabe f. Susemihl, Lpz. 1898, 32 und Lörcher
aO. daneben den Kleitomachos eingesehen sein lassen. Daß in den Acad
post. Varro die Lehren seines Lehrers Antiochos vorträgt, sagt Cic. selbst
mehrfach. Er selbst spielte in den verlorenen Büchern den Anwalt der
Sache Philons. Diese Bücher hat Augustinus für B. 2 und 3 seiner Schrift
Contra Academicos benutzt. Drewniok, De Aug. contra Acad. libris, Bresl.
1913. Ranitz, de libr. Acad., Lps. 1809 und in Acta soc. Lips. 2 (1812), 165.
ABrandis, RhM. 3 (1829), 543. Drumann, GR. 6, 327. BKrische, üb. Ciceros
Akademika, Gott. 1845. Diels, Doxogr. gr. (Berl. 1879) 119. KFHermann,
Phil. 7, 466. Engstrand, de libris Cic. Acad., Ups. 1860. Hirzel (§ 183, 4)
3, 251. Hoyer, Die Heilslehre, Bonn 1897, 112. Lörcher, Diss. Hai. 17,380.
3. Handschriften für den Lucullus Voss. 84 und 86 und der Vindob.
189 s. § 183, 5; für die Acad. posteriora ist die älteste Hs. Paris. 6331 s. XII
(§ 184, 6, 4), sonst junge aus s. XV, zB. ein interpolierter Gedanensis. —
Ausgaben von JDavis (Cambridge 1725. 1736; bei Rath Bd. 3), Görenz
(T. II, 1810), Orelli (mit de fin., Zur. 1827); Plasberg, Lpz. 1908. Text
revised and explained by SReid, Lond.a 1885. — Übersetzt von HMoser
(Stuttg. Metzler).
8) Tusculanae disputationes, so benannt nach Ciceros Gut
bei Tusculum, weil die dort geschriebenen Gespräche auch als dort
gehalten dargesteUt werden. Angefangen wurden sie J. 45 , been-
digt und in fünf Büchern herausgegeben J. 44; nach de finibus und
vor de divinatione und de fato. Sie sind dem M. Brutus gewidmet
§ 184. Ciceros philosophische Schriften (Tusc.) 413
und handeln meist in populärem Ton von der menschlichen Glück-
seligkeit, ihren Störungen und deren Überwindung. Die von Cicero
benutzten Quellen sind stoische oder stoisch beeinflußte.
1. Cic. ad Att. 13, 32, 2 Dicaearchi tcbqI tyvxfjg utrosque velim mittas et
-nccTußcc6S(os. Tq wollt wbv non invenio et epistolam eins quam ad Aristoxe-
num misit. tres eos libros maxime nunc vellem ; apti essent ad id quod cogito
(vgl. Tusc. 1, 24). 15, 2, 4 quod prima disputatio Tusculana te con/irmat
sane gaudeo. 15, 4, 3. Inhalt: Cic. div. 2, 2 libri Tusculanarum disputa-
tionum res ad beate vivendum maxime necessarias aperuerunt. I enim est de
contemnenda morte, II de tolerando dolore, III de aegritudine lenienda, IV
de reliquis animi perturbationibus , V . . docet ad beate vivendum virtutem
se ipsa esse contentam. Der Dialog wird von Cic. und einem nicht näher
bezeichneten Zuhörer in sehr matter Weise geführt. Die in der Überliefe-
rung erst spät erscheinenden Buchstaben M und A, die zur Unterscheidung
der redenden Personen dienen, sind aus Mund A entstanden; sie bedeuten
ticc&riTjjs und d«?atfxaÄo? und sind byzantinischen Ursprungs. Pohlenz, Herrn.
46, 627.
2. Das erste Buch beweist, daß der Tod kein Übel sei, erstens für den
Fall der Unsterblichkeit der Seele (bis § 81), zweitens für den Fall ihrer Ver-
gänglichkeit. Der erste Teil ist sicher aus Poseidonios geschöpft, während
dies für den zweiten anzunehmen trotz Corssen RhM. 36, 506 unmöglich ist:
diesen scheint Cic. hauptsächlich seiner eigenen Consolatio zu entnehmen.
Corssen, De Posidonio Rhodio, Bonn 1878. Schmekel 132. Reinhardt JJ. 153,
473. Pohlenz, Progr. Gott. 1909. Das zweite Buch, das sich mit B. 2 de fin.
vielfach berührt, könnte aus Panaitios' Schrift de tolerando dolore (fin. 4, 23)
stammen. Pohlenz, Herrn. 44, 23. Das dritte und vierte Buch bewegen sich
in den Anschauungen Chrysipps, die aber teilweise durch Jüngere (Anti-
ochos?) vermittelt sein mögen, auch hat Cic. eigene Materialien hineinge-
arbeitet, v Arnim, Stoic. fr. 1, xx. Pohlenz, Herrn. 41, 321. Im fünften Buche
stammen § 68 — 82 sicher aus Poseidonios' Protreptikos, das Vorhergehende
scheint auch aus Poseidonios, der Rest des Buches aus Antiochos zu stam-
men. Die Ansicht Hirzels, Unters. 3, 342, wonach Philon die Hauptquelle
des Ganzen ist, läßt sich nicht aufrecht erhalten. — Drumann, GR. 6, 347.
OHeine, de Cic. Tusc, Halle 1854; de fontibus Tusc, Weim. 1863. HMuther,
über die (rhetorische) Komposition des ersten und fünften Bnches, Coburg
1862. Zietschmann, de Tusc. disp. fontibus, Halle 1868. CHartfelder (s.
§ 183, 4) S. 18. 43. Poppelreuter, quae ratio intercedat inter Posidonii 7C£qI
itad'üv TiQcty ftar slccg et Tusc. Cic, Bonn 1883. Hoyer_, de Antonio Ascalo-
nita, Bonn 1883. Kreuttner, Andronici nsgl ■jtccd'&v I, Heidelb. 1884. Fowler,
Panaetii et Hecat. fragm. (Bonn 1885) 8. Diels, RhM. 34, 487. Saltzmann
(§ 183, 4), II, Anhang. Lürcher, JB. 162, 92.
3. Handschriften: Gudian. 294 s. IX— X, Paris. 6332 s. X (Facsim. Cha^
telain T. 44, 1), Bruxell. 5351 s. XII. Über Vatic. 3246 s. IX Stroebel
Phil. 49, 49; über Cambrai. 842 s. IX Rossbach, Phil. NF. 17, 94. Über, die
recensio Pohlenz, Progr. Gott. 1909, 19. — Ausgaben: JDavis (Cambr. 1709.
1723 u. öfters, bei Rath T. 2), FAWolf (Lpz. 1792. 1807. 1825), RKühner
(Jena5 1874), Orelli (mit den Paradoxa, Zur. 1829), RKlotz (Lpz. 1835;
414 Ciceroniscbe Zeit: J. 83 — 43 v. Chr.
Nachträge, Lpz. 1843), Moser (Hannover 1836 III), Süfflh (Mannh. 1845),
GTischek (81884. 87 II, von GSorof), MSkyffert (Lps. 1864). Pohlenz, Lpz.
1912. Dougan (B. 1. 2), Cambr. 1905 (mit krit. App.). — Übersetzt von
FBaur, Stuttg. 1854. RKühner, Stuttg. 1855.
9) Timaeus, Übersetzung eines Teiles des gleichnamigen pla-
tonischen Dialoges, geschrieben nach den Academica, also J. 45
oder 44; aus der unvollständigen Einleitung ergibt sich, daß die
Übersetzung in einem Dialoge Platz finden sollte, an dem außer
Cicero Nigidius und Kratippos teilnahmen; Nigidius vertrat die
pythagoreische Lehre.
1. Priscian. GL. 2, 403, 19 Cicero in Timaeo. Die Überschrift De uni-
verso hat keine Beglaubigung. Die Abfassungszeit ergibt sich aus dem Pro-
oemium: Multa sunt a nobis et in Academicis conscripta contra physicos et
saepe cum P. Nigidio . . disputata. fuit enim vir ille cum ceteris artibus . .
ornatus Omnibus tum . . Nigidius, der J. 45 starb (§ 170), war also bereits
tot. Das Gespräch sollte in Ephesos spielen, wohin Cic. auf der Reise nach
Cilicien im Sommer 51 kam, Nigidius ex legatione decedens und Kratippos
aus Mitylene. Die Vorrede ist aber unvollendet und möglich, daß Cic. bald
oder in einem späteren Buche noch weitere Personen auftreten lassen wollte.
Fries, EMI. 55, 18; Woch. kl. Ph. 18, 246. Die Übersetzung ist ziemlich
getreu, schwache Spuren führen auf die Benutzung von Poseidonios1 Kom-
mentar zum Timaios. Piasbergs Ausgabe ermöglicht eine bequeme Verglei-
chung mit der Vorlage. Atzert, De Cic. interprete Graecorum, Gott. 1908,
11. Fries, RhM. 54, 566. Lörciier, JB. 162, 62. Der Text bei Baiter-Kayser
8, 131. Müller 4, 3, 214. Plasberg 157.
2. Das Fragment war in die oben § 183, 5 erwähnte Sammlung philo-
sophischer Schriften aufgenommen und steht daher in den beiden Vossiani
und dem Vindobon. Fries, RhM. 54, 555. — Im allg. vgl. Drumann, GR.
6, 353. KFHermann, de interpretatione Timaei a Cic. relicta, Gott. 1842
(grundlegend). Hochdanz, Quaest. crit. in Tim. Cic, Nordhausen 1870. Hirzel,
Dialog 1, 541.
9a) Auch eine treue Übersetzung des platonischen Protago-
ras scheint Cicero um dieselbe Zeit angefertigt zu haben.
1. Cic. fin. 1, 7 sagt ausdrücklich über das wörtliche Übersetzen aus
Plato: id {ad civium meorum Cognitionen Platonem aut Aristotelem trans-
ferre) neque feci adhuc (bis J. 45) nee mihi tarnen ne faciam interdictum
puto. Die letzten Worte scheinen schon auf einen Plan hinzudeuten, wie
ihn Cicero im Protagoras verwirklichte: der ausdrücklichen Angabe fin. aO.
kann man nur durch die Annahme ausweichen, daß Cic. hier den von ihm
in seiner Jugend übersetzten Protagoras unerwähnt gelassen habe, weil er
nur zur Übung von Cicero verfertigt, vielleicht gar nicht von ihm selbst
herausgegeben, sondern erst nach seinem Tode veröffentlicht worden war.
Puilippson, JJ. 133, 423. vHeusde, Cic. cpiXoTtldrav 92. 274. Drumann, GR.
6, 354. KFHermann, de Tim. Cic, Gott. 1842, 3. — Cicero in Protagora,
Prisc. GL. 2, 182. 247. 402. Donat. Ter. Phorm. 4, 3, 6. — Hjeron. ad Paui-
§ 184. Ciceros philosophische Schriften (Tini., Prot., nat. deor.) 415
mach. 1, 308 Vall. und ad Sunn. et Fret. 1, 643. Die Reste: Baitei>Kayser
11, 54. Müller 4, 3, 310.
10) De natura deorum, drei Bücher, begonnen J. 45/44 und
vollendet nach den Tusculanen. Sie sind gleichfalls dem M. Brutus
zugeeignet. Das Gespräch, an dem Cicero selbst teilnimmt, wird
in die latinischen Ferien ungefähr des J. 77 gesetzt, und C. Velleius
vertritt dabei die epikureische, Q. Lucilius Baibus die stoische,
C. Aurelius Cotta die akademische Schule. Cicero war im Grunde
nicht religiös interessiert und verfolgte bei diesem Werke nicht
den praktischen Zweck, den Wert einer vernunftgemäßen Religion
darzulegen, sondern er wollte sich auf dem durch Poseidonios in
den Vordergrund gerückten Gebiete der Theologie versuchen. Da
das ihm vorliegende Material disparater Natur war, so fehlt es nicht
an Widersprüchen, Ungleichheiten, Unklarheiten, Flüchtigkeiten,
die das Werk zu einem der am wenigsten erfreulichen unter Cice-
ros Schriften stempeln.
1. Cic. div. 2, 3 quibus (Tusc.) editis tres libri perfecti sunt de natura
deorum. Für den Titel deorum natura nach Grammatiker- Anführungen Diels,
Doxogr. 121; doch spricht für die andere Form die Klausel. Vgl. ebd. 7.
Att. 13, 39, 2 libros mihi . . mittas, et maxime <frccidQov tisqi fteüv et IIccX-
Xddog(?). Dkumann, GR. 6, 349. Vahlen, Ges. Sehr. 1, 56(5. Eine auffallende
Flüchtigkeit liegt in nudius tertius 3, 18.
In den epikureischen Vortrag des ersten Buches ist eine doxographische
Übersicht eingelegt (25 — 41), die von Thaies bis auf Diogenes von Babylon
reicht und sich mit Philodems Schrift über die Frömmigkeit so nahe be-
rührt, daß direkte Benutzung möglich ist. Die Darlegung der epikureischen
Lehre selbst (18 — 24. 42 — 56) stammt aus einem jüngeren Epikureer, etwa
dem § 59 genannten Zenon. Die Widerlegung scheint in ihrem Schlußteil
(115 — 124) auf das § 123 zitierte fünfte Buch von Poseidonios tcsqX fteebv
zurückzugehen, der Hauptteil verwendet Argumente des Karneades mit
stoischen Anklängen, so daß man an Kleitomachos , Poseidonios und Anti-
ochos als Quelle gedacht hat. Die Darlegung der stoischen Theologie in
B. 2 beruht in der Hauptsache auf Poseidonios und zwar wohl auf der
Schrift 7i£Qi frsäiv (vgl. Wendland, Arch. Gesch. Philos. 1, 200. Diels, Ele-
mentum 2. vArnim, Stoic. fr. 1, xxx), ihre Widerlegung im dritten Buch auf
Kleitomachos, der Katalog der homonymen Götter (42. 53 — 60) ist aus an-
derer Quelle (Varro ?) eingelegt. Michaelis, De origine indicis deorum cogno-
minum, Berl. 1898. Bobeth, De indieibus deorum, Lpz. 1904. — Vgl. über
Philodemos als Quelle für B. I LSpengel, Abh. bayr. Akad. 10, 1. 1863.
Sauppe, de Philod. de pietate, Gott. 1864. Der Abschnitt Cic. de n. d. 1,
25 — 41 mit Gegenüberstellung des Entsprechenden aus Philodem in Diels'
Doxographi 529. Vgl. ebd. 121.
2. Krische, Forschungen 1, 34 (Kommentar zu 1,25 — 41). Hirzel, Unters.
(§ 183, 4) I De nat. deor., Lpz. 1877. Schwenke, Quellen v. Cic. d. n. d.,
iTJ. 119, 49. 129. Lengnick, ad einendandos Cic. de n. d. 11. quid ex Philodemo
416 Ciceronische Zeit: J. 83—43 v. Chr.
tisqI Bvösßslag redundet, Halle 1872. Fowler, Panaetii et Hecat. fragm.,
Bonn 1885, 10. Wendland, Philons Schrift üb. d. Vorsehung (ßerl. 1892) 84.
Reinhakdt, Bresl. phil. Abh. 3, 2 (1888). Schmekel 87. Stoerling (Nr. 12,1).
Hoyer, RhM. 53, 40. Vick, Herrn. 37, 228. Cropp, De auctorib. quos secu-
tus Cic. usw., Gott. 1909; Lörcher, JB. 162, 12.
3. Handschriften: Leid. Voss. 84 und 86. Vindob. 189. Dieckhopp, De
Cic. libris de n. d. recensendis, Gott. 1894. — Ausgaben von JDavis (Cambr.
1718. 1723 u. sonst; bei Rath T. VI), Heindorf (Lps. 1815), Moser und
Creuzer (Lps. 1818), Schütz (Halle 1820), FAst (Münch. 1829), Schümann
(Berl.4 1876), with introduction and commentary by JBMayor, Cambr. 1880
— 85 III. Erki. v. AGoethe, Lpz. 1887, von Giambelli, Turin 1896. 1904 II.
Maßgebender Apparat bei Plasberg, Lpz. 1911. — Übersetzt von GHMoser
(Metzlersche Sammlung), RKühner (Stuttg., Hoffmann). — B. 2 par Thiau-
coürt und par Picavet, beide Par. 1886.
4. Als Scherz war gemeint das Schriftchen: Cic. de n. d. liber quartus
ex pervetusto cod. ... ed. P. Seraphinus (dh. HCludius in Hildesheim, gest.
1835), Bonon. (Berl.) 1811.
11) Cato maior oder de senectute, an Atticus gerichtet, Ende
45 oder anfangs 44 geschrieben. Das Gespräch wird ins J. 150 ge-
setzt. Die Einkleidung ist aber nebensächlich, die Schrift ist viel-
mehr ein zusammenhängender Vortrag zum Lobe des Alters, in
lebhafter leicht faßlicher Darstellung mit Beimischung vieler Bei-
spiele aus Dichtung und Geschichte. Den Stoff lieferten griechische
Popularphilosophen wie etwa Ariston von Keos oder Chios. Catos
Charakter ist mit sichtlicher Teilnahme ausgeführt.
1. Cic. div. 2, 3 interiectus est etiam nuper liber is quem ad nostrum
Atticum de senectute misimus. Att. 14, 21, 3 legendus mihi saepius est Cato
maior ad te misstis, amariorem enim me senectus facit. — Zur Abfassungs-
zeit Maurer, JJ. 129, 386. KAllen, Am. J. Ph. 28, 297; im Mai 44 lag die
Schrift fertig vor (Att. 14, 21, 3).
2. Nach einer allgemeinen Einleitung (4 — 14) werden vier Vorwürfe,
die man gegen das Alter zu erheben pflegt, widerlegt, weniger in strenger
Gedankenfolge als durch historische Beispiele und Dichterstellen. Das histo-
rische Interesse führt oft weit über den Zweck der Abhandlung hinaus,
die Daten sind aus Atticus' liber annalis entnommen. Münzer, Herrn. 40, 61.
Unter den Digressionen ist besonders die über die Freuden des Landlebens
(51 — 59) breit ausgeführt. Einen Hinweis auf eine Quelle enthält § 3 omnem
sermonem tribuimus non Tithono, ut Aristo Chilis (Cius PV) — parum enim
esset auctoritatis in fabula — sed M. Catoni seni. Ob hier der Stoiker von
Chios oder der Peripatetiker von Keos gemeint ist, läßt sich kaum ent-
scheiden. Teles ed. Hense2 114. Giesecke, JJ. 145, 209. Das von Cic. be-
nutzte Material ist z. T. auch in der Schrift des Juncus über das Alter
(Stob. 5, 1026. 1049. 1060) verwertet, der nicht etwa von Cic. abhängig ist.
Wilhelm. Die Schrift des J. tcsqI yrjQcog, Bresl. 1911. Cic. hat zu der popu-
lärphilosophischen Hauptquelle Lesefrüchte aus Piaton und Xenophons Cy-
ropädie hinzugefügt und manches aus eigenen Werken, bes. den Tusculauen,
§ 184. Ciceros philosophische Schriften (Cato, de div.) 417
wiederholt, van derTon, C. m. explicatur et e graecis fontibus illustr., Löwen
1821 ; coinm. ad quaest. de Cic. Cat., Löwen 1822. JSchroeter, De Cic. Cat.
in., Lpz. 1911. Drumann, GR. 6, 350. GSchneider, ZfGW. 33, 689. Stettner,
C. m. eine polit. Tendenzschr., ZöG. 61, 684. 865.
3. Handschriften : Paris. 6332 s. IX (oben Nr. 8, 3), Leid. Voss. F. 12
s. X (Faksim. Chatelain T. 40 a), Leid. Voss. 0 79 s. IX/X (Chatel. T. 41, 1).
BDahl, z. Hss. -Kunde u. Kritik des cic. Cato, Christiania 1885. 86 II. KTo-
mänetz, Wert u. Verh. der Hss. v. Cic. Cato, Hernais 1883. 86 II.
4. Ausgaben (Auswahl): Gernhard (mit Parad., Lps. 1819), FWOtto
(Lps. 1830), RKlotz (Lpz. 1831). Madvig (Kopenh. 1835), GTischer (Halle
1847), JSommerbrodt (Berl.12 1896), CNauck (Berl. 1855), GLahmeyer (Lpz.4
1877), Meissner-Landgraf (Lpz.5 1907), JSReid (Carnbr.3 1906), ThSchiche
(mit Lael., Lpz. 1893), AStickney (m. Lael., New York 1887), Kornitzer,
Wien 1892, Moore, New York 1904. Maßgebender Apparat bei Simbeck,
Lpz. 1912.
5. Griechische Übersetzung von ThGaza bei Hess (oben Nr. 1, 4) p. 3 ff. ;
deutsche zB. von GBauer, Lpz. 1841, FJacobs (in Klotz' Übers, von Cic.s
philos. Sehr. Teil 2) u. a.
12) De divinatione, zwei Bücher: sie vervollständigen die
Schrift über das Wesen der Gottheit und behandeln die Frage y ob
die Gottheit ihren Willen durch Zeichen offenbart. Sie wurden im
J. 44 nach dem Cato maior und nach Caesars Tod herausgegeben
und sind in die Form einer Unterredung auf dem Tusculanum zwi-
schen Cicero und seinem Bruder eingekleidet. Das erste Buch gibt
die Lehren der Stoiker (aus Poseidonios itegl {lavTLxyjg), das zweite
die der Akademiker über den Gegenstand (hauptsächlich wohl nach
Kleitomachos). Die Volksvorstellungen und die einschlägigen staat-
lichen Einrichtungen werden möglichst geschont, doch gibt der
Augur Cicero auch so noch manchen dankenswerten Aufschluß;
seine eigene skeptische Betrachtung der Sache blickt durch die oft
humoristische Behandlungsweise hindurch.
1. Die Anspielungen auf Caesars Tod, zB. 2, 93, sind in die schon vor-
her fertig gestellte Schrift eingelegt; ebenso die Vorrede zu B. 2, in der
Cic. erklärt, sich wieder der Politik zuwenden zu wollen. Durand, Mel.
Boissier 173. Große Schwierigkeiten ergaben sich daraus, daß die Wider-
legung des Kleitomachos sich auf eine ältere Form der stoischen Lehre
von der Weissagung bezog als die in B. 1 dargestellte; auch an Spuren
von Flüchtigkeit und ungenügender Schlußredaktion fehlt es nicht. Die Be-
schreibung der Astrologie 7, 87 — 97 stammt aus Panaitios; vgl. Wendland
(Nr. 12, 2) 33. Boll, JJ. Suppl. 21, 181. In B. 1 finden sich Berührungen
mit dem ebenfalls auf Poseidonios fußenden Manilius, über die vgl. Malchin,
De auetoribus quibusdam (Rostock 1893) 41. Begriffsbestimmung der divi-
natio 1, 9 earum verum quae fortuitae putantur praedictio atque praesensio ;
vgl. Gell. 4, 11, 1. Drumann, GR. 6, 352. Höfig, Cic.s Ansichten von der
Staatsreligion, Krotoschin 1865. Stoerling, Quaest. Cic. ad religionem spec-
Teuffel: röm. Literaturgesck. Neub. 6. Aufl. I. 27
418 Ciceronische Zeit: J. 83—43 v. Chr.
tantes, Jena 1894. Schichb, de fontibus libr. Cic. de div., Jena 1875. Hart-
fjglder, d. Quellen v. Cic. de div., Freiburg i. Br. 1878; RhM. 36,227. PCorssen
(oben Nr. 8, 2) p. 13. Diels, doxogr. 224. Heeringa, Quaest. ad Cic. de div.
pertinentes, Groningen 1906; Phil. NF. 22, 560. WSander, Quaest. de Cic.
libr. de div., Gott. 1908. Benützung von Coelius Antipater? OMeltzkr, JJ.
105, 430; von Claudius Pulcher (199, 1)? Zingler, De Cic. historico 18.
2. Handschriften: wie bei de nat. deor., s. oben Nr. 10, 3. — Ausgaben
von JDavis (Cantabr. 1721 u. sonst; ed. Rath, Halle 1807), HMoser (Frankf.
1828), LGiese (Lpz. 1829), Thoresen, Kopenh. 1894. — Zöchbauer, zu Cic.
de div. (B. 2), Hernais 1878. — Übersetzt von Moser (Stuttg. Metzler),
RKühner (Stuttg. Hoffmann).
13) De fato, Schlußstein der religionsphilosophischen Abhand-
lungen Ciceros und gleichfalls J. 44 geschrieben , an Anfang und
Schluß verstümmelt. Das Schriftchen bekämpft die Ansichten der
Stoiker über die £i^aQ^iivri, besonders über die Astrologie, vom
Standpunkte der Akademiker aus; es scheint, daß die Argumente
des Karneades gegen Chrysipp dem Cicero durch Antiochos ver-
mittelt sind. Die Darstellung verrät Spuren von Flüchtigkeit.
Cic. de div. 2, 3 quibus (de n. d. und de div.), ut est in animo, de fato
si adiunxerimus, erit dbunde satisfactum toti huic quaestioni. de fat. 2 Hir-
tius noster, cos. designaius . . post interitum Caesaris. Das Verlorene läßt
sich besonders aus Augustin de civ. dei B. 5 ergänzen; in der Lücke vor
§ 5 scheint die Darlegung der Lehre des Chrysipp ausgefallen zu sein.
Einen Hinweis auf Antiochos als Quelle enthält 44 verbis eos non re dissi-
dere. § 5 f. sind eine Einlage aus Poseidonios. Drumann , GR. 6, 353. Mei-
necke, de fönt. . . Cic. de fato, Marien werder 1887. Gercke, JJ. Suppl. 14,
689. Schmekel 155. Stuve, Ad Cic. de f. librum obs., Kiel 1895. Lörcher,
Diss. Hai. 17, 337; JB. 162, 54.
2. Handschriften wie beim Lucullus, oben Nr. 7, 3. — Ausgaben (mit
de divin.) von Davis, Moser; besonders von Bremi (Lps. 1795). — Übers,
von Moser (an de divin.).
3. Nuovi frammenti del Cicerone de fato di recente scoperti in palini-
psesti dal LCFerrucci, Modena 1853, wiederholt bei seinen Fabularum libri
tres, Forocornelii 1867. Diese Fälschung findet sich abgedruckt und nach
Verdienst gezüchtigt von Ritschl, op. 3, 674. Vgl. Schneide win, Gott. gel.
Anz. 1853, 1917. Linker, ZföG. 5, 81. 423.
14) Laelius oder de amicitia, dem Atticus zugeeignet, nach
dem Cato maior und vor dem Werk über die Pflichten ; ebenfalls
noch im J. 44 geschrieben. Das Gespräch wird geführt von dem
jüngeren Laelius und dessen Schwiegersöhnen C. Fannius und Q.Mu-
cius Scaevola und wird zu dem eben (J. 129) erfolgten Tode des
jüngeren Africanus in Beziehung gesetzt. Die vorgetragenen Lehren
sind hauptsächlich die des Theophrast, der direkt benutzt sein mag;
§ 184. Ciceros philosophische Schriften (de fato, Lael.) 419
doch sind sie mit jüngeren stoischen, etwa dem Standpunkte des
Panaitios entsprechenden Ansichten vermischt.
1. Cic. oif. 2, 31 de amicitia alio libro dictum est. Gell. 17, 5, 1 Cicero
in dialogo, cui titidus est Laelius vel de amicitia. 1, 3, 10 eum librum (des
Theophrast nsol cpdiccg) M. Cicero videtur legisse, cum ipse quoque librum
de amicitia componeret. Die in § 16 gegebene Disposition [de amicitia quid
sentias, qualem existumes , quae praeeepta des) wird nicht pedantisch inne-
gehalten. Stoische und peripatetische Ansichten finden sich nebeneinander,
sind aber nicht leicht auseinander zu halten, da die stoische Lehre von der
Freundschaft an Aristoteles und Theophrast anknüpft. Konsolatioasgedanken
erscheinen § 11 — 15, § 24 stammt aus fin. 5, 63. Aristoteles ist nicht di-
rekt benutzt. Braxator, quid in conscribendo Lael. valuerint Arist. Eth.
Nie, Halle 1871. Hevlbut, De Theophr. libr. tceqI ydiag, Bonn 1876.
Bohnenblust, Beitr. zum Topos n. cpillccg, Bern 1905 (vgl. Pohlenz, BphW.
1906, 1792). MHofpe, De Cic. Laelii fontibus, Bresl. 1912. EWeissenborn,
Gedankengang v. Cic. Lael., Mühlh. in Thür. 1882.
2. Die beste Hs. ist ein Codex s. IX/X früher bei FDidot in Paris (dar-
über Mommsen, Sehr. 7, 9), wo jetzt?; dann Monac. 15514 s. X, Gudian. 335
s. X, Laur. 50, 45 s. X (Chatel. T. 42) u. a. — Neuere krit. und erklär.
Ausgaben zB. von Gernuard (Lps. 1825), CBeier (Lps. 1828), RKlotz (Lpz.
1833), MSeyfpert (Lpz.2 1876 von CFWMüller mit reichem sprachlichen
Komm.). Reid, Cambr.2 1883. TiiSchiche (s. Nr. 11, 4). Shuckburgh, Lond.
1885. AStickney (oben Nr. 11, 4). Kornitzer, Wien 41906. — Über die
Klauseln Blum, Comment. Aenipont. 1913. — l hersetzt zB. von Schreiber
und Grosse (Halle 1827), vStrombeck (Braunschw. 1827, mit den übrigen
sogen, kleinen Schriften), griechisch von Petavius bei Hess (oben Nr. 1, 4) 99.
15) De gloria, zwei Bücher, im Juli des J. 44 vollendet, aber
nicht erhalten.
1. Cic. off. 2, 31 nunc dicamus de gloria, quamquam ea quoque de re
duo sunt nostri libri. Die genaue Abfassungszeit ergibt sich aus den Briefen,
bes. Att. 15, 27, 2. 16, 2, 6. 16, 3, l. Mit dem Prooemium war Cic. ein Ver-
sehen passiert, Att. 16, 6, 4 nunc neglegentiam meam cognosce. de gloria li-
brum ad te misi; at in eo prohoemium idem est quod in Academico tertio.
id evenit ob eam rem, quod liabeo volumen prohoemiorum ; ex eo eligere soleo,
cum aliquod cvyyQcc^na institui . . . itaque statim novum prohoemium exaravi
et tibi misi; tu illud desecabis, hoc adglutinabis. Gell. 15, 6, 1. Drumann,
GR. 6, 355. FSchneider, melet. in Cic. de gl., ZfAW. 1839, Nr. 28. — Noch
Petrarca will die Schrift besessen haben (ep. sernl. 15, 1, p. 1049 Basil.
libros Cic. de gloria ab hoc habui. . . singulares libri II de gl quibus visis
me ditissimum existimavi. . . novi nihil praeter Mos de gl. libros II et ali-
quot orationes aut epistolas); doch s. G Voigt, Wiederbel. des klass. Alter-
tums l8, 39. Vgl. auch Hand, Ersch u. Grubers Encykl. 1, 17, 238. Houtis,
Cic. nelle opere del Petrarca (Triest 1878) 53. Die Bruchstücke bei Baiter-
Kayser 11, 69 und Müller, 4, 3, 330.
16) De offieiis, in drei Büchern, an Ciceros Sohn Marens ge-
richtet. Auch diese Schrift ist in der unfreiwilligen Mnße verfaßt,
27*
420 Ciceronische Zeit: J. 83-43 v. Chr.
die M. Antonius dem Cicero nach Caesars Tod im J. 44 aufnötigte,
und ist, wie die anderen aus dieser Zeit, rasch auf das Papier ge-
worfen. Das erste Buch handelt vom Sittlichen, das zweite vom
Nützlichen, das dritte vom Konflikt des Sittlichen mit dem Nutzen.
Als Hauptquelle dienten dabei Vertreter der mittleren Stoa, in den
zwei ersten Büchern Panaitios, im dritten Poseidonios. Gewürzt
und belebt hat Cicero seine Darstellung durch zahlreiche Beispiele
aus der römischen Geschichte, aber dadurch auch Ungleichheit in
die Behandlung gebracht. Der sittliche Standpunkt ist nicht der
rigoristische der alten Stoa, sondern der eines praktischen Politikers
und ist wohl schon von Panaitios und Poseidonios den römischen
Anschauungen angenähert worden.
1. Off. 1, 6 sequimur . . potissimum Stoicos, non ut interpretes , sed, ut
sölemus, e fontibus eorum iudicio arbitrioque nostro quantum quoque modo
videbitur hauriemus. Att. 15, 13, 6 (Okt. 44) nos Ms cptXoaocpov^Ev (quid
enim aliud?) et tä ntgl tov Ka&rjxovtos magnifice explicamus nQOöcpcovoviiev-
que Ciceroni. 16, 11, 4 tu nsol tov xcc&iJKovtog, quatenus Panaetius, absolvi
duobus. illius tres sunt, sed cum initio divisisset ita, tria genera exquirendi
ofßcii esse . . de duobus primis praeclare disseruit, de tertio pollicetur dein-
ceps, sed nihil scripsit. . . eum locum Posidonius persecutus est. ego autem
et eius librum arcessivi et ad Athenodorum Calvuni scripsi, ut ad me tcc %scpü-
luicc mitteret. Gell. 13, 28, 1.
2. Cic. hat die drei Bücher des Panaitios zu zweien zusammengezogen,
und die Spuren dieses Verfahrens sind in B. 1 noch deutlich. Daß er seine
Selbständigkeit gewahrt hat, sagt er 2, 60 Panaetius, quem multum in Ms
libris secutus sum, non interpretatus ; als Zutaten sind für uns Beispiele aus
der römischen Geschichte und Einlagen aus Poseidonios kenntlich. In B. 3
hat er den Grundtext des Poseidonios mehrfach erweitert; § 63 nennt er
als seine Quelle Hekatons Schrift de officio an Q. Tubero. Vgl. 8 quem
locum miror a Posidonio breviter esse tactum in quibusdam commentariis,
praesertim cum scribat nulluni esse locum in tota pMlosopMa tarn nccessa-
rium. ChGarve, philosophische Anm. und Abhandl. (Bresl.G 1819). RKühner,
Cic. mer. p. 108. Drumann, GR. 6, 357. Grysar, Proleg. ad Cic. libr. de off.,
Köln 1844. Dahlbäck, de off. Cic. comm., Upsala 1860. ADesjardins, les
devoirs de Ciceron, Par. 1805. FCadet, examen du traite des devoirs de
Cicero, Par. 1865. RHikzel (§ 183, 4) 2, 721. Klohe, De Cic. libr. de off.
fönt., Greifsw. 1889. Sciimekel 18. Jungblut, Die Arheitsw. Cic. im 1. B.;
Cic. und Panaitios im 2. B., Frankf. M. 1907. 1910 II. Lörcheh, JB. 162,
144. AGrumme, Dispos. des 1. B., Gera 1904.
3. Handschriften: Bern. 391 s. X (Chatelain T. 45, 1), Paris. 6601 s. X
(Chatel. T. 45, 2), Ambros. C. 29 inf. s. X (s. .).). 111, 221), Bamb. s. X,
Wirceb. s. X, Leid. Voss. Q. 71 s. X (Chatel. T. 45, 4) usw. Popp, Acta
sem. Erl. 3, 245. Atzert, RhM. 68, 419; De cod. Harleiano 2716, Osnabr.
1914. — Ausgaben von GGraevivs (cum not. var. Ainsterd. 1688. 1710.
Neapel 1771), Heusinger (Braunscbw. 1783; repet. suisq. animadvers. auxit
§ 184. Cicero de off. § 185. Cicero als Jurist 421
ThZumpt, Braunschw. 1838), Degen (Berl.1 1848, umgearbeitet von Bonnell),
Gernhard (Lps. 1811), CBeier (Lps. 1820f. II, nebst Ind., Lps. 1831), Ols-
hausen (Schlesw. 1823), Stürenburg (Lps. 1834. 1843), WLund (Kopenh. 1849),
GFUnger (Lpz. 1852), vGruber (Lpz.3 1874), OHeine (Berl.6 1885), CFWMüller
(Lpz. 1882), Holdes (Cambr.5 1884), Schiche (Prag 1885). B. 3 ed. Holden,
Lond. 1899. — Übersetzungen zB. von Hottinger, Zur. 1820, WZumpt, Lpz.
1841, Übelen u. FBaur, Stutt. 1856, RKühner, Stuttg. 1859.
17) De virtutibus, wegen der Verwandtschaft des Inhaltes
wohl kurz vor oder nach der Schrift über die Pflichten, also gleich-
falls im J. 44, verfaßt, aber nicht erhalten.
1. Hjekon. in Zach. 1, 2 (6, 792 Vallars.) quattuor virtutes, . . . , de qui-
bus plenissime in officiorum libris Tullius disputat, scribens proprium quoque
de quattuor virtutibus librum. Charis. GL. 1, 208, 15 Cic. in commentario
de virtutibus. Augustin. de trin. 14, 11. Aus einer Schrift des Antonius de
]a Säle sucht Fragmente der Schrift wieder zu gewinnen Knoellinger, Cic.
de virt. fragm., Lpz. 1908. Jedoch unterliegt dieser Versuch allerlei Be-
denken. Lörcher, JB. 162, 164. — Baiter-Kayser 11, 76; CFWMüller 4, 3,
340. — Drumann, GR. 6, 359.
18) De auguriis, aus unbekannter Zeit, jedenfalls nach dem
J. 51 geschrieben, in dem Cicero Augur wurde.
1. In de divin. wird die Schrift nicht erwähnt, aber 2, 75 spricht Cic.
die Absicht aus, über das ins augurum zu schreiben. Danach scheint es,
als sei die Schrift erst nachher verfaßt. Drumann, GR. 6, 352. — Hirzel,
Dialog 1, 537. Die Überreste bei Baiter-Kayser 11, 55, Müller 4, 3, 312.
— Charis. GL. 1, 105. 122. 139 Cicero de auguriis. Serv. Aen. 5, 738 Cicero
in auguralibus (libris). — Über Ciceros Übersetzung von Xenophons oUovo-
fuxog s. § 177 a, 2; von Piatons Protagoras s. § 184, 9 a.
185. Auf dem Gebiete der Rechtswissenschaft war Cicero,
wie auf dem der Philosophie, nur Dilettant, wenn auch ein unter-
richteter. Er war zu sehr Redner und zu wenig geschaffen für
scharfe Begriffsbestimmung, als daß er hier ein dankbares Feld
seiner Tätigkeit hätte finden können. Doch verfaßte er als Nach-
folger Scaevolas eine systematische Schrift de iure civili in ar-
tem redigendo.
1. ad fam. 7, 30, 2 verwechselt Cicero in der Bestimmung des Begriffs
proprius Besitz und Eigentum. Über Cicero als Rechtsgelehrten außer einer
Reihe älterer Schriften: Zimmern, Gesch. d. Privatr. 1, 1, 288 u. a. Drumann,
GR. 6, 644. Platner, de part. Cic. rhet. quae ad ras spectant, Marb. 1829.
deCaqueray, les passages de droit prive dans ... Ciceron, Rennes 1857.
AGasquy, Cic. iurisconsulte, Paris 1886. ECosta, Cic. giureconsulto, Bologna
1911. Vgl. § 48, 4 u. 6.
2. Quint. 12, 3, 10 componere aliqua de iure coeperat. Gell. 1, 22, 7
M. Cicero in libro qui inscriptus est de iure civili in artem redigendo. Vgl.
was Cicero (de or. 2, 142 ff.) unter der Maske des Crassus (§ 152, 4) von
422 Ciceronisclio Zeit: J. 83—43 v. Chr.
sich sagt, besonders : est nobis pollicilus ius civile, quod nunc diffusum et
dissipatum esset, in certa genera coacturum et ad artem facilem redacturum.
Chams. GL. 1, 138 Cicero de iure civili. Über die Schrift vgl. Dirksen hinter-
lass. Sehr. 1, 1. Dbumann, GR. 6, 107. Die Vermutung, daß sie ursprüng-
lich, einen Teil des Werkes de legibus bilden sollte, und als dieses liegen
blieb, besonders herausgegeben wurde, hat keine Wahrscheinlichkeit für
sich. — Baiter-Kayser 11, 55. Müller 4, 3, 311. Bremer, JAH. 1, 127.
186. Auch als Geschichtschreiber war Cicero tätig, und de
leg. \, 5 f. (vgl. de or. 2, 51 — 63) gibt er eine scharfe Charakteristik
der ganzen bisherigen Geschichtschreibung und deutet an, daß er
der Mann wäre, auch auf diesem Gebiete wenigstens stilistisch neu-
gestaltend aufzutreten. Ein ungewöhnliches Maß geschichtlicher
Kenntnisse besaß Cicero allerdings, und seine Reden wie seine phi-
losophischen und rhetorischen Schriften (insbesondere der Brutus)
sind Zeugen davon- indessen stand ihm, wo es sich am die eigene
Zeit handelte, seine Unfähigkeit von der eigenen Person abzusehen
hindernd im Wege, auch war sein Interesse besonders auf die sena-
torische Familiengeschichte gerichtet. Doch ist es wohl glaublich,
daß er sich bei längerem Leben diesem Gebiete zugewandt hätte;
wirklich verfaßt hat er nur Schriften über sein Consulat und eine
(vielleicht nie vollendete) Geheim geschieh te; aber alles dieses ist für
uns verloren.
1. Plut. Cic. 41 dwvooviisvog, Sg Xeystcu, ti]v •kcitqiov lötogiccv ygaepf/
TtsgtXccßslv Kccl itoXXcc övft/ii|at tcov hXX7\viKCov ueä oXojg rovg 6vvr]yii^vovg
Xoyovg avt<Q y.cx.1 [ivQ'ovg ivtav&a tgeipca etc. Corn. Nep. HRR. 2, 40 (cod.
Gud. 278; p. 99, 29 Nipp.): ille (Cic.) fuit unus, qui potuerit et etiam debue-
rit historiam digna voce pronuntiare, quippe qui Oratorium eloquentiam rudern
a maioribus aeeeptam perpoliverit , phiJosophiam ante cum incomptam Lati-
num sua conformarit oratione. ex quo dubito, interitu eius utrum res publica
an historia magis doleat. — Über die Geschichtschreibung teilt Cic. die An-
sichten seiner Zeit, nach der sie zur epideiktischen Beredsamkeit gehört
oder ihr nahe steht (orat. 37. 66, o. § 36) und stark pathetische Wirkungen
erstrebt, wie sie der Brief an Lucceius (ep. 5, 12) eingehend schildert.
Reitzenstein, Hellenist. Wundererzählungen 84. Scheller (§ 36, 4) 79. Dar-
um genügen ihm auch die früheren römischen Geschichtswerke nicht, weil
sie seinen stilistischen Anforderungen nicht entsprechen (leg. 1, 5 ff., wo
zB. deest enim historia litteris nostris. Brut. 228). Infolgedessen behauptet
er auch, (Brut. 66), Philistos und — Thukydides seien verdunkelt worden
durch — Theopomp. In der Theorie erkennt er die Forderung an primam
esse historiae legem ne quid falsi dicere audeat (de or. 2, 62; vgl. ebd. 62 — 64.
leg. 1, 5), in der Praxis mutet er dem Lucceius zu (fam. 5, 12, 3): amori
nostro plusculum etiam quam concedit veritas largiare; vgl. Brut. 41 conces-
sum est rhetoribus ementiri in historiis, ut aliquid dicere possin t argutius.
Seine Kenntnis der römischen Geschichte ist nicht unerheblich; sie liefert
§ 186. Cicero als Historiker 423
ihm die zahlreichen Beispiele, mit denen er seine Schriften und nicht zum
wenigsten die Reden belebt. Schönberger, Beispiele aus d. Gesch., ein
Kunstmittol Cic.s, Augsb. 1911. Soweit sie aus Historikern stammen, ist an
Benutzung des Atticus, Nepos und jüngerer Annalisten in erster Linie zu
denken. Vgl. auch fin. 5, 51 f. — Drumann, GR. 6, 677. Schwegler, GR.
1, 93. DGerlach, d. röm. Geschichtschr. 96. KBerns, Cic.s Ansicht v. d.
Gesch., Attendorn 1880. HHenze, Quom. Cic. de hist. iudieaverit, Jena 1899.
JZingler, De Cic. historico, Berl. 1900. RSchnetz, Cic.s histor. Kenntnisse,
Gießen 1913.
2. Commentarius consulatus sui graece compositus {vtcö^vthlo, tf\g
v7raT£i<xg), im Jahre 60 ausgearbeitet, nachdem die Hoffnung, daß andere
seine Taten verherrlichen würden, fehlgeschlagen war. Att. 1, 19, 10. 1,
20, 6. 2, 1, 1 mens autem Über totum Isocrati myrothecium atque omnes eins
diseipidorum arculas ac non nihil etiam Aristotelia pigmenta consumpsit . .
Quamquam ad nie scripsit iam Mhodo Posidonius sc, nostrum illud hypom-
nema cum leger et . . non modo non excitatum esse ad scribendum , sed etiam
plane deterritum. Es führte also den Namen vnoiLvrmcc eigentlich nicht
mit Recht; gleichzeitig beschäftigte sich auch Cicero mit einer lateinischen
Bearbeitung dieses Stoffes : ad Att. aO. Vgl. Plut. Caes. 8. Crass. 13. Dio
46, 21. CFWMüllers Cic. 4, 3, 398. HRF. 209. Jenes vnoiivrma ist eine
Hauptquelle von Plutarchs Cicero. Weizsäcker, JJ. 111, 417. Thouret, Leipz.
Stud. 1, 306. ESchmidt, de Cic. comm. de consulatu a Plut. expresso, Jena
1885. Vgl. § 189, 3. Denselben Stoff behandelte auch eine epistula non
medioeris ad instar voluminis scripta, quam Pompeio in Asiam de rebus suis
in consulatu gestis miscrat Cicero (Schol. Bob. p. 167, 23). pSulla 67 epistu-
lam meam, quam ad Pompeium de meis rebus gestis et de summa rc publica
misi.
3. 'Avix&ota, schon im J. 59 begonnen, Att. 2, 6, 2 itaque aneedota,
quae tibi uni legamus, Theopompio genere aut etiam asperiore multo pangen-
tur] nach Caesars Tode auf Atticus' Betreiben wieder aufgenommen, Att.
14, 14, 5 et hortaris me, ut historias scribam, ut colligam tanta eorum sce-
lera, a quibus etiam nunc obsidemur! 14, 17, 6 librum meum illum aneedoton
(Gen. plur.) nondum ut volui perpolivi, aber erst nach Ciceros Tode ver-
öffentlicht. Dasselbe Werk meint Dio 39, 10 (vgl. 46, 8): ßißliov xi dctioq-
qt\tov 6vvid"r\%s y.cu IniyQcctysv avt(p mg nal tzsqI täv savtov ßovXsviid-
tav a7toloyi6\i6v tiva l%ovxi . . . (wegen starker Angriffe auf Caesar und
Crassus) Kccreörm^vatö ts avrb %ai TtccQsdcoxs reo itaidi TCQ06taS,<xg ol \Lrfi
ctvayv&vca nrjrs 87\\L06i£vaai xa ysyDccpiLevcc, nqlv ccv {LStcdXd^fl. Ascon. p. 65, 7
Cic. in expositione consiliorum suorum (vgl. Augustin. c. Iulian. 5, 5). Charis.
GL. 1, 146 Cic. in ratione consiliorum suorum. Boeth. de inst. mus. 1, 1
Tullius in libro quem de consiliis suis composuit. CFWMüllers Cic. 4, 3, 338.
Peter aO. 209. Vgl. Drumann, GR. 6, 360. Hirzel, RhM. 47, 368. ESchwartz,
Herrn. 32, 557 Dagegen beziehen sich die Stellen ad Att. 15, 2, 2. 15, 4, 3.
15, 13, 3. 15, 27, 2. 16, 2, 6 auf einen geplanten Dialog im Stile des Hera-
kleides über Caesars Tod, an dem auch Varro beteiligt werden sollte (ad
Att. 16, 11, 3. 12) und an dem Trebonius beteiligt zu werden wünscht (ep.
12, 16, 4). Hirzkl, Dialog 1, 547.
4. Admiranda disparaten Inhalts (Plin. NH. 31, 12. 51; vgl. 7, 18. 85.
424 Ciceronische Zeit: J. 83-43 v. Chr.
29, 60. Colum. 3, 8, 2), aus unbekannter Zeit. Die Reste: Baiter-Kayser
11, 76. CFWMüller 4, 3, 340. Vgl. die griechischen ftaviidoiu und Ttagd-
do£,cc, Hirzel aO. 369 erinnert an die vielen bei Theopomp vorkommenden.
5. Priscian. GL. 2, 267, 5 Cicero in Chorographia (mit den Varianten
(h)ortogr., cosmogr., chronogr.). Wirklich hatte sich Cic. im J. 69 auf Atti-
cus' Veranlassung mit geographischen Studien beschäftigt (Att. 2, 4. 6. 7.
9. 12) und Dikaiarch und Alexander Lychnos gelesen (ebd. 12, 4. 20, 6.
22, 7).
6. Die Witze Ciceros (vgl. § 178, 1 gE.) wurden von anderen eifrig ge-
sammelt; wohlgefällig bemerkte Cicero, daß seine guten Einfälle selbst in
Caesars Sammlung von aTtocpd'bypcctcc (§ 195, 5) Zutritt fänden. Eine eigene
Sammlung ciceronischer facete dicta gab C. Trebonius heraus (§ 210, 9).
Über eine ähnliche umfassendere Sammlung Tiros s. § 191, 2. Quint. 8, 6,
73 Ciceronis et in quodam ioculari libello (folgt ein Epigramm). Sammlung
des etwa hierher Gehörigen bei Müller 4, 3, 341.
7. Eine satirische Schrift Ciceros, die unter falschem Namen gegen
seinen Todfeind gerichtet war, erwähnt der ScnoL. Bob. p. 166, 2 extat libel-
lus Ciceronis qui ita inscribitur *~Edictum L. JRacili tr. pV , quod sub no-
mine ipsins Cicero scripsit in invectionem P. Clodi. — Eine Fälschung ist
das Ermahnungsschreiben Orpheus ad M. filium Athenas (oder de adolescente
studioso); s. AWeichert, de L. Vario etc. 297. — Andere Cicero fälschlich
beigelegte Schriften: 'Synonyma', eine für den ciceronischen Sprachge-
brauch nicht unwichtige Schrift eines unbekannten alten Grammatikers (vgl.
EBährens bei WBeck, de different. Script, lat. 18), schon bei Isidor 6, 473
Arev. angeführt und in alten Hss. (zB. Leid. Voss. F. 24 s. IX) erhalten:
s. Hagen aO. cxvn. cxx. Gedruckt bei Orelli2 4, 1063. LMahne, Cic. . . .
Synonyma ad L. Veturium, Leid. 1850, denuo ebd. 1851. Proben dieser
Synonyma nach einer eigenen Hs. gibt LBachmann, zur Hss. -Kunde, Rost.
1854, 17. Eine ähnliche Schrift sind die Differentiae sermonum Ciceronis
aus Berner Hss. s. IX u. X herausg. von Hagen, anecd. Helvet. (Lps. 1870)
275; vgl. ebd. cxvn. Goetz, PW. 5, 484. Vgl. auch § 42, 4. Ferner de no-
tis (Orelli8 4, 939) u. a.
187. Die vier auf uns gekommenen Sammlungen ciceronischer
Briefe enthalten, mit Einschluß der 90 an Cicero gerichteten, im
ganzen 864 Stücke. Sie haben einen teils persönlichen, teils poli-
tischen Inhalt und sind ein unerschöpflicher Schatz sowohl für die
Zeitgeschichte wie für die Biographie des Verfassers; denn bei
einem Manne, der so rasch zu denken und so lebhaft zu fühlen
pflegte wie Cicero, dem es Bedürfnis war seine Gedanken und
Empfindungen einem vertrauten Freunde wie Atticus sofort auszu-
sprechen, gewährt ein solcher Briefwechsel einen oft nur aUzutiefen
Einblick in sein Innerstes. Daher haben die Ankläger Ciceros ihren
Stoff zum größten Teile diesen Briefen entnommen. Jedenfalls sind
es historische Dokumente ersten Ranges, die uns sowohl von der
geistigen Kultur ihrer Zeit wie von dem Todeskampfe der römi-
§ 187. Ciceros Briefe: Allgemeines 425
scheu Republik ein überaus lebendiges Bild geben; sie lehren uns
aber auch den Stilisten Cicero in seiner Fähigkeit, sich den ver-
schiedensten Stoffen anzupassen, erst recht kennen.
1. Der früheste Brief ist vom J. 68, der späteste vom 28. Juli 43; aus
Ciceros Consulat ist keiner erhalten. Fronto ad M. Antonin. p. 107 omnes
Ciceronis epistulas legendas censeo, mea sententia vel magis quam omnes eins
orationcs. epistulis Ciceronis nihil est pcrfectius. Vgl. auch oben § 46, 1.
2. In den Briefen an Atticus und andere nahe Freunde läßt Cic. sich
gehen, die an Fernerstehende sind meist wohlberechnet und wohlstilisiert.
Einen Maßstab für die Stilisierung bietet die Anwendung oder Nichtan-
wendung der Klausel (Bornecque, La prose metrique dans la corresp. de
Cic, Paris 1898. Tyrrell, Hermath. 31, 289) und die Zufügung oder Weg-
lassung der Titel und des Briefdatums (Gurlitt, Festschr. Hirschfeld 16.
Pease, Stud. for Gildersleeve 395). Dammann, Cic. quom. in epp. sermonem
hominibus et rebus accommodaverit, Greifsw. 1910. RAbeken, Cic. in s. Briefen
usw., Hannover 1835. ep. 9, 21, 1 (übertreibend) quid tibi ego videor in epi-
stulis? nonne plebeio sermone agere tecum? . . . epistulas vero cotidianis ver-
bis texere solemus. Die Atticusbriefe sind zum großen Teil nur skizziert
und daher oft unverständlich, wirkliche Dialoge zwischen Abwesenden, wie
es Briefe nach der antiken Theorie sein sollten. Sie sind reich an a.iviy\iaxa
und a.lXr\yoQitti (vgl. diä örmeicov Att. 13, 32, 3), Sprichwörtern, geflügelten
Worten und griechischen Konversationswendungen, ja ganzen griechischen
Sätzen wie Att. 6, 4. 5. 9, 4 (daher als Quelle für das damals gesprochene
Griechisch nicht unwichtig, s. Bolzenthal, de Graeci sermonis proprietati-
bus in Cic. epist., Cüstrin 1884. Steele, Am. J. Ph. 21, 387. AFont, De
Cic. graeca vocab. usurpante, Paris 1894). Wie er den Freund mehrfach
bittet zu schreiben quod in buccam venerit (1, 12, 4. 7, 10. 14, 7, 2), so wirft
er häufig unter dem Eindruck des Augenblicks seine Billets hin, 5, 14, 3
habes epistulam plenam festinationis et pulveris. 6, 4, 3 Jiaec festinans scripsi
in itinere atque agmine. Daher ist er hier weniger Purist als sonst und
braucht zB. Wendungen der Konversationssprache, vocabula sordida und
hybride Bildungen wie facteon 1, 16, 1-3. Namentlich läßt er verschiedene
Verba wie esse venire facere fort, die sich der Adressat je nach dem Zu-
sammenhange ergänzen mußte, und gestattet sich auch andere Ellipsen. —
AStinner, de eo quo Cic. in epistolis usus est sermone, Oppeln 1879. Krause,
stilist. Bemerk, aus Cic.s Briefen, Hohenst. 1869. Landgraf, BlbayrGW. 16,
274. 317. Tyrrell vor s. Ausg. d. Briefe 1, lxxvii. PMeyer, de Cic. ad Att.
sermone, Bayreuth 1887. KRein, Üb. Cic. Briefstil, Chemnitz 1895. Patzner,
De parataxis usu in Cic. epp., Diss. Vindob. 9, 119. — Zur Chronologie:
vGruber, de temporibus atque serie epistolarum Cic, Strals. 1836. Über
J. 59 Abbott, Am. J. Ph. 19, 389. GRauschen, Ephemerides Tullianae rerum
inde ab exilio Cic. (Mart. 58) usque ad extremum annum 54 gestarum,
Bonn 1886. EKörner, de epistulis a Cic. post reditum (J. 57) ad finem a. 54
datis, Lps. 1885. Kapelle, De epist. a. 54 scriptis, Münster 1906. OESchmidt,
Der Briefw. des Cic. vom Procons. bis Caesars Ermordung, Lpz. 1893. Schiche,
Progr. Berl. Werdergymn. 1895. 97. 1905 III. LMoll, de temp. epist. Tüll,
quaest. (J. 51 — 50), Berl. 1883. WSternkopf, quaest. chronol. de rebus a
426 Cicercmische Zeit: J. 83—43 v. Cbr.
Cic. indc a tradita Gilicia provincia usque ad relictam italiain gestis, Marb.
1884; zur Chronol. d. Briefe aus d. J. 48 u. 47, Dortmund 1891. ERuete,
d. Correspondenz Cic.s in den JJ. 44 u. 43, Marb. 1883. Vgl. die Tabellen
von Körner und OESchmidt in Mendelssohns Ausgabe. Anderes s. bei den
einzelnen Sammlungen.
3. Cicero selbst hat die von ihm geschriebenen Briefe nicht gesammelt,
noch weniger sie herausgegeben; aber schon bei seinen Lebzeiten trugen
ihm Nahestehende sich mit derartigen Gedanken. Vgl. ad Att. 16, 5, 5
(vom J. 44) mearum epistularum nulla est 6vvuycoyr\; scd habet Tiro instar
LXX, et quiäem sunt a te quaedam sumcndae. cas ego oportet perspiciam,
corrigam; tum denique edcntur ; und an Tiro (fara. 16, 17, 1 vom J. 46) tuas
quoque epistulas vis referri in volumina. Doch behielt Cic. von den stilisti-
schen Briefen Konzepte zurück, die sich zum Teil in seinem Nachlasse fan-
den. Bardt, Herrn. 22, 264. JSchoene, Herrn. 38, 316. Nach Ciceros Tode
wurde das Sammeln und Herausgeben seines Briefwechsels eifrig betrieben,
gewiß zunächst von Tiro, der ja schon bei Lebzeiten Ciceros die Sammlung
von dessen Briefen geplant hatte. Daß jene 70 Briefe etwa durch die Emp-
fehlungsschreiben des 13. B. ad fam. gebildet würden", ist eine unbeweis-
bare Vermutung. Cornelius Nepos, in dem vor dem J. 34 verfaßten Teile
seiner Biographie des Atticus (Att. 16, 3), kennt durch private Mitteilung
XI volumina Briefe an Atticus vom J. 63 — 43 (s. § 188, 2, 2); sie waren
zwar noch nicht herausgegebeu, wie er ausdrücklich sagt, wohl aber, scheint
es, schon zur Herausgabe zusammengestellt. Wie unsere Sammlung von
16 B. sich zu diesen 11 volumina (Buchrollen oder Faszikel?) verhält, bleibt
ganz problematisch. Die für uns früheste Erwähnung eines veröffentlichten
Briefes aus dem ciceroniseben Briefwechsel findet sich erst bei Sen. suas.
1, 5 = ep. 15, 19.
4. Atticus vermittelte die Herausgabe oder doch die Sammlung der an
ihn gerichteten ciceronischen Briefe (§ 188, 2); die übrigen scheint Tiro
(oben A. 3) wenigstens teilweise veröffentlicht zu haben. Die beiden Haupt-
sammlungen des Atticus und des Tiro schlössen bezüglich des Inhalts ein-
ander aus (die beiden Ausnahmen ep. 8, 16 = Att. 10, 9 A; ep. 9, 14 = Att.
14, 17 A bestätigen nur die Regel), und beide Herausgeber unterdrückten
ihre eigenen Briefe an Cicero. — Tiro ordnete den Briefwechsel jedenfalls
nach den Personen der Empfänger und veröffentlichte die so entstandenen
Sonderbriefwechsel je nach dem vorgefundenen Stoffe in mehreren oder
einzelnen Büchern; der Stoff, der zu einheitlichen Büchern nicht ausreichte,
und vereinzelte Briefe wurden in Sammelbüchern (an zwei und mehr Emp-
fänger) untergebracht, auch frühere schon herausgegebene Sammlungen in
späteren Büchern durch nachträglich erst geschriebene oder zugänglich ge-
wordene Briefe ergänzt. Daß aus Cic.s jüngeren Jahren weniger Briefe auf-
zutreiben waren und das Material etwa erst seit J. 51 reichlicher floß, ist
begreiflich. Zu dieser Tironischen Sammlung gehören wohl die uns ver-
bliebene Sammlung ad Q. fratrem (§ 188, 3), die (nur zum kleinsten Teil)
erhaltene ad Brutum (§ 188, 4); namentlich aber ist die sog. Sammlung ad
familiäres (§ 188, 1) aus der Tironischen erwachsen. So erklären sich Zitate
wie Gell. 1, 22, 19 in libro epistularum M. Ciceronis ad L. Plan cum (d. i.
der das 10. Buch beginnende und darin vorwiegende Adressat) et (und zwar)
§ 1S7. Giceros Briefe: Allgemeines 427
in epistula Asini l'ollionis ad Cic. usw. (= ep. 10, 33, 5); vgl. 12, 13, 21 in
Ubro M. Tullli epislularum ad Ser. Sulpicium (= ep. 4, 4, 4). Non. 83, 30
Cicero ad Varronem (d. i. der das Buch beginnende Adressat) epistula Paeti
(vielmehr ad Paetum — ep. 9, 20, 3); zu ihnen stimmen die Überschriften
im cod. Medic. — Ferner können zu jener Tironischen Ausgabe die uns
mir aus Zitaten bekannten Sammlungen gehören: Nonius führt an p. 450
Buch 9 (437 B. 7; 37 B. 5) ad Hirtium; 293 B. 4 ad Powpeium (die beiden
Zitate = Cic. ad Att. 8, 11 D, 2. 3; doch s. Gurlitt, Berl. ph. Wschr. 1887,
891. Vgl. noch § 186, 2), 286 und 436 B. 3 ad Caesarem, 329 und 426 B. 3
ad Caesarem iuniorem (darin auch Briefe Octavians: Guulitt, Progr. Steg-
litz 1888), 92 B. 3 ad Pansam, 509 B. 2 ad Axium (vgl. Fronto p. 107. PW.
2, 2633; erwähnt auch im SC. de Oropiis, Herrn. 20, 270), 275 B. 2 ad filium;
ferner zitiert Macrob. 2, 1, 14 B. 2 ad Cornelium Nepotem; desgleichen
Priscian. GL. 2, 490 B. 1 ad Calvum (Harnecker, JJ. 125, 604). Ferner wer-
den ohne Angabe der Buchzahl zitiert ciceronischc Briefe ad Gatonem (Non.
264 [= ep. 15, 4, 2]. 273 [ebd. 15, 3, 2]. 438), ad 31. Titinium (Suet. rhet. 2),
ad Hostilium (Charisius GL. 1, 110), ad Caerelliam (Quint. 6, 3, 112; vgl.
Auson. p. 146 Seh.) — Erwähnt werden auch s%h]viY.ui (tcqos 'Jf^ro^rjv, ttqos
Pogyiuv, Tcgog nilonu tbv Bv^dvnov etc.) bei Plut. Cic. 24 (Nahe p. 10).
Über Ciceros Briefwechsel mit dem jungen Octavian s. Gurlitt, Berl. phil.
Woch. 1887, 1616. Die kümmerlichen Überreste dieser Sammlungen sind
zuletzt zusammengestellt bei Baiter-Kayser 11, 38 u. Müller 4, 3, 292. —
BNake, hist. crit. Ciceronis epistularum, Bonn 1801. FLeighton, hist. crit.
Cic. ep. ad. fam., Lps. 1877; und bes. LGurlitt, de Cic. epistulis earumque
pristina collectione, Gott. 1879; JJ. 121,609; ebd. 1901 VII 532. Peter,
Abh. sächs. Ges. 20, 35 u. ö.
5. Die Briefe des Cicero wurden mehrere Jahrhunderte fleißig gelesen
(s. die Übersicht der Anführungen bei Nake, hist. crit. 38) und auch aus-
gezogen: Fronto ad Antonin. p. 107, 7 memini me excerpsisse ex Ciceronis
epistulis ea dumtaxat, quibus inesset aliqua de eloquentia vel philosophia vel
de rep. disputatio; praeterea si quid clegantius aut verbo notabili dictum vi-
deretur ; vgl. ebd. 107, 2. Vielleicht liegt der Rest eines Auszugs der Briefe
ad fam. vor in dem Text des Turiner Palimpsestblattes enthaltend ep. 6, 9,
1 — 2. 6, 10, 1 — 6 (neue Vergleichung von PKrüger, Herrn. 5, 146). Doch
wurden die Briefe weitaus nicht in dem Grade und so lange fort gelesen,
wie die meisten anderen ciceronischen Schriften. Wir finden nur vereinzelte
Spuren des Vorhandenseins von Handschriften und ihrer Benützung im
Mittelalter (Orelli vor s. Ausg. p. vi; auch Haupt, op. 3,588. G Voigt, RhM.
36, 474). Daß unsere gesamte Überlieferung dieser Briefe auf einen Arche-
typus zurückgeht, kann man aus gewissen Spuren vermuten. Sternkopf,
Herrn. 46,369. Neu verbreitet wurden sie, als Petrarca im J. 1345 in Verona
die Briefe an Brutus (B. 1; vgl. § 188, 4, 1), Q. Cicero, den Brief an
Octavianus (§ 185, 5) und die Briefe an Atticus wieder entdeckt hatte
(Petrarcae ep. de reb. fam. 24, 3). Die Hs., in der Petrarca diese Briefe
(in obiger Reihenfolge) fand, ist wieder verloren gegangen, und es ist nur
eine unmittelbar davon genommene Abschrift (jetzt cod. Medic. 49, 18 s. XIV,
Faksimile bei Chatelain T. 34, 2) erhalten. Dies ist indessen nicht die-
jenige, welche sich, wie wir wisseu, Petrarca selbst angefertigt hat (siehe
428 Ciceronische Zeit: S. 83-43 v. Chr.
Voigt und Viertel aO.): vielmehr gehörte die noch erhaltene von mehreren
Lohnschreibern gefertigte (Rühl, RhM. 36, 21. Mendelssohn, JJ. 121, 863)
einem jüngeren Zeitgenossen Petrarcas, dem florentinischen Staatskanzler
Coluccio Salutato. Doch enthält diese Hs. nicht, wie behauptet worden ist,
die einzige Überlieferung, sondern es kommen auch andere daneben in
Betracht. ALehmann, De Cic. ad Att. epp., Berl. 1892. CClark, Phil. NF.
14, 195.
6. Die sogen. Briefe ad familiäres sind nicht, wie man früher nach
einer irreführenden Angabe des Flavius Blondus glaubte (Italia illnstrata
p. 346 ed. Bas.: Petrarcha epistolas Ciceronis Lentulo inscriptas — so heißt
die Sammlung nach ihrem ersten Briefe — Vercellis reperisse gloriatus est;
Viertel, RhM. 36, 150), gleichfalls von Petrarca gefunden worden. Petrarca
kannte vielmehr nur jene eine von ihm in Verona entdeckte Briefsammlung
(s. oben A. 5). Eine Handschrift der Sammlung ad familiäres wurde in
Vercelli gefunden und war um 1390 schon bekannt. Coluccio Salutato ver-
schaffte sich auch von dieser Hs. durch den Mailänder Pasquino de Capellis
eine Abschrift; jetzt codex Med. 49, 7 (Chatelain T. 36). Ihr Original, der
ehemalige Vercellensis, ist gleichfalls erhalten als cod. Med. 49, 9 s. IX/X
(Chatelain, T. 34, 1). Seit Orelli hielt man diesen Mediceus für die Quelle
aller vorhandenen Hss. der Briefe ad familiäres (außer dem Turiner Frag-
ment oben A.5, Z. 7). Diese Ansicht ist hinfällig geworden, nachdem Hand-
schriften aufgefunden sind, die eine vom Med. unabhängige Überlieferung
bieten: bes. Harleiani 2682 s. XI und 2773 s. XII. Vgl. Mendelssohn Praef.
Kiener, Stud. it. 9, 369. Gurlitt, JJ. Suppl. 21, 509. — Über die diploma-
tische Geschichte der Briefe' s. Orellis bist. crit. epist. Cic. vor s Ausg.2
p. v. CSchneider, de cod. Med. cp. Cic. auetoritate, Bresl. 1832. FHofmann,
d. krit. Apparat von Cic.s Briefen an Att., Berl. 1863. Detlefsen, JJ. 87,
651. MHaupt, op. 2, 83. 112. AViertel, die Wiederauffindung von Cic.s
Briefen durch Petrarca, Königsb. 1879; JJ. 121, 231. GVoigt, Leipz. SBer.
1879,41; Lit, Centr.Bl. 1879, 1425. OESchmidt, RhM. 40,611. Sabbadini,
Le scoperte 34. 40 u. ö. — OStreicher, de Cic. epp. emendandis, Commen-
tat. Ienens. 3 (1884), 97.
7. ALehmann, Quaest. Tüll. I: de Cic. epistulis, Prag 1886. Madvig,
adv. crit. 3, 133. ChNisard, notes (bes. sachliche) sur les lettres de Cic,
Par. 1882. — Übersicht über die Literatur zu Cic. Briefen: KSchirmer, Phil.
45, 133. Schmalz, JB. 39, 34. Gurlitt ebd. 84, 87. 97, 1. 105, 145. 109, 1.
8. Ausgaben sämtlicher Briefe: rec. Wesenberg (Lps. 1872. 73 II). The
correspondence of Cicero (chronologisch geordnet mit Kommentar usw.); by
YTyrrell and CPurser, Dublin -Lond.2 1890 ff. VI (l8, 1904). Text von
Purser, Oxf. 1901—03 III.
9. Übersetzungen von MWieland (und DGräter), Zur. 1808 — 21 VII;
von HMoser u. a. (in der Metzlerschen Sammlung, Bdchn. 51 — 76), FMezger
(Stuttg. Hoffmann 1859 ff.).
10. Auswahlen mit Anmerkungen von FHofmann — Andresen — Stern-
kopf, Berl.7 1898. s95 II, Süpfle (Karlsruhe11 1908 von Boeckel), AWatson,
Oxf.2 1874, JFrey, Lpz.8 1881. Bardt, Lpz. 1896—99 III. — Übersetzt in
den Metzlerschen Klass. d. Alt., Stuttg. 1854.
§ 188. Ciceros Briefe: einzelne Sammlungen 429
188. Erhalten sind folgende Sammlungen:
l) Epistulae (ad familiäres), IG Bücher aus den J. 62 — 43,
geordnet nach den Personen der Empfänger (mit Ausnahme von
Buch XIII), ohne daß die zeitliche Abfolge durchgehends ge-
wahrt ist.
1. Der überlieferte Titel dieser Sammlung ist (nach den Subskriptionen
im Med.) einfach M. Tulli Ciceronis epistularum ad P. Lentulum (= B. 1),
ad C. Curionem (B. 2), ad App. Claudium (B. 3), ad Ser. Sulpicium (B. 4)
usw. nach den Haupt- oder wenigstens den ersten Adressaten des betr.
Buches. Vgl. A. 2 u. § 187, 4. Die gewöhnliche Bezeichnung ad familiäres
hat keine hs. Beglaubigung (vgl. dazu Suet. Iul. 56 [§ 195, 8]); junge Hss.
und alte Ausgaben nennen sie epistolae familiäres (vgl. Quint. 1, 1, 29.
Gennad. v. £11. 63). Unbeglaubigt ist auch der früher vielfach gebräuchliche
Name ad diversos (vgl. Hieron. v. ill. 69. 99. 135 [§ 434, 2]. Gennad. v.
ill. 92). Sie sind hier durchweg als ep. zitiert.
2. Buch 1 enthält (mit Ausnahme von Nr. 10) nur Briefe an P. Lentu-
lus, B. 3 nur Briefe an Appius Claudius Pulcher, B. 8 nur Briefe des M.
Caelius (§ 209, 6) an Cicero, B. 14 nur Briefe des Cicero an Terentia und
die übrige Familie, B. 16 ausschließlich Briefe an Tiro (den Herausgeber) :
hier auch ganz unbedeutende, auch solche die nicht von M. Cicero herrühren,
und solche, die nur über Tiro handeln, nicht an ihn gerichtet sind (16, 16);
B. 13 bringt lauter Empfehlungsschreiben, B. 15 überwiegend amtliche
Korrespondenz. Andere Bücher, zB. 4 — 7, lassen gar keine oder nur ver-
schiedene sich kreuzende Ordnungsprinzipien erkennen, die Briefe an Cas-
sius und Trebonius stehen teils im 15., teils im 10. und 12. Buche. — Die
Sammlung beruht wohl zum Teil auf den Tironischen Briefen, jedenfalls ist
sie zum großen Teil aus den Einzelsammlungen zusammengesetzt, die noch
Nonius als solche gelesen hat (§ 187, 4): warum gerade diese Teile zu
einer größeren Einheit zusammengefaßt wurden, wann dies geschah und von
wem, ist unaufgeklärt. Vielleicht weist die Gleichheit der Buchzahl darauf,
daß die Sammlung ein Seitenstück zu der ad Att. bilden sollte. Peter
aO. 54.
3. Über die Hss. s. § 187, 6. Ausgaben zB. von PManutius (Aid. 1575
u. sonst, dessen Kommentar bes. von GRichter, Lpz. 1779. 80 II), GGrae-
vius (cum notis variorum , Amsterd. 1677. 1693 II u. sonst), Cellarius und
Corte (Lpz.3 1771), Martyni-Laguna (Vol. I Lps. 1804; Anfang des Kommen-
tars in Jahns Archiv 2 [1833], 249. 365 und mit PVictorii curae tertiae- in
epp. von Orelli, Zur. 1840) ; bes. von LMendelssohn, Lpz. 1893. Vgl. § 187, 8.
Epp. ad Paetum ed. Zenoni, Vened. 1908; ad Trebatium ed. Bellissima,
Rom 1908.
4. Die nicht von Cicero herrührenden Briefe (Clarorum virorum epist.
etc.) mit Komm, von BWeiske (Lpz. 1792). Ep. ad. Lucceium (5, 12) ed.
ill. Frotscher, Annaberg 1838 (darüber auch CSchneider, Bresl. 1837. Will-
mann, Halberst. 1883). Caelii Run* et Ciceronis epp. mutuae ed. Suringar,
Leid. 1845; ed. Antoine, Paris 1894. — JMüller, z. Krit. u. Erkl. der Br.
an Lentulus, Innsbr. 1862. BNake, der Briefwechsel zw. Cic. u. Caelius, JJ.
89, 60; zw. Cic. u. D. Brutus, JJ. Suppl. Bd. 8, 647; de Caeli Rufi epist.
480 Ciceronische Zeit: J. 83—43 v. Chr.
libro, Symb. philol. Bonn. 373; de Planci et Cic. epistulis, Berl. 1866. LGur-
litt, (1. Briefwechsel zw. Cic. u. D. Brut., JJ. 121, 609. OKSciimidt, de epi-
stulis et a Cassio et ad Cussiuui datis, Lps. 1877. Sternkopf, Cic. u. Matius,
Dortmund 1901.
2) Ad Atticum, gleichfalls 16 Bücher. Sie beginnen mit dem
J. 68 und hören einige Monate vor Ciceros Tode auf. Es sind ver-
trauliche Briefe, in denen sich der Schreiber mit voller Unbefangen-
heit äußert, und oft in einer nur dem Empfänger verständlichen
andeutenden Ausdrucksweise geschrieben. Zum Teil lesen sie sich
wie Selbstgespräche. Die Veröffentlichung (ohne die entsprechen-
den Briefe des Atticus) erfolgte ohne Zweifel erst nach dem Tode
des Adressaten, war aber von diesem schon vorbereitet.
1. Cic. ad Att. 8, 14, 2 ego tecum tamquam mecum loquor.
2. Corn. Nepos Att. 16, 3 XI (man verbessert XVI) Volumina epistula-
rum ab consulatu eins (des Cic.) usque ad extremum tempus ad Atticum
missarum. quae qui legat non muH um desideret historiam contextam eorum
temporum . . . omnia de studiis pvincipum, vltiis ducum, mutationibus rei
publicae perscripta sunt, non enim Cicero ea solum quae vivo se acciderunt
futura praedixit, sed etiam quae nunc usu veniunt, cecinit ut vates. Aber
die ersten 11 Briefe unserer Sammlung gehören der Zeit vor J. 63 an;
Sternkopf Progr. Elberfeld 1889. Die Anordnung ist im ganzen chronolo-
gisch, wenn man von B. 12. 13 absieht; doch sind auch hier deutliche
Spuren einer zeitlichen Reihenfolge vorhanden. Die Briefe aus den letzten
Monaten Ciceros vom 9. Dec. 44 an sind vielleicht aus Rücksicht auf Octa-
vian unterdrückt (vgl. Nake, bist. crit. 17, n. 30); beleidigende Äußerungen
über diesen stehen in der Sammlung nicht (Gurlitt, JJ. 149, 217), freilich
sehr scharfe über Caesar. Aus der gleichen Vorsicht und wohl auch aus
Bescheidenheit (§ 187, 4 Z. 6) sind die Briete des Atticus weggelassen, ob-
wohl sie zum Verständnisse der ciceronischen oft unentbehrlich sind und
Cicero sie sorgfältig aufbewahrt hatte (Att. 9, 10, 4). Aus jener Ängstlich-
keit des Atticus erklärt sich auch, daß die Sammlung erst nach dem Tode
des Empfängers (J. 32) veröffentlicht wurde, was aus Corn. Nep. aO. deut-
lich erhellt. Aus dem Umstand , daß einerseits Asconius in s. Cicero-Kom-
mentar (§ 295, 2, verfaßt um J. 55) die Briefe ad Att. nicht erwähnt und
andererseits Seneca ad Lucil. 97. 118 (§ 289, 5) daraus schon zitiert, ver-
mutet Bücheler, RhM. 34,352 (ähnlich Leo, Gott. Nachr. 1895,441), daß
der Briefwechsel mit Atticus erst um das J. 60 n. Chr. veröffentlicht worden
sei. Dann wären also die epp. ad Att. erst ein volles Jahrhundert nach
Ciceros Tod bekannt gemacht worden, was der sachlichen Wahrscheinlich-
keit völlig widerspricht. Asconius kann die Benutzung der (schon veröffent-
lichten) Briefe deshalb unterlassen haben, weil sie meistens undatiert waren
und ihre Datierung mühsame Einzehintersuchungen erfordert hätte. Vgl.
auch das Zitat bei Seneca de brevit. vitae 5 (verfaßt vor dem J. 49) quam
flebiles (Cicero) voces exprimit in quadam ad Atticum epistula . . . "quid
agam hie quaeris? moror in Tusculano meo semüiber\ alia deineeps adicit,
quibus et priorem aetatem complorat et de praesenti queritur et de futura
§ 188. Ciceros Briefe: einzelne Sammlungen 431
desperat, wo freilich Lipsius, da sich das Zitat in unserer Sammlung nicht
findet, ansprechend ad Axium (§ 187, 4) vermutet. Jedesfalls spricht die
Fassung der Stelle des Seneca dafür, daß Seneca den 13 rief selbst gelesen
hat, und gegen die Annahme Büchelers, daß sich das Zitat auf Cic. ad Att.
13, 31, 3 semiliberi saltem simus beziehe und Seneca das ungenaue Zitat
einer Mitteilung aus der noch nicht veröffentlichten Sammlung ad Atticum
verdanke. Peter, Abb. Sachs. Ges. 20, 38.
3. Über die Hss. s. § 187, 5. — Über eine Blattversetzung am Ende
von B. 4 s. Mommsen, Sehr. 7, 28. Sternkopf, Herrn. 40, 1. — Ausgaben
von Manutius (Vened. 1547 und oft), Victorius (Florenz 1571), Graevius
(Amsterd. 1684. 1693. 1727 II), Boot (rec. et adn. ill., Amsterd. 21886). Vgl.
§ 187, 8. — Schiche, z. Chronol. v. B. 15 ad Att. in d. Festschr. d. Friedr.-
Werderschen Gymn., Berlin 1881, 225; zu Cic. ad Att., 2. Teil, Berl. 1883.
OESchmidt, JJ. 129, 331. — RMücke, de locis aliquot graecis in Cic. epp.
ad Att., Ilfeld 1878.
3) Ad Quintum fratrem, drei Bücher, aus den J. 60 — 547
nur eine kleine Auswahl aus der gesamten Korrespondenz. Ohne
Zweifel ist nie mehr herausgegeben worden.
1. Der Herausgeber dieser Sammlung kann Tiro sein. Über die Hss.
§ 187, 5. — Die Verwirrung in Buch 2, durch eine Vertauschung von je
zwei Doppelblättern des Archetypus entstanden, brachte in Ordnung Mommsen,
Sehr. 7, 13. Sternkopf, Herrn. 39, 383. — Ausgaben von JHoffa (Heidelb.
1843), maßgebend Sjügken, Lpz. 1911; mit den Briefen ad Brut, von Manu-
tius (Frankf. 1580 und sonst), von Sjögren, Lpz. 1914 und cum notis vario-
rum; acc. Q. Cic. de petit. cons. c. comm. Valerii Palermi, Hagae Com.
1725.
2. Ep. 1, 1 vom J. 60, mit der Ausdehnung und Feile einer Abhandlung
(über Provinzialverwaltung), eine Art von Gegengeschenk für des Bruders
Sendschreiben de petitione (§ 190, 4). Ed. Antoine, Paris 1888. MSchneide-
win, Eine Instruktion an einen Verwaltungschef, Berl. 1907. Pichon, Rev.
Phil. 34, 140.
4) Briefwechsel zwischen M. Brutus und Cicero, sehr unvoll-
ständig erhalten. Die Reste sind von großem historischen Interesse.
1. Dieser Briefwechsel umfaßte einst neun Bücher und zwar war das
jetzt als B. 1 überlieferte ursprünglich das letzte, neunte. Non. 421, 31 Cic.
. . . ad Brutum Hb. Villi fi. Clodius. tr. pl. des. usw.' = jetzt Cic. ad
Brut. 1, 1, 1. Für Buch 1 (richtig: 9) sind die Haupthss. der Medic. 49, 18
(darin lautet die Subscriptio : Ad Brutum epistolarum Über primus explicit.
ineipit ad Q. epistolarum primus) und die von Cratander benutzte Hs.; s.
§ 187, 5. OESchmidt, Phil. 49, 38. — Zu diesem ersten Buch (18 Briefe)
fügte Cratander 1528 sieben Briefe quod a Ciceroniana dictione dbhorrere
non videbantur et in vetusto codice primum locum obtinerent , die man seit
Schütz als zweites Buch bezeichnet. Eine Handschrift derselben ist nicht
bekannt. vStreng, de Cic. ad Brut, epist. libro H, Helsingfors 1885. Die
Worte Cratanders zeigen, daß in dem cod. vetustus die sieben neuen Briefe
dem sog. B. 1 vorangingen; sie werden also ursprünglich auch dem B. 9
432 Ciceronische Zeit: J. 83—43 v. Chr.
angehört haben. Damit stimmt, daß sich die Briefe des sog. zweiten Buchs
auf die Zeit vor, die des ersten auf die nach der Schlacht bei Mutina be-
ziehen; es herrscht zeitliche Anordnung. Noch ein Eragm. aus B. 8 bei
Non, 527, 25, der 296, 8 auch B. 7 zitiert. Aus B. 1 eine Anführung bei
Serv. Aen. 8, 395. LGurlitt, JJ. 131, 561. KWermuth, quaest. de Cic. epp.
ad Brut, Basel 1887. Über eine Blattversetzung Sternkopf, Herrn. 46, 355.
— Ausgabe von Sjögren, Lpz. 1910; s. auch oben Nr. 3, 1.
2. Amm. Marc. 29, 5, 24 zitiert ad Brut. 1, 2, 5 als ciceronisch (Tulli-
anum illud). Plut. Brut. 53 tö iniaxöXiov (Bqovtov), siTtsQ aga x&v yvrjclcov
iavl: aber über die Echtheit gerade dieses (nicht erhaltenen) Briefes und
des ciceronischen ad Brut. 1, 9 s. Mommsen, Herrn. 15, 102. Die Unechtheit
beider Bücher hat zuerst JTunstall behauptet (epistola ad C. Middleton,
Cambr. 1741, und Observations etc., Lond. 1744), dann besonders JMarkland
(Remarks etc., Lond. 1745), wogegen ihre Echtheit an Middleton (the epistl.
of Cic. and Br. with a dissertation, Lond. 1743) und neuerdings an KFHer-
mann glückliche Verteidiger fand; vgl. dessen Vindiciae latinitatis epp. Cic.
ad Br., Gott. 1844; Gott. gel. Anz. 1844, 1934. 1845, 961. 1310; Abh. Gott.
Ges. 2, 189. 3, 143; Vindiciarum Brutinarum epimetrum, Gott. 1845. Gegen
Hermann wieder WZumpt, de Cic. et Bruti epp. quae feruntur, Berl. 1845;
Berl. Jahrb. 1845. 2, Nr. 91 fll. FBecher, de Cic. quae feruntur ad Brut,
epistulis, Jena 1876; RhM. 37, 576; Phil. Suppl. 4, 502; Phil. 44, 471. Nip-
perdev, Abh. sächs. Ges. 5, 71. RHeine, de Cic. et Bruti epistulis mutuis,
Lps. 1875. PMeyer, üb. d. Frage der Echtheit des Briefwechsels Cic. ad
Brut., Zürich 1882; d'Addozio, De Bruti vita, Neapel 1895. Aber diese
Angreifer des ciceronischen Ursprungs dieser Briefe sind auf allen Punkten
geworfen worden und es steht heute deren Echtheit sicherer denn je. Was
man gegen die Sammlung geltend gemacht hat, ist von geringer Erheb-
lichkeit, besonders die Widersprüche von Ciceros vertraulichen Urteilen
über Personen mit seinen öffentlichen oder mit Äußerungen zu anderer Zeit.
Der schlichte Charakter der Brutus-Briefe, in denen rhetorischer Schwulst
fehlt, sieht nicht nach Fälschung aus, stimmt vielmehr ganz zu Brutus'
atticis tischer Richtung. Auch an der Echtheit der Briefe 1, 16. 17, die man
am längsten verdächtigt hat, ist nicht zu zweifeln (Müllemeister, Progr.
Emmerich 1897. ESchwartz, Herrn. 33, 215 ff.). Vgl. §210, 1 ff. Vgl. zB.
Madvig, adv. 3, 197. OESchmidt, JJ. 127, 559. 129, 617. LGurlitt, Phil.
Anz. 1883, 720; Phil. Suppl. 4, 551; 5, 591. JJ. 121, 610. 129, 855. 145, 413.
KSchirmer, Phil. Anz. 13, 765; die Sprache des Brutus in den bei Cic. über-
lieferten Briefen, Metz 1884. ESchelle, Der neueste Angriff usw , Dresden
1897.
5) Sicher ist die Unechtheit des Briefes ad Octavianum.
1. Der Brief steht z.B. im Med. 49, 18 (§ 187, 5), in Berol. 252 (Erford.)
s. XII (§ 179, 13, 2), befand sich in der Hs. Cratanders (oben Nr. 4, 1) und
ist in den Cicero- Ausgaben gedruckt; zB. bei Baiter-Kayser 10, 465, bei
Sjögren (o. Nr. 3, 1) p. 143. CBerns, Commentat. phil. Lips. (Lps. 1874) 177.
189. In der Poesie übte sich Cicero gelegentlich schon seit
frühen Jahren, vornehmlich aus stilistischen Absichten: Verse zu
schmieden wurde ihm bei seiner hervorragenden Beanlagung für
§ 189. Ciceros Gedichte 433
die Form nicht schwer. In späteren Jahren verfaßte er ein Helden-
gedicht über Marius, namentlich aber bewog ihn sein brennendes
Verlangen nach Ruhm in wunderlicher Verblendung dazu, seine
Taten und Leiden zum Gegenstande von Epen im Ennianischen
Stile zu machen, nicht zum Vorteil für seinen Ruf. Denn außer
dem Spott, den sein übertriebenes Selbstlob herausforderte, konnte
auch der Stil seiner Dichtungen bei der eben damals aufkommen-
den modernen Dichterschule wenig Beifall finden.
1. Über Cicero als Dichter vgl. Sen. exe. controv. 3 praef. 8 Ciceronem
eloquentia sua in carminibus destituit. Sen. de ira 3, 37, 5. Tac. dial. 21.
luv. 10, 124 fo fortunatam natam me consule BomamV Antoni gladios po-
tuit contemnere, si sie omnia dixisset. Mart. 2, 89, 3 Carmina quod scribis
Musis et Apolline nullo Laudari debes: lioe Ciceronis lidbes. Plut. Cic. 40
ry d\ 7tQog xr\v 7iolr\Giv svv.oXla 7calt,(ov i%QT]ro' liyzxai ycHg, bnr\viy.a qvsit]
itQog xb xoiovxov, xrjg vvy.tos £nr\ TtoLSlv tcsvxcckogicc. Über sein abfälliges
Urteil über die modernen Dichter s. § 212 a. Schol. Bob. 137, 12 manifestum
est amatorem poeticae rei Tullium fuisse, qiiamvis ad oratoriam . . . non vi-
deatur in versibus par sui fuisse. Drumann, GR. 6, 681. Frantzen, de Cic.
poeta, Abo 1800. vHeusde, Cic. cpiXonldrav (Utr. 1836) 25. 34. Ribbeck,
röm. Dicht. 1, 296. MGrollmus, de Cic. poeta, Königsb. 1887. Guendel, De
Cic. poetae arte, Lpz. 1907. Simzig, Quid Cic. de imitatoribus Alexandrino-
rum censuerit, Capodistria 1912. Kubik (§ 177, 2) 241. Die Reste zB. bei
Baiter-Kayser 11, 89. Müller 4, 3, 350. FPR. 298.
2. Über seine Jugendversuche, den Poritios Glaukos und s. Übersetzung
des Aratos s. § 177 a, 1. Bei anderem ist die Abfassungszeit unbestimmbar.
Iul. Capitol. Gordian. 3, 2 adidescens cum esset Gordianus . . poemata scrip-
sit . . et quidem euneta illa qiiae Cicero edidit, M avium (A. 3) et Ära tum
et Halcyonas (vgl. Non. 65 Cicero f aleyon, folgen 2 Hex.) et Uxorium
(der Pantoffelheld?) et Nilum (Casaubonus: Limona s. unten), quae quidem
ad hoc scripsit, ut Ciceronis poemata nimis antiqua viderentur. — Serv. buc.
1, 57 Cicero in elegia quae f talia masta (v. 1. talamasta) inscribitur (folgt
ein Hexameter; Thalia maesta Heinsius, ©av^aGrd Hertz, ltalia maesta
Urlichs, Eos 1, 151). — Auch Abschnitte aus Homer (de div. 2, 63. de fin.
5, 49), Aeschylos (Tusc. 2, 23), Sophokles (ebd. 2, 20) u. a. übersetzte Cicero
metrisch. — Suet. vita Ter. p. 34, 2 R. Cicero in Limone (As^mv = Pra-
tum\ Plin. ISIH. praef. 24. Gell. NA. praef. 6. Suid. s. v. Iläiicpdog ...
%yQ<xipE XsLfiwvcc Eött, ds noixiXcov 7CSQio%ri): es folgen vier Hexameter über
Terenz als glücklichen Bearbeiter Menanders; danach war das Gedicht lite-
rarisch-kritischen Inhalts, vgl. Ritschl, op. 3, 263. — Epigramme: Plin. ep.
7, 4, 3 (epigramma [laseivum lusum; vgl. Auson. op. 28, 4, 9 p. 146 Seh.]
Ciceronis in Tironem suum; vgl. Grollmus aO. 49). Quint. 8, 6_, 73. — Leo,
Herrn. 49, 194.
3. Quint. 11, 1, 24 in carminibus utinam pepercisset (das Selbstlob spar-
samer angebracht), quae non desierunt carpere maligni. Dahin gehören aus
dem J. 60 die drei Bücher de suo consulatu im epischen Versmaß. Schol.
Bob. 165, 8 de consulatu suo scripsit poetico metro, quae mihi videntur opera
Teuffei: röm. Literaturgesch. Neub. 6. Aufl. I. 28
434 Ciceromsclie Zeit: J. 83—43 v. Chr.
minus digna talis viri nomine. Att. 2, 3, 3; vgl. 1, 19, 10 poema expectato,
ne quod genus a me ipso laudis meae praetermittatur. de div. 1, 17 — 22:
dort ein großes Bruchstück, eine Rede der Urania, die zeigt wie der zeit-
geschichtliche Inhalt mit mythologischem Flitter geschmacklos behangen
war. Aus diesem Werke stammen die beiden berüchtigten (A. 1) Verse:
0 fortunatam natam me consule üomam (Quint. 9, 4, 41 u. a.) und Cedant
arma togae, concedat laurea laudi (off. 1, 77 u. a.). Drumann, GR. 5, 601.
EHeikel, Adversaria ad Cic. de cons. suo poema, Helsingf. 1912. — Ferner
das (ums J. 55) verfaßte Epos de temporibus meis, gleichfalls in drei
Büchern. Vgl. ep. 1, 9, 23 (J. 54 noch nicht herausgegeben) quia verebar
non eos, qui se laesos arbitrarentur — etenim id feci parce et molliter — sed
eos, quos erat infinitum bene de me meritos omnis nominare. ad Q. fr. 3, 1,
24 mirificum embolium cogito in secundum librum meorum temporum inclu-
dere, dicentem Apollinem in concüio deorum, qualis reditus duorum impera-
torum futurus esset (des Gabinius und Piso), quorum alter exercitum perdi-
disset, alter vendidisset. 2, 13, 2. 2, 15, 5 (Caesar liest im Mai 54 das erste
Buch und lobt es). Att. 4, 8b. 3? Drumann, GR. 6, 20. — Außerdem schrieb
Cicero, im J. 54, ein Lobgedicht auf Caesar als den Bezwinger Britanniens;
ad Q. fr. 3, 1, 11 (poema ad Caesarem). Vgl. 2, 13, 2. 3, 4, 4. 3, 8, 3.
3, 9, 6 (quod me hortaris ut absolvam, habeo absolutum suave, mihi quidem
uti videtur, %nog ad Caesarem). Vgl. Drumann, GR. 3, 322. Unbestimmt ist
die Abfassungszeit des Epos Marius, Att. 12, 49, 1 (J. 45). Aus leg. 1, 1
ergibt sich, daß der jüngere Q. Scaevola (§ 139, 3) ein lobendes Epigramm
darauf machte, aber nicht, daß der Marius nicht allzu lange vor ihrer Ab-
fassung (J. 52) geschrieben wurde. MHaupt, op. 1, 211. Grollmus aO. 22.
Die Verherrlichung des Volksmannes könnte sogar empfehlen, das Gedicht
früher anzusetzen (so Ribbeck). Anderseits buhlte Cicero seit J. 56 um Cae-
sars Gunst. Eine Verherrlichung des Marius, seines Landsmannes, seines
Verwandten, des Vorgängers Caesars in der Führerschaft der Volkspartei,
der auch mit Caesar durch Verschwägerung verbunden war, konnte damals
Cicero, der überhaupt den Marius mit Lob überschüttet, sehr wohl zweck-
mäßig erscheinen : und gerade er war der Mann dazu, an den Klippen der
Aufgabe vorbeizukommen. Die Briefstelle Att. 2, 15, 3 (§ 59) kann für frühere
Abfassung nichts beweisen, da die Herkunft des dort angeführten Hexa-
meters In montes patrios et ad incunabula nostra unklar ist.
4. Neueste Sammlungen der ciceronischen Fragmente bei Baiter-Kayser
Bd. 11 (1868) und Müller 4, 3 (1879), 231. Halm, Beitr. z. Berichtig, der
ciceron. Fragm., Lpz. 1862 (= Münch. SBer. 1862 2, 1). FHoppe, zu den
Fragmenten u. der Sprache Cic.s, Gumbinnen 1875.
190. Ciceros jüngerer Bruder Quintus (J. 102 —43) zeigte zwar
infolge seiner sorgfältigen Bildung lebhafte Teilnahme für die Lite-
ratur, besonders für Poesie, und scheint mit seinem Bruder die
Leichtigkeit der Gestaltung geteilt zu haben, aber er gelangte zu
keinem Ansehen, weil er immer im Schatten seines Bruders stand.
Er unternahm ein annalistisches Werk und übersetzte Tragödien
des Sophokles udgl. Wir haben noch sein commentariolum peti-
§ 190. Q. Cicero 435
tionis, ein Sendschreiben über die richtige Art der Bewerbung um
das Konsulat, an seinen Bruder Marcus, verfaßt Anfangs 64, und
einige Briefe.
1. Auf J. 102 als Geburtsjahr des Q. Cicero ist aus seiner Ämterlauf-
bahn zu schließen: Aedil 65, Praetor 62, Propraetor in Asien 61 — 58, Legat
des Pompeius in Sardinien 56, des Caesar in Gallien und Britannien 54 — 52,
seines Bruders in Kilikien 51. Er wurde mit diesem geächtet und samt
seinem Sohne getötet J. 43; s. Drumann, GR. 6, 719. WPütz, de Q. Cic.
vita et scriptis, Düren 1833. HBlase, de Q. Cic. vita, Bedburg 1847. PRE.
6, 2234. Bücheler, Q. Cic. reliq. p. 1—24.
2. Schol. Bob. zu Cic. p. 175, 31 St. : fuit enim Q. Tullius non solum
epici, verum etiam tragici carminis scriptor. Cic. Att. 2, 16, 4 (J. 59): Q.frater
. . me rogat, ut annales suos (schwerlich in gebundener Form) einendem et
edam. ad Q. fr. 2, 11, 4 (J. 54) ad Callisthenem et ad Philistum redeo, in
quibus te video volutatum. . . sed, quod adscribis, aggrederisne ad historiam?
me auctore potcs. 2, 15, 4 (J. 54) o iucundas mihi tuas de Britannia litte-
ras! . . te vero vitoftsav scribendi egregiam habere video. quos tu situs, quas
naturas rerum et locorum, quos mores, quas gentes, quas pugnas, quem vero
ipsum imperatorem habes! (Also sollte es ein Epos werden.) ego te libenter
. . adiuvabo et tibi versus quos rogas . . mittam. 3, 4, 4 (J. 54) sine ulla meher-
cule ironia loquor: tibi istius generis in scribendo priores partes tribuo quam
mihi. Vgl. 3, 5 und 6, 7 (J. 54) quattuor tragoedias XVI diebus absolvisse
cum scribas, tu quidquam ab alio mutuaris? et nädog quaeris, cum Electram
et f trodam (Troadas Schütz, Aeropam Bücheler) scripseris? .. sed et istas
et Erigonam mihi velim mittas. ebd. 8, 1, 13 in ea (epistula) nihil sane erat
novi praeter Erigonam, quam si . . accepero scribam ad te quid sentiam; nee
dubito, quin mihi placitura sit. 3, 9, 6 ne aeeidat quod Erigonae tuae, cui
soli Caesare imperatore Her ex Gallia tutum non fuit. Eine 'Rqiyovri gab es
zB. von Sophokles. Cic. de fin. 5, 3 tum Quintus: . . Sophocles . . , quem
scis quam admirer quamque eo delecter. ad Q. fr. 2, 15, 3 (J. 54) Evvösl-
Ttvovg UocponXsovg quamquam a te aetam (faetam Buecheler) fabellam (ein
Satyrspiel? s. Ribbeck, röm. Trag. 620) video esse festive, nullo modo pro-
bavi. ep. 16, 8, 2 ego (Q.) certe singulos eins (des Euripides) versus singula
testimonia puto. Der Untergang dieser Produkte ist sicher kein Verlust für
die Weltliteratur.
3. Drei Briefe des Q. Cicero an Tiro, ep. 16, 8 (J. 49). 26. 27 (J. 44)
und einer (ebd. 16, 16) an seinen Bruder Marcus (J. 60?). Zusammen bei
Bücheler (A. 4) p. 64. Vgl. noch Cic. ad Q. fr. 2, 14, 2 in brevi epistula
%Qay\LccTiK(hs valde scripsisti. 3, 1, 19 epistulam tuam . . Aristophaneo modo
valde et suavem et gravem.
4. Das Sendschreiben an seinen Bruder Marcus, als dieser sich J. 64
um das Consulat bewarb (commentariolum petitionis 58), veranschaulicht die
damals besonders schwunghaft betriebene Amtserschleichung, vielleicht
unter Mitbenützung von Theophrast tcsqI cpdonniccg (Cic. ad Att. 2, 3, 3).
Die Anlage ist geordnet, aber pedantisch, die Darstellung trocken und
nüchtern (Bücheler p. 3. 7 f.). Die Gliederung gibt § 2 cotidie tibi hoc ad
forum descendenti meditandumst : novus sum, consulatum peto, Borna est.
28*
436 Ciceronische Zeit: J. 83—43 v. Chr.
Für den Standpunkt vgl. 5 persuadendum iis {optimatibus) nos semper cum
optimatibus de rep. sensisse, miriime popularis fuisse, si quid locuti popula-
riter videamur, id nos eo consilio fecisse, ut nobis Cn. Pompeium adiungere-
mus. 42 opus est magno opere blanditia, quae etiamsi vitiosa est et turpis
in cetera vita, tarnen in petitione necessaria est. Auffallend ist die Ähnlich-
keit mit der Rede in toga Candida (in der Marcus Gedanken aus der Schrift
des Bruders benützt hat), der für Murena und dem ersten Briefe des M.
an seinen Bruder Quintus (1, 1). Diese und andere Gründe gegen die Ur-
heberschaft des Q. (und für Abfassung durch einen Rhetor des ersten christl.
Jahrh.) bei Eussner, commentariolum petitionis examinatum, Würzb. 1872.
Hendrickson, Am. J. Ph. 1892, 200; Public. Univ. Chicago 6 (1903) 71. S.
aber dagegen HWirz, philol. Anz. 5 (1873), 499. Tyrrell, the letters of
Q. Cic, Hermath. 5 (1877), 40; Ausg. d. Briefe (§ 187, 8) 1, p. lxv. Leo,
Gott. Nachr. 1895, 447. Beltrami^ De comment. petit., Pisa 1892. Aus falsch
eingefügten Nachträgen folgert Bruhn, JJ. 1908 xxi 258, daß die Schrift
nicht vom Verf. herausgegeben worden sei. Die besten Hss. sind Harleian.
2682 s. XI u. Berol. 252 s. XII (s. Bücheler p. 11). Gedruckt als Anhang
der Briefe ad Q. fratr. Sonderausgaben von Valerius Palermus (§ 188, 3, 1),
CGSchwarz (cum animadv., Altorf 1719), Hoffa (perpet. adnot. illustr., Lps.
1837). Tijdemann, in Q. Cic. de pet. cons. adnotat. , Leid. 1838 f. Q. Cic.
rell. recogn. Bücheler, Lps. 1869. Text bei Eussner aO. p. 24; scholia cri-
tica ebd. p. 36.
5. Ausonius ecl. 17 p. 16 Seh. läßt auf ein eigenes Gedicht des Ver-
gleichs wegen 16 (20) Hexameter des Q. Cicero über die zwölf Zeichen des
Tierkreises folgen; dieselben auch bei Bücheler aO. 68. AL. 642. FPR. 315.
Baiter-Kayser Cic. 11, 138. Müller 4, 3, 405. — Das einem Cicero in jün-
geren Hss. beigelegte Epigramm auf die Frauen (AL. 268. PLM. 4, 359)
gehört dem Pentadius (§ 398, 5).
191. Ciceros Freigelassener und Freund, M. Tullius Tiro, über-
lebte seinen Patron lange und sorgte in treuer Hingabe für sein
Andenken. Er beschrieb Ciceros Leben, gab seine Reden und Briefe
heraus, und sammelte wohl auch seine Witzworte. Außerdem ver-
faßte er kompilatorische Schriften enzyklopädischen und gramma-
tischen Inhalts und scheint auch der Dichtung nicht fremd geblie-
ben zu sein. Besonders bekannt aber ist sein Name geworden durch
die Einführung der stenographischen notae Tironianae.
1. Cic. ep. 16, 4, 3 innumerabilia tua sunt in me officia: domestica,
forensia; urbana, provincialia ; in re privata, in publica, in studiis, in litte-
ris nostris. 16, 17, 1 v-aveav esse meorum scriptorum soles. Vgl. Att. 7, 5, 2.
Gell. 6, 3, 8 Tiro Tullius, M. Ciceronis libertus, sane quidem fuit ingenio
liomo eleganti et haudquaquam verum litter arumque veterum indoctus, eoque
ab ineunte aetate liberalster instituto adminiculatore et quasi administro in
studiis litterarum Cicero usus est. ebd. 13, 9, 1. 15, 16, 2. Freigelassen wurde
er J. 54 (Cic. ep. 16, 16). J. 50 war er noch adulescens (ad Att. 6, 7, 2).
Hieron*m. zu Euseb. Chron. ad a. Abr. 2013 (Freher. 2012) = 4 M . Tullius
Tiro, Ciceronis libertus, qui primus notas commentus est, in Puteolano prae-
§ 191. M. Tullius Tiro 437
dio (vgl. Cic. ep. 16, 21, 7) usque ad centesimum annum consenescit. Engel-
bronner, de Tirone, Amst. 1804. ALion, Tironiana, in Secbodes Aren. 1824,
246 und (vgl. § 220, 9) Gott. 1846. Deumann, GR. 6, 405. PRE. 6, 2207.
Mitzschke, M. Tüll. Tiro, Berl. 1875. Jaufmann, dgl., Dillingen 1897. HRR.
2, xviii.
2. Ascon. p. 41, 28 ut legimus apud Tironem libertum Ciceronis in libro
IUI de vita eius. Tiro verteidigte in dieser Schrift den Cicero und suchte
sein Andenken von Verunglimpfung zu reinigen. Plutarch, der sie anführt
(Cic. 41. 49), hat sie jedenfalls bei einem Teile seines Bio? Kixtgcovos
benützt, s. HPeter, Quellen Plutarchs 129. RWirtz (§ 205, 6) 41. Tac.
dial. 17. Gell. 4, 10, 6. 15, 16, 2 a Tirone . . librorum patroni sui studio-
sissimo. HRF. 212. Eine auf ihn zurückgehende Handschrift der Reden
des Cic. bei Gell. 1, 7, 1 {in oratione Cic. V in Verr., libro speetatae fidei,
Tironiana cura atque diseiplina facto) und 13, 21, 16 (in uno atque in
altero antiquissimae fidei libro Tironianö). Von dieser Tätigkeit hat sich
eine Erinnerung in der Subscriptio des Stafcilius (§ 374, 2) erhalten: Sta-
tilius Maximus versus emendavi ad Tyronem et Laecanianum et Dom(i-
tium) et alios veteres. Nach Fronto bei Hauler, Mel. Chatelain 622 waren
Exemplare des Cicero a Tirone emendata besonders wertvoll. Quint. 10, 7,
31 (§ 180, 3). Über seine Tätigkeit als Herausgeber ciceronischer Brief-
sammlungen s. § 187, 3 u. 4. Endlich galt er für den Urheber der Samm-
lung von ioci Ciceronis. Quint. 6, 3, 5 utinam libertus eius Tiro, aut alius
quisquis fuit, qui tris hac de re libros edidit, parcius dictorum numero in-
dulsissent etc. Macrob. S. 2, 1, 12 liberti eins libros, quos is de iocis patroni
composuit. Schol. Bob. in Sest. p. 140, 16 hoc etiam dictum . . Tullius Tiro
. . inter iocos Ciceronis adnumerat. Vgl. § 186, 6.
3. Gell. 6, 3, 10 (Tiro) epistulam conscripsit ad Q. Axium, familiärem
patroni sui, confidenter nimis et calide, in qua sibimet visus est orationem
(des alten Cato) pro JRliodiensibus acri subtilique iudicio percensuisse (wahr-
scheinlich in maiorem gloriam patroni). 10, 1, 7 quod . . Tiro Tullius . . in
epistula quadam enarratius scripsit ad hunc fere modum. 13, 9, 2 (Tullius
Tiro) libros complures de usu atque ratione linguae Latinae, item de variis
atque promiseuis quaestionibus composuit. in Ms esse praeeipue videntur quos
graeco titulo %av§ixta.<$ inscripsit. ibi de his stellis . . hoc scriptum est (folgt
ein längeres Zitat). Dieses Werk benützte wohl auch Plin. NH., der zu
B. 2 (Weltall, Gestirne usw.) im QVerz. anführt Tullius Tiro. Charis. GL,
1, 207 ^novissime' Tiro in pandecte non rede ait dici etc. GRF. 1, 390. —
Cic. ep. 16, 18, 3 (J. 45): tu (Tiro) nullosne tecum libellos? an pangis aliquid
Sophocleum? fac opus appareat.
4. Suetonius (p. 135 Rff.) und aus ihm Isidor orig. 1, 21 und eine Cas-
seler Hdschr. der Notae Tironis et Senecae (§ 289, 8. WSchmitz, symb. philol.
Bonn. 532) : vulgares notas Ennius primus mitte et centum invenit . . . (siehe
§ 104, 5) Romae primus Tullius Tiro, Ciceronis libertus, commentatus (wohl
commentus, s. oben A. 1) est notas, sed tantum praepositionum. post eum
Vipsanius Philargyrus (Freigelassener des Agrippa — § 220, 10 — ? s. OLeh-
mann aO. 12) et Aquila, libertus Maecenatis (auch bei Dio 55, 7; s. § 220,8)
alius alias addiderunt. denique Seneca contracto omnium digestoque et aueto
numero opus effecit in quinque milia.
438 Ciceronische Zeit: J. 83—43 v. Chr.
5. Unter der Aufschrift Notae Tironis (Tyronis) et Senecae (A. 4) ist
eine reichhaltige Sammlung von Abkürzungen für die Schnellschrift, aus
verschiedener Zeit und in sechs commentarii zerfallend, auf uns gekommen,
veröffentlicht zuerst von Gruter in s. Thesaurus inscriptionum, Heidelb.
1603. Handschriften: cod. Cassellanus (aus Fulda stammend) s. VIII (Faksim.
von Ruess, Lpz. 1914), Paris. 190 s. IX u. a. Vgl. Kopp, Palaeogr. crit.
(Mannh. 1817) § 331 und Zeibig aO. 57; dazu ThSickel, Urk. d. Karolinger
1, 326; das Göttweiher lexic. Tironianum, Wiener SBer. 38 (1861), 3. Über
die Tiron. Notae s. besond. die Untersuchungen von WSchmitz, Beiträge
zur lat. Sprach- und Lit.-Kunde (Lpz. 1877) 179—306 usw., bes. Commen-
tarii notarum Tiron., Lpz. 1893; ferner Zeibig, Gesch. und Lit. der Geschwind-
schreibkunst, Dresd.2 1874. OLehmann, de notis Tir. et Senecae, Lps. 1869.
Mitzschke, Quaest. Tiron., Rostock 1875. F Ruess, die Tachygraphie der
Römer, Münch. 1879. Chatelain, Introd. ä la lecture des not. Tir., Paris
1900. Johnen, Gesch. d. Stenographie, Berl. 1911. Mentz, Arch. f. Urkunden-
forsch. 4, 1. 5, 1. — Eine Darstellung der alten Notenschrift (des Tullius)
aus s. XII (von John of Tilbury) bei VRose, Herrn. 8, 303. Genauer kann
auf diese die Geschichte der Schrift angehenden Fragen hier nicht einge-
gangen werden.
6. Epigramm eines anderen Freigelassenen Ciceros, des Tullius Laurea,
zu Ehren seines früheren Herrn gewendet, bei Plin. 31, 7. Drei griechische
Epigramme von ihm AP. 7, 17. 7, 294. 12, 24.
192. Der gebundenen Form bedienten sich in dieser Zeit außer
Varro, Hortensius, den beiden Cicero u. a. auch der Satiriker L.
Abuccius und der Didaktiker Egnatius (de rerum natura), sowie
vielleicht Yolumnius und Ninnius Crassus. Ein Nachzügler des grie-
chisch-römischen Lustspiels scheint Quintipor Clodius gewesen zu
sein. Größeres Ansehen gewann der römische Ritter D. Laberius
(um J. 106 — 43), der es mit glänzendem Erfolg unternahm, die
Volksposse, den Mimus, literaturfähig zu machen, was nicht ohne
starke Annäherung an die Palliata abging (§ 8). Nach der Über-
lieferung war mit Laberius fast gleichalt M. Furius Bibaculus
aus Cremona: in Wirklichkeit aber war er wohl jünger und gehört
erst in die Generation der Neoteriker. Er war Verfasser von Scherz-
und Spottgedichten in der Weise des Catull, ferner eines schwül-
stigen Epos über Caesars gallischen Krieg und einer Aethiopis,
endlich auch von prosaischen Lucubrationes mit buntem Inhalt.
1. Varro RR. 3, 2, 17 L. Abuccius (so die gute Überlieferung an bei-
den Stellen, s. Keil zdSt.; vgl. Hertz, JJ. 107, 338; der Name zB. CIL. 6,
8117 ff.), homo, ut scitis, adprime doctus, cuius Luciliano charactere sunt li-
belli, dicebat etc. Vgl. ebd. 3, 6, 6 Hortensius, . . quem secuti multi, ut
quidem Abuccius aiebat. Nach Varros Ausdrucksweise war Abuccius im
J. 54 (s. § 168, 1 Z. 4) schon gestorben. — Macrob. sat. 6, 5, 2 Egnatius
de rerum natura libro primo (nach Accius in Philoctete und vor Lucretius
§ 192. D. Laberius und andere Dichter 439
in secundö)', ebenso ebd. 12 (nach Livius, Ennius, Accius, vor Cornificius).
In den dort angeführten Hexametern wird auslautendes s einmal abgeworfen
(Berge, op. 1, 430). EBährens, Anal. Catull. 45; comment. Catull. 219 u. a.
vereinigen diesen E. mit dem bei Catull. 38, 19. 39, 1 genannten ohne aus-
reichende Begründung. Skutsch, PW. 5, 1993. — Cic. ad Q. fr. 2, 9, 3 (J. 54)
virum te putabo, si Sallustii Empedoclea legeris, hominem non putabo (über
die Stelle s. § 203, 2). Auf den Geschichtschreiber Sallustius bezieht dies
ASchöne, JJ. 93, 751; auf den in Ciceros Briefen erwähnten Cn. Sallustius
(vgl. § 184, 1, 2) Teuffel, PRE. 6, 703, 3. — GL. 5, 574 cyma: alii cymam,
ut Volumnius (stridentis dabitur patella cymae\ Diesen Hendekasyllabus
schreibt Bücheler, JJ. 111, 126 dem bei Cicero erwähnten P. Volumnius
Eutrapelus (PRE. 6, 2743) zu. — Ninnius Crassus: § 150, 3.
2. Non. 448 Varro in Bimarco: cum Quintipor Clodius tot comoedias
sine ulla fecerit Musa, ego unum libellum non edolem? Die Bezeichnung als
conwediae macht wahrscheinlich, daß es Palliaten waren. Vgl. § 15, 1. Er-
wähnt wird er auch bei Non. 117 Varro epistula ad Fufium (§ 166, 6 d,
Z. 13) *Quintiporis Clodi f ant foriae {Antipho eris Bücheler u. LMüller)
ac poemata eius gargaridians dices: ffO Fortuna, o Fors Fortuna" (= Ter.
Phorm. 841, wo Geta, Sklave des Antipho, den Vers spricht).
3. Von den Mimen des Laberius kennen wir 44 Titel: sie und die
Überreste zeigen, wie der mimus alle früheren Gattungen der Komödie in
sich aufgenommen hat. Neben den palliatenähnlichen Titeln (vgl. § 8, 4)
finden sich auch von Ständen und Beschäftigungen entnommene, wie Augur,
Catularius, Centonarius, Colorator, Fullo, Piscator, Restio, Salinator, Stami-
nariae (fWeberinnen' Heraeus, Petron u. d. Glossen 8) ; Intrigen- und Cha-
rakterstücke wie Aries, Cancer, Carcer, Imago, Nuptiae, Paupertas, Taurus;
Aulularia, Caeculi, Galli, Gemelli, Late loquentes (Cic. de or. 3, 46), Soro-
res, Stricturae, Virgo; Cretensis, Tusca; Anna Perenna, Lacus Avernus;
Compitalia, Natal, Parilia, Saturnalia. Daß er auf der Höhe der Zeitbildung
stand, erhellt aus Anspielungen auf Fythagorea dogma, Cyniea haeresis, De-
mocritus, Necyomantia (aus J. 44; vgl. fr. 63 den Witz über Pläne und Ein-
richtungen Caesars); aber auch die Sittenlosigkeit der Zeit ist reichlich
vertreten. Gegen die Annahme von Göttertravestien wendet sich Crusius,
JJ. 1910 XXV 95. Kühne Wortbildungen des Laberius zB. Gell. 16, 7, 1
Laberius in mimis quos scriptitavit oppido quam verba finxit praelicenter ;
vgl. V. 154. Manches mußte dem Charakter der Gattung zu Liebe aus der
Sprache des Pöbels aufgenommen werden (Gell. 19, 13, 3 quae a Laberio
ignobilia nimis et sordentia in usum linguae Latinae intromissa sunt). La-
berius gibt v. 55 die Erklärung: versorum, non numerum (numerorum Büche-
ler, nummorum Dziatzko) numerc studuimus. Seine Senare sind gebaut wie
die der früheren szenischen Dichter (mit Jambenkürzung) und leicht fließend;
außer Jamben auch Trochäen, vereinzelt Kretiker (V. 2); sehr unsicher der
Paroemiacus v. 84. Die Reste in Ribbecks com.3 339.
Am Abend seines Lebens wurde Laberius, wenn der tendenziös ge-
färbten Überlieferung zu trauen ist, zur Strafe für seine republikanische Frei-
mütigkeit (vgl. zB. Macrob. 2, 7, 4. 5) und überhaupt wegen seiner scharfen
Zunge (Sen. contr. 7, 3, 9. Macr. 2, 3, 10. 2, 6, 6) von Caesar schwer gede-
mütigt. Dieser, dessen Motive uns unklar sind, nötigte den Dichter, der
440 Ciceronische Zeit: J. 83—43 v. Chr.
bis dahin für die von Magistraten gegebenen Spiele (vgl. Mach. 2, 6, 6) zwar
Mimen verfaßt, aber — was ihm schon seine Stellung als eq. Rom. verbot
— darin natürlich nicht mitgespielt hatte, selbst aufzutreten und zwar an-
geblich in einem Wettstreit im mimischen Stegreif-Spiel, wozu Publilius
Syrus seine Nebenbuhler herausgefordert hatte (§ 212, 3). Sueton. Iul. 39
luclis (des J. 46) D. Laberius eques Born, mimum suum egit. Daß dies bei
der ersten Feier dieser Spiele im J. 46 geschah, geht aus Cic. ep. 12, 18
hervor: equidem sie iam öbdurui, ut ludis Caesaris nostri animo aequissimo
viderem T. Plancum, audirem Laberii et Publilii poemata. OESchmidt, Cice-
ros Briefw. 252. Vgl. die Hauptstelle über Laberius bei Macrob. sat. 2, 7:
dort § 2 Laberium, asperae libertatis equitem Moni., Caesar . . invitavit, ut
prodiret in scaenam et ipse ageret mimos, quos scriptitabat. Der ergreifende
Prolog zu diesem unfreiwilligen Auftreten des J. 45 ist erhalten Macrob. 2,
7, 3 (aus Gell. 8, 15). Laberius unterlag: statimque (Caesar) Publilio pal-
mam et Laberio anulum aureum (um den durch sein Auftreten seiner Ritter-
würde gleichsam ledig gewordenen wieder einzusetzen) cum quingentis sester-
tiis dedit. Vgl. Gell. 17, 14,2 C. Caesarem ita Laberii maledicentia et adro-
gantia (nach Caesars Meinung) offendebat, ut aeeeptiores sibi esse Publilii
quam Laberii mimos praedicaret. Laberius erkannte selbst, daß seine Zeit
vorüber sei: non possunt primi esse omnes omni in tempore: summum ad
gradum cum claritatis veneris, consistes aegre . . . : cecidi ego, cadet qui sequi-
tur v. 127. In jenem Prolog des J. 46 nennt sich Laberius 60 Jahre alt
(ego bis tricenis annis actis sine nota Eques Romanus e Lare egressus meo
Domum revertar mimus), war somit um 106 geboren. Cic. ep. 7, 11, 2 er-
wähnt ihn im J. 53 neben Valerius (§ 207, 5). Hieron. zu Eus. Chron. ad
a. Abr. 1974 = 43 Laberius mimorum scriptor deeimo mense post C. Caesa-
ris interitum Puteolis moritur (also Jan. 43). Seine Popularität beweist das
Vorkommen von zwei Versen auf einem römischen Grabstein: Not. sc. 1912,
87. Leo, Herrn. 48, 147. Über Lab. Grysar, der röm. Mimus (1854) 290.
Mommsen, RG. 36, 590. EHoffmann, RhM. 39, 471.
4. Hieron. in Euseb. Chron. ad a. Abr. 1914 = 103 (im cod. Amand.
und Freher. zu 1915 = 102) M.Furius poeta cognomento Bib acutus; ältere
Furii mit diesem Cognomen bei Liv. 22, 49, 16. Val. Max. 1, 1, 9) Cremonae
nascitur. S. aber A. 6. Quint. 10, 1, 96 iambus . . cuius acerbitas in Catullo,
Bibaculo, Horatio . . reperietur. Diomed. GL. 1, 485 (s. § 33, 1). Tac A. 4, 34
carmina Bibaculi et Catulli referta contumeliis Caesarum leguntur; sed ipse
divus Iulius, ipse divus Augustus (gegen ihn schrieb also Bibaculus) et tu-
lere ista et reliquere.' Die Überreste des Bib. (Hendekasyllaben, Iamben,
Hexameter) in LMüllers Catullus (1870) p. 89. FPR. 317. Der Hexameter
bei Schol. luv. 8, 16 (Bibaculus: 'Osce senex Catinaeque puer, Cumana me-
retrix') wird aus einem Epigramm sein. Erwähnung von Valerius Cato
(§ 200, 1), die ebenso wie die Anwendung des Hendekasyllabus auf Zuge-
hörigkeit zu den Neoterikern hinweisen, und Orbilius (unten A. 5 und 6;
§ 200, 3). — Pltn. NH. praef. 24 über die Wahl von Büchertiteln: nostri
. . facetissimi Lucubrationum (inscripserunt), puto quia Bibaculus erat et
vocabatur: danach war der Titel scherzhaft gewählt. Daraus wohl Macrob.
sat. 2, 1, 13 is iocus (des Cicero aus J. 59) . . mihi ex libro Furii Bibaculi
notus est (§ 179, 27, 1). Mit Beziehung auf dieses Werk wohl Messala Cor-
§ 192. Furius Bibaculus 441
vinus in quadam epistola . . non esse sibi dicit rem cum Furio Bibaculo, ne
cum Ticida quidem aut litteratore Catone (Suet. gramm. 4). Bährens, Komm,
zu Cat. p. 13.
5. Zu Hör. s. 2, 5, 40 (vom J. 30) seu pingui tentus omaso (vgl. Gl. Phi-
lox. omasum . . ty teöv rdXXav yXcMty) Furius hibemas cana nive conspuet
Alpes bemerkt Porph. : hie versus Furi Bibaculi est. ille enim, cum vellet
Alpes nivibus plenas describere, ait rIuppiter hibemas cana nive conspuit
Alpes'' (diesen Vers führt Quint. S, 6, 17 als Beispiel einer dura translatio
an). Genauer Acro zdSt. : Furius Bibaculus in pragmatia belli Gallici *Iup-
piter usw.' Aus diesem Epos stammen wahrscheinlich auch die bei Macrob.
in B. 6 (FPR. 318) als Vorbilder Vergils angeführten (11) Hexameter: dar-
unter 6 kriegerischen Inhalts. Macrobius zitiert sie aus Furius in I (und
IV) annali; und Furius in sexto, deeimo, undeeimo. Ferner Schol. Veron.
Aen. 9, 379 <(Lücke)> in annalibus belli Gallici (folgt ein Hexameter). Schwer-
lich gehören diese gewandten Verse dem altertümlichen Furius von Antium
(§ 150, 1). Bährens, Komment. Catull. 21. — Nicht ohne "Wahrscheinlich-
keit hat man auch auf Furius Bibaculus bezogen Hör. s. 1, 10, 36 turgidus
Alpinus iugulat dum Memnona, dumque diffingit Rheni luteum caput; dazu
Acro : Bibaculum quendam poetam Gallum tangit, der demnach neben dem
durch Rheni luteum caput bezeichneten bellum Gallicum auch eine Aethio-
pis verfaßt (oder wenigstens in das bell. Gall. einen pomphaften Vergleich
über den Tod des Memnon eingeflochten) haben müßte; bei Porphyrio zdSt.
las man: [Cornelius Alpinus Memnona] hexametris versibus nimirum descri-
bit: aber die eingeklammerten Worte fehlen in der besten Überlieferung.
Bei der Zuweisung des bellum gallicum an Bibaculus macht es freilich
Schwierigkeit, daß er in seinen Iamben den Caesar angegriffen hat (A. 4:
oder hat Bibaculus nur den Augustus, nicht auch den Caesar angegriffen?),
in jenem Epos ihn verherrlicht haben soll, daß er dort knapp und scharf,
hier schwülstig und geschmacklos erscheint: doch wird diese Schwierigkeit
für überwindlich halten, wer die in aufgeregten Zeiten häufigen Wandlun-
gen politischer Zu- oder Abneigung erwägt und die verschiedenen Anforde-
rungen der Stilgattungen (wie zB. das Epigramm Knappheit, das Epos
Fülle und hohen Stil verlangt) nicht außer Acht läßt. Auch der Einwand,
daß er als Neoteriker keine Epen habe schreiben dürfen, verfängt nicht.
6. Bibaculus lebte bis etwa J. 24, da er des Orbilius (geb. J. 114, § 200, 3)
greisenhafte Gedächtnisschwäche erwähnt, die freilich auch schon zehn
Jahre eher eingetreten sein kann (vixit prope ad centesimum aetatis annum
amissa iam pridem memoria, ut versus Bibaculi docet: f Orbilius ubinam est,
litterarum oblivioV Suet. gr. 9). Auch des Valerius Cato (§ 200, 1) summa
senectus erlebte er (Suet. aO.). Nach Hieronymus (A. 4) ist Bibaculus J. 103
geboren, er wäre also selbst ein Achtziger gewesen, als er über die Schwäche
des alten Orbilius sich ausließ: was schwer glaublich ist. Auch die Verse
über Cato (§ 200, 1) zeigen, daß ein beträchtlich Jüngerer spricht. Außer-
dem sind seine Epigramme in Ton, Verskunst und republikanischer Haltung
denen des Catull und seiner Genossen eng verwandt, und auch seine Be-
ziehungen zu Cato (mei ... Catonis, Suet. aO.) weisen ihn in diesen Kreis.
Deshalb ist die Vermutung Nipperdeys op. 500 ansprechend, daß jene An-
gabe des Geburtsjahrs bei Hieronymus irrig und Bibaculus um etwa 20 Jahre
442 Ciceronische Zeit: J. 63—43 v. Chr.
jünger gewesen sei. — AWeichert, de M. Furio Bibaculo, in s. Hell. poet.
Rom. 331. Nipperdey, op. 498. AWissowa, die den Dichter Furius betr.
Stelle in Hör. s. 2, 5, Bresl. 1867. Camozzi, Riv. filol. 16, 161. Skutsch,
PW. 7, 320.
ZWEITE HÄLFTE DER CICERONISCHEN ZEIT
Die Jahre 63—43.
193. In diesen Jahren, als die politischen Stürme sich im Bürger-
kriege austobten , trat Caesar in den Vordergrund. Innerhalb dieser
Zeit heben sich wiederum zwei Generationen gegen einander ab.
Zur älteren gehören, außer Caesar selbst, Cornelius Nepos und Cae-
sars Fortsetzer Hirtius und Oppius; von Gelehrten und Lehrern
Valerius Cato und Orbilius; der Stoiker Cato; die Redner Calidius
und Memmius; endlich der Dichter Lucretius.
194:. C. Iulius C. f. C. n. Caesar war geboren den 13. Juli 100.
Als Verwandter des Marius geriet er nach Sullas Sieg in Gefahr,
diente J. 80 ff. in Asien, begann seine rednerische und staatsmän-
nische Laufbahn mit Anklagen gegen Mitglieder des Adels wegen
Erpressungen, bildete sich J. 75 in Rhodos weiter aus, wurde Quae-
stor (J. 6T) in Hispania ulterior, Aedil 65, pontifex maximus 63,
war Praetor 62, Propraetor in Hispania ulterior 61 f., Consul 59,
nachdem er J. 60 mit Pompeius und Crassus das erste Triumvirat
geschlossen und sich von jeher durch aüe Mittel als Mann des
Volkes hinzustellen gewußt hatte. In den Jahren 58 — 50 war
Caesar Proconsul in Gallien: mit gewaltiger Energie unterwarf er
dieses Land und ordnete dessen innere Verhältnisse, zugleich aber
entwickelte er seine großen strategischen Fähigkeiten, verschaffte
sich reiche Mittel und bildete ein kriegsgewohntes und treu ergebe-
nes Heer heran. Mit diesem erkämpfte er sich J. 49 — 46 die Allein-
herrschaft (Cos. II 48, III 46), die er J. 45 f. innehatte als Consul
sinecollega (IV J. 45, V 44) und dictator reip. constituendae, bis
er am lö.TMärz 44 den Streichen seiner Mörder erlag.
1. Quellen für das Leben Caesars: seine commentarii , Suetons divus
Iulius, Plutakchs ßio? Kcdcagog, Appians 'Epcpvlia. Über die Quellen der
beiden letzten s. HPeter, Quellen Plutarchs (1865) 119. Thouret, Leipz.
Stud. 1, 324. — Drumann, GR.2 3, 126. 696. vLimburg-Brouwer, Caesar en
zijne tijdgenooten, Groningen 1844 — 46 III. Mommsen, RG. Bd. 3. AFroude,
Caesar, a sketch, Lond.2 1886. Sihler, Caesar, Lpz. 1912. — Köchly und
Rüsxow, Einl. zu Caes. üb. d. gall. Krieg (1857) S. 9 (bis J. 51). (Napoleon
III), Histoire de Jules Cesar, Paris 1865. 66 (mit Atlas) II (fortgesetzt von
Stoffel, s. § 196, 10). Veith, Gesch. d. Feldzüge Caesars, Wien 1906. —
§ 193. 194. C. Caesar. § 195. Caesars Schriften 443
Über die Bildnisse Caesars Bernoulli, röm. Ikonogr. 1, 145 (der übrigens
2, vi die ausdrucksvolle Berliner Basaltbüste für zweifellos modern erklärt).
195. Caesars Begabung ist von wunderbarer Vielseitigkeit:
ebenso groß als Staatsmann wie als Feldherr, war er durch Klar-
heit des Geistes und eiserne Kraft des Willens zum Herrscher über
eine ihrer selbst nicht mehr mächtige Zeit berufen, erkannte diesen
Beruf frühzeitig und verfolgte ihn mit dem ganzen Aufwand seiner
geistigen Mittel, durch List wie Kühnheit, mit ruhiger Stetigkeit
und weitsichtiger Berechnung. Aber die Eigenschaften, die ihn zum
Herrscher Roms emporhoben, waren wenig geeignet, ihn zum glän-
zenden Schriftsteller zu machen. Obwohl er die Sprache in Rede
wie Schrift mit vollkommener Sicherheit handhabte, so war ihm
doch beides oft nur ein Mittel für bestimmte politische Zwecke
und nach Gegenstand wie Art durch diese Zwecke bedingt. Darum
legte er selbst nur geringen Wert auf seine Beredsamkeit, obwohl
er darin in seiner Zeit allein dem Cicero nachstand und sich durch
vornehme Haltung, Feinheit und siegreiche Gewalt in Sprache und
Vortrag auszeichnete; noch geringer schätzte er gewiß die Verse,
die er in seiner Jugend und auch noch später machte, weil es zum
guten Ton gehörte. Den nüchternen Denker bekundet das Schrift-
stellern über Sprachrichtigkeit, den heiteren, gewinnenden Lebe-
mann das Sammeln von Witzen; der Politik dienten die Schriften
gegen den zum Märtyrer der Republik erhobenen Catofsowie Cae- w^hlAtö
sars bedeutendste literarische Leistung, die commentarii. Die Ab-
fassung eines astronomischen Werkes stand wohl mit Caesars
Kalenderverbesserung in Zusammenhang.
1. Caesar als Redner. Cic. Brut. 252 de Caesare . . ita iudico, . . illum
omnium fere oratorum Latine loqui elegantissime (vgl. unten A. 4), nee id
solum domestica consuetudine . . sed . . multis litteris, et eis quidem reconditis
et exquisitis, summoque studio et diligentia est consecutus. 261 Caesar ratio-
nem adhibens consuetudinem vitiosam et corruptam pura et incorrupta con-
suetudine emendat (A. 4) . . . hanc cum habeat praeeipuam laudem, in com-
munibus non video cui debeat cedere: splendidam quandam minum«qwe r*itete-
ratoriam rationem dicendi tenet, voce motu forma etiam magnifica et generosa
quodammodo. Fronto ep. p. 123 Caesari facultatem dicendi video imperato-
riam fuisse. Quint. 10, 1, 114 C. Caesar si foro tantum vacasset, non alius
ex nostris contra Ciceronem nominaretur . tanta in eo vis est, id acumen, ea
concitatio, ut illum eodem animo dixisse quo bellavit appareat; exornat tarnen
liaec omnia mira sermonis, cuius proprie Studiosus fuit, elegantia. Tac. A. 13,
3 dietator Caesar summis oratoribus aemulus. Suet. Iul. 55 post aecusationem
Dolabellae (J. 77; unrichtig die Zahl bei Tac. dial. 34) haud dubie prlncipi-
bus patronis adnumeratus est. Vgl. noch Quint. 12, 10, 11 (§ 44, 12). Vellei.
2, 36. Tac dial. 21 (A. 2). Apulei. apol. 95. Plut. Caes. 3. Drumann 675.
444 Ciceronische Zeit: J. 63—43 v. Chr.
2. Caesars Reden. Cic. Brut. 262 orationes eius mihi vehementer proban-
tur, compluris autem legi. Tac. dial. 21 läßt seinen Lobredner der neuen
(kaiserlichen) Beredsamkeit sagen: concedamus C. Caesari, ut propter magni-
tudinem cogitationum et occupationes verum minus in eloquentia effecerit quam
divinum eins ingenium postulabat, . . nam in orationibus minorem esse fama
sua etiam admiratores eins fatentur. nisi forte quisquam Caesaris pro Decio
Samnite . . ceterosque eiusdem lentitudinis ac teporis libros legit. Gell. 4, 16,
8 C. Caesar, gravis auctor linguae Latinae, . . in Dolabellam actionis I lib. I
(die Hss. hier verderbt inlibusti). 5, 13, 6 in oratione, quam pro Bithynis
(Nipperdey, op. 327. 449) dixit, hoc principio usus est (vgl. Iul. Rufin. 8, p. 40,
24 Halm). 13, 3, 5 repperi in oratione C. Caesaris, qua Flautiam rogationem
suasit (J. 70?). Vgl. Non. 354. Schol. Bob. 130, 11 Caesaris orationes contra
hos (Memmius und Domitius, J. 58) exstant, (quibus) et sua acta defendit et
Mos insectatur. ebd. 146, 20 ibi (im Senat) habitae sunt tres illäe orationes
contra Domitium et Memmium. Suet. Iul. 6 in amitae laudatione (J. 68) . . sie
refert. 55 orationes aliquas reliquit, inter quas temere quaedam feruntur, wie
die pro Metello (§ 44, 8) und apud milites in Hispania. Man hat Caesar zu
den Attizisten gerechnet, kaum mit Recht; daß er als Grammatiker Ana-
logist war (A. 4), hat damit nichts* zu tun. Kroll, Cic. orat. S. 11. Norden,
Kunstpr. 209. Zusammenstellung der Überreste von C.s Reden und der Nach-
richten über sie bei Meyer, orat.2 408, in Nippebdeys Ausg. (von 1847) 749
u. in Küblers Ausg. 3, 133.
3. Caesars Gedichte. Tac dial. 21 nisi qui et carmina eorundem (des
Caesar und M. Brutus) miratur. fecerunt enim et carmina et in bibliothecas
rettulerunt, non melius quam Cicero, sed felicius, quia istos fecisse pauciores
sciunt. Suet. Iul. 56 feruntur et a puero et ab adulescentulo quaedam scripta,
ut f Landes Herculis\ tragoedia tOedipus'>, item (Dicta collectanea\ quosom-
nes libellos vetuit Augustus publicari ebd. : reliquit et . . poema quod inscri-
bitur rIter\ . . gedichtet dum ab urbe in Hispaniam ulteriorem quarto et vi-
censimo die pervenit (J. 46). Erhalten sind von ihm nur sechs Hexameter
aus einem literarisch-kritischen Gedicht über die lateinische Komödie, die
ein geistreich formuliertes Kunsturteil über Terenz (Suet. v. Ter. p. 34, 7
Rff.) enthalten. Plin. ep. 5, 3, 5 (§ 31, 1) läßt auf Liebesgedichte (Epigramme?)
schließen. Vgl. noch Plut. Caes. 2 7ioir\\iaxa yocctpcüv. — Das früher aus Plin.
NH. 19, 144 angenommene Gedicht Caesars über ein Gemüse (!) erledigt sich
durch die richtige Lesart der Stelle: olus quoque silvestre est, triumpho divi
luli carminibus praeeipue iocisque militaribus celebratum; alternis quippe
versibus exprobravere lapsana (Xaipccvrj) se vixisse apud Durrachium, praemi-
orum parsimoniam cavillantes. est autem id cyma silvestris.
4. Sueton. Iul. 56 reliquit et de analogia duos libros, . . (quos) in tran-
situ Alpium, cum ex citeriore Gallia conventibus peractis ad exercitum rediret,
. . feeit (Winter 53 f.?, 54 f. nach Hendrickson). Fronto p. 221 . . C. Caesa-
rem . . duos de analogia libros scrupulosissimos scripsisse, . . de nominibus
declinandis, de verborum aspirationibus et rationibus. Cic. Brut. 253 qui etiam
in maxumis oecupationibus ad te (Cic.) . . de ratione Latine loquendi aecura-
tissime scripserit. Gell. 19, 8, 3 C. Caesar, . . vir ingenii praecellentis, sermonis
praeter alios suae aetatis castissimi, in libris quos ad M. Ciceronem de ana-
logia conscripsit. Suid. s. v. rdtog IovX. Kala, führt das Werk» auf als r£^v7j
§ 195. Caesars Schriften 445
yga^iiarLyct]. Cicero war sehr gut behandelt (vgl. A. 7), in der Einleitung
sagte er ihm (fr. 1F.): ac si, ut cogitata praeclare eloqui possent, nonnulli . .
elaboraverunt, cuius te paene principem copiae atque inventorem bene de no-
mine ac dignitate populi Born, meritum esse existimare debemus, hunc
facilem et cotidianum novisse sermonem nunc (so die Hs. num Lallemand)
pro relicto est habendum. Cicero quittiert Brut. 252 (s. A. 1). Ferner bekannte
er in der Einleitung seine puristischen Grundsätze (Gell. 1, 10, 4): tamquam
scopulum sie fugias inauditum atque insolens verbum. In der eigentlichen
Erörterung polemisierte er bereits gegen Varro (fr. 14); daß seine Schrift
als Entgegnung auf Cic. de orat. 3, 37 ff. gemeint (and daher J. 54 abgefaßt)
sei, behauptet Hendrickson, Class. Phil. 1, 97 kaum mit Recht. Möglich ist
aber, daß Cic. orat. 155 ff. sich gegen Caesar wendet. Reitzenstein, Yarro 62.
Die Überreste in Nipperdeys Caes. (1847) p. 753, in Küblers Ausg. 3, 140 bei
Funaioli GRF. 1, 145. FSchlitte, de C. Iulio Caesare grammatico, Halle 1865
(die Fragmente p. 13). ChrHauser, Caes. bell. gall. et bell. civ. cum prae-
ceptis grammaticis comparatio, Villach 1883. Vgl. Köchly(-Rüstow), Einl. zu
Caes. b. g. S. 90.
5. Cic. fam. 9, 16, 4 (J. 46) audio Caesarem, cum volumina iam confecerit
ccTtocpftsyiLcctcov, si quod affer atur ad eum pro meo quod meum non sit reicere
solere. Bei Suet. Iul. 56 (oben A. 3) dieta coUectanea.
6. Astronomisches. Macr. 1, 16, 39 Julius Caesar siderum motus, de
quibus non indoctos libros reliquit, ab Aegyptiis diseiplinis liausit. Plin. NH.
im QVerz. zu B. 18 unter den einheimischen: ex . . L. Tarutio, qui Graece
de astris scripsit, Caesare dietatore, qui item. Wirklich ist er im B. 18 oft
genannt, so wie von Ptolemäus und Lydus. Auf dasselbe Werk (oder einen
Teil desselben?) beziehen sich Schol. Lucan. Phars. 10, 185 quia suus (Cae-
saris) Über, quem composuit de computatione , non inferior libro Eudoxi sit;
vgl. ebd. 187 est autem Über fastorum divi Iulii Caesaris, qui ordinationem
continet anni seeundum auetoritatem Chaldaeorum, quem in senatu recitavit.
Ptolem. appar. 275, 12 Kcdcao {hr\Qri6B tag rwv ccötqov iTttarj^ocalccs) iv
'IrccXicc. Nipperdeys Ausg. 757. Kübler 3, 150. Wie die Worte des Plinius
zweifelhaft lassen, ob das Werk griechisch oder lateinisch geschrieben war,
so möchte auch das Schweigen Suetons über dieses Werk darauf führen,
daß es nicht eigentlich von Caesar verfaßt, sondern in seinem Auftrag und
nach den von ihm gegebenen Gesichtspunkten von einem anderen (Sosigenes,
Plin. NH. 18, 211 f.?) ausgearbeitet und (unter seinem Namen?) heraus-
gegeben war. Vgl. Mommsen, röm. Chron.2 78. 66. 295. EHuschke, röm.
Jahr 116.
7. Suet. Iul. 56 reliquit et de analogia duos libros et Anticatones toti-
dem . . (quos) sub tempus Mundensis proelii (17. März 45) fecit. luv. 6, 338
duo Caesaris Anticatones. Prisc. 6, 36 p. 227, 2 Caesar in Anticatone priore.
Mart. Cap. 5, 468 Catonem Tullius laudans et duobus voluminibus Caesar
aecusans. Also eine zweimalige Behandlung des Stoffes, durch die verschie-
denen Lobschriften auf Cato veranlaßt, nicht eine Rede in zwei Büchern?
vgl. Schol. luv. aO. Caesar . . libros duos famosissimos, vitam Catonis, edidit,
quos Anticatones inscripsit. Doch wird Klotz, Caesarstud. 158 Recht haben,
der bei Suet. Anticatonis schreibt. Die Schrift war gegen Ciceros Lobschrift
auf Cato (§ 180, 5) gerichtet, unter starken Schmeicheleien für Cicero (Plut.
446 Ciceroirische Zeit: J. 63 — 43 v. Chr.
Caes. 3. Cic. 39. Pltn. NH. 7, 117), aber mit desto größerer Bitterkeit gegen
Cato: er stellte den vergötterten Helden der republikanischen Partei darin
als eine teils verächtliche teils lächerliche Figur dar und ließ an ihm nichts
Gutes (Plut. Caes. 54. Cato min. 36. 52. 54. Plin. ep. 3, 12). Cicero äußerte
sich gegen Caesar selbst über diese Schrift anerkennend (Att. 13, 50, 1. 13,
51, 1), anders freilich nach Caesars Tod (top. 94 quibus Omnibus generibus
usus est nimis impudenter Caesar contra Catonem meum). Sieglin, Berl.Woch.
1883, 1455. Vgl. Wartmann, Leben des Cato (1858) 161. Dyroff, RhM. 50,
481. Drumann 679. Kübler 3, 145. Busch (§ 201, 4) 17. Roulez, Rev. de
1'instr. publ. 19, 2 (über eine angeblich im 16. Jahrh. in Lüttich befindliche
Hs. der Anticatones).
8. Caesar stand natürlich in einem ausgebreiteten Briefwechsel; es
gab mehrere nach seinem Tode veranstaltete und veröffentlichte Sammlungen
seiner Briefe, die teilweise in einer Geheimschrift gehalten waren (Schlüssel
dazu bei Sueton. Iul. 56; vgl. Gell. 17, 9, 3). Suet. aO. epistulae quoque eius
ad senatum exstant et ad Ciceronem, item ad familiäres domesticis de rebus
usw. Gell. 17, 9, 1 libri sunt epistularum G. Caesaris ad C. Oppium et Bal-
bum Cornelium, gut rebus eius absentis curabant. Zusammenstellung der An-
führungen von Briefen des Caesar an die Genannten u. a. in Nipperdeys Caes.
(1847) 766, bei Kübler 3, 202. Briefe von Caesar an Cic. u. a. bei Cic. Att.
9, 6 A. 7 C. 13 A. 16. 10, 8 B.
9. Über Caesar als Stilisten überhaupt Hirtius, b. g. 8, praef. 7 erat in
Caesare facultas atque elegantia summa scribendi. Er ist Analogist und Pu-
rist (A. 1. 4) und achtet mit größter Peinlichkeit auf Gleichmäßigkeit und
Deutlichkeit; den Grundsatz, ungebräuchliche Worte zu meiden (A. 4), hat
er wirklich durchgeführt. So hat er Perfektformen auf -ere neben denen auf
-erunt, Superlative auf -umus neben -imus fast nie und meidet quia, quam-
quam, quamvis, antequam, haud. Mit Vorliebe wiederholt er beim Relativum
das Beziehungswort, z. B. b. g. 1, 49, 1 ultra eum locum, quo in loco Ger-
mani consederant. Literatur: Caesarlexika von HMeusel, Berl. 1884 fll. (das
beste); RMenge u. SPreuss, Lpz. 1885 fll. (nur zu den echten Schriften; dazu
Preuss, vollst. Lexikon zu d. pseudo-caesar. Sehr., Eisenach 1884); Merguet,
Jena 1886. — FFröhlich, Realistisches und Sprachliches zu Caes. in d.
Festschr. z. Zürich. Phil.- Vers. 1887. Costantini, Dello stilo di Cesare, Triest
1889. RMenge, Üb. d. Relativum in d. Spr. Caesars, Halle 1889. RFrese,
Beitr. z. Beurt. d. Sprache Cäsars, München 1900. Lehreton, Caesariana synt.
quatenus a Cic. differat, Paris 1901. Dernoschek, De eleg. Caes. sive de comm.
de b. g. et de b. c. differentiis, Lpz. 1903. Klotz, Caesarstud. 205. NSchneider,
De verbi in ling. lat. colloc. (bes. bei Caes.), Münster 1912. Vgl. § 196, 11 E.
196. Erhalten sind von Caesars schriftstellerischen Arbeiten nur
seine commeutarii (Tagebücher). Sie erzählen die Geschichte der
ersten sieben Jahre des gallischen Kriegs in sieben und die Ge-
schichte des Bürgerkriegs bis zum alexandrinischen in drei Büchern
und halten die Mitte zwischen einer bloßen Stoffsammlung oder den
rasch hingeworfenen Bemerkungen eines Tagebuchs und einem sorg-
fältig ausgefeilten geschichtlichen Werke. Aber so einfach und
§ 196. Caesars commentarii 447
schlicht die Form ist, so anziehend ist sie in ihrer Kürze, Durch-
sichtigkeit und Sachlichkeit: der Inhalt aber, der sich als der un-
mittelbare Niederschlag der Ereignisse gibt, ist aufs reichlichste
erwogen und abgewogen. Ohne jemals plump die Wahrheit zu ver-
letzen, versteht der Verfasser, der von sich nur in der dritten Person
spricht, meisterhaft die Kunst, die Tatsachen zu seinen Gunsten zu
ordnen und am rechten Orte zu schweigen; ohne je in Prahlerei zu
verfallen oder auch nur den Schein der unparteiischen Erzählung
aufzugeben, weiß er seine Person und sein Verdienst aufs treff-
lichste ins Licht zu setzen und sein Handeln als berechtigt hinzu-
stellen. Die Bücher über den gallischen Krieg veröffentlichte Caesar
wahrscheinlich erst nach dessen Beendigung J. 51; die über den
Bürgerkrieg weiter zu führen ist er wohl durch den Tod verhindert
worden.
1. Suet. Iul. 56 reliquü et verum suarum commentarios Gallici civilisque
belli Pompeiani. Cic. Brut. 262 etiam commentarios quosdarn scripsit verum
suarum. valde quidem, inquam, probandos ; nudi enim sunt, recti et venustiy
omni ornatu orationis tamquam veste detracta. sed dum voluit alios habere
parata, unde sumerent qui vellent scribere historiam, ineptis gratum fortasse
fecit, qui volent illa calamistris inurere: sanos quidem homines a scribendo
deterruit; nihil est enim in historia pura et illustri brevitate dulcius. Hirtius
b. g. 8, praef. Caesaris nostri commentarios rerum gestarum Galliae . . con-
texui etc. constat inter omnes nihil tarn operose ab aliis esse perfectum, quod
non horum elegantia commentariorum superetur. qui sunt editi, ne scientia
tantarum rerum scriptoribus desit, adeoque probantur omnium iudicio ut prae-
repta, non praebita facultas scriptoribus videatur. . . ceteri quam bene atque
emendate, nos etiam quam facile atque celeriter eos perfecerit scimus. Fronto
211 N. fac memineris . . (?. Caesar em atrocissimo bello Gallico cum alia multa
militaria tum . . scripsisse (§ 195, 4). Sueton. Iul. 56 Pollio Asinius parum
diligenter parumqae integra veritate compositos putat, cum Caesar pleraque
et quae per alios erant gesta temere crediderit et quae per se vel consulto vel
etiam memoria lapsus perperam ediderit, existimatque rescripturum et correc-
turum fuisse (§ 221, 6). Letzteres kann nur etwa vom bell. civ. gelten; s.
Köchly-Rüstow, Einl. z. gall. Krieg 93. Nachweis einer Anzahl Entstellungen
des Tatsächlichen zB. bei Drumann, GR.2 3, 678. Cassius Dio stellt die Unter-
werfung Galliens ganz nach Caesar dar, hat ihn aber vielleicht nur durch
Vermittlung des Livius benutzt; HHaupt, Phil. 41, 152. Jelgersma, de fide
et auctorit. Cassii Dionis, Leid. 1879. ESchwartz, PW. 3, 1706.
Die Hss. führen auf den Titel belli Gallici libri, nur hinter B. 8 findet
sich rerum gestarum belli Gallici liber, zT. mit dem Zusatz ephimeris. Aber
Hirtius sagt commentarii (8 pr. 2. 4, 3. 15, 5), ebenso Cic. (A. 1). Kelsey,
Transact. Amer. Assoc. 36, 211. Strabo 4, p. 177 nennt das Werk vtco^vt]-
ILcctcc, Plut. Caes. 22 (sowie Symmach. ep. 4, 18 und Arator ep. ad Parthen.
39) icprtfieQideg (vgl. Appian. Celt. 18 iv tcctg Idlccig — dafür icpr^i8QOig Wölff-
lin, phil. Anz. 5, 181 — ävccyqacpaig ra>v IdL&v %Qy<av), Suid. (s. v. Tdiog Iov-
448 Ciceronische Zeit: J. 63—48 v. Chr.
liog Kcclöag) nsgl tov löiov ßiov. In der Tat bedeutet commentarii das-
selbe wie vno\ivy\\iuxa, nicht Erinnerungen, sondern zwanglose Aufzeich-
nungen für den eigenen Gebrauch; wo diese wie hier literaturfähig werden,
verzichten sie doch auf die in Geschichtswerken übliche rhetorische Stili-
sierung. Daraus erklärt sich der stilistische Charakter dieser Bücher, die
außer dem Laune und plane dicere keinen weiteren literarischen Ehr-
geiz zu kennen scheinen. Vgl. Fkese (§ 195, 9). AKlotz, Cäsarstudien, Lpz.
1910, 1. Namentlich erklärt sich so das Fehlen von direkten Reden; eine
Ausnahme macht 1, 20. ThFabia, De orat. in comm. de b. g., Paris 1889.
Durch wunderlichen Irrtum wurden die commentarii schon frühe dem
Suetonius beigelegt; zB. von Orosius 6, 7 hanc historiam Suetonius Tran-
quillus plenissime explicuit, cuius nos competentes portiuneulas decerpsimus
(folgt Auszug aus Caesar), und Apoll. Sid. ep. 9, 14 (§ 349, 1) versteht unter
den opera Suetonii gewiß auch die commentarii: an der nämlichen Stelle
bezeichnet er bell. gall. B. 8 wegen der an Baibus gerichteten Vorrede des
Hirtius vor B. 8 als Balbi ephemerisl Auch in vielen und alten Hss. der
commentarii erscheinen sie unter dem Namen Suetons. Vgl. Roths Suet.
p. ci. Der Irrtum entstand wohl, weil man den Titel nicht von den durch
Caesar beschriebenen, sondern geführten Kriegen verstand und Sueton als
dem Biographen Caesars auch die Beschreibung seiner Taten beilegte.
2. Die Handschriften der commentarii zerfallen in zwei Klassen,
deren Lesarten zT. in sehr alte Zeit zurückgehen; die eine (a) enthält nur
die acht Bücher de bello gallico, die andere (ß) gibt alle Bücher mit den
Fortsetzungen. Zur ersteren (den fintegri' oder flacunosi') gehören bes.
Paris. 5763 (Floriacensis) s. IX/X (Chatelain T. 46) und sein Doppelgänger
Vatic. 3864 s. XI, Bongars. I in Amsterdam s. IX/X, Paris. 5056 (Moysiacen-
sis) s. XII (Chatel. T. 47) u. a.; zur zweiten (den sog. cinterpolati') der Paris.
5764 (Thuaneus) s. XI (Chatel. T. 48), Vatic. 3324 (Ursinianus) s. XII. Die
Scheidung in die beiden Klassen erfolgte frühe: schon Orosius hat zu seinem
Auszug des b. g. (A. 1) Hss. der zweiten Klasse benutzt. RSchneider, ZfGW.
39, Jahresber. 154. Auch die wertlosen Scholia in Caes. et Sali. (ed. Hedicke,
Quedlinb. 1879) aus einem cod. Paris, s. IX folgen meist« der Klasse ß. Über
cod. Ashburnham. 7 (jetzt in Florenz) s. X s. Stangl, Phil. 45, 213. Karo,
RhM. 48, 311. WMüller (§ 197, 7): er gehört zur ersten Klasse und ist doch
vollständig, außerdem zählt er die bella durch von B. 1 — 13, indem er dem
b. c. nur 2 statt 3 Bücher gibt. Über die Hss. beider Klassen s. Nipperdeys
Ausg. 1847, p. 37. Frigell und Holder vor ihren Ausgg. BDinter, quaest.
Caesar., Grimma 1876 (cap. I de codd. Caes.). HWalther, de Caes. codd.
interpolatis , Grünb. 1885. RSchneider und HMeusel, ZfGW. 39, Jahresber.
151. 173. ebd. 40, Jahresber. 262. Sydow, Festschr. Vahlen 251. AKlotz,
RhM. 64, 224. — In hs. Subskriptionen (zB. im Floriac, Ashburnham.) finden
sich Vermerke über Besorgung kritischer Ausgaben des bell. gall. (vgl.
§ 41, 2): Iulius Celsus Constantinus v. c. legi und Flavius Licerius Firminus
Lupicinus legi (letzteren hält richtig Sikmond, notae ad Ennod. p. 78 für
den Sohn der Euprepia, der Schwester des Ennodius (§ 479); vgl. Ennod.
ep. 2, 15. 23. 3, 28. 6, 26. dict. 8 p. 488).
3. Ausgaben der commentarii (mit den Fortsetzungen) von ILipsius,
Antv. 1585, IIScaliger, Leid. 1606. Jungermann, c. not. var., Frankf. 1604.
§ 19(3. Caesars bell. gall. 449
JGoduinus, Par. 1678 (mit ind. verb.). Ex rec. IDavisii, Cantabr. 1706. 1727.
C. not. var. ed. Graevius, Leid. 1713 II. Ebenso cura FOudendorpii, Leid. 1737
(u. Stuttg. 1822 II). — Rec., quaest. criticas praemisit Nipperdey, Lps. 1847.
Annot. crit. instruxit Dübner, Par. 1867 IL — Texte von Nipperdey (Lps.4
1881), EHopfmann (Wien3 1898), Kraner (Lps. 1861), Dübner (Par. 1866),
Whitte, Kopenh.3 1877. Dinter (Lps. 1864 ff. III), Kübler, Lpz. 1893—97 III
(mit den Fragmenten), DuPontet, Oxf. 1900 (schlecht) u.a. — Literatlir-
berichte von RSchneider, JBphilVer. 11, 151 usw., Meusel, ebd. 20, 214.
86, 20 usw. Nitsche 33, 19. Heller, JB. 68, 1 ff. bis 89, 86 (vgl. A. 9).
4. Deutsche Übersetzungen zB. von ABaumstark (Stuttg., Metzler), sowie
(gall. Krieg) von Köchly und Rüstow (Berl.6 1886). — Über eine griechische
(herausg. von Jungermann, Frankf. 1606, von Baumstark, Freib. i. B. 1834),
die man früher für kritisch wertvoll hielt, die aber erst nach RStephanus'
Ausg. Par. 1544 gemacht ist, 8. Heller, Phil. 12, 107.
5. Napoleon (I), precis des guerres de Cesar, Par. 1835. Rüstow, Heer-
wesen u. Kriegführung Caesars, Gotha 1855; Nordhausen 1862. Jahns, Caes.
Commentarien in ihrer lit. und kriegswissenschaftlichen Folgewirkung, Militär-
Wochenbl. 1883, 7tes Beiheft 343 fll. — Über die Glaubwürdigkeit der Comm.
Caes. Bresemer (Berl. 1835), FWinkelmann (Jahns Archiv 2, 533), FEyssen-
hardt (JJ. 85, 755), FSeck (de . . fide Essen 1860. 64 II). HRauchenstein
(A. 9), Petsch, d. hist. Glaubwürdigk. v. Caesars b. gall., Glückst. 1885. 86 H.
PHuber, dgl. Bamberg 1914. Fröhlich, Die Glaubw. Caes. in s. Bericht üb.
d. Feldz. geg. d. Helv., Aarau 1903 u. a. Vgl. A. 8
6. Daß das bell. gall. in der vorliegenden Gestalt erst am Ende des
Krieges publiziert ist, ergibt sich aus 1, 28, 5 Boios petentibus Haeduis . .
covcessit, quibus Uli agros dederunt quosque postea in parem iuris libertatis-
que condicionem receperunt. Dieses postea bezieht sich auf die Zeit nach 52,
da die Bojer 7, 10 noch als zinspflichtig erwähnt werden. Anderseits weist
7, 6, 1 cum iam ille urbanas res virtute Cn. Pompei commodiorem in statum
pervenisse intellegeret auf das Fortbestehen des guten Einvernehmens zwischen
Caesar und Pompeius, also auf die Zeit vor Ende 50. Es ist aber durchaus
wahrscheinlich, daß Caesar die einzelnen Bücher jedesmal am Schlüsse des
Jahres in der Ruhe des Winterquartieres wenigstens skizzierte, vor der
Herausgabe aber eine Schlußredaktion vornahm, die nicht alle Spuren der
allmählichen Entstehung tilgte. Dieser gehört der auch sprachlich auffällige
Zusatz 1, 28, 5 an und wohl die ethnographischen und geographischen Ex-
kurse, unter denen die Schilderung Britanniens (5, 12 — 14) sowie Galliens
und Germaniens (6, 11 — '28) hervorragt. Die Ansicht, daß die einzelnen Bücher
und womöglich Buchteile bald nach den Ereignissen geschrieben und publi-
ziert seien und 1, 28, 5 eine spätere Interpolation sei, haben bes. Heckeh,
Quaest. de Caes. comm. de b. g., Groning. 1888 und ChEbert, Üb. die Entst.
von Caes. b. g., Erlangen 1909 (vgl. HSchiller, Progr. Fürth 1899, 28. Vogel
JJ. 1900 [V] 218) behauptet, aber mit Unrecht, vgl. Klotz, Caesarstudien 16.
Meusel, JB. phil. Ver. 39, 28. Die geographischen Exkurse verraten Bekannt-
schaft mit Poseidonios (Müllenhoff, Deutsche Altertumsk. 4, 29. Wilkens,
De Strab. rer. Gallicarum fontib., Marb. 1886); sie zeigen sprachliche Be-
sonderheiten, die aber wohl einer anderen Erklärung bedürfen als der durch
Interpolation, wie sie Meusel, JB. phil. Ver. 36, 20. Klotz 26 aufstellen;
Teuffei: röm. Literaturgesch. Neub. 6. Aufl. I. 29
450 Ciceronische Zeit: J. 63—43 v. Chr.
wenn dieser S. 148 diese Interpolation nicht bloß in nachaugusteische, son-
dern sogar in nachtaciteische Zeit setzen will, so ist das nicht annehmbar.
Vgl. Ebert, GöttAnz. 1912, 283. Über die Zeit der Herausgabe s. noch
CESchneider in Wachlers Philomathie 1, 184. GMezger, üb. d. Abfassungs-
zeit v. Caes. bell, gall., Landau 1875. Kebec, quo tempore scripserit Caes.
libr. de b. gall., Odessa 1881. •
Da Caesar seine Kriegsunternehmungen ohne Auftrag des Senates aus-
geführt hatte, so bemüht er sich fortwährend, sie als notwendige Verteidi-
gungsmaßregeln hinzustellen. Sein Bericht beschränkt sich auf die kriege-
rischen Vorkommnisse. Diese erzählt er als Römer für Römer, ohne eine
Regung von Mitgefühl, aber auch ohne Schönfärberei , selbst bei Grausam-
keiten und Treulosigkeiten gegen ein Volk, das nichts als sein Recht und
seine Unabhängigkeit wider den ehrgeizigen Störer seines Friedens verteidigte.
Gallien gilt ihm schon 2, 35 (vgl. 3, 7) für pacata und aller folgende Wider-
stand für Rebellion; nur 3, 10 heißt es omnes homines natura libertati stu-
dere et condicionem servitutis odisse. Gegen die im Senat an seinem Erobe-
rungskriege geübte Kritik (Plut. Cato 51) richtet sich vielleicht 4, 13, 2 ex-
pectare vero, dum hostium copiae augerentur equitatusque reverteretur, summae
dementiae esse iudicabat. Auch sonst finden sich namentlich in B. 1 Bos-
heiten gegen die Optimaten, z. B. 1, 39, 2. Eine gewisse Wärme fühlt man
durch nur bei tüchtigen Leistungen seiner Getreuen; Q. Cicero wird ge-
flissentlich, mit Rücksicht auf seinen Bruder gelobt. May, Caes. als Beurt.
s. Heeres, Neiße 1896. Auch hütet sich Caesar durch allzu technisch mili-
tärische Haltung die Wirkung seines Berichts auf weitere Kreise zu beein-
trächtigen. Beurteilende Inhaltsübersicht bei Köchly und Rüstow, Einl. z.
gall. Krieg 51. Petersdorff, Caesar num in b. g. enarrando non nulla e
fontibus transscripserit, Beigard 1879. Vgl. Venediger, JJ. 119, 786 u. dazu
HSchiller, BlbayrGW. 16, 389.
6. Ausgaben des bellum gallicum: ECSchneider (rec. et ill., Halle 1845
bis 1855 II; nur B. I — VII), Frigell (rec, codd. contulit, comm. instr., Upsala
1861 III), recens. AHolder (darin Wortindex zu B. I— VH), Freib. i. B. 1882.
HMeusel, Berl. 1894 (Schultext2 Berl. 1908). Gertz, Kopenh. 1896—1904 in.
Hodges, Lond. 1909. — Erkl. von Kräner-Dittenberger-Meusel, Berl.17 1914.
8. Erläuterungsschriften. APlaten, de tide et auctoritate Caes. b. gall.,
Liegnitz 1854. HKöchly u. WRüstow, Einl. z. Caes. gall. Krieg, Gotha 1857.
TRHolmes, Caes. Feldz. in Gallien u. Britannien, übers, v. Schott-Rosenberg,
Lpz. 1913. vGöler, Caesars gall. Krieg u. Teile s. Bürgerkriegs, Freib.2 1880
II. vCohausen, Caes. gg. d. Germanen am Rhein, Bonn Jahrb. 43, 1. WRüstow,
Atlas zu Caes. gall. Kr., Stuttg. 1868. CFMeyer u. AKoch, Atl. zu Caes. b.
g., Essen 1879. vKampen, Descriptiones nobiliss. ap. class. locorum I: xv ad
Caes. b. g. tabb., Gotha 1883. ROehler, Bilderatlas zu Caes. b. g. , 2Lpz.
1907.
9. Zahllos wurden, seitdem Napoleon III (§ 194, 1) diesem Gegenstande
seine Studien zugewandt hatte, die geographischen und militärischen Bei-
träge dazu aus Frankreich. Aufzählung und Beurteilung der einschlägigen
Arbeiten von Heller, Phil. 13, 358. 19, 465. 22, 99. 285. 26, 652. 31, 314.
511. 49, 681. Thomann, der französ. Atlas zu Caes. b. g. (s. § 194, 1 Z. 7), Zur.
1868—74 III. — EDesjardtns, geogr. de la Gaule Romaine, Par. 1876—78 II.
§ 196. Caesars bell. gall. und civ. 451
JMaissiat, Ces. en Gaule, Par. 1865 — 81 III. JSchlumberger, Caesar u. Ario-
vist, Kolmar 1877. vKampen, die Helvetierschlacht bei Bibracte, Gotha 1878.
Rauchenstein, d. Feldz. Caes.s gg. die Helvetier m. Abh. üb. d. Glaubwürdigk.
v. Caes. b. gall., Jena 1882. CJullian, Vercingetorix, Paris 1903 (deutsch
Glogau 1906). HBircher, Bibracte, Aarau 1904. JLange, Alesia, Culm 1909.
Ausfeld, Gergovia, Darmst. 1911. Huber, Der Helvetierkrieg, BlbayrGW.
48, 295.
10. Die drei Bücher des bellum civile sind nach Beendigung des Bürger-
krieges (also nach der Schlacht bei Munda?) verfaßt, vgl. 3, 57, 5 ut postea
confecto hello reperiebamus. 18, 5. 60, 4. Caesar wurde gewiß durch den Tod
verhindert, das Werk zu vollenden, das jetzt schließt: haec initia belli Ale-
xandrini fuerunt. Warde Fowler, ClPh. 3, 129. Hirtius' Worte b. g. 8 pr.
3 qui me mediis interposuerim Caesaris scriptis setzen die Herausgabe des
b. c. voraus. Kalinka, WSt. 34, 203. Es ist unverkennbar schwächer, flüch-
tiger gearbeitet und enthält manche unzweifelhafte Nachlässigkeiten und
Unrichtigkeiten; aber es hieße Übermenschliches fordern, wenn man gerade
bei diesem Thema strenge Objektivität von ihm verlangte. Drumann 678^
Über die Benutzung durch Livius, auf dem die Erzählung des Cassius Dio
beruht, vgl. LWilhelm, Liv. u. Caesars b. c, Straßb. 1901. Judeich, Caesar
im Orient, Lpz. 1885, 20. ESchwartz, PW. 3, 1706. Übrigens ist der Text,
für den die eine Hss.-Klasse (§ 196, 2) versagt, verdorben überliefert. Über
die Einteilung in zwei Bücher (A. 2) JZingerle, WSt. 14, 83. Kelsey, CUourn.
2, 49. Zur Sache FHofmann, de origine b. c. Caesariani, Berl. 1857, und
ThMommsen, AvGöler, s. A. 8. RSchneider, Ilerda, Berl. 1886. Stoffel, Hist.
de Jul. Cesar, Guerre civile; Fortsetzung des Werkes von Napoleon III (§ 194,
1) (m. Atl.), Par. 1888 II. JvHefner, Geographie zu Caesars b. c. , Münch.
1836. LHeuzey, Operations militaires de Ces. etudiees sur le terrain de Mace-
doine, Par. 1886. Kromayer, Antike Schlachtfelder 2 (Berl. 1907) 399 (Phar-
salus). 3 (Berl. 1912) 719 (Afrika). — Glöde, die Glaubwürdigk. C.s im b.
c, Kiel 1871. Vgl. A. 8. Strenge, d. tendenziöse Charakter v. Caes. b. c,
Lüneb. 1873. 75 IL Basiner, de b. c. Caes., Dorp. 1883.
11. Ausgaben des b. c: ThPaul, Prag 1889, Holder (Lpz. 1898, mit
Wortindex), Meusel, Berl.2 1912; mit Anmerkungen von Held (Sulzbach4
1857), Doberenz u. Dinter, Lpz.5 1884. Kraner-Hofmann-Meusel, Berl. 11 1906.
Übers, von AHorneffer, Lpz. 1909.
Neuere (nicht ernst zu nehmende) Bestreitungen der Verfasserschaft
Caesars: (HMosner) num. Caesar b. c. scripserit, Culmb ach (1865). Heidtmann,
Essen 1867. RWutke, quaest. Caesarianae, Neisse2 1885. RMenge, de auc-
toribus comm. de b. c. (2, 1 — 16) qui Caesaris nomine feruntur, Weim. 1873
(2, 1 — 4. 8 — 16 sollen von Trebonius § 210, 9 sein); Emend. Caesarianae,
Halle 1894. Vgl. HSchiller, Entst. u. Echtheit d. Corp. Caes., Fürth 1899.
Walther, Echtheit u. Abfassung d. Schriften d. Corp. Caes., Grünberg 1903.
Für 3, 108 — 112 sucht den Hirtius als Verf. zu erweisen BDinter, Quaest.
Caesar., Grimma 1876, 32; für 2, 23 — 44 den Asinius Pollio Landgraf, Der
Bericht des As. P., Lpz. 1890; den Curio u. a. PMenge, Progr. Pforta 1910 f.
II. Alle die Versuche (vgl. auch Petersdorff, Venediger A. 6 E.), in den
caesarischen Commentarien wörtliche Benutzung der von Legaten an Caesar
erstatteten Berichte aus der Verschiedenheit des Sprachgebrauchs, des Stils
29*
452 Ciceronische Zeit: J. 63—43 v. Chr.
usw. nachzuweisen, sind mißlungen. Natürlich hat Caesar bei der Abfassung
jener das in seiner Kriegskanzlei befindliche Material und darin die Mel-
dunsren seiner Offiziere und die von ihm an den Senat erstatteten Berichte
(vgl. b. g. 2, 35. 4, 38. 7, 90. Suet. Iul. 56) je nach Bedürfnis benützt, aber
auch in der Schilderung des von den Legaten Geleisteten und Berichteten
waltet derselbe Geist, dieselbe Sprache, derselbe Stil wie im übrigen. Ehren-
fried, Qua ratione C. legatorum relationes adhibuerit, Würzb. 1888.
197. Nach Caesars Tode betrachtete der Kreis seiner nächsten
Vertrauten es als Pflicht, auch diejenigen Feldzüge zu beschreiben,
die Caesar selbst nicht mehr geschildert hatte, also sein letztes Jahr
in Gallien, den alexandrinischen, afrikanischen und spanischen Krieg.
Die auf uns gekommenen Darstellungen dieser Feldzüge stammen
von verschiedenen Verfassern. Völligen Mangel an stilistischer Be-
fähigung zeigt der spanische Krieg; in weit geringerem Maße der
afrikanische ; in jenem ist die Darstellung zerhackt und stammelnd,
in diesem geschmacklos gewunden und schwülstig. Die Erzählung
des achten Kriegsjahres in Gallien rührt von A. Hirtius her, der
nicht ohne Geschick Caesars Schreibweise nachahmt. Auch die des
alexandrinischen Feldzugs verrät einen gebildeten Verfasser und das
Bestreben, den von Caesar gewählten Ton zu treffen; den Namen
des Urhebers zu ermitteln, ist nicht möglich. Der afrikanische und
spanische Krieg rühren wohl von Männern her, die in untergeordneter
Stellung den Krieg mitgemacht hatten und daher von Cäsars Freun-
den ersucht worden waren, ihre Erinnerungen aufzuzeichnen, viel-
leicht als Vorarbeit für eine spätere, kunstgerechtere Darstellung.
Jedenfalls wurden diese Bella nicht lange nach Caesars Tode zu
einem Corpus zusammengefaßt.
1. Suet. Iul. 56 Alexandrini Africique et Hispaniensis (belli) incertus
auctor est alii Oppium putant, alii Hirtium, qui etiam Galilei belli novis-
simum imperfeciumque librum suppleverit. Vgl. die von Suet. aO. ausdrück-
lich dem Hirtius beigelegte Vorrede zu b. g. VIII: coaetus adsiduis tuis
voeibus, Balbe, . . rem difficillimam suseepi. Caesaris nostri commentarios
rerum gestarum Galliae non cohaerentibus (? comparantibus Hss.) superiori-
bus atque insequentibus eins scriptis contexui (dh. fhabe ich, indem ich die
zwischen b. g. VII und b. c. I klaffende Lücke durch b. g. VIII ausfüllte,
in Zusammenhang gebracht'), novissimumque imperfectum ab rebus gestis
Alexandriae confeci usque ad exitum non quidem civilis dissensionis , cuius
ftnem nullum videmus, sed vitae Caesaris. . . mihi ne illud quidem aeeidit,
ut Alexandrino atque Africano bello interessem. quae bella . . ex parte nobis
Caesaris sermone sunt nota (eine Stelle, die man nicht zu ändern hat, son-
dern zu erklären: vgl. Hirschfeld, Sehr. 807). Hieraus erhellt, daß diese
Fortsetzung nach Caesars Tod verfaßt ist, damals als der Krieg mit Anto-
nius wahrscheinlich geworden, somit für den Bürgerkrieg in der Tat kein
§ 197. Fortsetzer Caesars 453
Ende abzusehen war, und von einem Vertrauten des Caesar, aber nicht von
Cornelius Baibus, also entweder von C. Oppius oder A. Hirtius. Letzteren
bezeichnet Sueton (s. oben) unzweideutig als Verfasser von b. g. VIII: und
so auch die Hss. (Hirtii incipit liber VIII u. dgl.). In jener Vorrede zu
b. g. VIII spricht Hirtius die Absicht aus, alle Kriege bis auf Caesars
Tod zu beschreiben, und stellt sie als bereits verwirklicht hin. Aber wahr-
scheinlich konnte Hirtius, da er schon am 27. April 43 fiel, diesen Plan
nicht mehr vollständig ausführen und gelangte nur zum Abschluß des b.
g. VIII (und vielleicht des b. Alex., doch vgl. A. 6). Klotz, JJ. 1909 XXIII
570 nimmt an, daß er die Erzählung bis auf Caesars Tod geführt und daß
Livius seine Darstellung benutzt habe. Nach seinem Tode trugen die Ver-
trauten Caesars Sorge, daß auch die übrigen Kriege Caesars nicht unge-
schildert blieben, und fügten zur äußeren Vervollständigung die auf ihre
Veranlassung von Teilnehmern verfaßten Darstellungen, das bell. (Alex.),
Afr. und b. Hisp., hinzu. Drumann, GR.2 3, 65. Strack, Bonn. Jahrb. 118,
139. Nipperdby, ed. Caes. 1847, p. 8. Köchly-Rüstow, Einl. z. gall. Krieg
105. Vgl. auch Petersdorff, ZfGW. 34, 215. HSchiller, BlbayrGW. 16,246.
Dahms, Curae Hirtianae, Rostock 1906.
2. Sowohl Hirtius als Oppius besaßen die Bildung, die zur Abfassung
eines Geschichtswerkes nötig war, beide aber auch zu viel literarische
Übung, als daß sie die Verf. des bell. Hisp. und Afr. sein könnten. Hir-
tius verfaßte auf Caesars Veranlassung J. 45 von Spanien aus eine Gegen-
schrift gegen Ciceros Lobrede auf Cato, in der Form eines Sendschreibens
an Cicero, voll Schmeicheleien für den letzteren (Cic. Att. 12, 40, 1 qualis
futura sit Caesaris vituperatio contra laudationem meam, perspexi ex eo
Ubro, quem Hirtius ad me misit; in quo colligit vitia Catonis, sed cum ma-
ximis laudibus meis. 41, 4. 44, 1. 45, 3. 47, 3). Ein kurzer Brief von Hirtius
an Cicero bei Cic. Att. 15, 6. Die Überreste des Hirtius zB. in Dinters
Caes. -Ausg. 3, 159.
3. Oppius verfaßte gleichfalls Schriften. Vor allem ein Leben Caesars,
angeführt von Plut. Pompei 10 {Chatim [Uv, 8t av 7tSQL Kcclöagog 7tolsiiicov
tj (filcov diec%£yr\Tai, ocpodgu dtl tciotsvsiv \lzxu svXccßsiccs) und 17 (über Cae-
sars persönliche Tapferkeit), sowie Suet. Iul. 53 {circa victum G. Oppius
adeo indifferentem docet ut etc.). Daraus mag auch stammen, was Plin. NH.
11, 104 (C. Marium . . Oppius auctor est) über des Marius Härte gegen sich
selbst anführt. Vgl. Suet. Iul. 52 C. Oppius . . librum edidit, non esse Cae-
saris fdium quem Cleopatra dicat. Im ersten Teil der plutarchischen Bio-
graphie Caesars scheint Oppius benutzt zu sein. Thouret, Leipz Studien
1, 346. Außerdem Charis. GL. 1, 147, 3 Oppius de vita Cassii (Caesaris
HPeter), idem de vita prioris Africani (Gell. 6, 1, 2). Es ist zu vermuten,
daß die erstere Schrift gegen den Caesarmörder C. Cassius gerichtet war,
die letztere aber eine Vergleichung des Caesar mit dem älteren Africanus
anstellte, die wohl zu Caesars Gunsten ausgefallen sein wird (Mommsen, röm.
Forsch. 2, 502). Diesen Oppius (nicht den b . Afr. 68, 4 genannten Legaten)
glaubten manche an der FortsetzuDg der caesarischen Commentarien betei-
ligt; s. Suet. Iul. 56 (oben A. 1): möglich wäre dies nur für das bell. Alex,
(doch vgl. A. 6); bell. Afr. und Hisp. verraten eine zu niedrige Bildungs-
stufe, als daß sie dem Oppius zugeschrieben werden dürften (A. 7. 8); über-
454 Ciceronische Zeit: J. 63—43 v. Chr.
dies können beide schon darum nicht von Oppius sein, weil die Verfasser
in den Kriegen mitfochten, Oppius aber damals sich in Rom befand (eben-
so wie der ältere Baibus, A. 4). — CKrebs, lect. Diodor. , Hadamar 1832
p. 35. HRR. 2, Lxm. 46.
4. Auch L. Cornelius Baibus aus Gades (§ 179, 36), an den der
Brief des Hirtius vor b. g. VIII gerichtet ist, scheint selbst über Caesar ge-
schrieben zu haben; s. Suet. Iul. 81 cuius rei (Vorzeichen von Caesars Tod)
. . auctor est Cornelius Baibus, famüiarissimus Caesaris, welcher letztere
Ausdruck Beziehung auf den Baibus minor (§ 209, 4) nicht empfiehlt. Über
Sid. Apoll. 9, 14 (quis . . Balbi ephemeridem [über Caesar] adaequaverit) vgl.
§ 196, 1 gE. Briefe des Baibus maior an Cicero aus J. 49 bei Cic. Att. 8,
15 A. 9, 7B. 9, 13 A; ein gemeinschaftlich mit Oppius verfaßter ebd. 9, 7 A.
Sie sind gut stilisiert; auffällig etwa si hoc te reicis rwenn du dich hierauf
verlegst'. Vgl. FFröhlich, unten A. 7, und dazu Wölfflin, phil. Anz. 5
(1873), 180. EJullien, de Com. Balbo, Par. 1886. JHoche, dgl., Roßleben
1882. HRR. 2, lxi. Hellmuth, Über die Spr. des Sulp. Galba u. Com. Bai-
bus, Würzb. 1888.
5. Die Anlage von bell. gall. VIII ist wohlgeordnet, die Sprache ahmt
die des Caesar nach, doch ist die Darstellung ohne Caesars Frische; sie
hat vielmehr etwas Mattes, Lebloses und Eintöniges (Nipperdey 1847, p. 13).
So namentlich im Satzbau (Vorliebe für cum, Verbindung durch Relative
u. dgl.) und in der WortstelluDg. EFischer, B. 8 des b. g. u. das b. Alex.,
Passau 1880. Klotz 160.
6. Das (nach c. 1 — 33 unpassend so benannte) bellum Alexandrinum
verrät verglichen mit B. VIII de b. g. größere stilistische Gewandtheit und
(wohl infolge des anziehenden Stoffes) lebhaftere Färbung , teilt auch mit
b. g. VIII manche sprachliche Eigenheiten (zB. das Fehlen von licet, quam-
vis, antequam; s. jedoch § 195, 9), zeigt aber auch in vielen Punkten be-
stimmte Abweichungen, so daß es bedenklich ist, es mit Nipperdey und
Klotz 180 (wegen angeblich unmilitärischer Ausdrucksweise) gleichfalls dem
Hirtius beizulegen. Gegen Hirtius (und gegen Oppius, der nach Hirtius das
nächste Anrecht hätte, A. 3 E.) sprechen zwei Stellen (3, 1. 19, 6), welche
die Teilnahme des Verf. am alex. Krieg zu bezeugen scheinen, den doch
Hirtius (und Oppius) nicht mitgemacht hat (b. g. 8, praef. 8). Da das Buch
einheitlich ist, so geht es auch nicht an, c. 1 — 21 dem Caesar und den Rest
dem Hirtius zuzuweisen (JZingerle, WSt. 14, 75); ähnlich verfehlt Landgraf,
Unters, zu Caesar, Münch. 1888; d. Bericht d. Asinius Pollio, Erlangen 1890;
Comment. WölfH. 17. Überhaupt ist die sprachstatistische Methode, soweit
sie positive Resultate erzielen wollte, an diesen Commentaren zuschanden
geworden. Ausgabe von RSchneider, Berl. 1888. Vgl. Judeich (§ 196, 10) 4.
7. Dagegen im bell. Africanum (oder Africum : Klotz, Caesarstud. 157)
ist die Erzählung umständlicher und befolgt äußerlich die Zeit Ordnung; die
Verehrung des politisch unzurechnungsfähigen Verfassers für Caesar ist
täppisch, ebenso der geflissentlich an den Tag gelegte Haß gegen die Pom-
pejaner; die Sprache zeigt viele Nachlässigkeiten und vulgäre Wendungen
(zB. unrichtigen Gebrauch des Plqpf.), Streben nach Großartigkeit ohne die
Befähigung dazu, einen beschränkten Wortschatz (interim zB. steht 68 mal),
Anwendung von Ausdrücken und Konstruktionen (zB. sehr oft Inf. hist.), die
§ 197. Fortsetzer Caesars 455
bei Hirtius fehlen (Nipperdey p. 15). Vgl. A. 2. Es wird von einem sub-
alternen Teilnehmer am Kriege herrühren; es dem Asinius Pollio zuzu-
schreiben, war ein in jeder Hinsicht unglücklicher Gedanke. Asini Poll. (!)
de b. Afr. comm. ed. Wölfflin et Miodonski, Lpz. 1889 (auch in der Re-
censio verfehlt, vgl. WMüller, De Caes. b. Afr. recensione, Rostock 1893),
besser ed. Wölfflin bei Kubier Bd. 3. Erkl. von RSchneider, Berl. 1905.
FFröhlich, das b. Afr. sprachl. u. hist. behandelt, Brugg 1872. Widmann,
Phil. 50, 565. AKöhler, s. A. 8. Wölfflin, SB. bayr. Ak. 1889, 1, 328. —
ChTissot, la campagne de Cdsar en Afrique, Mem. de l'acad. des inscr. 31
(1884), 2.
8. Umständlich bis zur Unfähigkeit, Wesentliches und Unwesentliches
zu unterscheiden, ist auch das bell. Hispaniense, und ebenso ist das
Äußerliche in der Anlage hier ins Unleidliche gesteigert; die Ausdrücke
der Volkssprache sind hier zahlreicher und erstrecken sich außer dem Plqpf.
auch auf falsche Anwendung des Konjunktivs, bez. des Indikativs, und viele
einzelne Wendungen (quod statt des accus, c. inf, hene multi u. dgl.); sogar
grobe Sprachschnitzer sind häufig genug. Von Satzbau und Stil ist kaum
eine Spur. Zu dieser Unbildung bilden einen heiteren Gegensatz die mannig-
fachen Zitate (zB. aus Ennius), die der Verf. anbringt (Nipperdey p. 24),
und die Gespreiztheit in den Reden und Schlachtberichten. AKlotz, JJ. 1909
XXIII 560 vermutet in dem Verf. einen Offizier der 5. Legion. — Degen-
hart, de b. Hisp. elocutione et fide, Würzb. 1877. AKöhler, de b. Afr. et
Hisp. latinitate, Acta semin. Erl. 1, 367. Wölfflin, Arch. Lex. 12, 159.
Vulic, Hist. Unters, zum b. Hisp., Münch. 1896. — CSchneider, nova bell. Hisp.
recensio, und de indagando belli Hisp. scriptore, Bresl. 1837.
9. L. Aurunculeius Cotta, der Legat Caesars in Gallien (f J. 54 oder
53; Klebs, PW. 2, 2555) verfaßte nach Athen. 6, p. 273 utsgl rf]s 'Pwiicciav
■jioXitsiag Guyypajifio;, o ty ■jtuxQico rj^iätv (ein Römer spricht) ysyQccmca (pcovfj,
das aO. für den Zug nach Britannien (J. 55) zitiert wird. Bücheler, JJ. 111,
136. Unklar ist Cic. Att. 13, 44, 3 (J. 45) scire omnia non acerbum est, vel
de Cotta . . . Cottam velim mihi mittas (nach dem Tusculanum). Libonem
(§ 172, 6) mecum habeo et habueram ante Caseam: die letzten Worte scheinen
auf ein sonst unbekanntes geschichtliches Werk eines Casca (eines der Brü-
der P. und C. Servilius Casca, PRE. 6, 1120, 46. 47?) zu gehen. Vgl. § 159,
13. Peter, HRR. 2, LXI.
198. Cornelius Nepos war gebürtig aus Oberitalien und be-
freundet mit Atticus, Cicero und seinem jüngeren Landsmann Catull.
Seine Lebenszeit fäUt wohl zwischen J. 99 und 24. Neben belang-
losen Liebesgedichten waren drei Bücher Chronica sein frühestes
Werk; auch ein geographisches scheint er verfaßt zu haben. Seine
übrigen Schriften zeigen Vorliebe für das Kulturgeschichtliche,
worin sich der Einfluß des Varro geltend machen mag, und für die
moralisierende Lebensbeschreibung. So die fünf Bücher Exempla,
die ausführlichen Schilderungen des älteren Cato und des Cicero,
besonders aber sein letztes und umfassendstes Werk de viris illu-
456 Ciceronische Zeit: J. 63—43 v. Chr.
stribus, mindestens sechzehn Bücher, worin Römer und Ausländer
neben einander behandelt waren. Was davon erhalten ist, nämlich
aus dem Buche de latinis historicis die Lebensbeschreibungen des
Cato und des Atticus und das Buch de excellentibus ducibus exte-
rarum gentium, empfiehlt sich zwar durch Übersichtlichkeit, An-
spruchslosigkeit der Darstellung, Milde und Wärme der Beurteilung,
läßt aber (namentlich das Feldherrenbuch) bezüglich der sachlichen
Genauigkeit und Zuverlässigkeit, der geschichtlichen Auffassung
und ebenso hinsichtlich des Stils auch mäßige Ansprüche unerfüllt.
Auch der Ausdruck schwankt haltlos zwischen literarischer und
volkstümlicher Sprache. So erweist sich Nepos als ein durchaus
mittelmäßiger Schriftsteller.
1. Vorname unbekannt. Heimat: Auson. op. 23, 9 nennt Gallien als
Heimatland des Nepos. Plin. NH. 3, 127 Nepos, Padi accola. Plin. ep. 4,
28, 1 an Vibius Severus: Herennius Severus . . magni aestimat in bibliotheca
sua ponere imagines municipum tuorum, Cornelii Nepotis et T. Catii (des
Insubrers § 173, 3). Da von den vier Städten des Insubrergebietes (Ptol. 3,
1, 33) nur Ticinum am Po liegt, so könnte dies die Vaterstadt des C. N.
sein (Mommsen, Sehr. 4, 396). Anders FUnger, Abh. Münch. Akad. 16, 1, 135.
2. Lebenszeit. Hieronym. ad Pammach. 12 (2, 419 Vall.): refert .. Cor-
nelius Nepos se praesente . . eam pro Cornelio . . defensionem peroratam (J. 65,
s. § 180, la). Plin. NH. 9, 137 Nepos Cornelius, qui divi Augusti prineipatu
obiit (vgl. 10, 60), me, inquit, iuvene violacea purpura vigebat . . nee multo
post rubra Tarentina, huic successit dibapha Tyria. . . Jiac P. Lentulus
Spinther aedilis curulis (§ 63) primus in praetexta usus improbabatur. Vgl.
ebd. 36, 59. 2, 169 Nepos Cornelius auetor est Eudoxum quendam sua aetate,
cum Lathyrum regem (Ptolemaeus VIII Lathyros J. 117 — J. 81) fuger et usw.
J. 44 starb ihm ein Sohn als puer (Cic. Att. 16, 14, 4). Aus den angeführten
Stellen, sowie aus der Bewunderung, mit der er an Atticus (geb. 109) em-
porblickt, läßt sich schließen, daß Nepos etwa um J. 99 geboren war. Corn.
Nepos 25, 19, 1 (quoniam fortuna nos superstites ei esse voluit) beweist keine
Altersgleichheit mit Atticus (wie Unger aO. 136 will). Aus unerkennbarem
Grunde berichtet Hieron. zu Eus. Chron. erst ad a. Abr. 1977 = J. 40:
Cornelius Nepos scriptor historicus clarus habetur. Er überlebte den Catull
(Att. 12, 4) und Atticus (f J. 32; Att. 19, 1), ohne daß aber bekannt ist,.
wie lange er nach Herausgabe des Zusatzes zum Atticus (s. S. 458, Z. 17
v. u.) noch lebte. — Exemplare des Cicero a Domitio Balbo descripta aut
ab Attico aut Nepote erwähnt Fronto bei Hauler, Mel. Chatelain 625.
3. Verhältnis zu Atticus, Cicero und Catull. Att. 13, 7 saepe propter
familiaritatem domesticis rebus interfuimus. Da Atticus J. 86 — 65 in Athen
lebte, kann die familiaritas nicht vor 64 begonnen haben. — Gell. 15, 28, 1
zu stark: Cornelius Nepos . . M. Ciceronis ut qui maxime amicus familiaris
fuit. Es gab einen Briefwechsel des Cicero mit Nepos (s. S. 427, Z. 13).
Rest daraus bei Suet. Iul. 55; von einem Briefe des Nepos an Cic. bei
Lactant. inst. 3, 15, 10 (s. § 50, 3). Anderes bei Cic. ad Att. 16, 5, 5 (Juli 44)
§ 198. Cornelius Nepos 457
Nepotis epistulam expecto. cupidus ille meorum? qui ea, quibus maxime
yccvQiw, legenda non putet. 16, 14, 4 (Nov. 44) male narras de Nepotis filio;
valde melier cule moveor et moleste fero. nescieram omnino esse istum puerum.
Catull mochte an den Landsmann von der Heimat aus empfohlen sein und
fand an ihm einen Gönner, der seiner auch in den Chronica (A. 4) rühmend
gedachte; s. Catull. 1, 3.
4, Nicht erhaltene Schriften. 1) erotische Gedichte. Plin. ep. 5, 3, 6
a bonis, inter quos vel praecipue numerandus est P. Vergilius, Cornelius
Nepos . . non quidem In senatores, sed sanctitas morum non distat ordinibus.
— 2) Chronica. Catull. 1, 5 iam tum cum ausus es unus Italorum Omne
aevum tribus explicare ehartis, Doctis, luppiter, et laboriosis. Gell. 17,21,3
Cornelius Nepos in primo chronico (vgl. 17, 21, 1 ex libris qui chronici ap-
pellantur). Auson. ep. 16 apologos Titiani et Nepotis chronica, quasi alios
apologos (nam et ipsa instar sunt fabularum) . . misi. Daß Saturn als Mensch
behandelt war (Min. Fel. Oct. 21, 4), deutet auf Euhemerismus. Das Ganze
war wohl ein chronologischer Abriß, wie ihn auch Atticus und Varro ver-
faßten, nur vielleicht gleichmäßiger auf Außerrömisches erstreckt (zB. auf
die Lebenszeit griechischer Helden, wie Alexanders d. Gr., und Dichter, wie
Homer und Archilochos). Für die griechischen Daten lag gewiß Apollodors
Chronik der Arbeit zugrunde, für die römischen führen Spuren auf Cato
und Cassius Hemina. Münzer, Beitr. z. Quellenkritik 334. Benutzung durch
Velleius läßt sich nicht erweisen. Rohde, Sehr. 1, 85. Die wenigen An-
führungen daraus in Halms Ausg. (1871) 119. HPeter, HRF. 218; HRR.
2, 25. — Nach Catull. aO. scheinen diese Chronica nicht nach J. 60 her-
ausgegeben zu sein (vgl. Schwabe, quaest. Catull. 296): die Worte ebenda
unus Italorum legen nahe, daß Nepos früher schrieb als Varro und Atticus
ihre ähnlichen Abrisse, was hinsichtlich der Arbeit des Atticus sicher ist
(§ 172, 2, b). Cicero benutzte die Schrift, ehe die des Atticus erschien. —
3) Exempla. Charis. GL. 1, 146 Nepos exemplorum II. Gell. 6, 18, 11
Cornelius Nepos in libro exemplorum quinio . . litteris mandavit. Nach den
Anführungen daraus (bei Halm aO. 120. Peter HRF. 224; HRR. 2, 26) scheint
es, daß darin im Geiste des Kynismus und in der Art des Varro das alte
Rom der Gegenwart gegenübergestellt war, die u. a. in ihrem Bauluxus
geschildert war. Mamurra (f J. 45?) war darin genannt, und vielleicht
stammt daraus auch Suet. Aug. 77 non amplius ter bibere eum sollt am super
cenam in castris apud Mutinam (J. 44/3) Cornelius Nepos tradit. Über Be-
nutzung durch Valerius Maximus Traube, SB. bayr. Ak. 1891, 405, durch
Plinius s. LUrlichs (A. 5 E.). Münzer Beitr. 322. Wissowa aO. 1411 nimmt
daneben ein besonderes kulturhistorisches Werk an. — 4) Leben des Cato.
Corn. Nep. Cat. 3, 5 huius de vita et moribus plura in eo libro persecuti
sumus, quem separatim de eo feeimus rogatu T. Pomponii Attici; quare stu-
diosos Catonis ad illud volumen delegamus. — 5) Leben des Cicero zu dessen
Verherrlichung wohl nach seinem Tode verfaßt. Gell. 15, 28, 2 Cornelius
Nepos . . . M. Ciceronis ut qui maxime amicus familiaris fuit . . in librorum
primo quos de vita illius composuit errasse videtur. — 6) Geographisches
Werk, wie es scheint in der Weise der Paradoxographen (vgl. Ciceros Ad-
miranda, oben § 186, 4), ohne Sichtung der Nachrichten, doch mit Angabe
der Ortsentfernungen. Plin. NH. 5, 4 minus profecto mirentur portentosa
458 Ciceronische Zeit: J. 63—43 v. Chr.
Graeciae mendacia de his . . prodita, qui cogitent nostros nuperque paulo
minus monstrifica quaedam . . tradidisse, . . quaeque alia Cornelius Nepos avi-
dissime credidü. Über die Benutzung durch Plinius AKlotz, Quaest. Plin. 16.
Die sonstigen Erwähnungen des Werkes bei Halm aO. 126. Cipolla, Nepote
e le scienze naturali, Riv. fil. 11, 372. Columba, Boll. fil. cl. 5, 11. — 7) Suet.
gramm. 4 Cornelius Nepos libello, quo distinguit litter atum (den gelehrten
Grammatiker) ab erudito (dem Gebildeten): eher eine Einzelschrift (polemi-
schen Charakters?) als etwa die Vorrede der grammatici illustres (S. 459,
Z. 8).
5. Sueton bei Hieron. 2, 821 Vall. : (de viris illustribus scripserunt)
apud Latinos . . Varro (in den Imagines), Santra, Nepos, Hyginus (et . . Tran-
quillus). Gell. 11, 8, 5 in libro Corneli Nepotis de inlustribus viris XIII
(über Cato an de hist. lat.). Charis. GL. 1, 141 Cornelius Nepos inlustrium
XV und Cornelius Nepos inlustrium virorum libro XVI; vgl. ebd. 220 Ne-
pos de inlustribus viris II. Auf Einzelteile Verweisungen bei Corn. Nepos
selbst: Dion. 3, 2 sed de hoc in eo libro plura sunt exposita, qui de histori-
cis graecis conscriptus est. Daneben ein Buch über die römischen Geschicht-
schreiber: daraus sind erhalten die vitae des Atticus und des Cato (Censo-
rius) mit der Überschrift ex libro Cornelii Nepotis de latinis historicis, und
mit derselben Überschrift Bruchstücke aus den Briefen der Cornelia, der
Mutter der Gracchen (§ 123, 6 Z. 8): im letzten Fall ist freilich die Buch-
angabe nicht richtig; Nepos konnte vielmehr die Gracchen nur in einem
Buch de Latinis oratoribus behandeln. Nipperdey, op. 99. Endlich über
Cicero als Geschichtschreiber (§ 186, 1 Z. 3) eine Notiz im cod. Guelferb.
Gud. 278 s. XIII Cornelius Nepos in libro de historicis latinis (fr. 17). Vgl.
auch Suet. rhet. 3 (§ 158, 3 Z. 7). Also ging wohl ein einleitendes Buch
voran und es folgten paarweise die Griechen und die Römer, so daß jenen
die geraden, diesen die ungeraden Zahlen entsprachen. Über die Zahl der
Bücher Hafner, Quaestiunculae Plinianae, Neuburg 1898. Das Buch de lat.
hist. wurde noch zu Atticus' Lebzeiten herausgegeben (zwischen J. 35 u. 33);
bei einer neuen Ausgabe nach dessen Tode (J. 32) fügte Nepos den Schluß
hinzu: Att. 19, 1 hactenus Attico vivo edita a nobis sunt, nunc . . . reliqua
perseqaemur ; vielleicht bald nach der Schlacht bei Actium (J. 31), infolge
deren Octavian den Titel Imperator erhielt (s. 19, 2 in affinitatem pervenit
Imperatoris, Divi filii) und vor J. 27, wo er den Titel Augustus erhielt
(Caesar 19, 3 f. 20, 3. 5). Mommsen, Mon. Ancyr. p. 53.
Praef. 8 in hoc exponemus libro de vita excellentium imperatorum.
15, 4, 6 uno hoc volumine vitam excellentium virorum complurium concludere
comtituimus, quorum separatim multis milibus versuum complures scriptores
ante nos explicarunt. 23, 13, 4 tempus est huius libri facere finem et Boma-
norum explicare imperatores, quo facilius collatis utrorumque factis, qui viri
praeferendi sint, possit iudicari. Unter den nichtrömischen imperatores wer-
den zuerst die griechischen (20) in ziemlich genau innegehaltener chrono-
logischer Reihenfolge behandelt, dann folgt ein Nachtrag: nach einer kurzen
Übersicht über die griechischen Könige, die zugleich imperatores waren,
Hamilcar und Hannibal. Vgl. 21, 1, 1 hi fere fuerunt graecae gentis duces
(darunter auch der Karier Datames), qui memoria digni videantur , praeter
reges; namque eos attingere noluimus, quod omnium res gestae separatim
§ 198. Cornelius Nepos 459
sunt relatae (in dem Buche de regibus). Jenes griechische Heldenbuch (vitae
1 — 20) ist Atticus gewidmet (praef. 1, 1): der Nachtrag wurde (bei einer
neuen Ausgabe) erst später nach dem Tode des Atticus (J. 32; Hann. 13, 1
Atticus — scriptum reliquit) hinzugefügt; da die Vita des Datames beginnt:
venio nunc ad fortissimum virum maximique consilii omnium barbarorum,
exceptis duobus Carthaginiensibus Hamilcare et Hannibale, so gehört sie viel-
leicht auch zu diesem Nachtrage. — Auf ein Buch de poetis latinis weisen
Anführungen bei Sueton, vita Terent. p. 27, 6. 31, 2 R. , auf eines de gram-
maticis vielleicht Suet. gramm. 4 (s. A. 4 E.). — Hiernach waren die viri
illustres nach den Gebieten unterschieden, worin sie sich auszeichneten,
und innerhalb dieser wiederum Nichtrömer (Titel des erhaltenen Buches
de exellentibus ducibus exterarum gentium) und Römer neben einander
behandelt, ganz wie in den Imagines des Varro (oben S. 335). Die An-
führungen aus nichterhaltenen Büchern bei Halm aO. 121. HRR. 2, 35.
HRF. 219. Daß in diesem Werk auch die Künstler (Maler usw.) behandelt
gewesen und daß, wie Brunn und Furtwängler (s. § 313, 3) behaupteten,
diese Künstlerbiographien von Plinius NH. benutzt worden seien, ist ganz
unwahrscheinlich. Urlichs, d. Quellenregister zu Plin. letzten Büchern
(Würzb. 1878). Münzer, Beitr. 327. Zur Charakteristik des vollständigen
Werkes vgl. auch 16, 1, 1 vereor . . ne non vitam eius enarrare, sed histo-
riam videar scribere. 15, 1, 3 cum exprimere imaginem consuetudinis atque
vitae velimus. 25, 19, 1 rerum exemplis lectores docebimus . . suos cuique mo-
res plerumque conciliare fortunam. Moralisieren auch 8, 2, 3. 8, 3, 2. Att.
19, 1. Das Werk scheint öfters von Plutarch benutzt (fr. 6. 7. 9. 10), aber
vgl. Peter lvi. Soltau, JJ. 153, 123. 357.
6. Mäßig ist das Lob bei Gell. 15, 28, 1 Cornelius Nepos rerum memo-
riae non indiligens; Plinius (A. 4gE.) bezichtigt ihn spöttisch großer Leicht-
gläubigkeit. Zu der Vorstellung, die wir hiernach von seiner Bedeutung
als Schriftsteller erhalten, stimmt durchaus, was von ihm auf uns gekommen
ist. Man begreift nicht, warum er unter den duces oder imperatores gerade
diese ausgewählt, andere (darunter Aratos, Philopoemen, Kleomenes III)
übergangen hat; ebenso steht die Ausführlichkeit der Behandlung keines-
wegs immer im Verhältnis zur Wichtigkeit des Geschilderten, und Nepos
gesteht selbst, daß er sich über die richtige Auswahl des Stoffes nicht klar
ist (16, 1). Wo er sich an das Enkomion anschließt, disponiert er bald nach
Tugenden (Epam.), bald nach Taten (Ages.). Mit der Nennung von Quellen
(wie Deinon, Polybios, Seilenos, Theopompos, Thukydides, Timaios, Xeno-
phon) ist er so freigebig wie ein Antiquar; dabei ist Thukydides der ein-
zige Autor, dessen direkte Benutzung wir nachweisen können (vit. Themist.,
EdMeyer, Forsch. 2, 68). In der Hauptsache folgt er Büchern tibql ivdol-cov
avdgcbv, die dem seinigen ähnlich waren und deren reicheres Material er
mit großer Inkonsequenz verkürzt. Die Quellen werden flüchtig behandelt
und oft mißverstanden. Die Reihenfolge der duces und die Anordnung des
Stoffes in ihren vitae ist planlos; Wichtiges und Unwichtiges wird nicht
gehörig unterschieden; schlimme geschichtliche und geographische Irrtümer
und Verwechslungen, sogar Entstellungen um des rhetorischen Effektes willen
sind nicht selten; das Chronologische wird oft vernachlässigt und um so
größere Teilnahme dem Pathetischen, Kuriosen und Anekdotenhaften, zB.
460 Ciceronische Zeit: J. 63—43 v. Chr.
den Todesarten zugewendet. Vgl. pr. 1 non dubito fore plerosque Attice,
qui hoc genus scripturae leve et non satis dignum summorum virorum per-
sonis iudicent, cum relatum legent, quis musicam docuerit Epaminotidam, aut
in eius virtutibus commemorari saltasse eum commode scienterque tibiis can-
tasse. S. darüber Nipperdeys größere Ausgabe, auch Ungek aO. 146. Die
Anlage ist in den verschiedenen Viten willkürlich verschieden, die Charak-
teristik der einzelnen meist einseitig, indem sie unter Anlehnung an das
Enkomion vorzugsweise die Lichtseiten hervorkehrt und den gerade Geschil-
derten als den größten in seiner Art hinstellt und auch sonst gern über-
treibt. Der Stil ist ebenso ungleich; er hat etwas Zierliches, so lange er
sich in kurzen Sätzen bewegt; unternimmt der Verfasser größere Perioden,
so verwickelt er sich in der Regel und stolpert. Sprachschatz und Wort-
stellung zeigen wenig Abwechslung; einzelne Wörter und Konstruktionen
weichen von dem Sprachgebrauche der mustergültigen Prosaiker der Zeit
ab: Nepos ist von Ciceros Stilreform nicht ergriffen und hinter seiner Zeit
zurückgeblieben. Zu der Schlichtheit des Tones steht die Verwendung rhe-
torischer Mittel im Gegensatz: bisweilen finden sich rhythmische Satzschlüsse,
Antithesen mit törichten Paronomasien und Alliteration. 5, 1, 2 non magis
amore quam more ductus. 25, 8, 4 sie ille consensionis globus huius unius
dissensione disiectus est. Aber wer deshalb den Schriftsteller in einen ande-
ren Zeitraum verlegen wollte, würde weit über das Ziel hinausschießen.
Eine Zeit, die neben einem Cicero und Caesar nicht nur einen Varro um-
schließt, sondern auch die Verfasser des bell. Afr. und Hisp. , die endlich
bald darauf einen Vitruv sah, hat auch Raum für einen Stilisten wie Cor-
nelius Nepos. Allem nach war er ein gutmütiger, wohlwollender, ehrlicher,
aber geistig ziemlich beschränkter Mensch und Schriftsteller. Vgl. Nipper-
deys Einleit. (1849) xxi. xxvin. Leo, Biogr. 193. Lippelt, Quaest. biogra-
phicae, Bonn 1889, 37.
7. Die obige Darstellung hielt daran fest, daß das Feldherrenbuch ein
Werk des Cornelius Nepos sei: aber die Hss. geben vielmehr als Überschrift
I/iber Aemilii Probi de excellentibus dueibus exterarum gentium und nennen
nur als Verfasser des Atticus und Cato den Cornelius Nepos (o. A. 5, Z. 10).
Gifanius (in s. Ausgabe des Lucrez, Antw. 1566, p. 394a) erkannte, daß auch
die duces dem Cornelius angehören. Die Veranlassung zu jener falschen
Benennung gab ein schülerhaftes Epigramm, gedruckt auch zB. AL. 783.
PLM. 5, 83, das in den Hss. hinter dem Feldherrenbuche steht. Es hat
aber zu diesem nur insofern eine Beziehung, als es dem Anschein nach
eine Abschrift davon begleitete, die ein Probus (10) dem Kaiser Theodo-
sius IL übersendet: Probus selbst, sein Vater und Großvater (11) — also
wohl drei Lohn- und Schönschreiber — hatten das corpus (11) hergestellt.
Traube, SB. bayr. Ak. 1891, 409 (anders FVogel, JJ. 151, 779). Dieses Epi-
gramm verursachte dann die falsche Unterschrift, die in den Hss. dem Epi-
gramm folgt Aemilii Probi de exe. duc. ext. gent. Über explicit, und diese
wieder die falsche oben genannte Überschrift. Bergk, Phil. 12, 580, ver-
suchte einen Teil des Namens aus Mißverständnis von EM(endavi) probvs zu
erklären. Rinck u. a. gaben sich große Mühe, diesen (Aemilius) Probus
unter Theodosius als den Verfasser der fraglichen vitae zu erweisen. Aber
ein solcher Ansatz des Werkes ist literaturgeschichtlich und stilistisch un-
§ 198. Cornelius Nepos 461
möglich: übrigens auch deshalb, weil schon Ampelius (§ 359, 1) cap. 14.
16. 33 offenkundig das Heldenbuch benutzt hat (Auszüge daraus auch im
Schol. Bob. p. 141, 24 St., wo sich auch der Name des Werkes fde viris
illustribus' angedeutet findet p. 141, 25. 143, 2). Die unbestritten von Cor-
nelius Nepos herrührenden und in allen guten Hss. zugleich mit dem Feld-
herrenbuche überlieferten vitae des Cato und des Atticus zeigen die gleichen
sachlichen und sprachlichen Eigentümlichkeiten und dieselbe allgemeine
Auffassung und Neigung, die behandelten Helden zu retten und zu erhöhen,
wie die der duces. Auch die vergleichenden Blicke des Verfassers auf die
politischen Verhältnisse seiner Zeit passen trefflich auf den Ausgang der
Republik (Eum. 8, 2. Ages. 4, 2. Cato 2, 2 u. a. Gemss, ZfGW. 37, Jahres-
ber. 390). Unhaltbar ist die Ansicht von FUnger, Abh. bayr. Akad. 16, 1
(1881), der das Feldherrenbuch dem Hyginus (§ 262) beilegen will; s. da-
gegen Lupus, JJ. 125, 379. Rosenhauer, phil. Anz. 13, 733. AMayr, stimmt
der Cato u. Att. des Nep. in Spr. u. Stil mit den vitae ducum überein?,
Cilli 1883. Schüller, Progr. Görz 1897. Auch für die Annahme, daß das
uns vorliegende Werk ein spät gemachter Auszug aus dem ursprünglichen
sei, gibt es keinen irgend haltbaren Grund. Madvig, op. 2, 123. Lachmann,
kl. Sehr. 2, 188. Fleckeisen, Phil. 4, 345. Nipperdey (1849) p. xxxvi. Für
diese Ansicht Thyen, de auetore vitarum C. N. quae feruntur, Osnabr. 1874.
Vgl. noch HHaupt, de auctoris de viris ill. (unten § 414, 4) libro (Würzb.
1876) 39.
8. Die hs. Überlieferung ist sehr mangelhaft. Von der besten Hand-
schriftenklasse ist jetzt nur noch ein Vertreter erhalten, der cod. Parcensis
zu Löwen s. XV (Roth, RhM. 8, 626; vgl. Phil. 26, 706), und auch in die-
sem fehlen die vita Attici und die Bruchstücke der Cornelia (o. A. 5, Z. 11);
andere Vertreter derselben Klasse waren der cod. Danielis oder Gifanii, der
beste von allen; dann vielleicht der Leidensis Boecleri (s. A. 9); beide Hss.
sind jetzt verschollen. Von der zweiten beträchtlich schlechteren Hss.- Klasse
ist der beste der Gudianus 166 s. XII/XIT1: die übrigen meist stark ver-
fälschten Hss. sind s. XV. Vgl. de librorum numero et auetoritate in Roths
Ausg. (1841) p. 207. 251. Nipperdeys Text- Ausg. p. 3. Gemss, Zur Reform
d. Textkrit. des C. N., Berl. 1888. Gercke, JJ. Suppl. 22, 34.
9. Hauptausgaben von DLambin (Par. 1569), ASchott (cum notis var.,
Frankf. 1608), Böcler (Straßb. 1640. 1656), vStaveren (Leid. 1734. 1773.
Stuttg. 1820 II, cur. Bardili). Bremi (mit Anmerkungen, Zur.4 1827). —
Erste kritische Ausgabe von LRoth, Aemilius Probus etc.; praemissa sunt
Rinckii prolegomena, Bas. 1841. Erklärt von Nipperdey (größere Ausg.),
Lpz. 1849 (2. Aufl. von Lupus, Berl. 1879, kl. Ausg.11 von KWitte 1913).
Revision von Nipperde*, Berl. 1867 (Text mit knappem Apparat). Apparatu
critico adiecto ed. Halm, Lps. 1871. — Textum constit. Cobet, Leid.2 1884.
Rec. et verb. ind. add. Gitlbaur, Freib. i. B.5 1907. Rec. et emend. AWeid-
ner, Prag2 1888. Texte zB. von Halm u. Fleckeisen (Lps.2 1884, mit WBuch
von Haacke, 161912). GAndresen, Prag 1884 (m. Wörterb. v. KJahr). Wörter-
bücher von Koch und Georges, Hann.6 1888, Eichert, Bresl. 12 1891. — Mit
Verbesserung der sprachlichen und sachlichen Fehler oder vervollständigt
von Völker u. Crecelius, Lps.4 1893, Ortmann (Lpz.5 1891), FVogel (Berl.2
1885 von KJahr), JLattmann (Gott.8 1889).
462 Ciceronische Zeit: J. 63—43 v. Chr.
11. FRinck, saggio di un esame critico etc., Venedig 1818: umgearbeitet
in Roths Ausgabe. FRanke, comm. de C. N. vita et scriptis, Quedlinb. 1827.
Lieberkühn, de auctore vit. quae sub nomine C. N. feruntur, Lps. 1837; vin-
diciae librorum iniuria suspectorum, Lps. 1844 (defensio C. N. contra Aem.
Pr. librarium). RHanow, de Com. Nep., Züllichau 1850. ALinsmayer, de
vit. exe. duc, Münch. 1858. Grasberger, zur Würdigung des C. N., Eos 1,
225. Peter, HRR. 2, xl. Wissowa, PW. 4, 1408. De fontibus et auetorit.
C. N. v. Hisely (Delft 1827), Wichers (Groningen 1828), Ekker (acta soc.
Rheno-Traiect. 3, 1828, 193). JFreudenberg, quaest. hist. in C. N., Cöln 1839;
Bonn 1842. Vgl. PNatorp, Quos auetores secuti sint . . Cornelius Iustinus,
Straßb. 1876; ZöG. 27, 561. WKlotz, die Quellen z. Phokion im . . . Nepos,
Lpz. 1877. GFricke, de fönt. Plut. et Nep. in v. Phocionis, Berl. 1883.
MMohr, d. Quellen d. Plut. u. Nepotischen Themist. usw., Berl. 1879. Goethe,
die Quellen des Nep. zur griech. Gesch., Gr.-Glogau 1878. Hähnel, die
Quellen des N. im Leben Hannibals, Jena 1888. — Zur vita Alcibiadis
JWiggers (Lpz. 1833), Catonis vHeemfra (Leid. 1825), Attici JHeld (Prole-
gomena, Bresl. 1826), Miltiadis Casson, Klio 14, 69.
12. Wörterbücher, Indices s. oben A. 9. ADornheim, Beitr. z. Latinität
des N., Detmold 1861. BLupus, der Sprachgebrauch des N. , Berl. 1876.
Pretzsch, Zur Stilistik d. Nep., Spandau 1890. Norden, Kunstpr. 204. —
Berichte von Gemss, JB. phil. Ver. Bitschofsky, JB. 72, 75.
199. Das Auguralwesen wurde in dieser Zeit von einer Anzahl
vornehmer Mitglieder des Augurenkollegiums behandelt. So von
Appius Claudius (Cos. 54), der sich ähnlich wie Nigidius Figulus
auch mit Totenbeschwörungen, Geisterseilerei und ähnlichem Spuk
abgab; ferner von C. Marcellus, M. Messala (Cos. 53), L. Caesar und
Veranius. Über verwandte Gebiete schrieben Gelehrte wie Granius
Flaccus, der die Indigitamenta und das ius Papirianum behandelte,
und Aufustius, über die etruskische Haruspicin vor allen A. Caecina
u. a. Mit der aus Ägypten eingeführten Astrologie befaßte sich
L. Tarutius, der aber griechisch schrieb. Der Einfluß der stoischen
und der neupythagoreischen Theologie, d. h. der Richtung des Po-
seidonios ist in dieser Literatur nicht zu verkennen.
1. Appius Claudius Ap. f. Pulcher, Augur seit 59, Cos. 54, Cen-
sor 50, f 48. Münzer, PW. 3, 2849 und Bull. inst. 1860, 225. 1861, 63,
CIL. 1, 619. Cic. Brut. 267 Appius Claudius, collega et familiaris meus, . .
et satis Studiosus et valde cum doctus tum etiam exercitatus orator et cum
auguralis tum omnis publici iuris antiquitatisque nostrae bene peritus fuit.
Tusc. 1, 37 ea quae meus amicus (zeitweise) Appius vsxvoiiavtslcc faciebat.
div. 1, 132 psychomantia, quibus Appius . . uti solebat. ep. 3, 4, 1 (J. 51) an
ihn : illo libro augurali, quem ad me amantissime scriptum suavissimum mi-
sisti. leg. 2, 32 est .. inter Marcellum (C. Claudius Marcellus, der Cos. 50
oder der 49) et Appium, optimos augures, magna dissensio (nam eorum ego
in libros ineidi), cum alteri placeat auspicia ad utilitatem esse reip. compo-
sita, alteri disciplina vestra (augurum) quasi divinare videatur posse. Daß
§ 199. Antiquare, Ap. Claudius, Messala 463
letzteres die Ansicht des Appius war, erhellt aus div. 2, 75. Pest. 298 (v.
sollistimum) Ap. Pulcher in auguralis disciplinae libro I ait. Aus Cic. ep.
3, 9, 3. 3, 11, 4 ergibt sich, daß Cicero im J. 50 noch weitere Bücher des
Werkes erwartete. IAH. 1, 243.
2. M. Yalerius Messala (Rufus, s. u.), Cos. 53; PRE. 6, 2347. Macr. 1,
9, 14 M. Messala, Cn. Domitii in consulatu collega idemque per annos LV
augur, de Iano ita incipit (vgl. Lyd. mens. 4, 1). Gell. 13, 14, 5 f. (über das
pomerium). 13, 15, 3 Über M. Messalae auguris de auspiciis primus (folgt
ein größeres Bruchstück). 13, 16, 1 Messala in eodem libro de minoribus
magistratibus. Fest. 161 Messala augur in explanatione auguriorum.
253 . . ssala in expla. 351 Messala augur ait (vgl. 379, 18). — Ebd. 321
(erklärt wird eine Stelle der XII Tafeln) ne Valerius (quidem Messala^ in
XII explanati(one rem expedivit. hie ta}men in eo libro, qu(em de dictis
in)volute inseribit usw. 355 . . tione XII ait. Zweifelhaft ist, ob dieser Va-
v lerius, dessen Cognomen Messala nur auf Ergänzung beruht, mit dem Schrift-
steller über Auguralwesen zu verbinden ist. Huschke denkt an Valerius
Soranus (§ 147, 1). Vgl. § 86, 6. Unten § 222, 3 E. RSchöll, XII tabb. p. 37.
Huschke, LA.6 47. Dieser Messala, der fünfundzwanzig Jahre Augur war,
also ein sehr hohes Alter erreichte, ist gewiß auch der wiederholt von Pli-
nius als Messala senex bezeichnete (vgl. QVerz. B. 35 ex . . Messala oratore
[§ 222], Messala sene. 34, 37. 35, 8, auch hier neben dem Messala orator),
der an anderen Stellen des Plinius Messala Rufus heißt (QVerz. B. 7. 34;
zitiert 7, 173). Plin. NH. 35, 8 similis causa Messalae seni expressit Volu-
mina illa, quae de familiis condidit usw. Daraus ein Bruchstück ebd. 34,
137. Fest stehen also Schriften de auspiciis und de familiis (§ 166, 4 e),
sowie ein Kommentar zu den xn tabb., in denen sich alle Anführungen
unterbringen lassen. HPeter, JJ. 127, 107; HRF. 265; HRR. 2, lxxviii. 65.
IAH. 1, 263.
3. Priscian. GL. 2, 380, 3 Lucius Caesar: *certaeque res auguranturS
Fest. 161 maiorem consulem L. Caesar putat dici eum qui etc. Dadurch er-
halten ihre genauere Beziehung die Anführungen bei Priscian. GL. 2, 270
{Caesar in auguralibus) und Macr. 1, 16, 29 {Iulius Caesar XVI0 auspicio-
rum libro negat nuudinis contionem advocari posse). Vielleicht der Consul
90 (PRE. 4, 425, 7, älterer Bruder des oben § 153, 3 Genannten) f 87.
Huschke, IA.6 46. IAH. 1, 106.
4. Fest. 289 Veranius in eo, qui est auspiciorum de comitiis. Festus
158 Veranius in libro (quem inscripsit priscarum vo}cum, nach der Ergän-
zung des Ursinus {qui est de verbis pontifiycum Reitzenstein). Macr. 3, 6, 14
Veranius pontificalium eo libro, quem fecit de supplicationibus ; vgl. ebd. 3,
5, 6 in pontificalibus quaestionibus. 3, 2, 3 Veranius ex primo libro Pictoris
(vgl. § 116, 7) über porricere. 3, 20, 2 Veranius de verbis pontificalibus. Da
hiernach Veranius schon von Verrius Flaccus benützt war, so scheint er
noch in die Zeit der Republik zu fallen; später als unter Augustus keines-
falls. EHübner, ephem. epigr. 2, 73, denkt an den bei Tac ann. 2, 56 und
sonst erwähnten Legaten des Germanicus Q. Veranius, Hirschfeld richtiger
an den von Augustus als Archaisten genannten (Suet. 86). Vereinzelt steht
Veranius Flaccus bei Suet. Aug. 86 (§ 209, 12), daher man dort Verrius
Flaccus oder Granius Flaccus lesen wollte: aber richtiger wird man eine
464 Ciceronische Zeit: J. 63—43 v. Chr.
Stütze für das Cognomen Flaccus auch des Veranius bei Mach. 1, 15, 21 fin-
den (Verrium Flaccum, iuris pontißcii peritissimum , dicere solitum refert
Varro), wo Verrius aus zeitlichen Gründen nicht paßt. OHirschfeld , Sehr.
798. Vgl. noch § 222, 3 gE. Reitzenstein, Bresl. phil. Abh. 1, 4, 47. IAH.
2, 5. Funaioli, GRF. 1, 429.
5. Plinius QVerz. zu B. 2: Caecina, qui de Etrusca diseiplina (scripsit,
insbes. über die Blitzlehre). Reste dieser Schrift bei Sen. nat. qu. 2, 31 — 49.
Plin. NH. 2, 137 — 138, bei Fest. Serv. u. a. Vgl. Schol. Veron. zu Aen.
10, 198 (p. 445, 5 H.) über die Gründung von Mantua. Derselbe Verfasser
ist wohl durch Varros Vermittlung auch Quelle für Plin. NH. 11, 197 Cae-
cinae Volaterrano dracones emieuisse de extis laeto prodigio traditur; vgl.
10, 71. Münzer, Beitr. z. Quellenkritik 244. Cic. ep. 6, 6, 3 (J. 46 oder 45
an Caecina) si te ratio quaedam Etruscae diseiplinae, quam a patre . . acce-
peras, non fefellit. Die Familie (etr. Ceicna) stammte aus Volaterrae in
Etrurien (s. o.), wo sie zu den mächtigsten gehörte; OMüller, Etr. I2, 486.
Der Vater scheint der von Cicero J. 69 (als er etwa 40 J. alt war) vertei-
digte Caecina (§ 179, 13) zu sein. Sen. nat. quaest. 2, 56, 1 haec (über ful-
guratio) apud Caecinam invenio, faeundum virum et qui habuisset aliquando
in eloquentia nomen, nisi illum Ciceronis umbra pressisset. Cic. ep. 6, 9 (J. 46)
et patre eins . . plurimum usi sumus et hunc a puero, quod et spem magnam
mihi afferebat summae . . eloquentiae et vivebat mecum coniunetissime . . etiam
studiis communibus, semper dilexi. Jene Schrift scheint er erst später ver-
faßt zu haben. Suet. Iul. 75 Auli Caecinae criminosissimo libro . . laceratam
existimationem suam civili animo tulit. Doch hatte ihn Caesar deshalb aus
Italien verbannt, trotzdem der Angriff in die Zeit des offenen Krieges fiel:
armatus adversario male dixi, sagt Caecina selbst in dem lebendig geschrie-
benen Briefe (vom J. 46) bei Cic. ep. 6, 7, womit er eine (in Siciiien ver-
faßte) Schrift (in Prosa, vielleicht in Form eines Schreibens an Caesar) be-
gleitet, welche die Aufhebung seiner Verbannung von Caesar erwirken sollte.
Titel fQuerelae'? s. ebd. 6, 6, 8 {Caesar) mitis clemensque natura, qualis ex-
primitur praeclaro Mo libro querelarum tuarum. Die Begnadigung nach
dem afrikanischen Kriege (b. Afr. 89) sicherte ihm wohl nur das Leben;
jedenfalls war Anf. 45 die Verbannung noch nicht aufgehoben. OESchmidt,
Briefwechsel 269. Empfehlungsschreiben für ihn vom J. 46/5 Cic. ep. 6, 9.
13, 66 hominis omnibus mecum studiis offieiisque coniunetissimi ; der Emp-
fänger soll ihn in reliquiis veteris negotiationis (in Asien, vgl. 6, 6, 2. 6, 8, 2)
colligtndis unterstützen. Drumann, GR. 6, 279. GZimmermann, de A. Caecina
scriptore, Berl. 1852. Münzer, PW. 3, 1237. GSchmeisser, de Etrusca discipl.
(Bresl. 1872), 23; die etr. Disziplin, Liegn. 1881, 13.
6. Plinius NH. im QVerz. zu B. 11 (insectorum genera): ex auetoribus
. . Iulio Aquila, qui de Etrusca diseiplina scripsit (ob der Freigelassene des
Maecenas bei Dio 55, 7, 6? s. OMüller, Etr. 22, 34), Tarquitio (s. § 158, 2),
qui item, Umbricio Meliore (aus Etrurien, der Hof-Haruspex des Kaisers
Galba), qui item. Letzterer ist auch zu B. 10 (volucrum naturae) als Quelle
genannt (vgl. NH. 10, 19 Umbricius haruspicum in nostro aevo peritissimus)
und für die Behandlung der oscines und alites § 6 — 91 die Hauptquelle,
der Plinius auch die Zitate älterer Auguralschriftsteller und des Griechen
Hylas, der externorum de auguriis peritissime scripsisse putatur (§ 38), ver-
§ 199. Antiquare und Theologen 465
danken wird. Tac. bist. 1, 27. Plut. Galb. 24. OMüller aO. 22, 13. 34.
Schmeisser, etr. Diszipl. 25. 27. Detlefsen, Herrn. 36, 1. — Arnob. 3,40 Cae-
sius et ipse (wie der vorher genannte Nigidius § 170) disciplinas Etruscas
sequens Fortunam arbitratur et Cererem Genium Jovialem ac Palem {esse
penates) usw. Sonst unbekannt (wenn nicht etwa mit dem § 174, 5 Z. 3 ge-
nannten Juristen zu verbinden; so auch MHertz, Berl. phil. Woch. 1888,
302): der Name weist auf Etrurien. Schmeisser, etr. Disziplin 31. Wissowa,
Ges. Abh. 124.
7. Censorin. d. n. 3, 2 Granius Flaccus in libro, quem ad Caesarem
de indigitamentis scriptum reliquit. Paul. dig. 50, 16, 144 G. Fl. in libro de
iure Papiriano (§ 71, 1) scribit. Vgl. Macr. 1, 18, 4 (Varro et Gr. FL). Fest.
277 (Gran.). Arnob. 3, 31 (vir ingenio praepotens atque in doctrina praeci-
puus). 38. 6, 7 (wo schwerlich Granius Licinianus, § 359, 4, gemeint ist);
wohl auch 5, 18 (Flaccus). Auch der für einen Ausdruck der Blitzlehre bei
Festus 214h, 23 angeführte Grapus könnte aus Granius verschrieben sein.
Jedenfalls ist er ein Antiquar der ausgehenden Republik, den später beson-
ders Cornelius Labeo herangezogen hat; ihn mit Granius Licinianus gleich-
zusetzen berechtigt nichts. Funaioli, PW. 7, 1819. Hirschfeld, Sehr. 245.
Schmeisser, Quaest. de etr. disc, Berl. 1872, 26. IAH. 1, 260.
8. Paul. Festi (also Verrius Flaccus) 94 Aufustius genius, inquit, est
deorum filius etc. Prisc GL. 2, 383 Aufustius: omnia argumentata nomina
etc. Daher wird auch in dem Auszug (aus Varro) GL. 7, 35 abnesti fusti
grammatici liber ad Asinium Pollionem zu schreiben sein: Aufusti gramm.;
Usener, Sehr. 2, 212. 218.
9. Cic. div. 2, 98 L. Tarutius Firmanus, familiaris noster, in primis
Chaldaeicis rationibus eruditus, urbis nostrae natalem diem repetebat . . . Bo-
mamque, in iugo cum esset luna9 natam esse dicebat nee eius fata canere
dubitabat. Vgl. Plut. Romul. 12 (wonach er auf die Bitte seines Freundes
Varro die Konzeption und Geburt des Romulus und die Gründung Roms
auf ägyptische Daten bringt). Lyd. mens. 1, 14 (Tccqqovuos o n,ccd"r}[Lcctix6g
stellt das Horoskop der Stadt Rom). Plin. QVerz. zu B. 18 ex L. Tarutio,
qui graece de astris scripsit (§ 195, 6). Mommsen, Chronol.2 145.
10. Über Cornelius Baibus s. § 209, 4. — Sonst unbekannt ist ein Ti-
tius, der als Gewährsmann über priesterliche Tracht zweimal von Festus
erwähnt wird 205, 2 offendices ait esse Titius nodos, quibus apex retineatur
et remittatur. At Veranius (oben A. 4) ... 289, 22 Titi(us autem ait, quod
ex lana fiaty sueida alba vesti(mentum dici ricam idque essey triplex usw.
Wenn er eine Person wäre mit dem bei Macr. 3, 11, 5 Genannten (Tertius
eum de ritu sacrorum multa dissereret, vgl. Hertz, de Cinciis 39) so müßte
er nach Vergil angesetzt werden.
200. Andere Gelehrte waren zugleich Lehrer: so der einfluß-
reiche Kritiker P. Yalerius Cato, der als Haupt der neoterischen
Dichterschule angesehen wurde und auch selbst Gedichte in dem
alexandrinisierenden Geschmacke dieses Kreises verfaßte. Die im
vergilischen Nachlaß auf uns gekommenen bukolisch-erotischen Ge-
dichte Dirae und Lydia hat man ihm ohne ausreichende Gründe
Teuffei: röm. Literaturgesch. Neub. 6. Aufl. I. 30
466 Ciceronische Zeit: J. 63—43 v. Chr.
beigelegt. In ähnlicher Lage wie Cato war auch der charaktervolle,
aber, grämliche L. Orbilius Pupillus aus Beneventum (J. 114 —
c. 17), udcI Freigelassene wie Curtius Nicias.
1. Suet. gr. 11 P. (der Vorname im ind. gramm. p. 98, 9 lt.) Valerius
Cato, ut nonnulli tradiderunt, Burseni cuiusdam libertus ex Gdllia (cis-
alpina?); ipse libello cui est titulus Hndignatio' (gewiß in Versen) ingenuum
se natum ait et pupillum relictum eoque facilius licentia Sullani temporis
(J. 82 — 80) exutum patrimonio. Danach kann man, da der Römer erst mit
dem 25. Lebensjahre mündig ward, Catos Geburt um J. 100 ansetzen: man
soll damit nicht zu weit herabgehen, da C. noch bei Philocomus (§ 148, 3)
hörte und selbst als Lehrer der 'neumodischen Dichter' (§ 213 f.) nicht un-
erheblich älter als diese gewesen sein wird. Vgl auch § 192, 6. Daß ein
Grammatiker als Haupt dieser Dichterschule verehrt wird, ist bei Nach-
ahmern des Kallimachos nicht auffällig. Suet. aO. (Cato) docuit multos et
nobiles visusque est peridoneus praeceptor, maxime ad poeticam tendentibus, ut
quidem apparere vel Ms versiculis potest 'Cato grammaticus, Latina Siren,
qui solus legit ac facit poetas' (d. h. erliest sie vor, vgl. §41, 1 Z. 14 und be-
gründet dadurch ihren Ruf), is scripsit praeter grammaticos Ubellos etiampoemata,
ex quibus praecipue probantur Lydia et Diana. Lydiae Ticida (§ 213, 1)
meminit 'Lydia doctorum maxima cura Über'', Dianae Cinna c Saecula per-
maneat nostri Dictynna Catonis' : die Schüler und guten Freunde nahmen
im Urteil den Mund etwas voll (s. gleich unten Bibaculus). Die Lydia war
wohl ein gelehrt-erotisches Gedicht alexandrinischer Art wie Philetas' Bittis
und Antimachos' Lyde, die Diktynna ein Epyllion, von dessen Inhalt Ciris
286 ff. einen Begriff gibt (Sudhaus Herrn. 42, 485. Schwabe, Observ. in Cirin,
Dorpat 1871, 4). Auf erotische Gedichte deutet Ovid. trist. 2, 436 et leve
Cornifici parque Catonis opus. Daß bei Catull 95 zu ergänzen ist parva mei
mihi sint cordi monumenta (Catonisy, at populus tumido gaudeat Antimacho
(Leo, Herrn. 38, 305), ist möglich, aber nicht zu beweisen. Suet. aO. weiter-
hin: vixit ad extremam senectam, sed in summa pauperie et paene inopia,
. . postquam Tusculana villa creditoribus cesserat. Es folgen zwei Epigramme
des Bibaculus (§ 192, 4) über den Gegensatz der äußeren kümmerlichen
Lage des Cato (mei . . . Catonis) zu seiner geistigen Bedeutung: tantam sa-
pientiam legt er ihm bei, nennt ihn unicum magistrum, summum grammati-
cum, optimum poetam und schließt: En cor Zenodoti, en iecur Cratetis! Über
Catos kritische Bemühungen für Lucilius s. § 143, 5: in die Luciliusstudien
war Cato durch Vettius Philocomus eingeführt worden s. § 148, 3. Vgl. noch
Suet. gramm. 4 Valerium Catonem, poetam simul grammaticumque notissimum.
Vgl. LSchwabe, Quaest. Catull. 305. Nipperdey, op. 491. Berge, Beitr. z. lat.
Gramm. 1, 126, 2.
2. Die Sammlung der sog. vergilischen carmina minora (§ 229, 1) ent-
hält neben anderem auch Dirae (183 Hex.), Verwünschungen eines Gutes,
das dem Dichter in den Bürgerkriegen entrissen worden war. Da die zweite
Hälfte (v. 104—183) eine Klage um die geliebte Lydia bildet und diese
auch im ersten Teil (V. 41. 89. 95) genannt wird, so vermuteten JScaliger,
Näke u. a., daß Valerius Cato der Verfasser sei. Aber weder die Unmündig-
keit noch die sullanische Zeit (A. 1) treffen bei diesem Gedichte zu, das
§ 200. Valerius Cato 467
vielmehr eher auf die Ackerverteilungen des J. 41 hinweist; Rothstein denkt
wegen V. 9 Trinacriae sterilescant gaudia vobis an die J. 21 nach Sizilien
geschickten Kolonien (dagegen Kroll, RhM. 60, 552); Reitzenstein sieht in
dem Lycurgus, dessen impia facta den Dichter um sein Gut bringen, Octa-
vianus (Drei Vermutungen 32). Vgl. Ribbeck, RhM. 50, 558. KFHermann, ges.
Abh. 114. Merkel zu Ibis p. 364. Den Anlaß, das Gedicht Vergil zuzuschreiben,
bot wohl die Tatsache, daß auch er im J. 41 sein Gut eingebüßt hatte.
Sonstige Übereinstimmung mit seinen Verhältnissen, seiner Denkweise und
dichterischen Eigentümlichkeit ist nicht vorhanden. — Ribbeck (röm Dicht.
1, 311) hält Valerius Cato zwar für den Urheber beider Gedichte, glaubt
sie aber erst geschrieben, als er durch die Ackerverteilungen des J. 41 wieder
an die ihm durch die sullanische Achtung des J. 81 zugefügte Unbill er-
innert wurde. Also nach vierzig Jahren! Aber aus diesem in seiner Häufung
gleichartiger Verwünschungen — vgl. Ovids Ibis, Euphorions 'Agal — ein-
tönigen und wenig erfreulichen Gedicht redet die Maßlosigkeit der Jugend oder
des noch ungebrochenen Schmerzes. Da die Ereignisse des Jahres 41 für sich
das Gedicht genügend erklären, so ist nur der Name Lydia der dünne
Faden, an dem die Scaligersche Vermutung hängt. Und hier gerade mahnt
zur Vorsicht der Name der Indignatio, den man sofort mit den Dirae ver-
binden würde, wenn nicht die bestimmte Inhaltsangabe bei Suet. aO. es
verböte. Für Cato tritt auch Eskuche, De Valerio Catone deque Diris et
Lydia, Marb. 1889, ein. Das Zerfallen des Gedichts in zwei Teile, f Dirae'
und fLydia', erkannte FJacobs, Verm. Sehr. 5, 639; es handelt sich in Wahr-
heit um zwei getrennte Gedichte , die von verschiedenen Verfassern her-
rühren können (Rothstein, Herrn. 23, 508). Über die — freilich ganz lockere
— strophische Gliederung, bezeichnet durch Kehrverse und im Bembinus
durch rote Anfangsbuchstaben, vgl. KFHermann aO. 118; HKeil, ALZ. 1849,
Nr. 61. Auch Göbel, de ephymn. (Gott. 1858) 48; die stroph. Compos. d.
Dirae, Warendorf 3 861; Valeri Catonis carmina rec, Warendorf 1865.
Von einem zweiten Redenden und Wechselgesang ist in den Dirae keine
Spur; Battarus ist nichts als Angeredeter, ohne weitere Persönlichkeit.
Der geschichtliche Ausgangspunkt ist in beiden Gedichten nicht derselbe.
Zwar sagen die Dirae, daß die Trennung von der auf dem Gute zurück-
bleibenden Lydia (V. 41. 89. 95) den Verlust besonders schmerzlich mache
(ohne daß der Zusammenhang der Lydia mit dem Gute klar würde). Aber
die 'Lydia' beneidet das Gut um den vorübergehenden Besitz der Geliebten
und beklagt ihre Abwesenheit; daß der Dichter das Gut besessen und ver-
loren habe, wird mit keinem Worte angedeutet. Er wirft die Frage auf, ob
die Trennung von der Geliebten die Strafe dafür sei, daß er ausus castos
violare pudores (V. 53), und beantwortet sie unter Aufwand von mythologi-
scher Gelehrsamkeit und in dem tändelnden unmännlichen Tone der Ele-
giker der augusteischen Zeit, deren Anfängen wohl beide Gedichte ange-
hören. Die Mischung der bukolischen und erotischen Motive namentlich in
der Lydia mag durch Vergil angeregt sein ; vgl. auch Lyd. 9 o fortunati ni-
mium mit Georg. 2, 458 o fortunatos nimium; ferner Dir. 8 montibus et silvis
= Ecl. 2, 5; Dir. 32 formosaeque cadent umbrae, formosior Ulis mit Ecl. 5,
44 formosi pecoris custos, formosior ipse. Auch Spuren einer Nachahmung
von Catull c. 64 finden sich (Eskuche 74). Reitzenstein aO. 43 entscheidet
30*
468 Ciceronische Zeit: J. 63—43 v. Chr.
sich für die Abfassung zwischen J. 39 und 34. — Ausgaben: Vgl. § 229, 5,
in Bukmanns Anth. lat. 2, p. 649 und Wernsdorfs PLM. 3, 1. Rec. et ill.
Putsche, Jena 1828. Val. Catonis carmina cum animadv. FNaekii; acc. de
V. C. eiusque vita ac poesi diss., Bonn 1847. Ferner in den Ausgaben der
App. Vergil., zB. Bährens PLM. 2, 73. Vollmer ebd. 1, 67. Curcio 2, 2, 48.
3. Suet. gr. 9 L. (der Vorname im ind. gramm. p. 98, 7 R.) Orbilius
Pupillus Beneventanus . . primo apparituram magistratibus fecit, deinde in
Macedonia comiculo, mox equo meruit functusque militia studio, repetiit . . .;
ac professus diu in patria quinquagesimo demum anno Bomam consule Cice-
rone (J. 63) transiit, docuitque maiore fama quam emolumento. namque iam
persenex pauperem se . . quodam scripto fatetur (s. aber Suet. gr. 8). librum
etiam cui est titulus f peridlogos (peri alogon Beroaldus, TCsgiaXyqg Toup)
edidit continentem querelas de iniuriis, quas professores neglegentia aut am-
bitione parentum acciperent (daraus wohl Prisc. GL. 2, 381, 1 Orbilius ^quae
nix ab hominibus consequi possunt'). fuit autem naturae acerbae . . etiam in
discipulos, wofür Horatius (ep. 2, 1, 71) und Domitius Marsus (§ 243, 1) zitiert
werden, ac ne principum quidem virorum insectatione abstinuit. . . vixit prope
ad centesimum aetatis annum (§ 192, 6) . . statua eius Beneventi ostenditur
in Capitolio. . . marmorea habitu sedentis ac palliati appositis duobus scriniis.
reliquit filium Orbilium et ipsum grammaticum professorem. Erwähnungen
aus seinen Schriften ebd. 4 u. 8. Vgl. § 159, 6. Manche (zB. Reisig, Nipper-
dey, ThSchmid, Phil. 11, 54) halten ihn für den grammaticorum equitum doc-
tissimus, dessen Herbigkeit in den Eingangsversen von Horaz sat. 1, 10, 4
der Feinheit und Milde des Valerius Cato gegenübergestellt wird (§ 143, 5).
— AG Lange, verm. Sehr. 182. Funaioli, GRF. 1, 134.
4. Suet. gramm. 14 Curtius Nicia haesit Cn. Pompeio et C. Memmio ;
sed cum codicillos Memmi ad Pompei uxorem de stupro pertulisset (vor J. 52),
proditus ab ea Pompeium offendit domoque ei interdictum est. fuit et Cice-
ronis familiär is (folgen Belege aus dessen epp. ad Dolabellam [= ep. 9, 10,
1, wo Niciam nostrum] und Att. 12, 26, 2 vom J. 45 nosti Niciae nostri im-
becillitatem, mollitiam, consuetudinem victus). huius de Lucilio libros (vgl.
§ 143, 5) etiam Santra comprobat. Cicero, der ihn öfter erwähnt, nennt ihn
immer Nicias, nur ad Att. 7, 3, 10 N. Cous. Vielleicht ist er mit dem durch
Herodians Vermittlung öfter in den Homerscholien genannten Aristarcheer
Nikias identisch. Hillscher, JJ. Suppl. 18, 373. Funaioli, GRF. 1, 382.
Münzer, PW. 4, 1868.
201. Die stoische Lehre brachte der jüngere Cato (J. 95 — 46)
zu Ehren, indem er sich offen zu ihr bekannte und in Wort, Leben
und Sterben ihre Grundsätze verwirklichte. Deren Starrheit stimmte
trefflich zu der Unbeugsamkeit von Catos Charakter, von der eine
gewisse Einseitigkeit und Selbstbeschränkung unzertrennlich war.
Auch als Redner folgte er der stoischen Art, ohne große Bedeutung
zu gewinnen.
1. M. Porcius Cato, Urenkel des Censorius, geb. 95 (Groebe, Herrn. 42,
310), Volkstribun 62, Praetor 54, gab sich nach der Schlacht bei Thapsus,
April 46, zu Utica selbst den Tod. Bei allem Mangel an Weitsichtigkeit
§ 200. Orbilius. § 201. Cato Uticensis 469
und geistiger Beweglichkeit war er doch ehrenwert durch die Treue, Festig-
keit und Uneigennützigkeit, womit er der Republik diente. Vgl. Plutarchs
Cato minor (wohl nach Paetus Thrasea, § 299, 7). Cic. p. Mur. 60 ff. Cha-
rakteristik bei Sall. Catil. 74. Übertreibend im Sinne der Deklamatoren-
schule (A. 4) Vellei. 2, 35, 2; vgl. Drumann, GR. 5, 153. PRE. 5, 191 U
Köchly, Akad. Vorträge 1, 53. Wartmann, Leben d. Cato v. Utica, Zur. 1858.
Mommsen, RG. 36, 459. DGerlach, Cato der jüngere, Bas. 1866.
2. Willkürlich Hieron. Eus. Chron. zu a. Abr. 1948 (Amand. 1949) =
69 M. Porcius Cato Stoicus phüosophus agnoscitur. Als Stoiker läßt ihn
Cicero im 3. und 4. B. von de fin. auftreten. Cic. Brut. 118 Stoici . . traducti
a disputando ad dicendum inopes reperiuntur. unum excipio Catonem, in quo
perfectissimo Stoico summam eloquentiam non desiderem. 119 habet a Stoicis
id quod ab Ulis petendum fuit, sed dicere didicit a dicendi magistris eorum-
que more se exercuit. leg. 3, 40 nee est umquam longa oratione utendum, nisi
aut peccante senatu . . tolli diem utile est aut cum tanta causa est, ut opus
sit oratoris copia; . . quorum generum in utroque magnus noster Cato est.
Verwendung der Philosophie, s. § 50, 4. Quint. 11, 1, 36 Cato eloquens Senator
fuit. Plut. Cato min. 5 6 Xoyog veccgbv {ihv ovdhv ovdh xoywpbv £i%sv , cdX
r\v ögfriog nccl 7r£Qi/Jtad'r}g %cd xQcc%vg. ebd. 23 tovxov {iovov cov Katar zms
Siaöm^sG^cci cpecöi, tbv Xoyov (die Rede gegen die Catilinarier), da sie der Cos.
Cicero habe nachschreiben lassen (schwerlich liegt Verwechslung mit der
Rede vor, die Sallust Catil. 52 ihm in den Mund legt; vgl. Vellei. 2, 35, 3).
FSchneider, de Catone üticensi oratore, ZfAW. 1843, 112. Gegen Metellus
Scipio, den Entführer seiner Braut, schrieb Cato (t<5 7tixQ<p ngocxQ^ßci^svog
tov 'Aq%i16%ov) Iamben, s. Plut. Cat. min. 7. Das Einzige, was von ihm auf
uns gekommen ist, ist sein Brief an Cicero vom J. 50, ep. 15, 5.
3. Plin. NH. 7, 113 Uticensis Cato unum ex tribunatu militum (J. 67)
philosophum, alterum ex Cypria legatione (J. 58) deportavit nach Rom. Be-
sonders befreundet war Cato mit den Stoikern Antipatros aus Tyros (Plut. 4),
Athenodoros (ebd. 10 u. 16), Apollonides (ebd. 65 f.); doch auch mit dem
Peripatetiker Demetrios (ebd.), sowie mit Philostratos (ebd. 57).
4. Schon gleich nach seinem Tode wurde Catos Gestalt ein Streitgegen-
stand für die politischen Parteien, s. § 180, 5. 195, 7. 210, 2. 215, 2. 220, 3.
Horaz nennt ihn mehrfach als Beispiel stoischer Tugend (Corssen JJ. 1907
XIX 592), und als solches kennt ihn die Rhetorenschule, die besonders seinen
Tod verherrlicht; daher seine häufige Erwähnung bei Seneca Vater und Sohn
und die Rolle, die er bei Lucan spielt. Dazu kommt, daß bei der Oppo-
sition gegen die Monarchie die Verherrlichung Catos und seines Todes in
Prosa und Versen ein beliebtes Thema war; s. AL. 397 fll. PLM. 4, 58.
BBusch, De Catone quid ant. scriptores censuerint, Münst. 1911.
202. Unter den Rednern dieser Generation erwarb sich An-
erkennung besonders M. Calidius, einer der Bahnbrecher und Haupt-
vertreter der neuattischen Richtung, daan auch der talentvolle, aber
sittenlose C. Memmius: dieser versuchte sich zugleich in der Poesie
und ist auch als Beschützer von Dichtern durch seine nicht immer
ungetrübten Beziehungen zu Lucretius und Catullus bekannt. Außer-
470 Ciceronische Zeit: J. 63—43 v. Chr.
dem sind als Redner zu nennen P. Sestius, M. Claudius Marcellus,
M. Favonius und der bekannte Bedränger des Cicero, P. Clodius.
1. Hieron. Eus. Chron. ad a. Abr. 1953 = 64 Apollodorus Pergamenus
(vgl. § 44, 10) . . . praeceptor Calidii et Augusti ; ebd. 1960 = 57 M. Cali-
dius orator clarus habetur (er war damals Praetor, Cic. p. red. in sen. 22.
Cass. Dio 39, 11), qui hello postea civili Caesarianas partes secutus (vgl. Caes.
b. c. 1, 2), cum togatam Galliam regeret, Placentiae obiit (etwa J. 47, sicher
vor Ciceros Brutus). Erfolglose Bewerbung ums Konsulat für J. 51 und 50
(LMoll, de temp. epp. Cic, Berl. 1883 p. 1). Ehreninschrift für ihn aus
Pergamon Ath. Mitt. 1912, 297 [6 dfj^og] hi^Lriosv Mec&gyiov Koclsidiov
Koivxov vlbv xbv kavxov ndtgcovcc. Eingehende Schilderung seiner redne
rischen Eigentümlichkeit bei Cic. Brut. 274—278, der man anfühlt, daß
sich Cicero mit einem zu Ansehen gelangten gemäßigten Vertreter der
gegnerischen Richtung (s. S. 76. 278) auseinandersetzt. Daselbst zB.: non
fuit orator unus e multis, potius inter multos prope singularis fuit: ita recon-
ditas exquisitasque sententias mollis et pellucens vestiebat oratio . . quae pri-
mum ita pura erat, ut nihil liquidius, ita libere fluebat, ut nusquam adhae-
resceret. nulluni nisi loco positum . . verbum videres nee vero ullum aut du-
rum aut insolens aut humüe aut longius ducium . . nee vero haec soluta nee
diffluentia, sed astrieta numeris (darin also mit Cicero gegen die extremen
Attizisten übereinstimmend) . . accedebat ordo rerum plenus artis, actio libe-
ralis, totumque dicendi placidum et sanum genus. . . aberat . . illa laus, qua
permoveret atque incitaret animos, quam plurimum pollere diximus, nee erat
ulla vis atque contentio. Dort spöttelt auch Cicero über den kraftlosen und
matten Ton (tarn solute, tarn leniter, tarn oscitanter) der Anklagen des Cali-
dius (vgl. Cael. bei Cic. ep. 8, 9, 5 Calidius in aecusatione satis frigidus).
Vgl. Vellei. 2, 36, 2. Reden von ihm: in Q. Gallium ambitus reum (J. 64,
vgl. Eussner, comment. petit. 1872, 21; zwei Bruchstücke daraus Fest. 309,
31. Non. 208, 27; Verteidiger war Cicero, Brut. 277. Ascon. p. 68, 20); de
domo Ciceronis (J. 57; § 179, 30. Quint. 10, 1, 23); pro M. Aemilio Scauro
(J. 54, er verteidigte mit fünf anderen, darunter auch Cicero s. § 180, 1. c;
Ascon. p. 23, 26); pro libertate Tenediorum (J. 54 mit Cicero, Bibulus, Fa-
vonius, Cic. ad Q. fr. 2, 9, 2); pro se ambitus reo gegen zwei Gallii, die sich
für die frühere Anklage rächten (J. 51, Cael. bei Cic. ep. 8, 4, 1. 8, 9, 5
Calidius in defensione sua disertissimus). Vgl. Münzer, PW. 3, 1353. HMeyer,
orat. fr.2 436. vWilamowitz, Herrn. 12, 333. 367. ERohde, Sehr. 2, 81. Har-
necker, JJ. 125, 607.
2. Cic. Brut. 247 C. Memmius L. f. (der Beiname Gemellus ist un-
richtig, s. Borghesi, oeuvr. 1, 152. Mommsen, röm. Münzw. 597) perfectus
litteris, sed Graecis, fastidiosus sane Latinarum; argutus orator verbisque
dulcis, sed fugiens non modo dicendi verum etiam cogitandi laborem. Seine
Liebesgedichte (§ 31, 1; vgl. Ovid. trist. 2, 433 Memmi Carmen) scheinen
aber doch nicht griechisch gewesen zu sein, aber seine Vorliebe für grie-
chische Literatur ließ ihn die Bestrebungen der Neoteriker unterstützen.
Volkstribun J. 66. Als Praetor (J. 58) trat er gegen Caesar auf, ließ sich
aber später von ihm gewinnen (Suet. Iul. 73 Gai Memmi, cuius asperrimis
orationibus non minore acerbitate rescripserat, etiam suffragator mox in peti-
§ 202. Redner: Calidius, Memmius u. a. 471
tione consulatus fuit). Propraetor in Bithynien J. 57 f., wo Helvius Cinna
und Catull in seiner cohors waren (§ 213, 2. 214, 4). J. 53 wegen ambitus
bei der Bewerbung um das Consulat belangt, ging er nach Griechenland
in die Verbannung, wo er ums J. 49 starb. Kein gutes Licht auf ihn wirft
es, daß er, dem Lukrez' Lehrgedicht gewidmet war, Epikurs Haus in Athen
abbrechen lassen wollte. Cic. ep. 13, 1. — PRE. 4, 1755,8. Mommsen, Münzw.
597. Ygl unten S. 473 Z. 15 v. u. FB(ockemüller) , Grenzboten 1869 2, 129.
Marx, Bonner Studien 116; JJ. 1899 III 537.
3. P. Sestius war Quaestor 63, tr. pl. 57, Propraetor in Kilikien J. 50
(Plut. Brut. 4) und trat später auf Caesars Seite. Über die Langweiligkeit
seiner Rede gegen Antius s. Catull. 44, 10 nam Sestianus dum volo esse con-
viva, orationem in Antium petitorem (sc. magistratus?) plenam veneni et pesti-
lentiae legi. Cicero, der ihn J. 56 verteidigte (s. § 179, 32), dachte gleich-
falls von seinen Fähigkeiten gering (idimrrig, Plut. Cic. 26; nihil umquam
legi scriptum 6r\6tioi8s6xBQ0v. Att. 7, 17, 2). PRE. 6, 1128, 6.
4. M. Claudius Marcellus, der bekannte Gegner Caesars, Cos. 51 (Cass.
Dio 40, 58 aü' o ts MaQKsXXog ö Magyiog neu 6 'Povcpog 6 UovX-JtUiog [§ 174, 2],
6 iihv diä tr\v rav vo^cov i^insigiccv , u 8s diu ttjv täv Xoycov dvvccybiv f]Q£-
ftriöccv), f 45; als Redner auch im Brut. 248 gerühmt, besonders weil er
sich Cicero zum Vorbild nahm und durch Kratippos in die peripatetische
Lehre eingeführt war; doch mag Ciceros Urteil durch politische Rücksichten
getrübt sein. Darum ist er auch einer der wenigen, die dort aus der Zahl
der Lebenden erwähnt werden (s. § 182, 3, 1). Vgl. auch § 179, 41. Münzer,
PW. 3, 2760. — L. Herennius Baibus, Mitankläger des M. Caeliua (J. 56.
Ciu. pCael. 25) und des Milo (J. 52. Ascon. p. 32, 28 St.).
5. P. Clodius Pulcher, Quaestor J. 61, trib. pleb. 58, f 52; s. Drumann,
GR2. 2, 172. Froehlich, PW. 4, 82. Elberling, de Cl. P., Kopenh. 1839.
IGentile, Clodio e Cicerone, Mailand 1876. Cic. pCael. 27 P Clodius . . cum
inflammatus ageret . . voce maxima, tametsi probabam eius eloquentiam, tarnen
non pertimescebam ; aliquot enim in causis eum videram frustra litigantem.
J. 54 trat er als Ankläger des Procilius auf, sowie als Verteidiger des M.
Scaurus. Über ersteren Prozeß Cic. Att. 4, 15, 4 Publius sane diserto epilogo
criminans (ruey mentes iudicum commoverat. Tac a. 11, 7 prompta sibi
exempla, quantis mercedibus P. Clodius aut C. Curio contionari soliti sint.
Velle. 2, 45, 1 (disertus). Plut. Caes. 9 (Xoyat Xa^ingog).
6. M. Favonius (Drumann, GR. 3, 32. Münzer, PW. 6, 2074), Aedil 53,
Praetor 49, f 42_, der Freund und Feind durch übertriebene Schroffheit
gleich unbequeme Nachäffer des jüngeren Cato (§ 201), wird öfters als Red-
ner erwähnt. Cic. Att. 2, 1, 9 aecusavit Nasicam (J. 60) inhoneste Qioneste
Rinkes) ac modeste {moleste Malaspina) tarnen; dixit ita ut Mhodi videretur
molis potius quam Moloni operam dedisse. ad Q. fr. 2, 9, 2 (pro Tenediorum
libertate J. 54; s. § 202, 1). Wahrscheinlich ist er auch gemeint bei Gell.
15, 8, wo eine Stelle ex oratione Favorini (Fannii Pithoeus), veteris oratoris,
non indiserti viri gegen den Luxus mitgeteilt wird, die jener hielt cum
legem Liciniam de sumptu minuendo suasit: dies wäre dann wohl nicht die
oben § 141, 7 Z. 20. 143, 1 Z. 17 erwähnte lex Licinia sumptuaria, sondern
die J. 55 beantragte, später aber von den Antragstellern wieder zurück-
gezogene lex Licinia Pompeia (Cass. Dio 39, 37).
472 Ciceronische Zeit: J. 63—43 v. Chr.
203. T. Lucretius Carus (geboren wahrscheinlich J. 96, ge-
storben am 15. Okt. 55) behandelte in den sechs Büchern seines
Lehrgedichts de rerum natura die Physik und Psychologie des Epi-
kur in der Absicht, eine ethische Wirkung zu erzielen. Hat der
Dichter sich auch wenigstens nach unseren Anschauungen vergriffen,
indem er jene mechanische Lehre dichterisch zu gestalten unternahm,
so liegt doch etwas Erhebendes in der Hingabe und Anhänglichkeit
an Epikur, seinen Herrn und Meister, in der edlen Begeisterung
eines Apostels, der die Lehre seines Meisters als Erlösung aus der
Nacht des Aberglaubens predigt, in dem ehrlichen Eifer, womit er
auf die falschen Götzen losschlägt, dem warmen Ton innerster Über-
zeugung, in dem er verspricht, den Menschen die Furcht vor den
Göttern, vor den eigenen Leidenschaften, vor dem Tode zu beneh-
men und ihnen die Wahrheit und den Frieden der Seele zu schenken.
Bewunderungswürdig ist die geistige Kraft und Ausdauer, die sich
im Ringen mit dem spröden Stoffe kundgibt: oft genug bricht durch
die Fesseln des Planes die große Begabung des Dichters hervor.
Wie zur Erholung von der strengen begrifflichen Darstellung ver-
weilt Lucrez gern und mit glücklichstem Erfolge bei der Ausmalung
von Bildern aus dem Natur- und Menschenleben. Aber doch ist
der Grundton des Ganzen ernst und trübe und nicht selten bitter.
Man fühlt dem Dichter die getäuschten Lebenshoffnungen, die pei-
nigenden Seelenkämpfe nach, die er hinter sich hat. Die Darstel-
lung ist ungleich : oft schwerfällig, unfrei und ungelenk, aber ebenso
oft anschaulich, treffend und kühn, bald von hinreißender Wärme,
bald von einer Herbigkeit, die ihres besonderen Reizes nicht ent-
behrt: trotz aller Ungleichheiten die Leistung eines Sprachgewalti-
gen. Das schwer verständliche Gedicht, das zudem die Lehre einer
isolierten Schule vertrat und sich einer eben damals abkommenden
Technik bediente, fand in seiner eigenen Zeit nicht die gebührende
Beachtung; die Späteren zeigen sich zwar mannigfach von ihm be-
einflußt, doch hat das Altertum die ernste Größe und Hoheit dieses
Einsiedlers unter den Dichtern nicht recht zu fassen vermocht.
Zahlreiche Anstöße in dem Werke erklären sich daraus, daß es von
seinem Verfasser nicht zu Ende gebracht werden konnte.
1. Hieronym. Euseb. Chr. ad a. Abr. 1922 (so Amand. u. Freh.: zu 1923
Bern.) = 95 T. Lucretius poeta nascitur, qui postea amatorio poculo in fu-
rorem versus, cum aliquot libros per intervalla insaniae conscripsisset , quos
postea Cicero emendavit, propria se manu interfecit anno aetatis XL IUI
(also 51). Wahrscheinlich hat hier wie sonst öfters Hieronymus die Geburt
um ein Jahr zu spät angesetzt: s. Marx aO. 139. Auf ein anderes Todes-
§ 203: Titus Lucretius 473
jähr führt Donat. vita Vergil. 2 usque ad virilem togam, quam XVII (rich-
tig XV) anno natali (15. Okt.) accepit isdem Ulis consulibus Herum duobus,
quibus erat natus (nämlich 55, Cn. Pompeio II und M. Licinio Crasso II),
evenitque, ut eo ipso die Lucretius poeta decederet, und diese genaue auf
Sueton zurückgehende Nachricht verdient gewiß volles Vertrauen. Für die
Richtigkeit dieses Ansatzes spricht auch, daß Ciceros Äußerung über Lucre-
tius vom J. 54 (s. A. 2), im Zusammenhange mit seiner Tätigkeit als Her-
ausgeber, den Tod des Dichters voraussetzt. Dann steckt ein Fehler in
jenem anno aetatis XLIIII und L. ist vielmehr im 42. Jahre gestorben,
oder J. 99 ist als Geburtsjahr anzusetzen. In der Münchener Hs. 14429 s. X
steht die Notiz : Titus Lucretius poeta nascitur sub consulibus. ann xx u > n an
Virgilium. Dazu Erklärungsversuche von Usener, Sehr. 2, 156. 196; aber
die Notiz beruht auch auf Hieronymus: Gundermann, RhM. 46, 489; ferner
über Geburts- und Todesjahr Polle, Phil. 25, 499. 26, 560. Sauppe, Quaest.
Lucret. Gott. 1880, 3. Woltjer, JJ. 129, 134 und bes. Marx, RhM. 43, 136.
Der ftavticcöiog Kägog der Inschrift von Oinoanda ist nicht Lucr. AKoerte,
RhM. 53, 160. Pichon, Travaux recents sur la biogr. de L., Journ. Sav.
1910, 70.
Daß Lucrez wahnsinnig geworden sei und im Wahnsinn Hand an sich
gelegt habe, ist an sich natürlich möglich. Nichts berechtigt zu der An-
nahme (zB. Teuffels), daß dem Gottesleugner jenes schreckliche Ende von
Gläubigen angedichtet worden sei. Unwillkürlich vergleicht man das ähn-
liche Schicksal von Tasso, Hölderlin, Lenau, FRaimund, ALindner u. a. Die
Angabe über die Veranlassung der Krankheit, den Liebestrank, ist natür-
lich ebenso verkehrt, wie es heutzutage ähnliche laienhafte Angaben über
Krankheitsursachen sind. Ebensowenig steckt wohl ein Kern von Wahr-
heit in der Angabe, daß Lucrez aliquot libros per intervalla insaniae ge-
schrieben habe; völlig abenteuerlich sind die Versuche, in dem durchweg
von klarem Denken und intensiver geistiger Arbeit zeugenden Werk Spuren
des Wahnsinns aufzuzeigen. Giri, II suieidio di Lucr., Palermo 1895.
Stampini, dgl., Messina 1896. — Über die sonstigen Lebensverhältnisse des
Dichters ist nichts bekannt, Lucrez ist darüber ganz schweigsam. Von Zeit-
genossen nennt er nur den Memmius, dem er sein Werk widmet: 1, 26 te
sociam studeo scribendis versibus esse, quos ego de verum natura pangere
conor Memmiadae nostro, quem tu dea tempore in omni omnibus ornatum
voluisti excellere rebus. Über die Anreden an ihn Curcio, De conversionibus
Lucr., Catania 1903. Diesen Memmius hält man mit Recht für eine Person
mit dem oben § 202, 2 Genannten. Auf den Münzen der Memmier findet
sich Venus von Cupido bekränzt (Sauppe, Phil. 22, 182), und zwar ist es die
uns durch die Venus fisica Pompeiana bekannte Schutzgöttin Sullas, die
dessen Schwiegersohn Memmius adoptiert hatte. Marx, Bonn. Stud. 122.
Hadzsits, Cl. Ph. 2, 187. Aus der Art, wie er den Memmius nennt und um
seine Gunst wirbt, und aus dem in der gens Lucretia sonst ganz unge-
bräuchlichen Cognomen Carus (auch CIL. 9, 1867 ist es ganz zweifelhaft)
läßt sich wohl schließen, daß Lucrez nicht von vornehmer Herkunft war,
sondern etwa der Sohn eines Freigelassenen oder ein Freigelassener. Marx,
Exercitat. gramm. spec, Bonn 1881 p. 8. Die Frage, ob das Gedicht ur-
sprünglich für Memmius und dann erst für das Publikum bestimmt ge-
474 Ciceronische Zeit: J. 63—43 v. Chr.
wesen sei, hätte nie aufgeworfen werden sollen. — Kannengiesser, JJ. 131,
59. SBrandt, JJ. 131, 601. Mit der jungrömischen Dichterschule (Cato, Ca-
tullus usw.) hatte er keine Berührung, wie schon seine von Ennius beein-
flußten sprachlichen und metrischen Grundsätze zeigen (A. 5). — Angeb-
liches Bildnis auf einem geschnittenen Stein (Impronte gemm. del Instit.
2, 78; bull. 1831, 112)? zB. auch als Titelzierde in Munros Ausgabe: Ber-
noulli, röm. Ikonogr. 1, 235.
2. Unter Cicero schlechtweg hat Hieronymus (s. A. 1 Z. 4) den berühmten
Redner verstanden, nicht dessen Bruder Quintus, und auch sonst spricht
für letzteren gar nichts. Gegen die Geschichtlichkeit der ganzen Nachricht
hat man mit Unrecht geltend gemacht (s. Gneisse, De vers. in Lucr. repe-
titis 46), daß Cicero hierüber nie eine Silbe sagt und von Lucrez nie Verse
anführt. Es liegt ja ein Urteil Ciceros über Lucrez vor: ad Q. fr. 2, 9, 3
(J. 54) Lucreti poemata (vgl. Gell. 1, 21, 5 in carminibus Lucreti, und Vellei.
2, 36, 2) ut scribis ita sunt: multis luminibus ingenii, multae tarnen artis,
d. h. fich stimme deiner Ansicht bei, daß das Werk viele Beweise natür-
licher Begabung enthält, jedoch auch die bewiesene Kunst sehr achtbar ist'.
Die Stelle ist unnötigerweise mit vielen Änderungsvorschlägen belästigt wor-
den, z. B. (yioriy multae Bergk, Leo. Die unmittelbar bei Cicero folgenden
Worte sed cum veneris sind nicht durch Textänderungen gefügig zu machen,
sondern heißen einfach: f Aber Näheres mündlich'. Marx, BphW. 1891, 834.
Über diese ganze Stelle Polle, Phil. 25, 501. Bergk, op. "1, 425. Vahlen,
op. 1, 155. Nettleship, journ. of phil. 13, 85. Kubik, diss. Vindobon. 1, 341.
Reitzenstein , Drei Vermutungen 55. Norden, Kunstpr. 182. Hendrickson,
Am. J. Ph. 22, 438. Jedenfalls war Ciceros Tätigkeit bei der Veröffentlichung
des Werkes eine untergeordnete, und es scheint fast, als hätte er der Paten-
schaft bei einem so polizeiwidrigen oder doch seinen Anschauungen nicht
entsprechenden Werke sich halb geschämt. Sicher war sie kein starker
Beweis für die auch sonst zweifelhafte Behauptung (bei Plin. ep. 3, 15, 1)
M. Tullium mira benignitate poetarum ingenia fovisse. Eher ist aus Lucre-
tius' Nachahmung von Ciceros Aratea (s. Munro zu Lucr. 5, 619) auf ein
Verhältnis beider zu schließen. Vgl. noch Nep. Att. 12, 4 quem post Lu-
cretii Catullique mortem multo elegantissimum poetam nostram tulisse aetatem
etc. Ovip. am. 1, 15, 23. trist. 2, 425. Vitruv. 9, 3. Vellei. 2, 36, 2 aucto-
res carminum Varronem ac Lucretium. Quint. 10, 1, 87 Macer et Lucretius
legendi quidem, sed non ut phrasin, i. e. corpus eloquentiae, faciant. elegantes
in sua quisque materia, sed alter liumilis, alter (Lucr.) difficilis. Stat. silv.
2, 7, 76 docti furor arduus Lucreti. Die Berührungen mit Catull (c. 64)
werden sich aus gemeinsamer Benutzung des Ennius erklären. Horaz ver-
rät besonders in seinen Satiren Vertrautheit mit Lucrez, zB. 1, 1, 13 (Lucr.
2, 104. 5, 164). 118 (Lucr. 3, 938). 1, 3, 38 (Lucr. 4, 1153). 1, 5, 101 (Lucr.
5, 82). 1, 6, 4 (Lucr. 3, 1028). 18 (Lucr. 3, 69). ep. 1, 16, 38 (Lucr. 2, 1005).
c. 1, 26, 6 (Lucr. 4, 2). Doch mag manches ebenso wie der bonus Ancus
(c. 4, 7, 15 vgl. Lucr. 3, 1025) nicht aus Lucrez, sondern aus Ennius (A. 149)
stammen. EGöbel, ZöG. 8, 421. Reisacker, Hör. u. sein Verh. zu Lucr.,
Bresl. 1873. AWeingartner, de Horatio Lucretii imitatore, Halle 1874. Mer-
rill, On the infl. of L. on Horace, Berkeley 1905. Gell. 1, 21, 7 non verba
sola, sed versus prope totos et locos quoque Lucreti plurimos sectatum esse
§ 203. Titus Lucretius 475
Verglimm videmus. Vgl. § 228, 6gE. So mag auch Verg. G. 2, 490 fll. vor-
zugsweise an Lucrez denken. Woll, De poet. lat. Lucr. imitatoribus, Freib.
1907. Wöhler, d. Einfluß d. Lucr. auf die Dichter d. august. Zeit. I (Ver-
gil), Greifsw. 1876. Einfluß auf Ovid, s. Zingerle, Ovids Verhältn. 2, 12;
bedeutender auf Manilius (§ 253, 5 E.) und Aetna (§ 307, 1). Die Altertümler
des ersten christl. Jahrh. zogen Lucrez dem Vergil vor (Tac. dial. 23) und
auch die des zweiten schätzten ihn; Front. zB. p. 105 {mitte) etiam si Lu-
cretii aut Ennii excerpta habes. JJessen, über Lucr. und sein Verhältnis zu
Catull und Späteren (bes. Arnobius), Kiel 1872. Vgl. § 214, 6. Benutzung
des Lucrez bei den Panegyrikern Brandt, RhM. 38, 606; bei Späteren über-
haupt s. Bd. 3, 568. Woll 39. Die Christen bekämpfen ihn einerseits als
Leugner der göttlichen Vorsehung, andrerseits spielen sie seine Argumente
gegen die heidnischen Götter aus und schöpfen manche naturwissenschaft-
lichen Kenntnisse aus ihm. Philippe, Rev. de l'hist. rel. 30, 204. 34, 19. —
Zur Chronologie des Werkes: Buch 4 nach J. 69: denn 4, 73 fll. wird das
Überspannen der Theater mit vela erwähnt, was erst in jenem Jahr auf-
kam; B. 6 nach J. 59; denn 6, 109 werden die über das Theater gespannten
carbasina vela erwähnt, die erst damals eingeführt wurden (Plin. NH. 19,23).
1, 29 effice ut interea fera moener a militiai per maria ac terras omnis sopita
quiescant . . . patriai tempore iniquo passen am ehesten auf den Mithridati-
schen Krieg. Vgl. Marx, Exercitat. gramm. 13; Bonner Stud. 115. SBrandt,
JJ. 131, 601.
3. Zur Charakteristik des Werkes. Alle Bücher außer dem vierten haben
selbständige Prooemien, die den Epikur fast wie einen Gott preisen: 3, 3
te sequor, o Graiae gentis decus ... (9) tu pater, es rerum inventor . . . tuis-
que exy inclute, chartis, floriferis ut apes in saltibus omnia libant, omnia nos
itidem depascimur aurea dicta, aurea perpetua semper dignissima vita. An-
schluß an Empedokles: 1, 729 nil tarnen hoc (Emp.) hdbuisse (Siciliam) vivo
praeclarius in se . . ut vix humana videatur stirpe creatus. Hinweis auf
seinen wichtigsten Vorgänger Ennius: 1, 117; vgl. A. 5 und Vahlen, SB.
Berl. Ak. 1896, 717. Buch 1 beginnt mit einem Hymnos auf Venus, der zu
dem epikureischen Standpunkte nicht paßt, aber der Tradition des Lehrge-
dichts entspricht (A. 1). Reitzenstein, drei Vermutungen 44. Norden, Agn.
Theos 150. 350. Lucrez ist von seiner Lehre und ihrer unmittelbaren Evi-
denz so fest überzeugt, daß er mit mitleidigem Behagen dem Irregehen
der anderen zusieht (2, 7 — 13), und an die Verdienstlichkeit seines Unter-
nehmens glaubt er so sicher, daß er sich Tag und Nacht (1, 143. 4, 996 f.)
damit beschäftigt und sich über alle Schwierigkeiten des Gegenstandes
(1, 413 ff. 921) und der lateinischen Behandlung (propter egestatem patrii
sermonis 1, 140. 832. 3, 261) hinwegsetzt, in der Hoffnung auf Ruhm (1, 922),
den er mit seiner liebenswürdigen Offenheit in Anspruch nimmt primum
quod magnis doceo de rebus et artis relligionum (vgl. 63 ff. 84 ff. 2, 44, wo
entsprechend mortis timores stehen) animos nodis exsolvere pergo; deinde
quod obscura de re tarn lucida pango carmina, Musaeo contingens cuncta
lepore (1, 930—933); auch wegen der Neuheit seines Beginnens (1, 926 avia
Pieridum peragro loca nullius ante trita solo . . . iuvatque novos decerpere
flores, vgl. 2, 1023 ff.) für die römische Literatur. Die eigentliche Absicht
geht darauf, durch die Beseitigung der Furcht vor den Göttern und vor dem
476 Ciceronische Zeit: J. 63—43 v. Chr.
Tode dem Menschen Seelenfrieden und Glück zu verschaffen. 3, 23 at contra
nusquam apparent Acherusia templa. 37 metus ille foras praeceps Acherun-
tis agendus, funditus humanam qui vitam turbat ab imo omnia suffundens
mortis nigrore neque ullam esse voluptatem liquidam puramque relinquit. Ein
Gottesleugner ist Lucr. so wenig wie Epikur, aber für seine Weltanschau-
ung ist die Religion belanglos. Die Götter des Volksglaubens zu erwähnen
hindert ihn nichts; s. Siemering, Die Behandlung der Mythen bei L., Tilsit
1891. Ein Zug von Schwermut geht durch seine ganze Weltanschauung,
zB. 3, 870 — 977 und oft. Reisacker, der Todesgedanke . . bes. bei Epikur
und Lucretius, Trier 1862. Dabei bekunden ein edles Gemüt viele ergrei-
fende Schilderungen aus dem Menschenleben (1, 938 ff. 2, 1163 ff. 3, 907 ff.
5, 223 ff.) wie aus der leblosen Natur (2, 29 ff. 144 ff. 352 ff.).
4. Das Werk ist so eingeteilt, daß B. 1. 2 die Physik, 3. 4 die Anthro-
pologie, 5. 6 die Kosmologie behandeln. Daß die Lehre Epikurs ziemlich
rein wiedergegeben wird, versteht sich bei dieser Schule von selbst, ebenso
daß Lucr. die Schriften des Meisters selbst benutzt. Ausgeschlossen ist dies
aber für die Kritik der übrigen Systeme in B. 1, da sich Epikur mit Kritik
nicht abgegeben hat, und für die Polemik 5, 110 — 405, die sich gegen Pa-
naitios zu richten scheint; ferner für die Consolatio (3, 830 — 1094), die wohl
nach einem jüngeren, populäre Trostgedanken benutzenden Epikureer ge-
arbeitet ist, und für die Behandlung einzelner Naturphänomene in B. 6, die
sich mit Poseidonios' Interessen berührt. S. Rusch (A. 4); über 6, 906 — 1089
AFritzsche, RhM. 57, 363. HSchröder, Lucr. und Thukyd. (Pestbeschreibung
6, 1138ff.), Straßb. 1898. Daß Lucr. jüngeren Epikureern und Nachschriften
gehörter Vorlesungen folgt, ist durchaus möglich, vgl. Lackenbacher, WSt.
32, 208. Anklänge an Piaton sammelt Shorey, Harv. Stud. 12. Vgl. über
Quellen und System bes. Epicurea ed. Usener, Lps. 1887 (Hauptquellenbuch
über die epikureische Philosophie). Giussani Ausg. Bd. 1. ALange, Gesch.
des Materialismus2 1, 99. 139. Royer, les arguments du materialisme dans
L., Par. 1883. Bruns, Lucrez-Studien, Freib. 1884. Siemering, Quaest. Lu-
cret, Königsb. 1867 II. Woltjer, Lucr. philosophia cum fontibus conipa-
rata, Groningen 1877. Thume, Die Quellen des L., Reichenberg 1907. 08 IL
Bockemüller, Stud. zu Lucr. u. Epik., Stade 1877. GLohmann, Quaest. Lucr.
(cap. II de ratione inter Lucr. et Epic), Braunschw. 1882. PRusch, de Posi-
donio Lucretii auctore (in B. 6), Greifsw. 1882; Lucr. u. die Isonomie, JJ.
133, 777. Hallier, Lucr. carm. e fragmentis Empedoclis adumbratum, Jena
1857. Bästlein, quid L. debuerit Empedocli, Schleusingen 1875. FJobst,
Üb. d. Verh. zwischen Lucr. u. Emped., Münch. 1907 (Einfluß ist höchstens
auf den Ausdruck möglich). Dyroff, Zur Quellenfr. bei Lucr., Bonn 1904
(Theophrast und Dikaiarch mittelbare Quelle für B. 5). JMasson, the atomic
theory of L., Lond. 1884. ThBindseil, Quaest. Lucr., Anclam 1867; de om-
nis infinitate ap. Lucr., Eschwege 1870. Hörschelmann, Observat. Lucr. alte-
rae, Lips. 1877 (über das inane; dazu Teichmüller, RhM. 33, 310). Gneisse,
das omne bei L., JJ. 121, 837. FHöfer, zur Lehre von der Sinneswahrneh-
mung in Lucr. IV, Stendal 1874. HSchütto, Theorie der Sinnesempf. bei
L., Danzig 1888. Reisacker, quaestiones Lucr., Bonn 1847; Epicuri de ani-
morum natura doctrina a Lucr. tractata, Cöln 1855. MEichner, Adnot. ad
Lucr. ... de animae natura doctrinam, Berl. 1884. HHempel, die Ethik des
§ 203. Titus Lucretius 477
L. , Salzwedel 1872. Diebitsch, d. Sittenlehre des L., Ostrowo 1886. —
vFilek, Die geogr. Ansch. des L., Wien 1910.
5. Die Sprache zeigt in Formenlehre, Wortwahl und Syntax vieles Alter-
tümliche (zB. ficta statt fixa 3, 4, eew, noenu, Genit. auf -ai), das z. gr. T.
aus Ennius entnommen ist (Wreschniok : § 177 a 1), während prosaisch-pedan-
tische Wendungen auf Rechnung des Stoffes kommen Qiuc accedit uti, quod
superest, häufiger Gebrauch der Casus obliqui von is usw.), der auch die
große Zahl der schleppenden Perioden verschuldet hat: auf 100 V. kommen
31, 7 Nebensätze, während Ennius 17, Lucilius 24, 9, Catull. c. 64 21 hat
(Slössarczyk, De periodorum structura ap. dactylicos Romanos, Bresl. 1908).
Auf etymologische Spielereien in stoischem Geschmack macht Reitzenstein,
Straßb. Festschrift 1901, 156 aufmerksam. In der metrischen und prosodi-
schen Technik schließt sich Lucr. eng an Ennius an, wirft daher auslauten-
des s ab, setzt einsilbige Worte ans Versende und wagt kühne Tmeseis
wie 1, 452 seiungi seque gregari. Auch Ciceros Gedichte scheint er zu
kennen, falls die Ähnlichkeiten nicht auf Enniusbenutzung beruhen. Maybaum
(§ 177a 1) 16.
Sprache und Metrik. WAltenburg, de usu antiquae locutionis in Lucr.,
Gotha 1857. Proll, de formis antiquis Lucr., Bresl. 1859. RSchubert, de
Lucr. verborum formatione|, Halle 1865. Cartauld, La flexio dans L., Par.
1898. Bouterwek, Lucr. quaestiones gramm., Halle 1861. FWHoltze, syn-
taxis Lucr. lineamenta, Lps. 1868. LStädler, de sermon Lucr., Jena 1869.
Kraetsch, de abundanti dicendi genere Lucr., Berl. 1881. Hiden, De casuum
syntaxi Lucr., Helsingf. 1896. Vahlen, Opusc. 1, 155. CWolff, de Lucr.
vocabulis singularibus, Halle 1878. Feustell, De comparationibus Lucr.,
Halle 1893. vRaumer, Die Metapher bei L., Erlangen 1893. GKühn, Quaest.
Lucr. gramm. et metr., Bresl. 1869. Büchel, de re metrica Lucr., Höxter
1874. Birt, Hist. hexametri lat. , Bonn 1876, 20. Paulson, Lucrezstudien,
Göteb. 1897. Mirgel, De synaloephis et caesuris, Gott. 1910. Vgl. auch zahl-
reiche Bemerkungen in Norden, Comm. zu Aeneis. B. 6. — Index Lucretia
nus von Paulson, Göteb. 1911.
6. Die Nichtvollendung verrät sich durch Lücken, Wiederholungen,
doppelte Fassungen usw. Schlagend ist die Beobachtung von Mewaldt,
Herrn. 43, 286, daß auf B. 2 ursprünglich B. 4 folgte und das Prooemium
des letzteren teils diesen Zustand widerspiegelt, teils den nach Einschub
von B. 3. Aber weder ist die Vorstellung berechtigt, daß Cicero ein wüstes
Konglomerat von Entwürfen vorfand, noch daß er mit dem Vorgefundenen
eigenmächtig schaltete. Vgl. Purmann, JJ. 67, 658. FPolle, Phil. 25, 503.
Marx, RhM. 43, 137. Leo, PF. 39. van der Valk, De Lucr. carmine perfecto,
Kampen 1902. Brieger, Phil. NF. 21, 279. Bockemüller, Stud. zu Lucr. u.
Epikur (Stade 1877) 1, 17. Stürenburg, de Lucr. libro primo, acta Lips. 2,
367. Mussehl, De Lucr. 1. I condic. ac retract., Greifsw. 1912. Moricca,
Riv. fil. 41, 106. FNeumann, de interpolationibus Lucr., Halle 1875. AFor-
biger, de L. carmine a scriptore serioris aetatis pertractato, Lps. 1824.
AKannengiesser, de L. versibus transponendis, Gott. 1878. KGneissü, de ver-
sibus in Lucr. carmine repetitis, Straßb. 1878. GLohmann (A. 4) p. 3 de
repetitionibus. Tohte, JJ. 119, 541. — Über die Proömien s. Vahlen, Berl.
478 Ciceronische Zeit: J. 63—43 v. Chr.
SBer. 1878, 479. Sauppe, Quaest. Lucr. 1880, 11. Susemihl, Greifsw. 1884;
Phil. 44, 745. Sonnenburg, RhM. 62, 33. Giri, Riv. fil. 40, 87.
7. Über Lucrez und sein Werk zB. Grasberger, de Lucr. carmine, Münch.
1856. CMartha, le poeme de Lucr., Par.7 1909. JMasson, Lucr., Epicurean
and poet, Lond. 1909. — Mommsen, RG. 36, 594. Brieger, in der Gegen-
wart 8 (1875), 169. Marx, JJ. 1899 III 532.
8. Alte Commentatoren : Valerius Probus (§ 300, 3). Hieronym. in Ruf.
(2, 472 Vall.), s. § 41, 4. Vgl. Steup, de Probis 81. — Das Mittelalter hin-
durch war Lucr. verschollen; JJessen, Phil. 30, 236. Vgl. Haupt, op. 3, 641.
9. Der gut überlieferte Text wird durch die Ausgabe des Probus be-
gründet sein. Von dem längst verlorenen Archetypus (etwa s. IV — V, ohne
Wortabteilung), auf den alle vorhandenen Hss. des Lucrez zurückgehen,
waren noch im 9. Jahrh. drei Abschriften vorhanden. Davon besitzen wir
noch eine, den Vossianus F. 30 s. IX in Leiden (foblongus'; Faksimile Lei-
den 1908 und bei Chatelain Tf. 56. 57), s. Göbel, RhM. 15, 401. Von der
zweiten dem oblongus sehr ähnlichen Abschrift, die Poggio aus Deutsch-
land nach Italien brachte, stammen die zahlreichen meist stark verfälschten
italienischen Hss. (Hosius, RhM. 69, 109), endlich von der dritten sind ab-
geleitet der Vossianus Q. 94 s. X (rquadratus') in Leiden (Faksimile Leiden
1913 und Chatelain Tf. 58) und die Bruchstücke in Kopenhagen und Wien
(acht schedae Havnienses und zehn Vindobonenses, Chatelain Tf. 59. 60),
s. Henrichsen, de fragm. Gottorpiensi Lucr., Eutin 1846. S. bes. Lachmanns
Commentar p. 3. Auch Polle, Phil. 25, 528. 517. — Woltjer (neue Prüfung
der Leidenses), JJ. 119, 769. Dort auch ein verfehlter Versuch, bis zu einem
noch älteren als dem Lachmannschen Archetypus aufzusteigen: s. dagegen
Brieger, JJ. 127, 553. — Eine jener interpolierten italienischen Hss. ist der
Monac. 816 a s. XV, einst im Besitze des PVictorius (cod. Victorianus) : die
Verbesserungen darin rühren wahrscheinlich von Pontanus' Schüler MMa-
rullus (f 1500), her; s. LSpengel, Münchn. Gel. Anz. 33 (1851), 771. WChrist,
quaest Lucr., Münch. 1855. EGöbel, quaest. Lucr. crit., Salzb. 1857: RhM.
12, 453. De cod. Victor, von Sauppe, Schriften 423 und Bouterwek (Halle
1865). Munros Ausg. p. 7. 27.
10. Auf dieser hs. Grundlage stellte Lachmann zuerst den Text des
Lucretius her in seiner epochemachenden Bearbeitung, die jedoch in der
Annahme von Textstörungen und demgemäß in der Aufnahme eigener Ände-
rungen (Umstellungen) viel zu weit ging: Lucretii de rerum natura libri
sex. CLachmankus recensuit et emendavit, Berol. 1850 (41871), dazu: Lach-
manni in L. libros commentarius, Berol. 1850 (41882; zum Commentar index
copiosus von Härder, Berl. 1882). — Vgl. die Übersichten von Polle, Phil.
25, 484. 26, 290. 524. ABrieger, JB. 2, 1097 bis 126, 1 (1903).
11. Ausgaben (vgl. Munro 1, p. 3 — 23). Aldina I (1500) cura HAvancti;
cum comm. BPh, Bonon. 1511. Iuntina (cura PCandini), Flor. 1512. Cum
comm. Lambini, Par. 1564. 1570. Francof. 1583 und oft. Cum collectan.
Gifanii, Antv. 1566 und oft. Cum notis ThCreech, Oxon. 1695 und oft. Cum
notis var. ed. Havercamp, Leid. 1725 IL Ed. CWakefield, Lond. 1796 III,
Glasg. 1813 IV (vgl. Madvig, op. 1, 306). Ed. Eichstaedt, Vol. I (Prolegg.,
Text, Index) Lps. 1801. Ed. Forbiger, Lps. 1828. Rec. CLachmann (s. A. 10).
§ 204. Die jüngere Generation 479
Ed. JBernavs, Lps. 1852. Ed. Brieger, Lps. 1894 (1899), Bailey, Oxf. 1898,
Merrill, New York 1907. With notes and a translation by JMunro, Cambr.5
1903 III (daneben auch Textausgabe). Redigiert und erklärt von Bocke-
müller, Stade 1873. 74 II. Mit Comm. von Giussani, Turin 1896—98 IV.
Commentar zu B. 1 von Bernays in Ges. Abh. (Berl. 1885) 2, 1. — B. 3 erkl.
von RHeinze, Lpz. 1897 (vortrefflich); von Duff, Cambr. 1903. B. 1 von Pas-
cal, Rom 1904; B. 1, 1 — 550 von Benoist u. Lantoine, Par. 1892. With in-
trod. and notes to 1. I. III. V by FKelsev, Boston 1884. B. 5 av. comment.
par Benoist et Lantoine, Par.5 1906; von Ragon, Paris 1897.
12. Übersetzungen von LvKnebel (Lpz. 1821 u. 1831), WBinder (Stutt-
gart 1868 f.), MSeydel (München 1881).
204. Die jüngere Generation, deren beste Lebensjahre in die
stürmische Zeit des Bürgerkrieges zwischen Caesar und Pompeius
fielen, war genötigt, in diesen Kämpfen Stellung zu nehmen, und
erhielt dadurch einen leidenschaftlich erregten Charakter, wie im
Leben so großenteils auch in der Literatur. Getragen von den Er-
gebnissen der bisherigen Entwicklung, mit hellenischer Bildung ge-
sättigt und der eigenen Kraft bewußt, schlug man mutig neue Bahnen
ein und suchte es den Griechen auch in der Feinheit der Technik
gleich zu tun. Sallust in der Geschichte, Catull in der Poesie zei-
gen, wie erfolgreich dieses Streben war; und beide Altersgenossen
waren nur die hervorragendsten unter einer großen Zahl von Mit-
strebenden: in der gebundenen Form Varro Atacinus und Licinius
Calvus, der dem Catull wohl nahezu gleichkam; auf anderem Ge-
biete der Syrer Publilius: in prosaischer Darstellung M. und D. Bru-
tus, Caelius Rufus, Cornificius, Curio, Furnius und viele andere.
Sogar eine Frau, Hortensia, erscheint unter den Rednern, andere
Frauen, wie Catulls Lesbia, machen Gedichte. Diese Zeitgenossen
verfolgen in der Beredsamkeit teilweise unter dem Einflüsse der
attizistischen Strömung die gleiche Geschmacksrichtung auf das
Einfache und Schmucklose, aber mit solcher Absichtlichkeit, daß
von einer Rückkehr zur Natur nicht die Rede sein kann. In der
Poesie streben sie in der Wahl der Stoffe wie in der Technik den
alexandrinischen Dichtern nach und zeigen daher auch unterein-
ander eine große Familienähnlichkeit. So verfassen Epyllien mit
mythologischem Inhalt Valerius Cato (Diana), Catull (Hochzeit des
Peleus), Calvus (Io), Cinna (Zmyrna), Cornificius (Glaucus), Caeci-
lius (Cybele); Epithalamien und Hymenäen Catullus, Calvus und
Ticidas; für Spottgedichte ist der Hendekasyllabus beliebt. Dann
entsprach es dem alexandrinischen Vorgang, freilich auch den locke-
ren Sitten der Zeit und dieser Kreise, daß fast ein jeder gelegent-
480 Ciceronische Zeit: J. 63—43 v. Chr.
lieh auch Liebesgedichte fertigte. In den politischen Anschauungen
aber gehen sie auseinander, und diese üben einen großen Einfluß
auf die Literatur aus. Wie bedeutende Zeitereignisse alsbald eine
ganze Literatur hervorrufen, so begleitet die Poesie mit ihren Gaben
die Männer und Vorgänge des Tages; die Geschichtschreibung ver-
rät durch Wahl und tendenziöse Behandlung des Stoffes den Ein-
fluß der Politik, und die Beredsamkeit fängt bereits an ihn darin
zu empfinden, daß ihr das gewohnte Feld der Wirksamkeit ver-
kümmert wird.
1. Epigramme auf Zeitereignisse s. § 31, 2. Iamben § 33, 2. Trochäen
zB. auf den Tod des Crassus: § 11, 2 E. Cic. ad Q. fr. 2, 3, 2 (J. 56) cum
omnia maledicta, versus denique öbscenissimi in Clodium et Clodiam diceren-
tur. Die anonymen Epigramme zum Preise Caesars und bes. seines Zuges
nach Britannien aus dem cod. Voss. 86 (AL. 419—426. PLM. 4, 59—71)
beziehen sich auf Kaiser Claudius (426, 7 Germanice Caesar).
2. Zu dieser Generation gehört (außer Bibaculus § 192,4) auch Maecius.
Er war J. 55 von Pompeius bei der Einweihung seines Theaters mit der
Auswahl der Stücke betraut. Cic. ep. 7, 1, 1 nöbis erant ea perpetienda,
quae Sp. Maecius probavisset (hier hat der Med.: quae s. p. maecius, d. i.
Sp. Maecius, wie im Sc hol. Cruq. S. 735 b Spurius Metius Tarpa steht; un-
richtig ist: quae scilicet P. Maecius, so Victorius, auch Jordan, Herrn. 8, 89).
Hör. sat. 1, 10, 38 nennt den Tarpa in einer Art Amtsstellung (etwa als
magister collegii) bei Dichtervorlesungen im collegium poetarum (§ 94, 7.
134, 2). Dazu vgl. Porph. nam hi fere, qui scaenae scribebant, ad Tarpam
(vorher Maecius Tarpa) velut emendatorem ea adferebant. Vgl. Verhandl.
Heidelb. Philol.-Vers. 163. Nipperdey, op. 503. Man wird den Maecius nicht
früher ansetzen dürfen, da er noch bei Hör. AP. 287 als lebend erwähnt
und noch der junge Piso (§ 239, 7) für seine künftigen Gedichte an das
Urteil des Maecius (Maeci iudicis) verwiesen wird. Auch in Donats Zusatz
zu Süetons vita Ter. p. 25 R. duos Terentios poetas fuisse scribit Maecius
ist wahrscheinlich derselbe Tarpa gemeint.
205. C. Sallustius Crispus aus Amiternum (J. 86 — 35) wid-
mete nach einem bewegten Leben seine letzten Jahre, nach Caesars
Tode, der Geschichtschreibung. Als treuer Anhänger Caesars und
gemaßregelter Senator hatte er Grund zum Hasse gegen die Opti-
maten und stellte seine Feder in den Dienst dieses Hasses. Zuerst
verfaßte er eine Schrift über die Verschwörung des Catilina (bel-
lum Catilinae), mit scheinbarem Streben nach Unparteilichkeit, in
Wahrheit, um die Verschwörung als eine Folge der sullanischen
Restauration hinzustellen und der von Cicero gegebenen Darstellung
entgegen zu arbeiten. Die Behandlung läßt in der Feststellung des
Tatsächlichen und der zeitlichen Folge der Ereignisse öfters Ge-
nauigkeit vermissen, sie sucht vielmehr die inneren Zusammenhänge
§ 205. Sallust: Leben 481
der Tatsachen, die Stimmung der Zeit und die Beweggründe der
leitenden Männer zu erforschen und stellt sie in einer teils eigen-
artig gewählten, teils an Cato angelehnten Sprache künstlerisch ab-
gerundet dar. In Vorzügen und Mängeln steht dem Catilina der Krieg
gegen Iugurtha nahe. Er führt die römische Senatsherrschaft
in ihrer tiefsten Entwürdigung vor und schließt mit dem Ausblick
auf den Helden der Demokratie Marius. Je ruhiger und kühler die
Haltung ist, die der Geschichtschreiber anscheinend annimmt, um
so lebhafter fühlt sich der Leser von der kunstvoll gesteigerten Er-
zählung ergriffen. Endlich das umfangreichste und ausgereifteste
Werk des Sallust, die fünf Bücher Historiae, setzten das Werk
des Sisenna fort; sie begannen mit Sullas Todesjahr (J. 78) und
waren bis 67 geführt, vielleicht ohne zum Abschluß gelangt zu
sein. Das Werk war ähnlich angelegt wie die beiden kleineren
Schriften: erhalten haben sich daraus nur vier Reden, zwei Briefe
und — neuerdings nicht unerheblich vermehrte — Bruchstücke.
Fälschlich tragen Sallusts Namen zwei Suasorien ad Caesarem se-
nem de republica und eine invectiva gegen Cicero, an die Ciceros
Erwiderung angeschlossen ist.
1. Die Schreibung Sallustius ist die besser beglaubigte und etymologisch
richtige. — Hieronym. zu Euseb. ehr. ad a. Abr. 1930 = 87 (im cod. Freher.
erst zu 1931 =86) Sallustius Crispus scriptor historicus in Sabinis Amiterni
nascitur (vgl. Ciiron. min. 1, 214 M. Mario VII et Cinna II [J. 86]. Ms
conss. natus est Salustius die Jcal. Od.); und ad 1981 = 36 Sallustius diem
öbiit quadriennio ante Actiacum bellum. Chron. pasch. 1, p. 347 Dind.:
. . vTcdtcav Magiov tb £' y.cä Klvvcc xb ß' (J. 86) UccXovßtiog iyevvrjd'r} xa-
Xuvdcug öxrcö/?(Hcas , und p. 359 vjc. Kivöcoglvov xca £aßivov (J. 39) Ecclov-
cziog ccTti&avs %qo XQiüv Idütv [Lutdiv (13. Mai) = Chron. min. 1, 217 Pulcro
et Flacco (J. 38). his conss. obiit Salustius die III. id. Mai. Gell. 17, 18
M. Varro . . in libro quem scripsit "Pius aut de pace* C. Sallustium scripto-
rem seriae illius et severae orationis, in cuius historia noiiones censorias fieri
atque exerceri videmus, in adulterio deprehensum ab Annio Milone loris bene
caesum dicit (nach Sallusts Tode, Varro f 27) et cum dedisset peeuniam
dimissum. Vgl. Porph. Hör. sat. 1, 2, 41. Serv. Aen. 6, 612. Ps. Cic. in
Sali. 14. — Volkstribun 52. Ob 50 leg. pro quaest. in Syrien? Mommsen,
Herrn. 1, 171 = Rom. Forsch. 2, 434. Durch die Censoren J. 50 aus dem
Senat gestoßen (Ps. Cic. 16. Dio 40, 63); von Caesar 49 wiedereingesetzt
durch (erneuerte) Übertragung der Quaestur (Ps. Cic. 17; vgl. 21). J. 48 be-
fehligte er eine Legion in lllyrien (Oros. 6, 15, 8). J. 47 Caesars Unterhänd-
ler mit den aufständischen Legionen in Campanien (App. b. c. 2, 92. Dio
42, 52, 1). J. 46 Praetor (b. Afr. 8. 34) und Statthalter von Afrika; bell.
Afr. 97. Als solcher bereicherte er sich durch Erpressungen und kaufte
Caesars Villa in Tibur sowie die horti Sallustiani; s. Ps. Cic. 19. Dio 43, 9.
Tac ann. 3, 30 Crispum equestri ortum loco C. Sallustius, rerum Born, floren-
Teuffel: röm. Literaturgesch. Neub. 6. Aufl. I. 31
482 Ciceronische Zeit: J. 63—43 v. Chr.
tissimus auctor, sororis nepotem in nomen adscivit usw. (vgl. Hon, carni. 2, 2.
sat. 1, 2, 48) — Bildnisse? Bernoulli, röni. Ikonogr. 1, 200.
2. Sall. Cat. 4 ubi animus ex multis miseriis atque periculis requievit
et mihi reliquam aetatem a re publica procul habendam decrevi . . . statui res
gestas populi B. carptim, ut quaeque memoria digna videbantur , perscribere
. . . igitur de Catilinae coniuratione quam verissume potero (!) paucis
absolvam. Der ursprüngliche Titel ist kaum zu ermitteln; Sali, spricht im-
mer von coniuratio, die Alten nennen sie oft Catilina, die Hss. bellum Cati-
linae oder b. Catulinarium (darüber Wölfflin, Arch. Lex. 1, 277), vgl. auch
die Suidasstelle A. 7. Verfaßt ist sie nach Caesars Tode (53. 54); über die
Abfassungszeit Büdinger, SB. Wien. Ak. 123, 3. Hauptquelle war vielleicht
Cicero de consiliis suis (§ 186, 3), und es ist nicht unmöglich, daß die Ver-
öffentlichung dieser Schrift dem Sali, die Feder in die Hand drückte. Jeden-
falls behandelt er Cic. mißgünstig und verkleinert seine Verdienste nicht
nur unter das Maß, das Cic. selbst ihnen gab, sondern auch unter das
historisch richtige. Das Gerücht von Caesars Beteiligung an der ersten Ver-
schwörung widerlegt er, indem er es ignoriert, aber von dem Crassus' Be-
teiligung betreffenden Klatsch redet, ohne eine Entscheidung zu treffen;
seine Beteiligung an der zweiten ist von seinen aristokratischen Neidern
aufgebracht (c. 49). Sein eigentliches Ziel ist aber, die Verschwörung und
die Korruption , aus der sie hervorging , als eine Folge der oligarchischen
Mißwirtschaft, besonders der Sullanischen Restauration hinzustellen. Cati-
lina erscheint — weit über seine wirkliche Bedeutung hinaus — als ein
Zentrum aller oligarchischen Laster. Wenn Sali, der Sempronia eine wichtige
Rolle und sogar eine Charakteristik gab, so tat er dies wohl aus Feindschaft
gegen ihren Sohn, den Caesarmörder D. Brutus. Sachliche (namentlich zeit-
liche) Ungenauigkeiten sind der Darstellung vielfach nachgewiesen worden.
RDietsch, quo tempore quoque consilio Sali. Catilinam scripserit, Grimma
1856. WIhne, Würzb. Philol.-Vers. (Lpz. 1869) 105. Dübi, de Cat. Sali. fönt,
ac fide, Bern 1872; JJ. 113, 851. CJohn, Entstehungsgesch. der Catil. Ver-
schw., JJ. Suppl. B. 8, 701; RhM. 31, 401. Buresch, Comm. Ribbeckianae
219. JBesser, de Catil. coniur., Lps. 1881. Thiaucourt, Etüde sur la coniur.
de Cat. de Sali., Paris 1887. Falke, De Sali. Cat., Münster 1894. Bauz, Die
Würdigung Ciceros bei Sali., Einsiedeln 1904. ESchwartz, Herrn. 32, 554
(grundlegend). RWirtz (A. 6) 25. S. auch § 179, 20, 1.
Ausgaben von FKritz, ed. illustr., Lps. 1828. RDietsch, Lpz. 1864.
Schmalz, Gotha2 1886. PThomas, Brüss. 1884. MCook, Lond. 1884. AEussner,
Lpz. 1887. Ahlberg, Göteb. 1911 (maßgebender Apparat). — Übersetzt von
CHolzer, Stuttgart 1868.
3. lug. 5 bellum scripturus sum, quod P. B. cum Iugurtha gessit, pri-
mum quia magnum et atrox variaqae victoria fuit, dehinc quia tunc primum
superbiae nobilitatis obviam itum est. Bellum Iugurthinum (so in der
Überschrift des Paris. Sorb. und bei Quint. 3, 8, 9), wohl hauptsächlich nach
Poseidonios und Sisenna (optume et diligentissime omnium qui eas res dixere
persecutus 95, 2); zweifelhaft bleibt die Benutzung der Denkwürdigkeiten
des Sulla, Scaurus und Rutilius und anderer Quellen (ebd. 17, 7 ex libris
PuniciSf qui regis Hiempsalis dicebantur, nobis interpretatum est). Am ehesten
läßt sich die Abhängigkeit von Sulla in c. 105—113 glaublich machen. Vi-
§ 205. Sallust: die einzelnen Werke 483
telli, Stud. it. 6, 353. In Ortsschilderung, Völkerkunde und Chronologie
ist die Darstellung nicht sehr zuverlässig. Auch hier schreibt Sali, gegen
die Nobilität, wenn er auch sehr geschickt die Maske der Unparteilich-
keit trägt. Iugurthas Person ist im Grunde nebensächlich, so sehr, daß
nicht einmal sein Ende erzählt wird. Für ihn handelt es sich um die Be-
stechlichkeit (avaritia magistratuum 43, 5) und den Hochmut (64, 1 von
Metellus: contemptor animus et superbia, commune nobilitatis malum) der
Optimaten, denen es damals zuerst gelingt eine Niederlage beizubringen.
Das geschieht durch das Auftreten des Memmius, dem eine bedeutungsvolle
Rede in den Mund gelegt wird (c. 31), durch die lex Mamilia und nament-
lich durch die Wahl des Marius zum Consul. Mit dem Ausblick auf ihn
schließt die Schrift: ihm wird Gallien und damit der Krieg gegen die Cim-
bern übertragen. Die Schrift schließt mit den Worten: et ea tempestate spes
atqiie opes civitatis in Mo sitae. Anlage (Einleitung, Exkurse, Reden) wesent-
lich dieselbe wie im Catilina; sogar Wiederholung von Wendungen aus die-
sem und dem lug. selbst; doch ist das Verhältnis der einzelnen Teile mehr
ausgeglichen, WIhne, ZfGW. 34, 47. HWirz, d. stoffl. und zeitl. Gliederung
des lug., Festschr. d. Zur. Kantonsschule 1887, 1. Lauckner, Die künstler.
u. polit. Ziele d. Monogr. üb. d. lug. Krieg, Lpz. 1911. — Ausgaben von
GHerzog, Lpz. 1840. OEichert, Bresl. 1867. PThomas, Brüss. 1877. Brooke,
Lond. 1885. Ahlberg, Göteb. 1915. — Widmann, de Memmii oratione, Blau-
beuren 1857. Mommsen, Herrn., 1, 427; über die von Sali, vernachlässigte
Chronologie des Krieges ders., RG. 26, 146. 155. Pelham, Journ. phil. 7
(1877), 91; Lauckner 57. Lafaye, Mel. Boissier 315. VCanter, Cl. Journ.
6, 290. Für die Genauigkeit der Ortsschilderungen JSchmidt, RhM. 44, 397.
45, 318. Übersetzt von CHolze, Stuttg. 1868.
4. Historiae, ihrem Stoffe nach eine Fortsetzung von Sisennas Werk.
Absichtliche Übergehung der Geschichte des Sulla, lug. 95, 2. Der Inhalt
erstreckte sich bis senos per annos (Auson. op. 13, 2, 61). Der Beginn mit
J. 78 ist sicher (Anfangsworte : Res populi Born. M. Lepido Q. Catulo coss.
ac deinde militiae et domi gestas composui; vgl. auch Auson. aO.), und nichts
in den Überresten weist über J. 67 hinaus, so daß es nahe liegt, das Werk
für unvollendet zu halten. Die Anordnung war annalistisch, die Darstellung
trotz der Versicherung 1, 6 neque me diversa pars in civilibus armis movit
a vero ebenso parteiisch wie in den Monographien. Das 1. Buch enthielt
zu Anfang eine von Haß gegen die Nobilität durchsetzte Sittengeschichte
und eine zurückgreifende Erzählung der Geschichte Sullas, der ebenso miß-
günstig charakterisiert wurde wie später Pompeius, Metellus und Lentulus,
während Sertorius herausgestrichen und gegen die invidia scriptorum (1, 88)
in Schutz genommen wird. Auch hier waren geographische Exkurse ein-
gelegt, in denen Sardinien und Corsica (B. 2), Pontus (B. 3) und das fretum
Siculum (B. 4) geschildert waren. Für die Zwecke der Rhetorenschule veran-
staltete man, vielleicht im 2. Jahrh. n. Chr., eine Sammlung aller sallusti-
schen Reden (15) und Briefe (6), geordnet nach ihrer Reihenfolge in den
Bella und Historiae (HJordan, Herrn. 6, 74): darin sind aus den Hist. er-
halten vier Reden Lepidi, Philippi, Cottae, Macri (KJNeumann, Herrn. 32,
314) und zwei Briefe Cn. Pompei (Sabbadini, Boll. fil. 2, 213) und Mithridatis.
Vollständig ist diese Sammlung uns nur durch Vatican. 3864 s. X (Facsim.
31*
484 Ciceronische Zeit: J. 63—43 v. Chr.
bei Chatelain T. 54, 2) überliefert: darin die Bemerkung: C. Crispi Sallusti
orationes excerptae de bellis explicit feliciter. C Crispi Sallusti orationes ex-
cerptae de historiis incipit feliciter. Orelli, bist. crit. eclogarum ex Sali,
bist, Zur. 1833. Wölfflin, Phil. 17, 154 und bes. Jordan, RhM. 18, 584.
Sonderausg. von Fighiera, Savona 1897. — Außerdem einige größere Über-
reste aus B. 2 und 3, erhalten durch Teile einer Hs. s. IV/V, die sich in
Berlin, Rom und besonders in Orleans befinden und die sich als zu den
hist. gehörig schon dadurch erweisen, daß darin der Anfang der Rede des
Cotta und der Schluß des Briefes des Pompeius (s. oben Z. 21) erhalten ist;
das fragmentum Berolinense (in Toledo gefunden, zuerst herausg. von Pertz,
Abh. Berl. Akad. von 1847, Berl. 1848, als Fragm. des Sallust erkannt von
Roth, RhM. 8, 433); die fragmenta Vaticana Reg. 1283 (Faksimile in
Zangem.-Wattenbachs Exempla Tf. 7 u. bei Chatelain Tf. 51 ; vgl. HJordan,
Herrn. 5, 396. 14, 634. Hauler, Wien. Stud. 10, 136); die fragmenta Aure-
lianensia (cod. 196 M) 1886 entdeckt und von Hauler entziffert; vgl. Wien.
Stud. 9, 25 (auch ebd. 16, 247): alles auch in Jordans Ausg.3 1887 p. 127.
Diese Fragmente beziehen sich auf die Jahre 75 — 73. — Benützt wurden
die Historien von Livius u. a., von Plutarch und Cassius Dio, besonders
auch von Licinianus und Iulius Exuperantius (§ 445, 3); wir können ihre
Existenz bis ins 5. Jahrh. verfolgen. Über die direkte und indirekte Be-
nutzung vgl. Maurenbrecher, Ausg. 1, 2; JB. 101, 249. Neuere Sammlungen
der Überreste der Hist. von Kritz (Lps. 1853; Erfurt 1856), dann in
Dietschs Ausg. v. 1859 Bd. 2, B Maurenbrecher, Lpz. 1891/93 II (maßge-
bend). Für die Reden, Briefe und die selbständig erhaltenen Bruchstücke
(s. o.) bes. Jordans Sallust3 1887, 111. Vgl. HJordan, de Sali. hist. libri II
reliquiis, Königsb. 1887. Jürges, De Sali. hist. reliquiis, Gott. 1892. —
Sali. orat. et epist. ex hist. ed. Orelli, Zur. 1831 (und öfters). GLinker,
Sall.^ hist. prooemium . . restituere tentavit, Marb. 1850. Schlimmer, hist.
rerum gest. in Sali, libris, Utr. 1860. Vgl. RKlotz in Jahns Arch. 15, 362.
4 a. Das Urteil des Seneca contr. 3 pr. 8 orationes Sallustii in honorem
historiarum leguntur bezieht sich nicht auf die in die Geschichts werke ein-
gelegten, sondern auf selbständige Reden des Sali. Ascon. 34, 30 bezeugt
inimicissimas contiones de Milone aus J. 52. Ribbeck, RhM. 46, 333. Fronto
p. 123 Ventidius itte, postquam Parthos fudit fugavitque, ad victoriam suam
praedicandam orationem a G. Sallustio mutuatus est. Diese Rede konnte er
etwa bei seinem Triumph (27. Nov. 38) vortragen; sie mag eine Hauptquelle
für den Partherkrieg gebildet haben. Hirschfeld, Sehr. 780.
5. Durch denselben Vaticanus 3864 (A. 4 Z. 22) sind überliefert eine
Rede und ein Brief Ad Caesarem senem de re publica, beide sicher aus
der Kaiserzeit und der Rhetorenschule , die das Thema behandelte (Quint.
3, 8, 47 C. Caesari suadentes regnum adfirmabimus, stare iam remp. nisi
uno regente non posse). Die Rede gibt sich als nach dem Siege gehalten,
und der Zeitpunkt könnte, falls der Verf. sich überhaupt den Kopf des-
wegen zerbrochen hat, der Herbst 47 sein. Der Verf. hat die Vorstellung,
daß dem Staat mit allgemeinen Redensarten und Deklamationen über den
Reichtum, den Luxus usw. geholfen werden könne; darin Banalitäten wie
5, 4 suam quoique rem familiärem finem sumptuum statueris und utopische
Vorschläge wie 7, 7 quare iollendus est fenerator in posterum, uti suas quis-
§ 205. Sallust: Fälschungen 485
que res curemus . . Die positiven Vorschläge stehen in zwei Sätzen am
Schlüsse 8, 6 ne uti adhuc militia iniusta aut inaequalis sit, cum dlii tri-
ginta pars nullum Stipendium faciant. et frumentum id, quod antea prae-
mium ignaviae fuit, per municipia et colonias Ulis dare conveniet, qui stipen-
diis emeritis domos reverterint. Als Stilübung nach Sallust, dessen Wort-
und Gedankenschatz, Orthographie und Syntax bis zur Übertreibung nach-
geahmt werden (immane dictust 2, 7), ist die Leistung ganz achtbar; daß
sich historische Verstöße nicht finden, will bei der geringen Zahl mitge-
teilter Tatsachen nicht viel besagen: jedoch wird man das Schriftchen
nicht zu tief herunterrücken wollen. Die Beispiele für Pompeius' Grausam-
keit (Domitius, Carbo, Brutus) waren der ßhetorenschule nicht fremd (Val.
Max. 6, 2, 8). — Der Brief (12, 1 perlectis litteris) will geschrieben sein
nach der Unterwerfung Galliens (12, 5), als Caesar noch dort weilt (2, 2
inter labores militiae interque proelia victorias Imperium statui admonendum
te de negotiis urbanis) und der Konflikt mit dem Senat bereits ausgebrochen
ist; der adversus consul (2, 3) könnte dann C. Claudius Marcellus Cos. 50
sein (Pöhlmann 234), aber hier fehlt es nicht an Auswahl. Wunderlich ist,
daß als besonders gefährliche nobiles M. Bibulus, L. Domitius, M. Cato
(als ingenium versutum loquax callidum), L. Postumius (sonst unbekannt)
und M. Favonius genannt werden (c. 9), aber nicht Pompeius u. a. Noch
wunderlicher,, daß der Verf. dem Caesar in einem Augenblicke, wo Krieg
und Sieg noch zweifelhaft waren, eingehende Ratschläge für die Reform
des Staatswesens gibt. Neben soliden Kenntnissen findet sich ebenso leeres
Geschwätz wie in der Rede (Deklamationen gegen Reichtum und Habsucht
7, 3. 8, 4) und ein grober historischer Irrtum, 4, 2: at hercule a M. Catone
(Herculem catonem Hs.) L. Domitio ceterisque eiusdem factionis quadraginta
senatores, multi praeter ea cum spe bona adulescentes sicutei liostiae mactatae
sunt — eine Stelle, der man weder durch Textänderung (Pöhlmann 226)
noch durch Interpretation (Bardt, Berl. phil. Woch. 1904, 940) aufhilft. Die
Prosopopoiia der patria am Schlüsse (vgl. Cic. orat. 85) weist auf die Rhe-
torenschule; die Rede und die Invective gegen Cicero sind bereits benutzt.
Die beiden Machwerke stammen trotz der Sallustnachahmung hier und dort
schwerlich von demselben Verfasser, wie Orelli und Jordan annehmen;
letzterer setzt diesen in die Zeit zwischen den Flaviern und Antoninen,
Orelli in die des Fronto und hält ihn für den Urheber der Zusammenstel-
lung der sallustischen Reden und Briefe. Vgl. Teuffel, Tübinger Progr.
1868, 13. HJoRDAn, de suasoriis ad Caes. senem, Berl. 1868 (gut). OHar-
tung, de Sali, epistolis ad Caes., Halle 1874. Den sallustischen Ursprung
beider verficht wieder Spandau, eine Salluststudie, Baireuth 1869 und na-
mentlich Pöhlmann, Aus Altertum und Gegenwart NF. (München 1911) 184;
den des Briefes ebenso wenig überzeugend LHellwig, de genuina Sali, ad
Caes. epistula, Lpz. 1873. S. dagegen F Vogel, act. semin. Erlang. 1, 341.
KSchenkl, ZföG. 22, 668. Bester Text in Jordans Sallust3 141.
6. Die gegenseitigen invectivae (diese Benennung gibt die Überliefe-
rung, daneben auch controversiae : Gurlitt, Phil. Suppl. 5, 597) Sallusts
und Ciceros stammen sicher nicht von diesen beiden. Die des Sallust will
die Antwort auf maledicta sein, die Cicero im Senat gegen ihn geschleu-
dert hatte, ohne daß Bezug auf diese genommen würde. Reitzenstein und
486 Ciceronische Zeit: J. 63—43 t. Chr.
Schwartz, welche die Rede wirklich im Senate gehalten sein lassen, nehmen
daher den Ausfall des Teiles an, der diese Antwort enthalten habe. Fast
alles paßt ins J. 54 und auf einen Gegner, den Cicero ähnlich gereizt hatte
wie Piso, ohne daß doch dieser (wie Schwartz annimmt) der Verf. sein
kann. Aber die Annahme, daß Cicero noch in dem Hause des Crassus
wohne, das in Wahrheit im J. 58 zerstört war, macht diesen Ansatz un-
möglich. Auch die Behauptung, daß Cic. im Senat eine Tyrannis ausübe
(1 E.), paßt nicht zu seiner Stellung im J. 54, sondern eher auf die Zeit
nach Caesars Tode. Eher wäre es möglich, an ein dem Sallust nach dessen
Tode untergeschobenes Pamphlet zu denken (vgl. § 180, 1). Der Ton ist
maßlos heftig, vgl. 5 liomo levissimus, supplex inimicis, amicis contumeliosus,
modo liarum modo illarum partium, fidus nemini, levissimus Senator, mer-
cennarius patronus, cuius nulla pars corporis a turpitudine vacat: lingua
vana, manus rapacissimae, gula immensa, pedes fugaces, quae honeste nomi-
nari non possunt inlwnestissima. Die Ähnlichkeiten mit der Rede des Cale-
nus bei Dio 46, 1 fll. stammen wohl aus der Benützung gleicher Quellen.
Die Schriften Ciceros sind fleißig benutzt, während sich beweisende An-
klänge an Sallust nicht finden; s. die Nachweise von Kurfess unter dem
Texte. Die Schrift wird schon von Quintilian arglos als sallustisch ange-
führt (4, 1, 68; 9, 3, 89; auch 11, 1, 24); weiterhin ebenso von Donatus und
Servius (s. diesen zur Aen. 6, 623). Die invectiva in Sallustium (20) wird
von Diomed. GL. 1, 387 unter dem Namen eines Didius zitiert, der sehr
wohl der Verf. sein kann: de perfecto (von comedor) amoigitur apud veteres,
comestus an comesus et comesurus. sed Didius (so die Hss.: Tullius Jordan,
Epidius Linker; s. § 211, 4. Brzoska, PW. 6, 59) ait de Sallustio (comesto
patrimonio\ Sie setzt die andere Invective voraus und erwidert auf ihre
Angriffe, indem sie die Tatsachen aus Sallusts Leben nicht ungeschickt
verwertet; für dieses ist sie eine zwar nicht lautere, aber keineswegs wert-
lose Quelle. Sie kann aus der Rhetorenschule stammen, obwohl sie sich
nicht in sorgfältiger Mimesis Ciceros gefällt. Reitzensteih aO. 92. RWirtz
aO. 51. Vgl. Corradi, quaestura 85, GHerzog (Programme v. Gera 1834 fll.),
Vogel, Act. Erlang. 1, 325. Reitzenstein, Herrn. 33, 87. ESchwartz ebd. 101.
HWmz, Festg. f. Büdinger, Innsbruck 1898 (mit Text). Scholl, RhM. 57,
159. Zielinski, Cic. im Wandel der Jahrh. 347. RWirtz, Beitr. z. Catil.
Verschwörung, Bonn 1910. PPetzold, De Cic. obtrectatoribus , Lpz. 1911,
29. 66. Kurfess, JVTnem. 40, 364. Erhalten in alten Hss. von s. X an; vgl.
Kurfess, De Sali, in Cic. invect. , Berl. 1913. Textrevisionen von Baiter in
Orellis Cic. 22, 1421; Baiter-Kaysers Cic. 11, 147 (in Müllers Cic. 4, 3, 315);
Jordans Sallust (31887) 155. Sonderausgabe von Kurfess, Lpz. 1914 (dort
p. XIII weitere Literatur).
7. Alte Erklärer. Aemilius Asper (Lyd. de magistr. 3, 8 Al^iiXiog iv xm
v7to[ivriiLccTi %<hv ZaXXovatiov lötOQimv. Charis. GL. 1, 216, 28 Asper commen-
tario Sallustii historiarum I)\ s. § 374, 1. Suidas v. Zr\voßios: Zr]v6ßios
60(pi6trjs naidsvöccs iitl jLöqiixvov Kcci6(XQog zygaips . . neTcccpQcc6iv zXXriviH&g
tobv Igxoql&v 2ccXov6tiov tov Qa^at-nov Ictoqlxov tüv kccXov[l£v(üv ccvrov
BsX&v (Bella). Ein Unbekannter zum Catil. bei Suringar, hist. schol. 1, 254.
Wie eine Sammlung der Reden (s. A. 4), so gab es vielleicht (vGutschmid)
eine der geographischen Abschnitte des Sallust (?). Vgl. Müllenhoff, Deutsche
§ 205. Sallust: Nachleben und Überlieferung 487
Altertumskunde 1, 75. — Lob der sallustischen Ortsschilderungen bei Li-
cinianus unten § 206, 4 E. und Avien. ora marit. 36 inclitam descriptionem ,
qua locorum formulam imaginemque . . . paene in obtutus dedit lepore linguae.
8. Handschriften. Über die Überlieferung der Reden und Briefe aus
den Historien s. A. 4. — Die Hss. der Bella zerfallen in zwei Klassen^
In der besseren (mutili) fehlt lug. 103, 2 bis 112, 3. Die besten Vertreter
derselben sind vor allen Paris. 16024 (Sorb. 500) s. X (Chatelain Tf. 52, 1),
dann Paris. 16025 (Sorb. 1576) s. X (Chatelain Tf. 52, 2); sonst gehört zu
ihr zB. der Nazarianus (Palat. 889 s. XI): Die * andere (sonst vielfach ver-
fälschte) Klasse (integri) füllt jene große Lücke im lug. aus und bietet auch
sonst mehrfach (Cat. 6, 2. lug. 21, 4. 44, 5) Echtes, das in der ersten Klasse
ausgefallen ist: sie ist durch Hss. von s. XI an vertreten. Ihr Text geht
auf denselben Archetypus zurück wie der der mutili; die Ergänzungen sind
aus anderer Quelle eingetragen (ähnlich wie die Iuvenalverse im Oxon., s.
§ 331, 8). Sali, de bello I. partem extremam ed. Wirz, Zürich 1897. Mauren-
brecher, Die Überl. der Iugurthalücke, Halle 1903. Der Text des Vatic.
3864 (s. A. 4) für die Reden und Briefe geht auf antike Auszüge zurück
und beweist im Verein mit den Sallustzitaten der antiken Schriftsteller das
hohe Alter vieler Varianten. Sehr zu beachten ist, daß ein nur in minder-
wertigen Hss. erhaltener Satz C. 6, 2 sich in dem Oxyrh. Papyros 6, 195
s. V findet. Hauler, WSt. 17, 122. W Ahlberg, Proleg. in Sali., Göteb. 1911
(grundlegend). Ältere abweichende Ansichten über das Verhältnis der zwei
Klassen zu einander von Roth (RhM. 9, 129. 630), Dietsch (Ausg. von 1859),
Wölfflin (Phil. 17, 519, und dagegen Brentano, de Sallustii codd., Frankf.
1864 p. 2 ff.), HJordan (Herrn. 1, 231. 3, 460. 11, 330), HWirz, de fide cod.
Paris. 1576, Aarau 1867; Phil. Anz. 1, 151; ZGW. 31, 272. KNipperdey,
op. 540. Hertz, JJ. 95,318. AWeinhold, Acta Lips. 1,183. ThDieck, de
ratione quae inter Vat. 3864 et Paris. 500 intercedat, Halle 1872. GBöse,
de fide cod. Sali. Vat. 3864, Gott. 1874. OAnhalt, quae ratio in libris recen-
sendis Sali, adhibeatur, Jen. 1876. AEussner, Phil. 25, 343 u. im Würzb.
Festgruß (1868) 158. 184. LKuhlmann, de Sali. cod. Par. 500, Oldenb. 1881;
quaest. Sali, crit., Oldenb. 1887. Schlee, Zwei Berliner Sallusthss, Sorau
1899. ANitzschner , de locis Sali, qui ap. script. vet. leguntur, Gott. 1884.
Eingehende Übersicht von Maurenbrecher, JB. 101, 189.
9. Ausgaben zB. Basel 1538 (von Glareanus). Ed. Carrio, Antv. 1573.
1580. JGruter, Frankf. 1607. JWasse, Cantabr. 1710. E rec. et c. notis
GCortii, Lps. 1724 (Wiederabdruck Lps. 1825 ff.). Cum notis var. ed. Haver-
camf, Haag 1742 II (Wiederabdruck durch Frotscher, Lps. 1828 III), DGer-
lach (var. lect., commentarios et ind. adiecit, Bas. 1823 — 41 III; denuo ed.,
Bas. 1832; rec, adnot. crit., indicibus instruxit; acc. historicorum Rom.
fragm. a LRotl collecta, Bas. 1852 II; berichtigter Text, Stuttg. 1870),
FKritz (c. comm., Lps. 1828. 1834 f. II nebst Ind., wozu die Fragmenta 1853;
succincta annot. illustr., Lps. 1856), WFabri (mit Anmerk. Nürnb.2 1845),
COrelli (Zur. 1840 u. 1853), RDietsch (Lps. 1843—1846; große krit. Aus-
gabe, Lps. 1859 II; mit deutschen Anmerk., I. Lpz. 1864), RJacobs (Berl.
101894 von Wirz), Long-Frazer, Lond. 1884. Charpentier-Lemaistre, Par.
1908. Lallier, Par. 1912.
Texte zB. von GLinker (Wien 1855), AEussner (Lpz. 1887). AScheindler,
488 Ciceronische Zeit: J. 63—43 v. Chr.
3Lpz. 1907, IPrammer, Wien 1886 (dazu: sallust. Miszellen, Wien 1887), Noväk
(Prag 1888/91), Ramorino (Turin 1897), und besonders HJordan (mit knap-
pem kritischem Apparat, Berl.3 1887).
10. Übersetzungen zB. von Neuffer (Lpz. 1819), Cless (Stuttg. 1855
u. 1865 II), Dietsch (Stuttg. 1858).
206. Sallust ist eine stark ausgeprägte Individualität, und seine
Werke zeigen ein scharfes Profil schon deshalb, weil er sie in den
Dienst einer bestimmten Tendenz stellt und diese mit lebhafter
innerer Anteilnahme durchführt. Indem der Absicht, die Untaug-
lichkeit der Nobilität nachzuweisen, alles andere untergeordnet
wird, entsteht etwas in seiner Art Neues, das sich nicht restlos aus
der vorhergehenden Entwicklung der Historiographie erklären läßt.
Was ihn zur Anknüpfung reizen konnte, war die mit starken rhe-
torisch-pathetischen Mitteln arbeitende peripatetische Geschicht-
schreibung, die meist einzelne Persönlichkeiten in den Vordergrund
schob und oft aus der Darlegung ihrer Motive die Ereignisse ab-
leitete. Aber von dieser Darstellungsweise entfernten ihn zwei Dinge:
seine Tendenz und das Vorbild des Thukydides. Jene verbot es
ihm, die Personen einseitig zu betonen, die vielmehr auch der Ab-
sicht des Ganzen dienstbar gemacht werden mußten, und den Leser
durch abwechselnde Stimmungseffekte zu unterhalten, wofern nicht
auch diese im Sinne der Tendenz lagen. Zum Nachahmer des Thuky-
dides hat den Sallust gewiß die Vorliebe des modernen Attizismus
für diesen Schriftsteller gemacht-, aber er begnügt sich nicht mit
einer Nachbildung seiner Sprache und seines gedrängten, den Leser
zum Nachdenken zwingenden Stiles, sondern er gibt sich auch wie
jener den Anschein strenger Objektivität und hält alles fern, was
nicht für seine Erzählung unentbehrlich ist. Was ihn von Thuky-
dides unterscheidet, ist das größere Interesse für die handelnden
Personen und die Gewohnheit, sie zu charakterisieren, mit der er
an die hellenistische Geschichtschreibung anknüpft, namentlich aber
die raffinierte Verschiebung und Beleuchtung der Tatsachen, die
er seiner Tendenz zuliebe vornimmt und die ihn in den schärfsten
Gegensatz zu seinem Vorbilde stellt: der Anschluß an Thukydides
gerade in so subjektiven Werken wirkt beinahe wie perverses Raffine-
ment und wird nur durch die überlegene Kunst des Schriftstellers
möglich gemacht. In den von der Erzählung ganz losgelösten ge-
dankenreichen Prooemien, den scharf umrissenen Charakteristiken
und den geographischen Exkursen folgt er der Art des Poseidonios.
Im Stil entlehnt er vieles aus Thukydides und läßt Graecismen fast
§ 206. Sallust: Charakteristik 489
in demselben Umfange in die Sprache eindringen wie die auguste-
ischen Dichter; das archaische Kolorit, das die griechischen Kunst-
richter an Thukydides fanden, suchte er durch engen Anschluß an
Cato zu erreichen. So entsteht eine eigentümlich gemischte Sprache,
die seit den Zeiten des Archaismus lebhafte Bewunderung und Nach-
ahmung gefunden hat.
1. Mart. 14, 191 primus Bomana Crispus in Mstoria. Quint. 2, 5, 19
Livium a pueris magis (legi velim) quam Sallustium, etsi hie historiae maior
est auetor, ad quem tarnen intellegendum iam profectu opus sit. — Vellei.
2, 36, 2 aemulum Thucydidis Sallustium. Quint. 10, 1, 101 nee opponere
Thucydidi Sallustium verear. Sen. suas. 6, 21 hoc (zusammenfassende Be-
urteilung beim Berichten des Todes einer bedeutenden Person) semel aut
Herum a Thucydide factum, item in paucissimis personis usurpatum a Sal-
lustio. Über die historiographische Kunst des Sali, hat das Wichtigste
ESchwartz, Herrn. 32, 559 gesagt (vgl. PW. 3, 1690). Reitzenstein, Hellenist.
Wundererzählungen 84 bringt seine Monographien in Zusammenhang mit
Ciceros Brief an Lucceius (ep. 5, 12), in dem er eine Theorie der histori-
schen Monographie findet, doch s. Scheller, De hellenist. hist. conscr.
arte 80. Lauckner 59 (§ 36, 7). Im Grunde ist Sali, ohne die hellenistische
und speziell die peripatetische Geschichtschreibung nicht denkbar, wenn
er auch auf ihre Mittel zu verzichten scheint; und in den Exkursen, nicht
bloß den geographischen, sondern auch den sittengeschichtlichen und der
Charakterzeichnung dienenden folgt er dem Poseidonios. Theissen, De Sali.
Liv. Tac. digressionibus, Berl. 1911. Vgl. Wachsmuth, Einl. 657.
Daß der moralisierende, wohl auch von Poseidonios beeinflußte Ton
(§ 236, 4) zu dem Vorleben Sallusts wenig stimme, ist oft bemerkt worden.
Am lärmendsten schon von Lenaeus (§ 211, 3), der tanto amore erga patroni
(des Cn. Pompeius) memoriam extitit, ut Sallustium historicum, quod eum
oris probi, animo invereeundo (also als einen Tugendheuchler) scripsisset,
acerbissima satura laceraverit , lastaurum et lurconem et nebulonem popino-
nemque appellans (Bücheler, Petr. ed. min.4 p. 245) et vita scriptisque mon-
strosum, praeterea priscorum Catonis verborum ineruditissimum furem (Sueton.
gramm. 15; vgl. unten A. 8 Z. 7). Aber auch Gellius (s. § 205, 1 Z. 14)
bemerkt, daß man Vorkommnisse wie das im Hause Milos nach dem streng
aburteilenden Tone in den Schriften des Sallust nicht für möglich halten
sollte; Macrobius nennt deshalb (sat. 3, 13, 9) den Sallust gravissimus alienae
luxuriae obiurgator et censor. Auch Symmachus bezeichnet ihn- (ep. 5, 68, 2)
als einen scriptor stilo tantum probandus ; nam morum eius damna non si-
nunt, ut ab illo agundae vitae petatur auetoritas. Vgl. Lactant. inst. d. 2, 12
quod quidem non fugit hominem nequam Sallustium, qui ait rnostra omnis
vis etc. [Cat. 1, 2]'. rede, si ita vixisset ut locutus est. servivit enim foedissi-
mis voluptatibus suamque ipse sententiam vitae pravitate dissolvit. Eine Nach-
wirkung der eigenen Vergangenheit darf man wohl in einem gewissen Pessi-
mismus finden, den der Geschichtschreiber verrät, einem Anfluge von Über-
sättigung und Menschenverachtung. Vgl. auch Löbell, zur Beurteilung des
Sali., Breslau 1818. — Als eine Hilfe bei seinen geschichtlichen Arbeiten
490 Ciceronische Zeit: J. 63—43 v. Chr.
ließ sich Sallust von dem Gelehrten Ateius (§ 211, 1) ein breviarium rerum
omnium Romanarum verfassen (vgl. HJordan, Krit. Beitr. 352); er selbst
hatte es weniger mit Quellenstudien als mit der künstlerischen Gestaltung
des überlieferten Materiales zu tun.
2. Wahrheitsliebe. Die üblichen Beteuerungen Catil. 4, 2 statui res gestas
populi Born. . . perscribere , eo magis quod mihi a spe, metu, partibus reip.
animus Über erat. 4, 3 u. 18, 1 quam verissume potero. Hist. 1, 6 neque me
divorsa pars in civilibus armis movit a vero. Dem entsprechend Augustin.
civ. dei 1, 5 Sallustius, nobilitate veritatis historicus. Isidor. orig. 13, 21, 10
Sallustius, auctor certissimus. Dem gegenüber hat schon Mommsen den ten-
denziösen Charakter seiner Schriftstellerei betont. Vollständigkeit und Ge-
nauigkeit des einzelnen hat aber Sali, nicht erstrebt (Oros. 7, 10, 4. Vonsc.
Firm. 6, 3); namentlich die Zeitangaben sind häufig unbestimmt (interea,
isdem temporibus, dum haec aguntur): in bewußtem Gegensatz zur Annalistik
verhüllt er lieber das chronologische Gerüst der Darstellung als daß er es
hervorhebt. Oft werden auch die verbindenden Mittelglieder der Tatsachen
weggelassen. Von einem Eingreifen der Götter, und sei es auch nur die
farblose Tyche des Hellenismus, von Vorzeichen, Orakeln usw. weiß die
nüchterne, aufgeklärte Denkweise des Sallust nichts: auch hierin ist er ein
gelehriger Schüler des Thukydides.
3. Über die Prooemien sagt Quint. 3, 8, 9 C. Salhistius in bello Iugur-
ihino et Catilinae nihil ad historiam pertinentibus principiis orsus est. Das
gilt nicht von Cat. 3 f. lug. 4, wo Sali, in der üblichen Weise das Interesse
des Lesers für seinen Stoff zu wecken sucht und ähnlich wie Cicero
begründet, weshalb er sich nicht der Politik widme. Wohl aber trifft es
auf die Anfänge der Prooemien zu, die von dem Vorrange des Geistes über
den Körper, dem Wert der wissenschaftlichen Betätigung und dem Nutzen
der Geschichte, insofern sie dem Nachruhm dient, in gedrängter Kürze han-
deln. Sali, hat hier die von Poseidonios im Protreptikos ausführlich ent-
wickelten Gedanken epitomiert. Pahl, de prooemiis Sali., Tüb. 1859. RKuhn,
die Einl. zu Sali. Cat. u. Jug., Tauberbischofsheim 1868. HJordan, Krit. Bei-
träge 353. Boissier, Journ. de Sav. 1903, 59. KWagner, De Sali, prooem.
fontibus, Lpz. 1910. WJager, Nemesios 130. Gedankendes Poseidonios auch
C. 51, 3. J. 85, 17. Sallust liebt es überhaupt, allgemeine Gedanken formel-
haft zuzuspitzen. Fronto p. 48 Nab. gnomas egregie convertisti, hanc quidem
quam hodie accepi prope perfecte, ut poni in libro Sallustii possit.
4. Die Reden bei Sallust haben alle etwas Eindringliches und Ergrei-
fendes und sind der Eigentümlichkeit und Stellung des jedesmal Redenden
weit mehr angepaßt als die des Livius. Urkundlich sind sie aber natürlich
nicht. So ergäbe sich für Catilinas Anrede an seine Genossen ein anderer
Inhalt aus Cic. pMur. 25 und Plut. Cic. 14; und von dem, was bei Cic.
Att. 12, 21 (vgl. pSest. 61. Vellei. 2, 35, 3. Plut. Cato min. 23) aus Catos
Rede im Senat mitgeteilt wird, findet sich nichts in der von Sallust dem
Cato in den Mund gelegten. Schon darum sind auch die übrigen Reden
bei Sallust in demselben Sinne gemeint, wie es Thukydides (1, 22) von den
seinigen aussagt. Dabei zeigen sie eine größere rednerische Übung (vgl.
§ 44, 6 g E.) und fortgeschrittenere Kunst als die des altattischen Histori-
kers. In seiner Begründung verkehrt, aber der Anschauung seiner Zeit ent-
§ 206. Sallust: Technik 491
sprechend ist der Ausspruch des Licinianus (p. 33, 9 Fl.): Sallustium non ut
historicum ahmt sed ut oratorem legendum. nam et tempora reprehendit sua
et delicta carpit et eontiones inserit et dat in censum (?) loca, montes, flumina
et hoc genus amoena et culta (?) et comparat disserendo. Über Sen. contr. 3
pr. 8 s. § 205, 4 a. S. auch oben § 36, 5 das Urteil des Trogus über die
saliustischen Reden. Von den bei Sallust vorkommenden Briefen ist der
des Lentulus an Catilina (Cat. 44) insofern historisch, als Lentulus wirklich
an Catilina geschrieben hatte (vgl. Cic. in Cat. 3, 12); und ähnlich mag es
sich mit dem des Catilina (c. 35) und dem des Pompeius an den Senat ver-
halten. Aber die von Sali, eingelegten Briefe sind natürlich seine eigene
Erfindung. Schnorr v. Carolsfeld, die Reden u. Briefe bei Sali., Lpz. 1888.
Gerstenberg, Über die Reden bei Sali., Berl. 1892.
5. Urteile über die Sprache Sallusts. Ateius ermahnte den Asinius
Pollio (ut) vitet maxime obscuritatem Sallustii et audaciam in translationibus
(Suet. gr. 10). Zur letzteren Eigenschaft vgl. Quint. 9, 3, 12. Sen. contr. 9,
1, 14 (s. A. 6) T. Livius (als Ciceronianer) tarn iniquus Sallustio fuit, ut
hanc ipsam sententiam (die Sali, aus Thuk. entlehnt hatte) et tamquam trans-
latam et tamquam corruptam dum transfertur öbiceret Sallustio. nee hoc
amore Thucydidis facit, ut illum praeferat, sed laudat quem non timet et
facilius putat posse a se Sallustium vinci, si ante a Thucydide vincatur.
Asinius Pollio bei Gell. 10, 26. — Gell. NA. 4, 15, 1 elegantia orationis
Sallustii verborumque fingendi et novandi Studium (vgl. 1, 15, 18 novatori
verborum Sallustio; ebd. 6, 17, 8. 10, 21, 2) cum multa prorsus invidia fuit,
multique non medioeri ingenio viri conati sunt reprehendere pleraque et ob-
treetare. in quibus plura inscite aut maligne vellicant. Vgl. 10, 26. Quint.
10, 3, 8 sie (langsam) scripsisse Sallustium aeeepimus, et sane manifestum est
etiam ex opere ipso labor (nämlich der stilistische).
6. Über Nachahmung des Thukydides durch die Attizisten Cic. Brut. 287.
orat. 30. opt. gen. 15: Asinius Pollio (der freilich den Sali, tadelte, A. 8)
muß ihm in vieler Hinsicht geglichen haben. Kürze. Sen. contr. 9, 1, 13
cum sit praeeipua in Thucydide virtus brevitas, hac cum Sallustius vicit et
in suis illum castris cecidit. . . ex Sallusti sententia nihil demi sine detri-
mento sensus potest. L. Sen. ep. 19, 5 (= 114), 17 Sallustio vigente ampu-
tatae sententiae et verba ante expeetatum cadentia et obscura brevitas fuere
pro eultu. Quint. 4, 2, 45 vitanda est etiam illa Sallustiana , quamquam in
ipso virtutis locum obtinet, brevitas et abruptum sermonis genus. 10, 1, 32
illa Sallustiana brevitas, qua nihil apud aures vacuas atque eruditas
potest esse perfectius. 102 immortalem illam Sallustii velocitatem. Gell.
3, 1, 6 Sallustium, vel subtilissimum brevitatis artificem. Macrob. sat. 5, 1, 7
breve (dicendi genus), in quo Sallustius regnat. Stat. silv. 4, 7, 55 Sallusti
brevis. Apoll. Sidon. carm. 2, 190. 23, 151. Apulei. apol. 95 (parsimonia).
— Bei der Wahl de3 Thukydides zum Vorbilde wird auch der Wunsch
mitgewirkt haben, einen der Bedeutung der geschilderten Ereignisse (C. 4,
2. 4. J. 5, 1) entsprechenden Stil zu finden, vgl. C. 3, 2 facta dictis exae-
quanda sunt (vgl. Isokr. 4, 13. Diod. 20, 2, 2): Thukydides galt für beson-
ders cctzMoticiTwog und nsyuXocpvrjg. Als sein Nachahmer verzichtet er auch
auf die Anwendung der Klausel; daher hat er viele Hexameterschlüsse.
7. Graecismen. Quint. 9, 3, 17 ex Graeco translata vel Sallustii plu-
492 Ciceronische Zeit: J. 63—43 v. Chr.
rima. Es finden sich Anklänge besonders an Thukydides1 Reden und einige
Reden des Demosthenes (Kornitzer, ZöG 38, 611; WSt. 19, 158), an Xeno-
phons Cyropädie und Memorabilien, an den Menexenos und den 7. Brief
des Dato. Aber es finden sich auch syntaktische Graecismen wie sanctus
alia, Oceani longinqua; er lehnt sich dabei an die neumodische Poesie an,
da der Theorie nach die Geschichtschreibung der Poesie nahestand (Norden,
Kunstpr. 91). Gerlachs Ausg. 3, 331. Pofpos Thucyd. 6, 372. Dolega, de
Sali, imitatore Thucyd., Demosth., Bresl. 1871. Mollmann, quatenus Sali, e
scriptorum graec. exemplo pendeat, Königsb. 1878. Robolski, Sali, quo iure
Thucydidis exemplum secutus esse videatur, Halle 1881. Mack, Quae ratio
interc. inter "Sali, et Thuc, Kremsier 1906.
8. Die Archaismen bestehen in Schreibungen wie maxumus, Curenae,
labos, Bildungen wie paeniturum (von paenitet), audaciter und hauptsächlich
in Wendungen wie multi mortales, virile secus, prosapia, dem Gebrauche
von apud für ad und in c. Abi. u. a. Doch geht daneben, für uns nicht
immer unterscheidbar, eine Neigung zu analgetischen Neubildungen einher
(Nonden bei Gercke-Norden l2, 448), zu denen Sali, durch Sisenna veran-
laßt sein mag (§ 156, 3). Vgl. Lenaeus A. 1 Z. 21. Augustns bei Suet.
Aug. 86 verbis quae C. Sallustius excerpsit ex originibus Catonis. Suet.
gramm. 10 (vgl. § 211, 1) Asinius Pollio in libro quo Sallustü scripta repre-
hendit ut nimia priscorum verborum affectatione oblita. Vgl. Gell. 10, 26, 1
Asinio Pollioni in quadam epistula, quam ad Plancum scripsit, et quibus-
dam aliis C Sallustü iniquis. Asinius behauptete auch, Ateius habe zum
Gebrauch des Sallust antiqua verba et figuras gesammelt (s. auch oben
A. iE.): siehe § 211, 1 Z. 14 v. u. Epigramm bei Quint. 8, 3, 29 et verba
antiqui multum furate Catonis, Crispe, Iugurthinae conditor historiae. Fronto,
epist. p. 62 M. Porcius eiusque frequens sectator G. Sallustius. Vgl. ebd.
p. 36. Serv. Aen. 1, 6 Cato in originibus hoc dicit, cuius auctoritatem Sal-
lustius sequitur (Catil. 6). So lug. 31, 1 = Caton. reliq. p. 27, 1, Jord. 85, 8
= p. 50 J. Deltour, de Sallustio Catonis imitatore, Par. 1859. GBrünnert,
de Sali, imitatore Catonis Sisennae aliorumque, Jena 1873. Auf Vorcato-
nisches gehen diese Archaismen aber nicht zurück; sie sind dazu bestimmt,
die Darstellung feierlicher, pathetischer zu machen, namentlich aber ihr
ein ähnlich archaisches Kolorit zu geben, wie es die des Thukydides be-
saß. PSchultze, de archaismis Sali., Halle 1871. Angeblich ist in den späte-
ren Schriften (bes. Hist.) die altertümliche Färbung stärker als in den
früheren; s. Wölfplin, Phil. 34, 146; auch Jordan, Krit. Beitr. 350.
9. Alle einzelnen Mittel dienen dem Hauptzweck, den archaischen Stil
wiederzugeben. Der Bau und die Verbindung der Sätze ist daher höchst
einfach und schmucklos, teilweise sogar einförmig, namentlich durch das
häufig an die Spitze gestellte igitur. Überhaupt wiederholt Sallust gewisse
Lieblingswendungen unermüdlich, wie paucis tempestatibus (lug. 96, 1) statt
brevi tempore. Der Eindruck der Einfachheit wird namentlich auch durch
die ausgedehnte Anwendung des infinitivus historicus herbeigeführt. Inner-
halb des Satzes aber geht Sallust der Konzinnität aus dem Wege und liebt
jähen Wechsel der Konstruktion, des Subjekts und Ausdrucks. Parallele
Kola und Kommata sind ihm nicht ganz fremd, aber er meidet eigentliche
Perioden — kurz, er erscheint als Antipode Ciceros. Norden, Kunstpr. 200.
§ 206. Sallust: Sprache 493
Wortindex in Dietschs Ausg. 1859. OEichert, Wörterb. zu Sali., Hann. 1890.
Nachweisungen bei Gerlach 3, 307. Fighieka, La lingua e la gramm. di
Sali., Savona 1900. LConstans, de sermone Sali., Par. 1880. Ostling, de
elocutione Sali., Upsala 1862. Badstübner, de Sali, dicendi genere, Berl.
1863. Laws, de dicendi genere Sali., Rössel 1864. Kraut, d. vulgäre (!) Ele-
ment in d. Spr. des Sali., Blaubeuren 1881. Uri, quatenus ap. Sali, sermo-
nis plebeii vestigia appareant, Par. 1885. Zeitfuchs, de orthographia Sali.,
Sondersh. 1841. AAnschütz, selecta capita de syntaxi Sali., Halle 1873.
LHellwig, zur Synt. des S. I, Ratzeb. 1877. AKunze, Sallustiana, Lpz.
1892—98 III. KMeyer, die Wort- und Satzstellung b. Sali., Magdeb. 1880.
Ahlberg (§ 205, 8) 166.
10. Die scharf ausgeprägte Eigentümlichkeit des Sallust forderte ebenso
zum Widerspruch heraus wie sie in einer Zeit, da man das Absonderliche
bewunderte und aufsuchte, ihre Anziehungskraft ausüben mußte. Den Wider-
spruch vertritt nicht bloß Lenaeus und Asinius Pollio (A. 1 u. 5), sondern
auch Sallusts Gegenfüßler in der Geschichtschreibung, T. Livius (A. 5). Da-
gegen fühlte sich Tacitus wahlverwandtschaftlich zu Sallust hingezogen.
Er nennt ihn (ann. 3, 30) rerum Romanorwn florentissimus auctor, und der
Einfluß des Sallust auf seine eigene historische Art ist ganz unverkennbar.
Einen geschmacklos übertreibenden Nachahmer fand Sallust in der Zeit
des Augustus an Arruntius (§ 259, 7). Über seine Nachahmung durch Tro-
gus und Iustinus s. Sellge (§ 258, 11). Für die Zeit des Fronto mußte ein
so pikanter, mit dem Reiz der Altertümlichkeit ausgestatteter Schriftsteller
wie Sallust besonders anziehend sein. Er spielt denn auch in dem Brief-
wechsel zwischen Fronto und M. Aurelius eine große Rolle. Wiederholt
findet sich die Zusammenstellung Cato, Sallust und Cicero (p. 93. 105. 149),
indem an Sallust die rednerische Seite hauptsächlich hervorgehoben wird.
Namentlich werden seine Antithesen (p. 107; vgl. 108 ff. 162) und seine Sen-
tenzen (p. 48) bewundert. Unter dem Einfluß dieser Zeitrichtung nimmt
auch Gellius mehrmals (3, 1. 4, 15. 10, 26) für Sallust Partei gegen seine
Widersacher. Er ist nunmehr Schulautor (vgl. Spartian. Sever. 21, 2. Auson.
264, 61 P. Kroll, Bresl. phil. Abh. 6, 2, 23) und findet daher besonders im
vierten und fünften Jahrh. viele Nachahmer, wie Ammianus (§ 429, 5),
L. Septimius (Dictys § 423, 4), Aurelius Victor (§ 414, 2), Hegesippus (§ 433, 5),
Augustinus (Wölfflin, Phil. Anz. 11, 35); auch Sulpicius Severus (§ 441,2)
bedient sich gern sallustischer Wendungen, und die Schrift des Exuperan-
tius (§ 445, 3) ist fast ein sallustischer Cento. Vgl. Bd. 3, 574. Bei Atil.
Fort. GL. 6, 275, 15 ist ille = Sallust. Über diese Nachahmer s. FVogel,
b{ioiori\xsg Sallustianae , Acta Erlang. 1,313; quaest. Sali. II, ebd. 2,405.
Vgl. auch Wölfflin, Herrn. 9, 254. Klebs, RhM. 47, 537. Im Mittelalter
war Sallust sehr beliebt und angesehen (Wölfflin, phil. Anz. 11, 35).
11. Literatur über Sallust überhaupt. Löbell, zur Beurteilung des Sali.,
Bresl. 1818. Ulrici, Charakteristik der antiken Historiographie 125. De
Gerlache, etudes sur Salluste, Brüssel2 1859. Teuffel, Tübinger Doktoren-
verz. v. 1868 S. 1—21. RDietsch, Stuttg. Philologen - Versamml. (Stuttg.
1857) 27. ThVogel, de Sali, vita, moribus ac scriptis, Mainz 1857. MJaeger,
de vita Sali., Salzb. 1879; de Sali, moribus et scriptis, Salzb. 1884. Th.
Rambeau, Charakt. der bist. Darstell, des Sali., Burg 1879. 1892 II. Pajk,
494 Ciceronische Zeit : J. 63—43 v. Chr.
Sali, als Ethiker, Wien 1892 — 95 III. Gerstenberg, Ist Sali, ein Parteischriftst. ?
Berl. 1893. Volpis, Sali, storico partigiano, Pola 1911. Peter, Wahrh. u.
Kunst 339. Bellezza, Dei fonti e dell' autoritä di Sali., Milano 1891. Be-
richt von Eussner, JB. 10, 152. Maurenbrecher, JB. 101, 165. 113, 228.
207. Was das Recht angeht, so hatte Caesar den Plan gefaßt,
das geltende ms civile in einem Gesetzbuch zu sammeln, und sein
Gehilfe dabei war der gelehrte Jurist A. Ofilius, dessen schrift-
stellerische Tätigkeit das ganze Gebiet des Rechts umspannte. Nächst
diesem war der bedeutendste Rechtskenner der vielseitig gebildete
witzige jüngere Freund des Cicero, C. Trebatius Testa, der noch
weit in die augusteische Zeit hinein lebte und Lehrer des Antistius
Labeo war. Ungefähr gleichalt mit Cicero war der republikanisch
gesinnte, charaktervolle und gleichfalls witzige Jurist A. Cascellius.
1. Suet. Iul. 44 (destinabat) ius civile ad certum modum redigere atque
ex immensa diffusaque legum copia optima quaeque et necessaria in paucissi-
mos conferre libros. Isid. orig. 5, 1, 5 leges redigere in libros primus cos.
Pompeius instituere voluit, sed non perseveravit, obtrectatorum metu (wohl vor
den Juristen), deinde Caesar coepit id facere, sed ante interfectus est.
2. A. Ofilius, Schüler des Ser. Sulpicius, s. § 174, 5. Pompon. dig. 1,
2, 2, 44 ex Jiis auditoribus plurimum auctoritatis habuit Alfenus Varus et
A. Ofilius, ex quibus . . Ofilius in equestri ordine perseveravit. is fuit Cae-
sari familiarissimus et libros de iure civili plurimos et qui omnem partem
operis fundarent reliquit. nam de legibus vicensimae (dh. über die Erbschafts-
steuer) primus (Sanio, rechtshist. Abh. 1845, 78: de legibus XX libros) con-
scripsit: de iurisdictione idem edictum praetoris (vgl. dig 2, 7, 1, 2. 43, 20,
1, 17. 43, 21, 3, 10) primus diligenter composuit. (45) . . ex his Trebatius
perltior Cascellio, Cascellius Trebatio eloquentior fuisse dicitur, Ofilius utro-
que doctior. Schüler von ihm waren Tubero (ebd. 46) und Ateius Capito
(ebd. 47). In den Digesten (von Ulpian) wird angeführt Ofilius libr. V iuris
partiti (32, 55, 1. 4. 7), Of. libr. XVI actionum (33, 9, 3, 5. 8), Of. ad Atti-
cum (50, 16, 234, 2). Als Juristen erwähnt ihn Cic. ep. 7, 21 (J. 44) und
vielleicht Att. 13, 37, 4 (J. 45); vgl. ep. 16, 24, 1 (J. 44). Rudorpf, röm.
Rechtsgesch. 1, 164. EHuschke, Z. f. gesch. Rechtswiss. 15, 186. Karlowa,
Rechtsgesch. 1, 486. Kipp, Gesch. d. Quellen3 103. Bremer, JAH. 1, 330.
3. Pompon. dig. 1, 2, 2, 45 fuit eodem tempore (wie Ofilius) et Treba-
tius, qui idem (item oder quidem? oder Trebatius, Quinti C. M. auditor.
fuit ex etc.) Corneli Maximi (§ 154, 7) auditor fuit. ex his Trebatius peri-
tior usw. (s. A. 2). .. Trebatii complures (Jibri exstant), sed minus frequen-
tantur. 47 Antistius Labeo . . institutus est a Trebatio. Geboren war C. Tre-
batius Testa um J. 89 zu Velia in Lucanien, kam als adolescens nach Rom
und in Verbindung mit Cicero, der ihn, zur Verbesserung seiner Vermögens-
umstände, J. 54 nach Gallien an Caesar empfahl (ep. 7, 5), wo er mindestens
ein Jahr blieb. Aus dieser Zeit sind Ciceros Briefe an ihn, ep. 7, 6 — 18;
dazu aus J. 44 ebd. 21. 20. 19 und aus unbekannter Zeit ebd. 22. Daher
blieb er auf Caesars Seite, aber vermittelnd und mäßigend; ebenso auch
§ 207. Juristen: Ofilius, Trebatius, Cascellius 495
unter Augustus; s. Hör. sat. 2, 1. Iustinian. inst. 2, 25 pr. dicitur Augustus
convocasse prudentes, inter quos Trebatium quoque, cuius tunc auctoritas ma-
xima erat. Er scheint noch ums J. 14 gelebt zu haben. Porphyrio zu Hör.
aO. ad Trebatium scribit equitem Bomanum (letzteres durch Octavian ge-
worden? Teuffel zu Hör. sat. 2, 1, 29). hie est Trebatius iuris peritus, qui
locum obtinuit (inter poetas, was zwar zu dem Bilde des heiteren Lebe-
mannes stimmen würde, aber im maßgebenden Monac. fehlt)> et aliquot
pbros de civili iure composuit et de religionibus novem (vielmehr XI?). Letz-
tere bei Gell. 7, 12, 4 C. Trebatius . . in libro de religionibus seeundo; Macr.
3, 7, 8 (Trebatius religionum libro nono) und 3, 3, 5 (Trebatius libro deeimo
religionum)-, vgl. ebd. 1, 16, 28. 3, 3, 2. 4, 3, 5, 1. Serv. Aen. 11, 316 (Tre-
batius de religionibus libro VII). Unter seinen rechtswissenschaftlichen
Schriften finden wir von libri de iure civili, ad edictum praetoris und von
seinem Kommentar zum Edictum aedilium curulium Spuren in den Digesten.
Zimmern, Gesch. des PRechts 1, 1, 297. OStange, de Tr. et eius loco inter
aequales, Berl. 1849. PRE. 6, 2078. Teuffels Kommentar zu Hör. sat. II
(Lpz. 1857), -S. 10. Karlowa, Rom. Rechtsg. 1, 487. Krüger, Gesch. d. Quellen2
73. Kipp, Gesch. d. Quellen3 104. Die Fragmente bei Huschke, JA.6 43.
Bremer, JAH. 1, 376.
4. Pompon. aO. 45 A. Cascellius (Sohn des bei Cic. pBalbo 45, Val.
Max. 8, 2, 1 genannten? s. Mommsen aO.), Quintus Mucius Volosii auditor,
denique in illius honorem testamento Publium Mucium nepotem eius reliquit
heredem. Die verderbten Worte sind (vgl. Mommsen zdSt., Sehr. 7, 186) etwa
so zu lesen: A. Cascellius, Volcacii (vgl. Plin. HN, 8,144 Volcacium nobilem
qui Cascellium ius doeuit), Q. Muci (§ 154, 1) auditoris, auditor; besser Jörs:
Q. Mucii et Volcacii auditor. S. auch PRE. 5, 188. Weiter berichtet Pom-
pon. aO. über Cascellius: fuit autem quaestorius nee ultra proficere voluit,
cum Uli etiam Augustus consulatum offerret, ex his etc. (s. A. 2). Cascellii
scripta non extant nisi unus Über bene dictorum (Sammlung seiner Witz-
worte durch einen anderen? vgl. § 121, 6. 191, 2. 195, 5). Da er (AvXog
KaönsXiog Avlov vlog ''PcofliXia) im SC de Oropiis J. 73 (§ 218, 3) unter den
senatorischen Beisetzern erscheint, so bekleidete er die Quaestur vor jenem
Jahr: war also spätestens J. 104 geboren. Mommsen, Sehr. 5, 508. Val. Max.
6, 2, 12 Cascellius, vir iuris civilis scientia clarus, quam periculose contumax!
nullius enim aut gratia aut auetoritate compelli potuit, ut de aliqua earum
rerum quas triumviri dederant formulam componeret (wohl als Praetor urba-
nus), hoc animi iudicio universa eorum beneßeia extra omnem ordinem legum
ponens. idem cum multa de temporibus liberius loqueretur (unter Augustus)
. . duas res . . magnam sibi licentiam praebere respondit, senectutem et orbi-
tatem. Vgl. noch Hör. AP. 371: ob er dort noch als Lebender erwähnt
wird? s. Mommsen aO. Quint. 6, 3, 87. Macr. 2, 6, 1 (Cascellius iuris con-
sultus urbanitatis mirae libertatisque habebatur, mit Anführung eines Witzes
von ihm aus dem J. 56). Er ist wohl der Urheber des iudicium Cascellia-
num sive secutorium bei Gai. inst. 4, 166. 169. Angeführt wird er in den
dig. 13 mal, meist durch Vermittlung von Labeos libri posteriores; s. Lenels
palingenes. 107. Lagemans, de A. Cascellio, Leid. 1823. Zimmern, Gesch. d.
PRechts 1,1,299. Dirksen, Sehr. 2,435. Karlowa, Rechtsgesch. 1,487. Kipp
aO. 104. Krüger 73. Jörs PW. 2, 1634. Huschke, JA.6 46. Bremer, JAH. 1,368.
496 Ciceronische Zeit: J. 63—43 v. Chr.
5. L. Valerius iureconsultus , ex domesticis atque intimis familiaribits
des Cicero (ep. 3, 1, 3 vom J. 52), auch witzig wie sein Alters- und Fach-
genosse Trebatius (ebd. 1, 10), wie es scheint aus Apulien gebürtig (Apu-
liam tuam, ebd. vom J. 54). Nicht unwahrscheinlich ist es, daß er gemeint
ist auch ebd. 7, 11, 2 (J. 53, an Trebatius): si diutius frustra afueris, non
modo Ldberium sed etiam sodalem nostrum Valerium pertimesco. mira enim
persona induci potest Britannici iureconsulti ; woraus nicht mit Sicherheit
zu schließen ist, daß auch er wirklich Mimen verfaßt habe (§ 8, Z. 3). Mög-
licherweise (vgl. § 147, 1) ist er auch der Valerius, der als Erklärer der
zwölf Tafeln erwähnt wird (§ 86, 6). Vgl. § 199, 2.
6. Pompon. dig. 1, 2, 2, 44 (vgl. § 174, 5) ab hoc (Ser. Sulpicio, § 174, 2)
plurimi profecerunt, fere tarnen hi libros conscripserunt ... Pacuvius Labeo
Antistius (Ant. streicht Mommsen), Labeonis Antistii (§ 265, 1) pater. Über
den Vornamen des Vaters (Pacuvius) s. Hertz zu PrisciAn. GL. 2, 381 und
JJ. 91, 215. Derselbe ist gemeint bei Gell. 5, 21, 10 prima epistula (des
Sinnius Capito) scripta est ad Pacuvium Labeonem. Er war einer der zu
Caesars Ermordung Verschworenen, f 42. Vgl. Appian. b. c. 4, 135 iß%l
Gocpiu yv<i)Qi^o<s). PW. 1, 2557. Kipp aO. 104. Krüger 72.
208. Ein Geschichtswerk, das anscheinend bis auf seine Zeit
herabreichte, verfaßte der Caesarianer Q. Aelius Tubero, der zu-
gleich Redner war, am meisten Anerkennung aber als juristischer
Schriftsteller fand. Nach der formellen Seite wurde er auf letzterem
Gebiete übertroffen von P. AlfenusVarus aus Cremona (Cos. 39).
Mit den Grammatikern berührte sich am nächsten der Jurist C.
Aelius Gallus, als Verfasser eines Verzeichnisses juristischer Aus-
drücke mit Sacherklärungen. Der dem Caesar und noch dem Au-
gustus eng befreundete und literarisch vielseitig angeregte Ritter
C. Matius schrieb auch, obgleich nur über — Kochkunst. Ein
Geschichtswerk des C. Sulpicius Galba, Großvaters des späteren
Kaisers, hat nur geringe Beachtung gefunden.
1. Tubero ist der Sohn des L. Tubero § 172, 8. Pompon. dig. 1, 2, 2, 46
post hos (Ofilius, Trebatius) Q. (quoque Hs.) Tubero fuit, qui Oßlio operam
dedit; fuit autem patronus (patricius Hs.) et transiit a causis agendis ad ius
civile, maxime postquam (Ende 46) Q. Ligarium accusavit nee obtinuit apud
C. Gaesarem. . . Tubero doctlssimus quidem habitus est iuris publici et pri-
vati et complures utriusque operis libros reliquit; sermone tarnen antiquo usus
affeetavit scribere et ideo parum libri elus grati habentur. Altertümelnden
Stil hatten auch die übrigen Schriften des Tubero. Seine Anklagerede gegen
Ligarius kannte noch Quintilian (10, 1, 23. 11, 1, 78. 80. 5, 13, 20. 31). Von
seinen juristischen Schriften nennt Gell. 14, 2, 20 (praeeepta Aelii Tubero-
nis) super officio iudicis, woraus vielleicht ebd. 14, 7, 13 in libro IX Tube-
ronem dicere ait (vgl. ebd. 14, 8, 2). Anführung von Ansichten des Tubero
dig. 32, 29, 4. 33, 6, 7 pr. (Ofilius, Cascellius, Tubero). 33, 10, 7, 1, 2. Saay-
mans Vader, de Q. Aelio Tub., Leid. 1824. Bremer, JAH 1, 358. Huschke,
JA.6 43. Karlowa 1, 487. Kipp 104. Krüger 63. Als Geschichtschreiber wird
§ 208. Juristen: Tubero, Alfanus Varus 497
er (TovßtQcov Ailiog, was nicht auf seinen Yater zu beziehen ist, s. § 172, 8)
von Dionys. 1, 80 deivbg ccvi]Q %a\ itsgl tr\v ovvccy<oyr]v tfjg lörogiag iTti^sX^g
genannt und ist wohl der Q. Aelius Tubero, dem dieser seine Schrift über
Thukydides widmet (c. 1. 55); vgl. ant. 1, 7 (Ailioi) u. Liv. 4, 23, 1 (Valerius
Antias et Q. Tubero). Tubero Hb. XIV historiarum zitiert Nonius 481. Das
Werk reichte von den ältesten Zeiten bis (mindestens) zum Beginn des
Krieges zwischen Caesar und Pompeius (fr. 11). Die Anführungen daraus in
HRR. 1, 311; HRF. 199 Soltau Herrn. 29, 631; JJ. 155, 414 will die An-
nalen dem Vater zuschreiben, wogegen schon die Anführung des VornameDs
durch Livius spricht. Vgl. Münzer, PW. 4, 1481. Eine Monographie erwähnt
Gell. 6, 9, 11 Aelium quoque Tuberonem libro ad C. Oppium scripto roece-
currif dixisse Probus adnotavit. Da Oppius der Caesarianer ist (§ 197), so
könnte diese Schrift ein Leben Caesars sein und aus ihr stammen, was
Suet. Caes. 56. 83 mitteilt; dann würde auch fr. 11 zu dieser Monographie
gehören und uns jeder Anhalt dafür fehlen, bis zu welchem Zeitpunkte Tu-
bero sein Geschichtswerk herabgeführt hatte. Auch scheint er der Q. Tubero
zu sein, den Plinius unter den Quellen von B. 2. 18 (vgl. ebd. 18, 235 und
Schol. German. p. 132 Br. aus einer astronomischen Schrift) und 36 nennt.
Klebs PW. 1, 537. Peter, HRR. 1, ccclv.
2. Sueton. Galb. 3 avus (des am 24. Dez. 3 v. Chr. geborenen Kaisers
Galba) clarior studiis quam dignitate (non enim egressus praeturae gradum)
multiplicem nee ineuriosam historiam edidit. Plut. Romul. 17 ag 'Ioßccg cpr\6l
rdXßav EovlitL-Kiov IgxoqsIv (über den Verrat der Tarpeia). Oros. 5, 23 fuisse
tunc (J. 76) Pompeio XXX milia peditum. . . Galba scribit, Sertorium autem
LX m. ped. . . liabuisse commemorat. Wohl auch gemeint von Plin. NH.
QVerz. zu B. 36 C. Galba. Es könnte ein Annalenwerk gewesen sein. Un-
wahrscheinlich ist die (von FUnger, Abh. d. bayr. Ak. 16, 1, 154 wieder
empfohlene) Ansicht des Vossius de hist. lat. 1, 18, nach der Sulpicius
Galba mit Sulpicius Blitho (§ 172, 7) für eine Person zu halten wäre. Peter,
HRR. 1, ccclxvii. HRF. 237. Von seinem Vater, dem Praetor des J. 54, ein
Brief an Cicero ep. 10, 30; vgl. Hellmuth (§ 197, 4).
3. P. Alfenus Varus; über den Vornamen P. s. Henzen, CIL. 1, 467.
Pompon. dig. 1, 2, 2, 44 ex Ms auditoribus (des Ser. Sulpicius, § 174, 2) plu-
rimum auetoritatis liabuit Alfenus Varus. . . ex quibus Varus et consul fuit
(suff. J. 39). Er ist wohl der Alfenus bei Catull (30); ob auch der Varus
bei eben diesem (10. 22)? s. Haupt, op. 1, 97. Kiessling, comment. Momm-
sen. 354; vgl. aber § 213, 4. Ferner ist er wohl der Varus, der mit Vergil
bei Siron Philosophie hörte (§ 224, 3. Schol. Veron. zu Verg. ecl. 7, 9,
Serv. zu ecl. 6, 13. Aen. 6, 264), sowie der Alfenus Varus, der als Legat
des Octavian J. 40 dem Vergil (ecl. 6) sein väterliches Gut bei Mantua zu
schützen versprach (vgl. ecl. 9, 27), und der Alfenus vafer bei Hör. sat. 1.
3, 130, der omni abiecto instrumento artis clausaque tabema doch noch (po-
tentialiter) sutor erat, wozu Porphyrio : urbane Alfenum Varum Cremonensem
deridet, qui abieeta sutrina quam in munieipio suo exercuerat Momam petiit
magistroque usus Sulpicio Icto ad tantum dignitatis pervenit, ut et consula-
tum gereret et publico funere efferretur. Gellius 7, 5, 1 Alfenus letus, Ser.
Sulpicii diseipulus rerumque antiquarum non ineuriosus, in libro digestorum
XXX1V°, conieetaneorum autem 11° (über das Verhältnis beider Titel vgl.
Teuf fei: röm. Literaturgesch. Neub. 6. Aufl. I. 32
498 Ciceronische Zeit: J. 63—43 v. Chr.
Mercklin, Phil. 19, 653: von den Digesta hatten die Bücher 33 ff. den Unter-
titel Coniectanea). Dig. 3, 5, 20 pr. apud Älfenum libro XXX Villi0 dige-
storum. Nach dem Florent. Index hatten die Digesta 40 Bücher, es war
eine Sammlung von Responsen (des Serv. Sulpicius, Heimbach, ZfRGesch.
2, 340. Mommsen zu dig. 10, 2, 27) und von Aufidius Namusa in seine Samm-
lung (§ 174, 5) aufgenommen. Die Hersteller der justinianischen Digesten
haben das Werk des Alfenus nur in zwei Auszügen gekannt und benutzt,
in einem der ursprünglichen Ordnung des Werkes folgenden Auszug des
Paulus (§ 377, 4: Alfeni digesta a Paulo epitomata, Pauli epitomae Alfeni
digestorum) und in einem Auszug eines Unbekannten, der sich der Ordnung
des edictum perpetuum anschloß {Alfeni digesta). Vgl. Lenel, Palmgen. 37.
Bemerkenswert ist besonders das längere Bruchstück dig. 5, 1, 76, weil es
von philosophischer Bildung zeugt {quod, ut pliilosoplii dicerent, ex particulis
minimis consisteremus) ; andere verraten Kenntnis des Griechischen, fast alle
einen einfachen und fließenden Stil. EOtto, P. Alfenus Varus, im Thesaur.
iur. rom. 5, 1631. Zimmern, Gesch. d. PRechts 1, 1, 295. EHuschke, Z. f.
gesch. Rechtsw. 15, 187 (der bei Pomponius aO. in der verderbten Lesart
Alfenus Varus Gaius das letzte Wort in Catus umändern möchte). Klebs
u. Jörs, PW. 1, 1472. Karlowa 1, 485. Krüger 69. Kipp 103.
4. Gell. 16, 5, 3 C. Aelius Gallus in libro de significatione verborum
quae ad ius civile pertinent secundo (Definition von vestibulum) = Macr. 6,
8, 16, nur mit dem Beisatze von vir doctissimus. Dig. 50, 16, 157 C. Aelius
Gallus libro I de verborum quae ad ius civile pertinent significatione (Defi-
nition von partes und via). Abgekürzter Titel bei Serv. georg. 1, 264 Aelius
Gallus de verbis ad ius civile pertinentibus vallos . . appellat; und Festus
218b postliminium receptum Gallus Aelius in libro primo significationum quae
ad ius pertinent ait esse cum qui etc.; 273a reus nunc dicitur qui causam
dicit. . . at Gallus Aelius libro II significationum verborum quae ad ius
pertinent ait: reus est qui etc.; 302b saltum Gallus Aelius l. II significatio-
num quae ad ius pertinent ita definit; 352b flumen rede dici ait Aelius Gal-
lus libro II quae ad ius pertinent. Mehr als ein zweites Buch wird niemals
angeführt, da Festus 352, 5 (notayvit Aelius in XII (tabulisy signi(ficarey,
auf Aelius Stilo (§ 148, 2) sich bezieht. Vielleicht war die Anlage alpha-
betisch; vgl. Reitzenstein, Bresl. phil. Abh. 1, 84. Aelius Gallus oder Gal-
lus Aelius kurzweg zitiert Festus außerdem noch 19 mal. Diese ausgedehnte
Benützung, sowie die Gegenüberstellung von nunc mit at Gallus Aelius
p. 273a zeigt, daß das Werk des Gallus schon dem Verrius Flaccus als Vor-
arbeit vorlag. Gallus Aelius bei Gaius dig. 22, 1, 19 pr. ; C. Aelius bei
Priscian. GL. 2, 382, 1 (s. Lachmann, kl. Sehr. 2, 248). Heimbach, C. Aelii
Galli fragmenta rec. et illustr., Lps. 1823. Huschke, JA.6 37. Bremer, JAH.
1, 245. PW. 1, 492. Krüger 76.
5. C. Matius, geb. um J. 84, der treue Freund des Caesar, durch sein
mildes und besonnenes Wesen vorzüglich geeignet zu der Vermittlerrolle,
die er spielte, ohne sich auf das Parteigetriebe oder amtliche Tätigkeit
einzulassen. Er übertrug seine Liebe zu Caesar auch auf Octavian und
scheint erst um den Beginn unserer Zeitrechnung gestorben zu sein; s. Plin.
NH. 12, 13 primus C. Matius ex equestri ordine, divi Augusti amicus, in-
venit nemora tonsilia intra hos LXXX annos. vLeutsch, ZfAW. 1834, 164.
§ 208. Aelius Gallus, C. Matius. § 209. Caesarianer 499
PRE. 4, 1643. Cic. ep. 7, 15, 2 (J. 53) C. Matii, suavissimi doctissimique
hominis. 11, 27, 5 (J. 44) ut liaec cpiXoöocpoviisvcc scriberem, tu me impulisti.
. . omnia me tua delectant. sed maxime maxima cum fides in amicitia . .
tum lepos, humanitas, litterae. Apollodoros aus Pergamon widmete ihm seine
Ars (Rhetorik), Quint. 3, 1, 18. Sein Brief an Cicero über seine Stellung zu
Caesar (ep. 11, 28 vom J. 44) ist ein treues Spiegelbild seines edlen Ge-
mütes und feingebildeten Geistes. Ein mit Trebatius zusammen an Cicero
gerichtetes Schreiben des Matius (J. 49) ad Att. 9, 15 A. Wohl erst unter
August verfaßte er sein Werk über Küche und Keller (vgl. § 54, 3), dessen
Gegenstand für seine Harmlosigkeit und seine Richtung auf verfeinerten
Lebensgenuß bezeichnend ist. Nach ihm benannt minutal Matianum (Ge-
hacktes ä la Matius) Apic. 4, 174 und die mala Matiana Colum. 5, 10, 19.
12, 45, 5. Plin. NH. 15, 49 u. sonst.
209. Unter den übrigen Anhängern Caesars verdienen etwa
folgende Erwähnung, bekannt meist als Redner oder als Verfasser
erhaltener Briefe : der reichbegabte Taugenichts C. Scribonius Curio
(Volkstribun J. 50), Q. Cornificius, der sich als Dichter den Neote-
rikern, als Redner den Attizisten anschloß ; der Triumvir M. Anto-
nius (J. 83 — 30), sowie L. Baibus; von schwankenden Politikern
der talentvolle und geistreiche M. Caelius Rufus und der charakter-
lose L. Munatius Plancus (Cos. 42). Auch des letzteren langjähriger
Legat, C. Furnius, war Redner, ebenso der junge L. Sempronius
Atratinus (Cos. 34), Q. Volusius und der Archaist Annius Ciniber;
auch von Hortensia gab es noch im ersten Jahrh. n. Chr. eine ver-
öffentlichte Rede.
1. Yellei. 2, 48, 3 G. Curio trib. pl. (J. 50; Sohn des § 153, 6 erwähnten,
f 49) . . eloquens, audax, suae alienaeque et fortunae et pudicitiae prodigus,
homo ingeniosissime nequam et facundus malo publico. PRE. 6, 880, 11. Über
die Zeit seiner Geburt eine Vermutung unten A. 5. Über seine rednerische
Eigenart Cic. Brut. 280 ita facile soluteque verbis volvebat satis interdum
acutas, crebras quidem certe sententias, ut nihil posset ornatius esse, nihil ex-
peditius. atque hie parum a magistris institutus naturam habuit admirabilem
ad dicendum; industriam non sum expertus, Studium certe fuit. In diesen
Worten liegt trotz Schlittenbauer (§ 182, 4, 2) 194 nichts, was ihn als Atti-
zisten kennzeichnet. Reden von ihm gab es noch in der Zeit des Tacitus;
s. dial. 37 (§ 171, 5). Meyer, ORF.2 481. Briefe von Cic. an ihn ep. 2, 1—7
(aus J. 53 und 51).
2. Hieron. zu Eus. Chron. a. Abr. 1976 = J. 41 Comificius poeta a
militibus desertus interiit. . . huius soror Cornificia, cuius insignia exstant
epigrammata. Dies kann der Zeit nach nur der in Afrika gegen T. Sextius
gefallene ehemalige Quaestor des Caesar (Propraetor 48) sein, der auch mit
Cicero befreundete (an ihn ep. 12, 17 — 30 aus J. 45 — 43) Q. Cornificius
(Drumann, GR. 22, 530. Münzer u. Wissowa. PW. 4, 1624), den Cicero (ep.
12, 18, 1) etwas spitzig zu den magni oratores zählt; ebd. 12,17,2 empfiehlt
er ihm seinen Orator zu freundlicher Aufnahme: in quo saepe suspicatus
32*
500 Ciceronische Zeit: J. 63—43 v. Chr.
sum te ab iudicio nostro, sie scilicet ut doctum hominem ab non indocto,
paullulum dissidere. ebd. 12, 20 me amabis et scripto aliquo lacesses. Er ge-
hörte wie Licinius Calvus sowohl zu den Neotorikern als auch zu den Atti-
zisten; denn ohne Zweifel ist er eine Person mit dem dichtenden Freunde
Catulls, den dieser um paulum quidlubet allocutionis bittet (c. 38), und dem
Verf. von Liebesgedichten (leve Cornifici . . opus, Ovid. trist. 2, 436). Ein
Hendekasyllabus bei Macr. 6, 4, 12, ein daktylischer Rest aus einem Epyl-
lion Glaucus ebd. 6, 5, 13; ein lyrischer Vers (Dactylen?) bei Serv. Georg.
1, 55. Die Tradition, daß Verg. ecl. 7, 22 ihn mit dem befreundeten Co-
drus meint (Schol. Veron.), kann richtig sein, ist aber für uns unkontrollier-
bar; dazu würde Philarg. zu ecl. 3, 106 stimmen: dicit Cornificius ab ipso
Vergilio audisse (sey, quod Caelium Mantuanum quendam tetigit, doch ist
hier neben Cornificius auch Cornutus überliefert. Wertlos aber sind die
von den Vergilscholiasten mitgeteilten Legenden, die ihn zu einem obtrec-
tator Vergilii machen, sowie die Behauptung des Cledonius GL. 5, 43, 2,
der nach Schulfuchserei schmeckende Spottvers auf Vergil hordea qui dixit
(ge. 1, 210) super est ut tritica dicat rühre von Cornificius Gallus her (wohl
Verwechslung mit Cornelius Gallus). Ganz von ihm zu trennen ist Corni-
ficius Longus (das Cognomen bei Serv. Aen. 3, 332), der mindestens drei
Bücher de etymis deorum (so Priscian GL. 2, 257, 6, Etymorum libro tertio
Macr. sat. 1, 9, 11. in Etymis ebd. 1, 17, 62) verfaßt und in diesem Werke
die etymologische und allegorische Methode der Stoa angewendet hatte.
Da er Cic. nat. deor. 2, 67 zitiert und von Verrius Flaccus benutzt wird,
aus dem die acht Zitate bei Festus stammen, so ist er in die augusteische
Zeit zu setzen. Gegen die Gleichsetzung mit Q. Cornificius spricht auch
die Erwägung, daß dieser zwischen 45 und 41 in Syrien und Afrika zu
einer solchen Schriftstellerei schwerlich Zeit und Stimmung gefunden hätte.
Später benutzt dieses Werk Cornelius Labeo, dem Macrobius und Arnob. 3, 38
ihre Zitate verdanken. Funaioli, GRF. 1, 473. Bergk, op. 1, 545. JBecker,
ZfAW. 1847, 1060. Wissowa, PW. 4, 1630.
3. M. Antonius der Triumvir, vgl. Drumann, GR. I2, 46. Groebe, PW.
1, 2595. Als Redner geriet er leicht in ein falsches Pathos hinein, wurde
dann schwülstig, dunkel und nach der Behauptung seines obendrein dem
Purismus huldigenden Feindes Cicero oft auch fehlerhaft. Cicero führt das
auf mangelhafte Bildung zurück, Phil. 2, 101 rhetori duo (milia iugerum
divisisti): quid si te disertum facere potuisset? Augustus (Suet. Aug. 86) ta-
delte ihn ut insanum, quasi ea scribentem, quae mirentur potius homines
quam intellegant und verspottete malum et inconstans in eligendo genere di-
cendi ingenium eius; vgl. Cic. Phil. 3, 21 f. Att. 10, 8 f. 14, 3 f. Nicht ohne
Grund nannte man ihn deshalb einen Anhänger der asianischen Redeweise
(Plut. Ant. 2, vgl. Suet. aO.). Seine Briefe an Cicero aus dem J. 49 (Att.
10, 8A. 10, 10, 2) und 44 (14, 13 A; vgl. auch noch Cic. or. Phil. 8, 25fll. 13,
22fll.) zeigen einen ungekünstelten Stil. Plin. NH. 14, 148 M. Antonio, isenim
. . avidissime adprehenderat hanc palmam (der Leistungsfähigkeit im Trinken),
edito etiam -volumine de sua ebrietate. . . exiguo tempore ante proelium Actia-
cum id volumen evomuit (vgl. Drumann, GR. 1, 379). In Wahrheit war es
vielleicht eine philosophische Schrift nsal /uith]s, und sua ist boshafte Ent-
stellung. Darauf, sowie auf seinen Briefwechsel mit Octavian (wovon Pro-
§ 209. Cornificus, M. Antonius, Baibus, Caelius Rufus 501
ben bei Sueton, zB. Aug. 69), bezieht sich Ovid. ex Pont. 1, 1, 23 Antoni
scripta leguntur. ESchelle, de M. Antoni quae supersunt epp. , Frankenb.
i. S. 1883.
4. Asinius Pollio an Cicero (ep. 10, 32, 3 J. 43) Baibus quaestor . .
ludis (die er zu Gades veranstaltete) praetextam de suo itinere ad L. Ben
tulum procos. sollicitandum (J. 49, um ihn zum Verlassen des Pompeius und
zur Rückkehr nach Rom zu bewegen, Att. 15 A. Vellei. 2, 51, 3) posuit.
et quidem cum ageretur, flevit memoria rerum gestarum commotus. ebd. 5
praetextam (des B.) si voles legere, Gallum Gornelium (§ 232), familiärem
meum, poscito. Vgl. Welckek. gr. Trag. 1402. Ribbeck, röm. Trag. 625.
Dieser Baibus ist der zum Unterschiede von seinem Oheim (§ 197, 4) Bai-
bus minor genannte, nämlich L. Cornelius P. f. Baibus, der noch lange in
die augusteische Zeit hinein lebte (jedenfalls noch J. 13), J. 32 cos. suff.
war und J. 19 als Proconsul ex Africa triumphierte; Drumann, GR. 22, 528.
Groag, PW. 4, 1268. Da er nach Vellei. aO. auch ad pontificatum adsur-
rexit und literarische Neigungen besaß, so ist es nicht unmöglich, daß er
der Cornelius Baibus ist, aus dem Serv. Aen. 4, 127 etwas über den Hyme-
näus anführt und auf den sich bezieht Macr. 3, 6, 16 Cornelius Baibus
i^r\yr\xiY.öiv libro XVIII0. Dieser Titel bezeichnet keinen Vergilkommentar
(HRF. 1 p. xxi), sondern ein sakralrechtliches Werk; s. § 42, 1.
5. M. Caelius M. f. Rufus. Plin. NH. 7, 165 C. Mario Cn. Carbone
III cos. (J. 82) a. d. V. Kai. Iunias M. Caelius Rufus et C. Licinius Calvus
eadem die geniti sunt, oratores quidem ambo, sed tarn dispari eventu. Aber
nach der Art, wie Cicero (Brut. 273. 279) von beiden spricht, können sie
nicht wohl ganz gleichalt gewesen sein; vielmehr muß Caelius älter sein,
da er nach Cic. pCael. 18 schon J. 59 per aetatem magistratus petere potuit;
und damit stimmt auch seine amtliche Laufbahn (56 schon Mitglied im
Rat seiner Vaterstadt Cic. Cael. 5; quaest. 57? tr. pl. 52, aed. cur. 50,
praet. 48). Danach wird Caelius um 88 geboren sein. Statt Caelius hätte
Plinius vielleicht den Curio (A. 1) nennen sollen. Seine Heimat war ein
Municipium, dessen Name wohl bei Cic. pCael. 5 in einer hs. Verderbnis
versteckt ist (Tusculani Baiter). Vgl. Nipperdey, op. 299. Wegehaupt, Cael.
Ruf. 4. Groebe, Herrn. 36, 612.
6. Der junge Caelius wurde von seinem Vater bei Cicero und Crassus
eingeführt (pCael. 9. 39. 72) und kam dadurch in ein engeres Verhältnis zu
ihnen. Dies machte den Cic. nachsichtig gegen des Caelius lockere Sitten
und verschwenderische Lebensweise, und er verteidigte ihn J. 56 (s. § 179,
34) gegen Anschuldigungen der Clodia (§ 214, 3), zu deren ausschweifendem
Kreise er längere Zeit gehörte, von der er sich aber später lossagte. Wäh-
rend Ciceros Abwesenheit in Kilikien (J. 51) hatte Caelius ihm die Neuig-
keiten aus Rom zu berichten. Dieser Briefwechsel (17 Briefe; Br. 16 doppelt
erhalten; vgl. Att. 10, 9 A) füllt Buch VIH von Cic. epp. Caelius zeigt darin
ein schlagfertiges, scharfes, etwas klatschsüchtiges Urteil über Personen
und Zustände, trotz allem Schwanken in bezug auf die eigene Stellung,
lebhafte Darstellung, einen humoristischen Ton, originelle Schreibweise mit
geschickter Beimischung von Ausdrücken der Umgangssprache und ohne
pedantische Bemühung um Glätte. Vgl. § 188, 1, A. 2 u. 4. Nach Ausbruch
des Bürgerkriegs trieben den Caelius seine Schulden in das Lager Caesars,
502 Ciceronische Zeit: J. 63—43 v. Chr.
und dieser ernannte ihn zum Praetor für J. 48. Als solcher wollte er in
revolutionärer Weise tabulae novae einführen, ward aber abgesetzt und bald
darauf erschlagen. Er ist wohl auch der Rufus des Catull, der diesen aus
der Gunst der Clodia verdrängte (c. 77) und in c. 69 (wohl auch c. 71) ver-
spottet wird; den Caelius c. 58. 100 hält man besser fern; s. LSchwabe,
quaest. Catull. 64. 85. 133. FSchoell JJ. 121, 483. Vgl. Dkumann, GR. 22,
347. WWegehaupt, das Leben d. Cael. Ruf., Bresl. 1878. Wieschhölter, de
Caelio Rufo oratore, Lpz. 1886. Münzer, PW. 3, 1266. — FBecher, d. Sprach-
gebr. d. Caelius, Ilfeld 1888. FBurg, de Caeli Run genere dicendi, Freib.
i.B. 1888.
7. Über Caelius als Redner Cic. Brut. 273 splendida et grandis et eadem
inprimis faceta et perurbana . . oratio, graves eins contiones aliquot fuerunt
(auch J. 50 als Aedil de aquis, Frontin. aq. 76; daraus ein Fragm. GL. 5,
590, 21), acres accusationes tres (gegen C. Antonius 59, L. Calpurinus Bestia
den Vater des Atratinus, iterum, 56; J. 51 gegen Q. Pompeius Rufus, so-
wie als patronus des repetund. klagenden Peregrinen Pausanias), . . defen-
siones . . sane tolerabiles: bes. J. 56 pro se gegen L. Sempronius Atratinus
(daraus Telia cincinnatus Quint. 1, 5, 61?), auch pro Milone und Saufeio 52.
Aus der Rede gegen Bestia Plin. n. h. 27, 4 hoc fuit venenum (aconitum)
quo interemptas dormientes a Calpurnio Bestia uxores M. Caelius (Caecilius
Hss.) accusator obiecit; hinc illa atrox peroratio eius in digitum. Münzer,
Herrn. 44, 135. Darnach Quint. 6, 3, 69 melius obicientem crimina quam de-
fendentem. 10, 1, 115 multum ingenii in Caelio et praecipue in accusando
multa urbanitas; asperitas Caelii ebd. 10, 2, 25; vgl. Tac. dial. 18. 21 (sor-
des verborum, hians compositio, inconditi sensus). 25 (amarior). Er scheint
sich also mehr zu den Attizisten gehalten zu haben als zu Ciceros Rede-
weise, obwohl er in seiner Jugend von diesem Anleitung zur Beredsamkeit
bekommen hatte (A. 6); jedoch bezieht sich Cic. Brut. 273 E. nicht darauf,
sondern auf seine politische Haltung. Vellei. 2, 68, 1 M. Caelius, vir elo-
quio animoque Curioni (A. 1) simillimus, sed in utroque perfectior, nee minus
ingeniöse nequam. Sen. de ira 3, 8, 6 Caelium oratorem fuisse iraeundissi-
mum constat. Seine Reden kannten noch Quintilian, Plinius (ep. 1, 20, 4)
und Tacitus (dial. 21. 25). Die Überreste bei Meyer, ORF.2 460. Sehr an-
schauliche Schilderung aus einer Rede bei Quint. 4, 2, 123. Witze über
Clodia ebd. 8, 6, 53. Harnecker, Berl. Woch. 1884, 225; WochklPhil. 1886,
1098.
8. L. Munatius Plancus, Caesars Legat und für J. 42 von ihm zum
Cos. ernannt; nach Caesars Tode schlug er sich nach einigem Schwanken
auf die Seite des Senats, dann auf die des Antonius, später, als es diesem
schlecht zu gehen anfing, auf die des Octavian. Censor J. 22, aber allge-
mein mißachtet. Horaz richtet an ihn c. 1, 7. PRE. 5, 204, 9. Prosop. 2,
390. LRoth, Mitt. der Basler Altert.-Ges. 4 (Bas. 1852). deKlerck, disq. de
etc., Utr. 1855. AKleijn, de L. et T. Munatiis Plancis, Leid. 1857. Bei Suet.
rhet. 6 und Plin. NH. 7, 55 heißt er orator; orator insignis habetur bei
Hieronymus zu a. Abr. 1992 = 25; summa eloquentia bei Cic. ep. 10, 3, 3
vgl. 13, 29, 1. Ascon. 31, 30 St. Non. 221. Seine rhetorische Bildung, aber
auch seine Eitelkeit, erhellt aus seinen Briefen an Cicero (ep. 10, 4. 7 — 9.
11. 15. 17 f. 21. 23 f.) aus J. 44 und 43, die sehr gut stilisiert und periodi-
§ 209. Munatius, Furnii, Annius Cimber 503
siert sind, mit Antithesen u. dgl. trefflich ausgestattet (verborum sententiarum-
qiie gravitas, ebd. 10, 12, 1. 16, 1. 19, 1), aber ohne regelmäßige Klauseln.
Rhodius, De syntaxi Planciana, Bautzen 1894; De Planci sermone, ebd. 1896.
Bergmüller, Die Latinität der Briefe des PL, Erlang. 1897.
9. Hieronym. zu Euseb. Chron. a. Abr. 1980 = 37 Furnii pater et filius
clari oratores hdbentur, Quorum filius consularis ante patrem moritur. Vgl.
Tac. dial. 21 (verderbte Stelle: fich will nicht die mittelmäßigen unter den
alten "Rednern nennen') nee unum de populi ganuti (= Canuti? § 153, 5E.)
mit Atti, de Furnio et Toranio {Coranio z. T. Hss. , sonst unbekannt) qui-
que dlii in eodem valetudinario Jiaec ossa et Jianc maciem produnt. Der
Vater (C. Furnius) war mit Cicero befreundet; tr. pleb. 50. Er war Legat
des L. Plancus (A. 8) J. 44 f. und trat mit ihm zu Antonius über, bei dem
er bis Actium blieb. Von Octavian wurde er begnadigt und J. 29 adlectus
inter constilares (Dio 52, 42). Daß er Redner war, bestätigt auch Cic. ep.
10, 26, 2 (qui alienas causas tarn facile discas). Plut. Anton. 58 nennt ihn
gar dsivotatog sItcblv 'Paiuxicov. Auf ihn bezieht sich wohl Hör. sat. 1, 10, 86
te, candide Furni, wozu Acro hie historiarum elegantia damit (später). Von
dem Sohne (Cos. 17) berichtet eine ausgesuchte Schmeichelei gegen Octavian
Sen. de benef. 2, 25, 1. Kappelmacher, PW. 7, 375.
10. L. Sempronius L. f. Atratinus, Cos. 34, triumphierte 12. Okt. 21
pro cos. ex Africa (CIL. 1, p. 461). Hieronym. zu Eus. chron. ad a. Abr. 1996
= 21 Atratinus, qui XVII natus annos Caelium (s. A. 7) aecusaverat (J. 56;
also geboren 73), clarus inter oratores habetur, ad extremum morborum
taedio in balneo voluntate exanimatus heredem reliquit Augustum. Fortunat.
Rh et. min. 124, 26 Atratinus Caelium pulchellum lasonem appellat. Cicero
nennt ihn (pCael. 2) seinen necessarius, sagt von ihm (ebd. 8) ornate docte-
que dixisti und nennt ihn (ebd. 15) disertus adolescens. Als Redner im Senat
J. 40 neben Messala genannt bei Ioseph. b. iud. 1, 14, 4. PRE. 6, 973, 8.
Münzer, Herrn. 44, 135.
11. Vatinius an Cicero, ep. 5, 10a, 2 (J. 45) defenditur (Catilius) a Q.
Volusio, tuo discipulo. Falls er mit dem von Catull verspotteten Epiker
(§ 212, 7) identisch wäre, so würde das zu seinem Verhältnis zu Cicero
nicht übel passen. Vgl. PRE. 6, 2745, 5.
12. Cic. Phil. 11, 14 T. Annius Cimber Lysidici filius (also eines
Freigelassenen oder Sklaven), Anhänger des M. Antonius und durch ihn zur
Praetur gelangt (ebd. 13, 26). Über seine literarische Richtung s. das schon
von Ausonius op. 27, 13, 5 nicht mehr verstandene Epigramm auf ihn Verg.
catal. 2 (auch Quint. 8, 3, 33): Corinthiorum (d. h. mit dem Edelrost der
Altertümlichkeit) amator iste verborum, Iste iste rhetor , namque (iamque
Buecheler) quatenus totus Thucydides, tyrannus Atticae febris (der unerbitt-
liche Lehrmeister in krankhaftem Attisch), Tau gallicum (wegen der galli-
schen Herkunft des Annius Cimber?), min (tiiv) et sphin (acplv) et — male
Uli sit (Fluch dem grammatischen Raritätenkrämer): ita omnia ista verba
7niscuit fratri (als ein Tränkchen, an dem er sterben mußte: man beschul-
digte den Annius Cimber des Brudermords: Quint. aO. Cic. Phil. 11, 14.
13, 26). Danach scheint er den Lehrerberuf ausgeübt zu haben, ehe er in
die staatliche Laufbahn gelangte. Als Altertümler nennt ihn auch Octavian
bei Suet. Aug. 86 an M. Antonius: tu dubitas Cimberne Annius an Veranius
504 Ciceronische Zeit: J. 63—43 v. Chr.
Flaccus imitandi sint tibi? dh. wohl: du schwankst zwischen A. C. und den
pontificalia verba des Ver. (§ 199, 4) und schreibst daher in der Sprache
des Cato. Huschke, de Annio Cimbro, Rost. 1824 und bes. Bücheler, RhM.
38, 507. Vgl. auch § 19, iE.
13. Auch Caesars Günstling, der Ritter Mamurra aus Formiae, j 45
(Cic. Att. 13, 52, 1; vgl. auch OHirschfeld, Sehr. 786) war literarisch und
zwar dichterisch tätig, wie es scheint in gebundener Form; s. Catull. 57,7
und 105: Mentula conatur Pipleium scandere montem, Musae furcülis prae-
cipitem eiciunt. Vgl. § 214, 5. Schwabe, quaest. Catull. 187. 226.
14: Val. Max. 8, 3, 3 Hortensia, Q. Hortensi (§ 171, 1) filia, cum ordo
matronarum gravi tributo a triumviris (J. 43) esset oneratus nee quisquam
virorum patrocinium eis aecommodare änderet, causam feminarum apud trium-
viros et constanter et feliciter egit; repraesentata enim patris faeundia impe-
travit ut etc. Vgl. Appian. b. c. 4, 32. Quint. 1, 1, 6 Hortensiae Q. filiae
oratio apud triumviros habita legitur non tantum in sexus honorem.
210. Von den Teilnehmern der Verschwörung gegen Caesar
war der weder moralisch noch geistig hochstehende M. Iunius Bru-
tus der literarisch tätigste, namentlich auf dem Gebiete der Philo-
sophie und der Beredsamkeit; des D. Brutus und C. Cassius Schreib-
weise kennen wir aus Briefen an Cicero; ebenso den Cassius aus
Parma und C. Trebonius, die beide überdies in der Poesie dilettierten.
Außerdem verfaßten Geschichts werke in einem dem Caesar abge-
neigten Sinne Ampius Baibus, Actorius Naso und Tanusius Gernmus.
1. M. Iunius Brutus. Plutarchs Brutus. Drumann, GR. 4, 21. PRE. 4,
518. 532. Slevogt, de M. Bruti vita et scriptis, Petersb. 1870. OESchmidt,
Verh. 40. Phil. Vers. 165. ESchwartz, Herrn. 33, 237. Cic. Brut. 324 von
Hortensius: annis ante decem causas agere coepit (nämlich J. 95, s. Brut. 229
L. Crasso Q. Scaevola coss. primum in foro dixit), quam tu (Brutus) es natus.
Gegen das sich hiernach ergebende Geburtsjahr 85 spricht Vellei. 2, 72, 1
hunc exitum M. Bruti XXXVIIum annum agentis (J. 42) fortuna esse vo-
luit (vgl. Liv. per. 124 annorum erat circiter XL). Dies würde auf J. 79
oder 78 als das Geburtsjahr des Brutus führen, und diesen Ansatz setzt
auch die Sage voraus, daß Caesar (geb. 100) selbst der Vater des Brutus
gewesen sei; ferner paßt dazu, daß Plut. 3 ihn im J. 58 als [leiqü-kiov mit
Cato nach Cypern reisen läßt. Daher schreibt mit vieler Wahrscheinlich-
keit Nipperdey, op. 301, bei Cic. aO. ante sedeeim (Seeck septemdeeim). Vgl.
Seeck, RhM. 56, 631; Herrn. 42, 505. Groebe ebd. 304. Vgl. Nep. Att. 8, 1
occiso Caesare . . sie M. Bruto usus est, ut nullo ille adulescens aequali fami-
liarius quam hoc sene (Atticus geb. 109). J. 51 war Brutus bereits Schwieger-
sohn (Cic. ep. 3, 4, 2) des App. Claudius (§ 199, 1). Aur. Victor ill. 82 Athe-
nis philosophiam, Bhodi (sonst nicht bezeugt) eloquentiam didicit (Lehrer in
Athen Pammenes, sowie Aristos, der Bruder des Antiochos, Cic. Brut. 332.
Orat. 105. Acad. post. 1, 12. Plut. Brut. 2), Cytheridem mimam cum An-
tonio et Gallo amavit (vgl. § 232, 1 und Flach, JJ. 119, 793). . . civili bello
. . Pompeium secutus est, quo victo veniam a Caesare aeeepit et procos. Gal-
§ 210. M. Brutus 505
Harn (cisalp.) rexit (J. 46). J. 44 durch Caesar praetor (uro.); f nach der
Schlacht bei Philippi, J. 42. — Bildnisse: Bernoulli, röm. Ikonogr. 1, 187.
2. Cicero pflegt den M. Brutus übertrieben zu loben (zB. Brut. 22), zu-
erst als den Liebling Caesars, dann als dessen Mörder; er widmete ihm de
finibus, Paradoxa, de nat. deor., Tusc, den Brutus und den Orator. Die
stilistischen Grundsätze beider waren aber verschieden, da Brutus eich ent-
schieden zu den Attizisten bekannte; Cicero suchte ihn durch seinen Bru-
tus von der Unrichtigkeit dieses Standpunktes zu überzeugen. Darauf bat
Brutus um eingehendere Begründung, und diese gab Cicero im Orator,
ohne doch seinen Zweck zu erreichen; Att. 14, 20, 3 (Mai 44) cum ipsius
precibus paene adductus scripsissem ad eum de optimo gener e dicendi, non
modo mihi sed etiam tibi scripsit sibi illud, quod mihi placeret, non probari.
Ebd. 15, 1 a, 2 Brutus noster misit ad me orationem suam . . petivitque a me,
ut eam . . corrigerem . . est autem oratio scripta elegantissime sententiis ver-
bis, ut nihil possit ultra, ego tarnen, si illam causam habuissem, scripsissem
ardentius . . quo enim in gener e Brutus noster esse vult (im yivog i6%vov der
Attiker) et quod iudicium habet de optimo genere dicendi, id ita consecutus
in ea oratione est, ut elegantius esse nihil possit; sed ego secutus aliud sum
usw. Tac. dial. 18 ex Calvi (§ 213, 6E.) et Bruti ad Ciceronem missis epi-
stulis (§ 46, 5. Harnecker JJ. 125, 604) facile est deprehendere Calvum qui-
dem Ciceroni visum exsanguem et aridum, Brutum autem otiosum atque di-
iunctum, rursusque Ciceronem a Calvo quidem male audisse tamquam solutum
et enervem, a Bruto autem . . tamquam fractum atque elumbem. An seiner
Redeweise wird gravitas gerühmt (Quint. 12, 10, 10. Tac dial. 25). Nament-
lich verwarf er rhythmischen Fall der Prosa (Quint. 9, 4, 76); daher Cice-
ros ausführliche Verteidigung des Prosarhythmus im Orator. Übereinstim-
mend urteilen Quint. 10, 1, 123, daß er in seinen philosophischen Schriften
multo quam in orationibus praestantior suffecit ponderi rerum, und Tac
dial. 21 Brutum philosophiae suae relinquamus. nam in orationibus minorem
esse fama sua etiam admiratores eius fatentur. nisi forte quisquam . . Bruti
pro Deiotaro rege (vgl. Cic Brut. 21. ad Att. 14, 1, 2) ceterosque eiusdem
lentitudinis ac teporis libros legit, nisi qui et carmina eorundem miratur;
feceruyit enim et carmina (s. § 195, 3). Vgl. Stat. silv. 4, 9, 20 Bruti senis
oscitationes (langweilige Reden). Andere veröffentlichte Reden des Brutus :
de dictatura Pompei (Quint. 9, 3, 95) vom J. 51, die am 17. März 44 auf
dem Capitol gehaltene (Cic Att. 15, lb, 2), sowie sonstige contiones Bruti
(falsa quidem in Augustum probra, sed multa cum acerbitate habent, Tac
A. 4, 34) ; ferner die Stilübung pro Milone (orationem Brutus exercitationis
gratia scripsit, Quint. 10, 1, 23 vgl. 10, 5, 20. 3, 6, 93. Ascon. 37, 4 quam
formam M. Brutus secutus est in ea oratione, quam pro Milone composuit
et edidit, quasi egisset. Schol. Bob. p. 112, 15); laudatio seines Schwieger-
vaters App. Claudius (Diomed. GL. 1, 367) und seines Oheims M. Cato (Cic
Att. 13, 46, 2. vgl. 12, 21, 1. Schol. Lucani 2, 234 Us. Busch [§ 210, 4] 34),
auf die Augustue antwortete (§ 220, 3). Meyer, ORF.2 446. Filbey, Class.
Phil. 6, 325.
3. Über des Br. philosophische Schriften s. Cic acad. post. 1, 12. Hin-
neigung zur f alten' dh. von Antiochos wiederhergestellten Akademie, Cic
Brut. 120. 149. Schriften: de virtute (an Cicero gerichtet, s. fin. 1, 8. Tusc.
506 Ciceronische Zeit: J. 63—43 v. Chr.
ö, 1. Sen. consol. ad Helv. 9, 4ff. vgl. 8, 1), tisqi xccd-rjy.ovxog (Sen. ep. 95,45;
vgl. M. Brutus de officiis bei Priscian. GL. 2, 199), de patientia (Diomed.
GL. 1, 383). — Jugendarbeiten waren wohl die Auszüge aus Fannius, Anti-
pater (s. § 137, 4 u. 6g E.) und Polybios (Plut. Brut. 4. Suid. s. v. Bgovxog'
^ygecipsv . . . IJoXvßiov xov Icxoqikov ßißlcov i7tixo{irjv; s. § 257, 8).
4. Briefe. (M.) Brutus in epistulis (Quint. 9, 4, 75. Diomed. GL. 1, 388.
Priscian. ebd. 2, 474; vgl. Plin. NH. 33, 39 M. Bruti in Philippicis campis
epistulae reperiuntur, frementes fibulas tribunicias ex auro geri), ad Caesar em
(Charis. GL. 1, 130), ad Ciceronein (Tac dial. 18). Über den Briefwechsel
des Br. mit Cicero s. § 188, 4. — Das Erzeugnis eines Rhetors sind die auf
uns gekommenen Briefe des Brutus in griechischer Sprache (zB. in Hebchers
epistolographi Graeci, Par. 1873, p. 177), die schon Plutarch in seinem Bru-
tus 2 als echt benutzte. Vgl. Suidas s. v. Bgovxog. Hercher, Phil. 8, 187.
9, 592. Marcks, symb. ad epistologr. gr. (Bonn 1883) 23. — Die Verse des
Brutus (s. Tac. dial. 21, oben A. 2) scheinen verliebten Inhalts gewesen zu
sein nach der Aufzählung bei Plin. ep. 5, 3, 5 (oben § 31, 1). — Der Rhe-
tor Empylos, der Vertraute des Brutus (wohl eine Person mit dem gleich-
namigen aus Rhodos, s. Cic. bei Quint. 10, 6, 4), hatte ein ^lkqov fig'v, ov
cpccvlov dh 6vyyQaii[icc itsgl rf}g KcciöccQog ccvaLgeöscog o BQOvxog iitiyiy qccnx ai
— offenbar eine Verteidigung der Tat — verfaßt, schwerlich in lateinischer
Sprache.
5. D. Iunius Brutus, im Sommer 43 durch M.Antonius hingerichtet.
Seine Briefe an Cicero aus J. 44 und 43 (ep. 11, 1. 4. 5 — 11. 13 a. 19. 20.
26. 26) sind traurige Belege der Kopflosigkeit und Hasenherzigkeit, die er
seit seiner Teilnahme an der Ermordung Caesars fortwährend bewies. Sprach-
lich bieten sie (außer valde quam fsehr') kaum etwas Auffälliges. Drumann,
GR. 4, 9. PRE. 4, 513, 19. Nake, d. Briefwechsel zw. Cic. und D. Brut., JJ.
Suppl. 3, 647. Gebhard, De D. Bruti genere dicendi, Jena 1891.
6. C. Cassius Longinus, etwas älter als M. Brutus (Plut. Brut. 29. 40),
J. 53 ff. Quaestor in Parthien, 49 tr. pleb.; für 44 mit M. Brutus zum Prae-
tor ernannt, f nach der Schlacht bei Philippi (J. 42). Eine schroffe, schnei-
dige Natur, aber selbstsüchtig, ohne höhere Ziele (vgl. Plut. Brut. 29.
comp, cum Dione 1. Brut. 37 Kdoöiog xolg 'ETtiycovgov loyoig %gconevog kccl
7tsgl xovxav %&og %%<ov). Von seinen Briefen an Cicero ist ep. 15, 19 (J. 45)
ein gutgelaunter Widerhall von Ciceros Schreiben; 12, 11 — 12 (aus J. 43)
geschäftliche Berichte, zum Teil mit berechneter Schmeichelei für Cicero.
Zitat aus C. Cassii epistula ... ad Dolabellam bei Charis GL. 1, 123, 13.
Vgl. Drumann, GR. 2, 98. Froehlich, PW. 3, 1727. OESchmidt, de epp. et
a Cassio et ad Cassium datis, Lps. 1877.
7. C. Cassius Parmensis, der nach seiner Teilnahme an der Ermor-
dung Caesars in Asien befehligte (J. 43). Darüber berichtet er an Cicero
in dem unterwürfigen und auch dessen Schreibweise nachahmenden Briefe
ep. 12, 13. Nach der Schlacht bei Actium wurde er hingerichtet. Drumann
GR. 2, 136. Skutsch, PW. 3, 1743. Porphyrio zu Hör. ep. 1, 4, 3 scribere
quod Cassi Parmensis opuscula vincat] hie est Cassius, qui in partibus Cassii
et Bruti cum Horatio tribunus militum militavit. quibus victis Aihenas se
contulit (erst J. 31). Q. Varius ab Augusto missus, ut eum interficeret , stu-
dentem repperit et perempto eo scrinium cum libris tulit. unde multi credi-
§ 210. Cassii Longinus und Parmensis, Trebonius u. A. 507
derunt Thyestem Cassii Parmensis fuisse (die letzten Angaben sind aus einer
Verwechslung des Offiziers Q. Attius Varus [vgl. b. g. 8, 28, 2. b. c. 3, 37, 6]
mit dem Tragiker L. Varius, § 223, 2, entstanden; s. auch Porph. Hör. sat.
1, 10, 62); scripserat enim multas alias tragoedias Cassius. Acito (II 226 K.)
Epicureus fuit et poeta . . aliquot generibus stilum exercuit. inter quae opera
elegia et epigrammata eins laudantur. Aus einem schmähenden Briefe des
Cass. Parm. an Octavian eine Stelle bei Suet. Aug. 4. Aus einer epistula
Cassi Parmensis ad M. Antonium bei Plin. NH. 31, 11. Hinkiambus eines
Cassius bei Quint. 5, 11, 24, von Ribbeck CRF. 266 dem Cassius Severus
zugeschrieben. Praetexta Brutus eines Cassius; s. § 134, 5 E. AWeichert, de
L. Varii et Cassii Parmensis vita et carminibus, Grimma 1836. Welcher,
d. gr. Tragödien 1403. (Die Hexameter betitelt Cassii Orpheus in Feas
Horaz 2, p. 216, Wernsdorfs PLM. 2, 310 haben den Italiener Antonius Thy-
lesius saec. XVII zum Verfasser, s. Weichert aO. 198.)
8. Dem Cassius Parm. ungefähr gleichzeitig ist der Schnelldichter
Cassius Et ruscus bei Horaz sat. 1, 10, 69; s. Kirchner zdSt.
9. C. Trebonius, Quaestor 60, trib. pl. 55, J. 54ff. Caesars Legat in
Gallien und im Bürgerkriege auf dessen Seite; praet. urb. 48; Cos. 45; im
Febr. 43 durch Dolabella getötet. PRE. 6, 2083, 9. J. 47 scheint er eine
Sammlung der Witzworte Ciceros verfaßt zu haben; ep. 15, 21, 1 — 3, zB.
liber iste, quem mihi misisti, quantam habet declarationem amoris tui! pri-
mum quod tibi facetum videtur quidquid ego dixi, . . deinde quod illa . . flunt
narrante te venustissima. quin etiam, antequam ad me veniatur, risus omnis
paene consumitur. Sein eigener Brief an Cicero (ep. 12, 16) vom J. 44 ist
sehr herzlich gegen den alten und den jungen Cicero und begleitet versi-
culi (Iamben gegen M. Antonius?), in bezug auf deren Ungeniertheit er
meint: turpitudo personae eins in quam liberius invehimur nos vindicabit (3).
Auch bittet er (4): tu, sicut mihi pollicitns es, adiunges me quam primum
ad tuos sermones. Vgl. auch § 196, 11.
10. T. Ampius Baibus, trib. pl. 63, Praetor 58, Freund des Cicero
(Rede pro T. Ampio, Quint. 3, 8, 50), eifriger Pompejaner; Klebs, PW. 1,
1978. Äußerungen über Caesar aus dem Geschichtswerke des Ampius bei
Suet. Iul. 77; vgl. Cic. ep. 6, 12, 5 (J. 46) cum Studium tuum consumas in
virorum fortium f actis memoriae prodendis. — M. Actorius Naso, nach
Sueton. Iul. 9 (vgl. 52 Naso) Verfasser eines Werkes über Caesar oder die
Zeit des Bürgerkrieges, scheint dadurch datiert, daß Sueton in seinem d.
Iul. als Quellen nur Zeitgenossen Caesars zitiert; Haupt, op. 1, 72. — Über
Tanusius § 212, 7.
211. Unter den Gelehrten und Lehrern war der bedeutendste
der Grieche L. Ateius Praetextatus, ein vielseitiger und frucht-
barer Schriftsteller, der sich selber Philologus nannte und dessen
Interesse sich besonders auf die Glossographie richtete; nächstdem
S antra, der auch über Literaturgeschichte schrieb; ferner des Cn.
Pompeius Freigelassener, Lenaeus, Gavius Bassus und die Rhetoren
M. Epidius und Sextus Clodius. Vielleicht gehört auch der Reise-
besehreiber Statius Sebosus dieser Zeit an.
508 Ciceronische Zeit: J. 63—43 v. Chr.
1. Sueton. gramm. 10 L. (der Vorname im ind. p. 98 R; vgl. Z. 3 v. u.)
Ateius Philologus libertinus Athenis est natus. Er fiel wohl bei der Er-
oberung Athens J. 86 als Beute dem Centurio M. Anteius zu (Plut. Sulla 14)
und wurde später von diesem freigelassen. Da er noch dem Asinius Pollio
bei seiner Geschichte behilflich war (s. u. und § 221, 3), so lebte er min-
destens bis J. 29. Suet. aO. : hunc Capito Ateius (§ 265, 3, der Enkel des
Freilassers), notus iuris consultus, inter grammaticos rhetorem, inter rhetores
grammaticum fuisse ait. de eodem Asinius Pollio in libro, quo Sallustii
scripta reprehendit ut nimia priscorum verborum affectatione oblita, ita tra-
dit: fin eam rem adiutorium ei fecit maxime quidem Ateius Praetextatus,
nobilis grammaticus latinus, declamantium deinde auditor atque praeceptor,
ad summam Philologus ab semet nominatus*. ipse ad Laelium Herrn am (ob
eine Person mit dem § 148, 3E. erwähnten?) scripsit se in Graecis Utteris
magnum processum habere, in latinis non nullum, . . audisse Antonium Gni-
plionem (§ 159, 5) . . praecepisse autem multis et claris iuvenibus, in quis
Appio quoque et Pulchro Claudiis fratribus (vgl. § 199, 1), quorum etiam
comes in provincia (in Cilicien und der Prov. Asia) fuerit. Philologi appel-
lationem assumpsisse videtur, quia . . multiplici variaque doctrina censebatur.
quod sane ex commentariis eins apparet, quamquam paucissimi exstent. de
quorum tarnen copia sie altera ad eundem Hermam epistola significat: ( Hylen
nostram, quam omnis generis coegimus, uti scis, octingentos in libros (die
nicht herausgegeben zu sein brauchen)', coluit postea familiarissime C. Sal-
lustium et eo defuneto Asinium Pollionem, quos historiam componere aggressos
alterum (Sallust) breviario rerum omnium Bomanarum, ex quibus quos vellet
eligeret, instruxit, alterum (Asinius) praeeeptis de ratione scribendi. quo ma-
gis miror Asinium credidisse antiqua eum verba et figuras solitum esse colli-
gere Sallustio, cum sibi sciat nil aliud suadere quam ut noto civilique et
proprio sermone utatur vitetque maxime obscuritatem Sallustii et audaciam
in translationibus (= iistacpogalg). Seine persönliche Überzeugung von dem
besten Stile brauchte den Ateius nicht zu hindern, für Sallust auf dessen
ausdrückliche Bestellung, wie jenes breviarium, so auch eine Sammlung
von Archaismen zu machen. Fest. 181 zitiert Ateius Philologus in libro
glossematorum und öfter ohne Angabe der Schrift. Charis. GL. 1, 134, 4
Ateius Philologus tuvcckcov III. Charis. GL. 1, 127, 17 Ateius Philologus
librum suum sie edidit inscriptum "an amaverit Didum Aeneas* (Graff aO.
308). Ateius wird noch angeführt von Plin. NH. QVerz. zu B. 4 und als L.
Ateius ebd. zu B. 3, ferner Prisc. GL. 2, 383, 8. Serv. Aen. 1, 601. Graff,
Melanges greco-rom. de Tacad. de St. Petersb. 2, 274. Goetz, PW. 2, 1910.
Funaioli, GRF. 1, 136.
2. Suet. gramm. 14 huius (des Curtius Nicias, § 200, 4) de Lucilio
libros etiam Santra comprobat. Vgl. Martial. 11, 2, 7 sdlebrosum Santram.
Hieronym. de vir. illustr. (2, 821 Vall.) praef. : fecerunt hoc idem (dh. schrie-
ben de viris illustribus) . . apud Latinos Varro (geb. 116), Santra, Nepos
(geb. um 99), Hyginus (geb. um 64). Gell. 7, 15, 5 ne si Aelii quidem,
Cincii et Santrae dicendum ita censuissent. Verrius Flaccus (bei Festus 277)
und Quint. 12, 10, 16 erwähnen den Santra bei literaturgeschichtlichen
Fragen. Sueton. vit. Terent. (p. 31, 10 R.) Santra Terentium existimat . . non
tarn Scipione et Laelio uti potuisse . . . quam C. Sulpicio Gallo etc. Festus
§ 211. Grammatiker: Ateius, Santra u. A. 509
277 quam rem (über reciniati mimi planipedes) diligenter exsequitur Santra
libro II de antiquitate verborum. Schol. Veron. Aen. 5, 95 Santra de anti-
quitate verborum libro III ait etc. ad Aen. 2, 171 ut Santra antiquitatium
libris. Non. 170, 21 Santra de verborum antiquitate III (oder l. II): quod
(des Naevius b. Punicum, s. § 95, 8) volumen unum nos lectitavimus et postea
(in anderen Handschriften) invenimus septemfariam divisum. Aus Santra
nuntiis (nuptiis Ribbeck) Bacchus führt Nonius (s. Ribb. trag.2 p. 228, röm.
Trag. 616) vier (unvollständige) Senare an, von denen mindestens drei hel-
lenisch sorgfältigen Bau haben. Der Name Santra, den man für afrikanisch
gehalten hat (Mercklin, Phil. 3,344, wegen Mart. 6,39; s. aber ebd. 7,
20, 1), ist vielmehr etruskisch. WSchulze, Zur Gesch. lat. Eigenn. 342. —
Lersch, ZfAW. 1839, Nr. 13 f. 43; Sprachphilosophie 3, 165. Egger, Lat.
serm. vet. reliq. 18. LPreller, ausgew. Aufsätze 377. Bücheler, RhM.
40, 148.
3. Süet. gramm. 15 Lenaeus, Magni Pompei libertus et paene omnium
expeditionum comes, defuncto eo filiisque eius (zuletzt starb Sextus, J. 35)
scliola se sustentavit . . ac tanto amore erga patroni memoriam exstitit, ut
Sallustium historicum . . acerbissima satura laceraverit (s. § 206, 1). tradüur
autem puer adhuc Athenis subreptus refugisse in patriam, . . verum . . gratis
manumissus. Schol. luv. 1, 20 (Auruncae alumnus) vel Lenium (Lenaeum
Casaubonus) dielt, quia et ipse satiras scripsit. Auch über Arzneimittel
schrieb er (Pompeius Lenaeus Magni libertus Plin. NH. 25, 5); s. § 53, 1.
4. Suet. gramm. 28 M . (so im Ind. gramm. p. 99 R., s. aber unten)
Epidius calumnia notatus ludum dicendi aperuit doeuitque inter ceteros
M. Antonium et Augustum (auch den Vergil, s. § 224, 3). quibus quondam
C. Cannutius . . malle [se~\ respondit Isaurici esse diseipulum quam Epidii
calumniatoris. hie Epidius ortum se a C Epidio Nucerino praediedbat. —
Yon ihm ist zu trennen C. Epidius, der Verf. eines paradoxographischen
oder pseudo-naturwissenschaftlichen Buches: Plin. NH. im QYerz. zu B. 17
C. Epidio und 17, 243 qualibus ostentis Aristandri apud Graecos volumen
scatet, . . apud nos vero C. Epidi commentarii, in quibus arbores locutae
quoque reperiuntur. HPeter, RhM. 22, 153. Der Senar GL. 6, 79, 18 quid
ais, Epidia? (Epidice Gaisford) tibi facilior erit amor (Ribbeck, Com. fr.
p. 135) hat mit Epidius trotz Bährens, FPR. 327 nichts zu tun. Vgl. noch
§ 205, 6. Brzoska, PW. 6, 59.
5. Suet. gramm. 29 = rhet. 5 Sex. Clodius e Sicilia, Latinae simul
Graecaeque eloquentiae professor (vgl. Sabinum [Sextum?] Clodium uno die
et Graece et Latine declamantem bei Sen. controv. 9, 3, 13), male oeulatus et
dicax par oculorum in amicitia M. Antonii triumviri extrisse (?) se aiebat.
. . a quo (M. Antonio) mox consule (J. 44) ingens etiam congiarium aeeepit.
Vgl. Cic. Phil. 2, 43 (rhetorem . . salsum hominem). 3, 22. ad Att. 4, 15, 2
(J. 54) vereor ne lepore te suo detineat diutlus rhetor Clodius. Zu trennen
von ihm ist gewiß der Theologe: Arnob. adv. gent. 5, 18 Sex. Clodius sexto
de diis Graeco (Graecorum Canter) = Lactant. inst. 1, 22, 11 Sex. Clodius in
eo libro quem Graece scripsit. Bernays, Theophrast über die Frömmigkeit
S. 10 erinnert an die Schrift des KXoadiog NsaTtoXlzrig Koog xovg cc7isxo{i8vovg
x&v aaQx&v Porph. de abst. 1, 3 (vgl. 26). — Der bei Servius (zu Aen. 1, 176
Clodius Scriba commentariorum quarto, vgl. ebd. 52. 2, 229) angeführte Glosso-
510 Ciceronische Zeit: J. 63—43 v. Chr.
graph Clodius ist jedenfalls wiederum ein anderer (§ 159, 9. 263,5). Brzoska,
PW. 4, 66.
6. Von einem Grammatiker Gavius Bassus werden angeführt Schriften
de origine verborum et vocabulorum (Gellius 2, 4, 3. 3, 19, 1. 5, 7) in min-
destens 7 Büchern (ebd. 11, 17,4), de verborum significatione (Mach. 3, 18,2),
commentaria (Gell. 3, 9. 18, 3): alle diese Anführungen mögen sich auf
dasselbe glossographisch-etymologische Werk beziehen. Ferner de dis (Mach.
1, 9, 13 vgl. 3, 6, 17. Lyd. de mens. 4, 2; vgl. Quint. 1, 6, 36. Lactant. inst.
1, 22, 9). Da er nach Gell. 3, 9, 8 den equus Seianus noch zu Argos sah,
dessen letzter Eigentümer C. Cassius J. 36 den Tod fand, so scheint er
dieser (spätestens der augusteischen) Zeit anzugehören. JKretzschmek, de
fönt. Gell. p. 99 f. Funaioli, GRF. 1, 486; PW. 7, 866. — Bei Fest. 166b, 3.
170b, 27. 355a, 7 ein Curiatius als Worterklärer. Vgl. Mercklin, de Varr.
tralaticio scrib. genere, Dorp. 1858, 8.
7. Statius Sebosus, von Plinius genannt im QVerz. zu B. 2 u. 9, so-
wie als Sebosus zu B. 3. 5 — 7. 12. 13. Nachrichten aus ihm ebd. 6, 201 (An-
gabe der Fahrzeit zu den insulae Hesperidum) und 9, 46 (Wunder des Flusses
Ganges). Hudemann, ZfAW. 1852, Nr. 3. Einen Sebosus nennt als Freund
des Lutatius Catulus und lästigen Nachbarn Cicero, Att. 2, 14, 2. 2, 15, 3
(J. 59).
212. Dichter dieser Zeit, die, soviel wir wissen, den politischen
Kämpfen fern blieben, waren der vielgestaltige P. TerentiusVarro
aus Atax (J. 82 — 37) und Publilius Syrus; jener schilderte in einem
Epos Caesars Krieg im Lande der Sequaner (bellum Sequanicum)
und verfaßte Saturae, ist aber bekannter geworden als geschmack-
voller und formgewandter Bearbeiter alexandrinischer Helden- und
Lehrgedichte (Argonautae, Chorographia u. a.), auch in der Liebes-
dichtung versuchte er sich. Im ganzen zeigt er die Eigenart der
neoterischen Dichter, ohne daß man doch nähere Beziehungen zu
ihnen nachweisen könnte. Publilius Syrus (aus Antiochia ge-
bürtig?) dichtete mit vielem Beifall für das Theater Mimen, die
noch in der neronischen Zeit aufgeführt wurden. Ihr reicher Schatz
an Sprüchen der Lebensweisheit wurde im ersten christlichen Jahrh.
ausgezogen und im Beginne des Mittelalters aus anderen Quellen
vermehrt. Beiden Dichtern gleichzeitig war der durch Catull in
üblen Geruch gebrachte Verfasser von breitspurigen Annales, Ta-
nusius Geminus aus Oberitalien, der sich später zur Geschichte
wandte und nach Caesars Tode in einer Historia die jüngste Ver-
gangenheit Roms behandelte.
1. Hieronym. in Euseb. Chron. ad a. Abr. 1935 = J. 82 P. Terentius
Varro vico Atace (richtiger Porphyr, zu Hör. aO. ab Atace fluvio dictus,
jetzt Aude) in provincia Narbonensi nascitur. qni postea XXXVum annum
agens Graecas litter as cum summo studio didicit. Hör. sat. 1, 10, 46 hoc (die
§ 212. P. Terentius Varro 511
Satire) erat experto frustra Varrone Atacino . . melius quod scribere possem.
Hiernach war Varro zur Zeit der Abfassung dieser Satire (J. 36, s. Teuffel,
RhM. 4, 111) bereits nicht mehr am Leben. Diese Satiren, sowie das bellum
Sequanicum in eine frühere, nationale Periode des Varro zu setzen, berech-
tigt nichts. Prisc. GL. 2, 497 P. Varro belli Sequanici libro II, folgt ein
Hexameter. Der Stoff lag dem Varro nach Zeit und Schauplatz besonders
nahe; das Gedicht behandelte wohl Caesars Krieg gegen Ariovist (J. 58),
der sich im Gebiet der Sequaner festgesetzt hatte (Caes. b. g. 1, 30 — 54),
oder den ganzen damit beginnenden gallischen Feldzug und kennzeichnet
Varro als einen Anhänger Caesars.
2. Quint. 10, 1, 87 Atacinus Varro in iis, per quae nomen est adsecutus,
interpres operis dlieni, non spernendus quidem, verum ad augendam facul-
tatem dicendi partim locuples. Vell. 2, 37, 3 auctoresque carminum Varro-
nem ac Lucretium, wo schwerlich M. Varro gemeint ist, s. § 165, 2gE.
Quintilian bezieht sich auf Varros Argonautae, eine freie Bearbeitung der
'AQyovuvTiy.cc des Apollonios aus Rhodos: Prob. Verg. G. 2, 126 Varro qui
quattuor libros de Argonautis edidit; Schol. Veron. ad Verg. Aen. 2, 82
Varro Argonautarum primo; Prob. Verg. G. 1, 14 traditur ... in corpore
Argonautarum a Varrone Atacino; Audax GL. 7, 332, 7 Varro . . . in Argo-
nautis, auch preisend erwähnt von Ovid. am. 1, 15, 21. AA. 3, 335. trist.
2, 439. ex Pont. 4, 16, 21 (? vgl. § 252, 1). Prop. 2, 34, 85. Stat. silv. 2,
7, 77. Sen. controv. 7, 2, 28 illos optimos versus Varronis — Apoll. Rh. 3,
748 f. Wörtliche Entlehnung aus Ennius: Serv. Verg. Aen. 10, 396. RUnger,
de Varr. Atac, Friedl. 1861. Vergil folgt ihm gewiß öfter als wir nach-
weisen können; FRütten, De Verg. studiis Apollonianis , Münster 1912, 12.
— Außerdem ein geographisches Werk in Hexametern, dessen Name bei
Prisc. GL. 2, 100, 15 in der Verderbnis (h)ort(h)ograp7iia sich verbirgt: dar-
aus ist längst richtig chorographia gebessert (andere cosmograplüa). Nach
einer allgemeinen Einleitung (zB. über die Bewegung der Himmelskörper,
Gestirne, Zonen) war Europa (Fest. 381, 4 Varro in Europa*?), Asien und
Afrika der Reihe nach behandelt, wohl nach einem Werke des Alexander
aus Ephesos (mit dem Beinamen 6 Av^vog)-. vgl. Röper, Phil. 18, 433. Mei-
neke, Anal. Alex. 374; von Plin. NH. benützt B. 3—6 (Erdkunde, ex . . .
Varrone Atacino). Ritschl, op. 3, 432. Unrichtig Flach, Hesych. Mil. ono-
matol. p. 37. — Ferner aus der Bearbeitung des Aratus die sieben wohl
gebauten Hexameter bei Serv. Verg. G. 1, 375 (== Arat. 942. 954 fll.). Frag-
lich ist der Titel Ephemeris: Schol. Verg. G. 1, 397 p. 265 H. Varro in
ephemeride (so Bergk: epimenide ist überliefert) (nubes sicut vellera lanae
constabuntf sicut et Aratus (nämlich 938): das scheint aber Prosa zu sein
und kann aus den Ephemerides des Reatiners (vgl. § 166, 6, c E.) stammen.
Bergk, RhM. 1, 372. — Ferner teilte Varro die erotische Richtung der Ale-
xandriner. Prop. 2, 34, 85 haec quoque perfecto ludebat Iasone Varro, Varro
Leucadiae maxima flamma suae, haec quoque lascivi cantarunt scripta Ca-
tulli usw. Ovid. trist. 2, 439 is quoque, Phasiacas Argo qui duxit in undast
non potuit Veneris furta tacere suae. Das sind aber die einzigen Spuren
seiner Liebesdichtungen, weil seine Nachfolger (Cornelius Gallus) ihn ver-
dunkelten: kaum war es die außerrömische Abkunft, die ihn nicht zu Ein-
fluß gelangen ließ. Da Leucadia ein Pseudonym ist wie Delia^und Cynthia,
512 Ciceronische Zeit: J. 63—43 v. Chr.
so liegt es nahe, an Elegien zu denken (trotz Jacoby RhM. 60, 69). — Das
Epigramm (AL. 414. PLM. 4, 64) auf das Grab des reichen Galliers Licinus
(der erst unter Tiberius starb; Schol. luv. 1, 109. PRE. 4, 1081) wurde wohl
wegen der Landsmannschaft (?) dem Varro beigelegt (Überschrift : Terentii
Varronis Atacini; vgl. Schol. Pers. 2, 36 non invenustum Varronis epi-
gramma). Ebenso wissen wir von Varros Satiren einzig durch Horaz aO.
Der Spondiacus fr. 24 (sicher nicht aus den felegiae') erinnert an die Tech-
nik der Neoteriker. FWüllner, de Varronis Atacini vita et scriptis, Münster
1829. Dort auch die spärlichen Überreste, außerdem bei Riese, Varr. Me-
nipp. 261. FPR. 332.
3. Hieronym. zu Euseb. Chron. 1974 = 43 (Laberius' Todesjahr, 8. § 192, 3):
Publilius (so cod. Amand.: Publius die übrigen) mimographus natione
Syrus Bomae scaenam tenet. Über den richtigen Namen Publilius (statt
Publius) s. Sillig zu Plin. aO. Wölfflin, Phil. 22, 439. Plin. NH. 35, 199
talem (pedibus cretatis) Publilium f lochium (Antiochium OJahn, Phil. 26, 11),
mimicae scaenae conditorem, et astrologiae consobrinum eius ManiJium An-
tiochum (vgl. § 253, 2 E.), item grammaticae Staberium Erotem eadem nave
advectos videre proavi (vgl. ebd. 8, 209). Macr. 2, 7, 6 Publilius, natione
Syrus, cum puer ad patronum domini esset adductus, promeruit eum non
minus salibus et ingenio quam forma. (7) ob haec et alia manumissus et
maiore cura eruditus, cum mimos componeret ingentique adsensu in Italiae
oppidis agere coepisset, productus Bomae per Caesaris Judos (J. 46) omnes,
qui tunc scripta et operas suas in scaenam locaverant , provocavit ut singuli
secum posita invicem materia pro tempore contenderent. nee ullo recusante
super 'avit omnes, in quis et Laberium. (8) unde Caesar adridens hoc modo
pronuntiavit *favente tibi me victus es, Laberi, a Syro' Publilio palmam . .
dedit. tunc Publilius ad Laberium recedentem ait (quicum contendisti scriptor
liunc speetator subleva' (im weiteren Wettstreit des Publilius mit anderen
Bewerbern). Publilius hatte also seine Fachgenossen zu einem mimischen
Stegreifspiel herausgefordert. EHoffmann, RhM. 39, 471. In der Kunst des
Improvisierens war der volkstümliche Mimus stark. Cic. ep. 12, 18, 2 (Herbst
46) equidem sie iam obdurui, ut ludis Caesaris nostri animo aequissimo vide-
rem T. Plancum, audirem Laberi et Publili poemata. Gell. 17, 14, 1 Pu-
blilius mimos scriptitavit ; dignus habitus est, qui subpar Laberio iudicaretur.
(3) huius Publilii sententiae feruntur pleraeque lepidae et ad communem ser-
monum usum commendatissimae , ex quibus sunt istae singulis versibus cir-
cumscriptae usw. Daß seine Gnomen von den Deklamatoren der augusteischen
Zeit lebhaft bewundert wurden, bezeugt Seneca d. Ae., zB. controv. 7, 2, 14.
7, 3, 8 Cassius Severus, summus Publili amator, aiebat non illius hoc Vitium
esse (nämlich raffiniert zugespitzte sententiae), sed eorum, qui illum ex parte
qua transire deberent imitarentur , non quae apud eum melius essent dieta
quam apud quemquam comicum tragicumque aut Bomanum aut Graecum.
Sen. de tranq. an. 11, 8 Publilius, tragicis comicisque vehementior ingeniis,
quotiens mimicas ineptias et verba ad summam caveam speetantia (auf die
Galerie berechnet) reliquit, inter multa alia cothurno, non tantum sipario,
fortiora et hoc ait. epist. 8, 8 quantum disertissimorum versuum inter mimos
iacetl quam multa Publilii non excalceatis, sed cothurnatis dicenda sunt!
Bei Petron. c. 55 wird die Frage aufgeworfen: quid putas inter Ciceronem
§ 212. Publilius Syrus 513
et Publilium interesse? Vgl. § 8, 6. Auch Zeitanspielungen scheint Publilius
gelegentlich angebracht zu haben; solche auf Caesars Tod bezeugt Cic.
Att. 14, 2, 1. Vgl. 14, 3E. Vgl. die Zeugnisse für Publilius in WMeyers
Ausg. p. 1.
4. Von den Stücken des Publilius sind nur zwei Titel bekannt: Non.
133, 7 Publili putatoribus (die Gärtner) und Prisc. GL. 2, 532, 25 Publius
in murmunthone. Das erklärt sich wohl nicht daraus, daß er vorzugsweise
Schauspieler und Improvisator war und seine Stücke fast nur in Bühnen-
exemplaren umliefen, sondern aus dem geringen Interesse der Grammatiker
für seine wenige Glossen enthaltende Sprache. Die zahlreich in seinen
Stücken enthaltenen kernigen Sprüche wurden bereits im ersten christlichen
Jahrh. (Gellius 17, 14 kennt schon eine Sammlung) zusammengestellt und
herausgegeben. Die bei Gellius aO. aus Publilius mitgeteilten 14 einzeili-
gen Sprüche kehren (bis auf einen) in noch vorhandenen Spruchsammlun-
gen wieder, auch die von den beiden Seneca als publilisch genannten fünf
Sprüche finden sich darin. Danach hat man den Inhalt jener Sammlungen,
obwohl keine Hs. den Publilius als Verfasser nennt, dennoch dem Grund-
stock nach mit Recht auf Publilius zurückgeführt, und dies wird bestätigt
durch die Exzerptensammlung des cod. Veron. 168 s. XIV (Flores moralium
autoritatum), die 60 Verse mit den Herkunftsangaben: Publius, ex sententiis
Publii, Publius Syrus, Publius mimus bietet. Danach war etwa der ursprüng-
liche Titel: Publilii Syri mimi sententiae. Von diesen 60 Versen sind 16
aus anderen Quellen nicht bekannt. WMeyer, die Samml. d. Spruchverse
(1877) 47. 61; doch hatte schon Maffei, de' teatri antichi e moderni (Ve-
rona 1753) 118 aus derselben Veroneser Hs. von jenen 16 Versen 12 ver-
öffentlicht (Loewe, RhM. 34, 624). — Die uns erhaltenen Sammlungen bieten
ungefähr 700 Sprüche (einzeilig, meist iambische Senare, doch auch trochä-
ische Septenare) und sind verschiedenartige Auszüge aus einer alphabetisch
geordneten Ursammlung, aus der (unmittelbar oder mittelbar) der Schreiber
des cod. Veron. geschöpft hat. Über den Zusammenhang mit griechischer
Spruchweisheit Andeutungen bei Nauck, Mel. Greco-rom. 3 (Petersb. 1872)
187; vgl. Scheibmaier (A. 6) 19.
5. Die erste Redaktion (bei WMeyer 27), zB. in den Parisini 2676
s. X— XI und 7641 s. X, gibt 265 Sprüche von A— N. Als Ersatz für die
zweite früh verlorene Hälfte (welche die Sprüche von 0 — V enthielt) wur-
den 149 prosaische Sentenzen, meist aus Seneca de moribus (§ 289, 10) auf-
genommen. Diese ganze Sammlung erhielt nach dem bekannteren Verfasser
den Titel Sententiae (oder Proverbia) Senecae. Die zweite Redaktion (JT)
enthielt über 450 Verse; der Vaticano-Palatinus 239 s. X — XI enthält von
dieser Redaktion die Buchstaben A — I. Der Rest läßt sich aus dem Frisin-
gensis (s. u.) gewinnen. Die dritte (Z) stark umgestaltete findet sich in
einem Turic. C 78 s. X von C— V: den Anfang dazu (A— D) gibt Monac.
6369 s. XI: im ganzen 137 Sprüche, darunter 50, die in den anderen Samm-
lungen fehlen. Vollständig herausg. von WMeyer, SB. Münch. Ak. 1872 2,
538. Über den dem Monac. ähnlichen Vatic. Reg. 1762 s. IX s. WMeyer,
Abh. Münch. Ak. 17, 1, 22. — Das vollständigste Corpus (W) ist das aus der
Verbindung der ersten und zweiten Redaktion entstandene des cod. Fri-
singensis (jetzt Monac. 6292) s. XI, im ganzen 649 Verse. Benutzt wurde der
Teuffei: röm. Literaturgesch. Neub. 6. Aufl. I. 33
514 Ciceronische Zeit: J. 63—43 v. Chr.
Frisingensis schon (von JGretser) in der Ingolstädter Ausg. v. 1600. — Da
die Sprüche fast durchaus aus allgemeinen Klugheitsregeln und Sätzen all-
täglicher Lebensanschauung bestehen, und Seneca (ep. 33, 7) schreibt: pueris
sententias ediscendas damus, so ist es glaublich, daß die Sammlung in den
Schulen verwendet wurde. So zitiert Hieronymus epist. ad Laetam 107 (1,
679 Vall.) den jetzt durch den cod. Veron. als publilisch erwiesenen Vers
Aegre reprehendas quod sinas consuescere und fügt hinzu: legi quondam in
scholis puer. — Die älteren Ausgaben (s. Wölfflin, Phil. 22, 454. WMeyers
Ausg. p. 14) sind wegen ihrer Vermischung der verschiedenen Bestandteile
und wegen starker Interpolation heute unbrauchbar. Erste urkundliche Aus-
gabe: Publilii Syri sententiae rec. Wölfflin, Lps. 1869. Revisionen von
ORibbeck in den Com. lat.2 p. 309 (nebst p. lxxxix. cxxxiii; dagegen richtig
WMeybr, Beobacht. des Versakzents, Abh. Münch. Akad. 17, 1, 21) und
ASpengel, Berl. 1874. Neue Rezension von WMeyer, Lpz. 1880 (mit voll-
ständigem Apparat und Wortindex). — Publ. Syr. sententiae, rec. ill. OFrie-
drich; acc. Caecilii Balbi, Pseudosenecae, proverbiorum falso inter Publi-
lianas receptae sententiae, Berl. 1880. Ed. Bickford-Smith, Lond. 1895. Vgl.
noch besonders WMeyer, die Sammlungen der Spruchverse des Publilius,
Lpz. 1877 S ferner Wölfflin, Phil. 11, 191. 16, 618. 22, 437; phil. Anz. 9,51.
CHartung, Phil. 37, 569.
6. Aus der Ursammlung (A. 4E.) ist auch eine Reihe von Publilius-
Sprüchen in eine Sentenzensammlung übergegangen, die in doppelter (län-
gerer und kürzerer) Fassung handschriftlich vorliegt (zB. im Frisingensis,
jetzt Monac. 6292 s. XI; Paris. 2772 s. X). Gedruckt als Caecilii Balbi
de nugis philosophorum quae supersunt prim. ed. Wölfflin, Bas. 1855.
Dieser Verfassername und Titel, den Wölfflin nach ChPetersen, Verh. d.
Kasseler Phil.-Vers. 1844, 109 der ohne Namen überlieferten Sammlung aus
Ioannes Saresber. (Policrat. 3, 14) beilegte, beruht auf einem Irrtume: s.
Reifferscheid, RhM. 16, 12, Wölfflin ebd. 615 und PRE. I2, 2244. Wis-
sowa, PW. 3, 1196. In Wahrheit ist der sog. Caecilius Baibus in seinem
Hauptbestand eine antike lateinische Übersetzung einer griechischen Gnomen-
sammlung, deren Benutzung sich zuerst im 9. Jahrh. nachweisen läßt (Traube,
Abh. bayr. Ak. 19, 2, 369): s. WMeyer, die Samml. d. Spruchv. d. Syr. 45.
Scheibmaier, de sententiis quas dicunt Caecilii Balbi, Münch. 1879. Über
die in diese Übersetzung später eingeschobenen Publilius-Verse s. Meyer
aO. 44. Scheibmaier aO. 27. Auch OFriedrich (A. 5) 10. 81.
7. Sen. ep. 93, 9 paucorum versuum Über est (das kurze Leben des Me-
tronax), et quidem laudandus atque utilis. annales Tanusii scis quam pon-
derosi sint et quid vocentur. hoc est vita quorundam longa et quod Tanusii
sequitur annales. Hier ist nach der Ansicht von Haupt, op. 1, 71. Schwabe,
quaest. Cat. 278 mit quid vocentur hingewiesen auf Catull. 36, 1 annales
Volusi, cacata Charta (vgl. ebd. 6 electissima pessimi poetae scripta; 19 plena
ruris et inficetiarum, und 95, 7 Volusi annales Paduam morientur ad ipsam,
d. h. in der Heimat des Verf.) und Volusius dann eine Verhüllung des wirk-
lichen Namens Tanusius. Dagegen Sonnenburg, Hist. Unters, für ASchäfer,
Bonn 1882, 158, der die Gleichung Volusius = Tanusius mit Recht be-
streitet; s. LSchwabe, JJ. 129, 380. Die Annalen des Volusius, vielleicht
des § 209, 11 genannten, waren eine Dichtung im ennianischen Stile. —
§ 212. Tanusius, Caliclus. § 212 a. Die Neoteriker 515
Tanusius schrieb vielleicht erst nach Caesars Tode eine historia (§ 210), er-
wähnt von Suet. Iul. 9 (Tannusius Geminus in historia), Strako 17, 829
(wo statt r<xßiviog 6 t&v 'Pcoiuxicov ovyyQcccpsvg nach der besten Hs. Tavvoiog
zu lesen ist, vgl. Niese, RhM. 38, 601) und Plut. Caes. 22. Sie behandelte
die letzte Vergangenheit (fr. 1 bezieht sich auf Sertorius) und war Caesar
nicht günstig. Vielleicht ist der bei Macr. sat. 1, 61, 33 genannte Geminus
gleichfalls dieser Tanusius, s. Schwabe, JJ. aO. 385. — HRR. 2, lxv. 49.
HRF. 239. RUnger, de Tanusio Gemino, Friedland 1855.
8. Nep. Att. 12, 4 L. lulium Calidum, quem post Lucretii Catullique
mortem multo elegantissimum poetam nostram tulisse aetatem vere videor posse
contendere, neque minus virum bonum optimisque artibus eruditum, post
proscriptionem equitum (nachdem die Liste der Geächteten aus dem Ritter-
stande bereits geschlossen war) propter magnas eins Africanas possessiones
in proscriptorum numerum a P. Volumnio praefecto fabrum Antonii absen-
tem relatum expedivit (Atticus). Nepos überschätzt freundschaftlich diesen
sonst nie genannten Dichter. Möglicherweise ist er mit dem von Cicero (ep.
13, 6, 3 J. 56) an Valerius Orca procons. Afr. empfohlenen L. Iulius aus
Afrika zu vereinigen.
212 a. Die Dichtung dieser Zeit wird von einem Kreise gleich-
stehender Genossen beherrscht, die als ihr Haupt den Valerius
Cato ansehen (§ 200). Sie zeigen in sachlicher wie formaler Hin-
sicht eine starke Ähnlichkeit und treten nach außen als eine Klique
auf, die ihren Mitgliedern Schutz und Förderung gewährt und die
Gegner rücksichtslos angreift. Als ihre eigentlichen Vorbilder be-
trachten sie die alexandrinischen Dichter, unter denen die dunkelsten
und gelehrtesten ihnen die liebsten sind-, daher pflegen sie nament-
lich das mythologische Epyllion, daneben Elegie und Epigramm,
in einzelnen Fällen greifen sie auch auf die ältere griechische Lyrik
zurück. Namentlich aber suchen sie die formale Technik der Ale-
xandriner getreu nachzuahmen und brechen daher grundsätzlich
mit den prosodischen Freiheiten, welche die römische Poesie durch
den Anschluß an die gesprochene Sprache genossen hatte. So konse-
quent aber das Bestreben erscheint, eine Poesie zu schaffen, an der
außer der Sprache nichts lateinisch ist, so wenig lassen sich bei
der Ausführung die national-römischen Züge zurückdrängen, und
der begabteste Dichter dieses Kreises ist innerlich von dem Alexan-
drinismus so wenig berührt, daß er unter allen römischen Dichtern
die stärkste Eigenart zeigt.
1. Daß auch die Zeitgenossen diesen Dichterkreis als eine Einheit
empfanden, zeigen die Äußerungen Ciceros. Tusc. 3, 45 (von Ennius) o poe-
tam egregium! quamquam ab liis cantoribus Euphorionis contcmnitur. Att.
7, 2, 1 (J. 50) ita belle nobis flavit ab Epiro Jenissimus Onchesmites. hunc
G7tovdeid£ovtcc, si cui voles t&v vsarsgcov, pro tuo vendito. Orat. 1(51 eorum
33*
516 Ciceronische Zeit: J. 63—43 v. Chr.
verborum, quorum eaedem erant postremae duae litterae quae sunt in opti-
mus, postremam litter am detraliebant, nisi vocalis insequebatur : ita non erat
ea offensio in versibus, quam nunc fugiunt poetae novi. Die Abneigung gegen
Ennius hat einen stofflichen und einen formalen Grund. Einmal erschien
er als der Vertreter des kyklischen Epos, das man nach dem Vorgange des
Kallimachos verwarf — ein Urteil, das auch Ciceros epische Gedichte, die
annales Volusi (§ 212, 7) u. a. traf. An den Versen des Ennius störten me-
trische Unbeholfenheiten und prosodische Freiheiten wie der Abwurf des s,
den sich Catull nur noch einmal gestattet (c. 116, 8). Als Nachahmer des
Euphorion kennen wir besonders Cornelius Gallus, und ihn mag Cicero an
jener Stelle im Auge haben: auch Parthenios (§ 213, 3) wandelte ganz in
den Bahnen des Euphorion. Dieser zeigt auch die Vorliebe für 67tovdsLd£ovTs$,
die wir dann bei den Neoterikern wiederfinden (Skutsch, Aus Verg. Früh-
zeit 74). Lieblingsgattungen dieser Dichter sind das Epyllion (Heumann, De
epyllio Alexandrino, Lpz. 1904), das Epigramm und das Epithalamium ; ein
Lieblingsmaß der Hendekasyllabus , der auch erst von Alexandrinern (Pha-
laikos) wieder aufgebracht worden war.
2. Die historische Bedeutung der Neoteriker liegt vornehmlich darin,
daß sie mit ihren formalen Forderungen durchgedrungen sind: nach ihnen
gibt es keinen Abwurf des s mehr, keine Iainbenkürzung, keine Senare, an
deren Stelle jetzt der Trimeter tritt (doch s. § 284, 3). Aber auch für viele
andere Einzelheiten der Technik werden sie maßgebend, und die auguste-
ische Poesie steht auf ihren Schultern: dabei spielen Cornelius Gallus und
Asinius Pollio (Catull 12, 6) eine wichtige Vermittlerrolle. Als cantores Eu-
phorionis hat Bährens FPR. 317 diese Dichter zusammengestellt; auch die
Ciris (§ 230, 2) zeigt alle Eigentümlichkeiten der neoterischeHilPoesie.
\TlsJjl 213. Zu' den Vertretern dieser Richtung gehören 'Ticidas, der
.■ * Verfasser von Liebesgedichten (auf Perilla), sowie C. Helvius Cinna,
//* /) der in seinem mythologischen Epos Zmyrna und seinem Propemp-
rW'#yy«t/f tikon für Asinius Pollio mühsam auf den Pfaden der gelehrten
alexandrinischen Dichter einherschritt, namentlich aber ein anderer
Freund Catulls, der reichbegabte, charaktervolle und schneidige
hf\ \aGAla ^' ^cm^us Calvus (J. 82 — 47), der; ebenso bedeutend als gericht-
licher Redner wie als Dichter, auf beiden Gebieten seine große na-
türliche Lebhaftigkeit mit Bewußtsein durch künstlerische Zucht in
Schranken hielt. In der Beredsamkeit huldigte Calvus der neuatti-
schen Richtung, in der Poesie wußte er alexandrinische Formstrenge
mit Leidenschaftlichkeit des Inhaltes, in Liebe wie in Haß, zu ver-
einigen in der Weise des Catull und ihm am meisten ebenbürtig.
1. Ovid. trist. 2, 433 (nach Catullus und Calvus, vor Cinna) quid referam
Ticidae, quid Memmi Carmen, apud quos rebus abest nomen nominibusque
pudor? Apul. apol. 10 accusent . . Ticidam similiter, quod quae Metella erat
Perillam scripserit. Pentameter des Ticidas zum Preise von Valerius Catos
Lydia bei Suet. gr. 11. Ticidas neben Furius Bibaculus und (Valerius) Cato
genannt ebd. 4. Prisc. GL. 2, 189, 2 "sole* (als Vokativ) quoque antiqui.
§ 213. Helvius Cinna 517
Ticidas (so hier die Hss., bei Suet. gr. 11 der Nominativ Ticida) in hyme-
naeo: 'felix lectule tdlibiis sole amoribus.'* Diese Gattung kommt wohl durch
die Beschäftigung mit Sappho auf, vgl. Catull c. 61.
2. C. (Catull. 10, 30) Helvius (Gell. 19, 13, 5) Cinna war mit Catull
im Gefolge des Praetors Memmius (§ 202, 2) in Bithynien (Catull. 10, 29.
Cinna fr. 11). Sonst ist aus seinem Leben sehr wenig bekannt. Ob er ein
Landsmann Catulls war? Vgl. Cinna bei Gell. 19, 13, 5 at nunc me Cenu-
mana (die Cenomani wohnten um Verona und Brixia) per salicia bigis raeda
rapit citata nanis. Kiessling aO. 353 denkt an Brixia als Geburtsort: dort
war die gens Helvia nach den Inschriften stark verbreitet. Flut. Brut. 20
nennt den bei Caesars Leichenfeier (J. 44) aus Verwechslung mit L. Corne-
lius Cinna (PW. 4, 1287) irrtümlich erschlagenen caesarisch gesinnten Volks-
tribunen Cinna (C. Helvius Cinna heißt er bei Val. Max. 9, 9, 1 ; Helvius
Cinna bei Suet. Iul. 85, vgl. 52. Cassius Dio 44, 50) zum Unterschied von
jenem Cornelius Cinna einen non\x ixbg ScvrjQ. Danach ist die Identität des
gleichnamigen und gleichzeitigen Volkstribuns mit unserem Dichter von
vornherein sehr wahrscheinlich. Eine kleine Schwierigkeit macht freilich
die Stellung des Volkstribuns auf Caesars Seite, insofern wir bei dem
Freunde Catulls eher caesarfeindliche Haltung voraussetzen, was bestätigt
würde, falls in Catulls Ged. 113, das an Cinna gerichtet ist, Mucillam zu
schreiben und ein Angriff auf Caesar zu erblicken wäre: doch könnte auch
Cinna wie Catull (§ 214, 5) sich später mit Caesar ausgesöhnt haben. Er
müßte allerdings zugleich zu seinem eifrigsten Parteigänger geworden sein.
Vgl. auch S. 283 § 192, 5. Verg. ecl. 9, 35 widerspricht jenem plutarchi-
schen Hauptzeugnis nicht unbedingt, sofern daraus nicht mit Notwendig-
keit folgt, daß zur Zeit der Abfassung jenes Gedichts (J. 40) Cinna noch
am Leben war. Kiessling aO. 353. Über das Ansehen Cinnas als Dichter
vgl. auch Valgius in schol. Veron. Verg. ecl. 7, 22 (§ 233, 1). Mit den
Quellen unvereinbar ist die Auskunft Ribbecks (röm. Dicht. 1, 343), es sei
nicht Helvius Cinna, sondern Cornelius Cinna bei Caesars Leichenfeier ge-
tötet worden; s. LSchwabe, Phil. 47, 169.
3. Hauptwerk: Smyrna (Zmyrna), die Sage von der unnatürlichen Liebe
der Smyrna (Myrrha) zu ihrem Vater Kinyras behandelnd, also schon dem
Stoife nach alexandrinisch. Daß Cinna an diesem Epos trotz seinem ge-
ringen Umfange (Catull. 95, 9. Serv. Verg. ecl. 9, 35 Smyrnam, quem libel-
lum decem annis elimavit), neun Jahre feilte (Catull. 95. Quint. 10, 4, 4.
Porphyr. Hör. AP. 388), ist bezeichnend für seine Richtung auf mühsames
Ausklügeln von Inhalt und Form. Die Folge war, daß L. Crassicius (§ 263, 2)
einen Kommentar dazu verfaßte. Mart. 10, 21, 4 non lectore tuis opus est,
sed Apolline Ubris: iudice te maior Cinna Marone fuit. Nachahmung durch
den Dichter der Ciris macht Sudhaus, Herrn. 42, 493 wahrscheinlich. Unter
den Liebesdichtern nennt ihn Ovid. trist. 2, 435 Cinna quoque Ms comes est
(vgl. A. 1); daß die betreffenden Gedichte illepida waren, ist dem Gellius
(s. § 31, 1) ebenso zu glauben wie daß C. non ignobilis neque indoctus poeta
(Gell. 19, 13, 6) war. Lyrisches: Gell. 9, 12, 12 Cinna in poematis (Hink-
iambus); ebs. 19, 13, 5 (Hendekasyllaben). Non. 87, 27 Cinna in epigramma-
tis; bei Isidor. orig. 6, 12, 2 steht ein Epigramm Cinnas, geschrieben zur
Begleitung eines Geschenks, eines aus Bithynien (A. 2) mitgebrachten Exem-
518 Ciceronische Zeit: J. 63—43 v. Chr.
plars oder einer Übersetzung von Aratos' <frcav6[i£vu. Traube, Festschr. f.
Christ 372. Bei Charis. GL. 1, 124 vier Hexameter aus Cinnas Propempti-
con Pollionis (des jungen Asinius Pollio § 221, für eine Reise nach Griechen-
land, s. Kiessling aO. 352. Cichorils, Unters, zu Lucil. 259). Erklärung zu
diesem Gedichte von Hyginus (Charis. GL. 1, 134, 12 lulius Hyginus in
Cinnae propemptico). Der damals in Rom lebende Parthenios, der die römi-
schen Dichter mannigfach beeinflußte (§ 150, 6. 230, 2. 3. 230, 3, 1), schrieb
auch ein Ttqon^Tcxi-Aov (Steph. Byz. s.v. KwQvxog' %6%i<s Kikmiag. JJccQd'ivLog
7tQ07rsinzxt,H<p). Ob Cinna mit ihm in engerer Verbindung stand? Parthenios
iXtfcpfh) vnb Kivvcc IctcpvQOV , oxs Mi&Qiduxriv *Pa)yLuioi y.ax87toXi{ir\6civ (Suid.
s. v.). Kiessling 352 erklärt , Cinnas Vater habe den Parthenios faus der
Beute gekauft'; das können die Worte aber nicht heißen; man möchte Zvlla.
statt Klvva einsetzen. Hillscher JJ. Suppl. 18, 404. — Im allg. Weichert,
poet. lat. vitae (Lps. 1830) 147; die Überreste von Cinnas Gedichten ebd.
187, in LMullers Catull 87. FPR. 323. — AKiessling, de C. Helvio Cinna
poeta, Comment. Mommsen. 351. Skutsch, PW. 8, 226.
4. Gleichfalls mit einem Gedichte mythologischen Inhalts, etwa in epi-
scher oder galliambischer Form (§ 214, 6 Z. 26), auf Kybele, beschäftigte
sich — nach Catull. 35, 13 — ein anderer Freund Catulls, Caecilius in
Novum Comum, ohne daß aber bekannt wäre, ob es jemals fertig gestellt
und veröffentlicht worden ist. — Hierher gehört auch Varus, der literarisch
gebildete Freund Catulls (22; vgl. 10), den .man gewöhnlich mit Alfenus, dem
Adressaten von c. 30 vereinigt (§ 208, 3): ebensowohl kann man ihn halten
für den von Hieronymus zu J. 1994 (Freherian. zu 1993) = 23 erwähnten:
Quintilius Cremonensis Vergili et Horati familiaris moritur, auf dessen Tod
sich Horaz. c. 1, 24 bezieht (ad Vergüium), der ihm als feinem Kunstrichter
auch AP. 438 ein Denkmal gesetzt hat; Porphyr. zdSt.: hie erat Quintilius
Varus Cremonensis (poeta Cremonensis Acro und comment. Cruquii) amicus
Vergilii, eques Bomanus. Schwabe, quaest. Catull. 289. — Aus den Cretica
eines Unbekannten (de qua in creticis f versibus) vier Hexameter, davon ein
67tovdELccg<ov, bei Hygin. fab. 177. Bährens misc. crit. 19. FPR. 327.
5. C. Licinius Macer (Cic. ad Q. fr. 2, 4, 1) Calvus (mit doppeltem
Zunamen; s. Drumann, GR. 4, 208), Sohn des Annalisten Licinius Macer
(§ 156, 4), Val. Max. 9, 12, 7. Geboren am 28. Mai 82; s. § 209, 5. Ander-
seits setzt Ciceros Brief an Trebonius, ep. 15, 21, 4 (J. 47), den nicht lange
vorher erfolgten Tod des Calvus voraus; vgl. unten die Stelle aus Cic. Brut,
(verfaßt J. 46). Seneca contr. 7, 4, 7 erat (Calvus) parvolus statura, propter
quod etiam Catullus in liendecasyllabis (53, 5) vocat illum ' salaputtium diser-
tumy (vgl. des Wortes wegen C. lulius P. f. Salaputis CIL. 8, 10570). Daher
Ovid. trist. 2, 431 exigui Calvi. Von seiner klugen und liebenswürdigen
Persönlichkeit legen Catulls Gedichte an ihn (A. 7) Zeugnis ab. Allgemeine
Charakteristik des Calvus Cic. Brut. 279 facienda mentio est . . duorum ado-
lescentium qui, si diuiius vixissent, magnam essent eloquentiae laudem con-
secuti, nämlich C. Curio (§ 209, 1) und C. Licinius Calvus. 283 Calvus . .
orator fuit cum litteris eruditior quam Curio tum etiam aecuratius quoddam
dicendi et exquisüius afferebat genus. quod quamquam scienter eleganterque
traetabat, nimium tarnen inquirens in se atque ipse sese observans metuens-
que, ne viiiosum colligeret, etiam verum sanguinem deperdebat. itaque eius
§ 213. Licinius Calvus 519
oratio nimia religione attenuata doctis et attente audientibus erat illustris, a
multitudine autem et a foro . . devorabatur. (284) Tum Brutus: Atticum se,
inquit, Calcus noster dici oratorem volebat; inde erat ista exilitas, quam ille
de industria consequebatur. ep. 15, 21, 4 genus quoddam sequebatur in quo,
iudicio lapsus quo valebat, tarnen assequebatur quod probarat. multae erant
et reconditae litterae, vis non erat. . . de ingenio eius valde existimavi bene.
Vgl. Tac. dial. 18 (s. § 210, 2). Quint. 10, 1, 115 inveni qui Calvum prae-
ferrent omnibus. . . est (Calvi) et sancta (vgl. 12, 10, 11) et gravis oratio et
frequenter vehemens quoque. imitator autem est Atticorum fecitque Uli pro-
perata mors iniuriam. Sen. contr. 7, 4, 6 Calvus, qui diu cum Cicerone ini-
quissimam litem de principatu eloquentiae habuit, usque eo violentus actor et
concitatus fuit, ut in media eius actione surgeret Vatinius reus et exclamaret
*rogo vos iudices num, si iste disertus est, ideo nie damnari oportet9 . . sole-
bat praeterea excedere subsellia sua et impetu latus usque in adversariorum
partem transcurrere. . . compositio quoque eius in actionibus ad exemplum
Demosthenis riget: nihil in illa placidum, nihil lene est, omnia excitata et
fluctuantia. Das widerspricht freilich dem theoretischen Attizismus, der viel-
leicht teilweise aus dem Antagonismus gegen Cicero entsprang. Die andere
Seite, die knappe Form, heben hervor auch Tac. dial. 25 (adstrictior), Apül.
apol. 95 (argutiae); dagegen Fronto p. 114 Nab. in iudiciis . . Calvus rixa-
tur. — Suet. Aug. 72 habitavit primo in domo, quae Calvi oratoris fuerat.
6. Tac. dial. 21 ipse mihi (einem Verfechter der neumodischen Bered-
samkeit) Calvus, cum unum et viginti, ut puto, libros (dh. Reden) reliquerit,
vix in una et altera oratiuncula satisfacit. nee dissentire ceteros ab hoc meo
iudicio video: quotus enim quisque Calvi in Asitium (PW. 2, 1579?) aut in
Drusum legit? at hercle in omnium studiosorum manibus versantur aecusa-
tiones, quae in Vatinium inscribuntur, ac praeeipue seeunda (es waren also
mindestens drei) ex his oratio; est enim verbis ornata et sententiis, auribus
iudicum aecommodata. ebd. 34 uno et vicesimo (aetatis anno) Caesar Dola-
bellam, alter o et vicesimo Asinius Pollio C. Catonem, non multum aetate
antecedens Calvus Vatinium iis orationibus insecuti sunt, quas hodie quoque
cum admiratione legimus. Vgl. Quint. 12, 6, 1 cum . . Calvus, Caesar, Pollio
multum ante quaestoriam omnes aetatem (damals das 30. Lebensjahr) gra-
vissima iudicia suseeperint. Den P. Vatinius hat Calvus mehrere Male an-
geklagt, das erste Mal J. 58 (ex lege Licinia Iunia?), dann de ambitu e
lege Tullia (J. 56?), darauf lege Licinia de sodaliciis im Juli 54, als Cicero
den Angeklagten verteidigte (ep. 1, 9, 4. 19); s. Nipperdey, op. 330. GMat-
thies, Comment. philol. (Lps. 1874) 99. Bährens, commentar. Cat. p. 264.
BSchmidt, Catull. p. lv. So verteidigte Calvus auch J. 56 den P. Sestius
(Schol. Bob. p. 125, 25 St.), ein andermal den Messius, und nach Sen. aO.
war der Epilog zu dieser Rede non tantum emollitae compositionis sed in-
fraetae. — Tac dial. 23 isti (Altertümler) qui rhetorum nostrorum conimen-
tarios fastidiunt oderunt, Calvi mirantur: hier sind schwerlich Arbeiten des
Calvus zur Rhetorik gemeint, auch nicht der gelehrte Briefwechsel, den
Calvus mit Cicero über Fragen der Beredsamkeit führte (s. § 210, 2), son-
dern eher Entwürfe zu Reden (§ 180, 3). Nipperdey aO. 313 liest L. Aeli
(§ 148) statt Calvi, Harnecker, JJ. 125, 604. — MKrüger, Lic. Calvus (als
Redner), Bresl. 1913.
520 Ciceronische Zeit: J. 63—43 v. Chr.
7. Seneca contr. 7, 4, 7 carmina quoque eius (des Calvus), quamvis iocosa
sint, plena sunt ingentis animi, wofür als Beispiel ein scharfes Wort gegen
Pompeius angeführt wird; vgl. Schol. Lucan. 7, 726. Suet. Iul. 73 Gaio
Calvo post famosa epigrammata (vgl. ebd. c. 49) de reconciliatione per ami-
cos (Catull? vgl. § 214, 5) agenti nitro ac prior scripsit. So wissen wir ron
Hendekasyllaben (in poematis, zB. gegen Q. Curius PW. 4, 1840), und von
Choliamben (gegen Tigellius). Anderseits Liebesgedichte; s. § 31, 1. Ovjd.
trist. 2, 431 par (wie bei Catulls Lesbia-Liedern) fuit exigui simüisque licentia
Calvi, detexit variis qui sua furta modis. Vgl. Prop. 2, 25, 4. 2, 34, 89 haec
etiam docti (also wohl in alexandrinischer Weise) confessa est pagina Calvi,
cum caneret miserae funera Quintiliae, die wohl seine Frau war. Catull.
96, 5 certe non tanto mors immatura dolori est Quintiliae, quantum gaudet
amore tuo. Vgl. Diomed. GL. 1, 376, 1 Calvus alibi (Hb. I Riese, JJ. 105,
755) ad uxorem (doch ist das folgende Zitat prosaisch und könnte höchstens
aus einem Briefe stammen; s. Keil zdSt.). Aus jenen Klagen über den Tod
seiner Frau (Elegien) stammt vielleicht fr. 15 bei Charis. GL. 1, 101 Calvus
in carminibus: cum iam fulva cinis fuero. Übrigens dichtete auch Parthe-
nios Klagelieder auf seine Gattin Arete. Prisc. GL. 2, 170 Calvus in epiifia-
lamio (daktylisch), Charis. GL. 1, 147 Licinius Calvus in poemate (glyko-
neisch). Auch der Freundschaft war ein Teil seiner Gedichte geweiht; vgl.
Charis. GL. 1, 77, 3 Calvus ad amicos (poetisches Sendschreiben?): ne tricli-
narius. Außerdem ein Epos Io, Serv. Verg. ecl. 6, 47. 8, 4 Calvus in Io,
(Probus) GL. 4, 226, 8. 234, 32: nach des Kallimachos 'lovg aqpt|t?? Schnei-
ders Callim. 2, 33. Das Gedicht scheint in der Ciris benutzt; s. Sudhaus,
Herrn. 42, 280. — Bei Martial. 14, 196 Calvi de aquae frigidae usu ist,
nach der Umgebung zu schließen (haec tibi quae fontes et aquarum nomina
dicit . . Charta), wohl ein (Lehr)gedicht gemeint (Hertz). Vgl. Friedländer,
Mart. 2, S. 300. — Die Überreste seiner Gedichte an Lachmanns (p. 85) und
LMüllers (p. 83) Catull, bei Weichert aO. 131. FPR. 320. Als einer der
begabtesten Dichter dieses Kreises wird er häufig mit Catull zusammenge-
nannt, zB. Hör. sat. 1, 10, 18 simius iste nil praeter Calvum et doctus can-
tare Catullum. Prop. 2, 25, 4. 34, 87. Ovid. am. 3, 9, 62 (cum Calvo, docte
Catulle, tuo). trist.; 2, 431. Plin. ep. 1, 16, 5. 4, 27, 4. Gell. 19, 9, 7. Ge-
dichte Catulls an ihn: 14. 50. 96. Vgl. LSchwabe, quaest. Catull. 255. Im
allgem. s. Weichert, poetar. lat. vitae etc. 89. RUnger, Valg. Ruf. (1848)
47. FPlessis, essai sur Calvus, Caen 1885. Plessis u. Poirot, Calvus, Par.
1896. Curcio, De Cic. et Calvi genere die, Acireale 1899.
214. In C. Valerius Catullus aus Verona (J. 87 — um 54) be-
sitzt die römische Literatur ihren größten lyrischen Dichter. Er
wandelte auch in den Fußstapfen der Alexandriner und wird in den
Dichtungen nach ihrem Muster seine Hauptleistungen gesehen ha-
ben; aber seine wahre Begabung entfaltete er erst da, wo eigenes
Empfinden ihn zum Dichten zwang, vor allem in der Liebe zu
Lesbia. Er ist einer der wenigen Römer, denen das Dichten wirk-
liches Lebensbedürfnis ist, der nichts war und sein wollte als ein
Dichter. Zu gleichmäßiger Vollendung, Reife und ungetrübter
§ 214. Catull 521
Schönheit durchzudringen verhinderte ihn freilich sein lebhaftes
Temperament nnd sein frühes Ende; er ist immer Jüngling geblie-
ben, leidenschaftlich in Liebe nnd Haß, heißblütig und rücksichts-
los, von argloser Hingebung und unendlicher Reizbarkeit, bald zart
bald derb, bald innig bald heftig, die Schranken der Sitte und die
Linie des Maßes kecken Fußes überspringend, ein unbedachter lie-
benswürdiger Wildling: aber die Unmittelbarkeit, mit der der Dich-
ter sein reiches Innenleben schildert, fesselt und entzückt den Leser.
Die umfangreichen unter dem Einfluß der Schule stehenden Dich-
tungen zeigen diese Eigenschaften am wenigsten: aber auch hier
hält sich Catull von den Geschmacklosigkeiten und Verirrungen
der alexandrinischen Vorbilder ziemlich frei und betont oft in wohl-
tuender Weise die allgemein menschlichen Züge (besonders in c. 61).
Unvergleichlich ist der Einklang von Stoff und Form, die Durch-
sichtigkeit des Gedankens, die Anmut, Kraft und Wärme des Ge-
fühls in den kleineren Liedern, besonders den Hendekasyllaben und
lamben, die von der Laune des Augenblicks geboren den Stempel
eiu es echten Dichtergeistes tragen.
1. Die Hss. geben nur Cognomen und Heimat an (Catulli Veronensis
Über). Den Vornamen bieten Apul. apol. 10 (accusent C. Catullum, quod
Lesbiam pro Clodia nominarit) und Hieron. chron. a. Abr. 1930 — 87 Gaius
Valerius CatuUus scriptor lyricus Veronae nascitur. Den Geschlechtsnamen
auch Suet. Iul. 73. Porphyr, zu Hör. sat. 1, 10, 19. Charis. GL. 1, 97 (vgl.
Haupt, op. 2, 68). Varro LL. 7, 50 (vgl. Schwabe, JJ. 101, 350). Der Vor-
name Q. in einigen Hss. (bei Plin. NH. 37, 81 ist er längst beseitigt) hat
keine Gewähr. Scaligers Vermutung im Ged. 67, 12 (Quinte) ist geistreich,
aber nicht richtig. S. Schwabe, quaest. Catull. 6. 11. Munro, criticisms of
Cat. 68. Geburtsort Verona, auch Ovid. am. 3, 15, 7. Plin. NH. 36, 48. Mart.
1, 61, 1. 10, 103, 5. 14, 195 u. sonst. Vgl. Cat. 39, 13. Er stammte aus an-
gesehener wohlhabender Familie, und sein Vater stand im Verkehr mit
Caesar, Suet. Iul. 73 (unten A. 5). Valerii sind in Oberitalien, bes. auch in
Verona, sehr zahlreich: Valerii Catulli sind überhaupt selten: M. Annius
Valerius CatuUus L. Valerius CatuUus M^essalinusy CIL. 5, 7239 (Susa),
nach Borghesi, op. 5, 528, ein Nachkomme des Bruders des Dichters; vgl.
L. Valerius CatuUus Cohen, med. imper.2 1, 142 nr. 536. Valerius CatuUus
Suet. Calig. 36. CIL. 14, 2095. — Besitzung in Sirmio, die er nach der
Heimkehr aus Bithynien in dem stimmungsvollen c. 31 begrüßt, und bei
Tibur, c. 44.
2. Todesjahr. Hieron. aO. a. Abr. 1959 = 58, aber in den codd. A(mand.)
P(etav.) F(reher) erst zu 1960 = 57: CatuUus XXX aetatis anno Bomae
moritur. Hieronymus (oder Sueton) bleibt sich also (s. A. 1) bei Geburts-
und Todesjahr gleich. Aber daß das letztere unrichtig auf (58 oder) 57 be-
stimmt wird, erhellt aus Catull 113, 2 consule Pompeio . . nunc Herum
(J. 55); vgl. 55, 6. 11, 12 und 29, 20 (nach Herbst 55); ob 53, 2 erst auf die
522 Ciceronische Zeit: J. 63—43 v. Chr.
zweite Hälfte 5t geht, bleibt zweifelhaft, da Calvus schon vorher den Vati-
nius angeklagt hatte, s. oben § 213, 6. Sonst scheint über J. 55 — 54 hin-
auszuweisen nur c. 52 sella in curuli Struma Nonius sedet, per consulatum
peierat Vatinius, sofern Vatinius erst am Schlüsse des J. 47 Cos. war. Aber
daß er schon viel früher mit Bestimmtheit darauf rechnete (und somit
schwören mochte fita consul fiam, ut haec vera sunt') zeigt Cic. in Vat. 6.
11; vgl. Schol. Bob. p. 144, 15 St.; und in diesen Schwindelhoffnungen wurde
Vatinius wohl durch die Verabredungen der Triumvirn in Luca bestärkt
(J. 56, vgl. Cic. Att. 4, 8b, 2). Vgl. auch Ellis, commentary in Cat. p. 142.
Da ferner die Jahre 54 — 47, besonders 52 und 49, einem Catull überreichen
Stoff zu beißenden Epigrammen bieten mußten und doch davon in seinen
Gedichten (vgl. über deren Sammlung A. 7) keine Spur sich findet, so ist
in der Tat wahrscheinlich, daß er J. 52 ff. nicht erlebt hat. Zugleich ist fest-
zuhalten, daß Catull jung gestorben ist (Ovid. am. 3, 9, 61 iuvenalia cinctus
tempora. . . docte Catulle, im Elysium). Und dies ist er, auch wenn man
seinen Tod ins J. 54 oder 53 setzt, da gegen die Richtigkeit des Geburts-
jahrs 87 sich nichts einwenden läßt. Der irrige Ansatz des Todesjahrs bei
Hieronymus ist wohl, wie oft, aus einer ungenauen oder entstellten Angabe
der Lebensjahre Catulls bei Sueton entstanden. Willkürlich ist der Ansatz
der Lebenszeit Catulls zwischen 82 — 52 bei BSchmidt, Cat. p. lxii. Vgl.
überhaupt Schwabe, quaest. Cat. 33.
3. Verhältnis zu Lesbia. Prop. 3, 34, 87 haec quoque lascivi cantarunt
scripta Catulli, Lesbia quis ipsa notior est Helena. Ovid. trist. 2, 427 sie
sua laseivo cantata est saepe Catullo femina, cui falsum Lesbia nomen erat,
nee contentus ea multos volgavit amores, in quibus ipse suum fassus adulte-
riumst (seine Untreue, Riese, JJ. 105, 753). Martial. 8, 73, 8 Lesbia dieta-
vit, docte Catulle, tibi u. a. Daß sie eigentlich Clodia geheißen hat, bezeugt
Apuleius (s. A. 1). Eine alte und sehr wahrscheinliche Vermutung vereinigt
sie mit der berüchtigten Clodia, der etwas älteren, um J. 94 geborenen
Schwester des P. Clodius (geb. c. 93). Diese durch Schönheit und Geist her-
vorragende Frau war unglücklich verheiratet an ihren Vetter, den Q. Caeci-
lius Metellus Celer, Cos. 60, f (durch seine Gattin?) 59, der uns auch durch
seinen empfindlichen und anmaßlichen Brief an Cicero (ep. 5, 1 J. 62) be-
kannt ist; vgl. noch Cic. Att. 1, 18, 1 Metellus non homo, sed litus atque
aer et solitudo mera (ähnlich Cat. c. 83); s. PW. 3, 1208. Besonders spricht
für die Gleichsetzung der Lesbia mit dieser Clodia c. 79, wo neben Lesbia
(= Clodia) ein Lesbius (also = Clodius) pulcher mit deutlicher Anspielung
auf den Beinamen des P. Clodius Pulcher erwähnt wird; auch ein Vetter
Sextus (Cic. dorn. 25 u. ö.) teilt sich mit ihm in die Ehre, hier gemeint sein
zu können. Gegen die früheren Zweifel Rieses (JJ. 105, 747) u. a. an der
Gleichheit beider s. KPSchulze, ZfGW. 28, 699. Bährens, analecta Catull.
(Jena 1874) 3; comm. in Catull. p. 31. Francken, Lesbia-Clodia, Verslag. d.
Amsterd. Akad. 2, 11 (1879). FSchöll, JJ. 121, 481. Fenner, Quaest. Catull.,
Barmen 1896. Münzer, PW. 4, 106. Clodia, lebhaft, gebildet und in allen
Liebeskünsten erfahren, wußte den leidenschaftlichen geistreichen Jüngling
aus der Provinz in ihr Netz zu locken und darin mehrere Jahre lang (etwa
61 — 58, Schwabe, quaest. 129) festzuhalten, so daß er die glühendsten Lie-
der an sie richtete, auch nach Zerwürfnissen wieder zu ihr zurückkehrte,
§ 214. Catull: Leben 523
bis ihm endlich die Augen über sie aufgingen; ergreifend sind die Abschieds-
lieder c. 8. 76. Den Verlauf dieses Verhältnisses durch Catulls Gedichte
hindurch zu verfolgen, ist mehrfach versucht worden; s. die Ausleger und
Jungclaussen, zur Chronologie usw. (Itzehoe 1857) 8. Schwabe, quaest. 71.
358. Ribbeck, Catullus (1863) 29. 56. Vorländer, de Catulli ad Lesbiam
carminibus, Bonn 1864. Kroon, quaest. Cat., Leid. 1864. RWestphal, Ca-
tulls Gedichte (Breslau 1867) 33. 100. Gegen des letzteren Phantasie von
verliebten Beziehungen zwischen Clodia (Lesbia) und — Cicero s. Rettig,
Catulliana 1 (Bern 1868), 3. Heskamp, de C. vita et ordine quo carm. amat.
sunt scripta, Münster 1869. Über Caelius s. § 209, 6.
4. Aufenthalt Catulls in Bithynien im Gefolge des Propaetor Mem-
mius (§ 202, 2) mit Helvius Cinna u. a. vom Frühling 57 bis dahin 56, aber
ohne die erwartete Ausbeute; s. c. 4 (Cichorius, Festschr. Hirschfeld 467).
10, 6. 28, 7. 31, 5. 46, 1. Schwabe, quaest. 158. Wehrmann, fasti praet. 62.
64. Auf der Rückreise Besuch am Grabe seines schon früher (vgl. 65, 1.
68a, 19. 68b, 91) in Troas gestorbenen Bruders: c. 101. Schwabe aO. 176.
5. Freund und Feind: Eng verbunden war C. besonders mit Calvus
(§ 213, 5): 14, 1 Ni te plus oculis meis amarem, incundissime Calve. 50. 53. 96.
Deshalb werden 0. und Calvus von den Späteren gern als ebenbürtiges
Dichter- und Freundespaar zusammen genannt: siehe die zahlreichen oben
§ 213, 7 gE. Z. 7 v.u. verzeichneten Stellen. Dann auch befreundet mit
Cinna (§ 213,2): 10,30. 95. 113. Mit Nepos, dem er die Sammlung widmet
(c. 1, falsch erklärt von Vahlen, SB. Berl. Ak. 1904, 1067). Über Varus s.
§ 208, 3. Eine ironische (?) Danksagung an den optimus omnium patronus
Cicero 49 (ob auf dessen Verteidigung des Vatinius, s. § 213, 6, anspielend?);
vgl. BSchmidt, Cat. p. xl. — Angriffe auf Caesar und Anhänger desselben.
Suet. Iul. 73 Vdlerium Catullum, a quo sibi versiculis de Mamurra (§ 209, 13.
Cat. 29 vom Ende 55, und besonders c. 57; s. auch OJahn, Herrn. 2, 240)
perpetua Stigmata imposita non dissimulaverat, satis facientem eadem die ad-
hibuit cenae hospitioque patris eins sicut consueverat uti perseveravit. Vgl.
Tac ann. 4, 34 (oben § 192, 4). Gegen Mamurra, den decoctor Formianus
(c. 41. 43), besonders gerichtet sind außerdem (unter dem Namen Mentula)
c. 94. 105. 114. 115; vgl. 29, 13. Gegen drei sonst nicht bekannte Kreaturen
Caesars (Otho, Libo, Fuficius) richtet sich c. 54. Aber Catull ist kein Poli-
tiker, ihm fehlt überhaupt die rechte Teilnahme für das öffentliche Wesen:
aber wie seine Genossen in dem literarischen Jung- Rom war auch er Rai-
sonneur, Oppositionsmann, der nicht sachlich, sondern persönlich urteilte.
Heftige Ausfälle auch gegen Memmius (§ 202, 2. 213, 2) und Vertreter der
altmodischen Dichtung wie Hortensius (c. 95), Volusius und Suffenus
(§ 212, 7 f.), sowie den Redner Sestius (c. 44). Viele der angeredeten Per-
sönlichkeiten vermögen wir nicht zu identifizieren; Piso c. 28. 47 könnte
L. Calpurnius Caesoninus sein (§ 179, 35. PW. 3, 1387). Vgl. im ganzen
Schwabe, quaest. 182. Pleitner, Catulls Gedichte an Caesar und Mamurra,
Speier 1849. vBraitenberg, Cat.s Verhältnis zu s. Zeit, Prag 1882.
6. Die gelehrten Gedichte Catulls sind vorzugsweise Nachbildungen
alexandrinischer oder in alexandrinischem Geschmack: ihnen verdankt er
den Beinamen doctus Lygd. (Tib.) 3, 6, 41. Mart. 1, 61, 1. 7, 99, 7. 8, 73, 11.
14, 152. Dahin gehört das kleine mühsam gedrechselte Epos über die Hoch-
524 Ciceronische Zeit: J. 63—43 v. Chr.
zeitsfeier des Peleus und der Thetis (c. 64), das in Anlage, Verskunst, in
der Manier der psychologischen Ausmalung, vor der die Erzählung des Tat-
sächlichen zurücktritt (vgl. die Ciris), und in einer Menge einzelner Züge
die alexandrinische Weise nachbildet; ob das Gedicht ohne weiteres als
Übersetzung (so Merkel ad Ov. Ib. p. 360; Riese, RhM. 21, 498) etwa des
Kallimachos gelten darf, ist schon deshalb kaum zu entscheiden, weil in
der kunstvollen Weise des alexandrinischen Epyllions ein zweiter Stoff
(Ariadne auf Naxos) eingeschachtelt ist, Catull also zwei Vorbilder gehabt
haben könnte. Die Berührungen mit Nonnos beruhen auf der beiderseitigen
Benutzung alexandrinischer Vorbilder. Reitzenstein, Herrn. 35, 86. Darin
Nachahmung des Euphorion (§ 32, 1. 212 a, 1 S. 319)? 64, 30 Oceanmque, mari
totum qui amplectitur orbem = Euphor. fr. 158 Mein. 'Slneavog, tq> n&6a
hsqiqqvtos h'dsdsTeci x&oov. Zu V. 111 nequiquam vanis iactantem cornua
ventis liegt das Original eines unbekannten Dichters bei Cic. Att. 8, 5, 1
vor: noXXa (idtriv xsQcieGGiv ig tjsqcc d'vn^vavrcc. Der moralisierende Schluß
könnte von Cat. selbst herrühren. Vgl. noch OSchneider, Callim. 2, 791.
Heumann (§ 212 a, 1) 38. In diesem Gedicht sind die spondeischen Versaus-
gänge (A. 9) sowie die Alliteration besonders häufig. — Ferner die Über-
setzung eines sapphischen Epithalamium (c. 62), dann die Übersetzung von
Kallimachos1 Elegie auf die Locke der Königin Berenike (c. 66 vWilamowitz,
Reden 195) nebst Widmung an Hortensius (c. 65; vgl. 116, 2), und ganz be-
sonders der Attis (c. 63) in galliambischem Maß, ein Meisterstück in Stim-
mung und Form, das gleichfalls von alexandrinischen Vorbildern und zwar
von Kallimachos (vWilamowitz, Herrn. 14, 194) abhängig ist. Vgl. Haupt,
op. 2, 75. KPSchulze, de Catullo Graecorum imitatore, Jena 1871. Weiden-
bach, de Catullo Callimachi imitatore, Lps. 1873. WHenkel, de Catullo
Alexandrinorum imitatore, Jena 1883. In alexandrinischer Art ist ferner
das die Liebe zu Lesbia behandelnde Gedicht auf Allius (c. 68), nament-
lich in der Anlage und der kunstvollen Heranziehung des mythologischen
Beispieles; den vorangehenden Geleitbrief (V. 1 — 40) hat man oft als be-
sonderes Gedicht abtrennen wollen. Skutscii, Sehr. 46. Vahlen, SB. Berl.
Ak. 1902, 1024. Altkamp, Progr. Warendorf 1912. Das Gedicht stellt eine
Mischung von objektiver und subjektiver Liebeselegie dar (§ 32, 1). Der
elegischen Form bedient sich auch c. 67, das Zwiegespräch mit der Tür
einer lebenslustigen Dame in Verona und ein Ausschnitt aus der chronique
scandaleuse dieser Stadt. Kroll, Phil. NF. 17, 139. Zu den gelungensten
Schöpfungen gehört das reizende Lied auf die Vermählung des Manlius
Torquatus (c. 61), das römischen Sinn und römische Sitte in zierlicher
griechischer Gewandung zeigt. Reste von Hochzeitsliedern in gleichem (gly-
koneischem) Maße auch unter den Fragmenten der Schulgenossen Calvus
und Ticida. Der Hymnus auf Diana (c. 34) wird eine bloße Studie und
nicht für einen bestimmten kirchlichen Anlaß gedichtet sein. Aus Sappho
(ycclvsTod [ioi zfjvog i'oog ftsoici) ist auch c. 51 übersetzt, aber nach persön-
lichen Zwecken umgebildet und als Huldigung an Lesbia geschickt; in dem-
selben Versmaß (der sapphischen Strophe) auch das Absagegedicht an sie
(c. 11). Kalinka, Wiener Eranos 1909, 157. — Eine zweite Gattung von
Gedichten behandelt persönliche Anliegen und auf sie allermeist grün-
dete und gründet sich mit Recht der Ruhm des Dichters. Dahin gehören
§ 214. Catull: Dichtungen 525
ganz besonders die eigentlich lyrischen und iambischen Gedichte und die
Epigramme. Diese halten sich mit richtigem Takte von gelehrten Anspie-
lungen fern, die freilich auch in den großen Gedichten nicht häufig sind,
gewinnen den Leser durch anspruchslose Schlichtheit und sind unmittelbare
Ergüsse von Liebe und Haß (85 odi et amo), Freund- oder Feindschaft, bald
von wohltuender Wärme, bald von ätzender Bitterkeit (Quint. 10, 1, 96 iambi
acerbitas in Catullo. Cat. 36, 5 truces iambi 40, 2). Wie alles an Catull ge-
sund ist, so ist es auch die Sinnlichkeit und Derbheit (lascivus Catullus,
Prop. 3, 34, 87. Ov. trist. 2, 427; vgl. Mart. 1, praef.) des übermütigen un-
vergohrenen Junggesellen: doch vergißt sich der ""ungezogene Liebling der
Grazien' nicht gerade selten bis zu häßlicher Zote und widerwärtiger Grob-
heit. Vgl. c. 16, 5 nam castum esse decet pium poetam ipsum, versiculos ni-
hil necesse est, qui tum denique habent salem ac leporem, si sunt molliculi ac
parum pudici. Besonders arg c. 39. Natürlich findet sich auch hier Ent-
lehntes, wie wir es von c. 99 nachweisen können (Harnecker JJ. 133, 273),
und überhaupt ist Catulls Bekanntschaft namentlich mit der iambischen
und epigrammatischen Poesie der Griechen vorauszusetzen; eine ihm in
mancher Hinsicht^ ähnliche Erscheinung ist Alkaios von Messene (Reitzen-
stein, PW. 1, 1506). Lafaye, Cat. et ses modeles, Par. 1894. Drachmann,
Catuls digtning, Kopenh. 1887. — Scheinbare Nachahmung des Lucrez bei
Catull Munro zu Lucr. 3, 57; critic. of Cat. 72. JJessen, über Lucr. u. s.
Verh. zu Catull, Kiel 1872. Froebel, Ennio quid debuerit Cat., Jena 1910.
7. Daß die Gedichte Catulls zuerst einzeln an die Adressaten verschickt
und so im engen Kreise verbreitet wurden, ist bei ihrem Inhalte selbstver-
ständlich und wird bewiesen zB. durch die Rückbeziehung von c. 16, 12
auf c. 5 und 7; vgl. 54, 6 irascere Herum meis iambis. Der über Catulli (so
die Hss.; vgl. A. 1; auch Terent. Maur. 2899) zählt 2286 Verse und geht
damit über den durchschnittlichen Umfang poetischer c Bücher' beträchtlich
hinaus : sonst sind die umfangreichsten Bücher die lucrezischen mit durch-
schnittlich 1235 Vv. (die höchste Zahl B. 5 mit 1457 Vv.). Danach und
nach der unverkennbaren Dreiteilung des jetzigen Buches (A. 8) möchte
man glauben, daß aus drei Einzelbüchern erst nachräglich das vorliegende
zusammengewachsen sei; auch das Widmungsgedicht an Cornelius Nepos,
das einen libellus begleitet, würde gut als Vorrede zu einem Einzelbuch
passen; doch werden weder Einzelbücher noch eine Mehrheit von Büchern
jemals angeführt, nur einigemale das Zitat metrisch oder inhaltlich näher
bestimmt; Sen. contr. 7, 4, 7. Charis. GL. 1, 97, 13 Cat. in hendecasyllabis
(= c. 42, 5. 53, 5). Non. 134, 21 Cat. Priapeo (?= fragm. 2). Caes. Bass.
GL. 6, 262, 19 Cat. in Anacreonteo. Quint. 9, 3, 16 C. in epithalamio (= c. 62,
45). Alles dies nötigt nicht zur Annahme einer einstigen Mehrzahl von
Büchern, auch nicht daß Mart. 11, 6, 16 (vgl. 4, 14, 13) Catulls Werk nach
den ersten besonders berühmten Gedichten mit dem Namen fpasser' be-
zeichnet. Brunei (A. 13) p. 603. Ellis, comm. p. 1. Süss, act. Erlang. 1, 21.
Birt, antikes Buchwesen 401 und das A. 8 Angeführte. Gar nichts beweist,
daß Catull 1, 4 die dem Nepos übersandte Sammlung als nugae bezeichnet;
denn so konnte der Dichter nicht bloß die kleinen Gedichte (1 — 60) nennen,
sondern wenn es ihm beliebte, auch die großen. Vahlen, SB. Berl. Ak.
1904, 1073. Höchstens ließe sich aus der Beschaffenheit des Buches, das
526 Ciceronische Zeit: J. 63—43 v. Chr.
mancherlei Fragmentarisches, Zerrüttetes, Ungeordnetes enthält, der Schluß
ziehen, daß die vom Dichter veranstaltete Ausgabe nach seinem frühen Tode
aus seinem Nachlaß durch einen Freund zu einer Gesamtausgabe erweitert
worden sei; doch kann daran unsere Überlieferung die Schuld tragen.
Reitzenstein, PW. 6, 110. — Die uns erhaltene Sammlung enthält gewiß
fast alles, was das Altertum von Catull kannte. Die meisten der soge-
nannten catullischen ^Fragmente' beruhen auf Irrtümern; als bezeugt darf
nur ein Priapeum gelten (fr. 1 f. Schw.) und die Darstellung eines Liebes-
zaubers (Plin. n. h. 28, 19). Schwabes Catull 1866 p. 169. 1886 p. 102. Süss,
acta Erlang. 1, 15. Gegen Bährens1 Annahme eines prosaischen Werkes Ca-
tulls wegen Serv. Verg. ge. 2, 95, wo Catullus im Gegensatze zu Cato die
rhaetische Traube tadelt, und Varro LL. 6, 6 (Catulus Hs, zu verb. Pacu-
vius) s. HPeter, JJ. 115, 749. — Die Herausgabe wird, nach den in der
Sammlung enthaltenen Zeitandeutungen (s. A. 2), um J. 54 erfolgt sein. Sie
müßte in das erste Viertel des Jahres fallen, wenn Cicero ad Q. fr. 2, 13, 4
(vom Juni 54) auf Cat. 25, 2 anspielte (s. CBarth, adv. 38, 7 p. 1730. Bü-
cheler, Greifsw. ind. schol. 1868/69 p. 16. Vgl. auch Munro, criticisms of
Cat. p. 71). Aber das ist unwahrscheinlich; auch daß Cic. Att. 13, 25, 3
(J. 45) auf Cat. 3, 9 anspielt und 15, 1, 1 (J. 44) auf Cat. 3, 16, ist unsicher.
Morawski, Abh. Ak. Krakau 1903, 377. Ältestes Zitat aus Catull (62, 1
vesper adest) bei Varro LL. 7, 50, falls Schwabe, JJ. 101, 350 richtig ver-
bessert: dicit Valerius. Catull gewann sofort hohes Ansehen: vgl. Nep. Att.
12, 4; die Parodie auf Cat. 4 in Verg. catal. 8 (vgl. 3, 6 nach Cat. 29, 24);
Höh. sat. 1, 10, 19; Prop. 2, 25, 4; Vele. 2, 36, 2 neque ullo in suscepti ope-
ris sui carmine minorem Catullum und die anderen Testimonia in Schwabes
Catull 1886 p. vn f. Catull von Asinius Pollio getadelt: § 221, 6. Cat. und
die Augusteer: Rand Harv. Stud. 17, 15. Über Catulls Nachahmung seitens
der Späteren (besonders in den Priapea, bei Ovid, Ausonius und am stärk-
sten in der Ciris und bei Martial): Danysz, de scriptorum rom. studiis Ca-
tull, Bresl. 1876; vgl. Süss aO. 6. Pauckstadt (§ 322, 7) und die Übersicht
in Schwabes Catull (1886) p. vnff.
8. Die überlieferte Ordnung der Gedichte, die in ihrem Kern ohne
Zweifel von Catull selbst herrührt, ist die daß die umfangreicheren die
Mitte der Sammlung einnehmen (c. 61 — 68) und von den kleineren um-
schlossen sind, indem die iambischen und in melischen Maßen gehaltenen
Gedichte vorausgehen (Hendekasyllaben, Choliamben, sapphische Strophen
usw.), die im elegischen Maße (Epigramme) nachfolgen, zu denen c. 65—68
ebenso den Übergang bilden wie c. 61 vom ersten zum zweiten Teile. Im
einzelnen wird die Anordnung der Gedichte oft durch das Bestreben der
Abwechslung bestimmt und ebenso wie in der Properzsammlung sachlich
Zusammengehöriges durch Fremdes auseinandergehalten; eine Serie von An-
griffen gegen Gellius bilden c. 88 — 91. Über das Genauere s. vFröhlich,
Abh. Münch. Akad. 3, 3, 691. Wkstphal, Catulls Ged., Bresl. 1867, S. 1.
Süss aO. 23. 28. KPSciiclze, Catullforschungen, Festschr. d. Friedr.-Werder-
schen Gymn., Berl. 1885, 195. Bährens, Commentar. p. 57. BSchmidt, Cat.
p. lxxxix. ASeitz, de Cat. carm. in tres partes distribuendis, Rastatt 1887.
9. Die Sprache Catulls zeichnet sich aus durch überraschende Klar-
heit, Schlichtheit und Eleganz: in den gelehrten gräzisierenden Arbeiten
§ 214. Catull: Gedichtsammlung, Technik 527
findet sich freilich vereinzelt manches Steife und Gekünstelte (zB. 64, 18
nutricum tenus, vgl. %Ltd"r\ und rtT-frog; 64, 8 diva . . . retinens in summis
urbibus arees; vgl. itoliov%og 'A&dva u. a. m.), auch manches Altertümelnde
(A. 6E.); namentlich im Attis veranlaßte das der lateinischen Sprache nicht
zusagende Versmaß und das Vorbild des Kallimachos allerlei Sonderbar-
keiten. Auch die Wortstellung ist recht gesucht (Norden, Aeneis B. 6
S. 382 ff.). Aber in seinen besten Stücken, den kleinen Gelegenheitsgedichten,
hat C. dies völlig abgestreift: in ihnen enthüllt sich der leichtgeschürzte
sermo urbanus (zB. häufige Deminutiva, sprichwörtliche oft alliterierende
Wendungen) in reizender Natürlichkeit. Hier macht er auch im Gegensatz
gegen die Technik der Schule (§ 212 a) Konzessionen an die echtrömische
Prosodie und läßt 10, 26. 27 Iämbenkürzung, 116, 8 Abfall des s zu. Wort-
indices an Silligs, Dörings (1834), Ellis' (1878) und Schwabes (1886) Aus-
gaben und von Wetmore, New Haven 1913. — FHeussner, obs. gramm. in
C. librum, Marb. 1869. KHupe, de genere dicendi C, Mimst. 1871. Over-
holthaus, syntaxis Catull. cap. II, Gott. 1875. BZiegler, de C. sermone
quaest. , Freib. i. B. 1879. RFisch, de Cat. in vocabulis collocandis arte,
Berl. 1875. EClemens, de1 Cat. periodis, Gott. 1886. Reeck, Beitr. z. Syntax
des C, Bromb. 1889. Slotty, De pluralis usu Catull., Jena 1905. Bednara,
Cat. et Ov. quib. rationib. linguam metro dact. accommod., Arch. Lex. 14,
317. 532. Vahlen Opusc. 2, 215. Außerdem vgl. das § 32, 4. 5 Angeführte.
— Metrik: Catullus handhabt die mannigfaltigsten Versmaße (bes. versus
minuti; vgl. Ser. Augur, bei Plin. ep. 4, 27, 4) mit der sicheren Hand des
Meisters (elegantissimus poetarum Gell. 6, 20, 6), welche die gestatteten
Freiheiten weder übermäßig ausnutzt noch ängstlich vermeidet (vgl. Plin.
NH. praef. 1; Plin. ep. 1, 16, 5) und sich von Künstlichkeit und Kleinlich-
keit fern hält. Die Hexameter werden im Anschluß an die hellenistischen
Vorbilder gebaut; was sie schwerfällig erscheinen läßt, ist die Zulassung
von Perioden (21 Nebensätze auf 100 Verse, während Lukrez 31,7, Vergil
Aen. 15 hat). Namentlich ist das Distichon noch nicht zu ovidischem Wohl-
klang abgeschliffen. Im Hexameter finden sich häufig sogen. Spondiaci
nach alexandrinischem Vorbild, sogar drei aufeinanderfolgende 64, 78 — 80;
vgl. Cic. Att. 7, 2, 1 hunc 67tovd8iut;ovT<x si cui voles tä>v vscoteqcov (s. S. 319, 7)
pro tuo vendito, vgl. § 230, 2, 2). In den kleineren Gedichten verwendet er
außer dem Distichon den iambischen Trimeter und Tetrameter, Choriambus,
Phalaeceus, Glyconeus, Asclepiadeus maior, Priapeus, die sapphische Strophe ;
bei weitem am häufigsten und glücklichsten gebraucht ist das Lieblings -
maß des Catull, der phaläkische Elfsilbler: einmal mit dem sonst unerhörten
Spondeus statt des Dactylus (55) verwandt dh. nach anderer Theorie gebaut.
Dann besonders gelungen die Galliamben (c. 63; vgl. A. 6, solche schon bei
Varro § 165, 5; s. auch § 213, 4 Z. 1), ferner die raschen und schneidigen
von Spondeen völlig reinen Iamben — auch dies eine alexandrinisierende
Spielerei (c. 4. 29) u. a. AReeck, de C. carminum re grammatica et metrica,
Bresl. 1872. Nobbe, de metr. Cat., Lps. 1820—21 II. JBaumann, de arte
metr. Cat., Landsb. a/W. 1881; und eben darüber LMüllers Ausg. p. lix,
s. auch Birt, hist. hex. lat. (1876) 23. OFranke, de artificiosa carrn. Cat.
compositione (acc. Useneri epimetrum de c. lxviii), Greifsw. 1866 (vgl. dazu
Ellis in s. Ausg.2 p. 223 de aequabili partitione carminum Catulli, auch
528 Ciceronische Zeit: J. 63—43 v. Chr.
0 Ribbeck, NSchweiz. Mus. 1, 213). Ziwsa, die eurhythmische Technik des
Cat., (Hernais) Wien 1879. 1883 II; der lntercalar bei Cat., Wien Stud. 2,
298. 4, 271.
10. Handschriften. Schon Gellius 6, 20, G klagt über libri (Catulls) de
corrupüs exemplaribus facti. In den Glossarien (§ 42, 5) wird Catull nur
sehr spärlich benutzt: s. darüber Schwabe, JJ. 131, 803. Im Mittelalter war
er fast verschollen. Die Angabe G Voigts (Wiederbeleb, d. klass. Altert. 22,
335), daß Servatus Lupus, Abt von Ferneres (f um 862), den Catull gelesen
habe, beruht auf einem Mißverständnis: s. Schwabe, Herrn. 20, 495. — Sämt-
liche erhaltene Hss. des liber Catulli sind jung — nur c. 62 steht auch in
der Blumenlese des cod. Par. 8071 (Thuaneus) s. IX — X (s. das Faksimile
bei Chatelain T. 14) — und alle stammen von einem cod. Veronensis, den
bereits Rather, Bischof von Verona, J. 965 gebrauchte, der aber nachher
lange Zeit verschollen war, bis er um den Anfang des 14. Jahrh. in Verona
wieder auftauchte und von einzelnen benutzt, später auch abgeschrieben
wurde, dann aber wieder verloren ging. Die älteste und beste erweislich
unmittelbare Abschrift des V(eronensis) ist der Paris. 14137 (Germanensis)
vom J. 1375 (Faksim. von Chatelain, Paris 1890); nächstverwandt mit diesem
ist der wohl gleichfalls unmittelbar aus V um J. 1400 abgeschriebene 0(xo-
niensis) (Faksim. in Ellis' Ausg.2 p. 146). Postgate, Cl. Rev. 13, 438. Bei
den ungefähr 70 anderen Hss. (darüber Ellis' Proleg.; Hermath. 28, 17, s.
auch Schwabe Ausg. 1886 p. V. Halb, Herrn. 34, 137; Cl. Ph. 3, 233) ist
nicht klargestellt, durch wie viele und welche Mittelglieder sie mit dem
cod. 'Veron. zusammenhängen; weder der von Hale hervorgezogene Roma-
nus (Ottobon. 1829) noch der von Schulze (Herrn. 23, 88; Neuauflage von
Baehrens' Ausg.) benutzte Marcianus tragen, wie man sie auch immer ab-
leitet, zur Textgestaltung wesentlich bei. Die Ansicht von Bährens (Ana-
lecta Catull. 31; Ausg. p. xvi), daß alle Hss. (außer O) unmittelbar oder
mittelbar von G abstammen, ist unhaltbar: s. LSchwabe, Jen. Lit.-Zeit. 1875,
513 und BSchmtdt, ebd. 1878, 207; Cat. p. ein. RSydow, de recensendis Cat.
carrn., Berl. 1881. Morgenthaler, De Cat. codd., Straßb. 1909. Vergebliche
Versuche die ursprüngliche Beschaffenheit der Urhandschrift (zB. hinsicht-
lich der Zeilenzahl, der Verderbnisse, Lücken, Umstellungen) zu ergründen
in Lachmanns Ausgabe. Haupts op. 1, 35. Berge, RhM. 15, 507. Über die
kritische Geschichte der catullischen Gedichte s. Haupt, op. 1, 2. 276. Tu.
Heyse, Catull übers. (1855) 279. LSchwabe, Verhandl. der Meißener Philo-
logenvers. (Lpz. 1864) 111; Dorpater Ind. lect. 1865; vor s. Ausg. (1866)
p. i und Phil. 24, 351. — AGehrmann, de rat. crit. inde a Lachmanno in
eraend. Cat. adhibita, Braunsb. 1879.
11. Ausgaben: über die ältesten s. Ellis vor s. Ausg.2 p. lix. Ed.
Aid. (von HAvancius) Ven. 1502. 1515. Cum comm. AMureti, Ven. 1554,
Achillis Statu, Ven. 1566. Cum castigationibus JScaligeri, Par. 1577 und
öfter (der von Scaliger benutzte und stark überschätzte cod. Cuiacianus vom
J. 1467 ist in England wieder aufgetaucht: Ellis, Hermathena 3, 124 und
in s. Catullausg.2 p. liv). Cum comm. IsVossn, Lond. 1684, AVulpii (Patav.
1710. 1737), FWDöring, Lps. 1788—1792 II, kleinere Ausg., Altona 1834.
Recogn. Sillig, Gott. 1823. Epochemachend: Ex rec. CLachmanni, Berol.
1829. 31874. Recogn. LSchwabe, Gissae 1866; Berl. 1886. Recogn. REllis,
§ 214. Catull: Handschriften und Ausgaben 529
Oxon.2 1878. Dazu Ellis, a commentary on Cat., Oxf.2 1889 (Nachträge
gibt Schwabe, JJ. 117, 257). Recens. et interpretatus est EBährens, Lps.
1876—85 II (Bd. I2 von KPSchulze, Lpz. 1893). Traduit war ERostand,
texte revu av. un commentaire par EBenoist et EThomas, Par. 1882. 1890 II.
Erkl. von ARiese, Lpz. 1884; von GFriedrich, Lpz. 1908. — Texte von
MHaupt (Cat. Tib. Prop., Lps.7 1912. cur. Vahlen-Helm), LMüller (Cat. Tib.
Prop., Lps. 1870). BSchmidt, Lpz. 1887 (daneben eine ed. maior mit Pro-
leg.). Postgate, Lond. 1889. Merrill, Boston 1893. Ellis, Oxf. 1904.
12. Übersetzt zB. von ThHeyse (Berl.2 1889), Hertzberg u. Teufffl
(in den röm. Dichtern, Stuttg. 1862, mit Einl. u. Anm.), RWestphal (C.s
Gedichte in ihrem geschichtlichen Zusammenhange übersetzt und erläutert,
Bresl. 1867; Catulls Buch der Lieder, Bresl. 1884). Pressel, Berl.2 1884.
Amelung, Jena 1911.
13. Abhandlungen allgemeinen und sachlichen Inhalts. GHelbig,
deutsche Jahrb. 1842, 1213 (zur Charakteristik des C). Jüngclaussen , zur
Chronologie der Gedichte des C, Itzehoe 1857. LSchwabe, quaest. Catullia-
narum liber I, Gissae 1862 (Vol. 1, 1 s. ersten Ausg.). Bruner, de ordine
et temporibus carminum C. , Acta soc. sc. Fennicae 7 (Helsingf. 1863), 599.
ORibbeck, Val. Cat., eine literarhistorische Skizze, Kiel 1863; BRichter, de
Catulli vita et carminibus, Freiberg 1865. Mommsen, RG. 36, 332. 600. MHaupt,
in dessen Biogr. v. Beiger, Berl. 1879, 238. Couat, etude sur Catulle, Par.
1875. Nettleshtp, Lectures and essays, Lond. 1885 p. 84. Vaccaro, Cat. e
la poesia, Palermo 1885. Grebe, Studia Catulliana, Amsterd. 1911. Slater,
The poetry of C, Manchester 1912.
14. Zur Kritik und Erklärung (Auswahl): RPeiper, Catullus, Beitr. zur
Kritik, Bresl. 1875. JMunro, criticisms and elucidations of Catullus, 2Lond.
1905. Birt, RhM. 59,407; Phil. NF. 17,425. EBährens, Analecta Cat.,
Jen. 1874. Zu einzelnen Gedichten (vgl. A. 6): 61 und 62: KPleitner, des
C. Hochzeitsgesänge krit. behandelt, Dillingen 1858 (Studien zu C, Dillingen
1876; vgl. auch A. 5 E.). — 62: ABonin, d. 62. Ged. des Cat., Bromb. 1884.
Ballin, Dessau 1894. Fürst, Melk 1887. — 63: Zehme, de Cat. c. lxiii, Lau-
ban 1859. — 64: EFritze, c. lxiv rec. et ili., Halberst. 1863. JAndre, de
C. c. lxiv, Rostock (Gotha 1873). Pascal, Stud. it. 12, 219. — 66: Kortz,
Progr. Cöln-Ehrenfeld 1902. — 67: Cahen, RPh. 26, 164. Magnus, Phil. NF.
20, 296. Wick, Neapel 1910. — 68: EEichler, quo iure Cat. c. 68 in duo
carmina dirimatur, Oberhollabrunn 1872. Harnecker, Cat.s 68. Ged., Friede-
berg 1881. Hörschelmann, Ind. Dorpat 1889. Birt, Ind. Marburg 1890. Weber,
Quaestiones Cat., Gotha 1890. Kalb, Progr. Ansbach 1900. vMess, RhM.
63, 488. Bischof, Progr. Kaaden 1908. Berichte von RRichter, JB. 2, 1447.
6, 300; von Magnus ebd. 51, 145. 97, 190. 101, 84. 126, 108.
215. Die aufgeregte Zeit mit ihren Parteikänrpfen brauchte die
Macht der Feder und schätzte deren Einfluß. Abgesehen davon,
daß man die gehaltenen Reden immer häufiger veröffentlichte, um
sie über den Kreis der Hörer hinaus wirken zu lassen, bekämpfte
man einander auch mit besonderen Flugschriften. Gegen Caesar
schrieben solche M. Yarro, C. Scribonius Curio und A. Caecina.
Teuffol: röm. Literaturgesch. Neub. 6. Aufl. I. 34
530 Ciceronische Zeit: J. 63—43 v. Chr.
Andere benützten Tagesereignisse, um ihre politischen Ansichten
auszusprechen oder anzudeuten. Dazu diente namentlich auch die
Form der Leichenrede oder der Lobschrift (laudatio) auf einen kürz-
lich Gestorbenen. So rief Catos Tod in Utica eine ganze Literatur
ins Leben. Zu seinem Lobe schrieben Cicero, M. Brutus, M. Fadius
Gallus und Munatius; im entgegengesetzten Sinne A. Hirtius, Caesar
selbst, Metellus Scipio und später Augustus. Ebenso wurde Catos
Tochter, Porcia, bei ihrem Tode der Gegenstand von laudationes
des M. Varro, Lollius und Cicero; auch an Brutus knüpfte eine
tendenziöse Literatur an. Manche bedienten sich auch der gebun-
denen Form und schleuderten Epigramme und Pasquille gegen die
Machthaber.
1. Über Varros ToiTtagavog vom J. 60 s. § 166, 3 E. Curios Schrift vom
J. 59 s. § 153, 6. A. Caecina s. § 199, 5. Über die Angriffe der Dichter auf
Caesar s. § 158, 3 Z. 7 v. u. 192, 4. 213, 7. 214, 5. Peter, Gesch. Lit. 1, 163.
2. Über die Schriften aus Anlaß von Catos Tode (J. 46) s. Wartmann,
Leben des Cato von Utica (Zur. 1858) 145. BBusch, De Catone quid anti-
qui scr. censuerint, Münster 1911. Über Ciceros Cato § 180, 5. Zu dessen
Ergänzung verfaßte M. Brutus seine Schrift; s. § 210, 2. Des Hirtius Anti-
cato s. § 197, 2, über die Anticatones des Caesar § 195, 7. Die Lobschrift
des M. Fadius Gallus erschien wahrscheinlich im Juli oder August 45; s.
Cic. ep. 7, 24, 2; vgl. 25, 1. Catos Freund Munatius Rufus 6vyyQa^a tcsql
Kdtcovog i^EÖco-ns, <b \iäliGTa Ogaöeag (§ 299, 7) inri7ioXov&r}6sv. Plut. Cat.
min. 37 vgl. 25. Valer. Max. 4, 3, 2 id Munatius Rufus, Cypriacae expedi-
tionis (des Cato J. 58) fidus comes, scriptis suis significat Dagegen hatte
Metellus Scipio schon bei Catos Lebzeiten ein ßißXLov herausgegeben ßXccßcpr}-
lilccg y.ux£%ov xov Kdxavog, ebd. 57. Über Augustus' Schrift s. Süeton Aug. 85
multa varii generis prosa oratione composuit, ex quibus nonnulla in eoetu
familiarium velut in auditorio recitavit, sicut rescripta Bruto de Catone, quae
Volumina cum iam senior ex magna parte legisset, fatigatus Tiberio tradidit
perlegenda. Busch 37 ff. OESchmidt, Flugschr. aus der Zeit d. 1. Triumvi-
rat, JJ. 1901 VII 621.
3. Porcia, Tochter (nicht Schwester, wie Mommsen, Herrn. 15, 99 wollte,
s. Bühl, JJ. 121, 147) des Cato Uticensis und Gemahlin zuerst des M. Bi-
bulus (s. § 255, 2), dann des M. Brutus. Ihre Krankheit erwähnt Brutus
ep. ad Cic. 1, 17, 7; und als sie in Abwesenheit ihres Gatten sich ent-
schlossen hatte dict vÖ6ov KccxuXintlv xov ßlov (Plut. Brut. 53), machte Bru-
tus seinen Freunden in Rom Vorwürfe, daß sie es nicht verhindert hätten
(cbg a.yLslr\&Ei6rig vn ccvxcöv, Plut. aO.). Trostschreiben Ciceros an Brutus,
ep. ad Brut. 1, 9. Die Darstellung, als ob sie erst nach dem Tode ihres
Gatten (mittels feuriger Kohlen, die sie schluckte) sich den Tod gegeben
hätte, ist eine Erfindung der Rhetorenschulen. — Cic. Att. 13, 48, 2 (J. 45)
laudationem Porciae tibi misi correctam. . . et velim M. Varronis et Lollii
mittas laudationem. Lollii utique; nam illam legi; volo tarnen regustare.
Drumann 5, 198.
§ 215. Flugschriften. § 216. Acta senatus u. populi 531
216. Die Tagesneuigkeiten wurden seit J. 59 regelmäßig in
den acta veröffentlicht, und zwar die Senatsprotokolle in den acta
senatus, die staatlichen und privaten Vorkommnisse in den acta
populi oder acta diurna. Letztere waren ein amtliches Tageblatt,
unter einem amtlichen Herausgeber, wurden jeden Tag öffentlich
ausgestellt, von Unternehmern abgeschrieben und versandt. Echte
Überreste von diesen acta sind nicht auf uns gekommen.
1. Sueton. Iul. 20 inito honore (des Consulats, J. 50) primus omnium
instituit, ut tarn senatus quam populi diurna acta confierent et publicarentur.
An sich bezeichnet acta das Geschehene oder Verhandelte selbst, insbeson-
dere Amtshandlungen der Behörden, dann, als abgekürzter Ausdruck (statt
commentarii actorum), die Aufzeichnung dieser Gegenstände. Von den Ver-
handlungen des Senats waren vor Caesar nur die Beschlüsse regelmäßig
aufgenommen und in geeigneten Fällen veröffentlicht worden; Caesar dehnte
die Aufzeichnung und Veröffentlichung auch auf die Verhandlungen aus.
Die Aufzeichnung (Protokollierung) bestand dann die ganze Kaiserzeit hin-
durch (noch vom J. 438 n. Chr. haben wir gesta in senatu urbis Romae de
recipiendo codice Theodos ianae), aber die Veröffentlichung untersagte schon
August (Suet. Aug. 36 auctor et aliarum verum fuit, in quis, ne acta sena-
tus publicarentur). Gegenstand dieser Protokolle waren außer den gefaßten
Beschlüssen auch die im Senat gestellten Anträge, die eingelaufenen Be-
richte und Schreiben, in der Kaiserzeit besonders auch die durch den Quaestor
vorgetragenen Reden der Kaiser und die Akklamationen der Senatsmitglie-
der. Die Abfassung des Protokolls besorgten Senatoren, die zuerst der Con-
sul, dann der Kaiser beauftragt hatte; später der curator actorum senatus,
von Hadrian an der Beamte ab actis senatus. Aufbewahrt wurden diese
acta senatus teils im Reichsarchiv (tabularium), wo sie wohl nur Senats-
mitgliedern (und für bestimmte Zwecke) zugänglich waren, teils in beson-
deren Abteilungen der öffentlichen Bibliotheken, zu denen man nur auf aus-
drückliche Erlaubnis des praefectus urbi Zutritt erhielt. Manche Verhand-
lungen des Senats fanden aber auch in die acta populi Aufnahme und
wurden dadurch allgemein zugänglich. EHübner, JJ. Suppl. Bd. 3, 564. Groag
ebd. 23, 712. WRein, PRE. I2, 132. 147. Kubitschek, PW. 1, 287. Außer-
dem zB. VLeclerc, des journaux chez les Romains, Par. 1838. WASchmidt,
Zeitschr. für Geschichtswiss. 1 (1844), 303. Lieberkühn, de diurnis Rom.
actis (Weim. 1840); epist. crit. ad LeClercium (Lps. 1844). Renssen, de di-
urnis aliisque Rom. actis, Groningen 1857. Mommsen, röm. Staatsrecht 3,
1017. Peter, Gesch. Lit. 1, 205.
2. Der römische Staatsanzeiger, die acta diurna populi heißen auch
acta diurna oder acta populi rom. oder acta populi oder acta publica, acta
urbana, rerum urbanarum acta, acta urbis, diurna populi rom., oder diurna
(zB. luv. 6, 483) oder acta (zB. luv. 2, 136) schlechtweg; auch commentarii
diurni Suet. Aug. 64; bei den griechischen Schriftstellern toj xolvu vTto\Lvf\-
ficcra oder einfach v7toiivrJiLccTa. Mitteilung der Neuigkeiten aus Rom an
Abwesende war vor Caesar Sache der Privattätigkeit gewesen, und diese
erlosch auch nach Caesars Einrichtung nicht, wie zB. Ciceros Briefwechsel
34*
532 Ciceronische Zeit: J. 63—43 v. Chr.
während des Prokonsulates zeigt (s. zB. ad Att. 3, 15, 6. 6, 2, 6. ep. 12, 23, 2);
durch Caesar aber wurde die Zusammenstellung und Veröffentlichung der
Nachrichten eine regelmäßige und amtliche. Die Vorkehrung entsprach so
sehr einem dringenden Bedürfnisse nicht nur der Römer in der Fremde,
sondern auch der Bewohner der Weltstadt selbst und der sonstigen Ange-
hörigen des Reiches, daß sie ohne Unterbrechung fortbestand und wohl erst,
als sie mit Verlegung der kaiserlichen Residenz nach Konstantinopel ihre
Bedeutung einbüßte, allmählich aufhörte. Der Inhalt dieser acta war teils
ein amtlicher (Vorgänge in der kaiserlichen Familie, Verordnungen der
Kaiser und der Behörden, Beschlüsse oder auch Verhandlungen des Senats
und sonstige Vorfälle, die man zur allgemeinen Kenntnis bringen wollte,
zB. Prodigien, Kuriositäten, Siege bei den Wagenkämpfen? Friedländer,
SG. 28, 520), teils ein privater, bestehend ans Familiennachrichten aller Art,
Anzeigen von Geburten, Heiraten, Ehescheidungen, Todesfällen udgl., die
man an die Leitung eingesandt hatte (darin sprach zB. bei Traueranzeigen
fder tiefgebeugte Gatte' saucius pectus, Quint. 9, 3, 17). Die offizielle Zu-
sammenstellung wurde in albo veröffentlicht, und wie man früher von den
annales sich Abschriften gemacht hatte (oben § 76), so wurden jetzt diese
acta durch zahlreiche scribae vervielfältigt und an ihre Besteller versandt.
Nach Verlauf einiger Zeit kam das Original in das Staatsarchiv und konnte
dort für schriftstellerische Zwecke benützt werden. Auszüge daraus waren
die Acta Muciani (§ 314, 1) und Acholii (§ 387, 1). In den Privatbiblio-
theken werden die acta bei ihrer Massenhaftigkeit nicht leicht vollständig
gewesen sein; vielleicht wurden sie von Anfang nur in Auszügen bezogen.
Vgl. EHübner aO. 594. Kubitschek aO. 290.
3. Ein Machwerk des 15. Jahrb. sind die elf Fragmente von acta po-
puli, zuerst von Pighius (1615) in seinen Annales 2, 378 veröffentlicht, die
nach ihrem Hauptverfechter, Dodwell (Praelect. Camden., Oxon. 1692, p. 665),
gewöhnlich fragmenta Dodwelliana genannt werden. Gegen deren Echtheit
s. besonders Wesseling, Probabilia (Franeker 1731) p. 354 und AErnesti an
s. Sueton (Lpz. 1748). HHeinze, de spuriis actorum diurnorum fragmentis,
Greifsw. 1860. Vergebliche Verteidigung von Lieberkühn, bes. in Vindiciae
librorum iniuria suspectorum, Lps. 1844, p. 1.
217. Eine Mittelstellung zwischen der beurteilenden und der
bloß berichtenden Tagesliteratur nehmen die Briefe ein, deren wir
aus dieser Zeit in den ciceronischen Sammlungen eine große An-
zahl besitzen, meist von Cicero selbst, aber auch von nicht wenigen
Zeitgenossen.
1. Über die Briefe s. § 46; über die Caesars s. § 195, 8; über die von
M. Brutus s. § 210, 4.
2. Über die ciceronischen Briefsammlungen s. § 187 und 188. Außer
den Briefen von Cicero selbst sind darin enthalten Briefe von seinem Bru-
der Qnintus (§ 190, 3), von seinem Sohne (ep. 16, 21. 25), M. Brutus (§ 188, 4.
vgl. § 210, 4), Ser. Sulpicius (§ 174, 2; Schmalz, ZfGW. 35, 90), M. Marcel-
lus (ep. 4, 11; Schmalz aO. 128), Q. Metellus Celer (§ 214, 3), Q. Metellus
Nepos (ep. 5, 3), Vatinius (ebd. 5, 9. 10; Schmalz, d. Latinität des Vatinius,
§ 217. Briefliteratur. § 218. Inschriften 533
Mannheim 1880), L. Lucceius (§ 172, 5), A. Caecina (§ 199, 5), Pompeius
Bithynicus (ep. 6, 16), M\ Curius (ep. 7, 29; Schmalz, ZfGW. 35, 137), M.
Caelius Rufus (§ 209, 6), Dolabella (ep. 9, 9; Schmalz, ZfGW. 35, 131), Mu-
natius Plancus (§ 209, 8), Ser. Sulpicius Galba (ep. 10, 30), C. Asinius Pollio
(§ 221, 5), Lepidus (ep. 10, 34. 35), D. Brutus (§ 210, 5), C. Matius (§ 208, 5),
C. Cassius (§ 210, 6), Cassius Parmensis (§ 210, 7), P. Lentulus (ep. 12, 14.
15), C. Trebonius (§ 210, 9), M. Cato (§ 201, 2). Dazu als Beilagen zu
Briefen an Atticus Briefe des Cn. Pompeius (§ 171, 8), Caesar (§ 195, 8),
Baibus (§ 197, 1), M. Antonius (§ 209, 3).
218. Von den lateinischen Inschriften aus den Jahren 84
bis 44 hat keine mehr das saturnische Maß. Unter den prosaischen
sind die wichtigsten die lex Cornelia de XX quaestoribus vom J. 81,
das Senatusconsultum de Asclepiade7 Polystrato, Menisco in amico-
rum formulam referendis vom J. 78, die lex Antonia de Termessi-
bus vom J. 71, die lex Rubria de civitate Gralliae cisalpinae um 49,
die lex Julia municipalis vom J. 45, sowie die über die Verfassung
der Kolonie Urso (Osuna) aus J. 44. Sie zeigen durchweg die alter-
tümliche Gesetzessprache und sind von den Fortschritten der lite-
rarischen Prosa unberührt.
1. Die metrischen Inschriften aus dem 7. Jahrh. d. St., ohne genauere
Zeitbestimmung, s. § 163, 7 — 9.
2. Die lex Cornelia des Dictators Sulla de viginti quaestoribus (CIL.
1, 202. PM. 29. Bruns fönt.7 89. DIE. 307), ungefähr aus J. 81 (vgl. Tac
ann. 11, 22), ist zum Teil erhalten auf einer unter den Trümmern des Sa-
turnustempels zu Rom ausgegrabenen Erztafel.
3. Das SC, wodurch Asclepiades und Genossen für viri boni et amici
erklärt werden, ist lateinisch (nur sehr unvollständig erhalten) und griechisch
abgefaßt: CIL. 1, 203. PM. 30. Bruns fönt.7 176. DIE. 308. Nur griechisch
erhalten sind die SSCC de Oropiis vom J. 73 (Mommsen, Sehr. 5, 495. JG.
7, 413. Bruns7 180) und de Aphrodisiensibus J. 42 CIG. 2, 2737. Bruns7 185.
4. Die lex Antonia bestätigt die Autonomie der Stadt Termessus maior
in Pisidien: CIL. 1, 204. PM. 31. BrüxNS7 92. DIE. 309.
5. Die lex Rubria: CIL. 1, 205 = 11, 1146. PM. 32. Ritschl, op. 4, 34.
Bruns7 97. DIE. 311. Gradenwitz, SB. Heidelb. Ak. 1915 N. 9. — Einneues
Bruchstück vielleicht desselben Gesetzes wurde zu Ateste gefunden: Momm-
sen, Sehr. 1, 175. Bruns7 101.
6. Die Tafel von Heraklea, sogen, lex Iulia municipalis des Caesar über
die Rechtsverhältnisse der Municipien: CIL. 1, 206. PM. 33. 34. Bruns7 102.
DIE. 312. Hauptschrift darüber von Savigny, Verm. Sehr. 3, 279. Vgl. Hackel,
WSt. 24, 542. Mitteis, Z. Sav. St. rom. Abt. 1912, 159. — Eine lex munici-
palis enthält auch die der augusteischen Zeit angehörige lamina Tudertina
und die lamina Florentina; s. CIL. 1, p. 263. Bruns7 157 f.
7. Lex coloniae Genetivae Iuliae s. Ursonensis vom J. 44, aber in ihrer
Fassung wohl erst aus dem Ende des ersten christl. Jahrh., J. 1871 ff. bei
Osuna in sehr beträchtlichen Bruchstücken gefunden: deBerlanga, Malaga
534 Ciceronische Zeit: J. 63—43 v. Chr.
1873. 76. EHübner u. Mommsen, ephem. epigr. 2, 105. 221. 3, 89; Sehr. 1, 194.
CIL. 2 Suppl. 5439. Dessau 6087. Bruns7 122 Fabricius, Herrn. 35, 205.
8. Erwähnung der rogatio Hirtia (vom J. 46?) auf der Erztafel CIL. 1,
627 f. p. 184.
9. Von den datierten Inschriften aus den J. 84—44 (CIL. 1, 573—626)
sind besonders erwähnenswert die aus der sullanischen oder etwas früheren
Zeit (Nr. 584 — 586 und 587 — 589 vom populus Laodicensis af Lyco, popu-
lus Ephesius und Avaicov xb holvov), das doppelsprachige SC. für drei
griechische Nauarchen vom J. 78 CIL. 1, 203. Viereck (§ 129, 1) 31, wie
der Grenzstein des M. Terentius Varro Lucullus (PRE. 4, 1074, 9) Nr. 583
DIE. 270; die campanische Weihinschrift (Nr. 573 DIE. 304 b Dess. 6303)
worauf in seri-om Iunonis Gaurae contulerunt (J. 71), und die aus Furfo
(Nr. 603. Bruns7 203. Dessau 4906. DIE. 310 vom J. 58), letztere wegen ihres
bäurischen Lateins; HJordan, Herrn. 7, 201; Beitr. z. Gesch. d. lat. Spr. 250.
10. Bleierne Schleudergeschosse (glandes) mit Inschriften u. a. aus der
Belagerung von Henna (J. 133), Asculum (J. 90 f.), Perusia (J. 41 f.), letztere
teilweise mit derben Soldatenwitzen, wie peto Octaviani culum; L. Antoni
calve, Fulvia, culum pandite; Fulviae landicam peto; L Antoni calve,
peristi C. Caesarus victoria; esureis et me celas. CIL. 1, 644 fll. ThBergk,
Inschriften röm. Schleudergeschosse, Lpz. 1876. Desjardins, les balles de
fronde de la republique, Par. 1874—75. Kritische Gesamtausgabe: Zange-
meister, glandes plumbeae latine inscriptae, ephem. epigr. Bd. 6 (1885).
Liebenam, PW. 7, 1377.
11. Sogenannte tesserae gladiatoriae, bis jetzt ungefähr hundert da-
tierte aus den Jahren 96 v. Chr. bis 88 n. Chr.; dazu noch einige ältere bis
gegen J. 114 zurückgehend. Den Beginn ihres Aufkommens brachte man
zusammen mit der staatlichen Anerkennung der Gladiatur unter dem Con-
sulat des P. Rutilius J. 105 (Bücheler, RhM. 38, 476. Mommsen, Herrn. 21,
273). Noch nicht erklärt ist die merkwürdige jetzt gesicherte Aufschrift
spectavit; neuerdings sieht man darin Bescheinigungen über erfolgte Inku-
bation. Verzeichnisse: CIL. 1, 717—774. 776b; in der Abhandl. Ritschls
darüber op. 4, 572. Nachträge: eph. epigr. 3, 161. 203; bull. arch. 1879,
252. 1880, 141. 1882, 8. 1884, 11; 1889, 173 vgl. Dess. 5161. Vgl. noch Fried-
länder, SGesch. 2, 531 und bes. Mommsen, Herrn. 21, 260. AElter, RhM.
41, 517; PIMeier, RhM. 42, 122. Rostowzew, Klio Beih. 3, 2.
12. Ziegel mit Jahresangabe aus Municipien (Veleia) von den Jahren
76—11 im CIL. 1, p. 202 = Dess. 8646.
13. Verwünschungen (devotiones) aus republikanischer Zeit im CIL. 1,
818—820. DIE. 386 fll; vgl. Wuensch, CIA. app. (1897) p. xxv; Sethian.
Verfluchungstafeln, Lpz. 1898. Audollent, Defixionum tabellae, Paris 1904.
Dessau 8746 ff.
14. Grabschrift des L. Manneius Q. (libertua) medicus, cpv6iv.bg olvo-
86xt}s nach der Methode des Asklepiades aus Prusa (PW. 2, 1632), also wohl
aus der Zeit des Pompeius, CIL. 1, 1256. 10, 338. Dess. 7791.
15. Scherzhafte (?) Wandinschrift aus Pompeii: Urna aenia pereit de
taberna. sei quis eam rettulerit dabuntur etc. im CIL. 1, 1254. 4, 64. Eine
andere ebendaher mit dem genauen Datum: C. Pumidius Dipilus heic fuit
a. d. V. nonas octobreis M. Lepid. Q. Catul. cos. (J. 78), ebd. 1, 590. 4, 1842.
REGISTER
Abuccius, L. 192, 1
Accius, L. 134. 93,12
Acilius , C. , Historiker
127, 2
Acilius, L., Jurist 125, 4
Acta diurna 216, 2
Acta senatus 216, 1
Actorius Naso 210, 10
Aculeo, C. 154,6
Aelius Gallus, C. 208,4
Aelius Paetus, P. 125, 1
Aelius Paetus, S. 125,2
Aelius Stilo, L. 148
Aelius Tubero, L. 172,8
Aelius Tubero, Q., Cos.
118. 139,2; vgl. Cuntz
Stromateis(Grazl909)49
Aelius Tubero, Q., Caesa-
rianer 208, 1
Aemilius Lepiclus Porcina
131,5
Aemilius Paulus, L. 123, 8
Aemilius Probus 198, 7
Aemilius Scaurus,M., Cos.
115. 136, 10
Aemilius Severianus mi-
mographus 8, 1
Aesopus, Schauspieler 13, 4
Afranius, L. 145
Ainesidemos 172, 8
Aischines 182, 7
Akrosticha 26, 3
Akteinteilung 16, 7
Akzent, Rücksicht auf 93
Albucius, T. 141, 3. 143, 4
Alexander Lychnos 212, 2
Alexander Polyhistor 164
a, 1
Alfenus Varus 208,3
Alfius 137,9
Alliteration 61, 1. 93, 3
Alphabet 60 a. 90,2. 93,7
Amafinius 173, 1
Ambivius Turpio 16, 13 f.
Ampius Baibus 210, 10
avayvcüQi6^,6g 16, 1
annales maximi 76, 2 f.
annales pontificum 76
Annalisten 37
Annius Cimber 209, 12
Annius Luscus 136, 6
Anonymus de rebus bel-
licis 56, 3
Antiochos v. Askalon 153,
4. 157,5. 161,1. 164a, 2.
182,2,2; 5,1; 6. 1. 183,
2. 184,2,3; 6,2; 7, 1 U.
2; 13,1
Antiquare 42. 1
Antonius, M. , Cos. 99.
152. 1 f.
Antonius, M., Tuiumvir
209,3
Antonius Gnipho 159, 5
Apellikon, S. 313
Apollodor, Chronograph
172.2 198,4
Apollodor v.Karystos 110,
4. 5
Apollodor v. Pergamon
44, 10
Apollonios Molon 177a, 4.
178,1
Apollonios von Rhodos
212, 2
Aprissius 151, 6
Aquilius, Palliatendichter
107,3
Aquilius Gallus 154, 3.
174, 1
Aratos 177 a, 1. 212,2
Archaismen 206, 8
Archelaus 148, 3
Archestratos 103, 4
archimimus 8, 7
Architekten 57
Ariston 184, 11
Aristoteles 182,2, 1; 4,2.
183, 3. 184, 5, 1
Arvallied 65
Asianismus 44, 11. 178, 1.
179, 42, 2
Aspiraten 93, 15
Astrologie 52, 4 f.
Ateius, C, Jurist 174, 5
Ateius Philologus 211, 1
Atellana 9. 10. 18,2
Atilius , Palliatendichter
107,2
Attius 134,12; . s. auch
Accius
Attizismus 44,11. 182,3,
2 ff. 194,2. 210,2
Aufidius, Cn. 155, 4
Aufidius Tucca und Na-
| rausa 1 74, 5
j Aufustius 199, 8
j Augenärzte 55, 2
augurum libri 77, 1
j Aurelius Cotta, C.,Cos. 75.
153,4
Aurelius Opilius 159,4
Aurunculeius Cotta, L.
197,9
Autobiographie 37, 7
Baibus s. Ampius, Caeci-
lius, Cornelius, Domitius,
Lucilius
Bassus, Gavius 211, 6
Bathyllos, Pantomime 8,
13
Bellum Africanum 197, 7
Bellum Alexandrinum
197,6
Bellum Hispaniense 197,8
Betutius, T. 153, 8
Blossius, C. 139, 1
Brief, poetischer 25. 46
Bruti epitome Fanniana
136, 9
Brutus s. Iunius
Bucco 9, 3
Buchhandel 2, 2
Bucolica 29
Caecilius, St. 106
Caecilius aus Comum
213,4
Caecilius Baibus 212, 6
536
Register
Caecilius Metellus Celer
171,10
Caecilius Metellus Nepos
171,10
Caecilius Metellus, Q.,
Cos. 206. 123,2
Caecilius Metellus Mace-
donicus, Q., 131, 7
Caecilius Metellus Numi-
dicus 141, 2
Caecina, A. 199, 5
CaeliusRufus 179,34. 209,
5—7
Caesar s. Iulius
Caesius 199, 6
Caesius, T. 174,5
Calidius, M. 202, 1
Calliopius 109, 2
Calpumius Piso, C, 157, 6
Calpurnius Piso, L., Cos.
133 132,4
Calpurnius Piso Caesoni-
nus, L., 179, 37
Calpurnius Piso, M. 161, 1
Carnillus, C. 174, 6
Canius, C. 136, 10
Cannutius, P. 153, 5
canticum 13,3. 16,5. 98,5.
111, 7
Carmen 61, 1
Carvilius, Sp. 128
Casca 197,9
Cascellius, A. 207,4
Cassius,C, praet.44 210,6
Cassius Etruscus 210, 8
Cassius Hemina 132, 1
Cassius Parmensis 210, 7
Catius, T. 173, 3
Cato s. Porcius, Valerius
Catullus 142, 4 E. vgl. Va-
lerius
Catulus s. Lutatius
censoriae tabulae 78, 2
centones 26, 2
Charmadas 182,2,2
Chorlieder der Tragödie
13,5 der Komödie 16,3
Chronographie 38, 2
Cicero s. Tullius
Cincius Alimentus 117
Cinna, Jurist 174, 5 s. auch
Cornelius, Helvius
Ciris 212a,<#2. 213,3.7
Claudius, Übersetzer des
Acilius 127,2
Claudius, Ap., Redner
136,2
Claudius Caecus, Ap., 90
Claudius Marcellus, M.
202,4
Claudius Pulcher, Ap., Cos.
54 199, 1 s.auchClodius
Claudius Quadrigarius
155,1
Clodia 179, 34. 214, 3
Clodius, Ser. 159, 9
Clodius, S. 211,5
Clodius Pulcher, P. 202, 5
Coelius Antipater 137,
5—8
Commedia dell1 arte 8, 12
commentarii regum 72
Cornelia, Mutter der Grac-
chen 123,6
Cornelius', Grammatiker
95,8
Cornelius Baibus, L., d.
Ae. 197,4
Cornelius ßalbus, L , Cos.
32 209,4
Cornelius Cethegus, M.,
Cos. 204 123,3
Cornelius Epicadus 159, 8
Cornelius Gallus 32, 1
Cornelii Lentuli 171, 9
Cornelius Maximus, Q.
154, 7
Cornelius Nepos 198
Cornelius Scipio Africa-
nus maior 123, 5
Cornelius Scipio, P., Afri-
cani filius 127, 3
Cornelius Scipio Africanus
minor 131, 1
Cornelius Scipio Nasica
Cos. 162 127,4
Cornelius Scipio Nasica,
P., Jurist 125,3
Cornelius Scipio Nasica
Serapio 136, 7
Cornelius Sisenna 156,
1—3
Cornelius Sulla 157, 1—3
Cornelius Valerianus 53,1
Cornificius 162, 5
Cornificius, Q. 209,2
Coruncanius, Ti. 89
Cosconius, Q. 159, 7
Cotta s. Aurelius, Aurun-
culeius
Crassus s. Licinius, Nin-
nius
Curiatius 211, 6
Curtius Iustus 54, 6
Curtiua Nicia 200,4
Cyprianus als Epiker 21, 2
Cyriilglossen 42, 7
Decius, P. , praet. 115
136,5
Deklamationen 45, 5 f.
Demophilos 97, 2
Demosthenes 182, 7
devotiones 218, 13
Diatribe 50, 3
Didius 205, 6
Didymos 184, 1, 3
digesta 49, 8
Dikaiarchos 184, 1, 3; 8, 1
Diphilos 15, 2. 97, 7. 17.
21. 110,6
Dirae 200, 2
diverbium 13, 3. 16, 5
dominus gregis 12, 2
Domitius ßalbus 178, 4
Dossennus 9, 3
Drama 3. 6,2. 12
Duenosinschrift 83, 6
Duiliusinschrift 83, 9
echoici versus 26, 4
eclogae 29, 1
Egnatius 192, 1
Elegie 32
elogia 81, 2 f.
embolium 8, 13
Empylos 210,4
Ennius,Q. 100-104. S.159.
161
Ennius der Grammatiker
159, 13
ephemerides 39, 3
Epicharmos 103, 5
Epidii, C. M. 211,4
Epigramm 31
Epikur 203,4
Epithalamium 22
Epos 19—21
Eratosthenes 170, 7
Erucius 171, 12
Etruscorum libri 77, 5
Euemeros 103, 6
Euphorion 212a, 1. 214,6
S. 319
exempla 36, 4
exodium 6, 3. 7, 4. 10, 1
Fabel 27
Fabius Dossennus 9, 3
Fabius Labeo, Q. 125, 5
Fabius Maximus Ailobro-
gicus 131, 2
Fabius Maximus Cuncta-
tor, Q. 123, 1
Fabius Maximus Servilia-
nus 116,6. 132,3
Fabius Pictor, Num. (?)
116,6
Fabius Pictor, Q. 116
Register
537
Fabius Pictor, Ser. 125, 5
133,3
fabula palliata 15 f.
fabula praetexta 14
fabula tabernaria 17
fabula togata 17
fabula trabeata 17, 1
Fadius Gallus 215,2
Fannius, C. 136,9
fasti 74 f.
Favonius, M. 202,6
Feldmesser 58
Fescenninen 4. 5
Flavius, Cn. 88
Flavius Fimbria, C. 140, 5
Flavius Licerius Firminus
196,2
Flavius Priscus 174, 5
Flavius Procilius 172, 3
Fonteius 170,8
Fronto, Astrologe 52, 4
Fulvius Flaccus, M. 136, 3
Fulvius Nobilior,M. 126,1
Fulvius Nobilior, Q. 126,2
Furius, A., Dichter 149, 1
Furius Bibaculus 192, 4
Furius Philocalus 74, 8
Furius Philus 131, 6
Furmi 209,9
Gannius 19, 1
Gellius , Cn. , Annalist
137,1
Gellius, L., Redner 153, 7
Gellius, P., Jurist 174, 5
Gellius, S., angeblicher
137,2
Geminus 212, 7
Geographie 60
Geschichtschreibung 36
—39
Glossare 42, 5 — 9
Grabgedichte 31, 2. 32, 6
Gracchus s. Sempronius
Graezismen 206, 7
Grammatiker 41
Granius praeco 143, 3
Granius Flaccus 199, 7
Griechen, Verhältnis zu
2,1
Griechischer Einfluß 91 f.
Hatilius, L. 16, 14
Heilkunde 55
Hekaton 184, 16, 2
Helvius Cinna 213, 2 f.
Hendekasyllaben 33, 2.
34,2
Herennius , Rhetorik an
162
Herennius Baibus, L. 202, 4
Hermagoras 162,3. 177 a,
4. S. 315
Hexameter, daktylischer
19,2
Hirtius, A. 197
historia 37, 3
Historia miscella 39, 5
Hochzeitslieder 5, 3. 4
Hortensia 209, 14
Hortensius Hortalus, Q.
171,1—4. 179,3
Hostius, Epiker 146, 1
Hugutio 42, 9
Hymnen 21, 3. 30, 2
Hypsicrates 159, 12
Iacchus 132, 7
lambenkürzung 93 S. 318
Iambus 33
Idyll 29, 1
Inschriften 40. 83. 129.
163. 218
Invectivae Sallustii et Ci-
ceronis 205, 6
Iohannes de Ianua 42, 9
iouxmenta-Inschrift 83, 4
Isagogische Schriften 2, 3
Isidori glossae 42, 6
Isokrates 182, 2, 1
Iulius Caesar, C. 194—197
lulius Caesar, L. 199, 3
Iulius Caesar Strabo 153,3
lulius Calidus 212, 8
Iulius Celsus Constantinus
196,2
Iunius Brutus, D. 210, 5
Iunius Brutus, M., Jurist
133,2
Iunius Brutus, M., praet.
44 188,4. 210, 1—4
Iunius Congus 138, 3
Iunius Gracchanus 138, 2
Iuventius, Palliatendich-
ter 114, 1
Iuventius, C, Jurist 154, 3
Kallimachos 212 a, 1. 213,
7. 214,6
Karagöz 8, 12
Karneades 141, 2. 143, 3
Kleitomachos 143, 3. 184,
10, 1; 12,1
Komödie 12, 1. 15 ff.
Kontamination 16,1. 9. 97,
14. 98,2. 106,3. 107,5.
111,3
Krantor 184, 4
Krates v. Mallos 138,4
Kriegsschriftsteller 56
kritische Zeichen 41, 2
Labeo s. Fabius, Pacuvius
Laberius, D. 192, 3
Laelius, C. 131,3
Laelius Archelaus 148, 3
Laevius 150, 4 f.
Landwirtschaft 54
latini rhetores 44, 9. 159,
2. 162, 2 f.
laudationes funebres43,3.
44,2. 81,4—7
Laurentii epithalamium
22,2
leges regiae 70
legis actiones 87
Lehrgedicht 23. 32, 7
Lepidus s. Aemilius
Leucadia 212, 2
lex Acilia 163,2
lex agraria 163, 5
lex Antonia 218, 4
lex coloniae Genetivae
218, 7
lex Cornelia 218, 2
lex XII tab. 86. 148, 2
lex lulia municipalis 218, 6
lex Rubria 218, 5
lex Tappula 140, 1
Liber glossarum 42, 8
Libo, Annalist 172, 6
libri lintei 79
Licinius Calvus 213,5 — 7
Licinius Crassus, L., Cos.
95 152,3—5
Licinius Crassus, P., Cos.
205 123,4
Licinius Crassus, P., Cos.
131 133,5
Licinius Crassus Dives
171,5
Licinius Imbrex 107, 4
Licinius Lucullus, L., Cos.
74 157, 4 f.
Licinius Lucullus, M., Cos.
73 171,6
Licinius Macer 156, 4 — 6
Licinius Stolo 160, 3
Licinius Tegula 114, 3
Livius Andronicus 94
LiviusDrusus, M., Cos. 112
136,11
Livius Drusus, C. 139, 4
Loblieder 82, 3 f.
Lollius 215,3
Lucceius, L. 172, 5
Lucilius, C. 143. 93, 13
Lucilius Baibus, L. 154, 3
Lucretius, T. 203
538
Register
Lucretius Vespillo, Q.
154,4
Lucullus s. Licinius
ludi 91,21. 92,5
ludus talarius 9, 6
Luscius Lanuvinus 107, 5
Lutatius Catulus, Q. 142,4
Lutatius Daphnis 142,4
Lydia 200, 2
Lyrik 30. 34
Maecius Plautus 96—99
Maccus 9, 3
Maecius, Grammatiker
147,3
Maecius, Sp., Kunstrich-
ter 204, 2
Märchen 47, 4
Mago 54, 1. 168, 2
Mamilius Sura 160, 4 vgl.
158, 1
Mamurra 209,13
Manilius , Paradoxograph
(?) 158, 1 vgl. 160,4
M.' Manilius 133, 1
Manlius, L. 158, 1
Marcius vates 66, 1 f.
Marcius Figulus 133, 6
Marcius Philippus, L.
153,2
Marius, C. S. 156
Masken 16, 13
Mathematik 52, 1—3
Matius, C. 208, 5
Matius, Cn. 150, 2
Memmius, C. 202,2
Memorialverse 23, 2
Menander 15, 2. 97, 3. 4.
8. 15. 18. 107,5. 110, 1.
2. 3. 6
Menelaos aus Marathus
135,4
Menippea 28, 3. 165, 3
Messala s. Valerius
Metellus s. Caecilius
Metellus Scipio 215, 2
Metriker 42, 2
Metrik 93
Milesia fabula 47, 1
mimae 8, 8
Mimus 7. 8
Minucius Prothymus 16,
13
Modestus, Fälschung 56, 3
motoriae fabulae 16, 2
Mucius Scaevola, P., Cos.
133 133,4
Mucius Scaevola, Q., augur
139, 3
Mucius Scaevola,Q. , ponti-
fex 154
Mumrnii, L. Sp. 131,8
Munatius Plancus 209, 8
Munatius Rufus 215, 2
Mythographi 42, 10
naenia 82
Naevius, Cn. 95
Naturwissenschaft 53
Nelei Carmen 94, 9
Neoteriker 212 a. S. 317.
319; jüngere 34
Nicostratus 159, 11
Nigidius Figulus 170
Nikias, Grammatiker 200,
4 vgl. Curtius
Ninnius Crassus 150, 3
Novelle 47
Novius 151,1—3
Numae libri 72,1 f.
occentatio 3, 3
Octavius Hersennius 159,
11
Octavius Lampadio 138, 4
Ofiliu*, A. 207,2
Oppius, Landwirt 54, 5
Oppius, Caesarianer 197,3
Orbilius 200, 3
Orbius, P. 174, 6
Orthographen 42, 3
Osberni Panormia 42, 9
Osci ludi 9, 2
Pacuvius, M. 105
Pacuvius Labeo 207, 6
Panaitios 131,1. 139, 2f.
143, 3. 154,1. 184,1,3;
2,3; 12,1; 16,2
Pantomimus 8
Papirianum ius 71
Papirius, L. aus Fregellae
123,7
Papirius, Sex., Jurist 1 54, 3
Papirius Carbo, C, Cos.
120 136,4
Pappus 9, 3
Papstbriefe 46, 12
7tuQccy.axu%oyri 16, 5
Parthenios 213, 3
Paulus, Grammatiker 137,
6E. 145,3
Peitholeon 158, 3
Pergamener 41, 1
Philemon 15, 2. 10. 19
Philocalus 74,8
Philodemos von Gadara
184, 10, 1
Philologie 41
Philon von Larissa 182,
2,2. 183,2. 184,7,2
Philosophie 50 f.
Philoxenusglossen 42, 7
Piso s. Calpurnius, Pupius
planipes 7, 3. 8, 10
Piaton 182, 2, 1. 183, 3.
184,1,2; 2,3; 9, 1; 9a
Plautius 96, 5
Plautus s. Maecius
Plotius Gallus 159, 2
Poetik, hellenistische 20, 1
Polemius Silvius 74, 9
Polybios 131, 1. 184, 1, 3.
5. 154
Pompeius Magnus 171, 8
Pompeius, S., Jurist 154, 5
Pompeius Lenaeus 211, 3
Pompeius Rufus, Q. 153, 8
Pompilius, Dichter 146, 2
Pompilius Andronicus
159,6
Pomponius , Centonen-
dichter 26, 2
Pomponius, L. 151, 4f
Pomponius Atticus 172
Pontifices, libri u. com-
mentarii 73
Popillius Laenas, P. 136,8
Porcia 215,3
Porcius Cato Censorius
118—122. 2, 1
Porcius Cato, M., Cos. 118
141,1
Porcius Cato d. J., M.,201.
215,2
Porcius Cato Licinianus,
M., 125,6
Porcius Licinus 146, 4
Poseidonios 164a, 2. 170,
6. 177 a, 4. 183,2. 184,
1,3;2,3; 5,1;8,2;9,1;
10,1; 12,1; 13,1; 16,2
203,4. 206,1.3
Postumius Albinus, A. ,
Annalist 127, 1
Postumius Albinus, Sp ,
Redner 131,9
praeficae 82, 2
pragmatici 45, 4
Precianus Ictus 174,6
Priami carmen 94, 9
privata monumenta 80
Procilius 172, 3
7CQ0yv^ivd6[iata 45, 5. 46, 7
Prolog 16, 10. 99, 2
Prosa, älteste 35
Prosarhythmus 136, 9.
181,2
7iQ0ü(07ta TtgotatL-nd. 16,11
Register
539
Publicius vates 66, 1
Publicius(?) 174,5
Publilius Pellio 10,14. 97,
9. 13
Publilius Syrus 212, 3—6.
8,6
Pupius Piso, M. 171,7
Purismus 176, 3. 179, 1.
195,9
Pylades, Pantomime 8, 13
Quinctius Atta, T. 144
Quintilius Yarus 213, 4
Quintipor Clodius 192, 2
Rabirius 173, 2
Rätsel 26,1
Rechtswissenschaft 48 f.
Reden in Geschichtswer-
ken 36, 5
Redner 43—45
Reim 11,3. 26,4
responsa 49, 6
Rhetoren 44, 9 f. 45, lff.
Rhetorica ad Herennium
162
Rhintonica 18
Römer, Eigenart 1
Roman 47, 2
Roscius, Q. 179, 3
Rutilius Rufus, P. 142,
1—3
Sabidius 64, 2
Sabinus Tiro 54, 4
Saliorum carmina 64. li-
bri 77, 2
Sallustius Crispus , C.
205 f.
Saliustii Empedoclea
192, 1
Salomonis glossae 42, 9
Santra 211, 2
Sappho 22, 1. 214, 6
Sasernae 160, 1
Satura 4. 6. 28
Saturnier 62. 93. 163, 7
Satyrdrama 9, 7
Saufeius 172, 7
Scaevola s. Mucius
Schauspieler 3, 4. Zahl
16,4
Schlachtenschilderungen
36,6
Scholia Bobiensia zu Ci-
cero 178, 4
Scipio s. Cornelius, Me-
tellus
Scipionengrabschriften
83,8
Scipionenkreis 131,1. 184,
Scribonius Curio praet.
121. 136,12
Scribonius Curio, C, Cos.
76 153,6
Scribonius Curio, C, trib.
pl. 50 209,1
Scribonius Libo tr. pl.
149 131,4
Statius Sebosus 211, 7
Seilenos 137, 6
Sempronius Asellio 142, 5
Sempronius Atratinus 209,
10
Sempronius Gracchus, C,
tr. pl. 123. 135
Sempronius Gracchus, Ti.,
Cos. 177 123, 6
Sempronius Gracchus, Ti.,
tr. pl. 133 135
Sempronius Sophus 89 •
Sempronius Tuditanus
138,1
Senar 20, 2
Septenar, trochaeischer
11,3. 84,2
serpentini versus 26, 4
Servilius Caepio, Q. 136,
10
Sestiu3, P., trib. pl. 57
202, 3. 214, 5
Sevius Nicanor 159, 3
Sisenna , Grammatiker
156, 3; s. auch Cornelius
Sornatius 132, 7
sortes Praenestinae 163, 8
Sotades 103, 3
Spruchgedicht 24
Staberius Eros 159, 10
statariae fabulae 16, 2
Stenographie 44,8. 104,5.
191,5
Suasoriae ad Caesarem
205,5
subscriptiones 41, 2
Sueius 150, 6
Suetonius 23, 3
Suffenus 214, 5
Sulla s. Cornelius
Sulpicius Apollinaris
109,3
Sulpicius Blitho 172, 7
Sulpicius Galba Cos. 144
131,4
Sulpicius Galba,C, quaest.
120 141,4
Sulpicius Galba, C, Großv.
d. Kaisers 208, 2
Sulpicius Gallus, C. 124
Sulpicius Rufus, P., trib.
pl. 88 153,5
Sulpicius Rufus , Jurist
174, 2—4
Synonymik 42, 4
tabula Bantina 163, 1
tabulae publicae 78
Tagetici libri 77, 5. 170, 8
Tanusius 212, 7
Tarquitius Priscus 158, 2
Tarutius, L. 199, 9
Terentius Varro, M. 164
—169
Terentius Afer, P., 108
—111
Terentius Varro, P., 212,
lf.
Tertius, Antiquar 199, 10
tesserae gladiatoriae 218,
11
testamentum porcelli 28,
3. 49,1
Theaterbauten 12, 2
Theophrast 182,4,2; 14,
1. 190,4
Thukydides 206,6
tibiae 16, 6
Ticidas 213, 1
Timaios 164 a, 1
Titinius 112
Titius, Antiquar 199, 10
Titius, C, Redner 141, 7
Torquati, Epigrammdich-
ter 31, 1
Trabea 107, 1
Tragödie 13
Trebatius Testa 207, 3
Trebius Niger 132, 5
Trebonius, C, cos. 45
210,9
Tremellius Scrofa 160, 2
(Tremelius Heraeus Arch.
Lex. 14,466 Lundström
Eran. 13, 210)
Tripertita 125, 2
Triumphallieder 84
Troja und Rom 91, 8
Tubero s. Aelius
Tullius Cicero, M., 175
— 189
Ps. Cicero in Sallustium
205,6
Tullius Cicero, Q. 190
Tullius Tiro, M. 191
Turpilius 113
Turranius Gracilis 132, 6
Tyrannion 166, 6 e. 172, 1
Tyrannus 132, 6
540
Register
Umbricius Melior 199, 6
urbanitas S. 319
Valerius, Palliatendichter
114,2
Valerius, L., Ictus 207, 5
Valerius, Q., aus Sora
147,1
Valerius Aedituus 146, 3
Valerius Antias 155,21*.
Valerius Cato 200. 212 a
Valerius Catullus 214
Valerius Messala, M., Cos.
53 199, 2
Valerius Valentinus 140, 1
Varus s. Alfenus, Quinc-
tilius
Varus , Freund Catulls
213,4
Vatronius, Palliatendich-
ter 114,2
Vecellius 170,8
Velleius, C, Epikureer
161, 1
Vennonius, Historiker
137,3
Veranius, Antiquar 199, 4
Verträge 68 f.
Vettius Philocomus 148, 3
Vicellius 170, 8
Virgilius , Grammatiker
95,8
Visellius Aculeo, C,
Rechtskenner 154, 6
Volcacius, Jurist 154, 4
Volcacius Sedigitus 147, 2
Volkspoesie 11
Volnius, Tragiker 159, 14
Voltacilius Pilutus 158, 3
Volumnius 192, 1
Volusius, Epiker 212,7
Volusius, Q., Redner 209,
11
Vulgärlatein 35, 2
Witz 3, 2
Xenophon 177 a, 2
Zauberformeln 11, 2, 61;
85
Zwölftafeln 86
Friedrich Lübkers
Reallexikon des klassischen Altertums
8. Aufl. in vollst. Neubearb. hrsg. von J. Geffcken und E. Ziebarth in Verb, mit B. A. Müller.
Unter Mitwirk. v.E. Ho ppe,W. Liebenam, E. Pernice, M. Wellmann u.a. Mit8 Plänen.
Geh.M.26.— , geb.M.28.— Ausg.m.Schreibpap.durchsch.in2Bdn. Geh.M.32.- geb.M.36-
Die Neubearbeitung des Lübkerschen Reallexikons will den häufig geäußerten Wünschen nach einem Buche
entsprechen, das in knapper Form, vor allem durch Hinweise auf die nötigen Quellen und Hilfsmittel, dem
Suchenden Belehrung über Einzelheiten aus der Literatur und dem ganzen Leben der Antike bringen soll. Es
soll in keiner Weise die große Pauly-Wissowasche Realenzyklopädie ersetzen oder gar verdrängen; beider Ziele
sind völlig andere: der Lübker gibt keine selbständigen Abhandlungen wie jene vorzüglichen, in der Wissen-
schaft stetig verwerteten Artikel der Realenzyklopädie, sondern gibt in einem im Charakter von Notizen gehaltenen
Stile den nötigen Apparat über die Tatsachen und die Forschung unter Verzicht auf alle subjektiven Urleile
über Personen und Sachen, weshalb auch seine Artikel ohne den Namen des Verfassers bleiben. Das so völlig
neugeschaffene Buch hofft sich als ein nützliches, die philologisch-historischen Studien in weiterem Umfange
förderndes Unternehmen zu erweisen. Es wird insbesondere ebenso dem Philologen an den höheren Schulen in
Verbindung mit den Fortschritten der Wissenschaft zu bleiben erleichtern, wie dem Forscher auf verwandten Gebieten,
dem neueren Historiker, dem Kunst- und Literaturhistoriker, dem Theologen wie Juristen ermöglichen, sich über
die grundlegenden und verwandten Erscheinungen auf dem Gebiete der antiken Kultur bequem zu unterrichten.
Einleitung in die Altertumswissenschaft
Herausgegeben von Alfred Gercke und Eduard Norden.
I. Band. 1. Methodik (A. Gercke). 2. Sprache (P. Kretschmer). 3. Griechische und römische Literatur (E. Bethe
P. Wendland und E. Norden). 4. Antike Metrik (E. Bickel). 2. Auflage. Geh. M. 13.—, geb. M. 15.-
II. Band. 1. Griechisches und römisches Privatleben (E. Pernice). 2. Griechische Kunst (Fr. Winter). 3. Grie-
chische und römische Religion (S. Wide). 4. Geschichte der Philosophie (A. Gercke). 5. Exakte Wissenschaften
und Medizin (J. L. Heiberg). 2. Auflage. Geh. M. 9. — , geb. M. 10.50.
III. Band. 1. Griechische Geschichte bis zur Schlacht bei Chaironeia (C. F. Lehmann-Haupt). 2. Griechische
Geschichte seit Alexander (K. J. Beloch). 3. Römische Geschichte bis zum Ende der Republik (K. J. Beloch).
4. Die römische ( Kaiserzeit (E. Kornemann). 5. Griechische Staatsaltertümer (B. Keil). 6. Römische Staats-
altertümer (K. J. Neumann). 2. Auflage. Geh. M. 10 — , geb. M. 12.—
Bei Bezug aller drei Bände ermäßigt sich der Preis auf M. 28.— (geh.) u. M. 32.— (geb.)
„Diese Einleitung in die Altertumswissenschaft ist eine ausgezeichnete Leistung, und die ganz überwiegende
Mehrzahl der Beiträge steht vollkommen auf der Höhe ihrer Aufgabe, indem sie nicht nur dem Anfänger eine
zuverlässige und gründliche Einführung in Methode und Wissensstand der einzelnen Disziplinen geben, sondern
an vielen Punkten auch ihrerseits die Forschung selbständig weiterführen und um wesentliche Ergebnisse be-
reichern, also die unlösbare Vereinigung von Forschung und Lehre, die das Rückgrat unseres akademischen
Lehrbetriebes bildet, vortrefflich zum Ausdruck bringen. Vor die Aufgabe gestellt zu entscheiden, welche Ab-
schnitte das höchste Maß von Anerkennung verdienen, kommt der Kritiker in eine gewisse Verlegenheit, weil
die Wahl zwischen vielem Guten schwer ist." (Georg Wissowa in den „Neuen Jahrbüchern4'.)
Die griechische u. lateinische Literatur u. Sprache
(Die Kultur der Gegenwart, hrsg. von Professor P. Hinneberg). 3. Aufl. Geh. M. 12. — ,
in Leinwand geb. M. 14.—, in Halbfranz geb. M. 16.—.
Inhalt: I. Die griechische Literatur und Sprache. Die griechische Literatur des Altertums: U. v. Wila-
mowitz-Moellendorff. — Die griech. Literatur des Mittelalters: K. Krumbacher. — Die griech. Sprache:
J. Wackernagel. — IL Die latein. Literatur und Sprache. Die röm. Literatur des Altertums: Fr. Leo. — Die
latein. Literatur im Übergang vom Altertum zum Mittelalter: E. Norden. — Die latein. Sprache: F. Skutsch.
Vergil: Aeneis Buch VI
Von Eduard Norden. 2. Aufl. Geheftet M. 12.—, gebunden M. 14.—.
Der Kommentar stellt sich die Aufgabe, die gerade in letzter Zeit wieder lebhaft betriebenen Vergilstudien
für den Zweck der Exegese zu verwerten und zu erweitern.
Die Neuauflage berücksichtigt das dem Verfasser zugänglich gewordene reiche Material an Zuschriften,
Dissertationen, Aufsätzen in Zeitschriften, Rezensionen usw. Die Beobachtungen zur lateinischen Dichtersprache
ließen sich an der Hand des Thesaurus bzw. des Thesaurusmaterials vielfach auf neue Grundlagen stellen.
Heinzes Vergilwerk konnte mit reichem Nutzen vom Kommentar selbst berücksichtigt werden. Insbesondere
aber ist das immer enger gewordene Verhältnis des Verfassers zu dem Dichter der Betrachtung zugute ge-
kommen, wie vielfach der freundschaftliche Rat von U. v. Wilamowitz. Nach der Anlage der Ausgabe bespricht
die Einleitung zusammenfassend Fragen der Komposition und Quellen und versucht, der vergilischen Nekyia
ihren Platz in der Entwicklung der hellenisch-altchristlich-mijtelalterlichen Jenseitsvorstellungen anzuweisen.
Dem Text mit knappem Apparat und beigegebener metrischer Übersetzung folgt der Kommentar, in dem neben
der fortlaufenden Quellenanalyse und sachlichen Exegese auch auf die grammatisch-technische Erklärung be-
sonderes Gewicht gelegt worden ist. Eine Schlußbetrachtung sucht der ästhetischen Bedeutung des Gedichts
auf historischer Grundlage gerecht zu werden.
Ennius und Vergilius
Kriegsbilder aus Roms großer Zeit von Eduard Norden. Geh. M. 6.—, geb. M. 7.60.
Zum ersten Male wird hier das Abhängigkeitsverhältnis Vergils von Ennius untersucht. Es verbinden sich, vom
Verfasser ungewollt, Wissenschaft und erlebte Gegenwart : die Discordia der Völker, Waffenfabrikation, Flotten-
bau, das Ringen der Großmächte zu Lande und zur See, die Gegensätze von Volksheeren und Söldnerheeren
sowie manches andere dieser Art sehen wir in gewaltigen Bildern der beiden Dichter vorüberziehen.
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f Fritz Baumgarten, Franz Poland, Richard Wagner
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„Eine wohlgelungene Leistung, die mit großer Gewissenhaftigkeit gemacht und von reiner Begeisterung
für die Sache getragen ist! Die Sorgfalt und die Kenntnis der Verfasser verdienen aufrichtige Anerkennung :
das Ergebnis ist ein Buch, das ein glückliches Muster populärer Behandlung eines manchmal recht spröden
Stoffes darstellt. Man möchte ihm recht weite Verbreitung in den Kreisen derjenigen wünschen, die sich
nicht bloß mit dem konventionellen Namen des »Gebildeten* zufriedengeben, sondern in Wahrheit zu dem
geschichtlichen Verständnis unserer heutigen geistigen und politischen Lage vorzudringen trachten. Den
Schülern der oberen Klassen unserer Gymnasien sowohl als auch den Studierenden unserer Hoch-
schulen, besonders den Anfängern wird das Werk Ausgangspunkt und eine solide Grundlage für
weitere quellenmäßige Studien sein." (Historische Vierteljahrsschrift.)
Die hellenistisch-römische Kultur, f ^„Ä5 £^'ÄK£&ft£
„In dem glänzend ausgestatteten Werke behandeln tüchtige Gelehrte einen kulturell vielleicht für die Gegen-
wart ganz besonders wichtigen Stoff. Der Geist lebendiger Anschauung spricht gleich aus den ersten Zeilen.
Die Verfasser verstehen es, die Dinge selbst im Bild sprechen zu lassen; die geschickte Auswahl und Verwer-
tung der technisch ausgezeichnet gelungenen Abbildungen ist nicht ihr kleinstes Verdienst." (Der Kunstwart.)
Die griechische Kunst an Kriegergräbern. £"£"»/ " w2.k ^£ m.^-
Dieser archäologische Kriegsvortrag versucht die bildende Kunst der Hellenen am Kriegsgrabe von den
mykenischen Stilen bis zum Alexandersarkophag, also ihr Werden aus primitiven Anfängen und besonders ihre
klassische Vollendung im 5. und 4. Jh. v. Chr. vorzuführen, in der Hoffnung, daß daraus die Kunst unserer Tage
brauchbare Anregungen und jeder empfängliche Betrachter Erhebung über die Not der Zeit zu schöpfen vermag.
Antllrf* TppTrnik' Sechs Vorträge von H. Diels. Mit 50 Abbildungen und 9 Tafeln. Geh. M. 3.60,
„ . . In meisterhafter AVeise und mit erstaunlicher Beherrschung auch abgelegener kulturgeschichtlicher
Gebiete aller Zeiten, zugleich in ausgeprägt praktischem Sinn, der darauf bedacht ist, die betreffenden Auf-
gaben experimentell zu prüfen und ihre Lösung lebendig vor Augen zu stellen, hat Diels es verstanden, ein
Stück großer Vergangenheit wieder zu erschließen." (J. Ilberg in den Neuen Jahrbüchern.)
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und Euripides. 3. Sokrates und Flato. 4. Polybios und Poseidonios. 5. Cicero. 4. Aufl. Geh. M. 2.20, geb. M. 2.80.
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2. Aufl. Geh. M. 2.20, geb. M. 2.80.
„. .Schwartz beherrscht den Stoff in ganz ungewöhnlicher Weise : das Reinstoffliche aber tritt allmäh-
lich ganz in den Hintergrund, dafür erglänzt jede einzelne der Erscheinungen um so klarer und mächtiger
im Lichte ihrer Zeit. Wir lernen jeden einzelnen der geistigen Heroen als ein mit innerer Notwendigkeit
aus seiner Epoche hervorgehendes Phänomen betrachten und einschätzen." (Das literarische Echo.)
Kaiser Constantin u. die christliche Kirche. ZSeELt^lTJüu.]^.
„...Niemand wird, wenn auch in Einzelheiten widersprochen wird, bestreiten wollen, daß das Buch als
Ganzes die bedeutendste Leistung auf diesem Gebiete ist. Der Verf. hat erreicht, was er in der Vorrede
als sein Ziel angibt: das geschichtliche Leben dieser Zeit als ein untrennbares Ganzes zu sehen, Politisches und
Kirchliches, Heidnisches und Christliches in gleicher Schärfe zu erfassen. Alles in allem ist zu sagen, daß das Buch
ein Kunstwerk ist: es ist ein weltgeschichtlich höchst bedeutender Abschnitt in mustergültig wissenschaftlicher
Methode untersucht und in vollendeter Darstellung behandelt worden." (Historische Vierteljahrsschrift.)
Römische Charakterköpfe in Briefen. SS^Y^oÄIÄ *&
„Bardt zeigt sich als feinsinniger und phantasievoller Historiker, der die Menschen der Vergangenheit
lebendig vor sich sieht und auf Grund dieser Intuition dem Leser vor Augen stellt, immer geistreich und
fesselnd, mit interessanten Ausblicken auf moderne Literatur und Geschichte. Das Buch ist auch sehr über-
sichtlich angelegt und vom Verlage geschmackvoll ausgestattet. So kann es jedem Freunde des Altertums
warm empfohlen werden." (W. Kroll in der Schlesischen Zeitung.)
■\7o-rrri1o <*r-\Jor»V»^ T^oVit-mL- Von Richard Heinze. 2. Auflage. Geheftet M. 12.— ,
V ergll& epibCne ± CUI1I11K. in Halbfranz gebunden M. 14.—.
„Heinzes Buch bedeutet wohl den tiefsten Einblick, der bisher in Vergils Dichterwerkstätte geschehen ist.
Noch nie ist mit so viel Liebe und durchdringendem Scharfsinn der ganze ungeheure Weg nachgegangen worden,
der von dem Chaos der bis auf Vergil vorhandenen Tradition der Äneas-Sage bis zur Vollendung jener zwölf
Bücher führte, die vom Augenblick ihres Erscheinens an klassisch sein sollten. Nicht die Widersprüche und
Lücken des Werkes bilden den Ausgangspunkt von Heinzes Betrachtungen : was Vergil erstrebt hat, was sein Stoff,
seine Vorbilder, seine Nation und seine Zeit forderten, das ist hier die Frage. . . ." (Beilage zur Allgem. Z{g.)
Die orientalischen Religionen im römischen Heidentum. vco;^an;>2
Autorisierte deutsche Ausgabe von Georg Gehrich. 2., verb. Aufl. Geh. M. 5. — , geb. M. 6. —
„...Das Werk bildet die Fundgrube für die religionsgeschichtlichen Forschungen der Gegenwart, so-
weit es sich um die Zusammenhänge des Urchristentums mit den damaligen Mysterienreligionen handelt.
Die formvollendete Darstellung des Stoffes und seine großzügige Behandlung sichern dem Werk eine füh-
rende Stellung." (Christliche Freiheit.)
T^iJf* Tv/T\7<2tf»ri*ar» Hf»Q lVfitVira Ein Beitrag zur Religionsgeschichte der römischen Kaiserzeit.
A^IC lVlVÖlCllCll UCÖ iVllU.ll ct. Von Franz Cumont. Autorisierte deutsche Übersetzung von
Georg Gehrich. Mit o Abb. im Text und auf 2 Tafeln, sowie 1 Karte. 2. Aufl. Geh. M. 5. — , geb. M. 5.60.
Cumonts umfassende Forschungen über den Kultus des iranischen Lichtgottes Mithra, welcher im Gewände
der antiken Mysterien seit dem Anfange unserer Zeitrechnung auch im Abendlande zahlreiche Anhänger ge-
wann und als mächtiger Nebenbuhler des Christentums mit diesem um die Weltherrschaft rang, gehören nach
dem Urteil maßgebender Fachgenossen zu dem Bedeutendsten, was in jüngster Zeit auf dem Gebiete der
Religionsgeschichte des Altertums geleistet worden ist. Das vorliegende Buch faßt die Ergebnisse dieser
Forschungen in knapper Darstellung zusammen.
Verlag von B. G. Teubner in Leipzig und Berlin
CO
ö in
<d o
;
THE INSTITUTE OF MED1AEVAL STUDIES
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TORONTO - 5, CANADA
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