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ZACHARIAS WERNER
ZACHARIAS WERNER
EIN BEITRAG ZUR DARSTELLUNG DES
PROBLEMS DER PERSÖNLICHKEIT
IN DER ROMANTIK
VON
PAUL HANKAMER
1 • 9 - 2 ■ 0
FRIEDRICH COHEN BONN
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Alle Rechte vorbehalten
Copyright 1920 by Friedrich Cohen Bonn
DEM ANDENKEN MEINES FREUNDES
KONRAD JESSE
GEFALLEN VOR SEINER KOMPAGNIE IM SIEGE.
BEI CHOLM-LUBLIN 1915
Inhaltsanzeige.
Vo rwor t.
Erster Teil: Seite
Das Künstlertum als Lebenszweck 7
Könii^sberg und Warschau
I. Kapitel: Der Werdende Q
II, ^ Lehr- und Wanderjahre in Welt und Dichtung ... 33
III. „ Die Aufnahme der Romantik ^ 62
IV. „ Die Romantik als Form in Leben und Dichtung . . 98
Zweiter Teil:
Die Forderung der Einheit von Kunst und Leben 133
Berlin, Weimar, Köln-Coppet, Paris, Weimar
V. Kapitel: Tätiges Leben 135
VI. „ Persönlichkeitsbildung als Aufgabe 163
VII. ,, Die Erkenntnis des Schicksals als Persönlichkeitstat . 199
Dritter Teil:
Die Versöhnung 229
Rom, Aschaffenburg, Wien
Vni. Kapitel: Die Konversion als Lösungsversuch 231
IX. „ Der Katholik 264
X. „ Werners Vollendung 299
Die Biographie ist der Schnittpunkt von Kunst und
Wissenschaft.
Wissenschaft insofern der Stoff (im weitesten Sinne)
gegeben ist und der Versuch gemacht werden soll ein
„richtiges" Bild des Helden zu gestalten, in dem das
ganze Material verarbeitet werden muss. Die Quellen
sind das Erste und gegeben. Sie entziehen sich dem
produzierenden Ich und bleiben das bis zu einem gewissen
Grade Objektiv-Feste. Es gilt das Individuum als Gesetz
zu erfassen, nach dem sich die Quellen-Einzelheiten zu
einem Kosmos bilden. Das Funktionelle der Psyche, das
in den Erlebnissen als Form stets Immanente soll bewusst
gemacht werden, sei das Erlebnis im Medium der Kunst
oder des Lebens, Nicht eigentlich ein Urerlebnis ist das,
sondern die Form in der jedes Erlebnis sich vollzieht.
Sie ist das im höchsten Sinne Individuelle, ist über-
historisch und verbindet trotz allem Leben und Kunst
zu einer Einheit, deren Spannung in sich im Erleben des
Menschen gerade Ausdruck der Einheit ist. Begriftlich
ist Kunstwerk und Lebenswerk zu trennen, tatsächlich
ist es eine Einheit, die in der Zeit höchsten Künstlertums,
in der Romantik in ihrer Antithese erfühlt und Pflicht-
aufgabe wurde.
Die Biographie ist Kunstwerk, insofern das Individuum
als Kosmos in seiner Einzigkeit, in seiner Jenseitigkeit
von jedem verallgemeinernden Begriff gesehen wird.
Die Gesetzmässigkeit des Menschen ist immanent und
damit überbegriffllich, kann nur dargestellt nicht logisch
formuliert werden. Das Sein ist hier nur im Werden zu
erfassen und jeder Prozess entzieht sich dem Begriff-
denken. Sie ist Kunstwerk, da sie nicht etwas in ein
Schema bringen kann, das dem Stoff übergeordnet, ihn
Hankamer, Zacharias Werner. 1
in einen begritflichen Zusammenhang stellt, sondern das
Ich an-und-für-sich sieht. Sehen soll wenigstens. Der
Biograph soll das Gesetz im Ich seines Helden bewusst
machen, nicht nur das Individuum unenträtselt im Gegen-
satz zum Biographen oder seiner Zeit sehen lassen. Die
Biographie hat die paradoxe Aufgabe der historischen
Kunst, das Vergangene in das Gegenwartleben, in das
Leben an sich zu stellen, Sie überwindet also das Nur-
Historische des Individuums und da es nicht im Begriff
geschieht ist es Kunst.
Simmeis Begriß" der Persönlichkeit als individuelles^
Gesetz fasst in der antithetischen Form den synthetischen-,
künstlerisch-wissenschaftlichen Charakter der Biographie
in sich als Forderung. Die Vorexistenz der Quellen bringt
aus der Geschichtswissenschaft methodische Folgerungen
und als Gesammtaufgabe ergibt sich das nacherlebende
Einfühlen bewusst zu machen. Das ist die Methode der
Biographie, durch die auch der isolierende Zwang, der
aus dem Persönlichkeitsbegriff zu folgen scheint, sich
lockert. Das individuelle Gesetz wird aktiv in der Rezep-
tion wie in der Produktion, Die Rezeption stellt den Zu-
sammenhang mit der Zeit her und ist sozial. Die Auf-
gabe des Biographen ist es, in Auswahl und Verarbeitung
der gebotenen geistigen Reize das l^ersönliche, in dem
Reiz-Komplex selbst die Atmosphäre zu geben, in dem.
das Individuum lebt.
Werner, die eigenartigste Nuance seiner Generation,
die als ganzes Individuum ist, kann nur im Zusammen-
hang mit ihr in seiner grotesken Einzigartigkeit gefasst
werden. Er ist durch und durch Kind dieser Epoche,
fühlt sich mit allen Fasern in ihr wachsend, weiss sich
Mikrokosmos im Makrokosmus. Dieses Erlebnis gerade
bei der Aufnahme der Romantik ist ein Ausgangspunkt
des Centralproblems seines Lebens. Was ist Persönlich-
keit? Die innere Spannung zwischen Kunst und Leben,
Wollen und Tat, Wissen und Handeln war übergross,
grösser aber die Sicherheit, die nur unbewusst sich
äussert, dass eine Einheit da sei. Er erlebte trotz aller
begriftlichen Gegensätze sich als Individuum, als Einheit
und Einzigkeit.
Daraus folgt bei ihm das Verschwimmen des begriff-
lich Getrennten. Alles ist nur Ausdruck seines Lebens-
gefühls, mag es Religion, Kunst oder Liebe heissen, mag
es ein ästhetischer oder ethischer Wert sein. Die Unmög-
lichkeit einer begrifflichen Sauberkeit der Analyse seines
Denkens war die Folge, wenigstens wenn das Wernersche
nicht zerstört werden sollte. Seine Begriffe sind nicht
Begriffe, sondern Formeln mit Erlebnisinhalt und zer-
rinnen, fasst sie der Logiker. Werner erkennt nur formal,
tatsächlich erlebt er und hat diese Gegensätze extrem
ausgebildet, weil sie ihm bewusst wurden.
Das Prinzip der Einkerbungen des Entfaltungsvor-
gangs (denn das ist sein Leben) wurde genommen aus
dem Centralerlebnis, der Persönlichkeitsfrage. Sie w^ollen
die einzelnen Variationen dieses Themas, in dem Leben
und Kunst eine Einheit für Werner ist, abheben ohne
den Charakter des organisch-innigen Zusammenhangs des
Lebenentfaltungsaktes zu zerstören; denn der Romantiker
erlebt ganz allgemein die immanente Notwendigkeit seines
Lebens, wie immer er auch das Schicksal fasst, erlebt es
als einen organischen Vorgang, wofür Schelling den
treffendsten Ausdruck fand. In dieser Darstellung soll
das Leben als eine absolute Totalität, nicht als ein logisch
Verknüpftes, nicht als System erscheinen. Die äussere
F'olge ist die cyklische Darstellung die immer wieder die
Einzelheit auf die Grundwurzel zurückführt, was den
Eindruck des Wiederholens macht, ohne es meiner An-
sicht nach zu sein. Nur dem logischen Denken ist ein
lineares, grades Weitergehen möglich. Es gibt Teile,
die summiert werden. Ich möchte ein Produkt geben.
Aus dem Darzustellenden heraus ist die Form der
Arbeit gewachsen. Es gibt für die Biographie keine ali-
gemeingültige Formvorschrift, ohne dass die Methode ver-
gewaltigend die feinste Nuance gefährdet. Wie jedes
Individuum eine ihm alleingehörige Gesetzmässigkeit re-
präsentiert, so muss eine jede Biographie versuchen, die
Form aus der Lebensform des Darzustellenden zu finden.
Auch in diesem Sinne ist die Biographie Kunstwerk, dass
wie aus einem Erlebnis heraus sich der Körper für die
Seele bildet, dass sie eine organische Form schaffen soll.
In Einzelheiten schmiegt sich die Form dieser Arbeit
dem Gehalt an, folgt den Verschiebungen der Aufmerk-
samkeitskonzentration bei Werner selbst. Die stärkere
Ausarbeitung des psychologisch-biographischen Elements
nach der Peripetie liegt darin begründet, dass Werner
dieser Seite damals sich aufmerkender zuwendet usw.
Die Einheit scheint mir trotz dieser Nachgiebigkeit gewahrt,
sie ist allerdings nicht eine äussere, sondern eine organische
und entspricht der starken Lockerung, die im Leben
Werners selbst herrscht. Der Centralpunkt dieses Lebens-
kreises und seine sozusagen punktuelle Einheit liegt in
der Persönlichkeit-Frage, die im Problem der Kunst- und
Leben-Einheit erscheint.
Mir scheint das ein (vielleicht das) Centralerlebnis
der Romantik zu sein. Von hier aus entwirren sich
psychologische Rätsel der Persönlichkeiten ebenso wie
logisch-begriffliche Widersprüche der „Systeme" ihrer
Denker, die geistige Organismen sein wollen und sind.
Der Schicksalbegriff der Romantik in seiner Fragestellung
wie in seiner verschiedenartigen Beantwortung folgt der
Akzentuierung dieser erlebten Antithese und für den
Schicksalbegriff des Romantikers Kleist bietet sich von
hier aus ein Weg zum Mittelpunkt, der in dem Begriff
„Wahrheit" theoretisch formuliert auftritt.
Die beiden eigentlichen Dramatiker dieser epischen
Generation stehen aus tiefster Persönlichkeitsnotwendig-
keit polar in der Kunstform und ihrem Gehalt sich gegen-
über. Kleist lässt den Freiheitswillen fallen, um die
Welt sich zu retten, Werner entmaterialisiert und vcricht
alles, um auf den Wegen Fichtes die Freiheit zu retten.
Beide erleben die „gebrechliche Einrichtung der Welt",
der eine gegen das Ich mehr, der andere letzten Endes
nur im Ich. Der eine kommt zur Unkraft-Erkenntnis,
wird Katholik um der Gnadenmittel der Kirche willen,
der andere will im Tod sich noch gegen die Welt
behaupten. Beide erleben das Künstlerschicksal, das
zwischen Ich und Welt den Abgrund schaut und beide
wissen doch eine Einheit als das Höchste. Der Unkraft-
Dichter fasst sie formal im Mysterium, das Calderon und
sehr verschwommen der jüngere Tieck bietet. Kleist
schafft die übertragische Lösung des Prinzen von Hom-
burg aus der Persönlichkeitstat der Personen, die das
Recht des Ich und das Recht der Welt zueinander in
ein Verhältnis setzen, das nur völliges Unverständnis als
These, nicht als Erlebtes erkennt. Werner ist die eine
Seite, Kleist die andere und aller Schmerz und aller
Glanz dieser Zeit liegt auf ihm. Auf Werner ruht ein
Abglanz; denn durch Kleists Tragik erst versteht man
den Mysterium-Willen des Ringenden.
Das Ewig-Menschliche wird in Werners Leben nicht
rein und gross zur Form. Das konnte nicht hoffnungs-
lose Aufgabe dieser Darstellung sein. Sein Künstlertum
und Menschtum ist momentgebunden. Ort und Zeit eben-
so verhaftet wie das Leben seiner Gestalten in dem
Schicksaldrama. Aber gerade durch sein Versagen ver-
mag er den Kampf dieser Generation nach dem Mythos
auch in der Erfassung des eigenen Lebens, in ihrer
Persönlichkeitsbildung zu zeigen.
Zu Dank bin ich verpflichtet meinem Lehrer Berthold
Litzmann, dem ich manche Frage des Einzelnen wie des
Ganzen vorlegte und der immer Gehör und anregende Ant-
wort gab. Während meiner Garnisonzeit in Emmerich ver-
pflichtete mich der Bibliothekar der Stadtbibliothek Herr
Ferdinand Goebel zu grossem Dank für die Vermittlung
des Büchermaterials. Ich widme dieses Buch dem mir
liebsten Freunde, der für sein Vaterland fiel als Einem
für alle, die für uns starben.
ERSTER TEIL
DAS KUNSTLERTUM ALS LEBENSZWECK
KÖNIGSBERG -WARSCHAU -BERLIN
I. Kapitel.
Der Werdende.
Friedrich Ludwig Zacharias wurde in der Nacht vom
18. zum 19. November 1768 in Königsberg, der Stadt
Hamanns und Kants geboren. Er war das einzige Kind
der Ehe Jakob Friedrich Werners mit Louise Henriette
Pietsch. Vater sowohl wie Mutter kamen aus ange-
sehener Familie und ohne materiell besonders gut zu
stehen, zählte das Wernersche Haus zur geistigen Elite
der Universitätstadt; war einer der Treffpunkte des gei-
stigen Königsberg.
Jakob Friedrich Werner war schon als Dreiund-
zwanzigjähriger ordentlicher Professor der Beredsamkeit
und Geschichte an der Universität seiner Vaterstadt und
zeitweilig ihr Rektor. Er war ein vielseitig gebildeter
Gelehrter dessen gesellschaftliche Fähigkeit gerühmt
wurde und der auch im geistigen Leben eine Rolle
spielte, die Beachtung der grösseren Öffentlichkeit fand.
Das historische Interesse des etwas pedantisch-intellektua-
listischen Gelehrten äusserte sich in seiner Sammlertätig-
keit, der er in seiner Stellung als Archivar der bekannten
Wallenrodschen Bibliothek genug tun konnte. Literarisch
stand er auf dem Boden der gottschedischen Schule und
war Vorsitzender der freien Gesellschaft, die 1743 ge-
gründet wurde und sich einige Jahre nach dem Tode
Jakob Werners mit der 1741 von Flottwell Gottscheds
Freund gegründeten „Deutschen Gesellschaft zur Hebung
der deutschen Sprache" vereinigte. Neben dieser viel
verzweigten Tätigkeit wirkte Jakob Friedrich Werner als
lö
Theaterzensor und erfüllte diese taktfordernde Arbeit mit
weitestem Entgegenkommen natürlich im Sinne der „freien
Gesellschaft".
Das geistige Leben Königsberg zu Beginn der zweiten
Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts stand wie fast über-
all in den Centren der Kultur des damaligen Deutch-
land unter dem Zeichen des Kampfes zwischen Pietismus
und Rationalismus. Das politisch-gesellschaftliche Leben
gipfelte hierin. Königsberg war der Schauplatz eines
besonders erbitterten Streites. Hier, wo sich preussische
Energie und Nüchternheit paarte mit slavischer Sinnlich-
keit und Emptindungsglut prallten die Gegensätze beson-
ders schroff aufeinander. Der Organisationsgabe und
emsigen Geschäftigkeit Flottvvells war es zu danken, dass
ein äusserer, entscheidender Sieg der rationalistischen
Partei den Kampf anscheinend beendigte. Vor allem ge-
sellschaftlich war ihre Überlegenheit deutlich. Der illustre
Kreis des gräflichen Hauses Kej'serling, in dem Kant
■wie später auch Fichte intim verkehrten, war ihr Haupt-
quartier und sorgte für eine praktische Auswertung der
geistigen Kampfresultate, die vor allem in der Besetzung
der Hochschullehrerstellen usw. bestand.
Ganz einseitig und ausgesprochen war der innere
Sieg dieser Geistesrichtung nicht und auch in den Kreisen
der Faktion selbst zeigten sich Mittelglieder, die diese
Zeit- und Rassetendenzen — was sich in Königsberg
eigenartig verband — in sich trugen. So Hippel und
Ludwig von Baczko, dessen Lebenstragödic Werner in
der Vorrede zum „Kreuz an der Ostsee" ehrfurchtsvoll
erwähnte. Mag der persönlich verletzte Dichter später
auch im Tone bitterer Verachtung von Königsberg und
seinen Krämern sprechen, sicherlich waren hier Männer,
die über die Schranken des engen Zeitwissens und -denkens
hinausgingen und später auch der absonderlichen Persön-
lichkeit Zacharias Werners gerecht zu werden sich mühten.
Im Mittelpunkt des anderen nicht so geschlossenen
Kreises stand der Magus des Nordens Hamann, dessen
11
bizarre Lebensform dem historischen Sehen als Teil der
geistigen Bewegung erkennbar wird, die sich im Pietis-
mus und in der Romantik äusserte. Als die Triebkraft
seines geistigen Seins erscheint ein Phantasie-Gefühls-
Schauen. In diese Richtung drängte er seine Anhänger
religiös wie ästhetisch und zeigte schon Ansätze zur
Verbindung dieser beiden seelischen Energien, wie sie in
der Romantik und vor allem von Werner proklamiert
wurde. Zacharias Werner stand in seiner Kindheit dieser
Gruppe innerlich nahe, wenn er auch gesellschaftlich wohl
nur durch Scheffner damit in Verbindung gestanden hat.
Als er bei seinem ersten Weimarer Aufenthalt Goethe
in eingehenden Gesprächen seine Theorien auseinander-
setzte und ihm eine Lebensbeichte ablegte, scheint er
diese Verhältnisse als sein Wesen bestimmend dargestellt
zu haben. Goethe verteidigte sich und seinen Schützling
Jakobi gegenüber mit der Erklärung: ,,dass er dem mo-
dernen Christenwesen anhängt, ist seinem Geburtsort,
seinem Bildungskreise und seiner Zeit gemäss.'-
Der stark entwickeile Trieb des Kindes zum Reli-
giösen wurde in der Familie selbst sorgsam gepflegt.
Kann man den Vater des Dichters als Vertreter des ra-
tionalistischen Elements ansprechen, so war die Mutter
trotz grosser intellektueller Anlagen eine ausgesprochene
Gefühlsnatur. Bei ihrem Tode schrieb Zacharias Werner
einem Freunde : „Der Tod dieser beispiellosen Dulderin,
dieses Weibes von dem hellsten, nur durch eine zu
glühende Fantansie unterjochten Verstände war zwar eine
Wohltat für sie, sollte mich zwar in dieser Hinsicht nicht
schmerzen; aber sie hat mich mehr als vielleicht je eine
Mutter ihr Kind geliebt; daher die Trauer, deren ich noch
nicht Meister werden kann und will.'^ Das Bild der
seltenen Frau ist lange nur in Hoffmanns visionärer
Karrikatur gesehen worden, wenngleich er selbst die
grelle Farbenwirkung als absichtsvoll aufwies. Hippel
pflegte zu sagen, dass sie alles mit Adlerblick zu durch-
schauen vermöge. Sie besass die Genialität der gefühls-
12
massig denkenden Naturen und ein inspirationsartiges
Erfassen des Seins. Durch und durch nervös steigerte
sich ihre hysterische Hyperästhesie später zu einem schwe-
ren Nervenleiden, das ihre Hemmungslosigkeit zur Qual
der Umgebung machte. In ihrer Jugend war Louise
Henriette Werner eine geistige Potenz, die nicht über-
sehen werden konnte auch literarisch produzierend tätig,
Ihr Oheim Johann Valentin Pietsch war als Dichter
religiöser Lieder bekannt und die Mutter sprach im
„Psalmenton" von Gott und seiner Heiligkeit. Wir be-
sitzen von Werner selbst eine natürhch aus künstle-
rischen Zwecken schattierte Zeichnung ihrer Wesenheit
und ihres Verhältnisses zu ihrem Sohne, die Hoffmann
wahrscheinlich bei seiner Studie nutzte: Das modern an-
mutende Psychogramm der heiligen Kunigunde in dem
gleichlautenden Drama des Dichters. Die Mutterliebe
verschmilzt hier eigenartig mit religiösen Vorstellungen
und unklaren erotischen Motiven, die aber bei der Früh-
verwitweten nicht in der Stärke und Ausgesprochenheit
dem Sohne gegenüber zur Äusserung kamen und stets in
der Schicht des Unbewussten blieben.
Henriette Werner war erblich belastet. Auch ihr
Bruder, der Regimentsquartiermeister Pietsch zeigte eine
ähnliche übernervöse Steigerung des Religiösen und gab
seinem Hause die Atmosphäre, die Werner früh empfand
und auf sich wirken Hess. Sie machte ihn empfänglich
für die ihm unverständlichen, doppelgeheimnisvollen Kult-
handlungen des katholischen Gottesdienstes, den er in
der dem Hause gegenüber liegenden Kirche mit erwar-
tungsbanger, ehrfürchtiger Neugier beobachtete. Die
eigenartige Prachtentfaltung der Prozessionen und kirch-
lichen Umzüge wirkten auf di-e Phantasie des Knaben,
In das kindliche Spiel drängten sich diese Bilder und
Hessen ihn Kleidung und Gebahren des zelebrierenden
Priesters nachahmen. Der religiöse Zug seiner Seele
verband sich hier mit der Vorliebe des Künstlers für
auffallende pomphafte Umzüge, der er später so oft in
13
seinen Dramen genüge tat: Im Puppenspiel mit seiner
Cousine suchte er die religiösen Handlungen theatralisch
zu gestalten. Der Konvertit steigerte den charakteri-
sierenden Akkord, der im Kinderspiel und den Knaben-
träumen anklang zu seelischem Leitmotiv seines Lebens.
Eigentlich das Theatralische war es, was ihn am
katholischen Ritus fesselte und aus seiner Darlegung
dieser Zeit im Curriculum vitae geht das ungewollt her-
vor. Gerade diese Art des Kultus wird besonders unter-
strichen. Er empfand diese Form des Gottesdienstes als
eine Steigerung der Wirklichkeit, als eine Überwindung
und Erhöhung des Alltäglichen, die er selbst ersehnte.
Das Exaltierte seiner Frühreife drängte ihn zu einer Er-
höhung des Tatsächlichen, wie man es bei diesen Kindern
stets findet, ein Ausdruck naiv-künstlerischer Begabung.
Löst sich diese Überwirkhchkeitssehnsucht bei norma-
len Kindern in der Liebe zum Märchen, bei Werner
suchte sie in der religiösen Sphäre Nahrung, weil sein
Wesen mit starken religiösen Impulsen durchsetzt war,
die von der Mutter wohl gerade in der Form der Über-
wirklichkeitssehnsucht besonders gepflegt worden sind.
Die Schwäche dieses künstlerischen Charakters dem Tat-
sächlichen gegenüber wurde dadurch gefährlich unter-
stützt. In der halb gewollten Herbeiführung ekstatischer
Zustände lauerte die Gefahr der Bildung eines ver-
meintlichen Überlegenheitsgefühls den Hemmnissen der
Realität gegenüber, das zur Willenserschlaffung führen
musste.
In der Vorliebe des Knaben für eine Steigerung des
Wirklichen äusserte sich früh die Unfähigkeit mit dem
realen Leben fertig zu werden. Er suchte unbewusst
eine Welt, die seinen seelischen Kräften mehr entsprach
und in der er sich Herr fühlte. Das zarte, kränklich
kleine Kind, als das er sich in der „Kurzen Biographie"
schilderte, weckte den Mutterinstinkt der jungen Frau so
stark, dass sie ihn auch später vor allem Hindernden zu
bewahren suchte. Ihre Erziehung war von dieser Sorge
14
dauernd beherrscht. Fern vom Kinderleben blieb er, für
das der Künstler nie ein Wort fand.
Erfüllung der Sucht durch Überwirklichkeit fand er
auch in der Theaterkunst. Die Halbwirklichkeit der
Bühne mit ihren so anderen Lebensgesetzen war ihm
seelische Notwendigkeit. Der Trieb zum Leben in einer
reinphantastischen Welt, in der seine Erlebnisse auf
gleichhohem Niveau gehalten w-urden, ohne dass er mit
einem Zusammenbruch der fiktiven Leistung rechnen
musste, konnte hier mühelos gestillt werden. Die un-
schwere Einbeziehung dieses Fremden in sein Ich täuschte
ihm die Leistung einer lustbetonten Arbeit vor, stärkte
den Hang zu dieser Art des Erlebens. In dem Kreise
dieser Kräfte, die er anschauend meisterte, fühlte er sich
sicher, durchkostete die Nuance jedes Moments, indem er
sich ihm hingab und verwechselte in seiner Halbreife das
hingebende Spiel mit diesen Werten und ein wirklich
kämpfendes Auseinandersetzen mit den Mächten des
Lebens. Das theatralische Erlebnis Werners war das,
wodurch diese Zeit solange im Banne der Illusionstheorie
festgehalten wurde. Selbst als W^erner theoretisch diese
Auffassung überwunden hatte, ging er praktisch noch
von dieser Hypothese aus und glaubte die Bühne als
Predigtstuhl für seine religiöse Sendung nützen zu müssen.
Seine zweifellose Überschätzung der läuternden Wirkung
der Kunst, wuchs aus diesem Erleben der Rühnenkunst.
Er fühlte sich gestärkt und voll von wirren Plänen, Vor-
sätzen und Hoffnungen in der Fieberstimmung des künst-
lerischen Genusses, der ganz leicht erotisch getönt war.
So feierte er die Bethmann:
•Da sahn wir Dich, und sahn in Deinen Blicken
Cytherens Reiz und Melpomenes Spiel, —
Da sahn wir Dich — und bebten vor Entzücken,
Und flammten vor Gefühl.
Die Sucht nach einer Überwindung des Tatsächlichen
im Genuss einer ekstatischen Lebensform ist Charakteristi-
kum jedes künstlerisch veranlagten Menschen und fast
15
jedes Kindes. Dass sie in dieser Stärke und spezitisch
religiös auftrat, war ausser im Wesen Werners in seiner
Erziehung begründet.
Es scheint, dass der Dichter von seinem Vater —
dem 24 jährigen ordentlichen Professor — die frühreife
Intelligenz erbte, die sorgfältig gepflegt stets aufnahms-
fähig blieb. Dieses Zeitalter ist reich an Früh vollendeten
und die geistigkörperliche Frühreife scheint in einem
biologischen Zusammenhang zu stehen mit dem geistigen
Rythmus der Epoche. Der junge Werner erlebte eine
plötzliche und überschnelle Entwickelung seines Intellekts,
die naturnotwendig in diesem geistigen Milieu mit einer
Überschätzung dieser Kraft sich paarte.
Eine gleichartig fürsorgliche Pflege des Willenslebens
wurde ihm nicht zuteil und so bildete sich eine gewisse
unproduktive Direktionslosigkeit des Intellekts heraus,
der sich in den Hang zur Parodie äusserte. Sein kritisch
gerichteter Geist erfasste die Spannung, die zwischen
der unklar gefühlten „idealen Forderung" und der Wirk-
lichkeit lag und bei der Unfähigkeit einer positiven Lö-
sung drückte er seine Sehnsucht nach einer besseren
W'elt parodistisch aus. Diese Methode ist stets das Zeichen
einer mehr oder weniger grossen geistigen ünproduktivi-
tät verbunden mit einem scharfen Intellekt, zu denen sich
bei Werner noch oft eine neurasthenische Weinerlichkeit
gesellte, die nie das Pathos sittlichen Unwillens ganz
aufkommen liess. Die Überwirklichkeit gestaltend im
Bilde oder Gedanken zu geben, war ihm noch nicht mög-
lich und die negative Form der Forderung lehrt erken-
nen, dass in der ersten Zeit das Bewusste, Herrschende
im geistigen Leben Werners der Verstand war, der in
Folge einer disharmonischen Bildung des Charakters ver-
neinend erschien.
Das Kind der so wesensfremden Eltern war ebenso-
wenig wie diese Ehe eine Einheit. Werner war eine
Mischnatur, die zwischen zwei geistigen Epochen und
zwischen zwei Rassen stand und nicht zu dem von innen
16
heraus sich entfaltenden Wissen der Persönlichkeit als
geistigeinheitlichen Organismus kommen konnte. Seine
Entwickelung ist das Suchen nach einem Mittelpunkt,
den er in oder ausser und über sich ahnte und den er
schliesslich in der Lehre des Katholizismus fand. Die
Sonderheit seines Wesens ahnte er früh, fand aber zu-
nächst nirgends einen Weg ihr gerecht zu werden und
zerquälte sich an der logisch nicht fassbaren, zwiespälti-
gen Wesensform.
Die bildete sich gefährlich stark heraus, als nach dem
frühen Tode des kränklichen Vaters seine Mutter die Er-
ziehung übernahm, und der ungedämmte Strom unge-
klärter Gefühlswerte von ihr in die von Pubertätswehen
gequälte Seele des Knaben geleitet wurde. Jetzt wurde
die Doppelzentrigkeit seiner Seele zur Tatsache und zer-
riss die Möglichkeit harmonischer Einheit. Er wurde
zum Doppel-Ich. In dem einen stand als Mittelpunkt
sein geschärfter Intellekt skeptisch und ironisch, in dem
anderen das Gefühl, eine dumpfe furchtbare Glut, die im
rasenden Wirbel Vernunft und Denken dahinriss, wenn
er sich des Gottes voll wusste. Neben dem inbrünstigen,
gläubigen Mystiker stand beobachtend und zerlegend der
Logiker. Für jedes Erlebnis suchte der sofort die Formel.
Möglichst hart verknöchert und rationalistisch musste sie
sein und täuschte auch ihn leicht über den Erlebnischa-
rakter hinweg.
Seine gedankliche Produktivität ging aber zweifellos
vom Erlebnis aus. Nicht auf dem Wege des reinen
Denkens gelangte Werner zu einer weiterführenden Er-
kenntnis, sondern der Impuls des gefühlsartigen Erleb-
nisses einer seelischen Tatsache stiess ihn weiter. Der
Denkprozess war intuitiv, assoziativ, war künstlerisch.
Sofort aber fing sein kritischer Verstand das Ergebnis
analysierend und definierend ein. Der eigenartige stol-
pernde Rythmus seiner Prosa gab dieses innere stotternde
Drängen und Halten seines seelischen Lebens wieder.
Wir fühlen hier klar den Bewusstseinsvorgang durch.
17
Wie ein Aufschrei möchte sich das losringen, brach sich
an dem Hemmnis seines Intellekts und presste sich
tropfenweise durch das enge, eckige Röhrensystem eines
formalistisch geschulten Wissens. Hier sprach kein
Gottbegeisterter in der Ekstase von seinem Erleben, hier
zerlegte kein Denker kühl Gedachtes in seine Bestands-
teile — ein Erlebnis-Trunkener schien sich nüchtern stel-
len zu wollen und seine wirrende Vorstellungsfolge in
krampfhafter Anstrengung fest zu halten. Durch den ge-
fühlsbetonten, künstlerischen Charakter der geistigen Ar-
beit entstand der Wechsel überstarker Leistung und qual-
voller Leere. Während er in den Stunden des Schaffens
sich Gott gesandt fühlte, brach er in den Zeiten des Er-
schöpftseins unter seiner Nichtigkeit zusammen. Dann
stand er staunen^i vor dem ihm selbst Fremden, das seine
Kunst schuf. Er sah keine Einheit zwischen dem Künst-
ler und dem Menschen, und erlebte diesen Zwiespalt
selten stark.
Seine nervöse Überempfindsamkeit parte sich mit dem
starken sexuellen Drang des Phtisikers. Die Möglichkeit
des freien Verkehrs mit dem Schauspielpersonal weckte
früh seine Sinnlichkeit und der verhätschelte Junge fand
in sich nicht genug Halt, sein Triebleben zu kultivieren
und zu veredeln. Eine seelische CJnwahrhaftigkeit wurde
so in ihm grossgezogen, die nicht nur bis zur Notlüge
führte, sondern sein Fühlen und Schauen bis in die
Wurzel hinein vergiftete. Schon hier keimte die Ge-
fühlsverwirrung, die eigenartige Sucht Werners psycho-
logische Einheiten zu schaffen aus Einzelwerten, deren
Widerspruch er logisch und ethisch fühlte und doch
auch als Einheit sehen wollte. Wenn die Mutter zu ihm
als dem künftigen Apostel und Lehrer von Gott, seiner
Heiligkeit und allumfassenden Liebe sprach, wenn sie
mit Flammenfarben Sein Bild ihm malte, der berufen sei,
seine Generation zu Ihm zurückzuführen, erlebte er unter der
Suggestion ihrer Ekstase Gott fast sinnlich. Durch seine
überhitzte Einbildung huschten Erinnerungsbilder eroti-
Hankamer, Zacharia?« Werner. 2
18
scher Erlebnisse, die ähnliche Gefühlsimpulse wachge-
rufen hatten. In den Vorstellungen des Halbreifen ver-
schlangen sich im wirren Reigen Heilige und Theater-
mädel, einten sich Gottesliebe und Wollust zu dem Be-
griffkomplex, den er später verkündete. Gestaltete er
in diesen begeisterten Stunden sein Leben als hoch-
ragenden Dom, in dessen Schatten er die Menschheit
sammeln wollte zu neuem heiligen Leben, so durchtollte
er die Nächte mit käuflichen Weibern. Keine gesunde
Reaktion war das für ihn. Diese erotischen Abenteuer
waren Sünden, zu denen die Schwäche des Fleisches ihn
trieb. Er empfand den Fall mit schmerzlicher Reue und
wühlte sich in die Wollust selbstzerstörender Verneinung
seines doppelseitigen Wesens. Er war nicht ehrlich und
stark genug zu einer befreienden, reinenden, seelischen
Tat. Eichendorf schilderte ihn mit Recht so: „Ein un-
ausgesetztes Ringen mit wilder irdischer Leidenschaft
und Weltlust, der er frühzeitig verfallen, gleichsam ein
schwarzes und ein weisses Ross dicht nebeneinander-
gespannt, die ihn immer weiter nach dem Abgrund fort-
rissen, vor dem ihm graute." Werner verlor immer
mehr die Sicherheit des Ruhens in sich. Er fühlte, dass
ihm die Herrschaft über sein Leben entglitt, dass er nur
Zuschauer wurde eines Kampfes, der von Mächten in seiner
und um seine Seele gekämpft wurde, die stärker w^aren
als er. Und er rettete sich vor den Ansprüchen des
Lebens immer wieder in die Rauschzustände, die ihm
Sinnengenuss, Theater und religiöse Ekstase boten. Die-
ser Zwiespalt hätte sich nicht in solcher Stärke ent-
wickelt, wenn die Wissensbildung, die ihm zuteil wurde,
in einem tieferen Zusammenhang gestanden hätte zu dem
Wesen des jungen Menschen und der Erziehungsrichtung
seiner Mutter. Die allopathische Kur hätte einer seelisch-
gesunden Persönlichkeit vielleicht wohlgetan und sie ge-
stärkt, dem schwächlichen Knaben schadete sie.
Die jungen protestantischen Theologen brachten ihm
an der Hand von G. F'r. Seilers Theologia dogmatico-
19
polemica die Geheimnisse der Sprache Ciceros bei, viel-
leicht weil die Mutter die religiöse Anlage des Sohnes
so pflegen zu können glaubte, vielleicht weil die Lehrer
mit dem akademischen Handbuch besonders gut umzu-
gehen verstanden, und der Schüler sich gerne in die
■Gedankengänge des protestantischen Scholastikers verlief.
So lernte er, den religiösen Impuls seines Wesens rationa-
listisch zu zerlegen und zu formulieren, mochte jedoch
schon früh der Oberflächenlogik dieses systematisierenden
Lehrbuches skeptisch gegenüberstehen und sich zu einem
Aufklärungsglauben reif fühlen, den er in seinen Gesell-
schaftskreisen herrschend land, und der ihm mehr Spiel-
raum bot, seinem Leben eine weltliche Form zu geben,
als die verpflichtende Forderung der Mutter. Gegenüber
■dem Einfluss des gesammten geistigen Milieus kam diese
Kraft immer weniger durch und wurde eben nur als ein
Narkotikum empfunden, das für die Stunde der Er-
schütterung eine seelische Umwandlung vorzutäuschen
vermochte, aber keinen tiefergehenden Eindruck hinter-
liess, der in der Realität hätte wirken können. Zacharias
Werner war viel zu empfänglich dazu, sich dem herrschen-
den Tone aus sich heraus entgegensetzen zu können und
war im lebenslustigen Kreise der jeunesse doree ebenso
gern bereit ihrer Art sich zu fügen, wie dem Einfluss
der Mutter nachzugeben — auf Augenblicke wenigstens.
Er lernte Ausdruck und Inhalt der Aufklärungskultur
und bot in seiner völligen Standpunktlosigkeit allen Ein-
flüssen stets bereite Aufnahme, spielte mit dem Gedanken,
Schauspieler zu werden wie jeder phantasiereiche junge
Mensch und wurde zwei Jahre nach dem Tode seines
Vaters, im Jahre 1784, als kaum Sechzehnjähriger auf
der Universität Königsberg als Student der Rechtswissen-
schaften und Kameralien immatrikuliert.
Warum er gerade diese Wissenschaft wählte, ist
nicht ganz klar. Seine eigentliche Begabung lag wohl
auf dem Gebiete der Geschichte, wie sich aus seinem
künstlerischen Lebenswerk erkennen lässt. Daneben hatte
20
er grosse philosophische Interessen, die sich später stark
äusserten und der historischen Denkart den pragmatischen
Charakter gaben, der sie kennzeichnet. Eine besonders
liebevolle Beschäftigung mit der Rechtswissenschaft hat
in seinen Dramen keinen Niederschlag gefunden, wenn-
gleich einige verfassungsgeschichtliche Notizen verwandt
wurden und er später seine Gedanken auch auf das
Staatsrechtliche hinüberspielte. Er wurde wohl Jurist,
um einen deutlichen, merkbaren Gegensatz aufzustellen
zu dem Lieblingswunsch seiner Mutter, die ihn gerne
zum Theologen gemacht hätte. Eine immer stärkere
Entfremdung vom kirchlichen Leben fand bei ihm statt.
Auf Jahre hinaus empfing er 1785 zum letzten Male das
Abendmahl. Die protestantische Kirche hatte ihm nichts
zu bieten, da er glaubte eine religiöse Entwicklung durch-
gemacht zu haben, die ihn über das Konfessionelle heben
konnte. Immer hatte Werner — wie fast alle Romantiker
— den Wunsch, gerade in der ihm wesensfremden
Tatsachenwelt zu wirken. Er mochte hoffen, ohne die
hemmende Fessel eines konfessionell und gesellschaftlich
gebundenen Standes, Besseres leisten zu können. Denn
der Wunsch Reformator zu werden, war nie ganz tot.
Als preussischer höherer Verwaltungsbeamter war ihm
eine entsprechende gesellschaftliche Position sicher, auf
die er stets grossen Wert legte. Er suchte die Vor-
bereitung für eine Beamtensinekure die ihm die äussere
angenehme Stellung bot, in der er seiner Art nach leben
konnte. Das wenigstens sah er bei vielen älteren Ver-
wandten und Bekannten, die durch ihre Pflichten als
Kriegsräte und so weiter nicht so in Anspruch genommen
wurden, dass sie nicht auf literarisch-philosophischem
Gebiet eifrig sich betätigen konnten. Später suchte er
durch alle mögliche Vermittlung, den Jugendplan zur
Ausführung zu bringen.
Aber seine geringe Energie reichte nicht aus, die
Bedingungen des klugen Vorsatzes erfüllen zu lassen.
V Der künstlerische Trieb nach Totalität brach durch und
21
Terzettelte seine Arbeitskraft so, dass er auf keinem der
Gebiete zur Abrundung und Durchbildung kam. Er wurde
geistiger Eklektiker, naschte von allen Wissenschaften
und zerstörte die Möglickeit einer Persönlichkeitsbildung
durch eine straffe Konzentration der geistigen Arbeit.
Werner ward der typische Diletant, der in den Hörsäälen
aller Fakultäten hospitierte, ohne die vielseitigen An-
regungen zu seinem Persönlichkeitseigentum machen zu
können. Die seelische Zerfahrenheit des jungen Menschen
steigerte sich so, dass er bei seiner Sucht nach Einheit
in der Mannigfaltigkeit einer seelischen Katastrophe ent-
gegentrieb.
Vor allem die Philosophie zog ihn an und er sass
zu den Füssen Kants, der ein Freund seines Vaters
gewesen war. Es scheint, dass Kants Lehre dem jungen,
so andersgearteten Schüler nicht viel zu geben vermochte.
In seinem Briefwechsel zeigt sich kein tieferes Verständ-
nis für die kritische Philosophie und beim kleinsten An-
lass hebt Werner hervor, dass ein Irrtum des Denkers
vorliegen müsse. Kant steht am Endpunkte der rationalis-
tischen Epoche des deutschen Geisteslebens, ist ihr Ver-
nichter wie ihr höchster Ausdruck. Werner hat wohl
nur die rationalistische Seite seines Denkens fassen können
und keinen prägenden Eindruck von ihm erhalten, der
ihn bestimmt hätte.
Das Charakteristische dieser Epoche Werners ist die
absolute Rezeptivität, das fortgesetzte Aufnehmen aller
Reize, die sich ihm boten. Kaum in der Auswahl des
Stoffes zeigten sich zunächst die Linien eines persönlichen
Seins. Wahl- und ziellos nahm der Lernende alles an,
nichts auf, diktierte in allen Gefühlen und Begriffen, die
ihm der Zufall bot. Werners Seele redete in fremder,
erlernter Sprache. Unter dem übermässigen Druck von
aussen herangebrachten Wissenstoßes konnte sich die
erst schwächliche Kraft seines persönlichen Seins nicht
aufrichten. Werner erlitt zunächst das typische Schick-
sal des Kindes einer Epigonenzeit und einer reinen Ver-
22
Standeskultur. Er nahm sie leicht an und trug: sie wie
ein verhüllendes Kleid. Sein Wesen selbst kam erst
sehr viel später zum Ausdruck, als wesensgleiche Ideen
ihm nahe gebracht wurden und den Entwicklungsgang
in einem revolutionären Tempo vorwärtsrissen. Seine
Produktivität war rezeptiv. Er selbst drückte diese Er-
kenntnis später seinem Freunde Hitzig gegenüber aus:
^Ich suche überall verwandte Seelen auf und finde sie
77
wenigstens in Büchern und so habe ich die Satisfaktion,
dass ich, wenn ich auch nicht besser schreibe als andere,
doch besser lese." Der Weg der Entwicklung Werners
ging vor allem später fast analytisch aus seinem Wesen
heraus, bedurfte aber stets eines starken äusseren Reizes-
durch wesensgleiche Persönlichkeiten oder Gedanken.
Er war eine Apostelnatur mit oft starkem geistigen
Temperament, Lehrer einer neuen Lehre war er nie und
so musste er notwendig ein bestehendes Glaubenssystem:
bejahen und ^ sich ihm anschliessen, mochte er auch
jahrzehntelang an die Möglichkeit glauben, selbst der
Begründer einer neuen Kirche werden zu können.
Auch zu Beginn seines geistigen Eigenlebens stand
eine menschliche und philosophische Persönlichkeit bereit,
durch deren Eintluss er erst zu sich selbst zu kommen
vermochte. Werner war in Gefahr gewesen, sich völlig
zu verlieren. In wildem Genussleben war er nahe daran,
körperlich und seelisch sich zu erschöpfen, als kurz vor
dem Eindritt in den Verband der Universität der Kandidat
der Theologie Nohr als sein Lehrer Einfluss auf ihn
gewann und ihm neben dem reinen Lehrstoff auch für
eine Charakterbildung Nahrung bot. Da er ihm die
Gedichtsammlung widmete, deren beherrschender Mittel-
punkt Rousseau war, können wir mit grösster Wahr-
scheinlichkeit annehmen, dass er ihn seinem Schüler
gegeben hatte. Auth während seiner weiteren Ent-
wicklung in dieser Zeit hat Nohr wohl die schwierige
Aufgabe eines Mentors bei dem ewig Schwankenden
übernommen, der sich sehr leicht für kurze Zeit lenken
23
Hess und der formenden Hand kaum Widerstand zu
bieten schien.
In der Aufnahme Rousseaus kann man den ersten
bewussteren V^ersuch Werners sehen, zu einer Über-
windung seines seelischen Gegensatzes zu gelangen;
denn er nahm die Lehren des Genfer in einer eigen-
artigen Doppelheit auf. Das lag keimhaft in dieser
Philosophie der französischen Revolution, verstärkte sich
aber durch Werners Einstellung. Eine Verneinung des
Lebenswillens verband sich unwahrscheinlich mit der
Persönlichkeitsstärkung, eine Flucht aus der Welt stand
neben dem W'illen sie mit Ausnutzung aller Möglichkeit
literarisch-geistig zu reformieren. Vielleicht ist es auch
dem Einfiuss Nohrs auf Grund Rousseauscher Gedanken
zuzuschreiben, dass der junge Schüler zu seiner praktischen
Berufswahl kam, durch die er sich ein Wirkungsfeld für
seine revolutionären, sozialen Gedanken zu schaffen
hoffte.
Werner begann sich nun bewusst als Apostel zu
fühlen. Der neue Lehrgehalt, den er aus Rousseau
schöpfte, war von seinem Urheber mit stark oppositio-
nellen Akzenten versehen und stand in einem schroffen
Gegensatz zu der Durchschnittsauffassung der Zeit, wie
sich das politisch und sozial in der französischen Revo-
lution, geistig in der allgemeinen Umwälzung des Denkens
gegen Ende des 18. Jahrhunderts ausdrückte, an der
Rousseau entscheidenden Anteil hat. Rousseau hatte
sich in Ton und Geste als Vorläufer der neuen Zeit
gegeben und in der Rolle des Märtyrers gut und gerne
gefühlt. Diese äussere Form war das, was der junge
Werner zunächst fand und übernahm.
Leise ßng eine geistige Eigenbewegung an, die sein
Ich als Gegensatz zur Umwelt empfinden lehrte. Rein
gefühlsmässig war dieses Wissen zunächst, mehr ein
Wunsch und eine Ahnung, \Verner betonte die oppositi-
onelle Färbung der Gedanken, während er den tatsäch-
lichen geistigen Widerspruch der Rousseauschen Welt-
24
auffassung zu der Zeitmeinung höchstens in ihrer Ober-
flächenformulierung erkannte.
Als den literarischen Abschluss dieser Epoche, der
gleichzeitig der Beginn der neuen Lebensform sein sollte,
erschien 1789 bei Härtung der Band Gedichte. In einem
eigenartigen Gegensatz steht das Pathos der Widmung
zu dem Gehalt dieser Gedichte. Werner stiess die
literarischen Produkte einer erledigten Entwicklungsspanne
ohne Rücksicht auf Wert oder Unwert ab, zeigte sich hier
als Literat, der eben bekannt werden möchte und alles
Greifbare zusammenfasste, sich seelisch prostituierte aus
Eitelkeit. Wie wenig die „Rettung" trotz der grossen
Worte ihm genutzt hatte, bewies schon der unbewusste
Gegensatz der Vorrede zum Inhalt, der den Beginn der
neuen Weltanschauungsbildung als noch sehr wenig tief
und rein sentimental erkennen lehrt.
Der literarische Erstling charakterisiert in gewisser
Weise Werners ganze Kunst. Er ist ein formales Talent
ohne ein formales Genie, ohne Schöpfer zu sein. Eine
literarische Erziehung liess ihn früh die äusseren Formen
meistern, liess ihn auch früher sprechen, als er etwas zu
sagen hatte, gab ihm die geschickte Wortkunst, die ge-
fällig das Wort dem Sinne anschmiegte, ohne aber Kon-
vention und Banalität vermeiden zu können. Eine fein-
hörige Rythmik steht zu Gebote, und Bilder, wie man
sie lesen konnte bei Wieland, Klopstock, Claudius und
weniger Grossen, w^erden geschickt drapiert. Die Gedichte
sind flüssig und verraten eine gewisse Kultur. Ein
Eklektiker schrieb sie. Kein Mensch, der nach einer Form
ringt, eigenes zu sagen und in dieser Sucht alle nutzt
und verwirft. Nein, ein junger Literat spielt mit erlernten
Formen, die ihm alle zu Gebote stehen. Ein Virtuose
zeigt Kunststückchen. Es ist ein Verbinden inhaltlicher
wie formaler Reminiscenzen zu einem Gebilde, das kein
Eigenleben hat.
Überall fühlt man die Fülle der Vorbilder, die so un
zusammenhängend nebeneinander gedrängt sind, dass man
___________ ^
Werner als Menschen nur gerecht werden kann, wenn
man den Band als unkritische Ernte der Entwicklungsjahre
anspricht, in denen im stärksten Wechsel die verschieden-
artigsten Einflüsse in die ungeschützte Seele des jungen
Menschen strömten. Man durchläuft die ganze Skala
unterschiedlichster Auffassungen, erhält Belehrungen di-
rekter und indirekter Art, wie er sie von seiner geistigen
Umgebung erhalten hatte. Ein Schüler tritt als Lehrer
auf und die didaktische Form beherrscht das Ganze. Weder
künstlerisch noch menschlich ist schon ein Mittelpunkt
gefunden, noch ist die geistige Produktionskraft nicht stark
genug, die Einzelheiten zu einer Einheit zu verbinden, aber
der produktive Trieb schon zu stark, nur aufzunehmen.
Deutlich zeigte sich die Apostelnatur des jungen Dichters,
die neben dem Literatentum steht. Er, der sich gerettet
fühlte, wollte retten und stellte sich seiner Zeit, die ent-
artet und rettungsbedürftig schien, in Kämpfer- und Pro-
phetenstellung gegenüber. Neben Kampfrufen für Rousseau
und eine höhere Sittlichkeit äussert sich eine ungesunde
versteckte Sinnlichkeit. Schon hier klingt das eigenartige
Motiv der Liebe an, das er später verkündete, und fasst
die beiden Seiten seines Wesens zusammen, ohne dass es
.schon zu einer bewussten Einigung im Liebebegriff kommt:
„Als ich Dich in Rosenschöne
Vor dem Altar knieend fand", . . .
beginnt die erste Strophe eines Gedichts und die zweite
kontrastiert dazu
„Als ich drauf im Tanze freier
Mich um Deinen Busen schlang . . ."
und die Dissonanz sucht notdürftig die Lösung, die Werner
auch später fand:
„Bist Du ewig mir verloren.
Dennoch bin ich ewig Dein.
Könnt ich sterbend Dich umarmen,
Sollt' mich schnell in Deinen Armen
Cypris Dir zum Schutzgeist weihn".
Gerade dieser unwahre erotisch-religiöse Ton klingt durch,
26
ist vielleicht das einzig wesentliche der Sammlung. Ganz
bewusst geworden ist das jedoch noch nicht und die
persönliche und künstlerische Standpunktlosigkeit ist das
Charakteristische. Die Gefahr, dass ihm alles zur Parodie
werde, ist gross und lauert wie ein Lachkrampf in der
oft hoch gespannten Stimmung seiner ersten Lyrik. Es
ist die Folge der inneren Halbwahrheit dieser Worte, die
wir als reine Klangwerte ohne Seele ahnen.
Kleine satirische Meisterwerke sind die „Grabschrif-
ten". Aber kein Überlegener spottet, sondern ein Mit-
schuldiger: Das ist unser Gefühl bei seinen Invektiven.
Hier sprach der Schüler Rousseau«, der die Welt
ablehnte, weil sie nicht der Forderung des moralischen
Glaubens entspricht. Werner kommt zu einem intellek-
tualistisch gefärbtem Weltschmerz, der vielleicht tief ge-
fühlt sich nicht gefühlhaft äusserte, sondern in der In-
vektive zur moralisch -kritisierenden Form sich bildete.
Gefühlstöne klingen an, wurden aber nie rein. Es war
der Sohn der Aufklärung, der in seiner Zeit stehend und
ihrer Lebensanschauung verhaftet, nicht die Zeit mit neuem
Geiste sich erschuf, sondern die alte verneinte und
schmähte. Das innerlich Unproduktive dieser Epoche
Werners spricht sich hier aus, das seelisch Halbfertige
des Zustandes rief diese Form.
So stehen diese Gedichte am Ende einer Entwicklung,
die der Künstler und Mensch zu überwinden sucht. An-
sätze zu dem neuen Weltbilde zeigen sich und weisen in
die neue Zeit hinein. Er hatte seinen Künstlerberuf als
das ihm Entsprechende noch nicht entdeckt, hatte nur
nahen und fernen Freunden eine äussere Leistung auf
weisen wollen und dabei war ihm die Ahnung seines
Künstlertums aufgegangen. Eine Steigerung der Persön-
lichkeit Hess sich durch die Oppositionsstellung erhoffen.
Dazu waren jedoch erst sehr schüchterne V^ersuche
vorhanden und noch herrschte eine oberflächliche Lite-
rateneitelkeit vor. Die beiden Lebensanschauungen stan.
den in der Sammlung sich unverbunden und ohne
27
ihre Gegensätzlichkeit lü^^cn zu können gegenüber, mag
auch wahrscheinlich die Tendenz gegen die äusserliche,
leichtere Lebensform mehr der späteren Zeit angehören.
Die erste Berührung mit Rousseau löste in ihm den Apostel-
trieb, den Wille zu lehren, der ebenso wie bei Kleist
Ausdruck der künstlerischen Produktivität war.
Schon zu Beginn seiner Tätigkeit liebte Werner es,
sein Apostelamt bei jungen Mädchen auszüben. Der junge,
interessante Literat wusste sich ihnen gegenüber ganz in
der Rolle des idealen Reformators zu geben, der keine
als rein seelische Forderungen an sie stellte und in ge-
dankenkühler Schwärmerei einen billigen Erfolg bei den
ästhetisierenden Königsbergerinnen zu erzielen vermochte.
Der leicht erotische Ton dieser Beschäftigung wurde ihm
nicht klar, da er seine sexuellen Bedürfnisse in ganz
anderen Kreisen stillte. Werner ist gegenüber Frauen
gleicher Gesellschaftskreise stets unerotisch gewesen.
Die slavische Bedientenhaftigkeit seines Wesens trat
hier in die Erscheinung. Er suchte beim Weibe völ-
vöUige Hingabe, die er bei gleichgestellten Frauen wohl
nicht fordern zu können glaubte. Seine drei Gattinnen
sowohl wie die Fülle weniger legitimer Frauen, die in den
Fragmenten der Tagebücher erwähnt werden, stammten
aus niedrigen und niedrigsten Schichten. Die Doppel-
centrigkeit seiner Seele wird in seinem Sexualleben so Form,
Der Briefwechsel, den er Ende 1796 mit Pequilhen er-
öffnete, zeigt, dass er auch im Kreise seiner Altersgenossen
früh eine Lehrtätigkeit aufnahm, die nach den brieflichen
Lehrstunden, die er hier gab, stärker gewürzte Speisen
bot. Er ironisierte, plauderte, und suchte eine glatte
Eleganz in der Formulierung seiner gelesenen Neulehre,
schreckte vor einer Andeutung erotischer Erlebnisse nicht
zurück und wusste sich einen kleinen Kreis von Freunden
zu schaffen, der an ihn glaubte und seine geistige Über-
legenheit gerne anerkannte. Als er später nach Königs-
berg zurückkehrte, konnte er schon gelegte Fundamente
nutzen.
28
Um diese Zeit machte Werner eine schwere Krank-
heit durch, die ihm den Gedanken des Todes näher
brachte. Dieses Erlebnis des Todes trieb die geistige
Entwicklung stärker auf das Irrationale. Literarisch hob
sich dieser Zug noch immer nicht deutlich hervor und
in der Öffentlichkeit trat Werner keineswegs als Neu-
mystiker auf. Er wurde Mitglied in der „Deutschen Ge-
sellschaft", deren Charakter als Kampforganisation gegen
den Pietismus festgestellt wurde. In der mit ihr in Ver-
bindung stehenden „preussischen Monatsschrift" gab er
unter dem Zeichen -r-r „Ein paar Worte über die Königs-
berger Bühne", die ebenso wie seine Beiträge in den
„Annalen des Theaters" glatte und persönlichkeitslose
Kritiken sind, die keine Sonderheit in Auffassung und Ton
verraten. Sie bezeugen seine dauernde Anteilnahme für
die Bühne und die Schauspieler, das normale Interesse
des Liebhabers, der für die Theaterkultur des achtzehnten
Jahrhunderts so bezeichnend ist. Der Sprachgebrauch und
die Geistesart des Rationalismus hatte sich fest um das
Persönliche Werners gelegt, und verstärkte noch die
Spannung zwischen den beiden Polen seines Ich.
Als äusseren Abschluss der akademischen Jahre
machte Werner eine längere Reise, die ihn über Berlin
nach Dresden führte. Sie vermochte ihm einige Werte
zu vermitteln. Der Antiken-Saal liess ihn erlebnislos;
der werdende Romantiker fand keinen Weg zu den
Griechen, „erwärmte" sich aber vor dem Bilde der
Sixtina und vor Correggios sinnlicher Farbengebung ging
ihm ein Ahnen der inneren Wahlverwandtschaft auf.
Ein leiser, bald verwehender Takt seiner Lebensmelodie
Ein ihm rätselhaftes Erlebnis jener neuen Welt.
Welchen Beruf er für sich gewählt hatte, ist nicht
zu sehen. Juristische Probleme hatten ihn anscheinend
die letzte Zeit nicht mehr in Anspruch genommen.
Er gerierte sich als freier Literat und Schöngeist, be-
teiligte sich an wissenschaftlich-literarischen Gesellschaften,
wusste in „geschäftigem Müssiggang" seinem Leben den
2f>
Anschein der Tätigkeit zu verleihen. Auch die weitere
Rezeption Rousseaus hatte nicht vermocht, seiner Per-
sönUchkeit einen festen VViderhalt zu geben und Werner
, sah mit fast objektiver Zurückhaltung der Wirrnis seines
Innern zu, vermochte nur in der Schicht des Ästhetischen
eine Stellung- zu nehmen. Sein Weltbild ist literarisch,
nicht eigentümlich, wechselnd und ohne bestimmte Nuance.
So erfasste er auch Rousseau nachdem das Gefühl der
Rettung verblasst war. Die innere Zerissenheit wurde
sentimental gepflegt und bildete sich zum Weltschmerz,
zur Verneinung des Lebenswillens in dieser so geschaffenen
Welt. Er wagte noch nicht das Problem als das zu sehen
w^as es war: Eine Eigenart seiner Persönlichkeit, vielleicht
der PersönHchkeit an sich; er suchte und fand die Er-
klärung in der „gebrechlichen Einrichtung" der Welt.
Schon sehr früh fand die Verlegung der seelischen
Disharmonie seiner Persönlichkeit in das Äussere, in die
Welt statt. Man hatte sie zu verneinen. Eine oft weiner-
liche, oft spöttische Verurteilung der gegenwärtigen
Kultur war die selbstverständliche Folge dieser rettenden
Erkenntnis. Hier traf Werner zweifellos den tieferen
und eigentlichen Konzeptionspunkt der Philosophie Rous-
seaus, der im Grunde nicht ausging von einem sozialen
Erlebnis, sondern durch die Erkenntnis der Differenziert-
heit der Eigenseele zu der Verurteilung der Kultur und
Zivilisation als Quelle dieser Schuld kam. An vielen
Stellen lässt sich der Ausgang von dem Persönlichkeits-
problem feststellen, und die Ablehnung der Entwicklung
der Kultur als eine Flucht vor der Ablehnung der Per-
sönlichkeit erkennen.
Der seelische Aufbau Werners war dem Rousseaus
ähnlich und so war es notwendig, dass der Modephilosoph
zu dem „Heiligen" des Dichters wurde. Noch 1808 sprachen
Tagebuch und Gedicht die Wahlverwandtschaft aus:
„Dein Lied \var: (Schon als Knabe musst ichs finden)
Mein eigen Herz mit blutiger Schrift geschrieben
Im Spiegel
30
Eine gefühlsbetonte Übernahme der Weltanschauung
im Allgemeinen erfolgte, die mehr potenziell als tatsäch-
lich die Einzelheiten bot, die Poppenberg und Vierling
auf Rousseau zurückführen möchte. Aus seinem Erlebnis
kam Werner zu vielen gleichartigen Folgerungen.
Der Akt ist wohl so zu denken, dass Rousseaus
Lehre, soweit sie mit der damals noch herrschenden
Aufklärungskultur leicht zu verbinden war, bewusst über-
nommen wurde. Die Elemente mussten auf dem Boden
des Rationalismus gefasst werden können und schon
irgendwie von Werner vorgebildet sein. So verteidigte
er ein dogmenloses tolerantes Christentum nicht so sehr
aus der Erkenntnis des Gefühls, als religiöser Kraft,
sondern aus der kritischen Verfiachung der Religions-
inhalte heraus. Nur die Geste nahm er zuerst, nicht
den Geist seiner Lehre. Er stellte sich in einen Gegen-
satz zum Geschichtlichen, träumte von einem goldenen
Reiche der Güte und Schönheit. Bewusster forderte er
jetzt eine Ordnung, die seinem Wesen mehr Recht gab
und weniger Forderungen stellte, die ihn nicht so leicht
zu Fall brachte. Was Werner als Kind in dem ekstatischen
Erleben der Religion und des Theaters, als Halbreifer im
erotischen Rausch gesuchu und gefunden hatte, wollte
der intellektualistisch Gebildete jetzt durch den Aufbau
seiner Weltanschauung erreichen : Rousseau bot in seiner
Philosophie ihm die Möglichkeit, alles abzulehnen, das
seiner Lebensform Widerspruch und Hemmung war. So
wurde die Aufnahme Rousseaus ein Akt seelischer Not-
wehr, eine äussere Legitimierung seines Wesens. Von
seinen Gedanken ging kein Impuls aus. der zu etwas
Neuem führte. Werner lernte von Rousseau nicht eigent-
lich, sondern bildete ihn, soweit es nötig war, um, damit
er sich in ihm bestätigt fand. Er suchte hier nicht
Rousseau sondern sich selbst.
Stark blieb vor allem die bequeme Sucht in einem
Ausserhalb die Schuld für seine Sünde, seine Zerissen-
heit zu linden. Der Versuch der nächsten Zeit, aus
31
dem quälenden Halbzustande herauszukommen, ging auf
den Wegen Rousseaus, der auch fernerhin eine Rolle in
der Entwicklung Werners spielte. Nicht mit einem Male
löste er dem Dichter die eigene Zunge zum persönlichen
Sprechen; aber das Ahnen einer Wahlverwandtschaft
gab ihm Sicherheit zu sich selbst und Werner übersetzte
sich die seelische Gleichartigkeit Rousseaus den ver-
schiedenen Phasen seiner EntAvicklung entsprechend.
Wie er sich sah, sah er seinen Heiligen. Durch ihn
erfolgte eine nicht immer bewusste Einstellung, die die
schnelle Aufnahme der Romantik durch W^erner erklärt.
Andererseits vertiefte die Romantik den Gehalt Rousseaus.
Das eigentliche Verarbeiten des Philosophen erfolgte
bei ihm erst durch die Romantik, wie Rousseau anderer-
seits diesen Prozess wohl mit bestimmte; eine Wechsel-
wirkung, die äusserst bezeichnend ist und als typisch
für das geistige Leben der Romantiker viele Phänomene
erklärt. Halb bewusst Übernommenes, das der Urform
des Ich entsprach, wurde durch einen neuen, ähnlichen
Tieiz erst über die Schwelle des Bewusstseins gehoben,
erhielt dadurch eine besondere, persönliche Note und
erschien als Eigentum und Neuerwerbung des Aufnehmen-
den. Als er schon mit der Romantik sich eingehend
4iuseinandergesetzt hatte, schrieb er seinem Freunde:
„Gefallen Dir Schlegel und Tieck nicht, so wirst Du
auch in Rousseau (der auch mein erster ist) eine Tiefe
des Gefühls finden, was die Mutter der Kunst und der
Religion ist." Werner erlebte nicht nur Rousseau, ihn
aber besonders stark, als eine Bestätigung seiner Sonder-
art. Er suchte diese Bestätigung seiner Persönlichkeit
ausserhalb, weil er sie in sich nie fand.
Während eine gefühlsorientierte Persönlichkeit bei
ähnlichem Erleben stets durch die Kraft ihres inneren
Instinkts in der Bahn gehalten wäre, verlor Werner
infolge seines ausgeprägten Doppel-Ich das Bewusstsein
der Leitung seines Lebens, ohne die innere Sicherheit
genialer Naturen dafür einzutauschen, dass irgendwie
32
sein Wesen wie es war, die Gewähr dafür bot, gut zu
sein. Für den reinen Mystiker besteht ein kosmischer
Zusammenhang zwischen Ich und Welt-Gott, dessen Im-
manenz sie erlebten. Bei Werner legte sich das Schwer,
gewicht auf ein etwas ausserhalb seiner zersplitternden
Persönlichkeit. Die Welt erhielt den Charakter der über-
legenen Kraft die im Gegensatz zum Ich als solchem
stand. Unter der Welt nahm er die bestehende historische
Wirklichkeit, die sehr oberflächlich gefasst wurde. Die
rationalistische Einstellung Werners sorgte dafür, dass
zunächst keine tiefere Auffassung durchkam.
Der häufige Zusammenbruch seines sittlichen VVollens
vor der Stärke des Augenblicks, vor dem was die
katholische Moraltheologie mit dem Ausdruck „Nächste
Gelegenheit" bezeichnet, suchte eine theoretische Fassung.
Da die Erklärung von Werner nicht in der Persönlichkeit
gefunden wurde, nahm die Realität immer stärker die
F"ärbung eines feindlichen Elements an. Bei der Stärke
seines Erlebens konnte er an der Reinheit seines Wollens
nicht zweifeln. Unter günstigen Verhältnissen wusste
er sich gut und sittlich. An eine Variationsfähigkeit
seines Ich aus sich heraus zum Guten und Bösen, musste
der Rationalist, der sonst sich aufgab, zweifeln und
rettete sich in den Dualismus von persönlichem Wollen
und gegnerischer Welt. Die Summe aller Hemmungen
der Materie wurde Werner zum Schicksal, dem er sich
ausgeliefert fühlte, als er sich unfähig erwies, sein Leben
zur Form zu gestalten.
33
II. Kapitel.
Lehr- und Wanderjahre in Welt und Dichtung.
Der junge Mensch hatte nicht nötig sich nach einer
Brotstelle zu drängen, da der Vermögensstand ausreichte,
ihm im mütterlichen Hause eine ziemlich sorgenfreie
Existenz zu sichern, weil Werner keineswegs Verschwender
war. In Geldsachen war er stets geizig und penibel
und wusste mit seinen Mitteln hauszuhalten, wenn es
sein musste. Der Mystiker und Dichter stand in seinen
Briefen oft neben dem rechnenden, sehr genau rechnen-
den Vermögensverwalter und diese Nebensächlichkeit
zeichnete sein seelisches Doppelt-Ich karikierend nach.
Da also jeder äussere Druck fehlte, konnte der junge
Literat ohne einengende Fessel eines wesensfremden
Berufs in voller Freiheit seinen Ideen leben. Er war
einer der Mittelpunkte des literarischen jungen Königs-
berg, das nicht sehr fortschrittlich war und mit der
aufblühenden Klassik keine besondere Verbindung besass.
Durch Kant trat die Stadt in den Mittelpunkt des
philosophischen Interesses. Fichte weilte einige Zeit da
und Hess dort seine „Kritik jeglicher Offenbarung" er-
scheinen, die als Kants Werk aufgenommen wurde. Mit
ihr setzte Werner sich auseinander, vielleicht auch im
Glauben, Kant vor sich zu haben. Er selbst lernte
F"ichte nicht persönlich kennen, der im Hause seiner
Mutter verkehrte; denn ein unstätes Wanderleben begann
damals und persönliche Angelegenheiten, die zum Skandal
ausarteten, hielten ihn von dem gesellschaftlichen Leben
Königsbergs ferner. Die Stellungnahme Werners zur Offen-
barungs-Kritik, die nicht eben eine Grosstat des Philoso-
phen w^ar, wird durch die Antwort Fichtes deutlich. Werner
musste sich durch diese platte Auffassung der Religion
abgestossen fühlen und mochte sich mühen, ihren Gefühls-
charakter wenigstens Rousseauisch zu fassen. Darin sah
H ankamer, Zacharias Werner. 3
34
der Kantianer Fichte eine Disziplinlosigkeit des Geistes
die in Verbindung mit dem gekränkten Autorenehrgeiz
auf Grund des gesellschaftlichen Urteils, das er in Königs-
berg über Werner gefällt wusste, zu der scharfen Ver-
wahrung führte, in der er Werner als Libertin kenn-
zeichnete.
Bis dahin hatte der junge Literat trotz seines wenig
vorbildlichen Lebenswandels, der seinen Bekannten nicht
verborgen bleiben konnte, noch immer die äussere Form
gewahrt, sodass er in allen Häusern möglich blieb. Sein
slavischer Bekenntnisdrang, der an Tolstois Gestalten
erinnert, paarte sich mit einer grossen Angst vor dem
Skandal. Dadurch erhalten seine öffentlichen Proklamati-
onen diese überreizte Schamlosigkeit und den Ton des
sich seelisch Wegwerfens. W'erner musste sich jedesmal
in die Wollust des Selbstvernichtens hineinpeitschen und
verlor dabei die seelische Wahrhaftigkeit, die allein diese
Entblössung innersten Lebens als ehrliche Notwendigkeit
erweisen und verständlich machen kann. Er war zu
abhängig vom Urteil der Vielzuvielen, besass nicht die
Sicherheit des reinen Menschen, um ohne ekstatische
Übertreibung der Öffentlichkeit gegenüber sein anders-
gerichtetes W'ollen aussprechen zu können. Er war eben
seinem Wesen nach trotz allem Gesellschaftsmensch.
Und wohl hauptsächlich aus gesellschaftlichen Gründen
trat Werner am 7. Januar 1792 in die Königsberger
Loge zu den drei Kronen ein. Von irgendwelcher künst-
lerisch-philosophischen Stellungnahme erfahren wir nichts,
und der Besuch der Sitzungen hörte in dem Augenblick
auf, als Werner gesellschafthch boykottiert wurde. Königs-
berg hat den eigentlichen Freimaurer Werner nicht ge-
sehen, ihm nichts hierin bieten können, und nur den
gesellschaftlichen Anschluss verstärken sollen. Ein Skandal
hinderte das.
Im Winter 1791 lernte er in Königsberg Friederike
Schmidt, ein übelbeleumundetes Mädchen aus PYankfurt
an der Oder kennen. Solange dieser Verkehr sich in der
35
Form abspielte, die man bei Werner !e:ewohnt war, konnte
er auf verständnisvolle Unterstützung rechnen. Die skrupel-
lose, energische Frau aber gewann durch ihre starke Erotik
die völlige Herrschaft über den Neurastheniker und brachte
ihn zu dem Entschluss sie zu heiraten. Mit der eigen-
artigen Verbissenheit und dem verkehrten Feingefühl dieser
Charaktere redete er sich die Verpflichtung dazu ein, die
nichts anderes war als der Ausfluss der sexuellen Hörig-
keit, in die er geraten war. Die Pflicht hierzu wurde
theoretisch ihm nahe gebracht durch die Ideen Rousseaus,
die sein literarischer Freund Graf A. A. Leopold von Lehn-
dorf-Bandels in einer Preisschrift „De matrimonio inaequali"
behandelt hatte. Werner nahm solches Interesse daran,
dass er eine französische Übersetzung davon gab, die
unter dem Titel: Trait6 des Mesalliances . . par F. L.
Zacharias Werner 1792 in Berlin erschien. Da er seinen
Plan, diese Ideen in die Praxis umzusetzen, immer deut-
licher zum Ausdruck brachte, suchte man ihn von seiner
Geliebten zu trennen, erreichte jedoch nichts weiter als
einen plötzlichen, hysterischen Energieausbruch, an dem
auch der erbitterte Widerspruch seiner Mutter nichts änderte,
Werner floh aus Königsberg und liess sich nach einer
abenteuerlichen Reise durch das unruhige, unsichere Land
in Warschau mit ihr trauen, um jeden Widerstand gegen
ein weiteres Zusammenleben unmöglich zu machen.
Dann kehrte der Rousseaujünger nach Königsberg
zurück, um weiterhin sein Reformatorleben, das er jetzt
im Glänze des Martyriums sah, fortzusetzen. Er begegnete
dem eisigen Widerstand fast der gesamten Gesellschaft.
Durch sein übereiltes Handeln hatte er auch die Freunde
verloren, die wie Baczko sich für den extravaganten jungen
Menschen verwandt hatten. Werner sah sich völlig isoliert,
glaubte aber im ehrlichen Vertrauen auf den menschlichen
Wert der angefeindeten Frau den Kampf gegen die von
ihm theoretisch verachtete und ihm doch so notwendige
Gesellschaft aufnehmen zu können und zu müssen. Auch
mit der Mutter kam noch keine Aussöhnung zustande, so
36
dass ein Zusammenleben mir ihr ausgeschlossen war. So
kaufte er sich „im Herbste 1792 ein Gütchen von 7 '/j
Hüben (Hufen), mit vollen Scheuern und verbarg mich da
mit dem mir angetrauten Weibe".
Der junge Literat erlebte nach Rousseaus Theorie
einen Winter abgeschlossen von der Kultur und Zivilisa-
tion. Er mochte gehofft haben, auf dem Wege der Ein-
fachheit zu der seelischen Einfalt zu gelangen, deren
Fehlen ihm immer mehr bewusst geworden war. Sein
pädagogischer Trieb suchte sich in der Erziehung der
Gattin zur Höhe seiner idealen Forderungen Genüge zu
tun, fand aber bei ihr nicht das Entgegenkommen und
den Erfolg, den er gewohnt war und erwartet hatte, schon
um die philiströse Ungläubigkeit der Königsberger Ge-
sellschaft von seinem überlegenen Blick überzeugen zu
können und sie damit zurückzuerobern. Die Ernüchterung
kam schnell und gründlich, ohne dass er jedoch fähig ge-
wesen wäre, sich von dem Banne der Frau zu befreien.
.„Aber eine Hure und das unschuldige Land! Ich ver-
wünschte tausendmal das Landleben und verkaufte im
Jahre 1793 das Gut mit ledigen Scheuern und einigem
Profit". Dieses Erlebnis musste bei dem labilen Charakter
Werners einen äusserst tiefen, momentanen Eindruck
machen. Hier trat ihm die Realität in einer Persönlichkeit
entgegen, deren Entwicklung abgeschlossen war, so dass
er keinen Einfluss auf sie ausüben konnte. Der Kampf
um die Seele des Weibes, der so vernichtend ergebnislos
endigte, brach zunächst den idealen Impuls Werners und
machte einer Resignation zur Realität Raum.
Er erkannte die Unmöglichkeit, sich in seiner Vater-
stadt zu behaupten und durchzusetzen. Wenngleich sein
väterliches Erbteil ausgereicht hätte, der rechnende Werner
sah ein, dass er nach seiner Ehe versuchen musste, sich
eine Existenz zu schaffen. Dazu mochte ihn auch die
quälende Erkenntnis treiben, dass er künstlerisch unpro-
duktiv war und unter dem Druck des Zusammenlebens
mit dieser Frau sich geistig nicht so fortentwickeln werde,
37
wie er es erhofft hatte. Aus dieser Zeit ist nichts er-
halten, was eine Entwicklung Werners erkennen Hesse.
Eine notwendige Reaktion Werners auf die äusseren
Hemmungen. Königsberg war ihm völlig verleidet, da es
an Spott dem literarischen Reformator nicht fehlte und
nur die komische Seite dieser „Tragödie", wie Werner
die Epoche nannte, den meisten bewusst wurde.
So kam es, dass er seinen alten Plan wieder aufnahm
und sich eine Stellung in der Verwaltung zu schaffen
suchte. Da er die Verbindung mit seinen Königsberger
Bekannten gelockert hatte und auch wohl glaubte sich
selbst durchsetzen zu können, ging er nach Petrikau, wo
ein Freund eben Kriegsrat geworden war. Wenn er als
der Dichter der ^Söhne des Thals", glaubte, es hätte ge-
nügt sich als Referendarius anstellen zu lassen, um längst
Kriegsrat zu sein, so befand er sich in einem nur psycho-
logisch verständlichen Irrtum. Da er seine wissenschaft-
liche Vorbildung nicht abgeschlossen hatte, wäre dieser
Versuch sehr schwierig gewesen, wurde hoffnungslos durch
die Heirat mit seiner Frau, die ihn gesellschaftlich auch
in Petrikau unmöglich machte. Als er den direkten und
indirekten Widerstand fühlte und man ihm mit einigen
leeren Versprechungen die Stellung eines supernumeraren
Kammersekretärs vorschlug, nahm er diesen subalternen
Posten an. Die nächsten Jahre standen vöUig unter dem
Druck dieses Zustandes, der die Eitelkeit Werners quälte
und ihn zu hundert Bitten an alle näheren und ferneren
Bekannte zwang.
Trotz aller Unsicherheit der politisch-militärischen
Lage Hess Werner im Herbst des Jahres seine Frau nach-
kommen und lebte neben ihr, um sich immer mehr von ihr zu
entfremden. Ein Zusammenleben mit dem nervösen, jetzt
immer stärker durch materielle Fragen gestörten Werner
konnte für diese Frau nichts fesselndes bieten, da eine
anregende und vermittelnde Geselligkeit auch hier fehlte.
Werner war bald dieser Lage überdrüssig und trug sich mit
neuen Plänen, die der Zufall zur Reife zu bringen schien.
„Im Frühjahr 1794 brach die Madalinsky'sche Insui-
rektion aus", berichtete er 1804 seineßi Freunde Fenkohl.
„Ich verliess Petrikau mit Beistimmung meiner Frau und
mit Urlaub, und ging nach Berlin, um wo möglich, dort
anzukommen." Berlin reizte ihn als literarischen Mittel-
punkt und auch wohl, weil er trotz Rousseaus Schwärmerei
für „das unschuldige Land" erkannt hatte, dass er seinem
ganzen Wesensbau nach in die Grosstadt gehörte. Er
hoffte im freien Berlin seiner Heirat wegen nicht so her-
metisch vom Gesellschaftsleben abgeschlossen zu werden
und sich hier eine entsprechende Position leichter schaffen
zu können. Seine Vorliebe für Berlin blieb bestehen, auch
als er jetzt nach einigen Versuchen einsehen musste, dass
im Augenblick nichts zu erreichen war. Werner kehrte
nach Königsberg zurück. Dort trug er in der Deutschen
Gesellschaft die in den „Ausgewählten Schriften" nicht
wiedergegebene Freiheitsode vor, die einen gewissen for-
malen Fortschritt nicht verleugnete und nationale Töne
im Rahmen der Aufklärungskultur zu finden wusste. Als
Ganzes beweist sie ein Stagnieren der Entwicklung und
zeigt, dass Werner noch immer auf den Boden der Welt-
anschauung stand, die wir skizzierten. Das Konventionelle
des Gehalts trat deutlich hervor.
Nach kurzem Aufenthalte, in dem er seine Frau suchte,
die mit der Petrikauer Kammer hatte fliehen müssen und
die ei zufällig in Marienwerder fand, reiste er nach Thorn,
w^o er seine Stellung wieder antrat. Eine Aussöhnung
mit der Mutter war so weit wieder zustande gekommen,
dass er seine FYau bei ihr zurücklassen konnte, als er Mitte
1794 nach Plozk versetzt wurde. Sie hatte schon während
seiner Abwesenheit von Petrikau mit einem Kollegen ihres
Mannes zusammengelebt und fing ein Verhältnis mit einem
Schauspieler an, das ruchbar und zum Stadtgespräch wurde,
so dass Werner sich von ihr scheiden Hess. Er versäumte
nicht dem Freunde mitzuteilen, dass er der „unwerten
Kreatur" als Abfindung ein kleines Kapital gab.
Der Aufenthalt in Plozk war für Werner die Rettung.
39
Der Druck des Zusammenlebens mit der Frau, die ei
längst als unwürdig erkannt hatte, aus deren Hörigkeit
er sich aber nicht zu befreien vermochte, wich von ihm.
Er fand die Freiheit wieder und fast sofort begann sein
künstlerischer Trieb neu zu leben. Er selbst schwärmte
von dieser Zeit: „Die herrlische romantische Lage dieses
Städtchens an den hohen Ufern der Weichsel, die unge-
bundene, genialische Garyonlebenart, die Heiterkeit der
Polen, alles zusammen trug dazu bei , die zwei Jahre,
die ich daselbst zubrachte, zu den glücklichsten, frohesten,
heitersten meines Lebens zu machen. Ich expedierte,
ging spazieren, ritt, fuhr, tantzte, trank und dichtete."
In den „Ausgewählten Schriften" beginnt der II. Teil
der Gedichte (der erste umfasst nur die 1789 erschienene
Sammlung mit dem Gedicht: „Die einzige Realität",
das im Sommer 1794 geschrieben wurde und seine
seelische Situation hell beleuchtet. Die Schicksalschläge
der letzten Zeit hatten ihn geistig wie körperlich mit-
genommen. Der Bau seiner Weltanschauung war unter
den Stössen selbstverschuldeten Unglücks zusammenge-
brochen und er erkannte vor ihren Trümmern:
„Nur Glaube strahlt in immer neuem Glänze."
Er fühlte sich todesreif.
Das war der Auftakt zu seinem neuen literarischen
Leben. Durch die Gunst der Umstände konnte die
Stimmung, deren Tiefstand das Motiv mehr als literarischen
Augenblicksimpuls wie als Weltanschauungselement an
die Oberfläche des Bewusstseins treten Hess, bald wieder
steigen, aber ganz verschwanden Gefühl und Gedanke
nicht mehr. An den Punkten, die in dem stark wechseln-
den Rythmus seines Lebens die tiefsten waren, stand
von nun an irgend eine Variation des Themas, das
immer quälender, immer heischender einen Forderungs-
charakter annahm.
Im Kreise der nationalsten Polen dichtete er Schlacht-
gesänge und Hymnen, deren rhetorischer Schwung über-
trieben „tyrtäisch" genannt wurde. Werner entdeckte
y
40
seine slavische Seele und fühlte sich im Kreise der
polnischen Familien, deren beste sich ihm bereitwillig;
öffneten, sehr wohl. Seine grosse Vorliebe für diesen
Slavenstamm hat er auch im späteren Leben stets be-
wiesen. Die unglücklichen Freiheitskämpfe unter Kosciuska
begleitete er ehrlich begeistert als gelehriger Schüler
Rousseaus und der französischen Revolution und fühlte
sich in Plozko so heimisch, dass er sich völlig mit Polen
identifizierte und hoffte: „dass einst mein Grab im freien
Polen blüht," Der preussische Beamte stand völlig auf
Seiten des Volkes, das er für seine Regierung verwalten
sollte und nahm die spätere Polen- und Griechenschwärmerei
verwieg, in der sich die deutsche Intelligenz gefiel. Der
Sohn der Aufklärung fühlte nicht national und fand erst
später den Zusammenhang mit seinem Volke, Dieser
Freiheitsrausch legte sich aber, sobald er in Warschau
„der Freiheit jämmerliche Priester" näher kennen lernte.
Dem Freunde charakterisierte er die Träger der nationa-
len Bewegung als „impertinente, junge Bengels, die keine
Mores und kein Geld, aber böse Krankheiten, Kaufleute,
die keinen Handelsverkehr und Kredit, aber die Ideen
ihrer alten Herrschaft im Kopfe, Damen, die keinen
Verstand und keine Schönheit aber Schminke und Un-
geziefer haben," Wieder war der schwärmende Rousseau-
schüler mit der Realität zusammengestossen und die
Übertreibungen in dieser Charakteristik der polnischen
Freiheitsmänner sind für die Stärke des Rausches be-
zeichnender als für die tatsächlichen Zustände,
Nach Warschau hatte er sich 1796 versetzen lassen,
als ein Teil der* Kammer von Plozk nach dort verlegt
wurde. Wieder lockte die Grossstadt und versprach
neue Anregungen. Hier wusste er den Mittelpunkt der
nationalen, geistigen Bewegung Polens. Die Bilder, in.
denen die polnischen Freunde von ihrer heiligen Stadt
schwärmten, leuchteten in den Farben morgenländischer
Fracht; denn damals war Warschau die Pforte des
Ostens für Europa und Hitzig, der hier mit Werner
41
zusammentraf, zeichnete es in den bizarren, flatternden
Linien des rätselvollen Ostens. Werner suchte das Regel-
lose, Sinnenreizende, das sein Künstlertum um so mehr
forderte, je weniger das Beamtenleben ihm diese An-
regungen zu geben vermochte. Er hatte sich vorgestellt,
in der Hauptstadt des alten Polenreiches ähnlich wie in
dem polnischen Städtchen, woher er kam, eine bedeutende
Rolle spielen zu können, sah sich aber bald völlig ent-
täuscht und auf Kreise angewiesen, die er selbst als
„schlechte Gesellschaft" bezeichnen musste. Gesellschaft-
77
lieh waren die Deutschen auf sich angewiesen und Werner
bekam das Subalterne seiner Stellung zu fühlen, sodass
er wieder Anknüpfungspunkte suchte, um auf irgend
eine Weise frei zu kommen, wobei er die materielle
Seite in den Vordergrund schob und strikte ablehnte,
das grosse Examen zu machen. Zu einer solchen Kon-
zentration war Werner in Warschau nicht fähig, wo ihn
das abenteuerliche Leben ' der halborientalischen Stadt
bald völlig gefangen nahm. Die gemeine Niedrigkeit
der Vergnügungen, die er suchte, weil ihm in seiner
Stellung nichts anderes übrig blieb, wollte er sich nicht
isolieren, weckten jedoch seinen Widerwillen, so oft er
auch ihnen Tribut zollte und sich mit Weibern einliess,
die „von der höchsten bis zur niedrigsten für Gunst-
bezeugungen bezahlt sein wollen."
Werner vermisste vor allem freundschaftliche V'er-
bindungen, in denen er seinen Aposteltrieb hätte betätigen
können. Nicht eine Übernahme des Freundschaftskultes
des Sturm und Drangs war das bei dem werdenden
Romantiker, sondern eine innere Notwendigkeit, die aus
der Differenzirtheit seiner Seele entsprang. Es ist die
Äusserung der Einheitssehnsucht, die das Doppel-Ich
nicht in sich finden konnte und in einer geistigen Ehe
mit einem Freunde suchte; es ist das Erlebnis, das zur
"geistigen Hanse Friedrich Schlegels führte und die Liebes-
theorien der Lucinde, Godwis und Werners erfassen lehrt.
In dieser Zeit der seelischen Vereinsamung ent-
42
wickelte sich bei Werner keimhaft der Liebebegriff, dei
durch verschiedene Phasen seiner Weltanschauung ge-
wandelt wurde und in nächster Verbindung mit quälenden
und erhebenden Erlebnissen mit den Frauen, die ihm
näherstanden, sich gestaltete. An der Entwicklung dieses
W^eltanschauungselements lässt sich die innige Ver-
schmelzung des Psychologischen mit dem Logischen
im System Werners erkennen . Schon hier trat über die
Definition hinaus, ja im Widerspruch mit ihr die starke
sexuelle Energie Werners hervor, die in dem Wort- und
Gedankenbesitz des 18. Jahrhunders die Lehre der Romantik
unbewusst suchte. Aus der ps}'^chologischen Veran-
lassung heraus verschmolz seine Sexualität mit dem
seelischen Vereinheitlichungstrieb zu dem Begriff, dessen
flimmernde Konturlosigkeit für Werner kennzeichnend war.
Er lehnte von vorneherein eine völlige Identifi-
zierung des Eros mit dem sinnlichen Gefühl „was man
sehr falsch mit Liebe verwechselt" ab, stellte ihn aber
auch einer j,mit dem Geschlechtstriebe vermischten und
dadurch erhöhten Sympatie der Gesinnungen mit Freund-
schaft, das heisst Hochschätzung und gemeinschaftliches
Hinstreben zu einem edlen Zwecke verbunden" gegen-
über. Ein grosses Weib könne man verehren aber nicht
lieben. Hier theoretisierte Werner die psychologische
Tatsache, dass er gleichgestellten Frauen gegenüber
nicht erotisch war. Trotzdem er sich hinter Schillers
Begriff der veredelten Weiblichkeit versteckte, erfasst
man den absolut unschillerschen Untergrund dieses Ge-
dankens, wenn er als Beispiel anführte: „Denkt Euch
also ein Weib, von der Natur als Meisterstück geformt,
bei der alles Tugend wird, was bei andern F'ehler, gar
Laster sein könnte. Ihre Seele und ihr Körper sind
Eigentum, dessen, der sie liebt; sie würde ohne Scham-
röte, vielleicht selbst vor Zeugen, ihm alles preisgeben,
nicht aus Mangel an Scham, sondern weil ihre reine
Seele in dem edelsten Triebe der Sinnlichkeit nichts
Unreines, und ihr richtiger Verstand in der Mitteilung
43
der Körper, wo die Seelen eins sind, nichts Inkonsequen-
tes sieht. Ihr Hab und Gut würde sie dem Geliebten mit
eben der Unbefangenheit geben, als sie das seinige von
von ihm annehmen, weder in Einem noch im Andern
•ein Verdienst, sondern nur einen natürlichen Trieb ihres
Herzens und dessen Erwiderung sehen. Die Narrenpossen
und Gesetzbücher der bürgerlichen Welt sind ihr ein
Mischmasch, den sie nicht zu erlernen braucht. Ihr Ge-
fühl, was sie immer richtig leitet, ist ihr Gesetz." Und
zusammenfassend definiert er: „Liebe ist ein durch Ge-
schlechtstrieb veranlasster unwillkürliche Drang, sich mit
einer schönen Seele zu identifizieren." Die Worte „Drang"
und „identifizieren" waren ihm zu farblos. Er fühlte,
dass sie nicht mit dem sich deckten was er sagen wollte
und entschuldigte sich mit der Unfähigkeit der deutschen
Sprache diese Empfindungen zu malen. Die Definition
Heinzes: „Liebe ist die Begierde mit einer Person anderen
Geschlechts Kinder zu zeugen", lehnte er ironisch über-
legen ab als die des geistigen Pöbels. Als seinen Anti-
poden bezeichnete er den „freilich sehr grossen Verfasser
des Ardinghello" dessen Helden alle mit dem Schlüsse
anfangen wollten und nannte doch damit einen der Väter
seiner und der Romantiker Liebetheorie.
Wenn er auch überlegen darüber spöttelte, dass er
in seiner Definition „auch die Epicuri de grege zu be-
friedigen", vom Genuss so viel hereingebracht habe
^als nur möglich", der Ausgangspunkt dieser Gedanken-
reihe lag zweifellos im Erleben des geschlechtlichen
Aktes. Werner rationalisierte und mystifizierte ihn, suchte
ihn in einer höheren Schicht des Erlebens zu heben,
um nicht das Erniedrigende seiner sexuellen Exzesse
sich gestehen müssen. Es ist die geistige Notwehr, die
Werner immer wieder zu einer Lebenslüge trieb, zu
einer systematischen Einreihung des apriori durch sein
Wesen Gegebenen. Da er nicht stark genug war, die
von ihm selbst verurteilte Sinnlichkeit zu bekämpfen,
erhöhte er sie in das Geistige und lehnte mit grosser
44
Geste den Genuss an sich ab. Und doch fühlt man seine
unbewusste Verlogenheit in all diesen grossen Worten
und ahnt in welch' zerrüttenden Kämpfen Werner zu
diesem Ausweg gedrängt worden ist. Die brutale Sexu-
alität brach durch und gab dieser Theorie den Charakter
des Erzwungenen. Die Weltanschauung Werners war
nicht seine freie Tat, die Gedanken waren Abstraktionen
des Erlebnisses, denen er ausgeliefert war und die er
vor sich zu verteidigen suchte. Er konnte sie an sich
nicht bejahen und suchte sie gedanklich in der Ver-
bindung mit reinen Begriffen zu rechtfertigen.
Sein Wille war, den Geschlechstrieb, dessen persön-
lichkeitsüberwindende Macht er als tierisch empfand, zu
veredeln. Die Entwicklung des Liebebegriffs bei Werner
zeigte stets deutlich dieses Wollen. Der Charakter der
Weltanschauungsbildung als eine unbewusste Entschuldi-
gung seines Seins verlor sich nie ganz, da die
Spannung zwischen Tat und Wille blieb. Er veredelte
und verfeinerte sein S^^stem statt seiner Persönlichkeit,
sein Wissen und Erkennen reinte sich, während seine
Tat als Willensausdruck blieb. In dieser Zeit erhoffte
er durch seine System- und Begriffskonstruktion Ver-
söhnung des Gegensatzes: ein Zeichen seines mystischen
Rationalismus. Was dem Beschwörungsglauben primitiven
Denkens zu Grunde liegt, durch begriffliches Erkennen
überindividuelle Mächte magisch zu beherrschen, lag
letzten Endes seinem Systemglauben zu Grunde. So ent-
stand diese Begrifflegierung.
Auch in seiner Dichtung drängte sich Gedanke und
Sehnsucht ein:
„Sie schmiegt den Jüngling an der Einen Lippe
Und presst sein Selbst in ihre Formen ein;
Durch beide zuckt die Glut der Aganippe
Verschlungen trotzen sie des Todes Hippe,
Im Silberblick zerfliesst ihr schönes Seyn."
Sogar im Wort hat Werner hier sich selbst vorweg
genommen. Was er später tiefer und sicherer in seinem
45
Weltanschauungsbau einfügte, hatte er hier schon ge-
funden. Heinzes Begriff der Liebe verschmolz mit dei
Fassung des Eros, den Schiller und Jean Jaques Rousseau
in der neuen Heloise ihm bot. Der Ton religiöser Inbrunst,
-der die Briefe der Liebenden in dem epochonalen Roman
Rousseaus kennzeichnete und ein Verschwimmen beider
Gefühlsarten andeutete, wurde von Werner empfunden
und übernommen. Noch keineswegs begrifflich, sondern
tatsächlich in Weiterbildung der seelischen Erlebnisse
die in seiner Jugend ihm wurden. Auch Rousseau^
denkt an keine Begriffsverbindung, wehrte sich sogar
gegen die gefühlte Unklarheit dieser Seelenäusserungen
in seinem Roman. Die erweiterte Vorrede zur zweiten
Ausgabe stellte fest, dass es sich nur um eine Übernahme
der Ausdrucksformen handle, die beide Gebiete mit ein-
ander in lose Wechselverbindung bringe. Die wirkliche
Verbindung von erotischen und religiösen Impulsen aber
im Roman selbst bereitete Werner auf seine spätere
Lehre vor.
Der Fessel seiner ersten Ehe ledig, sehnte er sich
nach einer reinen Frau, nach einer „Schwesterseele".
Schon 1795 wusste er einen Namen zu nennen, und in
den Briefen an seinen Freund schilderte er verschiedene
Heiratsmöglichkeiten in einem Tone, der in einem be-
zeichnenden Gegensatz stand zu der gedanklichen Höhe
des Themas, und hoffte auf die „Gesellschaft eines lieben
Weibes, das ich schon in petto habe, aber bei meiner
jetzigen Lage nicht heiraten kann." Religiös drückte
er diese Sehnsucht in einem Mariengedicht aus (1797), in
dem er die Gottesmutter bat:
„So führe mir die Schwesterseele zu,
Die, rein wie Du, den Myrthenkranz mir flicht."
Hier suchte der Einheitstrieb der beiden Kräfte
-einen Ausdruck, dessen klare, einfältige Form von dem
komplizierten Verschwimmen dieser Gegensätze in späterer
Fassung sich wesentlich unterscheidet. Es ist noch mehr
literarische Form, als erlebtes Eigentum.
46
In der Realität gestaltete sich das wie immer bei
Werner sehr wenig entsprechend. Bei einem Urlaub
1799 in Königsberg verkuppelte man ihn mit einem
Mädchen, das „eine Legion Liebhaber gehabt, angeblich
auch noch einige Tausend Gulden in bonis hatte
und ich, aus Tollheit, aus Ekel vor dem Cölibat, halb
auch (so tief war ich gesunken) aus Interesse, heiratete
sie ohne alle Liebe." Da die Frau leichtsinnig bei der
Schwangerschaft die Hoffnung Werners auf Vaterschaft
enttäuschte, zerbrach auch diese Ehe und im Frühjahr
1801 wurde die gerichtliche Scheidung ausgesprochen»
die ihm den Rest seines väterlichen Erbes kostete.
Diese Geschehnisse des realen Lebens in ihrem
grotesken Widerspruch zu seinem Wollen als Dichter
und Denker bildeten bei ihm den Gedanken heraus, dass
zwischen seinem realen Ich und der sittlich-künstlerischen
Persönlichkeit eine Kluft vorhanden sei, die er durch die^
Ausgestaltung des Schicksalbegrififs zu überbrücken suchte..
Als er in geschlechtlichen Ausschweifungen und im
unruhevollen Kampf um das ersehnte Eheglück seine
beste Mannskraft opferte, so dass sich der Dreissigjährige
erschöpft und todesreif fühlte, wurde dieses Anschauung
so stark, dass er in seinen Briefen immer wieder aus-
sprach, das Schicksal verfolge ihn. Er fühlte sich als
Opfer einer fremden Macht, deren Art er zunächst nicht
klarer zu fassen vermochte. Diese quälende Ungewiss-
heit über das eigentliche Wesen seiner Existenz, über
Schuld und Unschuld seines Seins konnte auf der Basis,
der bisherigen Weltanschauung nicht gefahrlos entschieden
werden. So suchte er eine Lehre, die diese quälenden
Gegensätze löste und durch die sein seelischer Selbst-
erhaltungstrieb nicht verletzt werde; denn die Grund-
färbung der Persönlichkeit Werners war ethisch.
Ein völliger seelischer Zusammenbruch erfolgte nie.
Werner war eine Kompromissnatur und geschmeidig
genug, seine Weltauffassung so zu entwickeln, dass kein
tödlicher Zwiespalt zwischen Leben und Wollen entstand.
47
Die geistige Energie bog nC^tigenfalls alles in die Richtung,
die erstrebt wurde. Ein Kampf entstand erst bewusst
bei und durch Goethe urd auch da suchte er zunächst
nur einen Kompromiss. Dadurch erklären sich die Schwierig-
keiten, eine genaue Kurve dieser Entwicklung nachzu-
zeichnen. Ständig blieb aber das Bestreben, das lösende
Wort zu finden und die Frage seines Lebens sich selbst
zu erklären und zu rechtfertigen, denn ein absoluter
Verzicht auf die Sittlichkeit seiner Existenz war für ihn
vollkommen ausgeschlossen, wobei die Sittlichkeit etwas
Transcendentes war, ein Befehl von ausserhalb, dem er
sich fügen musste. Tatsächlich war Werner stets der An-
hänger des kategorischen Imperativs — im Wollen, nicht
in der geistigen Tat. Die war Vermittlung. Sein Suchen
ging über verschiedene Systeme und Persönlichkeiten,
die ihn zum Teil von seinem Ausgangspunkt abdrängten,
ohne ihn ganz vergessen machen zu können.
Als Werner 1798 in die neugegründete Loge zum
goldenen Leuchter eintrat, mögen ihn auch Erwartungen
materieller Art mitbestimmt haben, aber letzten Endes
erhoffte er hier die Lehre zu finden, von der aus er seine
Weltanschauung entwickeln könnte. Es scheint, dass
Werner in der Zwischenzeit sich mit der Lehre des
Freimaurertums eingehender beschäftigt hatte. Eine Ver-
tiefung des Lehrgehalts vollzog sich, die fast verge-
waltigend war. Er gab der Lehre erst die Farbe, die
ihm entsprach, um dann als Eigentum der Gemeinschaft
dieses Eigene zu verkünden. Lehren wollte er wieder,
als Künstler aktiv mitarbeiten. 1796 hatte er sich an
Deutschlands Dichter gewandt und zürnend ihnen zuge-
rufen, dass s'.e dem grossen Plane der Vorsehung wider-
ständen in ihrem ewigen Geleier von Küssen und Wein.
Nun trat er selbst vor die Brüder hin als Sämann der
„Saaten für die Ewigkeit". Er war überzeugter Anhänger
des Freimaurerordens, hoffte ihn zum Weltbunde zu
weihen und zu erhöhen, wenn die Ewigkeitssaat auf-
gegangen sei.
48
Die Aufgabe, die er dem Freimaurerorden als Brudei
Redner vorzeichneie, war eine mit Rousscaus Gedanken
durchsetzte Menschheitserziehung, wie Lessing sie skizziert
hatte. Das Programm des Neuhumanismus im 18. Jahr-
hundert verband sich hier mit mystischen Elementen, die
er der Geheimlehre des Ordens entnahm und die vor
allem die Schicksalidee Werners düster färbte.
In dem undatierten, anscheinend häufig überarbeiteten
„Fragment", dessen genaue zeithche Einreihung nicht
möglich ist, dass aber als Produkt dieser Jahre ange-
sprochen werden muss, steht der Orakelspruch:
Ersteht, Erschaffen, aus des Grabes Schwelle,
Dann also spricht des Schicksals grosses Buch:
Aus Nacht und Blut entspricht des Lichtes Quelle.
Schon das Erlebnis des geschichtlichen Gesetzes im
blutig unterdrückten Freiheitskampfe der Polen hatte
diesen Gedanken geweckt, die Geschichte des Freimaurer-
ordens kristallisierte sich um diese Idee. Als er in seiner
„Rede" die Entwicklung des Ordens darstellte und seine
Bedeutung für das Weltganze aufzuweisen sich mühte,
musste der Vorsehungsglaube von diesem Stoff aus und
auf Grund der psychologischen Situation die pessimistische
Note dem Ich gegenüber trotz des beherrschenden Opti-
mismus hervortreten lassen. Auch hier ist die charak-
teristische Gegensatzverbindung vorhanden. Der Einzel-
heit gegenüber ist das Schicksalwalten pessimistisch ge-
schaut, als ganzes optimistisch gesehen und der Gedanke
bildete sich von hieraus, dass für das Einzelne, das
Individuelle in jeder Form das Schicksal zum Verhängnis
werden muss, dem Allgemeinen aber zum Segen.
Werner sah in dieser Zeit sein ver.nichtetes Leben
mit seiner Qual und Enttäuschung als eine strenge
Erziehung zu dem Beruf des religiösen Dichters und
wurde von dem Gedanken seiner Zeit veranlasst, das
als den Sinn der Weltentwicklung anzusprechen, das
Walten der Vorsehung von der weltpädagogischen Seite
zu erfassen. Die Erkenntnis seiner Unfähigkeit, selbst
49
die Bahn seiner Entwicklung; zu bestimmen und der
eigenartige, seelische Masochismus, der in ihm lag, suchten
und erzwangen diese Weltauffassung. Werner besass
ein grosses Bedürfnis nach geistiger Ruhe, sehnte sich
nach dem dolce far niente einer rein beschaulichen
Lebensführung, das mit dem Trieb zur äusseren Wirkung
eigenartig kontrastierte und seinem Leben das Stossweise,
Impulsive gab, das ihn in seiner künstlerischen Ent-
wicklung von der Lyrik zum Drama führte. Er erschien
sich mehr getrieben als selbst gehend und musste den
Schicksalgedanken zu der Form entwickeln, die er in
seinen „Söhnen des Thals" proklamierte, wobei er unter
dem starkwirkenden Einfluss zunächst Schillers stand,
auf den er in der Darstellung seiner Liebestheorie schon
verwies.
In dem Erscheinungsjahr des Wallenstein lag die
Konzeption des ersten Dramas, das Werner veröffentlichte.
Wie stark der Dramatiker Schiller auf den Künstler Werner
gewirkt hat, beweist selbst die oberflächlichste Lektüre
seiner „Söhne des Thals", „Weihe der Kraft" usw. Er
selbst empfand sich als berufenen Nachfolger des Grossen
und wurde von Iffland und vielleicht auch von Goethe
erhofft. Nach Schillers Tod schrieb Werner an Scheffner:
„Was sagen Sie zu Schillers Tode. Er hat mich wie Blei
befallen. Wie kurz ist das Leben! Welcher Posten ist
jetzt vakant." Mit seiner Kunst wirkte Schiller gleich-
zeitig und sehr intensiv gedanklich auf ihn, der allerdings
die übernommenen Elemente aus dem Zusammenhang
löste und in dem krausen und schnellen Rezeptionsprozess
völlig umgestaltete, so dass der Ausgangspunkt kaum
erkenntlich blieb. Der Name des Dichters bei der Dar-
legung des Liebebegriffes ist ein Wegweiser, der kaum
fehlen dürfte.
Schiller war als Persönlichkeit ethisch orientiert. Jede
Faser seines Wesens war von ethischen Tendenzen durch-
drungen und seine Weltauffassung kannte nur einen Richt-
punkt: Das Ethos. Das stand auch in der Welt, die seine
Hankamer. Zacharias Werner. *
50
Kunst schuf, als herrschender Mittelpunkt. Der" innere
Rythmus seines ethischen Lebens wurde in seiner Kunst
Form von den Räubern bis zu Demetrius sich entfaltend,
im Charakter sich wandelnd, im Tempo wechselnd. Er
schuf jeweils die Welt seiner Gestalten von der dumpfen^
schwülen Atmosphäre der Räuber bis zu der herben,
strengen, fast nüchternen Luft seines Teil. Allen seinen
Werken war die Beziehung auf eine überindividuelle Wer-
tung, auf ein transzendentes Ethos gemeinsam, das erst
den Menschen und ihren Taten Mass und Wesen gab.
Für Schiller war das Bezeichnende und Entscheidende der
Persönlichkeit die Stellung zum Sittengesetz. „. . er ging
nicht von gegebenen Menschen aus, sondern von einem
a priori moralisch gedachten" sagt Gundolf. Seine Kunst
erhielt dadurch eine Unwirklichkeit im höheren Sinne.
Sie machte die Welt, wenn auch nicht zur Allegorie, so
doch zu einer inferioren Grösse, zu einer Halbheit, die
sich erst durch das Sittengesetz zu einem Ganzen rundete.
Erst dadurch wurde die Welt Kosmos und interessierte
nur insofern sie dieses Sittengesetz demonstrierte. Durch
die Erfüllung des sittlichen Gebots hob sich der Mensch
zur Persönlichkeit. Das Individuum war bei Schiller durch
das Sittengesetz wesentlich bestimmt. Genie war ihm
der Mensch mit dem überlegenen Sittlichkeitsgefühl. Jeder
seiner Helden könnte Hamlets Wort sprechen. Sie waren
Gesandte des absoluten Sittengesetzes, deren Dynamis
sie zum Kampf mit der Welt zwang. Das Dramatische
ist bei Schiller der Konflikt der Vertreter des absoluten
Sittengesetzes mit denen der Konventionsethik und auch
einige Male der Kampf des Menschen in sich mit dem
persönlichen Ehrgeiz und der sittlichen Forderung. Wo
der Dichter darüber hinaus ging, riss der Künstler den
Ethiker fort. Aber wohl immer schimmert dieser Grund-
gedanke durch. Den Beruf suchte und fand das Individuum
nicht so sehr in sich als in der transzendenten Welt. Für
Schiller wäre die tragische Möglichkeit, dass zwei an sich
gleichberechtigte Kämpfer für das Ethos aufträten und
51
die geschichtliche Notwendigkeit den Kampf nur eben
in ihrer menschlichen Person nach zeitlichen Bedingungen
so oder so entschiede — was Thomas Mann in seiner
Fioranza zu geben versucht — nicht vorhanden. Eine
Einheit zwischen Sittengesetz und Individuum wo beider
Wesen gewahrt bliebe, ist ihm nicht gelungen. Die schöne
Seele verliert den Charakter als Persönlichkeit, ist Seele
gewordenes Sittengesetz aber nichts Persönliches mehr.
Beide Kräfte bleiben tatsächlich getrennt trotz .aller Ver-
suche und anscheinender Verbindung.
Das Urerlebnis Schillers ist nicht so persönlich, wie
man es allgemein sieht, und wie auch Gundolf es formuliert.
Wenn er Recht hätte, wäre zweifellos eine intensivere Ver-
bindung von Ethos und Persönlichkeit in der Kunst Schillers
erfolgt, als sie tieferer Analyse sich zeigt. Die von der
Persönlichkeit fast bewusst gelöste Form der Schillerschen
Kunst beweist, dass das Urerlebnis anders war, wobei es
bich natürlich nur um Nuancen handelt. Nicht die Ent-
wicklung des Begriffs Individuum war der Keim zur Wand
iung in der ethischen Auffassung Schillers, der Begriff
Gesellschaft bestimmte diesen Vorgang. Ein sozial-ethisches
Erlebnis ist das Erste, nicht ein individual-ethisches. Erst
Fichtes Grundstellung ist in der Persönlichkeit, erst seine
Ethik hat die Verbindung zwischen Persönlichkeit und
Ethos vollendet. Schiller fühlte diese Forderung und
suchte sie zu lösen, konnte sie aber nicht gedanklich
erfüllen.
Die künstlerische Kraft des Dichters macht das ver-
gessen, kann aber durch sein Urerlebnis nicht ganz die
Zweiteilung ausgleichen. Die allzu scharfe Kontrastierung
der Charaktere wurzelt ebenfallls in dieser überindividuellen
Erfassung des Ethischen. Er stand bei der Darstellung
darüber im Sittengesetz, nicht im moralischen Menschen
a priori.
Hatte sich schon in der Weltauffassung der früheren
Stufe bei Werner der Gegensatzcharakter des Schicksals
zum Individuum angedeutet gefunden, in dem schroffen
53
Dualismus zwischen der historisch gewordenen Realität
und dem Ich, die Übernahme der Schillerschen Gedankenwelt
brachte eine Vereinigung von Schicksal und Sittengesetz zu
Wege, wobei das Sittengesetz in eine Kampfstellung zur
Persönlichkeitsforderung zu stehen kam.
Das Wort Schicksal ist hier für \A'erner Träger zweier
Begriffe. Zunächst erscheint als Schicksal die Wirklich-
keit, die im strengen Kausalzusammenhang gebundene
Welt, Sie hat ihre stärkste Kraftäusserung gegen das
Individuum im Tode. Tod und Schicksal erscheinen denn
auch an vielen Stellen in engster gedanklicher Verbindung.
Von da aus, wo Rousseau als Ausgangspunkt zu nennen
w^ar, ging ein Weg in der Entwickelung des Schicksal-
gedankens weiter, während der andere von Schiller seinen
Ausgangspunkt nahm und zur Identifikation von Schicksal
und Sittengesetz führte. Hier ist es Vorsehung, VVeltplan;
es ist die Ordnung des Seins ausserhalb und über der
Individualität. Die von Werner noch mehr instinktiv
gefundene Einheit der Begriffe lag in dem Gegensatz beider
zum Individuum und in dem Erlebnis der überpersönlichen
Macht der beiden Kräfte.
W^ährend die inhaltliche Entwickelung des Schicksal-
begrißes hauptsächlich unter anderen Einflüssen erfolgte,
ist die formale Seite, die Stärke der Antithese Mensch-
Schicksal durch die Übernahme und Verarbeitung Schiller-
scher Gedanken wesentlich mitbestimmt worden und auch
die pädagogische Seite dieses Gedankens ist w^ohl auf ihn
zurückzuführen, wenngleich sie später erst ihre Eigenart
erhielt und tief in der Psyche Werners wurzelte.
Eine reiche, produktive Arbeit, die allerdings nur
Ansätze brachte, kennzeichnete die letzten Jahre des Jahr-
hunderts für Werner. Die vielen Keime, die sich ent-
wickelten, waren keineswegs von jener zielwissenden
Einheitlichkeit, die das geistige Leben eines Grossen cha-
rakterisiert. Der überzeugungslose Literatenzug blieb
in dem Bilde auch dieser Epoche noch deutlich. Das rein
Spielerische der Gedankenarbeit offenbarte sich in den
53
beiden Gegenstücken „Phantasie" und „Wahrheit", die be-
wusst, nicht aus innerer Notwendigkeit sich gegenseitig
begrenzend, sondern auf den Tadel des Freundes ihn
korrigierend, den Zwiespalt seines Denkens zeigten. Werner
stand in dieser Zeit in einer geAvissen Kritik seinem
Doppel-Ich gegenüber. Es war ihm bewusst geworden,
dass er zwischen zwei Lebensformen zu wählen hatte
und er fühlte den inneren Gegensatz. So wie der deutlich
bewusst wurde, war er nicht mehr so klaffend; dem die
Liebe Werners gehörte schon ausgesprochen der „Phan-
tasie". Sein Gefühlsleben erhielt eigene, echte Inhalte
und nahm eine persönliche Richtung auf das Religiöse,
die sich mit seinem Eros-Kult verband in der Verehrung
der Heilandmutter.
Dieses rehgiöse Motiv tauchte jetzt immer häufiger
auf. In dem Gedicht „Phantasie" forderte er Rückkehr des
Enthusiasmus und der holden Schwärmerei des Glaubens,
die „jeder Seele, die vom Erdenstaube müde" Erquickung
bringe. Immer deutlicher gestaltete sich die Kampfansage
gegen die „Tyrannin Aufklärung", gegen die Vorherrschaft
des Verstandes. Werner erkannte die Bedeutung der Ge-
fühlskraft für seine geistige Existenz und von da aus fand
er den Weg zu der neueren Kunst, die er in dem Ab-
schiedsgedicht an das 18. Jahrhundert gefeiert hatte. Schon
hier zeichnete sich der Teil seines späteren Systems ab,
in dem er Schillers Anregungen folgend, die von der
ganzen Romantik aufgenommen wurden, den Geschlechts-
unterschied geistig vertieft als Zartheit und Kraft (Weihe
der Kraft!) definierte und so Phantasie und Wahrheit in
einer besonderen Erscheinungsform fasste und zu einer
Einheit (Ehe-Synthese bringen wollte.
Der Erosbegriff erreichte hier die für Werner grösste
Reinheit. Die PYau ist berufen das kontemplative Element,
in beschaulicher Zurückhaltung zu hüten und zu bewahren,
da das Tatleben des Mannes seine Pflege unmöglich macht.
In dieser Erscheinungsform ist der Zusammenhang mit
den Gedankengängen der Klassik am deutlichsten wahr-
54
zunehmen und nur in kleinen Zügen auf die spätere
Fassung vorbereitet.
Auch die Religion, zu deren Verkündigung er sich
berufen fühlte, entbehrte noch aller eigentlichen Mystik
und ist mit der Weltanschauung der Humanitätszeit noch
fast restlos gleichzusetzen. Hatte er aber in seiner Königs-
berger Zeit mehr aus reinen Verstandesgründen für eine
tolerantere Religionsauffassung gekämpft, jetzt fasste er
die Gefühlsfärbung des religiösen Lebens und kam von
da aus zu der Forderung einer grösseren Einheitlichkeit,
wie er sie über den Formen und Formeln der einzelnen
Kulte in der Geheimlehre des Freimaurerordens aus-
gesprochen fand. Nicht aus einer Vernunftüberlegung
heraus, sondern aus der Sehnsucht nach gefühlsmässigem
Religionerleben näherte er sich dem Ausdruck und der
Form des Katholizismus. Auch bei Werner war die
Marienverehrung der Ausgangspunkt, weil er hier den
Schnittpunkt von Liebe und Religion vorfand. Seine
Umgebung — das katholische Polen — mochte mitwirken,
ohne dass jedoch jetzt schon die Forderung nach einem
„geläuterten Katholizismus" erhoben worden wäre. Über-
haupt waren alle diese Gedanken noch äusserst keimhaft
und zeigen sich nur dem retrospektiven Blick als ent-
wicklungsfähige Ansätze, die in der romantischen Epoche
Werners erst Form gewannen. Zaghaft nur begann das
eigentliche Leben in Werner sich zu äussern. Langsam
und unter schweren, plötzlichen Rückschlägen entwik-
kelte sich eine W^eltaufifassung, die noch nicht vollendet,
aber in den Grundzügen schon ziemlich klar im l. Teile
der „Söhne des Thals" proklamiert wurde. Auch in ihm
sind mehr Möglichkeiten als die Erfüllung, auch er liegt
noch weit ab von der eigentlichen romantischen „Voll-
endung" Werners, die im „Kreuz an der Ostsee'' erfolgte.
Diese Zeit stand unter dem Einfluss des Oberlotterie-
assessors Mnioch und der mehr indirekten Wirkung des
jungen Hitzig. Von Mnioch schrieb Werner kurz nach
dessen Tode : „Der wahrhaft grosse Dichter und Religiöse
würdigte mich seiner genauen Freundschaft, Ich ver-
danke ihm in Hinsicht meiner ästhetischen und religiösen
Ideen sehr viel.'' Auch mit seiner klugen und feinsinnigen
Frau verband ihn ein Freundschaftsverhältnis. Mnioch
war einer der vielen, anregenden Persönlichkeiten dieser
Übergangsepoche und Hitzig schilderte die Tragik dieses
Künstlertums treffend, dass überall, wo er seine Stimme
erhob, Grössere als er gleichzeitig das Ähnliche auszu-
sprechen suchten, ^
Gerade deswegen war der Einfluss auf Werner günstig.
Eine absolut überragende Künstlerpersönlichkeit würde
seine Entwicklung wahrscheinlich in eine wesensfremde
Bahn gedrängt haben. Mnioch vermochte Werner nur
Anregung aber keine Vollendung zu geben und aus dem
mehr theoretisch als praktisch Gebotenen konnte der
wenig jüngere, aber langsamer Reifende leichter das
ihm Entsprechende wählen. Mniochs Entwicklung würde
scheinbar demselben künstlerischen Ziel entgegen ge-
gangen sein, wie Werner es tat. Mit den Romantikern
hatte er geistige Beziehungen, die sich auch zu literarischer
Verbindung verdichteten.
Das Bezeichnendste für Mnioch ist die Verbindung
von Maurertum und den romantischen Ideeansätzen, die*^
sich bei ihm finden. Er ist der Verfasser des Maurer-
Bundeslieds und hat Werners Auffassung des Ordens
stark beeinflusst. Durch ihn ist er zu der Neulehre ge-
kommen, die er so als die Lehre des Ordens empfand.
Unter seinem Einfluss beschäftigte der Dichter sich ein-
gehender mit der Geschichte dieser Geheimgesellschaft
und unter den Augen Mniochs wuchs das Drama, in dem
alle diese Ideen sich spiegeln, und das nur den Brüdern
ganz verständlich, neu und gewandelt der Menschheit
die Heilslehre künden sollte. Es ist das m.enschliche
Verdienst Mniochs den ihm untergeordneten Landsmann
— er war in Elbing 1765 geboren — so freundschaftlich
geleitet und ihm dadurch Gelegenheit gegeben zu haben,
den fehlenden äusseren Halt zu bekommen. Die steigende
56
Tendenz Werners zur inneren Festigung, die unverkenn-
bar ist, war nicht zuletzt sein Werk.
Es ist ein Zug, der sich bei Werner immer findet
und der später seinen theoretischen Ausdruck erhielt,
dass er in den Zeiten auch stärkster Abhängigkeit einen
Jünger haben musste. In Warschau war das der junge
Hitzig, der Ende 1799 dorthin in die Verwaltung kam.
Der junge Berliner Jude war von seiner Zeit schon
vorgebydet und bot einen empfänglichen Nährboden der
in erdrückender Fülle auf Werner einstürmenden Ideen.
Der Vorgang der neuen Weltanschauungsbildung war
derartig revolutionär, dass Werner eines Menschen be-
durfte, der gerne diese ewig w'echselnden geistigen Bilder
anschauend zum Verweilen zwang und durch Frage und
Antwort eine Klärung herbeiführen half.
In einer kleinen Schrift wohl aus dem Jahre 1806
„Über die allmähliche Verfertigung der Gedanken beim
Reden" schildert Kleist einen geistigen Vorgang, den er
auf die paradoxe Formel brachte: l'idee vient en parlant."
Dieser seeliche Prozess, den er nach eigenem Erleben
zeichnete, ist in solcher Ausgesprochenheit bezeichnend
für das geistige Leben der Romantiker. Es ist die formale
Folge des Denkens dieser Epoche. Man könnte sagen,
dass der Monolog des Denkvorgangs sich hier erkennbar
spalte zum Dialog. Selbst die kleinste Aktion des Kon-
trahenten, der als Gegenspieler empfunden wurde, steigerte
dramatisch die Denkenergie, da sie unbewusst als Kampf-
äusserung der eigenen Persönlichkeit erschien. An sich
brauchte im einzelnen Fall kein Zusammenhang zwischen
dem Sprecher und Hörer zu bestehen, denn der Hörer
ist nur die Projektion des eigen Ich in die Tatsächlichkeit,
wohl aber war ein intimer seelischer Zusammenhang
im Ganzen sehr förderlich. So war wohl das Grund-
erlebnis Kleists, wenn es in der Schärfe auch nicht ganz
in dem Fragment zum Ausdruck gebracht wurde.
Das ist die letzte Ursache des Jüngertums für Werner,
eine der letzten zartesten Wurzeln des romantischen
57
Freundschaftskultus und der Liebeidee; denn die Roman-
tiker suchten selbst in dem Du das Ich, wie sie anderer-
seits im Ich das Du erkannten, wobei das Du als das
Rezeptive, das Ich als das Produktive genommen wurde.
Sie alle sind bewusst Meister und Jünger zugleich. Die
latente Energie ihres Seins bedurfte der Erweckung durch
eine gleichgerichtete Kraft, nahm aber nur die an, deren
Schwingungen auf sie abgestimmt waren und entwickelte
sich fast von selbst. Der Rezeptionsvorgang der Roman-
tiker ist im grossen gesehen solch ein Dialog, wie Kleist
ihn analysierte. Eine unendlich verfeinerte Rezeptivität
und eine ebenso einseitige Aktivität ist die antithetische
Einheit der geistigen Wesenheit der Romantik, das Zeit-
alter der Übersetzung, wie Brentano im Godwi ironisiert.
Übersetzung kann Nachdichtung sein im Sinne des Dichters
wie Übertragung in das eigene Ich. Wilhelm August
Schlegel stellte den einen Pol dar, Friedrich Schlegel den
anderen und trotz dieses Weltengegensatzes waren sie
nicht nur äusserlich Brüder. Werner verband in sich
beide Pole besonders deutlich, wollte stets gleichzeitig
Meister und Jünger sein.
Zunächst wurde die Persönlichkeit Hitzigs von der
Energie der Weltanschauungsrevolution einfach negiert,
setzte sich aber dann auch als Eigenwert — vor allem
auf moralischem Gebiet — durch und wurde ein wirk-
licher Anreger für Werner, der seine kleinen Unannehm-
lichkeiten und seine grossen Pläne mit ihm durchsprach.
Werner erlebte gerade den Zusammenbruch seiner zweiten
Ehe, den der Neurastheniker anscheinend nur wenig ernst
nahm, während er in Wirldichkeit die ganze Lebens-
auffassung des Menschen färbte. Gerne liess er sich von
Hitzig bemitleiden und kokettierte mit seiner Qual, die
er als Folge des Schicksals nicht als persönliche Schuld
ansprechen zu können meinte. In empfindungstrunkenen
Stunden w^eihte er den jungen Menschen in die dunklen
Geheimnisse seines Lebens ein, enthüllte ihm mit selbst-
quälerischer Wollust alle seelische Schmach und befreite
58
sich durch die Beichte, die seinem Wesen Erlösung
brachte.
Es ist anzunehmen, dass Werner ähnhch wie in
seinen Briefen den ^verschiedenen Empfängern gegenüber
Mnioch und Hitzig als wesensverschiedener Mensch ent-
gegentrat. So konnte er sich seelisch vollkommen aus-
geben und beiden Seiten seiner Persönlichkeit damit
gerecht werden. Die Stimmung, die wir aus der Dar-
stellung Hitzigs kennen, ist nur eine psychologisch be-
schränkte Seite. Die Gesamtheit der seelischen Situation
dieser Zeit ist wohl ruhiger, als w-ir sie durch Hitzigs
Augen zu sehen vermögen. Das geht aus der Entschieden-
heit hervor, mit der er unter grossen finanziellen Opfern
die Trennung der nach seinem Empfinden unsittlichen
Ehe durchsetzte und die verhältnismässig grosse Konzen-
tration mit der er sich der Arbeit an den „Söhnen des
Thals" hingab, die 1800 begonnen, 1802 (22. Februar)
Hitzig als vollendet mitgeteilt wurde, obgleich ein ein-
gehendes historisches Studium zu Grunde lag und mancher-
lei äussere Hemmnisse dazwischen traten.
Biographisch ist eine Einreihung der „Söhne des
Thals" (I. Teil: die Templer auf Cj^pern) als Abschluss
dieser Epoche berechtigt. Die in den Werken aufge-
nommene Fassung ist eine Überarbeitung, die den späteren
romantischen Mystizismus mehr hineinlegte als heraushob.
Werner gestand selbst Hitzig, dass „die Haupttendenz
in ihm nur schwankend ausgedrückt sei" und wir sind
berechtigt, es dahin zu erweitern, dass erst durch die
briefliche Interpretation, die schon unter dem Einfluss
der Romantik erfolgte, die sogenannte Haupttendenz her-
vortritt. Selbst in der Überarbeitung ist das Eingefügte
als spätere Arbeit deutlich erkennbar und der Gehalt
der ersten Fassung geht über die Auffassung der „Rede"
von 1798 kaum wesentlich hinaus. Die bisherige Dar-
stellung dieses Dramas (am wenigsten die Poppenbergs)
leiden unter der Suggestion des zweiten Teils, der eine
ganz andere Akzentverteilung in den „Templern auf
59
Cypern" veranlasste als sie ursprünglich von Werner
gedacht worden war. Das Bild auch des Künstlers
Werner ist noch viel unmystischer, als man es zeichnet
und die „Templer auf Cypern" stehen der Kunst Schillers
noch näher als der Romantik.
Werner hat in den Eingangscenen die verschiedenen u^x^ ^jic^rc
Typen des _völlig verkommenen Ordens geschildert und --vt-ev«^ /^ •
im Gegensatz zu seiner späteren Behauptung, dass auf
der Moralität der Templer kein Gewicht läge, jedes
einzelne Laster durch einen besonderen Vertreter ge-
kennzeichnet. Der Orden als Ganzes ist reif zur Ver-
nichtung und die in seinem Bann stehenden Menschen,
selbst wenn sie schuldlos sind, werden durch ihn in das
Schicksal gezogen. Das ist ihre Tragik. Die spätere
Haupttendenz, dass die Schuld des Ordens die Propaganda
eines nüchternen Deismus sei, würde durch eine weniger
grosse Sittenverwilderung viel deutlicher gemacht worden
sein. Die Handlung entwickelt sich im Ursachenzusammen-
hang ohne besondere mystische Untermalung und die
Weisheit des Ordens: „Aus Blut und Dunkel quillt Er-
lösung" ist auf der Grundlage der Parallelstelle in dem
„Fragment'- weniger tief zu fassen. Die Märtj^rerrolle
Mola5's wird im Rahmen des Weltgeschehens angeschaut
und die Maurerlehre auf ihn angewandt, dass Form und
Farbe wandelbar seien, während der Urstoff ewig lebe.
In der „Rede" war dieser Gedanke in seiner seichten
Tiefe ausgedrückt :
Zwar der vSturm entblättert eine Blume ;
Denn den Templer traf das Henkers Schwert;
Doch von Erdenbosheit unversehrt.
Blieb der Flammenstern im Heiligtume."
Man muss sich davor hüten, das spätere romantische
Niveau dieser Gedanken schon hier als vorhanden anzu-
sehen. Alle diese Ideen sind in ihrer Tiefe erst später
erfasst worden und im Zusammenhang der I. Fassung
des Dramas als ziemlich oberflächlich zu erkennen. In dem
Komplex von Ideen und Symbolen, die von dem Frei-
60
maurertum Werner geboten wurden, waren Gedanken
und Zeichen, die er später in Böhmeschen Geist über-
setzte. Das konnte um so leichter geschehen, als
Böhme in dem Material alchymistisch-mA^stischen Den-
kens formale ISIöglichkeiten gefunden hatte, seine Er-
kenntnisse auszudeuten und durch das Rosenkreuzer-
tum in der Geheimlehre des Freimaurerordens eine Fülle
gleicher Ideen latent war, wahrscheinlich sogar Inhalt-
einzelheiten Böhmes lebten.
Formal ist das „Dramatische Gedicht" ein Fortschritt,
der das stürmische Tempo illustriert, in dem sich die
Entwicklung Werners damals vollzog. Die Sprache schmiegt
sich leicht dem Gedanken und auch der Stimmung an,
deren Umkreis nicht gering ist und von sublimster Opfer-
sehnsucht bis zum burlesken Kneipton reicht. Ist auch
im Gesamtbau des Dramas keine Rücksicht auf Bühnen-
möglichkeit genommen worden, der theatralische Instinkt
W^erners manifestiert sich in einer Fülle von Einzelheiten,
die das Dramatische nur zu oft " veräusserlichen. Die
Charakterzeichnung ist knapp und klar und bietet einige
sehr wirkungsvolle Rollen. Die Erweichung der Persön-
lichkeit im IVtystischen ist keineswegs vorhanden und es
fehlt in der ersten Fassung auch das xAntithetische im
Charakteraufbau, das für den späteren Werner so bezeich-
nend wurde. Der Aufbau und die Behandlung des Stoffes
lässt die Schule Schillers erkennen, dessen stilisierter
Realismus des „Lagers" das Vorbild Werners gewesen
zu sein scheint. Mit ihm hat es auch den Charakter
der Exposition gemeinsam; denn die „Templer auf Cypern"
sind nur als eine Einleitung, als ein Auftakt zu der
Katastrophe gedacht.
Erst durch die Entwicklung und Vertiefung der
Weltanschauung Werners in der kurzen Zwischenzeit,
die beide Teile trennt, entwickelten sich die Ansätze und
Keime zu dem, als was sie eben durch den Expositions-
charakter des ersten Teils im Zusammenhang mit der
Fortsetzung später erschienen. Der Gedankengehalt der
61
„Templer auf C3-pern„ ragte kaum über das hier ange-
deutete geistige Niveau der Zeit hinaus und erhielt seine
Tiefenwirkung durch die Übersetzung in die romantische
Gedankenwelt, die während der Vollendung des ersten
und vor dem Beginn des zweiten Teils von Werner auf-
genommen wurde.
Erstrebt hat Werner wenn auch nicht bewusst schon
damals, was er später künstlerisch gestaltete und predigte.
Die Zerlegung der Entwicklung hat uns alle Einzelheiten
aufgewiesen; aber es w^aren noch Einzelheiten, die ihres
Wertes und ihres Weltanschauungscharakters nicht sicher,
künstlerisch nicht von innen heraus Form suchten. Der
überwältigende Einfluss der Kunst Schillers drängte den
unstät Suchenden auf diesen Weg und man fühlt das
innere Wehren und Sträuben durch und das Tasten nach
dem, was er eigentlich sagen möchte, nach Erfüllung der
künstlerischen Konzeption.
Durch Mnioch und vielleicht auch durch Hitzig war
er mit den Grundlehren der Romantik wenigstens indirekt
in Berührung gekommen, mochte auch durch die Zeit-
schriftenlektüre in polemischer und entstellter Form einiges
von ihrem Wollen erfahren und bei seiner genialen Empfind-
lichkeit für wesensgleiche Impulse in der geistigen Atmo-
sphäre diese Energien verspürt haben. Dazu kam in dieser
Epoche eine tiefere Erfassung der Neu-Inhalte Rousseaus
und all' das bereitete die Empfänglichkeit Werners für
die neue Lehre vor, schuf dieses Kunstwerk, das bei
merklichem Schwanken zwischen zwei Kunstformen tat-
sächlich mehr zur Klassik tendierte, w^ährend das Kunst-
wollen mehr zur Romantik drängte. Durch die verhältnis-
mässig geringe Umarbeitung (1807) konnte er die innere
Stimme des Dramas dann auch so stärken, dass dem
Oberflächenblick die Einheit gewahrt blieb und der
romantische Timbre herrschte. In einem vor allem neigte
sich das Erstlingswerk der neuen Zeit zu: in der starken
religiösen Tendenz, die das am wenigsten Übernommene
war. Das Werner Eigentümlichste, das ihm Eigentum nicht
62
erworbener Besitz war, war das Romantischste. Eine
Feststellung, die wesensbezeichnend ist für die Evolution,
die sich in Werner vollzog.
Zwischen zwei Welten stand dieses Drama, aber
Werner hatte sich entschieden für die eine, die er sich
in kurzer Zeitspanne stürmend eroberte.
III. Kapitel.
Die Aufnahme der Romantik.
Es war eine seelische Notwendigkeit, dass der Lyriker
und Rhetor zum Dramatiker wurde. Menschlich durch
die Freundschaft Mniochsundder Logenbrüder, künstlerisch
durch die Erlebnisstärke der Freiheitslieder und Maurer-
gedichte war er sich seiner selbst bewusster geworden.
Die Energie dieses selbständigeren Lebens, der starke
Rythmus seiner Weltanschauungsbildung rief das Drama
als die eigentliche Form, die der in ihm „rasenden Wild-
heit" (wie er Chamisso schrieb) entsprach; denn das
Drama ist die Kunstform der Epochen und der Individuen,
in denen die innere Spannung explosiv sich lösen muss
und wird stets da ihren Höhepunkt erreichen, wo der
revolutionäre Schwung das geistige Leben vorwärts stösst.
Bei einem Volke wird das sein wie bei dem Einzelnen.
Der Beginn der seelischen Revolution Werners erzwang
diese formale Wandlung.
In dieser Zeit exaltierter Spannung, die den Arbeits-
prozess Werners kennzeichnete, musste sich die Lüge
seiner zweiten Ehe lösen. Werner erlebte den Eros in
einer Form, die mehr als alles andere seine damalige
seelische Steigerung erkennen lehrt.
Die Schilderung, die er seinem Freunde davon gab,
ist 1804 gewiss literarisch gefärbt, aber man fühlt die
63
Starke Erschütterung dieses intuitiven Eros noch deutlich
durch: „Ich begegnete sie auf der Strasse und ihr Anblick
fuhr mir wie ein Blitzstrahl in's Herz. Diese Grazien-
gestalt war es, deren Bild mir zeitlebens dunkel vorge-
schwebt hatte; sie war für mich bestimmt; ich liebte sie
vom ersten Augenblick, als ich sie sah, und ich, der zwei-
mal geheiratet und sich getrennt hatte, liebte jetzt in
meinem dreiunddreissigsten Jahre zum erstenmal." Im Sep-
tember heiratete er das Mädchen, die Tochter eines
Warschauer Schneidermeisters, als deren Name er Mal-
gonszata Mankviatovska nannte. Die junge, schöne Frau,
deren glühende Phantasie ihm entsprach, schenkte dem
Dichter jede mögliche Anregung zu künstlerischer Arbeit.
Die letzten Fähigkeiten seiner vSeele w^urden in dieser
erlebnistrunkenen Zeit in ihm wach. Ihr hat er zu danken,
dass er seinen Künstlerberuf klar erkannte und mit so
lebendiger Energie die geistigen Reize aufnahm, die ihm
die Romantik bot.
Werners seelisches Tempo war zu ausgesprochen künst-
lerisch, um sich in ruhiger, geniessender Arbeit des
Neuen zu bemächtigen. Er besass die Hyperästhesie jener
Zeit, die in fast schmerzender Stärke auf alles reagierte,
was an realen und idealen Kräften hemmend und fördernd
wirksam wurde. Sie verzerrte jedes Erlebnis in ihre
polaren Extreme, zerriss jede Einheit zunächst in der
letzten vSteigerung des Einzelnen und suchte diese revo-
lutionäre-destruktive Tendenz dann in der Vereinigung
der Extreme wieder zu überwinden. Sie sind nicht
Herrn des Erlebens sondern seine Gefangene. Ihnen
fehlte die göttliche Gelassenheit, die Goethe selbst im
Rausch des Geistes nie verliess, Sie glaubten das Leben
zum Erlebnis-Kunstwerk zu poetisieren und entstalteten
oft nur die Kunst. Vor allem Werner, Sein Leben
erhielt den ungesunden ekstatischen Zug. Alles ergriff
er in kampfartiger Steigerung der Seelenkräfte. Die Psyche
des Romantikers war eben nur so leistungsfähig. Es w^ar
die Folge des Künstlertums dieser Generation, der Aus-
64
druck des produktiven Drangs, der allen Künstlernaturen
verhaftet ist. Wenn Fichte später den Enthusiasmus als
die normale Lebensform wollte, so war es Ausdruck des
Erlebniswissens, dass nur in dieser Überleistung ohne Ent-
spannung" die letzte Forderung von der Generation erfüllt
w'erden konnte.
Die geistige Unmässigkeit Werners, der kranke Drang
nach intervalloser Anspannung aller Seelenkräfte gab
seinem erotischen Leben das Kennmal. Eine Briefäusserung
Werners Hitzig gegenüber zeichnete das Niveau dieses
Zusammenlebens: „Mit dem Deutschen will es bei meiner
Frau noch nicht recht fort, dagegen haben wir uns eine
andere Sprache erfunden, die recht gut geht. Das Rauschen
des Waldes, des Windes, der Wellen, heisst bei ihr Jezj^k
Boga, die Stimme Gottes." In ihrer Liebe öffneten sich
bei Werner alle Tiefen des Gefühls, erhob sich die Mystik,
um alles Erleben zu fassen, bei dem die Worte und
Begriffe, die ihm bisher zu Gebote standen, stammelnd
versagten. Mochte ihm Religion und Kunst schon als
Mittelpunkte geistigen Lebens definiert, zunächst Träger
scheinen, immer herrischer klang das Liebemotiv durch
und w^urde das Centrum der seelischen Welt für ihn,
deren Verkündigung er als Lebensberuf auferlegt fühlte.
Ende 1801 ging er mit seiner jungen Frau nach
Königsberg, da die Mutter ihn rief und seine Frau in
ihn drang „meine Mutter nicht zu verlassen, sondern sie
mit ihr zu besuchen . . . Ich gab nach, nahm im Dezember
1801 vierteljährigen Urlaub und blieb bis zu Ende März
1802 in Königsberg ..." Da er erkannte, dass die schwer-
kranke Frau die Verwaltung des Vermögens nicht mehr
leisten konnte und er für seine Zukunft fürchtete, kehrte
er mit Urlaub bis auf weiteres im Juli 1802 nach Königs-
berg zurück und opferte seine Frau und sich in der
Pflege der Nervenkranken. Durch die Umstände ge-
zwungen lebte er sehr zurückgezogen und konnte so den
Versuch machen, „den sehr prosaischen Ehestand in's
Idealische heraufzustimmen ... Im Winter verkrochen
65
wir uns wie die Dachse und lasen zusammen, d. h. ich
radebrechte ihr aus dem Deutschen in's Polnische den
„Egmont-'j „Götz von Berlichingen", „Genoveva", „Jungfrau
von Orleans", „Macbeth usw. . . ." Werner hat in dieser
Zeit wirklisch seelisch Genüge gefunden und sich auf
seine innig geliebte Frau konzentriert, Hess sich von dem
erotischen Erleben in einen Rauschzustand versetzen,
der durch den gegensätzlichen Reiz der quälenden Er-
nüchterung bei den Ausbrüchen der h3-sterischen Mutter
doppelt aufreibend wurde und die Sucht nach Ekstase
noch steigerte.
Das eigenartige Kolorit der seelischen Situation
Werners, der mit einer Art geistiger Wollust die neuen
Gedanken an sich riss, die Erfüllung seines Wesens durch
sie in fast sexueller Gier suchte und erlebte, erhielt eine
neue Note durch seinen Verkehr mit dem Prediger
Christian Mayr (als Meister) und Raphael Bock (als Jünger^.
Mayr war schon äusserlich eine groteske Gestalt, ver-
wachsen, schielend und im Gang schleichend. Bei einer
krankhaften Überentwicklung seiner Phantasie war sein
Wesen gekennzeichnet durch ein Nebeneinander gemeinster
und grösster Eigenschaften, war eine Karikatur der Seele
Werners von faszinierendem Reize für alle Mischnaturen.
Werner war ihm zeitweise gänzlich verfallen, küsste
in den Briefen „seine heiligen Hände" und stand völlig
unter der Suggestion dieses seltsamen Heiligen, der ihm
die Lehre brachte vom Urchristentum,, seiner Sucht
zur Versinnlichung des Religiösen reichlich Nahrung gab
und Novalis Schwelgen in Blut und Fleisch noch überbot.
Mayr, dessen Kreuzbrüder- Orden wohl in die Tradi-
tion der Rosenkreuzer zurückweist, ist für die Verarbeitung
der Böhmeschen und romantischen Gedankengänge im
Sinne eines unklar-äusserlichen Mystizismus bei Werner
mitbestimmend gewesen. Maurer-Mysterien und Heilands- ^
Lehre verband er bewusster und mystischer, als Werner
es bisher vermocht hatte und sah in dem geheimnisvoll
Verhüllenden eine Notwendigkeit der Religion. „Denn
Hankamer, Zacharias Werner. «>
66
Menschen, die Gott fürchteten und Recht taten, waren
die Anbeter oder Verehrer Gottes im Geiste und in der
Wahrheit. Immer verborgen vor Menschen, nur vor dem
Gott, der in's Verborgene sieht, offenbar," schrieb er
Werner, indem er bedauerte, nicht mit ihm und Bock
zusammen das besprechen zu können; denn er war sich
der Macht seines persönlichen Einflusses bewusst. Mit
der Behauptung, zum Orient und dem Kreuzesbrüder-
Orden Beziehungen zu haben, in den er Werner aufnehmen
würde, fing er die Eitelkeit und den Geheimnishunger
Werners. Aber der -j- Bruder Sincerus hielt den r Bruder
Samuel hin und der Einfluss Hess bei örtlicher Entfernung
bald nach. Zweifellos hat dieser Mann halb Lügner,
halb Prophet eine Gewalt über Werner ausgeübt, die
den ganzen Aufnahmeprozess der Romantik mitbestimmte,
wenn auch andererseits die durch diese Arbeitsleistung
veranlasste Sensibilität den Eindruck einer solchen Per-
sönlichkeit verstärken musste.
Durch ihn, der alle Religionskulte genoss und vom
Judentum bis zu den Herrenhutern religiöse Narkotika
suchte, wurde Werner wieder kirchlich, nahm das Abend-
mahl, in dem Mayr Blut und Fleisch schmecken zu
können sich suggerierte und kam zu dem Plan des
gereinigten Katholizismus, in dem schleiermacherisch alle
religiösen Entwicklungskeime zur Entfaltung gebracht
werden sollten. „Ich erbitte vorläufig hauptsächlich
darüber Belehrung, ob der Weg zum Heilande durch
die Patriarchen der Urwelt allein führt, oder auch durch die
patres ecclesiae romano-catholicae (sc, der Urkirche). Mir
ist das sehr nötig zu wissen und bald zu wissen, um
nicht in der besten Absicht zu straucheln," fragte er den
Meister.
Der erste und später der zweite Teil der „Söhne des
Thals" formte sich so unter dem Erlebnis-Dreiklang:
Liebe, Religion und Kunst. Ihre theoretische Formulierung
fand er in der Romantik und wie er von hier erst zu
ihr kam, führte das den Suchenden durch die Wirrnisse
67
der Gedankenwelt, in die er damals eintrat und die er
als seine Heimat begrüsste.
Zunächst und besonders stark wirkten zwei Romantiker
auf ihn, die im Wesensbau eine gewisse Ähnlichkeit mit-
einander haben und deren Auffassung für die Aufnahme
der Romantik durch Werner entscheidend wurde. Schleier*
machei: und Wackenrodefr— Dass sie es gerade sein
mussten, war kein Zufall, sondern lag darin begründet,
dass Werner hier ausgesprochen fand, was in ihm war.
Er betonte diese Tatsache besonders stark ..." Du weisst
es vielleicht und ich mache keinem ein Geheimnis daraus,
dass ich seinen vortrefflichen Reden über die Religion
sehr viel Aufregung in mir geschlummerter Ideen ver-
danke. Selbst was ich hier geschrieben habe, klingt
wie Nachbeterei, ist es aber nicht wie ich glaube;
wenigstens schreibe ich nicht ein Wort, welches ich
nicht in succum et sanguinem mit meiner innersten
Überzeugung amalgamiert hätte . . ."
Schleiermacher hatte als das Wesen der Religion defi-
niert, dass sie ein Aufgehen im Universum sei: „ihr Wesen
ist weder Denken noch Handeln ^ondern Anschauung
und Gefühl. Anschauen will sie das Universum, in
seinen eigenen Darstellungen und Handlungen will sie
es andächtig belauschen, von seinen unmittelbaren Ein-
flüssen will sie sich in kindhcher Passivität ergreifen
und erfüllen lassen." Die Opferung des Ich im Erleben
Gottes ist ihr Kern und die kontemplative Form dieses
Vorgangs wurde stark unterstrichen. Alles Äusserliche
und Formale erschien dazu nebensächlich. Die reine,
geistige Aufnahme des Kosmos war das einzig wesent-
liche und in jeder Religionsform stofflich gebunden auf-
zuweisen. Der Erlebnischarakter wurde immer wieder
gefordert und damit eine persönliche Note als ihr Wesen
festgestellt. „. . . So liegt die Sache der Religion und
so selten ist sie, dass, wer von ihr etwas ausspricht,
muss es notwendig gehabt haben, denn er hat es nirgend
gehört." Schleiermacher hatte seinen eigenen Religions-
68
begriff in scharfer Form der Metaphysik gegenübergestellt,
die den Menschen als Mittelpunkt aller Beziehungen,
als Bedingung alles Seins und als Ursache des Werdens
auffasse. Auch gegenüber der Moral wird sie scharf
abgegrenzt. Die Religion legte den Schwerpunkt wieder
in das Universum, machte den Raub des sich unendlich
und ewig fühlenden Menschen wieder gut." Geraubt nur
hat der Mensch das Gefühl seiner Unendlichkeit und
Gottähnlichkeit und es kann ihm als unrechtes Gut nicht
gedeihen, wenn er nicht auch seiner Beschränktheit sich
bewusst wird, der Zufälligkeit seiner ganzen Form, des
geräuschlosen Verschwindens seines ganzen Daseins im
Unermesslichen." Nur der Trieb anzuschauen, wenn er
auf das Unendliche gerichtet ist, setzt das Gemüt in
unbeschränkte Freiheit. Nur die Religion rettet es von
den schimpflichsten Fesseln der Meinung und Begierden.
Das Universum wurde bei dem Anschauungsakt als das
eigentlich Handelnde gesetzt und Schleiermacher defi-
nierte: „Alle Begebenheiten in der Welt als Handlungen
eines Gottes vorstellen, das ist Religion. Es drückt ihre
Beziehung auf ein unendliches Ganzes aus." Nicht nur
im Sein soll das All angeschaut werden, auch im Werden,
in dem Verknüpftwerden der verschiedenen Epochen.
„Dann erscheint euch die Gestalt eines ewigen Schick-
sals . . . , vergleicht ihr dann das abgesonderte Streben
des einzelnen mit dem ruhigen und gleichförmigen Gang
des Ganzen, so seht ihr wie der hohe Weltgeist über
alles lächelnd hinwegschreitet, w^as sich ihm lärmend
widersetzt; ihr seht wie die hehre Nemesis seinen Schritten
folgend unermüdlich die Erde durchzieht, wie sie Züch-
tigung und Strafe den Übermütigen austeilt, welche den
Göttern entgegenstreben, und wie sie mit eiserner Hand
auch den Wackersten und Kräftigsten abmäht, der sich
vielleicht mit löblicher und bewunderungswerter Stand-
haftigkeit dem sanften Hauch des grossen Geistes nicht
fügen wollte." Nach höher strebt der Religiöse. Über
Natur, Menschheit und Ich hinaus zu der Ahnung der
69
Universalität des Alls, wo all das nur als eine unter
unendlich vielen Modifikationen erscheine. Der Wert
des Moralischen verschwindet hier und der Mensch muss
demütig werden in der Erkenntnis, dass er von hier aus
gesehen in seinem Gutsein doch den schlechteren seiner
Brüder gleiche. Hier lerne er sein Ich aufzugeben im
All, erkenne als seine Aufgabe sich vom Unendlichen
afftzieren zu lassen, um nicht in der einseitigen Aus-
bildung zur Virtuosität den Zusammenhang mit dem
Kosmos zu verlieren." So verschwinden mir auf meinem
Standpunkt die euch so bestimmt erscheinenden Umrisse
der Persönlichkeit; der magische Kreis herrschender
Meinungen und epidemischer Gefühle umgibt und um-
spielt alles, wie eine mit auflösenden und magnetischen
Kräften angefüllte Atmosphäre. Sie verschmilzt und ver-
einigt alles und setzt durch die lebendigste Verbreitung
auch das Entfernteste in eine tätige Berührung. Und
die xA-Usflüsse derer, in denen Licht und Wahrheit
selbständig wohnen, trägt sie geschäftig um.her, dass sie
Einige durchdringe und Anderen die Oberfläche glänzend
und täuschend erleuchte." Immer wieder durch die
Reden klingt der mahnende Ruf die hemmenden Schranken
der Induvidialität nieder zu legen und eins zu werden
mit dem All, ohne im Jenseits noch im Hunger nach
persönlicher Unsterblichkeit selbst gewählte Einschränkung
zu ersehnen. „Mitten in der Endlichkeit eins werden mit
dem Unendlichen und ewig sein in einem Augenblick,
das ist die Unsterblichkeit der Rehgion.*'
Diese neue Botschaft brachte Schleiermacher seiner
Zeit. Friedrich Schlegel der feinste Gradmesser geistiger
Kräfte seiner Epoche zeigte in der grossen Stärke der
Einwirkung an, wie tief das Bedürfnis dieser Auffassung
jener Epoche war. In ihr fanden sie die Möglichkeit
einer Universalierung ihrer isolierten Egos. Schleier-
raacher führte das Denken der Zeit von Fichte zu
Schelling. Werner wurde von ihm bestimmend beeinflusst.
Bis in Einzelheiten, bis in Bild und Gleichnis hinein, lässt
70
sich das nachweisen. Und gleichzeitig fast nahm er die
Ideen Wackenroders auf.
In schlichter Form hatte Wackenroder im Verein mit
Tieck die neue Kunstauffassung- vorgetragen und dabei
Religion und Kunst innig verbunden." Aus solchen Bei-
spielen wird man ersehen, dass, wo Kunst und Religion
sich vereinigen aus ihren zusammenfliessenden Strömen
der schönste Lebensstrom sich ergiesst." Gegen die
Kunstwissenschaft seiner Zeit hob er den Erlebnischarakter
des Schaffens, gesteigert zur Ekstase hervor, und suchte
durch grundtastende Analyse dieses geheimnisvollen Vor-
ganges zu neuen Tatsachen zu gelangen. Das fand er:
„wird man nun nicht endlich begreifen, dass all das
profane Geschwätz über Begeisterung des Künstlers wahre
Versündigung sei, — und überführt sein, dass es dabei
doch geradezu auf nichts anderes als den unmittelbaren
göttlichen Beistand ankomme." Eine so stark passivistische
Note Avurde dem Künstlertum gegeben, dass er fordern
konnte: „Der Künstlergeist soll, wie ich meine, nur ein
brauchbares Werkzeug sein, die ganze Natur in sich zu
empfangen." Die Persönlichkeit des Künstlers in seiner
rein menschlichen Existenz stiess Wackenroder ab, sodass
ihn dieser Zwiespalt folgern liess, man solle nur die
Kunst verehren, nicht aber die Persönlichkeit des Künstlers.
Als Schaffender aber ist der Künstler ein Priester, ein Ge-
weihter, desser Werk man nicht mit kleinlichem Tadel sich
nähern dürfe. Alle Kunst komme von Gott und jede Kunst-
form berge den „Funken, der von Ihm ausgegangen sei."
Wie Gott sich direkt als Künstler in der Natur
äussere, rede die Kunst in Bildern der Menschen und
bediene sich einer Hieroglyphenschrift, in der das Gei-
stige mit dem Sinnlichen geheimnisvoll sich verbinde.
Die Kunstwerke wurden mit dem Gedanken Gottes in
Parallele gesetzt. Bei dieser Auffassung" rücken Kunst
und Religion nahe zusammen. „Sowie aber diese zwei
göttlichen Wesen, die Religion und die Kunst, die besten
Führerinnen des Menschen für sein äusseres wirkliches
71
Leben sind, so sind auch für das innere geistige Leben
des menschlichen Gemüts ihre Schätze die allerreichhal-
tigsten und köstlichsten Fundgruben der Gedanken und
es ist mir eine sehr bedeutende und geheimnisvolle Vor-
stellung, wenn ich sie zweien magischen Hohlspiegeln
vergleiche, die mir alle Dinge der Welt sinnbildlich ab-
spiegelen, durch deren Zauberbilder hindurch ich den
wahren Geist aller Dinge erkennen und verstehen lerne."
So ungefähr sah Werner die beiden grossen Rehgiosen
der Romantik.
Dass er nicht sofort den ganzen Umfang ihrer Ge-
danken und gleich tief erfasste, war selbstverständlich,
und es ist hier versucht, nur das in den Systemkreisen
der Beiden schärfer zu umzeichnen was für Werner wichtig
wurde. Die Intensität der Einwirkung Wackenroders auf
ihn zeigt der Ausruf Werners gegen Hitzig: „Grosser Gott,
warum kann ich den Wackenroder nicht aus der Erde
kratzen. Gegen diesen religiösen Koloss sind alle neuen
Kunstmenschen noch Neophyten."
Dieses Gedankenchaos erhielt seine Richtung und
kosmische Gliederung durch den starken Eindruck, den
der damals zuerst von Tieck wiedererweckte Jakob Böhme
auf Zacharias Werner in diesem entscheidenden Augen-
blick machte. „Ich habe hier in Königsberg Gelegenheit
gehabt nur ein Bändchen, der wie ich höre zahlreichen
Schriften des alten Böhme zu erschnappen; habe dieses
Bändchen mit frommer unschuldiger Andacht, — denn
anders kann man keinen geweihten Schriftsteller oder
Dichter wie Du selbst weisst lesen — , gelesen und habe
gefunden, nicht nur dass er das Original oder Vorbild der
jetzt werdenden Dichtkunst, — was noch nicht gar zu viel
wäre — wirklich ist; sondern auch, dass er eine artem
poeticam für den Künstler enthält, wie sie wohl die bis-
herigen Geschmackslehrer von Horaz bis Heydenreich,
nicht geliefert haben möchten", schrieb er seinem jungen
Freunde Anfang 1802 nach Warschau. Er erkannte so-
fort den Zusammenhang des Mystikers mit Scheiermacher,
„der nur einem anderen weit grösseren Verfasser nach-
gebetet (hat) nämlich dem Jakob Böhme".
Werner hat die Schrift „Vom dreifachen Leben des
Menschen" zunächst gelesen. Sie gehört dem Jahre 1619
an und ist eine Weiterführung der grundlegenden Aus-
führungen des Buches von den „drei Prinzipien des gött-
lichen Wesens". Wenn die Schrift auch nicht von der
gleichen künstlerischen Farbigkeit ist wie „die Morgen-
röte im Aufgang", von einer feinseelischen Lyrik ist sie
durchtränkt und durchglüht von der starken religiösen
Inbrunst, die allen Werken dieses künstlerischsten der
Philosophen eignet. In kaum zu entwirrender Verbindung
traten die teilweise selbst schon von Böhme veranlassten
Philosopheme der Romantik vor allem der Naturphilosophie
in die geistige Revolution Werners ein zusammen mit den
visionären Bildern des Görlitzer Meisters und trieben
seine gedankliche Konsequenz eigenartig verzerrt zu dem
Unkraftkult und den Weihebegriff. Böhmes Erlebnis ging
aus von der Zwiespältigkeit des Lebens und er drückte
diesen Gedanken gerade im „dreifachen Leben" scharf aus,
so dass der Zufall, der Werner dieses Buch in die Hand
spielte, die starke Einwirkung noch begünstigte, obwohl
die Variationen der Lehren des Mystikers ziemlich gering-
fügig sind und nur durch begriffliche Deutlichkeitsgrade
sich unterscheiden, so dass die benutzte Schrift keine
wesentliche Entscheidung über die Aufnahme-Eigenart der
Böhmeschen Philosopheme fällte.
Dreifach sei das Leben in seinem Quell und seinem
Streben. Das endliche materielle, das in der Dreifaltig-
keit Gottes, in der Liebe ruhende, nach Gott-Liebe sich
sehende und das immaterielle Leben, das in sich als
Ich-Gott urständet und in sich die Gefahr des ewigen
Verderbens trage. Die Mehrteiligkeit des Lebens, das
des Guten und Bösen teilhaftig ist, wird als Voraus-
setzung jedes Lebens erkannt und kommt aus Gott
selbst. Gott wird von Böhme antithetisch erlebt und er
findet zwei Kräfte in ihm, deren eine die Natur, die
73
andere der Wille sei. Beide sind einander Bedürfnis und
nötig, um die ewige Geburt des Seins zur Erfüllung zu
bringen. Diese Entzweiung ist kein Kampf in Gott son-
dern versöhnt durch die Liebe und nur notwendiger Quell
des göttlichen Entfaltung-Leben. Zur Offenbarung der
\\'under seiner ewigen Weisheit schuf Gott die Welt. Es
hat ihn gelüstet, die Wunder der ewigen Natur in tausend-
fältigen Gleichnissen sichtbar zu gestalten. In allem ist
ein Göttliches und so stirbt diese Welt nicht, sondern
wandelt sich und das einmal Geschaffene wird bleiben als
„figürliches Gleichnis". Der Mensch, der in Gott die Wie-
dergeburt seiner göttlichen Persönlichkeit in der Durch-
brechung des Irdischen, in der Überwindung der Ichheit
erreicht, schaut so die Welt als Gleichnis des sich ewig
gebärenden Gottes. Ihm wird alles Geschehen zum Mythos,
zur Offenbarung des göttlichen Lebens. Alles wird ihm
zu einer Einheit, zu einem Kunstwerk göttlicher Totalität,
Die Universalität alles Lebens in Gott verbietet die
Ich-Sucht. Sie ist in dem Vereinzelnen und Ich-Wollen
die Erbsünde. Sie trat gegen eine Einreihung in das
Natur-Gott-Ganze und forderte Herrschaft gegen den Vater,
statt Spiel in Gott. Die Erlösung ist zu finden in der
'Verneinung des Nur-Ich, im Gott-All-Wollen. Deswegen
ist der Lehrgehalt der Religionen nebensächlich. Im Willen
steht unser Leben und all unser Handeln. Solange wir
im Willenkreise des Ich beharren, sind wir der Elemente
Kinder und untertänig diesem Geiste. Neben dem Stoff
aus den Elementen und Sternen aber trägt der Mensch
einen Funken aus dem Lichte und der Kraft Gottes in
sich, der durch den Sündenfall verloren, durch Christus
aber uns wieder eingeboren ist. Die Wiedergeburt muss
sich von innen heraus gestalten und kann nicht durch
Wissen göttlicher Dinge erfolgen. Ein Willensakt der
Reue wird gefordert, der alles menschliche Wollen in den
Willen Gottes versenke. Selbst der Abfall von Gott ist
nicht vernichtend, dem Suchenden wird neue, grössere
Heiligkeit zuteil; denn Gott will den Menschen nicht zer-
74
Stören sondern erfüllen ; denn sein Wesen ist Sanftmut und
Liebe. Drei Reiche also kämpfen um den Menschen, die
Macht- oder Ich-Sucht, das Wohlleben und die All-Liebe.
Sie sind die drei Prinzipien Böhmes, die drei Möglichkeiten
der Lebensform.
Böhme stellt immer wieder das Erlebnis als den ein-
zigen Weg zu Gott fest und weist dem Verstand, der
eigenmächtig sucht, die tiefste Stufe an. In seinem geistigen
Leben spielte die Vernunft nur eine untergeordnete Rolle.
Sie hatte den krausen Wegen seiner künstlerisch-religiösen
Visionen nachzugehen, in die Diktion der Zeit und in
ihre Denkart einzupressen, was ihm unmöglich war, in
ganz eigener Form zu sagen. Das Denken blieb für Böhme
mehr oder weniger Übersetzung seines erlebten Mythos in
eine fremde Sprache. Wenn das Geschöpf sich in den Mittel-
punkt des Weltganzen, in Gottes Willen gestellt hat „er-
kennt" er, denn dann erst wird er in seiner Ohnmacht
stark und sehend. Gott tut durch ihn Wunder; denn es
ist seine Lust sich in den Schwachen zu offenbaren. Jede
Persönlichkeit ist gesetzt zur Offenbarung des göttlichen
Seins und in Erfüllung dieser Aufgabe wird der Mensch
im Kampf gegen den Geist der Welt zu Leistungen er-
hoben, die er nicht in sich wusste zuvor. •
Durch die Wiedergeburt wird der Gott der Liebe, der
in der Seele des Menschen lebt, als der geistige Mittel-
punkt erlebt und dadurch der Mensch in Zusammenhang
mit der Totalität des Seins gesetzt. Schleiermachers Be-
griff der Religion erscheint in der Zerbrechungsforderung
Böhmes, durch die die Schranken des Ich fallen und die
Kampfstellung der Individuen gegeneinander aufhört. Ein
Spiel miteinander soll unser Leben sein nach Gottes Willen
und ein Gleichnis der Einheit der Seelen in Gott. Des-
halb darf kein Hochmut die Menschen trennen. Das
Leben selbst in die Welt, die nur eine Herberge ist, wird
dem, der aus der Vernunft heimgekehrt ist in den A^'illen
Gottes köstlich. Wenn die Seele den Segen trägt, dann
segnet Gott den Leib und alles Tun. Der Tod hebt nur
das weltliche Prinzip auf, in dem der Mensch im Sünden-
fall ein Leben gesucht für sich. Sein Ewiges bleibt aber
der Form nach so, wie es der Mensch im Weltleben
wollend gestaltete.
Besonders bezeichnend ist in dieser Schrift die starke
polemische Tendenz, die sich durch alle Kapitel durch-
zieht und oft in direkter Auseinandersetzung mit den
Gegnern Worte gewinnt, die an Schärfe den Angriffen
gegen Böhme nicht viel nachstehen. Der Theosoph sprach
hier seines Wertes als religiöser Erneuerer sich wohl be-
wusst und die Nuance der Schrift musste auf Werners
schon durch Rousseau gleich gestimmte Meinung einen
stärkenden Eindruck machen.
Die Aufnahme der Gedankenwelt Böhmes durch
Werner geschah mit einer solch' vergewaltigenden Ein-
seitigkeit, dass nur eine Einzelheit zunächst aus dem Zu-
sammenhang genommen und passivistisch umgestaltet
wurde. Böhmes mystisch-künstlerischer Erkenntnisbegriff
war bis zu der Formel der Unkraft getrieben, ohne dass
jedoch der besonnene Aktivismus dadurch aufgegeben
wäre. Das starke Erleben der Immanenz Gottes im
Menschen, nahm dem Gedanken alles zerstörende. Anders
bei Werner. Er fühlte sich von dem Muss, das jeden
geistig produktiven Menschen hält, nicht aus seiner Per-
sönlichkeit heraus gezwungen, sondern wurde durch die
Spannung zwischen diesem Muss und seinem sinnlichen
Trieb zum Glauben an eine Transcendenz der führenden
Kraft geleitet, die eine persönlichkeits-zerstörende Wir-
kung haben musste. Die Worte, die Werner aus Böhme
übernahm, sind Böhmesch gesprochen nur die Buchstaben,
die er mit fremdem Geist füllte. Wenngleich der Weihe-
begriff in allen Einzelheiten zweifellos auf Böhme zurück-
weist, im Ganzen seinem Erkenntnisbegriff formal ent-
sprach, der Gehalt dieser Formel ist geistiges Eigentum
Werners durch die zerreissende Spannung zwischen trans-
cendentem Gott und Persönlichkeit, die gerade durch ihre
Vereinigung und Trennung noch verstärkt wurde.
76
Die Philosophie Böhmes wurde für Werner das Me-
dium, in dem sich die Gedanken Schleiermachers und
Wackenroders eigenartig brachen. Sie erhielten jetzt die
naturphilosophische Tönung und durch Böhme wurde der
Boden für die Aufnahme Schellings vorbereitet. Wenn
Werner Mitte 1803 nach Klarstellung seines Systems
schrieb: „übrigens glaube nicht, dass ich von Fichte und
Schelling gestohlen habe, ich habe von Fichte die Wissen-
schaftslehre, von Schelling leider noch garnichts gelesen",
so beweist er dadurch zum mindestens, dass er die Gleich-
artigkeit der Gedankengänge aus Kritiken ihrer Werke
kannte.
Schelling stark von Böhme beeinflusst glaubte als
Piatons und der Mysterien Lehre verkünden zu können,
dass es vom Absolutem zum Wirklichen keinen stetigen
Übergang geben könne." Der Ursprung der Sinnenwelt
ist nur als ein vollkommenes Abbrechen von der Abso-
lutheit durch einen Sprung denkbar-" Die Möglichkeit
des Abfalles liege im Absoluten, der Grund der Wirk-
lichkeit aber einzig im Abgefallenen selbst. Das Reale
muss die Negation des Absoluten sein. Ichheit ist die
höchste Potenz des Für-Sich-Seins und gleichzeitig der
Punkt, wo in der gefallenen Welt die urbildliche sich
wiederherstellt. Als der Endzweck der Geschichte sei
die Versöhnung des Abfalls durch die Wiederauflösung
in der Absolutheit zu erkennen. Ihr Wesen ist eine suc-
cesiv sich entwickelnde Offenbarung Gottes. Die Aufgabe
der Individualität und des Einzelwollens wurde auch von
ihm als Notwendigkeit gefordert. Verneinung des Willens
zum Leben war der Centralgedanke, der mehr oder we-
niger klar hervortrat und die These Böhmes von dem
Zerbrechen des Irdischen stark in den Vordergrund stellte.
Wohl mit dieser Akzentuierung setzte sich Böhmes Lehre
bei Werner fest.
Zu Grunde liegt diesen Gedankengängen das Rätsel-
wort Christi: wer sein Leben liebt wird es verlieren und
wer es in dieser Welt hasst, wird es ewig gewinnen.
77
Nach der Auffassung der Naturphilosophie war: alle Ge-
burt Geburt aus Dunkel ans Licht; „das Samenkorn muss
in die Erde versenkt werden und in Finsternis sterben,
damit die schönere Lichtgestalt sich erhebe und am Son-
nenstrahl sich entfalte". Werner hat diesen Leitsatz aller
orientalisch-christlichen Mystik immer wieder ausgedrückt.
Nicht begrifflich deutlich aber in der fascinierenden Kunst-
form der „Hymnen an die Nacht'' hatte er diese Idee wohl
im Athenäum gefunden; in den Ekstasen der Todeswollust
gelebt, die durch die künstlerische Grosskraft Novalis
Form geworden waren. Sie waren aus Böhme erwachsen,
leuchteten in seinen helldunklen Farben und Werner
nahm sie geniessend tief in sich. Bewusst kam Werner
zu Novalis jedoch erst, als er sich mit der Romantik
schon völlig auseinandergesetzt hatte, zu einer Zeit, als
ein anderer bejahender Einfluss eine entscheidende Wir-
kung Hardenbergs von hier aus unmöglich machte. Aber
die Gedankenwelt der Naturphilosophie, die durch den
Namen Schellings nur charakterisiert, nicht begrenzt wer-
den soll, enthielt zweifellos indirekte und direkte Elemente
der Philosophie Novalis. Nur in kleinen formalen Beson-
derheiten unterscheiden sich diese Gedanken bei den ein-
zelnen Anhängern und die Überindividualität trat hier wie
oft in der Romantik als Signum der geistigen Lebensform
deutlich zu Tage. Ihr einigender Quellpunkt liegt in
Böhme. Die geistige Atmosphäre dieser Zeit war gefüllt
von Keimen dieser Ideen und in der vielartigen Almanach-
urid Zeitschriftenliteratur boten Berufene wie Unberufene
diesen Geist.
Es ist zu einfach gesehen, wenn man Werner zum
Nachbeter Novalis machen möchte ; denn dieser Auf fasssung
war der Freimaurer Werner schon Ende der neunziger
Jahre nähergekommen, wobei Rousseau ihm die Zunge
gelöst haben mag, der dieser Weltanschauung nicht fern
stand. Rousseau wurde jetzt in seiner Bedeutung als
Vorläufer erfasst und die im eifrig gelesenen „Freimütigen"
zum Teil veröffentlichte und kritisierte Correspondence
inedite bewies ihm durch eine auffallend ähnliche Stelle die
nahe Verwandtschaft des Franzosen mit dieser Seite der Ro-
mantik. Sie gab ihm erneut den Beweis, dass er bei aller
Rezeptivität doch nur Eigentümliches gestalte und nuanciere.
Aus dem Wirrwar der emporgeschleuderten Einzel-
heiten, die Werner noch erlebnisglühend dem jungen Hitzig
weitergab, formte sein einheitssuchender Intellekt ein
System, das er im Zusammenhang seinem Freunde Peguilhen
am 5. Dezember 1803 darlegte, nachdem er schon Mitte
Oktober als Antwort auf seinen „schönen ausführlichen
Brief über das neue Kunstwesen" es versprochen hatte.
Sein Freund befand sich damals in Berlin und war von
dem Treiben der neuen Männer vor allem ihrer Un-
moralität abgestossen. Das erklärte Werner schon damals:
,. Moral ist auch mir heilig und die Grundlage der mensch-
lichen Geselligkeit. Aber es gibt etwas Höheres, eine
heihge Musik, die uns durchs Leben begleitet, unser Ver-
hältnis zum Höchsten; wenn wir die kennen, so wird
Moral zur Notwendigkeit. Das ist die Rehgion, die sich
uns bald als Kunst, bald als Liebe offenbart".
Wohl unter der Einstellung auf diese Anschauung
des Empfängers werden Religion, Moral und Kunst als
die heihge Drei hingestellt. In einem Briefe an Hitzig (am
selben Tage schrieb er die erwähnte Stelle an Peguilhen)
gab er zum ersten Male die Dreifaltigkeitslehre von Liebe,
Kunst und Religion, indem er dem Freunde schrieb, er
freue sich: „dass Du Dich ... in die Arme der Kunst
geworfen hast, die einzig und allein mit ihrer hohen
Mutter der Religion und ihrer Verbündeten der echten
Liebe uns in den Mühen des Lebens trösten kann, und
mit den beiden eine innere Einheit bildet, die ich durch
den Namen der Grazien nicht entehren mag, sondern
schlechthin mit dem Namen der Dreieinigkeit bezeichnen
muss; denn dieses herrliche Symbol ist jedem klar, der
den Bezug weiss in dem Religion, Liebe und Kunst zu
einander stehen". Früher hatte er nur Kunst und Re-
ligion als Erscheinungsformen einer Einheit gesehen
und geklagt: „Warum haben wir doch noch nicht einen
Namen für diese beiden Synonima?" Die bewusste Einfüh-
rung der Liebe in die Dreiheit geschah erst nach Vollen-
dung der „Söhne des Thals", so dass nur in der Umarbei-
tung des ersten Teils diese Idee angedeutet werden konnte.
Hier wies er der Liebe einen weniger auffallenden
Platz zu, da er von einer anderen Seite an das System
herangeführt wurde und eine auch praktische Probleme
streifende Darstellung zu geben hatte, die den Fragen
des Freundes gerecht werden musste, und vor allem den
wohl im Anschluss an Lucinde aufkommenden Verdacht
beseitigen sollte, dass die Romantiker die Moral völlig im
Leben ignorierten. Gerade die Liebe-Theorie Friedrich
Schlegels hatte Berlin in moralische -Erregung versetzt und
erst in Schleiermachers Briefen Verständnis und Vertei-
digung gefunden. Tatsächlich führte Werner gegen Ende
diese Dreifaltigkeit doch ein, nachdem er die Stellung und
Bedeutung der Liebe vor diesem Verdacht der Unmoral
besser geschützt zu haben glaubte.
Er schätzte die Moral theoretisch hoch ein, wenn sich
auch ihr Wert gemäss seiner psychischen Eigenart nicht
neben Religion und Kunst behaupten konnte. Selbst Mayr
gegenüber hob er lobend Höffners Moralität, Bocks schwan-
kende Haltung hierin tadelnd hervor. Kennzeichnend ist
die Bemerkung, die er Sander gegenüber machte und in
der er die Moral und Ästhetik scharf trennte jedem auf
seinem Gebiete völlig Recht gebend. Der kategorische
Imperativ bestehe zu Recht und werde auch von ihm
anerkannt.
Im realen Leben wird die Moral vom Staate ge-
pflegt. Seine Aufgabe sei es, eine Gemeinschaft zu iso-
lieren, dadurch ihr die Möglichkeit zu geben sich zu voll-
enden und der Menschheit vollendet wiedereinzureihen.
Durch das Zugeständnis den sich isolierenden Menschen
gegenüber, den vollkommenen Besitz ihrer Persönlichkeit
zu verbürgen, gewinnt der Staat sie und bildet sie von
Stufe zu Stufe zu einer Aufgabe des Egoismus. Der voll-
so
endete Staatsbürger erkenne sich als Teil eines Ganzen,
in das er sich freiwillig einfügt, da er als Notwendigkeit
der Natur erkennt, dass nichts Isoliertes bestehen kann
und darf. Die Bildung zum freiwilligen Verzicht auf das
Ich wird vom Staat dadurch erreicht, dass er seinen Bür-
gern ein sittliches Ideal gibt und dadurch Moral. Durch
Moral wird der Bürger zur Veredelung seiner Persönlich-
keit befähigt. Zur Aufgabe seiner Induvidualität bringt
ihn erst die Religion. Durch sie lehrt ihn der Staat den
Sinn für das Unendliche der Natur und ihrer Gesetze und
zeigt ihm „wie er als Glied des Unendlichen sich seines
Egoismus entäussern, Teil des Ganzen sein und sich un-
bedingt dessen ewigen Gesetzen ergeben muss".
Der Egoismus war von Böhme wie Schleiermacher
scharf abgelehnt worden. Böhme Hess ihn als die Erb-
sünde und den Grund unserer Entgöttlichung deutlich
erkennen. In den Reden über die Religion hatte Schleier-
macher die Folgen des Egoismus, gegen dessen geistigste
Form er die neue Lehre verkündete, immer wieder dar-
gestellt, hatte seine Irreligiosität hervorgehoben und ihren
Widerspruch zum Weltgeiste erkennen gelehrt: „Wenn
Avir das gewöhnliche Treiben der Menschen betrachten,
die von dieser Abhängigkeit nichts wissen, wie sie dies
und das ergreifen, und festhalten, um ihr Ich zu ver-
schanzen und mit mancherlei Aussenwerken zu umgeben,,
damit sie ihr abgesondertes Dasein nach eigener Willkür
leiten möchten und der ewige Strom ihnen nichts daran
zerrütte, und wie dann notwendigerweise das Schicksal
dies alles verschwemmt und sie selbst auf die tausend
Arten verwundet und quält : was ist denn natürlicher als
das herzlichste Mitleid mit allem Schmerz und Leiden,
welches aus diesem ungleichen Streit entsteht und mit
allen Streichen, welche die furchtbare Nemesis auf allen
Seiten austeilt?"
Wenn auch die Religion wesensverschieden ist von
der Moral, sie hängen aber insofern zusammen, als Moral
eine erzieherische, vorbildende und richtunggebende Funk-
81
tion auszuüben hat. Umgekehrt stellte Werner das Ver-
hältnis Sander gegenüber fest. Die Kunst und die Re-
ligion hätten die Aufgabe, „das Herz wie ein Gefäss durch
Anschauen des Schönen und des Universums zu reinigen,
so weit, dass es für die höheren Wahrheiten der Moral
empfänglicli ist . . .'^ Die kalten Herzen der Alltags-
menschen müssten „durch die Bilder des Übersinnlichen
erst entflammt werden wie ein irdenes Gefäss ausgeglüht,
ehe die reine Milch der Religion in sie gegossen werden
kann".
Diese Erziehung der Menschheit zu Moral und Reli-
gion ist nur möglich durch das Vorhandensein zweier
seelischer Grundkräfte im Menschen: Vernunft und Phan-
tasie. Die Vernunft ist die Erzeugerin der Persönlichkeit.
Sie isoliert das Ich und stellt es als Objekt der Anschau-
ung ausser uns dar. Durch einen weiteren Akt gibt sie
uns als verklärtes Abbild des Ich das sittliche Ideal. Da-
durch ist eine Verbindung mit dem „höchsten Gut" her-
gestellt, die Isolation von der Welt jedoch nicht gebrochen.
Hier sprach Werner Böhmes Definition der Vernunft unter
Fichtes Einfluss nach, verwischte aber das Spezifische
der Wissenschaftslehre und Böhmes Willens- und Tätig-
keitsmoment, das sich in das Weltanschauungsganze
Werners damals nicht einfügte, weil sie passivistisch ge-
halten war. (Fichtes Einfluss ist mehr ein terminologi-
scher und aufbautechnischer als eigentlich inhaltlich.) Zu
vereinigen mit dem Universum, vermag nur die andere,
hochzuwertende Kraft der Phantasie: „Dieses ist die
Grundkraft des Menschen, sich als Teil des ihn umge-
benden unendlichen Ganzen und (in sofern, als dieses
Ganze, entweder aus Gott geflossen, oder Gott selbst ist)
als Teil (wenn ich es plump sagen soll) der Gottheit zu
fühlen." Böhme nannte den Menschen ein Partikular der
Gottheit und die erkennende Kraft des Göttlichen im
Menschen Verstand.
Zur Moral leitet die Philosophie, die mit Fichte Wissen-
schaft genannt wird und als deren Aufgabe anerkannt
H ankamer, Zacharias Werner. o
82
werden müssen: y,aus den Gesetzen unseres Selbst die
Eigenschaften des Ideals (der Gottheit) und die Gren-
zen der uns umgebenden Welt herzuleiten". Die Wissen-
schaft sei zu demonstrieren, Relig'ion dagegen Steigerung
des Gefühls zur Anschauung des Universums ohne Be-
weismöglichkeit und ohne Idealbegriff. Eine religiöse
Moral sei infolgedessen ein Widersinn. Diese Erkennt-
nis war ihm durch Schleiermacher geworden, die Eigen-
art Werners, die der starken Ausprägung des Doppel-Ich
in ihm entsprach, besteht darin, dass er sich bewusst in
einen „prosaischen" und „poetischen" Menschen spaltete,
dessen moralisches und religiöses Leben keineswegs para-
lell lief, sondern sich oft weit voneinander entfernte.
Die Steigerung des Gefühls zur Anschauung werde
nur möglich durch ein Mittelglied, und zwar durch „die
Gestaltung des Universums vermittels der Kunst zum
Schönen." Die Kunst hänge also nur von der Phantasie
ab und sei nur von da aus zu verstehen. Um sich je-
doch den Menschen verständlich zu machen, müsse der
Künstler sein „freies Spiel mit dem Unendlichen" nach
den Gesetzen des Verstandes formen, der an sich „nur
der Knüppel und Stecken ist, uns durch dieses niedrige
Erdenleben zu leiten." Das Ziel der Entwicklung sei
stets, Notwendigkeit in Freiheit zu verwandeln und so
kommt Werner unter Benutzung Fichtescher Gedanken
und mehr noch unter Anwendung Fichtescher Termen
zu der zusammenfassenden Definition der beiden Gegen-
sätze Moral und Kunst: Moral ist „freiwilliges Anstreben
zum höchsten Gut (Ideal) durch die Gesetze der Denk-
kraft geleitet und Kunst freiwillige Gestaltung (Individu-
alisierung) des Unendlichen, als dessen notwendige Teile
wir uns durch unsere Phantasie fühlen und dessen Ge-
setzlichkeit wir in der Religion in Klarheit anschauen".
Damit hat Werner die Forderung einer mythologischen
und s3^mbolischen Kunst deduciert. Alle Kunst gestaltet
das (geistige) Universum, individualisiert es. Hier bleibt
also die Kunst in der Sphäre der Religion Schleiermachers,
83
ist hier noch keine „leere" Mythologie. Aber diese
Kunst ist auch nicht im Sinne Rousseaus Erleben des
Unendlichen, wenn gleich Werner ihm hier sehr nahe zu
kommen scheint. Der Anschauungsakt und damit die
Kunst in der Schicht vor der äusseren Formgewinnung
hat eine gesetzmässige Form, deren spielerische, organi-
sche Leichtigkeit der Kräftebindung von Werner in einem
gewissen Gegensatz zu der strengeren Formgebung in
dem Stadium der Vernunftarbeit geschaut wird. Das ist
Allgemeingut der Romantik, die teleologisch die Freiheit
oder Gesetzlichkeit der Kunst stärker oder schwächer
betonte. Bei der weiteren Entwicklung der Gedanken
muss das berücksichtigt und gegen die verwirrende Ein-
zelheit festgehalten werden.
Die Gesetze der Kunst seien dieselben, nach denen
das Unendliche auf uns wirke. Religion sei stets das
Streben aller Kunst gewesen und die Forderung der
Romantiker decke sich damit. Diese ästhetische Erkennt-
nis nahm Werner direkt aus Böhme, dessen Bedeutung
für die Bildung seiner Kunstlehre er nachdrücklich her-
vorgehoben hatte. Des TheosophenUrerleben war gewesen,
dass alles Vergängliche ein Gleichnis war und in oft
wunderlichen, öfter aber erhabenen Bildern wurde der
Symbolcharakter des Irdischen dargestellt. Alles Körper-
liche wandelte vor seinen Augen sich zum Geistigen, be-
hielt aber den Individualzug seines Seins. Nicht hinter
den Dingen suchte er das Ewige, die Dinge waren mysti-
sche, geheimnisvolle Äusserungen des göttlichen Seins.
Der gotterfüllte Mensch, der „Geist" wurde . erleuchtet
und schaute das Sein als die ewige Geburt Gottes, sich
selbst und die Natur als göttlich. Er sah wieder die
Signatura der Dinge, ihre Idee und nur das war erkennen.
Kunst wurde Werner zur Tätigkeit dieses Symbolsuchens.
Die „Phantasie" stellte sich ihm dar, weniger im Sinne
Schleiermachers als das All-Gefühl, mehr als die Kraft
in der Tatsächlichkeit das Göttliche bildlich zu erfassen.
Kunst war ihm, das Göttliche in der empirischen Realität
84
durch ein Symbolbild wiederzugeben, war also Darstellung
des religiösen Aktes im Einzelbild. In diesem Sinne sei
jede Dichtung religiös und müsse es sein. Sei damit auch
sittlich, wenn auch nicht moralisch. Sittlich sind die
Grundgesetze des Universums, während Moral nur die
Gesetze der aus dem Unendlichen isolierten Menschen
darstelle. Die höchste Kunst sei die Musik, „weil bei
ihr garnichts zu verstehen ist und sie sozusagen das
Universum mit uns in unmittelbarem Rapport setzt." Die
neuere Kunst versuche infolgedessen alle Poesie d. h.
jedes künstleriche Erlebnis zur Musik zu veredeln.
In der Musik glaubte die Romantik die Kunst sehen
zu können, die ohne Mittelglied das Seelische ausdrücke.
In ihr fand Friedrich Schlegel auf den Wegen Hemster-
huys das Fragment der künstlerischen Ursprache, die
direkt die Schwingungen des Geistigen im Erlebnis zur
Form verdichte. Das war ihre Sehnsucht, die Sehn-
sucht dieser sentimentalischen Künstler, die von Wacken-
roder und nach ihm von Tieck ausgedrückt wurde. Er-
schüttert und gequält von der dämonischen Gewalt seines
Künstlertums und bei dem Ringen nach der stets nicht
völlig genügenden Form, war es die Bitte Kleists, seine
zuckende stammelnde Seele einfach an die Seele seines
Freundes legen zu können, nicht eine Sprache der Worte
und Gedanken zur Übersetzung seines Erlebens nötig zu
haben, Wohl aus demselben Erleben glaubte Böhme,
dass die Ursprache des noch nicht gefallenen Menschen
nur verstümmelt in der heutigen Sprache anklinge. Im
Lied aber wusste er das Überbleibsel dieser magischen
Sprachgewalt, in ihm war Ausdrucksmittel und Gegen-
stand identisch, bestand noch die göttliche Einheit, die
der Sündenfall zerbrochen hatte. Sie war direkte Über-
tragung des Göttlichen, Symbol ohne Bild.
Diese Auffassung der Musik als den Höhepunkt der
Phantasie-Kunst bei Werner war der Ausdruck der Sehn-
sucht nach reiner Gestaltung des Erlebnisses. Die Form
der normalen tatsächlichen Dichtung war nur ein Hilfsmittel.
85
Das höchste war das künstlerich-religiöse Erlebnis, das
ungebrochen durch die Sprache und Vernunft, in ekstati-
scher Stärke den Dichter durchschäuerte, das anscheinend
passive Erlebnis der künstlerischen Konzeption. Die for-
male Kunst ist nur ein Stammeln, ein stümperndes Über-
setzen der Vision in die gebrechliche Sprache dieser Welt.
Ist der Künster, fragt er, der „durch ein Chaos von Re-
geln, Studien, Rücksichten, was weiss ich alles, einge-
zwängt, die er doch, sei er noch so genialisch, nicht über-
springen kann in Worten, Tonnen, Farben, das geringste
nachzuklimpern sucht, was der gewöhnliche Religiöse,
erlaube mir den Ausdruck, in Minuten der Weihe empfin-
det, oder derjenige, der sich und sein Inneres wie eine
Aeolsharfe dem schönen Sausen der harmonischen Schö-
pfung darbietet und sich von ihm durchströmen lässtr"
Im historischen Zusammenhang mit der Sturm- und
Drangzeit scheint Werner hier zu stehen, weiter von der
Frühromantik entfernt, als er in seinem Kunstwollen tat-
sächlich war. Der Weihegriff aber würde missverstanden,
wenn man annähme, dass Werner damit im Sinne der
Genies eine Formlosigkeit der Kunst als Prinzip aus-
spräche. Die Form, wie wir wissen untersteht der Ver-
nunftgesetzlichkeit, Die Weihe sollte — im engen An-
schluss an Böhme — nur das Erlebnis der Welt als
Offenbarung Gottes gewährleisten, galt nur für die Schicht
des künstlerischen Produktionsaktes, in der nach Schillers
Definition das musikalische, unentfaltete künstlerische Er-
lebnis erst zur Gestaltung drängt. Werner fasst nicht
eben sehr tief die Formgebung des Erlebnisses als eine
Art Übersetzung in ein fremdes Medium auf. Die Kunst
als Erlebnis vollzog sich nach den Gesetzen der Ein-
wirkung des Universums, das Werner immer böhmesch
als Dreieinigen Gott empfand. War eigentlich identisch
mit dem gesteigerten religiösen Akt Schleiermachers und
des Mystikers. Die Kunst als F'orm aber unterstand in
natürlich nicht strengstem Sinne den Gesetzen der Ver-
nunft. Theoretisch wie praktisch ist aber Werner nie
b6
ganz den Führern der Romantik nahe gekommen, die
Form und Gehalt in ihrem organischen Verhältnis zu
einander früh erfassten. Ihre Einheit als Ausdrucksform
ertastete er im Verfolg dieser Gedanken, geschaut hat er
sie wohl nie.
Bei Werner war die Stärke des künstlerischen Erleb-
nisses so ungleich viel grösser als seine gestaltende
Kraft, dass er die „Weihe" nur in den Konzeptionsteil seines
schöpferischen Prozesses bannte. Er fasste sehr klar das
passive Moment im künstlerischen Produktionsvorgang
auf, das selbst Kleist in dem niederdrückenden Kampt
um Guiskard einmal ausdrückte : „Wie die Augen des
Würfels fallen, liegen sie." Wackenroder potenzierend
fand Werner, dass in dem Werk der ersten Dichter viel-
leicht nur eine Seite Poesie sei, die nur deswegen den
Namen verdiene, weil sie einen, dem Dichter selbst un-
erklärbaren Nachhall der göttlichen Stimme von sich
gebe. In den „Söhnen des Thals" erscheint ihm das
Wiedersehen Philipps und Adalberts als wahre Poesie.
„Wie ich zu der Stelle gekommen bin, weiss ich nicht;
ich selbst habe gar nichts dazu getan. Nur weiss ich,
dass so oft ich sie ansehe, mich ein unerklärbares Grauen
vor meinem Innern überfällt. Es ist möglich, dass ich
dieser Stelle wegen und ein paar anderer ähnlicher wegen
die mir noch einfallen, geboren bin. Aber kann sich der
Mensch auf etwas zu gute tun, wobei er bloss Maschine
göttlicher Einwirkung ist."
Wie Schleiermacher alles als Einwirkung und Hand-
lung des Universums geschaut wissen wollte, so sah
W^erner die Kunst auch hier als eine gefühlmässige Hingabe
an die Gottheit oder das All, die die Aufgabe des Indi-
viduums als Zweck der Kunst proklamierte. Die Analyse
des Kunstgenusses, schrieb Werner an Peguilhen, zeigt,
dass bei stärkerer Wirkung „eine unnennbare Sehnsucht
erweckt werde, d. h. er regt den dir angeborenen Trieb
in dir auf, dich mit dem Unendlichen zu vermischen, nur
dass es diesen Trieb zur freien Tätigkeit erhöht."
87
„Ich weiss sehr gut, dass nicht nur Tieck, Schlegel
und Konsorten, sondern auch Wieland, Bürger, Hölty,
Ramler und der sehr grosse Klopstock, man mag ihn
vergessen wollen oder nicht, in der Minute der Weihe
Priester des Höchsten sind, so gut wie Goethe, und dass
in den ungeweihten Minuten ein jeder ein armer Sünder
ist, ein dgrmitans Homerus, er mag in die Schule ge-
gangen sein wo er will. In den Söhnen des Thals sagt
der Troubadur:
Dann dünkt ich mir, ich schlechter Bürgersmann
Ein Gott zu sein, der seine Welt gestaltet;
Ich bin es auch im Augenblick der Weihe !
Wenn der vorüber, ist es wie ein Traum
Ich selber weiss nicht, wie noch was ich träumte.
Gleich sink ich wieder in mein Nichts zurück
Und bin so schwach und töricht wie zuvor.
Der Künstler ist ein Nachstümper der Stimme
Gottes, des Jezyk Boga, die seine Frau im Liebeerleben
hörte, als Stimme der Natur. Von hier führte ihn Böhme
auf seinen Gedanken wegen weiter und er fand: „Gottes
Kraft, die in den Schwachen mächtig, was ist das anders
als Kunst und Religion." Nicht in der Tat war Gott.
Er war im Rausch und in der Vision, in der Trunken-
heit der Weihe kam er zu den Menschen. So musste
ihm die Religion, die Hingabe an das All gleich werden
mit der Kunst und jede Kunst musste religiös sein, jede
Religion künstlerisch enthusiastisch. Nur eine Muse gebe
es : Die Religion, Alle Gedichte und Kunstwerke in der
Welt sind nur dazu da, einen schwachen Schimmer jenes
Glanzes wiederzugeben, der zu blendend ist, um vom un-
bewaffneten Auge ertragen w^erden zu können.
Seine Form musste aus diesem Gedanken heraus ein
Kompromiss sein zwischen einer Phantasieform und der der
Vernunft und tatsächlich kann man Werners oeuvre wohl
am besten mit diesen Worten charakterisieren. Um seinen
religiösen Erlebnisakt zu dem Zwecke seines Apostolats
ausnutzen zu können, musste er sich eine Form gefallen
88
lassen, die von aussen an ihn herangebracht wurde,
gleichzeitig aber insoweit auf den Gehalt zugeschnitten
sein musste, dass er wenigstens in ihr nicht erstickt wurde
d. h. dass sie der Ausdruck der immanenten Form war.
Von hier führte ihn Pflicht und Neigung dazu, Ifflands
Hilfe in Anspruch zu nehmen, die Bühne im Sinne der
Romantik zu reformieren, anderseits die Romantik mit
der Bühne zu versöhnen. Die Form war ihm nur Not-
wendigkeit eines Mittel, die Weihe-Kunst aber war in
sich Zweck, war Religion und Enthusiasmus.
Es wurde letzte und einzige Aufgabe der Kunst, die
Religion zu künden, die göttliche Autklärung zu beginnen
und zur Verklärung zu steigern. Kunst müsse Gesinnung
des Unendlichen werden. Hitzig schrieb er, dass sein
Schauspiel ebensogut Predigt heissen könne, versicherte
ehrlichen Herzens seinem Meister Mayr, dass seine Kunst
nur Vehikel zur Religion sein wolle. Aus diesem Ge-
danken wurde seine Auffassung, dass die tragische Schuld
des Templerordens sei, an die Stelle der künstlerisch
enthusiastischen Religion eine gewisse humane Kälte,
eine Verstandsreligion gesetzt zu haben, die an sich löb-
lich, aber „nur für wenige höhere Geister gemacht und
schlechterdings unvereinbar ist mit einer aus Enthusias-
mus gegründeten Verbindung Vieler.-'
Während er Moral und Kunst scharf trennte, einte
er sie mit der Religion völlig. In beiden sah er das reine
künstlerische Erlebnis und die Forderung des Aufgehens
in das Universum, der Hingabe der Persönlichkeit.
Der Trieb der Einigung des Ich mit dem Universum
werde durch „drei grosse Leitern (im Sinne der Elekti^i-
zität)" befriedigt und gesichert. Erstens die jedem Volke
verhaftete und jeder Religion mehr oder minder zu
Grunde liegende Idee „eines Mittlers, d. h. eines Objekts,
in dem sich die ursprüngliche chaotische Natur und ihr
Bezug auf den Menschen verklärt repräsentiert. Zweitens
die Liebe, die uns bewegt, uns mit dem Universum tätig
zu vermischen und drittens der Tod, der uns drängt, uns
89
am Ende ins Universum leidend dahin zu geben und auf-
zulösen ..." Die Möglichkeit der freien Wahl dieser
drei Notwendigkeiten unterscheide Tier und Mensch. Das
die drei Kräfte Einigende sei die Sehnsucht : „ins Unend-
liche zu zerfliessen" und erkläre das Rätsel, dass der Re-
ligiöse und der Künstler „rein wollüstig" seien. Der Tod
„ist ganz gewiss das non plus ultra der Wollust." Der
Wunsch nach persönlicher Unsterblichkeit sei egoistisch
und damit irreligiös, während der Gottesglauben in seiner
Form mehr oder w^eniger nebensächlich sei und hinter
der Idee des Mittlers völlig zurücktreten müsse.
Das Leben erscheine dem Wissenden als Kerker,
aus dem heraus er sich in das Universum sehnt. „Er
fühlt möchte ich sagen, die Unsterblichkeit jedes einzelnen
Moments, er ist schon unsterblich er bleibt es immer, er
erhält die grösste Sicherheit. Und so führt ihn die Kunst
zur Religion und diese zur Verklärung. Und so sind Hei-
land, Kunst, Liebe, Tod, jedes in seiner Art für uns Mitt-
ler, beinahe Synonima, die uns ins Universum, für das
wir da sind, wieder mit mütterhchen Händen versenken."
Den Mittlergedanken hatte Schleiermacher ihm ge-
boten als Ausdruck des starken Abhängigkeitsbedürfnisses,
das wir in jener Epoche aufwiesen. Die Form des Lebens
als Entzweiung und Wiedervereinigung durch die Trennung
hatte er zu Beginn der Reden im Menschen nachgewiesen.
Durch ein allgemeines Band des Bewustseins seien die
Individuen mit einander verbunden, „sodass jeder Einzelne,
ohnerachtet er nichts Anderes sein kann, als er sein
muss," den Nächsten erkenne. Die beiden Tendenzen
im Menschen Genuss und Tätigkeit würden selten durch
strengste Selbsterziehung zur Harmonie und Gleichnis-
form des Universums gebracht; die eine oder andere Ten-
denz herrsche vor und Aufgabe der Mittler sei es, diese
Masse voneinander getrennter Einzelwesen „in jenem ge-
schlossenen Ring zu gestalten, der das Sinnbild der Ewig-
keit und V^ollendung ist". Böhme hatte als das Gesetz
des Seins, sowie es in's Bewusstsein tritt, erfasst: Die
90
notwendige Position des „Nein" und „Ja", des Grimms
und der Liebe, hatte auch eine gegensätzliche Zuordnung
der Individuen untereinander erkannt und kam zu der
Forderung, diesen notwendigen Gegensatz in freier Tat
zur Liebe und damit zur Harmonie zu veredeln. Schleier-
machers Gedankengang ist nicht unähnlich, wie auch die
Mittlerschaft mit anderem Wort ein wichtiges Element
der Böhmeschen Theosophie ist. Diese Mittler sende
Gott und ihr Wesen sei die Verbindung beider Tendenzen
im höchsten Masse, durch die sie nach beiden Enden
der Linie wirken könnten. Sie prägten die Dinge um
zu einem Kosmos, einem Bilde ihrer eigenen Einheit „als
Helden, Gesetzgeber, Erfinder und Bezwinger der Natur".
Solche beweisen sich durch ihr blosses Dasein als Ge-
sandte Gottes und als Mittler zwischen dem eingeschränk-
ten Menschen und der unendlichen Menschheit. Werner
erklärte einmal seine Vorliebe für den Katholizismus mit
der Tatsache, dass in ihm die Idee des Mittlers trotz aller
Entstellung am stärksten ausgedrückt sei.
Die Mittlerschaft ist ein Element der Christus-Reli-
gion, wohl jeder Religion, die eine Verbindung zwischen
dem Leben und dem Jenseits herstellen .will. Böhme
hatte in seiner Lehre das Mittlertum Christi sehr ver-
geistigt. Die Mittlerschaft Christi zwischen Gott und
Mensch rückte immer mehr in den Vordergrund seiner
religiösen Auffassung und gipfelte in der religiösen Ver-
geistigung der Eroslehre, die Werner tief beeinflusste.
Mit der umprägenden Kraft seiner Persönlichkeit schuf
Werner aus diesen Teilen sich seine Idee, deren psycho-
logische Grundlage dieselbe war, wie die seiner Meister-
und Jüngerschaftlehre. Mittlerschaft ist Meister und
Jüngerschaft je nachdem man den Standpunkt wählt beim
Mittler oder dem, dem vermittelt wird. So erscheint das
Freimaurerwort Meister in dieser erhöhten Bedeutung als
Bezeichnung für Christus. Einer Freundin schrieb der
Dichter später, dass die Meisterschaft (-Mittlertum) am
klarsten im Spiegel der Liebe von Spee dargestellt sei
91
und deutete so an, dass die Liebe, die in Christus Per-
son war, das eigentliche Mittlertum sei, wie Böhme sie
gefeiert hatte. Alles war von der Liebe Gottes durch-
pulst und der Atem der Welt war Gottes Liebe. Durch
die Liebe verband sich der Mensch aus seiner Einzelheit
wieder mit der Gott-Natur. War bei Schleiermacher
eine hierarische Stufung und Gliederung durch die Mitt-
lerschaft ebenso sehr angedeutet als die Einheit, die Liebe
vermittelte bei Böhme die Alleinheit in ihrem organischen
Einsseins, die Totalität des geistig-körperlichen Lebens.
So wurden Werner Kunst, Religion und Liebe eine Ein-
heit; denn die „Phantasie" ist in ihrer aktiven Erscheinungs-
form eben die Liebe und das farblose Wort in Verbindung
mit der psychologischen Einstellung Werners bei diesem
Briefe Hess ihn hier den begrifflich s^'stematischen Umweg
machen. In seiner Gedankenwelt schuf sich die Erlebnis-
dreifaltigkeit der Kunst, Religion und Liebe ihre Form
und lehrte ihn die philosophische Formel für die mysti-
sche Einheit dieser Seelenkräfte überall aufzuspüren und
zu seinem Eigentum zu machen.
Über den Begriff der Liebe, wissen wir, hatte Werner
schon Gedankenansätze in der vorromantischen Epoche
gebildet, die sich nun mit den neuen Lehren vereinten.
Damals schon lag der Konzeptionspunkt im Erlebnis der
sexuellen Vereinigung und der Geschlechtstrieb war die
gestaltende Dynamis dieser Begriffsform. Erotische Ne-
benschwingungen bei seinen Anregern konnten für Wer-
ners feine Empfindlichkeit für den Religion-Liebebegriff
nicht wirkungslos bleiben. Böhme nannte den Fortpflan-
zungstrieb der Kreatur Sehnsucht nach dem Paradies,
sah in dem reinen, geistigen Eros der Menschen ein Symbol
des Göttlichen, und nutzte zu vielen Zwecken das Gleichnis,
Seine künstlerische, geistige Sinnlichkeit schuf in seinen
Werken jene zitternde, glühend-farbige Atmosphäre, die
von feinster Erotik durchstrahlt war. Dann las Werner
in den Reden Schleiermachers eigenartige Worte. Der
schilderte die Religion: „Schamhaftig und zart wie ein
92
jungfräulicher Kuss, heilig und fruchtbar wie eine bräut-
liche Umarmung, ja nicht wie dies, sondern er ist alles
dieses selbst." Nun vermochte Werner das von ihm da-
mals als viel zu matt und farblos empfundene Wort „iden-
tifizieren" erfüllt mit neuem Gehalt in dem entsprechen-
den Kolorit aufglühen zu lassen: „Aber der Liebende ist
und soll der Geliebten sein ein Mittler der Gottheit. Mit
dem Liebenden soll sich der Geliebte werfen in das Uni-
versum und den Strahl den beide vom Höchsten erhalten
. , . aussprühen, dass sich daran erwärme die übrige
Welt."
Das Sich-Verlieren des Ich im Geschlechtgenuss ist
das Grundmotiv und von da aus wurde zunächst die Iden-
tifikation der Liebe und Religion erfasst. „Mein Weib,
die Kunst und die Religion sind die Hauptsachen, die mir
das Leben wert machen", schrieb er an Fenkohl. Und
diese Identifikation von Liebe und Gattin, gerade weil sie
sich so absichtslos gab, beweist die erotische Färbung des
Begriffs. „Durchs Fleisch ist Liebe bei uns eingekehrt"
sagte er im Prolog zur Weihe der Kraft. Werner über-
trug nicht nur den Eros Piatons in die sexuelle Liebe,
sondern er durchsetzte den ganzen Komplex des Liebes-
begrifts mit erotischen Energien. Nach Karoline Herders
Urteil besass er die Kunst „auf der Laute der Empfin-
dungen zu spielen und führt uns unvermerkt zu einer
krankhaften Empfindung von Heilands und Begattungs-
liebe". So schrieb er an Scheffner: „die Gewässer ent-
schleiern alle Geheimnisse der ewigen Liebe von der im
Rheinfall zu Schaffhausen ausgesprochenen höchsten to-
benden Wollust an, bis zu der im diamantenen Staubach
zu Lauterbrunn symbolisierten Verfliessung zweier lieben-
den Seelen in Gott." In den Liebesscenen des Kreuzes
an der Ostsee, die die „heilige, romantische Liebe" schil-
dern sollen, verwirrten sich stammelnde Wollust und
heilige Liebe zu einer logisch kaum zu fassenden Einheit.
Dorothea Schlegel lehnte die Kunigunde empört ab, weil
die Mutterliebe von Erotik angekränkelt sei. In welcher
93
engen Verbindung fast ohne moralische Wertscala ihm
die Liebe erschien, schrieb er dem väterlichen Freunde
Scheffner am 25. Mai 1806 in einer sehr bezeichnenden
Stelle. „Ich habe", heisst es da „den Kelch aller Schmerzen
und Wonnen der irdischen Liebe bis auf die Hefe leeren
müssen, habe in den Armen meiner mir immer noch
heiligen und seelen verbundenen Malgona . . die Verschmel-
zung mit dem Unendlichen unter Freudenthränen nicht
ahnen sondern fühlen müssen, habe in den Armen der
niedrigsten Bordellhuren die tiefste Entartung des, dessen
ungeachtet, immer noch nicht erloschenen Grundkeims
der (immer Göttlichen) Liebe. . . studieren müssen." So
weit ging er, dass er das Geschlechtserlebnis auch unab-
hängig von der geistigen Bedeutung des Mannes für die
Frau als Mittlertum definierte. „Ein jeder rechtschaffener,
liebender Mann, wenn er auch keine Verse liest, aber
liebt, ist ein ihnen gesandter Heyland . . ."
Durch die Einführung des sexuellen Elements in den
Liebesbegriff wurde die Passivität auch in diese Erlebnis-
form des Universums hineingetragen. Er aber suchte
hierin die Aktivität, die vor allem in der Caritas-Liebe
vorhanden ist. Sein Caritas-Gebot war ihm Veredelung
des menschlichen Geschlechts durch die Kunstpredigt, also
eine Tat, durch die er in dem Wirkungszusammenhang
des Kosmos eingriff. In diesem Sinne war er Meister,
aktiv. So sehr er bemüht war, der Forderung nach Akti-
vität gerecht zu werden, auf Grund seiner seelischen Lage
konnte er nicht zu einer reinen Forderung nach der Tat-
handlung, zu der ihn dann Fichte drängte, kommen. Neben
seinem Meistertum stand auch hier das Jüngertum, ohne
das er jetzt schon den Liebebegriff in dieser Richtung
ganz durchdacht hätte. Dazu führte ihn später das Er-
leben. Hier ahnte er ihre Duplizität, wusste ihr aber
noch keinen klaren Ausdruck zu geben, als er hervorhob,
dass in den indischen Mythen die Idee der „alles bele-
benden Liebe'- verborgen sei, indem sie lehrten, in jedem
Grundwesen „sei Mann und Weib zugleich".
94
Der psychische Ausgangspunkt für Werner ist das
Erlebnis des passiven Einswerdens mit dem Universum,
das „Wollüstige" des Künstlers und Religiösen. Die
höchste Steigerung dieser Wollust ist der Tod, „die Ver-
wesung, die uns dem Unendlichen wiedergibt". Schleier-
macher hatte die Aufgabe der Persönlichkeit gedacht, als
religiösgeistigen Akt. Werner nahm diesen Gedanken in
ganz anderer Form auf, die weniger vergeistigt war. Er
forderte das tatsächliche Opfer der Persönlichkeit, des
individuellen Lebens, sah im Tode die höchste Wollust,
weil er allein ganz die Verbindung zwischen Ich und All
herzustellen vermochte. Böhmes Anregungen und natur-
philosophische Philosopheme führten ihn zu dieser theore-
tischen Feststellung, die in der Todessehnsucht (der Todes-
angst beigemischt war) des früh Gealterten psychologisch
begründet lag. Der Tod war nur Vernichtung der Form,
einer Form sogar nur, die nicht erstrebenswert war, deren
Aufgabe Mittelpunktsforderung der Religion Schleier-
machers war. Es war die Erkenntnis der Naturphilo-
sophen, die Lehre der plotinschen Mystik, die über Böhmes
Besonnenheit hinaus in den Hymnen an die Nacht ihm
wohl neu entgegengetreten war, nachdem er sie schon in
der vorherliegenden Epoche aus der Geheimlehre des Frei-
maurerordens entnommen hatte. Auch Rousseau bot An-
haltspunkte zu diesem Gedanken. Es war die extreme theo-
retische Weiterführung der Grundforderung Werners, die in
der Vernichtung der Persönlichkeit lag, zu der er seelisch
gezwungen war, da er an den Wert seiner Individualität
nicht mehr glauben konnte. Die Lehre gipfelte hier, ohne
jedoch jemals mehr als Lehre zu sein. Er suchte die see-
lische Vernichtnng des Ich, nie den Tod. Und er predigte:
Ausgesöhnet ist der Fluch
Aber wandellos der Spruch :
Sterben muss und auferstehen
Was da will das Leben sehen.
Sterben muss die düstere Glut
Die noch in der Selbstheit ruht ....
9^
In der Erklärung der Phosphoroslegende aus dem
zweiten Teil der Söhne des Thals, die er Scheffner in
einem Briefe vom 29. Januar 1805 gab, sind diese Ge-
danken im Zusammenhang besonders deutlich ausge-
sprochen. Die Zerbrechungslehre Böhmes bot Werner
hier sogar die Worte, ihre Extremität lässt den Ein-
fluss der Naturphilosophie erkennen, so eifersüchtig auch
Werner sein Autorrecht dem Freunde gegenüber her-
vorhob.
Die Aufgabe des Individuellen im realen Leben, in
der eigentlichen Tätigkeit wurde vergeistigt in der For-
derung zum Ausdruck gebracht, dass um die Religion zu
sichern, eine Kirche notwendig sei deren Aufgabe es
stets gewesen, gegen den Egoismus der Regierenden die
Sache der Menschheit zu führen. Keine Pfaffenherrschaft
werde dadurch proklamiert, sondern die Herrschaft der
Besten. Als Keimzelle dieser Welt umfassenden Organi-
sation stelle er sich den Orden vor, den er gegründet
wissen mochte, der keiner Religionsform verpflichtet
und anscheinend literarisch sein solle. „ . . . Die Kunst
muss das Medium sein und von den dazu Verbündeten
absichtlich geleitet werden die Menschheit durch religiösen
Sinn zu veredeln und zu verbinden." Als Mitglieder der
neuen Kirche nennt er die Schlegel, Tieck, Fichte u. a.
„wenn sie nicht Windbeutel und Pralhänse sind".
Zu Beginn des Briefes hatte er in der Depression
eines Moments geschrieben, dass er wohl nie mehr wirken
könne, da seine Energie immer mehr schwinde. „Ich muss
mich also darauf beschränken, Zunder zu werfen, wo ich
kann, und w^ürde glücklich seyn, wenn ich auch nur einen
Menschen für das, was mir wahr und heilig ist, ent-
flammen könnte." Hitzig hatte er die Notwendigkeit der
Gründung eines Ordens für die neue Religion berichtet,
schränkte das aber dahin ein, dass er eine Verbindung
derjenigen anstrebe, die Sinn für das Höchste hätten.
Diese Absicht durchzog von nun an sein Leben, nachdem
Ansätze dazu (z. B. in den Reformplänen des Freimaurer-
1)6
Ordens usw.) schon aufzuweisen waren. Die Aufgabe des
Ich glaubte er in dieser Form erreicht, seine isolierenden
Schranken, die auch der Wirksamkeit gezogen waren,
sollten in der Vereinigung fallen. Jenes Gleichnis der
kosmischen Harmonie, von der Schleiermacher gesprochen
hatte, hoffte Werner in diesem Überorden zu erreichen. Der
Wirkung der Einzelpersonen konnte er seiner Weltauf-
fassung und der eigenen Art nach nicht diese Leistungs-
kraft zutrauen. Das brachte er bewusst und unbewusst
immer wieder zum Ausdruck. Der Held des ersten
Dramas war eine Vielheit von Personen, eben ein Orden,
auch in dem „Kreuz an der Ostsee" waren eine Über-
individualität ,die zwei Liebenden' der Mittelpunkt. Wer-
ner, der die Vernichtung des Ich forderte, erkannte
noch nicht seine Bedeutung als Sendungsträger und
glaubte die Aktivität erst in einer überpersönlichen Or-
ganisation, deren Individualcharakter er aber tastend er-
fühlte, gewährleistet.
Diese Forderung war schon vor ihm in der Romantik
von Schleiermacher und Friedrich Schlegel z. B. erhoben
worden und lag in der romantischen Psyche begründet,
deren Differenziertheit kulminierend zur geistigen Ehe als
Erfüllung ihrer Teilhaftigkeit drängte. Für Werner lag der
Ausgangspunkt in dem Erlebnis der Einheitslosigkeit des Ich
und in dieser Epoche suchte er sie durch eine mehr äussere
Verbindung mit anderen Individuen mittels Ehe, Freund-
schaft und Organisation zur Einheit zu bringen. Das ist der
Untergrund seines Ordensplans. Er wünschte die Gründung
einer Pepiniere der Heiligen ohne den nebensächlichen
Formelkram; „denn wozu immer die ewig starren Falten,
wenn wir lebendiges Fleisch haben". Ganz naturgemäss
musste der Ekstatiker Werner aus seinem Wesen heraus
zu einer Verachtung des Historisch-Formalen kommen,
jedem Mystiker, dessen Lebensgrundlage in der unio
mystica, dem Erleben Gottes in sich lag und der weder
Beweis noch beglaubigte Zusicherung nötig hatte, war die
Kirche zum mindesten nebensächlich. Böhme sowohl wie
97
Schleiermacher 'stärkten in Werner den Trieb, der also
nicht als Mystiker sondern als nicht mehr seiner selbs:
sicherer Flüchtling später in den Schoss der Kirche eilte.
In Königsberg hatte er versucht die Keimzelle seines
Ordens aus dem kleinen Kreis der jungen Leute, die sich
um ihn und Mayr schaarten, zu bilden, spann auch gleich-
zeitig Fäden nach Berlin, wo Hitzig im Kreise von Chamisso
und Varnhagen von Ense für ihn Propaganda machte.
Ihm hatte er am 17. Oktober 1809 geschrieben: „Geben
muss man der Welt, der jämmerlichen, von Gott entfrem-
deten Welt das Beispiel einer solchen Verbindung in
Prosa, in Natura, sie mag Sekte, Orden, wie sie will, ge-
tauft werden." Werner, dessen praktische Organisations-
gabe sehr gering war, suchte auch weiterhin Anknüpfungs-
möglichkeiten, um sein modernes Aposteltum zum Aus-
druck zu bringen. Die literarische Wirkung durch Bücher
hielt er nicht für ausreichend, glaubte aber die Bühne als
Kanzel benützen zu können. An Iffland schrieb er, dass
es seine Absicht gewesen sei, dem ihm innigst verbun-
denen Freimaurertum in den „Söhnen des Thals" ein
Lehrgedicht zu geben. Er hoffte den Schausspielerdichter
für seine Pläne gewinnen, und zwischen Romantik und
Bühne die fehlende Brücke herzustellen. Und diese
Brücke glaubte er bauen zu können durch künstlerische
Ausnützung des Katholizismus, dessen Gehalt und Mytho-
logie er ausnutzen wollte. Denn nicht nur eine lockere
Zufallsverbindung zwischen Bühne und Kunst der Roman-
tik erstrebte er, sondern eine von innen umgestaltende
Reform der Tragödie durch eine Wandlung des Schick-
salbegriffs, durch eine Änderung der Weltanschauung,
aus der die neue Kunst in ihrem Gehalt erwachsen sollte.
Wirken wollte er ja und jetzt bot sich dazu die Gelegen-
heit. Deshalb drängte er nach Berlin zu kommen, um
hier im Mittelpunkt des geistigen Lebens, die richtige
Plattform für sein Wirken zu erhalten.
Die Grundidee dieser Gedankengänge war die mehr
oder weniger klar ausgesprochene Forderung der Auf-
Hankamcr, Zacharias Werner. 7
98
gäbe des Individuums, die er in den Söhnen des Thals
als Leitmotiv erklingen Hess: „Die stolze Ichheit Avird
ans Kreuz geschlagen" und die in seiner Auffassung des
Schicksals ihre bezeichnendste Form erhielt.
IV. Kapitel.
Die Romantik als Form in Leben und Dichtung.
Das Beherrschende in der Lebensauffassung Wernei's
war damals der Religionsbegriff Schleiermachers in der
Schattierung Böhmes. Er wurde der Ausdruck der geistigen
Lebensform, wie in der Romantik fast allgemein sich nach-
weisen lässt. Von hier aus wurde der ganze Zusammen-
hang des seelischen Geschehens neu erfasst. Vielleicht
am stärksten äusserte sich die von Schleiermacher be-
stimmte religiöse Einstellung Werners im Schicksalglauben.
In seiner feinen Studie über die Religion sagt Simmel:
„Indem hier das Innere und ein ihm Äusseres sich begegnen,
enthält, von jenem aus gesehen, der Schicksalbegrift ein
Moment von Zufälligkeit, das seine prinzipielle Spannung
gegen den von Innen kommenden Sinn unseres Lebens
auch dann zeigt, wenn das Schicksal einmal als der genaue
Vollstrecker dieses letzteren auftritt." Im Zufallsmoment
des Äusseren entfaltet sich die religiöse Kraft, da es un-
begreiflich und je nach Einstellung als sinnvoll oder un-
sinnig gesehep werden kann.
Wackenroders Weltbild schloss sich in der Planidee
Gottes, die alles einte. Schleiermachers Darstellung der
Religion hatte das Schicksalgefühl als vielleicht die we-
sentlichste Form der Religion herausgestellt. Das Uni-
versum sollte als das Handelnde angeschaut werden. Alles
Einzelne war nur Teil eines Ganzen, war nur Darstellung
99
des Unendlichen, reihte sich in ein kosmisches Geschehen.
Solches Sehen der Dinge und Menschen war für Schleier-
macher Religion. „So war es Religion wenn die Alten
die Beschränkung der Zeit und des Raumes vernichtend
jede eigentümliche Art des Lebens durch die ganze Welt
hin als das Werk und Reich eines allgegenwärtigen We-
sens ansehen . . .; es war Religion wenn sie für jede hilf-
reiche Begebenheit wobei die ewigen Gesetze der Welt
sich im Zufälligen auf eine einleuchtende Art offenbarten,
den Gott, dem es angehörte, mit einem eigenen Beinamen
begabten und einen eigenen Tempel ihm bauten." „Alle
Begebenheiten der Welt als Handlungen eines Gottes vor-
stellen, das ist Religion. Es drückt ihre Beziehungen auf
ein unerkdliches Ganzes aus." Religion ist Glaube und
Schleiermachei gab seiner Zeit hier die Möglichkeit ihre
Antithese in der Anschauung zu lösen. Über dem Wider-
streit des Wirklichen stellte er die schicksalhafte Einheit
des Universums.
Aus der Analyse der Psyche Werners wurde der von
ihm selbst erkannte eigenartige Mangel an innerer Ein-
heit und Zielsicherheit erchlossen. „Ich werde nicht
fertig, weder mit meinem Briefe, noch mit meinen Studium
noch mit meinem Kunstwerk, noch mit meinem Leben "^
schrieb er Ende 1804 an Scheffner. Da er diese Stö-
rungen seines inneren Lebens nach aussen verlegte, sah
er sich nun von dem starken religiösen Zug seiner Welt-
auffassung gedrängt, darin irgendwie das Walten einer
Gottheit zu sehen, um die Würde seines Menschdaseins
gewährleistet zu wissen. Der Schicksalbegrifif, der sich
in ihm entwickelte, näherte sich dem Zustand, den Hoff-
mann in den Serapionsbrüdern festhielt.
Ein grosser, allbeherrschender Plan schien sich Werner,
als Religiösem im Alleben zu zeigen. Nach ehernen Plan-
ideen vollzieht sich die Entwicklung, baut sich nach den
Gesetzen auf, die dem Universum immanent, in einem
Widerspruch stehen zum Individuum und seinem Glück-
willen. Der ist egoistisch und dadurch auch unsittlich.
100
Die Auffassung des Schicksals ist in dieser Zeit bei Werner
völlig sozial und stand im schrofiesten Gegensatz zur
Persönlichkeitsforderung. Werner brachte schärfer noch
als die übrigen Denker den Gegensatz zum Individuum
hinein, weil der Ausgangspunkt für ihn in diesem Erlebnis
lag. Seine Lebensform musste irgendwie entschuldigt und
das hiess für den Romantiker in einen Zusammenhang
mit dem Leben der Gemeinschaft, mit dem All gebracht
werden und wurde es — durch die Verneinung. Die schroffe
Antithese zwischen Persönlichkeit und Schicksal wurde
von ihm so zugespitzt, dass des Schicksals Aufgabe und
Gebot war, die Persönlichkeit auch körperlich zu ver-
nichten. Auf der Grundlage seiner Weltanschauung, die
in der Aufgabe des Persönlichen kulminierte, e*»hob sich
dieser Schicksalgedanke und entwickelte sich unter dem
Einfluss der Naturphilosophie zu dem, was den gedank-
lichen Gehalt der ersten Dichtungen bildete. Schon in
seiner vorromantischen Epoche hatten sich Keime ähnlicher
Tendenzen gezeigt. Nun traten neue Kräfte in Tätigkeit
und wurden für die Ausbildung und Entwicklung seines
Schicksalglaubens von Bedeutung, brachten diese Idee in
eine innige Verbindung mit dem Ganzen der Seelenrevo-
lution Werners.
Der neue Begriff entstand dadurch, dass das Lebens-
gesetz der Naturphilosophie als Wert in die Schleier-
machersche Formel gesetzt wurde. So erhielt es nicht
nur einen kosmischen, sondern immer mehr einen ethischen
Charakter. Das Lebensgesetz wurde Forderung, wurde
Sittengesetz. Hier traf Werner von romantischen Ge-
dankengängen beeinflusst die von ihm durch Schiller er-
fasste Gleichsetzung des Schicksals mit dem Sittengesetz,
dessen Inhalt sich freilich wesentlich geändert hatte. Der
Gegensatz zwischen Schicksal und Persönlichkeit war
noch verschärft und die Transcendenz noch erhöht worden.
In der Auffassung der Naturphilosophie umfasste das
Lebensgesetz, das „Stirb und werde", das ganze Weltall,
war ihm immanent, war die Lebensform des Daseins.
101
Hatte er unter dem ersten Einfluss Rousseaus die
historisch gewordene Realität als Gegenspieler empfunden,
so schien jetzt das Leben in dieser Welt an sich und
überhaupt eine Last, die den Schicksalscharakter nicht
vorleugnete. Da er als Gegner dem zum Universum
drängenden Geiste gegenüberstand, verlor es immer mehr
den moralischen Wert, der die Persönlichkeit unterschie-
den hatte. Die Tatsachen und Handlungen der Wirklich-
keit stellten sich immer mehr jenseits von Gut und Böse.
Auch das Laster diente dem Entwicklungsgesetze, wurde
von der Gottheit genutzt zur Läuterung und zur Erfüllung
überwirklicher Zwecke. Die religiöse Einstellung Schlei-
ermachers hatte vom Standpunkt des Universums aus die
moralischen Unterschiede der Einzelnen als verschwindend
klein erkennen lassen. Schelling (in seiner Methode des
akademischen Studiums 1803) und unter seinem Einfluss
auch später Fichte (in den Grundzügen des Zeitalters)
hatten die Notwendigkeit eines Zustandes vollendeter
Sündhaftigkeit in der Geschichte der Menschheit gelehrt.
Böhme hatte mit weiser Einschränkung freilich festge-
stellt, dass die Sünde selbst zur inneren Zerbrechung
förderlich sein könnte. Hatte nicht Rousseau den Fall
Juliens und Saint Preux' als Voraussetzung ihrer seelischen
Läuterung erkannt? Werner nahm diese Gedankengänge
an und gestaltete sie um. Um seinen göttlichen Zweck
erfüllen zu können, hatte er alle Erscheinungsformen der
Liebe erleben müssen. Dieses Müssen war Schicksal und
als solches sittlich im höheren Sinne. Die Gedanken-
gänge, die ihn zu der Erkenntnis des Gegensatzes zwischen
Moral und Religion geführt, öffneten sich ihm an diesem
Zeitpunkt, in dem er seine Existenz als wertvoll gesichert
sah. Die unmoralische Handlung wurde Mittel des Schick-
sals, ihn zu erfüllen, da sie den moralischen Eigen-
wert vernichtete, also das Persönlichste.
Wie die körperliche Krankheit dem Phlogiston erst
die Wege zum eigentlichen Sein öffnet, so auch die Sünde,
die in Qualen die Seele aufschreien lässt zu Gott. „O
102
selige Sünde, die uns solchen Erlöser gab", konnte Au-
gustinus in ähnlichem Erleben ausrufen. Qualenfreudig
nannte er einmal seine Mutter und auch auf ihn passte
dieses Wort. Es war ihm Gebot, die Qual des Daseins
zu suchen. Das Schicksal — das qualdurchglüte Leben —
wurde die Kelter, die sein Wesen vollenden solle. „Ist
es mein Verdienst, dass diese Bedrückung mich etwas
geläutert und gereinigt hat? Habe ich mein Herz
dem Schicksal hingetragen, um es in die Presse zu
nehmen, oder habe ich vielmehr in unsehger Verblen-
dung dem Glücke nachgejagt ohne es verdienen zu
wollen."
So wurde ihm sein Leben in dieser Welt wertvoll
gerade durch die seelischen Katastrophen und die Lei-
den, die ihn aufstöhnen Hessen in den Briefen und
Tagebüchern. In einem Briefe vom 28. Oktober 1802
hatte er sich dem jungen Hitzig gegenüber einen von
allen Gattungen des Leides und Freude geschwächten
Menschen genannt, den das Schicksal verworfen habe.
Seine Pflicht sei es gewesen, kein weibliches Geschöpf
aufs Neue in die unerbittliche Nemesis, die ihn verfolge,
zu verflechten, schrieb er kurz nach seiner letzten Ehe
Scheidung. Noch 1809 sprach er einmal mit dem legeren
Wortgebrauch, der ihm eigentümlich war, Scheffner gegen-
über von dem ihn ablässig verfolgenden Schicksal.
Dieser Gewalt gegenüber, die über dem Leben des Ich
zu stehen schien, wusste er keinen andern Weg als Er-
gebung und Anerkennung. Werner musste in der Sünde
das Mittel des Schicksals sehen, wollte er nicht sich selbst
aufgeben. Er suchte in der antithetischen Form seines
Denkens theoretisch das Unsittliche zu versittlichen, weil
er die Unsittlichkeit seiner Existenz praktisch nicht ändern
noch sich eingestehen konnte. „Ich mache mir viele Vor-
würfe darüber aber alles was ist, muss sein", und er
entschuldigt sich damit: „denn was kann ich dafür, dass
ich so bin." Das Ich ist eine Notwendigkeit geworden
für Werner und erscheint als Maschine der „im verborge-
lOo
nen lenkenden Hand Gottes," ist also stets sittlich auch
im Unsittlichen,
Der Höhepunkt der Verneinung des Individuellen
war erreicht: Die moraliche Lebensform des Einzellebens
wurde fast als im Gegensatze zum ethischen All-Schick-
sal stehend empfunden. Die Vernichtung des Ichs als
seine Forderung wurde auch auf die Sittlichkeit des per-
sönlichen Lebens anscheinend ausgedehnt. Nach seinem
Wesensbau musste hier für Werner die höchstmögliche
Steigerung der Antithese erreicht sein, gab er doch sich
selbst insofern auf, als die Sehnsucht nach dem Wissen um
die Sittlichkeit seiner Existenz Ausgangspunkt dieser Ge-
danken gewesen war und er den Widerspruch trotz aller
Theorie fühlte.
Der Gedanke kulminierte; denn gerade die scharfe
Wendung aller Ideen gegen das Individuum bewies die
Stärke dieser Tendenz bei Werner. Irgendwie musste
sich der Weg öffnen um ihm im System eine entsprechen-
de Stellung zu schaffen. Über die reine Antithese musste
zu einer Synthesis geschritten werden. Die Einführung
des Individuums als positivere Grösse in die Weltanschau-
ung erfolgte unter Ausnutzung psychologischer Tat-
sachen, für die Werner eine Erklärung suchte und bei
Böhme vor allem schon vorgebildet fand.
Werner hatte das Phänomen des ekstatischen Schaffens
Vor allem in dem plötzlichen Wechsel der schöpferischen
Kraft und Ohnmacht erlebt, und erkannte dieses Auf und
Ab des geistigen Lebens in allem Tun. Der Moment
erhielt eine überragende Bedeutung, drohte die seelische
Einheit zu zerstören, da er den geistigen Dualismus
deutlich machte.
Das Doppel-Ich wurde theoretisch überwunden in
dem Begriff der Weihe. Direkt im Anschluss an die Mit-
teilung, dass ihm Jakob Böhme entgegengetreten war,
formulierte er den neuen Begriff „wie käme ich Schwacher,
der sich vor einem etwas schmalen Weichselkahn, vor
einem alten Pferde, vor Gott weiss was noch fürchtet.
104
dazu mein Schicksal, die schiefen Urteile der mich um-
gebenden Menschen, Falschheit, Achselzucken, dumme
Bosheit, alles, womit man jeden honneckt, der einen
Schritt aus der alten Landstrasse weicht, nicht nur das
sondern eine vergeudete Jugend, eine umflorte Aussicht
auf die Zukunft selbst den Gedanken des Todes und jedes
Schlages, den mir mein immer geschäftiges Missgeschick
noch hinter dem Vorhang zeigt — wie käme ich, sage
ich, dazu, wenn nicht des Herren Kraft in dem Schwachen
mächtig wäre."
Durch Gottes direkten Beistand wusste er sich über
diese Fehler seiner empirischen Individualität erhoben
und man erwartet die Weiterführung" dieses Gedankens
auf moralisch-persönlichem Gebiet. Werner kam jedoch
zu einer anderen Ausführung des Begriffs der Durch-
göttlichung. Des Herren Kraft war ihm die F'ähigkeit
zu Kunst und Religion, also das Künstlertum und die Re-
ligiosität, die in einem überlegenem Widerspruch zur
Moralität standen, in sich theoretisch die persönlich ein-
geengte Moral überwanden.
Seinem Verleger Sander gegenüber unterscheidet er
sich in Auffassung und Beurteilung der Dinge scharf in
prosaisch und poetisch, wobei er den poetischen Zustand
ziemlich deuthch mit dem der Weihe gleich setzt. In
den Höhepunkten des Lebens stand er unter der Weihe
der Gottheit die ihn schuldlos verliess, wenn er in den
Abgründen zu versinken drohte. Dieser Lösungsversuch
war nicht aus dem moralischen Leben gewonnen. Das
Künstlertum Werners Hess ihn diese Theorie als Abstrak-
tion des Erlebten finden. Der Weihebegriff steht in
nächster Verbindung mit seiner Definition der Kunst, als
die Art des Schauens, in der das Universum zum Ab-
glanz Gottes wurde. Begrifflich ging sein Denken die-
selbe Bahn, die Novalis durch Böhme nahm und die in
den Lehrlingen von Sais zur Erkenntnis wurde, dass nur
ein Gott das Göttliche erfassen könne. Werner aber
nahm bezeichnend für die Stärke des Doppelich-Gefühls
105
ein zeitliches Nebeneinander von Gott und Tier im Men-
schen an. Der Zwiespalt zwischen Mensch und Künstler,
der in der Romantik eines der Urerlebnisse war, suchte
hier die erste Versöhnung. Sie war nur ein Kompromiss
und musste noch über verschiedene Stadien bis zu Klä-
rung. Bezeichnend für den Romantiker war, dass nicht
das Menschtum, sondern das Künstlertum die erste Brücke
über die Antithese des Ichs schlug. Die Auffassung der
Kunst als ein ekstatisches Schaffen unter dem direkten
Einfluss Gottes, die auch Wackenroder verkündet hatte,
wurde ausgewertet und liess diese Formel finden, die
wohl als die eigenartigste Fassung des Shafetsburyschen
„second maker" angesprochen werden kann, ohne dass
der Engländer sie beeinflusst hätte.
Das Ich in seinem eigentlichen Wesen, in seinem
Einzig-Sein wurde noch nicht schärfer gesehen, wenn
gleich sich gerade in dem Unkraft-Weihebegriff die Mög-
lichheit zu einer positiven Fassung zeigte. Noch halte
über alles hinweg das dumpfdröhnende Motiv: „die stolze
Ichheit wird ans Kreuz geschlagen." Aber in einigen
Nebenbemerkungen lässt sich schon der neue Gedanke
erkennen, der sich duichzusetzen versucht und neben
dem Hauptthema und gegen es sich behauptet. Noch
warf das Universumgesetz auf das kleine Ich seine gigan
tischen Schatten, verdunkelte es aber nicht mehr völlig.
Das Ich wurde hier schon als Zweck empfunden und
entzog sich wenn auch nicht völlig bewusst und ent-
schlossen dem Vernichtungsgesetze. Es war ein positiver
Wert in ihm und den suchte Werner ahnend zu fassen.
Die Anregungen aller Philosopheme nahm er hierzu auf.
Schelling sah in der Ichheit, diesem gerade bei ihm
schillernden Begriff, auch den Schnittpunkt des Absoluten
mit dem Realen und bot die Möglichkeit der Wertung
des Individuellen als die Besonderheit.
Wackenroder wie Schleiermacher und Böhme hatten
Punkte, an denen eine Wertung des Induviduellen sich
zeigte. In den Herzensergiessungen wurde immer wieder
106
festgestellt, dass „Schönheit in der Kunst nicht etwas so
armes und Dürftiges ist, dass eines Menschen Vermögen
sie erschöpfen könnten Ihr Licht zerspaltet viel-
mehr sich in tausend Strahlen, deren Widerschein auf
mannigfaltige Weise von den grossen Künstlern, die der
Himmel auf die Welt gesetzt hat in unser entzücktes
Auge zurückgeworfen wird." Von diesem Gedanken aus
kam Wackenroder zu der grossen demütigen Toleranz
den Schaffenden gegenüber, die ihn in Dürer und Raffael
Brüder sehen lehrte. Die Gottheit schaffte Millionen In-
dividuen, die zu ihrer Lust und Qual leben. Viele so
wunderlich, dass sie jenseits der Erkenntnis stehen „. . .
lasst uns wiederum die Mannifaltigkeit der erhabenen
Geister bewundern, welche der Himmel zum Dienste der
Kunst auf die Welt gesetzt hat". Im ewigen Geiste aber
lösen sich die Verschiedenheiten in Harmonie auf: „domi
aus all den Millionen von der Erde abgeschiedenen Leben
baut er jenseits jenes blauen Firmaments eine neue glän-
zendere Welt näher um seinen Thron herum, wo jedes
Gute seinen Platz finden wird." Böhmes Auffassung der
Welt als Bild Gottes, dessen Unendlichkeit in immerwäh-
render Geburt sich zu offenbarem strebe, gab den Platz
für die Einführung des Persönlichkeitsbegriffes. Aus dem-
selben religiösen Erlebnis war Schleiermacher zu seinem
„höheren Realismus" gekommen, der vielfältige Verschie-
denheit der einzelnen Wesen als Symbole des unendlichen
und lebendigen Alls forderte. „Im Unendlichen steht
alles Endliche ungestört nebeneinander. Alles ist eins
und alles ist wahr." Von seiner Auffassung des Univer-
sums als Kosmos, die Böhme am feinsten ausgedrückt
hatte, kam er zu dem eigentlichen romantischen Begriff
der Individualität, den er in der zweiten Rede also um-
schrieb: „Keiner ist dem andern gleich und in dem Leben
eines jeden gibt es irgend einen Moment, wie der Silber-
blick unedlerer Metalle, wo er sei es durch die innige
Annährung eines höheren], Wesens, oder durch irgend
einen elektrischen Schlag gleichsam aus sich heraus ge-
107
hoben und auf den höchsten Gipfel desjenigen gestellt
wird, was er sein kann. Für diesen Augenblick war er
geschaffen, in diesem erreichte er seine Bestimmung und
nach ihm ging die erschöpfte Lebenskraft wieder zu-
rück." Zu Eingang der ersten Rede konnte Werner
lesen: „Es ist die innere, unwiderstehliche Notwendigkeit
meiner Natur, es ist ein göttlicher Beruf, es ist das, was
meine Stellung im Universum bestimmt und mich zu dem
Wesen macht, welches ich bin."
In der Weihe der Unkraft war das Ich zum Träger
der Gottheit geAVorden und damit ein Gegensatz aufge-
stellt zwischen dem Ich als Wirklichkeitserscheinung und
dem Ich als Zweckträger des Göttlichen. Hier erschienen
noch beide Formen im zeitlichen Nebeneinander und die
gedankliche Fortentwicklungsmöglichkeit zur erlösenden
Synthese reifte nicht aus. Aber Werner fand hier wenig-
stens einen Mittelpunkt, der über seinem geistigen Zwie-
spalt stand. Er ging den Weg seiner Generation. Der
Romantiker war viel zu differenziert, um sich als einheit-
lich geschlossene Persönlichkeit zu fühlen und aus diesem
Gefühl der Einheit heraus sich eine W^eltanschauung zu
schaffen. Friedrich Schlegel sagte im Athenäum „Hat
man nun einmal die Liebhaberei fürs Absolute und kann
nicht davon lassen, so bleibt einem kein Ausweg, als sich
selbst immer wieder zu widersprechen und entgegenge-
setzte Extreme zu verbinden. Um den Satz des Wider-
spruchs ist es doch unvermeidlich geschehen, und man hat
nur die Wahl, ob man sich dabei leidend verhalten will,
oder ob man die Notwendigkeit durch Anerkennung zur
freien Handlung adeln will."
Werner ahnte die Einheit seiner selbst im Künstler-
tum. Als Schaffender erkannte er den Persönlichkeits-
wert, da sein Da- und Sosein nötig war, um einen ganz
bestimmten Zweck zu erreichen. Denn Kunst — wissen
wir — war ein Mittel der Religion und ihr Mittelcharakter
trat wohl unter der Energie dieser Ideen immer mehr
hervor. Das Aposteltum war ihm jetzt seelische Not-
108
wendigkeit, um seine Wesensform gerechtfertigt zu wissen.
Nur in der Erfüllung dieses gottgewollten Berufs war er
„geweiht" und seine Lebenssehnsucht war, Priester des
Allerhöchsten zu sein, und so über den Wechselfällen
seiner Erdenexistenz sich zur Persönlichkeit im Sinne
Schleiermachers zu erheben.
Während Werner von dieser geistigen Revolution
erschüttert wurde, die durch die rasende Hast der ver-
schiedenartigsten Eindrücke und durch die anscheinend
vernichtende Stärke ihrer Fremdkräfte ihn das Aufgeben
der Individualität erleben Hess, trug er sich mit künst-
lerischen Plänen. Der Aufnahmeakt nahm seine gesamte
Energie in Anspruch und wenn er auch immer wieder
betonte, dass es seine eigenen Ideen seien, so kam die
zerstörende Kraft dieses Vorgangs für sein Persönlich-
keitsgefühl indirekt umso stärker zum Ausdruck. Erst
nachdem sich das wirre Chaos ein Avenig geordnet hatte,
konnte die Produktivität sich formend bemühen, das neue
Wissen zu gestalten und der Mitwelt zu predigen, konnte
gleichzeitig den Bildungsprozess dieser Ideen zum Posi-
tiveren hin beeinflussen, sodass das Kunstwerk dieser
Epoche alle Gedanken in sich saugte, andererseits aber
auch sie weiterentwickelte. Vor allem im Begriff der
Persönlichkeit.
Das neue Drama, der zweite Teil der „Söhne des
Thals", der trotz des Widerspruchs seines Verlegers „die
Kreuzesbrüder" genannt wurde, nahm im Herbst und
Winter 1802 schnell Gestalt an, so dass er am 28. Februar
1803 Peguilhen berichten kann, dass es bis auf einige
Scenen vollendet sei. Hitzig wurde über die Ent-
stehung brieflich auf dem Laufenden gehalten, ohne dass
jedoch die — wohl unbewusste — Entwicklung in ihren
Einzelheiten klar zum Ausdruck gekommen wäre. Ein
äusseres Zeichen dieses klärenden aber auch hemmenden
Vorgangs ist, dass er noch fast das ganze Jahr an dem
Werke arbeitete und feilte, obwohl er gleich nach dem
ersten Wurf glaubte, dass dieser Teil besser würde als
109
der erste. Ein Jahr nach den „Templern auf Cypern"
erschienen 1804 die Kreuzbrüder bei Sander in Berlin.
Hatte der erste Teil mehr eine Zustandschilderung
gegeben, worin der Orden als todesreif dargestellt war
und die verschiedenen Kräfte aufgedeckt wurden, die
seine äussere Vernichtung zur tragischen Sicherheit
machten, so gab der zweite Teil „das Opfer der Ver-
wandlung". Nur die letzten Scenen des Trauerspiels
wurden gespielt und der Prolog skizzierte den historischen
Verlauf. Äusserlich fiel der Templerorden der Habsucht
und den Intriguen seiner moraUsch gleich minderwertigen
Gegner zum Opfer, tatsächlich aber wird nur die Form
vernichtet, das Kleid zerrissen, das nicht mehr dem In-
halt entsprach. Der Ewigkeitswert, der sich hinter den
historischen Formeln barg, konnte nicht untergehen. Der
Weltgeist forderte das Wandlungsopfer der Allgemeinheit
zu nutzen, der gegenüber der Orden — als Individuum
grösseren Stils — und die Einzelperson zurückzutreten
haben. Das Entwicklungsgesetz des Universums, die Tod-
Geburt sollte hier Form werden. Im Gegensatz zu den
Künstlern, die sich an dem gleichen Stoff versucht hatten,
wollte er „das hochtragische Fatum des Ordens" ent-
wickeln. Da lag die Konzeption, deren latente Energie
bei der Aufnahme der Romantik aktiv wurde, so dass sie
als Kristallisationspunkt zur Wirkung kam und den zweiten
Teil der Söhne des Thals zu dieser Form bildete.
Als er das Drama begann, hatte er das Fatum ge-
sehen wie Schiller es in seinen „angestrengten und herr-
lichen Versuchen" dargestellt hatte: Das Sittengesetz, das
den moralisch verkommenen Orden strafend treffen sollte,
jetzt war es im Sinne Schleiermachers und der Natur-
philosophie ordnende Natur, die über dem Moralisch-Mensch-
lichen stand. Absichtlich blieb die Moralität ohne beson-
deren Akzent, da sie als sekundär in Wert erkannt war
und nur individuelle Werte oder Unwerte bezeichnet hätte.
Die Persönlichkeiten verlieren auch dichterisch die Um-
risschärfe des ersten Teil und ihre Konturen lösen sich
110
in dem flimmernden Zwielicht des übermenschlichen Ge-
schehen, das sich an ihnen vollzieht, das sie opfert.
„ . . wenn ich überhaupt in meinem ganzen zweiten Theil
die Idee der Opferung Isaaks durch Abraham (diese acht
göttliche) versinnbildlichen wollte, so wäre es (natürlicher
Weise) Kleckerei, da ich grelle Farben brauchen müsste . . .
aber die Idee bleibt dem ohne geachtet göttlich . . .^ schrieb
der Dichter nach Böhmes Auffassung zu Beginn der Arbeit.
Da nicht persönliche Leistung den Orden erzeugte, son-
dern das Walten des schicksalhaften Weltgeistes „so ist
es sein Recht, die morsche Hülle des Ordens vorsätzlich
zu zerstören, wie der Künstler eine von ihm selbst ge-
formte, missratene Bildsäule zerschlägt, um daraus eine
edlere zu formen". Er allein handelt, er allein schafft
sein Werk, das Vernichtung scheint und Verklärung ist.
Von den Menschen wird die Wirklichkeit nicht gelebt
sondern ertragen. Diese Auffassung Werners trat in
seiner Kunst deutlich zu Tage. Seine Helden handeln
w^eniger als sie vielmehr heroisch leiden. Sie lassen das
Entwicklungsgesetz an sich zur Erfüllung gehen und
sträuben sich nicht dagegen. Ihr „Silberbhck" ist das
Dulden des Opfertodes. Das menschliche wie auch künst-
lerische Interesse Werners ist zunächst nicht denen zu-
gewandt, die als die Auserkorenen der Zukunft Träger
des Seins sind, sondern denen, die von der eisernen Not-
wendigkeit zermalmt werden müssen. Eine Definition
des Tragischen würde von dem Dichter der Söhne des
Thals so gegeben worden sein: „Tragisch ist das Unter-
liegen der moralisch Guten dem Lebensgesetz gegenüber,
da sie, die Vertreter eines Toten, trotz ihrer Überlegen-
heit als Persönlichkeiten im Naturzusammenhang zum
Sterben verurteilt sind."
Das Schicksal erscheint nicht nur als die Kraft, die
jede Tat in einem Zusammenhang zu höheren Zwecken
umw^ertet, sondern als Dynamis, aus der analytisch sich
das Geschehen entfaltet und trotz theoretischer anders
gerichteter Nebenbemerkungen bleibt • lieser Analvsis-
Hl
Charakter des Geschehens ohne eigentliches Handeln der
Persönlichkeiten bestehen. Dieses Sehen liess auf der
Bühne als Symbol, als Vernunft-Bild des Schicksals das
Thal erscheinen, das künstlerisch ein völliger Fehlgriff^
Werners theoretisch im Formbegriff dargelegte Sucht nach
fasslichen, äusseren Zeichen beweist. Mitwirken mochte
neben literarischen Vorbildern dazu sein Wunsch, durch
dieses Vorbild einer Gemeinschaft hoher Art auf die Form
des Freimaurerordens einzuwirken.
Eine Handlung im dramatischen Sinne konnte sich
nicht durchsetzen, obgleich der Kampf des Dramatikers
Werner gegen den Philosophen oft deutlich hervortrat.
Im Verlauf der Arbeit drohte eine Person alle Energien
des Dramas an sich zu reisen „ein Mann, der ohne bigott,
Eiferer oder Schurke zu sein, den Orden und Molay,
seinen Freund, seinen höheren Zwecken opfert, ein Mann
ohne Leidenschaft, gemacht die Welt zu beherrschen":
Wilhelm Erzbischof von Paris, der den Prozess leitete.
Werner ist der Gefahr, die seiner Auffassung des Indivi-
duums hier drohte, dadurch begegnet, dass er den Erz-
bischof zum Mitglied des Thals machte. Nicht aus per-
sönlichen Motiven wird seine Kampfenergie geweckt, den
unumstösslichen Spruch des waltenden Thals vollzieht er
„ein veredelter, das heisst vom Egoismus entkleideter
Richelieu". Unpersönlich wie der Henker des Schicksals
soll er seine Pflicht erfüllen und wo er sich für Momente
als Richter fühlt, ist die künstlerische Freude Werneis an
diesem Charakter, die er im Briefe oft äusserte, für den
Verstoss verantwortlich zu machen. Denn sein eigenes
Urteil soll und darf nicht egoistisch bei dieser Urteilsvoll-
streckung mitwirken. Gerade da hier eine Gefährdung
dprch Individualitätkult drohte, suchte Werner jede Per-
sönlichkeitsleistung, die ein Individualverdienst hätte wer-
den können, auszuschalten und auch Wilhelm von Paris
soll eine Marionette des Fatums bleiben; denn das In-
teresse konzentriert für Werner sich darauf, „die Wirk-
samkeit des Thals darzustellen, Avelches im Verborgenen
112 .
das Depot der heiligsten Wahrheiten der Menschheit auf-
bewahrte ; zu Verkündern (wenn ich sagen dürfte Missionaren)
dieser Wahrheit für den christlichen Erdstrich, die Templer
ernannte". Die tiagische Schuld des Ordens ist seine
eigenmächtige Rationalisierung der Religion, ihre Ver-
mischung mit Politik usw., gegen die sich Schleiermacher
ebenfalls gewandt hatte. Nur dann kann die Idee des
Thals erfüllt werden, wenn die Verbindung von Religion
und Kunst zu einer neuen Einheit gebracht werden kann,
die den Enthusiasmus der Liebe in sich trägt und dadurch
die unproduktive Kälte einer Verslandesreligion überwindet.
Die Masse des Volkes, die Menschheit soll erwärmt, nicht
nur den Geistesaristokraten Nahrung geboten werden.
Dazu ist die Lehre der Templer nicht angetan, die aus
egoistischen Gründen nur den Wenigen etwas geben wollte.
Sie sündigten gegen das Weltgesetz, das Verleugnung
der Persönlichkeit fordert, weil sie sich zu einer an sich
hohen Stufe der Weltanschauung als Einzelwesen erhoben
auf Kosten ihrer Aufgabe, die sie zu Aposteln bestimmt
hatte. Die individuelle Seelenkultur ist ihre Sünde und
der Träger der neuen Form, Robert, wird erst erst dann
für vollendet erklärt, als er das höchste Persönlichkeits-
opfer, den Verzicht auf die „krüppelichte Unsterblichkeit"
als Individuum leistet und sich dem Universum hingibt.
Molay stellt sich erst da in die Reihe der Helden und
Heiligen des Thals neben Christus, Moses nnd Osiris als
er freiwilig die Vernichtung seines Lebens,, den Opfertod
wählt und, als seine Freunde ihn retten wollen, selbst in
den auflodernden Scheiterhaufen springt, den ein Blitz-
strahl des Himmels entzündet. Wilhelm von Paris ist
glücklich, als er hört, dass auch er bald „verwandelt"
sein werde. Denn das alle beherschende Gesetz dieser
Menschen ist „Eins zu werden mit dem All".
Zusammengedrängt wurde dies neue Evangelium in
der Legende von Phosphoros, die bewusst in Paralelle
gestellt war zu dem „Mährlein vom Baffomet". In der
Erklärung, die Werner Scheffner dazu schrieb, ist noch
11?.
deutlicher als in der Erzählung selbst Böhmes Gedanken-
welt zum Ausdruck gebracht. Im Baffomet war die Ver-
kümmerung des irdischen Menschen durch Geiz und
Egoismus und damit die Herrschaft des toten über dem
lebenden Prinzip — wie Böhme es nannte — dargestellt.
Die Phosphorlegendc sollte über das Zerrbild des frere
terrible hinaus den Akt der geistigen Wiedergeburt schil-
dern, „die Erlösung des Menschen sowie die Auflösung
der die Materie fesselnden Ketten, durch ihr Zerrinnen be-
zeichnen", mit Böhmes Wort: die Zerbrechung und Wieder-
geburt. Da der Mensch und die Welt Synonima sind „wie
etwa das sich in einem Cylinder abspiegelnde Bild einer
darunter gelegten verstellten Zeichnung^ hat die Darstel-
lung einen kosmischen und einen moralischen Sinn. Der ph}'-
sische Gehalt wird mit genauer Verfolgung Böhmescher Ge-
danken dargelegt. Das reine Licht ist eine Emanation der
Gottheit, die durch die Berührung mit der Erde verunreinigt
und eingekerkert in anderen Elementen zum Feuer wird.
In ihm bleibt die Sehnsucht nach dem Urlicht und die
belebende Kraft, die die Körperwelt zu erwärmen strebt.
Aber der Widerstand ist zu gross und nur bei Zerstörung
und Verfeinerung des Materiellen kann sich das reine
Lichtleben erfüllen. Das höchste Symbol der Wiederver-
einigung mit Gott ist der Regenbogen „in dessen Centro
sich die reinsten Strahlen spiegeln". So wie die Regen-
wolken den Lichtbogen erzeugen, ist auch das reine Wasser
der Heiland des Lichts. Mit wollüstiger, alles vereini-
gender Kraft bemächtigt sich dieser Erlöser seiner aus-
schliessend. Er verlöscht das Feuer, die gröbere in Ele-
menten eingekerkerte Form des Lichtes, vernichtet es und
in diesem Sterben gebiert es wieder das reine Licht, das
freigeworden zu seinem Urquell zurückeilt und in ihm
aufgeht.
Dementsprechend lautet die moralische Ausdeutung,
dass eine Emanation Gottes im Materiellen sich individuali-
siert. Das Denkende und Fühlende das Phlogiston) im
Menschen ist die reinste Emanation der Gottheit und
Hankamer. Zacliarias Werner. B
114
eigentlich es nur der Mensch. Die umschliessenden Elemen-
tarmassen, die man Körper nenne, sind nur der Kerker.
Die organischen Wirkungen (Handlungen) seien in Wahrheit
nicht Leben, sondern Hemmungen des wahren Lebens.
Das sogenannte Leben hindert nur die Wiedervereinigung
mit der Gottheit. Nur in Gott selbst sei der Mensch etwas,
sein Individualleben bleibe ein stolzes Nichts. Die Wie-
dervereinigung erfolge durch den körperlichen Tod und
den Logos, der als Mittler das im Moralischen menschlich
symbolisierte göttliche Licht darstelle. Die Stunden der
höheren Weihe seien Vorboten der V^ereinigung und in
ihnen habe das Göttliche die Oberhand über das Irdische
im Menschen. Es sind die Stunden der „höheren Weh-
mut", in denen die Trauer über das Einzel-Sein die Seele
berühre. Die materielle Erlösung wird durch die Krank-
heiten vorbereitet, da sie das organische Leben zugunsten
des Phlogiston schwächten. Der körperliche Tod als das
tatsächliche Zerrinnen im Unendlichen wird als Heiland
aus den Wassern bezeichnet. „Wenn in einer Stelle ge-
sagt wird, diese Kiste (in denen die Lehre des Ordens
aufbewahret wurde) enthalte den Tod, die Kraft, die
Gährung und den Frieden", so heisst dass: die ganze
Weisheit des Ordens, der aus Ertödtung des Eigenwillens
die göttliche Kraft in uns zu erzeugen bestimmt ist, so-
wie aus Erstarrung des Materiellen (Tod) das Leben neu
in der Gährung (Verwesung) und aus ihr die Beschwich-
tigung der streitenden Kräfte (Friede) entsteht. Die Mau-
rerei hat nur einen Zweck, Wiedergeburt und für die,
welche ihn erreicht, einen Trost Palingenesie, und die
Belege dazu sollte jener Kasten erhalten."
Es ist für die Art des geistigen Prozesses bei Werner
äusserst bezeichnend, dass er sein System, dessen Wurzeln
wir in der Romantik und in Böhme fanden, als eigent-
lichen Gehalt der Freimaurerlehre ansprechen zu können
meinte. Sein Schauen war so produktiv, dass er jede
Entwicklungsmöglichkeit fast vergewaltigend zur Vollen-
dung in seiner Form ausreifen Hess. Er war unfähig etwas
115
anderes zu sehen als sein Bild und fand beim leisesten Ähn-
lichkeitsreiz einer Einzelheit das Ganze als Synonyme. So
konnte er annehmen, in diesem Werke die Maurerei in
ihre Bestandteile „chemisch zerlegt" und nur das Dunkel
aufgehellt zu haben, das durch die vielen törichten
Symbole und die geschwätzige Sentimentalität über die
Lehre sich gebreitet hatte. Er identifizierte Maurer und
Christ und hoffte im Maurertum die Keime des Urchristen-
tums wieder zur Entfaltung bringen zu können, dessen
Lehre er hier zu verkünden meinte.
Das war seine Absicht gewesen. Er wollte dem Frei-
maurerbunde ein Lehrgedicht geben, hatte diesem Wollen
seine Kunst geopfert, die er im Epilog als Form und also
nebensächlich abtat. Abtuen musste nach seiner Auf-
fassung der Kunst. Das erklärt die ästhetischen Mängel
zumeist, wie auch auf dem Boden dieser passivistischen
Weltauffassung die eigentlich dramatische Form sich nicht
gestalten konnte. Künstlerisch ist dies Werk, das er nach
Schillers Wallenstein ein dramatisches Gedicht nannte
eine Talentprobe, die aufmerken Hess und mit Recht Iff-
lands Interesse erweckte. Gelang es den Dichter von
seinen scheinbaren Äusserlichkeiten abzubringen und seine
theatralische Gewandtheit mit dem dramatischen Instinkt
zu einen, so musste er Erwähnenswertes leisten. Dass
das Formale ganz mit seiner Weltauffassung verschmolzen
war, war nicht zu erkennen und verurteilte die Erzie-
hungsversuche Ifflands, die nach Werners schmeichelndem
Brief einsetzten, von vornherein zur Erfolglosigkeit.
Auf einen engeren Kreis Gleichgesinnter wirkte das
Drama in dem Sinne den Werner gewollt hatte, ästhetisch
fand es nur wenig Beachtung und wurde von Jean Pauls
Spott gegeisselt. Die Romantiker gingen, wie Werner
geahnt hatte, entweder daran vorüber oder dagegen vor,
und auch der materielle Erfolg, den er sich davon ver-
sprochen hatte für seine Versetzungswünsche blieb aus,
obwohl er eine rührige Reklame bei allen Leitenden zu
machen sich mühte.
116
Vor allen mit den Romantikern versuchte Werner
durch Hitzig und Peguilhen, der als Kriegs- und Domainen-
rat an der Berliner Oberrechenkammer beschäftigt war,
Fühlung zu gewinnen, um seinem Plane eines Kunstor-
dens einen realen Untergrund zu schaffen ; aber mit Aus-
nahme der Freunde Hitzigs, die einige Zeit auf ihn hörten,
war sein Bestreben fruchtlos. Der Kreis in Königsberg
jedoch schloss sich enger um ihn und hielt ihn noch mehr
von den geistig und gesellschaftlich Führenden fern. Erst
gegen Ende seines Königsberger Aufenthalts trat er mit
Scheffner in Verbindung und gewann in ihm einen väter-
lichen Freund, in dessen Hause auch seine Frau gern
aufgenommen wurde, deren „sancta simplicitas" einem
gesellschaftlichen Verkehr nicht sehr dienlich war. Der
überall Verbindung suchende Literat verfehlte nicht,
Kotzebues Aufenthalt in Königsberg zu nutzen, die per-
sönliche Bekanntschaft des Vielbekannten zu machen, um
seine weitreichenden Beziehungen für sich verwenden zu
können.
Der Zustand seiner Mutter verschlechterte sich immer
mehr und zwang ihn, seinen Urlaub zu verlängern. In
Warschau stiess er auf Widerstand. Je mehr er sich in
seine Arbeit an dem Drama hineinwühlte, und je sicherer
das Wissen um sein Künstlertum in ihm wurde, umso
stärker bildete sich der Widerwillen gegen seine Beamten-
stellung heraus. Die Briefe dieser Zeit sind beherrscht
von den Bitten um Vermittlung einer Pension, da er kein
eigenes Vermögen mehr hatte und „von der Gnade einer
verrückten Mutter" leben musste. Grotesk wechselten
diese Bitten mit Darlegungen seines Systems und zeichnen
den zermürbenden Zwiespalt seiner Lage gut nach. Die
Empfindlichkeit des Dichters litt dazu noch unter den
hämischen Gerüchten, die über den auffälligen Einsiedler
in Königsberg geklatscht wurden. Die Eifersucht seiner
jungen Frau, die vor allem unter den h3'sterischen Aus-
brüchen der Kranken zu leiden hatte, am Hause gebunden
war und hinter den geheimnisvollen Zusammenkünften
117
der Jünger Werners alles vermutete, steigerte sich da-
durch, dass seine Zeit fast völlig von literarischen Arbeiten
absorbiert wurde. All das wirkte zusammen, um den Tod
seiner Mutter, der mit dem Ableben Mniochs wie er glaubte
auf einen Tag, den 24. Februar 1804 fiel, zu einem zer-
reissenden Erlebnis zu gestalten. Die Qualen der letzten
Krankheitstage Hessen alles andere verblassen und die
Tote als Märtyrin erscheinen, der er auch in tausend Ver-
fehlungen der Jug-end wehe getan hatte.
Seine religiöse Hyperästhesie, die der Umgang mit
Mayr steigerte, sah in dem Leid einen Wink der Gottheit
zur inneren Einkehr, zur Aufgabe seiner Persönlichkeits-
liebe, die der Grund aller Sünde war: . . . „wie viel gäbe
ich darum, sie noch eine Woche zu erwecken und mein
gepresstes Herz in Reuethränen zu entladen." Er quälte
sich mit der Frage ab, warum die Schuldlose soviel habe
leiden müssen und da er keine Antwort zu finden wusste,
rettete er sich in den Christen- und Maurerglauben an
die Unerforschlichkeit der göttlichen Vorsehung. Ihr warf
er sich ganz in die Arme, steigerte sein rehgiöses Leben
zu einer qualvollen, wollüstigen Sehnsucht nach Selbst-
vernichtung. Damals war es, wo er nach achtzehn Jahren
am Charfreitag zum ersten Male wieder zum Abendmahl
ging. Seine religiöse Inbrunst glühte alles verzehrend
in ihm. Selbst die eben vollendete Dichtung erschien ihm
kalt und schal, nicht fähig, eine Ahnung von dem, was
ihn durchschütterte, den Menschen zu geben. Das wollte
er jetzt als Künstler aussprechen. So konzipierte er das
Kreuz an der Ostsee, in dem er von seinem Erleben
zeugen wollte. Ein religiöses Kunstwerk sollte erstehen,
nicht ein Lehrgedicht für einen Kreis ; ohne Didaktik und
ohne Störung durch direkte Predigt sollte es die auf-
zuckenden Energien seiner Liebereligion, zum Gedicht
gestaltet, der Menschheit schenken. Aus dem tiefsten Er-
lebnis der mystischen Einheit der beiden Kräfte sollte es
quellen und sein Weib und ihn darstellen in dem, was die
Sehnsucht der geweihten Stunden sie als Eigenschicksal
118
erhoffen und erbitten liess. Der Bühne gedachte er ein
echtkatholisches Drama zu geben und hatte den Glau-
ben, dadurch „die Kunst und mein Schicksal zu ver-
söhnen".
Schon in seinem ersten Briefe an Iffland kündigte
er das neue Drama an, musste aber einige Monate später
gestehen, dass er über die Umarbeitung der beiden ersten
Akte nicht hinausgekommen war. Die hatte er in Königs-
berg und auf der Reise nach Warschau geschrieben und
über den Plan mit Kotzebue und auch wohl mit seinen
nächsten Freunden gesprochen. Ein halbes Jahr später
meldete er ihm die Vollendung des ersten Teils, da eine
Trennung in zwei Teile zu je drei Akte sich notwendig
erwiesen habe, um den Stoff ganz einzufangen. Er hatte
unter dem langsamen Fortschreiten der Arbeit sehr ge-
litten und nur aus Furcht vor dem Plagiat Kotzebues,
das ihn als literarischen Dieb bei weiteren Zögern ver-
dächtigen könnte, hatte er den Abschluss des Stückes
schneller gefördert, vielleicht auch aus diesem Grunde die
Zweiteilung des Dramas vorgenommen, da die Schlussakte
sich nicht bilden wollten. Erst 1806 erschien die Buch-
ausgabe, nachdem Iffland die Aufführung des Stückes mit
sehr schmeichelnden Worten abgelehnt und als Anerken-
nung des künstlerischen Wertes ihm ein Geldgeschenk über-
wiesen hatte. Das Drama ist infolge dieser Zufälle lange
unter der Hand Werners geblieben. In Einzelheiten des
Stücks lässt sich der Entwicklungsgang der Jahre er-
kennen, ohne dass das Grundthema dadurch verwischt
wäre. Dass der zweite Teil trotz fortgesetzter Arbeit
nicht ausreifte, ist wohl dadurch zu erklären, dass die
weitere Bildung Werners unter Einflüssen und zu Zielen
sich entwickelte, die dem Konzeptionspunkt fern lagen.
Bereits in den „Söhnen des Thals" hatte er immer
deutlicher das Urchristentum „den Sieg des geläuterten
Christentums" als Mittelpunkt der Darstellung empfunden.
Da richtete sich der Kampf des echtkatholischen Erz-
bischofs als Thal-Bevollmächtigten „gegen den durchaus
119
prosaischen Drang eines durch keine Phantasie begränzten
Critizismus", jetzt wollte er „den Sieg der christUchen
Gottheit über den Heidengöttern" darstellen, die Christia-
nisierung des Preussenvolkes. Dass dieser Sieg nicht ge-
waltsam oder durch eine positive Tat erfolgen konnte,
war für den damaligen Werner selbstverständHch. Das
Lebensopfer des preussischen Königssohnes und seiner
Braut Malgona, der Tochter des Masurenherzogs, sollte
den Sieg erzwingen. Die Liebe der beiden jungen Men-
schen war ihm keine Episode. Ihr Tod sollte in einem
Akkord alle Töne seines Evangeliums erklingen lassen
und irgendwie die Einheit von Liebe und Religion als Er-
scheinungsform der Selbstaufgabe in der Vereinigung mit
dem Universum bezeugen.
Das Heilige sollte hier kämpfen mit dem Dämonischen.
Böhme hatte ihn diesen Gegensatz, der bei Werner einen
besonderen Entwicklungsgang machte, gelehrt und Schleier-
macher ihn gefärbt. Dämonisch sind die Menschen, die
nicht von der All-Liebe durchdrungen in sich den Mittel-
punkt suchten und fanden, die sich emporgebildet hatten
zur übermenschlichen Grösse, ohne in der Verleugnung
des eigenen Wollens Gott zu suchen. Wir kennen den
Vertreter des Dämonischen in dem „Kreuz an der Ostsee"
nicht aus Werners Darstellung. In dem allein erschie-
nenen ersten Teil des Werkes wird er nur exponiert.
Aber Hoffmann, dem Werner das Stück vorlas und den
er als Komponisten gewann, gab in den Serapionsbrüdern
den Eindruck wieder, den Waidewuth der Priesterkönig
auf ihn gemacht hatte, der gegen die Götzen, die er
selbst mit Feuer — dem verderbten Licht — , belebt und
die sich gegen ihn empörten, kämpfte, ein Imperator del
doloroso regno, Dantes würdig. Ihn und die Welt der
Dämonen besiegen die Heiligen, das mystische Paar Mal-
gona und Warmio, weil sie die Träger der Liebe und da-
mit des Lebens sind. Sie sind geweiht, stehen in dem
grossen „Wesenring'', dessen Mittelpunkt Gott ist, der
durch sie wirkt. Als seine Bühnenfigur, als das Symbol
120
seines Mitwirkens ist der Bischof Adalbert gedacht ,,der
, . . die deutschen Ordensritter wie das Schicksal leitet",
in dem Endkampf gegen die dämonischen Mächte gewiss
die Entscheidung realisieren sollte und immer als Warner
und Mahner in den entscheidenden Augenblicken auftritt,
ohne aber eine solche Aktivität zu zeigen, wie der Erz-
bischof Wilhelm.
Soweit sich aus dem ersten Teil des Kreuzes an der
Ostsee erkennen lässt, sollte der Spielmann das Geschehende,
das von innen heraus sich entwickelnde Schicksal^ nicht
so sehr leiten, als wissend begleiten. Ihm scheint halb
die Rolle des Chors zugewiesen, der den Zusammenhang
zwischen dem empirischen Geschehen und der geistigen
Wirklichkeit aufzuweisen hat, halb die Rolle des Fatums.
Die Auffassung des Geschehens ist etwas gewandelt, lässt
eine leise Schwächung der Abhängigkeit der Einzelheit
vom Schicksal zugunsten der Individual-Handlung des
Einzelnen erkennen. Dass sie bewusster war, geht aus
der Bemerkung Werners Iffland gegenüber hervor: die
Entscheidung solle fallen durch den freiwilligen Opfertod
Malgonas und Warmios. Während in den „Söhnen des
Thals" die eigentliche Entwicklung auch ohne das Opfer
des Lebens durch Mola}' sich entschied, sollte hier eine
Tat der Individuen bestimmend eingreifen.
Das Opfer der Liebenden steigert sich. Der erste
Teil — die Brautnacht — gipfelt in dem freiwilligen Vei-
zicht der Beiden auf Erfüllung ihrer Liebe, in der Ver-
klärung der Geschlechtsliebe durch die Heiligkeit. Er
w^ollte die romantische Liebe gestalten und gab eine Dar-
stellung seines Liebebegriffs, der den Zwiespalt zwischen
Gottosliebe und Gattungstrieb, den Malgona selbst em-
pfindet, in der Ekstase wollüstiger *Verzichtsqual löste.
„Höre, du Segnende
Sündern Begegnende
Mutter der Gnaden, mich,
Blitze entladen sich
Treffen mich zündend hier,
Sund, ich erliege Dir.
121
Sie überwindet sie: „O lass mir erscheinen die heilige
Liebe. Sich reinen, vereinen die feindlichen Triebe".
In allen den schillernden Farbentönen, die diese Ge-
fühlsverwirrung in sich birgt, malt Werner die Stimmung
dieser Stunde. Von der Sehnsucht „Zu glühn an Dir,
Dich einzusaugen" bis zu der milden Bitte Warmios um
die Schwesternliebe Malgonas leuchten sie auf, binden
sich zu einer flimmernden Einheit der wollüstigen Gottes-
liebe, die in dem Gatten Jesus zu finden glaubt, die Eini-
gung mit Ihm seelisch -körperlich erlebt. Begrittlich hat
Werner wie Böhme, in diesem Drama die Gattungs- und
Gottesliebe getrennt und der Heilandliebe den höheren
Wert zugesprochen. Die Verneinung der Glück- und Er-
füllungsforderung der beiden Einzelpersonen ist noch über
das System hinaus gesteigert. Liebe ist aktive Versen-
kung in das Universum und in dieser Aktivität lag ein
„Erdenrest peinlich zu tragen". Werners Einstellung in der
Zeit der Konzeption war absolut passivistisch und so stellte
er den passivistischsten Akt der Einigung mit dem Univer-
sum dar, die völlige Zerbrechung, den Tod. Der Tod erst
liess alles Isolierende restlos aufgehen in die ewige Liebe,
in die Einheit aller Liebe in Gott, in den höchsten Wonne-
brand. Als die drei Knappen, ihre Schützlinge verteidigend,
fallen, spricht der Spielmann: „Drei Märtyrer zusammen
Entglühn in Opferflammen." Der Opfertod verbindet die
Einzeln im All zu der Einheit, von der auch Wilhelm
weiss, der sterbend im Gedanken an sein Weib die Worte
findet: „Mathilde in dem reinen Gefilde wir uns einen."
Und zu dieser höchsten Einheit sollte der Tod die beiden
Liebenden führen in der „Weihnacht" dem zweiten Teil
der Tragödie, in dem sie ihre Weihe erlitten.
Begrifflich ist dieser Gedanke klar. Psychologisch
erreichte Werner diese kühle Klarheit keineswegs. Da
die Form der Liebe für ihn, wie jede Form letzten Endes
nebensächlich sein sollte, verwischte sich die Gefühlsfarbe
und floss im Erlebnis verwirrend zusammen. Der ero-
tische Timbre war auch in def Gottesliebe der beiden
122
Opfernden, die begrifllich den tatsächlichen Einheitspunkt,
den ihr blinder Trieb in dem Besitz der Person suchte,
in Gott erkannten, gefühlsmässig aber Gott mit geschlecht-
licher Inbrunst empfinden. Das Erlebnis überwältigte den
Philosophen und sein Liebesbegriff stand zu seiner Äusse-
rung in einem Gegensatz, der Werners Weltauffassungs-
bildung treffend charakterisiert.
Er wollte hier die Caritasliebe in ihrer höchsten Form
geben und damit den Mittelpunkt des Christentums, wie
er es sah und sehen wollte, seit er Böhme kannte. Die
Grundgedanken dieses Christentums sind ungefähr die-
selben, die wir in den „Söhnen des Thals" als Maurerlehre
definiert fanden und der „geläuterte Katholizismus", zu
dessen Propaganda Werner sich damals berufen fühlte,
ist damit umschrieben. Mit dem historischen Katholizismus
hat diese Lehre so gut wie nichts gemein und Werner
befand sich völlig im Recht wenn er den Vorwurf seiner
Freunde, er verführe seine Jünger zum Katholizismus, als
unberechtigt zurückwies. Werner schrieb Scheffner, dass
er in diesem Schauspiel katholische Mythen verwandt
habe, weil das Fatum im Sinne Schillers für die Modernen
nicht ansprechend sei. Die Forderung Friedrich Schlegels
variierte er zu der Behauptung, dass die Bühne ihr Heil
nur in Katholizismus finden könnte. Aber einschränkend
bemerkte er dazu, er habe sie nur „in dem Sinne brauchen
wollen, wie Sokrates im Piaton die hellenischen Mythen,
als Propädeutik höherer Anschauungen und glaube also,
dass kein vernünftiger Mensch deshalb — so weniger jenen
für einen Heidenpfaffen halten kann — bei mir die Tonsur
wittern wird."
Werner hat auch nach seiner Konversion dieses Drama
als christlich anerkannt. Vielleicht wegen der begriff- ||
liehen Entscheidung für die Gottesliebe, sicher aber auch
wiegen der von ihm erfassten Schicksalsidee des Christen-
tums, die er hier einzuführen suchte. Die Weltanschauung
des Christentums ist übertragisch. Die Überwindung des
Schicksals wird Symbol in dem Christusmysterium das
123
nicht mit Golgatha abschliesst, sondern in der Auferstehung
des Gottmenschen gipfelt. Die Jenseitsorientierung dieser
Religion bedingt schon an sich, dass ein erdgebundenes
tragisches Geschehen nicht mit der Vernichtung des irdi-
schen Lebens abschliesst. Das Wertvollste und Wesent-
liche des Menschen ist die körperfremde, unsterbliche Seele.
Ihre Läuterung und Verklärung durch ein qualvolles ir-
disches Geschick ist Ziel. Die furchtbare Erschütterung,
die das Schicksal der Griechen zur Folge hatte, da mit
dem Tode das freudlose Ende des Lebens gekommen war,
ist einer Weltanschauung unmöglich, in der das Leben im
Tode nicht abgeschlossen ist, sondern recht eigentlich erst
beginnt. Der Christusreligion ist der Tod und die da-
durch mögliche Verklärung der höchste Lebenszweck.
Die eigentlich heidnische Tragödie musste durch die Ein-
führung dieser Weltauffassung zum Mysterium sich weiten,
musste in der Verklärung des Helden das Pendant zur
Auferstehung des opfernden Gottes finden. Wir ahnen,
wie Werner sich den Abschluss seines Dramas dachte.
Der Opfertod der beiden Liebenden war der Sieg, wie
Christus Tod der Sieg war. Die göttliche Gnade war
dadurch verdient und ihr Walten rührte die Herzen der
Menschen. Das Christentum kam als Gnade über die
Heiden. Die Idee des stellvertretenden Opfers, die eine
Voraussetzung der Rechtfertigungs- und Erlösungslehre
ist, sollte in diesem Drama gestaltet werden. Malgona-
Warmio erleben das Märtyrer-Schicksal im Wissen, dass
nicht nur sie sich vollenden, dass dadurch auch die Mensch-
heit vollendet wird, indem sie die Gnade durch ihr Opfer
in Gott lösen.
Wir definierten den Schicksalsbegriff Werners in den
„Söhnen des Thals" als eine Verbindung Schleiermachers
mit Schiller und der Naturphilosophie zu einer neuen
Einheit. Schon in diesem Fatum-begriff lag ein starker
christlicher Einschlag. Das Fatum stand in einem schroffen
Gegensatz zum Individuum, aber nur insofern, als das
Einzelwesen irreligiös eine persönliche, irdische Glück-
124
forderung im Widerspruch mit dem Allleben forderte.
Sein Erdenschicksal war in aller Qual doch Vorsehungstat,
diente dazu, es durch die Zerbrechung zum höchsten
Glück zu führen. Die Liebe von oben nahm daran teil
und Linderung und Zustimmung bot sie durch äussere
Zeichen, Aus dem innersten Drang seines Wesens war
Werner zu dem Gnadenglauben des Christentums ge-
kommen. Die Vorstellung Gottes als des liebenden Vaters
hatte das eiserne Fatum nicht zu einer mechanischen Not-
wendigkeit werden lassen. Was der Katholik Werner
später in den Worten gab:
Gott trieb durch das, was hier unten
Schicksal heisst, und uns macht wimmern
Unterdess von oben flutet
Auf uns Blinde Segenslichtstrom
hat sich in sein System immer wieder eingedrängt und
die Gnade stellte die Verbindung zwischen Mensch und
Schicksal her. In diesem Stücke sollte durch die Be-
nutzung katholischer Mythen das antike Schillersche Fatum
ganz überwunden werden. Das Schicksal der Liebenden
sollte Tat des All werden, zu der die Gnade Gottes es
erhob. War Molays Tod und sein Leben ein Selbstopfer
gewesen, um das Fatum zu erfüllen, suchte er so die
Transcendenz des Schicksals mit seiner Persönlichkeit mehr
äusserlich zu verbinden, hier sollte die S3mthese inner-
licher und vollständiger werden. Das Persönlichkeitleben
als Ganzes sollte als Schicksalleben erscheinen, als eine
Einheit, die in sich ungebrochen war. Für die Christin
Malgona gab es keinen Gegensatz zwischen Schicksal und
Lebenswillen. In der Gnade (Werner hätte wohl mit
leichter Version sagen können : in der Weihe) erschien
Schicksal und Ichforderung versöhnt. Nur der Heide
Warmio erlebt den Kampf der Wahl, löst ihn aber durch
die Gnadenfürbitte des Heiligen.
Ebenso wenig rein wie das Liebegefühl ist der
Schicksalbegriff durch Werner dargestellt werden. Die
Energie seines psychologischen, früheren Systems wurde
125
durch die neue Auffassung nicht ganz gebrochen. Der
Widerstand, den diese Weltanschauung Werner dem Künstler
bot, ist wohl der tiefste Grund dafür, dass sich der zweite
Teil nicht vollendet. Das innere Schwanken verrät sich
in der häufigen CJmarbeit des Stücks, die immer da bei
Werner sich zeigt, wo er sich mit neuen Werten ausein-
anderzusetzen hat. Eine Anregung, die jetzt aktiv wurde,
drängte ihn stärker in die neue Richtung. Es scheint,
dass der Reiz, der ihn zu der Wandlung seines Schicksal-
glaubens veranlasste, erst während der Ausführung und
nach der Konzeption, (die im Fatumbegriff der „Söhne des
Thals" lag) zur Einwirkung kam und nun nicht mehr
reine Form gewinnen konnte. Das Avürde auch erklären,
warum Werner gerade bei der Interpretation des Fatum-
begriffs in dem „Kreuz an der Ostsee" zweifellosen Schwan-
kungen ausgesetzt war. Er ist ein Kompromiss zwischen
den Fatum und der katholisch-christlichen Schicksalauf-
fassung, die ihm in den Dramen Calderons entgegentrat.
1803 erschien A. W. Schlegels erster Band des spa-
nischen Theaters, der drei Dramen des grossen Spaniers
brachte. Als Ouvertüre dazu gab er in der „Europa"
den Aufsatz „Über das spanische Theater", der Werner
sicher nicht entging. Das „Kreuz an der Ostsee" ist
nicht nur im Titelanklang, sondern in der Tiefe des Ge-
halts von Calderon beeinflusst. In Auswertung der Ideen
der beiden Schlegel wie auch Goethes fand Schelling in
dieser Zeit, dass Calderon der gesuchte Endpunkt der
('romantischen) Kunst sei und suchte den Beweis dafür in
der Definition des Tragischen, als in dem Verhältnis von
Freiheit und Notwendigkeit. Shakespeare erschüttere durch
ein Charakter-Fatum, in dem die Freiheit nicht mehr zur
Äusserung komme. Der „Sophokles der differenzierten
Welt" ist ihm Calderon, der Freiheit und Notwendigkeit
versöhnt habe. Hier begann sich deutlicher die Linie
durchzuzeichnen, die Werner suchen musste. Ob er da-
mals nähere Kenntnis dieser Auflassung .Schellings besass,
ist mit dem zur Verfügung stehenden Material kaum zu
126
entscheiden, bleibt auch nebensächlich. Er konnte durch
die eigene Denkenergie leicht dazu gelangen, sowie er
Calderons Kunst kennen lernte, die das System Werners
eine Zeit bestimmte und dann durch die Tätigkeitsforde-
rung Fichtes zunächst überwunden Avurde, um in der
„Kunigunde" etwas und völlig in der „Mutter der Makka-
bäer" zum Durchbruch zu kommen.
Auch formal lässt sich die Dynamis dieser Kunst in
dem „Kreuz an der Ostsee" erkennen. Waren die „Söhne
des Thals" auch im zweiten Teil noch als Arbeit der
Schiller- Schule erkenntlich, dieses Drama stellt er in einen
bewussten Gegensatz zu der „Jungfrau von Orleans", die
nur äusserlich romantisiert sei. Sein Drama war aus dem
Geiste der Romantik geboren, was ihm dasselbe sein
musste, aus dem Geiste Calderons, der auch Tiecks „Ge-
noveva" mitbestimmt hatte. Die Form Calderon-Tiecks
sollte ihm die Möglichkeit geben, auch der Bühne gerecht
zu werden; denn Werner empfand sehr stark den Schaden,
den er seinem Lehrgedicht dadurch zufügte, dass er es
nicht für die Aufführung geschrieben hatte, die alleine die
volle Auswertung des religiösen Apostelpathos gesichert
hätte. Er war viel zu sehr Bühnenpraktiker, um nicht
die Unmöglichkeit eingesehen zu haben, sein Erstlings-
werk auf die Bühne zu bringen. Das „Kreuz an der Ost-
see" sollte bühnenfähig werden und das veranlasste ihn
mit, die Teilung vorzunehmen und er schmeichelte sich
dabei, dass die Brautnacht reicher an Handlung sei als
die Piccolomini.
Werner war so in den Bann der neuen Schule ge-
raten, dass er trotz aller Kenntnis des Technischen der
Bühnenwirkung in den Grundfehler verfiel, das drama-
tische Geschehen lyrisch zu umspielen. Er musikalisierte
es formal und untermalte jede Stimmung des Moments im
Wechsel des Versmasses, Übertreibend nutzte er den
Formreichtum, den die Romantiker boten, und suchte
selbst Tieck noch durch feinste Unterschiede zu über-
treffen. In weicher Musik licss er die Seelenregungen
137
der Liebenden Wort werden. Man muss das Drama als
den Versuch ansprechen, die von ihm anerkannte Forde-
rung der Romantiker zu erfüllen, alle Poesie zur Musik zu
veredeln. Die geschlossene Einheit des Dramas wurde
dadurch aufgelöst zu einer Vielheit seelischer Einzel-
situationen, die oft nur durch den rein tatsächlichen Zu-
sammenhang der Handlung gebunden wurden. Das Charak-
terdrama der Modernen und das Situationsdrama der An-
tiken war in Calderon zu einer gewissen Einheit gekomxmen,
die Werner erstrebte, ohne sie zu erreichen. Er war
nicht in sich sicher genug und suchte jeden möglichen
Vorwurf, der einen oder anderen Richtung, zu entkräften.
Diese zarte Tönung der seelischen Entwicklung stand in
einem eigenartigen Widerspruch zu den effektsuchenden
äusseren Geschehnissen, durch die Werner den theatra-
lischen Körper für die überzarte Seele zu retten suchte.
Er kam nicht zu einer Einheit.
Dieser Fehler im Aufbau war die natürliche Folge
des Versuchs den in Schillers Schule gebildeten Theatra-
liker mit dem Romantiker Calderon zu verbinden. Auch
hierin scheint der Zwiespalt der künstlerischen Konzep-
tion des Dramas wie die Entscheidungslosigkeit Werners
sich zu zeigen. Er wollte eine V^ersöhnung der beiden
Gegensätze, nicht eine direkte Wahl zwischen den beiden
Formen. Doppelt stark trat das wohl hervor, da die Ex-
position der seelischen und realen Situation, aus der dies
Mysterium sich entwickeln sollte, für sich allein im ersten
Teil stand. Das epische Moment, was stets mehr oder
weniger in diesem Teil des Dramas sich bemerkbar macht
und bei dem an sich fremden Milieu Werner zur Weit-
schweifigkeit verführte, suchte er durch äussere Handlung
vergessen zu machen. Die Entwicklung zur Gott-Ge-
schlechts-Liebe konnte auch eine katastrophale Steigerung
nicht finden, blieb Zustand und Ruhe, da eben eine Einheit
und keine Entscheidung tatsächlich gefunden wurde. Das
wirklich dramatische Geschehen hätte erst der Schlussteil
bringen können, erst da wären die Personen in stärkere
128
Bewegung geraten und hätten vielleicht durch ihre see-
lische Energie eine schärfere Durchzeichnung der Charak-
tere erzwungen. Das Verwischen der Konturen der lei-
tenden Personen, das schon den zweiten Teil der Templer
gegenüber dem ersten bezeichnete, musste hier in er-
höhtem Masse eintreten, da das seelische Zerrinnen der
Liebenden in einander, die Lösung der individuellen
Dissonanz zur religiösen Harmonie im All die Absicht
war. Im Keim war damit das Dramatische schon krank
und trotz und wegen einzelner Höhepunkte das Werk als
ganzes gegenüber den Thalsöhnen ein Rückschritt. Einige
Darstellungen bewiesen die gute Beobachtungsgabe des
Dichters, der einen „Cyklus polnischer Weiblichkeit" gab,
und die Eigenait der Atmophäre des polnischen Leben
gut traf. Wenngleich er sich bemüht hatte, die Didaktik
hicht direkt zu geben, letzten Endes war und sollte auch
dieses Werk eine Predigt sein; denn „Kunst ist Spiel mit
dem Ernste ; wie lange ich spielen soll, wird vom geneigten
Leser, wie lange und was ich handeln soll von Gott und
mir abhangen-", schrieb er mit Bezug auf dieses Stück
seinem Freunde Scheffner aus Warschau.
Dorthin war er kurz nach dem Tode seiner Mutter
zurückgekehrt und betrieb auf jede Art und Weise seine
Versetzung nach Berlin. Das langsame, zögernde Fort-
schreiten der künstlerischen Arbeit glaubte er auf die
Überhäufung mit Amtsgeschäften zurückführen zu müssen
und fürchtete, dass seine dichterische Produktivität unter
dieser wesensfremden Arbeit ersticken könne. Dann hatte
er umsonst gelebt. Scheffner, Iffland, Peguilhen, Sander,
alle wurden sie mit Bitten bestürmt eine Änderung der Le-
benslage zu erwirken und jeden höheren Beamten, der in
Warschau vorsprach, versuchte der langsam bekanntere
Dichter für sich und seine Kunst zu interessieren. Er
dachte an eine Beamten -Sinecure in Weimar, hoffte in
Erfurt auf passenden Unterhalt und legte Iffland nahe,
ihm beim Berliner Nationaltheater irgendeine Officianten-
stelle zu beschaffen oder ihn in dem wohlfeileren und
129
ländlichen Potsdam unterzubringen. In dem Überarbeiteten
regte sich wieder die Sehnsucht nach Rousseauscher
Stille, nach dem Landleben und zurückgezogener Arbeit.
Sowie er aber die Möglichkeit sah, zwischen dem stillen
Erfurt und Berlin zu wählen, entschied er sich mit ganzer
Seele für Berlin,
Da vermutete er die Fülle der Anregung jeder Art,
die der Künstler notwendig habe, um nicht zum passiven
Mystiker herabzusinken. Er fühlte die Gefahr, die ihm
nahe war, dass seine Aktivität fern vom Leben in einem
wollüstigen Schwelgen, in mystischen Erlebnissen sich ver-
lieren könnte. Der Erfolg seiner literarischen Bemühungen,
der sich zu zeigen begann, stärkte seinen Trieb, den
Apostelberuf aufzunehmen. Am 27. Mai 1805 schrieb er
an Scheffner: „Der Hauptgrund (für Berlin) ist aber der,
dass mir Berlin für meinen Plan mehr Spielraum darbietet
und dass ich lieber Leben und irdische Glückseligkeit auf-
opfere, als den mir von Gott ins Herz geschrieben Beruf."
Er weiss, dass er „auf andere wirken muss und es haupt-
sächlich nur in Berlin kann. Es wird für mich ein Pathmos
sein aber — Gott weist mich hin". Als Pflicht empfinde
er, sich in seiner Persönlichkeit zu opfern für die göttliche
Idee trotz der Wahrscheinlichkeit „Schande und Spott,
die ärger sind als Hunger und Tod, zu ernten'^. Er be-
kennt, dass er nur Mittel ist und legte immer und immer
wieder das Bekenntnis ab, als Individuum nichts zu sein
und die Liebe nicht zu verdienen, die man ihm schenke,
da er doch nur fast ohne eigenes Wissen einer göttlichen,
ihm nicht gehörigen Idee Form verliehen habe. Das war
das persönliche Bekenntnis zu der eigenen Lehre. Aber
ein neuer Ton klang jetzt hin und wieder an, der in seinem
Weihebegriff laut geworden jetzt vielleicht durch die Auf-
nahme ähnlicher Gedankengänge anderer verstärkt das
Entsagungsmotiv umspielte. Werner wurde selbstbewusster
im eigentlichsten Sinne des Wortes, er erfasste sich in
seiner Persönlichkeit als Mittel eines harmonischen Zweck-
verbandes, wie Böhme immer betont hatte.
Hankamer, Zacharias Werner. 9
130
Gegen literarische Einwände verteidigte er sich damit,
dass er seiner Individualität gemäss die gebotenen Rat-
schläge nicht befolgen könne. In den Briefen, die dieser
Zeit angehören, fand neben demütigen, selbstvernichten-
den Urteilen auch dass Wissen von seinem Werte eigen-
artig Platz. Als Antwort gegen den Vorwurf des Mysti-
zismus verwies er Scheffner die herabwürdigende Be-
nutzung dieses Wortes, die einem ehrlichen, denkenden
Menschen nicht zieme. Der wahre Mystiker sei gewiss schon
deshalb einer der vielseitigsten Menschen, weil er auf einen
Vesuv stehe, von dem er Alles im Umkreise übersehen könne,
^Nur Besonnenheit thut ihm Not, um nicht in den Krater zu
stürzen, und die gibt uns die Kunst, welche ich etwa als
die zur Besinnung gekommene Religion definieren möchte."
Dieser wahre Mystiker will er sein und der muss handeln.
Was er geschrieben hatte, schien ihm nur das matte Ab-
bild dessen zu sein, w^as er tatsächlich zu wirken gedachte.
Sobald die Gelegenheit sich biete, werde er seinen
Orden stiften. Werner glaubte, dass die Zeit reif sei
und nach der Tat verlange, „Gewirkt muss werden und
auch von mir", schrieb er kurz vor der Abreise nach
Berlin. Mit dem Maurertum setzte er sich in schärfster
Form auseinander und löste sich als Persönlichkeit mit
bestimmter, ihm gehöriger Anschauung von ihm ab. Er
erkannte, dass der Freimaurerorden in seiner damaligen
Form nicht identisch war mit dem, was er lehrte und
überwand dadurch die Gefahr seiner produktiven Rezep-
tivität, die nie den Eigenw^ert eines Gedankens ihn hatte
erkennen lassen. Mochte er dabei auch unter dem Ein-
fluss des gleichdenkenden Scheffners stehen, hier war von
ihm ein Gegensatz zwischen seinem geistigen Eigentum
und dem Besitz der anderen erkannt, der für den Beginn
einer neuen Phase seiner Entwicklung bezeichnend ist,
da er ihm früher nicht bewusst geworden war.
Der Wille zum Aktivismus, der nie ganz gebrochen
gewesen, äusserte sich jetzt in enger Verbindung mit einer
positiveren Wertung seiner Individualität, und in einigen
131
Nebenbemerkungen streifte er hier schon den Helden
seines nächsten Dramas: Luther, mit dessen Reforma-
tionsberuf er sich wahlverwandt fühlte. Wortwendun-
gen und einige Gedanken legen die Vermutung nahe,
dass neue Kräfte wirksam wurden. Die aktivistische
Forderung Böhmes wurde jetzt deutlicher erfasst und zu
erfüllen gesucht, wodurch allein schon eine stärkere Be-
tonung des Individuums die Folge sein musste, sobald
Werner das Künstlertum als seinen Beruf erkannte und
dem Individualismus der Kunst erfassen konnte. Seine
Weiterentwicklung bleibt ziemlich im Ringe Böhmescher
Formeln, die von der neuen Energie, die auf ihn wirkte,
iedoch wesentlich geklärt wurden und ihre Äusserlichkeits-
Mystik mehr verloren. Böhmes eigentliche Gedanken
traten deutlicher aus den Verkleidungen hervor.
Auch als Rezensent suchte Werner in das literarische
Leben einzugreifen. Sowohl die jenaische wie haUische
Literaturzeitung hatten ihn um Beiträge gebeten, und sie
hatten je eine Rezension von ihm übernommen. Der
geistige Arbeisprozess Werners hinderte von vornherein,
dass er in dieser Art irgend eine Leistung zustande
brachte. Dem einzelnen Kunstwerk gegenüber stand
er ohne Massstab gegenüber, da ihm der Organismus-
begriff nie aufgegangen war. Ihm war das Einzelwerk
nicht ein in sich vollendeter Mikrokosmos, sondern stand
in dem Allgemeinzusammenhang, waren ihm doch alle
Werke der Kunst nur dazu da „einen schwachen Schimmer
jenes Glanzes wiederzugeben, der zu blendend ist, um vom
unbewaffneten Auge ertragen werden zu können". Diese
Auffassung, mit dem Weihebegrift des Künstlers ver-
wachsen, Hess ihn Einzelheiten, die seiner Richtung ent-
sprachen, überstark als besondere Werte empfinden und
nie zu einen Totaleindruck und Gesamturteil vom Kunst-
werk aus gelangen. Er sah nur sein Evangelium, wenn
sich irgend ein Anhaltspunkt bot, produzierend hinein und
verdrehte sich nach Goethes Wort dann „ gar zu sehr den Hals,
um hinaufzusehen". Die innere Standfestigkeit die neben
132
dem Einfühlungsvermögen Eigenart des Kritikers sein
muss, besass er gar nicht, und sein Lob klang mehr wie
Schmeichelei als wie ehrliches Urteil. Diese Seite der
künstlerischen Tätigkeit Werners brachte keinen Erfolg,
mochte aber seine Entwicklung zum Individuum doch be-
fördern, da jede Kritik eine Gegensatzstellung, wenn auch
noch so verhüllt, in sich birgt.
Bis in den Spätsommer 1805 sah Werner keine Mög-
lichkeit trotz aller Verbindungen, die er angeknüpft hatte,
von Warschau wegzukommen. Die ihm unangenehme
niedrige Verwandtschaft seiner Frau drückte ihn, das
Verhältnis zu dem jungen fordernden Weibe, deren Nerven
durch die lange Krankenpflege angegriffen waren, ver-
schlechterte sich trotz der wirklichen Liebe Werners zu
seiner Malgona. Auch der Minister von Stein konnte ihm
keine bindende Erklärung geben, versprach ihm aber,
wirksam zu sein. Bestimmtere Versicherung bot ihm der
Geheimrat Kunth, der im Gefolge des Ministers reiste und
persönlichen Anteil an ihn und seine Frau zu nehmen
schien. Sein Einfluss setzte auch durch, dass Werner als
expedierender Kammersekretär nach Berlin berufen wurde
und die Zusicherung erhielt, seinem Künstlertum leben
zu können.
Mitte Oktober reiste Werner nach Berlin, seiner neuen,
ersehnten Wirkungstätte.
ZWEITER TEIL
DIE FORDERUNG DER EINHEIT
VON KUNST UND LEBEN
WEIMAR - KÖLN-COPPET - PARIS - WEIMAR
i
V. Kapitel.
Tätiges Leben.
Die Hoffnung Werners, in Berlin eine ihm entsprechende
gesellschaftliche Rolle zu spielen, wurde nicht enttäuscht.
In den ersten, literarisch-interessierten Kreisen nahm man
den Dichter der „Söhne des Thals" gern auf, plauderte mit
ihm über Fragen, die sich aus dem Drama ergaben. Er,
der Berlin als den Mittelpunkt der Virtuosen der Flach-
heit empfunden hatte, wurde von dem schmeichlerischen
Zauber dieses Literatentums leicht eingefangen und wan-
derte von einem Salon in den anderen. Das lang ent-
behrte Parfüm der Gesellschafträume, das er so notwendig
hatte zu seinem Wohlbefinden, schien ihn zu berauschen.
Eitel hob er in Briefen hervor, mit welchen Persönlich-
keiten er zusammengekommen war, berichtele über Theater
und Festhchkeit. Für seine Häuslichkeit fand er kaum
noch Zeit, und seine kränkelnde Gattin sah sich auf sich
selbst angewiesen. Die Erkältung ihrer Beziehungen
wurde noch durch das Unglück, das sie traf, vergrössert.
Auf der Reise von Warschau nach Berlin ward die Hoff-
nung auf Mutterschaft vernichtet und dadurch die Sehn-
sucht Werners nach einem Kinde, der er mehrmals in Brief
und Dichtung ergreifend Ausdruck gegeben hatte, wieder
enttäuscht. Der Schmerz darüber steigerte sich bei dem
Neurastheniker bis zur Selbstmordidee, von der er wie
besessen wurde. Die täglichen Reibereien nahmen an
Schärfe zu, da Werner seinem gesellschaftlichen Apostolat
selbst dann die Zeit opferte, als die Frau infolge ihres
Unfalls ernster erkrankte. Das Zusammenleben der bei-
136
den nervösen Menschen war ihnen eine Qual. Leichter
wohl als gehofft fand der Geheimrat Kunth den Weg zu
der Liebe der jungen Polin, derentwegen er die Über-
siedlung Werners so eifrig betrieben hatte. Die Vernach-
lässigte fühlte sich in dem gütigen Verstehen des ge-
reiften Mannes geborgen, und unfähig zu einer Lüge er-
klärte sie dem Gatten, dass sie den Freund liebe, bat ihn
mit Berufung auf seine eigene hohe Auffassung der Ehe
um die Einwilligung zu Scheidung". Sie werde ihm auch
ohne Liebe die Treue der Ehe wahren, wenn er es ver-
lange, aber glücklich könne sie nie mehr mit ihm sein.
Bei der eigenartigen seelischen Blindheit Werners für
bestimmte Realitäten, für das ihm fremde Erleben auch
des Nächsten wurde er durch diese katastrophale Wen-
dung völlig überrascht und brach zusammen. In jäher
Flamme schlug noch einmal die Liebe zu dieser wesens-
gleichen Frau in ihm hoch. Erschüttert und unter Tränen
bettelte er um ihre Liebe, bat um einige Tage Bedenkzeit,
um danach doch das gleiche Wort zu hören. Mit der
wollüstigen Sucht, sich selbst zu erniedrigen und zu opfern,
nahm er alle Schuld auf sich. Er sei ängstlich, launen-
haft, geizig und unreinlich. Seine Frau aller Ehrfurcht
und Liebe wert. „Wie konnte das junge Weib, die Arme,
mit mir glücklich sein. Ich hätte klüger sein, der Sucht,
geliebt zu werden, früher entsagen, kein weibliches Ge-
schöpf aufs neue in die unerbittlich grässliche Nemesis,
die mich verfolgt, verflechten sollen." Die natürliche
Reinheit, mit der die Frau ihr Erleben ihn erkennen liess,
vermochte ihn dazu, seinen Schmerz zu der Ekstase auf-
zutreiben, die ihn rauschartig über äussere Unannehm-
lichkeit und innere Qual wegtragen sollte. Unfähig, seine
Erschütterung schlicht und einfach auszusprechen oder
auszuschweigen. in der Angst durch diesen dritten Ehe-
skandal in die Mäuler der hämischen Königsberger zu
kommen und bei seinen Gönnern jede Gunst zu verlieren,
verzerrte er die Äusserung und das Gefühl zu einer
grotesk-grausigen Form. In Vorstellungen und Ausdrucks
137
formen der Hysterie zeigte er den Freunden seine blu-
tende Seele, genoss das Mitleid Johannes Müllers und wei-
dete sich an dem Erbarmen, das man seiner Vernichtung
bot. Verlogene, übertriebene Steigerung des Natürlichen
dünkte ihm Wahrheit.
Da auch die Vorteile, vor allem wirtschaftlicher Art,
ihm klar wurden, musste er vor sich selbst eine schau-
spielerische Erhöhung des Seelischen erspielen, da er bei
klarem Urteil den eigenen Anforderungen nicht zu ge-
nügen, sich unbewusst ängstigte. Erst in der Pose des
völlig Zerknirschten konnte er vor sich selbst bestehen,
glaubte er vor der Welt und Gott bestehen zu können.
Dass aber seine kranke Seele anständig und in gewisser
Weise groszügig war, zeigte die gute Form der äusseren
Lösung des Konfliktes. Die Ehe wurde ob neutrum
dissensum geschieden, und die Menschen blieben in freund-
schaftlicher Haltung und Gesinnung zueinander.
Werner war, wie fast jeder Künstler, zur Ehe kaum
geeignet. Stark mit seinem geistigen Leben beschäftigt,
dessen drängende Bewegtheit ihn zum inneren Sehen
zwang, hatte er nie Fähigkeit genug, sich auf einen an-
deren Menschen so zu konzentrieren, dass er ihm Genüge
bieten konnte. Die so eigene Egocentrik des Schaffenden
hinderte die Erfüllung seiner Sehnsucht, die Liebe zum
Nächsten durch die Alltäglichkeit des Zusammenlebens
hindurch zur Aufgabe des Einzelseins zu läutern. Wie
sein geistiges Leben explosiv und visionär sich abspielte,
war auch sein reales Dasein ekstatisch und durch den
hysterischen Wechsel jäher Höhe und Tiefe gekennzeichnet.
Das äusserte sich im Umgang durch springende Launen-
haftigkeit. Werner sah in dem Liebeerlebnis nicht auch
das spielerische Element (wie etwa Friedrich Schlegel),
sondern übertrug die krampfartige Überspannung jedes
Gefühls auch hierauf. Die unnatürliche Steigerung des
Erotischen, die sich schon in der dargelegten Auffassung
der Liebe im Mittelpunkt seines Weltbildes zeigte, löste
sich in zänkischen Reizzuständen, die jeden Tag zu einem
138
Ausbruch kamen. Als er einige Jahre später ein Ehepaar
traf, das 40 Jahre lang ohne Unfrieden miteinander gelebt
hatte, schrieb er in sein Tagebuch: „Glückseliges Paar.
Wahrscheinlich hat es nie geliebt." Vielleicht hätte er
ruhiger neben einer weniger aktiven Frau, als seine
Gattin war, gelebt, deren Charakter er selbst als spanisch
bezeichnete. So kam er in selbstquälenden Tasten nach
einer klaren Schuld zu der Erkenntnis der Notwendigkeit
dieses Zusammenbruchs, dessen Erleben von derselben
menschlichen Halbwahrheit war^ wie seine künstlerische
Welt.
Die innere Lösung der Frage fand Werner in seiner
Weltanschauung. Johannes Müller hatte ihm zum Ver-
zicht geraten: „Gott hat dich, scheint es, zu hohen
Zwecken bestimmt, widerstrebe seinem Winke nicht, trenne
Dich edel von Deinem Weibe und erfülle sein W^erk." So
nahm er diesen tiefverwundenden Hieb, auf und so wurde
er in seinem Rätsel und seiner Qual verstanden. Werner
sah sich emporgehoben über die Niederungen ebenen
Glücks zur einsamen Höhe des Auserwählten : „W'as mich
betrifft, so ist freilich der Glanz meines Lebens und der
letzte Rest der Hoffnung weggewischt. Der Gedanke,
ewig allein zu sein und allein zu sterben, ergreift mich,
besonders in der Stille der Nacht, mit fürchterlicher Wuth,
und noch ist mein ganzer Kopf dumpf und leer. Aber
Gott, dem es gefällt, mich, wie die Märtyrin, meine Mutter,
durch dunkle Wege sich zuzuführen, wird mich stärken,
wenn es sein Wille ist. Meinem heiligen Werke will ich
mich, von allen Banden der Natur losgerissen, unausge-
setzt und ausschliesslich widmen; seinem W^inke will ich
folgen und seinem Rufe, der jetzt laut zu mir spricht.
Seelen will ich ihm gewinnen ; sie sollen mir Vater, Mutter
und Frau sein Ich habe jetzt keinen als Gott." Als In-
dividuum scheint er ausgestossen aus der Gemeinschaft
der Menschen. Er, dessen Wesen dazu organisiert war,
in der Gemeinschaft zu leben, der in der Ehe seine Er-
füllung erhofft hatte, litt unter der Einsamkeit doppelt.
13»
Was er früher den Ekel gegen das Cölibat genannt hatte,
war der Ausdruck nicht nur sexuellen Bedürfnisses, auch
die geschlechtliche Ausdrucksform einer seelischen Not-
wendigkeit. In seinen privaten Äusserungen wie auch
in seinen künstlerischen Werken Hess er dieses Wissen
nun oft erkennen. „Die Sucht geliebt zu werden" schim-
merte auch in den oft fratzenhaften Verzerrungen stets
versöhnend durch und reinte das Gefühl zur Wahrheit,
Den Menschenfang, zu dem er sich jetzt doppelt be-
rufen fühlte und bei dem er die Liebe zu finden hoffte,
versuchte er vor allem in dem Kreise, den Hitzig schon
durch Werners briefliche Programmäusserungen auf den
Kommenden vorbereitet hatte. Varnhagen von Ense und
auch Chamisso gehörten ihm an. Das Evangelium, das
er ihnen predigte, war noch stärker als bisher mit kirch-
lich gefärbter Religiosität durchsetzt, ein Beweis dafür,
dass er seiner erschütterten Existenz hier einen neuen
festen Boden zu schaffen hoffte. Überall suchte er mit
oft ungeschickten Händen und dem Mangel an Taktgefühl,
der in seiner eigenen Haltlosigkeit begründet Avar, den
Menschen zu helfen, ihr Priester und Seelenführer zu sein,
der Missverständnisse und Spannungen aus dem Wege
räumen wollte, damit überall Liebe sei und Vertrauen.
In diesem Kreise war er Meister und zu Vollendung seines
Wesens, Jünger in einem andern.
Innig schloss er sich an Johannes Müller an und
machte ihn zum Vertrauten seiner Nöte während der
schweren Tage vor der Ehescheidung. Der Gleichklang
ihres Wesens schuf eine mystisch gefärbte Freundschatt,
in der Müller der Führer war. Werner verehrte in dem
grossen Historiker den Menschen, der das ihn drückende
Problem des Fatums erfasst und in seiner Wissenschaft
gelöst hatte:
^Des ew'gen Schicksals Rätsel scheint gedeutet,
Wenn Gott gesandt, Johannes, die Geschichte
Der Gottheit Kind, Du taufst mit Geist und Feuer!"
Das Problem der Geschichte wird in ihren Gesprächen
140 ,^
im Mittelpunkt gestanden haben und Werner mit der kon-
kreten Auffassung des Wissenschaftlers bekannt geworden
sein. Für eine ungleich höhere Wertung des Individuums,
als Werner sie hatte, sprach der Geschichtsschreiber, und
dieser Gedanke wurde ihm durch den grössten Menschen,
der ihm in Berlin entgegentrat, in neuer Fassung geboten:
durch Fichte. Von ihm ging eine starke Energie aus, die
das Weltbild Werners änderte, ohne dass es direkt und
auch dem Oberflächenblick sichtbar in die Erscheinung trat.
Im Winter 1805 und 1806 lernte er im Schrötterschen
Hause in Berlin Fichte kennen und gab dem Freunde
Hitzig über seinen Eindruck Bericht: „Fichte hat viel von
unseren Mnioch, vorzüglich, wenn er in Eifer gerät, ist
aber ungleich tiefer sublimierter. Er wird hier so ungeheuer
missverstanden, dass ich mich wundere, wie er das aushält."
Ein Brief an Chamisso zeigt diesen Eindruck als weiter an-
dauernd. Er nahm an seinen Vorlesungen über die „Anwei-
sung zum seligen Leben" teil. Sein System sprach er als
Vorschule der Religion an und feierte ihn als den Vorläufer
einer neuen, besseren Zeit. Was Werner hier wieder sofort
mitzuteilen sich mühte, war der neue Fichte. Dass schon
die Wissenschaftslehre und die Rechts- und Staatsphilo-
sophie Fichtes einen Eindruck auf Werner gemacht hatte,
ging aus dem Aufbau und dem Sprachgebrauch des ana-
lysierten Programmbriefes deutlich hervor. Dieser Ein-
fluss konnte jedoch zunächst nicht besonders tief gehen.
Das Wesen der Wissenschaftslehre war dem geistigen
Sein Werners zu diametral entgegengesetzt.
Die Wissenschaftslehre, die Werner 1803 allein ge-
lesen haben will, kann nur die „Grundlage der»gesammten
Wissenschaftslehre" aus dem Jahre 1794 sein, oder ihre
kurze Weiterführung durch dem „Grundriss des Eigen-
tümlichen der Wissenschaftslehre in Rücksicht auf das
theoretische Vermögen" (1795). In den beiden möglichen
Werken ist die Formulierung durch Ich- und Nicht-Ich
angewandt. Die Darstellung lag in einer überindividuellen
Schicht, wenngleich Fichte alle Gedanken nahe an diesen
141
Punkt heranführte. Historisch gesehen tritt der Individuum-
begriff erst in der „Grundlage der Naturrechte nach Prin-
zipien der Wissenschaftslehre" (1795) auf und hat in dieser
Fassung vielleicht Werner zu seiner Staatstheorie die wenig
eigentümlich war. geführt. Festzustellen ist, dass in dieser
Zeit Werner auch von Fichte zunächst eine gewisse Ne-
gation der Individualität übernehmen konnte, die in die
Formel gefasst war: „alle Individuen sind in der einen
grossen Einheit des reinen Geistes eingeschlossen". Ge-
rade der Mittelpunkt der Wissenschaftslehre von 1795, der
Begriff der Überzeugung, wurde als Mittel die Individualität
zu überwinden von ihm gegeben. So konnte er allein nach
Fichte die Persönlichkeit als die Form der Erscheinung
aufgeben, um in die V/irklichkeit d. h. in die Einheit des
reinen Geistes aufzugehen. Damit war aber gleichzeitig
angedeutet, dass das Individuum nicht aus diesem System
verstossein sein sollte und eine wichtige Rolle noch zu
spielen haben würde.
Dass auch für Fichte eine tiefere Erfassung der In-
dividuahtät selbstverständHch war, die dem positiven Ele-
ment darin gerecht wurde, ging schon aus der Feststellung
hervor, die er in der „ersten Einleitung in die Wissen-
schaftslehre" aus dem Jahre 1797 gemacht hatte. Die be-
kannte Stelle lautet: „Was für eine Philosophie man wähle,
hängt sonach davon ab, was man für ein Mensch ist;
denn ein philosophisches System ist nicht em toter Hausrat
den man ablegen oder annehmen könnte, wie es uns be-
liebte, sondern es ist beseelt durch die Seele des Men-
schen, der es hat." Die Weltanschauung wird so als die
von der Erscheinungswelt unabhängige, freie Tat des
Menschen festgestellt und das Ich aus dem Kausalverband
der empirischen Welt herausgehoben. Entschieden ge-
schah das in der Sittenlehre von 1798. Sie hatte gezeigt,
„wie das Individuum seines Teilhabens am Absoluten ge-
wiss wird in der sittlichen Überzeugung."
Da gerade das missverstandene Verhältnis des Indi-
viduums zum Sittengesetz Mit-Veranlassung zum Atheis-
142
musstreit gewesen war, musste selbstverständlich dieser
Begriff eine besonders starke Akzentuierung erhalten. In
der Fichteliteratur besteht ein Kampf um die Entwicklung,
die sein System im Anschluss an den Atheismusstreit
durchmachte. Während die einen einen völligen Bruch
mit der bisherigen Weltauffassung sehen, beurteilen an-
dere die Wandlung als weniger tiefgreifend und eine
Weiterführung vorhandener Gedankengänge. Kabitz hat
in den Studien zur Entwicklungsgeschichte der Wissen-
schaftslehre nachgewiesen, dass der Konzeptionspunkt der
Fichteschen Philosophie an sich ethisch war und im Frei-
heitsbegriff des Individuums lag. Unter den Einfluss der
Erkenntniskritik Kants wurde sein Denken in die Bahnen
der Erkenntniskritik gedrängt, die ihn zu oft anscheinend
jenseits der späteren Entwicklung liegenden Punkten
führte. Eine ganz gesicherte Entscheidung über diese
Streitfrage wird nicht gegeben werden können, da die
entscheidenden Werke durch den unerquicklichen Atheis-
streit verhindert worden sind.
Als Werner persönlich mit Fichte in Berührung trat,
w^ar diese Umstellung bereits vollständig erfolgt und von
ihm gerade in den Schriften dieser Jahre unter dem Ein-
flüsse des Johannes Evangelium (und auch wohl Böhmes)
vielleicht am ausgesprochensten dargelegt worden. Fichte
hatte den Punkt seiner Bahn erreicht, wo er der bizarren
Lebenskurve Werners am nächsten kam und naturgemäss
am stärksten auf sie wirken konnte, während Werner
nahe vor seinem Kulminationspunkt als gefeierter Dichter
einer bejahenderen Lebenserfassung geneigt war und einen
psychologisch günstigen Nährboden abgab.
In der Wissenschaftslehre von 1804 schälte sich die
Individualität in der neuen Form deutlich heraus und
beherrschte die drei Schriften des Jahres 1806, steigend
von den „Grundzügen des gegenwärtigen Zeitalters" über
das „Wesen des Gelehrten und seine Erscheinung im
Gebiete der Freiheit" zu der „Anweisung zum seligen
Leben". Nicht nur das Erscheinungsjahr knüpfte diese
143
Bücher zu einer Einheit. Sie sind ein in sich geschlossener
Versuch Fichtes seine Lehre, die in der Wissenschafts-
lehre von 1804 systematisch dargelegt war einem brei-
teren Kreise fasslich und zugänglich zu machen.
Es ist nicht unwahrscheinlich, dass Werner die Wissen-
schaftslehre von 1804 gelesen hatte. Mitte November 1804
entschuldigte er sein langsames Arbeiten an dem „Kreuz
an der Ostsee" damit, dass er nicht nur schreibe, sondern
auch lernen müsse. Im Ausdruck und Ideengehalt nähern
sich die Briefe des Jahres 1805 der Lehre Fichtes. Der
aktivere Ton ist psychologisch begründet worden. Der
Gedanke aber, dass die Einkleidung der Phosphoroslegende
sein geistiges Individualeigentum sei, der Gehalt jedoch
Wahrheit, und also nicht individuell, lag so fern ab von
dem Wort gebrauch des Dichters und stand so nahe bei
Fichtes Formel, dass man zu der Vermutung eines ein-
gehenderen p-ichteStudiums gedrängt wird, das bei dieser
Stimmung wirksam' werden konnte.
Der Gedankengehalt der Schrifteneinheit dieser Epoche
Fichtes ist so zu skizzieren:
Die empirische Welt ist Erscheinung. Die Erkenntnis
der Dinge durch den Verstand ist nicht identisch mit dem
Erfassen des Seins. Einen Ursachenverband zwischen den
Dingen und den Dingen an sich aufzustellen, ist er-
kenntnistheoretisch unmöglich, da die Kausalität nur in
der Zeit existiert und infolgedessen nur auf Dinge in der
Zeit zu beziehen ist. Die Empirie ist in sich geschlossen,
als Erscheinung, als vielfältige Erscheinungsform des
Ewig-Einen den Gesetzen des Verstandes gemäss. Sofern
die Welt ein Tun des Ichs, d. h. Gottes ist, ist sie leben-
diges Dasein, sofern sie Objekt ist, nennt Fichte das Da-
sein tot. Die Natur ist in diesem Sinne tot; j,jedes
Sicherfassen des Ich ist — gleichviel unter welcher indi-
viduellen Gestalt es geschieht — ein Tun Gottes", leben-
diges Dasein, Auch das menschliche Dasein ist zunächst
reine Möglichkeit, lebendiges Dasein zu werden, weiter
nichts. Es widerspricht „meinen tiefsten, innersten Ahnun-
144
gen, Wünschen, Forderungen, im Naturzusammenhang
gebunden zu sein". Rein theoretisch ist auch das möglich
und Schuld oder Tat ist es, wenn der Mensch sich frei
setzt oder als Ding empfindet Seine Überzeugung in
dieser Frage stammt aus dem Gewissen. Die Stimme des
Gewissens ist nicht nur negativ, sie fordert in jeder Lage
die Erfüllung" eines bestimmten Gebots. „Auf sie zu hören,
ihr redlich und unbefangen ohne Furcht und Klügelei zu
gehorchen, dies ist meine einzige Bestimmung, dies ist der
einzige Zweck meines ganzen Daseins." Nur die Tat, die
das Gewissen gebietet, habe der Mensch zu tun, in
der Gewissheit, dass sie gut sein müsse, dass sie not-
wendig in dem grossen Zusammenhang der sittlichen
Weltordnung sich einfügen werde. „Sonach besteht
das vernünftige Leben darin, dass die Person in der
Gattung sich vergesse, ihr Leben an das Leben des
Ganzen setze und es ihm aufopfere." „Das Leben in
der Gattung ist ausgedrückt in den Ideen." Fichte
erhob die Forderung, dass das Leben in der Idee alles
beherrsche und dass man keinen Genuss kennen dürfe,
als den in ihr und der Aufopferung für sie. Die Ent-
wicklung der menschlichen Gesellschaft vollziehe sich
durch Religiöse d. h. Helden, die in der Idee lebten. Die
Idee ist ein bestimmter Gedanke, der lebt und in uns das
eigentlich Lebendige ist. Sein Forderungscharakter soll
ganz zum Ausdruck kommen und in uns verwirklicht
werden. In dem Büchlein „Über das Wesen des Gelehrten"
wurde das Leben in der Idee im Verhältnis zu dem Indi-
viduum definiert: „Die ewige göttliche Idee kommt hier
in einzelnen menschlichen Individuen zum Dasein: dieses
Dasein der göttlichen Idee mit ihnen umfasst nun sich
selber mit unendlicher Liebe. Und dann sagen wir, dem
Scheine uns bequemend, dieser Mensch liebt die Idee und
lebt in der Idee, da es doch nach der Wahrheit die Idee
selbst ist, welche an seine Stelle und in seiner Person
lebt und sich liebt und seine Person lediglich die sinn-
liche Erscheinung dieses Daseins der Idee ist, welche
145
Person keineswegs an und für sich selbst da ist, oder
lebt. „Im allgemeinen ist die ursprünglich und rein gött-
liche Idee das, was der unmittelbar von Gott Begeisterte
tun soll und wirklich tut für die Welt der Erscheinung:
>,Schöpferisch hervorbringend das neue Unerhörte und vor-
her nie Dagewesene". Die göttliche Idee drückt sich im
einzelnen Auserwählten teilweise aus. Deswegen ist das
Genie d. h. der Mensch, in dem die Idee Ausdruck sucht
und findet, einseitig, „Die Idee selbst ist es, welche
durch eigene Kraft in den Menschen ein selbständiges
und persönliches Leben sich verschafft" . . . „Die Idee ist
nicht ein individueller Zierart, da das Individuum als
solches überhaupt nicht in der Idee liegt ... sie treibt so
nach und nach jeden den sie nur wirklich ergriffen wider
den Willen und Dank der persönlichen sinnlichen Natur
in ihm und eben als bleiben des Werkzeug fort zu dieser
allgemeinen Wirksamkeit." Hier erscheint die Antithese
des Individuums die Werner so stark erlebt hatte. Fichte
sieht aber die lösende Synthese durch die Idee. „Die
Rechtschaffenheit als lebendige und herrschend gewor-
dene Ansicht geht auf die individuelle Person dessen
über, den sie ergriffen hat und betrachtet diese, als stehend
unter einer bestimmten Gesetzgebung, als existierend le-
diglich um einer gewissen Bestimmung willen und als
Mittel für einen höheren Zweck. Der Mensch soll etwas
sein und tun, sein zeitliches Leben soll ein unvergäng-
liches und ewiges Resultat hinterlassen in der Geister-
welt; jedes besonderen Individuums Leben ein besonderes
ihm allein zukommendes und von ihm allein gefordertes
Resultat . ." Der Rechtschaffene betrachtet seine indivi-
duelle Person selbst als einen Gedanken Gottes.
Noch schärfer tritt dieser Gedanke in der „Anweisung
zum seeligen Leben" hervor. „Jeder ohne Ausnahme",
heisst es da, „erhält seinen ihm ausschliesslichen eigenen
und schlechthin keinem anderen Individuum ausser ihm
also zukommenden Anteil am übersinnlichen Sein, welcher
Anteil nun in ihm in alle Ewigkeit fort sich also ent-
Hankamer, Zacharias Werner. 10
146
wickelt . . Jedes Individuum offenbart in der ihm allein
eigentümlichen Art das Göttliche". Fichte nennt das
,den individuellen Charakter seiner höheren Bestimmunsf"
und nur in dieser Gestalt, nur im Individuum wirkt sie.
Das Ich gewinnt wahre Individualität, eigene Wesenheit
dadurch — und umgekehrt : „nur dadurch wird die Idee
in die objektive Welt eingeführt — dass die Idee die
Freiheit des Ich ergreift und diese zum , sittlichen Willen'
umschafft, das Ich zu ihrem Organ erhebt, so dass das
Ich die Idee in seinem sittlichen Willen auf besondere,
ihm eigentümliche Weise darstellt", sagt Goldfriedrich
zusammenfassend. Damit gewinnt das Individuum den
bisher fehlenden Anteil an dem lebendigen Dasein und
verliert das Entwürdigende der Auffassung, das es vom
nur rein gewöhnlichen Dasein aus hatte. Jetzt kann die
Forderung nicht mehr unumschränkt lauten, vernichtet
eure Individualität, sondern nur: Vernichtet das in euch,
was dem eigentlich lebendigen Individuum entgegensteht,
verliert auch nicht im Kosmos sondern lebt euer Leben
und erfüllet den individuellen Charakter eurer höheren
Bestimmung. Veredelt euer Ich zum Idee-Individuum.
Dieser Individuumbegriff wurde von Werner im we-
sentlichen übernommen. Wie nahe er Böhme steht, mochte
Werner jetzt fähig sein zu erfassen. Genetisch gesehen
erscheint er als eine Erhöhung der Weihe aus dem mo-
mentanen zum dauernden Sein und damit einerseits eine
Vollendung der Negation des Persönlichen, andererseits
eine Einengung des Absoluten zum Individuellen. Psycho-
logisch ist der neue Begriff ein abschliessender Versuch
zu einer Einheit im antithetischen Ich zu gelangen, der
alles Störende zum reinen Schein erniedrigt und das
Wesentliche im Ich selbst zu erfassen sucht. Die Gefahr
der Zerplitterung des Ego in dem tausendfachen Wand-
lungsvermögen der romantischen Psyche schien beseitigt
und damit die Grundlage, aus der sich die Forderung der
restlosen Vernichtung der Persönlichkeit erhoben hatte.
In Werners Denken hatten sich Momente aufweisen lassen,
147
die sich diesem Punkte näherten, aber historisch gesehen
lag der Ausgangspunkt des Idee-Individuums für Werner
bei Fichte. Erst sein starker und persönlicher Einfluss
war fähig, die Entwicklung durchzusetzen. Der Höhe-
punkt seiner Weltanschauug lag bisher im Opfertod und die
Tätigkeitsforderung wurde nicht als das Entscheidende
ausgesprochen. Werner kam erst unter Fichte zu dem
Imperativ des Opferlebens. Letzten Endes war das In-
dividuum der Erscheinungswelt verhaftet geblieben und
begann erst jetzt als eigentlich aktiv in seiner Kunst Be-
deutung zu gewinnen. Weder der Erzbischof noch der
Spielmann handeln eigenthch. Sie räumen die zufäligen
Hindernisse aus dem Wege, die der Erfüllung des Urteils-
spruchs entgegenstehen, den die überweltliche Macht, das
Fatum oder im „Kreuz an der Ostsee" Gott in seiner
Gnade gefällt hatte. Im „Kreuz an der Ostsee" aber sind
schon Einzelheiten des neuen Einflusses aufzuzeigen.
Zu diesem Stücke hat Werner auch wohl in Berlin
noch einzelnes gefügt, nachdem er mit Fichte in Berüh-
rung getreten war. In der Einleitung zu dem Drama
heisst es: „Durch hartnäckige Verfolgung dieser Idee
(Ausbreitung des Christentums) — die jetzt selten jeman-
den einen Mittagsschlat raubt — zeichnete sich vorzüg-
lich ein wackerer Mann, der Böhme Adalbert aus." Dass
diese Stelle eine Folge der beginnenden Rezeption Fich-
tescher Gedanken ist, scheint wahrscheinlich. Auch im
Stück selbst zeigen sich Ansätze. Das Wort „mit Frei-
heit wählen" und andere Einzelheiten weisen eben dahin
una ganz leise, wenn auch noch übertönt vom Entsagungs-
motiv klang das neue Thema an. Die Auffassung des
Lebens, die bei Calderon die Tragödie zum Mysterium
wandelte, hatte aktive Tendenzen in sich getragen, die
dem Einfluss Fichtes den Weg bahnten. Lebendiges und
totes Dasein kannte auch der Katholizismus, der in dem
Begriff der Todsünde sogar das Wort bot. Das Johannis-
evangelium und Böhme verknüpften Fichtes Lehre mit
dem Urchristentum in der Prägung des Romantikers.
148
Mannigfache Verbindungslinien liefen zwischen den beiden
Auffassungen hin und her lassen eine exakte Entwirrung
im Einzelnen kaum zu. Unverkennbar ist Fichtes Ein-
fluss auf Konzeption und Gestaltung der „Weihe der Kraft."
Iffland hatte Werner, als der das Kreuz an der Ost-
see ablehnte, auf die deutsche Geschichte als Quelle ver-
wiesen. Die Sprödigkeit eines religiösen Stoffes an sich
für den Dramatiker sei bekannt und ein preussischer
Staatsbeamter dürfe sicherlich keinen katholischen Helden
wählen. Werners Briefe an Iffland und Schefifner hatten
seine Stellung zum Katholizismus klar zu stellen versucht.
Sogar eine Reform des historichen Katholizismus war ab-
gelehnt worden, da das gegenwärtige Zeitalter zu schlecht
sei im grossen Stile etwas derartiges zu beginnen. „Luther
ward von Fürsten unterstützt; darauf kann ich nicht
rechnen", schrieb er in diesem Zusammenhang. Mit dem
Erstarken seines Persönlichkeitsgefühls und dem Wissen
um seinen religiösen Beruf mag die Figur des grossen
Reformators eine bestimmtere Linie erhalten haben, die
er nach dem historischen Vorbild (er sprach eingehend
mit Johannes Müller darüber) in Berlin korrigierte. Ein-
wänden gegen die Aufführung eines Luther-Dramas be-
gegnete er mit seiner Auffassung, dass die Bühne ein
„Tempel des Herrn sei und kein Sündenhaus" und hoffte
wohl durch eine dramatische Gestaltung Luthers sich aus
dem Verdacht zu bringen, Geheimkatholik zu sein.
In kurzer, intensiver Arbeit vollendete er das Drama.
Im Februar begann er. Fertig war es Ende April.
Werner hatte trotz seines Zusammenbruchs bei der Ehe-
scheidung genügend künstlerische Energie. Ja es scheint,
als ob er nach starken seelischen Erschütterungen mehr
als sonst in der Lage gewesen sei, sich zu literarischen
Arbeiten zusammen zu raffen. Bei dem ekstatischen Zug
seines Künstertums war das natürlich. Am 11. Juni 1806
wurde die Weihe der Kraft auf dem Berliner National-
theater gegeben und errang einen unbestreitbaren Erfolg
in der stark zusammengestrichenen Fassung, die Iffland,
149
der selbst den Luther spielte, bot. Fünfzehnmal wurde
es vor ausgekauftem Hause gegeben, bis ein Maskenzug
der Offiziere ein Verbot des Hofes erzwang. Das Honorar,
das Werner erhielt, stellte einen Rekord da. Die Presse
war in grösster Erregung, ganz Berlin teilte sich in Freund
und Feind. Werner war die Sensation der preussischen
Hauptstadt. Man griff ihn an, verteidigte ihn und als
Iffiand in der Lutherrolle eine Tournee durch Deutsch-
land antrat, flog sein Name kampffordernd durchs Land.
Mit einem Schlage war der bisher nur im kleinen Kreise
genannte Künstler in aller Munde, Eichendorf, der das
Stück am 28. Februar 1810 sah, schilderte im Tagebuch
den tiefen Eindruck, den das Drama in der blendenden
Ausstattung auf ihn machte. Damals noch war das The-
ater gedrängt voll. Ach: Tage vorher hatten die Karten
bestellt . werden müssen. Ein Beweis, wie fest dieses
Stück im Publikum verankert war.
Dieser Bühnenerfolg ist zum Teil dem theatralischen
Griff Werners zuzuschreiben. Die „Weihe der Kraft" ist
der Akustik und Raumwirkung der Bühne völlig ange-
passt. Die Worte sind deutlich und stark genug auch
dem wenig empfänglichen Ohre das Nötige zu sagen.
Symbolische Vorgänge heben die innere Linie deutlicher
hervor und lassen die geistigen Kräfte gut in die Er-
scheinung treten. Pomphafte Aufzüge bieten dem Auge
etwas und stärken das historische Kolorit des geschickt
komponierten Gemäldes. Auch die Hilfe der Musik hatte
der Romantiker zu seinem Zwecke benutzt und schuf
nicht zuletzt durch sie die schwingende Stimmung, die
eigene Atmosphäre, in der diese Menschen leben und
atmen. Werner bewies sein Raffinement in der Erregung
einer weichen Sentimentalität gerade in diesem Schauspiel,
das einen starken Hauch wirklich dramatischen Geistes
spüren Hess. Bezeichnend ist, dass er durch mystische Unter-
malung diese Rühreffekte erreichte. Seine Mystik trug auch
hier den passivistischen Zug, der das Dramatische lähmte.
Das musikalisch Verschwimmende wurzelt, in diesem Stück
150
vor allem deutlich erkennbar, nicht in dem rein lyrischen,
sondern in dem durch starke mystische Tendenzen mehr
übersetzen als vertieften Erleben der Realität. Wo sich eine
Erweichung" der Handlung durch Lyrik zeigte, setzte sofort
die Mystik ein. Werners Gefühlsleben war nicht so reich,
dass er das Erleben rein aufklingen lassen konnte. Er
glaubte seine Blässe mit den Farben mystischen Wissens
schminken zu könijen und zu müssen und erreichte dadurch
nur, dass die dramatische Geschlossenheit dem Kunstwerk
verloren ging. Seine Sucht nach Myst;k war psychologisch
die Folge der unbewussten Furcht, dass der reine Erlebnis-
prozess nicht genügte dem Kunstwerk Leben zu geben.
Sie war dem Ekstatiker das Mittel zur Erreichung der
Höhe des (hier künstlerischen) Lebens, die er nicht in
der Wirklichkeit zu sehen vermochte.
Nicht selbstverständlich und mit der seelischen Not-
wendigkeit eines Böhme sprosste die Natur-Mystik auf.
Sie war Aushilfe für ein Versagen des Gefühls, mehr
Mittel als Wesensform Werners. Die Mischnatur dieses
Aussenseiters der Romantik kam gerade in der Mj^stik
des Dichters zum Ausdruck. Er nahm sie als System
und bog nach ihm die Realität um. Es fand ursprüng-
lich nicht eine direkte Erfassung des Wirklichen in
der m^^stischen Schicht statt, sondern das Erlebnis der
Realität wurde ins Mystische übersetzt. Dieser anschei-
nend unwichtige Unterschied ist äusserst bedeutend. Auch
in dieser Weltschau war Werner nicht naiver sondern senti-
mentalischer Dichter. Seine M3'stik war reflexiv und nur
in wenigen Zügen autochthon. Einzelheiten w^urden zum
System gruppiert nach den Energiepunkten, die ihn je-
weils bestimmten. Werner war nicht so sehr Mystiker
als er sich dazu bildete. Er wollte es mehr werden
als er es sein musste. Und so ward die Mischung von
Rationalismus und Mystik. Werner erlebte künstlerisch,
aber nicht ausgesprochen mystisch, fühlte die Gefahr
einer rationalen Verflachung und steigerte deshalb alles
in's Mystische, wobei das Halbbewusste dieses Vor-
•_ 151
gangs betont werden muss. Was für seine Weltanschau-
ungsbildung bezeichnend war, galt vor allem für die
Übernahme der Mystik: es war geistiger Notwehrakt,
kein Ausdruckszwang im eigentlichen Sinne sondern ein
stark reflexiver Vorgang. Natürlich nicht im bewussten
Wollen sondern in der tiefsten Schicht des geistigen
Lebens. Deswegen konnte Werner seine Kunst bis zu
einer gewissen Grenze davon lösen, wie es im 24. Februar
geschah.
Dieser Charakter seiner M3'stik kam im Luther des-
wegen deuthcher zum Ausdruck, weil Werner in diesem
Stück eine an sich unmystische Aktivität des Handelns
einer Persönlichkeit zum Ausdruck brachte und sie mehr
mystisch einkleidete als formte. Das Tätigkeitsmoment
des Ideeindividuums wurde stark unterstrichen, aber mit
einer bezeichnenden Ängstlichkeit auch auf das andere
Element hingewiesen. Gerade diese Sorgfalt in der my-
stischen Unterbauung lässt die seelische Unsicherheit, die
Nichtnotwendigkeit dieser Anschauung erkennen.
Von allen Charakteren Werners ist Luther in der
Zeichnung wohl am absichtsvollsten gegeben. Die Stofif-
wahl mag das zum Teil erklären, da sie polemisch er-
folgte. Sicherlich aber auch, weil Werner hier als Fich-
te-Jünger ein Ideeindividuum gestaltete. Hier war eine
Persönlichkeit als Konzeptionspunkt zweifellos vorhanden.
Ideen spielten als Anregung mit, aber nicht so wie in den
Söhnen des Thals, wo das Fatum, das Lebensgesetz am
Ausgang der künstlerischen Formung stand, weniger auch
als beim Kreuz an der Ostsee. Luthers markante Profil-
linie ist viel zu sorgfältig in's Wernersche übersetzt
worden, als dass eine solche Unpersönlichkeit in der Kon-
zeption wahrscheinHch wäre. Mit kennzeichnender Liebe
sind selbst Einzelheiten des historischen Luthers ver-
wandt. Werner, dessen Künstlertum schwach genug
war, die Hauptpersonen zu Demonstrationsfiguren seiner
Lehre zu machen, weil er so seine Kunst in den Dienst
der Religion zu stellen glaubte, hat in der Weihe der
152
Kraft versucht, den innigen Zusammenhang zwischen Idee
und Persönlichkeit, den Fichte ihm gezeigt hatte, zur
Form zu bringen.
Luther ist als Idee-Individuum gefasst, bewusst ge-
dacht, mag auch der Apparat der übersinnlichen Theater-
welt Werners das von innen heraus drängende Leben oft
nicht zur Geltung kommen lassen. Hier ist zuerst im
Schaffen Werners eine tatsächlich synthetische Form des
Geschehens geworden, hier zuerst ist die Dynamis der Ge-
schichte im Ideeindividuum erkannt. Das geschichtlich Not-
wendige wird hier zuerst auf dem Gebiete der Freiheit zur
Tat und Aufgabe dessen, der „in der Idee lebt". Werner er-
fasste die Geschichte in der religiösen Einstellung Schlei-
ermachers, sah mit Böhme darin eine ewige Geburt Gottes
und suchte das Lebensgesetz der Naturphilosophie in ihr.
Auch in diesem Drama. Während er aber in den Söhnen
des Thals das Handeln des Fatums einer Überwirklich-
keit mehrerer Wesen tibertrug und trotz der Einführung
katholischer Mythen auch in dem Kreuz an der Ostsee
stark zu dieser Auffassung gedrängt wurde, geschah hier
die Handlung Gottes Fichtisch durch einen Menschen, der
in freiem Willensentschluss den Beruf übernahm und sich
seines Handelns bewusst wurde.
„Ich, schrie er — zündend traf der Schlag —
Ich Avill.«
Echt Fichtisch wird das Handeln an sich hoch bewertet,
ja über dem schlaffen Gutsein anerkannt :
„Es war ein Übeltun, allein ein Tun doch
Ihr schlaft im schnöden Traum — was tut ihr?"
zürnt Luther mit dem Fürsten und Katharina fragt:
„Wer soll denn handeln, wenn der Sünder niqht?
Die Heiligen — sie können ja nur anschauen!"
Damit ist Handeln mit Menschsein gleichgesetzt. Die
Auffassung Werners, dass ein Erdulden des Schicksals
das Letzte und Wesentlichste ist, wurde theoretisch über-
Avunden. „Mit Freiheif", „in freier Willkür" wollen hier
die Menschen lebend und handelnd opfern. Das Opfer-
153
motiv bleibt — wie bei Fichte — aber opfern heisst hier
Kämpfer sein, heisst das Leben aktiv leben, nicht erdulden.
Dieser Aktivismus ist durch die Umarbeitung des
letzten Teil noch besondeis akzentuiert worden. Nach
Vollendung des Dramas schlug Geheimrat Beyme ihm
durch Iffiand vor, Luther im letzten Akte nicht schlafend
auf der Wartburg zu zeigen. Er müsse gegen die Witten-
berger Bilderstürmer vorgehen. Werner gab ihm freudig
Recht und arbeitete in kürzester Zeit diesen Teil um.
Dass er nicht allen Anregungen gleich folgsam willfahrte,
zeigte er dem Tadel Johannes Müller gegenüber, der die
Vollendung von Luthers Persönlichkeit durch Katharina
nicht in ihrer Bedeutung für Werner erfasste und als Episode
behandelt wissen wollte. Er ging nicht darauf ein, liess
aber die Erscheinung des Augustinus wegfallen, die dem
Geschehen wieder den Analysis-Charakter aufgedrückt
hätte. Beymes Vorschlag traf mit dem zusammen, was
Werner erstrebte und wurde deshalb übernommen, wäh-
rend er die Streichungen des Grafen Brühl für die Aus-
führung duldete, im Druck jedoch wieder einsetzte.
Nicht mit elementarer Sicherheit und Stärke hatte
sich die Rezeption Fichtes durchgesetzt und eine revolu-
tionäre Neuordnung im geistigen Kosmos Werners er-
zwungen. Die Weihe der Kraft sollte ein Bekenntnis
sein, wurde aber auch ein Kompromiss, wie es seinem
Wesen entsprach. Viele Äusserungen sind missverständ-
lich, aber im Zusammenhang des Ganzen gesehen und
durchpulst von der lebendigen Aktivität des Dramas er-
scheinen sie nur als tote Überbleibsel der früheren Epoche
Werners, vielfach als Folge des Idee-Individuums wie es
von Fichte definiert worden war.
Auch in der Weihe der Kraft bleibt ein Zusammen-
hang zwischen dem Sein und dem Dasein bestehen, den
auch Fichte besonders betont hatte. Luthers Persönlich-
keit wird erhöht durch die Leistung, die zu erfüllende
Aufgabe als Idee. Die Verbindung der empirischen Per-
sönlichkeit auch in ihren nebensächlichen Einzelhand-
154
lungen mit dem Übersinnlichen vermochte Werner nur
durch äusserliche Zeichen zur Anschauung zu bringen.
Aber der Zusammenhang war mit der IndividuaUtät als
solcher und unter Auswertung eben des Individuellen
festgelegt worden.
Die Aufnahme der Calderonschen Kunst- und Welt-
auffassungsform wirkte hier noch mit. Sie war eine
Etappe auf dem Wege zu der Forderung Schellings (und
der Romantik) gewesen, das Ewige in der Begrenzung
zu gestalten. Schelling fand diese Forderung in der Kunst
des Spaniers erfüllt, Werner suchte sie im Idee-Indivi-
dium zu fassen, nutzte aber die äussere Form Calderons
mit dazu. Er stellte eine innige Verbindung zwischen
Dasein und Sein durch den Gnadenbegriff her, engte
aber die Gnade zur Idee ein; denn im Wortgebrauch der
Lehrm^einung der katholischen Kirche könnte man die
Fichtische Idee Berufsgnade nennen, ohne dass die ge-
dankliche Tiefe Fichtes damit ausgefüllt wäre.
Werner selbst gab in einer Erklärung seiner Weihe
der Kraft einem Unbekannten gegenüber den deutlichen
Hinweis auf die durch Fichte übermittelte Auffassung.
„Übrigens sind Therese und Theobald nichts weiter als
schuldlose Kinder und nicht mehr oder weniger Allego-
rien, als jeder bedeutende Mensch. Jeder Mensch ist dazu
da, um irgend eine sittliche Idee zu repräsentieren." Hier
wird das spezifische Tätigkeitsmoment nicht klar genug
hervorgehoben, dass es aber vorhanden ist, geht aus einer
Bemerkung desselben Berichtes hervor, in der es heisst
(über Theresens Lied). „Der Mai der ihn (den Glauben)
erweckt ist das, was man einen göttlichen Ruf nennt,
wie er zum grossen Luther erscholl, als sein Freund an
seiner Seite fiel." Der Ruf forderte zur Tätigkeit auf.
Das mystische Liebespaar ist noch am stärksten von
der Passivität infiziert, aber die Interpretation Werners
beweist, dass er auch hier eine Tätigkeit hat darstellen
wollen; denn die Repräsentation einer Idee muss ihrem
Wesen nach aktiv sein, weil die Idee aktiv ist. Handeln
155
ist im Sinn Fichtes aber auch nur möglich durch den
Besitz der Idee. Das wird in dem Drama zu einem gei-
stigen Bewegungsmotiv verwertet, durch welches eine
seelische Entwicklung Luthers entsteht. Der Kampf, den
er im Anschluss an die Bilderstürmertumulte ausficht,
liegt eben in der Frage, ob seine Tat eine Handlung nur
der empirischen Persönlichkeit gewesen sei, oder die eines
Idee-Individuums.
Ich selber rief mich — oder Gott! vielleicht —
Vielleicht auch nicht! — Ich bebe vor mir selber.
und Katharine spricht das entscheidende Wort
Lästere Deine Würde nicht!
Dir Starkem war die Kraft, um sie zu spenden.
Als Vertreter des rein empirischen, nur in sich selbst
ruhenden Ichs, das nicht wirkend in den kosmischen Zu-
sammenhang des Geschehens eingreifen kann, weil er
sich nicht in seine Einheit stellen will, ist dei Kaiser
gezeichnet:
„In diesem Riesenbusen wohnt kein Herz,
Nicht tönt in ihm der Gottheit Anklang wieder.
Den Donnerton der Kraft vernimmt er nur,
Doch kann er nicht durch Liebe ihn vergöttern.
Der Misston seiner eigenen Natur
Muss ihn und seine Schöpfung einst zerschmettern."
Hier erscheint der „dämonische Mensch" wieder, gegen
die im „Kreuz, an der Ostsee" das Christentum kämpfte.
Da war er der Herr des Feuers, des gefallenen Lichtes,
war der Ich-Süchtige ohne die heilige Liebe. Hier wird
er mit einer leisen Nuancierung, die fast unmerklich ist,
aus denselben Gründen in einen Gegensatz zum Idee-Indi-
viduum gestellt. Warmio und Malgona dulden gegen ihn
den Opfertod und die aktive Ver\^ertung sollte durch den
Fatumvertreter durch Gottes Gnade stattfinden. Auch der
Kampf zwischen Luther und Kaiser Karl ist ein Kampf
des Lebens gegen das Tote, aber sie treten sich in han-
delnden Persönlichkeiten gegenüber. Hier ist ein Kampt
156
nicht ein Dulden. Dulden ist hier mehr, vielleicht zu sehr,
die Rolle des Toten.
Das Individuum wird gesandt „um Welt und Schick-
sal zu vereinen", sagt Werner im Prolog zur „Weihe
der Kraft", wodurch der aktive Charakter des Individuums
noch einmal ausdrücklich festgestellt ist. Das Schicksal
trat hier in einem Gegensatz zu der empirischen Welt
und zwar als Forderung. Es nimmt den Inhalt der Fichte-
schen sittlichen Weltordnung an, in der die empirische
Welt als Sphäre der Pflicht erscheinen muss. Die Welt
und das Schicksal zu vereinen als Aufgabe des Gesandten
bedeutet, dass er seinen Anteil an dem Absoluten, seine
Idee in die Welt hineinzutragen hatte. Sein Individual-
charakter bedingt, dass nach ihm andere erscheinen und
den Entwicklungsprozess in ihrer Teilaufgabe und Teil-
erfüllung weiter führen. Wenn die Idee in das Histo-
rische tritt, wird sie in der Form ihrer Erscheinung wand-
lungsfähig, wird Welt, kann aber im Wesen nie sterben,
bleibt Schicksal. In sofern sie Idee-Individuen waren, sind
der heilige Adalbert und der heilige Luther „Kollegen",
aber historisch grenzen sie sich als Einzelpersonen deut-
lich ab auf Grund des individuellen Charakters ihrer
höheren Bestimmung.
So musste Werner auch der persönlichen Vollendung
seines Helden die Aufmerksamkeit schenken und die er-
folgte durch die Ehe, durch die Liebe, deren Wesen auch
eine innere Umgestaltung erfuhr, die ihren künstlerischen
Ausdruck in „Attila" und abschliessend in der „Wanda"
erhielt.
Das Verhängnis-Schicksal in der empirischen Welt
wurde zum Knecht des Idee-Lebens:
Und wenn in Zweifelsfluth die Geister ringen
Und der Erkennhlis Feuer sie verzehrt.
Dann wird Mein Knecht, das Schicksal es voll-
bringen,
und in Gleichsetzung der Liebe mit der Idee rief er Graf
Brühl zu, der in der Idee lebe:
157
Es kann des Schicksals Pfeil Dich nicht erreichen.
Neben der Umarbeitung an den Templern auf Cypern,
beschäftigte er sich damals schon mit der Tragödie
„Attila", deren Konzeption zweifellos in diese Zeit fiel
und eng mit den Tagesereignissen und der Neuorientie-
rung Werners zusammenhing, wenn er auch Jahre mit
der Formgebung sich abmühte und verschiedene Einflüsse
in dem Drama erkenntlich werden. Das durch keinen
äusseren Vorgang zu erschütternde Wissen um die Idee
in sich, um die Durchgöttlichung seines Daseins, seines
seligen Lebens im Sinne Fichtes spricht Attila aus:
„. . . und ich verlach das Lustgegaukel — Hier
(auf seine Brust deutend)
Wohnt mein Geschick, das nicht des Sturmes Spiel!
Noch schärfer als bisher wurde hier der neue Persön-
lichkeitsbegriff herausgestellt. Attila weiss sich gesandt:
Und bin ich das? Ich bin es und mit Freiheit!
Das Blut, das heut in Strömen fliessen wird.
Es fliesst durch mich! Ich weiss das alles, Alter!
Doch ob die Menschenschlacht, durch mich ent-
zündet,
Verheerend um mich wütet, ob der Jammer
Der mir Geschlachteten zerreissend auch
In meinem Inneren wühlt! — Du kennst mich
Vater! —
Doch halt ich mich — an etwas muss der Mensch
Sich halten, will er nicht zertrümmert werden! —
Ich halte mich, im aufgewühlten Chaos
An einem festen Punkt: am ewigen Recht!
Der Spruch des ewigen Rechts, des Schicksals wird von
Attila gefällt und vollzogen. Er ist Richter, nicht nur
Henker des Schicksals wie der Erzbischof. Nicht nur aus
rein unpersönlichen Motiven handelt er so. Um die ihm
Wesensverwandte zu schützen, kämpft er und deutet so
die innige Verbindung des Göttlichen mit seiner Person
an. Der an sich kaum merkliche Unterschied zwischen
Erzbischof und Attila wird von hier aus in seiner ganzen
158
Grösse und Bedeutung für die Weltanschauung Werners
klar. Das Verhältnis zwischen Persönlichkeit und Schick-
sal scheint fast gleich geblieben und ist doch von Grund
aus gewandelt.
Der Gegenspieler Attilas ist Aetius, der Römerfeld-
herr. Er steht zum Hunnenkönig in dem Verhältnis Karls
zum Reformator. Aetius Lebensziel ist die Krone Roms
und der Welt, Er sucht sie aus Eigennutz und Herrsch-
sucht, nicht aus dem inneren Ruf und für die Menschheit.
Dämonisch reckt sich seine Gestalt hoch:
„Ein Teufel war ich drum? Nein, Freund Gewissen
Der Teufel fiel, weil er auf halbem Wege
Im Wollen stehen blieb — sonst war er Gott! —
Fort mit dem Blendwerk täuschenden Gefühls! —
Mein Will' ist Gott — die Welt erträgt nur Einen.
Will Attila das Feld mir räumen — wohl! —
Sonst über seinem Leichnam weg — zum Throne! — "
Attila kann auf sein Leben zurückblicken, als auf einen
Kampf für die Welt nicht für sich und Aetius spricht
dagegen:
Nur eines blieb: Die Kraft, die selbst sich Gott ist
Das ist die Freiheit, jenes Sklaverei;
Willst Du die Welt befreien — entfessle Dich! —
Er lebt, weil er das Wollen hat und spottet beim Tod
eines Römers in Fichtes Terminologie:
Auch der todt, welcher nie gelebt.- — Der Tod
Ist rasend heut — er frisst sich selber auf.
Aber er lebt nicht in der Idee, nicht in Gott und sein Werk
bricht in sich zusammen. Er hat die Kraft, aber nicht
die Weihe. Odoaker, der künftige Herr Roms tötet ihn.
War der Gegensatz zwischen Idee-Individuum und
dämonischer Nur-Persönhchkeit in „Luther" mehr durch
eine gewisse Nicht-Aktivität des Dämonischen herausge-
stellt, der für die Art der Aufnahme Fichtes durch Werner
kennzeichnend ist, so war hier die Tätigkeit beider dra-
matisch ausgenutzt und der mystische Unterton des Idee-
Individuums als das Entscheidende empfunden.
I
159
Attila erfüllt sich in der Liebe zu Honoria, sein Werk
ist vollendet. Der Papst tritt ihm entgegen als Vertreter
der Macht, durch die das verdorbene Menschengeschlecht
genesen soll. Das neue Idee-Individuum löst das voll-
endete ab. Der Tod Attilas wird zur tragischen Notwen-
digkeit und seine Schuld, die er sühnt, ist, dass er das
Viele wollte neben dem Einen. Seine rein menschliche
Individualität hat ihn zu Sünden verleitet. Er hat sich
nicht ganz auf das eine beschränkt :
Er will auch gnädig sein, gerecht und gnädig
Zugleich — wie Gott sein — darum ist er schuldig.
Im Anschluss an die „Weihe der Kraft" hatte er
Scheffner geschrieben: „Sie wissen übrigens meine Hypo-
these, dass ein Künstler (Dichter, Musiker, Bildner) nur
ein göttliches Thema (zwei sind für einen Menschen zu-
viel, sie würden ihn zerreissen) variieren und schlecht
variieren (singen, dudeln, abkonterfeien) kann . . . das
mir von Gott zu seiner Verkündigung ins Gemüth ge-
legte Thema ist: Vergöttlichung der Menschheit durch die
Liebe."
Attilas grösste Schuld ist, dass er Idee an sich, nicht
Idee-Individuum sein wollte. Dadurch wird deutlich,
dass der Ausgangspunkt des Begriffs des Idee-Individuums
für Werner in dem Suchen nach einem Mittelpunkt und
der Einheit des Ich lag.
Hinter Werners Attila näher noch als bei der Weihe
der Kraft stand Fichte. Und neben ihm Napoleon. Doch
nicht Attila ist der Korse. Schon Ende 1803 schrieb Wer-
ner: „So ist z. B. Bonaparte oder wäre vielmehr ein Prie-
ster, wenn die ganze Welt aus Franzosen bestände, da
er aber, zum Besten der Franzosen, alles Übrige zerrüttet,
so ist er ein Rebell gegen die Natur, den die Nemesis
ganz gewiss ereilen wird." In Aetius hatte Werner sein
Bild des genialen Revolutionärs gezeichnet. Schon 1806
nannte Fichte Napoleon den Namenlosen, weil er nicht
eingezeichnet sei im Buche des Lebens. Der so weltferne
Mystiker Werner suchte hier und auf diesem Wege Ein-
160
lass zu der Erlebnis seiner Zeit, Einlass zu dem Schick-
sal seines Volkes.
Interessant ist die angeführte Stelle auch insofern,
als die starke Persistenz bestimmter Auffassungen in ihr
hervortritt. Es scheint bei der Entwicklung der geistigen
Welt Werners, dass nur eine Wortverschiebung stattfindet,
denn der Satz von 1803 könnte mit Änderung einiger Worte
auch 1807 geschrieben sein. Aber der Vorgang ist so, dass
eine oft unmerkliche Aushöhlung der starren Gedanken-
hülsen erfolgt. Die Wandlung ist eine so innerliche, dass
man über die Gleichartigkeit des Ausdrucks die Inhalts-
veränderung leicht vergessen kann, die allerdings nur in
einer Nuancierung — aber einer intensiven — liegt. In
der Form seiner Kunst äusserte sich diese Tatsache seines
geistigen Lebens vor allem in der Wiederholung bestimmter
Charaktere (Erzbischof, Adalbert, Attila — Waidewuth,
Kaiser Karl, Aetius), deren Verschiedenheit nur tieferer
Analyse offenliegt. Die stetige Wiederholung solcher For-
men beweist, dass ein Erlebnis zugrunde liegt, dessen
Einreihung auf all diesen Wegen versucht werden soll.
Die Weltanschauungsentwicklung Werners, die seine Kunst
ausdrückt, ist dadurch erneut erwiesen als Versuch pri-
märe Tatsachen des Erlebens zu erklären. Sie w^ar wie
die Form seiner Kunst im letzten Sinne analytisch.
Künstlerisch ist der Attila wohl das geschlossenste
und abgerundetste Werk Werners. Zelter hatte die Weihe
der Kraft spottend eine Arche Noahs genannt, in der
jegliches Tier enthalten sei. Die künstlerische Unmässig-
keit Werners, die schon in den Söhnen des Thals sich
zeigte, die Zweiteilung des Kreuzes an der Ostsee her-
beiführte, schwemmte auch den Körper des Lutherdramas
sehr auf. Attila ist straffer und sehniger im Aufbau und
nur durch die — gedanklich notwendige — Honoriaepisode
und kleinere Einzelheiten beschwert. Der Konflikt ist
stärker und wird von der Gegenseite mit grösster Akti-
vität durch den Seelenbruder Attilas gefürt, während
Luther durch das Wollen allein gegen die nicht entspre-
161
chendcn, weil nicht aktiven Gegner theaterhaft leicht
siegte. Diese Gefahr, die auch in dem Fichteschen Ge-
danken des toten und lebendigen Daseins steckte, hat
Werner nur hier fast ganz überwunden.
Die Charakterzeichnung auch bei den Nebenpersonen
ist von einer blendenden Sicherheit. Oft mit einigen Zügen
ist das Bild markant gegeben. Es zeigt sich auch hier,
dass die Stellung des Individuellen eine ganz andere ge-
worden ist. Diese Menschen sind nicht mehr im Univer-
sum gebunden und nur in einem Bewegungsmotiv aus der
kosmischen Einheit herausgebildet etwa wie die Figuren
Rodins, dem Werners Menschendarstellung noch im „Kreuz
an der Ostsee" dem Kunstwollen und dem inneren Grunde
der Weltschau nach wohl am ehesten entspräche, frei
und gelöst leben und handeln sie. In sich sind sie ihres
Gottes gewiss und im Gefühl eines Ewigkeitswertes in
der Manigfaltigkeit und der Begrenzung. Stärker noch
als die theoretischen Zusammenhänge beweist diese künst-
lerische Wandlung den tiefen Einfluss Fichtes auf diesen
Romantiker.
In der Tätigkeitsforderung Fichtes lag ein Element,
das der Kunstauffassung Werners bei der Aufnahme der
Romantik widersprach. Das rein Wollüstige des religiösen
Künstlers hatte in diesem System zunächst keinen Raum.
Nicht nur die künstlerische Fassung des Individuellen wan-
delte sich, auch die Stellungnahme Werners seiner Lebens-
form gegenüber verschob sich. Er verlangte von sich selbst
die Leistung der Tat, die Erfüllung seines Apostelberufes.
Zur Durchführung des reformatorischen Plans war
er nach Berlin gekommen und hatte enthusiastisch die
Arbeit begonnen, um bald die tausend Schwierigkeiten
zu fühlen, die sich lähmend bemerkbar machten. In
seinen Briefen schalt er die vielen Rücksichten auf
kleinliche Bedenken, die er nehmen musste. Scharfe An-
griffe der Presse und einiger Gesellschaftskreise verwun-
deten den durch keine innere Sicherheit Geschützten und
und verleideten ihm Berlin. Der politisch-militärische Z\x-
Hankamer, Zacharias Werner. 11
162
sammenbruch Preussens drohte ihm vollends den Boden
unter den Füssen wegzuziehen. Mit Hermann Schmidt,
Goethes Schüler, trat er in Verbindung, um nach Wien
Fühlung zu gewinnen, doch schien der Plan sich zu zer-
schlagen. Müller riet ihm dringend ab. Trotzdem ver-
suchte er seine „Söhne des Thals" in Wien anzubiingen
und versprach allen Zensur Vorschriften weitestes Entgegen-
kommen; denn in Wien hofite er den Resonanzboden
zu finden, durch den seine Predigt des geläuterten Katho-
lizismusses die Stärke des Tons erhalten würde, um
zur Tat werden zu können. Ein niederschmetterndes Ge-
schehnis trieb diesen Gedanken zur Reife.
Von der durch die Aufnahme Fichtes und der Liebe-
idee gewandelten Anschauung aus hatte er die Umarbei-
tung des ersten Teils der .,Söhne des Thals" in Angriff
genommen. Er stellte eine innigere Verbindung der bei-
den Teile her, taufte den Erstling mit dem Geiste der
Mystik, Für die Bühne arbeitete er das Drama auch auf
den Rat Ifflands um, der das Lehrgedicht auf die Bretter
brachte. Werner erhob in dieser Zeit tiefster Verzweif-
lung seines Volkes seine Stimme, um ihm den Weg zu
weisen zur Höhe des Lebens. Seine Stimme verhallte
wirkungslos. Das Drama fand eine kühl-verwunderte Auf-
nahme und fiel durch. Als Künstler hatte Werner seinem
Volke nichts zu sagen, das die innere Not gestillt hätte.
Er, der eben noch auf dem Gipfel des Erfolges gestan-
den hatte, sah sich jählings gestürzt, fürchtete für seinen
Künstlerruf und bat Iffland, keine Wiederholung des Stückes
zu geben. Durch einen anonymen Drohbrief, der bei ihm
abgegeben sei, suchte er dem Ersuchen Schwergewicht
zu geben, da man von französischer Seite Anstoss nähme
und Repressalien anwenden könne. Seine hemmungslose
Erregung und Niedergeschlagenheit äusserte sich in einem
verzweifelten Briefe an Iffland, den er am Abend nach
der Aufführung schrieb und in dem er seinen Entschluss,
jede weitere künstlerische Arbeit aufzugeben, bekundete,
„da ich in dem Allen einen Wink der V^orsicht, die meine
163
Tätigkeit nicht zersplittert wissen will, anerkenne".
Deuschland, das für seine Ideen wertlos sei, wolle er
verlassen, sicher Berlin. Er mochte in dieser Stunde, wo
er sich vernichtet fühlte, mit dem verbissenen Optimis-
mus des Hysterikers, der die Wundersehnsucht dieser
Kranken verstehen lehrt, an seine Wiener Hoffnung glauben.
Die Tätigkeit als Mensch wurde durch dieses Erlebnis
als über dem Künstlertum stehend empfunden und Wer-
ners grosse Aufgabe war es nun sein Menschtum so zu
reinen und zu versöhnen, dass er im Rein-Menschlichen
Meister sein konnte. Die Wanderfahrt, die er begann,
ging zu materiellen Zielen gewiss, auch aber zu dem
Ziele einer Vollendung seiner Persönlichkeit, Der Künstler
Werner zog aus, den Menschen Werner zu suchen.
Am 27. März 1807 brach Werner von Berlin nach
Wien auf „um zu rekognoszieren".
VI. Kapitel,
Persönlichkeitsbildung als Aufgabe.
Werner verliess Berlin als Besiegter. Weder in sei-
nem Leben noch in seiner Kunst fühlte er sich erfüllt
und als ihm der Zusammenbruch seines Schaffens die Wir-
kungslosigkeit seiner Kunstpredigt so quälend bewusst
machte, wurde in ihm die Frage laut, ob er Gesandter
sei der Kunst. Eigentlich jetzt erst wurde ihm Persön-
lichkeit und Leben in ihrem Zusammenhang als Form und
Stoff zur Frage, die wirklich Mittelpunkt war. Hier be-
gann sein Weg nach Rom; denn im Zeichen der Persön-
lichkeitsvollendung steht der. Kunst und Leben beherrscht
dieses Thema.
Ein neuer Abschnitt seiner Entwicklung begann und
die Flucht aus Berlin war Ausdruck dieses Gefühls; denn
164
den Romantikern ward der Ort Erlebnis und ihre Reise-
romane und Reisedramen zeigen, wie stark sie vom Raum-
erlebnis sich abhängig fühlten. Im Schicksaldrama mit
seiner lokalen Abhängigkeit der Personen wurde das zur
Form im Extrem. Neben diesen und den äusseren Grün-
den, die ihn zur Auswanderung veranlassten, standen an-
dere. Werner hatte die Trennung von seiner Frau im
Rausch seines Schaffens und Erfolges nur anscheinend
überwunden. Der Schmerz war mehr betäubt als ge-
tötet. In den Stunden, in denen er entspannt unter den
Depressionen litt, die sein Leben schroff auf und nieder
warfen, kehrte die Qual wieder,
„Nur wer die Liebe kennt, versteht das Sehnen
An dem Geliebten ewig fest zu hangen,
s Und Lebensmut aus seinem Aug zu trinken.
Er kennt das schmerzlich seeHge Verlangen *
Dahinzuschmelzen in ein Meer von Thränen,
Und aufgelöst in Liebe zu versinken!
Wie mir die Bilder winken,
Die alten! — Ach sie nahen um zu fliehen! —
Was hilft das Thal mit seinen grünen Gluten,
Die Strahlen, welche golden niederfluten;
Ich seh nur Geister mich zum Abgrund ziehen!
Wozu soll ich die goldnen Blüten pflücken,
Kann ich doch nimmer das Geliebte schmücken!"
Im August 1806 auf einer Reise von Berlin nach Dres-
den hatte er die Verse geschrieben und bezeichnete sie
der Freundin Johanna Rinck als Darstellung seines in-
neren Zustandes. Er sah noch seine geschiedene Frau
als die ihm seelisch verbundene Geliebte. In der Be-
teuerung dieses Gedankens wurde er nicht müde und einem
jungen Mädchen, dass man an ihn zu ketten suchte, schrieb
er, dass er . . „nie ein anderes Weib geliebt hätte noch
in Ewigkeit lieben könnte, als die eigentliche Hälfte
meines Wesens, meine letzte geschiedene Frau, die Mal-
gona, dass ich aber dem ohnegeachtet weder diese Frau
selbst wenn sie wieder ledig würde, noch irgend eine
165
andere, selbst wenn ich es gerne möchte, jemahls
heyrathen könnte, wie wohl ich die Malgona, als die
Einzige, die ich (im höheren Wortsinne und in alle Ewig-
keit in jeder möglichen Gestalt) überhaupt jemals lieben
kann, auch liebe", jedoch der brüderliche Freund des
Mädchen sein wolle.
Gerade der Verzicht auf den Besitz der Geliebten
hatte ihn das Abhängigkeitsgefühl besonders kennen ge-
lehrt. Der Witwer, als der er sich fühlte, musste seiner
Art entsprechend, die Zusammengehörigkeit mit dieser
Frau in eine mystische Schicht verlegen und dadurch
seine Weseneinheit mit ihr sich sichern. So entging er
der Gefahr, die er selbst als drohend empfand, sich in
der Liebe zum Einzeln zu verlieren, „die mich als ein
tausendgestaltiger Proteus in ihren feigsten und gemeinsten
Formen stets versucht hat und der ich fast zu schwach
bin, zu wiederstehen". In dieses mystische Gemeinschafts-
leben floh er, wenn die Zweifel an seinem Wert wach
wurden nach den erotischen Abenteuern, die ihn von der
Höhe seines Priestertums stiessen. Die Nähe der Geliebten,
die mit ihrem neuen Gatten in glücklichster Ehe lebte,
mochte seine Entsagungsqual vermehren und ihn hoffen
lassen in den Zerstreuungen der Wanderfahrt nach einem
Ruheplatz vergessen zu lernen. Die psychische Zerrissen-
heit Werners schien ihm zu dem wechselvollen, zigeunern-
den Leben als zu ihrem homöopathischen Mittel zu drängen
und wir wissen, dass es ihm die beste Arbeitsgelegenheit
bot. Zu Beginn seiner Reise dichtete er das von Goethe
gelobte Sonett: „Das Flössholz" und gab seinem inneren
Entwurzeltsein und seiner Sehnsucht nach Wandlung darin
symbolischen Ausdruck, trat in seinen Gedichten als Wan-
derer und Pilger mit der Doppelbedeutung auf, die den
seelischen Untergrund seines Wandertriebes kennzeichnen
sollte.
Längeren Aufenthalt nahm er in Prag, freute sich
an dem Volksleben und suchte und fand Emlass beim
Hochadel, wo er sein Evangelium der Liebe schönen
166
Frauen predigte, die die erotischen Schwingungen dieses
Piatonismus mit weiblichem Instinkt ahnten und von dem
wunderlichen Lehrer fasciniert wurden, dessen groteske
Geste und Gestalt in einem pikanten Gegensatz zu dem
Gehalt seiner Botschaft stand. Sein slavischer Zug im
Gefühl wie Gedanke sicherte ihm hier wie schon in Polen
wahlverwandtes Interesse und sein mit erotischer Energie
durchsetztes Wesen übte gerade auf die weibliche Ari-
stokratinnen einen geistigen Bann aus, dem sich dauernd
nur wenige Frauen dieser Kreise, die mit ihm längere
Zeit in Berührung kamen, entziehen konnten.
Dass er in dieser Zeit geistig weniger auf Frauen
tieferer Schichten, überhaupt auf das Volk kaum wirkte,
lag in dem starken, schnörkelhaft-spielerischen Intellektua-
lismus seiner Weltanschauung begründet, der nur auf dem
Umwege über sein System ein Verständnis erlaubte. So
stand er auch bei aller Romantiker-Sehnsucht, dem Volke
nahe zu kommen, doch immer ihm fremd gegenüber. Der
rationalistisch-mystische Einschlag seiner Lehre hinderte
ihn zu denen zu sprechen, die stets hinter eine Idee treten
müssen, um sie durchzusetzen, zu denen, die nicht ein
Spiel hier sahen sondern das drängende Erleben, das nach
einer Tat verlangte.
In Prag vollendete er den „Attila" (an dem er aber
auch, später noch feilte), begann die „Wanda" und mit
grossen Erwartungen zog er in Wien ein. Der Wiener
Zensur lag sein „Attila" vor. Aus politischen Rücksichten
— der Titel hätte auf Napoleon gedeutet werden können —
wurde die Aufführung verboten. Werners Hoffnungen,
durch dieses Kunstwerk sich eine Position in Wien schaffen
zu können, waren damit ins Wanken geraten. Überhaupt
bot, wie er schon bald merkte, Wien nicht den Nährboden
für seine Lehren, den er von der katholischen Stadt er-
wartet hatte. Weder in Gedichten noch in Briefen spielten
führende Namen eine Rolle, so dass es scheint als ob die
Wiener Gesellschaft den Dichter weniger freundlich auf-
genommen. Werner genoss in Wien die Stadt und das
167
legere Leben der Bürger, suchte sie bei ihren Festen auf
und gab sich den Annehmlichkeiten hin, die Österreichs
Hauptstadt den Fremden bot.
In einem bezeichnenden Gegensatz zu diesem privaten
(prosaisch würde Werner es genannt haben) stand sein
Icünstlerisches Leben. Der Zwiespalt, den Werner theo-
retisch im Ideeindividuum überwunden hatte, trat immer
wieder grotesk zu Tage. Nach den Mitteilungen seiner
Freunde und Zeitgenossen war er im persönlichen Um-
gang ein launig- liebenswürdiger Unterhalter, der jen-
seits des Systems jeden Scherz und alles Menschliche
verstand, mit klugem Wort und oft treffendem Rat den
Verkehr angenehm machte. Aber sein ganzes Wesen
schien sich zu verknöchern, wenn er in seinem „Beruf"
war. Ein gewisser seelischer Bürokratismus, den man
das geistige Beamtentum Werners nennen möchte, ist
dann kennzeichnend und beweisst das letzten Endes Äus-
serliche dieses Weltsehens, Was er oft ganz köstlich in
Briefen, selten in Gelegenheitsgedichten an ungeprägten
Erlebnissen plauderte, fand keinen Einlass in seine höhere
Kunst. Das Wien, in dem Werner lebte und liebte, er-
schien nicht in den Sonetten. Er steigerte die Realität
zum mystischen Symbol, indem er sie künstlerisch formte.
So verschwand das Wien des Praters, der Volksfeste, die
Stadt als Erlebnisganzes, erscheint nicht sondern einzelne
Symbole seiner Lebensfrage.
Da der „Attila" nicht angenommen worden war,
mühte sich Werner mit der schnellen Vollendung der
„Wanda", bei der es ihm vor allem darauf ankam, ein
Stück zu bieten, das im Aufbau allen bühnentechnischen
Anforderungen genügen sollte. Trotzdem wurde auch
dieses Stück abgewiesen. Werners Hoffnungen auf Wien
waren damit zum Tode verurteilt und in allen Erwartungen
getäuscht verliess er im Herbst die Stadt, um in München
weiter zu suchen.
Bei den beiden entscheidenden geistigen Führern
Münchens fand er gastliches Entgegenkommen. Jakobi,
168
der Dichter des Woldemar, mochte in der Verbindung
mit dem Mystiker, der einige Wesensähnlichkeiten mit
ihm trotz der grossen Formunterschiede besass, sich zu
kompromittieren fürchten. Er lehnte seine Anschauungen
ab, während Karoline und ScheUing über das Krankhafte
und Verzerrte hinweg die grossen künstlerischen Mög-
lichkeiten Werners erkannten und ihm so entgegenkamen^
dass Werner den Philosophen sehr lieb gewann.
Aber weder hier noch in Stuttgart, Frankfurt und
Gotha bot sich eine Gelegenheit, wie er sie suchte. Auch
die Theater waren ihm verschlossen. Iffland, an den er
sich gewandt hatte, um in Berlin seinen Prolog zur Frie-
densfeier auf die Bühne zu bringen und seinen Namen
nennen zu lassen, hatte trotz des künstlerischen Wertes
ablehnen müssen. Die Stimmung in Berlin sei sehr ge-
spannt und jede Andeutung der Katastrophe könne zu
unliebsamen Folgerungen führen. Er hoffe, dass Werners
Genie Berlin erhalten bleibe. Über das W^ie wisse er
aber nichts zu sagen. In München wurde diese Frage
durch eine amtliche Mitteilung geklärt, dass er nur im
Falle wirklicher Dienstleistung, seine Stellung weiterbe-
halten könne. Werner bat Scheffner um seine Vermitte-
lung, wandte sich an Stein und Schrötter. Aber auch
in dieser tiefen Depression, die zu der Sehnsucht sich
steigerte „recht bald in der Nähe meiner gewesenen, nein!
ewig vor Gott bleibenden Frau zu sterben" war er von
seinem Ideeberuf so überzeugt, dass er schrieb : „Auf
jeden Fall gehen Sie von dem Grundsatz aus, dass ich
lieber betteln gehe, als mich mit alberner Entsagung meines
göttlichen durch kein Schicksal zu zerstörenden Lebens-
zwecks, aufs Neue ins Dienstjoch spannen lasse." Dann
wisse er sich lebend tot, schrieb er mit Fichtes Worten.
Auf seinen Reisen trat er auch mit dem Freimaurer-
orden in verschiedenen Städten in Verbindung und nutzte
ihn aus, um sich gesellschaftlich einzuführen. Eine gei-
stige Einwirkung ging von hier nicht mehr aus. Diese
Epoche hatte Werner hinter sich und die Weltanschauung,
I6d
die in ihr den Dichter des Fatums beherrscht hatte, stellte
er in einem Gedicht an den „Thalbruder" (zum Gedächt-
nis Herzogs Ernst von Sachsen Gotha) als überwunden da:
„Und was der Zeit, dem Räume nicht zum Raube —
(denn jede Macht, selbst Gottes Zorn ist schwächer!)
Was Berge sprengt, zerbricht des Todes Köcher,
Das Schicksal zwingt: Das Riesenkind der Glaube'"
Der „Glaube" war (auch Fichte nahm dieses Wort)
die Gewissheit, dass eine sittliche Weltordnung bestehe,
war das Leben in der Idee, das Glau-ben an den Lebens-
zweck als göttlich, als Idee die über jedem Verhängnis-
schicksal stehe. Es war sein Bekenntnis zur Freiheit des
Menschen, die ihm notwendige Voraussetzung war für
das Erreichen seines Ziels.
In dieser Überzeugung trat er seinem Meister und
Helios gegenüber: Goethe. Werner hat in Weimar re-
kognoscieren wollen, wie in allen Städten, wohin er kam.
Schon mit den „Söhnen des Thals'^ hatte er durch Ver-
mittlung der Frau seines Verlegers versucht an den Dich-
ter heranzukommen, um von ihm eine Sinecure in Weimar
zu erhalten. Goethe gab keine Antwort, hatte sich aber
mit dem Werke beschäftigt und es abgelehnt wegen der
ihm widerlichen Mischung von Religiosität und Mystizis-
mus, die er nach Zelters Analyse auch in der „Weihe
der Kraft" erkennen zu können meinte. Der grossen
Bühnenbegabung des Autors wurde er als Praktiker aber
völlig gerecht und fühlte das Geniale in der Konzeption
des Luther durch. Er sorgte, dass in der jenaischen Lite-
raturzeitung keine nur negierende Kritik erschien und trat
dem Romantiker vorurteilslos entgegen.
Werner wurde von der Grösse des Menschen und
Künstlers tief ergriffen. Eine Ahnung des abgrundtiefen
Unterschiedes zwischen seinem Leben und dieser Existenz
ging in ihm auf und äusserte sich in der fast kriechen-
den Demut des Jüngers vor dem Meister, die Goethe mit
dem Vorrecht des Künstlers entschuldigte, das Geliebte
zu verklären. Die subalterne Art der Äusserung seiner
170
Verehrung darf nicht vergessen machen, dass eine zer-
knirschte Erkenntnis der übermenschUchen Grösse des
Helios Werner dazu führte. Hinter ihr steht die grosse
Demut des unstät Ringenden vor dem, der alles besass.
Werners Entwicklung suchte oft nur tastend, aber
immer bewusster den Zwiespalt zwischen Künstlertum
und Menschsein zu überbrücken. In der ersten Phase
der Romantik-Rezeption hatte der Literat in der Rausch-
freude des Schafitens unter der Energie der Zeitrichtung
im Künstertum, das religiöse Ekstase war, die Lösung
erblickt, wenigstens erhofft. Der Weihebegriff war die
Formel gewesen, die das ausdrückte und das ungelöste
Nebeneinander im Gegensatz zwischen prosaisch und po-
etisch aufzeigte. Das Idee-Individuum gab zunächst dem
Künstertum den Sieg, barg aber in sich die Veredelungs-
forderung des Menschen, die immer deutlicher zum Durch-
bruch kam, je mehr menschliche Qual durch das Witt-
wertum und künstlerische Erfolglosigkeit dafür den Weg
bereitete. Diese Tendenz kulminierte in dem Brief an
Iffiand, der jedoch nur momentan eine einseitig bestimmte
Entscheidung gegen das Künstlertum brachte. Der Pro-
duktionsbetrieb Hess sich nicht töten. Werner schrieb den
„Attila" und die „Wanda'', blieb sich aber bewusst, dass
er im Künstlertum alleine sich nicht vollenden würde.
Er strebte nach einer Synthese, hatte den Willen sein
Leben als Form zu gestalten. Das quälende Problem der
Romantik, das Eichendorf in seinem Roman „Dichter und
ihre Gesellen" zweifellos im Hinblick auf diesen Dichter
darstellte, wurde von Werner erlebt. In der mystischen
Umdeutung des Lebens hatte er versucht die ReaHtät zu
überwinden. Fichtes Pflichtlehre stellte sie ihm als Wir-
kungsfeld vor Augen und Werner musste sie nun auch
als irgend wie der Kunst verbunden anschauen. Die
Forderung Goethes auch hier zur Synthese zu gelangen,
künstlerisch Idealismus und Realismus zu verbinden, war
in dem Entwicklungsprozess als immant-notwendige For-
derung, zu der Werner mehr oder weniger bewusst selbst
171
kommen musste, vorhanden. Aus dem Persönlichkeitsprob-
lem Leben und Kunst führte ein Weg zur Kunstform Goethes
und es ist nicht Literatenstolz, der Goethe zu dem Erzieh^
ungsexperiment mit dem Romantiker verführte, sondern
das Wissen dieser Zusammenhänge zwischen Kunst- und
Lebensform und seine selbstverständliche Entscheidung
für seine Art, die ihm für die seeliche Situation Werners
als notwendig erscheinen musste.
In Werners Bekenntnisbriefen an Hitzig aus der Zeit
seiner seelischen Revolution war Goethes Name als der-
des grössten Künstlers genannt worden, wie es die Schle-
gelsche Schule vorschrieb. Eine tiefere Einwirkung auf
ihn — Einzelheiten sind unwichtig — fand von der Kunst
des Klassikers nicht statt, nur der rythmische Erlebnis-
gleichklang mit der Jugenddichtung Goethes konnte dem
ästhetisch weniger als menschlich empfänglichen Ro-
mantiker etwas sagen. Der vollendete Goethe konnte
ihm zunächst nicht viel sein. Erst als seine Entwicklung
bis zu diesem Punkte gekommen war, führte ein Weg
zu dem Klassiker, in dem Werner die harmonische Ein-
heit beider Gegensätze sah, Leben und Kunst in der
Versöhnung des Lebens als Kunstwerk. Er suchte in
Goethe den Künstler und die einflussreiche Exzellenz.
Was er fand war der Mensch, vor dessen Grösse er sich
erschüttert neigte. Als Literat fand er Einlass in seinem
Hause, als Mensch rang er um die Liebe dieses Menschen ;
denn ehrlicher ist kein Wort von ihm, was er je sagte,
als das: er suche Liebe und nicht Beifall. Die tiefe Tra-
gik dieses Lebens war, dass die Bitte an das Schicksal,
Goethes Liebe zu erringen, nicht erfüllt werden konnte.
In Weimar fiel die Entscheidung über das Leben des
Dichters und seelisch* führte der direkte Weg von dort
nach Rom. Als die höchste und reinste Menschlichkeit
ihn nicht retten konnte, blieb ihm nur noch ein Weg und
der leitete ihn in den Schoss der katholischen Kirche. Mit
dramatischer Notwendigkeit vollzog sich diese Entwick-
lung und Goethe musste in dem Konvertiten einen Ab-
172
trünnigen sehen, musste in dieser schroffen Unbarmher-
zigkeit das Verdammungsurteil sprechen, weil er ahnte,
dass Werner von ihm eigentlich sich abwandte, als er
den protestantischen Glauben abschwor, mochte er auch
seinen Helios stets verehren.
Dr. Luther, wie Werner in diesem Kreise scherzend
genannt wurde, traf Goethe in Jena und wurde von ihm
in Weimar eingeführt. Bald bildete er unter dem Schutze
Goethes den Mittelpunkt des literarischen Kreises. Werner
las in den ausgewählten Cirkeln der Goethestadt „Attila"
und das „Kreuz an der Ostsee" (auch das Fragment des
zweiten Teils) vor und erntete reichen Beifall. Um Frau
von Schardt bildete sich die Werner-Gemeinde, die vor allem
aus Frauen sich zusammensetzte. In ihr trug der Dichter
sein System der Liebe vor und wurde der Seelenführer
dieser Menschen. Ihnen gegenüber trat er sein Meister-
amt an und predigte. Der Eindruck des Ekstatikers auf
die Frauen Weimars war gross und wurde je nach Tem-
perament bespöttelt oder bekämpft.
Wieland, der feinste Psychologe und vorurteilsloseste
Beurteiler Werners, der auch dem Rätsel Kleist's nahe-
kam, fand an ihm Geschmack und Gefallen. Die Männer
um Goethe nahmen nach dem Vorbild des Dichters das
Äussere als Arabeske eines wertvollen Gehalts. Die sugge-
stive Kraft des Hysterikers wirkte auch auf sie bannend,
Goethe erfasste das Kämpfertum des seltsamen Heiligen
und suchte ihm hilfreich die Hand zu bieten. Literarisch
wurde er durch die Sonette Werners angezogen und
diese Form beherrschte Weimar eine ganze Zeit. Ein
Wettkampf entbrannte, der Werners Lyrik anregte. Bei
seinem zweiten Weimarer Aufenthalte teilte er Scheffner
mit, dass er seine neuesten kleinert Gedichte „mit Noten,
die manches Interesse haben dürften, noch dies Jahr in
Alnianachform herauszugeben denke." Zweifellos unter
dem Einfluss Goethes, der auch vermittelte, dass eine
Auswahl der Sonette Werners im Prometheus erschien.
Das Sonett beherrschte Werners Lyrik. Er nahm es
173
von der Romantik, die es ihm bot; aber es ist die Form,
die er nicht zufällig fand, sondern bei der wir zu fühlen
meinen, das sie ihn suchte. 1802 tritt sie zuerst entgegen
in dem Gedicht, das er später überschrieb: „Unerhörtes
Gebet". Dieses (wenig vollendete) Gedicht deutet schon
an, wie völlig diese Form gerade das Spezifische Werner-
scher Kunst zu geben vermag.
Das Sonett ist der charakteristische Ausdruck zweier
scheinbar sehr verschiedener lyrischer Dichtungsarten,
Zunächst entspricht es einer sehr intellektualistischen,
sehr bewussten Kunst, wie sie klassisch in Dantes „Vita
nuova" erscheint. Schon die scharfe Einkerbung der
Lösung und Spannung in der äusseren Form, die Schwie-
rigkeit der Reimverschlingung machen es zur Bedingung,
dass nur ein schon bis in die letzten Verzweigungen durch-
dachter Gedanken-Gefühlskomplex wie in eine starre Form
gegossen zu werden braucht. Jede Handlung, jedes nicht
völlig gedanklich aufgelöste Element eines Gefühls, eines
Erlebnisses wirkt hier störend und unharmonisch, muss
die in ihrer Feinheit so zerbrechliche Form sprengen.
Dem Sonett fehlt jede elementare Kraft, jede Ursprüng-
lichkeit. Diese Dichtform fordert nicht so sehr lyrisches
Erleben, als die Kunst, seine Gefühle streng komponieren
zu können. Sie ist recht eigentlich künstlerisches Aus-
drucksmittel eines (im weitesten Sinne) Epigonentums.
Daneben nutzte Werner es später, um die feinste Vibra-
tion einer dunklen, mystischen Empfindung zu fassen, die
in ihrer zerbrechlichen Geistigkeit nicht stark genug war,
eine Eigenform zu bilden. Dieser Gegensatz ist durch
eine Weiterentwicklung der ersten Form erklärt. Eine
noch stärkere Auflösung alles Realen ins Ideelle fand statt,
alles wurde Farbenfläche; jede Plastik wurde — bewusst
oder unbewusst — vermieden. Ein feinziseliertes Kunst-
werk der Empfindung gibt er uns von überzarter For-
mung Auch hier haben wir sogar noch stärker als bei
der ersten Art das Gefühl der Vorexistenz der Form,
Das Hauchartige, Zergehende des Inhalts in den scharfen
174
Konturen des Versgefässes legt das Bild nahe: Es giesse
jemand weiches, duftendes Öl in eine Vase von schönen
klaren Linien.
Eine grosse Gefahr bot diese Form jeder Lyrik: Das
Suchen nach einer äusseren, zugespitzten Pointe. Werner
hat sie nicht immer zu meiden vermocht und zeugte in dieser
Kunstform für die seltsame Verbindung von Rationalismus
und Mystik, die wir bei ihm als das Charakteristische auf-
weisen. Das Dramalische der Spannung und Entspannung,
das im Aufbau des Sonetts angedeutet lag, hob Werner
nach dem Vorbilde Friedrich Schlegels gerne durch das
Zerlegen der Einkerbungen in Rede und Gegenrede hervor.
Das dichterische Schauen ist psychologisch gesehen
ein assoziativer Vorgang, der latent vorhandenen Empfin-
dungen beim Lyriker auslöst, die mit dem Reiz zu einer
neuen Einheit gestaltet werden. Beide Elemente — Reiz
und Empfindung — müssen noch vorhanden sein in der
Synthese, dem Kunstwerk. Je individueller der Dichter
sieht, um so grösser ist der Kunstwert des Geschauten
einerseits. Andererseits muss die neue Einheit, die der
künstlerische Eros mit dem Momentanen zeugt und ge-
biert so sein, dass wir zum nachschaffenden Erlebnis von
diesem Reiz aus fähig bleiben. Je grösser und mannig-
facher seine Fähigkeit ist, den einzelnen Reiz als Einzel-
wert zu fassen, den Individualcharakter, die Nuance zu
geben, um so bedeutender ist seine lyrische Fähigkeit.
Um so geringer (ich lasse Einzelfälle ausser Betracht) ist
sie, je weniger der Moment in der Gestaltung Ewigkeit
erhält. Goethes Wort: „Zustände gehen unwiederbring-
lich verloren" enthält in sich die Forderung, in der Lyrik
diese „Zustände" zu fixieren, ihnen Ewigkeit zu geben.
Die Charakteristik der Goetheschen Lyrik als „Gelegen-
heitsdichtung" im höheren Sinne spricht dasselbe aus.
Bei Werner war — im allgemeinen — die Gestaltung
logisch gebunden. Er sah sein System bewusst in die
Natur hinein. Das wurde schon bei anderer Äusserungs-
form als kennzeichnend hervorgehoben. In der Lyrik
175
zerstörte es jede grösste Kunstmöglichkeit. Er zeigte, de-
monstrierte sein System an Einzelbeispielen. Die Natur
hat nur Gleichniswert, ist eine seiner Mystik, seitdem er
Böhme kannte, geläufige Anschauung. Diese Welt der
Gleichnisse wird mit grosser Findigkeit und starker intel-
lektueller Arbeit aufgebaut, nicht erlebt. Er bog jeden Reiz
um und zeigt zuviel bewusste Konstruktion, um noch rein
lyrisch wirken zu können. Das assoziative Element, das
eine gewisse nicht am logischen Nexus gebundene Zwang-
losigkeit gibt, fehlte fast vollständig. Kein Bild formte
sich, sondern ein Gedanke wurde in etwas hinein inter-
pretiert. Die Reizschwelle, die seine Idee fesselte, war
so niedrig, dass wir nicht mehr das Empfinden eines
wirklichen Erlebnisses haben. Hier wird einfach alles zum
Gleichnis gepresst. Er, das Gesehene und das Geschaute
stand in keineni Verhältnis, das uns zwingt, auch so zu
schauen: Ein Denker braucht zur Erklärung seiner Philo-
sopheme Bilder. Denkt nicht bildhaft, ist nicht sinnge-
bunden. Bei ihm führt die Natur kein Eigenleben von stär-
kerer Vitalität, so oft auch seine Rousseausche Jungendtra-
dition in der Sehnsucht nach der Mutter Natur sich zeigte.
Dieses Fehlen wurde von ihm programmatisch zum Kunst-
wollen erhoben. Seine egocentrische Geistigkeit wurde als
das notwendige Wesen jeder Kunst empfunden. Werner
wurde Expressionist in extremster Form, ohne dazu die
innere, umgestaltende Kraft als Künstler zu haben.
Fichte hatte die Welt zum Objekt unserer Pflicht
gemacht und dem Tätigen als Aufgabe hingestellt. Werner
empfand die Natur als tot und sah seine Aufgabe darin,
sie mit seiner Idee zu durchseelen. Von dem Religiösen
hatten die „Grundzüge" gefordert: ..Er erblickt alles nur
in dem einen und vermittels desselbe ; dann erblickt er
aber auch zugleich in jedem Einzelnen das ganze unend-
liche All." Seit Werner die Individualforderung aufge-
gangen war und er sich als den Ideeträger der Liebe
gesetzt hatte, begann dieser Weltgestaltungsprozess. „Du
Menschengott sei die Natur," hiess die Forderung in der
176
Wanda. Und nun wurde alles zum Symbol nicht des
Unendlichen im Sinne Schleiermachers und Böhmes, son-
dern zum Ausdruck der Wernerschen Liebeidee. Seine
Gedichte, nach 1805 sind das Resultat dieses Welterneu-
erns, dieses Versuchs vom Ich aus die Natur aufzubauen.
Hier wurde auch der Versuch gemacht im All zu zer-
fliessen, aber der Widerstand, den das Ich bot, wurde
nicht durch Vernichtung des Ich aufgehoben, sondern der
Prozess vollzieht sich umgekehrt, das Universum w^ird
erst zum Ich gebildet. Die Art des Sehens war bei
Werner jetzt bewusst vergewaltigend, so stark empfand
er die Pflicht-Aufgabe des Ideeindividuums.
Goethe gab er Mitteilung von dem, was sein Leben
erfüllte und der war objektiv genug und auch fasciniert
von den webenden Geheimnissen, die des „wunderlich
bedeutenden" Mannes Beschwörungen vor ihm erstehen
Hessen. In eingehenden Gesprächen legte Werner Goethe
seine Ideen klar. Die Wahlverwandtschafts-Konzeption
erhielt hier ihren veranlassenden Impuls und dem Faust-
dichter blieb mancher Gedanke wertvoll und klang in den
Schlussscenen des zweiten Teils zur Harmonie geklärt an.
Er bot dem Dichter der Liebe die Vermittelung, seine Ten-
denzen klarzulegen und Hess ihn nach Werners Worten
„gelten". Werners Hoffnung wurde dadurch so gross,
dass er mit der Bitte an ihn herantrat, das Kreuz an der
Ostsee aufzuführen.
In diesem Drama war zuerst die Liebe Thema seiner
Kunst geworden und zwar in der eigenartigen Verbindung
Böhme, Schleiermacher und naturphilosophischer Motive,
die wir analysierten. Ein Taumel zwischen fiebernder
Wollust und der himmlichen Liebe. Der Eros sollte ver-
christlicht werden, trat als das Wesentliche des Christen-
tums, als das dem Heidentum innerlich Fremde und Über-
legene in den Mittelpunkt: Die heilige Liebe zum All
und der Gattung als das aktive Erleben der Gottheit.
In der Zeugungskraft sah Werner die Gottähnlichkeit und
die biblische Mythe des Sündenfalls ist ihm in dieser Er
177
klärung geläufig. Die höchste Aufgabe des persönlichen
Seins lag ihm im Verzicht auf diese Gottähnlichkeit und
die höchste Höhe der Religion war ihm dieses freiwiUige
Opfer. Dadurch wurde die Liebe zum Einzelnen über-
wunden ; das war die zweite Phase seiner Liebetheorie,
die in dem „Kreuz an der Ostsee** erstrebt wurde und die
Umarbeitung der Söhne des Thals beeinflusste. In dem
Geschlechtswechsel der Astralis-Astralon wurde diese
Überwindung der Gattungsliebe, ihre Erhöhung zur All-
liebe durch Verzicht nicht durch Erleben angedeutet.
Die Einführung des Idee-Individuums in diese Ge-
dankengänge hatte eine tiefgreifende, aber äusserlich
kaum merkbare Wandlung zur Folge, die unter Aus-
wertung erlebter Wahrheiten bei der Heirat und Ehe-
scheidung der geliebten Frau sich bildete. In der Weihe
der Kraft" war das Priestertum des „Ewig-WeibHchen"
im Titel schon ausgedrückt. In mystischer Weiterführung
der Gedanken der deutschen Klassik und Romantik unter
böhmeschen Einfluss erschien hier die \'erbinduno- des
Zarten mit der Kraft als Weihe der Kraft durch das
Milde, Versöhnende. Den Begriff der Weihe brachte
Werner damit aus der Sphäre des Momentanen in die
des Dauernden, gab ihm eine Fichtesche Note. Die Kraft
ist die tätige Idee im Menschen deren schroffe Einseitig-
keit als Forderung im Attila ausgedrückt wurde. Die
dadurch unvollendete Persönlichkeit Luthers sollte in der
Verbindung mit dem Weibe sich vollenden. Das ist die
unklar gehaltene Auffassung des Dichters.
Das Neue in dem Liebebegriff Werners war die Ein-
stellung auf das Persönhche. Katharina erkennt in dem
geschmähten Reformator das Bild, das ihre Seele trug.
Dieses Individuum, und nur dieses kann und muss sie
besitzen. Mann und Weib sind nicht mehr nur durch
Geschlecht an einander gebunden in der dumpfen Sehn-
sucht des Einswerdens. Sie erhalten einen Idee-Individu-
umcharakter, deren Einzigheit und Persönlichkeit in Ver-
bindung steht mit der Gottheit, klar getrennt und eben
Hankamer, Zacharias Werner. 12
178
dadurch verbunden. Nur dieses Ideeindividuum kann mit
diesem Ideeindividuum zusammen zur Einheit werden^
Jeder Mensch kann nur einmal heben, betonte Werner
öfters aus diesem Gedankengrund heraus. Die Variation
des Themas in der Weihe der Kraft ist das mystische
Verhältnis der Freundin Katharinens mit dem Freunde-
Luthers.
In dem Luther-Drama war die Erfüllung der Ideeliebe-
durch die Ehe und in der Variation durch den Tod er-
reicht. Im Attila ist die Vollendung der Persönlichkeit
durch eine mystizierte reinseelische Verbindung gegeben.
Honorias und Attilas Liebe ward, nach dem Worte des
Papstes: „als Gott den Attila und Dich gedacht und der Ge-
danke Leben ward auf ewig." Hier ist im engsten Anschluss
an Böhme die Seite der Ideeliebe hervorgehoben, die als
Weiterführung der Übergeschlechtlichkeitder Liebenden im
Astralis-Astralon ausgedrückt war. Die Erscheinungsform,
des Weiblichen und Männlichen als rein empirisch ist nicht
das Wesentliche. Der Verzicht auf körperliche Einheit war
damit neu begründet für Werner. Die Ideeliebe war Liebe
zu der Idee, der Seele, die in Gott eine Einheit war, und
sich nach Anschauung Böhmes notwendig entzweien
musste, sowie sie von Gott abfiel. In Attila sind auch
die erotischen Nebentöne dieses Motivs am wenigsten zu
hören. In einem Essay über das „menschliche Leben",,
das in diesen Zeitraum hineingestellt werden muss, hat
Werner seine Gedanken über den Eros, seine „Idee" klar-
gelegt, die eine eigenartige Paraphrase der Anschauung
Böhmes ist in der Färbung der Idee-Lehre, wie er sie von
Fichte genommen hatte. Rousseau und der Sympathie-
Begriff des 18. Jahrhunderts dienten zum Aufbau.
Das höchste Leben, die Dreifaltigkeit Gottes, sei die
ewige Umarmung der höchsten Kraft und Zartheit im
klaren Selbstbewusstsein: Vater, Sohn und Geist. Das
Wesen dieser Gottheit sei die Liebe, deren Sehnsucht
nach sich selbst die Gestalt erzeuge, die im Welt-Ganzen
oder im Symbol des Einzeldinges erscheine. In jedem
179
Wesen variiere sich das Urwesen in der Doppeleinheit von
Zartheit und Kraft, die sich in der Lösung vom All-Gott zur
ichhaften Existenz entzweie und im Menschen als Weiblich
und Männlich getrennt offenbare. Die Sehnsucht der Hälften
zur Wiedervereinigung" dränge die von Gott Abgefallenen
in das Leben dieser Welt. Leben im eigentlichen Sinne
sei das momentgebundene Sich-Finden und Trennen. Der
Trieb diesen Moment zum klaren, dauernden Bewusstsein
zu erweitern, verbürge die Ewigkeit unseres Seins.
In drei Akten vollziehe sich dieses Erlebnis unserer
Einheit. Der erste sei der des Anschauens zweier Ge-
liebten, der als dunkle augenblickliche Wiedererinnerung
der ursprünglichen Liebe des Getrennt-Einen in Gott er-
klärt wird. Der zweite Akt sei die gegenseitige Reini-
gung, die Läuterung von dem Irdisch-Persönlichen durch
die Ahnung der Idee -Individualität und das religiöse Er-
leben der göttlichen Einheit. Der Gehalt des dritten
und höchten Aktes sei das Bewusstsein der Liebe, das im
Augenblick der gegenseitigen Umarmung in den sich
Einigenden aufflamme.
Dieser Bewusstseins-Moment,die Brautnacht (der Unter-
titel des ersten Teils des „Kreuzes an der Ostsee") eröffne
eine neue Möglichkeit der Liebe zweier Hälften durch die
Entstehung neuen Lebens sei es Mensch oder Blütenkeim.
Für das Individuum bedeute er in der Erfüllung seines
Lebenssinnes den eigentlichen Tod, den Liebe-Tod, die
Verklärung, Der sogenannte Tod sei nichts als ein Aus-
ruhen, wenn der Liebe -Tod nicht erlebt ward. Werner
scheint hier an eine Reinkarnation und Seelenwanderung
zu glauben.
Es ist durch alle Umwandlung zum Eros- Erlebnis
nicht ganz verwischt, dass wir hier eine Übersetzung der
unio mystica vor uns haben. Schon bei Böhme ist die
Vereinigung mit Gott nicht mehr in der scharfen, begriff-
lichen Deutlichkeit der klassischen Mystik vorhanden.
Werner übersetzt sie sozusagen zurück in das Liebe-Er-
lebnis, aus dem sie sich in feinster Vergeistigung ent-
180
wickelt hatte. Die Geistigkeit der mystischen Gott-Wol-
lust wird im Begriff gewahrt, im Erleben sinnlich ver-
gröbert. Der Entwicklungsgang Werners geht zur klas-
sischen Mystik und sogar zu einer weniger sinnlichen
Übersinnlichkeit, als Böhme sie bot.
Es ist deutlich, dass zwischen der Entwicklung seines
Schicksalgedankens und dem Liebebegriff eine Wurzel-
einheit besteht. Die Durchschneidung beider Linien fand
in der „Wanda" statt, die Werner in Wien bis zum
Schlussakt gearbeitet und in Weimar vollendet hatte.
Goethe brachte sie zum Geburtstage der Herzogin am
30. Januar 1808 auf die Bühne.
An den Mythos gemahnend, den Aristophanes im
Symposion Piatons dichtet, das als Ausgangspunkt der
Eros -Mystik zu bezeichnen ist, lehrte diese Kunstpre-
digt, dass Mann und Weib von Ewigkeit gepaart seien
und mit Schicksalsnotwendigkeit sich suchen und finden
müssen. Das ist in Wanda die tragische Notwendigkeit,
die über äussere Hemmnisse und innere Schuld sich er-
füllen muss.
Denn, Dir von Anbeginn verwandt
Seit unser Sein sich einem Schooss entwandt
Bin ich in Dir, Du bist in mir geboren
Kein Schwur zerreisst ein ewig Band,
Dieses ' Gebundensein zweier Menschen aneinander ist
kein mechanischer Zwang, kein Verhängnisschicksal, son-
dern Schicksal im Sinne der sittlichen Weltordnung, es
ist Aufgabe. „Ihres Wesens Zweck" sollen Rüdiger und
Wanda erkennen und in fast wörtlicher Vorwegnahme
Fichtes in Ausdeutung Böhmes stellt Libussa die Forde-
rung: „l.)arum, was ihr seid, erfüllet". In den Reden
hat Fichte später seine Auffassung zusammengefasst:
„Die eigentliche Bestimmung des Menschengeschlechts
ist: Das es mit Freiheit sich zu dem mache, was es ei-
gentlich ursprünglich ist". So wollte auch hier Werner
den Freiheitsgedanken Fichtes ausgedrückt wissen, tastete
aurh hier n^ch den Persönlichkeifsbegriff, den Fichte ver-
181
kündigte. Der tragische Konflikt in der Wanda ist durch
den Eid geschaffen, mit dem sie sich ihrem Volke ver-
lobte und dessen Erfüllung sich nicht mit ihrer Idee- Auf-
gabe vereinen lässt. Der Selbstmord und die Tötung
des Geliebten löst den Konflikt „heidnisch", wie Werner
hervorhebt. Der Verzicht und das rein seehsche Verbin-
den (wie bei Attila und Honoria) ist der Heidin eine Un-
möglichkeit, da es wesentlich christlich ist. Werner wollte
hier das Schicksal der Heiden darstellen und seine Über-
windung als Persönlichkeitstat im Sinne Fichtes definieren,
zu der Wanda trotz ihrer Grösse nicht fähig ist. Die
Zuneigung spricht das aus:
Euch wollen offenbaren
Hab ich in diesem Lied: der Heiden Lieben;
das, mag das Herz es brechend auch versöhnen,
das Hallelujah doch nicht lässt ertönen,
Von dem ich noch im Attila geschrieben.
Weint Ihr mit Wandas grossem dunklem Herzen,
Preisst Ihn, der uns verlieh die Sternenkerzen! —
In diesem letzten Verse wurde das mystische Symbol an-
gedeutet unter dem das Heidnische und Christliche hier
auftrat: Stern und Blume. Die Blume ist das im Ele-
mentreich, im Irdischen wurzelnde. Der Stern ist die
Ideeexistenz der Blume ewig und im Reiche Gottes.
Böhme legte das Symbol nahe, dessen Entstehen aber
weit zurückzuliegen scheint und seine bekannteste, auch
von Böhme bestimmte Formel in Brentanos Spruch erhielt:
O Stern und Blume, Geist und Kleid
Lieb, Leid und Zeit und Ewigkeit,
der eine bildliche Häufung der Antithese gibt, die Werner
treffen wollte. Die erste Formulierung dieses Gegen-
satzes gab Werner in seinem Erklärungsbrief des Luther-
Dramas (w^ohl Anfang 1806): „Ihre (der Seele; edlere Ge-
fühle allein begleiten sie in eine bessere Welt; denn Liebe,
Jugend, Kunst sind ewig aber dort sind sie nicht mehr
Blüthen, es sind Sterne, die mit dem Glauben brüderlich
vereint, alles Irdische vergessend, nur für die Gottheit
182
glühen". Die Blumenform der Liebe Wandas musste in
dem Konflikt zwischen den Pflichten als Königin und
Weib vernichtet werden. Sie wurde verklärt zum Stern.
Die Symbolblurne Böhmes, die Lilie, wächst aus den Flu-
ten, in die sich Wanda stürzt empor, Versöhnung der
Wiedergeburt kündend.
Goethes Urteil über Wanda war wohl auf Grund
seiner genauen Kenntnis des Wollens sehr günstig. Er
lobte den klaren Aufbau und die zarte ins Geheimnis sich
bergende Ausführung des Dramas. Dem Theaterdirektor
Goethe gefiel es, ein romantisches Stück vor sich zu
sehen, das sich seinen äusseren Forderungen nach wohl
auf allen Theatern geben lasse. Der äussere Erfolg war
sehr gross und das Stück behauptete sich längere Zeit
auf dem Spielplan in der Ausstattung und Regie, an der
Goethe und Werner zusammen gearbeitet hatten.
Durch seine Kunst kam er Werner auch persönlich
näher. Goethe erfasste das Lebensproblem Werners und
verteidigte es warm Jakobi gegenüber. „Der Schauspie-
ler, Musikus, Maler, Dichter, ja der Gelehrte selbst er-
scheinen mit ihren wunderlichen, halbideellen, halb sinn-
lichen Wesen jener ganzen Masse der aus dem Reellen
entsprungenen und an das Reelle gebundenen Weltmen-
schen wie eine Art Narren, w^o nicht gar wie Halbver-
brecher, wie Menschen, die an der levis notae macula
laborieren. Sollen denn also unter dieser desavantagier-
ten Kaste nicht auch gescheite Leute entstehen, die be-
greifen, dass gar kein Weg ist, um aus diese Verlegcn-
zu kommen, als sich zum Braminen, wo nicht gar zum
Brama aufzuwerfen." Werner wollte diese — modern von
Thomas Mann erfasste — Verlegenheit im Ideeindividuum
lösen, durch das er Brama und Bramine zugleich war.
Die beharrliche Konsequenz dieses Suchens zwang selbst
Goethe zur Anerkennnug. Er sah das Phänomen Werner
als Produkt dieser revolutionären Zeit und suchte es
von dieser Voraussetzung aus zu verstehen. Als Werner
Ende März von ihm schied, durfte er der freundschaft-
183
liehen Anteilnahme Goethes gewiss sein, der damals mit den
Wahlverwandtschaften innerlich beschäftigt Werner sehr
entgegengekommen war, mehr als er Goethes Welt. Nicht
ftur gelten Hess der ihn, er nahm auch von ihm an. Die
mystische Vertiefung der Wahlverwandtschaft hat einige
Verbindungswurzeln mit der Liebe -Schicksalslehre Wer-
ners, wo durch der „Entsagung seelige Qual" ebenfalls
die Lösung gefunden worden war.
Werner ging von Weimar mit dem ehrlichen Willen
in Vollendung seiner Menschlichkeit zum Goetheschen
Persönlichkeitsbegriff zu kommen. In mystischer Ver-
schnörkelung hatte er die Forderung nach dieser Har
monie sich selbst gestellt in dem Sonett „Morgen und
Abend" :
„Tag oder Nacht; Dir wohnt es im Gemüthe
Sey Du nur mit Dir selber Feierabend
So brauchst Du für den Sonntag nicht zu sorgen.
Die Mystik hatte er gesucht, da er das Einfach-Mensch-
iche (das „Heidnische" Goethes für Werner) nicht reinen,
nur verklären konnte. Im „Wiegenlied" und in anderen
Gedichten hatte er versucht, dem Rate Goethes zu folgen,
Iffland gestand er seine erworbene Erkenntnis, dass die
höchste artistisch-dramatische Nh^stik darin bestehe, „der
zwar mystischen, aber doch klaren Natur gleich, Men-
schen plastisch und lebend zu schaffen, wie Shakespeare,
Goethe, Schiller und mein teurer Iffland. Ich bin daher
fest entschlossen, das laufende Jahr noch mit den beiden
schwierigsten Arbeiten, dem zweiten Teil der Söhne des
Tals (Umarbeitung) und des Kreuzes an der Ostsee fertig
zu werden und dann meine schriftstellerische Tätigkeit
ausschliesslich auf aufführbare d. h. solche Stücke zu ver-
wenden, welche den Gebildeten befriedigen und den Hand-
werksmann packen." Werner war nicht ein Betrüger,
der Goethes Freundschaft mit einer bewussten Lüge er-
kaufen wollte und den lernwilligen Jünger spielte zu
diesem Zwecke. In den „Augenblicken der Weihe" glaubte
er den Sieg über seine zweite Natur schon gewonnen zu
]84
haben, um nach dem ersten Zusammenbruch sich vorbe-
haltlos dem Stärkeren zu ergeben. Sowie er in den Kreis
Goethes — etwa im Briefe — trat, war er der amüsante
Plauderer und Spötter, um bald wieder bei seiner Mystik»
Zuflucht zu suchen.
Über Leipzig ging Werner nach Berlin, um die wirt-
schaftliche Seite seiner Existenz zu klären. Seine Wanda
wurde von Iffland scharf abgelehnt wohl unter dem Ein-
druck der scharfen Presseangriffe, die gegen Werners
Liebetheorie und Kunst gerichtet waren und gegen die
Goethe seine Confession im Prometheus erscheinen liess.
Damit löste sich Werner literarisch von Berlin. Die Ein-
quartierungslasten veranlassten ihn auch seinen Berliner
Hausstand auflösen und er begann seine ruhelose Wander-
schaft durch Deutschland wieder, auf der er die ihm freund-
lich Gesinnten aufsuchte und irgendwo eine Stätte suchte
und ein Wirkungsfeld. In Aschaffenburg knüpfte er mit Dal-
berg, der schon seine „Söhne des Thals" anerkennend auf-
genommen hatte, freundschaftliche Verbindungen, die ihn
sogar, der nicht politisch zu denken verstand, zum An-
hänger des Rheinbundgedankens machten. Durch seine
Güte wurde er später materiell sicher gestellt.
Seine Reise schlug sich künstlerisch in einer Fülle
mystischer Sonette nieder, die den eigenartigen Umge-
staltungsvorgang des Wernerschen Sehens kennzeichnen.
Tief ergriff ihn die „altgothische Baukunst in Cöln" deren
Zusammenhang mit seinem Kunstwollen ihm ahnend auf-
ging, ohne dass der mystisch - poetische „Pilger" fähig
gewesen wäre das auszusprechen. Ihn vernichtete die
quälende Erkenntnis des Kampfes, der durch Goethe in
ihm auf den Kulminationspunkt gebracht worden war.
Die Rheinreise Werners vollzog sich im Zeichen der Ro-
mantik. Sie war die erste Etappe auf dem Wege von
Weimar nach Rom und erhielt ihr Siegel in dem Sonett
„Der Cölner Dom":
Hier sitz ich, hier, im alten Cöln am Rheine!
Als mich der Vater Rhein hierher getragen,
185-
Da war es mir, als könnt ich alles wagen
Und jetzo sitz ich hier im Dom und weine!
Es weht aus der gemalten Fenster Scheine
Mich durch die Riesensäulen an ein Zagen,
Ich wag' es kaum die Augen aufzuschlagen
In diesem Weltenembryon von Steine ! —
Werd ich es noch, ich Schwacher, es vollbringen?! —
Als Antwort schlägt es zwölf in dumpfen Tönen;
Die Mittagsglocke weckt die Mitternacht!
Sind wir vollbracht, wir Herrlichen, wir Schönen?
Hör ich den Dom, den Rhein, das Weltall klingen;
Und von dem Kreuze bebt's: Es ist vollbracht!
Es war notwendig, dass er in der Architektur die
Form am tiefsten erfasste, die das musikalische Element
am stärksten ausdrückte, die Goiik, die Heine versteinerte
Musik nannte. Die ungeheure seelische Bewegungsener-
gie, die alle Wände zu Bew^egungslinien verfeinerte, die in
ekstatischer Inbrunst die Materie zum Himmel riss, in den
zuckenden Konturen der Tier- und Teufelsfratzen form-
auflösend sprühte — die empfand er vernichtet als Vol-
lendung. Das „Es ist vollbracht" sprach ihm diese Kunst
nicht nur religiös, auch ästhetisch aus. Sie war die Form,
nach der er getastet hatte. Das sich eigentlich als Ar-
chitektur Verneinende der Gotik packte ihn, das Unpla-
stische, Malerisch-musikalische ihrer Form. Das konnte er
fassen, weil es ihm entsprach und sich seinem Sehen fügte.
Dem eigentlichen Wesen der Architektur stand er
fremd gegenüber. Er konnte das Charakteristische weder
dieser ganzen Kunst tbrm, noch des Einzelwertes sich be-
wusst machen. Das mathematische Moment in der Raum-
kunst, ihre Verbindung mit dem Stofflichen, die Erden-
schwere wiedersprachen seinem Wesen und seinem Kunst-
wollen. Die starke Betonung des Seelischen und die Art
seines Sehens führten ihn zur Malerei, die man die eigent-
lich christliche Kunst genannt hat. Sie war dem spiri-
tualistischen Erotiker in ihrer unsicheren Kontur des
Körperlichen äquivalenter.
186
Gerade in dieser Epoche trat eine Sonderheit des
"künstlerischen Schauens stärker hervor und nuancierte
seine Lyrik. Ihm formte sich die sehnende Gewalt der
Wasser, der drückenden Nebel nicht zur Gestalt, zum
Körperhaften. Wo Goethe den Erlkönig schaut, sieht er
der „Wolken weissagendes düsteres Grau". Selbst die
Gestalt der Mutter, die ihm (in der Romanze zum Bei-
spiel) erscheint, ist aufgelöst m Licht und durch dunkle
Nebel sieht er nur „an einem rosenfarbenen Band die
goldne Harfe glühen". Hier spricht zu uns das Unkon-
krete, Zergehende des Wernerschen Wesens, das eine
Folge des antithetischen Aufbaus seiner Psyche ist. Die
Farbe entsprach ihm, weil sie zerfliessender, schwebender,
feinkörniger ist als das Körperhafte. Bezeichnend ist, dass
Kunigunde in der Ekstase das Yisionsbild nur als Farben-
wert sieht: „Golden war die Rüstung und die Schärpe, war
immergrün und seiden floss sein dunkles Haar". Ein
süsslicher, fast pervers wirkender Akkord. Im Rheinfall
haben wir die Farbenorgie:
„Doch der König Gold
Die Sonn' aufrollt den azurnen Saum
Und den Schaum, auf der tanzenden, tönenden Höh'
Bekrönt ein sehnendes rosiges Roth . . ."
Rosenrote Gletscher, azurne Saphirhallen, goldener Äther,
der blutigrote Mond sind ihm geläufig. Werners Farben-
sinn ist entwickelt und sein Gefühl für den Charakter der
einzelnen Farbe sehr fein. Bräutliches Grün, gieriges
Grün, sehnendes Rot, jungfräuliches Silber, Purpur als die
Farbe des jungen Helden.
Die Farbe hatte bei ihm eine mystische Bedeutung, wie
^r es in den Thalsscenen vor allem zum Ausdruck brachte.
Farbensymbole sind in den Geheimlehren fast jedes Erd-
teils und jeder Zeit vorhanden. Bei Böhme und von ihm
aus in der ganzen Romantik werden sie symbolisch gesehen.
In dem Sonett „Die pontinischen Sümpfe" findet sich
ein sehr bezeichnendes Bild, das sein Nur - Farbe Sehen
<:harakterisiert:
187
In Doppelreihen Bäum' auf beiden Seiten,
Mit vollem Laub, wie grüngestählte Reiter."
Werner hatte nicht die Bäume als Ritter oder Reiter ge-
sehen, sondern das Metallgrün als aparte Nuance empfun-
den, die wollte er in seinem Bild fassen. Er wollte die
Farbe, nicht den Gegenstand malen im Bild.
In der Kunst der Farben, in der Malerei konnte er
die kinetische Energie ausgeprägt finden, das sich Ver-
mählen und Einswerden gegensätzlicher Werte (Farben)
wie er es in seiner Liebestheorie vor allem begrifflich,
gestaltend in der Form seiner Kunst zeigte. In ihr fand
er das wieder, was den Romantikern die höchste Steige-
rung der Kunst in der Musik sehen Hess : Die Bewegungs-
kraft, die alle in sich ruhenden Einzelheiten zum Orga-
nismus der Melodie zusammenzwang.
Über sein Verhältnis zur Musik wissen wir wenig.
Seine dramatische Kunst war auch äusserlich mit ihr ver-
bunden. Er war zweifellos musikalisch, ohne nach eige-
nem Zeugnis ausgebildet zu sein und eine Organbegabung
dafür zu haben. Man wird Werner durch die Art seines
seelischen Lebens als Musiker des Geistes bezeichnen
können und damit eine Charakteristik der Romantik geben.
Bei seiner visuellen Art musste er zur Malerei, als die
ihm wahlverwandte Kunst geführt werden.
Diese Veranlagung bestimmte seine Stellung zur Plastik.
Als er inParis vor dem Apollo von Belvedere stand, musste er
Goethe Recht geben, dass „diese Reinheit, Freiheit, Kühnheit
und vergöttlichte Menschheit . . von der Kunst des Christen-
tums bis jetzt unerreicht geblieben, vielleicht unerreich-
bar sei." Aber die liebelosen Augen des Gottes er-
schreckten ihn. Er fand hier nur formale Kunst die
irdisch und also tot für den Mystiker war. Die „Sünde
des Fleisches" lauerte für die sexuelle Überempfindlich-
keit Werners in diesen Formen. Er, der höchste seelische
Bewegungsintensität suchte, sah in dem harmonischen
Ausklang leichter Geste die Friedhofsruhe des Geistes.
Ästhetische und ethische Momente vereinigten sich auf
188
Grund seiner Auffassung, dass Ruhe Tod ist und das
Rein-Empirische das Träge, Leblose, Sündhafte zu der
Bitte:
Jesus, Christus, Heiland lass mich trinken
Aus dem Lebensborn, doch nicht versinken;
Lass mich schauen an des Scheines Werke
Schaun das Bild der Zartheit und der Stärke,
Lass mich schwelgen in der Erdenschöne,
Aber Meister, lass mich sinken nicht!
Und sieh da, es nahen die Dämonen,
Herrliche, vollendete Gestalten,
Den beseelten Marmor zu bewohnen;
Fürsten, die im Reich der Formen walten!
Wie sie fest in sich begründet thronen.
Und im Raum die Ewigkeit entfalten!
Engel sind es, Engel, die gesunken,
Aber noch des ew'gen Lebens trunken."
Die plastische Kunst der Antike war ihm die Kunst
des Scheins und der Form. Sie war liebelos in dem Sinne
wie Böhme und sein Jünger die Liebe sahen als den
einigenden Atem Gottes, der im All Leben schuf. Die
Schönheit dieser Gestalten barg in sich nur den Eros der
Heiden, nicht die Vollendung der Liebe in Gott. Sie war
nur das Bild der Zartheit und der Stärke, nicht die Ver-
klärung und Einigung. Dämonen bewohnen es, Wesen,
die in sich begründet thronen. Sie stehen, wissen wir,
ausserhalb der Liebe-Einheit, wie er seine dämonischen
Menschen jenseits des Lebens in Gott gestellt hatte. Sie
sind Fürsten des Scheins und der Formen, des reinen
Daseins und als solche fähig, in sich abgeschlossen und
in majestätischer Ruhe ihr Einzeldasein zu repräsentieren.
Diese Kunst berührte das Problem dieser Zeit: Per-
sönlichkeitsvollendung und religiöse Hingabe an das All,
berührte das Problem seiner Kunst: Darstellung der Men-
schen als in sich geschlossene Wesen der Scheinwelt oder
mystisch verbundene Erscheinungsformen des Göttlichen,
die nicht als Einzelpersonen gegeben werden sollte, son-
189
dern als Ausdrucksbewegung des Alls, wofür wir in der
Form Rodins ein Gleichnis fanden. Die Verbindung von
Ruhe und Einzelsein wurde von Werner als identisch er-
fasst und aus dem Ästhetischen in die Weltanschauungs-
sphäre gehoben, da für ihn die Kunst nicht reine Form
(im engeren Wortsinn) war, wenigstens nicht sein sollte.
Überall fühlte er nach dem geistigen Erlebnisunter-
grund durch, und so wurde ihm ästhetisch und ethisch
die Gotik des Kölner Domes bahnweisend in Dichtung
und Leben. Hier fand er die Erfüllung der christlichen
Kunst, höchste Bewegung, die den Stein zur Welt organi-
sierte, beseelte. Das Wort „Weltenembryon aus Steine"
suchte das zu greifen, was Schelling in der Kunstform
Calderons gefunden hatte, die Fähigkeit im Begrenzten
das Ewige zu schauen. Die Calderonrezeption Werners
war durch die Einwirkung Fichtes überkreuzt, wodurch
die Individualität aus dem All begrenzt herausgeholt
wurde. Goethe hatte ihn zunächst in dieselbe Richtung
gewiesen, gab aber der Energie Werners eine Zeitlang
nach, sodass Werner eine viel leichtere Verbindungsmög-
lichkeit zwischen „Heidentum^ und „Christentum" annahm,
als sie tatsächlich bestand. An der Gotik erlebte er den
klaffenden Widerspruch, der von der anderen Seite im
Antikensaal des Louvre im klar wurde. Durch den Ge-
gensatz, in dem er zunächst Böhme und Calderon sah,
war ihm die Aktivität der Weltanschauung des Katholiken
trotz der passiven Äusserungsform sichtbar geworden.
Die Interpretation des Idee Individuums durch die Goethi-
sche Lebensform verschärfte ihm den Kontrast dieses
Weltsehens zu dem Böhmes und Calderons und verband
beide zu einer Einheit, als deren Ausdruck er das Kreuz
an der Ostsee empfand, um dessen Ausführung er bat.
Das wäre ein Merkmal seines Sieges über Goethes „Hei-
dentum" gewesen, ein Beweis der Gleichberechtigung der
christlichen Kunstform im modernen Athen. Weimar und
Rom wären zur Synthese gebracht w^orden.
In der Steigerung der Stimmung beim Abschied er-
190
hoffte er wohl selbst auch in sich diese Verbindung. Köln
war der Wendepunkt in seiner Auffassung, der Beginn
seiner Entscheidung für das Christentum, und was ihm
identisch damit war, für den Katholizismus. Im eigent-
lichsten Sinne war Köln für Werner das deutsche Rom.
Weiter gingen die Tage und Reisebilder an ihm vor-
über und sein Tagebuch, nur zu seiner Erinnerung ge-
führt erzählt die einfachen Vorkommnisse, zählt die Namen
der hundert Menschen auf, die er sprach und die ihn
freudig oder zurückhaltend aufnahmen. Von Kirchen, die
er besuchte, weiss es zu berichten, von Mädchen; und
jedes kleine Abenteuer ist darin verzeichnet in einer Form
oft, die nur verständlich ist durch den völlig privaten
Charakter der Notizen und die das quälende Doppelleben
des Liebesgesellen illustriert. Über Süddeutschland ging
es zur Schweiz, die er zu Fusse durchquerte. In Inter-
laken wurde er mit Frau von Stael bekannt und sah
den Schauplatz, auf dem er den 24. Februar später spielen
liess. Am 24. August betrat er den Boden Italiens und
seine müde Erlösungssehnsucht weinte sich in einem
Gedicht aus, das ihn nahe der Konversionstimmung zeigt
und beginnt und schliesst:
Ihr kommt zu spät, ihr ewig jungen Lauben;
Ach hätt' ich früher euer Grün geschauet
Als noch des Lebens Morgen mir gegrauet!
Ich kann nicht leben mehr! — ich kann nur glauben
Und doch — o dass ich, ewig junge Lauben,
Nicht früher euer duftend Grün geschauet!
Es ist zu spät ! — der düstre Abend grauet!
Ich kann nicht leben mehr — werd ich noch glauben?
Auch in den Briefen an Goethe kam verhüllt im Plauder-
ton und Verehrungsbeteuerungen die Bitte um Ruhe und
Frieden zum Ausdruck. Der Wechsel der Menschen und
Gegenden liess nur die Oberfläche'seiner Seele aufstrudeln.
Tief unten blieb ihm die Sehnsucht und seine Kunst formte
nach den Gesetzen seines Seins die Bilder zu Offenbarun-
191
gen seiner Idee, An Goethe schrieb er „Noch bemerke
ich über die Schweizerreise, dass sie über die Natur,
Sprache und Symbolik der Gewässer unerhörte Auf-
schlüsse verbreitet und eine poetische Hydraulik begrün-
den könnte." Er gestaltete sie in den Gedichten der Zeit:
die Wollust, reine Liebe, Entsagung und Witwertum. In
alles hinein sah er seine Lebensqual. Der Kampf zwischen
Weimar und Rom, den er immer von neuen kämpfte,
formte er als ästhetisches und ethisches Erlebnis in seiner
verhüllenden Weise im Sonett „Helenik und Romantik".
Der Göttin von Cythera Ruf: „ich forme, ich verkläre"
ist ein Versuch Werners auch hier zu einer Einigung
beider Forderungen zu kommen. Aber er besass dazu
menschlich und künstlerisch nicht die Kraft, sah sie er-
füllt in Goethe, den er den Sophokles-Shakespeare nannte.
Das Ringen um diese Einheit, an der Kleist zerbrach,
war auch in Werner und musste bei seiner Wesensart
innig mit dem Menschliehen verbunden erscheinen, ohne
die gleiche gigantische Wucht wie bei dem grössten deut-
schen Dramatiker anzunehmen. Der Widerstand, den
Werner bot, war nicht gross genug ihn zu zerstören und
er wurde aus seiner Schwäche zum Sieger.
Schon bei dieser ersten Italienreise zeigten sich Symp-
tone des Konversionswillens. Dass er nicht zur entschei-
denden Tat wurde, lag daran, dass ihn Goethe in Weimar
erwartete. Deswegen brach er schon in Oberitalien seine
Wallfahrt ab. Der Aufenthalt bei Frau von Stael bewies,
wie er um das Problem des Katholizismuses immer enger
kreiste, das im Tagebuch als ständiges Gesprächsthema
der Tafelrunde erscheint. Die ganze Atmosphäre dieses
Kreises war mit katholischen — in der Auffassung dieser
Zeit katholischen — Tendenzen durchsetzt. Als die künstle-
rische Atmosphäre des Kreises seine Schaffenskraft anregte,
tauchten verschiedene Gestalten vor ihm auf: Maria Stuart,.
Christine von Schweden. An ihr musste ihn in dieser
Stimmung die Konversion, zu der die Tochter Gustav
Adolfs sich entschloss, interessant sein. Am 22. Oktober
192
•entschied er sich für die Kunigunde. In der Geschichte
ihres Lebens fand er etwas, das ein Lebensproblem, mit
dem er rang, berührte: Das sexuelle Entsagen, von dem
spätere Legenden erzählten. Im Mittelpunkt seines Kam-
pfes stand die Liebeidee und hier fand er eine katholische
Darstellung dieser Frage,
Proteusartig, wie er geklagt hatte, drängt sich das
Begehren immer wieder in den Begriff der Liebe ein und
alles Entsagen, auf das auch wohl Goethe damals ihn
hinwies, reinigte die Liebeidee nicht, in der die Persön-
lichkeitsforderung mit dem Askesewillen zur Alliebe be-
sonders fühlbar und quälend kontrastierten. Der Konzep-
tionspunkt dieses Dramas stand der Konversionsstimmung
sehr nahe und die endgültige Vollendung wurde denn
-auch in der Zeit nach dem Übertritt. Könnten wir die
verschiedenen Fassungen des Dramas verfolgen, so be-
Sassen wir die Möglichkeit, die Schwankungen dieser Zeit
genau an ihnen nachzuweisen.
Von Schlegel wurde ihm die Lehre Saint Martins
nahegebracht, die in dem Sternenglauben Harduins auch
für die Kunigunde wichtig wurde. Unter starker Benut-
zung Böhmescher Gedanken hatte der Franzose sein
System ausgeführt, dessen Mittelpunkt Werner verwandt
war. Durch den Menschen, mit dem die Natur gefallen
sei, suche sie sich zu Gott zu erheben. Nach dem Fall
aller Menschen, der sie zur Versöhnung durch Christus
reif mache, werde mit der gcreinten Menschheit die Natur
in Gott versöhnt. Werner folgte diesen krausen Gedan-
kengängen liebevoll und hörte den Ruf des Mystikers als
an sich gerichtet: Das Christentum müsse vertieft und
neugefasst werden. Das Rom-Motiv klang fordernd und
laut an und die Stimmung Werners verdüsterte sich so,
dass er das Schauspiel der Stael, in dem ein eitles Weib
durch den Tod des Kindes bekehrt wurde, als Offenbarung
und Warnung des zürnenden Gottes schaute, der die
Dichterin rief.
Als Apostel eines Christentums, das starke katho-
193
lische Tendenzen in sich trug, schied er von Coppet und
ging nach Paris. Die eigentliche Grosstadt mit ihren
sozialen Problemen und der neu sich bildenden techni-
schen Kultur kam dem Romantiker garnicht zum Bewust-
sein. Die Nuance Paris in ihrer Eigenart als politisch-
wirtschaftlicher Mittelpunkt des kontinentalen Europas
wurde nie getroffen, obwohl Werner im Salon der Ma-
dame Recamier und der Gerando auch mit den Trägern
dieser Kräfte in Berührung kam. Nur die pikante Erotik
der Weltstadt wurde Erlebnis, und in zugespitzten ironisch-
erotischen Bemerkungen zeichnete er den Gegensatz der
französischen petites bourgeoises zu der verpflanzten deut-
schen biederzart-ästhetischen Weiblichkeit, ^die ich eine
Kartoffelpastete nennen möchte." Paris war ihm die Stadt
der Liebe, der Kunst und Religion. Er genoss die Sinnen-
kultur Paris' in hungriger Gier, um sich „in der Residenz
der methodischen Tollheit die letzten ToUhörner abzu-
laufen," Die Darstellung, die er von diesem Leben Goethe
gab, war eine Wernersche Variation der Stimmung, die
in der marmornen, kühlen Form der römischen Elegien
lebte. Aber vor der Antike stand der von sinnlicher Gier
gepeitschte, in sich selbst zerrissene Mensch fassungslos.
Von dieser spielerischen Freude an der Erdenschöne, von
dem Sieg der Schönheitliebe über den Trieb wurde er
nur vernichtet. So konnte er die Mächte des Irdischen
nicht bannen und nur in der mystischen Ekstase seiner Re-
ligion fand er Stärke. In dieser Stimmung formte sich
die Kunigunde.
Werner wollte sie im altdeutschen Colorit geben.
Die Liebe dazu war auf seiner Rheinreise wachgeworden.
Er trug sich damals auch mit der Idee, einen Stoff aus
den Nibelungen zu gestalten. Die Form mochte ihm ein
Kompromiss scheinen zwischen Mystik-Romantik und Goe-
thes Kunst. Als Vorbild, das auch in der vorliegenden
Fassung der Kunigunde durchschimmert, hatte er Tiecks
Genoveva mit einem Einschlag der Konsistenz schiller-
scher Dramatik gedacht. In der Zeit und Situation des*
H.ankamer, Zacharias Werner. 13
194
Entschlusses liegt der Beweis, dass sich in dem Wort
„altdeutsch" das neue Kunstwollen mehr verhüllt als aus-
spricht. Die Verbindung von Sophokles, Shakespeare und
Calderon, eine Übersetzung der gotischen Kunstidee in
das Dramatische, war seine Absicht ; denn Goethe wollte
er dieses Drama als Zeichen seiner Erfüllung aufweisen
und das innere Schwanken der Formen ist als Ausdruck
der tatsächlichen künstlerischen Standpunktlosigkeit der
Entscheidungszeit zu erklären.
Die Köpfe des Kaisers, Herzog Heinrichs, Irners und
Harduins weisen Züge auf, die an den starren, holzschnitt-
artigen Charakter mittelalterlicher Bildwerke erinnern.
Ihr seelischer Gestus gemahnt oft an die ekstatisch - er-
starrte Linie gotischer Statuen. Werner tastete mit ver-
wunderlich sicherm Instinkt nach einem primitiven Expres-
sionismus, der einzigen Form, in die seine Konzeption
gebannt werden konnte. Der archaistische Zug ist aus
dieser Ahnung gewählt und würde vielleicht auch Goethe
mit dem Dichtwerk ausgesöhnt haben. Werner musste
diese Form wählen, weil sie allein die Möglichkeit gab,
bei scharfer Kontur doch die letzten, fast tonlosen Schwin-
gungen des Seelischen zu erfassen. In dieser Konzeption,
die wir durchfühlen, ist die Kunigunde vielleicht der
grösste Kunstformgedanke den Werner dachte, auch hier
dem Kämpfer Kleist entgegnend, der in seinem Guiskard-
fragment denselben Weg mit grösseren Schritten ging.
Den nervösen, hastenden Rythmus formten die sich ver-
wirrenden Gefühle. Der fieberhaft drängenden Dialog suchte
die leisesten Vibrationen dieser feingliedrigen Seelen ein-
zufangen. Im Prisma seiner Psyche sprüht das Licht ver-
schwimmend auf und grelle Kontraste füllten die einfarbig
gedachte und gewollte Fläche in komplementären Farben.
Kunigunde ist in frei entsagender Liebe ihrem Ge-
mahl treu. Der ungestillte Muttertrieb lebt in ihr und
ist von erotischen Lichtern leicht umspielt. Da sie ge-
schworen hat, Harduin nicht zu verraten, der gegen ihren
Gatten sich erhoben hatte und den sie als christliche
195
Judith zum Verzicht brachte, weil er sich schämt vor
einem Weibe sein Wollen verloren zu haben, kann sie
nicht Antwort geben, wo sie die Nacht weilte. Des Ehe-
bruchs wird sie beschuldigt. In harten Kampf zwischen
Königsehre und Liebe, setzt Heinrich das Gottesgericht
an. Als Kämpfer gegen den Verleumder bietet sich Har-
duins Sohn Florestan, der unerkannt im Heere dient aus
reiner Liebe zu Kunigunde. Die schaute in religiöser
Ekstase ihren Streiter: „Golden war die Rüstung und die
Schärpe war immergrün und seiden floss sein dunkles
Haar. Also sah den Jüngling ich im Strahl erglühn, Ihn
des Greises Sohn einst mir als Sohn erblühn". Wie ein
Leitmotiv im Sinne Wagners, wie Golos Lied zieht dieser
Farbenakkord durch das Denken der Kaiserin. In ihm fühlt
sie den Gottgesandten und Sohn, ihre „Idee"liebe. Er tötet
den Gegner, fällt aber auch. Im Sterben neigt sich Kuni-
gunde über ihn und hört sein Wort: „Madonna! Lächelst
Du?" Da im Moment des höchsten Schmerzes verwirrt
sich Denken und Fühlen, Mutter-, Heiland- und Gattenliebe
fliessen zusammen und werden zu dem Schrei : „Ja, jetzt
ist Ehebruch!" Die Heilige findet sich wieder und beugt
sich, die Schuld ihrer nicht ganz vernichteten Einzel-
liebe erkennend vor Gott. Mit den Klängen des De Pro-
fundis mischt sich ihr Dankgebet zum liebenden, ver-
zeihenden Gott. Sie weist dem Kaiser als Mann seinen
Beruf zum tätigen Leben, sie selbst wählt das Kloster
als Vertreterin der kontemplativen Lebensform des Weibes.
Dass die Grundzüge des Geschehens in den Zusam-
menhang dieser Epoche gehören ist ersichtlich. Seine
Auffassung der Liebe ist die Voraussetzung des drama-
tischen Konflikts und nur hieraus zu verstehen. Es ist
die höchste Steigerung dieses Gedankens und von einer
psychologischen Überfeinheit, die — unabhängig von der
Formgebung — Werner seiner Zeit vorausstellt. Die Un-
fähigkeit des Dichters sie ganz zu gestalten, wissen wir zum
Teil in seiner geistigen Situation begründet, in die er durch
Goethes Forderung gebracht war. Die Konversion wurde
196
insofern jstörend, als er aus Ehrfurcht vor der Heiligen
nicht alle Mittelstimmungen der Liebe darstellen durfte.
Auch jenseits des Momentanen lag im Wesen Werners
ein Grund dieser Unfähigkeit. Der Boden, aus dem das
System Werners erwuchs, war psychologisch. Wie er
nie ganz von dem Analysischarakter des Geschehens im
Kunstwerk loskam, so war auch seine Weltanschauungs-
bildung in der Hauptsache eine Analyse seines psycho-
logischen Seins, so ehrlich er auch rang sein Ideeindivi-
duum zu gestalten, synthetisch sein Ich weiter zu bilden.
In unbevvusster Selbsttäuschung und gemäss seinem Dop-
pel-Ich suchte er das Logische, durch das er in Einzel-
heiten auch weitergeführt wurde, als Äusserungsform.
Es bot ihm in den rastlos -wechselnden Inhalten seiner
Entwickung das Ruhende, zerstörte aber immer mehr dem
Künstler die Fähigkeit den psychologischen Inhalten an-
schmiegende Form zu geben. Das stets wieder neuen
Ausdruck und neue Versöhnung suchende Urphänomen
wechselte proteushaft Gestalt und Form, blieb aber stets
formelhaft das Eine und verleitete zur Annahme, dass die
Bewegung nur in sich erfolge und kein tatsächliches Weiter-
gehen sei. Auch im Künstlerischen erschien so das Psy-
chologische logisch erdacht, war es aber keineswegs. Vor
allem in der Kunigunde stört dieser Schein, da er hier
aus den angegebenen Momentsgründen noch stärker wurde.
Die Worte wirken plump, eindeutig und logisch. Sie
erhalten gerade an den wichtigsten Stellen eine Eindeu-
tigkeit, die falsch ist und als eine Zufälligkeit den tragi-
schen Gefühlskonflikt auszulösen scheint. Das Ineinan-
der-übergehen der Gefühle macht eine gleich vibrierende,
malerisch-musikalische Sprachgebung nötig und die fand
Werner nicht ganz. Der Sprache des Schauspielers bleibt es
überlassen, durch phonetische Färbung und mimisches Spiel
den feinsten Hauch des Seelischen zu geben, der durch das
zu grossmaschige Wortgitter entfloh. Kleist in ähnlicher
Zwangslage vermochte durch unbewusste Ausdrucksbewe-
gungen seiner Personen das Letzte zu sagen. Werner suchte
197
alles in Worte zu bannen, die rationaler und bewusster
sind. Da er das Unterbewusstsein mit quälender Sucht be-
grifflich machen wollte, erweckte er den Eindruck der Un-
anständigkeit. Nicht so sehr seine Sinnlichkeit war der
Grund dafür, sondern die Einheit von Mystik und Rationa-
lismus in ihm. Eines Teils verführte ihn das Einheitwollen
dieser Denk-Gegensätze zur Verbindung aller Antithesen,
anderen Teils zwang diese Veranlagung ihn, die Abgründe
menschlichen Gefühls begrifflich zu machen. Was vielleicht
als tiefste Offenbarung menschlich-tierischer Seelenabgrün-
de in anderer Form (etwa in der Art von Kleist's Penthe-
silea) uns erschüttert hätte, musste in diesem Bewusst-
machen anekeln, weil hier die Notwehrform seiner Be-
griffsbildung plump erkenntlich wird und die unnatür-
liche, künstliche Kälte der Begriffe solcher Erlebnisse
unerträglich gegensätzlich zum Inhalt ist : rationalisierte
Erotik.
In der „Idee" lebt auch Kunigunde. Deutlich wird
das Thema angeschlagen. Als Kunigunde das Frauen-
tum als „dulden und im Frieden ruhen" bezeichnet, sagt
der Kaiser:
Nein, Du kannst mehr, den Frieden spenden
Den Blitz des Unheils kannst Du wenden
Wie Judith ihr Volk errettet hat
Hast Du oft mir gerettet die Friedenssaat !
Den Beruf der christlichen Judith weiss sie durch
dieses Wort für sich bestimmt und handelt danach. Auch
sie ist zur Weihe der Kraft bestellt, auch in ihr sollte
des Ewig- Weiblichen erlösende und erfüllende Sendung
verklärt werden. „Sie gab mir das Vollbringen" bekennt
der Kaiser. Die schwache Zartheit wird selbst zur Kraft.
Am Schluss der positiven Entwicklung des Idee - Indivi-
duums zeigt sich noch einmal deutlich die Entwicklungs-
linie aus dem Unkraft-Weihebegriff und das W^eib hebt
sich zur höchsten Höhe, zum Ewig - Weiblichen in Wer-
ners Version. Der Fichtesche Idee-Begriff ist in der ge-
druckten Fassung der Kunigunde ganz überwuchert von
198
katholisch-christlichen Ideen. Dass er sich aber so wohl
hier wie in der Mutter der Makkabäer durchsetzte, be-
weist wie sehr er im Centrum Werners stand.
Durch ihn wurde uns die Notwendigkeit klar, dass
seine Geschöpfe zwischen Himmel und Erde standen,
heimatlos hier und da, wie Werner der Pilger zwischen
Erde und Himmel wanderte voll Sehnsucht nach beiden.
Durch ihn erhalten Werners Helden das grausige Stigma
der Halbwirklichkeit. Die Geschöpfe stehen und gehen
nicht auf fester, brauner Erde. Unwirklichen Ganges
schreiten sie wie über Wolken und ihre eigentliche, Wer-
ner unbewusste Tragik (denn sie war die seines Lebens)
scheint es zu sein, dass sie traumwandlerisch die Wirk
lichkeit nicht schauen können. Denn die Welt, die sie
durcheilen, wird aus ihrer Idee gesponneu, wird erst ge-
schaffen aus ihrem Sein in dieses Dasein.
So stark war das Ethische in Werner, dass er die
Realität opferte. Um die ihm aus seinem Ethos not-
wendige Freiheitsforderung des Individuums zu erfüllen,
tötete er das Leben der Welt ganz. Sie wurde Projektion
des Ich in ein Ausserhalb. Da er damit aber das Welt-
Schicksal nicht mehr als jenseitige Notwendigkeit empfinden
konnte, sondern als Ausdruck der Persönlichkeit, wurde es
Aufgabe des Menschen. Die Vergangenheit wurde höchste
Schuld, Dabei wusste er sich doch ihr verhaftet. Es
gab kein Vergessen, weil er kein Verzeihen fühlte. Er
fühlte die Kausalität aller seelischen Entwicklung und
musste sie doch verneinen. Werner konnte sein Leben
nicht aus sich gestalten, war aber zu viel Ethiker die Ver-
antwortung für sein Tun ganz abzulehnen. Der Weg aus
diesem Zwiespalt wies deutlich nach Rom und er hatte ihn
schon betreten. Noch einmal war er bei Goethe, dessen
Eindruck er mit dem des Apollo verglichen hatte. Sein
Auge aber könne auch Leben wecken. Das letzte retar-
dierende Moment vor der Peripetie. Als Kunstwerk die
ser Zeit entstand der 24. Februar. Künstlerisch ein Be-
weis, dass er Goethes Einfluss nachgab, dem Ethos nach
199
höchste Forderung und Erkenntnis, psychologisch ein
Zeichen des Grauens und der Verzweiflung.
VII. Kapitel.
Die Erkenntnis des Schicksals als
Persönlichkeitstat.
Als Werner kurz vor Neujahr 1809 von Paris nach
Weimar kam, um zum zweiten Male Goethe, seinen He-
lios, aufzusuchen, war er völlig in seiner Kunigunde ein-
gesponnen. Unter dem 22. November 1808 hatte er
Goethe aus Paris von seinem neuen Drama Nachricht
gegeben, das „ohne Mystik, Geistererscheinung pp." ge-
halten sein sollte. Bis zum 7. Januar glaube er das Stück
fertig zu haben, und nach dreiwöchentlichem Einstudieren
könne es dann am 30. Januar gegeben werden : „insofern
nicht (was ich Ew. Exzellenz submittiere) das Kreuz an
der Ostsee lieber gespielt werden sollte." Das Kreuz
an der Ostsee !
Goethes Stellung zu Werner hatte sich völlig ge-
wandelt. Eine innere Reaktion hatte eingesetzt, durch
die er in einen fordernden Gegensatz zu ihm geriet, der
in Verbindung stand mit der schrofferen Stellung den
Spätromantikern gegenüber, die er eingenommen hatte.
Nicht mehr geltendlassend sondern Entscheidung fordernd
nahm er ihn auf. Die Situation des literarischen Kampf-
platzes hatte sich so gewandelt, dass er ohne Selbstauf-
geben seine duldende Haltung nicht weiter behaupten zu
können glaubte. Mit persönlichen Verhältnissen zusam-
men, die in der Spannung zwischen Goethe und dem
Herzog begründet lagen, bildete seine künstlerische Un-
zufriedenheit einen Reizzustand, der durch Werners Un-
fähigkeit, die Gefahr nicht durch missliebige Äusserungen
200
mystischer Art noch zu erhöhen, gesteigert wurde. Goethe
hatte nicht mehr das Vertrauen, das Werner zum Ver-
standenwerden nötig hatte.
Zu einer schroffen Abweisung kam es am Sylvester-
tage, als Werner, zum Mittagessen gebeten, auf die Auf-
forderung Goethes hin ein nicht erhaltenes Sonett vorlas,,
in dem der Mond mit einer Hostie verglichen wurde. Eine
unverhüllte Kriegsansage Goethes war die Folge und vor
allem die bestimmte Ablehnung, einer Darstellung solcher
religiösen Mystik den W' eg zur Bühne zu bahnen. Die zu-
versichtliche Hoffnung Werners wieder eines seiner Dramen
auf der Bühne zu sehen, war völlig zerstört, wenngleich
das persönliche Verhältnis zwischen Goethe und Werner
sich am 5. Januar schon so weit geklärt hatte, dass
Riemer schrieb : „Werner hat eine derbe Lektion bekom-
men, ob verdient oder unverdient, das will ich nicht un-
tersuchen. Indess wird sich die Sache schon wieder
machen. Er wird nach wie vor bei uns essen, nur muss
er keine Oblaten offerieren." Wollte Werner seinen Ehr-
geiz befriedigen, so musste er sich den Forderungen
Goethes beugen und ein Drama versuchen nach seiner
Kunstauffassung. An Beieitwilligkeit dazu hatte es ihm
nicht gefehlt.
Sein Suchen nach einer neuen Form, das wir ver-
folgten, war ausgegangen vom Wunsch ohne lügende
Verleugnung seiner Überzeugung dahin zu gelangen.
Dass er sich nur weiter entfernt hatte, war ihm noch
nicht bewusst geworden, sah Goethe aber jetzt wohl ein.
Den Durchbruch der durch die religiöse Mystik mitbe-
dingten Form musste der Meister bei seinem Jünger zu
hindern suchen, als er mit dem Interesse, das ihm der
Romantiker auch jetzt noch persönlich und künstlerisch
abnötigte, als literarisch - menschlicher Pädagoge Werner
fordernd entgegentrat. In dem Briefe aus Heidelberg hatte
Werner ihn um einen Stoffvorschlag gebeten und Goethe
griff nun diesen Plan auf, um die Erziehung zu vollenden.
Aus persönlichem Gespräch und dem Schaffen Werners
201
kannte Goethe dessen Schicksalsglaubcn und als er ver-
suchte den Romantiker tür die Bühne, und was ihm das-
selbe scheinen mochte, für seine und Schillers Kunstauf-
fassung zu gewinnen, sah er hier den Punkt, wo eine
Verbindung herzustellen war. Er mochte in theoretischen
Gesprächen diese Auffassung geklärt haben, als der Zu-
fall einen bestimmten Rahmen bot. „Nun traf es sich,
dass in einer Gesellschaft bei Goethe, in der auch Werner
war, aus den Zeitungen eine schauerliche Kriminalge-
schichte vorgelesen wurde, welche mit einem besonders
merkwürdigen Zusammentreffen der Jahrestage verbun-
den war; diese empfahl Goethe Werner als einen geeig-
neten und fruchtbaren Stoff zu einem kleinen einaktigen
Schauspiel, wie er es von ihm wünschte, Werner gmg
sogleich darauf ein und schon nach einer Woche brachte
er Goethe das bekannte einaktige Trauerspiel, den 24. Fe-
bruar", berichtet Schubert. Am 27. Februar meldete sich
Werner mit einem Argument zu einer Tragödie und am
10. März spj-icht das Tagebuch Goethes von einem kleinen
Stück Werners. Pauline Gotter erzählt nach Goethes
eigenem Bericht: „Goethe hat ihm die Aufgabe gegeben
und streng eingeschärft, all sein verruchtes Zeug dies-
mal wegzulassen, sein ganzes Talent aufzubieten und et-
was Ordentliches zu Stande zu bringen, das ganze Stück
dürfe nur aus drei Personen bestehen. In 14 Tagen ist
das ganze Stück Jz\ Goethes Zufriedenheit beendet ge-
wesen und nun hat Werner auch die Wirkung des Se-
gens schreiben sollen; aber nach den ersten Blättern hat
Goethe gemeint, er solle es gut sein lassen, das gelänge
ihm nicht und so i^t es auch unterblieben."
Als Konzeptionspunkt wird stets folgende Briefstelle
gegeben: „Ich schied in Thränen von ihm (Mnioch) und
— sonderbar sind die Winke der Gottheit — er starb, er
mein verehrter Freund den 24. Februar des Jahres (1804),
an demselben Tage zu Warschau, als meine Mutter zu
Königsberg starb." Der Brief aus dem das bekannte Zitat
entnommen ist, das zweifellos Titel und Gehalt des Dra-
202
mas beeinflusste, war am 30. März 1804 im ersten Schmerz
über den Tod seiner Mutter und seines Freundes ge-
schrieben. 1809, 5 Jahre später schrieb er die Tragödie
deren Inhalt kurz folgender ist : Kunz Kuruth hat im
Jähzorn seiner Jugend, als der Vater seine Braut be-
schimpfte, ihm das Messer, mit dem er die Sense schliff,
entgegengeworfen. Er fehlte, aber die seelische Erschüt-
terung des Vaters veranlasste einen Schlaganfall, an dem
er starb. Sterbend fluchte er dem Sohn und dem kom-
menden Geschlecht. Seit dieser Zeit geht es mit allem
bergab. Der reiche Kunz wird arm. Sein Sohn tötet
schuldlos im Kinderspiel das Schwesterchen und flieht
später nach Paris. Dort glaubt der Vater ihn gestorben.
Ein wechselvolles Leben hat der Sohn hinter sich als er
reich, und wie er glaubt entsühnt, unerkannt in sein elter-
liches Haus zurückkehrt. Dort ist inzwischen die äussere
Not so gross, das der Schuldturm droht. Alle Gedanken
des verbitterten Vaters drehen sich um diese Katastrophe
und um den Erwerb von Geld. Er weiss, dass sonst ihm
nur der Selbstmord bleibt. Von vornherein ist ihm der
Fremde verdächtig. Durch eine Nebenfrage erfährt er
von seinem Reichtum. Seine durch starken Alkoholge-
nuss aufgewirrten Gedanken krallen sich um den Wunsch,
das Geld des Fremden zu seiner Rettung zu nutzen.
Gegen die aufkeimende Sünde wehrt sich Kunz zunächst
und will beten. Er kann es nicht m<^hr. Dunkel drängt
sich die Erkenntnis ihm auf, dass einer von beiden ster-
ben muss: Er oder der Fremde. Seine Entscheidung
ist noch nicht zum Bewusstsein gekommen. Der Dolch,
mit dem Kurt seine Schwester tötete, fällt vom Nagel
und wird in dem Dämmerzustand des Wollens einge-
steckt. Die kleinste Assoziation genügt, um das unter-
bewusste Wollen zur Tat werden zu lassen. Beim
Versuche das Geld zu stehlen, weckt der Vater den Sohn,
der mit dem Schrei: „Diebe, Mörder!" emporfährt. Da
sticht der Vater ihn mit den Worten nieder: „Mörder
selber Du!" Der Fremde hatte im Gespräch erwähnt,
203
dass er einmal ohne sein Wollen einen Menschen getötet
habe und Kunz hatte das zu seiner Selbstverteidigung in
den vorhergehenden Gewissenskämpfen benutzt. Der
Sterbende gibt sich zu erkennen und Kunz schliesst das
Drama :
Wohlan — in Gottes Namen ! —
Ich büsse gern das was ich schwer verdient! —
Ich geh zum Blutgericht und geb die Mordtat an !
Wenn ich durchs Henkerbeil bin abgetan,
Dann mag Gott richten — ihm ist alles offenbar
Das war ein 24. Februar
Ein Tag ist's — Gottes Gnad' ist ewig.
Die ganze Handlung spielt an einem 24. Februar, dem
selben Tag, an dem vor Jahren der Vater Kunz verfluchte.
Und kam ein Unfall, der das Herz traf, war
Es stets am 24. Februar."
Erst Jahre nach der Fertigstellung des Kunstwerks
erschien das Drama im Druck und ist zweifellos geän-
dert worden. Das beweist schon die Notiz im Schriften-
verzeichnis der zu erwartenden Neuerscheinungen des
ßrockhaus'schen Verlages für die Michaelismesse 1814. Bei
der Anpreisung der Urania (1815) heisst es: „Als die
vorzüglichste Zierde dürfen wir aber gewiss die Tragödie
Werners: „Der 24. Februar" nennen, welche zuerst in
diesem Tagebuche mit den neuesten Verbesserungen des
verehrten Herrn Verfassers erscheint." Diese Verbesse-
rungen werden wohl in einer stärkeren Unterstreichung
des Religiösen oder besser in dem Hineintragen religiöser
Ausdrücke bestanden haben, gegen die sich Goethe viel-
leicht gewandt hätte. Werner war inzwischen konver-
tiert und Priester geworden. Dass eine äussere grössere
Umgestaltung erfolgt wäre, ist nicht anzunehmen, da die
künstlerische Konzeption so geschlossen Form gewonnen
hatte, dass eine grosse Umarbeitung das Kunstwerk ver-
nichten musste.
Schon vor der Weimarer Aufführung hatte Werner
auf Anraten der Madame de Stael und Benjamin Con-
204
stants eine Änderung vorgenommen, die jedoch den Schick-
salgedanken nicht entscheidend traf und auf Grund ästhe-
tischer Einwürfe erfolgte. Zum Teil waren sie aufbau-
technisch, um die Zwangslage des Vaters zwischen Mord
und Selbstmord dem Zuschauer deutlicher zu machen,
zum Teil sollten sie den Mord durch Gernütsverwirrung,
wie Werner Goethe schrieb, menschlich näher bringen.
Den „Genius des Stückes" aber wollte er nicht antasten.
Dass er die Anregungen der französischen Kritiker, die
A. W. Schlegel als unnötig ablehnte, in der endgültigen
Fassung verarbeitete, ist erkenntlich, ohne dass man beim
Fehlen der Handschrift genaueres feststellen kann. Dass
der entscheidende Schluss schon in der Urfassung vor-
handen war, geht aus der Bemerkung Werners in der
Selbstbiographie hervor, er habe seinen Konversionswillen
schon deutlich im 24. Februar ausgedrückt.
Brahm hat wohl zuerst auf eine eigenartige, noch
jetzt oft übersehene Sonderheit hingewiesen, die dem
Drama vor allen anderen Schicksalträgödien eignet. „Bei
aller Ähnlichkeit aber zwischen Blunt und 24. Februar
kann ein Unterschied nicht scharf genug hervorgehoben
werden : Jene schwächlichen Sophismen mit denen bei
Moritz sich die Personen über ihre Schuld zu täuschen
suchen, und die Tieck mit einer Leichtigkeit sich aneignete,
die ihm gewiss nicht zur Ehre gereicht — jenes Philo-
sophem werden wir bei Werner nicht finden. Seine Fi-
guren sind von ihrem Schuldbewusstsein aufs tiefste durch-
drungen ; der Fatalismus ist — wenn ich den Ausdruck
gebrauchen darf — gleichsam ein Privatvergnügen des
Dichters, seine Personen sind nur wenig davon infiziert."
Ganz genau hat er den Sachverhalt nicht dargestellt.
Programmatisch wird die Schuldfrage erst nach der Tat
gestellt und da ganz im Sinne der Willensfreiheit beant-
antwortet. Das Fluchschicksal wird empfunden, selbst
noch in den Schlussworten und doch die Verantwortung
von den Personen übernommen. So scheint mir das Pro-
blem des 24. Februar gedanklich dem Kritiker vorzuliegen.
?05
Unberührt ist die Darstellung und Wertung des Schick-
sals in der vorliegenden Fassung des Dramas gegenüber
der ersten Form nicht geblieben. Eine kleinere Äusser-
lichkeit beweist das schon und bietet einen richtung-ge-
benden Haltungspunkt, den man bisher wohl nicht ge-
sehen hat. Der Untertitel der Ausgabe von 1814 heisst
„Führe uns nicht in V^ersuchung". Wahrscheinlich ist
das geändert aus dem Untertitel: „Die Wirkung des Flu-
ches" von der Pauline Gotter spricht. Der alte Titel
klingt an im Prolog:
„Ein Lied hab ich gesungen
Dir Volk ein heidnisch noch vom alten Fluche."
Eine Untersuchung des 1814 geschriebenen Prologs so-
wohl wie der vorliegenden Fassung des Stückes zeigt
eine augenfällige Doppelauffassung: Fluch und Versuchung.
Einesteils spricht er von der Versuchung :
„Immer muss der Mensch sein auf der Hut
Vor den Gedanken, die dem Höllenschlund entstammen."
Diese Versuchung aber trifft nur den Schuldigen und
damit stellt Werner eine Verbindung her, mit dem früheren
Begriff des Fluches. Der Fluch ist Sündenstrafe gewor-
den, und Kurt betet infolgedessen: „ wende dich du
Fluch der Rache". In diesem Werke, sagt das Vorwort,
schauert entgegen:
Was . . .
Im ungerechten Freveltun und -schalten
Den dauernden Verbrecher überdauert
Und sicher ihn erlauert.
Eisernes Schicksal nannten es die Heiden;
Allein seitdem hat Christus aufgeschlossen
Der Höllen Eisentor den Kampfgenossen,
So schafft das Schicksal weder Lust noch Leiden
Den Weisen, die mag Hölle blinken, blitzen.
In treuer Brust des Glaubens Schild besitzen."
Mit einer Reueträne kann der gläubige Christ den Fluch
wenden. So werden die Begriffe Fluch und Sündenstrafe
mit dem der Versuchung zu einer Einheit verbunden, die
206
das Fluchschicksal in die katholische Lehre übernehmen
lässt. Durch diese Fassung war die Verantwortung des
Individuums nicht aufgehoben, da Gott niemanden über
seine Kräfte prüft und jeder Sündenfall nach der Lehr-
meinung der katholischen Kirche eine freie Entscheidung
des Willens trotz aller Versuchung des Erzfeindes zur
Voraussetzung hat.
Dass diese katholische Auslegung nicht ganz iden-
tisch ist mit der Auffassung der Zeit, in der er das Drama
schrieb, ist wohl selbstverständlich, wenngleich ihm da-
mals die Vorarbeit zur Kunigunde zwang sich mit der
katholischen Lehre besonders eingehend zu befassen und
die Tendenz dieser Zeit für eine neue eingehende Be-
schäftigung mit diesem Mittelpunktproblem Sicherheit bie-
tet. Aber dass Werner von diesem Drama, das die Wir-
kung des Fluches schildern sollte, als dem Lied spricht,
das „nie mich reute", während er in der Weihe der „Un
kraft" nach seiner Konversion eine strenge Abrechnung
hielt mit fast allen übrigen künstlerischen Produkten, be-
weist, dass der Konzeptionspunkt in der Nähe des Sün-
denstrafe-Versuchungsbegriffs lag. Die Willensunfreiheit
hätte in einem derartig schroffen Gegensatz zur katholischen
Morallehre wie auch zu seiner ganzen Weltauffassung ge-
standen, dass er ihre Ablehnung wenigstens im Prolog als
neue Erkenntnis dankbar gefeiert hätte, wenn hier eine
Änderung erfolgt wäre. Die genaue psychologisch-moti-
vierende Untermalung der Handlung, das Hervortreten-
lassen der Stimmung und Atmosphäre als W^urzelboden,
aus dem die Handlung der Personen erwächst: Das We-
sentlichste und das Künstlerisch-charakteristischste wäre
in dieser Form unsinnig gewesen, wenn ein absolut wir-
kendes Schicksal auch gegen die Verantwortung seine
Helden zur Tat gezwungen hatte. Mag die Schattierung
in der zweiten Fassung mehr den christlich- katholischen
Begriff herausgeholt haben, der gedankliche Untergrund
war schon zu Beginn ein ähnlicher.
Das wird durch einen Anklang an das Fluchrequisit
207
im Attila unterstützt. Der Seelenkampf Hüdegundens,
ob sie den geschworenen Mord an Attila vollziehen soll,
wird in diesem Drama in seiner bejahenden Lösung ver-
anlasst durch das Beil, mit dem ihr Geliebter von Attila
hingerichtet wurde und das sir bei der Schwester Wal-
ters findet. Diese Versuchung hätte sie überwinden kön-
nen, wenn nicht ihr Wollen auf die Tat eingestellt ge-
wesen wäre. Der Zufall wird von ihr genutzt, das äus-
sere Geschehen in ihr inneres Wollen gezogen und noch
zuletzt weist sie im freien Entschluss jede Versöhnung
mit Gott zurück. Ihr Gegenspiel ist Attila, der die sich
häufenden Warnungszeichen mit dem zitierten Wort abtut
und nach Leos Ausspruch die Prüfung überwindet. Sein
freier W^illensentschluss reinigt ihn von aller Schuld und
der Papst spricht: „So künd ich Dir Versöhnung Deiner
Sünden." Durch diese Parallelhandlung wird der Ver-
suchungscharakter des Zufalls, der Hildegunde bestimmt,
deutlich.
Von hier aus scheint mir ein Weg zum Aufbau der
Konzeption des 24. Februar zu führen und ein anderer
aus der Wanda, die zeitlich dem Schicksalsdrama noch
näher steht. Auf die Aufforderung ihres Heerführers
jetzt und sofort anzugreifen, während der Befehl Wandas
gelautet hatte um Mitternacht, entgegnet die Königin:
Entflohen ist mir noch nicht die Kraft zum Wollen!
Ich sprach um Mitternacht und dabei bleibt ! —
Seht ihr im Abendsturm die Wolken rollen,
Den Weltgeist wie er Stern und Blüten treibt?
Sie müssen dem Moment Gehorsam zollen;
Der Mensch nicht dem der Weltgeist einverleibt ! —
Erst schlürf ich ihn in vollen gierigen Zügen,
Dann führ ich Euch um Mitternacht zum Siegen!
Und dass hier eine bewusste Auseinandersetzung mit dem
Zeitschicksal gewollt ist, geht aus den folgenden Strophen
hervor:
Ludmilla: Um Mitternacht! Früh gab mir mein Getreuer
Den letzten Kuss und starb um Mitternacht!
208
Wanda: Um Mitternacht entquoll der Liebe Feuer
Dem Licht, zu dem es kehrt — um Mitternacht
Rüdiger: Um Mitternacht brach Wanda goidne Leier
Der Löwenheld und schied — um Mitternacht.
Begrifflich ausgedrückt sagt Wanda, dass der Ideeträger
frei über dem Moment, über der Zeit steht, dass er sie
wählen kann seinem Wesen entsprechend. Auch die
Zeit ist als empirisch ihm Untertan. Deutlicher noch
drückt das eine Stelle der Kunigunde aus, die diese Auf-
fassung in das Katholisch - Christliche übersetzt. Die
Kaiserin preist die Schönheiten der verschiedenen Län-
der, in denen „Gottes Liebeswallen ströme" und feiert
Italien. Auf die Frage Luitgardis, die nach Habsburg
ziehen wird, wo „die Gletscher von ferne leuchten", ant-
wortet sie, dass sie der leuchtenden Wärme getreu blei-
ben wolle, dass sie sich der gütigen, stillverzichtenden
Gottesliebe weihe. Sie fährt fort:
Drum ward auch der Mai mir zum Hüter erkoren:
Mein Herr und Gemahl ward im Maien geboren;
Im Maien vereint uns zu geistigem Band
Auf ewig des Bischofs gesegnete Hand;
Die feindlichen Polen entbrannten im Wüthen,
Im Maien da kamen sie Frieden uns bieten
Im Mai wir fundierten den ßamberger Dom
Und ziehen im Mai jetzt zur Krönung nach Rom !
Hier ist die Tat, die seelische Tat Kunigundes zur Vor-
aussetzung der Natur- und Zeitabhängigkeit gemacht.
Kunigunde weiss sich ihrem Berufe treu und empfindet
den Mai als die ihr entsprechende Zeit, empfindet das
zeitlich gebundene Schicksal als Mittel des Ideelebens,
sich zu erfüllen.
„Und ihr Knecht das Schicksal eint.
Was für immer ist vereint,"
kündet Libussas Geist.
Fichte hatte gelehrt, dass die Natur den Menschen
Objekt der Pflicht sei und der Ausgangspunkt seiner prak-
tischen Philosophie war, das der Mensch sich frei setze.
•209
Er stellte sich ausserhalb des Ursachenverbandes der
Wirklichkeit. „Du wirst nun nicht länger vor einer Not-
wendigkeit zittern, die nur in deinem Denken ist, nicht
länger dich das Denkende mit dem aus dir selbst hervor-
gehenden Gedachten in eine Klasse stellen." In immer
neuen Variationen hatte Fichte das von dem Einfluss der
Wirklichkeit freie Dasein als das Leben in der Idee
erfasst und dargestellt. Der Anklang an das Requi-
sitenschicksal in der Wanda beweist die Orientierung
nach Fichtes Weltanschauung. Für die Verantwortlich-
keit der Mörderin spielt diese Prüfung, die zur Veran-
lassung wird, keine Rolle, denn nichts Reales soll einen
bestimmenden Einfluss auf den Menschen haben. Die
erste Tat, die Fichte von jedem forderte, war eben die
Heraussetzung des Ich aus dem Reiche der Dinge. Nach
seiner Auffassung bestimmt der moralisch handelnde
Mensch letzten Endes die Wirklichkeit. In der Bestim-
mung des Menschen hatte das die erste und deshalb
schroffe Formulierung gefunden.- „In aller Wahrnehmung
nimmst du lediglich deinen eigenen Zustand wahr". Der
Gegenstand, das Ding ist nur das vom Ich unbewusst
als Vorstellung eines Dings Erzeugte und Fichte kommt
zu der Definition dieser Tätigkeit, die, wie wir wissen,
Werner als Aufgabe des Ideeindividuums erkannte, als
„ein tätiges Hinschauen dessen, was ich anschaue, ein
Herausschauen meiner selbst aus mir selbst." Kurz nach
seiner ersten Berührung mit Fichte schrieb er dem Freunde
(22. Februar 1806): „Das Schicksal ist die Umgebung,
welcher sich unser Geist (der Gott in uns) erschafft, um
durch deren willkürliche Vernichtung zur Freiheit (der
ersten Stufe der Vergöttlichung) zu gelangen." Voraus-
setzung für die moralische Freiheit ist die Tathandlung
des Menschen, die ihn und sein Leben in die Idee
setzt. Dass diese Handlung Aufgabe sei und nicht not-
wendig, hatte Fichte oft ausgesprochen. Die geistige Tat
des Menschen bestimmt sein ganzes Leben in der Wirk-
lichkeit und von ihr aus baut sich in der praktischen
Hankamer. Zacharias Werner. 14
210
Philosophie erst die Welt auf. Werner gestaltete die Ne-
gation. Die Menschen des Fluchdramas nehmen ihren
Fluch wie eine Idee, werden zu Fluchträgern, so wie
W^erner seine Ideeträger gezeichnet hatte.
Durch Fichte hatte Werner wohl Böhme erst in seinem
tatsächlichen Gehalt erfassen gelernt und hatte seinen
Fluchbegriff, wie er ihn in den Sex puncta theosophica
klarlegte, erkannt. Da hiess es: „es bekleidt manch
Fluch, dass eines dem andern wünschet, wenn das an-
dere den Fluch erreget hat und desselben fähig ist, als
solches denn unter gottlosen Eheleuten gemein ist, da
eines dem andern den Teufel und das höllische Feuer
wünschet. So sie denn beide gottlose sind, sollte ihnen
denn auch nicht ihr gottloser Wille geschehen, dass sie
gottlose Kinder zeugten.? . . . wollen sie nicht (Christus
folgen), so fahren sie dahin, wohin sie wollen. Also ist
auch ihr Saame, und also wird manches Kind eine Distel
und böses Thier geboren, und wird im Zorn Gottes ge-
tauft. . . . Darum quellet in ihm der Zorn Gottes, dass
er seinen Willen nicht vom irdischen abbricht, und gehet
in Reue seiner Bosheit Es ist alles magisch, was
der Wille eines Dinges will, das empfähet er. Eine Kröte
nimmt nur Gift an sich, wenn sie gleich in der besten
Apotheke sässe, desgleichen auch eine Schlange; jedes
Ding nimmt nur seiner Eigenschaft in sich : und ob's
guter Eigenschaft Wesen ässe, so machets doch Alles in
sich zu seiner Eigenschaft." Vor allem in dem Drama
Werners die äussere Welt, Ort, Ding und Atmosphäre.
Psychologisch erkennbar ist dieser Umstaltungspro-
zess der Tatsächlichkeit zu dem Ichleben im 24. Februar
durch eine Überfülle von Assoziationen gegeben, die die
beiden Menschen immer wieder zu dem in ihnen brennen-
den Fluche zurückführen.
Die beiden Menschen sehen den Fluch, den man
ihre negative Idee nennen möchte, in alles hinein. Sie
schaffen sich eigentlich erst die Luft, in der sie leben,
den Boden auf dem sie stehen, laden den Fluch erst auf
211
das Haus, weil alles in ihm eine Beziehung zu dem hat,
worum ihre sündige Seele als Mittelpunkt kreist. Wie
Attila sein Richteramt, das ihm aufgetragen war, in Frei-
heit auf sich nimmt, so nehmen diese Menschen ihr Fluch-
sicksal, ihre Negation der Idee. Das Leben in der Idee
war seliges Leben, das ihre ist freigewähltes Sünden-
leben, von dem sich zu lösen ihnen der Wille fehlt. Auf
die schärfste Formel gebracht: in der Konzeption Wer-
ners ist das Fluchschicksal eine Schöpfung der Indivi-
duen selbst, eine grausige, bindende Fiktion ihres Wollens.
Die bei Böhme nachgewiesene, von Fichte oft darge-
stellte Lehre der Gestaltung der Welt aus dem Geistigen,
führte ihn dahin.
Dass von den Personen selbst ihre Individualschuld
an dem geistigen Sein ihrer Existenz erkannt wird, be-
weist die in der unmystischen Sprache des Stückes aus-
gedrückte Erkenntnis und das Bekenntnis:
j,0, nimm die Bibel! lass uns beten, singen
Wenn jetzo Dunkel auf unsern Augen ruht
Kann uns zu retten doch — vielleicht uns noch gelingen.
Drum bet'!"
„Das kann ich nicht seit achtundzwanzig Jahren
Seitdem der Alte starb."
Sie leben unter eigener Verantwortung in der Negation
der Idee, in der Sünde. Die Sünde ist für Fichte und
Werner die Trägheit, das Nicht- Wollen, wie wir auf-
wiesen. Das Fluchschicksal in seiner Zeit- und Ort-
Gebundenheit ist eine Potenzierung der dem Wollen ent-
gegengesetzten Kräfte, die der Mensch überwinden soll.
Sei es in der zu Grunde liegenden Anekdote angedeutet
gewesen oder nicht, Werner hat es beibehalten oder ge-
wählt, um Fichtisch, aber nach seiner extrem- veräusser-
lichenden Art den Trägheitscharakter der Sünde in die
Erscheinung treten zu lassen. Von hier aus gesehen
konnte Werner das Schicksal in dieser krassen und engen
Form wählen und als verantwortliche Tat der Personen
212 '
ansprechen, die sich im Gegensatz zu ihrer Bestimmung
dem Bann von Raum und Zeit unterwerfen, statt das
Ewige in sich wirksam zu machen durch den Zeit und
Raum überwindenden Glauben, durch die Wiedergeburt.
Hier haben wir den Konzeptionspunkt des 24. Februar
zu suchen und hier zeigt sich der Wurzelzusammenhang
der zwischen dieser Schicksalstragödie und dem Weltan-
schauungsganzen des Dichters besteht.
Auch in der ersten Fassung wird sie wohl nicht ganz
Gestalt geworden sein. Der seelische Prozess, der die Welt
zu dem Ich-Bild formte, war ja unbewusst und dem Ver-
stand erscheint die Realität als gegeben und die Not-
wendigkeit als von anderen Kräften gesetzt. Das konnte
also auch nur die Meinung der handelnden (Fichtisch ge-
sprochen: nie ht-handelnden) Personen sein, so lange sie
nicht zur Erkenntnis ihrer Sündhaftigkeit und zur Tat
des sich Freisetzens gekommen waren. Erst auf dem
Gebiete der praktischen Vernunft erscheint die Freiheit.
Erst im Augenblick, da Kunz sich dem Gerichte stellen will,
zerbricht die Notwendigkeit, wird das freie Individuum.
Den von Goethe gegebenen engen Stoffkreis sollte
Werner nicht zerbrechen und dadurch wurde er noch
stärker an das Geschehen gefesselt. Eine Erweichung
der Realität, wie sie in seinen übrigen Dramen zu beob-
achten ist, war ausgeschlossen. So gab Werner ohne
w^eitere Deutung die Tatsächlichkeit, die ihm nur Erschei-
nung war und nur als Erscheinung im Rahmen der engen
Zeitnotwendigkeit eingepresst sich geben sollte. Die
einmal gelöste künstlerische Erlebnisenergie drängte ihn
von selbst immer tiefer in die Atmosphäre hinein, die
seinem psychologischen Sein, nicht seiner theoretischen
VVelterfassung entsprach. Alles in ihm bangende Ent-
setzen mit dem er seine vernichtete Existenz betrachtete,
gestaltete er hier zu der Fluchatmosphäre, zu dem Schreck-
gedicht, „das mir,
bevor ich's sang, als Wetterwolke
den düstern Sinn, den trunknen Geist verwirrte,
213
und als ich sang es, schwirrte
Gleich Eulenflügeln'*.
So wurde der Fichte- Böhme- Jünger zum Dichter der
Schicksaltragödie und der Freiheitsphilosoph stand am
Ausgangspunkt der Gedankenreihe, die zum 24. Februar
führte. Nur der bizarre verschnörkelte Gang des Werner-
schen Denkens hat wohl veranlasst, dass man diese Zu-
sammenhänge bisher noch nicht sah, sicher aber auch
die psychologisch leicht zu begründende Tatsache, dass
nicht der ganze Werkplan Werners zur Aufführung kam.
Werner sollte und wollte auch ein Drama des Segens
schreiben, legte es Goethe zur Begutachtung vor. Am
29. März ist Werner „abermals mit einem Schema zu
einem Nachspiel" bei Goethe, der es ablehnte aber selbst
einen Plan dazu machte. Wir haben hier nur die Naclu-
seite der Wernerschen Schicksalidee wie er selbst im
Prolog andeutet:
„Ein Lied hab ich gesungen
Dir Volk ein heidnisch noch vom alten Fluche
Doch dürfte bald die Zeit, die hohe kommen
Die (rasseln hört man schon vom Schicksalbuche die
Blätter) wo, wenn erst die That gelungen,
Das Lied auch wieder neu wird angeglommen.
Ich meine das im frommen
Christlichen Glauben blühende Lied vom Segen!"
Das Segenlied sollte das selige Leben nicht als Zu-
fallsglück, sondern als das der Idee und Freiheit dar-
stellen, wobei dem Zeit- und Ort- gebundenen Schicksal
die Rolle des Dieners zufiel, das durch die ethische Tat
der Menschen sich ihrem Lebenszwecke unterwerfen
musste. Wir wissen, dass Werner an einen „durch kein
Schicksal zu zerstörenden" Lebenszweck glaubte, ein Dienst-
verhältnis des Schicksals, wie es in der Wanda prokla-
miert war, annahm. Dem Charakter des 24. Februar
entsprechend würde dieses Leben in der Idee nicht in
der Grösse des Heroismus' sondern in der Proportionen
des bürgerlichen Familienstückes sich dargestellt haben.
214
Dass die Form des Familiendramas an sich Werner
Raum zu bieten schien auch für die Darstellung romantischer
Gedankenkunst geht aus einer früheren wohl an Friedrich
Schlegels ähnlichem Fragment entwickelten Bemerkung
des Dichters hervor, dass nicht die Darstellung des Fami-
lienlebens Kotzebue künstlerisch widerwärtig mache: „eine
wohlorganisierte Familie ist vielmehr eines der schönsten
Symbole des Universums."
Die zum Verständnis des 24. Februar benutzte Stelle
der Wanda und Kunigunde deutet den Ideegehalt an.
Auch hier wäre eine Zeitbestimmung, aber eine im
Ideeleben begründete dargestellt worden. In der theore-
tischen Erkenntnis, die den Menschen — nach Fichte —
abhängig setzt von den Dingen, hätte sich das geäussert
als Wirkung des Segens, als ein Kausalnexus ausserhalb
der individuellen Verantwortlichkeit; tatsächlich und ethisch
gesehen wäre es die Folge der freien Tat gewesen, die
darin bestanden hätte, dass die Individuen die im Segen
ausgesprochene Bestimmung erfüllen wollten, wodurch
sie das Zeitschicksal in ihren Dient zwangen. Hier drohte
Gefahr für Goethes Erziehungsplan. Das Leben in der
Idee, das heisst in Gott, trug stets einen gewissen asketi-
schen Zug, der in der Kunigunde den Charakter des frei-
willigen Verzichtes auf Mutterschaft angenommen hatte
und sich mit katholischen Tendenzen vereinigte. Nach
Goethes Anschauung war das Grund genug, sofort eine
Weiterführung zu hindern. In dem oben genutzten Brief
vom 22. Februar 1806 heisst es: „Glaubst Du, dass Frei-
heit nicht auch meine Göttin ist? — Ich schwöre Dir,
dass sie es ist, Sie ist die Grundlage, die erste Stufe
der Religion, aber wer wird immer auf der ersten Stufe
bleiben? Es giebt einen Punkt, auf dem Freiheit zur
Notwendigkeit, Glaube zum Schauen wird." Dieser Punkt
ist das freigewählte Leben in der Idee, die nach seines
Meisters Lehre immer mehr jedes persönliche Wollen
aufzehrt und ihre immannte Notwendigkeit in der Gestal-
tung des Lebensraumes, des Schicksals auswirken lässt.
215
Der 24. Februar erscheint so als Gestaltung des Minus,
das Segendrama des Plusschicksals, um ein Begriffs-
spiel der Romantik anzuwenden. Erst durch die Ausfüh-
rung des ganzen Planes, durch die Darstellung des Plus und
Minus wäre der Fiktionscharakter der Schicksal-Dichtung
voll und ganz zum Ausdruck gebracht, erst da hätte das
Ich, das ethische Ich als der Herrscher über Zeit und
Raum dagestanden, erst da wäre das Leben im roman-
tischen Sinne Kunst, freies Spiel mit dem Unendlichen,
geworden. Dass Werner und Goethe es gewollt haben,
scheint sicher und lehrt verstehen, dass Goethe das schein-
bar so plump und brutal gedachte Stück zu den „vor-
züglichsten Geistesoperationen und unter die geistigen
Produkte Werners" rechnete.
Werner hatte in seiner Weise den Schicksalsgedanken
Schillers weitergeführt, hatte in der Kunst den Schick-
salbegriff von Kant zu Fichte, parallel zur philosophischen
Entwicklung und der Kunst der Epoche wenn auch
mit viel geringerer Kraft als Schiller in dem Drama
weitergezogen. Werner wollte in dem Parallelismus der
beiden Werke in dem Spielen mit dem Plus- und Minus-
schicksal das treffen, was der Romantiker formal mit
der romantischen Ironie sagte. Auch er stand über
dem Werke als das eigentlich Synthetische. Der geistige
Gedanke Fichte- Schlegels wurde ethisch vergröbert und
Werner gab sich in der Rolle des Wissenden, dem Plus
und Minus nur als Erscheinungsformen des Einen im
Wollen der Persönlichkeit bewusst sind.
Angedeutet in der Stufenfolge der Entwicklung der
Religion war diese Vergeistigung des Schicksals zur Welt-
anschauungslorm des Individuums schon von Schleier-
macher in den Reden, wo eine Erfassung des Universums
als Schicksal in drei Formen dargestellt wurde: als blin-
des Geschick — dieser Auffassung entspricht die Fetisch-
Religion; als motivierte Notwendigkeit — der Gottesbe-
griff zerspaltet sich in Einzelgötter als der Verkörperung
der „heterogenen Elemente und Kräfte des unbestimmt
216
Mannigfaltigen." Der dritten Auffassung des Universums
als Totalität, als Einheit in der Vielheit entsprach das
Aufgehen im Universum als Schicksalgebot, entsprach
jetzt für Werner das Leben in der Idee.
In der Vorrede zum 24. Februar liess er sein Wissen
um den Fiktionscharakter des Schicksals durch die Be-
zeichnungen „heidnisch Lied", „christlich Lied" in einem
antithetischen Spiel durchschimmern. „Religion haben
heisst das Universum anschauen und auf der Art, wie ihr
es anschaut, auf dem Prinzip, welches ihr in seinen Hand-
lungen findet, beruht der Wert eurer Religion," Durch
Fichte verstand Werner das Wort Schleiermachers und
schrieb damals die Vorrede zur „Wanda", in der er das
Drama, das Schicksal- und Liebeidee verband, als „Lied
der Heiden-Liebe" bezeichnete, die das Schicksal nicht
zu versöhnen wisse.
Der Ausgangspunkt dieser Gedankenreihe die zu dem
antithetischen Spiel der beiden Werke als Minus Plus
führte, lag für Werner in Böhme und Fichte. Wahr-
scheinlich kam der Anstoss dazu aus einem Schicksal-
drama, aus Karl Philipp Moritz' „Blunt". Im Gegensatz
zu seiner Vorlage, dem Drama „the fatal curiosity" von
Lillo, hatte Moritz den Abschuss des Dramas nicht mit
der Ermordung des Sohnes durch den Vater gegeben,
sondern ein Nachspiel angefügt. Nach der Tat ruft der
Mörder aus: „O dass doch dies alles ein Traum wäre!
— dass es ein Traum wäre!" Der Dichter erfüllt mit
Hilfe der allmächtigen Phantasie dem Mörder die Bitte,
noch einmal spielt die Scene vor der Tat und das Wort
der Mutter rettet den schlafenden Sohn. Der Knoten löst
sich und alles geht zum glücklichen Ende. Welch starke
Antriebe von hier aus zu Werner gehen konnten, ist klar.
Er mochte aus dem Anruf der Phantasie seine eigene
Auffassung des Seins heraus lesen:
„So rufe mir den Augenblick
Eh, noch die Tat geschah
Ruf ihn mir noch einmal zurück !
217
Ein Tag, dem nur die Freude lacht
Und keine Stürme dröhn
Steig auf! Und jene Schreckensnacht
Sei wie ein Traum entflohen."
Vielleicht wurde noch ein Gedanke, der diesem Wollen
nahe lag, wirksam. Aus seinem Briefe an Iffland aus
deni ersten Aufenthalt in Weimar wissen wir, das er die
Realitätsschicht des Geschehens gleich der mystischen Na-
tur darstellen wollte. Das hatte er im 24. Februar getan.
Aber über dieser Schicht glaubte er die höhere, eigent-
lich reale. Über dem Gebiete anscheinender Kausalver-
bindungen das Gebiet der Freiheit in Gott, Ähnliche
Gedankengänge wie beim heidnisch - christlichen Schick-
saldrama des Kreuzes an der Ostsee mochte er gehen,
Ideen auftauchen sehen die durch das Erleben der Gotik
doppelt wach geworden waren, und ihn näher zu Cal-
deron führten. Im Segensnachspiel hätte er vielleicht
versucht das Drama im Mysterium (in natürlich gewan-
delter Form) ausklingen zu lassen, die Tragödie dadurch
zu versöhnen. Der 24. P'ebruar erscheint so als ein Total-
ausdruck dieser Stimmung- und Gedankenepoche. Auch
künstlerisch ein Zeichen der nahen Konversion, in dem
alle Kräfte, die in seinem Leben tätig gewesen waren,
noch einmal zu Wort kamen aber schon zur Konversion
bereit und bereitend. Es war ein Selbstbekenntnis Wer-
ners, ein Ausklang seiner Verzweiflungsstimmung, die den
Ruhelosen packte, der durch die Tatforderung Fichtes, die
er in Goethe erfüllt sah, immer mehr zur Verurteilung
seiner Lebensform gezwungen war. Zwischen Sesto und
Mailand hatte er im Herbst des vorigen Jahres in dem Sonett
„Kurze Biographie" die Rechnung mit sich selbst aufgestellt
und erkannte im schroffen Gegensatz zu seiner Aufgabe:
„Und Leben saugt's mit allzu gierigen Zügen.
Ein ewig Kind, kann's saugend nur sich fügen
Und weiss nicht, ach zum Kampfe sich zu rüsten
Die Weihnacht deckt das grässliche Gefilde
Von seinen Folterwonnen, Sünden, Thränen."
218
Wie Kunz Kuruth wusste auch er nur im Tode da-
mals Ruhe. Die Frage nach Erlösung, die er dem Meister
und Heiligen Rousseau da gestellt hatte, war von ihm
mit der Tätigkeitsforderung Fichtes beantwortet worden.
Friede habe er erst nach dem Tode in Gott gefunden.
„Dies hörend zog ich, aber mutlos, weiter" ; beginnt das
als Schlussgedicht der Trilogie „Wallfahrt nach Meillerie"
gefasste Fragment Pissevache, in dem ihm die verheissende
Fata Morgana, das Bild der katholischen Kirche aufstieg,
die er im Besitz der Macht glaubte, ihn zu' entsühnen.
Auch hier fand er keine Antwort im diesseitigen Leben,
wusste nur wieder: „Ich kann nicht leben mehr, ich kann
nur glauben." Die erlebte Tragik seines Lebens wurde
im 24. Februar zur Form. Wie sein Meister ihm ant-
wortete, fühlte er sich durch den Schein um sein Sein
betrogen, gestaltete das gespenstige Scheinleben, das von
der unerbittlichen Nemesis beherrscht war. „Die Eume-
niden haben, die Strafenden mir Alles — mehr genom-
men," hatte der Jünger zu Rousseau gebetet. Es war
seine Schuld, die er bekannte, und es war ein Symbol
seines Lebens, dass er das Drama des Segens nicht so
geben konnte, dass es Goethe befriedigte. Wie Kaiser
Heinrich in der Kunigunde stand er vor den Trümmern
seines Lebens, die ihm den Ausgang versperrten. Wie
jener harrte er des überirdischen Rufes der Gnade, die
ihn aus der Wirrnis seines Schuld-Schicksals hinausführen
sollte. Die durch den Jahrestag bei der Arbeit geweckte
Erinnerung an den Doppeltod, an die Erinnerung der Zeit
nach dem Ableben der , Märtyrerin'* führte ihn zu ähn-
lichen Gedanken, stärkte noch das Gelühl der Schuld.
Das Muttermotiv, das in der Konversion immer wieder
anklang, ertönte Bekehrung fordernd. Ihr gegenüber
hüllte er sich nicht mehr in das Schicksal, ihr trat er als
Büsser und Bekenner gegenüber. So fügte sich die Le-
bensqual Werners in die Form, die er unter Goethes
Hilfe schuf aus allen Elementen, die ihm zu Mitteln seiner
Kunst geworden waren.
219
Die künstlerische Konzentration des kleinen Stim-
mungsdramas, dessen Entwicklungslinie auf das lyrische
Drama der Gerstenberg und Klopstock zurückweist, ist
erstaunlich. Es erschien als die letzte fast krampfhafte
Spannung des Künstlers, und dieses Krampfartige prägte
sich in der Gestaltung aus. Fast zu konzentriert ist Auf-
bau und Stimmung, „Branntwein" soll Goethe es ge-
nannt haben, wohl in dem Gefühl dieses Übermasses, das
für Werner eine künstlerische und menschliche Notwendig-
keit war, weil er im Leben wie in der Kunst im Extrem
leben musste, da die innere Sicherheit und der innere
Ausgleich, die Kunst und Leben zum Spiel und zur Tat
gestalten konnten, ihm nicht gegeben und von ihm nicht
erworben war. Werner hat viel bewusster als man glau-
ben sollte auch hier den Kampf zwischen Rom und Wei-
mar gekämpft und es ist die überlegene Ironie der seeli-
schen Notwendigkeit gegen sein Wollen, dass der Torso
des Planes nur im 24. Februar als das künstlerische Mal
dieses Kampfes dasteht.
Die Kunstlehre, die Werner im Anschluss an die
Rezeption der Romantik und Böhmes gegeben hatte, war
in ihrem Verhältnis war Erlebnis und Dichtung zu Gunsten
des Erlebnisses passivistisch gewesen. Die aktive Formung
war als sekundär erkannt worden. Fichte-Goethes Tätig-
keitsforderung war jetzt auch auf das ästhetische Gebiet
angewandt. Sein Wollen trat bewusst dem Erlebnis ge-
genüber, suchte nicht passiv daraus die Form sich ent-
wickeln zu lassen. Unter dem Drucke Goethes, be-
schränkte er die Form des Gedichts, war als Künstler
dem Erlebnis gegenüber souverän. In ihrer beschränkten
Art ist diese Tragödie die Verbindung der romantischen
und klassischen Kunstform. Das musikalisch - lyrische
Element verband sich mit der plastischen Menschendar-
stellung. Die All-Natureinheit der Fluchatmosphäre war
Lebenselement scharfkonturiger Menschen, die in ihr leb-
ten und doch Individuen blieben. Wie in der Fassung
des Schicksalbegriffs Moira und fichtische Freiheitslehre
220
sich fanden, so verknüpften sich die Kunstformen der
gegensätzHchen Zeittendenzen hier. Es war eine Vollen-
dung aber nicht in der Grösse weltumspannender Kunst^
wie die Romantik sie dachte, eine Vollendung in engster
Beschränkung, die in dem zeit- und ortgebundenen Fluch
sich gleichnishaft zeigte. Der 24. Februar ist ein Kabi-
nettstück, das Heine zu den „kostbarsten Erzeugnissen
unserer dramatischen Literatur" rechnen zu müssen glaubte.
Goethe war mit dem Werke sehr zufrieden. Es war
für die Bühne geschrieben und täuschte eine innere Ge-
schlossenheit vor, die ihm vielleicht als Zeichen einer
möglichen Gesundung willkommen war. Seine Stellung
als Erzieher und Leiter der jüngeren Generation, zu der
ihn die Frühdramatiker berufen hatten, war von ihnen
mehr und mehr angefeindet worden. Von ihm weg schien
die Entwicklungslinie der deutschen Literatur führen zu
wollen. Nun hatte er die grösste Bühnenbegabung der
Schule zu seinem Glauben bekehrt und mochte hoffnungs-
Iroher werden. Wohl aus diesem Gefühl heraus ehrte er
den 24. Februar durch die Bezeichnung „tragischer Teil",
von Schiller zu Werner die Brücke schlagend in der Er-
kenntnis der hier gelungenen Vereinigung der Klassik
und Romantik.
Werner schien sich immer mehr von seinem Kunst-
wollen ab zu Goethe zu bekennen. Suchte wenigstens dem
Kunstwollen Goethes immer näher zu kommen. In seiner
lyrischen Produktion machte sich ein episch-ruhiger Ton be-
merkbar. Im Rythmus und ßildgut des Nibelungenliedes
halte er den Zug der drei Könige besungen und hielt
sorgfältig darauf, nicht wieder durch mystische Religion
den „Heiden" Goethe zu erzürnen. Den Höhepunkt dieser
Linie bildet die burleske Ballade „die drei Ritter".
Das intriguenrciche Weimar vermochte aber doch
das Misstrauen gegen Werners Ehrlichkeit wieder zu
wecken. Gerüchte, wie sie nur die Künstlerkleinstadt zu
erzeugen vermochte, kamen zu Goethes Ohr. Ein wenig
schikanös zeigte der Herzog Werner gegenüber eine Lie-
221
benswürdigkeit, die den Argwohn des Gekränkten wecken
musste. Werner ging anscheinend in das Lager seiner
Feindin Jagemann, der Geliebten des Herzogs, in deren
Haus Karl August ihm Wohnung bot. Selbst der unter-
würfige Ton des klärenden Briefes überzeugte ihn nicht
und in dieser Stimmung setzte Goethe den 24. Februar,
dessen Rollen schon ausgeteilt waren, vom Spielplan ab,
schickte dem Dichter das Original zurück mit unverbind-
licher Vertröstung auf die Zukunft und verliess am Tage
darauf Weimar, um in dem stillen Jena die Wahlver-
wandtschaften zu fördern. Werners Weg trennte sich
von dem seinen.
In dem Kreise der Frau von Schardt hatte er sein
Lehramt wieder aufgenommen und suchte eine mehr reli-
giös-sentimentale als mystische Erwärmung seiner Jünge-
rinnen zu erreichen. Auch hier ist das Wollen Werners
erkennbar, ohne den Saltomortale in das Reich seiner Jvly-
stik durch Veredlung des Menschlichen zu einer Erfüllung
zu gelangen. Wie ehrlich er in dem Kampf mit sich
selbst sein wollte, bezeugte (ungewollt) Henriette Knebel.
Werner gab bei Hofe eine Erklärung, wie er zu der
Mystik gekommen sei. Durch sie hätte, er gehofft, die
Krankheit des Zeitalters zu heilen. Sie sei der Ausdruck der
Schwäche, erkannte er für sich richtig. In dem Sonett auf
den Stephansdom, als er sich rüstete vor Goethe zu treten,
war dieser Gedanke, der sich für Werner aus dem miss-
verstandenen Spielcharakter der Kunst im Gegensatz zum
Ernst des tätigen Lebens in Verwertung Fichtischer Ideen
schärfer entwickelte, wieder von ihm angedeutet worden.
In dem Prolog zur Wanda wurde er noch einmal pro-
grammatisch ausgesprochen und die unklare Schwäche
(nicht in der verklärenden Form der Unkraft) als ihm
gehörig anerkannt.
„Vielleicht hilft mir der Herr herauf zum Klaren".
Als er Anfang Juni Weimar verliess und in Jena von
Goethe Abschied nahm, trug er ihm wie zum Beweis
seiner Gesundung das Ehestandslied „die drei Reiter''
222
vor, dessen derbe, an Hans Widerpost erinnernde Reali-
stik Goethe erfreute. Als sich Werner von ihm verab-
schiedete, war wohl in beiden die hoffende Erwartung,
dass sie näher zu einander kommen würden. ^In seinem
grossen, göttlichen Auge sagte eine stille Thräne und ein
Händedruck ohne Worte Versöhnung. Ich frage ihn, ob
ich ihm schreiben dürfe; er sagt: „Das versteht sich!"
Er geht. Ich bin ausser mir vor Freude. Göttlicher Tag!"
Ganz ist Goethe nicht mehr aus seiner Reserve her-
ausgegangen und schrieb Werner, dessen 24. Februar
er im folgenden Jahre zu einem Bühnenerfolg in Weimar
verhalf, einige Monate später: „Es war mir selbst höchst
angenehm, dass wir in Frieden und Freude an derselben
Stätte wieder geschieden sind, wo wir zuerst mit gutem
Muthe und Willen uns zusammengefunden hatten. Es
kommt nur auf Sie an, dass es immer so bleibe. Sie
kennen mich genug, um zu wissen, dass wir immer ein-
mal eine Strecke Wegs mit Lust zusammen fortwandern
können, wo wir uns auch treffen mögen; nur enthalten
Sie sich ja, mir Fussangeln aus der Dornenkrone vor
meine Schritte hinzustreuen. Lassen Sie mich den Pfad,
den ich mir selbst gebahnt und gekehrt, ruhig hin- und
wieder spazieren und begleiten mich, insofern es die Ge-
legenheit giebt." Goethe hatte erkannt, dass sein Weg
und der Werners immer mehr auseinander gingen, da der
Kampf zwischen Weimar und Rom schon nahe vor der
endgültigen, Goethe unangenehmen Entscheidung stand.
Von Goethe wollte Werner zu Frau von Stael. Und
weiter nach Rom „wohin meine ganze Seele lechzt", wie
er Scheffner in der Zeit schrieb, als die Spannung zwi-
schen Goethe und ihm zerreissend stark war. Der Plan
war noch nicht abgeschlossen. Wie ein wehmütig-hoffen-
des Intermezzo in den dunklen Klängen dieser Lebens-
melodie mutet das novellistisch abgerundete Liebeerlebnis
an, von dem sein Tagebuch und ein Gedicht in Rudolf-
stadt berichtet. In der Liebe eines reinen Weibes hofite
er für Augenblicke seine Erlösung zu finden, aber wieder
223
kam ihm die Erkenntnis, dass ihm das Recht fehlte eine
Werdende an sein vernichtetes Leben zu ketten. Nur
eine Episode war die Liebe zu Friederike Werlich und er
selbst sprach sich das Urteil, Hess sich aber eine arm-
selige kleine Hoffnung: „Vielleicht einst, wenn Gott will".
Noch dachte er in diesen Stunden der Lebensbejahung
an eine Entsühnung durch eigene Kraft auf den Wegen
Goethes, aber immer dunkler wurde ihm sein Leben und
das Grauen vor der Notwendigkeit seines körperlichen
und seelischen Zusammenbruchs sprach aus den Versen,
„die Schwarzburg". Aus den Bildern der alten Helden
drohte ihm das Verdammungsurteil. „Alles weht ihn an
mit Geisterton." Nur in wenigen Augenblicken verliess
ihn die würgende Qual. Auch die liebevolle Aufnahme
der Fürstenfamilie vermag ihn nicht zu heilen. Es ist als
sei mit dem Abschied von Goethe jede Hemmung von
ihm gefallen. Die seelische Krankheit steigerte sich
plötzlich und nahm Formen an, die den Psychiater ebenso
zur Analyse der Gedichte auffordern als den Literarhis-
toriker. Wie seine Gestalten im Fluchdrama lebte er im
Bann der Furcht vor der Strafe seiner Sünde. Der Wol-
ken Grau wurde ihm Vergeltung weissagend und das
Todesmotiv klang wieder durch.
In dieser Stimmung ging die Reise weiter und seine
Arbeit an der Kunigunde schritt fort. Über Gotha und
Meiningen kam er Mitte des Monats nach Frankfurt, wo
er Dallberg für die Pension dankte, deren Zuweisung ihn
in Weimar erfreut hatte. Er fand gütige Aufnahme und
trat in Verbindung mit dem Theater, um den vierund-
zwanzigsten Februar zur Aufführung zu bringen und in
dem leichtlebigen Kreise, in den er geriet, schuf er sich
neue Anlässe zur selbstvernichtenden Reue.
Man möchte es für bewusst halten, dass Werner seinen
Reiseweg genau so wie vor einem halben Jahre wiederholte,
als wolle er die Stimmung der Tage wiedererwecken, die
durch den Aufenthalt in Weimar und Goethes Einfluss ver-
wischt worden war. Wieder fuhr er den Rhein herunter;
22-t
„Die wilde Gier mich pilgernd zu betäuben,
Die nirgend ruhen mir vergönnt noch hausen
Trieb wieder mich gen Cöln."
Wieder wie damals suchte er jetzt die Kunst des Mittel-
alters zu erfassen und wurde der erste, der Goethe auf
die Bildersammlung der „Boisseres und Bertram" auf-
merksam machte und ein künstlerisches Urteil abgab,
das er Goethe gegenüber warm verteidigte. Er sprach
aus, dass diese Kunst neben der Raffaels stehe.
Wackenrodcr hatte auch mit dieser Seite seiner Lehre
Werners Urteil gebildet und ihm die Augen geöffnet für
die „Einfalt und Grösse" dieser Kunst, Friedrich Schlegel
ihm selbst Einzelnes vorgedacht. Das Kunstproblem, mit
dem er rang: Christentum und Antike (in Winkelmann-
Goethes Auffassung) zu einen, wie er es formal in der
Kunigunde wollte, im Rahmen des 24. Februar in seiner
Weise erreicht hat, sah er hier wieder vorbildlich gelöst.
„Wie ist hier alles Göttliche so rein menschlich interessant.
Geschämt habe ich mich bis ins Innerste meines Herzens,
dass ich das mich erfüllende Göttliche nur fantastisch
und nebulistisch pinseln kann."
Wenn auch versteckt unter den Worten deutet sich
in den Tagebuchnotizen und dem Gedicht seine begin-
nende Konversion an und alles wurde ihm zum Zeichen
und Ruf. Als er im Dom tief beschämt vor dem Bilde
des Märtyrers ,der soviel litt und that und ich so weni^^"
stand, erschütterte ihn ein plötzlicher Donnerschlag. Da
wusste er nur das Wort zu beten: „Herr wohl weilst Du
lange." Werner war schon innerlich konvertiert. Wie
seine Entwicklung sprunghaft auf- und niederging, so auch
dieser Vorsatz, dessen Dasein sich immer wieder äusserte.
Freier und sicherer betonte er das Religiöse, spottete
über seinen Mystizismus.
In diesem Erleben wanderte er den Rhein zu Fuss
herunter, sah die neuentdeckten Schönheiten des Rhein-
tals mit dem religiösen, symbolsuchenden Blick, der ihm
eignete. Über den geschleiften Festungswerken Ehren-
j
225
breitsteins sah er nach prächtigem Ungewitter die Sonne
aufsteigen „und dachte an mein zertrümmertes Leben, an
Gott und an Helios", der dissonante Dreiklang den er zur
Hai monie lösen wollte. Die Stimmung dieser Zeit war
weicher, zerfliessender, als Werner sie Goethe damals
erkennen Hess. Gewissensqualen folterten ihn, er erkannte
seiise künstlerische Unfruchtbarkeit als Apostel. Hin und
her wurde er geworfen von Trieb und Wille. Künst-
lerische Pläne so die Geschichte Günthers von Schwar-
zenburg und die Ursulalegende tauchten auf und schwan-
<3en. Ein kleines Erlebnis mit einem Kinde, das zutrau-
lich mit ihm ging und ihn in das Haus der Mutter
führte, weckte seine Vatersehnsucht und schmerzliche Er-
innerung.
Auch in der ästhetischen Linie verläuft diese Reise
parallel zu der Pilgerfahrt des vorigen Jahres. Dieselben
Fragen und Probleme wie damals und jetzt fand er eine
neue Synthese: die zwischen Plastik und Bewegungskunst.
Seine Landsmännin Henriette Händel bot ihm das in
Leben und Kunst. In Mannheim traf er sie und fühlte
sich ihr wesensverwandt. Das Leben der Künstlerin war
gleich dem seinen an Irrungen und Wirrungen reich.
Ihr aber erkannte er den Kampfpreis zu, und zwischen
den barocken, launigen Scherzen über ihr Leben bricht
Goethe gegenüber nicht nur die Bewunderung für die
Künstlerin hervor, auch für den Menschen, der robuster
und kräftiger als er das Schicksal meisterte und die Un-
schuld gewann, „die im Kampf wir nur erlangen."
Man könnte das Kunstwollen der Romantik in dem
Bilde zu erfassen suchen, dass sie die Ruhe in der Bewe-
gung schauen lassen will. Kleist erstrebte die Vereinigung
von Typus und Individualität, suchte in den Vielheiten die
Einheit. Das ist der Grund seiner Gefühlsverwirrung:
■die Umsetzung alles Seienden in die zitternden Schwin-
gungen des gegensätzlichen Lebens. Die Autlösung alles
Festen in einen organischen Prozess, in Bewegung, war
Erkenntnis und Forderung der Romantik. Nicht der Be-
Hankamer, Zacharias Werner. 15
226
griff als in sich geschlossene Einheit galt ihren Philo-
sophen, sie suchten die im lebenden Gegenspiel der Kräfte
vibrierende Synthesis. Stern und Blume sollten sich einen
nach dem Willen Werners, die Gegensätze seiner Lebens-
form zu einer Melodie sich verbinden, die beide Wider-
sprüche harmonisch verknüpfte. Sein Wollen, Ruhe und
Bewegung im Integral der Form zu fassen, das schaute
er in der Kunst der Händel. In einem Gedicht, auf die
„neue Pythia" sprach er es so aus:
„Das Wesen mit lebendiger Form gepaaret
Du (Phöbus müsste sonst mir Lügen künden)
Wirst im Beweglichsten das Feste gründen."
Und wie ihm stets die Kunstforderung in engster
Verbindung war mit der Lebensaufgabe, stellte er die
Verbindung zwischen der Form ihres Lebens mit der ihrer
Kunst her. Sie hatte in den Wechselfällen das Reine, Kind-
liche sich bewahrt, das Feste in dem Beweglichsten:
Die Unschuld erworben im Kampfe, Die künstlerisch-
menschliche Synthesis, das Pilgerziel Werners wurde in
die Person und Kunst der Henriette Händel hinein ge-
deutet, die Kunst der Pantomime, die Verbindung von
Plastik und Bewegung in der ethischen Unterlegung dieser
Kunst- und Begriffsformen, die wir aufwiesen, hatten für
Werner hier ihre Erfüllung gefunden. In der Lebenstat
Henriette Händeis, die sich ein Schicksal selbst gestaltet
hatte, mochte Werner sein Urteil sehen, mochte in der
Stunde „der Weihe" ähnliches hoffen: im beweglichen
Fluten des Geschehens sich selbst als schicksalformendes,
erlebend-gestaltendes Ich fest zu behaupten. Aber er er-
litt, dass immer wieder der Strom ihn fortriss zu Taten,
die er nicht wollte und sich nicht zu verzeihen vermochte.
So „des Treibens müde", wie er schrieb, kam er in Coppet an.
Sein vierundzwanzigster Februar wurde auf dem
Privattheater der Frau von Stacl aufgeführt. Dass dieses
Drama ihn — der den Sohnmörder spielte — tief er-
schütterte, ist anzunehmen. Der Fluchbeladene stellte
sich dem Gerichte und er mochte sich ähnliches wünschen.
227
Im künstlerischen Schaffen suchte er Ruhe und wie vor
einem Jahre blätterte er in den Geschichtswerken und
liess die Gestalten der deutsch-italienischen Geschichte
Torüberziehen. Wieder tauchte der Name Christines von
Schweden auf, Maria Stuart, Agnes Bernauerin, Sultan
Muhamed II. wurden ihm interessant. Eine Trilogie der
Staufen: Friedrich der Zweite, Manfred und Konradin
nahm bestimmte Form an. Der Einfluss W, A. Schlegels,
mit dem er zusammen war, machte sich bemerkbar. In
den Wiener Vorlesungen priess er gerade den ritterlich
glänzenden Zeitraum des Hauses Hohenstaufen einem
deutschen Shakespeare als Stoff an.
Werner wählte den Stoff auch, um künstlerische Lokal-
studien in Italien machen zu können, einen Plan und Zweck
der Reise zu haben, deren inneren Sinn er sich nicht ein-
zugestehen wagte. Zunächst schienen äussere Umstände
die Romreise verhindern zu wollen. Mitte September
unterrichtete er Frau von Schardt davon und dass er be-
absichtige den Winter in Weimar zu verbringen. Am
20. Oktober aber schrieb er Goethe: „Es zieht mich eine
unüberwindliche Sehnsucht nach dem hochgelobten Lande
Italia; vielleicht ist es mein Schicksal, das mir winkt,
vielleicht will es mich heilen, oder mit mir enden? Ich
will, ich muss die Sehnsucht stillen, wäre es auch nur
um, von ihr selbst geheilt, nachdem ich das schönste
Land der Erde gesehen, entweder dort Hütten zu bauen,
oder beruhigt zurückzukehren, meinen Wanderstab zu
zerbrechen und in irgend einem Flecke Deutschlands dann
still fortzuleben. Es vergeht kein Tag, wo mir nicht aus
Ew. Exzellenz Pilgers Nachtliede der Vers schmerzlich
einfällt: ,Ach, ich bin des Wanderns müde^ Dies soll
meine letzte Wanderung sein und dann auf eine oder
andere Art zur Ruhe."
Am 1. November, dem Festtage Allerheiligen, trat
er die Reise an.
DRITTER TEIL
DIE VERSÖHNUNG
ROM -ASC HAFFENBURG -WIEN
VIII. Kapitel.
Die Konversion als Lösungsversuch
Nicht mit einer befreienden, klargefassten Entschei-
dung für oder gegen einen Übertritt verliess Werner
Coppet, aber eben diese Romfahrt bedeutete doch schon
soviel wie ein zaghaftes Ja. Seine ganze Einstellung be-
weist, dass er den Weg ging als sühnender Pilger. Unter-
wegs betete er am 3. während einer kurzen Reisepause
in der katholischen Kirche, und unterm 5. meldet das
Tagebuch dasselbe. Am 7. weilte er im Hospiz auf dem
Mont Cenis. Bei der Erzählung, der Papst, der ins Exil
habe wandern müssen, sei „sehr ruhig, ja heiter gewesen"
ruft er aus „Die Ruhe ist die eines Heiligen." Es schien
die Ruhe, nach der er sich sehnte.
Aufklärende Tagebuchaufzeichnungen über die Cop-
peter Tage sind uns nicht erhalten. Vielleicht hat das
einen psychologischen Grund : Werner scheute sich, an
diese hin- und herzitternden Gefühlswirrnisse jäh aufflackern-
der Entschlüsse und müdester Verzweiflung erinnert zu
werden und vernichtete sie. Frau von Stael hatte ihn
ganz durchschaut, wenn sie w^enige Jahre später an Frau
von Schardt schrieb : „Werners Einbildung machte ihm
die katholische Religion notwendig; er bedurfte der Stützen
von allen Seiten. Er hatte soviel gelitten, dass er den
Tod und das Leben auf gleiche Weise fürchtete."
Schon während seiner Wanderung durch Deutsch-
land war der Gedanke an den Tod oft in ihm wach ge-
worden. In dem Brief an Goethe, der ihm die Absicht,
nach Italien zu reisen kundtat, hatte Werner geschrieben :
232
„Sterbe ich unterdess (während seines italienischen Auf-
enthaltes) so seien Sie versichert" usw. Und in der Nach-
schrift: „Noch eine Bitte habe ich, haben Ew. Exzellenz,
die Gnade mich nicht darüber auszulachen und mir zu
erlauben, Ihnen (es ist vielleicht das letzte Mal) mein
ganzes Herz auszuschütten! — Ich kann vielleicht auf
der Reise nach Italien dort sterben . . . ," Diese Todes-
ahnungen sind die Zeichen einer müden Resignation, die
sich vor der grossen Entscheidung hinter dem nahen Tod
zu verstecken sucht. Vielleicht kann man aus den Worten
an Goethe herauslesen, dass er, wenn dieser letzte Ver-
such, Ruhe zu finden, nicht gelingen sollte, den Tod
wählen würde. Nicht als ob dieser Gedanke Werner klar
und formuliert als Entschluss bewusst geworden wäre^
aber im Hintergrund steht er wie ein düsteres Bild, dessen
Schatten in die Seele fällt. So begann er seine Pilger-
fahrt.
Auf und nieder wogte seine Stimmung, von jubeln-
der, hoffender Lebensfreude zu dumpfer Furcht. Das
Grün der Blätter, die vorbeiziehenden Berge erfüllten ihn
„mit längst entwöhnter Heiterkeit." Dann quälten ihn
Erinnerungen vergangenen Lebens, das Bild seiner Mutter
stieg auf und diese Erlebnisse verdichteten sich zu der
Romanze „Die Mutter." Tiefste, wühlende Verzweiflung
stöhnt aus dem Gedicht, und über dem Ganzen ruht eine
dunkle Todesahnung und auch -angst.
Hier wurde das Mutterliebe-Motiv, das die Konver-
sionszeit begleitet, rein zum Ausdruck gebracht. Wie
sich immer stärker der mystische Trieb Werners in diesen
Wochen zu regen begann und ihn in die Stimmung seiner
ersten Böhmezeit zurückführte, so wurden auch die Qualen
und Gestalten dieser Jahre in ihm wach. Als er sein
Fluchdrama schrieb, zwang die Erinnerung fordernd ihm
den Titel auf. Die Mutter rief ihn zur Sühne, weil er
untreu war. Tief in das Dunkel seiner Seele leuchtet
das Gedicht: „Wie hast Du treu Dein Flügelpaar auf mich^
der immer treulos war, doch immer ausgespreitet." In
2.53
der quälenden Erkenntnis, dass die übergrosse Liebe an
ihm verschwendei worden war, lag für ihn der Zwang
zur Bekehrung und zwar durch das Mittel, das ihm die
Mutter geboten hatte : durch die Religion. Als Künstler-
Rehgiose hatte Werner seinen Weg begonnen, wusste
ihn nicht zu vollenden. Das tröstende Gesicht verrinnt,
düstere Regenwolken saugen den Schimmer des Lichtes
ein. Dumpf ertönt eine ferne Glocke. Des Büssers Sang
verstummt. „Still zieht er zum Gerichte."
In dieser Zeit stand das Ziel seiner Pilgerfahrt leuch-
tend und trotz aller Ängste verheissend vor seinen Augen.
Doch dann und wann verdeckte eine dunkle Wolke es,
schien es ihm eine täuschende Fata morgana. Leise
machten sich psychische Reaktionsbewegungen bemerk-
bar. Der Pilger löste seine Seele von dem suggestiven
Bann des Konversionsgedankens. Nichtigkeiten erzählt
sein Tagebuch bis zum 28. Und dann wieder das alte
Bild, eine tragikomische Illustration seines Zustandes:
Aus Kirchen und den Sammlungen der Gemälde und
Skulpturen, an denen er sich wärmend berauschte, eilte
er in die Arme käuflicher Mädchen. Ein grausig fratzen-
haftes Bild seines Dreieinigkeitssystems: Religion, Kunst
und Liebe; eine grelle Parodie seines ganzen Lebens.
Tage der Verzweiflung und des Genusses mögen gefolgt
sein. Werner ging durch Italien ruhelos wie der ewige
Jude, gehetzt von dem „Gorgohaupt eines verprassten
Lebens." Was ihm zur drückenden Schuld wurde, mei-
sterte Goethe zur spielenden Arabeske um; Werner dich-
tete ein „Dies irae", Goethe konzipierte die Elegien:
„Eine Welt zwai bist du Rom; doch ohne die Liebe
Wäre die Welt nicht die Welt, wäre denn Rom auch
nicht Rom.*^
Das lag am 9. Dezember 1809 vor ihm: Rom die Stadt
der Märtyrer, der Heiligen, der Entsagenden. Alte, in
der Verzweiflung über sein Leben längst verdorrte Träume
keimten neu auf und Werner berauschte sich an ihnen,
234
wird an eine grosse Epoche seiner Kunst gedacht haben,
die ihn von der nicht eingelösten Lebensschuld befreien
sollte. Eine religiös künstlerische Wiedergeburt sollte ge-
schehen, eine „Vita Nuova" öffnete ihm ihre Pforten. Er
fühlte sich als ein Neuer, Anderer, Wie ein Rausch
packte ihn der Gedanke Rom „Die Hauptstadt der Welt".
den .,TemDel Gottes" endlich betreten zu dürfen und seine
Energie flammte jäh auf:
„Jugend mag dein Veilchenduft zerrinnen,
Unschuldlilie mag dein Weiss, zerstieben,
Rosenschmelz der Liebe sei vergangen !
Gluth fühl' ich, die ganze Welt zu lieben,
Mut, mich selbst als Kunstwerk zu beginnen,
Gier zum Kampf, wie Helden Gottes rangen! . . ."
Sein Beruf als Dichter, als „Schöpfer", dem er allein
treu geblieben, sollte Inhalt des neuen Lebens sein, der
Beruf, den die Mutter ihn wies. In diesem Entschluss
des Augenblicks glaubte er Weimar mit Rom vermählen
zu können, dachte den vertrauten Gedanken des Kunstwerk-
Lebens, der im Kampf erworbenen Unschuld. Der Mo-
ment hob ihn über Schuld und Fluch zur Tatforderung
Fichtes, goethisch gewandelt zum Künstler als Souverain
der Tatsächlichkeit, die er freigestaltend in sein Werk
einbeziehe. In dem Sonett „die steinernen Kirchenväter"
wurden ihm die Bildwerke zweier Löwen, die das Portal
einer Kirche trugen, zum Symbol, dass der Künstler das
Böse der Erscheinung nützen dürfe. „Doch lässt er von
des Bösen Lust sich rühren, dann fehlet seinem Baue die
Vereinung und seine Schöpferfreude muss zerrinnen."
Im Gedicht: „Der P'eterplatz" schaute er mit freiem
hoffenden Auge den Dom und im Symbol Gott und in
sein Tagebebuch schrieb er: „Nur von meinen Eindrücken
spreche ich und da kann ich sagen, als ich nun die maje-
stätischen breiten Treppen bestiegen und mit anbetendem
Schauer die Decke der einen Pforte emporgehoben und
das Innere des Tempels betreten hatte, dass ich noch
nie in meinem Leben so das Wesen der christlichen Gott-
235
lichkeit, nämlich ein Entsetzen und eine Wehmut, welche
erhabenste, seligste Freude nicht aufkommen lässt, em-
pfunden hatte .... Aber ein unaussprechliches Gefühl,
als ob Gott der liebende König und Vater nun hier ganz
eigen wohne, als ob man leise auftreten müsse, um nicht
den hohen hier säuselnden Frieden der Gottheit zu stören,
ein unbeschreibliches Ahnen von hoher Vornehmigkeit."
Die nicht im Rausch des Künstertums geschriebene
Tagebuchnotiz zeigte die Durchschnitthöhe des geistigen
Lebens bei Werner als weniger zur Aktivität reichend. Die
deutlich durchzufühlende Passivität dieser Zeit verstärkte
sich. Die Forderung, „sich als Kunstwerk zu beginnen",
die Verbindung der Forderung Fichtes und Goethes trat
immer mehr zurück. Der Hang zur heiligen Wehmut,
dem wollüstigen Schwelgen in den Qualfreuden der Reue
brach mehr und mehr durch. Nicht Fichte war Werners
Heiliger in der Konversionszeit, Böhmesche Gedanken
und Worte drängten sich in die Gedichte wieder ein, die
Stimmung der Religion Böhme-Schleiermachers bereitete
ihn auf die Konversion vor. Am Grab der Apostelfürsten
machte er in seinem „Thomas von Kempen" (Nachfolge
Christi) die Stichprobe und traf die Kapitel 52/53 des
dritten Buches; die Stelle, die beginnt mit dem Zitat:
„Gestatte mir noch eine kleine Weile, dass ich ausweine
meinen Schmerz, bevor ich hinabsteige in das Reich der
Finsternis, das von Todesnacht bedeckt ist." Und weiter
heisst es da: „In der wahren Zerknirschung und Verdemüti-
gung des Herzens wird die Hoffnung der Vergebung ge-
boren, das beunruhigte Gewissen wieder ausgesöhnt, die
verlorene Gnade wieder zurückgestellt und der Mensch
vor dem drohenden Zorn beschützt; da begegnen sich
einander im heiligen Kuss Gott und die reuige Seele."
Aber vor der Forderung der Entsagung bäumte sich sein
Wille auf: „ich Verächtlicher bin zu stumpf, um die dort
verlangte Entsagung zu leisten."
Neben dem Muttermotiv herrschte das Motiv der Ent-
sagung in der seelischen Stimmung der Zeit, einte sich
236
begrifflich mit ihm. Die Erinnerung an die Mutter, die
immer mehr die centrale Stellung seiner Liebe zu Mal-
gona untergraben hatte, war mit der quälenden Beruf-
forderung zum religiösen Künstlertum eng verbunden und
das Künstlertum legte ihm menschlich das Entsagen auf.
Der geniessende Mensch ist dem Künstlertum verloren
— ein Gedanke, den unter den Modernen niemand stärker
als Thomas Mann erlebte und aussprach. Wie unfern diese
Erkenntnis schon zunächst dem Romantiker Werner war
und ihm sein musste, ist klar. Das Entsagungsmotiv
klang bereits in der Lehre von der Vernichtung des Indi-
viduums als letzte Absicht durch, wurde ihm auf sexu-
ellem Gebiet zunächst deutlich und einte sich im Kreuz
an der Ostsee mit dem Vernichtungswillen. Das Woll-
lüstige, das Cbermass an Gefühlshingabe statt beschrän-
kender Tat, wurde aber erst im höchsten Sinne über-
wunden durch die Einfügung des Ideeindividuums in das
Weltbild Werners und kam in der Liebetheorie durch
die beschränkende Konzentration auf eine Persönlichkeit
zum Ausdruck. Goethe, der damals in der Arbeit an den
Wahlverwandschaften stand, konnte ihm die gleiche künst-
lerisch-menschliche Forderung entgegen halten und im
Banne dieses Gedankens der ethisch und ästhethisch ihn
besass, trat er schon seine erste italienische Reise an.
1808 in Genua dichtete er aus dieser Frage seines Lebens
und seiner Kunst heraus das Sonett „Hellenik und Ro-
mantik" :
„Könnt Genua, ich tausendfach mich theilen,
In Deinem Hafen mit den Wellen fliessen,
Empor mit Deinen Goldorangen spriessen
Mich wölben kühn mit Deinen Marmorsäulen
Zu Deiner Töchter Schaar, ein Heros, eilen,
Der Gluthenaugen Schleier aufzuschliessen
Und alle Nektarkelche zu geniessen,
Ausschlürfen jeden, und bei keinem weilen."
Diese Romantiker- Sehnsucht wies er damals ab. Die
wundervollen Strophen zeigen die enge Verbindung des
237
Lebens- und Kunstwillens bei Werner als durchaus be-
wusst.
Die Einstellung auf das Religiöse in immer deut-
licherem Hinweis auf den Katholizismus musste bei seiner
seelischen Lage, deren Gleichgewicht völlig gestört war,
diese Tendenz verstärken und charakterisieren. Der Liebe-
begriff war Systemmittelpunkt und hier setzte die Ent-
sagungsforderung besonders heischend ein. In der Kuni-
gunde war sie Konzeptionspunkt gewesen, in Rom wurde
sie deutlich als das Einzige erkannt, was noch den Über-
tritt zum Katholizismus hinderte. Die sexuelle Entsagung
war der Mittelpunkt des Kampfes, in dem Werner immer
wieder unterlag.
Rasch fand Werner den Anschluss an die römische
Gesellschaft und wieder beginnt ein auf- und niederwo-
gendes Leben, das ihn von einem Genuss in den andern
warf, durch Bordell, Museum, Kirche, Künstleratelier in
wirrer, alles vergessenmachender Schnelle führte. Jäh
wechselnde Gefühle flackerten auf. Dann und wann wurde
der narkotische Taumel von blitzartig wirkenden Aus-
brüchen des Ekels und der Selbstverachtung durchbrochen.
Verzweiflung Hess den tollen Tanz aufführen. Hinter dem
scheinbar ausgelassenen Treiben ahnt man die furchtbare
Seelenqual. Die unbestimmte Angst vor einem Strafge-
richt, das ihm drohe, stand wie ein Gespenst hinter ihm.
Er wollte keinen Blick rückwärts in sein Leben, in sein
Inneres tun. Durfte es nicht, um nicht völlig zusammen-
zubrechen. Deshalb jagte er Körper und Geist in das
drängendste Gewühl der Genüsse, dass kein Augenblick
zur Ruhe blieb. Kein ernstes Gedicht gelingt ihm. Sein
Tagebuch gibt eine erdrückende Fülle von Namen, ver-
weilt aber nur selten bei einem Eindruck. Eine ängst-
liche Flucht vor sich selbst schien ihm wohl die einzige
Rettung vor der furchtbaren Angst vor Gottes Strafge-
richt. Diesem Gedanken war er verhaftet, sah ihn
in alles hinein, aus allem heraus. Schaudernd stand er
vor dem „ungeheuersten aller Kunstgenies": vor Michel
238
Angelo. Sein „jüngstes Gericht" packte ihn stofflich, weil
es in dem Bannkreis seines augenblicklichen Hauptgedan-
kens stand: Gottes strafende Gerechtigkeit. Aus seiner
Schilderung im Tagebuch spürt man das innere Beben,
das es in ihm auslöste: „Eine wahre gemalte Dantesche
divina commedia. Auf einem dunkelblauen Luftgrunde,
der schon das entsetzliche der Scene andeutet, erscheint
im Mittelpunkt des unendlichen Ganzen die Figur des
Erlösers in den Wolken, im Augenblick, wo er sich zur
Linken wendend, das entsetzliche: „Gehet hin, ihr Ver-
dammten, in das ewige Feuer!" ausspricht. Er ist ganz
nackend und nicht schön, aber grässlich majestätisch ....
Selbst die ihn in zahlreichen Gruppen umgebenden Erz-
väter (kolossale akadmische Figuren) sind von Entsetzen
ergriffen. Jeder hält sein Marterinstrument empor, Paulus
das Schwert, Laurentius den Rost usw., gleichsam im
Momente des Entsetzens, um sich auch vor der ihm dro-
henden Verdammnis (denn Herr wer kann vor Dir be-
stehen?) zu retten und es ist grässhch-furchtbar, wie das
Haupt des Bartholomäus mit abgeschundener blasser Haut
unten aus den Wolken nach oben emporguckt". In dem
(späteren) „Gesang über Michel Angelos jüngstes Gericht"
fieberte noch dieses Entsetzen und in den Rythmen des
Dies irae suchte es Ausdruck. Er hatte sich eine Dante-
ausgabe beim Antiquar gekauft und hetzte seine Phantasie
durch die furchtbaren Stätten des Inferno, mit jener grau-
sigen Wollust, die für ihn darin lag, sein eigenes Urteil
sich zu sprechen und die furchtbaren Qualen zu erleben,
die er in dem schaurigen Bilde Dantes für den Wollüst-
ling sah. Dann wieder schlug seine düstere Verzweif-
lung in eine haltlose, weichliche Sentimentalität um, den
völligen psychischen Zusammenbruch andeutend , dem
Werner entgegentaumelte. „Gang in den Klostergarten
Giovanni und Paolo herrliche Aussicht auf verschiedene
Stellen bei dem himmlischsten Wetter, ich weine aus
schmerzlicher Freude." Dazwischen beichtete er seinem
Tagebuch wieder von sexuellen Exzessen und am 9. Ja-
239
nuar berichtete er zum letzten Male von einer „Schäfer-
stunde comme il faut".
Langsam verebbte diese Hochflut, langsam wie eine
weiche dunkle Nacht kam die Ruhe. Reinend in seiner
schöpferischen Klarheit wirkte Raffael auf ihn, wie auf
alle Romantiker, mögen sie Maler oder Literaten sein.
Raffael war seit Wackenroder der „Lieblingsheilige" der
Zeit und vor seiner Kunst lernte Werner sich selbst
finden.
Am 18. Januar begann er die Canzone: Raphael
Sanzio von Urbino. Er feiert ihn als „Heiland der Far-
ben" für deren Erlösung er sein Leben hingegeben habe.
Raphael ist ihm der Vertreter der reinen Liebe. Er blieb
„der Einfalt treu", deshalb ist er der Unsterbliche. Eine
innere Sammlung vollzog sich und erhielt ihren dichteri-
schen Ausdruck in der „Kunigunde", deren Umarbeitung
er vollendete. Werner schien zu sich gekommen, er
wusste wieder weshalb er Rom besucht hatte, und den
Abschluss seiner inneren Entwicklung gab ihm Goethes
„Wahlverwandtschaften", das hohe Lied der Entsagung.
Erst am 31, Januar 1810 las ihn Werner bei Frau
von Humboldt. Der Roman musste auf Werner bei seiner
damaligen seelischen Lage entscheidend wirken. Er
schrieb darüber an Goethe, nachdem er seinen Übertritt
ihm mitgeteilt: „Beides (das Finden wie Offenbaren des
Katholizismus) verdanke ich, — o zürnen Sie nicht Huld-
vollster! — Ihren Wahlverwandtschaften. Nur unter der
Bedingung einer völligen Entsagung, heisst es darin, hatte
Ottilie sich verziehen, und diese Bedingung war für ihre
ganze Lebenszeit unerlässlich. Diese von Gottes Geist
Ihnen in die Feder diktierten, und als ich sie zuerst, vor
ihrer Herrlichkeit erstarrend las, von Gottes Blitz auf der
nämlichen Stelle, an der ich jetzt dieses schreibe, illumi-
nierten, ewigen Worte, sie sind es und — was auch der
deutsche Pöbel über mich lügen mag — sie, diese Worte
(und nicht der Sinnentand, die Phantasterei, die Gaukeley,
womit man alles Heilige und auch die Kirche, die ewig
•240
heilige überkleistert hat) sind es, die mich katholisch ge-
macht haben und mich zwingen, es mag auch über mich
ergehen, mag auch dabei von mir zu Grunde gehen, was
da wolle, es lebenslang und ewiglich zu bleiben!"
Die Veranlagung Werners machte es nötig, dass ein
solcher Ruf an ihn erging. Er weist selbst oft auf seine
Ängstlichkeit hin und der Ton seiner Briefe bringt für
die ängstliche Rücksichtnahme Werners fast Seite um
Seite Bew^eise. Die Unfähigkeit, sich selbst als Richt-
punkt seiner ethischen Lebensform zu empfinden, hatte er
nie überwunden. Das Ideeindividuum war theoretische
Forderung geblieben, und die Wurzel seiner Selbstvernich-
tungssehnsucht trieb auch diese Frucht. Sie keimte aus
dem Erlebnis der Antithese seines ich, die der „Einfalt"
bar war. Das war auch die Ursache seines Hangs in
allem natürlichen Geschehen einen Wink der Gottheit
ängstlich zu vermuten und zu erhoffen. Weil er sich in
zermürbender Selbstanalyse als unehrlich und zwiespältig
erfasst hatte, glaubte er der äusseren Zeichen nicht ent-
behren zu können. Das Aus-sich-Handeln als moralischer
Mensch blieb ihm fremd und von da aus erklärt sich seine
Unsicherheit bei jeder geistigen Handlung, sich als der
eigentliche Urheber aus geistiger Souveränität zu be-
kennen, wenn eine folgenschwere Tat geschah. Die vor-
handene Eigenbewegung des Geistigen versteckte sich
hinter der überall Ruf-suchenden und -findenden Fähigkeit
Werners, die hier Goethes Roman als den Endpunkt der
Ursachenkette zu seiner Konversion aufzeigte.
Der entscheidende Schritt muss gewiss gemäss seiner
schwankenden, impulsiven Natur ziemlich plötzlich ge-
schehen sein. Die wenigen Tagebuch -Notizen, die ge-
rade von dieser letzten Vorbereitungszeit vorliegen, sind
kühle, oft spöttische Bemerkungen. Keine tiefe, überhitzte
Mystik. Er erzählte allerlei Spass aus seiner „lieben"
Kirche, war fröhlich und aufgeräumt. Den auslösenden
Impuls zur Konversion gab ihn ein Erlebnis, das bezeich-
nend für Werner ist: eine Mädchenkommunion. Am
241
18. Juni heisst es im Tagebuch: „Gang in die Kirche zum
Bambin Jesu. — Mädchenkommunion: Erinnerung an meine
Bekehrung". Das Bild der jungen unschuldigen Kinder
in dem Dämmerdunkel der Kirche, die Wehmut die jeden
dabei fasst, die weiche Stimmung, die wie ein Weihrauch
über dem Ganzen liegt, musste bei der extrem reagieren-
den Seelenstimmung Werners von faszinierender Kraft
sein. Religiöse, ästhetische und (Mädchen-Kommunion)
unbestimmte sexuelle Reize vereinigten sich zu einem
Erlebnis, das Werner über das letzte Hindernis hinweghob.
Schon vorher hatte er sich allen Formen kirchlicher
Andacht anbequemt, mochte sich aber doch vor diesem
letzten allentscheidenden Schritt wehren. Da kam es wie
ein mystischer Rausch über ihn und erzwang die Tat.
Denn für Werner war die Konversion eine Tat, die Tat-
handlung, die er stets von sich gefordert hatte, zu der ihn
künstlerisch Goethe beim „24. Februar" gezwungen hatte,
die er menschlich nicht hatte erfüllen können. Nicht erst
später kam ihm das zum Bewusstsein. Bei seinem Auf-
enthalt in Paris hatte er zu Helmina v. Chezy geäussert,
als sie von der Abneigung sprach, die zwischen ihrer
katholischen Schwiegermutter und ihr, einer Protestantin
bestand: „Wundern Sie sich nicht, da sie eifrig katholisch
ist; die Scheidewand auf Erden ist wenigstens unüber-
brückbar." Und: Goethes Freundschaft stand auf dem
Spiel. Nach seinem Übertritt schrieb er ihm: „. . . .Ihre
mir in Weimar gesprochenen Worte tönen mir noch im-
mer in meinen Ohren. „Wer", sprachen Sie „mit mir
nicht gehen kann oder will, von dem scheide ich! Diese
Worte damals so viel als : Gehet hin ihr Verdammten in
das ewige Feuer; sie sind mir noch immer schrecklich!
Unter allen Opfern des Christentums, die ich nämlich
bringe, ist, Gott mein Zeuge, das schwerste: Die Mög-
lichkeit Ew. Exzellenz huldvolles Wohlwollen — (was
mir mehr ist als Sie sich vorstellen oder beflügelte Worte
aussprechen können) — zu verlieren. Aber ich werde
dieses schwerste aller Opfer mit blutendem zerrissenen
Hankamer, Zacharias Werner. 16
242
Herzen — bringen, wenn es sein muss." Noch in diesen
Worten vibrierte die ungeheure Erregung, die Goethes
Wort und die daraus von ihm gezogene Folgerung in
seiner schwankenden Seele hervorgerufen hatten.
Werner war aus seiner Unkraft heraus zum Helden
geworden, zum Helden der Schwäche; denn er kam zum
Katholizismus aus dem Gefühl seiner persönlichen Un-
fähigkeit, die anerkannte Entsagungsforderung sonst zu
erfüllen. Eine ungeheure Leistung ward ihm zugetraut,
wenn er entsagen sollte. War er dazu allein stark ge-
nug? Er selbst glaubte es nicht, hatte zu oft erlebt wie
sein stärkstes Wollen im Rausch eines Augenblicks ver-
sank, hatte noch auf seiner Reise von Coppet nach Rom,
in Rom selbst gesehen, dass sobald der Krampf seiner
Energie im Gang des Alltagslebens sich löste, er wieder
nicht Herr seiner selbst war. Er hatte ein Mittel nötig,
das sein Wollen, wenn es erschlaffen wollte, immer von
neuem aufpeitschte. Im Katholizismus mit seinen Sakra-
menten glaubte er es gefunden zu haben. Sein Wille,
seine ganze Persönhchkeit war gebrochen. In einem
Sonett vom 15. August 1810 raunte ihm der Dom zu:
„Gespalten, bin ich wie du, doch wird der Fels uns halten".
Das Gefühl der Nicht-Einfalt, das Doppel-Ich, das als das
Centralproblem seines Bewusstseins in allen Phasen der
Weltanschauungsbildung Lösung suchte, von der Böhme-
Schleiermacher-Forderung, über Fichtes Ideeindividuuni
und der Goethischen Forderung des Menschen als Kunst-
werk, in seiner Konversion sollte es überwunden werden.
Durch die Entsagung wurde der Mensch auf die Höhe
seiner künstlerischen Forderung gehoben. Wille und Le-
ben sollte sich so einen.
Das tief in seiner Persönlichkeit verwurzelte Sehnen
nach einem Einreihen, dem Eintritt in eine haltende,
stützende Organisation erfüllte der Katholizismus ihm.
Ein Aufgehen in die mystische Gemeinschaft der Heiligen,,
eine Vernichtung jedes individuellen Zuges seiner Reli-
gion; Glied-werden eines grossen Organismusses ward ihm
243
geboten. Sein Lebensvvunsch ging in Erfüllung, Mitglied
einer Gesellschaft zu sein , kein Neuleben schaffender
Prophet, aber ein Apostel, dem eine grosse, ihn ganz
erfüllende Idee eingegossen ward.
In nächster Nähe dieses inneren Abhängigkeitswillens
stand eine andere psychologische Tatsache, die der Vor-
liebe des Dramatikers für Ceremonien, Prozessionen und
pomphafte Aufzüge zu Grunde lag und auch in dem
Symbolsuchen Werners sich äusserte. Er musste irgend
etwas Handgreifliches, Fassbares haben, an dem sein Ver-
trauen, sein Glauben sich emporranken konnte. Deshalb
wollte er sich ein grosses, sichtbares Faktum schaffen,
das wie ein JMerkstein einen neuen Weg ihm andeutete.
Ein einfaches inneres Erleben war nach sovielen Zusam-
menbrüchen nicht mehr genug.
In den Ritus-Handlungen der Kirche, zu der er kon-
vertierte, war die Verbindung von Äusserem und Inneren
in feiner Psychologie der Schwäche stets vorhanden. Vor
allem das Bussakrament bot ihm eine durch äussere Zeichen
(ein Teil jedes Sakramentes) beglaubigte und fassliche
Absolution der wie eine furchtbare Last ihn zermalmen-
den Schuld vergangener Tage. Goethe erzählt in einem
Brief an Frau von Stein, er habe Karoline Herder von all
dem Unangenehmen, das sie in Karlsbad erlebte, durch
eine feierlich gegebene Absolution befreit. Dieses psycho-
logische Moment spielte bei Werner eine grosse Rolle mit.
Endlich frei werden von der Fluchlast, die ihn oft zu er-
sticken drohte und ihn ruhelos von Stadt zu Stadt hetzte
und in Rom zunächst seelisch zu töten drohte, war sein
erstes Wollen und das war der Weg, auf dem Werner
folgerichtig zum Katholizismus kommen musste und kam.
Er war nicht überzeugt durch intellektuelle Gründe,
kannte wohl kaum mehr als oberfiächhch die katholische
Dogmatik. Sie würde ihm auch kaum Schwierigkeiten
gemacht haben. Es gab am Schluss zwei Eventualitäten
für Werner: der Katholizismus oder seelischer und viel-
leicht körperlicher Selbstmord. Am 19. April 1810 schwor
244
er seinen Glauben ab und wurde in den Schooss der
„allein seligmachenden Kirche" wie Werner nicht ermüdet
sie zu nennen, aufgenommen.
Nicht zur Zufallsform des italienischen Katholizismus
konvertierte der Romantiker. Durch den Flor, den Ge-
schichte und Gewohnheit im katholischen Ritus um den
mystischen Inhalt legte, leuchtete ihm das echte Gold des
religiösen Erlebnisses. Er sah das Messopfcr und die
Sakramente mit den Augen Thomas von Kempens, durch
das Medium der religiösen Hyperästhesie dieses Mystikers.
Die Imitatio Christi war ihm Führer. Ein Kunstwerk
feinster Psychologie, durchfiammt von einem religiösen
Enthusiasmus, reich an glühendsten Ergüssen alles ver-
gessender, alles verleugnender Gottesliebe. Als die letzte
erschöpfende Möglichkeit der Verinnerlichung erschien
die Vereinigung mit Gott im Genuss seines Leibes. Das
Buch klingt aus: „Alle Vernunft und natürliche Unter-
suchung muss dem Glauben nach und nicht vorgehen
und darf denselben nicht schwächen. Denn der Glaube
und die Liebe sind hier das vorzüglichste und wirken
in diesem heiligsten und allererhabensten Sakramente auf
verborgene Weise. Der Ewige, Unermessliche und un-
endlich Mächtige tut grosse und unerforscliliche Dinge
im Himmel und auf Erden, und seine wunderbaren
Werke sind nicht zu ergründen. . . Wären die Werke
Gottes so beschaffen, dass sie von der menschlichen Ver-
nunft leicht erfasst werden könnten, so wären sie nicht
wunderbar, nicht unaussprechlich zu nennen." Völlige
Hingabe ist das Erfordernis: „Herr in der Einfalt meines
Herzens opfere ich Dir mich heute auf zu Deinem be-
ständigen Diener, zum Gehorsam und immerwährenden
Lobopfer." Solche Gedanken wurden ihm hier geboten.
Noch ein anderes religiöses Genie beeinfiusste die
Conversionsstimmung. Am 27. Dezember ISIO sagt sein
Tagebuch: „Ich lese dem Rauch und ältesten Riepenhausen
den Wettstreit der Nachtigall und Spiegel der Liebe von
Spee vor." Auch der war Werner kein Fremder mehr
245
und hatte ihn schon Jahre begleitet. Ein leichter eroti-
scher Ton schwingt in seinen Gedichten wie bei jeder
Mystik mit und wurde stets von Werner als w^esensver-
wandte Stimmung aufgenommen. Stärker bot den Novalis
und in dem Glutmeer erotischer Religiosität, das in der
„Hymne" flutet, tauchte Werner unter, berauschte sich
an den hysterischen Visionen sexuell überhitzten Fühlens,
Von dieser Seite sah er den Katholizismus bei seiner
Konversion. Elemente seines alten Liebe -Religion- und
Kunstsystems schimmern durch. Damals aber lernte er
auch Franziskus von Assisi kennen. Die wunderbare
Harmonie dieses einzigartigen und künstlerischsten Hei-
ligen erschien ihm als Jdeal des Christentums überhaupt.
Die glückliche Verbindung reinster Einfalt mit tiefinnig-
ster Mystik war auch sein Ziel. Er einer der komplizier-
testen, dififerenziertesten Charaktere sah in dieser einheit-
lichen Persönlichkeit den „üniversalmenschen". den Ka-
tholiken.
Erst ganz langsam wuchs er in den dogmatischen
Katholizismus hinein. Zunächst nahm er fast nichts auf,
das dem innersten Wesen seines Charakters widerspräche.
Die Conversion änderte ihn mit Ausnahme seines sexuellen
Lebens nicht. Noch in dem Brief an Goethe kam zum
Ausdruck, dass Werner glaubte, nicht zum historischen
Katholizismus übergetreten zu sein, sondern zu dem, was
er als das eigentliche Wesen dieser Form empfand. Er
lebte in der Ekstase, nicht in der Wirklichkeit konfessioneller
Religiosität. Das kam auch in seiner Kunst zum Aus-
druck, sogar einmal begrifflich und polemisch in der Kuni-
gunde, die er stark umarbeitete.
Die starke Gefühlserregung der Zeit schlug sich nie-
der in den h'rischen Arabesken, die als flimmerndes Linien-
gewirr die Gestalten seines Dramas umspielen. Probleme
und Stimmungen wurden dargestellt oder vertieft, die in
dieser Zeit in Gedicht und Tagebuch das Wort suchten.
Die Sprengung der Form von innen heraus, die krank-
haften Äusserungen der hysterischen Religiosität werden
246
wohl jetzt noch stärker geworden sein und der äusseren
Änderung an Stärke entsprochen haben.
In seiner Lyrik formten sich in dieser Zeit Sonette,
deren weiche, verschwebende Stimmung nur mühsam in
der Pointe zusammengehalten wird. Jeder scharf zu-
fassende Gedanke, jede intellektuelle Bestimmtheit fehlten;
alle tatsächlichen Conturen sind verwischt. Eine Vision
steigt auf, die nur das Gefühl, das Schauen einer wunder-
vollen Zartheit uns gibt. Eine weiche, zerfliessende Nacht-
stimmung, die zur Mystik verdunkelt wird. Die Doppel-
form Werners zeigt sich hier wieder. Neben solchen
Sonetten stehen spitzfindig - logische. Die Realität wird
stets vergeistigt, wird S3'mbol oder Gedanke.- Eine Flucht
vor der Realität.
In seiner Kunst wird klar, dass der Akt der Conver-
sion im letzten Sinne eine Flucht vor der Tätigkeitsfor-
derung Fichtes sein sollte, wenngleich die geistige Arbeits-
leistung dabei anerkannt wurde und ohne das Pflichtmuss
dieses Philosophen von Werner wohl kaum geleistet wor-
den wäre. Das wesentlich Fichtische aber, das Werden
der Tat aus dem Menschen selbst, wurde von Werner
zunächst aufgegeben. Er suchte jedenfalls die Gnade,
die Hilfe Gottes und drückte das in seinem Tagebuch in
dem Ausruf aus, der aus tiefster Gewissensqual empor-
stieg: „Gott sei mir Sünder gnädig." Werner wich immer
mehr zu dem Unkraftbegriff zurück. Ziemlich deutlich
ist die Stimmung der Conversion und die spätere eigent-
liche Aufnahme des Katholizismus von hieraus zu unter-
scheiden. Eine Übergangszeit verbindet sie mit einander,
die in ihrer Wertung besonders vorsichtiges Einfühlen
nötig macht.
Aus der Conversionstimmung kam Werner langsam
zum Alltagsleben. Eine Zeit ohne scharfes Profil ; ein
ständiges Vibrieren seelischer Zustände. Man schaut ein
erquickliches Nebeneinander von keimendem Neuleben und
verdorrendem absterbenden Alten. Es ist kein sieghaftes,
schnelles Umschaffen aller Inhalte; denn Werner kam
247
von einer negativen Seite und so musste naturgemäss die
Hauptkraft des Katholizismus in dem Negativen, Prohi-
bitiven liegen. Bei einer solchen Situation war ein jäh
■umwechselnder Tenor unvermeidlich: Doppelt stark bei
Werner. Aber trotz dieses irrenden Wechsels der Gefühle
und Anschauungen, die mehr Reaktionen waren, zeigt
sich eine Tendenz zur Klärung der bis ins Tiefste auf-
gewühlten Seele durch diese Zeit.
In den glühenden Ekstasen seiner Konversionszeit
mochte Werner sich als weit über den natürlichen lang-
samen Verlauf dieses Umformungsaktes vorwärts getrieben
fühlen. Alles schien versunken und er sprach mit Thomas
von Kempen zu dem „Geliebten" und kostete die Süsse
seiner Liebe von der Spee und Novalis wussten. Und
jetzt noch sind diese Stimmungen nicht selten. So er-
zählt das Tagebuch am 20. November 1810: „Ging mit
ihm (Pallavicini) in die Kirche Maria inviolata nach 8 Uhr
abends, wo das Sakrament des 48 stündigen Gebetes we-
gen ausgesetzt ist. Es ist noch der Bruder Odechalskis
und ein anderer Italiener da und ein paar Geistliche.
Wir halten bei verschlossenen Türen und angesteckten
Lichtern bis zwei Uhr nach Mitternacht die Officie und
andere Gebete. Eine für mich sehr rührende Scene, bei
der ich mitbete und mich meines künftigen Klosters er-
innere " Wir sehen das Bild seines Klosters wie
er es schaute in solchen Stunden. Die mit Schattenflor
umwundenen Säulen; wie durch einen wallenden Vorhang
ist die Kirche durch das Dunkel geteilt von dem AUer-
heihgsten, wo vom flackerndem Kerzenlicht umflossen die
Eucharistie siegend strahlt; in die Stille der Nacht fällt
das halblaute brünstige Beten und von dem flimmernden
glitzernden Gold der Monstranz flutet in zitternden Wellen
glühende Andacht in die Herzen der Mönche, die der
Welt und dem Fleische absterben. Wir sehen die bleichen
Asketengesichter und die brennenden ekstatischen Augen
scheinen Visionen zu schauen von ungeahnter Schöne,
wie Kunigunde sie sah, wenn Gott sie „umwand". Karo-
248
line Humboldt schrieb er: „. . . . Ich bin seit 14 Tagen in
Albano wieder bei meinen lieben Kapuzinern. Gott hat
mich Sünder durch einen Frieden begnadigt, der, wena
er gleich oft von bitteren Reuetränen unterbrochen wird,
doch mir Momente gewahrt, die über alle Beschreibung
süss und herrlich sind. . . . Keiner stört, so kann ich der
kostbaren Einsamkeit so recht treulich in der besten Ge-
sellschaft, die ein Mann haben kann, nämlich in der der
Bibel, des Thomas a Kempis und des Dante .... geniessen
. . . ," Eine Mondnacht schilderte er in ihrem Genuss:
„Eine Schwelgerei, deren Süssigkeit zu beschreiben ich
keine Worte finde."
Mit Vorliebe weilte ei in den Klöstern, deren Un-
Wirklichkeit er unbewusst als wesensverwandt fühlte.
Eine bange Furcht, dass ein roher, rauher Laut in die
scheinbare Ruhe seines Lebens falle und wirrende Kreise
ziehe, lag in ihm.
In Rom war der Kreis seiner Freunde, die diesen
Zustand äusserlich repräsentieren, der, den wir heute „die
Nazarener" nennen. Einen leicht asketischen Zug er-
kennen wir in ihrem Charakter. In ihrem Leben herrscht
der herb-ekstatische Gestus, der ihre Bilder kennzeichnet.
Will man ihr Wesen fassen, so drängt sich Böcklins
„Franziskus" der den Fischen predigt, vor die Augen.
Die eckige, ungelenke Art ihres Schauens, die prachtvolle
Leidenschaft des mühsam gezügelten Rythmus, derselbe
klare und doch schwärmende Blick der grossen Augen.
Tief hatten die seelischen Qualen dieser Zeit Werner
zerwühlt und zerrissen und den ekstatischen Zuständen
folgte tiefste körperliche Erschöpfung. Dazu noch der
nervenzerrüttende Kampf gegen jede sinnliche Regung. Der
Körper, sexuell an reichliches Geniessen gewöhnt, musste
den plötzlichen Wechsel zur strengsten Askese krampf-
haft empfinden. Ein wohl nervöser Zusammenbruch blieb
ohne ernstere Folgen, kennzeichnet aber die Stimmung.
Das äussere Bild Werner, die dunklen brennenden Augen
in dem bleichen Gesicht, das seine schlaffen sinnlichen
2uy
Züge in nervöser Spannunc^ hielt, seine visionäre Andacht^
mit der vor dem Altare im Gebete zerfliessend „hinge-
gossen" lag: Wer ihn, den „Santo^ so sah, musste glauben,
dass diesem überreizten Fühlen die groteskesten Pläne
entspriessen würden. So hiess es denn auch bald in
Deutschland: Werner lebe als Eremit auf dem Vesuv und
Fr. Schlegel schliff an dieser Exaltiertheit seinen Witz. Wir
erleben den Vorgang, dass eine grossangelegte feinnervige
Natur die Flut der Gefühle, die das Christentum in sich
trägt, in die Abgründe der Seele, des Empfindens und des
Willens strömen lässt. Wie trunken ward er davon und
seine Worte klangen wie Gestammel, das den Nüchternen
lächerlich schien. Ähnlich war es bei der Konversion
gewesen, aber wir merken ein Neues. Es fehlt fast jedes
erotische Element in dieser Empfindung. Immer mehr
läuterte das Gefühl sich zur reinen Flamme.
Und neben solchen Stunden stehen Augenblicke tief-
ster Verzw^eiflung, dunkelster Angst.
Oft wird er erkannt haben, dass er viel opfern müsse
auch von dem, \vas ihm gut schien. Dann stiegen die
Zw^eifel auf, ob sein Schritt gut und ehrlich war, der ihn
in den Schooss der katholischen Kirche trug. Und dann
w^ühlte er sich erneut in die Stimmung der Andacht, wo
Gott „die Seele küsst", so dass sie alles vergisst, um
später doppelt stark die furchtbare Öde wieder zu emp-
finden und völlig zu verzw^eifeln.
Er hatte seine Konversion aufgefasst als den Ab-
schluss seiner Entwicklung, als das grosse Nirwana, ^vo
nichts als Ruhe sei, nach der er verlangte. Und nun
war es ein neuer Kampf, den es auszukämpfen galt.
„Mädchenbalgerei auf dem Petersplatze auch in einer
Strasse. Bei beiden werde ich versucht und laufe in
der Qual und Angst meines Herzens zu Ostini, dem ich
beichte." Eine Woche später schreibt er die Stelle aus
der Nachfolge Christi in sein Tagebuch: „quod non est
securitas de tentatione in hac vita." Und einmal schwankt
sein ganzer Glaube, das Fundament, auf dem er sein
^50
neues Leben beginnen wollte. Es war bei dem F'est des
heiligen Januarius in Neapel. „Jedes betete, was ihm
einfiel, die Meisten laut, Andere still; entsetzlich laut
schrien die dem Heiligen verwandten Weiber, besonders
eine Alte, die Vorsängerin oder Vorschreierin schien ; sie
schrie ganz entsetzlich. Pausen weise hörte das Geschrei
auf, um dann verstärkt anzufangen. Es war wie ein
eigentlich peruanischer Götzendienst, und doch unendlich
rührend und herzzerreissend. Die Humboldt versicherte,
dass wie man ihr erzählt, das Volk bei einer Gelegen-
heit, wo das Blut nicht fliessen wollte, zum heiligen Ja-
nuar geschrien habe : Ruffiano, wenn Du das Blut nicht
fliessen machst, so werfen wir dich ins Meer. Es sei,
wie ihm wolle, ich habe nie mit solcher Inbrust beten
sehen. Auch ich war ergriffen ; das Volksgedränge, das
wilde, immer zunehmende Geschrei, einige vorhergegan-
gene Gespräche mit Schlosser, worin er mich über meinen
Glauben verwirrt hatte. Alles drang auf mich ein, und
ich betete in der unbeschreiblichen Angst meines Herzens,
dass das Wunder geschehen möge. Umsonst. Endlich,
fast einer Ohnmacht nahe, bete ich mit noch tieferer In-
brunst: „Gott, wenn ich durch Deinen Geist getrieben an
diesem grünen Donnerstag den grössten und entschei-
densten Schritt meines Lebens that, wenn wirklich dieser
Glaube der allein seligmachende ist, so gieb mir durch
Flüssigwerden des Bluts deines Heiligen davon ein un-
trügliches Zeichen und ende die Angst und Zweifel meiner
Seele, gieb mir ein Zeichen, dass ich Recht getan habe!"
Kaum hatte ich das gebetet so — Dank sei Dir ewig all-
waltende, mit unseren kindlichen Unarten barmherzige
Gnade — so in demselben Augenblick fast schrien Priester
und Volk auf: Das Blut fliesst! Jubelnd fing die Musik
an, Alles jauchzte vor Freude und ich, ich war ausser
mir vor Freude, denn mir war es gewiss ein Wunder.
Ich küsste Schlossern, mit dem ich bis dahin und hinter-
her leider Gottes nicht gut stand, heimlich, und er drückte
mir die Hand Schlosser hält es demohnegeachtet
251
für ein hermetisch verschlossenes Gefäss und glaubt, es
sei ein plumper Trug. Dem sei, wie es wolle, es floss,
als ich gebetet hatte, mir zum Trost, mir war es ein
Wunder und ewig unvergesslich ist dieser Tag, Halle-
lujah!"
Immer wieder finden wir den charakterisierenden
Wellengang der Stimmung von Reue zur Seligkeit, von
Verzweiflung zum Frieden. Aber dieser Wechsel war
nicht mehr so gewaltig, alles in seiner elementaren Wucht
zerstörend wie früher. Das Reueerlebnis im Wissen um
eine Befreiung war lösend und reinigend. Eine hoffende
Freude lag über seinem ganzen Leben, über allen Worten
trotz der Zweifel, die sie aussprechen.
Die Aktivität, die durch die Konversion zurückge-
drängt worden war, regte sich erneut. Die einmal wir-
kend gewordene Kraft der Philosophie des Willens konnte
nie ganz getötet werden und nahm unter der Gunst der
Umstände immer mehr die Führung. Die selbst gestellten
Forderungen der ersten römischen Tage wurden aner-
kannt. Der Geist seiner Mutter nahte sich ihm versöhnt
und hielt doch die Spannung ihrer Forderung bei, die er
schon durch die Konversion erfüllt geglaubt hatte.
Die nun beginnende geistige Tätigkeit Werners zeigte
sich vor allem in dem regen Interesse, das er Rom als
Kunststadt entgegen brachte. Seine Analysen der Ge-
mälde und Kunstwerke waren nicht mehr so durchtränkt
von dem seelischen Drang nach inhaltlicher Jdentifikation,
nicht mehr so aufpciischend. Ruhiger betrachtete er die
Formschönheit, erging sich in mehr formal - technischen
Fragen. Er war in sich selbst sicherer, überlegener ge-
worden und vermochte nun schon eher das spielerische
Element des Künstlerischen zu erfassen, das eine sou-
veräne Stellung auch des Beschauers nötig machte. Wer-
ner stand jetzt mehr im Bewusstsein eigener Art und
eigenen Wertes den Kunstwerken gegenüber, zerfloss
nicht mehr so grenzenlos und unpersönlich im lyrischen
Erleben mit dem Anderen. Er schloss sich ab und musste
bei seiner Art dadurch selbst handelnd und fordernd dem
Fremden entgegen treten.
Wie bei ihm eine stärkere Betonung des Individuellen
gleichzeitig die Tätigkeitsforderung bei der Aufnahme
Fichtes veranlasst hatte, so machte sich auch hier sofort
mit dem Vollendungsgefühl der Persönlichkeit der Drang
nach Tätigkeit, nach Einwirkung auf die Menschen be-
merkbar. Das ist die notwendige Antithese des Auf-
gehens in das Universum, ein nur scheinbarer Gegensatz
dazu. Wie künstlerisch dieser Trieb nach der Einführung
des Jdee-Individuums sich geäussert hatte in dem Ver-
such, die Natur mit seinem Individualanteil am Absoluten
zu gestalten, so zeigte er sich menschlich stets, als
Proselytenmacherei und Werner erklärte das mit Schleier-
macher als etwas selbstverständliches schon als er sich
zur Romantik bekehrte. Dieses Phänomen ist im geisti-
gen Leben allgemein gültig und nur wieder in seiner
Stärke eine Eigenart Werners. Der romantische Gesell-
schaftstrieb, der aus dem Einigkeitsgefühl ihrer bizarren
Individualitäten entsprang und ihren feinsten Ausdruck
in der Lehre des späteren Fichte erhielt, äusserte sich
hier positiv. Werner wollte jetzt die Isolation, die jede
Persönlichkeitsvollendung zur Folge hat, dadurch aufhe-
ben, dass er die Menschen zu sich bildete, wie er stets
aus diesem unbewussten Wollen heraus sich als Erzieher
im kleinen und als Kunstprediger im Grossen gerirt hatte,
wenn er eine bestimmte geistige Einheit erreichte.
Die Inhalte seiner seelischen Form standen jetzt na-
türlich unter dem Eindruck seiner Konversion. Die neue
„Idee" erfasste ihn, ermöglichte ihm ein neues Priestertum
im Dienste dieser Idee. Er fühlte sich von ihr durch-
drungen, ganz erfüllte ihn das Gefühl des ihm Entspre-
chens und war ihm Beweis der Wahrheit. Ihm war das
Flüssigwerden des Blutes ein Wunder und ihm wurde
die Konversion zum Heile. So stark und bewusst wurde
das Persönlichkeitsgefühl von ihm erlebt. Der seelische
Egoismus des Christentums, der in dem Glauben an die
253
persönliche, unsterbliche Seele wurzelt, kam bei Werner
deutlich zum Vorschein ; denn das Christentum ist keine
persönlichkeitverncinende Religion im höheren Sinn,
Bei der W'egrichtung. aus der Werner zum Katholi-
zismus kam, musste diese Seite der katholisch christlichen
Lehre besonders deutlich Form annehmen. Die Persön-
lichkeitsvollendung war das grosse Ziel zu dem Werner
strebte und war die Konversion selbst mehr als Verzicht
auf eigenes Wirken gedacht, für Werner wenigstens wur-
den positive Kräfte im Katholizismus aktiv, die ihn zu
einer gewissen Tat-Vollendung führten.
Schon jetzt war ihm klar, dass er irgendwie tätig
sein müsse und das Problem seines Lebens und seiner
Epoche trat vor ihn : Künstler oder Mensch oder eine
Verbindung. Lange und schwer zweifelte er, wie er seinen
Beruf zu fassen habe. Ob er die „entweihte" Kunst
nutzen solle für sein Amt oder sich vollständig von ihr
trennen. Endlich entschloss er sich (nicht ohne Schwan-
ken in die andere Auffassung) für seinen Beruf als Priester-
Dichter mehr tatsächlich als theoretisch. Denn noch oft
erklärte er im Gedicht nicht mehr würdig zu sein, „Die
Oriflamme^ dem Volke vorzutragen. Durch sein ganzes
ferneres Leben zog sich dieser Zweifel weiter. Auch auf
dem kirchlich - religiösem Gebiet klärte sich seine An-
schauung, zeigte sich seine Schaffensfreude. Er wollte
wohl noch immer ein Kloster stiften, aber das sollte nicht
mehr eine Stätte der absoluten Verneinung der Welt, der
Überwindung der Tatsächlichkeit durch die Ekstase sein.
Werner, der sich sein Leben lang als Priester ge-
fühlt hatte, suchte auch in der neuen Ordnung einen
Meistergrad und als er die Stelle im Thomas von Kempen
fand: „Expecta ordinationem meam et senties inde pro-
fectum" w^urde sie ihm zu einem Zeichen Gottes. Er be-
durfte dazu, weil er dreimal verheiratet gewesen war,
der päpstlichen Dispens und wandte sich deshalb an den
in Savona gefangen gehaltenen Papst. Gleichzeitig be
gann er das Brevierlesen und detailierte Dogmatik- und
2Ö4
Bibelstudien bei Ostini, Es war kein schwärmerisches
Geniessen des mystischen Inhalts der katholischen Lehre.
Der Kardinal wird von Werner als eine unkünstlerische
Logikernatur geschildert, der ihm oft fremd erscheinen
musste. Dabei besass trotzdem Ostini ein feines psycho-
logisches Verständnis für dieses komplizierte Seelen-
leben und ahnte selbst in den Auswüchsen, die einem
Nur -Rationalisten als komisch und unwahr erscheinen
mussten, Wahrheit und Ächtheit, gebrochen und verzerrt
im Prisma einer ihm wesenfremden Natur. So war er im
erhöhtem Masse befähigt und berufen, dem Convertiten
Werner Führer und Seelsorger zu sein.
Für Werners Entwicklung war es von ungeheurem
Vorteil, dass er zwar tief religiöse, aber im letzten Sinne
nüchterne, praktische Charaktere fand, die seinem Hang
zur Mystifizierung der religiösen Wahrheiten wenig oder
gar nicht entgegenkamen und sich von der Energie seines
suggestiv-ekstatischen Stimmungen nicht mitreissen Hessen.
Auch seine überempfindliche Gewissensangst ward von
ihnen als kränklich empfunden und bekämpft. Neben
Ostini wurde vor allem der „alte, herrliche" Soccio, ein
Exjesuit für die Entwicklung Werners bedeutsam. Da-
neben — ebenfalls Jesuit — Pallavicini. Sie bringen ihn
in den Kreis der Mitglieder des aufgehobenen Ordens und
am 29. November teilt er Soccio den Wunsch mit „der
heiligsten aller Gesellschaften näher zu treten". Der ver-
sprach sich für ihn zu verwenden. Ebenso Pallavicini.
Werner erhielt die Regel des Ordens und fühlte sich
überhaupt schon als Novize. Umso stärker traf ihn dann
die Absage, die er von dem geheimen General des auf-
gehobenen Ordens empfing. Der Grund der Ablehnung
ist wohl zu suchen in dem natürlichen Gegensatz dieses
„Vernunftordens" gegen jede Extravaganz. Soccio hatte
sehr früh Werner dargelegt, dass Kasteiungen, Fasten
und so weiter nicht für einen Christen das Höchste sei.
Eine leise Furcht vor einem Zusammencruch dieser exal-
tierten Überreizung des religiösen Gefühls vor einem
Rückfall in die fühere Stimmung mochte m.itsprechcn.
Damals empfing Werner die Nachrieht, dass seiner Zu-
lassung zum Priesterstande nichts im Wege stünde; als
Neoph^'t müsse er aber ein Jahr warten. Er blieb zu-
nächst in Rom.
Mit dem deutschen Geburts- und Geistesadel, der da-
mals in Rom weilte, kam Werner schnell und innig in
Berührung. Prinz Bernhard von Sachsen-Weimar, Schlös-
ser, Willemer, Marianne Jung (Goethes spätere Freundin)
sie bildeten ein Gegengewicht gegen die weitabgewandte
Tendenz Werners. Hier war der Boden, auf dem er in
gesellschaftlichbeherrschter Form sich geben musste. Hier
konnte er nicht vergessen, dass es auch eine „Gesellschaft"
gab, die ihre eigenen Ansprüehe an das Individuum stellt,
dass Leben identisch ist mit dem Begriff „Kompromisse
schliessen". Hier sah er, wie das Christentum erschien in
der tatsächlichen Welt und dass es so anderes war, als
er sich denken mochte. Es gab noch etwas anders, als
glühende Betrachtungsbilder vor seine Seele zu rufen.
In der krankhaft - überfeinerten Empfindung dieser
Zeit mochte er dieses Leben als Sünde empfinden, wie
man ein gesundes Lachen als niedrig empfindet in den
Stunden, wenn uns die Erregung durchzittert. Aber diese
Tatsächlichkeit liess sich nicht leugnen und wurde ihm
immer deutlicher klar. Er erkannte hier, dass in ihm das
Zeug lag .zu einem Prediger einer aristokratischen Welt
und im Zusammenhang erscheint diese Zeit als die Vor-
stufe seiner späteren Wiener Tätigkeit. Und noch etwas
Neues gibt ihm dieser Kreis, woran allerdings auch die
„Nazarener" (ich fasse sie mehr als Gegensatz zu dem
Kreis Karolinens wie als Künstlergruppe) teilhaben: Liebe
zu seinem deutschen Volk.
Werner war der Zögling einer kosmopolitischen Welt-
anschauung, deren eigentlicher Keim im Humanitätsge-
danken der Klassiker liegt. Werners Idee der Gründung
einer neuen Kirche, seine Identifizierung von Maurerei
und dem Neuchristentum sind nur Variationen des grossen
Themas, chis die Geister der klassischen Epoche be-
herrschte. Diese Zeit hatte eine überreiche Fälle geistiger
Arbeit zu leisten und diese Aufgabe absorbierte die Mehr-
heit der geistigen Kräfte und Interessen. Und während
Preussen Jena und Auerstädt erlebte, erklärte und nuan-
cierte Werner sein System der Liebe-, Religion- und Kunst-
einheit. Trotz allen Suchens nach Altruismus war er eine
vollständig egocentrische Natur. Er sah seine Qual,
seinen Kampf in das All hinein und fand ihn überall wie-
der, selbst auch in dem Zusammenbruch des politisch-
militärischen Epigonentums Preussens. Wie er in seiner
Betrachtung der Natur nie zur Reinheit und Schlichtheit
durchdrang, so sieht er auch hier, wie in einem Märchen-
spiegel, in vergrössertem Mass nur sein eigenes Bild wie-
der, das Schicksal aller Künstler.
Man könnte das achtzehnte Jahrhundert und seinen
Kulminationspunkt die Romantik das Zeitalter der geisti-
gen Einigung und Erneuerung Deutschlands nennen und
gerade weil sie der politischen voranging, musste sie zu-
nächst den deutschen Geist unpolitisch machen. Die po-
litische Realität erschien der Generation Kants höchst
nebensächlich. Jede geistig - führende Epoche wird zu-
nächst internationale Tendenzen haben ; denn bis zu einem
gewissen Grade ist auf geistigem Gebiet das Internatio-
nale notwendige Voraussetzung, war es vor allem einer
Zeit, die das Absolute suchte in der Kunst wie in der
Philosophie. Der herrschende Absolutismus, der künstlich
das Volk von jeder Politik fernhielt, verstärkte den apo-
litischen Trieb der Deutschen, deren Leiter die französische
Revolution als internationale Befreiung der geistigen Füh-
rerschicht erlebten; denn das war ihnen das „Volk". Sie
fassten diese Bewegung im Grunde unpolitisch, kosmo-
politisch auf. Das geistige Plus der Revolution gegen-
über dem Absolutismus trieb Deutschlands beste Söhne
zum Sympathiesieren mit den Fremden und zerstörte die
Renaissance des nationalen Denkens, das durch den sie-
benjährigen Krieg neu aufgelebt war.
257
Die tiefe Erfassung des Geistigen als die Kraft der
Geschichte, die in der Weltanschauung Fichtes grandios
verkündet wurde, führte in diesem künstlerischen Zeitalter
zu einer Verzerrung und Übertreibung, die zu einem
innerlich haltlosen Literatentum leitete, deren wertvoller
Ausdruck die Tendenz der Romantik war, alles zu künst-
lerischer Vollendung zu steigern. Der wertlose war die
Verästhetisierung des öffentlichen Lebens. Eine Über-
schätzung des Literarischen fand statt, deren Folgerung
wir bei der Persönlichkeitsbildung Werners aufwiesen.
Als Görres 1807 seine Deutschen Volksbücher herausgab,
schrieb er das mahnende Wort, diese Volksbücher nicht
als rein stihstische Vorbilder zu werten, sondern sie ge-
haltlich als den Wegweiser in ein neues Leben zu er-
kennen. Nicht zu den wenigen Epigonen seiner Form,
sondern zum deutschen Volke wollte er sprechen, nicht
Literat wollte er sein, sondern Prophet. Kleist erlebte
ähnliches.
Die junge Generation, die in den gesicherten Besitz
des neuen Geisteseigentums kam, erkannte in der Lei-
stung viel mehr das spezifisch Deutsche, den Wert der
Volksindividualität in der Lösung der Weltkulturaufgaben.
Fast über Nacht war Deutschland in den Besitz eines
Geistesvermögen gekommen, das den Erben ein Gefühl
nationalen Eigenwertes geben musste. Die national-poli-
tische Auswertung der französischen Revolution durch
Napoleon erfolgte auf Kosten der anderen Völker und er-
zeugte früh die Stimmung, der Werner schon 1803 Aus-
druck verlieh im Wortgebrauch und Denkrahmen seines
damaligen Systems. Preussens Niederbruch weckte in
der jungen Generation alle Kräfte. Nach dem Worte des
Freiherrn von Stein wurde das Feuer, das Napoleon ver-
zehrte, in Heidelberg von dem Kreise der jungen Roman-
tiker angezündet. Görres, Brentano, Arnim arbeiteten an
der sittlich-politischen Wiedergeburt Deutschlands. Arndt,
neben Görres der politische Kopf der Generation, trat
auf. Sie alle aber standen mehr oder weniger auf den
Hankamer, Zacharias Werner. 17
258
Schultern Fichtes, dessen Reden an die deutsche Nation
wohl das Tiefste am packendsten sagten, was je von einem
Deutschen national gedacht und erlebt wurde.
Nur schwer hatte der Mystiker Werner den Weg zu
seinem Volke gefunden. Absolut unberührt aber konnte
er nicht bleiben und in der Gestalt des Aetius hatte er
seine Auffassung Napoleons dargelegt. In der ehrlichen
Verehrung der Königin Luise hatten sich auch nationale
Töne gefunden, und der Verteidiger Johannes Müllers, der
Bewunderer des Rheinbündlers Dalberg trat nun in der
Kunigunde als Prediger deutscher Einheit im Sinne eines
Gross-Deutschland auf: „Gott und die Eintracht!" Trat er
zunächst „in den Dom der Geschichte" um mystisch Gött-
liches, Ideen an historischen Taten und Menschen zu erläu-
tern, so war ihm doch auch Luther erschienen und Attila
hatte sich unter seiner Hand in einen deutschen König
verwandelt. Kurz vor seiner Konversion wollte er in der
Dramatisierung der Staufenzeit nationale Geschichte seiner
Kunst dienstbar machen. Der deutschnationale Zug ver-
tiefte sich in ihm. Als er nach den Kämpfen der Kon-
versionszeit wieder zur Ruhe kam, entwickelte sich auch
dieser Gedanke unter dem Einfluss der deutschen Gesell-
schaft in Rom, behielt aber das Zeichen dieses Augenblicks
bei. War sein Patriotismus bisher mit seiner mystischen
„Idee" durchsetzt gewesen, jetzt war er über den Katholi-
zismus gegangen und sollte dahin führen.
Als Prediger seines religiösen Patriotismus kam er
über die Alpen. Als ein Suchender hatte er sie auf seiner
Rom-Wallfahrt überstiegen, jetzt fühlte er sich reich ge-
nug^ seinem Volk von seinem Reichtum zu schenken. Er
hatte Heimweh gehabt nach Deutschland. Schon im
Oktober 1811 dichtete er ein Sonett „Die Tiber", das
zeigte, wie er das Land der Deutschen mit der Seele
suchte.
Noch einmal versuchte er vom Papst die Erlaubnis
zur Priesterweihe^, zu • erhalten. Politische Wirren ver-
eitelten^die Erfüllung seines Wunsches, dem zu Liebe er
259
allein so lange in Rom an der „falben, fahlen Tiber"
weilte. Er wartete bis 1813, aber jeder Verkehr mit dem
nach Fontainebleau gebrachten Papst war unmöglich. So
kehrte er nach Deutschland zurück, ohne diesen Wunsch
erfüllt zu haben, aber um ihn zu erfüllen.
Er wandte sich nach Aschafifenburg an seinen Gönner,
den Fürst Primas Dalberg. Man nahm ihn gütig auf.
Dalberg hatte er in einem Briefe die Gründe seines Schrittes
klargelegt und ihm den Wunsch eröffnet, durch seine Ver-
mittlung Priester zu werden. Ein kurzer Aufenthalt in
Köln unterbrach seine Reise. Als er wieder zurückkam,
war Dalberg inzwischen von dem Heere der Verbündeten
aus seiner Residenz verscheucht. Aber das Wohlwollen
seines alten Freundes ebnete ihm auch weiter die Pfade.
An dem Weihbischof von Kollberg fand er einen freund-
lichen Fürsprecher. Ebenso gewann er den päpstlichen
Legaten, der die Verhandlungen führte und zu einem
glücklichen Ende leitete. Ein Jahr musste er das Priester-
seminar in Aschaffenburg besuchen. Werner erfüllte diese
Bedingung mit Freuden und auch hier war sein Lebens-
wandel unsträflich. Nachdem die Formalien (besonders
was seine drei Ehen anging) vollendet waren, empfing
er am 16. Juni 1814 die Priesterweihe.
Natürlich machte dieser Schritt des Dichters der
„Weihe der Kraft" einen grossen Eindruck auf die litera-
risch gebildete Welt. In dem Brief Dorothea Schlegels,
der diese Tatsache berührte, spürt man den leisen Atem
des Misstrauens, das in den Worten sich birgt. Dann
kam „Kunigunde", die ihr klares, echtes Gefühl ethisch
wertete und als Verhöhnung des Höchsten empfand. Und
im Jahre 1813 (der Druck trägt die Zahl 1814) erschien
seine Weihe der Unkraft. Damals (am 23. Dezember 1813)
schrieb sie ihrem Sohn Philipp Veit: „Werner hat jetzt
meine Antipathie gegen ihn vollkommen fertig gemacht,
dass sogar Friedrich sie gutheissen muss. Er ^ hat ein
Ding drucken lassen „Weihe der Unkraft" (der Titel ist
so unsinnig wie das Werk) worin er Busse tut und die
260
Weihe der Kraft sozusagen widerruft. . . . Anstatt aber,
was eigentlich sündlich darin ist, das Unrecht gegen
Kaiser und Kirche zu widerrufen, bereut er oder tut, als
bereute er den „Karfunkel" und die „H^-azinthe". Das
ganze Ding ist ein solcher Extrakt von Hochmut, Eitel-
keit und Verwirrung, dass man durchaus gar keinen Be-
griff davon haben kann, wenn man es nicht selbst liest.
Eigentlich ist es nur, dass er sich ganz ausser Atem
läuft, um der jetzigen Mode von Deutsch und Religion
nachzukommen, damit er — Werner — nicht zurückbleibt ;
denn in Rom ist er, wie er nun sieht, etwas altmodisch
geworden. Dabei ist es ein Gemengsei von Nibelungen,
Kirchenväter, Evangelium, Dante und Friedrichs „Lied
eines Gefangenen" — kurzum eine wahre Tollhauswut. . . .
Friedrich hat den exellenten Gedanken gehabt, dieses
Zacharias Werner Busse mit Don Quichottes Busse in der
Sierra Morena zu vergleichen, wo er sich selbst die Schläge
auf den H. . . . zuzählt, um die Pflicht eines irrenden
Ritters zu erfüllen." So urteilte nicht allein Schlegel.
Das ganze katholische Wien war sich in der Verdammung
dieses Gedichtes einig, erklärte es für „verrückt". Und
nur wenige fanden sich, die dem „alten Kauz" wie Klinkow-
ström wenigstens die gute Meinung zubilligten. „Nur ist
sein Humor für andere nicht gut geniessbar" schreibt er
am S.Januar 1814. Werner hatte in seinen Dramen sein
S3'stem gepredigt und als er es jetzt wiederrief, wusste
die Mehrzahl nicht was er meinte.
Ein Widerruf seiner Lehre in dieser Form war von
Werner nicht verlangt worden. Sein seelischer Selbst-
vernichtungstrieb, dieser schwächliche Drang nach eigener
Verdemütigung, der ihn rauschartig über die Hemmung
seiner seelischen Schamhaftigkeit half, trieb ihn dazu. Die
erquälte Unkeuschheit des Geistes fühlte die seelisch-keusche
Dorothea in der Weihe der Unkraft und führte sie zu
dieser vernichtenden Kritik. Den eigentlichen Inhalt fasste
sie nicht, weil er im Gestrüpp wild wuchernder Worte
fast völlig verschwand. Die Schrift erschien in Frank-
261
furt. Dort befand sich gerade das Hauptquartier der Ver-
bündeten. Die geistige, politische und gesellschaftliche
Elite war versammelt. Da trat Werner vor sie und ver-
kündete seine Seelenwandlung. Ein Bild, das auf der
Grenze zwischen dunklem Ernst und grellster Komik steht.
„Gott grüss dich schön, mein deutsches erwachtes
Vaterland!
Zu dem von Rom der schönen mich trieb ein
Liebesbrand
Zum vollen Gotteskasten gab jener Witwe Hand
Ihr Scherflein, nimm das meine, Land dem mich
Gott verband"
beginnt sein Spruch, der in Nibelungenversen gehalten
im Tongemisch der von Dorothea angeführten Stimmen
weiter klingt. Dichterisch unter allem, was Werner gab,
psychologisch von grösster Wichtigkeit und für die Ent-
wicklung der Weltanschauung \^'erners von höchster Be-
deutung. So beschreibt er sein System:
„Durch falsche Lust verlockt, und durch das Spiel
der Sinne,
Doch wissend, dass aus Liebe der Quell der
Wesen rinne
Setzt ich der kranken Wollust Bild keck auf der
Liebe Thron
Und durch dies Gaukelblendwerk sprach ich der
Wahrheit Hohn."
Erweiternd setzte er in den Anmerkungen auseinander:
„Was ich . . . wahrhaft bekennen will ist: dass eine krank-
hafte Ansicht der sogenannten Liebe, die ich mit der
Caritas, der sie doch diametral entgegengesetzt ist, ver-
wechselte, mich verleitet hat, jene gnadenlose, selbst-
süchtige, für das Hauptmotiv des Höchsten in uns (was
nur die gnadenvolle, gottsüchtige Caritas sein kann) —
zu halten. Und zu dem Wort Caritas macht er die An-
merkung: „Es ist ein Hauptmangel unserer deutschen
Sprache, dass wir für Caritas kein deutsches Wort haben.
Ich würde vorschlagen, sie Liebe zu nennen und mit
262
diesem oft gemissbrauchten Wort sparsam umzugehen.
Dagegen für die sogenannte irdische Liebe das alte Wort
„Minne" wieder in Kurs zu setzen." Als Apostel dieser
„Liebe" nennt er Friedrich von Spee und seine Mutter,
deren Gedichte nicht mitgeteilt werden könnten. Über
den Begriff der „Mutterliebe" ist diese Definition gegangen.
Die höchstmögliche Höhe der Caritas beim Menschen ist
jetzt ihm die Liebe der Mutter. Hier fand die Verbindung
zwischen den leitenden Tendenzen seiner Konversion
statt. Die sexuelle Entsagung und die Mutterliebe ver-
einten sich hier und er erfüllte später nach seiner Fähig-
keit die Forderung des religiösen Künstlertums in dem
hohen Lied der Mutterliebe: „Die Mutter der Makkabäer".
Die „Weihe der Unkraft" sollte sich nicht gegen sein
Lutherdrama, als Darstellung des Reformators wenden.
Ausdrücklich betonte Werner das. Er habe als damaliger
Protestant nichts getan, das er widerrufen müsse. Mehr
durch Äusseres als Inneres ist der Gegensatz zu dem-
Lutherdrama im Titel pointiert. Die Unkraft ist der Be-
griff der Demut in m3"stischer Färbung. Böhme hatte ihn
dem Hörenden gesprochen. Man hat damals den Kampf
gegen Napoleon als den Kampf gegen den Individualismus
gefasst. Eme Reaktion der Massen gegen den Grossen, das
Genie. Diese Zeit ist demütig im weiteren Sinne und die
Mahnug Werners trifft das Charakteristische seiner Epoche.
Aus dem tiefen Erleben seiner Seele quoll diese Forderung
auf und einte sich mit dem unermesslichen Strom der ganzen
Generation. Eine Erkenntnis, die im engsten Zusammenhang
mit dem Demutbegriff steht, erklärte er beizubehalten. Er er-
hielt sie von der Maurerei, wie sie ihn andererseits zu ihr
brachte, dass nämlich die „drei Grundsäulen aller mensch-
lichen Wechselwirkung, Meister-, Brüder- und Jüngerschaft"
seien. Es ist nichts anderes als ein Mittel innerer Organi-
sation der Menschheit untereinander ohne jede Erotik;
deren psychische Wurzeln wir ausgruben.
Vor allem in der Stellung, die er der Frau zusprach,
kam seine Wandlung in der Stellung zum Eros zum Aus-
263
druck. Er sah sie als Hausfrau und Kameradin des
Mannes. In seinen Worten lag eine Absage an die
romantische Auffassung des Weibes. Ihm war sie stets
das passive Element gewesen. Sie hatte nur eine Existenz
als andere Hälfte des Mannes, mit dem zusammen sie die
höchste Vereinigung mit Gott erlebte und erleben sollte.
Sie besass die Stelle des Vermittlers zwischen Gott und
Mensch, eine Stellung, die nur Existenzberechtigung hat
im Blick auf den Mann. Das wurde hier deutlich, wo
der Beruf der Frau als Gattin zurücktrat hinter dem der
Mutter. Das ist jetzt Werners höchstes Ziel der Frau.
Die körperliche Jungfraunschaft wird ihm nie Zweck eines
Frauenlebens, ist stets nur Übergangsphase. Die Frau
soll Mutter sein. Die Weihe der Unkraft hat den tiefen
geistigen Gehalt des Muttertums kaum angedeutet, den aus
reinstem Erleben unter den Neuern Johannes Sorge aus ähn-
lichen gedanklichen Keimen im Geiste der Mystik zu ge-
stalten wusste. Die gewollt unmystische Auffassung der
Geschlechtsliebe Hess ihn nicht dazu gelangen. Das ist
die tiefe Wandlung, die sich in der Wertung der Frau bei
ihm zeigte: Die mystische Erotik, die Werner zur „Ver-
klärung" des Weibes veranlasste, fiel weg und machte
einer brutal nüchternen Anschauung Platz.
Die „Weihe der Unkraft" bietet ihrer Natur nach nur
die schroffe, scharfpointierte Zusammenfassung der Resul-
tate seiner Entwicklung der letzten drei Jahre. Werner
hatte damit sein Amt als Prediger begonnen. Auch auf
die Kanzel trat er und sprach. Damals besuchte ihn
Otto Heinrich Graf von Loeben. Den Eindruck, den
Werner auf ihn machte, beschrieb er in einem Briefe an
Eichendorf: „Auf dem Marsche ging ich nach Aschaffen-
burg zu Werner, der, wie Du wissen wirst, nun Priester
ist. Er war damals auf dem geistlichen Seminario und
empfing mich mit der innigsten Liebe und Teilnahme.
Ich habe ihn, auch besonders in seinem Äusseren, wür-
diger und stiller gefunden als ehedem. Er ringt nach
der Wahrheit und erkennt seine Mängel und seine sünd-
264
hafte Reizbarkeit mit echt christlicher Demut und Rück-
sichtslosigkeit, der es nur um das eine zu tun ist. Gott
nehme immer mehr jede leise Eitelkeit von ihm weg, denn
es kann auch eine geistliche geben."
Dieser Brief ging nach Wien,
XL Kapitel.
Der Katholik.
Werner hatte nicht vor, in Aschaffenburg zu bleiben.
Er suchte einen grösseren Wirkungskreis, als er hier sich
bot. Geborener Preusse musste ihn Berlin locken. Aber
mit Preussen verband ihn kein innigeres Band, zumal da
er jetzt Katholik war und sich zurückgesetzt fühlte. „Mein
liebes Vaterland hat eben keine besonderen Ansprüche an
mich und da mein gnädiger Monarch mich nach 13 jährigem
ihm geleisteten Packeseldienste huldreichst dem Hunger-
tode preisgibt, während er den Herrn Clemens Brentano
und andere grosse Männer zu Berliner Professoren der
Ästhetik kreiert, so habe auch ich, wiewohl ich aus vielen
Gründen nach Deutschland zurück muss, nicht eben vor-
zugsweise Lust, meine letzten Pilgerschritte gratis im
Berliner Triebsand zu machen, sondern bin in gewisser
Rücksicht vogelfrei." Es war natürlich, dass Werner sich
an eine katholische Macht anzuschliessen suchte. Bayern
und Österreich boten sich da. Er wählte Wien, das er
schon vorher gesucht hatte und wohin der Kongress wie
ein saugender Strudel alle Elemente zog, die einen grossen
Kreis für ihre Handlungen suchten. Für ihn, den Prediger
der modernen Gesellschaft, bot sich lockende Gelegenheit.
Wien besass dazu schon seit dem Erfolg der Vor-
lesungen Wilhelm Schlegels den Charakter eines Sammel-
platzes für die Romantiker. Friedrich Schlegel und Doro-
thea weilten schon lange Zeit dort, Eichendorf und eine
265
Menge von Geistern zweiten und dritten Grades gruppierten
sich um sie: Gentz, Adam Müller und andere. Schon von
Rom aus hatte Werner mit den Kreisen der Wiener Ro-
mantiker Fühlung zu bekommen gesucht und erhalten.
Die Briefe an Frau von Humboldt wiesen am Schluss
stets eine Fülle von Namen auf, denen Werner empfohlen
werden möchte. Seine „Kunigunde" (III. Akt) erschien
im Wiener „Museum^" Schlegels, sein ganzes Bestreben
geht darauf hin, sie in Wien aufgeführt zu sehen. Sein
Name wurde schon genannt. Attila war nicht ohne ge-
fährdende Eingriffe der Zensur erduldet zu haben, in Wien
angenommen worden und erlebte mehrere Wiederholungen.
Von geschäftskundigen Händen war die Wanda zum Opern-
text verstümmelt und füllte die Kasse des Theaters. Nun
kam der von der Romantiker-Schule stets Totgeschwiegene,
vom Publikum als Romantiker erfasste Dichter als Katholik
und Priester nach Wien, in die Stadt und den Kreis der
katholischen Romantik. Seine Aufnahme war nicht all-
seitig günstig.
Bezeichnend dafür war sein Verhältnis zu Friedrich
Schlegel und Dorothea, deren Misstrauen vor dem hung-
rigen Enthusiasmus Werners psychologisch leicht zu ver-
stehen war. Auch mochten sie ein Kompromittieren der
katholischen Romantik durch ihn befürchten, wie sie es
für ihre Schule gefürchtet hatten. Pfingsten 1814 schrieb
Dorothea ihrem Sohn Johannes nach Rom: „Werner soll
in Aschaffenburg Priester geworden sein. Der hl. Geist
wolle ihn erleuchten und ihm die Weihe der wahrhaftigen
Einfalt und Demut verleihen." Am 14, August war er
in Wien und am 10. September 1814 schrieb Dorothea
Schlegel ihrem Sohne: „Werner ist endlich hier, er hat
uns gestern besucht, er ist ein Abb6 und hat schon in
Aschaffenburg gepredigt, auch hier schon Messe gelesen. . . .
Ich muss gestehen, sein Anblick ist mir nicht so zuwider
gewesen, wie ich es nach allen Beschreibungen erwarten
musste; auch ist seine Unterhaltung weit ungezwungener
und natürlicher, als seine Schriften. Unter das, was mir
266
ganz unleidlich an ihm vorkommt, gehört das rätselhafte
Niederdrücken der Augendeckel, die tiefen Reverenzen,
die ungeheure Schnupftabaksdose und der gemeine Ber-
liner Dialekt — doch sei versichert, wo wir ihm irgend
nützlich sein können, soll es mit grösster Freude ge-
schehen." Ein Jahr später heisst es: „Werner sehe ich
recht oft; der Aufenthalt in Wien scheint ihm sehr wohl
zu tun, geistig wie körperlich. Er scheint innerlich ruhiger
und gefasster zu werden." Das ist der Weg, den Werner
in der Auffassung des geistig-katholischen Wiens machte.
Man erkannte seine tief ehrliche Wandlung und glaubte
ihm. In den literarischen Kreisen Wiens wurde Werner
sehr geschätzt und war nebenbei einer der wenigen, die
Grillparzers Bedeutung früh erkannten.
Aber nicht dazu war er zunächst gekommen, um als
Dichter seinen literarischen Beruf zu erfüllen. Er war
Priester und Piediger. Carl von Dalberg hatte er er-
klärt, als Apostel in den Kreisen der Gesellschaft oder
als Volksprediger wirken zu können. Beides tat er hier.
Er sprach zu ,,lieben" Wienern wie zu der internationalen
Gesellschaft des Kongresses.
Der Wiener Kongress. Eine Fieberphantasie des
sterbenden 18. Jahrhunderts voll Glanz und Farbe, aber
mit dem eigentümlichen Ton des Halbwirklichen, der uns
erschauern macht. Die Epigonen der Epigonen. Ohne
Grösse und Überzeugung, Man kämpfte in Wirklichkeit
gegen das Neue, aber tat, als sehe man das überall
keimende Leben nicht. Es liegt etwas über dem Ganzen,
das uns nach dem Regisseur fragen lässt, der diese Szenen-
bilder mit Geschmack und Verständnis für theatralische
Wirkung stellte. Man glaubt den Geruch alter, übermalter
Kulissen zu spüren, die lange Zeit nicht gebraucht waren.
Vielleicht war der Wortschatz dieser Menschen ein neuer.
Der Schatz ihrer Idee schien nicht bereichert. Das alte
Leben begann, wo fast vor einem Vierteljahrhundert es
hatte aufhören müssen. Und neben diesen fast gespenstig
wirkenden Menschen, die nicht immer runden geglätteten
267
Menschen der neuen Zeit. Ein eigentümliches Geschlecht,
das halb im 18. und halb im 19. Jahrhundert wurzelte
mit einer hypertrophischen Entwicklung einiger seelischer
Organe, während andere verkümmert waren, Görres cha-
rakterisierte dieses Geschlecht, das einen Napoleon er-
zeugte und überwand: „Das ist die Verdammnis dieser
Generation, dass sie nicht auf einem Strome, sondern auf
stürmischen Wellen getragen, nicht weiss, wo sie ihr Haupt
hinlegen soll, weil alles noch schneller wechselt, als das
Fleisch und jeder Gedanke jeden Augenblick einen neuen
Herrn bekommt." Eine Mischung von Sehnsucht und Hohn.
Und in ihrem Schoss barg sie ihren Künder und ihr Kind :
Heine den Spätling der Romantik.
Von diesem schillernden Goldgrund hob sich die
düstere Gestalt des Busspredigers Werner ab, der mit
dunklen, lohenden Augen seine Visionen sprach vom Tod
und dem letzten Gericht, von Hölle und Ewigkeit. Und
wie früher sassen die Marquis in der Kirche, und ihnen
gehörte das leichte Grausen, das sie bei diesen W^orten
durchbebte als notwendiges, vererbtes und durch Tradi-
tionen geheiligtes Empfinden zum Leben.
Werner stand noch selbst unter den nur langsam sich
hebenden Schatten des „Entsetzlich Vielem fast Unverzey-
lichem", das ihn belastet hatte. In seinen Worten zitterte
noch die Angst vor unsühnbarer Schuld. Er selbst glaubte
sich befreit und erlöst und sah die anderen noch in den
Schatten, denen er entflohen. Aus diesem befühl sprach
er zu ihnen in dem bizarren Ton seiner Sprache, mit der
glühenden, selbstvernichtenden Qual seiner Seele. Er
sprach in Formen, die innerer Drang füllte und sprengte
und oft musste er diesen Menschen, denen die Worte da
waren, die Gedanken zu verheimlichen, „verrückt" er-
scheinen. Ihnen, denen jede Möglichkeit genommen war,
an die innere Wahrheit des Lebens zu glauben, ward er
zum Narr, dem man als mildernden Umstand einräumte,
dass er bona fide handelte. „Er tobt wie ein Narr, spricht
populär wie ein Fiaker und freut sich einen Ort gefunden
2fi8
ZU haben, wo ihm niemand widersprechen darf. Ein
Ärgernis der kathohschen Geistlichkeit wird er durch den
Erzbischof und Fürsten Metternich aufrecht erhalten, mag
es aber sonst wohl wie ein Schwärmer ganz redlich
meinen. Lebt übrigens auch still und ohne Ärgernis wie
ein guter Pfaffe. Eine unglückliche Liebe hat Werner
zum Narren gemacht", so urteilte K. v. Nostiz und Varn-
hagen von Ense schrieb: „Mehr noch als je vorher im
Schauspiel- und Gesellschaftswesen entfaltete er seine
Fratzenhaftigkeit jetzt auf der Kanzel."
So nahmen ihn die auf, denen der Glaube an Werner
fehlen musste. Auch in dem nicht romantisch-katholischen
Wien betrachtete man ihn mit einem aus Verständnis-
losigkeit erwachsenen Misstrauen, das unverhohlen zum
Ausdruck kam. Er störte den Durchschnitt, den Wien
immer so sehr liebte, war zu sehr Preusse auch als
römischer Katholik.
Als Bussprediger war er nach Wien gekommen und
hatte zu den Gliedern des Fürstenkongresses sprechen
wollen. Ein Fremdling in Wien zu den Fremden. Und
er wurde als Fremdkörper empfunden und gehasst. Der
Wiener Klatsch konnte sich nicht genug von ihm er-
zählen. Den noch teilweise josephinisch denkenden Geist-
lichen war er als Reformer verhasst. „Der Pfarrer Baron
Semerau bereute ihn zur Predigt geladen zu haben" lautet
eine Mitteilung der Polizeiakten. Diese ungewöhnliche
Gestalt Hess sich nicht in das Normalschema eines fest-
besoldeten Stadtgeistlichen unterbringen und musste An-
stoss erregen bei der durchschnittlichen Auffassung. All-
gemein galt er als „Vorläufer der Jesuiten", die der Po-
panz des 18. Jahrhunderts waren. Die Polizeiakten lauten
auf den Jesuiten Pater Zacharias Werner. „. . . er soll
ihnen Eingang verschaffen. Heute könnte man glauben,
er habe etwas davon fallen gelassen. — Werner aspiriert
zu einem Bischof." Seine Äusserung, er wolle in Öster-
reich keine Pfarrstelle annehmen, wurde in diesem ver-
fehlten Sinne ausgelegt. Richtiger war wohl die Be-
269
hauptung, dass Werner bald abzureisen willens war, er
scheine Wien nicht zum ständigen Aufenthaltsort nehmen
zu wollen.
Seine Wirksamkeit als Geistlicher war ihm als Fremden
eigentlich nicht erlaubt. Aber er stützte sich auf die zu-
nächst durch römische Empfehlungen gewonnene Freund-
schaft des greisen Wiener Erzbischofs Sigismund von
Hohenwart zu Gerlachstein. Zeitweise scheint man in
den Kreisen der Regierung geschwankt zu haben, ob man
„den ordnungswidrigen Vorgang des Erzbischofs in An-
sehen Werners" nicht inhibieren solle. Den grossen Ein-
fluss des Erzbischofs auf den Kaiser kannte man aber zu
wohl und begnügte sich damit, Werner im öffentlichen
wie im privaten Leben überwachen zu lassen. Als Rand-
bemerkung eines Aktenstücks beschied im April 1815 der
Kaiser, dass W^erner in Wien zu bleiben das Recht habe,
solange er sich klaglos benehme.
In der Schilderung Werners als Prediger sind sich
die Quellen ziemlich gleich. Sie variieren nur in der
Beurteilung und das lag in dem Wesen Werners begründet
„Ergreifende Gedanken, erhabene Schilderungen, höchst
poetische Anschauungen w^echselten auf das grellste mit
ganz nüchternen, für den Ort nicht passenden Bemerkungen
mit fast lächerlichen Details", urteilt Karoline Pichler von
ihm. Neben Bildern von eigenartigem Reiz standen andere
von absurdester Geschmacklosigkeit. Einmal vergleicht
er die Patriarchen mit den Sonnenblumen, die sich dem
Licht des kommenden Heilands zuneigten und dann ver-
gleicht er die Unzulänglichkeit einer einzelnen guten Hand-
lung, die man impulsiv im Augenblick tut, damit, dass
der Bettler, der im Evangelium ohne hochzeitliches Kleid
komme, seine Lumpen mit kostbaren Spitzenrnanschetten,
die er anhabe, rechtfertigen wolle. Man hat das Gefühl,
als verlasse ihn für einen Augenblick der ekstatische
Schwung, der seine Worte bisher getragen habe. Daneben
mag aber auch der Wunsch, recht volkstümlich zu sein,
ihn zu dieser Ausdrucksweise geführt haben. Anknüpf-
270
ungen an Tagesereignisse profanster Art sind keine Selten-
heit. Er wollte dadurch den Stoff der Predigt den Hörern
näherbringen. So fügte er einmal bei Erwähnungen des
Kaisers Titus erklärend hinzu; „den ihr hier auf dem
Theater in der Oper vorgestellt sehet".
Werner suchte Abraham a Santa Clara bewusst nach-
zuahmen, aber bei der Verschiedenheit ihrer Charaktere
musste das misslingen. Der Wiener Volksprediger sprach
aus naivster, urwüchsiger Seele in der Sprache des Volks,
zu dem er reden wollte. Werner musste Epigone, Nach-
ahmer werden, der sich aufgibt, nicht der sich gibt. Sein
Bildungsgang, sein Leben war ein ganz anderes. Und
sein Publikum. Was den Zuhörern des prächtigen Abra-
ham a Sancta Clara kaum derb erschien, wirkte hier an-
stössig.
Wir haben von diesen Predigten denselben Eindruck,
wie von der Mehrzahl seiner literarischen Erzeugnisse.
Sie alle sind brüchig und fleckig. Die besten Intentionen
zeigen in der Ausführung irgend einen Fehler, einen
Sprung, der ihre Schönheit oft vernichtet, immer schmälert.
Und doch hat er nicht nur äusserlich den tiefsten
Eindruck auf seine Zuhörer gemacht. Die Energie seiner
ganzen Persönlichkeit, die in seinen Worten flammte, die
überzeugende Kraft der Wahrheit seines religiösen Er-
lebnisses, die immer durchbrach durch störendes Beiwerk,
riss die Zuhörer weg, zwang sie in den Bann seiner
Worte. Da sprach ein Mensch, der die ganze Qual der
Verzweiflung ausgetrunken hatte, der die furchtbare Angst
der Schuld bangend ertragen. Man warf ihm vor — Wer-
ner spricht selbst einmal davon — dass er sein Leben
vor ihnen ausbreite. Nie aber wühlte er im Schmutz
des Schmutzes willen. Mochten seine Freunde — er selbst
vielleicht — fürchten, dass ihn Eitelkeit dazu triebe, in
Wirklichkeit war es der dämonische Aufopferungsdrang,
der ihn zwang, sein Innerstes zu opfern, jetzt in der
Priesterabsicht andere zu retten.
Seine ungezügelte Gestikulation war nur ein äusseres
271
Zeichen dafür, dass ihn der Impuls des Augenblicks packte,
dass ihn der Rausch des Erlebens fasste und er nicht
wie ein Schauspieler sprach. Dadurch erhielt sein Gestus
etwas hysterisch-ekstatisches, das aufreizend auf die Zu-
hörer wirkte und sie zu ihm riss. „Seine Art die Sachen
vorzutragen und seine Aktion'', sagen die Polizeiakten,
sind so abprall und verständlich unverständlich, dass die
Leute zur Mystik gewaltsam hingezogen werden und eine
Art von Glaubensschwärmerei entstehen muss . . . ." Man
hielt ihn für einen päpstlichen Abgesandten ^,die Klöster
zu bevölkern-', so sehr spürte man die furchtbare Ener-
gie, die in seinen Worten vibrierte, den bannenden Zau-
ber dieser asketischen Weltanschauung aus dem Munde
Werners.
Die Gebildeten d. h. die obere Gesellschaftsschicht
war nicht fähig, das religiöse Temperament Werners an-
ders zu erfassen, als literarisch-gesellschaftlich, schuf sich
daraus eine Sensation.
Zu einem gesellschaftlichen Ereignis wurde diese
Predigt und zu einer literarischen Unterhaltung, der auch
Andersgläube beiwohnten. Charakteristisch hierfür ist
das erste Aktenstück, das Floeck fand. Es ist eine An-
zeige eines „rechtlichen, angesehenen Mannes", der sich
beschwert, dass Juden und Jüdinnen die Kirchen, wo
Werner predige, füllen. Es drohe zu Ausschreitungen
gegen sie zu kommen, wenn das niedere Volk ihre An-
wesenheit bemerke.
Das gewöhnliche Volk zeigte für Werners Art ein
'feineres Verständnis, weil es den Glauben an den Men-
schen besass. Mit fanatischer Verehrung hing es an
Werner und Hess sicti von ihm berauschen im Schmerz
der Reue, warf sich mit ihm, während die Gebildeten
Gewolltes zu fühlen meinten, anbetend vor dem Alier-
heiligsten nieder, das zu preisen Werner sich in plötz-
licher Wallung nicht für würdig und fähig erklärte. Und
was den Intellektuellen anstössig erschien, dass Werner
stets seine Person in Relation mit seinen Worten stellte,
272
war ihnen ein neuer Beweis seiner Ehrlichkeit. „Das ge-
meine Volk hält den Werner und verehrt ihn als einen
Propheten, und es lässt sich nach dem Urteil aller Ver-
ständigen nicht absehen, welche Folgen seine wiederhol-
ten Predigten hervorbringen werden. Man läuft hin, um
ihn zu hören, und sollte dabei Gesundheit und Leben zu
Grunde gehen." Man fürchtet in der „Polizei- Hofstelle"
eine reglementswidrige Verinnerlichung des religiösen
Lebens des Volkes. Vielleicht nicht grundlos. Die ganze
Zeitstimmung, Krieg auf Krieg, musste selbst den letzten
Mann des Volks in einen Zustand erhöhter Reizsamkeit
versetzen und ihn für eine Aufnahme religiöser Ideen, die
so im Überschwang vorgetragen wurden, empfänglich
machen.
Wien befand sich in einem Übergangsprozess. Als
Werner zum ersten Male in Wien gewesen war, zeigte
sich der Einfluss des Josephinismus noch stark und nach-
haltig — wenigstens in seinen Schattenseiten. Damals
fand er sehr richtig Wien etwas „protestantisch". Einer
Berliner Freundin schrieb er: „Wir haben hier Trauer-
spiele, die so viel lehrreiche Sentenzen enthalten, dass
sie statt Jesus Sirach in der Berliner Sonntagsschule von
Anfang bis zu Ende gelesen werden könnten Der
Aberglaube und die Bigotterie werden hier durch aufge-
klärte Journale mit so vielem Glück verfolgt, dass man
namentlich den Katholizismus noch geringei achtet, als
in Berlin und z. B. die „Weihe der Kraft" mit
Beifall deklamiert wurde, hauptsächlich wegen der darin
enthaltenen aufgeklärten protestantischen Grundsätze."
Mit dem Einzug der Romantiker änderte sich das mehr
und mehr und nur die immer Jahrzehnte nachhinkende
Bureaukratie lebte noch in dieser Tradition ruhig weiter.
Das Volk wurde Träger eines neuen religiösen, katholi-
schen Lebens.
Hier finden wir eine Wirkung der Romantik auf das
Volk: Die religiöse. Das Volk führte nur auf religiösem
Gebiet ein Gefühlsleben und von der neuen Wunderwelt
des Gefühls vermochte es nur diese Seite zu sehen und
nachzuerleben. Eine tiefwühlende Umwandlung begann.
Von den Führenden fast direkt auf das Volk übertragen,
drang es nur langsam nach oben in die Kreise der „Ge-
bildeten" vor und hatte auf diesem Weg sich wieder in
die Formel des Konfessionellen vermummt, die das Volk
nicht zu missen vermochte. Der Mann, der diese Bewe-
gung in Wien leitete und in seine Art zwang, war Cle-
mens Hoffbauer, der Sohn eines armen Bauers, der sich
mit eiserner Energie vom Bäckergesellen zum Vicar sei-
nes Ordens jenseits der Alpen emporgearbeitet hatte und
auch auf Werner beherrschenden Einfluss erlangte,
Clemens Maria Hoffbauer stammte aus Mähren, wo er
zu Tasswitz im Jahre 1751 geboren wurde. Eine kluge,
tiefreligiöse Erziehung verstärkte den angeborenen Hang
zum religiösen Leben. Haringer berichtet über den
grossen Einfluss seiner Mutter auf ihn und lässt Hoff-
bauer erzählen: „dass ihr Grundsatz der gewesen sei,
man müsse den Kindern eigenen Willen nicht lassen, so-
bald sie nur zwischen Ja und Nein zu unterscheiden wüss-
ten." Diese Verleugnung des eigenen Willens führte bei
ihm nicht zur Schwächung seines Wollens. Zacharias
Werner sagte einmal: „Ich kenne unter den Lebenden
nur drei Kraftnaturen: den Napoleon, den Goethe und
P. Hoffbauer." Sein Leben ist eine eigenartige Mischung
von einem fatalistischen aber stets positiven Gott ver-
trauen im eigentlichen Sinne, wie Jesus es forderte, und
einer prachtvollen Energie, die sich durch nichts beugen
Hess. In einigen Zügen erinnert er an den Heiligen von
Assisi, aber ihm fehlte die hohe intellektuelle Kultur des
italienischen Patriziersohnes. Religiöses Genie blitzt auch
bei Hofifbauer durch, ohne aber so rein menschlich und
künstlerisch sich formen zu können wie bei Franziskus,
Hoffbauer war im Verhältnis zu Franziskus) zu wenig
Künstler. Seine Stärke war weniger Liebe als Glaube,
weniger Gefühl als Willen. „Wenn ich sehen könnte",
sagte er einmal, „so wollte ich nicht sehen, um nur glau-
H ankamer. Zacharias Werner. 18
274
ben zu können." Ihm war das Glaubensgebot eine zeit-
weilige bewusste Ausschaltung des Eigenwillens, kein
Aufgehen ins Universum, wie Schleiermacher es forderte
kein Zerfliessen, kein Unpersönlichwerden wie bei Werner.
Ekstatische Zustände werden von ihm nicht berichtet,
passen auch nicht in die klaren, reinen Farben seines
Lebensbildes. Eine wohltemperierte Freudigkeit lag über
den grossgezeichneten Zügen seines Gesichtes, das eine
disziplinierte latente Energie mehr zu verbergen suchte
als zu zeigen, eine in sich gefestigte Natur, die von der
eigenen Kraft überzeugt, sie nicht anderen und sich be-
wusst werden lassen wollte und deshalb sprach: „Seid
demüthig meine Brüder, sonst kommt euch das Wort vor
wie eine Fabel." Eine Kraftnatur, die sich vollständig
in den Denkkreis dessen gegeben hat, der sagte: „Seid
sanftmütig von Herzen und liebet eure Feinde."
Dieser Mann war eine organisatorische Kraft ersten
Ranges. Er war weitsichtig genug, zu erkennen, dass diese
innere Wiedergeburt vom Volke aus vor sich gehen, von
unten nach oben sich durchbrechen müsse. Als Mittel
wusste er die Predigt.
Auf seine Einladung hin predigte Werner oft bei den
Ursulinerinnen, denn Werner hatte bei der ersten Berüh-
rung mit Hoffbauer sofort in ihm die Meisternatur ent-
deckt und wurde sein Jünger. In der sich selbst ernie-
drigenden Art Werners sprach er es oft und öffentlich aus,
dass er in ihm den Grösseren verehrte. So rief er ein-
mal von der Kanzel herab den Zuhörern zu, bei Hoffbauer
zu beichten. Er sei nicht würdig, ihm die Schuhriemen
zu lösen. Der Organisator fing die überbrausende, eksta-
tische Glut Werners ein und nutzte sie klug und geschickt
aus, in dem er sie eindämmte und in das religiöse Alltag-
leben Wiens nicht ohne Schädigung ihrer Originalität
einfügte.
Den Inhalt dieser exegetischen Predigten bildete sein
System, das die katholische Kirchenlehre sehr aktiv ver-
arbeitete und im Ausdruck und oft auch Gehalt nahe seiner
275
früheren Mystik stand aber gereinigt von aller geheimen
Erotik, geklärt und mit voller Anerkennung der kirchlichen
Dogmen. Die Keime, die sich in der Weihe der Unkraft
gezeigt hatten, sind zur Entfaltung gebracht und der Ein-
fluss Hoffbauers, der für Werners Entwicklung die Stelle
eines katholischen Fichte annahm, trat deutlich hervor.
Ein tief mystischer Zug liegt in diesem System. Kein
verworrenes Gerede, Tieferfühltes wird versucht im Worte
knöchern gewordene Formeln zu fassen. Erkennt man
das, so sieht man in diesen steinernen Formen lebenden
Inhalt. Über die katholische Mystik hinweg ist er diesen
Weg gegangen. Augustinus und Tauler sind die beiden,
die er namentlich aufzählt. Aber Theresia und andere
katholische Heilige, vor allem Thomas von Kempen wur-
den von ihm aufgenommen, den er in der Weihe der Un-
kraft besonders dankbar gefeiert hatte und Friedrich Spee,
dessen er da ebenfalls liebend gedachte. Wir fühlen aber
auch alle die übrigen geistigen Kräfte hier noch wirksam,
die seine Entwicklung geleitet hatten. Böhme glauben wir
zu hören, wenn er die Natur als die geoffenbarte Gnade
des dreieinigen Gottes erklärt, die aber nur dem Begna-
deten zu erscheinen vermag als Gottes Werk, in dem er
Seelenfrieden und Trost findet. Dem aber, in dessen
Herzen es Abend geworden ist erscheint sie „arm, kalt,
leb- und trostlos". Diesen Zusammenhang von Natur und
Gott „durch ein Bild in das Gemüth der Menschen zu
werfen" ist Poesie. „Durch Poesie sind schon Tausende
bekehrt worden." Das hätte Werner und hatte er schon
vorher sagen können, nur ist jetzt eben der Katholizis-
mus Bekehrungsziel.
Im Mittelpunkt seines Katholizismus stand die Caritas-
Liebe. Sein Beweis für die Eigenexistenz würd« lauten
amo ergo sum und sein Gottesbeweis geht folgenden Weg:
weil ich liebe, bin ich. Meine Liebe aber ist unvollkom-
men. Die vollkommene Liebe muss existieren und diese
vollkommene Liebe ist Gott. „Der Satz: Gott ist die
Liebe, ist ein Postulat der Vernunft und der Natur." Ihm
576
ist das ganze menschliche Leben eine Erziehung zur gött-
lichen Liebe. „Was ist denn Erlösung anders als Befrei-
ung unserer Liebe." Weisheit f.st „klargewordene Liebe."
Nachdrücklich hebt er hervor, dass jede geschlechtliche
Färbung dieses Liebebegriffes ihm ferne liegt. In der
Weihe der Unkraft hatte er versprochen, dass er seinem
„System zumal in meiner davon gemachten Anwendung
auf Glaubenswahrheiten ohnestreitig als grundfalsch
schwärmerisch und irrig verwerfe und ihm gewiss keinen
Einfluss auf meine etwaigen künftigen Arbeiten je ver-
statten wolle." Das scharfe Herausholen dieses Gegen-
satzes zwischen Liebe und Minne ist stets durchge-
führt. Wollust ist nach dem Selbstmorde und dem
Morde eines anderen die allerschwerste, schändlichste,
beleidigendste Sünde, weil sie Liebe lügt. Und im Ton
des Alten Testaments spricht er: „Gott ist ein eifersüch-
tiger Gott und will nicht, dass die ihm allein gebührende
Liebe verschwendet werde dem Fleische." Die Worte
Paulus schweben ihm vor, wenn er die Keuschheit zwar
das Allerhöchste nennt, aber mit der Liebe solle sie ver-
bunden sein, mit Milde und Sanftmut. Die grosse welt-
umschlingende Vereinigung aller Menschen in der Liebe
ist gelöst durch den Mittler Christus. „Euch aber, die
ihr ringt und Euch sehnt nach einer Thräne, die mit Euch
fliesst, Euch rufe ich zu: Ihr habt ja den Versteher aller
Herzen, seyd c^etrost!" In dem Kampf zwischen Wollust
und Liebe im Menschen sieht er das Welträtsel. In der
ganzen Natur spiegelt sich dieser Kampf um die endliche
Versöhnung. Diese Versöhnung, das Überwinden, ist
nicht „durch irgend ein jämmerliches Skelett oder Kno-
chengebäude, das wir Moral nennen" zu erreichen. „Nein
die gewaltige Liebe des Menschen zum Fleische kann nur
gebändigt werden durch etwas Mächtigeres, Stärkeres;
durch die Liebe zum Fleisch gewordenen Gotte, Jesu
Christo, der Geist und Blut zugleich ist." Jeder Mensch
sei zur Liebe geschaffen, das wüssten auch Jünglinge und
Jungfrauen sagt er einmal mit fasst wörtlichen Anklang
277
an Böhme, dessen Intention hier reiner und „einfältiger"
getroffen wurde, als in dem Liebebegriff des früheren
Werner. «Sie wissen und verstehen es auch beide, dass
der wahre Bräutigam der Braut der Seelenbräutigam und
Blutbräutigam Jesus sey und die wahre Braut des Bräu-
tigams auch wieder der Seelenbräutigam Jesus Christus."
Diese Liebe eint das Menschengeschlecht und diese
Einigung zur Gemeinschaft ist nicht möglich ohne Demut,
ohne Aufgeben des Ich in diese Allheit. Kein trunkenes
Sichversinken, kein Zerfliessen, sondern ein bewusstes
Aufgeben seines Eigeninteresses, mehr aktiv als passiv.
^Thätige Liebe" nennt es Werner einmal. Das aktive
Element der Caritas-Liebe, nach dem Werner schon 1803
tastete, wurde von ihm jetzt besonders akzentuiert ent-
sprechend der positiven, aktivistischen Färbung seines
Lebens, die er in das Wort der Kunigunde und der Un-
kraftweihe fasste: „Die beste Reu' ist Bessertun !" Durch
die tätige Nächstenliebe stellt sich der Mensch in den
Kreis der Menschheit hinein, verstärkt ihn und schafft
ihn erst eigentlich. Sie stellt die Brüderschaft der Mensch-
heit her und adelt Gebende und Nehmende. Es ist das-
selbe gedankliche Ziel, zu dem er in seiner romantischen
Epoche ging, auf einem ganz anderen, nur wortgleichem
Wege. Die anscheinende Selbstwiederholung erfolgt in
der Verlegung des Gedankens in eine reine, religiöse
Schicht. Über diese Entwicklung hin kommt er zum Be-
griff des Glaubens. „Der Quell und der Ursprung des
christlichen Glaubens ist die Demuth der Vernunft, welche
sich liebend beuget unter Gott." Von dieser Definition
aus ist die Behauptung: „Das Glaubensvermögen, die
Glaubensfähigkeit ist es, was den Menschen zum Men-
schen mache," zu verstehen. Jeder Mensch ist nach ihm
mit Glauben geboren. Er ist eine „Unkraft" des Intellekts.
Die Einreihung der Menschheit in ein System, die Eingliede-
rung in einem Organismus, an dessen Göttlichkeit Werner
keineswegs zweifelte, war sein Ziel. Durch die Unkraft des
Intellekts erhoffte er die Schaffung einer einheitlichen geisti-
278
gen Kultur, deren Fehlen schon Novalis in „Die Christenheit
und Europa" zu ähnlicher Forderung und Hoffnung geführt
hatte. So nur glaubte er die revolutionäre Zerrissenheit des
modernen Geisteslebens heilen zu können. Auch der Glau-
bensbegriff Werners war Heroismus der Schwäche, ein tä-
tiger Verzicht. Er war gedacht als ein Opfer der indivi-
duellen Verstandesbildung, die ihm als Böhmejünger nie
bedeutsam für das eigentliche Wesen des Menschen war.
Wichtig war ihm das All-Gefühl, die Religion Schleier-
machers gewesen. Die trat aber früher schon vor der
Tatforderung zurück, jetzt besonders weit. Er erfasste
hier gleichzeitig Böhmes Wollen.
Das Spezifische des Glaubens ist ihm nicht das Gefühl.
Auch bei dem Liebebegriff ist das Gefühlsmomenf abge-
schwächt gegen früher. In Fichtes Bahnen geht jetzt sein
Weg. Etwas von der hastenden Aktivität des totgeweihten
Phthisikers ist zu spüren. „Aber es ist hier nicht bloss von
der Anregung eines edlen Gefühls die Rede und wir dür-
fen auch selbst bei dem lieblichsten Bilde nicht zu lange
verweilen, weil das göttliche Christentum nicht in blossen
Gefühlen, selbst den edelsten nicht, sondern weil es im
lebendigen Glauben, süsser Hoffnung, thätiger Liebe, nicht
bloss gegen unsere Freunde, sondern auch gegen unsere
Feinde besteht." Und ähnlich und gleich scharf: „Das
Christenthum besteht nicht, wie einige glauben, in blossen
Gefühlen, in ein paar Thränen, in einigen flüchtigen Rüh-
rungen, damit ist die Sache nicht abgetan." Dabei pre-
digte er keine äusserliche Werkheiligkeit. Öfters betonte
er die Verinnerlichung des religiösen Lebens als erste
Notwendigkeit. Er sprach von dem Lippenwerk des Ge-
betes und wir finden eine Äusserung, die zu dem Bilde,
das man uns von dem konvertierten Werner nur zu oft
machte, in keiner Weise passen will: „Es hat Heilige ge-
geben, welche in Staub und Asche, in Ketten und Cilicien
gebüsst haben, aber Staub und Asche meine Freunde,
Ketten und Cilicien sind ausser uns, das was in uns ist,
das Herz muss trauern, das Herz muss büssen . . . ."
279
Bei solcher Auffassung des Katholizismus konnte sich
keine Intoleranz entwickeln. „Mancher schlechte Katho-
lik", heisst es in den Geistesfunken, „wird viel schwerer
die Seligkeit erlangen, als viele fromme Protestanten,
Juden und Heiden. Mancher Heide, der Jesum Christum
nicht emmal dem Namen nach kennt, wird gewiss leichter
und eher selig, als diese schlechten nichtswürdigen Ka-
tholiken." Weit entfernt von jedem Renegaten -Hass er-
klärte er die Reformation aus Missverständnissen. „Durch
diese Spaltung sind nicht etwa Menschen von uns ge-
trennt, die schlechter sind als wir, nein die edelsten,
schönsten, zartesten Seelen." Die Juden nannte er in dem
judenfeindlichen Wien „unsere älteren Brüder".
Die nationale Tendenz hatte sich weiter entwickelt
und eine tiefere religiöse Umbildung durchgemacht. Ihm
ist die „Deutschheit" : „Der kühne, ja kecke Versuch des
Volkes, früher als es nach dem Lauf der Begebenheiten
geschehen wird, zur Freiheit der Kirche Gottes zu ge-
langen. Das Wesen der Deutschheit beruht daher auf
inneren Anschauungen und ist im eigentlichen und tief-
sten Sinne poetisch; in demselben liegt aber auch zu-
gleich die Inkonsequenz im Denken und im Thun und das
fessellose Streben nach der Freiheit der Kinder Gottes."
Man könnte dieses Wort die tiefgreifendste Erfassung Böh-
mes (natürlich vom Standpunkt des Konvertiten) nennen,
zu der Werner kam. Die nationale Tendenz in dieser
Färbung lässt den philosophus teutonicus neben Fichte
als den Vater dieser Gedanken erkennen und zeigt wieder
wie eigenartig sich Epigonentum und ureigenes Erleben
in Werner verbinden.
Das Nationale wird in seiner geistigen Form, in sei-
ner eigentlichen Art erfasst als Ausdruck eines geistigen
Individuums, eines Mikrokosmos. Werner sieht es in der
religiösen Schicht. In diesem Sinne ist ihm ganz Europa
getrennt in zwei Lager: dem deutschen und nicht-deut-
schen und als das Charakteristische unserer Zeit erscheint
ihm das Tendieren zur Deutschheit, als den Mittelweg
280
des Strebens zur Freiheit der Kinder Gottes. Und ähn-
lich: „Europa muss nun einmal verdeutscht werden, es
muss aber katholisch verdeutscht werden." Wenn dieser
Prozess zu Ende, dann ist damit der Verbindungspunkt ge-
funden zwischen einem Katholizismus, der zu viel Wert auf
Formen legt und einer alle Form durchbrechenden Religi-
onsauffassung. Die prägnanteste Formulierung dieser For-
derung der Verbindung von „freier lebendiger Überzeu-
gung" als deutsches Element mit dem römischen des
„Glaubens" (im Sinn des Glaubens als Fürwahrhalten von
Tatsachen ohne Erleben) lautet: „Die unserer Zeit ange-
messenste Darstellungsweise des katholischen Christen-
thums ist: dasselbe als Grundbedürfnis, als Postulat und
Culminationspunkt der reinen Menschheit darzustellen,
was bisher noch nicht gesehen ist. — Darum also und
weil alle Völker Europas nach der Deutschheit oder nach
der Verdeutschung streben, ist der gegenwärtigen Zeit eine
echt deutsch-katholische Dogmatik hoch von nöthen. Eine
solche Darstellung der Dogmen ist noch nicht da und
muss erst gefunden werden. Hierzu gehört aber eine
grandiose Verständigung zwischen Rom und Deutschland,
eine Verpflanzung der Deutschheit nach Rom, eine Ver-
deutschung Roms, welche jedoch sehr schwer ist und nur
dadurch möglich wird, dass alle Jahre ein- bis zweihundert
junge Römer auf deutsche Universitäten geschickt werden,
um an denselben zu studieren, auf diese Weise die Deutsch-
heit kennen lernten und sie dann nach Rom zurück-
brächten."
Diese Stelle und Auffassung vollendet das Bild, das
die Romantiker im Deutschtum sahen. Für. Novalis lag der
intellektuelle Schwerpunkt wie für den Dichter des „Meister"
in Deutschland. Es war ihm die Verkörperung höchster, vor
allem philosophischer Geisteskultur. Görres betont in seinem
Aufsatz: „Über den Fall Deutschlands und die Bedingungen
seiner Wiedergeburt" dass der Kampf gegen Napoleon, den
er nahen fühlte, das Ringen des Deutschtums und Nicht-
deutschtums sei um die Herrschaft der Welt und Kultur.
281
Die Verbindung der politisch-nationalen Wiedergeburt mit
einer religiös-moralischen wurde von Werner schon früh
als nötig empfunden. Achim von Arnims „Gräfin Dolores
Reichtum, Schuld und Busse" betonte ebenfalls die enge
kausale Verknüpfung einer ethisch religiösen Renaissance
mit dem Wiedererstehen der deutschen Nation. Indivi-
duell kam Werner wiederum von einer ganz anderen Seite
zu seiner Formel. Historisch, d. h. im Zusammenhang
mit seiner Zeit gesehen, ist sie eine extreme Weiterent-
wicklung dieser Ansätze, die Schleiermacher in dem Re-
ligionsreden wohl zunächst veranlasste.
Klar lässt sich der Einfluss des Katholizismus auf den
Schicksalbegriff erkennen. Wir finden eine Menge Ver-
suche, alle Funktionen der Seele als Erscheinungsformen
des Willens gefasst. Die Liebe ist der Wille, sich für
den Nächsten zu opfern, der Glaube ist der Wille, sein
menschliches Wissen aufzugeben für das göttliche, Hoff-
nung der Akt, seinen Willen dem Gottes gleich zu
machen. „Der Weise" definiert er in diesem Sinne, „ist
derjenige Mensch, welcher das Gute stark und mächtig
will." Erkenntnis ist die Belohnung des guten, Gott nicht
widerstrebenden Willens. Der Satz „Fax hominibus bonae
voluntatis ist für unser Jahrhundert gewissermassen ein
neuer Satz." Sein Endziel der Entwicklung des Menschen
ist das Erlangen der ewigen Seligkeit. „Hierzu bedarf
es allein des Willens. Der Wille bestimmt den Wert
oder Unw^ert des Menschen; der das Gute wollende Wille
beseligt ihn, der das Böse wollende Wille verdammt
ihn. Keine Sünde ohne Willen, so ruft uns der Gnaden-
held Augustinus zu .... . Die wahre christliche Liebe
ist der auf Gott allein als die unendliche, ewige, ver-
söhnende Liebe hinzielende Wille." Mit diesen Worten
stellte er sich schroff gegen jeden überindividuellen Schick-
salglauben und bekannte sich zu einer individuellen Wil-
lensfreiheit. Hier ist er deutsch in seiner Auffassung,
hier ist er Böhmejünger wie nie.
Eine interessante Entwicklung hat die Ideetheorie
282
Werners in der Zwischenzeit durchgemacht. ,,Ein jeder
Mensch hat drei Seiten, nämlich erstens die pragmatische,
insofern er auf andere wirkt, zweitens die symbohsche,
insofern er eine Idee anschaulich macht, und drittens die
ethische Seite, insofern er will Gott oder den Teufel. Die-
jenige Seite aber, die über die Seligkeit entscheidet, ist
weder die pragmatische noch die symbolische, sondern
einzig und allein die ethische Seite, der Wille." Hier ist
keine Rede mehr davon, dass das Individuum nur lebt
durch die Idee. Hier hat es Eigenexistenz und Eigen-
recht, ist erst ganz Individuum und frei in sich.
Im engsten Anschluss an die Lehre der katholischen
Kirche ist ihm die Gnade zum Erlangen der Gottesan-
schauung unbedingte Voraussetzung. Aber die kirchliche
Lehre sagt ebenfalls, dass diese Voraussetzung bei jedem
Menschen erfüllt sei und nur vom Willen des Einzelnen
hänge die Erfüllung ab. Der menschliche Wille muss den
Weg der Aufopferung gehen. „Ist der Mensch etwa ein
kraftloses Wesen? Mit nichten; wie wäre er dann König
der Schöpfung? Der Mensch gelangt zur wahren gött-
lichen Kraft, zur Kraft in Jesum Christo nur durch Selbst-
verleugnung, durch Selbstentsagung, durch Vergessen
seines Ichs, durch Demuth." Die „Unkraft" zeigt sich
hier deutlicher in ihrer katholisch dogmatischen Version.
Aber sie ist sehr scharf von allen Gefühlstendenzen pas-
siver Art befreit und zum Willenakt geworden. Der Wille
trat immer mehr an die beherrschende Stellung in der
Lebensphilosophie Werners. Die Rezeption des Katho-
lizismus war nicht rein die einer Gefühlsmacht. Seine
Konversion enthielt diese Keimzelle und besonders dem
Einfluss des Pater Clemens Hoffbauer ist die weitere Ent-
wicklung in dieser Richtung zu verdanken.
Das war Werners Weltanschauung als er die Vorrede
zum 24. Februar schrieb, dem Lied „das nie mich reute."
Fichte stand in dieser Weltanschauung neben Böhme und
Augustinus. Der Wille und die Selbstverantwortlichkeit
wurden in strenger Form als entscheidend erkannt und
283
Werner vermochte dieses sogenannte Schicksaldrama mit
einer wenig bedeutenden Biegung des Ideegehalts in seine
Willensreligion einzufügen. Ein Beweis, wie weit er sich
damals schon in der Theorie seinem jetzigen Weltbild
genähert hatte.
Die passivistische Färbung seines Charakters und die
Erscheinungsform der Willensfreiheit in der katholischen
Moral und Dichtung v^ereinigte sich bei Werner und führte
den Künstler auf den Wegen Calderons zu dem Marter-
stück, zur „Mutter und Makkabäer". Sie und ihre Söhne
sind die berufenen Vertreter der Wernerschen Anschau-
ung: „ Und so ist denn der wahre Christ, die wahre
Christin Herr des Schicksals, Herr aller Verhältnisse,
Herr des Lebens und Herr endlich auch des Todes." Und,
definierte der katholische Werner, mit ganz anderem In-
halt als der Dichter des Kreuzes an der Ostsee „Der
Märtyrertod ist keine Qual, sondern er ist die schöne
Belohnung des Schmerzes."
In unsympathischem Druck erschien in der Brock-
haus'schen „Urania" (Taschenbuch für Damen) auf das
Jahr 1815 Werners Schicksaltragödie, in demselben Jahre
„Kunigunde" und 1820 die vier Jahre vorher abgeschlos-
sene „Mutter der Makkabäer", die geschrieben wurde, um
das Heilige zu verherrlichen. Werners dramatischer Buss-
gesang war das ; denn sowohl Kunigunde wie der 24. Fe-
bruar waren aus der Konversionsstimmung entwachsen
und wurden von dem Konvertiten „bekehrt", möchte man
sagen. In dieser Zeitspanne hatte sich Werner bewusst
für das Künstlerpriestertum entschieden. Seine Auffassung
der Kunst als Mittel der Bekehrung, als Offenbarung des
Göttlichen in der Natur und Geschichte erleichterte ihm das.
Die Kunst ist ihm die Sehnsucht nach dem Erlöstwerden,
nach dem Erlöser. Auch hier also ist ihm Kunst gleich
Religion, aber das Einigende liegt nicht mehr in dem Woll-
lüstigen aller Religion und Kunst. Das Kunstwerk ist
ihm ein Bild der Gottheit im Stoffmittel der Natur. „Und
was ist es denn, was Ihr in Euern Dichtern, Romanen
284
und Komödien schön, herrlich nennt, was Ihr in und an
ihnen bewundert? — Was ist es denn anders als ein ein-
zelner Funken aus dem unendlichen Lichtmeer der Gott-
heit?" Mit einer leichten Verschiebung der Akzente ist so
eine grundtiefe Änderung der Ästhetik Werners erreicht.
Nur diese göttliche, religiöse Kunst vermag dem Menschen
etwas zu geben. Das sagte auch der Nicht - Katholik,
aber Religion und Gott sind im Kern völlig gewandelte
Begriffe, die kaum mehr als die Wortschale gleich und
gemeinsam haben.
War seine frühere Kunstpredigt erfüllt gewesen von
dem Ideegehalt, der ihm damals eignete, die „Mutter der
Makkabäer" wurzelte ganz in dem Katholisch-christlichen,
ist die bildliche Verdichtung seiner neuen Weltanschauung.
Auch dieses Werk ist in Werners Sinne ein Bekenntnis
nicht so sehr des Rein - Menschlichen in ihm, das noch
immer unter der Identifikation mit dem Nur-Individuelien
litt, sondern seines Idee-Menschtums. Während wir aber
in der früheren Epoche den Gegensatz der beiden Seins-
formen literatenhalt scharf ausgeprägt fanden und in der
krampthaften Übersteigerung seines Sehen woUens erfühlten,
ist hier ein versöhnenderer Ausgleich gefunden. Sein und
Wollen sind nicht mehr so antithetisch. Ruhig und har-
monischer stehen die Welten nebeneinander, als deren
beider Glied Werner den Menschen wusste.
Er wollte das Hohelied der Mutterliebe und die Welt-
überwindung durch den Glauben darstellen. Als Motto
wählte er die Stelle aus Jesaias: „Kann auch ein Weib
ihres Kindleins vergessen, dass sie sich nicht erbarme
über den Sohn ihres Leibes?" Die höchste Mutterliebe
vermag selbst das und Salome spricht die Worte zur
zweifelnden Braut ihres Sohnes:
„Der Gluth und Treu der Mutterliebe
Es gleichet ihr an Stärke nichts auf Erden,
Im Himmel nichts, als der, der ihn gegründet!
Was sonsten Liebe heisst, kann Hass auch werden,
285
Und durch den glühendsten der Himmelstriebe,
Wird Höir auch oft in unserer Brust entzündet;
Doch ewig treu verbindet
Bleibt Mutterliebe — will wie Gott nicht töten,
Beieben nur! — Von tieferm Schmerz zerfleischet
Ist mein Herz; ich theile deine Nöten!
Doch flammt mir auch selbst im gebrochnen Herzen,
Das Abramsopfer durch die Nacht der Schmerzen."
„Gegenwärtige Tragödie" heisst es in der Vorrede
des Dramas, „habe ich am Anfang des Jahres 1816 ge-
dichtet. Erst zwei Jahre später erfuhr ich, das derselbe
Gegenstand französisch und nach dem Französischen auch
teutsch bearbeitet worden se}'. Beide Bearbeitungen sind
mir nie zu Gesicht gekommen." Das stimmt nicht ganz.
In einem Briefe vom 28. Dezember 1818 schrieb er Hitzig,
dass er mit der Mutter der Makkabäer noch beschäftigt
sei. Wir haben an eine Überarbeitung zu denken, deren
Spuren sich aber wohl nicht erkennen lassen.
Die Quelle, die er nutzte, ist die Erzählung des7. Ka-
pitels im 2. Buche der Makkabäer. Wie schon in dem
Vorworte der „Kunigunde- entschuldigt er sich auch dies-
mal, dass er „wie unser vortrefflicher Schiller sich
genötigt gesehen habe, die Tatsachen dem drama-
tischen Bedarf gemäss- zu modeln. Kritikern gegenüber
macht er dramaturgische Gründe geltend, frommen Ge-
mütern weiss er einen andern Grund namhaft zu machen.
Die Wirklichkeit er nennt sie die sogenannte) sei ja nur
Schale des eigentlich Wirklichen.
Die symbolische Deutung des Realen durch Werner
machte naturgemäss die Darstellung der Zeit in ihrer ge-
schichtlichen Tatsächlichkeit unmöglich. Das musste dem
Dichter zu unwichtig sein. Auf „Kunigunde", die fast
krampfhaft das historische, so schlecht sitzende Gewand
nicht zu verlieren sich bemüht, folgte dieses Schauspiel
aus dem Jahre 62 vor Christus, in dem die Personen das
Christentum schon zu kennen scheinen, denken und spre-
chen, als wäre Antiochus Nero, Antiochia Rom. Selbst-
286
WO das antike Kolorit gewahrt ist, fehlt jede genauere
Charakteristik. Wir können das Drama nicht als histori-
sches Schauspiel werten. Werner wollte das auch gar-
nicht. Wollte es wohl nie.
Die Stellung Werners zur Geschichte war, stets nur
im Stärkegrad wechselnd, von seiner mystischen Auffas-
sung der Wirklichkeit bestimmt.
„Sei in der Chronik nichts davon zu lesen
Nicht ihr, dem Ruf des Innern muss ich dienen.
Was im Gemüt gelebt, ist dagewesen"
sagte der Dichte der „Weihe der Kraft". Schon durch
Rousseau in seiner Forderungsstellung zur Wirklichkeit
bestärkt, sah er bereits vor der Aufnahme Böhme-Schleier-
machers in ihr nur die Symbolerscheinung des Göttlichen.
Mit Schelling war ihm die Geschichte eine kontinuierliche
Selbstoffenbarung Gottes, die Böhmesche immerwährende
Geburt der Gottheit. Ihr Gesetz vollzieht sich als Fatum
im Geschehenden. Durch das Ideeindividuum erhielt die
Persönlichkeit einen Anteil an der Gestaltung der Wirk-
lichkeit zum Sein, da es das Mittelglied, der Mittler
beider zu sein vermag. Soweit die Geschichte Seinsoffen-
barung ist, soweit ist sie wertvoll. Nur soweit Poesie,
als sie ist ... . „Darstellung des göttlichen Moments, in
dem Geist und Herz sich vereinigend, sich in ihrem bei-
derseitigen Urquell, die Gottheit verlieren." Die historische
Handlung interessiere nur in Betreff der Quelle (als Offen-
barung Gottes) nicht der Wirkung in der Geschichte, im
Realen, sagte der Böhmeschüler, dessen Lehrer das „Histo-
rische" im Sinne des Formalen, Zufälligen fasste. Das
eigentlich Historische ist nebensächliche, verkleidende oder
gar störende Arabeske. In dieser Auffassurg des Ge-
schichtlichen standen seine Dramen. In der Weihe der
Kraft vor allem war er im Äusseren historisch gewesen,
hatte Luthers Worte seinem Reformator in den Mund ge-
legt, sicherlich aber wollte er gerade da nicht „historisch"
sein, sondern das Göttliche als „Folie" geben, wollte im
Geschichtlichen die Offenbarung der Idee fassen. Nur die
287
Aktivität der Persönlichkeit zeugte von einer tieferen
Wandlung seiner Auffassung der Geschichte, Johannes
von Müller brachte ihm damals noch mehr als sonst die
Quellen nahe, aber zweifellos war dieser Luther in die Welt
Fichte-Böhme-Schleiermachers versetzt, lebte im „zweiten
Prinzip", war Ideeindividuum. In Coppet zeigte sich eine
Zunahme des historischen Interesses, die wir auf den
Einfluss A. W. Schlegels zurückführten und Kunigunde
kann als Versuch Werners angesehen werden, das Histo-
rische nicht nur als Maske zu nützen, ohne dass er dieses
Wollen zu gestalten vermochte. Hier war ihm das Histo-
rische mehr gewesen. Hier wollte er die Synthese von
Realität und Idealität, die er Goethe gelehrig versprach,
nicht nur im Raum, auch in der Zeit geben, wollte das
Problem der historischen Kunst in Goethes Sinne lösen.
Die Kunigunde in ihrer ausgeführten Form kann auch
hier wieder als Konversionsdrama gelten, zeigt den Weg
an, den er in der Mutter der Makkabäer schritt. Auch
hier war Weimar das „retardierende Moment" gewesen.
Die historische Epik wie das historische Drama der
Romantik entwickelte sich in ihr zu der verschiedenarti-
gen Form vom Mythos bis zum geschichtlichen Dicht-
werk. Der Ausgangspunkt ihrer historisch-künstlerischen
Versuche lag sowohl in dem Gefühl der Abhängigkeit
ihres Persönlichen von überpersönlichen Werten, von ge-
schichtlichen Kräften, wie in ihrer Sehnsucht nach dem
Mythos als Ausdruck des Absoluten in der Welt der Er-
scheinung. Beide Richtungen kreuzten sich im Laufe der
Entwicklung sow^ohl im Zeitganzen wie in den Persön-
lichkeiten und führten je nachdem zu einer stärkeren Be-
tonung der Geschichte als Mythos oder Entwicklung.
Dauernd am ausgesprochensten hatte der Wissen-
schaftler-Künstler A. W. Schlegel wohl den genetischen
Charakter der Geschichte empfunden und er legte mit der
Forderung nach einem deutschen Shakespeare das Rein-
Historische der Königsdramen wohl bewusst Werner nahe,
der als Sohn eines Historikers stets eine Freude an der
288
geschichtlichen Form besass; denn auch in Werner war
der Doppelquell der Geschichtssucht der Romantik vor-
handen, ohne dass die genetische Auffassung, deren Spuren
wir in der Entwicklung der Schicksalidee als Weltan-
schauungsform der Völker und Individuen sahen, je sich
rein durchsetzen konnte. Das Rein-Historische wurde von
ihm als untragisch abgelehnt. Als er Iffland dasschrieb,stand
er in der Nähe Calderons, gab die Mythossehnsucht seiner
Generation in dieser eigenartigen Formulierung wieder.
Da schon griff er tastend nach dem Ideeindividuum, dessen
Übertragik er nicht klar erfasste. Das Nur- Individuelle
konnte seiner ^Meinung nach nicht zum Einfühlen, zur
höchsten Illusion führen. Nur im Kampf überhistorischer
Kräfte glaubte er das tragische Erlebnis dem Zuschauer
aufzwingen zu können. Er ist wohl der Romantiker, der
am stärksten den M3'thosgehalt des Historischen suchte
und empfand.
Das lag in seiner menschlichen Persönlichkeit be-
gründet, sicherlich aber auch in seinem Künstlertum.
Werner war Dramatiker, d. h, er vergegenwärtigte das
Geschehen. Das genetisch Historische stellt aber eine
Distanz von der Gegenwart her, die mehr ist als die rein
zeitliche. Jeder Dramatiker hat bewusst oder unbewusst
den Mythos in der Geschichte gesucht und nur dem Epiker
konnte es gelingen eine Synthese zwischen dem Eigent-
lich - Historischen und dem Allgemeingültigen der Ge-
schichte zu finden. Was der Dramatiker, was Werner in
der Geschichte suchte, war eine Steigerung der Wirklich-
keit, eine Manifestierung der ewigen Idee. Gerade im
Medium des Geschichtlichen glaubte er den „Idee"- Cha-
rakter* seiner Helden und Geschehnisse durch den inneren
Kontrast am deutlichsten zeigen zu können — einerseits.
Ein bewusstes Überwinden des Geschichtlichen also. An-
dererseits bot ihm die Distanzierung durch das Historische
den Kothurn, der das Überwirkliche dieser künstlerisch-
tatsächlichen Gegenwart dem Zuschauer bildhaft machte.
Rücksichtslos vergewaltigte er das Historische, behielt nur
289
die Schale. Natur und Geschichte waren ihm hierin fast
gleich, Stoff, den sein Idee- Ich zu gestalten hatte. Wie
er als Lyriker nie zu einer eigentlichen Synthese von
Natur und Ich kam, so stellte er im Drama sein Bild des
Absoluten dem geschichtlichen einfach gegenüber.
Dieses Kunstwollen — soweit man es nicht Kunst-
zwang nennen möchte — wurde nuanciert durch die Ein-
flüsse des katholischen Christentums. Es ist eine den
Kirchenvätern wie Scholastikern geläufige, in ihrer Welt-
anschauung fest verankerte Anschauung, dass die Ge-
schehnisse des alten Bundes, die Erzählungen des alten
Testaments Hinweise und Symbole des kommenden Er-
lösers, seines Lebens und Sterbens seien. Mit einem
künstlerisch äusserst feinen Empfinden ist der Kranz die-
ser Vorbilder des kommenden Heilandes, den das Messias-
Evangelium des Matthäus begonnen hatte, weitergeflochten.
Das alte Testament wurde zur Mythologie für die Christen,
wurde mit ihrem Gegenwartsleben gefüllt und gedeutet.
So wurden Werner ja auch Hiob und das Liebelied Sa-
lomons zur höchsten Poesie, weil sie ihm Symboldarstel-
lungen des Gottmenschen Christus, seiner Liebe zu uns,
seines Leidens für uns w^aren. Zu dieser Symboldarstel-
lung seines Lebens und seiner Zeit wollte Werner die
Erzählung des Makkabäerbuches erheben.
In der „Mutter der Makkabäer" ist das Historische
in sofern genutzt worden, als er aus der geschichtlichen
Gegenwart Motive übernahm. Antiochus ist nicht nur
gestaltgeschichtlich im Schaffen Werners eine Weiterbil-
dung des Aetius, er ist auch der Versuch, das Charakter-
bild Napoleons neu zu fassen und durch den Befehl Salomes
den Sohn des Königs zu retten, deutete Werner auf die
Tat Österreichs, das dem jung-en König von Rom Asyl
bot. Die Verfolgung des Papsttums durch den Kaiser
spielt leise in die Darstellung hinein, ohne dass sie jedoch
direkt Wort und Gedanke wird. Das Leben und die Ge-
schichte ist Gleichnis, aber das Gleichnis an sich ist Dar-
stellungsmaterial. Die „tiefmystische Natur" soll im Kunst-
Hank a m c r , Zacharias Werner. 1 9
290
werk erreicht werden, die auch nur im Gleichnis spricht.
Das Finden der Zusammenhänge zwischen Sein und Da-
sein sollte durch die Apotheose Salomes erleichtert werden.
Die übermenschliche Leistung weist auf den übermensch-
lichen Beistand, dessen theatralische Erscheinungsform
wie sonst angewandt wurde.
Schon einmal hatte ein Genie, das in dieser Weltauf-
fassung stand und von hier aus seine Kunstwelt aufbaute,
seinen Entwicklungsgang gekreuzt: Calderon. Damals
erwuchs aus dieser Verbindung beider Einheiten das Misch-
produkt des „Kreuzes an der Ostsee" mit seiner flimmern-
den Einheit von Wollust und Gottesliebe, seinem Schwan-
ken zAvischen Fatumschicksal und Vorsehung, zwischen
Tragödie und Mysterium, das die Formvollendung ver-
hinderte. Stärker als bei allen übrigen Dramen machte
sich hier der formale Einfluss Calderons bemerkbar, dessen
„standhafter Prinz" das Vorbild, dessen „wundertätiger
Magus" im Einzeln fördernd war.
In der Komposition hat eine sehr deutlich erkennbare
Lockerung der Bindungen stattgefunden. Es sind — oft
sehr geschickt gruppierte — Bilder, die vor uns ausge-
stellt werden, ein loses Aneinanderreihen von Momenten,
aber ohne inneren, engsten Zusammenhang. Ganze Scenen
kann man ohne jede Gefahr, als reine Zustandsschilde-
rungen aus der dramatischen Entwicklung streichen. Man
spürt, worauf Werner hinaus wollte aber gleichzeitig, dass
es ihm nicht gelungen ist. Er wollte den dramatischen
Prozess möglichst auf seine primitivste Form reduzieren.
Seine Absicht ist — wie etwa der spätere Tolstoj wirk-
lich tut — nur die markantesten Striche zu geben, sie
von uns ergänzen zu lassen. Der Versuch, hierin Cal-
deron nachzuahmen, ist ihm vollständig misslungen. Die
prachtvolle Selbstversändlichkeit etwa des Aufbaus des
„standhaften Prinzen" ist auch nicht annähernd erreicht.
Es fehlt das Organische, wie aus sich Wachsende der
Komposition fast jedes Calderonschen Stücks. Die durch
die übertragische Lösung bedingte Entspannung des Dra-
291
matischen führte zu einer undramatischen Erschlaffung
des Ganzen. Ein kompliziertes Nebeneinander von Moti-
ven, Hauptpersonen, Stimmungen vereitelt die kristallene
Klarheit Calderonscher Technik. Nur das Äusserliche,
das scheinbar Saloppe dieses Arbeitens wird erfasst und
wiedergegeben. Und dieses Bestreben stand mit dem ihm
im Blute liegenden, theatralischen Instinkten in scharfem
Kampf und verzerrte die Einheit des Stils.
Ganze Scenenfolgen sind rein episch, ganze Situa-
tionen sind mit deutlich spürbarer Freude am Detail trotz
ihrer Unwichtigkeit ausgemalt. Der erste Akt ist z, B.
fast ohne jeden dramatischen Impuls, bietet in der Ent-
wicklung seiner Handlung eine gerade Linie, die sich
kaum zur Kurve krümmt. Selbst der so leicht dramatisch
zu fassende letzte Akt bringt nur eine Fülle von Ge-
schehen und behält das epische Tempo, Die Vorgänge
rollen ab, ohne dass sie uns in ihre Bewegung hineinzu-
reissen wissen. Sie sind nicht gegenwärtig.
Das Drama vollendete die Entwicklung der Schick-
salidee im Sinne des katholischen Christentums, im Form-
Gehalt der Kunst Calderons. Es ist keine Tragödie im
eigentlichsten Sinne, sondern ein Mysterium, dessen über-
tragischer versöhnender Abschluss in der lösenden und ver-
klärenden Göttlichkeit allen Geschehens Werner in derselben
pointierten Deutlichkeit erkennen Hess, wie Calderon es im
„wundertätigen Magus" getan hatte. Salomes Geist er-
scheint Versöhnung bietend und selbst Antiochus wird ent-
sühnt. Der Symbolsinn des Tatsächlichen, sein eigentlicher
Seinsgehalt über der Schicht des Wirklichkeit wird geklärt
und das Qualvolle dieser Schicksale sollte nun als sinn-
volle, zweckmässige Notwendigkeit erscheinen. Schon der
(sicher erst nach der Leipziger Schlacht geschriebene) Apo-
theose-Schluss der Kunigunde w^ar Zeichen der Konversion
zu Calderon gewesen und löste die Dissonanz durch den Ver-
zichtfrieden der Heiligen und des Kaisers im übertragischen
Sinne. Auch diese Form w^ar von Calderon zu entleihen.
Es ist vor allem psychologisch wichtig, dass erst dem
292
Konvertiten diese Versöhnung gelang. Im Kreuz an der
Ostsee und irgendwie im 24. Februar lag sie in seiner
Absicht, erreichte nur im Attila eine gewisse Form. Ein
Beweis, wie eng das Künstlertum und Menschsein trotz
quälenden Gegensatzes in Werner verbunden war, ist dass
er nicht fähig war, diese Form rein in ihrem Wert als drama-
tisches Aufbauprinzip zu nutzen. Für ihn ist Form nie-
mals identisch mit Technik und tief erlebte er die Ver-
wurzelung des sogenannten Formalen der Kunst mit dem
Erlebnis, das seine geringe Distanz zum Kunstwerk er-
klärt und in der begrenzten Negation aller Form zu Be-
ginn seiner romantischen Epoche zum Ausdruck kam.
Die Konzeption lag in der Nähe des Kreuzes an der
Ostsee, an dessen 2. Teil er damals arbeitete. Es suchte
den Kampf des Christentums (denn dieses Judentum ist
nur „der ältere Bruder" des Christentums) gegen das ent-
göttlichte Heidentum zu geben. Alte vertraute Klänge
tönen, aber in der Variation des kirchlichen Hymnus.
Wie in den „Söhnen des Thals" und dem „Kreuz an
der Ostsee" wird hier ein Abrahamopfer gebracht. Da-
mals aber war der Tod eine Wollust, das Selbstopfer der
höchste Genuss und keine ethische Leistung menschlicher
Art. Jetzt aber ist das Opfer menschlich qualvoll und
nur das Wissen um das Jenseits, um den Sinn all des
Furchtbaren hält Mutter und Kinder aufrecht. Wie stets
bei diesem Romantiker scheint Werner sich wieder einmal
selbst zu wiederholen, aber der Gleichklang der Worte
und die äussere Identität des gedanklichen Schemas ver-
mag nur den Oberflächenblick zu täuschen. Diese Varia-
tion des Themas verlegt es in eine ganz andere Tonart,
in eine ganz andere Gefühlsw^elt. Wieder wird der Kampf
dieser beiden Mächte ausgefochten durch ein Ideeindivi-
duum und einen dämonischen Menschen, zwischen Salome
und Antiochus. Aber die Konversion aller geistigen Le-
bensinhalte ist gerade durch diese Gleichartigkeit deutlich
zu erkennen.
Werner wollte die von ihm ersehnte „Einfalt" ciiur
298
Persönlichkeit gegenüberstellen, deren psychische Difife-
renziertheit zur Vielheit geworden, fühlte den grossarti-
gen Antagonismus dieser beiden Welten, deren Kinder
Salome und Antiochus sein sollten, öfters wirklich sind,
stellte die Juden-Christin in ihrer hart und schroff um-
rissenen Einheit dem Spross einer überfeinerten Epigonen-
kultur entgegen. Die Märtyrin dem „Affen Alexanders".
Er fasste hier das Problem seines Lebens, rührte an das
Problem seiner Zeit. Dass er es wollte, beweisen die
Worte: „Zwei Haupteigenschaften, die uns hoch vonnöten
sind, hat unsere Zeit verloren, nämlich: Grandiosität und
Einfalt. Aus dem Verlust der letzteren der Eigenschaften
ist das Elend und der Jammer unserer Zeit zu erklären,
dass die Menschen das Einfachste und Klarste nicht fas-
sen wollen, sondern dass sie sich viele Künste machen,
wie es in der Bibel steht."
Wir sind ihm auf den Wegen gefolgt, auf denen
Werner seine innere Antithese zu sühnen suchte. So be-
wusst aber hatte er das Problem sich noch nicht gestellt,
vielleicht sich nicht zu stellen gewagt. Nun aber wusste
er das Ziel und den Weg: „Zwei Flügel sagt der grosse
Thomas von Kempis in seinem goldenen Buche von der
Nachfolge Jesu Christi, zwei Flügel erheben die Seele
des Menschen zu Gott, die Einfalt nämlich in der Absicht
und Meinung und die Reinheit des Gefühls und Willens."
In dem Willen zu dieser Einfalt die „ausgeht auf einen
Punkt, die alles bezieht auf das Eine, auf Gott; die sich
sammelt auf das Eine auf Gott" wurde die differenzierte
Vielheit seines Ich gebunden. „Werdet klar im Christen-
tum", rief er seinen Hörern zu. Er fand in der Ziel-
strebigkeit auf Gott den Weg zu sich selbst, suchte und
fand im Erleben des Christentums die innere Einheit: das
neue Ideeindividuum. War es schon Attilas tragische
Schuld gewesen, das Viele zugleich zu wollen, wurde
dieses Einheitsuchen damals durch die Beschränkung auf
eine bestimmte Tätigkeit und Aufgabe, eben auf die Idee
erreicht, jetzt fiel die pragmatische Seite des Individuums
294
weg, nur sein ethisches Streben zu Gott oder dem gottlos-
vielfältigen Ich entschied. Der Mittelpunkt und das Eini-
gende lag für den Mystiker nicht eigentlich im Menschen,
sondern in der Gottheit und sein Wille zu Gott gibt ihm
das Zentrum des Seins; denn alle Erscheinung ist viel-
fältig und vervirorren. So weit das Individuum für sich
existiert, ist es Erscheinung und nur sein Sehnen weist
ihm den Weg, da er voll Unruhe (die Äusserung seiner
Manigfaltigkeit) ist „bis er ruht in Dir o Gott". Der beste
Weg zu ihm ist das Christentum, das einzige wahre
Christentum ist der Katholizismus, der innerliche, nicht
der heidnisch-äusserliche. So dachte Werner als Dichter
der „Mutter der Makkabäer".
Der Mensch, der die Einheit in sich suchte, ward
zum Widerspruch. Schwebt zwischen Sclave und Halb-
gott. Die Reihe der dramatischen Gegenspieler, der Idee-
individuen und des dämonischen Ich-Menschen schloss sich
hier. Salome ist die am stärksten Abgeschlossene, in sich
Sicherste. Der straffste Willensmensch, der nach Werners
Weltauffassung zwar leidet in dem Empirischen aber
handelt in der eigentlichen Realität. Sie „will" im Sinne
Fichtes, dessen Lehre hier noch zu erkennen ist.
Salomes Grösse liegt in ihrer grandiosen Einfalt, in
der absoluten Unkompliziertheit ihrer Psyche. Dieses
Weib hat nur eine Art, das Leben zu sehen, oder besser
nicht zu sehen. Sie schaut nur den Adonai, der das Ge-
setz gab und richten wird und die Liebe ist und die Ge-
rechtigkeit. Sie ist verwachsen mit jener Welt und ragt
halb hinein und geht doch auf der Erde. Nicht wie sonst
bei diesen Halbmenschen Werners, Fremdling hier und
dort. Alle die verwickelten, vielfältigen Fragen, die von
dieser Erde wirr sich an ihr Ohr drängen, werden durch
ihre Einheit so fast furchtbar selbstverständlich gelöst.
Eine grosse majestätische Gelassenheit liegt über ihrem
Wort und dem Gestus ihres Charakters. Ihr bleibt im
Leben kein ungelöster, problematischer Rest, ihrem Glau-
ben ist alles klar. Keinen Schritt wird sie über die
295
Grenzen ihres Ichs tun, also keine Sünde. „Hätt' ich
Judiths Ruf " Aber sie weiss, dass ihr Schicksal
ein anderes ist. Nichts wird sie halb tun. Jedes Wort,
jede Tat trägt als Stempel ihr ganzes Wesen. Und möchte
man Kunigunde den Typ des Stimmungsmenschen nennen,
das Genie der Halbheit, so ist sie eine F'anatikerin des
Ganzen. Mit starkem Schritt geht sie durch die Welt.
Gross und schlicht. Man möchte glauben, Michelangelos
Sibyllen-Madonna auf dem bekannten Jugendrelief des Künst-
lers sei ihr Bild. Denn der klare, grosslinige Charakter
dieser Frau wirkt dämonisch, wie diese Gestalt mit dem
Gesicht der Schicksalgottheit. „Bist du die Nemesis",
fragt Antiochus, als er sie zuerst sieht. Ihm muss sie
so erscheinen. Sie in ihrer Existenz ist schon an und
für sich die klare Verurteilung seines Lebens und der
Instinkt des Antagonismus lässt ihn sofort dieses Wort
finden. Er hatte — bangend, dass er ihn finde, sich selbst
unmöglich mache seinen „Bruder" gesucht — und ehrt ihn
erst. „Die Heldin soll den Helden nicht beschämen." Zwi-
schen ihnen beiden schlägt die Grösse eine Brücke über die
Menschen unter ihnen. „Ach könnt auf mich ich deine Seele
nehmen!" antwortet Salome. Und der Dialog geht weiter:
„Ein Wüthrig seyn heisst Menschen gerne morden, sind denn
das Menschen?" „Gott erschuf auch sie!„ „Ja wäre deines
Gleichen mir geworden, so würd ich ungern morden ....
Das ist ein Mährlein, denn wie würden die denn Menschen
heissen — wären sie geschaffen vom Zufall nicht, des
blinden Chaos Affen!" So spricht er, so möchte er sein.
Aber er selbst fühlt seine Lebenslüge halb und mummt
sich unbewusst zur eigenen Selbstverteidigung in das
Wesen Alexanders, peitscht sich zu Taten auf, die er
nicht erdachte. „Und Alexander?" fragt er Salome als
Antwort auf eine Aufforderung. Hier rührt Werner an die
Ideenlehre, gewandelt zur Karrikatur des Affen Alexan-
ders. „Nun dass ich den Bruder dir erschlug, es war
im Rausch, hat Alexander doch den Philotas auch er-
schlagen, den Busenfreund." Sein ganzes Wesen ist auf
296
Nachahmung gestellt, da er sich des inneren Rufes bar
einen ertrotzen will. Das Beispiel Salomes lässt ihn mit
Leben und Reich spielen. „Ich will jetzt den Triumpfzug
halten, du lehrtest spielen mich mit der Gefahr." Und doch
ist etwas Grosszügiges in seinem Charakter, das uns ihm
näher bringt. Aber die im frevelnden Übermut als Vor-
bild gewählte Grösse verzerrt sein Gesicht zu einer Fratze.
Auch hier streift Werner einen genialen Gedanken, fasst
ihn sogar halb: Den modernen Halbhelden, an dem alles
problematisch, mannigfach ist, der seine Einheit verloren
hat und sich selbst sucht in der Geschichte.
Die Konzeption des Stückes ist vielleicht gehaltlich
die dramatischste die Werner hatte. Seine künstlerische
Kraft reichte bei weitem nicht aus, sie zu gestalten.
Die monumentale Linie der Tragödie Avurde zerstört.
Nur das bleibt von der Konzeption tatsächlich, dass allein
Salomes und Antiochus Kopf von dem dramatischen Licht-
kegel scharf gefasst werden. Alle übrigen Personen
werden trotz der grossen Schattierungsmühe wenig leben-
dig. So zerbrach das Kunstwollen unter seinen formen-
den Händen wie immer. Der so stark intuitiv arbeitende
Dichter schaute stets grandiose Visionen in der „Weihe",
wenn er des Geistes voll ist. Aber er vermochte sie nicht
in seinem Werk zu gestalten und wir ahnen nur die
Grösse des Geschauten durch einen Schleier, den der
Dichter vor unseren Blicken breitet. Diese Erscheinung
macht es dem, der hinter und aus dem Erreichten das
Gewollte herauszuspüren imstande ist, so schwer das rich-
tige Urteil zu treffen. Dieses fast allen Dramen Werners
eigene Problematische erklärt die enthusiastische Über-
schätzung seiner Produktion. Man sah den grossen Wurf
seiner Konzeption und sah sie erfüllt in das eigentliche
Werk hinein. Nur so versteht man, dass man ihn neben
Shakespeare stellte. Dass ihm Gestalten erschienen, die
Hebbel zu fassen suchte, ist so erklärt. Auch hierin ist
er Romantiker, die letzten Endes aus dieser künstleri-
schen Gestaltunosunfähigfkeit zu ihrem zersetzenden Form-
297
prinzip kamen. Werners Nuance ist das innige Ver-
schmelzen des Goldes mit dem Kupfer verwirrender Kün-
stelei, die das Doppel-Ich des Mystikers und Rationalisten,
des Heiligen und Wollüstlings, des Propheten und Narren,
des ruhlos Beharrenden in seiner Kunstform wiederspie-
gelte. Im Willen war sein Leben gross und rein, so war
auch sein Kunstwollen von fast kleistischer Grösse und
wies von dem grössten deutschen Dramatiker Kleist auf
Hebbel, deutete die Linie der Grabbe, Büchner, Wede-
kind, Strindberg an. Er war der Dichter der dissonieren-
den Menschen, ohne es sein zu wollen; denn wie im
Leben so suchte er in der Kunst die Synthese und Har-
monie. Das Neue, Eigene, das er bietet, ist nicht die
neue Form, nur eine Einzelheit: der antithetische Halb-
held vor allem in der Gestalt der Kunigunde und des
Antiochus. Menschlich bedeutsam war, dass ihm Kuni-
gunde die Heilige, Antiochus aber der Verworfene war.
Menschlich hatte er das Antithetische überwunden.
Werner, der Dramatiker ist — abgesehen von Form
(die als Übergang von der französisch-klassizistischen über
Schiller zu Kleist weist) und didaktischem Ziel — in der Zeich-
nung seiner Charaktere viel moderner, als man zu glauben
geneigt ist, weil man sich durch eine wulstige Schale hin-
durch arbeiten muss. Kunigunde und Antiochus als geschaute
(nicht immer dargestellte) Charaktere könnten der Literatur
des 20. Jahrhunderts angehören und ihr Bild ist gegen Helena
und Julian (in Ibsens Kaiser und Galliläer) kaum verblasst.
Er ist als Dramatiker ein Übergang. Romantiker auch
hierin; denn von dieser Zeit konnte ihr Prophet wie
Historiker Friedrich Schlegel zweifelnd fragen, ob sie über-
haupt fähig sei, ein abschliessendes Kunstwerk zu geben.
Den Eindruck, den wir aus diesem Drama als bio-
graphischer Quelle erhalten, ist der einer gesunden, ruhi-
gen Klärung des seelischen Lebens Werners. Kein Schwel-
gen in den Schmerzen des Martertums. Die fast keusche
Zurückhaltung Werners auch in diesem Punkte spricht
für eine innere Wandlung. Das aus der Geschichte seiner
298
Gestalten bekannte mystische Paar, das in der Ideeliebe
sich eint, tritt hier auch auf. Es war der Träger der
religiös-sexuellen Liebe gewesen. Der erotische Klang
war verschieden stark und verhallte mit eigenartigem Ton in
der „Kunigunde", wo sich Mutter- und Gattenliebe mischte.
Das war der Übergang. Schon in der Kunigunde schlug
er das Thema Mutterliebe an und brach das alte Motiv
der religiösen Erotik. Wir verfolgten die theoretische
Scheidung der beiden Elemente dieser Verbindung, sahen
die zentrale Stellung der Mutterliebe immer deutlicher
hervortreten. In der „Mutter der Makkabäer" ist auch
praktisch diese Scheidung vollzogen. Kein unreiner Ton
stört die Einheit des Gefühls der Mutter. Mit peinlichster
Sorgfalt hat Werner alles Schillern der Empfindungen in
gebrochenen Farben zu vermeiden versucht. Und wir
brauchen nur Kunigundes Liebe zu Florestan, ihrem Wahl-
sohn zu nennen neben Salomes Muttergefühl, um uns die
Entwicklung zur vollständigen Reinheit klar zu machen.
Und rein ist auch die Liebe Benonis zu Cidli. Keine phan-
tastische, mystifizierte Verklärung der Gattenliebe: Das
legale Band der Ehe verbindet sie. Kein Wort von Ent-
sagung und seliger Qual wie bei Heinrich und Kunigunde.
Die Ehe in ihrer natürlichen Funktion wird von Werner
anerkannt. Die krampfartige Überspannung des Keusch-
heitsbegriffes der ersten Übergangszeit ist zu einer ruhi-
geren Betrachtung der tatsächlichen Verhältnisse gelockert.
Fast brutal ist die Auffassung der Ehe ausgesprochen.
Nach dem Tode ihres Gatten, dem sie noch nicht an-
gehören konnte, wird Cidli das Weib Judas Makkabäus:
„Gebiehr' mir Helden Gottes". Als Beruf der Frau er-
scheint in Steigerung der kirchlichen Lehre rein die Fort-
pflanzung des Menschengeschlechts.
Die hysterische Zerfahrenheit, die sich wegwerfende
Entblössung der letzten Geheimnisse innersten Erlebens
hat sich gewandelt zur Ruhe, zu einem stillen Sichbe-
scheiden. Werners Bild in jenen Tagen sehen wir auf
der Radierung von Johann Ender. Eine stille Resignation
299
auf dem hageren Gesicht. Kein fahriger Zug, alles von
einer selbstverständlichen Energie gehalten. Vielleicht
kann man eine leichte Müdigkeit finden und den Phthisiker-
zug in dem mageren hohlwangigen Antlitz, der den na-
henden Tod kündigt.
X. Kapitel.
Werners Vollendung.
Im Juni 1816 trat Werner eine Reise nach Janow,
einem Landstädtchen in Podolien an. Dort war er ein
Jahr Gast der Familie Grocholski und Choloniewski. Sein
Freund Hoffbauer hatte ihn mit der Mission betraut,
den Boden zu ebnen für ein Redemptoristenkloster. Von
dieser Familie w^ar der Plan freudig aufgenommen und
der junge Graf Stanislaus Choloniewski, der als Diplomat
in russischem Dienst beschäftigt war, verwandte sich
energisch dafür. Damals wurde Werner zum Ehren9om-
herrn ernannt und trat in brieflichen Verkehr mit den
Familien, deren Namen in seinem Testament oft erwähnt
werden. Der Briefwechsel lässt uns einen tiefen Blick
in die Seele des Priesters und Menschen tun und zeigt
den Seelsorger in seiner aufopfernden Tätigkeit, in seinem
alltäglichen Dienst. Er zeigt trotz aller Hüllen den Men-
schen Werner in seiner Vollendungssehnsucht und der
Qual eines tapferen Lebenskampfes.
Noch einmal fasste ihn eine tiefe Leidenschaft zu
einem Menschen, der in den eigentümlich verschnörkelten
und verheimlichenden Briefen unter dem Namen Alexis
auftritt „zwar liebe ich Alexis nach oder neben
meiner Mutter (das sage ich an ihrem Sterbetag, wo man
nicht lügt) ich liebe den Alexis über alles hienieden".
Hinter diesem Pseudonym verbarg der Priester aus leicht
zu verstehenden Gründen den Namen der junge Gräfin
300
Cäcilie Choloniewska , die Schwester der Gräfin Gro-
cholska.
Wir haben in diesen Briefen die Darstellung einer
„Liebe" im Sinne der Weihe der Unkraft, ein wichtiges
Dokument für die psychologische Erkenntnis dieser Hei-
ligenliebe, einen Beweis, dass Werner in seiner Weise
der Vollendung sich näherte.
Liest man diese bizarren Gefühlsgebilde eines Tod-
kranken, aus deren Wortgebung es wie flackernde Unruhe
aufschlägt, diese zuckenden Ausrufe, die wie aus qualzer-
rissener Seele sich emporwühlen, dann mag man ihre
Einschätzung als VoUendungssymptone unrichtig finden.
Wer aber tiefer sieht über dieses Wernersche Exterieur
hinaus in den Wesenskern dieser Bekenntnisse, wird es
verstehen. Die Briefpsychologie lehrt die starke Ab-
hängigkeit des Schreibenden vom Empfänger. Wir haben
uns diesen Prozess e^wa zu denken als ein instinktives
Rücksichtnehmen und eine unbewusste Suggestion der
Persönlichkeit, an die man schreibt. Der feiner reagie-
rende Mensch wird in doppelstarkem Kontakt mit dem
Empfangenden stehen. Werner musste also stets sehr
von dem psychischen Milieu abhängig sein, in das sein
Brief treten würde. Das Schreiben wurde die Resultante
der nicht immer gleichstarken Komponenten: Werners
Augenblicksstimmung und der Stimmung, in der er seine
Freunde glaubte.
Der polnische Katholizismus ist vom Gefühlsleben
stark beherrscht. Das ekstatische Erleben religiöser Ge-
fühle war damals bei dem in Martyrerstimmung sich
fühlenden Volke besonders gross und der polnische Hoch-
adel übernahm diese Gefühlswelt als ererbtes Gut und
baute sie weiter aus. Die nach innen schlagende Glut
slavischen Empfindungslebens nährte bei dieser Familie
sich aus einem furchtbaren Erlebnis. Die Gräfin -Mutter
verbrannte bei einem Feuerunglück im Schlosse und ihr
Schatten lag düster und schwer über dem Leben der
Familie. Man betete zu ihr, wie zu einer Heiligen. Der
301
Gestus des ganzen Lebens ward von ihr beherrscht und
erhielt durch diese Konzentration auf eine Verstorbene,
Verklärte eine hysterische Unwirklichkeit. Alles war
vergeistigt. Überzarte, dumpfe Empfindungen mochten
besonders in der Seele des Mädchens, Cäciliens keimen
und sie empfänglich machen für die suggestive Kraft des
katholischen Gottesdienstes. Ihr musste ein religiöses,
jedes Gefühl im jäh steigenden und fallenden Rythmus
zum tief erschütternden Pathos werden.
In ihre Mitte trat Werner, selbst innerlich noch ein
Werdender. Er ging nach Polen, wo er seine Entwick-
lung erst recht eigentlich begonnen hatte. Wie ein be-
deutsamer, bedachter Zug erscheint das, den ein Künstler
in diese Tragödie (besser im Sinne Werners in dieses
Mysterium) seines Lebens hineindichtete, dass er sich da
in seiner Art vollendete, wo er sich in seiner Art begann.
Die Wahlverwandtschaft mit diesen Menschen, die ihm
im Seelenbau glichen, musste stark'^auf ihn wirken und
aus Werners Briefen fühlt man die Angst heraus, in dieses
schnell kreisende Gefühlsleben wieder hereingerissen zu
werden. Seine Aussprache mit Hoffbauer, die in diesen
Briefen erwähnt wurde, mochte wohl aus dieser unklaren
Angst geboren w^orden sein. Sie bew^eist, dass Werner
die Gefahr fühlte und schon auf einen Punkt gekommen
sein musste, wo er diese Lebensführung als von der
seinen verschieden empfinden konnte. Dieser kleine Zug
ist ein klares Zeichen auf dem Weg, den wir Werner
zur Vollendung seiner so dissoluten Persönlichkeit gehen
sehen. Er beweist auch, dass der Sturm der Gefühle,
der die Sätze der Briefe in einander zu jagen scheint,
nicht die Tiefe der Seele zu erreichen vermag, wo die
stille Sehnsucht harrte auf die Stunde, da sie sich zur
Vollendung aufrichten durfte und sterben. Er wurde hin-
eingerissen fast wider Willen. Die Liebe der jungen
Gräfin war die Macht, die in letzter Stunde die Reife zu
hindern suchte. „Das Wesen, das jetzt den wahren Ge-
genstand seiner Anbetung (die es aus einem nur diestm
302
einzigen Wesen möglichen und also allerdings enormen
Missgriff verschwendet hatte) im Welterlöser gefunden hat."
Werner kam in diese Welt als ein Heiliger verehrt.
Der grosse Büsser, mit dem von Leidenschaft und Sünde
zerfressenen Gesicht, über dem ein milder, versöhnender
Glanz jetzt zu liegen schien; und wie ein Heiliger lebte
er. Seltsam war alles, was er sagte und tat. Seltsam
und wie von einer inneren Glut erfüllt. So hatte sich
die Phantasie des Mädchens ihren „Heiligen" gestaltet;
so und noch grösser, unfasslicher. Dieses Bild sah sie
wieder in ihn hinein. Der verwirrende Reiz dieses von
allen Sünden befleckten Menschen, den sie mit einem
hysterischen Schauder liebte, zwang sie in seinen Kreis.
Sie liebte ihn mit jenem halbdunklen Gefühl, das nicht
zur Klarheit kam, bis er es in überreiztem Feingefühl
ahnte und ihr es bewusst machte. Keinen Augenblick
scheint er gezögert zu haben, das zu tun, was ihm Pflicht
schien. „Ich bemerke im voraus, dass ich mit förmlicher
und ausdrücklicher Erlaubnis unseres grossen Alexis ....
den väterlichen Freund Hoffbauer über die Hauptsache
und das Wesentliche meines Verhältnisses zu Alexis au
fait gesetzt habe, ein Verhältnis, das in seiner Tiefe auf-
gefasst, nichts anderes als dem hohen und heiligen Wesen
höchst ehrenvoll sein kann, das jetzt den wahren Gegen-
stand seiner Anbetung (die es aus einem, nur diesem
einzigen Wesen möglichen und also allerdings enormen
Missgriff verschwendet hatte) im Welterlöser gefunden
hat. Hierauf machte ich Hoffbauer aufmerksam und fragte
ihn wiederholentlich ( . . . . )ob er bey solchem Verhältnis
mit Alexis es für ratsam, ja moralisch möglich halte,
dass ich nach Janow reisen könne, was ich sehr stark
bezweifle." Aber trotz seiner „Virtuosität sich zu quälen",
warf er sich nichts vor, das seine Liebe beschmutzt hätte.
Zu roh sei er mit ihr umgegangen, klagt er sich allein
an. Einmal nur brach ein natürlich egoistisches Gefühl
durch. „Meinen und Euren, denn mir gehört er mehr an
als Euch, als Dir sogar, lieber Joseph ( — Gräfin Gro-
303
cholska)", nannte er ihn, suchte aber die erwachten Ge-
fühle auf das einzige Ziel zu lenken, das er kannte, auf
den Welterlöser. Er vollbrachte das Opfer, eine Liebe,
die ihm galt, seinem Gott zu geben. Mag auch der Ton
der Briefe leidenschaftlich klingen, nie kann man erken-
nen, dass das Gefühl unklar wird, wie etwa Kunigundes
Wort und Tat. Die „Einfalt" ist unzweifelhaft gewahrt.
Er führte Alexis über diese Welt erhoben „auf Flügeln
der Liebe" zu Gott. Diese Liebe ist vergeistigt zur Ca-
ritas und nur ein geistiges Band innerster Gemeinschaft
der Seelen umschlingt sie: den sterbenden Priester, das
kaum zum Leben erwachte Mädchen. Oft steigerte sich
sein Gefühl zur Höhe, die ihn schreiben liess : „Ich liebe
den Alexis unendlich, über alles hienieden. Aber meine
Liebe und Trauer über die Trennung von ihm hier auf
Erden, (denn dort oben, wenn ich dorthin gelange, wird
unsere verklärte Liebe nichts trennen), ja Dir sag ich's
mein zartester Freund, mein treuer Bruder Joseph, ich
liebe den Alexis, liebe ihn, was man lieben nennen kann,
er ist mein zweiter Gedanke morgens, mein vorletzter
nachts, erfüllt den Tag über mein Sehnen! Aber meine
Liebe und irdische Trauer über den irdischen Verlust
wird fast ganz aufgelöst in der tiefen, entzückenden
Verehrung, die ich für diesen jungen Heiligen habe . . . ."
Als er lange Zeit auf den Brief warten muss, ist sein
erster Gedanke Alexis sei gestorben und man wolle ihm
den Tod verheimlichen. „Kein Tag verging, w^o ich nicht
auf der Post fragen liess. Meine Angst wuchs in der
Stille von Tag zu Tag furchtbar." Er erbat sich Porträt
und Locke von Alexis.
Sein Gefühl ist rein und gut und seine Stellung zwi-
schen Gott und dem Heiligen in ihrer quälenden Gefähr-
lichkeit liess ihn wohl das Wort sprechen: „Gott führe
mich immer so seltsam, dass immer die Qual mit mir, der
Schein gegen mich ist." Dann wieder findet der Priester
und Freund grosse, feine Worte für Alexis und die Seinen.
Er sprach von dem viel zu seraphischen Geist und seine
304
Furcht um ihn nahm die Form an: „Aber wenn Gott sich
meiner hartherzigen Rohheit gnädiglichst als Mittel be-
dient, den Alexis über die Welt erhoben auf Flügeln der
Liebe zu sich zu führen, das gibt Euch kein Recht, mir
meinen Alexis durch delikate Roheit zu töten." In diesem
Zusammenhang spricht er von „Onkel- und Tantenge-
schmeiss." Die überquellende Angst um die zarte, schöne
Seele des Mädchens, das ihn liebte, durchbrach hier die
sonst so sorgsam gehütete Form. Der gute Mensch in
Werner richtet sich mit einer zürnenden Geste auf gegen
die Leute, die mit plumpen, unheiligen Fingern an das
Heiligtum dieses Lebens zu tasten wagten. Er hat ihr
wahrscheinlich den Weg gewiesen, den sie gehen sollte:
in's Kloster und sie war ihm darin gefolgt. Vor der
Welt wollte er sie hüten, aber auch hier in dem Asyl
drohte ihr noch Fährnis. „Es wäre entsetzlich, wenn
dieses hohe heilige Wesen zerrissen würde von nieder-
trächtiger auch geweihte Mauern füllender Lieblosigkeit."
Um genau den Entwicklungsgang verfolgen zu können,
den sie ging und den er bangend mitschritt in seinen
Gedanken, erbat er sich Notizen dessen, was sie sprach.
Mit feinem Verständnis hat er die Eigenart dieser Wahl-
verwandten zu erfassen vermocht und wollte ihr das
Recht der Eigenentwicklung gegen Freund und Feind
wahren. Hier erklärte Werner zum erstenmal scharf das
Recht eines religiösen Individualismus.
Das ist das Endergebnis dieser qualvollen Zeit. Sie
ist gewiss nicht ohne schwere und tieferschütternde
Kämpfe gewesen. Aber er hat sie für sich ausgefochten
und kein trüber, unreiner Ton konnte in ihr Verhältnis
dringen. Seine Liebe zu „Gottes und meinem Alexius"
konnte er ohne Lüge neben der Liebe zu seiner Mutter
nennen und der Ton, der über diese Liebe schwebt, klingt
in dem Gedicht „an Stanislaus C." aus.
In dieser Zeit machte Werner auch eine schwere
körperliche Krankheit durch, die er kaum überstand und
die den Ton der Briefe mitstimmte. Trotz der leichten
305
Art, in der er von dieser Eventualität spricht, Hessen
-die Nähe des Todes und die Körperschwäche ihn noch
mehr extremen, nervösen Impulsen folgen als sonst. In
seinem ersten Wiener Brief schrieb er darüber: „Was
Casimirs (= Werner) Krankheit betrifft, so überfiel ihn
schon am 21. November ein entsetzlicher Fieberfrost, er
achtete jedoch wie gewöhnlich nicht darauf. Aber den
Tag darauf, Sonntags musste er nach der Messe morgens
zu Bette. Der sehr geschickte Arzt Malfatti und ein an-
derer namens Jäger kamen des Abends und erklärten die
Krankheit für eine falsche Lungenentzündung. Dem Pa-
tienten enthüllten sie nicht die ganze Gefahr .... Er war
krank seit dem 23. November 1817 bis zum S.Januar 1818
röm. Stils, wo er seine erste Ausfahrt hielt. Der närri-
sche Mensch ängstigte sich nicht sowohl vor dem Tode, als
dass er ohne Testament nicht sterben wollte, an Euch hat
er dabei fortgesetzt gedacht und was diesen casimir-
nen Duselpeter in seiner Todeskrankheit sehr geplackt
hat, w^ar eine unbeschreibliche Neugier, wie es doch jen-
seits wohl aussehe .M" Mag man diese Schilderung^, die er
in der Genesungsfreude geschrieben hat, nicht für ganz
echt halten und Werners Versicherung „nur Appetit
zum Leben hat er nicht den allermindesten" etwas miss-
trauen, welch ein Unterschied gegenüber der Zeit, da
Frau von Stael von ihm schreiben konnte, er fürchte sich
in gleicher Weise vor dem Leben, wie vor dem Tod.
Jetzt steht er Tod und Schicksal fast als Herr gegenüber.
Damals unter dem Schauer vor der Grösse des Au-
genblicks mochte er sein Leben wiederum prüfen, ob es
gross und gut geworden. Vielleicht und wahrscheinlich
fand er es nicht so, wie er es glaubte führen zu müssen,
dachte an die Zeit zurück, als de; Konvertit geträumt
hatte von einem Büsserleben, fern von der Welt in
den hohen Mauern eines Klosters, die allen Lärm des
Lebens verhallen Hessen. Wohl aus solchem Erleben
heraus sagte er: „Es geht mit der Bekehrung eines Men-
schen oft gerade so, wie mit einer fruchtbaren Witterung.
Hankamer, Zacharias Werner. 20
306
Des Morgens ist es ganz klar, ganz heiter, das Firma-
ment ohne Wolken ; des Mittags ist es ganz trübe, dunkel,
ganz umwölkt und regnet. Gerade so ist es beschaffen
mit und in einem zu Gott sich wendenden und bekehren-
den menschlichen Herzen. Anfangs lässt der Herr seinen
göttlichen Gnadenstrahl ins Herz fliessen. Mit diesem
kommt Frieden, Trost und Süssigkeit in dasselbe. Aber
bald hat dieses Erquickliche ein Ende, es kommen die
Prüfungen." Der Weihebegriff im Wortgebrauch des
Katholizismus scheint das. Aber hier wusste er die Ver-
söhnung, fühlte er den Vorsehungssinn dieser Qual: „Der
Herr entzieht uns seinen süssen göttlichen Trost, weil
er uns erzieht,"
Wieder tauchte der alte Zweifel auf, ob er berufen
sei, als Dichter den „Bussgesang" zu Ende zu singen,
oder ganz sich selbst zu leben, eingekapselt in seiner
eigenen Reue und seinem Gefühl. Hier lag ein Zwiespalt.
Werner fühlte halb, dass die mönchische Seite des Ka-
tholizismus nicht zu ihm passte und spürte doch wieder
den Trieb sich zu vollenden als Katholik. Die Entschei-
dung fiel zu Gunsten des tätigen Lebens. 1820 gab er
nach längeren Zögern die „Mutter der Makkabäer" her-
aus, nachdem zu Beginn des Jahres 1818 die „geistlichen
Übungen für drey Tage" gedruckt worden waren, in denen
Werner seine Weltanschauungs Wandlung auch als L3^riker
erkennen Hess.
Neben der Gruppe der Gedichte, die im Sonett ihre
notwendige und entsprechende Form fanden, standen
schon früh und an allen Ruhepunkten seiner Entwicklung
Gedichte, in denen eine konkretere Art des Schauens sich
zeigte. Diese Seite trat nach seiner Konversion deutlicher
hervor. Es fehlte jenes hastende hysterische Tempo, das man
bei fast allen künstlerischen Erzeugnissen Werners fühlt
oder ahnt. Ein ruhiges Verweilen war ihm nun ermöglicht.
Werners Auge ruhte länger und ruhiger auf einer Einzelheit,
die sich ihm bot. Novalis, Claudius, Spee, Volks- und*
Kirchenlied waren ihm Vorbild. Neben diesen Einwir-
307
kungen stand ein erneuter stärkerer Einfluss der künst-
lerischen Seite der Bibel. Nicht nur Einzelbilder, den
Geist dieser Poesie suchte Werner festzuhalten. Er nennt
ihn den „Psalmenton".
Ansätze zur religiösen Lyrik finden sich früh. Wer-
ners erstes Sonett ist religiösen Inhalts und besonders
die Marienverehrung ist schon früh als konventioneller In-
halt seiner Lyrik nachzuweisen. Hier aber war der religiöse
Gehalt noch nicht Eigentum. Geistliche Poesie im Sinn der
dichterischen Formulierung religiöser Erlebnisse ist bei
Werner wenig nachzuweisen. Vielleicht ist hier die Stelle
seines Innenlebens, die er schamhaft verhüllte. Ein psy-
chologisches Rätsel bei der sonstigen seelischen Unkeusch-
heit Werners. Im „Abschied von Rom" heisst es :
„Was dorten mir ward kund getan
Künd ich, wills Gott, wohl einmal an
Durch Wort und Blick den Brüdern;
Denn was der Herr uns kundig macht,
Das wandelt in des Busens Nacht
Und singt sich nicht in Liedern."
Ähnlich in der Disputa:
„Psalmen nicht die Harfe klinget
Doch die Seele Psalmen denkt."
Ihm schien die Kunst nicht ernst, nicht gross genug, diese
Offenbarung zu verkünden.
Neben wenigen anderen Gedichten heben sich als die
beiden Hauptwerte der geistigen Lyrik Werners deutlich
hervor: „Eucharistia oder das allerheiligste Sakrament des
Altars, ein Messhymnus, nach des Raphaels Sanzio . . . Fre-
skogemälde, genannt: La Disputa del Sakramento" und die
„Geistlichen Übungen für drei Tage". Die „Disputa" ge-
hört formal wie inhaltlich der Übergangsepoche Werners
an, die nach der Konversion einsetzt. Zunächst erscheint
sie als reine Beschreibung oder besser Interpretation des
Raphaelschen Gemäldes gedacht gewesen zu sein. Wohl
unter dem Einfluss des Calderonschen Mysteriums: „Die
308
Geheimnisse der heiligen Messe" versuchte er dann ein
gewisses episch - dramatisches Element hereinzubringen
und die Bildinterpretation sich mit dem Verlauf der Messe
entwickeln zu lassen. Das ist ihm freilich nicht sehr ge-
lungen. Neben Calderons Bühnenweihfestspiel darf dieses
Machwerk — trotz feiner Einzelheit — sich nicht nennen.
Das Charakteristische dieser Dichtung ist die Halbheit
der Form: halb Epos halb Lyrik. Die Verwischung dieser
beiden Grenzen ist für jene Epoche in der Lyrik Werners
das Bezeichnende. Auch der innere Stil ist dadurch cha-
rakterisiert. Wir spüren, dass Werner eine neue Form
sucht ebenso sehr wie, dass er sie noch nicht gefunden
hat; merken inhaltlich, dass er seine Gedanken in das
Gewand katholischer Dogmen und Lehren hüllt. Eben
dieser Parallelismus der Form und des Inhalts in ihrem
Übergangscharakter weckt die Hoffnung auf ein gleich-
zeitiges Ausreifen beider. Neben beliebig zu erbringen-
den Beispielen des alten Stils machen sich die Einflüsse
Spees und Novalis in potenziert extremer Form merklich.
Wir haben Strophen, die nicht nur an's Perverse sich
wagen, nein, die diese Grenze überschreiten. So die Schil-
derung des Johannes, (die wir durch das Tagebuch als
am 24. November 1810 konzipiert wissen):
O wie sich die Rosenlippe
Schamhaft süss zusammenschliesst,
Als ob Christi Blut sie nippe
Ob er züchtig gleich verhüllet
Ich am Liliennacken schau
Dass die milden Glieder füllet
Schön gewundener Wellenbau
Der zur zarten Sohle quillet.
Eine Strophe zeigt uns die Vermischung beider Formen
wie in einem Schulbeispiel:
Doch eh' Luna darf erscheinen
In des Springquells Wogenchor,
Muss die Nacht erst Sterne weinen
Weil der Quell den Tag verlor.
309
Wir haben es hier mit einem Gebilde zu tun, dessen
Wurzeln in zwei Erdreichen liegt. Aber es ist doch ein
bewusster Versuch, eine neue Form zu finden für die
neuen Inhaltswerte, eine Etappe auf dem Weg der lyri-
schen Entwicklung Werners. Den Schlusspunkt bedeuten
die „Geistlichen Übungen für drei Tage,"
Die Übungen verfolgen einen praktischen, religiösen
Zweck. Sie sind erwachsen aus den Exerzitien des
Ignatius von Loyola, der seinerseits auf Thomas von
Kempen fusst. Werner liebte sie, weil die Nachfolge
Christi sowohl wie die Exerzitien auf seine geistige Ent-
wicklung wohltätig eingewirkt hatten. Überall suchte er
sie einzuführen. Seine „Geistlichen Übungen" sollten in
geringerer Zeit und anderer Form denselben Zweck er-
füllen. Werner spricht zu uns als Asket und katholischer
Priester, aber er spricht zu uns auch als Dichter. Sie
erschienen mit einem Nachwort, das den inneren Zusam-
menhang, die feinsinnige Komposition dieser Betrachtungen
sehr gut analysiert und Werners Prosa auf einer ge-
wissen Höhe zeigt.
Die „Übungen" sind durch den Rahmen der einzelnen
Halbtage von einander abgeteilt, in Akte zerlegt. Diese
natürliche Teilung hat Werner geschickt durch formale
Akzente betont und sich hierdurch einen grossen künst-
lerischen Vorteil gesichert. In das leicht in's Uferlose
Verschwimmende einer solchen lyrischen Komposition ist
ein straffendes dramatisches Element gebracht. Mit feinem
Verständnis hat er innerhalb jedes dieser Einschnitte
Spannung und Lösung durchgeführt. Jeden Halbtag hat
er für sich durch scharfe Umgrenzung wieder zur Ein-
heit erhoben. Durch die Gleichheit des Rythmus, durch
inhaltliche Gegenüberstellung verklammert er die Teile
fest in sich zusammen z. B. sieben Todsünden, sieben
Gnadenmittel, Tod des Sünders, Tod des Gerechten usw.
Die Dichtung erhielt dadurch eine Einheit, die sie nicht^
in eine lose Zusammenstellung religiös -lyrischer Einzel-
dichtungen zerfallen lässt. Dabei wirkt er weder Inhalt-
310
lieh noch formal eintönig. Der Reichtum der lythmischen
Formen Werners, die Fülle religiöser Ideen und Gefühle
vereinigen sich, diese Gefahr vermeiden zu helfen.
ßewusst hat Werner eine neue Form erstrebt und
— gefunden. Schon die gewählten Rythmen kennzeichnen
das Neue dieser Lyrik für Werner. Eine merkliche Vor-
liebe für einfache liedartige Formen ist nicht zu ver-
kennen. Jeder Künstelei ist er aus dem Weg gegangen.
In schlichten Linien gibt der rythmische Bau den Gehalt.
Durch rythmische Schattierung bringt er z. B. in dem
dreiteiligen Gedicht: „Busse" eine klare Abstufung der
Stimmung zustande. Die „Trostlosigkeit" beginnt:
„Ich bin von Sünden ganz umfangen
Und ich weiss weder aus noch ein.
Die „Selbstanklage"
Wir haben Dich verlassen
Um schnöden Sündenlohn.
Die „Reue"
Fliesset, o fliesset in Strömen hernieder
Thränen der Reue und büssender Schuld.
Ein glücktrunkenes Jubeln klingt In dem Rythmus:
Es ist vollbracht, die Thräne versieget
Gewaschen im Blute des Lammes die Schuld."
Der Stil (im engeren Sinne) sucht diese Selbstbe-
schränkung durchzuhalten, straffe Konzentration des Wor-
tes führt zu einer ungewollt wirkenden Bildhaftigkeit und
drängt zu scharfen Konturen. Das Charakteristische seiner
früheren Kunst, das Zerfallende, Überreife ist überwunden.
Sie ist rund und plastisch geworden, wirkt nicht mehr so
körperlos. Fast immer ist Handlung das Darstellungsmittel.
So bietet die Schilderung der sieben Todsünden keine Aus-
malung des Zustandes, sondern es wird versucht, eine
einheitliche Handlung zu geben, indem eine die andere
aus sich entstehen lässt. Eine möglichst grosse Bildlich-
keit und noch konkretere Fassung wird versucht. Die
letzten abstrakten Elemente werden ausgemerzt. Jedes
311
allzu deutlich Symbolisierende ist vermieden. Durch alle
Gedichte ist das Wollen nachzuweisen, keine Reflexionen
zu geben sondern Bilder. Zwanglos stellen sie sich ein
und zwanglos werden sie durchgeführt. Eine Fülle wirk-
lich geschauter Bilder lässt sich aufzeigen. Die Edel-
metalle sind böhmesch gestorbene Strahlen vom Licht der
Gottheit. Der Sünder verschläft den Tag mit Lachen.
^Wie die Windsbraut die Blätter vom Baum rafft, mit
Heulen und Pfeifen, Wird alle, die dann in Erd und Meer
zum Weltgerichte reisen, Wird Gier sie, gerichtet zu wer-
den, ergreifen." Die konkrete Schilderung des Sterbens:
^Wenn schon die Totenkerze in Sünderhänden brennt."
Von Dantesker Farbe ist das Bild des Weltenrichters:
Und nun der Jesus, der dann nicht mehr söhnet,
Kommt ein Gewalt'ger mit Blitzen gekrönet.
Aber mehr noch als formale Einzelvorzüge können wir
an dieser Lyrik geniessen. Wir werden in ein grosses,
wirkliches, ungekünsteltes Erlebnis eingeweiht, werden
durch die suggestive Kraft dieses Lebens in seine Stimmung
gezwungen. Was wir qualvoll in den meisten Gedichten
Werners fühlen, die artistische Halbwahrheit seines Schau-
ens, das Gewollte seines Gefühls, hier fehlt es. Hier
zwingt er uns zu glauben. Eine stille, zurückgehaltene
Energie strafft sich in diesen Versen, eine Energie des
Erlebens, wie wir sie (in der Lyrik) noch nicht bei Wer-
ner sahen. Die Sucht das Letzte nicht ahnen zu lassen,
sondern auszusprechen, hier stört sie uns nicht. Wir
spüren eine fast stolze Scham, sein Allerheiligstes zu
bergen, dass wir nur den Vorhang sehen, der ihn uns
deckt. Man hatte bei vielen seiner Lyrismen das Gefühl :
Nicht Überfluss quillt schäumend empor, sondern Ohn-
macht peitscht sich in den ekstatischen Taumel. Hier
wissen wir, dass sich eine innere Überfülle drängt, Wort
zu werden.
Dieses reine Gefühl in einfacher Form wird zum
Kunstwerk, dessen gehaltene Harmonie uns zur Andacht
zwingt. Alle Gefühlstöne religiösen Lebens werden an-
312
geschlagen von tiefster, zerrissener Angst, bis zur jubeln-
den Gewissheit des Auserwähltseins, vom „de profundis"
bis zum „te deum laudamus".
Werners „Geistliche Übungen" bergen Edelsteine re-
ligiöser Lyrik, die auch neben den schönsten Werten der
Kunst eines Novalis nicht ihren Glanz verlieren. Ihre
Abhängigkeit von den geistlichen Liedern Hardenbergs^
die er sogar in seinen Predigten zitierte, ist sofort er-
kenntlich in Rythmus wie Stil, aber damit sind sie nicht
abgetan. Hier ist der Dichter kein Epigone, weder in
Form noch Inhalt, Er hat von Hardenberg gelernt aber
ist dann eigene Wege gegangen, die ihn in ein anderes
Land führten, als Novalis es sah. Wo er dieselben Wege
geht, sieht er mit eigenen Augen. Im naiven, reinen
Schauen nimmt er ihr Bild auf und selten brechen sich
die Strahlen so, dass wir nicht sehen können wie er.
Vergleichen wir nur etwa das hohe Lied der Liebe, die
„Hymne" Novalis mit dem Gedicht „Ewige Seligkeit". Dort
ein Rausch in grandiosen Visionen, hier ein gebändigter
Impuls jubelnder, hoffender Freude. Wir wissen vom
Dichter der „Kunigunde" usw., dass er auch diese Far-
ben geben kann, aber hier zwang er sich zur Formen-
und Gefühlsbeschränkung.
Einigemale drängt sich der Priester, der Katholik
vor den Menschen, einigemale durchstösst das „beschränkte
Sittliche" das Moraldidaktische die künstlerische Form.
Aber das sind Einzelheiten, Unbedeutenheiten. Im Gan-
zen bedeutet diese religiöse Lyrik den Gipfel der Lyrik
Werners und ein fernsichtiger.
Für die rein menschliche Entwicklung Werners war
die neue Form ein Vollendungszeichen. Das Drama hat
eine starke seelische Spannung zur Voraussetzung. Der
Dramatiker Werner, der im Katholizismus zu einer ge-
wissen Lösung seines Wesens kam, musste notwendig in
dieser Kunstform versagen. In der Entwicklung seiner
Lyrik zeigten sich epische Momente, die auch den Aufbau
der Mutter der Makkabäer lockerten. Der Konvertit Wer-
313
ner pflegte — wenn auch ohne grössere künstlerische
Werkleistung — diese Gattung.
Werner besitzt keinen eigentlichen epischen Stil, wäh-
rend sein Schaffen zuletzt stark von epischen Formen
durchsetzt ist. Sein dunkles Ahnen, Tasten nach einer
spezifisch-epischen Diktion ist klar zu fühlen, aber bleibt
eben keimhaft und unentwickelt. Als metrische Form der
epischen Versuche seiner letzten Epoche wählte Werner
die Kanzone. Er durfte sich mit Recht rühmen, sie ge-
schickt gehandhabt zu haben sowohl was Rythmus als
auch Reimtechnik angeht. Der Reimreichtum dieser Form
wird ihn für sie eingenommen haben. Der überquellende
Fluss des Gleichklangs, der in der Wernerschen Lyrik
quoll, ist hier geschickt und ungezwungen benutzt.
Zu den epischen Versuchen wurde Werner in Rom
vor allem durch inhaltliche Bildbetrachtung geführt und
in der Darstellung des Lebens Raphaels wirkte er wie
ein Cicerone, litt an den Fehlern, die durch diese Veran-
lassung nahe gelegt wurden. Er interpretierte den Bild-
stoff von sich aus und begann sein Predigeramt, das er
in seiner Kunst stets hatte erfüllen wollen, im Eifer und
Geiste der Konversion nicht eben zum Nutzen dieser Form,
die eine Erzählung verlangt und nicht eine fortwährende
Verschnörkelung der Linien des Geschehens durch das Über-
mass von Reflexionen jeder vor allem moralischer Art
Er spottet in „Raphael Sanzio von Urbino", indem er die
Kanzone selbst sprechen lässt :
„Ich bin, man weiss es, spricht sie, vielem Sprechen
Nicht eben feind ; doch soll ich was erzählen !
'nen Lebenslauf, Tragödie und so ferner;
So mag ieh mich auch noch so ängstlich quälen,
Ich kann mich immer meiner nicht entbrechen,
Ich bin und bleib in allem immer — Werner !''
Und etwas später setzt er sie zurecht :
,,Ganz hübsch geschwärmt, Kind, doch wir verletzten
Die Gattung gar, drum denk einmal zu enden,
Lyrisch-didaktisch epische Kanzone!"
Stets wird der Fluss der äusseren Handlung völlig
314
abgedämmt und nur durch sehr deuthch merkliche Über-
gänge wieder eingeführt. Es fehlt bei aller Weitschwei-
figkeit an wirklich epischer Breite. Werner hat mit Aus-
nahme seiner Balladen-Epopoe: „Die drei Reiter" keine
wirklichen epischen Werke schaffen können. Die Fülle
der epischen Versuche des Dichters beweist, dass er diese-
immanente Tendenz seines Schaffens fühlte. Seine künst
lerisches Formkraft war nicht gross genug, das Epische
streng zu wahren und stets versickerte die Erzählung
in Schlammsand der Didaktik; aber gerade der ungewollte
epische Einschlag in seiner lyrischen und dramatischen
Kunst ist biographisch wertvoll.
Die durch die Form der Kanzone als episch empfun-
denen Versuche der Zeit, in der Werner sich in seiner
Weise vollendete, machten die innere Formw^andlung der
Lyrik mit und sind an Einzelheiten reich, die von der seeli-
schen Geschlossenheit Werners Zeugnis geben. Der Prediger
aber verdrängte den Dichter immer mehr. Der Zwiespalt
zwischen Mensch und Künstler löste sich für Werner un-
merklich und still. Er konnte als Mensch sich in seiner
Weise nur erfüllen, wenn er den Künstler opferte. Es
geschah ohne aufreibenden Kampf langsam wie das Ver-
löschen eines leuchtenden Lichtes, dem die notwendigere
Flamme, die wärmen soll, die Nahrung mehr und mehr
entzog. Das Schicksal des Romantikers erfüllte sich, der
doch in der höchsten Form seinen Gegensatz nicht verbin-
den konnte, weil der Dualismus zu stark war und die Per-
sönlichkeit zu schwach. Eine Synthese zwischen Mensch
und Künstler im Katholizismus fand kein Romantiker ganz.
Werner vielleicht noch — als Lyriker — am meisten von
allen. Als Lyriker, weil hier die seelische Spannung
leichter und spielender ist. Hätte der Romantiker Wer-
ner über den Kompromiss zwischen Künstlertum und
Menschentum zur Synthese gelangen können, so hätte er
als Epiker sich notwendig vollendet.
In die Tiefen der geistigen Wurzeln des Formprob-
lems weist das Aufkeimen seines epischen WoUens, das
315
diese Kunstform als die seiner geistigen Lebensform im-
manent erfühlte. Als der reifende Friedrich Schlegel den
Roman für die höchste Gattung der Poesie erklärte, war
in ihm das ahnende Wissen, dass seine Kunsttheorie und
damit das Kunstwollen der romantischen Epoche hier gip-
felte, weil hier auch für das menschliche Problem dieser
Generation der künstlerische Beweis einer Erlösung aus
sich selbst wäre erbracht worden. Im Epos wird die
Tatsachenwelt nicht durch die Verneinung künstlerisch
überwunden. Der Epiker gestaltet mehr als jeder andere
Dichter die Tatsachenwelt. Er ist ihr Souverain und be-
herrscht sie. Die Romantik wollte bewusst den Weg
gehen nach Innen und zurück nach Aussen. Bewusst
stellte Novalis die Forderung „Nach innen geht der Weg"
als Antithese, um dadurch zur Synthese zu gelangen.
Vom Geiste aus suchten sie den Weg zur Natur zurück,
um nicht in der reinen Verneinung der Tatsachenwelt
sie zu überwinden, sondern ihr Dasein bejahend wirklich
erst Herr zu werden. Die epische Form ist der Ausdruck
absoluter Abgeschlossenheit dem Darzustellenden gegen-
über, ist Ausdruck in sich geschlossener Persönlichkeit,
die etwas beherrscht, mit etwas spielt. Die romantische
Ironie ist so höchste Steigerung epischen Wollens. Nicht
im Verzicht auf das Ausser -Ich wollte diese Generation
sich vollenden, sondern in dem Beweis ihrer Herrschaft.
Die Kurve, die von Fichte zu Schleiermacher und weiter
zu Schelling führte, zeichnete dieses Wollen der Epoche
in der Philosophie nach. Werners Weg war bei aller
spielend-wirrenden Individualität der Weg der Romantik,
nicht in} Sinne eines notwendigen Endpunkts im Katho-
lizismus, sondern in der Bahnrichtung des Wollens und
des Ergebnisses seiner Kunst und seines Lebens.
Eine Seite an Werner war durch den Lauf der
Entwicklung tief in Schatten getaucht: Sein Humor.
Eine bissige Satire, dann und wann ein scherzhafter Ver-
gleich im Gedicht oder Tagebuch, das waren die einzigen
künstlerischen Erscheinungsformen dieser Anlage: Ein
316
Lustspiel (Der Rattenfänger von Hameln) hatte er 180&
konzipiert und ein paar Scenen davon hübsch ausgeführt.
Aber die Stimmung seines Lebens hatte für diesen Ton'
keinen Raum und schrill und dissonant erklingt er zu
dem schweren, dunklen Thema: „Ich kann nicht leben
mehr, ich kann nur glauben." Jetzt fiel ein leichter Glanz
wärmend auch hierhin, wo verkümmerte Freude sich
öffnete und mit scheu-herbem Duft zu blühen begann. In
einem Schreiben an Kreutzer, Sekretär des Kronprinzen
von Bayern, heisst es unter dem 10. Februar 1816 schon:
„ Einstweilen so viel, dass Werner .... in der Kirche ebenso
der Gottesfurcht ergeben, als in den Gesellschaften ein
lustiger Mann mit viel Witz, Gelehrsamkeit und dichte-
rischem Talente erscheint, für die Meisten ein Rätsel,
sich selbst aber nicht ganz klar zu sein scheint." Die
„Meisten" sagten, „dass Pater Werner dermahlen selten
einheimisch ist, nicht predige, sondern immer auf dem
Fasching sey." Der verärgerte Konfrater, der ihn so
tadelte, wusste nicht, dass sein Wort in die verstärkende
Akustik der Polizeihofstelle fallen würde. Wir haben
unter diesem „immer auf den Fasching sein" wohl nichts
weiter zu verstehen, als dass Werner die vielfachen ge-
sellschaftlichen Anforderungen, die Wien an ihn stellte
jetzt ruhig erfüllte, ohne sich durch übertriebene aske-
tische Anschauungen beirren zu lassen. Soccios Wort
mochte ihm wieder bewusst werden, dass keine äusser-
liche übertriebene Selbstverleugnung im Katholizismus
verlangt werde. Er hatte es fast verlernt, die Welt ruhig
und gut zu sehen als das, was sie war. Jetzt konnte er
es „ohne Schaden zu leiden an seiner Seele". Die Dinge,
die Geschehnisse wurden nicht mehr als die wuchtigen,,
kantigen Steine empfungen, die seinen Weg zur Vollendung
erschwerten und ihm die Füsse wund stossen Hessen. Er
nahm sie gütiger, verstehender und ging so leicht dadurch.
In dem Briefwechsel mit der Familie Grocholski-
Choloniewski findet sich der barocke Humor oft neben
den Ausrufen eines Kämpfenden, etwas ungelenk und
317
tolpatschig, aber bei aller Ungeschicktheit spürt man die
Wahrheit dieses Gefühls, das sich nicht recht zu geben
wusste und etwas verschüchtert und über sich staunend
ins Leben schaute.
Neben der weltlicheren Beschäftigung, die man
tadeln zu müssen glaubte, erfüllte Werner in aufopfernd-
ster Weise seinen Priesterbc'uf und machte vor keinem
Stand und keinem Geschlecht Halt. „Der arme Kanoni-
kus", schreibt er am 5. Mai 1818 an den Grafen „macht
mir viel zu schaffen. Er sitzt den ganzen Vormittag
im Beichtstuhl und glaubt gern den Thränen der Gläu-
bigen, die ihm versichern, dass Gott sein Thun segne."
Auf der Kanzel war er noch immer tätig und erfolgreich,
wenn auch der Ton seiner Predigten verblasste und der
leicht theatralische Anstrich seines Auftretens den Wie-
nern schon bekannt war. Er hatte noch grosse, seel-
sorgerische Erfolge und war der Liebling des Volkes.
Auch hier nahte sich langsam die Vollendung im
Sinne Werners, die religiöse Wiedergeburt Österreichs im
Katholizismus. Werner hat das völlige Reifen auch seiner
Saat nicht mehr erlebt, aber er sah überall die neue
Frucht keimen im Volke wie in den Spitzen des Hochadels.
Aus dem weiteren Kreis, der sich um Hoffbauer und
Werner gruppierte, \vuchs eine Organisation, die lose und
doch durch den gleichen Willen eng verkettet sich lang-
sam von Wien über Österreich ausbreitete und die Re-
form der Josephinischen Kirche an Haupt und Glieder be-
gann. Ihren literarischen Ausdruck erhielt diese Rich-
tung in der religiösen Halbwochenschrift „Die Ölzweige",
die auch von Werner zur Veröffentlichung der Nachrufe
Hohenwarts und Hoffbauers benutzt wurden, die seine
Vorrede zu den „Übungen" als eine Art Eigenrezension
brachten und nach seinem Tode eine Würdigung seines
Wirkens zu geben versuchten.
Hoffbauer hatte die Gründung einer Zeitschrift und
einer Bibliothek früh als nötig und nützlich erkannt. „Die
Deutschen lesen gern und es ist ein Übel, dass man ihnen
318
nichts rechtes zu lesen gibt." 1819 erschienen die „Öl-
zweige" in Wien, die zunächst von Passy später von
Silben redigiert wurden. Während Friedrich Schlegel,
der auch an den „Ölzweigen" mitarbeitete, in seiner
„Concordia" mehr die grosszügige Propaganda für eine
Einigung aller auf katholischer Grundlage betrieb und
das Problem Staat und Kirche zu lösen suchte, blieb diese
Zeitschrift in ihren Tendenzen äusserlich bescheidener
und wandte sich mehr an Geistliche und gebildetere Laien,
erklärte religiöse und ethische Fragen. Kleine anspruchs-
lose Gedichte, Heiligensentenzen und Erzählungen im
Volkston: das war ihr Inhalt. Ihr Ziel eine Vertiefung
des religiösen Lebens unter Anknüpfung an die histori-
schen Werte asketischer Literatur. „Lasset uns dem nach-
streben, was zum Frieden dient, (Römer 14,19)" ist das
Motto und in der Vorrede heisst es: „Gönnt euch die
Müsse, kommet, erfahret und sehet ; denn es hat wahr-
haftig der Herr wundersame Dinge vollbracht, getreue
Gedanken." Von Zeit zu Zeit stellen einige Notizen oder
Abhandlungen den Zusammenhang mit dem Katholizismus
anderer Länder her. Übersetzungen aus dem französi-
schen Schwesterorgan „Conservateur" und „Defenseur"
betonen bewusst eine gewisse Internationalität. Sonst ist
ein nationaler und speziell österreichischer Einschlag un-
verkennbar. Eine Fülle religiöser Werte w^urde hier ge-
boten. Ohne Engherzigkeit wurden von Abraham a Sancta
Claras Sprüchen bis zu den ekstatischen Liebesäusserun-
gen der heiligen Therese, von den prachtvollen Versen
des „Cherubinischen Wandersmann" bis zu den Hymnen
lateinischer Kirchenväter alle Früchte geerntet. Eine tiefe
Religiosität paarte sich mit einem feinen Verständnis für
dichterische Werte und gab der Zeitschrift ein glänzendes
Signum. Das Betonen des Katholischen und zwar Ro-
mantisch-Katholischen im Gegensatz zum Josephinismus
wirkte nicht unangenehm durch das Vermeiden jeder
Überschärfe und durch die Erkenntnis einer warmen Über-
zeugung, die man aus jedem Wort herausspürt.
319
Blättert man in den alten Bänden ( — 1823) nach, so
begegnet man einer Fülle von Gedanken, Motiven und
Namen, die in Werners Entwicklung eine grosse Rolle
spielen. Spee, Thomas von Kempen, Tauler, Franz von
Assisi und andere Namen. Der heiligen Kunigunde Schick-
sal wird erzählt und analoge Heiligenleben. Geist von
seinem Geist spricht aus den Sätzen Friedrich Schlegels.
„Auch war die sichtbare Natur von jeher nur Symbol
des Geistes, eigentlich ein Sinnbild des Göttlichen, denn
denn sie ist ein in die Anschauung getretener Gedanke
Gottes und wird es immer bleiben, so lange sie seyn
wird .... Der heilige Blick des Katholiken sieht überall
in allem, was ist und erscheint das Heilige nur nicht in
der Sünde; alles hat für ihn eine sinnvolle Bedeutung,
nur nicht die Sünde .... daher die Symbolik der Natur
— ihre Blumensprache — welche der unverdorbene Natur-
mensch im Orient liesst, der überbildete Europäer aber
nicht mehr versteht." Eine mystische Auffassung der
Religion wird verteidigt und die Lieblingsheiligen dieser
Männer sind fast alle jene Menschen, die in Gott die
Liebe sahen und deren Weltanschauung aus dieser Ge-
fühlswurzel erwuchs. Weniger Intellektualisten als Ge-
fühlsnaturen stehen im Vordergrund. Im vierten Jahr-
gang z. ß. ist eine Rezension des von Silbert übersetzten
Theoiimus oder „von der Liebe Gottes", den Franz von
Sales schrieb. Im III. „der heiligen Theresia Liebeskla-
gen und Aufruf der Seele zu Gott". Diese Mystik wird
als „Anfangspunkte des christlichen Nachdenkens („Nach
den Sprüchen des Angelus", ist der Untertitel) anerkannt.
Eine vom Individuum abhängige Mystik wurde als falsch
scharf abgelehnt. „Der Menschengeist kann also nur emp-
fangen und das Empfangene sich aneignen, aber schaffen
kann er nicht . . Hier liegt die Quelle aller scheusslichen
Missgeburten einer falschen in sich wurzelnden Mystik."
Das könnte Werner geschrieben haben.
Mit dem Volke verstand sich Werner. Weniger gut
stand er mit den Menschen seines Gesellschaftskreises.
320
Aus den Protokollen der Polizeistelle geht hervor, dass
Klatsch und Verleumdung ihn überall zu beschmutzen
suchte. Auch Friedrich Schlegel schrieb (am 3. Juli lbl9)
an Dorothea: „Die Freunde in Wien haben einen ausser-
ordentlichen Hang zur Klatscherei und Verleumdung."
Der enge mehr als bureaukratische Geist des Josephinis-
mus lag den Wienern noch in den Gliedern und Hess sie
vor jeder religiösen wie menschlichen Eigenart erschreckt
zurückfahren. Die sandige Seichtheit Karoline Pichler-
scher Phrasen in Gedichten wie ^Erinnerungen" lassen
den Geist ahnen, der in einem der lührenden Salons des
damaligen Wiens herrschte, besser : knechtete. Er Hess
Werner am 5. Mai 1818 an den Grafen Choloniewski
schreiben: „Noch einmal von unserem Kanonikus. Wäh-
rend seine Feinde ihm nichts schaden und das Volk ihn
aufs innigste liebt, so cujonieren ihn seine Freunde hier
durch die allerengbrüstigste und asthmatische Ansicht
aller Lebensverhältnisse und alles dessen, was not thut,
so entsetzlich, dass er einen Festungsarrestanten beneiden
könnte und sich in allem Guten durch seine hiesigen
Freunde gelähmt sieht. Nicht durch seinen geistigen Va-
ter, aber wohl durch einige von dessen zuvielen, wie-
wohl guten Anfängern " Stanislaus Choloniewski
klagte er den Mangel an Menschen, welche auf seine Ge-
danken eingehen möchten und schnitt „darüber Gesichter
wie Kinder". Die einzigen in seiner Umgebung, die fähig
wären, diesen „exaltierten Menschen" zu verstehen, waren
Hofifbauer und der Erzbischof von Wien. Sie waren allein
imstande, ihn in Wien und für Wien zu erhalten; denn
Werner, der durch keine äusseren Bande an Österreich
gefesselt war, dachte oft an Flucht aus dieser Umgebung,
der er fast zum Ärgernis ward, da er mit Dirnen ver-
kehrte, wie mit Gräfinnen, die sein Wort gewandelt hatte.
Schon früh tauchte der Plan auf, nach Berlin und
von dort nach Rom zu gehen. Aus den Briefen des
Grafen Stanislaus Choloniewski erfahren wir, dass sein
Ziel damals das Elsass war, ohne den Grund und eigent-
321
liehen Zielort zu kennen. Vielleicht „Deutschtum emer-
gierend." Von einem anderen Plane sind wir etwas besser
unterrichtet. Aus den Akten der PoHzeihofstelle (vom
12. Februar 1816) ist ein Schreiben erhalten, das ohne
Unterschrift mitteilt: „Der Kronprinz von Bayern scheint
an dem hier befindlichen Abbe Werner ein besonderes
Interesse zu nehmen, beinahe scheint es, als ob er den
Abbe an sich ziehen wollte." Wir wissen nur, dass
Unterhandlungen gepflogen wurden, die wohl nicht ganz
mit Unrecht im Zusammenhang mit der Pensionsfrage
gebracht werden,
Hoffbauer hielt ihn immer wieder, weil er seine
eminente Arbeitskraft richtig einzuschätzen wusste und
sicherte ihm die Bewegungsfreiheit, die Werner für sich
als religiöser Mensch in Anspruch nahm. Die an und
für sich höchst unwichtige Feststellung über Werners
Absicht Wien zu verlassen, gewinnt in diesem Zusam-
menhang eine andere Bedeutung. Sie wird zu einem
neuen Indicium, dass Werner sich zu einem religiösen
Individualismus bekannte und zwar auch für sich.
Diese individuelle Note ist naturgemäss in den dog-
matisch-öffentlichen Auseinandersetzungen, wie sie für
1819 in der Vorrede zur „Mutter der Makkabäer" sich
finden, am wenigsten erkennbar. Nur die spezifisch Wer-
nersche Formulierung der Idee der Gottesabhängigkeit
etwa zeigt, dass er diese Gedanken selbständig zu be-
arbeiten gesucht hat. Er hat sie in sein „System" ge-
bracht. Gegen den in sich Vollendung suchenden Individu-
alismus fasst er der Christ und Katholik die irdische Ent-
wicklung nur als einen Teil der endgültigen Entfaltung
des Wesens auf. Die letzte Reife erhält sie in der An-
schauung Gottes. Auf dieses Ziel ,, einfältig" hinzuarbeiten
ist Pflicht und Weihe des Lebens. Hoffend schliesst er
diese Apostrophe an Goethe und seine Jünger: „Besonders
erscheint die der dermaligen Welt schon auf die Füsse
tretende Nachwelt zu ernsten und edlen Sinnes zu seyn,
um auch dem glänzenden Talente nicht die thätige Rich-
Hankamer, Zacharias Werner. 21
322
tung des ernsten Willens auf ein, über den frevelnden
Spott so gar des mächtigsten verneinden, mithin absolut
protestierenden Geistes, geschweige denn über die edle
Keckheit [die als Wesen des Deutschtums erkannt war]
auch des kräftigsten Sterblichen, erhabenes, festes posi-
tives Ziel zu erlassen, und sonach (vielleicht ohne das
selbst schon ganz bestimmt zu wissen oder zu wollen)
dennoch der, nur in krankhafter Krisis eines Zeitalters
von den Völkern verkennbaren — Demuth wiederum Bahn
zu brechen, nämlich der freiwilligen Beschränkung, durch
welche man allein den wahren Meister erkennt oder besser
gesagt — der Furcht Gottes, die der Weisheit Anfang ist!"
Dieses Zitat zeigt die Selbständigkeit, mit der Wer-
ner den verblassten Begriff: Furcht Gottes mit neuer
Farbe sich malte. Das ist ein Vorgang, der scheinbar
an die Aufnahme des Katholizismus bei seiner Konversion
erinnert, wo es sich mehr — was die dogmatische Seite
angeht — um eine Änderung der Worte als der Begriffs-
inhalte handelte. Hier aber ist ein Begriff der katholischen
Lehre individuell gegeben, ohne etwas von seinem Wesen
verloren zu haben. Immer liefer war Werner in den
Katholizismus hineingewachsen. „Das steht hier im Ka-
techismus, den ich immer mit mir habe. Also können
wir dagegen nichts einwenden", lautete ein Beweis der
Erbsündelehre, in einer seiner letzten Predigten. Dog-
matisch stand er ganz auf dem Boden der kirchlichen
Lehre. Aber es ist kein enger, harter Zwang mehr.
Er hat sie in sich aufgenommen. Kein Kleben an Wort.
Er baute sich mit dem Material, das sie ihm bot, eine
Weltanschauung, die sein Eigentum war. Werner brauchte
sich nicht mehr als Bettler, als Fremdling zu fühlen. Es
hat wahrscheinlich eine Zeit gegeben, wo er von der
Macht des als fremd gefühlten Katholizismus am stärk-
sten beeinflusst wurde. Die letzte Zeit war eine gewisse
Reaktion gegen die vergangene Epoche. Wiederum ein
Symptom für Werners Vollendung, die als ein Bekenntnis
zu einem „gemässigten" Individualismus zu bezeichnen
323
ist, nur, dass jetzt der Raum begrenzt ist, in dem die
Persönlichkeit sich „ausleben" kann.
Vielleicht kann man behaupten, dass an dem Begriff
der christlichen Individualsünde, die er als Nicht-Tun im
Sinne Fichtes nahm, sich ihm erst eigentlich der Begrifif
der Persönlichkeit kristallisierte. Wir sahen bei seiner
Konversion, wie der eigenartige Kommunismus der
katholischen Religion ihn anzog, wie er ihn besonders
stark aufnahm und am Schluss der Entwicklung wurde
Werner im ehrlichen Suchen zu dem anderen Punkt ge-
führt, zum religiösen Individualismus. Und noch eine
andere Seite des Katholizismus hat in dieser eigenartigen
Konstellation als eine Macht gewirkt, die das Individuum
sich kristalisieren liess: die Dogmatik.
Werners eigenwillige, seltsam verlaufende Entwick-
lung ist nur mühsam zu verfolgen und die Einflüsse, die
wirkend werden, ändern sich so stark, so individuell, dass
man ihre Quelle oft kaum mehr zu ahnen vermag. Oft
möchte man — so paradox es klingt — annehmen, dass
seine Entwicklung fast unabhängig vom Ganzen sich voll-
zieht, dass er sich nur im höheren Sinne als Glied einer
historischen Gesellschaft fassen lässt. Dann wieder —
wenn man die Fülle der Einflüsse für sich überschaut —
möchte man zweifelnd fragen, ob noch etwas Eigenes
übrig bleibt. Die activo-passive Natur Werners erklärt
dieses eigenartige Phänomen. Einer schier unbegrenzten
Aufnahmefähigkeit der scheinbar widersprechendsten Ele-
mente stand ein ebenso starker Tätigkeitsdrang gegen-
über, der jedes Element in seiner Weise umarbeitet, zu
seinem Eigen machte, übersetzte. Im Katholizismus stand
er aber einer der stärksten Mächte gegenüber, die in das
Seelenleben eingreifen können und so musste die Wand-
lung des Aufgenommenen weniger deutlich erkennbar
sein. Die Änderung, die Individualisierung des Fremden
ist hier (besonders bei dogmatischen Werten) fast unmög-
lich. Die Entwicklung Werners zum eigentlichen Indi-
viduum, das sich seines Wesens, das heist seiner Begren-
324
zung gegen Fremdes bewusst wird, hat unter dem Ein-
druck dieser Erscheinung gestanden. Fast nie blieb ein
Gegensatz zwischen dem geistigen Ausser -Ich und dem
Ich bestehen, auch gedanklich fand ein Versenken in den
Kosmos der Ideen statt, die seine Zeit ihm bot, zerfloss
seine Eigenart in diesem All ohne Grenze in sich selbst.
Hier aber stand er einem Ausser-Ich gegenüber, das er
glauben muss. Über den Begriff des „Glaubens" ging
ein Teil des Weges, den er machte.
Ihm war der Glaube „Demuth der Vernunft, welche
sich liebend beugt unter Gott". In dieser Definition lag
das Verzichtelement an der Oberfläche. Das Kampfmo-
ment, das dem Verzicht vorausgehen musste, wurde durch
die Talsache, dass der Akt des Glaubens im System-
ganzen als Willensakt hervortrat, sichergestellt. Werner
setzte sich mit der Dogmatik auseinander, musste das in
seiner Priestertätigkeit, die auch apologetisch war; denn
nach der Lehrmeinung des Katholizismus gehen- die Dog-
men über die Vernunft zwar hinaus, sind aber nicht ver-
nunftwidrig und können also verteidigt werden. Seine
Systembildung allein beweist schon, dass er wählend und
ordnend tätig sein wollte, aber an dem spröden Stoff der
Dogmen konnte er nicht in seiner Weise herangehen.
Ihre Eigenexistenz wehrte sich gegen die Vergewaltigung.
Er konnte sich nur teilweise mit ihnen identifizieren und
fühlte die Scheidung ganz anders als je in einer geistigen
Aufnahme, wurde dadurch sich seiner Abgeschlossen-
heit aber auch seines Wertes und seiner Eigenart rein
menschlich bewusst. Das Idee-Individuum Fichtes hatte
ihm als Künstler den Eigenwert sicher gestellt. Bei der
Begegnung mit Goethe war ihm die Persönlichkeit an
sich als Ziel aufgegangen und war der Kampfpreis ge-
wesen. In seiner Entwicklung als Katholik suchte er den
gleichen Endpunkt und fand ihn in seiner Weise. Er ward In-
dividuum und dass er bei aller Überzeugung das „unschätz-
bare Kleinod der untrüglichen Wahrheit gefunden zu ha-
ben" auch bei anderen nicht nur das Absolute (das war
325
ihm das katholische Christentum) sondern auch den Wert
des Persönlichen sah, beweist seine Verehrung, die er
Goethe und Frau von Stael entgegenbrachte.
Noch 1814 hatte er sich brieflich an Goethe gewandt,
sein zitierter Exkurs in der Vorrede der „Mutter der
Makkabäer=' wandte sich — in gewissem Sinne huldigend
an ihn. Und während man ihn als „fanatischen Re-
negaten^ einem urteilslosen PubUkum vorführte, beteuerte
er hier wieder feierhchst: „. . . . eben weil ich die Qual,
langen, lebenslänghchen, ehrlichen, jedoch vergeblichen
Suchens aus eigener schmerzhafter Erfahrung kenne, so
bin ich von allem Parteihasse gegen edle Sucher, wes
Glaubens und Volkes sie auch sein mögen, aufs weiteste
entfernt. Ich nehme vielmehr, selbst mit Rücksicht auf
meine priesterliche Würde gar keinen Anstand, laut zu
bekennen, dass mir edle, rastlose Sucher das Wahren,
die noch nicht dahin gelangt sind, wo das Gefundene
(nicht das Erfundene, noch zu Erfindende) alles fernere
Suchen zur Thorheit, alles Finden zum Lohne der Ent-
sagung macht, zwar insofern sie das ewig nur zu Fin-
dende noch erst erfinden wollen, je edler sie sind, umso
bedauernswerter aber auch insofern sie aus ganzer Seele
und mit reinem Herzen suchen, nicht nur unendlicher
schätzbarer, sondern sogar dem Ziele näher erscheinen,
als die Vielen der gegenwärtigen Zeit, die das unver-
diente und nie zu verdienende Glück im Kreise des ewig
und einzig Wahren, im katholischen Glauben nämlich
geboren zu sein, gedankenlos verkennen, dieses göttliche
Kleinod bald gemütlos verbilden, bald gefühllos vergeuden."
Diese Entwicklung zur in sich geschlossenen Persön-
lichkeit zeigte sich auch klar erkennbar im Stil seiner
Predigten, die jede Zwiespältigkeit verloren hatten. Nichts
mehr von der jäh wechselnden Art der Stimmungen und
des Tons, den wir als für den Konvertiten - Prediger
charakteristisch aufwiesen, nichts von den grellen Farben,
die er nebeneinander zu setzen liebte. Eine stille, feine
Kunst. Die blasse Schönheit leicht getönten Pastells hegt
326
Über diesen Bildern. Etwas von der Stimmung eines
ruhigen Sonntags. So spricht keiner, dessen Seele furcht-
bare Abgründe birgt voll dunkler Angst und hohe Berge,
von denen leuchtende, hoffende Verheissung strahlt, so
kann nur einer sprechen, der seiner Erfüllung harrt.
Selten steigt je ein Ton auf, der uns ahnen lässt, welche
Sturmmotive einmal hier klangen, bald fällt er zurück
in das kaum gewellte ebene Meer, auf dem eine bleich
goldene Sone liegt.
Eine leichte Müdigkeit wird man aus dem Rythmus
dieser Sätze hören und man sieht den Mund, der etwas
mühsam die Worte formt, die nur matt von der Stimme
getragen werden. Aber ein glückliches Lächeln findet
man oft in den Worten. Wenn er die Weihnacht sieht:
„Es war eine kalte Dezembernacht und das Kindlein fror
im kalten Stalle. Ich bin überzeugt, dass in dieser Nacht
nicht die Sterne geleuchtet haben, denn es wurde ja das
Licht der Welt geboren, gegen welches der Glanz aller
Sterne nichts ist. So wie sich die Sonne verfinsterte, als
der Herr am Kreuze hangend, sein Haupt neigte und
starb. Endlich von des Öcbsleins und Eseleins Hauch
erwärmt, schlug das Kindlein seine Augen auf und weinte,
diese Tränen flössen schon über den ersten Verdammten."
Seine Naturschilderungeh (die sehr selten sind) zeigen
die Eigenart einer ungewollten natürlichen Schlichte,
die selten durch eine allzu originelle Form des Sehens
sich aufdrängt, Werner erzählt das Evangelium mit un-
gesuchten Worten und meist ungesuchter Ausfüllung der
leeren Flächen. Nie drängte er sich vor. Alle Prediger,
sagte er einmal, seien gleich gut, denn sie sprächen das
Wort Gottes. Das oft allzu Äusserliche seines Vortrags
war abgelöst von einer tiefen scheuen Erfurcht vor dem
Wort des Herrn. Eine klare reme Ruhe lag über seiner Rede.
Und auch der letzte Zweifel löste sich für Werner,
ob er Mönch werden sollte oder nicht. Ob er den
Katholizismus und das Christentum sehen sollte von
dieser negativen Seite aus oder rein menschlich. 1820
327
am 15. März war Clemens Hoff bauer gestorben. Er hatte
Werner jedenfalls nie zum Eintritt in den Redemptoristen-
orden ermuntert und wir dürfen sogar als wahrscheinlich
annehmen, dass er aus seinem natürlichen psychologischen
Verständnis heraus den Dichter davon abhielt. Erst nach
seinem Tode, am Tage nach Maria Empfängnis 1822
empfing er aus der Hand des Pater Passerat das Ordens-
kleid. Bald aber legte er es wieder ab, was natürlich
in Wien eine Quelle der verschiedensten Mutmassungen
Avar. Dorothea Schlegel wusste unter dem 19. Februar
1823 darüber zu berichten „ dass er sie in den
letzten Monaten wieder verliess, darüber weiss kein Mensch
den Grund anzugeben, am wenigsten die Redemptoristen.
Wir haben mit ihm nicht darüber gesprochen. Er schien
beunruhigt über ein solches Gespräch. Der Grund lag
gewiss meistens in seiner ihm natürlichen Unstätig-
keit, die wohl mit seinen körperlichen Übeln zusammen-
hing. Die Redemptoristen haben ihn mit Thränen, einige
unter ihnen fussfällig beschworen, als Gast bei ihnen zu
bleiben, wie er es schon ein Jahr lang zur allgemeinen
Zufriedenheit gewesen war; umsonst. Er bestand darauf,
eingekleidet zu werden und so verliess er ganz
plötzlich das Haus, oder vielmehr, er kehrte vom Lande
nicht wieder dorthin zurück." Friedrich Schlegel schrieb
(2, Juni 1823) an Stanislaus Choloniewski : „ Was
sein Austritt aus dem Redemptoristenorden betrifft, so
hätte er freilich besser getan, sich niemals in ihm auf-
nehmen zu lassen ; denn selbst abgesehen von seinem
Gesundheitszustand war er nicht dazu berufen, so dass
seine wahren Freunde und die ihn näher kannten, ihn
den später getanen Schritt garnicht übel zu nehmen ver-
mochten. Konnte er zwar nicht umhin, durch seinen
Austritt aus dem Kloster im ersten Augenblick ein ge-
wisses Missbehagen und verschiedene nicht sehr schmei-
chelhafte Urteile hervorzurufen, so machte er sein Ver-
sehen wieder gut und bezahlte der Welt die aufgenom-
mene Schuld durch sein herrliches Testament "
328
Werner wusste, dass er in seiner exponierten Stellung
sich bei solchem Schritt dem Urteil der Welt aussetzte,
das ihn nie geschont hatte. Dass er trotzdem ehrlich
seinem Gefühl folgte, war eine Tat und die letzten Motive
dieses Austritts zeigen uns Werner als vollendet. In
einem Brief an Hitzig (11. Dezember 1822) gab er an,
dass neben „subjektiven" Gründen: Krankheit und Ge-
mütserschütterung noch anderes ihn zu solchem Tun
zwangen: „Diese subjektiven Gründe vergesellschaftet mit
der vorerwähnten untilgbaren Achtung, ja Verehrung
alles rein Menschlichen, haben neuerlich nicht nur auf
meine Ansicht über klösterliche Verbindungen überhaupt
Einfluss gehabt, sondern auch auf meine Entschiessungen.
Ich war nämlich früher entschlossen gewesen, mich dem
hier in Wien erneuerten Redemptoristenorden einzuver-
leiben, einer durch sittliche Reinheit, redliches Streben
und unermüdlichen Eifer für das Gute gewiss höchst aus-
gezeichnete geistliche Versammlung. Ich hatte schon das
'Ordenshabit angelegt und war im Begriff, in das Novizat
einzutreten, legte aber das Ordenskleid wieder ab und
trat ganz aus dem Orden aus — jener Gründe wegen:
denn sonnenklar ist mir geworden, dass das Christentum
unmöglich etwas anderes ist, als der alles Wahre, Gute
und Schöne krönende Kulminationspunkt der durch die
Gottheit gereinigten Menschheit; dass mithin kein Orden,
(insofern er im christlichen Sinne nach aussen wirken soll)-
umhin könne, alles menschlich Schöne, Wahre und Gute
mit inniger Liebe anzuerkennen und zu umfassen! So
bin ich denn also wieder wie wohl vorläufig für den
Winter, abermals in einem anderen geistlichen Hause
(dem Augustinerkloster in Wien) gegen bare Bezahlung
eingemietet und beköstigt, doch wieder ein homo sui juris
und will lieber leblang nicht nur Weltgeistlicher, sondern
sogar Titularrat, Titulardomherr, Titulardichter bleiben,
als jemals Titularmensch werden." Diese tapferen Worte
haben noch ein wahrscheinlich früheres Pendant in dem
von Regiomontanus aufgezeichneten Satz: „Mir ist ein
329
Heiliger mitten in der Welt, der preisgegeben allen Ge-
fahren zur Sünde, ausgesetzt allen Verführungen und
Gelegenheiten zum Sündenleben dennoch mit und durch
Jesum Christum Sieger ist der Welt, der Sünde, der Hölle,
des Teufels und seines eigenen Fleisches — hundertmal
lieber und er hat auch viel mehr Verdienst bei Gott, als
ein Heiliger im Kloster."
Werner war über den tiefgefühlten Antagonismus von
Welt und Gott hinaus. Ihm war die Welt jetzt wirklich
eine Offenbarung des Schöpfers, „rein menschlich" als
schön und gut. Und derselbe Mensch, der 1808 in Paris
vor den Bildern der Antike sich bangte, sah jetzt im
Christentum den vereinigten Höhepunkt aller Schönheit
des Lebens und opponierte gegen eine die „Erdenschöne"
bewusst verneinende Auffassung des Katholizismus. Rein-
menschlich das Christentum näherzubringen und es dar-
zustellen, hatte er als Zweck seiner Predigten angegeben.
Nicht das Asketische suchte er sondern die reine, ein-
fältige Menschlickeit des Christentums. Er hatte die letzte
für ihn erreichbare Synthese gefunden, die ihn der Welt
wiedergab, ohne ihn dem Jenseits zu rauben. Er war
fertig mit seinem Lebenswerk, das schwer und mühsam
gewesen war, das ihn hatte die Welt verneinen lassen,
um sich zu finden und das jetzt doch ausklang in einem
Hymnus auf die Schönheit der Welt. Er hatte nicht mehr
nötig, sie zu verleugnen ; denn darin hatte das Bewusst-
sein gelegen, dass er nicht stark genug war, sich ihr
gegenüber zu behaupten. Jetzt konnte er ihre Schönheit
schauen, wie sie der Heilige von Assisi schaute, wenn er
zur Sonne sprach: „Schwester Sonne" und dem armen
Narr half, sich des Steins zu erbarmen, der in dem kalten
Schmutz lag und nach Licht und Wärme sich sehnte.
Die letzten Tage waren gross und gut. Seine Pre-
digten — so berichtet man — waren mit einer sehnenden
Glut erfüllt, die wie warmes, rotes Blut ihnen Leben gab.
Seine letzte Lebenskraft gab er hin in seinem Beruf. „Es
ziemt einem edlen Streiter, auf dem Schlachtfelde zu
330
Sterben" wehrte er besorgte Freunde ab. Am 5. Januar
hielt er seine letzte Predigt und brach dann zusammen.
Er starb am 17. Januar 1823. „Unser Freund hatte
einen gar süssen und ruhigen Tod. Seine Krankheit
währte in Wahrheit bloss 10 Tage und er schlief kann
man sagen ein, bevor man erkannte, die Gefahr sei
so nahe und gross." Als seinen Trostspruch im Tode
hatte er sich das Wort des Heilands gewählt, das er zu
Maria Magdalena sprach: „Ihr sind viele Sünden ver-
geben, denn sie hat viel geliebt."
Neben seinem Meister Clemens Hoffbauer liegt er
begraben. Als man seine Leiche dorthin brachte, folgte
eine unabsehbare Menge von Menschen. Und neben den
Aristokraten des Wiener Hochadels drängte sich das Volk,
das ihn den Heiligen nannte, weil es fühlte, dass dieser
„Narr Gottes" eine grosse, glühende Liebe hatte zu allen
Menschen und zu Gott. Und während er den Grossen
ein Ärgernis war, ein Schauspiel, hatte das Volk ein
feines Verstehen für den Enthusiasmus, für diese heisse
Leidenschaft nach Gott.
Werners Leben war kraus und wirr. Aber es war
ein Suchen und erzwingt unsere Achtung, mögen wir
über Weg und Ziel denken, wie wir wollen. Jeder, der
seinen Wegen zu folgen sucht, wird erleben, wie ihn diese
starke Zielstrebigkeit, vielleicht oft zum Schaden der Kri-
tik in die Bahnen des Helden zwingt. Aber wer soll dem
Leben nicht glauben, dass er lebte, wenn er sieht, dass
es kein feiges Sich -Ergeben war, sondern ein ehrliches
tapferes Kämpfen. Muss man die Konversion als eine
Tat der Notwehr auffassen, zu dem ihn die innere Not
zwang, sein weiteres Leben ist kein duldendes, müdes
Sichgehen- und Tragenlassen. Werner hat sich als Per-
sönlichkeit vollendet in eigener Arbeit. Dieser Teil seines
Lebens war voll Arbeit und Entsagung. Es war ein
Heroismus der Schwachheit. Thomas Mann fand dieses
Wort als Signum unserer Zeit.
Anmerkungen *).
Zu Kapitel I.
S.9. Er war das einzige Kind: . . . Korrekturfehler: Das einzige
lebensfähige Kind . . . Werners Bruder Jakob Heinrich geb.
17,58 und seine Schwester Friederike Luise geb. 1761 sind
ganz jung und weit vor seiner Geburt gestorben.
S. 10. Hamann: Eigenartiger Weise wird sein Name von Werner
nicht erwähnt. Diese Tatsache ist kein Beweis für seine
Nebensächlichkeit. Ich vermute jedoch, dass er auf den
jungen Werner keinen tiefer gehenden, direkten Eindruck aus-
übte, da der geistig nicht fähig war damals ihn aufzunehmen.
Ob und wie weit Hamann latente Energien in ihm auf-
speicherte, kann mit dem zur Verfügung stehenden Material
nicht entschieden werden. Es liegt nahe, ihn neben Rousseau
zu stellen und als Vorbereitung (unbewusste natürliche) auf
die Romantik zu charakterisieren. Da jedoch die Tendenzen
erst durch die Romantik im Wesentlichen entfaltet werden und
Hamann zweifellos neben Herder der erste Vorläufer dieser
ganzen Epoche ist, kann eine Untersuchung der bestehenden
Gleichartigkeiten nicht ohne grosse Gefahr der Verzeichnung ge-
geben werden — wenigstens nicht bei dem Stand der Quellen.
S. 13. „Kurze Biographie" ein Sonett von seiner ersten Italienreise
(A. S. I 173)-
S. 19. Warum er gerade diese Wissenschaft wählte: Aus Floecks
Briefsammlung (IL 355/356) ist jetzt Licht darauf gefallen.
In der Eingabe Werners an das Präsidium der Kriegs- und
Domänenkammer in Königsberg (23. Mai 1792) heisst es:
„Schon seit Acht Jahren studiere ich auf hiesiger Universität
und widmete mich zunächst der Jurisprudenz vorzüglich den
historischen und philosophischen Wissenschaften. Anfangs
zum akademischen Fache entschlossen, vertauschte ich aus
mehreren Gründen diesen Entwurf, mich in einer camera-
listischen Laufbahn zum königl. Dienst zu routinieren."
*) Ich muss mich beschränken auf einige notwendige Ausfüh-
rungen, Tatsachenkorrekturen, die durch Floecks Briefe Werners nötig
■wurden, (da die Reindruckbogen der ersten Kapitel schon vorlagen),
und auf Hinweise, die den Gedanken in einer andern Richtung
fortführen als die Darstellung es ermöglichte.
332
Zu Kapitel II.
S. 33. In Geldsachen war er stets geizig und penibel: Floeck (Werners
Briefe II. S. 385 flgde.) hat zu dieser Nebenfrage neues Ma-
terial gebracht, das den jungen, leidenschaftsverblendeten
Werner als Verschwender erweist. Es scheint aber, dass
nur diese Frau den Geiz Werners so in's Gegenteil zu
kehren wussten. Im Ganzen besteht diese Charakteristik zu
recht.
S.34. In der er Werner als Libertin kennzeichnete: im Briefe an
seine Königsberger Bekannte. Er ist ohne Namennennung
veröffentlicht in Fichtes Leben und literar. Briefwechsel I.
S. 145. INIedicus bezieht die Abfuhr auf Werner (Medicus,
Fichte S. 55). Dass sich Werner zu einer offiziellen Kritik
aufgeschwungen habe, ist sehr unwahrscheinlich. Weder die
Kritik in dem „Gothaischen gelehrten Anzeiger" noch die in
der „Allgemeinen deutschen Bibliothek" sind Werners geistiges
Eigentum. Sonstige Rezensionen sind mir nicht bekannt
worden.
5.34. Friederike Schmidt. Vgl. Floeck, Werner IL S. 385.
S. 35. Der erbitterte Widerspruch seiner Mutter: Floeks neues Material
beweist im Gegensatz zu unsern späteren Ausführungen nach
Selbstanklagen des Dichters, dass Werner seine kranke Mutter
auf seine Seite zu ziehen wusste. Vgl. vor allem IL 400.
5. 35. Er hatte durch sein übereiltes Handeln: Blazko hatte in dem
Rousseau-Schüler den Künstler erkannt (Blazko: Geschichte
meines Lebens VI. S. 234/235) und suchte ihm eine Sekretär-
stelle bei dem Minister Schröter zu sichern.
S. 38. Freiheitsode: Gubitz druckt sie zum Teil in den ., Berühmten
Schriftstellern der Deutschen" IL S. i"}! flgde.
S. 39. An den Punkten, die in dem stark wechselnden Rythmus: Der
Endpunkt dieser Gedanken ist das Gedicht aus dem Herbst
1808 „Ihr kommt zu spät, ihr ewig jungen Lauben". A. S. I.
S. 171.
S. 45. Auch Rousseau denkt an keine Begriffsverbindung: „Schwärmerei
ist der höchste Grad der Leidenschaft. Sobald sie ihren
Gipfel erreicht, sieht sie in ihrem Gegenstande die verkörperte
Vollkommenheit; sie macht alsdann ihrem Abgott aus ihm
und wie sie auf religiösem Gebiete der Liebe ihre Sprache ent-
lehnt, so entlehnt umgekehrt die Schwärmerei der Liebe
wieder der frommen Andacht ihre Sprache. Sie sieht nur
noch das Paradies, nur noch Engel, Tugenden der heiligen
Freuden des Himmelreiches. Vermag sie wohl in dieser Ver-
zückung, in der nur erhabene Bilder sie umschweben, ihre
Gefühle in niedern Worten zu schildern ? Wird sie sich über-
winden können, ihre hohen Gedanken durch alltägliche Aus-
drücke in den Staub zu ziehen und zu entweichen? Wird
sie nicht vielmehr ihrer Sprache einen höheren Schwung geben,
ihr den Stempel des Adels und der Würde aufdrücken? Was
333
reden Sie von Briefen, von Briefstil? Als ob das in Frage
kommen könnte, wenn man an solche schreibt, die man von
Herzen liebt! Da schreibt man keine Briefe mehr, sondern
Hymnen." Das schrieb Rousseau in der Vorrede zur IL Auf-
lage (Reklam I. S. 13/14)- Trotz der Abwehr begrifflicher
Verbindung ist hier doch eine Verschmelzung der beiden
seelischen Energien geboten, die Werner sehr weit in das
Problem hineinführen konnte.
S. 58. Die Söhne des Thals: Über dieses Drama arbeitete Felix
Poppenberg, Zacharias Werner, Mystik und Romantik in den
Söhnen des Thals Berlin 1899. (Berliner Beiträge zur germa-
nischen und romanischen Philologie, Germanische Abteilung
Nr. 2.)
Über die Einflüsse des Freimaurertums auf die Dichtung
Werners wie der Epoche bietet F. J. Schneider in seinem
Buche „die Freimaurerei . . ." (Prag 1909) bei nötiger Vor-
sicht gutes INIaterial.
Zu Kapitel III.
S. 63. Malgonszata Mankviatowska in Wirklichkeit hiess sie Marchwia-
towska. (Vgl. Floeck, Werner L, 5Q. Anm.).
S.yz. Werner hat die Schrift „Vom dreifachen Leben des Menschen":
Gewöhnlich umgeht man die Frage nach dem ,, Büchlein",
das Werner zunächst von Böhme las. Floek (I. 43) nimmt
die erste Schrift Böhmes ,,die ]\Iorgenröte im Aufgang" an.
Dagegen spricht meines Erachtens der gedankliche Zusammen-
hang. Der ganze Brief ist aus dem Erlebnis Böhmes ge-
schrieben. „Des Herren Kraft ist in den Schwachen mächtig"
(2. Kor. 12,9: lautet die Anmerkung I. 39), ist mit seinen
Folgerungen produktive Böhme-Erinnerung Werners. In dem
Büchlein (Die INIorgenröte, ist dem Umfang nach ein Buch)
Böhmes Vom dreifachen Leben (Schiebler: Werke Böhmes
IV. Bd., S. 15, I. Absatz 50) heisst es: „Aber so sie (die
Kreatur) in Gottes Willen ergeben ist, so tut Gott in der
Kreatur Wunder; denn es ist seine Lust, sich im Schwachen
zu offenbaren". Der Gedankengang Werners wird von hier-
aus bis zum Weihe- imd Unkraftbegriff verständlich.
5. 77. Rousseau wurde jetzt: Die Veröffentlichung findet sich in
Nr. 120 des „Freimütigen" für das Jahr 1803.
5. 78. Doch er erklärte schon damals: Diese Stelle ist fast wörtlich
von Schleiermacher übernommen, der sich in seiner IL Rede
darüber auslässt. (In der Ausgabe Martin Rades in der
deutschen Bibliothek S. 50.)
S.82. Kunst freiwillige Gestaltung des Unendlichen. Vgl. zum Folgenden
Fritz Strich, die INIythologie in der deutschen Literatur II
Bde. Halle iqio. Über Werner speziell IL 218/231 das Buch
lässt deutlich (wenn auch indirekt) die Abhängigkeit und
Originalität Wemerns erkennen. Werner geht auch von Schleier-
334
macher aus aber mehr noch von Böhme, den er konsequent
weiterdenkt, nicht sklavisch in den Bahnen Friedrich Schlegels
und Novalis' aber doch im engeren Zusammenhang.
Zu Kapitel IV.
S. 105. Die Auffassung der Kunst als ein eicstatisches Schaffen: Vgl.
Oskar Walzeis „Prometheussymbol" und seine Weiterführung
des Gedankens in „die Sprache der Kunst". (Jahrbuch der
Goethe-Gesellschaft I. 1914.)
S. 108. Das neue Drama: ich verweise für Einzelheiten auf Poppen-
bergs Arbeit.
S. HO. Die Ideen der Opferung Isaaks durch Abraham: Sie wurde
ihm wohl geboten durch Böhmes INIysterium magnum W. V.
S. 391. Kapitel 48.
S. III. All das wirkte zusammen: Der Todestag Mniochs ist in Wirk-
lichkeit nicht der 24. Februar gewesen. Der Freund starb
einige Tage vorher.
S. 120. Er wollte die romantische Liebe: Den Begriff des Eros bot
ihm Böhme in seiner Christusliebe, die aber tatsächlich rein
ist. Er zieht sich von den „3 Prinzipien" an durch alle Werke
Böhmes.
S. 124. 1803 erscheint A. W. Schlegels erster Band des spanischen
Theaters: Er enthielt die Stücke: „Über allem Zauber die
Liebe", „Blume und Schärpe", und „die Andachte zum Kreuze".
S. 125. In Auswertung der Ideen: Sie erfolgte in den Vorlesungen
über „Philososophie der Kunst". S. W. V. S. 353 flgd.
S. 125. Calderon: In dem Briefmaterial, das zur Verfügung steht,
wird Calderons Name nicht erwähnt. Die gehaltlichen Zu-
sammenhänge sind aber zu augenscheinlich, als dass nicht
ein kleines Zeichen dahin führen müsste. Ausser des Calde-
ronischen Titels ist es bezeichnend, dass er seiner Frau einen
spanischen Charakter zuerkennt. Der Brief, in dem das
geschieht, ist vom 30. März 1804 datiert vmd richtet sich an
Fenkohl (Regiomontanus). Es heisst da nach einer ein-
gehenden Charakteranalyse seiner Frau: „Kurz ein in allem
energischer, ich möchte sagen, spanischer Charakter". Diese
damals seltenere Charakteristik durch diese Nationalität ist
um so bezeichnender als er sonst stets ihre Art als den Aus-
druck des spezifisch-polnischen Wesens empfindet und nennt.
Zu Kapitel V.
S. 135. In den ersten literarisch interessierten Kreisen: Schütz (Bio-
graphie S. 56) nennt Fichte, Fischer, Hirt, Lewezow, Johannes
von Müller, Schadow, A. W. Schlegel, von Schütz, Uhden.
A. V. Humboldt, Iffland, Schrötter, Sander, Die Unzelraann,
Graf Brühl u. a. wären noch zu nennen.
S. 138. Wie die Märtyrin, meine Mutter: Es ist bezeichnend für den
Verlauf der weiteren Entwicklung Werners, dass er in diesem
335
Augenblick sich neben seine Mutter stellte. Hier ist eine
Etappe auf dem Weg zur Mutterliebe in ihrer psychologischen
und metaphysischen Formuherung und Energie, die wir weiter
verfolgen werden.
S. 140. Die Wissenschaftslehre, die Werner 1803: Die W. L.; die
Fichte i8oi vollendete, ist vor der Gesamtausgabe der Werke
nicht veröffentlicht worden.
S. 142. In der Fichteliteratur besteht ein Kampf: Vgl. hierzu die gut
orientierende Arbeit von Alfred Schmid: Fichtes Philosophie
und das Problem ihrer inneren Einheit Freiburg 1904.
S. 142. In der Wissenschaftslehre von 1804: Eine Darstellung seines
Individumbegriffs gab 2ilaria Raich in ihrer aufschlussreichen
Schrift: „Fichte, seine Ethik und seine Stellung zum Problem
des Individualismus", Tübingen 1905. Sie setzt die Einheit
der Lehre voraus und gibt keine Entwicklung.
Zur Idee- Lehre vgl. T. Goldfriedrich: Die historische Ideen-
lehre in Deutschland Berlin 1902: Werner könnte das Wort
„Idee" in dem Sinne der Vorrede des Kreuzes a. d. O. auch
aus Kants „Kritik der reinen Vernunft", unklar erfasst auch
uns Schellings „Vorlesungen über die IMethode des akade-
mischen Studiums" haben. Der biographische Zusammen-
hang aber und die sich dann stärkende Tätigkeitsforderung
weist zu bestimmt auf Fichte, als dass ein berechtigter Zweifel
möglich erschiene. Unvereinbar ist der Ideebegriff Schellings
mit dem Fichtes nicht, da sie beide aus Kant diesen Begriff
nehmen und weiterführen. Sie ergänzen sich, da Schelling
die teleologische Seite vorzüglich aus Böhme mit ästhetischer
Färbung und in enger Verbindung mit der Organismus-These
Schlegel-Schleiermachers herausholt, Fichte ihre Erscheinung
auf dem Gebiete der praktischen Vernunft verfolgt. Ihr
Spezifikum erhält die Ideenlehre bei Fichte durch die Ver-
knüpfung mit dem Individuum und der Tatforderung und
wird dadurch in der Romantik wirksam. Wenngleich Hegel
die Idee erst systematisch auswertete, scheint mir die Fassung
der Idee durch ihn keineswegs die eigentliche Grundlage des
„Lebens in der Idee", dessen Entwicklung über Heine, Hebbel
in die moderne Kunst einer Untersuchung wert wäre. Schon
E. A. Boucke (Heine im Dienste der Idee: Euphorion XVI
S. ii4flgde.) stellte für Heine den Einschlag Fichtes fest,
der einer näheren Analyse sich stets bei der Forderung des
Lebens in der Idee im 19. Jahrhundert zu zeigen scheint.
S. 150. Wo sich eine Erweichung der Handlung durch Lyrik zeigte:
Irmler (Über den Einfluss von Werners Mystik auf sein
dramatisches Schaffen Diss. Münster 1906) hat in seiner wenig
tiefen Untersuchung die Duplizität der mystischen und realen
Handlungen nachgewiesen, die Fränkel für dieses Drama
eindringender aufwies.
S. 151. Hier ist eine Persönlichkeit . . . Konzeptionspunkt: Das ist
natürlich nur in dem Zusammenhang des Wernerschen Schaf-
336
f'Mis giltig. Mehr als irgendwo in seinen Dramen sonst ist das
der Fall und mag neben Fichtes das Werk Ifflands und
INIüUers sein, die nur dadurch wirken konnten, dass die
geistige Situation des Dichter selbst persönlichkeitsbejahender
war. Die Doppelheit tritt im Titel schon auf: Luther oder
die Weihe der Kraft. Die eingehende historische Analyse
Luthers scheint mir ein Beweis für unsere Behauptung zu
sein. Ich glaube feststellen zu können, dass nur in seiner
Fichte-Epoche der Konzeptionspunkt hier liegt.
S. 162. Die Umarbeitung des ersten Teils der Söhne des Thals: Die
äussere Veranlassung kam von Iffland, der ihm am 4. No-
vember 1805 schrieb^ dass er in Hamburg eine Bühnenbe-
arbeitung der Söhne des Thals gefunden hatte und ihm 10
Friedrichdors anbot für die Durchsicht und eine ev. Bear-
beitung. Durch die Umarbeit veraltete der zweite Teil, in
dem das Liebemotiv zwischen Astralis-Astralon und Robert
nicht fortgeführt war.
Zu Kapitel VL
S. 168. Jakobi, der Dichter des Woldemar: Seine schroffe Stellung-
nahme erhellt vor allem aus dem Briefe vom ig. Februar 1808
an Goethe, in dem er sein Schicksal als Literat mit dem
Goethes zu verbinden sucht; er schickt ihm 2 Broschüren,
von denen eine gegen ihn, die andere gegen Goethe ge-
richtet war. Er klagt spottend gegen die revolutionäre
Tendenz der Neuen, Seine Stellung gegen Werner ist fast
persönlich gehässig und als Freund Jean Pauls greift er
Werners Kunst als Phantasiekunst an! Er prägt das Wort
vom „Redoutensal", das Goethe sich nach der Entfremdung
zu eigen macht. (Auserlesener Briefwechsel IL S. 406/407.)
Goethe antwortet am 7. März wohl gegen Erwartung ver-
teidigend und gibt Jakobi einen nicht undeutlichen Wink:
„dass die deutsche Dichtung diese Richtung nahm, war un-
aufhaltsam und wenn etwas daran zu tadeln ist, so tragen
die Philosophen auch einen Teil der Schuld . . ." Er wirft
Werner vor, dass er das Heilige (Sittlich-Schöne) mit dem
Reizenden verkuppele (G. B. 20. S. 26/27).
S. 168. Karoline: Sie schreibt am 12. Oktober 1807 an Luise Gotter:
(IL S. 512) „Es ist wunderlich, indessen sehr wahr, dass ich
bis jetzt seine Weihe der Kraft noch nicht gelesen, auch für
keins seiner Produkte ein gutes Vorurteil, nach den Bruch-
stücken, die ich von ihm sah, habe. Aber der Mann hat
mir durch sein Wesen ein Interesse dafür gegeben, .und in
dem, was ich wirklich von ihm nun kenne, lässt sich ein
grosses und des Fortschreitens fähiges Talent (obschon der
Verfasser selbst nicht mehr jung ist) nicht verkennen. Die
Kiaft seiner Darstellung hat er bisher nur an unrichtigen
337
Gedanken verschwendet. Das geheime Orden-Wesen hat ihn
bestrickt und die Liebe zur Allegorie ihn von der rechten
Poesie abgeführt. Ich kann mir denken, dass er wirklich
noch einmal ein tüchtiges Schauspiel schreibt und weiss eben
nicht viele, von denen ich mir dies vorstellen könnte". Am
I. März 1809: „Er ist ein redlicher Geselle und wenn du
mit ihm gesprochen hättest, würdest du, denk ich, gefunden
haben, dass er auch ein redlicher Freund ist. Seine Schau-
spiele haben viel barbarisches an sich, und darin sind sie
am barbarischsten, worin sie am gebildesten und modem-
gesinntesten sind, indessen ist sein Talent der Darstellung
gross, wovon auch der Attila wieder zeugt. Er war lange
in Coppet und Frau v. Stael goutiert sein originelles Wesen,
wie Schlegel uns schrieb." (II. S. 548.)
S. 169. Er sorgte, dass in der jenaischen Literaturzeitung: Wie für
das ganze Verhältnis Goethes zu Werner, so für diese Epoche
besonders ist das Quellenmaterial ziemlich abschliessend in
dem Passus des II. Teils der Schrift der Goethegesellschaft:
Goethe und die Romantik zusammengestellt. Es sollen hier
einige 'Daten folgen: Werner trifft Goethe in Jena, wo
beide bei Frommann hauptsächlich verkehren. Am 1 1 . De-
zember nennt Goethe in einem Brief an J. H. Meyer
Werner einen „sehr genialischen Mann, der einem Neigung
abgewinnt, wodurch man denn in seine Produktionen, die
ims andern erst einigermassen wiederstehen nach und nach
eingeleitet wird", „und so kamen wir über die seltsamen
Aussenseiten dieser Erscheinung in den Kern hinein, der
wohlschmeckend und kräftig ist". (An Zelter 16. Dezember.)
Der PersönUchkeitsreiz Werners wird durch den Brief vom
16. Dezember an Wolf besonders deutlich gemacht, da Goethe
zu erkennen meint, „dass der Autor, wenn er einigermassen
vom Geiste begünstigt ist, seine Sachen selbst bringen vmd
reproduzieren solle". Eine Einschränkung erfolgt erst durch
die Tagebuchnotiz vom S.Januar 1808 „Über Werners Liebe-
hypothese und was daran zu bedenken und zu erinnern".
Am 25. setzt er sich mit den „Christianern" auseinander und
konstatiert „Werners Cophtazismus und heimliche Lüsternheit
der Herrn". Riemer notiert direkter unter demselben Tage:
„Werners Cophtazismus und heimliche Lüsternheit". Am
5. April gibt er Goethes Lösung: „Goethe bemerkte, Werner
verwechsele die äLfäm-\ mit dem epujc;". Am 26. August spricht
■ er nach des. gleichen Zeugen Tagebuch von Werners und
Schlegels Pfiffigkeit und gibt eine tiefschauende Erklärung
Werners: „die meisten JNIenschen im Norden haben viel mehr
Ideales in sich, als sie brauchen können, als sie verarbeiten
können: daher die sonderbaren Erscheinungen von Senti-
mentalität, Religiosität, Mystizismus".
S. 184. Durch seine Güte wurde er später materiell sichergestellt:
Aus Weimar (24. April 1809) berichtete er Scheffner, dass
Hankamer, Zacharias Werner. 22
338
der Fürst -Primas Carl Dalberg ihm eine jährliche Pen-
sion von looo Gulden zuerkannt habe. Als Entgelt solle er
für die Museumsgesellschaft in Frankfurt kleine Vorlesungen
geben, die in zwangloser Reihenfolge und ohne persönliche
Anwesenheit des Dichters geliefert werden könnten. Gleich-
zeitig erhielt Jean Paul die gleiche Ehrung. Die Zuwendung
erfolgte bis zur Aufhebung der Souveränität des Bistums
durch den Wiener Kongress.
Gegen die Gleichstellung Werners mit Jean Paul eiferte
brieflich Jakobi. (Auserlesene Briefwechsel IL 412.)
S. 187. Als er in Paris vor dem Apollo von Belvedere stand: Eine
ungleich ruhigere Ablehnung der antiken Plastik gab er 1805
Iffland : „Die lebensvolle Welt der Griechen ist für uns nichts
mehr als etwa eine Dresdener Antiken Gallerie, durch die
man bewundernd aber kalt geht, um sich an Raphaels heiligen
Sixtus, an Corregios Magdalena, zu erwärmen. Mir ist es
wenigstens in Dresden so ergangen". Dass diese Bemerkung
eine extreme Weiterbildung der in dem „Gemälde"-Dialog
angedeuteten Theorien ist, die Werner einseitig nach seinem
Erlebnis umwertet, scheint mir zweifellos. Er musste durch
Goethe für die Sinnenschönheit erst geweckt werden. In Rom
ist ihm wohl wahrscheinlich die Möglichkeit einer grossen
Plastikleistung vom Christentum aus klar geworden durch
Rauch, der auch seine Büste schuf. Trotzdem wurde nicht
einmal die starke Bewegungskraft des Plastikers Michel Angele
von ihm erfasst, so eigentlich fremd hieb er dieser Kunst-
art, die ihm im Formwollen entgegengesetzt war. Psycholo-
gisch mochte das andere Moment mitwirken und es ist als
sicher anzunehmen, dass sein überreiztes Gefühl — trotz
Thorwaldsen — ihm auch da noch den spezifisch sinnlichen
(nicht allein im Sinne von sexuell) Charakter dieser Kunstart
als achristlich empfinden liess.
S. 178. In einem Essay über das menschliche Leben: Floeck hat es
zuerst veröffentlicht (IL 377/386. Seine (ohne Angabe zwin-
gender Gründe) gewählte Datierung 18 14 erscheint mir un-
berechtigt. Besteht die von Floeck gewählte Datierung 1814
zu Recht, so ist Vierlings Behauptung, dass die Konversion
Werner nicht eigentlich wandle, nicht nur berechtigt, sondern
Werner ist als Lügner überführt. Ende 181 3 (der Druck
trägt die Jahreszahl 1814, aber Ende Dezember 1813 schreibt
Dorothea Schlegel ihrem Sohn über diese Bekenntnisschrift),
erschien Werners Weihe der Unkraft, in der er seine Liebe-
theorie abschwor und sie als unsittlich bezeichnete. Inhaltlich
gehört der Essay in den Zeitraum 1805 bis 18 10 und steht
nahe neben der Sclbstrezension Werners im Prometheus (1808)
und der Liebetheorie vor allem der Wanda (i 807/1 808), an
die er in einigen Wortfügungen erinnert, wenngleich die
Persistenz bestimmter Bildformeln über Jahre hinweg für
Werner zu charakteristisch ist, als dass ich wagen würde,
_ 339
daraufhin eine zeitliche Fixierung zu geben. Es verdient
erwähnt zu werden, dass wir in den drei Akten des Liebe-
Erlebens, die Werner konstruiert, eine eigenartige Rücküber-
setzung der Unio mystica haben, die in die sinngebundene
Erlebnislage zurückführt, aus der in wundervoller Geistigkeit
die philosophia teutonica ihr Gott-Erleben empor entvvickelte.
Böhme zeigt schon eine Entspannung der strengen Form,
hält sich aber trotz der Symbol-Bilder (und trotz aller psycho-
analytischen Darstellung), von der Sinnenliebe fem.
S. 192. Könnten wir die verschiedenen Fassungen des Dramas ver-
folgen : Der handschriftliche Nachlass Werners scheint unauf-
findlich. Schon Schütz klagte darüber, dass der Verlags-
anstalt der Nachlass nur zum geringsten Teil zur Verfügung
gestellt wurde. Dem testamentarisch bestimmten Ordner
scheint vieles zum Opfer gefallen zu sein. (Vgl. zur Nach-
lassfrage O. Floeck, Werner und Iffland. Im Aar 1913
Januarheft S. 535.)
S. 193. Er trug sich damals mit der Idee, einen Stoff aus den Nibe-
lungen zu gestalten: Goethe und die Romantik IL S. 13. Paro-
dierend nutzte er die metrische Form und die Ausdrucksweise
in dem „Lied der heiligen drei Könige aus dem Nibelungen-
lande". A. S. I. i82flgde. Auch in der „Kunigimde" sind
Wortformen des Mhd. benutzt.
S. 193. Tiecks Genoveva: Ihr Einfluss ist augenscheinlich. Selbst die
Gefühlsverwirrung Kunigundens ist da angedeutet, als Geno-
veva den Eindruck Golos auf sie und die Verschmelzung
mit dem Visionsbild Gertrud erzählt:
Mir w^ar, als leuchteten in ihm die Blicke,
Als lächelte in ihm, was ich geschaut,
Als mir der hohe Traum hemiederkam.
(Tieck, Schriften II, 89.)
In der Behauptung stilistischer Abhängigkeit darf man jedoch
nicht zu weit gehen, obwohl er schon 1803 an Hitzig schrieb,
dass er von dem Buche noch auf dem Sterbebette Trost
erhoffe. Das Kunstwollen Werners ging aber über die Form
Tiecks hinaus. Werner hat von Tieck auch wohl das böh-
mesche Adjektiv „siderisch".
Zu Kapitel VIL
Vgl. hierzu meine Dissertation „Z. Werner, der 24. Fe-
bruar" 19 19, in der ich Einzelheiten bot.
S. iqg. Am 30. Januar: Goethe hatte für den Geburtstag der Herzogin
von Werner ein Stück erbeten. Vgl. Goethe imd die Ro-
mantik IL S. 23.
S. 213. Werner sollte und wollte auch ein Drama des Segens schreiben:
In meiner Dissertation habe ich den Brief vom 10. März
irrtümlich auf das Segensdrama bezogen (S. 34). Fertig ist
das Stück nicht geworden. Das ändert an der Tatsache
840
des Schemas aber nichts, die durch die Tagebuchstelle Goethes
erwiesen ist. Im Plan war das Segendrama zweifellos vor-
gesehen.
S. 218. Die durch den Jahrestag: Werner pflegte den 24. Februar
besonders zu feiern. Am 24. Februar 1806 schrieb er an
Johannes Müller: „Heute ist meiner verklärten Mutter Sterbe-
tag. Ich habe ihr das Amt halten lassen und -«ill den
heutigen Tag in der Stille, in Fasten und Gebet feiern. Du
bist der einzige, mit dem ich hier beten kann. Willst Du
an meinem Hausaltar für meine Selige mit mir beten, so
wirst Du mich herzlich erfreuen." Die Konzeption des Stücks
erfolgte am 27. Februar also im Bannkreis dieser Erinnerung.
S. 219. Sein Wollen trat bewusst dem Erlebnis gegenüber: Hier liegt
meines Erachtens eine der wichtigsten Fragen der Romantik,
der Mittelpunkt ihrer ästhetischen Versuche und von hieraus
ist die Genesis der romantischen Ironie zu geben. Sie stellt
sich als ein Versuch da, das Erlebnis, sein Rein-Empirisches
und Nur- Persönliches durch das Geistige, das im höchsten
Sinne Individuelle und nach Ansicht Fichte-Schlegels Ob-
jektive zu überwinden. Bezeichnend ist, dass sobald Werner
den Formwillen dem Erlebnis überordnen will, er in die
nächste Nähe dieses Gestaltungsmittels geführt wurde. Eine
bewusste Abhängigkeit von F. Schlegel ist wohl nicht anzu-
nehmen, da Weiner die Kunst nie im Sinne Schlegels als Spiel
nahm. Beide kamen aber über Fichte.
S. 220. Die burleske Ballade „die drei Reiter": Düntzer (S. 164/165)
konnte leicht nach Werners Tagebuch feststellen, dass der
Herausgeber der Gedichte in den A. S. (IL 102) fälschlich
sie in das Jahr 18 14 gelegt hatte. Fraglich erscheint mir,
ob der Konvertit in der Zeit nicht tatsächlich eine Umarbei-
tung vornahm, die diese Datierung erklären könnte. (Im
Text ist versehentlich der Druckfehler „drei Ritter" stehen
geblieben.)
S. 224. Die Bildersammlung der Boisseret und Bertram: So schrieb
Werner. Walzel (Geistesleben d. 18. u. 19. Jahrhunderts S. 295)
hat die Quelle seiner Auffassung in Fiiedrich Schlegels Europa
1803 II, 2, ißoflgde. sowie in dessen poetischen Taschenbuch
für das Jahr 1806 (S. ßigflgde.) gegeben. Das Nacherleben
Werners ist aber trotz dieser Abhängigkeit zu beobachten hier,
wie auch in Rom. Meine teilweise andersartigen Resultate
der Rheinreise erklären sich aus dem verschiedenen Aus-
gangspunkte.
8. 224. Als er im Dom tief beschämt: Dieses Gedicht (A. S. I. S. 190)
ist neben dem Pissevache - Fragment Merkstein auf dem
Wege von Weimar nach Rom: „da endet Gott den Schrecken;
. . . der sanfte Mond erweckte mich nicht; jedoch der Donner,
der mich schreckte". Für die psychologische Grundlage
seiner Konversion ist dieser Passus beweisend. — Nebenbei
ist die Datierung in den A. S. als im Juni 1809 durch die
341
Tagebuchnotizen genauer festzulegen auf den 28. und 29.
des Monats frühstens, da an den beiden Tagen die Vorgänge
spielen. — Hier scheint mir auch die Quelle zu sein für die
Erklärung, die ein Freund Werners in einer Rezension
der Schrift „Werner kein Katholik" in den Blättern f. 1. U.
1827 {S. 1191) für die Konversion gab: „In schwacher Stunde,
hingerissen durch die furchtbare Pracht eines Naturereignisses,
wie es ihm nach der mündlichen Erzählung eines Augen-
zeugen in Rom begegnete, wie es auch Luther neben Alexis
begegnete, reifte der Entschluss zum Übertritte". Natürlich ist
möglich, dass der gleiche Vorgang sich in Rom wiederholte
und assoziativ die ähnliche Stimmung erzeugte.
Zu Kapitel VIII.
S. 234. Im Gedicht „der Petersplatz": Hier müssen zuerst die Namen
Wackenroder und Tieck genannt werden, mit deren Augen
Werner Rom sah. Man möchte fast annehmen, dass die
„Herzensergiessungen" und „Phantasien" ihm als Cicerone
dienten. Sicher ist ihr Sehen bewusst oder unbewusst die
Voraussetzung der Kunststudien Werners.
Die „Peterskirche" ist in den Herzensergiessungrn ähnlich
empfunden wie das Tagebuch sie darstellt: „Du erweckst mit
Deiner stummen Unendlichkeit Gedanken auf Gedanken und
lässt das bewundernde Gemüt nimmer in Ruhe kommen . . .
Die staunenswürdige Wirklichkeit dieses unglaublichen Traumes,
welche die Einbildungskraft erschreckt . . . (Du) umhüllst sie
mit der Gottheit, die ewig aus Deinen Mauern spricht".
Auch die Formulierung der christlichen Kunst als Wehmut
ist indirekt schon durch die Gedankenfolge Wackenroders
gegeben. „Aber ach! selbst dieses Wunder der Welt, wie ver-
schwindet es in der kleinen Unendlichkeit der Dinge dieser
Erde."
S. 237. Aus seiner Schilderung im Tagebuch: Interessant ist der Ver-
gleich mit der von Tieck in den „Phantasien über die Kunst
für Freunde der Kunst" gebotene Beschreibung des gleichen
Gemäldes. Auch er sieht „die furchtbaren Gestalten", ver-
gleicht Michel Angelos Gemälde mit dem Werke Dante«
und erfasst den Moment: „Christus spricht das Urteil, seine
sanfte Mutter erschrickt, sie verbirgt sich und schmiegt sich
an ihm, der Erlöser ist in heftiger Bewegung, soeben steht
er auf, und das entsetzliche Urteil ertönt aus seinem Munde
.... Schauder und Entsetzen ergreift den Beschauer."
Zweifellos steht Werner unter der Suggestion dieser Schilde-
rung, aber er steigert die Stimmung des Grauens noch, löscht
jede leise Hoffnung aus. Tieck ist überlegen genug, auch
die Komposition des Werks anzugeben, das Formale zu
sehen und zu werten. Werner hört nur die Stimme seine«
342
Gewissens. Tieck, möchte ich sagen, bleibt episch, Werner
wird dramatisch zu dem Ausruf gedrängt, „denn Herr, wer
kann vor dir bestehen".
S. 238. Raffael war seit Wackenroder: Auch in der Auffassung und
Wertung Raffaels stand Werner im Bann des kunstUebenden
Klosterbruders, der den „himmlischen Raphael" als den reinen
und reinenden Künstler-Menschen sah. Vgl. aus den „Herzens-
ergiessungen" : Raphaels Erscheinung, der Schüler und Raphel,
der merkwürdige Tod des . . . Malers Francesco Francia und
die immer wieder auftauchende Vorliebe Wackenroders für
ihn. Aufmerksam mache ich auf die Art, wie Werner diese
Wertgrösse in sein Weltsystem hineinzog. Für die Allgemein-
heit dieser Anschauung nur ein Beweis: Friedrich August
V. Klinkowström (Fr. A. v. Klinkowström u. s. w. von Alphons
Klinkowström Wien 1877) schreibt am 2-]. Nov. 1810 an
David Runge von Rom aus: „Der tiefe stille Sinn in Michel
Angelo und Raphael führt jeden an auf sich selbst zurück".
S. 249. Und einmal schwankte sein ganzer Glaube: Diese Schilderung
in Werners Tagebuch vom 5. Mai 18 10 in Neapel ist als
psychologisches Dokument von grösstem Wert. Als typisch
für seinen Katholizismus, sie zu fassen, wie es wohl ge-
schehen ist (z. B. von Julian Schmidt) geht nicht an. Eine
solche spezifische Augenblicksstimmung in diesem Sinne zu
werten, geht gegen die primitivsten Grundsätze jeder psy-
chologischen Betrachtung.
S. 260. Die Schrift erschien in Frankfurt: Der vollständige Titel dieses
Widerrufs lautet: Die Weihe der Unkraft. Ein Ergänztmgs-
blatt zur Deutschen Haustafel von Fried. Ludwig Zacharias
Werner. Cum notis variorum die besser sind als der Text.
Dixi sed — animam salvavi?! Frankfurt am Main 18 14.
(Deutsche National-Literatur Bd. 151 S. 225.) In der Be-
urteilung Dorotheas zeigt sich symptomatisch die Umstellung
des Schlegelschen Kreises von der Literatur zur konservativen
Politik für Kaiser- und Papsttum. Im selben Jahre erschien:
„Die Weihe der ünkraft von Fr. Ludw. Zacharias Werner,
nebst einer Antwort von einem Deutschen, Deutschland 1814".
Das Pamphlet ist unbedeutend, geht an Werners Kernpunkt
ganz vorüber. Die Romantiker werden scharf angegriffen,
Goethe (Wahlverwandschaften) und Schiller (Jungfrau von
Orleans) tadelnd gestreift. Klopstock, Ewald von Kleist und
Ramler werden als Vorbilder genannt. Eine Strophe als
Kennzeichnung:
„Ihr neuästhet'schen Schönen, lasst eure Finger ruhn,
Es gibt für Bücherschreiber, weit nützlichers zu thun.
Madam' und Köchin kochen, im löblichen Verein,
Und alle Wahlverwandtschaft mag ferne von Euch seyn" (S.41).
S. 262. Man hat damals dem Kampf: In der Weihe der Unkraft
brachte Werner einen ihm lieben Vergleich wieder:
343
Und dass ich emst es ende, wie ich es ernst begann
So Sprech ich noch Euch beide, Krieger und Priester an
Die Beid' Ihr Menschenretter vom Höchsten seid gesandt,
Im Wege nur verschieden, im Ziele nah verwandt.
Schon 1806 in seinem Briefe an Chamisso klang das an
„Auch mit Ihrem Stande scheinen Sie nicht zufrieden. Das
tut mir leid, da Sie religiös sind, und es zum priesterlichen
Stande keine bessere Vorbereitung gibt als den Soldaten-
stand . . ." Eichendorf nahm in seinen „Dichter und ihre
Gesellen" dieses Motiv Werners auch auf und löste ebenfalls
dadurch, dass der Offizier Viktor katholischer Priester mit
der Tendenz Werners wird, das Problem. (Den Hinweis auf
den Roman Eichendorfs als Gestaltung des Lebensschicksals
Werners verdanke ich meinem Lehrer Berthold Litzmann.)
Zu Kapitel IX.
'S. 268. Der Wiener Klatsch : Eine interessante Quelle für Werner
hat Prof. Dr. Oskar Floeck erschlossen, der uns in den
Nummern g/12 des dritten Jahrganges des „Aar" die Polizei-
berichte über ihn mitteilt. Neben vielen interessanten Einzel-
heiten über seine Tätigkeit als Prediger enthalten sie eine
Fülle biographischen Materials.
S. 270. Werner suchte Abraham a Sancta Clara: Haringer tadelt
deshalb auch leise seine ganze Art als nicht traditionell und
gegen den Stil und die Diktion der Kanzelrede \-erstossend.
Das Märchen, dass Varnhagen von Ense erzählt, Werner
habe einmal in mehr als zweideutiger Weise die Zunge und
ihre Lust am Böses-Reden geschildert, spukt noch immer
in der Literatur über Werner, obwohl schon Hagen darauf
hinweist, dass dieser Vergleich sich bei Abraham a Sancta
Clara findet.
S. 275. Über die katholische Mystik: Von zeitgenössischen Autoren
verdankt er wohl besonders Fritz von Stollberg eine Fülle
von Anregung, dessen Buch „"Geschichte der Religion Jesu
Christi", i. Teil 1806, 2. Teil 1807 von Fr. Schlegel in den
Heidelbergischen Jahrbüchern besprochen wurde und das
auch schon früher {1806 Brief an Johannes von Müller vom
24. Februar) in sein Gesichtsfeld getreten war.
Zu Kapitel X.
S. 299. Hinter diesem Pseudonym: Ich stütze diese Hypothese auf
folgende Gründe: Werner musste wissen dass er von der
Polizei überwacht wurde. Dass diese Gesinnungsspionage
nicht vor dem Siegel seiner Briefe Halt machte, musste
Werner annehmen, und auch die geringste Möglichkeit zu
meiden suchen, durch deren Verkennung er hätte moralisch
verdächtigt werden können. „Die Wespen der Verleumdung"
344
summten, wie er selbst sagt, damals besonders stark. In
der Vorrede zur Mutter der Makkabäer beklagte er sich über
das Vorgehen einer wenig vornehmen Journalistendique, die
„für ein Spottgeld, nämlich für den geringen Botenlohn eines
noch geringeren Korrespondenzartikels", seinen guten Ruf
dem Publikum verkaufte. Und Werner hatte diesen ver-
trauenslosen Augen etwas zu verbergen, das er seinem Freund
und Beichtvater ehrlich anvertraute: seine Liebe zu einem.
Mädchen, das in diesen verschleiernden Briefen unter dem
Namen Alexis auftritt.
Er führte sie auf „den Flügeln der Liebe zu Gott", von
dieser Welt weg in ein Kloster. „Mein alter geistlicher,
teurer Vater . . . hofft und lässt sagen, die Nachrichten wären
so günstig, dass Alexis wohl bald dort, wo Alexis ist, oder
doch in der Nähe ein klösterliches Asyl würde finden können
parmi les fleurs de son sexe . . ." (IL, 318). Was soll
dieser Hinweis auf das Geschlecht, wenn es sich um einen
jungen Mann handelt? In dem gleichen Brief (auf der
gleichen Seite) heisst es: „. . . lasst ihn bald für euch in Öl
malen, für mich in Miniatur. Um Gottes Willen schickt mir
von ihm eine Haarlocke !" Im Testament bestimmt er, dass
der Familie Choloniewski-Grocholski eine Haarlocke und das
ölgemalte Miniaturbild einer Klosterf r au zurückgegeben werden
solle. Das nur in Frage kommende Mitglied dieser Familie
ist Cäcilie Choloniewski, die Nonne wurde. An sie richtet
er das so erst lebendig werdende Sonett an Cäcilie (vom
(vom 22. November 1816, A. S. II, S. 119). Ob auch das
folgende Sonett darauf zu beziehen ist, vermag ich ohne
Wissen des Klostemaroens der Gräfin nicht zn entscheiden.
Der Hinweis auf das Alexis-Erlebnis (vgl. oben S. 340/341)
scheint die Vermutung zu bestätigen.
S. 315. Werner besitzt keinen eigentlich epischen Stil: Am 23. April
181 1 schrieb Werner an Knebel: „Dramatisches habe ich seit
meiner Abreise von Jena noch keine Zeile gedichtet. Da-
gegen habe ich viel Liebe und Fleiss an ein Werkchen in
italienischer Kanzonenform verwendet, was beinahe fertig ist.
Es ist episch und hat zum Gegenstand Raphaels d' Urbino
Leben. — Ich glaube das Metrische ist mir nicht ganz miss-
lungen, und denke es, da es nur wenig Bogen enthält, in
ein paar Monaten zu enden ... — Wenn Ew. Hochwohl-
geboren gelegentlich von diesem meinem kleinen epischen
Gedicht den durchlauchtigen Herzog prävenieren wollen, so
würden Sie mich sehr verbinden, da es hauptsächlich auf
Sr. Durchlaucht Antrieb geschehen ist, dass ich mich im
Epischen zu versuchen veranlasst bin."
S. 315. Zu den epischen Versuchen: Auch hier war wohl Wacken-
roder das Vorbild, dessen „Zwei Gemäldeschilderungen" (in
den Herzensergiessungen) aber ästhetisch viel höher stehen.
Er weiss, dass ein Bild „eigentlich garnicht zu beschreiben"
345
ist und sucht den Gehalt dadurch zu fassen, dass er die
seelische Situation der Personen in Monologen sich aus-
sprechen lässt, die in ihrer still-feinen Eigenart das lyrische
Einfühlen Wackenrodes erweisen. Bilderbeschreibungen im
eigentlichen Sinne bot in den Phantasien Tieck, dessen Aus-
deutung des jüngsten Gerichtes wir erwähnten. In der ähn-
lichen Art sind „Wateaus Gemälde" und „Über die Kinder-
figuren auf den Raphaelschen Bildern". Ein Mittelding
zwischen Rapsodie und Darstellung. Auch hier ist die Weiter-
führung dieser Versuche in dem Dialog A. W. Schlegels „die
Gemälde" natürlich wirksam. Die ästhetische Theorie, die
den Versuch erlaubte, dem geistigen und seelischen Erlebnis-
gehalt aus der Technikform ein-er Kunstgattung in viele
andere zu übersetzen, da der „symbolische" Gehalt (das Wort
im Sinne der Romantik als allgültig genommen) vielgestaltig
sich verkünden lässt — diese Theorie ist von Werner über-
nommen. Die epische Auswertung des bildlich Dargestellten,
die das Nebeneinander der Fläche in einem zeitlichen Nach-
einander zu erfassen sich müht, ist Werners Eigenart. Sowohl
Tieck und auch wohl Schlegel wie vor allem Wackenroder
suchen (ein Beweis intensiveren Aufgehens in die Anschauimg
der Bild-Einheit) gerade das Nacheinander zu vermeiden, die
Zeitlosigkeit der Fläche und den momentanen, einheitlichen
Erlebnisakt lyrisch anzudeuten. Werners künstlerische Erlebnis-
fähigkeit ist hier weniger differenziert und feinfühlig. Trotz-
dem hat er interessante Bildschreibungen gegeben, interessant
psychologisch (z. B. die oben zitierte Beschreibung des
jüngsten Gerichts) und ästhetisch. Ein Kunstwerk in seiner
Art ist z. B. die Beschreibung des betlehemitischen Kinder-
mordes. (Schütz IL S. 197), wo Werner nicht nur die Stim-
mung gibt, sondern sehr geschickt auch die räumliche Kom-
position vor unserm Auge aufbaut.
Auch später wird das Bild noch Konzeptionspunkt, z. B.
für die Ballade „Sieg des Todes" (A. S. IL 93).
346
Berichtigungen.
Seite 7 rauss es heissen statt Königsberg -Warschau -Berlin;
Königsberg-Plozk-Warschau und entsprechend muss die Aufzählung
der durch das Raum-Erlebnis des Romantikers wichtigen Ortsnamen
Seite 133 beginnen: Berlin usw.
Seite 43 und 45 ist die „Korrektur" Heinze in Heinse zu ver-
bessern.
Seite 332: In der Anmerkung zu Seite 35 ist beidemale statt
Blazko wie im Text richtio^ Baczko zu lesen.
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