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Full text of "Zeitschrift für den deutschen Unterricht 29.1915"

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dtfd)riff fäc Acik 
I / |deutfd)en Unterricht 

* ■ Ötgrfiuto öurdj Rudolf $U&cferoti& und Otto tyon 

t 

üntctfllitoitfung von prof.Dr.Jr.panjer 
l)ttati00C0tben oon Pc. tDaltt>er tjofltaettcr 


19 * 3 *hrgang. Inhalt: u Heft • Januar 

8«{Y« 

Oer deutfehe Krieg und der deutfehe Unterricht. 

Von Dr. Olalther Bofftaetter In Dresden . . i 
Deutfehe Soldatenlieder. Von Unlv.-profefTor 

friedrich Panzer In frankfurt a. M. « 

Schlachtfeldragen. Von Dr. Otto BSchel In Michen¬ 
dorf (Mark).34 

Oer gegenwärtige Krieg und die dramatlfche 
Literatur. Von Hkademleprofetfor Dr. Robert 

prtfeh In pofen.43 

Hus dem Deutrchunterrlcht In großer Zelt. Von 

Dr. Cb. Valentiner In Bremen.51 

Detlev v. Llllcncron: Der Rtchtungspunkt. Von 
Oberlehrer Dr. Biedermann In Charlottenburg 61 
Schülerlefezlmmer und Krlegsfammlungen. Von 
Dr. tftalther Bofftactter In Dresden .... 65 

Zehn Gebote einer Kriegspädagogik. Von Unlv.- 
Prof. Dr. Cheobald Ziegler In Frankfurt a. M* $9 
Nagl-Zeidlers Dcutfcb-Öfterrelchirche Llteratur- 
gerchichte. Von prof. Dr. Karl fuchs In M ünc ^ cn 7 ° 
Hnzelgen a. d. Schlllerlltcratur 1913/14 (27. ^abrg.) 

Von Studienrat prof. Dr. Bermann Unbefcheld 

m Dresden.75 

Berichtigung. 80 


I PtttoB e.S.genbtut grip?tfr und 6crlh^ 


Husgtgcben am 5. f ebruar 1915 










Die 5eitfcf}rift für ben beutfäen Unterricht erfdjetnt jährlid) ht 12 fjeften 3 U je 4 bis 5 Brucfbogen. 

Der 3 af)tgang loftet 12 Klart. 

Heben* Abonnement nur 5 tltarft: Hut für ben perfönlid]en Gebrauch ber $ad)lel}r<r unb 
•Iehrerinnen an flnftalten, bie bereits ein Stammejemplar 3 um preife non 12 Illar! beziehen. 
Befteüungen nehmen alle Budjfjanblungen unb poftanftalten entgegen. 


flOe Klanuffrlptfenbungen finb an ben 3ur3eit Derantoortlidjen Herausgeber 
fjerm prof. Dr. fncdrtcb Panzer, franhfurt a. M** 6rUtparzerrtr. 90 3U fenben. 
Unverlangt tingefdficRe Mtanuffripte ©erben nur 3urflcfgcfanbt, ©enn Rüdfenbungsporto beigefflgt IfL 
Bie Herren Derfaffer erhalten oon größeren Äuffätjen 20 Sonberabbrucfe in befonberem Umfdjlag, 
oon ben übrigen Beiträgen 5 (Ejemplare bes betreffenben Bogens. 


Bon dcutfd>cr fftt und /lebeit 

©djaffen und ©djauen • Band I 

3. Auflage. 3n Ceinroanö gebunöen 5 tlTar! 

Dies Bud) roill 3 eigen, roas auf öeutfdjem Boben beutfdje Arbeit in beutfdjer 
Art gefdjaffen unb geftaltet, roorum unfere fjeere braunen fämpfen unb toas, roie 
mir fjoffen, nad) fiegreidjem Kriege fid) in neuer Blüte unb Kraft entfalten foll. 

Das öeutfdje £anö als Boben öeutfdjer Kultur, bas deutfdjc Bott in feiner (Eigenart, bas 
Deutfdje Heid] in feinem IDerben, bie öeutfdje Dolfswirtfdjaft nad) ifjrcn ©runblagen imb in 
iljren wtdjttgften 3 weigen, ber Staat unb {eine Aufgaben für IDeljr unb Ked)t, für Bildung 
wie für Sörberung unb ©rbnung bes fojialen £ebens, bie bebeutfamften wirtfd)aftspolitifd)en 
5 ragen unb bie wefentlid)(ten ftaatsbürgcrlidjen Begebungen, enMid) bie roid)tigften Berufs* 
arten werben behandelt. Unb es gefd)iel)t in einem Sinne, ber geeignet ift, Derftändnis 3u 
toeefen für all bas reidje £eben in beutfdjer Dergangenfjeit unb Gegenwart, ben TDiUen im 
ein3elnen 3U ent3ünben, an il)m teil3u^aben, foweit es i^m nur möglid). Sugleid) werben it)m bie 
IDege ge3eigt, wie er 3um IDol)le bes (ba^en unb 3um eigenen Beften wirfen, feine £ebens* 
aufgabe mit bem sollen (befühl ber Selbftoerantwortung fid) {teilen unb fie burd)füf)ren fann. 

Der 3 toeite Banb bes IDertes unter bem tCitel 

Dee Uknftycn ©ein u. Werde tt 

2. Auflage. 3n £einu)anb gebunben 5 tTTarf 

barf im Kampf um „bas Weltreich beutfdjen ©eiftes" als eine Keine <En3tjlIo= 
päbie ber oon uns gegen Barbarei unb Krämergeift oerteibigten Kultur gelten. 

(Es 3tigt bas EDerben unferer geistigen Kultur, EDefen unb Aufgaben ber ©iffenfd)aftlid}en 
5orfd)ung im allgemeinen ©ie ber ©eiftes* unb naturroiffenfd)aften im befonberen, bie Bebeu» 
tung ber Pbilofopljie, Religion unb Kunft als (Erfüllung tiefrourjelnber menf(f)Iid)er £ebens* 
bebürfniffe, ferner als Dorausfefjung oon all biefem bie Stellung bes IRenfcfjen in ber Ratur, 
bie ©runbbebingungen unb Äußerungen feines leiblichen unb feines geiftigen Bafeins unb 
anbererfeits 3ufammenfaffenb bie ©eftaltung ber £ebensffif)rung nad} ben in bem EDerle bar* 
gelegten ©runbfäfjen. 

Had) übereinftimmenbem Urteile oon RTännem bes Öffentlichen £ebens unb ber 
Schule, oon 3eitungen unb 3eitfdjriften ber oerfdjiebenften Richtungen löft bas Buch 
barum in erfolgreicher IDeife oor allem bie Aufgabe, bie beutfdje 3ugcnb in bas 
beutfdje £eben ber ©egemoart in wahrhaft nationalem ffieifte ein 3 ufüf)ren. 

Bon dem R)ecP wurden bteh« über 25000 Exemplare oerPauft. 

tterlag oon B.B.Ceubner in £cip£ig und Berlin 





























Drucf üon B. (B. (Teubncr in Dresöcn. 



IV 


3nl)altsü6erfid)t 


Seit« 

Der gegenwärtige Krieg unb bie bramatifche Citeratur. Don Dr. Robert petfdj,Pro s j 

fcffor a. b. Alabemie 3 U Pofen. 

©Ziehung 311 m Derftänbnis bichterifdjen Sprachftits. Don Oberlehrer Dr. 3 . tDieganb 

in KölmDeutj.3S 

Dom beutfdjen £efebudj. Don Oberlehrer Dr. Qeinridj Schierbaum in Bielefelb . 38 
IDie fafct dell bie drmorbung ©efelers auf? Don Prof. ©mit Riebelin ©ummersbadj 37 
Sauft unb bie Sorge. DonDr. ffieorg Rofentljal, Direftorbes©ymnafiums in Surften* 

toalbe (Spree).378 

IDie idj mein Amt als £eftor ber beutfchen Sprache an ber Unioerfität Rom ausübe. Don 
dljeobot Bonner, Direftor ber beutfchen Schule in Rom.381 


Der gegenwärtige Krieg unb bas beutfche Drama. Don Dr. Robert p etf dj, Prof eff or 

a. b. flfabemie 3 U pofen.385 

Paul be £agarbe als Prophet bes Deutfchtums. Don Dr. ©tto ©onrab, Oberlehrer 

in ©barlottenburg.401 

dacitus* ©ermania, audj eine beutfche Rebe in fernerer 3eit. Don Prof. Dr. ©eorg 

Rofentljal, Direftor bes ©ymnafiums 3 U $ürftenwalbe.410 

3ur preufoifdjen Reuorbnung ber Dorbilbung für bas höhere £ehramt. Don Dr. Bern¬ 
harb £utljer, Oberlehrer in IRülheim-Ruhr.417 

3urSortbilbungsfrage. 3®eiBriefe oonBernharb £utherunbIDalther fjofftaetter 422 


Deutfdhe Dorfriegsbidjtung. Don ©eh- Ijofrat Prof. Dr. ©sfar tDal 3 el in Dresben . 449 
©rnftoon IDilbenbrudj, ein Deutfcher. Don Oberlehrer Dr. Ridjarb ©roeper in Stanl* 

furt a. ©.456 

Die Sribfltegerfprache. Don Rechtsanwalt Dr. Rubolf ntotljes in £eip 3 ig f 3 . 3 t. int 

Selbe.464 

Selbfttätigfeit ober Drill im Redjtfdjreibunterri<ht? Don ©rnft £üttge in £eip 3 ig . 469 
Die JdjriftliAen Übungen im beutfchen Unterricht ber ZTUttelflaffen. Don Oberlehrer 

Bans pafcfdjfe in Schmiebus.474 

©^iepung 3 ur äfthetifchen IDertung. Don Oberlehrer Dr. Ridjarb Dolpers in Brom* 

berg.477 

IRaupaffants unb £iliencrons Kriegsbichtung. Don Prof. Dr. 3oh- ©eorg Sprengel 

tn $ranffurt a. ITT.486 

3ur Behanblung unferer Kriegsgebidjte. Don Oberlehrer Dr. Stifc IDarfelmannin 

Potsbam.503 

XDir fdjmei 3 erifdjen Deutfchlehrer unb ber beutfche Krieg. Don Prof. Dr. Rtaj: 3 <>üin* 
ger in 3ürich.504 

Ricarba fjudjs „©rofoer Krieg in Deutfdjlanb". Don Anna Brunnemann in Dresben 545 

fjebbels Anfichten über Deutfchlanb unb feine ©egner. Don Oberlehrer Dr. Bans 

tDefterburg in (Eutin.559 

Die IDacht am Rhein unb ihr Dichter. Don Oberlehrer Dr.Oottf rieb $ittbogen in Bet* 

lin*Reufölln.570 

Die beutfche Solbatenfprache im gegenwärtigen IDeltfriege. Don Prof. Dr. Karl Berg* 

mann in Darmjtabt.578 

Das beutfdje 3^. (Eine Jpradjüdje Betrachtung oon ©eh. Regierungsrat Dr. ©uftao 

Schürmann in Arnsberg.580 

Dom beutfchen Unterricht auf ber Ausftellung „Schule unb Krieg". Don £y 3 ealleljrer 

©eorg U)olff in Berlin.585 

Der Sinn bes Krieges. Don tDaltljer fjofftaetter.588 

Die 3ufunft ber beutfchen Sprache. Don Dr. tDaltljer Matthias t (Plauen i. D.). . 609 

Die (Entwicklung besmittelhodbbeutTdjenUnterrichts. DonDr. ©tto HubertinIDu^en 628 
Das beutfdje 3<*ht. H. Don ffielj. Regierungsrat Dr. ©uftao Scbürmann in Arnsberg 637 
£effings Profafdjriften als Sdjulleftüre. Don Dr. Qeinridj Schierbaum in Bochum 

unb Stubienrat Prof, Arthur Denede f (Dresben).641 

©rillpar 3 er im Deutfdjunterridjt. Don Prof. Dr. (Ebwin 3ellwe!er in drieft . . . 647 
©etftige 3ugenbweljr. Don Prof. Dr. ©eorg Rofentljal, Direftor bes ©ymnafiums 
3 U Sürftenwalbe (Spree).650 

3u ©oethes Ittaljomet. Don Dr. Robert Petfch, Prof eff or a. b. Afabemie ju pofen 673 
«aturgefühl unb Derftänbnis für Raturftimmung. (Ein Derfudj in Obertertia. Don Prof. 

Dr. Paul RIenge in Sdjulpforta.693 



























Sc 

jfc I 

5 : I 
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I 


3nt)a(tsüberfid)t V 

Seite 

Dasöeutftbe3ö^r. III. Don (bei?.Hegierungsrat Dr.©uftao Schürmann in Arnsberg 699 
Beiträge 3 um mijb. Unterricht im ©ymnafium. Don Oberlehrer Dr. £uöu)ig DTaoer 

in (E[|en.. • ..™7 

DieSptadjeunööer Krieg. Don Prof. Dr. fl)ilf?elm Becher m Dresöen.713 

3urUmqeflaltung öes £efeunterrid}ts. Don £efyrer (H?. Duqgen in Altona . . . . . 715 
EinigeBDünfc^e für Öen fluffatjunterridjt. Don Oberlehrer XDilf?clm Hofe in Königs 5 

berg i. ID. t .. • • 725 

Aufgaben 3 Ufreien Dorträgen im öeutfehen Unterricht öes £ef}rerfeminars. Don Seminar 5 
Oberlehrer fluguft Dolfmer in pilchotoih (0. 5 S.).728 


Spille'Drama, Realer. Don Seröinanö ©regori, Prof, an öer !. !. Afaöemie 

in IDien, 3 UT 3 eit in Dresöen. 

„Deutfdjlanö, Deut[d)lanö über alles!" als Heidjs 5 u. Kaiferlieö. Don Oberlehrer 

Dr. Johannes Klearitj in fltühlhaufen i. dfjür. 

Kann öie öeutf^e Schule bie altgermanifchen Sagen entbehren? Don Prof. Dr. 

darl Sranfe in £öbau. 

Das Huslanösöeutfcbtum in reicfjsöeutfchen £efebücbern. Don Dr. ©ottfrieö Sitt- 

bogen in Berlimlteufölln. 

Hoch einmal Schillers Hell u. öie drmoröung ©ef}lers. Don Prof. Dr. 3<>h anncs 
Kümmel in £übed. 


737 

743 

747 

751 

754 


Beiträge 311 m mhb. Unterricht in ©ymnafien. II. Don Oberlehret Dr. £uötoig 

Hlaöer in (Effen ... 7 ..... ... . 757 

-'!t öer öeutfdje Sprachunterricht nach öem Kriege eines weiteren Ausbaus beöürftig? 

Don Oberlehrer Dr. Otto daefe in Stettin.770 

«nföopfung aus flnlafc öes IDeltfrieges. Don Prof. Dr. Hermann daröel 
w Bremen. .778 


B. £iteraturberid)te. 

Peutf^unterricht in öer Dolfsfchule. Don Dr. Otto Brauer in Annaberg . . . 228 
-etture. Don prof. Dr. Karl dreöner in Branöenburg a. % 

• Kntiifhe unö erläuternöe Schriften. 661 

D 11 pfebucher. 1 /.786 

üLlT C n ufta ^ Don ®öerlehrer Dr. dheoö’or Daleniiner in Bremen .... 508 

fflWjie. DöitOr.Ruöolf Stübe in £eip 3 ig.523 

^^jl^fl^fthaftunö beutföe Spraye. Don Prof, ©sfar XDeife in Gifen* ^ 

JugenMeftßie I oon Oberlehrer ©eorg Do ft in Dresöen. Der öeutfch s DÖtfifche ©eöanfe 
nji^ugenöfcbrifttuTn. y . . 1 ...217 

3ugenölett^fn* n mi ^V? c ^ ö ^ ri ^ tcnaus ^ tclIun 9 en - Bücherbefpredjung.220 

Hflaemeinc^i -?r n ?r l v ®rohmann in Dresöen..• • • • 225 

f, et g (s^y^^nfehaftunö öeutfcfje Sprache. Don‘Prof. ©sfar IDeife in difen 5 

:::;:::: :: : I 

C. TOortfunöe . . . ... 433 

„i & stiiiftii.; ; ;. 435 

£iterXrfö r e f if ut ^ e « IHunbarten . ! ! ! ! ! ! ! ! . ..520 

® e Dorflkf<»Wc? U JÜ^ P rü)an ötes. Don Prof. 3ulius Stern in BaöemBaöen . • 144 
unö DrmiA ir\ unö J^öin. Klopftod unö £effing, tDielanö unö f)eröer. Sturm 

jJljÄ fu^feuen* ^p”™*^. tC> ! Dr '®^ co ^ or Rcftor öes Real* ^ 

. « DKsLn” Sd!iIIet,Ueta ^ t . 1913/14 (21. jalit g.).' Don fj et mann Ünbefdjeiö ^ 

äfcLfj«« öbIa ^°i n S t i e ö t i cf? Sdjulje in leipjig.• ■ • 7,7 S 

, ItdimlAcnfife 1 '! öer Romantif. Don Dr. VO einer Deetjen, Profcffor a.ö. 

Wnt Jö?A£ 0( ^ ule 3“ jjannooet .157 

Hliteratu ffi e n De ^ Ian ?- Don Dr. iDaltfjer fjofftaetter in Dresöen . . 535 
I.DJ II ! D .n5*iebtidj Pan 3 er, Prof. a. b. Unioerfität 3 « $ranffurt a. Ri. 

' • um, in. 590. 































VI $ad)üb«rfi(f)t 

P^ilofop^Me Propäbeutif oon Dr. Rubolf Stübe, ©bcrlebrer in £eip*ia ' ^ 

I. Die beutle Philofophie int IDeltfriege.. 

II. Ausgaben unb Überfettungen. ' ' w 

III. ©efdjichte ber Philofopljie. col 

IV. (Einführung in bie pbilofopbie. .. r.y 

V. Suftematifdje pfjilojophie.’ .= 2 ' 

VI. Allgemeines. ^ 

©e|d)id}te oon Realgymnafiatreftor Prof. Dr. ©uftao Ro'fenh’agen in Dresben 1 1 1 281 

Dolfsfunbe. Don ©berlehrer Dr. Rubolf Stübe in Seimig . 511 

Aus ber flafftfdjen Altertumsfunbe. Don Dr. IDalther fjofftaetter in Dresben 1 1 53 ! 

C. $prcd)3immerbcitrögc. 

3um Ramen Hell. Don ©.Behaghel. 24( 

Der Kampf gegen bie Srembroörter auf ber Schule. Don X RTeyer in ßeibe 1 1 1 1 1 30 ? 
3“ X IDteganbs Auffah „(E^iehung 3 um Derftänbnis bicfjterifdren SpraAftils". Don 
Aug. Schmalem. 7 . 73 ’ 

0 ^ erS ^. ubat ^" 5, 336-340) Don (Eh. Ctnfdjmann 73? 
(Etmas über Brieffrfjretben. Don £ina Berfotoih .............. 734 

D. mittetlungen öes Herausgebers. 

Be 0 t rD?lt!rieg? Un9 ' Kuötunaus 9 abe (P an 3^), Karl Bauer: Bührerunb gelben aus bem 

©in Kaiferroort. 1fr 

^crrn^nn Unbef^eib^f; Arthur Denede f • .' .' ‘ .' .' .' 2 4 C 

DÖS iftS? öer ®*? cn ® a . rt >} nö be „ r Krieg. — Krieg unb Schule. — Der IDeltlrieg im 
?nterri8ÄreÄV“'- • ® e ^ un ^ t -“ 3um Red ' t ^ reibc ; 541 
3Um gere^tigfeU ^ Krie9C5, “ Bismar( t- — ©uphorion.— Sef’türeftunben! — über» 

3ugenbfchriften (üoft) !!!!!!!!!!;;;;;;;; .608 

Aus bem Kreife unferer Rtitarbeiter .... 608 

stimmen ber 3 eit.• • ; ; ; ^ 

Die SpwWe^CPmi}«^— Die neue Schule. — Sprachunterricht.’ — Redhtfdjreibunter* 
Deutfche^iehung. — Auffahunterricht. — Siteräturu’nterridjt. — Seftüre.’— Schule 
üeutfcher ©ermaniftenoerbanb: Der Dresbner Siterarhiftorifdje Äbenb 11!. 54 C 



(Bericht) 538 

garoe m ber b. Dichtung oon heute 449 
Bettina 311 

Bismarcf, f. Senbung 241 • heutiqe Stel» 
lung 3 u ihm 253 • »Bücher 447. 606 
Bocaccio 176 

£'aubius, Rtatthias, Rheinroeinlieb 194.262 
i? U Hr?/? nb ' bas i un 9 e (Bericht) 535 
" tanb, Deutfchlanb über alles 1 " 
Reichs» u. Kaiferlieb 743 
Drama u. gegenroärtiger Krieg 43 . 346.385 
tbu _ n . b f * u 9[rhriften : Klaffifetaus' 


II. $ad)iiber|id)t. 

A. Literaturs unb Kunftgcfd)trf)te 


gaben 541 
Krieg 541 


Schrifttum ö. ßegenroart u. 


(Ernft, Paul, Heuflaffaismus 396 
(Euphorion 606 
(Ejpreffionismus 453 
Sorm, innere 6 . Dichtung 737 
Srieöridjbramen 386 
<5oetl}e, religiöfes (Befühl öes jungen 683 ■ 
über öeutfdjes tDefen 320 • über Me ö. 
£anöfd?aft 324 • Derfyaltnis 3 U £aoater 682 
EDerfe: Sauft u. 6 . Sorge 376 • ITCaljO 3 
met 673 • Hooellen 166 * Prometheus 692- 
3Eenien 330 

(Böttinger Profefforen, Proteft öer, dom 
1833 309 

©rtmm, 3afob 305 

























Sad)ilberfid)t 


VII 





®rimm, IDilfjclm 308 
tomelsljaufen 546 
^an5el IRajetti, (Inrica o. 450 
{jjuptmann, Garl, Kriegsbramen 44, 346 
bauptmann, (Berfjart 1813 44. 85 
fjtbbel über Deutfdblanb, dnglanb u. Stanf* 
reid] 559 

ßejel, [. P^ilofop^ie im Urteil doetljes 331 
^eine u. b. junge Deutfdjlanb (Beriet) 535 
6 ey[e, Paul, als nooellenbidjter 178 
6 u(ö, Rtcatöa, öcr (Brofee Krieg in Deutjd)* 
lanö 545 

jugenö[d^riften 217 (£iteraturberid]t) 608 
Küijerroort, ein 160 

Keller, (Bottfrieb, als Hooellenbidjter 177 
K^oenljüller, Annales Ferdinandii 547 
Kleijt, f). r., Ptin 3 Sriebrid) oon fjomburg 587 
Kriegsliteratur 113.184. 520. 590 
Krieg, [ein Sinn 588. 606 • pbilofopbie 
b. fcelttriegs 437 

- u. Drama b. (Begenroart 43 . 346 


- ber im (Bebidjt 81 

- u. Reltoratsreben 117 

- u* Schrifttum b. (Begenroart 541 
bneqsbid)tung, £yrif o. 1870 25 

Dollslieberton, ber 193 • Refrutenliebei 
14 • Solbatenlieber, beutfd)e 11 

^. 0 f a l 9 ?,’ ^ enc ron u. ITTaupajfanl 
48b Scblacbtfelbfagen 54 


10U 

5 U pnemann, Dom tDeltreicb bes äeiftes U 
Kulturaufgaben, beutfdje 6 

tam5 6 401 P<IUl bt “ IS Pt0pf!et b - Deut i d 

'Zri'W*’ Deutfdjlanö üb( 
ta!^ K &T cinKeö 194.262 • catc 
üli !S„m' am R ^ in 570 

£ttnatafl!iAiil? e n flbcnb (Dtesöen)540 
Ät 9 ln 5c' ». Hoc 

144 • Biit« J°, l ( d ! un 9 (Citetaturberidj 

V5 m, c! l3Ut(Betid )‘) 66 4 • 

5Ä S*«« Chiton 145 • Str 

«4*^Ä8 lMun ‘" ,s ■ “• !,i 


HIaupajjant, Kriegsnooellen 486 
ITCeyer, d. $., als Hoüellenbidjter 182 
ITTontanusbüdjer 448. 736 
HeuflaHijismus, i. ber dragöbie 396 
Hationalfjyinnen 743 
Hooelle, Kunftform ber 161 
pi)ilo|opf)ie bes IDeltfriegs (Bericht) 437 • 
£iteraturberidit 523 

Politif, Derljältnis 3 U b. literar. Strömungen 
bes 19. 3af?rtjunberts 88 
Hettoratsreben u. Krieg 117 
Romantif, ältere, religiöje £ytif 451 • Hus* 
läufer u. Hadftiigler (Beridjt) 157 • jün* 
gere (Beriet) 378 

Romantifer, ber auf Preußens df)ron 311 • 
üerbältnis 3 ur Hooelle 173 
Sans! ulottismus, literarischer 335 
Saoigny 307 

Stiller 

IDerte: Dreißigjäfyr. Krieg 547 • £)orem 
ausg. 75 • (Teil, din 3 elbem. 372. 754 • 
IDallenftein: tragifdje 3bee 126 • RIaj> 
u. df)etla 5 Drama 126 
3 roeifeIhaftes: Riorgengebanten am 
Sonntag (f. Sdjubart) 336 
£iteraturberid)t 75 
Srf)lad)tfelbjagen 34 
Scfymibtbonn, ID., 1914 48 
Sdjnedenberger, b. U)ad)t a. Rfjein 57ü 
Schrifttum ber (Begeruuart u. Krieg 541 
Sdjubart als Derfajfer ber „RIorgengebanfen 
am Sonntag" 337 
Sentimentalität, beutjdje 351 
Simpl^ijjinuis ((Brimmelsljaujen) 546 
Solbatengräber, beutfcfye 341 
Solbatenlieber, beutfdje 11 
Spittcler, ber Sali 447. 606 
I Stern, flbolf, £ep!on b. Rationalliteratur 145 
Strinbberg, Did)tungen oom Dreißigjäbr. 
Kriege 552 

dacitus, (Germania 410. 770 
Difeher $. dl). 163 
Dorflajjifer (Bericht) 655 
Dortragsbid)tung, b. 449 
tDad)t, bie a. Rljetn 570 
IDielanb, Rooellen 166 
, tDilbenbrud), d. o., j. Deutjd)tum 457 


B. Sprache. 


£el?ntr>ort, beutfcf)es (Berid)t) 288 
IHilitärijcbes i. b. Umgangsfpradie 51 


Sptad !f tiI 358 

Sternbm'örft, o e ^- el ' ^pradiitil 356 Ulilitärijdjes i. ö. Umgangslpraaie o 

®«manen n.U-u ber 303. 612 IRitteUjodjöeutjdj 575. 628. 707. 757 

Sptoifamili. /n-I 5 J ur inbogetmanijdjen ITCunöart u. Sdjtiftfpradje 616 

SÄ» 516 sä«««?, , 


r ml) 6 . 757 

£ ^ilöun 9s [4i 7 e 7 6i Ö - Sptad)e 699 


Hamen jdjöpfung, oeranlaßt burd) b. U)elb 
trieg 778 

Schiller, Sprad)ftil 360 
Solbatenjpradje im tüeltfrieg 578 
Spradje 445 • bcutjd)e u. Krieg 713 
beutfdie Derbreitung 622 • ber gelofIte^ 
ger 464. 544 • frembe, Derbreitung 



VIII 


Sad)fif>erficf)t 


622 * Sdjriftjprache, nfjö. (Bericht) j Sprad}nriffenfchaft (Beriet) 426. 520 
428 ■ 6 er Solöaten im ÜOeltfrieg 578 * ttacitus, ©ermania 770 
Umgangsfpr., IKilitärifches öatin 751 • IDortbilbungslehre 772 
bet 3u!unft 609 j ©orte, abgeftorbene 612 

Sptachinfel 735 IDortfdjot), beutfdjer, Kriegerifdjes öati 

Spradjftil, bidjterifdjer 353. 733 | 98 


C. üolftsfcun&e. 


Deutfd}tutn bes fluslanbs 751 • nach £a* 
garbe 401 ■ IDefen, beutfdjes naa, 
©oetfje 320 

©ermanen u. 3nbogetmanen (Bericht) 516 
©etmanifcher ©eift, nadj Caritas 410 
3al}r, b. beutjdje 699 


K u 11 u r e n t n> i d l u n g u.b. £eI}nu>oit (Ber.) 28 
»Monatsnamen 637 

Perfonennamen als 3eugniffe für Kami 
fesluft 110 

Dollslunbe (Bericht) 516 
Wochentage 699 


D. Unterricht. 


Afthetifcbe Wertung, ©tjtehung 3 m 477 
Arbeiterfrage, bei}. 1 . b. Schule 279 
flujfatr b. 281. 446. 799 (Bericht) 508 • in 
mittelflajfen 474 • in IHunbart 726 • übe« 
men 283 • Übungen i. 6 . Kritil (©berftufe) 
284 • EDünfche jum 284 
Berufsethil, i. b. Schule behanbelt 272 
Bilbung, beutfche 433 
Btieffchteiben 734 
Burgfrteben 303 
Dähnbarbt, ©star f 448 
Deneae, Arthur t 240 
Deutfdjtunbe 799 

Deutfeh tum b. Auslanbs in reichsbeutfchen 
£efebüdjern 751 

Deutfd}aiitemd}t, Aufgaben im Krieg 1 . 51. 
585 • auf b. Ausftellung: Schule u. Krieg 585. 
799 • Beljanbl. bidjtenfdjer Kunftroerle 202 - 
Sörberung geijtiger Bilbung 654 • Schriften 
542 • So 3 iale Unterroeifung 270 • in bet 
Doltsfchule (Bericht) 228 • Unioetfitäts* 
fiubien bes £ehrers 201 
Dichtung, Behanblung ber 202 • $orm* 
fragen behanbelt 479 
<Et 3 iehung, beutfche 798 
§ach 3 eitf(hriften, aus 80. 442. 735\ 
Sortbilbungsfurje füt Stubenten 422 
$ottbiIbungsfd}ule: £efeftoff 140 
Srauenfrage, behanbelt i. b. Schule 273 
©efd}i<hte (Bericht) 288 • Sadjfens mäh* 
renb ber Befreiungsfriege 299 
©etd}id}ts«Unterricht, Iteuorbnung 736 
©rilipar 3 er im Deutfd}unterrid}t 647 
höheres £ehramt, Dorbilbung 417 
3ugenblettüre, beutfch*t>ölfifche 217 
3ugenbtoehr, geiftige 650 
Krieg, Hamenfd}öpfung im 778 • u. Heu* 
geftaltung b. Sprachunterrichts 770 • u. 
Scijule 541. 799 • u. Untetnd}t 445. 542 
Kriegsbefehäbigte 448 
Kriegsgebichte, beb. i. b. Schule 503 
Kriegslefeftücfe (£iteraturbericht) 796 
Ktiegspäbagogi! 69 
Kriegsfammlungen 65 
Kritil, Übung in bet 284 


Kunfter 3 iehungstag, IDeimar 483 
Kunftgenug, (Erziehung 3 um 737 
£ a g at b e, p.be,beutfche ftatiönaler3iel}ung40 
£ampred}t, über b. Schule 735 
£eftorenamt, beutfehes in Rom 381 
£eftüre 799 * • bramatifdje als (E^ieljun 
3 . Kunftgenufj 738 • Krttif Aes barüber (Bc 
rieht) 661 • £eftüre*Untern<ht 543 
£efebuchfrage 366. 663. 715 
£efebu<h u. Auslanbsbeutfchtum barin 75 
£efebüd}er (£iteraturberid}t) 786• Ktiegs 
Iefebüdjer (£iteraturbericht) 796 
£efeunterrid}t, Umgeftaltung 715 
£e|fing, Profafhriften als Sajulleftüre 64 
£ienharbt 300 • Behanblung 0 . Dramen i 
ber Schule 277 

£iliencron, Kriegsnooelle, behanbelt 61 
£iteraturberid}t, 3 um 440 
Rleumann, ©rnft t 448 
Rlitarbeiter, gefallene 608 
Rtittelhochbeutfd} auf ©ymnafien 57; 
628. 707. 757 

Rationalet 3 iehung, beutfche 404 
Raturftimmung, IDecJung b. Derftänbniffe 
in ©bertertia 693 

Red}tfehreibunterrid}t 469. 735 
Sagen, altgermanifdje in b. Schule 747 
antile als ©t 3 iel}ungsmittel 748 • oöUifeh 
i. ber gortbilbungsfrfjule 143 
Schiller, bei}, im ©berhßeum 214 
Schule u. Krieg 541. 799 • bie neue 735 
Sd}ülerlefe 3 immet 65 
Sd}tDei 3 etifehe Deutfdjleljtet u. b. Krie 
504 

Sprachunterricht 445. 735 • Reugeftaltun 
nach bem Krieg 770 

Staatsbürgerliche Ziehung (Beriet) 29 
Stimmen ber 3«t 670 
Hfjeaterbefuch u - Citeraturunterri^t742 
Unbefcbeib, fjetmann f 240 
Unioerfitätsfeminar füt ©efd}id}te i 
©hcorie b. b. Unterrichts 286 
Unioerfitätsftubien ber Deutfchlel}ter 20 
Dollslieb an höh. Schulen 208 
Dorttag, freier, im £el}rerfeminar 728 



| Der öeutfdje Krieg utt* $er öeutjdje Unterrid}t. 

Don Walther Qofftacttcr in Dtesben. 

Die 3eit bet 3^tesroenbe Icttft unfern Blid noch einmal 3 utüd auf bas 
Ungeteilte, bas uns bas Jafc 1914 gebraut hat Hoch einmal fielen fie un* 
mittelbar not uns, bie Sage 6 er gewaltigen (Erhebung, in öenen unfer Doll 
mrig, wie wir es nie geglaubt Ratten, aufftanb, um fid} gegen eine Übermacht 
»on Jeinben 3 U roel/ren, in ‘ 6 er Haren (Erlenntnis, bafe es fic^ jefct um Sein 
«im ITid)t[dn hanbelte. Itodj einmal burhlebe ich bie urwergefolidjen XDohen 
Iw lüat[dje unb Kämpfe, bie 3 eit bet Derwunbung unb ber fjehnleljr. Xlo<h 
einmal benle idj ber langen D3ohen langfamet ©enefung, wo es galt, fidj 
miebet in bet Ijeimat jureibtjufinben burd} ©rauer unb Sorgen binbutd?, 
rooiit miebet in bie Reifen ber 3 ufhauenben treten mufete unb hoch manches 
0 an ^ eK M? unb empfanb als oiele anbere neben mir. 

3n dl bie (Emjeleinbrüde mochte ich ujo^I Klarheit bringen, Überfieht 
ö ^ es ' roas & a am Werfe war. ©an 3 gelingt es freilich nicht, 
Pi o[tanb 3 U gewinnen; nod* fielen wir ja mitten brin in ber (Entwidlung 
il [A ^ Un ^ ® nncn ^ ®nbe noch md}t abfehen. Aber fo manches hebt 
^ on “® ^ CTaus unb wirb bleiben als (Ergebnis bet fünf ©ergangenen 
«gsmonate; es lann bur<h «Hes tDeitere nur oerftärft unb oertieft werben, 
üas gilt es fefeuhaften. 

Dnb nidjt einmal bas alles lamt ich umfpannen. Doch “er unter uns 
iie u 145 ^^uupt? Hüffen fhliefjlih alle gemeinfam oetfuchen, 
outunft ^ Cm ® ut ^ c ^ cn 3 U 3 iehen unb IDege für unfetes Dolles 
«nleaen- 3U ji t ”* ® arum i e ^ct auf feinem ffiebiete bereiten h an b 

% Irin- ^ Un ^ °üe ber Krieg wirb bie erfte 3eit bes Stie* 
u ^, ann 3 U beweifen, bafj wir aus bem Kriege gelernt haben, 
tifljjjk- f 3«tt wert gewefen finb. Kaum einet aber lann fo un* 

%teit , emen Beruf aus biefer 3 eit fhopfen, taum einet mufj fo halb 
4 £ f Dmn . en ^ cn nrnem Sinn ber mannigfaltigen ©efhehniffe 

®ie a Ct ^ ^efonbets ein Süfaet feiner Schüler fein mufj. 

%od e »T ^ ^ Cn et P cn ® a 9 c & es DOt uns • Keine 
Seilte Aufm n Un ^ cte ™ hanbelte fi<h hier niht um eine ootüber* 

kx etnfarfif» nr Un9 ' CS ^ $ cr niemanb leiten ober gar »erleiten, auh 
lltfachen a .T 1 aat Hat über bie Dorgefhihte bes Krieges unb feine 

• u f einmal 3 eigte es fih, wieoiel politifhe Bübung in unferem 




2 • . Z)ti- 6«utJ<hc Krieg unb ber beutfdje Unterricht 

Doll ftedt. Datum l|lcfe es nid)t: „ 3 ch mufe mit, fonbetn ich mill mit." Aber 
politifc^e Bilbung ift ohne einen gemiffen ©tab allgemeiner Bilbung nicht 
möglich. So habe ich in jenen Gagen einen tiefen (Einbtud oon bet Arbeit 
unjetet Dolts* unb gortbilbungsfchule belommen. Diefet (Einbtud blieb mit 
audj btaufeen. tDir haben roirllich Kultur. (Ein feinet Kennet unfetes Doltes, 
ben feine miffenfchaftlichen Bejahungen oiel mit bem Auslanbe in Detbin* 
bung brachten, glaubte auch toähtenb bes Krieges noch betonen 3^ muffen, 
bafe (Englanb unb gtanfteid} uns an Kultur überlegen feien; bort finbe man 
Gatt, ber eine grucht alter Kultur fei unb bei uns noch Dielfach fehle. Das 
gilt für bie bteite Blaffe unfetes Doltes nicht. 3 dj habe bei meinen Referoiften 
unb Canbroehrleuten unjahlige Xltale Beifpiele uon Gatt unb mähtet fjerjens* 
bilbung gefunben unb geftaunt, roie fie ben neuen, ungemohnten Derhält* 
niffen gegenüber ihre Ruhe unb ihre Sicherheit behielten. Gs mar in ihrem 
Gun bie Selbftoerftänblichteit ber Pflichterfüllung, nichts non Überhebung 
unb nichts oon falfdjet Scheu. 

Diefe Sicherheit habe ich im ©efptäd) mit ben „©ebilbeten" bes öfteten 
oermifot, btaufeen unb bann befonbets, als ich als Dermunbeter 3urücftehtte. 
3 uerft fiel mir eine ftarte Selbftüberhebung auf; 3toeifellos mürben bie ©egnet 
anfangs unterfd)ät)t, unb man gefiel fi<h barin, fie lächerlich 3U machen. Ulan 
oerfpottete englifdje Sitten, bie ein guter Geil ber Spötter nothet eifrig 
nachgeahmt hatte. Unb meldet Unterfchieb jmifdjen bem grimmigen tjumor 
ber Solbaten3eichnungen an ben (Eifenbahnjügen unb bet aufgepeitfehten 
unmahten Dethöhnung unb Ijerabjic^urtg ber geinbe in ben IDihblättern, 
mit benen man uns Dermunbeten auf ben Bahnhöfen gteube machen 3U 
tonnen glaubte. Aber aud) fonft fehlte es an Derftänbnis für bie Sage. Diele 
oerliefeen fich auf Deutfd)lanbs Kraft, ohne oon ihr itgenbrneldje genaue Dot* 
ftellung 3U haben. tDie gern mürbe ba politifiert unb bodj nur mit Schlag* 
motten gearbeitet, ©ft habe ich cs gehört: (Eine Kultumation mie bie beutfdje 
tann nidjt oernichtet metben, bas beutfehe XDefen hat ja feine Aufgabe in bet 
H)elt erft noch 3 U erfüllen. Das tlang fo fcf)ön unb lodte 3um ©efptäd} mit 
bem ©leidjgefinnten, aber es mar traurig, oft 3U merten, bafj bahinter nichts 
ftedte. Stellte man einmal bie grage: IDas ift benn biefe (Eigenart bes beut* 
fdjen tDefens, roas tonnen mir ben anbern geben? — ertlang es oft: Aber bas 
ift ja felbftDerftänblid}. Das alles mar nicht Klarheit unb Sicherheit. (Ebenfo 
3eigte fidj biefer TRangel an unbefangener Sicherheit in einet (Etfdfeinung, 
auf bie Alfreb Ken aufmertfam macht: „Die Itlenfchen ber Befteiungsfriege 
taten alles 3um erftenmal, fie maten arglos mie unbefdjriebene Blätter. IDir 
ni^t. — TDir fehen uns als Itlenfchen bet Befreiungsltiege.", 

Darum mar es für unfer ganjes Dolt ein Segen, bafj bie lange, fchmete 3 ®it 
bes Wartens tarn. Da mich bas überfpannte, falfche Siegesbemufetfein. 3uerft trat 
mohl gerabe bei ben Schreiern ein fchlimmer Rüdfchlag ein. Die äufeete macht bet 





Don tDaltfjer fjofftaettcr 


3 


Setrtöc erjc^tcn |o unenblidj grofe, unb man glaubte fichoerpflidjtet, auf btohenbe 
An3eid}en unö auf Öen (Ernft bet 3 ufunft hinmeifen 3U muffen. Daneben tauchte 
bie $tage auf, ob nicht lebten (Enbes bod} mir felbft fc^ulb mären an bem 
allgemeinen Übelmollen gegen uns. Dann tarn bet Dottoutf bes Barbatis* 
mus. 3 dj glaube, es hätte bie eine amtliche $eftftellung genügt, meshalb bie 
Kathebrale oon Reims befdjoffen roetben mufete. Statt beffen regten mit 
uns auf, auch übet bie Unge3ogenheiten eines fjoblet unb Dalct03e, ja, mit 
hielten ihnen bie Wohltaten 00t, bie fie bei uns genoffen hatten unb lobten 
uns felbft, ftatt einfach biefe Ceute oon ben Rodfchöfjen 3U fchütteln. Das 
roar mitflich ein 3 eid?en mangelnbet Kultur, ein Bemeis innerer Unfidjerheit, 
bie oon bet Anerfennung bet anbetn abhängig ift. 

Aber auch biefe 3 «it ift, ©ott fei Dan!, übetmunben. 3 n ben langen IRo* 
naten bes Qarrens ift unfet Dolf mieber 3U fich felbft gefommen. (Es ift be* 
fomtenet gemorben, ruhiger, nicht mehr fo abhängig oon ben Reinen 3ufällig* 
feiten bes Tages. Unb innerlicher. 3 «# meffen mit nicht mehr nach Öen 
äufeeren (Erfolgen, fonbern begreifen, mas in biefem Kriege geleiftet mirb 
an Ausbauer, an ftillem fjelbentum, braufeen unb brinnen. Denn mit haben 
auch Öen Blicf miebetbefommen für ben Wert bet Arbeit im fjeimatlanbe. 
Das ift beutfehe Art, bies ruhige IDeiterfchaffen bet 3 utüdgebliebenen. 
(Es hat nie geftodt, unb menn bet Strom auch fchmalet rinnt, et oerfanbet 
unb oerfiegt nicht; et ift bereit, all bie Bäche, bie ihm jefet bet Krieg en^ieht, 
toiebet auf3unehmen, um bann in alter Stärfe meitet3ufliefeen. 

Ttofebem metft man, bafe all biefe Arbeit jefet anbers getan mirb, immer 
mit bem Blid aufs ©an3e, als eine heilige Pflicht. Wohl berührt es ben Der* 
munbeten fchmer3lich, menn es, befonbers in ber ©rofeftabt, 3uerft ben An* 
fchein hat, als ginge bas Ceben gan3 unbefümmert roeiter, menn fi<h (Ober* 
flächlichleit unb ©enufefudjt, Derftänbnislofigfeit, KIatfd?fudjt unb bet Drang, 
3u oerfleinetn, mieber heroormagen. Aber bas ift hoch alles nur bie ©ber* 
fläche. Wer tiefet fieht, merft, bafe bie Rlehrheit unferes DoKs emfter unb 
fich öer Derantmortung bes eht3elnen gegenüber ber ©efamtheit bemufet 
gemorben ift. Das mufe fo bleiben. Der überhanbnehmenbe 3 nbioibualis* 
mus mar eine ©efahr, fie ift hoffentlich übetmunben. 

Aus bem Blid aufs ©an3e ermudjs für ben ein3elnen ftatt bet Selbftüber* 
hebung ober Unfichetheit ber Anfangs3eit Selbftbemufetfein unb Befcheiben* 
heit unb, trofe aHet $laumachet, bie nie ausfterben roetben, bie unbebingte 
3 uoetfi<ht auf ben enblichen Sieg unferer gerechten Sache. Ulan fann bie 
©efhtnung, nach öer mit jefet ringen, nicht beffer fenn3eichnen, als burch bie 
©orte bes ehemaligen ©eneralquartiermeifters, ©eneralleutnants oon Stein, 
öie et am 2. De3ember aus bem $elbe als einen Weifenachtsgrufe an bie £efet 
öes „£eip3igcr Tageblattes" fanbte. (Dgl. Weihnachtsbeilage 25 . De3ember 
1914 ): 


l 



4 


Der öeutfdje Krieg unb ber öeutf^e Unterricht 

lonnSfifTf ^ 6 " 0 «^ 0196 ÖCS Öeut ^ en Heeres bci Bc^nn bes $el 6 3 uges 
roäouna herT etCm °^! Dorfteilungen ermecfen. Der nüchternen flb= 

Bauotfämnfe t9 Tü UnÖ f ^ emöen Krö f te burfte nicht oerborgen bleiben, bafe Me 
Ä " 0d > b !Tf"Öen. Sein ober RiAtfein oon grofeen Staaten, £eben 

heraus rtiAMm DoIfetn f oröetn bie lebten Kräfte 3 ur (Sntfc^etbung 

Rieberlaaen ihr*'nT» en , ,gcn 9 c waltigen Kämpfe in großen Siegen ober 

Derein mit ÜbJriL 860 *“^?, 3 * 9 * Jid? crft in öen Solgen. Diefe golgen im 
bet RaAfabrenhen lC ^* un ® unb Sagenbilbung oetleiljen ihnen in ben Augen 
fommt. Cn ^ ,mmetnöcn ®lan 3 , ber ihnen nach A re r IDirfung 3 m 

haben. Die^aAben ^77” ^ neIIc unö Ie id?te Siege nicht jum ©lücf gebient 
würben fi* noA ftörfe* ° 7°x CS ^ eIÖ 3 u 9 es ^870/71 heroorgetretenen flusroücbfe 

«Ä s, N Är to6w i s f itnet » *•-» 

Der flusaleiAwi .J ? 1 ® 9 3ut materiellen Richtung oerurfacht 
»ermittelt. 9 ^ 3 ^ 9e,ftl9<m unö materiellen Kräften mar noch nicht 

gefpannt roerben^fo erfheben ^tSeT* ™ te ™ ne ' 3um enbgültigen (Erfolge am 
über bie $orm, in ber ibn cm« cn n oollen Sieg. H)ir bürfen aber nicht rechten 

einet (EntfAeibungsfAlaAt ober im^abl^R - 06 “ ' m DOrübertau ^ enöen roettci 

Kräfteeinfatj ober in beiber ©efiatt 3 ^ ^ In9en öutd ? öen lebten überragenden 
** er fein, U " s 9leid > ^ flbet ** 

öes Daterlanbes Beftanb unb 3ufunft bmit ' QUd? öas Ic ^ tc ein 3 u f^ en für 

mit ernftem Vollem ^Jkb auAb'^? ° b 7 C im fln f an 9' f ic W 9 e P aört 
im allgemeinen gefproAen bub!™ ötl ” nen i e ^ »eniger oon beutfeher Art 
unb oerftärfen fann. tL'burA Z?" l- ÖCt ^ ™° er fic W betStigen 

Qud ? ^ toas uns oon un^en©!* "l* 309 * Dabei 

nauer beftimmt, unb es ift tounberooll bolT™ *7"* mb unterfd?ciöct ' ** 
SAmahen °ber Betabueben f»«. m ' ° „ es im allgemeinen niAt 3 u einem 
nur um fo banfbarer bes ©uten f _ egne ^ füf? r t, fonbetn bafj toir uns babureb 
fyaben. ©egenuber bem Boblo« cj; • öas toir oor ihnen ooraus 

aTk^ 6 ' unb 9 an 3 befonbers unfe^Tabrb 77 ÖeUtfd?C Sa ^ Iid?feit 
m Krtege 3 u Wiehern foaar ,,„t _ a ^ r ^eitsltebe, burA öie toir mitten 

3um SASnften, toas uns ber Kriech* 9etDoröen f in ö. Das gehört 

SAmer mar bie **■ 

gegenüber bie Wahrheit gemorben mafT $einöen ^ on ^nge uns 
fammenbruA bes ©hriftentums unb m S ° -° nnte öas ro ort fallen 00 m 3w 
afe alles 3ufammengebroAen fei ma«; Üv m ° d?te es erroeitern 3 u ber Klage, 
aifAen Dölfet betraAteten: AriftliAer 9emeinfame Kultur ber euro s 

Unr^ n r fa ^ glanb ' ®o in SrinteiAo'^n ÖCt ® cift öcs Humanismus. 
® te AeiAt hören mir miAtiae c« le *un mir mit biefer $rage 

(WaS ic ^ m im ©efpräA «Är^S? ° U$ ÖCm Seinbeslanb ni# 

eigtern unb Stanjofen an ebler ©efinnung 



Don EDaltfjer fjofftaetter 


5 


'!**’ gcfunöcit ^abe, beftärft mich in biefet Dcrmutung), oielleicht tonnen unb 
müffen mir }et|t nur oon unferm Stanbpunft aus feijen. Darum ift es mobl 
an bet 3 «tt» folch ein Urteil enbgültig 3U fällen. Aber bas tonnen mir 
rfefc i e # I<h on «kennen: für uns gilt bas EDort 00m 3 ufammenbrud} aller höheren 
„ u IDerte nicht, mir haben ben 3ufammenljang mit ber ©tunblage aller euto* 
;[ ( jj, päifdjen Kultur nie oerloten, unb barum hat bie Kultur, mie fie bem beutfdjen 
tiniii Dolte im £aufe ber 3 citen erroadjfen ift, Beftanb. 3 n ihr oereinigt fich bas 
Hä tiefmnerlidje (Empfinben bes alten ©etmanen mit bem Beften bes ©hriftentums 
unb bes Hellenentums; es ift nid# möglich, in unfetem Denlen unb $üljlen 
iE? biefe Beftanbteile 3U trennen. 

Die Kirche ftellt jetjt einen befonberen Drang nach (Erbauung feft; 
fl f banfbar begrübt man allerorten ein Aufblühen bes beutfdjen ©Ijriftentums ; 
unb but<h bas gan3e Dolt geht übet ben fachlichen hinaus ein religiöfer Drang, 
menn anbers es Religion ift, miHig bas (Eigene fyinta^ufetfen unb bas tag* 
liehe Heine Sorgen fdjmeigen 3U laffen im Dertrauen auf einen ©ott, ber 
unferem Dolt unb jebem ©liebe unferes Dolles auch burdj biefe fermeren Seiten 
^ hmburch Reifen mirb. 

n:z (Ebenfo geht burdj unfer Dolt ein Bebütfnis nach träftiger, geiftiger Koft. 
isr Das Befte aus ben EDerten bet Denier unb Dichter fenben mir unfern Kämpfern 
isr hinaus unb legten mir unfern Sieben baljeim unter ben EDeihnachtsbaum. 
Dabei burften mir uns mit ftol3er $reube bemufjt merben, mie oieles oon bem, 
toas Deutle oon bet Dergangenfjeit bis in biefe lebten Kriegstage hinein 
gefagt unb gefungen haben, Kraft genug hat, um auch im Schütjengraben 
& ober im ©rauerhaufe 3U ergeben. Aber neben ihre tDerte haben mit auch bas 
5 s Reiffte, IKenfchlich'örofee aus bem Schaffen aller 3 eiten geftellt. Denn mir 
M empfinben, bafe mir gan3 tief fdjürfen, bafj mir bie größten (Erlebniffe ber 
¥ Utenfdjheit 3um Detgleidj hetanholen müffen, menn mit biefet unferet 3 «t 
& geregt merben mollen. 

& Spüler ^umaniftifdjer ©ymnafien follen baritbar aus bem Selbe ge* 
¥ f^tieben haben, mie fie gerabe bort in bet (Erinnerung an griedjifdjen ©eift 
icf lebten;, bas ift ein fdjönes Betenntnis, auf bas unfete ©ymnafien ftoty fein 
¥ bürfen. Aber es umfafot nicht bas gan3e grofee ©efdjehen unferet ©age. 

IDas mir heute erleben, ift mehr, als ©riechenlanb je erlebt hat, ©ab es auch 
ß nur einmal unter ben ©rieten fold? ein 3ufammenfdjmel3en aller Stämme 3U 
>’ einem gefdjloffenen Dolt, mie mit es feit 1870 erlebt haben unb ohne bas 
1? 1914 nid}! möglich war? Unb gibt es einen Dergleidj in ber ©efdjichte 3U 

!t bet innem (Emigteit unferes Dolles? EDir mollen biefe gtofje 3 eit nicht 
6 oerHeinetn. IDir mollen geroifc auch heute nicht oergeffen, mieoiel mir 
• ®ried}engeift unb RömerHugheit Derbanten, mie unenblid; oiel anberes unfetm 
S Dolle — auch oon unferen $einben — 3ugefIoffen ift, aber mir bürfen es 
heute befonbets freubig betennen, bafe aus all bem eine eigenartige beutfehe 



6 


Der beutfdje Krieg unb bet beutfdje Unterrid)t 


Kultur ertoadjfen ift. Diefe beutfdje Art ift’s, bie braunen aus^arrt, fämpft 
unb fiegt, fie ift’s, bic uns ben ITCut gibt, cs mit einer ID eit non $einben 
aufjune^men. Denn es ift unfet fefter ©laube, bafe gerabe biefe (Eigenart 
toertooll ift, bafe unfetem Dolte nodj befonbere Aufgaben gestellt finb, unb bafe 
mit batum ein Redjt Haben für unfere $reiHeit 3 U tämpfen, oHne bie biefe 
(Eigenart nidjt 3 m ©eltung tommen fann. Damit bienen mir bann audj bet 
IKenfdjHeit. Der fojialbemofratifdje Reidjstagsabgeorbnete Canbsberg Hat redjt, 
roenn et fagt: „IDenn mir für bie $reif}eit Deutfdjlanbs eintreten, fo tämpfen 
mit für ben etoigen $ortfdjritt bet IKenfdjHeit; benn bie Rationen finb bie 
Sdjafetammern ber Kultut, toeil fie bie mittler finb 3 toifdjen bem ein 3 elnen 
unb ber IKenfdjHeit, unb eine Ration ausrotten toollen, Reifet bie TTlenfd?tjeit 
um eine Kulturform bringen." 

Die beutfdje Kulturform rein 3 U erhalten unb roeiter 3 U enttoicfeln toirb 
bie grofee Aufgabe ber nädjften 3eit fein, unb bie ^ö^ere Sdjule toirb batan 
befonberen Anteil Haben. Da 3 u fdjeint mir eins notroenbig gerabe angefidjts 
bes Krieges. 3m Heid} tennt man fefet feine Parteien mefjr, im Selbe teilte 
fo 3 ialen ©egenfäfee; alle befinnen fidj auf bas ©inigenbe. Sollte bas nid?t 
aud? auf bie Sdjule 3 urüdtoirten? $aft mödjte es fdjeinen, als fei biefe Hoff¬ 
nung trügerifdj. Rtit Bebauern Habe idj oon realiftifdjer Seite gelcfen, 
bet Krieg bebeute ben Sieg bet realiftifdjen Bilbung, bie fidj im Selbe als 
bie allein 3 eitgemäfee betDäfytt Habe unb ber batum bie 3 ufunft geHöten 
müffe. ITtit bem ©ymnafium fei es aus. — $teunbe bes H umaT *tftifct^cn 
©ymnafiums aber roeifen barauf Hm» bafe ©aufenbe oon ©ymnafiaften iw 
ftemben £anb Blut unb £eben fürs beutfdje Daterlanb Hingeben unb bafe 
bamit bie Humaniftifdje Bilbung, bie bie 3ugenb 3 ut feeHrften Begeifterung 
entflammt, iHre glän 3 enbfte $euetptobe abgelegt Habe! ©b toir benn nidjt 
übet ben engen 3aun HintoegfeHen lernen? AHnen biefe Derfedjter einet 
einzelnen Sdjulart nidjt, bafe unfeten Kämpfern ba braufeen foldje Untere 
fdjtebe gan 3 gleidj finb, bafe es bort nur auf ben IKann anfommt! 3 dj fclbft, 
Humamft unb fogat AltpHilologe, marfcHierte neben einem Realgymnafiaften, 
oet ^Kaufmann getootben mar, unb mein prädjtiger D^efelbroebel Hatte bie 
ealfdjule burdjgemadjt. Uns breien ift nidjt einmal ber ©ebanfe gefommen, 
um feien oerfdjtebenet Art unb jeber Hätte eine anbers gerichtete Begeifterung 
ie nadj betn anberen BUbungsgang, mir mufeten, uns alle trieb bas ©leidje 
S-, 50 *’ “ QS ieÖCS otöentlid > c beutfdje tjaus unb febe gute beutfdje 
lQ^,,„Ti 9 Cb r tt m ^n fltbcitSCrnit un6 Wüdjttreue, tiefe £iebe 3 um Datei’ 
©eift et 6 6 11)1 Cr ^ Üt CS ein3utrcten bis 3 um lebten, fur 3 , öer öeutfdjc 

bürfen^mfr T ’” ncrcn ® ni 9 te it bei allen äufeeren Unterfdjieben 

3äune “LT T L et 3ufUnft "*** taffen. Könnten toir bie 

dj emtetfeen, bte Hier unb ba immer nodj 3 U fteHen fcHeinen unb 



Don tDatther (jofftatttcr 


7 


non furjfi^tigeit XDä^tcm forgfam gehütet roetben, |o roate ein gut Seil 
bet (Eqiehung umfonft gemefen, bie bet Krieg uns bringen follte. 

Das foQ feine ®lei<hma<hetei bebeuten. (Es ift meine fefte Übetjeugung, 
bojj bet Krieg unb bet Auffdjmung allet EDirtfdjaft, ben mit oom Stieben et* 
Hfen, eine ftarte IDettung bet praftifdjen Arbeit unb bet $a<hfchulbilbung 
unb eine Dermehrung bet realiftifhen flnftalten bringen muß, mit brauchen 
3u notaenbig ihre flustüftung füt bie Bahnbrecher bes „beutfchen ©ebanlens 
in ber IDelt". Aber ebenfo fidler ift es mit, baß getabe batum bie ©ym* 
nafien weiter unentbehrlich finb, als bie betufenften ©taget bes beutfchen 
3 beoIismus, ohne ben mit bem ©efdjicf entgegengehen, bas jeßt (Englanb 
ereilt 3 c%t finb mir ben Seinben übet bur<h bie (Ertungenfchaften unfeter 
Sed}mf unb butch bie unübetminbliche Kraft teinet felbftoetgeffenet Begeifte* 
rung. Das müffen mit uns 3U erhalten fuchen, fönnen es aber nur, menn 
bie Derttetet bet einen unb bie ptebiger bet anbeten fich gegenfeitig achten 
unb ergingen unb menn beiben ein Boben bleibt, auf bem fie fi<h oetftän* 
bigen tonnen, ein Stücf Bilbung, bas fjauptftücf, bas ihnen allen gleich ift* 
fe muß fih bähet meht noch als bisher ein Bilbungsmittelpunft füt 
olle Schulen herausftellen, bamit alle, oom ehtfachften bis 3um gelehrteften, 
fü^en: Det ©runb aller eurer Bilbung ift bet gleiche, ift eben beutfche 
Bilbung — unb mas bet eine ober anbete mehr hat, ift einmal eine Det* 
fefung bet beutfchen Bilbung unb baneben mancherlei, mas gut unb fchön 
toran angebaut ift. Alles aber hat nur bas eine 3 iel: Derftanbnis unb Ciebe 
für bas IDefen unfetes Doltes 3U mecfen unb bie Kraft 3U ftählen füt bie 
Aufgaben, bie uns in bet IDelt geftellt fmb. 

So hoffe ich »an bem Kriege, baß et aß unfete Schulen noch mehr 3U beut* 
Ihen Schulen ma^en roitb, unb füt unfeten beutfchen Unterricht erhoffe ich 
äne befonbete Deriiefung. (Et mirb an Realanftalten bie Aufgabe haben, 
jwntet ttiebet bie 3 iele auf3U3eigen unb bas ©emüt nicht 3U fut3 fommen 3U 
wifen, er ©üb auch auf ©ymnafien ben Itlittelpunft bilben, auf ben alles hin* 
®aft, et ©üb überall bie fdjönfte 3 nfammenfaffung geben unb bie Ktone 
na« feben Schule fein bütfen. 

Ocqu ©irb et fich aber in mancher Be3iehung anbetn müffen; et muß 
jh «©eitern, muß ftatt Unterricht non beutfdjer Spraye unb Citeratur 
«««nicht oom beutfchen IDefen merben. 

u «s fo unenblich flat gemotben, mas mit an unfetem Dolf unb 
«wer heimat haben, als mit oetmunbet heimfuhten. Die Utenfchen in Stanf* 
h «nb Belgien fteüten fich nreht ober meniget 3Ut Schau in betontem fjafj 
nft ,^ et ^ c ^ enet Siebensmütbigfeit. Da trat uns auf einem Bahnhof bas 
* u hh« Bübchen entgegen, gan3 fhlicht, nut mit bem EDunfhe, 3U helfen, 
n »erfuchte eine höflichleit 3U fagen, es mat unmöglich* Ans großen 
gen fah es uns an: IDas ©ollen Sie nut, ich tue ö°<h bloß meine Pflicht. 



8 


Der beutfdje Krieg unö 6er öeutfdje Unterricht 


— Als mit burdj Belgien fugten, begeifterte uns bet Rei3 bes IHaastales, 
unb bet tDunfdj mürbe laut: hier mohnen bürfen, hier ein Stütf £anb Wegen! 
<Hnen Sag barauf ging es oon Köln butdjs IDuppertal nad} IDeftfalen, ba 
mürben u>it ni# mübe, bie f#i#e Sdjönljeit bes £anbes 3U bemunbem 
unb bemfelben Reifegefährten entfuhr es: Rein, liebet hier int fleinften IDinlel 
leben als braufeen noch fo prädjtig. — 3 dj ^abe ftaunenb oot bet Rehnfet Katlje* 
btale geftanben unb bin anbädjtig butdj ihre fallen geroanbert, abet als mit auf 
heimatlicher (Etbe ntube unb 3etf#agen am $ufee bes Kölner Doms lagen, ba 
finb uns bie Stauen ljimmtetgefloffen: es mar unfer Köln, unfer Kölner Dom! 

Datum ift bas etfte unb bas Ijödjfte, toas bet beutle Unterricht meden tttufe, 
bie £iebe 3ut fjeimat unb 3ut Ijeinnfdjen Sc^lidjt^cit. Sie ftedt ja, ©ott fei 
Dan!, noch tief genug in unferem Dolfe. IDas ftaunten unfete Refetoeleute 
übet bie Schönheit bes Rheins, toas lausten mit anbächtig bet herben Pta# 
bet (Eifel unb bet Arbennen. Aber alles mar für unfete <Er3gebitglet unb Bogt* 
lanbet immer nur bet Anlafe, mit ben ©ebanfen um3u!ehten unb bie Ijeimat* 
liehe Schönheit 3U pteifen. Diefe £iebe mirb man auch in bet ©rofeftabtjugenb 
miebet meden muffen. Diel ift bafüt in ben letzten fahren ja butdj bas IDanbetn 
gefchehen. Aber erft bet Krieg hat bas IDanbetn unb ITCatfdjieren 3U einem 
roefentlidjen Beftanbteil bet Schulausbilbung gemalt. Das gilt es aus3U? 
nufeen, unb etmas baoon mirb fich ja moljl audj in bie $riebens3eit hinüber* 
retten. Unb roenn bie Umgegenb einet Stabt nur gan3 einfach« R«i3« h a i» 
fo taufe nötigenfalls butch bas U)ott bet Dichtet unb bas Bilb bet Künftlet 
oetfu# metben, auch bafüt Detftänbnis unb £iebe 3U ermeden. Diellei# 
fönnen mir bann in biefet 3 eit butdj bie Kinbet auch auf bie (Eltern emmtrfen, 
bafe fie miebet Sinn für bie Schönheit bet beutfdjen £anbe getpinnen unb #e 
Kinbet ni# fdjon in ftüheftem Alter butdj Auslanbsteifen abftumpfen. 

Reben bet £anbfdjaft füllten mit bann bie (Eigenart unb £ebensmeife 
ihrer Bemohnet bea#en lernen. Die Bauart bet Dörfer unb mas fie oon bet 
©efdji#e lehrt, bie ein3elnen häufet mit ihrer prebigt oon Iiebeooüet Pflege 
bes überiommenen unb oon bem f#idjten, fa#idjen Sinn bet Bemohnet, 
Auch bafüt finb oielen braufeen bie Augen aufgegangen m manchen reichen 
abet bet (Eigenart baten Bauetnljäufem Belgiens ober in oermaljtioften Dör* 
fern $tanfreidjs. 

UJeiter bie Stammesart. ©an3 anbers als je ootljet finb jefet Angehörige 
bet oetf#ebenften Stämme hn fjeete butdjetnanbet gemif#. Das gibt oiel 
Anlafe 3U Redereien, abet im tiefften ©runbe a#et hoch jebet bie Art bes 
anbetn. So manches Rial et3ählten fich unfete £eute oon heimifchen Sitten, 
oetglidjen fie unb begannen bann nadj3ubenten, mas mohl bahintet fteden 
fönnte. Kamen fie auch meift 3U feinem (Etgebnis, fo mürben fie fidj hoch 
beujufet, bafe ihnen biefe ©ebtäuche in ihrer (Eigenart mertnoll roaren, bafe fie 
fich bie fjeimat ni# ohne fie benfen fonnten. 



Don IDaltfjer fjofftaetter 


9 


Sie fpradjen auch oon Öen ©ebräuchen öes täglichen £ebens, oon ihrer 
Arbeit, Da dämmerte es manchem auf, rote auch fie non öer Heimat bedingt 
mar und wie gleiche Bodenart oder Bobenfchäße in der $remöe ähnliche ©r* 
Meinungen nrie daheim heroorriefen. So !am ihnen oon felbft der Begriff 
einer bodenftändigen Kultur — ihn müffen toir auch nt öer 3 ugenö wecten. 

Damit legen mir jugleidj den ©rund 3um Derftändnis wirifchaftlicher $tagen. 
flud; ihnen toird der Deutfd?unterrid}t mehr Aufmertfamteit 3U widmen haben. 
Wir mfi|fen in unfeten Sefebücfjem mehr bringen übet die ©ntwictlung der 
Sanbwirtfchaft, des Handels, der Snduftrie, der Kolonial* und der tDeltroirt* 
fc^aft Kucfljoff betont (Deutfehes Philologenblatt 1914 , Itr. 47 ), baß es jeßt 
Aufgabe der Schule fei, die wirtfchaftliche Kriegsbereitfdjaft Deutfdjlanös 
ftütjen 3U Reifen; Öen Heineren Spülern müffe man gefühlsmäßig nahe bringen, 
daß auch fie jeßt fparen helfen ! 5 nnen, der Sefunbaner und Primaner aber 
müffe toiffen, in welchen tieferen Utfadjen BTangel und Dorrat an diefem oder 
jenem Cebensmittel bedingt find ufro. Diefe $tagen, auf welche die Kriegs* 
3eit ein genaueres ©ingehen erlaubt und oerlangt, dürfen beim $rieöens* 
fäluß nicht wieder gan3 oerf(hwinöen. Wenn wir in die £efebüeher für die 
unteren Waffen fdjlichte Büder aus dem Staffen aller Stände und daneben 
£ebensbef<hreibungen hetoorragenbet Dertreter der ©edjnit und öes Handels 
aufnehmen, dornt bahnen wir ein Derftändnis an, das wit in höheren Klaffen 
bur<h «in faßliche Auffäße ausbauen tonnen, diefe wären beioorbildlidjer Darftel* 
bmg dem £efebueh, fonft dem an feine Seite 3U ftellenöen Realienlefebuch 3U3U* 
meifen. All das braucht leine ©rweiterung öes Umfangs 3U bedeuten, es tonnten 
bafür die Sagen aus dem Altertum oder manch motalifietenöes Stüct fallen. 

Damit würden wir auch rin wenig für das f03iale Derftändnis arbeiten, 
wos befondets not tut. ITtärfche und Wanderungen werden unge3tpungen 
Gelegenheit geben, ©ittblicf in das £eben öer oetfchieöenen Doltsfdeichten 
3U tun durch Befichtigungen oon Sabrifen und Anlagen, beim Durchfehreiten 
oon $abritsoierieIn oder mufterhaften Siedlungen. Das ©efehene gilt es dann 
3u oertiefen bei der Behandlung oon £yrit, oon Büöern, oon 3ufammenhän* 
9enben Cefeftücten, die mit unter diefem ffiefidjtspuntt aus3uwählen wären. 

Das Wandern führt noch auf ein anderes: auf die Pflege oon oaterländifchen 
und Doltsliedern. Wie wenig wurde draußen gefungen; und wie erfchrecfenö 
rnenig ©utes; man tennt ja meift nur den erften Dets. Auch hie* ®itd es fchon 
o*ff« unter unfeter 3 ugend öant der Wanderoögel und Pfadfinder, und um 
manchen aus diefen Kreifen fchart fid* auch draußen gern die Kompagnie, 
wer noch fmd’s 3U wenige, fjier muß dringend Wandel gefchafft werden. 
Der Deutfchunterricht muß mit dem ©efangunterricht fjanö in fjanb gehen 
wob ihn 3ur tatträftigeren pflege des ooltsmäßigen £ieöes ermuntern, ©s 
®nb ja oiel 3U wenig derartiges auf unferen höheren Schulen gefungen. Wenn 

in das Programm eines S<hulfon3erts hment3ureben hätte, ich würde 



10 Der öeutfdje Krieg unö btt ötutfä« Unterricht. Don IDalt^et f)offtaett« 


mit möglic^ft oiel Dollstieberabenbe münden, nur bie fehlste tDcife, abet 
olle Sänget müßten Öen lieft ausmenbig tonnen. XDäre bas nicht herrlich 
unb mehr ©eminn als mannet Abenb mit Durchfchnittsleiftungen im Kunft* 
gefang? (nebenbei: nerfchiebentlich pflegt feßt bie Kirche bas teligiöfe Dolfs* 
lieb, bas ift mertoolle Bunbesgenoffenfchaft.) 

IBeitet gilt es, unfete 3ugenb in ein tebenbiges Derhältnis 311t Kunft 311 
bringen. 3 d} bobe immer bas ©efübl gehabt, als habe hier bet beutle 
Sinn für bas gefdpchttiche ©inorbnen am meiften gefchabet. Bie ©tfabtungen 
bet lebten 3 eit beftätigen bas. Das ©efcfjtei um bie angeblich oetni^teten 
unerfeßlichen TDette in Belgien unb Horbftanfreich hätte nicht fo tiefen ©in* 
bruef auf uns machen tonnen, wenn mit nicht biefe Angft um alles Alte 
batten. tDobl ift es fchabe um manches 3erftörte, abet nicht meil es alt mat, 
fonbetn meil es noch 3 U u ^s fpradj. Aber mie un3äbliges möchte 3U uns 
fprechen unb mir geben an ibm ootüber, meil unfete Sinne nicht bafüt ge* 
roerft finb. ©in be3eichnenbes Beifpiel. 3 toeimal finb mit an betfelben Kirche 
oorübetgefommen. Das etfte Zltal achtete taum einet auf ihre rounbetoollen 
Schönheiten unö auf ben ftillen IDinfel, in bem fie lag. Als fie abet 3er* 
f<h°ffen unb oerbrannt mat, ba gingen auf einmal allen bie Augen auf. 
Sehen müffen mit lernen, nicht einotbnen nach Stilen, Hamen unb Schulen, 
fühlen, roas uns etmas 3U fagen bat. 

©nöltch bot uns bet Krieg noch barauf achten gelehrt, mie unfete beften 
Denfet bie 3 eit 3U beuten oerfuchen. Schon feit einet Reibe oon 3 abten 
onnte man mit $teuben roabrnebmen, mie fie in allgemeinoerftänblichet 
Spraye unfetm Dolfe ben H)eg 3eigen mollten. 3 eßt, roo fie alle bas IDott 
genommen haben, um an ihrem ©eil uns für bie ©egenmatt 3U fiätfen unb bie 
3 ufunft oot3ubereiten, boten meitete Kteife auf fie unb auch bie 3ugenb 
fühlt fich 3U ihnen hinge3ogen. 3 n ihnen geminnen mit mertoolte Jjelfet 
auch für Öen Unterricht, bie mit auch in bet 3ufunft metben 3U Ijilfe rufen 
öutfen, menn mit unfete Schüler auf höhere tDarte führen unb ihnen TDeg* 
meifet ins £eben mitgeben mollen. 


Durch all bas Aufge3ählte metben mit Öen Sinn für bas natürliche, ©djte, 
innerliche et3iehen. Das roitb bann auch bem engeren ©ebiet bes beutfdjen 
Unterrichts 3ugute fommen, bet Pflege bet Sprache unb bet Citeratur. ©s 
« ,J m . Kamp ^ c 9C9en aUcs Stemblänbifche helfen, es mitö ben Sinn fchät* 
fen für bas Bobenftänbige, Bleibenbe, für bie Cebensroerte. H)ir fuAen fie 
lebt ubetaH unter bem ©mbruef bet 3«it, meü uns nicht genügen miU, mos 
nut unterhalt ober ergoßt; mir müffen abet auch »eitet in unferet geiftigen 
Hahrung bas bet>ot3ugen, mas ©rgebniffe für bie Cebensfühtung bringt, 

bK Se ^ ud?t na $ ® utem »s her3 pflan3en. Die 
ehten 3 ahre hatten em Überäfthetentum gepflegt, bas unfeter 3ugenb gefähr* 
Uch metben tonnte, auch einen hang 3 um Äußerlichen, öer mehr tDert auf bie 



Deutfdjt Solbatenlieber. Don 5ri<bri<h Panjer 


11 


$otm, ja auf öie Ausftattung eines Wertes legte als auf Öen Snljalt. Oie neue 
3 ett bringe auch ^iet einen neuen Sinn für öas IDefentlidje. 

Rur nach öem (Echten 3U ftreben, nach öem Bleibenöen, Öa3u gilt*s unfere 
3ugenb 3U e^ie^en. Unenölich nieles ift jetjt non uns als mertlos abgefallen. 
tDir haben erlannt, öafe öas hochfte ift, Öen Willen 3U ftärten, Öen Willen, 
ein gan3et Oeutfdjer unö öamit ein gan3er IHenfdj 3U tneröen. Deutfeh tneröen 
unb fid} feiner Utenf^enmüröe bemufot tneröen ift eins, öarunt tnill öeutfdje 
®e[innung feinet erfämpft tneröen. Danach für unfere 3ugenö unö mit 
iift 3U ringen, ift unfere grofee Hufgabe. Oer Segler öer Dergangenheit 
oar, öafe wir non einem fjiftorismus nicht lostommen tonnten, öer unferen 
Blid pon Öen Hufgaben öer ©egenmart ablentte. Oie ©efahr öet nächften 
3eit tnitö fein, öafe tnir öas unmittelbar Itutjbringenöe, öas materielle übet* 
fdjafjen — aud? in öer Bilöung 3U feljt Öen prattifchen 3 »ed ins fluge faffen. 
Oagilfs immer fefouljalten: Wir braunen gan3e ITtännet unö $rauen, gan3e 
Deutle, noll Willens fid? 3U betätigen, aber auch noll Willens, über öet Hrbeit 
öes lages öas <Etoige nicht 3U netgeffen, öie 3 iele nicht 3U netlieten, noU (Emftes 
all il/te Arbeit 3U (eiften im Bemufjtfein öet Deranttnottung not unfetem Dolt. 
— Kur tnenn tnir unfere Arbeit fo Ieiften unö 3U folget Arbeit e^ieijen, öütfen 
oii getnife fein, öafe tnir Segen ftiften, nur öann finö mit öet großen 3 eit wert, 
öie tnir mit unfetem Dolte erleben öütfen. 


Deutle Solöatenlieöer. 

Pon $riebrid} Pan3<r in $rantfurt a. PT. 

Seit fünf tttonaten roill es uns befdjämt Daheimgebliebenen ferner met* 
öett, aus unfetem Oafein etmas mehr 3U machen als ein Ceben 3tnifchen 3mei 
lagesberi^ten unferes Hauptquartiers. Unter alle Öen Weihungen aber, 
öie uns öa in ehernen Sa^en non roeltgefdjidjtUdjen Gaten in ©ft unö U)eft 
3U tönben Ratten, haben mit nielleicht teine mit mehr (Ergriffenheit gelefen als 
l«ne Mitteilung 00m 11. Honembet: „Weftlich Cangemard braten junge Re* 
qtmenter unter öem ©efange „Deutfchlanö, Deutfchlanö übet alles" gegen 
* e öer feinölichen Stellungen not unö nahmen fie. (Etma 2000 

Mmtn ftan3öfifcher Cinieninfanterie mutöen gefangen unö 6 Rtafchinenge* 
®yte «beutet". Das (Ergebnis öiefet Hat mochte unbeöeutenö haften in 
Ha m übergeroaltigen Ringen. Aber mie fie getan roarö non unfern jugenö* 
«hen Söhnen unö Btüöetn, öas griff uns ans fj«3i unö öielDorte aus fjölöet* 
1,5 »©)ö fürs Daterlanö" örängten fich uns auf öie Sippen: 


Du tömmft, 0 Schlacht! fdjon mögen öie 3ünglinge 
Hinab non ihren Hügeln, hinab ins dal, 

Wo fed herauf öie Würger öringen, 

Sicher öet Kunft unö öes Arms, öodj fidler 



12 


Dcutfäe Solöatenlieber 


Kömmt übet fie bie Seele bet Jünglinge, 

Denn Me ©eierten fragen mie 3 aubetet, 

Unb ihre Daterlanbsgefänge 
£ähmen bie Kniee ben ©fytelofen. 

Sie haben ja mohl immer beieittanbet geftanben, Ceier unb Schmert: 
was märe Achill ohne fjomer, bet fjelb ohne ben Sänget! Unb mo teilten 
U)elt unb £eben einen Dotroutf, bet mütbiget roäte befungen 3U metben als 
Kampf bet Dotier? U)o hätte bet ©i^elne ©rlebniffe, bie i|n me^i in bet 
Hiefe erfchütterten, in ihm mehr nach befreienbet lünftletifchet ©eftaltung 
btängten als jm Kriege? Diefe Steigerung geroötjnlictjen Dafeins ins Un* 
gemeine, Ungeheure, biefes Spiet höchftet £eibenfd}aften, biefe Rtifehung ent* 
gegengefefcter ©efühle, miberftteitenben XDottens: männlichen ©atenbrangs 
unb ftütmifdjet Ruhmbegietbe unb bo<h miebet bet natürlichen menfchli<h crt 
Sutc^t unb höchften £ebensangft, biefes Hebeneinanber jau^enben Sieges* 
jubels unb leiboollet ©tauet um bie furchtbaren ©pfet, bie ben Sieg erlauften, 
bies eilenbe, lecfoenbe Ausloften bet Stunbe, hinter bet bie brotjenbe Der* 
nichtung lauert: bas alles gibt mohl eine Auslefe aus menfehüchent Dafein, ein 
3 ufammenbtängen oon £ebensgipfeln, in bem bie Kunft alte XDirltidjleit fchon 
betatt nach intern tiefften Sinne oorbeteitet finbet, bafe fie nur fotmenb 3U3U* 
greifen braucht, um it}t IDerl 3U oollenben. 

Unb unentbehrlich fcheint auch bie Kunft, Dor3Üglich bie Ittufif, bas £ieb 
für bie Arbeit bes Krieges fetbft. Spietenb regelt fie ben fchmierigen ©leidjtaft 
marfchietenbet Rtaffen, hilft in latgen Ruheftunben bie übetfpannten Seelen* 
fräfte heiter löfen, halt bie gemeinfamen hohen 3iele übet alles oetenqelte 
finnlofe Ringen unb £eiben 00t Augen unb macht in ben Augenbliden bet 
äufoetften Anfttengung, bes furchtbatften Anftütmens butch ©ob unb Der* 
betben, bie Seelen befeuetnb, bas Übermenfdjlidje möglich- 

So entbehrt tophl in bet ©at auch lein Doll triegetijehen Sanges, unb unter 
ben elften Rachrichten, bie aus Römermunb über bie beutfehen Stämme uns 
tommen, finben mir, baf$ unfete Dotbetn fchon mit bumpfanfchmellenbem 
Schübtuf in bie Schlacht ftürmten, bafj aber auch hiebet auf ©ötter unb gelben 
übet ihren Kampfreihen fdjmebten, bas £ieb bes Sängers bie ©aten bet Dot* 
3eit fpäten ©efdjlechtetn noch tühmenb unb toatnenb not Augen ftellte. U)it 
wiffen, baf$ im hohen RZittelalter, in ben 3 eiten bes Rittertums, Ähnliches bet 
Sali mar; nichts aber ober faft nichts ift non biefen Kriegsgefängen uns etljal* 
ten. ©rft oom ausgehenben RUttelalter an, ba mit bem auflommenben £anbs* 
fnechtsmefen bie grofeen fjeere mobetnet Art fich 3U hüben begannen, finb 
Solbatenlieber uns überliefert, unb fie oerllingen nun nicht meht bis in unfete 
©age. Unb fo manches non bem, mas oot 3 ahthunberten fchon in beutfehen 
feeren entftanb, lennen mit nicht nur aus alten ^anbfehriften unb Druden, 



Don Stieötid) Pa^et 


13 


es dauert neben ©ieletti tteugef©affenert no© im lebendigen ©efaitge unfeter 
Soldaten fort, die heute, roo die Spinnftuben und fonftigen alten Pflege* 
ftätten des Dollsliedes auf dem £ande immer mefyr oetfinfen, beinahe die 
fjauptträger beutf©en Dolfsgefanges getootden find; Beftand und Hefen 
diefes oollstümli©en beutf©en Soldatenliedes ber ©egenmart toollen mir hier 
in Kütje 3U f©ilbetn oetfu^en. 1 ) 

©egenjtand des Soldatenliedes ift naturgemäß in erfter £inie das Sol* 
datenleben im meiteften Sinne. Seine Betätigung als $a©mann mie feine 
R)eltanf©auung und (Erfahrung, feine XDeltgefüljle merden dem Soldaten 
Dorrourf feines £iedes. flu© mas er aus dem allgemeinen £teberf©aße feines 
Dolles fi© jueignet, ift in der Ausmaß roefentli© ©on diefen ©efi©tspunlten 
beftimmt. (Es ift alfo ein ausgefpto©enes Standeslied, mit dem mit es 3U tun 
haben. 

Alle Handlungen, die ein Soldat ©on feinem (Eintritte ins fjeer bis 3ur 
Rücffeht ins bürgerliche £eben 3U durchlaufen, alle Betätigungen, die er in 
Krieg und $tieden 3U leiften hat, in der Kaferne, auf dem ITlarfdje, beim (Ejet* 
3ieren, im IKanooer, im Selbe, im flrrefte felbft, fie find im Soldatenliede feft* 
gehalten, und leicht ließe nach ©w allein das £eben unfeter Krieger fi<h bef©tei* 
ben. $teilich märe die ©egenmart aus ihnen nicht ©ötlig tein und ficher 3U 
gewinnen, da, mie bemertt, au© £iedet aus ©ergangenen 3eiten mie imDolls* 
gelange überhaupt neben dem Heueren im Soldatenmunde meiterleben. Sie 
werden 3mar allmählich derart 3ure©t gefungen, daß C1II3U Deraltetes fi© ab* 
fdjteift oder ausftößt, aber es bleiben do© Überlebfel ©ergangener Derhält* 
niffe und Stimmungen 3urüd, die den Dorausfeßungen der ©egenmart ni©t 
weht entfpr e©en. 

, ü ®ne gef©i©tli©e Darftedung au© des älteren und außerdeutf©en Soldatenliedes 
?at befondets Bödel gegeben (Pfy©ologie der Dollsdi©tg., Cetp 3 ig 1906, S. 360ff., Das 
»euflcfie Dollslied, Harburg 1908, S. 236ff.), ogl.au© ID.lloif©et, Die Cieöer der £ands* 
110 10 U SoIöatenKct,er ' P ta 9 1884 und ID. Staoenhagen, 3n Kord und Süd 1906, 
an . 1 * >aS 9 e 9 entoärtige Soldatenlied hat am beften K. Doteßf© in der Beilage 

Jur fing 3eitung 1902, Hr. 71. 72 gehandelt. Die rei©haltigfie Sammlung oon Soldaten« 
.!.*?? u 1 Un ^ neuet 9®t mohl h. 3iegler, Deutfdje Soldaten* und Kriegslieder aus 
3 * - "detk".' £ei P3‘g 1884 (ohne die IDeifen). 

© führe die Cieder, »0 ni©t eine befondere Hüdfi©t anderes nötig ma©t, im allgemei* 

0,1 na< ^ bemDeutf©en Ciederljort, gefammelt oon £.€tl, neu bearbeitet und fort» 
mtn*c Dahme, 3 Bände, £etpjig 1893. hi« bietet der 3. Band eine rei©e$ülle 

oloatenliedern mit ihren IDeifen nebft Iiterarif©en Bemerlungen ju jedem dypus. 

•« ?* m • ^ 0111 D °üfiändigften und umfi©tigften fortgeführt in den Ra©toeifungen, die 
i|n Illecer der treffli©en Dollsliederfammlung Z. Köhlers oon der Höfel und Saar bei* 
Hnf T ^ biefe Sammlung ift gerade an Soldatenliedern befonders rei©. 

Dfd 1 ' n „ neueften Sammlungen toäte etwa die oon <£. Itlarriage (Dolfslieder aus der bad. 
l? 3> h«ue 1902) der Dollftändigleit ©rer Ra©toeifungen toegen 3 U rühmen. Die den (Titeln 
bJt ?* n b e ’ 9 e fe^ten 3 iffem bejei©nen regelmäßig die Hummer des £iedes in der be* 
K, n«nöen Sammlung, ni©t die Seite. 



14 


Deutfd)e Solbatenlieber 


(Eine folche ITItfdjung oon Altem unb Heuern 3 eigt fich fdjon gleich bei ben 
Refrutenliebern. Oer (Eintritt ins fjeet will heute fein Sdjicffal mehr be* 
beuten. (Er ift bas gemeine £os, bie 3ugenbgenoffen trifft er ebenfo unb 3 m 
leiben 3eit, bie (Batnifon ift nicht 3 U weit, Urlaub 3 U erwarten unb 2 3 al}te finb 
6 alb herum. So ift bet einige Sdjmer 3 , bafj man Dom Daterlaufe unb bet 
(Beliebten fdjeiben muf}, unb berBabener möchte barüber wohl bem geliebten 
£anbeshertn gram werben (Rtarriage a. a. ®. 140): 


Iuetm wroßher3og oon Baben bin i gar nimmer gut, 

U)eil er mich non meinem Schüttele fo weit eweg tut. 

Über folchen S<hmet 3 aber hilft tapferes (Effen unb Irinfen hinweg, wie bas 
elfäffifche Refrutenlieb melbet ((Erfahrne 1362, ogl. IRünbel, (Elfäff. Oolfsl. 
154): 

Als mit auf Kolmat lumme, Als mit gegeffen unb trunfen haben, 

Btm Ktonemirth Ich« mit ein, Den Ktonewirth 3ahle mit aus: 

Dort wollen mit effen unb trinfen Abie, he^taufig fchön Schäfcel, 

Unö wonen recht luftig fein. 3 um &hot matfchieten mit aus. 

So fingen bie Refruten etwa an ber IRofel unb Saar einfach ein allgemeines, 
gar nicht urfprünglich folbatifches Abfcfpebslieb (Köhler=IKeier 239); bie £ei= 
ben aber, beten ber Refrut fich in feinem fünftigen Stanbe oerfieht, werben in 
einem fteirifchen £iebe mit gutem fjumot gcfdyilbert (SAIoffar, Deutf&e Oolfsl. 
aus Steiermarf 278). 

(Es ragt jeboch noch manches in ben £iebetfchah unfeter Solbaten aus 
einer 3 eit herein, wo biefe Refrutenlieber einen ftärferen (Behalt hatten, weil 
ie Dtenfoeit eine unenblich lange unb bie Aushebung oft gewaltfam war, 
wie es ein noch »iel gefungenes £ieb fchilbert ((Erfahrne 1365): 

Si* ? €fan9en ' S P ro< ^ : » Bru öet, bift bu ba? 

fd?hef Cm; 3tf ? bin »«* her3en froh! 

} fam 9e9a . n9en Solöat mufet bu nun werben, 

3 is 3U mit herein, Das ift nun einmal fo." 

Unb babei hatte man wohl Urfache 3 U glauben, bafe es bei ber Auswahl ber 
Refruten nicht immer mit rechten Dingen 3 ugehe: 

’s regiert je^t in ber IDelt 
Die SalfAheit unb bas (Belb. 

Der Reiche fann fich helfen»), 

Der Arme mufe ins $elb. 

Ä i ’ enn m! n “ Ud l f| ' uts noi > Ö B. ffiolfram. Ha«. BoIbL 283, GaBmoim, 
wi. ' m ®‘ ä f rtaI m ”9l- Sdjloffar, Bolbl. aus Steiermarf 279) ge- 
jungenes Beftuhenmgsllet «W=B3l,me 1363) öfter gaaöeju geginnt: 

1) Stricfreuter ift ber (Benbarm; ogl. Schneller, Bauer. Wb*. 2.107. 

Ciebe Kommt^nrs-l 6 " ° b - aud » in btm »erbreiteten ünb nod} gefangenen 

* „Kommt, Bruber, am 3 iehen in ben Krieg", Wolfram, Haff. Dollsl. 309 



Don Sriebritf) Panjer 


15 


IDie ift bodj öic $aljd?l;eit (o grog in ber IDelt, 

Pag manch junges Bürfdjdjen mug matfdjieren ins $elb. 

hier oerljöhnt bet hauptmann noch bie 3 um „Difitieren" Derfammelten: 

Det fjauptmann ftel)t btaugen, fcfjaut ficf? feine £eut an, 

Seib nut luftig, feib nut fröhlich, es lommt leinet baoon! 

Aber bet Ausgehobene fdjaut liebet auf bas Datetbaus jutäd: 

IDas batt mich bem fjauptmann Plein Datei, meine RTutter, 

Sein Reben unb Sagen, Die meinen fo fehl, 

mein Datei, meine IKuttet Drum fällt mit bet Abfdjieb, 

Qaben mich aufetjogen. Das RTatfd?ieren fo fchroet. 

Die ausgehobene Kametabfcbaft oerteilt fi(b nun auf bie oetfchiebenen 
Waffengattungen, bie alle ibte befonbeten £iebet haben: bie Infanterie, 
Kaoalletie, Artillerie, auch bie Pioniere, bann toiebet innerhalb bet (Ballung 
bie $üfiliete unb RTusletiete, (Btenabiete unb 3 äger, bie Dragoner, Ulanen 
unb bie altberübmten Qufaren. Sie alle wetteifern in ihren £iebem, ben 
Ruhm, bie Hapferleit, bie Unentbehrlichleit ihrer IDaffe 3 U oerlünben. 

llteffen mit ins feinblich Korps, 
heigi es gleich: „Die Schügen oor!" 

3 ur Attade mit hurra! 

$rifch brauf los, Diltoria! 

fingen etwa bie RTusletiete (Köhler*RTeiet 246), bie Pioniere aber rühmen 
(Wolfram, Haff. Dolfsl. 297): 

RTit ber fiadt, mit bem Spaten 
Rehmen mir jebe $eftung ein, 

RTit hurra wirb bet Angriff gemacht 
Unb ber $einb 3U $all gebracht. 

Sie betätigen fi<h aber auch bürgerlich: 

Bricht in ber Stabt ein $euer aus, 

Der Pionier ift bet etfte am h®us. 

Kein Wunbet benn, bag er bafür auch belohnt wirb: 

H)irb in ber Stabt ein Schwein gefdjlacht, 

Die grögte UJurft wirb uns gebraut. 

Die Säuberung ift in biefen Dichtungen für gewöhnlich alletbings fo 
®enig inbioibuell, bag fegt leicht unb mit geringer Detänberung bie£ieber oon 
wi et Waffen gattung auf bie anbere übertragen werben. 1 ) Dor einiger (Bewalt* 

1) So mit6 etwa (&cf=Bö(jme 1331 = Köl}let*RTeier 248 in ben oetfdjiebenen gaffungen 
Süfiliete, ©renabiere, Kfiraffiere, Pioniere, aber auch bie Solöaten insgemein angewandt, 
'Böhme 1327 unb 1328 auf ©tenabiere unb RTusletiete; bas Kofafenlieb Köfjlet'RTeier 
(Wannt butd; feine löftlidje „Dollsetymologie“: „3m Urwalb bin ich geboren" ftatt 
. m Ural") wirb nicht nur oon, fonbern auch auf Ulanengefungen; bas flrtitleriftenlieb ©rl= 



16 


Deutf<f)e Solbatenlieber 


famfeit, ein wenig Unfinn fdjeut man fich babei nicht; wenn es in einem £ieö 
auf 6 ie Artillerie etwa heifet (<Ert*Böhme 1337): 

IDie fcfjwenft unfer $euerwerter 
So liebreich öie Kanonen! 

fo begreift man triefe feht feltfame Angabe erft, wenn man fieljt, bafe bies £ieb 
eine Umbi^tung eines älteren, nicht artilleriftifchen Solbatenliebes ((Erb 
Böhme 1332) ift, wo bie entfprec^enbe Stelle lautet: 

IDie fd}wenft nicht unfer Sähnrid? 

So liebreich bie Sab”! 

Selten begegnet noch eine (Erinnerung an ben alten Utfprung ber befonbeten 
Klaffe, 3 . B. an bie ungatifdje fjerlunft ber fjufaren 1 ), wenn es in bem fd}ö s 
nen Qufatenliebe ((ErfcBöhme 1346) Reifet: 

IDenn ihr bas Sranfdje nicht oerfteht, 

So baut auf Ungrifd) brein 
Unb fpreebt: Baffateremtete! 

Der Kopf mufe unfer fein. 

Au<b bie einjelnen Regimenter haben fo ihre eigenen Cieber, uon benen 
aber gleichfalls nicht feiten ein unb basfelbe Cieb ben Ruhm halb biefes, balb 
Jf" cs Regiments 3 U oerfünben hat. Der Aufbau biefer £ieber ift gan 3 feft' 

ro ^ r ^ * mmer 3 u ”ächft bie Uniform gefdrilbert; ber ©renabier ober 
Suftlier rühmt ((EtbBöhme 1331): 


jyieijeioiani pno un|ere lüaffen 
Schroat3 (ober: weife) bas £ebet3eug, 
ber Kütaffier erfcheint (ebb. 1372 ): 

3n feines Paters Rüft unb 3ier 
S^ön wie bie blanle Sonne, 

unb bie tjufaren rühmen fich (Köhler=meiet 250 ): 

... fie leuchten oon ferne 
IDie 3 wei blante Sterne; 

Den §ufaren ihr Kleib 

-- Das macht mir triel $reub. 

roobUn str^ 9 ^'"k ° Ud * mi ! öem fln f an 9 »Auf, auf, ihr Brüher ®on her Infanterie", ob» 
hete IDaKennntt K T? abgepro^t werben ufw. (öfter ift hie Bejahung auf eine befon» 
aettaaen^ha?nm t, 9 » Ü i! t ^ Upt Ct{t nad!tr 5 9 Iic h in ein aDgemeineres Solhatenlieh hinein» 

ate r* 1 . «M« «ft »i. eto« tas trasgefpKNtjel« 
tas £i.h Xuf hi. Knlh* uc fP c ürtglidjert Gtägent gelegentlich entjogen mir., Audi 

IW ’ Ba, " n ' 1568 »'l"t i" 4« utfptans- 

3«Ä,!? aS Ä W “" un 9«iW.» Utlimings. Hs bedeutet ..et 
ittMtnjtgJte , t„»«m unte. Kbmg matt,!« ,445 j e m fl teteule £ n(n S Reltet 



Don $ricbrfd) panjer 


17 


Oei (Einbrucf einet fo stattlichen (Etjdjeinung auf Me UTaödjen roirb bann ftets 
nachbtüdlich ^etootge^oben. Gs gebt habet ni(bt ohne einige (Eifersüchteleien 
3 urif<hen Öen tDaffengattungen ab: 

Dtagonet ift luftig, 

3 ft ein fhöner Kaoaliet. 

Unb ein Kaoallerift ift mit lieber, 

Als 3toanjig $üfilier 

jagt bie Holter bet IDirtin bei IDolftam, Haff. Dollsl. 373b. 

Der Sdjilberung bet Rüftung folgt toeiter etwa no<b bet flbfdjieb bes 
Solbaten non ben (Eltern unb bet (Beliebten, bann aber eine flufjablung bet 
friegetifchen Säten bes Regiments; ein hübfdjes Beifpiel für ben Sypus bietet 
etroa bas £ieb auf bas fteirifcbe 3ägerbataillcm Rt. 9 bei Sdjlojjat, Dollsl. aus 
Steiemarf 286. 

Aber auch bas £ob bes Solbatenlebens insgemein etHingt in Dielen 
liebem. „Daß ich ein pteufeifdjer Solbate bin, bas ift ja meine einige $teube" 
fingt bet Raffauet heute (bei R)olftam, a. a. (D. 305). „£uftig ift’s Solbaten* 
leben!“ rühmt ein oiel gelungenes unb mehrfach umgebübetes £ieb ((Erl* 
Böhme 1347), unb als waten bie Strophen in biefem Kriege gebidjtet, heifet es 
ba (in bet naffauifdjen Saffung bei IDolftam a. a. (D. 291): 

®it mit unfein grauen Jjofcn Reblich ift bet beutfehe Illann, 

3 iehen gegen be $ran3ofen. Der füt gteiheit ftretten lann. 

Blutig 3iehn mit ins Gefecht, IDet fein R)eib unb Kinb oerläfet, 

Denn mit Deutfchen haben Recht. Steht geroifj im Kampfe feft. 

Aus bem fiebenjährigen Krieg ftammt bas jetjt noch gefungene £ieb ((Er!* 
Böhme 1319); 

Kein beffet £eben ift auf biefet EDelt 3U betifen, 

Als roerm man trinft unb ifjt unb lafet fidj gar nichts Itänfen. 

Denn ein Solbat im Selb feim harten bienet treu; 
hat et gleich nicht oiel Gelb, hat et hoch <Eh r babei. 

h'et heifet es noch in Str. 3: „Det$einb fliegt Schlag für Gelb." 1 ) Sotoares 
«ben früher; „IDit finb Solbaten fürs Gelb" fagt auch noch bas £ieb bei R)olf= 
mm a.a. 0. 303; feit 1813 aber h«ifet es: „IDit pteufjen 3 iehen in bas $elb 
fürs Datetlanb unb nicht fürs Gelb" (<Erl*Böhme 352a) unb „R)ir finb fürs 
Datetlanö geboten" (IDolftam a.a.0.301). 

Steilich fehlen ja bem Solbatenleben auch im Stieben nicht alle Schatten* 
l^ten. Da hat man ben lieben Kameraben fo manches nad^ufehen. Doretjfch, 
B ^;3- Allgem. 3«itung, 1902, 580 teilt ein £ieb mit, bas ben Kehrteim hat: 
»Bei ihm jft alles, toenn auch oft fatal, unter Kameraben gan 3 egal." Da met* 
ein p aat gälte aufgewühlt: 

1) Später änberte man: „Der Seinb triegt Schlag ftatt ©elb". 

*•** 1 ^ 1 . t.ö. 6eutf<t(en Unttrrldjt. 29.30^19. l.fjcft 



2 



18 


Deutfdje Solbatenlieber 


IDenn mit auf Poften ftehn 
Urtö anbre coanbem fehn 
IlTti unfern £iebdjen aus, 

©ic er fie fu^rt nadj Haus, 

3d? Öen! mit nichts babei, 

<Es ift ja einerlei, 

®b er ober ich ihr Ciebesfehnen ftillt 


IDenn mit im Bimaf finb, 
So Reifet es gan 3 gefchroinb: 
„Die Kümmelbulle bet !“ 
Herr (Bott, fie ift ftfjon leer! 
Per braoe Kametab 
Sie ausgetrunfen bot. 


IDenn bei uns Streit ausbricht, 

So wirb gefädelt nicht, 

IDir prügeln fefte brein 
Unb benlen: ’s mufc fo fein! 

Sogar bem beften $reunb 
IDirb’s Hinterteil gebräunt, 

Unb binterbrein ba trinftjnan brüberlicb. 

Unb bann bie Herren Porgefetjten! Da bagelt mancher $luch auf ben unorbent* 
lieh flngejogenen (©rfcBöhme 1327): 

Dnfet Seutnant fpricht fobann: 

„Kommt et mir noch mal fo ran, 

Schlägt, i<h fchroöt's bei Stein unb Bein, 

_ ©u Kreu^midionenbonnerroetter brein,!" 

ober auf ben ungefchidten Schüßen (Köhler*meiet 247): 

Kommt man auf ben Scheibenftanb, 

Die erfte Kugel in ben Sanb, 

Sängt bet Hauptmann an 3 u fluchen: 

„flujuft, bu mufct Kugeln fuchen!" 

“*rt mi ' 6 "' a6 " iaS n ‘ ° 0eS m 10 Wte " 

JJJ ic fchimpft unb flucht nicht ber Solbat 
Wenn er lein ©elb im Beutel bat. 

(Et fchimpft ja nicht aus He^ensgrunb: 

« vT mt nur aus f ein em Zltunb, 

Unb ©ott ber Herr, ber ift gerecht. 

Der ftraft ja feinen Kriegesfnecht 

Mt'aS 6™%“» Wimt: SlrafC ' *** m<m m01 "*"* ^ 9eM<n "' 

Bin auch oft ins £odj geflogen, 

Uber es mar nichts babei. 

unb in bet 3eUe läfet’s fich aushalten (KöhIer*Ztteier 268): 

3ft auch^ein deines BettA^i!"* • f ut U” 1 öic rechte Seite toeb, 

©in Brot unb no* ein irurt »ZT"' f° f^ 1 ic h bod? ben Schmer nimme. 

Damit bab ich broi OW a ^ erftU9 ' f 0 »enb* ich mich auf bie linf herum, 

hat. icH bret Gag' genug. Unb brei Hag’, bie finb halb herum. 




Don Srftbtid) Panjer 


19 


grüßet fteßich ©ar bie Sache ©eniget gemütlich, unb (o manches heute 
nod) gelungene Solbatenlieb aus älteren 3eiten ergebt beroegliche Klage. 
3 a^m äußert jie noch bet Betfaf|et bes befannten £iebes: „(Es |ag ein lebet, 
roas et ©iß, baß ein Solbat muß leiben oiel" (<Erf*Böhme 1401). (Et jammert 
nur, baß et in bet Kafetne ©ohnen unb (Staupen e||en muß mit ©errig $leifch 
unb mel Knochen, Btot ohne Buttet, mit geftußtem fjaat unb tafiett geben, 
(Seroehr unb Sotnijtet jdjleppen, fchlechte ITCotrtierung tragen, fjo|en ohne gutter, 
rad)tsrtußige Stiefel, jammert, baß bet IDirt nicht borgen, bie DDafdjftau befahlt 
fein ©iß, unb 3 uleßt |oß et noch fein Sieben geben. Biel fchärfete Klageliebet 
( 3 . B. <Erf=Böbme 1402/03) tagen in ben gegenwärtigen Oeberfdjaß aus einet 
3ett betein, ba noch Prügel unb Spießrutenlaufen bie Betgeben bes Solbaten 
bebtobten: ©0 foIdjeCiebet noch lebenbig finb, finb bie alten $a||ungen aßet* 
bmgs meift ftarl »erlütjt, inbem bas auf bie 3 eit nicht mehr paffenbe aus* 
gda||en ijt. 1 ) Bie beute noch ( 3 . B. HTatriage, BoUsI. aus bet bab. Pfal 3 135) 
®iel gelungene Solbatenßage „Solbatifches £eben ein bartet Schluß, ©eil ich 
es mein Schößchen muß pteiben" ift bie patobie einet älteren Klage übet bas 
Wojterleben (gebrucft bei (Et!*Böhme 921). 

Aus ben 3eiten bes Sölbnettums unb ber geroaltjamen Aushebung, bet 
Prügelftrafen unb bes Spießrutenlaufens ftammen auch bie noch 3 iemlich 
jaljlreicb umlaufenben £iebet oon gahnenflüchtigen; in einet niebet* 
beutfdjen $a|[ung bes in mancherlei ©eftalten immer noch umlaufenben £iebes 
®on ben btei gefangenen Heitern (<Erl*Böhme 65) finb bie gelben fogat noch 
neun Canbstne^te. hier bieten bie älteren $a|fungen auch jenen merfwütbigen 
ölten Redjtsbraud}, baß ein Berurteiltet fteigegeben ©itb, ©enn eine 3ung* 
fwu ißn 3 um Satten erbittet.*) (Einen Hachflang oon biejem IKotioe mag man 
in bem jüngeren Befetteutliebe oon bem ©iebeteingefangenen unb be* 
gnabigten Kaufmamtsfobne (<Erl*Böhme 1398) etfennen. Bie Betbcmblung 
Dot bem Kriegsgericht unb bie Bertünbtgung bes Urteils ©erben in bem £iebe 
.ßlein gteunb, ©atum oerachtft bu mich?" (IDoIftam 282) mit tübtenben 
®tt3elbeiten gefchübett. Bet Berurteüte ©itb befragt, ob et noch etroas 00 t* 
jubttitgen habe: 

Ba ftanb ich ba (0 gan 3 aßein, 

Könnt mich au f nichts befhtnen. 

3»ei teuftet ftanben auf bem Gifd}, Bas Urteil ©at gejchloßen ein 
^ Sdpert lag übet ber Beden. Unb babei feft oerjiegelt; 

r ■^ faab in ber ßtitt, IBat einmal tot, ©ar einmal |ch©at 3 . 

l«h es an mit Schieden. flbjes, ißt beutfcben Btüber! 


I ^ e t®a bie Hnmetfung 3 U Köblet*meiei 269, too ein älterer Drud aus bem fln* 
neben bie jeßige $aßung gestellt ift. 

v. * Umleljtung bet (befdjlerfjter betannt aus CSottfr. Kellers „Dietegen“ unb XDil* 

„Rabenfteinetin". 


2 



20 


Deutfcfee SoRmtenlieber 


3um Publhieren roatb icfj geführt 
Durch meine Kametaben. 

Der Kreis, bet mar gefdjloffen ein, 
Der üambout follte fdjlagen. 


Die ürommel führt ein traur’gen Ion, 
Als roollt' fie mich beflagen. 

Das fjet 3 im £eib et 3 ittert fdjon, 

(Es fängt fdjon an 3 U (djlagen. 


Das befanntefte Deferteurlieb ift ja „3u Strafeburg auf bet Sdjan 3 " (<£r!= 
Böhme 1393), bas mit all bett unmöglichen geographifchen Dorausfefeungen, 
bie feine Umbidjtung im IDunbetfeorn ihm gegeben hat, — ben $lüd)tling lodte 
bas Alphorn non Strafeburg über ben Strom — toilHg roeitergetragen toirb. 

Die befonberen Betätigungen bes $tiebenslebens, (Efe^ieren, Schienen, 
Pufeen, IDacheftehen ufro., toerben 3 toat in ber Solbatenbidjtung oiel ermähnt, 
haben aber nicht eigentlich befonbere Sieber, nur bafe bie (Empfinbungen bes 
IDachehaltenben in Jjauffs „Steh i<h in finftrer Itlitternacht", bas in benDolfs- 
munb übetgegangen ift (Köhler=ITieier 254), ihren tlaffifchen flusbruef gefur 
ben haben. Das auch in feiner (Entfteljung oottsrnäfeige, feht betannte tDache* 
lieb „An bet tDeichfel gegen ©ften ftanb ein Ulane auf bem poften" (Kohlet- 
Bleiet 252) hat als Hauptinhalt ein £iebesabenteuer, toie benn naturgemäfe bie 
Be 3 iehungen bes Solbaten 3 U ben Rtäbchen in feinen Siebern eine feht be ; 
beutenbe Rolle fpielen. Siebt er hoch über alles bie „Kinbet oon 1000 tDochen" 
(Schloffar, Doltsl. aus Steiermarf 285), unb ift übetjeugt oon feiner Unroibet 1 
ftehlidjfeit; et roeife ja (tDolfram 286): 

3meicrlei lüdjer, Schnurrbart unb Sterne 

Her 3 en unb tüffen bie Dläbdjen fo gerne. 


Auch öet ©eliebten legt er biefe Übet 3 eugung oon bet unbebingten Übe v 
legenheit bes Ttlilitärs oot bem3ioil in TTiäbchenaugen in ben ITCunb (3iegleti 
Deutle Solbaten* unb Kriegslieber 133): 

Der mit bem Sabel, tDenn er lein Sabel hätt', 

Oer ift mein taufiger Schafe, IDät er mein Schafe au net, 

Der mit bem Sabel, Der mit öem Sabel, 

Der ift mein Schafe! Det ift mein Schafe! 


berlEreue lann er’s freilich nicht genau nehmen, unb erroarntmohl 
felbft ((Erfahrne 1423): 


Katfyrindjen, trau nur nicfyt, 
drau !cim Solöaten niefjt; 

Denn er toirb öidj oerfiifyren, 

Deine (Efyr roirft bu oerlieren, 

©laubs ficfyerlidj! 

Darf er hoch an leinet Stätte oertoeilen (Köhler=RTeier 239): 

Denn bet Solbat hat nicht Ruh unb Raft, 
heut tft er hier unb bort morgen ©oft. 

metfe, bafe ein anberer ihn in feinet Siebe ablöfen toirb: 




Don $riebridj paitjer 


21 


So lebt öenn roohl, ihr RTain 3 et Itläbdjen, 
Oie ich nic^t länget lieben lann. 

HHt 3 ie^n jeßt in ein anbet Stabilen, 
Unb iljt fe^afft euch ein anbetn an. 


fingt bet Referoift (tDolfram a. a. ©. 298) unb übergibt biefe ITCäbdjen xoo^t 
ausbrMtch ben 3 urücfbleibenben Kameraben ju weiterer Betreuung (Köhler* 


IReiet 273): 


So nehmt benn unfte Hiebcher, 
3Ijr Kameraben, hm, 

Unb auch bie {leinen Bübchet: 
Oie beiegt ihr oben brin! 


So eine Solbatenliebe ^at auch ihre praftifche Seite (KöhIer*ITCeiet 261): 

©utenltlorgen, mein $tißchen, wie geht es? Karolinchen weiß fich gleich 3 U taten, 
Karolinchen, mir geht es Jehr fchledjt: (Seht hm 3 m Küche hinaus 
3»ei ©rofhen ©elb, bas ift 3 U wenig; Unb holte ber fjenfehaft ben Braten: 

roiefdjmectt bas Kommißbrot fo fehlest! Oas gibt ja für $riß einen Schmaus! 

Das Stinten fpielt im gegenwärtigen Solbatenliebe leine bebeutenbe 
Rolle; aus oergangenet 3eit ift etwa einmal eine Prafferftrophe übrig geblieben 
mie bie bei Sobler, Schwerer. Dolfsl. 68 : 

hatt ich ben 3olI am Rhein, $ranffurt, bas mär mein eigen, 

So beiegt ich’s Konig's Sochter, ©nglanb, bas mär besgleichen; 

Denebig mär fchon mein; Derfoffen müßt es fein. 

Schließlich fcheibet man als Referoift oom Solbatenleben. Oer Referoift hat 
feine eigenen Hiebet roie ber Refrut, unb bie beiben ftellen fid) toohl getabeju 
emembet gegenüber (Rteifinger, Dolfel. aus b. bab. ©berlanbe 194): 


Refrut, bu haft oerbammt noch lang, 
Referee, ber hat nimmer lang, 
hier haft bu Säbel unb (Berocht, 

©in alter Rlann, ber brauchts nicht mehr. 


Rlit ben ©affen übergibt er bem Refruten auch feinen „fedjften Rod" unb 
taufet bafüt Refetoeflafch nnb Referoeftod. (Er macht — ein ftehenbet 3ug 
in biefen Referoiftenliebem — mit gutem fjumor fich luftig über bie IRontur 
jehntet Güte, mit ber man ihn entlaffen. Sieht et bo<h bie U)elt rofig genug, 
benn bie Dienfte, bie er fünftig 3 U leiften haben mirb, finb angenehmer als bie 
bisherigen (Köhler*ITTeier 278): 


®«r erfte Poften, ben roir ftehen, 

Stt|n a»it cot unfres Hiebdfjens Sät; 
haben roh auf nichts 3 U fehen, 
leine Ronbe ftört uns hier. 

Unb ruft einmal bie IRutter brein: 
,u)° mag benn unfer Rtäbdjen fein?" 


Oie alte Straube, roenn bie's müßt': 
Sie her 3 t unb lüßt ben Referoift! 

Unb bie Patrouillen, bie roir machen: 
3ns IDirtshaus hin 3 u Biet unb ©ein 
Unb fpricht man ba oon Kriegesfachen, 
Spricht laut bet Referoift barein ... 


güts einmal, bann fehrt et gerne 3 ut Sahne 3 urüd (<Erf s Böhme 1366): 



22 


Deutfcf)e Solöatenlicöer 


Doch ruft bas Daterlanb uns toieber, 

Als Referoift unö Canömehrmann, 

So legen mit öle Arbeit nieöer 
Unö folgen Deutfcfylanös gähnen bann, 

Seinen eigentlichen fjöhepunft erreicht bas Solbatenlieb naturgemäß im 
Kriege. Denn bas gibt ja bem Solbatenleben überhaupt jenen tiefen Stirn 5 
mungsgehalt, baß hinter all ber überfchäumenben 3ugenb, ber Ungebunbem 
beit, bet frö^lir^en Schönheit jener ferne buntle fjintergrunb fteht: ber Krieg 
mit feinet ©efaljt, ber junge Hob auf blutigem gelb; baß es jeben fiugenblid 
ficb Dermirflidjen fann, jenes: „©eftern nod) auf fto^en Hoffen, beute burdj bie 
Bruft gefcboffen, morgen in bas fü^le ©rab." 

Don hier bejiebt bas Solbatenlieb feine roidjtigften Umftänbe, feine be* 
beutenbften Stimmungen. Die Strapajen im gelbe, bie Blühen bes TTTarfthes, 
bas fchlimme Quartier, junget unb Dürft, fie fpielen im heutigen Solbatem 
liebe anfdjeinenb eine geringere Rolle als früher. Dielleicht, baß nach ben St 5 
fahtungen bes ruffifdjen gelbjugs unfere Solbaten fünftig auch mal toieber ein 
Klagelieb anftimmen merben wie bie „SolbatemHage-tDeiß" in ©rimmels 5 
haufens Simpliciffimus (28. Kap. bes 2 . Buches): 

3eßunö toill idj oon tjeiqen fingen eine Hage'IDeiß, 

Uf meiner linten Hdjfcl, ba gehn bei taufenb £äus, 

Unb auf ber rechten noch oiel mehr, 

Dahinten auf bem Bucfel, öa fteht bas ganße tjeer 

ober mie fchon jener Reisläufer bes 15. 3ahrhunberts (bei Uhlanb, Deutfche 
Doltslteber 156, nach einer §s. oon ungefähr 1460) es gefungen: 

© reiferer, bu harte fpeis, 

U)ie tuftu mit fo ant im paudj! 

3m ftro fo peißen mich bie Ieus, 

Die leilach fmb mit Diel 3U rauch; 

3ch tumer gauch, 

Bei einem burger mär mit paß 
Unb hulf bet bime mähen gras. 

_ r 5* e _ r _ roe fentlidje ©ehalt fommt bem Kriegsliebe hoch aus jenen leiboollen 
c mffen, bie bie Seele bes 3 U gelbe 3iehenben am tiefften erfchüttem: ber 

«r n Öen £icben in 6et *> cimat nnb Schreden bes Hobes auf ben 
bQiaQtfelöern Sie 3 u übetminben bebarf es roohl bet (Ermunterung (IHitt 5 
ier, Deutfche Dollsliebet 1442): 


f ! ® b ^ on öic ^geln faufen, 

S V"i Ö 3U 9 tf f t i n ' w euch baoon nicht graufen: 

Saßt euch einen fnfdjen Blut! U)ers ©lüd hat, tommt baoon. 

^ CT3 im ^ eibe ^ aben unö ©ottoertrauen (Hrf=Böhme 1332 
d? f hte bas £ieb nach ber älteren gaffung bei Rteier, Schmäh. Dolfsl. 94 an) 



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Don Sriebtidj panier 


23 


IDentt einet ein luftget Huf ©ott mufe et trauen 

Solbate will fein, Huf unfte liebe Stauen 1 ) 

Das Jjet 3 unb Kutafhe HQe lag unb alle Stunb 

Itlufe auch babei fein. Unb fo leben mit gefunb. 

Der Ciebet, bie ben flbfdjieb beim Auszug ins $elb oon Datet unb Blutter, 
töefdpiftem unb bet ©eliebten not allem, ht ben Siebern bet Sanbmeht« 
Ieute auch oon $tau unb Kinbetn beweglich fdjilbetn, gibt es ungezählte (ogL 
(ErbBöhnte 1375—81, 1408—15). Das fdjönfte ift too^I: „© bu Deutfdjlanb, 
idj mug matf<hieten" in feinet älteten oolfstümlichen ©eftalt (ebb. 1375). 
Manchmal finb allgemeine Hbf (hiebsliebet, wie bas oon K. (Eh* U). Kolbe 
(1792) oerfafete, aufeetorb entlief) oetbteitete Geb „IITäbchen meinet Seelen* 
öurdj geringe Detänbetung unb 3utaten 3 U einem HbfchiebsHeb bes S c lb* 
folbaten umgebidftet (<£rl*Böhme 1414/15, bie Utfotm oon Kolbe bei Köhlet* 
UTeiet S. 414). 

naturgemäß werfen fd)on biefe Hbf (hiebsliebet am Schluffe meift ihten 
Blid auf ben btohenben ©ob bes flus 3 iehenben, toie es benn begreiflich lein 
Kriegslieb unb nut wenige Solbatenliebet überhaupt gibt, bie biefen bitteren 
Abfchlufe foIbatif<hen Sehens nicht irgenborie im Huge hätten. Dies Krieget» 
fdjidfal wirb auch für fi<h ©egenftanb oielet Gebet, unb 3 toat in bet neueren 
Solbatenbichtung feltenet in Jenem pteifenben Sinne bes älteten prächtigen 
Sdjladjtgefanges: Kcin {cI>gct 5oö ift in öet roelti 

Als wer oom $einb erfcf)lagen 
Huf grünet 'fjeib, im fteien Selb, 

Darf nicht hörn groß IDehflagen. 

(GtbBShme 1283), als mit jener f<hmet 3 lichen IDehmut, toie fie in bem häuf* 
filmen „ITCotgenrot, Ittorgentot, leuchteft mit 3 um frühen ©ob" ihten belieb* 
teften flusbtud gefunben hot, einem bet wenigen Gebet, oon bem wohl alle 
Solbaten mehr als eine Strophe lernten.*) Den Dotgefeßten follen biefe Gebet 
Sftets 3 U weidlich erfdjienen fein, wie benn ein in ben Befreiungsfriegen oiel 
üefungenes unb heute noch lebenbiges Geb „tjolbe Xlacht, bein bunflet Schleier 
Met mein ©efidht oieüeicht 3 um lebten ITlal“ fltrl*Böhme 1342, Uleifinget 
o-a.©. 200) im fjeere Blüchers unb ©neifenaus getabe 3 U oerboten gewefen fein 
W Aus ähnlichem ©mpfinben hot wohl flmbt bem oben erwähnten Hb* 
Ihiebsliebe „<D bu Deutfdjlanb, ich muß marfchieten" eine friegetifche IDenbung 
9egeben, in feinet befannten Umbidjtung, bie auch wiebet ins Doll gebtungen ift. 

3m Selbe gewinnt, oot 3 Üglich in ben großen Dolfsftiegen bet ©egen* 
auch ä as oatetlänbifche Sieb, bas in Sriebens 3 eiten mehr ben be* 

1) Ptoteftantifdj: „Unb feft auf ihn bauen“, mittler, Deutfhe Dotfst 1424. 

... ® ne I«h r jetjungene $affung bei meifinget 198. Das Cieb ift auch mehrfach umge« 
«« unb parobiert, ogl. KöhlefHleier 270. 271. 

v Dgl auch matriage 117 flnm. 



24 


Deutfdje Solbatentteber 


fonbeten feftlichenflnläffen ootbd)alten bleibt, [ein rechtes £eben, {einen ^obe¬ 
ren Schwung. Die „tDacfjt am Rhein" unb „Deutfchlanb, Deutfchlanb übet 
alles", aud) manches bet unoetgänglidjen £iebet unfetet großen Sänget aus 
ben Befreiungsftiegen wie aus bet Kriegsbich tung unfetet Sage, non bet an 
anbetet Stelle biefet 3ettfdjt. bie Rebe fein foll, Hingen in biefen Ittonaten 
überall, too beutfdje Solbaten in bet fjeimat ober in $einbeslanb fteljen. 3« 
bö^et bie butd)fcbnittlid)e Bübung unfetes Doltsljeetes tnitb, je allgemeiner 
bas gefd}id?tlidje unb politifdje Detftänbnis auch bet tltaffe, um fo lebenbiget 
muß bas nationale £ieb im Ijeete tnetben. 

Den bo^cn nölfifdjen Sinn unfetes gegentnättigen Krieges tnie fdjon bet 
Kämpfe non 70 ober bet Befteiungsfriege empfinbet jebet mittämpfenbe 
Solbat. Aber bie Beftimmtbeit biefes ©efüljts, bet flusblid über bas Hägltdje, 
bie ©nfidjt in ben inneren 3 ufammenbang unjäbliget nettnottenet ©n 3 el= 
beiten finb naturgemäß febt abgeftuft unb tonnen bei bem gemeinen ITCanne 
nur gering fein. Das bejeugen febt beutlicb unfete gefdjichtlichen Solbatem 
lieber. 


tDobl halten fie bie (Erinnerung mancher gef<hid}tlicben (Eatfache feft, bie 
fonft im ©ebädjtnis unfetes Dolies nöllig oetlofchen ift. hier betnäbtt bie 
fünftlerifdje $otm ihre unnetglei^lid)e IRacbt, lange Detgangenes burdj 3ab r ' 
bunbette lebenbig 3 U halten, unb 3 tnat teineswegs bloß bie gewaltigen nölfet* 
erfdjütternben (Ereigniffe, fonbetn getabe bie fleinen, ein 3 elnen, oergleichs* 
tneife unbebeutenben Umftänbe. Der ältefte gefd}id}tlidje Dotgang, bet in 
unfeten Solbatenliebern mit oielen ©n 3 elhtiten noch fortlebt, ift wohl bie (Et 5 
oberung Beigrabs im 3.1717, toie bas £ieb t»om Ptin 3 (Eugen fie befingt, bas 
padenbfte aller Solbatenlieber, beffen binteißenbem Schwung in EDott unb 
IDeife fich nichts 3 U Dergleichen oermag. fluch bet Siebenjährige Krieg lebt im 
Solbatenliebe mehrfach fort. Befonbets frifd} unb allgemein befannt ift bas 
£teb „Als bie Preußen mattierten oot Prag" (<Ert=Böbme 328); bas um 
erfchütterlidje Dertrauen bes Heinen preußifdjen fjeeres auf feinen gtoßen 
ontg unb bie eigene Stätte fpticht am träftigften in jenem fjufatettliebe „(Ein 
pteußtfqet hufar fiel in $ra§ 3 ofenbänbe" {ich aus, bas feine fllejanbtinet bis 
auf btefen Sag im Dolte 3 U erhalten oetmochte ( 3 uleßt wohl bei ITCeifinger 
a. a. ©. 168). Aus ben Befreiungsttiegen ift am meiften bie (Erinnerung an 
apo eons ruffifdjen $elb 3 ug wach geblieben als ben ungeheuerlichen Um 5 
twung m ber ©lüdsbahn biefes blutigen Dolfsbeswingers. (Es gibt bis auf 
öte neuefte 3eit faum eine Sammlung, bie nicht mehrere einfehtägige £ieber 

C >! "J f S ^ Cnn nun ® a fa# toas Ijat man oetnommen, öafe fo vidt 

bunberttaufenb fltann finb nach Rußlanb gefommen" (Köhler=RIeier 292) 
moq e as oerbreitetfte oon ihnen fein. Aber auch tühmenbe £iebet auf Ra 5 
polecm unb ferne Siege, Spottliebet auf bie gefchtagenen Preußen, ©fterreicher 
uffen ftnb nicht bloß im ©faß, fonbetn in reicher $ülle auch in Baben 



Don Sneörid) panier 


25 


Dorljanben geblieben unö galten 3 ufammen mit Öen Hapoleonsbilbem in Öen 
babifchen Bauemftuben bie fonft glücflich entfchtounbene unb bem heutigen 
(Befehlest aud) in biefen länbetn !aum mehr oerftänbliche (Erinnerung an bie 
unfelige Rljeinbunbjeit lebenbig. 1 ) Dafe (Erinnerungen aus ben fpäteren Ktie* 
gen bes 19. 3ahrhunberts, oo^üglidj bie $elÖ 3 Üge oon 1864, 1866 unb be* 
fonbets 1870 unfet gan 3 es Solbatenlieb bur drehen, oerfteht fic^; bie $ran 3 o* 
[en finb im beutfdjen Dollsliebe überall ber $einb fdjledjt^in geworben: ob 
bie 3ufunft fie burd} bie (Englänbet erfe^en toirb? 

Diefe liebet bieten in ihren <Et 3 ählungen, une fdjon ermähnt, nicht feiten 
fleinfte (Eitelkeiten, bie Jonft oerfdjollen finb, aber oon ber genaueren ©e* 
fhichtsfotfchung beftatigt toerben. So er 3 ählt beifpielsmeife ein im Kreife 
Saarbrütfen 1892 aufge 3 eidjnetes lieb (Köhler * ITCeiet 296) oom Kampfe bei 
IRiffunöe unter xit^tiger Benennung ber brei babei gefallenen (Df feiere; man 
mufe fdjon bas ©eneralftabstoerl über ben bämfdjen Krieg oon 1864 auf* 
plagen, um biefe gefdjidjtlidje (Eatfache toiebet 3 ufinben. 

Daneben freilich entkalten biefe lieber auch gefdjichtlich Unrichtiges. 3m 
„Pdn 3 (Eugenius" ift beifpielsu>eife webet ber Schlackttag richtig angegeben 
(21. ftatt 15. Auguft), noch ift öer lebten Strophe genannte prin 3 lube* 
®ig (oon Baben) bei Belgrad gefallen. Der ©efchichtsfchreiber bürfte alfo 
biefe „gefdjichtliche" Dichtung nur mit großer Dorfidjt benuhen. Als aus* 
fd|lie[jliche Quelle aber toäte fie oot allem um besannen gütlich ungeeignet, 
roefl fie ftets nur eine fekr befdjränlte, in gan 3 eigenartiger U)eife unb ab* 
toeidjenö oon ben 3ntereffen bet ©efchichtsforfchung getroffene Auswahl aus 
4«®efamtkeit ber triegerifchen (Eteigniffe bietet Denn eben jenen allgemeinen 
Dotausjejjungen bet Kriege unb ihrer ein 3 elnen ©efdjekniffe, jenem PolitifQen, 
®>e i<h es fut 3 nennen batf, bas ben Ijiftoriler oot anbetem feffelt, fchenfen 
Meje lieber gar leinen Anteil. Das politifdje fpielt oielmekr im Solbaten* 
gefcmge faft nut in ben Spottliebern eine Rolle. Die pflegen bei triegerifchen 
öenoidlungen immer wiebet toie pil 3 e aus ber (Erbe 3 U fdjiefeen. Sie haben 
weift gan 3 befonbere, politifQ beftimmte Be 3 iekungen, fo bafj ihre Doraus* 
fe|ungen nur bem lebenben ©efchledjte belanni, ihre Spiijen nur ihm gan 3 
War 3 U fein pflegen. (Eben biefe Attualitat läfet fie barum auch fQnell oet* 
oben; felbft bas 1870 fo berühmte Kutfdjlelieb ift uns fchon gan 3 hiftorifch ge s 
worben. Diefe Spottgefange bitten fiQ meift in Anlehnung an belannte 
lieber, beten tDorte unb U)eife fie als Sprungbrett benuijen. So hatte jenes — 
®°W weil man es auf Hapoleon 111 . be 3 og — h eu te noch gefungene lieb oon 
Meon „bem SQuftergefellen" (KohIer*UXeier 293) fi<h an Kofcebues „U)it 
Iqen fo fröhlich beifammen" gelehnt, bas Kutfchtelieb ging oon einer Strophe 
^.Kiähtp inflet lanbfturms" aus, bas gleichberühmte „König XDilhelm fafc 

ma . n W« JWünbels Sammlung elfäff. Dolfeliebet unb befonbers 3. Ph- ®l°«t 
ö4 ®’^ et liebethott I Karlsruhe 1910 mit feiner Iefensmerten Einleitung. 





26 


Deutfdje Solbatcnliebec 


gan 3 heiter" nüßte Strophe unb IDeife bcs „prin 3 (Eugenius", ein Spottlieb 
auf Rapoleon III. (KöhIet s Rteiet 310) pacobiett bie EDacht am Rhein ufro. 

3m übrigen aber ift bas politifche, im engeren Sinne ©efchicfjtliche in 
biefet Dichtung gering unb eigentlich nur Rebenwerf. Hauptfache ijt imtnet 
bie große Perfönlichteit wie oor allem bet gemein menfchliche Sinn unb bet 
Stimmungsgehalt bes (Ereigniffes. Denn bie einjelne Pcrfönlic^fcit, xoie 
Prin 3 (Eugen, $rtebridj bet ©roße, Schwerin ufw., fie erflehten au<h nicht in 
ihrer gan 3 inbioibuellen, gejdjichtlichen Beftimmtheit, fonbem nach ihren aß 5 
gemein menfchlichen (Eigenfeh aften unb bem 3<mbet, ben fie bamit auf bie 
Rtaffe üben; bas gefchidjtlich Befonbete ift baneben gleichgültig unb wirb nicht 

aufgenommen ober in bet weiteren Überlieferung rafch abgeftreift unb net* 
änbert. 


ute oetöen metftgefungenen Solbatenlieber mit Be 3 iehungen auf ben70et 
neg; „Die Sonne fanf im IDeften" unb „Bei Seban auf ben höhen" (<Ert= 
Bohme 1385 unb 1386) tun bes weltgefchichtlichen fjintergrunbs biefet Kampfe 
erne (Erwähnung. Beibe finb oöllig ausgefüllt oon einer engen, gan 3 petf5n= 
Uchen hanblung: ein Derwunbeter trägt fterbenb bem Kameraben bie lebten 
©rufee an bte ©eliebte, an IDeib unb Kinber auf. „Bei Seban auf ben höhen", 
„ ct raoelotte in bet Schlacht" finb bie ein 3 ig gefdjichtlich beftimmten Bc 3 ie= 
hungert tn btefen Siebern. 3hre ©räger finb namenlos; baß ber Sterbenbeir 
cm einen Siebe flnbreas $örfter genannt wirb, müßte nach fonftiger <Erfah : 
rung erfaunltch etfeheinen, wäre ber Benannte nicht troßbem ein unbetannter, 
lI f ’At ° C D ® t ^ ro ' n öenbet Rtann, beffen ich möchte fagen uneigentlicher, 
g etepfam nur öidjterifchet Rame ooll getroffen wirb oon jenem burchgehent 
fo 3 tologtfJen ©epräge biefet gefchicßtlichen Solbatenlieber. 

™ Jfx ® n f<hlög fo gering ift unb fo wenig in ber ffiefe oet 

v T a gerichtlichen Beftimmungen naturgemäß leicht fi<h man 

fnrfiitnTtrf» C « ^ bas er ^ e bct bc * bcn leßtgenannten Sieber gar nicht ut 
her clr\i U I r ! n J^ rtC9 Don 70, f 0T, öetn oon 66 gedichtet, wobei benn als ©ti 
aL m w a J au ! cnau ' balb «^ob ober ©obo genannt wirb; in ©ta; 
trooJ i.«f e ' l ?rI U !len öfterreichifchen $elb 3 ug in Bosnien oon 1878 übet 
m sm\ d aIs Sd ? Iad t tort genannt (Rachweife bei Köhler-IRciei 

309 ai« M* mit bcn genannten 3 wei Siebern ift Köhler=lTleiei 
no*"ein e ! axS“^ be V ScÖan ® at D0tübet " : her Sterbenbe bittet, bet IKuttei 
tDeiftenburrt 3U ^ en ' Gebart toitb in anbeten $affunger 

Sie6 Dor Königgräß genannt. Das abermals inhaltlich oerwanbte 

Me sC;?I T l C ?l Cine rounb ^öne Stabt" (Köhlcr^eier 301) nenn 
Das oielaefiim* ^ lau> maitan ö, £ippc*Detmolb, Straßburg ufto 

** ci « Stäbtchen" ((Erfahrne 1383), bat 

©fterrricher i^t^^ 6 ? 11 ^ 6 fe ^ mat ur fPtüngIt^ auf bie Kämpfe bei 
tm 3ahre 1859 gebietet. Sdjwantenb wirb Itlontebellc 







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Don Stiebrid) Patzer 


27 


ober Blagenta als Sdjla^tort genannt, bie Rennung Böhmens aber genügte, 
um bie fjanblung auch in ben Krieg non 1866 3 U nerfe^en. So (pielt bie 
Stagöbie bes Sahnenflüdjtigen ftatt 3 U Strasburg auf ber Schan 3 tnobl auch 
3 U prefebutg (Sd}lo|fat a. a. ©. 291) ober 3 U Rheinsberg (Rtüllet, Dolfsl. aus 
b. <Jt 3 geb. S. 19) mit Defertion non ben Sadjfen 3 U ben Danen. 3n bem fehr 
belannten Siebe non 1849 „Die Reife nah 3 ütlanb, bie fallt mir fo ferner" 
(Grf'Böljme 1429) tann bie Reife feit 1870 auch nach $tanftetch (ober im (Elfafj 
— IRünbel 130 — nah Deutfdjlanb) geben, mennni(bt gar mit Ausfhaltung 
aller Bebütfniffe nach gef(bidjtli<ber Anlehnung fjörfehlerentftellungen mie 
„Süblanb" (Blüller a. a. ©. S. 49) ober „3slanb" (Beleg nerloten) einfetjen. 

Aber auch mo 3 ablreidjete unb beftimmtere gcfc^i^tlidje Be 3 iebungen 
ficb finben als in ben genannten Siebern, haben folcfje Umtnanblungen häufig 
genug ftatt. Das fhon oben angeführte „Als bie preufjen marfd)ierten 
00 t Prag" mitb Je%t meift mit Anbetungen gefungen, bie bas Sieb auf 1870 
etnrenlen (ogl. 3 . B. IDoIfram a. a. ©. 460; Krepp, ©benmälbet Spinn* 
ftube S. 10); „Bei IDien ba mar bie gtofje Schlacht", 3 unächft auf Afpetn ge* 
bittet, tnitb auch auf bie Schlachten non Seip 3 ig, Hamur, IDaterloo, Seban ge* 
fungen (Köhler*IReier 191). 3 enes oben genannte befanntefte Sieb auf Rapo* 
leons tuffifdjen $elb 3 ug ift im (Elfafj (IRünbel 175) auf Rapoleon III. unb ben 
Krimitieg begogen, in Raffau aber auf ben 70 et Krieg, ber ja auch feinen 
HHnterfdt> 3 ug gehabt hat. (Es heifjt ba jetjt (tDolfram 507): 


Diel 3 U $üfj unb niel 3 U Pf erb 
Sinö nah Stanlreich lommen, 
haben auch bie fdjöne Stabt 
Seban eingenommen. 

über ah Rapoleon, 

®ie mitb bir’s nun gehen? 
Siehft bu nicht bei DDeifjenbutg 
Das elfte Armeelorps ftehen? 


Kam ein junget ©ffyiet, 

Sprahr mit finb nerloten. 

Alle unfre fhöne junge Seut, — 
Sinb im Schnee erfroren. 

IDilhelm 3 U feinen Seuten fptah: 
„IDir finb ja leine Knaben; 
©rleans, bie fhöne Stabt, 

Dlüffen mir noh haben." 


Solhet Beifpiele mitten noch tnele 3 U geben. Auch bie Spottliebet merben 
Sftet buth Umfetjung ihrer Be 3 ieijungen frifh erhalten, mie etma bas ermahnte 
Geb auf ben Shuftergefellen Rapoleon in ber Steiermarl auf Koffuth be 3 ogen 
®»tbe (Shloffar a. a. ©. 246), mahrenb es im (Elfafj bie ©fterreidjer unb ihre 
Riebetlage bei Solferino nerfpottet (IRünbel a. a. ©. 180). Da& fi<h babei 
^hi immer alles aufs befte einrenfte, läfjt fich benlen; es macht bem Sol* 
totat aber roeiter nichts aus, etma ein Sieb, bas urfprünglich auf bie Be* 
|«9ttung non Philippsburg gebihtet mar, auf bie Belagerung (!) nonShlesmig* 
Weht 3 U fingen (IDoIfram a. a. ®. 465 a b). <San 3 uerein 3 elt bleibt auch 
unb Reues nebeneinanber ftehen mie Kohler*IReier 298: 

1) Das utfptünglihe „Benebil"*£ieb finbet man bei ©lod a. a. ©. 107. 



28 


Deutfd)« Solöatenlieöer 


® Beneöif, roas hajt öu öenn gemalt, Hapolion, roas Ijaft öu öenn gemalt, I 

Öafe öu octiont öic Honiggräser Schlacht? öafe öu oetlorn öie Spicktet Schlaft? ' 

® Beneöi! reife aus! Hapolion reife aus! 

tDas rott im Dorfteljenben aus 3 ufühten Ratten, 3 eigte uns fchon Dreifältig, 
öafe öie Solbatenlieber (Eigentümlicheiten befifeen, öie öem öeut}d)enDolfs* 

Iieöe öer ©egenroart insgemein 3 ufommen. (Ein paar Bemerfungen hierüber 
mögen noch Derftattet fein. 

3m Solöatenlieöe geböten tDort unö tDeife fo untrennbar 3 ufammen 
mie beim Dolfslieöe überhaupt; öas Dafein, £eben, SidjDeränöetn, öas Sich* • 
erhalten ober Derlieren öer £ieöet ift in 3 a^Ireid)en $ällen non Öen IDeifen ab* ! 
Rangig. Die befonöere Beftimmung öes Solöatenlieöes gibt öiefen öfter ihren be* 
fonöeren ©fyaraftet. $üt öas IKatfdjlieö roetöen naturgemäfe marfchmäfeige, 
gleidjfüfeige Ders* unö (Eattmafee benorjugt 1 ), öie meloöifchen Reifen müffen !urj 
genug fein, öie nötigen fltempaufen 3 U bieten, auch mag öie (Enölofigfeit man* 
cfjes £ieöes auf enölofen Ittärfdjen roilllommener fein als beim £efen. IDie überall 
finö auch unter Öen Solöaten immer ein 3 elne öie £ieöetfunöigen, öenn nicht jeöem 
ift gegeben, tDort unö tDeife 3 U bemalten. 3eöer aber roill auf öem tltarfdje mit* 
fingen, öer Beftügelung öes Siebes geniefeen. Da ift es öenn befonöers er* 
»ünfdjt, öie £ieöer fo eingerichtet 3 U finöen, öafe öem roedjfelnöen IDorte öer 
ein 3 elnen Strophen ein gleichbleibenbet Kehrreim angehängt fei, an öem aud> 
öie Iieöeruntunöige Iltenge fi<h frö^Iid} einfallenö beteiligen fann. So mar es 
fchon in öer Schlacht bei Saucourt, öer älteften tton Deutfchen gefchlagenen 
Schlacht, t>on öeren £ieöbegleitung mir roiffen. König £uömig fang öas Kampf 1 
Iieö, öie Schar Öen Kehrreim: 

Ther kuning reit kuono, Sang lioth frano, 

Ih alle saman sungun „Kyrieleison". 

So ift s noch h c ute. Seht oiele Solöatenlieöer haben minöeftens IDieöerholung 
öer Iefeten oöer 3 mei lefeten, manchmal auch öer oorlefeten 3 eile, öfter mit 
©nfchiebung eines 3a, 3u<hhe, Uralalalala, 3uDmalleralaIa u. ögl. dot öer 
IDieöerholung. Die finnlofen IDorte ahmen, mie fchon irtj alten £anbsfnecht 5 
Iieöe, hie unö öa mit einem „tombereroom" „mohlummiööebum" u. ä. Öen Srom* 
melflang nach; einen befonöers hübfehen (Erommelruf bietet Rteier, Scfjmäb. 
Dolfsl. 110 . Recht häufig haben aber befonöers öie tltarfchlieöer einen eigent* 
heben Kehrreim non fimroollen IDorten. Der Sinn ift nicht tief, es genügt 
üöuig, öafe öie tDorte öas Stanöes* unö £ebensgefühl öes Solöaten aufregen 
mit entern „£uftge Braunfchmeiger, öie fein mit!" oöer ,,3u<hh« ins 
mein ift öie tDelt!" oöer „Kapitän, £eutnant, Bähnrich, Sergeant! Himm öas 
maöel bet öer I?anö! Solöaten, Kameraöen!" ufm. IDet ©ebutb genug h at - 
—1 umIau fe nöen flbmanölungen ein unö öesfelben £ieöes miteinanöer 3 U 

bc " f 3 fßibftänöigen IDeifen, öie bei Köblet’lTCeiet für Solöatenlieöer mit* 
geteilt meröen, haben 24 V.-datt, 3 */«>, 17 %. unö 9 %-üaft. , 



Don Jriebrtd} panjer 


29 


Dergleichen, roirö häufig feftftellen, öafe ein £ieö, öas urfprünglich feinen Kehr* 
teim hotte, öa ober öort nachträglich mit ihm oetfehen warÖ. ©in folget $all 
hat Me (Öffentlicfyfeit in unferen ©agen befchäftigt, öa plöhlich in allen ©affen, 
Me unfete Solöaten öutch 3 ogen, öas wohlbefannte £ieö oom guten Kamera* 
öen in einer Saffung erflang, bie ftatt öer lebten 3eile jeöer Strophe öiefen 
Kehrreim fester 

©loria, ©loria, ©loria, Djftoria! 

PTit Jjer 3 unö fjanö fürs Daterlanö, fürs Daterlanö! 

Die Döglein im IDalöe, öie fangen ja fo munöer tDunöerfrfjön, 

3n öer tjeimat, in öer Heimat, öa gibi's ein Wteöerfehn! 

fludj ernfthafte Kunftfritifer haben fich über öiefe Derballhomung öes Uhlanb* 
Wen öeöes entrüftet 1 ), feljr mit Unrecht, glaube ich, wenn man fich auf Öen 
Stanöpunft öes Solöatenlieöes ftellt, öeffen eben gefhilöerten Beöürfniffen 
öiefet Kehrreim aufs oollftänöigfte genügt: eine gefällige, marfdjmäfjige Weife 
trägt ihn, leicht einprägbar in Wort unö IDeife ma# er jeöem rafche flneig* 
nung möglich u nö feine wenigen IDorte regen alles auf, was ein Solöaten* 
gemüt bewegt, unö geben geraöe jene ITCifdjung oon Kraft unö ©mpfinöfam* 
feit, wie öer Deutfcfje fie liebt. 

Das Solöatenlieö ift wie alles Dolfslieö anonym überliefert, genauer 
gefagt: fein Solöat fragt je öanad), wer öenn etwa öas £ieö oerfafet habe, öas 
et öa mit Wohlgefallen fingt, fllleröings melöen fid? ja in manchem Solöaten* 
liebe am Schluffe öer ober öie Derfaffet 3 . B. bei Wolfram 5 Q 3 : 

Wer hat öenn öiefes £ieö eröaeht? 

3wei $üfiliere auf öer Wacht 

Unö öie haben es gefungen unö gelacht 

Unö haben's öem Kaifer 3 ur ©hr' gemacht. 

Sie fotlen leben! hurra! 

«öer ebö. 500: 


1) 3. B. ©. Bie in öet Reuen Runöfchau De}. 1914, S. 1741. Der Kunftroart hat im Sept. 
• j. öert Kehrteim abgebrudt, weil et allenthalben gefungen werbe, aber noch nirgenbs 
ffentlidjt fei, aber Itteifinger hat ihn fchon 1910 in öer Alemannia S. 55 aus Baben mit 
nmgen flbroanblungen mitgeteilt unö in feinet mehrfach genanntenSammlung unterl63 wie* 
n !* 0 * ^* e ^ e W®ft bas Bebürfnis empfunben würbe, bies beliebte £ieb folbatifcfjen Zweien 
, °i 9«edjter 3 U machen, beweift, baf; Doretjfch a. a. ©. fdjon 1902 einen Kehrreim mit* 
ei en lonnte, bet bamals in Württemberg oon Solöaten angehängt würbe. <Et (teilte ein 
a°t: „Kaoalltie rücft oor, 3nfantrie gibt Saloen ab, Das gan 3 ? 3öger* 
re t« U< " QUS un ^ P 0 ( f- Kaoallrie muf> attadieren, Die $ran 3 ofen müffen rettrie* 

beb jl^ 0n ^°^ en mÜ,fen ’ s f e h cn > Dajj wir Deutfche Sieger fein." Ttlit richtiger ©inficht 
fi V° tUm au< h Kunfibichter ihren Solöatenliebern meift einen Kehrreim gegeben, ogl 
®e ?e 6 Solöatendjor, Brentanos „<£s leben bie Solöaten", fjauffs „Solbatenmut fiegt 
ewu , Körners „£üt)ows 3 agb", Ärnbts „Die Sahnen wehen", Rüderts „©wietuft 
? ® Wmm «l fo laut" ufw. — Übet bie herlunft ber Itlelobie biefes oben angeführten Kehr* 
etms ma( ht U. Ciebfdjer im 2 . ©ftoberheft bes Kunftwarts S. 62 intereffante Rtitteilungen 



30 


Deutfd|e Solbatenlieber 


D5er hat benn nur biefes Siebelein erbacht? 

(Es ^aben’s geblafen 3 wei homiften auf bet tDacfyt. 

Sie hoben es geblafen 3 um 3eitoettreib, 

Auf bafe mit Heupreufeen immer munter unb luftig fein. 

Ähnliche Angaben finbet man bei ItTatriage 134, IReifinger 164, ZTIünbel 137,157. 

3»ei $üfiliere, fjorniften, Doltigeure, Spengletsgefellen auf bet IDacht 
ufto.: Hamen nennen biefe Derfaffer nicht unb lernten leinen Anfprudh auf 
literarifches (Eigentum webet für fich noch für anbete; roas fie boten, bas war 
ja hoch nur, was auch all« anbeten fahen unb empfanben, nur bafe fie es aus* 
gefptodjen hatten mit ihten IDotten ober auch — benen eines anbeten. Denn 
neben ben Solbatenliebem, bie non unbclannten männern aus bem Dolle, 
b. h- bet Iltaffe bet Ungebilbeten gebichtet finb, ftehen wie fonft im Dollsliebe 
eine lange Keihe folget, bie oon gebilbeten, ja oon bet £iteraturgefchi<hte ge* 
nannten Detfaffern hettühten. (Eignet bet ungebilbete fangesfteubige Solbat 
folche Sieber fich an, fo hat et wohl im allgemeinen bie flbficht, fie fotgfältig 
genau fo weite^utragen unb weiietjugeben, wie er fie gelefen ober gehört hat, 
aber es gelingt bas nicht oöllig, weil fein ©ebachtnis wie feine Bilbung ihn unb 
alle folgenben babei oft genug im Stiche Iaffen. So werben biefe Siebet abfid}ts* 

!° S cnt?tcIIt unö 3 cr lungen. 3ugleich aber hat bet Ungebilbete, 

bem funftlerifdje Urheberrechte ein oöllig ftember Begriff finb, auch nic^t ben 
gettngften Sirupel, folche Kunftlieber bewufet ab 3 uänbetn, wenn ihm bies aus 
ttgenbwelchem ©runbe wunfehenswert etfeheinen follte. Sinb hoch auch Me 
Jl*« c- man ? CS nut ttmbidjtungen oon Dollsliebetn, unb bas 
^ et ' TOie es DicI t ac ^ be im Dollsliebe beobachtet ift, 3 eigt 

lbl„ .Isw ? n it :® ÖU 0cut ^ Ianb ' id > matfehieten“ ift, wie fchon 
bi«T« fSÄ Umtnä)tunq eines Dollsliebes, bas fich feilet in bet leben* 

mit ÖCm oermifcht hat. „3u 

(Einfüaurm hL at k < ^ <m3 u ^ Don bcn Der M ern bes IDunberhoms unter 
in 5ÄJcumgebichtet wotben. Das Defetteutlieb lebt 

m v Ct bcs ®anberhoms weitet, jugleich aber ift auch 
auf her -*« ^^««9 oon S. mofenthal „3u Strafeburg 

tab unb S, 10 6061 oolüäufig geworben. Uhlanbs ©uter Karne* 

finb beTbe^na^l m S ^f, , bCnS " DcS m ° x ** ns ' «*«« Me hähne Itähen" 
im Solbatenmunh \ t, CU °* sI ' eöe 9«lchaffen, neben bem fie nun lange fdjon 
bichtefbas felbft Jifb"’ " mot9entot " ift nach einem Dollsliebe 9e* 

Zbtefte Surifi! ZflZl KunftRcöc beffen Derfaffer bet 

ift’ ßauffs £ieb ift n •3ahrhunberts oor ©oethe, dhrift. ©ünther, gewefen 

ÄtS n ITZT mb „ au * " Ma •** ~ 

-- ' m )-) Unb fo wirb es auch tn 3ulunft weiter gehen. 



Don Stiebrih panjer 


31 


DiefeUmftänbe fangen eben bamit 3 ufammen, baß bie Überlieferung bes Sol* 
batenliebes münblich erfolgt unb baß ihr dräget bie weniger gebilbete ITteitge ift. 

Stob getriebene unb neuetbings wohl auch gebrudte Solbatenbücher 
riebt feiten, fo erfolgt bie Überlieferung bet SoIbatenReber bodj in ber 
hauptfache oon Illunb 3 U ©fc- Sie 3 eigt baher aüe $olgen münblichet Weiter* 
gäbe: hot* unb ©ebächtnisfehler e^eugen fene taufenbfachen Abwanblungen, 
bie feben dypus beinahe in jebem ITtunbe toiebet anbere ©eftalt getoinnen 
laffen, et 3 eugen jene Anbetungen, Derftümmelungen, (Erweiterungen bes 
urfprfingli<ben dejtes, jenes Aufeinanbeteinroirfen unb Sidjoerftbme^en 
Dormals getrennter Cieber, bureb bie IDortlaut, Ders, Strophenbeftanb unb 
IDeife in jebem £iebe unaufhörlich oeränbert werben. ©s tommt weiter ba 3 u, 
bafe auch bk* cefentlicb £eute aus bent Doll dräger ber Überlieferung finb, 
b. b* aifo weniger ©ebilbete. An ihrer Auffaffungsfraft muß manches nur 
bem ©ebilbeten 3uganglid)e, manches petfönlidj (Eigenartige, bas biefen ja oft 
oon ©ebilbeten oerfaßten £iebem in ihrer Urgeftalt eigen mar, 3 etf<heHen; 
fie bringen jenen follettioiftifchen 3ug hinein, ber bas Solbatenlieb auf bas 
©emetogültige, dypifhe, bie Anfd)auungen unb ©efühle ber IRaffe einftellt. 
D)as ihr genügt, fie erfreut, roas fie ausroählt ober heroorbringt, bas 
rottb oor einem gereifteren äfthetifchen Urteil naturgemäß oielfach nicht be* 
flehen; in bet dat finbet fich im Soibatenliebe bes Schlechten, ©emöljnlichen 
bie UTenge. Der banalften profa fteht ihr anfpruchsoolles Detsgemanb nicht 
feiten peinlich ober lächerlich, ber Ausbrucf ift niebrig, eine Strophe mie Htei* 

wger 149. Solbat heißt Diel, met es betrachtet, 

(Er feßt feto £eben auf ein Spiel, 

Als Kriegespreis mirb et betrachtet, 

1 (Er muß in Rauch unb Pufoetbampf 

wirft auf ben ©ebilbeten lomifh, ftatt rührenb. 

. ® e rf c ßt öfter Derbes, Rohes, überfpanntes, fo macht in anbeten £iebern eine 
fuBlthe (Empfinbfamfeit fich breit. Aber immer miebet überrafht Öa 3 roifchen 
gjt Ausbrucf echten ©efühls, ber getabe in feiner Schlichtheit um fo rührenber 


b^lufHg was $üfiliete heißt" (<Etl*Böhme 1361, IReifinget 167) geht nah bet UTeloöie bes 
Reil** oiaiifd", (EtfrBöIjme 1327 „Bin ein luftiger ffirenaMet* rtadj „Stuöio auf einet 
fcet m u. 6l >!^ er ^ »Rettut, bu haft oetbammt noch lang" nah „Der Papft lebt hettlih in 
j. • *** £ieö bes heimlehrenbenReferoiften (Köhlet-Hteier 175) „Als Refetoift geh’ 
ff Sr ft a üfn 3 ® at nat ^ ^ et stabte oon „Steh’ ich in finftret IRittemaht“ gefangen, 
Bem ! » ^ em ”^9 en »^be" iXQtoifhen auh nah bem Shwabfdßen Stubentenliebe 
ii- f'°l * r f ut ^ e t<h aus" 3 U fingen, bem fein dejt fih aufs engfte angefhloffen hat. 
Stranh SU** f ^ tDat3e Sägetlotps (lilünet, Doltsl. aus. b. « 13 geb. S. 17) hat als Ießte 
Hebt n ^ »® <m 3 Europa tounbert fih niht wenig" aus bem betannten Studenten* 

au* nu . n n ’^ w^tet 3U oetrounbetn, benn niht erft bie allgemeine IDehtpfliht hat 
tuft h« aT n * nS ^ eet 9 e ^rt. Shon oothet war manhet bet Sdjulbanl entlaufen, bie 
137S i^ etdebens 3U Serießen; man lefe etwa IRünbel 165, ShMfat 263, <Erf*Böhme 



32 


Deutfdje Soldatenlieder 


wirft. (Ein fo mattes £ieb tote bas befannte „Oie Sonne fanf im tDeften" ttx-. 
mag hoch mit einet 3 arten Strophe ooll bichterifchen Sdjauens 1 ) 3 U fdjliefeen: 


Unb fielje, ITtonb unb Sterne 
ITtit intern Silberlicht, 

Sie leuchten bem Soibaten 
3ns blaffe flngefidjt. 


Unb immer batf nicht oergeffen werben, bafe biefe Dichtung ja gefungen 3 U 
roerben beftimmt ift, bie ITtufif alfo immer einen feht wef entliehen Seil bet 
fünftlerifdjen Arbeit 3 U Ieiften bat, ber fünftlerifdjen Befriebigung 311 geben 
oermag. 

3dj oerjidjte auf eine weitere allgemeine Scbilberung unb möchte liebet 
bamit fchliefeen, bafe id} an einem beftimmten Beispiele 3 U erläutern oetjuche, 
toas bas Solbatenlieb auch uns ©ebilbeten an fünftlerifdjen (Einbrüden 311 
bieten oermag. 3dj wähle ba 3 u: „(D Strafebutg, 0 Strafeburg, bu tounbep 
fdjöne Stabt" unb fefee bas Sieb in einer $affung her, toie fie 3 ulefet als im 
BoKsmunbe lebenb aus £ippe gemelbet toirb (tDebrban unb U)iente, £ipp. 
üolfslieber, Oetmolb 1912, 140): 


1 . © Strafebutg, 0 Strafebutg, 

Du tounöerfcböne Stabt! 
Darinnen liegt begraben 
So manicbet Solbat. 

2 . So mannet, fo fdjöner 
So tapferer Solbat, 

Der Dater unb lieb Dlutter 
Böslid) oerlaffen hat. 

3. Derlaffen, oerlaffen, 

(Es tann nicht anbets fein, 

3u Strafeburg, ja 3 U Strafeburg 
Soibaten muffen fein. 


4. Der Dater, bie mutter, 

Die gingen oors fj<mptmanns b aus: 
„fleh fjauptmann, lieber fj etT 
©ebt uns ben Sofen heraus!" [mann, 

5. „(Euren Sofen tann ich nicht geben 
Sür no<b fo oieles (Selb, 

(Euer Sobn unb bet mufe fterben 
3m weit unb breiten $elb! 

6 .3m weiten, im breiten, 

Dort braufeen oot bem $einb, * 

IDenn gleich fein fchwat 3 braun Uläbchen 
So bittet um ihn weint!" 

7. Sie weinet, fie greinet, 

Sie trauert gar 3 U fefer: 

„flbe, mein liebes Schätzen, 

3 cb feb’ bi<b nimmetmebr!" 


IDunberooll beginnt bas £ieb mit einer Strophe, bie in ben fc^Iicbteften 
IDorten fowobl ben aufeeren fyntergrunb ber fjanblung 3 eicbnet als fogleid? 
bie Stimmung anfdjlägt, bie bas ©anje burcb 3 iebt. Strafeburg wirb aufgerufen 
unb als bie wunberfeböne Stabt be 3 eid)net; unfere ©ebanfen fliegen mit, 
unfer t?er 3 ift getroffen. IDir fennen unb lieben fie, bie herrliche Stabt in ber 
wichen (Ebene oor bem blauen ©ebitge; bas IDunber ihres ITCünfters, bas 
oe hes beu tfebe 3 ugenb fo begeiftert gepriefen, bie flusficht oon feiner platt* 


JA® 1 * ^«beferung allerdings oermag nicht einmal dies einfache Bild in feinet Be» 

c 0 , l 3 u hatten. Sie hat ftatt „fiebe" meift „Sonne", entgleift alfo rettungslos in ein« 
Sotmel, fo unpaffend fie hier ift. s ' 1 



Don $tiebrid) panjer 


33 


form, bie bcr alternbe Dieter noch mit <Ent 3 Üden gefdjilbert, tauben oot uns 
auf. (Eine f<hmet 3 Dolle Siebe hat unfer gan 3 cs Dolf an biefc Stabt gemenbet, 
bie uns 3 toei 3ahrhunberte oerloten toar, bis bas gtofee 3aht fie bem Datei* 
lanbe nad} gewaltigen Kämpfen 3 Utüdge warnt; immer aber noch ringen wir 
um bie Seele bet entfrembeten äodjter. Stets ift bie Stabt ein ftarfes Bollwetl 
getoefen, oiel hunberttaufenb Solbaten Ifat fie gefehen unb fo mannet mag bort, 
in bet Schönheit biefer Stabt unb feinet 3ugenb, ins ©rab gefunten fein. $reili<h, 
er mag fid} auch mit Scfjulb belaben, ben Datei unb bie „liebe" DTutter (Dom 
Datei bab’ id? bie Statur . . . oon „IHütterdjen" bie $rohnatur) oermochte et 
3 U oerlaffen, böslich wohl, aber es mufete fo fein. Denn bas ift bie Kompiliert* 
(feit menfdjlidjet Derhältniffe, roo Recht unb Unrecht fid* fchwer fdjeibbar oer* 
quiden; bie ©efellfc^aft, bet Staat, fie fotbern foldje ®pfer: 3 U Strafeburg Sol* 
baten müffen fein. Der tDiberftreit toitb finnlidj, toitb perfönlidj, inbem bie 
Stern bem hauptmann oors tjaus rüden, ben Sohn 3 U forbetn. Sie erhalten 
ifn nicht; bas natürlichfte Recht bes ein 3 elnen 3 erfdjellt an ben $orbetungen 
ber ©efamtheit. ®hne (Einführung geht hier bie fjanblung in tDechfelrebe 
über. Der fjauptmann be 3 ei(hnet fogleich aufs härtefte als bie Beftimmung 
bes Solbaten, bes fugenblidjen, 3 U fterben; bas fann aurh bet Sdjmer 3 ber ®e* 
liebten ni<ht änbem, bie als ein weiteres Banb erfdjeint, bas ben Solbaten mit 
fflfeet Detheifeung ans Sehen feffelt. Das „fchmatjbtaune ITCägblein", heifet es; 
mit oerftehen: bas junge, heifee, finnlidje, bas wir nun in bem gehäuften „fie 
weint, fie greint, fie trauert" fo bitterlich, fo enblos weinen hören. Die Schlufe* 
netfe — fpridjt fie bas PTäbdjen, fpricht fie ber Solbat? — laffen bas < 5 an 3 e 
unerbittlich in jenem tieffd)met 3 lichen Hone ausflingen, ben fchon bie elfte 
Strophe leibooll angefplagen hat. 

Das ©an 3 e ift um fo tiefet in Stimmung getaucht, als ja bie äufeete fjanb* 
lung fehr unbeftimmt bleibt, benn nicht auf fie, bie in wenigen 3 ügen nur unb 
feht nabet fluffaffung fidj barbietet, fommt es bem Siebe an, fonbern auf ben 
feelifdjen tDiberfdhein, bet fie begleitet; biefe Dichtung mufe im ©efange ge* 
wtnnen. ©003 allgemein hebt bie <Et 3 ählung an unb fann in bet oierten Strophe 
«noermerft auf ben befonbeten Sali übergehen, ba beffen Dotausfefeungen 
,n & en (Eingangsftrophen mit gegeben finb. (Es ift ja auch ein typifdjer Sali, 
öet erzählt wirb, unb Kamen wären für biefe perfonen nicht ampiafee. (Etofe* 

. m bie fjanölung nur in wenigen punften ohne alle 3 wifchenglieber bargeftellt 
l ft, wirb bas gan 3 e Sieb aufs feftefte 3 ufammengehalten butch jene manchem 
ollslieb eigene, hier aber befonbets ftreng burdjgeführte „Kettentechnif", bie 
«He Strophen feft oerbinbet, inbem bie Sdjlufeworte ber einen jeweils 00 m Anfang 
et nächften Strophe aufgenommen werben. Die Sprache ift fehr einfach, ber 
»t|bau bet Strophe unb allen melobifdjen flbfehnitten genau angefchmiegt; 
*! n P aat altertümliche Sotmen unb IDenbungen —„batinnen", „manicher", 
»'nt breiten$elb", „greinet"—ftreuen ein leifes flltgolb übet bie Strophen. 

****%. f. 4 . öeutjij),:, Unttrddjt. 29 . 3 at)r(j. I. Ijeft 3 



34 


Sd)Iad)tfclbfagen 


$d}ladjtfelö|agen. 

Coit ®tto Bö<fel in ITli<henborf (Iltarf). 

3tt bet ©nttoicflung bet Dölfet fcheiben toir 3 toei gro&e ©ruppen: Hatut* 
»ol! uttb Kulturoolt. Die erftere'ift bie urjptünglidjere. Als Hatuwolt 
gilt ein Dolt, folange fein tDefen oon ben ITtä^ten bet Hatut biteft beein* 
flufet uiirb. Haturoölter finb bähet nteift Ritten obet Acterbauer. Auf fid? 
felbft angetoiefen unb unmittelbar oon ben ©eroalten bet umgebenben Hatur 
abhängig, fpielt fid) % £eben im Kteislaufe bet 3 ahres 3 eiten ab. Diefe gleich* 
mäßige Cebensart macht fie aufnahmefähiger für ©inbrücfe oon aufeen, fd)ärft 
tpt ©ebädjtnis unb erhält ihr Bebürfnis nach 9 eiftiger Anregung: biefent 
3ufammemoirten oerbanlt bie Dolfsbichtung ebenfo wie bie gefamte Dolfs* 
Überlieferung ihre ©ntftehung unb ihre (Erhaltung. 

(Ein Heil bet Doltsüberlieferung ift bie Doltsfage: fie ftellt im ©egenfafj 
3 u en toanbernben Beftänben, bem £iebe, bem tttärchen ufto. bas bleibenbe 
TOefen bar. Die Doltsfage haftet am (Drte. Die Doltsfage ift ein (Teil bes 
qeimatbubes, untrennbar oon ben ©rtlichteiten, bie fie umroebt. Aus biefem 
nin e tft bie Doltsfage oon hohem IDerte für bas geiftige £eben bes Hatut 5 
oolfes, bem fie bie ©efchichte erfe^t. Die Doltsfage gibt erft ber £anbf<haft 
i e fetnere Sarbung. Die Doltsfage heftet fich an alles Rätfelhafte, ©eheitn* 
wsooüe tm Hatur* unb Doltsleben, bas fie mit poetifch fein geftimmtem ©eifte 

u r A at t e , n J Ud?t - ^ öcs^alb ooll tiefreligiöfer (Elemente unb befitjt einen 
wehalt bletbenbet gemeinoerftänblicher ©thit. 

n S ? r 9t 1 ^ ^ et Qefchichtlichen Sagen. (Erinnerungen an bie 

n « 61 ' ^ enen * c * n ®efchichtsfchreiber ettoas toeife, haben fich burd? ben 
€t ^ a ten ‘ beftimmte $lutbe 3 eichnungen fnüpften fich Sagen, 
Di„ c Un ^ e , rt , Don Ü^ofeen ©reigniffen, bie fich an getoiffen Orten abfpielten. 
rt1I . “ 9 f c * at man ^ c ®atfache ausgefchmücft unb übertrieben, fie hat aber 

h«r nnT DCr . 9e ^ en un ^ Dcw tf^t. Doch flimmert oft burch bas ©etoebe 
ber Doltsfage ber gefchidjtliche Untergrunb. 

U J v" W tori fä«« Sagen gehören oor allem bie Schlachtfelbfagen: höhe«* 
l 5 9 ' , r f ö ® etf Ii C ; ® ta bhögel be 3 eichnet bie Doltsfage als Stätten, mo einft 
lei tm*. wri a J Pl i tCn - ^ er Sanfte Blut ben Boben. Sn „großen Bülgen" 
LhlÄ I>0lfS ^ C in einer Setoaltigen Schlacht bas Blut ben Berg 
fer f Af 0 C J l ®^attifche Stammestunbe 159). Das Blut ber Kämp* 

L Lr na J fl «tfaffu«9 ber Sage bie ©rbe bes Schlachtfelbes rot. So bleibt 
unfere TLn’Jw ^ ^ i“ ^"bentämpfer bei £en 3 en rötete, rot bis auf 
ber Altwuf» r\ U ^ n 4 ^ ar ^ c ^e Sagen 233). Das gleiche et 3 ählt folgenbe Sage 
1253 LT : ( * 0m 3a ^ tc 1236 bis 3 «m 3ahre 1252, ober toie etliche meinen 
» I 6 auf bem et3bif<hofltchen Stuhle 3 U Hlagbebutg bet ©r 3 bifchof f)ilöe^ 



Don Otto Böcfcl 


35 


btarti» ober IDillebranb, ein ©taf oon Kiberg. (Er mar friegerifch gefinnt unb 
führte gemeinfdjaftlid) mit bem fjat 3 gtafen einen ferneren Krieg gegen bie 
flltmatf, in meinem ©fterburg, ©albe, Ktumcfe, ©labigau unb oiele anbete 
©tte »erheeret mürben. 3n biefem Kriege trug es fid} 3 U, bafj im 3ahte 1240 
ober 1244 bet gelboberfte bet f)at 3 grafen, Buffo oon (Eryleben in bie flltmatf 
plö|li(^ eingefallen mar unb oiele Kühe megnahm, bie et eilenbs fortfdjleppen 
toollte. Befonbets batte et oiel Dieb roeggenommen, bas 3 ur Stabt Stenbal 
gehörte. Die Stenbaler festen bem (Ergebener nach, holten ibn an bet Denket 
IDatte, auf bem halben tDege 3 toifchen Stenbal unb ©atbelegen ein, lieferten 
ihm eine Schlacht, in melier fie ihn befiegten unb befamen ben Raub miebet. 
3n biefer Schlacht oerloten oiele ITlenfdjen, unter ihnen Buffo oon (Eryleben 
felbft, bas £eben, alfo bafe bie (Erbe baoon gan 3 rot mürbe. Dies ift fie 30 m 
3eid)en ber Schlacht burd? ein IDunbet geblieben bis auf ben heutigen dag 
(Hemme, Dolfsfagen ber flltmatf 17). 3n biefen Sagen liegt ein tiefet Sinn: 
Das Blut ift nach flnficht ber beutfdjen Dolfsfunbe bet Sifc ber Seele, bie Stelle, 
wo bas Blut flofe, ift bemohnt oon ben ©eiftem bet ©efallenen, bas Schlacht* 
felb ift alfo ein gerbeihtes Selb, eine Behaufung bet ffelben. 

3n biefem Sinne ift es 3 U oerftehen, bafj bie Sage Schlachtfelbet mit ©eifter* 
fteeren beoölfert, bie am mieberfehrenben Schladjttage fich aus ben ©täbern 
ergeben, um bas Ringen, bei bem fie geblieben, aufs neue 3 U mieberholen. 
IRan hört Rufe, RJimmem bet Dermunbeten, Roffegetrappel, drompeten, 
Itommeln, friegetifches ©etpfe in bet £uft. Solche Sagen finb überall oer* 
breitet. 3<h habe fie gefunben in Ri e b et f a djf en (S d) am b a <h * Rlüller, Riebet* 
[ä<hfif(hc Sagen 27), Reffen (tDolf, fjeffifc^e Sagen 20 , £ynfet, Deutfche 
Sagen 11 ), granfen (Bechftein, Sagenfdjatj bes gtanfenlcmbes 118), flli* 
9 au (Reifer, Sagen bes Allgäus 300) unb in bet S«hmei 3 (£ütolf, Sagen 
ws ben fünf (Drten 129). 

Hypif^ für biefe Sagen ift ber Bericht folgenber heffifdjer Überlieferung: 
e * S tan lcnbetg (Regierungsbe 3 itf (Eaffei) liegt eine ffodjebene, bie „doten* 
9°he genannt. 3n grauer Dot 3 eit mürbe hier eine Schlaft gefchlagen unb 
«it bem jebesmaligen 3ahrestage erheben fich in bet Rach* bie ©ebliebenen 
wtb mieberholen oon neuem bas blutige Spiel. Als einft in einet XDintemacht 
h03hauer übet bie fjöhe gehen mollten, fahen fie bie ©eifterfchladjt; gan 3 e 
ajaren oon Bemaffneten 3 U Rofe unb gufe fämpften in milbem Streite, bafj 
utnpf ber Boben erbröhnte. Da ergriff bie fjol 3 hauet Schieden unb flngft, 
pe warfen ihre flyte meg unb eilten 3 utücf 3 U ihrer heimifchen tjütte. Als fie 
es morgens mieberfamen, um ihre flyte 3 U fuchen, fahen fie nichts als ihre 
egenert gufjtritte im Schnee. (TDolf, fjeffifche Sagen 20 .) 

. „dotenhöhe" bei gtanfenberg habe ich felbft befugt. (Es ift eine 
«umwehte fahle fjölje nahe bem Dorfe IDangershaufen. Unfchmet et* 

e ich auf bem ©ipfel bes Berges eine tunbliche Steinreihe, 3 U einem 

3 * 



36 


Sdjtadjtfeßfagen 


©rabe paffenb. 3d? fagte mit fofott: hier ftehft bu auf einem Sd}lad)tfelöe 
beutfcher Dorjeit, biefes Steinlager birgt bie Refte oon (befallenen. piößlid} 
tarn mir in (Erinnerung bie ergreifenbe Beftattung Beomulfs auf tagendem 
tjügel; fo mag auch ben (befallenen, ber hier ruht, ein bantbares ©ermanem 
oolt in (Ehren beigefeßt haben. 

3dj formte meiter unb erfuhr non ©rtsfunbigen, baß ^ier im 30 jährigen 
Kriege ein gefallener ©enetal beftattet fei. Kleine Dermutung mat bamit 
beftätigt. 

H)er finb nun bie fagenljaften Kämpfer in ben Cüften? Das Dolf eifert 
in feinen Überlieferungen regelmäßig ältere Kamen burdj neuere. IDas 
beute oon $ran 3 ofen unb Preußen et 3 äl}lt mitb,*roatb in früberen 3 eiten oon 
Sdjtoeben unb Kaiferlidjen, noch früher oon IDenben, ©artaren, (bermanen 
unb ihren Reiten berichtet. 3d? gebe hier eine Überficht ber Schlad} tfelbfagen, 
oon ben älteften 3 eiten beginnenb bis auf bie $reiheitstriege herab. 

Kämpfe gegen bie Ejeiben. 

(Es toirb im Dogtlanbe erjählt, baß in bem „Schlacht^ober Sd}laghacten'', 
einem (Tale, meines an ben „Streitmalb" ftößt, ein mörbetifcher Kampf 
3 u»ifchen ben (Ehriften unb Reiben (Sorben) ftattgefunben höbe. (Es finb 
bafelbft oiele IDaffenftüde unb Pfetbeeifen ausgegraben toorben. 
(Kölfler, Dolfsbrauih u f®* im Dogtlanbe 576.) Solcher „Streitmälber" gab 
es mehrere im Dogtlanbe. ((Eifel, Sagenbuch 282.) 

(Ein „Ejeibengrab" lag auf bem Deltberge bei Suhl, ein Steinhügel, 
angeblich aus einet S<hla<ht 3 toif<hen Karl bem ©roßen unb ben heibnifchen 
Saufen. (tDißfchel, Sagen aus (Thüringen II, 58.) 

Kämpfe gegen bie Slatoen unb (Eartaren. 

3m 3ahre 869 mürben bie oerbünbeten flamifchen Dölfer oon ben Deut* 
fdjen unter Karl unb Cubroig, ben Söhnen Cubmigs bes Deutfdjen, oollftänbig 
gefchlagen. Don ber $ur<htbarteit jenes Kampfes et 3 ählte in bet ©egenb 
oon Sihmar 3 a ( 3 mifchen Rubolftabt unb Saalfelb am rechten Ufer ber Saale) 
noch uor menigen fahren bie Sage, baß 3 U gemiffer 3 ahres 3 eit um Rlitternad)t 
gan 3 e 3üge oon Reitern ohne Kopf längs ber Saale unb S<htoar 3 a auf 
unb nieber jagten. (Köhler, Dolfsbtaud} ufm. im Dogtlanbe 576.) 
ca ~* mCun 99au (Sal 3 butg) heißt eine Alpe, ber Ort heftiger Kämpfe 3 um 
fajenBay ern unb Slamen, bie „blutige Alpe". ($teisauff, Dolfsfagen450.) 

Ein Dielen Orten bet Umgegenb oon £en 3 en unb in bet Stabt felber et* 
3 ahlt man fid} oon einer großen Schlacht mit ben IDenben, bie einft hier ftatt* 
gefunben. Die einen fagen, bas Sdjladjtfelb fei auf bem IRarienberge oor 
ten 3 en gemefen, anbere, es fei bei Dicht, bei Seeborf unb enblich auch bei 
iKollen gemefen, mo fich überall noch bie Spuren bes oergoffenen Blutes 
am Boben 3 eigen, ber baoon gan 3 rot gefärbt ift. Ein all biefen 



Verlag oon 33. ©. Xeubner in £eip?ig unb Berlin 


Xaufenb 

Uberfc^rifteti für ^luffäk 

in @e*ta unb Quinta 

mit einer ^Einleitung über bie erften @d)ulauffä$e non 

Dr. Xj). ^alenltner 


(IV u. 44 -6. u. )2 e. Silber.) 



8. 1914. Äartoniert '3H. ).— 


ÄUßaabcfütbiaSAütcr* (30 ©.). ftarf.m-. 3 o 

- 2 -^ > gät Quinta. (14 6.u. 12 ©.Silber) ftart.m-.50 

©eleittnort. 

^Ite ba8 (Refwltat langjähriger (Erfahrungen im erften Sluffafcunterricht 
legt her Serfaffer hier eine £hemenfammlung tior, bie e3 bem (Sejtaner unb 

Quintaner ermöglicht, felbftänbigelebenSöoUeJluffäfcchenjufchreiben. 

®te taufenb Seemen finb an mehreren (Schülerjahrgängen auf ihren 2Bert 
“nhgeprfift; teinel ift barunter, baS nicht ju einem brauchbaren Sluffafc an* 
^ e 8 en Vermag. Sie toenben jidj an ben Sntereffen*, 9 Infchauung 8 * unb 
*?ßjrung§trei8 fomie an bie tßtjantafie beö ßinbeö. Dementfprechenb finb 
ate Stoffgebiete folgenbe gewählt: 1. 33on Sieren. 2. Spiele unb SBefdjäf* 
bgungen. 3 . Siuö SBeruf unb SBerfftätte. 4 . (Erlebniffe unb befonbere @r* 
^guiffe. 5 . Sßon fjeften unb 00m gahrmarft 6. ÜJiertWürbige ®inge unb 
Gegebenheiten. 7 . StUertei 2 Biffen 8 Werte 3 . 8. SKacherjählungen. 9 . 2 Ba 3 
® w 8 e , er i®hlen unb fonftige auägebachte ©efc^ichten. 10. Uber Silber. 

$ie einjelnen ttberfchriften finb fo gefafjt, bafs fie ein (Erlebnis, eine 
eobacfjtungSreihe, eine Heine (Erzählung bem ®inbe ins Sewufjtfein rufen 
f7 i u «genem ®arfteHen reuen, ohne bafi es bap einer weiteren Sor* 

Mprechung bebarf. 









©eleittuort. Slug bcr Einleitung 


®ag 3iel, bag habet ing Stuge gefaßt tnitb, ift nid)t allein, bie Sinber 
in fpra<hlid)em Slugbrud unb im Drbnen ber ©ebanfen ju üben, fonbern 
auch ihnen ben SSlid ju öffnen für bie Reinen ®inge unb 93orgänge ihrer 
Umgebung, ihrem QJefc^ntacf eine gefunbe Stiftung ju geben, unb fie burd) 
fetbftänbigeg Schaffen ju freubigem Arbeiten ju erjießen. 

Stuf Übungg* unb Stltergfortfchritte ift, mie ein 93erglei<f) ber Sejta* 
fernen mit ben üuintathemen jeigt, forgfättig SRüdfidü genommen. So 
geben j. 93. bie erften Stummem ber Sejtathemen neben ber Überfdjrift auch 
ben Stnfang beg Stuffafceg. 

®ie Sfjemeitbüdjer finb für bie §anb ber Schüler beftimmt. ®iefe oer* 
mögen erfahrungsgemäß am beften felbft unter ben gegebenen fiberfcfjriften 
ihrer Slltergftufe bie heraugjufittben, bie für fie bie geeigneten finb. 3" 
ber für ben Setjrer beftimmten Sluggabe ift eine Anleitung, in ber Biete 
unb SBege biefer Stuffafcmethobe bargetegt finb. 

91u8 ber Einleitung. 

Stidht ridhtig ift eg ju meinen, eg fei eine bem Keinen Schüler aitgemeffenere 
unb jmedrnäßigere Stufgabe, eine oon ißm getefene unb in ber Stunbe loieber- 
h°tt naeßerjähtte tteine ©efdjichte nieberjufchreiben, atg einen freien Stuffajj 
aug ben borf)in ermähnten Stoffgebieten ju oerfaffen. 93ei Stbfaffung bei 
freien Sluffafceg fommt atg ein michtigeg ißlug ^irtgu, baß ber Stoff ben 
Steinen jur 93earbeitung brängt, baß, menn ber Stoff ihn einmal erfaßt 
hat, er ihn gar nicht togtäßt unb fo lange nach fprad^tidjem Slugbrud oer* 
langt, big bie ®efd)ichte fertig auf bem Rapier fteht. ®ie Strbeit ift inten* 
fioer unb toertttoUer jugteich, meit fie bor altem bie höheren geiftigen gunftionen 
in ftärlfte ®ätigfeit fefct. @g fommt ferner alg bilbenb unb erjieherifdj wert* 
oolt hinju, baß ber Sdjiiler fid) eineg eigenen fetbfttätigen Schaffeng unb 
Sönneng oor unb mährenb ber Strbeit bemußt ift. 93on alt bem ift bei ber 
btoßen Sieprobuftiongarbeit in gebauter Sornt gar nicht bie Siebe. 93or 
allem bebenft man aber bei jenen Sieprobuftiongaufgaben nicht, baß bem 
Keinen Sdjüler noch ganj unb gar bie Sräfligfeit abgeht — bie er 2—3 Saljre 
fpäter ermirbt —, eine ©rjählung, bie in ber Schule burchgenommen ift, 
unb bie er bietleicht felbft münblicf) recht gut nadjerjöhlt hot, ungefünftelt, 
frifcß unb tebenbig itieberjufchreiben. Stur auf einem engbegreitjten Sreig 
bon (Srjäl)tungen unb 93erichtcn, bie nun gerabe in feiner Seele borlianbcn finb 
ober j.®. furj bor unb mährenb ber Slieberfdjrift probujiert merben, befifjt er 
biefe Sähigfeit. ©ef)t man mit feiner Sorberung über biefen Steig binaug, 
gemährt man bem Schüler nicht bie Sreiljeit, neben borgefdjtagenen auch felbft* 
gemät)tte ®heuten im Stnfdjtuß an bie häuglicße Seftüre ju bearbeiten, fo broht 
bag Seben ju erftarren, bie Sprache troden, breit unb phrafenhaft $u merben. 



Sind: Baientiner: Zaufenb Ü6erfd)riften fäi STuffäfce 


%n8ge®5lilte Überfdiriften für ©ejto. 

flngefangene ttuffäbe. 

©er Äampf im SBett. 

©StoarKbenb. Stein ©ruber unb id) gingen in8 ®ett. SBir Ratten un$ am 
SRadjmtttoge gejanft. ©er Streit würbe jefct im ©ett fortgefefct. Kaum batte idf) 
mid) Eingelegt, bo flog fdjon ein ßiffen in mein Seit_ 

3m ©djuljimmer. 

®ie ölte Scbululjt fd^tug 12. ©a fnarrte ei in einer Stoffe. ©ie SSanbtafet 
unb eine ©djuftan! ertno^ten.... 

Bon Spielen unb Bewältigungen. 

SKein Äafpertbeater. 2. SShiSfaat. 3. @8 rührt ft$ in 

Sine fcbmierige ißapparbeit, bie ber @rbe. 4. 3EBa8 fomrnt ba 

bod) fc^ön mürbe. ^erau8? 5. (Sin grüner ©<j&of}. 

®er ©piefoerberber. . 6. SDtebrere SÖIätter. 7. (Srnte. 

ffiie ich jum erftenmal aufs @i8 Äunftftude am ©umred. 

9«ng. Sßie mir beim Spiel ben fteinb an* 

Seim 5RoHfd)uf)taufen. führten. 

®lein ©emfifebeet: 1. Umgraben. ©rofligeS beim ©adlaufen. 

«lue Beruf unb UBerfffottc. 

Solbaten auf bem Safernenbof. SEBat id non be Suern oertetlen 
pngelittgeling — bie geuermeljr! fann. 

SBenn ein fßferb befdjtagen mitb. SBeim ßabnjie^en. 
ein ©rofdjfenfutfdjer miffen Unfere 2Käbcben. 

SEBaS id) früher alles merben moHte. 
jd) einmal auf bem SDtarfte SEBaS id| jefet merben miö. 
mit einfaufte. 

»•« Singe etjäljltn unb fonfiige au6gebad)te <Befdjid)ten. 

SBie bie Sonne ben Obftbaum nach SEBaS bie SJtije ber ÄoraQe oon bem 

einem $agelmetter tröftet. ©djiffSuntergang erjäblte. 

^erneue(Saft imSßorjettanfcbranl. SEBie eS bem KeinenSReinede in ber 
®<e fftage be§ geplünberten 2Beif)* Schule erging. 

nocbtöbaumeä. gmeifampf jmiftben ©tedjmüde unb 

«m f^öner ©raum. Schmetterling. 

®me Steife in3 ©cfjlaraffenlanb. ®in 2Beif)nacbten bei SgelS. 


9tuS: Valentin er, Saujenb Überfdjriften für Stuffäpe 


Sfaggetottljltc Überfdjriften für Ünintu 

Uber Ȇber.*) 



2Ö. (StTtfy&fiabell: Sieb fteimatlanb, abe! 

(Sin Sieifeabenteuer. 


Son unferent §unbe. 

Seinalje gebiffen! 

3tuf ber ©ud)e nadj Raupen. 
(Sntmifdft! (non einer Slaupe, einem 
®äfer, einer SJiauS). 
Tierquälerei. 

SJtein Aquarium. 

Tie Sagb auf ein (SidE)t)örnd)cn. 


2iet0c(d)td)ten. 

TaS ©pafcenneft unter ber Tact)* 
rinne. 

Tie Sugb auf ein ©icf)'f)ömcfjen. 
SJiäufe im £aufe. 

Fütterung ber ©eefjunbe. 

Ter geärgerte ißuter. 

Slmeifen bei ber Strbeit. 

Sine Äreusotter. 


Grlcbtiiffc unb befonbert Grcigniffe. 

©iet 2tngft um nichts. 2Ba§ meinem f^reunbe paffierte, als 


ÜDteine Starbe. 

Seim SRobelu. 

®iu furchtbares ©emitter! 

3n bict)tem Siebet. 

Sßie bie Siotbremfe einmal gesogen 
mürbe. 

Tarf id) mitfatjren? 

Som Saume gefallen! 


er ju toHfiitjn mar. 
(Sinquartientng! 

9)iit ben ißferben jur Tränte. 
SBir mir abfod)ten. 

Sine @efpenftergefd)ichte. 

Sllarm in ber 9tacf)t. 

(Sine fd)mere ®ran!l)cit. 

(Sin ©dpifctruppler. 


pL®\* ?‘v U Ä e " , r, ri f * atI »«Heinerte Weptobuttionen ber im ®erla ä e uon 58. ffl.Ieubnet in 
2 no \,.. W ( ie 1'. nen »«nfilerftetnjeicbnunflcn. (SjoWtänbiofi Ratafoa »»" 

über .00 Sldtteni mit farbigen SBtebergaben für 50 fßf., Sluölanb 60 <ßf. ertiälttid^ boitt Verlag.) 









Don Otto Böcfel 


37 


©rfcn laffen fid? aud} nod? oft bie (Seiftet bet <Erfd}lagenen feiert unb fpufen 
bott topflos untrer, ober tragen ihre Kopfe unter bem Arme. Bei Seeborf 
insbefonbere wirb erjagt, baf} eine oon ber £ötfnih gebilbete Breite, welche 
bet Oennenfee Reifet, baoon ihren Kamen habe, bafe einftmals ein ganjes 
IDenbenheer barin feinen Untergang fanb. (Kuhn, Rtärlifche Sagen 233.) 

Derei^elt finben ficf? in Schlefien, 3 . B. am $ufce bes Kynaft, ©rinne* 
rangen an Kämpfe mit ben Gattaten. (Kühnau, Sdjlefifche Sagen I, 37 .) 
3n bet Dolfsfage Kärntens leben bie (Einfälle bet Gürten fort. (Rappolb, 
Sagen aus Kärnten 193.) 

Aus bet Kittet 3 eit. 

Bedjftein, in feinem „Sagenfchah bes Sranfenlcmbes" (i ( ns) ergäbt: 
flm (Ebetberge ift ein Heiner IKootfled; aus biefem fommen, oornehtnlich 
jurAbnentsjeit unb in ben 3 u>ötf Hätten, grofeegefpenftige$euetmännet 
mit tDeljr unb Ulaffen, bie fo heftig miteinanber fämpften, bafo man in ben 
naben fjöfen, welche am Sufe bes Berges liegen, beutlich bas Schwertgeflirr 
aermmmt. Diefer Kampf bauert 00 m (Einbruch bet Rad)t bis tief in bie* 
f^e, ja oft bis 3 ur Utorgenbämmerung unb bis 3 um ^abnen* 
fdftei. ©emöhnlich 3 ieljen fid) bie ftreitenben $lammengeftalten allmählich 
is 3 ur Ruine €bersbutg unb ben 3 etfaIIenen Gürmen hinauf, too fie enb* 
tO» immer heftiger fedjtenb, in bem einen offenftehenben Gurme mit fürchtet* 
t<hem ©epraffel oerfdjwinben. Die Umwohner fagen, bafj es noch unerlöfte 
etfier bet in jenen wilben Kämpfen um bie Burg unb bei beten Derteibigung 
etfchlagenen unb gefaUenen Ritter feien. 

Das alte Schloff Krähened bei tDeifjenftein ift gan 3 oerfallen unb liegt 
int ebüfdj unb ©ras. R)o ber U)eg oon fjui^enfelb nach Pfor 3 heim geht, 
a hott man oft Hadjts ein ©etös in ber Burg toie oon einer Schlaft. Auch 
[. en ^* en Burgherren bort manchmal auf feinem Schimmel reiten 

l%n. (Ulcier, Deutfche Sagen ufw. aus Schwaben 143.) 

mittelalterliche $ehbe 3 eit. 

3mifchen tjollenftebt unb Rödelheim au f bem Selbe hoben fid? einft bie 
n e er unb bie Hotbheimer eine Schlacht geliefert. Die (Erfchlagenen, (Ein* 

« er unb Rorbheimer, finb in ein gemeinf<haftli<hes ©rab geworfen worben, 
in ?! t r! ^ nnen fie fich nicht oertragen unb wollen nicht einmal 

m"A+ m ^ len ® ta ^f üegen, fo baff bie einen bie anberen baraus oertreiben 
od} en. Daher fteigen fie alle 3 ahte in bet Rächt nach bem Gage ber Schlaft 
weoet aus bem ©rabe unb fämpfen miteinanber. (Schatnbach*müller, 
n «i»etfachfifche Sagen 27.) 

tjuffitenfriege. 

bie* m ^ tC 1432 ^ u ffi*en bie matt oerwüfteten, finb fie auch not 

amals fehr fefte Stabt Bernau getommen, bie fie ftürmen wollten, finb 



38 


Sd)lad) tfelbfagen 


aber oon ben EOeibern, als fic bie Blauet erfliegen, burdj beifeen Brei unb 
XDaffer 3 utüdgetrieben worben. 3nbeffen hatte fid} bet Kurfütft 
mit 6000 TRann oon bem Berliner Hot bis 3 um Ittühlentot unb non ba weitet 
bis halb an bas Steintor gelagert unb bafelbft bie Reicf}shilfsttuppen erwartet, 
unb nadfbem biefe angelangt, fo gebt er ben Belagetetn in ben Rüden unb 
fällt fie oon hinten an. Oie in. bet Stabt famt ben bahin ©ef lüd}teten, wot* 
unter allein 900 Knechte gewefen, fallen gleichfalls aus unb greifen bie $ehtbe 
oon oorn an, fo bafe fie auf biefe XDeife in bie Rlitte gebracht unb aufs fjaupt 
gefcblagen würben. Das ift aber gefdjehen auf bem Selbe, wo bie pante ent* 
fpringt unb in fo gewaltigen Strömen ift bas Blut ber $einbe gefloffen, bafe 
ber Bo ben hier bis auf ben heutigen Hag baoon tot gefärbt worben, weshalb 
er ben Hamen bas „Blutfelb" ober „rote £anb" erhalten. Oer Hag ber Sdjladjt 
ift bet bes heiligen ©eotg gewefen, weichet noch alljährlich mit einem feiet* 
liehen Oanffeft begangen wirb. (Kuhn, Rlärlifche Sagen 169.) 

Dteifeigjähtiget Krieg. 

3ahlreichet werben bie Schlad}tfelbfagen mit bem 30 jährigen Kriege. 
3m Rargau 3 iehen Scharen oon Schweben in ber £uft, bie im 30 jährigen Kriege 
gefallen finb. (Hoch^ 0 I 3 , Schwei 3 erfagen I, 161.) flm „fteinem Kteu 3 " 
bei Selb entbrennt ber Kampf 3 wifdjen Schweben unb Kaiferlichen allnäht 4 
lieh aufs neue, ein ©eneral bet Schweben empfängt bie Hobeswunbe. (3 apf 1 
Sagentreis bes $id}telgebirges 150.) 

Dom ©tabe eines noch umgehenben fchwebifchen ©enetals et 3 äl}lt eine 
fd}Iefifche Sage. (Kühnau, Sdjlefifche Sagen 1,568.) Un 3 ählig finb bie „Sch®** 
benfchan 3 en", „Schwebengräben" in beutfdjen £anben. Als „Schweben* 
eifen be 3 eid}net bas Dolt fjufeifen, bie fid} auf alten Schlachtfelbern fanben. 
(3apf, Sagenfteis 150, 151; Kühnau, Sdjlefifche Sagen I, 38, 40, 41.) IKan 
hott in Schlefien feiten ben Schwebentrommler trommeln. (Kühnau 1,41.) 

Als tjauptfeinbe ber Schweben gelten bie Kroaten, 3 . B. im Dogtlanbe 
(Htf el, Sagenbuch 283; Köhler, Dolfsbtauch 594) unb in Hhütingen. Kroaten 
fpu en in bet Ruhl, wie in bet Rähe oon flltenftein. Übet ben „Kroatengräbem" 
bet TOalbfifch am IDalbe erwachen alle fieben Jahre bie in einer Schlacht 
3wtfhen Schweben unb Kroaten gefallenen Krieger unter Sdjladjtgetöfe 
tn et ttternad}tS 3 eit bes Schlachttages unb fämpfen erbittert mit* 
etnanber bis bie ©lode eins fchlägt. Ruch bei bet „Siegwiefe" unb am „habet* 
topf fiel eme Schlacht 00 t, in ber fo oiel Blut ber Schweben unb Kaifet* 

arr r i* Cn -? 06en bcbe<ftc ' öa & ct nod } immer rot ift unb „bie Röte" heifet. 
tiue fteben 3ahre erfd}eint ein Reiterofftyer ohne Kopf, bet nadrfieht, ob eine 
oon thm oergtabene Kriegstaffe noch in bet (Erbe ftebt. (Bedjftein, Hhü* 
wnget Sagenbuch h 257.) 

Die Kämpfe 3 wifd}en Schweben unb Kaiferlichen werben auch als Kämpfe 



Don Otto Bdcfel 


39 

j^«n prote^ant.n uni. KatljoMen i«jei$n«t, |o im Dwt . 

lanbe. (<EtfcI, Sagenbuch 283.) 91 

Der Siebenjährige Krieg. 

Sagen aus bem 30jährigen Kriege werben in Schienen auf ©efallene 
besJiahngen Kneges übertragen, halb werben bie (Toten als SAweben 
halb als Preußen be 3 eichnet. (Kühnau I, 41.) ' 

«f*®"??.?? 5ie Dct i ön0un 9 ^ cn,or in ber Sage 00 m „RTorbflecf", ho* 
auf bein S Jeibefamme bes (Thüringetwalbes, wo bas (Thüringer* unb Sranfem 
anb beic alte Rennftetg trennt unb noch bet riejige Sachjenftein, ein Selsberg, 

k Ö fm V S /," ad > öet n)aIölcutc flus Nen, halb Krieger aus bem 30jäb= 
gen Kriege, balb aus bem 7jährigen, bie bort fämpften unb ber lüalöftätte 
ben Hamen gaben. (Bechftein, IHythe, Sage ufw. III, 69.) 

Heben btefen oerblafeten (Erinnerungen erjeheint folgenbe pommerifAe 

Z b’Xf” rf ür. **«**«**• Sie ift J greifbarer S 
SJ * attc öct S«l eine gtofee Schlacht gefchlagen, unb als es flbenb ge* 

S lZ 9 “ 6 “ ff" We 3U K «“ m — man Oamit 

L .£ l 7. rte ® n cin . Iautes ®ewimmer über bas Schlachtfelb 3 iehen. Da 
\ r alte $ntj über bie XDalftatt gegangen unb hat gerufen: 

„Ruhet wohl, ihr, meine Söhne, 

(Eure Seele fteljt bei (Sott; 

Bin i<h fchulb an eurem Hobe, 

Straf mich der gerechte <5ott". 

< u,ri ^ 3«t". PoBsfagen aus pan» 

mem unb Rügen. 2. Rufi. 506.) 

Hapoleonifche $elb 3 üge. 

3enaer w n A ? etl< ! J lI nÖ K< ^ Ia Iie9<m öie Selber, wo 1806 bie unglücfliche 
Wiebeln'T** 9 ^ Ia 9 cn ®<*ben ift. Rachts aber [teigen 3 u 3 eiten bie ©e* 
taflelnb mi/rr ® rabcrn öort un6 i a 9 cn ü &ei bas monbhelle Selb unb 

25 Z ^'ommelwrrbeljieht es auf unb ab, bis esoon ber Kirche her 1 Uhr 

ünl«T f« 11 ~ f° treiben [ie es fort unb fort bis 3 um 

lungften «Tage. ((Eifel, Sagenbuch bes Dogtlanbes 113.) 

fachfifcblr» bcr S*an 3 ofen unb nuffen er 3 ählen Sagen aus bem 

i™WI<hen Dogtlanbe. ((Eifel 284.)_ 

lieb ! U r L Öiefet 5“ 9cnrci ^ c ^ n<h erfennen, wie [olche Überlieferungen 
Hfloolennc 9e ”'r ^ e ^ en ber ©eifterfchladjten finb weber aus ber 3eit 
Heden nr^r/ 10 rw US b em 7jährigen ober 30jährigen Kriege, es finb oielmehr 
flnbenfon Ct Do .^mpfe, oon benen bie ©efchichte nichts berichtet, beten 
Hoheit b * n b et ^ a 9 e fortlebt. Dafc es fich um Kämpfe aus uralter 

S«ae rel+ n C *' bctDcifcn gelegentliche Rachgrabungen. Der Spaten hat ber 
°? gegeben, $unbe oor 3 eitlicher tDaffen unb Knodjenafche haben alte 



40 


Sd)(ad)tfeU>fagen 


Schlachtfelber ermiefen, 3 . B. Me Schaden oon ©ulenbotf in Sdjlejien. (Kü^* 
nau I, 40, 228.) Auf altgermanifche ober flaroifche Kämpfet meifen folgenbe 
$unöe: Hm ©eblisberg im flatgau öffnete man 1835 einen £jügel, oon bem 
öie Sage ging, baß öort ©eifterfcharen fämpften unö fanö barin ein ©erippe 
unb fd}tDat 3 e flfdje, Hefte Don altem £eid)enbtanb. Bei Rabebetg (Königreich 
Sadjfen) liegt ein „ffeibentirchhof", auf bem fich feljt oiele Hfdjenurnen fanben, 
bort mill bie Sage ©eifterheere gefehen haben- (Bödel, Deutfdje Dollsfage 
55.) flfdjenurnen unb £eichenbranb meifen auf ©räbet aus beutfdjer Do^eit. 

Daoon 3 eugen auch bie Hamen, mel<he bie Sagen ben ©eifterfcharen bei* 
legen. 3n Böhmen heißen fie „fjimmelsfolbaten", ein beutlidjer hin* 
roeis auf mythifche fluffajfung. (©rohmann, Sagenbuch aus Böhmen 1, 2 .) 
Dasfelbe bebeutet ber flusbtud „Derroünfchte Solbaten", her fich in Pommern 
finbet; baß fie 3 m 3eit ohne Kopf erfdjeinen, ift ebenfalls mythifh, ba bet 
Kopf als Sit$ bes £ebens gilt. (Kühnau I, 38, 43 , 51.) 

Huf uralte Dorftellungen beuten auch bie 3eiten, an benen fich bie ©eiftet 5 
heete 3 eigen; 3 m $aften 3 eit, H)eihnachts 3 eit unb in ben 3 toölf Rächten unb 3 U 
Hlletfeelen 3 iehen fie um. (©rohmann 2 ; Kühnau I, 4.) fln bie fagenhaften 
fjelben in Bergen erinnert bas unterirbifche tDaffengetöfe, oon bem Sagen 
(Kühnau I, 39) 3 U et 3 ählen toiffen. Hlythifch ift auch bie Dorhetfage tom* 
menbet ©reigniffe burch Schlachtfelbgeifter. (Kühnau I, 42.) Beachtenswert 
ift ferner bie ©atfache, baß alte ZDälle unb ©rabhügel oon ben Sagen Riefen 
3 ugef<hrieben roerben, in foldjen ^ügeln mürben tDaffen gefunben. (Kuhn, 
Rtätfifche Sagen 157.) 

Dielfach 3 cu 9 en auch bie Benennungen ber $luten oon Kämpfen, bie 
hier tobten, fo finbet man „©otenhübel" (Kühnau, Schlefifdje Sage l, 40), 
„©otenmiefe" (ebenba I, 39), „Kriegsmiefe" ((Eifel, Sagenbuch 284), „Schlag 
berg (Kühnau I, 38). fln berartige $Iuren fnüpft oft bie Sage ihre ertlärenbe 
©r 3 ählung. ©ine planmäßige Durchfudjung aller beutfehen $lurnamen mürbe 
3 ur flufflärung oergeffener Schlachtfelber führen unb manches gefd?id?tliche 
©eheimnis enthüllen. 

3ur Bilbung oon Sagen regten manche ©e}d]idjts= unb Raturbenlmäler 
an, fo förbern im ©elänbe 3 erftreute Kreu 3 e bie Sagenbilbung. (©ifeU 
Sagenbuch 284; Köhler, DoKsbraud? 594; ©rohmann 2 .) Seltfame Ratur* 
erfheinungen haben Schlachtfelbfagen gebilbet, fo meift bie oerbreitete Sage 
00 m Steinmunber auf alte Schlachtfelber. Diefe Sage lautet: Ridjt gar toeit 
oon Sal 3 mebel bei Bobbenftäbt, ba liegt ein Stein, in bem fieljt man beutlich 
bie Spur eines Pferbehufs unb einen tiefen ©infctjnitt, als menn einet mit 
bem Degen hineingehauen hätte. Da follte nämlich einmal in ber ©egenb oon 
Sal 3 mebel eine große Schlacht ftattfinben unb bie fjeete ftanben fdjon einanbet 
gegenüber, als bem ©eneral ber einen Partei plößlidj ber Rlut fant unb et 
ftch 3urüd 3 iehen mollte. Alle übrigen ©ffi 3 iere brangen in ihn, er folle bie 



Don Otto Bödel 


41 


S<fela<fet liefern, benn fie würben fiefeet fiegen; aber er war niefet 311 bewegen 
unb rief: „So gewife mein Pf erb niefet in biefen Stein treten unb mein Säbel 
ifen nidjt fpalten wirb, fo gewife werben wir niefet jiegen!" unb wie er bas 
fagte, tjieb er wilb auf ben Stein los unb fiefee ba, bet Säbel fowie bet £juf bes 
Pferbes btangen tief hinein. Da ging er mit frohem IHut 3 ur Scfelacfet, bie 
mm auefe gewonnen würbe. (Kufen, Hlätfifcfee Sagen 39.) Dasfelbe Stein* 
rounber wieberfeolt fiefe in ber feeffifefeen Sage, es wirb als „not bem 30 jährigen 
Kriege" gefefeefeen bejeiefenet. (Pfifter, Sagen aus Reffen unb Haffau 136.) 
Dom Bidel|tein, einem erratifefeen $elsblod im tjerjogtum Braunfcfeweig, 
ber eingefeauene fjufeifen unb Kteuje aufweift, et 3 äfelt bas Dolt gleiches, 
(flnötee, Btaunfdjweiget Dolfsfunbe 395.) Offenbar feaben bie Spuren 
auf bem Steine fagenbilbenb gewirft. 

Sfelacfetfelber würben feeilig gehalten wegen bet ©täber, bie fie umfaffen, 
bie Sage mafent, bie (Befallenen 3 U fdjonen: wer bie (loten ftört, bet wedt fie 
aus bem Scfelafe. ((Eifel, Sagenbucfe 65.) Heben ber Stabt IRarienwetber 
gegen IRftternadjt liegt ber fogenannte „Rotenberg", ber feinen Hamen baoon 
Ijafe bafe unter ifem bie teilen ber im polnif<fe=fd}webifcfeen Kriege gefallenen 
Krieget begraben liegen. Die (Seiftet betfelben bulben nidjt, bafe feiet ein fjaus 
gebaut wirb, unb als einft femanb ben Derfucfe maefete, ba erfefeienen fie ifem 
unb erflärten ifem, wenn er feinen plan ausfüfere, werbe bas feaus wieber 
einftüt 3 en unb ba feat et es gelaffen, (©täffe, Sagenbuch bes pteufeifefeen 
Staates II, 640.) ©tabfefeänbet werben oon bem (Eoten mit bem blitjenben 
Degen oerfagt. (Küfenau, Scfelefifcfee Sagen I, 568.) 

Die Sage weife oon treuer ©räberpflege 3 U berieten. Rufeeftätten un* 
befannter fjelben fcfemüdt treue Ciebe nodj naefe 3 afe* 3 efenten. hinter bem 
Dorfe donnemife, eine Stunbe oon £eip 3 ig, am Ufer ber (Elfter, recfets auf ber 
Strafee naefe 3 ®enfau, befinbet fiefe bas fogenannte „$tanfengrab". ©s foll 
unter bemfelben ein fta^öfifdjet <Dffi 3 ier liegen, bet in ber Haefet 3 um britten 
Sdjladjttage ber Dölterfefelaefet bei £eip 3 ig im 3 afere 1813 feiet gefallen ift. 
flngebliife feätte et feinen (Eob oorausgewufet unb benfelben. einet unglüdlicfeen 
Ciebe fealbet felbft gefuefet. Sonbetbarerweife fanb fiefe aber feitbem beim Hlor* 


9«ngtauen bes 3 ofeannistages alljäfetlicfe bas ©tab frifefe befrän 3 t unb bas 
Dolf et 3 äfelte, es gefefeefee biefes allemal bie Ha(fet ootfeet um bie 3 wölfte Stunbe 
Don einer fcfewar 3 ge!Ieibeten Dame, bie in einem mit Rappen befpannten 
®«gen bes IDeges fomme. £Us not einigen 3 wan 3 ig 3 aferen bas ©rab oon 
km ausgetretenen DOaffer 3 erftört unb bas barauf befinbliefee Kreu 3 weg* 
9«iffen warb, fanb man beibes plöfelicfe wieber oon unbefannter fjanb feer* 
gcftellt. (©täffe, Sagenfefeafe bes Königreiefees Saefefen I, 379.) So feabe iefe 
°k £ € *P 3 iget Stubent 1879 bie Sage noefe gefeört. 

Als Refte alter S(fela(fetfelbfagen tonnen arnfe bie ptopfee 3 eiungen gelten, 
,e gewiffe uralt feeilige Orte als Sdjaupläfee grofeet Dölterfämpfe ber 3u* 



42 


Scf)lad|tfelbfagen. Don ©tto Böcfel 


funft nennen, bie 5et Dolfsmunb als „letjte" Sd]lad]ten not bem IDeltunter* 
gang bejeidjnet. ©täffe (Sagenbuch bes pteufeifd]en Staates I, 735 ) berietet 
folgenbe IDaljrfagung: ©ine alte in gan 3 IDeftfalen befannte Ptop^ejeiung 
fagt, es roerbe einft ber Süben gegen ben Horben bie IDaffen ergreifen unb 
man roerbe fidj oereinen, um roegen ber ©ber^errfdjaft bes ©rbfreifes 
3 U fämpfen. mitten in Deutfcfjlanb roerben fie aufeinanber treffen, aber in 
ben ©egenben Hieber=Deutfd]lanbs roirb ber Kampf entfdjieben roerben. 
Das ©reffen foll am Birfenroälbdjen bei Bubberg, einem Dorfe bei Unna, 
beginnen. Die bärtigen Dölter bes Siebengeftirns roerben fiegen, bod] ihre 
Scinbe roerben fid] roieber ftellen unb mit äufjerfter De^roeiflung fämpfen. 
Dort roirb jene ITCacfyt oernid]tet unb es roerben faum einige übrigbleiben, 
um bie unerhörte Hadjridjt 3 U oetfünbigen. Der $ürft aber, bet jene grofee 
Sd]lad]t fdjlagen roirb, roirb oon Bremen (einem Dorfe bei IDerl) nadj ber 
fjaar (einer Anhöhe bei IDerl) reiten, bort roirb er fein Kufjefiffen forbern 
unb mit feinem $ernroljte nad] ber ©egenb bes Birfenbaumes fetjen unb bie 
$einbe betrachten. Darauf roirb er bei tjoltum (einem Dorfe bei IDerl) oot 5 
beireiten, fjier fteljt ein Ktu 3 ifij 3 toifd]en 3 toei Cinbenbäumen; oor biefem 
roirb er nieberfrtien unb eine 3eitlang mit ausgeftredten Armen beten. Dar* 
auf roirb er feine Solbaten, bie roeifegefleibet finb, ins ©reffen führen 
unb nad] blutigem Kampfe Sieger bleiben. An einem Bache, ber oon flbenb 
nad] IHorgen fließt, roirb bas fjauptmorben fein. tDet]e, roetje Bubberg unb 
Sonbetn (einem Dorfe bei IDerl) an biefen ©agen! Hach bem Kampfe roirb 
er ftegteiche $elbl]err in ber Kapelle 3 U Schafhaufen an ber haar eine 
re e palten. 3ener alte Birfenbaum ftanb 3 roifd]en Ijoltum, Kird]=l]emmerbe, 
nna unb IDerl; er oertrodnete, es ift aber neuerbings ein anberer Baum 
an ferne Stelle gepfla^t rootben. 

Dreifältig finb bie Hamen ber <3)rtlid]feiten, bie oon bet Sage als Statten 
/n -4 1 C r\ f 30 )ifd]en ©hriften unb Ungläubigen genannt roerben. 
t °vr ° oI ? a 9 e 41 «) flu f ö et roeiten ©bene oon IDals, bem „IDalferfelb", 

n e ^. r C J C ^ ac ^ H a ^finben, in ber Kaifer Stiebtidj Sieger bleibt. (Pan 5 

T ~ r !, f a . ^ a 9 cn 15 - Häheres bei ©latb tjugo meyer, ©ermanifche 

ft* ! 18,) ^a>ifd]en Sadshöhe (Heu= 3 i 3 oro) unb Köpnii} befinbet 

lDeId}e Jid? 3 ur IDipper hin in ein beträchtliches ©al, bas 

lobt,. n rr W era)citcrt - *? iet »«ö bereinft, fo behauptet bie Sage, bie 

hem *«!•* Sd £ ad?ten 9«Wfogen roerben. (Knoop, Dolfsfagen ufro. aus 
oem ofthehen Sinterpommern 92 .) 

Beitrhrtlfn finb häufig an ehrroütbige Bäume gefnüpft. (IDolf, 

barmif hi ' x u’l * öerbinimn 9 Eiligen, geheimnisoollen Bäumen roeift 
als ©,!mm'r Ö l n ® ctmancn ein Kul * öes Schlad]tfelbes ftatt hatte, bafees 
roar Ä m in ^ tcn »«b religiöfer Derehrung geroeiht 

efte tneferSchIad]tfelbroeihe finb bie beutfehen Sd?Iad?tfelbfagen. 



Da gegenwärtige Krieg unb bi« bramatifdj« Citeratur. Don Robert Petfdj 45 

Der gegenwärtige Krieg unö öie öramatifäe Literatur. 

Don Robert petfdj in pofen. 

Die ungeheuren ©teigniffe, öie wir täglich um uns herum fidj abfpielen 
fehen, heben auch auf bem ©ebiete bet Citeratur neues Ceben geroeeft unb 
|ogat ihre Schatten ootausgeworfen. 

Wie eine gewaltige Jntrobuftion war ber Kriegsbichtung bet ©egenwart 
ein 3yflus oon ©ebichten oorausgegangen, ber bem Jahre „1813" galt, wohl 
öie amef)tigfte poetifche Detflärung ber Sreiheitsfriege, bie uns bie Bereit 
befdjett hat. (Ernft Ciffauer 1 ), einem Sohne bet Reidjshauptftabt, bet biefe 
mächtigen Rhythmen erflingen liefe, ift es weniger um bie gtofeen Sühtet, 
jo gut wie gar nicht um bas bynaftifche ©lement ber Dolfsbegeifterung 3 Ü 
tun; aber et hat bie ungeheure Dolfsbewegung gemalt, wie fie ber ©tiffel 
feines Dichters unb ber pinfel feines RIalers, auch nicht berjenige fjoblets 
fo toohl getroffen hat, beffen Jenaer Bilb biefem „Drama in ©ebichten“ ooran* 
geftellt ift. Als blofee „Silhouetten" erfcheinen uon 3eit 3 U 3eit, mit epigram* 
matifdjet Kw^e gejeichnet unb nicht immer gan 3 fdjarf getroffen, bie Kleift 
unb Sichte, bie yorf unb Stein unb, nur 3 U ärmlich, Stiebticf? Wilhelm III. 
neben ber hoch ins Rlythifche gefteigerten ©röfee Hapoleons. Aber wie paefenb 
greift bas bumpfe ©rollen bet Hot 3 eit, bie wortfarge, grimmige Wut ber 
Ulifehanbelten an unfer fjet 3 , wie fteigern {ich ^ie Af 3 ente bei bet 3 eit ber ©r* 
hebung: ein Rteifterftücf enblich unter ben „ 3 wif<henfpielen": ber „ffieheim* 
bunb", bet bem „Waffenftillftanb" folgt; ein impreffioniftifches Bilb, eine ge* 
btungene Prebigt, bann ein oielfagenbes Detspaat am Sdjlufe: wieoiel £eben 
m biefe wenigen 3cilen 3 ufammengebrängt unb burch meifterhaften Aufbau 
unb prägnanten Ausbtucf 3 U höchfter Wirffamfeit gefteigert — faum eines 
bet ©ebidjte ift fo be 3 eichnenb für bas Pathos unb bie $ormfunft bes Dichters: 
Rotfahl 

Sacfelfdjein fpiegelt auf Säbelftahl, 

3m fjaoelberger Dom, 

3n ber Pfingftfonntagnacht, 

Wie bes Ptebigets ©alat 
S<htoat 3 ihre ©rächt, 

Reun Cüfeower fteijn um ben Altar. 

£eis flirren bie Sporen unb fcheinen wibet uon Pfeiler unb Wanb, 

Der Prebiget fpri^t: 

3ht feib oetfammelt 3 U Rache unb Strafgericht: 

Wibet jeglichen £anbfeinb febirmt ihr bas £anb. 

Rüd lehrt Rot, 

Schmachfriebe broht, 

©et Stieben fcfjliefet, übet ben fptedjen wir ©ob. 

^ m Pf irrt bet Schall um in ben Schiffen; 

— Die S chtnurfäufte ruhn auf ben ©riffen. 

I) fcnft Offauer, 1813. CEirt 3yflus. Rlit einem Bilb von fjobler. Jena 1915, Dieberidjs. 



44 


Der gegenmärtige Krieg unb Me öramatifdje Literatur 


IDas fagcn öiefc 3eilen in unfeten Sagen! $aft 3 ucft es in uns auf, »oreilig* 
fentimentalen $riebensbläfetn öie fettige Dehnte auf Öen fjals 3 U ^e^en. 

Der ©rimm öes Dieters entläöt ft<h wohl auch in Bitterer Satire, ctroa 
auf Öen „gefreuten ©aul" non feuöaler Dollblutraffe, öer burchgeht, inenn bem 
Canöfturm £ob gefprochen wirb, ober auf Öen „großen Krebs" bet Reaftion. 
fluch ein „£üi$ower tjanbftreidj" gelingt ihm wohl, wie alles, too geörungene, 
epigrammatifd^e Kür 3 e innerlich glübenbe Kraft nerraten foll. Das grofee 
Schlachtgetümmel Öar 3 uftenen ift ihm freilich nicht gegeben, unb feine gan 3 e 
Dichtung nerläuft in öie Klagegefange um bas tDiener Kongrefeuntnefen unb 
öie enttäufc^ten Hoffnungen öes nur äußerlich befreiten Deutfdjlanb — auch 
Bier fdjlägt unfet H «3 mit in öer Sorge um ben Stieben, Öen uns unfere Diplo* 
maten unb um bas neue Deutfdjlanb, bas uns bie ©taget unb $ül}ter unfetet 
geiftigen Kultur geben follen. 

IDirb ber RTorgen tagen? IDir fagen: 3a, benn mir haben in ben Sagen 
bet letzten ItlobiKfierung unb bes flufmarfefjes tDunber ber Dif 3 iplin unb ber 
fittlichen Selbfoudjt erlebt unb mir toiffen, bafe Öiefelben RTädjte, bie ba ge s 
mirtt haben, bösere ©ernähr bes Sieges in fidj bergen als Öie tobe pbyfifö c 
Kraft unb ber blofee, leibenfdjaftliche „©lan", bafe fie auch fernerhin ©tofjes 
»«bürgen, ©s ift notwenbig, ficb bas oot Augen 3 U beiten, wenn man an 
bie oergangene 3eit Öer De!aben 3 unb bet impreffioniftifeben Knocbenerroei' 
ebung Öenft unb tuenn man biet unb ba bemetfen mufe, wie ein 3 elne ITIeifter 
abfeits fteben, bie man für tiefe Sebet unb 3eicbenbeuter ihrer 3eü htflt- 
3roat haben Dichter toie ©erbart Hauptmann unb Ricbarb Debmel, 
Ptofaifet toie fllfreb Kert unb ©mil £ubwig übertafdjenb fdjnell ficb 
bie neue 3 eit unb Öen neuen ©eift hmeingefunben. 3 b rc £ytif, ibte apho* 
riftifdjen flugenblidsfchilbetungen, au<b ihre öffentlichen ©tflärungen — ein 
neues $elb Öeutfcben Schrifttums, auf bem ber ©eneral »on Stein nicht 
getingen Ruhm geerntet bat — fie alle 3 eugen baoon. Aber too bleibt bas 
Drama in biefer bramatifchen 3eit? Die Antwort ift nicht leidjt. Dor bem 
Kriege batte ©erbart Hauptmann mit feinem uielbetufenen Seftfpiel 
3 ®ar bem ©infidjtigen tiefe £iebe 3 U Dolf unb Daterlanb »erraten, aber mit 
feiner fühlen Überfdjau bes EDeltmarionettentheaters boeb jenen Seelenauf* 
febtoung nicht erteilt, ohne ben wir bem ©eift »on 1813 nun einmal nicht 9 e * 
recht werben fönnen unb ohne ben man auch unfetet 3 «t nicht gerecht w«* 
oen fann. Damals wies man wohl auf öie biftorifeben tDerfe feines Brubets 
©arl bin, »or anem auf bie Öramatifcbe Dichtung „Kapoleon", bie 3 war 
xc ftarfe, gefdjlofjene tDillensnatut öes Kotfert nidjt ausfdjöpfte, <&& 
mit taufenb febarfumriffenen Augenblicfsbilbern bie Stimmung bet gtofeen 
unb febweren 3eit »or 100 3abren bis 3 U einem hoben ©rabe wieber 3 uerwecfen 
oetftanb. 1 ) Run bat Carl Hauptmann ein IDetf unter bem ©itel „Krieg* 

H Dgl. 3eit[cf}t. f. b. beut|d)en Unterricht, Bb. 28, S. 492. 



Von Robert Petfdj 


45 


oeröffentlicht uni» damit 3 U Öen Dotgängen des (Tages in fünftlerifcher tDeife 
Stellung genommen. 1 ) Aber „rote anders roirft dies 3eid?en auf mich ein", 
roie gtaufam wird die (Erwartung enttäufdjt, mit der man dem IDerfe naht. 

Piefes gefdjidjtlidje töert lennt teine führenden perfönlichfeiten (mögen 
|ie nun lpftorifche oder erfundene Hamen tragen), feine hinreißende menfeh* 
lid?e ©röße, es fennt nur (Typen und typifdje (Träger einjetner fchroacher 
lüillenstegungen oder mächtiger Stimmungen; alles indioiduelle £eben er* 
jdjeint nach neuromantifchem ZlZufter in feine Atome jerfpellt, gerade als 
hätte der Dichter die leßten Htonate nicht miterlebt, als feien ihm die fd}atf* 
umriffenen ©eftalten des Kaifers und des Kronprinjen, die hßtoifchen Hatureh 
eines tjmdenburg und eines Befeler, die unoergleichliche Sülle petfönlichen 
Cebens bei ®ffi 3 ieren und ©emeinen entgangen, die jeder Blicf in ein üyarett, 
eine IDachtftube, einen ©ifenbahnroagen einen fo feinen Seelenfünöer roie ihn 
lehren fönnte. IDohet das alles? 

Dielleicht gibt der Untertitel eine ©rflätung: „(Ein (Teöeum" nennt (Earl 
hauptmann fein tDerf. Aber roas für ein ©ott roird h^r gefeiert oder »et* 
antwortlich gemalt für die IKenfchheitsgefchichte? Uicht der, dem der große 
Sreidenfer oon Potsdam fein (Teöeum anftimmen ließ, auch nicht einer, den 
wir in flüchtet menfchlicher §otm „Dater" nennen fönnen, um das Unaus* 
fptedjliche bildlich aus 3 uörü<fen; nicht einmal der große Htarionettenfpieler 
©erhärt hauptmanns, der doch toenigftens finnoolle ©edanfen äußert: es 
ift ein ©ott, deffen IDefen und IDirfen nur in mythologifchen ©ebilden an* 
gedeutet roetden fann, es ift der ©ott, der in die entnerote ID eit, in die 3 er* 
freffene ©efellfdjaft, in den Cänderfchacher der ©roßmächte plößlid} feine Qxy 
engel hineinfendet und durch einen eremitifchen ©reis den Kriegsruf erfdjallen 
jäfet — um denfelben Alten nachher elend oerblöden 3 U taffen; der ©ott, der 
w allen Cagetn der Kämpfenden brutale Ceiöenfdjaften entfeffelt und, roenn 
«e ülotdgier fich überfchlägt, die „fdjeufäligen ©eftalten" der Seuchen und 

(Elends ausfehidt, um diefer Utenfchheit, h 0( h und gering, grob und fein, 
»mtleidig und gtaufam, gan 3 und gar den ©araus 3 U machen; der nicht ruht, 
ts feine Säule des alten Kulturgebäudes mehr fteljt, bis über den rauchenden 
rummern der IDelt ein rosiges Häuflein oon Krüppeln fich 3 ufammenfinöet, 
! c . m fa® findifchem Callen oon dem (Entfchrounöenen fafeln und angefidjts 
nmger 3erlumpter UJeibet mit Kindern auf dem Arm die erften $tühlings* 
u fte des $tiedens atmen: es ift wieder eine ©eneration im IDeröen, die nach 
nIL 9 e nügenden 3eitfpanne fi<h aufs neue 3 etfleif<hen fann. Das ift die 
^cttnwlodie in diefem (Teöeum! Die alte Romantif, 3 U der roit einen Heinrich 
rc( h ncn dürfen, h<*t uns nur eine ©attung des Dramas ge* 
a *t: die Schicffalstragödie unfeligen Angedenfens: roas andets ift diefes 
e wtomantifche „(Tedeum"? Daß einem Dichter oon fo ungewöhnlich feinet, 

P «atl hauptmann, Krieg. (Ein lebeum. Ceip^ig 1914 , K. IDolff. 



46 


Der gegenroörtige Krieg unb bie bramatifdje Literatur 


poetifdjer flnfdjauung, oon fo burchgebübeter ITlacht über bas IDort, trie 
Carl fjauptmann pacfenbe, ja ^tnreifeenbe EDirfungen, ba& ihm höcfjft leben* 
bige Sjenen gelingen, fteljt oon oornhetein feft. Aber bet ©egenjatf 3 rot(^en 
bem brutalen Htinifter, feinem feinen, in Rädjftenliebe aufgehenben, oijionär 
veranlagten XDeibe unb bem Sohne beiber, bet ficf} im £eben nicht 3 ured)t= 
ftnbet, Sdjulben macht unb einem hübfdjen 3ubenmäbchen ben Kopf ©erbtest, 
um bann erft plötjlich im Kriege feinen piatj 3 U finben — er roirb nit^t eigent* 
lic^ bramatifch ausgebeutet, bie $iguren nicht in Ijanblung oerfetjt. flm meiften 
£eben atmen bie Dol!sf 3 enen oot bem Schlöffe bes ITTinifters, unb rtic^t blofe 
eines Hoftanb, fonbem eines ©. C. fl. fjoffmann toürbig ift bet poetifdje <be* 
bante, bie Dertreter bet ©rofemädjte in Cietmasfen, als Bären, fjaljn, flblet 
ufto. im Schlöffe bes Zttinifters abfteigen 3 U Iaffen. $teilidj hat bet Dieter feine 
3bee mehr epifch als bramatifd} ausgefübrt unb bie Bübnenanioeifungen 
geben bas Befte: 


Rtmifter Kail: (Es toitb eine uridjtige Konferen3 bi« ftattfinben, Portier 
’ ? ? n ’ eman b ungerafen biet bereinlaffen . . . toeber £ebenbige nod) lote 
. . . b®b<*bab a b a • • • freilich, Cote fönnte man nicht mehr an ber ©utgel fajfen 
... unb bmaustoerfen, wenn bie auch fämen . . . 

n r> x- /v ^ 9 e ^ ins Schloß 3urüd.) 

.. «fl P ot * ,et (bet fich bem offenen Core näbert). fja... ba haben toir fhon 
• * x ft Ct v n9 • * • ( er erftarrt mit entfextern ©eficfjt, ben großen Schlüffelbunb 
m bet Panb. (Es lommt eine neue Sänfte. DöIIig geifterhaft, geräufcblos. Das 
tti(entor tut fich oon feiber auf. Betreute Dienet unb IDürbenträger. Aber 
I x a x „ en!ö Pf c ; Sichtlich nur polnifche Uniformen, ©änjlid} gerauft 
los outch bas Cor unb bie Cteppen betan3iebenb. Cs erfdjeinen leinetlei (Emp* 
Tangspetfonen. Der Sänfte entfteigt ein in Hermelin gehülltes IDefen mit einem 
oeinernen Raubtierfchäbel, fdhroebt geräufcblos bie Cteppen empor unb oetfd)tDtnbet 
™ 05 xim, - ^ bie Sd)Io[}tür geräufcblos oon felbft oor ihm öffnet. Die* 

x « un ^ Sänften oerfchroinben gütlich geräufcblos unb 

nni Is fit, ®*. e ^ et P ot ^ cr Hd? enblich 3ufammenrafft aus Crftarrung, entfliehen 
mie möglichen jungen Paare, Damen unb Herren ber ©efellfchaft, auch junge 
air rC / m x a b flmcn um flrm geräufcblos toie Schatten aus bem häufe.) 
mie (nur burchemanbet flüfternb): Cs finb emfte 3eiten plö^lid? angebrochen 
... es finb emfte 3eiten plötzlich angebrochen . . 

fluch für ben groteslen fjumor haben roit oiel übrig, mit bem ber Dichter 
1 nu De . r ^ te ^ en .,europäifcf}en Redjenmeifter" am ©lobus immer roieber 
r!! e a £ 0 ? cn bemonftrieren läfet, bis bie hoben herrfchaften, bie 3U roieber* 
, . cn a nur mühfelig 3 ufammengehalten routben, enbgültig ihre Be* 
jungen abbrechen unb ben gtofeen Rechner fifcen Iaffen: 

m burchlauchtigften ©rofemächte, ich gebe es oollftänbig. 

e?n r l ?r 3U m öet flnIa 9 e biefet unfeter fteinigen (Erbe überhaupt 

m£non?- C x m i “"topfen; • • biefet $ehler ift bas infame 3 ufammen* 
ieitiaen Steilen * • • cs mu fe eine Beregnung ber mechfel* 

«tb? eine oam» »"5 CÖ t in9t Scfunöen »erben ... es gibt fa gewiß auf unfeter 
ganje Reihe fogenannter ©roßmächte ... bie fich alle behaupten wollen 



Don Robert Petfd) 


47 


... je gtöfjer, befto beffet... aber es'gibt öodj feine größere ©rofemacht, bie fid? 
übei 3 eugenber bejahte, als bet 3 a^lenmäfeige DottetI. . . ich habe meine ©olb* 
roage... idj wäge unb möge . . . idj toerbe euch ©rofemädften jefct jeöes Sanb* 
lörn^en oon Dorteil ootroägen" . . . 

Aber fdjon greifet bet (E^engel heran, um ihn mit bem Schroerte niebet* 
3 U^auen. Dem (Einbtud biefes „erften leils" fommt im folgenben nichts gleich. 
Die roüften Sdjlac^tfjenen erinnern hödjftens an einen ©tabbe; aber wenn 
hauptmann ben (Seift Hapoleons, ben „abgebrochenen Staatsphantaften" 
febilbem roill, bet aus feiner ©ruft entftiegen ift als Sdjtedensgefpenft biefes 
IDeltfrieges, bann bleibt et nid}t blofe hinter bem Dieter ber „fjunbert Hage", 
fonbem hinter feinem eigenen Bonapartebrama roeit 3 Utüd unb roirb am 
wenigften einem Kriege gerecht, beffen treibenbe lUäcfjte fo gar nicht an Ila* 
poleon gemahnen: IDo roat bei Deutfdjen unb ©fterreichern jene pljantaftifdje 
Selbft* unb (Erobetungsfucht bes Kotfen, roo auf feiten unferet $einbe audj 
mir ein Schatten non bet petfönlidjen ©töfee bes erften Hapoleon? Ulan höre 
ben „Staatsphantaften": 

*3dj bin bie ©eroalt tnibet bie ©erpalt . . . idj bin bie Demicfftung roiöer 
bie Demidjtung ... 3cf? bin bas etbattnungslofe fj«3 roiber bas erbarmungslofe 
h e *3 • • • mein Reich ift nur non biefer IDelt... 3<h fahre einher, finfterer tnie 
ein ©eroitterfturm, hellerlicht tnie ein $euerobem, bet Dörfer unb Stabte in blutiger 
tolje entjünbet. 3<h bin bet grofoe ITTörbet... ich habe glügelfühnheit, bie mich 
butch allen Jammer bet (Etbe hinträgt... trofc £umpenmantel... ein gepokerter 
(tyerub • •. DTein ift bet Ktan 3 ... mein ift bie Krone ... mein fjoryont ift roeit 
wie ber IDeltenfaum ... ich habe eine Derljei&ung in ber Bruft fochen ... ich 
höre let)te ©höre bie £uft roie Siegesjubel erfchüttem ... ich höre bas Jaulen 
bet morgenfterne... bort... bort... fern... fern... fehe ich es im morgenlichte leuch* 
• • • gan 3 e Reihen ... fonnige, felige RTenfchenreihen ... frieblich menfeh 3 « 
menfd} gefügt, roie bie ftillen funfelnben Sterne .. . hei» h c »« ifa Srongeifter, ihr 
9 teuen motten ... ihr Kummetleiber . . . i<h bin ber grofee Krieg . . . Rolle, 
©olbroagen, butch Ströme oon Rtenfchenblut.. . Rtillionen 3 ermalmenb . . . ich 
®ill in ben neuen morgen fahren." 

Aber roas er oerljeifjt, ift blofj ein tDoIfenfucfudsheim, bes rohen Steibets 
® et *' bet mit golbenet ©eifjel in bie joljlenbe Waffe hineinpeitfchi, bie er oor 
feinen Siegesroagen hot flirten Iaffen. IDahrlid?, es hotte anberer petfoni» 
füationen beburft, um ben ©eift biefer 3eit 3 um flusbrud 3 U bringen. Unb 
lettft bie lebten S 3 enen mit ihrem abgetiffenen Stimmengeroirr ergeben nicht 
ieiten reinen Klang, bem ber Dichter augenfcheinlich 3 uftrebt unb ben er mit 
feinet Ietjten Bühnenroeifung anbeutet: „Das fjirtenlieb bet einfamen $löte 
mi ^t fich lebhaft batein, roährenb unter Jubel bas gan 3 e Bilb in Dunfel fmft." 

^lan mag Carl fjauptmanns Dichtung als poetifchen, ftellenroeife tief 
poetifchen Ausbtud feinet perfönlichen flnfehauung ehten, aber biefe An» 
|~i Quun 9 ift bet feines Dolfes fo ftemb, bafj roir fein XDetf mit tiefer (Enttäu* 
Rung aus ber fjanb legen: bet beutfdjen Uationalliteratur gehört es nicht ah, 
®eil es ju einet 3eit erfcheint, roo bas ©efühl bes Dolfes aufs tieffte erregt 



48 


Der gegenroärtige Krieg unö öie bramatifd)e Citeratur 


ift unö weil cs öicfcm $ühlen nicht antwortet. fjiet ift öct Dichtet nicht öer 
gewüröigte Sehet unö öct begnaöete Sprechet [einet 3eit — fyödjftens einet 
fleinen IDintelgemeinöe, unö tuet möchte jefet 3 U ihr geböten? 

Augenfcheinlich ift öas öem Dichtet nicht oerbotgen geblieben, unö et hat 
Öen Detfuch gemacht, mit Öen gtofeen (Eteigniffen öer 3eit nähere $ühlung 3 U 
gewinnen. So erflärt fid} öie (Entftefjung öes „Altes": „Die loten fingen", 
öet twglich in öet 6 . Hummer öet 3 eitfchrift „Übet £anö unö IHeer" eiferten. 
Aber auch öies fchauetliche Hadjtbilö non Süttidj oermag uns nicht ooö 3 U be= 
ftieöigen. IDohl ftarrt uns öas Blut angeficfjts öiefet fterbenöen Kämpfet, 
öie 3 u>ifd}en Staum unö IDachen, 3 toifdjen Soö unö £eben noch oon Öen 
btemtenöen Sotts, oon öahintafenöen pfetöen unö (Sefdjüfeen fafeln; ja uns 
felbet örohen öie Sinne 3 U oergefyen, wenn toit öem Artillerieleutnant 3 uhöten: 
„ZITan bebt... feljen Sie es nicht... oöet ift es nur eine Difion... öas gan 3 e 
weite Hadjtfelö ift wie ein Kirchhof am Allerfeelentage... öie toten Solöaten* 
feelen erwachen wie aufrechte Slammen... unö jeöe Seele fingt "; unö wunbet* 
bat ergreift es uns, wie öie loten in öet ©eifterftunöe öet Rächt Öen 
öeutfdjen tjod?gefang anftimmen: „Deutfdjlanö übet alles." 3 a, öet Dieter 
weife uns gewaltig 3 U paefen, aber et witö öem gtofeen (Blauben öet 3 ^it bod} 
ni(^t fo geredet wie Öen Sdjreden öes Krieges, aud) nicht mit feinet Sdjlufe 5 
[tropfe: 


Stanfteicb, Gnglanö, ihr Derräter. 
Ruffenbotöen euch gefeilt, 
t)abt uns hämifh Ijafe gefdjrooren, 
Iteiögefdjwollen uns umftellt . . . 


IDit, wir tämpfen, bis wir fiegen, 
Bis öet Ijeudjlet Bunö 3 ctfc^ellt. . . 
Deutfdjlanö, Deutfhlanb übet alles, 
Übet alles in öet Hielt. 


Dramatifches Heben 3 eigt auch öiefet Alt eigentlich nicht, unö öie oofle 
Bühnenwirlung foll öem IDetle nach öem Bericht oon (Erich 3äQ eI 0 n öet 
„Schönen Citeratur") bei öet Aufführung 3 U £eip 3 ig oerfagt geblieben fein. 
Auch öie oft fo wunöetbar etgteifenöen Rhythmen öes gtöfeeren tDerles 
würöen bei einet Aufführung wohl im £ätm öet Ijanölung untetgehen. 

Bühnenwitffam im hohen (Brabe unö öem innerften (Behalte nach eine 
wahrhaft toftbare Ausgeburt öet gtofeen Stimmung oom Auguft ift öas Bühnen* 
fptel oon Wilhelm Schmiötbonn: „1914"; aber ein Drama haben wit auch 
m ihm nicht erhalten. 

„Der Auftritt fpielt 00 t itgenöeinem bunten Such", fo helfet es im Drucf 
Des Spiels, öet anfangs September im „£iteratifchen (Echo" erfolgte. Aber 
öie Berliner Aufführung map Reinharbts traf hoch wohl öas Richtige, inöem 
öet Seinen Sperre jenen Jjintergrunö gab, Öen toit aus Scfjntiötbonrts 
ineiftetet3ählungen tennen, Öen Rieöetthein, wo öer Bauet unö öer $abrifant 
mi emanöer um Öen öeutfehen Boöen ringen. Rlit feinem (Befühl war Stufe 
etn en Weifungen öes Dichters nachgegangen unö wie ein (Bebet an öie 
nahrungfpcnöenöe Rlutter (Eröe Hangen aus £ucie tjöflic^s IKunbe öie wunöer* 



Don Robert Petfdj 


49 

baten Hinten, Me bas tDerf bes Alltags mit bet friebeooUen ©lut bes 
fjochfommetabenbs übetgolben: 

Hagtoerl getan! Den reifen Sommer 
Bring idj jefet IRann unb Kinbern ins fjaus. 

IDie tut 3 erft, bafe mir im grühling ftanben, 

Auflagen ins fable ©ejtoeig, 

Unb bie Knofpen anrübrten mit ehrfürchtigen gingetn. 

3e_bt |tebt bas Korn mannbocb über bie f?ügel, oon IDettern nicht 3 erfchlagen, 
Hübe unb Pferbe im ©ras glasen runb. 

3 efct fommen bie Abenöe oor ber Uür, 

Da ber fftüller bas IDaffer r»om Rab abfperrt, 

Da bie Sdjornfteine ber gabrif ohne Rauch ftefen, 

Da bie Hachborn ficfj 3 U Öen Hachborn [eben, 

Unb £adjen butdjs Üal ruft 
Überallher, 

Unb hier unb ba bas £ieb eines IRäbchens . . . 

U)iIifommen t Sommer — 3 eit bes gefegneten gelbes, 

Der geöffneten Scheunen, ber gebirgig belabenen Karren. 

Unb bies fegengefättigte Büb reifet ber Krieg graufam in Stücfen. Auch Sd/mibt* 
boitn fdjaut iljn mytfeologifdj, ins ©ren 3 enlos*©taufige gefteigert: „Xltit hagern, 
roeitgejefeten Beinen, bas ©efidjt gan 3 bleidj, eine blutige Binbe fdjräg übet 
icm fluge, blofeljaarig, über öem Rüden bas (Bewehr mit aufgeftedtem, blu* 
tigern Bajonett, oor ben Sdjenfeln bie tiefenhafte ©tommel, bie er mit hoch* 
®ufgehobenen fjänben fdjlägt." IDie bas ©efrädft ber ©eier, bie ihn begleiten, 
önt feine Stimme, rohe IRifehanblungen be 3 eichnen feinen IDeg — aber bann 
Jjtesaus; bet böfe ©raumift ootüber, Rtenfchengeift unb Rlenfchemoille regen 
fiaj unb formen bas ungeheure ©efchid 3 U finnoollem ©ebilbe. fjaaölung 
^ CI nUt ' n f°f ctn ' fl t s Me junge Bauernfrau oon ihrem tiefen tDiber* 

I e en, ihrem IHifetrauen geheilt toetben mufe: fie gibt ben eigenen litann 
?'n, um fo freubiget als fie fiefet, toie bet Arbeiter unb bet gabrifant an 
lerne Seite treten. Die grofee Stunbe, ba es in Deutfdjlanb feine Parteien 
® e hr gab, ift an biefem Dichter nicht fpurlos oorübergegangen; ja, toas bem 
^ er am fchtoerften aus 3 ubtü<fen fdjeint unb toas hoch an bem Bilbe biefet 
b f € ^ en Mtrf, bie Kriegsftimmung bet führenben Kreife bes Dolfes, 
er IDohlhabenben unb ©ebilbeten, fucht Sdjmibtbonn auf 3 ufangen. Seine 
erfe finö hier etroas hörtet, als fonft, aber im gan 3 en treffen fie ihr 3 iel: 
Don aller £aft bes anfpruchsoollen £ebens befreit, 
clti Mefeiben harten Stiefel toie ihr an bie güfee, 
bajlafe auf ber blutig erfämpften (Erbe mit euch, 
wn neuer IRenfch n>ie ihr. 

®ie ihr oom ©eroitter bet ©efunbung umraufcht, 

Don ©tofeem ausgefüllt, 

Bereit, um mein £eben 3 U fämpfen. 

Ber Dichter fpricht oon bem (Ethos ber „heiligen Krieget, bes Dolfes, 

f. t>. öemfdj.n Unturtd)». 29.3al)rg. 1 . fjcft 4 



50 Der gegenwärtige Krieg unb öle öramatifdje £iterotur. Don Robert petfd) 

oom Re<fjt in uns gerufen, gerufen non ber Hot der Rlenfchh«tt" — aber 3 um 
Sdjlufe ^enfdjt bodj bas primitioe (Befühl bes fjaffes oot unb es abelt biefen 
$ a &# wenn et feine Spifee dahin richtet, too nid# oon uralten Dorurteflen, 
»on inftinftio empfunbenen Hotroenbigteiten 3 um Krieg, fonbem oon fchnö* 
bent $riebensbrud; bie Rebe ift. Den gewaltigen Klängen bes paffes, die in 
biefen IDodjen unb IRonaten gegen (England gerietet worben finb, reibt fidj 
auch Sdjmibtbonns Spiel an: 

Auf beiner 3nfel, 

Heibifdjes (England, bu bift bet Urfeinb . . . wir gehn in bie Scblad?t 
Als Ritter übet bidj f 
Ritter oon (Bott. 

IDix freuen uns barüber, wie ficfj bas Reine IDetf oon Phtafen frei^ält, 
unb bodj immer oon bem (Begebenen unb (Breifbaren in bie fjölje fttebt, um 
bie (Entwidlung in ben gröfeten 3ügen 3 U malen. (Es ift fein Drama, fonbem 
©ebanfenlyrif in bramatifcher Sotm. Unb man barf billig fragen, ob unfete 
3eit überhaupt reif ift, ein Drama ^eroorjubringen, bas ben jetjigen Krieg 
behandelt. ©s ift immer mifelidj, in Sachen ber Kunft prophegeiungen aus* 
3 ufpredjen, bie bas (Benie über ben Raufen werfen fann; aber aud; bem 
genialen Didjter wirb es nidjt leicht fein, jetjt fdjon ben Augenpunft 3 U finden, 
oon bem aus er wiberftteitenbe Strömungen in ber Seele unferer 3 eitgenoffen 
wie oon höherer IDarte aus 3 ufammenfel)en fönnte. U)as übet unfere Bühne 
gebt, erwedt nidjt oiel Dertrauen, am wenigften eine 3 fflänberei wie „Die 
bethge Rot" oon Samtes IDieganb unb IDilbelm Scharrelmann. Andere 
wagen wobl den Derfudj, bie (Begenwart im Spiegel bet Dergangenbeit auf* 
3 ufangen... ein Derfudj, bet nidjt einmal bem Didjter bet „fjemtannsfdjladjt" 
ooll gelungen ift, ber aber bei einem oorwiegenb lyrifch oeranlagten Didjter, 
einem feinfühlenden Kulturäftbeten wie Alexander oon (Bleidjen*Rufe* 
wurm notwendig Reitern mufete. 1 ) IDobl weife auch et bem „freien Rhyth* 
mus aufeerorbentliche Seinbeiten ab 3 ugewinnen, unb feine Belehrung des 

f ° 0m teinen ^ et » 3 tsmus 3 ur friegerifdjen 3 eitbi<htung hat l^ cts 
lidj hoben fymboltfdjen IDert unb Iäfet uns tief in bie feelifdjen Kämpfe bes 
heutigen Dichtergefchlechtes hineinbliden. Aber 3 U rechter bramatifcher Kraft 

m a? x \?° S ÖCS 8 rie ^W en Befreiungsfampfes nicht 3 U erweden oer* 
oaj un oft genug böten wir nur ein oerfifViertes f)erobotfolleg; wobl 
ommt es gelegentlich 3u Anfäfeen bramatifchen £ebens, wenn wir Ohemi* 

£21, '! I " em . DoH um öie Bedeutung bet Slotte ftreiten fehen, aber bas 
Sunfchen bbert nicht 3 ur Slamme auf, unb bie nur 3 U nabe unb oft gemalt* 
farne Be 3 iebung auf ©eftalten unb Derbältniffe ber ©egenwart 3 erreifet unfere 
timmung, ehe wir recht warm werben. (Ein pattiotifdjes Schlüffelbrama ift 
nfcht, was bie 3 eit braucht 

3 ul. tjoffmann. ® e * < ^ en ‘^ u ^ tDUtm » Setnbe ringsum. (Ein Spiel für emfte 3eit. Stuttgart, 



Aus bem D<utfdjunterri<f)t in großer Seit. Don CI). Datentiner 


51 


Soll Me Büfyne in biefen Sagen gan3 fdjweigen? ITttt nieten. Sie wirb 
am heften tun, foldje Dichtungen unfecet Citeratur* 6ie bas (Ethos öes Krieges 
am tiefften ausgefdjöpft hoben, fo gut als möglich auf3ufühten: bie „ITCtnna 
oon Bamhelm" unb Öen „Phiiotas", öie „ 3 ungftau oon Orleans" unö Öen 
„UMenftetn", auch ben „®öß" unö Öen „(Egmont", unö oor allem Öen „Prisen 
oon homburg". fluch bie „flulifche Sphigenie" öes (Euripiöes in Schillers 
Überfettung öfirfte geraöe in unfern Sagen, wo öer oateriänöifche ©ebante 
bas $rauenhet3 fo mächtig ergriffen hot, befonöere tDirfung tun. Unö es 
toirb nicht («haben, öer 3eit Öen. Spiegel »oquljalten in einem $eftfpiel roie 
bem oon Schmiötbonn, bas 3toar feine „abgetönte Shtonif öes 3 eitalters" 
gibt, aber Öen großen flugenblicf grell erleuchtet mit jener ©nbrudsfraft, öie 
eben nur öer Bühne eigen ift, unö öas nichts weiter fein toiü als '„ein 
f3enifchet Prolog". 

Hu$ öem Deut|cf)unterricf)t in grojjer Seit. 

Don Ch- Daletttiner in Bremen. 

ülehr ©egemoartsleben unö mehr Selbfttätigteit — öas war öas 3eidjen, in 
bem unfet gefamter Unterricht unö öamit auch öas Deutfche in Öen leßten fahren 
ftanb. Da bricht bet Krieg herein, unö mit ihm beginnt eine neue große 3eit auch 
für unferen 3ugenbunterri<ht. fln jenen Sotberungen wirb fie freilich nichts änöem 
— fie läßt fie nur als felbftoerftänblichet öenn je erfcheinen. Aber öer neue Stoff r 
ben bie Gegenwart fdjafft, unö öie fittliche Kraft, öie mit ihm öie Arbeit öer Schüler 
butdjbringt, führen 3 U mancher Ueuerung auch im Unterricht. 

Ülit elementarer IDudjt bringt eine $lutwelle in unfer Ceben ein; unö wenn 
fie auch bie Siefen öes finblidjen unö jugenblidjen ©emütes erfdjüttert, fo werben 
®ir fie nicht hemmen, fonöem nur fo 3 u leiten fuchen, öaß fie größte bleibenöfte 
®«te in ihm fdjafft. Don felbft öffnen fich öie fjet 3 en öem Gewaltigen, unö ni^t 
«inbtinglith, uicht überwältigenb genug tonnen öie ©nörüde fein, öie unfere 3 ugenö 
empfängt. Uns bleibt babei nur öie Aufgabe, aus öem mächtigen Strom öes neuen 
unb ©eltbewegenöen für fie öas aus 3 ufu<hen unö öutch eigene Arbeit erwerben 
j® '«üen, was in ihr fittliche Kraft, wahre tjelbenoerehrung, unö öen tDillen 3 U 
öeutfehem hanöeln, $ühlen, Denten et 3 eugt, unö weiter öies alles fo 3 U übermitteln, 
bdfj Sprache, flusbrud, ©eöante unö Phantafie unferet 3 ugenö, öabei tein, Har 
unb naht, mit einem U)orte öeutfeh werben. 

Befonöerer Sorgfalt beöarf es bei flbgren 3 ung öiefer Aufgaben für unfere 
jungften; fie hören oon allem, was gefchieht unö tonnen bodj ohne Ijilfe nur einen 

Deinen Heil oon all öem etfaffen unö fich 3 U eigen machen, was öet 3 ugenö* 
y °^ ne unfet 3utun Ijeimbringit unö bewahrt. Auf fie follen fich baljer auch *nt 
®e[enUidjen öie Anregungen bejiehen, öie ich im folgenöen 3 U geben oerfuche. 

Oie mächtigfte unö öeutlichfte Stimme, mit öet öiefe 3eit 3 “ öenen fpridjt, 
e fte rieht felbft — öraußen im $elöe — («hoffen ober öie Öen Uädjflen im Selbe 
? f”» ifi bie täglich erfcheinenbe 3eitung. XDas oermag öiefe eifrige Künberin allet 
eigntffe unferet 3ugenö 3 U geben? So wenig wie in $rieben$ 3 eit werben wir 

4 * 




52 


Aus 6em Deutf<f)tmterrld)t in großer Seit 


jetjt-'ben Kinbem empfehlen, alles 3 U lefen, was innert intereffant erfcheütt Aber 
eins follte unö wirb auch jebas Kinö lefen, ohne bafe es Öa 3 u befonberer (Erlaubnis 
bebarf, bas finö öie beutfdjen ©eneralftabsberichte. Oie fut 3 e, madige, flare Spraye 
öiefer Berichte ift auch unferen 3üngften oerftänölicfj. Unö n>enn fie öabei auch 
manches oemehmen, womit fie 3 unä<hjt noch nichts anfangen fönnett, unö öas öat» 
um auch nid}t haften bleibt, fo ift öas in öiefem $aüe lein Schaben für fie. Itidfts ift 
öacin, roas i^re Phantafie übermäßig reijen oöer gar einen oeröetblidjen (Einfluß 
auf iljt ©emüt haben lönnte. Oieles wirft mit öer Rlacht unö öem ttadjörud, öi* 
feöet Utelöung non öem eben ©efcheljenen — mag es auch relatio nicht oon gtofjet 
Beöeuhmg fein — innewohnt, unö prägt fid) tief ein. „©in öeutfdjes glugjeug« 
gefdjroaber 3 wang auf einem ©rfunöungsfluge 3 U>ei feinbliche Kampfflugjeuge 
3 um £anöen unö brachte ein feinbliches 3 um Ubftwg. Don unferen $lugjeugen 
»itö eins oermifet." (19. XI.)... „©in Heines englifdjes ©efdjtoaöer, öas fi<h 3 weimal 
öer Küfte näherte, touröe öutdj unfere Artillerie oertrieben; öas $euer öer englifdjeit 
Itlarinegefdjü^e blieb erfolglos." (23. XL)... „An oftpreu&ifäer ©ren 3 e mifeglüdte 
ein überfallsoerfuch ftärferer tuffifdjet Kräfte auf öeutfdje Befeftigungen öftlid} Dot* 
leimen unter ferneren Derluften; öer Heft öer Angreifer, einige Offnere unö 600 
Ulann, touröe gefangen genommen." (30.XL)... Alle öerartigenfltitteilungenöet 
Heeresleitung lieft unö erfafet fdjon öet neunjährige mit lebhafterem Sntereffe, 
unö wir brauchen im Deutfcfjen nur öaran 3 U ruhten, um uns 3 U übeqeugen, bafj öie 
meiften feines Altetsfie geftern in öet 3 eitung oöer auf öem ©ftrablatte, öas in einem 
3>garrenlaöen ausgehängt war, gelefen hüben. Oas Dotlefen in öet Klaffe lönnen 
wir uns alfo fparen. U)ir toeröen uns öarauf befdjtänlen, nur gelegentlich öie be* 
fonöets einörudsooQen oorlefen 3 U Iaffen, um ihnen eine noch nachhaltigere IDit» 
lung in öet Seinen begeifterten Schar 3 U geben. 3 m übrigen toeröen toit nur im 
Untemchtsgefpräch öie Unflaten Oorftellungen oon ©inrichtungen öes Heeres un ^ 
öet Slotte, militärifdjen Ausörüden, Bejeichnungen oon Truppenteilen unö ahn* 
lid}em etwas Hären, 3ufammenhänge unö ©Übelheiten, öie öie Schüler 3 U toiffen 
wünfdjen, ihnen mitteilen unö an Karte unö ©afel Steilung öet Heere, fo weit es 
für ihr enges $affungsoermögen oon IDert ift, an 3 eigen. Oer ©ewinn, Öen fie öa» 
für Sprache unö Dorftellungsteben haben, ift nicht leicht 3 u hoch an 3 ufchlagen. 
$üt öie etwas Alteren haben aber öiefe Berichte eine noch weit öatüber hinaus* 
geljenbe Beöeutung. Dafj fie als objeftioe 3eugen öet EDahrljeit hiftorifche ^ot* 1 ' 
mente erften Ranges finö unö ihren ©wigfeitswert hoben, öas fann öas Kinö noch 
nicht begreifen, ©s mufe ihm etwas Selbftoerftänöliches fein, bafe öer Deutle ftets 
. a ^ eit f fl 9t. Dagegen witö öet Jugenöli^e fion hierin öie Kraft unö 
«h eit erfennen, öie nun einmal 3 um IDefen öes ©ermanen gehören, öie abet öem 
rt en, wenn er fie jemals befeffen hat, abhanöen gefommen ift. ©r witö feh en » 
»te emc fchnurgeraöe Cinie 3 ieht oon öet „gens non astuta nec callida“, öem 
0 ohne $alfch unö ©üde, wie es ©aritus nannte, 3 U Öen Oeutfchen oon 1870 
unö oon heute, öie öie Wahrheit über alles ftellen. IRit greuöe unö Stol 3 wirb er 
^ a 9 ich erfaßen, öafj, was ein ©Ifäffer im fieb 3 iger Kriege oon öen öamaligen 
©eneralftabsberichten fagte, IDort für ©ort oon Öen heutigen gilt. Denn auch 
egt tonnen wir fagen: „Hiet 3 ulanöe erfahren wir alles öurch öoppelte, grunöoet* 
lajieoene Depefchen. Oie einen ftammen aus öem öeutfehen Hauptquartier ... Sie 


Don ttf). Dalentiner 


53 


enthalten ein paar fut 3 e, nüchterne IDorte: So unb fo, nicht meht unb nicht roentget 
., > unö was bas ITCerfroürbigfte bei benfelben ift, fie finb alle budjftäblich roaht 
oon fl bis 3 - — unb roer nidjt glauben roill unö nicht glauben mag, bet fann fich 
bodj 2—3 läge nadlet bet Satfadjen nicht mehr oerjdjliefeen: ’s ift alfo bod) fo." 1 ) 
So werben benn unfete amtlichen Beriete 3 U mistigen Illiterjiehem unb Centern 
unferet 3ugenb: Ungehinbett fttömt iljr biefe lautete Quelle 3 U, unb mit toenben 
leinetlei ITlittel an, um eine bittere tDaljrfyeit, rote fie biefe Beriete auch’bringen, 
3 U oertufdjen ober gat burdj Cfige 3 U befleden.. (Es finb biefelben fdjlichten JDorte, 
mit benen oon einem hertlidjen Siege et 3 äl}lt roitb unb oon einem Unglüd, bas einen 
Kteu 3 et bettoffen hat. töeldj rounbetbates Dotbilb ffit bie 3ugenb liegt barin! 

So fonbetbat es fdjeinen möchte; unfete amtlidjen Beridjte finb bie ein 3 ige 
3 eitungs* unb fonftige Seftüte unfetet 3 eit, bie roit uneingefdjtänft bem jüngften 
Kinbe bis 3 um reiferen 3ugenbtidjen anempfehlen fönnen. gür bie^meiften Kinbet 
durfte bamit bie jelbftänbige 3 eitungsleftüte oöllig austeidjen. Aber barin et» 
fdjöpft fidj bet tDert bet 3ritung für fie feinesroegs. Diefe führt feit flusbrudj bes 
Krieges eine neue Hubrif, „ben gelbbrief", in bet fie einen Deinen flusfcfjnitt gibt 
aus betn Strome perfönlidjet Mitteilungen, bet ben Angehörigen unb gteunben 
in bet fjeimat aus bem gelbe 3 ufliefet. ©eroife gibt es in {ewiger 3eit fein Dofument, 
bas bas perfönfidjfte fonfrete flugenblidserleben unfetet Solbaten beutlidjet fpiegelt 
als bet gelbbrief. 3h n Öen Kinbetn ooquenthalten, fjiefee fie gegen bie ihnen oet* 
ftcmblichften unb IebensooHften Bilbet biefet 3eit abfperren, ihnen bie Ausfidjt auf 
ben Sdjauplafe, auf bem fich unfet ©efdjüf entf<heibet, nehmen, unbjie in einet 
großen 3 eit leben, ohne fie innerlich miterleben 3 u laffen. 

t)et amtlidje Bericht oon ben Kriegsfcfjaupläfeen unb bet'gelbbrief finb ohne 
Stage bas IDettooIIfte, ba$ bie Citeratur bet ©egenroatt unfetet 3 ugenb bietet, 
fe lommt aber hin 3 u als wichtige <Ergän 3 ung: bas Bilb aus bem gelbe unb bie Kriegs» 
poefie. Die photographifdjen Aufnahmen, bie bas Kriegstheater in allen feinen 
Heilen fpiegeln, Säten unb bereichern bie Anfdjauung, roie es bas U)ort allein 
niemals fönnte. Unb bas ©ebidjt, bas bie grofee Hat unb ben großen fjelben 
oetUart, reifet bas tinblidje ©emüt im Sturme fort, roie es bie Profaet 3 ählung feiten 
»etmag. fludj hier mufe bet Cehret ausfudjen unb fidjten. Aber roeldj loijnenbe Auf* 
jabe ift dies, ba auch hier täglidj Heues heroorfchiefet unb manche fdjöne gtudjt bem 
Sudjenben 3 ufäUt. So haben 3 . B. bie „tDocfje" unb bet tote „lag", bie ja naturgemäfe 
tyte Auswahl an Bilbem nicht nach päbagogifdjen ©efidjtspuntten treffen, in ben 
teilten Monaten fchon oieles gebracht, bas im Unterricht gelegentlich oerroanbtroerben 
htm. (Etwas anbers ift es mit ben ©eöidjten! Die meiften oon benen, bie bis jefet 
entftanöen unb audj für bie golge 3 eit bleibenben U)ert behalten, roenben fi<h an 
teifete 3ugenb: ©ebidjte et 3 ählenben Inhaltes, in benen eine (Epifobe, eine 
helöentat, ein erfdjüttemöes (Ereignis aus bem Kriege in Kinbetn oerftänblidjet 
*>nö fie begeiftembet gotm batgeftellt roetben, finb noch wenig hetausgefommen. 
vtmnethin roitb {ich geroife fchon febet Deutfchlehret roenigftens einige für feine 
Jungens ober Stäbchen 3 ut&cfgelegt haben, mit benen et in bet Deutfdjftunbe bie 
«toe (Befellfdjaft beglüdt. 3dj möchte hier eines anffihten, bas in ben oetfdjiebenften 
-r°lf en bis h inauf nach Prima gtofee gteube, ja idj fann fagen, bei ben Kleinen 

1) K. K l e i'n, gtöfd)weilet ©hronif, S. 242 f. 



54 


Aus bem Deutfdjuntcrridjt in grofeer 3«it 


3ubel herootgetufen feot 3dj habe {eine Bebenfen, ein folcfees ©ebicfet bie Kinber 
auffcfereiben unb an SteQe eines im Kanon aufgenommenen ©ebicfetes, fei es felbft 
eines unfetet Klaffilet, leinen 3 U laffen. (Es ift bies bas folgenbe: 


„U 9." 

Don KatI Rosnet. 


®tt tDebbigen beifet öer Kapitän, 

„U 9* fein fcfelantes Boot, 

Unb ptaffelnb läfet es im Stutme toefen 
Die glagge f<hn>at 3 «u>etfe*tot. 

Stühmotgens roai’s, fie pirfdjten tief 
Bei feoet oan tjollanö heran, 

Als fäb mit tönenbet Stimme tief 
Am Ausgudrohr bet Ulann: 

„Drei englifdje Kteu 3 et finb in Sieht 
Unb fteben oot unfetm Difiet, 

Dtei Pan 3 et glühen im tllorgenlicht: 
'5ogue’ r '(Eteffy’ unb 'Abufir’!" 

©tt H>ebbigen beifet bet Kapitän, 

Unb fptatb: „Klar 3 um ©efe(bt! 

3 «fet foH es um bas ®an 3 e gehn — 
3 efet, Jungens, macht es ie<ht! 


(Eotpebo fettig! So, unb los — 

3b? Kteu 3 et, bi«? h e ??f«hen ®'?i“ 

Unb ein ftacbenbet Schlag, ein bonnetnbet 
Dann fan! bie 'Abufii*. Stofe — 

Unb noch eht Schüfe aus nächfie? Höh’ — 
(Ein Dtöfenen, ein geüenbet Schiel — 

„3br Kteu 3 et, bie? ift beutfche See!" — 
Dornt brach bie 'feogue’ entzwei. 

„3ofen BuH, noch «inen iefeten ©rufe 
Aus unfetm geuerfehlunb!“ 

Unb Hiebet heult unb toft ein Schüfe — 
Dann fan! bie 'dteffy’ auf ©tunb. 

Stühmotgens roax’s, fie tauchten empot 
Bei feoet, bet fanbigen Bant, 

Aus ihten fjetjen brach’s betoot 
Als 3ubel unb als Dant. 


©tt U)ebbigen beifet bet Kapitän, 

„U 9" fein fchmuctes Boot, 

Unb ptaffelnb läfet es im Stutme toehn 
Die glagge f<hmat 3 *u>eife*tot. 


Bei einem folgen ©ebidjt brauchen mit bie Kleinen nicht lange aufeufotbetn, 
es 3 u lernen. Den meiften ift es eine gteube; fie lommen felbft an unb bitten, es 
lernen 3 U burfen. DieQeicfet ahnen fie fcfeon, bafe fie bamit einen Schafe für ifeten ©eift 
etmerben, bet bie gtofee CCat eines unfetet ßelben bei ihnen bauetnb lebenbig 
erhält 1 ) 

Bisher umtbe nur oon bem gefptocfeen, roas in bas finbliche ©emüt einftrömen, 
es erfüllen unö ergeben foH. ©ne gtofee, nridjtige Stage bleibt uns nodj 3 U löfcn: 
u)as hat bas Kinb babei an felbftänbiger felbfttätiger Arbeit 3 U leiften? Bei bem 
pafftoen Derbalten, unb mag es auch noch fo tief unb innerlich fein, bütfen mit nicht 
c »ta" en: Kinb l°Ü & as ®egenmattsleben, bas es in fiel) aufnimmt, aud? 

felbftanbig nach feinem beften Können oerarbeiten. 

t ti flu ! 9abc ' b * e a> * t 00 ^ as ^inb ftellen, ift feiet eine hoppelte. Die neuen Stoffe 
fouen oon ifem fo ©erarbeitet roerben, bafe es fie einmal im münblicfeen Dortrag 
tn ber freien ©Täfelung—unb bann infcferiftlicfeetDarftellung—im freien Auf» 
fafe — 3 um flusbrucf bringt 

. U . m J “** 1 ® on Vorträgen 3 u fprecfeen, fo ift es nicfet bamit getan, bafe mit bem 
ei nen tue Auf gabe ftellen, oon ber Scfelacfet bei Sannenbetg 3 U e^äfelen, einem anberen 


icbct c * ne £ an * c au< $ ööeret ©eöidjte anfüljren, öie in öicfct 3^ 

Ke 1 )" unb rn *_f 5nnen f°®e. 3cfe nenne nut: „Das beutfcfee glaggen« 
unbefchabet”falleiriaf|en! in ^' tbe ° anfgebet '- man ** «*«* ©ebicfet tonnten mit bafüt 



Don &f). Dalentiner 


55 


bon bet (Eroberung oonXüttich, einem brüten non ber Seefchladjt an bet dplettifdjen 
Küfte ufa>. Denn nenn audj mannet eine Reihe (Einjelheüen baoon lennt, jo iß 
er bodj nie hnftanbe, etoa (o barüber 3 u berieten rote über bie Schlad^ bei (Eannae 
— wenn ich ihm nämlich für biefen Dorttag etroa R. Roths „Römifdje ©efc^idjte" 
geliehen habe. DJit feljen fofort, es fehlt für bie gegenwärtige 3 «it an ben fjilfs* 
mittein, bie wir ben Kinbem geben müffen, bamü fie fidj felbftänbig einen Dot* 
trag etatbeiten tönnen. Daju fielen wir ben (Ereignijfen noch 3 U nahe; biefe haben 
fid} noch nic^t in einer ben Kinbem faßlichen $orm in ber Citeratur eingefchrieben. 
über bafflr gibt es ooQen (Erfatj. 3dj fagte fchon oben: Die beutfehe (Eigenart hat fidf 
hn taufe ber 3ahte unb 3 aljrljun 6 erte nicht geänbert. Unb fo ift es benn ein £eid}tes, 
aus ben friegerifthen (Ereigniffen ber Dergangenljeü bie aus 3 uwahlen, bie für bie 
Kinber btefeüe Bebeutung haben wie bie, welche fich auf $ranfreid}s unb Rufelanbs 
Boben ^eute abfpielen. Reimen wir einige Beijpiele: 3n Sdjafffteins wohlfeilen 
„(Btünen Bänbctjen": Rt. 5. „Aus ben Kriegsfällen 1806—1813", Ht. 18: „$ötftet 
Sleds’ (Erlebniffe in Ruglanb 1812—1814", Rr. 23: „$örfter K. Reifes Schleswig* 
holfteinifcije $eIÖ 3 ugserinnetungen oon 1848—1851", Rr. 32: „IDit 3 ungen oon 
1870—1871" finb Stoffe 3 U einet gan 3 en Reihe oon Dorträgen, bie bas Kriegsleben 
fo jdjübem, wie es fich ä^nlid} in $einbeslanb auch h cu * e abfpielt. IDenn ein Rer« 
tianer oon ben (Erlebniffen bes $ötfters $lecfs in Rujflanb bei bem Rapoleonifchen 
3 dÖ 3 ug et 3 ahlt, fo haben feine 3uhörer bas Bilb oon manchem braoen Deutjchen 
®or (ich, bem es heute nicht oiel anbers ergeht, bet biefelben Ceiben, (Entbehrungen 
unb S<hte<fensf 3 enen erlebt wie $örfter $Ieds unb babei ebenfowenig oon feinem 
föhnen Wagemut unb feinet 3 ähen R)iIIens!raft einbüfjt wie jener. Die 3 U £eben 
erwachte Dergangenijeit lann fo oielfach für bie Kinber bas Iebenbigfte flbbilb ber 
(Begeraoart werben. Unb wir haben hier ben Dorteil, literarifch IDertooHes in Ober« 
föDe 3 u befitjen, wähtenb biefes aus ber gegenwärtigen 3 eü erft hetauswachfen muff. 

Daf) hiet 3 u manche fchöne Zahlung fommt, bie aus bem gewaltigen Ringen 
b« ©egemoart entnommen 3 U fein fdjeint, aber in IDahrheit fdjon oor bem Kriege 
aus einet reichen, oorgreifenben Phantafie herausgefchaffen würbe unb bähet als 
Stoff ffit Dorträge geeignet ift, foU nicht unerwähnt bleiben. 3d? erinnere nur an 
Bemftorffs betannte (Befchichten, in benen manches fdjneibige helbenftüdlein 
to» U-Boot, 3eppelin'unb $Iug 3 eug fo bargefteQt ift, baff man merft, wie bet Der» 
foffa mit biefen (Bebanten nicht blofe hn Reith bet $abet, fonbem bisweilen in einer 
Wtt 3 U nahen Wirtlichleit weilte. IDelche $teube für ben (Quartaner, wenn et eine 
folche (Et 3 <ihlung bet Klaffe 3 um beften geben batf. Unb leinet bet Kametaben 
“ab babei anbetes fühlen unb erleben, als was uns bie gtofee (Segenwatt bringt 

Stoffe 3 U Dortragen bilben enblich auch bie mobemen technifchen (Errungen* 
fäaften unb ihre Derwenbung für £anb», See* unb £uftfrieg. 3n jeber Klaffe unferet 
Knabenfchulen gibt es Schüler, bie (ich eingehenb mü irgenbeinem 3®rig ber mobet* 
mn tte^nit — fei es aud} nur im ünblichen Spiele — befaßt haben unb gern ihre 
Kenntniffe in einem belehtenben Dorträge 3 eigen. ZDtr tonnen ihnen babei leicht 
*n bie hanb gehen unb fo oerhüten, baff bet Dortrag in einer troefnen Ru^ählung 
^ Statiftil begeht (Es fehlt nämlich nicht an Büchern, bie wir ben Schülern für 
le f* n 3»ed 3 m Dorbereitung empfehlen tonnen. 

3<h benle babei an Schriften wie <E. fjo^bauer: „Die $lotte", 3. §oppenftebt: 



66 


flu» bem C(uifd)unterri(^t in großer Seit 


„Das fjeer*, A. ©erlacb: „Die Anfänge bet Cuftfchiffaljrt (A. 3 anfeen)“ u. a. f 6 el j 
benen öftets bie tecfjnifchen unb roiffenfdjaftlichen Dinge im (Etjä^Ie getoanb ep 
(feinen, ©erabe biefe etjäljlenäen Partien merben mit bann ben jüngeren Schülern 
als Dortragsftoff empfehlen fännen. 

tDäljtenb ben jugenblidjen Dorträgen ber ITCangel anhaftet, bafe jeweils'nut 
ber Dortragenbe 3U intenfioer felbfttätiger Arbeit babei tommt unb fo ben Ijaupt« 
geminn bat, roähtenb bie 3 uhörer fitb rejeptio oerbalten, oerlangt ber Schulaufjai} 

»on jebem einjelnen probufttoes Schaffen. So gibt es benn belanntlidj für ben 
beutfdjen Unterricht nichts, mas oon gleichhoh« et3ieblidjet mie untcrric^tticher 
Bebeutung ift als bas Derfaffen oon Auffähen. 

U)enn mir bie neuen Stoffe butdj Kinbet unb 3ugenbliche in bie ihnen eigene 
Sottn umgiefcen unb fchtiftlich ausbrfiden (affen, fo fönnen mir ficher fein, bafe biefe 
gtofee 3eit auch ben 3üngjten bauemb lebenbig bleiben mirb. IDas aus innerem 4 p 
leben unb Schaffen in bie gebet gefloffen ift, bas behält auch ftets einen perfönli<h«n 
U)ert in bem ©eift bes Schöpfers. 

©genartig finb bie Unterfdjiebe 3mifd}en Dortrag unb Auffat}, bie fi<h oon felbft 
in ber Profis herausbilben. 3 © meine nicht bie Unterfchiebe in ber $orm, fonbem 
in bet Art unb IRaterie bet Darftellung. Der Dortrag ift, oon bet inhaltlichen Seite 
betrachtet, nur eine (Dieber* ober ltacher3ählung in finbertümlicher Sprache. Das 
lebenbig gefprodjene tDort unb bet finölidje Ausbrud ift bas ein3ige ©gene, Schöpfe* 
rifd}e, perfönliche, bas bas Kinb hin3ufügt. UTeift müffen mit bem Kinbe eine wohl* 
begren3te Aufgabe, einige Abfchnitte ober Kapitel 3umeifen, bie es bei feinet Dop 
bereitung 3ugrunbe legt. So fommt es, bafc mit feiten gute Dorträge aus bem ©egen* 
martsleben unb ben ©nbrüden, bie bas Kinb hier hat, erhalten. Anbers beim Auf* 
fafc. fjiet »erarbeitet es felbftänbig eben biefe 3um ©eil recht lüdenhaften unb oep 
ekelten ©nbrüde unter Beihilfe bet Phantafie 3U einem lebensoollen ffia^en. 

Die ©efamtaufgabe ober überfchrift für bas ©an3e müffen mir ftellen, menn etwas 
Demünftiges heraustommen foll. Die gefamte Ausführung, oor allem bie ©in* 
unb 3 ufammenfügung ber in biefe Aufgabe einflieftenben oft tinblichen Dorftellungeit 
übernimmt es felbft. ©eben mir mehr als biefes, laffen mir einfach nad)er3ählen» 
ftatt felbftänbig fdjaffen unb bitten, fo mirb ber Auffah troden, breit, langweilig 
unb unperfönlich. ^i®r mufc ich oielmehr bas Kinb in bie ©reigniffe hiueinftellen 
unb biefe als fein eigenes ©lebnis fefjaffen unb et3ählen laffen. „tt>ie mir bei DTeffina 
but©brachen" (Brief eines fflatrofen an feine Ulutter), „IDie ich über Cüttid} Born* 
ben roatf müffen bie ©h cmc n etma lauten. Denn nur, menn mir in biefer IDeife 
et Phantafie bie Ulitarbeit geftatten, bürfen mir auf brauchbare Auffätje rechnen, 
et Stoff fliefjt hier bem Kinbe aus ben oerfdpebenften Quellen 3U: aus all bem, 

® as cs - 5 Cr iCn Ktie9 9 e hört unb gelefen hat. Die Belebung unb ©eftaltung bes 
Stoffes übernimmt bagegen bie Phantafie. Unb biefer anein ift es bann auch 3 « 
an en, menn mir eine fprachlich ausreichenbe Schöpfung erhalten, ffinige Beifpiele, 
em Schulhefte entnommen, mögen 3eigen, mas mit babei oon 10 — 12 jährig* n 
^? D ^ cn ^ nnen * 3 <h gebe einige ber befferen Arbeiten, bie oon Quartanern felb* 
jtanötg unb ohne Dorbereitung nah Angabe bes ©>emas in ber Schule nieberge* 
fqneben mürben. 



Don £f). Dalentiner 


57 


1, Das 42*cm«©ef<hü$. 1 ) 

Der Krieg mar oorüber, unb bie Deutfdjen Ratten gefiegt. Alle Straften Berlins (tanben 
jofl oon ITCenfchen; ber Kaifer follte ei^ieljen. (Ein lautes „hurra" erfdjoU oon allen Seiten, 
als er grüftenb Dorübetfuljr. Aber er toat ntd^t allein, benn hinter ihm lam, oon fedjs Pfet- 
ben ge3ogen, bie riefengrofte Kanone, bas 42 cm*©efchüft. IDo mären bie Deutjdjen ohne 
(ie? XDic lange hätte ber Krieg gebauert, coenn [ie nicht geholfen hätte! Sie (ah orbent* 
lief) ftol3 aus, toie (ie neben ber Deinen Ridjtlanone (o muchtig unb fidler bahinroUte. — 
Als es nun Abenb rourbe, braute man (ie 3U ihren ©eno(finnen auf ben Kafemenljof. — 
IDie freute (ie (ich, als um ZTCitternacht ihre 3 unge gelö(t mürbe unb (ie nun e^ählen tonnte. 

Halbem (ie alle anbern gemeeft hotte, begann (ie: , ( 3 d} mar noch gan3 jung unb mar 
noch nie aus ©Jfen ^erausgefommen, als id* eines (Tages hörte, ich (ollte in ben Krieg. 3 dj 
lonnte es gar nicht abmarten. Die Bahnfahrt mar \a (ehr intere(fant, aber ich mar (0 unge- 
bulbig, baft id) immer (djalt. ©ut, baft id? jebenfalls meinen Deinen 5 *eunb, bie Ridjtlanone, 
bei mir hatte. Da enblidf lam idj in bie Schlacht. 3 d) (ollte £üttid? beje^iefeen. Itleine gan3e 
Kraft nahm id? 3ufammen, unb meine Kugeln 3ertrümmerten bie Sorts (ofort. Balb mar 
meine Arbeit getan, unb mir 3ogen meiter nach Hamut. 3 dj ^atte genug 3*it 3um Ausrufen 
gehabt Dun 3ogen mir oon einer Schlacht 3ur anbern. Hirgenbs lonnte man mir miber- 
Men. 3 a, manche $orts ergaben (ich, menn mir nur lamen. So ging es immer meiter 
bis nad} Paris. Dies befdjofo ich mit großer 5**ube f benn ich hatte gehört, baft bies bie Qaupt* 
(tabt (ei. 3 Ijt lönnt euch oor(tellen, mie P0I3 ich mar, als id* bann burdj bie be(iegte Stabt 
fu^r, unb alle mich be(taunten. Die S*an3ofen malten alle mütenbe, oerbi((ene ©efidjter, 
einer oeijuchte (ogar eine Bombe in un(ere Heiden 3U merfen. Haturlidj mürbe er gleich 
erfdjojjen. Auf bem IDege nach Deutfdjlanb merDe ich erft, mieoiel Staben mir angeridjtet 
Ratten. Balb (ah man 3ertrümmerte unb 3erfd}o((ene Seftungen unb bann mieber raudjenbe 
Hrümmerljaufen unb geplünberte Dörfer. Dagegen hättet ihr bie Begeiferung in Deutfdp 
lanb (eljen Jollen!" £eiber muftte (ie hier abbtechen; benn (oeben fdjlug es oon ber großen 
(Turmuhr ein Uhr, unb bie Kanone mürbe mieber (tumm. 

2. 3m $lug 3 cug über Paris.*) 

£iebe ©Item! 

lann (Eud* enblidj einmal mieber meine ©rlebnijfe et3ählen: 3 dj bin geftern eben 
glüdlidj mit bem £eben baoon gelommen. Als idj nämlich oorge(tern morgen gemüDid} 
mit 3roei anberen ©feieren ein ©lassen Bier tranl, lam ein Abjutant mit ber IRelbung, 
(ollte (ofort mit meinem $lug3eug auffteigen, £eutnant R. als Beobachter mitnehmen 
unb einen ©rlunbungsflug über bie feinblichen Stellungen machen. 3 ch ging (ofort nach 
meinem Quartier, holte meinen Karabiner, 3toei piftolen unb (edjs Bomben. Dann begab 
mich nach bem SKegerJdjuppen, u>o ich Leutnant R. fdjon oorfanb. Ittit bef(en fjilfe 
30g ich ben Apparat aus bem Schuppen, (ah ben Itlotor nach, un b nad* 3ehn Almuten fuhren 
mit los. IDir maren noch leine Stunbe geflogen, als mir oon ben $einben mit einem fürch¬ 
terlichen Kugelregen empfangen mürben. Dicht neben uns plante eine ©ranate, melche ein 
unoebeutenbes £odj in bie eine (Tragfläche rift. Auf einmal fing ber Apparat an, untegel- 
ujüfeig 3U arbeiten. IDir flogen meiter unb lamen aus ben feinblichen Stellungen heraus, 

ba hörte ber Apparat fa(t gan3 auf, unb mir mußten eine Rotlanbung oornehmen. 
®it gingen im ©leitflug nieber, lanbeten auf einer gtoften tDiefe bei einem Dorfe, unb ich 
munbere mich immer noch, baft bie Beoöllerung nicht aus bem Dorfe lam unb uns fejthielt. 
Schnell (ah i<h ben Rlotor nad} unb fanb, baft ber eine 3 ylmber oerölt mar. Die(es mieber 
m ©tbnung 3U bringen bauerte ein paar Rlinuten, unb mährenb mein Beobachter mit 
Wabener pijtole IDache hielt, reparierte ich ben Apparat. Da hörten mir in ber $eme 
Pfetbegetrappel. IDir (prangen ins Slug3eug, unb im Ru (aujten mit baoon. Da lam aus 
? e f m nahen IDalbe eine Deine englijdje Kaoallerieabteilung, melche uns noch ein paar nufc* 
»°Ie Kugeln nach(anbte. 

_fad? rine t Stunbe etma (hrie mir mein Beobachter ins ©hr, baf er in ber $ame Paris 

\) D)olfgang K. 11, 9 (=* 11 3ahre, 9 Rtonate alt). 

2) tDiUi B. 12, 0. 





58 


Ans bem Deutfdjunterricht in großer Seit 


|ä^e, unb halb waren wir über bem fjäujermeer unb tonnten ein paar Ptallinös in bie Stabt 
werfen. R)it hatten woljl etwa eine Stunbe übet Paris gehest, als ein fraiqöfifdjer (Ein« 
beaer auf jtieg. XDhr flogen gan3 nabe an ibn heran, loderten unfere piftolen, unb Ceutnant 
R. nahm meinen Karabiner, legte ibn an bie IDange unb feuerte fünfmal; ber feinblidje 
Slieger übetfcfjlug [id; unb (türjte tracbenb ab. Run mad)ten wir noch eine Schleife über 
rtj?* u ”b fnhpen «Keber weg. Unterwegs empfingen wir geuer non ber fchroeren ftatqö* 
plqen Artillerie. (Eine Kugel befaft bie grectjheit, uns einfach ben Propeller ab3uf<hieften. 
u>u mußten lanben unb wußten gar nicht, wo wir waren. £eutnant R. wat fchroer oet* 
wunbet. < 5 lü<flid}erroeife waren wir |ebt hoch unb tonnten einen langen (Bleitflug machen, 
tu« lanbeten in einem IDalbe, bie Bäume trachten, unb wir (tieften heftig auf. 3 <h würbe 
ohnmächtig unb wuftte gar nicht, wo wir waren. Als ich «lieber erwachte, fah i<h mid) wn 
oeutfchen Dorpoften umgeben, welche mich «ls einen greunb ertannt hotten unb mit 3U 
r?ufe geeilt waren. 3 dj bin jeftt wieber feht wohl. Diele (Brüfte non (Eurem 

tjans. 

3. 3m Panjeranto bur<h Belgien. 1 ) 

»Sehren Sie jdjneller, Aljlfen", fagte £eutnant Kettler, „jebe ITCinute ift uns loftbat.* 
„ * t c v antwortete ber Angerebete, (teilte (einen IRotor meht an, unb nun ging 
tn |aufenbet öutch jetftärte Dörfer unb 3ertretene Ader. Das Auto wat auf bem 
wege oon Kontur nad) Reims, um eine wichtige Rachricht 3 u Überbringern Die halbe Street« 
a°r ^nter bem Leutnant Kettler ftanb ein gefabenes Rlajchinen« 

waten (ie! U ° etöCm ^ e ^ er e ‘ nen «tobemen Atmeeteooloer; al(o gut ausgerü(tet 

® ben J? t tten J. ie P a n iert , als fie oon allen Seiten aus bem (Bebüfch geuet et* 

m«i ” e f Kettler, unb balb batauf ftanb bas Auto. — Da auf ein« 

TtTnt_ ert ^ es Seuerns, tarnen oon bet oorberen Seite, alfo gerabe bem £aufe bes 
Muli 1, 3 ®eh l s 3 ugefehrt, ein häufe oon minbeftens 50 granttireurs, mit lautem < 5 e* 
!?„*! A” a " 9el “ ufe " u "t etöffneten auch ein geuet auf uns. Aber bas follte nid|t 
tonnt» mm. c V ^ eu * na "* Kettlet brüdte auf ben fjebel bes Rtafchinengewehrs, unb jeftt 

fuditen tief. JnJlwfiiSS.^®* c ‘!* e t e * 9 e ® an be mar. Sie warfen bie (Bewehre weg unb 
beutfrftonKiu.,»! faßbarem heulen tn Dedung 3U bringen. Ununterbrochen aber fauftenbie 
Scbwerncrmitnit ** ^ un ,? Pf e *f en b '« bie Reihen bet fransöfifchen geiglinge. ttote unb 
wunbiüaTm fl?* be ci de « ÖU Strafee - Dod ? oud i Leutnant Kettlet hatte eine leichte Der* 
STrin?iS* ft“ routbe * ie «erbunben, unb weitet ging es. - Da, auf einmal 
Reifet SÄ,*« öer roa 9en fiel nach einer Seite - „Was ift los?« - fix 
(Keg aus bohe ll »«'Parieren Sie ihn." — „ 3 u Befehl!" Der £en!er Aftlfen 

onmtdte' Är T* ® t W*«fen unb fchnatlte ben befchäbigten ab. Als et aber ben neuen 
etR* mni?i? efe x ^ e l nen Sd > u & erhalten hatte. „Rette (Befeuchte", brummte 
oo£" Aber bas mm «J* btttte audj noch einen Schuft erhalten haben, bann ift bas Quartett 
nach Heims. * f °- Sd?neI1 {d » naUte ei R e*fen cm, unb glüdlich gelangten (ie 

4. 5«tnt Campe e^ählt. 1 ) 

Duhi UniA.r , „ ( 3 »ifchen 3wei geuetn.) 
hereinhoch £in^ enhHA*^ ^ Datet £am i>e 3U feinet grau, währenb et 3Ut tDoftnung 
et, währSb^i* hin» Ä i m td, v-*! S,d > ei $ eit! Aber wo ift benn bas Abenbeffen?“ fragte 

«.ÄTr flSer SL * * °” ö “t terten - „Hatürlid? wiebet nichts ba!" rief er wütenb 
v“ v «r°' ”J em ” Stau einen Stofe aab. bab fi» „w* „ 


— -f n 1 - 11 

2 ) hein3 ©star R. 11, 9. 



Don (El}. Dalenttner 


59 

U " 6 t 6 ?.?* Äe . eln Deut M> ct feinenKopf burch bie ©ffnung unb machte 
mu^bel™ oben? 4 ö< * ® e ^*^ te em <Enöe - ^ einl f° n «&«* «fc Abenbeffen trefflich ge» 

©eitere ©fernen, öie 311 ähnlichen Ceiftungen führten, wenn fie 311 t tOaN 
stellt tourten unb 3 um Heil in VI unb V geftellt werben fönnen, finb: 

Auf Dorpoften in $tanbem. — 3n £üttid} gefangen unb befreit. — $elöbtief 
«us Polen. — n>as bas ©ferne Kreu 3 eines £anbwel}rmannes in ©ftpreufeen et» 
irtlte. — 3m Unterfeeboot nad} Dopet. — Proteftperfammlung ber Dögel gegen 

a*??“?"? DenDUnöcte KtS * c ei 3^««1« «tlebniffe. - Beinahe gefangen. 

- Auf bem £loijbbampfet entfommen. — U)as £ampe auf bem S^Ia^tfelbe et» 

2J* v bet (hbl}ö ^ e ' ~ ® n gefährlicher Spa3iergang. — 3m Pan3et» 

■“T.0” $ront — 3m Auto wälfrenb bes Gefechtes. — Durch mein Pferb ge» 
rettet — 3m $Iug 3 eug nad} Conöort. 

$ür Heinere unb unbeholfene Spüler empfiehlt es fidf, einige emleitenbe Säße 
3 U geben unb an 3 ubeuten, wie bie ©efdjidjte weiter gehen tömtte: (Etwa fo: 

t Oie Rad}e ber $elbmaus. 

- .r*™ Krieg, unb bie Selber würben 3 erftampft. Da tarn bie $elbmaus Anna 

L, Steunö,,t ^ anna unö »Wir wollen ben Briten einmal einen Strei* 
ipmen ... m einem 3elte ... 

©ber folgenbermaßen: 

. B * e Ka<ht bei ber 3 erfd}offenen Kanone. 

« bti mat <Eben fca ^ ten no $ einige Sthüffe. Dann war es ruhig. Da würbe 
^ emem ©taben Iebenbig. ©n IRunitionswagen, bet nur noch ein heiles Hab 

Dbimfür «? abW ^* nbcrn roo ^ gelingt, auch eine geeignete (Einleitung 3 um 
JÜTv 3U ^ nöcn ' Seiten bie oben angeführten Arbeiten, bie färntlirt non 
«"fang 5 b 3u<Enbe ohne jebe Ijilfe niebergefchrieben würben. 

uJz ^ cmcn & abcn bas gemeinfam, bafe fie bie Phantafie ber Kinbet 

KL P v rei3en * ^ere (Ehernen, mit Ausnahme bet wenigen, 

«in tSuT * , ? ° on ci9enen ® Ieb niffen (Dom erften TUobilmachungstag, 
füt öi»n!$ et «, S c P ° n) ° bet Bcob <>$tungen (3m £a 3 arett 3 uge) berichten fönnen, 
Reff» x«. W ,L 3U n, ^ en ' ®ürbe mywecfmäßig fein, wenn wir einen flemert 
auf L!mi C ? dt,9 ! n 3eit im Kinberauffaß erftehen Iaffen woUen. Anbers ift es 
«eie« imx * \. Un ~ DoIlcnbs bct ®betftufe, wo ber Phantafie engere Schranfen 
^ben mfiffen.* * ^ 0 ^ Un9S * unb Krteilsfraft gan 3 anbere Anforberungen geftellt 

fi(b muh ”“ tt J ebes P^ an fafiethema, bas bie Kmber gern bearbeiten würben, 
«L V™ Bearbeitung eignet, fei noch nebenbei bemertt» UHr werben uns not 
3“ »ecfen iv* u?* en ^ ab _ cn » 3ufunftsphantafien übet ben $ortgang bes Krieges 
bie üMtA» * e ^ m ^ et , m «H en ®iff«n, baß bie gegenwärtigen ©eigniffe 3 U emft, 
fijetem. f™ X 3U C ! 9Te ^ enb unb bcb eutenb ift, als baß ihnen ertaubt fein bürfte, 
®hts m'" <möun 8 ’ n ©njlanb", einen „©n 3 ug in Paris" einen Auffaß 3 U fdfreiben. 

Wb Drm°ff un l an 9 ebra <hter, als fie in biefet 3 eit 3 u einem lümmerlichen ©efafel 
T osphantafieren, 3 U bem bas hoch nur fühlen würbe, 3 U oeranlaffen. 



60 


Aus bem Dcutfdjuntcrcidjt in großer 3 eit. Don II}. Dalentiner 


Hnbers ift es, ©emt ©ir, ©ie oben, ben Siegesein3ug in Berlin burdj eine Kanone I 
egäblen laffen. Denn ßiet fteßt uns unb ben Kinbem bas 3 iel als ein fixeres oor 
Augen. Oie Pßantafie ©enbet fid? ßiet nicht einet ftrategifchen Stage bet ernjten 
UJitflichfeit, fonbetn einet frönen Hoffnung unb 3uoerfi<ht für bie 3ufunft }u, 
an bet 3U 3©eifeln ein Unrecht an unfetent Ijelbenheer unb unferer fjelbenflotte 
bebeuten ©utbe. 

Heue große Aufgaben er©ad}fen unfetent Oeutfchunterricht in biefet 3 *& 
Detmeffen ©ate es, ©ollte ich fdjon jeßt, ba mir in bem gewaltigen Oölfettingen 
no«ß mitten batm fielen, eingehenbet über (ie fprecßen, als ich es in meinen Aus* 
füßtungen getan habe. Aber auf eins möchte ich bodj nod} ßimoeifen, bas mir aud} 
ßeute f<bon sollet Beachtung ©ett erfdjeint: nichts ©ütbe meinet llteinung nah 
unfeter gotberung, biefet großen 3 eit oollfte e^iehlidje Kraft für unfete 3ugenb 
3U oetleißett, meßr im tDege fteßen, als ©enn ©it babei 3U oiel tun. Non multa, 
sed multum ©itb auch hier unfet IDaßlfpruch fein. Oet IDeltfrieg foH im beutfcßen 
Unterricht nicht Alltagsarbeit ©etben, bie als et©as SelbftoetftänbUcbes bingenomnten 
©itb, unb hinter bet alles anbere 3urüc^utreten bat. Oa3u ift bie affine Seilnaßme, 
bie bas Kinb an ben ©efcheßniffen nehmen fann, 3U gering, unb es ©ütbe 3U leiht 
ein pßantafiemäßiges miterleben mit ßelfenbet, fcbaffenbet fEeilnaßme oerroedjfeln. 

3 n bet Schule unb befonbets im Oeutfchen muß bet Krieg oielmeßt ben Gßaraäet 
bes (Stoßen unb über bet täglichen Arbeit Steßenben erhalten. Hut bann ©itb es 
gelingen, bas fugenblicße ©emüt fo tief unb nachhaltig 3u beeinfluffen, baß, ©enn 
einmal bie 3 «t fommt, bet fjdbengeift, bet ba braußen im Ringen um Sieg unb 
v*u füt tjeimathaus unb Oatetlanb lebt unb fchafft, bet ©eift bet Ktaft unb bet 
tOaßrheit, bet aus allem 3U uns fpticht, auch in ißtn Iebenbig ©itb unb ©itfi. 

Hießt barin, baß oiele neue Stoffe in bie Schule einbringert, baß ein macßtoolles 
©egemoattsleben bem Kinbe 3U anfcßaulichet Oatftellung fommt, baß es mit innerftet 
aeilnaßme ficß Aufgaben 3u©enbet, bie es bisher nicht fannte unb an benen es Pßan» 
tafie^Spra^e unb Anfcßauung ftärft unb roa<hfen läßt, liegt bet Hauptgewinn, ben 
r a UT ^ eten öeutfdjen Unterricht erhalten ©itb, fonbetn in ben fitt* 

lc Y” Ketmen, bie in bie fugenbliche Seele gelegt ©etben. Cebenbige Beifpiele 
un orbilöer fühten ben Schülern immet oon neuem unb immer ftärfer unb leben« 
öiger not Augen: So hanbelt bet Deutfche, ©enn et oon geinben angefallen ©itb, 
©enn bas Oatetlanb in ©efahr ift, in ber Schlacht im ©ranat* unb Kugelregen, ©enn 
et tm -Boot in ©efahr unb Hob hinausfährt, ©enn et ben Kameraben, ben Süßtet, 
oie ttompagnie in ®efaßr ©eiß. Oie ßelbenßafte Selbftopfetung, bie Detleugnung 
“JJ vT® 065 f 0 * öic unö gerechte Sache, füt bas beutfehe Oatetlanb 

unb im Selbe, ber Kampf um bie tOaßrheit, bas finb 
n ^dt unoetlietbat in bie jugenbließen Seelen legen follten. 

en Unterricht aber mit folchem©eift 3U erfüllen, ift bie henliche Aufgabe, bie ben» 

«iS?' u ®ü 6cm Kampfe um Sein mi > ®töße bes Datetlanbes nicht fetoft ©* 
3 uhelfen berufen ift, 3 u Iöfen bleibt. 



Detleo o. üiltencron: Der Ridjtungspunlt. Don Biebermann 


61 


Detleo o. üliencron: Der Hid)tungspunkt. 

Don Dr. Biedermann in Cfyarlottenburg. 

(Porger, moderne eQäljlende Profa 1. Bändchen, Beilagen und Klafing.) 

(Eine Stunde „prioatleftüre" in 0 III oder UIL 

A. Oie Gattung. 

„Der Ridjtungspunft" ift Cilienctons „Kriegsnooellen" entnommen, ift aber 
leine Rooelle im ftrengen Sinn. Oie eigentliche Honette entwicfelt und löft ein pfycljo* 
logifh bedeut|ames Problem durch eine gefdjloffene, fnappe Handlung. „Oer Rieh* 
tungspuntt" ift eine paefende Schilderung einer Sdjlacht eine Reihe trefflich 9* 5 
(hautet Bilder, die {ich in fchneller $olge ablöfen und den Cefer oder beffer den 3u a 
(hauet — ähnlich wie oaliendete $i!mlunft es oermag — in atemlofe Spannung 
oerfefen. Dem Dichter lommt es weder auf die erfdjöpfenöe Behandlung eines 
feelifhen Konfliktes noch auf den lücfenlofen Oerlauf einer Handlung an, et will 
oielmehr nur Stimmungsbilder geben, die teils wirtlich erlebt, teils frei aus dichte* 
rifhet Phantafie gefchaffen, auf alle $älle aber aus glühender Begeiferung für das 
Oaffenhandwerl geboren find, ob fie nun den blutigen (Ernft des Krieges oder feine 
helleren, freundlicheren Seiten 3 eigen. Oiefe Bildet find erftaunlich lebenswahr und 
«ht, fie find fo fdjarf erfaßt und fo frifch und anfehauiieh gefchtieben, daf fie fid) dem 
tefet ohne weitetes in ein farbenprächtiges «Gemälde umfefen, das et mit feinen 
Augen ju fehen meint. 3n diefet eindringlichen Beobachtung und diefer fprach* 
gewaltigen Oarftellung liegt ihr tünftlerifcher tDert 

B. Oie (Gliederung. 

L Die Dorbereitungen 3 Ut Schlacht (S. 71—83). 

1- Die (Ernennung des Oerfaffets }um Adjutanten des Oberbefehlshabers 

(S. 71—73). 

2. Die (Erfundung des (Geländes um den „Baum" (S. 74—80). 

3. Der Aufbruch 3 « Schlacht (S. 81—83). 

II. Die Schlacht (S. 83—95). 

1. Der Kampf des $ufool!s 

a) um die $abrit (S. 84—86), 

b) um das Schläfchen (S. 86—89). 

2. Der 3ufammenptall der Reitergefchwader am „Baum" (S. 89—94). 

III. Um die IRitternacht des Sthlachttages unter dem „Baum" (S. 94—95). 

Das huupt(tüct, die Schilderung der Schlacht, entrollt der Dichter in drei paefen» 
tot (Einjelbildern: an der Sabril und am Schläfchen der Kampf des gufoolts, am 
.Baum“ det gewaltige 3uiammenftof der Reiterheere. Das dritte BUd trennt er 
®on den etften beiden durch eine liebliche (Epifode unter dem „Baum"; um das ganje 
duftere Sdjlachtgemälde legt er einen freundlichen Rahmen: jwet friedliche £iebes» 
henen, oot der Schlacht eine harmlos glücfliehe, nach der Schlacht eine todesernfte. 

C. Oie (Geftalten. 

1. Der Dichter. IDit lernen ihn als 3nfantetiehauptmann lennen. (Er ift mit 
kib und Seele Soldat mit feinet Kompanie ift er in den 3«ten der Rot gan 3 oer» 



62 


Detlev v. Ciliencion: Der Rirf)tungspnn!t 


machten. 3h m roitb, als et 3 um Abjutanten bes Oberbefehlshabers beförbert tmtb, 
bet Abfdpeb oon feinen Ceuten {chicer; als ihn nachher bet 3ufaII bet Schlacht 31 t 
feinet hertenlofen Kompanie oetfdjlägt, ift es ihm eine helle $reube, fie 3 um Siege 
führen 3 U bürfen. Hut ein ©ebante bejeelt ihn im ©etümmel bet Schlacht: bet 
$emb mu| unter bie $fifje! Unb bie Begeifterung bes $ühters reifet umoiberftehlich 
bie IRamtfchaften mü fUs ihn bet ©eneral 3 ut heife umftrittenen $abril fdjidt unb 
et f ein leibenfchaftlicher Reiter, feine oertraute State 3 « fdjnellften ©angatt fpotni, 
ba iauch 3 t fein ljet 3 in bet Btuft: „0 Reitetluft, 0 ZRäimertag!" S a ft auffchteien vor 
dntjüden möchte fein Künftlethet 3 , als bie beiben gewaltigen Reitergefdjtoabet int 
blifeenben Sdjmud bet helnte unb IDaffen langfam losrüden, um fchliefelich mit 
rafenbet R>ucht aufeinanbei 3 uprallen unb Öen Blumenteppich mit ihrem Blute 
rot 3 U färben. „(Ein gtanbiofetet Anblid ift mit nie getootben," belennt et. (Et fühlt 
fich, eine echt männliche Katar, wohl in bet größten ©efaht; fieht et hoch fchon ben 
Säbel bes mütenben Afrifanets auf feinen helmlofen Kopf niebetfaufen; et ift bereit, 
ben glficüichen, ben beneibenstoetten ©ob für feinen König unb fein Datetlanb 3 U 
ftetben. Doch erftidt biefes führte Draufgängertum feinestoegs in ihm bie menfef)» 
liehen Regungen. Rlit toehmütiger ©tauet erfüllt ihn ber ©ebanle „an all bas frif^e, 
gefunbe, junge Blut, bas hier langfam, langfam in bie (Erbe fidert". Bei aller An* 
fPonnung bet Kräfte auf bas geftedte 3iel fieht et mit aufeerorbentlich fchatfet Be» 
obachtangsgabe bie ein 3 elnen Blumen bes bunten IDiefenfleds oot bem „Baum", 
ben flügelfchlagenben Schtoan auf bem ©eich oot bem Schlöffen, et fieht ben fallen» 
ben Abjutanten bei bet $abrif bie Atme hoch in bie £uft toerfen, hin* unb hetfehuwn» 
lett unb bann 3 m (Erbe jtürjen; et beobachtet, toie bet 00 m Pf erbe finlenbe ©enetal 
auch in biefet f<hmet 3 ooIIen Ittinute nicht fein (Einglas fallen Iäfet; et hott, roie bet 
ältefte Leutnant nach hem $all bes hauptmantts ruft: „Die Batterie hört auf mein 
Kom...", aber mittenbrin abbricht, toeil ihn bie Kugel nieberfttedt Um Rtittemacht 
fi^t et miebet im Sattel, Rtübigteit fennt fein eifemet Körper nicht, fein het 3 IP aber 
meich geblieben: es fteht bem 3 aubet bet Rlonbnacht offen unb bem IRitleib mit ben 
gefallenen Kameraben. 

2 . Der ©enetal. Det Dichter fchilbert ihn als emften, oon hciligfter Pflicht» 

etfuuung befeelten Rtann, beffen ©runb 3 ug roatme ©fite unb milbes Derftänbnis 
s * hormlofen Spott, oertefet abet nie baburch« Als bet Ab» 

jutant fich erlaubt, ben „Baum" als Stanbort für ben i eitet bet Schlacht 3 U empfehlen, 

emertt bet ©enetal ttoden, bafe auch f<hon alte <E£ 3 elIen 3 en biefen ©ebanlen gehabt 
•a**' Sot ^ oin et bie Karten, unb too et nicht oöüige Klarheit erhält, unter» 
n c’a ^ Petfönlich batübet. Det fchtoeren Detanttoortung feiner Stellung ift 
«Ar et Sonnt fich in bet Rächt oot tem Schlachttage nur einen twgen 

Schlummer in einem Bauetnfeffei; et befiehlt, man folle ihn unter allen Umftänben 
qai ebDaS tDid?ti9es e inttete. Auf bie $ragen bes Abjutanten, ber ihn im 

chiafe {toten mufe, anttoortet et freunblich mit bet Klarheit, Sacfjlenntnis unb Sichet» 
qeu, ote ihn aus 3 eid}nen. 3n bet Schlaft betoeift er feinen Schatfblid — et begegnet 
oen planen bes $einbes mit geeigneten IRafenahmen - unb feinen perfönlichen 

, ö « m Ru f«: Ziehen, meine herren!" ftüt 3 t er fich felbet ins Kampf» 
getummel unb hilft ben Sieg erringen. 

3. Auch ben ©betft, ben ©hef bes Stabes, betreibt ber Dichtet biteft: fein 



Don Biebermann 


63 


blaffes (Befielt, feine finftere Stirn, feine f dentalen Sippen, feine tatten, grauen 
Augen. dr ifi 6er gtofee Denier, 6er genaue Heiner. Seibft beim Qerannaljen 6es 
$ehtöes oerrät er leine Unruhe, unö im bichteften Kampfgetoüfjl 3ielt er mit fiberlege« 
ner Sicherheit. So toenig Siebe et einflöfet — toie höhnifch unb lalt finö 6ie Droh= 
»orte, mit benen et feinen .Reitfnecljt überfdjuttet —> feine unermüblidje flrbeits« 
traft, feine faft übermenfd}liche Eingabe an bie Pflicht bes Dienftes nötigen unbebingte 
Betounberung ab. Bis ins Heinfte ift ber Sdjladjtplan burd^badjt, ben er bei gadel* 
fdjein bem Abjutanten biftiert, toäijrenb fid? bie anbem einer fangen Ruhe bingeben. 
Dabei fertigt er mit etftaunlidjer gaffungsfraft bie oon allen Seiten herbeifeh»itren* 
ben (Drbonnanjen ab. Der Scbladjttag 3eigt, bafe bie Rechnung ftimmt. 

Die übrigen <Beftalten finb nicht ausgearbeitet, aber bo<h fdjarf untriffen. (Berabe 
hierin 3eigt fid) bie feltene Kunft bes Dieters, bah er mit wenigen Strichen einen 
beutlid} erfennbaren dharatterlopf 3ei<hnen tann. 

4 . So lönnen mit uns eine llare Dorftellung oon bem {leinen (Benetal mit 
ber golbenen Brille unb ben gan3 fut3 gefrorenen fdjneeroeifeen fjaaren machen. 
3 h« ärgert ber Auftrag bes Abjutanten, über ben Stanb bes defektes Austunft 3U 
geben, ba er ja alle halbe Stunben an bie <Ej3ellen3 Bericht fenbe. 3 n feinem fäd}* 
pfd)*thüringif<hen Dialett erflärt et: „(Er, ba toolln mer hoch ämal be Suterfch an’n 
Kopp näh’m". dt ergreift felber bie gähne, läfjt 3um Angriff blafen unb 3um lebten 
Stutm oottüden. Unb als er ben geinb getoorfen hat, ba ftellt er bem Abjutanten 
gegenüber mit trodenem t}umor feft: „De Suterfch haben mer." 

5 . ©an3 auf ben fjumot geftellt ift ber bide fjufatenmajor. dt ift immer froh* 
licht er hat immer einen U)it> auf ber 3 unge, es macht ihm Spafe, feinem gteunbe, 
bem Abjutanten, eine leere glafche an3ubieten unb bes dnttäufchten langes (Befidjt 
ju fehen. dr titelt feinen (Baul unb et3ählt, er habe bie Rächt auf 3toei Koffern 
„brillant" gefchlafen. Als et ben dhef bes Stabes regungslos auf ben geinb ftarren 
lieht, raunt er feinem gteunbe 3u: „Paffen Sie auf, jet}t 3ieht er gleich feinen dafchen* 
tfrtel heraus. Die Sogarithmentafeln »erben folgen." dbenfo treffenb unb roi|ig 
ift bie anbere Bemetfamg: „U)ollen Sie gefälligjt in ben tjinunel fchauen. Da haben 
Ph Abraham, Itlofes unb bie Propheten, ber heilige Antonius, Petrus unb bie Apoftel, 
Sem, harn unb 3 aphet unb bie dt3engel auf ben oorbetften planen poftiert, um 
einem ber größten Reiterfttäufee, bie jemals ausgefodjten »urben, 3U3ufehen." Dajj 
«bet fein Auge ebenfo fdjatf »ie feine 3 unge ift, bas 3eigt er in bet Schlacht: bem 
3 uaoen, bet 3um dobesftreich auf ben Abjutanten ausholt, 3erfchmettert er aus bet 
Entfernung mit bet leeren Rorbhäufetfiafche bas Rafenbein unb rettet bem gteunbe 
bas Seben. 

6. (Braf Kjertewanben, bet ben Ulanen3ug führt, geidjnet fid; burd} bie 
buntelbraunen, faft afiatifch tiefliegenben Augen in feinem wachsbleichen (Beficht 
«us. Dem Abjutanten erfcheint er »ie ein Baum, bet djon oom fjobfället ge3eichnet 
•P- Seicht fließt bas Seutnantsblut burch feine Abem: unter bem blfihenben (Bolb* 
wgenbujdj gibt et fich auf bem Patrouillenritt harmlofem Siebesgetänbel h* n * 

^ a b et bie franjöfifchen Reiter am Schladjttage bem „Baum" nähern, ftfit3t 
P<h ber (Braf toll! üfjn mit feinen paar Ulanen in ben fieberen dob. Unter bem blühen* 
en dolbtegenbufd?, im Sdjofee bes jungen Rläbchens, beffen Ijänbe et oor wenigen 
tunben noch 3 ärtlich gefangengehalten hatte, haud}t er fein tapferes Seben aus. 



64 


Detlev o. £iltencron: Der Ridjtungspunff. Don Biebermann 


7. Selbft t>cn Jungen ©ffijiet mit öem Knabengeficht feljen roh mit aufgetif* 
Jenen Augen, mit oorgebeugtem Ceibe unö fudjtelnbem Sabel „roie einen Radfeengel 
in Öen Sdjlunö öes Hobes" ftoßen. 

8 . Die leßte ©tuppe bilöen öie Beroo^net öes fjausdjens unter öem 
„Baum": öer hunbertjährtge Regnier, öer freunblich'blöbfinmg lächelt, mit öem 
Kopf roadett unö immerfort 3 roifd)en Öen ja^nlojen Kiefern Brot 3 U 3 erma^len 
fcheint; fein ©nfelfinb, öas tofette Junge Rtäbcljen, öas nach öem golöftrahlenben 
Kragen öes Ulanenleutnants {dpelt, in öer Sdfladjt aber ^elöen^aft, öie Kugei in öet 
Bruft, Öen toten ©eliebten unter Öen ©olöregen tragt; öet oietiährige Utenfel, öet 
im ©eroüfjl erörüdt rohö. Das blühenbe Ceben roirö unbamt^et 3 ig 3 erftampft, nur 
öet blööfinnige ©reis bleibt uerfdfont, eine feltfame 3tonie öes Sdjidfals! 

D. Die Darftellung. 

Die Schärfe öer Beobachtung, öie Klarheit öer Anfchauung, öie ©enaüigfeit 
unö ©eroalt öes Ausöruds Iaf jen fich nicht in ihre ©Iemente 3 etlegen. ©etaöe öatin 
3 eigt fich öie Kunft öes Dichters, baß et fagen fann, roas öet Durchfchnittsmenfch nur 
unflat empfinöet. Rur auf einige Rlittel fei hmgeroiefen, öie fi<h öem nöllig in öet 
Sache Iebenöen Dichter faft unberoußt bieten, um feine Anfchauung in DJorte 3 U Hei* 
Öen. Ungefud}t (teilen fich ihm Dergleiche unö Bilöer ein: Das ausgeöe^nte 
£anö fcheint ihm leer roie eine Sanöroüfte (S. 76). ©s fommt ihm oot, als fei er auf 
einem fremöen Stern, auf öem es fo einfam ift, baß nicht einmal Dögel unö Snfeften 
öort leben (S. 77). Die Patrouillen Reben roie lauemöe Panther hinter einem (Erb* 
häufen" (S. 77). Dom „Baum" hat man einen roeiten Blid, roie oom Dede eines 
Schiffes auf offener See (S. 78). Befonöers fdfön ift öie Rächt oor öet Sdfladft ge* 
fdfilöett (S. 80): „Balb tarn öie Rächt, unö mit ihr 30 g öer Doltmonö übet Öen 
lichten fjimmel. Aber es roat feine Rächt Abenö unö Rlorgen, nur öutch fmge Som* 
merftunöen non einem feufdjen Dämmerungsfchleier gefd}üßt, fügten fid) öie rofigen 
Oppen." Seht roeit öurchgeführt ift öas Bilö oom Han 3 (S. 82), öie Kommanöos aus 
öem Hontre „en avant deux" ufro. fommen öem Aöiutanten nicht aus öem Sinn. 
Don öer $abtil 3 urüd jagt er auf Öen ©eneral 3U, „öie 3ügel in jene mahlenöe, 
fochtopfrührenöe Beroegung feßenb roie beim R)ettrennen" (S. 86 ). Die feinblichen 
©efdjroabet fehen in öer Seme aus roie „ein unermeßlich 3 ahlreicher Dogelfchroatm" 
(S. 90). * Die Säbel fliegen aus öer Scheibe „roie befreite, motb* unö luftluftige 
Salfen" (S. 92). Der 3ufammenpraII öer Reiterheere et 3 eugt einen „Haifun, öet 
©töe unö Cuft öur^einanöerroirbelt" (S.92). H)ie anfdjaulich ift öet Ausötud: 
„nun fegten rohr in öie Dorpoften hinein" (S. 75 ), noch beffer: „öer Scinö 3 eigt öie 
Sdjroänje feinet ©äule" (S. 93). Bei öem Anrüden öer Reiterroolten fallen öem 
Dichter fjiobs prachtooQe Derfe ein (S. 92), roie et fdjon oorher troß aller (Eile 3 e *l 
gehabt hat 3 U Iiterarifchen Anfpielungen auf ©enooeoa mit ihrem Schmet 3 ens* 
teich (S. 78) unö auf Don (Quijotes Anfturm auf öie Rlühlen (S.80). 

Der Dichter macht uns mit Dotlanö unö $elbroache, Schteichpatrouillen unö 
horchfommanöos, £ofung unö Selbgefcßtei vertraut, er gebraucht öie militärifchen 
Sachausötüde „£an 3 er" für Ulanen, fymbriß, 3 U einem 3 ug abbrechen; er oerrät, 
aß et ein Jäger ift: „öet ©eiersflug mochte Klitterung haben" (5.79). Reben 
oen jagöausötüden ftehen Kafernenhofblüten: „öaß eudß öie Hränen aus Öen 



Stfyfilerletoimmet unb Krtegsfantmlungen. Don tDalt^er Ejofftaettcr 


65 


Jingem (idem"; fcfje^aft werben bie Ca^en „Kiftelftäde“ genannt; baft bet Burfdje 
bie Stute nicftt ©emma (= (Ebelftein), fonbern (Emma nennt, liegt nahe. fluch 
oollstümlicfte IDenbungen oerfchmäht bet Dichter nicht: auf ben (Ehef bes Stabes 
bat et eine Pife (S. 78); bie Derfotgung gefyt bis 3 um lebten Puft weitet (S. 93); bet 
Stab feftt fidj in tmgen Badäppelgalopp (S. 93); bet fjufarenmajor berlinert luftig: 
„ülacben fie feene ffiefcftichten" (s. 75 ). Der Dieter bilbet neue gtüdlidje IDöttet, 
um feinen Gehanten Ceben einjuljauchen: „Um uns fladte bas wabetnbe £eben 
bes Biooab" (S. 71); bas watmbämpfige Blut bes jungen ©fffeiets (S. 74), bie 
melbeteitet prefcften beton (S. 75), bet Seine ©eneral fprubelt ben flbjutanten 
heftig an, bet einmal in einem EDagengug wie oerfiftt ift. U)ie tteffenb ift bet Aus* 
btud „Bltnleräjte" (S. 93)! 

Umbas Drängenbe, padenbe, ben IDittwatt 3 U malen, häuft bet Dichter bie 
Attribute, 3 . B. (bie Staubwolle) „biente all bem bliftenben, gltftemben, funlein* 
ben, flüffigen, flieftenben ©olb unb Silber, ©ifen unb Stahl, ben roten, weiften, blauen, 
gelben, allen möglichen $atben.. .• als fjintergrunb“ 91 ). ©öet et häuft bie 
Derben: „Die Htannfdjaften helfen ben Räbetn nach, greifen in bie Speichen, reiften 
bas ©efcftüft oon ben Proften, wenben, fdjieben, brängen... (S 89). IDährenb er hier 
biegotmen häuft, bricht et an anberer Stelle, wo es bas Saftige, fltemlofe 3 U malen 
gilt, plöftlidj mitten im Saft ab: „fln einer ©artemnauer, im Parle auf Rofen* 
beeten, in ©ebüfcften, an einem Cufiftäuscften... IRann gegen Rtamt... Degen unb 
$linte unb Kolben unb Reooloer, Säufte unb 3äh«e, Sleifcft in Sleifch • •(S. 88 ). 
3utoeilen befteftt ber Saft nur aus einem U)ort: Unerträglich (S. 82), ober aus 
gart 3 wenigen: „3dj auf iftn 3 U" (S. 85). <Edjt militärifch ift bie (Eonmalerei beim 

Reiterangriff (S. 92) _ „, 

' (En —a —a—b! 

©alopp! 

Unb bann bie $anfaten! 


®ie hier bie ©ebanlenftriche, fo nimmt er häufig bie punlte... 3 U fjilfe, um bie 
Derbinbung ber Säfte angubeuten, bie er leine 3 eit hot hergufteSen, ober um bem 
®*f&hl fein Recht 3 U geben, wo bas U)ort 3 U oerfagen btofti 


Sd)ülerlc|c3immer unö Kriegsfammtungen. 

Don XDaltfter Ijoffiaetter in Dresben. 

Det fluffaft oon Dr. Cowad Qafttg. 28, 1914, S. 438) über Schülerlefegimmer 
m Theten Ceftranftalten hot mehrfach 3ufiimmung gefunben. (Es 3 eigt fi<h, baft 
Whe fcfton an oerfchiebenen Schulen befteften, oerfchieben eingerichtet unb mit oet* 
Mjiebenen 3»elen. So berietet stud. germ. ED. Benbieb in (Erlangen oon bem ftäbti» 
Wen ©ymnafium in Reuhalbensleben. Dort ftanb feit ungefähr 3 wei 3 aftten ben 
Pdmanem ein geeignetes KIaffen 3 immer mit Beleuchtung oiermal in bet EDoche oon 
^~7 Uhr 3 ut Derfügung, bie flufficftt wedjfelte wocftenweife unter ben Primanern. 
Reben ben — auch Don Cowad empfohlenen — Delhagen unb Klafingfchen Utonats* 
heften, bie halbjährlich mit bem Kunftwatt wechfelten, ftellte bie Schule bie (Eäg* 
«heRunbjcftau 3 Ut Derfügung, bagu tarnen als Beigabe einjelner £ehrer: Der ©reif, 

Wt|4it.f.< 1 .Uut|d 1 en UnUrrCdjt. 29.3al)rg. l.Qtft 5 




66 


Sdjülertefejimmer unb Krtegsfammlungen 


Reclams Unioerfum, Der ©dort unb bas Deutfdjtum im Auslanbe. Spület fteuerten 
bei: IDanberooge^eitfchriften, Dortrupp, 3 eitf<hriften über Bobenreform, Antialtohol» 
bemegung, Sport, Kleibetreform ufro. Der Befudj 6es Cefejimmers mar befonöers 
in bet flnfangsjeit feljr gut. (Es regte auch 3U Heineren Dorträgen bet Primaner an 
unb 3U lebhafter Ausfpradje mit bem (Drbinarius ber prima über ©egenftänbe, öie 
im ©efchichts* unb Deutfcfjunterridjt nur feiten geftreift roetben tonnen, unb gan3 
befonbets, an ber fjanb ausgelegter Büber, über Kunft. Der Befudj bat bann nach* 
gelaffen; ber ©nfenbet fudjt bie Sdjulb in ben tenben3iöfen Schriften gemiffer Ritt}- 
tungen unter ben Primanern. Um ben Befuch 3U erhöben, mürbe bann ben Sefun« 
banem non 5 —6 Uhr 3 utritt gemäbrt, eine Stunbe oerblieb ben Primanern allein. 
Had} ben gemailten (Erfahrungen erfdjeint bem ©nfenbet ber Detfud} geglüdt, unb 
er rübmt bantbat bie ©nridjtung bes £efe3immers als eine mertoolle Reuerung: 
„benn mit haben bort geiftige Anregung unb (Erfahrungen fpielenb mit auf ben ID eg 
genommen, bie uns bie Sdjulftunbe nicht oermittein unb ber ein3elne (ich nicht felbft 
aneignen tonnte." 

$ür jüngere Schület unb mehr noch als ©gän3ung für ben Unterricht f«h u f 
in Kulmbach Präparanbenhauptlehrer (Ehriftoph Pidel ein £efe3immet. © legte 
oor etma brei 3 ahren, als et bie Ceitung bet Anftalt übernahm, in einem freien 
3 immer 3mei 3 eitfchriften aus: „Der gute Kamerab" unb IDeitbrechts „3ugenb» 
blätter", bie bie Schüler bis bahin mit nach häufe genommen hatten. Daburch merben 
bie hefte mehr gejdjont, unb bie Schüler betommen bie 3e»tf^riften nicht mehr in 
gan3en Stößen ins haus, um fie rafch oerfchlingen unb roiebet meitergeben 3U 
müffen, fonbem fie tönnen immer, jeben tEag, auf ihr Dothanbenfein regnen unb 
fie lefen. Daburch tomrnt eine gemiffe Ruhe unb Stetigteit in ihr £efen, fie haben 
auch bie Rtöglichfeit, früher ©elefenes roieber nadtfufeljen. ©tblich oeranlaßt biefe 
(Einrichtung auch bie Schüler oo^uarbeiten unb ihre 3 eit gut ein3uteilen, um bann 
längere 3 cit für ben Befu<h bes £efe3immers unb 3ufammenhängenbes £efen 3U 
haben. 3 u ben erften 3 eitf«hriften tarnen meitere (Bayerlanb, 3ung*Bayem, Sur 
Raturfreunbe, 3 eitfchrift bes allgemeinen beutfdjen Sprachoereins). Dann ftellte 
man größere iltuftrierte U)erfe (Bilberfaal beutlet ©efchichte, 3m $luge butch bie 
UJelt) auf, bie infolge ihres Umfanges nicht mit nach häufe genommen merben tönnen 
unb barum bisher nur ein unfruchtbares £eben in ber Sehületbücherei geführt hatten. 

Pictel ging aber noch weiter. 3 n ©gän3ung bes Unterrichts mürben geogra» 
Phifche Silber ausgehängt mit begleitenbem ©ejt, ihnen folgte balb ein erbtunbliches 
Quellenbuch; es genügt oft eine Anregung im Unterricht, um 3U eingeljenberer Be» 
fchäftigung mit biefen hilfsmittein 3U oeranlaffen. Weiter mürbe anberes Silber» 
material ausgelegt 3ut Belebung anberer Unterrichtsftunben. h* cl eröffnet fiih meines 
©achtens bem Stimmet eine befonbers große Aufgabe. (Es ift ja ein befanntes 
^ bei, baß man Bilbmaterial fo fchmer 3ugänglich machen tann. Die UJechfelrahmen, 
bte man jeßt häufig in ben Klaffen3immetn finbet,.finb für Büchet nicht geeignet; 
Auslagen in einet Ditrine auf bem (Bang bebingen eine Ausmahl für bie ©efamtheit obet 
fmbnur bann geeignet, menn ein ein3elnes Bilbin$tage tomrnt; ftellt man aber im 
£efe3immer in ©lastäften ein3elne Bilbfeiten aus ben Büchern aus, beren 3 nhalt im 
r* 3en J^ d?t ^ ÜtöicS ^ iiIet 9 ee ' 9 net ift, unb legt bie anberen Bücher frei aus, fo ergibt 
lieh mertoolle Anregung 31 t eingehenberet Befchäftigung mit Bilbern unb Heft. 



Don TOalttyer tjofftaetter 


67 


2 nblid} legt picfet Stereoffope unb öle öaju gehörigen Bilbet aus. 3 hre Der* 
roenöung war ja noch fdjwietiget als bie anberer Bilbet. Cicfe fid} bei benen nod* 
irgenbroie bas läftige tDeiteneidjen oermeiben, Jo rottb wohl feine Schule {o Diel 
flppaiate unb Bilber haben, um fie glei^eitig allen Schülern 3ugänglich machen 
3u fönnen. So fam bie ftarfe Ablenfung butdj bas IDeitergeben unb ber noch größere 
fibelftanb, baß ein Seil ber Spület burd? bas Betrauten ber Bilber bem Unterricht 
femgehalten toutbe. hier aber werben fie im Cefejimmer ausgelegt mit ben ent* 
fpredjenben Bilbem, teilweife auch mit erflarenbem Sejt — fidjer eine ausgejeidj* 
nete (Entlaftung unb Stganjung bes Unterrichts. 

2 s ift felbftoerftänölich, baß biefes Cefejimmer bann auch bem Betrachten oon 
Werfen reiner Kunft bienftbar gemalt mürbe; als bauetnbe 3ierbe im IDechfel* 
tarnen ober als IDanbergäfte im Schautaften, beffen 3 nhalt oom Unterricht beftimmt 
ift lebten fie fehen unb einfühlen. 

Das Kulmbacher £efe3immer fteht ben ganjen Sag ben Schülern 3ur Detfügung. 
Die Schule hat babutch einen gan3 neuen An3ieljungspuntt gewonnen unb Ielftet 
mertoolle Arbeit in ber Ziehung 3U guter Citeratur, 3ur ©tbnung unb 3um Der* 
antoortungsgefühl: jeber haftet für ©rbnung unb 3 nftanbhaltung, wenn auch 
einem bie befonbere Aufficht 3ufällt 

Das finb Berichte non günftigen Anfängen. Ulir fcheint, auch bet Unterfdjieb 
jroifchen beiben Detfuchen ift beachtlich« 3 n Kulmbach, »o es fi<h um jüngere Schüler 
Ijanbelt, wirb bie Be3iehung 3um Unterricht ftarf betont, in Ueuhalbensleben werben 
folche Be3iehungen gern ausgenüßt fie 3U pflegen ift aber nicht ber eigentliche 3u>ecf 
bes 3immers. 

Dielleicht ermuntert bies Dorbilb 3U ähnlichen Detfuchen. IHehtes (Erachtens 
mahnt gerabe bie Kriegs3eit befonbers ba3U, benn jeßt lommen wir wohl befonbers 
leicht an unfete 3ugenb heran, müffen aber auch befonbers emft fudjen, ihrem £efe* 
eifet guten Stoff 3U geben. Schön ift’s, wo ein befonbeter Raum für bie Primaner 
}u finden ift, aber es wirb ja auch mit einem befonberen Sifdj für fie gehen. 3 m 
allgemeinen Raum benfe ich mit eine große Kriegsfarte unb regelmäßig aufgelegt 
bie amtlichen Kriegsberichte, beten (Ergebniffe bie Karte mit $ähnd}en Bezeichnet. 
Daneben eine itluftriette Kriegschronif mit guten BUbem: bie geteilten Bilbet Dielet 
3 «itfhriften fälfdjen oft nur ober finb nichts anbetes als friegerifd} 3ure<htgemachte 
®entebilbet fchdmmfter Art IDas foO einBilb (3.B.: Pteußifchet £anbfturm bewacht 
eine Brücfe an bet ruffifchen <Sren3e) auf bem nicht bas ©eringfte be3eichnenb ift? 
Diel wertooller finb bie Aufnahmen ber unrfämpften ®rte DOt unb nach bem Kampf, 
bie oieüeicht etwas Ahnung aufbämmem laffen oon ber ©röße bes Ringens. (Ebenfo 
3 u achten wäre auf bie wiebergegebenen ©emälbe. 3n einet {ehr angefeßenen 3eit* 
Ihrift findet fid} in bet Dorweihnachtsnummer ein ©emälbe: Weihnachten auf Dot* 
poften. Sin Ulan hält hinter einer höhe. hinter ihm am UJalbestanb ftehen 3wei 
Sefattelte Pferbe, unb neben ihnen tniet einUtann, ber ein lebhaftes $euet angefacht 
hat £inls baoon aber ift ein Samtenbäumchen mit ftrahlenben £ichtern gefchmüdt unb 
001 ihm fieht tief in ©ebanten oerfunlen, ber dritte ber Patrouille. Solch ein Bilb ift un* 
®aht unb erwedt gan3 falfche Dorfteilungen—bagegen an3ufämpfen ift eine Pflicht 

Weiter müßte bas £efe3hnmer bem Bebürfnis 3ahlreidjer Kinbet entgegen* 

5 * 



68 Sdjülertefejimmer unb Kriegsfanunlungen. Don tDaltfjer tjofftaetter 

lomnten, 3dtgenöffif<hes 3U fammeln. Unja^Iige ©ebichte gehen butd} unfete Hages* 
blätter unb werben oft wahllos ausgefchnitten unb eingeöebi Darunter befinben 
fid} recht oft (Eintagsfliegen, fjier gilt's nun anjutegen 3um Anlegen einer Sammlung 
oon ©ebichteit, bie ber Sammelnbe felbft als bauembe (Erinnerung an ben Krieg 
bemalten möchte. Unb bamit fie nicht nur auf bie 3ufälligen örtlichen Deröffeitt* 
Ii^ungen angetoiefen fhtb, müfcte man gute Sammlungen auslegen. (Es jdjafft 
fid} bod} ber eine Center biefe, ber anbete jene an, unb es ift ein leichtes, weitere 
oon Sdfülereltem unb Befannten aus3uborgen. Dann beginnt ein flusroäfylen unb 
Abfdjreiben, ein Dergleichen unb Äustaufd}en — unb manchem £el}ter rottbs $reube 
machen, bie eigene Sammlung bat3Uleihen, unb er toirb bafür burch (Ergebungen 
oon feiten bet Spüler reich belohnt toerben. Daf} berartig Dargeliehenes gefchont 
toirb, ift felbftoerftänblich. 

IDeiter bietet bas £efe3immer günftige ©elegenljeit, gelbbriefe unb hatten oon 
Cehtem unb ehemaligen Schülern aus3ulegen, unb toie oiele toetben gern Abfchriften 
oon Briefen (ober Seilen) ihrer Angehörigen beifteuem. So lann man antegen 3um 
Sammeln toertooller gelbbriefe; bie 3 dtungen bringen fa unenblidjes Htaterial, 
unb es führt, toie ich felbft beobachtet hübe, oft nur 3U einet toahDofen Anhäufung 
oon Ausfchnitten. IDenn möglich fotlte man auch oetfuchen, eine An3ahl jettlid} 
unb örtlich 3ufammengehöriger $elbbriefe 3ufammen3uftellen: bas müfete unenblich 
lehrreich fein, toeil fo am einfachen bie (Ertenntnis getoonnen toirb, toie ein jettet, 
je nach feinem Stanbpuntt unb nach bem ©rab feiner petfönlichen Beteiligung, oer* 
fihieben etlebt unb berichtet unb wie erft aus bem Dergleichen oielet Heiner Bericht* 
bie IDahrheit getoonnen toerben lann; bas ift eine feiten günftige ©elegenheit, 3um 
Quellenftubium an3uleiten. 

IDieoiel man oon bem eben ©enannten ben Kleineten, toieoiel man nur ben 
Spülern bet ©betflaffen 3ugängltd} machen will, toirb bem £eiter übetlaffen toet» 
ben müffen. $üt bie (Ettoachfeneten follte man aber aufjerbem nod} eine Hages* 
3eitung halten unb bann 3 eitfd}riften unb Bücher, bie bie 3 «it oerftehen unb bie 
3 ulunft oorbereiten helfen: toie Rohrbach* 3 äcfhs 3 eitfchrift: Das größere Deutfch- 
lanb, Hohrbachs beibe Brofchüren, bann Bücher übet Ijeer unb $lotte, aber auch 
übet bie Kräfte, bie unfete innere Kriegsrüftung ausmachen — batüber ht naus 
aber bie Heben unb Schriftchen unferer fühtenben ©eifter, bie ja alle bas B)ort 
genommen unb babei befonbers mit an unfete 3ugenb gebacht h°ben. 
(Ergebung bann womöglich IDorte aus bem Auslanb. Solches alles 3U befd}flff* n 
ift nicht fchtoer; teilen bie Htittet ber Schule nicht aus, fo finbet fid} ficket ein Stiftet, 
unb oieles toirb auch 9 crn batgeliehen toerben. Unb ben £ehrer möchte folch dn 
£efe3immet auch 3ut (Einlehr laben. 3 d} erfahre es je%t, welch eine $ülle oon An* 
regungen es bringt, wenn man mitten unter ber anoertrauten 3ugenb lebt unb 
atbeitet, wenn fie ben (E^ieher bas ©leiche lefen fehen, was fie feffelt, unb betrach' 
len, wie et’s anfängt, was ihm $teube macht; fein eigener (Eifer, Heues 1)eibev 
3ubtingen, toächft, wenn et mitten unter ben 3 ungens fich nach Heuern fehnen unb 
fich mit ihnen übet neue Anregung freuen lernt. Unb bei folgern gemeinfanten 
tefen, Sichten unb Sammeln wirb auch ber £ehrer felft oft ber Hehntenbe fein 
bütfen. ©b fich bann Dottragsabenbe für ein3elne Klaffen ober ©ruppen, ob fich 
Ausfpracheftunben anfdjliefeen foHen, bas witb {ich alles oon felbft ergeben. 



3eljn (Gebote einer Kriegsp&bagogit. Don 4$eobalb Siegler 69 

3 ha 6er Raum? IDo foll fi<h öafflr noch ein planen ftnben? Da bringt mich 
meine gegenwärtige Gätigfeit auf einen pta^tooüen Ausweg. (Bgieher unö Ka* 
betten oerfammeln fid; ab unb 3u in 6en Kompagnie4lnterhaltungs3immem, tro 
bas Kompagmeilaoier jte^t. Sollte nicht an 6en meiften Schulen ein Gefangs3immer 
fein, bas fid} aud} 3um £efe3immer herrid}ten liefee? Das brächte eine fdjöne letjte 
Bereicherung bes £efe3immers. IDenn bie £efe3eit 3U Gnbe geht, bann fet;t fid} 
rooI)I einmal ein Kunbiger ans Klaoier unb fpielt ein Dollslieb ober eines unferet 
Daterlanbstteber, oielleic^t aud} ein ober bas anbere Solbatenlieb. Unb fo finbet 
fid} alles, non bet oerfd)iebenften Befdjäftigung unb ben oerfdjiebenften Stoffgebieten 
het, noch ein tDeildjen 3um gemeinjamen Gefang 3ufammen, alle eines Geiftes, 
einig im Dan! unb in ber Bitte füt unfet Doll, in ber gteube über feine Siege unb 
in ber Stauer um bie Gebliebenen. 

So iamt bies £efe3hnmer für £efyrer unb Spüler 3u einer wahren Sdjafctammer 
»erben, aus bet fie gteube unb Kraft für Gegenwart unb 3 »»tunft entnehmen. 

Kgl. Kabettenlorps Dresben, De3ember 1914 . 

3eljn ©ebote einer Kriegspäöagogife. 1 ) 

Don ffheobalb 3 iegler in granffurt a. 111 . 

1. Du follft auf 3 ud}t unb ©rbnung f elfen unter beinen Spülern unb 
fie nad} wie oot anlfalten 3U pflidftmäfeigeT (Erfüllung beffen, was ihnen ob* 
Hegt. Denn bu bift beinern Dolle heute mehr als je oerantwortlich für bie 
nädfjle Generation. Aber barum fei bodf fein Sdfultyrann, heute roeniger 
als je, unb oerfte^e bie Kunft, gelegentlich aud} fünf gerabe fein 3U laffen. 
Unb gib ihnen nicht oiel auf: fie müffen fa täglich bie 3eitung lefen. 

2. Du follft ben Krieg nicht 3um flmüfement werben laffen für bie Sdful» 
jugenb; benn er ift eine gar ernfte Sache. Darum feiere nicht jeben Sieg burch 
einen fdjulfreien Sag unb meine nicht, aus jebet £eiftung ober Sammlung 
beiner Schüler für ben Krieg ein geft machen 3U müffen. 

3 . Du follft beine Schüler 3U Staatsbürgern e^ieljen. Du h a ft jefct 
bie befte Gelegenheit ba3u, benn ber Krieg ift ein ftaatsbürgerlidfer Greifet 
aHeterften Ranges. 

4 . Du follft noch intereffanter unterrichten, als es fonft fchon beine Pflicht 
®at; benn bie Gehanten ber Schüler gehen jefct gar 3U leicht ih re eigenen 
®ege. Deshalb fe%e allen Unterricht in Be3«hung 3U ben Greigniffen bes 
üages unb ber Stunbe. U)o es fidf leicht macht, ba lafj bir bie Gelegenheit 
jo nicht entgehen; wo es fchwer ift, ba 3iehe fie getroft an ben paaren herbei. 

5 . Du follft noch mehr als bisher jebe Stunbe 3U einer beutfdjen Stunbe 
machen unb beine Spüler lehren ben Stil bes Generalguartiermeifters 

Stein. D as fcmnft bu auch im £ateinif<hen tun unb in bet Blathematil; 

.„ D 3u«rjt erjdjienen im „Sdjroäbijdjen Hierfür" oom 10. September 1914, mit 
senget (Erlaubnis bes fjerrn Detfaffers erweitert abgebrudt. 



70 


ITagt=3ci6t«rs Dtutfd)»Öfterreid)if<he £iteraturgefd)icf)te 


6. Du follft im öeutfdjen Unterricht Schiller lefen, fooiel öu lamtft unö 
magft; öenn er ift öodj öer männlichfte unter unfeten Diätem; unö Aftljeten 
3u et3te^en, hat oorläufig {einen IDert mehr. 

7 . Du follft im ©efdjidjtsunterridjt oiel non Schlachten reöen unö öicf; 
freuen, öafj öu es mieöer tun öarfft unbefdjrien; öeine jungen intereffieren 
fidj öofüt unö fönnen fie in Öen paufen gleich umfefcen in öie Praxis: öas 
tut ihnen gut. Unö öu follft fie fachte hinroeifen auf öas Streiten öer ©ott* 
^eit in öer ©efdjidjte, öas fich ^eute fo umnöerbar unö rounöerooll unter uns 
offenbart. 

8. Du follft öidjt nicht ängftlich fümmern um Sehr* unö um Stunöem 
plan. 3 ft öir oorgefcljrieben, oon ^interinöien 3U reöen, fo mache ruhig 
eine Kriegsftunöe öaraus unö führe öeine ©ertianer Öen IDeg oon Hte% nach 
Paris oöer 3U Öen Zftafurifdjen Seen, Auch in öen Schulbehötöen fi|en ja 
{eine Unmenfdjen, fonöern oernünftige unö patriotifcfje UTänner. 

9 . Du follft öir überlegen, ob nicht tokflidj ein Unterfdjieö ift 3toif^en 
Utann unö $tau unö 3toifchen öem tjelöentum öes ZTtannes unö öem ^elöen* 
tum öer Sr au; öeshalb öarfft öu öir öie $tage öer Koeöufation toohl toieöet 
3um Problem toeröen laffen, auch toenn öu fdjon ffieheimer Stuöienrat bift. 
Denn mir brauchen männliche Ulänner unö mit brauchen frauliche $rauen, 
unö jeöet ©eil hat feine befonöere ©abe unö Aufgabe im Krieg. 

10. Du follft öidj freuen, öafe es aus ift mit öem 3 ahrhunöert öes Kim 
öes; öenn öas mar ein gan3 törichtes Sd^lagroort. Unfere ^eerfü^tet finö 
HTämter 3toifchen 50 unö 70 3 aljren, unö auch öie tühtenöen Knaben, öie als 
öie 3 üngften fo toöesmutig hinaus3iehen ins $elö, meröen als emfte Ulännet 
Öeimieöten oon ihrer ferneren ITtännerarbeit unö auch öer 3eit nachher 
ihren Stempel auförüden. 


Hag[=3eiölecs Deutf<f)=®|temicf)ijd)e CiteraturgeJcE)icE)te. 

Don Karl Juchs in manchen. 

An einem beöeutungsoollen 3 eitpuntte, öa Oeutf<he unö ©fterreicher in öem 
ihnen oon einer tDelt oon Seinöen aufgeörangten Riefenlampfe Schulter an Schulter 
3 u emanöer ftehen, ift öie f chon 1897 begonnene Deutfeh* <B ft err eichif che Literatur* 
gefachte (Wien, Carl Sromme, 2 Bänöe) 1 ) bis 3 um Reoolutionsfahre 1848 3U 
ootlauftgemflbfchluffe gelangt, ein epochales IDerl, rootin 3 um erften Riale felbftan* 
otg öer Anteil Deutfch*©fterreichs an öer gefamten literarif^en Arbeit öer Deutfchen 
»on allgemeinem iulturhiftorifchen Stanöpunfte aufge3eigt roirö. ©ne 3toeite Ab* 
* ei ™ n ® Ö6S 3 ® eiten Banöes f ° 11 weiterhin nod; öie Iiterarifche ©itmidlung oon 
18 « bis 3ur unmittelbaten ©egenroart führen. Dr. Ragl unö 3 eiöler hatten oon 
anbegmn untereinonber öie Arbeit fo oerteilt, öafe jenem öie Hauptleitung für alte 

je m.^3,— C ' S ^ >eS ^' * ^ es 1U. 24,—. ©tiginal*£eimoanb*©nbanö bciju 



Don Karl $u©s 


71 


Citetatur unö Dolfs* unö RZunbartöi©tung, öiefem öie für mittlere unö neuere 
öteratur 3ufiel. fln 6ie Stelle öes oorgeüig bahingef©iebenen Prof. 3 «iW«t trat 
Prof. Dr. daftle, öer im Deteine mit Ragl unö einer ftattli©en Re©e früherer unö 
neu gewonnener Rtitarbeiter öie öut© 3 eiblers ©oö oe^ögerten Arbeiten taf© 
Doraörts braute. (Ein ©runö öes oerfjältnismä&ig langfamen Ausbaues öes Wertes 
war au© öer, öafj es oielfa© für 3 citen öer Rieöerungen im Bereiche öer öfterrei©i= 
f©en Literatur, öie aber bo© wegen ©res Reichtums an boöenftänöigen Elementen 
unö tDwgeln für fpätere (Entwidlungen ni©t beifeite gefegt werben öurften, an 
Dorarbeiten mangelte, bah er aus öeren taufenö <Ein3e©eiten öas Wefentli©e erft 
geköpft werben mufete. ©eraöe öie (Erhellung folget Übergänge, in öenen öfter» 
tei© fi© oom großen Strome öes ©eifteslebens Aliöeutf©lanös abgejweigt batte, 
um fi© bann wieöer mit ©m 3U Bereinigen, bilöet als notwenöige <Ergän3ung öer 
bisherigen < 5 ef©i©te öet Citeratur ein tjauptoerbienft öes ootliegenben Wertes. 

Oer erfte Banö umfaßt öen 3 «traum oon öer Kolonifation öer öftmar! beut* 
f©et 3 unge mit getmanif©en (Elementen bis in öie Regierung öer großen Kaifetin 
aus öem fjaufe ^absbutg RIaria ©herefia ( 1750 ). Our© öie Reformation wirb et 
in 3wei Abf©nitte na© öem Rtufter öer jonft übli©en Teilung in £iteraturgef©i©ten 
gef©ieöen, wobei beten Urfprung weit 3utüd 3U Öen Anfängen öes unter Kaifer 
ütapmilian 3U © 5 ©fter Blüte entfalteten Humanismus na©geforf©t ift. RTit be* 
fonöeter ©enauigleit wirb öie feit öet ©hriftianifierung Oeutf©*öfterrei©s nie 
unterbro©ene gelehrt*lateinif©e Citeratur neben öer Doltspoefie oerfolgt, wobei 
eine hnponierenöe $ülle bisher wenig belannten Stoffes h*tange3ogen erf©eint. 
Als ©öljepunft öet (Einwirtung öer Renaiffance*Kultur auf ©fterrei© wirb Kaifer 
IRajimilians „©heuerbanl", öiefes „pra©toolle Wett öeutf©er Renaiffance" be* 
h«nöelt Re©t wertooll unö rei© an neuen <5efi©tspunften finö in öer Oarftellung 
bet mittelalterli©en 3 «it öie Ausführungen übet öie Rtufif öer altöeutf©en (Epen 
unö öet Cytif. 3 m befonöeren witö öas Derhältnis oon Heft unö Cytil, „ö. h- in 
wel©en Stüden öer ©e©nil ©re gegenfeitige Abhängigfeit heroortritt", an öen Cie* 
betn öes Rlön©s oon Sa^butg unterfu©t (I, S. 297 ff.). Unö oieles Reue ift au© 
in jenen Kapiteln ausgelöft, in öenen öie U)ellenf©läge öes literarif©en Cebens 
»on H)ien aus na© öen übrigen ©eilen Deutf©*©fterrei©s, Riebet» unö (Dberöfter* 
tei©, 3 nneröfterrei© unö ©irol, Böhmen unö Krain unö na© öen öeutf©en Spta©* 
infein in Ungarn, befonöets na© öer 3 ips (£eutf©au ufw.), währenö öes „ausgehen* 
ben Mittelalters" behanöelt werben. Reben öen fubjeftioen Oi©tungsgattungen, 
bet lytif©en unö epij©*lyrif©en, entwidelt fi© allgema© öas geiftli©e unö weit* 
Ij©e S©aufpiel, wel©e immer mehr in S©wung fommen, na©öem in öer Weiftet* 
finget3eit öas Bürgertum an öie Stelle öes Rittertums als fühtenöer Stanö in öie 
Literatur eingetreten ift. ©inen gan3 neuen (Einf©lag erhält öie öramatif©e Citera* 
int but© öen fieghaften <Ein3ug öer welf©en ©per am Wiener f?ofc unö öie S©au* 
fpieltätigleit öer ©töensleute im 3 citalter öer öfterrei©if©en Batode. Don wel©em 
Stanbpunfte aus weiterhin öie (Entwidlung öes Dramas oerfolgt wirb, ift Dar öur© 
bi« ©orte gefemt3ei©net: „Die ©pernfäle unö öie ©röensbühnen finö öie Dorläufet 
b« ftänbigen ©heater, in wel©en au© öie wilöen proöuftionen öet Wanbertruppen, 
f® ®eit mögli©, lünftlerif© unö e©if© 3u beffeten Sotmen hetange3ogen würben, 
»«in liegt öie ©eatergef©i©tli©e Beöeutung öiefer beiöen <Erf©einungsformen 



72 


Hagl«3ei6lers Deutfd) «ffifterreid)ifd)e CiterQturgefd)id]le 


bes Barodtheatets. Der (Einfluß ber ©per erftreefte fid} 3 unäd)ft nur auf bie Kreife 
bes fjofes unb bes Abels, bas ©rbensbrama roirfte im Schul* unb Atabemietheater 
auf alle Sdjidjten bet ©ebilbeten unb gewann alle Kteife bes Dolles butefj glanjoolte 
Heubelebung bet geiftlicfjen Spiele bes ITCittelalters im Stile bet neuen Kunftform.“ 
Don Ijeroortagenben lofalen Stubien 3eugen u. a. 3eiblets Untetfudjungen über bas 
Ceben unb tDitfen bes „tDienetijcfjen fjannß IDutft'' 3ofef Ant. Stranißfy, bet oon 
1712—1726 als Paßtet bes „Komöbienfjaufes am piaße näcßft bem alten Kämet* 
tor" (eines Amtes als Spaßmacher roaltete. ©in ©lan 3 ftüd literargefd]icf|tlid]er 
(Ein3elbar(tellung i(t bie bes Sittenptebigets Abraham a. St. dlara (1, 621—651), 
beffen Perfönlidjteit trefflich aus ben (eine 3eit be^errfdjenben ©runbibeen bet ©egen» 
teformation unb boben(tänbigen (Elementen erhellt et(djeint. Unb neben foldje 
tidjtunggebenben (Etjdjeinungen bet £iteratur toitb als notroenbige ©tgänjung 
bie Ausge(taltung bet Dolts* unb Dialeftbidjtung oom 17. 3a^unbett ^erab ge(tellt 
(I, S. 749ff.) r als beten bahnbrechender Dertreter bet roadete Cambadjet ©tbens* 
mann p. Rtaurus £inbemayr (1723—1783) aufge 3 eigt toitb. So roitb lidttooll 
nachgeroiefen — unb bas bilbet bie ©runbfarbe aller (Ein 3 eluntet(ud}ungen für bie 
Citeratut Deutfch=©fterreid)s oom 17. 3ahrhunbert bis in bie Ata ITCatia ü^ete(ias, 
bafe (ich langfam unb babei grünbltdj bie „Kon(olibietung bes boben(tänbigen Dolls* 
tums" ooll 3 ief}t. „£ange 3af?tljunbette haben (eit bet Koloni(ation oerftteichen mü((en, 
ehe (ich öie oetfehiebenartigen Stammeselemente, toelche fid} auf bem neuen beut* 
jdjen Kultutboben 3u(ammenfanben, gegenfeitig ausgleidjen unb ein — im gan 3 en 
gleichmäßiges — öfterreichifches ©epräge, in roelchem bas bayetifche ©Iement cot« 
maltet, annehmen tonnten." 

3m etften Kapitel bes 3toeiten Banbes „©tunblagen unb ©pochen Altöfterreichs" 
(S. I 41) roitb ein grofoügiger Ausblid für bie Behanblung bet §oIge 3 eit gegeben. 
IDähtenb man gewohnheitsmäßig „Altöfterreich" oon 1815, b. i. oom Kliener Kon* 
gteß an bis 1848 rechnet unb auf biefe „oormät 3 lid?e Ata RTettetnich'Seblnißly" 
getingfehäßig hetabfieht, roitb (ie hier als ein chatatteriftifcher Abfchnitt bes ©erbe* 
ganges beutf<h=öfterreichif(hen Dolfstums unb innerlicher Dertiefung aufgefaßt, bet 
roeit 3 urüd im therefianif<h*iofefinifchen 3eitalter unb Staatsgebanten rou^elt unb 
hinroieberum bas nachfolgenbe bes Realismus unb bet fonftitutionellen ffltbnung bet 
Dinge oorbereitet. ©s roitb ge 3 eigt, baß bie ©poche $ran 3 I. unb (eines Sohnes 
Serbinanb nicht butch bas fprichroörtliche Phäatentum unb bie £ei<htlebigleit bet 
©ienet gefenn3eichnet ift, fonbetn baß unter bem „flleltau" bes „Syftems" eine 
otganifdje, naturgemäß entroidelte Degetation grünt, bie (ich nicht nur in bet £itera* 
t, fonbetn auch m allen möglichen anbeten ©rfd}einungen bes öffentlichen £ebens 
gegen bie geiftige Beoormunbung ftemmt unb (päter 3 uglcid? als tonfetoatioe Reform 
gegenüber ben uferlofen Sotbetungen bet Reoolution ben Anfet bes Staatsfchiffes 
übet. Die unter Klatia üherefias aufgeflärtem Defpotismus begonnene ©ermani* 
(tetung bet ©ftmatt fchteitet auch im „Dotmät 3 " rüftig ootroätts unb bleibt ber 
Angelpunft bet $ott* unb Ausbilbung bes beut(d}*öfterteichi(d?en Dolfstums, beffen 
Dulsfdjlag mel fräftiger als in bet 3eit bet ftänbifdjen Derfaffung unb bet mit ih* 
oetbunbenen De3entrali(ation oon bet Reicfjshaupt* unb Refiben 3 (tabt ©ien aus 
rontt. Diefe ©tunbibee roitb jum Schlüffel oot allem bafüt, baß troß bes „Syftems" 

geta e roähtenb feiner Ejerrfdjaft ficb bie immer innigere Angliebetung bet 



Don Karl $u$s 


73 


öeutfdHJfterreichifchen Siteratur an öie allbeutfche oolfyeljt, inöem fie mit ©tiQpai 3 er 
uttö Raimunb öie Pfaöe öcs Klaffgismus unö 6 er Romantit erteilte unö mit (Elpen 
betritt. Die Publitationen fjormayrs im „Archio" 3eugen ebenfo roie ©fterreichs 
beöeutfames Rationalörama „König ©ttotars ©lüd unö ttnöe" non ©tillpcnget 
unb oiele anöere (Jrfdjeinungen oon öem erfreulichen (Erfolge öes Strebens, eine auf 
oollet Qöhe fteljenbe beut[d) 5 öfterteichifche Siteratur unö Kunft im Rahmen öer ge» 
{amten geiftigen Arbeit öer Deutfdjen ju {«hoffen. Unö öiefe pragmatifdje Auffaffung 
ift öenn auch in öer gan3en Darftellung öes 3roeüen Banöes glücflid} feftgehalten. 

Unmittelbar im Anfchluß hi cran ©it& in Öen Abfdjnitten „©{terreidjifche Barode 
unö fächfifdje Didjterfchule" unö „Klopftodianismus, Baröentum unö öie ©runölagen 
öer Romantit in Altöfterreich" öer Rachroeis erbracht, baß öie ©elehrtenpoefie öer 
there|iani|ch s iofefini{<hen AufHärungs3eit 3uglei«h Ausläufe öes Humanismus öat* 
(lellt unö anöer|eits öie öfterrei(hi[«he Romantit oorbereitet. Die Baröenöichtung 
bringt Öen 3 auber öeutfcher Dergangenheit not Öen Spiegel öer gelehrten Barode 
öes 18 . Jahrhunöerts; 3uglei<h aber löft fie heimatliche romantifche ©emütstegungen 
aus, öie, anfangs gtunboetfchieben oon öer aUöeutfchen Romantit, mit öiefet roie 
oon felbft auf öem realen Boöen öer Begeifterung für öie Befreiung oom 3 oche Ra* 
poleons 3 u|ammentreffen. Diefe (Entroidlung, in öeren Bann felbft noch Bauern* 
felö mit feinem „$ortunatus" ( 1835 ) ftanö, mitb an hetoorragenben ©eiftem, roie 
Denis, ©lud, hcrnnayr, ©rillpar3er, Ameth, Anton o. Spaun u. a. als (Typen übet* 
jeugenö erhellt, unö fo roitb felbft öas fptööe unö im ein3elnen oft nicht fonberlidj 
intereffante IRaterial öer öfteneichifchen Barode unö ootmät3lichen Ara öurdj ori* 
gmeHe Bloßlegung feiner Derbinöungsfäöen nach allen Setten oerftänblich unö roert* 
ooH gemacht. An öiefen Rachroeis eines fpe3ififdj öfteneichifchen Befißftanbes non 
Romantit in ©fterreich fdjließt fi<h Ragls eingeijenöe (Erörterung öer (Erhaltung unö 
Sortbilöung öes nationalen (Erbes („Die Doltsöichtung in Altöfterreich"), wie (ich 
felbe in Sprüchen, Siebern, Sagen unö tnärdjen foroie im Dollslieöe unö in nolts* 
iümlichet Dramatit in Öen gefdjloffenen öeutfchen Sprachgebieten ©fteneidjs unö 
in Öen Sprachinfeln öer Suöeten, Ungarns, Polens unö Siebenbürgens ooifcogen 
hat, öies troß aller Beötängniffe oom (Dften her. Das oiele Reue öiefet Stuöie h<*t 
nicht nur feine roiffenfchaftliche, fonöem eine heroorragenö nationale Beöeutung. 
®n tiefer (Einblid in öie Auftlärungsliteratur unter Kaifer 3 ofef II. unö weiters 
in Wiener Art unö ©efdjichte, roie fie gan3 braftifch öutch öie IDiener Poffe oor Rai* 
nwnb getenn3ei«hnet ift, leitet 3ur (Erörterung öer „oormäQlichen Citeraturblüte" 
hmüber. Rlit bejonöerer Sorgfalt finö öie ©eftalten (Theoöor Körners, $erö. Rai» 
•nunös unö Reftroys ausgeftaltet. Daneben ift öie ©efchichte öer Dialettöid}tungen, 
öie oon Wien ausftrahlen unö in allen beutfch*öfterreichif<hen Prooin3en teiche Pflege 
finöen, mit umfaffenöer Sachtenntnis unö ©enauigfeit erörtert; nur ein Kenner 
®ie Ragl, öer öiefen Bereich feit faßten als befonöeren ©egenftanö feinet $orfdjungen 
gepflügt hat, lonnte aus öer fcßiet unüberfehbaren RTenge oon (Edelheiten mit 
(•httet tjanb öas (Echte herausfinöen, öas er oomehmli<h um Stel3hamer, Kalten* 
örunner, Rliffon, 3 . ©. Seiöl, Kiesheim unö öie wuchtige Dtamatit An3engrubets 
^uppiert. 3 m 15 . unö 16 . Ijcft nimmt 3 eiölet mit einet trefflichen (Iharafteriftil 
®rillpat 3 ets unö feiner 3 eit oon feinet Arbeit Abfdjieb.. H)as et ba übet öas „Boöen* 
ftanöige" im Riefen öes nunmehr öie öeut{<h*öfterreichif<he Siteratur führenöen Dich* 



74 


tlagf > 3ei6lers Deutfd) • töfterret<f|if<fye £iteraturgefd)t<f)te. Don Karl 5ucf|s 


ters oorbrmgt, tote er aus feinem IDefen unö IDirfen Öen Begriff „Iteuöfterreidj" 
ableitet unö 3ur „©egemoart" füljrt, ijt ein Kabinettftüd nid}t nur literargefhih** 
lieber, fonöern auh pfydjologtfc^er Durhöringung. 3 m Anfdjlufe hieran fanb daflle, 
6er fief) fefjon notier öurh öie Verausgabe unö Deutung öer tDerfe Raimunös, 
Cenaus unö Anaft. ©tüns einen gearteten Hamen in öer ©ermaniftemoelt ertootben 
Ijatte, Öen richtigen $aöen für öie Ijatmonifdje gortfetjung öes IDerfes. Auf ©tunö 
einer oon 3 ciöler nahgelaffenen Arbeit entwarf er öie ©fyaralteriftifen 3eölit}ens, 
Anaft. ©rüns unö Cenaus. 3 ljm allein gehört auh öie treffliche DarfteHung öer ®e* 
f^i^te öes Burgtljeaters unter öer Leitung Dein^aröfteins unö fjolbeins an. Die 
übrigen Kapitel finö oon bewährten Spejialfotjdjern abgefafjt, fo öas über Betty 
Paoli, „©fterreidjs erfte Cyrifetin", oon Prof. ID. A. fjammet, über Bauemfelö 
oon Prof. Dr. ©. o. Konungynsfi, über Valm oon Prof. Dr. ©. fjomet. Stifter unö 
Sealsfielö finö plaftifh als öftereei^if<he (Typen mit öer öeutfdjen ©efamtliteratur 
in Derbinöung gefegt. Reih an bejeihnenöen (Eitelkeiten geftalten fih insbefon* 
öete öie Darlegungen über öie potitifhe Citeratur öes DorntaQ, nicht nur öie reoo* 
lutionäre, fonöern auh öie öaoon abfeits ftelfenbe. Als Rtufter für öie Beljanölung 
faft oetgeffener ©cifter fei fyiet nur auf öie plaftifdje Shilöerung öes £ebens unö 
IDirtens öes Priefters unö Dolismannes Sebaftian Brunner in IDien oerroiefen. 
Der fonft nafyeju als ©robian oerfdjriene gronöeur toirö trefflich iit Be3ieljung 3U 
früheren Citeraturerfheinungen gefegt, fo 3ut eigenartigen frrchli<h en Romantil 
©fterreihs, öie iljten hauptoertreter in öem frommen p. (Elemens RTaria Vofbauer 
hatte. 

Hidjt öer geringfte Dor3ug öes IDerfes beftefjt öarin, öajj öie orönenöe l) 01 ^ 
öer V erau sgeber es in anerfennensroerter IDeife oerftanöen fyat, öem Rtofaif öer 
Abfyanölungen hrer 3a^lreidjen Rtitarbeiter in ©fterreth unö Ungarn nah B onn 
unö 3 nljalt eine gemeinfame Rote 3U geben, fo öafj fih öas ©an3e öer Darftellung als 
einheitlicher ©uf} gibt. (Es 3eigt fih öenn auh trotj öer umfaffenöen Quellenbenütjung 
überall eine weife Befhränlung öes Stoffes auf öas tDefentlihe» fo bofe öerfelbe 
bei aller toiffenfhaftliher ©rünölihfeit auh überfihtlih un ö gemeinoerftänölih 
angeorönet erfheint. So fann öie 3um erften Riale unternommene Aufgabe öer 
Abfaffung einer Deutfh=®fterreihifh en Citeraturgefhihte ouf fulturgef<hi<htli^h cr 
©tunölage unö öamit einer als notwenöig empfunöenen <Ergän3ung öer allgemeinen 
öeutfhen Citeraturgefhihte als glän3enö gelöft betrahtet toeröen, 3ugleih ob fruht* 
bare Anregung 3ur Dertiefung in ein3elne, bis nun weniger belannte ©ebiete 
öfterreihifhen ©eiftes* unö ©emütstebens, in öie fo oielfadj neue Streiflichter ge* 
toorfen routöen. Das reihe 3 lluftrationsmaterial (Beilagen, auh farbige unö lejt* 
btlöet), bei öeffen fjcrftellung öer Detlag feine Koften gefheut hat, fommt allent* 
halben lebenöiget Anfhaulihfeit 3ugute. 



Anzeigen aus 5er Sdjillerliteratur 1913/14 (27.3aljrg.). Don Hermann Unbefdjefo 75 


feigen aus öer Sdjillerliteratur 1913/14 (27.3al)tg.). 

Don Qetmaim Unbefdjeiö in Dresben. 

Sammlungen öor SdjiHers Steiften. 

Der 11 — 13 . Banb bet monumentalen Notenausgabe non Sdjillers IDerlen 1 ) 
(Herausgeber: dontab Nöfer) umfafet bie Kapitel „ 3 ur AftHetif", „ 3 ur ©efdjicHte", 
„Xenien ©oetljes unb Sdjtllets" unb „©ebicHte", leitete 3unädjft im IDortlaute 
bet „fj° rert “ unb bes „Ittufenalmanadjs". ©ebicHte, bie für bie ©efamtausgabe 
oejentli^e Deränbermtgen erfaßten Huben, (ollen in ben nodj folgenbett Bänben 
in bet enbgültigen ©eftalt ©ieberHolt ©erben. Auf dejtrebaftion unb budjHänb» 
lerifdje flusgeftaltung ift felbftoerftänblicH aud) in biefen neuen Bänben bie größte 
Sorgfalt oerroenbet. 

Der 1 jiftorifcH s !ritifd}en Ausgabe in 20 Bänben (f. Anj. aus ber ScHilterliteratur 
1909 / 10 ) Iäfet bie DerlagsHanblung Neffe u. Beeter, Ceipjig, nodj eine Nanbausgabe 2 ) 
oon Spülers IDetfen in 12 Bänben folgen. Don biefer Ausmaß! finb bisher 10 Bänbe 
erfcNienen. Dorangeftellt ift ©tto oon ©üntters gebiegenet, mit feinftem Derftänb* 
nis für ben Werbegang bes Didjters unb mit großer NeQenstoärme gefcHriebenet 
flttifel „ScNillers £ebensgang" (108 S.). Don ben übrigen einleitenben Auffätjen 
feien no© HetoorgeHoben: „ScNillers Dramen in ber Weltliteratur" unb „Sdjiller 
ols (hjäHIet" oon ©eorg Wittomsfi. Denjenigen, bie eine S©illerausgabe befitjen 
»ollen o^ne ben für eine Hiftorif©*fritif©e Ausgabe unerlä&li©en Apparat, fonbem 
in Öen (Einleitungen unb Anmertungen nur bas für jeben ©ebilbeten 3umDetftänbnis 
öer tDeIt= unb Kunftanf©auung bes Di©ters unb feinet Werte ©rforberlidje ©ün* 
|d)en, toitb biefe Ausgabe befonbers lieb unb roert ©erben. 


©Huratteriftiten. 

S©illets dHalia in ©rer ©efamtHeit als 3 eitf©rift ift bisher oon ber $orf©ung 
»enig beadjtet ©orben. BetresHeim 8 ) bietet bie bisset feHIenbe, umfaffenbe Dar* 
Peilung oon Sdjillers dätigfeit als Netuusgeber unb in feinen Be3ieljungen 3U ben 
Mitarbeitern; er 3eigt, ba& bie genannte 3 eitf<Nrift in ben 10 3aHten ©tes Be* 
P^ens ©r ©eptäge oielfa© ge©e©felt Hut unb bafj bie ©rünbe bafüt einerfeits 
in öer Detänberung oon SdjiKers äußern Cebensumftänben, anberfeits in bem 
® e <NfA feinet geiftigen BegieHungen 3U fu©en finb. Aus bet ebenfo gtünbli©en 
Ufe onfpte©enben AbHunblung über biefes oon ber ©iffenf©aftli©en (Erörterung 


1) S^illers fämtli<He Werfe in 16 Bänben. H or enausgabe. Wünben, ©eorg IRüUers 
«lag. Kart. ä IR. 5,50, in bunfelgrünem Budram; in grünem Nulbleber IR. 8,—; Cujus* 
^abt IR. 24,—. 

, 2) SdjiHets Werfe. H an bausgabe in 12 Bänben. IRit bes Didjters Cebensgang, fo* 
®>e Einleitungen u. Anmertungen oon ®ri© Branbenburg, ©tto ©üntter, (ton* 
»«oijSfet, AlbertKöfter, Albert Ceitjmann, $tan 3 Wunder, ©eorg Witlorosti. 
m»s ber HiftorifcH*!ritifcHen Ausgabe in 20 Bänben. Ceip3ig, Neffe u. Beder. 

3) Breslauer Beiträge 3 ut Citeraturgejdjidjte. Nerausgegeben oon IRaj Ko© unb 
® t «9otSarra3in in Breslau. Heuere S°Ige, 40. Neft: 5*'$ BerresHeim, Stiller als 
^wwsgebet ber l©einif©en CtNalia, (©alia unb Heuen dH««« unb feine HlitarbeUer. 

1914, 3. B. IRet)lerfdje Bu©Hanblung, ©. m. b. N- 



76 


Anzeigen aus bet S<f|illerliteraiur 1913/14 (27.3afjt<|.) 


bisset nut geftteifte (bebtet etlennt bet £efer mühelos, bafo in bem $orifchteiten 
bet 3*üfätift fid? bie ganje bichterifdje unb tmjjenfdjaftlicfje (Entroidlung bes 6 «» 
ausgebets wähtenb bet 3a^te 1785—1795 wtberfpiegelt. 

(Einen wertoollen Stieret burd} bas Sdjillerhaus 3 U tDeimat 4 ), bet jugleid; als 
eine Beteuerung bet Sc^iilerlitetatur bejeicfjnet werben tarnt, hat tjermann Scheibe* 
mantel mit Unterftütping bes langjährigen Pflegers bes tDeimaret Sdjillethaufes, 
Profeffot Dr. (Ebuatb Scheibemantel unb bes ©betbütgermeiftets Dr. Donnborf, 
hetausgegeben. 

3u allem, was bem Befudjer bet geweihten Stätte entgegentritt, für ben Blu* 
feumstaum, bet ben SchiHer 3 immetn im tjaufe als Borraum angegliebett ift, bürfte 
an bet tjanb bet gebrudten Überjidjt Orientierung leicht gelingen, übet bas Scljid* 
fal bet enyelnen Ausftattungsftfide, übet ben heroorragenben Anteil, ben bie Stabt 
tDeimat, bas meimarifche $ütftenhaus unb gan 3 Deutfchfanb an biefen Sammlungen 
genommen haben, gibt bas inteteffante IDet! nach einmanbfteien (Quellen Auffchlufs.. 
©efdjmüdt ift bet $ühtet mit prächtigen Bilbem. Bie beiben farbigen flnfidjten 
finb nach Originalen bes IDiener IHalets (Etnft Hemft hergeftellt, bie Aufeenanficht 
nach einer illuminietten 3«idjnung unb bas Arbeits* unb Sterbe 3 immet nach einem 
im Aufträge bes Detfaffers geraffenen Olgemälbe; ferner finben fich Porträts 
Schillers unb oetfchiebene Saffimile. Bie lehrreiche £eftüre medt in bem tejet 
bas Betlangen: „Auf nach tDeimat!" — 3n 3 weiter Auflage ift bie rounbetoolle ©ja* 
tafteriftil bes Haffifchen IDeimat®) oon $t. £ienljarb erfdjienen. Bet Detfaffet be* 
leuchtet befanntlidj bie Polarität, bie burch bas bamalige Beutfchlanb ging, unb ent» 
midelt biefe Boppelentwidlung in folgenben Reihen: Klopftod, tDindelmann, tjcrber, 
Goethe — Sriebrkh bet ©toge, Ceffing, Kant, Schiller. Bie Ausführung in jebem 
biefet Abfchnitte unb bie im lebten Kapitel „Klaffifcher Sbealismus bet 3 u * un tt" 
beroeifen, was hinlänglich befannt ift, bafj $r. £ienljarb ein oom (Seifte unfetet 
Klaffitet ©etaufter ift. 

Cebensbefchteibungen. 

©hne bie (Eigentümlichteit oon (Emil PaOesfes Schillerbiographie 3 « oetnichten, 
hat £ubwig ©eiger«) in bet neuen Auflage biefes IDerfes eine gröfeete An 3 ahl wn 
Detänberungen, meift Streichungen antiquierte! Stellen, Befeitigung oon Srrtüntem, 
bie fich auch noch in bet oon I). $ifcher befolgten 12.-16. Auflage befinben, oor* 
genommen, feinet neue $unbe berüdfichtigt unb mistige ©atfachen eingefügt, 
bie Palleste nicht betannt fein tonnten. Butch biefe fotgfältige Reoifion unb Kebab 
tion ift Pallestes Biographie, bie 3 u unfetet Bätet 3 eiten als ein IDett oon uttübet* 
troffenem IDette galt, toiebet neuer £ebens 3 wed oerliehen tootben; es wirb utn 
biefet Bot 3 flg e willen oon benjenigen $teunben bes Bieters, bie fich bie Anraffung 

Sd ? iIlet ^ aus 3 u IDeimar. (Ein Sührei für (Einhetmifdje unb 5*embe oon 6 er ' 
mannte,bemann. IDeimat 1913, panfes Derlag, <£. m. b. f). 64 S. Hl. 1,—» 
9 co. IR. 1,50. 

un ^ ®*lbung. (Einjelbarftellungen aus allen Gebieten bes IDiff*ns. 
üas Jiafftf^e IDetmat oon p ro f. $tiebti(h £ienhatb. 3u>eite Auflage. £eip3ifl 1914 ' 
l 59 S * ^ 1.-. 9«b. Hl. 1,25. 

n c S T et ? £eben unt > tDerie oon (Emil Palleste. Reue Ausgabe, butchge|ef?e" 
btuderei 660 ® eiflet ’ BetIin 1913 - fl - ®ekh«h Detlagsbuchhanblung u. Bud?' 



Don [jermann Unbefcgeib 


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umfangreicher gelehrter £ebensbefd}teibungen Schillers oetfagen muffen, biefe neue 
Bearbeitung aus biefer bewährten f^anb freubig begrübt werben. 

©net Sdjilletbiogtaphie aus ber gebet bes Utenfels bes Dieters, fllejanöers 
Mn<5leid}en*Rugwurm 7 ), bringt man fetoftoerftänblid} befonbetes 3nterefje entgegen. 
Um es tut} ju fagen: Der ftarfe (Einbtud, ben bie oorjügliche (Einleitung auf ben 
£efer ausübt, Ijält an oom erften bis 3 um lebten ber 51 Hbfcfynitte bes gebiegenen 
Kerfes, flntnüpfenb an bie SdjUIerbegeifterung bes 3al}tes 1859 3 eigt ber Detfaffet, 
bafj unb warum Stiller auch je%t nod} (ebenbig bleiben mug. Das oorliegenbe 
Kerf ift bereits im fjerbft 1913 er}d}ienen. 3egt, wo unfet beutfdjes Dol! in IDaffen 
flegt, mug es fid} 3 eigen, ob in igm nodj ber Bannerträger bes beutfdjen 3bealis» 
mus (ebenbig geblieben ift. Dann wirb ber Sieg unfet fein. Schillers Sbeaßsmus 
mar es, ber bas Deutle Retdj geraffen hat nad}bem er auf ben Sd}lad}tfelbem 
»on $tan!reich im 3al}te 1870/71 unfere Solbaten gelehrt gatte, nod} mit etfaftenber 
ganb bie $agne 3 U galten unb 3 U fdjitmen. (Es witb fid} 3 eigen, ob bie gewaltige 
Kraft unb (Entfaltung auf realem ©ebiete in ben »ergangenen 43 3 agten nid}t 3 u 
einet überfcgägung bes Realismus geführt gat IDir bürfen ©utes erhoffen, ©erabe 
bas legte Jagtjegnt gat ben Beweis erbracht, bag wir tn bet Scgilletrenaiffance 
leben. 3n biefer emften 3eit lommt biefes XDert getabe recgt. Übet feine Sonber* 
ftettung, bie es gegenüber ben gtogen Scgillerbiographien einnimmt, ift folgenbes 
}u bemerlen: auf eine ausführliche 3 ergliebembe Befptecfjung ber IDerle Schillers 
fiat bet Detfaffet ben Sdjwerpunft nicht gelegt, offenbar in ber (Etwägung, bag eine 
|old|e anbetswo bequem 3 U finben ift. Aber übet iebes biefer IDerle gibt er burd } 3 
aus originale ©ebanlen. ©emögnlid; geht er bei feiner Betrachtung oon einet all* 
gemeinen, bie menfd}lid}e Ratur in ihren ©runbtiefen etfaffenben (Erörterung aus, 
um auf biefer Bafis über bie pfyd}e bes Rlenfchen, Dieters unb pgilofopgen feffelnbe 
fluffdjlüffe 3 U geben. (Ein Beifpiel mug genügen: „DJas ben Rlenfchen an fid} 3 U 
«mem tragifdjen ©egenftanb macht, was auch Öen Kleinften non uns ootnegm unb 
efirfurdjtgebietenb etfd}emen lägt, ift bas Sterbenmüffen unb bas IDiffen oom 
Der $ürft bes Hobes oerleiht uns allen flbel mit feinet gnäbig ausgeftredten 
h®tb. Dies lamt nicht oollgültiger erwiefen werben als burd} Schillers Be 3 iegungen 
ju öem Rteifter aller Rleifter. (Er hat ihm fegt oft ins fluge gefehen unb feht bewugt. 
S«ine natürliche Dornehmheit würbe butch biefen Umgang fo gefteigert, bag er mehr 
“ui mehr bie oon ihm felbft fo fd}ön 3 ubenannte höchfte ber DJütben, bie ©eiftes» 
®ürbe, erlangte. Kühn fegt et in ihrem Dollbewugtfein übet alles hinweg, was ben 
^*9 Meiern unb träge macht 3 ene taufenb Demütigungen unb ^ilffofigleiten 
Nnt Kranlfeins, bie nod} »eher tun als alle Scgme^en, fern Stol 3 bes Sehers 
un ö Künbers macht fie null unb nichtig" (S. 406). Das Derhältnis bes Dichters 3 u 
Stauen wirb mit pfydjologifcget tDagrgeit unb feinftem äftgetifcgen Sinn ge* 
Wittert über bie wahre Rtetgobe ber ©efd}id}tsfotfd}ung gibt ber Detfaffet treff* 
% ®efid}tspuntte. Rieht gering ift ferner bie fln 3 al}i ber IDinle, wo bie Schiller* 
N<hung noch faft ungehobene Schäge 3 U gaben oermag. RTit welcher Siebe unb 
t ^Sfult mug bet Detfaffet feit oielen 3agten auch ben äugeren Spuren oon Schillers 


1) Sigiller. Die ©efegiegte feines Sehens oon fllejanber oon ®lei^en*Rugwutm. 
Julius fjoffmann. 556 S. ITTit 52 flbbilbungen auf Hafeln. <5eg. RI. 8,50, in 
utmoanb m. 10,-, in halblebet RI. 12,—, in Pergament RI. 12,—. 




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B^eigen aus ber Sd(illerliteratur 1913/14 (27.Jabrg) 


£eben nadjgegangen fein! Den ganjen tDerbegang bes Dichters Ijat et miterlebt, 
unb untDilliütlidj toirb ber £efer in biefes IRiterleben mit l)ineinge 3 ogen. Reidj ift 
bie Ausftattung bes töertes mit Bilbetn unb unoeröffentlidjten IDiebetgaben aus 
bem SdjUlermufeum 3 u Sdjlofe ©reifenftein. SdjillerDetefjtung unb Sdjillerforfdjung 
tommen in biefem U)erte reicfjlid? auf iljre Rechnung; es gehört 3 U bem Sdjönften, 
roas man beute über Schiller Iefen tann. 


3u ben Dramen. 

Don ben beiben Ausgaben ber ©efdjidjte bet Derfdjtoötung bes $iesto oon 
Katbinal oon Retj galt in ber beutjdjen Sdjillerliteratur bie erfte 1665 3 U Paris 
erfdjienene im Anjtfjlufc an bie eigenen Hotten in ber Dotrebe feines §iesfo als bes 
Didjters fjauptquelle, inbem man annaljm, baf; Stillet biejenigen Angaben unb 
IRotioe feines Dramas, bie fid? in biefer erften Ausgabe nitfjt fanben, anberen ^ifto= 
rifdjen Darftellungen ber Detfdjtoörung entnommen f;abe. Die 3 toeite 1682 et 3 
fdjienene Ausgabe blieb unbetannt bis 3 um Grfdjeirten bes 5. Banbes ber JDerle 
bes Katbinals in ber Sammlung bet Grands öcrivains de la France im 3 af)te 1880. 
3n ber (Einleitung erörterte ber fjerausgeber Gfjantelanje bas fjiftotifcfje Derljältnis 
ber beiben Gejte. Bereits an biefer Stelle mar barauf Ijingetuiefen toorben, bafe 
Stiller bie Ausgabe oon 1682 oor fidj gehabt haben muf}. 31jr Abbrud in ben „Quel* 
lenfdjriften" 8 ) ift baljer 3 toeifellos ein Derbienft A. £eiljmanns, unb man barf bas 
Gtfdjeinen ber oon bem oerbienten Sc^illerforfdjer angetünbigten Stubie über Sdjillers 
Derljältnis 3 U Retj mit befonberem Sntereffe entgegenfeljen. Abgebrudt ift fernet 
in bem ootliegenben 4. tiefte, Anfang, ber ben $iesfo betreffenbe Abfcfjnitt aus 
Robertfons ©efdjidjte Karls V. 

3n Rr. 5 ber „Quellenfdjriften" bringt Albert £eit;mann ben Abbrud bet Gat* 
losnooelle Saint-Reals 9 ) nadj ber Amfterbamer Ausgabe oon 1691, unb 3 toat nadi 
bem Gjemplar, bas Reintoalb, bet es früher oon Dalberg erhalten, Stiller geliehen 
Ijatte. Drudfeljler, Auslaffungen ufto. finb unter Benutjung bes torretten Gejtes 
im 4. Banbe bes Oeuvres de Mr. l’abbö de Saint-Rbal (fjaag 1722) Derbeffert toorben. 
Dantensroert ift aber audj ber am Scfjluffe biefes Heftes befinblidje Abbrud ber 
anonymen „Sentimens d’un homme d’esprit sur l’histoire de Dom Carlos", toeldje 
Sdjrift, toie ficfjer an 3 uneljmen ift, Sdjiller gleichfalls gelefen Ijat. $emer finb in 
biefem Abfönitte no dq einige Grlauterungsfdjriften 3 U ben Dramen Spülers 3 U et 3 
roäljnen. 

Die oierte, oerbefferte Auflage oon ©aubigs 10 ) IDegtoeifer butdj bie Qaffifdjen 
Sdjulbramen, III. Abteilung. IDas in ben An 3 eigen 1897/98 bereits über biefes 


8) Quellenfdjriften für neuere beutfdje Citeratur, fjeft 4, (jerausg. PO n Albert £ei$* 

mann. Der Karbinal oon Ret; Histoire de Ia conjuration du comte Jean Louis de 
F,eS m U m flus 9 abe oon 1682. fjalle a. S. 1913, Rlap Riemeyer. RI. 1,20. 

9) Quellenfdjriften 3 ur neueren beutfdjen £iteratur, Ijetausg. Don Albert £ei$‘ 
mann. Rr. 5 bes Abbe de Saint-R^al Histoire de Dom Carlos, fjalle a. S., Rlap Riemeyer. 


^ us beutfdjen Cefebüdjern. V. Bö.: IDegtoeifer burtb bie tlaff. Sdjulbramen. 
Scbtllers Dramen 11. Rtaria Stuart, Jungfrau oon (Orleans, Braut oon HIeffina,tDilt?elm 

„ 3 ,. em f n r , l “ s ' be “ Tb - DOn Sdjulrat Prof. Dr. fj. ©aubig. 4. oerbefferte Auflage. £eip3'9 
u. Berlin 1914, B. ©. Geubner. ©efj. RI. 5,50, geb. RI 6,50. 


rx 


i 



Don Qermann Unbefd)eiö -jg 

oortreffliche U)etl uitö feine »iffenfchaftliche Bebeutung gefagt worben ift, braucht 
5 tet nicht »ieöer^olt 3 U werben. Hur hetootgehoben werben foll, baß bie beffembe 
Qanö öes Derfaffets in jeöem Kapitel 3 U bemerlen ift, obwohl öie Seitemahl nur um 
meruidj oermehrt werben mußte. 

Rem praftifhen 3®eden bient <L Kauls 11 ) Schillers ©eil. Oer Derfaffer bat 
bte heften Kommentare mit päbagogifdjer <£infid?t, öie fortgefeßt nur bie Bebürf* 
ntffe bes Unterrichts berüdfichtigt, benußt; auf biefe Heife ift eine wirtlich (Aul* 
gemäße ©rläuterungsfchrift entftanben. Bei ber „fdjematifchen überficht" batte 
bas 3netnanbergreifen ber brei fjcmblungen aud? bei ber graphifdten Darftellunq 
«mfdjaulich S^ntudjt toerben tonnen. 


Schilletoetehrung. 

Seme große Kunft, aus bem reichen biogtaphifchen Quellenmaterial ein ge* 
wattiges poetifdjes ©emälbe oom tDerben unb IDachfen, oom Ringen unb Kämpfen, 
Dom allmählichen überwinben unb Siegen bes Künftlertums in Schiller 3 U entwerfen, 
unb feine ©abe, bie Sprache 3 U feinem 3»ede 3 U meiftem, 3 eigt Halter oon RTolo 12 ) 
?uih mt 3 ®eiten unb britten ©eile feines Schilienomans „ 3 m ©itanentampf" unb 
fc 3®eifellos ift biefer Homan 3 yflus ein ausge 3 eichneter Dithyrambus 

auf bas Rtenfchentum bes Dieters. Derfcßwiegen aber barf nicht wetben, baß troß 
es feurigen IRitgefübls, mit bem ber Derfaffer bie geheimften Seelentegungen bet 
ganbelnben Perfonen blofoulegen oerfteht, es bem £efer hoch nicht fo recht warm 
«ms hcp wirb, unb baran tann nur bas fchwierige Stoffgebiet felbft fchulb fein. 

, * c r «t® ot i 5 ^ ri 9en „feigen" bei Befprechung bes erften ©eiles „Ums Uten* 

• /eÜk bemCtft routöe ' McÄt cs itnmct ein gewagter Detfuch, bie geiftige Arbeit 
eines ©rfmbets, Denfers unb Dichters in einet Dichtung, auch ®enn ber Derfaffer 
u er em gewaltiges Pathos unb außergewöhnliche Darftellungsfraft oerfügt, faßbar 
3u mähen. 3m oorliegenben Salle bewunbert ber £efer in jebem Kapitel in erfter 

niriur 9 ? 6 ,? 1 * 6 fltbeit ' öie öer Dorangegangen fein muß. Selbft Rubolf 

. ® ott W aIIs öe 'ne Rooelle „©ine Oichterliebe", bie bie Dresbner ©pifobe — 

fihl e v e \ a ? Pt ^ enöft . Cn KapitcI bci lDaItct oon m ° l ° - Manöelt, ift nicht oiel 
. . ,e Öen Stoff 3 U bewältigen ftrebt, hinausgefommen. Schiller oer* 

ZJhÜ T 9 ‘ Stt0p ^ e Jeines ®ebichts „Das 3beal unb bas £eben", baß bas fettige 
lonh ^ et Lr D °T Be ^ auet 9 eno ff en » nicht mehr „bet Haffe qualooll abgerungen“, 
dot im bui! Unb ^ ei mie aus bcm Ki< *> ts entfprungen", wie ein tDunbergebilbe 
s I eljt. Unb bas ift in Halter oon Utolos Schillerroman nicht burdfaus ber Sali. 


Ausgaben, ©rläuterungsfchriften, neue Auflagen. 

Sc ^ Iammet un ferer Dichter, ^eft 2: Sriebtich oon Schüler, oon ©. 
P te is Ut. —,50. £. ©ehmigfes Derlag (R. Appelius), Berlin 1913. 

atnbtl lff etS ®l n - ® nc ffhulgemäße ©rläuterungsfchrift für IRittelfhuIen unb oer* 
fluftäfe«. U , n 9 4 an j dten - einem Anhänge unb 40 Dispofitionen bjto. Uljemen 3 U 
UT.-1,80 6 n,ebetfd?riften Don ® Kaul ' Reltor - Ceip 3 ig 1913, ©rnft IDunberlich. 

10 flufl 3 1 Qi® t “ nenlam Pf- ®n Schinet*Roman oon IDalter oon ITtoIo. 2. Heil. 1. bis 
io’, flufr « S^eiheit, ©in Schillet»Roman oon IDaiter oon IRolo. 3. ©eil. 1. bis 
!• Berlin u. Ceipjig 1914, Schuftet u. Soefflet. ©eh- IR. 4,—, geb. IR. 5,—. 



80 artigen aus ber Sdjillerliteratur 1913/14 (27.3a^rg.). Don tjermann Unbefötib 

Das fjeft enthält Inhaltsangaben (amtlicher oollenbeter Dramen Seiners, Sem 
tenjen, cfjarafteriftifche Stellen, auch bet ^iftorifc^en Schriften, ©efdjichte bes Ab* 
falls bet Itieberianbe, <5ef<^id?tc bes Drelfeigfähtigen Krieges fomie eine Heine Aus* 
mahl aus bet Btieffammlung. 

$etbinanb Sdjöninghs Ausgaben beutfdjet unb auslanbifchet Klaffifet: ®e* 
banfenlyti! ©oetljes unb Schillers in Auswahl »on Ptofeffor Katt fjetbet. Preis 
TU. 1,80. Schöningh, Pabetbom 1914. Der TDett bet »otliegenben Ausgabe für 
Untertichts 3 tDe(!e liegt in ben mit päbagogifdjem ©efdjid unb Steife 3 ufammem 
geftellten $ufenoten. TDatum Sattlers ©ebidjte: ©enius, Die ©ötter ©riechenlanbs, 
Die Künftler unb Das »etfdjleierte Bilb 3 U Sais feine Aufnahme gefunben hüben, 
ift nicht erfichtlich. 

Stillet, Die Braut »on IReffina ober Die feinblichen Brüber, ein Htauetfpiel 
mit ©hören, edited by Karl Breul, Litt. D.,Ph. D. Schröder, Professor of German 
in the University of Cambridge. Cambridge at the University Press 1913. 

Ienien=DetIag, £eip 3 tg. griebrich non Stillet, Der Denustoagen. Die ©ugenb 
in ihren $olgen betrachtet, llt. 29. 1913. Preis TU. —,50. Die forgfältig, auf beftem 
Alfa gebrudten unb folib gebunbenenXenien*Bü<het nimmt man gern in bie Hank 
TDenn ber Herausgeber in bet ©inleitung fagt, es fei nicht erfichtlich, marum Schiller 
bas ©ebicht fpüter unterbrüden wollte, fo ift barauf 3 U en»ibern: Schiller trug offen* 
bat beshaib Bebenten, toeil bas ©ebicht boefj nur eine Hachahmung »on Bürgers 
„$ortunas Pranget" (entftanben 1778, gebrudt 1779) ift, ein ungefcljlachtet 
mit Bürgers ©ebicht, auch in bemfelben Dersmafe »erfaßt. 

Aus 3eitfd)tiften. 

$ranffurter 3eitung »om 19. Rtärj 1914, llt. 78. Der Kampf um Schülers Sd)äbel »on fj-K- 
Monatshefte für beutfehe Sprache unb päbagogit, 3ahtg. XIV, Heft 4—6, Die Schillerte* 
ratur feit 1905. Don ©bwin <E. Roebber, Ph. D., Unioerfität IDisconfin. 
Runbfchau, Deutfdje, 40.3ahtg., fjeft 6 . IDanba oon puttfamer, Bemharb Suphan 
unb bas ©oethe<Schiilei*Archi» in IDeimaT. 

Salonblatt 1914, Rr. 20 . 3ut (Enthüllung bes SchiUerbenfmals in Dresben. ©ebicht »on 
Hermann UnbeJdjeiö. 

3eitgeift, Der, Rr. 16, 1914 (Beiblatt 3 um Berliner Hageblatt). Das ©raufame in bet Ph a " 5 
tafie Schillers; eine tritifche Stubie »on Hermann Dahl. _ . 

Shmäbifher Schillernetein, TRarbach*Stuttgatt. 18. Rechenfhaftsberidjt übet bas 3#^ 

Die Sammlungen bes Sd)illermufeums hoben wert» olle 3 un>enbungen erhalten, 
baruntet ein Stüd aus Suitiers (Entwürfen 3 U feinem Drama „Die RTaltefer", bas bet König 
»on R)ürttemberg geftiftet hat, unb ein Bruftbilb Sct}iUers, bas £uboroita Simanowic 3 1793 
wäljtenb Schillers Aufenthalt in £ubwigsburg als Stubie für ihr grofjes Sth'Uetbilb malte. 
3m garten enthält bas Schillerarhi» unb bas Archi» fdjwäbifcbet Dichtet iefet 59 000 Rum* 
mein, bie Bilbnisfammlung 3400 Stüd unb bie Bibliothe! 12 500 Bänbe. 

Berichtigung 

3U öem Auffah „Über öeutfehe ©t 3 iehung". (3g.28.) 

Dur© eine nachträgliche Heine Kürjung ift S. 675, 3eile 14 eine ©ntgleifung bes Aus* 
bruas oerurfacht worben, bie ben Sinn in fein ©egenteil »erfeljtt. (Es mufe bafelbft h e *»* n: 
„Die Dermeibung ber CEnbftellung bes Detbs imRebenfafc" (ftatt: „Die ©nbftellung* ufw.). 

Bürbach- 


Sur bie Ceitung »erantwortlich: Prof. Dr. $riebri<h Panjer, Sranffurt a. RI., ffirillpatjetftr.90. 
Alle Rlanuftriptfenbungen finb an feine Anfhrift 3 U richten. 



Unfcr Krieg im ©eöicfyt. 

Don $er&inanb ®rtgort in tDien (3. 3 - in Dtesben). 

Der Krieg macht unfre ©elenfe fnirfchen; fie hatten fid* batan gewöhnt, 
m englifdjen Klubfeffeln 3U rudert. Unb bet Sport, bet gart3 gewife feine beut* 
fdje (Erfinbung ift, brachte bas nicht toieber auf gleich. hohe 3 eit toats, als bie 
erjte Ktiegsetflätung hetauffam, eine f)odj3eit im weiheoollften Sinne ift’s 
bann geworben. EDir mußten markieren, bem roiöerfpenftigen pfetbe bie 
Weiten 3ufammenbrüden, ©ewehte in bie Schultet pteffen, Atme 3um Sturm* 
hurra hochwerfen, §einbe 3ertreten unb ben Kopf weit in ben Hoden biegen, 
um bie Un3al}l bet embrecfyenben Haffen übetfdjauen 3U fönnen. Unfre 
IRusfeln redten fid), unb wir füllten wollüftig, fie Ratten bes Blutes genug 
um einen gewaltigen Sieg 3U narren, ber oom Blute allein lebt. 

JDie biefet Krieg gan3 fidjet in feinet ©eburt ber Krieg bet anbem 
u>ar, fo fi^et ift et in feinet (Entwidlung bet unfre geworben. Der ruffifdje 
Botfdjafter bei bet fran3Öfifdjen Hepublit foll beim Ausbruch gefagt hüben: 
bas ift mein Krieg! — Derbredjerifdje (Eitelfeit, bie um netonifcher Planta* 
fien willen ober oielleicht nur eines erftrebten $ürftentitels wegen mit £eben 
unb ©Ifld einet XDelt fpielt! Auch $ranfretd}, bas fidj einrebet, <Elfafe*£ot^* 
ringen erlöfen 3U muffen, mag fi<h gefdjmeidjelt haben, bafe ber (Erbball für bie 
Schönheiten oon Paris gegen Deutfdjlanb losrolle; es war ja immer mit Blinb* 
ll«tt gefdjlagen, wo es galt, übet bie ©ten3en hinaus3ufehen. Unb (Englanb 
fat in 3ynifd?er Sd?amlofigfeit gleich in ben erften Sagen befannt, bafo ber 
ullgemeinfte Krieg ihm nur ein Hedjenejempel 3ugunften feines Ittetallbe* 
ftanbes fei: „bleibe idj 3 ufcf)auer, fo werben meine (Einnahmen burch bie Sdjwie* 
tigfeiten auf ben UTeeten gefchäbigt, mache ich über mit, fo fann es mir beffet 
«gehen." 

Wir nun, beten f)et3en allen biefen oerbrecherifchen, blinben, berechnen* 
l>en £eibenfchaften ferner ftehen als unfern Seinben felbft, wir, bie mit fiawi* 
täen $tembfötpern burchfetjt bie ©ebulb oft bis 3ur (Erfchlaffung bes Stores, 
®enn nicht gat bes ©harafters geübt, wir hüben aus fittlidjen tDiberftänben 
hetaus, bie gerabewegs oon Kant unb Sichte herfommen, aus (Empfinbungen 
hetaus, bie wir 3um Aufbau feber U)elt* unb Staatsorbnung für nötig unb 
®üt6tg erachten, biefen Krieg ber anbem 3U unferm umgefchaffen. Das 
©ewiffen, bas 00t. bem höchften Richter in 3 dt unb ©wigfeit beftehen will, 

fcUWlt. f. t. t*ut|d)tR Unturidit 29.3af|t0. 2. Qeft 6 



82 


Unfer Krieg im C5ebicf)t 

ift unfer Kompaß gemorben auf biefer gefährlichften Seefahrt; es tjat febe 
Heine unb jebe gtofee lat beftimmt, bie mit Dotlbiadjten. Das ©eroiffen 
unfer Sdjidfal burdj bie 3 atjttaufenbe ber ©efetjichte — tjat uns aber auch ein 
©ut gelaffen, bas 3U erringen unfre $einbe noch eine 3tDeite ID eit roie biefe 
oetgeblich ablaufen mürben: mit bliden aus ungetrübten Kinbetaugen in bie 
Bulgen oon Derlogenljeit hinein, bie uns umbtanben. IDenn mit beute fagen: 
unfer Krieg! fo bört man mahtfcheinlich b^ter ben fieben Bergen bet feinb ; 
lieben Sieben ben tjammerfd)lag bes Ritters nicht, ber bie Schafe oon ben 
Böden, ber ben Himmel non ber Hölle trennt; bod} bie XDeltgefdji^te bört unb 
bucht ibn. 3 <b febe biefe reinen Kinbetaugen an jebem unfrer Solbaten, bet 
fröhlich Abfdjieb nimmt, in ihnen liegt auch bas ©eheimnis bes Schöpfenden 
oerftaut. Keiner braucht ba3u bie feelifchen Dotgänge beim Abgeben eines 
S<huffesunb beim Angriff 3U 3etgtübeln. Rieht ^inbenburgunb nicht fein^eer 
mären fonft bort, mo fie fteijen. Aus bet Unbemufetbeit, aus ber Unterbemu&t* 
beit aber löft fi<h bie träftigfte Kraft. Sie bat bebeutfamen Anteil an ben Zltafe 5 
nahmen unfrer Heerführer, fie ift oorausfid}tlich auch bes enbgültigen Sieges 
Samen. Klan braucht nur einmal genauer hin3uhören, menn unfre Solbaten 
beute fingen ober menn fie auf ben Übungsplätzen bie lebten hunbert Rietet 
mit gefälltem ©emeht im 3ubeltuf nehmen: bie pofaunen bes beutfehen 
©emütes fchreien ba auf: unfer Krieg, unfer Krieg! Bei berDereibigungber 
Refruten mirb fetzt bas alte Kampflieb angeftimmt, bas nun alletmärts ohne 
fonfeffionellen IHitflang bie beutfdje XDelt erfüllt: „©in fefte Burg ift unfet 
©ott." tDie oft habe irfj’s mitgefungen, auch oot mehr als 31 3 uh t€n am 
3iger Sutherbenfmal, als mit ben 400 . ©eburtstag bes Reformators feierten. 
Aber nun erft Hingt’s gan3 ernft, echt, 3eitgemäfe. ©in Derfolgter, merft man, 
mirb fi<h feiner über alles herrlichen guten Sache bemufet, hält inne unb ftellt fi<h 
ben$einben auf’s neue; mit neuem Itlute, ber oon oben fommt. Kleine ©rena* 
biere haben auf einmal — mann hätten fie bas nur geträumt? — etmas oom 
Künftler in ihrer ©rgriffenheit, unb ich tann, roo ich neben biefem aufgemühlten 
ITlenfchendjaos fitze, meinen eigenen fleinen ©on nicht finben, ich f<h®ei<J e r 
ich laufche, ich madjfe innerlich. RKe fdjön ift bies mächtige Btaufen überbies! 
R)o ift bas prebigermort, bas bagegen auffäme, gegen biefen Urlaut, bet aus 
bem ©runbe einer fjelbenfeele fteigt mie eine IDunbetblume oon erhabenen 
Rialen unb $atben. Die Singenben fühlen: man mill ihnen bas Sieb nehmen 
ober oerbieten; fie faffen es fefter an als je in bet Schule, bergen es unterm 
H>affentod, oernieten es in ber letjten £)et3!ammet. XDir, bie auch 3mifh crt 
ben ©elegtammen ber Hauptquartiere eigene ©rroägungen nicht ausfchalten, 
mir miffen’s aus Dergleichen, bafj foldj ein Sieb ein Symbol bes Sanbes, bes 
Dolles ift — fie aber finb oiel glüdlichet: fie roiffen’s oom Rlutterleibe h et * 
Schon einmal, in allerfchroerfter 3eit, im 17 . 3ahrhunbert, maren gefungene 
©hotäle bie Seelenretter, unb 3U Anfang bes 19 . mar’s bas gefptochene IDort^ 


Don Sertinartb (Sregori 


85 


IDos uns in lebten aufrechten Heften butd? Öen Dreißigjährigen Krieg geführt 
hat, öurch alle Höte öer Hapoleonifdjen fjertfd?aft unö öurdj nod} Schlimmeres, 
öuth öie ne^eitlidjen Derfudjungen fretnöer Kulturen, öie uns mit lieb» 
liehen Rattenfängermelobien nahelamen: öas foll eingefargt roerben! Das, 
roas uns oon anöem Dottern unterfd}eiöet! tttan tafte mit Sammelrootten, 
mit tlugen flbftrattionen öaran herum, roie man roolle: am ficherften, um öas 
IDort „beutfef}" Iebig 3U machen, ift’s immer noch, ein Doltslieö aus öem 
15 . 3 ahrhunöert 3U hören, ein echtes IDeihnadjtsfpiel 3U fehen roie „Das ffiottes* 
fmö" am Dresönet fjoftljeatet oöet ein gleichfchönes an öer „Heuen IDienet 
Bühne". Da fcheint plötjlich etroas greifbar 3U roetöen, roas öer lörperlichen 
Berührung bislang roiöerftrebte. (Es roimmelt öarin 3roar oon Kunftfehlern, 
aber roir taufdjen höchftc ©efühlsroerte ein. fluch ein ©timmfehes Hlärchen 
tufs, ein Stüd aus heb eis Schaßfäftlein, ein ®efang aus „Hermann unö 
Dorothea", ein Sah Bismatds lann es fein, eine Hooelle oon ®ottfrieö 
Keller, oon tDilljelm Haabe. 3 n roieoiel müfeiggangetifch'fchroatjhaften ITtun* 
ben ift öerlei oerfpottet rootöen, ehe öer Krieg unfre Sinne roieöer ein* 
rentte! Das finö roir, öas oerteiöigen roir! Unfre föftliche (Einfältigfeit, öie 
öas Kleine unö glei<h3eitig öas ©toße fieht unö liebt, unö öie braußen ent* 
toeber um öes Kleinen roillen belächelt ober um öes ©roßen roillen nicht be* 
griffen roirb! Die fabulierenöe ©roßmutter, öie Öen Kinöem oon öem Stern* 
talerrounöer et3ähtt, unö Emmanuel Kant, öer oon (Eroigteitsgeöanfen trunfen 
ben beftitnten tjimmel anfehroärmt, finö oon einem Stamme; Simpltyus, 
oie ihn IKay Klinget raöiert, unö ®oethe, roie et in IDeimat einöringt. XDemt 
Düret eine in ihrer ©ottberufenljeit er3itternöe Ittutter ITCatie malt, fo lehrt 
<* unfer allet Snnerftes, an öem roir einanber etlennen, nach außen. Unfer 
Mbensmut fteeft öarin, roie etroa in feinen oiet flpofteln unfer allet (Ernft 
Mt, mit öem roir unfre Sebensaufgabe erfüllen. XTtit öiefet apoftolifchen Diet 
bmbe niemanö an, öer einem falfdjen ®otte öient! ®s ift, als höbe unfer 
Krieg öie IDaffen öiefet Düretfchen ®ottesftreitet gefchliffen unö gehoben 
unb als läfe ihr HTunö nun oernehmlich unö mit heißem fltem glammenroorte 
ous ben heiligen Büchern! Denn öiesmal fchtoeigen öie IRufen nicht im IDaffen* 
gellirr! 

IDunöer auf fDunber in unfetm Kriege! 3 <h öenle einmal nicht an öie 
Siege, öie 3um (teil erfochten rooröen finö eins gegen ötei; nicht an öie rounbet* 
böten heilungen öer Derrounöeten, öie an öie Säten öes fjeilanbs mahnen; 
oon ben fluten nie in Rechnung ge3ogen, Öen Betroffenen eine Rimmels* 
Snabe. Das Sdjidfal roill uns roohl. IDir fdjiden ©enefene 3um 3roeiten, 
3 um brüten Htale in öie $euerlinie, fteuöig IDiebetfehtenbe, öie, als fie auf 
bem Sdjlachtfelb lagen, fich f«hon ihr ©rab geroühlt hatten unö öie {ich nun für 
gefeit halten. 3 ch ftreife auch nur im Dorübergehen öie Belenntniffe unfret 
fällen IDahrheitsfucher 00m Range IDunöts, hfl Tna( ^ s unö Südens, öie unfern 



84 


Unfer Krieg hn ®eM<^t 

3 u>ang 3 um Siege mit Öen feinften ©eiftesmitteln be©eifen, fobafr ©irbiefen 
Bemeifen ebenforoenig entrinnen tonnen, ©ie unfete Botfahyen bett £eucbt* 
fäulen 3 obann ©ottlieb $id}tes. 3 <h etterme öie tBahrhaftigleit btefes Krieges 
an Öen Betfen, öie feit öem Auguft aus öeutfäem Blute aufgebluht fmb. 

3 m Sommer jeöen 3 aljtes jätete ich öie lyrifchen Gtgebmffe. Hiebt als 
200 Bänöe lagen öa manchmal not mit. Unö ©emt idj auch nicht bebauten 
©iU, öafe febes gute, ftarte ©eöidjt öutd} feine eigene Ktaft, aljo ohne öie Hl© 
bilfe öet Kriti! unö öet Anthologien, auf öie Xla<h©elt lomme — es lanni ja 
mancher bichterifche ©öelftein fdjon butd} öas Ungefdjid unö öie Rad;!* 
feit öes Betlegers oetloten geben — fo öatf ich öod}unter 200 Banöenl 80 
für oetganglicb, 150 füt gat nicht befpted}bat batten. 3 (b »oltte alfo im lebten 
Auguft roieöet an mein XDet! geben. Bet £anbfturm, öem i(b perfonlicb 3U 
folgen batte, ©at nod) nicht auf geboten; ©as tonnte mich öemna<b binöetn, 
notb fcbnell öas öicbterifcbe Kotn in öie Steuer 3U fahren? Aber vom mn: m 
früheren Sommern manches noch als mitläuferifch oöet nur als nebenfadjltaj 
erfcbienen, fefet tarn mir bas meifte ©ie ein Berbredjen oot. 3 ft es öenn mog* 
lidj, Büchet mit fo!<bem blutlofen ©allert 3U füllen, unö b^ft hier noch et 
Hlöritefcbe Rettich, um Öen faöen ©efdjmad oon öet 3unge 3U be^en. m 
mid) bet fcbäumte öie £ebenstraft 3©eiet Bölter in haben ©eyfem empor, un 
hier lauten Hlenf^en, öie öiefer Böller herrliche Sprache fptacben unö ©obi 
gat beberrfcbten, an Öen faftlofen $ebetbattem unö prefeten 3eilchen, öie einen 
£efet, öie nicht einmal Öen Schreiber ergriffen, aus öem dintenfaffe unö et 
Stahlfpitje! Unmut erfaßte mid}, ich »ergrub Öen Krempel in einet Uonimo e 
unö machte mich friegsbereit. Run aber gefchabs. Bie mich gelang©eitt batten 
unö traftlos etfdbienen, hotten gleichfalls ibte HOaffen beroot. Rid}t alle nw 
ten es hin, oieie tatens ftei©illig. Alfreö IBattet tjeymel unter ihnen. Mj 
ber oornebmfte dypus öiefer Benoanöelten. 3 hn, öet bis öabin 
feine Berfe ober öodj ihre öünnen Stoffe aus 3©eitet fjanb empfangen fyrtte» 
ihn tife es, öa et taum oon f<h©erem Siechtum genefen ©ar, ins Selb* ~ 
öabei Öen Hob geftorben, bet fo gut ein Jjelöentoö ift ©ie jeöet oot öem $em e, 
dntträftung hat ihn nieöetgewotfen. 3 n feinen gelöpofttarten ©at et tn 
lebtet £ebensftunbe ein fdjönes Selbft geworben, unö ©it trauern um u? n - 
Bas bat allein öet Krieg oermocht, öet gtofje Umgeftalter. 3 a fjunberten a et 
fchaten fidj Brüöer um ihn, öie reiche Beute aus öiefer Htetamorphofe b ctttl ' 
tragen. Ber Krieg macht öie ©elente Initfchen, fagie ich €t I*- ® as ^ em * 
Hlufit, öie bis oot tut3em oielen oerroöbnten Knaben öet £iteratur gan3 un- 
hatmonifd} llang. Unö heute fchteiben fie öie Roten öa3U. XDohl fehlen P et * 
fönlichteiten ©ie Sichte, Kleift unö Rüdert, öie uns mit Reben, Auflagen un 
Sonetten auf rühren. Aber ©ar es benn öiesmal notroenöig ©ie oot hun e 
3 abten, uns triegerifch 3U ftimmen? 3 ft ihr hohes Amt nicht übetflüffig ge©ot- 
Öen? XDir ©aten geeinigt, als öet Kaifet rief. U)ir brauchten nur Sänget, te 



Don 5<rtinanb ©regori 


85 


(intet unfern Säten (etfdjrttten. Sie hotten Sag füt Sag Arbeit, benn unfer 
Auf» unb Anmatfch toat fcgon ein Sieges3ug. IDie üppige Ceudjtgarben bohr* 
ten fi<h unfete Hurras in ben Jjimmel bes Solbatenruljms. Brauste auch nur 
eine 3eitung unfete ©ernüter mobil 3U macgen, als bet Kaifer auf bem Baiton 
feines Stoffes erfe^ien! 3 ebet rougte» toorum es fid} (anbelte. 3 dj (orte in 
ben erften tDodjen einen Stragenbahnfchaffner übet unfete Sache teben. IDie 
ein P(iIofop( fprad} er, nicht etwa gefcfjraubt, wie es folgen fetten 00t 150 
3 a(ten gefiel, fonbetn toie einer, bet aus eht3elnen Beobachtungen ein an» 
frauliches ©efamturteil ablieft, ©roge XDorte {(fallen auf ben (baffen, weil bie 
wahrhaft großen XDorte auch bie tnappften finb. Unb man (at feine greube an 
Umfehreibungen, feitbem bas Hauptquartier übet 92000 (befangene nicht gern 
mehr als eine Selegramm3eile oerliert, feitbem bet (bouoetneur non Kiautfchou 
bie brei XDorte „ich fte(e ein" in eineiiges oetfüt3t: „einftehe". Das Schmalen 
ift in Dettuf geiommen. Unfer Auge, auch bas ber um>erbeffetli<hen Sräumer, 
grenst ben Hor^ont oon bet (Erbe aus ab, nicht oon ben XDoIfen aus. Dag 
Ric(arb De(mel unb (Emft £iffauer ihrer Aufgabe gemachten fein mügten, 
rougten mir recht gut. Der eine friegerifch tief in feinem Blute, ber anbere 
frieggeftalterifch fd?on in feinem 3 ytlus „ 1813 ". XDet aber hatte oon Hugo 
3 udetmann gehört, bet mit bem Berougtfein oon ber (Erbe abfdjeiben burfte, 
bie Schönheit feiner Solbatenfeele in einem genüg unoetgänglichen Reitet» 
lieb ausgebreitet 3U haben! IDet oon bem Obertertianer, bem bie reife Uänie 
gelang: „güt uns!" Oerhart Hauptmann fdjien für manche, nicht für mich» mit 
feinem geftfpiel ge3eigt 3U haben, bag et oaterlänbtfchen (Eteigniffen fremb 
gegenüberftänbe. Run hat bas Daterlanb niemanb inniger befungen als et 
m feinem 3 miegefptä<h. Ottomar (Enting, beffen fatte ptofa bem Detfe lange 
roiberftrebte, trat aus bem gebampften KIeinftabt3immer heraus, unb feine 
föwere Stimme etfchmoll 3U einem Pfalm, ber göttliche ©ntfdjlüffe erfühlte. 
Ritt flüchtigem Blicfe laum hatten bie Sefermillionen Deutfd}Ianbs bie bunfel» 
Wütigen Romane bes Sdjlefiets Hermann Steht geftreift; fegt hält et fie alle 
feft mit bem faft apofalyptifch gefdjauten ©emälbe „Der Krieg bricht los" ; 
es bleibt an ben XDanben ber Seele für immer hangen. Anton IDilbgans, bet 
Anwalt bet ttnterbrüdten, fdjreit in prachtoollen Stan3en fein „Vaevictis"über 
We (üben unb btüben oerbünbeten Heere hin» Rubolf Alejanber Schtöber macht 
äße Semen Argetniffe roett, bie er uns oorher bereitet hatte, Ridjarb Schau* 
H bet Stille, 3 arte, toitb ehern unb rühmt in einem bto^enen Sonett ben 
Stolj ber Srauemben. XDill Defpet, ber bemütig Kinbhafte, richtet fich fed am 
Steu3 bes (Erlöfers auf unb ruft hinauf: auch nnfer Hag ift eoangelifche Siebe, 
We Siebe 3um Daterlanbe. 3 n Hermann Heffes toeltabgefchiebenem ©arten 
werben bie uns oertraut getoorbenen Blumen toeitergepflegt, um ben heim* 
tehrenben Kämpfern einen Siegesftraug 3U bereiten. 3 n buntgefprenfeiten 
ärabesten umranft grtg Hüller holb unb fcgalfhaft bie grogen Säten ber 



86 


Unfer Krieg im ©ebidji 


£ebenben, inbem et bie toten Dinge 311m Kriege rüften läßt, £ubwig ©ang* 
hofet fingt ein regelrechtes Tagebuch voll von ^cx3ltdjcr $teube unb het3lichem 
Spott, unb ooll bes ebelften ©eiftes unferet (Erschütterungen entroicfelt Karl 
Schefflet in gehämmerter profa bie neue beutfdje Heligiofität, bie aller Reli* 
gionen Krone ift. Aus IDadjtftuben unb Schützengräben Hingen Strophen, 
meift leicht fangbare, bie gar nichts mehr mit ber füßlkhen Ciebettafellyrif 
3U tun haben, wie fie fonft unter Un3Ünftigen im Schwange mar. Überall ift 
flnfchaulichfeit ©rümpf geworben, bie edjtefte ©runblage bichterifchen Kön* 
nens. Unb unfer lieber fjätfcfjelhans, ber Humor Pon 3ean paulfchen ©na* 
ben — bem H)iß fo fern wie ©oethe bem Doltaire — breitet fi<h wohlig auf 
ben Siegen bes neuen Dolfsmannes, fjinbenbutgs, aus. Dor allem ift h^t 
bem IDiener $ran3 Karl ®in3fey, ber gewiß bie mafurifchen Seen fo wenig ge* 
fehen hat wie 3ean Paul bas £anb feiner herrlichen ©räume, ein wahres 
Itleifterftücf geglücft, bas in fefter unb babei gefälliger Sotm, unter Derwenbung 
eines einbrucfsvollen Kehrreims legenbenhafte ©erüchte fomifch 5 tealiftif<h 
verarbeitet unb bie mächtige ©at bes genialen Selbhettn, oh nc fie 3 U oetflei* 
nern, in bie Sphäre bes mittelmäßigen Begreifers rüdt fluch ein jüngerer 
Schartenmeyer — tjuffong mit feinem bürgerlichen Hamen — erhebt feine 
bebächtig*brollig mahnenbe Banaufenftimme, um ben Heerführern Spinn* 
ftubenlehren für Kriegspläne 3U geben. Ulan fieht bei jeber 3eite ben 3ufam* 
mengefniffenen ITtunb, bie geftielten ©orenaugen, bie niebtige Subalternenftirn, 
hört ben eigenfinnigen, ftähigen ©on bes bummen Befferwiffers. 

Sch habe ein paar Hamen genannt, 3Ut Hälfte belannt, 3m Hälfte unferm 
©h rc neu, wie es auch öie Halben biefer 3eit finb. 3h re 3ahl geht aber fdjon 
in bie Hunberte. Dabei 3eigt es fi<h, baß ber Krieg auch, mo es n °ti9 ift» als 
Sanatorium wirft. £eute, bie wir für halbtoll hielten, weil fie 3war unfete 
Buchftaben unb Silben, aber nicht unfere EDorte gebrauchten, werben plötzlich 
vernünftig. Klabunb ber Seltfame fingt ben Kriegsfreiwilligen ein gar nicht 
feltfames, fehr tüchtiges Schlachtlieb oor. fluch öie, beten Stimme 3U fchwach 
war, als baß man fie auf bem Hlarfte hätte vernehmen fönnen, fchreiben jetzt 
gewiffermaßen „forte" an ben Anfang ihrer ©ben. Rainer RIaria Hille ftäf* 
tigt fich 3U Hölberlin hinauf, wenn er feine fünf ©efänge ausftrömt. Halber* 
litt felbft geht wieber unter uns einher, ein Barbe, bet ben ©ob fürs Daterlanb 
rühmt. Heinrich £etf<hs „Solbatenabfchieb", fd}on oor bem Kriege aufge3eicf? s 
net, wirft in bem ©aciteifchen Sinne germanifch, ber uns etwas Heiliges, Sehe 5 
rifches 3ufcf}rieb ich 3ähle wieber auf unb weiß hoch, baß ich immer nur ein 
©ebi<ht bes Dichters mit meinem £ob treffen fann, alfö feineswegs feine ©e* 
famtleiftung, noch weniger bie ©efamtleiftung biefer fechs Hlonate. Das Reiffte 
tft hinter ber $ront entftanben, wenn ich non Dehmels Dollfommenheiten ab* 
fehe. Unb nun urteile man nicht verächtlich: ja, auch bies Dichten fteht eben 
bem wörtlichen ©rieben ferne. — ©s ift nicht hier, es ift nirgenbs fo. Das fünft* 


Don feröinanö ©regori 


87 


letifdje (Erleben ift oon anbeter Art als bas nadtroirlliche, nicht aber im (Stabe 
oerfdjieben. Der lünftlerifche (Seift, bet innerhalb bet $ront umgebt, gibt fid? 
am reinften in bet lodeten ptofa bes Briefes aus, nidjt im gefdjmeifeten ©e= 
bidjt. IDo braufeen bie gebunbene Spraye oerfucht toitb, lommt es nur feiten 
3U gan3 bidften (Sebilben. Das roollen mir „Barbaren" nicht oetgeffen, bafe ein 
Kunftroetf, auch roenn es oom (Stanatfeuer 3eugt, in bet füllen Stubierftube 
beffete Heimat hot als im Sdjüfeengraben, bet oon 3 ufällig!eiten bebrängt ift. 
$teuen mir uns oielmefyc bet gemalügen (Ergriffenheit, bie auch unfere un* 
bewaffneten Btübet befeelt! 3 h le 3 uoerficht in bie Sieghafügfeit bet Kamp- 
fet ift fo ftarf, bafe fie aud; mäfjtenb bes Krieges bie innere Sammlung herbei* 
rufen fönnen, ohne bie lein gan3es (Sebicht möglich ift. 

(Eine anfehnlidje Bücherei ftapelt fich auf, bie aus inneren ober äufeerlichen 
©rünben bas Amt bes (Erntens übt. Sie fteht auf roefentlich höhet« Stufe als 
bie oon 1870 / 71 . Derfelbe Dämon, bet entfeffelt mürbe, als es in Automobi* 
len gegen Süttid; ging, rife fi«h in unfern Dichtern'aus mobifdjet (Sebunben* 
heit los unb jaudftte in freiet Schaffensluft auf. Das IRorgenrot bet laifer* 
liehen Botfchaft oom 1. Auguft unb bet unoergleidjli^en Reidjstagsfifeung 
oom 4 . Auguft mifchte auch ben Heineren Dichtem bie angenommene IHübig* 
leit aus ben Augen. 3 hte (Ein3elfräfte erhoben fi<h oom meidjen Saget mie in 
Waffen unb oet3ehnfad;ten fich i m ©efülfle bes oerlefeten Allgemeinrechtes. 
Sie fdjamten fich ieber erqualten 3 eile, bie ihnen früher entfloffen mar, unb 
ber Sag trug ihnen Stoff 3U, oon bem noch Saufenbe nach ihnen leben lönnen. 
Hoch finb Anlehnungen unb Schmächeanmanblungen nicht gan3 gefchmunben, 
aber fie oetblaffen oot ben grofeen ©egenftänben. Ijeute bichtet nicht fo fehr 
bie Sprache, um ein Sdjillerfdjes EDort 3U mieberholen, für ben Dichter, als 
oielmeht ber Krieg mit feinem (Befolge: fjafe unb Siebe, 3 ubel unb Stauer, 
Segen unb $ludj. IDet roill es ihm, bem Dichter, oetargen, bafe er fie 3U Ijel* 
fern nimmt, bie ihn übet bas gemeine RTafe bet (Empfinbungen hinausheben! 
homer rief bie IHufe an, als er feines gelben Irrfahrt 3U fingen begann, unfer 
Sanbroehrmann greift bie gute Stimmung eines halbmegs bequemen Rächt* 
((uartiets auf, um fid? 3U entfpannen unb feinen Kameraben eine neue „EDacht 
<nn Rhein" 3U fchenlen. 

H)as baoon bleibt, mer mag’s heute befümmen? (Es ift gar fo fchön, ber be* 
®egten See 3U3ufdjauen! Kein Auffdjmung menfchlid;et £j« 3 cn ift bes Dan* 
tes unroert. EDit Daheimgebliebenen mollen bie ©efänge bet gan3 unb auch 
bet halbbetufenen, aber oom ©lüde bet Stunbe gefegneten Dichter als Siebes* 
9«be ans ljer3 brüden. Sie finb, richüg abgefdjäfet, mie Kraft3entralen grofeer 
Stabte: es arbeitet oullanifch in ihnen, unb ihre EDirlung tut mohl, Sicht geht 
unb Klarheit unb ID atme in gan3en Sonnen baoon aus. 



88 Die literarif<f|en Strömungen bes 19.Ja!)rf). in i^remüetl|öllnts 3 m 3 eitg<nö(fifd)en politit 


Die literari|(^en Strömungen öes 19 . 3 at)rf)unöerts 
in ifyrem üerf)ältnis 3ur 3eitgenö|[i|d)en Politik. 

Don Johannes Bobetlj in £öbau i. S. 

Die ungeheuere, butchgteifenbe nationale Erhebung bes beutfehen Dolfes, 
bie heute bie Doller Europas unb bet gan3en tDelt in (Erftaunen oerfeßt, lentt 
bie Blide auf jene (Erhebung, bie 00t 100 Jahren mit ebenfo elementarer ©e= 
malt aus bet (liefe bet beutfehen Doltstraft hetDortoudjs. Unb hoch» meid) weit 5 
gehenber Unterfchieb! Damals rang ein in fich 3erfplittertes Doll im Kampf 
mit einem einigen machtoollen Tyrannen um eine neue, lang erträumte (Ein* 
heit; jeßt lämpft ein feit faft 50 Jahren geeintes mastiges Reich gegen eine 
XDelt oon $einben um feine bebrohte (Ejiftenj. Damals herrfchte 3toar auch eine 
ungeheure Begeiferung; aber fie brach halb faft mirtungslos in fi<h 3ufannnen. 
Die erträumte (Einheit mürbe nicht erlangt; bas Doll blieb politifd) unmunbig, 
unb bie Beften bes Dolfs fühlten fich troß bes großen Sieges un3uftiebener 
unb mutlofer als 3uoor. ©egenmärtig fteht Deutfcßlanb 3roar noch lang« nicht 
am (Enbe bes XDeltringens; aber man roeiß bereits jeßt, mie auch f<h on 3 U An* 
fang bes Krieges, ficher, baß es ein folcßes ©nbe mie oor 100 Jahren nidjt treffen 
roirb unb lann. tDie lommt es aber, baß bas beutfehe Doll h«ute leinen foldjen 
3 ufammenbtuch erleiben mirb mie bamals? Die flntroort, fo inßaltsfchmer fie 
ift, ift leicht gegeben: Deutfdjlanb ift gan3 anbers gerüftet als in iener 3 «tt* 
Das bemeifen ja bie großartigen militärifdjen unb mirtfchaftlich«n (Erfolge täg* 
lieh. Uber es gibt noch «ine innere Rüftung, eine Rüftung ber Seele, bie einem 
Dolle ebenfo nottut mie bie äußere. 1813 unb 1848 mar biefe Bereitfchaft 
noch nicht genügenb gebiehen; feßt aber bietet fie bie u^erftötbare ©perations* 
bafis 3U allen anberen (Erfolgen. Die innere Rüftung lag nicht in ben fjänben 
bes TRilitärs; faft bas gan3e beutfehe Doll hat mehr ober meniget an % 9 «* 
arbeitet. (Ein (Eßtenplaß aber unter ben $örberem ber inneren Kriegsbereit* 
fchaft gebührt ber beutfehen Citeratur. tDie hoch ißt Derbienft in biefem Sinne 
an 3ufchlagen ift, 3eigt bie (Entmidlung ber beutfehen Siteratur im 19 . Jah** 
hunbert unb ihr Derhältnis 3m 3eitgenöffifchen politit. 

©s finb nicht 3U allen 3 «iten Be3iehungen 3roifchen tünftlerifch«m unb 
politifchem £eben eines Dolles oermutet unb aufgefunben morben. Der es 
3uerft tat, mußte fid) bie Iritifche $tage oorlegen: Befteht benn überhaupt eine 
IDechfelmirlung 3mifchen biefen beiben an fich bo<h 3iemlich untetfchi«bli<h« n 
Jntereffenfphären ? — Someit man gan3 allgemein einen 3nfammenhang 
alles geiftigen Cebens annimmt, muß man bie $rage ohne meiteres befaßen» 
unb aud) befonbete Beifpiele hietfür fcheinen Hat auf ber fjanb 3U liegen. 
Daß £effings „ITIinna oon Barnhelm" eine „Ausgeburt bes fiebenjähtig«n 
Krieges ift", mirb ©oethen niemanb befreiten, ebenfo nicht, baß Körnet, 


Von 3oIjanncs Bobttf) 


89 


flmbt unb Sdjenfenborf Öen Stoff ihrer Dichtungen unmittelbar aus bem 
poltttfdjen £eben gefd)öpft haben. — Unb hoch gibt es noch bebeutenb meht 
©egenbeifpiele. Das oft 3itiette IDort Ijetbers, bas als Dariante auch * n 
©oetljes gauft eingebtungen ift: „politifd} Sieb, ein garftig £ieb!" bürftebas 
graoierenbfte fein, fluch läfet fi<h beobachten, bafe ben Blütejeiten bet £ite* 
ratur burchaus nicht itntnet tjöhepunfte im politifchen £eben entfprechen unb 
umgefehrt. — (Es 3eigt fi<h alfo, bafe politit unb Siteratur burchaus nicht 
immer harmonieren, fonbem fich bes öfteren fogar als feinbtiche Schroeftern 
gegenöberftehen. $orfcht man biefem Dethältnis bis 3U ben innerften (Trieb* 
febem nach, fo ergibt fich, &afe Politit unb Kunft trot} oft bemühter (Entfrem* 
bung einanbet ergäben unb richtunggebenb in bem Sirme beeinfluffen, bafj 
fie beibe bem einen frönen 3 tele nationaler Selbftänbigfeit 3uftreben. Das aber 
3« beroeifen, roitb nach biefer tritifchen Bemerfung meine Aufgabe fein. 

Das 19 . 3 ahrhunbert fe%t in literarifcher Be3iehung fofort mit einem fjöh« s 
punlte ein, mit bem Klafföismus. Diefer bebeutet 3um guten Heil bie Übet* 
rombung, 3um Seinen Heil bie Sortbilbung rationaliftifcher 3 been. Befonbers 
werben oon ihm natürlich bie 3 been aufgegriffen, bie bas Sebenfpenbenbe bet 
flufflarung finb. Obenan fteht hl« bet Begriff bet 3 nbioibualität. Der 
Rationalismus hatte bie <Eman3ipation bes ein3elnen minbeftens theoretisch 
bereits ool^ogen; aber et machte praftifdj bie (Emporbilbung bes 3 nbioibuums 
oon bet (Entroicflung bet Blaffen abhängig. Die Klaffilet aber machen bie 
3 nbroibualität oon biefem lähmenben Ballaft frei unb nur fich felbft oerantroort* 
Ii<h. Sie tann aus eignet Kraft 3Ut Sbealität, 3« Dolßommenheit empor* 
fteigen. Die „inbioibuelle 3 bealität" roitb fo 3U einem roichtigften $attor bes 
üaffifhen Bilbungsibeals. Diefes erhebenbe (befühl bet Sreiheit unb Bilbungs* 
möglichfeit hatte bereits einmal bie jungen ©etties ber Sturm* unb Drang3eit 
9etabe3u trunten gemacht. Ähnlich, toemt auch abgeflärter, fudjen nun bie 
Waffifer in ihrem Bilbungshunger alles, roas bie XDelt bilbet, in fich aaf* 
3 uneljmen unb fich fo enblich felbft 3um Unioetfum 3U geftalten. Diefer ©e* 
banle ber Unioerfalität ift es, ber nun 3m 3 eit bes Klaffqismus 3ur allgemeinen 
ünerfennung gelangt. Soroeit fid} biefe 3 bee aber auf bie lebenbige petfön* 
ß<hfeit als folche be3ieht, roitb fie 30t 3 bee bet Totalität. Alle Kräfte bes Bten* 
fäett (ollen 3m flusbübung lommen. 3 n biefen brei 3 been bet 3 nbioibualität, 
i*et Unioerfalität unb bet (Totalität liegt bet flngelpunft aUet flaffifchen Kunft. 
Das beroeifen bie Klaffifer fotoohl in ihren U)erfen, toie auch in ihrem £eben. 
So ift ©oethe bas Urbilb einer fräftigen 3 nbioibuaIität, bie in aüem nur bas 
** 9 «« Selbft als Richter anerfennt, fein IDiffensburft unb fein allfeitiges 
Nnensroertes 3 ntereffe toeifen auf bie Unioerfalität hin. Unb feiten hat ein 
Dknfh bie (Totalität feiner Kräfte fo 3ur (Entfaltung gebracht toie et. Sein 
Sauft unb fein XDilhelm THeifter finb ©eftalten toie er. 

3 n biefen charatterifierten 3 been liegt es begrünbet, bafe ber Klafffeismus 



90 Cie literarifcßen Strömungen bes 19 . 3<tßrß- in ißrem üerljältnis 3 ur jeitgeitöffifdjen Politit 

mit ber politif feiner 3 eit in feine innere $üt}lung treten fonnte. Der bamalige 
ftänbifeße Staat (eßte bem 3bealismus bet Klaffifer eine getabeju brutale 
utilitariftifcße ©efinnung entgegen. Alle IRaßnaßmen ber Regierung, aucß bie 
für bie geiftige Bilbung bes Dolfes, follten ben einjelnen nur ermächtigen, 
feinen Staatsbürgerpflicßten beffet nadj3ufommen, bas hieß aber i n ^et ba* 
maligen Sprache, bureß gefteigertes ©infommen mehr Steuern aufjubringen. 
Der Klaffyismus fa!? baher in bem Staat nur bie notroenbige äußerliche Re 5 
gierungsmafchine, fprach ihm aber bas Hecht, fich in bie ibeelle Bilbung bes 
Dolfes ein3umif<hen, mit größter Schärfe ab. So 3. B. auch $ict)te nod) 1796 
in feinem Haturrecßt. Diefer ©egenfaß mußte aber noch fhroffer roerben, 
ba bet bamalige Staat mit ber ftrengen Abgren3ung bet eht3elnen Stänbe 
bem ©ebanfen oon ber $reißeit jeber 3nbioibualität getabe3u ins ©eficht feßlug. 
$ür ben Klaffoismus gab es nur ein unbefeßränftes IRenfcßentum, unb ber 
©ebanfe ber Unioerfalität führte enblich auch über bie politifcßen unb natio 5 
nalen ©ren3en hinaus. Die Ration liegt tief unten; auf ben fjößen bet Bilbung 
gilt nur bas mähre IRenfhentum: bie fjumanität. Das Urbilb aller Humanität 
fanben bie Klaffifer aber bei ben alten ©riehen, unb in ihrer faft abgöttifhen 
Derehtung biefes Dolfes bilben fie einen neuen unüberfteigbaren Damm gegen 
bie eigne politifcße Ration. — ©roß allebem mußte aber biefe offenfunbige 
Seinbfhaft ber beutfeßen Ration 3um Segen gereichen; benn inbem ber Klaffi- 
3ismus unentmegt feinen hohen 3ielen nahging, hat er fih rein erhalten 
unb bie Anfcßauungen bes beutfhen Dolfes reifen unb oerebeln laffen. Dabutcß 
mürbe bie allgemeine (Erhebung im 3meiten 3aßt3eßnte bes 19 . 3ahth urt betts 
erft möglih- ©he bet Stein aber ins Rollen fam, mußte ein 3meites Dichtet 5 
gefcßlecßt bem beutfeßen Dolf fein maßres Selbft not Augen halten unb bie 
Deutfcßen 3um fjanbeln bemegen. Das roaren bie beutfhen Romantifer. 

Die beutfhe Romantif 3eigt beutlicß 3toei Pßafen ißtet ©ntmidlung. Be= 
fonbers bie fogenannte $rüßtomantif fnüpft innig an ben Klaffi3ismus an unb 
mäht bie flaffifcßen 3 beale 3U ben ißren. Das erhellt feßon baraus, baß bet 
IDilßelm IReifter fo3ufagen 3um heiligen Buh erhoben mirb. ©roßbem erfaß 5 
ren biefe 3 been eine Umgeftaltung, bie um fo bebeutungsooller ift, als fie bet 
©ntmidlung ber beutfhen Siteratur für ein 3 aßrßunbert bie IDege ©eift. 
Auh ben Romantifern fteßt ber Snbioibualitätsbegriff im Dotbetgtunb ißtes 
3 ntereffes; aber fie überfteigen bie ©ren3en, bie bie Klaffifer biefem Begriff 
nocß ftedten. ©oetße betont 3mar überall bas Reht bet 3nbinibualität, meint 
aber im ©tunbe genommen ftets nur bie fogenannte feßöne ober intereffante 
3 nbioibualität, bie in ber fünftlerifcßen Darftellung naturgemäß fofort ibeali 5 
fiert erfheint. „ 3 n unb an biefen IRenfhen", fo fagt 3. B. fjumbolbt oon fjer 5 
mann unb Dorothea, „ 3 eigt fih bas IDefen bes IRenfhen überhaupt; fie fmb 
ein Unmerfum im Bilbe." Dabuth erlangt aber bas 3nbit>ibuum ber Klaffifer 
ben ©ßarafter bes ©ypus. So finb 3. B. bie petfonen in Schleis Bramen 



Don 3°f)onnes BObetI) 


91 


öur^aus ITCenfchheitstypen, bie mit eincr^tottflidj lebenben 3 nbioibualität 
oft wenig 3U tun haben; man beule an bie Schwebet Bauern in XDil^elm üell. 
Den Romantifem gebührt nun bas Derbienft, biefem ©bjeftipismus einen ent* 
fdjiebenen Subjeftioismus entgegengefe^t 3U haben, biefe typifierten 3 nbioibu* 
alltaten mit lebenben 3U oertaufchen. Sie 3eid}neten habet in ihren IDetfen 
wirtlich Iebenbe 3 nbbibualitaten oft mit getabe3u berounbetnsroettet Offen* 
berjigfeit, ja Dteiftigleit ab. tDeldjen Sturm ber ©ntrüftung biefe Kühnheit 
3unä(hft etwecfte, beweift bas ©rfcheinen oon $r. Spiegels Cucinbe. 

Dabei waren, bie jugenblichen Romantifer aber au<h mutig genug, ihre 
eigne 3 nbioibualität gan3 anbers aus3uteben, unb bas hatte feinen ©runb 
roiebex barin, bafe fie ein ungeheuer gefteigertes HJertbewufetfein ihrer felbft 
Ratten. Diefes oerbanften fie aber bem Phüofophen, ben fie anfangs auf ihren 
Sdjilö ethoben, Siebte. IDahtenb Kant noch ®ot wenigen 3 ahten in bem Bing* 
amfid} 3wifchen ber ©rfenntnismöglichfeit unb bet Hatur eine unüberfteigbare 
IRauer aufgerichtet hatte, rife $i<hte biefe mit fühner fjanb ein unb lehrte, bafe 
bet DTenfch w bem innigften Derhältnis 3m Ratur ftehe; benn biefe fei nur bas 
projizierte Spiegelbilb bes ©eiftes, ober wie fpäter Stelling fagte: erftarrte 
3nteliigen3. Ratur unb ©eift feien eigentlich basfelbe ober, wie Hooalis es fagte: 
Daxftellung bes menfchlichen ©emütes. Da nun aber biefet erftarrte ©eift nach 
£e6en unb Deroollfommnung ringt unb ba bie ein3elnen Raturet3eugniffe in 
ihrer ©efamtheit leine Kette immer Dotlfommener werbenbet Darftellungen bes 
ntenfhlichen ober auch bes göttlichen ©eiftes bebeuteten, fo war bet ©ebanfe 
einet progteffioen ©ntwicflung 00m ©infachen 3um DoUfommenen, bis 3ur 
Kunft gegeben, unb ber ©oolutionsgebanfe, ber bebeutenbfte bet Roman* 
tif, roat gefchaffen. Rttt biefer D)eitung bes poetifdjen Ijor^ontes fanb aber 
We Oteratur eine ungeheuere Bereicherung. Das fühlten bie Romantifer gar 
®°Wi unb fie nannten baffer ihre Dichtung be3eichnenbetweife „ptogteffioe 
Unioetfalpoefie". Das mar aber ein Begriff, ben fie felbft nicht gan3 mit 
Inhalt 3U erfüllen oermochten; bas blieb einet fpäteren 3eü oorbehalten. 

Künftlerifch unb philofophifch fo ejtrem oeranlagte Raturen fonnten be* 
9 teifli<hetweife feine ©emeinfchaft mit bet politif ihrer 3 eit haben. 3 hre 
Änfhauung oom Recht bet 3 nbwibualität mufete fie mit bem ©ängelwefen 
ftänbifd^en Staates ebenfo oetfeinben wie bie Klaffifet; auch ®ar ben fein* 
fülligen Perfönlichfeiten bas politifche Ceben 3U roh, 3U lätmenb. 3 ht $ühter, 
St-Spiegel, fudjte bie Seinen bähet biefer U)elt 3U ent3iehen, inbem er im 
Mfenäum fagte: „Rieht an bie politifche R)elt oerfchleubte bu ©lauben unb 
öebe, aber in bet göttlichen Hielt bet tDiffenfchaft unb ber Kunft opfre Dein 
3 nnetftes in ben heiligen $euerftrom ewiger Bilbung." Diefe tDeltferne bet 
wmantifchen Philofopljie würbe in ihrer Sortbilbung burch SchelUng nicht 
onbets; benn auch biefer führte mit feiner bis ins ©jtrem burchbaehten 
Hatutphilofophie eher noch mehr oon ber_ realen DJirflichfeit ab. Unb bodj 



92 ©1« Hterarifäen Strömungen öes 19.3<üpcb. in intern Cerf)öUnis 311 t 3 tügenöfflfötnpoIttt! 

lag in biefet Philofophie bet H)eg oorge3eühnet, bet 3unt realen £eben 
3urü(ffü^tte. 

Oer Begriff, öet biefe lenöenj in fich barg, ©ar eben öet öet ©oolution. 
Oie ©ntroicflung öet Hatut ift ein Hingen nach Bemufetfein. Oa nun öet Rlenfd) 
ebenfalls öet Hatut angehört, fo beöeutet öie ©ntroicflung öes IUenjdjen, aljo 
öie ©efdjidjte, öie getaölinige Sortierung öet Hatuteoolution. Diefen ©eöan* 
len ©ieberum bis 3U Öen lebten Solgetungen butdjbadjt 3U haben, ift öie Hat 
öes fpätet ©itfenben Philofophen fjegel. Das ©t©a<hen öes ^iftorifdjen Sinnes 
ift abet bereits ein ©hatafteriftifum öet Romanti! unö 3tDar not allem öet foge* 
nannten jüngeren Komantif. £eute wie Brentano, fltnim, Kleift, flöatn 
Hlüllet, öie Brüber ©rimm u. a. toaten feine roeltflüdjtigen Schwärmet, fon* 
öetn lebten in öet IDelt unö famen baljet naturgemäfe fofort mit öet natio* 
nalen politif in Berührung unö, ©ie toir feljen ©erben, gat halb in einen 
äufeerft ttagifchen Konflift. 

Oie jüngeren Homantifet ©aten feine Kriegshelben unö fahen baljet Öen 
3 ufammenbtu<h öes 3ahtes 1806 mit gan3 anöeten Bugen an als öie meiften. 
Sie etfannten nämlich, bafe öem öeutjcijen Oolfe 00t allem öas Selbftbe©ufet* 
fein, öas Be©ufetfein feines eigenen IDertes unö feinet Kraft fehle. Um öiefent 
Schaben ab3uhelfen, fügten fie öetn öeutfdjen Oolfe feinen eigenen IDert 00t 
Bugen 3U halten. Oie Sunögtube foldjet Schäle fonnte für fie abet lebiglid} 
öie öeutfche Oetgangenheit fein. Datum 3ogen öiefe lebensfteuöigen 3ünglinge 
mit Pergament unö £eiet butch öie £anbe unö {dürften auf öem Boöen öes 
noch gefunöen Dolfstums nach ungehobenen Schäfeen. 3 n Öen Bibliotljelen 
öes 3 n* unö Buslanöes fugten unö fanöen fie föftliche petlen attöeutfchet 
Poefie, unö oor allem bot öie ©efchichte Belege übet Oeutfchlanös ©töfee. 
So bauten fie mit unenölichet Rlühfal aus öem gefchichtlich ©erootöenen ein 
Sunöament, auf öem nach ihter Rteinung allein gan3 folgerichtig öas neue 
Oeutfchlanö gefügt ©etöen fonnte. 3nbem fie abet öiefet Überjeugung lebten, 
mujjten fie urtbebingt in fchärfften Konflift mit Öen fjatöenbetgfchen Reformen 
fommen, öie ihnen nut als Umftut3, nicht abet als hiftorifch begtünöete ©nt* 
roicflung etfchienen. 3 « mehr fie aber in öem mit allen Rütteln gegen fie ge* 
führten Kampfe unterlagen, um fo fchnellet 3ogen fie fid}, halb aus Hot©enöig* 
feit, halb aus ©roh in öas Saget öet Reaftion jurücf unö nahmen öaöutch ®iae 
Stellung ein, in öie ihnen 3©ar öie Regierungen halb nacheilten, in öet fie 
abet unbebingt als Oatetlanösfeinöe oetfchrieen ©utöen. 

IDähtenö fleh fo öie eigentliche öeutfche Siteratur tefignietenö aus bent 
©e©ühle öet Parteien 3utüc^iehen mufete, ftimmten anöete Sänget einen 
Sang an, öet im Hu öie fjet3en öes Dolles erhob unö öie Slammen öet Be* 
geiftetung hochfchlagen liefe. Das gan3e Dolf ftanö auf; öet Sturm brach los; 
unö öet ©ebanfe an ein einiges Reich, öas oon $ütften unö Dolf tegiert ©et* 
Öen follte, liefe öie Deuifchen öie fjelbentat oollbringen, in einem 3ah tc ^ en 



Don Johannes Bobetl) 


93 


jc^tct übermächtigen geinb aus bem £anbe 3U treiben. Als aber bann bet 
IDienet Kongtefe unb bie batauf folgenben Jahre jene fchwerften (Enttäufdjun* 
gen brauten, ba fiel all bie Begeiferung mit einem Schlag 3ufammen, unb eine 
bumpfe Oet3u>eiflung lähmte hoffnungslos bie beutfehe Dolfsfraft. Bie nati* 
onale Begeifterung, bie IWämter toie Arnbt, Schenfenbotf, Körner u. a. ge* 
fihaffen hatten, ift einem Kartenhaus 3U oetgleichen. 3 m Ru mar es 3U fchmin* 
belnben höhen gebiehen; aber ber erfte entfehiebene Sturm matf es oollftänöig 
um. 3 n jener 3 eit größter CEnttäufchung unb ^ilflofigfeit ftanben aber noch 
bie ©runbfejten, bie bie jüngeren Romantifet auf geführt hatten, unb auf fie 
retteten fi<h bie Beften bes Dolles unb bauten emfig, aber langfam, Stein für 
Stein, an bem Bau bes Beutfdjen Reiches, bet barm 3U Berfailles nach etma 
fünfeig Jahren gerietet merben lonnte. Dafe es bahin gelommen ift, »etbanfen 
mir 3um guten Heil ben jüngeren Romantifem, bie in ben 3man3iget Jahren 
bie Rettet bes nationalen ffiebanfens gemotben finb. Später freilich mußten 
and? fie bie Kelle aus bet fjanb legen; es lam eine neue ffieneration mit gan3 
anbeten ©runbfätjen auf unb nahm bie fdjroere Arbeit auf jüngere, breitere 
Schultern. 

Diefe btitte Dichtergeneration geht aus ben beiben anbeten organifch h* 1 * 
not. 3 h r ficht ebenfalls bet Jnbfoibualitätsbegtiff, unb 3roar in bet (Erweite* 
rung butch bie Romantif, not Augen. Jebe Jnbwibualitäi hat ein Recht fidj 
ju entfalten. Aber bie Dichter biefet neuen 3 cit machen nun auch mit bem 
3u»eiten ©runbfatj ber Romantif (Ernft: ihre Kunft roirb nun mirflich «pro* 
gteffioe Uninerfalpoefie". Dafe bie beutfehe Dichtiunft bie hiermit mögliche 
Bereicherung erft 3iemli<h fpät etfuht, ift bas IDet! bes alternben ©oethe, ber 
als befpotifcher hütet ber Hrabition ben Be3irf bet poefie 3iemlich eng abgeftedt 
roiffen wollte. (Erft als auf allen anbeten fulturellen ©ebieten neues £eben 
erwacht mar, wagte 3 mmetmann ht feinem Roman „Rtünchhaufen" bie gahtt 
noch bem neuen Kurs unb eröffnete barmt Kampf unb Sieg bes beutfdjen 
Realismus. Don ben höhen bes Schillerfdjen Jbealismus unb ber patabie* 
fifhen ©efübe bes romantifchen Subjeftioismus ftüt3t [ich ber ftarf ange* 
fdjroollene Strom bet beutfehen £iteratur in bie fegensteidjen Hiefen bes beut* 
f<hen Realismus, in benen er feine IDaffet fruchtbringenb ©erteilt. 

3 n biefer aufjerorbentlichen ©rmeiterung bes poetifchen Stoffgebietes 
lag aber bie gtofee ©efaht, bafj bie Kunft 3m Henben3bi<htung herabfanf, unb 
3wat um fomehr, je mastiger beftimmte Henben3en bas gan3e Doll bewegten, 
man vergleiche bie 3 eit non 1848 . Unfere bebeutenbften Realiften wie Keilet, 
Storm, fjebbel unb ©uft. greytag finb in ihren hauptwerfen biefet ©efaht nicht 
erlegen. Sie erfannten vielmehr mit fchatfem Blicf, bafe bie fidj bübenbe tenben* 
3 iöfe, poütifdje Journaliftif ihrer 3 eit nicht aus getmanifchem IDefen hervor* 
gegangen mar. 3 n biefer 3 eit, in bet bie beutfehe £üeratur in ©efaht war, einem 
ftemben (Einfluß 3U erliegen, fuchten bie Realiften bur<h (Etfotfehung unb Be* 



94 Die Irterarifdjen Strömungen bes 19.3at)ri|. in intern Der!|ültnis 3 m: jeitgenöffifäen polhii 

Ieburtg ber beutfdjen ©ejdjidjte, intern Dolle national roertoolle Stoffe 311 
etfcfyliefeen. Dabei Derfanlen fie aber nicht in roeltoergeffene träumet eien, 
toie einft bie älteren Homantiler, fonbetn griffen feft 3U unb fdjufen lernige 
Kunftroerle, benen man ben ©rbgetud} ihrer 3eit gerabeju anmerft. Blit 
folget Arbeit leifteten biefe Dieter bem beutfdjen Dolle aber ben größten 
Dienft. Obgleich ber Politil felbft inbifferent gegenüberftehenb, bereicherten 
fie ihre Doltsgenoffen innerlich, ftärtten in ihnen bas nationale Selbftberoufjt' 
fein unb malten fie baburdj erft reif, foldj grofee nationale ©üter roie bie ©ini s 
gung bes Reiches 3U etlämpfen unb 3U roütbigen. 

droh biefer 3nbiffeten3 politifchen Dingen gegenüber ift bet beutfdje Re : 
alismus hoch 3U bem politifchen Ciberalismus in patallele gefegt morben. 
Diefes Derhältnis ift inbeffen nur ein 3eitli<hes, lein fachliches. Sachlich in inniger 
Be3iehung 3um politifchen ^Liberalismus ftanb oielmehr jene bereits ermahnte 
Dichter* unb 3 ournaliftengruppe, bie man „bas junge Deutfchlanb" nennt. 
Diefes fudjte bie Kunft nicht um ihrer felbft toillen, fonbern um in ber ©ffent* 
lichleit herDOT3utreten. Da aber in jener 3 eit bie Politil im Brennpuntt bes 
3 ntereffes ftanb, fo {teilten bie 3 ungbeutfchen bie Kunft in ben Dienft ber 
öffentlichen IRetnung. So ungeheuerlich, toie es hier fdjeint, mar biefer Schritt 
inbeffen nicht; benn bie ©ntroidlung ber Citeratur hatte ja im Realismus auch 
auf Stoffe bes praltifchen £ebens hingemiefen. IDährenb bie mähten Künftler 
biefe ©ebiete mit lünftletifhem ©alt mieben, machten fich bie pfeubolünftler 
ber 3 ungbeutfchen hier heimifch. ©s hielt fie infolgebeffen leine einheitliche 
Kunftanfhauung 3ufammen, fonbern lebiglich ber gemeinfame Kampf. Diefes 
erftmalige offenlunbige 3 ufammengehen oon politil unb literarifher Kunft 
befdjleunigte burch bie 3erfet}enbe Kritit ber 3 ungbeutfhen bas Kommen ber 
Reoolution unb ber barauf folgenben Realtion 3meifellos. Aber gerabe in bet 
©ntfdjiebenheit, mit ber bie Realtion einfetjte, 3eigte es fich, baf} bie ^üeratur 
bes jungen Deutfchlanb bte natürliche politifche ©ntroidlung nur gehemmt h®t. 
©ro^bem foll aber nicht oerfchmiegen merben, baf} biefe 3ünglinge es fertig 
gebracht h®&en, bas Sntereffe für politil bei ben Brauen ber Biebermeiet3eit 
3u etmeden. Diefes 3 ntereffe aber in rechte Bahnen gelenlt 3U haben, ift nicht 
bas IDerl bet 3 ungbeutfd}en, fonbern bie Hat roirtlichet Patrioten unter ben 
Sängern, alfo oon Rlännern roie 3 ulius IRofen, Anaftafius ©tün unb S eI ^ s 
nanb $reiligrath. Don biefen geht bie patriotifdje Begeifterung aus, bie in ben 
fedj3iget unb fieb3iger 3 ahten 3um Siege führt, ©s märe aber bas erfehnte 
3 iel audj bamals nicht erreicht motben, hätte nicht bet beutfdje Realismus 
unterbeffen unetmüblich bie ©runbmauetn ber Romantit roeitergebaut, fo bafe 
baburch ber rechte Untergrunb gefdjaffen mar. ©in 3ufammenbredjen mie 
1815 mar biesmat gar nicht möglich, obgleich Qetabe roähtenb ber ©rünbet 5 
jahre eine gan3 neue unheimliche ©efahr auftauchte: Politifdj*fo3iale Kämpfe 
finb es, bie erft gan3 oerftedt, bann aber immer offener ben eben gegrünbeten 



Don Johannes Bobetfj 


96 


Staat bebtängten. Unb 3x0ar würben biefe Kämpfe umfo gewaltiger uni» be* 
öeutungsooller, als bas gefamte ©eiftesleben jener 3eit fidj entweber felbft in 
Öen Dienft ber großen fojialen Bewegung ftellte ober wenigftens t^eoretifd? 
öie Berechtigung berfelben bewies. Auch bie beutfche £iteratur hot {ich in i^rer 
nierten (Entroidlungsftufe mit ihrer ganjen Kraft ben neuen Anfchauungen 
ergeben. IDenn bämats bie an fidj gerechtfertigte Bewegung nicht 3um (Ejtrem 
unö öamit 3U fo3iat=potitifd?er Umwä^ung führte, {o Hegt bas eben in bet ge* 
liierten (Brunblage, bie bet Realismus bem beutfchen Dolle gegeben hatte. 

Die beutfdje £tteratur im 3 «i<hcn bes Raturalismus würbe umfo leidster 
öem neuen 3 eitgeift unterworfen, als fie auch auf ©runb ihrer eigenen (Ent* 
micüung auf biefen Stanbpunft hätte gelangen müffen, Der im Klafföismus 
ijenfhenöe Begriff bes 3 nbit>ibualismus war {chon im Realismus {eines 
ariftofratifchen (Eharafters entfleibet worben. 3 «ßt hatte jebe, auch bie un* 
beöeutenbfte Snbioibualität Anfpruch auf fünftlerifche Derwertung. Daburch 
fam in öie Kunft jener {03iale <5runb3ug, ber ber 3wetten Ijalfte bes 19 . 3 al}r* 
hunöerts überhaupt eigen war. So3ial intereffant würbe naturgemäß bie nie* 
öere Klaffe ber Beoölfetung, bie* eben erft entftanben, bereits alle anbeten 
Klaffen an 3 ahl übertraf. Die brohenbe (Befahr beS fogenannten oierten Stan*. 
öes bot baßer willfommenen Stoff für eine fo3ialfühlenbe Dichtergeneration. 

Diefe neue {03ml gefärbte tDeltanfchauung wäre aber nicht fo weit oet* 
breitet gewefen, hätte nicht bie (Entwidlung auf allen ©ebieten . geiftigen 
unö roirtfchaftlichen £ebens auf bie gleiche Bahn gebtängt. Der beutfche 
3 nöuftrialismus, ber butd} feine Rüdfidjtslofigfeit in ben ©tünberjaljren 
ju öem beängftigenben flnwadjfen ber ©roßjtäbte führte unb auch bamit 
wenigftens inbireft bie (Theorien eines £afalle 3ut Dolfsbewegung werben ließ, 
9ab auch bem beutfchen 3 bealismus ben ©obesftoß. Durch bie Rtacht bes ©olbes 
geblenöet, ergaben {ich auch bie gebilbeten Kteife einem fraffen RTaterialismus, 
fich auch int literatifchen £eben 3eigte; ift bod} ein fo bebeutenber Realift 
®ie ©ottfrieb Keller ein begeiftertet Anhänger $euetbad}s geworben. Auf 
®iffenfdjaftlichem ©ebiete wirb bet allgemeine Umfchwung but<h ben 3 u* 
fammenbtuch bet philofophifchen Aera fjegels unb bamit ber gefd}id}tsphilo* 
lopqifchen Betrach tungsweife bet IDelt eingeleitet. Die Haturwiffenfchaft 
^9®nn langfam, aber fichet bas beutfche ©eiftesleben 3U beherrfchen. Der 
Realismus hatte hier einfHmmenb gewirft; ber Rlaterialismus ging folgend}* 
jj? öaraus hetoot. Die $anfaten ber neuen 3 cit bebeuteten Büchet wie: 
Karl Dogts „Köhlerglaube unb tDiffenfdjaft" 1855 u. Dao. $r. Strauß’ „Die ; 
halben unb bie ©an3en" 1865 . Das tjauptintereffe 30g aber ber Darwinismus 
auf [ich, ber ungeheure TDirfungen unb ©egenwirhingen ausgelöft ^at. Den 
Kernpunft biefer neuen £ehre bebeutet bie Def3enben3tIjeorie, bie auch für 
en literatifchen Raturalismus eine Art metaphyfifdjen tjintergrunb bilbet. 
®fe ©ntwidlungslehre ftanb aber in Iraffem ©egenfaß 3U bem (Eoolutions* 



96 Bi* Itterarifd)en Strömungen öes 19.3<>hrh- in intern Oerfj&ftnis 3 ur 3 eitgenöffifd|tn politil 

gehanten bet Romantil, ber ein probutt fpetulatioer pfyüojopljie war unb 
mit bet tealen IDitflidjfeit nichts 3U tun hatte. Beim Raturalismus hanbelt 
es fich um wirtlich wahrnehmbare (Entwidlung, um Beobachtungen mit fluge 
unb ©ht, Rtifroftop, (Experiment u. bgl. Dementfprechenb wirb auch 
ftiliftifche Darftellung gan3 anbets. 3 «ßt treten leibhaftige Bauern unb Ar* 
beiter auf, nicht folche wie im Seil, ©ebantentreis, Spraye, Kleibung, $amilien* 
oerhältniffe aus ben hinterften fjöfen oon Betltn s Rorb toetben mit verblüffen* 
bet ©enauigteit wiebetgegeben. Der Begriff bes ITlilieus tritt behettfchenb 
hervor. Die Dichter felbft aber mifchen fich unter bas Dolf, bas fie auf bie Bühne 
bringen wollen; fie arbeiten mit in ben Bergwerten, in ben großen IDaten* 
häufetn unb $abri!en, um bie ©ebantengänge biefes niebeten Doltes ganj 
wahrheitsgemäß in fidj auf3unehmen unb jene Sriebfebet 3U erfpähen, bie 
biefes gan3e oetwortene Uhrwert in (bang hält. tDenn fie biefe aber entbedt 
3u haben meinen, bann glauben fie auch, tjerr bet Situation 3U fein. Sie finb 
oon bet IRöglichteit iibet3eugt, aus ben ein3elnen fo3ialen Rlomenten unb 
jenen Stiebfebern ein gan3es Rtenfchenfchiclfal, ja bas Schidfal eines ganjen 
©efdjlechtes redjnerifch ^onftruieten 3U tonnen. Der Sypus eines folgen 
naturaliftifchen Dieters ift 3 ola, ber fich ftets als Silane bes Rlilieus gefühlt 
unb bie Sheorie 00m roman experimental begrünbet hat. (Er hat auch auf 
faft alle beutfche Raturalifien entfcheibenb eingewirtt. 

3 n biefet naturaliftifchen flnfchauung bet bebingungslofen ^erTfdjdft 
oon Dererbung unb Rtilieu liegt aber bas Rloment eingefchloffen, bas f^liefe 5 
lieh 3 wr überwinbung bes Raturalismus führte, nämlich bet ftarrfte Determinis* 
mus. Don feinen $effeln mußte fich bie beutfche Sitetatur befreien, wenn 
anbets überhaupt noch £eben im beutfehen Dolte war. Unb biefe Ktaft, biefet 
UHIIe bet ein3e(nen perfönlichteit, war oorhanben; fie würbe nur burch ben 
®eift bes Raturalismus eine 3 eitlang unter ben literarifchen tjori3ont ge* 
brüift. Dort fpeicherte fich aber, je länger, je mehr, eine Kraft auf, bie bann 
in ber Perfönlichteit eines $riebrich Rteßfdfe ejcplofio 3um Durchbruch tarn. 
U)ie feht bie Sehren biefes Philofophen wenigftens anfangs bem gan3en Sühlen 
bes beutfihen Doltes entfprachen, 3eigt ißt ungeheurer (Erfolg, unb biefet (Et* 
folg mußte umfo größer werben, als Rießfdje an bas Befteßenbe anfnüpfte 
unb gerabe3u als ein jünger Darwins angefeßen werben tonnte, bet ben (Ent* 
widlungsgebanfen nur über ben Kulturmenfdjen hinaus fpann unb fo 3um 
übermenfehen gelangte. Daß et freilich babei oon ben rein materialiftifdjen 
P nn 3ipien bet Selettionstheorie abging unb fich mehr bem SdjeUingfth en 
(Eoolutionsgebanlen 3uwanbte, würbe oon feinen 3eitgenoffen nicht als 
Rtangel empfunben. (Erlöfte biefet neue Prophet fie hoch oon ben beengenben 
Seffeln bes Determinismus, unb führte et fie wieber 3ut inbioibuellen 3bealitat, 
jenem 3 beal, bem fchon ©oetße unb bie Romantiter nachftrebten. So weift 
bie ©egenwart in ihrer geiftigen Struttur wiebet auf ben Anfang bes 19 . 3 aht* 



Don Johannes Bobetf} 


97 


hunberts 3uiüd. mitten in öet IDelt »on ©ed}nif unö Rtafchine entfteht in 
unfret 3 eit eine flaffoiftifche Romantif, ein neuer 3 bealismus. Rieht eine 
Romantit öet tDeltoergeffenheit unö (Träumerei, tein 3 öealismus, gebaut in 
öie IDoIten. Diefe neue IDeltauffaffung ift gefättigt an £ebensetfahtung; 
Realismus unö Raturalismus haben fie mit öet EDirtlidjIeit »erbunben; es 
hängt ihr ein gefunber (Etbgeruch an. Darum 3eigt fich biefe geflärte Romantif 
auch auf allen ©ebieten öffentlichen £ebens, unö öarum fpielt fie auch eine 
entfheiöenöe Rolle in öet Politif: Das 3 ntereffe für ein lebenöiges, gemüt* I 
»olles ©hriftentum ift nach öet ®öe öes materialisrnus erwacht unö fämpft \ 
für Befreiung »on erftarrter ©rthobojie. Der ©eift mehr boöenftänöiger 
fonfer»ati»et Denfungsweife hat feit Öen ©rünöerjahren auch in Öen Paria* 
menten metflich 3ugenommen. Ruf öem ©ebiet öer toiffenfchaftlichen $or* 
fchung erlangt öie hiftorifche methoöe wiebet öas Übergewicht unö mit ihr öie 
©eiftesmiffenfehaften überhaupt. Selbft in Öen neuen £ehrplänen öer Schulen 
tritt öas 3utage, unö öas 3 ntereffe öer £eferu)elt neigt wiebet mehr hiftorifchen 
Stoffen 3u. Dafj fich enölich auch öie Dichter in Stoff unö 3um (Teil £ebens* 
führung öer Romantif 3ugeroanöt haben, ift ja befannt; man öenfe nur an 
©erhärt hauptmann unö an öie ©emeinöe, öie fich um Stefan ©eorge ge* 
fammelt hat. 

flm fdjönften 3eigt unö bewährt fich aber öer ©eift geflärter Romantif 
unö boöenftanöigen 3 öealismus in öem gegenroärtigen tDeltfrieg. Das öeutfehe 
Dolf brach beim flnblicf öet Riefengefahr nicht 3ufammen wie oor 100 3ahren, 
t»o RTanner wie Rrnim, Brentano, ©rimm u. a. öas öeutfehe Selbftberoufjt* 
fein etft meefen mußten. Das öeutfehe Dolf ftanö auf toie ein mann; öenn 
es hatte in öem lebten 3 ahrhunöert feinen eigenen EDert fennen gelernt. 

Sn echt romantifcher IDeife folgte es mit ©rnft unö Stol3 öem heetbamt 
feines Kaifers toie oor taufenö fahren, unö ©aufenbe unö flbertaufenbe 
eüten freiwillig 3U Öen ruhmbeöecften Sahnen. Unö feine Säften unö fein 
Kaifer 3eigten fich als öie mähten (Erben öet alten ©ermanenhet3Öge; fie ritten 
ins $elb unö mufjten mit ihren fjeeren 3U fämpfen unö 3U bluten. Unö in 
ötefem (Erwachen alter beutfeher £jelben3eit 3eigten fich auch öie alten getmani* 
f<hen ©ugenben öet $römmigfeit, öer (Eapferfeit, öer ©reue unö öer ©pfer* 
rotlligfeit. So fteht öas öeutfehe Dolf wieöer in altem ©lan3 unö alter herrlich* 
feit öa, unö feine heete heften Sieg um Sieg an ihre Sahnen. Dafj aber unfet 
öeutfehes Dolf »on folgern ©eift befeelt ift, bafj es aufeet in militarifcljer Be* 
3 iehung öiesmal auch int 3 mtetn öes het3ens unö öes ©emütes oollfommen 
gerüftet war, öas ift 3um guten ©eil öas U)etf öer beutfehen £iteratur. Darum 
auch <%e ihr! 


3«it|d)r. f. 6 Oeutfd]eu Untcrrlct)t 29.3a[|rg 2 Ijtft 


7 



98 


Uriegerifd)ts im beutfd]«n IDorlfdiat; 


Kriegerifdjes im öeutjdjen tDortjd)at$. 

Don KatI Bergmann in Darmftabt. 

3n Öen ftiegerifchen 3etten, bie mir eben burdjleben, mirb es mol)I fein 
Celjrer oetfäumen, immer unö immer mteber auf bas gemaltige Dölfetringen 
hii^uroeifen. Befonbers ber Unterricht in Religion, ©efdjidjte, Geographie unb 
im Deutfdjen mirb reichlich Gelegenheit baju bieten. tDas ben lederen betrifft, 
fo möchte ich hier bie Aufmerffamfeit auf ein Gebiet lenfen, bas geroifj unter 
ben $ragen, bie uns eben beroegen, feinen heroorragenben piat) beanfprud)en 
fann, immerhin aber bem Schüler manches tDiffensmerte unb Anregenbe 
bringen bürfte. 3 d) meine bie Betrachtung bes beutfehen IDortfchahes unter 
militärifdjen Gefidjtspunften. Bei bem großen Umfang bes Gegenftanbes fann 
er hier natürlich auch nicht annähernb erfcfjöpft roerben; ich befdjränfe mW) 
baher barauf, in oiet £jauptabfd)nitten bas fprad)Ii<h un b fultur* byco. militar* 
gefchichtlich Bemerfensmertefte 3U bringen: 1 . Die Grflärung bet tcidjtigften 
fjeeresbe3ei<hnungen, 2. friegsgefchid)tlid) beacf}tensmerte tDörter unb D)en s 
bungen, 3 . bie bem ITlilitärmefen entnommenen unb in bie allgemeine Sprache 
eingebrungenen Rebensarten unb 4 . bie beutfehen Perfonennamen, aus benen 
ber friegerifche Geift unferer Dorfahren noch h eu ^ e 3 U uns fpricht. 1 ) 

I. Grflärung ber roichtigften fjeeresbe3eichnungen. 

Unfer gefamtes beutfdjes fjeer (ahb. hari, heri, mhb. her; ba3U Verberge, 
tjer3og, ferner perfonennamen mie Hermann ufrn., f. unten) 3erfäUt in 
Armeeforps; bas tDort Armee tourbe 3U Beginn bes 17 . 3 uh r ^ un ^ ct ^ s aus 
ft3. arm6e entlehnt; mir finben es 3uerft 1617 bei IDallhaufen Corp. mil. 63 . 
Gs ift etymologifd) bas gleiche tDort mie Armaba, bas „$lotte" bebeutet, 
3u Anfang bes 17 . 3 at)rhunberts aber au cf) als Be3eid)nung für „fjeer" be* 
gegnet, ngl. tDallf)aufen Corp. mil. 9 : Die gantze Armada / oder die gantze 

1 ) Der Cefer, ber fidj genauer über ben ©egenftanb unterrichten n)ill, fei auf bie Quel* 
len, aus benen biefe Arbeit fdjöpfte, oerroiefen. $ür bie (Etymologie lommen unfere IDörter* 
büdjer, befonbers IDeigan b(ID.) unb Kluge (Kl.) in Betracht, erfterer im Dereinmit£jey ne, 
Deutfehes IDötterbuch, Paul, Deutfd)es IDörterbuch, unb tDa ag, Bebeutungsentroidlung 
unferes tDottfdjatjes auch für bie Bebeutungsleljre. Seiner finb 3 U nennen ©.Schraber, 
Realiejiton ber inbogerman. Altertumslunbe, Seilet, Die (Entroidlung ber beutfehen Kul e 
tur im Spiegel bes beutfehen Cehnroorts, tj- Schraber, Der Bilberfcbmud bet beutfehen 
Sprache, Borchatbt=DDuftmann, Die fprichroörtlichen Rebensatten im beutfehen Dolfs* 
munbe, Sohns, tDort unb Sinn, {feinte, Deutfche 5<*miliennamen unb einige anbere in 
bet Arbeit felbft genannte tDerte. Die gefamte militärtechnifdie Siteratur bes ©egenftanbes 
ift Bezeichnet in bem Buche oon Paul fjorn, Deutfd)e Solbatenfpradje; baraus finb für 
meine 3roede als befonbers geeignet 3 U nennen: $ronspetger, Kriegfebud} 1596, tt>all‘ 
häufen, Corpus militare 1617, Kriegstunft 3 U pfetbe 1616, Ktiegfj IRanual 1616 unb 
u. $lemming, Der oolltommene teutfebe Solbat 1726. 



Poit Karl Bergmann 


99 


anzahl deß Kriegsvolcks / zu Fueß vnd Pferdt. / Diefe Arrnaba befielt nach 
tDalfljaufen in Regimentern zu Fueß vnd Pferdt / ... zu Fueß 1. 2. oder 
3000 Mann starck /... zu Pferdt / jedes Regiment 800 . darunder 10. Com¬ 
pagnien / 3 . von Lantzierer / jedem 50 . starck / 3. von Kurissierer / jedem 
100. starck / 3 von Harquebusirer / jedem 50 . starck / 1. von Dragoens 200. 
starck / halb Musquetirer / halb Piquenierer zu Pferdt. 

Die Unterabteilung eines Atmeeforps Reifet Dioifion; aber erjt feit Be* 
ginn bes 18 . 3 al?tf}unöerts erhielt bas tDort ben Sinn als „fjeeresteil", unb 
3tnar nach frj. division; oor biejet 3eit galt nur bie matljentatifdje Bebeutung 
bes IDortes. Das IDort gehört 3U jenen 3a^Ireidjen Ausbtücfen, bie im Deut* 
Wen Won oorhanben roaten, aber in ihrer Bebeutung burd} bas $ran3Öfifche 
beeinfluß mürben; non militanten tDenbungen gehören hierher fjanb* 
ftrei^, bas im 19 . 3 ahthunbert nach fr3. coup de main ben Sinn non „plöfe* 
IWe Überrumpelung bes $einbes" erhielt, fotoie aufflären, bas feine mili* 
tärifc^e Bebeutung „eine ©egenb ausfunbfdjaften" bem fr3. 6clairer oerbanft; 
au^ bie Hadjbilbungen piafemajor (im 18 . 3a^rl|unbert nach ft3. major de 
place) unb IDaffenbruber (nach fe.frfere d’armes, 3uerft bei IDielanb) feien 
hier gleich ermähnt. Die Dioifion 3erfäUt mieber in Btigaben. ©ne Brigabe 
ift ein heeresteil oon 2 Regimentern unb tritt in biefer Bebeutung 3ut 3 eit 
bes 30 jährigen Krieges, unb 3mat 3uerft in ©uftao Abolfs fjeet auf. Das U)ort 
ift gleichfalls fran3öfifthen Urfprungs (brigade); bie fran3Öfif<he Bejeidjnung 
geht aber mieber auf bas it. brigata „Gruppe, Rotte, fjeertar“ 3utu<f. U)ir 
fehen, bafe bem italienifchen XDort ein größerer Bebeutungsumfang 3ufommt 
Jjf un ferem heutigen beutfdjen. über bie ©ymologie bes it. IDortes f. U). 
Oie 3roei ©nheiten, aus benen eine Brigabe befteht, heifeen Regimenter. 
Das auf lat. regimentum „Ceitung, herrfdjaft" 3urücfgehenbe IDort trat fdjon 
Ipätmhb. in bet Bebeutung „fjerrfchaft, Befehl" auf; bie militärifdje Bebeutung 
Pwen mir 3uerft im 16 . 3 ahthunbert bei $tonsperger Ktiegfebud} 1596 (3. flufl.) 

»laff., 22 a aus einer Beftallungsurtunbe Karls V. Die toiebet bie ft3. Be* 
3 ei<hnung Bataillon führenben Unterabteilungen eines Regiments 3er* 
fanen in Kompagnien, nach fa- compagnie, bas aus mlat. companium 
» efellfcfjaft", eig. „Brotgenoffenjchaft" ftammt. IDie Dioifion unb Regiment 
ef anb auch bas U)ort Kompagnie fd)on lange, beoor es feine mtlitärifche Be* 
Ttkj? Tn ^ > * Kompanie „©efellfchaft", im 16 . 3ahrhunbert „fjanbels* 

9 e !e fdjaft"; bie militärifche Bebeutung treffen mir 3uerft 1617 bei XDall* 
?~ u ' en Corp. mil. 12 an. Dgl. auch bas hiet3u gehörige Kumpan bei U)., 

• utib Seiler II. S. 98 f. IDährenb biefe heeresbe3eichnungen fprachlid} unb 
wjc|^id|tli^ im allgemeinen toenig Bemerlenstoertes bieten, oerhalt es 
,d ? amit gan3 anbers bei ben Be3eid}nungen ber 
Ifi t J U ^^ cn 3 a ^ un 9cn. IDir beginnen mit ben $ufetruppen. Hoch im 
•Jahrhunbert führten fie bie beutfdje Benennung „$ufeoolt"; im Anfang 



j00 Kri«g«tfd)es im beutf^en tDortfchafc 

bis 17 . 3ahrf}unberts aber btang bas fa. infanterie ein, bas jelbjt toieber aus 
fpan. infanteria jtammt. Dem jpanijchen IDorte liegt {pan. infantes „(Jbel 5 
fnaben, Solbaten 3U gujj", it. infante „Kinb", fante „Knabe, Kne<f}t, $ufe* 
htedjt, gujjjolbat", lat. infans „Heines Kinb" 3ugtunbe. D)it l/aben alfo hier 
eine ähnliche Bebeutungsentwidlung mie bei Knabe unb Knappe unb bei 
mljb. al}b. kneht „Knabe, (Ebelfnabe, Kriegstnedjt, Kriegsmann, jtreitbarer 
fjelb", mo3u noch engl, knight „Kittet" 3U jteUen ijt. Stüber als 3nfantene, 
fdjon in bet 3toeiten Hälfte bes 16 . 3 ahthunberts, mürbe Kaoalletie aus 
ft3. cavalerie entlehnt. tDäljrenb tjier bie (Etymologie gan3 Hat ijt (3ugtunbe 
liegt lat. caballus „Pfetb"), bietet bie (Etflätung bes IDortes Artillerie 
größere Schmierigteiten. (Es ijt bas fo. artillerie, it. artiglieria oon fr 3 - artiller, 
it. artigliere „©ejdjütjjolbat"; bieje gehen nad) TDeiganb auf ptooen3. artilha 
„gejtungsmert" 3utüd, gleidjjam lat. articula, eine Ableitung oon lat. ars 
(®en. artis) „Kunjt", im Klittelalter aud) j. o. a. „©ejdjüh". (Es jteeft alfo bet 
Begriff bet Kunjt in bem DO orte: bas ©ejehütj toitb als tunjtmäfeig oerfertigte 
IHajd)ine angejehen. Don ben ein3elnen ©attungen ber gujjtruppen oerbienen 
bie DTtusfetiere, güfiliere unb ©renabiere not allem Beachtung. Die beiben 
erften Be3eid)nungen bebeuten „©emehrträger", 3ugrunbe liegen bie franko* 
fifd)en XDörter für glinte: mousquet unb fusil. Sprachlich ijt bet Itlustetier 
aufeerorbentlid) bead)tensmert. Das fran3öjijdje mousquet geht nämlich auf 
bas it. moschetto „fut3e glinte" 3urüd; biejes moschetto erhielt jeine Bebeu* 
tung aber erjt auf mancherlei Ummegen. 3unäcf)jt bebeutete es ben flehten 
3ut Bei3e bienenben Sperber, bann mürbe es auf ein flOutfgejdjofe übertragen, 
mit bem Heine Pfeile gejdjleubert mürben, nad} (Erfinbung bes Schiefe* 
puloets mürbe mit bem DOort eine tur3e Sdjiffsfanone unb jd)liefelich eine 
tut3e glinte be3eid}net. Aus bem 3 talienijd}en brang bas TDort ins gram 
3öfijd}e unb oon ba ins Deutjd}e. Da ber Sperber bei ber 3 agb gleidjjam bie 
Rolle einet TDaffe fpielt unb bas Dat)injaujen bes ©ejdjojjes ben Detgleid) 
mit bem pfeiljd}nellen Jjerabjdjiefeen bes Sperbers auf jeine Beute naljelccjte, 
jo ijt bie Übertragung bes ©iemamens auf bie DOaffe leicht 3U oetjtehen. 
Solche Übertragungen oon Hiernamen, bejonbets ber Kamen oon 3Ut 3 agb 
oermenbeten Dögeln, auf ©ejehühe jinb übrigens nicht oerein3elt. So nannte 
man früher ein ©ejd)üt) 3U 4 —öpfünbigen (Eijentugeln eine galtaune (oon 
gälte), unb bas bem it. terzeruolo entjtammenbe (Lederol ijt eine Der* 
fleinerungsfotm oon terzuolo „männlicher gälte"; aud} erinnere man jid} bet 
früheren Be3eid}nung eines ©ejdjütjes mit langem Rohr als gelbjdjlange. 
3 nterejjant ijt bie Bemerfung oon Simienomicg ( 1650 ), bie bei 3ät}ns, ©o s 
j<hid)te ber Kriegsmijjenjdjaften, S. 1196 angeführt ijt: „Es haben nicht nur 
die Italiener, sondern auch andere die Geschütze von den Stoßvögeln (als 
Greifen, Falken, Sperbern u. dgl.) wegen ihrer krummen Krallen und Ge¬ 
lenke und wegen des leichten und geschwinden Leibes und steten Fluges vor 



Don Kotl Bergmann 


101 

Alters und noch itzo benennet." Simienowic3 leitet’ fögät Ättitlerie'Oofrt tt.' 
artigli „bie Klauen ber Raubüögel" ab! üierbejetdjnungen als ©efdjü^namen 
für einjelne Stüde tote ga«3e ©attungen waten in ben alten 3 eiten aufeet* 
orbentlid) beliebt; ba gab es einen Abler, Affen, Bäten, Büffel, ©bet, 
(Elefanten, eine ©ule unb oiele anbete Benennungen, bie man bei fjotn, 
Deutfdje Solbatenfpradje, S. 43 f. nadjlefen möge. Auf eine gan 3 anbete 
datigfeit als bei IRiisfetier unb $üfiliet weift bie Benennung bes 3 nfanteriften 
als Granatier, in bet fpäteren ftan3Öfifdjen $otm ©tenabiet bin. Ra<b 
Slemming, Der oollfommene teutf^e Solbat ( 1786 ) ift bas A)ort „in ©eutfdj 1 
lanb etft 1683 aufgetommen" unb bebeutet eigentlich ben „IDetfet non fjanb* 
granaten". 3 m ©egenfatj 3ur neu3eitlid)en Ktiegfübtung, bie bie fjanb= 
granate nut no<b im $eftungsfriege oerwenbet — im gegenwärtigen Kriege 
aud; in bem bem $eftungsfriege ähnlichen Stellungstampf —, führte man im 
17 . unb 18 . 3 ahrhunbett folcfye ©tanaten audj im Selbe mit. Der Stopfet 
biefer IDaffehgattung ift ber fdjroebifche ©eneral £ars Kagge, ber 1634 in 
Regensburg belagert würbe unb 3um XDetfen ber fjanbgranaten $reiwillige 
aufforbette. £ubwig XIV. gab 1667 jeber Kompagnie bes Königs* 3 nfanterie s 
tegiments uier ©tenabiere, unb 1672 erhielt febes 3 nfanterieregiment eine 
Kompagnie ©renabiere. IRit ber neuen Art ber Ktiegsfühtung h® n 9 * au< h 
bie Kopfbebedung bet ©renabiere 3ufammen; fie trugen h°h c ©udjmütjen 
an Stelle bes breitranbigen fjutes ber 3 nfanterie, bet bie ©renabiere im ffiranat* 
toutf hinbette. 3 et(t ift biefe ©tenabiermü^e nut noch bei 3wei preufeifchen 
Regimentern unb bei ber Sdjlofegarbe=Kompagnte als parabeftücf erhalten. 
Übet bie Art ber dätigleit ber ©renabiere gibt uns Slemming in feinem oben 
etroähnten Buche genaue Austunft; et fagt bort auf S. 146 , § 7 : Ein Grenadier 
ist gleichfalls ein gemeiner Soldat; doch hat er vor einem Mousquetirer 
darinnen den Vorzug, daß man ihn bey Sturmlaufen und bey denen gefähr¬ 
lichsten Aktionen gebraucht, um Granaten zu werfen, und muß dabei Ober¬ 
und Untergewehr tragen. Man erwehlt hierzu die ansehnlichsten, stärksten, 
dauerhafftesten und ramassirten Leute, und sucht gemeiniglich aus ieder 
Compagnie ein acht biß zehn Mann aus, nachdem die Compagnie starck. 
An statt des Hutes tragen sie eine große Grenadirer-WHizt, in der großen 
Patron-Tasche führen' sie drey eiserne, gefüllte, fertige, mit Blasen ver¬ 
bundene Granaten. Bey dem Exerciren werden nur höltzerne oder gepapte 
Granaten gebraucht, die eisernen aber in der scharfen Action vor dem Feinde, 
und inzwischen bey dem Stabe verwahret und aufgehoben. Forne auf dem 
Riemen an der Brust ist ein blecherner Luntenberger befestigt, um die 
glimmende Lunte vor Nebel, Regen und Feuchtigkeit wohl zu verwahren. 

TDic ber IRusfetier ift audj bet ffitenabiet fpradjlid) feljr an3ie^enb. 
Stedt in IRusfetier ein diername, fo liegt bem ©tenabier ein Pflan3enname 
3 u 9 tunbe. Denn bas IDort ©ranate felbft ift nidjts anbetes als ©ranat in 




102 ' Kritgerifdjes int beutfdjen tDortfcfjafc 

‘©ränatbaum; bas ©efdjofe erhielt Öen Hamen ber $rudjt bes ©ranatbaumes, 
roeil ähnlich ber $rucbt auch bie ©ranate mit Kötnern, b. h- Pubetlörnem 
gefüllt ift (Slemming, teutfdj. Solbat S. 74 : „toegen ber Hljnlicfyleit mit bett 
©ranatäpfeln alfo genennet"). 

U)as bie berittenen Gruppen anlangt, fo bieten itjre Benennungen ein 
buntes fpradjlidjes ©emifdj. Dragoner unb Küraffiere finb fta^öfifdjer £jer= 
funft, mäljrenb fjufar auf ungarifdjen unb Ulan auf polnifdjen 6310. tütlifdjen 
Urfprung 3urüdgeljen. Die Dragoner führen ihren Hamen nach bem Dramen 
(fr3. dragon), ber auf ihrer Stanbarte utfprünglidj abgebilbet toat. Das U)ort 
ift um 1600 aufgelommen, mir finben es 1617 bei tDallljaufen Corp. mil. 10 
in ber $orm Dragoens (f. 0. unter flrmaba). ©ine eigentümliche Derroenbung 
fanben bie Dragoner in $tanlreidj in ben berüchtigten Dragonaben bes 17 . 3 af|i* 
hunberts. Der Küraffier ift felbjtnerftänblich nach feinem Kürafj benannt, ber 
aber, mie bie Sprache 3eigt, im 17 . unb 18 . 3 aljrhunbert 3unä<hft nur aus 
£eber (fr3. cuir) hergeftellt tourbe. ©inen ©inblid in bas alte ungatifche Aus* 
hebungstoefen gemährt ber tjufar. Das 3m 3 eit ber ©ürtenfriege entlehnte 
H)ort be3eidjnet bie nom ungarifdjen König Siegmunb aufgeftellte leidjtc 
Reiterei, bie feit 1435 in ber XDeife ausgehoben mürbe, bafj im allgemeinen 
je 20 Ijäufer ober felbftänbige Bedungen einen berittenen Kriegsmann 3U 
ftellen hatten; 20 Ijeifjt ungarifdj husz, fo baf} ber Jjufar f. t>. a. ber „3man3igfte" 
ift. Diefe leichte, tühne Reiterei ging nach unb nadj mit ihrem Hamen unb ihrer 
Hationaltradjt, bem reich befdjnürten, farbenprädjtigen Rod, in alle fj eetc 
über. fluch bie Ulanen finb urfprünglidj eine fremblänbifche, nämlich pol* 
nifdje Reiterei. Aber bie polen felbft haben fie eigentlich einem anbeten Dolle 
abgefeljen, unb 3roar ben ©ataren gelegentlich ber ©infälle, bie biefes Doll 
immer in Polen machte. Um biefen ©infällen mitlfam 3U begegnen, bemaff* 
neten bie Polen ihre Reiterei ähnlich mie bie ber ©ataren unb be3eidjneten fie 
audj mit bem tatarifdjen, b3ro. türtifdjen IDort oghlan „junger Burfdje", 
rooraus bann unfer Ulan geroorben ift. £Die t>on Ungarn bie Ijufaten über* 
nommen mürben, fo übernahmen bie übrigen eutopäifdjen Jjeere non ben 
Polen bie Ulanen fogar mit ihrer eigentümlichen Uniform. Das erfte Ulanen* 
regiment errichtete Öfterreich 1791 , morauf 1808 Preufeen folgte, fluch bie 
Be3eidjnungen für bie flusrüftung ber berittenen Gruppen mit £an3e, Säbel, 
Pallafch unb piftolen finb frember fjerlunft. 3m Derein mit anberen IDaffen* 
namen feien fie im nädjften flbfdjnitt betradjtet. 

Ulaffennamen. £an3e ift bas fr3. lance; in piftole ftedt mohl ber 
Harne ber italienifdjen Stabt Pistoja, in beten berühmten IDaffenfabrilen bie 
tpaffe hergeftellt mürbe, mie ja auch bas Bajonett feinen Hamen nadj ber 
fubfran3öfifdjen Stabt Bajonne als bem erften fjerftellungsort trägt. Säbel 
unb Pallafch »erbanlen mir ben flaroifdjen Spradjen; Säbel ift baspoln. szabla, 
tuff. sablja, Pallafch bas poln. palas, ruff. palas. fludj bie Jjaubihe ift flami* 


Don Karl Bergmann 


103 


fdjen Urfprungs. Sie 3 eigt, welch eine gewaltige IDanblung bei gleicfjbleiben* 
bem Hamen eine IDaffe im Saufe bet 3 eit erfaßten !ann. 3 ugtunbe liegt bas 
tfchedjifche houfnice, bas urfptünglich nichts weitet als eine höl 3 etne Sdjleubet 
3 um IDutf oon Steinen bebeutete. Als eigentlicher ©efdjüfename fommt bas 
IDort feit ben tjuffüenfriegen not ( 3 uetft 1425), unb 3 wat nmtben bamals 
mit ben fjaubifeen Steinfugein gefthoffen, in ber 3 weiten Hälfte bes 16. 3aht* 
ljunbetts fdjofe man auch mit ©ranaten unb fpäter mit anbeten artilleriftifchen 
©efchoffen. Die anbete Bejeichnung füt ©efdjüfe, Kanone, entflammt bem 
it. canone, bet Detgtöfeerungsform 3 U canna „Rohr"; bas tDott bürgerte fid? 
im 30 jährigen Kriege ein, toitb aber fd}on 1558 bei Rioius Büchfenmeifterey 
33a erwähnt: ein Canon oder Karthaunen, so 20 pfund scheußet, und 
8 schuch lang ist, wigt das Ror 2500 pfund; $tonspetger Kriegfebud} (1596) 
2,31a nennt als ©efdjüfeart Kana, die wigt anjhrem Rohr 75 Centner schwer. 
Das ©efthüferoht ruht auf ber Safette. Das 3 ugtunbeliegenbe ftan 3 Öfifd)e 
IDort ift l’affüt (f. ID.); toit haben alfo bei bet (Entlehnung ben flrtifel mit 
berübergenommen. Die eigentliche tintige §otm ohne flrtifel finben toit 1617 
bei IDallhaufen Kriegsfunft 67: bie Affuite, toährenb es 1656 fdjon bei Schreibet 
Bü<hfenmeiftetbisfuts Caoete heifet. Bei ben artilleriftifdjenflusbrüden bietet 
fi<h auch bie feltene ©elegenheit, einmal ein IDort englifd}er flbftammung 3 U 
ermähnen. Bei bet ausgefpfodjenen Abneigung bet ©nglänbet gegen bas 
Dlilitärroefen ift es einleuchtend bafe fie ben feftlänbifcfjen Dölfetn füt bie 
Kriegsfprache nur wenig 3 U bieten hatten. ©tofebem oetbanfen wir gerabe 
ihnen bie (Etfinbung eines furchtbaren artilleriftifcfjert ©efchoffes, nämlich ber 
©rangtfartätfdje, bie nach ihrem (Erfinber, bem englifchen ©berften S h r ap n el 
(1803) benannt ift. Die Schrapnells finb oerbefferte Kartätfchen, welches 
IDort feinerfeits aus bem it. cartoccia flammt, bas grobes Papier (carta, 
„Karte") bebeutet unb auf bie mit fleinen Kugeln, gehabtem (Eifen ufw. ge* 
füllte Patrone oon ftarfem Papier ober Blech für Kanonen hinweift. Don ben 
infanteriftifchen IDaffen finb ©ewehr, Slinte unb Hlusfete 3 U nennen, ©e* 
©ehr hatte im mhb. (gewer) bie allgemeine Bebeutung „IDehr, Derteibigung, 
IDaffe". 3m IDorte $linte ( 3 uerft 1663) fpiegelt fi<h eine wichtige technifche 
Neuerung in bet Art ber ©ntlabung ber Schiefegewehre wibet. 3n ältcfter 
3 eit würben fie burdj tunten 3 ut ©ntlabung gebracht, b. h- burch 3 ünbftride; 
Wefe langfam fortglimmenben tunten oerbreiteten einen fdjarfen ©erudh, ber 
&«n unfichtbaren Sd}üfeen oerriet, woher bie IDenbung „tunten riechen“. Kut 3 
nach bem 30jährigen Kriege würben ftatt bet tuntenfdjlöffer $euerftein* 
fhjöffet eingeführt, worauf jefet noch bet Harne „Slinte" hinweift, benn $euer* 
ffent ift mhb. vlins, engl, flint (f. Höheres bei Sohns, IDort unb Sinn, S.85, wo 
•©h bie techmfdjen ©Übelheiten 3 uerfehen finb). Don Hlusfete war fdjon weiter 
oben bie Rebe, hier möge noch bie Be 3 eichnung ©or pebo erwähnt werben, 
©enn auch bas IDort ftreng genommen nicht 3 ur eigentlichen fjeeresfprache ge* 



104 


Kriegerif<f|ts im fteutftf)en IDortfrfjat; 


Ijört; es iftaber fpracfylid} fjödjft eigenartig, ba es nidjts anbetes ift als bie Iatei= 
nifd}eBe 3 eid}nung für benKrampffifd}, ben3itterrod)en, bet 3 ur©attung bet eiet- 
trifdjen gifdje gehört unb ben berührten ©egenftänben eleftrifdje Sdjläge erteilt. 

Das gleiche bunte fptadjlidje ©emifd} tote in allen oorangeljenben Ab* 
fdjnitten finben wir aud} bei ben Be 3 eidjnungen bet 

Dienftgrabe. Der unterfte gehobene ©rab ift ber bes ©efreiten. Bei 
EDallljaufen Corp. mil. 109 tjeifjt es über ifjn: aber ordinari alle stundt zwey- 
mal zum wenigsten werden die Schiitwachten / so ausgesetzt / von den 
Gefreyten visitirt und besichtiget, unb eine ©rtlärung bes Hamens gibt $lem* 
ming in feinem teutfcfjen Solbaten S. 146, §5: DerGefreyte ist zwar auch 
in Gliedern und Reyhen unter die Gemeinen zu nehmen, weil er aber ins¬ 
gemein in forderstem Gliede stehet, . . . auch die Schildwachen auf die Post 
führet,... so ist er selbst von der ordinairen Schildwache befreyet, und hat 
daher auch den Nahmen eines Gefreyten erhalten. Dererfte Unteroff^ier füfjrt 
bie Be 3 eid}nung $elbwebel. „Hiebei" ift eine Hebenform 3 U bem etymologifd) 
nod} unflaten af)b. weibil, mtjb. toeibel, nljb. H)eibel „Amtsbienet, Stabtunter* 
beamtet" (Dgl. Sdjillet, ©eil 2, 2). Unter bem $elbwebel fteljt bet Sergeant, 
beffen Harne auf bas ft 3 . sergent 3 urüdgel}t, bas bie weitere Bebeutung 
ridjtsbiener, Amtsoogt, fyöljetet Unter offner" l)at unb feinerfeits oomlat.serviens 
(®en. servientis) „bienenb" ftammt. Aud) im Htt)b. treffen wir fdjon einmal 
auf biefes Cefjnwort als sarjant, serjant „ 3 U $ufee bienenber Kriegsmann", 
bann „Knappe im ©egenjatje 3 umHitter". IDenben wir uns nun 3 uben©ffi s 
3 ieren. (Entfpredjenb feiner Ableitung oom lat. officium „Dienft, Amt", l?atte 
bas aus bem $ran 3 öfifd)en ftammenben H)ort im 16. unb 17. 3 aljrfjunbert 3 m 
nädjft bie allgemeinere Bebeutung ,,f)öl)erer Beamtet"; erft feit bem 30 fahrigen 
Kriege begegnen wir iljm in ber heutigen militärifdjen Bebeutung, aber noch 
1703 bebeutet ©ff^kr in dljtiftian XDeif ensCurieuse ©ebanf en oon ben Houoellen 
ober 3eitungen f. 0 . a. „Bebienter". 1616 lautete bie $orm bei XDallljaufen 
Kriegsmanual 142 ©fficieter; man Ijängt alfo an bas fra^öfifdje U)ort nod)* 
mals bie beutfdje (Enbung =er, äljnlid) wie wir an bie fran 3 Öfifdje 3 nfinitio* 
enbung der nod) einmal bie beutfdje (Enbung =en anljängten (ogl. barüber 
3. ©rimm, Über bas Pebantifdje in ber beutfdjen Spradje III, S. 327ff.). 
(Etymologifd} gehören nod} ®ffi 3 ial „Amtsoerwalter, bef. ber Stelloertteter 
bes Bifdjofs in weltlichen ©erid)tsangelegenl)eiten" unb ber bayrifdje (Eitel 
©ffijiant Ijier^er. Unter ben ein 3 elnen ffiffi 3 iersbe 3 eid}nungen tjaben wii 
als unterften ©rab ben Leutnant aus ft 3 . lieutenant „Stelloertteter", ö. I). 
„Stelloertteter bes fjauptmanns"; bafjet aud} ©berftleutnant „Stelloertteter 
bes ©berften" (bei H)alll}aufen Corp. mil. 11: obrifter Ceutenampt), ©eneral* 
leutnant „Stelloertteter bes ©enerals"; bei IDalUjaufen Corp. mil. Reifet es 
S. 10 : Feldtherr / dessen General Leuttenambt, alfo mit oolfsetymologifdjct 
Anleljnung an Ceute unb Amt. Aud} einen Dertreter bes Spanifdjen Ijaben 





Don Karl Bergmann 


105 


mit in unferem ©ffqietslorps: Riajot ift bas gleichbebeutenbe fpan. mayor 
aus lat. maior „größer, ijö^cr". Da oon leiderem IDorte (in feiner Bedeutung 
„fluffe^er, DettDatter") miebet unfet beutfdjer $amilienname Rleiet in feinet 
oerfdjieöenartigfien Schteibmeife abftammt, fo gehören alfo fpradjlidj unfet 
Petfonemtame unb bie ©fftyersbejeidjnung 3 ufammen; bagegen beruht bet' 
jübifdje $amilienname Rleier auf bem Ijebräifdjen me-ir „etleudjtenb" (ogl. 
3 ut (5efdjid)te bes Hamens Illeier fl. Ijeinije, Deutfd)e Samiliennamen). Als 
letzter Dertreter ftembfptad)Iidjet ©ffi 3 iersnamen fei bet ©eneral ermähnt. 
tDie ®ffi 3 ier brang aud? biefes IDott im 17. 3ai}tfyunbert ins Deutfdje aus bem 
ft 3 . g 6 n 6 ral, bas eigentlich eine Küt 3 ung oon capitaine g 6 n 6 ral ift. Heben 
biefen ftemben Be 3 eichnungen haben mit aber auef} gute beutfehe Hamen, fo 
©berft unb Üjauptmann. XOährenb aber heute ber Ijauptmann im Range 
3 toifchen ben Stabs* unb ben Subalternofföieren fteht, mar et im Rlittelalter 
„bet Anführer im Kriege, bet Oberbefehlshaber". Umgelehtt ift bet ITlarf <h all 
feit ber altbeutfdjen 3eit in feinet IDütbe ungeheuer geftiegen. 3unä<hft mar 
ber marahscalc feiner Ableitung getnöfe (marah „pferb", seale „Knecht") 
ein einfacher Pferbefne<ht. Aber fchon 3 ur 3eit bet fächfifchen Kaifer biente 
bas IDott 3 ut Bejeidjnung eines oomehmen fjofbeamten, bem bie Sorge für 
bas heimifdje mie für bas ftembe ©efolge 3 U Pferbe oblag unb ber bann auch 
halb mit ber $ühtung ber maffenfähigen Rlannfchaft bes Königs betraut mürbe 
(f. Höheres bei HX). 

3n einem lebten flbfehnitte feien 

flusbrüde aus oetfehiebenen militarifchen ©ebieten behanbelt. 
fluch hier ftammt miebet eine grofce 3ahl aus bem $ran 3 öfifchen. 3hre Be* 
trachtung ift beshalb befonbets an 3 iehenb, roeil fie felbft miebet beutfehen Hr* 
fptungs finb, mir es bei ihnen alfo mit ber ©tfcheinung ber Rüdentlehnung 
3 u tun haben. Sie feien in ber folgenben Überfidjt lut 3 3 ufammengeftellt: 
blodieten (aus ft 3 . bioquer, bies miebet eine Ableitung com beutfehen Blöd); 
Brefche (ft 3 . brbche, bas auf atjb. brehha in mürbrehha „Hlauerbrechet" 
3urüdgeht); ©arnifon (aus fa. garnison, eine Ableitung oon ft 3 . gamir; 
biefes gamir ift aber bas getm. *warnjan, ahb. warnön, nhb. roatnen; bas 
altho^beutf^e 3eitmort hatte auch bie Bebeutung „ 3 um Schuh ausrüften", 
fo bafe ©arnifon „eine Gruppe, bie fchütjt, eine Schuhtruppe" ift unb bann 
auch % Stanbort. Der ©runbbegriff ift alfo bet bes Schützens, ber ja auch 
noch but<h unfet neuho<hbeutf<hes mamen fchimmert: „jemanb aufmertfam 
machen, bafe er fich fchüht"); ©tappe (ft 3 . 6 tape aus nbl. Stapel „Stapelplatz; 
oltft 3 . noch estaple; ©tappe ift alfo „Stapelplah oon Sebensmitteln für butd)* 
3i«h e nbe Gruppen, bann Derpflegungsort, Raftplah unb fdjliefjlich ber flbftanb 
°on einem Raftplah 3 um anbem); equipieren (fr 3 . öquiper, altfo. esquiper, 

3 n nbb. skip, nhb. Schiff; ber Ableitung gemäfc gebrauchte man bas H)ort früher 
fn* „ein Schiff ausrüften ober bemannen", mähtenb es jeht eine ftarfe Bebeu* 




106 


Kriegerifd|es im 6eutfd)ett tDortf<f)atj 


tungserweiterung erfahren hat; fo fann fid? ein CDffijicr mit allem für Öen 
Krieg Rotwendigen equipieten (ö. 1 ). oerfehen); anöere in öiefe ©ruppe ge* 
porige TDörter finö $urage (fa. fourrage 3U deutfehem $utter), ©aröe 
(fr3. garde, deutfd} tDarte); - Hang (fr3. rang, deutfd} King); Biwat (fr3. 
* bivouac, nöö. biwake, nhd. Beiwache); Trompete (fr3. trompette, ahb. 
trumba „Trompete", W03U auch Trommel); Spion (fr3. espion, it. spione, 
ahd. speha „Spähe"). Über öiefe deutfch=fran3Öfifchen Spradtfufammenhänge 
findet der Cefer nähere Auslunft in meiner Abhandlung: Die gegenfeitigen 
Be3iehungen der deutfehen, englifd}en und fran3öfifd)en Sprache auf leji* 
fologifdjcm ©ebiete (Ejeft XVIII der Keufpradjlid}en Abhandlungen, t?ggb. 
o. Dr. Klöpper), wobei ich auch auf die Artitel „fjeerwefen“ und „ITtilitärifdjc 
Ausdrüde" im Sactjüe^eichnis oerweife. Audj eines italienifdj'öeutfdjcn IDortes 
fei gedacht: Sdjarmütjel ift das it. scaramuccio „Heines ©efecht", non it. 
schermire „fechten“; diefes 3eitwort ift aber das mhö. schirmen, das früher 
nicht allein, tote heute ausfchlieftlich, „fd)üt;en", fondern auch „fechten" be* 
deutete. Schließlich mögen noch die Ausdrüde Stab und pidelljaube hier 
(Erwähnung finden. Unter dem erften EDort oerfteht man die ©efamtheit 
der höheren ©ff^iere eines Truppenteils, ausgehend oom Stab als 3 eid)en 
der richterlichen, oberherrlidjen ©ewalt. Die pidelljaube hat nichts mitpidel = 
Spitje 3U tun, fondern ift das mhd. bechinhübe, und, mit 1 aus n beckelhübe, 
im 16 . Jahrhundert dann Bidelhaub; das IDort ift 3ufammengefet;t aus mhd. 
becken „Beden" (aus oulgärlat. baccinum „Beden") und fjaube, mhd. hübe 
„Kopfbededung für THänner und IDeiber", befonders für Soldaten, toie noch 
in Sturmhaube (über die $orm der mittelalterlichen fjelme ogl. fultur* 
gefdjichtliche IDerte, u. a. fjenne am Rhyu, Kulturgefdpchte des deutfehen 
Dolles, I., 2., 10. Abfdjnitt, und da3u die Tafel: Die ©nttoidlung der Schul; 5 
und Trußwaffen im TtTittelalter). 

II. Kriegsgefd^ichtlich bemerfenswerte TDörter. 

Unter den Iriegsgefdjichtlich beachtensroerten IDörtern find 3unä<hft Kopf 
und Raub 3U ertoähnen. Beide lommen für altgermanifche Kriegsfitten in 
Betracht. Kopf, ahb. köpf, chuph, mhd. köpf (aus mlat. cuppa „Bedjer"?) 
bedeutet urfprünglid? „Becher, halblugelförmiges Trinlgefäß", toie nod? je^t 
in Taffen*, Pfeifen*, Schröpflopf (ogl. auch engl, cup „Becher"), dann taucht 
köpf in ©loffaren des 11.—12. Jahrhunderts in der Bedeutung „fjinterhaupt" 
auf, bis das IDort im 16 . Jahrhundert endlich in der heutigen Bedeutung — 
fjaupt die gewöhnliche Be3eid;nung geworden ift und das edjtdeutfdje „fjaupt" 
(ogl. engl, head) in die edle Sprache gedrängt hat. 3 ur Übertragung des ©e* 
fäßnamens auf den Körperteil ift 3U beachten, baß dies ein in den inbogerm. 
Sprachen wie auch tu jüngeren Sprachperioöen häufiger Dorgang ift — man ogl. 
nod; ftj. tete aus lat. testa „©efäß, Topf". Der ©rund diefer ©rfcheinung liegt 



Don Karl Bergmann 


107 


junächft in bet ä^nlidjlett bes Kopfes'mit einem ©efäfe. Dafj fid) aber triefe 
beiben Begriffe in ber Phatttafie bes Spredjenben jo nahe tüctten, mufe, toie 
Sdjraber, Reallejilon, unter ©efäfee auseinanberfe^t, nod) batin begrünbet 
fein, bafe bis in 3iemlid) fpäte 3 «it bei ben inbogerm. Dollem, fo auch bei ben 
alten ©ermanen, bie fjimfcbale erfdjlagener $einbe ben Siegern als tCrint* 
bedjer bienten. Auf eine weitere getmanifd)e Kriegsfitte führt uns bas nl)b. 
Raub, ml)b. roup, al)b. roub. Reben feiner Bebeutung „Beute, Räuberei" 
be3eicf)net bas BJort aud) nod) ein „erbeutetes Kleib unb Kleib im allgemeinen". 
Die leiste Bebeutung ift nad) tDeiganb bie urfptünglid)e, unb bie Bebeutung 
„Raub" hätte fid) aus bet Bebeutung „Kleib" auf ©runb ber getmanifd)en 
Sitte entwidelt, bem befiegten $einb feine ©ewanbung, feine Rüftung 3U ent* 
reifen; Raub ift bemnad) 3uerft „©ewanb, Kleibung", bann „bie bem $einb 
entriffene Rüftung" unb fd)lief}lid) „jebe offene geroaltfame XDegnahme". 
tDährenb im Deutfchen nur biefe letztere Bebeutung fid) erhalten hat, lebt bie 
ältere oon „©eroanb" nod) in ben romanifd)en Sehnwöttem it. roba, ptoo. 
rauba, ft3. robe „Kleib" roeiter. TUan 0 er gleiche 3U bem R)orte tD. Kl. unb ben 
fluffat) oon ©. IDabftein in ben 3 nbogerm. $orfd). XIV, 402 ff. Kultur* 
gefd)id)tlid) nrid)tig ift bie (Etymologie bes IDortes Kebfe. Rad) Kluge ift ber 
Begriff „Konlubine", troij ©acitus’ ibealiftifd) gefärbter Darftellung bes alt* 
germanif(hen Samilienlebens, bem germanifdjen Altertum nid)t fremb. Diefe 
Konfubinen würben aus ben weiblichen Kriegsgefangenen, b3W. ben aus ihnen 
gewonnenen unfreien Rtäbd)en genommen. Darauf beutet hin, baf} in ein3el* 
nen Sprayen bie Konlubine nid)t feiten mit RJorten be3eid)net wirb, welche 
3ugleid) bie „Sllaoin" bebeuten. Dies gilt oon bem al)b. kebisa „Kebsweib", 
bas im agf. cefes, cyfes „Konfubine" unb „RIagb" unb im anotb. kefsr „Sllaoe" 
bebeutet; ähnlid) im ©tied)ifd)en iraXXa£ „Rläbdjen unb Beifd)Iafetin als 
friegsgefangene Sllaoin". Dgl. R)., KI., Sd)taber Reall. unter „Beif(hläfe* 
rinnen", fjier fei aud) gleich bes R)ortes Sllaoe gebacht. Die herrfdjenbe 
Meinung, bafe bie Deutfdjen bie in ben Kämpfen gegen ihre öftlid)en Rad)bam 
gemad)ten Kriegsgefangenen, welche fie mit bem Dollsnamen „Slaoen" unb 
bann mit leister Derbid)tung bes Anlauts Sllaoen nannten, 3U Knechten unb 
hörigen machten, unb bafe bann aus bem (Eigennamen bie allgemeine Be3eid)* 
nung eines foldjen Knechtes heroorging, ift nad) Seiler II., S. 196 falfd); benn 
leiner ber weftlidjen Slaoenftämme, bie mit ben Deutfdjen unmittelbar in 
Berührung tarnen, hat fid) fe| „Slaoen" genannt. Das XDort beruht allerbings 
auf bem Dollsnamen „Slaoen", oerbanlt aber feine Bebeutung nid)t ben beutfd)* 
®enbifd)en ©ten3lriegen, fonbern bem by3antinifd)en Kaiferreich. Über bie 
®efd)id)te bes IDortes Iefe man nad) bei B)., KI. unb Seilerei., S. 196 . Auf 
letjtetes R)erl (Heil I, S. 24 ff.) oerweife id) auch für bie IDörter Pfeil, Drache, 
Pfahl, tDall, Strom, Rleile,3clt unb bie (Drtsnamen Kaftel unb Keffel* 
ftabt, bie alle für bie triegerifchen Bejiehungen 3wifd)en ©ermanen unb 



108 


Kriegetif^es im öeutfd)en IDortfdjo^ 


Kötnern non tDidjtigfeit finb. fluch aus betn mittelalterlichen unb frütjneu' 
3 eitlidjen Ktiegsmefen befitjt unjere Sprache noch einige bejeidjnenbe Aus* 
brüde. So mufe bet Solbat nod? Ijeute Sdjilbtnadje fielen, mas uns an bas 
frühere TDachehalten in oolter Riijtung mit bem Sdjilb erinnert. Aus bem in 
ber älteren KTilitärfpradje üblichen unb non Sdjilbmadje abgeleiteten {d|il* 
bern = „po{ten ftehen" ijt Schilberhaus abgeleitet. (Ebenfo menig mie mir 
bei biejen tDenbungen an bie ur{prünglid)e flusrüftung bes Solbaten mit betn 
Schübe benfen, benlen mir bei bem flusbrud ein ©etoeljt laben an jene 3eit 
nach ber (Etfinbung bes Sdjiefepulners, tno 3 unäd}{t nur grojje ©ejdjü^e im 
©ebraudj mären, bei melden ein mitllidjes £aben, bas fluflaben einer £a{t 
{tattfanb (ogl. Paul unb IDaag, Bebeutungsentmidlung S. 183.) Über ben 
Urfprung' bes IDortes 3apfen ft reich jinb bie ITIeinungen noch geteilt. (Es 
barf jebod} moljl als {idjer angenommen merben, baf$ bas tDort mirllid) nidjts 
anberes bebeutet, als ben Streich, b. 1). Schlag (ogl. Schmertftreich, Badem 
ftreidp auf ben 3 apfen bes $affes als 3 ci<^cn r bafj bas $afj nicht länger für 
bie 3 edjenben Solbaten laufen foll (ngl. Sohns TDort u. Sinn S. 44, IDaag, 
Bebeutungsentmidlung S. 183). Diefer feit bem 17. 3 ahrhunbert gebrauch 
lidje flusbrud führt uns in bie 3eit bes 30 jährigen Krieges, ber uns be 3 eidj= 
nenbermeife bas TDort abgebrannt in {einer übertragenen Bebeutung „aller 
Jjabe beraubt" gefcfyenft hat. IRo{<hero{ch, TDunberlidje unb mahrhafftig® 
ficktePhilanbers oon Sittemalb 2,685 gibt folgenbe(Ertlärungbes IDortes: „das 
ist nach der Feldsprach so viel, als daß er umb alles kommen und erarmet 
war, daß er alles zugesetzt und verlohren hatte"; am (Enbe bes 18. 3ah rs 
hunberts brang bann bas TDort in bie jtubentifdje Sprache ein. Auf bie Kriegs* 
mirren bes 17. 3al)rhunberts geht mertmürbigermei{e auch die Be 3 eid)nung 
eines Kleibungsftüdes 3 urüd, nämlid) ber Kramatte. (Es ift bas gleiche TDort 
mie ber Doltsname ber „Kroaten"; bie $ran 3 o{en machten nämlich mit ben 
froati{d}en Regimentern gelegentlich bet Kriege Betanntjchaft, bie fie mit bem 
beutfcben Kaifer im 17. 3ahrhunbert führten, babei lernten fie einen eigen* 
artigen (Teil ber froatifdjen Uniform tennen, eine runb um ben fjals gefcfjlungene 
Binbe, beten (Enben entmeber 3 U einer Rofette 3 u{ammengerafft ober mit 
drobbeln ober Quaften ge 3 iert maren. Die $ran 3 o{en ahmten bie drad)t halb 
nach nnb be3eid}neten bie Binbe einfach nach ber alten $orm bes Dollsnamens 
als cravate. (Ebenfo ftedt ber Käme ber Kroaten in ber gleichfalls aus bem 
30 jährigen Krieg ftammenben Be 3 eichnung eines milben ausgelaffenen Kinbes 
als Krabat(e); mir haben hier noch eine uerblafete (Erinnerung an bas milbe 
Auftreten ber Kroaten in jenen {türmijchen Kriegs 3 eiten. fludj ber eigenartige 
Bebeutungsmanbel bes IDortes pad bürfte auf biefe 3eit 3 Utüdgehen. Tüit 
Pad be 3 eichnete man früher auch das Jjeergepäd, ben dtof} b 3 m. bie £eute, 
bie bas Kriegsgepäd 3 U führen hatten. Da biefer fjeerestrofe in {ehr üblem 
Rufe ftanb, {o erhielt Pad bie Bebeutung „<5e{inbel"; bie gleiche Bebeutungs* 



Don Karl Bergmann 


109 


entroicflung ßaben mir aucß bei Bagage. 3n roelcß üblem Huf früher ber ©roß 
ftanö, beroeift feine Bejeidjnung als „fauler Raufen" bureß bie Sanbsfnecßte 
ober als „fjuren unb Buben" in gronspetgers Kriegßbucß (III, 65); bei IDall* 
^au|en Corp. mil. Reifet es S. 131: Die Bagage schadet einer armee sehr viel, 
©ir feßließen biefenflbfdjnitt mit ber IDenbung unfießerer Kantonift. Sie 
gewahrt uns einen ffinblid in bas Ausßebungsoerfaßren 3 ur 3cit bes preußifeßen 
Königs griebrieß tDilßelm I. Diefer Scßöpf et bes preußifeßen feeres teilte fein 
£anb in Kantone ein 3 Ut planmäßigen Durcßfüßtung bet Solbatenroerbung; 
jebet meßrpfließtige ©inmoßner' bes Kantons mürbe als „Kantonift" in eine 
£ifte eingetragen; bei bet ftrengen preußifeßen ßeeres 3 u<ßt fueßte monier 
Kantonift fidj bem Jjeeresbienft 3 U ent 3 ießen, mesßalb mir jeßt noeß f<ßet 3 ßaft 
einen un 3 UoerIaffigen Hlenfcßen als einen „unfießeren Kantoniften" be 3 eicßnen. 

III. Dem Hlilitärmefen entnommene unb in bie allgemeine Sprache 
eingebtungene tDörter unb IDenbungen. 

3n feinem etymologifcßen DOörterbucß oer 3 eicßnet Kluge eine Heiße non 
©örtern, bie, utfprünglicß bet Kriegsfpracße angeßörig, ßeute eine allgemeinere 
Bebeutung erßalten ßaben. <£s finb bies fertig, bereit, rüftig, bie muß 
Kluge utfprünglicß moßl alle Be 3 eicßnungen für ben „ 3 um Kriegs 3 ug Aus* 
gerüfteten" maten. Aucß in bie Bebeutungsentmidlung oon f r ecß fpielt naeß 
Kluge bas Kriegsleben ßinein; na(ß ißm ift „gierig" bie ©runbbebeutung bes 
gemeingetmanifeßen Abjettios freca getpefen; Spe 3 ialifietung auf bas Kriegs* 
leben füßrt auf bie Bebeutung „fantpfgietig, oerroegen" (mßb. vrSch „mutig, 
iüßn, breift"); im agf. ift freca „bet friegerif<ße fjelb", im älteren Heuengl. 
freak „ßelb, Hlann". 3m Iteußocßbeutfcßen trat bann mieber eine Bebeutungs* 
anberung unb 3 mar naeß ber fcßlecßten Seite ßin ein. Die alte gute Bebeutung 
feßimmert noeß buteß in ben IDorten Antonios oom „fteeßen Saufe" bes ©lürfs 
in ©oetßes iEaffo (II, 3 ). Aucß !üßn geßört in biefe ©ruppe oon tDörtern, 
worüber man bei Kluge nacßlefen möge. Diel Ilaret als ßier tritt bie utfptüng* 
liße Be 3 ießung 3 um Hlilitärmefen im IDorte Verberge 3 utage, bas utfptüng* 
liß nur ein bas ßeer bergenber ©rt mar: aßb. heriberga „ein bas ßeer bergenber 
ßect*, gelblager". Auf ben erften Blid oerraten ißte militärifcße Abftam* 
nuutg IDenbungen roie: „©robes ©efeßüß auffaßren, ins Hintertreffen 
lommen, £unte tieißen (f. o.), jemanben überflügeln, in bie Btefcße 
iteten, jemanbem auf ben ßaden fein (oomHlarfcßieren), oon berpife 
au f bienen, bie glinte ins Korn merfen" u. o.a.m. 3cßfann lut 3 über 
biefe IDenbungenßinroeggeßen, baScßraberin feinemBucße über ben Silber* 
fißmud ber beutfeßen Spraye einen eigenen Abfcßnitt „Aus bem Hlilitärmefen" 
kiefern ©egenftanb gemibmet ßat, ferner finbet ber £efer eine 3 ufammenftel* 
lung folget IDenbungen bei £jirt, (Etymologie ber neußoeßbeutfeßen Spta(ße 
(S. 278f.), einige aucß bei ßorn, DeutfcßeSolbatenfpracße S. 8 unb S. 108ff. 



HO 


Xricgcrifd}«« im Icttttfcfjen IDortfdjafc 


IV. Deutfdje petfonennamen als 3 eugniffe für 6ie altgermanifche 

Kampfesluft. 

(Eine Darftellung bes Kriegerifchen in unferem XDortfcfyat) wäre unooll« 
ftänbig, wenn mit nicht aud) jener öeutfdjen petfonennamen gebenfen wollten, 
bie noch heute 3 eugnis abiegen für bie Gapferfeit unb Kampfesluft unferet 
Dotfahren. Auch hier !ann id) mich fefyr fut3 faffen, ba mir in bem Buche ron 
Albert fjein^e über bie beutfdjen $amiliennamen ein ausgejeidptetes tDerf 
übet biefen ©egenftanb befitjen; befonbers ift auf bie flbfcfynitte 3 , 5 , 8 unb 9 
3u oerweifen. Hur einige IDorte feien gefagt über bie Art unb OOeife, wie unter« 
ri^tlid? ber ©egenftanb behanbelt werben !ann. 3unäd?ft ift einübetblid übet 
ben friegerifd|en tDortfdja^ ber alten 3eiten 3U gewinnen. 3 a hl te i<h fin& 
IDortftämme für ben Begriff bes Kampfes, fo had(u) (nod? in fjaber erhalten), 
hilt, gund, wig, bad(u). Kuoni unb bald, beibe „fühn" bebeutenb, ferner 
muot „Blut" unb nid „Iteib" finb bie Ausbrüde für bie oom Kampfer net« 
langten <Eigenfd)aften. Dabei ift ©elegenheit, auf bie eigentliche Bebeutungs« 
entwidlung non bald 3U nertneifen, bas fid} non einem fittlidjen Begriff 3U 
einem 3eitlidjcrt getnanbelt hat, fotnie auf bie frühere Bebeutung non nid als 
„feinbfeliger (Eifer unb 3 om bes Kriegers". Als IDaffen bienten bem ©ermanen 
neben bet $tame, einem fut3en Speer, houptfächttch ber ©er, ein tDurffpiefe, 
unb bas Schwert; Be3eid}nungen bes leiteten tnaren ort, eigentlich „bie 
fpitye Ü)affe", unb ekka, unfer heutiges „©de", bas ehemals bie Bebeutung 
„Schneibe, Scfjtoertfdjätfe, Schtnert" befafj. Die Schußwaffen traten bei ben 
©etmanen noch 3urüd. Als foldje bienten im Anfang bet lange Sdjilb (seilt) 
aus £)ol3 unb Ceber, 3U bem bann fpater noch bie brunna „Brünne" hi^utrat. 
(Eigentliche {feinte befaßen bie ©ermanen noch nicht; ftatt ihret festen fie bie 
Kopfhäute erlegter Giere auf; erft mit ber Detoollfommnung ber Schmiebe« 
uinft traten an ihre Stelle eherne {feinte (heim). So bewaffnet 3ieht bas ffeer 
mbüSchlacht: hari, heri finb bie althod)beutf<hen $ormen für unfer je^iges 
” a v ' bancben 9Üt als Be3eichnung für bie Iriegerifchen Scharen (scara) 
au^ bas IDort folc „Dolf", beffen frühere militärifdje Bebeutung wir ja auch 
heu e noch in „Kriegsoolf" hoben. 3 m heißen Kampfe wirb Sieg (sigu) unb 
Srtebe (fridu) erftritten. Ruhmbebedt fehren bie Sieger heim; wie für Kampf 
au $ f üt öcn Bc 9tiff bes Ruhmes mehrere IDortftämme: (h)ruom, 
x °m h) ud], (h)rod. Die aber auf ber tDalftatt ©ebliebenen werben oon 
ben Muren nach Walhall 3 u IDoban geführt, bem oberften Schlachtern 
Si Kabcn90tt genannt, nach öen Raben (hraban), bie als Giere bes 

x ™ L , aIs Kric 9 ss unö Siegesoögel IDoban heilig finb, wie ihm auch 
öet DOolf (wolf) als fiegoerfünbenbes Gier geheiligt ift. 

Dte friegsluftigen ©ermanen liebten es nun, ihren Kinbem alle biefe 
uamen als Angebinbe mit auf ben Cebensweg 3 u geben. Ceidjt finb fie 3« et« 


Don Karl Bergmann 


111 


fennen in unfeten heutigen $amilien* unb Dotnamen IDiganb, IDy djgrant, 
Baber, Ijabwig, fjebwig, fjilbebtanb, ©untrer, ©erbert, ©dbert, 
©cHjatb, Hluther, Heibhatb, ©rtlieb, Ijetmann, Sdjatmann, Doll* 
mar, Sicgfricb u. a. Um aber bas oolle Derjtänbnis für unfete Perfonen* 
namen 3U erteilen, ift auf bie Art bet Bilbung bet altgermanifchen $otnten 
einjuge^en. Sie beftehen aus 3wei©eilen: bet erfte wirb 3umeift oon betx oben 
angeführten tDörtern gebilbet, bie auch an 3weiter Stelle ftehen tonnen; meift 
©erben aber als 3toeite ©eile bie nachfolgenben TDörter oerwenbet: beraht, 
brecht, precht „glän3enb", hart „ftart, feft", mar „berühmt", rieh „reich" 
mächtig", walt „waltenb", wart „tDarter, £jüter", win „$teunb". Auf biefe 
tDeife entftehen 3 ufammenfeßungen wie Ruomprecht, Hrodric, Hadaprecht, 
Friduric, Folcberaht, Folkmar u. a., bie alfo „tuhmglän3enb, ruhmreich, 
lampfglän3enb, friebensmächtig, Doltsglän3enb, ooltberühmt" bebeuten. 3 m 
Saufe ber 3 ahrhunberte fdjleifen fich nun alle biefe Hamen ab, fie werben 
3ufammenge3ogen, bie ©nbfilben werben oetfih^t, ein Konfonant wirb bem 
anberen angeglichen; fo wirb ein Gundobrecht 3U einem ©umpert, ©om* 
bert, aus einem Hrodmar wirb ein Kaumet, aus einem Sciltheri ein Schiller. 
Diotbald „ber not allem Doll berühmte" b. h* „her feljt Berühmte" lann fidj 
nicht allein in einen ©h ß obalb ober Diepolt, fonbem fogar in einen Deibel 
unb ©eufel netwanbeln. Auf biefe tDeife entftehen fjunberte Don gormen, 
bie oft laum noch eine Ahnlichleit mit ihrer utfptünglichen ©runbform haben. 
Doch ift bamit bie 3 al}l bet für bie altbeutfchen Perfonennamen beftehenben 
Bilbungsmöglichleiten noch nicht erfchöpft. Auch bet ©etmane hatte bas Be* 
bütfnis, in nertraulicher Alltagsrebe bie Hamen 3U nerlüt3en. ©r fdjlug ba* 
bei nerfchiebene Arten bes Derfaljtens ein: ©inmal behielt er nur ben erften 
©eil bes 3ufammengefet|ten Hamens bei unb feßte an Stelle bes weggefallenen 
3®eiten ein 0; fo würbe 3. B. aus Ortlieb ober Ortwin ein Ordo, heute mit 
Abfall bes 0 ein ©rth, ober ein Hrodebert würbe in ber Alltagsrebe als 
Hrodo, Ruodo gerufen, bas bann wieber 3U unfetem Hobe ober mit gan3* 
lichem Abfall bes e 3U Roth mürbe, ©ine anbere Art, bie oertrauliche $orm 3U 
bilben, beftanb batin, bie erfte Silbe unb oon bet 3weiten ben Anfangslonfo* 
nanten ftehen 3U taffen unb baran 0 3U hängen; Sigbald würbe alfo 3U Sigbo, 
Sibo, woraus bann ber uns fonft gan3 rätfelhaft etfeheinenbe $amilienname 
Seil entfteht. Schließlich lonnte man an biefe „Kofefotmen", wie man bie 
abgelüt3ten $ormen nennt, auch noch Derlleinerungsfilben hängen, 3. B. -ilo; 
fo entftehen Hamen wie Hrodilo (Derlleinerung 3U bet Kofeform Hrodo), 
worauf wieber unfere jeßigen Hobel ober Röthel 3urüerführen finb. Unb 
aoeh anbete Arten bet Bilbung oon Kofefotmen haben beftanben. 

Die oorftehenben Ausführungen tonnten natürlich nur in groben 3ügen 
3 «gen, wie etwa bem Schüler eine ©inficht in bie ©ntfteijung unferer perfonen* 
namen gegeben werben lann; bie ©in3elheiten bet fpracfjlichfcn ©ntwidlung 



112 


Kriegetifdjcs int beutfdjen EDottftfja^ Don KatI Bergmann 


unferer Homert unb t>ie Anführung ja^Iteidjer Beifpiele, toobutch io et|t bet 
©egenftanb Cebert gewinnt, wirb bet Cefet in bem EOerte oon fjeinße finben. 
Um aber bas Stubium getabe biefet germanifchen Hamen 30 erleichtern, will 
ich auf einige Abfchnitte bes 2. Geiles oon Ejeinße, auf bas Hamenbuch oer* 
weifen, in benen Höheres 3U finben ift. (Es finb bies folgenbe Artilel: Ag, 
Badu, Balda, Brunja, Frithu, Fulca, Gairu, Gis, Gisil, Gundi, Harja, Hathu, 
Helma, Hildi, Hloda, Hraban, Hroc, Hroma, Hrothi, Kuni, Mag, Magan, 
Maru, Moda, Nitha, Ortha, Randu, Ricja, Rust, Sarma, Scara, Scildu, Sigu, 
Thegan, Wal, Wiga, Wulfa. 

Rücfblicf. 

EDotübet unterrichten uns bie oorftehenben Ausführungen? lUilität* 
gefchidjtlich wichtig ift bie Gatfache, baß ber größte Geil unferer fjeetesbejeid;* 
mmgen frembfprachlichen Urfprungs ift. XOenn hierbei bie fran3Öfif<he Spradje 
am ftärlften oertreten ift, fo beruht bies auf gefchidjtlidjen ©rünben. 3m 
17 . 3 ahrhunbert galt bas oon Couoois, bem Kriegsminifter Cubroigs XIV., 
umgeftaltete fta^öfifdje fjeet als Dotbilb für bie europäifchen fjeere, fo baß 
fich bie tjeeresfpradje oon biefet 3eit ab hauptfachlich fran3Öfif<het Be3eid} s 
nungen bebiente. Den oielen fran3öfifdjen EDörtem fteljt be3ei<hnenberweife 
nur bas eine englifche EDort Schrapnell gegenüber. Aber auch Dom ®ft en h et 
würbe bie Ausgeftaltung unfetes feeres beeinflußt. Die weiten Giefebenen 
Polens unb Ungarns lieferten bie geogtaphifdjen Bebingungen für bie Schöp 5 
fung fühner, leicht beweglicher Heitermaffen, bet Ulanen unb bet fjufetten, 
bie famt ihrer Bewaffnung mit Säbel unb pallafch auch uon uns übernommen 
würben. (Eine ftattlidje Heihe oon H)örtern gewährt uns einen (Einblid in bie 
Kriegsfühtung alter unb neuer 3 eiten. Kopf, Raub unb Kebfe fowie unfete 
Perfonemtamen finb für bie älteften 3eiten unferer ©efchidjte 3U nennen, 
Hlarfchall für bie 3 eit ber fächfifdjen Kaifer; Silane iommt für bas by3antini* 
fd}e Reich in Betracht. An bas mittelalterliche Kriegswefen erinnern noch h eu * c 
Sdjilbwache unb Schilberhaus, fowie bie EDenbung „bas ©ewehr laben". Di® 
wilben 3 eiten bes 30 jährigen Krieges finb oertreten bur<h bie EDörter ab*. 
gebrannt, Krabat, Krawatte, Pad, 3 apfenftreich. 5 nr bie Art ber Kriegs* 
füljrung im 17 . unb 18 . 3 ahrhunbert ift noch bet ©tenabier wichtig, wie ja 
auch im EDorte $Iinte eine bebeutfame Deränberung in ber Sdjießfunft fi<h 
ausfpricht. (Enblich feien noch $ufat unb Kantonift für bas Aushebungsoer* 
fahren ©ergangener 3 eiten erwähnt. Durch eigenes Stubium wirb ber Cefet 
biefes U)örtetoet3eichnis noch oermehren lönnen. 

Aber auch in fptachlicher Jjinfidjt enthalten unfere Ausführungen manches 
eadjtensmerte. $üt bie Be3iehungen 3wifdjen bem Deutfchen unb bem 
f inö 6ie Bebeutungsbeeinfluffungen oon Ijanbftreich, auffläten 
un wifion 3U nennen, fowie bie Had]bilbungen piaßmajot unb ID affen* 
©ruber. Die fogenannten Rüdentlehnungen liegen oor bei blodieren, Brefche, 



Kriegsliteratur. Don $riebrid) Pan3er 


113 


©arnifon, (Etappe u. a. Don atjnlicfjer Bebeutungsentmidlung »etben »ir 
bei bet Infanterie fptedjen. Bilber aus bet Stet* unb Pflanjenroelt liegen oot 
in Iltusfete, üetjetol, $alfaune, $elbfd?lange, ©orpebo, ©ranate. Bebeutungs* 
oerengung 3eigen Sergeant unb ©ffoiet, Bebeutungsertoeiterung bagegen 
fertig, bereit, rüjtig u. a.; Bebeutungsoerfd?led?terung Ijaben »it bei fred? unb 
fdjliefelid? aud? bei fjauptmamt, »äljrenb eine Bebeutungseri?öl?ung bei ITCat* 
fd?all 3U oet3eid?nen ift. (Ein eigenartiger Bebeutungsroanbel ift für halb 3U 
ertaäbnen, unb bei mand?en anberen tDörtern, toie Stab, Kompagnie uf». 
»erben fid? nod? »eitere flusblide auf bie Bebeutungsleljte eröffnen. 


Kriegsliteratur. 

Don panjer in Sranlfurt a. Dt. 

L 

Oer Krieg, Am (Enbe ober — für uns fjod?fd?ullel?ret — am Beginne bet 
Serien überfiel er uns, eben als »it fo red?t uns eingefponnen ober ein3u* 
fpinnen gebauten in ben ftillen Srieben eines entlegenen ©rtd?ens an IDalb 
unbtDaffer unb — ber mitgefübrten Büdjer: »ir Ratten uns gefreut in ruhigen 
lagen fo manches 3U geniefeen, bas »ir in bet bebrängten 3 rit bes Unterrichts 
Ratten beifeite legen müjfen. Da fam et. Cangfam nur unb ftufenweife lernten 
wit begreifen, »as er uns bebeuten follte. 

An ber belgifdjen Küfte, »0 icf? ein paar $erienrood?en 3U »erbringen 
gebaute, »ar id? oon feinen Drohungen überrafdjt »orben. flm Sage bet (Et* 
llätung bes Kriegs3uftanbes nod? fam id? 3urüd. Alle 3 üge überfüllt oon eilig 
f?eimfri?tenben, Derfpätungen, poften auf ben Brüden, in allen Abteilen 
ertegtes ©efptädj, gefpannte IHutmafeungen, im übrigen bod? alles »ie fonft. 
Das Rl?eintal in aller Sülle reifenbet $rud?t, im »armen frieblid?ften flbenblid?t; 
unfafebat bet ©ebanfe, bafe ber fjimmel je 00m Branbe biefer Dörfer, biefer 
Stabte fdjtedlid? follte erftrafelen fönnen. ©rft am anberen Itlorgen, ba bas 
©epäd l?eimgeI?olt fein »ollte unb nun, an ber fgl. preufeifdjen Baf?n, biefem 
unübertrefflidjen Ittufter peinlidjfter ©tbnung, nid?ts 3U erhalten »ar, ©ürme 
oon Körben unb Koffern auf allen Bafenfteigen, fjunberte oon Reifenben ba* 
3 »ifd?en, bie mit oer3»eifeiten ©eficfjtem bas Sferige fudjten, bann fein ©raget, 
fein IDagen — ba erft begriff man: es ift ehoas gefcf?et?en, bas unfer £eben in 
ber (liefe erfdjüttern »itb. 

Dies »ar ber ©ag ber Rlobi(mad?ung. flm flbenb eine tiefernfte, bleiern 
f^were Stimmung übet ber gtofeen Stabt; immer nod? nidjt benfbat, bafe 
Dölfet ijödjfter Kultur gegeneinanber aus3iel?en follten, um 3U oetnid?ten, 
was bie mül?famfte Arbeit oon 3al?T3el?nten, an bet »it felbft fo frofeen Anteil 
9 enommen, ftol3 aufgebaut, »as alle Staaten bislang peinlid?ft befdjüfet Ratten. 
Dann aber bie Kriegserllärungen, eine nad? bet anbetn, unb nun jene ©age ber 

3«ta^r. t 6. t(utfd)cn Unlettld)t. 29.3af;rg. 2. fjfjt 8 



114 


Kriegsliteratar 


unoetgefelichen btaufenben (h^eburtg unferes gtofeen, l/cnlidjcn Dolfe, in 
allen Strafen bet froh begeifterte flusjug bet hunberttaufenbe, bie bet Kaijet 
gerufen unb 3U häufe bie Bitten ünfetet Knaben: £afet mich mit! 3 d) lann, 
id) batf nicht 3iirücibleiben. . . 

Der Krieg hat oiele gäben abgeriffen, oieles 3erftört. Aber mit tafdjer 
tDenbung richtete auch manches Heue fidj fräftig empor. tüährenb unfet ijeer 
btaufeen unfete 3u!unft jdjmiebete, burften bie baheim ©ebliebenen nid)t 
feiern. (Eine gewaltige ©rganifationstätigfeit fefete ein 3ut Unterftüfeung, 
Derfotgung, Betreuung bet Angehörigen unferer gelbfolbaten, ein »eit oet« 
3»eigter £iebesbienft für biefe felbjt; rafcf} »at begriffen, bafe batüber hinaus 
au^ bie tlidjtheerespflichtigen ihre ITCobilifietung 3U bewirten hatten auf wirf* 
fdjaftlichem namentlich, aber auch auf geiftigem ©ebiete, um ber Kämpfer 
braufeen würbig 3U bleiben. 1 ) (Erftaunlicf} war 3U fehen, wie gan3e grofee 3 n* 
buftrien, bie bet Krieg mit einem Streiche lahm 3U legen fdpen, ben oeränberten 
gotbetungen aufs rafchefte jich an3upaffen oerftanben. Die geiftigen Arbeiter 
mochten bahinter nicht 3urü<tjtehen: auch ihre „ 3 nbuftrie" hat jich auf ben 
Krieg ein3ujtellen oerftanben. Unfere 3 eitfStiften oor allem haben faft 
burdjweg mobil gemacht unb 3»at nicht nur bie politifchen, fonbem gerabe auch 
bie Kultut3eitfchriften. Der Kunftwart hat feinen Be3ugspreis für bie Kriegs* 
bauet auf bie hälfte herabgefefet, um mit feinet wefentlich auf Kriegsftagen 
gerichteten ©ätigleit in möglichft weite Kreife 3U wirten, ©ine (Erfcheinung 
wie bie internationale Blonatsfchrift für TDiffenfc^aft, Kunft u. 
©edjnit, bie g. Althoff oor 7 iahten gerabe für bie Pflege ber allen Dollem 
gemeinfamen geiftigen Kultur gegrünbet — „ein echt beutfeher ©ebaitfe" 
burfte bas in IDahrheit heifeen —, gibt ein „Kriegsheft" nach bem anberen 
heraus unb nimmt in einet gülle trefflicher Beiträge unferer bebeutenbften 
©elehrten bie Abgren3ung beutfdjen XDefens unb bie Abrechnung mit unfeten 
©egnern auf allen geiftigen ©ebieten oor. Unb wie biefe auf bie U)elt bered}* 
nete 3 eitfchrift, fo hanbeln auch bie gan3 örtlich gebunbenen; einige uns 3U* 
gegangene hefte bet BTonatsblätter „Aus bem pofener £anbe", bie jefet 
oon unferem gachgenoffen Dr. Ittefeleny herausgegeben werben, reichen in Stirn* 
mungen unb Dotgängen an unferer ©ftgren3e Schilberungen ooll lebenbiget 
n3elheiten. Uicht minbet fuchen alle päbagogifdjen 3eitfdjriften bem ©h CTna: 
Krieg unb Unterricht" oon allen Seiten gerecht 3 u werben. Auf bie jüngfte 
£teferung b es „Säemanns", bie eine Heihe oon Auffäfeen unter ber £ofung 


„ . . . DieIe fl “f?aben unb bie ITCetljoben ihrer Bewältigung finb überfichtlich jufammen« 
gefafet m bem Kttegsbühlcin für bos beutfhe haus, bas Cbeorg Baum heraus* 

bafbi« M 0t n - 3 ' ^ 268 S -’ m ' 2,85) - ® nc Ian 9 e Heihe erfahrener Salute 

uni Hu^uenbigletten bet oerfhiebenften ©ebiete bargelegt; auf bie Abfänitte „Krieg 

Oieboro flu^nbets^emUfln 61 U " 6 miIitÖTi|d,C Dorbercitung öet 3u9e " 6 " 00 " 


Don $ti«&ric() Patt 3 <r 115 

„Deutfdjlanös 3 ugenb 1914 " Bereinigt unb als Kriegsheft gefonbert ausgibt 1 ), 
fei noch befonbers oetwiefen. 

Aber auch außerhalb bet 3 eitfd?riften ift eine überaus reiche Kriegs* 
literatut emporgewachfen; eine 3ufammenftenung, bie fjinridjs fjalbjahts* 
latalog eben ^etausgegeben ^at, lonnte bis Anfang Dejembet fdjon gegen 
1400 Kümmern Bezeichnen. (Einiges oon bent (Erfdjienenen mag, foweit es 
uns 3uging unb in ben 3 ntereffenfreis biefet 3 eitfd?rift einfehlägt, hier fut3 
befptocljen werben. 

XHefe Kriegsliteratur i|t als ©an3es fdjon für bie beutfdje Art aufeerorbent* 
Hd} be3eid)nenb, unb es müfete anjieljenb unb lehrreich genug fein, fie mit ber 
unferer $einbe 3U Dergleichen, woju mir leibet bie Klöglidjteit fehlt. Die Sach* 
lidjleit, ©rünblid)feit, bie Keigung wiffenfchaftlich 3U unterfudjen unb möglichft 
3U fyftematifieren auch, was uns auf ben Hageln brennt, tritt barin allenthalben 
3utage. (Es oerfteht fidj, bafe man 3unä<hft fo genau unb oollftänbig als möglich 
feft3uftellen trachtet, toas benn oor fi<h gehe. Diele dages3eitungen geben 
wöchentliche ober monatliche 3ufammenfaffungen in befonbeten Jjeften aus, 
bamit auch bet Überblid übet bas ©an3e nicht oerloten gehe. (Eine befonbers 
hübfdj ausgeftattete dhtonif läfet ber Bedfche Derlag in IKünchen erfchetnen; 2 ) 
®om 23 . 3 uli begimtenb uer3eichnet fie dag für dag alle amtlichen, biplomati* 
Wen unb militärifchen IKitteilungen Deutfchlanbs, fo bafe hr er eine fW r gute 
überficht über bie (Ereigniffe unb bie 3uoerläffigfte Unterlage für eine tünftige 
geWichtliche Darftellung geboten toirb. Acht fehr f^öne BUbniffe unferer fjeer* 
führet fchmüden ben 1. Banb. 

Hicfjt minbet wichtig aber als bas EDas unb]tDie ift bem Deutfchen bas 
Warum: wie ift bas Ungeheure getommen, nicht nach feinem äufeeren Detläufe 
allein, fonbem nach feinen inneren Urfadjen? (Eine $ülie hier nicht 3U befptechen* 
bet Sdjriften, 3. d. oon unferen erften fjiftorifern oerfafet, habe« fi<h bemüht, 
biefe $tage 00m politifchen Stanbpuntt 3U beantworten; bie tulturpolitifchen 
datfachen werben in einer fleinen Sdjrift oon K. Camprecht ausführlicher 
erörtert*). Sie betont mit Recht, bafe 3um Derftänbniffe bet gewaltigen Dor* 
gange unfter 3eit ein 3urüdgehen bis auf bie $reiheitslriege nicht mehr aus* 
reiche. Die Betrachtung biefes 3eitabfchnittes genügte 3um Derftänbnis bet 
beutfdjen (Einheitsbewegung, bie ben wichtigften Beftanbteil bet beutfehen 
politifd}en ©efchidjte bes 19 . 3 ahrhunberts ausmachte, aber nicht mehr 3um 
derftänbnis jener weltumfpannenben Aufgaben, bie bem heutigen Deutfeh* 

1 ) £eip 3 ig u. Berlin, B. ©. deubner. Itt. 2,-. 

2) dhtonif öes öeut[djen fc Krieges nach amtlichen Berichten unb 3 eitgenöffijd}en Kunb* 
gebimgen, 1. Banb bis mitte Hooembet. München 1914. <L fj. Beeide Derlagsbud)hanblung 

u. 484 S. ©eb. IR. 2,80. 

3) K. Camptest, Deutler flupeg 1750—1914. «Einführung in bas gerichtliche 
Derjtänbnis bet ©egemoart 3 Ut Selbftbelehrung für jebermann, 3 um ©ebtauch bei Dotttägen 
unb 3um Schulgebtauch. ffiotba 1914. §. fl. Perthes. VI u. 44. S. TR.—,60. 

8 * 



1*6 


Kriegsliteratur 


lanb, unb 3toat nicht nut madjtpolitifch, fönbetn auch fulturpolittyhgeftellt 
finö. Camptest geht babei feljt gründlich 3U EDerfe; et entmidelt bie treibenden 
Kräfte aller Kulturentmidlung überhaupt unb bet beutfdjen im befonbeten, 
3etgt t^re eigenartigen Bedingungen und Stufen unb fdjitbett nun bas ein3elne 
genauer oon 1750 ab auf (Brunblage jener ©ebanfen, (Einteilungen uftb Be* 
nennungen, mie fie aus feiner beutfdjen ©efdjidjte belannt finb. 

fluch auf eine Schrift non (E. Dedert 1 ) mosten mit aufmerfjam machen. 
Sie betrautet bie lateinifchen, flaoifdjen unb gctmanijchen Doller eht3elnunb 
ftadj jenen großen ©tuppen, bie bet panlatinismus, panflaoismus unb 
Panteutonismus umfafct ober umfaffen möchte, unb mürbigt bie natürlichen, 
petfehtsgeogtaphifchen, ethnographijchen, gejdjidftlidjen, politifdjen unb lul* 
•tuteilen Umjtänbe jeder ein3elnen ©tuppe unb ihrer Dölfer mit jo meitem 
Bfid unb grünblidjer Kenntnis, bafe man bie Sdjrift nicht ohne »ielfältige fln* 
tegtfng Unb Belehrung aus den fjänben legen mitb. 

Mt bem Beginn bes Krieges hatte ein Hbgrunb non tjafe unb Heib um 
uns jidj auf getan. Unb nicht nur non unfeten erfl arten $eihben: jdjnte^enöer, 
fränfenbet Hangen aus ben neutralen Sündern neben jeljr netein3dten ge* 
regten EDorten übeltönige Stimmen an unjer ©fjr. EDit mußten etfchteden. 
Unfet ©emijjen mar rein; mit hatten niemanden gefrantt ober beleidigt, 
niemandem fdjaben mollen: mas lonnte uns jo oethafet machen? EDit erfamtten 
ja flat: mas man ba im fluslanbe gegen uns oorbradjte, bas mar 3um febt großen 
©eile bemühte Cüge, 3um Heineren ruhte es auf nölliget Unlenntnis ober gän3* 
liebem Mjjoetftehen unjetes EDejens unb Dentens, unjetet Sitten unb (Hit 5 
ridjtungen, Unjetes EDollens unb Strebens. (Ein tiefes Bejhtnen bub bei uns 
an auf unfre ilrt unb (Eigenjdjaft, unfet Derhaltnis 3U ben Hadjbattiölfem, 3U 
ben Bingen, 3U ©ott unb der EDelt, ein Unsoerjenfen in uns felbet unb eine 
jdjatfe Klarlegung unb flbgren3ung unjetes EDejens gegen alles $tembe. 
Bte Kriegsliteratur fpiegelt bas treulich miber. 

Dorttefflidj bat bie pon (Englanb glän3enb organifierte Jje^prefje unjetet 
Sembe oerftanben, unter mecbjelnben Scblagroorten bie Hielt gegen uns auf* 
3 utübren. 

Kaum mar bas Sdjlagmort, bafj man uns megen bes Heutralitätsbruches 
gegen Belgien befampfen müfje, burcb unjere $unbe in belgijdjen fltdjioen 
a 3U jcbäbig, ja lächerlich gemorben, jo batte man fchon miedet eine neue 
tofung 3U meiterer ^e^e bereit: man mufete ben Kampf gegen uns führen 
im Hamen der „ 3 milifation", gegen uns „Barbaren". 3 dj habe biejen Begriff 
e * ^ ™iation, ber unferen $einben Dorfdjmebt, unb feinen ©egenfab nirgends 
mct ferneren ©ebanfen erläutert unb tiefer ergriffen gefunbenjtlsjn einem 


ffir wl «?r J ÜI d ^ t ',.? anIoiinismus ' P an fl < n>ismus unb panteutonismus in ihrer Bedeutung 
t? KelUr * 32 C S in **1 * ® e ** ra ® ^ ut eut opäi[d}en Staatenfunbe. giantfuri a. Bl. 1914. 



Don $riebridj panjer 


117 


fluffafce »on Iljomas fltann 1 ). Unfete ©egner reben immer oon 3 ioilifation 
als bem ©ipfel menschlichst Deroolllommnung; uns märe bies tDort piel 3U 
nüchtern unb befchtanft, 3U politifch unb äufeetlid), als. bafe es unferen „tDunfcf}" 
3U faffen permödjte. IDit toünfchen Kultur 3U eigeugen unb 3u befihen. 3 ioi* 
li|ation i|t Der|tanb f flufUatung, Sättigung, Sittigung, ©eift: |d}ä$bate Dinge, 
aber nicht bas Jjödj|te. Kultur bagegen i|t ©efüljl, £eiben|djaft, Snnerlichleit, 
Sittlichfeit, 3 ioilifation unb Kultur oerbalten fich 3ueinanber toie Dernunft 
unb Dämon, ®eift unb ©enie, bürgerliche Sättigung unb t?eroi|d?er Pflichten* 
btang, wie Stiebridj bet ©tofee unb Doltaire, toie — Deut|d)lanb unb $tanl* 
reich. Hut bie Kultur hat barum innere Be3iehung 3um Kriege, bet ein unser* 
{ähnlicher $einb bet 3 ioilifation i|t; bet Kultur lann er 3um Befreiet toerben. 
©b ein Doll wafychaft triegerifch i|t, bas 3eigt |id} baran, ob bet Krieg es oer* 
fdjönt ober oet3ertt: man fehe Deutfcfjlanb unb feine ©egner in biefem Kriege! 
lUit un|erer Kultur bängt eben auch unfet Solbatentum feelifch 3ufammen; 
unfer Ittilitatismus i|t in tDahtbeit $otm unb ©t|d}einung ber beutfdjen 
Utoralität. 

mit biefem Utilitarismus haben auch un|ere ^odj|djulcn in einer feiet* 
liefen ©tllätung, ber glüdlid)|ten pon mehreren, bie fie ergehen liefen, fich aus* 
brü(flieh ibentifch erflärt, als einem flusfluffe besfelben tDe|ens, bas auch in ihnen 
lebt. Unb allenthalben |inb ihre Cehrer heroorgetreten, um in Reben unb Ruf* 
lä^en heutige Sbeale 3U. erläutern unb 3U oerteibigen. 

©ine Reihe pon Dorträgen, bie ptofefforen ber Berliner Uninet* 
fität in oetfehiebenen Dierteln ber fjauptftabt pot taufenbtöpfigen 3uhötet* 
fchaten gehalten haben, i|t fet)t in Buchform gefammelt etf<hienen s ); eine 
Summe non ©eift unb Kenntniffen unb Daterlanbsliebe ift in ihnen lebenbig. 

Sn ben beiben erften Reben oon U. n. XDilatnotoiij «Utoellenborf 
unb ©. Roethe pul|t noch bie leibenfchaftliche ©ttegung ber erften Kriegs* 
wichen, bie bet eine mehr non ber menfchlichen unb perfönlichen, bet anbere 
oon bet politifchen unb oöllifchen Seite fafet. f). Delbtüd unterfucht |<hon etwas 
tühler ben „Iriegetifchen Sinn bes heutigen Dolles" unb bie ©ntwidlung 
feinet Kriegsorganifation bis in bas gegenwärtige Dollsheer hinein; inbem 
©teue, ©apferleit unb ©üdjtigleit non getmanifchen 3 eiten her |i<h h^Ü« 
wöärt lieh bie erftaunliche ©atfache, bafe „mit einem Schlage ein Doll non ftieb* 
liehen Bürgern unb Bauern fid} in ein £j cct D °n unwiberftehlichen Kriegern 

1) Ileue Runbfäau, 1914, Rooemberheft, S. 1471 ff. [Rach ben befannten Iffittei* 
hingen £. (Sanghofers aus bem Hauptquartier hat unjer Kaifer jicfy Jürjlidj gefprächs* 
weife übet ben berührten CSegenfah mit berfeiben CEinfidjt geäußert.] 

2) Deutjdje Reben in fchtoeter 3eit gehalten oon ben profefloten ber Berliner 
Unioerjitäi 0 . K)ilamotPih*Hloellenborf, Roethe, 0 . ©ierte, Delbrüd, Cajfon, 
»•hatnad, Kahl, Kühl, Kipp, Sering, Deifemann, o. £if 3 t. f)ixausq. o. b. 3entral* 
(teile f. Dolfemohlfahtt u. b. Der. f. oolfstüml. Kurfe o. Berl. Hochlh u fl e h TCin ’ Detlin 1914. 

hegmanns Detlag. XII u. 350 S. IU. 4,—. 



118 


Kricgsliteratur 


oetroanbeln tonnte". (D. o. (Bierfe unterfudjt bas Derfjältnis oon Krieg unb 
Kultur. (Er fdjilbert ben fulturförberrtben (Einfluß bes Krieges unb malt aus, 
meldje $olgen bie Dorfjerrjcfjaft ber oerjüngten beutfdjen Kultur nadj aufeen 
unb innen 3eitigen müfcte; er fielet uns im 3nnern oor allem „3U bem alt 5 
germanifdjen (Bebauten ber Derbinbung oon Königtum unb Dolfsfreifjeit, ben 
fdjon Hacitus als Sonbergut ber (Bermanen erfannte, nadj mancher 3rrfaljrt 
3urüdgefeljrt". fl. £affon gibt eine feljr an3iel}enbe Sdjilberung oon beutfdjer 
Art unb Bilbung, bie iljn ein Ijoljes £ieb auf beibe fingen Iäfct. 3rf? mödjte Ijier 
nur anbeuten, roas er über bas tDefen bes beutfdjen (Beijtes ausfüljrt. (Et 
finbet feine (Eigentümlidjfeiten in ber Derinnerlicfjung, ber Dertiefung bes Der 5 
tjältniffes oon Perfon unb Sadje, ber Beteiligung bes (Bemütes. Sie malten 
ben Deutfdjen ftets 3um 3 bealiften, toeil eben feine Art immer auf bas JDefen 
ber Sadje gerietet ift. „Solcher 3 bealismus entfernt fidj nicfjt oon ber tDirtlicf} 5 
feit, fonbern bringt in fie ein. Der 3 bealift fielet bie Sadje, toie fie toitflid] ift; 
benn bie Sadje felber ift ibeal." (Eine foldje Betrachtung befeelt bie gegen 5 
ftänblidje XDelt unb bamit audj bas Derfjältnis 3m Hatur. Sie er3eugt unfre 
innige beutfdje ZTIufif, fie gibt uns aber audj ben 3 ug ber EDaljrljeit, ber uns 
oor unferen (Begnern aus3eidjnet. Sidj berart fadjlidj 3U galten, roirb ber 
Deutfdje fäfjig, toeil er nidjt oom flffefte fortgeriffen roirb, nodj oon ber pijan 5 
tafie, bie 3toar fräftig genug ift, bodj ben Derftanb nidjt unterbrüdt. Die gleidje 
Derinnerlidjung 3eigt bei uns bas Derljältnis oon Perfon 3U perfon, in ber 
Sreunbfdjaft, in bem Greuoerljältnis oon ITtann unb Ejerrn, Dolt unb $ürft, 
DTann unb tDeib. fl^nlidj ftetjt ber Deutfdje 3U feinem (Bott, 3U feiner Religion, 
afjnlidj in ber XDiffenfdjaft, ber in Deutfdjlanb peinlidjfte Prüfung unb Sorgfalt 
eignet, ein Selbflfetjemoollen unb Sidjüber3eugen bis 3ur Querföpfigfeit, ein 
l?ang, alles 311m Syftem aus3ubilben, ber uns fdjtoerfällig unb müljfelig madjt. 
me £etnbegierbe ift uns eigen, bie in Rafye unb $erne alles fidj 3U3ueignen 
. ' *!. ne unb giftige IDanberluft; ein ausge3eidjnetes Sdjultoefen, 

etne g an3enbe unb freie roiffenfdjaftlidje $orfdjung finb baraus ermadjfen. 

U -i.x Un Ct ^ eer unb un ^ ere Slotte finb letjtlicfj bas (Ergebnis foldjer (Beiftes 5 
madj e. — fl. 0. fjarnacf fdjilbert „roas mir fdjon geroonnen haben, unb roas 
mit nocfj getoinnen müffen". Das Daterlanb Ijaben mir gemonnen; „jebet 
üeutfdje ift Deutfdjlanb, Deutfdjlanb ift in jebem Deutfdjen". Das Daterlanb 
ift uns mtebet ein 3 beal geioorben, toeil es roieber ein 3 iel gemorben ift; benn 
geiftige, ibeale (Büter finb immer nur als 3 iele unfer (Eigentum; fic müffen 
immer neu oermirflidjt toerben. IDir fjaben Sreitjeit, (Bleicfjljeit unb Btüberlidj 5 
imi, ° enn Reifet: „bas mit $reube unb gan3et fjingebung 

flu* c - et • Un> 0505 man * un bas * urt mollen, mas man tun mufe". 
«uaj ijtommigteit Ijaben mir errungen, benn bie ift {jöfjetes, inneres £eben über 

unb m \ i! lT T Un9 Unö 2at ' 2r 9 ebun 9 unb Selbftlofigteit, lautere Demut 
u • nb mir haben nodj 3U geminnen, bafc unfer Dolt nidjt noch ein 



Don $rtebrid| pa«3« 


119 


3weitesmal erleben muß, was wir heute erleben, baß wit ausbarren, baß wir 
oerträglidjer unb jittlidjer werben. TD. Kaljl faßt in feiner Rebe „Dom Recht 
3um Kriege unb bem Siegespreis", bie auch übet griebensbeftrebungen unb 
iffte ©te^en fpricht, am Schluffe noch einmal 3ufammen, was uns nottut. 
„TDit bemalten ben ©lauben, ben Däter uns überliefert hoben. Aber wir 
machen Heligiöfes nicht mehr 3um ©egenftanbe gehäffigen inneren Streites, 
benn wit haben in ber Stunbe ber Rot alle 3U einem ©otte auf ge jehaut. TDit 
führen ben großen Bau ber gefellfchaftlichen Btuberhilfe unb ©erecfjtigleit 
unoerbrojjen weiter, auch ohne Dan!. Denn wir haben gefehen, baß wir un* 
befieglich finb, wenn alle für einen ftehen unb einer für alle. TDit jeßen unfete 
©ageslämpfe um Recht unb politif, um ©efeßgebung unb Regietungsweife 
bes Staates mit ehrlicher Übet3eugung unb aller ©nergie ber Pflichten fort. 
Aber leinet 3weifelt mehr an ber oaterlänbifchen ©efinnung bes anberen unb 
fdjilt ihn einen geinb bes Daterlanbes. Denn alle waren bereit, fürs Dater* 
lanb 3U fterben. TDit oeraehten, bas gtembe nadtfuäffen unb btaußen alles 
beffer 3U finben als baheim. Denn wir finb ftol3 unb gtüdlich geworben, 
Deutfhe 3U fein. (Einig wie am 4 . fluguft unb treu ber Stimmung biefes 
großen Sages, bas wate bie innerliche grucht, bas ber Siegespteis." — 
fl. Riehl unterfudjt bas Derhältnis oon 1813 unb 1914 , wobei bem Philo* 
fophen naturgemäß gierte in ben TTtittelpunlt tritt, ©h- Kr pp befpri^t bie 
„fllacht bes Rechtes" in einet auch ben Citerarhiftoriler feffelnben TDeife, ba 
mehrfach berühmte Rechtsfälle aus ber Dichtung hetange3ogen würben, 
m. Sering fhilbert Urfachen unb weltgefchichtliche Bebeutung bes Krieges 
00m roirtfhaftlichen Stanbpunft. fl. Deißmann fragt, was bet Krieg ber Re* 
ligion geleiftet habe unb bie Religion bem Kriege. Der Krieg hot bie Religion 
fließt nur wieber erweeft („bie Religion hot mit bem Kriege nicht ihren Ban* 
lerott erlebt, fonbetn ihre Rtobilmachung") unb geftärft, fonbem auch innerlich 
beeinflußt: et machte fie nationaler, beutjdjer, gaj» ihr ßeroifchete 3üge, unb bas 
ift bie wahre ©eftalt auch bet Religion bes Reuen ©eftamentes, bie nicht fo 
füß fentimental ift, wie man fie wohl hrrrftellen wollte. Sie ift oielmehr „ein 
Dennochsglaube, fie oerlangt ein ©infeßen ber gan3en perfönlidjfeit unb bie 
Bereitfhaft, bas eigene £eben hiit3ugeben, fie ift ein Kriegsbienft, fie ift TTlät* 
tyrerreligion, geweiht butd} bas Blut ihrer Belenner, fie ringt, bie gitti^e ber 
©wigleit entgegenreefenb, um eine heilige 3ufunft, fiegesgewiß erhaben über 
bie TDelt unb ihre Bosheit". Den Schluß macht d. £if3ts Rebe über bie Ribe* 
lungentreue, bie unfer Bünbnis mit öfterreich erflärt unb rechtfertigt. 

fluch bet £eip3iger Philofoph TD. IDunbt wenbet fich mit größter Scharfe 
9egen ©nglanb unb feine lügnerifclje pfeubomotal in einer Rebe 1 ), bie ähnlich 
wie Riehls D ortrag jehon im ©itel an gichte anlnüpft. Da ift es fehr willfommen, 

1) TD. IDunbt, Übet ben wahrhaften Krieg. Rebe, gehalten in ber fllberthatle 311 £eip® 
n am 10. Sept. 1914. £eip 3 ig 1914. fl. Krön«. 40 S. IR. 0,50. 



120 


Knegsliteratur 


bafe uns oom UTeinerfchen Derlag gleid^eitig ein feht Ijübjcfyet getreuet Hach* 
brudoon gidjtes Dorlefungen „über ben wahrhaften Krieg" befeuert wirb 1 ). 

Aiis ber Sammlung politischer $lugfchriften, bie S. 3 odh h^bus* 
gibt, möchten wir brei fjefte Ijerausfyeben*). ©. ©raub jagt im 4 . Ijeft manches 
Seine übet bie feelifdjen Stlebniffe, bie uns ber Krieg als ei^elnen u>ie als 
Doli gebraut bat, gebracht in einer ©emeinfamheit unb ©leichbeit, bafj Staub 
mit Recht bie $tage auf wirft: „©ibt es beute überhaupt noch eine ei^elne Seele? 
3 ft nicht alles 3m IKaffenfeele geworben?" Unb bo<h ijt au<b bie <Ein3eljeeIe 
eben je%t Sorgfältiger pflege bebürftig; Staub fdjilbert fdjön, was fie 3U leijten 
bat unb leiftet in biefen Sagen, wo ein jebet ohne Dorbereitung geprüft wirb unb 
3U 3eigen bat, ob er ein Kerl fei. Sr 3ei<hnet auch bie ©efabr, bie uns bebroht, 
bie ©efabr bet Dettohung oot allem, oon bet er wobl mit Recht fagt, bafe fie 3U 
tjaufe gtöfeet fei als im Selbe, ba bort ber Srnft bes rinnenben Blutes als St* 
3iebet am IDerfe ift. Beifall rufen wir bem Detfaffet aber oor allem, wenn et 
als Srgebnis bes Krieges erhofft, bafj er uns Deutfdjen eine gtofee Aufgabe 
befcheren möge.— fj- ©nden ruft im 6. tjefte, bie Deutfchamerifaner, auf grünb* 
liehet Kenntnis ihrer ©efebichte fufjenb, mit hinteifeenbem Schwünge 3um Bet* 
ftanbnis für unfete Sache auf. Don bem Utilitarismus, mit bem unfere $einbe 
bie neutralen ängftigen möchten, fagt er: „St ift bie böchfte Daterlanbsliebe, er ift 
wahrhafte Demofratie, in bet Prisen unb ©emeine in Reib unb ©lieb neben* 
emanber fallen, et ift wahrhafte Utenfchlichfeit, benn er holt aus bem ein3elnen 
ben echteften Kern beffen, was er wett ift, heraus, er ift bie ebelfte Stfüöung bes 
fategorifdjen Smperatios." — R. Süden fragt in feinet Betrachtung übet ben 
beutfdjen ©eift, ob wir benn in tüiberfptud} mit unferem innerften IDefen 
geraten feien, als wir, etwa feit ben 30 er 3 aljten bes 19 . 3abtbunberts, febt 
3um Derbtuffe unferer gegenwärtigen $einbe, uns „aus bes 3beales Reich", in 
bas wir bis bahin uns gerne geflüchtet, ber fid)tbaren IDelt 3U3uwenben be* 
gannen. Die Antwort ift eine*entf<hiebene Derneinung. IDit hoben mit biefer 
tDenbung nur einen wefentlichen 3 ug unferer Ratur neubelebt unb 3U einet bis 
bahin unerreichten höbe gebracht. Denn wir finb oon je nicht nur ein waffen* 
fähiges, triegerifchesDolt gewefen, fonbern auchgtofein benlDerfen bes$riebens; 
man brauet nur an unfetemittelalterlichenStäbte 3U erinnern, unfete Ceiftungen 
für ben Sanbbau, bas $orftwefen, unfere Stfinbungen in ber Buchbruderfunft, int 
©ef<hüt$wefen, unfere ©rganifationstätigleit im beutfcben Ritterorben, in ber 
hanfa. Sreil id) aber waten wir 3uglei<h immer ein innerliches Doll. Das 3eigte 


3obatin ©ottlieb Sichte übet ben Begriff bes roaf)rf)aften Krieges, flnfäliefeenb: 
Hebe oti feine 3ul)örer bei flbbredjung ber Dorlefungen am 19. Sehr. 1813. £eip 3 «g 1914. 

(f? Q uptroerle bet pijilof. in originalgetreuem Heubtud VI.) Hl. 1, • 
2) poltttfdje $lug|d)riften betausg. d. <£. 3ädf). Stuttgart*BerIin 1914. Deutfd?e 
n!!Si an ! al L 4> ® >iItaub - Oer Krieg unb bie Seele. 26 S. — 6. t)eft,> ©nden, 
A^!r1 ÖS J®f It!ttc 9 u - bie Deutfdfameritaner. 23 S. — 8. fjeft, H. (Euden, Oie roelt« 
g |d}td}thd}e Bebeutung bes heutigen ©eiftes. 23 S. 3e nt. 0,50. 




Don $riebridj pmqer 


121 


fidjoorfnals not allem in öet Religion, jetjtaudj auf oielen anbeten ©ebieten. 3 ri 
ber pijilofopljie, wo Deutfdje fidj nidjt blofe übet bie Hielt orientieren, fonbetnin 
fünften Dorftöfjen fie oon innen heraus 3U oerfteljen fudjen unb bie ©ebanfenin 
gewaltigen Syftemen auf bauen. 3 n bet <Er3ie1)ung, woDeutfdje in bet Kinder? 
literatut wie imKinöetfpie^eug allen anbeten Böllern ooranfteljen, roeü fie me^t 
als anbete fidj in bie Kinbesfeele 3U oetfeljen oetmögen, in ber Kunft, in bet 
IKufil. Deutfdje Arbeit ift ebenanbets als anbete; fie fdjafft aus innerer Hot* 
wenbigleit, bas mad)t uns roaljtfjaft; fie wirb uns um iljret felbft willen wett? 
ooll, nidjt blofo als Htittel 3um 3 ®ed, unb ber gan3e ZTlenfd} legt fiefj in fie Ijin* 
ein: barum ift fie fo fotgfältig unb grünblidj. Unfre Seele oerlangt biefe Arbeit, 
beim wir wollen uns nidjt in erträumten Hielten oetHeten, fonbem bie H)irt> 
liefert in ein Heid? bet 3 nnerlid)feit oerwanbeln. So finb oon je unb ie unfer 
Diäten unb Denfen wie unfer fdjaffenbes mitten nur 3wei Seiten unferes 
DJefens, bie fid) gegenfeitig fudjen unb ergäben; burdj biefe ein3igattige ©rö&e 
ift bet beutfdje ©eift oon weltgefdjidjtlidjet Bebeutung. 

Audj einige Rettoratsreben beutfdjer fjodjfcfjulleljret fragen inunfer 
®?ema. Unmittelbar 00t Kriegsausbruch nodj ^at A. (Eartellieri in einer 
3 enaer Reftöratsrebe 1 2 ) bas Derljältnis 3wifdjen $ranfreidj unb Deutfdjlanb 
gejdjidjtlid} bargeftellt. (Er 3eigt, wie biefe £ anbei oljne natürliche ©ren3en unb 
o^ne natürliche Derfdjiebenheit ber Bewohner (f}iet fetjen wir, an bie Kelten 
benlenb, oielleidjt ein $rage3eid)en) ihre (Eigenart erft in bet ©efchidjteempfim 
gen unb nun nahe benadjbart unb oerwanbt, oetfeinbet waren, wenn nic^t 
feit ben Hagen Ariooifts, fo febenfalls feit ben 3 eiten bes larolingifdjen ©rofc 
teiges unb feinet Heilung; feit im 3 al}te 876 bei Anbemadj 3um erften lUale 
Sran3ofen unb Deutfdjeum bie Rheingten3e fidj ftritten, ift biefer Kampf nid?t 
meljr 3m Ruhe gelommen. Dafj bamals fdjon bie ©ftfranfen fiegten, fei uns ein 
9utes 3 eid)en! Die bauemben Reibungen unb Kämpfe tarnen jebodj erft auf, 
feit Deutfdjlanb in fid? fdjwadj unb uneins geworben war. Hartellieri oerfolgt 
bie Bejahungen wefentlidj in fjinblid auf ihre politifcfje Bebeutung, ba et bie 
fulturellen aut gelegentlich ftreift. (Er fdjliefet mit bet für ben Deutfdjenbe* 
jeidjnenben Aufforberung an bie Stubierenben, friedlich wiffenfdjaftliche (Et? 
oberungen 3U machen unb einem hoffnungsreichen Ausbiid auf Derftänbigung 
iu tolonialen $ragen, burdj bie bie Reibungsflächen fiefj oerminbem würben. 

A. Käfters £eip3iget Reftöratsrebe*) geht oon bem wedjfelnbenDerhältnis 
wis» in bem bie Unioerfitäten Deutfdjlanbs 3um Kriege ftanben, unb feinem 
©ibetfdjeine in bet Dichtung. Sonft wat er ihnen nur unliebfame Störung des 

1) fl. (tartcllicri, Deutfdjlanb unb $ranfretd} im tDanbei ber 3ab r * au f en ^ e - Hebe, 
gehalten jur Seiet ber alab. preisoerteilung in 3ena am 20. 3uni 1914. 3ena 1914. ©uft. 
Silber. 28 S. 4°. IR. 1,—. 

2) fl. Köfter, Der Krieg u. bie Umoerfität. Rebe bei flnttitt bes Reftorats am 31. ©fto* 
bet 1914 - 3nfeI«D erlag. RI. 0,50. 



122 


Kriegstiteratur 


Unterrichts; erft {eit Öen lagen $rieörihs öes ©rofeen nötigte et ihnen inneren 
Anteil ab, aber immer öoh erft nur öutdj öie ehyelnen IDaffentaten unö öie 
Petfon öes großen Königs. XDie öie Be{ten öer Kation übet Öen Krieg öadjten, 
3eigen öie Dichter. Rieht 3toar ©oethe, öer gan3 untriegerifhe, aber öie 
fölöatifhen Klopftod, Schiller, Kleift; ihre Dichtungen ahnen unö pteifen 
jenen heiligen Krieg öer unabroenöbaren Kotroehr, in öem öas Dolt felbft 
{ein Blut oergiefjt. Die{e ©raume erfüllte öer $reiheitstampf oon 1813 unö 
größer noch unfer gegenwärtiger Krieg, Öen mohl auch gegen 25 000 Stuöenten 
begeiftert mitfechten. Schule unö Unioerfität öürfen {ich ein getoif{es Deröienft 
öaran 3ufpred}en, öafe öiefe ©aufenöe in felb{toer{tänölicher Pflichterfüllung 
hinaus3ogen; öer flnblid öiefer opfetfreuöigen 3 ugenö legt öer Unioerfitat 
aber auch öie emfte Pflicht auf, ftreng 3U prüfen, ob in ihren (Einrichtungen 
nicht manches 3U änöetn, 3U erneuern, mancher 3 <>Pf ab3ufchneiöen fei. 

fluch fl. ©. Berget roiömet {eine Kettoratsreöe 1 ) öem Kriege. Uns erhebt 
öie Übet3eugung, für eine 3 öee 3U tämpfen, tun öas aber nicht am (Enöe auch 
unfere $einöe: $tanfreih für öie Reoandjeiöee, Kufelanö für Öen panflaoismus, 
(Englanö für öie 3 öee {einer unbegren3ten See* unö tjanbelsherrfhaft? Diefe 
Stage fönnte nur oon öem bejaht toetöen, öem nach läffigem Sprachgebrauch 
jeöes beliebige Denten unö tDähnen eine 3öee i{t. Ki<ht aber öann, toenn wir 
öas IDort in jenem tiefen unö fhroeten Sinne nehmen unö jener oollen Seucht* 
traft, öie es im 3 eitalter öes 3 öealismus erhalten hat. „ 3 n öiefem 3eitalter 
öes 3 öealismus, öer uns Öen neiölos anertannten Dorrang im europäifhen 
©eiftesleben fieberte, hat öas öeutfhe Dolt feinen flöelsbrief ertoorben: öer 
©laube an öas Reih öer 3 öeen, an öas, toas über uns ift, gab ihm jene XDelt* 
Überlegenheit, öie Öen Rtenfhen eben öaöuth 3um geiftigen tjerm aller 
Dinge mäht, öafe fie ihn nicht felber 3U einem Ding unter Dingen hetab{infen 
läfet, 3U einem Spielball aufjetperjönlihet Kräfte, fonöern ein. Unbeöingtes, 
Shöpferifhcs in ihm toah erhält, öeffen U)e{en öas $otmen, prägen unö ©e* 
ftalten öer Dinge nah innerlich erlebten Kotroenöigteiten ift." Überfihtliä? 
entroidelt Berget, wie öie 3 öeenlehre in Deutfhlanö Öen Rationalismus auf 
öoppeltem IDege übertoanö. Duth öie Kantifhe Philofophie, öie uns nah wies, 
öafe nicht in öer finnlihen ©rfahrungsroelt, {onöem in Öen 3 öeen öas roahrhaft 
IDirtlihe, öas Betoegenöe unö Shöpferifhe in öer XDelt liege, unö öutdj öie 
(EntmicDungslehre, oöer Sehre oom organifhentDeröen, toie 00t allem fjeröet 
unö ©oethe fie oertünöigten: unfer U)e{en 3ugleih in Katur unö ©efhr<h^ e 
oerantert, 3iel für alle ©eiftes* unö tDillensbilöung öie 3öee öer tjumcmität, 
öer organifhen (Einheit oon Katur unö ©eift. 3 n {olhem Sinne hat tlaffifhet 
toie romanti fher ©eift fih bemüht, im (Enölihen öas Unenölihe, im Beöingten 

>.i 1 - D ‘ C f eierIid)e öber 9 “be bes Reftorats an 6er grofeh- (Eedjnijdjen {jodjf^ule ju Oarm' 
ftabt für bas Stubienjahr 1914/15 am 20. ©ft. 1914. Darmftabt 1914. <L. $■ tDinterfdje 
Budjbrudetei. 48 S. 



Don $rie6ricfj patter 


128 

das Unbedingte auf3ut»eifen, in jedem fllenfdjen, jedem Kunftroerl das 
©alten einet nid)t überweltliclfen, abet übetfinnlidjen 3 dee 3U erlernten. 
„ 3 n diejet ©eiftesnerfaffung unweit die unbeirrbare Sadjlidjleit, die eine 
der Ieudjtendften Dot3üge deutfäen Sotfdjens, Handelns und Bildens ift. 
Die fran3ö|ifd?e Kultur, als die eines ausgefptodjen gefelligen Dolles, ift gan3 
überwiegend auf formale tDerte gerietet, die englifdje als die eines ausge* 
fprodjenen ©efdjäftsoolles, wefentlicfy auf Hüfelidjleitsmerte; beide feljen die 
Dinge weniger auf das an, toas fie find, als auf das, roas fidj aus iljnen machen, 
mit iljnen anfangen läfet. Hur der Deutfdje ift jenes gan3 einfamen Derfetyrs 
mit den Dingen fäljig, der iljnen das ©eljeimnis ilpres EDefens abfragen möchte 
bis auf den ©rund, in jedem möchte et die in iljm waltende 3 dee »erftefjen 
lernen." Die Romantil Ijat diefe Sdeenlefyre aucf} auf die gefdlfdjaftlidjen 
Dafeinsformen in Staat und Kirdje übertragen, $id}te füfjrt in die nationale 
3 dee hinein, ©s toat der Adel diefes Rationalitätsgedanlens, dafe er fo tief im 
fittlidjen, ja im teligiöfen ©rieben »eranlert mar, es mar feine Sdjmädje, dafe 
ÜJtn nodj jede Regung nationalen Htadjtroillens fehlte; die gab ilpn erft der 
fjerrfdjerroille Bismattfs. Ritt ifym beginnt das 3 eitalter der Realpolitik das 
3ulefet fd)on in ©efafyr 3U geraten fcfyien, in der Anbetung des Hüfelicfyen auf3u= 
ge^en und den fittlidjen und teligiöfen Idealismus mie eine Scfjroadjljeit 3U 
belächeln; der Krieg Ijat ifjn mit einem Silage roiederljergeftellt und Ijeute 
find mir Deutfdjen nodj immer das Doll der meltgeftaltenden 3 deen, not 
dem fidj eben jefet die Pforten auftun fotlen in das größte 3 eitalter feiner 
©efdpdjte. 

Uhd unfete ©egner? gtanlteidjs gefamtes fjandeln mitd »on der „Re* 
oandjeidee" beftimmt. Sie foll ilpn die glan3t)olle Uladjtftellung mieder »er* 
fdjaffen, die 1870 endgültig 3ufammengebrodjen ift. Der fdjmeidjlerifdje tDaljn, 
feine Kultur fei immer nodj die erfte der IDelt, gab ifjr den feelifcfyen Sdjroung; 
fie ins U)etf 3U fefeen (?at $rantreid} fid) an feine Bundesgenoffen »erlauft, 
das war leine 3 dee, fondem „ein flimmernder Selbftbetrug, ein 3 dol, dem es 
3ur 3 dee an einem metapdyfifdjen Hintergrund fehlte, deffen 3 nl}alt »ielmeljt 
9an3 und gar itdifd), namlidj ©itelleit und Selbftanbetung mar." Der panfla* 
»ismus lönnte eine 3 dee fein, aber mie Rufeland ifyn 3um politifdjen Syftem 
gewendet, Ijat er jede Spur überperfönlidjen und metapdyfifdjen ©eljalts 
»etloten. Die 3 dee der britifdjen RTeeresljetttdjaft abet ift eine blanle Rtadjt* 
und ©eldftage oljne jeden metapljyfifdjen Unterton. Der Derfaffer fdjliefet 
feine geiftreidje und fdjroungoolle Rede mit einem 3 ulunftsgentälde, »on dem 
wir hoffen wollen, dafe der Ausgang des Krieges feine Derwitflidjung er* 
mögliche. 

Als das ©indrudsoollfte der gefamten Kriegsliteratur, mie fie in diefem 
elften Artilel 3U befptedjen ift, mosten uns fdjliefelidj die Auffäfee »on Ijoufton 
Stewart ©ljambetlain etfdj einen, die 3unäd}ft in »etfdjiedenen 3eit* 



124 Kriegsliteratur 

fdjriften 3erftreut, 3. ©. auch noch ungebrucft, jetjt in einem Sammelbanbchen 
erjdjienen find 1 ). 

Oer ©egenfatj Oeutfchlanb — (England fteht begreiflich im Ittittelpunft bet 
Betrachtungen des geborenen (Engländers; er ijt ja auch wirtlich bas A und© 
aller (Erwägungen unb (Taten biefes Kriegs. Unter ben oerfdjiebenften ©efichts* 
punften werben bie Dölfet einander gegenübergeftellt, in ihrer Anlage, ihrer 
©efdpchte, ihren Ceiftungen, Ueigungen und 3 ielen. Oer Dergleich fällt nicht 
3um Dorteile (Englands aus. U)ie Keulenfdjläge fallen die SeftfteUungen des 
Detfajfers auf bas 3 nfeloolf, erbarmungslos wirb ihm bie heuchlerifcfje ITlasfe 
non bet Stirne gerijfen. 

(Es befteht für ben Derfaffer lein 3 weifel, bafj (England biefen Krieg 
herbeigeführt unb non langer tjemb oorbereitet hat, ben in Oeutfchlanb fein 
Utenjch wollte, am wenigften—©hamberlain tann es aus petfönlicher Kenntnis 
oerjidjem — bet Kaifet. 

Dergebene Blühe aber, bie Urfache biefes Kriegs in der ©efdjichte, in der 
Dergangenheit 3U juchen. Sie liegt ausfchliefjlich in der ©egenwart, unb 3war 
ift bie einige Schuld Deutfchlanbs, bafe es — befteht. Dafe Oeutfchlanb politifch 
unb wiffenfchaftlich empotgefommen, bafj es — unoet3eihlichftet $teoel — gat 
auch reich geworben ift, bas ift fein Derbrechen, bas hat ITCifcgunft, Keib, (Eiferfucht, 
ohnmächtige tDut in (England erregt. 3 u fehr eben war Oeutfchlanb als irgendwie 
ernft 3U nehmender Begriff ben tDefteuropäern aus ben Augen gefdjwunben. 
„Oeutfchlanb galt ihnen hauptfädjüch als ein harmlofes £anb, wohin man in dem 
behäbigen Alter, wo ©idjt* unb Cebetleiben fich einftellen, Brunnen trinfen ging. 
3t h erinnere mich, als wie oorgeftern, bet Schilderungen, bie man mir als Kind 
oon Oeutfchlanb gab: not jedem häufe ftünbe ein TTtifthaufen, unb auf bemlflift 5 
häufen fäfjen barfüßige, halbverhungerte, halbnacfte Knaben unb läfen Stiller." 
Unb wie bequem war es, mit feinem Oeutfchlanb als irgendwie bauerndem 
$aftor rechnen 3u müffen! Unb nun auf einmal feit 1870 bieje (Entwicflung! 

Ulan fühlte fich irr dem Ejeiligftcn, bas der ©nglänber befitjt, in feinem 
©elbbeutel bedroht. Denn bafc bas (England der lebten 3ahrhunberte niemals 
ems anderen ©rünben als ben niebrigften pefuniäten gehandelt hat, erweift 
je es Blatt aus bet ©efdjichte biefer 3 eiten, unb trotj aller heuchlerifcfjen Oor» 
fptegelungen hat man dies ftets erfannt. „jedermann", fagte ©oethe, „fennt 
te Deflamationen der (Engländer gegen ben Sflanenhanbel, unb während fie 
uns weismachen wollen, was für humane Blajimen folgern Derfahren 3U* 
gründe liegen, entbeeft fich i c ^t, baf} bas wahre ITtotio ein reales (Dbjeft fei, 
ohne welches es bie (Engländer befanntlid) nie tun unb welkes man hätte 
wtfjen follen. Aus fjabfudjt wurde (England, wie Kant fagt, „bet gewaltfamfte, 

St - <E ^ amberIai ir Kriegsaufläfce. Deutfdje griebensliebe. Deutle Steift. 
S Btutfmann * t*^ tenbct ®elt{toat. Gnglanö. DeutJdjIanö. IRünc^«n 1914, 



Don Stiebrid) Parker 


125 


triegerregenbfte Staat" uhb ohne ben geringften Sfrupel hat es ftets mit anbtet 
Blut feine Kriege geführt. „$üt ©nglanb", fagt ein englifdjer ©efchichtfchreiber, 
Seeley, „ift bet Krieg eine Jrtbuftrie, eine ber möglichen Arten reid^ 3U werben, 
bas blüfyenbfte ©efchäft, bie einträglichfte ©elbanlage." Denn ein triegerifches 
Dolt finb bie (Englänber nie geroefen, fo wenig wie fie etwa oon häufe aus 
ftUjne Seefahrer mären; Klugheit, £ift unb Slrupellofigteit haben ihnen ihre 
Kolonien eingebradjt, nicht (Eroberungen. 

flucf? bem feigen Kriege fudjt ©nglanb nadj gewohnter Art ein fittliches 
tTCänteldjen umju^ängen burdj bie lügnetifdje Behauptung, es lämpfe gegen 
Deutfdjlanb im Hamen bet Steigert. Ulan rebet auch in Deutfchlanb oiel oon 
englif^er Srei^ert: worin befteljt fie in HHrllithteit? Darin, bafe bas £anb non 
einet ©ligarcfyie regiert wirb, einem Konoent ober richtiger Konoentilel. : Det 
König ift eine Puppe, toemt er nicht rote ©öuarb VII. ein Intrigant ift. Die 
hettfd}enbe Kafte aber ift burd) leinerlei geiftige Bilbung über bie Blaffe er* 
hoben. ©ewife gibt es auch in ©nglanb eine oomehme unb freie Bilbung, ja 
manche engltfche ©eiehrte ftellen oielleicht in ihren petfonen unb ihren Büchern 
bie oolllommenfte Kultur bar, 3U bet bet heutige Blenfdj gelangen tarnt; aber 
biefe Bilbung hat leinerlei 3 ufammenhang mit bem nationalen £eben, nicht 
ben getingften (Einfluß auf bie Haltung ber Beoöllerung, auf bie regietenben 
Kteife, auf 3 iele unb DOege bes Staates. Kein burdjgebilbetes Schul* unb hoch* 
fhulroefen hilft hier bas Doll geiftig e^iehen. Bilbung roitb nur gefd}ät}t, 
fofern fie ©elb einbringt; felbft ber gegenwärtige König biefes £anbes „fanb 
bisher fo wenig Blufee für feine humaniftifche Ausbübung, bafj er oor wenigen 
Jalften ben Hamen ©oetlje noch niemals gehört hatte". ©ntfprechenb wirb 
man aus bem ungeheuren Kolonialreiche ©nglanbs nicht einen einigen §unlen 
geiftigen £ebens aufroeifen lömten. Alles nur Diehhalter, Sllaoenhalter, 
BJatenaüfftapler, Betgroerlausbeuter unb allerorten bie Ejerrfd^aft jener un* 
bebingten HHUlüt unb Brutalität, bie überall auftritt, roo nicht Kultur bes 
©eiftes fie bauernb abwehrt. Die 3gnoran3 ©nglanbs ift benn auch nach bem 
Derfaffer, ber ©nglanb lennt, hotrenb; ber Schwebe Steffens fage richtig, bei 
beit ©nglänbem hertfehe „eine abergläubifche $urcht 00t bet Hlitarbeit bes 
©eiftes an menfehiiehen Angelegenheiten". 

©ntfprechenb ift bie englifche Dorftellung oon Freiheit oon leinet Art 
©eiftigleit getrübt. „Der (Englänber oerfteht unter $reiheit, bafe et auf bem 
Hafen fpajieren barf, ohne oon einem Schulmann angefchnau3t 3U werben; bafe 
% leine Htiiitärpflicht hemmt, mit 16 Jahren auf Abenteuer in bie weite Hielt 
aus3U3iehen; bafe er oon Selunba ab bie Schule oerlaffen tarnt, um bei einem 
Hechtsanwalt Schreiberbienfte 3U leiften unb auf biefem H)ege, ohne bie läftige 
Verpflichtung 3U juriftifdhen Stubien nach wenigen Jahren Anwalt wirb ufro." 
Dem Deutfchen abet ift $reiheit ein fittiieher ©ebanle. ©t barf 3wat webet 
übet ben Hafen gehen noch feine Kräfte bem Daterlanb ent3iehen, abet — fo 



126 t)lt tragifrfje 3bee in Sdjilf«» „tDallenftein*' ufro. 

fagte fd?on £uther — „im ©eift unb ©emiffen finb mit bie fUIerftcieftcn ton 
aller Knedjtfdjaft". Oer Deutle hanbelt eben, auch menn er als Solbat bient, 
pöllig frei, meit er bas miU, roas er foll, meil er allenthalben freiwillig fid? jener 
allgemeinen (Drbnung untermirft, hierum Beften aller geraffen ijt. 

3 n ©nglanb tlafft eine unübetbtücfbare Kluft 3rotfchen ber tleinen herr* 
fdjenben Klaffe unb ber grofeen Klaffe, bort märe ein Dolfsheet im beutfdjen 
Sinne fchlechthin unmöglich. Der ©eift bes beutfchen, bes preufeifdjen feeres 
aber ift bet ©eift bes beutfchen Dolles felbft. „Der Auslänber, bet ein Deutfdjlanb 
ohne pteufjen 3U lieben oorgibt, ift—es gibt 3 eiten, mo man bie Dinge beim 
Kamen nennen mufj — entroeber ein Schafsfopf ober ein Schelm", „©fine 
Preußen gäbe es heute überhaupt fein Deutfchlanb mehr unb ohne jene gtofje 
Schule für bie Derehtung oon mahrem Klenfchenmert, hämifch „Klilitarismus" 
genannt, gäbe es fein pteufjen." IDenn Deutfdjlanbs $einbe fi<h jetjt barüber 
entrüften, bafj biefet Klilitarismus ihren räubetifchen ©infall abmehrt, fo ift bas, 
„als menn nädjtliche ©inbtechet fich beflagten, meil bie poli3ei ihren fö fd)ön 
ausgetüftelten plan nereitelt habe unb barübet in moralifche ©ntrüftung ge* 
rieten". Das beutfdje tjeer ift heute bie bebeutenbfte fittlidje ©r3iehungsanftalt 
bet tDelt; „fie er3ieht 3U ©ehorfam unb 3ugleich 3ut Selbftadjtung, 3uDulben 
unb 3U fjanbeln, 3U ©enauigfeit unb 3U ©rfinbung." 

Der $tage, marum Deutfchlanb trofc allebem fo gehabt roetbe, begegnet 
©hamberlain mit Kloltfefcher Strategie butch bie $rage: marum mirb Deutfeh* 
Ianb fo geliebt? Unb et meifj nun aus feinet genauen Kenntnis alles fjöchften 
unb $einften, bas bem Boben unferes Daterlanbes in Dergangenheit unb ©egen* 
matt entblüht ift, fo manches 3um £obe unferes Dolfes unb £anbes unb unfetet 
Sprache nicht ohne Kritif 3U tagen, bas mir hier nicht miebetljolen mollen. 
Denn mir münfehten bringlich, getabe biefe Schrift in ben fjänben jebes Deutfdjen 
3ufehen, bafj er in f<hmerer3eit an bem3eugniffe fich erfreue, bas ein fjodjgebil* 
beter, Dielerfahrenet unb Scharfbticfenber für bie fjerrlichfeit unferes Dolfes ab* 
gelegt hat—nicht 3U felbftgefälligerBefpiegelung unb fattem Ruhen auf bem ©e* 
tanen, fonbem bajj et fich aufgeregt finbe in unetmüblicher treuer Arbeit, bas 
gtofee unb heilige ©tbe ber Däter fich täglich 3U mahrem Befitje neu 3U ermetben. 

Die tragi|dje 3 öee in Schillers „tDallenjtein" unö öas 
Derfjältnis 6e$ BTaj={Efjekla=Dramas 311t (Befamttragööie. 

Don (tatl IDcis in DiUingen (Baben). 

Der Kampf bes ©eiftes mit ber Sinnenmacht unb fein enblicher ©tiumph 
über bie letztere ift in ben flaffifdjen Dramen Schülers bas ©hem® bet tragifchen 
Rührung, bes hofften tragifchen Schmet3es unb ber tragifchen~£uft. H)fr 
haben baher in biefen Dramen immer Jjelben fittlic^er Kraft »otuns, fei es 
nun, baf) fie als Klenfchen fchroach geroorben finb, einen Bruch erlitten h« 6en 



Don Carl tDefc 


127 


unb nun ihre ©hre als fteie (Seiftet um ben Preis iljtes £ebens wieber ^etju« 
ftellen hoben ober als ungebrochene „fd)öne Seelen" (nur in einer ©tagöbie), 
um feinen Bruch ihrer perfönlichfeit 3U erleiben, fofort einen Schwung in bie 
IDelt bes reinen ©eiftes nehmen. 

tDie ift nun aber ber „IDallenftein", bas erfte unb gewaltigfte Bühnen* 
roetf bes burch ben pt?i!ofoph en unb Afthetifer reif geworbenen Künftlers 
im hinblid auf bie tragifche 3 bee 3U betrauten? 3 ft ber $elbhert IDallenftein 
bet fjelb, ben wir im Sinne biefer tragifchen 3 bee als Sieger über bie Btächte 
bes £ebens anfehen fönnen? ©ffenbar nicht. Denn ber £ebenswille als XDUIe 
jur Blocht beherrfcht ihn ja oollftänbig. Unb trotjbem liegt ber ©ragöbie bie 
3 bee3ugrunbe, bafj ber Blenfch bas IDefen ift, welches will, unb nicht, 
bas mufj, unb 3wat ben ftärlften Cebensmächten gegenüber. Denn nicht bie 
Darftellung bet Uatur an fich, fonbern ber burch bie Steifheit regierten Uatur 
ift ein würbiger ©egenftanb ber wahren Kunft. Der Hadjweis biefer Behaup* 
tung führt 3U einet alten $rage, auf bie, foweit ich bie IDallenfteinliteratur 
fenne, eine befriebigenbe Antwort bis jet}t nicht gegeben worben ift, 3ut $rage 
nämlich nach bem Derhältnis ber großen „©pifobe" bes Btaj*©hefla*Dramas 
3um IDallenftein* Drama. 

Die äfthetifche Betrachtungsweife bes Spiels bet Kräfte wirb wohl nur 
3um 3 iele führen. 3 ebe Kraftäufeerung bes Blenfchen, bie bas Beftreben hat, 
ihn frei 3U machen, ift äftljetifch fchön; aber bie hödjfte Stufe bes Afthetifcheh 
liegt im (Erhabenen. Das Äfthetifche ift ein wefentliches (Erforbemis bes ©ra* 
gifchen. Don ber ©ragif IDallenfteins ift aus3ugehen. Sie liegt im tiefften IDefen 
feinet Uatur. 

IDallenftein ift eines ber großen Kinbet ber erbgeborenen Uatur, aus bem* 
felben (Seift wie alle großen IDelteroberer. Sie eigneten alle jenen „Brächten, 
bie bas bunfle Schicffal flechten". Kein äußeres Sdjidfal leitet fein £eben unb 
hanbeln, fein eigenes £jer3 ift fein Schidfal. 3 n feinem IDefen liegt fein Recht 
unb feine Sdjulb, er ift infofem tragifch a priori. 3 n ihm offenbart fich ber 
Shopenhauerfche U)ille 3um £eben in poten3ierter Kraft. Die Subftan3 feines 
IDefens ift jener (Seift bes Urweltgrunbes, bet ftets nur fich fclbft will, bas 
Böfe, bas bie erften Blenfchen 3U $all braute, ba fie ber Solange gehörnten, 
bie ihnen fagte: U)enn ihr meinem Rate folgt, werbet ihr ©ott gleich f*iw- 
Diefes Streben, ©ott gleich fein 3U wollen, hot jene furchtbaren ©eifceln ber 
BTenfdjheit gefchaffen, benen ihre ©pfet nut'ba3u bienten, ihren Blachthunger 
3u füllen, unb beten bämonifdjes Streben erft im Unenblichen enben wollte. 
Aus jenem böfen Urweltgrunb ^ergeleitet hot Schopenhauer jenes furchtbare 
©emälbe bes (Elenbs ber Utenfchheit entwidelt, bas ihn beftimmte 3U behaup* 
ten , öa 6 bas £eben bes Blenfchen feinen Sinn habe unb ber Untergang bes 
Blenfchengefchlechts bas Befte wäre. 3 n biefem IDUlen 3um £eben ift bie Ha* 
tut IDallenfteins begrünbet, baraus fließen alle feine entfeheibenben ©nt* 



128 


Die tragifdje 3öee in Stüters „tDaltenftein“ ufm. 


fdjließungen unb (taten. Diefes innere Agens ift nie in Ruße, es treibt bie 
fmnlidje Hatur immer roeiter voran. Das ©ottgleichfeinwollen tDallenfteins 
brüdt fidj audj in feinem ©lauben aus, baß er ein befonberer ©üpftltng ies 
Sdjidfals fei, bas ifjm bie Sterne oerfünben. 3 u was er fähig ift, bas 3eigte et 
acht 3 at|re votier, als er mit feinen Scharen wie bie Ktiegsfutie butd) Deutfeh* 
lanbs Kteife 30g, fyj^n fptadj allen ©rbnungen bes Reichs unb Recht unb ©e* 
feße niebertrat. Oer 3äger fpriemt fein wahres tOefen aus: 

„(Ein Reidj von Solbaten wollt' er gtünben, 

Oie JDelt anfteden unb ent3Ünben, 

Sich alles oermeffen unb untertoinben." 

Der tiefere ©tunbbes tragifdjen Untergangs tDallenfteins liegt nicht in einet 
ein3elnen Jjanblung, fonbetn in feinem gegenüber einet „teleologifdjen Der* 
traipfung ber Dinge, einer erhabenen ©rbnung" fdjulboollen tDefen. Aller* 
bings ift bet (Ereubtuch bie nächfte Utfadje für ben Abfall bet Armee unb 
feinen.Siur3, aber biefer lag befd^Ioffen in feinem tDefen unb mußte Ijeroot* 
treten, fobalb er für ihn eine £ebensfrage in feinem Sinne werben mußte. 
;tDie Schopenhauer oon ber Sdjulb bes Hlenfdjen im allgemeinen behauptet, 
fie löge nicht in ein3elnen feiner fjanblungen, fonbetn in bet essentia et 
^existentia feines tDefens, in ber Unfchulb, fo tonnte man auch oon ID allen* 
ftein fagen, feine (tat offenbare feine im ©tunbe fdjulboolle Hatur, et mußte 
in biefer £age biefe ober eine ähnliche (tat oollfühten. Alle feine wichtigen 
Ejanbhutgen habenbiefelbe Quelle, aus bet fein Derrat hetoorgegangen. Ritt 
; feinem ©runbwefen ftimmen auch anbere Äußerungen feines (t^aratters 
überein. (Es finb alles $rüdjte besfelben Baumes, (Offenbarungen bes einen 
unb gleiten £ebenswillens. So ift ber böfe Streif, ben er Butler ge* 
fpielt bat, gan3 aus bem ©rmtbe feines ©ßarafters gefloffen, unb et ift tein 
befonberer $led in bem tDallenfteinbitbe, man brauet nicht befonbets er* 
ftaunt 3u fein, wie eine foldje fdjuftige fjanblungsweife möglich w«> 
tDaiienftein ift ffrupellos in ber tDafyl feinet IRiitel, wenn er nur feinen 
: erreicht. IDieer bas tDort ber ©enerale erhält, ift ihm gleichgültig, unb fei es 
:aud} burc^ ben größten Sdjurtenftreid}. Die Doppel3Üngigteit gegenüber feinet 
.Umgebung, ben $üßrem unb Solbaten, ßanbßabt et mit ITteifterfdjaft. Den 
frönen Schein um bie böfe Hat 3U füllen, ift niemanb gefchitfter als er. ©egen* 
über ber unoerfälfdjten Sprache bes fittlicfjen Bewußtfeins bes Tftaj fpielt et 
hr erhabenem Pathos ben welttlugen Realiften unb fudjt feine fittli^en Be* 
griffe 3 u.oerwitren, inbem er ißn beim Abföieb oon ihm für fein ©efdjöpf et* 
timt, bas auf ihn gebaut fei unb feine fittlidje Selbftänbigfeit ßabe. IDallen* 
ftein feßlt gan3 unb gar bas fittlicße ©ewiffen, Selbföucht unb ©pfergebanfe 
ftnb ißm oällig fremb, in einem unaufhörlichen tDirbel bes 3d?willens wirb 
er ooran getrieben. 

3 n jebem üerbrecher 3udt wohl bann unb wann einmal eine beffere 



Don Carl tDeis 


129 


ttatur auf, regen fidj fittlid]e Bebenfen. Gin foldjes Bebenfen mag ihm ge* 
fommen fein in bet Uttterrebung mit bem fchroebifdjen ©berft tDrangel, als 
biefet an bie in bet tDeltgefdjidjte unerhörte gluckt unb $elonie feines feeres 
unb feiner $üf]tet nicht glauben fann. Da roarnt Hjn, als IDrangel entlaffen 
ift, etroas oor bem Gteubrucf), erinnert ihn an bie fjeiligfeit ber Greue als 
Sunbament bes Beftanbes ber menfdjlidjen Gefellfd)aft. BTan tonnte aber 
auch fagen, er felje ben Gibbtucf) nid)t oom Stanbpuntt fittlidjen Bebentens an, 
fonbem nur unter bem Gefidjtspunft bet böfen IDirfungen, bie ein folget 
Stritt auf bie Gemüter bet ITtenfcfyen machen tonnte, roie et benn auch ben 
Kampf mit bem Kaifer, nidjt infofetn er moralifd] fdjledjt ift, fürstet, fonbetn 
nur, roeil feine Ifladjt unb Autorität als geheiligt gilt im Glauben ber Dotter, 
unb an biefem punfte fein Unternehmen f(Reitern fönnte. 

IDallenfteins Abfall oom Kaifer mufete erfolgen. Sein langes Übet* 
legen, fein 3 ögetn unb 3 aubetn, bis er ben oethängnisoollen Stritt tut, ift 
für bie Sache oon toenig Belang. Audj ift es nicht bie Gräfin Gerjty, bie ihn 
enblidj baju betoogen hot. IDet fo etroas behaupten tann, 3eigt, bafe er ben 
©runb bes IDallenfteindjarafters ni(ht erfafet hat. 

Das Umfidjgreifen einet fo rüdfidjtslofen Übermacht in einer Kulturroelt 
tann auf bie Dauer nidjt ertragen roetben. IDo unb roann feine roaljnfinnige 
Anmaßung enben roirb, ift nicht ootaus3ufehen. Dorläufig ift er Generaliffi* 
mus, Ittilitärbtttator unb fteht an tatfächlidjer Üladjt über bem Kaifer. ITtit 
bem fjeer in ber Sauft roill er ficf], auf roeldje IDeife, ift gleichgültig, einen 
Königsthron oerfdjaffen. Unb bann, roirb er bann ruhen? Gibt es ein Ruhen 
für einen foldjen Dämon? 

Diefen IDallenftein tonnen roir fchaubernb berounbern, aber nicht lieben. 
Dem Dichter abet tarn es im fjinblicf auf bie tragifche IDirtung gan3 befonbers 
barauf an, auch unfer Ejet3 für ihn 3U intereffieren. Gr mufete bähet bet roil* 
ben Katurfraft menfdjliche 3 üge geben. Gr hat ben geroaltigen Sohn ber Grbe 
aus bem blutigen Uorblid}tf<hein ins milbe Sicht fdjöner menfdjlicher Gefühle 
gerüdt, unb ba3u brauste er eine anbere IDelt, er brauchte einen Ulaj picco* 
lomini. Unb bas ift bet eine, aber nicht roichtigfte Grunb für bie Ginführung 
bet ITCa$*Ghetla*IDelt. Gine ibeale IDelt tut fidj IDallenftein auf in bem TTtajc. 

ift bet Sonnenfdjein feines Sebens, er fteht neben ihm roie feine 3ugenb 
unb macht ihm bie IDirflid)feit 3um Gtaum, ben golbnen Duft ber RTorgenröte 
um bie gemeine Deutlichfeit bet Dinge roebenb. 3 m $euet feines liebenben 
®efühls erheben fi<h, ihm felber 3um Grftaunen, bes Sebens flach alltägliche 
©cftalten. IDie bie Grennungsftunbe fommt, fann unb roill et es nicht be* 
Reifen, bafe ber Ulaj ihn oerlaffen tann. IDas et fid] ferner auch erftreben 
^uag, bas Schöne ift bod? roeg, bas fommt nicht roieber. So tann ihn feines 
©lüdes Gunft mehr freuen, als ihn ber Gob bes ITtaj gefdjme^t hat. (Aft V, 
3 . unb 4 . Auf3ug.) 

f.6. öeut|cf),n Unttrridjt. 29. 3at]rg. 2. tjtfc. 9 



130 


Die tragifdje 3öee in Sd)tllets „tDatlenftetn" ttfro. 

IDallenftein erlebt alfo Öen ITtaj bis 3U einem geroiffen (Brabe in ficf), 
et ift bie poefie {eines Gebens, bas Sdjöne, bas IDallenftein in feinem bunflen 
(Erbenbtang einen 3 ug ins 3 beale gibt. Diefes 3 beale bat abet bei IDallenftein 
feine anbete Ktaft als fcfjön 3U fein. IRajc ift füt ihn bas, roas Schiller oom 
(Benius bes Sdjönen fagt. (Et begleitet iljn burdjs £eben gefellig unb Ijolb, 
inadjt iljm bie $effeln bet Hottoenbigfeit leidjt. (Et ift bei ihm bis an bie ge* 
fäfjtlidje Stelle, too et als teinet (Beift Ijanbeln unb alles Körperliche ablegen 
follte, bis 3ut (Erfenntnis bet EOahtljeit unb Übung bet Pflicht. f?iet aber hört 
fein (Einflufj auf, benn biefet (Einfluß bes ülaj auf ifjn liegt nut in bet Sinnen- 
weit, batübet hinaus fann ihn bet itbifdje Slügri nicht tragen. Um übet bie 
fcfjauetlidje (liefe 3U fommen, bie fidj auftut 3toifdjen bet Sinnenmelt unb bet 
IDelt bes reinen (Beiftes, hätte IDallenftein {ich bem anbern (Benius anoet 5 
trauen müffen, bet ihn ernft unb fdjtoeigenb über jene (liefe getragen hätte, 
über biefen (Benius bes (Erhabenen fennt IDallenftein nicht. 3 U biefem Auf 3 
fdjtoung fann ihn TTCaj nicht beftimmen. Tttaj befdjtoört ihn in bet grofeen 
Untertebung 3toifdjen beiben, nicht 3um Deträter 3U toetben, 

„Das roütbe 

Detrufen bei ben IHenfcfjen febe grofee 
Datur unb febes mächtige Dermögen; 

Redjt geben toütb' es bem gemeinen IDahn, 

Der nid}t an (Ebles in bet $rcihcit glaubt. 

Unb nut bet ©fjnmadjt {ich oetttauen mag." 

Das märe eine freie, gtofje Hat füt IDallenftein getoefen, bas ©pfet bet Pfüdjt 
3U bringen, h^ab3ufteigen oon bem piat), ben et nut mit einem Detbtedjen 
behaupten fann. Aber bet IDille 3um £eben, bet IDallenftein allein leitet, 
fann nicht gebrochen toetben, bas Schöne ift ohne alle Realität auf fein f? an ' 
beln. Don bet fjölje feinet ITladjt will IDallenftein nicht Ijcrabfteigert, bas ift 
füt ihn unmöglich: 

„(Eh' ich finlc in bie Richtigfeit, 

So flein aufhöre, bet fo gtofe begonnen, 

(Eh' mich bie IDelt mit jenen (Elenben 
Dertoechfelt, bie bet Sag erfdjafft unb ftürjt, 

<Eh’ fptedje IDelt unb Rachtoelt meinen Hamen 
Ttlit Abfcfjeu aus, unb $tieblanb fei bie £ofung 
$üt jebe fludjenstoette Hat." 

Der Aufruhr bes £ebenstoillens, bet in biefen IDorten fidj äufjert, offenbatt 
feine (Bemalt. Der fjinmeis auf Pflicht unb (Bewiffen ift bagegen oergeblid}. 
Das 3 beal hat füt IDallenftein einen bie IDelt oetflätenben fdjönen Sd)ein, 
abet feine fittlidje Kraft. Das Übergewicht feines Sinnentoefens 3iel?t ih n ’ n 
allen entfdjeibenben (Entfdjliefjungen feines £ebens 3Ut (Erbe h‘ n - bl ß *bt 
im Banne bet IDelt. Sie befjcrxfdjt ihn unb oetnicfjtet ihn. Die toaljta ttlen- 
fdjenfreiheit ift alfo nidjt 3U erringen, fie bleibt ein fdjöner (Bebanfe, bet nidjt 




Don (Carl TDeis 


151 


31t tealifictcn ift? Oie tDahtheü oet^ijllt trauernb ihr Antlit). IDet extoeift 
ihren Sieg? IDet trägt uns mit Siegesfraft oon bet buntlen (Etbe 3um £idjte 
empor? IDallenftein hat es rtic^t getonnt, obet ein onbeter mitb es tonnen. 
IDet ift biefet anbete? tjiet ift nun ber fjauptpunft, too H)allenftein s Dtama 
unb IUa5'([fjefla=Otama einanbet aufs innigfte berühren. (Es gilt 3U ettoeifen, 
bafc es einen ©enius bes (Erhabenen gibt, bet aus ber IDelt bet Sinne in bie 
IDelt bet $teiheit bidj tragen tann. Diefe Kraft ift bas Poetifche im hödjften Y 
Sinn. 

3 d) tomme auf biefe $tage unten 3Utüd. 

IHit bem Spänen, toomit ber Dichter ben finftem Dämon IDallenftein 
umgibt, hat et ihm Rlenfchenantlitj gegeben, in bem mit uns toiebetetlennen 
mit allen unfern (Erbemoünfdjen, bie bas 3beale aud) nur 3U oft als bas mit* 
fungslofe Schöne in uns etfdjeinen laffen. „(Ebel", fagt Stillet felbft, „ift 
IDallenftein nicht unb batf es nicht fein." Das mürbe mit feinem ©runb* 
d]araftet nicf)t übeteinftimmen, aber Dlenfdj batf et fein, mit bem mit füllen 
tonnen, bet nicht als ein Ungeheuer oot uns fteht, mit bem mit nichts Rlenfch* 
li<hes gemein haben. Schiller hat ihm fogat fympathetifche 3 üge gegeben, bie 
uns 3U ihm hinjiehen. (Et mollte uns feinen gelben flauen laffen ein menig 
mit ben Augen bes Dlaj, beffen Seele fid} nur blutig oon ihm losringen tann, 
obroohl et ihn ertannt hat als ben „tüdifdjen $euetfchlunb", in bem es gärt 
„bei näd/tli<h ftiller DOeile", unb aus bem ein milbet Strom fid? auslabet unb 
(die Pflan3ungen bet Rlenfchen 3erftört. 3 n feinet Rlifchung bes ©enial* 
©tofeen mit bem IUenfd)Uch=Schönen liegt bet 3 aubet feinet perfönlid}feit, 
bas (Einlabenbe feinet gaftlid}en ©eftalt, momit et ben ITlaf fo 3U f eff ein rneife. 
Seine ©efamtpetfönlichteit ift ooll imponietenbet Roheit, in feinet (Etfcheinung 
liegt etmas mahrhaft Königliches, machtooll ©ebietetifches. $ür Rlaj ift et 
bet hochfte Begriff bes Selbherrn unb ITIenfchen. 3 n feinet Höhe mitb ihm 
alles meiter, größer, alle Begriffe tlatet. $üt ihn mill et, mie et Queftenbetg 
gegenüber erflätt, jeben Blutstropfen oetfprihen, ehe feine $einbe übet ihn 
triumphieren follen. Oesmegen fann et es auch nicht glauben, bafj et 3um 
Dertätet gerootben ift, unb als et es aus feinem eigenen ITtunbe hart, geht 
«hm ein Rife butch bie IDelt. 

Das Schöne ftirbt nicht, ohne auch auf IDallenftein einen dobesfchatten 
3u weifen. 3 uetft fchroinbet ihm bie ibeale IDelt, unb et ift allein mit bem 
©rifte, bem et fein £eben lang gebient hat. Da mitb es Rächt um ihn, et 
Nt fchon in bet.Dämmerung bes dobes. Das Schöne geht nicht oon ihm, 
°h ne «in mächtiges Rlahnen. (Et ahnt es, baf} es bas IDahte ift, bas et oer* 
loten hat, unb bafj all fein Streben nach Kuhnt unb ©röfee eitel. Saft mie 
« 4 ue Hingt es, eine Anflage gegen fid} felbft, menn et oon Hlaj fagt, bafj et 
öm ©tödliche fei, fein £eben liege faltenlos unb leudjtenb ausgebreitet, tein 
ounflet Sieden fei batin 3utüdgeblieben. Seine Seele ahnt bas Rahen bes 

9 * 



132 


Die tragif<f|e 36ee in Sdjillers „IDallenftein" ufn». 

Sd)idfals, roenn et l)in3ufügt, tuet aber miffe, roas bie näd)fte Stunde fdjroarj 
oerfdjleiert bringe. 

tDir feljen alfo, bet Dichter Ijat bafiit geforgt, bafe mit aud) mit bem 
§et3en bem Scfyidfal feines gelben folgen. Das Sdjöne in il)tn geminnt uns 
unb täufdjt uns im Augenblid übet feine toaste innere Hatur fyinmeg. Schillers 
IDallenftein ift feine Sljatefpearegeftalt roie Rlacbetl) ober Ridjatb III., beten 
• Kraft im Böfen mit bemunbetn, bie uns aber menfd)lid) abftofjen. 3 n Ri 5 
djatb III. fefjen mir offenbar eine Kraft in (Eätigfeit, bie bem TDillen bes Rabi 5 
faI=Böfen nafje fommt. Stiller fträubte fid) mit aller (Energie gegen bie 
Kantfdje lefjte oom Rabi!al=Böfen in bem RTenfdjen. Desroegen aud) fann 
er uns in feinem tragifdjen tjelben feine reinen Böferoidjter ootfüljten, rooju 
- fäme, bafj et iljm unfete menfd)lid)e ©eilnafjme nid)t fidjern fönnte. (Es liegt 
bem Dichter aufeerorbentlid) uiel baran, bafe fein fjelb bas tragifdje ITlitleib et 5 
regt; bas fefjen mit fd)on baraus, bafe feine ITCufee „bie größere fjälfte feinet 
Sd)ulb ben unglüdfeligen < 5 eftimen" 3umäl3t. Das IKenfd)lid)=Sd)öne an iljm, 
roomit er unfet fjet3 rüf?rt, fdjeint iljm nid)t einmal genügenb 3U fein. €r 
nimmt iljm faft 3U niel bet Sd)ulb ab, um iijn uot unferem Ije^en 3U red)t 5 
fertigen. 

3 n ber dragif IDallenfteins feljlt nod) ein mefentlidjes BToment. Sein 
aus bet Ordnung ber Dinge als notmenbig begrünbeter Untergang ift an unb 
für fid) nod) nid)t tragifd). ©tagifd) im Sd)iUerfd)en Sinn mirb bas leiben bes 
fjelben erft, menn mir aud) bie Kraft feljen, bie fid) biefem leiben entgegen 5 
ftellt. Das Sdjidfal barf ifjn 3mat 3ermalmen, aber ben ©eift nid)t beugen. 
IDit müffen fein un3erbted)lid)es IDollen fefjen im Kampf mit feinem böfen 
©efd)id. Unb er ftel)t mitflid) aufrecht oon Anfang bis 3U ©nbe. 

(Entfpredjenb bet Kraft feines lebensmillens, bie mir als furchtbar et 5 
fannt Ijaben, ift ber EDiberftanb in biefem Kampf, in ben it)n biefer lebens 5 
roille uerftridt l)at. 

Diefes 3 a*fagen 3um leben Ijat fid) nid)t in etfdjlaffenbem Sinnengenuf} 
geäußert, fonbetn madjtooll, in grofeem 3 ug, im Streben nad) ITtadjt unb 
©röfee. Uad)bem IDallenftein ben Detfjängnisoollen Sdjritt getan, brid)t bas 
Unglüd Sd)lag auf Sd)lag über iljn herein. Die Regimenter fallen uon if)W ab, 
bet $reunb, ber il)m alles mar, betrügt unb nerläfet itjn, bas tieffte ©rafel 
täufd)t il)n, bie Sterne lügen iljm, feine gan3e IDiffenfd)aft oon ber Sternen' 
melt ift ein eitel Hid)ts, bie Hebt bes Kaifers trifft it?n, alles bridjt auf einmal 
3ufammen. Da ftetjt er allein in feiner erhabenen ©röfee. Der getäufdjte ©laube 
an fein ©lüd unb bie Sterne flüd)tet fid) ins eigene 3d), mirb 3 u1Tl ©l flU ^ en 
an fid) felbft unb an bie fjeilige, unerfdjütterlidje Kraft feines ©enius. Sdjöpfe- 
tifd) mie ein ©ott mill er neue tjeere ins leben rufen, benn Siege finb nur unter 
IDallenftein möglid). Aber bas grofee Sd)idfal ftet)t ironifd) hinter ^ em 
3 uuerfid)tlid) fjoffenben. Reue Sd)läge fallen auf ifjn nieder. Aud) bie nod) 


Don Carl Weis 


133 


treu gebliebenen Regimenter, mit Ausnahme ber ©et3fyf<hen unb Butlers 
Saaten, fangen an 3U reooltieren. Auch Htaj oerläfet ihn. ©ebrochen fcheint 
er, ein Bilb bet Rührung. Aber als bet fyoljeitsoolle, fid} gnäbig ^erablaffenbe, 
gewohnte fjertfdjer erfdjeint et mieber in ©ger im ©efpräcf) mit bem Bürget» 
meifter unb ©orbon. Der ©laube an fein ©lü<f ift trot| bes Reifen galls unet* 
fdjütterlid). ©in Jüngling an Körper unb ©eift lommt er ficf? oor ©orbon 
gegenüber. So ift es in Wahrheit bet ©eift, bet fich ben Körper baut. Allen 
oeqroeifelten Warnungen Senis unb ©orbons oon btoljenbem Unheil tritt 
et mit fefter Ruhe entgegen, menn audj burdj ben ©ob bes TTIaj ein büfterer 
Statten auf fein ©emüt gefallen ift. So bleibt er berfelbe, bis ihn bie partifane 
burchftöfet. Diefe un3erbredjlid)e Kraft bes Willens erregt unfer äftljetifcljes^. 
Wohlgefallen, unb nur infofern tonnte fie Schillers TTCufe intereffieren. 
Wollendem roeifc uns fo mit fidj fott3ureifeen, bafc mir faft roünfchen, es möge 
bem gteoler glüden, toas er erftrebt. 3 n jenem TRonolog: „Du fjaft’s erreicht, 
©ftaoio" ufm. meifj er uns trot} bet fid? regenben tragifdjen 3 ronie gerabe3U 
3U begeiftem, unfer tjet3 fd}toilIt mit bem feinen, ©btooljl er ein moralifdj 
öerroerflidjes 3 iei oerfolgt, folgen mir ihm mit 3 ntereffe, roeil mir fehen, 
bafe et 3m ©rreichung feines 3n>edes ©lüd unb £eben roagt. „©in Saftet*^ 
haftet", fagt Schiller, „fängt an uns 3U intereffieren, fobalb er ©lüd unb 
£eben roagen mufe, um feinen fchlimmen Willen burd^ufetjen." „Offenbar 
tünbigen £after, melche oon Willensftärfe 3eugen, eine größere Anlage 3ut 
Wahrheit moralifchet greifjeit an, als ©ugenben, bie eine Stütze oon ber Hei* 
9ung entlehnen, toeil es bem tonfequenten Böferoidjter nur einen einigen 
Sieg über {ich felbft, eine ein3ige Umtehrung bet IHajimen foftete, um bie 
gan3e Konfequen3 unb IDUlensfertigteit, bie er an bas £after oerfchmenbet, 
bem ©uten 3U3utoenben." Dem Böfemichter merten mit. es in jebet Äußerung 
an, „bafe er burd} einen ewigen Willensaft fich 3ur gan3en Würbe ber Rlenfch* 
heit auftichten tann." Aber mir finb nach Schiller nur fo lange im Bann ber 
äfthetifchen Betrachtung bes Böfemichters, als mir uns nicht erinnern, bafe bas 
3iel, bas er ©erfolgt, ein fittlich 3medmibtiges ift. gällt es uns aber ein, feinen 
3 med auf ein fittliches Prin3ip 3U be3iehen, benten mir baran, bafe et ein mora* 
lifches Wefen, ein Itlenfdj ift» menfdjliches fjanbeln fid? unbebingt nach bem 
Dernunftgefeij timten tnufe, fo oermanbelt fich unfer erftes Dergnügen in 
Unwillen, „unb teine noch fo gtofje Derftanbes3roedmäf$igfeit ift fähig, uns 
mit bet Dorfteilung einer fittlichen 3u>edmibrigleit 3U oerföhnen." Hie bürfe 
es uns lebhaft merben, bafc biefer Ridjatb III., biefet 3 ago TUenfdjen feien, 
fonft merbe fi<h unfere ©eilnahme unausbleiblich in ihr ©egenteil oermanbeln. 
XDallenftcin ift fein Ridjarb 111., menn auch bie treibenbe Kraft bei bem erfte» 
een faum beffet ift als bei bem leiteten. Sdjiller^hat bem IDallenftein, mie 
mit gefehen haben, oetfchiebene Attraftioa gegeben, rooburd} er ben ©eufel 
}um Ittenfdjen gemacht unb für unfer fjet3 gerettet hat. 



134 


Die tragifrfje 35ee in Stf)il(ers „tDallenftein" ufro. 


Oie äftbetifdje Betrachtung ift aber nur bann oollftänbig rein unb be= 
friebigenb, wenn bie Kraft im ITtoralifcfjen fid} 3eigt. Hur burcfj motalifche 
Olittel wirb bas bödjfte äftbetifdje Dergnügen, wie bies Sdjiller in feinem Auf* 
fatj „über ben ©runb bes Dergnügens an tragifdjen ©egenftänben" ausfüljrt, 
beroorgebradjt. 

„Keine 3 roedmäf}igfeit gebt uns fo nabe an als bie moralifdje, unb nichts 
gebt über bie £uft, bie wir übet biefe empfinben. Die ttatmgwedmäfcigfeit tonnte 
noch immer problematifcb fein, bie moralifdje ift uns erwiefen. Sie allein grünbet 
fid} auf unfete oernünftige Hatur unb auf bie innere Hotwenbigfeit. Sie ift uns 
bie nädjfte, bie midjtigfte unb 3 ugleidj bie ertennbarfte, weil fie burdj ni<bts non 
aufeen, fonbern butdj ein inneres Prinjip, unfere Oernunft, beftimmt wirb. Sie 
ift bas Pa'.Iabium unfetet $reibeit. Diefe moralifcbe 3 J®e(!mäfeigfeit wirb am 
lebenbigften ertannt, wenn fie im tOiberfprucb mit anbern bie ©berbanb bemalt; 
nur bann erweift fid} bie ganje lUadjt bes Sittengefetjes, wenn es mit allen übrigen 
Uaturfräften im Streite gejeigt wirb, unb alte neben iljm U}re ©ewalt [überfein 
menfdjlidjes fjet3 oerlieten." 

^ Diefes bödjfte äfthetifdje Dergnügen, ben Sieg bes ITCoralifctjen über bie 
Itaturfräfte, 3eigt uns bie TDallenfteimfjanblung nidjt. XDir fteben oielmebr 
fyier oor einem gewaltigen 3ufammenbrud} bes £ebens unb gän3lidjem mangel 
an fittlidjer Kraft. Oafe ber TRenfcf} bas tDefen ift, bas will, nidjt bas IDefen, 
bas muff, bat er burdj fittlidje (Taten 3U erweifen. Der Dichter Schiller fann 
feine (Tragöbie nidjt mit ber flusfidjt fdjliefeen in eine tDelt, wo moralifdje 
Kräfte leine TDittung haben, in ber lein freies prin3ip bes ©eiftes ^errf^t, 
wo alles oon einet Sinnenwelt gefeffelt ift. (Er hat auch noch ben erhabenen 
©eift 3U offenbaren, ber bie TDelt überwinbet. Denn in tDallenftein haben 
wir nur bie eine Seite bes ITCenfcfjen gefehen, bas Ceben. Der Kreis ift nidjt 
oollenbet ohne bas 3 beat. £eben unb 3 beal machen bie (Totalität bes Uten* 
fdjen aus. Unb biefe Aufgabe hat eben bas TTTa£*(Thefla=Dtama 3U erfüllen, 
3U erweifen, bafj es eine Kraft gibt, bie biefe TDelt 3U übetwinben oetmag, 
** öa & es Mne un3erteifebaren itbifdjen $effeln für ben Utenfchen gibt, bafe er 
bie Srei^eit unter allen Umftanben erringen fann. 3n allen feinen ftaffifdjen 
Dramen hat uns Schüler mit ber Betrachtung bes Detmögens bes Utenfchen 
befdjäftigt, bie fittlidje $reif}eit 3U erfiegen, unb biefe 3bee hat er auch im 
TDallenfteimDrama burcfjgeführt. Den TDallenftein felbft hat bie fernere (Erben* 
fraft befiegt, aber ITtaj: tjat alle Banbe bes £ebens 3ertiffen unb ift als ein freies 
Prin3ip 3um fjimmel aufgeftiegen. Der Dichter fjat ihm bie Aufgabe 3uge* 
liefen, ben (Erweis 3U erbringen, bafc bas 3 beale, bas IDallenftein nur als 
bas Schöne etfdjienen unb in biefet Kraft auch nur auf ihn gewirft bat, wirf* 
h(b bas 3 beale fei, wirflidj bie ftttlid)*erbabene Kraft bat, bie TDelt 3U über* 
wtnben. Utaj: mufe TDallenftein gegenüber unter allen Umftanben recht be* 
batten. (Er bat an ben höheren Utenfchen in IDallenftein appelliert, ib« 3 um 
ampfc gegen bie fdjlimmen (Triebe aufgeforbert, er muf} felbft 3eigen, baf} 



Don Carl TDeis 


135 


6« fllenfd? bas Dermögen befifet, bem Sittengefefe 3U geljordjen, [id? „mora* 
lifd? 3U entleiben". IDallenftein feat fid? 3ur Dollen IDürbe bet ZUenfd?I?eit 
nid)t ergeben lönnen, unb unroillfürlid? flauen mit nad? bet fjöfee, mo bet*^, 
jenige ftefet, bet bie erhabene Kraft I?at, 311t Ijodjften <Seiftesu>ürbe auf3ufteigen. 

3 n bem Cetben unb Sieg bes UTaj Ijaben mit roitflid? bas, mas Schiller unter 
tragifefeet Rührung oerfteljt. tDir Ijaben ein £eiben, bas unfer füljlenbes f?et3 
3erreifet, bei bem bet fettigen Sympathie bas Unfterblidje in uns erliegt, aber 
bei bem anberfeits, menn mit ben Sieg ber moralifdjen 3 ®edmäfeigleit feljen, 
bet reinen Dernunft, burdj bie (Tränen bie $reube I?eroorbrid}t über bie „tapfere 
©egenmefer" bes ©eiftes. TDir meinen über ben ©ob bes Sdjönen, aber mir freuen 
uns barübet, bafe bas Sdjone, mas es bei IDallenftein nid?t oermodjt Ijat, 3ur 
reinen Kraft bes ©öttlidjen merben fann. Das gibt unferer UTenfdjennatur 
felbft einen bebeutenben fluffdjmung nad? ben ^eiligen fjöfeen ber ©ottljeit. 

Um bem Utaj bie Dolle £abung bes £eibens 3U geben, mufe er ifen mit 
Banben an bie ©rbe fnüpfen, bie für menfdjlidje Kraft un3etteifebar [feinen. 
Oa3u brauet ber Dieter eine perfönlidjfeit roie IDallenftein, bie ben jungen 
$teunb in 3 auberbanben l?ält, einen Ulenfdjen, beffen geniale ©röfee alles 
Ulenfdjlidje überragt, ber aud? eine ebenfo tiefe Seele 3U Ijaben fdjeint. IRit 
Bemunberung unb £iebe mufe il?n ITCaj umfaffen, bafe mir übe^eugt finb, 
bafe er mit blutenber Seele fid? non ifjm losreifet. Unb ba3u fommt bie £iebe 
3U [einet ©od?ter. Unb meid? eine £iebe! Um bie Art unb Kraft biefet £iebe 
}u offenbaren, mufe ber Didjter il?t einen meitern Spielraum geben. ITCaj unb 
tt^cfla [inb 3mei fd/öne Seelen im Sdjilletfdjen Sinn. Sie Ijaben einanber ge* 
funben in iferem tiefften U)e[en. Sie gehören einanber an mit Seele unb £eib 
in alle ©migfeit. Unb bod? mü[[en [ie fid? trennen, bod? biejes unermefelidje 
©lüd oetlaffen. Oer „Uahngmedmäfeigfeit" entfpridjt es, bafe Ulaj, ber tDal* 
Ienftein mit aller Kraft bet Seele liebt unb bemunbert, nidjt oon il?m gerijfen 
©itb, bafe ferner bie beiben £iebenben in intern [eligen ©lüd oereinigt bleiben, 
bafe bas Sdjöne, bas unfete finnlidje Uatur [0 unenblid? ent3üdt, nidjt [terben 
mu fe. Aber bie „motalifdje 3u)edmäfeigfeit" oerlangt biefes furdjtbare ©pfet. 

Der Abrieb bes Utaj oon IDallenftein unb ©feetla madjt uns biefe S3ene 
„3um ©egenftanb eines l?immlifd)en Dergnügens". „Oer JDiberfprud?" bes 
gegentoartigen 3 uftanbs bet beiben £iebenben „mit bem ladjenben Sdjidfal, 
bas [ie oetfdjmäfeen, bie an[d?einenbe 3 ©cdroibrigfeit ber Uatur, meldje ©u* 
9«nb mit ©lenb Iofent, bie naturroibrige Derleugnung ber Selbftliebe follte 
uns, ba [ie [0 Diele Dorfteilungen oon 3 ©cdmibrigteit in unfere Seele rufen, 

©it bem empfinblidjften Sd?met3 erfüllen — aber mas fümmert uns bie Uatur 
roit allen ifeten 3meden unb ©efefeen, menn uns butd? bie 3®cdroibrigfeit 
Ueranlaffung mitb, uns bie moralifdje 3medmäfeigteit in uns in iferem ooüften 
lii^te 3U 3eigen? Die (Erfahrung oon ber [iegenben Kraft bes Sittengefefees, 
bie mit bei biefem flnblid madjen, ift ein [0 ljoljes, [0 mertoolles ©ut, bafe mit 



136 


Die tragifdje 3bee In Sdjiflers „tDallenfletn' 1 ufro. 


■V, |ogar oerfucht »erben, uns mit bem Übel aus3uföhnen, bem mir es 3U oerbanten 
haben. Übereinftimmung im Reiche ber $reiheit ergoßt uns unenblidj mehr, 
als alle IDiberfprüche in ber natürlichen ED eit uns betrüben fönnen." 

(Es mu| ausbrüdlidj betont »erben, bafe bet 3 »ed bes TRaj 5 2I)efla= 
Dramas unb ber gan3en Dichtung überhaupt nicht bet ift, bas UToralifdje an 
unb für fi<h 3U 3eigen, 3U ©emüte 3U führen, bafe bie Pflichterfüllung über 
alles gehe, ITCajens Hat als ein Blufterbeifpiel bes Sittlichen, als ein fittlidjes 

> 3 beal hin3uftellen, fonbern bie Aufgabe bes Dichters »ar, bie Kraft bes IlTaj, 
' fittlich 3U hanbeln, 3U offenbaren, uns äfthetifd) 3U intereffieren. Der äftljeti* 
fd?e Begriff fällt mit bem motalifchen nicht 3ufammen. Der ©pfertob bes £eo* 
nibas bei ben (Ehermopylen, fagt Schiller, befriebigt feinen moralifchen Sinn, 
bie Dernunft, bagegen feinen äfthetifchen Sinn (bie (Einbilbungsfraft) ent3ücfe 
biefe Ejanblungsroeife. Dasfelbe gilt oon ber tjanblungsmeife bes TRay. Die 
Dernunft forbert oon ihm, bafe et ben bem Kaifer geleifteten (Eib nidjt breche, 
bafe et |i<h oon bem Derräter IDallenftein trenne, tofte es, »as es »olle, unb 
»enn fein gan3es £ebensglüd 3erftört »irb. Dafe er feine Pflicht erfüllt, bas 
finben »ir in bet ©rbnung, et hot feine Sdjulbigleit getan; bafe er aber bas 
Detmögen befifct, alles Sinnliche 3U opfern, bafj et bas tun lann, »as er ein* 
gefehen hat, tun 3U müffen, biefes (Etfcheinen ber Kraft erfüllt uns mit (Ent* 
3Üden. „Bei allen Schtanfen bet Sinnennatur bennoch treu unb beharrlich 
feine Sdfulbigteit tun unb in ben $effeln bet TRaterie bem heiligen ©eiftes* 
gefeh un»anbelbat folgen, bas ift erhebenb unb be»unberns»ert." Rieht um 

V moralifch 3 « belehren, fonbern äfthetifch 3U ent3Üden, hat Schiller bas Utas* 
©hetla*Drama, fa bas gan3e tDallenftein*Drama gefchrieben. (Es fommt bem 
Dichter, bet feine Aufgabe richtig fünftlerifch erfaßt hot, nicht barauf an, bafe 
bas Rloralifche getan, bie Pflicht erfüllt »erbe, fonbern bafe in ber Hatur eine 
Kraft liege, bie bie Pflicht erfüllen fann. 

Y ^ an l?ot fich alfo, mie ich fd?on betont habe, bei ber Beurteilung ber R)al* 
lenftein-Hragöbie auf ben äfthetifchen Stanbpunft 3U ftellen, »enn man bie 
fürtftlerifche Abficht bes Dichters oerftehen »ill. Die U^erbtedjlichfeit RJallen* 
fteins im Kampfe mit bem Schidfal hat unfern äfthetifchen Sinn erfreut, »eil 
fchon bie Kraft bes IDollens erfreut, »enn »ir uns gan3 ber Betrachtung 
biefer Kraft hingeben tonnen unb unfer moralifcher Sinn fch»eigen tarnt. 
Aber ben oollen äfthetifchen ©enufe hoben »ir nur, »enn bas IDollen ben 
Rtenfchen als moralifches tDefen er»eift, bie tDürbe unb Jjöh c bet Itlenfch* 
heit. IDallenfteins IDollen ift fdjön, IRajens IDollen ift ibeal=fchön. IDollen* 
fteins IDollen 3eigt fich 9 to fe in bem, »as bie Dernunft nicht billigt, IRai in 
bem, »as fie billigt. Das IRa E =lEhetla*Drama ift bähet ber ffiipfelpuntt ber 
ganzen ©ragöbie, ber „poetifch »ichtigfte ©eil, bem bie Ijcrrfchaft gebührt", 
em Urteil, bas Schiller felbft über bas RTaj*ahefla*Dtama abgegeben hat. 

IDieoiel ift fd?on übet bie 3»edmäfeigfeit unb Un 3 »edmä&igfeitöer 



Don darf tDeis 


137 


Uebenhanblung bei tDallenfteimüragöbie gejdjriebcn tuorbert! Sid? mit bem 
Urteil betjenigen, bie einen reinen ©enuß ber ©ragöbie nur haben toollen, 
roenn bie „(Epifobe" baraus beseitigt ift, 3U befchäftigen, märe roirllich Der* 
lorene Blühe. Aber audj biejenigen, bie bie Hebenljanblungen 3U oerteibigen 
fudjen, haben bes Dieters flbficht nicht richtig erfannt. Das Derhältnis ber 
Uebenhanblung 3ur fjaupthanblung mirb meiftens (0 ausgefptodjen, baß Rtaj 
Öen 3 bealiften 3um Realiften Oallenftein barftelle, in ber IUaj'ühetla^IDelt 
bie IMlenfteimtDelt [ich fittlich fpiegele. Oer fcljarffinnige Schillerfritifer (Eugen 
Kühnemann in [einem Buch: Oie Kantifdjen Stubien Schillers unb bie Kom* 
pofition bes IDallenftein, Rlarbutg 1889 , II, S. 8 unb 9 meint, bie tDalten* f\ 
ftein*tDelt erhalte aus ber IHaj=2Eb c Ka=U>eIt ihre [ittliche Beleuchtung. „Oas 
Uebenbrama in [einer ibealen Spiegelung IDaflenJteins unb bes gejamten ©e= 
fhehens bringt bie moralifche Schälung jebes ein3elnen (teils." fluch m feinem 
Buche: Schiller, ITCündjen 1911 , lieft man Urteile mie: EDie aus ber beffem 
Seele bet Htenfchheit fomme bas Urteil bes ITCaj, baß lOallenfteins Unter* 
nehmen ruchlos fei „IDieber erfdjeint ber junge Rtaj als bas ©emiffen im 
Ceben bes Stüdes", S. 473 . $emer: 3 m IDallenftein fei bet ibealiftifche ©e* 
bante ber Uebenhanblung oon Rlaj unb (Xhefla neben bas realiftifche ©e* 
fhehen getreten. Oer Dichter „brachte oon außen bas ©ericht ber Sittlidjfeit 
hin3u, fo tunftooll auch ber Dichter in einer faft 3U großen Sülle feiner Oer* 
binbungsglieber bas Detfchiebene ineinanberfchlang", S. 499 . Kühnemann be*^ 
trachtet alfo bas Derhältnis ber Uebenhanblung 3Ut Ijaupthanblung 00m 
Stanbpuntt bes UToralifchen aus. Rlaj unb dhefla roerben als [ittliche 
Htufterbilber hingeftellt, gleichfam als lategorifcher 3 mperatio ber Pflicht, 
pgen ben IDallenftein fo gefehlt hat. Aber biefe fluffaffung liegt nicht 
im plane bes Dichters. Denn um es noch einmal 3U miebetholen: Rein 
moralifche flbfichten hat Schiller als Dichter nie, fonbetn nur äfthetifeße. Den 
DMenfteimDichter intereffiert nur bie Kraft bes UJollens, bie im Rlaj* 
Ihefla*Dtama bis 3um ©ipfelpunft fteigt im Siege bet abfoluten Freiheit. 
„Selbft oon ben Äußerungen ber erhabenften ©ugenb fann ber Dieter nichts 
für feine flbfichten brauchen, als mas an benfelben bet Kraft gehört. Um 
hie Richtung bet Kraft fümmert er fich nicht. Oer Dichter, auch menn 
et bie oolltommenften fittlichen Hlufterbilber oor unfere Augen ftellt, hat 
leinen anbern 3 med unb barf leinen anbern haben, als uns burch Betrachtung 
berfelben 3U ergößen." Hur infofetn in bem motalifchen fjanbeln ber beiben 
Ciebenben bie höchfte IRenfchenfreiheit fid} offenbart, ift bas moralifche mistig. 

RHt entbeden in ihnen ein „pti^ipium", bas über alle Detgleidjung groß unb 
unenölich ift. Selbftoerftänblich merben nun Ulaj unb (Ehefla als fchöne Seelen 
tm Stüd erfcheinen, bie bie Kraft haben, fich wt erhabene 3U oermanbeln; fie ■ - 
Serben baburch m einen moralifchen ©egenfaß 3m EDallenftein* Hielt treten. 
Aber bas ift nur eine BegleiterfMeinung ihres erften rein poetifdjen 3n>edes. 




138 


Die iragifdie 3bee in Spülers „TDalienftein" ufro. 

Auch Cubwig Belletmann: Schillers Dramen, II. Heil, Berlin, TDeibmann, 
in bet ausführlichen Abhanblung über „Schillers TDalienftein" ift bet Anficht, 
bafo bie Beobachtung richtig fei, bafe in TDalienftein bet Bealift unb in TTtajc ber 
Sbealift bargeftellt werbe. Aber in bet Beurteilung bes Derhältniffes bet 
Hebenhanblung 3ur fjaupthanblung bütfe biefe Auffaffung oom ©egenfat} bes 
Kealiften unb 3bealiften nicht 3um aneinigen ©efichtspunft gemacht werben, 
uielmeht müffe ber 3 wecf bet Tlebenhanblung als organifch notwenbig aus 
bem 3ufammenhang ber gan3en Hragöbie ertlärt, ge3eigt werben, baf} bie 
Perfonen ber Tlebenhanblung als notwenbige ©lieber in bie fjaupthanblung 
eingreifen. Diefe organifche Derfnüpfung bet Tlebenhanblung mit bet fjaupt* 
hanblung ^at nun Bellermann im ein3elnen na<h3uweifen gefucht, was ihm 
aber nicht gan3 gelungen ift. ©ewifj ift es feine Stage, bafe bas Kunfiroet! 
fid) aus fid} felbft rechtfertigen mufe, bafe alfo hier bet Aftljetifet Schiller bem 
Dichter Schüler nicht im TDege ftehen batf; ber erftere wirb batauf 3 « fehen 
haben, bafe bie Durchführung feiner 3 bee bem innem organifdjen 3ufammen s 
hang bes Kunftwerfs nicht hinberlich fei. Afthetifche unb bidjterifdje Aufgabe 
fallen bei Schüler 3ufammen. 3 n ber Hat ift auch bie Tlebenhanblung mit ber 
fjaupthanblung fo oerwachfen, bafe beibe ein lebenbiges ©an3e bilben, bafe 
ber eine Heil ohne ben anbem nicht beftehen fann. Denn was wäre bie fjaupt- 
hanblung allein? 3ebenfalls etwas nüchternes unb ©lan3lofes. ©in Schiller* 
fches Drama fönnte es überhaupt nicht fein. 

Die 3 bee ift bei Schiller bas $ühtenbe, unb wer bas nicht erfennt, »er* 
fteht nun einmal Schiller im ©tunbe nicht. Schüler fdjafft eben gan3 anbets 
als ©oethe, bet aus bem Dollen ber Hatur herausarbeitet unb feine 3been 
braucht. Bei Schiller aber lebt bas gan3e IDerf oon ber 3 bee; fie ift lebenbig 
in allem Htagenben ber ©ebanfen, in ben lebten Schwingungen ber Derfe, 
fie ift bas Ureigenfte bet Schülerfchen TDelt ber Schönheit. Belletmann ift auf 
einem 3 trweg, wenn er bie Kraft unb Bebeutung ber 3 bee als leitenbes prim 
3ip in Schillers TDalienftein nicht anetfennen will. 3 ch habe gefergt, bafe Bellet' 
mann ber Ttachweis, bafj bie Tlebenhanblung mit ber fjaupthanblung in bem 
Sinn, wie er es meint, organifch oetbunben fei, nicht gelungen fei. Denn TÜaj 
hat, unb biefen ©inwutf barf man füglich machen, gar feinen entfd)eibenben 
©influfe auf TDalienftein. Diefer geht feinen TDeg mit unb ohne TTtajc. ©t batf 
biefen ©influfj auch 9at nicht hüben; benn wenn er ihn hätte, hätte ber Dichter 
ia ben fjauptnero ber TDallenfteimfjanblung burchfdjnitten. Die ©ewalt bes 
Cebenswillens, bie ich in TDalienftein ge3eigt 3U haben glaube, barf nicht 9 e ' 
brochen werben, fittliche Ptin3ipien bürfen ihn nicht oon feinem burch i cne Jj 
beftimmten TDeg abbringen. Ilur bas Schöne bet ibealen TDelt barf unb fo 
ihn oerflären. Hur fo fommt bas oon Schüler gewollte ©harafterbilb mit feinet 
Hragif 3uftanbe. Unb biefer TDalienftein, biefer oom Dichter gewollte TDallen- 
ftein mit feinet bämonifchen Cebensbejaljung, feinem gewaltigen TDollen, 



Don (Tori tDeis 


139 


feiner bunflen ©lut unb bem ©Ian3 bes Schönen ums fjaupt, biefe gan3 eigen* 
artige perfönlichfeit ift ohne RIaj nicht 3U benfen. Unb barum ift bas Illaj* 
Cfljefla=Drama bie conditio, sine qua non für bie Stopfung bet Sdjillerfdjen 
Perfönli^leit tDallenftein. Unb in biefem Sinn hängt bie ITCaj * ©hefla* ^ 
fjanblung mit bet tDallenftein=fjanblung organifch 3ufammen. Don bem 3 u* 
fammenhang bet beiben fjanblungen in bet 3 bee habe ich oben gefprodjen. 
Danach tann oon einer Hebenhanblung im eigentlichen Sinne nicht mehr bie 
Rebe fein. 

S. 40 feines Buches fagt Bellermann: „Darin freilich wirb bas ©efüljl bes 
heutigen Cefers bem Dichter nicht mehr recht geben, bafe biefe Hebenhanblung 
ber poetifdj roichtigfte ©eil" bes ©an3en fei. Die beiben ©eftalten finb oon einem 
unoertoelflichen 3 auber ber poefie umfloffen ..., aber toas uns in bem gan3en 
IDerfe am tiefften ergreift unb am mädjtigften fefthält, ift bo<h immer tDallen* 
ftein felbft." Übet Schiller hat bo<h bas ©egenteil gefagt! ©t toitb es hoch am 
beften toiffen, toelches ber „poetifch roichtigfte ©eil" ift. U)eil Bellermann eben 
bie ©runbibee ber IDallenftein*©ragöbie nicht erfannt hot, toar ihm biefes Ut* 
teil Schillers über bas HTaj*©he!Ia*Dtama nicht fafelidj. 

hatte Schiller ben hofften tragifchen ©ebanten an tDallenftein felbft 
illuftrieren tonnen, fo hätte et ben ITCaj nicht nötig gehabt, b. h- toenn et bie 
Kraft bes IDoIlens, bie in tDallenftein lag, 30m ITlotalifchen hätte wenben 
fönnen. Dann freilich wäre bas gan3e Unternehmen tDallenftein ein anberes 
geworben, etroa folgenbes: tDallenftein foll wirtlich bie flbficht gehabt haben, 
ohne alle egoiftifdjen Sntereffen Deutfdjlanb ben Stieben 3U geben, er fofi 
bies tun im tDiberfprud} mit bem tDillen bes Kaifers, bet feine eigenen per* 
fönlichen 3 wede oerfolgen foll, bie bem tDohl bes großen ©an3en 3uroiber* 
laufen, ©r foll, um biefen feinen 3 ®ecf 3U erreichen, bem Kaifet bie ©reue 
brechen, (ich mit ben Schweben oetbinben, bie er irgenbtoie 3uftieben 3U ftellen 
gebentt, foll geästet werben, ähnliche Schicffalsfchläge wie in bet ©tagöbie 
unb 3ulefct ben ©ob in bet Derfolgung feinet guten Sache etleiben. filsbann 
würbe et fich opfern für ben Sieg bes ©uten. ©s war oiel wichtiger, bafe Deutfeh* 
lanb oon ben entfetjlidjen plagen bes Krieges befreit würbe unb enblich ben 
Stieben erhielt, als bafe bie bem tDohl bes Daterlanbes 3uwiberlaufenben 
3 nteieffen bes Kaifets geförbert würben, ©ine motalifche Pflicht hätte ^iet 
übertreten werben müffen „um einer hohem unb allgemeinem befto gemäßer 
3 U hanbeln". Unfere Dernunft wäre befriebigt, wenn auch „bas motalifche 
Detgnugen buth einen moralifchen Schmet3 erlauft" worben wäre. IDir wür* 
en bie Kraft bewunbetn, mit ber tDallenftein biefes gewaltige ®pfer hätte 
ringen lönnen, unb bas tragifche IRitleib wäre ihm im ooüften IHafee ge« 
worben, tut3 in tDallenftein felbft wäre bann bie Kraft gelegen 3U erweifen, 

bet Rlenfch [unbebingt frei ift unb fein £eben einfetjen fann, um 3Ut 
Würbe wahrhaft freier ©eifter empot3ufteigen. 



140 


Cefen unb Cefeftoff in ber 5ortblIbungsfd)ule 


Oafj Schiller feine ©ragdbie getrieben hat, hat oielleicht feinen ©runb 
barin, bafe ihn bie gan3e tDallenfteimUMt mit biefem bunfeln gelben mächtig 
an3og. <£t tonnte bas £eben unb feinen 3ufammenbrud} mit aU ben wüben 
Kräften, bie in ber 3 entralgeftalt ihren tiefften ©runb Ratten unb ba am 
mädjtigften aufleud}teten unb ben büftern Schein auf bie Umgebung warfen, 
mit padenber ©ewalt barftellen. Oiefe fürchterliche Sotbatesfa mit ilfren 
Sü^rern atmete feinen ©eift. Oie unbe3winglicf)e Begietbe bes Cebens ^atte 
fie alle erfaßt, in alten ber Sdjopenljauerfdje Gebenstuille in rafenbem Strubel. 
Oiefer £ebenswille ift bas Böfe, et frifot alles unb 3ulet$t fid? felber auf. Unb 
alle ©eftalten biefes ©emälbes, bie Ulaffe unb bie ein3elnen, in Attion 3U feljen, 
alle Kräfte mobil, bie fidj auf bas £eben ftür3en, bas fie bodj alle bem Unter 5 
gange meinen roirb! Oiefer ©obestampf bes £ebens mit bem £eben, biefe 
Kräfte bes Angriffs unb tDiberftanbs 3ogen Schillers äfthetifdjen Sinn mächtig 
an, er tonnte bas reichfte bramatifche £eben entfalten, Ulaffenbemegung, 
Kräfte gegen Kräfte fid? 3erfd}lagen iaffen, bas £eben in bem fürdjtetlichften 
Orang, aber auch in ber fiirc^terlidjften ©ebunbenfjeit butdj bie Sinnenroelt 
3ut Oarftellung bringen. Unb nun biefer tDelt ber ffiebunbenljeit unb irbi 5 
fdjen 3 mcde bie $reiheit bes Ulenfdjen gegenüber 3U ftellen, biefe unenblid) 
fdjöne Kraft bes 3 beals, bie biefe tDelt befiegt unb 3um ©htone ber ©ottheit 
empor fid} fdjwingt! tDie mufjte eine foldje Aufgabe einen Oramatiter u>ie Schil 5 
Ier te^en. Seine ©ragöbie ift in XDahtfjeit ein £ieb bes £ebens unb 3beals. 


£e|en unb tcjejtoff in ber 5ortbitöung$fd|ule. 

Don maj S^merlet in Dresöen. 

3 eber S°rtfd}ritt in einer Bejieijung ift 3ugleicf} ein Rüdfdjritt, ober bod} ein 
Stillftanb in einer anbeten. Denn bem $ortfdjritt haftet etwas Prin3tpielles an, unb 
biefes ftöfjt bas ab, was feitler als prinjipiell galt. 3>®ei Prinjipien aber d ertragen 
fi<h fdjwet; bas eine mufj fidj unterorbnen — unb bann ift es tein prinjip mehr. 
Aus biefer ©atfadje erfläten fidj auch bie oft ins (Entgegengefe^te brängenben IDanb* 
hingen im Schulbetrieb, nidjt 3ule^t bie im Sortbilbungsfdjulunterridft. Seitbem 
bie $ortbilbungsfdjule mit bem Prin3ip, nur Allgemeinbilbung weitet 3U Det * 
mittein, brach unb fid} im Prin3ip 3ut Aufgabe fe^te, $achtenntnijfe an3ueignen, 
mujjte mancher £ehrftoff, bet früher herrfchenb war, gan3 weichen ober fidj aät 
Hjdjenputtelftellung begnügen. So erging es unb ergeht es bem £efeunterricht 
in bet $ortbiIbungsfd}ule. 3 n ber Doltsfchule, im Doltsurteil neben bem Rennen 
unb Schreiben bie widjtigfte $ertigfeit, ber Prüfftein bet Bilbung, bie eiferne Ration 
bes Kulturmenfchen, war et auch tu ben Anfängen ber Sortbilbungsfdjule ein butdp 
aus oollwertiges Unterrichtsfach, ift aber heute 3um £üdenbüfeer, 3um ©elegenheits 5 
unterricht herabgefunten. Das Prin3tp bet fachlichen Ausbilbung unterjocht ih n - 
bet ein ©lieb in ber Allgemeinbilbung ift. Ulit Unrecht — unb aus einer falfdjen 
Auffaffung übet feinen 3 wed, fein 3 iel für bie reifete 3 ugenb heraus. tDenn man 
3ur Ablehnung bes £efeunterri<hts fam, fo war eben bie 3ielftetlung falfch gewefen, 



Don ITTqj Scf)nitrier 


141 


roie fie junödjft für die ganje gortbilbungsfchule, ,Jte fei eine gortfeßung ber Dölls* 
fc^ule, ja roohl gar eine IDieberholungs* unb Befeftfgungsfchule", falfd? geroefen 
roat. £efen ift eben nicht nur eine $ertig!eit, bie ifjren 3wed in fief? bat, geroiffep> 
maßen alfo Selbföroed ift, wie bies für bas £efen in ben erften Schuljahren gilt, 
bas feinen 3«>ed erreidjt bat, roenn es roie „gefdjmiert" oerläuft, fonbern es roirb 
nach oben bin immer mehr nut TRittel 311m 3 wed, fjanbroerfs3eug, Dorausfeßung 
für wichtige Bilbungs3roede. Dem £efen in ber gortbilbungsfchule hauptfädblich 
bie Aufgabe 3uroeifen wollen, es folle bie in ber Doltsfdjule errootbene gertigfeit 
erbalten unb befeftigen, Reifet allerbings, bem £efeunterti(bt bie Bered?tigung 
nehmen, baß et für fid? einen Heil bet targ bemeffenen Unterri<hts3eit bean* 
fpruche. Aber auch für ihn hat bie rüdläufige Belegung, roenn nicht alle 3 eid?en 
trügen, bereits eingefeßt. Die moberne Kultur- unb gugenbpflege erlennt im 
£e[en, roie im 3 eid?nen, ein hetoorragenbes IJlittel 3um 3 ®ed ber Selbft* 
beteicberung, bet Selbftbefreiung, bet Selbftentroicflung, ein Wittel 
bet Ausbrudstultur. greilid? feßt eine fo gefaxte 3ielft«Hung bie £efefertigtett 
Daraus, fie fdjließt auch <h re (Erhaltung unb Dertiefung ein, aber fie ift gütlich ITtittel 
3um 3 med (bes Schaffens ober bod? bes Rachfdjaffens) geroorben, roie bie ©ecfjnif 
IRittel 3um Klaoierfpielen ift. Don biefem ©efidjtspunft gefeben, ift bas £efen aller* 
bings ein oollroertiges gach bet gortbilbungsfchule, unb es muß roieber piaß neben 
ben anbeten gächetn für es gefdjafft toerben. (Ehe biefe gorberung aber auf allgemeine 
Annahme rechnen fann, muß bie grage getlärt fein: tDas roirb in bet gortbil* 
bungsfchule gelefen? Denn barüber beftebt tein 3 ®eifel: 3 « Öen £efeftoffen aus 
ben ©erbejabren bet gortbilbungsfchule tonnen mit baute, aus unfetet 3ielftellung 
heraus, nicht roieber 3urüdtebren. XDorin beftanb bas «Ebaraftcriftifc^c bet alten 
£efeftüde? 3 unä<hft barin, baß fie „Stüde“ roaren. 3 n ben Sefebüdjern ftebt Don 
allem etroas. Diefe oielen (Etroas finb aber fo batgeftellt, baß man mit jebem in einer 
Stunbe meiftens „fertig roirb" unb noch 3eit bat, es grünblich auseinanbet3unebmen, 
3u befprechen unb ein3uprägen. Denn — unb bas ift auch e * n Kenn3ei<hen bes alten 
£ejeunterrichts — Griffen muß babei angeeignet roetben. Darum beftebt eben bas 
£efebud} aus Dielen £ejeftüden. (Es ift natürlich nicht möglich, * n ib ncn aud? nut 
annäbemb erfchöpfenb ein ©ebiet, einen ©ebanten bar3uftellen, alles muß aus3ugs= 
weife gegeben, Hefultate müffen bargeboten roetben. So ift bas alte Sefebud? ein 
unoollftänbiger £eitfaben — unb ift gefdjrieben im £eitfabenftil. ©s foll nidjt Dertannt 
©erben, baß eine gan3e Reibe gut getriebener Artitel in ben £efebüchern fteben, 
bas finb aber 3umeift foldje, bie nicht für ben £efebud}3roed perfaßt rourben. R)enn 
aber bas £eferoerf einigermaßen pollftänbig fein, aus jebem Unterrichtsgebiet etroas 
bringen roollte (benn bas mußte es hoch, roenn es feinen 3 roed, übungs* unb IDiebet* 
holungsbud? 3U fein, erfüllen follte), fo mußten bie Derfaffer felbft Stüde ad hoc 
fhteiben. „Schreiben" tonnten fie bann auch * n ber Regel gan3 leiblich, abet fdjreiben 
Wb „geftalten", bas ift 3roeierlei. So entftanben jene unglüdlichen ©ebilbe, benen 
man ben 3 roed ihres Dafeins unb ben ©tunb ihres (Entftehens oon roeitem fchon an* 
web, unb man roatb oerftimmt, roie es immer gefchiebt, roenn man bie Abficht mertt. 
®’ e | e »höppd?enliteratur" hat ihre 3 oit gehabt; aber febt Diel Rußen roirb fie nicht 
9 *ftiftet haben, genau fo, roie ein Roman nicht Diel innere Bereicherung bringt, bet 
täglich nur eßlöffelroeife Derabreidjt roirb. Die Schüler haben oon allem etroas, 



142 Cefen unb Cefeftoff in bet Jortbilbungsfcfjule 

aber non {einem etroas Rechtes unb Dollftänbiges gehört, fie rouchfen in {einen 
©ebantenlreis hinein, Jie blieben tüf}l unb — langroeilten fid?. innere Kräfte, 
Schaffenskräfte, tDillensimpulfe mürben in ihnen taum geroedt. flufjet einet ©e* 
bäd} tnisbelaftung blieb ihnen oon jenem Cefen faft nichts. Unb bies halten mit bo<h 
heute für bie allererjte $orberung an einen Cefeftoff: bafj er innerlich bilbenb fei unb 
innerlich anrege, fllfo 3U jenen Cefebüdjern {önnen mir heute nicht toieber }urüd» 
lehren, roenn mit nicht ben neu aufgenommenen Cefeunterricht roiebet oon ootn* 
herein auf ein totes ©leis fchieben toollen. Das haben benn auch bie neueren Cefe* 
buchoerfaffer fich gefagt fein laffen. Sie finb fich ihres 3 ieles toohl berouf)t: ©in Cefe* 
buch 3 U bauen, bas fich oon ben alten Büchern fdjon burch bie Richtung ber Stoff* 
ausmahl mefentlich unterfcheibet: Stoffe, bie geftaltet finb, bie Heine Kunftoerte 
in Dollstümlidjer ©eftalt barftellen, Stoffe, bie fich an ben ganjen inneren ITCenfchen 
menben, oon benen IDärme unb Suggeftiotraft genug ausgeht, um ben Cefet fefeu* 
halten. Dermitteln biefe Stüde babei 3ugleid} in tünftlerifcher $orm U)iffen — nun 
mohl, bie aufgemenbete 3 eit ift gut angelegt. So tonnte man mit ben neuen $ort* 
bilbungsfchuliefebüchem — mie es bas Dtesbner 3. B. ift — mohl im allgemeinen 
einoerftanben fein (nur bie RIaffenmitarbeit läfet natürlich {eine petfönlidje Rote 
auftommen), roenn fie nicht eben trotj allem $ortfd}ritt in ber Stoffausroahl— „haPP” 
djenliteratur" böten. 3war bie 3ufammenfteller finb auch h' er * n beroufet oon ben 
Dorläufern abgemichen —, ihnen ift bas tut3e, gebrängte Cefeftüd nicht mehr bas 
3 beal, im ©egenteil, fie nehmen längere 3ufammenhängenbe Stüde mit auf, unb 
es läfet fid} nicht leugnen, bafe fie bamit einem Bebütfnis entgegentommen; abet 
fie müffen oft fchon IDeglaffungen oomehmen, bie bas BUb bes ©an3en jehäbigen. 
IDenn mit ein abfchlieftenbes Urteil ausfprechen: Die neuen Cefe büchet finb in be* 
roufjtem ©egenjafj 3.u ben alten gefchrieben unb bringen barum manchen Sott* 
fchritt — fomeit es eben einem Buch, bas aus Stüden 3ujammengefet$t ift, möglich 
fein lann. 3a, mas foll benn aber nun noch mehr gefdjehen? U)ie foll ein Cefebudj 
noch 3medmäfeiget 3ufammengeftellt roerben? Run, mir meinen, am 3medmäfeigften 
ift es, menn überhaupt {eine neuen Cefebüdjet 3ufammengeftellt merben. 
brauchen fie nicht mehr, mit haben oiel billigeren unb befferen Cefeftoff, bet fij 
unb fettig baliegt, ber nur barauf märtet, enblich feinet Beftimmung 3ugefül}tt 3 U 
roerben, nämlich: gelefen 3U roerben. Das Cefen gan3et IDette, nicht nur ein* 
3elner flbfdjnitte aus ihnen, gehört in ben Unterricht, nicht nur in bie freie 
3 eit bes Schülers. tDas oetfprechen mir uns baoon? IDir fuchten oben bat3ulegen, 
bafo bas Stüdelefen nur 3 erfplitterung ftatt Sammlung, Ueugiet ftatt U)ifebegier, 
Schein ftatt Sein bringt. Unb roirtlid), um ein {taffes Beifpiel 3U mähl««i glaubt 
auch nur ein Rlenfch, bafj et burch ftunbenlanges tägliches Cefen oon 3eitungsab» 
{dritten nur annähetnb benfelben inneren ©eminn hat, als roenn er bie Räuber, 
ben UJerther, bie 3 phigenie ober gar ben Sauft lieft? ©in ©ebiet, nach allen Seiten 
burchmeffen, ein ©ebanle, nach jebet Richtung gemenbet unb burdjbacht, wirb in 
unfetem 3 nnem 3U einer ©otalität, roitb 3U einem in fich tuljenben ©ebilbe, 3U einem 
Sauerteig, ber unfet gan3es ©tnpfinbungs* unb Dorftellungsmefen burchbringt, er 
roitb 3U einem ©eil unfetes Selbfts unb roirb als folcher mitbeftimmenb für unfet 
Denlen unb ©un. tDas helfen benn flbfehnitte! Sie {önnen nie in Küt3e bas ©anje 
etjetjen, aus bem fie unter 3 erreij}ung aller feinen Cebensfäben herausgeholt rourben. 


.Don tltaj $<f)merler 


143 


Das ©anje gibt ein runbes Bilb, bet Seil nut einen Afpeft. 3 ebes Kunftwetf (teilt 
eine ©ntwidlung bat; biefe ©ntwidlung mit 3U durchleben, babei mit 3U bangen, 
311 fürchten, 3U jaudjjen, 3U meinen, fi<h mit erhoben obet niebetgefdjmettert 3U 
füllen, fidj fügten 311 tajfen, willenlos, mit (einen ©ebanfen DOtaus3tiei(en, bem 
Sc^ictfal in bie unbarmfeigen Habet greifen, innerlich ^mit taten unb Reifen, ab* 
mehren unb aufbauen — fwg: mitfcfjaffen 3U toollen, bas ift 3 ®«ct unb Segen bet 
£eftüre. Diefen Segen fann nut ein tunbes ©an3e, biefen Segen ooll tann nur 
ein großes Kunfttoet!, biefen toieber auf bie 3ugenb bringen fann nut ein Kunft* 
toetl in oolfstümlidjer ©eftalt, unb woljl uns, bet toaste Dieter fteljt bet Doif* 
heit fo innig nalje, bafj et nidjt anbets als wirflidj oolfstümlidj fdjretben fann. Dat* 
um ift bie Auswahl bes £efeftoffs — benn 3U biefet $rage fommen mit nun — 
nidjt feljt fdjwierig, wenn mit nut nicfjt fdjulmeifterlidj oetfaljren unb uns als 3iel 
fejjen wollen, bas ©elefene muffe oöllig bem Sdjület flat fein. 3 ft es benn uns, 
ben Centern oöllig flat? tDet mag behaupten, ein Kunfttoetf ooll ausgefdjöpft 
3U haben? Dafc uns fein Ausbtud, fein Satjbau bunfel geblieben ift, bafj toir ben fafc* 
baten 3 nljalt angeben fönnen — meinetwegen; aber bafj wir ben Stimmungs* unb 
©efüljlsinijalt, unb bet ift bie fjauptfadje, oollftänbig in uns nadjgelebt Ratten, wie 
i^n bet Dichter erfüllt fjat — wer wagt es oon fidj 3U behaupten? Datum meinen 
®it: liiert batauf fommt es uns an, bem Schüler jebes ©üpfel auf bem i erläutert 
3U haben, fonbetn wir finb fdjon 3ufrieben, wenn wit feljen, bafj et beim £efen einen 
etlefenen ©enufe f^at, bafj et oom fjauefj bes (Ewigen unb (Erhabenen berührt wutbe, 
bafe et in fjöfjen unb liefen geblidt, bie iljm feilet unbefannt waten, bafj et ©in* 
brüde empfangen ijat, bie iljm 3eitlebens unoetgeffen bleiben werben, bafj et bas 
®etf im gan3en unb großen nadjfdjaffenb miterlebt hat, bafj es als Riegel* 
fptenget, als Scheinwerfer auf i^rt gewitft hat — bann fdjon finb wit 3ufrieben. 
Unb an joldjen EDerfen ift in beutfdjen £anben fein HTangei. £afjt bie ©röfjten 3U 
bet 3 ugenb fptecfjen! 3 unädjft bas Dolf in feinen Sagen felbft. ©s mufj enblich ba* 
hin fommen, bafj es einem 3 ungen als Sdjanbe gilt, bas Itibelungenfieb, bas 
©ubtunlieb unb bie anbetn oölfifdjen Sagen nicht gelefen 3U haben, bafj et bie 
teinfte Datftellung germanifchet ©fjarafterbefdjaffenljeit, wie fie aus ben 3 slänber* 
gefdjidjten leudjtet, nicht fennt, bah €t nur immer übet bie ©oethefchen unb Schiller* 
fö en unb fjebbelfdjen unb, unb, unb fjauptwerfe teben hott, fie felbft aber nie in 
hänben, gefchweige im fjetjen getragen hat. £afjt bie 3 ugenb an bie Quellen, gebt 
ihnen Btot, nicht 3 u>iebad, audj nicht Steine! Dertraut bem gefunben Sinn bet 3 u* 
9 e nb, nehmt fie etnft, päpelt ihnen nicht löffelweife Dorgefautes unb breimal Dor* 
»erbautes ein! Steüidj: Rieht alle EDerfe eines Dichtets fönnt iljt ihnen fdjon bieten; 
ntadjt ihnen nut Appetit, fie werben bann fdjon felbft 3U ihm 3urüdfehren, ftatt 
}nm Sdjunb. Schon jetjt müfjt, fönnt ihr wenigftens bie £eftüre mit nach fjaufe geben. 
IDatum benn nicht? ©rofcügig fein, nidjt pebantifdj unb bureaufratifdj. JDenn wit 
fo anfeljen, fteljt eine ungeheure Auswahl oon £efe(toff 3m Detfügung. Der 
*htet fenne feine Klaffe, fenne fidj; benn an feinem $euet bet Begeifterung ent* 
®idelt (ich bas bet fudjenben 3 ugenb. Keinem £ ehret follte ootgefdjtieben werben, 
®as et in folcfjen Dingen 3U „behanbeln", feinem auch nur, bem es nicht liegt, bafj et 
eftüte 311 leiten habe. Dann wirb bet £efeunterridjt $tücfjte bringen; um fo mehr, 
le tatträftiger bie Unterftüfcung butdj bie Sdjülerbibliothef ift, bie ihre überängftlidje 



144 


£iteraturbericf)t 1914: Eheraturforfdjung unb Derroanbtes 


flbgtenjuttg na© S©uljaljren enbli© aufgeben follte. 3 u teuet ©irb fol©er Unter* 
ri©tsbetrieb au© ni©t ©erben, benn alte bie guten Schriften unferet Klaffifer, 
aber au© bie eines Bismatd, eines Jeremias ©otttjelf unb Dieter, Dielet anbetet jinb 
in unfeten großen Bü©etfammlungen für ©enige Pfennige ju haben. — Itun ift 
3©eifeUos, bafj bei fol©em 3 iel bes £efeunterri©ts bie fogenannte Bilbung in ben 
Reatftoffen 3U !ut3 fommt. Können bann nidjt bie S©ülerbü©ereien eintreten mit 
Bü©em, bie $a©©iffen in guter Sorm, bie roiffenf©aftli©e Stagen grünbli© be* 
Ijanbeln? Kann nicht auch bet £efjter in feinem Unterricht fotche Büchet hetan3iehen, 
baraus Dotlefen unb 3um IDeiterlejen ermuntern? Bas geht unb geht fogat gan3 
gut. Bas eine tun unb bas anbere nidjt taffen. 

IDenn ©tt für bas £efen im $ortbilbungsf©uluntetri©t eintreten, bas ©ir im 
Botfteljenben getenn3eidjnet haben, fo finb ©ir uns alterbings auch beroufet, bafj 
©it bamit in bie tüdenlofe (Entroidlung bet Sottbilbungsfdjule 3Ut $adjf<hule eine 
Brefche 3U legen fudjen; benn ©ir finb ber Itteinung, bafe bie heran©a©fenbe 3ugenb 
nidjt nut Dom einfeitigen Hüt)li©feits* unb Berufsftanbpunft aus erlogen ©etben 
barf, ©eil ©it nidjt nut bie Spe3ies Berufsmenfdj, fonbetn bie ©attung Utenfdj 
et3iehen ©ollen. Bo© bas ©äte ein ütjema für fich- 


£iteraturberid)t 1914. 

£iteraturforfd)ung unb öcrtDanbtes. 

Don 3 utius Stern in Baben*Baben. 

3 ft es ein 3 ufalt? Biefes Berichtsjahr hat mit feine Beiträge 3ur IDeltlitetatur* 
fotfchung 3ugeführt. (Es fdjeint, bafe audj in folchen Ausläufern bes geiftigen £ebens 
fi<h ©runbgejetje unb Kot©enbigfeiten bes XDeltgefdjeljens abfpiegeln. Beutf©* 
ianb ift füt bie näcfjfte 3eit-ge3©ungen unb berufen, fidj auf fi<h felbft 3U befinnen. 
So ©irb au© bie £iteratur©iffenfdjaft in bet fjauptfa©e bet (Erforfdjung beutfcfjen 
literarif©en S©affens 3uge©anbt fein. — Hur eine Ausnahme ©äte 3U bu©en, bie 
bodj feine Ausnahme ift. Shafefpeare ift mehr beutf©er als englif©er Kfaffifer. 
Bie f©on im Dotjährigen Berichte ermähnte beutf©*englif©e „®emper*Ausgabe ift 
um mehrere Bänbe bereichert, (Dtljello 1 ) in ber Überfettung bes ©rafen Baubiffin 
hat Blajc Bteyerfelb mit fnappen Anmetfungen oerfehen, aus benen fid} bie Sorgfalt 
ergibt, bie auf eine 3uoerläffige ©eftaltung bes englifdjen unb beutf©en lEejtes oer* 
©anbt ©orben ift. $üt ben König £ear 2 ) hat ber Herausgeber £. £. S©ücfing bie 
Berbeutfdjung Don £. ©ied benützt; bie Anmetfungen machen auf bie foiemli© 3 a $ ä 
teilen) 3 rrtümer bes Überfehers aufmerffam. Bern $otf©er ©ie bem tiefer intet* 
effierten £efer gleich erroünfdjt unb banfens©ert ©irb bas Bänbdjen fein, ©omit unter 
A. Btanbls oerant©ortli©er £eitung bie Beutf©e Shafefpeare*®efellf©aft ih r 9 I0 fe es 
3 ubiläums©etf eröffnet hat Biefe gtofj angelegte Unternehmung hat yxvnjfök 
alle für bie Bramen bes großen Briten irgenb©ie bebeutfamen (Quellen in bet 
Utfptadje un b in beutf©er Überfettung bequem 3ugängli© 31t ma©en, unb 3©at in 

p Shafefpeare, ©©ello, bet irtofjro.Denebig. Deutf© non IDolf ©raf Baubiffin. 
Ceip3ig (0. 3.), Hempel=Derlag. Zw. geb. Tlt. 3,—. 

2) Detf., König £ear. Deutfdj oon £ub©ig ftiecf. CEbenba. £©. geb. HL 3,—• 



Don Julius Stern 


146 


befonberen Bänbdjen für öie einjelnen Stüde. Das erfte Bänbchen (bas ©rfcheinen 
bei fpäteren ift wohl burdj Öen Krieg oetfchoben) enthält bie Quellen 3um König 
£eat, ^erausgegeben non R. $ifd}er. 8 ) ©n ©eleitwort oon fl. Branbl beutet ben 
©efamtplan bes gro&en IDetfes an. ©ne !ut3e Überficfjt in Stammbaumform ftellt 
bie fjuuptmotioe bes Dramas unb ihre literarifche Derarbeitung bis auf Shafefpeate 
3u|ammen. Dann folgt eine wortgetreue Rlitteilung ber Quellen in ber UrfptaQe 
unb in ber meift oom fjetausgebet gelieferten Überfettung. Danlenswert wäre eine, 
wenn auch noch fo futje Belehrung über bie Bebeutung biefer „Quellen" für ben 
Didfter. Denn es fteljt bod} feft, baf} er nidjt felbft alle biefe Darftellungen ber £ear* 
Sage gelefen ^at. Den Reigen eröffnen einige Kapitel aus bet Iateinifdjen ,,©e= 
f^idfte ber Briten" oon ©alfrib oon ZTtonmouth (c. 1135 ). Dann folgt fjolinshebs 
Cfltonil oon ©tglanb, Sdjottlanb unb 3 rlanb ( 1577 ). Daran fchliefeen fidj bie oon 
fjiggins ftammenben Strophen im „Spiegel bet Qbrigfeiten", in benen ©orbelia il)re 
Bezweiflung befingt ( 1575 ) unb ber oon £eat Ijanbelnbe flbfdjnitt aus Spenfets „$een= 
fönigin" ( 1590 ). flm widjtigften ift rooljl bas 1594 in Conbon aufgefüljrte d^ronifen- 
brama oom König £eat unb feinen brei dödjtern, beffen fünf Alte oollftänbig mit* 
geteilt werben. Den Sdflufe bilbet bie ©efdjichte oom Paphlagonifdjen König aus 
Sibneys „flrcabia" ( 1590 ), aus ber Sfyafefpeate bie ©lofter*©efdjichte geköpft hat. 

beutfche £iteraturforfchung 

ijat biefes 3 a^r ein Rac^fdjlagewet! gebracht, bem bie Danlbarleit weiter Kreife 
fidjet ift. Ijerm. flnbers Krüger 4 ) Ijat, gleidjjatn als wiffenfdjaftlicher deftaments» 
oollftteder feines gteunbes flbolf Stern, ein £itetaturlefifon ausgearbeitet, bas, ut= 
fptünglid) als Umarbeitung bes Sternfdjen „£eji!on bet Rationalliteratur" ( 1882 ) 
gebaut, fidj 3U einer oöllig felbftänbigen £eiftung ausgewadhfen hat. Unter Benützung 
bet gegebenen Dorarbeiten oon ©oebefe, fl. Stern, Bartels u. a. Ijat Krüger mit 
jener ©rünblidjfeit unb ©ewiffenfyaftigfeit, bie bas felbftoerftänblidje UTetfmal bes 
beutfdjen ©eleljtten ift, unb mit jener Selbftentfagung, bie fidj jeber £eji!ogtaph (unb 
Ktüger ift gar nod) Dieter!) aufetlegen mufe, ein fjilfsmittel geraffen, für bas er 
mit Hecht bie Danlbarleit aller „Bibliotljelare, Stubenten, £el)rer, Buchhanblet, 
Joutnaliften unb Büdjerfreunbe" erwarten barf. flufeet ben Autoren finben fid) ^ier 
ie gelben ber Dichtungen, bie wic^tigften Rlotioe unb Stoffe, bie literarifd) bebeut* 
famen Stabte unb £anbf<haften, aber auch bie hiftorifdjen unb literarljiftorifchen 
Sqlagworte mit ben wichtigften £iteraturangaben oer3ei^net. 3m allgemeinen hat 
jtq bet Derfaffer auf bie beutfche Hationalliteratut befchränft, biefe aber oon ben 
a teften 3 eiten bis 3m ©egenwart berüdfidjtigt. Don auslänbifcher Dichtung ift nur 
exogen, was 3weifelIos für beutfche Dichter in ber Dergangenljeit oon ©nflufj 
Der Derfaffer oerheljlt fid? nicht, bafj biefer erfte IDurf noch manche £üde ent* 
v en mag. Aber auch fo ift bas IDerf, bas fidjerlich halb berichtigte unb erweiterte 
ufiagen etleben wirb, ein mehr als nützliches, ein faft unentbehrliches fjilfsmittel 
T ut lebe ©ft orientierung auf titerarifdjem ©ebiete. 

Sf > a M peatcs Quellen in bet QriginalfpraQe u. beutfdj hetausg. im Auftrag bet 
Sb.*< 5 ejell|ch. 1 . Bbdjen: König Cear, hetausg. oon Rub. gifdjer. Bonn, fl. 
a u. <£. Weber (Dr. iur. fl. flljn). ©eb. TR. 2 , 80 . 

) *)• fl. Krüger, DeutfQ. Citeraturlejifon. tltünQen, d. f). Bed. ©eb. HL 7 , 50 . 
f. >. beutfd|tn Unttrridtt. 29.3a$rg. 2. Cjcft 10 



146 


£iteraturberi<ht 1914: £iteraturforf<hung unb Derroanbtes 


Den Prin3ipictt bet £itetaturu>iffenf<haft roibmet Peterfen 5 ) eine Unter* 
[uthung, bie bem Anbenlen bes UTeifters ©rieh Sd)mibt geroibmet ift, aber in ißter 
philo[ophi[ch 5 fritt[chen Dertiefung mehr auf ben Bahnen IDilhelm Diltheys roanbelt. 
Det Aufenthalt im fluslanb (an bet yale*Unioer[ität) hat ben Detfafjet oeranlaßt, 
bie Aufgaben bet beutfdjen Philologie mit un3tDeifelhafter Klarheit 3U etfoffen unb 
aus3u|ptethen. So fommt et nach gtünblicher unb |thatf{inniger Prüfung aller mög* 
liehen Auffaffungen 3U bem ©tgebniffe, baß bet £iterarhiftorifer, „wenn et fein 
letztes 3 id im Auge behält, als ein IRitarbeiter an bem unermeßlichen tDert einer 
Autobiographie bet IRenfchheit" erfcheint. Aus biefer höchften Aufgabe toerben mit 
mohltuenbet Sicherheit bie $otbetungen für bie ein3elnen 3® e ige bet £iteratur* 
roiffenfehaft unb ihre Be3iehungen 3U anbeten Oif3iplinen, 3. B. 3ut Äfthetil, auch 
3Ut Kritil bet ©egemoartsbichtung abgeleitet. Das freilich ift bem Detfaffet Hat, baß 
bet £iteraturunterri<ht in ber Schule nicht nur nach ^iftorifc^cn ©efichtspunften ge* 
geben toetben barf, baß hto nielmehr hiftotifehe Bilbung unb ©efdhmadsbilbung 
fjanb in t?anb gehen, alfo „ein Kompromiß 3toij<hen angetoanbtet £iteraturgefehiehte 
unb angetoanbtet Aftljetil" ftattfinben muß. 


I. 3u[ammenfaffenbe Oatftellungen. 

Oie ©ruppierung bes literarifehen Schaffens nach £anb[<haften, Stämmen unb 
UTunbarten, bie für bas groß angelegte, leibet noch nicht oollenbete IDerl oon 3ofef 
Hobler*) bas ©inteilungsprin3ip abgegeben hot, roirtt auch toeiiethin als maßgeben* 
bet ©ejichtspunft für manche toertoolle Datftellung. So hat ©. K. A. Krüger 7 ) ben 
Detfuch gemacht, ben oon R. ©dort 8 ) in [einem „fjanöbuch 3m ©efchi^te bet platt* 
beutfehen £iteratut" mit entfagungsoollem $leiße gejammerten Stoff 3U einet fy[te* 
matifchen Behanblung ber nieberbeutfdjen Ortung oom fjdianb bis 3m ©egen* 
roart 3U oetarbeiten. (Er hat eine brauchbare Überficht geraffen, bie butch ein* 
geftreute Proben getoüt3t unb but<h Anfügung oon Regifter unb 3«ttafel bereichert 
ift- Aber mit [einen Derteibigungsoerfuchen rennt er offene Hüten ein; benn an bet 
Berechtigung folcher [tammesgef<hid?tlichen ober munbartlichen £iteraturbetrachtung, 
bet [djon $r. ©h- Oijchet in etquidlichen hejametern (S. 179 ) bas U)ort gerebet hat» 
3u»eifelt toohl heute lein Urteilsfähiger. 

$üt eine anbere Sprachprooin3, bas alemamtifche ©ebiet bet Schwerer Dich* 
tung, hat Abolf §tey 9 ) in einem feinen Büchlein mit ©efdjmad unb überlegenem 
Urteil bie Aufgabe gelöft, bas tDertooIIe unb Bebeutenbe aus ber Spreu bes nur ört* 
lieh 3 nteref[ierenben heraus3uheben unb bureh einfühlenbe ©haralterifierung bes 
3 nhalts unb ber Kunftformen unb butch eingeftreute Proben bem Orientierung 
[uchenben £e[er bie Urteilsbilbung 3U erleichtern. Klärlidj finben [o 3eremias ©ott* 
helf, ©ottfrie b Keller, ©ontab $erbincmb IReyet, 3 o[ef Oiftor IPibmann eine ein* 


m Dr * 3 . Peterfcn, £iteraturgejehiehte als XDifJenfdjaft. heibelberg, ©. Om* 

6 ) S. bie[e 3 eitfdjr. 28 . 3 g. S. 222 f. 

7 ) l|. K. fl. Krüger, ©e[<h. ö. nieberbeutfehen ober plattbeutfchen £it. oom hAi® 
Ms 3« ©egem». Schtoetin 1913 , Stiller, Hl. 4 ,—. 

8 ) S. bie[e 3 eit[<hr. 26 . 3 g. S. 130 . 

- . > fl ; Stey, S^roei 3 et Dichter (U)i[[enfch. u. Bübung 126).' £eip3ig, Quelleu.Bley< 
® e h- m. 1,—, geb. Ul. 1,25. 


I 

I 



Don Julius Stern 


147 


geijenbere IDütbigung. Aber auch wenig öberragenbe, wie Dranmor, Ceutholb, 
3a!ob $tey, Amolb ©tt, lommcn 3U intern Recht; unb was Srey übet bie Beteiligung 
bet Schwerer Dieter älterer 3 aljrhunberte am beutfdjen (Beiftes.Ieben 311 fagen füt 
nötig erachtet (man benle 3. B. an (Efleljatbs „tDalt^arilieb", an bie Derbheiten 
IDittenweilets, (Sengenbachs, -ZRanuels u. a., an fllbtedjt 0. fallet unb bie 3 ürichet 
Citeraten bes 18 . 3 ahrhunberts!), bas 3eugt non bem IDeitblid unb gefdjulten (Be* 
fchmad bes heroorragenben £iterarhiftorifers, bet felbft auch als Dichtet 3U ben 3ierben 
bet fdjweqerifchen (Begenwartsbichtung gehört. Die noch Cebenben hat $tey aus 
triftigen (Stünben nicht in ben Rahmen feinet fnappen Darftellung aufgenommen. 

Der (Einteilung bes bichterifdjen Staffens nach Stämmen unb Canbfchaften, 
toie fie bie genannten Proben in Anlehnung an Sauet, Hablet u. a. aufmeifen, haben 
bebeutenbe Citeraturforfcher, toie bet nun auch oerftorbene R. I 1 T. IReyer, Dilthcy, 
Kummer u. a., bie ©lieberung nach Defaben unb (Senetationen gegenübetgeftellt. 
fluch h^tfüt hat bas Berichtsjahr eine Probe geliefert, allerbings eine mißlungene. 
höl3le l °) uerfucht, bas literarifche Staffen Deutfchlanbs feit ben Anfängen bet IRo» 
beme bis 3m ©egenwart, alfo ungefähr bie Dichtung ber leßten (Seneration, übet* 
fidjtlich baQuftellen. Solche Behanblung bes IRiterlebten ift immer mehr als jebe 
anbete literarhiftotifdje Aufgabe bet (Befahr umoiffenfchaftlicher Subjeftioität aus* 
gefeßt, unb beshalb hat mit Recht peterfen (f. 0.) bie Behanblung 3eitgenöffif<her 
Werte nicht 3ur Citeraturforfchung geregnet, fonbem als Kritif be3eidjnet, unb Srey 
(f. 0.) hat mit gutem (Brunbe nicht oon ben noch lebenben Schn)ei3er Dichtem ge* 
{proben, obwohl ihm ber tDille unb bie Säljigleit 3ur ©bjeftioität gewiß nicht fehlt. 
höl 3 te aber entbehrt biefes tenn3eichnenben IRertmals wiffenfchaftlicher Reife. Seine 
Darftellung ein3elner Dichterperfönlichteiten ift oft nur eine Auftählung oon Bücher* 
titeln, unter benen manchmal getabe bie wichtigften fehlen, oerbrämt mit einigen 
ootfhnellen, um nid)t 3U fagen fchnobberigen überfubjettioen Urteilen, bie nicht be* 
lehren, fonbem irrefühten lönnen. Reben IDetten wie Sorget (um nut eine gut 
orientierenbe Behanblung bes jüngften Deutfdjlanb 3U nennen) haben foldje Büchet 
laum Dafeinsberechrigung. 

II. (Ein3eIfotfchungen. 

®ne feffelnbe Stubie wibmet IDoIfgang Ciepe 11 ) bem Religionsproblem, 
fofem es für bie (Beftaltung bes neueren Dramas oon Ceffing bis 3ur Romantif 
oon Bebeutung ift. U)ie Ceffmgs „Rathan" als rationaliftifches Henöen3ftüd (ich in 
bie religiöfen Strömungen feiner 3 eit einfügt, wie fidj bie Klaffifer 3ut pofitioen Re* 
ligion ftellen, bas wirb, mit eingehenberer Analyfe ber „ 3 ungfrau oon ©rleans", 
Iuq unb fcharf, mit wohltuenber Reife unb Sicherheit bes Urteils umriffen. (Ein* 
Sehenbet ift bie Stellung ber Romanti! 3m Religion behanbelt, ihre (Befüljlsteligion 
im ®egenfaß 3m IRotalteligion Kant*S<hüIets. Als Dorftufe erwächft ber romanti* 
jhen Pfydje eine fpino3iftif<h*pantheiftifche Haturreligion, repräfentiert burch halber* 
aas „ümpeboHes". Dann entfaltet fid) bas Beftreben, für bas Unenbliche eine fym* 
P oHfierenbe I Rythologie 3U Raffen. Sn biefe Richtung gehören ©eds „(Benooeoa" 

tö) h. höl3le, Die beutfche Oteratur oon ben Anfängen ber DTobeme bis 3ur (Segen* 
■«■„«-pH («• 3.), ©erftenberg. ©eh. IR. 4 ,—, geb. IR. 5 ,—. 

©• Ciepe, Das Religionsproblem int neueren Drama oon £cffing bis 3« Romantu. 
™ Q «a XII.) halle, IR. Riemeyer. IR. 8,—. 


10* 



148 £Ueraturberitf|t 1914: Ctteraturforfchung unb Derroanbtes 

unö 3 a^atias IDctitcts erfte Dramen. Das mythologifche Bebürfnis enbet fchliefeüd} 
in bet pofitioen Religion, 3umeift im Katholfeismus, beffen oollftänbigen Sieg wir 
fdjon in IDemers fpateren Dramen („Kteu3 an ber ©ftfee", „Btartin Cuttjet ober bie 
IDetye ber Kraft", „fltutter ber ITtaffabäet" u.a.) felgen. Dem Ie^tgenannten Dieter 
bat bet Detfaffet eine befonbets eingehenbe Bebanblung angebeiljen laffen, bie einet 
Rtonograpbie nahefommt; et hat bamit eine ootbonbene £üde bet £iteratutforfdjung 
ausgefüllt. Das fchwanfenbe, b<»Itrofc Riefen biefet unetfreuli<bcn Didjtergeftalt 
ift btet mit Öbet3eugungsfraft aus ben pfychifdjen tDur3etn bes IRannes abgeleitet. 
R)ie bann in Arnims „Halle unb Jerufalem“, in Brentanos „©rünbung Prags" unb 
in bes oötlig fampflos gläubigen ©djenborff „<E3elin oon Romano" unb „£ebt et 
Helb oon Rtarienburg" bie romantifebe Dramatif als Sieg bes Katholfeismus aus* 
Hingt, bas 3eigen bie lebten Kapitel bes gebaltootlen Buches, bas auch in feinem Stile 
literarifcbe Spülung unb ©efdhmad offenbart. Das Sdjlufewort wirft noch einen 
Blid auf bie tDeiterentwicöung bes teligiöfen Problems im Drama bes 19 . 3 al|t* 
bunberts bis fjcbbel, worüber man gerne ausführlichste Belehrung oon biefem be* 
tufenen Krittler hören möchte. ( 3 n ben öteraturangaben oetmiffe ich bas anteaenbe, 
allerbings nur fragmentatifcb aus bem Rachtaffe bes Autors hetausgegebene Buch 
oon ( i. Kircbet: „Die Philofophie ber Romantit".) 

©ne willtommene Beifpielfammlung aus einem anberen ©ebiete religiöfer 
Dichtung, ber teligiöfen Cyti!, bietet R)ill Defper 1 *) in feinem „Deutfben 
Pfaiter". Seine Auswahl reicht oom IDeffobrunner ©ebet bis 3U Rietjf<h es unbelann* 
tem ©ott, umfpannt aljo mehr als ein ialjttaufenb geiftlicher Dichtung. Die älteren 
Stüde hot ber Herausgeber felbft in gefcbmadooiles Reuhochbeutfch übertragen. Die 
Sammlung, bie 3unächft wohl erbaulichen 3 toeden bienen foll, wirb gewifo auch bem 
Religions* unb bem Citeraturlehrer willtommen fein; er wirb 3. B. alle wichtigen 
Proben bet Reformationslyti! barin oorfinben. 

(Einen Beitrag 3ur oetgleicbenben Ctteraturforfchung gibt $rib tDinth« ) m 
feiner Stubie übet „Das gerettete Denebig", bie oeranlafet ift bureb bie (Ent* 
bedung, baf} bas Drama bes (Englänbers ©tway ( 17 . 3 ahth.) butch ben §tan30{en 
Ca S°ffe ( 17 . 3 ah*h-) unb bureb ben beutfeben Reuromantifer Hugo oon Hofmannsthal 
bearbeitet worben ift. Das Shema gibt ©elegenheit 3U ethnologifcben, literarhiftorifchen 
unb ftilgefd}ichtlichen Dergleichen; aber all3u grofe ift bet (Erttag ber oethaltnismäfjig 
umfangreichen Arbeit nicht; fie macht im gan3en ben ffinbrud einer fleißigen Seminar* 
arbeit. Die Ausblide auf bie beutfebe Kultur, bie ber Darftellung eingefügt finb, laffen 
nicht oetfennen, baf} fie aus amerifanifeber $erne unb aus fungen Augen angeftelltfinb. 

3 u Dergleicbungen regtauch bie Sammlung oon Rapoleonsgebi^ten an, bie 
©s!at Hellmann 14 ) oeranftaltet unb mit einer gut orientierenben ffinleitung über 
bie poetifebe ©eftaltung bes Rapoleonsmotios bei ben Dichtem oetfebiebenet Ratio* 
nen oerfehen hat. Das hübfehe Büchlein ift alfo ein erwünfebter Beitrag 3m IDelt* 

12) H). Defper, Det beutfebe Pfaiter. (Ebenhaufen b. Hlüncben ( 0 . 3.)« Cangetoiefch*' 
Branbt. IR. 1,80. 

13) 5t. IDinther, Das gerettete Denebig. ©ne oergl. Stubie. Berfeley, University 
of California Press. (Un. of Cal. Publications in Modem Philology 3,2.) # l f 50. 

14) ©. Heitmann, Rapoteon im Spiegel bet Dichtung. <5logau»£eip3ig, H € ** mann ' 
Kart. IR. 2,—, Zm. IR. 3,—. 



Don 3ulius Stern 


149 


literatur, öemnach wären meine einleitenben Bewertungen ein3u|d}tänten; 5 a aber 
5 ie heutigen Dichter überwiegen unö auch 5 ie auslänbifchen ©ebichte nur in beul* 
föer übetfe^ung mitgeteilt finb, mag es in erfter £inie als Beitrag 3ur beutfcf}en 
Citeraturforfcfjung hier ermähnt fein. 

EDie ein (Broker fid} im Urteile einet beftimmt abgegren3ten literarifchen Rötung 
unö 4 podje fpiegelt, Öas3eigt Kanehls 16 ) geiftoolles Buch: „Oer Junge ©oethe im 
Urteile öes Jungen Deutfchlanb". (Es ift ein wertooller Beitrag 3ur ©efdjichte 
5 er Ua^roirfung ©oethefchen Staffens unö ©eiftes. Dafe öie Stürmer unö Dränget 
öes Jungen Deutfchlanb Öen Jungen ©oetlje, öen Stürmer unö Dränger, im ©egen* 
fat) 3U öem älteren, öem Ktaffyiften, auf öen Sdjilö ergeben, I?at feine naheliegen* 
Öen pfydjotogifdjen ©tünöe. Aber bodj ift öie Stellungnahme Je nach öer Per* 
fönlidjteit unö öem Bilöungsgange öes ein3elnen oariiert. Auf ©runö umfaffenöet 
©uellenftubien unö mit fdjarffinntget Abwägung öer Beöeutung öer ein3einen Ut* 
teile 3ei«hnet öer ftilgewanbte Detfaffet öie ©ntwicflungslinie öiefer Urteilsbilöung 
bei öen oon öen Romantitem hertommenöen Stauen (Bettina unö Raljel), bei Uten* 
3el, Börne, Heine unö öen 3 ungöeutfdjen im engeren Sinne (©utjtow, £aube, IDien* 
barg ufro.). ©b unö inwieweit öiefes Urteil übet öen iungen ©oetlje im ©inttang 
fte^t mit öem (Einfluffe, öen er auf fungöeutfdje öidjterifdje tEätigteit ausgeübt hat, 
öas wäre Aufgabe einer felbftänöigen Unterfuchung, öie öer Derfaffer als Berufener 
hoffentlich noch burcfjführt. 

Utit öer öen „Breslauer Beiträgen" unö ihren Herausgebern (ITCaf Koch unö 
©tegor Sana3in) eigenen ©rünblichteit unö ©ewiffenhaftigteit hat Johannes Honig 16 ) 
öie öichterifche Beöeutung oon Setöinanb ©regorooius unterfucht unö öamit 
einen wertoollen Beitrag 3ur ©rtenntnis öes ©ren3gebietes 3wifd}en Dichtung unö 
©efchichtfchreibung geliefert. Denn Jene oöllige poetifche Dutchglühung öes hiftori* 
fä?en Stoffes, wie wir fie etwa in Schillers „EDatlenftein" bewunöern, ift öem Dichter 
öes „Hibetius" nie gelungen; er blieb immer im gefchichtlichen Stoffe fo tief fteden, 
öafe nie ein oöllig reines poetifches ©ebilöe herauswuchs, unö war öoch auch nicht 
hiftoriler genug, bafc nicht feine Reigung 3U poetifcher Derarbeitung auch in feine 
gefchidjtlichen Aufgaben („©efchichte öet Staöt Rom im Utittelalter" u. a.) hinein* 
gewirft unö fo ihren wiffenfchaftlichen U)ert beeinträchtigt hätte. So bleibt als (Et* 
gebnis ein Dilettant im eöelften Sinne öes IDortes, eine Schriftftellerart, öie öer 3weiten 
Hälfte öes 19 . 3 ahrh. nicht fremö ift (©obineau u. a.). immerhin finö feine öichteri* 
fhen Derfuhe unö Überfetjungen fo gehaltooll unö 3um ©eil gan3 nahe an wirtliche 
Kunft heranteichenö (3. B. öas liebliche (Epos „(Euphorion" aus Pompejis lebten 
Hagen), öaf; fich öie eingehenöe Analyfe Honigs wohl lohnt. Unö auch öie öichteri* 
then (Elemente in öen wiffenfchaftlichen Schriften ©regorooius’ hat er mit feinem 
Derftänönis aufge3eigt unö fo ein lehrreiches Beifpiel 3ut Pfydjologie öes Schrift* 
fteUers an (ich beleuchtet. Ulit befonöeren (Befühlen wirb man heute öie oon Dater* 
anösliebe burdjglühten prophetifdjen U)orte öes in Rom lebenöen ©ftpreufjen übet 
l ü 3 ulunft u nö IDeltaufgabe Deutfchlanös (S. 77 , S. 238 f.) lefen. 

15 ) *- )r - ®. Kahnei, Der Junge ©oethe im Urteile öes Jungen Deutfdjlanö. ©retfs* 
tDa ® W 13 , Hatsbuhhanölung Bamberg. HI. 3 , 60 . 

*b) 3 oh. Hönig, gerb, ©regorooius als Dichter (Brest. Beitr. 3ur £iteraturgefch. 
w - 39 - Heft). Stuttgart, 3 . B. UTefcler, TIT. 5 ,—. 



150 


£iteraturbetidjt 1914: ttteiatnrforfdjung unb Derroanbtes 


Dem flnbenten eines fjunbertiährigen hat ©tto U)elt3ien 17 ) ein liebliches, mit 
feinen Bilbthen unb 3 ei<hnungen gefchmüdtes Büchlein getoibmet 3 ol)n Bund* 
mann toutbe am 3 . 3uli 1814 in Hoftod geboren. Seine plattbeutfd)e Cytif fügt ihn 
in bie oorberfte Reihe bet Dialeftbichter, unb fein burdjaus fchtidjtes IDefen tonnte 
nur in ber einfach toarmhei3igen ©onart lebenbig toerben, bie XDelfeien glücHich ge» 
troffen hot. Das ©ebentbüchlein toirb befonbers in bet nieberbeutfehen Ijcimat bes 
Dichters gerne gelefen unb als ©efdjent an bie 3 ugenb uerroenbet toerben. 

fluch c *ne ©ebenffdjrift, auch einem an ber ©ftfeelüfte geborenen Dieter ge» 
roibmet, ift ber feinfimtige fluffafe oon HL Riehti^) über ©eibel unb bas ©riechen« 
tum. Die Arbeit ift angeregt butch ben ©ebanfen an ben uor einem Hlenfdjenalter 
(6. April 1884 ) erfolgten ©ob bes Dichters unb 3ugleich als Dotläufer bet 3um 100. ©e« 
burtstage ©eibels ( 18 . ©ttober 1915 ) 3u ertoartenben ©eibel*£iteratur 3U betrag* 
ten. 3 n bet ©at ift bie Be3iehung ©eibels 3um ©riechentum bas Kernproblem feiner 
Künftlerpetfönlichteit. Derfaffet 3eigt, geftüfet auf gtünbliche Kenntnis non ©eibels Dich 5 
tungenunb bet griedpfchen Kultur, toie bie innere Derruanbtfchaftbes Dichters mitbem 
fchönheitsfrohen, mafeoollett, harmonifchen©eifte bes Haffifchen©rie<hentums fein fünft« 
lerifdjes 3 beal entftehen unb in feinen tDerfen lebenbig toerben liefe. tDer ©eibels ®e« 
bidjte im Unterrichte behanbelt, toirb mit Hufeen bie frifch gefchriebene flbhanblung lefen. 

©ines lebenben Dieters fünftlerif<h«feelifche IDefenheit oerfucht Kurt Kun3e ia ) 
3U 3etgliebetn. Richarb Dehmels Dichtung erfcheint ihm als ber „flusbrud ber 3 «t* 
feele". Schon biefer flusbtud fcheint mir nicht feht glücflich; es läfet fief? nicht aUjuuicl 
babei benten. Hlan fpürt beutlich ben ©influfe oon Karl Camprechts gefcljichtspfgch 0 * 
logifchen Begriffsbeftimmungen, bie oft 3U fehr ins Unabgegren3te 3erfliefeen, als 
bafe fie ohne ©efaht oon einem Anfänger in toiffenfchaftlicher gotfehung gehonbhobt 
merben tonnten, ©s toirb überhaupt immer mehr bie Aufgabe eines ausgereiften 
Hteifters fein, bie 3 eitbebeutung eines noch Sebenben, beffen ©nhoidlung noch nicht 
öbgefdjloffen ift, begrifflich 3u erfaffen. Unb gerabe für Dehmel hot bie gtofee ©egen« 
toart eine neue ©poche, eine neue 3ugenb gebracht, fo bafe et oieHeicht toitflich e * n 
„(Exponent bet 3 cit" toerben fann. IDie aber ber Derfaffet bie ©ebichte Dehmels auf 
ihren Pro3entgehalt an „Sinnesbaten" unterfucht unb biefen in mathentatifch^n 
©abeilen 3 ufammenftellt, bas mag oielleidjt eine nüfeliche Übungsarbeit im pfy<h<>* 
logifchen Seminar fein; aber 3ur Deröffentlichung folcher Dorarbeiten liegt fein flnlafe 
oor. flnetfennung oerbient bie liebeoolle Detfenfung bes Derfaffers in bie IDetfe 
feines gelben; als folcher erfcheint ihm mit Recht bet butchaus männliche Dichter, bet 
bas ftarfe 3 eitfymbol „VOii tDelt!" geprägt hat. 

©ine f^lichtete unb flarere ©inteihung Dehmels in bie geiftigen Richtungen bet 
©egentoart fin ben toir in ber gehaltoollen Abhanblung Sieburgs 80 ), toorin in einet 


~- -r- 


17 ) ©.XDelfcten, Brindmann*Buch. 3 ohn Br.’ £eben unb Schaffen. 

R. hetmes. ©eb. Hl. 1 , 50 . 

m-t«. ^ AL Riefelt, ©. ©eibel u. bas ©tiechentum (Beil. 3. 3aljiesb. b. König* 

rorth.»©ymn. Stettin ®|tern 1914 ). Stettin, R. ©tafemann. 

' K. Kunjc, Die Dichtung Ridjarb Dehmels als flusbtud bet 3 eitfeele (Beitt. 3Ut 
nultucp u. Umoetfalgefd). hetausg. 0. K. £amprecht. 26 . $eft). £eip3ig, R. Doigtlänbet. 

reniiJÜl VS.*?* 8 ' neue Romantif. ©in Detfuch (Beil.3.3ahresb. b. ®bet« 

tealfhule hetne 1913 / 14 ). Ijerne, Kattenberg. 



Don Julius Stern 


151 


©egenüberftellung 3m Komantit not 100 Jahren bie mobemfte Dichtung, bie mir als 
Reuromanti! je%t fcfjon 3U bejeidjnen pflegen, in ihren (Brunblagen unb ihren 
hauptoertretern erläutert wirb, nicht erfdjöpfenb (bas ift bei bent geringen Umfange 
bes aus einem Dorttage hetoorgegangenen Auffahes nicht möglich), aber amtegenb 
unb mit Harem Blid unb ftarlem Sinn für bas IDefentlidje. 


III. ©efammelte Auffätje unb Dorträge. 

Die warmblütigen, wahrhaft beutfchen$er3en$ergüffe bes IDienet Kritifers gerb. 
Nürnberger 11 ), auf beten Dauergehalt id) früher einmal 82 ) ^ingewiefen habe, 
[inb mm aud}, mit oollem Rechte, für bie Sdjule nutzbar gemalt worben. Der Ijet* 
ausgebet flbolf töaijle hat in bem f dentalen Bänbdjen, bem er eine genügenb orien* 
tietenbe Anleitung über bas Ceben, bie IDerle unb bie männlich haftooHe, an3ie* 
henbe Perfönlidjleit bes „größten geuilletoniften ©fterreichs" oorausfchidt, mit 
großem ©efdjid bie wertoollften unb ftiliftifch wirlfamjten Proben aus Kümbergers 
lttetarif<h*!ritifchen unb Politiken Auflagen 3ufammengeftellt TRanche aus eblem 
3 ome über bas fätfdjlidj unb lügenhaft angeflagte Deutfchtum feiner läge (es finb 
bie Hage non 1866 unb 1870 !) geborenen Stüde feinet „Siegelringe" finb burdjglüljt 
oon proplfetifdjer ©efdjidftserfenntnis, fo baf} fie wie heute gefdjtieben anmuten. 
Der ©efd;ichtslehter unb ber Center bes Deutfdjen wirb gerne banad} greifen, wenn 
er feinem Unterrichte ebel oaterlänbifche Stimmung oetleihen will 

„Don Stunben ber tDeilje" nennt Peter Sd}neiber M ) feine Sammlung oon 
Seftteben, bie meift bayrifch*heimattiche ©egenftänbe feiern; nur bie erfte, bem An* 
benten Schillers an beffen 100. Hobestage gehaltene hat literarifchcn ©eljalt, ohne 
bas Durchfchnittsmag folcher ©ebenfreben 3U überragen. 

Aus ber umfangreichengeftfdjrift 3um XVI. Reuphtlologentag 24 ), ber in 
Bremen 00m 1.— 4 . 3uni 1914 abgehalten würbe, hebe ich nur bie Auffähe h e n>or, 
bie in ben Bereich ber £iteraturforfchung gehören, ©ine eingehenbe Quellenunter« 
fudjung 3U Swinbumes Tale of Baien gibt jolj. Ijoops, worin er eine ftarfe Ab* 
hängigleit bes englifdjen Dichters oon feiner mittelalterlichen Dorlage, bet Mort 
d Arthur oon ZRaloty, nachweift unb mit einet anbeten mobernen englifchen Beat* 
beitung besfelben Stoffes, Hennyfons Balin and Balan, oergleicht. Heinrich Spies 
liefert einen wertoollen Beitrag 3ut englifchen Dolfslunbe unb Sprudjbichtung burch 
Deröffentlichung unb Kommentierung bet Posies genannten DOibmungsoerfe für 
Ringe, Ijanbfchuhe u. a., bie er aus Ijanbfchtiften unb alten Druden in ©nglanb ge* 
jammelt hat — ©. Scriba führt nach Amerila hinüber; er förbert bie noch in ben 
Anfängen ftedenbe lDhitman*gotfchung, inbem er mit fjüfe ber bis je^t erreich* 
baten 3 eugniffe ein gut oerbürgtes Bilb ber literarifchcn unb perfönlichen Be3iel}un* 
gen 3 ®>f<hcn bem Dichter ber „©rashalme" unb bem Philofophen ©metfon ent* 
~ $ür bie RtoIibre*Philo(ogie unb 3ugleich für bas Kapitel aus ber Äfthcti! 
Jr* 1 ^ cn lommt ber umfangreiche Auffatj oon ©b. tDechfjlet „über ben BDit} 
( jas IPiftoort , le mot pour rire) aus Anlafe IRolibtes" in Betracht Seine ein* 


mu- 21 ^ R? tn &erget, Auffähe. Don A. tDafete. (gtey tags Sammlung ausgeco. Dldjtgn.). 
Wen u. ^ig 1913 , ttempsly u. greytag. 
g) S. öiefe 3 eitfchr. 27 . 3 g. S. 138 f. 

S ° r - P- Schneibet, Don Stunben ber IDeihe. Reben. Bamberg (0. 3 .), Weher, 
z*) Scftfchrift 3. XVI. Reuphüologentag 1914 . hcibelberg, tDinter. 



152 CiterotutbttMjt 1914: £iteraturforfcf)uttg unb Dertoanbtes 

geljenöen Rad} roeife lommert 311 bem Ergebnis, ba& Rtolibres Komöbien, roie jie in 
elfter £inie für bie Bühne, für bie mimifdje Barftellung gebaut finb, reich jinb an UH^en 
nicht bes ©ebanlens, fonbern bes Augenfd)eins, unb ba& fid) ber gtofce d^ataftep 
fomilet aus tlarer ©rfenntnis heraus non ber 3U feiner 3 ®W üblichen Betjdjioenbung 
in tDitjioorten unb tDitfeleien freifjielt. — tDeldje Bebeutung in Roufjeaus Stil bas 
©pitljeton hat, bas unterfudjt drnft Sdjütte hauptfädjlich auf ©tunb bes aus ber 
Nouvelie H&oise gefammetten Rtaterials unb geftütjt auf bie Stilforfdjung ©Ifters. 15 ) 
Ijetmann datbel roibmet bem ©ebidjte non Anaftafius ©tün „Botenart" eine ein« 
geljenbe Stubie unb roeift nach, bafc fein RTotio, bas dljema ber fjinijaltenben flnt- 
roorten, fdjon eine lange ©nttoidlungsgefdjidjte, oom atabifefjen ©rient burd) allerlei 
mittelalterliche unb fpiitere ©eftaltungen Ijinburdj, hinter fid} ^atte, als ihm fln. ©tun 
bie Ballabenform gab, unb ba& er heute noch roirtfam ift. — Öen Sdjluj) bes Banbes 
bilben einige anmutige Berbeutfdjungen Betlainefdjet ©ebidjte oon ^ermann Bogel. 

3 n bem 2 . Banbe feiner Biogtaphienfammlung „Rtenfdjen" hat Abalbert 
£untorosti S6 ) eine Reihe oon $rauengeftaiten oereinigt, bie }ebe an fi<h 3ntereffe 
forbert, unb bie in biefer Bereinigung bem Betfaffet ©eiegenijeit geben, feine ©e« 
banfen oom Beruf unb tDefen ber $tau in oeranfd)aulichenben Beifpielen 3U offen« 
baren. Cifelotte oon ber Pfal3, ©lifa oon ber Rede, ©rethes Rlutter, darlytes 5 m“. 
Königin £uife, bie heilige ©lifabeth, Stau oon Stein, Annette oon Brofte*fjülshoff, 
fie alle in ihrer Berfdjiebenheit ber Cebensumftänbe unb ber feelijdjen Befdjaffenljeit 
ujerben oon £. in Be3iehung gefegt 3U feinem IDeibesibeale; feine ©harafteriftil toirb, 
trotjbem fein Stil nicht frei oon Rtanier ift, baburch belebt, bafe et biefe $muen Jelbft 
oft 3U XDorte fommen läfet, fei es in Briefen ober in dagebudjäufeerungen ober in 
Betfen. 3 n einem befonberen ©jfay nimmt er Stellung 3Ut mobernen Stauen* 
beroegung, unb im Sdjlufcattilel 3eigt es fich, bafe er in bet myftijdjen Dichterin 
©ertrub Prelltoih fein $rauenibeal am eheften oenoirllicht fieht. Anregenbe H)it s 
fung ift bem Buche nicht abjufpredjen. 

3 n bemfelben Berlage finb bie beiben ©ffay*Bänbe erfchienen, in benen Paul 
Stiebtidj* 7 ) feine ©ebanlen übet bie notroenbige tDiebergeburt bes Beutfdjtums in 
fraftooll paihetifdjen Ausführungen entroidelt. „Deutfche Renaiffance" ift ih m 
alfo nicht eine abgeftorbene, gefd?id?tlich gerootbene Kulturperiobe, fonbern eine na« 
tionale Aufgabe für bie 3 utunft, unb 3roar, toie er an Dielen Stellen ausfühlt, für bie 
allemächfte 3 u!unft, roenn nidjt bie fdjon ba unb bort bemerfbaren Beifall* unb S® u ^ 
nisfputen an bas £ebensmart bes beutfdjen Bolles greifen follen. Auf alle ©ebiete 
bet Kultur, auf Kunft, £iteratur, Philofophie, So3ialpolitit, erftredt fich bie patljetifch® 
Kriti! bes Betfaffers, beffen Stil an guten Rluftem gefdjult ift (er erinnert in don unb 
Ausbtud an §erb. Kütnbetget), unb überall forbert er als ein3ig toirlfames h ei *’ 
mittel einen lebenbigen „ 3 bealismus ber dat unb bes fjet3ens". Bie Auffäh® 
natürlich alle oot bem großen Kriege gefdjrieben; ich glaube, h®ute toütbe Süeörid) 
manches ©in3 elutteil toeniger fcharf fällen unb manche 3n»eifel an ber 3utunft unje- 

25) S. biefe 3eitfdjr. 26. 3g. S. 137. 

26) fl. Cuntotosli, IRenfdjen. II.Brauen. £eip 3 ig, Xenienoetlag. ©eh* tu. *>, , 
geh IR. 7,—. 

P* Sriebtich, Deutfche Renaiffance. 2Bbe. £eipjig, Xenienoetlag. 1.Bb. 2.flufl- 
1914. 2. Bb. 1913. 3e IR. 3,-, geb. IR. 4,50. 



Don 3ulius Stern 


153 


res Kulturlebens unausgefprochen laffen; benn u>as er als Kettungsmittel forbert, 
ibealiftifdjes gühlen, IDollen unb fjanbeln, bas bat fidj in biefen Sagen fo herrlich 
offenbart, ba& auch ein weniger optimiftifcher Dolts* unb Kulturfritifer feine helle 
greube haben müfete. immerhin finb auch jettf noch biefe Streiflichter auf bie oet» 
fchiebenften Beete bes beutfchen Kulturgartens non lehrreicher Anregungsfraft. Oer 
1. Banb enthält mehr programmatifche Ausladungen, ber 3weite mehr Beifpiel* 
beleuchtungen; erwähnt feien bie literarifchen Kamen Shafefpeare, Kleift, fjebbel, 
£. g. IReyer, Kiehfdje u. a. 

Auch ©heobalb Regler, ber greife, noch fo jugenblidj temperamentoolle Seljrer 
ber Philofophie, ber fjiftorifer bet griedjifchen unb rf^riftlidgen ©thif, bet fritifdje Be» 
trachtet bet geiftigen Strömungen bes 19 . 3 aljrh., ber 3U Schillers 100. ©obestage 
eine ber gelefenften unb Iefenswerteften Biographien bes Dichters* 8 ) getrieben hat, 
beginnt nunmehr, gleichfam als Hachlefe auf bem reichen gelbe feinet Lebensarbeit, 
bie Deinen Schriften, Dorträge unb Auffähe 3U fammeln, bie mehr Kinber bet ©e* 
legenheit finb unb hoch, wie oft bie Deinen Schriften ber großen ©eiehrten, eine Aus» 
Iefe abgeflärten Dentens unb fchriftftellerifcher ©eftaltungsfunft. Der bisher et» 
fchienene 1. Banb enthält „IKenfchen".* 9 ) ©s finb Ktenfchen in bet elften Be* 
beutung biefes IDortes, Ktenfchen, oon benen bas tDort fjeraflits gilt: ydog av&Qcona 
iulfuov, Repräfentanten bes Ktenfchentums nach einet bestimmten bebeutfamen Rieh» 
tung. Alle aber, bie 3 ieglet aus bet ©eiftesgefchidjte, oorwiegenb bet beutfchen 
©eiftesgefdjiehte, bet neueren 3eit, ber letzten oiet ^aljrhunberte, herausgreift unb 
als belehtenbe Beifpiele biefer ©eiftesgefchiehte ^inftellt, haben einen 3 ug gemein* 
fam unb geben bamit einen aufDärenben fjinweis auf bas IDefen unb bas wefent* 
liehe Sntereffe bes Oetfaffers felbft: fie hoben alle Bebeutung für bie ©ntfteljung, 
Entfaltung unb Ausbreitung bes beutfchen 3 bealismus, bet eins ift mit jittlicher 
greiljeit. Der greiheitsbegriff als bas Kernproblem ber ©thit fteht im Ktittelpuntte 
feines Philofophierens, unb auch feine Rtenfchencharafteriftifen finb ein Philofo* 
Phieren nach bet Art piatos, wie et überhaupt 3U jenen mobernen tjumaniften ge* 
hött, bie feft auf bem Boben ber antifen Kultur ftehen; ift er hoch auch aus bem ©ü* 
hinget Stift (jerootgegangen! Aber biefe feine Schulung am Altertum hat ihm ben 
Blicf für bie ©egenwart unb bie gotbetungen bes ©ages nicht getrübt; im ©egenteil, 
fie macht ihn erft recht fähig, ohne Parteworeingenommenheit mit gefdjichtsphilofo* 
Ph*f<hei ©bjeftioität bie Sinien ber KuIturentwicDung in Dergangenheit unb ©egen* 
wart Dar 3U fehen unb ihre notwenbige gortfefcung in bie 3 ufunft hinein prophetifch 
3u ahnen. Das ift ja auch ein Dorrecht bes ©thiters, „bie Rtoral oon ber ©efchichte" 
aus 3 ufpre<hen; et braucht fid? nicht, wie ber h*ftorifet, auf bie Darftellung bes ©e* 
®efenen unb Seienben 3U befchtänlen, er barf Sehren unb gotberungen batan fnüp* 
fen. Diefes wohltuenb Sehrhafte bes berufenen Detfünbers erbauter, nein: etar* 
beitetet unb erlebter fittlidjet tDahrheiten Dingt entweber Dar ausgefptochen ober 
nur als Unterton leife angefchlagen aus ad biefen ©haraftetbilbem, bie meht fofra* 
äfhen als theophraftifchen ©eift atmen, fofratifdj auch in bem freimütigen, humot* 
gefegneten, f tifchen ©one, ber fich, wo es bie Sache erheifcht, 3U bem SdjwertOang 

28) „flus Katur u. ©eiftesroelt" 74. Böchen. 

,, ©h* 3ieglet. Ktenfchen u. Probleme. Reben, Dorträge u. Auffäge (1. Reihe: Kien* 

Wen). Berlin, <5. Reimer, ©eh- Kt. 7,—, geb. Kt. 8,50. 



154 


£iteratutberid)t 1914: Citeraturforf^ung unb üenoanMes 


jchatf gef^Iiffener Abroeht fteigert. So roürbigt er ©utenbergs (Erfinbung als mittel 
ber ©eiftesbefreiung, fo bes englifchen Kallers ©h- Wlotus utopifiifches Staatsibeal, 
beffen Sbeen für unfere 3 eit nicht mehr fo gan3 utopiftifd} finb. gür Cutbet, ben bei 1 
ben bet ©laubensfreibeit, fdjlägt fein ijer3 befonbets toarm; aber auch für beffen 
greunb unb Rtitarbeiter ITCeianchthon, ben gebilbetften Rtann feiner 3 eit, bet Reit* 
gion unb Humanismus, bas religiöfe unb bas fittlidje (Element 3U oetlnüpfen befttebt 
mar, finbei er IDorte einfüblenben Derftänbniffes. tDertoolle Beiträge 3m ©efdpchte 
bet päbagogif finb bie Ausführungen über ben Straßburger Schulmann 3 ob- Sturm 
unb übet Pcftalo33i, ber bem beutfdjen Doltsfchulunterricht 3 nhalt unb gotm ge* 
geben bat. naturgemäß oerbreitet fid? fein llarfchauenber ©eift unb bie ©arme An* 
teilnabme feiner ibealiftif(ben Seele übet bie hohen ©rfcheinungen bes ausgehenben 
18 . unb bes beginnenben 19 . 3 abrbunberts,.bie mir ab bie Blüte3eit bes beutfdjen 
3 bealismus betrauten müffen. Kant ift auch ih m her Begtünber ber fittlic^en $rei* 
beit (Übet ©oetbe, beffen inbioibualiftifches IRenfchenibeal ibm ab bet ausgefpro^ene 
©egenfaß 3U bem Kants gilt, enthält biefer Banb nur gelegentliche Äußerungen; 
aber tuig oorber ift 3 ieglets Sammlung non Dorträgen übet „©oetßes IDelt* unb 
Cebensanfdbauung" erfchienen.) Schiller ift ber 3 ünget unb gortfeßer Kanb, bet „ben 
U)eg oon bem Rlenjchen Kants 3U bem IKenfchen ©oetbes hinüber gejeigt unb ge* 
bahnt bat"; ber Dichter ber greiheit unb bes 3 beatismus, an beffen erhabenem Bei* 
fpiel bie greiheit ab tünftlerifche, fittUche unb politifche Aufgabe 3uglei<h ettoiefen 
robb, unb an beffen Dramen („EDallenftein" ift ihm bas größte Drama überhaupt) 
bas Derbältnis 3toif<hen Freiheit unb liotroenbigteit unb bamit bie große ITCotioie* 
rungstunft bes Dichters aufge3eigt ©itb. Hier tritt am beutlichften bet unerfchütterliche 
Determinbmus 3 ieglets heroor. Die lebenbig ©irffame Kraft bes Reuhumanismus 
ift gleichfam oertörpert in IDilb. »• ^umbolbt, bem „größten Untetrichb», bem gtöß* 
ten Bilbungsminifter, ben Preußen, ben Deutfchlanb je gehabt bat". gid}te ©itb als 
bet große lieber bet beutfchen Kation gemürbigt. 3mmer fräftiger toerben bie 
nationalen ©öne, je roeiter bie Betrachtungen bes freiheits* unb oaterlanbsfrohrit 
ITtannes in bie ©ef<hi<hte bes 19 . 3 abrbunberts hmeinfühten. Die ©rinnetung an 
1813 unb an bie Ceip3iger Schlacht machen ihn 3um beforgten Propheten, ber „Kriegs* 
bereitfehaft" gegen bie oon IDeft unb ©ft brobenben $einbe forbert, eine gorberung, 
bie mit Hegels Anfchauung 00m Krieg begrünbet roirb; unb nahrhaft roobltuenb ift 
fein toatmbet3iges Betenntnis 3U Bismatd, „bem gtößten Realiften". ©ne anbete 
Reibe oon Auffäßen ift ber Auseinanöerfeßung mit ber teligiöfen grage gemibmet, 
roas toieber bei bem Stiftler nicht tounbemebmen fann. Der pofitioiftifch*ibealifti* 
f^e Religionspbilofopb Cubtoig geuetbach eröffnet bie Reibe. Die fjeibelberget 
©beologen Richarb Rothe unb Abolf fjausratb tommen ba 3U ihrem Recht unb in 
mehreren Ausführungen Daoib griebrich Strauß, oon bem eine Sammlung ungebtud* 
ter Briefe bem Derfaffer 3ur Detfügung ftanb. Petfönliche Be3iebungen oerfnüpfen 
^n mit einer gan3en Anjaf}! betoorragenbet Canbsleute: bem Äfthetifer unb Dichtet 
&t. ©h. Difchet, bem um bas roürttembetgifche mittelfchulroefen bochnetbientert 
©uftao Binber, ben Pbilofopbiegelebrten ©buatb 3 enet unb ©bmunb Pfleibetet. 
auch »bnen gegenüber übt er bas Recht bet Kritil; benn bas fittliche poftulat bet „®e* 
öamtenfretbeit" ift ihm heilig. Darum nimmt er fich auch in ben Schriften „3Utn gaU 
sctjtempf btefes oon bet roürttembetgifchen Kitchenbebörbe roegen feinet abogma* 



Don Julius Stern 


155 


tilgen Den!» unb Spredjtoeife gemaßregelten ©eiftlichen mutig an. Rießfches Kultur» 
trittf unb etßifchen Rabilalismus, beffen bichterifche Art in einem Dergleid} mit tjöl* 
betlht, beffen philofophifche Art in einet ©egenüberfteßung 3 U Sotrates oeranjdjau« 
ließt wirb, Ießnt bet beterminiftifche IRoralift 3*egler begteifßchenoeife ab. — Diefet 
teilen Sammlung lebens» unb geßaltooller RtenfchenfchUberungen finb 3 toei Iiteta* 
tifcße Kritilen ongeßängt: übet fjeyjes Dtama „Rtaria non RTagbala", bie ißm oet» 
feßlt etfcßeittt, unb übet ©erwart tjauptmanns „$eftfpiel", in bem et „äftßetifch unb 
ßiftotifch ein oöllig mißlungenes Stü<f fießt". — Der Req biefet umfangreichen Samm* 
lang i[i bie $üfle unb Dielfeitigfeit bet ©ebanfen, bie tiefe ©inficht in IRenfcßen* 
att unb IRenfcßenbetuf, bie fich batin offenbart, bie WarmheQigteit bes ©ones, bet 
aus roaßrhaft humaner Seele quillt, unb — nicht 3 uleßt — bie flate Anmut bes Stiles, 
bet auch hier »bet Ittenfch" ift. — 3®eifeflos toitb auch bet noch ausftehenbe Banb 
„Probleme" eine toillfommene Bereicherung unferer im eblen Sinne bes IDortes 
populären Philofophieliteratur fein; bet befcßeibene Detfaffet fühlt fich mit ben 
Problemen „noch nicht fettig" unb hält fie baßer noch 3 urüct. 

3ieglet meift mit Kadjbruc! barauf hin, baß butch Ijegcl, non bem bet Begriff 
bet ©eiftesroiffenfcßaften ftammt, bet ©eift eine IDeltmacht toutbe. ©ugen Kühne» 
mann“) gibt biefet ©mmgenfchaft bet beutfchen Pßilofopßie bie nationale Weihe, 
inbem et ein herrliches Buch „Dom Weltreich bes beutfchen ©eiftes" aus feinen 
Reben unb Auffäßen 3 ufammengeftellt hat. Die mnete Denoanbtfchaft bet beiben 
Rlänner, 3ieglet unb Kühnemann, ift nicht 3 U oertennen. Beibe ftehen auf bem Boben 
bes beutfchen Sbealismus. Beibe gehen ben Wmgeln bes beutfchen Sbealismus nach 
bis in feine erften Keime bei Softaies unb piato. Unb beibe 3 iehen aus ihm bie 
Rußancoenbung für bie ©egenroart. Aber getabe hierin, im praftifchen ©eile ihrer 
Ceßraufgabe, 3 eigt fich bet Untetfcßieb bet beiben Wannet, ein Unterfcßieb, bet naiüt* 
ließ unb nottoenbig erfeßeint, toenn mit bebenten, baß fie um eine©eneration getrennt 
fmb. Kühnemann ift bet jüngete, bet mobetne Rtenfch. Auch batf man nicht oet» 
qeffen, baß 3ieglets Santmelbanb Arbeiten aus einem garqen IRenfcßenaltet oet* 
einigt, toähtenb Kühnemanns hier 3 ufammengeftellte Reben unb Auffäße bem 
iüngften Jah^ehnt, 1903—1913, angeboren. Sie gehen einher neben ben großen Sei* 
ftungen, butch bie fich Kühnemann in bie oorberfte Reihe bet Biogtaphen geftellt hat, 
feinem Schiller unb feinem herber, biogtaphifchen RTeifterleiftungen, toenn bas 
£eben befeßteiben heißt: ben Cebens» unb petfönli<h!eitsgehalt eines IRenfchen aus 
feinem feelifchen Boben ertoachfen laffen unb 3 u abgetunbetem Bilbe aufbauen. 
Schon biefe Wahl feinet Cebensarbeit beroeift, baß Kühnemamt ein Jünger bes beut» 
f<ßen Sbealisntus ift, unb toie er fie geleiftet hat, bas macht ihn 3 um Ptiefter biefet 
©eit» unb Sebensanfcßauung. Als folgen möchte ich ißn getabe in ben roertoollften 
biefet Reben unb Auffäße be 3 eichnen. Sie hanbeln oon bet ©tunblegung bet beut» 
f<hen 3been» unb Jbealroelt butch herber, Kant, Schiller, Sichte, bie 3 ugleicß bie gto* 
ßen ©gießet unfetes Dolles finb, 3 U benen in getoiffem Sinne etgän 3 enb als ©t 3 ieher 
3unt Staatsgebanten $riebrtch bet ©toße tritt, unb IRenfchheitse^ießer toie Rouffeau. 
tu* *h *^ nemann offenbart fich, rufe in herber, bie ©inßeit bes gefcßichßich'äfthe» 
Jpen ©eiftes mit bem philofophifcßen; batum ift fein $orf<herinteteffe mit betfelben 

A Rühnemann, Dom Weltreich bes beutfchen ©eiftes. Reben u. Auffäße. IRün» 

%n, ©h-Bed. ©eb.m.7,-. 



156 £iteraturbend|t 1914 : £iteraturfotf^ung unb Derroanbtes. Do« 3 ulius Sletn 

Störte bem Ceben unb IDefen bet Dichtung 3ugeroanbt. Stiller unb Kleift toetben 
als Daterlanbsbichter getoütbigt; ©oetlje, „bet Cebenbige, bet Rlenfch, bet Katut* 
menfch bet oollenbeten Kultur, bet fi<h felbft befreit l?at, bet Befreiet", wirb auf roeni* 
gen Seiten in faft epigtammatifdjer Utefffidjerljeit abgebilbet. Aber als UTann bet 
©egemoatt ift et aud] Deutet bet ©egenujattsbichtung, bes Auslanbs (üolftof) wie 
oor allem bes eigenen Dolles, ©erhatt fjauptmann toitb oon iljm als Ringenber 
unb Suchenbet (aud? in feinem „Seftfpiel", bem 3 iegler tool?l ntd?t gan3 gerecht geroot* 
ben ift unb toetben tonnte) etlannt. Aber fein weiter unb tiefer ©eift greift übet 
Ijeimat unb ©egemoatt hinaus, natürlich, benn bie Übet3eugung oon bem IDelt* 
betuf bes öeutfcf?en ©eiftes 3toingt ihn 3um Blid übet bie gan3e IDelt, unb feine 
Reife um bie IDelt, bie et im Anfdjlufc an feinen wiebetljolten Aufenthalt als Aus* 
taufdjptofeffot in Amerita unternommen hat, gibt ihm einen reichen Schal} praftifdjet 
IDeltetfahtung unb *anfd?auung. „über Deutfchlanb fteljt", bas ift feine unoettüd* 
bäte Übet3eugung, „nach bem ©efe^e feines IDerbens bas IDort: es toitb eine ©tojj* 
mad?t bes ©eiftes fein ober es toitb nicht fein". Als £el?ter bet IDelt in allen Kultur* 
fragen mufe Deutfchlanb feinen Betuf erfüllen; bas ift bas ©efetj feines IDerbens. 
Die 3 ahrhunbertfeiem bes nötigen 3 ah*es haben bem Philofophen bet Bteslauet 
Unioetfität wieberholt ©elegenheit geboten, ben IDetöeptojef} bes beutfdjen Dolles 
oon ben Sagen bet Befreiung übet bie 3ah*3ehnte bet ©ätung unb bie ftaatenbilbenbe 
Kraft unb Sat Bismatds bis 3U ben toohlbegtünbeten tDeltgeltungsbeftrebungen 
bet ©egentoart unb Kaifer IDithelms 11 . oon feinet weit* unb 3eitenüberfchauenben 
EDarte aus 3U beleuchten, unb immer unb immer toiebet ergreift et bas IDort, um bte 
3 ugenb, not allem bie atabemifche 3 ugenb, 3m Bewußtheit ihrer großen oaterlanbi* 
fdjen unb menfchheitlichen 3ulunftsaufgabe 3U et3iehen, 3U jenet politifd?en gteiheit, 
bie „fllitoerantwortung für bas ©an3e bes Daterlanbes" ift. ©ine fo umfaffenbe 
Kenntnis bet XDelttultur unb ihrer ©taget macht ihn 3um berufenen Detmittlet 3toi* 
fdhen ben tDeltteid?en. Seine Auffäße übet ben Deutfchameritaner Karl S<hut 3 » b er 
«oitlfam 3U Bismatd in Kontraft unb in Be3iehung geftellt toitb, unb übet ben gtofeen 
Sötbetet bes ameritanifchen Bilbungstoefens ©hartes ©liot toetben getoif} in Amerita 
Derftänbnis füt beutfdjes tDefen fäen, toie auch 3toeifellos feine jeßige Sätigleit als 
Aufllätet in ben Bereinigten Staaten manches Dorurteil übet beutfches IDefen uno 
IDollen befeitigen toitb.—Diefes Buch ift eine Sat. Sein Derfaffet ift ein £eh*et bet 
Ration, bem fein £ehramt ein heiliges Amt ift, ein Dienet am IDort unb am ©eift- 
Daher bas Ptieftertid?e bes Stiles, leine leere Rhetotil, lein hohles Pathos, aber IDudjt, 
Ktaft unb Klarheit bes Ausbruds unb bes ©ebanlens. Sogar ettoas Prophetif©es 
Hingt aus manchen Seiten. IDelch büfter toehmütige Ahnung Uagtaus bem Sagebuh* 
blatt übet Sfingiau, eine IDatnung unb Ptophe3eiung, bie nun fo fd?mer3* unb groll' 
ettegenb unb tacheheifchenb in ©rfüllung gegangen ift! Aber auch feine frohe 
©erficht in ben etwad?enben neuen ©eift, fein Detttauen auf bie 3ugenb, „bie hungert 
urib bürftet nach ben erfehnten 3eiten einer beffeten Rlenfdjenwelt", h fl t Nt * n ^ ert 
Sagen bet gtoßen Prüfung herrlich betoähtt; unb fo ift bem Derfaffet biefes geip 
»ollen unb gemütstiefen Buches feßt jehon, auf bet f?öh e bes Cebens, bet fdjönfte 
£ohn getootben, bet fonft nur am ©nbe eines großen £ebenswerles, toenn überhaupt,m 
ben ®ten3en bes ©tbenlebens, 3U erblühen pflegt: nämlich bas Bewußtfein, bie Cebens* 
aufgabe richtig gewählt unb ben IDeg 3ur ©rfüllung erfolgreich befdjritten 3U h“ben- 



Citeraturberidjt: Ausläufer nnb Ra<h 3 ügler ber Romantif. Don IDemer Deetjen 157 

Ausläufer unb ttad)3Ügler ber Homantif. 

Don IDerner Deetjen in hannooer. 

Unter benen, bie aus ber Romantit ßeroorgingen unb fuß [pater eigene Bahnen 
laufen, ijt bie eigenartige unb fraftoolle Perfönlicßfeit Kart 3mmermanns [eit 
einet Reiße non 3aßten mit am ßäufigften 3um ©egenftanb literarßiftorifcßer Unter* 
[u^ungen gemalt worben. Aucß in biefem 3aßre ßaben mit wiebet eine wertoolle 
Arbeit 1 ) an3U3eigen, bie fuß mit [einem Staffen befaßt. 

£aufcßus beßanbelt ein lEßema, bas teilweife fdjon 1906 IDilßelm Kaifet in 
einet ßallenfer Differtation etwas äußetlicß bearbeitet ßat, gan3 [etbftänbig unb oon 
neuen ©efidjtspunften aus. EDäßrenb Kaifet nur 3mmermanns Romane in ben 
Kreis [einer Betrachtung 30g, berüdficßtigt bie neue Arbeit auch bie Honetten bes 
Dichters; Kaifet hatte [ich auf eine Unterfucßung ber lEecßnif befcßränlt, £aufcßus 
erforfcßte außetbem bie (Eigentümlichfeiten bes 3mmetmannfchen Stils. (Er [teilte 
[ich bie Aufgabe, bie beuttichften UTerfmale bet 3nbioibuatität 3mmetmanns „in ihret 
Projettion auf lEechnif unb Stil feiner Romane unb Hooelten nad^eicßnen unb fo 
bie Umriffe ber Perfönlichfeit mit einer mehr ins (Ei^elne unb Kleine gehenben Sorg* 
fatt ab3ufeßen unb auch »on biefet Seite in helleres £icßt 3U [teilen". Sein Streben 
roar, „bie abgetefenen unb erfpürten teeßnifeßen unb ftitiftifchen (Erfcheinungen bes 
Utaterials nicht etwa als (Ergebnis meeßanifeßer Arbeit ober faufattos 3ufäIIig fo ®e* 
toorbenes hin3u[telten, ober als einfache tEatfacße ßi^uneßmen, fonbern ben feelifchen 
Kontatt 3U fueßen. bie ein3eIpfy^otogif^e Hotwenbigfeit 3U bebenfen". 

Der Derfaffer chorafterifiert bie ftarfe Subjeftioität bes Dichters, bie [ich auch in 
bet ©rganifierung feiner Romane unb Hooelten in einem „eigentümlichen, auffällig 
gleichmäßigen AusbrudE" feiner Refignation, feines $atatismus bem £eben gegen* 
übet 3eige, unb roibmet oor altem bem feßon oon £eoin Scßüding betonten H)ibet* 
ftreit 3toifchen Kritifer unb Poet in 3mmetmann an ber tjanb 3ahlteichet proben 
auffhtußreihe (Erörterungen, untet benen ber Hacßweis, roie bie refteftierenbe 
Pfydjifdjc ©runbftimmung bes Dichters bie Art unb EDeife feiner Haturfchilberung 
beeinflußt, befonbets gegtüdt ift. 3m 3ufammenßang mit feiner Auffaffung 3mmet* 
memns als eines oorwiegenb oerftanbesmäßigen, bewußten ©eiftes [teilt £aufcßus beffen 
„ftart tealiftifcße (Orientierung" bar, bie er aud} in tEecßnil unb Stil finbet. Seine Aus* 
fäßrungen übet ben AUgemeincharafteroon 3mmetmanns Sprache fchaffen ootte Klar* 
h«it unb 3eugen, roie bie gan3e Arbeit, oon tiefem (Einbringen in ben ©egenftanb. 

Sein Bud| ®ütbe bequemer 3U benußen fein, wenn ber Derfaffer bie (Einteilung 
bes Stoffes bur<h Überfcßriften im lEejt ßeroorgeßoben unb fieß nicht mit ber Angabe 
bet Dispofition im 3nßaltsoet3eicßnis begnügt hatte. 

3mmermanns Be3iehungen 3U EDillibalb Alejis ftettte ich unter ßeranjießung 
eines oetfcßollenen Auffaßes bes teßteren bar, in bem ich auch einen neuen Beitrag 
3W ©ntfteßungsgefcßicßte bes „Htünchhaufen" fanb. 2 ) An anbeter Stelle oeröffent* 
l »hte j<h eini ge ungebrudte Äußerungen 3mmetmanns über ©oetße 8 ), auch oet* 

m P ^eo £aufd}us, übet üedjnit unb Stil bet Romane unb Rooellen Smmermanns 
(Bonner $orfcßungen, ßtsg. oon Bertßolb Cißmann, Scßriften bet Citerarßiftorifcßen 
«elenfcßaft. Reue Solge VI). Berlin 1913, ©. ©rote. VIII u. 136 S. gr. 8“. RI. 4,—. 

2) 3eitfcßr. füt ben beutfeßen Unterricht. 28. 3g. 1. ßeft. 

3) ©oetße*3aßrbuch. Bb. XXIV, S. 215f. 



158 


Citeraturbericht: Ausläufer unb Itadftügler ber Romantil 


mochte i<h Smmetmann als Detfaffer eines anonymen Artifels ber „Rhehrifchen 
ProDin3talblättet" ( 1838 ) feföuftellen 4 ), bet ein neues 3 eugnis für bie Daterlcmbs* 
liebe biefes Dieters ift. 

©ne ähnliche Stellung in ber beutfdjen £iteraturgefchi<hte toie Smmetmann 
als (Epifer nimmt Annette non Drofte*fjüIshoff mit ihrer £ytü ein. 

Pfeiffers 5 ) Unterfudjung über bie (Entroicflung ber £yrif Annettes im Rahmen 
ihres £ebens oerbient bantbat begrüßt 3U toetben, ba eine folclje bas RTateriai unb 
bie Refultate ber 3ahlreidjen ffin3elarbeiten gefdjicft 3ufammenfaffenbe Rlonograpljie 
bisher fehlte. Das Buch [teilt bie »erfdjiebenen Perioben in bem lytifdjen Schaffen 
ber Dichterin fur3 bar, beljanbelt fie „nach 3 ntenfität, Umfang unb HJejenheit" unb 
befaßt [ich in einem 3u>eiten Ab|chnitt mit ben Rlotioen unb Ausbrudsmitteln, beten 
[ich bie Drofte bebient Reben bet reinen £yrit toerben auch bie Bailaben unb große* 
ten lyrifch*epifchen ©ebidjte berücffichtigt. Der Detfaffer ift im Urteil oorfidjtig, maß* 
®oH unb übt an ben bisherigen gorfchungsergebnifjen unb Urteilen anberer eine ge* 
funbe Kritit; toie [chon an anbeten Orten, torrb auch hi« bie Doreingenommenheit 
unb unoetlennbate Abfidfttichfeit Kreitens betont, „bie ihn 3U häufigen ©ttftellungen 
unb Dertufjungen führt, too ihm etoas nicht paßt". So tritt Pfeiffer oor allem gegen 
Kreitens Behauptung auf, £eoin Schüttings (Einfluß auf bie bichterifche lEätigteit ber 
Drofte fei nur „fehr gering". — ©n Srrtum bes Derfaffers (S. 55) mag hi« berichtigt 
roerben, ba er fid) auch fonft mehrfach finbet: ©n „malerifches unb romantifches 
IDefertal" non Dingelftebt gibt es nicht. Der Detfaffer meint oielleicht ein anonym 
in (Eaffel bei ©jeobot Sifchet erfthienenes Buch „Das UJeferthal oonRtinben bisTRün* 
ben", oon bem aber nur bie erften Abtritte (S. 1 — 16 ) non Dingelftebt »erfaßt finb. 

Den Übergang oon ber Romanti! 3um Realismus reprafentiert auf bramati* 
fchem ©ebiet oomehmlith ©h?iftian Dietrich ©tabbe. 

Seinen ©nfluß auf hebbet unb feine fdjtoffe Derurteilung burch ben Dithmatfen 
ftellt Artur Kutfcher 6 ) bar. Dor allem fudjt ber Detfaffer pfychologifch 3U begrün* 
ben, toeshalb fjebbel, obtoohl et nachtoeislich eine ©moitfung ©tabbes auf fein Sdjaf* 
fen erfuhr, biefen fo entfliehen ablehnte, ©ne RJefensoertoanbtfchaft beibet be< 
ftreitet Kutfcher. Die fj e bbeIforf<hung toirb aus bem Buch nicht geringen Rußen 
3iehen, aber auch füt ©tabbes ©harafterifti! getoinnen toir neues £idjt aus Kutf^ers 
gründlicher, fyftematifcher Unterfudjung, bie manches fchiefe Urteil berichtigt. 

©nen weniger günftigen ffinbrud erroeeft 3unad}ft burch *> cn itonifch*über* 
heblichen ©on im Donoort unb in ber ffinleitung bie Arbeit oon 3 ofeph ©ieben’), 
unb hoch bebeutet auch fie einen ©etoinn. Der Derfaffer geht oon bet Übe^eugung 
aus, baß ©tabbe nicht annahemb fo ftarf oon Shafefpeare als oon Schiller beeinflußt 
roorben fei. Die äußere Regellofigleit feinet erften Dramen fei bie Dercmlaffung ge* 
»efen, ihn 311m Shatefpeareaner 3U ftempeln, toähtenb ihn felbft in feiner 3ugenb 
„Schillers £i<h t ftärfer als Sha!efpeares geuer burdjleuchtet" habe, „toenn et auch ben 

BcftehlngsWege'' 061 3eit ^ t> Büd )«fteunbe. Juniheft 1914: „3mmertncmn unb bie 

» c 5) ,^ r ' P hil -®- P* Pfiffet, Die Cytil bet Annette oon Drofte*hülshoff. Berlin 1914 . 
R. gtenfel. 129 S. 8 °. IR. 3,—. 

geb.m 3— 661 UnÖ ® tabbC- mänd l en 1913 - Heinrich g. S. Bachmair. Brofch- W- 2 , 50 , 

7 ) ©hriftian Dietrich ©tabbe in ber nachfchiüertfcben ©ntoidelung. Selbftoerlog. IR. 2 , 50 * 





Don XDttnei Deetjen 


159 

>- 

fittlid)en IRutterboben, auf bem allein ein Stillet elfteren tonnte, in fi<h entmeihte 
unb 3crftotte". Das etfte Kapitel gibt eine Sammlung oon djaratteriftifchen 3 eugni|fen 
für Srabbes Stellungnahme 3U Stiller. 3 n einem 30>eiten, „Stoffliche Anregungen 
unb ©nflüffe", fud)t Sieben nadjjuroeifen, bafe ©rabbe oon allen anbem Dichtern 
in erfter Cinie Schiller gelefen unb bafe biefer in geroiffet tjinfid}t am ftärlften in ihm 
lebenbig mar. ©n brittes Kapitel fteHt bar, toie bas Beifpiel bes jungen Schiller 
für Srabbes Ijelbentypus bes großen ober übet*IRenfchen oorbilblich mürbe, ein 
oiertes behanbelt nicht ohne ©nfeitigleit in 3U engem Anfdjluf} an Dolfelt bas Gra« 
gifdje, ein fünftes bas Komifhe bei Schiller unb ©rabbe. IDeitere Abfdjnitte gelten 
bem Sejchichtsbrama, um bejfen $ortentroidlung fich ©rabbe, mie Sieben richtig er« 
fennt, grofee Derbienfte ettootben hat, unb ber Beljanölung oon IRilieu unb IRaffe. 
3 n Srabbes gtofeügiget Seftaltung ber Doltsf3enen fieht Sieben mit bem oer* 
ftorbenen Ridj. IR. IReyet eine Dorbereitung auf bas neue tjiftorienbrama, roogegen 
er jich mit ber Behauptung besjelben Selehrten, Srabbes Begriff bes Dollstüm» 
liehen fei auf bie Romanti! 3urüc^uführen, nicht einoerftanben ertlärt, roenn et auch 
3ugibt, bah f*<h 3ahltei<he romantifche (Elemente in bem Dichter finben. fluch n>as 
Weyer über ben Segenfat) 3mifchen Sefamtheit unb Snbioibuum bei ©rabbe gefagt 
hat, roirb berichtigt. Die Ausführungen Siebens über bas IRilieu finb nicht reichhaltig 
genug, 3umal bie Behanblung bes eigentlichen Sofalfolorits mitb nicht genügenb ge« 
mürbigt, bagegen finb feine Unterfudjungen über bie Doltsf3enen mertooll unb för« 
bemb. fluch Stil, Gechnit unb Sprache ber Srabbefchen Dramen roetben betrautet, 
bie Stage nach ih te t Bühnenmöglichteit bejaht unb für einige oon ihnen bie $reilicht* 
bühne empfohlen. 3 m Anhang teilt bet Derfaffer bie Darianten einet bisher ber 
Sorfdjung entgangenen $affung oon Srabbes „Afchenbröbel" mit. 

Die Refultate, 3U benen Sieben gelangt, übe^eugen meift; freilich feine paral« 
leien finb nicht immer glüdlich unb feine Urteile, bie fich oon übetfhähung bes Dich* 
ters nicht gan3 fern halten, tonnen mir nicht butdjmeg billigen. Bei bem Streben, 
feine einmal gemonnene flnfehauung 3U oerfedjten, {Riefet et mehrfach über bas 
3 iel hinaus, unb fo müffen einige feinet Behauptungen auf bas rechte IRafe 3utüd« 
geführt metben. Da bet U)ert ber Arbeit aber trotjbem nicht beftritten roerben tann, 
bebauem mit um fo mehr ben IRangel an äußeret Sorgfalt 

Don ben beiben fpäten Ausläufern bet Romantit, beten erftes ftilles Auftreten 
in eine laute, politifch heijjbemegte 3 eit fällt, melche bie Romantit fonft längft über» 
rounben hatte, IRörite unb Stifter, liegen für ben Unterricht geeignete ffin3el« 
ausgaben in bet Sammlung „neuere Dichter für bie ftubierenbe 3ugenb" 00t 8 ), 
oon benen bie bet töftlidjen IRo3art»Uooe(le IRörites mit Cambels meit ausholen» 
ber, fachfunbiget ©nführung befonbete Anerfennung beanfpruchen barf. Aber auch 
®eybes einleitenbe unb erläuternbe ttJorte über bie ©gäljlungen bes Böhmermalb« 
bihtets erfül len gut ihren 3med. 

8) Xlto 3 act auf ber Reife nah Prag. TTtit flnmeitungen unb ©nführung oon tjans 
ambel IDien unb Ceipjig, TRanjfdje t. u. f. fjof«, Detlags» unb Unioerfitäts»Buchhanb» 
««" 9 . ®eb. 90 hl. - RI. 0 , 75 . — Bunte Steine (Bergfriftall—Kafcenfilber — Bergmüch). 
tu einer ©nführung oon Direftor Dr. Johann IDey be. (Ebenba. Seb. 1 Kr. 30 hl* = 
in a k ® er hocfjtoalb. mit einer ©nführung oon bemfelben. (Ebenba. ©eb. 90 hl* = 



160 


Kleine ntitteil ungen. — (Ein Kaiferroort 


* Kleine ITtitteilungen. 

tj. (Bering lonnte feine tteffliche Beo©ulfüberfet)ung in 2 . Auflage etfdjeinen 
lajfen (Beotoulf nebft bent 5innsburg=Bruchftüct übf. unb erläutert, Ejciöclbctg, tOinter). 
Der legt ift forgfältig überarbeitet, (Einleitung unb Anmertungen haben bie neuere Sotfdjung 
aufgenommen unb geben eine bequeme unb flate überficht iljtes gegenwärtigen Stanbes. 

Auch B. Symons Kubrunausgabe ift in 2 . Auflage Ijerausgetommen (Altbeutfdje 
CejtbibHotbef, 5.Bb., halte, Hiemeyer, 1914). Sie bat bem Hefte ein Wörterbuch beigegeben, 
bas nicht nur, ©eil mir ein brauchbares mhb. tjanbroörterbuch noch immer entbehten, »UI* 
tommen fein roirb. Die ©runbanlage ift fonft unoeränbert, im einjelnen abet alles oöllig um» 
geftaltet unter forgfältigfter tritifdjer Derroertung aller neueten Arbeiten. Die (Einleitung, an 
Umfang faft breimal fo ftart als bie frühere, gibt je^t bie befte (Einführung in bie an Pro* 
blemen fo reiche Kubrunforfchung. P- 

3n einbrudsoollen gebe^eidjnungen führt uns Karl Bauer, ber feine dharatteriftifer, 
Sübtet unb fjelöen aus bem IDeltfriege not. Bisher finb erfchienen: Kaifet Wilhelm II., 
bet Reichsfanjler, bet beutfche Ktonptinj, bet Kronprin 3 non Bayern, tje^og Albredjt non 
Württemberg, ©eneralftabsdjef p. IRoltle, ©eneraifelbmarfchall p. hinbenbutg, ©enetal 
o. (Emmich, ©tofeabmiral o. 3irpit$, ©taf jeppelin, Kaifer $tan 3 3ofeph, ©eneralftabs<h«f 
o. fjötjenborf (als Kunftbtätter (28X36) je 50 Pf. 12 Blätter in ©efchenfmappe IR. 2,50, als 
Pofttarten je 10 Pf., 12 Silber in Umflog IR. 4,—. £eip 3 ig, B.©.Ueubnet). Die Blätter 
eignen fi<h feht 3 um Schmucf für Klaffen ober ©änge, fie finb berufen, in unferen'Kinbetn 
bas Bilb bet fültrenben IRännet für alle 3eit ein 3 uptägen unb man fann nur ©ünfdjen, bafe 
getabe fie es tun, ©eil fie im ©egenfatj 3 U oielen untünftlerifchen Bilbetn, bie bas Bebürfnis 
bes Soges heroorgebracht hat, bas Wefen bes Dargeftellten 3 U erfaffen fuchen. 6 - 

(Ein Kaifenoort. 

„Diele oon Öen Ceuten, öie uns Deutfcf?e immet nach äufeerlichleiten öes 
Schliffs beurteilen unö uns immet Barbaren nennen, fcheinen nicht ju tmffeit, 
öafe 3toifchen 3ioilifation unö Kultur ein großer Unterfchicö ift. ©nglanö ift 
geroife eine hö<hft 3ioilifierte Kation, im Salon merft man öas immer, flbet 
Kultur beöeutet, tiefftes ©etoiffen unö hoffte ITtoral befi%en. IRoral unö 
©etoiffen haben meine Deutfchen. TDenn man im Huslanöe oon mit fagt, 
ich hotte öie flbficht, ein IDeltreich 3 u gtünöen, fo ift öas öer hellfte Unfinn, 
öet je über mich öereöet touröe. Aber in öer ITCotal, im ©etoiffen unö 
im $Iei% öet Deutfchen ftedt eine erobetnöe Kraft, öie fich? öie 
XD eit erfchliefeen toirö." . _ , 

(IRitgeteilt pon Cub©tg ©anghofet 
in ben IRündjner Heueften Ra<hri<ht en -) 


Sur bie Ceitung oetantroortlich: Prof. Dr. $tiebri<h pan3er, Srantfurt a. IR., ©rillpat 3 erftr. 90 . 
Alle manuffriptfenöungen finb an feine flnfdjrift $u rieten. 



Die Kurtftform 6er Honelle. 

Don ©slar tDaljel in Dresden. 

3 n leinen „Beiträgen 311t ©jeotie unb Gedjnif bes Romans" oon 1883 
(S. 245 ) beftimmt Spieltagen: „Die Rooelle tat es mit fettigen (Etatalteren 
311 tun, bie, burdj eine be|onöete Derfettung bet Umftänbe unb Dertältni|fe, 
in einen intete||anten Konflift gebtadjt toetben, toobutdj fie gejtoungen finb, 
Jict in itrer allereigen|ten Itatur 3U offenbaren, alfo, ba& bet Konflift, bet fonft 
(Bott toeife toie tätte ©erlaufen fönnen, gerabe biefen, burd* bie (Eigentümlictfeit 
ber engagierten (Etaraftere bebingten unb fdjlectterbings leinen anbeten Aus* 
gang netmen fann unb tnufe." 

flm 10. $ebruat 1838 ftttieb fjebbel in fein ©agebudj: „Die ein3ige 
Spannung, bie ©ied in feinen Rooellen 3U erregen |u<tt, tomgelt barin, bafe 
man fütlt: bie RIenfdjen fönnen nidjt |o bleiben, toie fie finb, bestoegen be= 
traittet man audj alle Situationen, bie anbetstoo bie gan3e flufmerffamfeit 
in flnfptudj netmen, nur als fjebel unb Setrauben, rodete bie innere Kata* 
ftropte terbeifütren follen. 3 d) glaube, lEied teilt bem Roman bie getootbenen, 
bet Rooelle bie toetbenben (Etaraftere 3 U." 

tebbel erflarte fi<t fpäter oieIfa<t gegen ©ieds Rooellen. ©b feton bie 
angefütrte ©agebuetbemerfung gegen (Eied gerietet ift, ober ob fie im Sinn 
«inet 3 uftimmung gelten batf, laffe idj batingeftellt. fludj foll fie ti«t niett 
nadjgeprüft toerben. RTag fie immertin falfdjes betaupten, fo bleibt bo<t bie 
latfadje hefteten, bafj — toie audj fonft auf bem Selbe ber Rfttetif unb be* 
fonbers ber Poetif — einet unb berfelben Kunftform genau entgegenge|et}tes 
3 ugcf^tieben unb bafe oon einet Seite als entfdjeibenbe ©igenteit genau bas 
Gegenteil beffen tingeftellt toitb, toas oon bet anbeten Seite 3um ©runb3ug 
unb be 3 eictnenben Rterfmal geftempelt toorben ift. 

3 <t null aud) niett bei ber fetroeren Stage oettoeilen, toas eigentlid} ein 
fettiger ober getoorbener unb toas ein toerbenbet (Etarafter ift. Die unflare 
Gegenäberftellung ift oiel mifebrauett toorben. Rur toeil fie fo unflat unb fo 
f<tn>er 3u faffen unb 3U umf(treiben ift, fonnte bie Rteinung auffommen, bafj 
bie Darftellung toerbenbet (Etaraftere ein Dot3ug neuefter Dramatif fei. ©em 
lPta<t man oon toetbenben ©tarafteren, 100 nur Rlenfdjen in Betradjt famen, 
ie % Riefen im £auf bet Didftung erfannten. Als ob in bet Rügen 3 «it* 
fpanne, bie ber fogenannte naturaliftifdje Dieter bem Bütnenoorgang 3U* 
9 «ftett, bas IDerben eines ©tarafters fidj barftellen liefee! Dollenbs bas 

W».f.k.ftcutfötnUnterricht. 29.3al|rg. 3.C>eft 11 



162 


Die Kunftform ber ttooelle 


analytif©e Drama läfet faum bie Rtögli©feit 3U, bas EDetben eines IKenf<f}en 
auf öie Bühne 3U bringen. (Es null ja nur Me lebten folgen längft oolfyogener 
©atfa©en oetgegemoärtigen. EDirfli© fann non einem EDetben $rau flloings 
ober Rebeffa EDefts in Mefem Sinn fo toenig Me Rebe fein, toie non einem 
EDetben bes ©bipus. Rebeffa EDefts innerftes EDefen Ijat fi© geroanbeli, elfe 
bas Stüdf beginnt; biefe EDanblung ift non entfdjeibenbet EDi©tigfeit füt ben 
bramatif©en Dotgang, abet fie ift in bie mimifdje Darftellung, in bie bühnen* 
gemäße Dergegenroartigung ni©t einbe3ogen. Auf ben Brettern ift — um 
Spielfyagens EDort auf3unehmen — nur ein fettiger ©harafter 3U erbliden; er 
roirb bur© befonbere Entfettung bet Umftänbe unb Dertjältniffe in einen 
intereffanten Konflift gebraut unb fielet fi© ge3umngen, fi© in feiner aller* 
eigenften Ratur 3U offenbaren, flu© roo neuere Dramatif ni©t glei© 3 bfett 
bie ftrenge $orm bes analytif©en Dramas betrugt, ift — bei näherer Prüfung 
— »on roerbenben ©harafteren roeit weniger 3U fpüren, als meift angenommen 
mirb. 3 o^annes Doderat offenbart gan3 toie ©abriel Schilling lebigli© feine 
innerfte Ratur. 3 nnere ©nttoidlung barf roeit eher an fjebbels ©olo feftgeftellt 
werben. EDenn einer, fo ift ©olo ein toerbenber Rtenf©. Aber ^at fjebbel je* 
mals toiebet eine mähli©e Elmbilbung oon glei©et Spannroeite 3U geftalten 
oerfu©t? Seine Kriemljilb banft ben großen flbftanb »on Anfang unb (Enbe 
3unä©ft bet Quelle, bem Ribelungenlieb. ©an3 getoife ift ber langfame unb nur 
f©rittroeife fortf©reitenbe Umbilbungsoorgang an ©olo roeit genauer oon. 
fjebbel bargelegt toorben als an Kriemhilb. 3ufammenge^alten mit ©olo, 
Ijat Kriemhilb faft nur gegenfätjlidje ©ntroidlungsftufen. Sie 3eigt feine 
glei© allmähli©e innere Elmgeftaltung. 

3 ft abet einmal erfannt, toie f©toet fi© ein inneres EDetben felbft in ber 
©ragöbie na©t»eifen läfjt, bann Reifet es »orfi©tig fein, elje einet Rooelle fettige 
ober toetbenbe ©haraftere 3ugef©rieben roetben. 3© mo©te ni©t behaupten, 
bafe Pescara im Rahmen ber Rooelle (£. $. IReyers ein anbeter RTenf© roitb. 
3 © toage inbes ni©t ab 3 uftreiten, bafe ber Itlön©, ber auf Velins Drangen 
fjo©3eit ma©en foll, ausbrüdli© ein flnbersroerben, eine ftarfe innere Um 5 
toäl3ung oerfinnbilbli©en foll. (Ein beliebiges Beifpiel aus fjeyfes Rooellen 
^etaus3ugreifen, nenne i© bie oiet Rooellen, bie oon fjeyfe in einen Banb 
oereint toorben finb: Dilla $aIconieri, Doris Sengeberg, <Emetett3 unb bie 
Märtyrerin bet Phantafie. ©an3 un3toeibeutig läfet bie erfte, no© beffer bie 
3toeite unb bie oierte erfennen, bafj bie ftarfe EDanblung bet toeibli©en $iguten 
flbfi©t ift unb faft toie eine getoollte übertaf©ung toirfen foll. 

IDatum au© toäre — toenn f©on oon roerbenben RTenf©en gerebet toetben 
gerabe ber Rooelle bas ©ebiet innerer Elmtoanblung oerf©loffen? 
©twa toeil fie nur geringen Umfang haben barf? Dann liefee fi© begreifen, 
öafe ©ieds Rooellen es auf toerbenbe ©halftere anlegen. ©ied 3ie©t ja bem 
mfang feiner Rooellen feine engen ©ren3en. Daher barf au© bei Keller auf 



Don ®slot DOaljel 


163 


roerbenbe Gljaraftere geregnet werben. 3 hm oerbenfen oiele, baß er über 
bas richtige HTaß bes Umfangs hinausgegangen ift. XDie groß foU nun wohl 1 
bet Umfang einer Hooelle fein? U)o hört bie Hooelle auf, wegen allju großen 
Umfangs nodj Hooelle 3U fein, wann gebt fie in ben Roman übet? ' 

natürlich toebrt fich bie Poetif gern gegen ben flnfdjein, als erblicfe fie 
ben Unterfdjieb 3wifcben Roman unb Hooelle ausfdjliefjlid} in bem größeren 
ober geringeren Umfang. Gs war ein geiftreicber Ginfall, bie HTetapher ein 
oerfmgtes Gleichnis 3U nennen; gan3 ebenfo geiftreid} ift es, ben Unterfcbieb oon 
HTetapher unb Gleichnis nicht bloß in ber flusbebnung 3U fuchen unb 3U feiner 
befferen IDürbigung auf ben Unterfchieb oon Rooelle unb Roman 3U oer* 
weifen. U)enn nur im entfeheibenben $alle nicht immer wieber ben Hooellen 
ei^elner Dieter ihre übermäßige £änge oorgerüdt würbe! Solange fein | 
tieferer Grunb für bie oerfchiebene Bemeffung gefunben ift, bleibt ber Ginwanb 1 
bem flnjchein bes Pebantifchen ausgefeßt. 

S. €b- Difcher meinte in §883 feiner Aftßetif (III, 1318 ) ben Grunb 
genau angeben 3U fönnen. Gr tat es in einer Ausbrucfsweife, bie oon Scßopen* 
hauet hätte aerobatifch genannt werben fönnen. Gr begann: „Die Hooelle 
oerljält fich 3um Romane wie ein Strahl 3U einer Cichtmaffe." Gr oerbeutlichte 
bie Detgleichung: „Sie gibt nicht bas umfaffenbe Bilb bet U)elt3uftänbe, aber 
einen Ausfcßnitt aus ihnen, ber mit intenfioer, momentaner Stärfe auf bas 
größete Gan3e als Perfpeftioe hinausweift, nicht bie oollftänbige Gntwicflung 
einer Perfönlicßfeit, aber ein Stücf aus einem HTenfchenleben, bas eine Spannung, 
eine Krife hat unb uns bureß eine Gemüts* unb Scßicffalswenbung mit fcharfem 
flijente 3eigt, was HTenfchenleben überhaupt ift." HTan habe fie einfach unb 
nihtig als eine Situation im Unterfchieb oon ber Gntwicflung bes Romans 
burch eine Reihe oon Situationen be3ei<hnet. Gleich bet flusgangspunft oon 
if<hets Scheibung enegt Bebenfen. U)ir wiffen heute nichts mehr mit ber ; 
Sotberung an3ufangen, baß ber Roman ein umfaffenbes Bilb bet U)elt3uftänbe 
ju geben habe. Die Romane, nach benen unfere Dorfteilung 00m Roman fich 1 
gebilbet hat, bieten meift fein folcßes umfaffenbes Bilb. Selbft „tDilßelm 
eifters £ehriaßre" fämen nach Difchers flnfidjt um ben Ruhm, ein Roman 
jw fein. 3 m Gegenfaß 3U Difcher frage ich, °b ein fo rein ftofflicßes HTerfmal 
rote bie umfaffenbe ober minber umfaffenbe 3eicßnung ber U)elt3uftänbe über* 
haupt genügen fann, innerhalb ber G^äßlung oerfchiebene $ormen feföuftellen. 

Don beit „TDahloerwanbtfchaften" fagt Difcher an gleicher Stelle (III, 1319 ) 

^ feien „eine gegen ben Roman hin erweiterte Hooelle". Das ift richtig! 

*. 11 ®W €n » baß bie „tDaßloerwanbtfchaften" urfptünglich eine ber Ginlagen 
. et »® an beriahre" biiben follten. Das ergibt fich etwa aus ber Gagebuchein* 
«agung Goethes 00m 11. April 1808 . $ür bie fünftlerifche Geftaltung bes 
Omans unb für beten Grfaffung fällt natürlich bie Gatfache wenig ins Gewicht. 
ei foll bie Gntftehung einer Dichtung gegen ihre fünftlerifche Geftalt aus* 

11 * 



164 


Die Kunftform 6er rionelle 


gefpielt, foll — mit anberen EDorten — ©oetfje gugemutet toerben, bafc er 
aus einem Rooellenftoff einen Roman nidjt f}obe madjen lönnen? Difdjet 
allerbings fäl}tt fort: bie „RJahloeTtoanbtfdjaftert'' blieben in ihrer ©runblage 
feft auf bem Boben bet Rooelle, benn fie fdjilberten nicf}t einen gangen <Ent= 
toicflungsgang einet Perfönlicfjfeit; bie fjauptperfonen feien begiehungstoeije 
reif; eine eingelne oetfänglidje £ebensfrage, bie $rage über bas Behältnis 
3toifd}en $reit?eit, Pflidjt, Selbftbel}ertfd}ung unb buntein phyfiologifdj 5 
pfyd}ifd}en ©etoalten, bie 3 nbioibuum an 3 nbioibuum bannen, bilbe ben 
toefentlid}en, ed}t nooellenljaft fpannenben 3 nf}alt. „Rur bie breite Sülle 
ber Darftellung bringt ben Romandjarafter hingu." 

Seltfam toibetfprudjsooll ift bas! (Ein toidjtiges Rtertmal bet $orm toitb 
toie etroas gan3 Rebenfädjlidjes guletjt ermähnt: „Rur bie breite $ülle ber 
Darftellung ..Spricht nidjt oielmeljt biefes Rtertmal ber $orm entfdjeibenb 
für ben Romandjarafter ber „EDahloertoanbtfd}aften", toäl}tenb bie in^alt 5 
Iidjen 3 üge, bie t»on Difdjet angeführt toerben, burdjaus nid}t notroenbig als 
Kenngeidjen einer Didjtungsart angefeljen toerben müffen? ©bet Ijätte je* 
mals einer baran gebadjt, gleite 3 üge bes 3 nl}alts 3m Sdjeibung gegen 5 
fätjlidjer bramatifd}er $ormen 3U benutzen? 

©rbnungsbegriffe, toie bie antife poetif fie gebilbet tjat, aud} ^eute feft 5 
3uljalten, möchte id} burdjaus empfehlen. Aber fann oon ©rbnungsbegriffen 
nocfy bie Rebe fein, toenn 3toifd}en Roman unb Rooelle fo gefdjieben toirb, 
toie es Difdjet tut? R)äte nidjt beffer, einfad} oon größeren unb Heineren 
(Etgäljlungen in ungebunbener Rebe 3U fpredjen? ©rbnungsbegriffe follen bie 
Sülle ber (Etfdjeinungen in grofee ©ruppen otbnen. Kann es inbes nod} 
„orbnen“ tjeifjen, toenn bie gegenfätjlidjen Begriffe, bie um ber ©rbnung 
toillen aufgeftellt toerben, lebiglid} 3U fpitjfinbigen Streitigteiten führen unb 
3u ber faum beanttoortbaren $rage, ob eine eingelne Didjtung bem einen 
ober bem anberen ©egenfatg 3U3ured}nen ift? Den Dichter tonnen ffirbnungs 5 
begriffe förbern. Ridjt förbern aber fann iljn bie flusfidjt, feine 5d}öpfung 
bauernb Dortoürfen ausgefeyt 3U toiffen, bie fdjliefelid} auf Dorurteile unb 00t 5 
fdjnell 3ured}tge3immerte Rubriten gutüdgeljen. 

Difdjet erinnert fid} allerbings aud} ber (Entfteljung ber Rooelle. Das 
Rtittelalter l?abe IRenfd} unb R)elt nidjt gefannt, Boccaccio aber bas ©eljeitnnis 
ausgeplaubert, bafc Rtenfdjen Rtenfdjen, fterblicfje Rtenfdjen finb. 3 n gleichen 
Dorausfetjungen tourgle ber Sd}toanf, ber 3um ©eil blofoe flnefbote fei. Die 
Rnefbote fei meift fomifd}, bie Rooelle betoege fid} aud} im tragifdjen ©ebiet, 
unb 3toar mehr als ber Roman. „(Es liegt bies in ihrer ftrafferen Ratur; tuet 4 
3 ntereffantes fur3 ergäben toill, mufj bas Retarbierenbe fdjnellet niebertoerfen 
unb auf bie Kataftroplje 3ueilen, too fid} aber biefe afuter ^eroorbrangt, ba 
tft aud} bie fdjärfere Scfjneibe bes Sdjidfals, toie bie Pritfd?e bes lädjerlidjen 
3 ufalls, im 3 uge bes Ausholens." Jjier toie in einigen ber oben angeführten 


Don <Ds!ac tDaljel 


165 


©orte Diners, bie id? noch nicht nähet erörtert habe, tut (ich ein Ausblid auf 
$ormeigenheiten bet Hooelle auf. Unb abermals auf einen 3 ug oon formaler 
Bebeutung weift eine Bemerfung über Hooelten in ber Art ©ieds. Oer mobemen 
©eit, meint Difchet, habe es nahe gelegen, ben Snhalt ber Hooelle als I^ema 
3U behanbeln, b. h- unfete Konoerfation unb Debatte fo in fie 3U oetlegen, 
bafe eine £ebensftage, ein Kampf geiftiger Richtungen, bunfle (Etfdjeinungen 
bes Seelenlebens unb begleichen oothettfchenb gefprädjsroeife erörtert werben, 
wähtenb in ben petfönlidjen Sthidfalen 3ugleid? bie faftifdje Antwort folgt. 
Difdjet finbet biefe$orm bebenllich; benn es liege nahe, bie 3weite Seite, bie 
ben wefentlidjen Körper bes ©an3en bilben müfete, 3ur Hebenfache 3U machen 
unb [0 bie 3 bee bibaftifd} ftatt poetifd? unb 3war mit bem befonberen ©erudje 
bes Salons, bet Geegefellfdjaft heraus3ufteHen. (Ein anberes fei es, wenn eine 
Ijarmlofe ©efellfdjaft fid? Hooellen et3ä1jle, wie bei Boccaccio, wo benn fdjUefc 
üd) auch bie (£t3äl}lenben felbft eine Hooelle fpielen mögen; ohne Boccaccios 
Kaioität Ratten bies Sied, ©oetlje unb anbere nadjgeahmt. 

Difc^er weift einerfeits auf bie auslänbifdjen unb bie beutfdjen Anfänge 
bet Hooelle hin, inbem er jene 3U begreifen fuc^t, biefe mit einigem 3weifel 
bebenft. Anberfeits möchte er gormeigenheiten ber Hooelle umfdjreiben, bie 
butd? ihren fnappeten Umfang bebingt finb unb fie 00m Roman untetfdjeiben. 
©efchichtliche Betrachtung oerbinbet fich mithin bei Difchet mit fotmfritifdjer. 

3 unäd}[t fei ber gefdjidjtlidje H)eg begangen! Unb 3war fetje ich mit ber 
©iebererwedung ber Hooelle ein, bie fidj in ©oetljes „Unterhaltungen beutfdjer 
flusgewanberten" ooltyeht. Die „Unterhaltungen" wollen bet beutfdjen 
Citeratur bie Kunftform oon Boccaccios „Decametone" Jd}enten; unb fie 
fiaben ihre Abficht burdjaus erreicht. 

©tbe (Dftober 1794 begannen bie „Unterhaltungen" 3U leimen. Schon 
um 7 . Hooember tonnte Schiller an Körner fchreiben, ©oethe wolle „eine 
3 ufammenhängenbe Suite oon ©Zählungen im ©efchmad bes 'Decameron* 
bes Bocca3" für bie „hören" ausarbeiten. Der Ausbtud „Hooelle" erfcheint 
tn Schillers Brief fo wenig wie in irgenbeiner anberen Äußerung fei’s Schillers 
ober ©oethes, bie bet <Entftehungs3eit bet „Unterhaltungen" angehört. 

Det tiame „Hooelle" finbet fich gan3 Derein3elt in 3ohann 3oa<him (Efchen* 
butgs „(Entwurf einer üh^orie unb Citeratur ber fchönen XDiffenfhaften", 
pie „neue, umgearbeitete Ausgabe" oon 1789 bemerft bei ©elegenheit ber 
rtalienifchen Romane (S. 341 ): in bet blühenbften Periobe bet italienifdjen 
Dichtung habe man fich oomehmlich „auf Heinere profaifche Stählungen ober 
ooellen" eingefchräntt, „oon welchen biefe Kation einen gtofeen Dorrat be* 
ftgt. Sujets „Allgemeine ©h c otie bet frönen Künfte" fennt bas Schlag* 
®ort nicht. Dagegen gebenten Blanfenburgs 3 ufäije (Bb. 2, S. 143 f. oon 1792 ) 
et ftanjöfifchen „Nouvelles“, nennen fie „wirtliche Seine Romane" unb führen 
I« auf fpanifches Dorbilb 3utüd. U)ie fremb ber Ausbrud noch um 1750 ben 



166 


Die Kunftform 6er Itooetle 


Deutfdjen war, beweift bet befannte Sehniger bes jungen Ceffing: et übetfetjte 
Öen «Xitel oon ©eroantes’ „Novelas ejemplares“ mit „Heuen Beifpielen". So 
fafj fid) IDielanb oeranlafet, nod) in bet 3weiten Auflage bes „Don Syloio" 
oon 1772 (I f 22) bem IDott „Rooelle" eine flnmetfung 3U toibmen. Sie uwrbe 
fpätet geftridjen unb lautet: „Rooellen toetben ootjügüd) eine Alt oon <h- 
3äl)lungen genannt, welche fid) oon ben großen Romanen butd) bie Simplqität 
bes plans unb ben Seinen Umfang bet $abel untetfdjeiben, ober fid) 3U ben- 
felben ©erhalten toie bie Seinen Scfjaufpiele 3U ber grofjen Stagöbie unb 
Komöbie." 

Diel fpätet, 3eljn 3 al)te ettoa nad) bet Detöffentlidjung bet „Untermal' 
tungen", fdjtieb IDielanb felbft eine Rooelle unb fügte fie mit bet Übetjdjtift 
„Die Rooelle ohne Sitel" feinem „tjejameton oon Rofenhain" oon 1805 ein. 
(Et weife nunmehr genaueres 3U fagen. Die Rooelle fpiele in teinem ibealifdjen 
ober utopifdjen £anbe, fonbetn in unfetet totrSidjen R)elt, „too aües natürlich 
unb begreiflich 3ugel)t, unb bie Begebenheiten 3toar nid)t alltäglich finb, aber 
fid? hoch unter benfeiben Umftänben alle Sage allenthalben 3uttagen tonnten". 
Sie gewähre alfo nicht fo oiel Anmutung unb Detgnügen wie ein glücflid) 
gefunbenes ober finnteich erfunbenes unb lebhaft et3äl)ltes Rlardjen. 

Das R)ott „Rooelle" etfcheint bei ©oethe f<hon in ben etften Anfähen 3U 
ben „IDanberjahten". Das Riefen bet Rooelle 3U umfchteiben, machte et fid? 
oiel fpätet 3m Aufgabe. Denn faum bütfte es angehen, bie R)ünfche unb An= 
fprüche, bie in ben „Unterhaltungen" oon bet Batoneffe ootgebracht toetben, 
3um Programm oon ©oethes Rooelliftit 3U erheben, auch nicht einmal fotoeit 
biefe Rooelliftit, ohne oon RooeUe 3U fprechen, in ben Unterhaltungen fich 
barbietet. Die Batoneffe oerlangt ( 3 ub.'Ausg. XVI, 214 f.) Zählungen, bei 
benen nicht nach Rleife bet „Saufenb unb (Einen Rächt" eine Begebenheit in 
bie anbete eingefd?achtelt, ein 3 nteteffe burct? bas anbete oetbrängt toitb. 
Hid)t foSe Reugierbe auf leichtfinnige Art erregt unb butd) Unterbrechung 
geregt, fonbetn bie Aufmertfamteit butch eine oemünftige $olge beftiebigt 
toerben. Sie oertoitft alle feltfamen Kunftgtiffe, bie Aufmertfamteit aufju* 
fpannen. Sie tabelt bas Beftteben, aus ©efd)id)ten, bie fich ®uh c tt Ö €S 
©ebichts nähern follen, thapfobifd)e Rätfel 3U machen. Die $otm fei* bet guten 
®efellfd)aft angepafet. „©eben Sie uns", fügt bie Batoneffe l)iu3u, ,, 3 um ^ n ' 
fang eine ffiefd)ichte oon toenig Petfonen unb Begebenheiten, bie gut etfunben 
unb gebacht ift, wahr, natürlich unb nicht gemein, fo oiel fjtmblung (ds unent s 
behtlid) unb fo oiel ©efinnung als nötig, bie nicht ftill ftel)t, fid) nid)t auf einem 
Siede 3U langfam bewegt, fid) aber aud) nid)t übereilt; in bet bie IKenfd)en 
etfdjeinen, wie man fie gern mag, nidjt oolltommen, aber gut, nicht aufeet 5 
orbentlid), aber intereffant unb liebenswütbig. 3hre ©efd)id)te fei unterhaltend 
fo lange wir fie hören, beftiebigenb, wenn fie 3U (Enbe ift, unb hiuterlaffe uns 
einen füllen Rei3, weitet nad)3ubenten." 



Don (Dsfar IDa^el 


167 


fln Stillet fdjrieb ©oethe am 2. De3entber 1794 , ct gebente in Öen „Unter¬ 
haltungen" toie öic Wählerin in öer „©aufenb unb (Einen Hacht" 3U ©erfahren. 
Ulan hat behauptet, bafe biefe flbjidjt ben TDünfdjen bet Baroneffe 3utoiber= 
laufe. Allein bie Baroneffe roenbet fi<h nicht überhaupt gegen bie <Et3ählungs* 
technit bes alten orientalifchen Märchenbuchs, fonbern nur gegen einen Kunft* 
griff, ber toohl bort, nicht aber bei ©oethe erfcheint. fluch ©oethe fügt in ben 
Rahmen feinet „Unterhaltungen" ein3elne ©efdjichten ein, aber er meibet es 
burchaus, in biefe ©efdjidjten noch »eitere (E^ählungen ein3ufdja^teln. 
Solche 3 u>iebelte<hni! ift ber alten Sammlung feht lieb; fie tehrt Dielfach in 
abenblänbifchen ©Zahlungen, unb 3»at nicht blofe in Ittärchen, toieber; ber 
fpanifche flbente'urenoman bebient fi<h biefer mehrfachen Schadjtelung, bie 
fpamtt, aber auch oerroirrt, ja betäubt. 

Hid}t bet fdjeinbate tDiberfpruch 3toifdjen ben tDorten ber Baroneffe unb 
bem Brief oom 2 . De3embet 1794 , oielmehr ein anberer ©tunb oerroehrt mir, 
in bet Äußerung bet Baroneffe ein UoDellenptogtamm ©oethes 3U etfennen. 
Die Baroneffe fpricht aus ihrer Rolle heraus, fie oertritt ihren perfönlichen 
©efchmad. Sie oerficht bie flbfichten einet guten unb gebilbeten ©efellfdjaft. 
Sie roeifj nicht, roas tommen toirb unb mufe bem Wählet Raum laffen, feine 
petfönlichen flbfichten 3U beftiebigen. Raum aber mufe fie oor allem laffen 3u 
abfälligen ober 3uftimmenben Bemertungen, bie oon ben 3 uhöretn an bie 
enqelnen ©efchichten noch angetnüpft toetben follen. So toirb etroa bie ©e= 
f^i^te oom Proturator (S. 237 ) mit bem „(Ehrentitel einer moralifchen (Er* 
3ahlung" oon ber Baroneffe bebacht. Der Wählet aber beftimmt tantifch bie 
motalijdje Zahlung: fie 3eige, bafe bet Rtenfch in fich bie Kraft habe, aus Über* 
jeugung eines Beffern felbft gegen feine Reigung 3U hanbeln. Unb »eil bie 
®ef<hid}te oom Proturator bies lehre, gleiche fie jebet anberen moralifchen (Et* 
3ählung bergeftalt, bafj man immer nur bie felbe ©efdjichte 3U et3ählen fcheine. 
IDäre es nicht pebantifch, folche gefellfdjaftlidje (Einfälle — £uife nennt fie 
f«hl«cht»eg Parabojen — 3U ©runbfätfen bet poetif 3U ftempeln? Schul* 
meifterlidj müfete bann ©oethe bie motalifchc <Et3ählung 3U einet Unterart bet 
Hooelle gemalt haben. Unb ebenfo pebantifch Ȋte es, bie Bemertung ber 
Baroneffe: „ 3 d? liebe mir fehr parallelgefRichten" (S. 239 ) im Sinn einer 
fcechnit ber Hooelle 3U mün3en. ©an3 ebenfo beiläufig erfcheint ein anbetmal 
bie Bemertung: „Diefe ©efdjichte gefällt mir,... unb ob fie gleich aus bem 
9 emeinen £eben genommen ift, fo tommt fie mir hoch nicht alltäglich oor" 
(S. 259 ). TDielanb oerlangt 1805 gleiches oon bet Hooelle. Doch bei ©oethe 
ift all bas aus ber £age bet Rahmenet3ählung gefptochen. (Eine Umfdjreibung 
bes Begriffs „Hooelle" fdjmebt um fo toeniget oor, ba ja ©oethe überhaupt 
mcht oon „Hooellen" rebet unb 3ulet$t ein Hlärchen auftifdjt. Dielleicht hätte 
®oethe nachträglich noch ein TDort übet <Et3ählungstechnif 3ufammeitfaffenb 
»otgebracht, toenn bie $ortfet}ung bet „Unterhaltungen" nicht oorfchnell ab* 



168 


Die Kunftform ber tlooelle 


gebroden toorben todrc. So aber bauerte es oiele 3 aljte, ehe er 3U bem Derfudj ge* 
langte, bas EDefen ber tlooelle 3U umgren3en. Seiber ift biefet Detfucf) nur in bem 
Bericht (Hermanns erhalten. Die fptad)lid)e Sormung bürfte — foroeit tennen 
toit nadjgerabe ©detmanns Arbeitstoeife—nid)t auf ©oethes Rechnung tommen. 

Am 29 . Januar 1827 foll nad) (Hermanns Mitteilung ©oetf)e mit il)m 
über ben (Eitel ber Rooelle gefptodjen haben, bie bann fd)Ied)tmeg „Rooelle" 
übertrieben toorben ift, ä^nlicfj alfo toie es tDielanb mit feiner „Rooelle ohne 
(Eitel" gehalten t?atte. (Es fällt hier nid)t ins ©etoid)t, bafe nad) bem (Eagebudj 
biefes ©efpräd) einige (Eage früher ftattgefunben haben bürfte. (Edermann 
fdjreibt ©oetljes Äußerung in folgenber $orm hin: . . toas ift eine Rooelle 
anbers als eine fid) ereignete unerhörte Begebenheit. Dies ift bet eigentliche 
Begriff, unb fo oieles, toas in Deutfchlanb unter bem (Eitel Rooelle geht, ift 
gar feine Rooelle, fonbern blofe Zahlung ober toas Sie fonft roollen. Sn jenem 
urfprünglidjen Sinne einer unerhörten Begebenheit tommt auch öie Rooelle 
in ben 'EDahloerroanbtfchaften’ oor." 

©emeint ift bie (E^ählung „Die rounberlidjen Rachbarstinber" im 10 . Ka= 
pitel bes 3toeiten (Eeils ber „tDahloerroanbtfchaften". Sie führt ben Untertitel 
„Rooelle". ©oethe blidt 1827 foroohl auf eine langjährige eigene (Erfahrung 
in ber Rooellentedjnif toie auf eine längere (Enttoidlung beutfdjer Rooelliftit 
3urüd. Rias oon anberen auf biefem Selb oorgebrad)t toorben toar, ermecft 
in ihm ben R)unfd) nad} reinlicherer Umgren3ung bes Begriffs, ©t felbft fdjeint 
oon ber Art feiner älteren Rooellen, minbeftens ber ©Zahlungen in ben „R)an* 
betjahren", abgehen unb in ber „Rooelle" ettoas Reuartiges bieten 3U toollen. 
©dermann toenigftens toill am 15 . Januar 3U ©oethe bemerft haben, bafe öie 
„Rooelle" fid) oon bet ©echnif ber „IDanberjahre" unterfdjeibe, „inbem barin 
alles Darftellung bes Aufjeten, alles real fei", ©oethe hübe geanttoortet: „Sie 
haben redjt, 3 mtetlid)es finben Sie in bem ©elefenen faft gar nicht, unb in 
meinen übrigen Sachen ift baoon faft 3U oiel." Allerbings tannte ©dermann 
ben Sd)luf} ber „Rooelle" bamals nod} nicht, ©oethe betont aud) ausbrüdlidjf 
ba^ nur in bem ©elefenen faft nichts innerliches enthalten fei. Über ben Scf)luf5 
brachten bie nächften ©efpräche mit ©dermann nach öeffen Bericht nod) ein* 
gehenbe ©rtoägungen. 


Hm 18 . 3 anuat befam ©dermann ben Sdjlufe 3U lefen. Rad) bem ©inbru 
ben bas Dorhergeljenbe auf ihn gemacht hatte, erfdjien ihm bas ©nöe „; 
einfam, 3U ibeal, 3U lyrifd)". ©oethe lehnte ausbrüdlid) ©dermanns 3umutui 
ab, 3uleht nod) einige ber übrigen $iguten heroortreten 3U laffen: „Der $üi 
mit ben Seinigen ift in bie Stabt geritten, too feine Ijiilfc nötig fein mir 1 
qonorio, fobalb et hört, bafj ber £ötoe oben in Sicherheit ift, mirb mit feine 
Jägern folgen; ber Rtann aber toirb fehr halb mit bem eifernen Käfig aus b 
Stabt ba fein unb ben £öo?en barin 3urüdführen." Alles bas fei ooraus3i 
fehen. Sül)tte man es aus, fo roürbe es ptofaifch toerben. 




J 



Pott ©sfar tDaljel 


169 


©oethe Dctfudjte bie Rotwenbigfeit bes gewählten Hufbaus, bes Übergangs 
Dom Realen ins 3 beale, nodj auf anöere EDeife barjutun. (Er bebiente fid? eines 
©leidptiffes. Aus ber EDwget fdjie&t grünes ©ewädjs ^eroor, es treibt eine 
IDeile aus einem ftarfen Stengel träftige grüne Blätter nach ben Seiten unb 
enbet mit einet Blume. Die Blume war unerwartet, übettafdjenb, aber fie 
mufete lommen; ja bas grüne Blätterwer! war nut für fie ba unb wäre oljne 
fie nicht ber Rtü^e wert gewefen. 

(Ein rein formales Problem ber bid}terifd?en Hrd}iteftoni{ tut fid) ba auf. 
©bet auch ein Stimmungswedjfel, bebingt burd) bie Süfjrung ber (Etjäljlung, 
ein Stimmungswedjfel, wie et in mufüalifdjet Kompofition oermöge ber $ülj* 
tung ber ERelobie etwas Selbftoerftänblidjes ift. Roch aus einer anberen Be* 
mertung ©oethes, bie non (Edetmann in feinet Spraye feftgel)alten würbe, 
läfet fi<h bie fünftlerifche flbficht foldj mufilalifdjet Stimmungsführung alpten: 
wir haben $teube am Realen, wenn es mit EDaljtheit bargefteHt ift, es !ann 
ouch oon gewiffen Dingen eine beutlidjere ©rfenntnis geben; bet eigentliche 
©etoinn für unfete höhere Ratur liegt inbes allein im 3 bealen, bas aus bem 
herjen bes Dieters heroorgeht. Seiber ift in biefer EDenbung bas eigentliche 
fünftlerifche Problem ins Sittliche hittübetgefpieft. ©atfädjlich wenbet ©oethe 
in ber „Ronelle" bie $atben ber EDirfliihfeit nut barum lange in ooller (Echtheit 
an, um 3ulet)t alle Sorberungen ängftlidjet Beobachtung ber EDirtlichteit befto 
traftiger abjulelpten. (Ein Kunftgriff ber (Erjählungste^nit liegt oor. Diefe 
Hooelle will gan3 unb gar nicht biofe »erraten, bafj RTenfchen fterblidje Rtenfchen 
finb. 3 hr ift es oielmeht um wohlberechnete Sinienfühtung unb um eine Stirn* 
ntungsabfolge 3U tun, bie fi<h im Sefer notwenbig abfpielen foll. Da offenbaren 
fid? Barmmöglichteiten, bie bet Rooelle im ©egenfatj 3um Roman 3ugäng* 
U<h finb. 

IDas follen nach biefen (Ergebniffen, bie in ©oethes ©efprädjen mit ©der* 
ntann greifbar nah ootliegen, bie 3weibeutigen EDorte: eine Rooelle ift eine fi<h 
ereignete unerhörte Begebenheit? EDer bie EDenbung beuten wollte, ohne babei 
©oethes „Rooelle" ins Rüge 3U faffen, tonnte leicht 3U bem ©nbe tommen, 
jeher aufregenbe ©agesoorfaü, ber über bas RIafj bes ©ebtäudjlichen hinaus* 
9 e he, fei fchon eine Rooelle. IReint ©oethe, bafo bie Rooelle aus bem wirt* 
liehen Sehen gefdjöpft fei, bafe fie auf einen tatfädjlichen Dorgang 3urüdgehen 
tnüffe? Darf fie nach ©oethe nicht auch fünftlerifche Um* unb Reugeftaltung 
einer älteren (E^ählung fein? Das alles bleibt offene $tage. 

Hudj ©oethe wufete fehr wohl, baf} Boccaccio gern altes ©r3ählungsgut 
verarbeitet, ©oethe felbft nahm in ben „Unterhaltungen" biefes Recht für fich 
m flnfprudf. ERanche unter feinen 3eitgenoffen hulbigten noch bem gleichen 
Brauch. Seitbem freilich tourbe es mehr unb mehr üblich»' bas EDort Rooelle 
'ui etymologifdjen Sinn 3U faffen. Den Rooellen wirb jetjt meift bie Aufgabe 
jugewiefen, ©efdpchten 3U e^äljlen, bie feinet oothet eQäljlt h<d* 



170 


Die Kunftform öer Hooelle 


Übet Boccaccio toat ©oetlje aus eigener (Erfahrung genügenb unterrichtet. 
©oetlje dürfte inbes auch die erfte einbringlidje beutfdje Arbeit über Boccaccio 
gefannt haben: griebridj Schlegels Auffatj „Hacfjtidjt oon Öen poetischen IDerfen 
bes 3 obannes Boccaccio"; er toar im 3toeiten Banb ber „dljarafteriftifen unb 
Krititen" bet beiben Btübet Schlegel 1801 et Schienen; er bringt ben er{tcn 
beutfchen Detfudj, bas EDefen ber Hooelle oon ©runb aus 3U erfaSSen. 

Bernharb Seuffert 3toeifelt in Seinem feinsinnigen fluffah über ©oetfjes 
„Hooelle" (©oethe= 3 ahrbud) XIX, 166 ) nicht, bafe ©oethe bie „d^arafterifti! 
ber Hooelle butdj ben geiStoolISten dljeorettfer ber mobernen PoeSie" getannt 
habe. Seuffert mödjte überbies nadjtoeifen, baf} ©oethes „Hooelle" 3 ug um 
3 ug ben Bestimmungen entspreche, bie non g. Schlegel ein Dierteljaljthunbert 
früher bem TDeSen ber Xlooelte geliehen toorben toaren. Selbftoerftänblicl) 
meint Seuffert nidjt, baf} ©oethe fid} ber Bestimmungen Schlegels betoufjt roar 
als er Seine dt3äljlung fdjuf; bafj er jene Kenn3eidjen, bie nach Schlegel bet 
Hooelle eigen finb unb bie auch bet „Hooelle" ©oethes anhaften, toie Regeln 
gefaxt unb oon Schlegel übernommen höbe. 

$• Sdjlegel entroidelt biefe Kem^eidjen im Rahmen einer dfjarafterijtif 
Boccaccios, dr fpridjt nur oon Hooellen älterer 3eit unb oerroeift an feiner 
Stelle feines fluffahes etroa auf ©oethes „Unterhaltungen". 

5 - Schlegel geht gerabe3u oon ber datfadje aus, bafe bie Hooellen bes „De- 
camerone" 3um deil auf Had}et3ählung beruhen unb oielfadj nadjet3ählt 
toorben finb. din Dergleidj bet oerSdjiebenen gaffungen einer ein3elnen Hooelle 
toäre nadj feiner IReinung bas befte Htittel einet dharafterifierung, ba ja jede 
Hooelle Boccaccios „ihren fpe3ifiScfj oetfchiebenen dharafter, ihre eigne Sig¬ 
natur" habe. Um aber 3m dharafteriftif ber gan3en ©attung 3U gelangen, 
toählt Sdjlegel mit flbfidjt einen H)eg, ben er felbft „fonberbar" nennen mufe. 
dr beftimmt 3unädjft, bafj alle H)erfe Boccaccios „Subjeftioe Befdjaffenheit 
ober Be3iehung" haben. Die Hooelle aber fei feljt geeignet, eine fubjeftioe 
Stimmung unb flnfidjt, unb 3toar bie tiefften unb eigentümlichsten, inbirelt 
unb gleidjfam finnbilblidj bar3uftellen. dr ftütjt biefe Behauptung auf Hooellen 
bes deroantes, feltfamertDeife aber audj auf „Romeo unb 3ulia". Die bramati 5 
{ierte Hooelle Shafefpeares ftehe auf höherer Stufe als anbere „besfelben 
Didjters, . . . toeil er, in jugenblicfje Begeisterung ergoSfen, in iljt mehr a ^ s 
in jebet anbetn ein fdjönes ©efäf) für biefe fanb, fo baf) et gan3 baoon angefüllt 
unb burdjbrungen toerben fonnte". ds bleibt immer ein H)agnis, bei ber müh 5 
famen Beftimmung bes IDefens einer dt3äfjlungsform eine ftoffoertoanbte 
bramatifdje Arbeit hetan3u{jolen. 

Hidjt Subjeftioität Sdjledjttoeg, fonbern inbirefte unb oerhüllte Subjef- 
tioität beobachtet Sdjlegel an Boccaccios Hooellen. 3 u foldj inbirefter unb 
verborgener Subjeftioität tauge bie Hooelle befonbers, „toeil fie übrigens fidj 
c h r 3 um ©bjeftioen neigt, unb roietoohl Sie bas £ofale unb bas Koftüm gerne 


Don (Dstor IDoIje! 


171 


mit ©enauigteit beftimmt, cs bennod] gern im allgemeinen halt, Öen ©efe^en 
unb ©efinnungen bet feinen ©efellfchaft gemäfe, mo fie ihren Urfprung unb 
ilfte fjeimat hat". 

(Erinnert bas nicht auffällig an Wenbungen, bie uns in ben „Unterhaltungen 
beutlet Ausgemanberten" begegnet finb? Huch bort {oll bie $orm ber (Er* 
3äljlung ben Wünfdjen ber guten ©efellfdjaft angepafet merben. Hoch manche 
bet folgenben Beftimmungen Spiegels Hingt an Worte ber „Unterhaltungen" 
an. Befonbers ber Wunfd}, bafe bie <Et3äh!ung aus bem gemeinen, b. h- aus 
bem Alltagsleben genommen fei unb bod} nicht alltäglich toitfe, lehrt im 
folgenben fchärfer umgrenjt toiebet. Schlegel „bebu3iert" bie (Eigenheit ber 
Itooelle nunmehr unmittelbar aus ihrem urfprünglichen dharafter: 

„(Es ift bie Honette eine Anelbote, eine noch unbelannte ©efdjichte, fo 
erjählt, mie man fie in ©efellfchaft et3ählen mürbe, eine ©efdjichte, bie an unb 
für (ich {chon ein3eln interef{ieren lönnen mufe, ohne irgenb auf ben 3ufammen* 
hang ber Uationen, ober bet 3eiten, ober auch auf bie $ortf<hritte bet Ulenfdj* 
heit unb bas Behältnis 3ur Bilbung bet{elben 3U {eben. (Eine < 5 e{cf?id}te alfo, 
bie, {treng genommen, nicht 3ur < 5 efd?id?te gehört, unb bie Anlage 3ur Stonie 
{hon in bet ©ebuttsftunbe mit auf bie Welt bringt. Da fie intere{{ieren foll, 
{o mufc (ie in ihrer $otm irgenb etmas enthalten, mas oielen merfmürbig ober 
lieb (ein 3U lönnen oerfpricht. Die Kun{t bes Zählens batf nur etmas höhet 
(teigen, fo mirb ber <Et3ähler (ie entmeber babutch 3U 3eigen fuchen, bafe er mit 
einem angenehmen nichts, mit einer Anelbote, bie, genau genommen, auch 
ttid)t einmal eine Anelbote märe, täufdjenb 3U unterhalten unb bas, mas im 
9att3en einUichts ift, bennodj burch bie Sülle feinet Kunft {o reichlich 3U fchmüden 
roe i&> bafc mir uns roillig täufdjen, ja mohl gar etnfüich bafüt intereffieren 
la(fen." Als Ausrouchs {teile {ich ba atterbings ein, bafj manche Honette — bei 
Boccaccio mie bei (Eernantes — blofj Späfee unb (Einfälle enthalte. Dem lünft* 
lieberen <Et3ähler, bem nielleicht {«hon bie erften Blüten oormeggenommen feien, 
«gebe fid) hingegen bet Ausmeg, bafj er belannte ©efchidjten burdj bie Art, 
®te et fie et3ähle unb umbilbe, in neue 3U netmanbeln fdjeine. Auf bie fub* 
leftine Aneignung, auf einen meht ober minbet nolllommenen Ausbrud einer 
«genen Anficht, eines eigenen ©efüljls lomme es bann an. Als ©ipfel unb 
eigentliche Blüte ber gan3en ©attung ergebe (ich auf biefem Wege, bem bas 
ntereffe bes 3 uhöters an bem Wählet feine Richtung meife, bie allegorifche 
ooelle. Wir bütfen getroft bafüt einfe^en: bie fymbolifdje. 

Seuffert erläutert, miemeit ©oetljes „Rooelle" ben Darlegungen Schlegels 
«nfpredje: „©oethe gab feine Stimmung unb feine Anficht non bet alle (Er* 
T%ungstultur, alle Weltmeisheit befiegenben unmiberftehüchen, göttlichen 
«ur, bie liebenoll erhält, mo felbft ber befte Rlenfchenmille 3erftört; et gab fie 
in nett unb finnbilblid}. . . Unb ©oethe gab bas totale unb bas Koftüm mit 
enauigteit unb hielt es hoch im allgemeinen, ba er meber alle Stunben bes 



172 


Die Kunftform 6er Itooelle 


©ageslaufes ausfüllt noch bas 3a^t bes ©efchehniffes an3eigt; unb ct griff 
Öen Stoff aus bet feinen ©efellfchaft unb formte ifjn füt eben biefe ©e* 
fellfchaft." 

3dj möchte nod) hin3ufügen, bafj ©oethes „Itooelle" — tote mit gefeljen 
haben — auch noch bem tDunfdje Spiegels entfpridjt, bie Itooelle möge in 
ihrer $orm ettoas ITterttoürbiges bieten unb butdj bie $ülle bet Kunft bes ©t* 
3ablets reichlich gefchmüdt fein. Durch biefe $orbetung, bie oon ©oethes 
„Itooelle" erfüllt nritb, unterfdjeibet fid) Spiegels ©tgtünbung bes DJefens 
bet Itooelle fdjatf oon Difdjets gleichgerichtetem Derfud}. Difd)et h<rt nut &j e 
Kut3e ber Itooelle im finge unb fahnbet nach ©igenfehaften, auch betSorm, bie 
biefet Küt3e entfpredjen. Dabei läfet er als Sohn feinet 3 eit bas Umbilben 
eines fchon oertoerteten Stoffes unb bie hohen tünftlerifdjen flnfprüdje, bie 
es ftellt, alfo ben alteren Brauch, aufeet acht. Schlegel laufdjt mit toeit fein* 
hörigerem ©hr ber < 5 efd}td}te bet alten Itooelle ihre innetfien flbfidjten ab. 
Difdjet oerfetjt fich auch nicht toie Schlegel in ben Kreis attet Itooellenet3<ihler 
unb lümmert fid) beshalb nicht um bie gefellfchaftlidjen Bebingungen bet Ho* 
oelle. ©efelUges 3 nfammenfein ift für ben gefchichtlichen Betrachter Schlegel 
unb für ben Dichter ©oethe bie Dotausfeipmg ber Itooelle. 3 n guter ©efell* 
fd)aft roirb bie Itooelle er3ählt; bas entnimmt Schlegel bet Überlieferung, bas 
ift £eitgeban!e für ©oethe. 

Dagegen liefee fid} mit bet Symboli!, bie Schlegel in ben beften ItooeDen 
entbedt unb bie oon ©oethe feinet „Itooelle" geliehen toitb, oooljl Difdjets IDen* 
bung oereinen, bie Itooelle enthalte ein Stücf aus bem ITtenfchenleben, bas eine 
Spannung, eine Ktife hat unb butch eine ©emüts* unb Schidfalstoenbung 
fcharfem flt3ente 3eigt, toas irtenfdjenleben überhaupt ift. natürlich geh* üif<h et 
mit biefen tDorten über ben oielbeutigen Begriff „Symbolif" toefentlid} hi naus 
unb fd}tanft ihn ein, in einer IDeife, bie ihm einen beftimmteren 3 nhalt leiht* 
Diefer beftimmtere 3 nhalt, biefe engere $affung bes Begriffs toeift 3ugleid) eine 
Sormeigenheit auf, bie in Spiegels Darlegung nicht 3ut ffieltung tomntt. 
Spannung, Krife, befonbers aber ©emüts* unb Schidfalstoenbung mit fcharfem 
flf3ent finb bie neuen Beftimmungen. Sie haben ihre Dorgefdjidjte. 

IDenige 3 ahre nad) bet Detöffentlidjung oon $riebri<h Schlegels fluffah 
hatte fein Btuber ©elegenheit, fich ausführlich mit ber Itooelle 3U befdjaftigen. 
IDähtenb er einft bei bet Befptedjung ber „Unterhaltungen" 3U einer ©harafte* 
riftit biefer ©Zahlungsart fid} nicht oeranlafet gefühlt hotte, holte et am ©nbe 
feiner Berliner Dorlefungen bas Derfäumte um fo eifriger nach- ünb toie 
fonft innerhalb biefer 3ufammenfaffenben Betrachtungen übernahm er aud? 
biesmal in reifem flusmaf} bie ©rgebniffe bet $otfchungen feines Btubets 
Sriebtid}. Boccacriö toar auch für tDilhelm Schlegel bet flusgangspunft. 

Das Derhaltnis bet Itooelle 3Ut ©efd}id}te, bas oon Sriebtid} Schlegel m 
fut3en, nidjt gan3 einbeutigen IDorten umfdjrieben toorben toar, toitb bei 



Don ©sfar IDaljel 


173 


feinem Brubet 3um Cettgebanlen. Der ©egenftanb bet ©efdjidjte ift nach iljm 
(S. 242 , 24 ff.) bas fortfdjreitenbe IDitfen bes Ittenfdjengefdjtechts, bet ©e* 
genftanb bet Honelle bas, was immetfott gefdjieljt, bet tägliche EDeltlauf, aber 
freilich nur foweit et oetbient aufgejeicfjnet 3U werben. 3 n nod) engerem An* 
fdjlufe an feinen Btubet heifet es fpäter (S. 248 , 20 ff.): „Die Honelle ift eine 
©efdjichte aufeer bet ©efdjicijte, fie e^aljlt folglich mertwürbige Begebenheiten, 
bie gleidjfam Eintet bem Rüden bet bürgerlichen Detfaffungen unb Anorbmin* 
gen norgefaüen finb." Unb gan3 wie ©oetlje in ben „Unterhaltungen", abet 
auch IDielanb etwas nicht Alltägliches aus bem gemeinen £eben fotberten, 
roäljrenb Sriebridj Schlegel nur bem Sinne nach gleiches meinte, fagt IDilhelm, 
bafe bie Honelle non bet einen Seite butch feltfame ©in3igteit auffallen, non 
bet anbem Seite eine gewiffe allgemeine ©ültigteit haben mufe. Abet bas 
Alltägliche, bas in bie ©efdjidjte mit eintritt, fei fo fut3 als möglich ab3ufet= 
tigen; nicht werbe es auf ungehörige U)eife aufgeftufet, nielmeljt oetweile man 
nut bei bem Aufeerorbentlidjen unb (Einigen, ohne es motioietenb 3U 3erglie* 
bem; man ftelle es pofitin hin unb fotbete ©tauben bafüt (S. 247,3 ff.). Dabei 
tönne bie Hooelle non emften Begebenheiten mit ttagifcher Katafttophe bis 
3ut biofeen poffe alle Höne burchlaufen, abet immer folle fie in bet wirtlichen 
Hielt 3U häufe fein. Deswegen — abermals wirb eine IDenbung $tiebti<hs 
aufgenommen — liebt fie auch beftimmte Angaben non (Drt, 3 «t unb Hamen 
ber Perfonen. Sie foll ben tDeltlauf fchilbem, wie er ift, unb barf alfo bie IKotine 
im allgemeinen nicht über ©ebühr nerebeln (S. 247 , 31 ff.). 

So nahe IDilhelm Schlegel ben ©ebanfen feines Brubets bleibt, etwas non 
Difcljers THeinung, bafe bie Uonelle Boccaccios bas ©eheimnis ausplaubete, 
Itlenfdjen feien ITCenfdjen, fchimmert butch feine Beftimmungen hoch butch- 
Unb noch näher an Difdhet tommt IDilhelm Schlegel heran, wenn et, nunmehr 
liatq unabhängig non feinem Btubet, weit beftimmter als biefet ein Sotm* 
geheimnis betUoneUenettät: „Die Uonelle bebatf entfeheibenber IDenbepuntte, 
fo bafe bie fjauptmaffen ber ©efdjichte beutlich in bie Augen fallen. . . Htit 
leifen unb allmählichen $ortf^ritten unb Deränberungen blofe in ben innem 
Uethälhtiffen bet Petfonen 3ueinanbet ift es nicht getan, biefe bleiben bet aus* 
füljtlidjen Darftellung bes Romans billig notbeljalten, benn fie fobetn eine 
«tabueile Gntwidfung" (S. 245 , 13 ff.). 

Difdjers „Ktife", feine „©emüts* unb Schidfalswenbung" ift hi« beinahe 
fdjon 3um Ausbtud gebracht. Dodj romantifdje poetit foUte ihm nodj weitet 
ooratbeiten. U)as IDilhelm Schlegel im 3 aljre 1804 am ©nbe feiner Berliner 
Uorlefungcn ausfpradj, bürfte fdjwerlidj an Difchers ©hten gebrungen fein, 
^h« mag lEied etwas non ber Anfdjauung feines 5teunbes erfahren haben. 
Utinbcftens gab et bem „entfdjeibenben IDenbepunft", ben IDilhelm Sdjlegel 
as ctfter geforbert hatte, als erfter eine nähere Beftimmung. 

3 m „Dotberidjt 3ut britten Ciefetung" feinet Sdjriften, not bem elften 



174 


Die Hunftform ber ttooetle 


Banöc, bot Gied 1829 , alfo fut3 nach bem Grfcheinen oon Goethes „Hooelle", 
feinen Beitrag 3ur romantifdjen poetif ber Hooelle (S. LXXXIV ff.). 

IDäljrenb bie Brübet Spiegel bei Gelegenheit bet Hooelle nur oon Boc* 
cacdo unb Geroantes gefptodjen hatten, fügt Sied ausbrüdlich als britten 
Goethe hin3u. Alle btei finb ihm bie Rtufter ber Gattung unb nach ih ien Cciftutt* 
gen möchte er bas IDefen bet Hooelle feftlegen. natürlich aber ift es ihm oot 
allem um Rechtfertigung feinet eigenen Rooellen 3U tun. Auf fdjarfe Grenj* 
fcheibung legt et es an. Gr toill Hooelle nicht mit Begebenheit, Gefehlte, 
Gt3ählung, Dorf all, Anefbote oermengt toiffen. Die Hooelle hat nach Gied 
einen großen ober Meinen Dorfall ins hellfte £icht 3U ftellen, bet, fo leiht er 
fidj ereignen tann, hoch tounberbar, oielleicht ein3ig ift. IDem fällt ba nicht bie 
Begriffsbeftimmung ein, bie Goethes Gefprädj mit Gdetmann gibt? Aber Gied 
tonnte oon biefem Gefpräch nichts toiffen. Gatfä<hli<h geht er nur auf bet Cinie 
toeiter, bie Goethe einft begonnen hatte, als er 00m nicht Alltäglichen aus bem 
gemeinen £eben fpradj. Dann aber fetjt Gied feines Genoffen Schlegel £elfte 
00m „IDenbepunft" fort: 

„Diefe H)enbung ber Gef Richte, biefet punft, oon toelchem aus fie fich 
unertoartet oöllig umtehrt, unb hoch natürlich, bem Ghatafter unb ben Um* 
ftänben angemeffen, bie $otge entroidelt, wirb fid) ber Phantafie bes £efers 
um fo fefter einprägen, als bie Sache, felbft im IDunberbaten, unter anbetn 
Umftänben toieber alltäglich fein tonnte. So erfahren toit es im £eben felbft, 
fo finb oie Begebenheiten, bie uns oon Betannten aus ihrer Gtfahtung mit* 
geteilt, ben tiefften unb bleibenbften Ginbtud machen." 

Als Beifpiel erfcheint eine ber Hooellen bet „Unterhaltungen": „ber fid? 
aufhebenbe £abentifch, ber bas Schloß überflüffig macht, welches bet junge 
mann eine 3 eitlang benufct, um fich mit Gelb 3U oerfehen". Gemeint ift bie 
Gt3ählung oon Berbinanb unb CDttilic. 

3ebe Hooelle bes Geroantes habe einen folchen ITCittelpuntt. Diefer 
„fonbetbare auffallenbe H)enbepuntt" unterfdjeibe bie Hooelle oon allen 
anberen Gattungen ber Gt3ählung. 

.. fl™ ü6ti 9 en tonne fie bi3art, eigenfinnig, phantaftifch, leicht u>ifcig, ge s 
fa}tx)a%tg fein unb fich gan3 in Darftellung auch oon Hebenfachen oerlieren, 
nV? TOiC wie nedifch fi<h gebärben. Alle Stänbe, alle 

erhaltniffe ber neuen 3 eit, ihre Bebingungen unb Gigentümlichfeiten feien 
'. 3 ugänglich. Gied toenbet fich ausbrüdlich gegen bie oerroöhnten Kritifet, 
öte tn ber 3 eit einen unbebingten Gegenfafc bes Poetifchen unb Unpoetifchen 

ettennen mosten. Der alte Romantiter wirb angefidrts ber Hooelle wirtlich 5 
fettsfreubig. 

Unb bann oerficht er bas Recht ber eigentümlichften Heigung feiner 
v en ‘ T ^ftrmung, Beruf unb Rteinung follen fich im Gegenfatj, im Kampf 

hanbelnben Petfonen entroideln. Das leihe ber Hooelle inbioibueües 



Don ©slar tDaläel 


175 


£eben. ©as im £eben als £eiöenfdjaft unö ©infeitigfeit oerletje, lönne in 6er 
Kooelle öutdj Räfonnement, Utteil un6 oerfdjieöenartige Anfidjt Üar unö Reiter 
amegen unö überjeugen. Oie ©ragööie ftrebe öutdj RTitleiö, $urdjt, £eiöen* 
fdjaft unö Begeiferung uns in fymmlifdjet ©runtenljeit auf Öen ©ipfel öes 
©lymps 3U heben, öamit mit oon flaret £jö^e öas ©reiben öer IRenfdjen unö 
Öen 3 ttgang öes Sdjidfals mit erhabenem IRitleiö feljen unö oerftehen; öer 
Roman füllte als ©ragööie öes $amilienlebens unö öer neueren 3 eit in öie 
Cabyrintlje öes fjerjens; öie Honette tönne 3umeilen auf intern Stanöpunft öie 
tDiöerfprüdje öes £ebens löfen, öie £aunen öes Sdjidfals etflären, Öen tDaljn* 
fittn öer £eiöenfdjaft oerfpotten unö manche Rätfel öes Ijet3ens, öer Rtenfdjen* 
torijeit in ihre fünftlic^en ©eroebe ^ineinbilöen, „öafe öer littet gemoröene 
Blid audj Ijiet, im £adjen oöer in tDeljmut, öas Rtenfdjlidje, unö im Derroerf* 
lidjen eine höhere ausgleidjenöe XDahrljeit ertemtt". Don öiejer Stelle aus glaubt 
Sied audj nodj öie Seltfamfeiten rechtfertigen 3U fönnen, öie nicht mit öem 
motalifdjen Sinn, mit Konoenien3 oöer Sitte fid} ©ertragen unö öie etroa in Öen 
Rooellen öes Boccaccio etfdjeinen. 

©egen öiefe tljeoretifdje ©tmägung öürfte fid? faum oiel einmenöen laffen. 
Dennodj mag Difcfjer, öer fie fidjtlidj im Auge batte, immer noch redjt haben, 
wenn et auf öie beöenflidjen $olgen binmeift, öie fid? an ©ieds eigenen Ho* 
oeUen beoba(bten taffen, ©ied mirö tatfädjlidj auf öiefem tDege öiöattifdj ftatt 
poetiftb unö 3mar mit öem befonöeten ©erudje öes Salons unö öer See* 
gcfettf^aft. 

Oo<b menn öer gefettfdjaftlidje ©on öer Honetten ©ieds audj uns heute 
wenig anmutet, menn öa ein breitfpuriges ©eteöe unfetem Kultutmillen 
roibetfptidjt, fo märe es irrig, öas ©efettfdjaftlidje gan3 aus öer Honette 3U 
oerbannen. Oie ©ntfernung, in öer öie ©efellfdjaft öas mirflidje £eben er* 
blidt, öer geöämpfte innere Anteil, Öen fie Öen £ebenst>orgängen entgegen* 
bringt, febeint für öie Hooelle öo(b gan3 befonöets be3eidjnenö 3U fein, ©ine 
IDenöung $rieöti(b Schlegels, öie ich bisher nur angeführt, aber nicht befprodjen 
habe, tritt jetjt in ihre Rechte. Oie Hooelle, fagt er, bringe öie Anlage 3ut 
3 tonie fchon in öer ©eburtsftunöe mit auf öie Hielt. 

Ulan glaube nur nicht, öafe $. Schlegel audj hier fdjledjt unö tedjt einen 
tieblingsbegriff habe einfchmuggeln mollen. Auch benfe man nidjt an öie 
tollften Put3elbäume romantifdjer, illufions3erftörenöer 3 ronie. Sdjlegel 
erinnert oielmehr hier, mie meift, menn er oon 3 ronie reöet, an öie ©ntfernung, 
bie 3 ©ifdjen öem ©egenftanö unö öem Betrachter maltet, öer Öen ©egenftanö 
in fish erlebt. Das ift ja fidjer, öafe öie Hooelle öas öüftere Bilö öer XDahrljeit 
williget nodj als anbete Didjtungsformen in öas heitere Reich öer Kunft hin 5 
öbetfpielt. Sie mill in ©efellfdjaft genoffen fein, aber nicht mie öas Bühnen* 
ftüd öie ©efüljle einer großen Rtenge tief aufroühlen. Oer ©t3äljlet legt es nidjt 
atauf an, etroas 3U berieten, öas fürdjterlidj ift, meil es hat gefdjeljen tonnen, 



176 


Die Kunftform bet tlooelle 


fonbetn er übt bie Pflicht guter ©efelligfeit, feine (Erregung bis an ihr leijtes 
(Enbe 3U treiben. (Er fann fogat betonen, bafc er feinen Beriet frei geftaltet. 
Doch fogar «>enn oorgeblich ein magrer Borfall berietet toirb, ftimmt bie fln s 
wefenheit bes (Eislers, ftimmt bie datfache, bafe et 3wifchen bem (Erjäfjlten 
unb ben Hörern o ermittelt, bie Störte bet IDitfung mit flbfid/t hetab. 

(Ein unuergleidjlidjes Rtufterbeifpiel für bie abfdftoädjenben Spiegelungen, 
in benen bie Uooelle fiel) gefällt, ift d. $. Rteyers „fjod^eit bes Ulönchs". Dante 
et3ä^lt ben erfdjütternben, ja graufigen Borgang. Aber mir fefyen Dante 
bauetnb an bet Arbeit unb toetben bauetnb baran erinnert, bafj Dante bid}te 
unb erfinbe; bie ©efellfchaft, bie bem ©wählet 3uljört, für bie et ben Bericht 
beftimmt unb auf bie er ihn abftimmt, fteljt immer not unfeten Augen, find} 
u>enn Dante mit tDillen in feinet (E^äfylung ben Caufchem einen Spiegel 
oorljält unb fie baburd) tiefer bewegt, als es fein bloßer Beriet oermö^te, gibt 
Bteyers Hinweis auf folcfje IDitfung uns felbft bie oolle $reifjeit bes fünfüeti 5 
fcfyen ©enuffes wiebet. tDirflicf? 3erftört Dante in Uleyers d^ählung, 3erftört 
ITCeyet felbft immer roieber aufrichtig bie däufdjung, bie fie fdjaffen, unb fie 
meiben es, bet däufchung ben Schein bet ID a^eit unterschieben. Das ift 
im höchften unb reinften Sinn bie 3 ronie, bie oon $. Spiegel für bie Hooelle 
gefordert wirb. Unb in biefem 3 ufammenhang gewinnt bie Rahmenfomt, in 
ber bie Uooelle gern erfdjeint, einen tiefen Sinn. Durchaus nicht fo beiläufig 
wie Difdjet follte bie Darlegung bet Uooetlentechmf ben Rahmen auffaffen, ben 
Boccaccio, ©oetfye, dieef unb anbere um ihre Rooellen gelegt hüben. (Et ift 
ein bebeutfames IHittel, bie fünftlerifcfye (Entfernung fpütbar 3U machen, bie 
in ber Uooelle 3wifdjen ben et3ählten Dorgängen unb bem geniefeenben Cefet 
fi<^ auftut. (Er weift auch entfliehen auf bie gefellfdjaftlicfje Ausbtucfsfotnt 
bet Uooelle bin. 

Dafe Boccaccio hunbert Uooellen auf 3ebn Sage oerteilt, erfcheint uns feilte 
wie altertümliche Stilifierung. (Es ift inbes bodj auch Kenn3eicben einet ge* 
fetlfdjaftlicbert Kultur oon ausgeprägtem arebiteftonifeben 
©oetbes 3 eitalter unb auch uo<h 3u dieefs £eb3eiten wiberftrebte gefellf^uft* 
lieber Detfebr noch nicht bem Brauche, ©Höhlungen 3wifchen bie ©efptäch* 
ein 3 ufcbieben. Balb mufj biefer bübfebe Brauch bem fortfebreitenben neun3ebn* 
ten 3 abrbunbert 3um ©pfet gefallen fein. £jcute wirb bei gefelligen 3ufammem 
fünften beftenfalls eine füt3ete Dichtung oorgelefen; häufiger begnügt man fi<b 
mit mufifalifhen Darbietungen. Hoch häufiger entfällt auch bas. (Eine Stei* 
gerung gefelliget Kultur liegt in biefet Umwandlung gewife nicht. IDet h eu * e 
um Uooellen einen gefellfchaftlichen Rahmen nach bet Art bet „Unterhaltungen" 
c 9 t< gebt nicht auf Realismus aus. Uur fcheinbar realiftifch macht Paul (Etnft 
in feinem Uooellenbuch „Die fjodtfeit" bas Ausbleiben bes Bräutigams 3» 1 
a; 0 tl^ C ^ Un ® : ® e i c flf ( *? a ft ift ge3wungen 3U warten unb man erahlt 

efchtchten. datfächlich treibt (Etnft mit feinem Rahmen nur Spiel unb läfet 



Don ©sfot IDa^el 177 

ihn ausUingen in oolle 3 «ftörung bet 3 llufton, wohlberoufet, öafe unfete 3 eit 
folche gefeUige Bräune längft aufgegeben hat. 

Schon Keilet fdjuf auf bet fjölje feinet nooelliftifchen Kunft, im „Sinn* 
gebidjt", einen Rahmen oon gan3 petfönlichem ©eptäge. ©r hat auch füt unfete 
3 eit ettoas butchaus Realiftifdjes unb mibetfpridjt unfeten Staunen nicht. 
Dtefe Ztlenfchen tonnen in folget Sage fid} wedjfelfeitig ©efd)ichten et3ählen. 
Unb weü es ba gan3 befonbets auf bie Art bet ©^alflet anfommt, gibt Keilet 
ihnen fchatfe ©hatafter3Üge unb lafjt fie felbft eine RooeUe etleben. Der Rahmen 
ift 3um Kunftwerl erhoben. tDie feinfühlig auf biefen Rahmen bie ein3elnen 
©efdjichten abgeftimmt finb, 3eigt befonbets tteffenb fl. Köftet. Allein gleiches 
Ififet fich nicht leicht fchaffen. Darum Belichtet bie RooeUe feit langem auf bie 
alte ©ewoljnheit, in einem Rahmen mit anbeten Rooellen 3ufammen auf3u* 
treten. Rieht aber Belichtet fie auf ben Rahmen überhaupt. Roch immer führt 
fie gern ben ©fahler felbft ein, fei’s bafe et als Berichterftatter oon Rliterlebtem 
aufttete ober bem Detfaffet feine Sdjidfale berichte ober aber bafe et alte ©t* 
innerungen in fich aufleben lägt. Die ©tinnerungsnooeUe ift Storms Sieblings* 
form. Stotm liebt auch bie Annahme einer alten tjanbfdjrift, bet bie ©efd)i<hte 
fheinbat nadje^ählt toitb. 3 n Ijans Btachers Schrift „Rahmenet3ählung unb 
Derwanbtes bei ©. Keüet, ©. $. RleyetcS ©h- Stotm" (£eip3ig 1909 ) ift näheres 
übet biefe oetfd}iebenen Rahmenfotmen 3U finben; ber IDeg 3U weiteren 
Schriften über ben technifdjen Kunftgriff ift bort gewiefen. 

Ulit aber ift hier nur um ben ©rroeis 3U tun, bafj bie Umrahmung unb 
bie oon ihr erbrachte ©ntfernung oon Dorgang unb Sefer nicht 3ufällige ©igen* 
heit bet RooeUe ijt. Diefe „itonifche" DatfteUungsroeife bient bem gewollten 
tünftlerifdjen ©inbrud bet RooeUe aufs befte. Sie fann bem Dichter helfen, 
feinet Hooelle ane Reigung 3U romanhafter ©edjnif 3U nehmen. Paul Jjeyfe 
erbringt in feinen „ 3 ugenberinnerungen unb Befenntniffen" (S. 355 f.) ben 
Beaeis unb 3toat aus eigener ©rfahrung. 

heyfes Rooelle „ 3 m ©tafenfchlofe" rout3elt in bem ©egenfatj 3weiet 
Kulturepod)en, beten Dertreter Dater unb Sohn finb. Als fjeyfe an bie Riebet* 
fhtift gehen wollte, 3eigte es fid}, bafe eine ausführliche Sdjilberung bes Kultur* 
hintetgrunbes mit bem nooelliftifchen Konflitt in Harem Rttfjoethältnis ftünbe. 
fe hatte, um ben fluftoanb bet Sdjilberung weitwirtenber gefellfchaftlicher 
Üenben3en 3U rechtfertigen, einer Romanfabel beburft: fo fagt Jjeyfc felbft. 
»Bis ich bamt plöglich auf ben Ausweg oerfiel, bie ©Zahlung einet britten, un* 
beteiligten Perfon in ben Htunb 3U legen, bie nicht bie fchriftftellerifche Derpflid}* 
iunö hatte, fid) auf ben Kulturgegenfatj «in3ulaffen, fonbern oon beffen Re* 
Präfentanten nur mit3utetten brauchte, was fie felbft oon ihnen wufjte, wobei 
bie fitttichen Rlotioe unb ihre Begrünbung burdj bie oetfdjiebene 3citbilbung 
nut burchfchimmerten. So würbe bie gefdjloffene nooelliftifche $orm nidjt burch 
05 h«eimagen eines Romanhori3onts butd)btod}en, unb was fich an ben ein* 

3**tl<f|r. (. fc.bcutfd)cn Untcrrt^t 29.3afyrg. 3 . tjeft 12 



178 


Die Kunflform bet tlooelle 


jdncn Sali an typifchen Betrachtungen fnüpfte, blieb bem nachbenflidjen 
£efet übetlaffen." Ahnungslos bestätigt tjeyfe hier bas tDott bet Spiegel, 
bie Rooelle fei eine ©efdjichte außerhalb ber ©efd}id}te. 

Hoch ©eitere Dorteile rühmt fjeyfe bet Annahme eines fremben ©r* 
3ählers nach, bet als Augenjeuge ober Bewahret chronitmäfeiger übetliefe* 
tungen für ben Detfaffet eintritt. Auch ba benft fjcyfc an bie Rlöglichfett, 
fich im Sinn bet tlooelle für3er 3U faffen. ©T3ähle ber Detfaffet in eigener 
Perfon, fo fühle et fich etroa auch 3 U möglichft genauer Redjenfchaft über oiele 
i Rebenumftänbe ober lanbfchaftlidje 3 üge oerpflichtet, ©ähtenb iene brüte 
Perfon fie als befamtt oorausfetjen unb baher nur flüchtig berühren dürfe. 
Seltfamerroeife aber gebenlt ©eher hier noch Tonft in ben Ausführungen über 
feine Itooellifti! Ejcyfc bet gebotenen fünftterifchen Abftimmung, bie bet Ho* 
oelle 3uteil ©itb, ©enn fie ben äußerlich ober gar auch innerlich unbeteiligten 
©gähler bem £efet bauemb im Bewufjtfein hält. Unb hoch neigte et, je langer 
befto mehr, ba3u, fich felbft als Berichterftatter oon nur tltiterlebtem ober gar 
oon nur ©ehörtem in feine tlooellen ein3uführen. 

Auch heyfe 3ielte mithin auf bas, ©as $. Spiegel bie Stonie bet tlooelle 
nennt, auf eine Steigerung bet (Entfernung oon £efet unb et3ähltem Dorgang. 
fjeyfe felbft ©ufjte freilich nur oon einer „berüchtigten romantifhen Ironie", 
nichts aber oon ben eigentlichen Abfichten, bie S- Spiegel mit bem tDort oet* 
bunben hatte. (Lieds tlooellen machte ^eyfc biefe berüchtigte romantifh« 
Ironie 3um Dottoutf, unb 3©ar an bet Stelle feiner „3ugenbetinnetungen", 
bie oon bet tlooelle fpricht. Richtiger nahm et Difchers ©in©anb gegen bas 
übermäßig Dibaftifche ber tlooellen ©ieds auf, ©enn er ihnen oorrüefte, bafe 
nur 3U oft bie alte Schwiegermutter IDeisheit bas 3arte Seelchen beleibige 
(S. 344 ). Den naheliegenben ©inwanb, bafj (Eiecf butch übergtofee Ausbehnung 
feiner Rooellen ihnen getabe bas raube, ©as er felbft 3um IDefen bet tlooelle 
erhoben hatte, fudjt man bei Difdjet unb bei Ejeyfc oetgebens. Um fo f<härf e J 
rüdte bbel biefen $ehlgtiff bem Romantifer oor. Seine Diftichen „died" 
urteilen bünbig: „ 3 n ber Rooelle bagegen oermag ich bidj nicht 3U bewunbern. 
Oiefe tei3enbe $orm haft bu erweiternb 3erftört." Sein Brief an Üdjtrih 
25 . 3 uli 1855 oetwatf bie „Rlifdringe, bie 3©ifchen Roman unb Rooelle h* n 
unb het {«htoanlen unb in benen (Lieds Alter fich fo gefiel". Am 30 . De3entber 
besfelben 3 ahtes fdjrieb £jebbel an Pichler, bie 3 dt habe fogat ben Begriff 
ber Rooellengattung ©ertöten, ©r felbft war bauemb beftrebt, biefen Be* 
griff 3U erfaffen. $rüh fhon hatte fein ©agebuch (Rr. 98 ) bie Rooelle 
„eine pra3ife ©efchäftsreife" genannt. An Sdjloenbach fanbte er am 
10 . Rtät3 1855 bie Bemerfung: „Die ©tfinbung, bie neue, unerhörte Begeben* 
heit, ©eiche bem ©harafter plötjlich eine ebenfo neue unb unerhörte Seüe 
entlodt, ift unb bleibt in ber Rooelle bie tjauptfache." Deutlich fnüpft f? et)6cl 
an ©oethes ©efpräch mit ©detmann an, 3ugleich aber an ©ied felbft. fjd^el 



Don ®sfar IDaljel 


179 


umfchreibt Gieds Sehre oom IDenöepunft 1 ), gatt 3 fo tote cs ^wei 3 af/tc fpäter 
Pifc^et an öer oben angeführten Stelle feinet Äfthetil tut, wo er öet Xlooelle 
eine „Krife", eine „<5emüts= unö Schidfalstoenbung" 3 uu>eift. Unb auch nur 
eine Wetterführung unb Dertiefung oon ©eds Beobachtung ift paul ßeyfes 
„Salfentheorie". 

3n ber (Einleitung 3 um öeutfehen ZTooellenfchafc oon 1884 brachte Jjeyfe 
bie Theorie oor, in ben „3ugenberinnerungen" (S. 348) nahm er fie roieber 
auf: „bah man fi<h fragen muffe, ob bie 3 U et 3 ählenbe Heine < 5 efd)ichte eine 
ftarie Silhoue tte habe, beten Umrife, in wenigen Worten oorgetragen, fchon einen 

1 ) Goethes Umfchteibung war toieber oor fjebbels Augen gebracht tootben, als er (Ernft 
oon Seuchterslebens „Sämtliche IDerfe" herausgab. 3m 3 . Banbe (1851) fteht eine „Dibas* 
Wie übet bie Uooelle (S. 44ff.). Sie übt ebenfo an ©oethes Umfehreibung roie an beffen 
• °° e Z ™' ® oe ^ e hat*® »wohl feine ... übertriebene Definition nur 3 ugunfien 
jenes feltfamen, oielfach unb bebeutenb ausgefchmücften, aber feelenlofen ffiefchöpfes aus* 
gefprochen, bas er feine 'Uooelle’ nennt. (Es Iä&t fich eben oon ihr nichts anbers fagen, als 

. B *?ebenhett, bte fie berichtet, unerhört ift." Derftänbnisoolle IDorte über Kleift ent* 
gingen für biefes Uti&urteil. Über bie Uooelle im allgemeinen hat geucfjtersleben toefent* 

. nut 3u ® eme tt«n, bafj nichts als bie Kü^e fie oom Roman unterfdjeibe. „Der Roman hat 
immer ettoas Biogtaphifches; et entroicfelt, er er 3 iel}t ben ©harafter eines Ulenfchen burch eine 
««ge oon Begebenheiten; bie Uooelle entfaltet ihn burch eine Kataftrophe; bie Kataftrophe 
fi!r* cx?- l t 9 etDaIt f am - öie *>es Homanes fortlaufenb, ober roenigftens erft nach toieber* 
gölten Silagen entfeheibenb; bie ber Uooelle hält bie Utitte unb löft allmählich ben einfachen 
itZii"' Bor " es ' ^ emes - Nienborgs, Caubes „fühne, gierte Cebensbilber, bie fie 

Uen nannten," oetanlaffen geudjtetsleben für Stil unb gegen „Snbioibualität" auf* 
L,, 6 . 8 "'“ Cau n 6e »etWtt bie Anficht („lUobeme ©harafteriftiten", Ulannheim 1835, 11 , 
&es !mA r? ene J ei ur fP tön 9 R( ^ cine fwqe marfige gotm getoefen; fie fei ein Ausfchnitt 
ab»r n,.* • f.* nsft eifes; in biefem Ausfchnitt fei alles 3 u finben, nur fefjätfer, fpi%er, fürder, 
JLV . em > ett, 9«, übenafchenber. TUoberne $orm ber Uooelle fei, bas Ceben fchnell, in ein* 
au* w* mi? 9 *" “ nö 6önn öod; 9 <m 3' wenigftens als ein ©an 3 es 3 u faffen. Darum feien 
* ?, " ®W°en»anbtf<haften" eine Uooelle. Das ©an 3 e ift pro domo gefprodjen. — gür 

bem Sufntr Öet <Erfenntnis ". Stuttgart 1868, S. 210 ff.) beruht bie Uooelle auf 

anefbotiM. » « n* f 0DeRe , n färei&en will, mu fe 3 uoörberft bie Anfcfjauung irgenbeiner 
«m»*B cr “ffallenöen UHberfinnigfeit haben, einer erfchüttetnben 3 ufallsbegegnung im 
ber (Entmim 16 ' emei anm utig=!omifchen im heitern." Um bies gaftum lege man ben gaben 
bar Sn ii , Un9 . Unö f teRe ^ as 3ufammenhang Sinnige aus bem oerein 3 elt EDiöerfinnigen 
fichtKdf an ^ 9eatbeitet- fln ® ed unö an beffen „IDenbepunft" fnüpft ©ugfoto hier 

buna oon DOn ® eds flnRcI ! t Siaube ich auch in (Erwin Roljbes fcharfer Sdjei* 

S. 6f \ ° n UnbKoDeIle (" Det StiechifcheRoman unb feine Dotläufer", £eip 3 ig 1876, 
irgenöein m»rfcü-^v^° nncn ' Ber ** ooeRe tomme es im ©egenfatj 3 um Roman barauf'an, 
San 3U nerfi rM’A ' 9eS DetI?äRnis öcr lUenfchen 3 ueinanbet an einem befonbers heutigen 
fon bie Bflu “«* V, • " Öem Roman öie in füllen Derhältniffen fich barftellenöe Per* 
H<hräntt auf fA ° ^ b ’ e fu n f Rer 'W e Aufgabe bes Uooetlenbichters im mefentlichen 
er Perfonen I e,,nC ^ at ^ e unb 9 e iftreidjc 3ei^nung ber intereffanten Derljältniffe, in toelche 
hing folcBer n b * c uns nur f° weit unb fo lange fie in bie flüchtige Beleudj* 

D »m 23. llTnt i 07 ^/ü! * tleten ' intereffant 3 u fein brauchen.“ — Uiefcfdfes Brief an Rohbe 
(©efammelte Briefe II, 523) billigt ausbrüdlich biefe ©egenüberftellung. 

12* 



180 


Die Kunftform bet tTooelte 


djatafteriftifdjen ©inbtud mache, tote bet 3 nhalt jener ©efdjichte bes Deca* 
metone oom 'Sailen’ in fünf 3 eilen berichtet fid} bem ©ebädjtnis tief eim 
prägt", fjeyje erläutert feine Celjte: barauf werbe es anlommen, bafe bet Qx- 
3äljlet bei jeber einjelnen Aufgabe fidj frage, auf welche XDcifc aus bem frud)t= 
baten TTlotio möglidjft alles 3U machen wäre, was batin an pfychologifd) be= 
beutfamem ©ehalt im Keim oothanben ift. $reüid} ooltyehe fich bie Gntwicb 
lung eines nooelliftifchen ©runbmotios fo wenig wie bie eines mufifalifdjen 
tt^emas mit fo unfehlbarer organifdjet Hotwenbigteit, toie aus einem pflanjem 
leim immer nur bas einige in ihm oorgebilbete ©ewädjs hetootfpriefee. Doch 
neben ben berechtigten fubjettioen Unterfdjieben, bie ben gleichen HowUen* 
ftoff hier 3U einet tragifchen, bort 3U einer nerföhnenben ober felbft humorifti 5 
fdjen £öfung gelangen liefeen, fei hoch bie Sorberung gan3 unerläßlich, bas 
Itlöglichfte an bichterifdjer IDirlung bem Ghema ab3ugewinnen. 

An ITlörile hatte £jebbel am 20 . Sebtuat 1858 über bie Rooelle „Itto3art 
auf bet Reife nach Prag" gefchrieben: fie fcheine ihm bie eigentliche Aufgabe 
biefes Kunftgenres infofetn getabe 3U löfen, inbem fie aus einem Senffotn 
eine IDelt hetootgehen unb fid? lieblich entfalten laffe. Das ungefähr meint 
auch hoyfo. 

Solche ftrenge Kunft lag bem 3 mprooifator Hiecf fid?er nicht. Auf biefem 
IDeg lonnten fpätere Dichter über bie Romantil hinausgehen, bet bie S ottn 
3toar etwas heiliges toar, bie inbes Strenge ber $orm minbet fchaßte, not 
allem minber erfolgreich 3U leiften oerftanb, als Reichtum unb Dielgeftaltigleit. 
3 m übrigen wirb mancher, ber oon ben romantifchen Kunbgebungen übet bte 
Rooelle lommt, ftaunen, wie wenig Heues heyfe übet eine $orm 3U fagen hatte, 
bie er immer wieber tünftlerifdj aus3uführen bemüht gewefen war. Hoch nte^t 
befrembet es, baß t?eyfe 3wat gegen bie Unterfchäßung ber Rooelle eifert unb 
gegen bie (Stählet, bie ben technifchen Aufgaben ber Rooelle mit ein paar 
guten (Einfällen, einigem ©efchmad unb mit ber ©abe, flüffig 3U et3ä^len, 
genügen 3U lönnen meinen, inbes mit leinem R)ort oerrät, baß fd)on um 1800 
bie befonbeten unb ferneren Aufgaben bes Rooelliften eingehenb erwogen 
worben finb. 3a er fieht fid? ge3wungen, im 3ufammenhang mit ben tech* 
nif<hen $ragen bet Rooelle gan3 allgemeine tünftlerifche Probleme, wie bas 
einer organifchen ©eftaltung bes Kunftwerls, ausführlich 3u befpredjen, Dinge 
alfo, bie um 1800 faft lanbläufige IDeisheit waren, im Sinn einer ©ffenbarung 
oot3utragen. 

Auch ba läßt fidj beobachten, um wieoiel bie Säljigleit, lünftlerifche Selbft' 
befinnung in R)orte um3ufeßen, währenb bes 19 . 3ah r h un borts 3urüdgegangen 
ift. Selbftoerftänblich lonnte bie Rooelle troßbem 3U immer größerer lü n ^' 
rif^er hohe emporfteigen. Darum fei ben Dichtern lein Dorwutf gemach 
wegen ihres bewußten Det3ichtens auf eine ©rgrünbung unb Durchleuchtung 
bes tünftlerifchen Dotgangs. Sie würben nur wehrlos, wenn fie einmal not' 



Don fflslar IDa^el 


181 


gedrungen oom fünftlerifchen (Beftalten weiterfchreiten mußten 3 U einer 
Kundgebung übet ihre Cebensarbeit. tDie ärmlich fiel die Derteidigung bet 
Hooelle aus, die oon Storm 1881 gegen (Ebers 3 urechtge 3 immert wurde; es 
war ein glücttidjet 3 ufall, baß fie damals nicht an die (Dffentlichfeit gedrungen 
ift Sie liegt jeßt gedrudt not in fl. Käfters Ausgabe des Btiefwechfels oon 
Storm und Keller (S. 119f.). Jjicr wie in dem Brief an Keller oom 14. fluguft 
1881 gelangt Storm über die Behauptung nicht hinaus, die Hooelle fei die 
Sdjroefter des Dramas und die ftrengfte $orm der profadidjtung. „(Bleich dem 
Drama behandelt fie die tiefften Probleme des RTenfchenlebens; gleich diefem 
oerlangt fie 3 U ihrer Dollendung einen im Rlittelpunft ftehenden Konflitt, 
oon welkem aus das <Ban 3 e fich organifiert, und dem 3 ufolge die gefdjloffenfte 
Sorm und die flusfdjeidung alles Untoefentliehen; fie duldet nicht nur, fie ftellt 
auch die hofften $otderungen der Kunjt." Kellers Antwort whtfte ab. <Ban 3 
allgemein oetwarf fie „aprioriftifche Hheorien und Regeln". Keller, der nach 
feinem Schreiben an (Emil Kuh »om 12 - Saniert 1874 „naturburfdjilos" das 
„(Brübeln über die IKache", mindeftens für die Hooelle, abwies, fpracfj fich leider 
niemals übet die Art feiner Hooellendichtung und übet feine fünftletifchen Ab* | 
fichten im 3ufammenhang aus. Darum tonnte es gefchehen, daß man annahm,' 
« habe 3 ®ifchen Roman und Hooelle nie einen grundfalschen Unterfchied 
gemacht. Hut die Ausdehnung habe den flusfdjlag gegeben. (Bleichwohl 
be 3 eugt eine gan 3 beiläufige Bemetfung in dem Brief an Difchet oom 29. 3 uni 
1875, baß et den $ormunterfchied 3 wif<hen beiden Arten ftart gefühlt hat. ? 
Don der lebten Seldwyler (Befcfjichte heißt es da; „3<h glaube, der Hauptfehler 
liegt darin, daß es eigentlich ein Heiner Romanfioff ift, der nooelliftifch nicht 
®ohI abgewandelt werden tann. Daher oieles dedu 3 ietend und refumietend 
ootgetragen werden mußte, anftatt daß es fich anetdotifch gefdjehend abfpinnt; 
daher der tenden 3 iofe langweilige flnftrich." Die Bemetfung ift ho<h®ertooll 
und greift tiefer, be 3 eichnet das IDefen der nooelliftifchen Sorm genauer als 
heyfes inhaltlich oerwandte Äußerung über das „(Btafenfchloß". 

Dichter unferer Hage gehen dem (Brübeln übet die Hlache minder ängftlich 
aus dem IDeg. 3n bewußter Beendung gegen die $olgeerf<heinung des Hatura* 
lismus, die oötlige Detwitrung der flnfichten übet die Bedeutung der Kunft* 
formen, fuchte Paul (Ernft 1905 den „tDeg 3 ur $otm" wieder 3 U weifen und ge* 
dachte dabei auch bet Hooelle. 1 ) fluch 9 e ht oon der Derwandtfchaft der 
K ooeHe und des Dramas aus. Aber nicht wie Storm oerlegt et diefe Derwandt* 

*> flu( d heinrih hart (ogl. Citerarifhes Gdjo VIII, 329f.) oertrat angefichts der Be« 
(Sr?” 9 ““f öem ®ebiet der Rooelle die Meinung: „Äfthetifche Rubriten, die ge* 
n + x Pud, ®»rft nut der Untoiffende acht* und fühflos über den häufen." <Bt 

enn oen Roman „gleidjfam ein (bebilde oon fonjentrifchen Kreifen". Die Hooelle aber fei 
Jf n” ® n l e ll reis m *t einheitlichem handiungstem. Der Roman pflege das lypifhe, die 
oe e bas flbfonöerlidje, Ungewöhnliche, Seitfame, das rein 3ndioidueIle. „£änge und 
Kut}e m «h«n den Unterfchied nicht." 



182 


Die Kunftform 6er ITooeUe 


fdjaft ins Stoffliche, in bie „tiefften Probleme öes TRenfchenlebens", bie beiden 
gemeinfam feien, ja nicht einmal in öie (Eigenheit, bafo ba nrie bott ein KonfliÖ 
ben Htittelpunft bilbe. Sonbern er fchreibt ber Hooelle toie bem Drama 31 «, 
fie feien beibe „abftrafte Kunftformen". (Et erläutert ben Ausbrud: fie geben 
intereffante Inhalte bes £ebens, bas heifet Punfte, um bie fich bei ben Ule « 5 
fdjen ©netgien lagern, in einem finnlichen ©ewanb, burch beffen Anblid biefe 
(Energien gelöft werben. 3n bem ©etoanb, in ber 3 ei<henfprache bet $orm 
~ tote man oor hunbert 3 ahren gefagt hätte — liegt bas fünftlerifcfje ©eljeitn* 
nis, nicht in ben Inhalten. Das roefentliche ift ber Hufbau,* alles anbete hat 
neben ihm nur 3 toeite Bebeutung. 

©rnft oerfinnlicht feine Behauptung an einer Hooelle bes ©iooantii 
Sercambi oon 1375. (Ein gan 3 es IlTenfchenfchidfal toirb h' er , infofern es an 
©harafter unb Umftänbe gefnüpft ift, in einem ewigen puntte erttfdjieben. 
(Ein perlorenet Sohn toirb burch einen einigen Dorfall feltener unb eigen* 
tümlicher Art auf tiefer Stufe ber Demütigung ge 3 eigt. Der Dorfall beftraljlt 
nach rüdtoärts unb oortoärts bas £eben. Hiebt aber toitb bie gan 3 e Summe bes 
® cn ^ au fge3ählt, bas oetlorene Söhne in ber Srembe erbulben unb bas fie 
bemütigt unb heimtreibt. (Ein naturaliftifcher Dichter hätte oollenbs (ich nicht 
genug tun fönnen, bie ermübenbe RTenge ber fleinen, fich häufenben (Elenbs* 
fälle auf 3 utoeifen. 

©rnft nennt bie Hooelle Setcambis ein toahtes parabigma. Starte Hb* 
^raftion ift nicht nur an ben äußeren Dorgängen oorgenommen, auch bei bet 
Säuberung bes ©eiftes3uftanbes bet Perfon. „Denn in IDirtUchteit entfeheibet 
tn folchen Bällen nicht ein rationaliftifches Dorbergrunbmotio, fonbem taufenb 
ttttebe unb Dinge finb entfeheibenb." (Ernft fpricht oon einer „Stenographie" 
bet Darftellung. 

Solche Stenographie 3eigt (Ernft auch an Hleyets „Derfuchung bes pescara" 
ta ° n e ^~ et ^ 0DC ^ C ' ^ cten Problem weiter unb tiefer ift, als bas bet finb* 
tchen (E^ählung Sercambis. „Die (E^ählung ift auch reichet geworben; wir 
haben eine flnjahl fcharf filhoüettierter Petfonen, 3eitfolorit, fogat eine Sput 
an fqaftliches. Aber gerabe bei biefem grofjen Reichtum 3 eigt fiel? bas 
harartertftifche ber Hooelle als abftrahierenbe unb fon 3 entrierenbe Kunft- 

ri»' . B r d . mcyct öos Hbftrahieren mit Dotliebe babutch, ba& er mög* 

tchft otel tn ben Dialog legt, ber natürlich, weit, weit oon aller Hatürlic^Jcit, 
nur Quircteffen 3 sibt. (Et umgeht babutch bie weitläufige, unmittelbare Dar* 
t TT« ® cöanIcn unö Strebungen unb gibt bem Unbeftimmten unb Diel* 
jachen bet H)itfliehfeit gleich öie fefte Sorm, bie er braucht. Alles, was nicht 
!. n en .. 9 e ht, wirb in gan 3 fur 3 e Bemerfungen gebrängt, welch« äas 
mmmgangjidj Hötige berichten unb bie Situation anfchaulich machen burch 

ffmterte Auswahl ber Bilbet, inbem er nur folche anwenbet, bie fich f«ft 
etnpragen" (S. 58 ). 



Don (Dsfar IDa^el 


183 


flltete Beobachtungen, öte oben Gezeichnet finb, treten in ©mfts Aus* 
einanbetfetjung 3 « einem logifdjen ©anjen 3 u(ammen: bet Rlenbepunft, bie 
Rottoenbigfeit bet Deteinfadjung unb bes Ausfheibens oon 3ügen, bie bet 
Roman benötigt; gan 3 befonbets aber gelangt butd) ©tnft bie tunftooll ein* 
fac^e Cinienfühtung ber „Rooelle" ©oetljes 3 U ihrem Recht. 

©mft tennt auch noch eine 3 toeite Art bet Rooetle, in bet es (ich nicht 
um bie entfcheibenbe Schidfalsftunbe eines RTenfhen hanbelt. Die IDirtung 
foldjet Rooellen (ei ähnlich bet bes £u(tfpiels. Da toie bort bleibe im ©egen* 
(ah 3 ut ©ragöbie 3 ule^t alles beim alten. Da toie bott (eien bie Petfonen 
meift typifiert. ©ine britte Art bet Rooelle nennt et bie geiftreic^e Anttoott, 
eine Kun(t(otm, bie heute !aum noch oetftänblich (ei unb wegen bet Detänbe* 
rung bet allgemeinen Kultur ausftetbe. 

Aus bet relatioifti(chen, formfeinblichen Richtung bes mobetnen ©eiftes 
leitet ©tnft bie mobetne Aufiöfung bet Rooelle ab. ©t fragt aber auchi ob 
aus bie(et Richtung (ich ein Stilprin 3 ip hetausbilben la(fe. Seine Antwort 
lautet: „Rlir pet(önlich fheint bie einige TTTöglichfeit fünftlerifchcr Art bie 
fltabesfe 3 U (ein, wie (ie 3 uet(t oon Arnim unb teilwei(e auch oon Brentano 
gejehaffen i(t, unb als beten beftes Rtuftet ich Arnims '3(abella oon Ägypten’ 
hin(tellen möchte, hier gleicht bas Kunftwet! einet luftigen Seifenblafe, bie 
im Sonnenfehein in taufenb $atben aufleuchtet unb ohne Ijalt in bet £uft 
(hwebt, unb beten gan 3 e Subftan 3 nur ein ©topfen fhmufciges tDaffet i(t, 
be((en gan 3 e Sotm bas gegenfeitige Sihftütjen bet IRoletüle" (S. 61). 

Roh fei ein ©ebante erwähnt, ben ©tn(t lebiglicf} ftreift. ©t erinnert 
batan, baft buth bie (title ©in 3 elleftüre unfet Stilgefühl gefhwächt (ei. Aus 
bet alten Rooelle oon Bianco Alfarri, bie im Anhang ber „Cento novelle antiche“ 
»on 1572 fteht, glaubt et fhliefeen 3 U bürfen, baf} bie münblihe ©t 3 ählung oon 
Rooellen bamals als Kunft gegolten habe. tDie ih in feinet Stubie faft alle 
©ebartlen wieberfinbe, bie ih oben an ben älteren Kunbgebungen 3 U ent* 
undeln oetfuht habe, (o bringt mir biefe Rebenbemerfung entgegen, was 
ih übet bie gefellfhaftlihe IDenbung bet Rooelle äufeere. 3h brauche bem 
Rerfaffet bet Blätter „ ©e(ell(haftli<he Dorausfetjungen", bie am ©nbe bes 
„R)eges 3 ut $otm" (teilen, nicht noh 3 U (agen, bafc bie ©ntwidlung beutfher 
®efelligteit im 19.3ahthunbett aud} füt bie Rooelle oethängnisooll wat. 
Ra9«9«u (ei noh «in anbetes bet ©twägung empfohlen. 

©oetlje wollte bas IDefen oon ©pos unb Drama etgtünben aus bem Riefen 
bes Rhap(oben, bet bas ©pos oorttägt, unb bes Rtimen, bet bas Drama oet* 
(innliht. Uns i(t bet Rhapfobe etwas $rembes unb faum Detftänblihes. Rur 
bet tttime ift für uns lebenbige unb faßliche ©rfheinung. Den Rhapfoben wer* 
ben wir taum wiebetgewinnen. Aber bet Rooellenet 3 ählet gehört noh bet 
lüngften Dergangenheit an. An ihn oermögen wit uns wiebet 3 U gewöhnen. 
Riet im gefelligen Kteife Rooellen wiebetet 3 ählt, bet wirb füt bie Rooelle 



184 


Die Kriegsliteratur 


genau bas leiften, mas öie Bühnenbarftellung für bas Drama tut. Unb tote bie 
©echnil bes Dramas am beften im ü^eater ergrünbet mirb, fo fann münblidje 
tDiebergabe einer Hooelle ben 3uhöter übet bie technifchen Aufgaben bes 
Hooeüenbichters, über bas Kunftgeheimnis ber ©attung belehren. 1 ) Diel Der* 
bienft ift ba noch übrig! 


Die Kriegsliteratur. 

Don $tiebti<h panjet in $ranlfurt a. DT. 

II. 

Der Krieg hat, bas tonnte unfer erfter Auffaß (oben S. 113ff.) fdjon genug* 
fam belegen, uns Deutfcfyen aud) eine große tltobilifierung ber (Seiftet ge* 
bra^t. Denn hinter unb über ben politifchen ©rünben unb fielen bes ge* 
maltigen Ringens feljen mit überall bie Ijöljeren geiftigen: „gläubig greifen 
mir 3 ut tDetjre für ben ©eift in unftem Blut". (Einfam genug fielen mit mit 
unferem Bunbesgenoffen gegen eine XDelt in IDaffen. Da rufen mir moljl 
gerne alles ©ute unb ©roße aus ber Dergangen^eit auf, bas uns ftärfen tarnt 
in unferer Bebrängnis; „bie ©efd)i<^te" ( fagt Uießfche, „gehört oor allem bem 
Sätigen unb ITtädjtigen, bem, ber einen großen Kampf fämpft, ber Dotbilöet, 
Cefyrer, ©röfter braucht." Die Kriegsliteratur hat Sorge getragen, baß manches 
Brauchbare [ich leicht anbietet. 

Aus bem Alten üeftamente, bas ja in jebem Buche Don IDaffenlätm 
miberhallt, gab Pfarrer Anet Ktiegsbilbet heraus.*) Die Doltsfchriften bes 
eoangelijehen Bunbes fammeln Stimmen bet Däter 8 ) unb ftellen Kriegs* 
prebtgten aus Cutljers Schriften 3 ufammen. (Es ift nicht mit Unrecht gejagt 
morben, ba& mir in biefem Kriege bie Kämpfe $riebri<hs bes ©roßen 3 U 
n e ftritten. So ift es millfommen, baß bie beutfehen Schulausgaben 3.3ic^ clts 
tgr 100. Bänbchen bem König gemibmet haben 4 ); D. Bordjarb Jucht batin 
U ~ aus ^ en Briefen, Schriften unb fonftigen Äußerungen eine 

mog tchft pi elfeitige Anfchauung oon Ceben unb IDefen bes großen Hlannes 


f.P 3d > £ eu * m,d ? ber Übereinftimmung mit Richatb DTüner*$teienfels („poetit“, 
lob P th«„ri« B c?H 1914 ' S - 67f>) - “ R. Dt. Dteyer („Die IDeltliteratur im 3 * 0113 «#" 
Tum v' „ 9 “ rt unö Bet K« 1913, S. 151) geht noch meiter. (Et macht es ger«be 3 U 

L«, c ö . et tci i ?um cr 3ählt 3U toetben. Datum gebeilje bie DooeHe, bie „ge(el* 

rei*if*<»r am bc f tcn au f öfierreichifchem Boben. Sie entfpreche öfter* 

I2? ri W beS *» c ^fclfcitigcn (Bebens unb Rehmens mehr als bet norbbeutjehen 
, oas Amt bes Zahlers immer nut einem einigen in bet ©efeilfchaft 3 U leihe". 
3 Kne9Sbi, ^t a «s bet Bibel. Berlin, K. (Eurtius. 60 S. Dl. 0,40. 

16 S —n mflft*"!, 615 *" Bonn, stimmen bet Däter für ben beutfehen IDehtniann. 
(EoanaelitAor «. x C /5V. ®" e Kricgsprebigt aus Supers Schriften. 16 S. Berlin 1914, 
(roangelcf^et Bunb. (Doltsfchriften 3 um großen Krieg. 2 . 60 3e Dt. 0 , 10 . 

unb betauso nl n ® ne Auswahl aus feinen Hielten. 3ufammengeftellt, übetfe^t 

01 dj a t b. Ceip 3 ig, Dresben, Berlin, Z. (Ehlermann. 136 S. 



Don 5riebricf) parier 


185 


ju bieten. Don $riebrid)s ©ebid)ten aus bem Siebenjährigen Kriege reicht 
$. 0 ehling 3U geeigneter Stunbe eine anjiehenbe Ausmaß in flüffiget Über* 
febung. 1 2 3 ) Der Bismarcffalenbet biefes Jahres 3eigt, oor bem Kriege 3U* 
fammengeftellt, roefenttich ben Bismatd ber Reoolutionsjahre 1848 / 49 .*) 
©eme toirb man in biefen Sagen ©uft. $rey tags Kriegsberichte non 1870/71 
roieber lefen, bie fein Sohn neu herausgibt®), unb toirb betounbern, roie bet 
Detfaffet als flugen3euge unmittelbar oor ben ©reigniffen fteljenb, hoch alles 
oon hoher gefdjichtlicher tDarte 3U überbliden oerftanben hot. Die fchönfte 
tünftlerifche $ru(ht jener Kriegsjahre bietet fid) uns noch einmal in einet 
Sammlung bet Kriegsliebet Ciliencrons. 4 * ) Dafe Kriegs* unb Solbatenlieber 
überhaupt plöpch oon größter Bebeutung toetben, oerfteht fid). Alles Alte 
ettoadjt 3U neuem £eben unb überall raufdjt friegetifdjes Saitengetön auf. 
Unfet oolfstümlidjes Solbatenüeb Hingt auf allen Strafen. Die Kommiffion, 
bie feiner3eit bas Kaiferlidje Dolfslieberbud) bearbeitete, hat eine gefchidte Aus* 
®ahl bes Beliebteften für bie Safdje unfrer Solbaten herausgegeben 8 ), auch 
fonft finb oielfach Heinere Sammlungen heroorgetreten. 6 7 ) Run ift bas Solbaten* 
lieb nichts ohne bie tDeifen. Da ift benn bie treffliche Sammlung hochtoillf ommen, 
bie ff. Sd? etter’) mit Singftimme unb ber toieber fo beliebt getootbenen Cauten* 
Begleitung hetausgegeben hat; ihr ftellt fich je%t in ebenfo fdjönem Harem 
Hotenbrud unb gleich prächtig mit Buntbruden nach Sailer gefdjmüdt, eine 
Bearbeitung fürs Klaoiet oon f)- Sal3mann 3ur Seite, bie ber Dater feinem 
bei IJpetn gefallenen Sohne roibmet. IDit haben in biefen Büchern, u>as ich 
9cnte 3U meinem Auffatje oben S. 13 A. 1 nach tragen möchte, bie reidjhaltigfte 
unb befte Austoahl aus unfetem oolfstümlichen Solbatenliebe erhalten; man be* 
bauert als Philologe nur, bafe bet heraus geber nur teiltoeife bie (Quellen 


1 ) Sriebridjs bes ©rohen ffieöidjte, oornehmlich aus bet 3 eit bes fiebenjährigen 
«neges ausgewählt unb oerbeutfät oon S- Sehling. heibelberg 1914, d. IDinters Unio.« 
Buchhanblung. 56 S. ITt. 1 ,—. 

2 ) Bismard=KaIenber auf bas 3 aljt 1915. herausg. oon fl. p h i l i p p unb £ 7 . K 0 QI. 
' 12 dafein. Ceipjig 1914, Dieterichfdje Derlagsbuchhanblung 51). Weicher. XII, 162 S. 

3) ©uft. $reg tag, Auf ber höhe bet Dogefen. Kriegsberichte oon 1870/71. £eip 3 ig 
1914, S. hM. V, 114 S. m. 1,50. 

^ Kriegslieber oon D. 0 . £ i I i e n c r 0 n. Berlin u. CeüMig 1914, Schuftet u. Coeffler. 
75 S. IR. 1 ,—. 

Kriegsliebetbud) für bas beutfhe heer. herausg. oon bet Kommiffion für bas 
u<ni.DoKsliebetbuch. Berlin, Urowihfcb u. Sohn. 40 S. ITt. 0,15. 

© ma ® eu ^ e Ifehrmannslieber, 3 u[ammengeftellt oon Pfarrer Kremersin Bonn. — 
* ajte 3 um Dortrag an oaterlänbifhen Dolfsabenben. Berlin 1914, Derlag bes eoang. 
Unö 'n l®°ltsf<hriften 3 um grofeen Krieg 1.14/15.) ITT. 0,10; 0,20. 

7) Deutfdje Solbatenlieber mit einer oolfstümlichen ©itarrebegleitung. herausg. 
KW t 284 ^ ~ Deutfdje Solbatenlieber, ausgemählt oon h- Sperrer mit 

in nT!l e 9lrit un 9 oon ©h- S a 1 3 m a n n. 200 S. 4 °. Iltit je 10 Dollbilbem oon 3. fl. Sailer 
Wetfatbenbtucf. £eip 3 ig 1914, $riebr. hofmeifter. ITt. 3.50. 



186 


Die Kriegsliteratur 


nennt, aus öenen er EDort unö EDeife geköpft hat. 3n einigen ötefer Samm* 
lungen mifdjt fid) fchon öas ältere £ie 6 mit jener Süß« oon Heuern, bas jeit 
Ktiegsbegimt aufgefhoffen ift. 1 2 3 ) Oer Umfang biefer Kriegsbic^tung ift gan 3 
gewaltig; man hat ausgerechnet, öaf} im Auguft täglich etwa 500 oetf^iebene 
©ebidfte in unferen 3 eitungen geftanben hätten. 

Oie einjelnen Dichter haben ihre Oebet teilweife gefammelt für fi<h et* 
(feinen Iaffen. Oarunter nehmen bie beiben Bänbdjen oon £. Ganghofer*) 
eine befonbere Stellung ein, in benen bet Derfaffer feinet „eifemen 3i^«" 
ober, toie et ein anbermal fie nennt „feiner hanebüchenen £eiet" Höne oon ge= 
waltiger Kraft unb einer recht bajuoarifchen Derbheit entlodt. Dod} oerfö^nt 
leicht mit männern all 3 u Deutlichen ber hauch oon EDalb* unb Bergluft, bet 
aus ben Derfen biefes naturnahen Dieters roeht, bie aufeerorbentliche $rif^e 
unb bet oft fdjlagenbe EDitj; „too ein Siegel luftig brifdjt, toerben Htenfch unb Korn 
erfrifdjt" fagt ber Derfaffer unb entwaffnet bamit oon oomhetein jebe Kritü. 

Sehr 3 ahlreiche Sammlungen 8 ) oerfudjen bie reiche (Ernte toenigftens in 
einet Auswahl bes Beften nach unb nach in bie Scheune 3 U bringen. Oie 
Sammlungen finb unter feljr oerfchiebenen Gefidjtspunften oeranftaltet unb 
auf recht oerfdjiebene Gefchmadsrichtungen eingeftellt. Am meiften fünftlerijd) 
gefiebt haben wohl bie gut ausgeftatteten Ijefte oon3. Bab 4 ); es ift bafreilich 
auch manches Afthetelnbe aufgenommen, wähtenb einiges Kräftige unb 
funbe nicht butch bas Sieb gelaffen warb. 3 n ben reyenben ^eftc^ c n, bie 
G. Dieöerichs herausgibt 5 * * ), finb bie neuen £ieber, benen auch h' cl Klanges 
gute Alte gefeilt ift, oielfach gleich m it neuen EDeifen oerfehen, unter benen 
mehtetes recht Gelungene fidj finbet. 

3n ber Schar ber Kriegslyriter oon 1914 fehlt faum ein bebeutenbet 
Harne unfeter lebenben Dichter. Auch einige bisher Unbelannte fteUen fi<h ein 

1) K. $ i | <h e t, ©ne Sammlung ernfter unb heiteret Kriegsbichtungen in Poefie unb 
Profa. £eip 3 ig 1914, tjeffe u. Beder. 222 S. 

2) ©ferne 3ither. Kriegslieber non £. <5 a n g h o f e t. 94 S. — 2. Reit Reue Kriegs' 
lieber. 94 S. Stuttgart 1914, fl. Bong u. Ro. 3e nt. 1,—. 

3) Deutfdje Kriegslieber, entftanben bei Ausbruch unb toähtenb bes tDelthieges 
1914. 96 S. Ghemnifc, h- tDilifh. 3 hefte. 3e nt. 0,20. — Aus grober 3eü ©ne Auswahl 
bet Kriegslyrit bes3ahtes 1914. IRannheim, fl.u.D.©angenbach. 197 S. nt. 1,—. 1914. Das 
Kriegsl.eberbuch, herausg. oon Rüg. ntüller. Ceipjig, Xenienoerlag. 130 S. TIT. 1, . 

4) 1914. Der beutfdje Krieg im beutfhen ©eöidjt. flusgeto. o. 3- Bab. 1. Aufbruch 
unb Anfang. 2. 3n»fd)en ben Schlachten. 3. Der harte herbft. 4. Krieg auf ©ben. Berlin, 
ntoratoe u. Scheffelt. 3e 48 S. 3e IR. 0,50. 

fi"t. P' ^ ® m P or , mein Dolt! Kriegslieber aus unferen Ragen mit neuen IDeifen. 2. ®" 
hahnletn tooU’n mit tupfen. Reue Kriegsliebet nach alten Resten unb IDeifen. 3. tDohlauf, 
Kameraben! Solbatenlieber 3 um „heiligen Krieg". 4. Deutfehes Ijerj, oerjage nicht! Dater« 

lanbslceber aus grober 3eit. 5. 3ebet Schub ein Rub. 6. 3ebet Stob ein Stanjos. 7.3eber 

arm ent Brttt! Reue Ktiegslieber. 8. ntusfetier fein’s luft’ge Brüber. Alte liebe Solbaten« 

hebet. 3ena 1914, © Dieöerichs. 23, 27, 27, 23, 31, 31, 31, 31. S. 3eRt. 0,25. 



Don Srieöricf) panjer 


187 


uni» es mag mancher Dilettant fid} barunter befinben, 6 em in bet großen Stunbe 
etwas ITCeifterliches gelang: 6 er £en 3 , 6 er fang für fie. natürlich ift in 6 er un* 
gebeuten Utaffe febt oiel ©leichgültiges, TRattes, fünftlerifd} ITCinberroertiges, 
öas nur 6 em Sojiologen als flusbrud 6 er Doltsfeele, 6 ie in 6 iefen erregten 
3 eiten fo laut un 6 einheitlich fid} regt, mertroürbig feinen wirb. fluch Di<h= 
tem oon Hamen ift manches Bebenfliche entfchlüpft, oielleicht, fo möchte man 
oon D e b m e 1 s „£Ulöeutfcf}lan 6 s (Etroedung" glauben, in beörängter Stunöe ab* 
gepreßtrootben. EDet hätte geglaubt, bafe $.floenatius, 6 erprioilegiertehütet 
6 es ©efdjmads, uns mit einer Umöidjtung 6 et „EOacht am Rhein" fommen 
würbe, in 6 er man nod) 6 aju einen Ders finöet wie: „ein Rolf oon Btü 6 em 
fteljt bet Deutfdfe 6 a"! Unö nie hätte bas £ieb geörudt werben follen, mit 6 em 
h- Suöermann fiel} am großen Sage eingeftellt unb gerietet bat. (Es wäre für 
manchen behet 3 igenswert gewefen, wie Rlörife 1871 fein Schweigen entfdjulbigt 

Bei euren Säten, euren Stegen, 

tDortlos, befdjämt bat mein (Sefang gef dpoiegen: 

Unb manche, bie mich öatum galten, 
hätten auch beffer ben IRunb gebalten. 

Das Befte bat wobl Dehmel gegeben; auch ®. hauptmann, mebtetes 
oon R. fl. Sehr ober, ©homa, flnthes, R. her 30 g, £öns,£iffauer, 
Bescher, 3 udermann unb manches anbere öarf mit hohem £obe ge* 
nannt werben, fluffallenb minberwertig ift — oon einigem ©uten abgefeben, 
bas 3 folbeKur 3 unb $ribaSchan 3 beigefteuert haben — burdjfchnittlich 
bie $tauenbichtung, auch ®o es um ben häuslichen IDibetfchein bes Kampfes 
fid? baubelt. h* er finbet man bie fchlimmfte Schlagwortprofa in Detfe ge* 
3 toängt; etwa: <& | ot6ett oic j f öas p a terlanb! 

Doch heilen, bie ber Krieg ihm fchlägt, 

Oie IBunben mit ber £iebe haub, 
tDir $tauen unentwegt. 

ober gar biefen unüberbietbaren ©ipfel bet ©efdjmadlofigleit: 

Unb ob bie U)elt ooll Seufel wär: 

Sfchingberaffaffa! 

hie Deutfchlanb unb fein gutes heer: 

Sfchingberaffaffa! 

U)as in bet tttenge bes ©ebotenen bem ein 3 elnen Dieter nach feinet Art 
gelang, ift in biefet 3eitfchrift fchon oon $. ©tegori gefchilbert worben (oben 
81ff.); wir bütfen auch auf bie treffliche ©hatafteriftil oerweifen, bie fl. B i e f e, 
bie Bebürfniffe bet Schule im befonöeren bebenlenb, in bet 3anuar*Hummer 
bes beutf^en Philologenblattes gegeben hu*- 1 ) h* ct mögen noch einige all* 
gemeinere B emetfunqen ausgefprochen werben. 

1) fluch auf Me fluffä^e oon 3. Bab im Citerar. (Echo, hefte oom 1. ©ft. u. 15. Oej. 
oiefes Jahrgangs fei oenoiefen. 



188 


Die Kriegsliteratur 


H)iII man fi<h ber (Eigenart ber gegenmärtigen Kriegsbichtung bewußt 
meröen, fo ift es mol?! am leljrreichften, (ie mit bet £yrif non 1870 3U »et» 
gleiten, naturgemäß ergeben fid} ba 3unäd?ft gemiffe ftofflidje llnterfd}iebe 
in ben hertfihenben ©ebanfen, mie fie notroenbig aus ber Derfdjiebenljeit bet 
Politiken tagen fließen. 1870 mar bie mefentlichfte CEatfac^e bie (Einigfeit 
bet beutf^en Stämme, bie ja eben erft nod? fid? blutig befeljbet hatten Kaum 
ein ernfthaftes 3 eitgebid)t, in bem bies 3 ufammengehen »on „Horb unb Süb" 
nic^t gerühmt mürbe, in bem nicht ausbrüdlicb ber Preuße neben bem Bayer, 
ber (thüringer neben bem „nom Hedarftranb" unb 00m „©au bet ^hatten" 
ufm. auf träte, in bas ber HTain, bet glüdlid? überbrüdte, fid? nid^t als 
Symbol hineinfchlängelte. Über biefen 3um Ktiegs3med geeinten Stämmen 
aber hämmert „bes Reiches HTorgenrot" herauf, unb bie ^eim^olurtg ber ge» 
raubten Ptonin^en, bes (Elfaffes unb Straßburgs not allem mintt als Krieges» 
preis. Oer Rhein, ein gutes Stüd nod? Oeutfchlanbs ©renje unb mohl übet» 
haupt noch ftärfer als heute mit tomatrtifchem ©lan3e umfloffen, fpielt natut» 
gemäß auch oine größere Rolle als in ber gegenmärtigen Dichtung; bie U)ad?t 
am Rhein matb, nod? buchftäblich mahr, bas begeiftembfte £ieb. fluch bie ge» 
fchichtlidjen flnfpielungen entfprechen biefer tage; bet fchlafenbe Kaifet im 
Kyffhäufer mirb nachbrüdlich unb oft befdjrooren. Oaß bie teiftungen biefes 
Jahres felbft inbembeften, bas etma ©eibel, $teiligrath, Rittershaus, 
tmrod, ©ottfdjall, Dahn, tDolff u. a. hernorbrachteit, tünftlerifch itid)t 
CUI3U hoch 3u merten finb, ift oft genug ausgefprodjen. Sn ber (tat henfcht 
fe bft innerhalb biefes höher ftehenben Seils bet auch bamals fchon bicht, memt 
auch nicht entfernt fo üppig mie heute aufgefchoffenen Kriegslyrit eine recht meit» 
gehenbe ©Ieidjmäßigteit bes flusbruds, eine ftarte Übereinftimmung in tDort* 
fd?aß unb tDenbungen. Recht oiel non biefer flusbrudsform ift 3ubem Anleihe 
al L ®!^ tuns öer Sreiheitstriege. So begegnet man für bie Be3eichnung unb 
aijaraftenfttt ber ©egnet etma immer mieber tDenbungen mie „ber $rante", „bet 
Stahmann „bie Sran3en", „ber melfcheIHann", „melier©rüg", „herüber» 
mutige Seinb", „ber grimme Korfenroolf", „bes Korfen freche RTeute" u.ä.; 
immer mieber mirb flllbeutfchlanb mit berfelben Phrafe: „com Belt 3Utn 
hem , non ber fllpe 3um Stranb" ober „3um Dünenfanb", unb — mie oft! — 
"T? •! 3 “ m mccr “ bc 3 eic hnet. Blaffe, antitifierenbe flbftraftionen machen 
trin«' r « 1 m uß fich gefallen laffen fo gut mie immet als „©et» 

. l r a ( 7 te * en ) n i cncr matten fpieletifd? nachempfunbenen Pallasfigur, 
f«r<*A C x aU l f, e . m ^ cbcr ®albbenfmale fteht, $ran!teidj heißt natürlich ent» 
S t. r cn y:.f „ Da ^ reiten auc h noch „£egionen" ftatt bet heere, Hapoleon 
_ f. ^ ' 001 PaTis Iie 9 t man „oor tutetias Htauern" unb „Bellona" 

mitimni*! ci-’r/ Strophenmaße finb 3iemlich eintönig unb öfter 

Jfi? I« füllt, »on Mannten Bor- 

aus ber Dichtung ber Sreiheitstriege entnommen, fluch in ben ernften 



Don $riebrid| Panter 


189 


Gelängen wirb ber $einb mit gtojjet Derachtung behanbelt, „tjafe gegen ben 
winbigen Prahlettuhm" (jo %. Boöenfteöt) bet „grande nation" erfüllt bie 
ganje Dichtung. So jteUt benn auch eine erjtaunlich grofee BTenge jenet btamar* 
bajierenben, ein wenig pta^lerijdjen unb ben $einb oerachtenben, ober oielfad? 
überaus frijehen, oon treffenbem tDH( erfüllten Solbatenlieber im ©one jenes 
Cöwenjteinifchen „ 3 mmet frifch, fromm, frei unb froh, h au t fic auf ben ©baffe* 
pot!" jidj ein. 

Don allebem bat fid} in ber Kriegsbidjtung oon 1914 jo manches geänbert. 
(Es fällt oor allem auf, wie oiel mannigfaltiger bie Sormen geworben jinb, 
ba nun in febt oerfdjiebenen Strophen* unb Dersmajjen eine ungleich mannig* 
faltigere, perfönlichere Sprache ji<h auswirft. Bejeidjnenb etwa bie Kleinig* 
feit, bafe nun bie IRunbart, bie 1870 anjdjeinenb nur 3u f<het3hafter IDirfung 
gebraucht warb, auch für ernfte Dotwürfe flnwenbung finbet. 

Aber auch ber ©ebanfengeljalt bat fich oeränbert, unb wir bütfen wohl 
jagen oertieft. Daterlanbsgejänge unb Solbatenlieber bilben natutgemäjj 
beute wie 1870 bie fjauptmaffe bes ©ejdjaffenen. Aber ber Begriff bes Batet* 
Ianbes ift hoch gerabe bei ben Bejten ein etwas anbeter als bamals. (Er ift, 
wenn ich jo jagen barf, weniger jtarf politijcb, auch nicht mehr allein oon ber 
natürlichen felbjtgewadjfenen flnhanglichfeit an ben Boben, bet uns wie unjete 
Bätet ttug unb nährte, an bas £anb unjerer Sprache ausgefüllt. ©r jeheint 
mir erworbener, jeheint geiftiger geworben, et ruht mehr in ber tiefen Über* 
3 eugung, bafj im Deutfdjtume eine bejonbere (Etjcheinungsform menjchlichcn 
Bajeins, menfchlichet Kultur {ich auspräge, gan3 eigenartig — tantum sui 
generis —, et jeheint innerlichjt begrünbet unb erfaßt mit bem jicheren unb 
befeligenben, oon aller Prahlerei weit entfernten ©efüljle ber Überlegenheit 
gerabe biejer (Etjcheinungsform unb ihrer Itotwenbigfeit, ihrem (Etlöjetberufe 
für bie gefamte RTenjchheit. ©ben barum fühlt ein jeber oon uns burdj unjete 
Seinbe jicb jo petfonlich angegriffen, in jeinem Snnerjten unb Bejten bebroht, 
unb eben barum überall bie gleiche unerfchütterliche ©ntjchlojjenheit, bas 
leibenfchaftliche Drängen, {ich freiwillig hnBugeben für bie Sache bes Batet* 
lanbs, bas bauern mufe übet ben ©in3elnen hinaus als ein Bebütfnis ber IBelt. 
So fingt bet Kejjelfchmieb fjeimrich Betjch in feinem frönen flbfchiebsliebe: 

IDir jinb frei, Batet, wir jinb frei! 

©ief im fjet3en brennt bas heifee Ceben; 

Brei wären wir nicht, fönnten wirs nicht geben ... 

Deutjchlanb mujj leben, wenn wir fterben müjjen! 

wie Rubolf fllejanber Schtöber in bem prächtigen „Deutfdjen Cieb": 

heilig Baterlanb ... 

Sieb uns all entbrannt 

Sohn bei Söhnen ftehn: 

Du jollft bleiben, £anb! 

IDir oergehn. 



190 


Die KriegsHteratur 


€bctt barum tritt auch aus biefet Dichtung utts fo oft ein inniges Sich* 
einsfühlen mit bem lenfenben IDeltgeifte, ber uns 3u hohem berufen, ein frei- 
toillig banfbates Sidjfytngeben an (Bott, bet biefe höchfte Prüfung uns auferlegte, 
ein echtes $tommfein im ©oethefchen Sinne Ijeroot. ©s ift unter uns etwas 
oon bem ©efühle bes alten Israel Iebenbig getoorben, als müfjte bies mobl ein 
ausertoä^Ites Dol! fein, bas ©ott fo fcfjroere unb [teile IDege 3ut fjö^e führt: 

©laub’s, nur ein Dol!, bas ©ott cor allen wert, 

Stellt er auf biefe fchroetfte aller Proben. (K. Streder.) 

Unb es befeftigt fid? bie Ahnung, bafc ein großer einheitlicher Sinn in 5 er 
gan3en ©efc^idjte unferes Dolfes malte. Überall fühlt man, bafe in biefen 
Schlachten alles ©ute unb ©rofee beutfeher Dergangenheit mit uns ftreitet, 
nidjt blofe bie Kriegs^eiben oon 1870 unb 1813 , fonbetn oor allem bet ganje 
grofee „©eneralftab bet ©elfter", bie bas Dolf, bem fie entfprangen, 3U bem 
gebtlbet haben, roas es beute ift. ©in Sidjoerbunbenfüljlen mit ben Dorfahten 
uta? bie 3 aljrtaufenbe «hriftlidjen unb heibnifchen Sehens mie unfer Dol! in 
feiner fo roenig oölfifd} gefdjloffenen, fo ftar! oon aufcen beftimmten, nach aus* 

H c bisher nicht fannte, beginnt heroo^utreten etroa 
m R. Debmels „Prebigt ans Deutfche Dol! in JDaffen": 

Oeutftbe Solbaten, ihr feiö mert aller Ahnen; 

Suhlt eu<b nur immer nodj als ©ermanen! 

Die Art, mie in biefer hinreifeenben prebigt beutfebe unb norbifebe ©öltet* 
narrten burdjeinanbet gemürfelt merben, „Donar" mitten 3wifd}en „©bin" 
un albur ftebt, 3eigt freilich betrübenb, mie f<broer unfere „beutfebe" 
ttr 3 ieb un 9 es bisbet auch unferen ©ebilbetften noch macht, beutfebe Dergangen* 
bet tm ernten 3u lernten; melier gebilbete Deutfche mürbe mobl „ 2 Suppitet" 
Un an ^ °f Ct ."^ cus< un ^ » 3 uno" in einen Ders nebeneinander fet)en? 
. -a* ??, öie €m Pf inöu ng bet ungeheuren ©töfce bes Augenblicfs; fie 

rtdb mobl gelegentlich in tiefer Dan!bar!eit ficb aus, folcbes erleben 3U bürfen. 

k°<h ^* es utal nicht nur als Befreiung aus einer allmählich 
■ . l< ^ geworbenen politifchen Derfabrenbeit unb Spannung empfunben, 

. ° * te f ittIid ? c Befreiung aus brohenber Stodung, Derfumpfung 

hrr.A et x m » Un ^ etcs * nneten aölüfcben Sehens, einer brobenben Unter* 
rus 119 arf ?! [tcn in uns ’ " Sei 9 e f e 9f*et, emfte Stunbe" bat Debmel in bem 
bot u? a ^i ^tJ 1 Urieg", bie „heilige Hot" begrüfet; in einer Uacbt 

moM x . j* 3 J?? Sanatoriumsgäfte !emgefunb gemalt (U). hetlen). Unb 
gefunbert habe-* 0 * 3 ^ tC9cn ' bet 9 to fee UToment !ein Heines ©efcblecbt 

3 © lef in jebem Blide 
©ntfchlie&ung manbellos. 

Run ienn ich bie ©efchide. 

Rlein Dol!, mie bift bu gtojj. 


( 3 f. Kur3.) 



Don $ri<5tid} Patzer 


191 


(Es fallt auf, tote oiel 3a^lteid)ct in biefem Kriege bie £ieber bet Daheim* 
gebliebenen finb, in bem Sinne, bafe ihre Beobachtungen, ihre (Erlebniffe tünft* 
terifdje ©eftaltung fudjen. Seht ^aufig toitb, abtoeidfenb oon bet üblichen 
Solbatenbidjtung, bet flbfdjieb ber flusjie^enben nun auch oon ber ©egenfeite 
gefdjilbert in bem Schmede, ber Unruhe bet 3 urücfgebliebenen, ihrer täglichen 

® ua ^ : Stehft bu noch auf biefer (Erbe? 

Rahm ber üob bid) bei ben fjänben? (fj. grand.) 

unb toobl barf d. Schrnib* Romberg oon ben IRüttern fagen: 

fln febem Sieg bubt ibr ben gleiten (Teil 
ober toie fl. Herr es ausbrüdt: 

(Es roebt ber flllerjeelemoinb 
IDir f(breiten alle einen Schritt 
Unb bie mir fern oom gelbe finb, 

IDir tämpfen mit, mir fterben mit. 

(Einige febt bübfebe RHegenliebet finb entftanben, bas bübfdjefte oon 

b. Stand: Schlaft Kinber eud) gefunb unb greife, 

Oie gtüdjte falln in euren Sdjofe. 

(öfter roitb ber flusjug aus ber Kafetne gefdjilbert, bie tübrenbe (Et* 
f<beinung bet jugenblidjengreitoilligen: „männliche Knaben, traumtoanbelnbes 
helbengefdjid" (U. Rauftet). Dielfach fpiegelt ficb ber tiefe (Einbrud bet 
enblofen 3 üge, bie fo oiele Sage unb Rächte lang bas ungeheure Dolfsheet 
bem geinbe entgegenfübrten, „grachten unenblichen Schidfals" Q. Bab). Die 
Rüdlebt bet Denounbeten ftellt fi(h bar, benen man oe^eihen mufe, roenn fie 
nicht 3U unfern £ieb es gaben lächeln (ein fdjönes ©eöidjt oon griba S<han3), 
bie nid)t mitfehreien mögen bei bem allgemeinen Jjuttarufen. Die ©ebanfen* 
lofigteit baheim gebliebenet „Buben" forbert toohl auch fonft ein ftrafenbes 
©ebidjt betaus, allgemeiner ift hoch bie tiefe, unenblidje Danlbarteit für bie 
Kämpfet braufeen, bie ben unburchbringlichen lebenbigen 3nun ums Dater* 
fonb 3ieben; ben fchönften flusbtud hat fie in bem betannten ©ebidjte eines 
Berliner Obertertianers „güt uns" gefunben. mehrfach toitb bet (Einbrud ber 
langen Perluftliften gefdjilbert; <E. prec3angs ©ebidjt „©efallen: ein mann" 
ift eine ber beflften perlen in ber Kette biefer Kriegslyrit. fluch bet geroifc 
oon allen in bet Ijeimat in ben fdjönen Sommettoochen taufenbfach emp* 
funbene ©egenfafe 3toifchen ber lieblichen fommeiftillen Canbfdjaft unb bem 
®eban!en an bas gtofee Rtorben braufeen — „toie ift bas £anb fo ftill unb roeit 
unb Dölterfrieg auf (Erben" (g. gretfa) —ift öfter bidjterifch ausgefprochen. 

Rein ftofflich tonnte bie biesmalige Kriegsbidjtung fi<h manches Reue 3U* 
fuhren baburd?, bafe nun auch Rtojfet unb £uft 3U Kriegsfchaupläfeen getoorben 
fmb. (Es ift mir aber unter ben marineliebem, obtoohl fie fdjon recht 30hl* 
te »tb finb unb oieletlei 3 üge unb Umftänbe bis herab 3U ben fjei3em im Schiffs* 



192 


Die Kriegsliteratur 


taurn ergriffen hoben, noch nichts tüirflirf} Bebeutenbes begegnet unb öie Didj- 
tungen auf öie £uftfahrer finb bisset übetwiegenb befonbers tninberaettig. 

Auffallenb fcheint in biefem getoaltigen Kriege cot bet ernften Dichtung 
ienes butfchüos renommiftifdje Solbatenlieb 3 urüd 3 utteten, bas 1870 in fo teidjei 
Süße empotfehofe, obroohl auch ein 3 eines Gelungene biefet Art fchon entftanben 
ift, 3 . B. bas Gebiet auf bie (Einnahme oon £ütti<h mit bem famofen Reim: 
<Emmi(^: bas nemm i<h. Rtan mochte toohl glauben, bafj feinet (Entfaltung 
neben anberem bas geringe Ijeroortreten beftimmter Perfonen, beten biefe 
Art Cieber nicht gut entbehren tonnen, bei ben (Eteigniffen ein roenig im tDege 
mar. (Es geht ba toie R. tjet 3 ogs „3wei IDotte" bas ausfühten: 

Unb fragt ihr, tuet ber Sieger ift, 

U)er fühn bie Sdjladjt gef erlagen: 

Ui<bt Regiment unb $e!bobrift 
©eif} euch ein ITtunb 3 U fagen. 

®n ein 3 ger Harne toirb genannt — 

Hier bat bie $einbe überrannt? 

Das Daterlanö! 


fludj bei ben Gegnern finbet man nichts fo recht $afebares, toie biefe 
Solbatenbichtung es brauste. Schon in ben (Eifenbahnauffchriften ber Aus* 
3 iebenben 1 ) mujjte bie ©nbilbungsfraft etroas mübfam an Grey, poincat^ 
unb ben 3aten fi<h Hämmern. Aber felbft ber 3 at, bet noch am geeigttetfien 
fcheint, oom folbatifdjen EDitj bes Gegners ge 3 auft 3 U toetben — H). plab ift 
in feinem Gebicht: „0 Rifolaus, 0 Hifolaus, bu bift ein fehlerer Brubet" bie 
befte gebichtmäfeige Ausführung folchen ffifenbahnhumors gelungen — tft 
hoch eine wefentlich blaffere Geftalt als 1870 Hapoleon III. Ba ift benn bie 
Dichtung froh, wenn fie etma in bem 42 cm=Gefchüh, ber faulen Grete ober 
fleißigen Berta, etwas Greifbares oon perfonlichem £eben finbet. 

3m übrigen ift bie innere $orm, in ber bas Kriegserlebnis fich barftellt, 
u eraus mannigfaltig 00 m folbatifch ftänbifchen Ausbrud über ben politif^en 
un oaterlänbifchen hin bis in jenes (Eintauchen ins allgemeimmenfchli'H 
ef f e Zeitgefühl in ben heften Dichtungen D e h m ei s. Dielfach begegnet matt auch 
fymbolifcher Darftellung. Dafc ber Krieg in ber <Emte 3 eit ausbtach» h a * ®ie f<h on 
1870 manches fymbolifche Schnitterlieb heroorgelodt; bas fünfte unb traf 5 
, a UnS *?ouptmann gefchentt. Auch ber Ijerbft finbet toiebet oiel 5 
^ch fymboüfche Deutung auf ben Krieg, in bem bie Haufenbe fallen tote 
Blatter oon ben Bäumen, in bem ber ebelfte Zein gefeltert wirb. Dann tritt 
er Krieg als Riefe auf, bet auf bem RTeetesgtunb erwacht ((E. o. Bob mann) 1 
J . '’ * ci P«^olb, als feuriges IHännlein mit toirffamer Anlehnung an 
v!^ll^£ ot P enun 9en bes eigenen Dolfs, toie benn bie antüe Hlythologie aus 


CkJ^IT " 1 “" 9 öooon h-Stimme oot: mit Cmft unb S<her 3 in ben Krieg. 

“ s' ^ öS l ” pp ' n6,f5,l,tn ”’ 9 ' ,9H a,d!enMMt 



Don SHebrid) panjer jgj 

öie|ct Kriegsbichtung glüdlich faft gan 3 oerfchwunben ift. Hm f). Kien 3 l, bet 
jonft einiges ©elungenete besteuert, friegt es fettig, „Korybas, Öen Sohn bet 
Kybele" 3 U befchwöten — leiber hat er oerfaumt, bie 3 ut Stilechtheit gehörige 
erflätenbe Anmerfung b« 3 u 3 u fefcen; id? hole alfo fd/nell Beniamin heberidjs 
©rünbliches Lexicon mythologicum Ceip 3 ig 1741, oom Brett, „wotinne fo= 
®°hl bie fabelhafte als wahrfcheinliche unb eigentliche tjiftorie bet alten unb 
befannten Römifdjen, ©riechifchen unb ©gyptifchen ©öfter unb ©öttinnen, 
n>ie auch gelben unb tjelbinnen ... mit ihren unterfchiebenen Rahmen unb 
Beynahmen" glücflich enthalten ift, unb fe$e baraus für fünftige Cefet biefet 
Dichtung non 1914 hierher: „Corybas, antis, ©r. Kogvßag , avtog bes Jasionis 
unb ber Cybele Sohn, oon welchem bie Corybantes ben Rahmen betommen 
haben folten. Diod. Sic. Iib. V c. 49". Kien 3 l läjjt auch „um ben üempel 
ber halben Kamönen bie $urien tan 3 en". 3 m übrigen ift felbft „Albion" für 
©iglanb in bet befferen Dichtung — bie Blaffe gehört immer 3 um ewig 
©eftrigen fo feiten wie „©allia" für $ranfrei<h unb auch „ Deutfdjlanb" braucht 
fich nicht mehr als „©ermania" 3 U mastieren. 

Recht häufig finbet man Anlehnung an ben Dolislieberton unb 3 wat über* 
tpiegenb bes Dolfsliebs bes 16. 3 ahrhunberts; bas ©elungenfte hot hier wohl 
töns gegeben. Seltener gibt bas mobetne Solbatenlieb ben Gon an. Albt. 
Schaffer 3 eigt uns bas Kriegsetlebnis gelegentlich 00 m „Armeleutftanbpunft"; 
hier unb ba oernebelt es fich auch in bie tDollen fraftlofen Afthetentums. Derlei 
I? ?' aus Deutfch=<öfterreich gefommen, wie benn auch nur bort bie 

negslyrif fich hat 3 U Sonetten 3 ähmen laffen (Schaufal „©heme Sonette"). 
Aber gerabe aus (öfterreich ift uns auch eins ber fünften ©ebichte, fj- 3 uder* 
nt an ns geroifj unoergänglidhes Reiterlieb, 3 uge!ommen mit feiner tiefinner* 
tchen Dertnüpfung oon Raturbilbern unb menfehlichem $ühlen. 

Die et 3 Öhlenbe Profa ber Kriegsbichtung befchränft fich einftweilen im 
roefentltchen auf bie HHebergabe oon Anetboten, in benen oiel fdjlagenbet, 
weh Stimmiger XDi* unb ausgelaffener Spott ihr tDefen haben; einige Sarntn* 
u ngen finb fchon erfdjienen, bie bes Coblenhfchen Derlages ift befonbers hübfd) 
9ebrudt unb mit luftigen Silbern ausgeftattet. 1 ) Auch in ber Dichter*Kriegs* 
9 a e es Perthes’fdjen Derlags 2 ) finb bas ©ute unb R)ir!fame weniger bie 
«»9cntlthen Zählungen (oon© 0 . Hlalt 3 ahn, A. Supper, h- ©htifialler), 
eren etwas primitioe ©rfinbung 00 m £eben biefer Sage, ich möchte fagen, 
___ü_5^_3eitung an Spannung unb IDirtung unb ©ehalt übertroffen wirb, 

1914 Deut ^ et Kriegshumor 1914. Budjlchmuc! oon h-Schmar^. Köln 
öoten Aue k u - Be< hfte 6 t. 64 S. nt. 0,60. — Deutfher Kriegshumor. IDohrhaftige flnet» 
72 s. 7(7 j*™ roe tftie g 1914. tltit 3eidjnungen oon p. haafe. Berlin 1914, ®. doblent). 

9 ebra*i ®'^ tcts Kriegsgabe. 3um Kriegsroeihnadjten bem beutfdjen Dolle ben* 

9«b. m 3 _ US9- oon £ - Kloh. ©otha 1914, 5 . fl. Perthes. VIII, 166 S. RT. 1,60, 

f. 6. t>eut(d)en Unterrid)!. 29.3al)r9 3 fjefi 


13 



194 


ltlattl)ia« Claubius unb fein „Rtjeinwetnlieb" 


als bie Säuberungen nach 6em roirflichen £eben, roie fie etwa HD. d. Sdjolj 
feljr pacfenb oom ©reiben unb Öen Stimmungen öer ITCobilmachungstage, 
3 - Dohfe oon bet Kriegsaufregung eines Reinen Dorfes gibt. 

über bas, toas bie bilbenbe Kunft bisher für ben Krieg geleiftet l}at, toage 
id} mangels einer austeidjenb grünblidjen ©inficht fein Urteil; toas mir dop 
gefommen ift, muffte Dielfad} burd? bie Rläffigfeit ber £eiftung übertaf^en. 1 ) 
Einiges ©ute fah man in bem auf oolfstümliche IDirfung berechneten Biltmis. 
3 ugegangen ift uns ein fehr hübfdjes, auch burd) Billigfeit fid} empfe^lenöes 
Bilb bes Kaifets in $arbenfunftbrucf ($. BtucfmanmIRünchen TR. 1 , 50 ) unb 
eine bei trefflicher Ausftattung gleichfalls billige Sammlung oon $ebet}eih 5 
nungen Karl Bauers*), bes butch feine Dichterbilbniffe roohl am meiftenbe : 
fannt getootbenen Künftlers; in ben Silbern unfeter Heerführer roeiff et mit 
einfachen UTitteln jeht Diel £eben, Kraft unb flusbruef 3U erjielen. 


ITTattf)tas (Elauöius unö [ein „RfjeintDeinlieö". 

Don tDolfgang Stammler in fjannooet. 

Als IRatthias ©laubius in ftiirmifchen 3 eiten am 21.3anuat 1815 3U 
Hamburg bie Augen fdjloff, erregte außerhalb bes engften $teunbesfreifes 
fein ©ob anfänglich nur geringe ©eilnahme. Seine fdjriftftellerifche ©ätigfeit 
in ben lebten 3aht3ehnten feines £ebens mar roenig nach bem ©efehmaef bei 
großen IRenge gemefen; erft in ben 3man3iger unb bteiffiger 3ahten griff man ( 
auf ihn 3urü<f, als man in bet fogenannten „Biebermciet3eit" einer mehr 
innerlichen, bem lauten IDeltroefen unb Treiben abholben Kultur ^ulöigte. 
Dielleicht roitb nach bem geroaltigen Ringen um ben beutfdjen ©eift, bas fid) 
jeht erhoben hat, nach ber fiegteichen Uiebet3mingung bes flatDifdpmelfdjen 
IDefens ber „TDanbsbedet Bothe" roieber 3U ©hten fommen. Aus oerflachanber 
Sntemationalifierung unb bemofratifcher RiDellierung mürbe et unfet Doll 
roieber 3U innerem fjalt, 3U einheitlicher ©runbftimmung unb mähret Religiofi 5 
tat führen fönnen. 

Aus fjolfteiner Blut entfproffen, 3eigt ©laubius bie nieberbeutfehe Art 
mie je einer. £angfam mar feine ©ntroidlung, ftill gebieh er 3m Reife; abet 
als er bann an ben ©ag hinaustrat, mar et ein fertiger Rtann, mit entfd)loffenet 
unb abgefchloffener IDeltanfchauung. Sohn unb Ra^fomme oon ©enerationen 
©eiftlicher, hat er bie übetfommene theologifdje ©rbfdjaft gemiffenhaft u® 1 ' 
maltet, ohne abet, roie man ihm Dorgeroorfen hat, in „Schmärmerei" 3U oer s 
fall en, ©t f ah nur alle Dinge in ihrer Begehung 3U ©ott; bas gab ihm Kta* 

b°be ich auch Bebeutenberes gefeljen. Über oieles, bos uns feit 
faijung biefes flrtilels 3ugegangen ift, toirb ein Hachtrag berichten. Korrefturnote.] 

„ _ Sührex unb gelben. Sebet3eid?nungen oon Karl Bauer. £cip3ig u. Berlin 1914, 

B. <6. aeubner. m. 2,50. 



Don EDoIfgang Stammler 


195 


^eit unb Ruhe. (Einen befchränften fonfeffionellen Stanbpunft 3u Deuteten, 
roat nicht feine Sache; jeher, bei meinem et (liefe bes ©laubens unb XDärme 
bet (Empfinöung fanb, mar ihm millfommen. Rur 3etfe^enber Kritif öes Alt* 
hergebrachten ohne pofitines (Ergebnis, £auheit öes Befennens, et^ifdjet £aj* 
^eit trat et fdjarf entgegen unö fudjte öas ©emiffen feines Dolfes auf3urütteln. 

Oie gleiten ptin3ipien beobachtete er in feinem liierarifäen Urteil. 
Riebet auf bie ©runbfäfce bet Klopftocfianer toat et, trofc engent perfönlichem 
Derte^r, eingefroren, noch ging er mit ber fogenannten „©oethifdjen 
Sette , ben Stürmern unb Drängern, öurdj bicf unb bünn. Oorurteitstos trat 
er oielmeljr an jebes Kunftmerf heran unb fragte, mas es ihm fagen roolite, 
toas es ihm 3U fagen hätte. Daher mar et imftanbe, fomofyl ben ©riginalgenies 
gerecht 3 U metben unb ihr moblbegrünbetes oormärtsbrängenbes Streben 
roarm an3uetfennen, als auch fo heterogene (Erlernungen mie £effing ober 
tjamann ober £cmater gebühtenb 311 müröigen. IDitterte er inbes grioolität unb 
£üftemheit, bann tonnte fein feufcher IRunb herbe unb finftere IDorte 
fprechen; ein Sdjriftfteller mie tDielanb mar ihm ein Derbtecher an ber reinen 
Rtenfchheit. 

3 n Öen fieben fchmalen Bänbdjen, melche (Elauöius mit ftuger Selbft* 
friti! 3 ufammengefteIIt unb ber Hachmett als Summe feines £ebens hinter* 
Iaffen hat, fann ber aufmerffame £efet eine gemiffe (Entmidlung feftftellen. 
Anfangs übetmiegen burchaus bie literarifdjen Sntereffen ; bet Bote, melcher 
bie Reuigfeiten bes Büchermatftes 3uträgt, anpreift ober nerroirft, rebet hier. 
Allmählich aber nimmt feine literarifche Anteilnahme 'ab, ba et oon Berufs 
megen nichts mehr mit £iteratur unb Re3enfieren 3U tun hat. Rieht unb mehr 
befdjäftigen ihn bie Rätfel bes £ebens; ben lebten Dingen finnt er nach unb 
^°fft, in ber pijilofophie £öfung feiner ©rübeleien, feiner 3u>eifel 3U finben. 
Doch unbefriebigt non Spino3a mie non $• tj. 3acobi, ohne Derftänönis für 
mmanuel Kant, manbte er fi<h bem pofitioen ©lauben ber Däter mieber 3 U. 
3 m einfachen ©ottuertrauen, in ben tjeilanbsroorten ber Bibel, in bet Sünöen* 
oergebung bes Heuen deftamentes ging ihm öas £idjt auf, meines ihm nun 
unDerrüäbar als £eitftem glän3te, 3U melchem er in ben Rlinniffen bes £ebens 
noll gläubigen (Eifers, fern jebet grömmelei feine Blicfe richtete. 

heute lebt noch ber Dieter (Elaubius unter uns, unb ihm gebührt nicht 
et letjte piatj auf ben £iteraturbänfen bes 18 . 3 ahrhunöerts. flbgefehen non 
lugenblichen, fonoentionellen flnfangsoerfuchen, fanb er halb feinen eigenen, 
originalen don, meldjen er beibehielt bis an fein £ebensenöe. IDas ihm bas 
het-3 bemegte, fprach er aus, mufete er ausfprechen, nicht in gefünftelten Bilöern 
uu oerfchränften Strophen, nein, in natürlicher, oft anmutiger Sprache, in ber 
etfe ber Dolfslieber unb Kitchenlieber. Hach ®ünther mar er im 18 . 3 aht= 
hunbert ber erfte, melcher feine einfachen ©efüljle offen in Derfen ausftrömen 
le °' ®' e ebenfo einfach gebaut maten. Hicht eine überfchmengliche greunö* 

is* 



196 


Itlattfjias (Tlaubius unb fein „Rfjeinroeinlieb" 


fdjaft, nicht eine halb himmelhochjaudtfenbe, halb 3U (Tobe betrübte Siebe 
tlang aus antiten Dersmafeen toiber, tote bei Klopftod unb feinen Ka<h* 
ahmetn; fein (Tänbeln mit ©efühldjen, fein Spielen mit fjet 3 chen, fein fd)e ; 
matifches tDeinlob ertönte ihm toie ber foliben unb roaffertrinfenben flnafreontif. 
Die Sömilic, ben Urgrunb feines ©lüdes, $rau unb Kinbet malt er in traulich 
fcfjilbetnben Derfen. Die Ratur belaufest er bes morgens, toenn bie Sonne 
aufge^t unb ihre erften Strahlen über bas roeite Sanb fenbet, ober toenn bie 
mittagshitje brüdenb über ber (Erbe brütet, ober toenn am Abenb bet fjimmel 
fi(b rötet; bie Stille ber Rad}t, ihre bedenbe Sjcimlic^feit unb forgenbe Ruhe, 
bas Rieben bes Sommertoinbes in tDalb unb $lur, bie fernfefte Rlännli^feit 
bes IDinters, alles empfinbet er mit unb fpridjt es aus. Aus biefer Gebe, 
biefem Derftehen ber Ratur entfpringt ibm bie Sympathie unb fjod}a<btung 
für ben Stanb, meldet am meiften mit ihr 3U tun bat, am meiften oon ifyt ab* 
hängig ift: ber Bauernftanb. 3 n fräftigen, coatmen (Tönen ftellt et ben Sanb* 
mann oor uns bin, hinterm Pfluge, bei bet (Ernte, nach ber Arbeit beim ju* 
friebenen Abenbbrot. Das finb berbe, prächtige ©eftalten feiner norbbeutfdjen 
fjeimat, nicht bie tölpelhaften, bummen, oetfreffenen, geilen ©efellen früherer 
3 ahrhunberte, nicht bie träumerifchen, fentimentalen Seemen eines 3 - W- 
IRiller. Solche Sympathie toar bem Sanbpfatrersfohn natürlich, nicht erft oon 
Rouffeau ober herber eingeimpft; auf gemachten unter ben Bauern, fannte et 
ihre Sorgen unb Seiben genau unb tourte, baft auf bem ©ebenen biefes 
* Stanbes Kraft unb ©ebeihen feines Dolfes beruhte. Dafe ein tiefet teligiöfet 
(Ton in feinen Siebern immer toieber erflingt, bafc ©ott, ber Schöpfer unb (Et* 
haltet aller Dinge, auch ber §err ift über bie Itlenfchenfinber, über Seben unb 
Sterben, ift bei (Tlaubius felbftoerftänblich, unb fo haben fich manche feiner 
Sieber in ben Kitchengefangbüchern bis auf bie heutige 3eit erhalten. 

(Tlaubius mar nicht nur Dieter, auch Sänger; feine mufifalifche Begabung 
offenbart fich in Rhythmus unb IKelobie ber Derfe, in ber fein abgetönten Be* 
toegung, in bem oft einfachen unb bodj funftoollen Strophenbau. Daher 
t beten feine Sieber bantbare Unterlagen für bie Komponiften feiner unb 
er fpäteren 3 eit (allein im 18 . 3 ahrhunbert 194 Dertonungen), unb im IRunbe 
ber Stubenten unb bes Doltes erflingen fie noch heute. 

Reben bem (nicht oon ihm urfprünglich fo gefungenen, fonbem erft oon 
frember fjanb fo umgemobelten) „Daterlanbslieb" („Stimmt an mit hellem, 
hohem Klang") ift 3 um „Dolfslieb", b. h- oolfstümlichen Sieb bas „Rheinmein* 
l r CÖ « i etDOrÖetl ‘ cnt l tanö im 3 ahre 1775 , toährenb bes geruhigen unb 
gludlichen fommerlichen 3 ufammenlebens mit 3ohann Heinrich Dofe in IDanbs* 
. 1 flus öcn Btie f<m »on Dofe an bie Braut (Erneftine Boie in Slcnsburg 
7 *®^^ (Tlaubius es oerftanb, bie $efte 3U feiern, toie fie fielen; trofc* 
oem bas ©elb oft tnapp toar, erübrigte er hoch noch mittel 3 u befcheibenen 
agen, bei benen im Sommer ber Rheimoein, im IDinter ber punfeh unb 



Don tDolfgang Stammler 


197 


Bifdjof eine grofee Rolle fpielten. ©ft tarnen 60311 öie $teunbe aus fjam= 
bürg, aud? Klopftod, nad? 6 em toalöumgebenen ©tt hinaus, mit £aub unö 
Blumen umfränjte Becher freiften, fröhliche Runbgefänge touröen angeftimmt. 
Bei einem foldjen Anlafc öidjtete (Elauöius fein „Rheimoeinlieb". 

3uerft oeröffentlicht warb es im Boffifdjen Rtufen*Almanach auf 1776; 
öaraus örudte es 6 er Altonaer „Reue ©eiehrte IRercurius" in Stüd 44 oom 
2 . Rooember 1775 fofort ab, un 6 fdjon ein falbes 3ah* barauf erfdjien eine 
Kompofition non 3 oI?ann Anbrö in feinem „IRufitalifdjen Blumenftrauf}" 
(©ffenbadj 1776). Run regnete es Kompofitionen oon allen Seiten; heroor* 
gehoben feien ^ier nur bie oon 3 . fl. p. Sd)ul 3 , bem Steunbe Doffens, in 
ben „©efängen am dlaoier" (Berlin 1779), bann „ {impliziert" in ben „Siebern 
im Dolfston" ( 2 . Bb., 1785), non 3- $• Reidjarbt in ben „©ben unb Siebern" 
(Berlin 1779), mit Benutjung oon Sdjuty Rtelobie in ben „$rohen Siebern" 
(1781, Rr. 4) unb oon Beethooens Sehrer (I^riftian ©ottlieb Reefe in 
feinem „Dabemecum" (Seip 3 ig 1780); Reefe fdjrieb audj im September 1780: 
„pd}J mifdje mich gern in einen Kreis fröhlicher $reunbe, bie ihren pofal 
ooll achten Rheinweins mit bieberm f)er 3 en ausleeren unb ihr 'Beträgt mit 
Saub ben lieben, oollen Becher’ aus oollet Kehle babey anftimmen." Aus* 
führli^ oerbreitete fich 3ol?ann Abam fjiller in ber Borrebe 3 U feinet Samm- 
lung „Sektes ©pfer" (Seip 3 ig 1790) über bie ein 3 ig mögliche Art unb R)eife, 
in welcher man bas „Rheintoeinlieb" oertonen müffe; feine eigene folgenbe 
Kompofition, breiftimmig ohne Begleitung, ift aber redjt fchtoach unb ent* 
fpricht roenig feinen beachtlichen theoretifdjen Ausführungen. 

3. h- Bofe 30 g „bie herrliche Umarbeitung bet herrlichen % Rtelobie" oon 
S<hul 3 ollen anbeten oor. Aber gefiegt im EDettftreit mit ben 3 ahlteichen Rtit* 
beioerbem hat bie prachtoolle unb h'mteifjenbe Rtelobie Anbr£s unb fidj bis 
heute als bie allgemein geltenbe erhalten. Schubart, ber oon Rtufit mehr oer* 
ftanb als oon Politif, fdptieb ent 3 Üdt in ber „Oeutfchen dhronit": „Bas Sieb 
hat hier bie dinfalt unb ben fröhlichen Anftrid} eines Runbgefangs; brum ift 
es meht Raturfchrei als Kunft. R>ets ’mal gehött hat, fanns gleich nachfingen." 
Übrigens wirb in ben Sieberfammlungen ber erften 3 aht 3 ehnte bes 19. 3aht s 
hunberts als Komponift ber Anbr^fdjen Rtelobie ausnahmslos 3- R- Sd}ul 3 
oermerlt, ein Beweis für bie Popularität biefes Rtufiters; ebenfo fteht in 
bem Dänifdjen Kommersbuch „Sange for Studenterforeninger“ (Kjöbenhavn 
1833) 3 u>at Anör 6 s Rtelobie, als Autor aber auch: A. p. Sdjul 3 - Roch 1850 
»enoanbte SubtoigSpohr Anbr 6 s Rtelobie in feinet Symphonie „Bie 3ahtes* 
3eiten" (op.143), unb 1853 fchrieb Robert Schumann eine „$eftouoerture 
T Ü it Ce f°W9 übet bas Rheimoeinlieb" (op. 123). 1 ) 

., R 3« Rtelobie bes „Rheinroeinliebes" ogl. Dofj, Briefe 2, S. 163. 177; <Ecf, Sieber* 
Wflg. Anhang; $rieblaenber, Das heutige Sieb im 18. 3al}tbunbert 2, S. 248 
15 2501 561; Kre^fhmar, ©efchidjte bes neuen beutf^en Siebes 1, S. 297f. 



198 


Matthias (Elaubius unb fein „Rt)einioeinlieb" 


So bcjeugt fd)on biefer mufifalifche EDetteifer um bas Sieb, mie glücflich 
Claubius beit oolfstümlichen Gon getroffen hotte, eben roeil er gleich empfanb. 
Dem entfprad) auch bie Beliebtheit bes Siebes im Publifum. 3fflanb, bei 
oielgemanbte Bramenfehreiber, ber ftets flug bie Strömungen ber IRenge aus- 
nutjte unb ihre fetDeiligen Siebhabereien fannte, griff bas Sieb auf unb cet ; 
manbte es an mirfungsooller Stelle gegen Sdjlufc bes oierten Aftes in feinem 
Schaufpiel „Bie 3äger" (1785). 3n ber Bühnenprajis bilbete fich bann bie 
©emohnheit heraus, bas Sieb auch om natürlich glücflichen Ausgang bes 
Stücfes als Abfdjlufj 3 U fingen, toie es uns Ghoboroierfi mit unDergleid?lid?em 
©riffel im „Berliner ©enealogifchen Kalenber auf 1787" oeremigt hot. Dafj 
biefe Spefulation auf bie (Empfinbung bes publifums richtig mar, lehrt beutlich 
bie Sdhilberung im Brief ber ©arbetobemAuffeherin bes TRannheinter Gheaters 
unb Schillers $teunbin IRabame ©hriftiane IReyer an 3 fflanbs Sdjroefter 
Suife ©ifenbecher oom 16. 3uli 1789 1 ): „Am Bienstag fpielte (Er [Brocfmann 
als ©aft] in ben 3ägern, ben ©berförfter, bifes Stüd mar 8 Gag oorhet gegeben, 
unb fo bas 3hr Br [übet] mit bem Iauteften Beifall aufgenommen roorben, 
unb am (Enbe mit Rufen unb aplaubiten hertausgetufen mürbe, (Er banfte 
bem Publicum unb fchlofe feinen Bant mit ben Worten 'Am Reihn am Reihn 
ba roadjfen unfere Reben, gefegnet fei ber Reihn, unb alle bie ba mohnen unb 
leben! es mar ein allgemeiner 3ubel; (Er betahm noch nehmlichen abenb, 
oon tjoftellermeifter, herrlichen tBein gefdjicft. Bifer mürbe ben in aller fröhlich 1 
ieit oet 3 ehrt, unb 3hre unb (Euer Aller ©efunbheit getrunfen. Bas Stücf gefiel 
bei Broctmanns auführung mieber fo als men es bas erfte mal gegeben mürbe. 
Auch Brocfmann fpielte oortreffl. unb mürbe auch h erraus gerufen; bifet 
machte ben Schaufpielem unb IRannh- in feiner Role Gompl[imente]. Das 
Publicum lobte fein Spiel, hoch fagten [fie], (Er überrafchte nur, aber 3 fflanbs 
metcher Gon märe fürs fjer 3 ." 

häufig lehren in 3eitgenöffifchen Korrefponben 3 en 3itate aus bem Siebe 
mieber. Rur 3 mei charafteriftifche feien hier angeführt, ©hrtftion ©ottfrieb 
Korner fann ben $reiherrn oom Stein nicht beffer fchUbern als mit (Elaubius’ 

° en: „Stein ift auch einer oon meinen Sieblingen, ein RTann oon acht 
beutfeher Art. 

R)ie mär’ er fonft fo ebel, mär’ fo ftille, 

Unb hoch ooll Kraft unb IRuth?" 

Unb ber junge Heinrich Dofe betreibt ber IDeimarer $reunbin «hariotte 
o. bchtllet bie ©eburtstagsfeier bes Daters 3 U Heidelberg im 3ahre 1807: 

* t m* « n 2aQen fci€tten mix öen Geburtstag meines Baters in einet 

e e |ct)af oon fiebenunb 3 man 3 ig Perfonen, bie meine IRutter geloben hotte.. • 
— jungen m arb oiel auch Schillers Reiterlieb unb ber fjyntnus an bie $teube 

beime? fluS Briefen öer Rtab. Rlcyer an 3fflanbs Sch©e|ter: Wann* 

betmer ®e|<h,d,tsblatter XV (1914), ttr. 6, 3 uni, S. 138. 



Don Eöolfgang Stammler 199 

— urtö bann dlaubius Rheintoeinlieb, toelcfjes in ber Rahe bes Rheins unb 
ber Dogefen nod) einmal fo fjet3li<h Hingt." 

IDie hier dlaubius neben Sdjiller ftefjt, jo bat auch Schiller jelbjt es 
nicht Derjdjmäbt, dlaubius 3 U benutzen: Das Sieb „Dem drbprin 3 en non 
tDeimar, als er nach Paris reifte", ift in Rhythmus unb Rtelobie bem „Rhein* 
toeinlieb" nachgeahmt unb preijt ben Rhein unb feinen IDein. 

Oie ein 3 ige fpöttifd}* überlegene Bemerlung in ber älteten Siteratur 
finbet fi<h bei fluguft Klingemann 1 ) in ben „Blattern aus meinem Reife* 
tagebudje" „Kunft unb Hatur". Oort fprid?t er im erften Banbe (Braun* 
fthtoeig 1823) baoon, bafe bei Afemannshaufen bet IDein als Surrogat für 
ben Burgunber gelten tonne, ba hier fotoie bei daub unb Sorfd} noch Heben 
echt fränfifdjen Utfprungs oon Karls bes ©rofeen 3eiten her müdjfen, toährenb 
biefe anbertoärts fdjon gegen dnbe bes 14. 3ahrhunberts ausgereutet feien. 
„Auf ber $ahrt oon Afemannshaufen", fährt er bann mit ftol 3 er Kritit fort, 
„bis nach daub, mufe bähet dlaubius’ berühmtes Rheintoeinlieb innehalten; 
roenn anbers bie ootübet 3 iehenben dorybanten confequent bei bem An* 
ftimmen ihrer tragifchen ®ben oerfahren roollen." 

Recht im ©egenfafe ba 3 u hulbigte oier 3 ahte fpater unnachahmlich fdjön 
unb feinfinnig IDilheim fjauff in feinen „Phantafien im Bremer Rats* 
feiler" bem Dichter :„dnbli<h, als fiealle gefungen, f(hauten fie auf mich, unb Rofe 
nidte mir 3 U, etroas 3 U fingen. Da hub i<h benn an: 

Am Rhein, am Rhein, ba toachfen unfre Reben, 

Da toächft ein beutfeher tDein, 

Da toachfen fie am Ufer h*u unb geben 
Uns biefen £abetoein. 

Sie laufchten, als fie biefe tDorte hörten, fie nidten fich 3 U unb rüctten 
näher 3 ufammen, unb bie entfernteren Jtredten bie Köpfe oor, als roollten 
fie fein tDort oerlieten. Blutiger erhob ich nteine Stimme, lauter unb immer 
lauter toar mein ©efang, benn es roogte in mir roie Begeifterung, oor folchem 
Publifum 3 U fingen. Oie alte Rofe nidte ben dejet mit bem Kopfe unb fummte 
ben dljotus leife, leife mit, unb $reube unb Stol 3 blidte aus ben Augen ber 
Apoftel. Unb ehe ich öeenbet, brängten fie fich 3 U, brüdten mir bie fjönbe, 
unb Anbteas hauchte einen Kufe auf meine Sippen. 

»Ooftor! * rief Bacchus, ,Dottor, toeld} ein Sieb! IDie geht einem ba bas 
h e *3 auf. fjet 3 ens*Ooftor, haft bu bas Sieb gebichtet in beinern eigenen gtabu* 
ierten ©ehitn?' 

»Rein, duer dj 3 ellen 3 , folch ein Rleifter bes ©efanges bin ich nicht. Aber 
ben, bet es gebichtet, haben fie längft begraben; er hiefe ITCattljias dlaubius!' 

»Sie haben — einen guten RTann begraben,' fagte Paulus. ,TDie llar unb 
muntet ift b ies Sieb, fo flar unb helle toie echter IDein, fo mutig unb muntet 

0 Den hintoeis oeröanfe ich h ans Knuöfen in Stegliy. 




200 ITlatifflas «laubius unö fein „Rheinmeinlitö". Don IDoIfgang Stammlet 

wie bet ©eift, ber im IDeine wohnet, unö gewinnt mit Scf?er 3 unb Saune, 
bie wie ein wütjiger Duft aus bem Römet ft eigen; bet Iftann hat geroife oet* 
ftanben, welch gutes Ding es um ein ©las Iautetn tDeines ift.* 

,^ett, et ift lange tot, bas weife idj, aber ein anberer gtofeet Sterblicher 
hat gefagt: ©utet H)ein ift ein gutes, gefelliges Ding, unb jeber IHenfch tann 
fidj wohl einmal oon ihm begeiftetn laffen! — Unb ich bente, bet alte ITtattljias 
hat auch f° gebacht unter guten Sreunben, hätte ja fonft folch ein fchönes £ieb 
ni^t machen fönnen, bas noch heute alle fröhlichen Rlenfdjen fingen, bie im 
Rheingau wanbeln ober ebeln Rheinwein trinfen.* 

,Singen fie bas?* rief Bacchus, ,nun feht, Doftor, bas freut mich, unö 
fo gar miferabel mufe euer ©efchlecht hoch nicht geworben fein, wenn fie 
fo tlare, fcfjöne Siebet haben unb fingen.*" 

XDohl im ©ebenten an biefe Stelle hat flrtur $itger, bet IHaler unö 
Dichter, in ben Jahren 1876 unb 1877 „bie oier Sänger bes IDeines" Scheffel 
unb hora 3 , ©laubius unb flnafteon an ben IDänben bes „Bacchusfaales" im 
Bremer Ratsfeller bargeftellt. 

3n bas rechte Sicht gerueft 3 U werben oerbient [hier auch bie Betnet* 
tung einet Huslanberin, ber oielfchreibenben Schwebin $tebetife Bremer, 
te um bie Rlitte bes oorigen Jaljrhunberts 3 U ben Sieblingsfchriftfteflerinnen 
bes beutln Publifutns gehörte. Sie benufet in ihrer Reifefchilbetung 'Et 
£ ^ ran Rbenstranden, eller Marienberg och Kaiserswerth 1846’ 
( oaholm 1848) bes alten Bothen Sieb als Seümotio unb finbet gleich im 
Anfang fchöne U)orte, bie beutfeh lauten: ich habe oiele Rlenfchen glüd* 

q gefehen; aber ben glücflichen IRenfchen, ich weine glücflich im höh ct1t 
bmne bes IDorts, habe ich noch nicht gefehen. IDerbe i* ihn finben am 
3tel meiner Reife, an ben Ufern bes Rheins? 


flm Rhein, am Rhein, ba wachfen unfte Reben! 
©efegnet fei bet Rhein! ©efegnet fei ber Rhein! 


So begann ein Sieb, bas ich meinen Dater fingen hörte in ber Kinbheit, 
un as ich fingen unb lieben lernte, ohne es 3 U oerftehen. So fang es jefet 
l< $ mtt öen ITlcinen an einem frönen flugufttage auf bem 
« v?t^° nC ° töia öen R hcin hmunterglitt, oon bet ftattlichen alten 
fr™ x I ? am3 9cn matien &erg, bem 3iele unfeter Reife, währenb eine 
( d?immernöc Wogen, frohe ©efellfchaft, IKufif, reich* 
m , . e Rheinwein bie $aljrt 3 U einem ununterbrochenen S e f* e 

hiitin» ” /c Hoffnungen, wie ber Regenbogen fich wölbenb auf 

mi* mir tU - 1 t t e ' f i( h in öie Seftgefuhle, unb bie Rhn un 0 MW 

wir tnoM Wur t cn Urfac h c haben, ben Rhein 3 U fegnen. Unb was fugten 
©efunbfi<.H. a, t Wd}t öie ©rauben ber $reube, fonbem ber 

h fuchten fie für eine oon uns, bie Jüngfte, bie ©eliebtefte, unb 



Die BefymMung öer Cefture unö bas UmoerfitStsftubium. Don K. (Carftensf 201 


mit ihnen bas tDoljlfein unb öie $reube im $amilienfreife, bes Cebens heften 
IDein. Xt>ir fudjten fic im IRarienbetger Babe; deshalb reiften mir." 

Um in ber Rooelle „Don heut unb eljebem" bie liebeoolle Säuberung 
feines Urgtoßoaters aus ben adliger 3a^ten bes 18. 3a^unberts lebenbig 
aus 3 ugeftalten, toas fonnte üfyeobot Storm Beffetes tun als if?n „bas £ieb 
feines lieben tDanbsbecfer Boten" oot fidj Ijinfummen 3 U Iaffen, „meines 
bie ©efellfdjaft am flbenb bet tDei^nadjtsoerteilung bei einem ©laschen echten 
Rübesheimet an 3 uftimmen pflegte"? 

3n ben dreißiger Jahren bes oorigen Säfulums, als jebe politifdje Regung 
bet Bürgerfreife oon ben ängftlichen Regierungen fotgfam niebergel}alten 
roatb, hatte bas „Rheinroeinlieb" bie fd?öne Aufgabe, in toeldjem 3 erftücfelten 
Deutfdjlanb fo 3 ufagen als „Rationallieb" 3 U gelten, in meinem fi<h alle Deutfdjen 
3 ufammenfanben. Doll biefet Anfdjauung berietet bet Bonner Stubent 
(Emanuel ©eibel, als et jich bei tegnerifdjem IDettet im fjerbft 1835 auf 
einet R^eimeife befanb, an feine IRutter: 

„Als mit aber bem freundlichen Städtchen Bopparbt gegenüber antamen, fpaltete 
fi<h plößlid] bie buntle UJolfenroanb, ein frifdjet Rtorgenroinb trieb ben Riß immer 
»eitet ooneinanber, unb halb roat alles ©eroölf 3 etftteut, bet fjimmel Iadjte befto 
blauet, unb ber Rate Sonnenfdjein ftrömte roarm herunter auf bie Berge, auf 
ben R^ein unb unfet Schiff. Da toatb es au<h auf bem Derbecf lebenbig; bie lang* 
gezogenen phlegmatifchen Phyfiognomien ber (Engländer erheiterten fid}, über bie 
feinen, Augen Sranjofengefidjter fdjtoebte ein freundliches £äd}eln, ein Deutfcheraber 
begann bas Rheinroeinlieb mit oetnehmlicher Stimme not fidj fjerjufingen. Unb 
roie er roeitet unb roeitet fang, fo fiel allmählich ©net nach bem Anbetn ein. 3u* 
leßt fang Alles, toas fingen fonnte, bie Schaufeltäbet fähigen gemeffen ben Haft, 
bielDimpel flatterten luftig im EDinbe, unb oorroärts flog bas eilenbe Schiff ootbei 
an Bergen unb Burgen unb freundlichen Dörfern, unb mit ihm ber fröhliche fjall 
bes Ciebes: Am Rhein, am Rhein, ba roachfen unfre Reben! — Run fage mir Rie* 
manb mehr, baß bie Deutfdjen fein Rationallieb hätten." (sortteguna folgt.) 


ttac^ ujeldjer Seite oerlangt öie Betjanölung öer Sefctüre 
im öeut|d)en Unterricht eine (ErtDeiterung öer Unioerfitäts« 
ftuöien öes Seljrers? 

Don Karl Garftenst 1 ) in Bremen. 

me $rage, roie mit bas Kunftmerf in ber Schule behanbeln fol'en, ift alt unb 
oiele Antroorten finb barauf gegeben roorben. Sie hat 3 aht 3 ehnte hindurch bie beut* 
hen Schulmänner befchäftigt, fie ift auf bem Kunfter 3 iel}ungstag 3 U IDeimar 1903 
auch not ber breiten ©ffentlichfeit oerhanbelt morben. Damals ftanben fiel} 3 toci 
«ufichten gegenüber. Die einen, befonbers bie Künftler unb bie Schriftfteller, mollten 
en Schüler bas Kunftmerf nur gefühlsmäßig erfaffen Iaffen, bie anbetn, beten 
Sprecher R. Celjmann roat, mollten ben Schüler oerftanbesmäßig an bas IDerf heran* 


. ^ öwfaffet, in bem mit einen ftänbigen Mitarbeiter für unfere 3eitfd}tift gefunben 
J Haben hofften, ijt am 6. ©Höbet 1914 im ©efedjt bei £a Potifeie nahe Royon gefallen. 



202 


Die Behandlung der Ceftüre und das llnioerfitätsftudtum 


fügten. £ehmann hat öiefe Anficht ja lange Dotier ausgefprochen, unb er ijt itjt 
roo^l bis ^eute treu geblieben. 3 n {einem Buch „Oer beutfdje Unterricht" unter« 
fdjeiöet er 3 toei VOe ge, bie Öen Schüler 3 um Kunftmerf führen: einmal Öen öer ein* 
fachen Kenntnisnahme, öas märe öer IDeg, öen öer Schüler öer Unterflaffen 3 U gehen 
hätte, unö öann Öen IDeg öer literarhiftorifchen Kritif. (Er will öa etroa $ragen be* 
hanöelt roiffen roie öiefe: IDelches ift öie Quelle? IDas hat öer Dichter öataus ge» 
ma^t? IDelches ift feine Hbfidjt? Iffit melden Bütteln erreicht er |ie? So will et 
Öen Schüler 3 U einem höheren ©enuf; öes Kunftroerfs führen, höheren, roeil berouf)* 
teren. Sch glaube nicht, bafc öiefer IDeg öer rechte ift. tDir roollen ja überhaupt auf 
öer Schule öas Kunftmerf nicht fo feljr 3 um ©enufj bringen als oielmehr 3 ur IDirfung: 
oon öiefer IDirfung oetfprechen mir uns nicht blofe äft^etifd?e, fonöern auch ethifch« 
IDerte; mir glauben, bafc öer Schüler, roenn er oon öem Kunftmerf toitflich gefafet 
toirö, eine ftarfe Cebensbeteidjerung erfährt. Unö nie roirb er fortgeriffen, roenn 
er nach Lehmann berounbernb aufeen ftehen bleibt. 

Die anbetn, öeren IDortführer (Otto (Ernft mar, mollten öas Kunftmerf nur auf 
öas ©efühl öes Schülers roirfen Iaffen, unö 3 mar öaöurch, öafo fie öie ©efühlsroerte 
es IDerls erfchloffen. IDir finö auch mit ihnen nicht uöllig einoerftanöen. ©erolfj, 
mir roollen ein Kunftmerf mirflich erleben, ö. h- mir roollen es unmittelbar erfaffen 
tre öem, mas es uns 311 fagen hat, aber mir miffen, bafe mir auch öas ©ebanflüh* 
etnes Kunftroerfs unmittelbar erleben fönnen. IDenn $auft in öer (Dfternacht bas 
e en als eine £aft empfinöet — IDas man nicht nüt}t, ift eine fchroete £aft —, als 
etne £aft, öie er je$t eben oon firfj roerfen mill, unö roenn öann öer ©hör öer ©ngel 
fingt: ©hrift ift erftanöen - unö roeitet: 


Der bie betrübenbe, 
heilfam unb übenbe 
Prüfung beftanben, 

a ^°^° tcn ' bas £eben ift feine £aft, fonöem eine heilfame Prüfung, bann 
1 W t • a C Ct unmittelbar auf unfere ©mpfinöung: er ift großartig unb fehlet 

Srcu'f “" 5 Unö cr9tei ^ uns - Unö öiefelbe IDirfung hat et auf Öen Schüler, 
. ’' e Y 5 ^ uIer nicht gleich öen ©egenfafc öer beiöen Auffaffungen, roie ¥ 
1 auch öer ©rmachfene nicht gleich M?t — Kuno $tf^er hat mohl 3 uerft auf ihn auf» 
merffam gemalt —; aber öer Schüler fann ihn felber finöen, öer £ehrer brauch! 
E J Ut 3U Icitcn » « braucht fein IDort hn^ufehen. hierin fcheint mit 

rhaup te etne gtofte Aufgabe öes £ehrers 3 U liegen: bei öer Snterpretation muf) 
er emjelnes Dotfichtig unterftreichen, es ift überrafehenö, roie ftarf öann manche Stellen 
rtiAf T* n)irJcn - enthüllen fid> ifym oft liefert, öie er beim eigenen Cefcn 
tAsI* n 1 ^ at ' UnÖ fÜt foIc ^ c *> ü f e ift er meift recht öanfbar. Alfo alle öie ©M’ 
M }<» e <3 es ®^ t ^ s aufleudjten 3 U Iaffen, fie 3 m »ollen IDirfung bringen, bas ifl 
oie eine Aufgabe öes £ehrers. 

mirbw* a ?! f r bci öie f en ® n 3elerflärungen nicht ftehen bleiben öürfen, man 
ober bettl/^T m , U en ' bas P ct *' ro i e ieöes Kunftmerf, als ©an 3 es 3 U überfhauen, 
bei öielim'rfV?? <£,n ^ eitlid l es 3U empfinöen, als ©an 3 es 3 U erleben. Denn auch 
nun eine trw ^°I rim * cs öarauf an, öas Kunftmerf mitfen 3 U Iaffen. Dies ift 
fchmtertge Aufgabe, öie nicht immer gelingt. $rüher beöiente man fi<h 



Don KnrI (Earftcusf 


203 


hierbei öer flnalyfe non aufjen ^er. EDoIjI alle, öie in Öen lebten 3 ah r 3 e h n ten übet 
öen öeutjdjen Unterricht gefdjtieben haben, »amen mit erhobener Stimme öaoor, 
öiefe flnalyfe fdjematifch 3 U betreiben; aber jie machen öoeh allerlei allgemeine Dor* 
fcfjläge, öie »ieöer auf öas Schema hinauslaufen. R. Cehmann nimmt öie flnalyfe 
cot nach öer fjanölung, nad} öen dharafteren unö non ähnlichen ©efiefftspunften 
aus; ©olbfdjeiöet in feinem Buch „£efeftücfe unö Schriftwerfe im öeutfcfjen Unter» 
rieht" in UTatljias hanöbuefj unterfdjeiöet Inhalt unö $orm, unö beim Snhalt $ort* 
fdjreitenöes unö 3uftänöliches unö beim $ortfchreitenöen fjaupt* unö Rebeninhalt. 
4s ift öagegen 3 U fagen, öafj eine folche flnalyfe öas eigentliche IDefen eines Kunft* 
roetles nicht unbeöingt trifft. 4s gibt tDerfe, öie, wenn man fie nach öen dhorafteren 
unö nadj öer fjanölung unterfucht, gan 3 oortrefflich fcheinen, unö öie es öoeh nicht 
finö; wie Doltaires 3alre; unö es gibt anöere, öeten fjanölung »irr unö fraus ift, 
öeren Perfonen uns »ie Drahtpuppen etfdjeinen, unö öie trotjbem tounöerbare 
IReiftertoerfe finö, »ie Doltaires 4 r 3 ählungen: öas Befte, »as er überhaupt ge» 
fchrieben hat. 3a, ich glaube, man öarf fogar fagen, öafe fein großes Kunftoerf auf 
folche Stagen fein innerftes IDefen enthüllt. 

Dann aber fönnen mit folche flnalyfen nicht brauchen. $üt öie $orfchung finö 
fie ja oft nützlich, auch öas negatioe Refultat ift fa für öie tDiffenfchaft mistig; aber 
in öer Schule roollen mir etwas anöeres: uns fommt es immer auf öie lebenöige U)it* 
lung an, mir »ollen e^ieljen, »it »ollen bilöen. tDir »ollen öas £eben öes jungen 
ülenfchen bereichern, unö nur am £eben ent 3 ünöet fidj öas £eben. Das ed}te Kunft* 
»er! abet ift lebenöig, aus öem drleben öes Künftlers roächft es heraus, es über* 
trägt fein £eben auf öen dmpfangenöen, es fann immer »ieöer oon neuem erlebt 
meröen, immer neue Sehenswerte gibt es öen »echfelnöen Rlenjchengefehlechtem. 
Wir miffen heute aber genau, öafc eine flnalyfe non aufeen her öas £eben nicht fafet: 
«nalyfieren fönnen »ir nur öas, roas nicht mehr im Strom öes £ebens fteht. IDir 
fönnen es in alle feine Heile auseinanöerlegen unö in einer fdjönen Überfidjt fchauen; 
©ir fönnen öie Heile nachher auch »ieöer oereinen, aber »as »it öann befommen, 
öas ift nicht öas £eben, fo »enig »ie öas flneinanöeneihen öer Rlomentbilöer im 
Kinematogtaphen öas £eben ift: fjenri Bergfon hot uns alles öiefes über 3 eugenö 
öargetan. IDir »iffen heute, öafj öie IDorte öes jungen ©oetlje aus öer Schüler* 
f 3 ene, öie man immer als eine geniale Daraöorie angefeljen hat, öurchaus unö buch* 
ftäblidj wahr finö. 

EDer will »as £ebenöiges erfennen unö betreiben, 

Sudjt erft öen (Seift heraus}utreiben, 

Dann hat er öie Heile in feiner tjanö, 

Sehlt leiöer nur öas geijtige Banö. 

Das geiftige Banö aber, öarum ift es uns geraöe 3 U tun, unö öeshalb müffen »ir auf 
|ol<h e flnalyfen oer 3 ichten. IDir müffen oielmeht bei öer Betrachtung öes ©an 3 en 
De tfu^en, ohne oorhetgehenöe flnalyfe öen Rlittelpunft öes IDetfs 3 U finöen unö 
Don ^ et aus öann in alle feine Heile hineinblicfen. 4in folget Rlittelpunft ift 3 . B. 
ff a£ ' nes ^thalie öie Dorftellung oon öem hotten, unerbittlichen ©ott öes Alten 
«ftaments, öer öen gehotfamen ©laubigen feine ©naöe gewährt unö öer öie Un* 
f UI <htbar ftraft. Diefer ©ott lebt in allen perfonen öer Hragööie, man 
m oft« fagen, in jeöem Dets; ja, et fpielt felbft mit, et unterwirft fich öie Rlenfdjen: 



204 


Die Beljanblung 6er Celtüre un6 6as Unioerfitätsftubium 


öen Joas, öer fid? in finöltcher ©läubigfeit ifjm gan 3 ergibt, öie Jofabet, öeren müttep 
Ii^e Sorge fie 3 unäd?ft Heingläubig macht, unö enölich öie harte Azalie, öie iijtn 
trotjt, öie fid? ihm mit ihrem gan 3 en IDefen wiöerfeijt, unö öie er jdfUefelid) trium« 
pfjierenö 3 U Boöen wirft. 

Dieu des juifs, tu l’emportes. Ittit öiefen Worten gibt fie ihr Spiel auf. So 
erfdjeint mir öas gan 3 e Stüd, oon öiefem inneren lltittelpuntt aus, in tounöerbat 
gefdjloffener ©nljeitlicfyteit, unö augeröem, ich brauche öas hier nicht weiter ausju* 
führen, in rounöerbar feiner Abtönung öer ITtotioe unö öer Stimmungen. IDie fommt 
cs, bafe fid? oon öiefem einen Puntt aus alles erfaffen läfet? — Weil öies berPunä 
ift,an öem Racine Öen Stoff erlebt f?at. Den Puntt alfo gilt es 3 U finöen. IDieiftöas 
3 u machen? Kein Weg führt oon aufeen 3 U ihm hin, öenn et liegt bei einem anöetn 
u>ert wieöer anöerstoo. 3dj glaube, er läfct fidj lebten (Enöes überhaupt nur taftenö, 
nur füljlenb erfaffen, aber ich glaube auch, öafc öie $orfchung uns feljr oiel nä^er 
an tjn heranbtingen fann als fie es heute tut. IDie bebanöelt beute öie EDiffenfd)aft 
ein literarifches Kunftroerf? 


f «-UJ a ^ emc ' nen DOn bet ftofflidjen Quelle aus unö oerfolgt nun unter 

h mV ~* aTnm * un 9 a ^ et 3cugniffe Öen $ortgang in öer ©ntwidlung öes IDetts. 
,te “ t '.fl*' roas öer Künftler an öer Quelle geänöert t?at unö fud}t öie ©rünöe 
oie|er Deranöerungen 3 U erfennen. Sie geht Öen Iiterarifchen (Einflüffen nadj, öie 
er erfahren, befonöers in Öen oertoanöten Ittotioen unö öen perfonen, fie fuc^t mit 
einer getotffen Dorliebe öie Ittoöelle öiefer Perfonen 3 U finöen. Sie ertennt öie teQ» 
.V* n _ wtoicrigfeiten, öie öer Künftler 3 U übertoinöen hat in öem Aufbau öes Werts, 
1" „ m^VV ™ 9 ÖCt Perfonen ' unt > begleitet ifjn fo bis 3 m Dollenöung öes Stufe 
„'J "f.^'thmg öes Werts feft unö legt öat, mit weiten fprad)lid?en ober lite* 
unj» irü r Mittung erreicht toitö, unö hierbei fpenöet fie freigebig £oi> 

0 uaoei. Alle öiefe Unterfudjungen nun finö nüfcliQ, aber fie geben uns teurem 

f T mcn öcm ö)c f cn öes Kunftroerts nidjt nahe genug. 3»« t »“ 0 
*u »rlr" °x 1Un f überhaupt oerfagt bleiben, öie eigentliche Kon 3 eption öes Werk 
L r J abct f ic Iann - **>eit jenfeits öer ftopdjen Quelle, getoiffe Beöingungen 
c u L f 3 ® p * l ® n au fbeden. Auf einem ©ebiet, öem öer £yrit, hat fie öies aud} dcp 

^ ,, t f „ s „ ^ fefoIg 9eHt 

Stimmt«« u * »• aus e * nem ©efü^t, aus einet Stimmung heraus, unö öiefe 

enblirfc «’ 9 r^ at ld? Ö,C rDiffen ^ a f t bemüht 3 U erforfdjen. (Es ift ja betannt, wie um 
bat m« v™"« 0U f ® 0etf?es Btic f en u «b Tagebüchern für feine £yrif gewonnen 
©eöicbte V« ®lL C r nfd?aft * ier öem £e ^er gibt, öas befähigt ihn öurdjaus, ©oethefö« 
Bebonhfimn x ^ Ctn na ^ e 3 u btingen. Anöets liegt nun aber öie Sache bei öer 
anaebeutotL « r, ta f! lcn ‘ ^ iet W cs mci nes Wiffens im toefentlidjen bei öer oben 
öenni*t««£ Be ^ anMun 0 geblieben; unö öie bringt öen tünftigen £ehrer entfdjie' 
muna tn-ßi« *5 6< * S 05611 l?cran * m<m Der i ucf ?t hier 3 war auch auf öie Stint' 
beimVeöidJ b f im 0tama beöeutet öie Stimmung etwas anöeres als 

blid feine ©ettait * 3 6 aus f* ct s ü mm ung geboren, es empfängt im flugem 

öes ©oetbefeben au< \ no ^ nid i t bie le^te äufeete $orm. Die örei gaffungen 

aber öer ©rimhtn mV V” ÖCn ° loni> u,ci( ^ en i a 3temlich ftart ooneinanöer ab, 
im Augenblick 6 * V?J-T” tDieöet berfelbe. Anöers öas Drama. Das ift nicht 
' öas befdjaftigt öen Künftler lange 3 eit, oft öurch Jahre, unö öas 



Don Karl Carftensf 


205 


fann nicht auf bie Stimmung allein geftellt werben. Denn bie Stimmung ift etwas 
Dorübergehenbes, $teube unb Stauet, Übermut unb 3attfinn wechfeln geraöe bei 
fenfitioen IKenfchen, unb bas |inb ja meift bie großen Kiinftlet, fe^t tafdj: ©oethe 
hat in eben bet jeit, in bet et firf? an ben tollen, betben Streiken in IDeimat betei* 
ligte, bod} auch gan 3 anbere Stimmungen getannt, wie bas tounbetbate, traumhafte 
©ebid}t be weift: 

EDarum gabft bu uns bie tiefen Blide. 

Unb wenn an einem Sage bas fjerj ihm weh unb wunb war, wenn et an ©harlotte 
o. Stein badete, bann hat et nach feinem eigenen ©eftänbnis am nächften Sag „mit 
IHijeht fittem" tonnen. 

Oie Stimmung alfo wedjfelt oon Sag 3 U Sag, oft oon Stunbe 3 U Stunbe, unb 
beshalb tann ein Otama, bas lange 3 eit ben Dieter befchäftigt, wohl nie auf eine 
einige Stimmung geftellt werben. (Es ift uns gar nicht oiel bamit gebient, wenn man 
uns beim ©grnont Don bem Dämonifchen et 3 ählt. Die Stimmung ift wohl batin, 
aber es ift nicht bie Stimmung, aus bet bas gan 3 e tDerf hetauswächft, unb man 
roütbe gewiß gar nicht fo oiel baoon teben, wenn nicht ©oethe felbet, wenn auch 
3ah t 3«h n i* nach bet Kon 3 eption bes ©gmont, bie Aufmerffamfeit auf eben biefe 
Stimmung gelentt hätte. IDit müffen bie Bafis bes Dtamas anbetswo fudjen als 
im Gefühlsleben bes Kfinftlets: IDit müffen bie tDelt [einer ©ebanten etfennen lernen. 

Oet Künftlet erfährt ja nicht nur ben ©influß bet £itetatutwet!e, et wirb, wie 
jeher anbete OTenfch, beeinflußt oon Dingen unb TUenjchen, non großen unb fleinen 
$tagen feinet 3eit, unb et fühlt fich, je nach her (Eigenart feinet ITatur, oon bem 
einen ange 3 ogen, non bem anbetn abgeftoßen, bis et bie Dinge unb bie 3been in ihtet 
0 iftan 3 3» feinem eigenen tDefen, in ihrem IDert füt ihn felbet richtig erfennt. Dann 
tagen mit oon bem ntenfdjen, et habe fich eine tDeltanfdjauung errungen. Dies ift 
nun bet Punft, ben bie Sorfdjung bisher !aum 3 U etfennen oerfucht hat, bies ift bet 
Punft, ben wir etfotfehen müffen. (Erft wenn wir wiffen, wie bet Künftlet 3 m 3eit 
bet (Entftehung feines IDetfs bie IDelt anfehaut, etft bann fönnen wir bie 3 ntet= 
pretation auf eine fixere ©tunblage ftellen. Denn bie tDeltanfchauung wechfelt 
nicht wie bie Stimmung, bie erringt fich bet ÜTenfch unter Qualen unb aud} $reuben, 
bie oetteibigt et gegen alle, bie fie ihm entreißen wollen, unb meift bleibt et ihr 
fein gan 3 es £eben treu. EDenn wir bie etfennen, bann etft Derfteljen wir bie Sprache bes 
Kunftwerfs, etft bann fönnen wir auch ©Übelheiten fo auffaffen, wie fie gemeint finb. 

Das 3aht 1905 hat uns ein fdjönes Buch gebracht, bas, glaube ich, ben Anfang 
eines neuen tOeges füt bie litetarifche $otfchung bejeidjnet, es ift „Das ©rlebnis 
unb bie Dichtung" oon IDilhelm Dilti?ey. Diefes Buch bringt ein Kapitel mit bet 
übetfdjrift: £effings tDeltanfchauung. Das ift es, was wir wiffen müffen, was uns 
,e Satzung bis heute aber nicht gibt. An einet Stelle feines Buches ftellt Dilthey 
et Sotfhung 3 wei Aufgaben, ©inmat foll fie feftftellen, was bet Künftlet aus bem 
eben entnommen hat. Das hat fie bishet getan, wenn fie auch, fügt Dilthey h* n 3 u > 
nh nid}t immer ihtet ©ren 3 en bewußt geblieben ift. fjicrin hat et gewiß Redjt. 

ohet bet Künftlet alle bie Ütotwe entnommen, wohet alle bie 3 üge feinet Per* 
joner^ bas wirb bie $orfd}ung nur 3 U einem getingen ©eil feftftellen fönnen. Daß 
°e he an $tau 0 . Stein öad}te, baß et fie im fjet 3 en trug, als et bie 3phigenie fchuf, 
as tD0 ^ en ®ü 9 e *n glauben, aber ift fie batum bas IHobell bet 3phigenie? Ejat et 



206 


Die Befjanölung öer Eeftfire uni» öas UniDeifitätsftuöium 


öie 3pl}igenie roirtlid} nad) intern Bilöe gefdjaffen? 4t felbet et 3 äl)lt uns m bet 
3talienifd)en Reife Dort einet heiligen flgatbe, öer et im (Seift feine 3 ptjigenie dop 
Iefen würbe; feine Jjelöin foll nichts fagen, a>as öiefe heilige nicht ausfptecf)en möchte. 
Das wate ein 3 weites Ifioöell. Bei welchen liegt öet Sdjlüjfel 3 U öem XDefen 5a 
Gmedjin? RTan öatf überhaupt bei öem Suchen nacfj öiefen AToöellen eines nid)t oep 
geffen: öie Kenntnis öes IRoöells ift im biogtaphifd?en Sinne gewife nüt;Iid), jie 
tommt öet Kenntnis öes Rlenfcfjen im Künftlet 3 ugute; öet Iebenöigen, unmittel’ 
baten IDirfung öes IDerls ift fie aber getaöeju hinberlid). IDit follten in öet Schule 
nut recht Dorfidjtig non öiefem Rio belle (Sebraud) machen. 

Die 3 ®eite Aufgabe öer gotfdjung toäte nad) Dilthey, „öie RIomente öet £ebens-- 
erfaljrung auf 3 U 3 eigen, welche Öen Dotgang öet (Seftaltung aus öem gegebenen 
Stoff öes Gebens beftimmen". Aus öiefet Aufgabe nun etwäd)ft öet gorfdjung 
ein neues, unenblid} weites (Bebiet. 3nnädjft öie $tage nad) öen großen Problemen 
öet 3eit, unö bann öie 3 toeite: IDas erfafet öet Künftlet banon, was lehnt et ab, 
worin etblidt et witflidje IDerte? Das witö 3 u öem Detfud) fügten, wieöet öas IDefen 
großer 3eitftrömungen 3 u erlernten, 3 U öer $rage: IDoöurd) waten fie Öen 3®*^ 
noffen wettDoll? Sollen gtagen ift öie tDiffenfrfyaft ja^e^ntelang aus öem IDege 
gegangen; etft in Öen lebten 3al)ren werben fie wieöet geftellt. Das IDefen öet 
enarffance fudjt 3 u ergtünöen K. Buröad) in feinem Attifel in Öen Berliner Si^ungs* 
berichten oom 3<d?re 1910, unö immer wieöer nad} öem IDefen öet literatifdjen 
romungen, non Öen englifdjen Komööianten bis 3 ur Romantit, fragt (Sunöolf in 
fernem Bud} „Sfjafefpeate unö öet beutle (Seift": öas Buch leiftet öaöutcf) öem 
teeret öes Deutfäen aufeetoröentlid) gtofee Dienfte. Den (Seift öet 3 eit, Öen gibt et 
tiL'] U .® t ^ cnnen ' un ö 3 mat in allen feinen drfd)einungen. Det tjiftoriler, öet 
uttf ptf Order, öet Pljilofopl}, fie alle mögen an öiefet Aufgabe arbeiten, öet Iite* 
tatiftpe gotfdjer aber mufe fid} übet alle öiefe gragen unterrichten, wenn et öet einen 
gtoBen Aufgabe, öas Derijältnis öes Künftlets 3 U allen öiefen 3 eitfttömungen, feine 
IDeltanfdjauung 3 u erfennen, geregt werben will. 

Denn Jüchtenberger, öet beöeutenöfte Dertreter öet öeutfdjen Philologie an öet 
mnt» 9 ®^ nns auf öem Reuphilologentag in Bremen e^ählt, in granfreid} 3 teh e 
Dn««* x ^ ot ^ ur, 9 «i«er (Epoche auch öie Philofophen, auch öie 

t AiA* CI v ” ^ etan ' ^ enn öie ®efd}id)te öet beutfefjen Citeratur fei eine 3been* 
Um-u? ®T öct ® c ^ id ? te öet Philofophie etwa gar nic^t 3U trennen. 

*S. U ? ete S ot fd} u ng hätte fich auch erft 3 u öiefem Stanöpunft butd}' 
LJf* Dte Sran 3 ofen haben ihre eigene Citeratur fchon längft na<h öiefen <Se- 
!f f ° t|d?t - $üt öcn fran 3 öfifchen $otfd}et gehört es öa 3 u, fid} mit morn 
tagne Deseartes unö Pascal, im 18.3ahrl}unöert mit Code, im 19. mH dornte unö 
ausei ««nöer 3 ufehen, unö längft finö öie gtofeen Denier feft mit öet «** 
ftamörifA e, ® cnt i 1< ^ c " Literatur oetwoben; unö öeshalb ift es uns fo fel}t oiel leister, 
EW in ^ tem ^iHelpunft 3 u etfaffen. Unö wenn man ^eute 

wentJ „ITL ° ! V £? Ö,C neue £an f°«föe Schule fich »on öiefen Problemen ab» 
für Cantorf v * T Ut ^ cn Sotfchung nachftrebt, fo irrt man fid}. Die Probleme finö 
UchSte öut*n en « Ti Öic m ^ oöc er «nöent. dt will öie gan 3 e «elftes; 

%mm befStÄT' 6 '" 1 ®" 3 " l!eit ,0 “ bele9 ‘ " 



Don Karl larftensf 


207 


Denn 6er $otjdjung ijt 6ie ( 5 eöan!enjdjidjt öurdjaus 3ugänglictj, aus 6er 6as 
Kunjtroetf emporfteigt: öie IDeltanjdjauung eines Künstlers ift erforfdjbar. IDenn 
roir ©oethefdje Briefe lefen, 6ann fehen roir, wie ihn öas (Erlebnis immer roieber 
3um Hadjöenlen übet bas £eben führt; roie er fich immer bemüht, jirfj über fich felbft 
Har 3U roetben unb bie eigentliche Bebeutung, ben eigentlichen IDert bes £ebens 
3U etlennen. Als et am 16 . 3 uli 1776 mit ben fjufaren non flpolba 3utüdreitet, 
„ba fiel mit’s auf bie Seele coie mir bie ©egenb fo lieb ift. . . bas £anb, roo Du fo 
Diel gefunben ^aft, alle ©lüdfeligteit gefunben haft, bie ein Sterblicher träumen batf, 
tDo Du 3tDifd)en Behagen unb mißbehagen, in eroig flingenbet ©jiften3 jchroebft". 
Unb eine tDoche fpäter, aus Ilmenau: „£iebfte, ich habe oiel ge3eichnet, felje aber 
nur 3U roohl, baß ich nie Künftler roerbe. Die £iebe gibt mit alles, unb roo bie nicht 
ift, brefch ich Stroh • • • 3 <h habe »iel gefr^elt, feit ich h' et bin, alles leiber nur oon 
fluge 3ur Ijanb, ohne burchs fjet3 3u gehen, ba ift nur roenig braus roorben. (Es bleibt 
eroig roaht: Sich 3U befcfjränfen, einen ©egenftanb, roenige ©egenftänbe recht be* 
bürfen, jo auch recht lieben, an ihnen hängen, fie auf allen Seiten roenben, mit ihnen 
Bereinigt roetben, bas macht ben Dichter, ben Künftler, ben RTenfchen." Sollet 
Stellen bieten feine Briefe bie Sülle. Die IDelt biefer ©ebanfen nun müßte ergrün* 
bet roerben, es müßte oerfudjt roerben, ihren Schroerpunft 3U finben: unenblich ©iel 
tDürbe man für bie Kenntnis ber tDeltanfdjauung bes Künftlers baraus gewinnen. 
Das ift eine Arbeit, bie bie gotfdjung butchaus leiften !ann. Das Unioerfitätspro* 
gramm IDechßlets „IRolibre als Philofoph" bebeutet einen Derfuch, unb 3roat einen 
recht erfolgreichen, nach biefer Richtung. Bisher hat jich ja bie literarifche $orfchung 
biefes große ©ebiet fo gut roie gan3 entgehen laffen, unb beshalb ©oetljes $auft, 
bet non Anfang an bie $rage nach ber Hatur unb ber Beftimmung bes RTenfchen in 
ben Dorbergrunb fchiebt, um fchließlich nach ber Bebeutung bes menfchlichen £ebens 
überhaupt 3U fragen, nie erobern tonnen. IDenn man im Befiß eines Kollegheftes 
übet ben $aujt 3U Kuno Sifdjer tommt, bann tut fich einem eine neue IDelt auf. 
Unb roie unenblich t>iel roertooller ift uns £ehrem bet draumannfche $auftfommen* 
tat als bet oon IDitforosfy. IDenn roir draumann lefen, bann fühlen roir alle: fo 
muß es gemacht roetben, fo muß auch bie 3 phigenie, ber dajfo tommentiert roerben, 
nut fo etfdjließen fich ©oethefche Dichtungen, nur fo tann man in ihre diefen hinab* 
Mieten, hierher muß bie IDiffenfchaft, fie muß herunter oon ihrem rein hiftorifchen 
©ebiet. Sie muß es tun, nicht um ihr Arbeitsfelb 3U oerbreitem, fonbern um (ich 3U 
oertiefen. hierher muß fie ben Sdjroerpuntt ihrer dätigfeit oerlegen, benn biefes 
®ebiet ift uns bas roertoollfte. Unb nicht bloß uns, fonbern bet gan3en großen Blaffe 
bet ©ebilbeten, bie heute oolltommen bas Derftänbnis für bie Arbeit oerloten hat, 
bie unfere Philologie leiftet. ©s fdjeint mit geroiß, baß bie IDiffenfchaft biefen neuen 
® e 9 befdjreiten roirb. Die Dorboten finb ba: bas Buch non Dilthey, bas in acht 
3 aht*n oier Auflagen erlebt hat, bas Buch DOn ©unbolf, unb bie beiben Büch er übet 
©oethe oon Simmel unb ©hamberlain. Dor allem aber forbetn biefen IDeg hunberte 
»on £ehtetn an Deutfchlanbs Schulen. 

U)ir roollen bie IDeltanfchauung bes Künftlers fennen lernen, beffen IDetle roir 
interpretieren follen; bas ift ber Boben, aus bem bas Kunftroert herausroächft, bas 
|jt bie große Schicht, in bet es rour3elt. Dahin geht unfere §orberung: ich bente, 
l*e ift berechtigt unb fie läßt fidj erfüllen. 



208 


Dos Dolfslieb auf 6er Ijöfjeren Sdjule 


Das Dolftslieö auf öer fjöfjeren Schule. 

Don Sra«3 Karl Beder in Köln. 


Die $oröerung, in öer Durcbforfdjung öet Dergangenfyeit oölfifdjer Did)tfun|t 
unö (Beiftesentoullung ein feljr imdjtiges Bilöungsjiel 3U ernennen, fteljt über allem 
Streit, mithin öürfte es an öet 3 eit fein, öer Pflege öes Dolfslieöes mefc 3uneigung 
als bisher 3U gönnen, öa öiefer 3 n>eig öer Kunft ein tDefentlidjer Beftanöteil oom 
©eift »ergangener ©pod;en ift. Die oielfadjen Bejie^ungen öer Dollsöicbtung ju öer 
altbeutfdjen Dichtung, Dorne^mlidj 311m DTinnegefang, laffen eine genauere Kennt 5 
nis fd?on aus ©rünöen öet nriffenfäaftlidjen Dorbilöung wünfeben. ©s wirb öie 
toiJ tigfte Aufgabe öer geraöe gegenwärtig fo regen Dolfslieöforfäung fein, öie ©nt« 
wtmurtg öiefer Dichtung, öie Derbinöung oon alter 3U neuer ©podje, feftjufteHen. 
u^ öer ©influg öer Dolfsöidjtung auf öie funftgemäfee Dichtung bei Öen beften unö 

meiftgeachteten Dichtem öer neueren 3 eit barrt genauer unö 3uoerläffiget ©tmitt« 
lungen. 

Die Detfudje, öem Doltslieö auf Öen Ijöljeten Spulen öie iljm gebü^renöe Stel« 
ung un ©eitung ein 3 uräumen, tun öar, öafc öie Sd?ule öen behertfehenöen Strö» 
ntungen öer wiffenfdjaftlidjen Sorfchung nicht nachhintt. Die faft un3ä&ligen Samm« 
lungen öet lebten 3 a^re, öie gefunöe Iteigung öer 3 ugenö 3um Doltslieö haben öie 
er ng ötefer Dichtung unter öer afaöemifd^en Cebterfdjaft ohne 3 ®eif e i non 
neuem angeregt unö 3U einer ©tyebungsfrage oon befonöerem Belang geftaltet. 
Gegenwärtig öürfte hoch roofjl bei allen perfönlidjteiten oon ©efchmad unö regem 
Hrbeitsroillen öte flnfidjt oorberrfchen, öafe öie öeutfehe Dolislieöeröichtung aud? ein 
aeti t|t oon öem unoerlierbaren geiftigen Befifc, Öen wir oon ruljnwoller ©röfee unö 
ou efqei ener Csutweröung ererbt haben unö weiter oererben. Denn ebenfofebr 
a } s ^tofee ©et! eines wohlberufenen Dieters fpiegelt öie Kunft öes Dolles in 
E. Ä-ttV" Penöd | d?Ia 9 öet menf^lidjen Sebnfucht, ©eltfreuöe, tDeltleiö, 
Kitnw* ’ S * a r ! ©rgreifenöe bei beiöen, öer tieffte ©tunö unö Ketn aller 

c, 9 cn es, ftartes ©rieben in ein Spiel oon Dorftellung unö ©mpfinöung 3« »er« 

cilx !® e, L cn nut 3U<ft cs au f unö »errät, im großen Kunftwerf wie im fleinen 
fcbenle'bens ift ^ Ö ^ eS ^ un W^ a ff ens u «b in gewiffem Sinne auch öes Ulen« 


uns oies neu Ueöletn erftmals fang, 

®* bafs gar ©ol}I gefungen. 

©r baf s Öen IKägblein auf öet lauten gefpielt, 

Die Satten fein ibm jetfprungen. 1 ) 

S*uröi*i?^ l 0 ^ 0 P ^ i !x ÖCS t)oIfsIieöes roitö alfo jene öer feit 3abr3ebnten erprobte) 
von r£m 1 ?T ^ Umf ^ rCn * Sic 0)116 W gefährlich «nf<hmiegen als ei, 
lieö lLrär n ^A Alr * n t D !! tDanWcS ® c fä öp f- Da 3 “ lommt, öafc öas öeutfdje Polls 
öiitunn m 9 Ü ? ld?t , i t . bchad?tet ' cin »“^ 9 « Beftanöteil öet öeutfeben ©efamt 
jPert non 1 a ^ CS ' a ^ eti ^ Detrae^tet, ein ©Zeugnis ift oon hohem lünftlerift^en 
->-on er natürlichen Reinbeit unö öer fcfjlichten Schönheit einfacher ©P° 


1) mittler, Deutfcbe Dollslieöer. S ranlfurt 1865, S. 12. 



Don 5ro"J Karl Becfer 


209 


djen. Diefe Geber haben Öen ausgefptodfenen ©hatafter öer Dolfsjugenb, finö gan3 
3n{/a(t, oerfchmähen öie formelle Dollenöung. Sie ent[pringen gan3 öem oorgleiten* 
Öen, oerftrömenben < 5 cfüfjl, unö öer ftreng otönenöe Derftanb hat feine macht 
über fie. ©erabe öesfjalb aber be3eugen fie öie Art unö Raffe öes Dolfes, öas fie ge« 
bittet unö gefungen hat, feinen Kunftfinn, fein Seinen unö feine geiftige Befonberheit. 

lüenn mir nun 3um naioen ©enufe öes Dolfsliebes erjiefjen »ollen, fo muffen 
mir 3unädjft öarauf oerjidjten, in öiefen Gebern öas logifch ©eorönete, ©efetjmäfeige 
unö ftets Sinnoolle öer funftgemäfeen Dichtung au^uftöbern. Das Dolfslieö gleicht 
öem Dolfsgefptäch. (Es beroegt fich in oielgebrauchten Reöeformeln oon faft grober 
Plaftif. S«ini}eiten öer geöanflidjen oöet rhythmifdjen Durchführung finö nit^t all* 
3u^äufig, öa, »o fie auftauchen, bismeilen öer Kunftöidjtung entlehnt. Aber »ie im 
Dolfsgefprad} h°t aud} im Dolfslieö alles öiefes fcfjeinbar £eere, Hidjtsfagenbe feinen 
Sinn, feinen Selbfi3»ed, mufj fo fein, »ill es bei öer Art bleiben, mufc in öiefer faft 
Ijilflofen Unbereöt^eit, in öiefem Dotliebnehmen mit oielgebrau^tem Spracfygut, mit 
f<hlid}ten Bilöern unö leeren tDenöungen feinen Ausörud fudjen. (Es ift Dolfsfpradje, 
nicht öie hoher, geiftiger Derfeinetung. Sljten Rei3 fafjt man nicht unö finöet man 
nicht, »enn man öie fyellflingenöe $rifdje mit öem flügelnöen Derftanöe analyfiert 
unö fe3iert. Das Dolfslieö fann fidj auch feinem gan3en IDefen nach nicht offenbaren, 
©enn man es nur lieft unö »ieöerlieft. (Es gibt nur ein mittel, alles an iljm beöeut* 
fam 3U machen, öiemeloöie. Dolfslieöer finö nie unö nimmer 3um £efen, fie finö 3um 
Singen öa. Das gelefene Dolfslieö ift halbe Sache, ift feelentos, Seele unö £eben gibt ihm 
etfi feine meloöie. Die meloöie erft gibt öer $oIge fdjlidjter IDorte, naioer Begriffe, 
einfadjfter Bilöet fo oiel Sinn, öaf} öas ©an3e in feiner Urfprünglidjfeit unö Unoer* 
fälfdjtheit oor uns fteljt. Selbjt öann fdjon, »enn bei öer £efung öie meloöie in unfrer 
(Erinnerung mitfdjroingt, gewinnt öies Ganagta öet lyrifdjen Kunft an (Einötud. 
A^nlic^ verhält es fich mit öem minnegefang. Unter Öen Gebern öes fjertn UJalter 
fäätten »ir öie am meiften unö haben fie am lebljafteften in öet (Erinnerung, öie Öen 
natürlichen IDohllaut unö XDo^lüang öet Sangbarfeit befitjen. man ^ordjt, »enn 
man fie lieft oöet fpridjt, gleidjfam in öie längftoergangene Staufer3eit 3urüd, öa öie 
verlorne IDeife noch in aller lUunöe »ar. „Unter öet £inöen, an öet fjeiöe", oöer 
„HTuget il}t flauen, »as öem maien" finö fo fangbar als irgenöein Dolfslieö unö 
verlieren oiei oon ifjret eigentümlichen Art, »enn man fie eben nur lieft, ©b mdjt 
geraöe öiefer Umftanö öer ©runö bafür ift, öafe felbft öie beften minnelieber Gteratur 
bleiben. tDie fdjroet ift es, fie in einet Klaffe als beöeutfame Kunftgebilöe einörüd* 
lid} ooquftellen, öa oon öet unterften Stufe h er öie fjcrbc tDudjt, öie logif^e ©e* 
fdjloffenheit öet Batlaöe unö öie ftrenge ©efejjmäfeigfeit öet Kunftiyrif oorherrfchen. 
lüit öem Dolfslieö hotte es, »ollte man allen (Emftes mit feinet Pflege beginnen, 
biefelben fdjroeren Beöenfen. U)ill man öas 3arte ©ebilöe nicht unter allerlei (Et* 
ötterungen begraben, bleibt nichts übrig, Öen (Einötud 3U oerftärfen. Kinöet hoben 
nicht inneres (Erlebnis genug, nicht Dielheit öet feelifchen (Empfinöung genug, um Öen 
Kunftwert eines lyrifchen ©ebichtes oollauf 3U erfaffen. Die (Empfinöung öet 3 ugenb* 
fahre ift in öer Regel 3U einförmig, unö mon fann fidj leicht öaoon übet3eugen, 
©ie »enig fritifchen ©efchmad eine Klaffe junger menfchen, männlein oöer UJeib* 
lein, befitjt. Das feine 3 neinanber oon $orm unö Snhalt, U>ohlflang unö Sdjlagfraft 
bet Rebe, öie Steigerung im ©eöanfengefüge, öie Stimmungsmittel, alles öiefes, 

3«it|d|r. f.6 3«t|ditn Untmtd,t 29.3oI)tfl. 3. t)«f‘ 14 



210 


Das DoRsßeb aaf der f|öf>mn Schule 


öas IDefen des lytifdjen ©ebichtes ausmachenb, geht mehr ober minder roirtungslos 
Darüber, roie fcljt man audj bas Derftänbnis foldjer Dinge 3U erjielen fudjt. 

Dolfsliebet Iefen, rote man Balladen lieft, ift alfo fidjerlidj fein geeigneter IDeg, 
unb bie £efebü<her, bie ein halbes ober gar ein ganjes Dußenb Dolfsliebet enthalten, 
bejeugen noch lange nicht, baß bas Dolfslieb auf ben höheren Sdjulen hinreidjeni 
gepflegt roirb. tDill man aber bas Dolfslieb gan3 unb gar bem ©ejangsunterridjt 
überroeifen, ergeben fich neue Bebenfen. Die Pflege bes ©efanges oon Doli? 
liebem, bie Kenntnis eines 3iemlirfjen Scfjaßes ber beften Dolfsliebet fönnen ttidjt 
bem ©efanglehrer allein überlaffen bleiben, ^ier greift a(l3ufehr $a<h in $adj übet, 
unb ber ©efanglehrer dürfte bei feiner geringen Stunben3al}l faum ^irtteidjenb 
©elegenheit ^aben, Kenntnis unb Belehrung im notroenbigen Umfang oorjuneljmen. 
Außerdem oerbraudjt er einen großen ©eil feiner Stunben ba3u, $eftchöre unb <I^oräle 
ein3uüben. IDtll man alfo mit ber Pflege bes Dolfsliebes auf bet höheren 5d?ule 
<£mft machen, fo finbet fich bei ber bisherigen Ordnung ber Celjtfädjer roenig Kaum 
unb 3eit. 

UDem flnfdjein nach roill man aber (Emft machen. 3n ben £ehtplänen für bie 
höheren Utäbdjenfchulen finbet fid} folgenbe Beftimmung 1 ): 

« 3 ebe Sdjule foll einen Kanon oon fangbaren Dolfsiiebern haben. Diefer ift roäbwnb 
oer gan3en Sdjuljeit lebenbig 3U erhalten, bamit bie Sangesfreubigfeit in unfrem beutfd|«i 
üolte bewahrt bleibt unb gemehrt roirb. (Einoernehmen mit bem ©efangunterridjt ift burdf 
oen tehrplan ber einjelnen flnftalten fiche^uftellen. (Es ift empfehlensroert, möglidjft häuf <9 
ote oeutfthen Stunben mit bem (Befange eines Dolfsliebes 3U beginnen, roenn biefes nid)t 
bem ©ange bes Unterrichts eingegliebert roerben fann. Uebes £ieb foll ftimmungsooü ge 
jprochen roerben, beoot es gefungen roirb. Der Detfaffer unb Komponiften babei 3U geben* 
fen, ift Danfespflidjt." 

Ulan oermißt 3roar eine folche deutlich hinroeifenbe Beftimmung in Öen 
planen für die höheren Knabenfchulen. Doch find auch h»ct We ©eifter am U)erf. 
Um 11. Ulai 1914 gab der ©eheimrat Schmidt oon der Preußifchen Stoatsregierung 
im Abgeordnetenhaus eine wichtige (Erflärung ab. (Es fei, führte er aus, oon befon* 
derem UJert, roenn die alten Dolfslieder roieder mehr als bisher auf den Schulen 
roürden. fluch toies er auf die flusroahlfchaft oon Ulätmem hin. bie bamit 
befchaftigt find, die alten Dolfslieder famt den eigentümlichen Ulelodien 3» f atnmeIn 
un an Hag 3U geben. Befanntlich roird diefc Arbeit unter der befonderen 3nneigung 
und $ördetung des deutfchen Kaifets ooII 3 ogen. 

Solche flnroeifungen und Äußerungen geben an, daß man es oielleidjt noch er* 
leben wird, das Dolfslied auf den höheren Schulen in dem Ulaße gepflegt 3U W« 1 - 

CS J e * nem entfpricht. IDie roird dies nun, ohne Detmehrung ber Stunben* 

jahl, alfo bei dem bisherigen Unterrichtsplan möglich fein? Statt der ITtutma&ungeit 
un rei ^begründeten $otderungen mögen hier einige ©ebanfen 3Ut beliebigen An¬ 
regung folgen. 

(Es ift fchon ausgeführt roorden, daß Dolfslieder nicht nur gelefen, fonbern ge* 
fungen roerben müffen. 3unächft roäre es, abgefehen 00m ©efangunterricht, 
gäbe des deutfchen Unterrichts, Dolfslieder 3 u fingen. Dies gedieht auch bereits 

öa & £e ^ ter fi«h »or der Heuerung nicht fd?euen unb es 
J?L?!!l$m o ^en, ihre 3öglinge roährend des Unterrichts ein £ieb fingen 3U laffen 

P h- ©ülbnet, Die £ebrpläne für £y 3 een ufro. halle 1912 , S. 42 . 



Don $ran 3 Karl Beder 


211 


4 s entfpridft ohne 3 toeifel öutdjaus bem (Seifte eines frifchen, ge^haften Deutfeh* 
Unterrichts. 3 n Öen £ejebüd}ern öer unteren Klaffen ftefyt manches fangbate £ieb, 
öas 3um Dollsgut geworben ift, öeffen fllelobie befannt ober leicfjtfafjiidj unb fdjnetl 
gelernt ift. tDie oft fomntt bem Center bei Raturfchilöerungen, bei Zahlungen 
oaterlänbifeher Begebenheiten bet (Bebanle, bag ein £ieb mohl angebracht märe. Derfe 
unb ntelobie finb betannt, abet bie Scheu oor ber folgenfchmeten Heuerung tritt 
hemmenö 3roif<hen tDunfdj unb <£rrtfd}Iufe. Oie Stifdje unb $reube, bie ber (Befang 
ausftrömt, mürbe namentlich in ben lebten IKorgenftunben unb im nachmittags* 
unterricht oon befonberer Bebeutung fein, er mürbe aufraumen mit aller Unluft, 
Schlaffheit unb £angeu>eite, mürbe roirtlich oon fjet3en auffrifchen unb neu beleben. 
4 rinnert man fich hoch 3eitlebens ber frohen Jugenbtage, ba man in ber Schule ge* 
fungen hatte, ba man, bie IReloöie unermüblich mieberholenb, nach häufe ging. 
4 ine Stunbe, in bet beim Beginn ober im flnfdjlug an eine Säuberung ober an eine 
dhgählung ein geeignetes £ieb gefungen mirb, !ann nicht oerloren fein. Oer beutfege 
Unterricht erleibet feine (Einbuge batan, et »erlangt ben (Befang fogar, ba ein groget 
leil ber (Bebichte, bie bas £efebudj enthält, 3um (Befang oon ihrem Urfprung her be* 
ftimmt finb unb ihren oollen tOert erft burch ben (Befang erhalten. 

Oer hohe bilbenbe IDert bes (Befanges unb ber ITTufil überhaupt ift für bie 
3 ugenbbilbung 3toar längft erlannt, hoch menig in feine Rechte gefegt. Oie Rtelobie 
fagt bem Kinbe bas, mas es an bem (Bebichte felbft noch nicht Kar erfaffen fann. Oenn 
bie JRufi! greift tiefer in bie Rlenfchenfeele als bas tDort, ihr flusbrudsoetmögen ift 
roeiter begren3t unb hat eine oiel mehr umfaffenbe Refonan3 als bas tDort. Sie ift 
wie Schopenhauer fagt, bie 3 bee felbft. Keine noch fo begeifterte unb treffenbe 4 t* 
ötterung gibt bem Kinbe ben (Einbruch bas ftarle feelifdjc 4 rlebnis, bie padenbe 
DorfteUung oon bet £uft bes tDanberns unb Reifens, oon ber $reube an ber freien 
®elt, als etma bet (Jjefang bes Siebes: „tDem (Bott min rechte (Bunft etroeifen" ober 
„Das IDanbetn ift bes tttüllers £uft" ober „ 3 ch geh burch einen grasgrünen tDalb". 
über auch bet birette er3ieherif<he (Einflug bes (Befanges auf bie (Entmidlung bes 
jugenblichen (Beiftes ift grog. Das hat ein namhafter tltufilpäbagoge, ber (Beheimrat 
Ktegfehmat 3u Berlin, oor Iut3et 3 eit in höehft bebeutfamer IDeife bargetan. 3 n einem 
längeren Referat, meines er nach bem flnhören befonbers gebiegener (Befangsleiftun* 
gen oon Berliner Oolfsfchülern »erfagte, führt er unter anberem folgenöes aus: 
»Oas bemugte Singen ftellt an bie flufmerlfamfeit, an bie Denffähigfeit unb bie IDillens* 
haft bet Kinber hohe flnforberungen, fo bag man nur batüber lachen lann, toenn 
«in 3 elne Schulorbnungen ben Schulgefang immer noch unter Öen biogen tedjttifchen 
Sertigleiten, mohl gar unter ben Seibesübungen aufeählen, ober toenn immer 
roieber ausfdjlteglich fein Rügen für bie (Bemütsbilöung ermähnt mirb. Oer (Ertrag 
bes Singens für fjer3, (Bemüt unb Phantafie foll gemig nicht unterlägt metben, 
abet bie Päbagogen mügten fich oor allem über ben IDert flat fein, ben bas betougte 
Singen für bie <Et3iehung ber finblidjen 3 ntelligen 3 , für bie Schulung bet Beobach* 
iungsgabe, öas Ünterfcheibungsoermögen, bie (Energie unb Schlagfettigleit hat. 
übet eben nur bas bemugte, nicht bas mechanifche Singen; biefes befördert bie 4 räg* 
heit unb (Beöa nfenloiiqteit. jenes gibt $tifche, ober mie Sutljer fagt, feine (Beifter." 1 ) 

i BetIinet Uageblatt o. 19. 3uli 1914, Rr. 361. Ktegfchmat, Kunftoolle (Befangs* 
'«'Inengen bet Berliner Sdfulfinbet. 


14 * 



212 


Das Doltslieö auf 6er f)5f;er«n Sd)nle 


(Es ftimmt recht traurig, triefe einfichtigen tDorte eines hochangefeheneti laitnes ! 
mit Öen roirf liehen 3 uftänben 3U Dergleichen. i 

DoKsIieöer im eigentlichen Sinne, alfo £ieöer aus alter 3 cit unö oon unbefamt* = 
tem Urjprung, werben auch im öeutfchen Unterricht 3unächft nur feiten in Betracht ■ 
tommen, öa fie Öen tDorten unö öer IDeife nach fremö finö. Deshalb muffen neben \ 
unö aufjer öem Unterricht U)ege gefunöen roeröen, Ueigung unö £iebe 3um alten [ 
Doltslieö 3U roeden. j 

Sn öer Hat, öas Doltslieö ift feit einigen fahren roieöer 3U (Ehren gelommen. j 
Die IDanöerjungen unö tDanbermäbchen, öie öes Sommers in 3 Utoeilen recht feit 1 k 
famem Auf3ug Öahin3iehen, oerfügen häufig über eine recht anfeljnliche Kenntnis 
echter, alter Doltslieöer, gebrauchen öabei fogar öas Begleitinftrument öes Dolts» { 
Iieöes, öie 3 upfgeige. Don Öen Sippen öiefer manöerluftigen 3ugenö Hingt öie up i 
alte Poefie öes Doltes roieöer, Sieber oom roeltfrohen U)anöem unö nom toehmüti* i 
gen Scheiben, öie Spottlieöer oon Schneider unö Seineweber, öie etotifchen unö 
fympotifchen £ieöer öer Daganten unö Stuöenten. h*et liegt ein flusgangspunft, 
roie öas Doltslieö auch außerhalb öer Schule unö öes Unterrichts gepflegt roeröen tarnt. 

Bei Öen non öer Schule oeranftalteten Ausflügen unö Spa3iergangen märe alfo 3 U ‘ 
nä'hft ©elegenheit geboten, fln feöer Anftalt gibt es Schüler, öie 3U Öen Gruppen öer , 
IDanöerjungen gehören. Sie alle oerftehen es, alte unö neue Doltslieöer 3U fingen, 1 
öa öie Sieberoorräte öiefes Bunöes 3um größten Heil aus alten, echten Doßslieöem 
beftehen. ( 3 upfgeigenhansl; U)anöeroogel»£ieöerbuch.) (Einige oerftehen es oieKeiht 
auch, öie Begleitung oon öer Saute „ab3U3upfen". Diefe Schüler fingen gern, teilen 
oon ihrem Sieöerfdjat) Öen Utitfchülern gerne mit unö finö fomit beöeutfame 
öeret öer Doltslieötunft. Sie haben es inftinttio erfaßt, baf} beim IDanöem in öa 
großen, freien U)elt am beften in Doltslieömanier gefungen roirö, bafe „Puppten 
neben öem „Hob oon Bafel" nicht beftehen fann. (Ein ewiger Ausflug eines £eljras 
mit einer Klaffe, öie beiöe öas Doltslieö richtig werten, tann öie Siebe 3U öiefer Dich' 
tung nachhaltiger weden unö mehren, als eine noch fo wohl oorbereitete unö gut* 
geglieöerte Sehrftunöe. 

Doch auch bei Schulfeiern wäre öer höheren Schule ©elegenheit gegeben 3 “ ^ 
3 eigen, baf} fie öas Doltslieö pflegt. Diefe meift patrioiifchen $eiem hoben oft einen 
recht langweiligen Detlauf unö hinterlaffen 3uweilen Öen (Einörud geringen & 
fdjmades. ©ebid)te, aus ftofflichen ©rünöen gewählt, werben norgetragen, ®obei 
öenn wohl öie ©efaljr öes Stedenbleibens ftatt eines anöeren fünftlerifchen DoquJ 5 
öie ttetoen öer 3 uhöret in Spannung hält. 3 wifchenörein werben mehtfKmmige ßf 
er gefungen, mit Dorliebe folche, beten Schwierigteit unö Derfd}lungenheit & ,{ 
S^rerfdjaft unö öie hochanfehnliche $eftoerfammlung oon öer hohen Kunftfiufe öes 
chuletdjores über3eugen. Um wieoiel gefchmadooller unö beöeutfamer märe es, 
bet folcher ©elegenheit Doltslieöer öutch öen Schülerchor fingen 3U laffen, ftatt jen« 
oft geraöe3u öilettantifchen Ittachwerte, öie man 3U feinem Derbtufj an3uhöten ge- 
3 umngen ift. U)er je ©elegenheit hatte, Doltslieöer in mehrftimmiger ©onfefeung, 
unbefchaöet ©rer alten DTeloöien, öurd? einen Sängerchor 3U hören, öer weife, v» 
gewalhg unö ftart öie UKrtung ift. Sollte nun nicht öas Daterlanö öurch öie Schule 

ÄV 610 "?? 5 9CeI?rt roeröen < bafe man Doltslieöer bei Öen Schulfeften N‘ n 
lafet ftatt wertlofer <Er 3 eugniffe? Sollte nicht aud? öie Petfon öes Kaifets am treffW 


Don Sranj Kart Betfer 


213 


ften öurcfj Öen ©efang eines Dolfslieöes geeilt fein, öa ja geraöe et feit 3 aljten öie 
Sammlung öet alten Dollsliebet unö pte tDieöerauffrifpung angelegt h<*t unö 
föröert? Die ganje Sdjon^eit eines Dolfslieöes toitö offenbar, toenn es oon Öen gellen, 
frifpen Kinöetftimmen gefungen toitö. (Es ift für jeöen 3 ul?örer ein unoetgefeliper 
Cinbrud. (Einjelgefang, ©efang öutp eine Deine ©ruppe oon 3toei bis fünf Stimmen, 
dljorgefang, alles bas ift Ijödjft toitffam, ift fjöef^ft djtenooll füt öie Spule, öie folpes 
jut Derfpönetung prer gefte unö 3ut Bilöung öes ©efpmades eifrig pflegt. 3 n 
öetfelben IDeife läfet fip aup öas geiftlipe Dolfslieö ftatt öer fproierigen Choräle bei 
Öen lirplipen Spulfeierlipfeiten einfügen. (Es öürfte jeöenfalls öas ©efühl öer 
flnbapt nipt roeniger weden als öer funftooDfte Choral. 3 p roill ein perföntipes 
(Etlebnis 3um Beroeife ermähnen. Hie ift mir öie finölipe greuöe am IDepnapts* 
feft inniger unö ergteifenöer lebenöig getooröen, als öa ip oor oielen 3afjten in einet 
alten fc^tDei3erifdjen Abteifirpe ein uraltes IDepnaptslieb oon einigen Cljorfnaben 
fingen hörte. 3eöe Strophe fplofe mit Öen IDorten: 

„Apparuit, apparuit, 

Quem genuit Maria I“ 

fln jeöem JDepnaptsabenö erinnere ip mip feitöem öer Ijellen, frifpen Stirn* 
nten, öet halb 3agljaften, h<tlb fubelnöen Kinöerfreuöe, öie aus öer einfapen TUeloöie 
ijeroortlang. EDie eintönig hingegen oetlaufen oft unfere Anöapten unö Spulmeffen, 
unö toie toenig toirö getan, Öen Befup öet Kirpe unö öie {Teilnahme an öet Anbapt 
3U einet fteuöigen Pflicht 3U geftalten. fjier ift ein IDeg öa3U. 

©enn man überhaupt Öen £ieöerfpai} öer Spüler unö Spulerinnen pöfjerer 
tehranflalten aus3ufunöfpaften oerfupt, fo ift öas Ergebnis in Öen meiften gallcn 
3iemlip fläglip. Der Dorrat an fangbaren £ieöem ift häufig nipt geraöe grofj, öa 
öie geringe Stunöen3afyl öes ©efangunterriptes unö öas bereptigte Streben nap 
lunftgemäfjer, fotgfamer Ausbilöung eine (Erweiterung nipt 3uläf}t. Dian mufe elpt* 
^ f*in unö 3ugeftef)en, öaft öie 3 ugenö fip felbft hilft. Ceiöer ift öiefe Selbfpilfe, 
öiefer Drang nap großem £ieöeroorrat nipt immer nap öem IDunfp unö IDillen 
öet Ziehung. (Dperettenfplager, im EDeften Deutfplanös gaftnaptslieöer, alfo 
fltoptoetfe oon grauenhafter ©eiftlofigfeit, örängen fip oor. Derbote ripten toenig 
aus, öie 3 ugenö hat Öen Drang nap oielen £ieöem. Sie befpeiöet fip nipt gern mit 
öiefem unö jenem. IDie umfangreip finö öie Cieöerbüpet öes IDanöetoogels unö 
öie Kommersbüper öer Stuöenten! (Eine toiptige goröetung alfo wäre öie: flieht 
£ieöer. Ript nut einige Dolfslieöer aus öem Büplein öet unteren Klaffen, nipt nur 
Sefilieöer unö Choräle, fonöem möglipft oiele Dolfslieöer aus alter unö neuer 3 *it» 
non befanntem unö unbefanntem Urfprung. Aufgabe öes ©efanglehtets mag es 
(«in unö bleiben, öie Kinöer 3U lehren, toie fie genau nap Öen Regeln fingen, toie fie 
öie lllelobie 3art oöet ftarf, leife oöet laut 3um Ausörud bringen, toie fie öie Däne 
*f*n unö unterfpeiöen, treffen unö begleiten follen. Aufgabe öet anöern Celjtet 
aber » D0tne hmlip öes Deutfplehrers ift es, Öen Donat an fpönen, fangbaren Cieöetn 
3 “ »«mehren. 

Diefe Ausführungen, oor öem Ausbrup öes Krieges aufgefetp mögen wenig* 
Uns pten flbfphp finöen unter Öen gewaltigen Stürmen öer ©egenwart. 

3 n Öen fltonaten öiefes Krieges hot man fooiel oon Kaiferlieöern, oon Kampf* 
unö Solöatenlieöem gehört, öafe alles anöere, was an £ieöerfunft öa ift, beifeite ge* 




214 


3ur Behandlung Schillers Im (Dberlt^eutn 

legt würbe. Das oölfifche, oaterlänbifche £ieb herrfcht not unö welchen hohen Rang 
nimmt es in 6 er großen Bewegung ein! 3 n wie mannet Schule ift öie begeijteri 
oertünbigte Siegesna«^tid}t gefolgt worben oon oaterlänbifchem ©efang. Am läge 
unb in tiefet Rächt bat man öie eherne, broljenbe Blelobie bet tDad|t am Rbein ge* 
bört, biefes Armeetorps für fidj, wie man fie genannt bat. Unfre blutjungen Kriegs* 
freiwilligen^ finb mit bem ©efang „Deutfchlanb, Deutfchlanb über alles" auf bie 
$einbe geftürmt. Die nationale, ja bie etbifcfje Bebeutung bes Dolfsliebes !ann nicht 
einbrurfsDoIIer bargetan werben als burdj folche lEatfadjen unb Dorfalle. 3 nbe$ fitb 
bie IDelt erbebt, inbes bie Sparen blutgieriger IDilben herbeigebracht werben, Oeutjcb* 
lanb 3u Dentisten, erfüllt auch bas Dollslieb feine Hufgabe, bas IDefen 6 er Datei 
wadfturufen unb lebenbig 3U erbalten in ben Söhnen. 


3 ur Beljanölung Schillers im 0)berlt)3eum. 

Don tDalttr Steinert in {Trier. 

Der Sehrplan für ben Deutfchunterricht bes preußifchen ©berh^eums unten 
febeibet fid) non ben für bie höheren Knabenfdjulen gültigen Beftimmungen roefent* 
lieb baburd?, baß et ben Cefeftoff für bie brei in Betracht lommenben 3 abre oiel be* 
ftimmter anfeßt, als es bort bet $all ift. IDäbrenb bie „Seßrpiäne unb £ebraufgaben" 
oie Derteilung bet £eftüre auf bie oberen Klaffen bem ©rmeffen bet einjelnen fln* 
palt übetlaffen, febteiben bie „flusführungsbeftimmungen" einen gefdjidjtlicben 
©ang oor, ber, in OL III mit Öen „älteften 3 eiten" beginnenb, in OL l bis 3Ut £iieta* 
tur bes 19 . 3 abrbunberts führt. So entfällt naturgemäß bie flaffifd?e 3 eit unfern 
ueratur auf bie 3weite Klaffe bes ©berhßeums, öie — etwa im erften Dritteljalp — 
qer er fowie Sturm unb Drang, im 3weiten ©oetbe unb im britten Schiller 3U be* 
ban ein hätte. £iegt hierbei auf ber einen Seite bie um jeben Preis 3U uertneiöenöe 
©efabr um fo näher, baß aus ber Deutfcbftunbe eine Literaturgefcbidjtsftunöe toirö, 
|o le e ficb auf ber anbern Seite ber Dorteil, baß eine abgerunbete Huffafjung 
unjerer größten Dichter tatfädjlich leichter 3u e^ielen ift, als wenn bie oerfchiebenett 
uierte, etwa Schillers, auf oerfchiebenen Stufen an öie Klaffe herantreten. 

... s Ct i°J 9enÖC m öd?te 3 eigen, wie ficb biefer Dorteil ausnußen läßt; et 

»tu öen Abriß eines £ehrgangs geben, ber ficb bie Aufgabe geftellt batte, in fonjen* 
irterenoer uhrfung ber tbeoretifchen unb ber poetifchen IDerle Schillers unö in 
on 3 en erertbem 3 ufammenarbeiten mit ben ©ebanfenfreifen bes päbagogifh erl 
r«l!-?‘? tS Ök Petfönli( ^ feit un f««s größten Dramatiters unb DithterphilofopÖ«« 
L t . ., a ^uftellen, wie es ber enge Rahmen eines (Tertials geftattet IDie fi<h 
1 ^otroenöigfeit ber 3 bealismus in Kunft unb £eben als leitenber ©eöanle 
erga^ möge im folgenben erfichtlidj werben. 

hi 0 nr«!fX auf DieIc nur cincm Dichter gewibmete IDocben ju einet 

2?^ oerlocfen tonnte, mußte eine folche boeb unterbleiben, ba 
nichtTr i* 9 l \ flu ? abe öcs öeut ^ cn Unterrichts ift, bas £eben eines Dichters 
Delbalb ^,b t + nCbC ü ?” Betrad?tun 9 leinet TDerte, fonbern bureb fie tennen 3U lebten. 

wibmeten TWiH!r", toni ^ € einc ^ r 3 e 3 ufammenfaffung ber im nötigen, ©oetbe ge* 
Dntteljabr nebenher gewonnenen ©i^eltenntniffe biographifö«* fltt P 



Don TDatter Stcinert 


215 


ttügen unb ber Sprung in medias res gewagt werben. So würben benn nad) einigen 
lebiglid} bem „EDallenftein" gewibmeten £eftionen 5 ie einjelnen Stunben abroecf}' 
jelnb öem Drama unb Öen öiefes IRal gemähten flbfyanölungen, ber „Unioetfai* 
gefehlte" unb bet „naioen unb fentimentalifchen Dichtung" gewibmet. (Es foll nic^t 
oerfannt werben, baß biefet Spaltung bet Stunben in 3wei oerfdjiebene £ehrauf» 
gaben fd?wete BebenJen entgegensetzen. Doch obwohl Jehon £effings tljeotetifche 
Schriften unb gtoße flbfdjnitte aus tjerbers Profa ootangegangen waten, burfte. 
bem 3 ntereffe bet Schülerinnen nicht wohl 3ugemutet werben, {ich für eine betracht* 
liehe 3 eit ausfchließlich auf jene Abßanblungen mit ihren für ben Anfänger hoch recht 
(«hwierigen Problemen 3U befchtänfen. Der „farbige Abglan3" bes bunten £ebens, 
bet auf bet Schaubühne erfdjeint, mußte für bie theoretifdjen (Erörterungen bas 
(Gegengewicht abgeben, ja biefe oft für mehrere Stunben unterbrechen. 

Da 3ubem in bet Befptecfjung ber ©rilogie auf ®tunb eines Äuffaßes übet 
©ctaoio unb IRaj Piccolomini ber ©egenfaß 3wifd}en realiftifcher unb ibealiftijcher 
Cebensauffaffung in ben Dorbergrunb trat, fo tonnte gteich3eitig für eine Behanb* 
lung biefet 3wei ©egenpole bet Boben oorbereitet werben, wie fie ber Schluß bet 
„naioen unb fentimentalifchen Dichtung" in fo flaffifchet IDeife bietet. 

IDat auf biefe IDeife eine fon3entrierenbe IDirtung 3wifchen 3wei oerfchiebenen 
(Gebieten ber £ettüre in bie IDege geleitet, fo ergab fich nach ber anbetn Seite eine 
flntnüpfung an bie päbagogif, bie gleich3eitig bie tjerbartfehe <Et3iehungsIehte be* 
hanbelte. (Es lag nahe, ben Begriff „(Eharafterftärte bet Sittlichfeit" auf Blaf picco* 
lomini an3uwenben, bie „ 3 bee ber Dolltommenheit" in feinem ftarten fittlichen 
IDollen wiebe^ufinben, bas auf ben jugenblichen £efet fo hittteißenb wirft, bie „3bee 
bes Rechts" im Kampf mit ben oon IDallenftein ufurpierten ©ewaltrechten ber 
genialen Perfönlichteit oot3ufühten unb in bem füßnenben Untergang bes gewal* 
tigen Rlannes bie „ 3 bee ber Billigleit" auf3uweifen. 

3 n 3 wifhen hatte fich bie Befptedjung ber „naioen unb fentimentalifchen Dich* 
tung" — unter oergleichenber Rüdoetweifung auf Berbers Auffaffung bet Poefie — 
ben Schlußteilen ber Abljanblung, ben (Erörterungen übet 3bealismus unb Realis* 
mus, genähert 

hier münbete naturgemäß wie in ein Sammelbeden alles, was fid} aus bet 
Rebe über Unioerfalgefchichte, aus IDallenftein, aus ben nun in Angriff genommenen 
Philofophifdjen (Gebieten, aus ber allmählich in ben ©efid)tsfreis tretenben „Braut 
oon Rleffina" hinfichtlich bes 3 beaKsmus ergeben hotte unb ergab. Die 3 bee einet 
Rufwärtsbewegung ber gefamten Rtenfchheit, bie jebet ©eneration bie Pflicht auf* 
erlegt, ihre Dantesfchulb gegenüber ber Dergangenheit an bie 3ufunft 3U 3ah(en, 
bet — leicht allerbings fchematifierte — ©egenfaß 3wifd}en IRaf unb ©ctaoio, bie 
3 bee bes Restes, bie in Don däfar 3ur (Erfdjeinung fommt, ber in bet £ogi! oor* 
geführte Unterfchieb 3wifchen bebuftioer unb inbuttioer, b. h- ibealiftifch unb rea* 
l'ftifch orientierter ©ebantenarbeit: alles bot AppeQeptionsftoff unb fanb feinet» 
jeits Klärung unb fyftematifdje (Einorbnung in ben fcharfen Antitljefen, bie hier M* 
oeiben ©egenpole wiffenfchaftlichen unb fittlichen Denfens einanber gegenüber ftellen. 

® on liefen Philofophemen begleitet, ließen fich gewiffe an fich Schwierige ®e» 
l <ht< oerhältnismäßig leicht an bie Schülerinnen ljetanbringen. Die Auswahl er* 
gab fi<h aus bem 3 ufammenhang bes Unterrichts mit Rotwenbigfeit. 



216 3ur Befjanblung Schillers im ©berlttfeum. Don Walter Sleiiurt 

3unachft „bie 3beale", in benen anfdjeinenb eine fülle Refignation mit bem bofyen 
jugenölicfjen Streben bes $euergeifts abfdpliefjt, in tDirflidjfeit aber eine reifere, 
männlidj=ruljigere Cebensauffaffung fiel? öer neuen, wahrhaft iöealen Aufgabe 311 » 
menbet, bie in ber Rebe über Unioerfalgefchichte bern „gellen Seift mit empfinöenben 
perjen geftellt mürbe, nämlich „bem tommenben Sefdjiedjt bie Sdjulb 3 U entrichten, 
bie er bem »ergangenen nicht mehr abtragen fann". Das Reifet ben 3bealen ent» 
jagen, um bem 3bealismus 3 U leben; unb menn er fiel? hier auch nur gan 3 jag» 
l?aft in bie enttäufdjte Befdjeibung bes Alternöen roieber einfc^leidjt: um fo fieg* 
r* ^ en ^ a ^ e * ct f c * n Banner i n öen nun folgenben „IDorten bes Slaubens", ohne 
fidj bur$ bie gerben Erfahrungen ber „tDorte bes roafjns" in feinem fraftberoufeten 
flnftreg hemmen 3 U laffen. 

Denn menn auch ber „Pilgrim" es erfahren mufe, öafj bet Slaube an ein oolles 
faffen ber IDahrheit ein „IDahn" ift, menn auch öie Kantfche Erfenntnisfritif, 
00 .” . et 7- Pnöagogifche Unterricht fchon gefprodjen hatte, bie Relatioität unb ba> 
nti ie njulänglidjfeit menfdjlidjen Begreifens gegenüber bem Abfoluten nah' 
gemrefen hat. Das „Derfdjleierte Bilb 3 U Sals" lehrt uns, baf} bas £et}te fid? 3 trat 
^ *n ru af'd?tsl°s=ftürmifd}em Entöecferörang erobern, roohl aber in ber bemü« 
trgen Sdjeu »or bem f?öd)ften, Unerforfchlidjen empfinben läfjt. Diefelbe £et?re fprid|t 
ou||eau tn feinem in biefer 3eit gelefenen „Emil" aus, menn er ben fauoyifdjtn 
• J at J a 9 f n »Durchörungen oon bem Sefühle meiner Un 3 ulängli<hfeit, roetbe 

© u er ie Ratur Sottes niemals Unterfuchungen anftellen", aber es gibt „feine 
m D f° n ^ en öer Sittenlehre entbinbet", ja Ietttere „macht bas 

. ' ^c C *,?. ^ er ^ e ^ on au s". Diefe bem roiffenshungrigen 3 üngling ni# 
g gebene freiwillige Unterorbnung unter ben Sötterroillen, unter bas Siüengefeij 
ffS 7 ®°i«?eit auf in euren IDillen"), eben bas, mas bie päbagogil in ber 
bi? DrüTcr-t^ 16 ' a * s &' e 3öee ber inneren greifjeit be 3 eid)net hatte, ift es, 

im . ; . 9leid?3ei tig behanbelten „Braut oon RIeffina" ben Dolch jum 

3 merten Riale m bie fjanb gibt: 

Riebt auf ber IDelt lebt, toer mich ftrafenb richten fann, 

... Datum mu & ,d > Tdber an mir felber es oolljiehn, 

WaS ^ Cr ^ at * s ^öee ber Billigfeit forbert: „ 3 ebem, mas er oerbient! 
basfelfw» ml ? c l Un9e ^«pt Don Sals lehrt uns, baf} bie »olle IDahrheit nicht frommt, 
nach ihr hrtf e 5 m9 T tD ’ es ' a ^ s et ®°tt ftatt um bie IDahrheit nur um bas Ringen 
fülluna für hi» cT, ^ roaf?r ^ eit W f** r ®°tt allein — unb bodj gibt es eine <£t s 
fchledrtbin 7) " ^ n J uc ^ ' e * nen ® e fi^ — nicht bes IDiffens nur, fonbern bes 3 beals 
benb unb mn^h ^ nct1 ' ^ et ^ öem führerlofen Rachen anoertraut, öer fich $ aü> 
nur in memoon * 1 ^ in 3 7 e ^ cn Derma 9- lommt 3 U jenem „IDunberlanb", menn auch 
um fid) aleith j 96 ®* 1 ^ 6 " ^er Sammlung unb bes fluffdjmungs; nicht, 

nicht um untürhr* ^ ICC0 om ‘ ni non ber IDelt abfd?Iiefeen 3 U fönnen (Picc. IN» 4)» 
füllen Stunben ma ^ W J tb f n ^ ür öie müj ? cn bes Alltags, fonbern um aus h oI ? cn ' 
abfällt für Kamnf * ^ cs („Das 3beal unb bas Ceben") oon uns 

praftifdjen 3bealismus- ” eUC Kta ^ 3U ° lcn ' öen roerftäti 9 en Sdjwung eines 

Aber finft bes Blutes fühner glüqel 
ßet öer S^ranfen peinlichem (Befühl, 


£it«raturbcri<f)t 1914: 3“genblettüre. Don ©eorg D oft 


217 


Dann erblidet non bet Schönheit tjügcl 
gteubig bas etflognc 3<el. 

So wirb S^iüers 3 bealismus feine blaffe, oerftiegene Schwärmerei, fonöetn ein 
flares, feftes £eitgeftim, bas im Sturm bes Cebens bie IDege oormärts unb auf* 
wärts weift. (Ein glüdlidjes 3 ufömmentreffen erlaubte es, bie 3 ugenb bes Rtofel* 
Ianbes an bie 3 geler Säule 3U erinnern, beten fc^öne Allegorie in fjerafles’ Fimmel* 
fahrt bie fiegenbe Überwindung ber (Etbenfchwete unb bas triumphierende hinauf* 
fdfweben über Kampf unb Ürucf unb Hot oerfinnbilbet unb bamit eben ben Sdjlufj* 
gebanfen bes Sthillerfcfjen ©edidjtes oeranfcfjaulidjt; basfelbe Denfmal münbet in 
feiner Befrönung in bem jungen ©anymeb, bet in bes Ablers gangen Jupiter 
entgegenjaudßt: Aufwärts an beinen Bufen, 

Adiebenber Dater! 

Heben biefer an ben pfyilofopljifdjen (Bebidjten oerfolgten ©ebanlenreihe würbe 
bie „Braut oon Rteffina" beljanbelt. Das Sdjulb* unb Sdjidfalprdblem wies auf bie 
Stagen bes Determinismus 3Utücf, bie bie Päbagogif bei ber £el}te Dom tDillen 
fatte berühren müffen, bie Sü^netat däfars auf fjerbarts 3 been bet Billigleit fowie 
bet inneren gteiheit uff. EDidjtig toutbe bie EDechfelwirfung 3toifdjen ben Sdjlufe* 
gebanfen bet „naioen unb fentimentalifdjen Dichtung" unb ber Dortebe über ben 
©ebtaudj bes ©Ijors. £iegt bort bas „ 3 beal menfdjlidjer Hatur" 3wifcf)en 3 bealis* 
mus unb Realismus mitteninne, fo fielet bie Dortebe bas poetifcfje in bem „ 3 nbiffe* 
ten3punft bes 3 beellen unb Sinnlichen" unb forbert eine Büljnenfunft, bie „bas 
materielle durch 3 been be^enfdjt", bie zugleich gan3 ibeell unb doch im tiefften Sinne 
reell" ift, bie dadurch 3ut IDahrheit gelangt, bafe fie „bas tDirflidje gan3 oerläfet unb 
rein ibeell wirb". Denn „blof} ber Kunft bes 3 beals ift es nerlie^en, biefen ©eift 
bes Alls 3U ergreifen unb in einet fötpetlidjen $otm 3U binben". 

Selbftoerftänblich will bet hier entworfene ©ebanfengang nut eine untet Dielen 
IRöglidjfeiten barftellen, ber Behanblung Schillers eine einheitliche 3 bee 3ugrunbe 
3U legen. tDefentlidj jedoch ift bie gorberung, aus ber flnorbnung ber „Ausfüljtungs* 
beftimmungen" ben Dorteil heraus3uf)oIen, ben fie gegenüber ber freieren £efeftoff* 
oerteilung ber Knabenanftalten gewinnen fann: eine gefdjloffenere DarfteQung bet 
bidfterifdjen Perfönlichleit. 


£itcraturberid)t 1914. 

3ugen61eftüre. 

L 


Don ©eorg Doft in Dresben. 

Der deutf<h=oölfifche ©ebanfe im 3ugenbf^rifttum. 

fln bie Spitje unfret Befptedjung ftellen wir 3wei Detöffentlidjungen bes Diete* 
ndifchen Detlags in £eip3ig, bie ©tunöfä^Iirfjes 3ut 3ugenbfdjriftenftage wie 3ur 
gan3en 3 Mgen bet 3 iebuna überhaupt enthalten. Die Schrift ©otthard ©tidjs 1 ) übet 

flnm. Sämtliche befprodjene Bücher finb oot bem Ausbruch bes Krieges etfchienen. 
ii* 1 ®°tthatb (Erich, Der beutfch*oöItifd)e ©ebanfe im 3ugenb(d}rifttum. Hadjbenf' 
cqts unb ©tunbfähli^es 3 um beutfchen 3ugenbbucfj. Ceipjig 1914. Dieteridjfche Detlags- 
»uqqanblung (Iheobor Reichet). Btofdj. IR. 1,—. 



21 8 Citeraturbericfjt 1914: 3ugenMefiüre 

öen „Deutfd^oölfifcfjen ©eöanfen im 3 ugenbfchrifttum" fte^t no<h ganj 
un et öcm (Einfluß öer Prefcfeljöe Koböe*Schol 3 gegen öie fjambutger Beilegung, 
uf tefen unerquicflicfjen Kampf jetjt noch einmal entgehen, haben mir angefidjts 
c r großen (Ereigrtifjc toeöer 3eit noch £uft. Diefe unfruchtbaren (Erörterungen, öie 
bet öer Unbelehrbarfeit unb Doreingenommenheit öer ©egner leidjt ein perfönlicfjes 
©eprage tragen uni» öa^er nur 3 ur (Erbitterung führen, roeröen in öer 3 ufunft hoffent* 
tct? für immer oerft ummen. Don öiefem bas gan 3 e Buch beherrfchenöen Angriffs* 
. ar ° ct a 9 ^ e h e n bringt (Erich oiel roertDolIe ©ebanten, bie nur beroeifen, ba| uns 
im tun e nichts Prin 3 ipielles trennt. (Er fommt fchliefjlich in feinen Ausführungen 
■* U if. ' 0 ^ cmn 9 : »®‘ c öeutfdje 3ugenbfcf?rift muj} ein fünftlerifd)es, 
eu |<h'Do ifdjes (Er3iehungsbuch fein." Aud? er nerlangt, öaf$ man bei öer 
usamp ^ ert auf bie $orm, auf bas Afthetifctje, lege. Aber er macht ben „Sorm* 
eu |u)en ert Dormurf, bafj fie bas ttationalethifcfje unb Pfycf?oIogifcfje nicfjt ge= 
nugenb berudfichtigten. (Er oermi&t bas „rüct^altlofe, freubige Betennen 3 m nater= 

hin •• xlvfAi ^* n * n b ‘ e Giften müf}te ihm roahrhaftig 3 eigen, toie um 
npri^H 6 tt 16 v ^ oramt f W- Gr nenne uns Beifpiele, roo er in unfern 3ugenbfd)riftem 
nJt Sm Ö « -- fosm °Politifierenbe, farblofe, äft^etifierenbe 3ugenbfd?rift" finöet! 
«"oiho V 9C t . ebensar * en ' öurdj öie mir uns in unfrer Arbeit nicfyt Derblüffen Iaffen! 
loirht «ÜT 11 l l.° 0 f n ^ cnen ' b * e ^inen (Einblicf in bie gan 3 e Belegung haben, nur all 3 U 
M iff ®“" Do,l6e “‘fd!en b e9 el,e„ öen geige, - öejfct uni unbe»# - 
aemifc 1 " a ^. bem ^ n f an g ber 3ugenöfd}riftenreform urteilen. Da war 

in hpr r ? f 1 ° C . cm ’9 un 9 nötig, batnit 3unäd}ft einmal all bas »erfdjroanb, was 
anoPThm!! aIl9 * me, " e " ® e h en laffens unb flacher Sdjriftftellerei roahllos öer 3ugenb 
aKaempin C /^ et ^ eu * e ar heitet man nun fchon feit neun 3ah ren nach öem 

Ä, ® rUn!,|ote: öie Li „oller tbaö.ungö.r 

Hiie m " I,i! . en ® e ! ,alte " s «»« religiöfe, moroli|d,e ober patrio- 

IDarum in l* nb a * s 3ugenbIeftüre unbeöingt3U empfehlen." 

ausfdiütle nidiA 1 J man bie fegensreidje Arbeit öer priifungs* 

runaen unö <1 m n öle f em ® tun öfa^e? IDarum nur immer roieber Derallgemeine* 
heute linb? nv^ C , u ” 9ert? ® at “ m bas einige Uichterrocihnen öer Dinge, roie fie 
uns aber h rt c » en A as u °ö nationale immer ftarf betont, behalten 

S mir P fr °° r ' Öas «#* DOm Hne*ten 3 u unterfcheiben, eben 

tDir ftimmen mit ff vh * f Unö Dor öct Derflachung betoahren roollen. 

et 3 iebuna im «A°° ‘ 9 überein in öer $oröerung, öafe unfre gan 3 e 3 ugenö ä 
beftem IDillen n l + C D °t* u k** 1 ' ^ rn öt unb 3t>hu gefd?elje, tonnen aber bei 

^nbioihualismus 1s De ^ e h cn » mie öer ©eift öiefer ITtänner 3 U bem rein äft^etifeben 
eines Daniel Srymann ( . ei j5’ ranö . tbc j‘ t f d ? cn u °ö 3u öen politifthen Unmöglid?feiten 

grofee (Erbe öesTeSd.« ” Kaifer U,Öt ’" ) l?infü ^ rcn JoIf - Das m ^ 

Sine al »f 7» i 3öeahsmus m falfd?e tjänöe legen! 

enguna öesITn+ir> r 6 rr. 6 onun9 bes ^eutfeh'Döltifdjen tann leidjt 3U einer Der* 
PoulRobrba* . naIbe ® u fe t ieins führen. Das bemeift 3. B. öas Urteil (Erichs über 
®ebanfe in ber IDelf m ""T fraftt)oIIen ' Zügigen Bud?e „Der beutle 
nennt, ein Urteil w • x » n |‘ ant hnial fdjon ettnas fehr roeltbürgerlich angehaucht" 

«et tarnt, änm'mmöiJ'lte'l betlö«"!“"' ^ t, ' uW “ P ° li ' 


Don ©eorg Doft 


219 


Die (Befaßt ber überfpannung unb Übertreibung bet an fich burdjaus berechtigten 
unb nötigen $orberung 3eigt jidj befonbets in bem oon ©h°mas tDefterid? 2 ) 
herausgegebenen „^ugenbgeleitbudje". 3 n oielem, tnas biefes Buch bietet, tann 
man freubig 3uftimmen. Unb hoch mertt man balb, bafo man fi<h auf halbem IDege 
roiebet trennen mufe. Oer ©ebanfe ift jidjer gut unb oerbient flnerfennung: Oer* 
innetlichung, IDieberbefinnung auf unjet beutfdjes tDefen,flbftofeen alles 
bejfen, aas nur non aufeen an uns hcrantommt, aas uns in unferm 
tiefften Sein ftemb ift, Schaffen eines neuen, eigenen Stils, eines ge* 
biegenen Inhalts auf allen ©ebieten bes Gebens — bas ift tatfächlich 
bie 3utunftsaufgabe bes beutfdjen Dolfes, unb ba3u finb in erftet Cinie bie 
Ziehet berufen, bie ber 3 ugenb biefen IDeg 3U einem reineren Oeutfchtum 3eigen 
müffen. Rieht genug fann baljer bas in großen Kreifen faft unbeachtet gebliebene 
Buch Rubolf ©udens*) „ 3 ut Sammlung ber ©eifter", bas im 3 ahrhunbert* 
iaht 1913 etfdjien, empfohlen roerben. fji er werben leibenfdjaftslos, aber mit tiefftem 
(Ernft bie Schaben unb ©efahten unftet heutigen Kultur blofegelegt, bie ohne Seele, bie 
unwahr unb unbeutfeh ift; unb bähet ergeht bet Ruf an alle ©eifter, fich um bas eine, 
grof}e 3 iel 3ufcharen: einen neuen beutfchen 3 bealismusber©at 3ufd;affen. 
H)tr hoffen, bafj biefe „Sammlung ber ©eifter" eine Srudjt bes Krieges fein wirb ; 
bann erft wirb er gan3 ber heilige Krieg geroefen fein. IDie grofj ift freilich bet Unter* 
f<h«eb in ©eift unb 3i«l bei ©uden unb in biefem „3ugenbgeleitbuch", bas einen ©in* 
blid gemähten foll in „bie auf biefet ©rbe beifpiellos baftehenbe „©ermanentultur" 
ber lebten 3ahrtaufenbe, in bie titanifchen flufbaufräfte, wie fie insbefonbere getabe 
unfete beutfdje Raffe in geiftigen unb feelifchen Oingen feit ihrem ©intritt ins tDelt* 
theater aus3eichneten." ©s finb fichet fluffähe baruntet, wie ber »on Oriesmans 
übet „töefenswerte unb Rechtsgefühle in bet beutfdjen Sagenwelt unb $rühgefehi<hte", 
oon $ulba über bie „Oeutfche 3 ugenbwanberbewegung", oon Klingemann, 
Koffinna, Kuhlenbed, Cuntowsti, Preufj u. a., bie wohl geeignet finb, Sinn 
unb tiebe unb Begeiferung für beutfdje Kultur, beutfefjes $ühlen unb Oenfen 3U 
roeden, wenngleich es aas oetfrüht etfdjeint, fdjon ber 3ugenb ben getmani* 
l<h«n Raffegebanten wie ein Dogma ein3uptägen. 3 nbeffen erftredt fich 
unfte 3 uftimmung nicht auf Beittäge wie bie oon Kot|be über bie „fjerrlichteit 
beutfehet IRaletei", bet nirgenbs in bie ©iefe bringt, unb not allem nicht auf bie oon 
flbolf Bartels über „Deutfehes Schrifttum" unb oon fjointich IDolf über 
„Oeutfche ©efchichte". ©s tann nicht fefjarf genug auf bie ©efahr aufmertfam 
gemacht werben, bie barin liegt, bafo unfter 3ugenb Literatur unb ©efchichte in biefem 
national engher3igen Sinn nahe gebracht wirb. Bei beiben Derfaffetn tritt bas Pole* 
m i|<he, Parteiifche unb 3 ntoierante ihres tDefens aufcetorbentlich ftart in ben Dotber* 
gtunb. IDos fie bieten, ift nichts als eine Häufung oon IDerturteilen, bie oft 
fogar gefchmadlos unb albern finb. All bas hämmert fich nun in bie unreifen, un* 
Wtifchen Köpfe ein unb tötet bie $ähigteit, burdj eigenes Rachbenten ein felbftänbiges 

2 ) Das 3ugenbgeleitbuch. ©ebente, bafo bu ein Deutfdjer bift. fjetausgeg. oon 
«-gomas tDefierich unter ITtitmirfung 3 ahireicher IRänner. Ceip^tg 1914, Dieterichfche 
ueriagsbuchhanblung (©heobor EDei^er). ®eb. IR. 5,—. 

®«b IR 3 60°^ ® U( * en ’ ^ ur Sammlung bet ©eifter. £eip 3 ig 1913, Quelle u. IReyer. 



220 


Citeraturberidjt 1914: 3«genbleftüre 


Urteil 3 U gewinnen. Das (Ergebnis einer folgen „öeutfdj*DÖlfifd?en" (Etjiehung, 
bie weit non jener (Eucfenjdjen gorberung entfernt ift, f ann nur nationale unb lite* 
rarifdjeBorniertlj eit fein. (Es ift erjdjrectenb, wie AbolfBartets oom ©efictjtspunft 
öer„gefunben tta^rung"aus mit bem mobemen Schrifttum umgebt. 3ugleid] beflogen? 
wett, benn in ihm ftedt eine ftarfe Kraft. (Et hält fürchterliche Rtufterung, unb wehe 
bem, bet feinem oölfijchen 3beal nicht entfpricht! (Er wirb mit einet falben 3eile 
ober einem fehmüefenben Beiwort erlebigt, wenn er nicht gar in ben „fürchterlichen 
Citeraturfumpf" geworfen wirb. Kann man freilich non einem IRanne, ber äfthetifdj 
wie inhaltlich auf bem Stanbpunfte eines gehäffigen antifemitifchen Kreisblattes 
ftehenbe Derfe gemacht unb in einem Buche ueröffentlieht h a ^ erwarten, bah er 
irgenbein Derhältnis 3 u Dichtem unb Dichterinnen wie Dehmel, <5erh. fjauptmann, 
(Tiara Diebig, Ric. fjuc^ u. a. hat? 

IDas bie aus feiner „flngewanbten ©efchidjte" entnommenen flbfchnitte 
fjeinrieh U)olfs betrifft, fo muh auch hier gefagt werben, bah äas < 5 ute unb fln* 
regenbe burch ben oben gefenn 3 eidhneten (Tharafter unterbrüeft wirb. Der 4. Heil, 
ber allbeutfche Parteipolitif in Reinfultur bebeutet, mühte angefidjts bet (Erhebung 
oon 1914 oon Rechts wegen eingeftampft werben. (Es erfüllt einen gerabe 3 U mit 
ngft oor bet 3ufunft, wenn man hört, bah biefe ©efchichte burch eine Sdjenfung in 
fjurtberten oon Stücfen in bie Schülerbüchereien höherer £ehranftalten (Eingang 
. en uns ^* e f cs 3ugenbgeleitbuch troh wertooller flnfätje 3 U 

emem frafttgen Rationalbewuhtfein, bas hoch auch Achtung oor bem guten gremben 
heben foll, im gan 3 en nicht über 3 eugen fönnen. (Es mifcht {ich leicht ein falfher, 
hochmütiger nationaler Hon ein, ben wir oermeiben müffen. Der fei ben (Eng* 
lanbern unb gran 3 ofen überlaffen, bie fich in bas IDefen frember Dölfer nicht hinein* 
benfen fonnen unb jetjt bie golgen biefes mangels tragen. 


praftifdje Derfuche mit 3ugenbf<hriftenausfteDungen. 

... De . t ., Bet i d?t öcs - Bremct 3nftituts für 3 ugenbfunbe" 4 ) oerbient es, bah man 
lieh mitihrn bes näheren befchäftigt. (Er gibt uns recht brauchbare unb nachahmens* 
werte (Kittel 3 ut fruchtbaren flusgeftaltung oon 3ugenbfchriftenausftellungen. Das 
erreich a, ® t ^ cn äurch ein 3ufammenwirfen oon Kunft unb Dortrag. Das Alte 
« | einc Aula 3 ur Detfügung geftellt, man hatte bie Befuget burch 
,c Pe flusfehmüefung bes Saales fowie burch Bilbetjchmucf angelocft; all* 

„rTJr D ° tträ9C D0t öcn erfchienenen ©äften gehalten. Die Befu«het3«hl 
rretchte bie ftattliche 3ahl oon 2000 . Die Dortragsorbnung fei bes Sntereffes unb bei 
Anregung wegen mitgeteilt: 

S °™! a oJ'B'taS(Un' l 2 ,“ BnÄ" 1 " 5 6,1 »“>“9“» Dit - Dr ' m 

Dienstaq *9 S-®ansbetg: „Belehrenöe 3ugenbf<hriften". 

SS 9 ,o Dr - ® ertruö »Sumer: „Badfifchliteratur“. 

«Ät »ni. mit üiÄ S Äbrt! e “ Un9: ' Bi " 9 ° ”* ani,m *** ma ' 

Stettag, 12 DMMnber'^ftu 8 m^r! ^ rI ‘ ^ r ‘ Siemfen: „3ugenbliteratur für Iltäödjen . 
SugenMettüt? ' ^ ^ Dr ‘ ^eibenbain: „Über Auswahl unb Derbreitung »on 


4) Bremer Schulblatt. 3an. 1914 . 




Don ©eorg Doft 


221 


Sonnabenb, 13. Dejember, 8 V 2 Uhr: $rau I). Riefdj: „Das £efen im £jau|e". 

Sonntag, 14. Dejember, 12 U^t: Dr. med. £. Sdjolj: „P^antaftifdjes unb Abenteuerliches in 

ber 3ugenbliteratur". 

Ulontag, 15. Dejember, 10 Uljr: Schiufo bet flusftellung. 

Die flusftellung ift Sonntags oon 12 bis 5 Ul?r, tDodjentags oon 5 bis 10 Ufor geöffnet. 
— (Eintritt frei. 

Derjeidbniffe empfehlenswerter 3ugenbfd}riften, herausgegeben non bem Snftitut für 
3ugenbtunbe, unter Rtitwirfung bes ©rtsoereins Bremer Budjbanbler, werben gratis nerteilt. 

Die angefammelten Buchet toerbert ausgeliehen, befprodjen; befonbers wirb bie 
IDitfung auf ben Cefet feftgeftellt. Sehr roertooll ift bie Anregung bes Bibliothekars 
ber Dollslefehalle Dr. fjeibenhain nach bem Bericht non Dr. ttlj. Dalenfiner: 
„Hut einer gtofoügig angelegten ©rganifation bet Arbeit, bei ber alle an bet 3 ugenb- 
((hriftenfrage beteiligten Kreife in $uhlung unb Austaufch miteinanber ftehen unb 
ben Kiebetfchlag ihrer Arbeit in einet biefem 3 m®d* bienenben 3 eit* 
fdjrift geben, ift es möglich, einen mafogebenben (Einflufc auf bie geeignete Der* 
breihmg unb Auswahl ber 3ugenblettüre 3U gewinnen. Solange biefe ©rganifation 
noch nicht befteljt, fönnen bie Prüfungsausfchüffe nur leitarbeit leiften." IDit freuen 
uns, bafj bie $orberung einer Ausfprache in einer 3 eitfdjrift auch in Bremen als not* 
wenbig anertannt witb, ber Prüfungsausfdjufe bes Dresbenet Philologenoeteins ift 
nur burch ben Ausbruch bes Krieges an bet Ausführung ber gleichen Abficht geljinbert 
worben. 

Bücherbefprechung. 

3 m gtühiahr 1914 hat ©r af Reoentlow 5 ), bet Dertreter ber auswärtigen Poli* 
tif an bet „täglichen Runbfchau", ein Buch non bet beutfdfen Kriegsflotte oeröffent* 
licht, bas fichet 3U bem Beften gehört, was wir auf biefem ©ebiete fennen. (Er oer* 
meibet es, burch Auf3ählung all ber $lottenbauten, bie 3ur feigen ©röfoe beigetragen 
haben, ben iungen £efet 3U langweilen; unb bodj witb ihm aus biefem Buche Har 
werben, mit welch ungeheurer Kraftanftrengung aus fleinen Anfängen biefe UTadjt 
erftanb. Die lEatfache, wie aus bem Itidjts EDilhelmshaoen erwuchs, wie Kiel 3ur 
©rofoftabt würbe, befagt mehr als alle langatmige Durcfjhechelei oon Regierungs* 
forbetungen unb Debatten im Reichstage. Das ift bet Rachteil ber Ricfjterfchen 6 ) Ar* 
beiten, bet immer wieber betont werben mufj, unb ber auch bei feinen „<Ein3el* 
bilbetn aus ber ©efchichte unfrer Rtarine" 3um Schaben bes ©an3en fidj be* 
ntertbar macht: 3 u aftenmäfeige, getreue Regiftrierung ber (Ein3elbegebenheiten, 
fo bafo es 3u feinem Schwung ber Darftellung fommt, unb bet Cefer nicht bauemb 
gefeffelt witb. Reoentlow ftellt bas unbeftrittene Derbienft Kaifer tDilhelms II. 
unb feines Beraters o. ©irpit) in ben Dorbergrunb unb 3eigt ihren weitfdjauenben 
Blicf, ihren feften, 3ielbewuftten IDiUen, mit bem fie bas IDerf begannen unb un* 
etmüblid) butcfjführten. Dafo bet Derfaffer neben hiftarifd}*po!itifchen ©tünben in 
Anlehnung an bas oom Reichsmarineamt gegebene Beifpiel, wonach bie $lotte eine 

5) ®taf ©rnft ju Reoentlow, Deutfdjlanb 3 ur See. (Ein Buch oon ber beutfchen 
Kriegsflotte. Rtit 48 meift ganjfeitigen Abbildungen im Seit unb oier $atbenbilbem. £eip* 
J*9 1913, Otto Spamer. ©eb. ITT. 6,—. 

6 ) Prof. Dr. 3. RJ. ®tto Richter, (Einjelbilber aus bet ©efchichte unferer Rtarine. 
tn 150* Seebüd?etei ' Bö - 29 )- Altenburg, S.*fl., Stephan ©eibel. Kart. nt. 1,—, geb. 




222 


Ctteraturberidp 1914: 3 u 8*nöl«ftürt 


Derficherungsanftalt füt coIJsroirt[d)aftlid]en ©etoinn ijt ( bie Hotioenbigleit einet 
ftatlen glotte audj oom Ijanöelspolitifdjen unb DOÜsroirtjdjaftlidjen Stanöpunft be= 
toeift, ift ein »eiteret Dot3ug bes Buches. 3 c näher bet £efet Öen Kapiteln tommt, 
in benen Reoentloto übet bie IRatine jptid]t, toie fie Ijcutc ift, übet bie Betriebenen 
(Typen, Hinrichtungen unb Aufgaben ber Skiffe, umjomeljr metft et, bafc h* et e ' n 
gachmann fpricht, ber ben Stoff beljerr|cht, unb betn es in etftet £inie batauf anfommt, 
Detftänbnis unb £tebe 3U unfrei glotte 3U toeden. 3 d) lann mit fein jdjönetes glotten« 
buch für unfte 3 u<}cnb benfen als öiefes oon Reoentloro. 3 n einet hoffentlich red^t 
halb etfdjeinenben Reuauflage müfjte freilich bet Derfaffer befonbets im etften Heile 
feines IDerfes bas fjota3ifdje Saepe stilum vertas noch mehr beamten. (Dgl. 3. B.: 
S. 8: (Et toufete genau genug; S. 22 : IDenn Preußen eine Seemacht toollte, fo tnufjte 
es gleich orbentlich etwas toollen; S. 25 : Direft hierunter leiben taten natürlich io 
etftet £inie bie beutfdjen Seeftäbte ufto.). 

(Ebenfo toie Reoentlotos „Deutfdjlanb 3m See" toünfchen mit o. Stoffs 7 ) 
„ 3 n gjorb unb IRittelmeet" bie roeitefte Derbteitung. 0. Stofch, bet Detfaffet 
bet gerne gelefenen Schrift „Dom Seefabetten 3um Seeoffi3iet", h°t Kapitän« 
leutnant bie etften gahtten unb bie flusreife bes Keinen Kteu3ets „Bteslau" int 
3 ahte 1912 unb 1913 mitgemacht unb et 3 ählt nun in biefem Buche feine (Einbtüde 
oom Rotb» unb IRittelmeet. heute »erben biefe Selbfterlebniffe, in bie auch »iel 
Schilberungen oom abtoedjflungsteichen £eben auf einem Kriegsfdjiffe oetflochten 
finb, gan3 befonbets feffeln; fie bringen bas tapfere Schiff unb feine fllannfchnf* 
unfetem het3en noch naher: möge es feine neue Aufgabe glüdlidj löfen! (Einen beut« 
f<hen ©rufe hin 3 um Schtoat3en IReet! 

Übet unfete beutfetjen Kolonien liegen 3»ei Banbe oor. ©an her 8 ) h°t 
3üge aus IDetfen befannter gotfdjer toie Roljtbach, Rlalfcahn, oon Rofen, IDifemann, 
Stanley ufto. 3U einem Buche übet Aftifa oeteinigt, bie ein anfchaulidjes BUboon 
£anb unb Doll geben. Aud} piene £oti ift oettreten, aber nicht immer glüdlidj übet' 
fe%t. IDas hier not allem gefällt, ift, bafj jene fattfam belannten abenteuerlichen 
3äljlungen fehlen, beten Detfaffet nie ben bunflen (Erbteil befugt hüben. Das Buh 
toenbet fidj mit feinen emften, fachlichen unb bodj feffelnben unb oielfeitigen Auf« 
fätjen an reifete £efer. Dagegen ift füt jüngete oon IDinllers®) „Bleib treu 
Sübtoeft" (ehr geeignet, bas bie (Erlebniffe eines IRusfetiers in bet Sdjutjtruppe unb 
feine fdjliefeliche Dertoanblung in einen fübtoeftaftifanifchen gatmet fdjli<ht un b an ‘ 
3iehenb fdjilbert. 

Aus £iebe 3U feinet engeren fjeimat hat IRartin Btaefe 10 ) feine beiben Bü<h eI 
gefchtieben. (Et toiil bem toiebet enoachten Sinn füt bie Hatut „ein toenig neue Rah' 
rung geben", „bie toahte unb grofje £iebe 3U unfetet Allmutter Ratut" in bie h et 3 cn 

7 ) Ridjatb o. Stofch, 3 n gjorb unb IRittelmeet. gahrten eines Keinen Kreters. 
TRit 26 Abbilbungen. Berlin 1914 , S. S. mittler u. Sohn. ©eb. IR. 2 , 25 . 

8 ) ©tto ©an^er, Aftifa. („gerne £änbet".) £eip3ig, Abel u. lRüIler. ©eb. m. 3 , . 

9) Alfteb 0 . IDinfler, IRajor 3 . D., Bleib treu Sübtoeft. £eip 3 ig, Abel u. luulier. 

®eb. m. 3 ,—. 

10) IRartin Braefj, Hiere unferer fjeimat. fjerausg. oom Dütetbunb. münch* 1 * 
1913, ©eorg D. ID. dalltoey. ©eh- m. 3 ,—, geb. IR. 4,—. 

—, Aus bem Dogelieben unferer fjeimat. ©mithologifdje piaubeteien. fjetausg. com 
Dürerbunb. 3m gleiten Derlag. ©eh- m. 2,50, geb. IR. 3,50. 



Don ®eorg Doft 


223 


oon alt unb jung pftaqen. Sie bieten in bet Hat aud) öem £aien einen hohen ©enufo, 
bereiten fteunblidje Stunben unb roeden bie Se^nfudjt nach £id)t, £uft unb bem 
£eben in bet Ratur, um jo mehr, als Ijiet nid)t lebhaft unb troden berietet roirb, 
jonbetn alles aus roärmfter (Empfinbung, aus bem glü<flitf?en (Einsfein mit ben ©e* 
fdjöpfen unfetet fjeimat, aus ftohem (Erleben unb Iebenbiger Anfdjauung herausfliefot. 

3 n bie Sagenwelt bet beutjdjen fjeimat führt uns bas fdjöne Bänbchen „Don 
bet Stau holle 11 ), bas bet betannte (Einbornoerlag oeröffentlidjt bat. Dotan gebt 
eine (Einleitung, bie entroidlungsgefchichtlich bie Sagengejtalt bebanbelt, unb bann 
wirb uns Stau holle gefdjilbert, roie jie in ben oerfchiebenen IDanblungen erfd^eint, 
»on ben Urbilbem bet (Ebba an bis auf bie Sagen unb Ulärcf}en, bie fid? noch ^eute in 
Deutf<h!anb etbalten haben. Die Datjtellung ijt fprachlid) gej<bidt, unb bie pracht* 
oolle, gebiegene flusftattung oon Kuithan, IHüller* Illünfter, <E. £iebetmami unb 
Staffen machen bas Buch 3U einet oorbilblichen 3ugenbjd}tift. Dagegen müffen wir 
Klara Ströters 12 ) Detjud), „Ridjarb IDagners Ring bet Ribelungen" in 
Altersmunbart 3U et3äblen, tunbtoeg ablehnen. 3 ft es roitflidj nötig, Kinbetn, bie 
bieje Sptadje nodj jptedjen, bie größten Rleijterroerte unfetet £iteratut als geiftige 
Habtung 3U3umuten? Ridjatb IDagners Ribelungenting unb ©oethes Sauft in bet 
Kinbetftube! Ulan böte eine beliebige Stelle: 

„Unb noch jefot erjäblen bie großen Dichter ©efdjidjten oon biefen ©Ottern, ffin folget 
Dichter ijt Richatb tDagner. Det bat eine (Sejdjidjte erjäfjlt, bie fdjon oiele oor ihm erzählt 
haben, aber et bat jie jo etjäblt, bafo es nun noch roieber eine gan 3 neue ffief^ichte geroor* 
ben ijt. Das ijt getabe jo roie beim Sauft. Den Sauft haben auch fd?on 00 t ffioetbe er* 
3 ählt, aber ©oetbes Sauft ift bodj roiebet eine gan 3 neue ©efdjidjte. Richatb IDagner bat 
jie nicht fo erjählt, roie i<h fie euch eqähle, fonbem er bat fie erjä^It, bafo man fie gleich 
auf bem Sweater fpielen tann, er bat nur erjö^It, roas bie ©ötter unb bie 3®erge unb bie 
Ulenfchen jagen; bas, roas fie tun, bas mufo man bataus metten, roas fie jagen. Unb 
bas ift nicht immer gan 3 leicht, manchmal erjäblt man bas, roas 3 uerft gegeben ift, erft 
mitten brin ober gar am Schiufo. Aber idj roill hier alles bet Reibe nach e^äblen." 

3 n biefem Hone roirb nun 119 Seiten lang „et3öblt". So roitb bie tieffte Poefie 
bereiten butdj platte Auftlärung oerroäffert. Da roill uns ein fräftiget Stunt aus 
ben natürlichen Quellen unferes Doltstums mehr behagen. (Er roitb uns in ben 
„Alten beutfdjen Sdjroänten" 12 ) aus bem 16 . Jahrbunbert bargeboten. Die 
Auswahl ift nach Öen Ausgaben bes £iteratifchen Deteins in Stuttgart erfolgt, unb 
3roat jinb bie Sdjroänte nach £ebenstreifen geotbnet (£anbsfne<hte, Schelme unb 
Abenteutet, Bauern, Spafo* unb Spottoögel, Sdjilbbütget ufro.). Die fpradjliche 
Sotm roitb jüngeren £efetn freilich bi« unö ba Sdjroierigleiten machen. Das Büdjel* 
eben oerbient aber fonft alle Anertennung, roo3u auch bet prächtige Budjfdjmud non 
St<n«3 Ulüller*Ulünfter beiträgt. 

11) 3ungbans u. ©urtis, Sagen unb Klärchen oon ber Stau holle. Ulit ötei farbi» 
9 en ®riginalftein 3 eichnungen oon U). Stumpf unb 3 ablreichen ©eytilluftrationen oon 4. Kuit* 
bem, $. Ulüller*Ulünfter, 4. Ciebermann, $. Staffen. Stuttgart, holbeinoerlag. ©eb. Ul. 1,50. 

12) Klara Ströter, R. IDagners Ring ber Ribelungen in flltersmunbart etjäblt. 
Berlin*£ichterfelbe 1914, hauslehreroerlag. Brofch. Ul. 1,25. 

13) Rite beutfdje Sdjroänle. Aus ben Sammlungen bes 16.3abthunberts ge 3 ogen 
outch Seoetin Rüttgers. Derlag ber 3ugenbblätter (4arl Schnell), Ulündjen. 44. Banb 
oet „Quellen", berausgeg. oon heinrid) IDolgaft. Buchfehmud oon S*an3 Utüller* 
«fünfter. Kart. Ul. 0,25, geb. 0,50. 



224 


£tteraturf>ericf)t 1914: 3u9«nbleflfire 


t)er Derlag ScWoI 3 Wat eine neue Reiße Büdjet 3U Deröffentlicfjen begonnen, bie 
bie toeiblicße 3ugenö non „bet unbelömmlicßen, frucßtlofen BadfifcWliteratur" ab» 
lenfen foll. EDit toünfcßen biejen 3ungmäbcßenbü(Wern ben beften Erfolg, ©uftaa 
Salles 14 ) „Wett purtaller unb feine ©oeßter" fließt oon bet üblichen Bad* 
fifcßleltüte in bet Gat oorteilßaft ab. 3n glüdlidjet Hifcßung oon ©mft unb Weiter¬ 
leit roirb ßiet gefcßilbert, toie ein Dater buteß tDillensfcßroäcWe immer tiefet finit, 
toäßrenb feine Socktet buteß ißre emfte, tiefe, tüchtige Art fieß empotarbeitet. Die 
oiet nöllig mißratenen <5an 3 biR>et Witte ber Derlag nießt aufneßmen füllen. Das 
„Deutfcße 3ugenbbucf}", oon Koßbe 16 ) ßerausgegeben, reißt fuß feinen Dor 
gangem mütbig an. Rad} ben ©runbfäßen bes päbagogifeßen Derlags oon fl. Pi<W s 
Iet Wat 3ofef Ambros 19 ) Härcßen aus „üaufenb unb einet Hacßt" in brei 
Bänbcßen gefcßmadooll bearbeitet; nur möeßte man iWnen einen mobemen Bilb* 
feßmud toünfeßen. 

Kriegsetinnetungen oon 1870/71 toetöen immer notß oeroffentließt; felbft 
toäWtenb bes IDeltfrieges erregen fie noeß unfere leilnaßme. Hit einem ©atmen 
Appell an Deutfcßlanbs 3ugenb Wat Cubtoig Diemer 17 ) feine KriegsfaWrten in Hage« 
bucW* unb Briefform er3äWlt: (Eine getreue unb toaWrWaftige Darftellung, bie uns 
au<W besWalb gefallen Wat, toeil Wißt bie Deinen unb üeinften Dinge bes Ktiegslebens 
anfeßaulid} berichtet toerben. Höcßte biefes Bucß reeßt oiele §teunbe firtben! 

(Einen feffelnben Blid in bie ©ejeßießte ber großen inlanöifcßen Detmögen (bet 
RotfcWUb, Krupp, Siemens unb Ballin) gemäWrt bie Scßrift oon Preßn oon Demi*“), 
bie unter bem Hitel „Hammonarcßen" als 3aßtesgabe ber feßon toieberWolt emp* 
foßlenen gefcßicßtlicßen 3eitfeßrift „3eiten unb Doller" 19 ) erfeßienen ift. 3n 
biefem BucWe toitb nießt nur bie ungeWeuer politifcW unb toelttoirtjeßaftließ entjdjei* 
benbe Bebeutung bes in einer $amilie angeWäuften ©elbes beutlicW, fonbetn man 
lernt aueß bie 3ä^igfeit, ben Scßarfblid, bie Genialität biefer ©elbfürften lennen unb 
erlebt mit iWnen unb ißren Racßfolgem gleießfam bie (Entperfönließung bes ©elbes. 

An leßter Stelle fei nocW empfeWlenb auf bas feßon ein Walbes 3aßtßunbert a ^*' 
nun aber (oon Alejranber Cion, bem Derfaffer bes Pfabfinberbueßes, unter IM* 
toitlung anbetet) grünbließ bureßgearbeitete unb umgeänberte tDagnerfcße «Spiel’ 
bu<W ffit Knaben” 90 ) Wingetoiefen. Alle Spiele für bie Kleinen jinb befeitigt, bas 


14) ©uftao $alte, Wen PurtaUet unb feine ©oeßter. nungmäbeßenbücWer, W«ausg 
oon ID. Koßbe.) Hain 3 1914, Scßolj. ©eb. H. 3,—. 

f®) Deutfdjes3ugenbbudj, begrünbet u. ßerausg. oon IDilW. Koßbe. Hit Bilbetn®oi 
«• ßetnetsöorff. Hain 3 1913, 3. ScWol 3 . ©eb. H. 3,—. 

16) Harten aus „©aufenb unb einet ItacWt". $üt bie 3ugenb ausgetoäßlt oon 3°l e 
3 Bänbcßen. IDien, fl. picßlers tDittoe u. Soßn. ©eb. je K. 1,—, IR. 0,85. 

“J ? r - Cubmig Diemer, Don ber ScWulbanl gegen bie Stanjofen! Kriegsfaßr« 
etnes Sreuotlligen 1870/71. Dresben'1911, ©ofeß’ Bucßßanölung, Haj Ceitßolb. »«' 
* 11 » 

18) ß. P t e W n o. D e to i ß, HammonarcWen. Aus bet ©efebiebte ber großen inlänbiM« 
Dermogen. Stuttgart, Srandßfcße DerlagsbucWWanblung. ©eß. H. 1 ,—, geb. H. 1 , 80 . 

t r eit i" u , ni) D5Itet " (HonatsWefte für ©efeßießte, Kulturgefcßicßte, Cänbet» un 
abonnement H^O 12 ^ e ' 2 Bu< ^ beiIa 0«n). Standßfcße DerlagsbucWWanblung. 3aW«- 

3lIuftrktt t es ^ pieIbudj f ür Knaben.^©ine Sammlung oon Beaegungsfpielen w 
Kotperubungen, pßyftfalifcßen unb eßemifeßen Kunftftüden, unterWaltenben fjanbfertii 



Don tDill ©rohmann 


225 


Bu© eignet ji© meintest etft für Knaben (au© füt Xltäb©en!) ungefaßt oom je^nten 
3ai}te an. tDas bie 2e©nit in bet Spielwateninbuftrie Heues gef©affen hat, ijt füt 
öie 3ugenb oerwertet worben. Bor allem t;at man IDett auf tumerif©e unb fport* 
li©e Übungen im Strien gelegt, Au© öie mobemen ©elänbe* unb Pfabfinbetfpiele 
unb alles, u>as neben bet Übung bes Körpers bet fittli©en ©giehung förberli© ift, 
bat man gef©idt hetange3ogen. $ernet ift füt Bef©äftigung in Pbyfit unb ^lycmie 
unb in tjanbatbeit jegli©er Art in geiftbilbenbet IDeife gefotgt (bet Ri©terf©e Anlet* 
fteinbautaften foroie bie üblen Dotbilbet bet Branbmaletei tonnen fteili© nidjt auf 
3uftimmung tedjnen). Abbilbungen foroie bie ganje Ausftattung ift oor3ügli©. 

II. 

Don tDill ©rohmaitn in Dresben. 

$üt bie „Ulljtein=3ugenb*Bü©er" bat ©erbatt Hauptmann 1 ) ben „patfioal" 
unb Helene B ob lau 2 ) bie „©ubtun" beatbeitet. Bie Sammlung bat bamit 3ioei 
Bänbe betommen, um bie <Erroa©fene bie Kinbet beneiben müffen, toenn fie es ni©t 
ooQieben, felbft unter bie £efet Hauptmanns unb fjelene Böblaus 3U geben. 

3n einet oöllig entgegengefeßten Art finb bie 3toei IDette unfetet mittelho©* 
beutf©en Blüte3eit na©er3äblt. Die Detf©iebenbeit bet Detfaffet unb bie Bet* 
{©iebenßeit bet Dotlagen mögen gleichmäßig ba3u gebtängt haben. 

Bie „©ubtun" ift reich an äußeret Handlung, an Heldentaten unb Seefahrten. 
Scbtoete innere Kämpfe fehlen. Ulan brauet nur bas IDefentlicbe 3ufammen3ufaffen, 
um bie Sage jungen ITCenf©en (©matfljaft 3U madjen. Das tut Helene Böblau mit 
großem ©ef©id. 

IRit bem Ceben am Hofe Hetels 3U Hegelingen unb bet breifachen IDetbung um 
öeffen Holtet ©ubtun feßt bie Beatbeitung traftooH ein; bie Hagen* unb Hildefage 
ift toeggefaQen. TTlit feften Strichen werden bie Kämpfe um bie eine oielgepriefene 
$rau batgeftellt. nirgends ift bie Abfi©t 3U fpüten, oot Kindern oetftänblich 3U reden. 
Der barte ©mft bet Botgänge oerträgt fein 3ure©tftußen unb bebarf beffen au© 
ni©t. Helene Böblau bat fi© in bie Rolle eines Spielmanns oerfeßt. „3© will eu© 
eine ZRäte fünben", fo beginnt bie ©t3äblung, unb but© bie IDorte „wie i© 
hörte", „roie man mit wohl glauben wirb", ertei©t fie, baß man ©t toitfli© 3U3U* 
böten glaubt. 3m Ausbtud lehnt fi© bie Detfafferin eng an bie Dotlage an. 3ljte 
Spta©e ift einfa© unb altertümlich. ©in3elne IDenbungen unb Derglei©e bat fie 
dem mittelbo©beutf©en ©pos entnommen, ©b es angebra©t war, ein3elne mittel* 
ho©beutf©e IDorte auf3unehmen, batübet läßt fi© ftteiten. 3ur Ünoerftänbli©teit 
führen fie nitgenbs. 

Wolframs „Patfioal" !ann ni©t ohne weiteres füt bie 3ugenb na©et3äblt 
werben. Bet but© bie mittelalterli©*höfif©e Kultur (tat! bebingte, fteile unb oet* 
wortene UJeg bet großen Seele bes Patfioal lann nur in bet Ausbeutung eines 
ftarien Di©te ts Ceben füt junge RIenf©en gewinnen. ®s ift ein fonbetbates ©lücf, 

® en tfpielen unb ©eiftesübungen. Don Hertmann IDagner. 25. Auflage. Unter 
ütarbeit oon brei Sa©männem neu beatbeitet unb betausg. oon Dr. Alej Cion. IRit 290 
e|tabbilbungen unb brei farbigen üafeln. Ceip3ig 1913, ®tto Spamer. ©eb. IR. 4,50. 

1) ©erbart Hauptmann, Patfioal. Unftein*3ugenb*Bü©er. Bb. 15. IR. 1,—. 

2) Helene Böblau, ©ubtun. Ullftein*3ugenb»Bü©er. Bb. 15. IR. 1,—. 

3«ittd)r.f. t. (MuqdjenUnterrid|t. 29.3al)rfl. 15 



226 £iteraturberid}t 1914: 3ugenblettüre 

öafe ©erwart ^auptmann über biefen Stoff gefommen ift, bet gtofje Kämpfet, bet 
im „(Emmanuel Quint" bereits mit marmem Derftehen Öen EDeg einet munberfamen 
Seele öatgeftellt h«t. 

Aus bem biden goliobanb, bet noch manches aufjet bem Ceben Patffoals ent¬ 
hält, mufe tjauptmann für fein Heines Bänbdjen ausmählen, roas bie teilte (Ent- 
tüidlung bes jonberbaren Hlenfdjen oerftänblich macht. Ittit menig Petfonen uno 
Dotgängen fommt fjauptmann aus, unb toie gtofe ift babei bet (Ertrag feinet Be» 
arbeitung. 

fjer}eleibes IDatnung not ben IttenJQen, oon benen auch i^t £eib getommen lei, 
bringt ben jungen Patfioal 3um etften ERale 3um Rachöenfen. $ünfoiettel3#?“ 
et es bei bet IHuttet nodj aus, bann 3ieljt ihn „eine gefunbe unb natürliche Kraft 
in bie EDeite; fein 3tten beginnt. 3m 3®eitampf befreit et eine Dame non iptem 
gebauten Ritter, abet ein ©efüfjl toie Reue tommt übet ihn unb oerleibet ihnt ie 
tDelt. Die Ruhe feinet Seele hofft et bei beleihe mieöet3ufinben, aber bie mutter 
ift fort, ihre tjütte ift oetbtannt. Don einem Angler toitb Patfioal 3Ut ®t ' 
butg gemiefen. Dort mürbe et nielleidjt oon het3eleibe böten. 3tt bet Burg et e 
Patfioal EDunberfames unb roitb tief erfdjüttert, obmobl et es ni(bt oerftebt. I 
oiel fpäter, nach einet Untertebung mit bem ©talfotfdjet in BlanQeflouts 5 a » 
füblt et: „mit matb bet ©tal gleidjfam in bie EDiege gelegt, ich aber ertannte ibnrj 1 . 
unb mufete ibn nicht 3U mütbigen." ©omemant, bet Pförtner bet ©talsbutg, m off 
Öen Jüngling beim Abfdjieb 3um Rittet unb fdjidt ibn mit ditiftlidjen £ebten in ie 
EDelt. Auf feinet gahrt erfdjlägt Patfioal ane, bie ibm nicht Austunft geben tonnen 
übet fjet3eleibe unb übet bie Symbole auf feinet Rüftung. Sdjliefelidj mitb et je t* 
oon einem fdjroat3en Rittet gefQlagen, bet ibn übet biefe Symbole unb ben ©tal l e 
nad^ubenfen aufforbett. hoffnungslos reitet patfioal meitet unb tommt in Blanaje» 
flouts Stabt. Die Königin läfjt ibn 3U fid} rufen. Als fie fein £eib erfährt, n>ill l’enu 
ibm bie ©ebeimniffe bes ©talstönigs, mit bem fie übrigens oetmanbt ift, 3U etfotfdjen 
Juchen. Allmählich mitb Patfioal biet febenb unb miU nun nicht eher tuben, ab b 
et bie 3trtümet feines bisherigen Cebens öurd) Haten gutgemacht b®t. 3n bet a 
naQ bet Demtählung mit Blandjeflout oerläfet et bie Stabt, fuQt oet3meifel e 
©tal, finbet ihn abet nicht unb lehrt nach langen 3ah ten gealtert beim, gew e o 
bem Hage, ba BlanQeflout begtaben mitb. „Rach allen biefen 3trtümetn unb 
roirtungen feines Dafeins Jdpen etroas roie eine all3U heftig gefpannte gebet ge 
fptungen 3u fein in bet Seele Patfioals." (Ein 3uftanb tieffter ©elaffenbeH toij* 
ie%t übet ihn. (Et legt alles ab, roas bisbet fein Stol3 mat unb mitb ein Dienen r 
ein Caftttäget. So mitb et allmählich mütbig füt bas ©ralstönigtum. ® ’’ 
aufmaQen, bie Butg 3U fudjen, ba tritt ©omemant in feine tjütte unb bringt ihm 
Ceibens* unb gteubensttone bes Amfortas. Patfioal nimmt fie im ©lauben „an 
Derföbnung but<h ben ©tal, an Saloatetre unb an bie heimliche Kirche. 

tjauptmann mibmet bas Büchlein feinem 3 roölfjäbrigen Sohne Benoenuto nn 
fdfteibt: 

„EDie Kitfdjen unb Beeten behagen, 

muff man Kinbet unb Sperlinge fragen." 

güt junge Blenfchen bat hauptmann alfo biefes Heine EDet! gefchrieben. 
fie ihn oerfteben? ©efühlsmäfjig mobl, abet nicht alle. Rut reine Seelen, beten 



X)on tDill (Brokmann 227 

ni^t öut^ Dorurteile getrübt ift, werten mit bem reinen Sor emporfteigen tonnen 
3Ut DerÖotung in ©hnfto. ITht liebeoollen Betrachtungen begleitet fjauptmann alle 
Dorgange. Parftoals Ifiutter ^iefe fjeQeleiöe", beginnt öie Stählung. 3<b möchte 

sJieZ IhVT TV?“ ^ nen ' Öiefen Beiname « 9dien fönnte." Don Öen 
£ebCn m öer Hatur reöet öer D^ter. Das IDunöetbare roirb 

Sd,mS?oWt nb f, e ^ etP ^S S K abCt D t° Ih9 natÜrIid?es ^* n 9eftent unö öamit über manche 
Sdjanengteit hmroeggeholfen. Unö follten roirflich öie Kinöer in Parfioal feinen 

SteU ; bfl f e "' a " l ° nn f Iieb «n, ohne tDolframs Parfioal oöer neben ihm. 

3m gleichen Derlag finö tltärchen oon $riöa Scf)an 3 3 ) erfchienen Aus b«t 
3.„tohonne„~ M t Bu*. 3mI—V mST* «„Ib 
miTt" w l Br ° lt " en mir S«t«raWt, ob id, tiieje IRätdjeit |d |t ieb. ; Hidjt 

!U »'nbn W ' n 3 “ 8 ’ m Dolte Wf* i« mit ««[ent Bo« e etoos 

l ? n ," it 1,0 ” eiK!I ’ ien “«Ifermatm, 6en Stamptinjon, 4i, 
a u b SptClmann ' öen ^ellfehenöen Schulungen, Öen Ulufifanten 

Kauialität aU unt? Ct9C ri £ f Cbl0fCS ^ £cbe "’ £ebcnöes ^ at übernatürliche Kräfte. Die 
niri? 1 r « eS DafCms 10,10 «Verbrochen. Aber IHärchenftimmung fommt 

ö r ba„L a ? f n? ®i IIÜrK ^ e im mätd ?«n W boi > feinen guten Sinn; roo aber 
& I? 3ufa l ertfd?t ' DCrIiert öct £e f« öie £uft, öurch bief unö öünn mihugehen. 
©ut! öÜa U "i Ü™ Sd?Iufe ( Wie bei un f eren aIten Wärmen) 3U fehen, öa& öas 

f ! e9i Kann CS etoas Märchenhaftes geben 

bat? m™ 9 R ÖC ÖC f mccr 9 e, f tcs an öen ©eiger, öem er 3auberfaiten gefchenft 

Dorteib S*t « 7 l ÖCt ® ei9Cl fid? 3U Der ^ aIten um bes groben 

©as übriö SiL f ? 3U 9 ^ Cn ' öas roirö f a fi fpiefeerhaft peöantifch oore^ählt. 
öen guten £ ?!” £cKute ' ift ni<h* nie! mehr als öer tüunfdj, mal roieöer 3 u 
| . ®?I n IHarc ^ en 3« «Jteifen unö fich fatt öaran 3 u lefen. 

D„ J*** 1 U ^ T j, "i un 9 «nö alt" finö aus öemfelben Derlag noch ammeigen* 
„Oeraaugemdjts' 0 °np.©.^öder-)unö „IDelfo öer Balfanfaöett" oonK. Aram" 

tüdfislof, b l b ? £cben CmCS i«thtigen Kerls, öeffen befte ©igenfehaft, öie 
etolfIna Öe " ® km Uni) einct im *> au f c “»ofaenben ©ante, in 

f«hlieftli* 9 m.c b fi^ et tmmcr roteöet mifeuerftanben roirö. I?ansheinri<h geht 
ti& ^° US Unb S( ^ uIc ««0 oerfucht ein Ceben auf eigene Sauft. (Er fefet 

S £obn H 2öd?ti9!cit mu & am ^nöe auch öer Dater einfehen, unö aud? 

Auf k c u ni< ^* 0US ' cr be i° mm t feine aölige iugenöfteunöin 3 ur $rau. 
f©aftsfr T eifrh7ff nSa t.?^ aUUn9 “ nö ÖCn StiI öes Buc ^ es f^ eine n öie befferen ©efelb 
9anq" öolt.t rr 4t3 °? U " 9 ab9C f drbt 3« faben. ^öcter glaubt einen „inneren IDeröe* 
gtofee e "' t b ? DOn fann Icinc Reöe f cin - ©ro^öern roeröen grojje unö feht 

tD P if« N 9e » DOn ^ ans ^ einricf ? «inen Abenö lang ©efellfchaft leiften Iaffen. 
öet Bulgaren ^ ^nfaöett" er3ählt öen lebten Balfanftieg. Atam fteht im £ager 
-9«n, beten beifpiellofe Begeifterung ihm hohe Artung ab 3 roingt. IDir er= 

19,4 3 ln S ^ a S<ban} > flus öen alten 3auberbronnen. Heue öeutfehe Märchen. Ullftein, 

5) Kurt fl r S „ !at ^l et| Der Taugenichts. Ullftein, 1914. Ul. 3,—. 
t Aram, tt)et!o öer Baltanlaöett. Ullftein, 1914. Ul. 3,—. 

15* 



228 Eiteraturberi^t 1914: Der Deutfd}unterrid)t in ber Dolkfd)ute 

leben ben gewaltigen Aufjchwung bes bulgarijdjen Reichs unb jeinen 3 u jammen- 
brach, ben bet Detfajjet als Strafe für ben tjocfymut anjieljt. Die Datjtellung bes 
Krieges jtellt leineswegs bie Berichte ber bamaligen 3 eitungen in ben Sdjatten. 

3 m Rlittelpunlte ber <£t3äl}lung jteht ber fiebje^njä^rige bulgarijdje Bauern¬ 
junge IDelto, neben ihm bet gebilbete HUyeboniet Baum Dento. Offenbar ijt es 
Atoms Abjidjt gewejen, biefe beiben ITlenfdjen als Dertreter ihres Dolles 3U 3eid}nen. 
Das ijt ifym nicht gelungen; bie Seele bes bulgatijdjen unb ma3ebonijd}en Doles 
3eigen fie uns nicht. Sie jinb tüchtige lUenjdjen unb Solbaten, nicht mehr. — §n? 
KocfcOotha hat bem Buche treffliche 3 eidjnungen gegeben; jeine berlinerij^e Luftig* 
feit lann er auch Ijier nicht oerleugnen. 

3 m Derlag Abel unb Rlüller ijt eine neue (E^ählung oon (Earl getbinan s) 
etjdjienen: „Um bie Kaijerjtabt." 3 ungen mit 3 nterejje füt Oejdjiefyte toetoen jte 
gern lejen. _ 

Das Seben in (Trier, ber Hejiben3 bes jpäteren großen Konjtantin, bubet en 
Ijintergrunb für bie Dorgänge bes Budjs. Ulan glaubt im Hont bes Detfaös 3U jein, 
überall Betrat unb Betrug. Die gtanlen wollen gemeinjam mit ben ©aUiertt ie 
Römer oertreiben, aber Konjtantin lommt ihnen 3Uoor unb bleibt fjett bet age. 
Damit bas ©emüt nicht 3U lut3 lommt, führt ber Derfqjjet bie jdjöne Holtet es 
Römers Attulius ein, bie ihre Siebe einmal bem $ranlenl}et3og Aslatid), ein an etes 
Hlal bem Römer Romanus jdjenlt unb beiben 3um Derberben wirb. Sie ijt eine 5 ’ 3 ut ' 
leine grau. Schabe, bafe bie grauen in 3ugenbjd}tiften meijtens jd}Icd}t weglontmen. 
IDie mufe im Kopf eines Dier3efjnjal}tigen bas ausjehen, was wir grau nennen. 


Der Deutjd)unterrid|t in öet Dolks|d)ule. 

Don Otto Brauer in Annabetg. 

Die An3a^l bet 3ut Bejpredjung eingegangenen Reuerjdjeinungen ober »teu^ 
Auflagen älteter Büchet ijt in biejem 3 ahte nur gering — wohl aud} eine go ge 
Krieges —; nur aus ber gibelliteratut liegt eine reichere Auswahl not. Aber 
gibeln lönnen nach ber metfyobijdjen Seite hm ^iet nicht ausfütjrlidjer beu 
werben. Ricfjt auf bie oetjehiebenen unterridjtUdjen Ulafenaljmen, bie für as 
lernen bes Sejens unb Schreibens im Saufe ber 3 eit ausgebilbet wotben jtn u 
benen bann bie ein3elnen gibeln Rechnung 3U tragen juchen, wirb eingegang 
werben, jonbern auefj bie erjten Büchlein, bie bie Kinbet in ber Schule in bie IV 
belommen, Jollen unter bie Oejichtspunlte gerüctt werben, bie füt bie Beu ei 
bes gejamten mutterjprachlichen Unterrichts in bet Dollsjchule mafegeben l l • 
Orunbjtüt3enbe neue 3 been jinb mir bei bet Durdjjicht ber Büchet nicht ent ^ 
getreten, wohl aber habe ich manche tüchtige Arbeit gefunben, bie in mafeooflen * 
3en bie neueren Oebanlen in ihrer unterridjtlichen Derwenbbarleit barjtellt nt 
mehr jeheint jid) bie Übe^eugung butd^ujetjen, bajj im Dollsfchulunterrichte ,n 

Sprachlehre bas Syjtem leinen piafc hat, jonbern bajj nur bas füt ben tidjttgcn ^ 
brauch bet Schriftjpractje Rotwenbige 3U behandeln unb bejonbers 3U üben M« 
3wat im engjten Anfchlujj an bie Ulunbart, bie tjausjprache bet Kinber, bie ber e 1 


6) <latl geibinanbs, Um bie Kaijerjtabt. Abel u. müllcr, 1913. 



Don (Dito Btauer 


229 


allmählich 311t Sdjriftfprache 3U oerebeln hat. Daoon erwartet man nicht nur eine 
görberung öet Spradjrichtigfeit beim Kinbe, fonöetn oot allen Dingen aud? einen 
großen ©ewinn für bie Bilbung eines gewanbten unb natürlichen ©ebanfenausbtuds. 
Ulan fieht femet immer mehr ein, bafj nur bann bie Kinber fpradjlich erfolgreich ge* 
förbert toerben tonnen, wenn Sach* unb Sprachunterricht fjanb in fjanb gehen; 
bähet lehnt man bie alte formale ©rammatit immer bemühter ab. fluch auf bem 
©ebiete bes Rechtfchreibunterrichts Hären fich langfam bie flnfid}ten. Rieht als ob 
(ich bie ©erfechtet ber beiben einanbet gegenüberfteljenben ILheorien, bet fogenannten 
tDortbübtheorie unb bes „phonetifdjen Prnyips", etroa geeinigt hätten — bie be* 
tömpfen [ich aus ben im ootiährigen Bericht angegebenen ©rünben weiter (ogl. 
28 . 3 ahrg., 4 . fjeft, S. 298 ) —; aber fie oertreten ihre flnfidjten weniger einfeitig unb 
fommen einanbet babutch näher, befonbets in bet Übet3eugung, bafe gute ©tfolge 
in ber Kechtfchreibung in erfter £inie burch unetmübliches üben erjielt werben. R)enn 
bieje flnjidjt fich in ber Praxis überall burchgefetjt haben wirb, bann wirb es auch auf 
bent ©ebiete bes Deutfchunterrichts, bas gegenwärtig noch w<h* im argen liegt, oor* 
wärtsgeljen. Unter ben gefetjlichen Beftimmungen, bie ben mutterfprachlichen Unter* 
rieht in ber Dolfsfehule regeln wollen, jeheint mit bet pteufeifche Rlinifterialerlaf} 
oom 31 . 3 anuat 1908 befonbers fruchtbar 3U fein, ©t hat bie Anregung 3U mancher 
fortjchtittlichen Arbeit gegeben. 

A. Allgemeines. 

©etbes 1 ) will mit feinem Buche an erfter Stelle'bem £eljtet bet RTethobif bes 
Deutfchunterrichts in Cehrerbilbungsanftalten an bie fjanb gehen, inbem et barin 
„bie (Ergebniffe bes Unterrichts fmg unb flat 3ufammenfafet"; aber et will auch öem 
jungen Deutfchteljrer einen brauchbaren $üljter burch hie Sülle feinet Arbeit geben. 
Rah einer (Einleitung, bie fich mit bet Rotwenbigfeit bet Sprachpflege unb ber Der* 
tiefung ber fptachlidjen Bilbung bes Cehrets befafet, behanbelt ©erbes ben gefamten 
Deutfdjunterricht in ber Dolfsfehule mit bem (Elementarunterricht in £efen unb 
Schreiben, flngefügt finb eine Ütetljobif bes Schönfchreibunterrichts, flbfehnitte übet 
3 ugenbfchtiften unb 3ugenbbüchereien unb flnweifungen über gortbilbung bes 
Cehrets im allgemeinen. Der Anhang bringt eine reiche unb gute Auswahl Iitera* 
rijdjer fjilfsmittel für ben Unterricht im Deutfdjen. Bei Behanblung bet ein3elnen 
Unterrichts3meige oeranf«baulichen gut gewählte Untertichtsbeifpiele bie metljobi* 
f<hen ©runbfätje bes Detfaffers, unb ein fnapper gefdjichtlichet Übetblid gibt febes* 
mal fluffchlufe über bie allmähliche fj era usgeftaltung bes gegenwärtigen Detfah* 
rens. ®hne rüdftänbig 3U fein, ift bet Detfaffet beftrebt, bem 3 ®ede bes Buches 
angemeffen möglichft am bewährten Alten feft3uhalten. Auf biefe R)eife belommen 
Seminariften unb junge £eljrer erft einmal feften Boben unter bie güfee, oon bem 
ans fie bann felbftänbig Weiterarbeiten tonnen, unb bie im Anhang angeführten 
IDerte führen fie tief hinein in bie neueften Begebungen auf bem ©ebiete bes Deutfeh* 
Unterrichts. Das ©efdpchtliche ift butdjweg in bie ihm 3utommenbe bienenbe Stel* 

1) Der Unterricht im Deutfdjen in ber Dolfsfehule. Ifjeoretijche flnroeifung mit Unter* 
nchtsbeifpielen. 3um ©ebtaudje in £ehter* unb £ehtetinnenfeminaten foroie für junge 
«hier. Don K. ©etbes, Kgl. Seminarlehtet. Breslau 1914, ©atl Dülfer. 160 S. TU. 2, , 
9eb.mit (Eitel UT.2,40. 



230 


£iteraturberidjt 1914: Der T)eutfd)unterrid)t in ber Doltsfdjule 


lung geroiefen, tooöur«h einem unfruchtbaren fjiftorismus oorgebaut toirö. Dem 
Buche ift in Öen Kreifen, für öie es beftimmt ift, eine freunölic^e Aufnahme 311 roüm 
fdjen. 

Sötoes Präparationen 2 ) haben in fünf 3 al}ten oiet Auflagen erlebt. Sie geben 
Öen Stoff öes öeutfcijen Unterrichts für bas erfte unö 3®eite Schuljahr in breiter $üDe 
als eine Sammlung „oon gan3 ober teilroeife ausgearbeiteten (Entamrfen, öie bem 
3U beadjtenöen (Erfahrungstreis öer Kleinen in Dorf unö Stabt unö Öen ungemein 
oerfchieöenen gibeln entjpredjen". Oer 3ufammengetragene Stoff ift öaöurd) nahm 
gemäf} fo reichhaltig getoorben, bafe et unmöglich in einem Kurjus öurdjgcarbeitet 
metöen tann. Oer Cehret toirö öaher jeöes 3 al}t neue Anregungen aus öem Buhe 
f cf}öpfen. fjierin unterfcheiöet es fich oorteilhaft non ähnlichen Büchern, öie Öen Unten 
ricfjtenben jeöes Hadjöenfens entheben, inöem fie ihm Öen Stoff auf entehre Stunben 
oerteiltoorlegen. Cöroe hat fein (Berlin engem Anf chlufj an Hubes ITlethoöit öes gejamten 
Doltsfchulunterrichts gef «hoffen; aber überall ertennt man öie eigene (Erfahrung, 
nirgenös ftört getünftelte Anlehnung an blofe äußerlich übernommene (Theorien. ® as 
Bu«h ift moöem im allerbeften Sinne öes IDortes. (Es gibt (Erlebtes unö tuirö Ceben 
roeden, tuo fich Celjrer im Unterrichte oon ihm beraten läfet. Oet Anhang für 3toei' 
fpra«hige Schulen fteht ebenfalls auf öer fjöhe. (Er läfjt einen be3eichnenöen Blid in öie 
Schruierigteiten tun, öie öie Ooltsfdfule befonöers in öer (Dftmart 3U beioältigen hat- 

Oafe öie Beftrebungen, Öen mutterfprachlichen Unterricht an öie uom Kinbe 
außerhalb öer Schule gefprodjene Ulunöart anjulehnen, immer mehr Boöen geroin' 
nen, 3eigen Oerfuche aus oerfchieöenen ©ebieten öes öeutfchen Sprachgebietes. $ür 
öiefen Beriet liegen foldje aus öem roeftlichen (Teile öes Königreichs Sacfjfen unb 
öem Böhmerroalö oor. fjier eröffnet Ji«h öem ein3elnen Cehter unö £ehteroeteini s 
«jungen ein $elö fruchtbarfter Betätigung, öie IKunbartenforfchung. U?enn man 
auch .nwht oon jeöem DoItsf«hullehrer toirö oerlangen tonnen, öaf$ er fich roiffenfhofi' 
lidj tnit öiefen Oingen bef«häftige, öem Kinöe unö öem Dolte „aufs UTauI 3U fehen 
aber mufj et oerftehen, öamit er fi«h über öie Unterfchiebe flar toirö, öie 3tuifcfj eri ber 
Utunöart feines U)itfungsfreifes — unö faft jeöet ®rt, minöeftens aber jeöes (Tal h®t 
feine Befonöerheiten — unö öer Sthriftfptadje in öer Cautbilöung, öer Abtoanblung 
unö öem Satjbau beftehen. 3 n öer angeöeuteten Richtung juchen 3U toirten öie Bü«h' 
ein oon gröh lich 3 ) unö Blau 4 ), gröblich gibt, öem 3 t»ede öer Sammlung „Praäi' 


a O ® mrf £e ^ rers ' hetausg. oon Beefc unö Ruöe, Banö XIV, 1 . (Teil) 3. unb 4 .1 
geb m'5 8 o eraiCd ^ at3 “ nÖ Ceip3i9 1914 ' fl - 3idfelöt. XX unö 423 S. ©eh- W-' 

ij - ^eimatlidhcs £eben als ©runölage für Öen Spra<huntetri*t. Don Arthur Stbt 
ecran ® ,n S«a. (Praftifche Päöagogif. perfönlichteitsarbeit in öer Schule. Cehta^ 
idjmtte aus allen Unterrichtsfächern, fjerausg. 00n 3 ^ ^ eulct Banöl), £angenfalja 191' 
S- ©• £. ©reblet (3nb. Korttamn ,mh ae 



3 ^ «JWTenoe Hrbeit unb Kunft in öer Schule", Ur. 17). Prag, IDien, £eip3ig, l ? c ! a| 
£iterätur'Jü** , Vxo W°} berget herausgegebene 3citf^rift ift im Dorjähng« 

lieaenöen acisfuhrhiher nach ihrem erften 3ahrgang befprodjen rooröen. Pie m 11 D0 

öem ©ebiele öe^De^hhÄrrihts rin9en ^ roert0 ° ne Heine 



Don Otto Brauet 


231 


fdje päöagogi!" entfpredjenö, einige „Unterricf;tsausjcfjnitte", öie jid} auf Sprach* 
ridjtigleit unö görberung bet Sprachfertigleit unö öes Sprachoerftänbniffes bejie* 
Öen, alles in engftet Anlehnung an öie Ulunbart Itleeranes unö an heimatliche Stoffe, 
übet öie öas Kinö auch jonft fprid)t. ütoß feines getingen Umfanges ift öas frifd} 
getriebene Büchlein fefjr in^altreidj. (Es 3eugt oon langjähriger treuer Arbeit unö 
tiefem Oerftänbnis öes Derfaffers für öas, was öer Dollsfdjule not tut. möchte 
es in öie fjänöe recht oielet öentenöer lehret lommen! U)as in öer prafti* 

fd)en Ausgeftaltung 3eigt, öas gibt Blau mehr theotetifdj; er lehnt ft öabei ftart 
an Sdjeiblhuber, Öen befannten nürnberger Schulmann, an. Hach einet (Einleitung 
übet naturgemäßen Sprachunterricht im allgemeinen bejprid}t er öie (Erwerbung 
öes hodjöeutfchen tDortfchaßes oon öet Utunöart aus, öie Schärfung öes hodjöeut* 
ten Sprachgefühls, töortfchaß unö U)ortinhalt öer Ulunöart im Dergleich 3ur 
Sdhriftfpradje unö munöartliche Heöefiguren. 3 uleßt foröert er öie 3 ufammenftellung 
eines Quellenbuches, öas geeignete Stüde aus öem Schrifttum öes Stammes oon 
Öen älteften 3 eiten bis 3m ©egenmatt enthalten foll. gür Blau ift öie Ulunöart öer 
Ausgangspunft für oölfifQe (E^iehung überhaupt, nicht bloß für fpraQliQe Bilöung. 

B. Sprachlehre unö ReQtfchreibung. 
gür Öen Unterricht in Sprachlehre unö Rechtfehreibung liegen 3unächft Bücher oon 
R. San ge 5 ) oot. Sie finö aus öer Praxis herausgeboren, unö öaß fie fid) bewährt 
haben, öafüt 3eugt öie große 3 al?l öer Auflagen, öie fie fdjon erlebt haben. 3 n Öen 
Schulen, öeren £ehtet fi<h langes bewährter güljtung anoertraut haben, witö es um 
öie hanöljabung öer Ulutterfprad)e in IDort unö Schrift gut beftetlt fein, lange 
hat Har erfamtt, was unfete Doltsfdjüler 3unächft brauchen, unö öiefes Hotwenöige 
fo in Öen Doröergtunö getüdt, öaß es immer wieöer geübt werben muß. Sein gram* 
matifdjer Unterricht hat es öarauf abgefehen, öaß öie Kinöet 3U einem „feften unö 
fich«n Sprachgefühle fommen". Oie Übungen finö fo angelegt, „öaß oon 3 aljr 3U 
3 aht unö oon Klaffe 3U Klaffe öer Kampf gegen öie Sprachfehler methoöifdj unö plan* 
mäßig, unetmüölich unö unerbittlich geführt wirb". Das grammatifche Syftem ift 
nur fomeit berüdfidjtigt, als es für Öen angegebenen 3toed unentbehrlich ift. Dant* 
bat wirb auch öas alphabetifQe Bezeichnte öet hauptfädjlichften Sprachfdjwierig 5 
leiten begrüßt werben. Oer lehret, öet langes fjanbbud} benüßt, fei aber ausbtüd* 
auf öie (Einleitung hingewiefen. lange will gemiffermaßen nur Dorarbeit leiften, 

5a) IRethoöifdjes fjanöbud} für Öen grammatifchen Unterricht in öet Dolfsfcfjule im 
Anfdjluß an öes Derfaffers Sprachübungen. 3m Anhang: Alphabetifdjes Derjeidjnis öer 
hauptfädjlichften Spra^fdjtDterigfeiten. Don Ricßarö lange, Rettor. 4. oermehrte unö 
-befferte Auflage, leipjig 1913, Dürrfche Buchhanölung. 239 S. ©eh- IR. 2 , 20 , in leinen 

b) Praltifdjes tjanöbueß füt Öen Rechtfchreibunterricßt. $ür 6 Unterrichtsftufen auf 
Phonetifdjer ©runölage bearbeitet oon öemfelben. 10. Auflage. Ieip 3 ig 1914, öerjelbe Der* 
‘ag. 249 S. Ul. 2,50, in leinen IR. 3 , 20 . 

c ) Aufgaben 3 m Recßtjcßreibung, IDortbilöung, 3 eicßenfetjung, Sprachlehre unö Stil* 
buöung. Don öemfelben. Ausgabe A (in örei heften)* leipjig 1914, Öerjelbe Derlag. 
'• h«ft: Unterftufe, 2 . Schulj., 12 . Aufl., IR. 0,20. 2 .^eft: IRittelftufe, 3., 4. unö 5. Schulj., 19. 
«“fl*, geh. IR. 0,50, fort. IR. 0,70. 3. Beft: ©berftufe, 6 ., 7. unö 8 . Schulj., 15. Aufl., geh- 
Ul- 0,50, fort. IR. 0,70. 



232 


£iteraturberi<ht 1914: Der Deutfd)unterrid)t in ber DoI!sfd)uIe 


nidjt aber bte (Befamtaufgabe bes öeutjdjen Unterrichts erfchöpfen, öie ein tieferes 
(Einbringen in bas Spradjleben auch für bie Dolfsfdjule oerlangt. Das Ijcmöbud) für 
ben Red)t|d}reibunterrid}t gebt non bem Stanbpuntte aus, bafj biefer Unterricht 
„auf phonetifcher unb etymologifdjer (Brunblage erteilt toerben mufe, wenn et feiner 
Aufgabe gerecht toerben toiU", bafe er „bie EDörter nach ihrer Ausfpradje, ihrem Be* 
griffsinhalt, ihrer Abftammung unb Derroanbtjchaft ins Auge 3 U faffen hot". <fc 
oerteilt ben Stoff planmäßig auf bie ein 3 elnen Schuljahre unb gibt 3 ur Übung Iebens* 
oolle Diftate. Der Anhang enthält bie etymologifdje Ableitung einiger tDörter in 
alpha&etifcher Anorbnung. £ange tritt für Selbftänbigteit bes Redjtfchreibunterridjts 
ein, oon einer Anlehnung an einen anberen 3roeig bes Deutfctjunterrichts roiH er 
nichts toiffen. Die Austoahl ber lDörter für bie ein 3 elnen Stufen erfolgt nach bet ®e* 
brauchshäufigfeit. £j au Ptbebingung bes (Erfolges ift gr.ünblidEje Übung. Der in 6 er 
(Einleitung enthaltenen Polemit gegen bie Dertreter bet fog. tDortbilbthcotie, be* 
fonbets gegen £ay, oermag ich nicht 3 U folgen; ich h Q be babei alletbings bie 4. Auflage 
oon £ays Buche im Auge. — Die brei fjefte ber Äufgabenfammlung, bie nichts anöets 
als Übungsbücher fein toollen, finb ftreng' methobifch aufgebaut unb oerraten auf 
jeber Seite ben erfahrenen Praftifer. 

Don £anges Andauungen ausgehenb, bafo nur „burch Übung unb butch unermüb» 
liches tlebeneinanberftellen oon $ormen mit gleich uttö ähnlich flingenben £auten‘ 
(Etfolge in bet Rechtfehreibung 3 u er 3 ielen finb, hüben Römet unb (Bebharb 6 ) feh r 
brauchbare Übungsbücher für bie unteren Klaffen höherer £ehranftalten geraffen. 
Sie finb fo angelegt, bafj oieles bem fjausfleift bet Schüler überlaffen toerben latm. 
3n ben Übungen toerben toie bei £ange häufig EDortftüde gegeben, in benen bie fraglich«» 
Buchftaben 3 U ergäben finb, ein Derfahren, bas meines (Erachtens hier burchaus an* 
gebracht ift unb bas bie ftarren Dertreter ber tDortbilbtheorie mit Unrecht überall 
oertoerfen. Angefügte U)ötteroet 3 ei<hniffe erleichtern bie Derroenbung bes Buches. 
Der Stoff ift methobifch gut burdjgearbeitet unb oerteilt. Den beiben Büchlein lann 
man bie toeitefte Derbreitung roünfchen, befonbers auch in £ehrerbilbungsanftalten. 

Die größte methobifche $reiheit laffen bem £ehter Keller unb XDagner 7 ) in ihrem 
roorterbuche, oon bem nun auch bas 2. fjeft (für bas 5. bis 8. Schuljahr) oorliegt. Der 
5t°ff tft nach »etfehiebenen (Befichtspunften 3 ufammengefteUt. 3uerft toerben Bei» 
|ptc e für Wortfamilien unö Wortfippen gegeben; bann folgen gegen 1200 bet wW 
trgften beutfehen Stammroorter in alphabetifcher Reihenfolge, bie ben Übungsftoff 
für bie Rechtfehreibung abgeben, 3uglei<h aber auch 3 utn etymologifchen Denlen füh» 
tenJollen, an bas fich „ber Schüler gewöhnen mufj, wenn et bie RTutterfprache richtig 
oerftehen unb richtig antoenben toiU". Der 3. Abfchnitt bient bet IDottbilbungslehre, 
ein anbeter befämpft bie am häufigften oorfommenben Sprachfehler. Die entbehr» 


Dr flifr^ » 9 - b d?Ct ^ l « öcn ^eutf<hunterrid}t an höheren Cehranftalten 
ammilli Ro r met c unö P r °f- 3°h- ©ebharöt. Ausgabe B. Rechtfehreibung, «adf öen 
„ « ? t e . In - £ei P3‘9 1914, Dürrfche Bu*bcm6lung. 1. üeil: $ür Sefta unb Quinta 

2 (teil” 6 «- m 9e üi fln ^ taIt oöet SeminatHaffe VII. 110 S. ©eh-RI. 0,90, fort. RI. 1»1®- 
©eb ni l ?„ U< ? a \ nÖ “ nterterti0 (be3to. dertia) ober SeminatHaffen VI unb V. 102 5. 
*9- «*•!.—, m Pappbanb IR. 1,20. 

$ür bas 5°bfr» U ?A Ü r W Übungen oon IR. Keilet unb IR. IDagner. 
oas 5. bis 8. Schulj. Ccxpjtg 1914, Dürrfche Buchhanblung. 40 S. IR. 0,25. 


fjerausg. 
Rah ben 


2. fjeft- 



Don Otto Brauer 


233 


liehen grembwörter werben im Sinne bes Deutfcfjen Spradjoeteins oerbeutfcht Unter 
ber Überfcfjrift „Derfchiebenes aus bem Reichtum unfern Spraye" behanbeln die 
Detfaffer Bebeutungsübertragung, Sinnoerwanbtfchaft bet R)örter, Tonmalerei, 
Rebensarten, beutfdje Dornamen u. a. m. tDa^rlidj ein teilet 3nhalt! Das Buch, 
bas in bewufetem (Segenfatje 3 U ben SpradjJdjuIen gefdjrieben toorben ift, bietetbas, 
toas ein Deutjdjleffrer, ber lebensooll unterrichten will unb Stoff unb Riethobe be* 
f)ert|d)t, für biefymb feiner Kinber wünfctjen mufj. 3m Sinne ber Derfajfer gebraucht, 
wirb es ben größten Segen ftiften. 

Derftänbnis für bas, toas im Deutfdjunterridjt geglieberter Schulen an Cemftoff 
unbebingt eingeprägt toerben mufj, ^eigt Cippert 8 ) in ben oorliegenben heften, bie 
auf einen fyftematifdjen (Sang in Sprachlehre unb Redjtfchreibung Gerichten, bafür 
aber auf grünbliche münblidje unb fchriftliche Übung brängen. Trotj Derteilung bes 
Stoffes auf bie ungefähre 3al)I äet iä^rlic^cn Schulwochen Iaffen fie bem Seiftet bo<h 
möglichfte Bewegungsfreiheit. 

Rieht in erfter Cinie ein Übungsbuch, fonbern eine Sprachlehre im alten Sinne 
jtellt bas fjeft oon Krüger, Cöhr unb Schteff 9 ) bat. 3n fyftematifdjem (Sange gibt es 
nacheinander Sautlehre, R)ortlehre, Satjleljte, Rechtfchreibung unb IDortfunbe. Oer 
Anhang enthält bie gebräuchlichen Arten bet (Sefchäftsauffätje. Rlethobifcfj gebilbete 
Schulmänner machen in bem Buche burd? Sehre unb Übung bie Kinber mit ber alten 
formalen (Srammatit oertraut. (Auf S. 110 ift im 7. Sajjbilbe was nicht Subjett, 
fonbem ©bjeft.) Thomas 10 ) h®t bie Rot unfers Redjtfchreibunterrichts befonbers 
[chmet 3 lich empfunben unb toill Abhilfe fdjaffen butdj oielfeitige Übung. 3ebe Un* 
terrichtsftunbe, befonbers aber bie Schreibftunbe, foll 3 uglei<h Redftfchreibftunbe fein. 
DerDerfaffet fteljt in bet hauptfache auf bemStanbpunfteSays; nur arbeitet er noch 
ihätfer als biefer auf fjetausljebung bes Tharatteriftifchen am IDottbilbe hin, wenn 
er oerlangt, bafe in jebem neuen UJortbilbe bas dhoroftcriftifc^e burch Untetftreichen 
ober Detwenbung bunter Kreibe tenntlidj gemacht werbe. Den Stoff orbnet er nach 
Öen Wortarten unb innerhalb biefer nach Sprachgtuppen für bie einjelnen Schuljahre, 
wobei er oerfudjt, ben Redjtfchreibunterricht mit bem fortfdjreitenben Sachuntertidjt 
in (Eintlang 3 U bringen. Kleines (Erachtens hat fich aber Thomas grün blich oetfahten, 
inbem er in bem butchaus berechtigten Beftreben, bie Kinber auch mit der Schreib* 
weife bet gebräuchlichen grembwörter betannt 3 U machen, oiel 3 U weit geht. Der Recht* 
fchreibftoff bet lebten beiben Schuljahre enthält faft nur grembwörter unb häufig 
foldje, auf beren (Sebraudf wit ja reichten wollen, ba fie unfere beutfehe Sprache nur 
entfteüen. 3ubem wären oiele oon ihnen ben Kinbetn nut mit ber größten Rtülje 

8) Deutfche Sprachübungen für entwicfeltere Schulen fowie für bie unteren unb mitt* 
leten Klaffen höheret Celjtanjtalten. Don Schulrat Rub. Cippert, Dir. bes Kaiferl. Celjre* 
rinnenfeminars in Strafeburg. greibutg i. Br. o. 3ahr, fjetöerfche Derlagsbudjhanblung. 
••heft: ll.flufl., 50 S., IR. 0,35. 2. heft: 10. Aufl., 65 S., IR. 0,40. 

9) Deutfche Sprachfjefte für IRittelfchulen, Rettoratsfchulen unb Präparanbenanftalten. 
Don IR. Krüger, gr. £öht unb £)• Schteff. Arnsberg i. ID. o. 3ab r , 3. Stahl. 3. heft 
(8. unb 9. Scffulj.). 191 S. IR. 1,60. 

10) R)ie lernen unfere Kinber wieber otthographifch fchteiben? (Eine ©ruppierung bet 
Rehtjchteibftoffe nach Cebensgemeinfchaften. ©rthographifche übungsftoffe für ben Schreib* 
unb Redjtfchreibunterricht, jufammengeftellt oon Paul Thomas. Annabetg, Sachfen, o. 
Jopr. ©rafers Detlag (R. £iefd}e). 97 S. IR. 1,60. 



234 Citeraturberidjt 1914: Der Deutf<f)unterrid)t in ber Dotfsfcfjule 

oerftänblich 3 U matten. IDas follen unfern Doltsfdjülem folgenbe Sremblinge — id> 
überblattete blog, bie Beifpiele liegen fid} um tjunberte oetmehren —: begenerieien, 
betolletieren, berangieten, bupieren (!), befilieren, gaubieten, fooptieren, tontri' 
buieten, metamorphofieren, Pagina, Parapluie, Philatelift, piafier, 3ntermero, eüa= 
tant, omnipotent, oenerifdj, oenös, tabu!? IDas bebeuten überhaupt folgenbe IDörtet: 
quobulieren, tumieren, pettieren, Dotieren, immant (immanent?), objtinent? 
Sinb bas Drudfeljlet? Auf (oldje hin mug bas Buch einmal grünblich burefjgefehentoet' 
ben. (Es finb 3 . B. fielen geblieben: Kafferrolle = Kajferolle (S. 8 ), Heurljaftenie = 
Heuraftljenie (S. 32), Renbesoous = Renbe 3 Dous, Roleau = Rouleau (S. 37), 
Oeifstan 3 =* Deitstan 3 (S. 42), ejentrifd} = ej 3 enttifch (S. 63), ftadjlidj = ftadjlig 
(S. 73). 3n ben angefügten Bittaten finb bie $rembroorter nicht immer richtig an' 
gemenbet (S. 94: (Er (berKaufmann) mug fpetulant (!) unb ristant (!) fein). Had) 
ber Seite bes $rembroortes unb feiner Anroenbung hin batf bas Büchlein nur mit 
grögter Dorficgt benügt roerben. 

IDer fidj mit ben (Brunblagen unferet Rechtfehreibung eingegenb oertraut rrtadjen 
roill, bem fei bie Arbeit oon Blöd 11 ) angelegentlidjft empfohlen. Sie ftegt im Dienfte 
ber Begebungen nach einet butdjgteifenben Regelung ber beutföen Re<htfd)reibung. 
Don ben Sauten unb ber gefdjicgtlicfyen (Entroidlung ihrer Darftellung ausgeljenb, 3 «igt 
fte in einem breit angelegten Kapitel, mie menig fid} oft gegenmärtig Saut unb 3 e '^! en 
entfprechen. Weitere Kapitel befpred/en bann bie IRöglicgleit, einen innigeren 3u- 
fammenljang 3 mifcgen Spraye unb Schrift ge^ufteUen. Alle Ausführungen flehen 
burdjaus auf roiffenfcgaftlichet fjoge. Das Buch follte oon jebem Deutfcglehter gtünb 5 
Udj burchgearbeitet roerben. Aber auch iebet anbere, bem foldje Dinge liegen, roirb es 

gern lefen, ba es ben an fid? trodnen Stoff recht geroanbt, ja ftellenroeife feffelnb bat' 
bietet. 

Kleinfd}miöt 13 ) unternimmt ben Derfud), für bie ein 3 elnen 3 n>eige bes mutter 5 
Jptachltchen Unterrichts einen geeigneten ITOttelpunft 3 U finben. Da gemeinfame (fr 
e rnffe ber Kinber feiner UTeinung nach nidjt in genügenber An 3 al)l ooth<mben unb 
me e oon ihnen für bie unterrichtliche Behandlung auch nicht roertooll genug finb, 
0 W * c W <^rfag um unb finbet ihn in guten Silbern. Die $otberungen, bie 
er an folcge Silber ftellen mug, hat et in ben Bilbern'oon Pfeiffer unb Kuli 3 U typ 
Sobeln erfüllt gefunben. Don bem Unterrichtsroerte, bas bie ©eftaltung bes gefamten 
eu c^unterrichts im Anfchlug an biefe Bilber 3 eigen foll, liegen bis fegt mit bie 
„UJrthogTaphifchen Übungen" oor. Sie finb trog mancher Künfteleien, 3“ öenen ein 
*notoeitöig führen nuife, metf;oöifcfrgefc^idt angelegt rmb bringe« Öen 
echt^retbftoff bet Doltsfchule in fyftematifcher Anorbnung für Unter*, Ifflttel* unb 
woet|tufe. 3n ben „Winten 3 m erfolgreichen Benugung bes Buches" ift noch 3»« ,icl 


A . „ xVw wnmwagen ... ..^ M u, tei0 ung 
$ e „ unt) Schnft. Don Robert Blocf, m i - 


-3* -"»V VUV tvuuitu VW - ; 

DetlacT ß * 0£t - Mit »«t flbbilöungen. Seipjig 1914, Doigtlänt 

IR. S, geb m! 1*80 U " 9 061 " Citeratur 9cfeIIfd?aft Heue Bahnen") IVU.80S. Uno 

fueb 3 ur BelebumT^^^it^”^ auun 9 s &ilber im Deutfchunterricgte. (Ein praftifc^er I 
SabeToSÄ an bie Pfeiffer 5 Kunf«hen Bilber 3 « ' 

!. ©rthogtaphifcfje^Übungen Kle,n f^ miöt < Schulrat. <5otga 1914, Stiebt, flnbr. perfl 



Don (Dtto Brauei 


235 


oom Buchftabieren bie Rebe. Das ift'meines (Erachtens ein untaugliches ITtittel 3 ur 
<ErIemung öer Recfjtfchreibung. Bei allem lünjtlerifcfjen IDerte ber 3 ugtunöe liegenben 
Bilber unb Sabeln toill es mir bodj recht gemagt erfcheinen, bie Kinbet mit biefem 
engbegren 3 ten Stoffe 8 3 af)te hinbutd} 311 bejdjäftigen. Sibt es benn bei grünblicher 
Dertiefung in bie IDett unferer Scfyuljugenb toirffid? feine gemeinfamen Srlebniffe, 
oon benen ein lebensooller Deutfdjunterridjt ausgehen fönnte? Sinb bie Reformer, 
bie folche Derfudje gemacht haben, auf bem fjo^tnege? 

Sfliegen roiU ich biefen Hbfdjnitt mit einem empfeljlenben tjincoeis auf bas 
fdjfidjte Büchlein oon Roos 13 ). (Es gibt auf nur 40 Seiten fnapp, aber gtünblidj ben 
gefamten Stoff ber beutföen Sprachlehre nicht nur für Dolfsfchulen, fonbem auch 
für bie Unterflaffen lateinlofer Schmeyet Rtittelfchulen. Die Srunbfäße, bie für 
Roos maßgebenb mären unb bie man nur billigen fann, mögen hier folgen: 1 . Die 
Sprachlehre bet Dolfsfdjule muß fo einfach unb fur 3 als möglich fein, bamit fie oölliges 
(Eigentum allet notmal begabten Schüler metben fann unb oiel 3eit für bie notroem 
bigen Übungen übrig läßt. 2 . Sie muß 3 ur (Erflärung aller hauptformen einer einfa- 
chett, natürlichen Sprache hiureichen. 3. 3h rc Begriffsbeftimmungen unb Regeln 
muffen in hauptfachen burchgreifenb fein. 4. Sie barf nichts enthalten, mas nur theo= 
retifchen IDett hat. 5. Sie muß fo befchaffen fein, baß ber Schüler bei nachherigen 
miffenfchaftlichen Stubien nichts tDefentliches um 3 ulemen hat. 

C. Derfchiebene anbere 3meige bes muttetfpradjlidjen Unterrichts. 

Die Reufchule ftrebt auch nach Dertiefung bes Unterrichts in Siteraturfunbe. 
Oiefe mill fi<h nicht mehr mit bloß äußerlicher Überlieferung ein 3 elner Sebichtebegnü* 
gen, wobei meber Kunftoerftänbnis, noch Kunftgenuß 3 U ihrem Rechte fommen, fon= 
bem fie möchte aus bem oollen fdjöpfen. Da 3 U ift nötig, baß com IRätdjen bis 3 U ben 
hö«hften Sebilben bichterifher Kunft, bie bem Dolfsfdjület noch 3 ugängli<h finb, eine 
Brücfe gefchlagen merbe. Diefe bilbet bie oolfstümliche Dichtung, nicht nur, meil 
öurh fie bet Unterricht in bet heimat unb im Dolfsleben feftere U)ut 3 eln fdjlägt, 
fonbetn auch, meil bie Kunftbichtung erft burdj bie Betrachtung ber Dolfsbidjtung 
ms rechte Sicht gerücft mirb. Run roeift aber leibet bie Siteraturfunbe unferer höheren 
Schulen, auch öer Sehrerbilbungsanftalten, ber. Dolfsbichtung nur einen fpätlichen 
Raum 3U, fo baß bie jungen Seßrer häufig genug nur mangelhaft auf bie ihnen ge= 
fteute Aufgabe Dorbereitet finb. Da mill bem Bilbungsbefliffenen Rüttgers 14 ) mit 
fernem tjanbbuche ein $ühter fein. Das Buch ift groß angelegt unb mit ficherem fach 5 
l 7 em unb äftljetifchem Urteile gefdjrieben. Reichhaltige Siteraturna^meife erhöhen 
ferne Brau^barfeit. Rah einem einleitenben Kapitel merben naheinanber befptochen 
^ a 9 e » Sierfabel unb Sierepos, bie Dolfsbüher unb bie mobetne 
jdjtung, unb 3 mat bie Rooelle, bie großen Romane, bie epifdjen Schichte, bas 
mbetlieb, bi e lyrifhen Schichte, bie bramatifhe Dihtung. Sin ausführlicher Rn* 

Vereinfachte öeutfhe Sprachlehre für öic ®ber!laffen her Dolfsfdjule unh hie unte- 
«nmojlen lateinlofer IRittelfhulen. Don XI. Roos, Reallchrcr in Bafel. Bafel 1914, hei 5 

‘""«“"ö ««htenhahn. 40S. HT.1,60. 

aer« c ,»' e Dichtung in öer Dolfsfcfjule. Sin hanöbud? für Cehrenbe. DonSeoerinRütt 5 
n*ri„» v?,V n Vüffelöorf. (Cebensooller Unterricht, Banö 2.) £eip 3 ig 1914, Doigtlänöers 
»«lag. XIV u. 471 S. Ungeb. IR. 7,-, geb. IR. 8,-. 



236 


£iteraturberid)t 1914: Der Deulfcf)unterrid)t in ber üolfsfcfjule 


h an 9 bringt Bemertungen über Bilöerbüdjer unb 3 Iluftrationen, Öen Umrifj eines 
Celjrplans unö treffliche mett}oöijche Anleitungen, ein bibliograp^ifdjer Aus 3 ug unb 
ein trefflidjes Sadjregifter |d}lief}en jidj an. (Es ift mir unmöglich, auf öiefctn engen 
Raume auch nur annäljernö eine Darftellung öer Reid?^altigfeit öes Buches 3 U geben. 
Als Beijpiel foll eine furje Inhaltsangabe öes Kapitels über öas Rlärchen angeführt 
roerben. Rüttgers jucht 3 uerjt öas IDejen öer Rlärchenöichtung alljeitig 3 U beleuchten. 
3u öiefem %voede behanöelt et 3 unäd)ft eingehenö ihre pfycfjologtfcfje Seite, bann 
folgt ein längerer Abjdjnitt 3 ur ©efdjichte öes IRärdjens, öer aud} öie ITtärthen- 
theorien öer ©timm, Benfeys u. a. öarftellt. tjierauf toeröen öie $äöen aufgeöedt, 
öie oom öeutjchen Rlärchen 3 U ftemöen Citeraturen führen, es toitb gereöet non bet 
internationalen Beöeutung öer Dolfsmärd}en, oom noröifchen, ftan 3 Öjifdjen, felti- 
fd}en, inöijchen unö arabifchen Rlärchen. Der nächfte Abjchnitt befcfjäftigt jidj mit bem 
Derhältnis öer neueren Dichter 3 um Rlärchen, unö öas Kapitel jd}liefjt ab mit einet 
R)üröigung feiner päbagogifdjen Beöeutung. Die anöeren Kapitel jinö ähnlich an» 
gelegt. Überall fpinnen jidj $äben oon Öen erften Anfängen bis hin 3 m ©egenroart. 
Das Buch jollte in feiner Cehrerbibliothef fehlen. Aud} öie Deutfdjleljtet unjetet 
Cehrerbilbungsanftalten roetöen ihm manche roertoolle Anregung entnehmen. 

(Ein Heines fjeft oon Bauöis 15 ) fudjt öie non unferen Kunfter 3 iehungstheoretifent 
über öie Behanölung lyrifd}er ©eöidjte entmidelten ©eöanfen mit ©ejdjid für bie 
Profis öer Dolfsjdjule nupar 3 U machen. 

Cornberg 10 ), befannt als Derfajfer eines mehrbänöigen, nad} Öen $ormaljtufen 
bearbeiteten Präparationsroerfes für Behanölung öeutjdjer Dichtungen, roill butdi 
jme „Cebensbilöet ö. D.", öie für öen unterrid}tlid}en ©ebraucf) an Präparanben* 
jajulen, Rlittelfd}ulen unö gehobenen Bürgerfd}ulen, fotoie für 3 ugenö= unb Dolfs : 
büd}ereien gefdjrieben jinö, „Ciebe unö Derehrung für unjete Daterlänöijd)en Dieter' 
roeden, „öas Derftänönis für Daterlänöijdje Dichtung föröern" unö einen „literarijcben 
egroeijer für bie3ugenö" bieten, Aufgaben, öie öas lebenöig, einfach unö anf<h aU! 
td} gejdjriebene Büchlein öurchaus erfüllen fann. 

Rad} öem preufeifchen Rlinifterialerlafe oom 31. 3 an. 1908 befpridjt öie Bilbung 
oes j e lbftänö igen ©eöanfenausöruds Degelahn 17 ). (Er entroidelt redjt brauchbare 


ID n™ Sd?uIe - *R n Beitrag 3 m Kunjterjiehung unjerer 3 ugenb. Don fj- 

0 lohr fl r exheft Hr. 16 31 « 3eitfd}rift „Schaffenbe Arbeit ufto.") Prag, IDien, Ceip 3 ig 
über KÜnti,»»; h e ‘ 2 ? S V K \ 0 ' 75 - Bei 6 eft Hr. 23 öerfelben3eitjd?rift enthält einen Dortrag 
aeroiefen tli ^ c ^ r ut19 bie Sdjule im allgemeinen oon $lorian fjeyn, auf ben h m ’ 
19 JZ1T 1 “ ai , ld) öen De utjd}unternd)t oerftänbnisooll roürbigt. Beihefte Dt. 7 unb 
ben BriefÜ r “ 9 l n . fl uff«|untenf<hts. 3n Tlr. 7 fdjreiben Bernbt unb Utontl übet 
ScbülerÜ r,h *"« i\? lbe,tsM,uIc - Rorbböhmijche Rtäbchen toechjeln Briefe mit Bojcner 
iudtuna über w m ’P tes Unö ® cIerntes - 19 gibt eine preisgefrönte tf?eoretifd}e Unter» 

hett bocb man! fl UnÖl09en ö “ Stilunterrid ? ts oon Cambert ©ruber, bie bei aller Knapp 
16 \ c»hp?cvr* nre x Un ?r P r ble Hl e ^°bif bes Auffat;unterrichtes 3 U geben oetmag. 
auf ben releUnff i «?*.?**« Did ? ter ‘ Sür bie fjanb her 3 ugenb.UTit fteter Be« 
fjerm. Beuer unh^ rbe ' te ^° nflU9uft £omber 9 , Reftor in ©Iberfelb. Cangenjaha 19K 
17) tDic fnnn Y, 150 m it 2 1 eingebrucften Bilbnifjen. ©eb. Ul. 1,20. 
unb SditiftliLlTrrl^ 61 D ? I!sf P u[e öcr f tci « unb jelbftänbige Ausbtucf im Ulünblcd;en 
einemSd LÄfÄ’ 6cm ^terialerlab oom 31.3anuar 1908. W 
unb 3nformations-S 1 J e ?*L Don ma 5 »egelahn. (fjeft 40 bet „£ e hrer»ptufungs- 
•Tormations-Arbetten .) Rlinben i. ID., tjufelanbs Derlag. 86 S. UI. 1,20. 


Don (Dtto Brauer 


237 


©ebanfen, befonbers übet bie fruchtbare ©eftaltung bet oom (Erlafc geforberten fo* 
genannten tteinen Itiebetfd?riften unb bes Auffafcunterrichts, wenn er im ©efamt* 
unterricht weniger Stoff unb mehr Stoffburchbringung, weniger ftof^ergliebernbe 
$ragen unb mehr (Erteilung non Aufgaben, toeniger Drill unb mehr Übung oerlangt, 
©runbbebingung bes freien unb felbftänbigen ©ebanfenausbrucfs ift ihm bie 3 uführung 
eines reichen (Bebauten* unb IDortfchafces. Die eigentlichen Auffäfce follen felb* 
ftänbigeSchülerleiftungen fein, bie ihre Stoffe bem Unterrichte unb bem (Erlebens* 
unb Beobachtungsfreife ber Kinber entnehmen, ©rammatifche Befptechungen bienen 
nur bem 3®ecfe bes tintigen münblichen unb fchriftlichen ©ebrauchs bet Sprache. 

Auf feinem ©ebiete bes Doltsfdjulunterridjts roirb gegenwärtig eifriger unb et* 
folgteicher gearbeitet als auf bem bes (Elementarunterrichts. $ür uns tommt hier — 
neben bem Anfcfjauungsuntetricht unb bet fjeimatfunbe — nur bie $ibelliteratur in 
Stage, bie in ben lebten fahren gewaltige $ortfchritte gemacht hot, befonbers in ber 
pfy<hologifchen Ausgeftaltung bet UTethobe bes S<hreiblefeunterri<hts, auf bie aber, 
wie fdjon eingangs erwähnt würbe, nicht näher eingegangen werben fann. Aber auch 
im fjinblicf batauf, ob bie $ibeln fo gehalten finb, bafj fie einen Iebensoollen unb ge* 
haltreichen erften Deutfchunterricht gewährleiften, fieljt man faft nur (Erfreuliches. 
(Ein Derfaffet fucht an £ebensfrifche unb Kinbertümlichfeit ben anbetn 3 U überbieten. 
Blanche $ibeln finb 3 U wahren Bitberbüchem geworben, bie teilweife fogar hohen 
tünftlerifchen IDert haben, ba namhafte Künftler nach eingehenbem Stubium ber 
finblichen Umwelt unb bes finblichen Seelenlebens in ben Dienft ber Schule getreten 
finb. $emer bricht jidj bie Übet 3 eugung immer mehr Bahn, ba& bie $ibel ftofflich 
butdjaus auf heimatlicher ©runblage ftehen muf} unb iht ©ebrauch baljer nur auf 
ein enges ©ebiet befdjräntt fein fann. 3 a, man oerlangt nicht nur heimatliches 
£eben 3 U fehen, fonbem auch bie heimatliche Sprache 3 U hören. Schon fängt man 
an — befonbers im nieberbeutfchen Sprachgebiete —, biejltunbart ftärfer 3 U oer* 
roenben. Der Cefeftoff wirb allfeitig fo gewählt, bafo er ein normal oeranlagtes Kinb 
feffeln mufe. flleift fommen unfere beften 3 ugenböichter im Kinberlieb 3 U U)orte, 
auch bie neueren unb neueften. Sach* unb Sprachunterricht reichen fi<h beftänbig bie 
fjänbe. Alles 3eichen eines oerftänbnisoollen Ausbaus ber unterften Stufe bes Deutfeh* 
Unterrichts in bet Dolfsfcfjule. 

3unäd}ft feien 3 wei Bücher oon (Eichler 18 ) unb Ütarquarbt 19 ) erwähnt, bie nicht 
unmittelbar ben 3wecfen bes Deutfdhunterridjts bienen. (Eichler {teilt „bas (Etfahrungs* 
unb Beobachtungsgebiet ber Kinber" in ben Blittelpunft eines auch für bie fpracf}licf}c 
Btlbung fruchtbaren grünblichen Anfchauungsunterrichts. Utarquarbt 3 eigt, wie bie 
heimatfunbe bie ©runblage einer „oertieften unb erweiterten Dolfsbilbung" werben 
ann, wenn abgefchloffene unb wohl abgeftimmte „fjeimatbilber" auf bas ©emüt ber 
mbet wirfen, bie ihnen bas für bas bürgerliche £eben nötige erbfunbliche, ge* 
l h«hü»<he, na turwiffenfchaftliche unb oolfswirtfchaftUche IDiffen in unmittelbarem 

je . Stoffe für ben flnfrfjauungsunterridjt. Beobachtungen ber Kinber in methobifchen 
ijeiten, bargeftellt oon Alwin (Eichler, (Oberlehrer in Ceipjig. 4. Auflage. £eip 3 ig 1914, 
»unber ,h. 108 S. Bl. 1,60, gut geb. ITC. 2,-. 

oim 1* heimatfunbe unb flrbeitsfhule. ITtit40flbbilbungenimle jt- Don Rubolf Illar* 

»-«Pjig unb Berlin 1914, B. ©. (Eeubner. VII u. 246 S. ©eh- Bl. 3,—, geb. in £ein* 
®«nb Bl. 3,60. 



238 


CiterQturberid)t 1914: Der Deutfd)unterrid)t in ber DoIfsfd)u[e 


flnfdjlufc an (Erlebtes »ermitteln. ZTtit fcfjeint Rlarquaröt für bie flrbeitsjdjule bas 
geleistet 311 Ijaben, roas ginger in feinem tlaffifdjen Buche für eine 3 eit getan ^at, als 
bie fjeimatlunöe in erfter £inie 3 ur Dorbereitung öer (Erbhinbe biente. 

IDie fiel) bie Unterroeifung ber Kleinen in einem bem geregelten (Elementar 1 
unterricht oorausgefjenben Dorturfus geftalten fann, 3 eigt IDagner 20 ) in trefflicher 
IDeife. Der Cefeunterridjt roirö burd) eine eingefjenbe „£autfd;ulung ‘' 4 oorbereitet, 
bie fi<h an bas Derfafjren bes betannten Stimmbilbners (Engel anlehnt. (Einige br 
fonbers geeignete RTärchen bilben bie (Brunblage für ben ©efinnungsuntenidjt, an 
ben fiefj flnfefjauungs* unb flrbeitsuntenid)t innig anfdjliefcen. 

Seit 25 Saljren fdjon arbeitet ber Konftan 3 er £ehter ©öbelbedet 21 ) mit uner 
müblidjem (Eifer an einer grünblichen llmgeftaltung bes gefamten (Elementar- 
unterrid}ts. TRit liegen non ihm r»or ein tjanbbud? unb nier perfdjiebene gibeln, bie in 
bet unten angeführten Reihenfolge in ben fahren 1893,1903,1912 unb 1913 erfd|ienen 
finb. Das Ijanbbud) führt tfjeoretifch unb praltifd} in ben Betrieb bes (Elementar 
unterridjts ein unb madjt mit allen einfchlägigen gragen aufs befte oertraut. fluch bie 
©efdjichte feiner gibeln unb, bamit oerbunben, bas allmähliche f) eranrc 'f en i e ’ ner 
3been über bie frudjtbarfte (Beftaltung bes erften Sdjulunterridjts ftellt (Böbelbeder 
in temperamentpoller IDeife unb nicht ohne Beroufttfein ber Bebeutung feines IDertes 
bar. Das Buch roirb febet Dolfsfchullehrer mit großem (Beroinn für feinen Unterricht 
ftubieren. flus ber Reihe ber gibeln, bie überhaupt noch oergröfjert ©erben foll, 
tann fidj ber £ehrer bie ihm geeignet erfcheinenbe nach freiem (Etmeffen ausmablen. 
Sie perpflidjten ihn nidjt auf eine beftimmte Riethobe, fonbern laffen ihm »olle unter 
rid jtlidje Bero egungsfreiheit. Das Kinb feffeln fie ungemein, roie ich aus (Erfahrungen 


■tj. ^ Spielenbes £ernen. (Ein Dorturfus im (Elementarunterricht. Auf mobermpfych 0 ' 0 
gtfdjer ©runblage ausführlich bargeftelU non R. IDagner, £ehtet a. b. Bürgerjdiule 3; 
Buchhoh i. Sa. Rlit 34 flbbilbungen im Seit. £eipng 1914, (Ernft EDunberlih- KW $ 
RI. 1,20, geb. IR. 1,60. J 

21) IDieidj meine Kleinen in bie tjeimatfunbe, ins £efen, Schreiben unb Rechnen ein 
fuljre. £ebensfrifd)e ©eftaltung bes erften Unterrichts in Schule unb haus. Don £. S- 
oetfer. Imt Dielen flbbilbungen non ©tto Hubel, IRünchemBrud, u. a. £eip3ig l 914 
©ttoUemmh. LXIIu.448 S. ©eb. RI. 8 ,— (10 ©jempl. 75 ,—, 25 (Efempl- TH. 175,— 
1 c ' e, 'r 1 P i' 325, "~^ h'erju 4 gibeln oon bemfelben Derfaffer unb aus bemfelben Derlag 

e * ne domeniusfibel. gür ben jeitgemäfe cereinigten Sad)-, Sprach- unb Sdjreib 
“ nt , e . rr ' d l t " ad ? etncm oollftänbigen £el?rgang ber lombinierten £aut= unb Rormatoon 
methobe IRit neuen Bilbern non ©tto Hubel unb neuer Sdjreibfdjrift nah „Der Sh°n 
:• l nnlernht oon Dr. fl. Stoder, Regierungsrat im Rlinifterium bes Kultus unb Unter 
( 236 -—260. ©aufenb). ffieb. IR. 0,75. 2 . Das Kinb in J?aus, Sh “ 1 
h 0 Un ^ Sinne öer Kon 3 entrationsiöee für öas töefamtge i« 

m t iS"i S u Unt e rrid|ts au f ncuen Bahnen begrünöet unö Öen fieinen Anfängern getmo 
Im* m •• 3 a ^i rcid?en ® ru ppenbilöern oon öemfelben Künftler, mit öerfetben Sd?re#f)nt 

heim®e?TsS eit i rä9en D °1 D ' BIÜtl ? 9 en, fj. ©fcfjelbah, flb. £?oIft, Soph*e Rein 
£*,£**' £f d £ rreIma nn, ©ertrub Shenf=Shumm unb ©rnft IDeber. 96.-11 

fern Drimfai' m n ® ffenes flu 9 c - Wterer Sinn! Des Kinbes erftes Sh«^ 

bertelhpn 15, 3<rhlreihen großen ©ruppenbilbern non bemfelben Künftler, 

lult D« Sdjreiblhrift unb ©riginaWIejtbeiträgen 1.—15. Saufenb. RI. 0 , 80 . 4. 3^» 

aeroäMw c mÖ -r er!te c s J Sd ' uIbud ! in Stabt unb £anb. ©in ©rganismus epperimenteil aus 
| at \j£ Sam*Kengefhihten aus trauter tjeimat in U)ort unb Bilb nah bem Prinzip be 
daufenb ©eb IR lT öetnfelben Kün f«« unb Dielen ©riginaK&ejtbeiträgen. I -' 25 




Don Otto Brauet 


239 


mit meinem fünfjährigen 3 ungen betätigen !ann. DieStunben ber Bejdjäftigung mit 
biefen gibeln finb bem Kinbe IDeiheftunben. Das Cemen gefdjieht roirflich Jpielenb. 
Die Büchlein finb fdjon roeit ©erhieltet, unb fie roerben jidj immer neue ©ebiete erobern. 

(Eine befonbers erfreuliche (Erfdjeinung ift bie fjanfa=5<bel. 28 ) ©tünbliche pfydjo* 
logifc^e Bilbung, überragenbes methobijdjes <5efcE}id, Hate (Einblide in bie Intimitäten 
bet tinblichen Umroelt unb tünftlerifdjes (Etfaffen bes Alltäglichen höben 3 ufammen* 
geroirft, um ein Bleifterroerf bet Sibelliteratur 3 U fehaffen, ein „innerlich unb äußerlich 
fraftoolles IDerf, ein Stüd Citeratur". 

Aus bem Detlage biejer 3«itjdjrift liegen 6 gibeln* 3 ) not, beren Beliebtheit 
babutch erroiefen roitb, bafj fie teilroeife fdjon oiele — manche über hunbert — Aufla* 
gen erlebt höben. Sie fteljen alle im ©nllang mit ben Sorberungen bet neuem PJy= 
thologie unb tllethobil, unb es ift fchtoet 3 U Jagen, roeldje ben Dotrang oerbient. 
3ebe hot ihre eigentümlichen Dot 3 üge. Der ein 3 elne Sehter roitb ficf; nach ©efchmad 
unb Deranlagung für biefe ober jene entfcheiben. Unb bas muf} ihm möglich fein. 
Spielt hoch nitgenb in ber Schule bie Perfönüchfeit bes Cehrers eine fo gtofee Rolle als 
im (Elementarunterricht. 

22 ) £janfa*$ibel. (Elftes £efebud) für hamburger Kinber. Don Otto 3immetmann, 
Seminarfchunehter in homburg. mit über hunbert farbigen Bilbem oon (Eugen ©fetoalb. 
Ausgabe AI. fjamburg, Braunfdjroeig unb Berlin 1914, ffieorge IDeftermann. VIII u. 104 S. 
3n halbleinen geb. Ul. 1,30, in ©anjleinen Ul. 1,50. h'<t 3 u: £idjt unb Sieben im erften 
Unterricht. (Ein IDott 3 ur ^anfa*gibel- unb Dom regten Üben neben ber gibel. Ulit Dielen 
Übungsbeifpielen. Derfelbe Derlag. 64 S. ©eb. Ul. 1 ,—. 

23) 1 . Heftor R. Dietleins öeutfdje gibel. lleubearbeitung oon <E. Die 3 unb h- Ulüller, 
Heltoren. Ulit 12 farbigen unb 34 fchroatjen Bilbem oon Hlfr. IDatnemünbe. £eip 3 ig 
unb Berlin 1914, B. <5. ©eubner. Ausgabe D für bie Dollsfchulen oon Ulagbeburg unb Um* 
gebung. 127. flufl., ber Ueubearbeitung 4. Aufl. ©eb. Ul. 0,80. Ausgabe E für bie mitt* 
leien unb höheren Schulen oon Ulagbeburg unb Umgebung. 127. Aufl., bet Ueubearbeitung 
4. flufl. ©eb. Ul. 0,95. 

2 . Deutfdje gibel mit phonetifchem Aufbau. h cia usg. oon (EI. Burlharbt, Be 3 .» 
Schulinfpeltor in Sera unb h- Sdjtaber, Heltor in (Erfurt. Ulit Bilbem oon ©slar Popp. 
6 . neubearbeitete Auflage. Derfelbe Derlag. Ausgabe C für Dollsfchulen. Ul. 0,70. Ausgabe 
D für Ulittelfchulen unb höhere Schulen. Ul. 0,80. 

3. gibel auf phoneti(d}er ©runblage. Ulit befonberer Berüdfichtigung ber neueften 
Sortierungen auf bem ©ebiete bes erften £efeunterricf)ts. 3 «m ©ebrauche in fjilfsfdhulen 
unb oenoanbten Anftalten. Don ©.Rehs unb ©. IDitt. ©eil III: £efebudj. Ulit 30 hl* 
teilen Abbilbungen im ©ejt. 2 . Aufl. Derfelbe Derlag. ©eb. Ul. 0,70. 

4. Stettiner gibel für ben oereinigten Anfdjauungs», Spred;-, £efe* unb Schreibunter* 
riht- Don Albert Benb 3 iuta, Reltor, unb herm. £emle, heim. Popp, Ulittelfehul* 
jei|tern. Ulit 3 ahlreichen farbigen unb {chtoaqen Bilbem oon Alfr. IDarnemünbe. Der« 
felbe Detlag. ©eb. Ul. 1 ,—. tj* er 3 u: Begleitroort 3 ur Stettiner gibel. herausg. oon fj- 
Slemle unb h* Popp. Derfelbe Derlag. ©eh- Ul. 0,40. 

(Es fei hier noch empfeljlenb hingetoiefen auf folgenbe £ieberbüebet, bie fämtlich auf 
öes neuen preufjifdjen £ehtplans 00 m 10.3anuar 1914 gearbeitet finb: 1. Singe» 
nbel mit methobifch geordneten Stimmbilbungs* unb ©reffübungen. fjemusg. oon Bernl). 
Hunge unter Ulitarbeit oon Karl ©aft unb Alois ©ufinbe. Ueue Ausgabe A. ©roroitffd} 
unb Sohn in Berlin. Ul. 0,25. 2 . £iebetbuch mit methobifch georbneten Stimmbilbungs* 
unb ©reffÜbungen. Diefeiben fjerausgeber. Reue Ausgabe A. 1 . ©eil (Ulittelftufe). Der» 
h-*i . Det l a 9- 0,38, lart. Ul 0,48. 3. Deutfehes Singbüchlein. Praltifdfes h»lfs* 
uajlem für ben ©efangsunterricht in pteufcifehen Dollsfchulen. Don gran 3 Kalthoff, 
Ö9}- Seminar* unb UluJillehret. Sdjülerheft. 3. Aufl. hamm i. ID. 1914, Breer unb 
©hiemann. ©eb. Ul. 0,40. 



240 


Spredftfmmer 


$prcd)3immer. 

3um Hamen (Teil. , 

©ne neue Deutung bes Hamens Heit hat alle Ausfid}t, in bie 3 eitung unb in 
ben HTunb bet £eute 3 U Jommen. 3 cf} möchte ba^et fdjleunigft Denoahrung einlegen 
gegen bie ©Hätung, bie im nötigen 3a^rgang biefer 3tfcf?r. S. 880 Otto Sdjütte 
oorgetragen hat. 4s toibetfpricht allen ©runbfatjen bet Sprachforfdjung, 3 ut 4 f 
J lätung einet ©Meinung, bie uns in bet Schtoe^ entgegenttitt, einen £autoorgang 
^etanjujie^en, bet ficf} auf niebetbeutfdjem Sprachgebiet nacf}toeifen läfet. Die Auf- 
faffung Schüttes toäte nut bentbar, toenn fid} 3 eigen liefe, baf bet Harne Hell aus 
bem Hotben nacfj bet Sd}toei 3 getoanbert fei. 

Hebenbei bemetft: toenn neben Ditmat bie Jorm Detmar erfdjeint, fo ift bas 
feine „flbfdjtoädjung" oon i 3 U e, fonbetn ein älteres ie hat (ich einerfeits 3 U i, i, 
anbetfeits 3 U S weiter entwidelt. 

®iefeen. ®. Behag^eL 


Hermann Unbejcfjeiö t. Rrtfyur Denec&e t. 

Am 19. $ebruat ftatb in Dtesben bet im Hufyeftanb lebenbe Profeffor am 
Annenrealgymnafium Stubientat Dr. fjetmann Unbefctjeib. © uxtt ein be* 
n* ^ tet bes Deutfdjen, toas fdjon feine Dijfertation betoeift: Beiträge 3 U 1 
Bejanblung bet bramatifchen Ceftüre in bet Schule; eine toeitete Arbeit öatüber 
rl ci Ö ° nn im Jahrgang unfetet 3eitfrf}rift. Seine befonbete Gebe roanbte 
tC ^tn^ tIICt 3U ‘ 41 roat cinet öet Begrünbet bes Sd}wäbifchen Schifletoeteins 
m- SÜ t unfere 3eitfcf?rift hat er 3aht für 3aht bie Schillerliteratur übet* 
. . m Beruhten, bie 3eigten, baf er fich bis ins hohe Alter bie Begeiferung für 
lernen Ijelben, aber auch ben Blicf für alles wertoolle Heue in bet $orf<hung be* 
toahtt hatte, ©n weiteres Derbienft ertoarb et fich burch bie Pflege bet $amüiem 
torichung unb ©rünbung bes Deteins Rolanb, bet bie Gebe 3 u biefer $ox\iim 
tlU ?- 0 ? 3 Beutfcfjlanb tueefen foll. Dichtungen mancher Art, befonbets innige Gebet 
’l 6 "'bas Ceben biefes begnabeten Hlannes toat. 

«.mir ,, ftarb in Lesben bet frühere Konreftot bes ©ymnafiums 
Llr f" KtC “ 3 ' Stuöienrat Pr°f. Dr. Arthur Denede. Seine reiche Begabung 
fiJÜV t frfi 3U c * ncm m °betnen fjumaniften i m wahren Sinne, ber mit gleicher 
n JEL? ac öeut ^ c Kultur 3« umfaffen unb feinen Schülern nahe 3 ubrmgen 
7-;.,. .1, r ” c, rett oerfchiebener Art oom elften bis 3 um letzten 3ah r 9 £m 9 un f eret 
teilen _ 3CU9 « n °° n ÖCm D *elfeitigen 3ntereffe bes ©ttfcfflafenen, beffen leftte 
• 3Ut T crtc,öi 9 un 9 feines geliebten £effing — toenige Sage oor feinem 
Anteil "" Petfönlichen ©efpräch bewies et feinen lebhaften 

IKitöliAW wat eines öer erften, älteften unö begeiftertften 

imtgheber bes Deutfchen ©ermaniftenoerbanbes. 

febrift !L«? CR unö 0enecte «»erben in bet ©efch^te unferet 3eit 5 

f^ft ftets emen ©jrenpla*; einnehmen. ” ^offtaettet. 

tig P to f-Dr. griebtich Pait 3 er, Sranffurt a. 2 TL, ®riUp°r}erftr.90. 

AUe TTianufhiptJenöungen finb an feine Anfchrift ju richten. 



BismarAs Senöung. 

3um 1 . April 1915. 

Don Arnold (t. Berger in Darmjtaöt. 

Kaum 17 3ahte finb Derftridjen, feit Otto oon Bismatd ftarb, ein runbes 
Dierteljahthunbert erft, feit et öie Leitung bet Reidjsregierung niebetlegte. 
Unb bodj —: merm mit uns oetgegentoartigen, mas mit injtoifc^en als Doll 
erlebt, mieoiel neue Hufgaben, Beifügungen unb 3 iele fidj uns aufgetan haben, 
toenn mit oollenbs bie ungeheuren, ben ganzen (Erbbafl etfchüttetnben Kräfte 
bebenfen, bie in bem gegenmartigen tDeltfriege 3 U einem Ringen auf £eben 
unb lob 3 ufammenftofeen, fo fönnen mit uns 3 unä<hft bes (Einbtuds !aum 
etroehten, baf} bas 3eitalter Bismatds, mie ein abgefchloffenes, faft fdjon in 
ruhiger Detflärung hinter uns Hegt, baf} mit bagegen tDege geführt merben 
unb Aufgaben 3 U löfen haben, für bie mit meber in feinen politifchen Ijanblun* 
gen, noch in feinen Reben unb Schriften bie geroünfehte fjanbreidjung finben, 
bafe mit überhaupt aufhören müffen, uns als „(Epigonen" unb rüdfdhauenbe 
Derehret bet oaterlänbifchen Ijelbenjeit bet Reichsgtünbung 3 U fühlen, oiel* 
mehr einet 3 ufunft entgegengehen, bie alles, mas mir felbet an fjelbentum, 
Hatfraft unb (Opfermut in uns tragen, oon jebem ein 3 elnen unter uns bis 
3 um lebten (Einfaij forbert. 

Denn nun erft foll ja bas größte 3 eitalter beutfeher ©efchidjte anheben. 
An unferer 2üt hat bie EDeltgefchichte oemehmlich angepocht, um uns bie 
«mfte Stage oot 3 uIegen, ob mir auch bas fjödjfte unb Schmerfte 3 U leiften bereit 
finb, mas fie uns 3 utraut: nicht nur bie Befreiung (Europas non all ben 
böfen ©eiftem, bie es Iran! gemacht, ihm $riebe, IDohlfahrt unb ©efittung 
fchmählich untergraben haben, fonbem auch bie Begtünbung eines neuen, 
auf eblere 3ie!e gerichteten IDeltalters ber UTenf<hh c it, bas oon beutfeher 
©eiftesart unb Sprache, beutfeher Arbeit, ©efittung unb Schöpferkraft über 
ben gan 3 en (Etbball hin fein fortan unauslöfchliches ©eptäge empfangen foll. 
S©on bie äußeren Abmeffungen unftes gerichtlichen Dafeins haben fidj ins 
Riefenhafte ermeitert: Bismatds politifche Rechnungen bemegten {ich noch 
in bem alten Rahmen ber eutopöif chen Rlachtoerhältniffe, bie unfrigen gehen 
übet alle ©rbteile hin, unb ihre $olgen finb in Aftifa nicht minbet 3 U fpüten, 
mie etma in ©ftafien ober Polynefien. Aber auch bie feelifchen Bedingungen 
unfetes oöHifdjen Sehens haben fidj bebeutfam oermanbelt. Die ©age jener 
Waiden Real* unb Ittachtpolitif, in bet nach bet her!ömm!i<hen Auffaffung 

f- 6 - lxutW«n UntcxTid)t. 29. Ualjrj. *• Qtft 16 



242 


Btsmards Senbung 


Bismatds Überlegenheit umreite, feinen ge3ählt 3U fein, ©ne Heinigung 

bet politif^en £uft oon Öen giftigen Itieberfchlägen bes Illachtgö&enbienftes 

hat begonnen, bas Hingen um eine neue fitttiche XDeliotbnuttg i|t 

eine bet ftärfften feelifchen Schumngfräfte biefes furchtbaren Krieges; eins 

feinet roettooHften ©egebniffe toitb oorausfichtlich bie befreienbe ©nfidjt fein, 

bafe bie politil bet großen Holtet tünftig nicht meht jenfeits oon gut unb böfe, 

außerhalb bes Bereiches bet fittlichen 3bee ftehen batf, es toirb oielme^t bet 

hohe ©taube toiebet 3U ©hten fommen, bafe auch bie glän3enbften ©folge 

im £eben bet Holtet unb Staaten toelten unb oerfaulen müffen, fobalb fie 

mit bem $ottf<hritt bet ITtenfchheit 3U höheren $ormen bet £ebensgeftaltung 

unoeteinbat geworben finb. Unb in biefem ©lauben, in bet fittlichen fort» 

traft, bie ihm entquillt, toitb Heutfchlanbs EOelt* unb IMenfc^hjeitsbetuf 

fi^ oollenben, toie ihn unfete großen Hißtet unb Hentet 00t einem 3o^ p 

hunbett unb länger fchon gefchaut unb oettänbigt hoben. IHenn Deutfdjlcmb 

bas Jjet3 unb ©etoiffen ©utopas genannt toorben ift, fo mag es nun auch h et 3 

unb ©etoiffen bet Iltenfchheit toetben, ein ©ziehet bes xnenfthengefd)le<i|is 

3um toachfenben flbel bet ©efitmung unb bet Hat. 

fltt folchen hohen Husbtiden mag es uns beroufjt toetben, toie uns bet 

fltem einet neuen roeltgefchichtlichen 3eit befeelt, 00t bet auch bie leudjtenbften j 

©age unftet nationalen Hetgangenheit fchon 3U oetblaffen beginnen, £eben 

mit toittlich «och im 3eitaltet Bismatds? Schtoerlich. ©c toat ent Doüenöer, 

ein übfehlufe unftes langen, itrungsreichen Hingens nach bem ©nheitsftaai- 

Hun aber hat feine Schöpfung ihren tDeg nach ihrem eigenen ©efefc 3« 

enben, unb toie fie feinet unmittelbaren fjut fchon längft ettttoachfen ift, fo 

tft auch ihr ©eift unb tDille i^tDifdjen ein anbrer getoorben. ®ber nicht? 

bem Anbenfen Bismatds nicht mit bet ge3iemenben XDahrijoffoP 

et qulbigen, toollten toir folcher ©ebanlen unb 3®eifel uns h cu * c f ( h® men 

ober ihnen aus3utocichen fuchen. $tuchtbaret toitb es fein, fie auf bie probe 

3u ftellen. Sicherlich finb mit heute nicht mehr blofe ein Hol! oon „(Epigonen", 

totr haben unenblich ®iel ©röfjetes 3U tun als mit preifenben Reben bem Kultus 

emer hohen Hetgangenheit 3U ftöhnen. Aber ba& Bismard batum für «ns 

|ujon fo gut toie überholt unb übertounben, bafe et nur bet frönenbe flbfchl«! j 

emer toentt auch großen unb bebeutenben, fo hoch eben längft ©ergangenen 

©ttotdlungsfpo^e unftes oölfifchen £ebens fei, bas ift bas ©egenteil bet 

ahrbett. Bielmehr lebt et noch immer unter uns fort toie - ein ©egenmärtiger, 

nicht etwa nur in bem IBerfe, bas et gefchaffen hat, fonbem et felbft mit feinem 

«Ln*! • £leben ' Sor 9 en u nb tDamen, Bauen unb planen, nrit bet ganjen 

buUe feinet uberfchtoänglich reichen Seele, mit bet gan3en XDucht feines »ns, 

bi» e™ E an r 3en f cincr üerantroortung, feines ©laubens unb feinet ©eue, 

fleititfT 6 ? |res ^eifrigen Hationaloetmögetts, unb toahtlich j 

tletnfte, getoorben finb. ! 



Don flrnolö <E. Beiger 


243 


£egen wit uns 3 unächft einmal Me $tage oor, wo benn die tiefften Ur* 
fachen bes IDeltfcieges 3 U fudjen finb, fo läfet fiefe barauf nur folgenöe Antwort 
geben: alle Derwictelungen, ja alle böfen Künfte unb 3ufäUe, bie bei feinet 
Hntftefeung mitgewirlt haben mögen, Ratten ifeten lebten Ausgangspuntt boef} 
in einet ein 3 igen gefdjidjtlidjen Hatfache, mit bet bie europäifdjen ©rofemächte 
fich bis 3 um heutigen Hage webet abfinben tonnten nod} wollten, wäferenb fie 
für uns eine einfache £ebensnotwenbigleit bebeutet. Das ift bie 1870 et* 
rungene (Etftartung bet früher fo ohnmächtigen mitte Hutopas, bafe alfo bas 
emft fo herablaffenb begönnette Doll bet Dichtet, Denfet unb Htäumer bie 
Hnmafeung hatte, ein Doll ber felbftbewufeten politifchcn Hat 3 U wetben, mit 
allen Anfprüdjen einet nut ihren eigenen £ebensgefefeen gehotchenben 
©tofemacht auf 3 utteten unb wirtfrf?aftlic, technifdje, finanjielle Kräfte 3 U 
entfalten, bie es ben älteren möchten unmöglich machten, auf ihren wohl* 
etrootbenen Corbeeren behaglich aus 3 uruhen, fie oielmeht übet lut 3 ober 
lang 3 U überflügeln btohten. Betanntlich hat Rloltte fchon bamals ooraus* 
gefagt, wir wütben bas 1870 ©eroonnene etwa 40 3ahte lang mit ben XDaffen 
3 U oetteibigen bereit fein müffen, benot fid} bie IDelt baran gewöhnt haben 
mürbe. IDenn biefet unausweichliche Krieg um bie Behauptung unftet jungen 
©rofemachtftellung länget als 40 3al?te auf fi<h warten liefe, fo war bas lebig* 
lieh bet beutfefeen $riebensliebe unb unftet fälfchlidj oft genug als Sd}wäd}e 
ausgelegten £angmut 3 U banlen, beim an h«ausfotbetnben IDorten unb 
hanblungen unftet $einbe unb Reiber hat es niemals gefehlt. Der öffent* 
liehen meinung in $tanltei(h, Rufelanb unb Hnglanb freien es aber gän 3 Ü<h 
unfafebat, bafe ein Doll, welches in btei fiegteichen Kriegen fo erftaunlidj 
empotgelommen war unb Hutopa mit feinen Hrfolgen in Atem gehalten 
hatte, nun plöfelich feinen gan 3 en Hhtgei 3 nur bem frieblichen Ausbau 
feinet Kulturarbeit wibmen follte. man beargwöhnte uns alfo unausgefefet: 
trofe aHet gegenteiligen Detfidjetungen, ttofe bet weitgehenben Derföljnlich 5 
leit unftet poKtifdjen Haltung, bie bas mächtige innere IDachstum gegen 
äufeere Störungen pflichtmäfeig 3 U wahren beftrebt war, traute man uns bie 
gwfeten Hrobetungspläne 3U, ja nichts ©etingetes, als bie abenteuerliche 
Äbfidjt, eine beutfehe tDeltherrfchaft auf 3 utichten etwa nach Art bes elften 
Hapoleon. Das ift bie tieffte tDm^el bes paffes auf ben beutfdjen „militaris* 
atus", oot bem Hutopa angeblich gerettet wetben follte. Diefe nicht feiten 
tranlhafte $ormen annehmenbe Angft oot bet oermeirttlichen Unbetedjen* 
barleit beutfeher IRachtgelüfte im Detein mit bem wadjfenben Reib auf unfre 
f<hwet 3 U übettteffenbe Arbeitstüchtigteit unb Untemehmungslraft brachte 
es fdjliefelich bahin, bafe, ttofe fchtoetwiegenbet weltpolHifcher ©egenfäfee 
3®if<hen Hnglanb unb Rufelanb, aus bem fran3Öfifch*tuffif(hen Bünbnis unb 
bem englifd}*fran 3 öfifchen Hinoetnehmen im 3afete 1907 bet Dteioetbanb 
fiefe bildete, bet feitbem als ein ftänbiger Störet bes IDeltftiebens fich erwies 

16 * 



244 


Bi$mard$ Sendung 


unb feinen eigentlichen 3®ed burd? die fcheinbat unoetbinblidje $otm einet 
biofeen „(Entente" 3toifchen Öen beteiligten Rtächten in beroufeter Irreführung 
lange 3 eit 3U oerbeden oerftanb, bis enblidj im Auguft 1914 butd} Rufelanbs 
Ungeftüm bie heimlich gelegten Rlinen fich 311 entlaben begannen unb min 
bie beutfchfeinbliche Abfid)t unoerhüllt 3U tage trat. (Es hanbelte fith um die 
Sprengung bes Dreibunbes burch ben entfpre<henben Drud auf Italien, 
um bie 3 «rfchlagung unb Aufteilung ©fterreidpUngams unb bie fjetabbtütfung 
Deutfchlanbs etwa auf ben Stanb bes ohnmächtigen Deutfdjen Bunbes feligen 
Angebenfens, roie ihn emft bet IDiener Kongtefe gefchaffen hotte- ® ar buj 
00t bem Ausbruch bes beutfdjen Krieges oon 1866 bie hochmütige £ofung 
ausgegeben worben, nun fei es enblich an ber 3eit, bie oon $rieörid) bem 
©rofeen bewirfte „(Epifobe" aus ber tDelt 3U Raffen, fo glaubte man jefet 
in noch gtöfeeter Derblenbung bas IDerl Bismards toieber in Htümmet 
fchlagen 3U fömten, bas neue Deutfche Reich. Dafe man bas im (Emft für 
möglich hielt, ift nicht eben ferner 3U ertlären. Der burchfchnittliche Stmqofe 
unb in noch höherem ©rabe ber (Englänber finb oon bet unbebingten Übet 5 
legenheit ihrer nationalen Kultur berart burchbtungen, bafe fie es gar nid)t 
bet Blühe wert halten, bet Spraye, ©efchichte, Citeratur, politif unb Dolfe 5 
wirtfehaft auch nur ihrer nächften Kachbatn ein gtünbliches Stubium 3U tuibmen. 

Die natürliche $olge biefer oon ein 3 elnen erleuchteten ©eiftem immer toieber 
toamenb befämpften, aber bie allgemeine Bilbung (Englanbs unb $t<ml 5 
reidjs nichtsbeftoroeniger unausrottbar beherrfchenben Unfenntnis unb felbft 5 
gefälligen ©leichgültigfeit ift ber bequeme Aberglaube an Schlagtoörtet, in 
benen längft überlebte ober einfeitig oer3errte datfadjen unb Anfchauwtgen 
3®h feftgehalten toetben. Dahin gehört bas geringfehöfeige ©etebe oon bet 
inneren 3erriffenheit Deutfchlanbs unb d)ft erreichengatns, oon ber unübet 5 
btücfbaren Kluft 3mif<hen Borb unb Süb, preufeen unb ©berbeutfchlanb, 
non bem löblichen Raffen* unb Klaffenhafe, ben retigiöfen, politifchen, fatal« 1 
un partifulariftifchen Sprengftoffen, beren unheiloolle IDirfungen nur butdj 
ben etfemen Ring militärifcher unb pol^eilichet ©ewaltherrfchaft 3 eitoeilig 
gehemmt feien, aber beim erften wuchtigen Stofe oon aufeen oerni^tenb 
hetoorbrechen müfeten. Da 3 u fommt ein 3meites: bas getoerbsmäfeige £ügen, 
H , S . *rieumben unb Derächtlichmachen beutfeher perfönüchfeiten unb 3 U ‘ 
Itanoe m bet auslänbifchen, namentlich öet englifch beeinflufeten preffe; beim 
tuet fo gefefet mit tDahrheitsoerbrehungen arbeitet, oerliert 3 uletjt bie S^’9' 1 

tiw r* P* n ? c ’ n % cm richtigen XDefen unb 3ufammenhang 3U feh en » un ^ 

9t Itd} m etne Unterfchäfeung bes ©egners hinein, beren folgen et gerecht« 1 ' 

»>«(« am «gmen teib. 3U fpüKn iefommi. 

nnfrHtj! 1 nt n>0 ^ u mon uns f° gern ftempeln möchte, ein Doll vw 
febes nw x bcn ! cutern UT, Ö ©lüefsrittem, toir gleichen nicht— toieein h ö ^ m ' 

0 es ©rafen dhun an Bismarcf einmal <m 3 ubeuten wagte i er,enl 




Don flntolb CE. Berger 


245 


Warnte, bet ein* ober 3 weimal bas „gtofee Cos gewonnen hat unb fid? babutdj 
oerletten läfet, feinen fjausfyalt jährlich auf bie DDiebetfe^t biefes glücüichen 
3 ufaüs einjuridjten". 3m ©tunbe meinte ja auch dambon nichts anberes, 
als er am 31.3uli 1914 3 U dbwarb ©tey fagte: „dnglanb toitb bod} nicht ben 
geriet oon 1870 wiebetholen, butch ben es Oeutjdjlanbs enormes IDachs* 
tum 3 uliefe?" Die Dreioerbanbsbiplomaten finb ben unfrigen an Beljenbig* 
feit, Derjd|lagen^eit unb Sfrupellofigfeit bes fjanbtoerfs 3 roeifellos oon jeber 
über getoefen, aber oon ben wahrhaft fdjöpfetifchen Kräften gefchichtlidjen 
Cebens haben fie, minbeftens was Deutfdjlanb angeht, bisher feht merf* 
toürbige Dorftellungen gehabt, bie biefer Krieg ihnen oielleicht ein wenig 
abgewöhnen wirb. Das IDerf $riebri<hs bes ©rofeen unb bas IDerf Bismarcfs 
fhtb nichts weniger als blofe „glüdlidje 3ufäUe" ober „dpifoben" unfres natio* 
nalen Dafeins gewefen, fonbem bie natürlichen fjöhepunfte unfter ftreng in 
fidj gefdjloffenen unb folgerichtigen dntwidlung 3 U ftaatlichem Rlachtbewufet* 
fein, aus bem bann mit bet gleichen inneren Hotwenbigfeit auch unfet ©in* 
tritt in bie tDeltwirtfchaft unb Kolonialpolitif wie in bie Reihe ber gtofeen 
Seemächte herootgegangen ift. 

fluch bei uns war 3 eitweilig, nach bem 3ufammenbruch bei 3ena unb 
dilfit, bie RTeinung oerbreitet, bet Staat $riebrichs bes ©rofeen fei eine fünft* 
liehe Schöpfung gewefen, bie ihre Cebensfähigfeit ein 3 ig unb allein feinet 
genialen Perfönlichfeit oetbanfte. Aber bie etftaunliche IDiebergeburt, bie 
biefer Staat erlebte, unb bie ©röfee feiner Ceiftung in ben Befteiungsfriegen 
bewies, bafe er im Ceben ber Ration oiel tiefere IDm^eln gefchlagen hatte, 
als fein militärifch*bürofratifcher 3 ufchnitt oermuten liefe; unb was ihn weit* 
hin in Deutfdjlanb fo unbeliebt gemacht hatte, bas würbe nun als bie oot* 
nehmfte Bedingung feiner Selbfterhaltung unb feines unfd}äfebaten IDertes 
für bie gan 3 e Ration gewürbigt: bie oon ihm gefefjaffene ftarfe Sdjuferüftung, 
bie gegen ben Drud ber internationalen Rtachtoerhältniffe bie einige 3 U* 
oetläffige Sicherung bot. hier fnüpfte Bismard mit flarftem Bewufetfein an 
bas (Erbe $riebtichs bes ©rofeen an: alle Hieberlagen, alle oerpafeten ©elegen* 
hatten, bie et ber preufeifefjen politif in ber 3 u>if<hen 3 eit oot 3 uwerfen hatte, 
fanben für ihn wefentlid} batin ihre ©rflätung, bafe pteufeen nicht mehr wufete, 
®ie ftarf es eigentlich war, bafe es, in Krieg unb Hotwehr 3 Ut europäifchen 
®rofemacht geworben, auch uur mit ftiegerifchen Hlitteln biefe ©rofemadjt* 
ftellung erhalten unb butdjfefeen fönne, mit „Blut unb ©ifen". „Die gtofeen 
Koifcn hüben bas IDetter, welches Preufeens H)adjstum förbert." 3n biefem 
Sinne befchwor er bereits in feiner berühmten Rebe oom 6 . September 1849 
ben Schatten bes gtofeen Königs: er hatte fi<h nicht 3 um DoUftreder bes $tanf* 
furter Detfaffungswerfes machen laffen, fonbem „nach Ablehnung ber $ranf* 
furter Kaiferfrone ben Deutfchen befohlen, welches ihre Derfaffung fein fotle, 
au f W* ©efahr hin, bas Schwert in bie XDagfdjaie 3 U werfen". 



246 


Bismards Senkung 


Alle Hoffnungen auf bie fjerftellung öet beuifchen (Entfett mußten Jo 
lange fchöne Staunte bleiben, als bie $orberungen bes Dolles unb öie ge 5 
fdjidjtlidj erworbenen Rechte bet öeutjdjen $ürften, insbefonbete bet pteufei* 
fd?en Krone, mitemanbet leinen beftiebigenben Ausgleich finben formten. 
Unb fo lange bie beutjcfye $tage nut als eine $rage bet inneren Politilim 
Kampfe bet Parteien unb bet Regierungen ijin= unb betgerootfen toutöe, 
fehlte ihr bei allem ibealiftifchen Schwünge bodj bie alles be3wingenbe, leben* 
umgejtaltenbe Schöpferlraft. Bismatd allein Hatte oon Anfang an begriffen, 
bafe bie beutfdje $tage nie# 3una<hft eine innetpolitifdje, fonbetn eine euto* 
päif(^e $tage toat, bafe fie übet alle inneren tDiberftänbe nut bann fjert 
»erben lönne, wenn bet tDille 3um beutjdjen Doltsjtaat burdj bie aufeet* 
beutf^en tDiberftänbe, bie ihm in ben tDeg traten, etft bie Spamtfraft bet 
großen Ceibenfdjaft getoann, in bet bas Doll unb feine $ürften 3U gemein* 
famet Rotweht fid} 3ufammenfd}loffen. Unb fo orbnete et benn, fobalö et bte 
3 ügel in bet fjanb hatte, alle Rtafenahmen bet inneren politit ben Rotwenbig* 
leiten bet äußeren unter, ftetlte fidj feft mit beiben $üfeen auf ben $elsboben alt* 
preufeifchet Überlieferungen, bet aus ben tDaffem bet Reoolution unoerjeljrt 
miebet emporgeftiegen toat, nahm ben Kampf gegen bie Dollsoettretung 
auf für bas Recht bet Krone unb ihre unbefchräntte Detfügung übet bie 
Armee, fotberte, wie einft $riebrich II., ©fterreieh 3um 3®oeilampf b ctaus ' 
um Preufeen ein für allemal an bie Spitje 3U bringen unb in ben Befifc allet 
Rtachtmittel, um bie beutfehe Bewegung behettfehen unb ibt bie 3iele beftim* 
men 3U lönnen, fdjlofe in bem Rorbbeutfdjen Bunbe unter preufeifchet $ühtung 
tunb 30 IRillionen Deutfche 3U einet oetfaffungsmäfeig begrünbeten (Einheit 
3 ufammen, bie bureb Schüfe* unb Htufebünbniffe mit ben 3olIpolitif<h bereits 
gewonnenen fübbeutfefeen Staaten beten lünftigen Anfefelufe toeife oorbereitete, 
unb liefe enbli<b im (Entfcfeeibungslampf mit $tanlreich, beffen (Eifetfucbt bas 
«mporlommen einet preufeifcb=beutfcben (brofemaebt nicht ertragen wollte, 
as unter bem Kaifettum bet n°hen3oIIem geeinte Deutfcblanb elfteren, 
n bent^ Jubel, bet ben ZReiftet biefes beinahe märchenhaft anmutenben 
Helbenftüdes umtaufebte, oerftummten nach unb nach jene Stimmen bes Un* 
oerftanbes unb paffes, bie ifen als tealtionäten Junler, als oetwegenen Spielet, 
gerächter bet Dollsrecbte unb Staatsftreicbmimftet leibenfchaftluh ® eP 
aepttgt hatten, unb oiele feinet ehemaligen (Segnet juchten ben Beifall, ben 
fte ihm wibet R>ülen 30Üen mufeten, 00t ficb felbet unb anbeten babutch 3 » 
teqtfertigen, bafe fie bie Rleinung aufbrachten, Bismatd habe f#iefeli<h bodj 
nichts anbetes getan, als auf alletbings äufeetft gewagten unb nicht lei# ** 
gtetfiicben IDegen basjenige RHtllicbleit werben 3U laffen, was einft bie Hlätntet 
oet Pmüslitcbe gewollt unb geplant hatten. Aber biefe Rleinung, fo befte#«b 
n .°7 J A c “ te m< mcbem Hingen mag, ift nut feht bebingt richtig, felbft mit bem 
x eh , bafe Bismards R)etl bie (Erfüllung wenn auch nicht bes gtofebeuif#®* 



Don ftrnolb CE. Berger 


247 


fo hoch öes fleinöeutjdjen ©ebcmfens beöeute. Denn was öie $ranffurter 
eigentlich gewollt Ratten, war ja ein ftufgehen Preußens in Deutfdjlanb, jeine 
„ITCeöiatifierung" in einem parlamentarijch regierten Hationalftaat. Bismard 
bagegen mar im tief jten ©runbe feines XDefetts ein ©obfeinb öes pariamen» 
tarifchen Syftems. (Er fanö Öen £iberalismus als eine öer gtofeen ©atfadjen 
öes öffentlichen Cebens vor, mit öenen et 3U rechnen hatte, er mar aüejeit 
ehrlich öavon öurchörungen, öa& öer flbfolutismus, auch öer aufgeflärte, als 
Regietungsform unhaltbar geworben fei, baf$ vielmehr öie monarchifche ©e» 
malt einer oetfaffungsmäfjigen ITTitwirfung öer Dolfsvertretung gar nicht 
mehr entraten fönne; er hat mit Öen £iberalen lange 3cit enge flrbeitsgemein* 
fhaft gepflogen unö öurdh (Einführung öes allgemeinen bireften XDahlredjtes, 
öes unerläßlichen ©egenftüdes öer allgemeinen Schul* unö IDehrpflicht, eine 
öer beöeutfamften Sorberungen öes öberalismus auf feine IDeife verroirflicht. 
Aber öie Starte feinet politifchen Schöpfung mat ihm mefentlich öarin be* 
gtünöet, öaß fie gegen öie fjerrfchaft öes Parlamentarismus unö ihre fchwächen* 
Öen, 3erfehenöen IDirtungen für immer gefchüßt bleiben fottte. Süt Bismard 
maten öas IDefen eines Staates unö öie flnfptüdje, öie et erheben famt, fchlecht* 
hin befchloffen in öer Itlacht, öie öiefet Staat aus3uüben vermag. Unö öie £age 
Deutfchlanbs in öer Utitte ©uropas, mit offenen ©ten3en, eingefeilt 3tvifchen 
Öen größten ITCilttärmächten, foröerte noch immer, mas feine ©efchichte von 
jehet geforöert hatte: eine ftarte monatchifch« $ührung öurch Dynaftien mit 
gefchichtlich begrünöetem Hnfeljen unö jenem (Emfte eines verantmortungs* 
ferneren ©eroiffens, öen immer nur eine perfönlichfeit — öiejenige, bei 
öer öie Ie%te ©ntfcheiöung liegt —in fi<h erleben unö in öie ©at umfetjen famt, 
niemals aber eine vieltöpfige, mit ITlehrheitsbefchlüffen arbeitenöe Der* 
fammlung. 

Bismard hat einmal rüdblidenö öie von ihm gelöfte flufgabf öahin be* 
ftimmt: er habe öas pteußifche fjeet in Öen Dienft öer beutfdjen 3 öee gefteflt, 
unö nur fo fei öiefe erfüllbar gemoröen. (Er hat 3U anbret 3 cit in noch fdjarferet 
3 ufpitjung öas Reich als Dermitflichung eines liberalen ©eöanfens öurch fonfet* 
vative ©at bejeidjnet unö öamit feinen ©egenfaß 3Ut Paulsfitche öeuüich 
unterftrichen. Der (Einheitsgebanfe hatte öurch öie unermüöliche Arbeit öes 
Liberalismus feine himeifeenöe IRacht übet bas beutfdje ©emüt geroomten, 
abet öie IDirflichfeit be3tvingen unö geftalten fann nur, met öie IDirflichfeit 
als folche gan3 begreift unö ohne vorgefaßte Uleinung mit ihren ftartften 
Gegebenheiten nüchtern 3U rechnen entfchloffen ift. 3 nöem Bismard öie 
Pteußifdjen Kronrechte unö öie pteußifcfje ©roßmacht als öie getviffefte U)irt* 
Koffert unö bemgemäß als unerfchütterliche ©tunölage feines politifchen 
Dettfens unö fjanbelns behauptete, tvarö ihm 3ugleich alles, tnas itgenöurie 
Wacht beöeutete unö macht in Bewegung feßen fonnte, nicht ntinöet unfehäh* 
bar, woraus fid} öie Schonung jeher Stammesart unö Staatsperfönlichfeit 



248 Btsmards Senöung 

beutfchen Bobens als felbftoerftanölic^e Pflicht ergab: bie Souoeränität bes 
Reimes follte burch Me ©efamtheit bet beutfchen Staaten ausgeübt ©erben, 
aber nicht burd? ein flbgeorbnetenhaus, in bem bas tDofyl bes ©anjen, [eine 
Hlöcbt unb ©töfee jebe^eit 3 um Spielball oergänglidjer ITleinungen unb oer- 
hängnisooller flbftimmungen metben lann. Itlit biefet grunbfäpdjen Sdjo 5 
nung jebet einjelftaatlichen ©igenart unb Bemegungsfreiljeit [tanb feine oft 
oerlannte flnneyionspolitil non 1866 nur in fdjeinbarem tDiberfpruch, benn 
erft fie gab ja bem pteufeifchen Staate bie unetläfeliche ©efchloffenljeit unb 
Rüdenbedung, bie ihm bis baljin gefehlt batte, fie mar naeb Bismatds Übet 5 ! 
3 eugung fcbletbtbin begrünbet „burch bas Recht ber beutfcben Ration, ju 
ejiftieren unb 3 U atmen, ein Recht, meines pteufeen bie Pflicht auferlegt, j 
bem beutfchen Dolle bie für fein ftaatliches Dafein erfotberliche Bafis 3 u[Iiefem". 

So mar ber Kern feiner baumeifterlichen Staatslunft bie roeife ©rhaltung bes i 
Beftebenben unb feine tDeiterbilbung in bet Richtung bes Bunbesftaates, 
ni^t nach einem ausgellügelten ftaatsrertlichen Syftem, an bem bie Sad ) 5 
männer ihre $teube haben lonnten, fonbem mit jener fchrittmeife ootgeljenben 
Sdbftbefdjtänlung, bie nie mehr, als bas jetoeils Rotmenbige forberte unb 
bas IDeitere ber 3ulunft überliefe, benn hier, roie überall, toar ibnt bie tiefe 
©tnficht mafegebenb: „mir bütfen uns nicht einbilben, toir lonnten ben tauf 
et 3eit babutch befchleunigen, bafe mit unfere Uhren oorftellen; bie ©efhidjte i 
lonnen mir nicht machen, fonbem nur abmatten, bafe fie ficb oolfyeht." 

tDenn Bismard in einer feinet geroaltigften Reben (oom 6 . $ebr. 1888) 
bas ftol 3 e tDort bes ©tofeen Kurfürften fidj 3 U eigen macht: „Alliancen finb 
3 mar gut, aber eigne Kräfte finb noch beffer", fo hot er hoch ben Rachteilen > 
ber ungebedten tage Deutfchlanbs fchliefelich nicht anbers begegnen lönnen, 
als es Srtebrich Wühelm ober $tiebrich ber ©rofee auch getan batten. Urofe 
bet ubertagenben IRachtftellung, bie er bem Reiche gefd?affen batte, mufete 
er es Segen bie beftänbig brobenbe Rlöglidjleit, oon ben oerehtigten $einben 
jemes fchroeUenben tDachstums mieber erbrüdt 3 U merben, auch butcb 00 t 5 
r* x « n 5 ni N e 3 U fiebern trachten. Sein erfolgreiches Bemühen, bas 
wehe urf ge $ranfreich in Dereinfamung 3 U halten, beffen ©b r 9 e i 3 auf ben 
5* n * uct Kolonien bin3umenben unb oon ben Dogefen ab 3 ulenfen, 
+ -!S t e ! 0töentli ^ €r f^®crt, feit Rufelanb, um bie erhofften Stühle 
nnL i v Kne9CS bmäi öen Berliner Kongrefe betrogen, für biefen 
JTi« »ehelichen RIaller" oerantroortlich machte, mas fofort ber 
in Mt 1 Bemegung gefährliche Rahrung gab. Schon bamals ©utbe 
? Öas Dcr ^angmsoolle Wort geprägt, bafe für Rufelanb ber 
^° n J tan 5 n01 ? cI öbct BcrKn »en müffe. Unter bem Drud biefer 
lonn+o x ^ m ü & ct °on TDeften brohenben leicht oereinigen 

in bie -»tAi. C ta ^ entfchloffen bas Steuer ber europäifchen politil 

w ng, bte ihr feither oerblieben ift: er ftellte feinen Kaifet 00 t bie 



Don Antolö CE. Berger 


249 


fernere (Entfdjeibung, 3 toijchen bet altert, bynaftifchen Sreunbfchaft mit Rufe* 
lanö unb bet jungen mit ©fteneid} s Ungam 3 U wählen, unb bas (Ergebnis 
biefer folgenreichen Sdjwenfung mar bas 1879 gefchloffene Bünbnis mit öfter* 
reid)=Ungarn, bem 1883 Italien beitrat. Rlit biefem mitteleuropäifchen Bunbe, 
einer (Erneuerung bes mittelalterlichen Kaiferteicfjs oon ber Rorbfee bis nach 
Si 3 tlien hin in ber neu 3 eitlid}en $orm eines Dölferbunbes, mar eine Dertei* 
bigungsftdlung gefdjaffen, bie bur<h ifyc biofees Dafein eine Bürgfchaft bes euro* 
päifchen Sriebens werben follte unb biefe Hufgabe auch burch mehr als brei 
3 ahr 3 ehnte trefflich erfüllt hat. R)enn Btsntard bennoch nichts unoerfucht 
liefe, um bas erfchütterte (Einoernehmen mit Rufelanb wiebethet 3 uftellen r 
toenn ihm oorübergehenb (1884—86) eine Annäherung bet brei Kaifetreiche 
abermals glücfte unb 1887 fogat jenes Rleifterftüd eines geheimen Rüd* 
oerfidjerungsoertrages mit Rufelanb, beffen Richterneuerung et feinem Rad}* 
folger im Kan 3 leramt 3 U fchtoerem Dortourf machte, fo toar bas bie gtän 3 enbe 
Ausnutzung einer £age, ber eine lange Dauer aus gutem ©runbe nicht befdjie* 
ben fein tonnte, unb nirgenbs läfet ficf? toohl beutlidjer als hier bie fontinental* 
politifhe Begten 3 ung feines Dentens auftoeifen. IDohl tonnte et fcharf betonen, 
bafe bas burch feinen Dertrag mehr gebunbene Rufelanb nunmehr $tanf* 
reichs RTerbungen ©ehör fchenfte unb biefe IRacht nicht nur aus ihrer f<hmet 3 * 
liehen Dereinfamung erlöfte, fonbetn ihr burch bas (Eingehen bes 3n>ei= 
bunbes fogar bie IRöglichfeit gab, bie europäifche politif in oerhängnisoollfter 
tOeife 3 U beeinfluffen. Aber et rechnete bei folgen (Etioägungen nodj nicht 
mit ben neuen roeltpolitifchen ©egenfäfeen, bie es felbft feiner überlegenen 
Staatsfunft fdjliefeüch unmöglich gemacht hätten, Rufelanb an Deutfchlcmbs 
Seite 3 U halten, nicht blofe toegen ber Unoereinbarfeit ber tuffifchen unb ber 
öfterreichif^*ungarifchen ©rientpolitif, fonbetn oor allem toegen ber feit ben 
neun 3 iger 3ahren immer fchärfet heroortretenben (Eiferfucht ©nglanbs 
auf Deutfchlanb, bie bann gan 3 (Europa gegen uns auf 3 ubringen unternahm, um 
enblid} ben Dreioerbanb 3 um Rlittelpunfte aller beutfchfeinblichen Beftre* 
bungen 3 U machen. 3e mehr Deutfchlanb in weltwirtfchaftliche 3ufammen* 
hänge hineintouchs, um fo ftärfer mehrten fi<h auch feine Reibungsflächen: 
nun mürben bie beiben R)eltmä<hte Rufelanb unb (Englanb notwenbiger* 
®eife feine fchärfften ©egner, toährenb fein alter (Erbfeinb $ranfrei<h in bie 
3 toeite Cinie rüdte unb an unmittelbarer ©efährlidjfeit erheblich oetlor. 
öiefe folgenreiche IDanblung hat bet gealterte Bismatd nicht mehr in ihrer 
9 an 3 e n (Tragweite 3 U toürbigen oermodjt. 

3n ben berühmten Darlegungen feines politifdjen Dermächtniffes über 
ben Dreibunb unb bie 3 ufunft ber tuffifchen politif (Kap. 29 u. 30 bet „©eban* 
fen unb (Erinnerungen") fehlt es neben wahrhaft erleuchtenben unb bebeuten* 
ben ©ebanfen auch Dicht an foldjen, bie heute faft fdjon befrembenb anmuten. 
Dahitt gehört bie mit Rachbrud oorgetragene Auffaffung, bafe bet Dreibunb 



250 


Bismarcfs Senbuitg 


von tljm urfprüngltd} geöadjt u>at als ein Bun 5 öer ötei Kaifet mit öem etrorr* 
tctcn Anfchlufc öes monardjtfdjen Italien, unö $wat 3U öem 3 wecte, für Öen 
beoorftehenöen Kampf 3mifchen Öen internationalen teialiftifch'republilanl* 
f(pen 3 öeen unö Öen auf (Erhaltung non Autorität unö ©eljorfam gerichteten 
Bestrebungen öas Schwergewicht öer monarchifchen Überlieferungen Mo* 
orttg 3U nerftärten, „eine Aufgabe, öie mit öer (Erhaltung öer ftaatlicben ©tö* 
nung bei uns felbft 3ufammenfällt". Das erinnert merfwüröig an Öen - 
im übrigen gtaöe pon Bismatd entfliehen öurchbtochenen —©eöanfenfreis, öer 
etnft für öie „heilige Allian3" mafjgebenö war; es hängt ficherli<h mit einem 
er entfcheiöenöen ©tunÖ3üge feines ftaatsmännifchen XDirtens 3ufammen: 
teöerringung öes reoolutionären AUerweltsgeiftes öurdj öie Kräfte öes 
oöenftänöigen, heimatlich übererbten, aber es ift öoch 3ugleich wieöer ein 
eweis für Öen nur europäifchen ©efidjtsfreis, unter öem et Öen Dteiöunö 
behaftete. Hoch größer wirö freilich unfere Derwunöerung, wernt wir Iefen, 
.. na ^ ®t sm arcfs ITteinung „für Deutfdjlanö nützlich fein »ütöe, wenn 
te Kuffen auf öem einen oöer anöeren IDege, phyfifch ober öiplomatifd?, fi<h 
ttt onftantinopel feftgefet$t unö öasfelbe 3U oerteiöigen hätten. Ü)it würöen 
amt nicht mehr in öer £age fein, oon (Englanö unö gelegentlich auch oon öfter-' 
reich als hefchunb gegen ruffifche Bosporus*©elüfte ausgebeutet 3U-werten, 
|on errt abwarten förnten, ob cöfterreicf} angegriffen wirö unö öarnit unfer 
“ « * eintritt." Solche ©eöantengänge finö in3wifchen öurch öie <Ereig* 
tt!üaj U ,° *' R) °^ en wxt * n bet Gat heute noch einer Befitjergreifung Kon* 
L n ° pe * ^ urc ^ ruhig 3ufehen, fo tonnten wir öas jeöettfalls nicht 

. ;?7 ölc Bagöaöbahn unö unfte gefamte Kulturarbeit in öer Gürtei wie 
, c,n [ ad l Preis3ugeben. Itehmen wir hin3U, öafe öie (Erwerbung öer 
Dom 1 X r To, ~~ cin £iebIin 9 s 9ebante tDilhelms II. — öurch Öen Dertrag 
öoöiirrf. x 1 Don ®i sma rd mtfebilligenö beurteilt wutöe, fo wirö 

mriwJS D ° 7 ln aus 9 cfprochene Urteü befräftigt: öie im hofften Sinne 
DÖIIrt in 1 « 6 ? ^° 9Cn ' öic but{ ^ ben englifchrteutfchen Wettbewerb erft 
Bismorrfrl» U6 i e S , ? en ?in6 ' Iagcn no ^ f° am äufeerften Kanöe öes 
feiner fl™! ” - e fr^ s f c *bes, bafe fie auch bei Öen weiteftgehenöen (Entwürfen 
leben Rc ^ enfun f t noch au&et Betracht blieben, ünö fo 

Auaen rm ^ °° n 9 e f<h offenen Dteibunö heute nicht mehr mit feinen 

ob liefe w tt- n !I nern UTtS 3roar bantbat öer oon ihm erwogenen möglich^* 

m 3 » «hem .«»rin« ftr 
betn öer faoUh t a c ' " bet roic gewöhnliche Betträge, tünöbar, fon* 
Alt öer ffietelft^ 6 Un9 bc * bet Reiche einoerleibt unö nur öurch einen neuen 
eine ftaatsirh+rvx" 9 T eS bct f clbcn Iösbar wäre", unö wir finö fogar geneigt, 
erftrebensmerf^V 1 !! 0 tDir f^ a ^ s P° Iiti fche Detanferung öiefes Bünöniffes für 

lieh hinausoeIie« U ÖlC ü6ct Bismar <fe 3weifelnöe Anöeutungen erheb' 

g hen tonnte. Aber not allem ift uns öer Dteibunö nicht weht 



Don flrnolö CE. Berger 


251 


bloß eine europäifche, fonbem eine weltpolitifche Hotroenbigleit. (Et foll nicht 
nut bas Rüdgrat eines neuen (Europa werben, bie beherrfdjenbe ftcategifc^e 
Stellung in bet tttitte unfres (Erbteiles, beten machfenbe Anjiehungslraft 
ihm bie Sührung in einem fünftigen eutopaifdjen Staatenoerein fiebern muß, 
fonbem et foH 3 ugleid} ein neues 3 ettalter bet IDeltpolitil unb DMttultur 
uns anbaljnen Reifen, bas nadf bem Hiebergang bes englifchen unb bes tuffi* 
fdjen Syftems bet Ausbeutung, bet Detgetoaltigung unb bes Raubbaus ein 
wütbigetes 3iel aufriehten toitb: bie planmäßige Hebung unb Derebelung 
bet lultutfdjöpfetifchen Kräfte unb $äl}ig!eiten bei allen Döltem bes (Etb* 
fteifes, bamit ein jebes an bet (bütererjeugung toie an ben geiftigen unb fitt* 
Häfen (Errungenfd}aften bet IRenfchheit feinen Anteil gemimte unb feinen 
ilfnt getoiefenen Beitrag leifte, unb bie oorgefdjtittenen Böller ben 3 Utüd* 
gebliebenen 3 U fiebern unb $ühtem toerben, nicht in ben Künften bet IRadft, 
bet £ift, bet Detfühtung unb bet (Entfeffelung aller uttteinen Ceibenfchaften, 
fonbem in benen bet IDohlfahtt, bet (befittung, ber geiftigen unb fittlidjen 
Spülung 3 U menfchheitfötbemöet Atbeit. 

Daß toit abet ein fo löftlidjes 3iel nicht nut als ein febönes draumbilb 00 t 
uns aufleuchten feben, fonbem als eine alle fltusleln unb Heroen fpannenbe 
Detbeißung, bie tDirllichleit toerben fann unb toerben muß, toenn Deutfeh 5 
lanb nicht ftillfteben ober oon feinet I}öh c Hüglig toiebet herabgleiten foll, bas 
ift leßten (Enbes bo<b bet Cebensarbeit bes getoaltigen Rlannes 3 U banlen, 
ber uns im Kteife bet alten (btoßmädjte eine nicht nut allen ebenbürtige, 
fonbem 3 eittoeilig fogar alle übettagenbe Stellung gefchaffen hat. 3nbem 
Bismard bas Deutfche Reich i n Europa 3 Ut ausfdjlaggebenben litacht erhob, 
hat et ihm etft bas fiegteidje Selbftbetoußtfein gegeben, ihm ben XDagemut, 
bie IDeiträumigteit unb ©tofeügigleit bes toirtfdjaftlidjen Ausgteifens möglich 
gemalt, bie bie ebenfo rühmliche toie lange 3eit fchußlofe Pionierarbeit 
bes nach Millionen 3 äblenben auslänbifchen Deutfchtums immer feftet mit 
bet eigenen Untemebmungstraft oerlettete unb but<h bie toeltumfaffenbe 
Hustoeitung feinet Detlebtsbe 3 iebungen genötigt toutbe, auch bie beutfdje 
Politil fortan im Sinne eines IDeltoolles 3 U betreiben. hat aU( b Bismard 
bie einem tDeltlrieg 3 ufteuemben (befahren, bie bamit heraufbefchworen 
toutben unb uns oon ben Bahnen feines poHtifchen Denlens allmählich 
abbtängten, noch nicht ootausgefeben, fein unoetgängliches Detbienft bleibt 
babutdj bennoch ungefchmälett: ihm banlen toit bie Anfänge bet beutfdjen 
übetfeeifchen Kolonialpolitil, mochte er 3 U biefem Schritt ins Ungetoiffe auch 
nut 3 ögemb fich entfdjloffen haben, unb — toas noch oiel mehr bebeutet — 
ahne feine größte Ceiftung, bie in toenigen 3 abten einbolte, toas in 3 ahr* 
hunbetten oerfäumt tootben war, ohne bas neu gefchaffene Deutfche Reich 
®ären toit niemals bas IDeltooll geworben, bas wir beute finb. 

Das Bewußtfein, baß wir ein folches geworben finb, war freilich oor bem 



252 


Bismat cts Senbung 


Auftauchen ber HTaroffofrage im größten ©eile un|tcs Dolles nur jeljr öürf= 
tig entroidelt, fo heife unfer Kaifet bemüht mar, bie pijiliftetfeelen aufjutüt* 
teln, fie auf bas TDeltmeer hmaus3umeifen unb mit Bilbem einer großen 
3 ulunft 3U erfüllen. Politik finb mir infofem ein IDeltoolf gemotben, als 
Deutfhlanb 3roar in (Europa — um mit Bismard 3U reben — ein im gatyen 
„jaturierter Staat" ift, aber aufjethalb (Europas nicht mehr, oielmeht ift es 
ein unausroeidjUdjes ©ebot unfter Selbfterhaltung gemotben, bafj feine bet 
großen Kolonialmächte ihren Politiken unb mirtfchaftlichen (Einflufj in 3ufunft 
oergroßem barf, ohne bafj auch mir uns glei<h3eitig einen 3uma<hs fichem, 
ber ben Dorfprung ungefähr ausgleicht. Aber biefe politifdje Aufgabe ift uns 
nicht 3 med an fi<h, fonbern XTtittel 3ur Durchführung unfrer eigent* 
ü^en Beftimmung als tDeltoolf: bafj mit bie et3iehetif<hen möchte beutfehen 
©eiftes unb beutfeher Arbeit übet bie (Erbe tragen unb bie gan3e ITCenfhheit 
für bas fjöchfte unb ©belfte, bas uns anoertraut ift, empfänglich machen. 
(Es märe fein Segen für bie ITlenfchheit, rnenn fie nur bie tDahl haben dürfte, 
englifch aber ruffifch 3 U merben; aber mertn mir jenem Ijöchften, bas in uns 
gelegt ift, ehrlich treu bleiben, bürfen mir ohne Übethebung fagen: am beut' 
fd?en tDefen mirb fie genefen. 

®* s 7 taT< ^ ^ ben oothin ermähnten Betrachtungen aus Oeutf^Ianbs 
gerichtlich begrünbeter ©igenart gegenüber ber bet anbeten europäifdjen ©rofe- 
machte ben bebeutfamen Schüfe gesogen, bafj es „unfer Sntereffe ift, ben 
5tte en 3U erhalten, mährenb unfre fontinentalen Xlachbarn ohne Ausnahme 
lüunfche haben, geheime ober amtlich befannte, bie nur but<h Krieg 3U erfüll 

a tw"‘ • Dcm9cmä & ^ ätten unfre politif ein3urichten, alfo Kriege 
oglichfeit 3U oethinbem ober ein3uf<htänfen, — ein Seüfaij, an bem 

mn°rf f-w !* eIm I1 ‘ flemiffenhaftefter ©reue feftgehalten hat- Unb Bis 5 

arct Tab* bann fort: VOxx follten uns immer bemühen, „bie Derftimmungen, 

biirAs* ^ erantDac ^f cn 3 U einer mitflichen ©rofjmacht hetootgetufen h°t> 
II V’ tIid!en unö ftiebliebenben ©ebtauch unfter Schmerfraft 

3 fchroachen, um bie IDelt 3 u übet3eugen, bafe eine beutfhe Hegemonie 

Crpif. 1 ^* 50 un & unparteiifcher, auch unfdjäblicher für bie 

öenn bic al*!* 6 * aIs cinc f tan 3 öfifche, tuffifche ober englifh^ 

len inti t. ^ . 9 Dor öcn Kc ^ cn anbetet Staaten", bie jene mähte oetmif 5 

m<m L”' Y?! , ei f nc ftarfc Stö ^ e in öct »©bjeftioität bes beutfehen ©haraftets". 
fAen tnc m rl le | e , 9 ° löene £e hte Bismards nur aus bem Kontinentalpoliti 5 
beutfcfien r» e 3U uberfetjen, unb man erfennt in ihr bie Richtfhnut 

aeaenmnJ! 6 ?^ 6 " 5 ^ * üt öen 9 ro feen Gntfheibungsfampf, in bem mit 
nur BfcmJIF e ^e n '. mir oerteibigen in biefem aufge3mungenen Kriege nicht 
©eilt ben » S -t, Ct ? 9 e 9en heimtüdifhe Angreifer, mit oerteibigen auch beit 
et ihm mi+JL 1 h 1 e ’ n 9 c haucht, unb bie roeltgefehichtliche Beftimmung, bie 
‘ 9 ge en hoi, ein fjort bes $riebens unb ber Derftänbigung unter 



Don flrnolö <E. Berget 


253 


Öen Döltem 3U werben, ein unbeftedjlidjer IDädjter öer Derträge unö öes 
Selbftbeftimmungsrechtes öer Staaten unö eben öaöurcß auch ein fjüter unö 
Hieltet öer IKenfchhettsfultut, öie ohne Stetigteit, Rechtsficherheit, $tiebens= 
unö wecßfelfeitiges Dertrauen oon Dolt 3U Dolt ihre hofften Aufgaben 
nic^t 3U erfüllen oermag. 

Derfucben toit öie $tage, roie mir beute 3U Bismarct fteben, auch für öas 
©ebiet öer inneren politit 3U beantworten, fo buben wir uns bi« 3unä<hft 
mit feiner oft h«ootgeh°ö encn ffirunbanfehauung auseinanber3ufeßen, baß 
öie innere Politit ftets nach Öen Rotwenbigfeiten eingerichtet toeröen müffe, 
öie öie äußere oorfchreibt. „IRit finö" — fo fagte er einmal am Anfang feiner 
Mnifterlaufbabn —„öie auswärtigen Dinge an fich 3 u>ecf unö fteben mir 
böber als öie übrigen", unö er fügte erläutetnö hin3U: was im Snnern etwa 
oerloten gebe oöer oerfäumt wetöe, laffe fidj wieöet einbringen, aber in öer 
auswärtigen politit gebe es IRomente, öie nicht wieöertommen. Damit ift 
eine ©genart feines innetpolitifdjen Deniens angeöeutet, öie oon jeher Öen 
größten IRißoerftänbniffen unö Anfeinöungen ausgefeßt war unö felbft her* 
ootragenöe IRämter nötigte, öie Bewunöetung, öie fie feinet auswärtigen 
Politit 3ollen mußten, feiner inneren fo gut wie gän3li<h 3U oerfagen, eine 
Itteinung übrigens, öie in öer Berufs* unö Gagespolitif, aus öer fie ftammt, 
noch beute oielfach nachwirtt, obwohl fie für Öen Stanöpunft gefdji «tätlicher 
Betrachtung bereits gegenftanöslos geworben ift. Denn Bismatct war natür* 
lieb »eit entfernt 3U leugnen, baß es 3ahlteiche unö wichtige Aufgaben öer 
inneren politit gibt unö immer geben wirb, öie mit öenen öer äußeren nicht 
unmittelbar 3ufammenhängen, oielmeht ihre eigenen 3t»edinbalte unö B)ert* 
maßftäbe haben; et bat erft recht nicht behaupten wollen, baß er öer inneren 
Politit ein geringeres Blaß oon Reigung unö Begabung entgegenbringe als 
öer auswärtigen, fonöem er bat Öen politifchen Stimmführern öer öffentlichen 
Itteinung mit ihren Parteifatedjismen einfach fein perfönliches politifches 
©laubensbefenntnis entgegengeftellt, mit öem er 3U fteben unö 3U fallen 
9«u>illt war, unö öas feine gewaltige et3iebetif<he Kraft erfolgreich etwiefen 
bat. Der Kernpunft öiefes ©laubensbetenntniffes aber war öer ©laube an 
Öen Staat als Öen in öer Spiße 3ufammengefaßten tDillen öer 
Ration. 

Run batten in Öen alten 3 «ten öes Stänöeftaates Regierung unö £anb* 
ftänöe immer wie 3wei Körperfchaften mit oetfchieöenen 3 ielen fich gegenüber* 
geftanöen, öie miteinanöer banöelten oon IRacht 3U IRacht, unö öiefes Hein* 
K<he $eilf<hen batte fich fortgefeßt im neuen Derfaffungsftaat, wo Regierung 
unö Doltsoertretung einanöet immer wieber wie wefensfrembe ©tößen 
betrachteten, öie fich für jeöe £eiftung billigerweife eine ©egenleiftung fchul* 
öig feien. Das Parteiwefen bat 3weifellos in öie früher gütlich unpolitifchen 
Rtyfen politifches Denten unö politifcße Ceibenfdjaften biueingetragen — 



254 


Btsmarcfs Senöung 


bas war fern faum 311 übetfehäfeenbes Derbienft — ober cs hat anberfeits 
bas pofttifdje Denfen in bic Itefee partifulariftifcher Derbiffenheit, boftrinärer 
Schwärmerei unb blinben Autoritätsglaubens »erftrieft ober bie politif 3U 
«nem ©aufchgefchäfte 3toifd)en ftreitenben Sntereffengruppen emiebrigt 
©egert biefe (Etbfünöe des parteitreibens Ijielt Bismatd allejeit als ©runö* 
tatfache bes Derfaffungsftaates bie ftaatsrechtliche (Einheit oon Regietung 
unb Dolfsoettretung aufrecht, unb wenn er in bet monatdjifdjen $üJjrung 
te eigentliche Quelle ftaatlicher Kraft fah unb besljalb bie Rechte bet Krone 
is 3um äufeerften 3U oerteibigen entfQIoffen war, fo wachte et bodj nicht 
mmoer ftreng über ben Pflichten ber Krone: auch h* er erinnerte er gern 
an jriebrichs bes ©rofeen tDort oon bem König als bem erften Diener bes 
aates unb warf ben Dolfsoetttetem bie fpi%e $rage entgegen, ob benn bet 
ontg unb feine IRinifter nicht auch 3um Dolfe gehörten. Datum lonnte er 
es wagen, felbft wo bas Parlament unb bie öffentliche XReinung gegen ihn 
ftanoen, fühn 3U behaupten, bafe bie Regierung bas IDohl bes Dolfes befferju 
e ennen unb 3U wahren unb ben DolfswiUen richtiger aus3ulegen pemtöge 
„ " e e ^ Itcn Vertreter bes „Dolfes" unb bie Politiken „publiken*. 
rehtgegebaf 019 ^ Be ^ auptun 9 befanntlich in grofeartigfter DOeife 


’h • C ^ tc ° cs äufeeren IRachtgewichtes eines Staates war 
/Rf". T P f "rf tPCn ^- et ^ c ^ n 9 * ^ut<h Cheine überragenbe $ühret, bie bod} immer 
©ludsfalle bleiben, als burch bie ©efunbheit, Cebenbigfeit unb £eiftungs* 
»v et ?" c ?<>™fdje« (Einrichtungen, unb biefe wieberum fhienen ihm 
fl . ^ ^ö^fee Rtafe ihrer IDirffamfeit 3U erteilen, wenn grofee »ater* 

i cnc ber ©efinnung fefjufen, bie im Stofeen unb Drän* 

,, ^ a 9 e smühen unb Richtigfeiten fo leicht oerloren geht. RH e 

«tonrt'w ^ a .’f en ^ en et biefe (Einheit ber ©efinnung, wo fie etwa noch 
“ rn f' W^amäfelg 3 u er 3 wingen oerfucht; et fonnte in bet (Erbrudung 
firfi+cfrt k« r* 1 *4. aT L Cn » ' n ** er ^ cn 9 c & cr amtlichen 3 ud}t eine furchtbare Rü<b 
aefrfmJ^ "* etD ^ tW1 ' ro ie fie felbft mit altpreufeifdjen Überlieferungen, 
(Er bn+ k* nT!*a ^ fübbeutfcfjer ©ewöhnung faum noch »erträglich w OT - 
t 00e ? bes ^ ta<rtes gelegentlich trofeig überfpannt, er hat im 

oerfucht v” t . Ultu x rfam P^ c oöcr öutc h bas So3ialiftengefefe ffiegner 3U werfen 
l id) A' ölC üVl* * taatIid?e P°Ü 3 eigewalt fchlechterbings unüberwinb* 
eiaenwar '^f^A fcinc .. 6efö ^ f ü * „ 3 mponbetabilien", bas ihm fonft 
eine bötfrfi 16 aufeer £ld}t gelaffen, bafe feine IKafenalfnten 

Zben^L“ S *” h,n S 6es ®' 3 "«s 3« SoI 3 e U«n. 0 t» *> 

na * flufrirbii! 136 * ^etyfcfyläge, öie übetbies mit feinem raftlofen Streben 
bas enafte Cme f, a ^ c ^Hberftänbe beugenben ftaatlichen Autorität auf 



Don flrnolö <E. Berger 


255 


mag bie brüdenbe 3 ud}t, bie neben bem regietenben tDillen feinen 
anbersgeridjteten bulbete, auch manches Rüdgrat gebrochen unb manchem 
unabhängigen Warnte bie Beamtenlaufbahn oerleibet haben, fo ift hoch auch 
hier, wie fo oft, bet entftanbene Derluft nut bie Kehrfeite eines aufeerorbertt* 
liehen ©ewinnes. Denn eben bas Dafein biefes gewaltigen Willens bebeutete 
füt alle, bie ihm bienten, eine unfdjäpate (Quelle bet Kraft, ber Anfpannung 
unb bes ©laubens an eine geniale $ührung, bet man petfönliche Anfdjau* 
ungen bereitwillig opfern burfte, unb fieberte bem Beamtentum eine ©efhlof* 
fenheit, tDürbe unb Wucht bes Wirfens, wie fie niemals bort erreichbar fein 
wirb, wo bie Beamten nur bie Diener einer Partei ober gar bie gehotfamen 
©erzeuge einet einflufeteichen ©ruppe politifdjer ©efchäftsmänner finb. 
3 ebod) biefet allmä(htige Beherrfdjer bes Beamtenftaates war bennod} nichts 
weniger als ein „Bürotrat": wie ihm felbet bet leibenfdjaftlidje 3 ug feiner 
Hatur 3U fchöpferifdjet politif bie Saufbahn bes Beamten nie begehrenswert 
gemacht hatte, fo war er ein abgefagter $einb nicht nur aller bürofratifchen 
3 opferei, Wichtigtuerei unb Selbftgenügfamfeit, bie — wie et es einmal 
f<het3haft ausbrüdte —, „über jeben 3aun, über jebe Brüdenbohle burch fünf 
3nftan3en bis nad) Berlin" berieten müffe, fonbern auch aller übertriebenen 
3 entralifierungen, weshalb ihm, ebenfo wie feinem größten ftaatsmännifchen 
Vorgänger, bem $reihetm oom Stein, für bie ©efunbheit ftaatlidjen Sehens 
bie ©ntwidlung einet immer leiftungsfähigeren Selbftoerwaltung gan3 
unentbehrlich fchien. Sein tDerf ift jener Ausbau ber pteufeifchen Selbftoerwal* 
tung butefj bie ©efefegebung ber fieb3iger unb adliger 3ahre gewefen, bet 
bas non Stein Begonnene erft oollenbete unb in feinem oollen Segen fpütbat 
werben liefe. Diefer liegt ja nicht nut in ber ©ntlaftung ber ftaatlichen {tätig* 
feit unb in bet ITCinberung ber Reibungsflächen 3wifchen Staat unb Alltags* 
leben, fonbern oot allem in bet höchft wirtfamen Ziehung 3U ftaatsbürger* 
liebem Denlen unb fjanbeln, wie fie bie Teilnahme an ben Aufgaben öffent* 
«eher Derwaltung gewahrt. Auch hi ct mar für Bismatd bet ©runbfafe mafe* 
jebenb, ben er gegenüber ber parteipolitif geltenb machte: bafe nut berjenige 
Soröetungen an ben Staat 3U erheben berechtigt fei, ber fidj 3m Rtitarbeit 
am DJohle bes Staates emftlich bereit finben laffe. 

Aber alles, was ihn mit bem ©rbe Steins ober ben Derfaffungsibeen bes 
alteren Liberalismus oerbanb, reichte hoch nicht fo tief 3U ben Wuseln feines 
efens hinab wie bie leibenfdjaftlidje Behauptung bes Sührerberufes ber 
onatchie. ©r war bem Sibetalismus innerlich gram nicht blofe wegen feiner 
° 1 ° ®^ ( hlaitsfremben tljeoretifchen Haltung unb feines Arbeitens nach 
auslanbifchen „©lieh 6s", fonbern noch mehr wegen bes einfeitigen Beftrebens, 
I'a & cs Staates oom Stanbpunfte ber politifchen unb wirtfehaft* 

iqen Bewegungsfreiheit bes 3 nbioibuums aus beftänbig ©ren3en fefeen 3U 
®° an, beoor nodh ber junge Staat feine oolle Sehens* unb tDirfungsfraft 



256 Btsmarcfs Settbung 

na(^ Öen ißm felbet eingeborenen Hotmenbigfeiten ßatte entfalten fönnen. 
Darum toar es eine maßrßaft großartige tDenbung feiner inneren poliiü, 
als er oon 1877 ab auf einet ßößeren gefcßicßtlicßen Stufe bas D)ert roieber 
aufnaßm, bas griebrtcß ber ©roße begonnen ßatte, unb in beroußter flblefn 
oon bem ßertfcßenben liberalen 3eitgeift nicßt ben Snbioibualismus, fonbern 
ben Staatsgebanten als IlTaßftab unb 3ielpunft aucß bet roirtfcßaftiidjen 
nnb Rialen ©efeßgebung toie ein meitßin leucßtenbes Banner aufpflanjte. 

3 n einer 3 eit, ba bet tDettfampf 3toifcßen ben ßanbeltreibenben Dölletn 
um ben tDeltmarft unb bie Kolonien immer ßeftiger entbrannte, ftätfte et 
burcß wßößten Scßut^oll bie Kräfte bes inneren BTarftes, ficßerte betn tritt* 
fcßaftltcßen £eben ungeftörtere ©ntmicflungsmöglicßfeiten unb meßrte baburdj 
nicßt nur Ceiftungsfäßigleit unb IDoßlftanb, fonbern fcßuf aucß bem Heidje 
außerorbentlicß gefteigerte ©innaßmen. Das Keicß immer meßt aus einem 
läftigen Koftgänger 3U einem roiHtommenen ©elbgeber bet ©in3elftaaten 311 
macßen unb feine ©innaßmen lebigltcß auf 3 ölle, Detfeßrs* unb Derbtaudjs* 
fteuern 311 grünben, toat ißm leitenbet ©runbfaß. Beibes ßat ficß alletbings 
als für bie Dauer nicßt butcßfüßtbat ertoiefen, aber baß ber fjausßalt bes 
ei^es oon bem ber ©in3elftaaten unabßängig erßalten toetben muß, ift feit 
c * nc ^ Cl ro itßtigften Aufgaben innerer poKtif ertannt, oon beten 
r T £Ö ^. n9 . fln W en Sciftungstraft bes Heicßes mefentlicß bebingt 
* ® ne m ä<ßtige Steigerung ber Reicßsgetoalt, 3ugleicß einen beträcßtlicßen 
30 fcßritt auf bem tDege nationaler ©inigung unb ftaatsmirtfcßaftlicßet £ebens= 
regdung erßoffte et oon ber Derftaatlicßung fämtlicßer ©ifenbaßnen für bas 
K>enn btefet gemattige plan aucß fcßeiterte, fo gingen immetßin bie 
oncß gften ©ifenbaßnen in ein3elftaatli<ßen Befiß über, unb für ben größten 
<fctn 3 elftaat ben preußifcßen, mürbe baburcß nicßt nur eine einßeitlicße Perteßrs* 
poimt mogltcß mie in feinem anberen Canbe ber tDelt, fonbern bie ftaatlicße 
, n9 *® at ^ 3 u gleicß einen Scßußbamm auf gegen jene fapitaliftifcßc Aus* 
ffif 1 u t Ut< ^ Aftiengefellfcßaften, an beten Sünben fo oiele auslänbifdje 
n•s« 1 *u !” kaufen, unö ßielt ßicr, mie auf anberen gelbem mirtfcßaftiißer 
oorforglicß |^ Ca)a ^^ CTT ^ a ^ *>es Untemeßmertums mit ißten Ausartungen 

** C9 * b * c & en froürbigfte ©at feiner inneren politif nicßt auf betn 
l< ^ en ' f on ^ crn auf bem fo3ialen ©ebiete. tDie er fcßon 1863 bei 
serpi ,iL amem 00 Snebricßs bes ©roßen fcßönes IDort erinnerte »j e 

aeboe , ™ ro, j. es .g“ eux “. 1° ftanb ißm febe^eit bas ßoßen3ollerfcße Pfl'$ 5 
bütfniL« 1; Köni9tums ® ot Augen, monacß bie Staatsgemalt nicßt Öen Be* 
armfLÜ ? b ®°®! t ^ tetcr Klaffen, fonbern allen Scßicßten bes Dolfes, aucß öen 
Selb» nad ? be ftem XDiffen unb ©emiffen 3U öienen M- 

■örüdLnasD C rfuA ltCn9Cf ^ 1001 ia POn Bismalcf «W fcßlecßtßin als Unter* 
9 etfucß gemeint, fonbern 3 ugleicß als Scßußmauer für eine bie 




Bon flrnolö CE. Berget 


257 


Quellen bes Übels in3mifchen nach ITCögltdjfett abgtabenbe fchöpfetifche 
Sojialpolitil, beten hohen Sinn bie faifetliche Botfdjaft oom 17 .Hooember 1881 
bet etjtaunt aufhorchenben IDelt entbüUte. Bismarcf bat bie Utljebetfchaft 
biefet politi! ausbrü «flieh jidj felbet 3ugef<htieben, unb mit miffen, baß nicht 
nut bie 3 ufüatmung bes Kaifets, fonbem au(b eines großen Seiles bet 
miffenf(baftli(ben Sachmänner ibm grunbfäßlich non oomherein 311t Seite mar. 
Um fo fdjärfet mar bet DOiberftanb unb bas IKißttauen, bie bei Arbeitgebern 
unb Arbeitnehmern, in Parlament unb pteffe 3U überminben roaten, bie 
Abneigung gegen bie angebliche (Einfdjnürung bet mittfehaftliehen Beroegungs* 
fteibeit burch gefeßlichen 3 mang, bie $urcht, bas Staatsfdjiff in ben Strubeln 
bes „So3iaItsmus" oerfinlen 3U fehen, unb auf bet anbeten Seite bet fjoljn 
bet fo3ia!bemo!tatif<hen Itlaffen auf bie oom Staate angebotenen „Bettelrenten". 
Uut Bismatds tiefige Arbeitskraft unb unerfchöpflich etftnberifd}e Selbherm* 
begabung fonnte allet biefet ©egnet fo gän3li<h herr metben, baß 1883 bet 
Ausbau bet Rialen ©efeßgebung begann, um fortan nicht mehr 3um Still* 
ftanb 3U fommen. ©in tDerf mat hi« unternommen, bas ben Hamen bes 
So3ialpolitifets Bismard ebenfo unftetblidj machen follte, mie es bet bes 
Rei«hsgtünbets gemotben mat, unb 3mat meit übet Deutfdjlanbs ©ten3en 
hinaus, benn in ©utopa mie in flmetifa unb flufttalien hat bas große beutfche 
Dotbilb vielfältige Hachfolge gefunben. Saft fleinli«h etfcheint es, gegenüber 
einet betartigen Ceiftung oon meltgefchichtUcher Bebeutung auf bie eigentlich 
felbftoerftänbliche ©atfaehe hiit3umeifen, baß iht Schöpfet für manche Aufgaben 
bet S<>3ialrefotm menig Derftanbnis unb Heigung mitbrachte, baß ihm bei* 
fpidsroeife bie unbefchtänfte Derfammlungs* unb Koalitionsfreiheit ebenfo 
3 uu>iöet mat mie eine leicht 3U bütofratifch fi<h geftaltenbe ©emetbeaufficht 
ober bie hemmenbe unb beoormunbenbe IDitfung oon maßregeln bes Arbeitet* 
fäußes gegen gefunbheitliche Schäbigungen. Unbeirrbar aber ging et butch 
bas ©etoirr gefeßgeberifchet Rlöglichleiten auf jenen Kern bet Sache 3 U, ben 
etinbemDetfichetungsgebanfen erfaßte: für bie Befißlofen, Hotleibenben, 
erwerbsunfähig ©erootbenen ftatt bes entmütbigenben Almofenempfanges 
«in ftaatlich oerbütgtes Recht auf Sicherung 3U fchaffen, ihnen babutch 3um 
Bewußtfein 3U bringen, mie alle Staatsangehörigen fi<h gleichfam als ©liebet 
«ines großen Samilienoetbanbes 3U fühlen haben, oon benen eins für bas 
anbete nach bem ©ebot bet Hächftenliebe einfteljt, bie Übet3eugung oon bet 
Anentbehtlichleit bes Staates unb einet opfetmilligen Staatsgefimtung auch 
ben ftaatsfeinblichften Schichten allmählich ein3upflan3en unb fo bie metbenbe 
Ktaft bes Reichsgebanlens 3U oertaufenbfachen. Htögen unfetet fosialen ©efeß* 
jebung auch noch 1° niele Hlangel anhaften, unermeßlich bleibt, mas fie nicht nut 
für bie machfenbe Dolfstümüchfeit bes Reichsgebattlens, fonbetn auch für ben 
Rüdgang bet Sterblichleit unb bet oetberblichften Kranfheiten, für bie Schonung 
50n ®«funbheit unb Arbeitskraft, für bie Hebung bet Cebenshaltung, auch bet 

f.». bentfd)«ii Unt«rrld)t 29.3«t|rg. 4. Q«ft 17 



258 


Bismards Senbung 


geiftigen unb fittUcßen Bebütfniffe in Öen arbeitenben Stänben, unb bamit für 
bie Mehrung unfeter inneren Kraftquellen geleistet bat. Ü)et batan nod? 
3weifeht tonnte, bent mußten bie (Erfahrungen bes leßten fluguftmonbes 
auch barübet bie Augen öffnen: bies oom Kaifet bis 3um Tagelöhner in einem 
tDillensentfcßluß geeinte Bol! wäre uns nicht 3U einem fo übermaltigenben 
(Erlebnis geworben ohne Bismards gtofftügige tDirtfcßafts* unb So3ialpolitif, 
bie bie Segnungen bet Reicßsoerwaltung allen Klaffen bet ©efellfcßaft bis in ü)t 
tägliches Berufsleben hinein fo unwibetfprechlich 3um Bewußtfein gebracht hot. 

Hocß in einem anbem fjauptjtüd feinet inneren politit Ienfte Bismard 
3u längft oergeffenen Bahnen Stiebridjs bes ©roßen 3urüd: in bet ©ftntarten* 
politit. Ben Hoffnungen auf tDieberßerfteltung eines felbftänbigen polntfdjen 
Reimes, bie burch Rapoleons fünftlicße Schöpfung eines ©roßhet3ogtums 
tDarfdjau neue Hahrung erhalten hatten, um feitbem nicht mehr 3U oerlöfcßen, 
mußte ihre (taatsgefäßrbenbe IDetbetraft auf boppeltem XDege untetbunben 
werben: burch fortgefeßte Detmehrung ber beutfeßen Bolts3ahl in ben polnifcß 
tebenben ©ebieten bes beutfdjen CDftens, alfo burch planmäßige flnfiebelungen 
unter ftaatlicher Beihilfe, unb burch ebenfo unermübliche ©ewinnung ber 
Polen für beutfeße Spraye, beutfeße Schule unb beutfehes ©eiftesleben. Troß 
mancherlei Mißgriffen unb Seßlfcßlägen hat bas oon Bismard feit 1886 be* 
gonnene Anfiebelungswert bie IDibetftanbsiraft bes Deutfchtums in jenen 
bebrohten ©ebieten erfolgreich geftärtt unb wirb, beharrlich unb opferwillig 
fortgefeßt, in einigen Menfcßenaltern bas erfehnte 3 iel oorausficßtlich erreicht 
haben: bie willige Unterwerfung bet polnifcßen Beoölferung unter bie pteußifdje 
Staatsleitung unb bie enbgültig anertannte Überlegenheit beutfeher litultur* 
arbeit, eine ©ntwicBung, bie bet gegenwärtige Krieg 3weifelIos befcßleunigen 
wirb, inbem et für bie Berföhnung 3roifcßen Beutfcßtum unb polentum neue 
unb ftarte Bürgfcßaften aufrichtet, ^ebenfalls ift uns Bismards ftaatsmc mtifeße 
©rtenntnis, baß bie polenfrage webet eine parteipolitifche noch eil e bloß 
preußifeße, fonbem eine beutfchnationale $tage erften Ranges ift, nach 0 >rüber- 
gehenber Berbuntelung längft 3U einem unoetäußetlicßen Befiß gei iotben, 
unb bas buteß ihn fo herrlich emporgehobene Selbftbewußtfein untere: Dolles 
wirb nie wiebet in bie Detfucßung tommen, biefen oon ben Bätem in pattem 
Mühen errungenen Boben preis3ugeben, es wirb ihn oielmeht 3U ein tn 00t 5 
bilblichen Schauplaß beutfeher Tücßtigteit unb ©eftaltungstraft aus ibauen 1 
beftrebt bleiben. 

Bas eigentliche ©eßeimnis bet Bismatdfeßen Staatstunft, bas bu h f c ' ne 
Ceßre unb fein Beifpiel fieß uns enthüllt hat, unfet (Eigentum gew ben ift 
unb uns niemals wiebet oetloten gehen barf, läßt fich, auf ben Iüt3ef n flus*j 
btud gebracht, baßin beftimmen: baß innere unb äußere politit 3* 1 naeßj 
3 weden unb Mitteln in |icß feßt oerfeßieben finb, baß fie aber in bc leßteaj 
£ettgebanten eins fein müffen, benn beibe müffen fo angelegt fein, aß bie! 


i 




Don Hmolb <E. Berget 


259 


©efunbljeit unb ©efchloffenheit bes inneren Aufbaues bem Staate bie gröfete 
Rlöglichteit bet Hlachtentroidelung nach aufeen fiebert, unb bafe roiebetum bie 
Starte ber äufeeten Trtad}tfteltung auf bie (Entroidelung ber inneren Sehens* 
fräfte befruchtenb unb fteigemb 3urüdroirft. Dies hoppelte IReifterftüd bat 
Bismatd in bertEat oollbracht, unb in fo erftaunlid} froher 3 eit, bafe biefremben 
lUädjte nod} immer nicht gelernt haben, an feinen bauernben Beftanb 3U 
glauben. 3 n biefem tDeltfriege bat es feine erfte grofee probe 3U befteben 
unb roirb fie befteben. 

Run wirb es uns leicht fein, bie fdjon eingangs ermähnte oft gehörte An* 
Hage 3U entträften, bie Bismardfche politit habe, weil ausf<hlief}li<h unb mit 
Beroufjtfein im Dienfte bes Rlachtgebantens mirtenb, unter „macchiaoel* 
Iiftifcber" Deradjtung ibeeller tjeiligtümer, unb oon ©eroiffensbebenten nie 
befdjroert, fich jenfeits ber feften ©te^en oon ©ut unb Böfe geftellt unb bamit 
in bet gleid^eitigen ©efellfdjaft bie Begierben einer hemmungslofen Selbft* 
fuebt, bie bläbe Anbetung bes äußeren (Erfolges, ber IRacht unb bes ©lan3es 
in oerbängnisoollftet IDeife entfeffeln helfen. So roenig beftrittert roerben tann, 
bafe ber unoetglei(hli(he roirtfchaftliche Auffdjmung unferes Dolies feit bet 
Reidjsgrünbung eine befdjämenbe Steigerung bet ©eroinn* unb ©enufefudjt 
mie ber ©leidjgültigteit gegen ibeelle unb fittlicbe ©üter 3eitmeilig nach fi(h 
ge3ogen bat, fo roenig batf bie Bismardfche Politit mit biefen unerfreulichen 
©rfdjeinungen in innere Be3iebung gefegt ober oollenbs bafür oerantroortlid} 
gemalt roerben. Denn einmal befafe Bismatd, unb 3toat in ftärtfter Aus* 
prägung, alle ©harafteteigenfehaften, bie jenen aIl3U 3ablteichen ©ludsjägem 
unb (Erfolganbetern fehlten unb fie eben barum 3Ut Beute ihrer eigenen 
Begierben roerben liefen: einen ebenfo f<hli<hten toie unerfchütterlichen ©ottes*, 
Botfeljungs* unb Unfterblichteitsglauben, eine tiefgegriinbete (Ehrfurcht oor 
bem gefdjichtiich ©eroorbenen, in heimatlicher (Erbe ©eroadjfenen, eine ehrliche 
Betachtung jebes Strebens, bas nur ber (Eitelteit unb bet Sucht 3U glän3en ent* 
fptingt, einen untrüglichen Blid für bas (Echte, ©infache unb Sebensftarte, 
ein unbeirrbares ©efühl für bas ©lüd ber Stille, ber liebeumhegten tjäuslich* 
teit, eines unabhängigen unb ehrgei3lofen natutnahen Dafeins, eine erftaunlich 
umfaffenbe unb fchlagfertige, nicht angelefene, fonbem erlebte Bilbung, 
eine herb fid} oerfchliefeenbe Onnerlidjteit, bie nur ben Bertrauteften ihre Reich* 
tümer auftat, ouitanifche Ceibenfchaften, bo<h ge3Ügelt burch eine rounberbare 
©abe bet Selbftbehenfchung, tünftlerifchen ©eftaltungsoermögens unb roelt* 
5 überlegenen fjumots, 3arteften tjet3enstaft unb ein niemals roanlenbes Bet* 
trauen auf bie hohen ftttlidjen IRächte, bie unfer ©emeinfchaftsleben burch* 
f ©alten unb bem eigenwilligen Spiel petfönlidjet Reuerungslüfte auch ohne 

f unfer 3 utun fefte ©ren3en fefcen. Bann aber läfet fich auch bie politit eines 

* 1 ° 9 eatteten TRannes in ber ©at nicht ärger oertennen als oon benen, bie nur 

> bie Ausroirtung eines über fittlidje Bebenten fich talt hinroegfeijenben bämoni* 

17* 




260 


Bismarck Senbung 


[djen Iltachtwillens in ißt 311 feßen glauben, ©ewiß hat et, bem bie Polttü 
eine Kunft war, tnH dien XDaffen bes Spottes jene oft ßöcßft geiftreießen Köpfe 
betämpft, bie fie nach „ 3 been" einrichten wollten, unb es ift ein wunbetooHes 
Scßaufpiel, wie er oon feinem etften Auftreten an buteß bie oerbtüffenb neue 
Art feines polttifdjen Segens fi<h in bem XDitrwatr politifcßet Illeinungen 
feinen ließet anfteigenben IDeg bahnt: 3wif<hen bynaftifeßen (Erwägungen, 
gefdjidjtspljUofopßifdjen (Träumereien, gefühlsmäßigen Heigungen ober Ab* 
neigungen, geheiligten ©laubensfäßen bet Parteien, fitdjlich^teiigiöfen Dot s 
urteilen, feingefponnenen theoretifeßen (Erörterungen, bie teils bie politifcßen 
(Entfcßlüffe bet lettenben perfönlicßfeiten beftimmten, teüs — was noch r 
fährlichet war — es 3U folgen (Entfcßlüffen überhaupt meßt tommen ließen, 
behauptete et allein fieß mH bem unbefangenen hellblid bes gebotenen Hat 5 
faeßenmenfeßen, 3U bem auch <Engels3ungen oetgebKcß gerebet haben würben, 
wenn fie ihn hätten nötigen wollen, bie Dinge nicht in bem 3ufammenhang 
3U fehen, ben fie wirtlich hatten. Solcher XTlifewirtfdj aft gegenüber tonnte et 
bann wohl einmal bas betbe Bilb brauchen: wenn er mit ©tunbläßen burßs 
£eben gehen folle, fo fomme ihm bas oor, als wenn et buteß einen engen Ipalb* 
weg gehen unb babei eine lange Stange im Illunbe halten müßte. 1 ) natürlich 
follte bies nur befagen, baß et einer bie(Entf«hlußtraft im entfeßeibenben Augen 5 
bUd hemmenben ©ebunbenßeit an Richtungen, Dorurteile unb fertige Rejepte 
jene unbeeinflußte $teißett unb Beweglichfett bes ©eiftes oot3ieße, bie immer 
bet Belehrung butch bie (Tat fachen gewärtig bleibt unb nur bafüt fotgen wiu, 
baß bas Rechte im rechten Augenblid unb ohne 3 ögem getan werbe. Da er 
hier3u aber auch bie hilf c anberer brauchte unb mit ber ©enialttät bes politifcßM 
Blides bie bes hßtrfchetwillens oetbanb, fo benußte et untet Umftänben alle 
Rlittel bet Cift, bet läufcßung, übettafeßung unb Dergewaltigung, um bie 
tDiberftrebenben ben oon ißm erfaßten fielen bienftbat 3U machen, unb 
tonnte babei allerbings eine fühle menfchenoerachtung unb eine Sftupel' 
Iofigfeit bet Kampfmittel bewähren, bie ihm eine Sülle oon Seinbfcßaft u |* 
haß erwedte. Aber bemtoeß war biefe ben „ 3 been" feßeinbar fo gtunbfäßli<h 
abgeneigte Realpolitit fchließlich nichts anbetes als bet ununterbrochene, 
alle Schwächen bes ©egnets feharffießtig ausnußenbe unb ißm bas ©efeß feinet 
Bewegung auf3wingenbe Kampf für jene großen 3been, bie ben 3 nß 
feiner gefcßicßtlicßen Senbung unb ben überpetfönlichen Antrieb feinet bas 
hettömmlicße menfehenrnaß übetfehrettenben Schöpfergewalt bitbeten. 

Diefe 3 been waren, wie bei allen halben ber ©efeßießte, »on einfach®* 
Art, nämlich Offenbarungen beftimmter ©runbgefühle unb ©runbtatfach e n 

1) Ähnlich bie launige tDenbung in Itr. 16 bet Briefe an Btaut unb 
(brunbfätjen hält man nut feft, folange fie nicht auf bie Probe geftellt werben; gef<b**f 
bas, fo wirft man fie fort, wie bet Bauet bie Pantoffeln, unb läuft, wie einem öt 
Bemejjon tlatut geworfen finb.“ 



Don flrnolb €. Berger 


261 


unfetes Dölftjdjcn Dajeins, öie feit bet frattjöfif^cn Reoolution unö länget oon 
öer $lutwdle internationaler politifdjer Schwarmgeifterei oerfhüttet rootöen 
waren, um jetjt in ihrer gan3en Seichtheit unö oerfatmten Starte wieber* 
auf3u|te^en unö oon öer Seele biefes auserwählten UTenfdjen Befty 3U nehmen, 
öem öie ©nabe gegeben war, öas, wofür er gelebt, gefämpft unö gelitten, 
3um (Eigentum Un3äf)Iiget weröen 3U laffen unö öiejen öas ©eptäge feines 
IDefens aufjubrüefen. Das unruhige Suchen unö fragen nach öer beftemDer* 
faffung, öer beften XDirtfdjaftsorönung unö So3iaIrefotm, öet beften ©eftaltung 
öet etfeljnten öeutfdjen (Einheit holte et aus Öen tDolfen auf öie (Eröe herab; 
er wies ihm öie ©runölagen, auf öenen oon unter her aufgebaut werben tonnte, 
was bis bahnt nur wie ein ©taumbilb in öet Cuft gegangen hatte, unö et lehrte 
unö 3eigte, bafj 3U folgern erfolgreichen Bauen nicht ©eift unö Bücherweisheit 
nod) Schwärmerei unö XDo^lreöen^eit nötig finö, fonöem ©infalt unö 
©teue, ©eljotfam, ©^rfurdjt unö Siebe, Jjeimatgefü^l, tätiger Bütgetfinn, 
gläubige Eingabe an öie angeftammte oon ©ott oerorönete ©brigfeit, an Öen 
Staat als Öen gefammelten BOtllen öer Hation, an öas fjeet als öas unter öem 
oberften Kriegsherrn geeinte waffentragenöe Dolf unö an alle Ijelbe^eiten 
preufjifcher unö beutfeher Dergangenheit, öeren ^eiliges $euer noch heimlich 
in Öen Seelen glühte unö nur 00m fjauef) öet ©eft^ic^te entfalt 3U werben 
brauste, um fjöchftes 3U oollbringen. So lehrte öiefet Scfjicff aismann uns wieöer 
öie IDitllichfeit oetftehen, in öer wir leben, unö wie wir öiefe XDrrflirfjfeit 
tintig brauchen müffen, um ein einiges, ftartes, geachtetes unö gefürchtetes 
Dolf 3U werben. (Et hat Deutfchlanb 00t öet furchtbaren ©efaht enettet, öie 
ihm immer bebtohüchet näher dufte: oon Öen großen IDeltmädjten oetbraucht, 
beraubt unö 3erftücfelt 3U weröen. Unö er ift nie batübet im 3 toeifel gewefen, 
öah ihm nicht Hlenfchenwih unö Rtenfchenlift öabei öie ffanb geführt höbe, 
fonöem öet Ratfdjluf} öer Dorfehung, als öeren öemütiges U)erf3§ug et fid? 
wifete. Barum blieb ihm aud} iebe Regung öes Stores ober Übermutes felbft 
auf Öen ©ipfelpunften irbifchet (Erfolge fern. Unö wenn et öet Hoffnung Aus* 
ötuef geben fonnte, bafe bas hoho tOort „civis Romanus sum“ auch für Öen 
öeutfhen Staatsbürger einft in öer gan3en U)elt 3m ©eltung fommen werbe, 
fo öadjte er öabei wahrlich nicht an ein fünftiges beutfdjes tDeltreich nach Art . 
bes römifhen, fonöem an öie (Erhöhung öes Anfehens unö öes Selbftbewufet* 
{eins öet Auslanbsbeutfchen, wie fie ihnen aus öet glan30oll erneuerten 
fllachtgeltung öes Hlutterlanöes beglüdenö jufliefeen werbe. So fonnte^er 
fcrben, wie ITlofes, mit öem oertlärten Ausblid in öas gelobte £anb, öas er 
felbft nicht mehr betreten follte. ©t hot öem Beutfhtum öie U)ege geöffnet 
unö Öen hohen Htut gefchaffen 3ur (Erfüllung aller jener Hielt* unö RTenfch* 
hoitsaufgaben, öie ihm feine erlauchteften Seelenfünöiger begeifternö gewiefen 
hoben. Unö wenn öas IDeltreich öeutfehen ©eiftes unö beutfeher Arbeit, oon 
bem einft unfere Dichter unö Denier träumten, fid) in öiefem 3ahrhunöert oer* 



262 Matthias (Etaubiu* unb fein „R$etntD«intUb* 

toitflidjcn follte, bann wirb Bismarcfs helbenetmedenbes Dermachtnis aHejeit 
mit ihm fein, bas uns aus bem 3 eitalter bet Romantit enbgültig in bas bes 
Realismus hmübergeleitet hat: es Reifet nicht mehr „im Anfang war bas D)ott, 
fonbem „im Anfang war bie (tat". 


tttattljias (Elaubius unb fein „BfyeintDeinlieb". 


Ron IDolfgang Stammlet in hannooet. 

(Sortierung o. S. 20t uni) Sd)b&) 

(Einen etroas metfmütbigen, aber beutlichen ©tabmeffet füt bte Beliebt' 
beit eines Dieters bilben ftets bie patobien, melche auf feine Stopfungen 
oerfertigt toerben. niemals mürben Sachen parobiett metben, bie unbetont» 
geblieben finb; benn bie tDitfung bet patobie beruht 3um gtofeen ©eil bara^j, 
bafe bet £efet ober fjötet fie, beroufjt ober unbemufet, im inneren oetgleta) 
mit ihrem Dorbilb, mit bem patobietten CDbjeft. Daher bilbet bie 
bichtung einen mertoollen, roebet oon £iteraturgefchichte noch oon ttjth«“ 
3U überfehenben Beftanb bes hiftorifchen Quellenmaterials. 

daubius’ „Rheinmeinlieb" ift feljr häufig parobiett motben. Die Strophen 
auf bie ein 3 elnen £änbet forberten auch getabe 3 U auf, mettftreitenb neue h m ‘ 
3 U 3 ufügen, anbete entgegen3ufefcen; ober neben bem Rheinroein, »on bem 
(Elaubius fpricht, treten als Rebenbuhler unb Rioalen anbere ©etranle auf- 
Dor allem in biefen Richtungen hat fi<h bie Patobie betätigt. Bereits bie et| e 
Auflage bes „©afchenbuches 3um gefelligen Dergnügen füt 1791 ", bie tun 
leibet un3ugänglich blieb, brachte (nach tDuftmann) „matte 3ufahftrophen u er 
Uleifeen, ©organ, bie Schmeiß bie Rtofel, bie fjaoel ufm."; basfelbe Büchlein 
enthält in feiner fechften Auflage (1797 erfchienen) ein „punfehlicb", ohne An¬ 
gabe bes Derfaffets. Die oier fdjmachen Strophen lauten: 


ICrinft, gteunbe, trintt ben eblen Punfch 
Schlürft ihn gefühlooK ein [bet Briten, 
Unb la&t bas het3 3“t götbtung eblet 
Sich rechter gteube roeiljn. [Sitten 

U)egmitbem £ätm gemeinettoher Seelen, 
(Er 3iemt bet IDeisheit nicht. 

Doch foü’s uns nicht anSchet3 unb gteube 

[fehlen, 

U)enn £ieb’ unb gteunöfchaft fpricht 


Auf! greunbe, fchroört bei btefet eblen 
Stets gtofe unb gut 3U fein, [5a?m» 
3m gan3en £eben mie beim frohen W e > 
Der greunbfehaft euch 3 “ roeihn! 


Der U)elt 3um heil, uns felbft yim 
Sei unfet Stof} unb IDunfch! [ 3 U l* ' 
(Ein folcher Grieb roirb unfern wett « 
Da3u ftärf uns ber Punfch! W eben ' 


Kosmopolitifch e freimauterif<he 3 been, mit Schilletfchen Anflängen, bet 
Punfch gefungen — mie meit entfernt oon bem einfach*ßaren unb h umor 
sollen Geb bes Bothen! 

(Eine 3roeite patobie hat eine fleine Dorgefchichte. Am 3 . Augufi 1 
toarb in pofen oon einet ©efellfchaft höherer Beamten ber ©eburtstag oe 
£anbesherm, griebrich tDUhelms 111 ., feftlich begangen. Die IDogen bet Begetp* 


1 



Don IDoIfgang Stammlet 


263 


tung gingen unter {fern ©influfe öes ungarif©en ©eines h°©, befonbets als 
bet Regierungsrat S©wat3, befannt als $reunö ©. ©?. fl. tjoffmamts, ein 
oon ©m oetfafetes „£oblieb öes lofayers" oetteilen unö fingen liefe. „Oie 
©efeUf©aft war öet IReinung", berietet ein Teilnehmer, „öafe dlauöius, öet 
Sänget öes berühmten Rheinweinliebes, Öen mtgarif©en tteftat wohl noch not* 
3ieljen möge, unö trug besljalb öem Dieter (Ijn. Reg. R. S©wat3 in Pofen) 
auf, ©m einige $laf©en öet oor3Ügli©ften Sotten ungarif©en ©eins mit öem 
£ieöe 3U öbetfenöen." S©war3 fdjtieb Öa3u: 

„(Eine ©efellf©aft oon Ulannem, öie ehebem in intern Datetlanöe 3um Rhein* 
mein öas Rheinwemlieb fangen, unö öie fi©, na©bem fie Polens Sdjidfal hier oet* 
einigte, na© ^iefiger £anöesfitte, 3um hungarif©en ©ein bequemen mufeten, 
befinöen fi© jefet bey öiefet Oetänöecung fotoo^l, öafe fie fogat f©on bey feft» 
lieben Deranlaffungen, ein £ieö oon Tofayer, mit ftobet übeqeugung fingen. 

Reubelebtte pflegen immet eifriger in ihrem (Stauben 3U feyn, öarum toatö 
öem Di©ter jenes £iebes öer Auftrag: 3 hnen fol©es nebft einigen $iaf©en bunga* 
rifchen ©eins 3U überfenöen, inbem es öer bödjfte Triumph öet (Sefellfdjaft feyn 
mürbe, auch dlauöius 3U ihrem Profelyten 3U ma©en. Dielleidjt öafe es öem 
©eine gelingt! mas öas £ieö nicht oermag, meines nur gefeUiges Beöürfnife auf 
rauhem farmatifchen Boöen et3eugte. IDenn Sie fich aber auch babut© nicht be» 
tehren taffen: fo nehmen Sie Öen Detfu© roenigftens als einen Bemeis öet fjo©* 
achtung auf, womit man 3 hrer auch hi« am Ufet öer ©ar©e geöentt..." 

Iltit 3ietli©et unö fdjalfhafter Anmut banfte (flauöius am Heujabtstage 1801 : 

„Sagen Sie öet ©efellf©aft oon Ungat*EDein*Derehtern meinen Danf, unö 
öafe ich ©nen angehöre, wenn fie mich haben wollen. Doch mufe ich 3ut Steuer öer 
EDahrheit fagen, öafe 3 h' Tofayerlieb unö öer beygefügte IDein mi© nicht allein 
auf anbere ©ebanfen gebraut haben, unö öafe ich f©on bey meinem jährigen 
Aufenthalt in Oatmftaöt oor einigen 20 3ahten, wo ich öie ©attung Rheinwein, 
öie, wie fie fagen, öie Bläutet nur oet3iel}t, unö öie ich oorher nicht tannte, habe 
lennen lernen, in meinem Refpect für Rheinwein etwas ine gemacht worben war. 
übrigens wäre es auch wohl ohne öas um mich gefächen gewefen, fonöetlich wenn 
man, wie 3 fft £ieö felbft 3U erlauben fdjeint, öem PräIaten*Rheinwein noch 
rehtigleit öarf wiöetfahren taffen ..." 

Sotanes £ieö aber lautete: 

Behält mit £aub Öen Becher oolldotay er, 

Unö trintt ihn fröhlich leer! 

So himmlifch milö unö öo© ooll ©eift unö 

$euer, 

IDo roächft ein tDein wie öet? — 

mädjft (Euch nicht am Ufet öer ©aromte, 

Selbft nid)t am alten Rhein; 

Partheyij© todjt öort nur öie liebe Sonne 
Süt öie Prälaten IDein. 

(Effig bleibt nur für uns arme £ayen, 

Der Rheinwein ähnlich ficht, 
unö öer, anftatt öie tje^en 3u erfreuen, 

Pie Uläulet nur oet3ieht. 


flm Redar wächft ein fäuetli© ©ettänte, 
Oem’s S«uer gar gebricht; 

Oer fteift mit Kalt öie Knochen unö ©e* 
Bringt Poöagta unö ©i©t [lenfe, 

fludj öentt nur nicht, öet $tan3mann fey 

gefunöer; 

Seht! wie öer Kaufmann ladjt, 

Oer Ponto! (Euch fammt Rtebof unö Bur* 
Aus tjeibelbeeren ma©t. [gunbet 

IDir laffen Spaniens geprief’ne Sette, 
Unö tljun auf fie Bericht; 

IDenn au© fein Ulallaga no© füfeer 
Tofayer wirb et ni©t. :,: [f©medte, 



264 


Hlattgias Clauötus unb fein „Rgttniöemlieb" 


3 n EDelfcglanb giebts gefegte fette tDeiite, 
Die macgen bides Blut; :,: 

Unb matten roogl ben Römern lange 

Beine; 

Docg nicgt ein güntdjen ITlutg. 

3 n Ungarn, görfs, amgufee bet Karpaten, 
Da roadjft ein trinfbar ©olb— 

Das nägrt mit Kraft bie Sögne bet Sat* 

maten, 

Unb macgt bie Söttet golb. 


IDir aber finb ia bet Sarmaten Btüber, 
Dom Dater Bacgus get! 

Drum fingen mit bem eblen gungar 
Unb lieben ign roie (Er. [Cieber 

üolayer bleibt oon allem Saft bet Reben 
Das fcgönfte gluibum. 

(Er giebt bem ©eift unb Körper neues 
XDie ein Specificum. lieben 


Dertrintet bann aus biefer eblen Quelle 
Die Sorgen unb ben Spleen. 

Unb märe felbft greunb flsmus gier 3m Stelle, 
(Er liege Rgeinroein ftegn. 


Diefe gefcgmadoolle, im Sinne bes Dieters gegoltene Umbicgtung mufe 
oiel Beifall gefunben gaben, au(g am fjofe in tDeimar; bemt gtaulein Suije 
„Ggusnelba" oon ©öcggaufen oerfertigte fi(g eine flbfcgrift baoon, bie im 
©oetge* unb ScgiUer * fltcgio unter igren Papieren ergalten ift. Au(g m 
bie Sammlung „Parobien" non Karl Hlü (gier (Heue Ausgabe 1820 ) warb 
fie aufgenommen unb banacg in 3 acgatias guncfs umfängliQes „Bug 
beutjcger Parobieen unb ©raoeftieen" ((Erlangen 1840 / 1 ). 

3 n ein „politifcg Sieb" umgebogen unb negiert matb bas „Rgeinroein* 
lieb" non 3 ogann ©ottfrieb Seume. 3 m fjerbft 1809 traf er mit (Hife oon 
bet Rede 3 ufammen; „Heutftglanbs Unterjocgung burcg Hapoleon" mürbe oon 
beiben patriotifcgen Seelen mit tiefem Unmut unb S<gmer3 befptocgen, uno 
beim flbfcgieb überreicgte Seume bet Dicgterin bie oon bitterem, gerbem IDe? 
um bas Daterlanb erfüllte Umformung bes Siebes: 


Beträgt eu<g nidjt, igt roeingelegrten 
Der Becger bleibe leer; [ 3 ecger, 

Denn mir finb nicgts als nur (Europens 
gut bie ift U)ein nicgt megr. [Scgäcget, 

(Er lam uns nicgt aus Ungarn, ni(gt aus 
Roig roo man franjifcg fpricgt: [Polen, 
€s mocgte bort St. Deit ben U)ein ficg 
U)it gölten ign ba nicgt. [golen; 

Das Daterlanb gab ign aus feinet gülle: 
Drum mar er au<g fo gut, 

So rein, fo milb, fo freunblidg unb fo ftille, 
Unb fo ooll Kraft unb IRutg. 

flu<g mutgs er ni<gt burcgaus im beutfigen 
U)o man oon IDeine gört: [Reicge, 

Diel Berge finb roie mir nur faule Bäudje 
Unb nicgt ber Stelle roertg. 


Die Saalgebirge 3um (Ejempel bringen 
©emäcgs, fiegt aus mie U)em, 

3ft’s aber nitgt: man !ann babei maji 
Dabei nicgt mutgig fein. [fingen, 

3 m (Eiggebirge bürft igr aucg nicgt fucgen, 
U)enn igr ign finben roollt, 

Dort ift man ftog, gat man nur Kobaio 
Unb nur fein Saufegolb. 


Der Btodsberg ift bet gtofee gen pgiliftct, 
Unb macgt nur U)inb, mie et: 

Drum tan3t aucg nur ber Kudud unOjetn 
Ruf igm bie Kreu3 unb Quer. [K u l 
flm Rgein, am Rgein, ba magfenunjte 
Derloren ift ber Rgein; l. 

Der grembling gat bem gtemblmg h 
Den beutfigen Sabemein. l 9 e 9 e ’ 



Don tDolfgang Stammler 


265 


IDir tränten ihn unö tonnten aller U)ege 
Uns freun unö fröhlich (ein: 

Unö wenn auch jetjt öas Ciebfte traurig läge, 
IDir haben teinen U)ein. 


Sn Dörfern Kontraft 3U Seumes peffimismus atmet eine anöete patrio* 
tifdje Umöidjtung glühenöe Begeiferung unö fudjt Deutfchlanös Stämme 3um 
Kampfe gegen Öen (Etbfeinö Hapoleon, öer eben in Rufelanö öie fernere Riebet* 
läge erlitten hatte, auf3urufen. Das Sieb mufe Anfang öes 3 al}tes 1813 ent* 
ftanöen fein unö ift bemerfenswert wegen öer Dielen 3eitgefd}idjtlic^en An* 
fpielungen; öer leiöer unbefannte Derfaffer will mit öiefem „Deutfdjen 
3 uruf" öie Rheinbunbfürften auf öie Seite preufeens unö Rufelanbs 3ieljen, 
roenn et fingt: 


«Ergreift mit Ulut Öen angefüllten Becher 
Unö trinft ihn freuöig leer! 

(Erhoben bat Öen Arm (Europas Rädker, 
Unö feine tjanö traf fchwet. 

Uidjt unter uns, in Ungarn, nicht in 

Polen, 

Hein, roo man Stanjmännfch fpricht, 
IDo (Beden lanö unö Schelme Süden 
(Erftanö öer Böferoidjt. [holen, 

Uod} überall tobt er im öeutfchen Reiche, 
© öeutfdje Brüöer, hört! 

Schlagt auf ihn los, öafe er non hinnen 
Seiö eures Canöes roert! [roeidjc; 

Die Sdjroeijetberge, 3um (Ejempel, tra* 
®n Doll, fonft ftart unö frei. [gen 
3 n SDaoentetten ift es nun gefchlagen, 
Unö all fein Ruhm ootbei. 

Unö in U)eftfalen öürft ihr auch nicht 
UJenn (Blüd ihr finöen roollt. [juchen, 
Den IDüftling hört man öortoom Doll oer* 
Defe Klärt et faugt unö (Solö. [fluchen, 


tjispanien nergalfs öem hettn Philifter 
Unö feinet Knechte fjeer, 

Drum floh non öort öer Kotf’ unö fein 
Unö wütet öort nicht mehr. [Ulinifter 

Unö neues heil fucht’ er im ftrengen 
Dort gab öer Scharen (Bott [Uotöen, 
Sn tapfrer Ruffen fjanö öie Räuber* 

hotöen 

Unö macht' ihn gar 3um Spott. 

Am Rhein, am Rhein erblühe neues 
(Befegnet feift öu, Rhein, [Ceben! 
Sei roieöet öeutfd}, (Bott hat öidj uns ge* 
IDir müffen öid} befrein! [geben, 

Auf, öeutfehe $ürften! Denft öer gtofeen 
Ruft feöen IHann jum Schwert; [Däter, 
Derfagt oon euch beftodjene Denäter 
Unö feiö öer Kronen roert! 

Dertraut auf (Bott, er fteht auf guten 
Den Sapfem immer bei; [U)egen 
Dann erft erblüh' öes $rieöens golöner 
Sinö Deutfdjlanös Doller frei. [Segen, 


3 n ptopaganöifäfcher Abficht rouröe fünf3ig 3 ahte fpater dlauöius’ Sieb 
nerroanöt, um — Rlafeigfeitsbcftrebungen 3U unterftütjen. Der fjannooerfche 
Senior Bööefet ftanö an öer Spitje öer Sempeten3ler in Rieöerfachfen, welche 
Öen Branntweingenufc — nicht Öen jeglichen Altoljols überhaupt — befonöers 
in öer nieberen Beoölferung oon Staöt unö £anb betämpften unö öas Bier 
an feine Stelle 3U fe^en fugten. Um ihte Sbeen 3U oerbreiten, waten etwa 
1860 „Rorööeutfche UTäfeigfeitslieber" erfchienen, welche — ähnlich n?ie noch 
^eute bei öer fjeilsatmee — betannte Sejte in beftimmter Abficht umöichteten 
oöet betannten IReloöien untergelegt waten. Sn ihnen finöet fi<h auch, mit 



266 ITtattljias Clauötus unö fein „KfjelmDeinlieo" 

B. unte^eidjnet, möglit^ermeife alfo oon 6cm auch fonft bidjterifch tätigen 
Bö6efet hetrühtenb, folgenbcs £ieb: 

Der ©erftenfaft. 


Dct ©erftenfaft, ihr meine lieben Btübet, 
3ft fclfon ein alter Girant; 

D’tum gebet ihm öie alte ©hre roieber, 
Unb bem (Erfinber Dant! 

<Et bat 3®« leinen gtofjen ^etm 3utn ©ön* 
Doch bies tbut nichts 3ut Sad}’. [net, 

Was gut ift, lobt fich felbft, unb bieb’re 
Die fragen nichts banad)! [Kenner 

Die alten Deutfdjenfchon, ihtBtüber, trän* 
Don bie[em Kraft*Srunl fein, [len 

Durch beten Sdjcoett bieftol3enRömet [an* 
Unb benlt — bie tränten IDein l [len, 


flus biejem lönnt i^t nun tedjt fid|et 
(Es fei ein eblet Saft, [jdjliefeen, 

tDcnn auch fogar (Erob’tet fallen müffen 
Durch feinet Urinier Kraft. 

©eftehfs nur felbft, in Bayern unb in 
©iebfs männet oollet Kraft; [granten 
tDas mag bie Utfad) r anbers feyn: |ie 
Den eblen ©erftenfaft [tränten 

Dod} Schnaps unb Rum gemähten nichts 
Unb eine rothe Raf\ [als P°J C ^ 
Drum roünfcht iht ftifdje $arb| unb waft 
Sogreift3um©erftenglas! [inKnodjen, 


3 a, fchämt euch nicht ber Däter, meine Btubet, 

Biet ift ein alter Srant, 

Unb gebet ihm bie alte (Ehre toieber, 

Singt bem (Erfinbet Danl! 

Abermals ettoa ein halbes 3 ahthnnbert fpäter läfet (Earl Schnabel in 
feinen prächtigen Säuberungen „Unter grünen Sannen bes (Dbethatjes 
(Berlin 1907 ) bie Betglnappen in 3 ellerfelb, nachbem bas „ Rhein® einlie 
ausgefungen ift, noch anfügen: 


Der ©bethat3 ift auch nicht 3U oerachten; 

Ciegt et auch nicht am Rhein, 

So förbert man aus feinen tiefen Schachten 
Den beften Silberftein, unb bafür lauft man U>etn, 

Unb bafür tauft man IDein! 

Alle eben ermähnten patobien machen fidj 3mar bes Dichters Sieb 3U eigene 
aber bie parobiften ©erfahren noch roenig felbftänbig, änbetn im allgemeinen 
an bes Dichters IDorten nur bas Hotmenbigfte unb moUen bie parobie offen 
fidjtlich noch als folche tennjeichnen. * 

(Ein anbetet 3 ®eig oon —menn i(h fo fagen barf — „oetfterften" 
bebient fich bet IRethobe, Rhythmus, RTelobie, ©ebantengang, mohl aa^ e 
bes Dieters 3U benutjen, bo<h um gan3 anbete ©egenftänbe 3U feiern; bei®, 
bas ntufj feftgehalten metben, bet Sypus bes Cobliebes bleibt immer beftepen- 
Befonbets auffallenb ift ba ein ©ebidjt oon IDilhelm Reumann 3 utn 
Pteife ©oethes, allem Anfdjein na(h für bie Berlinet Rtittmochgefetlfchaft ^ 
bittet unb pofthum im 3roeiten Banbe feinet Schriften (£eip3tg 1835 ) v# 
off entlieht: 



Don CDoIfgang Stammler 


267 


3 um ©oethefefte am 28 . Auguft 1826 . 


Auf ©oetyes tDolfl ergebt Öen Dollen 
Unb trinft ihn fröhlich leer: [Becfjer 

Denn ©oethes $reunb ift ftets ein froher 
Unb ©oetlje felbft noch mehr! [3edjer, 

3 um Corbeer auf mitl [id> bic Rebe 
Dies fei uns ein Symbol, [tanlen, 

Der IDein ergebt 3U föftlidjen ©ebanfen, 
Drum liebt ihn ©oethe mohl. 

Rie roöteft, tDert^er, bu ins ©rab ge* 
So lieb bir £otte toat: [funfen, 

hättft bu ben IDein als fl^enei getrunlen, 
Saljfft bu noch man^es 3 aljr. 

€taoigo pflegte nur am Ranb 3u nippen, 
Uran! aus bem Dollen nicht: 

Drum fanl et auch 3ule^t mit bleiben 
Am Sarg, ber arme UKcht. [Sippen 

Adj 3 phigenia, bu f?o^e Seele, 

IDit füllen beine Pein; 

Unb Hagft bu uns, bafj bir bie fjeimat 
Ulemft bu mohl auch ben IDein. [fehle, 

Det ©gmotttmar ein följner, junger 3echer, 
Stets frei »oit Sorg unb Rot; 

D°^ Alba mar ein nüchterner Derbredjer, 
Drum fdjlug er jenen tot. 


3 afthau|ens Burg, fie hatte oolle Keller, 
Drum hielt fie fich fo lang; 

Der ©öfc, fürtoahr, er gälte feinen heller, 
Stärft' ihn nicht geift’ger dranf. 

3 m Sauft fpringt gar ber IDein aus difch 

unb Banten, 

U)enn froh *>er Durfte fchmauft, 

R)et’s fo oerfteht, ben mahl' icf? mir 3um 
Drum lebe hoch ber Sauft. [Schenfen, 

©ibt’s in ©uropa irgenbmo Barbaren, 
Die ©oethes Dichtung fchmähn, 

So foH ber IDein oor ihrem ©ift uns 
Sie follen burftig ftehn. [toahren, 

Rur dorheit meint, er Jönne je oeralten, 
Rein, ©oethe mitb nicht alt! 

Unb toürb’ et alt, fo bleiben mir beim 
Solch Alter hat ©ehalt! [Alten, 

Der ©eift, er lebt in jebem feiner Sieber, 
©r quillt aus jebem IDort; 

Drum fingt fie heut beim Rlahl unb mor* 
Unb jeben dag fo fort! [genmieber 

Am Rtain, am IRain, ba madjfen eble 
Da touchs ber Dieter auch; [Reben, 

So lafet ihn hoch bei »ollem ©lafe leben 
Unb leerfs nach altem Brauch! 


hier Meibt bie ©tinnerung an bas Urbtlb noch gemährt; ebenfo gefchieht 
tes in ber parobie pon £ubmig o. XDilbungen, bet getreu feinem Beruf 
~~er mar furheffifcher ©berforftmeifter — ben IDalb mit Begeifterung befingt 
unb 3 eigt, öafc er auch fonft feinen ©laubius gut fennt; 


Der IDalb. 


Befranjt mit £aub bie runben 3 ägerhüte! 

Cobfingt ben IDalb mit mit! 

Auf ©rben 3eigt bes Schöpfers Rtacht unb 
*«h größer nicht als hier! [®üte 

Kein ©ärtlein ift’s, oerroahrt mit Rtau’r 
öor £uft unb Sonnenlicht [unbheden 
mag hans ©ed ber Stufcer fich oet* 
Aur 3 ager tun es nicht. [fteden, 

^hn fchuf fich ©ott 3m eignen Augen* 

©fe m^' ? l? nft f0 fd > ön? [ roeiöc ' 
mar et fonft im grünen Seierfleibe 

*° bwltch an3ufehn? 


Die Bäumlein 3art, befehnifcelt mit ber 
IDie Schneiberfunft es lehrt, [Schere, 

Rli<h efeln fie — fie finb, bei- meiner 
Rieht eine ©icfjel mert! [©hre, 

Die hügelchen bort, 3um ©jempel, tragen 
Bosquett’s, fehn aus mie IDalb — 

Sinb’s aber nicht, man fann barin nicht 
Da& Berg unb dal erfüllt, [jagen, 

3 n Bilberfälen bürft ihr auch ui# fuchen, 
IDenn IDalb ihr finben mollt; 

Sinb fjirf<he brin, mie bie oon fjonigfuehen, 
Beliebt mit $Iittergolb. 



268 


mattt)ias (Elauötus unb fdn „R^einroeintieb" 


Dasfdiönfte £anb, bas Berg unb tDalö nicht 3 m U)alb, im U)alb, iffs, traun! ein 
3ft mit ein fläglich £anb; feieren, ©efegnetfei betlDalb! [©otterleben! 
Dort fah ich oft berlltenfcfjen I}et3 erfrieren, So lang ich bin, [oll öid? mem ueb et* 

Unb öoef} roat’s Ijim oetbtanni Dianens Aufenthalt! [heben, 

Du gibft uns Q0I3 — h* ct ® 5 rm' ich mich mtb [<h®öre, 

Dir meinen Dienft 3U roeihn; 

Unb tDüfef id} nur, ©0 jemanb fäf}’ unb fröre, 

Ulein fjofeftofe märf auch fein! 

An biefet femigen unb humoroollen parobietung bes bieberntDeib* 
matmes hatte auch ©laubius feine $reube gehabt, roenn fie ihm 3U ©eficht ge* 
lommen toare. Um fo mehr fticht baoon ab eine anbere Umfotmung, bie in 
(Erinnerung an fanftoerflungene anafreontifche Höne bas Canbleben befingt unb, 
wie einft ber ©öttinger fjain, Stabt unb £anb in ©egenfatj [teilt; fie flammt 
oon bem !aum gefannten, 3artbefaiteten 3 . $. Podels unb ift in bem fc^ort er- 
wählten „Gafdjenbuch 3um gefelUgen Detgnügen für 1791 " bet Uaihroelt er¬ 


halten: 

©inlabung 

Kommt, $teunbe, tommt! oerlafet bas 

Kerferleben! 

Uun rointt ber fd}öne mai. 

Der finftre Stabtet mag bie Stabt et» 
IDir ftimmen ihm nicht bei. [heben, 

Uns reisen mehr bie ftillem, beffem 
Der länblich frönen $lut; [$teuben 
©! toet bie fühlt, barf $ürften nicht be» 
Denn rein ift bie Uatur. [neiben, 

hier toollen mir beim ©öttertrant bet 
Uns unfrer Gage fteun [Reben 
Unb glüdttdjet als König (Etöfus leben 
Bei beutfetjer £ieb’ unb U)ein. 

©ft follen laut bie oollen ©läfer Hingen 
3um ©ruh bet gan3en 3eü, 

©h’ fie bem ©rab, uns neibifdj 3U oet» 
mit ftarrem Sinn gebeut, [fdjlingen, 


aufs £anb. 

3 n feiner fch©at3en, fcfjaueroollen 
3 ft alles fteubenleer, 

Da fchmeigt bas 3 aubetlieb bet Ph“°' 
Da blüht bie Slur nicht mehr. M c > 

Da glüht bes mäbchens h® ittc R °f em 
Uns nicht 3a füfecr £uft, 

Da Hopft nicht mehr beim 3 «“f d l eB 
Der halben unfte Bruft. [(Empfange 

Unb unbefannte, frembe £eute trinlen 
$üt uns beim 3ech®tfchmaus, 

U)enn einft im monbfehein unfte ©laf« 
Die Ueftatflafchen aus. [bunten, 

Drum, Brüber, eilt! lafet uns bergt 

[gemefeen 

Unb fchet 3 t unb füfet unb lacht! 
Kein Augenblid barf ungenü# oerfltefcen, 
Der menfdjcn fröhlich macht. 


hier finb bie Anflange an bas (Dtiginal faft gan3 gef<h®unben; ®h ct an 
tjölty benn an ©lauöius erinnern Sprach® un b Stil bet Derfe. ©benfotuemg 
roeift bie letzte ber parobien, mit ber toit unferen Runbgang bcfdjliefeen tD0 “ cn ' 
©laubius’ (Einfluß auf, ein an Schiller unb „tDilhelm ©eil" im Phtafenfch®9 
gemahnenbes freiheitliches £ieb, bas einet ©rinnetungsfeier ber Schlag et 
£eip3ig, tote mir fcheint, feine (Entftehung oerbanft. 3ebenfalls ift es in ü us ' 
brud unb Stimmung charatteriftifch für ben Derfaffer $riebrich 0 
tDetjel, melier fdjon 1805 Deutfdjlanbs 3 ufammenbruch uorhergefagt un 
1815 bie Befreiungstriege in glühenben, leibet 3U unbefannten £iebem ® ct 


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1 

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Don Oolfgang Stammlet 


269 


herrlicht hatte. Oie „Khemweinparodie", welche eine Parodie taum mehr genannt 
»eröen !ann, fteljt in feinem non $un<! hetausgegebenen HaAlafe ( 1838 ) und 
lautet: 

Seuetlied. 

Auf Bergen wohnt die $reiheit! Da blüht Und alle Berge flammende Altäre 
Und £ebensluft oollauf! [£eben “ 


n)o Berge find, ift (Sott, und (Engel heben 
Die Seele himmelauf. 

Auf Bergen ift das $euer auch geboren, 
Der Sretyeit ^öct?ftcs Bild! 

Da toächft der tDein, aus Sonnenglut 
Der uns mit $euer füllt. [oergoren, 

Dictoria, Dictoria dem $euer! 

3 m $eu’r wohnt (Sottes irtacfjt! 

3 m Seu’r erfhien der tjerr uns als Be* 
3 n jener Hiefenfd)ladjt. [freier 

Drum fei das $euet unfers Bundes 
Die Berge fein Altar! Reichen, 

Und «ne wollen fich die fjände reifen 
Als $teie immerdar, 


Bes neuen Bundes fein, 

Bort auf den Seinö, und menn’s der 
IBie fjeHa $euer fpei’n. [Teufel märe, 

IDie hoch die (Sluten oon den Bergen 
Durch Uacht und $inftemis, [wehen, 
IDenn auch lein Deutfeh — die Sprache, 
Die $remden dod) gewife. [die oerftehen 

Und toie das Srdifche oon Schlad' und 
3 m $euer fich oerflärt, [Stamme 
Alfo auch ! Gs läutre uns die Stamme 
Auf diefem heil’gen fjerd! 

Auf Bergen wohnt die $reiheit! Da 
Und Cebensluft oollauf! [blüht £eben 
U)o Berge find, ift (Sott, und (Engel 
Die Seele himmelauf. [heben 


Aus den oerfchiedenften ITCotioen heraus ift Claudius’ „Rheintoeinlied" 
parodiert morden; emfte und feierliche wie fröhliche und ausgelaffeneStimmung 
^ ar * Tl aus. Die Dateilandsliebe fudjte negatio wie pofitio ihren 
efuhlen dadurch flusdrud 3U geben, £ofalpatriotismus wollte fich damit breit 
machen, dendenjbeftrebungen benufeten es als Propagandamittel. Unoerwüft* 
taj aber flimmert das Urbild durch olle Dedfarben hindurch und tarnt auch 
uraj die befte Umdichtung nicht ausgelöfdjt werden. 


A * ^ ™ 9 etn feine Lieblinge mit einem Ulythus 3U umtleiden. 
dw ^ "^einweinlied" hatte fich ein Sagentreis gebildet, und 3war über 
eilen erfaffer. 3 n den dreifeiger fahren des porigen Jahrhunderts taufte 
mde die Behauptung auf, der 1823 in Karlsruhe nerftorbene 
(Tlfti v Un ^. ^l^fleriolrat Sander fei der eigentliche Autor, nicht Utatthias 
c.. \a Unterftellung ift der Sohn des Dichters, der £übedet Senator 

llinr/* 11 tr ^ <n ^ , * US ' ^ ar f un d über3eugend entgegengetreten öulefet im 
als dl en < aR 9®dildete £efer 1852 , S. 429 / 32 ), was um fo notwendiger war, 
T!Mi n 6 rr-?^ C ^ crc ** s l n Dilmars weitoerbreitete „(Sefdjichte der deutf&en 
in der*«; V*«** 1 " 1851 , Bd. 2, S. 298 . 368 ) übergegangen war; 

fein« <rr "Jykge hat ®H mar den $ehler berichtigt, ^erbft in der 3 . Auflage 
be$ S fi öu ® lu f s ®l° 9 ra l , ^l c (S. 617 — 628 ) hat dantenswerterweife den Auffafe 
erhöbe^ 0 ” ^gedrudt; ich uteife noch hi« auf die oon anderer Seite 
nen Retlamationen im tjamburgifchen dorrefpondenten 1852 (Ur. 50 ) 



27 q Düs fojiolc dement hn beutfdjen Uitterridjt 

unb in bet £übeder 3eitung besfelben 3a^res (Hr. 147 ). Doch nod} tn ben 
fleißiger 3 ®h tcn toutbe bie alte Behauptung ©ieberholt, obet es erftanb Diel- 
mehr eine neuartige, roelcf}e bie Konfujion 3U oetmehten geeignet mx. 
fjiemad} follte bet um bie Derpflan3ung bet bämfchen Citetotur nad? Deutfö’ 
lanb oetbiente Kopenljagenet Seminatlehter ©hriftian Cenirt Sanbet (1756 
bis 1819 ) bas £ieb gebidjtet haben, unb wirtlich ftanb es mit biefet unten 
fdjrift im „Allgemeinen Heichstommetsbud} oon Blöllet o. b. IDerra (w 
3ig 1873 ), ja fogar im Ciebetbud} für bie Philologem>etfammlung 3u©eta 1878 . 
Daraufhin eiferen abermals eine fd}arfe Berichtigung unb Retapitulation oer 
flnti*Sanberfd}en ©tünbe im fltchto für £iteraturgefcf}ichte IX ( 1879 ), 5 . 228 . 

3cf} hätte mich nicht noch einmal übet biefe Kuriofiiät oetbreitet, menn 
ich nicht felbft noch gelegentlich, meift bei älteren Jetten, bie Wcmurig 
uerbreitet gefunben hätte, Sanbet h°be in IDahrheit bas £ieb gebia}te^ e 
Sage hat fich alfo noch hattnäefig erhalten; hoffentlich weife inbes 6ic jüngere 
©eneration es beffer unb läfet fi<h ITCatthias ©laubius als ben Sänget es 
„HheintDeinliebes" nicht mehr nehmen. 


Das jo3ialc (Element im heutigen Unterridjt. 

Don fUma Steraberg in ©üben. 

Ulit bem Beginn bes Schulbefudjes treten bie Kinbet in bas fokale 
engeren Sinne, roenn fie es auch i n {einen fleinften gormen bereits tn be t S 
tennen gelernt haben. Sobalb bas Kinb in bie S<hulgemeinfch®ft eintritt, e 
ben Klajjentampf in einet gat nicht unbebeutenben gomt tennen, benn Qt e 
ein3elnen Schüler mit feinen £ebensäufeetungen fteht bie gamilie mrt rtjtett 
jdjauungen. 3eber £ehter tennt bie jchnell aufrouchetnben frühen Scha tng 
Kinberhet3en: Reib unb fjochmut, faljdje Bemunberung unb Unterwürfig «, 
djelei unb tjerrfchfucht, bie alle bas befte 3eugnis non ftartem jo3ialen «ntpii 
geben. 

Scfjon bei biefen (Erfahrungen ©itb öer £ehrer 3U bet ®nficf}t tominen,^ 
hier unbebingt bie <Et3iel}ung 3um ©liebe einet ©emeinfdjaft einfetjen muß. 
auch f<hon hiet fieht man, bafc biefe nicht ausretdjt, fonbem eine theotetija} ^ 
rung mit ihr tjanb in Ijanb gehen mufj. Rirgenbs als in bet Sdjule ift * 11 i 
legenheit 3m (Enttmdlung fo3ialer Hugenben burch ©Qiehung; aber bie •?* 
Untermeifung foll 3U ihrer Unterftühung bienen unb als Dif3iplin in ben n ^ 
ftoff mit aufgenommen ©erben. (Es ©itb jid} alfo batum hanbeln, geanlie 
bet Sojialroijfenjchaft in ben Unterricht ein3ufül}ten. . e j cn 

Aus ber gülle bet gtagen bes fo3ialen £ebens bie für ben Unterricht ge 9 
hetausjufinben, bietet gemiffe Sdjwierigteiten. 3 n heutiger 3 eit h fl t ja et . j e „ 
„fo3ial" bie Rebenbebeutung non „oerantmortlich" erhalten, fo bafj man oon 
Problemen im engeren Sinne fptechen tann, unb gerabe auf biefe mitb es i 
rieht ‘antommen. (Es ©erben bie Probleme bes geiftigen unb bie bes p 



Don Alma Steinberg 


271 


Cebens tm oagemeinett m 6er Schule mehr eine Wtorifdje tDüröigung erfahren 
toahrenb folche öes roirtfchaftlichen £ebens eher in Öen Rahmen öer Schule paffen' 
mofern fte m ^ren ®n 3 elerf^einungen oon befonöerem IDerte unö öer Saffunas* 
feaft öer Spuler erreichbar finö. 3nbeffen toirö es herbei nid* 3 u umgeben fein, 
öafe gewtffe Stagen ötefer Art auch fäon in öer Schule eine politifdje $ärbung erhal* 
ten; anberfeits aber werben anbete Probleme oon einem etilen ©nfcblag nicht 
3 u befreien fern. Beiöes hat bei aller 3 u foröemöen ©bjeftioität öer Darftellung 
unö Behcmölung öurchaus fein ©Utes. Rach öiefen eben angeöeuteten ©efidjts* 
puniten liefec f«h öemnad? öer Stoff in fo 3 ial*ethifche unö in fo 3 ial*politifche ©ruppen 
emteclen DoIIig ausfdjeiöen möchte ich bei öiefer Betrachtung teligiöfe oöet mora* 
J'2* P r °b|eme ( öie nur in fo 3 iaIer Be 3 iehung ihre flusroitfung haben, ebenfo alle 
firchenpolttifchen Stoffe. Aber auch innerhalb öes ge 3 ogenen Kreifes toirö man bei 

n JSSL*“ em3eInert w WP Hnen Mtet unö ©efchlecht öer Kinöer unö öie Iotalen 
Derljdtmffe berücffidjtigen muffen. 


Bet öer Darbietung öes Stoffes fotl hier als oberfter ©runöfafc gelten; feine 
«m 3 elhetten ( öie öas 3ntereffe öer Kinöer erlahmen Iaffen fönnten. Denn f<hon bei 
er u)ahl öes Stoffes mujj auf öas eine 3iel hingearbeitet toeröen: öie Kinöer foüen 
Jemen, Öen Staat in ihr ©ewiffen aufcunehmen. UJährenö fich nun 3 ur praftifdjen 
Detmrötdjung fo 3 iaIer 3been am beften Hum* unö Spielftunöen eignen, toeröen 
bet öer theoretifchen Untertoeifung toiffenfchaftliche Sachet in $rage fommen. Das 
geeignete Unterrichtsfach toirö öie ©efchichte fein; inöeffen rnufe es hier bei einer 
entmAmgsthcoietifchen Darftellung bleiben, öie nur gelegentlich bie heutigen wirt* 
WitchenSuftänöe 3 um Dergleich heran 3 iel*. Reben ©efchichte fommen Religion, 
Jttöfunöe, Raturfunöe unö Rennen in Betracht. 

Aber auch bet Deutfchunterricht hat öie Pflicht, Stagen öer So 3 ialtoiffenfchaft 
3U behanöeln. Die Befchäftigung mit fo 3 iaIen Stagen hat ihren eigenen tDert, in* 
ocmfiejut Söröerung einer objeftioen Kultur beiträgt. So 3 iaIe Probleme Ienfen 
oen Bltd über öas Reinperfönliche öes engen Kreifes hinaus; öiefe Arbeit, öutch öas 
Jnteteffe am Überperfönlichen beftimmt, bietet eine Rlöglichfeit mehr 3 u einem 
ftnnoollen 3ufammenfchluf} öes Cebens! 

• f 1 * 1 ™ 3°tberung foll nun öurchaus nid* öahin gehen, in irgenötoelcher U)eife 
« n 3 elne Dif 3 ipli ncn öes Deutfdjunterrichts 3 ugunften öer Behanölung fo 3 iaIer $tagen 
At Jr n eibe "' ^ on ^ ern SWÖung öer H>eltanfchauung, öie öer Unterricht an* 
Htebt, foll öutch Aufnahme öes fo 3 ialen Problems eine breitete ©runölage erhalten. 
le L° 3 ! aIc Stage im engeren Sinne 3 u überfehen, ift für Öen ©ebilöeten heute faft 
unmöglich, unö was öem felbftänöig Denfenöen unmittelbar auffällt unö für ihn 
m Problem toirö, öatauf foll öas Kinö hingetoiefen toeröen als auf eine wichtige 
Innung öes £ebens, öie es allmählich oerfteljen lernen foll. Die $rage öes (Er* 

JsSf !° dd}e SteIIun 9 ne ^nte ich 3 ur ©efamtheit ein? foll in einfachfter $orm 
w Schule an öas Kinö herangebracht toeröen. 

0 . ^"PeAen fich bie größten Schwierigfeiten entgegen, öie 3 umeift an öem Ulan* 
öLj a ei c Un3Ul ^ 9ndjfeit öet Ceftüreftoffe liegen, ©s gibt noch Cefebücher, öie 
vf • J n 3 ^°^f e überhaupt nicht bringen. $ibel* unö Anfchauungsbilöer mußten 
beit ^ ta9C ^ 0n au f ^ ct ^nterftufe oorbereiten. Konfrete Sälle aus öem Ar* 
er», Kaufmanns* unö Beamtenleben fönnten in (Erklungen öargefteltt werben, 



272 


Das [totale Clement im öeutfd(en Unterricht 

fo öafj bas roirtfdjaftlidje £eben in {einen gröbften Umriffen wenigftens ©egenftanb 
ber tinblidjen Anfcfjauung werben !ann. 3 ft bie Anregung but<h Anfdjauungsbilb 
ober £e!türe gegeben, fo taffen fich leicht roeitere ©h cmen für bas £ehtgefptä<h finöen. 

©ne anbere grofje Sdjwierigteit ift bie mangelhafte Ausbilbung ber £ehrträfte 
auf biefem ©ebiet, 3U beten Abhilfe ber fyftematifche bütgetfunblicfje Unterricht 
auf Seminaren unb ©betlyjeen geforbert werben mufe. ©s ift felbftoerftänölidf, 
bafe nidjt febes beliebige ©h ema öer Dolfswfrtfchaftslehre ober bet So3ialroiffenfcf|iift 
Unterrichtsftoff für bie Schule liefern tarnt, fonbetn bas ©eeignete ift ausjuwählen. 
Da müffen nun not allem bie Stoffe ben Dot3ug erhalten, bie bem fo3ial*ethif<h«n 
©ebiet entnommen finb, Probleme, an beten £öfungsarbcit bie Kinbet ihte fitfr 
liehen Kräfte ftärten unb ihr motalifdjes Urteil oerfu^en fönnen. 

Ijier3U eignet fid} oor allem ein ©h ema » ®ie „Berufsethit". ift bei feiner 
Behanblung U)ert auf bie Darftellung bürgerlicher Berufe unb Befdjäftigungen 3U 
legen unb möglidjft alle ©efellfchaftstlalfen 3U berüdfichtigen. Oie Darftellung mujj 
fid} auf bie Ausbildung 3U ein3einen Berufen, ihre Dot* unb tlachteile, ihre ©efaljten 
be3iehen. 3 ft auf biefe tDeife bet Begriff „Beruf" entwidelt, fo tonnte auf ben U)ert 
bet Arbeit, als bem 3 iel ber Behanblung innerhalb biefes Stofftreifes eingegangen 
werben, ©n <Xh cma wie „bie fittliche Stellung 3m Arbeit" follte — 3unäd}ft in ein* 
fadhfter $otmulierung — auf jebet Unterrichtsftufe behanbelt werben. 

tDeld} eine $ülle oon Problemen tritt uns hier fofort entgegen! Diele ©njel* 
fragen bataus tonnen für ben Unterricht nutzbar gemalt werben. Bei Befrachtung 
bes Kaufmannsftanbes bietet fi<h ©elegenljeit, fo3ial*ethifch e ©injelftagen wie „®e* 
fchäft unb ©harafter" an Beifpielen wie „Banterott" ober „Retlame" 3U entwickln 
unb lofen 3U taffen. Aber ebenfogut tonnen unter benfelben ©efichtspuntten §ragen 
bes Beamten*, Solbaten*, Ar3te* unb £ehrerftanbes behanbelt werben. 

treten in ben eben genannten Stoffen ethifdje fo3iale ©enbenjen mehr in öen 
Dotbetgtunb, fo finb bie im folgenben erwähnten ©ebiete mehr fo3ial*politif<h en 
Inhalts, hiebei tommen nun 00t allem $ragen ber Bürgertunbe in Betracht- 
Stehen bem £ehrer nur t>aterlänbifd}e ober gefd}id}tliche Stoffe im £efebudj 3Ut Der* 
fügung, fo werben biefe bie fjanb jur ©nttoidlung oon Begriffen wie „Atferbau* 
unb Snbuftrieftaat" bieten. Sie werben eine Behanblung ber Staatsaufgaben oet 
äußeren Politit, ber Dertretung im Auslanbe, ber Kolonialfrage 3ulaffen. 

ffin anberer Stofftreis bietet fich in ber Arbeiterfrage, ein ©h cma » bas auf auen 
Stufen ber Schule feine Behanblung finben müftte, oon ben unterften Klaffen an, 
wo bie Anfchauung bes einfachen $ibelbilbes bie erfte Anregung bietet unb bas Kmo 
in biefe ©fd}einung ber Kultur einführt, bis 3ut erften Klaffe, wo basfelbe Problem 
oom fo 3 ial*ethif©en, politifchen unb praftifdfen Stanbpuntte aus beleuchtet werben 
tarnt. - Unter bem Sammelnamen: inbuftrielle Arbeiterfrage finb eine gtofee Blenge 
oon ©ngelptoblemen begriffen: Stauen* unb Kinberarbeit, fehlere IDohnungs* 
nerhältniffe, Unfidjerheit bet ©jiften3, bie ©efaht bet Arbeitslofigteit, unbefriebigenbe 
Arbeit an ZKafchinen. Die bataus entftehenben Hlifjoerhältniffe 3wif<h cn ' 
geber unb Arbeiter, bas ©efühl bes Unterbrüdtfeins, bet entfteljenbe Klaff enhaB 
finb weitete ©hemen für bas £ehrgefptäch. Um nun bie Kinbet 3U £öfungsoetfuchen 
an 3 utegen, gehe man auf bie ©nrichtung oon ©ewertf«haften unb Arbeiteroerbän en 
«tn, bie ben 3 wed haben, bie Arbeitsoerträge 3U beeinfluffen unb bas Angebot ß 



Don £Uma Steinberg 273 

«geht; man mache fie mit Öen Harifoerträgen belannt, öie auf ©runb gemeinfamet 
Derhanölung 3 toif^cn Arbeiter unö Arbeitgeber öie für beiöe Heile oetbinbli*en 
Bedingungen aufftellen. 2 n Öen oberften Klaffen höherer Bilöungsanftalten tönnen 
audj öer So 3 ialtsmus gelegentlich eine hiftorifche IDürbigung erfahren, unö es fönn* 
ten ««tuen roie St Simon, ©tuen oöer Marj genannt roeröen. Aber beim Angriff 
öiefet Probleme roirö man fofort feljen, eine roie gtofje Befchräntung hier am piafee ift 
Gme ähnliche IDürbigung roie öie inöuftrielle Arbeiterfrage tönnte au* öie £anb= 
«rbetterfrage erfahren. Da roären länöliefje ©enoffenfdhaften 3 u ermähnen, öie fo* 
3 iale tage öer Canöarbeiter, Stellenbefi^er, Bauern unö Hagelöhner tönnte bebanöelt 
meröen. Aus öer Kotlage öer lederen märe öie £anöflucht 3 u erflären, unö oon hier 
aus tonnten öie Kinöer £öfungsoetfucf)e unternehmen. An ftäötif^e DJoljlfabtts* 
emruhtungen antnüpfenb, tann man öie Kinöer folcfje finöen Iaffen, öie öer £anö= 
beoolferung oon befonöerem Segen finö, roie Sortbilöungsfdjule, Dolfsbibliotbet, 
Spartaffe, Konfumnerein. 

(Eine anöere feljr mistige $rage, öeren Behanblung in öer Schule ihren piafc 
fmöen tann, ift öie $rauenfrage. (Ebenfo wichtig oöer oielleicfjt mistiger noch als 
tn öer Maöchenfchule ift ihre Behanölung in öer Knabenfchule, too fie öurch gefchiefte 
Darftellung öem 3®ecf öienen tann, bei öer männlichen 3ugenb, befonöers im reiferen 

• ii 6tC fld?tun9 . 00r öct $ iau tt)ieöet 3U föröern. Die Ausroirfung öer $tau in 
legltchet Art follte in öer Schule ihre XDüröigun^ erfahren. Man hat roohl immer 
öie uebestätigteit ober öie Mitroirtung öer $rau im Kriege betont; aber oiele Kinöer 
wiffen noch nicht einmal öie Hätigteit öer eigenen Mutter im fiaufe 3 u beurteilen 
unö 3 u f<hät)en. 

An öie tyemett über öen fjausfrauenberuf Iaffen fi<h leicht folche über H)oh* 
nungsfragen anfnüpfen. Auch ötefe $tage muf} fchon in Öen etften Schuljahren oor* 
«reitet roeröen, inöem man in Sprechübungen oöer Auffähen Betreibungen öer 
. i4tA Ut ^ ma< ^, cn ^ U f ^heren Stufen mürbe öie Befchreibung 3 um Problem 
T°ttf<hieiten. hierbei muf} man fich ebenfofeht hüten, einfeitig Öen Hühlichteitsftanb* 
pun 3 u oertreten, als auch bas äftljetifche Problem in Öen Doröergrunö 3 u (teilen, 
on hier aus tann öie tDohnungsfrage eine fo 3 ia(*ethifche tDüröigung erfahren, unö 
agrertö für Öen erften Heil öiefes Stofffreijes Hhemen 3 ur Derarbeitung tommen 
b 5 H t ^ mucf “ n f cm Wohnung, Mein Daterhaus, IDemt ich ein eigenes 3 immet 
? e ' j® Junten für Öen 3 roeiten Aufgaben geftellt roeröen roie: Dorber* unö Hinter» 
?«us, Hauptftrafee unö Dorftaöt, Um 3 ugstag. 

Schon immer hat öie tünftlerifche Hätigteit öer $rau in Öer Schule ihre EDürbi» 

, 9 ^fa^ren. Aber fie befitjt nicht öie IDichtigteit, öie $tauenberuf unö »erroerb 
’Jr e v , • cr 3 ähle Öen Kinöern oon Öen Öen $rauen erfchloffenen Berufen; 

an 3 eige ihnen öie $rau im ©eroerbe unö in öer inöuftriellen Arbeit als Sdjneiberin, 
öj ( e ^” 1 ' P u h m _«<h e rin, Blufen», Schirm», fjütenäherin, 3 igarrenarbeiterin. Bei 
|em Kapitel roäre es nötig, Öen Kinöern an 3ah!en 3 u 3 eigen, roieoiel eine $rau, 

IU5 rat *^^unterhalt 3 U netöienen, täglich leiften muf}. Um Öen Kinöern öie 
Kinb t* Un ^ ber fo 3 iaIen Arbeit 3 u 3 eigen, möge man auf Stauen* unö 

(Eint *, 1 “^ 9 e l e $ c Ipnroeifen. hierher gehören öie Befdjräntung unö öie befonöere 
m ««« 9 ^ ct Krbeüs 3 eit bei $rauen unö Kinöern. Daran anfchlieftenb tönnte 
oon öer Heimarbeit fprechen unö öurch Darlegung oon beten Dor* unö Itad}* 

|. 6. öcutfdjen Untcrrid|t. 29.3a$r 8 . 4. Ijeft 18 



274 


Das fokale (Element im beutfäen Unterst 

teilen Öen Kinöem ein Bilö öaoon 3U geben oerjudjen. Oie roidjtige totale Stellung 
öet ©utsbettin ober bet Bäuerin führt 3U einer Beleuchtung öer jelbftanbtgen uni» 
unentbehrlichen Srauenarbeit auf öetn £anbe, W03U itn ©egenjah £ebettsful|tung 
unö Arbeit öet £anöarbeiterin fteht. Dor anem aber fon bas tyma: Oie totale 
©ätigfeit öer $tau immer wiebet behanöelt werben. 3 « jo3ialer ©ätiglett ha 
Diele Stauen öes Ittitteljtanbes 3 eit, wenn fie auch Hausfrau unö Itlutter jmö. H# 
iebe Stau mitö fid? 3U öiefct über ihren ge3ogenen Kreis hinausgehenben ©atigteit 
eignen; ja, es beöeutet heute noch eine Begnaöigung, wenn fte tmjtanbe ijt, neben 
ihren persönlichen Aufgaben überperjönliche 3U erfüllen. Aber öen Ktnöern jehon mufe 
öiejes 3 iel uot Augen gejtent werben, unö wenn öie theoretifdje Belehrung in1 öet 
Schule öur* praftijdje ©inrichtungen auf öiejem ©ebiet ober öutch öas (Elternhaus 
unterst werben tonnten, bann märe ein weiterer Schritt 3 ur Detwirflichung joj'«'« 
Ubeen getan unö eine £öjung öes fo3ialen Problems angebahnt. 

Alle öie hier angeöeuteten ©hemen werben wohl auch im £aufe einet ;yiw 
jährigen ober längeren Schu^eit nicht annähernö erleöigt werben. Oas tjt au<h 
nötig, ©s lommt für Öen £ehter öarauf an, öas ©eeignete, öas, worauf ihn oer 
Unterricht jelbjt führt, 3« beljanbeln unö 3U Derfudjen, öie Schüler öutch öie h * 
jdjauung jo3ialer Derhältnijje unö öie ©ntwicflung jo3iaIer Probleme 3um 3 ® 
jpäterer tätiger IRiturbeit 3U einem Iltitglieöe öet ©emeinjehaft 3« ergehen. 

II. . .... 

U)ie fdjon angeöeutet, macht jich öas Schiert uon jo3ial*ethij<h cn mtb 
politij^en Stoffen in manchem £ejebudj unangenehm bemetfbar. Dielfach jin 
öie barin abgeörudten £efejtücfe ungeeignet, uot allem beshalb, weil jie 3 UDie 
gemeines enthalten, womit unjere hetanmachjenbe 3ugenö nicht oiel an t a ^ n ‘ 
So hoifei es in einem £efebu<h für öie ©berjtufe öes Syjeums: „©ejeUjaiciTn 
Pflichten jinö Pflichten gegen öie Itation. Don öeinem Dolte Ijajt öu öeine 1 ' 

Uichts bijt öu aus öit jelbet: öu bijt ein Blatt am Baume öer Kation. ' 

öie Quelle öeines £ebens. ©ib ihr 3urücf, was öu oon ihr empfingjt. 3 a h ® 
Oantesjdjulö! U)uchete mit öem öit anoertrauten pfunöe! ©s joll öeinen Bru 
Srudjt btingen, nicht blofj öir felbjt. Bilöung macht bkh reich- ©ib h et beincu « 
tum!“ Statt jolchet Allgemeinheiten jollte man liebet ©Zahlungen aus öetrt 
einjeijen 1 ), aus welchen £ehten über jo3iale Pflichten ab3uleiten jinö, obet 
möge oetjudjen, auch jehon auf öer ©berjtufe öes £y3eums öie ©agesprejje 3 UI 
widlung jo3ialet 3 öeen nuijbat 3U machen. Heben Öen projajtücfen enthalten nt 
£ejebücher auch eine Reihe non ©eöidjten, öie jo3iale Stagen behanöeln. Oie e 
biejen ©t3eugnijjen haben 3weifellos ihren U)ert als Kunftwerfe, werben a s F 
bleibenöe Beöeutung behalten unö wie Dichtungen öes Klajjüismus immer tm^ 
in £ejebü<her au^unehmen jein. Doch als Anregung für öie Beljanblung öes jojt 
Problems ijt ihre Beöeutung gering, öa bei öer poejie öas petjönliche p 

jubjettiDe Sätbung Diel jtärter als in öer roijjenjchaftlichen ptoja ijt unö jich ® 
fühlsmäjjige Urteil öes Dichters, öer hinter jeinem U)et!e jteht, notwenbtge 
einer rein fachlichen Auffajfung entgegenftellt unö öiefe infolgeöejjen uon öer 
mung öes Dichters beeinträchtigt wirb. 

1) hier (firnen auch Eebensbilber fojialwirfenber ITIfinner unö Stauen in Betrag 



Oott Hlma Steinberg 

Zid 

Sinö die fo 3 ialen Stoffe im £efebuche gering, fo muh der Zehrer n * rtllAa 

[ l< \ b £ f S i° ff 3 - UI B ? a " MUn9 f ° 3iaIer $ta9en f eIb ft 3 U fäaffen. Das ift oor allem 
feblfLt'fi 9 UnÖ ÖC " UntCtrid?t un P tafti ^- *»c« direfte flnfnüpfung 
HI " Ö 6 5 e -^ung oon ferner liegenden Stoffen oiel mehr 3 eit exZbert 
tonft^e, naturtundluhe und erdtundlidje Stoffe oder £efeftücfe fcf/öngeiftigen 3 m 
ijdts tonnen nicht immer als flusgangspunft benufct werden, ohne bah ib/eigent* 
hdjer 3 n^a t 3 u hit3 tarne; auch ift es nicht immer möglich, einen tlaffiflen Stoff 

Hi? 'T k ®TI nt nU ^ r 3U ma ^ n - Kämc « öafür (Bedichte wie Die alte 
föfrau , „Oer Schafcgraber", „Der Poftillion" in $rage, fo Rändelt es "fi* hier* 

*£* 7 ^»' Uenden 3 en in fojialer Ausweg, oon denen gerade 
hei ö ‘ efcr Bctra J tun9 Höftand genommen werden fotlte. man mü&te dann eben 

mebr Ö l BC PrC 1 r n9 ÖlCfCt ® eÖid?te Über ci 9 c "«»<fc Senden/hinausgehen • 
mejr als einen flusgangspunft für die (Erörterung fo 3 ialer $ragen tonnen fie nicht 

ümM h' bt f b * m £e ^ er ÖI)erIa ff en ' öen ® an 9 öes Unterrichts auf fo3iaIe 

?buna dt " 3 f mJTr fÜt Auffa* und Sprecf}* 

ubung, die auf der ©berftufe leerer £ehranftalten 3 um 3 ufammenbängenden 

öie t felhrf' e ! D,eitert l " Betragt. Schon die fleinen fluffäije der Unterftufe und 

HÄ b 'T m Ö6t mittdftu f e mü ff en öen Stoff oorbereiten, indem (Ebernen 

ln der DoBri^A T/?* ^ uttcr 6eim ® nJauf - Auf dem m«rft. flrmenbefuche. 

. c , ^ U< ^ C ’ ^ u f bct P°fc JOanderoögel fommen! tDern begegne ich auf 

l*Iufe Cm V °f' ldie ® ebäuöe f aIIen mit au f meinem Schulwege auf? $abrif* 

fqrnfe. £andftrafee und (Eifenbafjn. Das erfte £uftfcf?iff 

tonnen S !?* «efi^tspuntten bearbeitet werden 

JSÄ ÖUld} DOtbereiten öe Befprechungen der Übungsarbeiten 

fo dafe b?di C ~i, fi“ ^ a " 9CS aUf ök Betonun9 bes Rialen (Elements hinlenfen, 
Rötung ei^läg" 1 ^ 6 " ÖCS Unbc|ptod?enen flu ff°* cs dos Kind eine ähnliche 

BeboÜ? w• mu& 5ct £e ^ rct aüi > in be 3 u 9 auf die metf/ode bei der 

boteXl 3 et S , t0ffC mit ÖCt 9tÖfeten Sor ^ aIt fltbdten - Bd feinen borge* 
iii burAm 5lef?ru " 9e " , fomm t es oor allem auf ©bjeftioität der Darftellung an. (Es 

oder in dTcnT^f b “ 6 man auf öct mitteI f tu f c einer höheren £eljrcmftalt 
Konflift«. I 0b ?n C Ö€r DoIfs f^ uIc öamit beginnt, den Kindern fo 3 iale flöte und 
So mn 6 .W? ^ f' e f*^ aus ben oben angedeuteten (Ehernen ergeben, 
bat, öie B fl 3 ‘ bei bcr Behandlung der Arbeiterfrage flar herausgeftellt werden, 
eirnuoehon b ^ f ^ einbar aud > öie freie tDahl haben, ein flrbeitsoerhältnis 
flrbdl;lr .S :bC,t t Sbeöin9Un9en frf^frfcen, tatfächlich aber der oft befiijlofe 
obbanof ^ ® a W en *®nn, da feine ®fiften 3 oon den geteilten Bedingungen 
onderen T® f ustD , an öerung fchwierig, neue flrbeitsmöglichteiten in einer 
beten Dn ** 9 ^^ 6 ™ 19 ^ nb ’ ® ber bei ber Befpte^ung der Heimarbeit möge man 
bie fltbeit h ^ Sortfallen der tDerfftätten, die möglichteit für die Arbeiterin, 
Racbteilen » Ct v“ s ,c ^ en Bef^äftigung an 3 upaffen und fie 3 u unterbrechen, den * 
beitslofiflf(»i? e 9 f!r!r i^ € ^ en ' b ’ c ’ n geringem £ohn, in der größeren ®efaht der Ar* 
urteilen lall »« . . B^nungsoerhältniffen beftehen, und die Kinder darüber 
toirö es oliA - 9 *. f’^. ber ^ e ^ ret bc i öer Darftellung größter ©bjeftioität, fo 

a? möglich fein, in den Kindern das ©erechtigfeitsgefühl 3U erweefen 

18 * 



276 Das totale (Element im beutfchen Unterricht. Don Alma Steinberg 

unb 3U ftärfen. Bei folgen (Themen mufc ber Center unbebingt {eine parteipolitifche 
©efinnung 3urücfftellen, unb jomit toäre ber $orberung Rechnung getragen: Die 
Poiitif gehört nicht in bie Schule. Kann ber Cehtet auch feine parteipolitifche ®e» 
finrtung nicht oöllig ausfdjalten, fo mufj er hoch bie $orberung aller Parteien 311 Worte 
tommen taffen, inbem er fie felbft 3U oerftehen unb bem tinblidjen Derftänbnis ju 
erjchliefjen oerfucht, fobalb es angemeffen ifi (Es roirb besljalb non ihm bie liefe 
bes Büctes oerlangt, roomit er ben Utfachen folget $otberungen nachgeht, unb bet j 
Sreimut unb bie IDahrhaftigfeit, fidj ihre $olgen ftat3umachen unb Berechtigtes oon j 
Unberechtigtem 3U fcheiben. , 

Oie Arbeit ber Kinbet ift nun je nach ih rcm Atter, nach ihrer Bilbung unb nach 
ber Art bes Stoffes eine oetfehicbene: oon bet einfachften Anjchauung bis 3« ge* 
banüichen (Erfaffung unb Wertung. Schon in ben Ulittelflafjen fann mit bet beut* 
teilenben Arbeit begonnen toetben. Dabei ift oot allem nötig, bafe ben Kinbem bei 
bet Darbietung bes Stoffes feine fertigen Urteile gegeben, fonbetn biefe oon ihnen 
gefotbert toetben. 3 m Saufe bes Sehtgefprädjs toetben bie Schüler bem oon einem 
Kinbe gefällten Urteil ihre (Eintoänbe gegenüberftellen. Utan toitb fich tuunbem, 
mit toie gtofeet Cuft fchon bie Kinbet auf bet TtTittelftufe bes Sy3eums foldjcn Stagen 
nähertreten. Auch bei ihrer Arbeit muh ber Sehter auf Sachlichst unb ©bjeftfoi* 
tat holten unb bie oerfchiebenen (Elemente ber Kinber berücffichtigen. 

U)ie fchon im Anfang betont toorben ift, foll bas toiale (Element mt beutfchen 
Unterricht nur gelegentlich auftreten. Aber gerabe biefer 3 ug in bet Utetljobe mW 
fchneller 3U einem 3 »el führen als ber fyftematifche Unterricht. Der 3 ®ecf »ft i a 
ein anberer als beim Unterricht (Ertoachfener. Der fo3iale Untenicht in bet Schul* 
foll in roeit ftärterem ITtafje et3ieherifch unb djarafterbilbenb roirfen. An forgfälttg 
gezahlten Ceftüreftoffen roirb man leicht fehen, bafe ©efdjichten mit totaler ®en- 
ben3 ober Cefeftücfe fo3ialtoiffenfchaftli«^en Snhalts in ihrer Wirfung h» nteI tem 
etlichen Stoffen nicht 3utücfbieiben. (Es bebatf feiner rührfeligen <5cfdjic^tcn, benen 
oft genug bie hiftorifche (Treue fehlt, um bie fo3ial=ethif<h*n ©efüljle bet Kinbet an- 
3uregen. Auch unfere 3 eü forbert unfer Ulitleib heraus aber in anbetet Weife als 
ftühete 3 eiten. Aus bem oerftehenben Ulitleib mit bem fittlich ©efunfenen 0 et 
bem ungerecht $otbemben foll bie mithilfe bei bet organifierten fo3ialen Hätigtett, 
bie oon bem Derantroortlichteitsgefübl bes ein3elnen für bas ®an3e mit allen fernen 
©fiebern getragen fein foll, hetoorgehen. 

Aus ber Betrachtung biefes 3 tales roirb es erficbtlich, bah ber beutfctje unter* 
ri©t toiale Probleme als roefentfichen Beftanbteil in fich aufnehmen mufe, um 
roieber eine neue Ulöglichfeit 3U finben, fchon bei Kinbem butch (Einführung in 05 
reale £eben eine breitere Bafis ber U)eltanfchauung 3U fchaffen unb einen neuen 
U)eg an 3 U 3 eigen, oom Perfönlichen 3um überperfönlichen fort3ufchreiten. 



Cienljarbs Dramen unb bie Schute. Don tDalter IJergens 


277 


£tenl)arös Dramen unö öie Sdjule. 

Don Walter Qetgens in ffiörliß. 

Wenn ^ier non Cien^arös Dramen öie Rebe fein fotl, fo i»en!e idf nur an öie reif* 
Jen unb bebeutenbften unter i*nen, bie in einer „tDartburgtrüogi?' Bereinigt finb 

aU ^i eö t eS J Ut W eine DoII f tänöi 9C ©nl?eit bilbet unb ein 3 eln auf* 

ron ® f, " i "" 8en " ■”* Mäe ® i,o6e "' 

Drei fjauptepochen beatmen ©eifteslebens, 3 uglei<h bie Anfdmuungen breiet 
Stanb«, bie najemanber auf benpian treten, unb bie©egenfäße mittelalterlicher unb 
neuerer Auffaffung bes ©hriftentums hüben ben Har erfaßt™ tuIturgefSSeu 

miebeS Ö ‘r? bet *?* ® c ^ l ^ ttic ^ c V öen ®efe§en ber Kunft unterworfen unb, 
Z-,tl Ö x r “TS“ Dld?tu " 9 ' nut mm 3 U Plaftifc^er Darfteltung. JDofjltuenb 
Erokfh v fCn P'S“" 96 " f( ^ on öas äu&ere: öas Ulaß unb bie Strenge bet Sorm. 
?? Iebenbiger Anfdjaulichfeit, troß liebeoollet Derfenfung in bie (Einheiten ift 
«efamtumfang, Aftlange unb S 3 enenwechfel ben Rtöglidjfeiten bes O&eaters ebenfo 
angepafet wie benen ber pfychologifdjen tDa^rfcfjeinli^feit. 

•W? if ! cin ^^enfcfjaftlic^er, fraftpoller unb überftoI 3 er Ritter unb 

Sri «l KamP x fe c mit Sat t a3cncn N et Öem 200 ins flu 3* flauen gelernt; mit 
“Ä B 4? SraUCn * at cr nai > Spielmanns* unb Kriegerart bie 3eit bin* 
L.S fnfe^es Dorflieb ift ihm gelungen, manch Jedes Spottlieb hat er gegen 
U Hermann »n* JDartburgbichter ausgefanbt Denn ihm, 

meliA« 5 m'^* ° fCn ? an9 ” ,ft i enet *? of oeri > a & t < an welkem, wie ihm fcheint, nur 
niAim unö f^n>äcf?Iidje Ufittelmäßigfeit gebeten fann. (Er felber Jennt 

fl 5„7 a|3 unb ! einc Sitte, bie Sührer jenes Kreifes, nicht ben bort lebenben ©rals* 

ten no J, bte eöeln, hohen $rauen am fjofe. Dennoch folgt er tDalters (Ein* 
chnrt 93Um Snngerfefte auf ber Wartburg, in ber nur falb bewußten Hoffnung, bort 

ein« m-J eS '^ CffetCS 3U finöcn ' fcIbcr « D ° n UntuI ? unö 0011 Särenbet Ahnung oon 
m . T0 & bt * ” no ^ n *4ft fonb". llnb biefe IDartburgfahrt wirb für ihn ber große 
roenbepunft feines Sehens unb ber Beginn wahrer Dichtergröße. 

Unt , CnDe9S bc9innt bic f er fl “fftieg. 3n ©otelinbe lernt er bas gleichftarfe 
nur fs enn fP „ n ® ton iettreue ihm 3 um erften ZITale 3 eigt, baß ein tDeib mehr als 
tiefen SmXj Re i 3 .! bicten l<mn - 0ct ct f‘ c Be f ucf > a«f *er IDartburg felbft macht 
lidine vT 011 l ^"' cr an me©t^ilb, was Reinheit unb ©üte ift, unb fühlt 
jenen Sic l einCm 5on; fcin rauI ? es £ieö <>on Jagens Blutraufch paßt ja nicht in 
tnirb b« m ’S' ct f pürt cs, „will einReues werben"; fc^onnorbemKampfe 

bura=6roi trU» m te9C ' i crtc ^ öcf if te Sitte unb feinfinnige Kultur, ben IDart* 
Kraft „nx’c • *J U crt ‘ n9cn unö m tt Öen eigenen ©aben, feiner überfdjäumenben 
bafe er ben 3Um öcutfdjen DoIJe, 3 u nereinen. Aber bamit fpürt er 3 uglei^, 

f«b oben? • pottetet1 Sängern, oor aüem IDolfram, noefj nidjt geworfen ift. Als er 
botb 0P fi* rem °° n ^ et ^if(iiö neradjtet glaubt, erfaßt i^n Ieibenfc^aftlit^er 3om. Unb 
9 9 er, 3 u ftoI 3 3 um Rüd 3 ug, in ben ungleichen Kampf. 

ilieftlirfT ^ ber ^ et b 'tt er unb oerfchloffen unb läßt fich 3 u Anflagen.unb 
“? 3u einer fchweren Beleibigung bes Sanbgrafen hinreißen. (Es fommt 3 uleßt 



278 £ienf)aibs Dramen unb bie Srfjute 

3toifd)en ihm unb tDolfram 3U einem Sängermettfampf auf lob unb Seben. DOeil 
aber fein rauhes Sieb im U)ibetjptud)e 3U if}m felbft, 3U feiner neu geroomtenen ©n= 
fidjt fte^t, fo mufj er unterliegen unb ift nun bem genfer oerfallen. 3e%t aber fdjeut et 
ben ©ob. Rieht aus $eigheit! Sein Seben hat, et fühlts, ben ©ipfelpuntt nod) 00t fi<h; 
feine Aufgabe, einen echten unb gtofeen Künftlet aus fid) 3U machen, ift nod} unerfüllt. 
Hut batum bringt bet übetftol3e bie Bitte um Auffdjub übet bie Sippen. Auf fein 
Rittetmott, nacf) einem 3 ahte roiebet3ulehten, läfjt ihn bet Sanbgtaf frei, ©r joD 
bann ein Sieb mitbringen, oetgleidjbat IDolftams Sang oom pat3ioal, obet bem 2 o 6 e 
oerfallen fein. 

3n biefem 3al}te mitb ©ftetbingen etn anoerer. Iltit etnftet ©inleht in fid) felbft 
oerbinbet et emfige Arbeit im Dienfte feines Didjterbetufs. Spielleute haben ihm oft 
oom Rheingolb oorgefungen. ©r fotmt ben Stoff unb mitb bet Sdjöpfet bes geroalti- 
gen Ribelungenliebes. Don all bem inneren Drude, oon ©hri U( ht un & ^Hbet Seiben- 
fchaft befreit ihn fein TDerl, et uollenbet fid} 3um ed}ten Dieter unb gelben unb um» 
„heU unb frei, meil feines ©ottes ftoh". Des Rlannes ©tnft unb meife Ruhe finb mit 
bem Siebe bet ©eminn bes 3 al)tes. Als Sieger 3iel}t er oon neuem 3ut feftlid) ge* 
fchmüdten TDartburg. — 

TDie 3U allen 3 citen bas ©röfjte non ben Rlenfthen gef^affen mitb, bie fid) felbft 
übetminben, bafüt ift ©ftetbingen ein neues, padenbes BeifpieL Das ift ubert)aup 
Sienhatbs Art: RTenfehen 3U 3eigen im Kampfe mit ben feinblichen möchten bes 
Snnetn, bie nitgenbs befdjönigt metben, unb mit biefen tingenben Seelen ben Seiet 
auf bie TDege bet Befreiung unb Säuterung 3U führen. Diefet im beft^n Sinne fittfahe 
©infdjlag faft aller feinet Dichtungen ift es, bet Sienharb 3U einem berufenen $ühtet 
bet 3ugenb macht. 3unge, in fid} ungeflärte unb mit fid) fämpfenbe menfehen nu 
folchet Dichtung oerttaut 3U machen ift batum ein Detbienft. 

3 ugleich ift bie tulturhiftorifche Seite bes ©ftetbingen nicht 3 U unterfehatjen. ie 
gtofjen Dichter bet 3 eit, TDolfram unb TDalter, rieten in feinet ©hatalteriftil uns en * 
gegen, ©ngeflodjtene 3 itate aus ihrer Dichtung unb aus bem nibelungenliebe bnn 
gen uns bie Poefie fenet ©age nahe. Aud} bas poetifd)=lieberlid)e ©reiben bet Dag^' 
ten unb Spietleute lommt 3U humotoollem Ausbrud, unb felbft bie Politiken 3 u P an { 
mähtenb bet Kämpfe 3mifchen IDelfen unb Ijoljenftaufen tauben im fjirttergtunbe auf. 

Det teligiöfe ©infehlag bet 3*it tritt im ©ftetbingen nod) 3urüd. Um fo mel)t 
fommt et 3ut ©eltung in „©lifabeth" unb „Suther". 

„Die heilige ©lifabeth" fpielt nur 3man3ig 3 af)te fpäter unb hoch f<h° n 
neuen Petiobe. Auf bet TDattburg hettfeht jetjt Sanbgtaf Submig mit feinet 3attemP' 
finbenben ©attin ©lifabeth. Beibe finb oon bem friengen teligiöfen 3 u 9 e 3 cl 
griffen, unb an Stelle bes UTinnefangs hört man an ihrem fjofe nur titd)l|d) e St a- 
neien. Submig 3ieht in ben Kreu33ug unb lommt bort um, feine ©attin bleibt utter 
bet Dormunbfd)aft bes Pfaffen Kontab 3utüd, hat bie allerfd)toetften Prüfungen 3 
beftehen unb ftirbt fd)lief}lid), einBeifpiel ebelftenRTärtyrertums, als Rönne im Klof et- 

Anfd}aulid)er als in irgenbeinet gef<hid)tlichen Abhanblung tritt «ns in btejem 
©rauerfpiel bie mittelalteriiche Auffaffung oon ©hriftentum unb Kirdje entgegen- 
TDie oothet bas Sänger* unb Rittertum, fo hat hier bet Dichtet bas Pfaffentum er 
3 «it in feinem IDefen unb feinen folgen batgeftellt. Det ©talsgebanle, bie Bete 
lung unb Detgeiftigung bes Diesfeits, hat feine ©ten3e überfchritten. Das tein ©etj 9 



Don Rtalter Ejergens 


279 


Ijat fid? an öie Stelle bes Diesjeits gefegt, ftatt es 3U oeteöeln; bet Körper, normet ein 
Tempel ©ottes, mitö jum ©eufelstoerf, unö öie fraftoolle ©efimtung bes Rittertums 
t»irö oerörängt butch Öen meltoerachtenben 3enjeitsglauben eines asfetijchen unö 3U* 
gleich herrfchfüchtigen Priejtertums. 

Das ©hriftentum »erlangt Selbftbefdjräntung unö Selbftoerleugnung. Diefet 
©ebanfe brauet, u>ie oiellcidjt audj jeöer anöere, eine Perioöe öet Dorherrjchaft, öet 
übernatürlichen Derftiegenljeit, um öauernöes (Eigentum öer fltenjchen 3U roerben. 
Unö jo erwadjjen aus öet Saat öes ©hriftentums in jener ljalba>iiöen 3 eit öie asfetifdjen 
Schwärmer oon Konraös Art Aber jenes alte menfchliche Ratur überfliegenöe 
Sd)wärmertum bringt als mertoolle Srudjt eine oertiefte Auffafjung öes ©hrijten= 
tums überhaupt hetoor. So oerbinöet jich in ©lijabeth mit Öen Anjchauungen öer 
3 eit etwas Reues, menjchlich ©tofees: öie d?riftlidje Rächftenliebe in 3 efu eigentlichem 
Sinne. Doch auch hier offenbart jich öie phantaftifche Derftiegenheit jener läge: öie 
©attin öes Sanbgtafen lebt nur nodjfür ihre Bettler unö Ktanfen unö mertt gar nicht, 
öafo jie als $ürjtin auch IDüröe 3U mähten unö anöere Pflichten 3U erfüllen hot 

DasSdjicfjal öiejet ©lijabeth ijt tief tragijch unö menjchlich ergreifenö, um jo mehr, 
als ihr Seiben 3um guten ©eil öie $olge ihres bejten Strebens ijt. 3 h tCrt ©otten, 
Öen jie ebenjo innig liebt mie fjebbels ©enooeoa 1 ) ihren Siegfrieö, mufe jie oetlieren, 
unö um ihre Kinöer oot Rachjtellungen 3U jichem, mufj jie in talter IDinternacht mie 
eine Bettlerin oon öet RJartburg fliehen. Dollenös 3ermürbt mitö öie 3arte, empfin* 
öenöe $tau öutch einen tiefgehenöen, menngleich iht unbewußten inneren 3®iejpalt. 
Sie jelbet oertritt mit ihrem gan3en Sühlen unö Denfen ein merftätiges, echtes 
©hriftentum öet Siebe: jie baut ein Spittelhaus, jie oerbinöet jelbet öie IDunöen öer 
Ktanfen. Aber auch *h r gilt öie Kirche als unfehibate Autorität unö in fajt finblich* 
unfritifhem ©ehorfam meint jie öaher jeöe Soröerung öes ihr 3um Dormunö gefegten 
Pfaffen Konraö erfüllen 3U müjfen. Diejer Konraö aber, öer entfdjieöenjte Dertretet 
öer öamaligen Kirchenlehren, roilt öurchaus eine fjeilige aus iht machen, ein Riefen 
olfo, öas eht3ig nach Öen Regeln unö für öie Rtacht öer Kirche lebt unö für aUes echte 
ntenfhlidje ©mpfinben erjtorben ijt. Äußerlich erreicht et auch fajt alles, mas et mitl. 
©lijabeth fojteit unö geißelt ihren fchroadjen Körper, jie faftet unö betet unö gibt 3ulel}t 
felbft ihre Kinöer meg. Unö bod} 3erbricht ihm fein RJett er fühlt jich fchließlid} jelbet 
ols Bejiegter. Äußerlich ijt jie 3mat gehorjam, aber iht matmes thitgefühl mit allen 
Seibenben, ihte Siebe 3U ©atte unö Kinöem läjjt jich nicht ausmet3en, unö ihte Kinöet 
9'bt jie nur öatum meg, roeil jie jelbet 3U fchmach unö abgehärmt ijt, um jie e^ieljen 
3u lömten. Da jie mahrhaft menjchlich geblieben ijt troß öer gtaufamen Kir<hen3ucht 
tonn jie als fjeilige aller, nicht allein jener 3 cit«n, fterbenö öie Beöeutung ihres Se* 
bens ausjpredjen: es „trieb mich, euch 3 U 3cigen, öaß iht nicht öet Schwere öiefetlDelt 
9 «hotchen öürft". Als Dorbilö echten ©hriftentums mitö jie meiter leben unö mitten, 
„bis öiefe ©töe gan3 ooll ©ottes ijt". 

Das ©hriftentum öet Siebe unö öer ©at, öas in ©lijabeth in unbewußten ©egen* 
l«t| 3U Öen Soröerungen öer Priejterfirche tritt, fommt 3um Durchbruch unö 3Ut ooll* 
bewußten fjerrjehaft im „Suther auf öer DJartburg". 

©in Suth erörama ijt ftets ein gefährlicher Detfuch für einen Dichter. 3 u leicht 

. I) ©enooeoa unö ©lijabeth weifen mancherlei flhnlihleiten auf. Ijebbels 3ugenöwetl 
" «oftgeroaltiger, Cienhatös Dichtung ijt aber menjchlich wahret unö öarum etgteifenöer. 



280 


£icnfjarb$ Dramen unb bie Sdjute. Don tDalter Qergens 


örangett fi© bie heutigen ©egenfätje bet Konfeffionen hinein, 311 feinet ift es, eine 
höhere IDarte eingunehmen, ein oon aufbringli©en ©enbettgen freies Kunjtroerl 3U 
{©affen. Sienljarb ift biefe Aufgabe gelungen. Au© ein oerftänbiger Katljolil rottb 
bie|es £u©erbrama Iefen tonnen, ofjne in {einem (Empfinben getränft 3U werben. 
Die S©atten{eiten bet bamaligen Kit©e, toie fie £u©ers S©tift „An ben <©tiftli©en 
Abel" {o bittet geißelt, treten oöllig 3utücf. ©s hanbelt {i© um bie inneren Kämp{e 
bes Proteftanüsmus, bie {i© in bet Petfon bes ftarten Reformators Bereinigen, unb 
um ben £äuterungsoorgang, ben et felbft unb bie ganje Bewegung bur©ma©t Oie 
äufjerli© fülle 3 eit bes Reifens insbefonbers, bie £u©er auf bet IDattbutg erlebt, unb 
{ein erneutes tjeroortreten, alfo toieberum ein wi©Üger IDenbepuntt in bem £eben 
eines bebeutenben RTenf©en ifts, toas ben Di©ter 3Ut ©eftaltung tei3t. 

Der wirfli©e ge(©i©tli©e £u©et, ni©t etwa ein ausgetlügelter fjelb, ift ©ier nt 
feinem tt)e(en prä©tig getenn3ei©net, in feinet Kraft unb berb 3ufahtenben Art, tn 
{einen 3 weifeln unb {©nieten inneten Kämpfen, toie enbli© in feinem fjutnor 
unb feinet ft<©li©en DJeltbejafjung. Die tei©li©e, aber ungefu©te Derwenbung 1 bet 
Bibelmorte, {ein Spte©en unb Beten mit ©ott unb bie Abfertigungen, bie et bem 
feinet Phantafie leibhaftig etf©einenben (Teufel 3uteil werben läfjt, 3eigen ebenfo btt 
halb mittelalterii©e Perfönli©feit wie ben in {einem Ringen unb Kämpfen uns 
wanbten IRenf©en. 

So {teilt öenhatbs tDartburgtrilogie oot unfet Auge brei ©po©en beutjqer 
©eiftesgef©i©te, bie äufeetli© wenig Ahnli©leit miteinanber aufweifen unb ft©°* n ' 
no© innetli© bebingen. Die weltfrohe 3 eit bes RUnnefangs unb bet ritterlt©en 
Kultur in ©tet Kraft unb ©rem poeüf©en ©inf©lag ma©t uns ©fterbingen lebendig. 
Sie wirb abgelöft but© ©t ©egenteil, but© eine as!eüf©=teligiös empfinbenbeSmnes* 
ti©tung, beren gef©i©tli©e Bebeutung, eine Detinnerli©ung herbeigeföhrt 3U ha en 
but© (Elifabe©s eble ©eftalt bewiefen wirb. Aber infolge einfeiüget Übertreibung 
„wä©ft aus §et3ensüberflufe no© Unheil", bie beften Kräfte gehen oerloren im Kampt« 
um phantafü{©e 3 iele. (Erft ein fpäteres ®e{©Ie©t ift imftanbe, ben Drang na© eP 
innetli©ung, bet jenes 3 eitalter bet Kteu33üge unb bet ^eiligen gef©affen h at - m 
bas te©te Derfjältnis 3U ben Anfptü©en bes Cebens 3U fetjen. 3m „£u©et f© 0116 ” 
wir bie (Einheit oon Harem Blid füt ben tDert biefet IDelt unb üefem Drange naa? 
Detinnetli©ung bes Dafeins. 3n £u©ers Seelenfämpfen hat fi© bie e©te Reltgtol 1 ’ 
tät losgetungen oon jenem ©eifte bet tDeltoemeinung. Das gefunbe Bürge 
tritt bie <Etbf©aft an unb übernimmt oon beiben früheren Strömungen bas IDertoo 
unb £ebensfähige, in bem Sinne, in wel©em £u©er im tDartburgfaale ® un l© • 
„IDoIlte mi© unfet Ijerrgott fröhli© ma©en wie biefe Sänger unb fromm ma©<m ® 
$tau (Elifabe©". tDas Rittertum unb Klerus mit tut3em (Erfolg oerfu©ten, nämu© el 
(Erhöhung bes Dafeins hetbeigufühten, bas wirb witffam angebahnt babut©, b fl B < 
Ittenge 3um Stöger bet großen ©ebanfen ber 3 eitheranwä©ft, „bas Dol! will «jna|(• 

IDie weit fi© biefe (Trilogie in ber S©ule oerwenben läfet, hängt natürlt© ® 
ben Umftänben ab. Als prioatleftüre ober 3U ben in ben oberen Klaffen üb ■© 
Dorträgen läfet fi© jebes biefet Dramen ohne weiteres oerwenben. . 

Als golgen ber Kenntnis biefet Di©tungen barf man erhoffen: gef©i©üi© e * ® 
poeüf©es Derftänbnis, Anregung 3U ibealer ©efinnung unb <Einfi©t in bie menf© 
tiefften gotbetungen bes ©hrtftentums. 



3 u ben f^riftli^en arbeiten im beutfehen Unterricht. Don Siegfrieb Koroerau 281 


3u Öen fd)riftlid)en Arbeiten im öeutfdjen ttnterridjt. 

Don Siegfrieb Karoerau in Canösbetg (IDartbe). 


Unfere Behötbe ging bei (Einführung bet Übungsarbeit baoon aus, bafe ein merf* 
mürbiger Unterfchieb äroifc^en ben Ceiftungen im Btünblichen unb im Schriftlichen 
befteht. (Es fd?eint eine ©atfache 3U fein, ba& oiele Kinber in bem flugenblid, too fie 
3ur $ebet greifen, non einer Art 3©angsoorftellung befallen toerben, als hanble es 
fich nun um ettoas gan3 Befonbetes. Oer Sinn ber Übungsarbeiten ift, biefe unnüp 
fjemmung 3U befeitigen, b. h- bie betoufjt empfunbene Befonberpit fchriftlicher 
Siperung in eine felbftoerftänbliche, unbetoufcte Säijigfeit 3U oertoanbeln. Ülit biefem 
rein tedjnifchen 3 icle oerbinbet jich bie praftifdje Aufgabe, getoiffe Oentpro3effe 3U 
befeftigen, baburch, bafc man 3U ber (Einbeutigteit fchriftlicher Auf3eid}nung ge3roungen 
wirb. Die (Quarta ift bas letzte Jahr, in bem bei uns für ben beutfehen Unterricht 
Übungsarbeiten oorgefdjrieben finb. Das grammatifche Penfum biefes Jahres Der* 
langt (Ertenntnis unb Beherrfchung bes beutfehen Sapaus. Diefe Aufgabe erfcheint 
mit fep mistig. 3 dj fuche ben Schülern barum Aufgaben 3U ftellen, bei benen fie 
un3toeibeutig 3eigen müffen, ob fie ben inneren Aufbau bes Saps oerftanben hoben. 
3 dj beginne mit einfachen fangen Sähen, in benen fie bie ©liebet in ihrer (Eigenfdjaft 
als Sapeile (nicht als IDortflaffen) beftimmen müffen. Dann müffen fie bie Dertoanb* 
lung oon Sapeilen in llebenfäp unb bie Dertoanblung oon Bebenfäpn in Sapeile 
üben unb immer babei angeben, melier Art oon Sapeilen ber Hebenfatj entfpricht. 
Auf biefe IDeife toitb bas fdjtoierigfte Satzgefüge logifch aus bem Schema eines ein* 
fad}en fjauptfaps enfaoidelt. 1 ) 3 ft bann ber Aufbau bes Satzgefüges oerftanben, fo et* 
gibt {id) als felbftoerftänbliche Anroenbung bie Jeidjenfeping, bie fich * n 3u>ei unge* 
h«uer einfache ©runbregeln 3ufammenfaffen lägt: 

1. Sähe (im Sahgefüge) toerben burd) Kommata getrennt. 

2. ©leidjattige, unoetbunbene Sahteile toerben burd} Kommata getrennt 

Die Schüler toerben getoöhnt, nach einem Komma eine fauge Begtünbung in Klammer 
3u geben. 

©enn man biefes Penfum in Übungsarbeiten ein3uprägen fudjt, bann toerben 
bie Arbeiten ein toenig übet bas ihnen eigentlich 3ugemeffene Blag hinausgehen müf* 
fen. UTit einem 3 eitmah oon 5 Utinuten unb mit 3 bis 4 teilen ift ba nicht aus3u!om* 
nten. Auch bie Korreftur toirb fich etfd)toeren. haben bie Schüler etroa Beifpiele 3U 
bilöen, Aboetbialfäp bes®runbes, ber Art unb IDeife, Subjeftfäp unb ähnliche, bann 
belommt man lauter oerfchiebene Arbeiten, bie feine geringe Blühe bei ber Korreftur 
machen.*) Aud) bie Durchficht ber Begrünbungen, bie fooerfdjieben formuliert toerben 
fonnen, erfotbert ftatfe Aufmerffamfeit. (Es möchte alfo bei ben Übungsarbeiten in 
bet lebten Klaffe ber Unterftufe oon einet all3ugropn 3 °hl abgefehen toerben, an* 
jtelle betet toenige, aber längere Arbeiten treten. IDemt im Jahre ettoa 20 bis 25 
Übungsarbeiten in bem Ausmag einer halben bis 3U einer gan3en Seite gefchtieben 


- , ?) Das batf natürlich nicht ben (Einbrud ertoeden, als toolle man ben hiftorifdjen 
'mtnnctlungsgang barftellen. 

2 ) Dabei ift feinestoegs oergeffen, bah eine Befpredjung unb Derbefferung in ber 
mnbe fofort ftattgefunben hat. aber es bleiben fo oiele gehler ftehen. 



282 


3u Öen fcfjrifttidjen Arbeiten im beutfd)en Unterricht 


merben, öann bürfte bas tedjnifche 3 iel bet Scfyteibgeroöfjnung nicht aus ben Augen 
gelaffen fein unb babei ein möglidjft hoher ©eminn an felbftänbigem Denlen baoon» 
getragen fein. 

©ine gemiffe Art non Übungsarbeiten, bie auch biefem boppelten 3iclc bient, 
lönnte nebenher bis 3ur hödjften Stufe angemanbt merben. Ulan !ann gut ab 
unb 3U eine Stunbe barauf oermenben, eine Dispofition, eine ftuge (E^arafteriftif, 
eine Inhaltsangabe ober ähnliches anfertigen 3U laffen. 3d} mache 3. B. immer tuiebei 
in ber Prima folgenbe Übung: 3toei» ober breimal im halben 3 aht »erteile id} plö^Uch 
in ber Klaffe Blätter unb ftelle eine betartige Aufgabe, füt bie nur eine Stunbe 3 «>t 
gegeben roirb. Diefe Arbeiten roerben leicht mit Blauftift 3U lottigieren fein unb haben 
nach meiner Itteinung oft reichlich ben EDert oon ausgeführten Auffähen. Dielleicht 
liegt hier einlDeg oor, ber 3U einer tatfächlichen Deningerung ber Kortefturen führen 
iönnte. Diefe mürbe fchon oorliegen, roenn man nur einen ausgeführten Auffatj im 
Dierteljahr fchreiben liehe unb auhetbem eine ober 3toei einftünbige Klaffenübungen. 
Dann toirb vielleicht bas mihoerhältnis 3toifchen ber aufgeroanbten Arbeit bei bei 
Korreftur eines Auffa^es unb bem, toas fid} ber Schüler baraus nimmt, befeitigt 
roerben fönnen, ohne bie Ausbilbung bes Schülers 3U fchäbigen. 

Dlit biefen Ausführungen finb mit bereits an ein anberes (Thema herangefomtnen, 
an bie Ittethobil bes beutfehen Auffaijes. (Es hanbelt fich babei 3unä<hft um gtunö* 
fäijliche $ragen, bie in einer gerabe 3 U unabfehbaren literatur abgehanbelt toorben 
finb. Die (Entfärbung liegt in bet 3 ielfetjung: hanbelt es fich um Probuftion obet um 
Reprobuttion. 3 cf} meif}, bah bie namhafteften Schulmänner in Huger Abmägung bet 
Sähigfeiten unfres Schülermaterials fich füt bie Reprobultion entfliehen haben. & 
mag auch 3 U 3 ugeben fein, bah in ber Prajts ftets bie nadjahmenbe Art fo oorherrf^t, 
bah bie felbfttätige faft gan3 3 urüdtritt, ja oon einem tritifd} analyfietenben Kopf n>eg* 
bisputiert, oon einem eigenmilligen überfehen merben lönnte. 

Um bas, morauf es mit anlommt, Hat machen 3U tonnen, roill ich e * n 
benujjen. 3 dj erinnere an ben 3eid}enunterricht. mit alle haben roahrfcheW*^ n0 ^ 
früher bie na<hahmenbe methobe burdjgemacht unb finb erftaunt, meid} neuer ®eift 
burch bie felbfttätige methobe hineingetommen ift. man hat bie Beobachtung 9 ^ 
ma^t, mie toenig ein nachahmenbes (Talent mit probuftiner §äf}igfeit oerbunben 3 U 
fein braucht. Auf bem Kongreh für Kinberforfdjung unb 3ugenbfürforge 1906 in 
Berlin maren 3 eid}nungen oon Kinbem ausgeftellt. 3 ch erinnere mich befonbets 
■eines Knaben, oon bem ein Bismard=Porträt ausgeftellt mar, bas mit überrafdienbeT 
AHurateffe auf ©runb einet Dorlage gearbeitet mar. Diefer felbe Knabe roat aber nicht 
fähig, aus bem ©ebädjtnis auch nur annähernb eine lampe obet ein (Tütfchlofl 3 U 
3ei<hnen. Am lehrreichften maren ferner bie bort ausgeftellten Derfudje über folgenbe 
Probe: man hatte Kinbem bas ©ebicht „Das Schlaraffenland oorgelefen unb fie auf* 
geforbert, bas 3U 3ei<hnen, mas fie gehört. 3n einem 3eitraum oon 45 minuten waren 
bann 3 eichnungen entftanben, bie in fehr intereffanter UJeife 3eigten, welche Dot< 
1 ellungslraft unb melche Sähigteit 3ur Raumgeftaltung bie Kinber bejahen. Wenn 
man biefe Blätter butdjfah, fo entfpradj roohl teines bem alten 3beal einer peim«h 
H£ aIh ^ n tauberen 3 eicf>nung. U)ie ent3üdt mar man aber über jebes 3eid?en emet 
jeloftanbigen Auffaffung unb eigener, menn auch «och fo primitioer Ausbtudstoeife. 
n lefen Dingen ift, glaube ich, auch bas gefagt, morauf es auch füt uns an 



Don Siegfrieö Katoerou 


283 


lommt: unter Umftanben Det 3 iAt auf jede fAulmäßig bisponierte Arbeit, DewiAt 

SlL«^ 61 cT-r ^® CÖ ^! ntei ^ n ' ° ,Cnn roit öa ^ r c ‘9 cncs Ocnfen unb ©mp, 
^nbenber Spulet übermittelt befommen. 3u biefem 3a>e<fe wären bie uotbin 

Aataftenfierten emftunbtgen uberrafAenben Ausarbeitungen Dortreffli* geeignet. 

AaturhA sollen wir babei niAt überhaupt nervten auf forgfältig ausgefeilte 

L c fe Z-? e ^?! tC £eiftun9en - flbet aud > öie f* müffen unter bem ©efiAtspunft 
ber Selbfttahgleit fte^en: benn bas 3 iel bes beutföen Auffaßes ift fetbfttätige Arbeit 

Ü"„ÄJTS ? fanen UmroeIt - Dics &f<#" ift 3ugIeiA ein Abftan£neljmen 
unb bebeutet ©t 3 teßung 3 ur ©ßarafterftärfe unb ergibt als reiffte$rudjt: ©ereAtigfeit. 

Dtefes 3tei foll niAt erft für bie Reifeprüfung ber ©betprima erreiAt werben 
es oü meintest für jebe Altersftufe gelten. $ür bie Prajis wirb ÜA eine DerfAieben* 
Jett ergeben oot unb naA ber IDenbe in ben IHittelflaffen, wo fiA jebet in ber puber* 
tats 3 ett oerroanbeIt. Die eigentliAen ©ntwidlungsfaßre finb natürliA am fAwierig* 
pen ^ter bebarf es eines $o*en ©aftgefüßls, um ßeraus 3 ufinben, toieuiel man ben 
SAufernjumuten barf. Oie ©ertien unb Unterfetunba finb uielleiAt bie fAtuierigfte 
i ai Cn öeut ^ en flu ff a ^- erfAeint mit als ein unenbliA fAaeres, aber nie 
außer flAt 3 u Iaffenbes 3iel, getabe in biefen Sagten probuftiue Arbeit 3 u ueranlaffen. 
?" UbenD ‘® 9en 000 leprobuftwen Stiftungen in biefet 3eit uerftärft ben natürliAen 
pang 3 ur RbgefAloffenßeit, 3 ut SAeu, fiA irgenbwie 3 u oertaten. ©s gibt im lebten 
©tunbe faurn etwas Spröberes, als einen Knaben in ber ©ntmidlungs 3 eit ( unb man 
lann fAon manAe Kräfte in Am entfeffeln, Am über manAe Hemmungen hinweg 
9 jen, wenn man Am bie fo erfeßnte ©elegenßeit gibt, eigne ©ebanfen unb ©efüßle 
außent 3 u bürfen, aber man fann babei niAt oorfiAtig genug fein: eine oerleßenbe 
“"9 “ bet ttgenbwelAe, uielleiAt fonberliAe Ausbrudsweife unb ©ebanfen* 
etbmöung bes SAülers fann An für Jaßre in unnahbare AbgefAloffenßeit hinein* 
©naben ^ ^ bic ^ es ^ tcr in & c fonberem Iltaße bet päbagogen non ©ottes 

. Süi eine AeoretifAe Auseinanberfeßung fann man an ber 3n>eiteilung fefAalten 
auf bet unteren Stufe etwa butA folgenbe IRittel 3 ur {AöpferifAen Arbeit an* 
Kinh* * roid?t ! 9f{e ^ eint mit öie Deränberung bes Stanbpunftes 3 u fein; für ein 
bin,/ r ,*1^ bic roortc cines ® eöi< ^ts, eine ©rjäßlung in eine beftimmte Situation 
tion ^ Gebeutet es einen Aft fAöpferifAer ©ätigfeit, wenn es biefelbe Situa* 

be«. 7 t emem ° nöem Stanbpunft aus feßen muß. Als Beifpiele bafür will iA aus 
neue?"* öet 5 ctticn €t ®ä^nen, wie man bem Stoff ber ©berßatbballaben eine 
in rrtK ab 3 cn> tnnen fann, wenn man An unter bem ©efiAtswinfel bes Pfarrers 
t: . n 9 e J* t*etraAtet. ©s ßat ben Jungen große greube gemaAt, fiA in beffen Sage 
bofe i^* e ^ Cn ' öet DOt . bcn Senftern feiner Stubierftube bie SAIaAt auf bem KirA* 
uflen * 1 * 6 j. ^ abc t^nen uorgelefen, wie alte ©ßronifen abgefaßt 3 u werben 
ber ffb U ? J° er ^ ieIt id ? 3 um Seil ßöAft originelle Auffäße über bas ©ßema: Aus 
Ballab ° m * bes .^ atrcrs in Döffingen. Aus bem Penfum ber Quarta ßebe iA bie 
nebm * 6 00 ”^ e ' n= ^°^ an ^ ßeroor, beffen ©efAiA* e PA barftellen laßt uon einem ©eil* 
iA bie ^ ar ^* c t®a öem ©QbifAof ©urpin. Aus bem Profateile ßabe 

eines K ° on bet Belagerung Kolbergs unb uon Rettelbed in bem ©agebuA 

bieierc° x l ^ Ct ®“ r 3 ers barftellen laffen. ©s gibt ßier IeiAt ©ßemenftellungen, bie 
3°tbetung nur fAeinbar enifpreeßen, fo gibt 3 . B. bie Aufgabe: „Oer ©rafn. £im* 



284 


3u Öen fdjriftlidjen Arbeiten im beutfdjen Unterricht 


butg erjä^It fein (Erlebnis" leine neue Situation. Aber nur in bem $alle, bafe ein 
pfycfjologifch anberer Blidpunft gegeben ift, liegt fchöpferifche gotberung not, nur in 
bem $aUe toerben bie Kinber ihre eigne Spraye jptedjen unb nicht in bie IDorte bes 
Dieters 3urücffallen. 

Itidjt nur 3U folgen literarifd} gegebenen Stoffen bat bie Stanbpunttsoetänbe* 
rung fchöpferifche Bebeutung, fonbem auch füt bas prattifdje £eben. Jeher Junge ift 
fieser fdjon gereift, er fennt ben 3 uftanb bes bauetnben Sjenenmechfels unb ben Reg 
möglicher ©efahren. IDie anbers fpiegelt fid} bas gleiche (Erlebnis in bem Kopfe beffen, 
ber bauemb biefe (Befühle erlebt, im Kopfe bes £o!omotioführers! Ähnliches läfetfidf 
ausführen, wenn man fie an bie Stelle eines £eud}tturmu)ärtets perfekt, an bie Stelle 
eines Drofchtenfutfdjers, (Ebauffeuts, eines gührers ber elettrifchen Strafeenbaljii. 

Rtir will es febeinen, als fei biefe unfdjeinbate flrt fünftlerifcher üätigteit roidjtiget, 
als bie laut gepriefene RTethobe, bie ben Schüler oeranlafet, über fein eigenes, bod) 
febr begren3tes £ebensgebiet 3U fprechen. <Ban3 oermeiben toerben fich jo bie tthemata 
aus bem Schülerleben nicht laffen. Aber biefe Befdjreibungen ber $erientage, ©eburts* 
tage, £ieblingsbefchaftigungen ufto. müffen mit großer Dorficht angeroanöt toerben, 
benn burch fie ift bie probuttioe iätigfeit etwas in Derruf gebraut toorben. (Es lärm 
bem feinfühligeren Schüler leicht fo oorfommen, als läge in folgern ©h ema &* e 
Aufforbetung 3ut Snbisfretion über fich fettet, unb bamit mürben mit bie Schüfe* 
nur 3um ©egenteil treiben oon bem, mas mir erreichen wollen, 3ut £üge. IRit 
bie erftere Art ber Stanbpunftsoeränberung bie roichtigfte, bie bis auf bie ©berftufe 
bin mit (Erfolg angemanbt werben tann. (Es liegt in ihr auch etwas hödrft Bebeutfames: 
bie ©ntmidlung bet gähigteit 3um (Einfüblen in einen anbetn, bamit 3Utn Derftanbnis 
bes anbern unb fo 3ur ©eredjtigleit. 

Auf bet ©berftufe tarne als weiteres metbobifches Rtittel biu3u bie Übung 3 ut 
Kritit 3 <h holte bie Kritil burchaus füt einen Att fchöpferifdjet ©ätigteit, benn tn 
ihr liegt es enthalten, bafe man Abftanb nimmt, 3Ü oerfteben fucht, oergleicbt unb ut- 
teilt. Unb Urteilen ift ein fchöpfetifcher Dotgang. Diefe gäljigfeit läfet fich fth on 
fam auf ber Rtittelftufe entmideln, obgleich cs fi<h nicht empfehlen würbe, fie fä on 
größeren Ausarbeitungen 3U üben. Aber gan3 oet3id}ten bürfen wir nicht auf fie. 3 “! 
tenne wohl bie Angft oieler, bie mit befchmörenben tjanbbewegungen ausruf eti ■ 
„um (Bottes UJillen, Kritit gehört nicht in bie Schule, fritifieren tun bie Jungens t<h® n 

genug!" 3 dj bin ber Rteinung, wenn eine oerftänbige Anleitung 3U einet Kritit, te 

auf (Brünben aufbaut, gegeben wirb, wirb nichts 3U fürchten fein. Ja eine folch e 
3iehung gehört 3U unfern wid}tigften Aufgaben, ©erabe weil wir ben Schülern ferne 
Rtittel mitgeben, fallen fie auf jebe oon anberer Seite hergebrachte Angriffsnteth® e 
hinein. Rtan tann ben Schülern, ohne ihnen 3. B. bie greube an Schiller 3U oetberben, 
ruhig fagen, bafe unter fo oielen gelungenen Bailaben bie Ballabe „Oer ©ang nah 
bem ©ifenhammer" oerunglüdt ift. Unb nun müffen bie Schüler fetter finben, toarum 
man bas behaupten tann. Sie müffen etlennen, bafe in ben anbern Ballaben ftan« 
innere Kämpfe fich ooltyehen, bie uns einDorbilb 3urU)iIlensftählung finb, bafe aber 
m biefer Ballabe alles betartige fehlt. Sie müffen erfaffen, bafe es wohl in ber Art D°n 
Sonntagsblattgefchichten ober Jahrmarftsgefängen ift, wenn hier ein träfe ©uter, bo 
ein träfe Böfet gejeichnet wirb, bet eine belohnt, ber anbete beftraft wirb, bafe es aber 
nicht tünftlerifche, oorbilbliche Aufgabe ift. Ähnlich wirb man Kritit üben müffen an 



Don Siegfried Katoerau 


285 


oielen Ortungen ber Steiheitstriege, an Werten oon Kötner, flmbt, Rudert, au* 
an ocm Schüfe öcr 3ungfrau non ©rleans unö anöerem. Auf öer ©berftufe wirb fid> 
öas ju felbftänbigen f*riftli*en Arbeiten ermeitern taffen. £iterarif*en Stoffen 
gegenüber wirb man DieIIei*t weniger Gelegenheit haben, öa mir ja bortgumeift 
me.ftera.erte 3 u lefen pflegen, mährend mir bie ZTtittelftufe mit minbermertigeren 
Dingen begluden. Smmer^n Itefce ft* au* eine oerfianbig angemanbte Kritif an EDerten 
oon tjebbel ober ©rillpaQer üben. U)i*tiger ift auf bieferStufe eine fritif*e Stellung« 
najme 3« ©efellf*aft. Remote roie: IDarum la*en mit? IDoran ertennt man einen 
anftanbigen menf*en? IDarum f*enten mir? unb mie fie fonft heifeen mögen, geben 
flnlafj 3ur oeroufet 3ufttmmenben ober ablehnenden (Einordnung in bie ©efellf*aft. 
Uno pteuei*t tann man*e oerftanbesmä&ig erroorbene (Ertenntnis über bie (Ent* 

• *!H?,r Unö öen B?ert un f etcr Sittcn au <$ 3M (Eljarattetftä^lung oe*elfen, bah baraus 
em ©.Ile entfielt, fi* ni*t ben Sitten ber Waffe 3U fügen. 

S*liefelt* merben au* bie freien ü*emata, bie nur auf ber ©berftufe awu* 
©enden find, Gelegenheit geben, fi* probuftio 3U betätigen, mofern bie S*ület oom 
lehret mtffen, bafe er ni*t Ra*betung eigener flnfi*ten oerlangt, bafc er jede nteinung 
anmmntt, roenn fie orbentli* begründet ift. Unter Umftänben fönnen hier gemagte 
und 3 ©etf*neibige flusfptü*e befonbets anregend mirfen unb 3um tDiberfpru* 
gerausforbem, 3. B.: (Einmal ift teinmal, geteilter S*mer3 ift halber S*met3. 

3 ufammenfaffenb ift für alle biefe Bemühungen na* dem 3iel probuftioer £et« 
ftungen hin 3U bemerfen, bafe fie alle auf bie Stufe ber Reprobuftion herabfinten 
onnen, menn es fi* um IDiebergabe oon Dingen handelt, bie in ber S*ule oorgetaut 
|mö. Ra* meinen Beoba*tungen tommt man bei fol*en (Ehernen, es handelt fi* 
oonotegenb umtjausauffätje, mit einemIHinimum »onDorbereitung aus: roirb bo* 
auf bet Unterftufe oormiegenb eine Phantafiebetätigung oerlangt, unb fomie bie 
quler merfen, ba& fie mirtli* mal oon biefet fo eingebämmten Kraft ©ebtau* 
machen dürfen, find fie na* meinen ©rlebniffen nur all3ubeteit 3U eigenem S*affen; 
man uutb bann oormiegenb nur in ri*tige Bahnen lenten müffen. Unb ähnli* fteht 
es au* auf der ©berftufe mit ber (Erlaubnis 3um tritif*en Denten. flu* hiet merben 
,' e ...Tj erbal0 fpuren, ba& fie bie in biefem Alter fo ftarf etma*enbe (Eätigfeit nur 
j‘w'Pimieren brau*en (aber gerade bas ift eine oft oerna*läffigte Aufgabe unferer« 

1 1 ), um 3U erfreuli*en (Ergebniffen 3U gelangen. 

Heben biefen unmittelbaren Anregungen 3ur Probuttion, neben biefen Aufgaben 
on. pol des (Erlebens her, hat begleitend und unterftütjenb fjanb in fjanb 3U gehen 
e Übung oom pol ber formalen ©eftaltung her, eine Übung im ©ebrau* der 
pra*e, in der Spra*funft, entfpre*enb ber Dentfäljigfeit des Alters, hierbei handelt 
|i* um Reprobuttion, mofür oor allem bie Klaffenauffä^e in Betra*t tommen. 
ß/'rflt u . n ^ ete ^iufe merben es Snhaltsangaben (ni*t oon ©ebi*ten), Betreibungen, 
J* •*r[ e ’ n ' a ^° Bestellungen oon tatfä*li*en Derhältniffen, mie fie etroa im 
alfo*^!* \ DOt ^ et ®otben find, für bie ©berftufe Beroeife, 3 ufammenhänge, 

Übergabe oon Unterri*tsrefultaten am ©nbe eines Unterri*tsabf*nittes. 
aeleb ^ m ’ r ^ ut Kontrolle meiner Ausführungen einige S*uiprogramme bur*« 
bat. 6n Un ^ *^ te ®^ cmen na< $ liefen ©ebantengängen geprüft unb habe gefunden, 
bah ln ?/J t0 .k cn un & gan3en fo gearbeitet mirb, menn i* au* oft ben (Einbrud hatte, 

B ni *t immer (Einigteit über bie 3ielfetping oorljanben ift unb infolgebeffen ein 



286 $in UnioerfitStsfeminac für (Befc^tdjle unb tC^eorie 6es beutfdjen Unterrichts 

S^roatilen entfteht, etwa beratt: nun mal ein literarifdjes I^ema, nun mal eins aus 
öem Ceben, nun mal ein freies, ohne baß man einen prüyipiellen Stanbpuntt gefun* 
öen hätte. 

3 d} habe bas (befühl, baß nicht immer genug $ül}lung unter Öen Centern bes 
DeutJdjen oorljanben ift. Dielleidjt tonnen öftere Ausfpradjen, oot allem häufiges 
fjofpitieren beieinanöer öaju oerhelfen. Dielieicht tommt eine 3cit, roo außer öer 
Spredjftunöe auch Pflidjtftunöen im fjofpitieren unter öie ominöfe 24*Stunöen3a^l 
gerechnet toeröen. (Es wirb öann Aufgabe öer ein3elnen Kollegien fein, 3U einer ein* 
heitlidjen, etgan3enöen unö unterftüßenben Arbeitsgemeinfchaft 3U gelangen. 


(Ein Unbcr|itäts|eminar für G5e[d)id)te unö {Djeotie 
öcs öeutfdjen Unterridjts. 

Don Unii>et(itats=ptofeffor Dr. (Sagen tDolff in Kiel. 

Die Stiftung eines befonöeren „Citeratunmjfenfdjaftlicfjen Seminars" an öer 
Unioerfität Kiel ermöglichte eine n>eitr>er3n>eigte (Drganifation, öie allen Sonder* 
unö Hadjbargebieten eine eigene Abteilung einräumte. So wirten neben öem all* 
gemeinen Seminar „für neuere öeutfcfye Sprache unö Literatur" oier ©ruppen: 

1 . für „Poetit — mit ©infehluß öer Rfjetorif, Stiliftif unö IUetrit — auf ©runblage 
öer Weltliteratur", 2. für „©heaterwiffenfehaft", 3 . für „©efdjichte bes öeutffyn 
Unterrichts" unö 4 . für „fjanöfchriftenfunbe". Sie wirten, ö. h- ft* ft e h en ni<hi nur 
auf öem Papier, audj nicht nur in Bücherfädjem: fie halten regelmäßige Übungen 
ab meift für fich, gelegentlich mit einer anöeten Abteilung gemeinfam — un ^ 1 
fteüen fich beftimmte roiffenfchaftliche ober prattifche Aufgaben. Die Unterrichts» 
abteilung betrachtet gleichmäßig Öen Betrieb öer Schule unö öer fjohfhule. Sie 
fudjt (Theorie unö ©efdjichte organifch 3U uerbinben: in gefchi«htli^er Durchdringung, 
öer im ©runöe fulturellen unö pfycfjologifd^cn Unterrichtsfragen will fte ftd? ^ te " 
TUethobe oorfichtig fuchen unö bilöen. Hoch beanfpruchte in öiefen oier erften 
Semeftem neben Öen rein literaturgefchichtlichen Aufgaben öie (Drganifation ber 
ohne Dotbilö öaftehenöen theaterwiffenfchapchen Abteilung Öen töwenanteil an 
3 eit, Kraft unö IKitteln. Doch ift die fjeranjiehung weiterer Celjtträfte gerade auf 
päöagogifchem ©ebiet fdjon in fefte Ausficht genommen, ©enug, daß fich den 5 t“' 
bierenben oon Semefter 3U Semefter alle oie^ehn (Tage ©elegenheit bot, in Stagen 
öcs öeutfehen Unterrichts ljinein3ubticfen. 

Aus öen unter folgen Umftänöen feht befdjeibenen Anfängen feien 3unä<hft 
öie ©egenftänöe öer ©rörterung mitgeteilt. 3 m Winterhalbjahr 1912/13 fnüpften 
öte Übungen an öie ©rünöungsoerfammlung öes „Deutfchen ©ermaniftetwerbandes 
an, u m feine $oröerungen gefchichtlich 3U beleuchten. Der Sommer 1913 war den 
geltenöen Celjrplänen unö ihren gefchichtlichen ©runölagen getoiömet. Der Hinter 
1913/14 feßte mit öen Utethoöen öes öeutfehen Unterrichts im 3ufammenhang nut 
der paöagogijchen Citeratur öer leßten 3 aht 3 ehnte ein, um fich öen Behandlungen 
es ermaniftentages in Ularbutg 3U3uwenöen, fobalö öie Dorträge und der Ülei* 
nungsaustaufch im Drud oorlagen. 3 m Sommer 1914 tagte öie Unterriehtsabtei* 
ung gemeinfam-mit öer ©ruppe für fjanbfchriftentunöe, um methodifh literarifh* 



Don (Engen IDoIff 


287 


Jeimat&.nöe für S*lesmig*ljolftein 3 u Betreiben (mit Stücfen aus bem hanbf*rift* 
Itc^en Ita*lafj non 3 o$ann fjeinri* Dofe unö non Klaus ©roth). ^ ^ 

v ® tÖtterun9cn münöeten meift in beftimmt famulierte gragen, 

«*«"?*» BeanttDorturt 9 gcftcixt mürben. So gelangten mir 3 ur Aufhellung 
prafttf*er Sorberungen, beren erfte ©nippe mir f*on ben ITlitgliebem bes mar* 
Bürger ©ermamftentags als glugblatt oorlegten. 

« s 1 i fln Ö f Be“tf*en S( ^ uIe U "B Unioerfität ift öem beutf*en Unterricht eine böbere 
Beöeutung als allen anöem Sägern 3 u 3 ugeftehen. q e,ne l?oljere 

»ir*. 2, Vf % te Be Beutung Bes Deutf*en tommt, roie an öer Schule, au* im atabe* 
miföen Untem*t no* ni*t gen.ügenö 3 ur ©eltung. ' alaöe 

ba { St £ öium öes Mittelalters unö öer Iteu 3 eit glei*bere*tigt 
DoKes ein D ?“ t ^ en aIs Kultur* unö <Er 3 iebungsma*t bes öeutf*en 

satarÄ“ ***~ —■** *-* &. 

“ eit 't e flusö Ä nun9 öes ©eutf*en mufe 3 mar beiöe Urten öes afaöemif*en 
bringt ^ C,fe "' *" Oberem ©raöe jebo* öie feminari[tif*en Übungen 3 ut ©elKng 

©erabe bie offene Ausfpra*e oom Stanbpuntte ber Stubierenben führte 3 ur 
Hnerfennung notgebrungener golgen aus ber gemünzten ©rmeiterung bes beut* 
|*en ntem*ts. So [teilen mit no* folgenbe Säije 3 ut ©rmägung* 

3 « 8 «^^^ Öem ^ ei " ^ aUPtf ^ 

rüden'ferJttÄÄ 9 Öb ? r aII 9 cmcfnc B «Bung follte öas Deutf*e in Öen ITtittelpunft 
metben e * 9C “ ba & ö,c a "B etn ©ebiete allgemeiner Bilöung auf öas Deutf*e be 3 ogen 

„ A ^einge^enber ©egenüberftellung ber Sehrplane mit ber Prüfungsorbnung 
«9ab fi* bte Seftftellung: 

S*uIflmtc B { !? i ?I m « n i en öec P reu b i f rf ?en prüfungsorbnung für Kanöiöaten öes höheren 
Plänen Kr c ” ent fP«*en ben flnforbetungen, öie na* Öen geltenöen Sehr* 

feiner fltS Cte f^ Ien f an öen öcs Deut fäe" Behufs miffenf*aftli*er ©rfaffung 
TlÄ 6e finb - Hut roäre Ber Stilifttf ausörücfli* eine Stelle an 3 umeifen, 

m ,,e ,nöen «ttgemetnen Begriff öer Rhetoril ein 3 ube 3 iehen. 

Als eine goröetung an ben S*ulunterri*t brängte fi* uns auf: 

erfdjeint audj übet ben 3ufammenljang mit bem 
I TT hinaus — fo gut mie ©ef*i*tsunterri*t! — öringenö roünf*ensn>ert. 

aefn «wogen mir bie möglichfeiten, mie fi* bie oom ©ermaniftenoerbanb 

J* * n ^Weiterungen praftif* in ben Schulunterricht einführen liefen. IDit 
gelangten 3 u einer oemittelnben Anregung: 

®ntmi(fUm» r k n9 ® e ftt?tcfjte unö U)efen öer öeutf*en bilöenöen Kunft unö Ulufi!, in öie 
funbe WM ka ® ,r tf^ a ftti<hen unö geiftigen Kultur Deutf*lanös, foroie in öie Bürger* 
aufnebmL c 0 h”e Beeinträ*tigung anörer gä*er in Öen Sehrplan öer höljeten S*ulen 
unb Sitornc 0n,e 7. B te ©nführung in öiefe ©ebiete fi* mit öem Unterricht in ©ef*i*te 
Schul«. nn« l J I f. 0etbmb f n Iä Bt- Darüber hinaus empfiehlt fi*, um einet Htehrbelaftung öer 
Bes SAulim* •£! n ' bas herausheben öiefer ©ebiete aus öer gelohnten 3eit unö Utethoöe 
eines (*.,[{. ” n «Bur* Derlegung auf n>ö*entli* 3 u>ei Abenöftunöen ober Stunöen 
träqe h» c t ien Ka*mittags: unö 3 roar in Anlehnung an Öen ho*f*ulbetrieb öur* Dor* 
fieiet lllnhn cf. Blofee Kolloquia 3 ur Klärung öes Derftänöniffes — ohne 3u>ang, na* 
h oes S*ülets. ©in fol*es Derfahren fi*ert öiefen ©egenftänöen bei Öen S*ülern 



£iteiatuiberid)t 1913: ©efcf)ichte 


288 

bei Ijöfjeten Klaffen, um bie es fidj allein hanbeln foH, lebenbige Anteilnahme unb fdjlägt 311» 
gleich eine roünfdjensroerte Brüde jroifdjen Sdjule unb ^odjfchule. 

3 ch fdjreibe öiefen oerfptodjenen Re^enf^aftsberidjt unmittelbat nach <Ent> 
feffelung bes IDelttriegs, in Öen elften (Tagen bet nationalen (Erregung unb Be» 
geifterung. Da Reifet es fdjnell mit alten Pflichten abrechnen, um alles dun unb 
(Tratten bet nationalen $orberung bes dages 3U3utoenben. ITtdge bei unfern ge» 
testen Sache bet Sieg auf bet gan3en Cinie fein! (Et toirb füt bie (Etroeitenmg 
unb Dettiefung bes beutjehen Unterrichts noch eine gan3 anbete driebfraft roedeit 
(Et toirb auch unfetem befcheibenen Beginnen höhere 3 i^Ic fteden unb ^öheten 
Schtoung oetleihen. 


Oteraturbericfft 1913. 

©efd}id}te. 

Don ©uftao Rofenhagen in Dresben. 

Die ©ntwicflung bet beutfdjen Kultur im Spiegel bes beutfdjen £eh«‘ 
tootts 1 ) oon §tiebtich Seilet ift ein toohl oon manchem Cehtet erprobtes Buh, 
beffen 1 . deil in 3 . Auflage etfdjeint. Seilet hat batin auch bie Dotrebe 3Ut 2 . Auflage, 
feine Stellung 3ut Srembwörterfrage, bie Dielfach Anfechtung gefunben hotte, tuieoet 
aufgenommen unb etgängt. (Et tämpft gegen bas oon ben Behörben ootgenommene 
Umbeutfchen längft gebräuchlicher $rembwörter, gegen bie fünftlidjen Derbeutf<h un * 
gen unb bie (Einführung neuer, oft getoattfamet 3ufammenfel}ungen. Dabei ntuB 
man ihm oft recht geben: Reichsoermögens3umachsfteuergefet$ unb Rei^soiehfeu^em 
gefeh batf er allerbings mit Schroeber „ungefüge flftenbünbel" nennen. Doch tämpft 
bet DeutJ<he Spradjoetein gegen folche Dinge mit nicht minbet fdjarfer Klinge roie 
Seiler. Beibe fcheiben fidj nut im ©ebrauch bet $rembwörter ooneinanbet. Seilet, 
bet bie ©efchidjte ber Kultur im Spiegel bes Cehnroortes fchreibt, tritt füt bie flur 
nähme oon $rembwörtem in bie beutfcfje Sprache ein, toenn folche bequem, 
tlingenb, einfach finb, gerabe fo toie er roünjcht, baf} alte, längft eingebürgerte Stern 
Wörter beibehalten toerben follen, unb beruft fich babei auf ©ilbemeifter, 

(Tauet u. a. ©hne hier auf ben lehrreichen Streit im ein3elnen eingugehen, w©** 
bo<h betennen, bafe ich bie (Enteignung ber (Efptopriation, bie ©enugtuung berS ^ 
fattion oot3iehe unb babei nicht eine weitere „Deruntung" ber beutfehen Sprach® 
fürchte, fluch tann ich mich für bie ©inbeutfehung oon doalette, Biljet, Bajjeng un 
Sotölch nicht begeiftem. $teilich h fl t Seilet recht, wenn er fagt, bafe S tct |*^®® . 
früher auch burd? {flechte flusfptadje 3U Cehnwörtetn geworben finb. „Die Saju 
follte bie Bilbungsfchähe, bie im Sehn* ober $rembwort oerborgen liegen, h e b £n un 
ausnütjen." Damit tommt Seiler 3U feiner Aufgabe unb gibt bem Deutfchleh*®* 
bem ©efchichtslehrer eine Sülle oon Stoff in bie $anb, bet wiffenf^aftlidj W 
gearbeitet unb gefistet ift unb in gefchichtlicher Betrachtungsweife bie (Einfang 
oon Cehnwör tem in bet IDanber* unb Römet3eit behanbelti Durch Derwenöung 

, 1 ) Sriebtich Seiler, CEntroidelung uff. I. d. Die 3 eit bis 311c (Einführung bes «W*** 

^tte gämlich umgearbeitete unb ftart oermehrte Auflage. halle a. b. S. w ' 

Buchhanbl b. XDaifenhaufes. m. 4 , 60 . 



Don ®uftao Rofenfjagert 


289 


neuer Stoffe unb neuer ©efichtspunfte hat bas Bu $ fel>r gewonnen, ©ne eingebenöe 
mdjt nur gelegentli^e, Betrachtung bes UJerbens unfeter XDörter ift ein unbebina* 
tes (Erfordernis unfeter Spulen; bie Realgymnafien unb ©berrealfchulen wenigftens 
Jabenauch bet ber 3 <JlberbeutfchenStunbenfd?onheute 3 eitba 3 u. fjietwirbihnen 
Seuer etn trefflicher Reifer fein, gerabe weil er nidjt in bürftiger $orm bes IDörter* 
bu^s arbeitet, fonbem in 3ufammenhängenbet Darftellung 3 ur Dertiefung jroinat 
5 “ r Det a«lafet, 3« felbftanbiger IDeiterforfchung anrei 3 t. Das Buch gehört in 
folgen U CtL IKÖ< ^ tcn Ö ' C flf,ri 9 cn ® ciIc 06,11 6 t f* 6n &alb in neuer Bearbeitung nach* 

3ni ein anberes ©ebiet fulturgefchichtlicher ffiitwicflung führt uns Me in 2 . Auf* 
läge etfätenene treppe Schrift bes Hamburger Baurats €f}t. Ranf.*) 3um An* 

ZT!!!? Betrac ^ ten 6 eut f d ? en £ebens foU bie Schule eziehen; nicht jeber Cebret 
flat öte iKoghdjfeit, aus eigener Kenntnis bet beutfchen Canbfdjaften Begleiche 3 u 
3 iegen, 3ufammengel}öriges 3 u oerbtnben, Derfdjiebenes 3 u fonbem. $ür bie Arten 
Bauctnl * au f es ' f cine Abhängigfeit oon Boben unb Klima, oon bet tDirt* 
Wafteform, non ber Befiebelung bes £anbes bietet Ranfs Büchlein in Darftellung 
und ^bübungen betn ©efch«htslehrer, auch bem 3ei$enlef?rer, reifen Stoff unb 

ote faqe Anregung, ffin oollftänbiger Citeratumachweis ift babei nicht minber will* 
fommen. 

Bie 3eitung fafet ©berhatb Büchner 8 ) als bas unmittelbarfteBilb ber 3eit, in 
«er fte getrieben würbe, als bie fubfeftioefte Äußerung bes 3 eitgeiftes auf unb hat 
mit ungeheurem $leife aus gebrucften unb getriebenen 3eitungen eine Auswahl oon 
Probeftutfen 3ufammengeftellt. Dom Beginn bes 16.3ahrhunberts: Kaifet Rtajimi* 
tan unb fjetntich VIII. oon ©tglanb treffen bei Attas 3 ufammen, bis 3 ur (Errichtung 
es Konfulats 1799: Bericht ber Doffifchen 3eitung in Berlin, geleiten uns biefe Aus* 
Wmtte. ©ewife, feine ©efäichtsquellen, aber fulturgefchttlichc Dofumente, bie 
fl«er bem Ccfer hanblich bargeboten werben. Stimmungsbilber aus ber 3eit bes fin* 
teilten Aberglaubens, Berichte, Kleiberoorfchriften aus bet 3 eit bes RTerfanti* 
•smus, flogen oon literarifchen Reuigteiten, enblich Kriegsgefdjichten breier Jahr* 
f°l 9 eit aufeinanber unb geben in Inhalt unb $omt — benn bie Schreibart 
feit c- f mit 9Utc . m Rcdjt beif,e Wlten — Bilber ihrer 3eit in ooller Utfptünglidj* 

I.' ^ en Unterridjt mag öie Sammlung ein fd)äi)enstDertes UTittel 3 m Belebung 
1. roertoolle Beigaben finb eine RahrungsmitteltabeDe oon 1796, ber Reoolu* 
0nS ~ a , ^ er un ^ Saffitnilia oon 3 eitungsblättem. 

unb ft ' 6 ®. e ^ eu * un 9 bet CebensbUber füt Unterricht unb ©Ziehung, für Schule 
.... ^ a ^ cn 3 «*ten anerfannt worben, ffin Bezeichnte wertooller Cebens* 

Betr At!* un & Dolf bietet Johannes ©riet 4 ) unb fdjicft eine eingeljenbe 

-— — o otaus, bie uns über bie einfehlägige Literatur unb bie Biographien 3 ur 

teimfn !S l ‘ U W id J te ** es ^ eu tf<hen Bauernhaufes. Aus Ratur unb ©eifteswelt, 121.B6*. 
P3 ’9 JJJS. B- ®. Heubner. <5eb. IR. 1,25. 

Dohimint» et ^ at ^ Büchner, Bas Reuefte oon geftem. KulturgefSichtlich intereffante 
langen ° US ° ten öeut ^ en 3eitungen. 1.—5. Bb. Rlünchen 1911—1913, Albert 

^unb^bi/t^ ens ^*!J. et un & *h r * Bebeutung füt Unterricht unb (Erziehung, ffin HJegweifer 
«nb iw* 0 , !?9 ta Wf<he Literatur unb ein Bezeichnte wertooller £ebensbilbet füt Jugenb 
Do,f - Can 9 enfal 3 a 1913, J. Helfe. RI. 1,60, geb. RI. 2,10. 

* ttl,4|r- 4 - * e »*I<^en Unt<rri<f)i 29. 4. 6 <ft. 19 



290 


£iteratutberi<f)t 1913: ©eft^idjte 


©efchidjte unb ©töfunbe, Katurfunbe, Kunft unb Religion auf ©runb umfajfenber 
Kemttniffe gut unterrichtet. fluch barübet, roie man Cebensbilber im Unterricht oet» 
toenben tonn, bringt ©riet beher3igenswerte, toenn auch nicht getabe neue tjinmeije. 
U)o ber Cehtet im Unterricht, in toelchem $a<h es auch fei, einen halben felbft fpredjen 
läfet, roitb et aufmerifame höret finben. So fei bas heft befonbers Schülerbüchereien 
gern empfohlen. 

|| 3 ut ©tgän3ung bes Det3eichniffes mögen hier bie (Erinnerungen an Kinbljeit 
unb Schutt oon fltnolb Rüge 5 ) bienen. Ruges toohnen noch heute au f *h tet 
Stamminfel Rügen überaU. flmolb Rüge fchrieb feine Erinnerungen 1862 auf, jo 
finb es (Etinnetungsbilber an bie 3ugenb auf Rügen gerootben, bie gar oft mit Jpa» 
ieren ©inbtfiden uerwebt finb, lein einfacher Cebensberidjt, bemühtes Hachbenlen 
unb Dergleichen finben fi<h überaU in benr Büchlein. (Es bietet bem £efet oieles aus 
alter 3ett, als bie ©utsbejifeer noch auf bem Ceiterwagen übet bie 3 nfel fuhren, 
bie nod? leine ebene Strafe lamtte. Dann famen bie $tan3ofen unb brachten in man» 
chen Dingen eine beffere 3 eit herauf, als bie fchwebifdje flnatchic gemefen war. 
©raf Stahe hebt bie Ceibeigenfchaft, bie $ronbienfte auf, aber bie Koffäten „wollen 
bleiben, was mit finb". lUärchen (Ceufdjen) aus ber ©efinbeftube, Sprichwörter 
unb Reime finb in bie <Et3ählung oerroebt. Darm lommt bie (Erhebung, bet £anö» 
fturm, bann wieber bie ©nttäufchung nach 1815 auch hier. Damals hot bet 15jährige 
entfeheibenbe ©inbtüde fürs Ceben gewonnen: et fieht im Staat nur ben polhei» 
ftaat unb im beutfehen Bunb ben „Poli3eibiener ber gtofeen unb Heinen fjetten". 1819 
fmbet bie Hat Sanbs allgemeine (Teilnahme, ja Begeifterung bei ben Primanern 
bes ©ytnnafiums 3U Stralfunb, unb ber Konteftor holt in flaffifefjet (Erinnerung an 
Rlucius Scäoola, hatmobius unb flriftogeiton eine flammenbe Rebe übet ben helöem 
mütigen 3 üngling. flmolb Rüge, bet Demofrat, hot lange gebtaucht, bis er folaje 
3 ugenbeinbrüde übertounben hatte. 1866 hat auch ihn Bismatds Politil gewonnen 
unb 1880 ift er als (Empfänger eines ©htenfolbes »om Deutfchen Reidj in (Englao 
geftorbert. Don feiner Cebensbefcfereibung gibt bas oorliegenbe Bänbdjen bas 1 . Buch- 
Die 3 ugenb bis 3ur Saljtt ins Stubium nach halle. Die eingehenbe Befprechung fo 
bie neue herausgabe techtfertigen unb empfehlen. 

heimatlunbe unb heimatpflege bringen alljährlich reiche (Ernte auf oen 
Büchermarlt. Rieht alles ift reines Korn; gar oft merlt man bie flbfidjt, oon er 
Stimmung bes (Tages ©eroinn 3U 3iehen. Solches Urteü gilt nicht oon ben lulh« 1 
gefdjichtlichen Bilbem, bie h u 9 ® Kühn 6 ) aus (Thüringen barbietet. Dom ^e en 
auf bem Canbe, auf ber Strafe, in ber Stabt, oon hanbroerl unb ©ewerbe, oon et 
Unioerfität unb (Thüringens Dlufenföhnen, aus ber militärifchen unb ber bürgerliche 11 
Verwaltung, oom $inan3roefen unb aus bem Kirchenleben weife bet Derfajfet 3U er» 
3ählen, einfach nnb fchlicht, auf bem ©runbe ehrlicher $otfd}ung unb echter DW 
heitsliebe. Beigebrudte Urtunben, befonbers Derorbnungen unb Rechnungen mach 6 ” 
bie ein 3 elnen flbfchnitte noch lebensooller. ©inen befonberen Schmud bes empfeh eo® 
wetten Buche s bieten bie 3 eichnungen fllbert flnbrefens. Dafe ber Derfajfet maj 


®) ®us ftühetet 3eit, Kinbheit unb Schutjeit oon fltnolb Rüge, 
bibltotheh hambutg 1913, fllfreb 3anfeen. IR. 1,25. 

*. t^ähn, Kulturgefhichtliche Bilbet aus (Thüringen. £eip 3 tg 1914, 

Detlagsbuchhanblung (©heobot IDeichet) IR. 6,—, geb. IR. 7,—. 




Dieterich 



Don (Buftao Hofenfjagtn 29 j 

übet bas 16. Jahrhunbert 3utüc! unb nicht übet bas IDartbutafeft 1817 Wt, n « e - 
-^gutV^' f ° mmt 6Cm e ‘ n ^ eitIidjen ^ ataftet öes Buches - non Cutter bis ©oethe 

aenbffifL^Ärr?“ 96 ” 0 "Äf 6 , CtfcIbc *>“9° Kühn feine Sammlung non 3 eit* 
genöffifdjen Oarftellungen unb Urfunben übet bas IDartburgfeft 7 ) unb aibt bamit miA 

an'bieZIb Ie m.”b in rn ÖnCS ° CnfmaI för öas DicI 9cfcierte unb uielgefcholtene getf 
an bieljanb. Khe bet plan 3 um geft entftanben, mie bas geft in ben Augen bet mit- 

ÄewnalSbaben le * S b ^ Kam P* unö S<f?malt,gefellen" nicht oerftanben 
bot b„c Jmpft haben unb bas IDeimarer Staatsminifferium gefet^ü^t unb oerteiöigt 

bmmS" 7 m 'u n ReÖen ' öic 9e * ölten wmbm ’ unb öet öfte bet auf 
bet *27t i eUC i oerbrannten Büchet Bereinigt in gefchmacfcollent ©emanbe' 

L'trr- 3lDClTnaI * at in fP äteret 3eit bie beutfehe Jugenb in ähnlicher 

roÜnfd?en “ nÖ ^° ffenflusörud 3« geben: 1881 bie 

iente " au f i ^^Kyfftouf^WWbieSteifchatenunblDanberoögelaufbem 

ÖKi $efte " ad > * tcm *»««* ^t Bebeutung 
J~F* 3 rVT l0knenöe fluf9abc * mit M*B«6ungen unb Kunb* 
ftimmuno S "““U 1 * 1 f 7 nod? nit ^ t - man bet onte nicht fo fehr bie eigene Be* 
ortStl c,9e J n « Deta «to°rtlichfeit, man gab fich gat* bet DJeihe bes Lges in 
£ r ^W^Ptoteftantifchen ©efüljlen unb ©ebanfen\in. Großem 

3uaenb' Ö st b t n T™* nad > ünb Dcrrat mie oicI Slüdlicher bie heutige 
fattenteiebfffi^*^ 65 7 7™^ 6lC 3ün9li " 9e Don 1817 gehrten; nur wenige 
mit moMmAn tCt r lDOnCn Un ^ eU a ^ ncn ' meift Begleitet man bie Jugenbbetoegung 
unbMfünW«' u? T" T l ^ r Beffetung fo mancher oeralteten©ebräuche, reinere 
2 iS u ]dl t e,tSpf Iege WTt ©et Betonung bes naterlänbifchen ©ebantens 

roartbSrl! ? Cm ? C 3 “ 5 " 9ftIid? aus öcm 3 U 9 e hen; ba möge fie fich am 
imsL? r Ä m unö Saftigen. Itiemanns emfthafte IDorte auf bem gefte 

tnf* befr??‘J «nb Robtgets fchroungoolle hinrei&enbe Begeifterung unb bet „An* 
IanbiMiom mfi° tS r^ CS an b * c Dct f am mlung tonnen rooljl Jungbrunnen 3 u oater* 
PtimanemKV 6 «;/« cins: 0ct ® c fä id ?tslehrer hat bie Pflicht, feinen 
flnffim» w f* uben tifche Bewegung ber Butfdjenfchaft nahe 3 ubringen. Übet ihre 
«"fange hat et m hem Buche alles beifammen, was er braucht. 

aeicbidT?!“« x Re ? tc öec Ktiegsgefchichte, bet natetlänbifchen Pflicht, Kriegs* 

(ms jjj .. aller Schulen einbringenb 3 u behanbeln, rebet©h- $ranfe 8 ) 

SchönaeiHtf m , e9et 7 3® Öen greunben ber griebensbewegung, ben roeichmütigen 
9efd>i*J « internationalen Oemofraten unb auch öenen, bie bie Kultur* 
Sthoerte„ fl ÖCt sta atenge|chichte fe^en roollen. ©r tämpft mit fchatfem 

9 e fittunass 9€, I ^ arte ^ ma nn unb ©enoffen, bie bie Kriegsgerichte als bilbungs*, 

W U " tiilturroibrig, als gtunboetbetblich be 3 ei<hnen unb finbet neben 
^ öieB^ T" 6 UnÖ Bemf > atöi auä l in gerbet unb H). oon fjumbolbt IHitftreiter 
^ n 9 öes Krieges als Kulturbringers. Oa| bie uns Deutfchen am meiften 

»nben ? m 18- ©ftober 1817. 3«itgenöffifche Oarftellungen unb Ur* 

Wmerierti> c„~ 00n y ^ü^n. IDeimar 1913, Aleganber Ounters Oerlag. Kart. ZU. 3 , —> 

8) o| e ^ ru f aus 9 at, e a«f Sötten I1T. 20,-. 

feitrao » um «!*T u ” b ooltserjieherifihe Bebeutung ber beutfdjen Kriegsgefchichte. (Ein 
usoau ber beutf^en Zlationalpäbagogif. £eip 3 ig 1913, ff. g. Koehler. 

19* 



292 £iteratuTberid)t 1913: <5efc!)ichte 

oethängnisoolle griebensbewegung bie Schulen erobern »ill, bafür biene 3um 
»eis, bafe im ©ergangenen IDinter Blaffen non (Exemplaren bet gtiebensjdjrift 
eines grart3ofen ben Oresbnet böseren Schulen 3ut Oetteilung an bie Spület 31t 5 
gefdjiclt tnutben. Sie finb »ohl alle bem Detleget 3urücfgefanbt »otbeit. llnb mit 
noUem Recht. 3 ut oateriänbijehen ©ejinnung »iÄ bie beutle Schule et3ie^cn; 
ba3u braucht fie auch bie Kriegsgeschichte unb hat bie Pflicht, bie beutfehen Befreiung* 1 
unb (Einigungstriege auf irgenbeiner Stufe einbringlidj 3U behanbeln; fdjon batum, i 
tneil man in ber Schule nicht nur mit oaterlänbifchen Rebensarten um fid? weif«", 
fonbern auch ©atfachen bringen unb Oerftänbnis für bas ©efehehene eroeden (oU. 
flu© ausführliche Befprechung ein3elnet Schlachten an bet fjanb non Plänen, 4 m* 
toidlungsgejchichte bet beutfehen BO ehrmacht 3U £anbe unb 3U JDajfer geböten in 
bie Schule. Oie gugenb nerlangt banach, unb bie Heueret in ber päbagogif, bie tn 
allem Rüdficht auf bas tinbliche Derlangen fotbern, mögen hoch auch h* et ^ “P“ ! 

eigenen gotbetung genügen. Oie Schrift gtanfes, bie ein feuriger Aufruf 3 ul 
gerung unjerer tDehrfraft fein min, fei allen, bie es mit 3ugenb unb Daterlanb gu 
meinen, roatm empfohlen. 

3 m flnfdjlufe hieran möge bes fleinen oortrefflichen Cebensbilbes gebaut me* 
ben, bas ber Kaiferlich ottomanifche IHaiot im ©eneralftabe (Enbres") non luo 
gibt Auf ©runb bet (Quellen unb einiger befter Bearbeitungen ftellt er Uloltles w ® 
unb IDitfen bat, ber (Enhoidlung bet Perfönliehfeit unb bem (Senetalfiabsdjef jm 
bie hauptabfehnitte gemibmet, beibe in ihrer einbringenben IDürbigung gleich aus? 
ge3eichnet. 

Oie Bereinigung für ftaatsbürgerliche Bilbung unb©t3iehun9h fl,m 
April 1913 ihre erfte beutfehe Konfeten3 in Berlin abgehalten. Oer Berich e * 
Dethanblungen 10 ) bringt bie Oorträge bes Staatsminifters Dr.oonhentig- 5 ' 
unb Aufgaben bet Bereinigung, bes Unioerjitätsprofefjors Dr. Rauchbetg: 5 ° 
bürgerliche Bilbung unb (E^ieljung als ftaatliche Hotmenbigfeit, bes 3ufti3 r «^* • 
IDalbfchmibt: Oiefelbe (E^iehung in ihrer Bebeutung für bie beutfehe BoßsrotnlcW 
bie teitfätje bes an bet (Teilnahme oerhinberten Unioerfitätsprofeffors Dr. ttn 
hatb: Staatsbürgerhmbe an ben beutfehen Unioerfitäten, bie Oorträge bes Semmm' 
bheftors fl. Bär: Beljanblung oon ©egemoartsfragen im ©ef^ichtsuntem^t, 
bes Rechtsamoalts H)ed: Preffe unb ftaatsbürgeriiehe (E^iehung. Aach &’ e * ' 
bie bei ber ©rörterung ber Oorträge gehalten tourben, finb »örtlich abgebrueft, 9' j 
»ife ein Dotjug'biefes Berichtes, »enn auch bie (Erörterung fich nicht immer cmf : 
^öhe gehalten hat Heben bem einleitenben Oorträge fjentigs fcheint mir berir 9 
Bäts nicht nur für unfere 3 eitf<hrift ber »ertoolifte 3U fein. tOie man »irtf<h a P* 
unb ©egemoartsfragen im ©efchichtsunterricht ber Schule behanbeln tann, *1 
Beifpielen oortrefflich bargetan. Oafe in ber Schule bem £el}tet bie Aufga e 
ftaatsbürgetlichen Ziehung anoertraut »erben farm, ift im ©egenfafc 3 ü 
O isfuffionsrebner, ber ben Oenoaltungsbeamten unb Richter bafür in An|p 


9 ) ITColtte. Don gtan3 Karl (Enbres. Aus Hatur unb ©eiftesioelt, 4 
Ceip 3 ig 1^3, b. ©. ©eubner. ©eb. Hl. 1 , 25 . ,, Ceiw ig, 

n Ä » Bereinigung für ftaatsbürgerliche Bilbung unb ©gieljung, Schuft 1*. 

B.CB.Ueubnet. CBeh. m.2,-. 



Don (ftuftau Bofenljagen 293 

nimmt, öurch biefes Beifpiel betoiefen. Auch in ber Bolfsfchule muß 6ie Aufgabe bet 

letften, ber fie in Oerbinbung mit bem gefamten Bilbungsroert 3 u [teilen bat eben 
bet Ce^tet. ^ ' 

Kerfchenfteiner 11 ) f?at feine Schrift übet bie ftaatsbürgetlidje (Fgiebung in 
3 . Auflage etftfjemen Iaffen. tDeiteres Hadjbenfen übet bas Problem unb Reifen in 
(Englanb unb flmerifa I?aben ihm Beftätigungen für feine Grunbanfchauung: Staats» 
butgeth^e €t3ie^ung ift G^araftere^ung, b. h- (Erdung bes Gerechtigfeits* unb 
Bültgtetsfmnes unb bes Gefüges ber Deranttoortlicfjfeit, gebraut. Staatsbürger* 
lidje »giebung ift ihm bie G^iehung überhaupt, bie alle anberen 3roede unb 3iele 
et fllenfchenbilbung einfdjließt, fofern biefe nic^t etroa ben fjerrenmenfehen im 
Auge bat. Bon ber ftaatsbürgerlidjen Belehrung, bie nur eine neue Blaffe oon Kennt* 
mffen ben alten 3ufügt, hält er nicht oiel. Ber Borfämpfer für bie Arbeitsfchule fiebt 
m ber Arbeitsgemetnf^aft auch bie Grunblage bet ftaatsbürgerlidjen (E^iehung. 
22 ®™ n& geöanten bes Berfaffers mußten roieberholt roerben, um auf bie neuen 
Ab^mttc feines Buchs : V, VI unb VII, bie für bie (Erdung an Oberen Spulen 
rotqttg ftnb, alle Beteiligten befonbers bin3uu)eifen. 3n Kür3e erörtert Kerzen* 
[lernet babei bie $tage ber Sdjulgemeinbe mit einem geroiffen Rlaße oon Selbftregie* 
rong an bem Beifpiele ber engliföen Great Public Schools. Oie $rage ftebt auf ber 
ttagesorbnung unb ift hier unb ba aud? in öffentlichen Spulen Beutfchlanbs ber 
ofuttg nahegebracht toorben. IBas Kerfchenfteiner batüber fagt, ift febr 3U beber3i* 
gen; ohne 3 n>eifel mürben Gbarafterbilbung unb ftaatsbürgerl dje <Et3iehung butd} 
ent gtöjjetes Rlaß ber Steilheit, bie mit Berantroortlichteit oereint ift, beffer geförbert 
toerben, als bort, roo bie ^errfchergeroalt bes Sehers alle freieren Regungen erftidt 
unb Gefahr läuft, mehr 3ur Cüge unb $eigbeit als 3ur IBabrbaftigfeit unb Gapferfeit 
3u eqteljen. 3 tt biefem 3 ufatnmenbange gönnt Kerfchenfteiner auch ben XBebrftaft* 
oetemen, Pjaöfinöem unb tBanberoögeln ein anertennenbes IBort als Rtiter3iehem 
3 ugenb. 3 n ber Schule toitb auch bei Ker.chenfteiner bem Gefdjichtsuntet* 
”7, bet hauptteil ber Aufgabe 3 ufallen. Am beften roirb er fie löfen, roenn bet Ar* 
ei unterricht an ben ©bertiaffen bet höheren Schulen ben Schülern Gelegenheit 
ffl nt. ^ en ® ue F cn Seifen (Ketfchenfteiner meint bamit burchaus n d?t etroa 
uelienmtif, bie nicht auf bie Schule gehört) unb aus Beobachtungen fich felbft ein 
J »"E ^ eI ^ en °^ ct e * net 3 eit 3U gehalten. ®b freilich ber Gang burch bie gan3e 
etgefchidjte babei ber ©berftufe erfpart roerben fann, bas bleibt fraglich. Auch 
•e| e Betrachtung läuft eigentlich barauf hinaus: Rieht Gefdjichtsftunben, bamit 
en Anforderungen auch nur einigermaßen genügt roerben tann. Oie neue Auf* 
h aUen ® c * c iÜ9tan, befonbers ben Cehretn an hohen Schulen, roärmftens 
^fohlen, hingetoiefen fei auch auf bas, toas Kerfchenfteiner über Arbeitsunter* 
rmh r ” et h* er wie in ber ©hentie, tonnen feljr toohl aud} roäh* 

ültt cf 1 ^H^^^isfiunben, nicht nur in ben Übungen, bie Schüler in Gruppen 3ur 
Ibt mit ^ eran 9 e 3ogen toerben, baß fie fich felbft Kenntniffe erarbeiten ober auch 
tffen in hanbeln umfeßen. IBit habens oerfudjt, uno es ging feht gut. 

. _ n Hilf smittel 3ur Betrachtung ftaatsbürgetlicher Gegenwartsfragen auf ber 

mebrtVa *«? 1 öer ftaatsbürgerlidjen Ggießung, 3. oerbefferte unb roefentlich oer* 

9 Huflage. £eip 3 ig 1914 , b. ©. Geubnet. Geb. RI. 2,—. 



294 


£iteraturberidjt 1913: ®efd|i(f|t« 

©berftufe bietet bet Caubanet Ptofeffot Richter 12 ) bat. Dom oielfeitigen tDiflen j 
in bet Staatsfunbe hält au<h et nicht oiel; bie (fcgieijung 3um ©hataftet ift aud) iljtn ? 
bie hauptfacf)e, 3um ©hataftet, bet in bet Eingabe an bie 3 mede bes Staats pet(ön* ; 
Hdjfeit toitb. Oa3u folien Befptedjungen bienen, bie fid) an bas Dotliegenbe Sud) 
anfcf)ließen. Oie Auswahl ift oortrefflid); bie fittlidjen Hormen IDunbts hüben ben ] 
Ausgangspunft, bie IDege fügten auf bet einen Seite 3um Staat, feinem 3 ®ede, 
feinet Oetfaffung, feinet tDirtfd)aftsgemeinfd)aft, feinem Derhältnis 3ut Kirche, auf 
bet anbeten 3Ut IDeltmadjtpoliti! unb So3ialteform. ©b bet planmäßige <Befd)idjts= 
unterricht ben ferneren Stoff bewältigen tann? RTan wfinfeht fid) «inen Cefefteis 
auserwähltet Primaner, um in Sonberftunben bie Aufgabe 3U leiften. 

Don Ketfdjenfteinet führt bet IDeg gerabeaus 3U ben Quellenfammlungen 
für ben ®efd)ichtsunterti<ht, bie in taffem $ortfd)ritte anroadjfen unb 3unelp 
men. ©ewiß ein Beweis bafüt, baß man Hotwenbigteit unb ZTCöglid)leit, Quellen 5 
fcfjriften im Unterricht bet Schule 3U bringen, anertennt. übet bie Art unb IDeife, ) 
über bas Blaß wirb man wohl nod) feht oetfehiebenet BTeinung fein. Oes Bericht* | 
erftattets Anficht geht bahin, baß bet Dortrag bes Cehters eingefdhtänft, nicht etroa i 
gan3 befeitigt werben müffe; et hat aud) fein gutes Recht. Seiner, baß bet Cetnftoff 
befdjnitten werben müffe, baß bet £el)tet fid) oft feht bel)ertfd)en muß, nicht petfön* j 
lidjen Reigungen unb Arbeitsgebieten 3uoiel Spieltaum 3U gönnen. Auch bie beut 5 
f<he ©rünölid)feit, bie alles erwähnen will, was im £ehtbud) oottommt, unb batübet 
hinaus, muß oielleicht hier unb ba ©pfet bringen 3ugunften bet Aufgabe, ben 
Schüler felbft arbeiten, felbft fptedjen, felbft benten 3U laffen. Auch bet ©efhi^F 
unterricht muß 3m Debatte 3 eit finben. ©ewiß bleibt bas eingefühtte £ehtbud) m«# 
bet Dinge; aber man tann Abfdjnitte bataus feht wohl aud) ben Schülern 3um Selbf* 
ftubium übetlaffen. ©s ift hier nicht piaß, auf bie IHatbutget Dethanblungen es 
Detbanbes öeutfd)er ©efchidjtslehrer ein3ugehen; bet fjinweis muß genügen; au 1 
einet 3eitgemäßen Umgeftaltung bes ©efd)id)tsunterrid)ts muß jebet nach l ctl ^ c 
IDeife 3unäd)ft arbeiten. Bei bet $rage bet Quellenbenußung tann, meine ich, * 
einet Quellentritit in bet Schule oöllig ausfeheiben. ©s tann fid) nur haubein um 1 
gelegentliche fjeranjiehung oon Quellen in gemeinfamem £efen, 3U SQüleroorttägen, 

3 ut Befptedjung nad) ootbeteitenbem hausftubium. Soll fid) aber jebet Schüler <u»F j 
bem nicht billigen £ehtbuch nod) eine gan3e ©uellenfammlung taufen? fji eI ’ nu “' 
ten Staat unb ©emeinbe burd) ©thöhung bes Poftens für £ehrmittel helfeu# bam 
gan3e Reihen folget hefte 3ur Derfügung geftellt werben tönnem 

Don ben ootliegenben Sammlungen fei 3unächft genannt bie oon £am « 
Kut 3 e unb Rühlmann beforgte, bie in 3wei Reihen etjdjeint Die etfte foll es ero 
£ehtet ermöglichen, bie widjtigften ©teigniffe öurch Quellen 3U beleud?ten unb jo * 
hauptmomente aus bem gefd)i<htlid)en Untetrid)tspenfum 3U beftimmtetet flnf<h° 
ung 3U erheben; bie 3weite Reihe enthält für ein3elne gefd)id)tlid)e ©tfcheinungen 
ein ausgiebiges ©uelienmateriat. Die hefte beibet Reihen 3eichnen fid) ' 0 . r f 
faltige, gefdjicfte Auswahl aus, man mag fich nun mehr für eine fortlaufenbe B e 9 * 
tung oon Quellen in bet 3ufammenhängenben Darfteflung, ober füt bas gente 


uns }ul fluntsbürgetlichen Ziehung. Bielefelb unb Ceipjig 1914 , D eI H er ‘ 

no Klaftngs Sammlung beutfdjer Schulausgaben 148 . HL 0 , 90 . 



Don ©ufioo Rofenhagen 296 

5eter atbCite " ein3ClnCt 4t ^ Cinun9cn nnb mehreren Quellen 

T ÖCt DOt „ K T nöen ^ cftc Iönncn ^ ict cinjclneheroorgeljoben 
St fth 1" 3Ut tom,fd?cn in öenen Rappaport burchmuftet’ 

guthge Überfe^ungctt m cm reines Deutfd? bei Doller IDahrung öes Sinnes erfreut- 

'T*^ WC £ambC<f ^ bk 3eit DOn 1807-1815 barbietet,' 

tta in Sdtft Ct Tf T ** 1815-1861 3« °*nig gibt; hier märe eine 

fd ßeft 7r^^^ x Öet ,®^ e 1840 bcffcr 0cn,c f cn ‘ flus öet Breiten Reilje 
Lrn 2r 70 'f V Stem^arbenbergfdjen Reformen befonbets toarm empfohlen, au* 

et? !fifr 016 9a T x Ci l C ? Ct3id?t l * mt > öasJcIbc «*“ Don W 33 - in bem Kur 3 A 
v" r l, 9 Ttt* 3 ufammenfteIIung oon Quellen für ben Streit 3 mi^en 

r-W tT T 1075 WS 3U flIefanöets VI - BulIc «« Serbinanb unb 
beroanti! 93 ^ ft ICÖCS ^ cft D °" cincm im bette ffcnöen 3citalter befonbets 
!*n!fttl° lf t Ct ,*f aus 9*9eben ift, bietet bie Sammlung au* bem teurer 
imb ©efc^i^tsfreunb oteles 3 u eigenem Dorteile. Y 

4 Bönbrft” ' m ? Il ? Cft 1913 befptoc ^ enen Seoinf^en Sammlung 14 ) liegt bas 
öletnfätae bt‘ für .. öic DSHcra »anberung, bas $ranfentei<h unb 

libreibL b!rt «t? RC ? S; Ö,C Übcr ^ un 9 cn f inb nieift aus ben <5eföid?t* 
SS Z £jZ mtn c> 0T5 f entnommcn - 0as lüi^tigfte aus Cacitus’ ©ermania 
Proben **0?'«*^ tataxbinhnSi ^ 3 . B. ^ilbebranbslieb nad? Simrod unb 

«VaetZ n?r«® a ^ eÖ T* S ^ cI öcn flnI W 0flS Wen leibet etmas 
werten «, v oI l^ nblsIeit: öie ®hronil bes Regino non Prüm unb ihr gortfefcer 

Karl Lt t C S ^ U ! C ® eni9 braud >bat f cin - Was 3 ur Döltermanberung unb für 
en ©rofeen geboten toirb, erfcE?eint burcfyaus angemeffen. 

Pon flffflSS ? S“ ? eü J SammIun9 im I)ieftcrmegf^cn Derlag 15 ) angelegt 
beit-Die fl? 4: DlC bcu ffö en ®n^eitsfriege 3 u befpre^en. ©s ift ftofflic^ geglie* 
ftürfen monift eetc ® r 0 am J a ^ on IDil^dms I., toobei freilich mit ben gebotenen Brudj* 
— 9 an 3 u fangen ift, bie fchlestpig^holfteinfche grage, toobei ber offene Brief 

f“ rö * n gerichtlichen Unterricht an höheren Schulen. B.©. ©eubner. 
H n U ft m Ä ben V* m - °' 40 ' m - °> 30 1* bie tjefte ber 1. Reihe bei 

Kran? 3 £l ^ 1 Rei * e: 1 ®* ta WW« Gefügte bis 431 o < 11 ) 1 . 

®efth«chtebisfluaSf nft Ö n ® rofee “ nö öet Hellenismus oon Reuftabt, 4 unb 5 Römifje 
13 1807-iftm 9 “ fh ^ 00 ”»«PP«Port, 9 oonll98 bis 3 um <Enbe bes Rlittelolters oon Denher, 
unb Rüblmaitn M ! . 861 00 " öem i-' 15 1861—1871 oon Branbenburg 

9 Die ©racAiMi* n Retbe: 2 blc Ruföärung im 5. jahrhunbert o. <L\)t. oon ffoffmann, 
3 3DersS SffA 6 “^” 9 oon Ktan 3- 32 0ie «nttoicöung bes Papfttums oon Ku^e, 

38 Die beuKA? c* unö P a Pfttum oon bemf., 34 Die IRönchsorben oon 3eUer, 

Krieges non miix?«*»!?” jH^elalter oon B. ßeil, 46 juftänbe roährenb bes 30jährigen 
in Hufclonh ..„r,/ 0 P** Stein«ßarbenbergif<hen Reformen oon Cambecf, 71 Der gelb 3 ug 
oon ®be. ” ö b,e ® bebun 9 bes preu^ifchen Dolles oon bemf., 72 Die greiheitsfriege 

S<huiqfh t 8e ?* n ! ® e f«hi<htli<hes QueHenbu*, eine Sammlung oon QueIIenf*nften für ben 
Hl.0,60. * £etp3 ' 9, Doigtlänbers Derlag. 4. Bb*., 5. Ruflage oon fllfreb U)agner. 

bie belf«(^» n !?^ n ® 9ef*id)tli(her Quellen unb Darftellungen für ben Sdjulgebraudj. 4. fj. 
Dieftetoeg. RLo^” 95 *”* 9 * 1864 —1871 oon Ridjarb IDagner. granlfurt a.RI., Rlorih 



296 


£iteraturberi<ht 1913: ©efcf|i<hte 


©hriftians VIII. fehlt. Oie Auswahlen für 1860 unb 1870 finb glücHidfer, toetben 
aber, wie nicht anbers möglich, aud? nid?t einen jeben juftieben ftellen.^ 

Rieht Quellenfammlungen, fonbem Schriften unb Reben eirt 3 elnet Rlonnet jum 
©ebraud? füt ©efdjidjts^ unb Staatsunterriebt bringt bie Sammlung beutfdjet 
Schulausgaben oon Beilagen unb Klafing ,6 ). Ambts IDanbetungen mit bem 
Reichsfreiherm oom Stein tetbienen fel?t wol?l bie Aufnahme unb ebenfo eine Aus» 
mahl oon Bismarcfs Reben. Beibe fjefte mad?en ben (Einbrud fotgfältiger Sichtung. 
(Einleitungen, tDort* unb SadjetHätungen empfehlen beibe auch Wl* 3 ut P 1 ®®*’ 
lettöre. 

(Etlebtes unb (Erfdjautes 17 ) h c ifet ein* Sammlung, bie bie freie Ceqtet® 
oereinigung für Kunftpflege 3 U Berlin herausgibt. Oon il?r liegt ber 8 . Banb boi, 
in bem als britter Beitrag basttagebud? bes Kammerbieners Cubwigs XVI., dien), 
in etwas oertwgter $orm aufgenommen ift. (Es oerbient, weiteren Kteifen 3 u 9 a ^9' 
lid? gemalt 3 U werben; bie rüljrenbe Anhänglid?teit (Eterys, bie Sorgfalt, mit on 
et feine Auf 3 eid?nungen ausgearbeitet h<rt, bie lebenbige Darftellung mad?en es g eia? 
lefenswert. Als gan 3 rein gefd?id?tlid?e Quelle übet alle (Ein 3 elheiten wirb man es 
nietjt betrachten tonnen; ber ©reue hot, oon Argwohn umlauert, nur ® cm ? ** * 
3 ei<hnungen gemacht unb fie nachher 3 ufammengetragen, aber lefenswert bleibt as 
Buch ols ehte rühtenbe QefQichte oom £eib bes töniglid?en Oulbers. 

Oie anberen Beiträge finb mehr ihres Schreibers als bes Inhalts wegen 
(Ein Baron b’©fd?emij h fl t barin übet bie Reoolution im 3 uli 1789 unb ®, 0 ” 
1789 in Buchform an 3wei greunbe berietet, was et felbft gefeljen, was et gego h° 
(Ein Kinb feiner 3 eit, feines Canbes unb feines Stanbes will er bie philofoPsW un 
politifd?e (Sefchichte ber Reoolution fchreiben unb fd?welgt getn in fchonen Re en 
arten als Philofoph oon ber greiheih bie fpäter im Defpotismus triumph iet ^ 0 
Polititer ftimmt er bei, bafj ber Abel feinen ©elbprioilegien entfagt, feine an ei 
Dorrechte hatte man ihm laffen follen. Dann hätte ber Abel als beförderet ^ an _ 
©ebäube ber greiheit aus ben ©rümmetn bes Defpotismus bet XTXtnifter, bet 
hebung ber Parlamente, bet Ariftotratie, ber ©eiftlichteit aufgerichtet ^ erc d e „ 1 L 
bie Pfydjologie bes mittleren fran3öfifchen Abels jener 3 eit !enn3eid?nenöen e| 
niffe wegen ift bas Bud? lefenswert unb beshalb ift's mit Oant 3U begrüben, ob 
meines IDiffens nach feit 1791 nid?t wieber herausgegebenen Briefe auch beu |a? 
Cefem befannt gemacht werben. fi w 

Den Kampf gegen bie Sd?unbliteratur nimmt eine neue Sammlung best) 
jd?en Derlags auf, bie Bibliothe! wettooller Denlwürbigleiten .p ® ero ® . 
es ein guter (Bebaute, in hübfd?em (Einbanbe, gutem Orud unb 3 « billigem V 

16) tief. 141: <E.IR.Ärnbt, meine tDanberungen unb IDanbelungen mit 

freihertn heinrid? Karl griebtich oom Stein. IR. 0,90. tief. 145: gütft Bismaro, 
gewählte Reben. IR. 1,20. , -».„ninaen 

17) (Erlebtes unb <Etfd?autes, Bb. 8: Aus bet ftanjofifdjen Reoolution. 5*“ ^ 

unb Berichte oon Augenjeugen, ausgetoählt oon ID. griebtich. £eip 3 ig, Doigtianoe» 
lag. ©eb. IR. 1,80. , .« g$. 

18) Bibliotljel roertooller Dentrourbigteiten, ausgetoählt oon ©.fjellingh®u s ' igl2. 

Denfroürbigleiten aus bet 3eit bet greiheitsfciege (1813—1815). 2. Bb., Aus bem 3^ # 
mit 12 Bilbetn. gteibutg im Bteisgau, ßetbetfebe Detlagshanblung. 3n papP& on • 1 
m Ceimoanb Itt. 3,20. 9 




Don ffiuftao Rofenfjagen 


297 


gerichtliche (Erinnerungen, bie unter Benufeung guter Darftetlungen unb in forg» 
faltiger Auswahl 3U einem ©anjen oerbunben find, weiteren Kreifen bcnsubieten. 
Ceiöer fdjeint es freilich, als ob man Sdjunöliteratur nur in intern eigenen ©ewanbe 
in ©rof^enljeft^en mit finnenteyenben Umfragen, befampfen fönne. Oie Bücher 
bet oorliegenben Sammlung fchliefeen alle ©^eugniffe teligions* ober fittenfeinb* 
litten ©harafters grunbfäfelich aus unb follen aud} ber reiferen 0ugenb beibetlei 
(bef^Ie^ts ohne Bebenfen in bie tjanb gegeben werben. Oiefen Aufgaben entfpre* 
(^en bie beiben oorliegenben Bänödjen in recht glücflidjer TDeife. Oer 3weite Banb 
bringt Rapoleons 3 ug gegen Rufetanb. $üt bie Oarftellung bes $elb3ugs ift Beife* 
fes ©efdjidjte bes Ruffifdjen Krieges 3ugrunbe gefegt, in bie petfönliche (Erinnerung 
gen aus ben Schlachten ber 3eitgenöffiföen ©enerale Rapp unb ©Iaufewife, ©out* 
gaub unb Sögur in feljr gefehlter IDeife hineingewoben finb. Daran fdjliefeen fi<h 
flus3üge aus Denfwürbigfeiten über ein3elne (Ereigniffe: fjelbenmut beutlet Kütaf* 
pere bei Borobino (Roth unb Schredenftein); 3m btennenben Rtosfau (Sggur unb 
Rapp); £eiben bes Rüt^ugs, ungenannter württembergifdjer ©ffi3ier, es ift tjaupt* 
mann o. Kwg, beffen Schrift oollftänbig fj. Kehl in Doigtlänbers ©uellenberichten 
26 roiebet herausgegeben hat; An ber Betefina (Sudjom unb Kut3); 3n ruffifcher 
©efangenfchaft (bet Trompeter Scheljl, ber Regimentsar3t o. Roos, ber Büchfen* 
Iäger Sied). 


Oentwürbigteiten aus bet 3eit bet $rei^eitsfriege bietet ber erfte Banb. 3 u 
gut gewählten Berieten unb ©Zählungen aus betannten Schriften oon ©Iaufewife, 
Steffens, IDo^ogen, ©beleben unb Karl o. Raumer tommen Armeebefehle Blüchers 
unb bie Beriete ©neifenaus übet £igny unb Belle»Alliance. Beibe Bänbcfeen feien 
Sajülerbüdjereien warm empfohlen, beibe oermögen auch bem ©efd)ichtslehret3ur 
Belebung bes Unterrichts unb für Sdhüleroorträge gute Oienfte 3U Ieiften. Räumers 
„mit Blücher in $ranfreich hinein" wirft gewife Iebenbiger als eine nüchterne Dar» 
pellung bes hin* unb f}er3iehens in $ranfteich. 3 u einem Oetgleich bes Blücherfdjen 
hauptquartiers mit bem Rapoleons werben burch Rebeneinanberftellung ©belebens 
unb Räumers oortrefffiche fjilfen geboten. 

3 m Anfdjlufe baran foll bes trefflichen Romans aus bet $ran3ofen3eit gebacht 
roetben, ben fjans Bongarbt 19 ) er3äljlt. ©ine $amiliengefchichte oom Riebenhein, 
m it öem Pfla^en bes $reiheitsbaumes in Kleoe beginnt unb mit Blüchers Rhein* 
etgang enbet. Oer Ijctö ber ©efdjichte ift ber alte Bauer Berns, bet unter bem 
alten $rih bei Roßbach gefämpft h Q i- Seinen £ieblingsentel, ber bes ©rofeoaters Sol* 
atenfinn geerbt hat, Iodt ber Ruhm ber ftan3Öfifchen RJaffen, er Riefet mit nach Kufe* 
anb. Um bie beiben werben bie anberen Samilienglieber unb bie Dorfgenoffen ge* 
jteut. D 3 it fühlen mit ihnen, wie in ihren Seelen bet alte Preufeengeift mit ber neuen 
3 «tt ringt unb fchliefelidj bo<h bes ftemben $Iuntems unb Prahlens tjen wirb unb eine 
neue beutfdje 3 utunft am Riebenhein anhebt. Rleifterhaft gefchüberte Augenblids* 
Wbet toechfeln mit gebrungener Oarftellung ber ©reigniffe; bie ©t3ählung erhält in 
Pannung bis 3um Schlufe. Das Buch gehört in bie erfte Reihe ber ©oben, bie bie ©t* 
mnetung an bie grofee 3eit bem beutfeheh Dolfe unb feinet Jugenb gebracht hat 
. _fk Qu ellenfunbe ber beutfehen ©efdfichte im IRitielalter, bie nicht 

Crii. }?) h a ns Bongarbt, Oer alte Berns. Der Blauen ©dart*Bücher 8. Banb. £eip3igl914. 
«dort. IR. 3,—. 



298 


£iteraturberid}t 1913: ©efd)id)te 


eine blofee Auf3äl)lung, fonbern ein felbftänbiges BJetf ber ©efdjidjtjdjreibung jein 
will, gab cs früher eitrig bas Detbienftnolle ZDerf oon ZDattenbad}. 4 s Ijat uns als 
Stubenten'in feiner breiten Anlage, feinet Dollftänbigleit unb feinet geringen Über 
fid}tlid}!eit niel 3U fdjaffen gemalt. Das neuere tOetf non Zit. 3anfen ! ), bas in 
30>eiter DöUig umgearbeitetet Auflage erfdjeint, ift als b«3er Abtife ijanblidjer unb 
brauchbarer. 3 anfen fud)t bie Aufgabe jo 3U löfen, „baf$ er bie füJ}tenben ©efd}id}ts* 
werfe il}ter Anlage unb intern 3nfyalte nadj etwas breiter djatatterifiert, bie anbeten 
in lleinetem Btud mit einem Sdjlagwort ober mit einem fjinroeis auf bie jüngfie 
£iteratur ermähnt". Das ift tyrn Dortrefflid} gelungen. So bient bas Bud) bem, bet 
fid) 3uerft in bas ®ebiet einarbeiten roill, toie bem, ber es als Hadjfdjlageroer! benu^en 
will. Bie Citeratur ift forgfaltig benutzt, bie Ausgaben jebet (Quelle finb angegeben, 
bas gan3e Bud} feljr übetfidjtlid} angelegt, bie (Etjäfylung paeft unb ermübet nidjt. 
Ben ©efd}id}tslel}tern ift es ein guter Jjelfet. Ber Berfaffer ift fut3 not Dollenbung 
bes ZDertes nerftorben; Sd}mit}*(Iallenbetg Qat es Ijerausgegeben. 

Bie Sammlung bes Dieteridjfdjen Berlags, bie bas (Erbe bes Alten benen, 
bie in ber ©egenwart edjte Bilbung in guten (Quellen fudjen, erhalten ober erjdjliefeen 
will, ift um 3roei gleidj Dorttefflicfye gefd}icf}tlid}e Barftellungen nerme^rt wotben. Oet 
Tübinger Ptyilolog Abolf d. Zltafe* 1 ) hot 3 ulius (läfar eine Zltonogtapljie geuiib* 
met, in ber forgfältigfte (Quellenfotfdjung, pfydjologifdje Auffaffung unb bei aller 
SdjUdjtljeit bod) glän3enbe Barftellung um bie Palme ringen, (betreu bet Aufgabe, 
bas, was in bet ©egenwart oom Altertum lebt, an ber ©eftalt bes erften Begtünbets 
eines mobetnen Kaifertums bat3ulegen, 3iel}t d. Zltafe Detgleidje, wo fid} foldje bieten. 
Aber nirgenbs aufbringlicf}, bas Bud} will däfars ZDefen unb IBirten aus feinet 3 e '| 
i}erauswad}fen laffen, will bem größten $elbl)etm unb polititer Roms ein Dentmal 
fe^en. däfat l)at bet Zttitwelt unb bet Ztadjwelt mandjes Rätfel 3U löfen gegeben, 
nod} heute ringen oerfdjieöene Auffafjungen miteinanber, bet Staliener $eneto h® 
bwrd} fein Bud} non neuem ben Streit bet Ziteinungen entfeffeli d. Zltaj) baut auf 
bem (btunbe weiter, ben mitlltommfen bie beutfdje ZOiffenfd}aft gelegt ^at, unb bietet 
in feinem (Eäfat für heute Abfdjliefjenbes. Bas Bud} wirb oon allen, bie in bet Schule 
(läfar 3u behandeln haben, gelefen werben. $üt ben (Etflätet bes bellum gallicum 
bietet es Diel, gerabe hier weilt ber Berfaffer lange unb bringt manches Heue. Der 
©efd}id)tslel}ret möge auf bie flare Barftellung ber tömifdjen Parteiungen unb Gäfats 
Stellung 3U ihnen nod} befonbers ^ingewiefen werben. Allen ©ebilbeten enblid} 
fei bas oortrefflidje Bud} warm empfohlen. . 

(Eine aufjetorbentlidj feine unb nad} bem heutigen Stanb bet ZDiffenfdjaft uw} 
abfd}liefoenbe Unterfudjung unb Barftellung Dom Kaifcr 3ulianus bietet 
Cannes ©ef ften”) ZDas et 1908 (Heue 3 aljtb. f. b. flaffifdje Altertum S. 161 ff-) 


. 20) ^iftoriogtapbie unb Quellen bet beutfäen ©efd}id}te bis 1500 non ItUanfenuf 

x..,5Qmi^*K a U en betg. (dmmbrifj öer ©eftbiitstoiffenfebaft Don flloysIReiftet.) teipj 
Unb !® 14 » B. (5. deubnet. ZU. 3,—, geb. ZU. 3,60. . . 

i, 21) Abolf oon Zltafe, (läfar. Sein £eben, feine 3iele unb feine politi! bis 3 « ©wttöu 
l, „ ©n Beitrag 3 ur ©efdji^te unb Biographie däfars. Das (Erbe bes £Ut 

TTL 4 80 CiPii9 1913 ' 0ieteti< ^f^ e Berlagsbuchhanblung (df(. Bleicher). ©el). Hl. 3,80, ge 

f*e Kai f ct Turnus. Das (Erbe bes Alten{}. VIII. Ceipjig 1914, Dieteric 

* e Deria 9sbud,l}«nblung (dl}. Bleicher). Zit. 4 ,-, geb. Zit. 5,-. 


I 



Don ©uftaö Rofentjagen 


299 


in flusfidjt {teilte, öie IUögIid)!eit „einet ruhigen ©infchätjung 6es nielbefehbeten 
unö auch jeroeilen geretteten Römetfaifets", hat ©efffen bamit geleistet. Die Schriften 
öes Kaifets, feine philofoptjifchen unö %ologi[<$en $reunöe unö $einöe mu|ten öa}u 
forgfältigfter unö patteilofet Kritil unteQogen werben; int Anfänge bringt ©efflen 
öie Belege für feine Darftellung. Der beutfhen IDif Jenfdjaft non Heanöer bis ©efffen 
gebührt öet Ruhm, öas Bilö öes rätfelnoUen RTannes, öer (E^eolog unö ©ottfudjer, 
Pf)tlofopf} unö Rhetoriler, Ktiegsljelb unö Staatsmann, Alejanöer unö IKatf Aurel 
fein cooUte unö in feinet tounberfamen Dielfeitigteit auch war, immer flarer ans £idjt 
gefteilt 3U haben, öas fid; nun öeutlid) com fjintergrunöe feiner 3cit abhebt. „Auf 
öem IDege ein ©enie 3U fc^affen, hemmte öie Hatur ihren Stritt; fie fdjuf einen ITTann, 
öer als gelbhert unter fo Dielen fjeetDeröerbern hoch aufragt, öet als ©efe^geber 
unö Derwalter ©rofees leiftet, öet aud; als Schriftsteller nid)t Unbeöeutenöes fdjafft, 
öer öie heqen öet notleiöenöen Iltaffen, toie öer ffieiftesgröfeen im Sturme geroinnt, 
Öen feine geinbe, nie oor ihm f ich et unö hilflos feiner fittlidjen Reinheit gegenüber, 
unbefchreiblich Raffen. Aber ihm fehlt öas Befte, ... öie Kraft, überall aus Duntel 
Klarheit 3U fhaffen, öer fixere, IDert unö Unwert non Ittenfdjen unterfdjeiöenöe 
Blicf." (S. 125 .) 1873 fd;on erfdjien Sbfens Kaifer unö ©aliläer. Dem noröifdjen 
Dieter weift ©efffen oor allen, öie eine öi^terifdje ©eftaltung öes Kaifers oerfucht 
haben, öie Krone 3u: „Auf unglaublich einöringenöem ©uellenftubium betuhenb, 
unö trotj moöemfter Religionsiöeen non ptaftifdjer Anfdjauung öer gan3en 3 eit be* 
feelt, gibt öas Drama ein Bilö oon unoetgleichlid} öichterifdjer unö nicht geringet 
gerichtlicher Übet3eugungsfraft" (S. 124 ). 

(Einen feljr glüdlichen ©riff hat ©tto ©öuarö Schmiöt mit öer Verausgabe 
oon 87 ungeörudten Briefen unö Urtunöen aus fädjfifchen AöelsarchiDen (öarunter 
14 oon unö an Öen Reichsfreiherrn Dom Stein) 3ut ©efdjichte Sachfens im Be* 
freiungstriege 28 ) getan. Die Atchioe öet gamilien non Rliltitj auf Siebeneichen unö 
oon ®ppel auf 3öfdjau bei ©fchat> h a & en Öen fjauptertrag geliefert; Dietrich oon 
gulius IDilhelm non ©ppel unö Karl Aöolph oon ©atlowitj etfeheinen öatin 
als (Träger einer rein öeutfdjen ©efinnung, öie mit inniger Siebe 3um fächfifhen Dater* 
lanö oereint ift. Sachfen ungeteilt 3U erhalten, wenn auch mit Derluft öet fächfifhen 
Königsfamilie unö im Anfdjlujj an Preufjen unter felbftänöiger Derfaffung unö Der* 
roaltung ift ihr tDunfd; für Sachfens 3 ufunft, Öen fie mit anöeren Sachfen jener 3 eit, 
öem ©eneral Don Dieth (ogl. Aus3üge aus Öen Papieren eines Sachfen, hetausg. oon 
heinrich Breiherrn non H)eld, Rleifeen 1911 ) unö öem ©eh- Referenöatius Stredfufe, 
öen als Schriftfteller ammeiften begabten non ihnen, teilen. Sie haöen nah öet Rüd* 
l«l|t öes Königs pteufeifhe Dienfte gefucht unö öem Derfleinerten Sachfen unter 
Sprung öes Kabinettsminifters Detleo non ©infieöel, Sachfens Derhängnis bis 
1830 , Öen Rüden gelehrt. Die ©efhichte Sachfens im neuen Reich hat ih«*n Wnreht 
gegeben; ©.©.Schmiöt hat recht, wenn er fagt (S. 184 ): „Der fhroere ©ntfchlufe 
öes Königs unö feiner IRinifter, öas fo ftarl oerlleinerte Königreich aus Öen Vänben 
öet Derbünöeten an3unehmen unö politifh unö tDirtfdjaftlich toieöer aufcuridjten, 
'fl oom Stanöpunft öet Sachfen aus öurd) öie ©efdjichte gerechtfertigt wor ben. IDie 
konnten aber öamals jene treuen Rtänner, öie feht toohl bei Beginn öes Jahres 1813 


23) flus bet 3eit bet greiheitsfriege unö bes Wiener Kongreffes. (Aus Sachfens 
Sangenhett, fjeft 3.) £eip 3 ig*Berlin 1914, B. ©. ©eubner. ©eh- !©• 3.00, fleb. ZK. 3, 


Der* 

,60. 




300 


£iteraturberid)t 1913: ®efd)id)te 

bes Königs „fcharffimtige Reifer unb bebeutenbe Staatsmänner" Ratten fein lönnen, 
rote folcfye Brabant (3n unb um Bresben 1813, Bresben 1913, S. 22) vermißt, fi<h 
oom Königshaufe unb oom fjetmatlanbe trennen? ©eil bet König „mitten in feinem 
£anbe faß, gleidjjam auf einem $eIfenfchloffe, oom ITCeet umfloffen. Kur wenige 
tannten ihn, et tannte faft niemanb" (ebba.). Ben König umgab eine bidjte IDolfe, 
von feinen Beratern um ihn gejogen, bes Bolfes $ü^len unb ©ünfdjen tannte er 
nicht. IDenn Scljmibt mit Recht bie oiel nachgefptochene Behauptung, König S^eb* 
rid} Auguft fei not ben Berbünbeten nach P ta 9 geflogen, 3 urüdroeift (S. 3), fo fann 
ich ih m boch nicht juftimmen, roenn er aus bem Brief bes Königs an tthielmann oom 
19. April herausiieft, ber König fei entfdjloffen geroefen, an ber Seite ©fteneidjs in ben 
Kampf gegen $rantreich ein 3 utreten (S. 8 ). (Et fudjte Anfdjluß an (ßfterreich, Keu* 
tralitai, aber non einem Kriegsentfdjlufe gegen Hapoleon verraten alle fonftigen tlah* 
richten noch nichts. Ba 3 u müßten noch eine Reihe anberet Atchioe, 3 . B. bas (Einfie* 
bels u. a. aus bet nächften Umgebung bes Königs, geöffnet roetben. h' ct fehl* es nodj an 
völliger Klarheit. Rlöge bem oerbienftoollen Herausgeber ber ootliegenben Sammlung 
es vergönnt fein, auch aus biefem Kteife noch mehr Rachtichten 3 U bringen, um bann 
bet ©efchichtfchreiber Sadjfens im $reiheits!riege 3 U roetben. (Einet weiteren (Emp* 
fehlung an alle, benen Sadjfens unb Beutfd}lanbs Bergangenheit unb ©egenwart 
am H«t 3 en liegt, bebatf bas Buch nicht. 

Ber (Effay, ben ber $tan 3 ofe IRontaigne 3 uerft pflegte, ben im 17. unb 18.3«i|p 
hunbert bie (Englänber auf philofophifchem, literarifchem unb politifdjem ©ebiet, 
ban! ber Ausbreitung ihrer 3eitungen unb ber größeren RTögli^teit freietet Uleinungs* 
fäntpfe, ausgebilbet haben, hot im 19.3ahrhunbert auch in Beutfchlanb Dertret« 
gefunben, leibet noch nicht eine beutfdje Be 3 eichnung. An Hageseteigmjfe 
antnüpfenbe tmge Betrachtungen, bie febesmal ein ©an 3 es für fich bilben, bas (Ep 
eignis ober auch bas geiftige (E^eugnis, bas ihren Anlaß bietet, felbftänbig ®et* 
arbeiten: Sfi 33 en finb es nicht, uerlangt roirb eine fertige, rooljl abgerunbete, aus* 
gefeilte ©eftalt, nicht verlangt roirb eine etfd}öpfenbe, roiffenfcfjaftliche Behanblung. 
Bodj bürfen fie nicht (Eintagsfliegen fein, bet wirtliche (Effay roirb erft burch bie 3 e 
erprobt. (Er muß roütbig fein, auch io fpäterer 3eit roiebet veröffentlicht» ® l€ et 
gelefen 3 U roerben. Bann ift et für ben Berfaffer 3 uglei<h unb für bas ©efdfehe”*» 
bas ihn hetausforbert, eine wertvolle (Erinnerung. U)enn bamit ber Begriff es 
(Effays nur einigermaßen getroffen ift, bann gehört©tto ©ilbemeifter* 4 )3U.ben mp 
nehmften (Effay iften bes 19. Jahrhunberts. Staatsarchroar, bann Senatsmitglie m 
Bremen unb Bevollmächtigter 3 um Bunbesrate, folche Stellungen roie feine toiffen* 
fdjaftliche Schulung, fein flates unb fcharfes Urteil, vornehme ©efinnung unb o ot 
allem fein glänsenber Stil befähigten ihn bcQu. Bon 1875 bis 1902 h at et öie £ 
3 eitung mit fur 3 en politifdjen Auffäßen verforgt, von benen bie Bremer £iteranfh* 
©efellfchaft eine burch Artitel aus ber 3eit von 1888 bis 1897 vermehrte 2. Ausgaö 
beforgt hat. Ben £eitgebanfen gibt bie Überfchrift: „Aus ben Hagen Bistnatds an. 
Rtit ©oethes ©orten in Hermann unb Borothea: „Bies ift unfet! fo laßt uns Jage” 
unb fo es behaupten", mit benen am 28. ITCät 3 1849 (Ebuarb 0 . Simfon in bet Sw"** 
futtet Itation alpertQmmlunQ bie Kaifertoaljl Derfünbete, ift bet erfte 00 

. , 24 ) flus ben Hagen Bismaxds. politifche (Effays von ©. ©ilbemeifter. 2. »eP 
mehrte Auflage. £eip 3 ig 1913, Quelle unb Uleyer. ®eb. UI. 8,—. 



Don ©uftao Rofenfjagcrt 


301 


16. fluguft 1866 benannt. IDas bie Wannet in $rantfurt erhofft Ratten, bie pteufeifchen 
Siege bes Sommers 1866 erft Ratten es erteilt: bie (Einigung Deutfchlanbs toat fein 
frommer tDunfdj mehr, bie Erfüllung mar fieser ooraus 3 ufehen, unb bas neue 
Deutfdjlanb wirb nicht gewillt fein, „beutfehes £anb unb beutle £eute einer fremben 
Regierung 3 u überlaffen." Unb ben Schlufcartifel nom 7 . Auguft 1898 bilbet bie 
©rauetfeter für ben $ürften Bismatd (Ereigniffe unb Andauungen einer abgetylof* 
fenenjett »erben uns burch einen ausgejei^neten Beobachter unb Darfteller wieber* 
gegeben. U)er bie 3eit erlebt hat, wirb bie Auffähe non Anfang bis (Enbe mit »eigen* 
ber (Teilnahme burRiefen; bem jüngeren werben fie als Iebenbige 3 eugen aus ber 
Stuljlmgs* unb Sommersjeit unferes Reimes Anregungen in $ülle bieten. (Ein ©e* 
föjenfbu^ erften Ranges, bas auch ber reifenben 3ugenb unferet ©age geboten werben 
atf. Deutfcpe £efebüd}er mögen fty mand? Körnlein baraus fi^em: bie (Einweihung 
107 « » • CnS 1869 ' Das eirti 9 e Deutfc^Ianb gegen Sranfrety, AbolffEi/iers (28.IRai 
1873), Bet Kaifet $mbrtcf,s © 0 be, irtoltfe öum 26. ©ftober 1890), Arbeiteroerfiche* 
rang, Jollen 3 U folgern 3toe<fe unter oielen tyeroorgeljoben werben. ©ilbemeifter 
ip m ferner politifd)en Richtung oon jeber Parteiformel unabhängig, feinem Stylen unb 
oenfen naih liberal, aber (Segnet aller einfeitigen Doftrin. Was er oom Königtum 
oon ©ottes ©naben in pteufeen fagt, mag als aufrechtes Befenntnis eines Obetalen 
Jt ttberale gelten; ebenfo fein Auffah über ©laubens* unb ©ewiffensfreiheit 3 ur 
e ampfung ber So3ialbemofratie mit ihrem ©ewiffens 3 wang, ihrer politifchen 
wtthoöofte, ihrer gewiffenlofen 3rreftyrung bietet ©ilbemeifter tyarfe IDaffen. 
üen herausgebem unb ber Derlagsbuctyanblung gebtyrt ber Dan! bes beutfeben 
Dolfs für biefe fchöne ©abe. 


m-t r”! P’‘^^uat 1912 ftarb Alejanber o. Pee 3 , bet als Schriftfteller unb 
i glieb bes Reichsrats in ©fterreich einen flangoollen Hamen hatte. Seinem ©in* 
FZ* ^ an ^ e ®fl<treiih 1878 bie Befreiung oom englifchen tjanbelsoertrag unb 
e " rfö ket einheimifchen Snbuftrie. Aus ber Hlenge feinet ooltswirtfchaftlichen 
un nuturgefchichtlichen Auffähe hatte er felbft eine Auswahl getroffen, 3 U ber je^t 
Kr* ti V?* ^ et ^ e ’ n ^ ^ft manches batin auch raiffenfdjaftlich überholt, burd) bie 
arqeit ber Sprache, bie burchftytige ©lieberung ber Stoffe, bie ftyere Betrachtung 
n ie oaterlanbitye U)ärme feffeln bie Auffähe auch heute noch- So ber erfte übet 
ffi ia-** üifpradje, in bem er bie Spraye als ein groftes Urfunbenbuch unfeter 
s imw * ^ U( h ^ et 3 ®eite, ©ent* unb Rügegericht, eine 5 orm beutfeher 

e f«egierung, 1861 gefdjrieben, befiht burch feine Hare Oberficht über bie ©ntwid* 
*ung bes beuttyen Bauemftanbes noch heute IDert. 

ffrtA • ® eu *f c h c ®efchichte non ©inhart* 6 ) erfcheint in 5. Auflage, feit bem 
deinen 1909 bas 50. ©aufenb. IDenn ein fotyes Buch in jebem 3 ahre 10000 £efer 
h a x ^ ** as ^ c * n ^utes Reichen für bas beutfehe Dolf. Das Buch wollte ein haus* 
am? ^ eu *^ et ®etyichte werben, ber Derfaffer heinrich ©Iah, einer ber Styrer ber 
ralbeuttyen, batf feinen tDunfch erfüUt fehen. ©r fuchte IDahrheit unb wollte Wahr* 
Sg_ ausfptech en, wie er fie erfannt hatte. Rtyt objeftioe $orfchung, fubjeftioes ©mp* 


Al 25 ) ©riebt — erwanbert IV: Aus öeuttyen ©auen unb oom beutfdjen Volte. Don 
r tt ‘ ^ ee 3 ’ IDeimar 1914 , Alefanber Dunfers Derlag. 
io.. "• oollfommen neu bearbeitete unb erweiterte Auflage, 41 . bis 50 . ©aufenb. £eip3ig 

• Dietenchfche Detlagsbuchhanblung (ffb. IDetyer). ©eb. HX. 4 , 50 . 



302 


£iteraturberid)t 1913: ©efdjid)te. Don ©uftao Roftn^agcn 


finben fptidjt aus 6cm Buclje eines ATannes, 6et beutfd)es Polf un6 Sanb liebt mH 
ijeifeer Seele, ©erabe öas l)at 6em Budje |o oiele $reunbe perfdjafft; man gebe es 
ruljig aud) 6et 3ugen6 unfetet ©betflajfen in öie fjanb, aud) roenn man nidjt überall 
einoerftanben ift. ©n tüchtiger Primaner lieft es öod); unb wenn bet Center in bet 
Auffaffung unferer beutfdjen Politil einen anberen Stanbpunft einnimmt, als bet 
Derfajfet, fo ift es geroife beffer, mit gleichem $reimut feine lUeinung 3U äufeem, als 
etwa ängftlid) ©egenroartsfragen gan3 aus3ufd}etben. © mag 3ur Kritit aud) in 
biefem Budje et^ieljen, aber nidjt aburteilen unb perroerfen. ffin^art bat fein BPert 
non 420 auf 511 Seiten erweitert, anbere Sorfdjungen berüdfid)tigt unb 3U iljnen 
fefte Stellung genommen. 3n ber älteften ©efd)id)te ber ©etmanen fcfjliefet et fid) 
je# an Koffinna an. Per germanifdjen gotfdjung, roie fie in bem im gleiten Oerlag 
etfdjeinenben beutf©en Polfsroart weiteren Kreifen 3ugefüljtt toirb, ift ffinbart 
überall gefolgt. Pie ©liebetung in Stoffen ift biefetbe geblieben, bie 3 a ¥ ^ et Gilbet 
ift um ad}t pergröfjert. IRöge bas roadere Bud) aud) weiterhin Dielen ein gürtet 3um 
©fennen beutfdjen Sehens, ein ©mutiger 3U beutfdjem IDoIIen werben. 

3 n bemfelben Detlag läfet fjeintidj tOolf 27 ) eine Angewanbte KitcbengeföWe 
etfdjeinen, bie bie gleiten Pot3üge befi# roie bes Petfaffers gern gelefene finge* 
roanbte ©ejdjidjte: bie übcrfidjtlidje ©liebetung, bie fnappe $otm, bie lebendige 
Parftellung unb bie gute beutfdje $reimütigfeit. Pem Anbeuten Sutljets unb Bis» 
matds ift bas Bud) geroibmet, bamit ift feine ©genart flüchtig gefemt3eid)net. 4 s 
roiH feine Religionsgefdjidjte fein, fonbem eine ,,©efd)id)te bet äußeren, ftaatlidj 
organifierten, mit bem Staate fonfutrierenben Kitdje". Pen politifdjen Katbol^ismus 
greift er an, $anatismus unb ©ngbe^igleit barf man bem fdjarfen Kämpfet habet 
geroife nidjt oorroetfen. 3 ut ©gieljung 3um nationalen Penfen unb IDoIIen uermag 
bies Bud) wol)I feljt gut mi^uroirfen. 

Pon Sutljet 3U Bismarcf geleiten uns 12 ©jarafterbilber aus beutfdjer ©e* 
fd)id)te, bie ©ttofar tDeber* 8 ) in 2. Auflage etfdjeinen laffen fann. Sut^er, bte 
Sugger, IDallenftein, IRajimilian oon Bagern, bet ©tofee Kurfürft, Seopolb U 
Auguft ber Starfe, $riebrid) bet ©tofee, 3 ofef II., Steigert oom Stein, IRettemi©, 
Bismard finb bie Überfdjriften bet Auffä#, bie neben bem Bilb bet fjelben aud) ent 
Bilb ber 3 eit geben. Befonbers einbringlid) unb mit mannen neuen 3 ü 9 cn D€t f e ^ en 
ift^bas Bilb Ceopolbs I. ge3ei$net; Auguft ber Starfe roeift nut bie ^etfömmli4?cn 
$atben auf. 

Rubolf Kjellön* 9 ), Ptofeffot an bet f)od)fd)ule 3U©otenbutg, madjt & en ® eP 
fu<^, bie ad)t ©rofjmädjte ber ©be nad) intern IDetben unb intern IDefen 3U betrau) ett 
unb 3u fennjeidjnen. Per Begriff ITTadjt erfdjeint üjm je nad) bem Stanbpunft et 
Betradjtung als Reicf), als Polf, als ©efellfdjaft ober als Staat; banad) bat bet Der* 
faffet ben Stoff gegliebert unb in ber Küt3e oon etroa 200 Seiten meifterf?aft bat* 
geftellt. Aus fold) gebtungenet $orm laffen fid) nid)t ein3elne ©liebet 3U einet e* 


2 . 7) Angeroanbte Kird)engefd)icbte. fernig 1914, Dietetid)fdje Derlagsbu^b“« 01 “^ 
(ageobor tDeidjer). ©el). IR. 5 ,—, geb. IR. 6 ,—. h 

> 28) Don Cutbet 3 U Bismard, 2. Auflage. Ceipjig, B. 6 . üeubner. Aus Ratur un 
e ' Ite ^ el * 123unö 124 - ®eb.m. 1,25. ,, 

nt o ün ® t0 6 m “d)te bet ©egenroatt. Ceipjtg u. Betlin 1914, B. ©. leubner. 
tu. 2,40. ©eb. IR. 3,40. 



Sprecfoimmet. — Burgfrieden 303 

fpredjung fyerauslöfett; einen tDiöerfprudj enneefen öie ©eöanfengänge KielKns 
mrgenös. Allen, öie fidj aus Beruf oöet Reigung mit Politif befaffen, allen ©efdjicbts* 
bxe ® e fi^tspun!te erfaffen, bur^öenfert unö i$ren Scbülem net* 
panouq machen möchten, [a im meiteften Sinne jeöem Deutzen mag öies Buch 
öas auch die f^roierigften Probleme fafelicf? Öar3uftellen roeiß, empfohlen fein. Hut 
)wei proben aus öem Sdjlußroort übet Deutfdjlanö, öie 3U Beginn öes 3abres 1914 
gefdjneben fmö, mögen hier fielen: „Dies ift öas innere ©ebeimnfc öes Smpetialis* 
mus: ntdjt bloß ein Streben nadj materiellem ©eroinn oöet nur ein HJille 3ut Placbt, 
fonöern öas Derantoortlidjfeitsgefübl einer Ptiffion für öie PTenfdjbeit" (S. 82 ) 
unö „©roßöeutfchlanö föeint bereit 3U fein, oor öer ©efdjidjte öasfelbe 3eugnis ab* 
3ulegen une Deutfdjlanö 31t Bismards 3eiten — öaß es reiten !ann, menn man es 
nur tn Öen Sattel bebt!" (S. 83 ). 

Spredtfimmer. 

Der Kampf gegen öie $remönwrter auf öer Sdjule. 

... öas öeutfdje Daterlänbifdje (Empfinden neu geroedt. Das 3 eigt 

, e , UIicf!ertDe ^ c aucf > in öcm Kampfe gegen öie $remömörter. Audj öie böseren 
djulen haben öie Pflidjt, öiefen Kampf 3 U führen unö öie 3ugenö auf öie Schönheit 
öer öeutfdjen Spradje hin 3 umeifen. 

3u öiefem 3roede empfiehlt es fidj, öie Schüler auf öie IDerfe öes leiöet in Der* 

rn.fl -iT 9€taicnen t?umoriften PT. <5. Saphir aufmertfam 3 U machen unö ein 3 elne 
Hüfdjmtte in öer Klaffe lefen 3 U laffen. 

Unfeiner „bumotiftifdjen Dorlefung": „Die öeutfdje Sprache unö öie öeutfdjen 
Stauen finöet Saphir bittere TDorte öes fjohns für Öen öeutfehen (Erbfehler unö 
®ei[ auf Öen Reichtum, öie Kraft unö öie Biegfamteit öer öeutfehen Sprache hin. 

, „ ,^ et ^ en „humoriftifdjen Dorlefungen" Saphirs finö auch feine „humoriftifch* 

I tij^en Kooelletten unö Bluetten" feljr lefensroert unö tarnen als fjausleftüre für 
oie mittleren unö oberen Klaffen in Betragt. 

Oie IDerfe Saphirs finö bei Reüam erfdjienen. 

*> eiöe - 3. Pteyer. 

Burgfricöctt! 

Un ^ 11 ** cs neuen (26.) 3aljtgangs öer 3eitfchrift „Das fjumaniftifcfje ©ymna» 
ir öcr Herausgeber, (Eugen (Briinroalö, uns ben Dortourf, roir Ratten mit öer Der* 
Burnfri»! 11 " 9 ® UI ö at hf<hen Auffaßes über „Deutfche ©rjieljung" (3g. 28, S. 657) Öen 
Kumm oen 9ebrodjen. 3dj mache 3unädjft darauf aufmertfam, öaß mir aus öen in öetfelben 
li*t n.r U , n ^ e f ern mitgeteilten technifchen ©rünöen fürs erfte auf Öen Krieg feine Rüd* 
dann loii 6 1 0nnte "’ i°nöern bei Beginn öes Krieges im Saß fteljenbe Aufjäße noch im 3ahr* 
gehalten h ? eraust,rin 9 en mußten. Aber ich müröe auch fonft Bürbachs Auffaß nie 3 urücf* 
öieitbm c n ' et -. befonöers in feinem Aadjroort, ein öauernö toertoolles 3eugnis für 
Ktieae« l*! - ® e gerade öie Beften unfres Dolfes unmittelbar oor öem Ausbruch öes 
Srünm iu, Steilidj roirtt öas ©rfdjeinen am 22. Dejember als ein Anachronismus, toi e 
•hnueio i- 0n *' °ber öie Bejeidjnung „®ftober*Itooemberheft", öie er felbft anführt, hätte 
gen tonnen, öaß öies fpäte Srfdjetnen nur äußeren ©rünöen entfprang. Doch genug öaoon. 
gern I)iet “usörücflicfj feftftellen möchte, ift, daß ich m»<h nach nochmaligem, eifri* 

Me hum 1 Buröad i s Auffaß darin feine einfeitige Parteinahme eines ©ermaniften gegen 
fumamjten, feinen Bruch öes Burgfriedens, feljen fann. 3n feinem ©anjen ift öiefer 



Burgftieben 


304 

Uufjoh bas tiefemjte Ulahnmort eines begeifterten gteunbes mähtet heutiger Bilbung, bet 
auch bie humanijtijchen Stubien niemals aus bem ©ejamtbilb bet beutjehen 3 ngenbet 3 teQung 
Streiken möchte, bet ebenjo offen, toie et Sdjäben eines einfeitig humanijtijchen Betnebes 
aufbedt, auf bie ffiefahten hinmeijt, bie oöltijche ttberjehähung unb übertriebene $teuoe am 
Reinigen bes beutjehen Sprachjdjahes haben. (Es ift bet Aufjah eines Ulannes, bei ben Blut 
aufs ©anje richtet meit übet ben Räumen bes ©ymnajiums, bet Schule überhaupt tymaus. 
Unbetümmert um jeben Parteijtanbpuntt entmirft et babei bas Bilb bes ibealen beutjehen 
©y mnajiums, in bem bie £ettüre bet Ijellenijdjen Uleijtermerte in bet Utjprache unb au 
lateinijeher SchriftjteUer ebenjo ihren piah haben joU mie bet Unterricht in bet ©tammam 
biejet Spradjen, bejjen Ulittelpuntt aber ein neuer beuget Unterricht jetn joU, berufen, 
„Sührer 3 U jein 3 ut nationalen (Eintracht, 3 ur ©erechtigteit unb pahrbaftigfeit, 3 ur j[ cuc 
gegen uns unb beutjdje Art, aber auch 3 ur Achtung unb 3 um Derjtänbnis üolts ms 

unb jeinet £eiftungen". Dies ©ymnajium joll nach Bürbachs U)unjch bie bntte Blute 
beutjehen Humanismus jehaffen. t .« i 

Damit richten jich oon (elbjt bie Derjudje ©rünmalbs, bei Butbach 3® et Seelen T1 
3 ujtellen, bie eine, bie für humanijtijche Bilbung eintritt unb jich gegen bie „ubetgermami 
mehrt, bie anbete, bie bas humanijtijche ©ymnajium angreift. Rein, Burbach gepo , 
auch mit, 3 U ben greunben bes humanijtijchen ©ymnajiums, bie gerabe um biejet 5 r€U 1 
fdjaft millen um jeine XDeiterentmidlung tämpfen unb bie ebenjo mie ©tünmalb „um 
(Erhaltung bes Humanismus ringen", aber freilich nicht meinen, et jtehe unb falle mi 
ftarrgemahrten gorm bes jetzigen ©ymnajiums. . Ä - 

Bürbachs Dorjchlage jinb nicht einjehneibenber als bie Heinrich Bulles, bet m y e * 
malbjchen 3eitjchrift (25,167) jdjreiben burfte: „Die Art bet Begabung mirb taum je j^on m 
jo fugenblichem Ultet fejtjtehen, bafe mit bem (Eintritt in bie Ulitteljchule übet otOmunp 
jehieben metben tann. Die notmenbige golge jeheint mit, bafe bas 3beal eine (Eingettsiq 
mit einem gemeinjamen Unterbau märe, bet etma 00 m 15. £ebensjahr ab in einen W W 
{ptachlidjen unb in einen mathematijdh^naturmijjenjdjaftlidjen 3 meig ausemanoetgi g • 

Das barf man aljo jagen, aber Bürbachs Kritit ijt unerlaubt! c , n 

©s erübrigt jich noch, 3 mei Sähe tiefet 3 U hängen: S. 4 heifet es oon Butbaajs o » 

3 U ben angeblich neuen Bunbesgenojjen, ben ©ermaniften: „bas Bünbnis jdjetnt muuup 
£iebesbunb, jonbem eine 3nterejjengemeinjchaft nach berühmten Ulujtem"! S.• K 
©tünmalb aus bem ©rjdjeinen bes Burbachjchen Aufjahes: „bie ©ermanijten ha»^ e 
unb bachten, mit Deutjchlanbs gtofcet Stunbe hätte auch ih*e Stunbe gejdjlagen • * el 1 
matten unjre 3 eit ab, bie nach unjerm ©lauben fommen m u fc. „ A : n 

3n biejem ©lauben aber treten mit um unjres DoUes unb jeinet 3 utunft millen w 
biejet gtofeen 3 eit für unjet grofees 3 iel ein, unb metben barin nicht mübe metben, mag 
©tünmalb gebieten: „Ulan rei 3 e uns nicht unb oetätgete uns nicht unb nühe un 'J." . 
lujt an Setunbätes 3 U benfen aus". „Denn ©tünmalb oertennt bamit bie Kräfte, oie 
treiben, IDit haben nicht unjre greube am Streit mit Anbetsgejinnten. Aber um 
bares hanbelt es jich uns audj nicht. Auch »it tämpfen für Deutjchlanbs 3 uiuuli, 
jeht auf ben Schlachtfelbern, bann aber ebenjo {ehr in bet neuen griebensaibei 
fdjieben mirb. Auch mit ringen — mie bie Humaniften — um unjre „Dajems . 
tiöung", auch mit müjjen für unjet 3 beal eintreten aus bem heilen 3 ®®*® 
Übet 3 eugung heraus. Ulan ertenne bod> auch bei uns bieje Übet 3 eugung an uno ® 
uns nicht mit bem Dotrourf einet 3nterefjengemeinjchaft. Das ijt bie ©runbbeoi g 
bes Burgfriebens. . r - 

Uns liegt es mahtlich nicht am Kampf, jonbetn an bet Arbeit für unjres Dolles ©eitet! » 
bas jebet auf jeinem U)eg unb nach {einem ©emijjen fötbetn joll: Datum halten rou » 
liebet als an jene ab3umeifenben geregten Sähe an ©tünmalbs Sehlufcmort: „Der ©et| 9 9 
fertigen Derjtehens unb IDütbigens, bet ©eijt bet Wahrheit unb (Einigteit mag übet uns 
men unb unjet Auge für bas tDejentlidje unb Hotmenbige fchärfen." U). H 0 f ft ö e 

Süt bie £eitung oerantmortlich: Dr. Walten Hofftaetter, Dtesben 21, (Elbjtrafee 1- 
AUe Ulanujfriptjenbungen jinb an feine Anjchtift 3 u richten. 



3afcob ©ritnm. 

Don (Theodor Iftattfyias in piauen. 

(Rebe, gehalten bei bet (Entladung bet Heiflinge am Realgymnafium 3 U piauen 

am 22. Sebtuat 1915.) 

3icl?t in Stieben (Eure pfabe! haben mir 31jnen gelungen, meine lieben 
Ketflmge. Draufeen aber tobt ber Krieg, unb am lieb|ten mären Sie inmitten 
all {einer furchtbaren ©röfee felber mit am Scinbe. Als mit in fjoraj’ flbf<f)iebs* 
Ueb an 3ccius bes Dieters Urteil Iafen, inmitten feinet Büchetfchäfce unb feinem 

L m rl e f n ~ Um foftati ^ c n)cisl ? eit habe ber Sreunb Be||ere$ oerfptochen, als 
legt fia? für einen $elb 3 ug im (Dften 3 U rüften, erfannten mir barin ein Zeugnis 
ermattenbenRomertums. Diel lieber hätten Sie bes Dichters anbete Rlahnung 
gustam amice pauperiem pati / robustus acri militia puer / condiscat 

>> e °ml« tcic ^ lid? ^ a6cn roir uns Dereint bemüht, 3hnen ben Dienft mit 
\Lc • °* >Cl untcrm 3ei<hen bes Roten Kreu 3 es 3 U etfchliefeen. (Es follte 

^ fern! £affen Sie fidj non bem Dichter tröften, ber auch nicht blofe gelungen 

U)ohIauf, Kameraben, aufs Pferb, aufs Pferb! 

3ns Selb, in bie $reibeit ge 3 ogen! 

3m Selbe, ba ift ber Ulann noch mas roert, 

Da mirb bas fjet3 noch gemogen; 

i>et oielmeht butch Öen ftaatsmännifchften RTunb feiner geroaltigen Dichtung 
auh bas anbere Urteil oernehmen Iäfet: 

(Es gibt 

Roch hohem IDert, mein Sohn, als friegerifchen. 

3m Kriege felber ift bas £et)te nicht ber Krieg! 

3ft, ber fommenbe Stiebe, er falle aus, mie er molle, oor allem aber ein 
üünftiger, mie mit ihn hoffen, mirb erft recht UTänner brauchen unb fjet 3 en; 
auh bie Siegesfreube mirb am flrbeitstifch bes Beamten mie bes Cehtets unb 
Sotfhets ftarfe dharattere, begeifterte unb mohlausgerxiftete Bannerträger 
fotbetn echt beutfehen IDefens in f)eimat mie Stembe. Unb fo möchte ich 
Qnen auf ben tDeg 3 U £eben unb Stubium einen ©eleitsmann empfehlen, 
er 3 ®at nicht auf bem ©ebiet 3hter befonberen Stubien, roohl aber lernenb 
j*nb leljrenb, als Staatsbürger unb UTenfch jeber 3 eit in b e m ©eifte gemirft 
hat, in bem allein mahtes ©elehrten* unb Deutfchtum gebeihen fann. (Es ift 
bet flltmeifter meines £ieblingsfaches, ber fchliä?tgrofee 3 afob ©rimm. 

6eutjd|tnUntetrid)!. 29.3aljrg. 5.Qcft 20 




306 


3afob ©rimm 


Als eins oon neun Kinbetn, ad]t Söhnen unb einet ©odjter, jtüijdjen bem 
atsbalb mieber oetjtorbenen ©tjtgebotenen unb bem ihm bann jo eng cet ; 
toachfenen Btubet tOil^elm mürbe 3atob am 4.3anuar 1785 bem Stabtjdjteibet 
(Stimm 3 U fjanau im bamaligen Kurfiitjtentum Ejejjen geboten, bet jedjs 
3abt jpätet als Amtmann nach jeinet ©eburtsjtabt Steinau im Ijejjijdjen 
©betlanbe oetjeßt toutbe. Der ftüb auf ©injtellung jeinet 3 ungen auj ben 
fiinftigen 3 utijtenbetuf bebad}te TUann jtatb aber jdjon, als 3 alob etjt 11 3 a b r 
getootben mat, oon jeinet oiellöpfigen Samilie ^inmeg, unb nut bie fjilfe 
einet tjofbame, bet guten ©ante 3 immet, ermöglichte es ber jorgenben 
TTIutter, bie Söhne bet in bet $amilie jeit ©ejdjlechtetn üblichen alabemijdjen 
Caufbahn 3 U 3 ufühten. IDäljrenb bet ffiymnajial 3 eit in bet £anbest)auptjtabt 
Kajjel, mohin etjt jpätet auch bie XUuttet iibetjiebelte, teilten bie unjertrenn- 
liehen beiben ältejten Btübet ©ijdj, Bett unb Stube, mie bann »äljtenb bet 
Stubien 3 eit an bet t;ejji{d)en Philippsunioerjität BTatbutg ©ijd] unb Stube 
unb 3 eit ihres £ebens, auch nach bes jüngeten Detheiratung, ©ijd) unb 
IDohnung. 

3 n bet ©ymnajial3eit Ratten bie Btübet täglich außer ben jedjs Stunben 
Unterricht im ©ymnajium noch roenigjtens tuet bis fünf bei einem Pagen- 
bofmeijter, ^ier außer Tladjtjtlfe in Catein bejonbets $tan3Öjijd], bas 3 afo 
benn auch uollenbet jptedjen lernte. Die Inappe Uluße3eit aber roanbten jie 
bem 3 cidjnen 3U unb machten barin auch ohne Cehtet jold?e Sortjdjritte, baß 
bieje einen britten Btubet-— ben nachmaligen profejjor an bet Kajjeet 
Afabemie Cubtoig ©mil ©rimm — toie 3atob jagt, „anjtedten", jein Ce en 
auf ©tiffel unb pinjel 3U gtünben. Aus bet Unioetjitäts3eit haftete 3alob etne 
auch ben jüngeten Btübetn nicht etjpatte bittere ©tfaßtung, baß mahl et 
teichjte ©runbbejißetbe bes Canbes, ffitto o. IKalsbutg, bie fettejten Unter 
jtüßungen, jie, bie Söhne einet atmen tDitroe, aber nicht eine einige erhielten, 
jo fejt, baß er gemeint hat, 3um Dotteil anbetet in bet Selbjtbarjtellung je'nes 
Cebens toie in einet Rebe bet paulsfitdje baoon Kunbe geben 3U jollen. et 
mit glauben bem ebeln Tflanne, „gejd}met3t hat ihn bas nie“. TTXtt t>. Ttla s 
bürg blieb et bauernb befteunbet, jo oöllig roußte et petjon unb Sache 3U tren 
nen; unb überbies getoann et bet ©nttäujchung bie oorteilhaftejte Seite a , 
bie Übet3eugung: „Dürftigleit jpotnt 3U $leiß unb Arbeit an, bemahtt w* 
mancher 3 etjtreuung unb flößt einen nicht unebeln Stol3 ein, ben bas BewuB 
fein bes Selbjtoerbienjtes gegenüber bem, toas anbeten Stanb unb Heia] utn 
gemähten, aufrecht erhält"; unb 00m ein3elnen auf bas Dol! jdjließenb, faß * 
er biejes Urteil allgemeiner unb „möchte oieles oon bem, toas Deutjdje überhaup 
geleijtet haben, bem beilegen, baß jie tein reiches Doll jinb. Sie arbeiten n° n 
unten herauf unb brechen jidj oiele eigentümliche IDege, mähtenb an ct 
Döller mehr auf einet breiten, gebahnten Ijeetjttaße manbeln.“ 

Das Stubium, bem 3afob jeit ©jtern 1802, mie IDilhelm jeit 1803, 



Don tEf)eoöor tttattljias 

öer tjod)fbule Philipps bes ©rofemütigen oblag, mar nab ber Überlieferung 
bes Kaufes bas ber Rechte, aber mit regem Anteil unb felbftänbigem Urteil 
oerfolgten fie glei^eitig bie (Enttoidlung ber beutfben Dichtung unb ©eiftes* 
roiffenfbaft, unb 3. B. dieefs „UTinnelieber aus bet fbtoäbifben Dorjeit" 
„riffen" 3 a!ob gerabe3u bin". So toirb ein (Erlebnis 3 alobs oerftänblib, 
bas ä^nlit^e Böigen l?aben follte, toie bie (Entbedung ber oollftänbigen Bibel 
auf ber (Erfurter Unioerfitätsbibliotljet burd? ben jungen £utljer, ber nad? feines 
Daters tDunfb ja aub bie Rechte ftubieren follte. 

Ptofeffor 0. Saoigny, getoöljnlib als Begrünber ber fjiftorifben Rebts* 
fcfyule angefeljett unb jebenfalls fpäter iljt fjaupt, trofe feiner jungen 3al?te 
ber fjobfbutteljrer, bet bem Stubenten ©rimm am meiften Jagte, pflegte 
fdjurierige ©efefeesftellen 3U fdjriftli^er Auslegung auf3ugeben unb Ijatte 
in ©tintms erfter folget Ausarbeitung bie barin beljanbelte $tage als 
oölltg begriffen unb richtig gelöft be3eidjnet. Bei (Einreibung einet folgen 
Ausarbeitung fa$ unfet Stubent ber Rechte unter bes profeffots Bübetfbäfeen 
oudj Bobmers Ausgabe ber beutfben ZTCinnefinger, fblug fie auf unb toat 
oon ben rätfelljaft oertrauten Klängen aus unfrer Dot3eit fortan beten (Erfor* 
wung getoonnen. Sbon auf ber tjobfbule tarnen jebenfalls feine juriftifben 
Stubicn nibt 3um formellen Abfblufe; benn elje et ©ftern 1805 bie juriftifbe 
Prüfung abtegen tonnte, erreibte bn oon 0. Saoigny, ber feit 1804 auf einer 
tubienreife burb Branfteib unb Deutfblanb toar, Anfang 1805 bas Anetbie* 
en ' na( *) Paris 3U fommen, um iljm bort bei feinen literarifben Arbeiten, 
°or allem (Erfbliefeen oon Rebtsquellen, 3U Reifen. 3atob ©rimm naljm an, 
unb wenn er nun für Saoigny auf ber patifet Bibliotljef arbeitete, unterliefe 
« nibt, aub bie Jjanbfbtiften, bie Bobmers Quellen getoefen roaren, ein* 
3 ufe?en unb fbon manbes baraus ab3ufbteiben. $redib tourbe er bann, 
a er bie Prüfung nibt abgelegt Ijatte, trofe aller $ürfprabe nur beim Sefre* 
anat bes Kriegstollegiums, nibt bei ber Regierung 3um Dorbereitungs* 
tenft 3 ugelaffen, aber bafüt getoann ber $Ieifeige ber oielen Arbeit, bie iljn 
09 feiner Uniform mit puber unb 3 opf geiftlos anmutete, bob teiblib Utufee 
a ' cr ausfbliefelib bem Stubium bet Citeratur unb Dibttunft bes Büttel* 
a «ers 3 uroenbete. 

Unter fbtoeten (Erfbütterungen in Staat unb fjaus ftellten bie näbften 
Jubte ©rimms £aufbaijn bauernb in biefe ©leife feiner innerften Heigung 
unb Berufung ein. Als 1806 nab öer Sblabt bei 3ena unb Auerftäbt oon 
apoleon aub bas preufeenfreunblibe Kurljeffen 3ertrümmert unb 3um König* 
r eub iDefifalen gefblagen u)urbe, ettoies fib für bie AbtoicBung aller feeres* 
uerpaltniffe 3 atobs fran3öfifbe Sprabfertigteit 3toat als unentbeljtlibf aber 
•efe Art ©efbäfte unb ber ©ebante, bas fran3öfifb c Hebt erlernen 3U follen, 
j en bem innetliben, gan3 in beutfber X)or3eit lebenben jungen ©eleljrten 
1 ° 3 uroiber, bafe er feine (Entlaffung nafem unb feine Hoffnung auf eine Betoer* 

20* 



3Qg 3«lob ©rimm 

bung um Aufteilung bei bet Kaffelet Bibliot^et {teilte. So erlebte et ben tiefjten 
Sd}met3 feines Sehens, als im Itlai 1808 feine THuttet ftatb, „biefe befte TM> 
ter offne ben Htoft ftetben" laffen 3U müffen, „audj nut eins ihrer fedfs Kinbet 
oetfotgt 3U wiffen". (Einen reichlichen ITConat fpäter toat biefe Bitternis über* 
tounben unb et bie ftatfe Stü^e feinet ©efchwiftet geworben. Auf (Empfehlung 
bes Schwebet ©efdfidjtsfdjteibets Johannes o. IttüUer toutbe et Derroaltei 
bet priüatbibliotfjef bes neuen Königs auf TDilhelmshöhe unb halb bamacj 
aud} Auditeur au Conseil d'Etat 3ufammen mit 4000 $t. ©e^olt, unb <m 
babei hatte et reichlich TUufee füt feine Stubien. Als aber gegen <Enbel 813 bet 
alte Kutfütft wiebet in Kaffel emgog, trug ihm wiebetum feine Belfett c^ung 
bet Seinbesfptadje bie Ernennung 3um Cegationsfefretät ein, unb als fo ^et 
30g et, wahren 6 3U>ei Btübet aus Hamburg unb Klimmen unter bie peiftftqen 
Sahnen herbeigeeilt waten, an bet Seite bes tfeffifcfjen ©efanbten 1814 mit 
bem ©rofeen Hauptquartier in Paris ein unb mit 3um IDienet KongteB un 
nodj einmal in gtöfjetet Selbftänbigfeit 1815 nad} Paris. Den Aufen b m 
XDien benu^te et, bas nut aus Büchern gelernte Slawifdje aud) fpredjen 3« 
lernen, füt Paris batte et 311m 3weitenmal non bet pteufeifdfen 
ben Auftrag, bie »on ben gtangofen aus bem Königreich weggefd}epp 
Hanbfdjriften 3U ermitteln unb 3utüd3Uoetlangen. Da hörte et auf bet t w 
tbef, wo et in Übetftunben füt fid} arbeitete, eines Hages ben Diteftot lagen. 
Nous ne devons plus souffrir ce Mr. Grimm, qui vient tous les jours travai 
ici et qui nous enleve pourtant nos manuscrits. ©rimm Happte bie H an W n ”' 
bie et eben füt fid} aus3og, 3U unb tarn nut nodj wiebet, feine Aufttage 3U 
etlebigen, ein jd}önes 3 eugnis feines männlichen Stores unb c * n 
für bie alte Unfäbigteit bet $tan3ofen, petfon unb Sache 3U trennen. (En e 
nad) Kaffel gurüdgefehrt, lebnte et eine Anftellung beim $rantfurtet Bun 
tage als ©efanbtfdjaftsfefretär wiebet entfdjieben ab unb erreichte mit • 
bie Anftellung als 3weitet Bibliotbetat bei bet Kaffelet Bibliotbel bei ab 
Anftellung bafelbft aud} für feinen Btubet IDilbelm. Die mergelet Jahre 
Hätigfeit begeidfnet et felbft als „bie rubigfte, arbeitfamfte unb oielleia} 
bie frudftbatfte 3eit feines Cebens". 3ebenfalls oetöffentUdjte et m 1 
3 eit gemeinfam mit bem Btubet aufjer btei Jahrgängen einet eigenen je 
fdjrift ein halbes Dutjenb gelehrter Ausgaben aus bem beutfdjen ober 9 er ™ 
fiben Altertum, bie 3um Dolfsbud} geworbenen Kinbet* unb H aus,n ® t 
unb eine Überfettung irifebet <Eifenmärd}en, fowie 3wei Heile beutfdje *9 ' 
füt fid) allein eine Sammlung alter (fpanifdjet) Romangen unb bte 
fetjung einer fetbifdjen ©tammatit, oor allem aber bie beutfdjen Red} 
tümer unb bie etften btei Heile bet beutfdjen ©tammatit, bie füt alle 
lidjen wiffenfdfaftlidjen Datftellungen bet beutfeben Sprache grunblegen ^ 
füt foldje aller anbeten muftergültig geworben ift; bagu an bie h UT * e *' 
umfänglicbfte unb einbringenbfte Bestechungen unb IDütbigungen u et 



Don Ifjeoöor Itlattfyias 


309 

öffentlichungen in allen europäifdjen Sprachen. Kein IDunbet, bafe er oon einer 
öeutfdjen fjodjfdjule 3um ©hrenboftot ber Philofopljie, oon 3©ei 3U bem 6er 
Red/te un6 oon 17 beutfehen, flanbinaoifchen, niebetlänbifchen, ftan3öfif<hen 
gelehrten ©efellfdjaften 3um ©hrenmitglieb ernannt würbe. Hur in Kaffel 
fanöen 6ie Brüöer 6ie Anerfennung nicht, 6ie fie ermatten öurften: als 1829 
öer erfte Bibliothefar ftarb, touröe ihre flna>artfd?aft auf Aufrüdung nic^t 
anerfannt. Sie empfanöen bas als „tief tränfenb", unö fo hart unb fchmer3* 
^aft es ihnen Jcfyien, bie geliebte unb gewohnte fjeimat auf3ugeben r „folgten 
fie öem ©ebot ber ©hre" unb entfliehen fich fdjnell für bie Annahme eines 
e^renoollen Rufes nach ©öttingen, too fie Reujahr 1830 ihre neuen Ämter 
arttraten, 3 a!ob bas eines ©rbentlidjen profeffors unb Bibliothetars, IDilhelm 
öas eines Unterbibliothelars. Die beutfdje Mythologie, Reinhart gudjs, ber 
oierte ©eil ber beutfehen ©rammati! unb eine Ausgabe oon ©acitus’ Germania 
unö halb ein halb hunbert An3eigen unb Befprechungen toaren bebeutungs* 
uolle Deröffentlithungen auch liefet 3 ahre, bie gleichwohl ihre gröfjte Bebeu« 
iung nicht oon ber literarifchen, fonbetn ber politifchen Seite gewinnen foll* 
ten, oon bem politifchen Rlärtyrertum, mit bem fie für bie Brüber ausgingen. 

Als fich im 3ahte 1837 bie mehr als hunbertjährige Derbinbung tj<m« 
ttooets mit ©rofebritannien wiebet löfte, weil in beutfehen £anben feine meib« 
Ii<he Erbfolge gilt unb bie Königin Diftoria infolgebeffen 00m hannooerfdjen 
%one ausgefchloffen blieb, erflärte beffen ©tbe, fjet3og ©rnft Auguft oon 
Gumberlanb, bie hannooerfche Derfaffung oon 1833 , ba feine 3 uftimmung 
ö fl 3u nicht eingeholt worben fei, für aufgehoben, bie Staatsbiener bes batauf 
gcleiftetcn ©ibes für entbunben unb bie Stänbefammer für aufgelöft. ©öttin« 
9« Profefforen, namentlich ber philofophifdjen $afultät, oertraten bie Über« 
3«ugung, wenn Rlinifterium unb Kammer oerfagten, fei bie Unioerfität als 
öte £ehr* unb Pflan3ftätte oon Recht unb Pflicht um fo mehr berufen unb 
gehalten, bem eigenmächtigen ©ebaren ber Krone entgegen3utreten; als aber 
lange nicht alle, bie bas Unrecht empfanben, auch ben RTut 3U abwehtenbem 
hanöeln bewiefen, richteten bie fieben mannhafteften, Dahlmann, 3 afob unb 
©ähelm ©rimm, ©eroinus, Albrecht, ©walb unb U)eber, eine Detwahrung 
an öie Unioerfitätsbehörbe, nach ber fie fich burdj ihren ©ib fortbauemb auf 
öie Derfaffung oerpflichtet unb aufeerftanbe fühlten, eine auf anberet ©runb« 
age gewählte Stänbeoerfammlung als rechtmäßig an3uerfennen. Durch fönig* 
•hm ©rlafe 00m 11. De3ember würben ohne alle $otmen Rechtens alle fieben 
für abgefetjt erflärt, burch einen 3weiten 00m folgenben ©age überbies 3afob 
®rimm, Dahlmann unb ©eroinus, bie ben IDottlaut bet Derwahtung anbet« 
®ärts mitgeteilt hatten, bebroht, wenn fie bas £anb nicht bis 3um 17 . geräumt 
hätten, gefänglich cinge3ogen 3U werben. Kaum war bas ungefetjliche Dot* 
gehen ber Regierung unb ber höDblangerbienft ber fjoäjfchulbehötbe befannt 
9 e»orben, fo erflärten noch fechs profefforen, unb biefe fogleich in öffentlichen 



3tt!ob ©rimm 


310 

Blättern, ihre gleiche ©efinnung, aber fehon wagte bie Beerbe rndjt meljt 
ei^ugreifen. 3 m Dorfe tDifeenffaufen, über bas ben brei £anbesnetunefenen 
befohlen toat bas Königreich 311 oetlaffen, hdbigten ihnen ©öttinger PtofeJ* 
foren unb Stubenten; biefe fpannten bie Pf erbe non ihrem IDagen unb 3ogcn 
ihn übet bie XDetrabrüde; im fjeffifdjen aber, wo bas Kaffelet fjaus besBrubet 
malet ihre 3 uflu^tsftätte würbe, wies eine (Stofemutter ihren (Enfel an: „®ib 
bem tjerm bie tjanb, et ift ein $lüehtling." IDilhelm (Stimm braute ein £el}tet 
bas Sdjulgelb feines jungen 3utüd, unb eine non £eip3ig aus in Oeutjdjlanb 
eröffnete Sammlung et3ielte anfehnlidje ©rgebniffe. 

XDas gewann ben fdeichten männern 00m eljtfutchtoollen Hlitleib bis 
3um begeifterten flusbtud übet3eugter 3 uftimmung die (Stabe bet Teilnahme? 
3 n einet 3 eit politifcher XUübigfeit unb Unentfdjiebenheit hatten fie |i<h, °h ne 
nach ben $olgen 3U fragen, 3U Recht unb XDahrljeit betannt, aus feinem anbe» 
ten (Srunbe, ds weil fie not ihrem (Sewiffen nicht anbets fonnten. €rft nad}- 
her hat 3 afob (Stimm unter bem XEitel „meine ©ntlaffung" ben Stritt tief* 
gtünbig unb weitfdjauenb gerechtfertigt unb, wie et jefet übet3eugt fein burfte, 
„3um Segen bes Daterlanbes" ein $euet ange3Ünbet, bas lange unb tnetthm 
leuchtete unb wärmte. 1848 würbe 3afob (Srimm in bie $ranffurter national' 
nerfammlung gewählt, bas war ein Danfes3oll aus bem Dolfe an ben e h em " 1 ' 
gen tttärtyrer feiner politifchen Übet3eugung. 3 n ben niet3iget 3 nh ten es 
notigen 3 ahrhunberts fehlofe fi<h bas gebilbete Bürgertum in grofeen XDanbet- 
nerfammlungen 3Ut Befeanblung wiffenfdjaftlidjer unb wirtf<haftli<h el $W 9 e " 
3ufammen unb nerKeh babei bet Sehnfudjt nach einem einigen Deutfeh® 1 
immer bewufeteren flusbtud. $üt bie beiben erften folgen Derfammlungen 
bet beutfehen (Sermaniften 1846 3U $ranffurt a. m., 1847 3U £übed mui t 
3 afob (Stimm 3um Dotfifeenben norgefdjlagen, in $ranffurt non feinem 
geren benn Cubwig Uljlanb ds „bet ITlann, in beffen fjanb fchon feit fo ®i 
3 ahren alle Säben beutfeher (Sefdjidjtswiffenfchaft 3ufammenlaufen", in D* * 
ds ber fjerrfdjet in brei Reichen, bet beutfehen Spraye, bem beutfeh en ” e< jj' 
bet beutfehen (Sefchichte, unb ber (Sefeierte fanf h iet feinem dten $teun 
bem ehemaligen mitnerbannten Dahlmemn, nach einem ©tinffptuch au l 
mit ben XDorten in bie Arme, et wünfdje, bafe auch bie XDelt non ihm l a 9 e » 
et felbft non fich fagen bütfe: „bafe er niemds im £eben etwas mehr 9 e ’ 
als fein Daterlanb". fluch ber Sotfchung bet Brüber würbe burefj bie (Teilnahme 
an ihrem Sdjidfal eine beftimmte Bahn gewiefen. Um ihre Uotlage 311 linbettt, 
machte ihnen ber £eip3iget Buchhänbler Karl Reimer bas Anerbieten, em 
grofees beutfehes XDörterbud} aus ihrer $ebet 3U oerlegen, unb 3 a hlt c ihnen1 m 
Dorarbeiten anberthdb 3aht3ehnte lang, ehe, ftürmifch begrüfet, am 1 * ® 
1852 bie erfte £ieferung, 1854 ber erfte Banb bes beutfehen XDörterbuh 31,0 
3 afob ©rimm unb IDilhelm ©rimm erfchien. 

©timms wiffenfdjaftliche Arbeit war bem Boben ber Romantif erttfproffeu, 



Don (Efjeoöor ITtatt^ias 


311 


beten fegensreichfte Richtung, öie Bemühung um öie öcutfdjc Oergangenheit, 
bann erft öureb öie Brüber öic miffenfchaftliche ©runblegung erfuhr. Oie 
begeiftertfte Seele im Kteife öet Romantif, öie ©oethefchmärmerin Bettina o. 
fltnim —fpater öie Schmiegermutter oon tDithelms Sohn ^ermann ©rimm — 
fünöete öenn auch am rührenöften öas £os öet Oetbannten unö betrieb am eif= 
rigjten i^te ©etoinnung füt Berlin, öiefes £jet3 öes metöenöen neuen Oeutfdj' 
lanö, burd? ©inmitfung auf Öen Romantitet auf öem ©htone Preußens, $tieö* 
ud? Wilhelm IV., fd)on oot öeffen ©hronbefteigung. ©egenäbet intern unö 
©rimtns gemeinfamem $teunöe o. Rteufebach fchmärmt Bettina einmal, fie 
^abe „himmlifche ©age" bei Öen ©rimms »erlebt, „roie fie feinet aufjumeifen 
oermöge, öet fi<h nid}t unter öie Seligen rechnet"; unö an Öen Ktonprinjen 
fätieb fie mahnenb: „Run fteigern fid} toof?I öie Aufgaben öet Ittenfd}enfurd}t. 
Aber! ©er einmal öiefen $teunöen in tätiget RKrtfamleit unö aus heiliget 
©hrfurcht oot ihrer oon öet XOelt oerfefeerten ©rofetat fidj 3ugefagt hat, Öen 
möge öodj ©ott fdjüfeen, als öafe et aus 3aghaftigfeit ihnen abtrünnig toetöe." 
Unö meint audj öen Btüöetn öie lange ängftliche Rüctfi^tna^me öes pteu* 
ftföen fjofes auf Öen hamtooerfdjen etft arg mißfiel, öa fie „fid* in Berlin 
tridji einfchleichen, fonöetn otöentlidj unö offen berufen fein mollten", etflärte 
b°<h 3 afob öem lÜiniftet ». ©ichhotn, öet fi<h in Paris feinet3eit feinet ^ilfe 
erfreut unö jefet alles georönet batte, rüdhaltlos: „Bern Rufe öes Königs, 
<wf Öen fi<b toeit übet preufeens ©ren3e hinaus öie fehnfüd}tige Hoffnung 
rilet Oeutfdjen richtet, folgen mir mit öanfbar fteuöiger 3uoerfid}t. Unfet 
Ceben gebt fchon auf öie Reige. Rad? nichts anöets trachten mit, als unfte 
übrigen Hage öet Dollfühtung öet Arbeiten, meldje fi<h auf Sprache unö ©e= 
Mühte öes geliebten Oaterianöes be3ieben, 3U miömen. Oie ©rofemut öes 
Königs roill uns eine Öa3u nötige, fotgenfteie Rtufee febaffen." Am 15 . Ulät3 
1841 fieöelten öie Btüöet öenn nach Berlin übet, gegen ein ©ehalt oon 3ufam* 
men 3000 ©Ir. eht3ig oerpflicbtet, öott ihren Aufenthalt 3U haben unö am 
Wörterbuch 3u arbeiten, überöies mit öet Berechtigung, an öet Unioerfität 
Uorlefungen 3U halten. 3 afob, öem bei nicht leichtem $lufe öer Reöe öiefe 
Aufgabe fchon in ©öttingen „mit ihrem Auftreten 3U beftimmter Stunöe auf 
öem Katheöer etmas ©heatralifches hatte unö 3umiöet mar", hat oon öiefem 
Kecht öenn auch nur etma bis 3Ut R>ahl in öie paulsfirche ©ebrauch gemalt. 

fühlte „feiner Ratur mehr ftilles Ausarbeiten als öffentliche Rlitteilung 
oben abgefchöpfter ©rgebniffe 3ufagenö" unö meinte „für Öen 3eUenfleife 
gemacht" 3U fein, mie et fich öenn mehrfach einer Biene oergleicht, öie R)ort 
3 U ©orte trägt oöer öie föftliche ©aben ihtes Sammelns nach häufe bringt. 

fteUte in Berlin öie erften örei Bänöe öes Wörterbuchs unö ©eile öes oierten 
jalt fettig, fdjrieb öie 3meibänöige ©efdjichte öer öeutfehen Sprache unö liefe 
Öen in öet Derbannung oeröffentlichten 3mei Bänöen feiner „lOeistümer" 
no <h einen öritten unö oierten folgen. 




312 


3afot> ©rimm 


Befonbets gern aber betätigte er fidj in Berlin als ITlitglieb 6 er pteufjifcben 
Atabemie öer TDiffenfchaften, 3 U öem er halb nach feiner Überfiebelung balfin 
gerodelt worben war, butdj Dorträge aus 6 en ©ebieten feiner umfafjenben 
Sotfdjung unö Cebensetfa^rung. Anbers als fein oere^rter $reun 6 £ad)mann, 
öem es immer mehr auf öie tDorte, auf ©eytlidjes unö im engeren Sinne 
P^ilologifdjes angetommen mar, tjatte er immer „öie TDorte um öer Sache 
willen treiben wollen" unö öer Spradjmiffenfdjaft öie Aufgabe geftellt, „ebenfo 
forgfam öie mannigfaltigen Übergänge öer geiftigen Dorftetlung als öie leib : 
liehen tDortgeftalten 3 U erforfdjen“. Aus öer Sülle öes ©eiftes, Öen ©rimm in 
feinen unetfdjöpflidien Sammlungen unö für fein bilöträftiges Sdjauen einge 
fangen fjatte, unö aus öer Berührung mit öem Seben, in öer öer alles anbte 
als weltfrembe ©eleljrte Sinne unö Urteil gefefjärft hatte, ergofe fid? benn 
weites XDiffen unö tiefe tDeisfjeit in jene oft 3 weimal im 3<rf) re gehaltenen 
Dorträge. ®b er auf £adjmann r Schiller ober Öen ihm ©nbe 1859 int 2 obc 
notangegangenen Bruöet öie ©eöäd}tnisreöe l)ielt, ober über öen Urfptung 
öer Sprache ober öas peöantifdje in öer öeutfd]en Sprache, über öas Alter ober 
über öas Derbrennen öer Seichen, über Schule, Uninerfität unö Ataöemie ober 
öas ©ebet fptadj: öurdj öie Blätter öiefer ausgereifteften fd?lid?tfd?önen Heben 
raufet es wie öie Stimme öes Propheten, öie öas Duntel fernfter Dergangen- 
Ijeit 3 U erhellen unö einen Blid in gellere 3ufunft 3 U erfdjliefeen nermag, bte 
öie hinter öer ©ottljeit lebenöigem Kleibe, Öen eroig wechfelnben un 3 ät?ligcn 
©rfdjeinungen, öie er gleich feinem übet alle geliebten ©oettje 3 U bewunbern 
unö 3 U beuten nie müöe wirb, Öen ©eift, öie ©ottheit felbft empfinöen 3 U laffw 
nermag. IDa^rlid}, als öiefer nod) nicht roieöer erreichte Altmeifter öer Deutfd] 
funöe am 20 . September 1863 öie Augen fdjlofe, war wirtlich ein ©rofeer öaptn 
gegangen, unö wenn tDilljelm Scherer fein tDefen als „häuslich unö ^einta 
lidj gebunöene pruntlofe ©enialität" be 3 eid}nen tonnte, fo muf} uns Ijeue, 
wo uns öie IDelt auf uns felbft 3 utüd unö non allem äufeeren ©anb weit pw 
wegweift, fo gebunöene ©töfee um fo nertrauter unö erwärmenöer anmuten. 

©s ift hier, meine Sieben, nicht ®rt noch Stunöe, Öen ©ermaniften 3 a 0 
©rimm 3 U wütöigen. Aufjet öem non i^m gefällig ausgemalten ©raume non einem 
boöenftänbig inneröeutfdjen IDeröen unö tDachfen unfret ©ietfage unö ier 
fabel ift öie non ihm gelegte ©tünöung 3 um ©ebäuöe einer oollftanöigen 
Deutfdjfunöe in allem IDefentlidjen tragfäljig geblieben. Sie, meine lie en 
Reiflinge, follen jetjt nur öas tDertnollfte an öiefem norbilölidjen Seben « 
fennen unö einige bleibenöe ©rtenntniffe unö IHa^nungen öes Hlannes für 
immer in 3ht geiftiges ©h r Hingen laffen. 

TDas aber ift jenes tDertnollfte? Seine ©reue gegen fidj ift es, öie 
öie et allen ftarten Ablentungen 3 um ©rot; öer ©rtenntnis t?idt, öie it)nt apn e 
noll oon feinem innerften Beruf not Sanignys Bücherbrett getommen war. 
Sie bat in öie ©ntwidlung öiefes Sdjaffens, tDirtens unö Sehens nom 



Don tEIjeoftor ntott^a* 


313 


Bremen bes elften Keimes im 3 aubergarten bet Romanti! bis 3 ut Detpflan* 
3 ung nach Berlin unb bet Detlobung bes Reffen ben bei ben 3 ettgenoffen 
Schopenhauers fo feltenen ©entlang gebraut; fie hat ihn 3 u einer 3 eit, tt>o fid? 
lebet Schwächling auf bas faufttfcEje Recht unb Ceiben bet 3 wei Seelen berief 
ben flusbrud „feelentubigen" Arbeitens Raffen unb in bie Zat umfefeen 
Iaffen. ©un Sie il?m nad?, wenn Sie Sffte Berufung erlaufet haben • felbtt 
tn Heineren Derbältniffen erfüllt fid? bann au* an Syrern Ceben ©oetbes 
Sprudj: 

Unb jo gewinnt fid? bas Cebenöige 
Dur* $oIg' auf golge neue Kraft; 

Denn bie ©efinnung, bie beftänbige, 

Sie mad?t allein ben HTen|d}en bauerhaft. 


Unter ben ein 3 elnen 3 ügen aus ©rimms Anfdjauungen, in benen alle 
mit ihm wetteifern follten, ftel?t billig an erfter Stelle feine glüfyenbe Dater* 
«mbsliebe. ^nlid? r wie wir fie ihn fd?on in ber Cübeder geftftimmung beteuern 
Jorten, bat er fut 3 not feinem Hobe getrieben: „Alle meine Arbeiten wanbten 
!j au f öas Daterlanb, mir fd?webte bewufet unb unbewußt oor, ba& es uns am 
Rerften führe unb leite, bafe wir ihm 3 uerft oerpflichtet feien." ©t fonnte 
3 ®ar fd?on 1838 in ber Schrift über feine ©ntlaffung fchreiben: „Kleine Dater* 
anbsliebe habe ich niemals bingeben mögen in bie Banbe, aus welchen fid? 
Wen einanbet befebben"; unb ihn bauerte ( 1840 ) bie 3 eit, bie ©efell* 
saften unb parteileben „mit ben unenblid?en IDieberbolungen in faft allen 
worterungen öffentlicher Angelegenheiten" beanfpruchten; aber feine gleich* 
3 erttge Derficherung an ©tfrieb IRüIlet: „Der tDelt bin ich nicht fremb unb 
?ange beife an allem Daterlänbifchen", bat er nicht blofe in ber d&ffentlidjfeit 
® a bt gemacht, fonbem bis in bie Ietjten 3 abre hinein auch in bet Stille bes 
r etts 3 immers, oon beffen Sd?reibtif<h ihn bie grauen bes Kaufes oft nur 
web allerbanb liftige Deranftaltungen Ios 3 umachen oermochten; wenn aber 
. Ie Leitung lam, pflegte er ebenfo bie geber fogleich weg 3 ulegen unb fie genau 
u ja? 3 ulefen, wie er für Rat fud?enben Befud? immer 3 eit batte. Unfre 3 ugenb, 
unfre oon politifchem £uft 3 uge immer gleich oerfdjnupften Aftbeten unb 
. [ 7 >cm ** ct follten über bie 3 eit bet ©rregung biefes großen Krieges hinaus 
® e ifpiel folgen, bamit wir enblid? aufbören, auch in unfern gebilbeten 
<h«bten ein polirtifd? unreifes Doll 3 u beiden, ©rimm lannte wie einer bie 
ot 3 öge anberer Dölfer unb Cänber unb erlannte fie an, aber für alle ©ebiete 
®at tbm bas ber „auf allem Daterlänbifchen rubenbe Segen", „bafe man nur 
j 7 m ® ro fees ausrichten", „originell bleiben", „Selbfteignes heroorbringen 
unö « begrünbet biefe Urteile wie oft mit einem Sprichwort: „ein 
u bausbadnen Brotes ift uns gefünber als ber frembe glaben". (Er flagt: 
j n un f ter Sitte lag je etwas nachgiebiges, bet fremben Sitte fich Anfd?miegen* 
es - Sollen wir oon bem gebier bis 3 ule$t nid?t genefen?" ©r perfönlich bad?te 



314 


3a!ob (Brimm 


unb Ijanbelte bemt aud anbets. „Der Ulenfd", fdjreibt et, „würbe fid felbft 
geringjcfyätjen, wenn er bas, was feine Dotettem nidt in eitlem, »otübet* 
gebenbem Drang, oielmeljt nadj bewährter Sitte lange 3 cttcti #nbutd Ijewop 
gebradjt haben, Deradjten wollte.“ Als er auf bet Heife nadj Paris jenfeits 
bet <5ren3e £odtingens nodj ©rtfdaften mit fleinfenftrigen ©iebedäufetn 
an gebrodenen Straften finbet, fingt et bas £ob drei Htaulidleit gegenüber 
ben einförmigen, bie Strafte in bie Stube fyolenben Häufetteden bet $10030- 
fen, unb auf feinem ©eburtstagstifde fehlte nod in feinet profeffore^eit 
bet Kuden mit ben Cidtern nidt, beffen 3a# bie erreidten 3a#e »erfünbete. 
<£t »ermiftt bei oietgereiften, gefdeiten £euten bie Selbftfiderljeit unb ruhige 
Befaglidfeit Ijeimifder Art, et ftöftt fid bei $riebtid Sdlegel am englifäen 
Aufpuft wie bei 3 adarias XDerner an bem „Allgemeinfdwebenben, bas unb* 
fdabet dtet eigentliden beutfden ©efiwtung bod einen gewiffen Spaft un 
Spott batüber nidt unterlaffen lann unb »om auslänbifden IDefen 3U oieier et 
angenommen hat, um nidt babutd tief unb am ©nbe o#te es 3U wiffen in 
bem, was fie eigentttd follten, geftört 3U werben". Stoßet mödte et fie, wte 
dm ein „ 3 ug »on Unnatur barin" liegt, „baft ein oaterlanbsliebenbes — et 
wolle hoffen, einmal ftol3etes — Doll feine erfte flnfdouung unb fpatej e 
EDeis^ett aus bem ©efäft einet ftemben Sprade, unb fei fie bie benu«!l e> 
fdöpfen folle." Bei feinet Hinfidt in bas ftille IDadfen bet Sprade un IC 
Sdwierigfeit dter pflegliden Behanblung unb $ortbilbung will et 3 ®® 
oon gewaltfamer Hegelung unb felbft Säuberung butd Unberufene map 
wiffen, aber in bem Ijoffnungsjaljte 1847 ftellt et feft, „baft aud bÄS 0 
feine Sprade unb was dt Hedt ift, mit anbetem Auge 3U betradten begtn • 
Sn unfern Hagen, fagt et, unb wer fro#odt nidt? wirb lebhaft gefü^l 1 a » 
alle übrigen ©üter fdal feien, wenn dnen nidt bie Steilheit unb ©röfte * 5 
Datertanbes im fjintergrunbe liege. XDas aber Reifen bie ebelften Keqto 
bem, ber fie nidt hanbljaben lann? Kaum ein anberes höheres Re# 0 e en 
mag es, als bie uns angeerbte Sprade» in beten »olle ©ewa# unb tetajew 
Sdmud wir erft eingefeftt werben, fobalb wir fie etfotfden, reinbalten 
ausbilben." Klingt es nidt wie eine Dotwegmdme bet Hoffnungen um* 
Hage, wenn er fortfäljrt: „Ulan-flogt über bie ftemben Ausbrüde, beten 
mengen unfte Sprade fdänbet; bann werben fie wie $loden 3 et j“ e e, 
wann Deutfdlanb fid felbft erlennenb ftol3 alles gtoften Heils fid 
fein wirb, bas dm aus feinet Sprade heroorgeht?" Uidt ein IDeltret# Q 
bet Kaifet erflärt, foll uns unfet Sieg erobern, wo# aber bem beutfd e ® 
bie XDelt etfdlieften. Dann muft bas Kleib biefes ©eiftes, bie beutfd c ' ' 
eine U)eltfprade werben. Aud ben ©ebanlen ber UDeltfprade #** 11 - 
mc# als einmal geftreift. Sn ber Rebe über ben Utfprung bet Spta# ’ 
1851 ftellte er ben gewaltigen Dorfprung feft, ben ba3U bas Hnglifd c „ 
Pt°Pi}e3eite dm nod weitere Ausbreitung. Aber modte et bamals aud u c 



Don Ifjeobot Ittattfyias 

315 

|«SS?S^^ 

\ l ^ r "^ rt ^ e un & f ro ^ e flusftc^t. bcitDo^nert, bafo ihre lebten ffiefAirf.» 

ÄSL2" u i‘r‘“ 6m «ÜÄÄ5 

eine ßraut bdoontrajen follen." Oie Gelegenheit ba 3 u ift ba flu* Sie lieh, 

SoSf™ «M; f«to. i« Hat«, 

im c»il $ ®iffen unb Können barin einmal oertreten. 3 bre Kameraben 

fein«ffiefSlt"? ** *2?^ öie Ba ^ ncn ' in öcncn ®rimm im Donoort 
mein^B Äeifet U ^ Cn t Cin 9röfeeres ^eutfdjlanb tommen fielet: 
noTüber n«; ,£** “ K ? Mt in Iid ? te 3*ünft erbringen, toenn au* 
Im *ZuT "? *° fenbeöecftcr #■""* W »nö nur am Saum bet 
gen finb m«ben ^ beDOt cini 9 e Htenfc^enalter oetgan* 

Homonen ä ^ nUt bret euro P äi fö e Dölfer in bie Jjerrfchaft teilen: 

Öen Sfanbinaoen^irb ^ V * ‘ ÖUcb Unfct 9 egemoärtiger f?aber mit 

unb ihü ,! , b f,d? um wanbeln 3 u bäuerlichem Bunbe 3 toifchen uns 

Znt V t 1?" ÖCtSptacbc laut begehrt. tDie foItte bann! 

3 um feftett^Can^fi!^ Bmncnmotfcn f e & öic P“*H0e Qalbinfel nicht gan 3 
öert? si r$V C i?!? 9Cn ? crbcn ' tDtts ©ef^tc^te, Itatur unb £age fot* 
Dorret Vefte^en " CUt ^ anb ^ i(b um 9 cftaltet, fann Dänemarf unmöglich toie 

oerboMmbeif'tif feiner oölfifchen $orberungen, biefe Um 

testen labJw ÖCut .^ cn Öffnungen, oon ber bie tjochfchullehrer ber 

& f Tmm^f ens bis 3um KriC9C ~ mit ** *»* b “ *™« 

ftönbesfüblen rrvn 3 ^. b !^ a9en ' mtt ^ tct Wo & cn Korreftheit, ihrer rein oer= 
«%unbtiefe„ bimmeIlDeit ab f ie ^n? Sie entquoll feinet 

^einlanbif* f, ? f l ^ Cren öcutfc ^ cn ^nnerlichfeit, feinem loeftmittelbeutfchen, 
®iffenf*ott x CltC -l Cn i 9 ° IMautcrn ®cmüt. Gegenüber ber fogenannten reinen 
et feinen oirf n !?\ ufti9et ® cöa nfenbau, % Syftem alles ift, fenn 3 eichnete 
burA ÖQ5 rj,M cr J" b «ng oon Grfemttnis unb £eben eingefteliten Stanbpunft 
oobnen" tvT wo ® € M°fe Raufer bauen, fonbem auch barin 

fen, 3 u ö em ? CS ® cmöt 309 ^ n ' ct f e *n Stubium nur frei mahlen bür* 

St^tnud eini et Pll fl n 3 enfunbe unb forberte für ben flrbeitstifcf? immer ben 
<is liefe jf. n <? Ct “J umcn » am liebften 3 artbuftenben Golblacf ober heliotrop. 
het3en s em ?. S ,~ cben un & Ceben in bet Itatur toie ben Sd^lag bes eignen 
5 rage » u r P ^ nbcn manchen 3 »eifel, bet „an einer toiffenfchaftlichen 
r?«ts noch höngengeblieben toar", toie Schmer 3 unb $reube hinaus 




51 ß 3 atob ®titnm 

ins Heiligtum öer Ratur tragen, öie Auen unö fjöhen um Raffel, mo ei jeben 
Steg fannte, unö {pater Öen Berliner ©iergarten, mie et’s am fdjönften am 
18. De 3 embet 1822 einmal Benede melöete, oon öem am 24. April 1819 eine 
iljn beglüdenöe Befpred}ung bet öeutfdjen ©rammatif I eingegangen mar: ,,3u 
joldjen füllen gteuben rechne id} 3hte bieöere greunbfdjaft. Schlägt einejold|e 
Stunöe an, fo mache id} gern hinaus ins Breie unö bebenfe alles, roas ta) »eb 
habe; öiesmal, in öer falten reinen £uft, erinnerte id} mich lebhaft bes 

24. Aotil 1819, roo id} unter Rad}tigaflen{d}lag unö ausbre^enöem £aut in ©e* 
öanfen herumging." (Es grüßt uns nod}, öiefes föftlidje ©emüt öes Wannes- me 
gefudjt, immer ted^eitig aus öem Bilbfdftnud feinet fd}lid}t frönen Darftellung 
ooll gehaltener Wärme, in öem es aus pflogen* unö ©iermelt unö bet ganjen 
oon Ittenfdjen beherrfdjten Ratur öer fjeimat mit Öen lieben lettenöen Sternen 
öatiiber taufenöerlei (Einörüde bemalftt h<*t. (Er erbaute fid} faft mel}t as >m 
„öem glübenben £eben" oöet öet glatten Schönheit öet ttalienifqen * l i et 
an Dürers natumäherer ©ebanfentiefe oöet fölnifdjer unö toeftflanönwer 
3nnigfeit. IDas in einer ein^eitlid} gefd}lojjenen perfönXidjteit e 
3afob ©timms ein fo gefttmmtes ©emüt im Sittlichen, für £eben unö pan e 
als ©lüd empfinöen, als 3iel öes Strebens ©erfolgen mußte, ann ttt 
3 roeifell}aft fein: innere Dornehmheit, unbebingte Reinheit. 

25. Cebensfahte fd}rieb er einmal an Wilhelm: „(Eine Heine Stabt oon 20 , 

fllenfdjen toünfdje id} mir unö uns 3 um Aufenthalt... XDenn um o 
oiel gäbe, baß mir ein äußerlich mittelmäßiges £eben, aber unabhängig 
öem gelöoeröienenöen Dienen führen fönnten! Denn ich glo^e, wan 
ein feineres äußeres £eben nad) unö nach gemöhnt roetöen, mogegen 
alsöann fonft nicht mehr fo rein lebt. Unö alles, mas aus einet gemtffen < 
fjäuslidjfeit herausgeht, ift im ©runöe ein Deröerbnis. 3d} meine . 

3 uhausbleiben, öas Ausreifen fleht öem nicht entgegen, meil ein 3utu - ® 
lieber ein tjeimreifen ift. ©bgleidj audj öet Reifeluft fo oielet Rlenfdjen e 
Blenöenöes, Unflates 3 um ©runöe liegen mag... 3dj möchte oon ? 
reifen, einige 3 ahre, meil idj roeiß, mie etftaunlich meiter öas unfet u ' 
bringen mirö." (Es ift nicht 3 U $orf<hungsreifen im eigentlichen SinncJ®” 
nur 3 U 3 mei (Etholungsteifen, 1843 unö 1844, 3 Ut Stärfung öet angegttii 
£unge gefommen, nad} 3taüen unö nad} Sfanöinaoien, unö 3 U ma . 
Steunöesreife, oon öer bann öie Befugten, 3 . B. B rc ih ctt e jj -{et 
©ppishaufen, 3 U öem fid} öet „grimmige 3 afob" aus B. h 0 ^ 6 u ” c . es 
als Kutfdjer mitnehmen laffen, faum minöer ent 3 üdt benoteten, a 

oon Bettina oon ihrem Befudje in öet gamilie ©rimm hotten. ^ 

beöeutete ihm aber butdjaus nicht Steifheit, Reinheit nidjt tttübfmn. ^ 
edjter Deutfdjer ein Sebensbefahet, mar er gern hattet unö 3 uftieöen, 
felbft nennt fid} einmal „leid}tfinnig", freilidj im Sinne öes Btbe m ^ 
nidjt für Öen anöern Hag 3 U forgen, unö eines Spruches, Öen et ftd} 


ud*. 



Don £f)eo6ot tttattfpas gjy 

H)icn anmerfte: (Bott will Sparfamleit mit ber regten £iebe, bafe fie nicfet ofene 
Hot gcjetgt wirb. 3n extern tjumor „mauerte et gleich roiebet aus, roo es 
Riffe unb £üden fefete". ©greifenb, rüfetenb unb fefealffeaft überraftfeenb liefe 
er fi<fe att $efttagen im Ijaufe ober bei $reunben oernefemen, unb als 3 U XDil* 
^elms 61. ©eburtstag 3 um erftenmal im fjaufe getanjt mürbe, ba brefete 
mit bet Stfewiegertocfeter bes Kaufes auefe ber ältere Bruber noch einen alt* 
mobilen tDal 3 er. Ommerfein, aus ber Stabt mit 2000 bis 3000 ©nroofenern 
roat eine £anbesfeauptftabt mit bamals halb einer fealben ITCillion ©nroofenern 
geworben: Die Heinfeeit bes Denlens unb ©uns, in bie et ein ZTCenfcfeenalter 
oorfeet bas ©lüd gefefet featte, bie waltete au(fe in bem f<feli<fet oornefemen 
feaufe Berlin, £enn 6 ftr. 8 . 

Die ©röfee bes Rlenftfeen ©timm 3 eigt fiefe nicfet im roenigften barin, bafe 
no<fe bet feeitermilbe ©reis ein oorausfefeungslofer Denier unb freimütiger 
Belenner blieb in ftaatlicfeen roie lefeten geiftigen $tagen. ©tunbfäfelicfe fagt 
et barüber in bet fdjönen Rebe über bas Alter: „ 3 e näfeer mir bem Ranbe bes 
Stabes treten, befto ferner meinen oon uns follten S<feeu unb Bebenlen, 
bie roh früfeer featten, bie erlannte IDaferfeeit, mo es uns anlommt, auefe lüfen 
ju belemten. Auf iferem Derleugnen berufet ber $ortbeftanb unb bie Derbrei* 
Iwng f<feäbli<feer unb gtofeer Orrtümer. Run ift uns in uielen Derfeältniffen 
Selegenfeeit geboten, eine freie Denfungsart 3 U bemäferen, feauptfäcfelicfe aber 
3« äufeern feat fie fi<fe in ben beiben £agen, roo bas menfcfelidfee £eben am 
innerften erregt unb ergriffen ift, in ber Befcfeaffenfeeit unfers ©Iaubens unb ber 
Sinridjtung unfers öffentlitfeen XDefens. ffinem freigefinnten alten Zltann rohb 
nur bie Religion für bie roafere gelten, melcfee mit §ortf(feaffung aller EDeg* 
fpene ben enblofen ©efeeimniffen ©ottes unb bet Ratur immer näfeer 3 U rüden 
geftattet, ofene in ben IDafen 3 U fallen, bafe eine folcfee befeligenbe Häfeerung 
jemals oollftänbiger Abfcfelufe merben fönne, ba mir bann auffeören mürben, 
JTCenfcfeen 3 U fein. IDünfcfeensroertefte £anbesoerfaffung aber erfefeiene ifem, bie 
es oerftänbe, mit bem gröfeten Scfeufe aller einen ungeftörten unb unantaftbaren 
Spielraum für jeben ein 3 elnen 3 U fefeaffen unb 3 U oeteinbaren. Sicfeer ift nur, 
^ufe feinter allen IDünfcfeen bie XDirllicfeleit, an bie mir 3 unä<feft gebunben finb, 
m nnetmeffenem Abftanbe ftefen bleibt, boefe follen uns jene Obeale ootfefemeben 
fl ls £eitfterne, unb mer wollte bem Alter ben IDafen abfefeneiben, bafe es fie 
Iffeon am Ranbe bes Jjoti 3 onts auffefeimmern fiefet?" 

® om politifefeen Sreifeeitsmann ©rimm, meine lieben Reiflinge, feaben mir 
f<feon manefees oemommen, bafeet 3 umScfelufe nur no<fe einige 3 üge feiner teli* 
jPofenAnfcfeauungen. ©ott unb Dorfefeung, CEugenb unb Unfterblicfeteit waren ifem 
em leerer IDafen. (Er nannte fein ©emüt, bas fcfenell £üden unb Riffe mieber 
ousmauert, ein ©eftfeenl ©ottes, unb bafe mit ber Kircfeentrennung bie anbere 
9eiftig=fprad)licfee ©nung ber Deutftfeen in ber alle oerbinbenben neufeotfe* 
öeutfefeen Scferiftfpratfee befonbers fräftig einfefet, eine $ügung ber Dorfefeung. 



318 


3afob CBrbttm 


(Ein mtetmüblihet $otf<her, erflätte et: „Die EDiffenfhaft bemaljtt öie ebeljiett 
©tmerbungen bes ITtenfhen, öie Ijödjftcn irbifhen ©ütet, aber aas ift fic gegen 
öie (Brunblage bes Däferns aert, ich meine gegen bie ungebeugte (Ehrfurcht 
oot göttlichen ©eboten?" Unb er befennt: „Bei bem butdjbringenben ©efühl, 
bafe unfet itbifher ©eil oerloten gehe, raunt in bet innerften Bruft eine geheim 5 
nisoolle Stimme uns umoiberftehlich 3 U, bet feelifche ©eil bleibe erhalten." 
Aber freilich, wenn er ©ott im Htunbe führte, oon Dotfehung, götüidjem 
©ugenbgebot unb Unfterblichleit rebete, fo mufete unb belannte in $eietftunben 
feiner Afabemieteben bet unerbittliche Denier, ber er trot} feines aarmen 
fje^ens blieb, unb bet tiefgrünbige Sptahfotfhet in ihm, bafe folget ®eift s 
glaube aaht unb rein nur fei, folange er frei bleibe oon allem Selbftifchen, 
oon allen Dorftellungen nach ircenfhenantlitjart unb XDieberoetleiblic^tfein* 
aollen, folange er eingebent bleibt, bafe fptachlih® Benennungen geaotben 
unb bähet auch aieber oetgänglich, bafj es blo&e Klangbilbet finb. ©rimm 
belennt, aie nachher ähnlich Bismarcf: „Hiemanb lann be 3 aeifeln, baf} eine 
fhaffenbe Urfraft unabläffig auch ih r DOerl fortburchbringe unb fort erhalte: 
bas IDunber ber EDettbauer fommt bem ihrer Schöpfung oollfommen gleich- 
Diefe fich unausgefetjt lunbtuenbe göttliche Kraft ift feinem als bem Derftehenben 
eine fennbare ©ffenbarung. Da fie bie gefamte Xlatur burchbringt unb in 
allen Dingen enthalten ift, liegt fie 3 ugleich offen unb oerborgen ba unb mag 
blofe butch bas ttttttel ber Dinge felbft erforfcht aerben. Denn fie ift in allen 
Dingen unb eben batum nicht aufjer ihnen." (Ein anbetmal h c lfet es: „® as 
bie ©ottheit nur benft, bas aill fie auch, was fie aill, hat fie ohne Aufenthalt 
auch oollführt. Hinnen in bem göttlichen Sein alle 'Jene oon uns gefonbert 
betrachteten (Eigenfhaften, Allmacht, Utplan unb Ausführung nicht 3 ufammen. 
©hne ihresgleihen, boh uneinfam, maltet bie ©ottheit allenthalben in ber 
unenblichen Haturfülle." EDieber an einer anbetn Stelle fagt er mit Bewufji' 
fein oon ber Unauslänglichfeit menfhlihet Rebe unb Urteilsfraft: „®ott tft 
unfere erhabenfte, lauterfte Abftraftion, ein Strom oon ©eift; wer nur bas 
geringfte Konfrete untermengen mollte, trübt unb entmeiht bie Reinheit öes 
©ebanfens. Die Beimörter bes Allmächtigen, Allmiffenben, Allgegemoätti 
gen ober anbere im ©runbe basfelbe fagenbe ©ott besiegen finb wir bereit, 
hüten uns aber, mas baraus folgt, 3 U folgern." ©rimm läfet fih’s befonbers 
angelegen fein, bas Unmürbige in ber Dorfteilung bes mit IKenfchenmunö 
tebenben ©ottes, bet in EOort* unb Buhftabenfinn genommenen 3 nfpiratton 
ber Propheten ba^ulegen. (Er fennt nur eine IDeltanfhauung: bie, bie audj 
her Raturerfenntnis gerecht mitb; benn, meint er, „bas Derhältnis ©ottes 3 »* 
a ut beruht auf gleih feften, unerfhütterbaren ©efeljen mie bie Banbe * 
U .tJ t unter f id ?- unb ba biefe ihr ©eheimnis unb IDunber nur in fi(h l elb '' 
n o M,- a ^ Ct W fragen, fo mufj jebes niht natürlihe IRittel oon ihnen aas ( 
g Ihieben fein, ©in ©eheimnis, bei bem es unnatürlih hetginge, gibt es mal ■ 



Don ttyeobor Matthias g 

<£r nennt in ber flfabemierebe „Übet bas Detbrennen ber teilen" bie Sage 
oom ©unberoogel p^önij „ein fdjönes ebles Beifpiel für bes £ebens (Erneu* 
erung nach bem ©obe, bas non djriftlidjen Dichtem oft aufgenomnten tootben 
fei", unb erflärt ben IDiberftanb ber 3uben unb ©hriften gegen bas Derbrennen 
öataus, bafe „Abraham unb Sara — oon feinem ihrer Dorfaljren fage es bie 
Stbrift —> 3afob unb bann alle bis 3U Cajarus b^tab begraben mürben unb 
dbnftus aus bem ©tobe erftanb", unb et nennt babei C^riftus „unfers ©lau* 
bens Stiftet". Aber unmittelbar batauf fährt er fort: „bas ift bem Ittenfäen 
eingeimpft, bafe er an IDunber, bie ihn 3U ©ott führen, glaube. Sch glaube an ein 
©unber bes Samens, ber, in bie (Erbe gelegt, aus feinem innem fjaft hinauf* 
treibt unb [ich 3 U 3artem, farbigem, buftigem Kraut entfaltet; ich glaube nicht, 
bafe bas 3erftörte, auseinanberfallenbe, haftlofe Korn in bem Boben treiben 
toürbe. Selbft bie ©eheimniffe finb ben ©efefeen ber Hatur unterroorfen. 
©ie vermöchte bet an feiner Seele $ortbauer gläubige, neues £eben ahnenbe 
©enfch für mäht 3U halten, bafe bie burch $euet ober (Erbe, fchnell ober lang* 
fam oerflüchtigten ©eile feines oetgänglichen unb oetgehenben £eibes ihrem 
Stoffe nach aneber 3ufammengeheftet mürben; mie fönnte ihm bie Auferfteljung 
ober bas (Emporfteigen ber $lamme mehr als ein Bilb jener geiftigen $ortbauer 
fein? Des mit höchfter Weisheit auf bie Sinne eingerichteten £eibes fleifchliche 
tjerftellung müfete ein anbetes finnliches £eben nach fi<h 3iehen unb ein höheres 
^inbern; bie Art unb XDeife ber uns gefcheljenben (Erhöhung ober Dergeiftigung 
fpricht aber leine 3unge aus." 

Unb 3 afob ©rimms Dorbereitung auf biefes 3 iel? Sein ©ottesbienft? 

? ^(hte un ö hanbelte mie ber oon ihm faum minbet als ©oethe oerehrte 

Schaler: 

©öttern fann man nicht oergelten, 

Schön iffs, ihnen gleich 3u fein 

baburch, bafe man bem Böfen mehrt unb bas ©ute förbert, bafe man anbere 
9 lucfli<h macht. Wie er in ber berühmten Rebe 3U Schillers 100 . ©eburtstage 
«ffen Religion aus beffen fjet3en bemies, „bas ooll £iebe fchlug", unb ihn 
»ftommet" nannte „als oermeinte Rechtgläubige, bie ungläubig finb an bas 
*P immer näher 3U ©ott leitenbe ©bie unb greie tut UTenfchen", fo fteht er, 
«Reformierte, petfönlidj auch über benBefenntniffen, „meil ja, fcharf genom* 
m «i, alle Spifeen bes ©Iaubens fich fpalten unb in Abmeicfjungen übergehn", unb 
ei n ur ein ©pfer, bie Selbfthingabe an bie Sache, an ben burch bie gott* 
®«öanfte Anlage angemiefenen Beruf, für bie „gute RTutter unb bie ©efchmifter, 
«nen nüfelich 3 « fein" ihm in einem Brief an bie ©ante 3 immer fchon am 
! 3,3uIi t 805 „bie fjauptabfidjt" helfet, unb für bas teure Daterlanb. Den Sippen* 
•enern aber ruft et 3U: „Sch glaube nicht, bafe ein ärgeret IRifebrauch auf bet 

(ft als bie auferlegte Häufung ber ©ebete, bie bebacfftlos aus leerer 
Hn ge©öhnung oon morgen bis 3U Abenb in faft allen ©eilen bet ©rbe laut 



320 


Dcutföes IDefen im Urteile Goethes 


unb Ici|c erfüllen", unb ähnlich ben 3 ionsw achtem: „D)enn einmal bie 
gefamte latholifdje wie proteftarrtifche Kirche 3 U ruhigem Dollbefit) i^tet 
menfchenbeglüdenben Kraft gelangen, il)t ©laubens* unb Sittengefet) auf 
geringe 3 a^I einfacher ©ebote bejdjränten wollte unb batübet hinaus jeben 
Ittenjdjen mit fi<h felbft unb feinem ©ewiffen, wie es bie bulbfamen tüten 
taten, fettig werben liefje, fo brauchte fie nicht langer profdyten 3 U werben, 
nicht mehr £iebe unb Jjafe aus bemfelben ©efäfe 3 U gieren unb wate bet in 
oielen 3eitaltern umfonft etfdjollenen, enblidj abgenutzten Klage über bie 
Sünbljaftigfeit unb ben Derfall ber tDelt enthoben." 

Kleine lieben Reiflinge! Als unfer teurer Kaifet Anfang Auguft 3 um Kriege 
oetfchtttt, war es ihm ein ftarfer Uroft, bafj er bas Schwert mit reinem h ct 3 en 
unb reiner fjanb ergreifen tonnte. Reimen Sie, meine lieben Bier, bas Klejfet 
bes ©eiftes, mit Cutter 3 U teben, bas bet Sorjdjer 3 m Blofelegung bet 
heit, bet tjanbelnbe 3 ut Sdjeibung oon ©ut unb Böfe bebatf, im edjt ibea 5 
liftifdjen ©eifte 3atob ©rimms 3 m tjanb, unb Sie werben beglücfrbeglüdenbe 
3ünger unb bereinft Itleifter werben im Dienfte beutfchen tDa^tljeitsfudjens 
unb beutfdjer tDa^rljeitsoertünbigung, bie bas ©rbenrunb noch fo nötig brauet. 
Das walte ©ott! 

Den „lebten Diet nom Regiment", bie non bet ©berprima nur nodj Detblieben »attij, 
würben ihre 3eugniffe bann mit folgenben Geleitworten ausgeifänbigt: „3ebe ©ijlenjo}“!* 
ift ein jid) roölbenber (Tempel, am Giebel aber bleibt eine ©ffnung, bie nicht tann jugemau 
ert werben, gleidjfam ein flnblid bes menfdjlidjen Rügen unburdjbringbaren hw 1 ” 1 * 
(Über Schule, Unioerfität, flfabemie, 1849.) — „fUles, was bie IRenfchen jinb, b a & en l ,c BCI „ 
Gott; alles, was fie überhaupt erringen in Gutem unb Böfem, haben fie fiel? felbft 3 U b®* e J\ 
(Übet ben Ursprung bet Sprache, 1851.) — „(Es bebarf laum gefagt 3 U werben, bafe auq 
gan 3 e Gebiet ber (Theologie unb felbft bet IRebijin, inbem fie bie Geheimniffe ber ReltJ» 
unb Ratur 3 U enthüllen ftreben, begu beitragen müffen, ben Sinn unb bas ® e b? I j| n ? 
3ugenb für bas heilige, (Einfache unb tDahre 3 U ftimmen unb 3 U jtärfen." (Weine an all ; 
1838.) — „3cf> glaube, bafc Wenfdjen unb gan 3 en Dollem nichts anbers frommt, a 9 e j 
unb tapfer 3 U fein, ©b eine grud)t unb welche grucht bataus hetoorlommen foU, bas g 
in Gottes lenlenber hanb." ( 3 . Grimm an Karl tadjmann, 1840.) 


Deutjcfyes tDc|en im Urteile (Boetfjes. *) 

Don Paul Corent} in Spanbau. 

üeutfehe nationale Kultur ift in bemusteret tDeife erft wiebet auf bet ®tunbj 
läge nationaler, politifcher unb roittfchapcher (Einigung bes gröfeten Heues 
beutfehen Stämme möglich geworben. tDefenhafte gefamtbeutfehe 3üge üe ett 
her heute immer beutlicher wiebet hetoor, längft aufgenommene ober neu hju 
tretenbe ftembe Kulturelemente werben immer enetgifcher in nationalem 1 
©erarbeitet burch Abftofcen fowohl beffen, was fi<h nicht innerlich mit beutfehem 
Petfchmeljen fann, als burch engere unb innigere Derlnüpfung bes „uns Gemäß 

1) Die Rbfaffung ber Rrbeit liegt erhebliche 3eit oor Ausbruch bes jeßigen Kti*9 



Dort Paul CorenQ 


321 


®oethe, bet in feinen entfd?eiöenöen ©ntmidlungsjahren Öen ©influfe Betöets 
unö Ülofers erfaßen hatte, jener Dorfämpfer für öas Derftanönis unterer »äHHAen 
ergangettheit, unö an öeffen eigene 3ugenööichtung fpäter öie Ortung öer junge* 
ren Romantifer antnüpfte, fah auc^ hier tiefer. Unö öa er öurch feine gefamteUHrf* 
famfeit öer beöeutenöfte Saftor öer moöernen öeutföen Bilöung wuröe, fo ift öie 
rage nan U,^ wie öeutfd?es We fen fidj geraöe in feinem Urteil gefpiegelt 
H Sie tfi es um fo mehr, als ihre Beantwortung 3iel unö Richtung 3 u geben »er* 

Ä ZÜZ5S7 *“ 6t "‘ Wen Bi,4 " ngsi4M[5 '- •- •* «f*■ 

«oethe hat über öeutfe^es Riefen öie tiefften ©eöanten gehegt unö fie gelegent* 
bwTSWS m Bn . ter Ö aItu ngen, Brie ^ en ' ® a 9 ®budjetn, biograpffifchen Rücf* 

{SST mbeMmi tne Yf* 1 " 9 *? * ic ® 5 *' $auft ' ^ ann un6 

■Zl«l u ^ m * l I ter ' IaJfcn mc $ r nur öurch öie allgemeinen U)efens 3 üge 
ftalten einen Schüfe auf fein perfönlidfes Urteil über öeutfehes U)efen 311 . 

bem Deutf*l e «^t r i S ~ C,tC !! faflt ®°^ e: « <Jrnft unö £iebe > bie öeiöen ftehen 
oSb^nc «T?'s l 0 Jt 0n ' ÖC ” adj! f0 DieIcs cnt f tclIt -" HIanfannöen3nHt öiefes 
dS?Z i -u " ^ Cffenöfien flusörui f»* öas betragen, was ©oethe über öie 
terifüflThY^fcL 016 3nncthc ^ fcit öe 3 eidjnet er als öas Kemhafte unö ©harat* 

roie ? CfCn ‘ flUS Öicfem ® runÖ3U9e et 9 cben f id > öie Do^üge 

5,e 3 ufammen öem Deutzen öas ihn oon anöern Dölfern unter* 
lajeioenoe ©eprage »erleben. 

nimmer? 1 <5ucttc öcr fpti^n>örtli(^e öeutfe^e Steife, ©oethe 

rühm» l ^ n an Öen öeutfehen Stuöenten auf italienifdfen Unioerfitäten 3 u 

b« ^ ett 'i a öas tömi ^ e Red ?* in Deutf^lanö eingefülftt rouröe. Als im ©öfc 
a«tm2* mr° n . Bambcr9 ob oiele Oeutföe oon Abel in Bologna ftuöierten, 
troflon r x eart ü S; " Bom R öel unö Bürgerftanöe. Unö offne Ruhm 3 u melöen, 
laaen- < .j^öfjte £ob baoon. Ulan pflegt im Sprichwort auf öer Ataöemie 3 u 
rübrnri* 0 er.!? a * e c * n Bcu tfcher ®on flöel. Denn inöem öie Bürgerlichen einen 
beltwic* r* • an ® en ö ctl » öurch ©alente öen Rlangel öer ©eburt 3 u erfefcen, fo 
a l^lrrt mit tü Ö m licf?er IDetteiferung, ihre angeborene UJuröe öutch öie 
LJJ en D « r öienfte 3 u erhöhen." U)o ©oethe in Dichtung unö Wahrheit öer 
öeutfcfcp e c a I mR ^ stamm « 9 ericht geöenft, oergifet er öoeh nicht, öes „ehrwüröigen 
®meft w C * eS ctn> ®Öuen, öer „mehr auf Sammlung unö ©ntwiettung oon 
luint m 0U f Rc f uRa * c losgehe unö öaher öort einen unoerfiegbaren Anlafe 
Stell" 16 * r M Be ^®f^9 urt 9 finöe." Roch 1830 freut ©oethe fich in öem Schema 
ber k x ® eu ^en im fluslanöe", öafj auch oon öen $ran 3 ofen uns oon je* 
tbn fö h r UC beu ^ e Steife" nicht ftreitig gemacht woröen fei. Aber wähtenö fie 
betonh ° S "°* ,ctos ' mö ^ am un ö läftig" angefehen hatten, fo fehlten fie jefet mit 
»or Air 616 *!!' ^“‘hönid öiejenigen U)erfe, öie wir gleichfalls hochhielten, wobei ©oethe 
Kuttlt ! m 016 B ? rb ‘ cn f* e Saoignys unö Riebuhrs im Auge hat. Auch in öer bilöenöen 
jenöert emC # öie tDcn i9 öen auf öas Kfafftfche gehenöen Anfprüchen ©oethes 
3öii^A^ e, Ct Cnnt cr — es Ö an öelt fich um eine oergleichenöe ©egenüberftellung fran* 
einmt& rU f!^ öeutf^fer Slluftrationen 3 um $auft — willig an, öafe fie mit ©hren neben* 
nomm et bc J* e Öen tonnten: „©in Deutfcher jeöoch h a * alles öurchgängig ernfter ge* 

en - öte $iguren mit mehr Sorgfalt unö wiffenfdfaftlicher ge 3 eichnet" unö einem 

Untrrridjt. 29.3al|rg. s.fjtft 21 



222 Deutfdjes IDefert im Urteile (Boet^es 

artbem fei es gelungen, bie C^ataöete mit mehrerer Stetigleit butd} bie gange Heitje 
burdftufühten. Unb oon feinet eigenen taftlofen ©ätigleit in Italien, befonbers 
roä^renb bes 3U)eiten tömif^en Aufenthaltes, fpricht ©oethe als oon feinet „notbi* 
fdjen ©efdjäftigteit", oon bet et nut in ben gat 3U heifeen Hagen einigermaßen naty 
taffen müffe: 3m {üblichen 3talien ift bem atbeitfamen Oeutfchen, wenn et bas 
£eben auf bet Strafee beobachtet, bie in Deutfcfjlanb gan3 unmögliche Klaffe oet 
Ca3atoni ein befonbers ungewohnter Anblicf, ba fie „wie alle übrigen Klaffen nuq 
arbeiten, um blofe 3U leben, fonbem um 3U geniefeen, unb fogat bei bet fltbett bes 
Cebens froh werben wollen". 

Oet anbauetnbe ©rnft hat 3U feinet faft unoetmeiblichen Begletterfhemung 
aufeet bet Behatrlidjleit unb. Bebächtigleit hoch auch bie urbeutfdje ScfjtDetfa tg 
feit unb Cangfamfeit. _ , , .. 

Oie Bebächtigteit fefet ©oethe einmal in Dichtung unb Ruthen, et oen 
beutfehen gecfjtmeifter mit bem frangöfifchen fich meffen läfet, als nationalen ot» 
3 ug bes elfteren in bas rechte Sicht, wie überhaupt bie gan3e Säuberung beut|djes 
unbftan3bfifches IDefen charaftetifiert: „©in älterer emfter Deutfcher, betauffttenge 
unb tüchtige IDeife 3U IDetle ging, unb ein $tan3ofe, bet feinen Dorteil buta} oa 
rieten unb Retirieren, burdj leichte, flüchtige Stöfee, welche ftets oon e ’ m 9 e " 
rufungen begleitet waten, 3U erreichen fuchte." Bei bem XDetttampf fan 
Oeutfche in feinet Pofitur wie eine „Blauet, pochte auf feinen Dorteil un taug 
mit Battieren unb Cegieten feinen ©egnet ein übet bas anbete Rial }U en “TI 
nen. Diefer behauptete, bas fei nicht Raifon unb fuht mit feinet Beweguaj ei T 
ben anbem in Atem 3U fefeen." Ritt bitterer 3tonie aber übergiefet ©oethe bte eu I 
Schwetfäffiglett im IDühelm RIeifter (IV, 16): „©ewife, es ift gut, menn m 
nicht immer lennen, füt bie wir arbeiten", fagt Autelie, „oh! i<h w,at au * Cl " 
in biefem 3uftanbe, als ich tntt bem höchften Begriff non mir felbft unb meinet ^ 
tion bie Bühne betrat. tDas waren bie Oeutfchen nicht in meiner ©inbu ung, 
lonnten fie nicht fein! . . . U)enn Sie benlen, bafe oom beweglichen £aben ie - 
bem eingebilbeten Kaufmannsfohn bis 3um gewanbten RJeltmann, bem u ? 
Solbaten unb bem rafchen Prisen, alle nach unb nach bei mit »otbetgega g 
finb unb feber nach feiner Art feinen Roman an3ufnüpfen gebachte, fo wer en 
mit »ergeben, wenn ich mir einbilbete, mit meiner Ration 3iemlich “ n 
fein ... Sie lam mit im gan3en fo linfifch oot, fo übel exogen, fo fchteq u 
richtet, fo leer oon gefälligem Riefen, fo gefcijmacflos. ©ft tief ich aus: **' ^ v 
lein Oeutfdjer einen Schuh 3ufdjnallen, ber es nicht oon einer fremben Ra 0 
lernt hat." Oiefen fchwet empfunbenen RIangel möchte ©oethe batum I 
bem Kinbe, wo es noch fpiclt, abgeftellt feljen. Als feine ©nlel fich einmal mt • 
fpielerfunftftüdchen amüfieten, preift et bas, 3umal wenn es in ©egetw 
Reinen publifums gefchehe, als ein herrliches Rlittel 3Ut Übung in T 16 ’ 6 * ^ 
unb 3m ©tlangung einiger lörpetlichet unb geiftiger ©ewanbtheit, v et 

Oeutfchen ohnehin leinen überflufe haben." Oer Rachteil allenfalls en f e " 
Heiner ©itelleit werbe butch folgen ©ewinn oolltommen aufgewogen (©efpr. ' 
1327). 1 ) Oie frangöfifche ©oumüre hält ©oethe füt eine bem Oeutfchen 9® 


1) ».Biebermann, ©oetfjes ©efprädje. 1. AufL 



Don Paul Corenfc ^3 

mögfije ©genfchaft, eben »eil fie „eine 3 ut Anmut gemilberte Anmafeuna fei ber 

bas 1 ' ?ne n f*Ä n9 ^ M U " b * cibc ' flnmut "ilie unb öemüK« 

RelllSÄ 6as , an f cre «“* un6 flnb nicht 3 u oerbinben". Unö wie ©oetbe 
Rebegeroanbtjeit noch als etwas eigentümlich Stan 3 öftfches öem Deutfcben feiner 
3«t entgegenhaKen tonnte, be 3 eugt bet Ausruf hoffeguts bei bem Auftreten Leu* 

^ Auf mm 'ÄrJ ,,<Es J ft ' aIs n,cnn ciTt S tan 3 °s unter bie Deutzen fommt * 

Jöge^bTj AÄ^e „ M * Öeutfd?C S ^*«eit in tot 

3ogetnoen Aufnahme neuer 3been geltenb. (Boetbe batte bas bei ber 
m amorphofe ber Pflan 3 en erfahren muffen. „Bei uns Deutzen", flagt er gebt 

SST Sr “ *«*«—►» **£ h. ;, fl « K ä 

bSL - 6t « bCl Beurte,Iun 9 ber Schrift nichts weiter als bie einfache 

iuntn feir u^r? ©egenftanbes heraus 3 uheben, bie 

aI ! c " faIIs 3“ m **!*» bienen fönne. Bon ber ©ültigfeit dnes 
« fi f * 5 ?” «"toidümg hoch hier eben alles antam, unb bas, im $all 

oernim iÄ*-' m*? b « 9<m3C ttatur öic Tnannigfaltigftc Anwenbung erlaubte, 

Sen “ 5 * ^ CS Pönb nid > ts »«*>" im «»* ben fie aus! 

OeuifAen S< ^. u ctn ertrugen." Unb ein anbermal meint er: „tDenn bie 

x fan f"' emen „ ®ebanfen ober ein töollen ober wie man’s nennen 

oie bie proteftanHf*' k° ^ erti9 ® cri)ert ' f ic fingen immer unifono 

ie ° te PWteftanhfche Kirche ihre ©horäle." 

imml an L b ? ÖC “?^ e • Pr0fcff ° r ' ° 0n bcffen <W**nb* lErodenheit unb 
öeufliAe LlrJ T £e,p 3 x! 9CC Stubcnt 3umaI aus öem Kollegium logicum fehr 
%us ber an^ d L Ö ZZ 9etra9e I ^ aU ^. fpfitcr no * 9 erabe 3 u als bet 
Sehr eraöfeH* « Ubet ^ rt , eb 5 ncn ä*ünbli<hfeit erfcheint, wirb nicht wunbetnehmen. 

leitien" ausb»?? x* c?^ C aIs f oI ^ cn in eincm jener Politiken „ 3 ahmen 
«ottesHbr «!, 0 S 6 t S StUt3CS na P° Icons: Uapoleon fteht am jüngften lag oot 
aber febr 1 2 ^ fcin cnöIofes Sünbenregifter ab 3 ulefen, wirb 

C £r U nSrX tet ° 6Ct ®° tt ÖCm S °*"' IDCnn m eto “ 9öt oom ** 

Du le S| 1 ’ S m f d? ‘ ** 95ttlid,en ©hren! --- 

»ii »i£ dfe Ponoren. ©etrauft bu bi<h ihn an 3 ugreifen, 

faurtia ii x x I eS fur3 ’ So magft öu ihn na© ber tjölle fchleifen. 

Don so Zh « a “^ ® ie6et 9 an 3 ernfthaft 3 eigt ©oethe in ber Uooeffe „Oer Iltann 
bellet tonfJ • J , bc V P cut ^ cn fei« bebächtigeres £eben fo 3 ufagen bodj auch 
|* en n - ?? ett: »Sündig Jahr finb immer nod} nicht gar 3 u mel für einen Deut* 
altern"^ 3Um ^ e * tc ^ en ' menn oielleicht anbere lebhaftere Kationen früher 

aus {»|\ beU i^ c ^ e ‘9 un 9 3 U Vertiefung unb Derinnerlichung, bie immer batauf 
Beobacht^ mc ^ t °i s bie $orm 3 u berüdfichtigen, Ienn 3 eichnet nach ©oethes 
Öbetfefe ^ aU< ^ ben ^ cu *f^en h u mor. 3n ber Befptechung einer beutfdjen 
9 ebilbete^f 9 °'° n B ^ tons Bon ^ uan urteilt er, bafe bie englifdje Poefie fchon eine 
Deutfchf Spraye habe, welcher wir im Deutfdjen gan 3 ermangelten. Das 

Hi niAt be9e , DOr 3 ö 9li<h im Sinne, weniger in ber Beljanblung. Unb wer 
bis *nife n ! nn Ct b * c Be ’^ e ber beutfehen fjumoriften feit ©oethe, oon Jean Paul 
9 euter unb IDilhelm Raabe unb fjeinrich Seibel burchgeht, bafj bas noch 

21 * 




224 Deutfehes tDefen im Urteile ©oetfies 

immer ©eltung hat? Unb menn roieöerum „bie merte öcutfdje Kation, bte ji* 
mancher Dorjüge 3 u rühmen hat", in bemTpunfte bet Schreib* unb Dtudfeljlet 
leiber allen übrigen nadtfteht, bie foroohl in fernen, prächtigen Drud, als, roas noj 
mebt roert ift, in einen fehlerfreien ©hte unb S«ube fefeen", mie mir gelegentli. 
in ber «einen Abljanblung über E?ör- unb Schreibfehler oernehmen, »as tft anbetes 
baran fdjulb, als jene fouoerane Dema^läffigung bet $orm 3 ugunjten bes ^alts. 
3ft bod? bie unmittelbare ©egenroart erft mieber, in Anlehnung an 3#t;un 
3 urücöiegenbe ©epflogenheit unb angeregt burd} fremblänbifdje Dorbtlbet auf b m 
IDege, bas Buch audj in feiner äufeeren Ausftattung als Kunftmer! 3 « betragen. 

Ben ©harafter beutfdjen ©rnftes, ja beutfdjer Büfterteit unb bes mangels 
Anmut fdjeint ©oetlje bann aud} bie beutfdje Canbfdjaft 3 u agen, jf 
fie mit ben ©efilben bes Sübens oergleidjt. Bie erften ©inbrüde auf ber italtem]0) 
Reife fpredjen bas befonbers fdjarf aus. Bet fran 3 öfifd}e Bets an einem Reg 
bürget ©aftljof: 

Comme les peches et les melons 

Sont pour la bouche d’un baron, 

Ainsi les verges et les bätons 

Sont pour les fous, dit Salomon 

fei nur non einem notbifdjen Baton möglich, in jenen gefegneten ©egenben müjj 
man natürlich feine Begriffe änbern. 3n>ifd}en Bo 3 en unb ©rient fuh 
einmal in ber IDelt 3 u £? au f e un b nidjt mie geborgt ober im «Pi • ^ 

ba toofjlgefallen, „als roenn et Ijier geboren unb exogen roare unb ,™j in ® let 
©rönlanbfa^rt, oon einem tDalfifdjfang 3 urü<ftäme". Bie gteube, nid} m 
einem böfen tjimmel toie in Beutfdjlanb 3 u fein, follte man nidjt a , 

oielmeht als eine einige Haturnotroenbigleit immerfort geniefeen. „ . cn J 

miffen mir (Eimmetier taum, feeifet es balb batauf oon Berona aus, „ ^ 

Hebel unb ©tübe ift es uns einerlei, ob es ©ag ober Hadjt ift: benn n> ic ® ,c ^ ^ 
mit uns unter freiem fjimmel mahrhaft ergeben unb ergefeen? 3m ^ 
faft immer mollenlofen Rimmels unb ber emig Reitern ©emütsart ber ^ 
roill es ©oetfee fdjeinen, als ob in beutfdjen £anben überhaupt lern StORi ^ 
tommen fönne: „©s ift offenbar, bafe fidj bas Auge nach ben ®egenf an . jj atct 
bie es oon 3ugenb auf erblidt, unb fo mufe ber Bene 3 ianifdje Hialer a c 4 , mu feig‘ 
unb heiterer fefeen als anbere Htenfdjen. D3ir, bie mit auf einem a ^ 

totigen, balb ftaubigen, farblofen, bie IDiberfdjeine oerbüfternben Bo cn > ^ 

gar in engen ©emädjetn leben, tonnen einen foldjen gtohblid an uns 
nicht entroideln." ©s ift bas bie Stimmung jener berühmten römifdjen 


© toie fühl* id? in Rom mid} froh! geben? i<f? bet 3eiten, ^ 

Da mich ein graulidjet ©ag hinten im Horben empfing, 

©tübe bet tjimmel unb fdjtoet auf meine Sdjeitel fid} )en , 
gatb= unb geftaltlos bie IDelt um ben (Ermatteten lag, 

Unb ich übet mein 3dj, bes unbefriebigten ©eiftes 
Düjtre IDege 3 u fpätjrt füll in Betrachtung oetfant. 

Hun erleuchtet bet ©Ian 3 bes helleren Äthers bie Stirne, 

Phöbus rufet, bet ©ott, gotmen unb garben h erDor - 
Sternhell glän 3 et bie Rächt, fie tlingt in toeichen ©efängen, 

Unb mir leuchtet bet ITtonb heller als norbifchet ©ag. 


Don Paul £oren$ 225 

Sol^e enthufiaftifdjen gerungen erflären fich durch öic plöfeliche tDirfung des 
©egenfafees unö öic (Erfüllung einet langen unb 3 ulefet faft franfhaften Sebnfudjt 
nadj dem Süden. Aber eben darum mufe man, um ©oethe nid?t ungerecht erfcheinen 
ju faffen, an öie tiefgehenden bleibenden (Einötücfe einmal bet Stbroenerteifen 
befonöets bet non 1779 mit bem fjeigog, unb bann an bie öbetaus freundlichen 
und wohltuenden (Einötücfe des Befuchs bet Rheinlanöe 1814 unb 1815 erinnern. 
Auf Öen Iefeten 3. B. macht ©oethe felbft, als bet etfte meines UJiffens, darauf auf* 
merifam, bafe, wie bie Oene 3 ianer als Bewohner oon Hüften unb Rieöerungen 
öenSmn bet $atbe bei f«h fobalö aufgefchloffen gefühlt, bei den Rieöerlänbem 
otefette (Eigenschaft an 3 utreffen fei. Unb auch in unfern lagen ift ja bet grofee $ort* 
hntt öer $reilichtmalerei in beamtet Anlehnung an bie alten unb modernen Bol* 
landet unb $tamlänöer erfolgt. Auf bet italienifchen Reife aber, too ©oethe 3 um 
etften male bas fo unendlich oiel leichtere Oafein bet Südländer genofe, aus bem her¬ 
aus es ihm oetftänblich wirb, bafe bem Italiener bas Ultramontane eine bunfle Oot* 
fteUung fein mufe, bezeichnen öoeh bie ootherrfchenbe Stimmung bie IDorte: „Auch 
m«t fommt bas Jenfeits bet Alpen nun büfter not" ober: ,,©s war ein fjctbftabenb, 
®ie wir unferm Sommer feiten einen oeröanfen." Unb mir oerftehen es wohl, bafe 
Tj Rorblänber, in öem ©ebanfen an bie mit Uaturrei 3 en oergleichs* 

®etfe ftiefmütterlich bedachte eigene Heimat in bem Anblicf Reapels in feiner hart* 
77 » etoa s ©tänenerrtiges in bie Augen fam". Oie heftige Äußerung, bie er bem 
naben hinten im U)agen wegen feines Cuftgefchreis unb $reuöengeheuls entgegen* 
gefc^leuoeit hatte, bereute er bald, als biefer 3 uerft eine IDeile fich nicht rührte, 
amt aber ihm fachte auf bie Schulter Hopfte unö fagte: „Signor, perdonate! questa 
i ia mia patria!“ 

Aber fpäter herrftht trofe wiederholter Klagen über bie Ungunft des Klimas 
® em. 3 ut 3 weiten Heimat getoorbenen Thüringen doch unbedingt bas tröftenbe 
«Dufetfein oor, in einem wenigftens geiftig hellen ©eile oon Oeutfchlanb 3 u leben, 
as fommt einmal fehr deutlich 3ur Ausfprache gegenüber Öen Bewohnern des 
uppettales. (Ernennt biefe fämtlich „operofe, in Landarbeit oetfunfene materiellem 
erotnn hingegebene Rtenfdjen, bie man eigentlich nur über ihre fötperlichen unb 
? CI ! ® en ^nbilben in Schlaf 3 u lullen braune" unö erflärt fich f° bie ATöglichfeit 
« Krummachetfchen Predigten in einer Re 3 enfion des Jahres 1830 , wo er folcfje 
0 age „natfotifche Predigten" nennen möchte, „welche fich bann freilich am 
uöhine ^ ^ e ^ en ^ bas mittlere Oeutfchlanb erfreue, fyöcfyft wunderlich" aus* 

um .?* e J ,e . u ^^ e ^nnerlichfeit 3 eigt ihren unoergleichlichen U)ert, wo es fich 
, ® c finnung handelt. Snnere Aufrichtigfeit unb ©reue gegen fich felßft gehört 
1 1 , °*thes übeQeugung fo notwendig 3 um ©harafterbilbe öer Oeutfdjen, bafe er, 

J öem fonft fo fchwer oermifeten ©efühl für bie $orm 3 ufammenftö&t, immer 
“ 7 cte ««bedingt preisgibt. „Oeutfche Reblichfeit fuchft du in aHen HHnfeln 
etgebens; £eben unb tDeben ift hier, aber nicht ©rönung unb 3ucht", Sagt er über 
t Wn ‘ n ^ en »®ene 3 ianifchen (Epigrammen". Unö warum hat et oon feinen Strafe* 
(Jif 1 ^Hoffen gerade £erfe als Rlufter eines beutfehen Jünglings aufge* 
unMiw! * n ,®^ cns feuern ©efolgsmann oerewigt? (Er fagt es felbft in Oidjtung 

a Qtheit: „IDeil Cerfe fich durchaus gleich blieb unb als Rlufter einer guten be* 






326 


Deutföes tDefen im Urteile ffioctfjcs 


ftanöigen Sinnesart angefeljen toeröen fonnte." „Rtan tafs auf öeutfdje tDeije, 
nach innerer ftbet 3 eugung", fagt ©oethe wie felbftoerftänölich non Öen preufcijdjen 
Diätem, öie alles taten, um f«h öem in Kunft unö Citeratur fran 3 öfif<hem H)e|en 
3 ugewanöten grieörich II. bemertbar 3 U mailen, „nicht etroa, um oon ihm geartet, 
jonbern um beamtet 3 U roeröen, man tat, toas man für recht erfannte unö roünfchte 
unö toollte, öafe öer König öiefes öeutfdje Rechte anertennen unö jdjäijert jollte." 

Anörerfeits begrünöet ©oethe feine unö feiner Strafeburger greunöe flbneü 
gung gegen Doltaite öutdj öeffen parteiifdje Unreölidjleit unö Detbilöung fo oieler 
roüröiger ©egenftänöe, öa ihnen bei ihrer öeutfdjen Ratur unö IDaferfeeitsliebe, 
als befte gühterin im Ceben unö Centen öie Reölidjteit gegen uns felbft unö anöere 
immer oor Äugen fdjtoebte. 

Aufrichtigteit unter allen Umftänöen unö nicht 3 um toenigften audj, wo fie öie 
gorm öer ©robfeeit annimmt, rühmt als befonöers öeutfdje (Eigenfdjaft jenes tDort 
öes Baccalauteus im gauft: „3m Deutfchen lügt man, toenn man Ijöflid) ift", unö 
©oethe felbft entfdjulöigt es gelegentlich, in öer Unterhaltung öireft unö grob feine 
ITteinung hetaus 3 ufagen, in öem galle nämlich, „öafe man öutchaus recht habe“- 
(Er felbft hat fidj nicht gefreut, bei lebhafter (Erörterung roiffenfchaftlicher Streit* 
fragen, roo er öas Recht un 3 ioeifelhaft auf feiner Seite glaubte, öem furor teutoni- 
cus nadftugeben. So, als et gegen Öen Kablet oon Rtüller unö feinen Kunft^Rlcyer 
in öer Streitfrage öer piutoniften unö Reptuniften 3 iemlich ausfaüenö geworben 
roar. gteilich hatte ©oethe hier noch eine befonöere (Entfdjulöigung, öie er bann 
fofort geltenö macht: „3ht müfet Der 3 eihen, roenn ich grob bin, ich fchteibe jefet eben 
in öen R)anöerjahren an öer Rolle öes 3 arno, öa fpiel’ ich eine IDeile auch im hebert 
Öen ©robian fort" (©efpt. oom 6 . Rlär 3 1828). Aber als öutd} Ausfdjweifungen 
öer Prefefreiheit in Öen öeutfchen ©ages 3 eitungen St. ©robian öenn öoch 3 U ftarl 
gehulöigt touröe, aufeert ©oethe feine Beöenfen öarübet: „R)it Deutfchen fallen 
mit unferer RIeinung gern geraöe heraus unö haben es im 3 nöire!ten no<h nicht f ^ 1 
weit gebracht." Oie nur aufeerliche Derbheit feines alten 3elter, „öer 3 ugleich 3^« 
als jeöet anöere fei", reditfertigt ©pethe 3 uöem öaöurch, öafe jener über ein halbes 
3ahrhunöert in Berlin geroirtt habe, „(Es lebt aber öort", meint er, roie man an 
allem merle, „ein fo oenoegener Rtenfchenfdjlag beifammen, öafe man mit öer Deli* 
fateffe nicht roeit reicht, fonöem öafe man haare auf Öen 3 äh ncn haben unö mitunter 
etwas grob fein müfete, um (ich über UJaffer 3 U halten" (©efpr. IV, 907). 3 e ^ et 
toeröe überhaupt feine ©rünöe gehabt haben, fich bei öen Berlinern in HcfpeEt 3 U 
fefeen, öenn „öas Döltchen befifee oiel Selbftoertrauen, fei mit R)ife unö 3 ronie ge- 
fegnet unö nicht fpatfam mit öiefen ©oben" (©efpr. IV, 755 ). 

Oer Ruf öer Aufrichtigteit unö Reötichfeit ift bei öen Deutfchen feiner Ubrtung 
immer fidjer, öafür fieljt er einem, 3 umal in Kunftfadjen, oieles nach- D 03 
3 - B. ©oethes Unmut gegen öen Rtaler (Eifchbein. Diefer habe, toie er an herber, 
fchreibt, übet Deutfche öurdj „feine (Ejuoien oon Reölidjteit", mit öenen er (ich jnu' 
ftufet, eine R)eile ein Af 3 enöant; ein RadjHang oon ©emüt fd}toan!e noch in feiner 
Seele. 

Dafe es nach öeutfdjer Auffaffung felbftoerftänölich fei, eöle ©efinnung auch butdj 
t T? A U belun5cn ' in einer öer Anmut freilich ermangelnöen gorm, ift taumle 
fo 3utreffenö ausgeörüdt tootöen als im Wilhelm RIeifter: „Da es öer ©haraner 



Don Paul £orentj 


327 


unfeter Canbsleute ift, bas ©ute ohne ©icl Pturtf 3U tun unb 3U Ieiften, fo benlen fie 
(eiten batan, bafe es auch eine Art gebe, bas Redete mit 3ierlid}feit unb Anmut 3U 
tun, unb »erfallen oielme^t leitet in ben Seglet, burd) ein mürrij<hes IDeJen ihre 
liebfte Gugenb im Kontra(te bar3u(tellen." ITCan wirb an Kant erinnert, ben beut* 
fdjen pijilofophen y.uz i&xijv, ben Derfünbet bes tategorifchen 3mperati»s, als 
bei phflofophifdjen Prägung jenes ©utes*tuns ohne oiel Ptunl, an Kant, ber ben 
(Ehrennamen „Hugenb" nur für bie uns felbft abgerungenen guten fjanblungen 
gelten (affen will, bie bie Spuren bes ooraufgegangenen Kampfes noch in bem 
büftetn Antlife 3utü(Öaf|en. Stillet geifeelt bas befanntlidj mit feinem Spott: 


®eme bien’ idj ben greunben, bod} tu’ id] es leibet mit Reigung, 
Unb fo rourmt es mich oft, bafe idj nicht tugenbhaft bin. 

Da i|t lein anberer Rat, bu mufet fudjen, jie ju »erachten, 

Unb mit Abfcheu aisbann tun, toie bie Pflicht bit gebeut. 


gteiroilliges Sidjunterotbnen, bereitwilliges flnerfennen bes ©rofeen, fut3 bie »er* 
ebrenbe Aber wollte ©oetfje als ein unterfdjeibenbes Rterfmal beutfdjen IDefens 
angefe^en wiffen, benn an Cerfe, feinem „mufterhaften Deutjdjen", rühmt er, „bafe 
et auf eine fo würbige tDeife fi<f] 3U fubotbinieren gewufet habe." 1 ) 

Aber ©oetlje weife audj, wie oerhängnisoolt gerabe bem Deutfdjen foldje Pietät 
roetben lann, wenn fie, ber eigenen XDürbe oergeffenb, bas Überlieferte, nur weil 
es überliefert ift, gelten läfet unb bas (jet3 baran bängt, ohne ben Kopf 3U fragen. 
So 00t allem in ber Kunft. ©oetbe butte einft felber als 3üngling in pietätooller 
Weife ben alten fjans Sa(bs feinen Deutfdjen wiebet lebenbig gemalt. Als aber 
fpäter einmal transparente ©emälbe nach feiner „poetifdjen Senbung fjans Sa<h* 
fens" eintreffen, ba will er fie 3wat gan3 gern als oermittelnb gegen bie neueren 
Künfüet gelten (affen, bie nämlich ausfdjliefelid? in mittelalterlidj*religiofen Stoffen 
lebten, unb aud] bie ähnlich auf ibn wirfenben 3eichnungen oon ©otnelius unb 
3«m gauft will er als biftorif<b®ptaftifcbe Übungen an fold) »ergangener 
Dorftellungsweife gelten taffen, aber webet lönne noch Jolle man foldje felbft wieber 
3 urüdrufen, benn foldjes Auffrifd]en älterer Kunft burd] bie moberne Kunftübung 
felber burfe nur ftattfinben, „bamit man ihre Derbienfte etlennenb, fidl aisbann 
um fo lieber 3U freieren Regionen erbebe". 

Wo ber Deutfei]e feine (Eigenart überhaupt hut wahren tönnen, ba haften ihm 
uralte 3 üge befonbers feft an, unb oft gerabe foldje, bie feinen Ruf 3U fdjäbigen ge* 
eignet finb. ©oetlje wirb bas mit Staunen gewahr, als er 1816 bie elfäffifdje Komöbie 
Pfingftmontag" lieft. „Die freie, freche, unbänbige Originalität ber unteren 
Stanbe Strafebutgs" finbet et ba in ben gewaltfamen Schimpf* unb Sdjmähteben 
be s Stüdes ü bet bie 3 ahrhunberte hin unoeränbert geblieben. Denn fie erinnert 


1) Riesche, ber glühenbe Derehter ibealen Deutfdjtums, a6er 
9««hteften, weil einfeitigften Beurteilet ber roitllidjen beutfehert De^ultu']!« tm neuen 
uh?' elje er in ber (Bötjenbämmerung in fo unerbttterlid?er 

JeUt. „was bem Deutzen abgeht", folgenbe 3üge als untilgbar tm beutfd)en 
beroot: „Diel guten Iltut unb Achtung »or fi<h felber, oiel Sicherheit tm * mxc,jJL a 
Niglett ber Pflichten, oiel flrbeitfamleit, oiel flusbauer — unb eine angeerbte Wafetgung, 

e J^ e *^ ei bes Stapels als bes hentmfehuhs bebarf. 3d] fuge I o ern At^ 

«‘borcht toirb 0 i>„e bafe bas ©ebordjen bemütigt. Unb memanb oerachtet 

feinen ©egnet." 



328 


Deutfdjes tDefen im Utieilc <Boctf)es 


ihn fofort an bie Schriften Sebaftian Btants unb ©eilets oon Kaifersberg, öct elfäffi» 
fd}en Satirifet bcs 15 .^ahrljunberts. tDcnn in jener Komöbie Bärbel unb £ljri s 
ftinel fprächen, jo oetnehme man gan3 genau bie ITachlommenfchaft jener roüröigen 
Wännet: „fluch bieje ungebilbeten Wäbdjen, roie jene hochgelehrten Doftotett, 
läjtem bie mitlebenbe IDelt. (Einem {eben atmen Wenfchen mitb feine 3nöioibuaIi* 
tat, aus bet et nicht heraus lann, fein befdjränfter 3uftanb aufgemußt, feine £ieb> 
haberei, bie ihn einjig glüdlid} macht, oerleibet unb oertümmert. Unb fo uwite es 
benn, nach toie oor, bas alte ttattenfehiff, bas einig bin unb toiebet fährt" 

Das fchmete Sidjloslöfen non ben geroobnten Derhältniffen, bas gemütooHe 
Sicheinleben in fie, bas bie urbeutfehe Behaglichleit lennjeidjnet, {«hließt aber auch 
bie oerbängnisoolle ©efaijt bet pebanterei unb PbH'ftrofität 
in fid?. Oer in ben Xenien toegen feiner oft überflüffigen Derbeutfdjungen hört 
mitgenommene Campe batte auf bie fluffotberung, Pebant 3U oerbeutfehen, laumg 
erroibert, pebantifch bebeute felbft beutfeh, unb 3. ©rimm hotte gemütlich gemeint 
bie Deutfchen hätten bie Pebanterei etfunben. Oer Oortourf ©oethes aber ijt ooaj 
ungleich emfter 3U nehmen, baß „bet Oeutfdje füt jenen humot, ber, felbft ohne 
poetijch 3U fein, eine Art oon Poefie fei unb feinet Hatur nach uns übet benCegen» 
jtanb erhebe, fo feiten Sinn hübe, „weil ihm feine Philifterhaftigleit jebe fllbemhet 
nur äftimieren laffe, bie einen Schein oon (Empfinbung ober Ulenfdjenoetftanb 00t 
fid} trage". (Einen noch tieferen Blid tut ©oethe in bie Seele bes Outdjfchmtts« 
beutfehen feiner 3 eit, toenn er bei Hüdfenbung ber Sdjilterfc^en „Dotiotafeln 
ooll Bitterleit fchreibt, „es fdjeine fchiet unmöglichr baß bie Deutfchen b e 9 te jf en ' 
baß man ein guter, tüchtiger Kerl fein lönne, ohne gerabe ein Philifter unb ein Wat} 
3 u fein". Dielleicht gelingt es abet hoch, fährt er fort, ben {«honen Sprühen Sqiuets, 
in benen bie großen Derhältniffe ber menfchlichen ttatur mit fo oiel flbel, 5 te, h e ’ 
unb Kühnheit bargeftellt feien, bie Deutfchen oon jenem oerhangnisoollen Dotu e 
3U befreien. £Ul3u oiel Dertrauen hotte ©oethe freilich nicht 3 U bet U)ir!fam« 
folget ©eiftesgaben auf roeitete Kreife. $ür biefe ift ihm hoch Dielfach no<h l c ^ 
unfägliche Plattheit «haralteriftifdj, ber er in ben „ITCufen unb ©ra3ien in ber Wat 
ben Uaffifchen flusbrud oerliehen hot: 


Cafe ben tPi%ling uns befticheln! 
©tödlich, wenn ein beutfeher Wann 
Seinem §teunbe Detter Wicheln 
©uten flbenb bieten fann. 


IDie ift ber ©ebante labenb: 
Sold} ein (Eblet bleibt uns nah’ 
3 mmer fagt man: ©eftem flbenb 
War hoch Detter Wichel t»a! 


Wufe ©oethe hoch auch belennen, baß felbft bei ben gefelligen ©elagen mit fernen 
größtenteils nicht bem Ourchfchnitt angehötigen Cijdjgenoffen in Straßbutg manche 
flbenb „Detter Wichel in feiner toohlbelannten Deutf«hh e lt" fl« befudjt ^ c ‘ , 
Oie flache unb platte ©emütlidjteit ift abet hoch nur bie eine djaraltenf l<h 
Seite bes beutfehen ©emütslebens; bie anbere, bemfelben fjonge 3 ut ■ 3nn ^., 
entfpringenbe ift bas Sinnige, Ita«hbenlli<he, bas in bet tDefen Ciefe trachtet, 
ift bet für ©oethe oon bem Begriff Deutfeh untrennbare metaphyflf^ e 
Damals als ©oethe nach feinem eigenen ©eftänbnis „an ber ©ren3e oon $tan et 
alles fran3öfif«hen tDefens auf einmal bar unb lebig mürbe, ba mar es 0eta e 
Wangel bes religiöfen ©efühlsmomentes gemefen, mas ihn oon ber .? 
Phtlofophie unb fomit oon einem bet bebeutenbften $altoten bet bamaligen ©et|te 



Don Paul £oren^ 229 

falltut enöguWg abftiefe. ©r trifft an bet betreffenben Stelle in Ortung unb Wahr* 
Jett mit feinem energifchen Urteil gegen bas Systeme de Ia Nature non Bolba* 
bte gmt3e fenfualiftifche Richtung ber fran 3 öfifchen Philofophie unb er geben« leb* 
t • tÜ mart ^ erIe * unangenehmen (Impfinbungen gegen Doltaire, bas Baupt ber 
„bejahrten unb »omehmen fran 3 öfifchen Oteratur", ber bie Religion, um ben fo* 
genannten Pfaffen 3 u [(haben, niemals genug habe herabfehen lönnen. Das treue, 
nthtge, fat^hdje Sorten, um ben Dingen enblicfj auf ben ©tunb 3 u fommen, ift 
®oethe an berfelben Stelle in Dichtung unb Wahrheit eine in feinem unb feinet 
Sreunöe Wefen als „beutf<her ©efellen" feft begrünbete <Eigenf<haft: „Ra<h unfern 
(Erinnerungen, nach unfetet Ratureigenheit liebten mir bie (Einbtücfe ber ©egen* 
tanbe fefeuhalten, fie nur langfam 3 u nerarbeiten unb, wenn es ja fein follte, fie 
[o fpat als mögli<h fahren 3u Iaffen. Wir toaren übe^eugt, burch treues Aufmetfen, 
ur<h fortgefetjte Befdjäftigung laffe fi<h aßen Dingen etwas abgewinnen, unb 
mm muffe burch beharrlichen (Eifer hoch enbli<h auf einen Punft gelangen, wo 
I cp mit öcm Urteil 3 ugletdj öer ©turtö öesfelbert ausfprecfyen laffe." Damit ift ein 
©efentlichet ©tunb 3 ug beutfcfjen Philofophierens gefenn 3 ei<hnet, bet jebet fünftigen 
PhHofophie wirb eigen fein müffen, bie nach öcm Derlaufe bes hiftorifchen 19 . 3 ahr* 
hunberts unb nach öem bie ejrafte Raturforfchung ihren ^öhepunft erreicht hat, 
mit einem beutfdjen ©epräge auftritt. 

„Der Deutfdje oerlangt einen gewiffen (Ernft, eine getniffe ©röfje ber ©efinnung, 
«ne gewiffe $ülle bes Snnetn", bamit weift ©oethe ein anbermal im ©egenfajjj 3 u 
piatens Stücfen auf ben eigentlichen ©runb hin, weshalb Stiller oon allen fo hoch 
gehalten werbe.^ piaten entwicfelte wohl eine reiche Bilbung, ©eift, treffenben Witf 
uno feht oiele fünftlerifche Dollenbung, allein bamit fei es, befonbers bei uns Deut* 
Iqen nicht getan." Unb an Kofcebue tabelt ©oethe, bafe et bie <DberfIäd?litf?feit 
etnes Weltmannes in bie Wiffenfdjaften übertragen will, was bie Deutfchen, unb 
3 ®at mit Recht, für etwas oöllig Unerlaubtes 3 u halten pflegen." 

Wie ©oethe felbft bie fpöttifdje Art ber fran 3 ofif<hen Philofophie, religiöfe 
nge 3 u beljanbeln, äufeerft 3 uwiber war, fo fchätjt er am Deutfchen überhaupt 
te feiner Reigung 3 ur Derinnerlichung entfpringenbe tiefe Religiofität, bie natür* 
«h auch nach feiner Auffaffung weit entfernt ift, mit Kirchlichfeit ohne weiteres 
3 u[ammen 3 ufallen. Wie ihm felbft bas Ahnungsoolle, Unausbrücfbate ben Kern 
. ts ®ntpfinbens ausmacht, fo hält er gerabe bas für einen befonbers 

eutfdjen 3 ug. IRit Recht hat man Iängft jene Worte bes Arfas in ber Spljigenie 
et öas Sfythenoolf, bas burch feine Sehnfucht nach reinerer ©ottesnerehrung 
n« oic Wirffamfeit Sphigeniens im Sinne reiner UTenfdjlichfeit einen fruchtbaren 
oben barbot, auf bie ©ermanen be 3 ogen, bei benen bie Religion ber Siebe wie 
aitgenb anbetswo Wwgel gefchlagen hat, bie Worte: 

ft«*** ^®e, bie herab (Ein neues Dolf, ooll Ceben, lltut unb Kraft, 

ffiti d"!u r et ® e ^ a ^ DOm fjimmel fommt, Sich felbft unb banger Ahnung überlaffen, 
eiaj f«h fchneller, als wo trüb unb wilb Des Ulenfchenlebens fernere Bürbe trägt. 

4 f|t °* s °ö in unaufhaltfamem Sieges 3 uge bie neue Religion bei bem Dolle ©ingang 
üefunben hätte, bas bem fpätem Rücfblicf gemiffermafjen bafür präbeftiniert 3 u fein 
°|elmehr „bas ihm ©emä&e" hat ber Deutfche wie alles, was er 3 u bauembem 
fidj an frember Kultur erobert, erft in fernerem Kampfe mit ber burch fo »iel 



330 


Deutfd)e$ XDefen im Urteile ©oethes 


orientaUfdjes unb aus bet 3eit bes Dölferdjaos ftammenbes Beiroer! erstellten Re» 
tigiort fid] errungen, An ben Begriff ber $reiheit, bas fieljt ©oethe fehr jutreffeni, 
fonnte bei ber ©hriftianifierung bet Deutfcfjen fruchtbar angefnüpft roerben. ffinem 
Dolle, bas geroofjnt roar, burd] unbänbige ©apferteit feinen glüljenbert grei^eits- 
btang 3 U betätigen, habe bie ©eftalt bes djriftlidjen Ritters, roie fie ein Paulus ge* 
jefjaffen unb ein Cutljer roieöet 3 U neuem Ceben erroedte, not allem fympatbuch fein 
muffen. Solche fultur^iftorifd}e Betrad]tung ftellt ©oethe in einem ber 3 a^men 
Xenien an, bie ber 300jährigen 3ubelfeier ber Reformation geroibmet roaten: 


Den beutf^en IRannen geteichts 3um Ruhm, 
Dafj fie gehafet bas <H?tiftentum, 

Bis hettn Carolus leibigem Degen 
Die eblen Sadjfen unterlegen. 

Dod] haben fie lange genug gerungen, 

Bis enblidj bie Pfaffen fie bejroungen 
Unb fie jid] unter bas 3od] gebudt; 


Dod] haben fie immet einmal gemudt. 
Sie lagen nur im halben Sdjlaf, 

Als £uther bie Bibel oerbeutfeht fo btao. 
Sanft Paulus, roie ein Ritter betb, 
(Erfdjien ben Rittern minbet h e *b; 
greiheit erroad}t in iebet Bruft, 

BOir proteftieren all mit £uft. 


©oethe fühlt bamit bod] 3 ugleid] bie Reformation in ihrer Bebeutung als beutfdje 
Kulturtat. Das Riefen bes beutfdjen proteftantismus — ©oethe fommt eben neben 
bem teligiöfen fltoment batin immer toieber bas nationale 3 um Beroufjtfein — 
fennjeidjnet er bann gelegentlid] einet Re 3 enfion nad] einet anbem nid]t mtnber 
d}arafteriftifd}en Seite, ©r fpridjt ba oon ben Betriebenen Arten bet Sonntags' 
feiet bei ben Dölfetn: „Dem opetofen, unabläffig im itbifdjen ©un unb ererben 
befdjäftigten ©nglänber muffe bet ftreng beobachtete Sonntag roillfommen 
bleiben; ber roeniger, befonbers in füblichen tänbern, bef^äftigte Katholir »er e 
aufeer biefem Ruhetag noch geiertage, um fein £eben inteteffartter 3 U ntadjen, e* 
bürfen: „Der beutfehe Proteftant bagegen, immer mit Rachfinnen befdjäftrgt, un 
aufjet feinen obliegenben notroenbigen Pflichten, aufeet feinem hetfömmliajett e* 
ruf nod] immer 3 U geiftigem Denfen unb ©un aufgeregt, rnerbe eines folgen oft 
roiebetfehtenben Ruhetages roeniger bebürfen, ba er, ber Hatur feines ©lau ens^ 
befenntniffes nach, einen ©eil eines feben ©ags 3 U feierlicher Betrachtung aufge 
rufen roerbe." Riet beamtet, roie fehr bas heutige öffentliche £eben ber Deu (ehe 11 
bem englifdjen im Sinne ©oethes fid] genähert hat, »üb feine Schlußfolgerung 
auch für bie anbersartige ©eftaltung ber Sonntagsfeiet baraus 3 iehen tonnen. 

Unb nun auch hier roieber bie ungeheuere ©efahr, bie burch bie einfeitige h» 
gäbe an ben überfinnlichen, nadjbentlidjen ©rieb niemanbem meht als bem eu 
fdjen broljt. ©oethe fpridjt fie roieberholt beutlich aus. IDieber gegen ben Steun 
feines Alters, ben bei aller ©emütsroärme nichts roeniger als metaphyfif®? 
teten 3elter, gibt er feine fräftige Detroünfdjung bet Rtattljiffon, Salis, »e g 
unb ber fämtlidjen ©lerifey" funb, benn fie fei es, bie uns fchroerfällige Deu l» 
fogat in £iebem über bie XOelt hinausroeife, aus ber roir ohnehin gefdjroinb ty na 
tommen." Rtan tann fid] bähet ©oethes Unroillen oorftellen, als ©enera l u P_ ^ 
intenbent Kraufe — ©oethe hält bas in ben bo<h fonft fo fnapp gehaltenen Hnnai 
bes 3ahtes 1819 ber ©rroähnung roert — ©iebges Urania ben obeten Klaffen 
Rleimater ©ymnafiums als tlaffifches tDert empfahl. Oer Rlirtungstrets 3 e 
freilich, »ie roit fahen, „non einem oerroegenen RTenfdjenfdjlage" behertfehh 9 C 
nach einer anbem Äußerung ©oethes 3 u ben gan 3 befonbers nüchternen: „3n e 




Don PauIXorenfc 

331 

flaten profanen Staöt toie Berlin fänöe öas Dä™»«*» x„ tu 

S« f ^ c f b ^ en in >“ 

alters m Öen cimmenfc^en Halten öer Spetulation 3 u roobnen"" UnöTr. T D<>t 

•=•£ me ? 2%£ 

-l'md 

Anfhauen unö Denfen bei ibm° 3U9e "^* ct f ei » öa & em “befangenes natürliches 
Art unö mZ »i * 1 l bc V* m aus 9 e tneben unö eine fünftlidje unö fchroerfällige 

öer n 5i! nÖ ?. a< ^ an9cbiIöet tDoröcn f ci - Unö ein anöermal 3 ürnt et mit 

Qegel mit feinem Sroeist”™? P^ iIo f°PW cr Probleme quälten, toie 

mebt 3 ®eifle ah a» (hh «El Dafem ©ottes, moran je# jemanö ebenfomenig 
Derftanö it' „ r C b *' , tDa ^ renö ÖIC ® n 0 länöer mit ihrem großen praftifAen 
melbmit a “ sIad ?ten unö öie ©eit geroönnen. Unö als er nach öer 3 öee feiner 

5eXr n übewn n 3öt UftW ^l 9 9Cfta9t ® itÖ ' Wü et * cfti9 auf öic Sud >t öcr 

malten: ’ ©i fo fmFrfV* f u . dE?cn ' n) ® 6utd ? f tc f ld ? öas Ceben famerer als billig 
Unö öer Ruf i» x ^°v ^ Cmma ffoura 9e, euch Öen ©inöriiden hin 3 ugeben." 
lil Ky * bic 9c ^e Hation 3 u fein! gilt®oet^e 

Hypus norööeutf *“J mestitcI ' f oIan 9 c öer 3 u feiner 3cit ftar! oertretene 

Bmft, öenenöas tn ® ^ D °!? m P e: bIa &' mit eingefallener 

in öer 3öee ftecfen unb rl"S*“ 8 * ^ md?ti9 unö trioiaI et ^ eint ' öie gan 3 
e|[ier ett aeeianefir? S? T C ** 8,e * 8d?ftcn ProbIcme öer Spetulation 3 u inter* 
eingreife bamJiü r 100 i’ C 8eut ^ c PWofoptfe 3 u menig unmittelbar ins Ceben 
wie ® 0 etbe iooq 06 tC 3U t m ^ emm f<f?“hf öer eigenen Kultur unö öaraus erfläte fid), 
aramoten,inA C : nmaI bcmctft ' bet Um ftanö, öaß fluslänöer, Briten, flmerifaner, 
wünfibt ö ^raliener unferer neuen Philofophie nichts abgeroinnen fönnen. <Er 
«ine aemitf! n”!?" 8cn S f tü ^ cn in Profa „einem jeöen mohlgefinnten Deutfchen 
®el4er flrl ^ 0r T n f ra fäfd?er ©abe, als öas mähre HTittel, feinen 3“ftanö, non 
leufeenö ** °v" ® et * un ö Anmut einigermaßen 3 u umfleiöen" unö ruft 

weniaer Dht. nn * e man nur Öen Deutfehen nach öem Dorbilöe öer ©nglänöer 
b r in a e n f °!°f^ e u “ö nte# (Eatfraft, meniger (Theorie unö mehr Prajis bei= 

©ne ° ? Urbe utls c * n 9“ies Stucf ©rlöfung 3 uteil meröen!" 
tfit inöec* 16 ® c ^ r öes alten intenfioen 3mtenlebens ift öie Sentimentale 
([ggj ß ™ £an ö c ®erthers öoeh nicht mit öeffen 3eit auch oergangen! Das 3öeelle, 

?e noch loähtenö öer Bemegung öer Befreiungskriege, meröe bei Öen 



332 


Deutfdjes tOefen im Urteile «oettjes 


Deutfchen gletc^ fentimental, „3umal bei bem ©tofe bet otbinären Autoren unb Auto* 
rinnen", ein U)ort, toie geraffen jut ©hatafteriftit ber fentimentalen $tauenlttera* 
tur in bet Utitte bes 19 . 3 al}thunbetts, 3U bet bie bet ©egenwart melfad) einen jo 
aobltuenben ©egenfa$ bilbet. ©oethe toirft in Didjtung unb UJa^eit «not Blid 
auf ben Utfprung bet beutfdjen ©mpfinbfamteitsepodje. ©t ertennt ba, bafe fie outd} 
bas befonbete 3nteteffe ber Deutfdjen für bie batnalige englifdje öteratur ^eroot* 
gerufen war, benn emfthaft fei aud} bet Deutfdje, unb fo fei ihm bie englifdje Poefte 
hädhft getnäfe, unb weil fie fid? aus einem Ifö^em 3uftanb hetausfdjneb, impojan 
gewefen. ©enauet rebet et banon in bet Campagne in gtanfteid}, wo et et em 
Befud} in Duisburg ben iungen pieffing wieberfinbet, beffen pe Iimtfttf^e_roe * 
anW ben büftem Untergrunb in bet „greife im 

eines längeren glücflid}en gnebens hatte fid} eine Ittetatif^aWettf^e Ausbübung 
auf beutfdjem ©runb unb Boben innerhalb bet Hationalfptadje auf bas ja) 
entwidelt; bod} gefeilte fid} halb, toeü bet Be3ug nur aufs 3nnete ging, 9 «®'» 
Sentimentalität hin3u, bei beten Utfprung unb gortfetjung man ben B 
yorit'Steme nid}t oetlennen batf. IDenn aud} fein ©eift nidjt übet ben I 
fd}webte, fo teilte fid} fein ©efüljl um fo lebhafter mit. Cs entftanb eme Art 30m J 
leibenf^aftlidjet Astetit, welche, ba uns bie humotiftifdje 3 tonte bes Bnten m 
gegeben war, in eine leibige Selbftquäletei gewöhnlich ausatten tnufj e. 

Aber aud} bem unfchätjbaten Dot3ug, ben bet Deutfdje in ber Ctefe un 
teit feines 3 beenlebens befifct, wirb ©oethe gerecht. Sprint et gelegentua} 
mit unoettennbatem Stol3 non bet „fchatfen Dentetluft in Deutftplano , I ? 
es ein anbetmal getabe3u: ,, 3 d} liebe bas ed}te Doltseigene 3 beenlebert e 
jdjen unb ergebe mid} gern in feinen 3 ttgängen, aber in ftetet Begleitung 
benöig*Hatürlid}en" (©efpt. VIII, 1435 ). Diegtan3ofen,betenBilbungbas 1«.0 s j 
fjunbert behercfdjte, hafteten ihm 3U fel}t am Realen unb „tonnten bas 3 e 
3u Kopf bringen, biefes abet befitje bet Deutfdje in gan3et greiheü unb 
aud} bem Deutfd}en eine getoiffe $ormlofigfeit ootwetfen" ©oetpe i| 9 
in biefem Punfte betanntUd} fonft feljt empfinblid} — „an Stoff f e * en P c e ” 

3ofen bod} überlegen, unb befonbets fei ihnen unfete philofopl}ifd} e -’bea t 
tommen, benn jebes 3 beelle fei bienlid} 3U teoolutionäten 3»eden". So h® e I 
Klopftod bie 3 bee bet politifdjen gteiheit in bet ftan3Öfifd}en Reoolutton au 
in teligiöfer gomt fid} tunbgebenbe 3bee bet geiftigen gteü}eit in ber beu W 
formation 3urüdgefühtt. Rationales Selbftgefühl fpridjt aud} aus ®° e ^ es 
tung übet bie Philofophie bes übrigens t>on ihm feht gefd}ät}ten Diftot 
fie tonne uns Deutfchen toenig geben, inbem bie Philofophie, bie er l ein , etl ^ 
leuten als etwas Heues bringe, uns feit Dielen 3 aljren betannt fei, I 0 ®® 
Urttettebung mit Coufin felbft, aus bet biefer ©oethes Äußerung bettd} e• « 
Philosophie allemande c’est la manifestation des diverses qualites.de ^ 
Nous avons vu paraitre tour ä tour la raison, l’imagination, le sentimen , 
thousiasme. Unter ben Richtungen bet beutfdjen Philofophie aber bun 
teine ein abäquateter Ausbtud beutfdjen Doltstums als bie Kants. Das t| 
nut beshalb mistig 3U betonen, weil Dielfad} bie irrige Anfidjt henfd}' a w, g j cn 
©oethe Kant feht fremb gegenüber, fonbem aud}, weil, je mehr beutfajes 
heu^utage in feinem Kern empfinben lernt unb je mehr gemeinfante g 



Don Paul Corentj 


333 


national gefärbte 3 beale fid} büben, um jo eifriger öie Beftrebungen toerben, an 
Kant roieöer anjufnüpfen. tlic^t nur, meint ©oetbe, als et oon bet Kriti! bet reinen 
Dernunft rebet, bafj, toenn ein $ähiger, ein Bebeutenber nun noch bie Kriti! ber 
Sinne unb bes irtenfdjenoerftanbes fdjriebe, mit in ber heutigen Philofophie nid)t 
viel mehr 3U tDünfdjen haben mürben, er biQigt überhaupt in einem Brief an Schiller 
(oom 16 . Ölai 1795 ) bas Urteil, „bafe ein ITConfieur Kant unb fein Schüler ITC. $id}te 
Öen Deutzen bie £id}tet aufgeftedt Ratten". Oer Parifer ITConiteur, in bem biefes 
Urteil ftanb, hatte einfach eröärt, bafj Deutfdjlanb hauptfäd}li<h roegen feinet Philo* 
fopfjie berühmt fei. Unb 3U ©dermann äußert fid} ©oetbe bafyin, bafc Kant ohne 
3©eifel berjenige fei, beffen £ehre fid} fortroirfenb ermiefen habe unb in bie beutfdje 
Kultur am tiefften eingebrungen fei: ,,©r hat auch auf Sie geroirft", fügt er bi n 3u, 
«offne baf) Sie ihn gelefen haben" (©efpr. 00m 11 . April 1827 ). 

Oie butdjgängige beutfdje Heigung 3U ernfter Selbftprüfung roie bie 3U teb* 
liebem Kampf mit ben Dingen, um ihtes KJefens habhaft 3U roerben, bat 3m Solgc 
eine reiche IRannigfaltigleit bes Refultats folget ©eiftesarbeit, roie fdjon bie 3af}l= 
teilen Bietungen beutfdjer Philofophie beroeifen. Sie legt abet eben bamit aud} 
3 eugnis ab oon bem Reidjtum ber 3nbioibualitäten bei ben Deutfchen überhaupt. 
Oer 3 nbioibualismus, ia, ber Subjeftioismus, bie eigenartig fid} barftellenbe Per* 
fönlidjleit, erfdjeint auch bem ©oetljefchen Urteil als etroas roefenbaft Deutfd}es. 
flud} ©oetbe erfennt in bet ftatlen Betonung bes 3nbioibuellen einen ljauptoot3ug 
ebenfo febt roie bie fjauptquelle ber oerbängnisoollften $olgen für bas prioate 
©ie für bas öffentliche £eben ber Deutfchen. „Dem Deutfchen ift nichts baran ge* 
legen, 3ufammen3ubleiben. 3eber, fei et auch, roeldjer et roolle, bot f° fein eigenes 
für fid), bas er fid} nicht gern möchte nehmen Iaffen", fo d}atafterifiert ein Spruch 
in profa bie gan3 un3erftörbare Ueigung bes Deutfchen 3U inbioibueller ©jiften3 
unb flnfpruch auf öie inbioibuellfte flnfdjauung. Datum abet meint ©oetbe auch, 
bafj „Deutfdje nicht 3ugrunbe geben lönnen, fo roenig roie bie 3uben, roeil es 3nbioi* 
buen feien". Den fjauptunterfcf}ieb 3roif<hen ftan3Öfifd)et unb beutfeher £iteratut 
djarafterifiert et einmal im ©efptäd} mit $ouquö babutd}, baf} et fagt, in $ranl* 
wich fei man entroeber als 3ut aneriannten Richtung gehörig abfolut ba, unerfdjütter* 
Iihr ober, roeil eben nicht 3U ben ©ültigen gerechnet, gar nicht oorbanben. Bei uns 
bagegen, fährt er fort, „!ann ich in biefer ©de ber Stube fielen, unb Sie mir biagonal 
entgegengeftellt in jener, unb mir finb unb bleiben alle beibe ba". Den Subjeftiois* 
mus $icbtes als pbilofopbifche Richtung bat ©oetbe befanntlidj roegen ber oethäng- 
nisooüen ©efabr bes Ittifeoerftänbrnffes, bie fid? im beutfehen ©eiftesleben bdb fühl* 
bar machte, 3umal in ber Romantik burch ben Baccalauteus im 3roeiten aeu bes 
Sauft febatf perfifliert: „DietOelt, fie roar nicht, eh’ ich fw erfchuf!" unb an IDtlhelm 
0. humbolbt gebenft er über „bie rounberlichen Übungen Rad}rid}t 3 “ geben, ote 
in Deutfchlanb bas Subjeft bisher mit fid} felbft oorgenommen ha*"- „ ct “ irö 
ihm aufs freubigfte gerecht, „ba roo er auf ber anbern Seite h ett Jid} 3 U m < ? t *^® l . n 
lomme, nämlich in feinem Patriotismus". „IDie gtofe", fagt ba,®oetbe, „fenö bte 
Heben an bie beutfehe Ration! Da roar es an ber Stelle, bas Subjeft betooQubeben. 
©0 ©hielt unb Subjeft fi<h berühren, ba ift £eben." (©efpr. oom 28 . fluguft 1827 ) 

Dagegen abet ben falfchen Begriff oon Stetheit, roie el A uns £U Iet< ^* “5 “J" 
angebrachte Solge bes Subjeftioismus an bem Deutfchen 3utage tritt, rügt ©oetb 



334 


Deutfdjes tDefen im Urteile ©oetfjes 


in bem auch fonft feljr inhaltsreichen ©efpräch mit ©dermann oom 18. Januar 1827 
an einigen norbbeutfchen Kaufleuten, bie fich auf Reifen roh an feinen üifd) gefegt 
hätten, babutcf} meinenb, feinesgleidjen 3 U fein: „Daburd} roaten fie es nicht", er* 
Hart et bann, „allein fie mären es geroefen, roenn fie mich hätten 3 U fdjähen unb 
3 u behanbeln geroufet." — Den naroen, aber eben bod} befdjräntten Subjeltioismus, 
6 er mit 6 em Anfprudj bet alleinigen ©ültigteit bet flnjdjauungen auftritt, oerfpottet 
©oethe ebenfo treffenb mie anmutig in bem 3<rf?nten Xenion 76: 

Oie Deutfdjen finb ein gut ©efchlecht, IDas ich unb meine ©eoattem preifen, 

©n feber fagt: rottl nur, toas Recht: Oas übrige ift ein roeitiäufig Ding, 

Recht aber foll ootjüglidj heifjen, Das fdjätj’ ich lieber gleich gering. 

Rtit befonberem Bebauern flogt er mehrfach barüber, bafe bie fo ftarl ausgeprägte 
Reigung für bas 3nbioibueIle bie Deutfdjen baran hinbere, in ©efellfchaft 3 U ar* 
beiten, 3 um großen Radjteit für bie $5rberung ber IDiffenf«haften; fo in ber Sorben* 
lehte: „Jebet mill nicht nur original fein in feinen Anfidjten, fonbem auch int ©ange 
feines Cebens unb ©uns, oon ben Bemühungen anbeter unabhängig, too nicht fein, 
bo<h fcheinen." Ulan ermißt bie XDanblung auch im beutfchen ©elehrtentum, feit 
©oethe, roenn man an bie lange Reihe bebeutenber roiffenfchaftlidjet IDerfe bes 
19. Jahrhunberts benft, bie nur burch gemeinfame Arbeit 3 uftanbe lommen lonn* 
ten. ©oethe aber muftte noch eine 3eitfchrift roie ben fran 3 öfifchen ©lobe für Deutfeh* 
lanb rein unmöglich halten: „tDir finb lautet Partituliers, meint er ba, an Überein* 
ftimmung ift nicht 3 U benlen; feber hat bie Ziteinungen feinet Prooin 3 , feinet Stabt, 
ja, feines eigenen 3nbioibuums unb mir tonnen noch lange märten, bis mit 3 U einet 
Art oon allgemeiner Dutdjbilbung tommen." 

ZDie feht fdjätjt aber auch ©oethe, bet ja felbft alle feine Schriften als eine grofje 
petfönlidje Konfeffion aufgefafct miffen roill, bas inbioibuelle ©epräge, bas gerabe 
bet beutfehe Schriftftefler feinen Büchern 3 u oerleihen pflege, eben meil et weniger 
als bie Autoren anberer Rationen auf bas Publifum Rüdfidjt nehme. 3n bet ©e* 
bädjtnisrebe auf IDielanb fpricht er es aus: „ZRan törme eben, mie bie Äuslänbet 
(«hon richtig gefehen hätten, „aus ben beutfchen Schriften ben Rtenfchen, ber fich fejM* 
ausbilbet, ben Rtenfchen, bet fich felbft etroas 3 U Dante machen roill unb folglich- 
ben ©harafter besfelben gar balb abnehmen." 

Steilich pflegt, je flacher bie 3nbioibuatität, um fo gtöfjet bet Anfptuch 3 U l e * n ' 
f»e geltenb 3 U machen. Daraus entftehen bann, roo es fich u™ Kunjtfchöpfungen 
hanbelt, jene Pfufchereten, bie ©oethe immer als ein nicht heftig genug 3 U befätnp' 
fenöes Übel erfdjietten finb. <5egenübex Schiller, bem ertetgijdjen TRitftreiter itn 
oernichtenben Xenientampfe gegen bie platte fltittelmäfeigfeit, fpricht ©oethe »°n 
bet Rnoerbefferlichfeit bet Deutfchen als bem haupteharafter aller Pfufher unb 
fahrt fort: „Da befonbers bie Pfufdjer unferer 3eit mit einem gan 3 beftialifdjen 
untel behaftet finb, fo merben fie fcfpteien, bafj man ihnen bie Anlage oetbnb, 
un roenn bas ZDaffer ootüber ift, mie Ameifen nach einem piatjtegen alles wiebet 
in alten Stanb fefcen. Doch ba tann nichts helfen, bas ©eridjt mufe übet fie ergehen. 

Die fchäblichfte ZDirtung aber mißbrauchter $reiheit bes 3 nbioibuums tritt boh 
oann cm, menn Bef^ränttheit fid? mit Bosheit paart. Solche ZDirfungen oerfpürie 
oethe oon ber Preßfreiheit: „tDas haben bie Deutfchen", 3 Ümt er, „an ih«t <h«* 



Don Paul £orenfe 22 g 

mantert Prejjfreiljeit gehabt, als baf) jeber über ben anbem fo oiel Scfjlcdftcs unb 
ITieöerträcfjtiges fagen tonnte, als ihm beliebte" (©efpr. oom 24. Auguft 1809). 

So ffarf tritt ttad) Soet^es Urteil bie 3bee ber perfönlichen Sreibeit 
unter ben 3 ügen, bie bas UJefen bes Deutföen ausmachen, ^eroot, baft |ie ibm 
*Jf ö “ s f öen Deut f^ en DOn «ntem Dolfsinbioibualitäten föfehttyn unterfebeibenbe 
Hlerfmal erlernt, ©oetlje beruft fid} babei auf ben $tan 3 ofen ©uyot, bet in feinen 
Dorlefungen, bie batnals (1829) bis ins 18. ^aljr^unbert 3 urüdgingen, non bem ©im 
PB bet Deutzen auf bie ©allier gefagt hatte: „Oie ©emtanen brauten uns bie 
3öee ber persönlichen $rei^eit, welche biefem Dolfe not allem eigen mar." „ 3 ft bas 
mdit fef(t artig", meint ©oetlje 3 U ©dermann, „unb hat er nicht ooHfommen red?t? 
' *^ ee n0£ h bis auf ben heutigen ©ag unter uns wirtfam? Die Refot» 

manon fam aus biefer (Duelle wie bie Burfchenoerfchwörung auf ber RJartburg, 
©efdjettes tote Dummes, Auch bas Buntfdjecfige unferer Citeratur, bie Sud}t unferer 
Poeten nad) Originalität unb baf} jeber glaubt, eine neue Bahn machen 3 U müffen, 
iornte öte Abfonbetung unb Derifolierung unferer ©eiehrten, wo jeber für fich fteljt 
unb oon feinem Punft aus fein IDefen treibt: alles fommt bafcr. $ran 3 ofen unb 
©nglanber bagegen galten roeit mehr 3 ufammen unb rieten fid? nacheincmber. 
n Werbung unb Betragen haben fie etwas Ubereinftimmenbes. Sie furzten, 
uonemanbet ab 3 uweichen, um fid? nicht auffallenb ober gar Iäc^erlid? 3 u machen, 
te eutfdjen aber gehen jeber feinem Kopfe nach, jeber fudjt fid; felber genug 3 u 
nicht nad; ben anbem; benn in jebem lebt, u>ie ©ugot richtig gefunben 
?«, ote 3bee ber perfönlidjen $reil;eit, woraus benn, wie gefagt, oiel ©refflid;es 
Deroorge^t, aber auch oiel flbfurbes" (©efpr. oom 6 . April 1829). 

fll$ ©oetlje im 3aljre 1795, cs ift bie 3eii ber Dorbereitung jenes unbarmljerjigen 
ttegs3uges bet Genien gegen ben ©efdjmad bet philifterhaften öeutfdjen Rlittel* 
ntuBigfeit, über „Iiterarifdjen Sansfülottismus" Hagen mufete, ba gibt er auf bie 
brage: DJann unb too entfielt ein flaffifcher Rationalautor? folgenbe Antwort: 

» enn er in ber ©efdjichte feiner Ration gto&e Begebenheiten unb ihre 
' V*”« ” . e * net 9 lö<*I*chcn unb bebeutenben ©inheit oorfinbet; wenn et 
J! en ®Bfinnungen feiner Can.bsleute ©röfje, in ihren ©mpfinbungen 
te ' e unb in ihren tjanblungen Starte unb Konfequen 3 nicht oermifjt; 

. en ” et ; f c |M* oomRationalgeift burdjbrungen, burd; eineinwohnen* 
^es® en i e m fähig fühlt, mit bem Dergangenen wie mit bem ©egen* 
Gingen 3 u fympathifieren; wenn er feine Ration auf einem hohen 
iGbe ber Kultur finbet, fo bafe ihm feine eigene Bilbung leicht wirb; 
®enn et niele Materialien gefammelt, oolltommen ober unooll* 
ontmen Betfudje feiner Dorgänger not fid; ficht, unb fo oiel äußere 
n innere Umftänbe 3 ufammentreffen, bafj er fein fchweres Celjrgelb 
u 3«hlcn braucht, bafj er in ben beften fahren feines Cebens ein 
sioges R)ert 3 U überfehen, 3 U otbnen unb in einem Sinne aus 3 u* 
fähig ift." flber wie be 3 eichnenb ift es für bie ©mpfinbung jener ©age, 

, , enn ® oet fc Me Betrachtung bet Rlöglichfeit einer folgen im hofften Sinne flaffi* 
JJJ T tionan iteratur mit ben RJorten fd;Iie&t: „tDir wollen bie Umwäl 3 ungen 
,( ht wünfehen, bie in Deutfdjlanb Haffifdje XDerfe oorbereiten tonnten!" 

D, efc Umwäl3ungen erwiefen fid; bann hoch als gerichtliche Rotwenbigfeit, 



336 


Stiller ober Sdjubatt? 

aber freilich ftammt öic nationale (Einheit bet Deutfdjen, bie fie bann brachten uni 
bie burdj ben Krieg oon 1870/71 ji^tbat gemacht toutbe, nah einem Wort fjetmann 
©rimms in ber lebten Ausgabe feines Klidjelangelo „non ben Rtännem h c *i toel^e, 
ba fie eine einige beutfhe Spraye fhufen unb iljte herrlichen ©ebanlen barin niebet* 
legten, ben ©ebanlen biefet ©inbeit 3 um erften TTlale möglich machten". ® et * n 
biefem Sinne bie nationale Bebeutung bet Klaffifer ins Auge fafot unb ben 3 unf<ben 
©oetbes 3eit unb unferet ©egenwart liegenben DOetbegang bes beutfhen Dolles 
in feinen roefentlihften Phafen überblidt, toitb nicht Bebenlen tragen, für bie h cu * e 
enetgifch angefttebte bemüht nationale ©efamttuitur bet Deutfhen bie Richtlinie 
in bem ©oethefdjen R)ort 3 U ©detmann 3 U finben: „$üt eine Ration ift nut 
bas gut, toas aus ihrem eigenen allgemeinen Bebütfnis hetoorge s 
gangen, ohne Rachäffung einet anbetn. Denn toas bem einen Dolle 
auf einet gewiffen Altersftufe eine wohltätige Rabtung fein lann, er* 
weift fih uielleiht für ein anbetes als ein ©ift. Alle Detfuhe, 
eine auslänbifche Reuerung ein 3 ufühten, W 03 U bas Bedürfnis nicht 
im tiefen Kern bet eigenen Ration taumelt, finb habet töricht unb alle 
beabfichtigten Resolutionen folchet Art ohne ©tfolg, benn fie ftno 
ohne ©ott." 3nbem ©efprach 00 m 4. Januar 1824, bem biefe Steife entnommen 
ift, macht ©oethe 3 unächft bie Anwenbung auf bie politifhen Detbältniffe einet 
Ration. Dafo er jenen ©runbfat} aber auf ben gefamten Kulturjuftanb überhäuf '< 
unb 3 toar gerabe bei ben Oeutfchen, angewenbet wiffen will, be 3 eugt febt tjeutufl 
einer ber Sprüche in Profa: „Oer Oeutfdje lauft leine größere ©efabr, als (ich ™ 
unb an feinen Rachbarn 3 U fteigem; es ift oielleicht leine Ration geeigneter, f«h 
aus fich felbft 3 U entwickln, bestoegen es ihr 3 um größten Oorteil gereihte, a B 
bie Aufeenroelt oon ihr fo fpät Roti 3 nahm." Damit ift einerfeits bie $ötberung 
beutfeher ^Kultur butch Berührung mit fremben burhaus anerlannt, attbrerfe 
aber ihr inbioibuell nationales ©epräge unbebingt geforbert. Unb toenn bie ©egen 
matt biefet|$orberung — ohne oolles Bewufjtfein, ja oielfach ohne Ahnung baoon, 
bafe es gerabe auch eine ©oethifhe $orbetung ift — meht als frühere 3 etten ge* 
recht wirb, fo ift besbalb leinesroegs 3 U fürchten, bafe bie Bebeutung bes De Iw 
tums für bie IDeltlultur baburch eine ©inbufee erleibe. Das gerabe ©egenteü t| 
bet Soll, r Denn oon allen Kulturen, bie bie ©efdjihte bisher gefeben bah h a * 
biejenigen, benen eine bleibenbe Bebeutung 3 uerlannt werben mufe, immer 
©eptage einer ftarlen Oollsinbioibualität getragen. Rur wahrhaft nationale 
tuten haben bisher Blüten unb $rü<hte gegeitigt, bie in bie IDelttultur u 
gegangen finb. 

Stiller oöer Scffubart? 

Reue £öfung eines alten Problems. 

Don Abolf Ruhborn in £jannooet*Kleefelt>. 

3m 3ahrgang 1777 ber oon B. fjaug berausgegebenen 3 c*tf^rift 
Rlagajin oon gelehrten Sahen" finbet fih S. .129—133 eine religiöfe Betrag a, 
„IRorgengebanlen. Am Sonntag" betitelt, bie in ©eift unb Sprache fih bcutlth uo 
bas Ourhfhnittsnioeau biefet 3eitfhrift erbebt. 3n ruhiget Abgellärtbeit bete 




Don flbolf Ilu^fjorn ^37 

l|iet eine ftarfe Seele, wie fie öur<h Anfettung unö 3toeifel hiubutd} jirfi jtegbaft 
3 «t „IDalj^eit" gerungen hat unö nun Öen IRut unö öie innere Kraft oerfpürt, Öen 
boppelten Kampf gegen Unglauben unö Aberglauben aufcunefymen, 3 ugleich aber 
au<$ fürbittenö für öie wahrhaft Su^enöen unö fogar Srrenöen bei (Bott ein 3 utreten. 
Den Schlufe bilöen örei frage, ©uchtige ©efangftrophen, öie in einer ftofren, fiegbaften 
Abwehr öet Spötter ausflingen. 

Oiefem religiös*lyrifchen ©tgu& ift es eigenartig ergangen. Bis 3 um Stiller* 
tj. 1 185 ^ 3 ®cifelte niemanö öaran, ba& et Öen jungen, öamals nodj auf öet Karls* 
fäule meilenöen Stiller 3 um anonymen Derfaffet habe. Oie in öer 3eitförift fonft 
nur unter gefieberten Beiträgen öesfelben oorfommenöe Chiffre „Sch." am Seeluft 
oes (Bebetes, öie ausötücflidje Anmerfrmg öes Herausgebers, bafe es fidj bei öem 
Derfa||er um einen „Dieter", at|o feinen ausgefprodjenen ©Geologen hanbele, fo* 
mie öer feltene Schwung unö öie eigentümliche Eöucht öet Spraye febien für öiefe 
Annahme 3 u bürgen. ' 

Da tauchte am Dorabenö öer 3af)rhunöertfeier plö^lidj eine bis öahin über* 
(ehene Briefnoti 3 öer $rau Schubart auf, öie Öen unglücftichen, aber fongenialen 
tanösmann Schillers, ©hriftian Schubart als Derfaffer enthüllte. Oie heutige An* 
Ipielung öes Herausgebers auf öie wenige UJochen not ©tfcheinen öer UIaga 3 in* 
nuntmer etfolgte ©efangennahme Schubarts, öie öie Sufonote 3 u Öen Rlorgengeöanten 
enthalt: „Das ©ebet ift nur öer Anfang oon mehreren, öie folgen fönten: er (öer Oerf.) 

a „ an ^ er S°rtfet;ung burd? ein befonöeres Schictfaf gehinöert woröen" — 
te für Schubart mit gleichem Recht, wie für Schiller in Betracht fommenöe ©hiffre 
” * ' ^ as a ^ es f^^en je%t Schubarts Derfafferfdhaft aufeer jeöen 3«>eifel 3 u ftellen. 
uJteöer war es am Dorabenö eines Sdjillerjubiläums, diesmal öer hunöertften 
teöerfehr feines ©oöestages — öa erhob ©bwarb Schroeöer in öen Rachrichten 
^ Cl *®W cn M? a ften 3 u ©öttingen, Phil.*hift. Klaffe 1904, Heft 2, 

• 18 f. ©infpruch gegen Schubarts Autorfdjaft. Auf ©runö eines fcharffinnig 3 u* 
jenmiengetragenen Beweismaterials fudjt er auf philologif<h 5 friti|chem IDege öen 
aajwets 3 u erbringen, öafj öie „RTotgengeöanfen" nicht fdjlechthin als Schubarts 
’üentum, eher als öas öes jungen Schiller, jeöenfalls aber als öeffen etwa nach 
•nem oothergegangenen Schubartfdjen ©ntwurf oerfa&tes IDetf an 3 ufehen feien, 
efe eigenartig überrafchenöe ©h e fe ftiejjj, wie 3 u erwarten, faft überall auf lebhaften 
io ft h an ^ ® n ^ e ^ cn ^ cs tft ober bis heute noch nicht gegen fie oorgebrachh unö 
1° I eben wir noch jetjt not einer fchwierigen, ungelöften $rage. Da es gewifc nicht 
^gleichgültig ift, 3 u wiffen, ob ein fo fchönes Stücf religiöfer Citeratur einem 
thuler oöet Schubart 3 ugefpro<hen werben öarf, fo foll im folgenöen oerfucht wer* 

* n i gan 3 neues Btaterial 3 u einer oielleicht endgültigen £öfung öes alten ftrittigen 
Ptoolems bei 3 ubtingen. 

Unter allen ©inwänöen, öie Schroeöer gegen Schubart anführt, fcheint mir öer 
v* 1 JJ^Uefte 3 u fein, ba& weöer Schubart felbft, noch fein Sohn Cuöwig jemals 
S* I !! 0r f n9eöanf en «Erwähnung getan, tefp. fie öer Aufnahme in öie „Dermifchten 
er a 9 CtDfir6i 9t hotten. „IDenn Schubart Rlomente", fagt Schroeöer, „wenn 
führ " Ut «>ne ein 3 ige Sonntagsfrühe öurchlebte, an öer er fo fühlen tonnte unö 
R e " öur ftc — welken ©runö hätte er fpäter gehabt, öas 3 u uerfchroeigen?" 
uun, abgefehen öaoon, öafe es mir noch o° r frühem gelungen ift, einen bisher 

3fl *l4ir. f • fc ' u< fäen Untere^. 29.3al|rg. 5. fjeft 22 



338 


Stiller ober Sdjubart? 


oerfchollenen 3ytlus Schubartfcher ©ebidfte auf 3 ufpüren (»gl. Schwab. IRerl Itr. 237 
oom 26. ITCai 1910), öic auch nicht mit einem IDotte in jeinen Briefen unb Serien 
öiteft ermähnt werben, aber trofebem als fein (Eigentum oöHig gefiebert finb, befagt 
biefes argumentum e silentio Sdjtoebers getabe für einen Dieter wie Sdjubart 
faft gar nichts. 3 ur ©enüge betannt bürfte boef} tooijl fein, in welch beifpiellos nadp 
(affiger XDeife biefet mit feinem geiftigen (Eigentum umging, wie et felbft feine be» 
beutenberen Sachen anonym herumflattern ober fie unter falfchem Hamen in ganj 
obfturen Sammlungen abbruden liefe, ohne fie in feinen Briefen ober feiner Seibft* 
biographie 3 U erwähnen. näheres bietübet finbet man in Reftrieptes Buch „Sdju* 
hart als Dichter", pöfened 1910. 

Richtiger ift fdjon bet (Einwanb, bafe es fich bei ben „Rlorgengebanten" um ben 
Beginn einer ganjen Serie teligiöfet Betrachtungen hanbeln foU, bie nut butd} „bas 
befonbere Schidfal bes Dichters" unterbrochen tourbe (nach Anmertung bes h etaus ’ 
gebers). „Das hätte et nie aus bem ©ebädjtnis getilgt", meint Schtoeber. 

ffat er bas benn toitflich getan? Unfere „morgengebanten" finb nach Schwebet 
Anfang HTät 3 1777, alfo 3 U Beginn bet paffions 3 eit erfchienen, unb faft ein 3ah'3 e h n j 
früher, am Il.ltlät3l768, fchreibt Schubart ausbrüdlid?: „IDörtlich gehe i<h Wj 
Paffionsbilbetn um, bie ich mit lut 3 e.n Profaifchen Anbauten beglet* 
ten will." (Straufe, Briefe Ht. 42.) 

IDeiter et 3 ählt et in feinet Selbftbiographie, bafe et in Subwigsburg im jagte 
1772 eine Stunbe fchwerer feelifcher (Erregung gehabt unb halb barauf „bas e» 
tennlnis" niebergefdjrieben habe, „welches h etna( *? fjaug in einem meinet 
Büchet fanb, es 3 U fich ftedte unb hernach, als ich gefangen roat, 
allenthalben betannt machte", wie es bort wörtlich helfet (Schubart, £e en 
unb ©efinnungen, I. Heil, S. 156). Klan hat mit biefem Betenntnis lange 3 e *t ,e 
„Selbftantlage" Schubarts ibentifyiert, bie Daoib $r. Straufe in feiner betannten us* 
gäbe bet Briefe Sdjubarts unter Hr. 92 veröffentlicht. Schubart be 3 id}tigt fi^ P 1 ® 
bet ftärtften Sünben gegen ©ott unb Htenfchen. Rlit welchem Recht auch 5 au B 
jene ©leichfefeung oornimmt, ift nicht erfichtlidj. Don einer unerlaubten Detoffen 
lidjung bet Selbftantlage butch fjaug ift nichts betannt. IDohl aber glauben 
bafe fjaug, bet Herausgeber bes „ltlaga 3 ins", ein anbetes Betenntnis S<h u 
wähtenb beffen ©efangenf^aft „allenthalben betannt machte", eben bie im JJwS®? 
oeröffentlichten „Rlorgengebanten", bie fich 3eile 42 ausbtüdlid} ein „BetanntniB 


nennen 


3nbes bas alles fällt noch nicht entfdjeibenb ins ©ewicht unb bleibt f^tefe 
immet noch hypothetifdj. Soll Schubart wirtlich bet Derfaffer unferes Stüaes je 
fo müffen fich in feinen IDerten Belege äufeeter ober innerer fprachji^et Art aum 
ben laffen, aus benen feine Urheberfchaft mit 3 wingenber Rotwenbigteit hewotg 
Vergeblich habe idj fie baraufhin burchftöbert. Da führten mich plöfeüch ,e 
tut 3 en ©efangftrophen am Schlufe bet Rlorgengebanten auf bie richtige Sput. 
Strophen, nach öenen Schtoeber umfonft bas grofee 1117 Siebet umfaffenbe, o 
bänbige IDürttembergifche ©efangbuch burchforfdjt hat unb oon benen e,n J° . 
gezeichneter Kennet bet tjymnologie, wie D. Dr. Sinte in IRerfeburg ausfagh . 
teine Kontorban 3 eine Spur oon ihnen aufweife, bafe fie nach Inhalt unb Ph 1 
Iogie beutlich in bie 1770 er ober 1780 er Jahre hinwiefen", biefe Strophen P 




Don flbolf nu^tjorn 


339 


i 4 f in ber gefamten 3 eitgenöfjifchen £itcratut nur einmal jitiert, unb jtoar 
bei feinem anberen als — bei unferem C^tiftian Schubart felbft. 3n 
[einen Detmifchten Schriften, bie [ein Sohn £ubtoig ^erausgegeben hat, finbet fidj 
(»gl- Schubarts bes Patrioten gefammelte Schriften unb Schidfale, Stuttgart 1838, 
Bb. VI, S. 75f. eb. Sdjeible) eine religiöfe Betrachtung „(Ehriftliche Religion" be» 
titelt, bie übertafdjenbe flnflänge an bie IRorgengebanfen aufroeift. 3 n bie[em Ruf* 
[aß ift auch oon Unglauben unb religiö[et 3 nbiffeten 3 bet 3eit bie Rebe. „IDas tut 
ber wahre Ghrift in biefet IDitte?" Reifet es bort S. 79. „(Er Derfdjliefet [ich in [ich 
felber. . . Dann fingt er im Schimmer bes IRorgens: 

Du haft oon;<Eroigfeit gefehn, 

IDie lange nodj ih* Reich beftehn, 

Sich fflibet Dich empören foli. 

Dielleicht ift, {fett, ihr IRaß balb ooll. 

Dielleicht, U)eltricbter, hoben fie 
3n ihrer ftoljen bangen IRüh, 

Den Raumelfelch balb ausgeleert, 

Bis auf bie fjefen ausgeleert. 

Rieht nur bie äußere Situation — „Stimmer bes IRorgens" gleich „erftem IRorgen* 
ftrahle" (Ittorgengeb. 3* 2 )—ift hier biefelbe, felbft bie erfte berbeiben 3 itiertenStrophen 
lehrt wörtlich in unfeten „IRorgengebanfen" als 3 u>eiie Schlüßftroplje roieber, wenn 
« hier 3eile 70 heißt: 

Du haft oon (Ewigfeit gefehn, 

IDie lange noch ih l ®t 03 beftehn 
Unb wiber bich hier fchnauben foll; 

Dielleicht ift nun ihr IRaß balb ooll. 

ift eine fo auffallenbe Berührung mit unferen „IRorgengebanfen", baß Schubarts 
Urheberfdjaft für fie nun eigentlich außer jebem 3n>eifel tritt. Selbft angenommen, 
bie Strophen feien, toas gar nicht ausgefdjloffen ift, nur ein 3itat Schubarts aus 
itgenbeinem geiftlichen £ieb eines 3eitgenoffen, oielleicfjt Klopftods, fo ift bie Hat* 
[«he, baß biefes feltene, uns unbefannte 3 itat in ber gan 3 en 3 eitgenöffifchen £iteratur 
bisher nur einmal, unb 3 toar bei Sdjubart toieberfehrt, immer noch fchtoertoiegenb 
genug für Schubarts flusfprüche auf bie „IRorgengebanfen". 

Demgegenüber bebeutet ber Detfuch Schroebers, bem jungen Schiller bennoch 
butd} hetanjiehung ein 3 elnet [prachlidjer parallelen unb bilblidjer IDenbungen aus 
[einen 3ugenbbichtungen ben Anteil an bem ftrittigen IDerfchen 3 U fichetn, ein 
fmdjtlofes Bemühen. Bei einem fo einheitlichen Stücf ift auch bie allgewaltige höhere 
Philologie Kritif außerftanbe, beftimmte Hähte, überarbeitenbe unb feilenbe hänbe 
nochweifen 3 u fönnen. Don einem IDetf Schillers fann gar feine Rebe fein. Ruf 
mnb intenfiofter Schubartlettüre habe ich vielmehr 3 U faft allen Schilletfdjen pa= 
tallelert, bie Schroebet 3 ur (Erhärtung feiner Jjyp°thcfe heran 3 iehi, immer noch 
fol<he oon Schubart finben fönnen, unb feien es fo fdjeinbar originelle flusbtücfe 
® ie „her3feßlenb", 3 .52, für bie es nach Schroebet außer bei fjölty nur noch ben 
«nen Beleg aus Schillers „berühmter Brau": („bie fjeQenfeßlerin gleich einem 
JJüiag") geben foll. 3n einem Briefe (Strauß Rr.251) nennt Schubart ben König 
S^ebrich IDilhelm II. oon Preußen ebenfalls „ben fj er 3 enfeßler . 

22 * 



340 


Stiller ober Schubatt? Don ftbolf Itufchorn 


So wenig bebeutungsooll biefe Sdjtoeöetfdjen Parallelen für unfere ganje §rage 
finb, fo überaus bejeidjnenb für Schubarts Derfafferfchaft jdjeint mir in fpradjlidjer hin* 
ji<ht ein Dreifaches in Öen „Rlorgengebanlen" 3 U fein, was Schroeöer gan 3 über« 
fehen haben mufe: 1 . bet bteimal wiebetfehrenbe ©ebrauch bes RJörtchens „bann" 
jtatt „benn" (3eile 12 , 33, 66 ). Das ift ein fpejififch Schubartifcher Sprachgebrauch, 
ber uns in feinen tDerien faft auf feber Seite begegnet, fo baf) fein eigener £anbsmann 
unb ©egner, bet Pfarrer Kern, fogat Anftof) baran nahm unb in feinem „Senb* 
fchteiben an fjenn Schubart 1789" S. 45 getabeju monierte: „Daher brauchen Sie 
ohne Unterfchieb bannoch unb bennoch." 2. Das bei Schiller feltene, bei Schubart 
um fo häufigere tDeglafjen bes Arülels in IDenbungen wie „in Ijimmel 3 urüc!“ 
(Rlorgengeb. 3 - 26), „in ©empel ruft". Parallelen ba 3 u bei Schubatt „bis in Hob" 
(Brief an ©reiner, Atd}. f. Citgefdj. XI, S. 150), „in btennenben tDalb" (tberle eb. 
Scheible, Bb. IV, S. 66 ), „in ©empel trat" (©ebicht „©euts halle", 3 - 45), „in ©empel 
führen" (Ausg. Scheible I, S. 190). 3. Der bei Schiller ungebräuchliche bei Schubart 
auffällig oft wiebertehrenbe flusbruef „3weifelfudjt" (Rlorgengeb. 3 - 23), 3 . B. „3wei* 
feljucht unb Unglaube" (Scheible I, S.293), ferner „3Weifelfu<ht" (Strauf), Brief 
Ur. 88 ), enblich „©rübelei unb 3>»eifelfucht" (Scheible VI, S. 274). ©s würbe 3 U 
weit führen, biefe intereffanten unb faft fdjlagenben fpradjlid?en Snbyien noch weiter 
3 u oerfolgen. $ür uns befteljt nach öem Dorhergegangenen fein 3 *®eifel mehr, baf) 
wir es bei ben „ITlorgengebanien" mit einem burdjaus Schubatüfhen ©geugnis 
3 U tun haben unb baf) bie lang umftrittene $rage: „Schubart obet Schiller?" mit 
einem 3 uoerfichtiichen unb fräftigen: „Schubart, nicht Schiller" 3 U beantworten ift. 

©in ©lüd muf) bas genannt werben für beibe Dichter, für Schill«» fofern wir 
fet)t ben fugenblichen Katlsfchüler mit gutem Recht oon biefem metlwürbig abge* 
Härten unb gereiften religiöfen Betenntnis, bas in feinem Utunbe hoch nur aÜ 3 U 
altflug unb unwahr Hingen würbe, befreien fönnen, für Schubart, fofern bataus h« s 
oorgeht, baf) biefer oft als leichtfinnig unb oberflächlich »etfehriene IHann, auch 
tieferem religiöfen ©rieben 3ugänglich gewefen ift. ©inen perfönlid}en Anljaltspunlt 
für Schubart glaubt Schroeber mit Recht 3 U fehen in ber ©rwähnung ber Angehörigen 
(Rlorgengeb. 3* 45), bie butch bie ©taubensfreubigfeit bes Derfaffers beglüdt wer* 
ben follen. „Das weift in bet ©at auf Schubatt hin, beffen weiches h et 3 am eheften 
burch bie offenen unb füllen Dorwürfe ber Seinen getroffen würbe, 3 . B. in bet 
„SelbftanHage": „Ach nun ben! ich an bie Riemen, Die mein fj «3 1° innig 
(Schroeber a. a. O. S. 225). U)ie altflug unb unperfönlich würben bie hi« in 
tra^t lommenben U)orte ber „Rlorgengebanlen" „öffne mein fj «3 Öen ©inbrüden 
ber UJahrheit, baf) i<h ftarl genug fei, fie auch Öen Riemen 3 U oerfünben" im Rlunbe 
bes laum 18jährigen Katlsfhülers, bet noch Öa 3 u fern oon ben Seinen weilte, Hingen! 
IDie «haralteriftifch finb fie für Schubart! 

$affen wir 3 ufammen: Die Rlorgengebanlen ftammen nicht oon Schäl«» f on ' 
betn oon Schubart. Sie fallen 3 eülich in bie £ubwigsburger 3aljre Schubarts, alfo 
in bie 3eit 1769 bis 1773, unb 3 war hanbelt es fidj um ben Beginn einer ganjen, 
f^on in ©eifjlingen 1769 (»gl. bie BriefnoÜ 3 , Strauf) Rt. 42) geplanten Reihe teli* 
giofer Betrachtungen, bie nur burch „ein bejonbetes Schidfal" (fjaug), eben S<h“‘ 
barts ©efangennahme, unterbrochen würben. 



Deutfdje Solfeatengräbcr. Don $rUbrid) Campp 


341 


Deut|d)e Solöatengräber. 

Don 5riebrt<b Campp in ©tünbetg (Scfjleficn). 

Don jcljet fdjroebte um bie Statten, auf benen bie 3ugenb unb bet Stol 3 eines 
Doltes in feelbenljaftem Kampfe fürs Datetlanb geblutet ijat, bet Sdjein nie weifen* 
ben Ruhmes, füllet ©röfee unb emftet Rlafjnung. Diefe Sümmung ift es, bie uns 
ganj befonbets etgteift, wenn mit bie toudjügen Bauten bet Ihgeit flauen, mit 
benen unfete Dotfafeten bas ©ebäcfetnis iljtet gefallenen fjelben feierten. 3m weiten, 
toilben tjeibelanb bes Rotbens tütmen jidj bie moosübetfponnenen gewattigen 
$inblinge, bie Hünengräber; unter ben laubigen Budjenljainen Dänematts 3 iel;en 
fidj gleidj Katatomben bie unteritbijdjen ©anggtäber, bie Riefenftuben ljin; auf 
fimgeftöntet Hö^e Sfanbinaoiens träumt bet Hdb ber Sage im Seifengrabe ber 
fdjwebifdjen Dolmen. 

Des gefallenen Hdben Rotenljemb war feine Rüftung; bie lefete ©abe alle tDaf* 
fen, bie et je im Streite geführt; feine Rotenfadel bet madjüge Sdjeiterljaufen, auf 
bem Sdjlacfjttofe, fjunb unb Stofeoogel intern Herrn folgten. So wollte es iljt ©laube. 
3m oollen töaffenfdjmud follte ber Helb, oon IDaltüten geleitet, ben <Drt gröfeter 
Seligfeit, IDal^all, flauen. 

3u wem ntdjt bie tDucfjt bes ©tabmals unmittelbar oon bet ©töfee bes Helben 
jptacfj, bet laufdjte bem Sänget, bet leudjtenben Auges bie Raten tünbete. Sdjlidjt 
unb emft wie bie ©rabftätte war bet getmanifdje Helbenfang. „Der Deutfdje liebt 
nidjt", wie Racitus in feinet „©ermania" berietet, „bie mit grofeet Afülje unb At* 
beit ertaufte Pracht bet Üenfmälet; fie etfdjeinen iljm für ben Roten als brüdenbe 
Caft, nicHt als ©Ijte." 

Rut 3 u halb follte biefe finnige Auffaffung bet ©etmanen oon bet ©töfee iferer 
gefallenen Hdben oetblaffen. Die feinere Kultut bes R)eftens übettündjte bie ut* 
wüdjfigen Sitten unb ©ebräudje bes Raturoolfes. Aus bem getmanifdjen Streitet 
routbe ber tömifcfje Solbat, aus bem monumentalen, febes Sdjmudes baten ©tabe 
würbe bet Heine, fülifierte, epitapfjäfjnlidje ©rabftein. 3n ben tömifdjen ©ten 3 lagetn 
am Rljein, in Xanten, XDiesbaben, bei RTain 3 ufw. fjat man foldje ©tabfteine beut* 
fdjet Krieget gefunben, bie ben Solbaten in feinet Rüftung im oollen Sdjmud feinet 
©tben unb fonftigen Rljrenjeidjen barftellen. Da trägt einer als 3ddjen feiner R)ürbe 
in bet Redeten ben Renturionenftab, wiebet einet bie Sdjne, ober et fefet als tapferer 
Reitet über ben befiegten ©egnet Ijinweg, ober audj, was gan 3 an gtiedjifdje Kunft 
erinnert, er fjat fid] nadj ben £eiben bes Krieges betjaglicfj ausgeftredt, um in oollen 
3ügen bie $teuben bes Rotenmaljles 3 U geniefeen. 

IDit Spätgeborenen werben nidjt oettennen, bafe bie Plafüf biefet ©tabfteine 

Kunft oertät, ja, bafe bie Anlage unb bie gan 3 e Sülifietung etwas oon griedjifdjet 
Sdjönljeit birgt. Den alten ©etmanen aber, befonbets benen, bie weitab bes Rljeines 
wohnten, mufete eine betartige Kunft nidjt nut ftemb unb roeictylidj, fonbern bet 
©töfee iferet göttergleidjen Hdben gan 3 unb gat unwütbig etfdjeinen. So tonnen 
wtt es oerfteljen, wenn es römifdjet Kultut bis ins 5. unb 6 . 3 aljrljunbert nidjt ge* 
lang, bie grofee IRetj^aljl bet ©etmanen in ber Hdbenoeteljrung 3 U bet anbeten 
Auffaffung 3 U belebten. — fllaridj fanb fein Hdbengtab in ben füllen $luten bes 



342 Deutsche Sotbatengräber 

Bufento bem DDeftgotenlönig ^eobcttd? routbe nach bet Sd)lad}t auf ben Idalar 
niicbcn ©cfilben bafelbft ein gemaltiger ©tabhügel errietet, manchet Sad>fenhet 3 og 

ssrstrjw*« £* >" * -*mh- »Tt fiis 

gürften bet griefen foüen auf bem meetumfpülten ^ethglanb ftelgolanb)ajn cj 
ihre Ruhe gefünben haben. - Rod} im K. 3at}ti}unbert fmben mir 
altgetmanifchen Brauch bei bet Begattung IRanftebs. Als biefet oon bet K J 
ftoßene gürft nad, bet unglüdlidjen Sdjladjt oon Beneoent in ungeroejtet &be 
oetjdjarrt routbe, trugen bie Krieget, um feinen fjelbenmut 3 u en, jebet emen 
Stein betbei unb häuften ihm fo ein tiefiges Junfttofes ©tabmal. XDoty m«j«h 
Streitet bet Komet* unb Kteu 33 üge mag ein fo ehrenoolles, non £tebe unb Wti- 
fchäßung 3 eugenbes Denhnal gefegt roorben fein. 

Hiebt unb meljt öffneten fid? bann feit bem beginnenden ™elaltet bie »eiten 
fallen bet Dome unb Stiftslirchen, bie in if?xe Krypten bie ©ebeme eölet ^ 
net aufnaHmen. 3n bem Schiffe ober imWen ©ho «i dm 
hauen auf ptuntenbem Satlopfjage bie 3uge bes f?etöf n - tunbe f<h J 
feine laten. Rad} tDolftams „Parsal" mürbe auf ©Jmutets ©tab bes ^ 
fjelm geftellt, unb eine 3nfd|rift belehrte ben Ridjtroiffenben. So tragt bet ©tabfte 
bes Siegers non tltühlborf, bes gelbhetm Seyfrit Sdjmeppetmann, bte IDott . 

„fjie leyt begtaoen fjert Seyfrit SchtDeppetmann, aUes meins unb „btToem 

Rittet ted unb »eft, bet 3 u ©unbetstorf im Stteit ttjat bas beft. ttt ift nun » 
©ott gnobt. ©Mit anno 1337. 3ebetn ein ey, bem ftommen Sdjroepperntann 3»ey. 

So fprid}t in bet Kirche 3 u Canbftuljl bet ©tabftein bes tapferen Rei^srittets 

$tan 3 o. Sidtngen, baß er 

„in bet 3«t feines Cebens Kaifet Kotoin bes Sänften R^h ©ametet iÄiTotaem” uff 

toeft unb in Belagetung feines Stoffes butd} t e uä aus bet tOelt 

Donnerstag ben 7.Rlay, anno 1523 umb Rtittag in ©ott ^riftlidi unb felig au 

oetfcf)ieben." 

Unb in bet prächtigen fjoffitdje oon 3nnsbtud erfcheint neben ben gemalttgen on 
menten bet beutfehen Kaifet bas einfache ©tab bes ©tolet gtetljcitshclben 3 WP 
Spedbadjet, bas in fo tteffenben tDotten bie ©igenfdjaften eines guten patn 

P te W : „3m Kriege toiib, bod) menfdjlid} auch- 

3m $rieben Jtill unb ben ©e|et$en treu, 

Wat et als Krieget, Untertan unb Wenfdj 
Der <Efyre tme bet £iebe wett." 

So ehrte bas beutfdje Dolf feine fühtenben ©eiftet. Rieht f" 
fpredjen tagenbe Denhnälet 3 u ben ©nleln oon bem Ruhm ^ ^ n J a< P „jAt 
Die Blüte bes Dolles, meld}e bie fc^iet enblofen geßben öes RRttclaltets e^, 
3 uleßt bet Dreißigjährige Krieg fotberien, ruht in unlenntltd}en Jl et iA 0 Ue 
Auf gtünenbem Dorfanger, in bet Stille eines Kirchhofes ober unter bet H W 
fd)lummert frieblidj bas ©otenfelb ©aufenber, über bas fdjon l a h*3eh .. 

Pflug geht, unadjtfam bet guß bes IDanbetets fdjteitet. Kaum mct J ^ feiten 
ein flauet Rafenhügel, auf bem bas Unltaut roudjert, bet <£feu ran • 
mahnt eine alte Kapelle 3 um ©ebet unb ©ebädjtnis. Um fo meßt ooe 1 1” 




Don Snebrid) Campp ^ 

oergilbten Blätter ber (Ebonit eines Dorfes, einer Stabt oon ben helbentaten ihrer 
Sopne. * 

.. ** BiIöun9 eincs Solbatenftanbes, bem ber CanbsfneAte, 

gellten fich auch feftftehenbe Sitten ein. Ulan mürbe fegt eigentlich erft ber treue 
Kamerab. ®ie man bie Sreunbfchaft beim 3echgelage, beim IDütfelfpiel, in ben 
Serben ber Schlaft hielt, fo roollte man auch über ben (lob hinaus bie ©reue halten 
Wen bet Schlachtengott fi<h 3 um Opfer etforen hatte, bem follten non feinen Karne* 
raben 3 ulegt noch alle (Ehren 3 uteil roerben. (Es entmidelte fich bie $otm bes echten 
Solbatenbegrabmffes. Unter Grommelfchlag unb ben UJeifen eines £anbsfne*ts* 
wbes mürbe bet tote tjelb burch bie ©affe feiner Kametaben getragen. Stumm 
garten fte fi<h um bie ©ruft, roährenb bie $ahne bes hl. Michael ihm ben lebten 
©ruß wmfte, bie Saloe übet bas offene ©tab hinrollte. — Beneibensroett erfchien 
oas £os ber in ber Schlacht ©ebliebenen, fichet mar ihnen bet Huhm unb ebenfo ge* 
®V‘ e Seligfeit. U)as rounber, menn in 3ahlreichen Siebern bas ©lüd, im Kampfe 
}u fallen, fo geptiefen mirb: 

„(Ei, mirb idj’s bann erfegoßen, 

©rfdjoßen auf breiter tjeib, 

So tregt man mich auf langen Spießen, 

(Ein ©tab ift mit bereit." 

ober: 


„mit ürommelflang 
Unb Pfeifeng’fang 
IDitb man begraben, 

Daoon tbut haben 
Unfterblidhen Ruhm." 

Gin Dolfslieb aus bem Dreißigjährigen Kriege rühmt: 

„U)et abet in bet Schlacht 
Srei oot bem $einb gefallen, 

Dem mirb fein ©rab gemalt; 

Drei Saloen brein erfüllen. 

Diel ©hr hat et: 

(Et fiegt als f?elö." 

Diefe Art bes Solbatenbegräbniffes pflegten bie ©renabiere $riebrichs bes ©roßen, 
®enn fie ihrem gefallenen Kametaben bie EDaffen auf ben Sarg legten unb als legten 
ruß brei Saloen abgaben, pflegten bie Sreigeitsfäinpfer unb ihre mürbigen ©nfel. 
ur etmas gan 3 Heues brachte bas 19. Jahrhunbert bem beutfdjen Solbatengrab: 
te pietätoolle Pflege. Itidjt nur bie 3 citgenoffen hielten es für ihre heilige Pflicht, 
j»e Stätten betet 3 U pflegen unb 3 U hegen, bie ißt Seben ließen für bie Allgemeinheit, 
jonbern auch ihre Kinber unb Kinbesfinber erhofften reinften Segen aus ber Siebe, 
Ie I*e ihren großen Ahnen ermiefen. Danfbarfeit unb Bemunberung maren es, bie 
m jahrelanger Arbeit bas gemaltigfte Denfmal, bas Sinnbilb altgermanifcher Urfraft, 
in ber Sinbenftabt erftehen ließen, auf ber IDalftatt, bie oor hunbert Jahren in brei* 

_ SPgem Ringen gefnechteten Dölfern Stetheit unb Recht brachte. (Ernft halten hier 
uoetmenfchliche ©ebilbe IDacht an bet Krypta, fchüßenb unb maljnenb 3 eigt fich m* 
mitten ber Schieden bes Schlachtfelbes bet beutfehe ©enius, (E^engel Michael, hoff* 
»nng atmet ber EDahlfpruch „®ott mit uns", mie er mit ben Dätern mar. 



344 


Deaifdp Sol&otengräber 


Uni bilden wir weitet roeftlid} nach IDaterioo, wo fid{ ^intet einem Hälfet* 
btatna bet Dothcmg fdjlofe, ba u>ächft aus bem Boben gleich einem getmamfdjen 
fjdbengrab eine gewaltige Pyianribe, auf bet bet Cöroe bes Sieges thront 
Wie vielen ift es aber nur oetgömtt, biefe Stätten bet ©hte ju flauen, fie m 
ihrer ©rofearügteit auf fich mitten 3 U laffen. füle foDten bo© ftets an bie gtofee 3 eii bet 
Befreiung et inn eit werben. Bon biefem (5ejid}tspuntte aus entflanben auch in bet 
fjeimat Oenfmälet. IDet märe nicht fchon in bet tjauptftabt bes Beutfdfen Reidjes 
bem ©reiben bet Rlillionen entflogen auf bie bentmalgeftönte !jöh e bes Kteujbetges? 
H)en haben Ijiet nüfjt bei bem herrlichen Runbblid unb bet ungewohnten StiDe bie 
\dßd{Un tBotte bet 3nfd}rift ergriffen: 

.Den (Befallenen 311 m (Bebädjtnis, 

Den £ebenben 3 m flnerletmung, 

Den fommenben ©efdjledjtem 3 m Ha^eifetung.“ 

flbct noch auf anbete tDeife fudjte man bie (Erinnerung an bie $teif}eitstämpfet 
madßuhalten. 3n oielen Kitten Preußens finb bie Benfmünjen aus ben Befreiungs* 
Wegen Jichtbat aufbewahtt. (Ein herrlicher ©ebaitle, biefe ©hrenjeichen an geroeilj* 
tem ©rte 3 U ben ©nleln fptechen 3 U laffen! Bie Hamen oon Cehtem unb S^ületn, 
bie einft in gtofeet 3«t 3 um Schwerte griffen, lefen wir in ben gcfttäumen unfetet 
Schulen auf (Et 3 unb Itlarmorftein; unb wie oft raunen auf füllet Dotfaue bie 3® e *9 e 
einet ©ebächtniseiche bas hohe £ieb bes fjelbentums. ©erabe but«h bas flnpflanjen 
oon Bäumen lehrten wit wiebet 3 U bet finnoollen Haturehrung bet alten ©etmanen 
3 urüd. Bie 3eit bet Romanüt liefe bie Beutfdjen ben Rei 3 ihres IBalbes erlernten. 
3n bet (Eidje oerehtten fie bie Kraft, in bet Cinbe ben geheiligten Baum iljter Untäter. 
3n ihrem Schatten 3 U ruhen, etfehien als eine ben ©efallenen 3 utommenbe (Ehrung. 
Bögel nifteten in ben 3®eigen unb fangen; feljr finnig, ba man unter bet Seinen 
Sänget Bilb fich einft bie Seelen bet ©eftorbenen oorftellte. — Unter ehtet alten ©<h e 
wutbe bet ©yrtäus bet $reiheitsWege, oon bem U)ilbenbru<h fang: 

„(Et hat ben flbenb nicht erwartet 
Unb nid;t bie lange, bumpfe Itadjt, 

3m Stührot ift et aufgeftanben, 

Unb mittags hatte et Dollbtadjt," 

bet fugenbliche fjelb ©heobot Körnet, beftattet. Seine Bahre war mit Blumen unb 
(Eichenlaub gefchmüdt. „Unter gebämpftem (Erommelfdjlag trugen wit unfern ge* 
liebten ©heobot 3 ut Ruheftätte, bie wit ihm mit eigenen fjänben, DO n unfeten Sta* 
nen benefet, gegraben hatten", berichtet uns fein $reunb Sötfter. TTtit einem füllen 
©ebet unb bem £iebe „Batet, ich rufe bich", betteten fie ihn 3 Ut lefeten Ruhe. Roch ein- 
mal lehrten fie in bet monbljellen Rächt 3 utüd, um an bem ftifdjen ©rabe bem 
tet eine wütbige (lotenfeier 3 U beteiten. ©in einbtudsoolles Solbatenbegrabnis. 

Prächtige $riebhöfe würben ben im Brubetlriege 1866 oetbluteten Jjdben auf 
ben Schlachtfelbern oon Hadjob unb Königgtäfe errichtet. Doch was wollen fie *' 
beuten im Betgleidj 3 U ben Sdjlachtfelbetn oon 1870/71, bie nach bem Kriege gleich* 
fam in ein gtofees helbengrab oerwanbelt würben. IDie einbtudsooll ift für ben Be- 
fu<het bet Schlachtfelbet ein ®ffi 3 ietsgtab 00 t ben ©oren IDeifeenburgs mit feinet 
Jdjlichten 3nfdjtift: „Bas erfte Pteufeengtab für Beutfdjlanbs ©inheit". ®i e a ' 



t)on 5rieöridj £ampp 

baS l" fe ‘ nCt flufmac ^ un 9 Pompöfc fratt 3 Öfifäe fltmeeöenf* 
mal tmrfen, öas felbft tm Goöe ferne Derföhnung fennt unö als flusörud öes nie 

mTm eDan ^ e9CÖanfCnS ÖCn 9aIHfcf?en 3 omtg 3 um Rhein hinüber 

3mmtten öer IRaffengtäber öes Solöatenfirchhofes 3 U tDörth ergebt fi* öas er* 
gtetfenö fc^one baynfdje Oenfmal: ein fteibenöet Krieger, in erftarrenöer fjanö öie 
Saljne, fanft gelernt an öie Siegesgöttin, öie iljm Öen Kran 3 »on Corbeet reicht. 

Bei Saarbtüden ruhen im „Trental" im Statten öer 3ypreffen unö Grauer* 
»eiben öie toöesmutigen Stornier »on Spidern, blidt traurig unö P 0 I 3 3 ugleid> ©et* 
mama auf ihre Söhne nieöer, öie fie mit öem ©ichenfran 3 e fdjmüdt. 

roanöem mir meiter 3 U Jener ftol 3 en Sefte, unter öeten IDällen in einmöchigem 
Hmgen öas öeutfdje fjeet öie glä^enöfte IDaffentat öes gan 3 en Krieges oollbrat^te. 
uas unfreunölt^e ®ot 3 e birgt ein Kleinoö in einer ^lichten Rfarmottafel, öie öa 
Wt m einem fterbenöen ©ffitfer, öer als lebten ©rufe feinem König eine öuf* 
tenoe Hofe fanöte. Dor Öen BTauern öes (Drtes gen Re 3 onoille öehntfich öas »eite 
uotenfelö mit hügeln ohne 3 a$r, öeren Kteu 3 e mit öer fd|lid>ten Snfdjrift: „hier 
hen Krieget non 1870", eine nur 3 U öeutiidje Spraye teöen. Alle überragt ein 
woeust; nor ihm ein Krieger, öer in Grauer um feine Kameraöen öie $ahne fenft. 
s J5 ö< f_ ® tab öct Stauen Geringer. Unö örüben, roo öas $inale öer Seiten* 
m «+ et v nte ' * n ^ r * Da ^' Gängen ftef} förmlich öie Denfmäler öer ein 3 elnen Regi* 
rot er, öte fyier fo furchtbar bluteten. Über ihnen macht auf öem ©rabe öes 1 . ©aröe* 
tegtmentes in noller Rüftung, auf fein Saniert geftüfet, öer Kriegsengel, ©ine trau* 
f 1 ® 6 aept ht Öen ©runö hinunter, in öem am flbenö öes 18. fluguft fo manches tjeU 
enauge in öie ©roigfeit htnbämmerte! 

D)er fönnte fie alle nennen, öie un 3 ähligen ©täbet, öie öen tDanöerer 3 U ftum* 
mer flnöacht mahnen. Säule reiht fich an Säule, Kteu 3 an Kreu 3 bis hinüber 3 U öem 
qfenfrieöhof in ©raoelotte, öer unter Öen hohen löipfeln feiner meitfehattigen 
oume eine Un 3 ahl Krieget birgt. Oie ©eöädjtnishalle 3 eigt neben öem Stanöbilöe 
eines erhabenen $rieöensengels in RTarmor öie Bilöet öes greifen Königs, feiner 
frhrl me Un ^ ^ Cr neun ^ otnm anöierenöen ©enerale, öie ihte Korps hier 3 um Kampfe 
fro? en, nennt auf grofeen Gafeln öie Ramen öerer, öie ihr £eben toöesmutig in öie 
qanje fdjlugen füt öen Ruf: „ITCit ©ott für König unö Daterlanö." So lautet auch 
te 3nfd)rift auf öen fdjier un 3 äl}ligen einfachen unö ptunloollen Kriegeröenfmälem 
tt heiniat, öie fo am roüröigften öas flnöenfen an ihre fjtlöenföhne feierte. Sie 
tt, öie allumfaffenöe Iltutter ©ermania, fchaut »on öen flöhen öes Rieöeru)alöes 
au f öie teichgefegneten ©efilöe öes Rheingaues: „3um flnöenfen an öie einmütige 
“”ö fiegteiche ©tljebung öes öeutfehen Dotfes unö öie EDieöeraufrichtung öes öeut* 
1%» Reiches 1870/71." 

V)hb öas öeutfehe DoU feine in öiefem gröfeten aller Kriege gebliebenen 

JJ Ile bie BraDen tu ^ en an öem ©rte, an öem fie ihr fjelöentum 3 eigten, fie öas 
rorofehe Blei traf. Als lefeten Ciebesöienft gruben ihnen ihre Kameraöen öas fühle 
® tab > 6ett eten fie in ihrem ©htenfleiöe 3 ut lefeten Ruhe. U)enn öann öer Scheiöe* 
9tufe öer Saloe oerflungen, ein lefetes ©ebet gefprochen ift, nimmt fie öie ©röe trö* 



24 g Der gegenwärtige Krieg unb 6ie bramatifdje Citeratur 

ftcnö in ihre Atme, oetflingt in roeitcr gerne bas Sieb: „3ch ijatt* einen Kennwerten". 
Hur 3 toei eilig 3 ufammengefchlagene Bretter, bas Symbol bes (Glaubens, eine halb 
oermaf^ene 3n|<hrift, roelfenbe Blumen unb bie Reihe bet fjelme fünben laut bas 
nun ruhenbe fjelbentum. 

Dorf} einmal roitb ben |türmi|<hen Hagen bie morgenröte bes gnebens folgen. 
3ubelnb 3 ie$en bie Sieger ein, oon Blumen überfchüttet; iubelnb läuten es bie ©loden 
in bie Canbe. Dann aber wirb man auch beter in bantbatem Stol 3 e gebenten, bie im 
Siegesljeimjug fehlen, bie im ftiUen tDalbfriebljof bet flrgonnen, oor ben Fällen ge> 
btodjenet geften, im glugfanbe bet Dünen, im 3 er|tampften Boben Polens, am ©tunbe 
bes ITteeres mit bleichem Ittunbe ^lummem. Übet intern fjelbengtabe roerben ftcj 
bentmalberagte ©rabftätten ergeben, bie tröftlit^e 3eugen bafür fein [ollen, m 
liebenbes, banfbates Gebenfen fie alle immerbat umfdjliefet, bie ben Sieg unb ben 
grieben mit intern Blute etmatben. 


Der gegenwärtige Krieg unö öie örantatifdje £iteratur. 

Don Robert petf* in Polen. 

3u>eiter Auffaf}. 

3m ZTCittelpunft unfetes erften Berittes ftanb (Earl fjauptmanns „Krieg » 
jenes geroaltige Klagelieb oon ben fulturoemid}tenben Greueln, bie jebe 
fdjeibung bet Waffen mit jidj bringt. IDit oermifeten, 3 umal bei einem Dia} er, 
ber mit {einem Dolte |o innig oetroad}jen i|t roie (Earl fjauptmann, W met 3' 
lid) jebes (Eingehen auf bie großen, jeeli|d}en (Etrungenjdjaften bes ftugu|^ 
monatsl914; babei gingen mir oon ber Annahme aus, bafe fjauptmanns „ Hebeum 
unmittelbar unter bem (Einbrud bet Btobilmadjung entftanben wäre. tele 
Annahme roat irrig, unb |o ergreifen mit gern bie Gelegenheit, un|er ©ejam 
urteil rid}tig 3 u|tellen, 3 umal ber Dichter butd} eine neue Deroffentlia}ung 
roejentlid} anbem Schlages roillfommenen Anlafe ba 3 U gibt. 

(Earl fjauptmanns „Hebeum", ber „Krieg", ift alfo, rote man erft 
ben Bud)hänblerprofpe!ten erfährt, oor bem Ausbrud} bes gegenwärtigen We * 
frieges gefdjrieben roorben, alfo nidjt als Ausbrud bet inneren Stellung es 
Dieters 3 U ben großen (Ereigniffen bes Auguft 1914 anjujehen. ® a L 1 !! u 5 
eigens betont roerben, benn fonft mufe bas Wert, bas nidjt 3 ufällig ben ” €l ' a 
Bertha o. Suttners errang, notroenbig mi&oerftanben roerben. (Es iPJ^e 
eben bie Seelenftimmung feingebilbeter, aftheti|d}er Kteije aus jener e 
3eit bes Bangens unb tDartens, ber (Entfrembung 3 roi|<hen geijtiger un 
politifdjer Arbeit, aus jenen Hagen, bie man roohl eine „Dorauguftjet 
nennen fönnte, roie man oon einem Dormärjlidjen 3eitalter fpridjt. S a B 
bas tDerf in biefem Sinne auf, fo fann man ihm einen bebeutenb hoh ete Ji c 
beime||en, fann man es oor allem bet beutjdjen tlationalüteratur beija? e 
als ftarfe Derbidjtung befjen, roas — leibet Gottes — einmal in beu |dJ e 
Daterlanbe in hodfjtehenben Kreijen „öffentliihe TUeinung" roat, roas un)et 



Don Robert petfd 


347 


Süllen aber fo wenig mehr entfpridt, als etwa Schillers „Deutfd® ©tofee". 3n= 
jtDifc^crt hat bet Dieter nun einen Banb oetöffentließt, beffen 3nljalt an bas 
„lebeum" mannigfad erinnert, aber bod einen wefentliden Sdjritt oorwärts auch 
im oöltifden Sinne bebeutet. Die Seine Sfi 33 e „Die (loten fingen", bie ut= 
fprünglid} in „Übet £anb unb IKeer" etfdien unb ba nidt redt befriebigen 
fomtte, erfdeint nun als „Allerfeelennadt" in bem größeren 3 u|ammenf}ang 
einet Reihe bramatifder Sfi 33 en, bie (Eatt fjauptmann unter bem (Eitel: „Aus 
bem gtofeen Kriege" 3 ufammenfafet, unb empfängt im größeren 3 ufammenljang 
neues £idjt unb neuen IDert. Die innete Derwanbtfdaft bes neuen unb bes 
älteren IDetfes ift nidt 3 U oetlennen. fjiet wie bort erfdeint bet ©t 3 engel als 
Dertünber bes EDeltfrieges unb fenbet einen menfdjlicf^bämonif d en Boten 
an bas Dolt ab; fyiet toie bort toetben ©teuelf 3 enen bes Krieges mit unheim* 
Iiri? padenbet ©ewalt gefdübert; unb „bem eutopaifdjen Redjenmeiftet" im 
„Krieg", ben bet ©^engel 3 erfdmettert, 3 ugleid aud bem „ausgebrodenen 
Staatsphantaften", bet bort bie IRenfdheit 00 t feinen Siegeswagen fpannte, 
antwortet hier bas „©enie", bet uerfrüppelte ©eijimmenfdj, bet unaufhötlid 
neue fllotbmafdinen aushedt; 00 t allem aber: fyiet wie bort ragt bas Übet* 
fimtlide ins ltlenfdjlid)e hinein; mit bem guten Redte bes Dichters f dt eit et 
£atl Hauptmann allenthalben über bie Sdtanlen bet UMtflidfeit hinaus, 
um uns ben nollen tDahrheitsgehalt biefet EDirtlidlrit ahnen 3 U laffen. Aber 
hier tut fid bereits ein ftatlet ©egenfatj auf: in bet älteren Didtung beftanb 
eine tiefe Kluft 3 wifdcn Diesfeits unb 3 enfeits. Die gürftin unb bet bämonifde 
©nfieblet 3 . B. ftehen im „(Eebeum" wohl unter bet ©inwitfung höherer 
Städte, fie ahnen bas Kommen eines gewaltigen ©eridts, bei bem fie felbet 
eine Rolle 3 U fpielen hüben, aber ihre höh**® ©rienntnis witb ihnen nidt 3 utTl 
heile unb tann bas Ungeheure nicht aufhalten, bas im ©tunbe bod nur ein 
Detberblides ift: bie ©ottlfeit fpielt gleidfam mit bet IRenfdheit» fie uet* 
nidtet bas Beftehenbe, um felbft oorwärts 3 U tommen, fie arbeitet nidt an ben 
Slenfdenhet 3 en unb nidt butd fie an bet Herbeiführung beffetet 3 aftänbe 
auf ©tben. XDit fühlen ben Sdretfen, aber nidt Öen Segen, wir fpüren bie 
Brutalität, aber nidt bie ©töfee bes Kriegs. U)ie anbers bas neue U)ert! 
Statt eines halbirrfinnigen Alten, bet fdßefelid in Detblöbung enbet, ruft 
|e# ein iugenbfräftiger „IDädter auf bem Berge" oon bet Höhe bes ©ebtrges 
ben Krieg ins £anb: „bas Daterlanb ift in ©efaht.. wacht. • • rettet!"; unb 
am Sdlufe 3 erfdmettert nidt bet ©r 3 engel ben europäifden Redenmetfter, 
fonbem bas ftohlide £aden beutfder £anbwehrmänner madt feinem ©rofr 
mannsmahn unb allem ©efpenfterfpuf ein ©nbe: 


„Hahahaha... Sie haben wohl Baudfdmetjen »egen unfern ÄÄL‘"i 
Sdmetjen... maden Sie fid nidt läderlid •••. unö Ä 

unb IDunbenmännet in 3ljret guten Pflege 3 U fi^en, aud} f^on g ^ 
lägen, mürben mit nod} ladjen... mas glauben Sie benn, St IP 



348 Der gegenwärtige Krieg unö bie bramatifche Citeratur 

bas Daterlanb i|t in (Befaßt... Sic bilbcn fid) mohl ein, aud} bic Derantmortung 
für uns 3 U tragen... felbet an allem fdjulb 3 U jein... momöglich felber ©ott 
3 U fein... Wafafa...ich fag es 3I?nen... alles nur IDer^euge eines er» 
habeneren flngefidjts ... nehmen fie gefälligft einen oollen Sdjlud ©traben» 
heit in 3l}re Cunge, Sie geprefeter Brufttaften... menn Sie ©ottes Hamen nennen... 
©ott ift größer... mir jinb nur ©ottes Solbaten... über ©ob unb H>unben 
marinieren mir meiter..." 

ü)er bie großen ©age ber Kriegsjuftanbserflärung, bet IHobilmachung 
unb bet erften Siegesfette oon 1914 miterlebt hat, mitb ©efte, ©eift unb Spraye 
biefet Auftritte rooljl oerftehen. ©s ift, als mollte ber Dichter, traft feines Rechts 
3 U mytbologifcfjer Ausgeftaltung bes Cebens, emft machen mit ©oet^es IDort: 

„Allen ©emalten 
3 um ©rutj fich erhalten, 

Himmer fich beugen, 

Kräftig fi<h 3 eigen, 

Rufet bie Atme 
Ber ©ötter herbei." 

3ener Realibealismus ©arl fjauptmanns, bet fich fein IDolfenfucfucfsheim 
erbittet, fonbern 00 m ©nblidjen aus jeben Augenblid bereit ift, ins Unenbliche 
3 U f(freiten, unb bet fidj babei bie alten $otmen religiöfet Anbacht, nationaler 
Begeifterung ober tünftlcrifdjer 3nfpiration als Ausbrucfsmittel gern gefallen 
läfet, ift auch hißt am Werfe, um bem großen Kriege feine lebten menfchlichen 
Werte ab 3 ugeminnen. (Er fragt nicht mehr nach bet Berechtigung & cs Krieges 
überhaupt, er oerfenft |i<h als Künftler in bie ©töfee biefes Krieges. 

Unb er oermenbet babei bie elementare $orm bes Dramas, ohne hoch c ’ n 
Drama 3 U fchaffen, bas eben fchlechterbings noch nicht aus biefem Kriege ge* 
boten merben fann. tDas et bietet, ift eine Reihe äußerlich 3 ufammenhang* 
lofet, innerlich burchaus 3ufammengehöriger unb 3 ufammenflingenbet „Drama- 
tifcher S 3 enen"; fo hat ber pinfel tDerefchtfchagins mit ungeheurer Dirtuofitat, 
aber geringerer geiftiger höhe bie Sdjreden ber napoleonifchen Kriege gefh*^ 
bert; fo haben oor allem beutfehe RTaler unb Stiftfünftler 3 U allen 3^ten butd? 
eine $ülle oon <Ein 3 eIbübem einen ungeheuren ©efamteinbruef oon ben oet- 
fchiebenften Seiten hat beleuchtet, um ber triebfraftigen (Einbilbungsfraft bes 
Befchauets einen Ausbrucf bes ©an 3 en 3 U ©ermitteln: mir erinnern an Dürers 
hol3f<hnittfolgen unb an bie 3 yflifd}en Kompofitionen ber Deutfchen bis auf 
Abolf Rlen 3 el. H)ir betreten aber auch 9 cr n bas literarifche ©ebiet unb meifen 
auf bie geniale Sdjilberung bes grofeen Kriegs burch IHofchetofch, and? ®oh 
auf ©leims ©renabierlieber hin; mit erinnern uns auch gern noch einmal es 
grofeen 3yflus „1813" oon (Emft £iffauer, unb mir fönnen mohl behaupten, 
bafe ©arl fjauptmanns eigenes Hapoleonbrama meniger ein 3 meiteiliges Dtatna 
als eine Kette anfchaulich gefchilberter, hiftorifcher S 3 enen fei, bei benen et 
nachtaftenbe Jjiftorifer unb ber geftaltenbe Künftler einanbet bie IDage hatten 



Don Robert Petfö 


349 


Aber oiel lebhafter, Diel freiet gegenüber bem gefc^ic^tli^en IHaterial unb barum 
Diel fünfilerijdjet (toenn auch nur ftellenroeife bramaüfch im engeren Sinn) 
i(t bas neue Oer! in feinet ©efamtheit. 3 ch 3roeifle leinen flugenblid baran, 
bafj es lünftigen ©efdjlechtem eines ber tDertooIlften Dermächtniffe aus biefent 
Kriege unb ein roirffames 3 eugnis für ben ©eift bleiben roirb, in bem mit 
Deutfdje in biefen Sagen gefodjten, bie furchtbaren £eiben bes Krieges unb, 
was fchlimmer ift, ben bobenlofen, jebet KTenfdjlichfeit baren fjafe unb bie Der* 
leumbungen unferet Sobfeinbe getragen haben. 

Schon im 2. Seile bes „Rapoleon" hatte ber Dieter auf ber fjohe bes 
Riefengebirges butch eine junge tjänblerftau ben Krieg oerlünben laffen; 
auch biesmal ift es bie fjanbelsfrau mit ihrer tjode, bie bie erften Hachrichten 
bringt unb an ihren friegerifchen Spielfachen erläutert: „Das märe nicht bas 
erfie Rial," läfet ber Dichter fie fagen, „bafj eine tjanbelsfrau bie XD eit mit 
offenen Augen ficht." Aber ihre XDorte haben fein ©eroicht, bis ber „TDächter 
auf bem Berge", eine fjans Shoma=©eftalt, auftritt, um bas gtofje Befenntnis 
bes beutfdjen hah^nmenfchen ausjufprechen: 

„(Es ift mir auf einmal, als fühlte ich neu «in XDunber roehen... fage mir, 
junger ©gengel... bu bift plötzlich 3U mir aus bem Cichtreich gelommen... 
®03u... roillft bu mich aufroeden aus meinem langen $riebenstraume... i«h 
glaube gar, bu trauteft mir nicht... roeil ich 3um 3 eitDertreibe Derje machte unb 
lieber fang... nun fcheint es roahtljafttg aus allen XDinben 3U 3ittern... oh... 
®as haft bu für ein leuchtenbes Schroert gegürtet... fcharf unb hart ift auch noch 
immer mein Speer... lächle nur immer... bu füljlft es toieber, bafj auch ich Doch 
immer ber feligfte XDächter bin... machet roie bie Sonne... auch bu fdfteiteft 
je^t, als trüge bid} fchon bet Sturmroinb..." 

Als ber Kriegsruf erfchallt, eilt alles 3U Sal; ber Dichter hat fi<h eia« 
nähere Schilbetung ber XDirfung bes Rufs auf bie Alten unb 3 ungen, bie Stuben* 
ten unb biefjänblet erfpart—leibet erfpart, roohl roeü bie nachfolgenben S3enen 
bas nötige hoch erraten laffen. Aber mit großer Sorgfalt hat er bie S3ene oon 
ibyllifchen Bilbern unb finblichem ©eplapper 3U ber padenben XDud}t bes 
Scf)lu|bilbes gefteigert unb 3Ubem bie fprachlidjen Ausbrudsmittel fein ge* 
fhieben. Rur eine ©ebirgsgeftalt roie bet „bätifche Kerl" gebraust bie reine 
Wunbart, roenn fie allein ift, bie anbern fpred?en mehr ober roeniger bialeftifd? 
burchfehtes ffochbeutfch, bie beiben übetmenfdjlichen ©eftalten reben rhyth* 
m 'fh gebunbene, aber roirflichleitsfreubige, nicht nerftiegene Ptofa, in ber ber 
Rame bes jungen ©oethe erroähnt roerben unb aus ber oberen Region gleich* 
fam feine IDeihe empfangen fann. , 

über bem Dichter liegen noch anbere ©öne: bas roiberroärtige ©emeder 
bes jungen ruffifchen ©ffi 3 iers burchbricht in ber 3roeiten, „Kofalen" über* 
fhtiebenen S3ene bie bis 3um planen mit $urdjt unb (Entfern gejättigte Atmo* 
tPhäre auf bem ©utsljof in ©ftpreufeen; roährenb bie Räuber ins haus ein* 
^ n 9en, um junget unb Dürft 3U füllen unb ihre oiehifdjen Begterben 3U 



350 Der gegenwärtige Krieg un6 bie bramatifdje Citeratur 

faitigen, oot benen lein weiblicfees Riefen liefet ift, fielen braufeen 3wei Ittämter 
an Pfähle gefefenürt unb matten iferes SdjtdEfals: ein At3t unb ein <Ebelmamt, 
„bet 3n>eimal feinen gan3en Reicfetum oerfpielte unb bann als Scfeaffeirte in 
bet Iänblicfeen (Einfamfeit feine Seele fuefeen ging". Beibe füfeten bereits bie 
Ajte bet RTotbbtennet über iferen Häuptern fefeweben, beibe fcfeliefeen mit bem 
Zehen ab, aber aus bem (Entfefeen erwäcfeft ifenen bie föftlicfee $rucfet innerlicher 
(Etfeebung, als läcfeelte ein fterbenber fjeilanb ifenen beiben 3U: „feeut noefe 
werbet ifer mit mir im Parabiefe fein." Pie oifionäre Haltung teilt fiefe ben anbem 
mit: einet efftatifefeen RTagb bes Jjofes näfeert fiefe ein Kofa! mit befeligter ®e* 
bärbe, unb als bie Dtorbbrennerbanbe aus bem feaufe eilt, tötet er bie eben 
gewonnene (Beliebte, um fie oor ben Kameraben 3U retten; auf einmal glaubten 
alle, 3 efus am Kreu3 übet ben beiben „Sefeäcfeem" 3U etblicfen, ein Kofa! et* 
fefeeint unb erlöft fie burefe wofelge3ielte Scfeüffe oon ifetet Qual — unb fort eilt 
bas ©efinbel oot ben nafeenben preufeen. IDelcfee Kontrafte, toelcfee fieberfeafte 
(Entwieflung, toelcfee fatten $atben in einer S3ene oon gan3 geringer 3eitbauer! 
So begegnen fiefe im „©alqifcfeen Dorf" rutfeenifefeer feoefeoerrat unb rüferenbe 
beutfefee ©reue bis 3um Hobe, unb toiebet feufefeen auf bem feittiergtunbe bie 
geangfteten ©eftalten bet Porfbetoofener oorüber. Unb wenn bet Heine 3unge 
bas 3tDölfjäferige Hlabcfeen, bas ben „lieben Solbaten" unauffealtfam unb allen 
mütterlicfeen Profeungen 3um Hrofe IDaffet in bie Scfeüfeengtäben trug unb babei 
oertounbet tourbe (ein gefcfeicfetlicfees Potfommnis!), toenn er bie Heine feelben* 
feafte $teunbin plöfelicfe mit einem ^eüigenf<heine um!rän3t fiefet, ben fie feart* 
näcfig 3urüdroeift, fo gefet unfere eigene Pfeantafie gefeotfam mit; wer wollte 
ba noefe oon (Elftafe, oon fjaIlu3inationen, oon Sinnestaufefeungen teben, wo 
fo unfagbat ©rofees fiefe oor uns ereignet, bafe alIerationaliftifcfeen(Erflätungen, 
lebe AHtagsmoral oon pfliefet unb Scfeulbigfeit unb alle gewöfenliefeen Parftel* 
lungsmittel oerfagen? So oerftefeen toir es, bafe in bet „Allerfeelennacfet" bie 
Goten fingen! 

Per Picfeter fefereitet aber 3U unfern $einben feinüber. (Ein ungefeeutes 
Problem tut fiefe auf, oon bem noefe oor einem 3 afete fein Picfeter bet Alten unb 
bet Reuen Hielt eine Afenung featte. $ranftireutf3enen waten in bem Kriege 
oon 1870/71 oft genug erlebt, oielfacfe gefefeilbert unb feiet unb ba toofel 
auefe fünftlerifcfe oerwertet worben. Aber es ift (Earl feauptmann oorbefealten 
geblieben, bie mefer abfcfeeulicfeen als efearafteriftifefeen S3enen feines „Hebeums" 
3u übetwinben unb ben alle ©te^en überfefereitenben feafe ber belgifcfeen Be* 
oölferung fünftlerifcfe 3U geftalten. Auefe feiet gefet es niefet ofene ©tiffe ins 
Übernatürlicfee 3U. Die Klaffen, bie in bie Katfeebrale feineinftürmen, wäfetenb 
braufeen bie Kanonen ber Deutfcfeen bonnem, fie tän3eln auf ber gtaufenlHeffet* 
fefeneibe 3wifcfeen Sinn unb Hlafenfinn einfeer. U)ie matt etflingen bie Itlafe* 
nungen bet feofeen ©eiftlicfefeit, wie furefetbar wirft bas ptöfelicfee Abbrecfeen bes 
©lodenlüutens ober bes (Efeorgefanges bei neuen Kanonenfcfelägen! D» c 



Don Robert Petfcb 


351 


Preußen lommen, bie Kirche wirb befe^t, öic (Einwohner mit ihren motbroaffen 
»erben hinausgebtadjt unb beutfdje IDachen aufgeftellt. Auf bie wilben 
laume^enen ein Bilb tiefen $riebens, bas bann mit gewaltigem ITCifeton enbet: 
ein Rhythmus bes Schrecflichen, bet feine JDitfung nicht oerfeljlt. 3 u bem ein* 
fanten Sanbwehmtann im ITCittelfdjiff beginnt bie (Bottesmutter übet bem 
fjodjaltat 3U fpredjen non ihrer Siebe unb oon ihren Schneen; unb angefid)ts 
bet hohen (Erlernung finft bet Braue 3ufammen—untet bet tjerrfchaft einet 
®efül}lsmi|d)ung, wie fie in biefem Kriege taufenbfach oortommen mag, unb 
trie fie in ben un3äljligen, unmittelbaten 3eugniffen bet $elbpoftbriefe unb 
Schladjtgebichte !aum je mit gleitet Kraft ausgebrücft worben ift: 

„ 3 a, ja... heilige 3 ungfrau... meine fjänbe finb doII Blut... meine 
Ko^tpfel Heben oom ©ehitn meines geinbes... unb Schauet ftöhnen aus mit 
unb Siegetfreube... unb ich bin 3erfnir|<ht... unb ich bin erhoben... unb felje 
alle Dinge wie butdh einen $lor... tobermübet... foll immer wachen... bis 
roiebet bie harten Donnerfdjläge bes Sdjictfals tollen... bis toieber bet irbifdje 
£ätm in bie Seele bringt... mache bu, bie bu im Sichte jchwebft..." ((Et ift fHjenb 
eingefchlafen.) 

An ben Sdjlafenben fchleicht fich bet im Dom nerftecfte Itlesnet heran unb 
m ihn hinterrüds mit bem Dolche nieber, um alsbalb wie oon Sutien oer* 
folgt bie Kirche 3U butdjtafen, wo et bem poften im Dorraum 3um ©pfer fällt. 

Dollenbs ins Dämonifche gefteigert butch fthwere Detlufte, herbe (Ent* 
behtungen, Kriegsnot unb wiberwärtige Detleumbungen bes beutfchen Seinbes 
erfdjeint bet tjofe bet Küftenbewoljnet im nächften Silbe; bie IDeiber am 
Sttanbe etfcheinen als „Ejocfenbe Dampire", bie eben erft ihre ©pfet gtaufam 
untgebtacht haben unb auf neue warten. Die beutfchen BTattofen aber, bie 
hier 3ur Beobachtung lanben, halten gute XDacht unb gewinnen ben IDeg ins 
Boot 3utücf ohne ©efähtbung. Unb unoetfehens fpinnen {ich $üben an 3wif<hen 
Steunb unb $einb: haben hoch auch biefe IDeibet Söhne, (batten unb Btübet 
o«f See, haben bod) auch bie Iltattofen Hagenbe UTütter unb Bräute baheim, 
fühlen fie fich bodj alle als Söhne bet einen großen mutter, bes ITTeeres, bas 
befreit werben foll. mit einem male etfcheint bas ©an3e auf höheren Boben 
ethoben, wenn bie Ittatrofen fcheibenb rufen: 

„IDit finb nicht blofe gewöhnliche öeutfhe Ittatrofen... bas begreift ihr 
roohl nicht... wir finb Befreiet 00m englifchen 3 o<h c • ■ • an bet ITCeerftelle, wo 
roir untetgehen, fehen bie fpäteren Seefahrer immer golbene $Iammen übet ben 
tDellert tan3en..." 

«nb Deutfche unb Belgier »eteinen fich in bem XDeherufe über ben Seinb, 
bet fie alle »erhebt unb in Kot geftüt3t hat: „IDehe (Englanb!" Dies bet ©tpfel 
™ bet gan 3 en Honteihe. Den Klagef 3 enen folgt als Satytfpiel bas ©aprtcao: 
„®enie unb ©efpenfter" unb runbet bas ®an3e wohltuenb ab. 

An bet beutfchen ©efinnung beffen, bet biefe S3enen geftaltete, wtr 
niemanb 3 weifeln. $üt feine beutfdje Art oollenbs entfcheibenb tft bte geiftige 



352 Der gegenwärtige Krieg unt> öie bramatif^e Crterotur. Don Robert petfdj 

$einbesliebe, öie mitten in Öen furchtbarften ©reuel^enen menf gliche Sone 
bei $teunb unb ©egner analogen unb ben furchtbarften fjafe noch abein tann. 
Schönet lann bas beutföe Doli auf bie glän3enb organifierten unb bämonifd) 
oorbereiteten Det^e^ungsfelbjüge bes feinblichen unb „neutralen" fluslanbes 
gegen unfete Gruppen unb gegen ben ©eift unferes Dolles nicht antroorten, 
als burch biefe bichterifchen ©eftalten, bie ihren IDert unb ihre IDirtung noch 
bewähren »erben, wenn alle 3eitungsartiiel unb alle tjeijreben oerweht fein 
»erben, unb bie ben oollen Sonnendem objeftioer ©ejdjidjtsforjdjung femet 
3 eiten ausljalten fönnen. 3 m Hamen bes öeutfdjen Doites fei bem Dieter, 
beffen „Gebeum" uns in biefen Sagen f<hmet3te, für bie neue ©abe um lo 
beglichet gebantt. 

fluch ©ugen 3 obel, einer ber beften Kenner Rufelanbs unb bet heutigen 
©ftmari, ein Sohn ©ftpreufeens, l*ot uns in einem fleinen Bühnenwetf mitten 
in bie erregten Sage bes flugufts hüteinoerfetjt, bie feinet fjeimatptooin} bas 
Derberben 3U bringen brof)ten. Seine Dichtung ift im Sweater am Hollenbotf* 
platj 3U Berlin mit großem Beifall auf geführt worben unb hat auch bie Billigung 
öetjenigen erlangt, bie an oerant»ortli<hfter Stelle jene Sage nicht blofe burch 5 
lebt, fonbem bie beutfehe ©efc^idjte jener 3eit gemacht unb ©ftpreufeen befreit 
haben, ©s ift alfo über jeben 3 ©eifel erhaben, baf) bie Schilbetung bet oft* 
preufjifchen Sdjtecfenstage, bie uns 3 abel entroirft, als fulturgefchi^tlihe 5 
3 eugnis erften Ranges gelten fann, unb bie XDorie bes Kaifets bei feinem 
Scheiben aus ber abermals mifehanbelten Prooin3 nach bem hertlidjen $ebruat* 
fiege an ben mafutifchen Seen geben ihr eine tounberbare Betätigung. 3nfofem 
reiht fidj 3 abels tDerldjen bem Banbe non Sari fjauptmann ȟrbig an. 
Künjtlerifch fteht es nicht auf berfelben fjöhe. fluch ^tcr lein Drama aus ben 
fattfam erörterten ©rünben, aber einige fräftige, bramatifdjc ©ffefte, ©enn 
mit nur nicht alles mit bet eifemen ©Ile tragifdjer Hotroenbigfeit meffen 
»ollen, ©in alter Paftor, bet in feinem furchtbar ner»üfteten Dörfchen in bem 
3erfdhoffenen Kirchlein mutig feinen Hotgottesbienft hält, unb fein alter greunb, 
bet auf ber Suche nach feinem oerwunbeten Sohne ba3ufommt unb bas h at5 
monium fpielt: bie Hlelobie „flus tiefet Hot" burch3ittert bie gan3e S3ene, 
fie flingt aus ber berb munbartlichen Rebe bes £anb»ehtmonnes, aus ben 
Klagen ber oer3»eifelten $rauen, aus bem ©eftammel bes alten frommen 
3 uben, ber feinen Derftanb oerloten hot, aus bem ©e»immet bes Kinbes, 
bas feine Rlutter fucht, unb ergreift auch bie Seele bes grofoftäbtifchen Bidets, 
ber 3U Stubien3»eden in bie ©egenb gefommen ift. flus lautet ©in3eleinbtüden 
»ebt fich ein farbiges, unfer fjet3 mächtig etgteifenbes Bilb 3ufammen, bas 
uns in bange Spannung oerfeijt, bis ber ©ottesbienft burch eine rätfelhof| c 
Unruhe im tjintergrunbe unb bann burch ben Ruf unterbrochen »itb: „Die 
Ruffen fommen »iebet!" Jjiet am Schlufj oerfagt freilich bie Kotnpofttion 
bes Dichters. Hlit einer gerabe3u fomifchen ©ile, bie etwas an bas Kino et' 



(Erziehung 3 «m Derftänbnis 6id)terifd}en SpradjftUs. Don 3* tDieganb 353 

innert, folgt bet Sorge bie (Erleichterung öutdj bie Siegesbotfchaft 001t bet 
Schlacht oon Gannenbetg. Auch gegen öie $otm befielen Bebenfen, Oer 
Anfang ift noch gut realiftifch, unb bem Pfarrer unb bem ptofefjot ttauen roh 
auch nachher eine getoiffe feurige Rljetotif 3 U, aber nicht edjt wirft bie (E^arafte* 
rifttf Qinbenburgs im ITIunbe eines älteren „Canjets" mit bem (Eifetnen 
Kreu3: „IDiebet fehe ich ihn 00t mit, ben Kriegsgott mit bem Riefenmafe 
feiner (Erfheinung, helfen gewaltige Kraft ebenfo unwiberftehlich ift» ®ie es 
Me (Bäte unb Sreunblidjfeit feiner herrlich ftraljlenben Augen finb. U>ie ein 
fjelb aus bet 3 eit bet Ribelungen! Ritt bem guten beutfdjen Siegfrieb'Sdjwert! 
3 mmetl}in hat 3 <>bel mit glüdlichem Stift einen (Einbtud feftgeljalten, bet 
unferetn Dolf unb jumal unfeter 3ugenb nie wiebet oetloten geben batf. 
(Berabe an (Beftalten wie fjinbenburg empfinbet wohl auch bet Blöbefte ben 
unetmefeltchen poetifdjen ©eljalt unfeter 3 eit, beten ©lan3 ben bellen S(bein 
unfeter alten Redezeiten nicht 3U freuen braucht, gef(bweige benn ben 
trgenbwelcher ftemben fjelbenfagen. 3 n nie! böberem ©tabe als 3flbel b®i 
Carl fjauptmann biefen ©eljalt fünftlerifdj ausgejdjöpft, unb fo bürfte feine 
Dichtung in finngemäfeet Auswahl auch ben beutfdben Unterricht befruchten 
helfen. tDill’s ©ott nicht blofe ben in unfern Sagen! 


(Er3te^ung 3 um ücrftänönis öicf)teri|cf)en Spracfjjtits. 

Don 3 . JDfeganb in K5In=Deut 

Dot einiget 3eit habe ich in biefet 3citfc^tift einen Auffafc oeröffentliht, bet 
gröbere Berüdfichtigung bes Aftbetifchen im beutfchen Unterricht oerlangte. An 
einem Beifpiel toill idj nun 3 eigen, tme xd? mir öie Ausführung btefer Sor \mxn% 
auf einem (Einjelgebiet, bem bet fjetanbilbung 3 U ftiliftif^em $eingefuhl oente. 
3<b batte bamals batauf bingewiefen, bafe man mit bet Durchnahme oon ein paar 
antiten Hebefiguren, mit Synefbocbe, Pars pro toto ufw. nicht wett fommt. »ne 
©njelerfheinung, an einem eizeinen Dets aufgejeigt, wirb feine lebenbtge or* 
fteflung ©ermitteln. Htan rnufe lernen, bie an 3abl unetfäöppchen möglichen 
ftiliftifcber IDirfung felbft 3 U beobachten unb 3 « finöcn- Das ©egenuberftellen 0 
Proben oerfchiebenet Stilarten mit ausgeprägtem Charalter fth e,nt ba , 
«heften 3 um 3iele 3 U fuhren. IDenn ich bem Schulet 3 e f9®" ta " n ' . ’j' .. 
babereien, $iguten, (Eigenheiten gan 3 en ©ebichten, Schrtftftellern, ia 3 
Stempel aufbrüden, wie (Erfcheinungen, bie ein Dichter bis; 3 um Öbatbrufe . 

H bei anberen oöllig fehlen, wie bie immer wieberfehtenbe Detroe ^ u 9 9 

Stilmittel ben ©efamteinbrud beftimmt, bann erft ®» rö6,c fLcnben 
ftiliftifhen Betrachtung eines Kunftwerfes einleuchten. St fo ... 

Beifpielen fennen lernen: bie Dariation, bas hauptf«mittel al 
tung, unb öie öamit oerbunöene IDeitfctymeifigleit am^elian , | ß 

Nl als Met««. 6 « UnfBimigteit mb 6 as «toteste.., an Be.«NW«" Ba«a 
4«« Sd„»ul|i, Bas falWe Pathos, Bet S«ä« 6 o.n Bie Se««Mert «n» 

3eitf(i)r.f.6.beutfcf)enUntcrrid)t. 29.3°^ r 9* 6 . lieft 



254 <Er 3 iet|ung 311 m Derftänbnfs bidjterifdjen Spradjftils 

öct Aufflätung, ferner bas feierliche Pathos Schillers unb bie 3arte unb bodj feiet» 
lidje Dunfelljeit Stefan ©eorges. 

Oie Auswahl meinet proben ift oon praftifdjen ©efidjtspunften aus erfolgt. 
<Js Ijanbelte fid} barum, Stüde 3U finben, bie aüf fdjmalem Raum burefj wenige, 
immer wieberfehtenbe IKerfmale gefen^eidjnet finb unb ben ©efamtdjarafter bes 
Stils bes Dieters ober bet 3 eit auftueifen. (Es hätten fiefj natürlich bie proben Iei(J|t 
oermehten laffen. ©oetljes flltersftil ($auft II), Klopftods unb Jjölbetlins ©ben» 
ftil, bie ITCa&lofigfeit oon Sturm unb Drang, feines rosige unb fentimentale Art 
Ratten fid}, wenn auch nid}t fo bequem, oerwerten laffen. (Es fyanbelt fict? ^ier nur 
um eine probe unb Anleitung. Dafe nicht alle 3 eiträume unb Rötungen beutlet 
Dichtung oertreten finb, fdjeint mir unmefenttid}. ©efdjidjtlicfje Belehrung ift nicht 
3U oetfehmähen, ift aber nidjt bas erfte 3 i®l* Unb ba nut ftaffe Beifpiele gewällt 
roerben foUten, fo toaren nidjt alle 3 eiträume gleid} geeignet. So ftarfe Untetfdjiebe 
bilben fid) manchmal erft in 3al}r^unberten heraus. 

3 dj weife wohl, bafe öurdj biefe Proben leidjt eine fdjiefe Dorftellung enoedt 
roerben tann. (Es toitb ^ier mit bem Dergröfeerungsglas gearbeitet. Das foll nut 
im Anfang fo fein, bis bie Augen ber Sdjület fid} für bas (Erlernten feinerer Unter- 
fdjiebe gefdjärft haben. Rtan mufe ihnen natürlich fagen, bafe bie Übergänge ma)t 
immer fo fdjtoff jinb. 3 dj weife audj woljl, bafe es fid} bei ben meiften Proben um 
ungefunbe Übertreibungen hanbelt, mefjt um IITaniet als um Stil. Aber es follen 
ja feine ITCufter bargeboten roerben. Unb toas einmal mar, toat für feine 3 *« be» 
rec^tigt, unb bas (Erfennen bes toeniger ©uten ftärft meinet Anfid}t nach bas <b& 
füf?t für bas wahrhaft fjertonagenbe, roie id} in bem eingangs ettoahnten Auffag 
bargelegt habe. Dafe mehrfach Dichtungen 3toeiten ober britten, wenn nidjt otet en 
Ranges Ijerangejogen mürben, beruht barauf, bafe bie Durdjfdjnittsmare bie Kenn* 
jeidjen einet Richtung beffer ^eroortreten läfet als bas fjeroottagenbe.^ 

©s ift ferner barauf hin3uweifen, bafe mit ben aufge3eigten (Eigentümlich'«'«” 
bas StilifHfche nicht erfd} 5 pft ift. Aber es hat für bie Schule feinen tDert, aus einem 
Denfmal alles hetausjuljolen; bas mürbe nur oermitten. Dafe für bie äftfjetw 
IDirfung noch oieles anbere aufeer bem Stiliftifdjen in Betracht fommt, bebarf wog 
feines hmtoeifes. 

3 dj ermatte noch ben (Einmanb, bafe bie Derfchiebenheit bes Stiles bebingt fet 
burch bie Derfdjiebenljeit bes ©egenftanbes. 3 dj gebe 3 U, bafe es beffer märe, wenn 
man benfelben 3 nijalt in oerfdjiebenen Stilarten (nicht Behanbümgsarten) 
oorführen fönnte; bas mitb aber ferner halten, ©s ift ridjtig: Sifdjarts gereimten 
Sachen fehlt bet fjäufungsftil, in ben Ballaben ift Schillers Pathos weniger ausge* 
prägt als in bet unten folgenben Probe gebanflidjen Inhalts; aber an fi<h roace 
es roohl benfbar (wenn auch ber $all gefdjidjtlid} nicht eingetreten ift), bafe man 
benfelben Stoff hn Stil bes fjeljanb, Sifdjarts, fjageboms barftellte. 

über bie unterridjtlidje Behanblung ift wenig 3U fagen. Die Schüler müfe en 
bie ©ejte in ber J?anö haben. ( 3 dj hoffe, im Saufe ber 3 eit eine Sammlung oon 
Beifpielen unb ©egenbeijpielen unter ben oerfdjiebenen fünftlerifdjen ©efidjtspunften 
3 ufammenftellen 3U fönnen.) Sie müffen bie ©rfcheinungen, auf bie es anfonttn 
möglidjft felbft finben, 3ufammenftellen unb ben ©efamteinbrud Ijetausfüh*” - 
©b fchon anbere 3 ahrgänge als bie Primen für foldje Übungen geeignet finb, a||e 



Don 3 . tDUganb 


355 


idj öa^ingefieKt. IDeitere, fid; anfthliefcenbe Übungen toären bann bas Sinteren 
ähnlicher Proben in eine bet behanbelten ©ruppen, Befriedung ftiliftifdj ähnlicher 
Stellen besfelben Dichters ober anberer (etioa Abraham a Santa (Tiara ober bie 
Kapujinerprebigt neben $ifdjatt, geftfteüung alfo, ob biefelben ©rfd}einungen fid 
anbersmo nadjmeifen Iaffen ober nidt. Auch in fjodjfchulfeminaten toären ähnliche 
Übungen oielleidt nidt überflüffig. 

1 . fjelianb, Oers 1279 — 1302 , Ausgabe oon Behagljel, fjaöe 1882 . 

Thö umbi thana neriendon Krist nähor gengun 
1280 sulike gesldos, s6 he im selbo gecös, 

uualdand undar them uuerode. Stodun uuisa man, 
gumon umbi thana godes sunu gemo suuldo, 
uueros an uuilleon: uuas im thero uuordo niut, 
thähtun endi thagodun, huuat im thesoro thiodo drohtin, 
uueldi uualdand seif uuordun cüdien 
thesum Iiudiun te liobe. Than sat im the landes hirdi 
geginuuard for them gumun, godes Sgan bam: 
uuelda mid is spräcun spähuuord manag 
lörean thea liudi, huuö sie lof gode 
1290 an thesum uueroldrikea uuirkean scoldin. 

Sat im thö endi suulgoda endi sah sie an lango, 

uuas im hold an is hugi hölag drohtin, 

mildi an is möde, endi thö is mund antlöc, 

uulsde mid uuordun uualdandes sunu 

manag märlic thing endi them mannum sagde 

spähun uuordun, them the he te theru spräcu tharod, 

Krist alouualdo, gecoran habda, 
huuilike uuärin allaro irminmanno 
gode uuerdoston gumono cunnies; 

1300 sagde im thö te söde, quad that thie sälige uuärin, 

man an thesoro middilgard, thie hör an iro möde uuärin 
arme thurh ödmödi. 

3 <h ge^e hier 00m Urteft aus; in ber Schule märe natürlich eine 3 iemltch mört» 
liebe Überlegung 3ugrunbe 3U legen. 

Das fjauptftilmittel ift bie Dariation. Sie befielt barin, bah ein eben genannter 
®e<jtiff fut3 banadj in anberer ©eftalt miebet erfdjeiitt, mäbtenb bod} ein $ürmort 
genügt hätte, ©ft mar überhaupt feine Hötigung oothonben, ihn noch einmal 3n 
bringen. So menn es 1281 heifct stodun uuisa man unb bies in 82 burch gumon 
unb 83 bureb uueros mieber aufgenommen mirb. ©in $ürmort in betreiben Art 
»otiiert in 80 / 81 : he roieberholt burch uualdand. ©in Begriff, ber in einem Sah 
Mriiett ift, fann im näcfjften miebet fo behanbelt roerben, fo bafc bann bie Dariation 
einem Sah in ben anbern übet3ugreifen fcheint. Am h®ufigften merben bie fjaupt“ 
mötter oariiert. 3 n unferm Stücf mirb natürlich bie hauptperfon am h«ufigften 
but^ biefe $igut heroorgehoben. ©hriftus mirb ber Heihe nach genannt: bet ret= 
t«nbe Krift, ber IDaltenbe, ©ottes Sohn, biefet Ceute t>err, ber IDal* 

23 * 



ggg <Erjiet)ung 3wm Derjtänbnis bi^terifdjen Spradjftils 

tenbe felbft, ber Cänberhitte, ©ottes eigenes Kinb, bet ^eilige hett, 
bes IDaltenben Sohn, bet altroaltenbe Krift. Oie weiteren Beispiele bet 
Art finb leicht 3 U finben. 3 u beamten ift noch, roie gtofe bet flbftanb 3 roifd}en beit 
oariietten ©liebem ift, welche Sa^teile unb roieoiel Salboerfe ba 3 roiföen flehen. 
Oie häufigfle fltt ift bie, baf} ein Ijauptroott fidj in einet bet nachflen 3eilen oariiert 
roiebetholt unb 3 ugleich mit einet $ortfühtung bes ©ebanlens oerbunben roitb: 
81 Stödun uulsa man. IDeife ITCannet roirb in 82 butdj gumon roieberijolt unb 
um ben ©ottes Sohn roitb hinjugefügt ©s fönnen auch 3 t»ei Begriffe oariiert 
toerben: ©t mar ihnen ^olb in feinem Sinn . .., milb in feinem Blute. 
So entfteijt eine fltt Patallelismus, bet bis 3 ut butdjgefülftten Oariietung gan 3 er 
©ebanten gehen fann, wofür hier aber fein BeifpieL 

Oie Dariation ift bas Qauptflilmittel bet altgetmanifdjen Dichtung. So aus» 
giebig toie betfjeljanb oettoenbet fie allerbings fein beutfe^es ®ebi<ht (nut angel 5 
fädjfifdje). Dutdj biefes Übermaf} entfteht 3 U gtofce Breite unb IPeitfchroeifiglett. 
3 m biblifchen Beriet Reifet bie Stelle nur: Oa et aber bas Oolf fah, ging et auf einen 
Berg, fefcte fi<h, unb feine jünger traten 3 U ihm, unb et tat feinen fltunb auf, lehrte 
fie unb fpradj: Selig finb, bie geiftig arm finb. ©s ift teine RJortfunft; fein Detfud) 
ift im fjelfanb gemalt, ben Dotgang anfdjaulid} 3 U geftalten. Oas fünftlerifdje ©t» 
götjen beruht auf bet Btannigfaltigfeit bet Synonymen unb Umfdjteibungen flu 
benfelben Begriff, fltan fann aber nicht fagen, baf} bet Dichter fonberlid} etfinbenfip 
toäte. fllit gumo, man, liudi, uueros, thiod hilft et fi<h oft genug, ©s beflefft ein 
3ufarftmen^ang 3 t»ifd}en Oariation unb Stabteim. So ift 3 . B. in 83 uueros 3 ©eife - 
los bem w=Reim 3 U oetbanfen. 

Oen ©inbmd bes tPeitfchroeifigen oerflatfen noch allerlei melft ober mmoet 
formelhafte flusbtüde, bie il}t Oafein bet Reimgeroinnung unb DersfüDung oer« 
banfen. ©s finb flusbtüde, bie uns butch i^te Klangfülle in etroa übet ihre ©ntbegp 
lichfeit himoegtäuf^en, roenn auch nicht 3 U beroeifen ift, baf} bie 3 eitgenoffen en- 
felben ©inbtud hatten; roie es benn überhaupt unmöglich ift, uns bas ©efühl l enct 
3eit füt alle biefe ©tfcheinungen 3 U erroetben. Solche flusbtüde finb: 90 an thesum 
uueroldrikea, 98 allaro irminmanno, 01 an thesoro middilgard. Befonbets um-- 
ftanblich unb unglücflich, weil feht roenig neue Dotflellung etroedenb, ift bie nt« 
fchreümng füt ben Rlännetn (95) in 96f.: benen, bie er 3 U bet Rebe bot« 
hin berufen hatte. f 

©s ift bejeidjnenb, bah itgenbroel^e anbete Stilmittel fo gut roie gan 3 feh e • 

2. $ifdjatt, ©inleitung 3 U ©ulenfpiegel Reimensroeif}, Kütfdjnets ^ a ^ on . a * 
litetatut, 18. Banb, 2 . flbteUung, S. 14, 3- 27 — S. 15, 3-17. 3<h «neuere oer 
©infadjheit halber bie Rechtfchreibung unb hie unb ba bie $otmenlehte. 

©s finb hoch roebet 3 U fieben, noch 3 U braten folche ©taffifche, agelaftifch« t ** 
tuten unb flnajagorifche, Seyttopifche flTenfdjen unb gteinenbe ^etafliti, mit ^ 
3 enenben, auffpettenben Stirnen unb feuchten, falten, naffen firnen, bie ®« 9 nn® 
ben Augen, bie an einem Raget an bet IDanb oetftarren, bie eben roadet ftn 
ein tDaden im Kot, unb munter roie ein Putjfcher, mit ihren fchroa^en, überlaufen 
©allen, bie, inbem fie roollen emfthaft gefehen fein, alle gteunblichfeit j 
unb 3 U fauet feljen, unb fähen 3 orn fidj gewöhnen, bataus ©reulichfeit obet qeua) 



Don 3 . tDieganb 


357 


uni SdjalfsHügler oöer oeröedte, faure Couren erroachfen, öie nimmermehr Öen 
Kopf, fo (et) im über fid> (Baffen ermüöet, non öet Jjö^e fenfen, noch öas Ingenium 
erlaffen uni emiebtigen 3U Rlatonifchen gliegen, 3U Hafonif^en Rüffen, Kräutern, 
©ras, Bienen, Ijomerifdjen Rtäufen unö gtöf<hen, fonöem mie eine flrmbruft all« 
3eit gefpannt fielen, fo (= roährenb) hoch ohne (Erlaben nichts mag einen Beftanb 
haben, unö 3U3eiten auch btt ernfthafte Ratsherr Scipio ausgehet, Scffnecfen 3U fuchen: 
bannenhet Me Cateinet fagen: Iocandum esse, ut seria agas. 

3 n öiefem Stüd mifchen fi<h btei Strömungen: Me humaniftifche, gifdjarts 
grote$f*fomifcher häufungsftil unö oolfstümliche Beftanöteile. Bas humaniftifche 
ift nur äußerlich: flnfpielungen, 3 itate, flneföoten aus öem Altertum, flnfpielungen: 
Ctaffifch = gei3ig toie draffus, agelaftifch = öet nie lacht, flnfpielung auf eine 
(Einrichtung öer öorifchen Staaten, anajcagotifch unö ^era£Iiti, flnfpielung auf 
3©ei griechifche Philofophen, oon öenen gifchart an3unehmen fcheint, öafj ihre Cehte 
befonöers fauertöpfifdj gemefen fei. Seytropifch tann ich nicht etfläten. IRaro* 
nif^e gliegen, Rafonifch'e Rüffe ufm., flnfpielung auf fd}et3hafte ©ebichte, 
öie öem Dergil, ®oib, hontet 3ugefd}tieben routben. Bcqu tommen öie IDörter 
dteatur unö Ingenium, öie flnfpielung auf öie flnetöote 00m fchnedenfudjenöen 
Scipio, unö öas 3 itat: Iocandum esse ufm. 

Bas Ooltstümliche 3eigt fi<h in öet öerb*träftigen EDortroahl unö Öen ooltstüm« 
lieh rosigen Bilöem. Solche Kraftmörter finöjetten, auffperren, Kot, IBaden, 
gaffen, greinen, oetgaffen, folche Bilöer finö: gefpannt mie eine fltm« 
btuft, munter mie eine Putjfdjere (itonifdj), macter mie ein IBaden im 
Kot (ironifch), fauer fehen, fie finö nicht 3U fieöen nod) 3U braten (= fie 
finö 3U nichts 3u gebrauchen). 

Komifch ift an jidj fdjon alles Rieöere unö Betbe. fllfo öie oben genannten 
ooltstümlichen flusörüde; bann hilft öiefen (Einörud oerftärfen alles, mas Öen nieö* 
tigeren Sphären öes Bafeins angehört unö öahingehörige Borftellungen erroedt; 
olfo IDörter mie Kot, IBaden, aber aud) IDörter mie feucht, naf}, talt, übet* 
laufenöe ©alle, faure Cauten, gliegen, Rtäufe, gtöfdje. Bas houpt* 
mittel aber, mit öem gifdjart fomifdje IBirfungen erreichen mill, ift öas Stilmittel 
öer häufung unö öie öaöurch h en) orgetufene Unförmigfeit. 3 unächft roetöen bei* 
georöneteSajjteile gehäuft: gliegen, Itüffe, Kräuter, ©ras, Bienen, Rtäufe, 
$töf<he. ©öer fjauptroörter famt Attributen: (Eraffifche, agelaftifche drea* 
tuten unö flnagagorifche, Seytropifdje fltenfehen unö gteinenöe heta* 
Hiti ufm.; oöet mit ihren ... Stirnen, ... h* rncn » • • • Rügen,... ©alle, 
©eitere Beifpiele bieten fich oon felbft. Butch öen Reim foll öie häufung noch h«* 
oorgehoben roetöen: 3etrenöe, auffpettenöe; mit ihren . . . Stirnen unö 
• • • hitnen. Bo<h auch fonft mirö öet Reim oerroenbet, mo et fich bietet: faure 
bauten, oljn (Erlaben mag nichts Beftanö haben. fln anöetn Stellen 
öet Oorrebe ift öiefe fcher3hafte Spielerei mit öem Reim noch oiel häufiger. 

Oie fotmlofe häufung erftredt fich öann auch auf Öen Satjbau. Bie gan^e öar* 
gebotene Probe oon 14 3eilen ift faft nur ein Sa$. ds ift ferner, öas ©efüge 3U 
öurdjfchauen. IDie ein Platzregen ptaffeln öie Sähe unö Satzteile auf uns nieöer. 
°«t hauptfah hat örei Subjefte mit 3ufammen fünf aöjeftioifchen Attributen, fln 
öiefelben Subjefte fchliefeen fich örei präpofitionale Attribute an, öie felbft mieöer 



358 <Erjl«f|ung 31m Dcrflönbnts öidjterifdjen Spradjftils 

acht abfeftfoifche Attribute 3um ©eleit haben, unb ötei attributwe Relatiofäße. Der 
leßte biefer Relatiofäße Ijat wieber brei Präbilate; oom lebten Relatiofaß ^fingt 
wieber ein Relatiofaß ab; in bie Relatiofäße finb weitere Hebenfäße eingefchoben. 
Sie finb oollgepfropft mit gekauften Saßteilen ufw. ufw. ©ne Kadjahmung latei* 
nifdjen Periobenbaus fdjeint inbeffen nic^t oot3uIiegen; toenigftens fehlt bie fürs 
Cateinijdje bejetdjnenbe ©nfdjachtelung bet Säße. 

3 . Afiatifdje Banife non Anfelm oon 3 i<jta- Kürfdjnets Hationalliteratur, 
37 . Banb, S. 10, 3 - 3 — 15 . 

Bliß, Donner unb Jjagel als bie rädjenben IDer^euge bes geregten Rimmels, 
3etfd}mettere ben Pracht beiner golbbebedten (türme, unb bie Radje bet ©öttet 
oe^ehte alle Befißer bet Stabt, welche ben Untergang bes föniglidjen Kaufes be* 
förbert ober nicht folgen nach äußerftem Dermögen, auch mit Datfeßung ihres 
Blutes gehinbert halben. IDollten bie ©ötter, es fönnten meine Augen 3U bonner* 
fd}»angetn U)ol!en unb biefe meine (tränen 3U graüfamen Sintfluten werben, id? 
roollte mit taufenb Keulen, als ein $euerroert rechtmäßigen 3omes, nach bem h et 3 cn 
bes Dermalebeiten Bluthunbes werfen unb beffen gewiß nicht oerhehlcm. 3 a es follte 
alfobalb biefer dyrann, famt feinem götter* unb menfehenoerhaßten Anhang, übet* 
fchwemmt unb hingeriffen werben, baß nichts als ein oerächtliches Anbenfen übrig 
bliebe. 

IDit haben hier ein Beifpiel für ben Schwulft ber fogenamtten 3weiten f^Ie* 
fifdjen Schule, ober oielmeht für eine Stilfranfheit, bie im Detlauf bes 17 . 3 #’ 
hunberts in allen Cänbetn auftrat. (Es ift bas literarifche ©egenftüd 3« Barodlunft. 
©efudjte Silber, maßlofes Ijinauffchrauben bes Ausbruds 3U einem übertriebenen, 
falfchen Pathos finb bie Kemt3ei<hen. 

Dot allem bas leßtere RIetfmal tritt in unferem Beifpiel hetoot. Sautet ge» 
fteigerte, überträftige IDörter: Bliß, Donner, fjagel, tjimmel, Rad;e, golö* 
bebedt, Daranfeßung bes Blutes, Rache ber ©ötter, äußerftes Der* 
mögen, bonnerfdjwanget, oermalebeitet Blutßunb, gtaufame Sint* 
fluten (man beamte bie Rleh^ahü), dyrann, götter* unb menfdjenoet* 
haßt, überfchwemmen, hinreißen, mit taufenb Keulen nach 
her3en werfen ufw. ufw. 

Ähnlich ift bie U)ahl bet Bilber, beten 3 ahl nicht übermäßig groß ift: Die Augen 
tollen 3u bonnerfchwangetn tDolfen, bie dränen 3U Sintfluten wer* 
ben. Das leßte Bilb ift noch ausbenfbat, aber baß bie Augen 3U U)oUen »erben, 
bas ift fdjon eine ©ttgieifung; noch beutlidjer wirb bie ©itgleifung, wenn bie tau* 
fenb Keulen ein $euetwet! bes 3ornes genannt werben. 

Dorliebe für bas fchmüdenbe Beiwort gehört auch noch 3U ben Kenn3eith en 
biefes Stils. 3 ch 3ähle beten 6—8, wobei fich eine Benot3ugung ber 3ufanttnen* 
gefeßten, feltenen ober neugebilbeten geltenb macht: golbbebedt, bonnerfdjwan* 
get, götter* unb menfehenoerhaßt. Die bei Sifdjart beobachtete ^äwfiiwö 
ift hier bureßweg auf 3wei ©liebet befd)tänft: EOolfen unb Sintfluten, übet* 
fchwemmt unb hingeriffen. Sie beoo^ugt aber parallele ©liebetung 9 an i |* t 
Säße ober ©ebanfen, was bet Saßmelobie etwas Klangoolles, Abgerunbetes gt 
BUß . . . 3 erfchmettere . . ., Rache Det3ehte . . . ; bie ben Untergang 



Don 3 . EDieganb 


359 

... befördert ober... nicht uerhinbert haben uftu. uftu. Auch biefeBeobach* 
tung fdjliegt fidj bem rhetorifchen (Eharafter 6 er Probe unb bes gan 3 eit 3eitftils gut an. 


4 . Oie Alfter 

oon fjagebom (Ausgabe in Reclants Unioerfalbibliothef, S. 322 ). 


Befötbrer oieler £uftbarleiten, 

Du angenehmer Alfterflug! 

Du meljreft Hamburgs Seltenheiten 
Unb ihren fröhlichen ©enug. 

Dit Italien 3ur (Ehre, 

Du (pielenbe glut, 

Die fingenben (Ehöre, 

Der jau<h3enbe ITCut. 

Der (Eibe Schiffahrt macht uns reicher; 
Die Alfter lehrt gefellig fein! 

Durch jene füllen mir bie Speicher; 

Auf biefet fhmeeft bet frembe IDein. 

3 n treibenbem Hachen 
Schmimmt (Eintracht unb £uft, 

Unb greiheit unb £ad}en 
(Erleichtern bie Bruft. 

Die Ufer 3jert ein ©ang oon £inben, 

3 n bem mir holbe Schöne fehn, 

Die bort, mann dag unb h'ije fchroinben, 
®nt3üdcnö auf« unb niebergeljn. 

Kaum Ijaben co^etten 
Die Hympgen bet 3agb, 

Dianen 3« Seiten, 

So rei3enb gelacht. 


© fiehft bu jemals ogn’ (Ergögen, 
hammonia, bes IDalles Pracht, 
röann ihn bie blauen IDellen neben 
Unb lebet grühling fchöner macht? 
tDann jenes ©eftabe, 

Das glora gefchmücft, 

So manche Hajabc 
©efältig erblidt? 

(Ertönt, ihr fdjet3enben ©efänge, 

Aus unferm £uftfd}iff um ben Stranö! 
Den fteifen ©rnft, bas XDortgepxärtge 
Derroeift bie Alfter auf bas £anö. 

Du leeres ©emäfdje, 

Dem HTenfchenroib fehlt, 

© fahr in bie gröfche, 

Hur uns nicht gequält! 

hier lärmt, in Hätten ooll Dergnügen, 
Der Paulen Schlag, bes tDalbhorns Schall; 
hier mirft, bei tDein unb fügen gügen, 
Die rege greigeit überall. 

Hichts lebet gebunben, 

H)as greunbfehaft gier paart. 

© glücfliche Stunben! 

© liebliche gahrt! 


Allgemeines Kennjeichen: bie reine Profa. Als RücEfcglag gegen ben Sdjumlft 
bes oorausgehenben 3 eitabfd}nittes !am eine 3 «t übetgroget Hüchternheit, bet 
flngft oor allem Ungewöhnlichen. 3 n bem ©ebidjt ift faum ein Bilb; fteifer ©rnft, 
leeres ©etoäfche, bie Bruft erleichtern toirb hoch faum noch als Bilb gefühlt; 
•jödjftens ift 3n treibenbem Hachen [trifft (Eintracht unb £uft noch als 
gan3 alltäglich (Dermenfchlichung) an 3 ufprechen. Als Schmucf lommen nur in 
Betracht ein paar Ausrufe unb rhetorifdje gtagen, unb bie fchmüdenben Beiioörter 
(befonbers Abgefang oon Strophe 1 unb 6 ). Oiefe lanblaufigen Schmucfmittel ent* 
fallen faft immer auf ben auch metrifch ettoas lebhafteren Abgefang. 

Als Schmucf gelten bann in jener 3eit oor allem mythologifche Anfpielungen 
unb Dergleiche. Sie finb feit ber fjumanifte^eit taufenbfach angemanbt unb bes* 
halb natürlich ohne tiefere tDirfung. Die am Ufer toanbelnben hamburgerinnen 
®etben mit ben Hymphen ber Diana, bie babenben mit Hajaben oergli^en; glora 
fhtnüdt im grühling bie gluren hamburgs. 

Das ift aller Schmucf. Sonft nur Kegelmägigfeit, Seichtheit (oon ber fabelhaften 
Seichtheit ber ©ebanfen ift hier nicht 3 U hanbeln). Die tDortftellung weicht nicht im 
9eringften oon ber profaifchen ab. Die ©eöanfenfolge ift burdjfichtig wie in einem 
Scgulauffag mit oorangeftellter ©liebetung. nichts Sprunghaftes, nichts Unregel* 
•"«feiges, nichts ift 3 u erraten; feine Unflarheit (höchftens füge 3üge in Strophe 6 ). 



360 


<Er 3 ieI)UTig 3 um Derftänbnis öi^terifd)en Sptadjftils 

(genauer 3u|amntenfall ber ©ebanlen mit 6er metrifchen ©liebetung. ^flbfchluf; 
febesmal nach ber 2., 4., 8., oft auch nach bet 6.3eile. Seht häufig ift bie'parallele 
©eftaltung oon je einer ober je 3 toei aufeinanberfolgenben metrifd} gleichwertigen 
3eilen. £Ufo 3eile t // 2: Befötbter oielet Cuftbarleiten// bu angenehmer 
fllfterflufe! Bas ©emeinfame ift bet ©haralter bet flnrebe. ©benfo an einet me» 
trifd? anbern Stelle: bie fingenben ©ho« // bet jaudj 3 enbe Blut ©emein* 
{am ift bie $unltion im Safe unb bie 3ufarmnenfefeung aus Partfeip + Hauptwort, 
©benfo gehen in bet lebten Strophe 3eile 1/2 unb 3/4 parallel; ebenfo Strophe 2, 
3eile 1/2 // 3/4. Unb noch feh r oft ältliches. 

tDortmaht U)ir finben lein auffällig feltenes ober gehobenes Ulort. Stellen 
toie: Die blauen Biogen netten finb bas Dichterifchfte. Das meifte fchtoebt in 
einet lauen Blitte: angenehm, ftöhlid}, ©enufe, {pielenb, gef eilig, fchmeden, 
£uft, bie Schöne, tei 3 enb, fd}et 3 enb, gefällig u|u>. Dieles aber mutet uns 
heute toie bie reine Rlltäglichfeit an: Befötbtet oielet Cuftbarleiien; bet ©I&e 
Sdjiffahtt macht uns reicher, ber $tül}ling macht ben tDall frönet, bie 
fllfter lehrt gef eilig (ein, in bem mir holbe Sdjönen f eh«, fotöje Sö^e 
bringt jebet ©ertianer 3 uftanbe. ©an 3 ptofaifcfj ift bie trodene ©egenübetfteHung 
mit Jene unb biefe in Strophe 2, 3eile 3/4. Ceeres ©ewäfche aber fteigt noch eine 
Stufe tiefer, in bie Umgangsfpradje; natürlich toill ^ageborn hier frifd) unb led mir» 
!en; für mein ©efühl aber fällt bet flusbrud aus bem Rahmen eines Cobgefangs 
(bas foll es hoch toohl fein!) heraus. 

5. Schiller, £ln bie $reube. 

©in ©ebidjt oon gewaltiger Ulucht, hettlidjem Pathos. Dotausfefeung bafür 
ift ein butdjaus ebles, gehobenes tDortmaterial. Dafe bas hier oorhanben ift, baft 
leine ©ntgleifung in niebere Sphären oorlommt, bebatf laum ber ©troähnung. 
Ungewöhnliche Derwenbungsarten unb Ueubilbungen erhöhen bie Blitfung. Schiller 
bilbet gern 3ufammenfefeungen mit 3 wei Hauptwörtern: Rofenfput, Sternen» 
3 elt, Sternenrichter, ©ötterfunle, ©rbentunb, $euetfpiegel, Hielten» 
uht, Sonnenberg, Utännerftol 3 , Cügenbrut, ba 3 U noch bas ©igenfchafts» 
wort feuertrunten. Bei Beurteilung ber Kühnheit einet Reubilbung lommt m 
Betracht, in welchem Derhältnis bie beiben Begriffe 3 uehtanber ftehen: Sternen- 
richtet = Richter über ben Sternen ift fühnet alsBtännerftol 3 , wo ein einfach® 
©enitiooerhältnis oorliegt. Sonft fallen butch ben eigenartigen ©ebrauch noch a “j : 
beine 3aubet (bie Blehr3ahl!), 3itlel für Detfammlung, bet grofee Ring für 
©rbe: Rohr = $etntohr. ©s ift babei 3 U beachten, bafe bie ©rlenntnis oon S<hm eTS 
©igenart babutch erfdjwert wirb, bafe 3ahlteid}e feiner bamals neuen tDenöiingen 
3 U 3itaten unb Schlagwörtem geworben, ja in bie allgemeine Schrift* unb fe I 
Umgangsfprache aufgenommen finb. ... 

Das Hauptfemqeichen aber oon Schillers gefteigertem, feierlichem Pathos t| 
bie Dorliebe für fehr ftarle Ulörter. Ulenn möglich, wirb bie lefete, hödjfte Steigerun? 
gewählt, bei 3ahlen bie ©efamtheit: Kufe bet gan 3 en tüelt, ausgeföhnt ' e 
gan3e Ulelt, alle Btenfchen werben Brüber, alle tUefen trinlen$teu e, 
alle ©uten unb alle Böfen, in febem Kehrreim bas Hangoolle Ulillionen, 
unb ©iben wirb ©wigleit jugefidjert, alfo über Ceben unb ©ob hiuaus! as 




Don 3 . tDieganö 


36 t 


©egenteil öcr®ef«m%itift6ie©ns: ©et aud? nur eine Seele fein nennt... 
. tn öcr öet fömüdenöen BeitDörter unb in 

0ic BcitDörtcr fud?cn faft fSmtI ^ öen w«»' 

troifchen Begriff als m hohem Rlaße oorbanben hin 3 uftellen: fefter Blut, fAroere 
£etöen, ftcilet ^ugel, ftatfe $e6er, groß bei ©eltenuhr, ©utf, ©ott 
unb Ring, ober bem Begriff fonft eine aus 3 eichnenbe ©genfdjaft bei 3 ulegen: liebet 
Dater, Jiolbes ©eib, golbner ©ein, oollet Römer, präAt’ger Plan 
erotge Ratur. Damit finb auch bie oben angeführten Reu 3 ufammenfeßungen 

I e “" tT “ nICn ' Ronnenberg, Seuerfpiegel ufto. 3 u Dergleichen. 

Scharfe ©egenfaße finb immer eine Begteiterfcheinung rhetorif<her Cyrif. ©s 
!!* 3 “ ® ca( 9* cn * öa & f»e in unferem ©ebichte nichts non geiftreicher Spißfinbigfeit an 
f«h haben, fonbem nur 3 ut Steigerung ber Dorftellung oon ber Allmacht ber Steube 
bienen, ©s fmb ootroiegenb 3erlegungen bes Begriffs alle in 3 roet gegenfäßliAe, 
Öen ga^eit Umfang erfäöpfenöe Begriffe: alle ©uten, alle Böfen, VOa br* 
heit gegen $reunb unb $einb. Alle ©ef<höpfe oom ©urm, bem nieberftett, 
bis 3 um ©hetub, bem höchften, haben an ber Steube teil. Das Kleinfte roie bas 
©roßte hat fie geraffen: Blumen aus ben Keimen, Sonnen aus bem 
Sirmament. Sie Dereinigt bas ©iberfprechenbfte; Der 3 toeifIung unb gelben* 
mut, Sanftmut unb Kannibalen, RtännerftoI 3 unb Königsthrone: alle 
Iuenfchen macht fie 3 u Brühern. 


©ir fommen nach Befprechung einiger Sonberfälle 3 u ber Dorliebe für ftarfe, 
ftetgembe ©Örter fchlechthin 3 urücf. Das holbe ©eib roirb nicht einfach erworben 
ober gemonnen, es roirb errungen, als ob immer ein Kampf oorausginge; bie 
milltonen fallen nicht nieber, fie ftür 3 en nieber oor ihrem Schöpfer; nie roirb 
einfach oerfprochen in bem ©ebicht, es roirb ftets gefchrooren, fogar 3 u ben ©ben 
imrb noch *>as Parti 3 ip gefchrooren hin 3 ugefügt. Des ©utms befcheibene $ort= 
pflan 3 ungsfreube roirb ©olluft genannt. Die Sonnen beroegen fi<h nicht im ©eit* 
rmim, fie fliegen, roas noch großartiger anmutet, roenn man an ihre ©röße benft. 
Ähnlich, roenn ber Sterne ©irbel ©ott lobt. So heißt es weiter ftatt: ftehetauf 
ober erhebet euch: fliegt oon euren Sißen, bie Särge 3 erfpringen nicht, fie finb 
gefprengt; aber es entfteljt baburch nicht ein Sprung, fonbem ein Riß, welches 
©ort infolge bes 3ufammenhangs mit bem“energif<heren reißen eine oiel brafti* 
feiere Dorftellung erroedt. ©ben baher eine Dorliebe für alles, roas ftarf, groß, groß* 
gewaltig ift: ©ott, ©ob, $euet, Sonne; baher ©ötterfunfe, feuer* 
trunten, Seuerfpiegel, Sonnenberge, fein einfacher $einb, fonbem ein ©ob* 
feinb, ber Steunb ift gleich im ©ob geprüft, obfdjon biefe Bewährung ber ©reue 
tti<ht jeher Sieunbfchaft befdjieben fein bürfte unb nur wenige biefer Prüfung ftanb» 
halfen würben, ©benbahin gehört freubig roie ein fjelb 3 um Siege. Die 
Schult» im Schulbbfich roirb nicht nur geftrichen, bas gan 3 e Schulbbuch roirb 
oernichtet, bie Cügenbrut roirb nicht nur unfchäblich gemacht, Untergang roirb 
j^ r 9 e f<h®oren. Befonbers fräftig unb feierlich wirft natürlich alles, roas mit her 
Unenblidjfeit bes ©eltaHs, mit ben fjimtnelserfcheinungen unb überroeltlichen ©efen 
3ufammenhängt: Seraph, Gherub, ©ott, ©ötter, Sonnen, Sterne, Stet* 
n en 3 elt, $irmament, ©hör ber ©ngel, Sphären, Räume, bie bes 
Sehers Rohr nicht fennt, ©lyfium ufro. 



362 


(Erteilung 3 unt Detft&nbnis btd)lerifd)en Spradjftifs 


DJit Ratten jdjort an bet Afiatifchen Banife gefefjen, rote Patallelismus bet Sähe 
wnb ©ebanlen 3 um IDefen bes Pathos ftimmt: Detfelbe ©ebanle toitb in immer 
anbetet $orm bem fjöter geboten unb fo feinem (Seifte getabe 3 U eingehämmert. 
Oie Beifpiele finb fehr, fehr 3ahltei<h unb Iafjen fich nid)t alle auffühten. ©leid) am 
Anfang haben mit eine bteimaiige Anrebe bet $reube, alle btei benfelben ©ebanlen 
bes göttlichen Urfptungs betonenb. Auf bie oerjdjiebenfte IDeife lann bie IDiebet« 
holung, bet patallelismus hergeftellt fein. 3n Strophe 3 toitb 3unächft bet ©ebanle, 
bafo alle IDefen bet $teube bebütfen, in 3- 1/2 un & bann in 3/4 ausgebtücH, nut 
mit einem anbeten Bilb, toobei es natürlich auf bie Kraft bes Dichters anlommt, 
trotj besfelben ©ebanlens in uns ben ©inbtud bes Heuen heroot 3 urufen, inbem et 
eine anbete DorfteUung in uns erroecft unb uns bamit einen neuen ©ebanlen oor» 
täufcht, mäljrenb et in tDirllichleit nur ben bereits mitgeteilten feftet einprägt. 3m 
»eiteren Detlauf biefet Strophe oettoeilt Schüler immer noch Sei biefem ©ebanlen, 
gibt ihm aber babutdj Abmechflung, ba& et ben Begriff alle IDefen butch btei 
Dertreter erläutert: ITCenfd), IDutm unb (Eherub, unb oon febem ausfagt, tootin 
fein Anteil an bet $teube befteljt. Dabei laufen nun bie IDurm unb (Eherub, ben 
oberften unb unterften Dertreter, beljanbelnben Derfe 7/8 toieberum einanbet patal* 
lei. Die nächfte Strophe ift gan 3 ähnlich gegliebert. 3n je 3 toei 3eüen ber ©ebanle: 
Die $reube erfdjafft alles, unb bann toieber brei (Edelheiten: Blumen, Sonnen, 
Sphären, toobei abermals Blumen unb Sonnen als unjeheinbarfter unb gtö&ter 
Dertreter bes ©efdjaffenen auftreten. 3n Strophe 4 haben mir bann oierntal in je 
3 ®ei 3cilen benfelben ©ebanlen, jebesmal burch ein Beifpiel, oorgeführt. h' er n^b 
ber Patallelismus ber ©ebanlen oerftärlt butch ben Patallelismus bes Satjbaues: 
aboerbiale Beftimmungen, Präbilate ufm. flehen mehrfach an ben fi<h metrifd) ent» 
fprechenben Dersftellen. Unb in ber lebten Strophe gehen oon acht feilen fog« 
fieben einanbet parallel; allerbings hanbelt es (ich hier um eine Auf 3 ählung, fo bafi 
jebesmal ein neuer ©ebanle geboten toirb; hoch geht bie (Entfprechung im Sahbau 
bafüt 3iemli<h meit; unb bie einige 3eile, bie inhaltlich abmeid)t, 3eile 6, geht bet 
metrifdh entfprechenben oierten infofem parallel, als bie gebrauchten fjauptmörtet 
oon gleicher £änge finb, an ben entfprechenbenjStetlen ftehen unb bet paarbegtiff 
©ut unb Blut feine (Entfprechung in bem Paarbegriff $reunb unb $einb jjot. 
Das möge als Bemeis für biefe (Erfcheinung genügen. Sie finbet fich/tod) großartiger 
ausgeprägt etma in: Das 3beal unb bas £eben. 

Den gebanllichen IDieberholungen fdjliefeen fich bie $iguren an, bie auf toött* 
liefen IDieberholungen beruhen, oor allem bie Anapher, b. h» bie tDiebetljolung oon 
einem ober mehreren tDörtern am Anfang oon Sähen unb Derfen. Sie gehört oon je 5 
her 3 um eifemen Beftanb aller patljetifchen Dichtung. Sttophe 3 beginnt: $reube 
ttinlen alle U)efen, unb in Strophe 4 heißt es bann: $reube heißt bie ftatle 
Sebet..., $teube, $teube treibt bie Räber ... ferner Strophe 6: Keine 
ütäne ...leine Reue... Unb Strophe 8 :Schmört bei..., fchmört es bei..-. 
Strophe 5: Dulbet mutig ... bulbet für ... hierher gehört auch in Strophe 3: 
alle IDefen ..., Alle ©uten, alle Böfen. Unb bann bet großartige, als 
(Eljot gebachte Abfdjluß ber Strophen, bet mieberholt lehrreimartige ©eftalt an* 
nimmt: bie U)orte Millionen als Antebe, besgleichen Sternen 3 elt unb bet hin' 
meis auf ©ott mieberholen (ich mehrfach, toie benn auch inhaltlich eine gemiffe (Bleich* 



Don 3. IDieganb 


363 

^eit her d^oroctfc baburch herootgerufen wirb, bafe fie faft ftets in gorm oon Auf* 
forberungen bie Schlußfolgerungen aus ber oorausgehenben Strophe 3 te^cn. 

Der Saßbau ift überfichtlich, burcfjfichtig, oolltöncnb unb abgerunbet, 00 t allem 
wegen bet oben befprochenen ©ebanfenwieberholung unb bes bamit oetbunbenen 
Parallelismus. (Anafoluth in Strophe 2.) Oie tDortftellung weicht oon bet regel* 
mäßigen nur unbebeuienb ab; baß bet ©enetio meift oor bem regietenben fjaupt* 
wort fteljt, ift eine (Eigenheit bet gehobenen Hebe fchlechthin (ich 3äJ?Ie btei $äHe 
bes nachgeftellien ©enetios). Auffälliger ift bie Detbinbung: ©enetio + abjeftioi* 
ft^es Attribut + Hauptwort. Beifpiele: Durch bes Rimmels prädjt’gen Plan, 
3 u bet ©ugenb fteilem fjügel, auf bes ©taubens Sonnenbetge, aus 
ber IDaljtheit geuerfpiegel, in ber ©taube golbnem Blut. 3d) [teile 
babei 3ufammengefeßte Hauptwörter, wie geuerfpiegel, auf eine Stufe mit 
©genfdjaftswort + Hauptwort. Daß berartige Oetbinbungen etwas KlangooIIes, 
gewaltig Daljinraufcfjenöes haben, wirb wohl jebet füllen. 3utn Beweis baffit, 
bafe getabe Sdjiller fie liebt, führe idj aus 3beal unb £eben nodj an: 3n bes 
Sieges hoher Sicherheit, bes Sieges buft’ger Ktan 3 , bes Htutes füh* 
net glügel, bei bet Sdjtanfen peinlichem ©efüljl, bes Sehens fchmei* 
genbe Phantome, bet Schönheit ftille Sdjattenlanbe ufw. 

6. Stefan ©eotge, Das 3al)r bet Seele, 5. Auflage. Berlin 1911. S. 45. 

Rufjm biefen tDipfeln, biefet garbenflur! 

Sie lehrten uns, bas ©Iüd in feinem glückten 
3 u ftreifen, unb es bleibt noch 3arte Spur 
An unfrei tjanb, wie Sdjmeh oon reifen grüßten. 

Schon weht bas IDimpel, unb es fäumt nicht mehr. 

Aus Scheibeftunben werben ©tönen rinnen . . . 

©b einer 3weifelhaften IDieberfeht, 

3 n offnem Schmede 3ogeft bu oon hinnen. 

3 dj aber bord)e in bie nahe Hadjt, 

©b bort ein lebtet Dogeltuf oermelbe 

Den Schlaf, aus bem fie froh unb fdjön erwacht- 

Der Gebe fachten Schlaf im Blumenfelbe. 

©eotges eigenartige Schreibweife unb 3eicljenfeßung hübe ich bes leichteren 
Oerftänbniffes halber befeitigt. 

Per ©tunb 3 ug oon ©eorges Stil ift geierlidjfeit, 3artheit, Abfeht oon allem 
©teilen, tauten, Al^ubeutlichen, bähet Dotliebe für bas Detfchwommene, Un= 
beutli^e, Ounfle, ariftofratifche 3urücfge3ogenheit, Abfeht oom £eben bes ©ages 
unb bet ©egenmatt, bähet Derachtung ber Blaffe, bie gewolltes Anbersfein, ge* 
wollte (Eigenartigfeit unb Schweroerftänblichfeit oon ihm [enthalten foUen. 

3u biefet geierlichfeit unb Dotnehmheit paßt bas Streben nach gewähltem 
flusbtud. Daher muß ©eotge fagen: ©tänen rinnen; fließen wäre 3U gewöhn* 
lieh, bähet fagt et oon hinnen jtatt weg ober oon bannen, bähet ob ftatt wegen 
(3.7) ufw. Daher bas gefpreyte Ruhm biefen IDipfeln; im allgemeinen würbe 
man nur bei großen fjelbentaten Ruhm ohne ptäbifat mit bem Datio als Ausruf 
gebrauchen. 



364 


«räie^ung 3 um üerftänbnis öid)terifd(en Sprad)ftils 

Dann finbet et 3U bem 3mede ber eigenartigen IDirfung neue ©ebtaudjs* 
arten: Das ©lüd in feinem glühten; mir mürben 3unächft fagen auf feiner 
gluckt; bet fubftantioierte 3nfittitio unb babei bas befi^eigenbe gürroort ift un* 
geroöhnlich. ©eroife, es ift nur eine Heine Abmeierung; frampfhafte Settfamfeiten 
mürben gemotlt geiftreüh etfdjeinen, roas natürlich bes Dieters Abfid)t gar nicht ift. 
So finb auch (Eigenheiten im ©ebtauch bes Artifels nur ein Heines, 3 artes IDtrhings* 
mittel: ©s bleibt noch 3 arte Spur, Spur ohne Artifel, als ob es ein Stoffname 
märe. ®b einer 3 roeifelhaften XDieberfehr, mir mürben rooljl ob 3 toeifel* 
haftet XDiebertehr ober beinet 3 roeifelhaften IDiebetfeht jagen. Dann 
eigenartige Bebeutung oontDörtem: offner Schmet 3 foH t?cifeen: nicfyt oerhehli«, 
offen eingeftanbener. Aus Sdjeibeftunben metben ©tänen rinnen: (ehr 
eigenartig, faft gefudjt unb ge 3 mungen, menn auch nicht ohne Rei3; als roenn Stun* 
ben ein ©efäfe roäten. Auch oermelben (3.10) mirft in biefer Umgebung gehoben 
unb eigenartig, obfdjon es eigentlich ein altertümliches U)ort ift; bas empfinbet 
aber niemanb in biefem 3ufammenhang. XDeitere Abmeichungen oom lanbläufigen 
bi^terifchen Sprachgebrauch: gatbenflut= bunte glut. IDipfel unb gatben* 
flut ftehen als Dertreter bet Uatur überhaupt: ©eil fürs ®an 3 e; bas ein 3 elne 
ift bi<hterif<het als bas allgemeine, meil es beftimmtere Anfchauung erroedt. Der 
Dergleich einer 3 arten Spur mit bem Schmel 3 (= roeicher ©Iari 3 einet $«b*) 
oon reifen grüßten ift mit neu (unb feht gut). IDimpel fürs gan 3 e Schiff 
(©eil fürs ®an 3 e), bas IDimpel fäumt nicht mehr: Dermenfchli<hung bes 
lofen. Dort in 3-10 auf Uacht flogen, Uacht alfo als Ortsangabe gefaxt. Dies 
alles ift 3 meifellos mirfungsooll. U)eniger !ann ich mich mit ber Dorfteilung befreun* 
ben, ba& bie Uacht felbft fchläft (3.11). (Ober follte fie in 3- H föon au f £ieb * 
in 3-12 fich be 3 iehen? Das gäbe befferen Sinn, märe aber fptachlich feht h«t unö 
ungemöhnlidj.) hingegen ift bie tDortftellung gan 3 fdjlicht unb einfach, bis auf eine 
feht auffällige Ausnahme: bafj ob einet 3 roeifelhaften UHebetfeht oor in 
offnem S<hmer 3 , mooon es hoch abhängt, geftellt ift. IRanche bet im folgenden 
noch angeführten ©rfcheinungen tragen übrigens gleich 3 eitig auch 3 U ber eben be ‘ 
fprochenen IDirfung bes (Eigenartigen bei. 

3arte, leife, ftille, träumerifche IDitfung. ©s metben mit Dotliebe Wörter 
gebraucht, bie unbeftimmte Dorftellungen etmeden: Hichts Kräftiges, Star* 
les, ©nergifdjes, im ©egenteil, es roitb nach Utöglichfeit gebämpft: Das ©lüd flu^ 
tet, es roirb nur geftreift, es bleibt nur eine Spur baoon 3 Utüd, eine Spur f° 3® 1 *» 
mie ber tjouch an teifen grüdjten. Der Schlaf mirb facht genannt; es erflingt f<h on 
bet letjte Dogeltuf. UTancherlei roirb fo 3 art angebeutet, bafj es ernten mer en 
mufe, morüber unten mehr. Das IDimpel fäumt nicht mehr: bet oerneinenoe 
Ausbrud 3 arter als bas bejahenbe: Balb roirb es abfahten. 

3ur Dunfelheit trägt fchon manches oon bem bereits (Ermähnten bei. 
Schmeiß, bann 3- 6, unb bie Stellung in 3.7/8 3 roingen fchon 3 U einigem Uacp' 
benfen. Die nahe Uacht (3.9) ift unHat: 3 eitlich ober örtlich? (bas foll fein ot* 
mutf fein). 

Schmer 3U burchfehauen ift auch ber ©ebrauch beT 3eitformen, mas alletöings 
mit bem hier nicht 3 u betrachtenben Aufbau 3 ufammenhängt. Strophe 1 9® 
ber ©egenroart aus einen Rüdblid; baher 3mperfeft unb fhcäfens. ©b bie ptafenna 



Don 3 . IDieganb 


365 


oon 3.5 gkidjitiüg mit Strophe 1 3 u benlen finb, ift nicht ficket. 3ebenfalls toirft 

u “!?l T ÖlC " a ^ 3u ^ : ^ on W Schiff fahrtbereit, aber bte Stern 
nungsftunbeift noch nidjt gan 3 ba; es feien 6 enn Scheibeftunben aufeufaffen als 

Stunben, tuahrenb beten bte Siebenten getrennt finb, was oom gewöhnlichen Sprach¬ 
gebrauch abroeidjen rourbe, aber nidjt unmöglich märe. 3 n 3 . 7/8 ift bie (Trennung 
bereits erfolgt, unb ber Dufter fdjaut 3 urü<! auf ben Abrieb; baher Umperfett! 

Wft m e ” e ' 3utü<fbIitft ' 9 e ht roohl not, roas in ber lebten Strophe 

. na $ öem Scheiben, im Präfens gegeben, woraus fid? ergibt, 

ba& bas Ptafens ber 1 . Strophe oor bem Präfens ber 3 . Strophe liegt. 3 n bUfer 
etjten Strophe weicht aber bie 3etle 11 ab, beten Präfens nieht auf gleitet Stufe 
ftelft mit ber $orm ich horche, fei es nun, ba& ber Sinn nur ift: aus bem fie 3 u 
erwachen pflegt, ober ba& hier ein hoffenber Ausblid in bie 3ufunft gegeben wirb- 
aus bem fie . . . ermaßen roirb. 

3ur Dunfelheit trägt auch ber läffige Gebrauch bet $üru)örter bei, beren Be¬ 
gehung manchmal erft nadj einigem Ba^benfen flar roirb. Diefe tDipfel beiftt 
es, obfepon eine »ergangene Situation gemalt roirb. An unfrer Banb, obfebon 
toe (Beliebte nidjt mehr ba ift. 3-10 bort be 3 ieht fic^ auf Itadjt, als ob bas eine 
(Ortsangabe toärc. 


Da3U tommt, bafj Ijinter ben Oorten oft noch ein tieferer Sinn oerftedt ift, 
ba& manches roörtlic^ unb 3 uglei^ bifblic^ 3 u nehmen ift. Wenn bas IDimpel 
»eljt, fo ift bas nur ein Symbol ber Abfahrt unb (Trennung, unb es ift bamit nicht 
gejagt, bafj bet Dieter bie Dorftellung einet Seefahrt in uns erroeden roilL 3 n* 

n-rkr ti>e &iC ^ e ® or f tc ^ un 9 & em ©nbrud bes ©an 3 en nicht fdjaben. Stärfer fe&t 
oas Büblic^e (bei neueren Syrifem fagt man oft ohne Berechtigung bas Symbolifdje) 

«üw« x Sttop ^ e cin * Die Ka ^ t »ft ö « 3ugleich bie ttacht ber Trennung unb ber 
saflaf bas Bergenen ber Siebe; unb roenn barauf hingeroiefen roirb, ba& bie Ba<ht 
J! 0 ’ unb fdjön erwacht, fo roirb bamit eine Öffnung auf IDieberaufleben ber 
«e e angebeutet. 3n 3 . 12 aber roirb bas Bilb gebeutet, roenn es nun Ijeifet: (»er 
uebe fachten Schlaf. Unb roenn bann im Blumenfelbe hin 3 ugefügt roirb, 
|o « 9 « ber Dieter 3 roar roieber 3 u ber Dorftellung ber Hacht 3 urüd, aber auch auf 
16 r* 6 ^ ^ 3ur ** ct Sdjlaf ' m Blumenfelbe be 3 iehen: Oie Siebe als etroas 
an fich Schönes unb Dichterifches foH butch bie liebliche Dorfteilung eines Schlafs 
unter Blumen noch befonbers ausge 3 ei<hnet roerben. 

. gefagt haben, ba& biefe Auslegung bie ein 3 ig mögliche 

vw •** cs gehört 3 um IDefen biefer oerfchleiemben Kunft, ba& fie, ähnlich roie 
«e muftl, geftattet, mehteres an ©ehalt, 3nhalt unb Stimmung hinein 3 ulegen. 

. . ^ en ' ba b «He biefe Sonberljeiten roenig aufbringlich finb; man mufj 

Ron mit bet Supe fuchen unb bie Sprache fehl genau beobachten, roenn man ihrem 
et 3 auf ben ©runb gehen roiH. Bei George roar unferen Stilunterfudjungen 3 roei* 
fenos bie fchroerfte Aufgabe geftellt. 



366 


Dom beutfdjen £efebud) 


Dom 6cut|<^cn £e[ebud). 

Don heittr. Sdjierbount in BielcfeU). 

So |«i bcnn b«T ffitl(tes 3 ud)t geroeiljt 
Des (Beijt’s umfrte&eter (harten; 

Der Keim, ben man Ijtcr ausgejtreut, 

Soll nimmermehr entarten. 

Unb trennt nid)t Ceben unb XTatur 
Don £ci)re unb (Bebanfen! 

Baut mauern, bod| 3um Stufte nur, 

Baut fie nicht auf als Scfyranfen. 

3 b | e n, Das SdfuKiaus, <5eM$te, Redam S.52. 

3n einem Sdjriftdjen, bas Öen (Eitel füfyrt: IDibet bas beutfdje £efebudj unb bie 
heutigen Auflage 1 ), befäaftigt fiefj bet Detfaffet, Seminatoberlehtet bemann IDenbt 
in ©Ibetfelb, mit bet Stage nad} bem lonfreten Stoffe bes beutfdjen Unterrichts, 
(©rammatil, Orthographie, Stiliftil, TTTetrif, Poeti! ufro. Reibet IDenbt als ab» 
Ratten Stoff aus.) 

Oie Antroort lautet: ,,©s ift, rooran idj leinen Augenblid 3 «ieifle, bie beutfdje 
ttationalliteratur, alfo bie £iteratur, bie bet gan 3 en Itation, nidjt einjelnen 
Stänben, Klaffen ober Berufen angeljött; mit anbeten EDotten: nidjt bie roiffenfdjaft* 
lidje unb fadjmännifdje, fonbetn bie poetifdje £iteratur, bas IDott Poefie im roeiteren 
Sinne genommen, ©in grofeet, hettlidjet Stoff fürroaljr, unb rooljl roert,_ein befonbe* 
tes £eljtfadj in einet jeben beutfdjen ©rjiehungsfdjule 3 U bilben!" 

Oiefet Stanbpunlt tann oon uns nidjt fo gan 3 gebilligt roetben. ©inmal ift bet 
Begriff „beutfdje Uationalliteratur" oon IDenbt oiel 3 U eng gefafet — bann tann fie 
aud} leinesroegs allein ©egenftanb bes beutfdjen Unterrichts fein, ©s ift 3 roar lange 
eine irrtümliche, freilich rein tljeotetifdje UTeinung getoefen, bodj ift man in bei 
Prajris immer baoon abgetoidjen, unb 3 toat fehr ftarl. IDemt mir überhaupt bte 
Sorbetung erhoben, unfere gan 3 e Bilbung auf eine fefte nationale ©tunblage 3“ 
ftellen, bie uns heute trotj aller gotberungen tljeotetifdjet päbagogil, mie bas geiftige 
£eben unfeter ©ebilbeten beroeift, eben bodj noefj fehlen, fo gilt bas bodj in erftet 
£inie gerabe oom beutfdjen Unterricht. Unb ba geht es benn roitflidj nicht an i baß 
mit uns allein auf unfere Uationatliteratur befdjränten. Oer beutfehe Unterrid) 
muf} fein Stoffgebiet oiel meiter ausbeljnen. 

„ 3 ur fchönen Citeratur gehört nicht nur bas ©ebidjt in gebunbener Sprache, bas Dr®tna, 
bet Roman, bie Rooelle, fonbem ebenfogut jebe Art tünftlerifdjer ©eftaltung eines®*» 
fdjaftlidjen Stoffs, ©s gehört ebenfogut fünftterifdje Phantafie, Kraft unb deamir 003 , 
einen philofophifdjen obet tDiffenfdjaftlichen Dortoutf als ©rlebnis 3U geftalten, wie 3 
Aufbau unb 3m Ausarbeitung eines Romans, unb es liegt gar leine Detanlaffung oor, 1 
bet ©eöidjte ober Romane fchreibt, ohne roeiteres für ein höheres IDefen 3U halten als 
„bidjtenben" Philofophen, ©eiehrten ober Staatsmann, probultion ift ptobumon. 

Die Belanntfdjaft mit ben großen bilbenben Künftlem, bie bas beutfdje JDe|en 
brüden, bet 3 ugenb 3U vermitteln, hat bie Schule bisher überhaupt nicht als ihre HU T 9 
angefehen." *) 

3 a, bie Aufgabe bes beutfdjen Unterrichts ift tiefig, aber fie mufj ttojjbem ge* 
l öft roetben, f ie mufe unb lann. Befonbets mufj auch ber beutfdje Unterricht buta? 

1 ) £angenfal3a, 1910 . 

2 ) Prof. Dr. £idjttoar!, Kunfter3iehung. Doigtlänber, £eip3ig 1902 . S. 47 . 



Don Qeinr. Sdjietbaum 


367 


feinen (Bemalt unö innerliche ©eftaltung Öa 3 u mitroirten, öafc fene Ricf}tachtung 
öes Dollsgenoffen öarin, toeil er 311 einet Kafte oon geringerer <£e* 
llufioität gehört, f^roinöet. Sie ftört uns innerhalb 6 er Ration öas einheit* 
liehe Beroufetfein, „öafe alle Schichten foliöarifcf} 3 um Dienft am Dolfsgeöanlen oet* 
pflichtet un 6 oerbunöen finö." 1 2 ) „(Ein Hationalgefühl, 6 as öie Angehörigen 
öes eigenen Dolles nach IDetillaffen fonöert, entbehrt 6 er vollen Auf* 
riehtigleit." 3 ) 

Det öeutfdje Unterricht müfete es fidj befonöers angelegen fein taffen, öas Be« 
roufetjein füt öie Uottoenöigleit 6 et 3ufammenfaffung 6 er gefamten Dollsträfte 3 U 
roeden unö mach 3 U erholten. $üt ihn gilt es öaljer, „an öie Stelle öes Unterrichts oon 
6 er öeutfehen Spraye einen oom öeutfehen UJefen 3 U fe^en, 6 . h- 3 ugleich: in 6 er 
Schule einen piatj 3 u fehaffen, too alle Bächlein unö Rinnfale geiftigen Sehens 3 U« 
Jammenftrömen unö geläutert toetöen, roo 6 er Schüler gebilöet toirö 3 U einem Uten« 
jd}en oon ftammhafter, oollstümlichcr Kultur." 3 ) 

U)it toetöen uns alfo öet Uottoenöigleit einer anöeten Stoffaustoahl auf öem 
©ebiete öes öeutfdjen Unterrichts nicht oetfd|liefeen lönnen, gan 3 gleich, °t> u>ir am 
Sejebudj fefthalten oöet nicht. U)enn toir öie Cegion unfetet Sefebüchet öutdjfehen, 
ihten Stoff einmal ettoas mit fritifchem Auge betrachten, öann mujj man geraöe 3 u 
von einem Sefebudjelanb fprechen. UJenöt fällt übet unfere Sefebücher folgenöes 
3 utreffenöe Urteil: 

„Det Inhalt öes öeutfehen Sefebuches ift — toenn ich für eine häßliche Sache einen 
unfhönen Ausörud gebrauchen öarf — ein italienifcher Salat. (Ein Durdjfchnittslefebuch 
enthält lyrifhe unö epifdje ©eöichte, moralifche (manchmal auch unmoralifdje) (E^ählungen, 
Anelöoten öer oerfd}ieöenften Art, enölidj allerlei „fjäppdjen" aus öer 3oologie, öer Botanif, 
öet IRineralogie unö ©eologie, öer Phyfif, öer Therme, öer Technologie, öer Aftronomie, 
öet ©eographie, öer tDelt«, Kultur» unö Kirchengefchichte. (Es ift alfo ein Allerroeltsbuch, 
in öem (ich fämtlidje Sehrfächer öer Schule ein Stellöichein geben. tDäljtenb öas Buch, bas 
öie Kinöer in öer ©efcfjichtsftunöe benutzen, ©efd}ichte enthält, unö öas für öie Phyfifftunbe 
beftimmte Phyfif, ift öas öem öeutfehen Unterrichte 3 ugrunöe liegenöe ein „Ragout oon 
anörer Schmaus“, ein Sammelplatz für alle möglichen Unterrichtsfächer, mit einer Ausnahme 
alleröings: öie 3af)len* unö Raumlehre fehlt gä^lich. Doch ift cs foft 3 U oerrounbetn, baß 
fich noch nicht Sefebuchfchreiber gefunöen hoben, öie auch Heine nette Abljanölungen mathe» 
matifefjet Art: über bas öefaöifche 3ohlenfyftem, übet öie De 3 imalbtüche, über öie regel* 
mäßigen Polygone unö Öen Kreis aufgenommen haben; öann märe bodj öie Reihe gan 3 ooll 
unö gefchloffen. U)ie öas £efebu«h ein Allerroeltsbuch ift, fo ift öer Seljrer öes Deutfchen 
ein Allerroeltslehrer: montags traftiert er moralia, Dienstags honöelt er oom Deildjen unö 
feinem rounöetbaten Blütenbau, Donnerstags befteigt er mit feinen Schülern öie tibetani* 
fdjen Hochgebirge, unö gteitags oerfentt et (ich mit ihnen in öas Dunlel öet altägyptifchen 
©ötterroelt. (Er oerbient Öen Ramen eines (Encyflopäöiften faft mit öemfelben Recht, roie 
öie frart 3 Öfifdjen „Philofophen" öes 18. 3ahrhunberts. Unö roas noch öas Allerfchlimmfte 
ift: öer Celjrer roeifc in Öen meiften gäflen gar (einen ©runö anjugeben, roarum et jeßt geraöe 
eine beftimmte Sdjilletfche Ballaöe, hinauf etroa eine Befchteibung öes Affenbrotbaums 
unö aisbann eine Aneföote oom alten grih Iefen läßt. Roch roeniger roiffen es öie Kinöer. 

3eöermann muß 3 ugeben, baß hin eine Sonöerbarleit... oorliegt. man muß, roenn 
man öie Sache ruhig ins Auge faßt, 3 U öergrage lommen: jeöes Sehrfach hot feinen beftimm» 
ten, ihm 3 ugeh ötigen Stoff; follte allein öas Deutfche eines folgen Stoffes entbehren?“ 

1 ) Paul Rohtbach, Der öeutfdje ©eöanle in öer Hielt. Düffelöorf u. Ceip 3 ig o. 3-, 
S. 41. Dgl. Sidjtroarl, a. a. ®. S. 47. 

2 ) Rohtbach, a. a. ®. S. 40. 

3) ©tto Antljes, Der papierene Drache. Doigtlänöer, Ceip 3 ig 1907. S. 6 . 



368 


Dom beutfdjen Cefebud) 


man lann biefen Urteilen unb meinungen nur ungeteilten BeifallRotten. 
tDenn man unfete Sd}ulbüdjet burdjblättert, möchte man beina he glauben, 
bie U)elt märe ftille geftanben", meinte % Cottay. Ulttben gtofeen dtfinbungenu 
dntbedungen roirb bie 3ugenb, roeldje unfete höhere Schule befudi^jm« betann 
gemadjt, mo aber erfährt fie etwas oon ben mühfalen, oon bem gleife, bet Aus- 
bauet/bet übenounbenen mibertoüttigfeiten, bie ben gtofeottigen ^gebmj en an' 
haften, bie beutlet gorfchergeift geliefert? Unb l?aben wie iin 
nicht fo oiele Gelegenheit, ben beutfdjen Sotfdjet, (Erfinbet unb «ntbed. 

Arbeit baljeim unb weit braufeen auf bem gan 3 en dtbentunb, ^ «Uen Weltteilen 
3 u belaufenen? Dürfen mit ifem nicht folgen m fernen padenben SJ betungen 
auf ben Pfaben feinet müljfeligteiten, um an feiner Ausbeuter, lemem » Y*** 
(Energie uns aufturidjten, unfete datfraft 3 u ftätjlen, um 3 um Bemufet fern unjetet 
Pflichten 3 u gelangen, uns 3 u betaufdjen, 3 u begeiftem an bem Realen 
unfern Arbeitsriefen, bie ihr gan 3 es 3dj einfefeten in ber Arbeit für ^sbretong 
öeutjdjer Kultur, 3 ur flusnntfung öeutjdjen IDeltjtnnes? IDcröen mx n dj a} I 
3 ur Sittlidjteit geführt, aud} ofjne bafe bie moral unterftrichen unrb. 

Dutdj bie Un 3 ulänglidjleit unferer meiften Cefebücfjet getrieben, vM nun 
tDenbt bas Cefebudj überhaupt abfdjaffen. Statt besfelben tmlt et eine ©«• eh 
fammlung einfühten, bie bie Schüler butdj alle Klaffen begleitet mt im 
gefdjloffene, umfänglichere tDerle lefen. Diefe 3bee fdjeint aud} fdjon m bie ptaps 
umgefefet tootben 3 u fein. 3n bem gahtesberidjt bet Realfdjule am Dom 3 u Cu 
für 1912/13 oon Direftor Dr. Sdjwa^ fteht nämlich folgenbes 3 u lefen: 

„ 3 m Deutfdjen haben mit nunmehr bas «Ergebnis mehriähnget Deriuche enbgWJi« 
butdjgefübrt unb oon Untertertia ab aufwärts bas Cefebudj mtt Studen oetfdj 1 
Art abgefdjafft; ftatt beffen haben mir nur noch ein ©ebidjtbud,, bas alten b«i Mafien 
gemeinfam ift, unb lefen im übrigen gefdjloffene IDette; bei bet gu i, n D 0 fls* 

Ausgaben, bie uns bie Detleget roie Reclam, Weyer “fm., forote bie t ” „ Q is 

bilbungs* unb 3ugenbf<hriftenoereinen bieten, ift biefe Art ber Cetture aud} n«h u 
bie Anfchaffung breier Cefebüdjer. Die Auswahl biefet ptofafduften fjl^efet fi^om 
möglich an ben Unterricht in bet ©efdjidjte an, roie mir überhaupt . - n 

in biefen Klaffen burdjroeg in bie Ijanb eines Celjrers gelegt unb bie 3 roei $a<X) 
innigfte Detbinbung gejefet haben." . 

tDenn man baoon abging, eines ber im allgemeinen bisher üblichen ” 
bem beutfdjen Unterrichte 3 ugtunbe 3 u legen, fo !ann id} bas oerftehen. 

Cübed gemachte Detfuch beuoeift fa auch, bafe man bafelbft bie Un 3 ulartgliht 
Cefebücher ertannte; aber nun bas Cefebudj einfach fu^erhanb ab 3 ufWen, 
will mit nun bo<h gar nicht in ben Sinn. Sinb bie potljanbenen in th^t ” n 
oeraltet, in ihrem 3nhalt nicht mehr 3 eitgemäfe, genügen fie mobetnen Anfot 
nicht mehr, fo fotge man bodj für (Etfafe in neuen Ausgaben, bie unferen 
wartsfotberungen entfprechen. 

tDie aber foll bas Cefebudj bet 3utunft ausfehen? 

„ 3 ebes Cefebudj follte ein Cebensbudj für bie 3 ugenb unb bas Dolt feini unt 
ein Quell, aus bem auch bet Celjtet eroige jugenb trintt. Sein Snljalt muB^ 1 
Cemenbe in gleichet tDeife feffeln unbju etnfter freubiget Atbeit antegen. ) 

1) dottay, ebarben unb Ktän 3 e, S. Ml. 



Von fjeinr. Sdjierbaum 


369 


TlTan müfete gentäf} ber Cofung: Oer beutf©e ©ebante ooran in ber IDelt, 
eine 3bee non bem unerf©öpfli©en Reichtum ber poetif©en Säuberungen unb (Er* 
jä^Iungen geben, bie bie 3 ugenb nidjt allein baljeim, fonbern au© bei ben Deutf©en 
auf bem ganjen (Etbenrunb heintif© machen unb 3 U allen 3citen, bie 3 m (Erfennt* 
nis bes beutj©en IDefens führen foll, wirDi©en unb bleibenben IDett {Raffen, 
lebenbiges 3ntereffe erweden. 3 n bas Allerheiligfte bes Stempels, in bem ber beutle 
©eift ergaben thront unb waltet, tonnen wir bie 3 ugenb ni©t führen, aber bis an 
bie golbenen Pforten; unb an ber S©welle fteljenb bürfen wir fagen: „3iehe beine 
Sc^u^e aus, tritt ein unb erf©aute, wenn bu ben fjau© bes ©eiftes jpüreft!" 

IDir wollen mit ben beutfdjen Stämmen wanbern, na© bem fonnigen Süben, 
na© Bellas unb Rom, mit ben Kreu 33 ugsheeren übet bie Alpen wallen, ben Spuren 
bet tjanfa folgen, wollen bie beutfdjen Ströme hinauf*, hinuntet 3 iehen, but© IDalb 
unb ©eibe, übet Berg unb Gal; auf unfern ftol 3 en Schiffen uns f©auteln in Sonnen* 
|©ein unb Sturm auf fernen OTeeteswogen; ben Schutjtruppen folgen bur© bie 
S©tedniffe bes f©wat 3 en ©rbteils, ben $otf©er begleiten, wohin ber $ufj ihn trägt; 
bem Canbmann lauf©en, wenn et hinterm Pfluge pfeifenb bie braune Krume 
bes Adets btidjt unb abenbs mit bem müben Atbeiter bie tnarrenbe Stiege hinauf» 
fteigen in bieDa©fammer; in bieOome wollen wir betenb treten, unb ber ©eift eines 
(Erwin foll uns infpitieten. IDir wollen nach Horben unfere Schritte lenten, bet 
©bba fernem Raunen 3 U laufdjen, unb bann wollen wir hingehen, wie Siegfried, 
fommenb oon 3slanb het, um im gtünen Rhein ben Schah ber Ribelungen 
3 U heben. Unb ihr werbet ftaunen ob bet UTenge bes ©efchmeibes unb 
ob feines f©immetnben ©ian 3 es. 3ht werbet hören, wie es anfangs 
Ieife um biegelfen lifpelt, bann aber mächtig wie Sturmeswehen bähet* 

„Cieb Vaterlanb, magft ruhig fein, 

Seft fteht unb treu bie IDa©t am Rhein!" 

Unb oben oon ben Bergen, bie baliegen in bem buftoerlorenen ©lan 3 e ber IRotgen* 
fonne, ftür 3 t es nieber, oieltaufenbftimmig, in bie aufhot©enben Gälet: 

„Veutfchlanb, Deutf©lanb über alles, 

Über alles in ber IDelt!" — 

(Es wäre meiner Anficht na© wirtlich eine Gorheit, wollte man bas Cefebu© 
abfdjaffen. U)arum benn? ©ibt es benn ni©t in unferen Utufeen aufcer ben großen 
©ipstopien au© wit!li©e ©riginale Deiner Statuetten in ITCatmot unb Bron 3 e, 
e©te, wahre Rleifterwerte? UJollen wir benn nur na© ben biden ©olbflumpen 
fu©en unb bie Deinen (Ebelfteine unb leu©tenben Diamanten a©tlos am U)ege liegen 
iaffen, bie bo© oft trotj ©rer Kleinheit einen ©olb* unb Silbetbanen hunbertmal 
im tDerte aufwiegen? So unoerftänbig werben wir bo© wohl ni©t fein unb bas 
Befte oerf©mähen. 3© glaube, unferer 3ugenb ift meht bamit gebient, wenn fie in 
einet Stunbe ein fertiges Kunftwert oorgeftellt erhält, bas fie ftill na© £?aufe tragen 
tann, um es ba beljutfam in weiheooller Anba©t in bas Kämmerlein ihrer Seele 
3 u oerf©lief}en, als wenn fie IRontags einen Btoden erhält, UTittwo©s ben 3 weiten, 
Samstags ben britten, Ulontags ben oierten ufw., womögli© ein gan 3 es Gertial 
hinbut© bis 3 ut gemeinften Deretelung. ©an 3 ausf©öpfen tönnen wir ein Kunft* 
wert bo© nie. „Cafjt bie Kinbet naf©en an ben # Süfjigteiten oon U)iffenf©aft unb 

3<(t|d|r f. t>. fteutfdgen Untnrid)t. 29.3at)rg. 5 . fjfft 24 



370 


Dom beutfäen Cefebud, 


Kuntt fo werben fie jungem, anftatt übersättigt Sein", fagt Dr. $td m 
Ccben" (1. De 3 . 1909). IHit liegt es natürlich fein, bet 3ugenb bie gtofeen Kunft« 
ooetfe unferer Dieter unb Deutet no^uenthalten, gan 3 geroife md,t, mx muffen b 
j»m Derjtefjen w Mi#i - *•»•>«'* 
öasKleinefdjauen, oerftehen unb achten letnen. TDet benPfentng md,t ehrt, ift bes 

in beut £efebud,e, wie id, es mit ootftelle, nodj ctoas mejt 3 U 
bieten, Angeregtnot allem butdj bie Kunftei^ungstage tn Dtesben unb 
batte id? ben Plan gefafet, aud} bie bilbenbe Kunft, jebod, J 
Sinne in ben Dienft bes beutfdjen Unterrichts 3 u Stellen fUs bet* 

mid} lange beschäftigt batte, einem Dertegei: ausemanberfet,te ^rtete mn be^ 
leibe inbem et bie Ridjtigteit meiner flnfdjauung anerfannte, es Jet Scpr SJt» , 
K[ metboben Entlang 3 u finben. Sd, gab meinen 
auf ben Gehanten, 3 unädjft einmal bxe gan 3 e Kraft fut ben | 

bie beutSche 3ugenb non bem £efebud,’Glenb 3 u befreien. Bei bet Dut#<bt o« 
£efebüd,c* ftiefj id, rein jufäüig auf bas Bud, bes fd,on öfters emab^enS^et 
Cebtets b inrid, Gottay, bas ben (Titel führt: Garben unb Ktan 3 e. Gute Kunf 
£iteratur fut Sd,ule unb tjaus. Detlag Grwin Weyer, Ceip 3 ig, Aarau,. 

Selten bin ich So fceubig überrafdjt geroefen wie bamals, als td, oiefes öuey 
in ben Jjänben bidt. Da batte id, ia bie Probe aufs (Tjempel aller meinet 
unb mit grofeer 3uftimmung las id, in bem Geleitwort: . n « 

man rebet unb Schreibt in ben lebten 3ahten lebt oiel übet Kinb unb Kunjt un Dol 
unb Kunft, unb es ift oerrounberlid,, bafe bieje enblofen theoretifJ«" bmittefbemirtt 

tiefgreifenbe Utnmäl 3 ungen in bet 3lluftrterung unfret obhgatonfdjen “J™”“ 
haben. Der Kampf gegen bie Schlechte Citerahu i(t auf bet gan 3 en Cime entbran o ! j 
bereits auf fdjöTe Refultate 3 «tüc!. Die 3bee gute Kunft int “gg 
unb haus 3 u bringen unb bamit ben tunftlerijdjen ©efdjmad unferes Vol I 3“ ^ 

haben bis beute nur bet Kunftmart unb bet Duretbunb tn grofougiget “ ^ et £ e (* 

geführt. 1 ) ... Der .«influf, bes Bilbes ift nidjt weniger bedeutend 

«ire, genügt bod, ein Blict, ein Bilb in fiefj auf 3 unehmen und Dorftellungen “ n roi „ nt im 
3 u erweden, beten Ginflufe fich oft nodh nach 3 ahten geltend ma ^ t * ® „Jj en j u d,cn 
Kinbe leicht eine größere IKadjt als bas IDort, unb toeü nur bas aus . J* L eIt ja es 
roir unjere Sprache bilbljaft 3 u machen. Don biefen Gtroagungen aus 9_9_ > gjß et 

für febr mefentlidj, meinem Buch oo^üglidje 3 Uuftrationen 3 u geben. WP ae & r ängt. 
nidjt in benDienft bertefeftüde geftellt unb dadurch in eine untergeorbnete^Stellu g geo^^^ 
Der Künftler hat bem Kinbe nidjt weniger 3 u fagen als der Didjter, unb bas K I J 
feine Spraye roohl ebenfogut, toenn es feine Seele in fern IDcrt legt. _3e^ an t>ete 

mitten, fei es als Gablung, als Schilderung, als Sage ober «ris Warten. u> oe 
Bilbet roerben ben Befdjauer in eine Stimmung oerfehen, bie fuh nicht m wonen 
läfjt. Unb bennoch mödjte ich fie nicht miffen. Dielleidjt finb juft fte es, ie 
ften auf bie Seele bes Kinbes mitten." w , 

„U)ie tonnten mir bas nidjt als eine hohe h e ^9 c Pff*^ anfeben , fuhr ^ 

Dertreter bet Königlich Sädjfifdjen Regierung auf bem Kunfter 3 ieh un 9 ^ „ 

Dresben aus, „bet Kunft in allen ihren 3meigen unb bamit aud, bet Dt en ^ 
ben IDeg in alle Schidjten unfetes Doltes 3 u bahnen, fdjon in bem betan® 
Gefd,led,t ben Sinn füt bas Sdjöne 3 u öffnen ... Unb unfere Spulen, as ^ 

1) Die tünftlerifdjen Stein 3 eichnungen bei B.G.Seubnet unb Doigtlänb« M aU 
me^t Beitrag als getaöe ein Sdjerflein. Sie jotlten in iebem Sd)ul 3 tmmet q y 



Von tjeinr. S^ietbaum 


371 


roohl oerfiehem, öie meröen fich auch fernerhin öer 3bee 6 er tünftlerifchen (E^iehung 
gern unö freuöig in Öen Dienft ftellen, natürlich in Öen ißnen geftedten (Bremen unö 
in Harmonie mit Öen übrigen roidjtigen <ET 3 ief)ungsaufgaben, öie |ie 3 U löfen haben. - 

cBeraöe im beutfcßen Unterrichte tonnen mir unmöglich öiefe Begebungen 
außer acht taffen, obgleich es, taum 3 U glauben, tatfächlid} gefdjehen ift; man hat 
fich öamit eines michtigen Ulittels 3 ur Bilöung unö (Eigießung nicht beöient, ob* 
gleich es fich öafüt, roie taufenö 3ungen tühmen, fo roirtfam eignet. Bei öer Be* 
tracßtung öer Silber öarf oon „fd}ulmäfeiget" Behanölung felbftoetftänblich gar teine 
Hebe fein. (Es tommt nur öarauf an, öas fünftlerifche (Befühl 3 u bilben; öas 
ungebührliche Sichootötängen öer tßeoretifchen Untermeifung ift abfolut 3 U oet* 
roerfen. fluch tann es fich &ei öet Kunftbetrachtung in bet Schule nicht um Kritit 
öer technifchen Routine ufro. hanöeln — auf öer (Dberfiufe märe fie oieQeicht an« 
gebracht —; auf öie Sä^figfeit, ein Bilö 3 U geniefeen, mehr öatin 3 U Jeßen als Bilöer 
unö $ormen, öarauf tommt es in erfter önie an, einen feelifdjen Kontatt ße^uftellen 
3 roifd}en öem Bilöe unö feinem fugenölichen Befdjauer. Unö roenn fich öet Schüler 
geraöe etwas anöeres öabei öentt, menn anöere Saiten in feiner Seele angefchlagen 
meröen als öer Künftler geraöe beabficßtigt hat, fo oerfdjlägt öas gar nichts, menn 
öie Betrachtung überhaupt nur ein (Benufe mar. 

Sollte mir nun jemanö mit öem (Einmanö tommen, öie Ceßter (äßen unö emp* 
finöen oft Jelbft nicht als Künftler, mie fie öenn öa öet 3ugenb öiefe $äßigteit oet* 
mittein follten, fo müfete ich ißm antmorten: Das ift teine (Entfdjulöigung, fonöem 
eine fluffotöetung, fid} erft einmal felbft 3 U bilöen, eine Arbeit, öie ihm geroife fehr 
heilfam fein mitö. 

$ür einen Derleget, öer ein folches Unternehmen, mie es mir oorfdjroebt, magen 
mürbe, märe es gemife ein IDagnis, öenn öie Koften meröen hohe fein, hätte er nicht 
öie moralifche Unterftüfeung öet mafegebenöen Kteife. Doch ift non unferen Be* 
horöen, öie öantensmertermeife fo lebhaft für eine nationale Ziehung unferet 
3ugenö eingetreten finö, ihre liotmenöigteit unö Beöeutung immer mieöer hemot* 
heben, öie öie Kunftbeftrebungen nach Kräften geföröert haben, gan 3 beftimmt 3 U 
hoffen, öafe fie einem foldjen UJerte, öas fich gan 3 in Öen Dienft ihrer IDünfche ftellt, 
öie moralifche Unterftüfeung nicht nerfagen meröen. 

$ür öie IDitfungen, öie in etßifcher, nationaler unö tünftlerifcher fjinficht non 
einem £efebud}e ausgehen tonnen, hat uns Heinrich (Eorray mit feinen „(Barben unö 
Krähen", öenen ich trofe öer Überfettungen, öie fie enthalten, eine möglichft roeite 
Derbteitung münfche, großartige Perfpettinen eröffnet 

U)eld) ein $ortfchritt in öer (E^ießung 3 ur maßten Kultur mitö uns öa nicht auf* 
gebedt. So meröen mir mitroirten, öafe öie Geilnaßmlofigteit geraöe öes unferen 
höheren Schulen entftammenöen publifums gegenüber Öen Regungen unö Scßöp» 
fungen unfetes Doltsgeiftes fdjminöeh öafe es im eigenen Dolte, im Stamm öie 
Uährträftefudjt für eine nationale (Entmidlung. (Es tommt es mitö tommen unö 
mufe Jommen, öafe öet Sonnenfehein öeutfehen (Beiftes, beutfefeet Kultur unö Bil* 
öung auf uns unö alle Dölter falle. 3cß habe mit Öen Beften unfetes Doltes teinen 
fehnlidjeren tDunfch als Öen, öafe unfet Dolt bis in feine tiefften unö hofften Schieß* 
ten balö inne roetbe öer teilen Kräfte, öie in ißm fchlummem, öie nut gemedt 3 U 
metöen brauchen, um mächtig mittenö in öie (Erfcßeinung^u treten, mögen alle, 

24* 



372 tDie faßt tEell bie (Etmorbung ©e&lers auf? 

befonbets bie je# lebenben Schriftfteller, Künftler, $orf<her unb ©eiehrten, unb aud? 
bie Detleger nach Kräften baju beitragen. ©s ift ifjre motalifche Derpflidjtung; 
benn alles, was fie |inb unb haben, banfen fie bodj jd^liefelid} einjig unb allein bem 
fcbönen beutfchen Daterlanbe. 3oUt ihm ben Banf, inbem ihr bet heutigen 3ugenb 
euer Beftes gern unb fteubig Ijingebt. „Bann wirb", um mit einem m IRunfter 
t. ID. gejpto^enenKaiferwort 3 U fölie&en, „unfer heutiges Bol! ber ©tarnte 
blöd fein, auf bem unfer fjerrgott feine Kulturwerfe an ber H)elt weiter 
aufbauen unb oollenben fann. Bann roirb auch bas Bidjterwort fi<h er* 
füllen, bas ba fagt: „fln beutfchem IBefen wirb einmal nod} bie IDelt ge* 
nefert.“ DJet bereit ift, l}tet 3 u mit bie ljanb 3 U bieten, bem roetbe idf 
banfbar fein unb ich toetbe ihn freubig als mitarbeitet annehmen, er 
fei, met unb toes Stanbes et taoUe." 

tDic faßt tEell Me (Ermotöung ©efelers auf? 

Don ©rnft Htebel in ©ummetsbadj. 

Unter allen gelben ber Sdjillerfdjen Bramen ift ©eil berjenige, bet am wenigften 
fptidjt; man fann ihn gerabe 3 U roortfarg, ja fdjweigfam nennen, flbgefeljen oon 
bem gtofeen monolog flft IV, S 3 ene 3 (2560-2650) fpridjt er nur 3 ®eimal in längerer 
3 ufammenl}ängenbet Rebe: III, 1 (1549—1570) er 3 äf>lt er fo nebenbei feinet Stau 
bie Begegnung, bie et füt 3 lidi im Sdjädjental mit ©efjler gehabt h°t; bemertensroe 
ift übrigens, bab, wie aus Bers 1525 heroorgeht, er ihr bie ©rrettung Baumgartens 
(I, 1) nicht et 3 äl?lt hat; IV, 1 (2218—2270 mit 3 wei Unterbrechungen) et3«lflt « 
bem gifdjer, wie es ihm gelungen ift, oon bem Schiff bes Sanboogts 3 U entfommen. 
Beibe male hanbett es fich, roie man fieht, um bie Zahlung eines gan 3 perfönltjen 
(Etlebniffes. U)as et fonft fagt, ift gan 3 auberorbentlich wenig, unb immer fmb es 
nur wenige 3eilen. (Eine längere Batlegung oon ©ebanfe^ufammenhängen h° te ^ 
wir oon ihm nie. (Eine Rebe oon acht 3eilen finbet fid} nur einmal, nämlich » 
(1787—1794) einige an feinen Sohn IDaltet genutete Belehrungen enthaltene; 
in I, 3 fptidjt et einmal (422—428) fieben 3 eilen hintereinanbet, eine Rebe mi 
3 wei Sprichwörtern unb einem Bilb aus bet Ratur, unb einmal (440 445) jeajs 
3eilen, in benen et Stauffadjer auseinanberfebt, warum er an ben oorbereiten en 
Beratungen 3 ut Befreiung bet Scfjwey nicht teilnehmen fann. 1 ) ©eil ift * ® n * 
wie et hi^ fagt, ein mann ber ©at. Rach feinen ©aten unb Ijanblungen muffen 
wir feinen ©haratter beurteilen. Sie fommen auch in allererfter Cinie in Betrach, 
wenn es gilt 3 U etfennen, wie ©eil felbft bie (Etmorbung ©efjlers auffafet. 

Ba fcheinen mir nun 3 wei fjanblungen oon bet allergröbten IDi<htigxei }u 
fein, bie bisher noch nicht genügenb gewürbigt finb, ja oon benen bie erfte, fome 
ich fehe, überhaupt noch nicht als felbftänbige fjanbtung erfannt ift. 3n bet 
Strophe bes monologs tebet ©eil in befonbets feierlicher $orm feine fltmbruf un 
ben Pfeil an. (Et fdjliefct mit Öen Betfen: 

(Entrann et jetjo faaftlos meinen fjanben, ,, n o\ 

3d) habe leinen jroeiten 3 U oetfenben. ( 2 oü/, 


1) Die Patticibaf 3 ene V* ift hierbei nicht betüdfichtigt. 



Don (Ernft Riebel 


373 


(Er bat alfo nut einen Pfeil bei jidj. Diefet Pfeil ftedt nidjt in bei gefabenen Arm* 
bruft (ogl. 2597); es ift audj nicht bet Pfeil, ben et not bem Apfelfd)ufj (not 1991) 
aus bem Kötzer genommen unb in feinen (Boiler geftedt bat, unb ben et nachher 
(oot 2061) bem £anboogt brohenb entgegen gehalten bat; bet ift ihm bei bet $effe* 
lung ebenfo wie feine anbem IDaffen felbftoerftänblid} abgenommen toorben. Diefet 
eine Pfeü tann nur aus bem Kodier tommen, ben et 3 ufammen mit bet Atmbruft 
— in bet <£t 3 äl}lung fpridjt et 3 tDeimaI (2249 unb 2269) oon feinem Sdjiefoeug — 
bei bem rettenben Sprunge ergriffen t?at. Aus bem Ködjet alfo hat et nadjh« einen 
einigen Pfeil herausgenommen, ben er 3 U fitf? geftedt hat, toä^renb er bie übrigen 
fortgeroorfen fjat. So nur !ann Schiller fid? ben 3ufammen^ang gebaut haben. 
U)et bas nicht anetfennen roiH, mufe annehmen, bafe SdjiHet in biefem Puntte, bet 
bod) mistiger ift als bet Solb bet tDaHenfteinifd)en Solbaten, einen gebiet gemalt 
hat, ober bafe et bas RTotio in bem ITConoIog lebiglidj eingefügt hat, um feinem 
gelben ein paar gefühlooll toitfenbe Detfe in ben ITCunb 3 u legen. Beibes ift un=> 
bentbar. EDas SdjiUer aber bamit beabfidjtigt, fagt oielleidjt am beutlichften eine 
Stelle aus einem anbem Drama, nämlich bet Scfjluf} bes 3 toeiten Altes oon Kleifts 
„Ijetmannsfchlacht". 1 ) fjermann toill Cuitgat mit einet wichtigen Botfdjaft 3 U 
Rfarbob fenben unb gibt ihm feine beiben blonben 3 ungen mit, bie Ittarbob ein 
Pfanb fein follen. Cuitgar 3 ögert 3 uetft, ben Auftrag anjuneljmen, unb äußert 
fchliefelidh folgenbe Bebenfen: 

£uitg. Ittein $ütft, bie tDafjrheit bit 3U fagen, 

Die IRöglidjleit, bafe inidj ein Unfall ttäf, erjdirecft mid). 

Cafe uns in feinem Stüd bet ©unft bes ©l&ds oertraun. 

Der gönne mir, idj bitte bid?, 

3 wei gteunb’ ins Cager Ulatbobs mitjuneljmen, 

Damit, wenn mir Derhinbrung läme, 

(Ein anbret unb ein britter nodj 
Das Blatt in feine fjänbe bringen tann. 
fjerm. Itichts, nichts, Cuitgar! meid) ein IDort entfiel bit? 

IDet wollte bie geroalfgen ©ötter 
Alfo oetjudjen?! Itleineft bu, es liefee 
Das gtojje IDetf fidj ohne fie üolljiefjn? 

Als ob H}t Blijj btei Boten minber 
Als einen einjelnen 3erfAmettern lönnte! 

Du gebft allein; unb triffft bu mit bet Botfdjaft 
3 u fpät bei Rlatbob ober gar nicht ein: 

Sei’s! mein ©efd}id ift’s, bas ich tragen toetbe. 

Der bet fantifcfyen (Ethil entfpredjenbe ©ebanfe, bafe bie befte Probe auf bie 
fittliche Reinbeit einet Hat bie Rüdroitfung auf ben fjanbelnben felbft ift, ift Stillet 
tuobl oettraut. Poetifd; ausgebtüdt bat et ben ©ebanfen in bem Sdjlufedjor bes 
britten Altes bet „Braut oon Rleffina": 

(Ein anberes Antlit;, eb’ fie gegeben, 

(Ein anberes 3eigt bie ooilbracbte Hat. 

Dargeftellt bat er biefen Unterfdjieb oot allem in bem Detbalten bet Königin (Eli* 
fabetb („Rlat ia Stuart" IV, 10 im ©egenfah 3 U IV, 11 unb V, 11 bis 15). 3m „Hell" 

1 ) Um 2 Rif}Der|tänbniffen oot3ubeugen, bemerle ich, bafe icf? nut auf bie flhnlitbfeit 
bes bramatifchen ©ebanfens bintoeifen will. 



374 


XDfe fagt ©eil Me (Ermorbung (Seglers auf? 


dagegen jeigt et, tote auch bie nollenbete Hat not bem Urteil befielt, roeil fie eben 
moralifch berechtigt ift. Damit beute id? nicht auf bie Patricibaftene hin, bie ja erjt 
nachträglich auf bas Detlangen bet EDeibet hin 3 ugefügt ift (ogl. ©dermann, He* 
Jpräthe mit ©oethe 16. RTä .3 1831) unb mit intern IDottteidjtum (fie ift norljin 
Don mit nicht mit berüdfichtigt roorben) 3 U bem fonftigen EDefen Hells gat nicht 
recht paffen mill. fluch h* ct roill ich auf eine fjanblung hinmeifett, bie in iljtet Be* 
beutung burd* bie Particibaf 3 ene leibet oerbunfelt mitb, bie abet beutlid} 3 eigt, toeldje 
©ebanten Hell bei bet ©tmorbung ©eglers befeelt haben unb mie et fie aud) nach* 
her noch auffagt. Hach bem Sdjug in bet hohlen ©affe begibt Hell fid? 3 unä<hft 
nicht nach häufe 3 u feinet $amilie, bie et nom Detbetben ertettet hat, er beteiligt 
fi<h auch nidjt an bem Befreiungstampf bet Schroeget, 3 U bem feine Hat bas 
3 eid)en gegeben hat, unb bet hoch noch fdjmer genug ift, fonbern et geht in eine 
Kirche, um bort feine fltmbtuft niebet 3 ulegen. Als et bann nach häufe fommt, ant* 
mottet et auf bie Stage bes flehten EDilhelm nach & ct fltmbtuft: 

Du roitft fie nicht mehr fegn. 

An heiliget Stätte ift fie aufbemahrt; 

Sie roitb hinfort 3 U feiner 3agb mehr bienen. (3137—3139) 

Diefe fut 3 en IDotte entfptechen butchaus bem EDefen Hells; man fpütt otbentlich 
ben abmeifenben Hon; es hanbelt fich eben um eine Sache, bie ihm heilig ift, unb übet 
bie et liebet nicht fpticht. ©ne intereffante parallele unb michtige (Erläuterung 
finbet biefe hanblung Hells in bet 3 egnten Strophe oon Schillers Bailabe „Der ©raf 
oon habsburg", bie ja um biefelbe 3eit entftanben ift unb auf betfelben Quelle be* 
ruht roie bet »Hell". Da heigt es: 

«Rieht mode bas ©ott", tief mit Demutfinn 
Der ©raf, „bag 3 um Streiten unb 3agen 
Das Rog i«h befdjritte fürbetgin, 

Das meinen Schöpfer getragen! 

Unb magft bu’s nicht haben 3 u eignem ©eroinft, 

So bleib’ es gewibmet bem göttlichen Dienft! 

Denn ich h®b’ es bem ja gegeben, 

Don bem ich ©h l « unb irbifches ©ut 
3u Segen trage unb £eib unb Blut 
Unb Seele unb fitem unb Sehen. 

U)ie bet ©taf fo bettachtet auch ©dl bas, mas et getan hat, als einen ©ottes* 
bienft, ja noch mehr, als etmas, roo 3 U et non ©ott felbft einen Auftrag betommen hat 
Don Hells ©harattet tann man nicht teben, ohne feine $römmigfeit hetoorju* 
heben, fln Dielen Stellen 3 eigt fich fdn einfältiges ©ottoetttauen in f<hlid)ten, ^ UI 3 en 
IDotten. 3dj etinnete nur an I, 1 : 

IDohl aus bes Dogts ©emalt errett* ich eu <h! 

Aus Sturmes Röten mug ein anbrer helfen. 

Doch beffet iffs, ihr fallt in ©ottes h«nb 

Als in bet Rtenfhen! (155—158) 

Diefe unb ähnliche IDotte bütfen mit nicht auffaffen als gebanfenlos gebraucht® 
Rebensatten, mo 3 U mit oielleicht geneigt fein tonnten. Hells gan 3 es ffanbeln be* 
meift, bag fie bet flusbtud finb non etmas, mas roirflich in ihm lebt ©s ift ein gan 3 
petfönliches Dergältnis, bas et 3 U ©ott hat. Das teilt et mit ben anbem Schmegetti, 



Don Crnft Riebet 


375 


unb roas fie in 6 er hin'icht Jagen, entfpricht {einen (Befählen un 6 ©ebanlen. Dag 
es ihm öantals gelungen ijt, Baumgarten über 6 en toütenben See 3 U retten, be* 
3 ei(^net fjeöwig (1526) als ein IDunbet; öiefe flnfchauung wirb er teilen, unb bamit 
mag es 3 ufammenhängen, baß er ihr in feiner Befdjeibenljeit nichts baoon et 3 äblt 
Ijat. Bon größerer Bebeutung aber Jinb bie IDorte Stauffacßers nach bem Apfel« 
fdjuß, als ©eßler wortbrüchigerweife Seil gefangen feßen laffen will: 

tDie, fjerr! 

So tönntet % an einem Itlanne banbeln, 

An bem fidj (Bottes hanb ficßtbat oerfunbigt? (2069—2071) 

©an 3 äbnlicb brüdt fid) bann einige Stunben {pater IV, 1 bet $if<her aus, als Seil 
feine Rettung er 3 ählt hot: 

Seil, Seil! Sin fidjtbar 3ei<h en b°t bet Qen 

An eud; getan. (2271—2272) 

©enau fo urteilt übrigens Seil felbft, wenn er oorbet auf bie $rage bes $ifd}ets: 
IDie jeib ibr hier? Seib euem Banben unb bem Sturm entfommen? fut 3 antwortet: 
Durch ©ottes gnäb’ge $ürfebung ( 2211 ). 3n ber Darftellung bet Rettung ift Schiller 
übrigens oon bem Bericht Sfcßubis, bem er fonft bist alles Satfächliche entnommen 
bat, xoefentlich abgewichen. Sfdjubi fiebt in bem Sprung auf bie Platte nichts Be« 
fonberes („wie et fam nab 3“ einer Blatten, bebudjt 3m baß er bafelbs wol hinuß 
gefpringen möcht"); fie ift fa auch in ber Sat flach unb niebrig. IDie gatt 3 anbers 
3 eidbnet uns bagegen ber Sifdjer bie ©rtlicbleit: 

Rieht für möglich acht* i<b’s — fo gat fteil 

©ebt’s an — com Schiff es fpringenb 3 U erreichen. (2255—56) 

Dementfprechenb „fdjwingt Seil bochfptingenb auf bie Platte fid} hinauf" (2265). 1 ) 
Schiller will eben biefer Rettung eine gan 3 befonbere Bebeutung geben. 

Sin fichtbares IBunber aber tut ©ott nicht 3 wei« ober gar breimal an bemfelben 
Rlanne, nur um ihn aus großer ©efahr 3 U erretten; fonbern wenn ©ott berart in 
bas Ceben eines fltenfehen eingreift, fo bat bas für biefen eine befonbere Bebeutung. 
Daß übrigens Seil {ich not ber entfdjeibenben Sat in ©ebanlen mit ber Bebeutung 
ber IBunber befcßäftigt, 3 eigt feine Antwort auf bas alberne ©efdjwäß bes $lur» 
{(büßen Stüffi, ber allerlei IBunberbinge (2668) e^äblt: 

Dergleichen Säten bringet jeber Sag; 

Kein IDimberjeidjen braucht fie 3 U »erfünben. (2676—2677) 

Diefe IDorte finb weniger wichtig burdj bas, was fie fagen, als burefj ben Blid, ben 
fie uns in Seils Seele tun Iaffen. 3dj möchte annehmen, baß fie in ärgerlichem Son 
mit leidster Ijeroothebung ber IDorte „begleichen" unb „fie" 3 U fprechen finb, auch 
mehr im Sone bes Selbftgefprächs als an ben Slutfdjüßen gerichtet, ber nicht auf fie 
eingebt. IDir bfirfen uns etwa ben pofitwen ©ebanlen bin 3 ugefügt benlen: Aber 
wenn ber barmlofe, ftiebliche, menfchenfteunbliche Seil fid) entfchließl, ben Bet* 
tretet feines fjertn unb Kaifers meuchlerifch 3 U ermorben, fo müffen aüetbings 
tDunber unb 3 eid}en oorbet eintreten. 

IDas aber in biefem $all bie IDunber bebeuten unb was ©ott non ihm oerlangt, 


1 ) ©. Kettner, Schillers HHlhelm SeH. Berlin 1909. S. 131. 



376 


Sauft unb bie Sorge 


tarnt feinen Augenblid 3 toeifelf;aft fein. Hell foll als bas tDerfjeug ©ottes ©efjler 
toten, bet menfdjlidjes unb göttliches Recht butdj feine Gaten mit $üfeen tritt, bet 
fidj fogat nid;t Jd)eut, ©ott felbft mit freclen IDorten gleichfam 3 um 3®®itampf 

au^uforbetn. £afo fehn, ob fie i^n jtoeimal retten roirb! (2072) 

An biefe tDorte roirb bet in bet Ijofjlen ©affe feinem (Dpfet auflauetnbe Gell roiebet 
erinnert, als Armgarb ©eftler 3 uruft: So bu ©eredjtigteit oom tjimmel fjoffeft, fo 
erzeig’ fie uns! biefet aber, bie lefcte IDatnung mifeadjtenb, nur antroortet: $ort! 
Schafft bas freite Dolf mit aus ben Augen! (2755—2757). 

3 eber ITCenfd; tann fidj inen unb ©ottes ficfytbare 3 eichen falfd; auslegen. 
IDenn bähet ©ott bie Gtmorbung ©efelers oon Gell ©erlangt, fo roirb er audj ein 
brittes IRal eingreifen unb bafür forgen, bafj bie Gat roirtlicf} gelingt. Darauf roill 
Gell bie Probe machen. 3u bem oerijangnisoollen Sdjufc ^at er abfidjtlid; nur einen 
Pfeil bei fid;; gelingt es bamit, fo ift es gut; gelingt es nidjt, fo ^at er fid; freoent* 
lief; geirrt unb ift bereit, feinen Irrtum mit bemGobe 3 U büfcen, tann et fid? bod; gegen 
Derfolget nicht oerteibigen. Dod} ©ott ift audj biesmal mit ihm unb hilft il;m feinen 
Auftrag aus 3 ufül;ten. Gell aber begibt fid; in eine Kirdje ober Kapelle, um bie Amt» 
bruft, bie in feiner fjanb ein tDertJeug ©ottes geroefen ift unb bie entroeiljt roütbe, 
rooQte er fie auf ber 3agb ober 3 U ber $teube Spielen benutzen, an heiliget Stätte 
niebet 3 ulegen. 

3ft biefe Auffaffung tintig, fo tommen für bie Beurteilung Gells unb feiner Gat 
rein menfdjlidje Rüdfidjten überhaupt nicht in Betracht. Dor allem ift es oöllig 
oertehrt, oon Gyrannenmorb ober Hotroehr 3 uteben, oor allen aber ihn einen IReucfyel« 
mörber 3 U nennen unb baran Anftofj 3 U nehmen, bafj er ©efeler feige aus bem 
Ijtnterhalt tötet. 


5au[t uitö Me Sorge. 

3u 3«itfdjrift 27, S.421 ff. unb 28, S.721ff. 

Don <5eorg Rofenihal in $ürftemoalbe (Sptee). 

3n meinem Auffat) ift bas IDort Sorge = fauftifdjes Streben nicht immer rid)» 
tig oerftanben rootben. 3cf; tann ben gegebenen Beroeisgtünben nichts l;in3 u f e ts en 
— bie Auffähe fylfenbeds unb Corners (päbag. Atdjio 66 , S. 572) berühren nicht 
ben Kern meinet Beroeisfü^rung —, roill nur nod; auf bie rein menfdjlidjen Gatfa^en 
hinroeifen, bie im Ceben eines feben roiebertehren, aus benen au<h fdjliefjlid; 
meine Interpretation erroadjfen ift. Denn interpretieren tann man nur, roas man 
mehr ober roeniget 3 U erleben imftanbe ift. 

Uns allen nahen bie Alltagsforgen. Dod; roir preifen es als ein Stüd e^ter 
menfd;lidjer Bilbung, roenn roir uns oon ihnen fteimadjen. Siehe Bergprebigt. 
Aber bei allen Unternehmungen, bie über ben Rahmen bes ©eroöhnlichen hinaus* 
gehen, erfleht in uns ein anberes ©efüljl: ein Bangen unb Gtfchauem oor bem Wag* 
nis, b. i. nidjt Angft unb Kleinmut, fonbem faft finnlid; geroorben treten alle Schmie» 
rigteiten nod; einmal oor uns hin unb laffen uns unfete Kräfte nod; einmal über* 
benten. (Erft mögen, bann — roagen! (Ulan barf nidjt bie Aboetbia — 9 an 3 
unmoltfifd; — betonen, fonbem mufj bie 3 nfinitioe, befonbers ben 3 roeiten mit 



Don (Georg Rofentfyal 


377 


ftärtftem flfjente belegen.) So hat tltofes gebangt, als il)n bie Berufung erteilte; 
fo Samuel, als bie Stimme bes fjerm fein (Dh* traf; fo Ghriftus, als ihm bie Detfu* 
djung nahte; fo IDallenftein, als fein gigantifdjes IDagnis, ein neues (Europa aus 
eigener Kraft aufeubauen, 3 m dat toerben jollte. Seinen IlTonoIog (ID. d. I, 4 ) 
follte man 3 ut Snterpretation ^eranjie^en. Alle Schieden unb Angfte bes IDeges 
liegen auf einmal lidjt oor ihm ba, alle 3 ®eifei merben butdj bas Hidjtoerfte^en 
ber $teunbe unb bie erften ITCifeetfolge toadj — aber „Rächt mufc es fein, roo $rieb* 
Ianbs Sterne ftrahlen". (Er fühlt ficfj als RTamt bes Sdjidfals, etmas oon däfars ©eift 
lommt über ihn — er mag t. Die Dämonen, bie ihn jdjredten, bie aus ben Sternen 
oor ihn traten, fdjeudjt er 3 utüd — „bie Bruft ift mieber frei, ber ©eift ift hell". So 
tritt an ben alternben $auft, mo et nach BTenjdjenlos mübe merben follte, mieber bie 
bange Überlegung, bie, bes Ijödjften 3ieles im Stauen bereits teilhaftig, noch ein* 
mal alle Schieden bes XDeges ausmalt. tDie fpridjt bet neunjährige Rtichelangelo 
bei ©obineau in ber letzten S 3 ene bet „Renaijfance": „Diefe IDelt, bie idj betraute, 
ift ein ©enofc, mit bem idj eine lange Reife 3 urüdgelegt habe, unb umgefehrt mie idj, 
ijt er mübe geroorben, er hat feine Kraft oerloten, er ftraudjelt unb mill am IDeges* 
ranbe nieberfallen, roährenb mich bie (Ermattung bes Cebens, in bas ich eintreten 
foll, anfeuett unb mit bet himmlifchften Hoffnung beraubt... Da, immer noch im 
Arbeiten ift mein fjet 3 3 ur Ruhe getommen; ber 3®eifel, bie Surd?t, ben tDeg 3 U oet* 
Keren, finb oon mir gemidjen. Die Aufregung unb bie Ungebulb haben aufgehört, 
mi<h bem Stutm ber Ungemifcheit preis 3 ugeben!" 

Die Sorge „befiehlt" $auft meiter (Paralipomenon 175). (Et läfct fid? oon ihr 
meiterführen, nur bafe et ihren Schieden nicht anertennen mill. RTangel, Schulb, 
Rotbeden fidj mit bem, mas uns fonft Sorge macht. Die oierte muft alfo etroas anberes 
befagen. Sie ift bie Dertörperung bes driebes, ber 3 ur Qual unb Cuft 
3 ugleidj in bie Bruft jebes fchöpferifchen Rlenfdjen gelegt ift, ethebenb, 
belebenb unb 3 ugleich — meil biefet Iltenfd} 3 U ernft, 3 U menig leichtfertig ift — et* 
fchüttemb unb peinigenb, aber immer meiter 3 U neuen 3ielen rufenb. „(Er, unbefrie* 
bigt jeben Augenblid!" 

3ch bleibe babei, ein großer Aufroanb märe oertan, menn bas abgetane ©efpenft 
ber erften S 3 enen noch einmal tarne. Aber nadjöem mir felbft in Schulb geraten, 
im Angefidjt bes dobes felbft bem alten, fidj ftetig oergröfjetnben Streben noch treu 
3 u fein, ift etmas fjo^cs. Die Heine Sorge forgt nur aus Angft um bas heute unb 
Rtorgen; bie grofje herrliche Sorge bereitet ben RTenfdjen anbers: 

„3ft ber 3utunft nur getoärtig, 

Unb fo wirb er niemals fertig!" 

EDol}t nagt fie am Cebensmarfe unb 3 ermürbt ben Körper; aber ber Rtenfdj, 
bet hert ift im höheren Sinne, läfet fidj burch fein Schrednis bannen, er fdjreitet 
fort . . . „Der TRenfcf} ift etmas, bas übetmunben merben muh." 

„IDennihtinberlRenfchheittraur’gerBlöhe Aber flüchtet aus ber Sinne Schranlen 
Steht oor bes (Beferes ©rohe, 3n bie $reil}eit ber ©ebanfen, 

tDenn bem heiligen bie Schulb {ich naht, Unb bie Surchtetfdjeinung ift entflohn, 

Da erblaffe not ber tDahrheit Strahle Unb ber em’ge Abgrunb roitb fid; füllen; 

(Eure dugenb, oor bem Sbeale Uehmt bie ©ottljeit auf in euernlDillen, 

Sliehe mutlos bie befchämte dat . . . UnbfiefteigtoonihremlDeltenthron..." 

Die Sorge ift — ©ott. 



378 


£iteraturberi(f)t 1913/14: Jüngere Romontif 


£iteraturberid)t 1913/14. 

3üngcrc Romantit 

Don Sdjjuge in £eip 3 tg. 

Hein geroife, bie Romantit roitb Dauer fyaben. Dauern taitö jene Dertiefung 
^iftorifdjcn (Erfaffens, öie % bie Soweit bantt; bauern bet fpetulattoe ©eift, bet 
fie burdjbtang; bauern 3 atjIlofe Stimmungsroette, beren fluf 3 ai}lung fidj erübrigt; 
bauern bie lebenbige beutfdje Kraft, bie unfet Staats* unb Hationalgefüljt etft mit* 
bilben half. Dauern roitb nidjt 3 ulet$t ber Reg romantifdjer RTenfcfjen, für ben mefjt 
als ein mobemet Dieter betaufdjenbe tDorte fanb. Ejat nidjt erft oor fut 3 em Rille 
bas Riefen Bettinas roie in Det 3 üdung gefdjaut: „(Eben roarft bu nodj, Bettine; 
idj fafj bidj ein. 3 Jt nidjt bie (Erbe nodj toatm oon bit, unb bie Dögel laffen nodj 
Raum für beine Stimme. Der Rau ift ein anberet, aber bie Steme finb nodj bie 
Sterne beinet Hüdjte. ®bet ift nidjt bie Hielt überhaupt oon bit? Denn roie oft 
Ijaft bu fie in Branb geftedt mit beinet £iebe unb ^aft fie lobem fctjcn unb aufbrennen 
unb Ijaft fie ^eimlidj butdj eine anbere erfetft, roenn alle (erliefen. Du füljlteft bidj 
fo tedjt im (Einllang mit (Sott, roenn bu jeben Rtorgen eine neue (Erbe non ihm net* 
langteft, bamit bodj alle bran tarnen, bie er gemadjt fjatte. (Es tarn bit artnfelig 
oor, fie 3 U fdjonen unb aus 3 ubeffem, bu oerbraudjteft fie unb tjielteft bie Ijänbe 
Ijin um immet nodj Rieft. Denn beine Ciebe mar allem geroadjfen." 

Rein, bie Romantit ift nidjt tot. Rias aber im Dergeljen ift, ift bie romantifdje 
Rtobe.—Die (Ein 3 elforfdjung lagt nadj, unb bie (Erftausgaben finten im Preis, ©es* 
Ijalb fid} über geiftesgefdjidjtlidje KonfunfturfdjrDantungen aufregen? Daneben ift 
bie ©ppofition gegen bie Reuromantit im Rladjfen. 3u bem nüchternen Ijanbfeften 
Seillibre gefeilt fidj als oiel gereifterer geiftoollet RTitftreiter 3 ulius Bab mit 
feinen fedjs antiromantifdjen „$ortinbras"reben. 1 ) ©brooljl fie ein Ittanifeft, lein 
Rlert ber $orfdjung finb, ift bie Ijiftorifdje Sfi 33 e, in ber Rooalis, Brentano, 
Byron unb Ridjatb Rlagner als bie Reprafentanten oiet aufeinanerfolgenber 
romantifdjet pijafen gefdjilbert toerben, auch für ben $otfdjer lefensroert. Selbft* 
oerftänblidj (es märe bei bet Art bes Budjes unbillig, bas 3 U •oerlangen) roetben nidjt 
alle Seiten bet Romantit berührt. „Romantit" roitb rein als djriftlidje Renaiffance 
gefaxt. „Der Rleg bet Romantit: Das ift bie (Sefdjidjte ber neuerwachten^über* 
finnlichteit unb ihrer Dermifdjung mit bem antidjriftlidj geroorbenen XDeltgefü^l bei 
(Europäer 3 U immet ftagroürbigeren (Sebilben." Das fragroürbigfte baoon ift mopl 
bie ihrem Untergang 3 uneigenbe Reuromantit Diefet Romantit non ber er <3 m 
Unterfdjieb oon SeiUibre) genau fo abrüdt roie oon ben „p^iliftcrfirt^cn bet 
Realpolititer, bet Rtarjriften unb Rtoniften, fegt nun Bab einen ftaffifdjen R ea ‘ lS> 
mus entgegen, ber fidj auf Kant unb ©oetlje be 3 ieht unb bas prattifdje teilen 
als „Rtaterial eines irgenbroie 3 ielenben, ©eftalt fuchenben, ©oft be3eugenben 
©eiftes" nimmt, ©egen ben Romantiter fjamlet fpielt er ben bisher übetfegenen 
Realiften $or tinbtas aus, „ber bie Rtuppen feuern h e *fet". ©än 3 li(h uitootem* 

1) S°rtinbras ober ber Kampf bes 19.Jaljrhunberts mit bem ©eifte bet Romantit Se<b s 
Reben oon Julius Bab. Berlin 1914, ©eotg Bonbi. 



Don 5m&rtdj Sdju^e jyg 

genommen unö unöogmatifch finöet er oorbilöliche moöerne Künftler öiefes ©eiftes 
in 6 er Weltliteratur: in Bjömfon unö 3ola, in Keller, Ciliencton unö fjebbel, in 
Shaw, Oerhaeten unö DehmeL 

©n weiteres flnjei^en öafüt, öafe öie romantifdje Mobe ruhiger Betrachtung 
unö Würbigung weicht, ift wohl auch öie fjäufigteit öer Schulausgaben. Oie päba* 
gogifchen Steuern öffnen [ich öem neuen Befifc; es geht eben nicht mehr an, heute 
mie oor 3 ehn unö 3 toan 3 ig 3ahren in öer Schule bei Behanölung öer Romantit Öen 
©oethefdjen Sah 3 u paraphrafieten: „Oas Klaffifche. nenne ich öas ©efunöe, unö 
öasRomantifche öasKranfe", womit man bann füglich auf ein näheres fchulmä&iges 
(Eingehen netten tonnte. So weifen auch öie beiöen Brentano*Sdjulausgaben, 
öie öiesmal oorliegen, wieöet unwichtige literarhiftorifdje (Einführungen auf, öie gan 3 
gut einen allgemeineren Begriff oon Romanti! ©ermitteln tonnen.*) *) 

Um auf öie toiffenfchaftliche $orf<hung übet 3 ugehen, fo ftimmt es 3 U öem epilog* 
artigen (Eharafter öes biesjährigen Übetblides fehr gut, bafe Reinholö Steigs für 
öie jüngere Romanti! grunölegenöes Materialwert „Achim oon flmim unö öie ihm 
nahe ftanöen" im Berichtsjahr mit öer Deröffentlichung öes ArninvBettinabrief* 
wechfels feinen Abfchluft fanö. tDir tommen bei einer fpäteren Gelegenheit noch öatauf 
3 urüct unö rufen uns für jetjt nur in Öen Sinn, bafj öas Buch bei mancherlei Oistu* 
tablem feinet methoöifchen Anlage, uns einen gan 3 en Kreis jungromantifcher Petfön* 
lieferten in engftem ©eiftes* unö ©efühlsaustaufch erfdjlof}: flmim, Brentano, 
Bettina, öie Brüöet ©rimm. 

ffiner Anregung, öie $ran 3 Schuld in feiner Bonaoenturaunterfuchung gab, 
ift Mertel nachgegangen unö erforfdht öie romantifche 3eit oon ©otthilf Heinrich 
Säubert. 2 3 4 ) Oas (Ergebnis ift öutdjaus Iohnenö. Der junge Säubert wirb uns 3 um 
erftenmal genauer betannt; als „Propagator" romantifcher 3 öeen, nicht als fdjöpfe= 
tif^er ©eift wirö er mit Recht 3 ufammenfaffenö charafterifiert. Wenn er auch fi<h nie 
oon chriftlichen Anfügungen löfte, fo ftrebt et öamals in echter $rühromantiferart 
über alle Betenntnisformen hinaus, unö als Sinn öer gerichtlichen (Entwictlung tünöet 
fein, fpäter beifeitegefchobener, anonymer Roman „Oie Kirche unö öie ©ötier" öas 
öritte Reich. Allmählich oerliert fich fein felfenfeftes Dertrauen 3 ur Raturphilofophie; 
et betont öie Cüden unferer ©rfenntnis unö wirö um 1814 öer myftifche Pietift, als 
öer er in feiner Autobiographie „Oer (Erwerb aus einem oergangenen unö öie (Er¬ 
wartungen oon einem 3 utünftigen Ceben" rüdblidenb feine ©ntwicflung gefchilöert 
h°t. (Eine intereffante Übergangs 3 eit finö öie erften nürnberger 3<*h rc » fein ©laube 
an öie Romantit gerät ins Wanten („Was ift aus ©ed, Öen beiöen Schlegels, Steffens, 
©Sttes, unö wie fie fonft heifeen, gewotöen?... ©s war nicht blofee Dermutung, 

2) Siemens Br entano, Das Märchen oon ©odet, Qintelunö ©adeleia. ©efhidjte 
ooni braoen Kafperl unö öem frönen flnnerl. Mit einer (Einführung oon prof. Dr. 3 o f e f 
, 0 , (Reuete Dichter für öie ftuöierenöe 3ugenö.) Wien unö £eip 3 ig 1914, ManjfAe 
t. u. t. Qof», Derlags* unö Unioerfitäts'Buchbanblung. 1 M. 

3) (Siemens Brentano, ffiefdjichte oom braoen Kafperl unö öem fdjönen Annerl. 
Julius oon öer ©raun, Die ©efhidjteoom Scharfrichter Rofenfelö unö feinem Paten, 
qerausgegeben oon Dr. Alfreö Walheim, (©raefers Schulausgaben tlaffifher Werfe.) 
UHen, Karl ©raefer u. (Eo. 60 h. 

< «*i « tan ^ Ru ö o If Mettel, Der ttaturpbilofoph ©otthilf t)einrich Säubert unö öie 
eutfehe Romantit. München 1913, (Lh-Becffhe Derlagsbuchhonölung, ®star Bed. M. 3,50. 



380 £iteraturberid)t 1913/14: 3üngere Homantif. Don Sriebrid) Sd)ulje 

es roitb ©eroifeheit, bafe bet bisherigen europäifchen ©eiftestultur bet fjerbft naht, 
unb {(hon getommen ift."), unb unter ben btüdenben politischen Derhältniffen tommt 
er gleich $id}te 3 U bent Sdjlufe, bafe Ziehung unb bamit bie Arbeit für eine belfere 
3ufunft nur noch bie einige Aufgabe bes lebenben ©efchled)tes fein fönne: „Deutfeh* 
lanb allein ift noch »ad?, braufeen fdjläft fcfjon alles, 'nur bie höhne hört man hohen’, 
bent beutfdjen ©eift ift bemnadj bas lefete grofee IDerf, bas biefer gatt 3 en Periobe ber 
©efcfeichte 3 U tun toar, aufgegeben, oerbinbenbes Rtittelglieb 3 U fein 3 roif<hen biefer 
unb einer neuen höheren 3eit, Beroahret bes 00 m hinttnel geraubten £id?tes (ber 
Ceuchte, bie nie etlöfdjen batf), in ber lefeten ftürmifchen Rad)t... Oie neu auf* 
blühenbe 3 ugenb ber neuen ©eneration ifts, an bie unfete „Rliffion" geht, für bie roir 
leben unb mitten follen. 3fer all unfet für uns felbet unausgeführtes unb oietleidjt 
unausführbares Streben mit hinübergeben in bie neue 3eit, fic roitb taufenbfältig 
für uns be 3 ahlen, mas mit in bet jefeigen ungünftigen 3 eit, bei bem beften tDillen 
nicht einfach hätten be 3 ahlen tonnen." ©s finb bie intereffanten Briefe an Schuberts 
3ugenbfteunb ©mil oon tjerber, in benen fidj biefe Aufeetungen finben (Rümberg, 
9. BTät 3 1810). 

Unb mürbe man nach äufeeten Bebingungen biefer geiftesgef^idjtlichen IDanb* 
lung fragen, fo finbet ber Schubertbrief in bem Briefmechjel 3 mi|<hen ©önes unb 
Sriebridj ©hriftoph Perthes 5 ) gan 3 oon ohngefäljt feine ©rgän 3 ung. ©s ift barin natn* 
lid} ausführlich oon ber £age bes Buchhanbels in ber $ran 3 ofen 3 eit bie Rebe: „Wie 
bas, mas in bet £iteratur Aufroanb forbert, alfo 3 unächft ber Derlagshanbel unb bann 
bet Sortimentshanbel beftehen tann, ift nicht ab 3 ufehen. Don ber anbern Seite h®i 
bie Ration nichts, mas fie erfreuen tonnte, als eben ihre £iteratur, es ift fo menig Still* 
ftanb im ibeellen ©h e ^ e eingetreten, bafe mehr roie je bie Probuttion in ben ©eiftem 
brängt unb ber literatifdje ©yerftod auch gar nicht ausgehen roill... Alfo nur ITCutfe 
3 um Unternehmen! $ür bie Kunft meife ich nicht recht, mie Radjrouchs betommen 
foll, menn erft einmal biefe ©eneration ausgegangen, bas IDiffenfchaftlidje roitb in* 
beffen 3 uoetläffig nicht untergehen, bes Detlags mag roeniget roerben unb auch 
meniget Derlagshanblungen, aber es ift 3 U hoffen, bafe bas IDenige intenfio mehr roitb. 
Die fjauptiataftrophe bes Buchhanbels mirb jidj bafeer, bünft mich, auf eine ftufen* 
meifee Derminberung ber fjanblungen roie bes Derlages fich befdjränten, roo bie Startften 
3 ulefet allein übrig bleiben unb nun am gtöfeeten Kteifee geminnen müffen, mas ihnen 
am theilmeifeen Abfafe entgeht" (©önes an Perthes oom 14.Rtät3 1811), „unb noch 
namentlicher ftimmt bann bet gan 3 3ean Paulifdj tlingenbe Aphorismus: „Riit 
ber 3erftörung bes Buchhanbels märe ber eigentliche fympathifdje Retoe tteutfdj* 
lonbs 3 erf<hnitten, unb ber Banbmurm 3 etfiele in Rtaben." (16. Rooember 1811.) 
RJähtenb hier in ben 3ahren 1811 unb 1812 Autor unb Derleget beforgt über bas 
Sd}idfal bes beutfehen Buch* unb Sdjriftmefens beraten, mobei ©önes ben „roaferen 
hanfeaten" Perthes burdjaus melttluge unb gelegentlich auch fäjon 3 U gefcfjäftlicho 
Ratfehläge gibt, führt bet mehr fporabifche Briefroechfel bet 3ahte 1815 bis 1827 
3 U bem Potititer unb Kämpfer heran, ber gelegentlich auch, öet ©agesfchriftftellerei 
unb bes „pol itifchen ptunbers" mübe, lieber 3 U roiffenfchaftlichen Plänen früherer 

5) Briefe oon 3ofeph 0 . ©örres an $riebrich ©hriftoph Perthes (1811—1827), he MUS * 
gegeben, eingeleitet unb erläutert oontDilhelmSifeellbetg. (Dereinsfdjrift ber ©ortes* 
gefeüfchaft.) Köln 1913, 3. P- Badjem. Dt. 1,80. 



AU Ceftor ber beulftfjen Sprache in Rom. Don <E(j. Bonner 381 

Sage 3urüdflüd)ten möchte. (Es findet jidj öatin u. a. bas folgenöe bebeutfame 
Selbfoeugnis übet ©öttes’ Sätigfeit am Hierfür: „heftig unb fdjnetbenb bin id} oft 
gemefen aus Übe^eugung, bafe man bey ben Geutfdjen immer eljer etwas 3U Diel 
als 3U toenig tljun mufe, weil bet innere Stieb meift 3um testen 3iel}t. Dom 3rt= 
tfjum bin id) aud) nidjt immer ftey geblieben, es ift abet immet 3um Beften aus- 
gefdjlagen, toeil id) nie roifferttlid) mid) oerbienbet fyabe." — Bisset toaten oon bem 
Btiefwedjfel nur ungenau toiebergegebene Brudjftüde betannt, bie Siemens Perthes 
in bie Biographie feines Paters oertooben hatte. Die Mitteilung ber oollftänbigen 
Briefe aus bem Hamburger Staatsardjio ift fomit ein neues Derbienft, bas fid) 
S(heIIbetg um bie ©ötresfotfdjung erwirbt. 


XDic id) mein Rmt als £eftor öer öeutjdjen Spraye 
an 6er Unioer|ität Hom ansübe. 

Don fflf. Bonner in Hom. 

Seit oier 3aljren halte id} an öer Königlichen Unioerfität in Hom Übungen in öet baut* 
fdjen Sprache. 3uerft nur öanf einer befonöeren Erlaubnis bes ©röinarius für beutfdje £ite* 
tatur unö bes Heftorates, in Öen letzten 3al?ten als angeftellter £ettor. Die Unterrid}ts 3 iele 
öürfen nicht öenen eines £eftors für $ran 3 öfifd} ober (Englifd} an un|ern E}od}fd?ulen oerglidjen 
toerben; in manchem finb fie aber oielleidjt auch lieber roeiter gefpannt als bie eines £et* 
tors am ©rientalifdjen Seminar ober eines £eftors für 3talienifch in ber tjeimat. 

3n 3 toei Abteilungen habe ich Übungen 3 U oeranftalten. Deutfeh ift als Unterridjtsfad} 
am italienifchen Cbymnafium nicht eingeführt; bie toenigften Stubenten aber haben bie Dor* 
bilbung einer ©berrealfdjule, ba biefe in ber Hegel nicht 3 um Befuge her Unioerfität bered}* 
tigt. Die Derhältniffe bürften fid} beffern mit ber allmählichen Durchführung ber Reformen 
(Erebaros ((Einführung bes Realgymnafiums), über bie unb bie in ihr gegebene IDürbigung 
bes Deutfdjen ich im 13. 3ahrgang her Hlonatsfchrift für höhere Schulen S. 4 berichtet habe. 
(Einfttoeilen hat man öamit 3 U rechnen, bafe bie größte 3ahl ber Stubenten auf bie Unioer* 
fitat lommt, ohne je ettoas Deutfeh getrieben 3 U haben. Die Profefforen ber philojophi|d?en 
Safultät — in Italien heifet fie di lettere e belle arti — tDünfdjen aus natürlichen ©rünöen 
Deutfd}!enntniffe bei ihren Schülern. So habe ich 3al}r für 3al?t breiftünbig Anfängerübungen 
in Deutfeh 3 U halten, öamit jeöem (belegenhett gegeben ift, etroas Deutfd} 3 U lernen. TTIir 
fdjeint nun, öafe mir babei bie Aufgabe 3 ufällt, allen Teilnehmern, bie unter Umftänben nie 
toieber mit einem Deutfdjen in Berührung fommen, hoch einen möglich reichen Ausfdjnitt 
aus unferem geiftigen £eben 3 U geben, unb ba es fid} in ber fjauptfadje um angehenbe 
£ehrer hanbelt, aud} unfere neueren Unterrid}tsmethoöen oor 3 ufüI?ren. 

3d} betenne, öafj id} ein 3 iemiich oeraltetes £ehrbud} ber beutfehen Spraye ben Übungen 
3 ugrunbe lege, bas oon Sauer^Scrrari (lDinter*f}eibelberg). 3d} fanb, öafe bie meiften Teil* 
nehmer immer fchon felbft biefes £ehrbuch haben. §emer ift öer italienifdje Schüler oon 
feiner Schule oiel gebulbiges Austoenbiglernen geroohnt; er ftört fich oiel roeniger an bem 
Un3ufammenhang unb an ber Sinnlofigfeit ber übungsfätje. 

3d} gehe nun in jeber Stunöe eine £eftion oon Sauer^S^rrari burd} unb barf meift fo 
oiel häusliche Dorbereitung oorausfefcen, öaft jeber Teilnehmer bie Übungsfä^e geläufig 
überfein tann. Die Durchnahme je einer £eftion in ber Stunbe toirb bei ben fehr um* 
fangreidjen fpäteren £ettionen nur baburch möglich, öafc ich ben grammatif^en Stoff, Jbe* 
fonbers bas 3eitroort, fchon tDodjen oorher im Anfchlufj an bie 3 ufammenhängenöen Stüde 
7 “ liehe unten — behanble. Die grammatifche (Erflörung fudje ich ettoas ins tDiffenfdjaft* 
Hd}e 311 erheben, inbem id} manche Hegel anbers faffe unb immer auf bie Sprachgefdjidjte 
himoeife. 3dj gebe ein Beifpiel ber Behanblung. Die Heihen Tag, Tage, täglich unb Schlag, 
Sdjläge 3 eigen, bafo aud} bas a in Tag gut umgelautet toerben tann; ber Umlaut erfolgte 
nicht, toeil fein i im alten Deutfeh folgte. (Eine fefte Hegel über bas heutige Dortommen 



382 Wie idj mein Amt als £e!tor 6 er öeutften Spraye an 6 er Unioerfttät Rom ausübe 

6 es Umlauts gibt es im Deutfdjen alfo nitt, roenn man nidjt 6 ie ffieftitt* fermt. Die ftatfen 
Derba or 6 ne it oorn erften Dorfommen an nat Öen fünf ©ruppen, öie bei IDUmanns 
§ 15—20 gegeben finö. Sobalö öas erfte „ftlägt" 6 em erften „tagt", 6 as erfie „tritt" 6 em 
erften „betet" gegenüberftefyt, mirö öaTauf hmgeroiefen, baß öie Dotalabroanölung TRittel 
öer ftarfen Konjugation ift, öet fdjmadjen feljlt. „IDiffen, fönnen ..ufto. leßre it gleit 
als Präteritopräfentia. Die Husfprac^efe^Ier, befonöers öie falfte italienifte flusfpra^e 
oon au unö ei, roeröen immer roieber unter l^inroeis auf Siebs befämpft, fo fonöerbar aut 
manchem öie Ausfprat* ao unö ae 3 uerft erfteint. Hatürlit nenne it öie Büter, öie meine 
Quellen finö, unö 3 eige fie in öer Stunöe oor. 

Die bloßen Übungsfäße oon Sauer*5errari mären für eine Stunöe 3 U langmeilig unö 
bieten 3 U menig Spratftoff. Don öer 3 meiten Stunöe an neunte it jeöe Stunöe ein Heines 
öeutjdjes ©ebitt öurd?, mobei it beginne mit ©oetlje. Das ©ebitt mirö überfeßt unö feine 
Deranferung im £eben öes DiQters aufge 3 eigt, öer IiterarifQe IDert befprodjen. fjanöelt 
es fit 3 . B. um öas fjeibenröslein, fo reöe idj !ur 3 (italienift) oon Srieöerife Brion, aber 
audj oon fjeröers Beftrebungen um öas Dolfslieö (ftug!). Die folgenöe Stunöe mirö nun 
öer Spratftoff öes ©eöiQtes, in öer erften 3eit befonöers öie Derbalformen, be^anöeli 
$ür Öen ailererften Unterritt nefyme it gern außer öem tjeibenröslein oon ©oetße ©efun* 
Öen, An Belinöen, Der $ifd?er, oon fjeine öas 5 *üßlingslieö, ©s fiel ein Reif in öer 5™!?* 
Kngsnatt oöer Stüde aus öem lyrifdjen 3 nterme 330 , oon IRörife Den!’ es, 0 Seele, oon 
Bierbaum Stft*r Sitä* Deine . . . ufm. 3u Öen ©eöiQten treten ffirimmfte IKardjen, 
Aneföoten §ebels. (Einmal tarn idj fo meit, baß mir Öen erften Aft oon IRinna oon Bam^elm 
lefen tonnten. Kur 3 oor öem 3<tresftluß — mir Ijaben feine 3 mei Semefter neljme 
it nat Sauer*$errari öie Beitreibung DeutfQlanös oor unö feiner roittigften (Einrittungen. 

Um Öen fünftigen teurem 5*eube 3 U maten, gebe id? im erften Rlonate öie lebten 
3 eljn IRinuten ein Beifpiel, mie man öen Unterricht für jüngere Scßüler beleben fönnte. 
3t 9 ebe ©ouinft« Serien, öie oor allem aut meinen erroatfenen Stülem öie 3 unge löfen 
Reifen, unö nenne einftlägige IDerfe. 3t beßanöle öie tjöl 3 elft cn Bilöer ufm. 3n einem 
3al?re fyabe it überhaupt öie Algeften £eßrbüter unö öie tjö^elften Bilöer 3 ur ©runö* 
läge öes Unterritts genommen, Am ©nöe öes £etjrgangs beßerrften öie ©eilneßmer öie 
Sormenleßre einigermaßen unö ßaben bot ft on mantes an poefie unö Profa gelefen. 
Syntaftifte Untermeifungen finö alleröings nur fpärlit gegeben. 3t meife für öie S^en 
auf billige öeutfte £ettüre ßin. Seßr häufig gefyen meine Stüler in Öen Serien nat 
Deutftlanö. 

Uötig märe nun ein 3 meiter 3<ttgang, öer eine Durtnaljme öer Syntay unö Stiliftit 
erlaubte unö leittere £eftüre. 3t l?abe mit über im oberen Kurs foIt en Stuöenten 3 U 
roiömen, öie am (Enbe öes Jahres eine £eßrbefäßigung im Deutften natm e if cn 
©s mirö ein 3eugnis erften oöer 3 toeiten ©raöes erftrebt. Diefe 3 eugniffe geben öurt* 
aus nitt mie bei uns öie Anroartftaft auf eine £eßrftelle, öie nur im Konfurs erworben 
roeröen fann; fie gelten aber als ©itel bei fölten Konfurfen, mie faft jeöer italienift e 
fürs 3 ur Hälfte öurt ©itel, 3 ur Hälfte öurt öie für öie betTeffenöe ein 3 elne Stelle ab 3 ulegenöe 
Konfurren 3 prüfung erfiegt mirö. Das Heinere 3eugnis ift etma 00 m IDert unferer fog. 
Spratle^rer 3 eugruffe; bei öer Prüfung mirö außer geringen £iteraturfenntniffen nur Sprat* 
fertigteit ©erlangt. 

Das 3eugnis öes oberen ©raöes fann nur erftrebt roeröen, menn öer Kanöiöat in io» 
genöeinem $ate, 3 . B. RTatßematif, Öen Doftortitel ermorben ßat. Die ftriftlit e 
oerlangt eine Überfeßung aus öem 3talieniften ins Deutft«, einen italienift ctl un ^ 
öeutften Ruffaß, ein öeutftes Diftat. Die Arbeiten meröen unter Klaufur angeferit^» 
bei öer Überfeßung aus öem 3talieniften mirö für alle Prüfungen (§*an 3 Öfiftr ©ngjjW» 
Deutft, Spanift) ^ gleite Dorlage gegeben, troßöem it regelmäßig in öer Kommtffion 
öarauf ßinmeife, öaß Öen meiften Kanöiöaten öas gran 3 öfift e näßer liegt. 

3n öer münöliten Prüfung mirö mieöer ins Deutfte unö ins 3talienift c 
je eine Diertelftunöe £iteratur unö ©rammatif geprüft. Die prüfungsorönung oerlang 
einige fpratgeftittlit 6 Kenntniffe. 

^ )C V t 9 r ößeren 3cugnis ßat man flusfitten auf eine ©berle^rerftelle an einer ©be** 
realftule, einem Realgymnafium, einem Seminar, alleröings immer nur nat 



Don (Cf). Botjner 


383 


fteljen eines Konfurfes. Die Prüfung ift in öer Hegel leicht, roemt auch öie Kommiffion 
oon 3ahr 3 U 3al?r öie flnforberungen 3 U fteigern fud}t. tDir müffen uns auf öas Sieb öer 
Konfurfe oerlaffen. flud) roirö man öa^in fommen, bafe nur folche Beroetbet flusficht haben, 
öie öie Doftorprüfung im Deutjdjen beftanben haben. 

Die Kanöiöaten finö, menn es fid} um Reichsitaliener hanbelt, meift flutoöiöaften, 
unter Umftänben foldje, öie ihre erften Kenntniffe bei mir erroorben unö burd) einen ein* 
jährigen Aufenthalt in Deutfdjlanb ausgebaut hoben. (Es ift mit immer als ein auffälliges 
3eichen für öie 5^1$* öer italienifchen Haffe erfdjienen, ba& man fo häufig grünölich ge» 
fchulten flutoöiöaften unter Öen flfaöemifern begegnet, flufcer Öen Reichsitalienern melöen 
ji<h ieöes 3ah* Italiener öfterreichifcher fjerlunft, ein 3 elne Deutfdje, öie ihr ©lüd in Italien 
oerfuchen roollen, unö (Elfäffer oöer £othringer, öie einem Schuloröen angehören, oielleidjt 
fchon lange in $ran!reich an (Elementarfchulen geroirft haben, nun aber nach Stalien oet* 
fchlagen mürben unö auf tDunfd} ihres ©rbettsobern öie öeutfche £ehrbefähigung ermerben 
Jollen. 3dj habe an ihnen meift fehr fleißige Spüler unö erinnere mich befonöers gern eines 
ITCathematifers im ©tbensgeroanöe, öer aus reiner $reube an öer IDeiterbilöung im Alter 
oon 54 3ahren öas größere 3eugnis ermarb. 

4s ift Har, öa& non einem germaniftifdjen Betrieb unferer tDiffenfdjaft öabei feine 
Reöe fein fann. Da 3 U fehlen auch an öer Unioerfität alle Dorbeöingungen. Der ©röinarius, 
fjetr Ptofeffor ©. fl. Borgefe, ift aus öem 3oumaliftenftanö h«roorgegangen, mar mehrere 
3ahre Beridjterftatter in Deutfdjlanb für italienifche Leitungen, fteht freilich tro$ öiefer 
Kenntnis Deutjchlanös 3 ur 3 eit politifdj gegen uns. (Er ift ein gefeierter Kritifer unö hat 
fich mit feinem Derftänönis in öie öeutfche £iteratur eingearbeitet, auch *me fefte Schüler* 
jehaft ermorben. (Er mufe aber, folange öie Kenntnis öes Deutfdjen bei Öen Stuöenten nicht 
größer ift, mehr ein Dermittier als 4rforfcher fein. 1 ) (Er fann mit Stol 3 auf eine Reihe 
öeutfeher Schriftfteller, öarunter Hooalis, hinmeifen, öie oon feinen Schülern überfefct unö 
in fleinen Ausgaben öem Publifum 3 ugänglich gemacht muröen. 4s hat fich öa aber noch 
feine 3*it für ©ermaniftit gefunöen. U)ir befifcen auch Wti Seminar, in öem öas unent* 
behrlichfte U)erf 3 eug bereitftünöe. 

Srotj allem gebe ich öie Hoffnung nicht auf, öafe unfere feigen Schüler, menn fie erft 
einmal £ehrer öes Deutfdjen gemoröen finö, öas Beöürfnis fpüren meröen, eine roiffenfehaft* 
liehe ©runölage ihrer grammatifchen Kenntniffe 3 U haben unö £uft 3 Ut gerichtlichen (Er* 
forfchung unferer Sprache befommen. fllfo oermeife ich in meinem Unterricht immer auf 
öie Sachliteratur unö gebe eine Art (Einführung in fie. 

Drei tDochenftunöen ftehen mir 3 m Derfügung. Daoon mufe ein großer Heil auf fjin* 
unö fjerüberfe^en oermanöt meröen. Die beutfdje Dorlage mufj ich meift im flnfdjlufe an 
öie Dorlefung öes ©röinarius nehmen; als italienifche Dorlage öienen, in Öen Schmierigfeiten 
fich fteigernö, Silvio Pellico, Ugo Foscolo (Jacopo Ortis), Manzoni, moöeme fluffätje. 
4s roirö meniger eine 4inführung in Umgangs* als in öie Sdjriftfprache oon mir ermartet, 
öa bei öer Prüfung unö oielleicht überhaupt im italienifchen Unterricht öas literarifche 3n* 
tereffe übermiegt, öie Praxis ruhig öer Praxis überlaffen mirö. 

(Erotjöem oerfuche ich öoeh, meinen (Teilnehmern eine (Einführung in öas heutige £eben 
Deutfchlanös übet öie £iteratur hinaus 3 U geben, inöem ich für öie Dorträge öer ein 3 elnen 
Geilnehmer gern eine Aufgabe im flnfchlufj an öie £efebüdjer für fluslänöer unö 3 ur (Ein* 
führung in öie geiftige Kenntnis Deutfchlanös beftimme, öie aus öer Arbeit öes Böttinger* 
jtuöienhaufes in Berlin heroorgegangen finö. 3dj oermenöe auch gelegentlich einen Hach* 
mittag öarauf, Öen Kurs burefj öie Räume unteres Künftleroereins 3 U führen, öer eine aus* 
ge 3 eichnete Bücherei unö einen großen £efefaal befi^t. 3d? (teile auch allen frei, an öer mir 
unterteilten öeutfehen Schule in Rom öem Unterricht bei 3 uroohnen. 

Das mir £iebfte an meinem Unterricht bleibt aber öoeh öie 4inführung in öie miffen* 
thaftliche Behanölung unferer Sprache. Sie gefdjieht, inöem ich icöe U)oche minöeftens 
eine Stunöe öa rauf oermenöe, ein Kapitel öer ©rammatif ausführlich 3 U behanöeln unö ein* 

1 ) Die literaTifche Behanölung ift alfo bei ihm mehr äfthetifd? mertenö als objeftio* 
hiftorifch unö ftarf oon Öen Be 3 iehungen 3 ur italienifchen £iteratur beherrfdjt. Doftorauf* 
gaben öiefes 3ahres 3 . B. „©oetljes Römifche 4legien" (roobei öer Kanöiöat in öer fjaupt* 
fadje öie italienifchen Überfettungen nachprüft) unö „Die öeutfche £iteratur bei öe Sanctis". 



384 H)ie id| mein Amt als Ceftor 6er öeutfchen Spraye ausübe. Don ftfj. Bonner 

fc^Iagige tDerle oor3uführen. Dafe mit öafür öie Büberei unferer Schule 3Ut fjanö fteht, 
ift ein Üeiner ©rfat$ 6et feljlenöen Seminarbücherei. 3 dj feije ooraus, öafe öie (Teilnehmer 
3U öer betreffenöen Stunöe öas anftehenöe Kapitel fidj in einer öeutfchen ©rammati! für 
Italiener angefehen haben. 3 d? gebe nun 3uer|t öie Darftellung, 3. B. öes Aüufatios rein 
nach öem Öeutfchen unö füge bann öie Befpredjung öer Unterfdjieöe feines ©ebraudjs in 
Öen beiöen Sprachen an. 

3 n öer Hegel halte id* folgenöen £ehrgang inne. 3 d} beginne mit Öen oerfdjieöenen 
tDörterbüchern 00m ©rimmfchen über Kluge, Paul, Sanöers bis herab 3um Duöen. Der 
3 taliener ijt non öer Dottsfdjule her gewöhnt, auch für öie eigene Zltutterfpradje öauemö 
ein IDörterbuch 3U Rate 3U 3ieljen, wie 3. B. öas oon petrocdji, unö toüröe fid? gut mit öem 
Ameritaner oerftehen, öer öas Deutfdje unmittelbar aus öem ©rimmfchen IDörterbuch er* 
lernte. Hieine Spület oerlangen meift nach einer Homentlatur, einem IDörterbuch, öas 
3. B. unter H)agen auch öie Hamen aller Arten unö aller ©eile öes IDagens angäbe. HJer 
fönnte mir eines benennen? Die H>erfe oon Ceopolö—Derlag Bielefelö, Karlsruhe — erfüllen 
nicht gan3 öiefen IDunfcfj. tDir gehen roeiter 3ur Ausfpradje. 3 unä<hft werben öie wid}tigften 
3 talianismen befprochen (öarunter auch öer jambifdje Saljrhy thmus ftatt unferes trodjäifchen), 
öann öie tDerfe oon Siebs, Dietor, 3 afperfen genannt unö auffailenöe, Öen ©eilnehmem 
belannte Prooin3ialismen in* öer flusfpradje öes Deutfdjen aufge3eigt. 

Die nächften Stunöen gelten öer Durchnahme öer Detlination unö Konjugation. 3 n 
öer Darftellung öer ©rammati! folge id* IDiimanns. Seine ©rammati! ftellt aber 3U gro&e 
Anforberungen an meine fjöter. 3 dj empfehle ihnen als tjanöbudj 3unä<hft öie Kraufe* 
Hergerfdje ©rammati! für Auslänber, welche ettoas öas 3 öeal eines hiefigen Unioerfitäts* 
profeffors erfüllt, öer eine öeutfdje ©rammati! nad? Art öer lateinifdjen Schulgrammatiten, 
womöglich in lateinifcher Sprache, oerlangte. 3 ur wiffenfchaftlichen Dertiefung empfehle 
i*h öie IDerle Sütterlins unö IDunöetlidjs neben IDiimanns. 3 ®if<hen Kafuslehre unö öie 
©empus* unö HToöuslefyte fdjalte ich eine Befpredjung öes öeutfchen Dotalismus ein mit 
Proben mittelljodjöeutfdjer Dichtung unö öes Konfonantismus. Belege für öie (Entwicflung 
öer Do!ale unö öie £autoerfd}iebungen gewinne ich au&er aus öen mittelfyodjöeutfdjen Sprach* 
proben aus öer lateinifdjen £ehnwörterlifte. gür Htaterial !ann ich ^ier auf Öen paulfhen 
©runörifc oerroeifen, Öen öie meiften fo öas erftemal in öie fjanö be!ommen. 

Bei öer Durchnahme öer Htoöuslefyre pflege ich öie Umfetjung in öie abhängige Reöc 
ufto. befonöets an Briefoorlagen eht3uüben, für öie ich nun gern auf gart3 alte Stüde 3urüd* 
greife (£utfjer). Dabei müffen Büdner wie Kluge Don £uther bis £effing u. a. m. genannt 
toeröen. 3 um Seeluft öes Jahres laffe ich öie ©eilneljmer je ein ©eöidjt in einer Probelektion 
beljanöeln, wie fie oon ihnen als letztes bei öer Prüfung oerlangt wirö. Belehrungen über 
Htetril fcfyliefoen fic^ an unö öie widjtigften Darftellungen. natürlich ift uns, je mehr mit 
uns in ©ebanlen öem eigenen öeutfchen Unterricht nähern, öas tjanbbuch für Öen Öeutf 4 cn 
Unterricht unentbehrlich. IDenn ich noch fage, bafe ich 9ern für ©in3elöarftellungen auf unfere 
widjtigften 3 eitfchriften hinweife unö öiefe oorlege, fo habe ich ben Kreis öeffen erfchöpft, 
was ich in öer Inappen 3 eit unö bei Öen manchen anöeren gorberungen Öen Seilne&mem 
nahebringen lann. 

Um öie Umgangsfprache nicht 3U oernachläffigen, habe ich einen Abenö eingerichtet, 
an öem fi<h unfer £ehrer!ollegium unö meine Kursteilnehmer treffen lönnen. 3 ch Mje 011 
öiefen Abenöen auch etwas unfere moöeme Oteratur 3U pflegen. *) Don öer Quelle bis 3um 
Hteer mahlet manche Hlühle, unö auf oielen IDegen fuchen wir unfer 3 iel 3U erreichen. 3 d? 
habe nur Öen XDunfd?, &af$ öas IDiffenfchaftliche öabei immer meht Raum gewinne unö an 
öte lünftigen Deutfchlehrer 3 taliens überall, nicht nur an ein3elnen Unioerfitäten, wie 3UI* 
3ett, öie goröerung einer grünöüchen grammatifch^phiioiogifchen Dorbilöung neben öer 
literarhiftorifchen geftent weröen !önne. Dantbar bleibe ich für Öen glei& oieler junget 
©etlnehmer, öie bei öer italienifchen Regelung öer Stuöien meift mit Prüfungen überlaftet 
ft nö unö öie 3 eit für öas Deutf^e, öas hier Hebenfach bleiBt, faft ftehlen müffen. 

r t tiefem Jahre haben wir fogar an öer Unioerfität unfre neueren Kriegsgeöichteg e * 

eien; Behanölung 3U erfehen aus meinem bei Dittmann in Rom erfhienenen Dorttag. 

Sür öie £eitung oerantwortlich: Dr. H>al%r ^offtaetter, Dresöen 21 , ©Ibftt. 1 . 

Alle HIanuftriptfenöungen finö an feine Anfchrift 3U richten. 



Der gegenwärtige Krieg unö öas öeutjdje Drama. 

Don Robert petfh in Pofen. 

Dritter Auffafc. 

Wir haben fdjon früher batauf hmgeroiefen, bafe bie bas Drama befruch* 
tenbe Kraft bes gegenwärtigen Krieges unb ber ihm unmittelbar ooraufgeljen* 
ben, erroartungsDoIlen 3eitfpanne fid) nicht blofe in unmittelbaren Darftellun* 
gen aus bem Ceben bes ©ages bewährt hat, fonbem ba& bie Dieter gern 3U 
©eftalten unb ©reigniffen ber Dergangen^eit ihre 3uflucht nahmen, um bie 
großen Probleme ber 3 «t gleidjfam im Spiegel aufjufangen. Soweit babei 
ber empirifc^*pragmatifd}e Snljalt ber ©egenwart ben Dergleichspunft jwifdjen 
©inft unb 3 «^t Vergab, entftanb bas Sdjlüffelbrama, mit bem fdjon Kleift in 
ber „fjermannsfchlacht" gefdjeitert war unb womit heutige Dichter nicht mehr 
©rfolg Ratten. Bilbet aber bas Binbeglieb ber eigentlich geiftig*fittliche ©ehalt 
unferer ©age, fo läfet fi<h fetpc wohl ein Ijiftorifdjes Drama berrfen, bas auch 
bem heutigen 3 ufd}auet mastig ans f)et3 greift. Schon oor Kriegsausbruch 
hatte u. a. ©ertrub prellwiij in einem nicht butchweg gelungenen, aber feljr 
oerbienftoollen Drama „Die ©at" bes alten ijotcf oon 1812 beijanbelt unb oiel 
oon jener bumpfen Spannung 3ur tragifchen ©ntlabung gebracht, bie feit ben 
©agen oon Algecitas auf uns allen laftete. Reuerbings fteht ein anbetes 
Problem 3ur ©rörterung: Wie wirb fid} bie bem öffentlichen £eben entfrem- 
bete ©berfdji^t, füt bie bet Staat ein notwenbiges Übel (nach Rietjfche ein 
„Pubenbum"), Pflicht unb ©efinnungstreue ein Spiel unb ein Spott geworben 
fdjien, unb bie faft nur noch äfthetifdjen Werten wahre Bebeutung 3uertennen 
wollte, wie wirb fie fich mit ben höhet» Anforberungen bes ©ages abfinben? 
Dafo fie es fo trefflich oerftanben hat, bafe auch unfre Dichter fo rafch ben echten 
©on unb bie rechte ©at gefunben haben, wie es uns bie herrlichen Augufttage 
oon 1914 fo überrafchenb 3eigten, bleibt ein nicht geringerer Ruhmestitel für unfet 
Doll als bie oaterlänbifche fjaltung bet beutfdjen Arbeiterfchaft. Roch erfreu* 
li^et ift es, bafj einige unftet oerhei&ungsoollften Dichter, 3um ©eil f<hon 
oor bem Ausbruch bes Krieges, getabe bies Problem in hiftorifdher Spiegelung 
in Angriff genommen hatten. Die ©eftalt bes jungen $tiebrich 11 ., bie butch 
brei biefet Dramen hinburdjgeht, erweift fi<h als ein gan3 trefflidjes ©efäfj 
fol<h eblen ©eljaltes, unb wenn irgenbetwas, fo gehören biefe Werfe unter 
bie Spiijmatfe: „Der gegenwärtige Krieg unb bas beutfdje Drama." 

3(Ufd)r.t.6.beutfdienUntcrrid)t. 29.3al)rg. 6.t}»ft 25 



386 Der gegenwärtige Krieg unb bas beutfdje Drama 

$retltc^ roitö bie Demtählung mobemen ©efühls unb gerichtlicher M* 
fa^cn immer ihre gart3 befonberen Schroierigfeiten haben unö nur auf Kofteti 
ber »ollen gerichtlichen Cebenbigfeit ober ber ftrengen Ittotioierung ober 
Mtblidj bes tiefften ©elftes oerfucht »erben. Aud? bie mobemen 3ung* 
$rtebrich*Dichter fitib biefen Schtpierigfeiten nicht immer entgangen, unbes 
tft nicht mehr als billig, bafe man fie fi<b »or Augen halt, ebe man fi* über 
tbte Ceiftungen ein Urteil 3U bilben fud?t. 

cin€r Bc fP T ^ung »on ©mil Cubmigs $riebrichsbtama äu&erte 
[7. SW« öbct öic Hatbtcüe bes Robftoffes: „Alle hiftorifchen unb 
afibettftben Betracbtungen fönnen ficb 3unächft auf bie |(bli<bte Anficbt einigen, 
baß btefe Dorgange (ber Konflift 3 u>if<ben Dater unb Sobn unb ber gludjt* 
»erftub bes Kronpti^en) an fi<b bur<baus nicht etfreulicb waren. IDeber bie 
fpartamfebe Begren3tbeit bes Daters, noch bie peinigen Demütigungen, bie 
ber Sojn über fidj ergeben laffen mufete, oermögen an ficb unfer inneres 3« 
erschüttern. IDet follte bie tur 3 ficbtige Starrtöpfigfeit toohl fo febr lieben, baff 
er |te um ihrer felbft totllen in einem tünftlerifchen Bilb feftbalten mollte? Unb 
roet empfanbe nicht, bafe man am beften ben Schleier ber Dergeffenbeit über 
bte Scbmer3ens3eit bes jungen $riebrich breitet? IDas hier an menfcblicben 
ngen oorltegt, tarnt unmöglich an unb für ficb bet Stoff eines Dramatilers 
|em, er rnufe notroenbig bur<b eine biftorifebe Betrachtung geabelt »erben." 
U>er bte gerichtlichen Dorgänge bes 3ahtes 1730 auf ficb mirfen läfet, »ie fie 
Briefe unb UTemotren ber 3 eit, oor aUem aber, am fcblicbteften unb einbruds* 
j>° I en r oie Der^artölungsprotofolle 6es Kriegsgerichts über ben ©berft* 
t\ü ^ n ^. unb f e * ne n Stcunb Hatte 00t unfrem Auge erfteben laffen; »et 
” in , öem 0län3enö 9 cfcbriebenen (ßuellenbucbe R. Hofers: „Stieb* 
Jl *“ ® ro 5 f als■ Kronprin3" über bie gefebiebttiebe XDabrbeit unterrichtet bat, 
wtro bas Urteil bes Berliner Kritifers ohne roeitetes unterfebreiben. IDobl 

fott!« UnS f ' C t U0enb ü<ben £eiben bes großen f)°h c u3olIem ans her3r 
Teiieit uns ferne geniale, fprunghaftninberechenbate Art, toobl erfüllt uns 
hefes IKttletb mit bem Sreunbe, ber ficb fd?liefelicb für feinen Prisen opfert - 
311 einer eigentlich tragifeben ©mpfinbung fommt es nicht. Daju finb 

mcn ^^ c ® tö fee oerraten, bei Hatte 3U »enig aus* 

9 prägt unb bet Sttfc nicht fräftig genug mit bem RTitleibioütbigen oerbunben, 

»L " Ü6ct öaS bIo & atauti0€ taum hinaus. Diefe ©reigniffe 

nwrm ^ U ? b ® 3U mad > en Dcrma g fein Rübrbicbter, bet bem mitleibigen 
Kfiniu ^ CIT 1 Paar . patrioti ^ cn Pbrafen bas Rlaul ftopft. Der echte 
bem n. Ct x 511 "° 5 ? cnbi0 c ’ ncn höheren Stanbpunft 3U gemimten fueben, oon 
oorwixr*“ ^ lft 3tDifcben K8ni g unb Kronprin3 als fymbolifeber $all»on 
WM^ em Mette 3 u anöetn 3 eiten moi,ie man rietlet# Öen 

leien l< t|en Mi&erftreit jroifdjen Alter unö 3 ugenö in ben Stoff öinein : 

' Don W gtw et eigentlich bas XRotio nicht her: $ri$ens Sache ift 


I 



Don Robert petfd) 


387 


nid}t einfad} bie bet 3 ugenb, tote es in geroiffem Sinne bie Sadje bes Don 
Carlos mar. Oie Reibungen berufen oielmehr auf CI}arattergegenfät)en, bie 
miebet eng mit gtunboerfdjiebenen Anfd}auungen oon bem Berufe unb bet 
R)ütbe bes ^ettf^ets 3ujammen1}ängen. So haben mir benn einen recht hifto* 
tilgen Konflift oot uns, toie er fid] in gan3 anbem $ormen am tjofe Peters 
oon Rufelanb abgefpielt hat. IDäre nun ber Kampf, ber I}ier ausgefodjten 
toirb, rein bynaftifdjer Art, fo märe roieber fein menfdjlidjes Sntereffe feljr eng 
begren3t, mit ftünben ihm allenfalls gegenüber toie bie fran3öfifd}e ©efelifd}aft 
bes 17 . 3 al?tl?unberts bem ^etoifdjen ©rauetfpiel bes Corneille, toobei bod} 
faum je in o ollem Rlafee bie Übet3eugung auftommen tonnte: Tua res agitur. 
Run fteljt abet für unfer, 3unäd}ft preufjifdjes, meiterhin aber bod} beutfdjes 
Rationalbemufetfein ^ier ber $ürft, bet 3uerft gefagt hat, er fei nur ber erfte 
Oienet bes Staates, einem Dater gegenüber, ber biefen ©runbfatj fo nid)t aus* 
gefprodjen, abet feinem Sohne 3eitlebens oorgelebt hat. Unb um bem Prin3ip 
bes Staates bie nötige ©eltung 3U oetfdjaffen, mufete biefet König, toie Kofer 
feljr einbrudsooll ausgefüljtt hat, „bie Souverainetö ftabilifieren toie einen 
rocher oon bronce", mufete er gegen fid} unb fein £anb mit eifemer Strenge 
oorgehen unb nidjt 3um toenigften im eigenen fjaufe feinen IDillen mit eherner 
Solgeridjtigteit burcf}fet}en. Reimen mit ^in3u, bafe et ben IDiberftanb bes 
Sohnes nid}t nur gebroden, fonbern ben XDiberfpenftigen 3ur Anetlennung 
feines Stanbpunttes unb 3um Dollenbet feiner Arbeit belehrt unb exogen 
bat, fo tritt bei ber gan3en fjanblung bie ©eltung unb richtige Umfdjreibung 
bes Staatsgebantens in ben Dorbetgtunb — nid}t als ein rein theoretifdjes 
Problem, fonbern als eine grofee (Erfahrung, bie erlebt merben roill, unb bie 
beute miebet oon Caufenben auf febr oerfdjiebene Art erlebt mirb unb bamit 
eine $ülle oon Perfönlidjfeitsmerten in uns unb um uns ber ermedt. So mirb 
benn bas Problem bes Kronptin3en Srteöti«^ unfer eigenes, unb Oramen, 
bie feinen Streit mit bem Oater beljanbeln, bütfen getabe beut unb auf unfret 
Bübne eine Ceilnabme beanfprudjen, mie mir fie millig bem „prin3en oon 
Homburg" fpenben. Dielleid}t liegt auf biefer £inie unb auf ibt allein bie ITCög* 
li«bteit, ben großen Dotgangen bes Cages bramatifd}*fünftlerifd} gerecht.3U 
merben; nid)t Cteigniffe oon beut, auch nid}t Cteigniffe oon geftern, in benen 
fid} bie empirifd}en ©tlebttiffe bes Cages „fpiegeln", fonbern ernfte tjanblungen 
bet Oot3eit, in benen bie innerlichen Crlebniffe unfeter 3 eitgenoffen, bie bod} 
in XDabrbeit ben geiftigen ©ebalt ber 3eit ausmadjen, bebeutfam unb gleich* 
fam typifd} oorgebübet erfcheinen. 

Oas Problem ift ähnlich unb hoch mieber anbers, fdjmieriget unb fpröbet 
unb hoch miebet für einen echten Dichter ergiebiger als felbft basjenige oon 
Kleifts IReifterbrama. Oer Prin3 oon hombutg ijt fchon ©fföiet, bet Krön* 
ptin3 fon erft ba3u et3ogen merben; jener ift ein erprobter Kriegsmann, bem 
nur bie angelernte Oif3iplin noch nicht burd} perfönliche Selbftüberminbung 


25* 



jgg Der gegenrocirtige Krieg unb bas beutfdje Drama 

m $leifch unb Blut übetgegangen ift, biefet liebt bie Klufil, bie fratt^öfifd^e 
Sptadje, bie tDiffenfchaft mit bet ga^en ©lut einet jugenblidjen Seele, wah* 
tcnb bas Solbatifd}e allenfalls als Klöglidjfeit in feinet Seele fchtummert. 
Unb bem Betftänbnis 3wifd}en bem tjomburget unb feinem hettn fteljen jene 
Bti^anblungen nid}t im tDege, bie aus bet ©efd}id}te bes jungen 8rit> feine 
öidjtexifdje Sbealifietung Ijetausfd} affen tann, bie oielmeht eines bet aller 
fdjwierigften ptobleme batftellen: wie tann fid} ein Pxinp 3m ttagifdjen IDütbe 
auffd)wingen, bet in ©egenroart bet Dienetfdjaft mit Silagen überi}auft 
tootben ift? Unfet gan3et ©ffoietsehtbegriff, bet 3m 3eit gticbtic^ tDil^elms I. 
taum noch teimljaft oorhanben wat, bäumt fid} bagegen auf, unb bet Bittet 
mufe fdjon ein gewaltiges, ein faft iibetmenfdjlidjes Können fabelt, bet biefe 
Klippe umfd}ifft. Klan wirb nidjt blofe bas ©empetament bes Königs 3Ut ©r 
tlätung beran3ie^en muffen, man wirb not allem batan fefouhalten haben, 
bafe bet Batet mit bem Sohne, nicht bet König mit bem ©fftyet nethan* 
beit, unb felbft bann bleibt bie Schwierigfeit gtofe genug. Unb betont bet Bid)= 
tet bie fo gan3 anbetn Beri}äitniffe bes pteufeen non 1730 al^uftart, fo wenbet 
fi<h unfte nolle menfd)lid)e ©eilnahjne non bem ©egenftanbe ab wie non 
bem blutigen „Petet non Uufjlanb" Samuel Cublinstis. ©ine nod} (Jtöfeete 
©efaht liegt abet in bem Kattemotin. Hidjt als ob es nicht als foldjes äufeetf 
fruchtbat wate, wenn es in bie testen fjänbe tommt; abet Kattes Schatten 
fteht bod} nach bet Bollftredung bes Urteils 3wifd}en Batet unb Sohn, unb ba& 
$tih es fettig btachte, B«3eihung nad}3ufud)en ttotj öiefet furchtbaren ©ri a h' 
tung, bas will füt ben mobetnen Klenfchen benn bod} fefft forgfaltig motitnert 
fein, ohne aud} wiebet bet gefd}id}tlid}en IDahtheit 3U nahe 3U treten. tr 
bütfen bem Ktonptin3en nicht fd}led)tweg heutige Begriffe unterfdjicben, 
hülfen ihn aud} nid)t blofe mit atdjäologifd)« ffienauigfeit batftellen, ba et 
bann bod} wiebet nidjt 3U unftem f}et3en Jptechen tönnte, fonbem wit muffen 
in feinet tatfäd}lid}en Benl* unb fjanblungsweife bie lebten, allgemenrmenfty 
Hd}en Beweggtünbe auffpüten, bie bei tedjtet fünftlerifchet Behanblung aua} 
heut ihte XBittung auf unfet £j«3 nicht netfehleri wetben. 

■ ©atfäd}Ud} bietet aud} bie ©efdjidjte bes jungen $riebtid}, wie fie erft e 
{teilt aus ben ©rinnetungen bes hettn non pöllnit} unb bet Schweflet es 
Prisen (bet Klartgtafin oon Bayteuth), bann abet genau« aus ben ©ue en 
(fpat genug!) bet Hachwelt mitgeteilt wutbe, eine Sülle un3weifelhaft bühne«' 
wirtfamet 3üge; fie wiebetholen fid} in allen obet hoch in nieten bet 
unb Kattebtamen, bie feit 3. ©. Sdjlummbetgets „Sieutnant oon 
obet bie $lud}t bes Ktonprin3en" (Ulm 1834 ) in langet Heihe etfd}ienen fm . 
Heinrich Stümde 1 ) hat fie gemuftert unb u. a. auf ihte Berijaltniffe 311 en 
Quellen unb auf ihte mannigfachen Be3ieljungen unteteinanbet netwtefen, 

1) §of)en 3 ollernfürjten im Drama. (Ein Beitrag jut oergleidjenöen Eiteratur* unb 
ftfyeatergefchichte. Ceipjig 1903, ©. IDiganb. 



Don Robert Petfd) 


389 


unb bem Kennet wirb es nicht entgegen, bafe fid? auch bie heutigen Beatbeitet 
bes Stoffes nicht aus ben Banben biefer gar nicht oerächtlichen ÖbetHefetung 
befreit haben, obwohl fid} natürlich manche Übereinftimmungen aus bem gemein* 
famen Stubium bes fefyr Iebenbigen Buches non Kofer (oielleidjt auch bes 
Buches oon Stümde?) etflaren Iaffen. EDir greifen einiges heraus, toas 
immer wieberfehrt bei biefen Dielen Diätem, unter benen bodj immerhin 
Kamen wie <D. £ubwig, 3 . Ulofen, fjeinrid? £aube unb in jüngerer 3 eit o. b. 
Pforbten unb ein gefdjidter ü^eatermamt wie $erb. Bonn erfreuten. Bor allem 
ift cs lehrreich 3U fehen, roie bie oetjdjiebenen Bearbeiter fich um bie halbe 
Paffioität bes Prin3en irgenbroie hetum3ubtüden fudjen. Bistoeilen erf^eint 
$riebri<h XDilljelm I. gerabe3u als ber fjelb, ber jidj in fchweren ©ewiffens* 
quälen winbet, aus benen ihm bann meift bas hiftorifche EDort: „©s tue ihm 
leib um Hatte, aber es fei beffet, ein ITCenfch fterbe, als bafe bie ©erechtigleit 
aus ber lOelt !äme", unb roeiterhin bie Belehrung bes Sohnes, auch wohl ber 
3 u|ptu<h erprobter Diener heraushelfen mu|. Bei ben meiften aber tritt 
Hatte gan3 fraglos in ben IKittelpunft bes Dramas, toohin et auch nach &h- 
Sontanes Urteil gehört: „(Er ift bet fjelb unb er be3aljlt bie Sdjulb." (Ein Siebes* 
oerhältnis mit einem eblen Ittäbdjen macht ihn wohl noch mitleibroürbiger 
für ben Durchf<hnitts3ufchauer, not allem aber wirb feine Hat gern als ein 
(Dpfet für ben Prisen hi n 9 e |tellt, ben et benn auch auf bem ©ange 3um 
Schafott 3U einer folöatenmäfeigen Den!* unb fjanblungstoeife unb 3ur Unter* 
wetfung unter ben IDillen bes Daters belehrt — feljt bequem für ben Dichter, 
ber fid) bamit eine eingehenbere Begtünbung erfparen !ann, ben Prisen aber 
gan3 in ben fjintergrunb brängt. Anbete roiebet haben bas gefühlt unb ftellen 
Hatte bann nicht blofe, toorauf bie Quellen hinleiten, als einen lodern jungen 
Sebemann bar, fonbetn als gemiffenlofen Streber, ber fich etwa bie ©unft bes 
fpätem fjerrfchets 3U fichem fu<ht —bei bem oerhältnismäfeig noch jugenblichen 
Alter bes Königs ein merfmütbiges Unternehmen, ©eigentlich werben auch 
bie [«bäuerlichen Umftänbe bei Hattes fjinrichtung gemilbert, fo bafc ihm etwa 
ein ehrlicher Solbatentob burch bie Kugel 3ugebilligt wirb. Das entfpricht benn 
bem Bemühen einiger Dramatifer, auch fonft bie ©ejdjichte nicht blofj burch 
ertergifdje 3ufammen3iehung 3U oereinfachen, fonbern ihr bie fchlimmften 
Stacheln 3U nehmen. Da fallen oor allem bie TUifehanblungf3enen weg; 
bie $olge ift 3umeift, bafj bie Sludjt bes Ptin3en uns als ein Ausfluß non $eig* 
heit ober hoch unwürbiger Schwäche erfcheint. ©etn wirb auch auf öie ftarfe 
Sinnlichfeit bes jungen $riebrich Ijingewiefen, bet etwa am fädjfifchen fjofe 
ben £0düngen eines fchönen $rauenlörpers nicht wiberftehen fann. Bei ben 
Auseinanberjetjungen 3wifchen Dater unb Sohn fpielt natürlich auch öie $or* 
berung bes Königs auf fofortigen ©h r °u®et3icht ihre Rolle, bie $riebri<h fchlag* 
fertig mit bet ©egenforberung beantwortet, bet König folle ihn 3unä<hft als 
nicht ehelich geboren erfläten. Bei ben Derljanblungen bes Kriegsgerichtes 



390 


Der gegenwärtige Krieg unb bas beutföe Drama 

gebenft bet König bann wohl gern bet geistlichen paraUeloorgänge am 
^ofe König Philipps unb peters bes ©rofeen, um im flnfälufe öatan feine 
eigene Stellungnahme 3U entwirf ein. fluch bie Stellung bes Prisen 3m 
Präbeftinationsfrage, bie nach Kofers Darftellung bet letzten flusföhnung 3eit s 
meflig ein Embernis bereitete, wirb gern mit in bie Darftellung oerwoben. 

3 m übrigen macht eben bie nollftänbige flusföhnung ben Oramatifem bie 
größte Blühe; foweit fie fi<h nicht um bie ©efchichte nach ber Einrichtung Kaltes 
überhaupt herumbtücfen, fuchen fie hoch bie Dorgänge ab3utür3en, bamit bet 
Strom nicht im Sanbe oerfiege. Da ift benn bas einfachfte Iffittel bies, bafe ber 
König unbeobachtet ber Einrichtung Kattes beigetoohnt hat, um bann fofort 
ben faffungslofen prin3en auf3ufu<hen unb an feine Pflicht gegen bas Datei 5 
lanb 311 erinnern, fluch öet 3 ug fehlt nicht, bafe Srifeens Derhalten in biefet 
furchtbaren S3ene gleichfam bet Prüfftein für feine Sinnesänberung fein foll 
unb bafe ein 3 aeitet Sarg für ben $all bereitgehalten ift, bafe er jefet oerfagen 
follte. Damit totrb alles IDefentUche gefagt fein; mir tonnten Dielleicht noch bat* 
auf hmtpetfen, bafe bie halb humoriftifchc S3ene, wo ber König feinen Sohn 

b Ü m f lot J nbIafett überra ^ t unö Quan3 in ben Kamin flüchten mufe, 

oftmals ©nabe oor ben Augen ber Dichter gefunben hat. 

/c . Öie U1tS ^ cutc DorIic 9 cn öcn Stiebrichsbramen non (Emil Cubmig 
S r' Kr ° nptin3 D ° n Berlin, S. $if<her), oon Eermann Burte 

it «ri I? 3 ?' ®* K< Sara f in ) unö D °n Paul ©rnft (Preufeengeift) auf ihre , 
Itoffhchen Beftanbteile hin aufmertfam muftert, ber toitb halb entbeefen, wie 5 
ote fie mit ihren 3ahlrei<hen Dorgangem gemein haben. Bei Subtoig finb 
efon ers ie farbigen (Edelheiten, bie toirffamen Bilber unb tröftigen (Effefte 
f- l ®j cbc * 3 ufittben, bei Burte bie offene bramatifche Parteinahme 

für Katte; bei (Ernft fcheint nichts oerloren 3U fein, toas bie älteren Dichter für 
te on 3en ation bes Stoffes unb oor allem für bie ethifche Dertiefung in ber 
gan 3 en fluffaffung ber gerichtlichen Dorgänge (man fühlt fich nerfucht, 3« 

er 1!ir r. *« ^ ub ^ m * eTun 9 ) getan hatten. Dabei ift nicht immer notroenbig 
„(trmehnung entnehmen, unb jebenfalls ift Art unb ITlafe einet folgen an 

r» 6 f~ vl 6 3U un * cr f uc h cn - Bringt hoch jeber unfrer brei Dichter bes 
Wörtlichen genug mit, um oor ber Kritif feinen ITlann 3 u flehen. 

. T?.®! 9 9 ehört ber mobemften ffiruppe unfrer Dramatifer an; 

ffW? m i Ci ^. t ! id?en ' poIiti ^ en unb ethnographifchen Stubien feinen Blid 
l , öos me nfchliche gefchärft, auf Keifen fein fluge für bie (Erfenntnis ber 

unb Umgebung gefault; er hat enblid} in fcharfen 
31+^1 ^^en fntifch fein fünftlerifches ©laubensbefenntrtis gegenüber ber 
J" * " Generation öargelegt. Sein Drama oerrät benn auch allenthalben 
tul «St" 3U ! a !? 1 mCn ^. <m 9 mit öem urfprünglich aus bet Malerei in bie Dich' 
fonb<*m eingebrungenen Smpreffionismus. nicht Älte, 

3 ehn über werben uns oorgeführt, S3enen oon annähetnber Selb* 



Don Robert Petfd) 


391 


ftänbigfeit, oft mit humoriftif<h*gemütlichem ©mfafe, 6ic bann rafdj 3U ötama* 
tifc^er Bewegtheit aufgetrieben werben, immer aber {ich nicht blofe butdj ihre 
fdjatfen Umtiffe, fonbetn butd} ihre reiche, meijt falte Sarbengebung unfrem 
innem Sehoermögen beutlidj einptägen. Cubwig oerbanft fie wohl mehr 
feinet $ähigfeit, Htenfchen unb Umgebung ber ©egenwart, f^cmblung unb 
Stimmung 3ufammen3ufehen, als feinen 3weifeIlos einbrhtglichen, gefd?tdjt= 
liehen Dorbereitungen; benn biefe hüben ihn eigentlich in bie wirfKdje Art bes 
18 . 3ohthunberts wenig hineingeführt, minbeftens nicht in biejenige bes preu* 
feifefjen fjofes, beffen fltmofphäre 3. B. Burte beffer 3U treffen weife. ©leich 
bie Sprache 3eigt uns bas. TTlit $ormen wie „nit" unb unbeutfehen Safebilbem 
erweeft man nicht ben ©inbruef ber 3 eit, unb wenn betfelbe König halb fran* 
3öfelt, halb auf gut Berlinifch „mir" unb „mich" oerwechfelt, halb wieber eine 
würbeoolle Sprechweife gebraucht, fo ift bas felbft aus bem oon Subwig belieb* 
ten, nichts weniger als gefchid}tli<h treuen Stimmungswechfel bes im ©runbe 
hoch graben unb einfachen $ürften nicht 3U begreifen, ja es wirft ftellenweife 
gerabe3u fomifch- fluch pafet ber feljr freie ©on, ben fi<h Hatte unb befonbets 
ber Ktonptin3 gegen bas weibliche ©efchledjt, unb nicht blofe gegen potsbamer 
IKäbels erlauben, beffer an ben fjof flugufts bes Starten als an benjenigen 
Stiebrich Wilhelms. Htögen foldje S3enen oorgefommen fein (wer wollte 
es leugnen?), fo entfprechen fie hoch unfrem gefchichtlichen Bewufetfein 3U 
wenig, als bafe fie nicht peinlich wirften. Aber bas ift nur ein 3 ug unter 
ben oielen, bie aus ben bisweilen tyrannifdjen, bisweilen „libertiniftifdjen" 
ATenfchen eines rationaliftifchen 3 citalters mobeme Heroen* unb Stimmungs* 
menfehen machen unb felbft bas oon bem König befämpfte Dogma bet 
Präbeftination als eine Art Dorftufe bes mobemen Heroen* unb Hlilieu* 
fatalismus ausbeuten wollen. Das ift ihm benn auch &is 30 einem gewiffen 
©rabe hetoorragenb gelungen, nämlich gerabe fo weit, als fi<h ber Stoff biefer 
fluffaffungsweife nicht wiberfefet. Htenfchen oon fo ausgebilbetem Heroen* 
leben würben fid? oermutUch gegenfeitig nicht in folche fchwierigen Sagen 
bringen, ©inen Stritt weiter unb bas ®an3e befäme ben flnftrich oon Peroer* 
fität, ber auch biefe Unftimmigfeit beheben, bie fünftlerifche Wirfung aber 
noch weiter beeinträchtigen würbe. Diefen Schritt hat Samuel Sublinsfi mit 
feinem geiftreidjen, aber im gan3en bod} wiberwärtigen „Peter oon Rufelanb" 
getan, währenb ihn Cubwig glücflich oermieben hat- Alles in allem ift ihm 
bo<h, trofe ber oft ftörenben epifchen $ührung ber fjanblung eine emfthafte 
pfy^ologifche Dramatifierung eines gefchichtlichen Stoffes, wenn auch fein 
gefdjichtliches Drama gelungen. Das gilt befonbers oon bem lefeten, fchwierig* 
ften ©eil, in bem fich Subwig mH bem Problem ber flusföhnung 3wifchen 
Dater unb Sohn ehrlich abgemüht hat, ohne bafe freilich feine Söfung febermann 
befriebigen fönnte. Durch bie gan3e erfte Jjälfte hat bie $ühtung ber König 
gehabt; er gibt mH feinem höhaiföen Worte, ®t, an ber Stelle bes Krön* 



392 


Der gegenwärtige Krieg unb bas beutf^e Drama 

. f n J t3en ' „ tD j . ätc f cincm Dater baoongelaufen, bas erregenbe Iltoment her; aber 
in bet prächtigen, farbenfatten unb ftimmungsfchroeren S 3 ene 3 u Steinfurth am 
rtedar null eranben Sluc^berfud) nicht glauben, bie Hat oor fid? unb feinen 
Offneren oetf^Ietem unb feinem Sohne fogat 3 ugeftanbniffe machen—freilich 
ctne gan 3 merfmurbtge flnuxmblung bei bem fonft fo mifetrauifchen manne, 
a - U A ÖC " ? t ldjtet 3U öem »zweifelten mittel einer Briefner* 
Zf 9 "T* Ha ^ er ift ***** «WWm wieber gan 3 ber Alte, unb bie 
f cs 9 c 9 cn Katte, bie ihm müljfam genug entrungen 

u)erben, toiberfprechen feiner Art nicht; bafe % $rau non Hocoulles burdj 

f.!L 5 ff"r etS ? l ! <Jtbenlo ^ i 9 feit öet 9taufamen Däter Peter unb Philipp 
b benHtc^ macht unb burd, bas fd^e tDort, „ber Batet falle feinen Sohn 

f °p ci 19 unb ® u 9crtb abfdjneiben", enbgültig umftimmt, ift 

fogaraufeerorbentlidjfein beobachtet. Hatte mufe fallen, um ben Kronprin 3 en 

™ T ? n|t ö f £cbcns 3 U über 3 eugen: „hilf", betet ber einfame König, 
^ 9cben * l " c <&f*«terung ber Seele, auf bafe er gereinigt roerbe 

Cuhmm pa v r^ r ^ n ö ^Kgen. ^ nun öurdjaus an3uerfennett, öo& 
Sa wL?5 ! ?>T T* Ici ^ 9emad}t hat. Oiefet launifch»ego 3 entrif<he, 
aeniebßMbo^nrt ° mcb *y9efchlagene, halb 3 ynif<h fchroelgenbe, halb geiftreich 

AutoritrH- k ann lC ^ c * nem Schlage ober gar auf bie blofee 

f bcm fP«tanifchen 3 beal feines Daters befemten; ba 3 u 

1 mW ö °?j r 3 . U f tarf bctont worben. <£s ift oon Cubroigs Stanb» 

f - 1 T/ifeiT ^jj^fZigt, bafe et Hatte ben nottoenbigen Ausgleich früher 
Lj " Imn ? eCr eben Ö0d? cine ein fa^cre Hatur als $tife, er geht ihm 
T °° ran “? fann öcm üb erlebenben roohl ein paar emfte IDorte 

ES , 2 "** C T 9 ? dmcn ® an 9 (wieber ein „romantifches Requiftt"!) 
unb LS 9ut ^ utl 9 eJ am werpräfibent münchoro im Kerfet 3 u Küftrin $rife 
Der ** ^ ^^^kaollen Sturtöc rtodj einmal 3ufammen. 

iiddtTb IST T £CUtttantS in w M 3um Sofrates ent» 

bat Dnn D ° m ^ eBcn ' ^ as f° manchen ©enufe gebraut 

ift mnb neVh^l T ^ cbe * Dorherbeftimmung ift alles, aber toas gesehen 
tZn Ä T " UnÖ f ° fann cr flU ^ „gerechten" Könige gerecht 
er felber of» 05 ^ ^ ein ®^ au6e an $riebrichs 3ufunft, bem 3 uliebe 

lJt JZ T aUS bcm £cbc " 9 eh*. tDofür er fich opfert, 

ift fllbT 61 1 Petf ° n aI$ Cin Be9ri ^‘ .^as, fchulb! hier, ber ba mohnt, 
®nS führt 61 " Dam ° n J mdn 0ämon - »«* *« Saturn eingepflanjt. 

©einer unb mLT ÖCTt f ü f? rt et empor. Dorherbeftimmt, 

mit tDeltffuabMf Cr ’ flber . We f em Dämon heifet es Opfer bringen, hei&t es 
n)eltanf*aiJHtt » atb Hf en ; gan 3 im Sinne einer mobem»„moraIinfreien" 
fchmelaefei W *'*11 dne Ö^egentliche, religiös*ethif<he Stimmungs» 

ich nicht antommt, fpricht Hatte fein Dermächtnis aus: „®ib 



Don Robert petfä 3g3 

aty, bafe bu hmauffommft! grife, roir finb ©ne unb 3»eL Oer König ift 
Gaufenö unb ift million. ©ib nach, auf jebe Konbition! Bereue! Oerfpricb! 
©ib nad)! IDas liegt an brei tüorten!" Bei Kattes fjinridjtung raft grtebttch 
rote ein gefangenes Raubtier unö bricht enblidj in ohnmächtiger tDut 3ufam* 
men — nad? folgen (Erfahrungen geht trofe aller fataliftifd?en Weisheit 6as 
©erotffen, bas (Befühl ber Derantroortung mit bem Kälteften butd?. © benft 
an Selbftmorb, aber bet ©nft bes gelbprebigers müllet läfet ihn benn bod?, 
roenn aud? ohne Reue, für fein £eben 3ittem. „(Tatenlos fterben", entfefelich 
für ben, ber an feine 3u!unft geglaubt bat. mittler bat leicht fpotten über 
ben gatalismus, ber fich boeb fo gern an bie meinung bes Rtenfdhen oon ficb 
fe^et leitet; aber bie Derantroortung für Hatte bleibt befteben unb hält feinem 
gatalismus ftanb. t?ier ift eines ber grofeen Rätfel bes Dafeins, bas ber Dichter 
m<bt löfen roitt, bas nur unfrem gelben feine büftere Rachtfeite 3ufebrt. Aus bem 
mtrtfal reifet % enblich ber ©ntfdjlufe, bas 3beal 3U erfüllen, bas et felber 
unb womöglich noch treuer ber greunb oon feiner 3 ufunft im Bufen getragen 
Qat: „Da fcfjtuor idj mir unö iljm, idj mollte meine ©retten fprengen öermal* 
einft, bie ©ten3en braufeen unb bie fiteren im ©eifte! preufeen über ©uro* 
pas Schulter roaebfenb! ©eift roachfenb über preufeen!" Das ift freilich gan3 
etroas anbetes, als ber König oerlangt, aber ber oon grife als Pfaffe ge* 
fchmäbte, für biefe Umgebung merfroürbig aufgeflarte Seelenberater ift ebel* 
öenfenb genug, es für ooll 3U nehmen unb bem König in geeigneter gorm 
Darüber 3U berieten. So fommt öie Derföfynung öurdj einen falben Betrug 
3uftanbe, unb biefe Geehrt« bauert fort. U)it laffen uns fie allenfalls gefallen, 
roeil roir bie ©npfinbung haben, bafe griebrich auf bem tDege 3um £eben 
nach eigenen ©tunbfäfeen, aber hoch nach ©runbfäfeen ift (roobei uns freilich 
unfre Kenntnis ber fpäteren preufeifdjen ©efdjichte geroaltig ben ©lauben 
ftarfen mufe). Bei ber tjodjjeitsfeier bes ©rbprin3en oon Bayreuth unb bet 
Prin 3 effin UMlhelmine, bie fid? ja (für ben Dichter feljt bequem!) oon ber 
3 ufunft nichts erroartet als eine Stube ooll Kinbet, tritt grife feinem Dater 
mit oetbiffenem ütofe, aber auch mit bem tDillen gegenüber, Kattes Dermächt* 
uk 3U erfüllen. Ruf oerfängliche gragen bes Königs antroortet er ftreng bienft* 
uh, ober inbem er bie Rebe auf bie Spinnerei ober ben ©ftfeehanbel bringt, 
et aüebem fühlen roir burch, bafe ber Ptin3 3toar auf jebe tief greif enbe 
«useinanberfefeung mit feinem Dater oe^ichtet, für beffen £ebensarbeit aber 
o^ einiges Derftänbnis gewonnen hat; unb gan3 ehrlich ift bei bem fünftigen 
5 hettn bie Sehnfucht nach bem Degen, ber fo3ufagen eine fymbolifche Bebeu* 
ny in unfrem Stüde hat. Alter Solbatengeift unb jugenblidjer (Eatenbrang 
retten einembet fchliefelich bo<h bie fjanb, fo bafe bie Derföhnung nicht ben 
peinlichen ©jarafter eines Scheinmanöoers behält, ©ne ungeheure Denf* 
° r J'jl' ^ubroig hier geleiftet hat, aber ob es ihm gelungen ift, alles „®e* 
achte auch 3um ©efühl 3U erheben"? 



394 


Der gegenwärtige Krieg unö öas öeutfd,e Drama 

mittetoLftleTn^ n etman ^i Urte ' Öer Kattes W« hoffen in Öen 
(Emil Cuötoia (fr m « r T“ ^° Ü dncr 9a " 3 anöeren Hi^tung an als 

fonöern oor allem w tnT neroo f en - moöernen Stimmungsmenfcfjen geben, 
refstaat bü Z n fr ^ UWÖ Rdfen Kattcs ' öcs »M*«* öes ®ffi 3 iers, 
pro 3 efe oerftebt ftbjfx ^Tr, U>0run * er er 9 an 3 offenbar einen <5efunöungs : 
befcbränften ^unärftft ° S ^ ^. nre *f, e ® en ‘ e Srife unö über Öen echten, öoeb 
ftatt ©pfer ©ehnrf nur auf öie näcfjftliegenöen Aufgaben gerichteten unö 
£ Äes Übcr öie ^ingebenö um öas £eben 

König gegenüber inlf ^ nn3e ^ n ^ühelmme unö über Öen treuen, auch bem 
über fie alle mäcbff he r? T ^ e ^ 9iö f en befangenen $elöpreöiger IHüIIer; 
©ffbier un 5 SonHo * w ^ 6 ^ d?Öne ' aber öur ^ BiI öung unö (Seift glän 3 enbe 
begeijtertef Dereb^er ST* Sreunö öes Kronprinjen, als 

wäre falfcb ni f aopn ~ 0TU9S '. aIs öehaltener d?riftlicf?er dffaraftet. (Es 
habe- früfaeitia hnr' v- Ude dc ^ c ® an ölungen nicht genügenö motiaiert 

K'fiteSö'S,? “t Über MC ^übarenV b perpänöniffe 3 # 

SemT tZn!ntJZV ie ? bdÖC ds .'^ »ge M en 
anöeutenöen a r + n + f ^ en Der f a 9t hoch bei öer all 3 u toortfargen, mehr 
wirMm Anfaiw ^alsf fof S ’ ® e y^änönis für Öen 3ufammenhang. Hatte 

gen mit öent Dreöin mm . f: ^ e 3 ei <^?net, aber bei feinen fpätem Unterreöum 
alfo 2 öas bKÄ r m f n "* ieöcs ® n 9 e hen auf öfefen punft, tnarum 
iing r^-^ 09 ^ Unö 001 aIIem: lebensluftige Ä 

öö S:& ^ anöc in gefährliche Spiel, weil er inmftten öes 
5euer 3 utltn , „h r 9U " 9 itaaä ^ meü es Sreuöe macht, mitöem 
Puppen tan 3 en m Iaffln *11 ?'^ ^ anta f ie 9*eichfam öie ©rofeen öiefer (Erbe als 

wehr blofe um feinen Koofl” ?*"* ^ ^ ° US Öem Spie1, cs ^ nid)t 
öie Ruhe (Europas (Er b f * • ° nbcrn um öen Stieöen öes Daterlanöes, um 
öie er felbft aufs fornf-u- » Cmc Sd?uI0 öaran < öafe $rieörict?s Slucfjt mißlingt, 

* mEbSÄ?* m tb ? a ^ ^ atfe - ® et *•**«» S«w* 

■$" unö öie ptinieitin , u btü ® mil 9 e Wajen bat, i[t et fofort entfcfilolltn, 
fpraAe feines Kn!£ 3 Ö f . unö ftd ? 3u opfern. Oie all 3 u fnappe Aus» 
©eiftesnichtgan 3 miterrmf €nt ^ d?Iu ^ es Iä fe t uns öas Reifen feines 

eleganten, faft frioolen KanV"' S ^ ne inncte £a 9e ift fchlimmet, als mir fie öem 
prin 3 en fliehe breebe i* ho 3utrauen mö d?ten: „IDenn ich mit öem Krön» 
wie iA follte ' brptb x m ^ ont 9 ^en (Eiö. IDenn ich es öem König an 3 eige, 

w öiefen:2Äan^Ka« W 9 * md « 

f^eint, rät 3 ur Qlnrht y u wwöeftens fooiel roie an ihrem Bruöer gelegen 
«Hl ö e Sl aUCn 3a,dfcIn Cin *" öc würöe. Aber Hatte 

rSÄTS R0 “ C 1“ toÖe fÖ * K "' “ u 6as 6em ^ 

öem fier 3 en öes Km« • , nn ITt ^er Schlacht ein feinölicher Degen nach 
Bruftforb auffanaen Prm3 ^ n 3 ‘ eI f e ' würöe ich öa nicht Öen Stofe mit meinem 
9 » um öas wichtigere £eben 3 u retten? Als Solöat, als 


Don Robert petfd) 


395 


Kamerab, als $reuni>? Seine Haltung 3wingt Öen« audj bem König fchliefe* 
lieh eine gemiffe Bewunbetung ab, fo bafe et bet Verurteilung ben fdjimpflidjen 
Beigefchmad nimmt, obwohl et für ©pfet lein Verftanbnis hat. Bei allebem 
wirb uns nicht recht »erftanblich, wie Hatte, bet Cebemann unb $reigeift, im 
lebten Alte bann plöfelich „belehrt" etfcfjeint. Der Dieter hat bie widjtigften 
Urrtettebungen 3wifcf)en feinem gelben unb bem $elbprebiger IlTülIet hinter 
bie S3ene »erlegt, nicht 3um Vorteil feines tDerles. IVenn Hatte ftd? fefet 
„Unfchulbig oot bet tVelt, bod} nid)t oot ©ott" empfinbet, t»enn er fi<h bann 
»riebet in feinem Sünbenberoufetfein wahrhaft habet unb felbft feine Heigung 
3U bet Ptm3effin »erleugnet: 1 2 ) wenn et mit feinem „Garde de l’äme" unb 
feinem Butfcfjen Kttchenliebet fingt unb u>enn er enblidj noch »om Sanblfügel aus 
als „lebten EDunfd}" fein „Gs lebe bet König" in bie tVelt hinausruft — bann 
müffen ungeheure Dinge in ihm »otgegangen fein, übet bie nrir Redjenfc^aft »et* 
langen bütfen unb müffen. Butte hat fid} aber getabe hiet bie Sache leidjt gemalt, 
er »etweift uns offenbar an bie unmittelbat übet3eugenbe Kraft bet religiöfen unb 
»aterlänbifdjen tDerte; bas mag im Ceben fehr ehrenwert fein, in bet Kunft ift es 
ungenügenb; urir »erlangen, bafe biefe IDette erft auf allgemein menfdjlidje 
be3ogen unb bann toiebet gan3 perfönlich gefaxt unb mit bem ©ewebe bes 
ein3elnen d^ataftets aufs forgföltigfte unb übet3eugenbfte oetbunben werben, 
wenn fie unfet fjet3 mitteifeen follen. Sonft bleibt bas Drama im ©eleife bes 
„Dollsftüdes" gewöhnlicher Art fteden unb erfefet burdj Rhetoril, was ihm an 
Pfychoiogie abgeht. Von biefem Vorwurf tarnt man Buttes tDerl laum gan3 
fteifprechen, trofe bet unleugbaren Kraft bet bramatifchen Kon3entration, trofe 
bet wirlfamen Anlage unb $ül}tung ber S3enen, fut3, trofe bes echten <Ih e ater* 
geiftes, bet biefem Vinter, einem bet Beften unter unfren IDetbenben, un* 
3 weifelhaft imtewohnt. tDir 3weifeln nicht, bafe feine Dichtung allmählich meht 
unb mehr ben tDeg 3Ut Vertiefung unb Verinnerlichung gehen, bafe er niemals 
nach billigen tDirfungen ober nach bem Beifall bet oben ©efchmädlet ftreben 
wirb. 

©etabe an bet Stelle, wo uns ©mil £ubwig mitten in 3®eifeln fteden 
Iäfet unb wo fjetmann Butte uns nicht recht über3eugt, fefet Paul ©rnft mit 
feinet gan3en, in fttenger 3 ucht geteiften Vatftellungsgabe ein.*) 3 h m fehlt 
bie impteffioniftifche $atbenptacht bes etften, nach bet et auch nicht gety, 
ihm fehlt auch »iel »on bet TDatme bes anbem, bie et nur gelegentlich in feinen 
beften Augenbliden (u. a. in bem fwgliih etfthienenen „ITCanfreb unb Beatrice" 


1) „£iebe aus (Eitelfeit, aus Rufjmfudjt; £iebe, bie man (ich einlügt, ©eil bie (Beliebte 
hoch fleht ober reih ift ober oiel begehrt ©irb, joldje £iebe?! Das muff bodj eine Sünbe 
unb S<hanbe fein, benn es oerfälfht bas roichtigfte ©efühl im Ulenfchen." 

2) Das neue Drama CEmfts ©irb oermutlidj erft nach bem Srieben im Dtucf erfcheinen. 
Um fo mehr finb ©it bem Derfaffer 3 um Danf nerpflichtet, ber uns (Einblicf in bas Bühnen* 
manuftript erlaubt hot. 



Der gegenwärtige Krieg unb bas beutfd)t Drama 


396 "— 9 " 

m «Tüttel 111 6-7) «tei#, ab« « g*t mit b« un«Mttluf|en Saig« 

fünÄen Art mandje ieÄn^om unfet u^W, 

Begtünbet unb bet folgetedjteften Be 1 ^ anfnüp { cn »Ul unb bie 

bie an ^ebbels fttenge fluftaHung bet 9 fd}wetwiegenben Auf* 

«au u>o*l als « 3 ,smus - 5— <* 

fäfcen, beten Sammlung („Oet weg 3 5 mo 5 etnen Stagöbie bie Dar* 

läge erleben fall, beftimmt et als flufg *„ n ;+ a ttitifd)es 3eitaltet fyetoor 
time, bes HMP> «“** '“Äffi.Ä i »m 
bringt, bas Kampf« um S* brm »Uta 

Dlobetnc b« 3 n*a» b« Stagota i«n. 5?1 |m«tWi« 

3 u, 3 utegration unb b« ££* taun nur * b« 

. 3 nteteffe füt bie Integration bes Bof ^ ba$ ^taglidje, unb 

(buten unb Keinen in S™ 9 C fo ^ meT J ä U . J bem natutaliftifdjen Sllufionis» 
io geijt (Etnft aud} bet S otm & es $ >, Siiebticbsbtama leine 

mus, fotgfam aus bem Wege. <Et \ite Uatfete Söne Derlei# unb 

#ftorifd)e Sptadjfotm an; obwohl et ^em König \ ^ ^ gan3Cn an 

ben pti^en fid } mit lytijd)et Breite ergeben l fet, $ *5 » roic ^ bem 

einet gUen au* in bet bie 

©ebalt bes Stoffes entfpndjt. Btefet Stoff ift nun a Iiegt bem 

unfrem Bittet gan 3 befonbets mUItommen fern b % bet 

aefcbid}tlidjen (Ereignis lebten (Enbes bo* bie Integration 

K«m£in 3 fi* aus bem Wittfal bet ©efü#e butd, 
befteHat! menn *m bas in i<men trüben Sagen 

modjte, fo tjat bie golge 3 eit beutlt* getmg g 3 9 ' » on bet Seite 

*n 3U begnabigen, nie# blofe Pteufeengeift 

bet lüften Betufspflw# Tjer. Wie ijat bet fri* t#l Kö [u lbet «ns 
beriefen. nadj bem bas gan 3 e Wer! benannt ift, unb ben bet König fe 

beutet: Hein, Königin, mit lieben unfre Wü^e. 

mit ooUem Segen ift fie xöo^I bc <J n *- . 

Doch nidjt, um teidj 3 u toetben,Jdjaffen m • 

©lüd ift bie Arbeit uns unb ©ottesbienft. 

Wir wollen unfre Seelen ^ötjer bilocn, 

Unb ©ottes wütb’get werben, bet uns faR. 

Den U)et!tag ^eiligen foü audj mein Soljn, 

Denn eines ©elftes ift bas gan 3 e Do«; 

Wenn idj bie tönigl«# Kedjte lege 

3 n eines fltbeitsmannes fdjwiel ge _^ anö » „ 

Dann wiffen wir. 3mm Btübet gtufeen ft«?- (Mab 

3 u biefem pteufeengeifte alfo mufe bet ptin 3 but^ bie 

tungen Ijinbutdjbtingen. Bon biefem Problem ift alles an 



Don Robert petfd) ggy 

ftofflidje Auswahl, bie Anlage unb ©tuppierung ber ©haraftere unb bie 
gefamte $ormgebung überhaupt. IDas bie Aufmerffamleit bet 3 ufcf?auer auf 
biefen fjauptpunft ftören fönnte, mitb (oft 3um Staben ber plaftifchen An* 
j^autidjfeit) fallen gelaffen; ba gibt es feine Ptinjeffin IDityelmine, bie einen 
Prisen oon Oales heiraten foll, ba fdjtumpft bas ©efolge bes Königs auf 
eine ZKinbefcafyl oft fd?attenl?aft be^anbeltet ©eftalten 3ufammen, 3um Kriegs* 
geriet metben btei 3uoerläffige IKännet geftellt, bie getabe in ber Umgebung 
bes Königs finb, oon intrigierenben Höflingen ift feine Hebe; unb an Stelle oon 
Karies 3ahltei<hen „£iaifons" erfdjeint ein $täulein o. UHnterftein als ehrbare 
©eliebte, bie ben Prisen unb ihren $reunb retten toill unb fie ins Derberben 
ftÜQt, inbem fie bem König ben $lu^toerfudj oerrät. Sonberbat, bafe fie ben 
König nicht beffer fennt, fonberbar auch, bafe bie $lüdjtlinge ihren plan nicht 
beffer oetbergen; um foldje Kleinigfeiten fümmert fidj ber Dieter nicht, bem 
es auf gan3 anbere Dinge anfommt. Seine gtofelinige Darftellung liebt feine 
©rtstoedjfel, feine leuchtenben gef^idjtli^en $arben; mir miffen faum, ob 
bie $iguten fielen ober fifcen, mir bürfen nicht fragen, marum fie in biefem 
ober jenem Augenblicf bie Bühne betreten, mir follen nur auf bas Problem 
felber mit allen Dritteln hingemiefen merben. Der König fennt nur bie Pflicht 
gegen ben Staat, $rifc macht bas Recht ber Perfönlidjfeit geltenb. XDeil „feine 
Seele 3arter unb fein £eib empfinblidjer unb fcbroäcfjet" als ber bes Königs 
ift, roeil er fanfteren Regungen eine Stelle einräumt, mirft ihm ber Dater „ge* 
meine Schlaffheit" oor, bie bem fünftigen Behertfcher eines emporftreben* 
ben unb rings oon $einben umlauerten Königreichs nicht 3ufomnrt. Damit ift 
ber ©egenfafc 3roifdjen beiben in feinen allgemeinen Sormen gegeben unb — 
eriebigt. ©rnft mill nichts miffen oon ben unerhörten Rri&hanblungen, bie fid? 
ber Kronprin3 gefallen taffen muffte unb bie ihn 3um ©ebanfen an bie $lud)t 
oeranlafjten. Diefer König ift oiel 3U ebel, um anbets als allenfalls mit rohen 
IDorten 3U oerleijen, unb feine ©emahlin oiel 3U ho<hftehenb*farblos, um Sntri* 
gen 3U fpinnen. Das Bilb bet englifchen Prin3effin, bas fie bem pri^en 3cigt, 
foll nur auf fein ©efühl mitfen unb fein fünftiges ©lücf oorbereiten; ob fie mit 
bem König irgenbmie ernftere Rücffptache über ben ^eiratsplan genommen hat, 
bleibt uns 3iemli<h nebelhaft, ©enug, ber prin3 oertiebt fief? in bas Bilbnis: 
ein Rlotio, bas beffer in ein ITCärdjen als in eine fehr ftreng geft^loffene ©ta* 
göbie gehört unb 3um minbeften einen Schein bes Phantaftifchen auf feine 
Pftfon fallen läfet, ber 3U feinem fonftlgen IDefen nicht fo gan3 ftimmt. ©enug, 
Srih mill bie (Englänbetin heiraten, unb gerabe ihre Ijanb muff ihm ber König 
oetroeigem. Dies ber befonbere Konflift, ber eigentliche Anftofe 3U ber tragifchen 
hanblung. IDohl möglich, ®ie einige Krittlet gemeint haben, bafe ©rnft erft 
unter bem ©inbtud ber lebten 3eitereigniffe bie ftarfen ©öne gegen ©nglanb 
gefunben hat. bie uns bei meitem nicht fo peinlich berühren mie ©. £iffauets 
„ftafjgefang". immerhin ift bas Rtotio bes XTrifjtrauens gegen ©nglanb, bas 



398 


Der gegenroärtige Krieg unft bas beutfdje Drama 


freilich als foldjes gefchichtlid? gegeben unb unjmeifel^aft oon Anfang an bas 
ettegenbe Rtoment unfrei lEtagöbie war, nun im (Befamigefüge bet Dichtung 
ein bifedjen ftar! betont: 

Sprich mir oon (Englanö nicht. Kennft bu bie Spinne, 

ITlit öes (Erlöfers 3 «i<hen auf bem Rüden, 

©emäftet oon myähl’gen IRitgef^öpfen, 

Die arglos in ihr fdjanblich Reh geraten! 
tDo RTenfdjen fid) auf biefer (Erbe müljn, 

Sleifeig unb reblid) fich unb ihren Kinbetn 

Das targe £eben 3U oerbienen, fteht 

Dies tDuchreroolf, unb umdhert, lügt unb raubt, 

Plärrt fein (Bebet fcheinljeilig augenbrehenb, 

Bebrüdt mit gteiheii unb betrügt mit lEugenb. 

Sprich mir oon (Englanö nicht, Jprich jefet noch nicht! 

(Einftmals, fo hoff ich, toirb öie Stunbe fommen, 

Da beutfche (Eapferfeit unb freier Sinn 
Den Kopf 3ertritt ber Schlange, bie fich legt 
Um öie geängftigte, betäubte tüelt. 

Dann u)itö ein Atem öurdj bie UTenfchheit gehn. 

Den! an öein Daterlanb, an beine Pflicht! 

Die XDelt befreit aus englifcher (Bemalt." 

Die lebten 3 eilen 3um minbeften fallen aus bem gefdjichtlichen Rahmen etmas 
heraus. 3 mmerhin, ber Pnn3 barf bie englifche Prirt3effin nicht 3um IDeib 
nehmen, unö ba ihm bet Dater eine anbere Braut fchon beftimmt 3U h«b en 
fcheint, fo befchliefet er 3U entfliehen, um fein (Befühl 3U fchonen. Auf biefe 
IDeife rüdft bie fjanblung benn hoch in bebenfliche Rahe ber biofeen öebes* 
tragöbie in hohen Kreifen, unb öafe nachher bie erotifchen XRotioe fallen gelaffen 
merben unb nur noch oon ber Bahnenflucht bie Rebe ift, batin liegt tedhnifeh 
roxeber fein Ausgleich- Dagegen hat ber Dichter 00m II. Alte an bie 3 Ü 9 «l 
fefter in feinen fjänben. Dor allem hat et es oot3Üglich oerftanben, bie Kette* 
hanblung ber Prin3entragöbie ein*, ja untet3uorönen. Hatte mifebiüigt ben 
plan öes Proben, ftellt fid? aber feinen R)ünfchen nicht mehr entgegen, als 
ferne Warnungen an Srieötichs hartnäefigfeit abptallen: um ben $liehenben, 
er och nicht mehr 3 urüd 3 uhalten ift, nicht braufeen einfam untergehen 3U 
laffen, folgt er ihm roie bem Dorgefefeten, ber ihn auf eine tobbringenbe Unter* 
nehmung ausfenöen roolUe, b. h- er opfert fich für ben jungen hifefopf, her 
öte Pet3ensgute feines Daters merftoürbigertoeife nicht erfannt hat; er h«t 
reifete Dorftellungen oon Öen Pflichten eines Ejettfchers — auch in f? et 3 cns * 
faqen als fein $reunb, aber oerraten fann er ihn auch toiebet nicht» f<h on 
nicht als (Eöelmann. Das Kriegsgericht fpricht richtig aus, öafe Hatte „ausfalfh 
oerftanbnem Pflichtgefühl unö $reunbestreue feine Hat getan", aber ber Honig, 
fann ihn nicht begnabigen, toeil Bahnenflucht eben Bahnenflucht bleibt: er fann 
ihm fernen eigenen Degen mit auf Öen Goöestoeg geben, ihn aber nicht erretten 



Don Robert p«tfd| 


399 


oon 6cm (Enbe, öas feinet Ijanblungstoeife erft 6as letfte Siegel aufbrüctt. So fteljt 
Hatte als (Ebelmamt ohne Surdjt unö Tabei oot uns, 6et in feinet Doppel* 
eigenfdjaft als (Dfftyer un6 als Detttautet eines leichtfinnigen Prisen an einem 
unoermeiblicfyen Konflift 3ugrunöe geht. Aber biefet Konflift fommt eben 
mehr oon aufeen her, innere 3 toeifel gibt es für ihn nicht, unb felbft bie Daran* 
gäbe feinet Siebe !ann ihn nicht bis in bie liefe erfdjüttem. (Ebenfo leibet bet 
König unter feinen traurigen (Erfahrungen unb unter bem furchtbaren (Emft 
feiner Hufgabe, et fudjt fogar um bie fdjroerfte (Entfärbung h«um* 
3ulommen, inbem et fie bem Kriegsgerichte anoertraut, aber auch H? m 
ift fein IDeg burch bie Pflicht flat oorge3eichnet. (Ein IDort Kattes über bie 
befonbete Stellung bes Thronerben unb fein (Glaube an bie tünftige (Ent* 
toicllung bes Prisen halfen ihm freilich über fd}toere ©eroiffensbebenten 
hinweg, bie ber Begnabigung bes Sohnes noch im IDege ftehen, bann aber 
ftellt et bie (Entfcheibung, mmber oertrauensooll als Kleifts Kurfürft unb bo<h 
mit bemfelben Rechte, bem Schutbigen felbft anheim. Hatte hat in3toifchen 
bafür geforgt, bafj ber prin3 bie Probe beftehen lann. So tritt $riebri<h 
in ben IKHtelpunft bet Qanblung, benn um feine Sauterung ift es bem Didjter 
benn hoch oot allem 3U tun. Dorbereitet ift bie tDanblung fchon bunh bie 
Doppelertemitnis, bafe er Hatte, als beffen Detführer er fich felbft empfmbet, 
in ben Tob geftüt3t hat unb bafe bet König, in bem et nur ben 3 ®inghetm fah, 
ihn oäterlidj liebt, bafe alfo ber $luchtoerfudj ein tollfühner unb unberechtigter 
Streich war. Don einet tDanblung feiner fluffaffung oon Jjet3ensangelegen* 
heiten ift babei freilich nicht mehr bie Rebe, aber (Emft toiü wohl biefes befon* 
bete, nur im Anfang ein bifedjen ftarf betonte Problem bur<h bie allgemeine 
Befehrung $tiebri<hs 3U feinet tjerrfcherpflicht miterlebigt roiffen. Diefe 
Belehrung ift bas roichtigfte unb auch roettoollfte unb beftgelungene Stücf 
bes Dramas; fie ooll3ieht fich weniger burch bie Rlahnungen bes älteren $teunbes 
im Kettet oon Küftrin ober burch ben Tabel feiner tjanblungstoeife, bie nicht 
o>ie bei Hatte burch falfdjoerftanbenes Pflichtgefühl entfchulbigt roerben fann, 
fonbem f«hle<htroeg unrecht roar: 

„Run benf ich, 3h* f*ib jung unb feib oertoöhnt, 

Doch habt 3h* gtofeen Sinn unb grofee ©oben. 

IDenn’s (Euch gelänge, bafe 3bt überwanbet 
Das, toas nicht gut in (Euch, 3ljt tonntet einft 
(Ein großer ITIann fein, ber bie tDelt erhöht." 

3 m ©egenteil fcheucht ihn biefe RTahnung, bie oon einem für ben 3afchauer 
minbeftens etwas peinlichen Selbftgefühl begleitet f^eint, in fi<h felber 3urücf 
unb läfjt ihn in eitler Selbftbefpiegelung feines 3ammetlebens mH bem ©eban* 
ten an ben Tob fpielen. Dagegen hilft auch Kattes mannhafte Rebe nichts: 

„£ernt, h°h e H, erft bes Tobes tDürbe tennen, 

Derfteht, bafe er bie Krone ift bes Sehens, 



400 


Der gegcnroärtige Krieg unb bas öeutfcfjc Drama. Don Robert Petfd). 


Unb bafe Jo fdjänblit^ tote bet feige Utann, 

Den gurcfjt bes Hobes feft im £eben hält, 

Der geige ift, ben gurd}t bes £ebens treibt 
3u blinbet gludjt in felbjtgeroä^Iten Hob." 

Dor allem mufe bet Ptin 3 oon bem hohen fittlidjert IDette Kattes unb feines Hobes 
butcfybtungen werben, unb batüber läfet ihm ber Dichter mit tintigem (befühl 
nid}t burd} ben Derurteilten felbft, fonbem burd} feine (Beliebte bie Augen öffnen. 
Itun erft etfennt et, bafe Katte fid} nid}t burd} feine 3 ufunftspläne blenben liefe, 
fonbetn toie ein ITCentor mit it}m in bie gerne gelten wollte, bafe et fid) mit 
höd}fter IKannestreue für ihn opferte, unb bafe rechte tDürbe nur bet Hob hat, 
bet etwas oon folgern (Dpfet an fid} tragt. Unb wie Kattes fjaltung feine 
(beliebte 3 m Seelengtöfee mitreifet, fo füllen wir alsbalb, wie griebridj untet 
biefen (Einbrüden reift, wie et bie Befämpfung alles Kleinlichen, Al^umenfd)* 
liehen in fid} nieberringt, wie bie Seelenfräfte bes toten gteunbes in ihm weiter* 
leben, fo bafe er ohne 3®ang unb ohne galfd} bem Dater, ber plöfelicl} oor ihm 
fteht, feine (Ergebenheit oerfidjern unb aus feiner fjanb bas £eben empfangen 
tann. (Ernft hat fid} feine Aufgabe nidjt leidjt gemad}t; braufeen fteht ein 3 toei* 
ter Sarg, ber für ben Prüfen beftimmt war, hätte er fid} anbers ge 3 eigt. Das 
ift mehr als (Emil Subwigs Darftellung mit ihrer mehr äufecrlidjen IDanblung 
bes Prisen burd} Kattes Dermäd}tnis; hier ift wahre, fünftlerifdje Derföf)* 
nung ber ftreitenben UTäd}te, hier ift bas tragifdje (Erlebnis bes jungen gxife, 
foweit id} felje, 3 um erften IUale einem wirtlid} menfdjlid} unb lünftlerifd} 
befriebigenben (Enbe 3 ugeführt. greilid} auf Koften bes hijtorifdjen £ebens, 
fo bafe bie fjanblung bisweilen auf ein fahles (Serippe 3 ufammengefd}tumpft 
erfd}eint. Der Ders erweift fid} als mächtiger Sbealifator, gewife, aber auch als 
geinb ber oollfaftigen £ebensfülle, in ber unfre £}ohen 3 oIlern oor uns fteh cn * 
(Er bringt eine Deteinfadjung, eine 3urüdfüt}rung ber Hatfad}en auf allgemeinfte 
Wahrheiten mit fid}, bie nun einmal unfrem germanifchen (Empfinbennid}tgan3 
entfpridjt, bemfelben (Empfinben, aus bem hoch bie gefd}id}tlid}en Hatfadjen, 
bie bem Drama 3 ugtunbe liegen, lefeten (Enbes entfproffen finb. (Es ift wohl 
fein 3 ufall, bafe griebridjs glud}t fdjwädjer motioiert erfdjeint, als feine 
Belehrung. Unb fo fann man 3 weifeln, ob ber Stil, ben (Ernft an anbern Stoffen 
mit foldjet TReijterfd}aft burd}gebilbet hat unb bem er jüngft mit „lUanfteö 
unb Beatrice" nid}t blofe erfd}ütternbe Hragif, fonbem eine fd}toere gülle 
romantifcher Poefie (nidjt im Sinne ber romantifdjen Sdjule) abgerungen h fl i' 
für biefen ©egenftanb ber geeignetfte war. Don einem eigentlichen Detgteifen 
aber fann bei ber Art, wie er feinen Stoff eben angefafet hat, feine Hebe fein, 
unb bet britte Aft feines EDetfes barf in ber <5efd}id}te bes 3 eügenöffifd}en 
Dramas gewife mit ben hödjften (Ehren genannt werben. 


Paul be Cagarbe als Prophet bes Deutfd)tums. Don ®tto (Eonrab 


401 


Paul 6c £agatöe als propljet bes Deutjcfytums. 

Don Otto (Eontab in dfyarlottenbutg. 

HJennroitoetfuchen, Paul be £agatbestDefen unö IDirten 3ufammenhängenb 
öa^uftellen, fo glaube id?, bafe biefe Betrachtung gerabe in biefet fdjroeren 3 eit non 
Bebeutung ift. ©ehört bodj £agarbe rote gicfjte, Sd}leiermachet unb ^umbolbt 3U 
ben großen ©t3iehem bes beutfd}en Dolles, 3U ben großen Propheten, bie bie beften 
Kräfte im beutfdjen Dolle lebenbig machen unb eine IDiebergeburt bet Dollsfeele 
hetbeiführen rooDten. Dafe ihre Prebigt unb ihr IDirten nid}t oergeblidj geroejen 
finb, bas merlen roit heute 3U unfetet großen gteube. 

Paul be £agarbe oerbient aufeetbem je%t ein befonberes 3 ntereffe, roeil er mit 
aller ©ntfdjiebenheit für ein enges, unlösliches Bünbnis Deutfdjlanbs mit cöfterreich 
eingetreten ift unb ben Krieg mit ben Blähten (Englanb, graniteich, Hufelanb lange 
oorausgefagt hat. 

über £agarbes äußeres Ceben 1 ) ift nur roenig 3U bemerlen. Sein eigentlicher 
Harne ift Bötticher, flm 2. Hooember 1827 ift et als Sohn bes Oberlehrers Bötticher 
in Berlin geboren. Da bie Hlutter roenige Sage nach ber ©eburt ftarb, forgten 3toei 
©rofetanten für ben Knaben; oon bet einen übernahm et fpäter ben Hamen be 
£agarbe. 3 ®if<hen Dater unb Sohn lam es 3U leinem het3lichen Derftänbnis; £a* 
garbe hat barunter fehr gelitten. 3 n engen Derhältniffen oerbrachte et bie ®ym» 
nafial3eit in Berlin, ©r ftubierte bann ©h^alogie unb orientalifche Sprachen in Berlin, 
roobei et oiel bei gtiebrich Hüdert hörte, Auf ©runb oon Stipenbien routbe er 1850 
Prioatbo3ent bet orientalifchen Sprachen in halle. Dann reifte et 3U roiffenfehaft* 
liehen Arbeiten nach Bonbon unb Paris, ©ine Ptofeffut öffnete fidj ihm 3unäd}ft 
nicht. So mufjte et 1854 ein Sdjulamt in Berlin annehmen, flm tDerberfchen ©ym=> 
nafium unb an anberen flnftalten hat et als £ehret ootbilblich geroirtt. IDie er mit 
Schularbeit überhäuft roat, bas fchilbert et felbft in ben „Deutfdjen Schriften": 

*3$ hatte, als ich an bet Cuifenftäbtifchen Realjdjule angeftellt roat, in prima, Unter* 
fehinba, (Dberquinta im £ateinifchen, in (Quarta im gtan 3 Öfifchen, in Oberquinta im Deut» 
fhen, als id) am Realgymnafium 3 U Berlin lehrte, im IDintet 1856 auf 1857 in Unterfehmba 
im Deutfchen unb Sranjöjifdjen, in Obertertia im ©riedjifchen unb ©nglifchen, in Unter* 
tertia im gran 3 öfifchen, in Sejta im Cateinifdjen 3 U unterrichten, an jener Schule mithin 
212, an biefer 239 häusliche Arbeiten obet Ktaffenejtemporalien in bet tDodje 3 U oerbeffem, 
oorausgefetjt, bafo ich nur je ©ine Arbeit aus jeber Klaffe mit mit nach häufe nahm . . . 
3<h habe für einige jener Kocretturen hülfe in meinem häufe gehabt, ich habe im lebten 
3ahte meiner Schultätigleit 3 um Korrigieren eines ©eiles meiner hefte auf meine Koften 
einen Stubenten gebungen, ich habe lange nicht fo oiel getan, als ich wach meinet übe^eugung 
tun mufcte, aber auch roas ich getan, hätte ich nicht noch ein einiges Semefter ertragen, 
als id; ®ftern 1866 mein Schulamt nieberlegte. 3d) mufc babei 3 U bebenten bitten, bah 
bas ©ymnafium mich nicht nährte, fonbem ich, um nur notbürftig ejijtieren 3 U lönnen, 
noch ebenfo oiel Arbeit roie in bem ©ymnafium unb für basfelbe außerhalb besfelben 3 u Iie» 
fern hatte." 


l) T DgI. barüber fj- RTuIert, Paul be Cagarbe (Die Klaffilet ber Religion). Berlin* 
Schöneberg 1913, — Ausführlicher: ReaIen 3 yUopäbie füt proteft. ©h. u. Kirche. 3. AufL 
Banb 11. Paul gtiebrich, Paul be Cagarbe unb bie beutfehe Renaiffance. 1913. 
5«ttWr. f. 6. beutfdßit Unterricht 29.3<U|rg. 6.Qtft 26 



402 


Paul öe £agarbe als Prophet öes Deutfätums 


An etnörtngenöes roiffenfQaftliQes Arbeiten mar unter öiefen Umftänöen nicht 
® u f Berufungen an Unioerfitäten 3 erfd?lugen fi# einigemal, 

Trlh-T ,n c! m f ® e A fe ; öic £a9 „ aröc hänfte mt > »erbitterte. 1865 erhielt er nom 
V ufeif^en. Staate Wittel unö Ittöglidfteit, als Prioatgeleljrter roiffentöaftlicbe Stu= 

Jf" 3 “ ^ e l ben - /?? ® u ! 6e cr oröent Iic^er Profeffor in ©öttingen. IDas et Ijier in 
L "? . Sa< | c 9 cIet f tct $ at — eme feiner Hauptarbeiten mar öie fjerftellung öes 
f t SC iS t a9tnta Dcrma 9 nut öet Sämann richtig 3 u fäätjen. Wie au* 
L? Ä * Ct r n x? t Cn ^ at UIttd? D - ^«tnomi^moeDenborf, öer als Proreftor 
a ™ Sat 9 c Cögaröes fpraef?, in öie flaffifäen Worte gefaxt: „Hier 
w*75 1 er A Ie bie Sptad?cn b »^ftaWercn fann, in öenen er Hefte ge, 

wl! !'• ) °! tf . eIbc * cöncr N aud > £agaröe treffenö djarafterifiert, menneröie 
f • Jr 6 C "iJ° 3 ° 9: "® t 05(11 nur ®ele^rter, ja -öamit ift öer Kern 
. ?| co * 9at getroffen. Als Prophet l?at er feine Stimme erhoben über 

Sr? " n J T? C ' ^ 9enÖbiIÖUn9 unö ®°ttesöienft, ©efellfäaft unö ©efittung.“ 

aei„"Ä f? nften ) ' öic oicl 3U roeni 9 Beachtung in öer gebilöeten Welt 
g funöen öaben, Ijat Cagatöe eme Sülle non tiefen unö reifen ©eöanten entmicfeli 

im an x 9atÖC lft Cine PropMennatur. <£t tommt öem Hypus öes 3eremia 

ZSZFT? na ^' Unö 3wax in bcn ^tfeiten mie in Öen Hadjtfeiten öes 
S “ td?tbarc Verbitterung, öie fi<H bis 3 m Derfludjung öer 
ein!« ° n i tC >! 9Crt ' ^ 9C0Cn öic IDcIt ' cin »örgelnöet Peffimismus auf öer 
ein! tw» UnÖ Ö f nn roieöet: eine rounöerbare, tiefinnige 3artl?eit öes Selens, 

® " r ® e 2 CtU09 ' ölc 005 etD j 9 en Quellen fdjöpft, eine innige Religiofität, öie mie 
Das Den«rf!h 7 t 6100 , 100 ^!’ P au * 06 £a 9 ®cöe ift ein öeutfdjer Prophet. 
Unö bief ^ A « Cl l ^ m n5< ^ nut *^ cc ' f° n öern es madjt fein Wefen aus. 
er itt 1 n f ? C + Pt0 ^ Ct PauI ÖC £a9atöc lcbct i0 öreifaier Weife 3 u uns: 
e*töe! r0P c !!rT^^ aftcr öcut f^« ©r 3 iel}ung, er ift ein Propst 
f^cr R€l^ion SlttItd? * Clt ' “ * ft ? Mle # cin $ ü $ tct unö Derlünöer öeut* 

nemit^ ^ at f D0 ° mao J cn Seiten Cagatöe mit liiere in Parallele geftellt, unö 
ein tarnnfe!!! e b DCt w Ct ^c mand?eS fÜt Jid? - £a 9 OTi> e ift raöifal mie Riefcfdje, er ift 
PerfönTiAf!^ Ö f 9e A•S t A a9er, Cr ift 00t aIIcm 3nö «»^ualift, öer öas Redjt öer 
2 £Ä ö 5dritt ." 3cöct f«St Sagaröe, „ift einjig in 

iiaer a r x.' x Cttn e V { A? S -t^ U ^ a * e ' nCS n(e ro ' c & cr »orfommenöen Pro3cffes ein* 
eine Bereit!! 111111 1* • ^ * eber BlcnfQ, öer geboren roirö, öer Anlage na^ 

WenlAen «, Utt - 9 C » f! ® c ^ Ic< ^ tes unö f c »ncr Kation, unö öatum gibt es für jeöen 
aabe fein müh cmc .® übun 9 ' öic 9003 fpe3ien auf i$n beregnet ift unö öeren Auf* 
3n öiefen au ® ( ^ ^ aS 3u machen, masirgenö aus i^m gemadjt roeröen !ann." s ) 

berooriutrei! l n en nr^ Cmt £a 9 aröcs geiftige DermanötfQaft mit Siebte öeutlid/ 
uns £ ^n mgleidje etwa öas Wort oon $iQte in Öen Reöen: „Hs bleibt 

Bilöuna =m hri* 9, ° A < x' e ^ in an aI . les °^ ne Ausnahme, mas öeutf^ ift, öie neue 
öah fie Biröltn ^ ^ Cn, n b5C ^ e ^ c Bildung niQt eines befonöeren Stanöes, fonöem 
__ 9 ct a * l0n fd?iedjt^in als folget unö o^ne alle Ausnahme ein 3 elner 

2) S.^ 9 *- ’ 913 ' S ' 9L 



Don ©tto (Eonrat) 


403 

«liebet betfetten »erbe/*) Oie Denoanbtfchaft 3 »ifd?en $idjte unb Cagarbe tritt 
f«°n aufeerit^ tn ben Urteln ihrer Säften: Reben an bie beutle Ration unb 
Deutfche Schriften heroor. Sie tritt fprachlich 3 utage in ber flantmenben Begeifte* 
mng unb bet U)u$t bet Spraye; feit $i<hte hat laum ein ©Riebet ben beutfdben 
©ebanfen fo entheben unb tief oertreten »ie Cagarbe. Sie tritt no* mehr »halt* 
heb 3 utage m ber 3bee bet Doltsbilbung: beibe finb So 3 ialpäbagogen 
tm beften Stnne bes Wortes. Oie ftarfe Betonung ber Snbioibualität bei £a= 
gatbe febhefet fetnestoegs bie fo 3 iale Bilbung aus; im ©egenteil: je mebt chatafter* 
Dolle perfonltchferten ootbanben finb, um fo mebt gewinnt bie Ration. Oas ift 
autb bet ©ebanfe Sietes. Beiben Rlännem gemeinfam ift auch bet ftarfe unb tiefe 
-Jbeahsmus, ber ibte Schriften burefoiebt, bet ©ebanfe bet ftaatsbürgeriidben ©t* 
3 tebung bet 3ugenb. $i^te oerlangt eine ©ttfebung, bie bie tiefften fittlichen Kräfte 
tm Rlenfcben roedt, eine (Erhebung, bie bis 3 u ben Säften unb flbetn bes Baumes 
oorbrmgt, fo baß bie Settftfu^t abfällt »ie »elfes £aub. ©an 3 unb gar fiebtifeb ift 
Cagatbes Sotbetung, baß „auf Bilbung feber ein Recht habe, bet geboten wirb: 
etn Dolf im toabten Sinne bes R)ortes ift nur benfbat als eine ©emeinfebaft fo ge* 
bubeter Rlenfcben, beten jebet an feinem piaße 3 ufrieben fein wirb, »eil er fein 
e en öatauf einrichtet, ihn aus 3 uffll(en, unb »eil et batum ihn liebt; eine ©emein* 
fdjaft oon Rlenfcben, »eiche nicht in Stänbe 3 erfatlen, toeil fie gar nicht nach bem 
Rlatenale, mit bem fie arbeiten, unb bem äußerlichen ©rgebniffe ihrer Rätigfeit, 
fonbetn nur nach bet ©reue beurteilt »erben, mit bet fie an bem ihnen verteilten 
Stoffe bas fettft »erben, »as fie »erben tonnen." 2 ) Don hier aus »itb ohne »ei* 
teres flat, baß bet ©ebanfe bet Snbioibualität, oon Rießfche im fchärfften ©egenfaß 
3 ut ©efamtbeit entroicfelt, oon Cagatbe fo 3 iafpäbagogif<b oerftanben »irb. Rlan 
ca* 9 an 3 inöimöuelfes, gart 3 perf örtliches £ebett !<mn uns aus öem 

Schlamm erretten, in »eichen »ir burch bie Überbütbung ber ©ef^iebte mit Kul* 
turballaft unb 3ioilifationsquarf, butch bie Sd?ablonifierung ber ©mpfinbungen unb 
ber Urteile, butch Öen Oefpotismus ber oielen Reinen unb großen Selbftfudjten 
oon Rag 3 uRage tiefet finfen." (Es ift bet ©ebanfe bes (Eoangeliums: R)as hülfe es 
bem Rlenfcben, »enn er bie gan 3 e RJelt gewönne unb nähme hoch Schaben an feinet 
Seele! Cagatbe fagt: (Es gibt auf (Erben nur ein ©örtliches, bie Rlenfchenfeele. ©in 
nte^chieb befteht 3 »if<hen Cagatbe unb Sichte, »enigftens fcheinbat: »enn Sichte 
fcf^ an ^ Cn ^ Ct ®°^ cr 3* e ^ un 9 bemofratijch f<*fet, fo ift Cagatbe gan 3 unb gar 
Hnftofrat, ein flusbnuf, bet cum grano salis 3 u oerfteben ift. ©s banbeit fich um bie 
Hriftofratie bes ©eiftes. Oas tritt im folgenben beroor: „Rationen befteben nicht 
aus Rlinionen: fie befteben aus ben Rlenfcben, »eiche fich öer Aufgabe ber Ration 
e»ußt unb batum imftanbe finb, oor bie Rußen 3 u treten unb fie 3 ur »itfenben 
3abj 3 u machen: aus biefem ©runbe genügt es, »enn bie Beften bes beutfdjen 
olles bie eben ausgefprochene flnfidjt oon bet Bilbung bähen, unb »enn bet Staat, 
er hoch nur in ben fjänben bet Beften fein foll, fie 3 ur Richtfchnur feinet ©inrich* 
ngen nimmt." Ration ift eben nicht quantitatio als Summe ein 3 elnet Snbioibuen 
- U PCI ft e bcu, fonbetn oor allem qualitarto 3 u »etten. Rationen finb auch nicht eine 

frfw,fw-T^?Jl me * ncn Sidjtes 3bee ber Rationalet 3 iebung unb bie beutfdje £ebrer* 

Khaft 3e.tfchr f.Pbilofopbie u.päbagogif, 21.3«brg. $eft 1 , S. 10ff.), S. 15. 

, Ueutfdje Schriften S. 72. 


26* 



404 


Paul de Cagarbe als Prophet t»es Deutfdjtums 


Büdung des 3 ufalls, fondern eine Stopfung det Dorfeijung. Die 3 dee det Kation 
ift roie alle andern führenden 3 deen Cagardes religiös oeranlert: „Kationen ent» 
fte^jen nicht durch p^yfifdje 3eugung f fondern durch fjiftorif^e ©teigntffe: Ijiftorijdje 
©reigniffe aber unterliegen dem tDalten der Dorfetjung, welche ihnen ihre IDege 
und 3 icle weift. Darum find Kationen göttlicher ©infetjung" (Deutle 
Schriften S. 66).. 

fjiet leuchtet die 3 dee der Kation rein und tief auf. Cagarde ift ein Patriot 
im wahren Sinne des tDortes. (Et erftrebt roie Si^te eine deutfdje Kational* 
erjiehung. Keines Deutfchtum! heifet für £agarde die £ojung. natürlich ift diefes 
Deutf<htum nicht ©abe, fondern Aufgabe, 3 deal. $i<hte hot uns gelehrt, dafj deutfd) 
nicht Reifee, roas deutfeh rede und 3U Deutfdjland gehöre, fondern dafe deutfdj h 4 ^ 
»as urfprunglich frei, wahrhaftig und innerlich f e ‘ — auch toemx es einem fremden 
Dolle angehöre. Ähnlich fagt £agarde: „Das Deutfdjland, meines mir lieben und 
3u fehen begehren, hot nie ejeiftiert und roird oielleidjt nie ejeiftieren." Das 3 deal ift 
eben etroas, das 3ugleidj ift und nicht ift, etroas, das fein foll, alfo eine 3dee im 
Sinne piatos und Kants. „Die deutfdje Kationalität ift toie jede andere Kationalität 
eine Kraft, die nicht gemogen, gefdjaut, geleitet, befchrieben roerden fann, welche da 
ift, roenn fie wirft, meldje überall da ift, mo in Deutfdjland etroas roächft und ge* 
deiht." 3 n den „Reden" hot $idjte Doll und Daterland ols etroas (Einiges, ©ött» 
liches dorgeftellt; die Datertandsliebe erftrebe nichts ©etingeres als das Aufblühen 
des (Einigen und ©örtlidjen in der EDelt. Das ift auch bet ©edanle Cagatdes. 

Diefe 3 dee der deutfdjen Kation möchte £agarde den Spülern einpflan3en. Das 
ift das 3 iel der ftaatsbütgerlidjen (Erjiehung der deutfdjen 3ugend. £agarde 
gebraucht diefen modernen Ausdrud nicht, roohl ober oertritt er die Sache felbft fo 
rein und tief roie laum einer oon den neuen Propheten. K)as Ijeifct denn ftaatsbür» 
gerliche (Erziehung? Doch nichts anderes als IDillensbildung, ©ljatattetet3iehung. 
Das roat f<h°n die Kleinung Siebtes und Peftalo33is. K)as £agarde übet ©Ijcrcattet» 
bildung und Ktenfdjenbildung fagt, das gehört 3u dem Beftem roos je über diefen 
©egenftand gefagt morden ift. (Er hat die ©efefce des TDetdens des ©fjarafters, fein 
IDefen treffend befchrieben: „©harattere bilden fich großen 3deen, innerlich mastigen 
Ktenfchen gegenüber: der ©hotalter ift der Abdrud, den das (Einige in empfänglichen 
Seelen 3urüdtäf$t. 3 m oollften Sinne des IDorts ift daher ©Ijatafter nur durd) die 
Srömmigfeit 3u erroerben: nut in ihr dauert et." An einer andern Stelle helfet es: 
„Der ©hotalter gedeiht an der $reude übet das ©örtliche." Rtit welchen S^toictig* 
leiten die ©Ziehung 3u lämpfen hat, weift £agarde, der 3ioölf 3ahre an ©ymnafien, 
Real* und IKädchenfchulen gelehrt hat, gan3 genau, ©r Hagt roie Sichte: „H>it lönnen 
in den Spulen Deutfdjlands nicht et3iehen, roeil die (Eltern der not uns fiftenden 
Kinder nicht exogen find, und roeU darum jeder Derfudj, diefe Kinder 3U ergehen, 
fie in Konflift mit ihren ©Item und Angehörigen und dadurch mit uns £eljtetn 
fe^en würde; roeil et3iehen nichts ift, als den Ktenfchen gewöhnen, fich an das übet» 
mächtige und lein Derljandeln, leinen Kompromiß duldende ©ute willig und mit 
em Beroufttfein 3u fügen, daft dadurch das Befte der eigenen Katur nut gewinnen 
tonn." Alle ©t3iehung, fagt £agarde, müffe auf die ©roigteit gehen - 
em wunderbares K)ort —; die ©Item der not uns fiftenden Kinder dagegen wollten 
ausdrüdlidj das, roas 3eitgemäft ift. 



Don (Dito (Eottrab 


405 


tDenn nun auch £agatbe an Öen ©rwachfenen jweifelt, fo hat er einen ftarfen 
©tauben an die 3 ugenb. ©r nimmt öie 3 ugenb in einem wunberoollen Auffatj in 
Schufc gegen bie Klage, bafe bet beutfdjen 3 ugenb ber 3 bealismus fehle. 1 ) 
dt ptüft, ob biefer Dorwurf berechtigt ift, inbem er eine tiefgrünbige Unterfuchung 
über 3 öealismus unb 3 bealität anfteUt. tDenn ein Kinb unge3ogen ift, meint Za* 
gatbe, fo tragen bie ©Item bie Sdjulb, nicht bas Kinb; benn bie ©ejogenheit fegt je« 
manben voraus, ber jieht. ©ben|o fteljt es, wenn bie 3 ugenb angeblich ohne 3 bealis* 
mus ift. Denn biefer ift nicht nur eine ©abe, fonbem wefentlich Aufgabe. Der 3 bea* 
tismus !ann beshalb ber 3ugenb nicht ohne weiteres 3ufaIIen: er ift, gerabe toenn 
er bas höchfte ©ut ift, ethifchet Befig, unb batum niemanbem angeboren. £emt 
bie 3 ugenb ©ehorfam, Reinlichfeit, XDahrhaftigfeit, Pflichttreue, fo toitb fie rooht 
auch ben 3 bealismus lernen muffen. tDas ift benn aber eigentlich 3 bealis* 
mus? Rieht ein 3 uftanb, fonbem eine Sägigfeit, tvelche bem Rlenfchen niemals 
unb nirgenbs verloren geht: biefe Sägigfeit tvitb aber 3ur HHtflichfeit nur buteg 
bas 3 beal felbft. Dies muf^erfcheinen, mug erfennbar fein: fowie es bas ift, gibt es 
auch fofort 3 bealiften. $eglt es ber 3 ugenb an 3 bealismus, fo ift burch biefe Klage 
ausgefprochen, bag es unferet 3 eit an 3 bealen mangle. Dafüt fann bie 3 ugenb nichts. 
£agatbe flagt bie Staatsmänner an, bag fie bet 3 ugenb nicht bie 3 beale bieten, an 
benen ber überall vothanbene 3 bealismus ber 3 ugenb 3ur 3 bealität 3U tveiben net* 
mag. Die 3 ugenb glaubt, fie hat ein 3 beat; fie bient unfichtbaren, ungreifbaren, 
unertveisbaten RTächten. tDie gaatfehatf rvägt bas fugenblicge ©ewiffen ©gte unb 
Schanbe, Segler gegen £after! Die 3 ugenb tvill burchaus wahrhaftig, ehrlich, echt 
fein, auch öa, tvo es ihr Dorteil wäre 3U lügen, 3U heucheln, 3U {feinen. Das fann 
gar nicht anbers fein. Denn „bas/ tDefen bes Rlenfchen beftegt batin, ibeal 
3u empfinben; nur baburch, bag et bies tut, unterfcheibet et fich vom 
©iete".*) 3 ft hoch 3 bealismus fchon überall ba vothanben, wo ber Rtenfch aus 
innerem Bebürfniffe wiber feinen eigenen Dorteil, wiber feine Bequemlichfeit, wiber 
bie ihn umgebenbe JDelt hanbelt. tDenn ©olftoi einmal fagt, bie Religion gehöre 
3U ben Ktäften, burch bie bet Rtenfch lebt, fo fann man bas Analogon formulieren: 
Die 3 beaiität ift eine Kraft, burch öie ber Rtenfch lebt. IDir brauchen 
3 beale als Kraftnagrung ber Seele. „Das 3 beat, ich h°be bas", fagt £agarbe, „meinen 
Spülern feit mehr als einem Dierteljahrhunbert immer aufs neue eingefegärft, ift 
nicht übet ben Dingen, fonbem in ben Dingen: wie ©ott nicht blog Sonntags non 
neun bis eilf in bet Kirche, fonbem jebet3eit unb überall ift unb gefunben werben 
fann. Das 3 beal ift fein £ecferbiffen, fonbem tägliches Brot. Daraus ergibt {ich für 
mich öie $olgerung, bag bie 3 bealität aus ben Dingen bes alltäglichen £ebens et» 
waegfen mug." 3 ) 

natürlich lägt fich öas, was 3 beal ift, nicht einheitlich ein für allemal beftim* 
men. ds gibt 3weifellos eine Dielheit non 3 bealen, unb fo gibt es auch eine Dielheit 
non 3 bealismen. Auf feinen Sali lägt fich öas 3 beal innentarifieren, fagt £agatbe 
biffig, wie es in bem Unterrichtsplane bet föniglicg’pteugifchen unb in Salge banon 
aller beutfegen Schulen inoentarifiert ift. Das 3 beal ift nicht etwas Abfttaftes; ba* 
für ift bie 3 ugenb nicht 3U haben. „Sie will Krieg für ein fonfretes 3 beal führen, 


1) Deutle Schriften S. 373—384. 2) Deutle Schriften S. 376. 3) S. 382. 



406 


Paul be Cagarbe als Prophet bes Deutfdjtums 


fic roill (Befahr, tPagnis, IDunbert, lob, toill nicht bas ©netlei toieöerfäuen, bas iljre 
©rofooäter bereits getaut Ijaben. Oie 3ugenb befteljt aus Perjonen unb toill Perfön* 
liebes." 1 ) Cagatbe 3 eidjnet einige bet 3ugenbibeale, roie et fie fic^ öenft. So jagt 
et unter anbetem, man Jolle bie IMionen unb Abetmillionen matt, bie im 3afre 
für Sabat, Bier unb Oetgnügungen oergeubet toetben, ein paar 3a^re nicht oet* 
geuben, fonbern fapitalifieren, bamit non ihren 3iwfen in ©fterreidj unb Ungarn 
beutfdje Schulen erhalten mürben. Das fei gleich ein 3beal, an beten Durchführung 
bet 3bealismus bet Jugenb fich 3ut 3bealität ent3ünben tonne. £agarbe glaubt 
an bie 3ugenb unb öes^alb an bie 3ufunft bes Oatetlanbes. 

Seine Ausführungen über ben 3bealismus fafot Cagarbe bahin 3 ufammen: „4s 
ift bei uns nidjt ettannt, öafe bas 3beal nicht aus Büchern, fonbetn in Perfonen er» 
fafot mirb, aus Büchern nur, fofeme biefe infpiriert, bas heifet ber Ausbtud einet Pet* 
fönlidjfeit finb. 4s ift bei uns nicht ertannt, baft bas 3beal nicht ein Xlebeneinanbet 
oetfdjiebener mehr ober meniger netter ober gar notmenbiger Oinge, fonbetn ein 
Syftem, ein Reich DOn 3bealen ift. 4s ift brittens nicht ertannt, baß bas 3beal nicht 
ba 3 u ba ift, fdjön gefunben 3 u toetben, fonbetn ba 3 u ba, bie IDelt 3 u überroinben, 
bas heifet, bie Utenfchheit 3 u etlöfen." 8 ) Das hödjfte 3beal ift £agatbe mie $ichte 
bie greiheit: „grei ift nicht, mer tun tann, roas er min, fonbern roet merben tann, 
mas er foll. grei ift, mer feinem anerfchaffenen £ebensprin 3 ip 3 U folgen oermag. 
gtei ift, mer bie oon ©ott in ihn gelegte 3bee ertennt unb 3 U ooller tDirtfamfeit 
oerftattet unb entmidelt." 8 ) 

3n bem, mas mir über Paul be £agatbe als Propheten beutfeher Bilbung ge* 
hört hoben, ift 3ugteich bas 3®eite bargeftellt: et ift ein Oertünber echtbeut* 
f^er Sittlidjteit. Oer Kerngebante feiner £ebensanfchauung ift bie 3bee bet 
3nbioibualität. U)it hörten oon ihm bas IDort: 4s gibt auf 4rben nur ein ©ött* 
li<hes: bie menfchenfeele. Oas ift bas gunbament feiner 4thit, ja jebet 4tljif. „3ebet 
menfeh ift ein befonbeter ©ebanfe ©ottes," fagt £agarbe. Anes, mas ejiftiert, bient 
ber ©ntmieflung ber menfchenfeele. höchftes 3iel bet menfehen ift bie perfönlichfeit. 
£agatbe tlagt bar übet, bafe bie^fchatf unb bebeutenb ausgeprägten Perfönlichleiten 
in unfeter 3eit fo feiten gemorben finb. Oie Perfönlichfeit ift bas 4roige, ©örtliche 
im mengen. 

Oen ©ebanfen ber 3nbioibualität hat £agatbe mit IDilhelm o. fyimbolbt ge * 
meinfam. Bei £agatbe ift er 3entralibee, bei fjumbolöt ift er in bem anbem ©ebanten 
ber tjumanität enthalten. 3n bet fjeilighaltung ber 3nbioibualrtät fehen £agatbe 
mie fjumbolöt nidjt nur ben unfehlbaren tDeg 3 um ©lüd, fonbern auch Me h°chfte 
Sittlichleit. IDenn 4buarb Spränget gefagt hat, fjumbolbt oertrete bie So 3 ialarifto* 
tratie bes reinen menfdjentums, fo läfct fich biefes IDort auch auf £agatbe anmenben. 

Die ein 3 elne Perfönlichfeit ift bet Iltifrofosmos, bet ben mafrofosrnos bet 
menfehengemeinfehaft in fich abbilbet. £agarbe fagt treffenb: „U)it bürfen bei ber 
©leichartigfeit bes ethifchen £ebens annehmen, öafe in ber ©efchidjte bes menfehen* 
gefchlejtes biefelben ©efefce henfehen, bie in ber ©efchichte bes einseinen menfehen 
etfennbar finb." 4s ift bet piatonifehe ©ebanfe bet Parallelität bes inbioibualen 
unb fatalen £ebens. Paul Ratorp hat auf biefem gunbament feine So 3 ialpäb* 
agogif aufgeb aut. Oie ©emeinfdjaft aber lebt in ben ein 3 elnen. Oas Dolf ift mie ber 

1) Deutfche Schriften S. 381. 2) S. 380. 3) 5. 67. 



Don (Dtto donrad 


407 


Baum in (einen Blättern nut in den Jnbimbuen lebendig. Oie Quelle des $ort= 
(djritts in der ©efcfjidjte ift der ehyehte IRenfch. Jeder IRenfch (oH eine Dermehrung 
des Befitjes der IRenfdjheit (ein und nebenbei auch eine Dermeljtung biefes Befifces 
beroitfen. Dabei roirb es freilich immer (o fein, meint Cagarde, bafe der grofee IRenfch 
in den ©egenfah 3 Üt TITaffc gerät. „IDet immer in der (befdjidjte förderlich geroefen, 
ift 3 uerft Ketjer und Störenfried, danach eine fut 3 e tDeile großer IRann und fchliefj* 
lief} trioial geroefen." 3n den Perfonen der Ketjer, (agt Cagarde, liegt die ©ernähr 
des $ort(dfritts. 

B)ie $idjte (o dringt auch Cagarde auf Bildung der PerfönliQteit, auf innere 
Dertiefung. „Die lebendigfte Kraft in der ©efQidjte ift der IRenfdj. fjaben mit den 
oolMebendigen IRenfdjen, gerettet, fo befitjen mit im Keime alles,' roas et jemals 
3 uftande gebracht hat" Peftalo 33 i rief einft feinem 3eitalter 3 u: „Safjt uns Uten» 
fdjcn merden, damit mir miedet Bürger, damit mir mieder Staaten merden tönnen!" 
(Er roollte nicht die IRenfdjen oetftaatliQt, fondern den Staat oermenfdjlidjt fehen. 1 ) 
Das mar feine Daterlandsiiebe. Cagarde fafjt feine propfjetifcfje Predigt dahin 3 u* 
fammen: „Hic^t human follen mit fein, fondern Kinder (Bottes; nicht liberal, fon* 
dern frei; nicht tonferoatio, fondern deutfd}; nicht gläubig, fondern ftomm; nicht 
d^riften, fondern eDangelifd}: das ©örtliche in jedem oon uns leibhaftig lebend, 
und mit alle oereint 3 U einem fich ergän 3 enden Kreife: Keiner mie der andere, und 
feiner nid)t mie der andere: täglich madjfend in neidlofer Siebe, meil auf dem IDege 
aufroärts 3 U ©ott roohl einer dem anderen immer näher fommt, aber nie der eine 
den IDeg eines anderen fdjneidet. Das malte ©ott!" 2 ) 

Das letjte BDort oerdeutlid)t das Bild des Denfets Sagarde noch mehr. Der 
Blann, an deffen Sarge fein Pfarrer fprach, meil et aus der Kirche ausgetreten mar, 
ift ein <Et 3 iehet 3 u echter beutfdjer Religion. 

Sagardes grömmigfeit ift 3 art, innig und doch mieder fraftooll und ftarf. Das 
3 eigen feine ©edichte, die $tau de Sagarde herausgegeben hot- (Eins der fQönften 
fei hier angeführt. 


Rn die 

© heil’ge Rächt mit deinem dunflen Schwei* 
gen, 

© fenle dich auf meinen müden ©eift, 

Der gern dem lauten Jubel (ich entreißt 
Und gern der (Erdenfreuden buntem Reigen, 
IDenn er |i<h fülle nut dem fjerm fann neigen 
Und ihn ftummfelig mie die Blume preift 
Und ihn in engen IDindungen umfreift, 

U)eil er doch nie den ©ipfel fann erfteigen. 


Rächt 

© heil’ge Rächt, mär’ meine Seele füUe, 
So ruhig mie dein großes, dunfies fluge, 
(Ergeben das 3 U tun, roas ©ottes R)iUe. 
fleh, dafj dod} faum roie femftes IDetter* 
leuchten 

Die Selbftfudjt mach fei und im fühlen, 
feuchten 

Radjttau der ©eift der IDünfdje Stillung 
fauge.*) 


Sagatdes Perfönlichfeit romgelt gan 3 und gar in der Religion. Sein gan 3 es 
Seben, ja beinahe jeder ©edanfe ift bei ihm religiös Detoniert. Das ergibt (ich non 
felbft; denn „roirlliehe Religion", fagt er, „nimmt (ich ftets die $reiheit, das gan 3 e 
Seben 3 U burchbringen. Sie ift nicht nut Sonntags oon neun bis elf, bei (Einfegnungen 
unbjBegräbniffen 3 u finden, fondern überall oder nirgends." 

Religion ift Ceben und als folcfjes eine ©atfache der ©rfahtung. Religion ift 


1) Dgl. Ratorp, Hoffnungen und ©efahren unfeter Jugendbewegung. Jena 1914. 
5.13. 2) Deutfdje Schriften S. 76. 3) IRulert, S. 35. 



408 


Paul be £agarbe als Prophet bes Ücutfdjtums 


öic toaste, einige Realität: ,,3d} halte Religion im ©runbe für nichts anbetes, 
als für Sinn, für Realität, natürlichste roahre, eroige Realität." $teilid} läfet fie fidj 
ni^t oo^eigen, aber fie leuchtet, ohne bafe ber $tomme es roeife; fogar am Som* 
mermittag leuchtet fie, gefchroeige benn in unferen bunflen Abenben bes RJelfens 
unb bet tjerbftftürme. $icf}te fagt einmal in feinen „Reben", Religion bebeute bie 
(Ergebung in ein leeres, uns unbefanntes ©efefe, bas bemütige Derftummen not 
(Sott, bie innige Siebe 3 U feinem in uns entfachten Seben. Oer fittlic^e Rienfch arbeite 
auf fittlidfe 3®ecfe hin — ber religiöfe Rtenfd} netliere auch bann ben Rlut nicht, 
toenn biefe in ber Rächt bes Rlifeerfolges nerfinfen. Das (Ehriftentum ift nad? Sietes 
Überjeugung ber ©laube bes Dennoch, bas ©rohen auf bas ©ute unb ©bie. Oie* 
felben ©ebanfen finben fich auch bei Sagarbe, nur noch tiefet, inniger. H)ie ein 
hau^ bet ©roigfeit berührt uns feine Religiöfität. IDie tief empfunben unb etfahten 
ift bies R)ort: „3<h höbe es oft gefühlt, bafe bie Sd}mer 3 en. bes Rtenfchen fein Abels* 
brief finb, bie Seelenfchmet 3 en meine ich- Selig finb bie Seibtragenben ift ein echtes 
tPort aus 3efu Rlunbe: feine Kritif fann bie Bergprebigt an 3 u>eifeln." Beten ift 
ihm „nichts anbetes als ein Atemfchöpfen in göttlicher Suft, ein fich Beroufetroeröen, 
b fl fe bie Atmofphäre ber Rlenfchenfeele ber einige heilige ©eift ift". IDer roahrijaft 
religiös ift, ber h°r<ht roie ein Schüler auf bie nur flüfternbe, aber nie fdjroeigenbe 
Stimme biefes ©ottes, bet in allem, in Kleinftem unb ©röfeeftem, rebet, unb beffen 
Sprache nicht auf bie Paragraphen einet für alle gültigen ©rammatif abge 3 ogen, 
aber oon jebem gehört unb oerftanben toetben fann, ber fie hbren unb oerfteljen 
tnill. 1 ) 3n immer neuen tounberoollen tOenbungen 3 eidjnet bet Prophet Sagarbe 
bas Rtefen ber mähten $römmigfeit. Dichterifch fdjön ift bie ©harafteriftif: Religion 
fei heimmeh, bie bittetfüfee, roie eines Atems Steigen unb^Sallen raftlos burch bie 
Seele roebenbe Sehnfucht bes Kinbes, nach fymfe 3 U fommen. IRan benft babei an 
Auguftins IDort: Fecisti nos ad te; et cor nostrum inquietum est, donec requies- 
cat in te. 

Die mobeme religionspfychologifche Betrachtung mürbe Sagatbe a limine net* 
roerfen, roenigftens berfenigen, bie. bas IDefen ber Religion etnpirifd} erfaffen roollen. 
Religion ift „nie ein R>erf menfchlicher ©ebanfen, menfdjlicher Sehnfucht, menfch* 
liehet ©ätigfeit . Sonbern roeil fie binbet, et 3 ieht, leitet, tröftet, ift fie ihrem Begriffe 
nach göttlichen Urfprungs. 1 ) Religion ift nicht IRenfchenroetf — htet ftimmt 
£agaröe im tiefften ©runbe mit £utfyer überein —, fonbem ©ottes IDert Deshalb 
rottb Religion nicht etroa erroeeft, fonbem fie erroacht. ©ott ift bet hanbelnbe in 
Ratur unb ©efchidjte. Den Plan bes hanbelnben ©ottes erfennen, ihm nachfinnen 
unb feiner Derroirflichung fich h*ogeben, bas heifet fromm fein. $römmigfeit unb 
ftttlidjes hanbeln hängen hier aufs engfte 3 ufammen. Oer $tomme roill, bafe bas, 
roas ©ott mit ihm oorhat, in ihm 3 ut ©ntroieflung gelange, unb richtet fein Ceben 
banach ein. Cagatbe betont hier ben ©ebanfen ber tDiebergeburt. Das fei bas 
pofee R)ort bes ©hriftentums. Rieht ber natürliche Rienfch, fonbem ber aus bem 
etfte geborene Rienfch gilt not ©ott. 3n bem IDiebergebotenen ift ©ott unb bes* 
halb eroiges £ e ben unb $teube unb $reiheit. ©r ift ber lebenbige unter uns man* 
öe nöe Beroeis bes Dafeins ber ©roigfeit, bes IDirfens ber Rlächte ber ©roigfeit. 
—e— taft e t ©tbe liegt in ben Kinbern ©ottes, bas heifet, in ben roiebetgebotenen 

1) £agaröe, Deutfdje Schriften S. 67. 


i 



t)on ffitfo donraö 


409 


IRenfchen. Die IRenfchen als Kinöer ©ottes erhalten — öas Reifet fonferoatio 
fein im hofften Sinne, meint Sagatöe. 1 ) 

Sagaröe ift eine gan3 unö gar eigenartige Perfönlic^teit unter Öen Klaffifem 
öer Religion. Dem Proteftantismus fteht et öurd/aus fritifch gegenüber. Die Re* 
formation mar iljm 3uroiöer; gegen Cutter hatte er eine petfönliche Abneigung. 
flu<h öer Katholqismus mit feinem Politiken Rtadjtftreben unö öer fefuitifdjen 
Unfreiheit ift ihm 3umiöer. „Der ntaterialismus", fagt er einmal, „ift öas notmen* 
öige Korrelat öes 3 efuitismus: öas IDaffer in öiefen fommuni3ierenöen Röhren 
fteht ftets gleich hoch-" Cagaröe empfinöet eine tief romantif(he Sehnfucht nach öer 
einen Kirche, öer IRutter öer ©laubigen. (Et flucht Öen IRännem, „öie, ©ott roeife 
marum, öie Kitdj’ erfchtugen, öie mit IRutterarmen_öte IRenfchenmelt umfing unö 
einig machte"; er beflagt es aufs fchmet3li<hfte, öafföie Btüöet eines Dolfes nicht 
3ufantmen beten tonnen, fonöem fid? fremö finö für unö für. So finöen mit bei 
Sagatöe eine eigentümliche Derbinöung non iöeaHatholifcher £jod}fc^ä%ung öer 
Sraöition unö ©inheit öer Kirche einerfeits, fcharffter gefdjidjtlicher Kritil öer Bibel 
anöerfeits. 2 ) ©ine ähnliche Stellungnahme finöen mir bei Öen fatholifcfjen IRoöer* 
niften, 3. B. bei Kraus unö Coify. XDas Sagatöes teligiöfe Stellung anbetrifft, fo 
untetfdjeiöet er fünf Konfeffionen: Katholiten, Cutheraner, Reformierte, Proteftan* 
ten (fachlich Sibetale, öie er feljt gering einfchätjt) unö ©»angelifdje (©efinnungs* 
genoffen feinet felbft). „Rieht ©hriften follen mir fein, fonöem eoangelifch," fagt er 
einmal, ©r »erfleht unter Öen ©»angelifdjen öie Anhänger öes urfprünglichen ©»an* 
geliums. Rur 3 cfus höbe öie echte, fdjlichte Botfdjaft »erfünöigt. An öer fpäteren 
Detbilöung öes ©hriftentums fei oor allem Paulus fdjulö, ein fanatifcher 3 uöe, öer 
©hnftus nicht gefannt höbe. Sagaröes Kritil erinnert öeutlid} an Rietjf<he. 

Der Prophet Sagatöe hofft mit gan3er Seele auf eine 3utünftige nationale 
Religion, ©t möchte ihr roie Johannes Öen R)eg bereiten. „Unfere Aufgabe ift 
nicht," fagt er, „eine nationale Religion 3U f(hoffen — Religionen meröen nie ge* 
fchoffen, fonöem ftets offenbart —> mohl aber alles 3U tun, mas geeignet Jcheint, 
einer nationalen Religion Öen U)eg 3ti bereiten unö öie Ration für öie Aufnahme 
öiefet Religion empfänglich 3U machen." U>ie unö mann fie fi<h oermirflicht, öas 
fteht allein bei ©ott. R)as fie fein mitö? — jeöenfalls: „fjeimatluft in öer $temöe, 
©ernähr emigen Sehens in öer 3 eit, un3erftörbare ©emeinfdjaft öer Kinöet ©ottes 
mitten im Ijaffe unö in öer ©itelfeit, ein Seben auf öu unö öu mit öem allmädj* 
tigen Schöpfer unö ©tlöfer, Königsherrlichteit unö fjerrfchermacht gegenüber allem, 
mas nicht göttlichen ©efchlechtes ift." 

Rach bem, mas mit »on Sagatöe gehört hoben, unterliegt es mohl feinem 3meifel, 
öofe er feinet 3cit oiel 3U fagen hotte unö öafe er au<h uns oiel fein fann: nämlich ein 
pter Sühter, um öeutfehes H)efen unö öeutfdje Art 3U erfennen unö 3U etgtünöen. 
3 n Öiefer Richtung hat fein ©eringerer als Richarö IDagnet in feinen Schriften auf 
Sagaröes Deutfeh tum hi n 9*o>iefen. 3 h m ftonö alle3eit ein 3 id oor Augen, öas er 
nie aufgegeben hot: er fud)te ittit leiöenfdjaftlicher Seele nach IDefen unö 
Aufgabe öer öeutfehen Kultur. Das ift öas mahrljaft ©tofee an ihm, öas ihm 
Öen Danf un ö öie Dereljtung aller Deutfchen fichert. 

1) Deutfhe Schriften S. 67. 2) Dgl. Ittulert, Paul öe Cagarbe S. 19. 



410 


©acitus’ Germania, and) eine beutle Rebe in fernerer 3eit 


Caritus’ Germania, 

aud) eine öeutfdje Hebe in fötnerer Seit. 

Don Georg Rofenttyal in Sütfiemnalbe (Sptee). 


Uidjt nur greifen mir in Deutfcfylanbs'gtoger 3 eit nad} neuen, fonft oiefleidjt bet 
S^ule nidjt an erfter Stelle gelegenen tDerfen für bie Klaffenleftüre, fonbem mir 
entbeden aud}, oft ftaunenb, roie tounberbare neue Hielten aus Öen Sdjädjten alter 
Iiebgetootbener Klaffiter emporfteigen; oielleidjt ift iljr ©toigfeitsroert aud} geraöe 
baburd} oerbürgt, bafe fie uns 3 U jeber Stunbe etroas Heues fagen formen, in ferneren 
JEagen aber Kraft unb neues £eben fpenben. 

H)ie fd}toierig aud} bie l}iftotifd}e Kritif eine £eftüre ber ©ermania bes ©acitus 
in ber Sdjule finben mag, bas bleibt hefteten: fie ift ein föftlidjes H)etf unb follte 
einem jeben, ber £atein gelernt hat, erfdjloffen toerben — rridft nur in ben elften 
27 Kapiteln, roie oiele Sonberleljrpläne es forbern, fonbem gerabe and; in üjtem 3 toei» 
ten Heile. 1 ) Hidjt allein, bafj aisbann bie Abftraftionen bes allgemeinen Bilbes, bie 
funftoollen Begebungen bes Sdjriftftellers, feinen reifen Stoff 3 U typifdjen ©ebilben 
3 u formen, fidj meljr ober toertiger aud} füt einen reifen Sdjüler als fül)ne ©e* 
Jdjidjtslonjtruftionen Ijerausftellen müffen, fonbem aud} barum, toeil ber beutfdje 
Spület bei jebet fittf bietenben ©elegenljeit lernen ntufj unb l}iet toieber lernen fann, 
ba& bie (Einheit bes Deutfdjen Reiches bodj bie beftimmte (Eigenart ber ein 3 elnen 
beutfdjen Stämme nidjt antaftet. Dem öeutfdjen Sdjüler foll aller töftlidje Reich 5 
tum öeutfdjer Arten oot feinem geiftigen Auge Iebenbig toerben; bann erft roirb er 
bie Ijeljre ©töjje bet (Einheit richtig erfaffen fönnen, aud} in bem ©efd}id}tsbilbe bes 
©acitus. 

«ms nad} äugen, fdjroettgeroaltig, 

Um ein ijod} Partiet gefrort; 

3nnen reich unb oielgeftaltig, 

3eber Stamm nad} feiner Art. 


Sdjon ber beftimmte Unterfdjieö oon Horb* unb Süböeutfcfjen tritt fdjarf ^eroot 
unb wirb butd} bie geograpftföen Der^ältniffe begrünbei Die Hlattiafen am Rtain 
fmb ben ftammoerroanbten Bataoem an bet Rljeinmünbung in oielem a^nlidj, 
nisi quod ipso adhuc terrae suae solo et caelo a c r i u s a n i m a n t u r (29). 3m Horben 
nalje ber Küfte tooljnen bie ©Raufen, ein ftol 3 es, ebeles Dolf sine cupiditate, sine 
impotentia, quieti secretique (35). Die ©Ratten leben um ben §ercynifd}en IDalb, 
ein taubes Bergoolf, bas einen härteren Körper, ftraffere ©lieber, aber aud} einen 
größeren animi vigor (30) b Q t. Multum, ut inter Germanos, rationis ac soller- 
tme. Bebeutfam ift bas ut inter Germanos; benn im allgemeinen finbet ©acitus bie 
me ra ber ©ermanen auffällig. Die ©egenfäge sollertia unb inertia gelten auf ben 
gemetnfamen Stamm ars 3 urüd. Der inertia ber ©ermanen genügen bie einfachen 
Lebensformen : fie bauen ein fimples, fdjmudlofes §aus, too ber erfte befte plat) 


in , mei " er ® äti 9* cit als £ef}rer, habe idj aud} biestnal meine pd 5 
Rad» einaph^n e »r a ' Ö ? S *^1 m 1 batte, in f}äuslid)em fluffage bearbeiten Iafjen. 

butd} führen ^' e ^ Ute onn l en au © f* e DOn ihrem Stanbpunft aus bies ©berna 



Don ffieorg Rofentfeat 


411 


mit jeinem.Selb ober Rlaffer fic einläbt (16); Strafeenanlagen (vici), roic in Rom, 
fini> ifenen rticfjt befannt. Hut eins reifet fie aus intern torpor heraus, in bem % feäus* 
liebes uni» öffentliches £eben beinahe 3 roecflos bafeinfcfeleicfet: ber Krieg. 

flllet Dinge mäcfetigftes: Krieg! 

Aller ffiütet Ijerrlichftes: Sieg! 

Das i[t utgetmanifcfee £ofung. Der Krieg ift bas (Element, in bem ber ©ermane 
Jum Ceben ermacfet, ber Krieg ift ifenTfeanbrnerf, Beruf, Kunft, 3iel unb 3roe<f feines 
Dajeins. Rur in 3 t»ei ober btei Kapiteln ber gan 3 en ©ermania roirb nicfet nom 
Krieg ober non IDaffen gefprocfeen, ofene bafe etroa oon einem beftimmten Krieg$ 3 uge 
gefprocfeen mürbe. Dem Kriege finb alle anberen Dinge bes £ebens nacfegeorbnet. 
Quotiens bella non ineunt (15) —, biefer Safe befagt genug. 3eber anbere 3uftanb 
ift flusnafeme3uftanb unb toitb nur butcfe bies ober jenes mittel gerabe nocfe erträglich 
3 u macfeen gefucfet. Die Sorge für haus unb fjof bleibt ben förperlicfe Scferoacfeen: 
delegata domus et penatium et agrorum cura feminis senibusque et infirmissimo 
cuique ex familia (15). Den fldetbau treiben fie nur, foroeit es unumgänglicfe er* 
fotbetlicfe ift, unter De^idfet (26) auf alle Kultimerung bes Bobens; pigrum quin 
immo et iners videtur sudore acquirere, quod possis sanguine parare (14). feanbels* 
gefcfeäfte finb ifenen nur roenig betannt. Rur auf ben Krieg läuft alles 3nteteffe feinaus. 
Sifeon bie 3ugenb fennt nur bies eine 3i^I: ben IDaffen bereinft 3 u genügen (15). 
R)er mit scutum unb framea gefcfemücft roorben ift, bet feat ben primus honos iuventae 
erfealten; ber junge ©ermane ift bann fo ftol 3 toie ber römifcfee Knabe, bet bie toga 
puerilis oblegen batf. Die Staatsibee oertörpert ficfe für ben ©etmanen in ber IDaffen* 
gemeinfcfeaft: ante hoc domus pars videntur, mox rei publicae. ©ollfüfene Spiele 
(24) bereiten ben Jüngling 3 ur IDaffentücfetigfeit oor: inter gladios se atque infestas 
frameas saltu iaciunt. Durcfe tDaffentücfetigteit unterfcfeeibet ficfe bet $reie oom 
Unfreien (20). flucfe bas IDeib antb 3 u biefer fluffaffung et 3 ogen, gleich ben beutfcfeen 
®ffi3ierstöcfetem unb *frauen feeutiger 3eit: ne se mulier extra virtutum cogitationes 
extraque bellorum Casus putet, ipsis incipientis matrimonii auspiciis admonetur 
venire se laborum periculorumque sociam, idem in pace, idem in proelio passuram 
ausuramque (18). Dafür finb bie $rauen aucfe bie Iiebften pignora (7): ad matres, ad 
coniuges vulnera ferunt. Denn Stauen unb Rlütter 3 iefeen mit in bie Scfelacfet. 3n 
©affen erfcfeeinen bie ©ermanen bei jebem Ausgange, bei allem ©un: tum ad 
negotia nec minus saepe ad convivia procedunt armati (22). 

IDenn aucfe ber ©runb 3 ug im ©fearafter ber ©etmanen bas Ktiegerifcfee 
•ft fo feat bocfe aucfe feier roieber ber Sdferiftfteller fein bie Unterfcfeiebe ber ein 3 elnen 
Dölter feetaus3ufeeben geroufet: alios ad proelium ire videas, Chattos ad bellum. 
Denn ber ©featten fcfeon oben gerüfemte sollertia beftefet batin: praeponere electos, 
audire praepositos, nosse ordines, intellegere occasiones, differre impetus, disponere 
diem, vallare noctem, fortunam inter dubia, virtutem inter certa numerare, quod- 
que rarissimum nec nisi Romanae disciplinae concessum, plus reponere in duce 
quam in exercitu. 3nbes feerrfcfet bei ben ©featten bocfe bie fluffaffung oor, bafe bas 
£efete im Kriege bocfe ber Krieg ift. Der Krieg ift ifenen feine fittlicfee 3bee. Sie 
feaben ifete £uft am Kampfe unb fucfeen ifen auf, u>o et fie meibet. Denn fie laffen 
feaupt* unb Bartfeaar lang toacfefen, unb erft ein erfcfelagenet $einb gibt ifenen Dafeins* 
berecfetigung; bann legen fie bie fcfetecfenerregenbe haartracfet ab unb bringen fie 



412 


tfacitus* Germania, and) eine beutfd)e Bette in fernerer Seit 


öer Dirtus als ein R)eih s unö Dantopfer. 3n völligem ©egenfah h* ct 3 u erjc^einen 
öie faulen (35), fic find gleidjfam ein Abbilb unfetes heutigen öeutfdjen Dolies, 
n»enn mir es uns als eine empfmbenbe unb hanbelnbe (Einheit voiguftellen vermögen. 
B)as man von unferem Dolle, tvas man von biefet eben genannten (Einheit in beutfdjet 
3unge fingt unb fagt, bas rühmte man von ben ©hauten, unb gerabe barum weifen 
heute in fdjiveter 3eit bie tDorte bes dacitus unfere befonbere Rührung: tarn immen- 
sum terrarum spatium non tenent tantum Chauci, sed et implent, populus inter 
Germanos nobilissimus, quique magnitudinem suam malit iustitia tueri, 
sine cupiditate, sine impotentia, quieti secretique nulla provocant bella, nullis 
raptibus aut latrociniis populantur. id praecipuum virtutis ac virium argumentum 
est, quod, ut superiores agant, non per iniurias adsequuntur; prompta 
tarnen Omnibus arma ac, si res poscat, plurimum virorum equorumque; 
et quiescentibus eadem fama. — Die üherusfer bagegen haben nach b« flwfeen Darus» 
fchladjt ben unfchönen draum vom ewigen Stieben geträumt unb mußten bafüt bi« 
bittere IDahrheit am eigenen £eibe fpüren: ubi manu agitur, modestia ac probitas 
nomina superiori sunt (36). (Es ift gtunbfalfch, wenn man, umringt non ftarlen unö 
3ügellofen Dölfern, fich ber Ruhe hin3ugeben 3«it finbet; quia inter impotentes et 
validos falso quiescas. Darum finb bie ©heruster als Ration untergegangen unb hoben 
felbft ihre $reunbe mit in bas Derberben geriffen: Chattis superioribus fortuna in 
sapientiam cessit. — (Etwas 3nbianermäftiges haben in ihrer Kriegsart bie hanet 
(43). Sie wollen wie ein höllifdjes fjeer wirten: nigra scuta, tincta corpora; atras 
ad proelia noctes legunt ipsaque formidine atque umbra feralis exercitus terrorem 
inferunt, nullo hostium sustinente novum ac velut infemum adspectum; nam 
primi in omnibus proeliis oculi vincuntur. Der lefcte Safc bürfte heute recht wenig 
3utrefferib fein. Denn ber Seinb wirb heute im Anfang bes Begegnens weniger ge« 
feljen als gehört, unb bie feelifche (Erfchütterung fommt vom Donner ber nicht fichtboren 
©efchütje. •- 

IDie erHärt (ich ber Iriegerifche ©eift ber ©ermanen? ©leid? im Anfang feiner 
©etmania weift dacitus auf datjadjen hin, in benen wir wohl einen (Erflätungsgtunb 
firtben tönnen: es ift bie Reinheit bet Raffe, ber gewaltige Körperbau, bet eben in 
feinet (Eigenart nur 3 u einer gewiffen ©tuppe von Strapa 3 en geeignet ift, ben Klima 
unb Boben abgehärtet unb 3 ur ©infachheit beftimmt haben. Der Riefenleib finbet 
feine natürliche Aufgabe in ftürmenber dätigleit: magna corpora et tantum ad 
impetum valida; jaboris atque operum non eadem patientia (4). Daher fahen wir, 
bafc bie cura domus et agrorum infirmissimo cuique überlaffen war. dacitus wunbert 
fi^ einmal (15) über bie mira diversitas naturae, über ben feltfamen IDibetfpruch 
im IDefen ber ©ermanen, cum idem homines sic ament inertiam et oderint quietem. 
Diefe diversitas erflärt fich öodj wohl aus ben Angaben bes 4. Kapitels. R)o ber ©eift 
noch nicht öie ©berherrfchaft übet ben gan 3 en RZenfchen gewonnen hat, ba mag bas 
magnum corpus wohl non felber 3 u einer folchen diversitas hinneigen: Hidjtstun ift 
ihm gemäg, bis bie elementaren Ceibenfchaften in ihm aufflammen. 

RHe fteht es mit ben fittlichen Rtotiven beim Kriegführen? Befonbetes £of>, 
fo fahen wir, hatten bie ©hauten gefunöen. Anbete Dölferfchaften waren wilbet unb 
unge 3 ügelter. IDorum tämpften bie germanifchen Dölter? Den Begriff Daterlonb 
1 ehernen fie noch nicht in ftrenger Reinheit getannt 3 U haben. Sie wanöem unb wechfefo 



Don ©eorg Rofentfjal 


413 


bie Stätten ihrer EDohnung: agri pro numero cultorum ab universis occupantur, quos 
mox inter se secundura dignationem partiuntur; facilitatem partiendi camporum 
spatia praestant. arva per annos mutant et superest ager (26). Das Datetlanb hat 
3 toei Seiten: es ift einmal bas Stüd (Etbboben, mo unfere EDiege geftanben hat, unb 
bann ift es eine nationale 3 bee, geroonnen butch (Erfahrungen unb Belehrungen in bet 
3ugenb, burd} ©rabition, Sage, ©efdjichte, Religion, gefeftigt unb beftärft burd} 
eigene lat im reiferen Alter, feftruhenb in ber felbftgemonnenen Übe^eugung bes 
Rtannes. IDas mit bem erften Kinderlieb, bas bie Rtutter fingt, in unfer fjer 3 ein* 
3 ieht, roas mit oom beutfdjen lieben ©ott fie Jagen hören, mas unferes Datetlanbes 
Rot unb a ©lüd in alten 3 «iten in unferen tje^en roedt, bas moQen mir, Jüngling unb 
Jungfrau gemorben, lieben unb fdjütjen, unb tünftige ©aten bringen rings um uns 
her mt 3 ählig roie Sterne in ber Rächt. So mirb bas Datetlanb in uns geboren. EDo bas 
erfte Stüd bes Datetlanbes fehlt, ba fann bas 3 meite, bas größere unb heiligere Batet* 
lanb, nur fdjmet fid} aufbauen. EDohl haben bie ©ermanen gegen Darus in einem 
gtofeen gteiheitslampf 3 ufammengeftanben, unb Arminius mirb als ihr Befreier in 
helbenliebetn gefeiert; aber hoch finben mir leinen Anhalt, bafo bas Daterlanb ihnen 
eine gtofee, bie gan 3 e Perfönlichleit heiligenbe unb hinteifeenbe 3bee gemorben märe. 
(Es märe bas auch bei einem noch tulturlofen Doll eine Unmöglichleit. Aberflnfät^u 
biefer 3bee Daterlanb finben mir genug. Sie finb 3 U finben in ber unbebingten 
eine ©efamtheit oorausfetjenben Kriegsbereitfchaft, bie fdjon bie 3 ugenb leibenfdjaft* 
lief; etftrebt, in bem Kampf für EDeib unb Kinb, in ber ©reue, bie gühter unb ©efolge 
eint, nec rubor inter comites adspici (13). Cum ventum in aciem, turpe principi 
virtute vinci, turpe comitatui virtutem principis non adaequare... illum defendere, 
tueri, sua quoque fortia facta gloriae eius adsignare praecipuum sacramentum est; 
principes pro victoria pugnant, comites pro principe, ©s mag auch bies ein letztes 
(Ergebnis einer (Entmicflung fein, bas ©acitus tonftruiert hot obet — 3 U bem er auch 
durch feinen ftarl antithetifchen Stil gebrängt ift. Denn ber Stil oermag auch Öen ©e* 
banlen 3 u färben. Aber bas bleibt m^roeifelhaft, bafe alles Iriegerifche ©un einen 
ritterlichen ©eift gebiertunb bie erfte Stufe 3 Ut Kultur ber Rtenjd}h«it ift. 3m Anfang 
mar bet Krieg. EDohl bem Dolle, bas oon biefer Stufe aus höher fteigen tarnt! tDelje 
bem Dolle, bem bieje erfte Stufe 3 ugleidj bie letzte ift! Die ©ermanen finb roeiter ge* 
fliegen; benn fie haben 3 u einem nicht Reinen ©eile um 3been getämpft, fo primitio 
biefe auch m><h getoefen fein mögen. 

©acitus berichtet ebenfo mie ©äfat oon bet Sittenreinheit bet ©ermanen. Sera 
iuvenum venus, eoque inexhausta pubertas ( 20 ). (Erft fpät gibt fi<h ber Rlann bet 
gef^lechtlichen Siebe hin, nec virgines festinantur ac robora parentum liberi referunt. 
Sroh hören unb glauben mir biefe Kunbe, bütfen uns aber, mie ich meine, nicht oet* 
hehlen, bafe bie Ausführungen im 19. Kapitel Konftrultionen bes tenben 3 iöfen 
hiftoriters finb, ber felbft ein ritterlicher Rtann, oon fittlich hothftehenben grauen 
in feinet gamilie umgeben, überall für grauengröjje unb gtauenehte eintritt. So 
unbebingt ift feiten ein antiter Schriftfteller ein tühmenber fjerolb bes EDeibes in 
feinen Seiftungen als Rtutter, ©attin unb Kamerabin bes RTannes gemorben mie 
ber Römer ©acitus. Aber bas EDeib unb bie ©ochter bes Agritola, bie bas ©eiftige bes 
halben 3 U ehren miffen unb barum mie getmanifche Rtänner mehr bas meminisse 
an ben ©oten als bas lugere um ben ©oten pflegen, finb nicht alltägliche grauen* 



414 


lacilus’ ©ermania, aud) eine beutföe Rebe in fernerer Seit 


geftalten. Unb wenn ©acitus oon Öen ©emtanenfrauen berietet (19): sic unum 
accipiunt maritum quo modo unum corpus unamque vitam, ne ulla cogitatio ultra, 
ne longior cupiditas, ne tanquam maritum, sed tanquam matrimonium ament, 
fo tonftruiert er eine fitüiche fjöhe, bie wohl fdjon bie tDirHic^leit hinter jicfj löjjt 
unb in bie intelligible U)elt hineinragt. Denn bas jinb $orberungen, bie Kants toütbe» 
ooller ©tl?« ben Dorwurf ber Rigorofitat eingetragen haben. ©em bagegen glauben 
mir bem Römer wieber, toenn er es als ein flagitium bei ben ©ermanen bejeidjnet, 
numerum liberorum finire aut quemquam ex adgnatis necare. Denn urfprüng» 
lid^te Raioitöt lehnt fidj gegen fold}e ©rgebniffe ber 3ioilifation (ich fage nicht: Kultur!) 
auf. Oie reine Kraft bes gefunben Rtenfdjenleibes fträubt fidj gegen foldje gemeinen 
ntiprüudje. 

Oie reine Kraft bes Ijodjgeroadjfenen Ceibes mag es auch getoefen fein, bie ein 
freiheitliches Derljältnis 3 wifcf)en $ürft unb ©efolgfdjaft gefdjaffen hat $reili<h muffen 
mir auch hier oorfidjtig fein unb genau bie IDorte bes fjiftoriters abtoägen, bet in 
all feinen Schriften toieber unb toieber ber in Rom oerloren gegangenen libertas 
nachtrauert. ©in fnechtifches obsequium erga reges (44) hat er nur als Ausnahme ge» 
funben; allein ber freie Rtann gilt bei ben ©ermanen etwas: nec regibus infinita 
aut libera potestas (7); h ct 3°9 ift nur ber, meiner burch fein befonbetes Können 
bie Betounberung ber anberen herausforbert. Oas Derhältnis ift ein lamerabjchaft* 
li<hes: haec dignitas, hae vires, magno semper electorum iuvenum globo circumdari, 
in pace decus, in bello praesidium (13). 

tDie feinem Könige, fo fteht ber ©ermane auch feinem ©ott als aufrechter Ittann 
gegenüber. Auch hier haben toir es bem römifchen f)iftorifer 3 U bauten, ba& er uns 
oon oetfchiebenen $otmen ihres ©Iaubens (superstitiones) 3 U berichten weife, bie 
inbes 3 um ©runb 3 uge ihrer teligiöfen Anlage ftimmen. Sie ftempeln nicht Htenf<h en 
3 u ©öttem, toie bas in Rom gefd}ah; bas ©öttliche ift ihnen inneres ©rlebnis. Sie 
bauen ihnen teine ©empelhaufer, in beten ©ella ein ©ötterbilb mit TTtenfdjert 3 Ügen 
ftünbe; lucos ac nemora consecrant deorumque nominibus appellant secretum illud, 
quod sola reverentia vident. Aber bie Ianbfchaftlichen ©igenarten mögen bei bet Bil» 
bung bes eirt 3 e(nen ©Iaubens (superstitio) mitgeroirtt haben; auf einet einfamen 
3nfel bes © 3 eans ift bas Heiligtum ber Rerthus, ber Rlutter ©rbe; aber auch bie Dölter 
an ber Küfte bes $eftlanbes beten 3 U ihr; hoch nur ber Priefter ber ©öttin weife 
batum, toenn fie bie menfchlichen Stätten ihres Befuches toürbig gehalten hat; ein 
fterbliches Auge fieht fie niemals, ober bie Silanen, bie ihre ©eräte unb Attribute nach 
ihrem Befudje reinigen bürfen, mufe fofort bie §lut eines geheimnisoollen Sees oet» 
fajlingen (140). R)as fie benten, toas fie fühlen, ein ©eheimnis bleibe bas. Bei ben 
Rahanatoalen (43) geniest ein göttliches Btüberpaat bie Oerehrung ber Rtenfchen; 
man tönnte fie ©aftor unb Polluj Dergleichen, aber nulla simulacra, nullum 
peregrinae superstitionis vestigium. Bei ben Semnonen toirb ein uralter (f<h on 
bamats fo be 3 eichnet!) Kult ausgeübt: in silvam auguriis patrum et prisca formidine 
sacramcoeunt caesoque publice homine celebrant barbari ritus horrenda primordia... 
si forte prolapsus est, attolli et insurgere haud licitum: per humum evolvuntur. 
eoque superstitio respicit, tanquam ibi regnator omnium deus, cetera subiecta 
atque parentia. — ©in ©eil ber Sueben (9) opfert auch ber 3 fis. — Oie Aftier (45) oer» 
epren tne ©ottermutter unb tragen als ©alisman ein ©betbilb bei fi<h, bas jtärferen 



Don ffitorg Rofcntfjal 


415 


S(^u§ als alle fDaffen oetleihe. IDas 3afob ©rimm in ber Dorrebe 3 U feinet IRytljo* 
logie (I. 36) ausführt: „3n unfeter Ijeibnifchen ITCytf}ologie treten Dorftellungen, 
beren bas menfd}lid}e f}et 3 hauptfäd}lid} bebarf, an benen es fid? aufrecht ^ält, ftart 
unb tein heroot", bas finbet fich aud) fd)on in ben altgermanifchen Dotftellungen. 
Superstitio bebeutet bas Derljältnis bes RTenfd}en 311 m Übetfinnlidjert unb batf 
nict?t etroa immer mit Aberglauben überfefct toetben. Das ZTCenfd}enf}et 3 bebatf eines 
©ottes, bet toie ein Dater ift So ift bem ©ermanen ber höchfte ©ott ein guter Datei, 
ein ©ofat, bet Sebenben fjeil unb Sieg, Sterbenben Aufnahme in feine tDofjnung ge* 
roä^rt Der ©ott geht ihnen im Sd}lad}tgetümmel gleidjfam ootan, unb toenn in 
triegerifc^er 3cit bie Prieftet bie Htannen fragen burfen, fo tun fie bas auf ©e&eifj 
bes ©ottes, quem adesse bellantibus credunt. Sit ©btoarb ©tey hat in feinet gtofeen 
Sebtuarrebe 3 m Derteibigung feines Krieges barübet gefpöttelt, bafcjne Deutfdjen 
M ftänbig auf bie Ijimmüf^e Bunbesgenoffenfdjaft beriefen. — fjen“ Rtinifter, bas 
ift nid}t ein armes Stoßgebet bet Deutfdjen, bas ift uralte getmanifdje, ben (Englänbetn 
oetloten gegangene (Eigenheit, 3 U glauben, bafe bet beutfdje ©ott ben Kriegern in 
iljten Sd}lad}ten 3 m Seite ftelje! 

Der natürliche Bunbesgenoffe bes DTenfdjen im Kampfe ift bas Pferb, batum 
au<^ als bas ebelfte ©er angefehen. Die IDalfüren reiten, bie tDolien gleichen toilb* 
hefigen, 3 U Hofe bahetbtaufenben Kömpferfdjaren, — fein IDunbet, bafe bie Hoffe 
ben ©ermanen heilige liiere finb: proprium gentis equorum quoque praesagia ac 
monitus experiri ( 10 ); equos deorum conscios putant. ©ott felber ift ihnen ©eift, 
bem itbifdjen Auge emig unfidjtbar, fid} aud} in feiner einigen äußeren $orm er* 
fjhliefeenb. Hamen, bie fie ben ©öttem 3 umeifen, finb Rtittel ihrer fd}road}en IKenfd}* 
Iid}feit, um ausfpredjen 3 U fönnen, toas fie füllen, um irgenbmie jene gefyeimnisoolle 
DTai^t 3 U be 3 eid}nen, bie fie allein in bet Anbetung erleben (9). Denn videre heifet 
erleben. Religion ift (Erlebnis. Unb Religion als tein petfönlidjes (Erlebnis ift bie 
Urform bes religiöfen (Empfinbens. Harne ift Schall unb Raud}. Urform unb höd)fte 
Sotm! IDie Raud} bie fjhnmelsglut umnebelt, fo trübt ber ftarr feftgeljaltene Harne bas 
aus fefenenbem Eje^en aufgeftiegene $ata*IHorgana*BiIb göttlicher fjertlid}feit. — 
Doc^ mit befinnen uns, bafe mir nicht Urform unb ljödjfte $orm bei ©aritus’ ©ermanen 
oertoedjfeln mollen. Denn nod} fallen HTenfd}enopfer unerhört. Jjöchftc $orm ift bie 
im Cebensfampf roiebergeroonnene utfptüngliche, natürliche $orm. Unb ob nicht 
fdjon ein ftärferes f}inburd}gel}en butef} mancherlei Kulturformen nötig mar, um ©ottes* 
oorftellungen in einfamer, geheimnisDolIer Hatur geroinnen ober neu beleben 3 U 
fönnen? Senefa fdjreibt in feinem 41. Brief an feinen Steunb Sucilius oon einem 
bidjtbelaubten fjaine: illa proceritas silvae et secretum loci et admiratio umbrae 
in aperto tarn densae fidem tibi numinis faciet. coluntur aquarum calentium 
fontes; subita et ex abdito vasti amnis eruptio aras habet, et stagna quaedam 
vel opacitas vel inmensa altitudo sacravit. An biefe Stellen benft man, 
»Denn man ©acitus Don geheimnisDollen Seen ober uralten fjainen im getmanifchen 
Kultus fpredjen hört Aber aud} an bie erften 3eilen bes gleichen Briefes: non sunt 
ad caelum elevandae manus nec exorandus aedituus, ut nos ad aurem simulacri, . 
quasi tnagis exaudiri possimus, admittat. prope est a te deus, tecum est, intus 
est. Beibe Römer finben bie vis numinis im ©eiftigen; aber „bann geht ber liebe fjerr* 
gott burch Öen U)alb", biefes rdigiöfe (Erlebnis möchten mit mehr mit Senefa bem 



416 ©acitus’ ©ermania, aud) eine öeutfdje Rebe in fernerer Seit. Don ©eorg Rofenttjal 


Kultutmenjdjen als bem Umtenfchen 3 uf<hreiben. Schon mehrfach wies id? darauf 
bin, bafe ©acitus gewiffe fittliche IRajima bei Öen ©ermanen gefunden buben wollte. 
Am auffäüigften tritt bas im lebten Kapitel heroor, wo et oon ben $ennen, bem tobe» 
ften unb unfultioierteften Stamme, fpridjt unb ihnen eine getoiffe phttofophifhe 
beatitudo 3 ufc^teibt: securi adversus homines, securi adversos deos rem difii- 
cillimam adsecuti sunt, ut Ulis ne voto quidem opus esset. Dann weiten 
bie gennen ja wahre Bettlet, mähte Könige. Aber fie buben nicht durch Kampf die 
Ktone bes £ebens errungen. tDiebet fallen einem IDotte Senelas ein (aus bem 
90. Brief): non enim dat natura virtutem. ars est bonum fieri... virtus non con- 
tingit animo nisi instituto et edocto et ad summam adsidua exercitatione perducto. 
Urform unb höchfte $orm werben leichtlidj oerwedjfelt. TDie bie reine un 3 ioilifiette 
Uatur ben ITtenjdjen bietet, ift er ein milllommenes ©egenftüd 3 m fittlidfen ©nt* 
artung. Aber (Senela ep. 90): ignorantia rerum innocentes erant. multum autem 
interest, utrum peccare aliquis nolit an nesciat. 

Aber felbft wenn ©acitus gewiffe philofopbifche ©ebanfen ber Stoa feines Saht 8 
hunberts in bie germanifche IDelt bineininterpretiert, et hätte es hoch nicht gelonnt, 
wenn nicht ber ©inbtud, ben er oon biefem Dolte empfangen bat, ein überaus gewal« 
tiger gewefen märe. ITCag feine oorneljme, hohe, ritterliche Seele bem ©bjeft feinet 
©efchichtfcbreibung oon ben eigenen 3ügen geborgt buben, etwas tDefensoenoanbtes 
mufe er-hoch in biefem Dolle entbedt haben, fo bafe er Urform unb höchfte $orm net 8 
taufchen lonnte. lii<ht feiten finden mit Spuren feinet eigenartigen Umwertungen. 
An entfeheibenben Stellen ( 12 , 19, 20 , 22 , 39 ) tritt uns bas UJort tanquam entgegen 
unb oerrät, wie fich fein ©eift mit ber Pbilofophie bes Als*©b bie Dinge 3 urechtlegt. 
Aber nichtsbeftomeniget mufj bie Urform Ulöglichleiten geboten haben, fie mit bet 
hödjften Sotm 3 U oertaufdjen. hier unb da berichtet Ahnli^es doch fc^on anderthalb 
3abrbunberte ootber bet gtofee ©äfar. Unb bas ift eine ©rfenntnis, die uns in unfeten 
ferneren 3eiten einen fo frönen unb ftarten ©roft fchafft. IDir benlen freilich 3 U bifia^W' 
um an bas Sbealbilb, bas ©acitus gefeben haben will, ohne Anftofe 3 U glauben, übet 
wir wollen auch nid?* daran glauben, weil wir fonft in oielem nur wenig im taufe non 
3 wei 3abrtaufenben oorgefchritten wären. Aber wir feben unb fühlen uns als bie ©nlel 
jener Ahnen, weil wir bie oon ©acitus gepriefenen ©ugenben boshaften, ja als bas 
höchfte anfehen, was bem Iftenfchen überhaupt erreichbar ift, U)ir lieben unfete 
Kindheit unb baffen fie nicht, felbft wenn fie ©efchwäh unb ©orijeit war. ©in h°^ r 
Stimmer liegt über unferer fügend, oon bet wir im UTannesalter träumen. IM* 
ach! U)ie fdjmeiglich ift oft ein ©rmachen, wenn uns ein Stüd unferer fügend leib 8 
baftig unb unerwartet entgegentritt! Aber auch wenn alles Schöne ©ergangen# 
3 ugenb 3 eit bet Kritil nicht ftanb 3 ubalten oermag, wir lieben fie doch und ehren iw 
Kinde den Utann. So gebt es uns auch mit bes ©acitus ©ermania. tDir muffen fein 
tunftoolles ©ebilbe auftrennen und 3 erftören, gewinnen es aber dabei doch immer 
lieber. Die Deutfdjen baute fpiegeln (referunt) bie alten ©ermanen wider. Der 
friegerifche ©eift ift nicht erlofchen; doch bet Krieg wirb oon ihnen wie uns nicht blofe 
• ^es Krieges willen geführt; ein Doll ohne friegerifchen Sinn erfc^lafft, tueitn es 
wie bie ©beruslet auf Cotbeeren ausrubt. ©leich ben ©haulen halten wir unabläffig 
bas Puloet troden: arma prompta; aber mehr ftüfeen wir durch .rechtes ®un 
unfete ©röfee. 


3ur preu&ifäen Iteuorbnung ö. Dorbilbung f. b. Ejö^erc Ce^ramt. Don Bemharb Cutter 417 

D04? Gacitus ift fettet 3U fefr aufrichtiger unb leibenfchaftlicher Patriot, um nit^t 
audj bie Gefahren 3U etlennen, bie feinem Daterlanöe non biefem Dolle brohten. 
(Ein fc^riller ITO&Hang in bem mit Eingabe ge3eichneten Bitte ift 6as 33. Kapitel. 
Gone bes paffes, bet Sutdjt fpringen auf unb beftätigen inbirett, wieoiel furchtbare 
IDa^eit bodj in bet anbeten 3 eidjnung fich birgt. DDie eine göttliche $ügung pteift 
et es batum, wenn fid; bie germanifäen Stämme fettet gegenfeitig 3erfleifchen: 
maneat, quaeso, duretque gentibus, si non amor nostri, at certe odium sui, quando 
urguentibus imperii fatls nihil iam praestare fortuna maius potest quam 
hostium discordiam. (Et fürstet (Setmanien, et fürstet für Rom. hieraus 
Hingt bie bange Sorge, bafe biefes Dol! nur nicht einmal einig werbe! 3 ft bas nicht oon 
jejjer bet hei&efte IDunfch aller unfetet $einbe gewefen? Sie füllen inftinftio: „Roch 
nie warb Oeutfchlanb übetwunben, wenn es einig toar." Das berühmte 
37 . Kapitel bet (Sermania fdjilbett bie germanifche (Befahr. Seit ben Gagen bet 
Gimbem, bie Rlarius fdjlug, ift Rom 00t (Setmanien nie 3ur Ruhe gefommen. Rid?t 
bie Samniten, nidjt bet Puniet fjannibal, nicht bie toilben Spanier, fa feffift nicht 
einmal bie Partner ijabert fo oft fdjtedensDoII an bie Gote Roms gepocht wie bie 
Germanen. 210 3af}re finb bis 3U ben Gagen bes Gacitus unter biefem getmanifdjen 
Sdjtetfen oerfloffen: tarn diu Germania vincitur. (Eine unnachahmliche Sprache, 
um bie Unbefiegbatteit Germaniens 3um Ausbrud 3U bringen! U)enn auch 
^iet unb ba einmal ein Heiner (Erfolg römifcfyerfeits errungen worben ift, bennoch 
triumphati magis quam victi sunt. Oie £üge toar immer Gtumpf im Arfenal oon 
Oeutfcfjlanbs $einben. Aber bie germanifche Sturmflut braufte oetfjeerenb über 
Rlumien unb Schattengebitte baljin . . . 

3 ahllofe Parallelen 3wifchen einft unb jetjt laffen fidj im Unterrichte 3iefjen. Aber 
roas mir oft in biefem Büchlein oon Oeutfdjlanbs U^eit gelefen haben, unter bet 
Berührung mit bet heutigen 3 eit gewinnt es Kraft unb roedt neue Kraft in ben ffe^en 
berer, bie in ben bewegten Gagen unferes 3 ahtes bei ihm (Einfehr halten. 

3ur preujjijdjen Heuorönung 6er üorbtlöung 
für 6a$ fyöfjere £eljramt. 

Don Berntyarft £utl?er in Hlülljeim (Rufyr). 

I. Gntwurf 3 u einer neuen Grbnung 6er Prüfung für bas rehramt 
an höheren $<hn(en In Preußen. 

Oie Prüfung für bas Cehramt an höheren Schulen 3erfäHt nach öem (Entwurf in 
3wei Geile: 1. bie wiffenfchaftlidje Sadjprüfung am (Enbe ber Stubien3eit unb 2. bie 
päbagogifdje Prüfung am Gnbe ber 3weiiährigen Oorbereitungs3eit. 

1 . Oie wiffenfdjaftliche $a<hprüfung. 

Seht wichtig ift, bafe burd} biefe Geilung ber wiffenfehaftliche Ghatafter bes Uni« 
oerfitätsftubiums fichergeftellt ift. 3 h” wollen wir jetjt weniger als je antaften laffen. 
Anbererfeits aber ift ben Stubenten bie (Erinnerung an ihre eigene Schu^eit Iebenbig 
unb ba3u haben fie ben Celjretberuf in Ausficht. (Es ift nur natürlich, wenn fie päb* 
«gogifche Stagen intereffieren. Oie Prüfungsotbnung berlangt batum ben Befudj päb* 

3*0f^r. f. 6. b«utfd|cn Unterrldit 29. Jafirg. 6.f}eft 27 



418 3ur prcufetfd)en tleuordnung der Dorbildungfür bas l)öl)ere Ccfjramt 

agogifdjer Dorlefuttgen. Aber fic fömrte nod} mehr tun, 3.B. Pädagoge! als „ 3 ufah= 
fad}" 1 ) 3ulaffcn. 

Der wiffenfchaftliche ©haratter des Studiums wird bejonders geroä^rleiftet öinrch 
dieUntetjdjeidung oom elften und 3weiten fjauptfad}, die mit Steuden 3U begrüben 
ift. Die $ormulierung des Unterfdjiedes ift aber nicht glfidlid}. (Es Reifet in § 10 : 
„Der Kandidat mufj in feinem elften hauptfache gründliche Studien getrieben hob«« 
und in der Prüfung bemeifen, baf} er auf diefem ©ebiet 3U töiffenfd}dftlid)em Urteil 
fähig ift. 3 n den weiteren tjauptfädjern find diejenigen Kenntniffe nad^uroeifen, 
die für den Unterricht in den oberen Klaffen einet höheren Sehranftalt erforderlich 
find." Der Ausbrud „gründliche Studien" ift febt ungenau. Dot allem ift aber 311 
beanftanben, was oon „wiffenfdjaftlichem Urteil" gefagt ift. BOer ein wiffenfchaftlidjes 
Urteil hat, hat es. nicht nur in feinem Sache. U)et griedjifche 1 £iteraturwiffenfd)aft 
mit (Erfolg getrieben hat, fann auch beurteilen — die nötigen Dorfenntniffe ooraus? 
gefetjt •—, ob in einem Auffatje das Derhältnis oon hauptmann 3U Sbfen richtig dar? 
geftellt ift. IHit „Kenntniff'en" lommt überhauptlein Cehrer aus, gefchweige in oberen 
Klaffen. Das wiffenfchaftliche Urteil fann ihm nicht gefchenft werden. Dielleidft 
fönnte man den Unterfdjied fo ausdrüden, öafj die Prüfung im elften fjauptfadj auf 
die gan3e Difeiplin’), im 3Weiten nur auf die Sehraufgabe der höheren Schulen fich 
erftredt. Unbedenllich ift auch dies nicht, wie jede allgemeine $ormulierung. U)äte 
cs nicht möglich, diefer allgemeinen Unterfdjeidung den ©haratter ftrenger $orberung 
ju nehmen und ftatt defjen dte HTotioe bet Untertreibung heroo^uheben und die 
Studenten3u mahnen, baf} fie das Recht, einer U)iffenfd}aft fich * n oerftärttem Utafee 
3U widmen, als eine Pflicht betrachten? 

Seht 3u beanftanben ift, ba& bei den meiften $ächetn, fo auch beim Deutfchen, 
der IDortlaut det bisherigen Anforderungen oon 1898 beibehalten werden foll. Run 
haben wir aber jetjt die fjaüptftufen: erftes Hauptfach, 3weites fjauptfad} und Heben? 
fad}, während früher nur fjaupt? und Hebenfach untergeben wurden. U)enn nicht 
in den Anforderungen beim erften und 3weiten fjauptfad} Unterfdjiede feftgeftellt 
werden, fo ift der tDilllür ©ür und ©or geöffnet,- die ja befanntlid} bei afaöemifcbcu 
Prüfungen überhaupt gtöfjer ift als bei Schulprüfungen. Dielleicht brauchte man 
©otifch und Althodjdeutfd} nur für das erfte Hauptfach 3u fotdern. Bejonders wichtig 
aber ift, baf} Schritte getan werden, um die Sortierungen des Deutfchen ©ermaniften? 
oerbandes 3U erfüllen, ©ewifj find feine 3iele fehr hoch geftedt, oielleidjt 3U h°ö) > 
aber fie 3eigen doch Öen IDeg, den man gehen-mufe. Das Deutfdje jollte auch auf der 
Unioerfität lein nur philologifd}es*$ach fein. (Es ift unberechtigt, die Sprache und Site? 
ratur des Htittelalters für fich ijoliert 3U behandeln; fie müffen in Öen 3ufammenhang 
d er mittelalte rlichen Kultur geftellt werden. Aber auch fonft find gtofje Süden. 

1 ) Aus dem (Entwurf geht nicht deutlich heroor, welche Bedeutung für die Prüfung die 
Sufatjfädjet haben Jollen.. Sie tonnten 3 . B. für das geforderte Hebenfach eintreten oder ein 
3 weites Hauptfach 3 U einem erften erweitern. Als 3ufat}fach 3 U DeUtfch tommt die phil°f ° 5 
Phifdje Propädeutit in Betracht, Dielleicht auch die ©efcfjichte der Kunft des TTTrttclaltcrs und 
det Heu 3 eit. Durch die 3ufatjfäcber hätte man Gelegenheit, der ©egenwart noch meht ih* 
Recht 3 u geben, 3 . B. Bürgertunde, Dichtung der ffiegenwart außerhalb Deutfchlands. 

2 ) IRan oet 3 eilje das Sremdwort. finde fein deutfdjes, das im Unterfchied oon „$a<h“ 
denjelben Sinn hat. Übrigens, erfe^t die endgültige Prüfungsordnung hoffentlich einen Heil 
det Sremdwörter durch deutfdje oom Prädifat und (Termin bis 31 cm Depattementsrat! 



öon Bernfjorö £utJ)cr 


419 


finöet fidj nidjt einmal ein tjinmeis öarauf, öafj öer Kartöiöat fällig fein mufe, eine 
Did^iung als Kunftwert aufeufaffen. Die Afthetif beanfprucht aber audj i^t Recht. 

UJegfallen tonnen bagegen bie „testen ber Rhetorif", bie 3ur Anfertigung ber 
beugen Auffähe etforberlid? fein follen; fie gehören, in ein wiffenfchapches (Epamen 
nid}t. Dagegen ergebt fidj bie $rage, ob nicht beffer für bie ftüiftifche Ausbilbung 
geförgt werben fönnte. 3 etjt finbet fich bas Derlangen eines, einwanbfreien Stiles 
nur bei ber fdjriftlidjen Arbeit in ber Pffilofophie (§ 9 , 1), bie noch baju nur auf befon* 
beren Antrag bes Bewerbers 3u machen ift (§ 35 , 1), was nicht alpoft oorfommen 
wirb, .'fjiet liegt eine £ücfe, bie einmal gefchloffen werben mufc. (Einen wohltätigen 
(rinfluB übt wohl fidjer bie Abfaffung oon Seminararbeiten aus; ihn fann man oet* 
ftärfen, inbetn man ihre Dorlegung bei ber Prüfung forbert. Aber immerhin ift bei 
wiffenfchaftlidjen Unterfuchungen bie Sormgebung oon geringerer Bebeutung. Des* 
halb follte man aud? einige Auffähe oerlangen, in beiten ein oorhanbener Stoff bat* 
geftellt wirb, oielleicht gelegentlich in $orm eines Dortrages. Untere 3 eit ift th.eo* 
retifchen Belehrungen über „Rhetorif" nicht geneigt,, ba fie felbft auf ber Suche nach 
einem neuen Stil ift; aber, bie (Gelegenheit 3ur praftif«hen Stilübung follte man geben. 

Bebenflicher aber noch ift, öafc nach ben bisherigen Anforbetungen bie Prüfung 
lebiglidj ben 3 mect hat, Kenntniffe fefouftellen. (Gewift ift bet Radjweis oon Kennt* 
niffen bei einer Prüfung unentbehrlich. Aber fie finb hoch nur Rohftoff. (Es lommt 
barauf an, was man bamit anfangen fann. Itlan barf hoch nicht oetgeffen, bafc fich 
in ben lebten 3 ah^ehnten im Unioerfitätsbetrieb oiel geänbert hat; Durch bie Se* 
minarübungen fennen bie Prof efforen ihre Stubenten piel beffer. Das. Urteil, bas 
fie über .ben Bewerber hüben, bringen fie in bie Prüfung mit,, genau wie wir es beim 
Abiturientenepamen tun. (Es wäre batum richtig, wenn, bie Prof.efforen oor betPrü* 
fung 3u (Gutachten aufgeforbert würben, bie bei ber $eftftellung bes (Ergebniffes in 
Betracht fämen. 

3 t»eietlei ift bei ber Prüfung 3U forbern: 1,. Urteil unb 2. Sähigfeit, feine (Geban* 
fen georbnet unb fliefrenb ooigutragen. Ejierauf mu&EDert gelegt werben; berStu* 
bent muh oon Anfang an wiffen, bafe an ben £eljrer im münblichen Doctrag hohe An* 
forberungen geftellt werben. Dem Kanbibaten follte barum bei ber Prüfung mehr* 
mals (Gelegenheit gegeben werben, fich 3ufammenhängenb über einen (Gegenftanb aus* 
3 ufprechen. (Et müfcte 3. B. fähig fein, über ein. unbefanntes (Gebicht, bas ihm oor* 
gelegt wirb, nach huget Überlegung Betrachtungen übet $orm, Inhalt, bichterifchen 
IDert unb Dermutungen über feine (Entftehungsjett,* Deranlaffung, Dorbilb ufw. 
auf 3 uftellen. ©ber er würbe gefragt: tDelcf?e £iteraturgefchi<hten würben Sie an* 
geljenben Stubenten empfehlen? IDarum? — EDie würben Sie in ber Schule 1 ) bie 
(Entwidlung bet beutfehen Sprache, bie Ribelungenftage,. Schillers Dethältnis 3U 
Kant, bas UJefen ber Romantif ufw. oortragen? — U)el<he Hilfsmittel ^aben Sie 3ur 
Dorbereitung auf ben Unterricht über ben „Sauft"? IBütben Sie auch Öen 3weiten 
Seil behanbeln? (Eine rechte Prüfung ift fein peinoolles S*agen unb Antworten, 
fonbern eine wiffenfdjapche Unterhaltung. So würbe bie Behanblung ber lebten 
Stage 3. B. bem Kanbibatert (Gelegenheit geben, 3U 3eigen, ob er einen Überblid über 
öen „Sauft", hat unb ob er fich in feine (Gebanfenwelt hineingefunben hat. natürlich 
fiuben fich in* 3weiten (Teil oiele Stellen, beten Behanblung in bet Sdpe 3U erwägen 

’l) ©ber auch in einem Dortrage oor Stubenten ober anberen 3uf?örern. 

27 * 



420 


3ur preugifigen Iteuorbnung ber Dorbilbung für bas gögere Cegramt 


ift. — RHe urteilen Sie über bie Bebeutung ber „Scgulb" in bet Gtagöbie? — Sie 
gaben „Bertran be Born" 3U beganbeln. R)as roerben Sie oon bem Stoff unb com 
Dieter 3U fagen gaben? 

Rotroenbig ift es, bag bie Kanbibaten ben Klaffilet angeben müffen, mit bem fie 
fieg befonbers befegäftigt gaben, ober noeg beffet oielleicgt einen Klaffiter unb einen 
jpäteren Dichter (Weift, £ubroig, Hebbel, ©rillpaiget; aueg gegen einige nod} fpätere 
mürbe nidjts ein3uroenben fein). Bann mügte aber nid}t nur Kenntnis, fonbem 
Dertiefung geforbett merben. 

Selbftoerftänblicg tann ben Kanbibaten eine folege Prüfung nur 3ugemutet roet* 
ben, menn fie Übung im freien Bortrage unb in bet Beantroortung berartiger Stagen 
erlangt gaben. Bas ift mieber nur 3U erreichen, menn bie Unioerfitätsbilbung naeg 
biefer Seite ermeitert roirb. Bie Hauptaufgabe bet Ptüfungsotbnung ift fa überhaupt, 
bag fie bem Unioerfitätsunterriegt 3 iel« meift. Bas lann bebenllid} merben, menn fie 
feinen roiffenfegaftliegen (Egaratter antaftet. Bas ift aber niegt gefegegen — im 
(Gegenteil mug man mit $teube feftftellen, bag et megt als früher betont ift Run 
mug bet Unioetfitätsunterricgt aber aueg einoerftanben bamit fein, menn an il?n $orbe* 
rungen geftellt merben, bie 3unad}ft päbagogifcget Itatur 3U fein fdjeinen, aber legten 
(Enbes bodj ber roiffenfcf}aftlid}en Burcgbilbung 3ugute tommen, unb übrigens aueg 
bisger f(gon oon manegen Bo3enten erfüllt merben. 

Bie miegtigfte Bebingung für eine gute Prüfung ift, bag bet Ptüfenbe feine Sadje 
»erftegt. hätten mit lautet gute Ptüfenbe, bann märe eigentlid} bie Prüfungsorb* 
nung überflüffig; benn fie tann boeg nur Beftimmungen entgalten, bie fi<g aus bem 
JDefen ber Sadje geraus »on felbft ergeben. Betanntlicg fegli aber ber atabemifegen 
Prüfung in »iel gögetem Blage als ben Stgulptüfungen bie Urabition unb Kritit, 
fomogl amtlid}e mie gegenfeitige. Barum märe es ermünf<gt, menn »on maggebenber 
Stelle aus Riegtlinien für bie Prüfenben gerausgegeben mürben, am beften ni<gt als 
Borfegriften, fonbem als (Empfeglungen. 3cg bente babei als Borbilb an bie „metgobi* 
fegen Bemertungen" in ben amtliegen preugifegen £egrplänen füt bie gogeten Segulen 
unb befonbers an Reingarbts Segrift 3um (Ejtemporaleerlag. (Eine folege Scgrift ent* 
ftanben unter mögliegft »ielfeitiger Blitroirtung »on Saegoerftänbigen, mürbe bie 
©eftaltung ber Prüfungen genug ftärter beeinfluffen tonnen als bie igtet Ratur naeg 
trodenen Säge bet Prüfungsorbnung. 

2. Bie päbagogifege Prüfung. 

(Es gat »iel Befremben erregt bag noeg eine Prüfung am (Enbe ber Borbereitungs* 
3eit gin3ugefügt mitb. (©lüeöicgerroeife »erfangen jegt Htnroeife auf englifege unb 
eginejifcge Bergältniffe niegt megr; fie fegeiben alfo bei ber Beurteilung aus.) Bas 
Prin3ip, aus bem biefe Prüfung geboren ift, ift entjegieben gut Bie miffenfegaPdje 
Prüfung foll bureg eine päbagogifege ergäbt merben. Unb 3meifellos tann eine Prüfung, 
bie im ©eifte bes (Entrourfs gegolten roirb, ©utes ftiften. — Aber—vestigia terrent. 
IDirb es niegt fegt gäufig boeg ein Abfragen oon Kenntniffen fein? IBirb es für bie 
Stellung bet Kanbibaten 3um £egrer!ollegium (richtiger follte fein: i m £egrertollegium) 
erfprieglicg fein, bie überlegengeit bet ©berlegrer fo ftatt 3U unterftreiegen? 3 ft es niegt 
mistiger, bie Kollegialität 3U pflegen, als Segranten 3U erriegten? 

Bas be3iegt fieg auf bie münbliege Prüfung. Rotroenbig ift bagegen bie fegriftliege 



Don Bernhard Cutter 


421 


päbagogifche Arbeit; uni» ein wefentlicher $ortfchritt ift, baß fie erft im 3toeiten 3 ahre 
abjugeben ift. tDertooll ift wohl aucfj bie £eljtptobe unter Anwefenljeit famtlicher 
ausbilbenber Sehrer, u>eil fie geeignet fein bürfte, ©ebanlenaustaufdj über Stagen 
bet ütet^obi! unb bet Kanbibatenausbilbung an3uregen. 

Die Prüfung in bet „allgemeinen Bilbung" ift 3U allgemeiner $teube bei bet 
wiffenfchaftlichen Prüfung in bet Derfenfung Derfdjwunben; hier taucht fie wieber 
auf, päöagogijch brapiert. ©s Reifet über bas Deutfdje: „Der Kanbibat hat bie Sicher* 
heit in ber fjanöfjabung ber beutfdjen Spraye (1) unb bie Dertrautheit mit ber beut* 
fdjen Sprach funde nacfouroeifen ( 2 ), bie ein Center einet höheren £ehranftalt be* 
fißen muß." — Sollte man bie erfte $orberung nicht fdjon bei bet wiffenfchaftlidjen 
Prüfung ftellen? IDas ift bann 3weitens mit „Spradjtunbe" gemeint? (Betören 
außer ber (Elementargrammatit auch Sprachgebiete unb IDorttunbe ba3u? Unb muß 
man oom Sehrer einer höheren Schule nicht nod} mancherlei anbetes oerlangen? 
lTtuß er barum batin geprüft werben? Sollte man nid}t öod) ben 3 opf liebet gan3 
abfdjneiöen?! ©ewiß ift gut, toenn bie Kanbibaten nod) einmal grünblidj mit bet 
öeutfd)en ©rammatil oertraut toeröen; öod) !ann man 3U bem 3 ®ede in ber Dot* 
bereitungs3eit (Einrichtungen treffen (oielleicfjt fcf)on im erften 3 al)te), ofjne einen 
Ptüfungsapparat in Belegung 3U feßen. 

II. (EntiDurf ju einer neuen ©rbnung ber praftifdjen Ausbildung für bas Sehramt 
an QbQeren Spulen in Preußen. 

Diefer (Entwurf enthält oiel (Erfreuliches. 3 m Dotbergrunbe ftel)t bie Umftel* 
lung ber beiben Dotbereitungsjalfte. Das werben befonbers biefenigen empfinben, 
bie felbft fcfjon Seminar* unb Probejahr burdjgemadjt ^abcn. Das anbauetnbe 
fjofpitieren im Beginn bes Seminatjaljtes war oft quälenb. UHr empfanben, baß bas 
tjofpitieren für uns feljt wertooll fein tonnte, wenn wir fdjon Unterridjtserfahrung 
befaßen; fo aber war es im beften$alle eine angenehme Unterhaltung, im fchlimmften 
öbe Sangeweile. 1 ) Das wirb gan3 anbers, wenn bie Kanbibaten in größerem Utaß* 
ftabe erft im 3weiten 3 ahte hofpitieren. Die Art, wie im erften 3 «h te bie Kanbibaten 
oon Direttor unb $a<hlehter in ihren Beruf eingeführt werben follen, 3eugt oon 
edjt päbagogifd)em ©eifte. Die Sißungen im 3weiten 3 al)re können bann oiel nuß* 
bringenber geftaltet werben, ba nun fd)on bebeutenb mehr Unterridjtserfahrung 
oorliegt. 

Itlit Hecht wirb oerlangt, baß bie Kanbibaten fid) audj mit ben Sammlungen 
unb Bübereien betannt machen (§ 17 ). ©ine befonbere UMchtigteit möchte ber Schüler* 
bücherei 3ufommen. Alle Kanbibaten follten Kenntnis gewinnen oon ber oolts* 
unb tinbertümlichen Siterahir ihrer Sacher, -foweit fie für bie Schüler geeignet ift. 
Befonbers trifft bas für ben £eljret bes Deutfdjen 3U, ber einen Überblid über bie 
gan3e 3 ugenbliteratur fich aneignen müßte. Dem Setter ber Schülerbüdjerei tonnten 
auch einige Seminarftunben für biefen 3 ®ed 3ut Derfügung geftellt werben, ohne 
baß bamit ein neuer Prüfungsgegenftanb gefdhaffen werben foll. 

Aus bem ©efühl eignen mangels heraus möchte ich ben U)unfd) äußern, baß 
irgenbwo.bie prattifd)e Sertigtett im 3 eidjnen eine Stelle finbet. Sät bie naturwiffen* 
fchaftlichen $ächet unb ©rbtunbe werben naturgemäß prattifche Sertigteiten bei bet 


1) ©egen ben früheren 3uftanb war es allerdings öod) ein großer Sortfdjritt. 



422 


3ur Sortbilbuugsfrag«. 3roei Briefe 


TOiffenfdjaftlidjen Prüfung oerlangt. Run roirbbetanntlid} lein gadj [o oftRichtfad} 5 
männern übertragen wie gerabe (Etbfunbe. Unb bas ift gut fo. Denn tem änberes 
Schulfach lann ben ©efidjtsfreis fo-erweitern toie (Etbfunbe. Barum müßten auch 
alle teurer im (Entwerfen oon Kartenfti}3en untewiefen fein. Aber auch in allen 
anberen Sägern, befonbers im Beutfdjen, fann bas (Entwerfen oon 3ei<hnungen bem 
Unterricht ungemein nützlich fein. Am beften toäte es, roenn Kutfe eingerichtet roür ; 
ben, in benen — immer mit ausfdfliefeltdjer Rüdficht auf bie Bewertung im Unter* 
ridjt — bie $ettigfeit im (Entwerfen oon Stfoen unb 3eid}nungen geübt mürbe. Am 
geeignetften mürbe bas Seminarjalft fein. 

Unb nun nodj eins. 3ebes Unterrichtsfach weift über fid? hinaus, ^anj befonbers 
bas Beutfdje. Bet ©ermaniftenoerbanb erweitert bie „beutfdje Philologie", roie es bis* 
her hicfe, bähet mit Recht 3ut „Beutfchfunbe“, wobei ihm allerbings gelegentlich bas 
Berfehen unterläuft, auch feinerfeits bas TDiffeit, bie Kenntniffe 3U überjehätjen. h> eT 
fei nur beifpielsroeife auf ein ©ebiet hingewiefen: bie bilbenbe Kunft. 3 h lc Bebeu= 
tung für bie Schule ift gat nicht 3U leugnen. Aber feht oiele Kanbibaten hoben noch 
gar fein Behältnis 3a ihr, gefchroeige benn, bab fie in ber £age mären, fie int Unter* 
rieht 3U oetroerten. Bem TUangel mübte in ber Borbereitungs3eit abgeholfen werben. 
Ba nun roahrfcheinlich nicht an jeber Schule, bei ber ein Seminar eingerichtet ift, ein 
£eljrer fich befinbet, ber in bet £age ift, einen £eljrgang 3ut (Einführung 3 “ galten, 
empfiehlt es fidjl mehrere Seminare 3U biefem Kurfus 3U oereinigen unb aud) ®ber* 
Iehtern bie Teilnahme 3U geffatten. Bies wäre 3ugleidj bie einfadjfte $orm bet 3 0t * : 
bilbung. Bamit foll nichts gefagt fein gegen Kurfe an Unioerfitäten. Aber roie wenige 
haben bas ©lüd, fie 3U befudjert, unb roie feiten I ttnb für bas Beutfche gat hot es bis* 
her überhaupt noch "leine ‘gegeben! U)enn aber auf biefem ©ebiete ein ©eil ber S oti 
berungen bes ©ermaniftenoerbanbes erfüllt werben follte, fo foÜten hoch noch jolh e 
oon geeigneten Amtsgenoffen gehaltene Kurfe oeranftaltet roerben, wobei bie Der* 
binbung mit bem Seminarfahr 3U erroägen ift. IDit bebürfen bauernb bet $ortbilbung. 
Ber fjoupt3roed bet Borbereitungsjahre ift ja nicht, in bem Kanbibaten bas ©efüf(l 
3u erroeden, bafe et nun fertig ift, fonbern im ©e'genteil bas ftarfe Beroufetfein h etDOr; 
3urufen, bafe er ftets ein £ernenbet ift unb bie Borbereitungs3eit nie'ein (Enbe h fl t- 
3 um Sdjlufe möchte idj noch hie (Empfinbung ausfptechen, bie mich beim Ab; 
faffen biefer Befpredjung lebhaft erfüllt. IDit hoffen, bafe bie grofee 3 cit, bie mir 
burdjleben, auch ihren (Einfluß auf bas höhere Sdjulroefen ausüben roirb. B)enn 
audj Prüfung unb Borbereitungs3eit nur mittelbar in Betracht fommen, fo if* 
es bodj oon größter tDidjtigfeit, auih hierüber biejenigen 3U hören, bie felbft mit* 
tämpfen unb mitten im Strome ber Begebenheiten fteljen. 

3ut 5ortbilöungsfragc. 

3roei Briefe. 

I. 

Seht geehrter fjerr Kollege! 

Schon lange hat uns bie 3toiefache $rage befdjäftigt, Wie bas Stubium ber ©e^ 
maniften um3ugeftalten fei, Unb roie bie Schule in engeren 3ufammenhang mit ber 
IBiffenfchaft gebracht- werben lönne. 3m ©runbe ift es ja bie eine $rage: U)ie finb 



3ur $ortbtltiungsfragt. 3ro«i Briefe 


423 


Schule, IDiffenfchaft unb £eben enger 3U oerbinben? 3 e^t, mitten im Kriege, .fügten 
wir bie Derpflidjtung boppelt, um biefe Probleme 3U ringen. Das eble Blut foü nM?t 
umfonft gefloffen fein! Der Krieg ift uns feine Angelegenheit, bie außerhalb unferes 
fonftigen Cebens fte^t, feine unangenehme, qualoolle Unterbrechung bes normalen 
§riebens3uftanbes, fonbern er ift-bie hödhfte Entfaltung unferes IDefens. tDir haben 
uns fdjon früher bemüht, bas beutfdje DDefen im Unterricht-meht in ben Ulittelpunft 
3u rüden (ich erinnere nur an ben Germaniftenoerbanb); jet|t ift es unfete heilige 
Pflicht, naef) bet Erfüllung beffen 3U ftreben, toofür unfete Brübet gefallen finb. 

3 rt biefem 3 ufammenhang fteht,. meine ich, auch ber Gebanfe, bet mir burdj bie 
Seele geflogen iftunb ben ich 3 l}nen oortragen möchte. 3 dj fchlage babei 3wei $liegen 
mit einer Klappe, inbem ich Dorbilbung unb Sortbilbung miteinanbet oerbinbe. 3 « 
ben Unberfitätsferien müßten Kurfe für Stubenten eingerichtet werben, bie oon 
Schulmännern 3U leiten finb. Um mögtichft oielen Stubenten bie Gelegenheit 3ur 
Teilnahme 3U geben, müfete man biefe Kurfe 3unächft in Grofrftäbten unb in fo bidjt 
beoölferten Gegen ben, toie es unfet 3nbuftriebe3irf ift, oeranftalten. Oie Eeilnahme 
hätte natürlich 9 an 3 freiwillig 3u fein. Oie Kurfe finb nicht mit beftimmten Schulen 
3u üerbinben, fonbern bie £eiter werben aus ben ©berlehtem bes gan3en Be3itfs 
ausgewählt. Gelegentliches fjofpitieren wirb fidj, wenn es erwünfdjt ift, hoch ermög? 
liehen laffen. 3 ch follte meinen, monier Stubent würbe fid} freuen, wenn auf biefe 
IDeife etwa oiet IDochen feinet Serien einen 3 nhalt befämen. Sie würben auf bie 
3wangIofefte U)eife in Be3ieljung 3u ihrer fpäteren Berufstätigfeit gebracht (in meiner 
fjeimat mar es felbftoerftänblich, bafe bie Stubenten bet Gh e °l° 9 ' c 3 U & en Pfartfon* 
feten3en eingelaben würben, wie fie benn überhaupt, was ja in ber Hatur bet Sache 
liegt, engere Süljlung mit ihrem fpäteren Berufe befommen) unb manche Anregung 
für bie Geftaltung ihres Stubiums mitnehmen. Unb wir, würben wir nicht auch 
oon biefen Kurfen haben fönnen? XDenn man oon wiffenfchaftlicher Sortbilbung ber 
©betlehrer fpricht, fo benft man immer an ein re3eptioes Aufnehmen in Kutfen u. bgl. 
3 <h bin ber letzte, bet bas oerwirft; im Gegenteil, es ift eine meiner Sehnfüdjte, auch 
einmal an einem folgen Kurfus teilnehmen 3U fönnen; unb ich finbe, bafe gerabe auf 
biefem Gebiete ber Germaniftenoerbanb wunberoolle $orberungen aufgeftellt hat. 
Schon ber Gebanfe, bafe fie erfüllt werben fönnten, läfet einem bas fj er 3 höh ct 
fchlagen. Aber bas änbert nichts an meiner Gtunbübet3eugung, baf} bie befte wiffen? 
fhaftliche Sortbilbung bie eigene wiffenfdjaftliche Arbeit ift. U)ir wollen hoch unfet 
£icht nicht unter ben Scheffel ftellen, wiffen wir bodj» bafe oiele aus unferem Kreije 
tüchtige wijfenfchaftliche Arbeiten geleiftet haben, unb baff oiel mehr geleiftet werben 
wütbe, wenn bie Bebingungen günftiger wären. Oiefe Kurfe fönnten Bebingungen 
.{«hoffen. 

Uun ein- tDort über ben 3 nhalt bet Kurfe. 3 hre Aufgabe ift eine hoppelte: 

1 . tDieberljolung unb Oertiefung (wir eiferen alfo ben juriftifchen Repetitor!) unb 

2. Anwenbung auf bie Schule. Aus ber großen 3 aljl möglicher Ehemata nenne hh 
ein paar: U)ie weit gehört bie £itetaturgef<hichte in bie Schule? IDalther o.b.Dogel* 
weibe in bet Schule., Goethe. Oie Romantif. Auch mehr methobifche: Beljanbiung 
ber £grit Oie neuefte £iteratur in bet Schule^ Es empfiehlt fich auch, über folche £ef? 
türeftoffe 3u [preßen, bie nicht in. engerem Sinne 3ut „üteratur“ gehören, um bie 
Stubenten barauf hin3umeifen, bafo bet Oeutfdjlehrer fich nicht auf fein $ach befchtän* 



424 


5ur Sortbilöungsfrage. 5n>ei Briefe 


!en darf, fondetn Öen Blid offen galten mufe. Sie erinnern fidj oielleicht, dafe ich im 
Programm der fjafper Realfdjule oon 1906 über derartige £e!türe getrieben habe. 
Auch ^ier in Rtülheim behandeln mir foldje Stoffe. So ift u. a. in prima geiefen 
morden (übrigens nicht oon mir); Pohle, Die ©ntroicflung des deutfdjen tDirtfdjafts* 
lebens (AHu®. 57 ). fludj die ©rammatil jdjeint mir (um auf perfottlidje £ieb* 
habereien 3u fommen) eine dauernde Beachtung beanfptudjen 3U tonnen. ©benfo 
die ©ebiete, für die der ©ermaniftenoerband eintritt (fllteriumsfunde ufro.). 

über allem fteljt die Stage: IDie roeit und in roeldjer tDeife ift die EDiffenfdjaft 
— ifjte ©rgebniffe und Probleme (auf die Probleme möchte idj den ^auptnadjörud 
legen) — für die Schule 3U oermerten ? 3 . B., roas ift oon ©oetljes £eben, der (Ent* 
ftdjungsgefdjidjte feinet IDerle, feinen literarifdjen Dotbildem, feiner IDeltanfdjau* 
ung 3u behandeln? tDeldje ©eile feinet Profafdjriften find für die Schule geeignet? 
©s mird {ich empfehlen (mie Sie feljen, bin idj fdjon mitten drin in der Sache; id} laffe 
fdjon den Konfunftio fallen), möglichft oiele 3ur eignen tttitarbeit 3U oetanlaffen, 
3. B. eine flusroaljl aus „Dichtung und EDa^rljeit", der „ 3 talienifdjen Reile" ufm. 
auf3uftellen. 

Aber roer oeranftaltet das alles? IDas für das Deutfdje gut ift, tonnen auch die 
anderen Sachet brauchen. Das mürde ein großes Unternehmen, flm beften ift natür* 
1 % menn die ftaatlicfjen Behörden es ins IDerf fefeen. ^ier und da mürde fidj oielleicht 
audh eine ©rofeftadt bereit finden. Aber idj roeife auch f«h* die Selbfthilfe 3U fdjätjen. 
£iegt hier eine Aufgabe der Philologenoereine oder oielleicht noch eher der $ach* 
oereine? Bietet fid} hier etma ein meites IDirfungsgebiet für den ©ermaniften* 
oetband? tttit diefer $rage möchte ich meinen Brief fdjliefeen, der ohnehin etmas 
lang geraten ift. 

Itlit deutfdjem ©rufe 

Rtülheim (Ruhr), April 1915 . B. £utljer. 


II. 

Seht geehrter Herr Kollege! 

$üt Shten freundlichen Brief dante ich 3 ljnen oielmals. Sie rühren damit aller* 
lei ©edanten in mir mieder auf, die mich f<hon lang bemegten. ©s ift m. ©. mit die 
Hauptaufgabe des ©emtaniftenoerbandes, für die $ortbi!dung der Deutfchlehrer 3U 
Jorgen. ©s ift auch in diefer Richtung fdjon manches geplant und oorbereitet mor* 
den, grofee Kutfe für ©eilnehmer aus allen Staaten, 3. B. am ©ermanifdjen RTufeum, 
auf einet Burgenfaljjtt, im flnfdjlufe an andete $ortbilöungsfurfe. Durch midrige 
Umftände ift daoon noch nichts erreicht, und nun hat der Krieg arg ftörend geroirtt. 
©ins haben aber fdjon diefe Dorbereitungen gejeigt: foldj grofee Kutfe find feht fdjmie* 
rig ein3uri<hten, 3iemli<h teuer und daher nut menigen 3ugänglidj. Sie metden immet 
etmas Befonderes, flufeergemöhnliches bleiben, mie etma für den Rtufiffreund die 
Seftfpiele. 

©men anderen U)eg hat XDürttemberg eingefdjlagen: Dort haben in amtlichem 
Aufträge Direftoren und Oberlehrer in Stuttgart einen Kurs gehalten für die oet* 
fchiedenen ©ymnafialfächer — ein fehr beachtensmerter und gut gelungener Detfuth 
ift damit gemacht (ogl. 3 eitfchr. f. d. d. U. 28 , S. 634 ). 



Sur Sortbilbungsfrage. 3n>ei Briefe 


425 


Aber auch folget Cehrgang ift auf fu^e 3 eit befchräntt unb »erlangt »on Dor* 
tragenben unb §öretn ben Üet3icht auf einen Seil bet Serien, fjier füljrt nun 31 >r 
Dorfchlag bebeutenb weiter. 31 }te Kurfe würben in bie Schubert fallen unb manchem, 
ber fi<h gern wiffenfc^aftlid? betätigen wütbe, aber bes äußeren Anftoßes bebatf, 
erroünfdjte (Belegen^eit geben, befonbers wenn et hier unferetn Hachwudjs bienen 
tönnte unb butdj bie (Eeilnafyme »on Stubenten auf eine angemeffene fjöter3ahl 
3u regnen wäre, bie bie Amtsgenoffen allein nicht [teilen. 

Dielleicht galten Sie mich für tleinlich, wenn idjlDert auf bie £jötet3aljl lege. 
Aber es gehört eine große Gebe 3ur Sache ba3u, witüidj mit Sreube »or einem atl3u 
Keinen Kreis 3U teben. 3 d} hatte einmal für einen pijilologenoetein einen Dottrag 
übet bie Arbeitsfdjule übernommen unb midj eifrig in bie $tage ljineingearbeitet. 
Als ich tarn, waren 14 fjerren ba. 2 Öj wußte freilich, baß bie wirflidjes 3 ntereffe her* 
geführt hatte — aber läljmenb wat’s bodj. Damit lomme id? auf eine bet Ijaupt* 
fdjwierigteiten. Diele unferer Amtsgenoffen finb 3U mübe ober — es muß einmal 
eljtlid} gefagt werben — 3U teilnahmslos, um abenbs noch folget ffinlabung 3U fol* 
gen; es finb fooiele Anfotberungen, bie fonftan fie heranftürmen, aber es ift auch ber 
®eift, ber aus ben tDorten fpridjt, bie man manchmal hören fann: „ 3 dj habe mit 
Unterricht, Korrefturen unb Dorbereiten fo genug »on bet Schule unb ihrem £eben, 
baß ich abenbs meine Ruhe haben will." 3 ch glaube, es liegt bas 3um Keil mit batan, 
baß immer noch *>icle 3um Stubium fommen aus rein wiffenfchaftlichem Anteil unb 
bie Anwenbung ber IDiffenfchaft in ber Schule nur als Hotbehelf betrachten. Diefet 
®eift würbe früher »ielfadj »on Profefforen lebhaft geförbert — jeßt fcheinfs aller» 
orten anbers 3U werben, unb auch bie Profefforen bet philofophifchen $atultät halten 
es nicht mehr für einen Raub, in ihren Übungen ben Blid auf bie prattifdje Betäti» 
gung 3U richten. 

©nftweilen müffen wir aber bdmit rechnen, baß »on all ben ®elegenheiten 3ur 
Sortbilbung, bie ben Oberlehrern butd} Philologen* ober $ach»eteine geboten werben, 
immer nur techt wenige ©ebtaudj machen. 3 ßt Dorfchlag wütbe es beffetn — aber 
er führt nicht weit genug, weil et nicht alle Amtsgenoffen erreicht. 

Kleines ©achtens hilft h^t nur bet 3 ®ang. Daß eine Sortbilbung nötig ift, ift 
feit 3eljn 3 aljren allen ©nichtigen erfchrecfenb Kat. Aber jebet Dorfchlag fcheitert 
batan, baß et auf ben freien ZDillen rechnet unb Opfer »erlangt Dielleicht behalten 
aber bie Recht, bie erKären, unfere IDeiterbilbung fei für bie Allgemeinheit wichtig 
unb müffe batum »on Staats wegen erfolgen. 

3 ch wütbe batum eine Cöfung in ber Richtung begrüßen, wie fie bie Pfarrton* 
feren3en 3eigen. 3 ch weiß »on Bayern, baß fi<h bort bie ©eiftlidjen einer Diö3efe regel* 
mäßig aner 14 Kage treffen. Dabei wirb meift ein Dortrag gehalten, unb allerlei $ta* 
gen werben befptochen. Rach 3 hter Bemerfung fdjeint es in Preußen auch fo 3 U fein. 
Ähnlich müßten in größeren Stäbten ober bid}t bejiebelten ®egenben »on fämtlichen 
Spulen bie Dertreter eines $a<hes auch regelmäßig 3ufammentommen unter Leitung 
eines befonbers (a<h»erftänbigen Herren. Dabei wären Dorträge über wiffenfehaft* 
liehe ober bibaftifehe Stagen 3U halten, Berichte über befonbers wichtige Bücher 3U 
geben unb eine Ausfprache über Detfudje unb (Erfahrungen bet einen ober anberen 
Schule ober eines eht3elnen £ehters an3ubat}nen — aKes im ®eifte bet gegenfeitigen 
Sötberung. Da jebet infolge feiner $ächet an »erfchiebenen Konferen3en teilnehmen 



426 Citeraturbericßt 1914: flllgtmcin? Sprachroiffenfcßaft unb beutfcßt Sprach« 


muß, dürften jic nicht 3U häufig fein unb müßten in regelmäßigem XDecßfel jtatt= 
finöen, manchmal ließen fid? auch 3wei Sadjfißungen Bereinigen. hierbei mürbe fid? 
halb ßerausftellen, welche fernen gellärt genug unb welche fferren geeignet finb, 
fie in ben oon 3 ßnen gelennjeidjneten Kurfen 3U beßanbeln; — bie Heilnaßme an 
biefen Kurfen müßte febem freigeftellt werben, bie Heilnaßme an ben Konferenjen 
aber 3roang fein. 

U)enn man aber an bem 3 ®ang Anftoß nehmen unb biefe Konfetensen als eine 
neue Cajtneßmen follte, bie man nicht oßne weiteres aufbürben fönnte, fo müßte 
man bafür — wie bei ben Konfeten3en bet Dolfsfchulleßter — einen Hag ausfaüen 
laffcn. An biefem Sage wäre 3U geeigneter 3 «it eine gemeinfame Sißung an3ufeßen 
mit allgemeinem .Dorttag unb im übrigen .Sadjfißungen oon etwa \% Stunöen 
Dauer, fo baß febem ermöglicht märe, an allen Sißungen feinet $äd}er tei^uneßmen. 
tDenn bas an ben ein3elnen Schulen einet ©roßftaßt herumginge, fo brächte auch bas 
eine gegenfeitige Bereicherung. 

Sinb Schulen 3U weit oon Uacßbarfchulen entfernt, fo müßten an Stelle biefet 
gadjfißungen allgemeine Sißungen ber Sdjule treten, in benen in regelmäßigem 
IDechfel je ein$ach beßanbelt würbe: Berichte über tleuerungen an bet eigenenobet 
an anbeten Schulen, über neue Aufgaben, wichtige Bücßerufw. Dabei müßte betücf 5 
fichtigt werben, baß bie Dertreter anberer $äcßer anwefenb finb. Das gäbe, meine 
ich, ptachtoolles gegenfeitiges Kennenlernen unb £uft 3um 3nfammenarbeiten. 
IDenn 3. B. oom freien Auffaß, 00m $acßauffaß bie Rebe ift, follte bas nicht 
alle angeßen, ober wenn bie in biefem fjefte abgebrucfte Beßanblung oon Hacitus’ 
©etmania allen ootgetragen wäre, müßte bas nicht feber als Bereicherung empfim 
ben? Um gan3 biefe Sißungen oon ber Konferen3 3U unterfcßeiben, fönnte man ben 
Ceiter biefer Derfammlungen wählen laffen. Doch i<h lomme fcßon in <£in3eloot» 
fchläge, ich fehe, mir geßt’s wie 3 ßnen. Aber getabe hier follte man woßl oon <£in3el= 
porfcßlägen abfeßen, bet3toang 3um Befucß fcßeint mir unerläßlich, fonft aber follte 
fi<h bie (Einrichtung felbft entwideln laffen. 

Unb bie 3 ugenb an folchen Hagen? Könnte fie nicht unter $üßtung ber prima» 
ner ober auch eines geeigneten Schüleroaters wanbern? Doch i<h ®erbe perwegen 
unb will batum liebet fchließen. 

Dielen Dant nochmal für 3 ßte freunbliche Anregung, möchten unfere tDünfcße 
nicht aÜ3ulange 3ufunftsmufi! bleiben. 

mit beutfchem ©ruß 

3 ßt U)altßer Qofftaetter. 

£iteraturberidjte 1914. 

allgemeine Sprad)i»i|jenfcf)aft unfc beutle Spraye. 

Dort (Dsfar tDeife in (Eifenberg (S. s fl.)* 

I. allgemeine $pra$u>iffenfd}aft. 

Die 3 <rf}i öer im 3 al}te 1914 oetöffentlidjten Büchet unb Sdjriften aus bem 
Bereite bet allgemeinen Spradjariffenfdjaft unb ber beuifcfyen Sprache iftniebriget 
als fonft, weil bie Literatur bet 3 weiten 3afyresljälfte oon bem gewaltigen Kriegt 
bet gegen Deutfctylanbs Ittadjt unb flnfeljen gerichtet ift, ungünftig beeinflußt würbe. 



Don ®sfar XDeifc 


427 


3 a, untet Öen Reuerfcheinungen befinöet fid} ein gut (Teil oon Heuauflagen früher 
erfdjienenet Budget, namentlich folget aus öem ©ebiete öer ©rammatit unb Sti= 
liftif. Don Öen übrigen befdjäftigen fid? 3iemiidj Diele mit Öen ITtunöarten, ein Be= 
roeisbafür, öafe fid? öie Dialeftfotfdjung gegenwärtig einer regen Anteilnahme er» 
freut, wie man auch öaraus erlernten fann, bafj jetjt überall in öeutfdjen £anben 
öer munöartlidje tDortfchat} in großen tDörterbüdjern gefammelt wirö. 

Don Öen öer allgemeinen Spradjwiffenfchaft gewiömeten Schriften liegen oiet 
3ur Befpredjüng oot: 3 unädjft eine Arbeit Dort SanöfelbOenfen 1 2 * * ), betitelt „Die 
Sprachwiffenfcfjaft", worin öie RTcthoben ünb ©rgebniffe öer gef cbichtlichen- Sprach 5 
betradjtung auf ©runö eines größeren öänifd? gefcfjriebenen IDerles gemeinoerftänb* 
lief? öargeftellt werben. Der- Derfaffer glieöert fein Buch in D * ct fjauptabfehnitte, 
£eben ünb ©ntwidlung öer Sprache (Detänöerungen öer einjelnert tDörter, öcs 
IDortfchahes, öes tDortgefüges, ©influf} anbeter Sprachen, Sptachoeränberungen 
im allgemeinen), Dialeftbilöüng, Sprachoerwanötfi^aft unö Sprachftämme, Sprach* 
wiffenfdjaft unö ©efd?icf?te. Sprachfchönheit, Sptac^rid?tigfeit unö anöere ftiliftifche 
©rfdjeinungen bleiben unberüdfidjtigt, öas ©ebotene wirö in Inapper $otm dop 
geführt unö burd? 3ahlreid}e Beifpiele, namentlich aus Öen neueren Sprachen, Der* 
anfcfjaulicht.’ Überall finö öie neueften $orfd}ungen berüdfidjtigt unö unfidjete Der= 
mutungen möglichft beifeite gelaffen. Hut bei öer Darftellung öes ©ittfluffes ftemöer 
Sprachen wirb man öfter 3um tDiöerfpruch oeranlafet, fo S. 20, wo angenommen 
wirö, bafe öie öeutfdje ©nöung -erei öurdjweg auf fa. -erie in boulängerie u. a. 
3urüdgehe, währenö öodj tDörter wie Büberei fidjetlich nach öem Rtufter non Ab= 
göttepei, Kinöepei gebilöet finö, ober S. 70 , wo öie fdjleswigifche Stellung öes $ür* 
Wortes ihn in öem Sage: er reichte mir ihn (fttttt: er reichte ihn mir) auf öänifdje 
©inwitfung 3urüdgeführt wirö (han rakte mig den), währenö öodj auch außerhalb 
SdjIeswig=f)oIfteins ih Öen Rturtbärten öiefe $ügüng gan3 gewöhnlich ift, 3* B- int 
Altenburgifdjen (ogl. meine Syntaf Öer Altenburger Htunöart § 280 ), ober ebenöa, 
wo öer ©ebtauch öer fran3öfifdjen tjugenottenfiebelung $rieörichsöötf in fjeffen= 
Haffau, 3U fagen ä l’homme soq cheval, öesIHannes Pferö öutch Beeinfluffung 
benachbarter öeutfeher Dialette ertlärt wirö, unbefümmert öarum, öafe öer fran3Öfifd?c 
Bauer fid? feit alters in gan3 ähnlicher IDeife ausörüdt (pgl. Remy öe ©ourmont, 
Esth£tique de la langue frangaise, S. 173 ), ober S. 110, wo öerRame DTedlenburg 
aus nö. meckel, gtofe unö flawifd? bor, tDalö abgeleitet wirö ungeachtet öer ©at= 
fadje, öafs öer tjauptort, nadj öem öas £anö benannt ift, noch 973 Wiligrad, Ö. h- 
©rofee Burg hiefe, aber bereits 995 utfunölid? in öer Übetfegung Meckeinburg übet* 
liefert wirö (ogl. Kühnei, Slawifdje ©rtsnamen, S. 93 .) — ©ine anöete Abhanölung 
allgemein fprachwiffenfchaftlidjen Inhalts ift öie Don fjilmet*) über Sdjallnach= 
ahmung, IDottfdjöpfung unö Beöeutungswanöel. 3 n ihr fudjt öer Derfaffer an 
17 öeutfehen unö englifdjen tDortftämmen Öaf3uturt, oon wie grofeet IDichtigfeit 

1) Kr. Sanbfelb*3etijen, Die Spradjwiffenfcbaft. Aus Hatur unb ©eiftesroelt. 
Bb. 472. £eip 3 ig, B. ©. ©eubner. 125 S. ©eb. ITC, 1,25. 

2) fjermann hilnter; Sd)allnad}al)mung, IDortfchöpfung unb Bebcutungswanbel, 

auf ©runblage ber EDahrnehmungen Don Schlag, Sali, Bruch unb Derartigen Dorgängen 

bargeftelli an einigen £auttbut}eln ber beutfdjen unb ber englifdjen Sprache, halle, 

BI. Hiemeyer. 356 S. HI. 10,—. 



428 £iteratuiberid)t 1914 : Allgemeine Sprahroiffenfdjaft unb öeutfdje Sprache 

öie Scfjallnachahmung für öie IDortfchöpfung geroefen ift. Denn nic^t blofe ©eräuge 
unö Belegungen roetöen onomatopoetifd) bejeidjnet, fonöetn aud) öeten $olgen. 
Ben hauptteil öet Arbeit bilöen öie IDortliften S. 187 — 355 , in öenen Diel btaudp 
barer Stoff 3ufammengeftellt ift; nur märe eine beffere Sichtung münfhensroett. 
So mußten Cehnrnörter roie Butte, Bütte aus mittellat butina, griech- %vüv<n, 
Putte, Pfütje aus lat. puteus toegbleiben; ebenfo öurften Ausörüde mie Bente, 
Befengtas mit Rüdfidjt auf Beöeutung unö $otm (= althod}ö. binuz, nach Hotter 
= bei öem Raffen) nidjt angeführt toeröen. Bie fdjroächfte Seite öes Buches ift öie 
tDortableitung; 3. B. toirö S. 131 malten 3U IBoite geftetlt, S. 122 ©autlet 311 
©auch unö Kudud. Auffällig ift, öafe f). öie 3 eitfchrift für öeutfdje RTunöarten nidft 
benutzt bat, öafe ibm öaijer beöeutfame Abbanölungen übet fdjallnadjahmenöe Bil* 
öungen mie 1903 , S. 356 ff. unö 1908 , S. 208 ff. entgangen finö. Smmethin ift bie 
Arbeit, öie fidj in ähnlichen Bahnen beroegt mie mein Auffat} in öer 3 eitfdjr. f. b. 
öeutfcb. Unterri(bt XIX, 510 ff., redbt anertennensmert unö bilöet eine gute ©runb» 
läge für meitere $orfdjungen. — Angeregt öutdj öie pfydjologifdjen Schriften bes 
Profeffors S. $reunö in IDien, unternimmt es tj. Sperber 3 ), Öen (Einfluß öes flffetts 
auf öie Spra<bt>eränöerungen Öar3utun. (Er fpricfjt öabei oon öet Betbrängung 
alter DOörter öurcb neu auftommenöe, oom XDanöel öer IDortbeöeutung unb bet 
fyntaftifdjen $ormen, oom (Euphemismus unö Besprechen, überall unter Dorfüljtung 
gut gemäblter Beifpiele unö Angabe beadjtensmerter ©tünöe für feine Äuffaffung. 
Ri^t berücffidjtigt finö öie tDortftellung unö öie Betonung, obmobl geraöe fie dop 
ttefflidjen Stoff geboten hätten; ich erinnere an $ügungen mie fjunö Derfludjter 
unö allmächtiger ©ott (mit öem ©on auf öem ä oon mächtig) oöet leibhaftig. — 
(Ein neues Buch oon Birettor ©öljl 4 ) behanöelt öie Aufgabe unö gegenwärtige Stel* 
Iung öes ©fperanto. ©s bietet öem, öer fich über alles, mas für unö miöet öie fünft» 
liehe tDeltfpradje oorgebracht tooröen ift unö meröen fann, genauer unterrichten ®iH 
einen 3uoerläffigen $ühret. Benn öer Berfaffer ift nicht nur felbft eifriger ©fperemtift, 
fonöem er beherrfcht auch has einfdjlägige Schrifttum pollfommen. 

II. Die neuho<höcutf(he Schriftfprache. 

A. Allgemeines. 

„Bie öeutfehe Sprache oon heute" ift öer ©egenftanö öer (Erörterung eines Büch' 
leitts pon R>. Sifdjer. 6 ) Bet Berfaffer min feinen Abrif} öer ©rammatif geben, auch 
feine fprachgefchichtlichen Kenntniffe übermitteln, fonöem nur einige ©runbfragen 
berühren, öie (ich auf öie 3ufünftige Spradjentmidlung be3iehen, unö öaöurch 3 um 
Radjöenfen anregen. (Er äußert fictj 3unä<hft über öas Spradjleben öer ©egenroatt, 
foöann übet öie Spradjridjtigfeit unö enölich über öas Berhältnis oon Sprache unb 
Schrift. Bie Auffähe finö in leicht lesbarem Beutfch gefchrieben unö fönnen weiten 
Kteijen 3ur Unterhaltung unö Belehrung öienen. Reues motlen fie nicht bringen, 
auch Öen Sto ff nicht etfdjöpfen. Sonft müröen öie 3ahltei<hen Anregungen nicht un* 

3) h* Sperber, Übet öen Affeft als Urfadje öet SptadjDeränöerung. Detfudj ein* 1 
öynamologtfhen Betrachtung öes Spradjlebens. halle, Bl. Riemeyer. 106 S. BL 2,40. 
m.. n D " cltot ©fperanto, eine Kulturforöerung unö ihre (Erfüllung. £eiP3*9f 

Quelle u. Rteyer. 154 S. Bl. 2,50. 

S'I 1 !? 6 !’ Die öeutfehe Sprache oon heute. AusHatur unö ©eifteswelt, Bö. 475. 
ietpjtg, B. CB. Geubnet. 115 S. ©eb. Bl. 1,25. 


mltalfySpi! 


Don ©star tDelfe 


429 


Denn nity Hoffe 
onöent aul (an« 
- 355 , inbtnäs 
s Sichtung uinjfe 


ten flusötüdt m !e 
ItljocljJ. binra, abi 


iftcDt, S. 122 btit 


[ beutle lute! 
bet l^allnadjobiaeie; 
en [inb. Jnrnidfei 
lufiaf intaP 1 

ib bil&et ein« gtdtfe 


3 ), benJittH 1 ^ 
iei oon 1 



foimncn. 




nur einig« & 
ie^eitf uni 
Rieben I 
löltnis 

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>t. 106 5 . v. 


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iö (Sei! 


berüdfiehtigt geblieben fein, bie in ben wertoollen Sänften oon lEh- IlTatthias, 
©. flnbrefen unb < 5 . EDuftmann übet Spradjleben unb Sptacfjfchäben enthalten finb, 
mürben ferner bei ben Anfäßen 3ur EDeiterentwidlung im erften Ejauptabfchnitt 
außet bem fjauptroort, 3eitwort, EDortfchaß unb Sabbern aud} bas (Eigenfdjaftswort, 
bas gürwort, bie EDortbilbung u. a; beamtet toorben fein, 3. B. bie jeßt häufig heroot* 
tretenbe Heigung, Aboetbien abjettioifch 3U oertoenben („teilroeife (Erneuerung") 
unb bas immer weiter um fid} greifenbe Streben, bie flejrionslofe gorm bes (Eigen* 
fdjaftswortes 3U oerwenben, ober bie fidj gegenwärtig befonbers geltenb madjenbe 
Sucht, möglidjft tur3e (Bebilbe 3U fdjaffen wie Kino = Kinematograph ober (Eifen* 
baßner = (Eifenbahnbeamter. — Das oortrefflidje Buch DOn ©• »• ®teyet3 8 ) 
über ben Deutfdjunterricht als IDeg 3ut nationalen (E^iehung erfcheint gerabe 3ur 
rechten 3 «t, wo infolge bes furchtbaren Krieges bas Daterlanbsgefühl erftarft ift 
unb bähet überall mit gteuben Dorfdjläge 3« nationalen ©eftaltung bes Unterrichts 
entgegengenommen werben. Oie oorgetragenen Anfid}ten jinb lemgefunb unb be* 
ruhen auf langjähriger (Erfahrung. EDas übet bie Pflege bes münblidjen unb fdjrift» 
liehen flusbruds gefagt whb, lann man ruhig unterfehreiben, nicht minber werben 
bie Auseinanberfeßungen über Auswahl unb Beßanblung bes Cefeftoffs ungeteilten 
Beifall finben. Daß ber Derfaffer ber „Deutfdjen Spra<hfd}ule für Berner" ben Iltunb* 
arten tn bet Schule einen breiteren Raum oergönnen will, als fie bisher hotten, ift 
begreiflich unb löblich. 3 ebenfalls lann ber Celjrer aus bem Buche feßr oiel lernen. 
Bei einer neuen Auflage müßte bas Oet3eichnis empfehlenswerter Schriften S. 284 , 
bas mehrfach gan3 alte Auflagen angibt, noch einmal gtünblich geprüft werben. 
— (Ein Ausfluß bet Stimmung unferet gegenwärtigen 3 eit ift eine glugfdjrift oon 
h.Schucharbt 7 ), beten (Erlös für bie EDitwen unb EDaifen ber Krieger beftimmt 
ift. Sie wenbet fi<h befonbers an bie beutfehen grauen unb legt ihnen einbringlid} 
ans fjet3, ber Rtutterfprache überall oot ben fremben Sprachen ben Dorrang 3U geben, 
immer beutfeh 3U benten unb 3U fühlen, auch grembwörtet möglichft 3U meiben, 
bamit bas Deutfcße ben ihm gebührenben piaß im IDeltoetfehr erringe. ERöchte 
bas Büchlein mit feinen behet3igensmerten Ratfehlägen bie weitefte Derbreitung 
finben! 

B. ©rammatifehes. 

Oer Abrif} ber beutfehen ©rammatit oon fj- Schul} 8 ), bet fich auf £aut* unb 
gormenlehte befdjränft, ift in erfter Cinie für Stubierenbe beftimmt, bie bereits 
mit ben oerfdpebenen (Entwidlungsftufen ber beutfehen Sprache einigermaßen be* 
tannt geworben finb. Auf Parabigmen wirb oet3iehtet, oon ben eitQelnen Sprach* 
erfcheinungen werben bie felteneren gan3 ausgefehieben. ©toßet IDert ift auf flare 
Saffung ber Regeln unb überfichtlichc Anotbnung gelegt; bei ftrittigen Puntten 
erfahren wir g ewöhnlich nur eine Auffaffung, feiten (wie bei bet (Ertlärung bet 2 . Perf. 

6) ©tto o. <5reyet3, Oer Oeutfchuntetricht als IDeg 3 ut nationalen ©t 3 iel}ung. 
Päbagogium, eine Utethobenfammlung füt (Er 3 iehung u. Unterricht, unter Rtitroirfung oon 
(E. UTeumann herausgegeben oon ©. Uteßmer. Bö. III. Ceip 3 ig, 3. Klinfhatbt. 382 S. 
IR. 7,20, geb. Ut. 8,—. 

7) Ijugo Sdjucfjarbt, Oeutfch gegen gran3Öfifh unb ©nglifdj* 2. flufl. ©ra 3 , 
Ceufcßnets u. Cubenstys Unioerfitätsbuebhanblung. 28 S. 

8) hans S<hul 3 , Abriß ber beutfehen ©rammatit. drübnets pßilologifche Bibliothet. 
Bb. 1. Straßburg, K. dtübner. 135 S. TU. 2,25, geb. Ut. 2,70. 



430 Citeralurbcridjt 1914: Allgemeine Spradjroiffenfdjaft unb beutfdje Sprache 


Sing, öes Präteritums, S. 95 ) mehrere. Das ©anje ruljt auf ftreng toiffenfc^aftlidjer 
©runölage unö roirö {einen 3 roed als Xeitfaöen für Stuöierenöe ebenjogut erfüllen 
roie anöete für öenfelben £efetfreis beftimmte, 3. B. bie Deutfdje ©rammatil non 
$r. Kauffmann. — R. IDagners 9 ) (Einführung in öas Stuöium öer öeutfdjen Spraye 
beijanöelt im ©egenfatje 3um oorhergeljenben Buche auch öie tDortbilbung unb bie 
EDortbebeutung mit, gibt auch jahireidje Beifpieleunb ift mehr 3um £efen als 3um 
eigentlichen Cernen geeignet, enthalt aber oiele $lüd)tigteiten unö Ungenguigleiten, 
3. B. auf einer einigen Seite (20) folgenöe: mittelljochö. geschid ftatt geschide, 
tüsend ftatt tüsent, dez ftatt des (roähtenb es auf S. VI ridjtigfteht); u in du i|t 
3roeimal mit £änge3eidjen geörudt, 3u>eimal ohne foldjes; bei sit unö hoch fehlt bie 
£ängenangabe; öas mittelhodjö. Smperfeft oon küssen roirö küsste gebilbet ftatt 
kuste. $etner finöen {ich nicht {eiten gan3 unhaltbare flnfidjten, öie 3um Heil auf 
öie Benutjung non urt3uoetläffigen unb öurch öie roiffenfdjaftlidje gorfdjung abge= 
lehnten Schriften roie öie oonü). ZReyer (Die Schöpfung, öer Sprache) 3urüd3ufühcen 
finö. So werben gifd) unö Schiff, h°la unö hallo, Dirne unö Drine (! = Stine, b. h- 
Katharine) S. 99 als etymologifdj gleichwertig unö burd) Um{tellung gebilbet am 
gefeljen; er3gebirgifch IDepfe {oll aus EDefpe tjeroorgegangen fein, mährenö h' et 9 e ‘ 
tabe bie Hiunöart öas tUfprünglidje bietet (mittelhodjö. weise). S. 132 roirb oon öer 
fchmei3erifchen Detlleinerungsenöung -li berichtet unö S, 133 ge{agt, dlemanwifch i c > 
tH 3U -i 3u{ammengefchrumpft; aber alemannijch mirö ja: eben in öer Sdjffiei} ge* 
fprodjen unö -i ift niemals aus.-li herootgegangen, fonöern ein felbftänöiges Suffif 
(ogl. $. EDtebe, Die Diminutioa bn Deutfdjen, S, 113 ),. Am einmanöfreieften finb 
öie flbfdjnitte über $otmenlehre unö EOortbeöeutung. Die überfidjtlidjfeit perbient, 
gelobt 3U metöen. — Bei öer Reubearbeitung oon ©. £yons 10 ) ^artöbud} bet 
beutfdjen Sprache haben es <L Ittüller unö fl. Rööel oortrefflidj oerftanben, auf bet 
bemährten ©runölage öes IDetfes im Sinne öer Sortfdyritte non Spradjroiffenfdjaft 
unö Rletljoöit meiter 3U bauen. Bei öer Satjleijte finö fie jetjt überall oom Präbifate 
ausgegangen, fchmer oerftänölidje Übungsfähe haben fie befeitigt, öie gramnratifdjen 
Begriffe mehr als früher öurch logifdje (Entroidtungen 3U gewinnen gefugt, ©anje 
flbfdjnitte finö neu IjiiBugefommen, roie öer über £eljn« unö gremöroörter, bie 
lüortteihen 3ut Redjtfdjteibung u. a. So entfpridjt jetjt öas fjanbbudj allen flnforbe' 
rurrgen, öie man an ein folches Buch {teilen' lann, unö roirö {ich fidjerlidj JU ö et1 3 fl $ 5 
reichen alten $reunöen noch Diele neue erroerben. (Einige Kleinigleiten tonnten 
bei öer nädjften Auflage oerbeffert roetöen. Die Xaute ei, au unö eu erfdjeinen nicht 
burdjroeg im Blittelbeutfdjen an Stelle oon mittelhodjö. i, ü unö iu, roie S. 310 ge» 
fagt roitö; babei roaren öas IDeftthüringifche unö öas Ripuatifdje aus3unehn' etl ' 
auf öetfelben Seite roitö oom Ausfall eines (Ertbungs«e ober «n gef prochen ,ftott oom 
Abfall, S. 313 roitö öie (Enöung ; etidj als foldje be3eidjnet, öie in öer Sdjtiftfproche 
nicht oortommt; mit Unrecht, roie IDütericIj, BOegetidj, ©änferidj u. a. öärtun. Die 
Potfübe Der- für et« ift nicht blofe ober« unö mittelöeutfdj, fonöern <f inbet fidj auch iw 

,, 9 ) Rid ? arö Magnet, (Einführung in öas Stubium ber beutfdjen Sprache, teipjig. 

tDunberlicfj. 364 S. 2Tt. 4,—, geb. 2K. 4,60. 

10) ©tto £yons fjanbbudj bet beutfdjen Spradje für höhere Schulen, mit Übun«5‘ 
aufgaben. 1. aeil: .Seita bis Sertia. 3toölfte, oöllig neu bearbeitete flufl. oon hm* 
titulier u. fllfteb Röbel. Ceipjig, B. <5. üeubner. 336S. (Beb. RT. 2,80, 



431 


t uni bni[dj< 

t auf ftrtng oi|]aja± 
uöierenöc chjofsr. 
iie Beutj^t Sibie 
uiium ön tatfe 
idi öie Miltojr. 
i|t md|t }iun 
feiten uni UnjCKE 
hi. geschid jrtgß 
U riditia (trtt); u ä: 


;; bei sit unihödii 
1 mitö küsste jö ! 
flnjicbten, ÄjmK- 


der Spraye) jfflfe' 
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135 gefagt (!<**• 
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i. Cyons 10 ) ^ 
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Don (Dsfar EDelfe 

Rieberbeutfchen, 3 . B. bei Heuter in oertelten (er 3 äfjlcrt), oerlötoen (erlauben), oer= 
föllen (erlälten). — Heu bearbeitet ift audj f). Stöcfels Deutfcfje Sprachlehre. Du 
jie fich als 3 U fd?tDierig für Schüler erroies, fo h Q t fie-K. Reiffinger 11 ) ent|prechenb 
umgeftaltet, aber öle gefrfyid^tltdjc (Brunblage gemährt. Denn infolge öer Detmehrung 
öer Stunben 3 ahl int Deutfehetr unb nach ben Beftimmungen bet neuen £el)rorbnung 
i|t es jetjt nötig, nähet auf bie (Entroidlung unferer Mutterfprache entgehen. Das 
Buch unterfcheibet fich norteilhaft oon ben meiften, bie ben gleichen 3®«f »erfolgen, 
butef} bie ausführliche Behanbiung' ber IDortbilbungsIehte (S. 36—72). (Es ift toiffett* 
fdjaftlidj 3 ux>erföffig urib für bie höheren Schulen brauchbar. Dielleicht fönnte bei einet 
Reuauflage bas Althochbeutfche gan 3 aus bem Spiele gelajfen unb nur bas Wittel* 
ho(hbeut[d}eherange 3 ogenroerben.—Die beut|<heSpra<hfchuIe®ttos o. ©jceyer 3 12 ), 
bie (ich 3 Ut Aufgabe macht, ben mutterfprachlichen Unterricht an bie örtlichen Sprach* 
oerhältniffe an 3 u|chliefeen, liegt bereits -in britter Auflage oor, ein Betoeis bafür, 
baf) fic fich im Schulbetrieb beroährt hat. $üt ben Dialeftforfdjer hübet fie ein be» 
quemes Hilfsmittel, genauet mit bet Betnet IUunbart befannt 3 U toerben. Denn 
toährenb bas mehtbänbige IDerf oon <£. $tiebli über bas Bernbeutfch hauptfächlich 
Öen fDortfchah unb bie Kulturgefchichte bes £anbes ins Auge fafct, finb hi ßT alle 
Seiten bes Sprachlebens berüdfichtigt. Die neue Auflage urtterfcheiöet fich oon bet 
oorigen, abgefeljen oon einigen fachlichen Detbefferungen unb <Etgän 3 ungen, nament* 
lieh burdj fchönere Anorbnung unb praftifcheren Drud. — Der ©runbrifc bet beutfehen 
Sprachlehre für bie unteren Klaffen höherer £ehran|talten oon Sütterlin unb 
Martin 13 ), helfen fünfte Auflage fegt erfdjienen ift, 3 eigt biefelbe (Einrichtung 
toie Sütterlins größere grammatijehe IDerfe. Überall toirb bie- beutfehe Sprache 
aus {id? fetbft unb ohne Be 3 iehung auf bie hergebrachte frembfptachliche ©rammatif 
erflärt, oor allem ein neuer U)eg in ber Behanbiung ber Satzlehre eingefchlagen. 
fjin 3 ugefügt finb einige Bemerfungen über bie Relatiofäge mit toer unb toas unb 
übet bie unperfönlichen, tranfitioen unb intranfitioen 3eitroörter. Dafür finb einige 
hauptfächlich für ben £el)ter beftimmte Anmerfungen roeggefallen. Die gtamma* 
tifchen Kuriftausbrüde roerben fegt (ateinifch unb beutfdj geboten. Mehrere Kleinig* 
leiten bebütfen noch bet Anberung: § 145 mufe bei ber Befehlsform bes ftarfen 3eit* 
toorts, 3 . B. tomme, bas e minbeftens in Klammem gefegt roerben, basfelbe gilt 
§ 153 oon ber Silbe *et= in ber Wunbartform Häuberchen für Häubchen. § 79 toirb 
ber Schluß Öes „Hauch ers" toiebergegeben: „Sie tauften hinauf, fie raufdjen nieber" 
ftatt „fie raufchett herauf". — ED. Brudners 14 ) Abrifc bet beutfdjen Sprachlehre 
für höhere fchtoe^erifche Schulen bietet in leicht faßlicher, tnapper $orm alles, toas 
ber Schüler aus bem Bereiche bet £autlehre, tDortbiegung unb Saglehre roiffen mufe. 
£öblidf- .erfdjeint, baf) ber Derfaffer öfter bie Wunbart heran 3 ieht ( 3 . B- er fallt, i 

11) Karl Reiffinger, Deutfhe Sprachlehre auf gefduchtli<het ©runblage, nad; 
h- Stödels beutfeher Sprachlehre neu bearbeitet für höhere tebranftalten. Bamberg, 
2. d.Budjner. VIII, 226 S. ©eb. IR. 2,40. 

12) ©tto d. ©reyer 3 , Deutfdje Spradjfchule für Berner. Dritte, oerbefferte flufl. 
Bern, fl. Stanle. 191 S. IR. 4,25. 

13) £. Sütterlin unb K. Martin, ©runbrif) ber beutfhen Sprachlehre für bie unteren 
Klaffen höherer £ehranftalten. $ünfte, oerbefferte flufl. £eip 3 ig, R. Doigtlänber. 81 S. RI. 1, . 

14) Wilhelm Brudnet, flbrifc ber beutfefjen Sptad)iehre für höhere.fdjroeHerifcte 
Schulen. 3. flufl. Bafel, B. Sdjtoabe. 132 S. ©eb. M. 1,50. 



432 £iteraturberid)t 1914: Allgemeine Sprad)iDiffenf<haft unb öeutfdje Spraye 

ha ben!t) unb auf ähnliche ©tfdjeinungen in Öen alten unb neueren Sprachen hin* 
roeift, 3 . B. S. 60. — 3n bem tDegroeifer 3 ur Beobachtung bet ITIutter|pradje fdjlägt 
lUartfja Siber 16 ) benfelben IDeg ein toie in intern not 3a^resfrijt erfdjienenen 
Cefjtbud] für bie mittleren Klaffen. Sie geht oon ein 3 elnen Rtufterftüden aus, bie 
teils aus bem neuljodjbeutfdjen, teils aus bem munbartlidjen Schrifttum genommen 
unb in benen bie 3 U erörternben Spradjformen fdjon butefj Sperr» ober Settbrud 
fyerootgefjoben finb. planmäßige Behanblung ber gan 3 en ©rammatit ift nicht beab» 
fidjtigt, oielmeht roerben nur bebeutfame Abfdjnitte aus ber £aut=, IDort unb Saß* 
letzte ausgetoaljlt. Aufgaben finben fidj in großer Das Budj als ©an 3 es mad|t 
einen guten ©inbrud, nur muß im ein 3 elnen noch manches Derbeffert roerben. So 
finb S. 36 unb 60 bie IDörter Rlonat, Star unb Spott fälfdjlidj als Sefjmoörtet aus 
lat. mensis, sturnus unb sputum hingeftellt unb S. 59 unb 61 opfern aus offene 
ftatt aus operari abgeleitet. Bei ©inte toirb S. 64 als (Etymon tincta (Ule^a^l 
oon tinctum), S. 59 tinctum angegeben, basfelbe gilt oonRIoft (S. 12 musta, S. 60 
unb 63 mustum), S. 63 ift bas $rembtoort £imes unter bie £ehnroörtet geraten, 
manches oermißt man, 3 . B. bie £efymoörter Pfeil, Pflafter, Pferb, Pfrünbe, Pfufjl, 
Pfunb, Pfoften, Pfau, Pfanne, Pfarre, bie fidj fdjon burd} ihren Anlaut als £e^ngut 
austoeifen. — Bas Buch oon A. Baumgartner 16 ) „Bas erfte 3a^t Beutfdj" ift für 
bie ^anb bes Sekrets beftimmt beim Unterricht für auslänbifdje Spület oon min* 
beftens 14 3al?ren. ©s enthält Regeln, Beifpiele unb Übungsaufgaben, georbnet 
nad} bem praltifdjen Bebürfnis. Babei roirb alles bas, toas bem Auslänbet bie groß* 
ten Sdjroierigfeiten bereitet, am ausführlichen erörtett, bas ©igenfdjaftsroort mit 
feinen oerfdjiebenen ©nbungen, bas Derhältnisroort mit ber ITlannigfaltigfeit bet 
baoon abhängigen Biegungsfälle, bie IDortftellung u. a. ©ebichte, Sprichwörter, 
©t 3 ählungen roerben überall eingefügt; bem 3a>ed bes Buches entfpredjenb treten 
IDortfchaß unb Ausbrudsroeife ber Umgangsfprache ftart in ben Dorbergtunb. 3 U 
biefer an 3 uleiten ift es toohl geeignet. — Bie Aufgabe, in bas tDefen ber Syntaf 
ein 3 uführen, ftellt fid? eine Schrift oon R. Blümel. 17 ) Ber Berfaffer fudjt 3unädjft 
ihr ©ebiet 3 U umgren 3 en, fobann ihren Aufbau ünb ihre gerichtliche ©ntoiilung 
bar 3 ulegen foroie IDinte für Stubium unb Unterricht 3 U geben. 3tth^ teic ^ e Beifpid® 
roerben 3 m ©rläuterung oertoenbet, meift aus bem täglichen £eben gegriffene ober 
felbftgebilbete; auch hie flaffifdjen unb mobetnen Spradjen finb herange 3 ogen toorben. 
IRanche roid}tige ©rfdjeinung toirb an oerfchiebenen Stellen behanbelt, 3 . B. ber 
Atfuf. 6vo(ia in ber Berbinbung Ttorauog Kvdvog övojict S. 115, 120 , 123 unb 
256. Ben £ehtern tann bas Bud; angelegentlich empfohlen roerben; fie roerben oiel 
Anregung baraus empfangen, für Sdjület erfdjeint es toeniget geeignet. — ^ em ' 
felben Berfaf fer 18 ) oerbanfen mir eine Arbeit über bie tjaupttypen ber h eu ^9 en 

15) llTartha Siber, IDegtoeijer 3 m Beobachtung ber lUutterfprachc. 3 um ©ebrou^c 
für bie oberen Klajjen 6 er £y 3 een unb fyöljeren ITCäbcfyenjdjulen unö für bie HTitteltlflff eTl 
Stubienanftalten. 3n>eite, oerbefferte Aufl. Seipjig, B.©.©eubner. 125 S. <5eb. ITt- 1,60- 

16) flnbteas Baumgartner, Das erfte 3ahr Oeutfch- £ehrbuch für fran 3 Öfifd}e, ita* 
Itemfche u. englifdje Schulen. 3ürich, ©rell Süßli. 224 S. Bl. 2,40. 

17) Rubolf Blümel, «Einführung in bie Syntaj. Qnbogerm. Bibliotljef, h etau5 9 e9 ‘ 
o. ZK. Uiebetmann, II.) Ejeibelberg, ©. tDinter. 283 S. Rt. 3,60. 

t. *5? B. Blümel, Über bie tjaupttypen ber heutigen IDortftellung im fjauptfaße. Straß* 
bürg, K. ©rubner. 77 S. ITt. 3,—. 


433 




uni neutten Spma- 
ng i« IMnjptfflc 
wt Ja^tesfrijt irjfe 


Inen IHufteipiItn c 


i±en Sdjrifttnm gor; 
iutdi Sperr oi« je 
n Srmnnidüi^ 
öer Cout 1 , IW iS: 


Das Budbab&ffie- 
dies »erbeffeit wön: 


uni 61 opjtnusi: 


rt IHoft (5.12 mnsti: 

x iie Cejfrawtto p 
tet, Pfeti, PfnWt^ 

5 ifyren 

erfte 3^ W* 



llungiw 




Don ©star tDeife 

IDortJtellung im hauptfat} unb eine anbere über Öen neuhochbeutfchen Rtobus 19 ), 
öie beibe ähnlich geartet finb unb oon bem umfaffenben tDiffen unb ber einbringen* 
ben Schärfe bes Detfaffers berebtes 3eugnis oblegen. — Schließlich fei hier noch 
einer Sd)rift ©. ID. tDagners 20 ) übet IDifl}. IDilmanns gebaut. Zltan finbet barin 
nicht bloß ben äußeren Cebensgang bes bebeutenben ©ermaniften, fonbem auefy bie 
innere ©nttoicHung eingeljenb getoürbigt, feine Schriften fämtlich oerjeidptet, ein« 
fchließlidj ber 3eit[chriftenartifel, unb iljte Bebeutung in ber richtigen tDeife betont, 
jo baß man ein treffliches Bilb oon bem Ceben unb Streben bes heroorragenben ©e* 
lehrten erhält. 

C. tDortfunbe. 

1. tDortbebeutung: h- Ifdjinfels 21 ) Büchlein über ben Bebeutungsroanbel 
ift aus ben Dorarbeiten 3 U einer beutfehen Sprachlehre für Spüler Ijetoorgegangen, 
hält baher allen gelehrten BaKaft fern unb bringt in tnapper, antegenber unb leicht 
faßlicher $otm bas für roeitere Kteife tDiffenstoertefte. Das ©ebotene ift 3 UoerIäffig, 
nur feiten toirb eine unhaltbare Anficht oorgetragen, 3 . B. bei faulen 3 en S. 14, bas 
3 toar ooltsetymologifdj mit fauler Cen 3 3 ufammengebracht toirb, aber oon haus aus 
nichts bamit 3 U tun hat. 

2. tDortfdjaß: a) Perfonennamen. Die oierte Auflage oon tjeintje*<Eas* 
corbis 22 ) beutfehen Samtliennamen ift um 1500 neue Hamen bereichert, bie haupt* 
fächlid} aus ben einfchlägigen tDerfen oon ©bto. Sehrober, Socin unb Reichert ftammen. 
Rieht benußt finb bie Arbeiten oon Heinrichs, Stubien über Ramengebung im Deut» 
fdjen feit Anfang bes 16.Jaljrhunberts unb ©rotefenb über bie hanbioerfsnamen. 
Da bet Derfaffer bie Ausheilungen anberer meift berüdfidjtigt hat, ift bas Buch noch 
brauchbarer getoorben als früher unb toirb in feinem 3 toeiten Seile, bem alphabeti» 
fchen Det 3 ei<hnis erflärter Hamen, als Hachfchlagetoerf, in feinem erften, bem fyftema* 
tifchen, als Cefeftüd jebetmann gute Dienfte tun, bet über Hamengebung Auffdfluß 
begehrt. — ©an 3 anbets geartet ift bas in ber Sammlung „Hatur unb ©eiftestoett" 
etfehienene Bänbchen oon A. Bähnifd} 23 ) über bie beutfehen Perfonennamen. 
Dies toill nicht 3 um Hadjfchlagen, fonbem nur 3 um Cefen bienen, 3 eigt lebenbige unb 
feffelnbe Darfteüung, getoüt 3 t butch Anetboten, unb oemtag überall 3 um Hach* 
benten an 3 utegen. Auf ©runb neuerer Schriften hat ber Derfaffer oieles gebeffert, 

3 . B. Hamen toie Kühne, bie er früher oon ©genfehaftsroörtem ableitete, jeßt als 
KuQformen (= Konrab) aufgefaßt unb folche toie Bocf in gröberer 3«hl »an haus» 
3 eichen abgeleitet unb nicht mehr als Sd}et 3 be 3 eichnungen gebeutet. — 3m 3 toeiten 

19) R. Blümel, Dom neuhochbeutfchen RToöus. ©ermanifch'tomanifche RIonats= 
fdjrift VI, 379—388. 

20) ® eorg IDilhelm IDagner, IDilh. IDilmanns. Sonberörud ber roiffenfefj. Beilage 
3um Jahresbericht bes ftäbtifchen Realgymnafiums ju hamborn. 46 S. 4*. Selbftoetlag 
bes Derf. 

21) hans I[djinfel, Übet ben Bebeutungsroanbel im Deutfeßen. IDien, Rtan 3 f<he 
Buchhanbl. 60 S. 

22) Albett fjeinße, Die beutjdjen $amiliennamen, gefrfjicfjtlid}, geogtaphifch, fach' 
lieh- Diette, oetbefferte u. »ermebtte flufl. 0 . p. dascorbi. halle, tDaifenljaus. 289 S. 
RI. 8,50, geb. TR. 10,—. 

23) Alfteb Bähntfch, Die beutfehen Perfonennamen. £eip 3 ig, B. ©. üeubner. 
2. flufl. 125 S. ©eb. IR. 1,25. 

3eitjdir.f. b. 6tutfcf)«n Unt«rrtd)t. 29.3<ri)t0. 6. Qeft 


28 



434 tileraturberidjt 1914: Allgemeine Spra$u>iffenfd)aft unb beutfdje Spradje 


{Teile non UI. Klofes 24 ) Programmarbeit über öie ©rünberger $atniliemtamen 
roerben öie Bei* unb Übetnamen beljanbelt, bod? 3 unäcfjft nur bie, toeldje non einer 
beftimmten ©rtlidjleit Ijerftammen, toäljtenb bie oon Beruf unb Stanb, <Eigenfdjaften 
unb Itlerhnalen fjergenommenen für eine fpätere Befjanblung 3 urüdgefte(It fmb. 

b) ©rtsnamen. ©nen t?übfd}ert Überblid über bie ©efdjidjte bet neueren 
©rtsnamenforfdjung gibt $r. dränier 25 ); 3 ugleid? 3 eigt er an gut gemähten Bei* 
(pielen non ©rtsnamen, befonbers bes roeftlidjen Deutfdjlanbs, roie fidjere (Ergeb* 
niffe eigielt roerben tonnen, unb erteilt gute Ratfdjläge für roeitere Unterfudjungen. 
— Detfdjiebene anfpredjenbe Beiträge 3 m ©tlärung Ijeffifdjer $lut* unb ©rtsnamen 
Derbanten mir ber rührigen $orfdjertätig!eit H). Sdjoofs 28 ); namentlidj fudjt et 
bat 3 utun, roie 3 al}lreidie IDörter, 3 . B. fjunbstüd unb tjungerberg burdj ooltsety* 
mologifdje Umbeutung oeränbert toorben finb. — Den ©rtsnamen bes Betdjtes* 
gabener £anbes finb 3 toei-Abljanblungen oon S. o. Rie 3 ler 27 ) unb 3. Zlliebel 13 ) 
geroibmet. 3«ner benft toie Steub an eine romanifdje Befiebelung bet ©egenb, 
biefer meint, bas roalbbebedte £anb fei erft feit bem 11.3af?rl?unbert oon ben Bayern 
beoöltert toorben. — 3 - Scfyneß 29 ) ftellt feft, baß bie auf *lar enbigenben ©rtfdjaften 
Ijauptfädjlid} in Reffen unb IDeftfalen, in ben Rieberlanben unb in Belgien oerbreitet 
unb fränfifcfyet tjerfunft finb. Das IDort *Iar leitet et nidjt roie getoöljnlid} oon afjb. 
giläri, Siebelung, ab, fonbetn oon lär, unbebauter Boben. — ©n De^eidptis bet 
©rtsnamenänberungen in Pofen bieten d. ©raber unb ©. Ruppetsbetg. 30 ) Sie 
unterfdjeiben babei brei ^auptgruppen: 1 . Hamen, bie burd? Umgeftaltung ber 
beutfdjen Spted}* unb Sdjreibtoeife angepaßt finb, 2 . Überfeßungen, 3. freie Heu» 
bilbungen. 

c) Straßennamen. £üneburgs Straßennamen roerben in ifyret gefdjicfjt* 
lidjen dntroidlung auf ©runb eingeßenber flrdjioftubien oerfolgt oon H). Reinede. 31 ) 
Die Anorbnung ift alpßabetifdj. Die Arbeit bietet fpradjlicß unb tulturgefdjidjtlid? 
oiel Beadjtensroertes, ba fie uns ©nblide in ben altnieberbeutfdjen tDortfdjat! unb 
in bie ©efittung bes Hlittelalters geftattet. 

d) $rem broöttet. Die $remblinge ber Alamobe 3 eit roie Rlobe, alamobifd), 


24) Ulartin Klofe, ©rünberger $amiliennamen. 2 . Heil, progr. bes Snebrity 
u)ill}elms*Realgymnajiums 3 U ©rünberg in Sdjlefien. 12 S. 4°. 

25) $tan 3 dranter, Die Aufgabe ber heutigen fflrtsnamenforfdjung. Reue 3 cbib. 
f. b. flaff. Altert. 1914. S. 210 / 6 . 

26) UHIßelm Sdjoof, ITIarbutg, lltariental, IDeimat: „Ijeffenlanb“ 1914, Ht.6/7; 
Sd;u>abenbimtnel, tjimmelbunfberg: Sulbaet ©efdjidjtsblätter XII, Rr. 8 ; Ejotje Jjölle, 5iim 
meisberg: „^effenlanb" XII, Hr. 10; tjunbsrüd: 3eitfdjr. b. Der. f. rbein.*roeftf. Dollsf. 1914, 
S. 92ff.; fjungersberg, Ijonigberg, IDeinberg, tDinterberg, Denusberg: 3 *itfdjr. b.Da.f« 
Dolfst 1914, S. 272—92; Ungebanten: „fjeffenlanb" 1914, Hr. 22 . 

S. »■ Rie 3 ler, Die ®rts=, IDaffet* u. Bergnamen b. Berdjtesgabener Canbes. 5 e F 
gäbe f. ©. Meyer 0 . Knonau. S. 63ff. 

28) 3ulius Uliebel, ©rtsnamen u.Befiebelung bes Bercbtesgabenet Canbes. flltlayt. 

IRonatsfQr.XII, 73—95. 




J °l e T Sajneg, Das £ar*Ptoblem mit bef. Berüdficbtigung 
am ulam. Progr. b. ©ymnaf. in Ca^t a. Ul. 70 S. 

n ,^ r ® , ® ra ^ et u. ®. Ruppetsbetg, De^eidjnis ber ©rtsnamenänberungen in 

Ptomn3 pofen. Pofen. 156 S. Ul. 4,50. 

»1" ^ c ' ne< * c » Die Straßennamen Cüneburgs. Quellen u. Darftell- 3 . © 
tebetfadjfens, Bb. XXX. tjannooer, <£. ©eibel. 165 S. UI. 5,—. 


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I uitb tatffy Sfitii 


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amcriforf^uiig. 


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jtesgaben«^ 



©rtsno^ 

Quellen 


Don ©sfar IDeife 425 

Kandier, RTonfieut, ©alan, Kompliment, Reputation u. a. behandelt $. Schramm 32 ) 
mit Sorgfalt unb ©rünölichfeit. 

e) Redjtfdjreibung. Das befannte IDörterbucf? ber beutfcfjen Redjtfdjreibung 
non K. Duben 33 ) 3 eigt in ber neunten Auflage eine nöllig neränberte ©eftdt. Rieht 
nur [inb 3 a^lreirf?e neue Ausbrüde aus bem öffentlirffen £eben unb ber frönen 
öteratur, non ©rfinbungen unb ©ntbedungen hin 3 ugefommen, fonbetn auch 3 d?l* 
reicfje frembe Kunftausbrüde, bie namentlich aus bem jetft bamit nereinigten „Buch* 
brudetbuben" ( 2 . flufl. 1907) herrühren. So hat fidj ber Umfang non 415 breifpd* 
tigen auf 565 nierfpaltige Seiten oergröfjert. Seht banfensmert erfcfjeint, baff bei 
ben $rembroörtern unb nieten beutfdjen Oörtern bie Betonung angegeben unb in 
ben Dorbemerfungen ein bebeutfamer Abfcffnitt über ben Binbeftridj hidugefügt 
motben ift. Die Doppelfcffteibungen unb Sonberformen ©fterreidjs, Bayerns unb 
bet S<ha>ei 3 tnerben gemiffenhaft net 3 eichnet, mitunter mie 3 . B. bei ber Bieter unb 
bas Bieter fogat eingehenber befprodjen. So übertrifft bas Buch in leinet großen 
Dielfeitigteit alle einfihlägigen IDerte unb ift als Hachfchlagebuch unentbehrlich. 

D. Stiliftif. 

1 . Allgemeines. 3n &h. ITtatthias’ 34 ) Sprachleben unb Sprachfchäben, beffen 
nierte Auflage je^t oorliegt, begrüben mir einen guten alten Befanden, ber fidj als 
Ratgeber bei ben Schmanfungen unb Schmierigfeiten öes Sprachgebrauchs trefflich 
bemührt hat. Der Derfaffer ift eifrig bemüht gemefen, ben Ausgangspunft ber Sprach* 
etfdjeinungen genauer feft 3 uftellen, in ben Anmerfungen aber 3 U ben Anfichten 
anbetet ©elehtter Stellung 3 U nehmen ober neue Citeratur nach 3 utragen. $ügungen 
mie milber Schmeinsfopf, reifer ©raubenfaft merben S. 194 nicht über ©oetlje 3 U* 
rüefoerfolgt; aber fchon in bet ffifenbetger PoÜ 3 eiorbnung oon 1563, Art. 5 ift bie 
Rebe oon gebrannten XDeinhaufern (= Branntroeinhäufern). Die hetange 3 ogenen 
Schriften mie IDuftmanns Sprachöummheiten, Behaghels Deutfdje Sprache, Sanbets’ 
hauptfchroierigfeiten merben oielfacf) in älteren Auflagen benutjt. So fommt es, 
ba& S. 79 bei Sanbers etmas getabelt roirb, mas fchon in ber 31. Auflage oon 1908 
S. 134 gan 3 richtig angegeben ift. mitunter merben midjtige Schriften unermähnt 
gelaffen, 3 . B. S. 100 bei ber $ügung: ich habe ihn fingen hören, mo neben ben älteren 
Abhanblungen oon Rletfes unb IDunberlich oor allem bie grunblegenbe Arbeit 
tt>. Kurrelmeyers (3eitfchr. f. b. IDortf. XII, 1910, S. 157ff.) 3 U oer 3 ei<hnen mar. — 
®IeichfalIs in oierter Auflage finb besfelben Detfaffers 35 ) Auffatffünben erfchienen, 
oermehrt unb oerbeffert unb baburch noch brauchbarer für bie lernenbe 3 ugenb ge* 
rootben, freilich noch nicht überall einmanbfrei. So möchte ich ben Schülern nicht emp* 
fehlen 3 U fcht eiben: am IDege ftanb ein haus unb mir traten hinein (S. 32) ober; 

. „ 32 ) $• Schramm, $rembtoorte ber fllamobejeit. Beiheft 30 m 15. Bb. ber 3eitfd)r. f. 

0 . IDortf. Straffburg, Itübner. 

33) KonrabDuben, Rechtfehreibung bet beutfehen Sprache u. bet $rembroörter, neu 
bearbeitet oon <E. IDülfing u.fl. Schmibt. 9 . Aufl. Ceipjig u. IDien, Bibliograph. 3njtit. 
565 S. ©eb. BI. 2,50. 

34) ©heobor Blatthias, Sprachleben unb Sprachfchäben. Dierte, oerbefferte u. oer» 
mehrte flufl. Ceip 3 ig, $riebr. Branbftetter. 490 S. Bl. 5,50, geb. BI. 6,30. 

35) Hfjeobor Blatthias, fluffaijfünben. IDarnenbe Beifpiele 3 URuh u. Stotnmen ber 
oeutfehen Schulfugenb gefammelt u. erläutert. Dierte, oetmeljrte flufl. £eip 3 ig, R. Doigt* 
lanber. 88 S. Bl. 0,80. 


28* 



436 £iteraturberi<f)t 1914 : flllgem. SpradFttfenfdjaft u. beutfd,eSprache. Don©sfarlDei|e 

unterst? bid) unb »errate etwas (S.50) ober: bie 3nf affen bes Jagens waten 
infolge bet Strapajen bes Gages eingefchlafen (S. 46). Aud) bte gaffung bet Regeln 
ift juweilen anfechtbar. So fteljt 3-B.S.46: „Saut bes flbfotnmens, 

Rachweifes, jebod? bei artitellofen Hauptwörtern ohne gaübeseichnung. (3ft mtht in 
obigem Beifpiel „Rachweifes'' attiieüos?) ©bet S. 38: „£Us bu bas^Wtetengeljen 
»erboten betommen hatteft, ums hatteft bu ba in ben Hänben? Ruh* natürlich- 
Alfo toenbe eine fo wibetfinnige Ausbrudsweife ni# <m!"(f«)etmufe man benn 
bas, toas man betommt, 3 .B. Prügel, Kopffdjme^en, bte S^mnbfu^tu.a. immer 
in ben Hänben haben?) — Sprachübung in älteren Sehnen 
bebanbelt <E. fjentici 38 ) in berfelben R>etfe wie in bem erften, 1913 
Seile biefet Schrift - ©ne gtofee 3ahl weltlicher (Ergänzungen unb Ra^htaag 
3 U Büchmanns geflügelten R)orten bringt eine Arbeit oon £.Surthctm ), metfl 
aus fran 3 Öfi|djen, englifdjen, lateimjdjen unb anbeten frembfpradjlt^en Schrift« 
Kellern. Blanche (Erörterungen roie 3 . B. übet betrogene Betrüger finb (ehr umfang¬ 
reich, anbete tüt 3 et gehalten, oiele aber 3 eigen, bafe manches Sprachst unsrer 
Dieter, bas mit als ihren eigenen Befit| an 3 ufehen gewöhnt finb, uralte, weitter- 

breitete RTün 3 e ift. .. 

2. Stil ein 3 elner Schriftfteller. gt.Beyel 38 ) unternimmt es, bte betöen 
gaffungen oon Kellers ©rünem Heinrich miteinanber 3 U Dergleichen, unb getoah 
uns fo bie Rlöglidjleit 3 U beobachten, t»ie fidj fein Stil im Caufe oon 30 fahren ge« 
roanbelt hat, »om Subjeftioen 3 um ©bfeftioen, oon bet Romanti! 3 um Realismus. 
Am feffelnbften ift bie XDanbelung bes Stils bet perfonenbarftellung S. 124J. 

3n einer Programmarbeit gr. Petris 39 ) erhalten wir Rachträge 3 U beffen ©efW« 
bet Pichterfprache Klopftods, unb 3 wat fucht bet Detfaffet barin 3 U erörtern, meiajen 
©ebraudj bet Dichter com gürtoort unb oom Artitel macht, unb befpnajt etmg^ 
Befonberheiten in ber Denoenbung ber Partiteln unb bet Demeinung. R>tt et« 
fehen bataus, baf} Klopftod unabläffig bemüht gemefen ift, ben Ausbtud biqten|ch 
3 u geftalten, aber auch, ba& Schüler u. a. feinem Dotgange in mancher W 9* 
folgt finb. Unberüdfi^tigt geblieben ift bie Abhanblung ©. Behaghels übet oe 
IDegfall bes beftimmten Artifels (Beiheft 33 ber 3eitfcht. b. Allg. b. Spradjoetei > 
S. 86 ff.), toorin auf ben ffinflufe ber englif^en Dichtung hingewiefen wirb. — 
ben getoaltigen Umfang oom RJortfchatje Sh- Storms toetben mit un etnch 
burch einen Auffafc oon A. Ptodfd}. 40 ) Darin toitb nachgetoiefen, bafe biefer noa; 
größer ift als ber Shafefpeates unb nicht weniger als 22421 Wörter umfaBt. 
fonbete Abfdfnitte behanbeln bie feltenen Ausbtüde unb bie gatt 3 e ©tfqeinung 
toett bes Dichters, oon bet ber Wortfchafe 3eugnis ablegt. 

36) (Emil hentici, Batbarolejis, Sprad}mifd}ung in älteren Schriften Deutfdjlanbs. 

tjeft 2 . Berlin, 3. Klönne. S. 121—167. . Wr»kobet< 

37) £eo Sürlheim, Auf Büchmanns Spuren, Schnifeel u. Spane. Progr. 0 . n 

tealfdjule non Hütnbetg. 53 S. . - n i 5 

38) gran 3 Beyel, 3um Stile bes ©rünen Heinrich. Tübingen, B. Tuoljt. 

39) gtiebtich Petri, Rasttage 3 m ©efch. b. Dichterfprache Klopftods. Beilage 3 tt 

ben Sdjulnad)rid}ten bes ©ymnafiums in flnllam. 56 S. 8 °. m flt5 , 

40) fluguft ptodfd}, Der IDortfchafe ©heob. Storms. ©etmanifd)«romanifd}e mon« 
fdjrift. 1914. S. 532—562. 



Die beutfd)e pijüofopljie im IDelttriege. Don R. Stube 


437 


pijilo|opI)ijd|e Propäöeuttf. 

Don R. Stäbe in £eipjig. 

I. Seil. 

Pie beutfhe pftilofopftie im IDelttriege. 

Oie Philofophie pflegt ihre Arbeit, ohne barum meltfem unb Iebensfremb fein 3 U 
müffen, in bet Stäle 3 u tun. Oie Arbeiten, bie im folgenben Beriete 3 U nennen 
finb, finb alle noch grüßte ber langen $riebens 3 eit. Sro^bem toollen mir auch in 
biefem, mehr abfeits gelegenen, ftillentDintelunferer 3citfe^rift 3 uerft beffen gebenfen, 
toas bas geijtige £eben unfetes Doltes erfüllt unb amtiefften bemegt, bes Kampfes, ben 
mir um unfer ftaatlidjes unb nationales Dafein führen müffen. Die gtiedjifche ©öttin 
ber IDeisljeit, bie Schirmherren ber attifdjen Kultur, trägt Scfjilb unb Speer. Oie 
Philofophie hat ihre reichhaltigften Anregungen aus bem großen gefdjidftlidjen £eben 
erhalten, toie es etma tDinbelbanb in ben glän 3 enben Überbliden über bie Perioben 
bet ©efchichte bet Philofophie barftellt. Rieht feiten atmet fie ben ©eift toaffenge* 
roaltiger, oon IHadjtfämpfen erfüllter 3eiten. Schon ber löniglidje pijilofoph oon 
(Ephefus, fjeraQit, hat perfönliche £ebensgef<hide 3 U ©ebanten geprägt unb bem Kriege 
feine geiftige Bebeutung oetlieljen. Platon ift nicht oerftänblidj ohne Hüdfidjt auf bie 
politifctjen Kämpfe ber 3eit. Daoon 3 eugt bie ©eftalt bes Kalliües im „©orgias" unb 
bie Rolle, bie Platon in feinem „Staat" ben Kriegern 3 uerteilt. Das 3«taltet Stieb 5 
tichs bes ©tofjen finbet feine geiftige (Erfüllung in Kant, unb an niemanb unter ben 
großen Oentern toerben toit heute fo oft gemahnt roie an Sichte, in bem bas (Etfjos 
bet $reiheitsfriege propljetifdjen Ausbrud finbet. Rie^fdjes ©ebanten oon ITCacfjt unb 
Krieg aber leuchten uns heute auf toie eine grofee Dertünbigung beffen, roas heute an 
feelenerfdjütternben unb erljebenben Hergängen über uns bahingeljt. 

IDirb biefer Krieg audj bie Philofophie befruchten, toie et bereits bie Religion 
mächtig erhoben, bie Kunft oielfach belebt unb bie gefchidjtlic^e Betrachtung ftar! 
angeregt hat? ©ine gewaltige Kriegsliteratur oon hohem toiffenfrihaftlidjen XDert liegt 
oor. ©s gibt faum noch ein politifdjes, gefchicfjtlidjes unb geiftiges Problem, bas in ihr 
nicht erörtert toäte. 3n ihr laffen fidj in ber Sat fdjon bie erften Anfähe 3 U einet philo= 
fophifdjen Betrachtung ber großen ©reigniffe auftoeifen. Unb biefe erften Dorboten 
finb fo gehaltooll, bafe man ©röteres hoffen fann. 3 et}t 3 eigt fidj, baf} mit in aller 
Stille auch eine Rtobilifierung bet geiftigen unb fittlichen Kräfte oorbereitet haben, 
bie eble Stüdjte in Selbfoucht, ©erechtigteit bes Urteils, ©ntfchloffenljeit bes nationa* 
len tOoQens trägt. 

3ch nenne hier nur meniges, mas mit aus ber großen Rtaffe 3 ur fjanb ift. Als einer 
ber etften ergriff einbrudsooll ber ehtmürbige Ueftor ber beutfehen Philofophie, 
Wilhelm IDunbt, bas IDort. 1 ) ©rabe bie Schlichtheit feinet Worte mirtt, meil hier 
mitflich einmal bas (Einfache Siegel bes IDahten ift. tDie IDunbt tnüpft auch Alois 
Riehl an Sichte an in einer ber „Berliner Reben", bie 3 ut fittlichen Dertiefung ber 
3eitfragen ge roifr oiel beigetragen haben. 2 ) Riehls Rebe gehört 3 U ben gehanten* 

1) Wilhelm IDunbt, Über ben roahrhaften Krieg. Rebe. Cetpjrg 1914, fllfreb Kör* 
net. IR. 0,50. 

2) Alois Riehl, 1813 — Sichte — 1914. Berlin 1914, ©arl heymann. RI. 0,50. 



438 


£iteraturberid)t 1914: Die beutfdje pfjilofopljie im IDeltfriege 


reidiften unö oollenbetften Stüden. 3n berfelben Sammlung gibt Otto non Gierte 
eine gtän 3 enbe Behanblung bet oiel erörterten S™ge nac h öet Kulturtmthing bes 

Km ©iwpljiloIopWd? tief einbtingenbe, an bas unerfdjöpflidje IDetl oon (Elauferoi^ 
antnüpfenbe Schrift über ben Sbealismus als gejdjidjtUdje Wacht liefert h«»nnci} 
Scbol3- 4 ) Sie fotl in 3 roei meiteren flbtjanblungen übet Politi! unö IKotal forote übet 
bas d^riftentum unb ben Krieg fottgefüfjrt metben. Wir tonnen na<h bet Betei* 
djetung, bie uns bie genannte Sdjtift geboten Ijat, nur mit greube il}t (Etfdjemen 

ertDarten. ...... 

<£s ift Har, öafc teine Dibiplin ber Philofophie fo nachhaltig oom Kriege beeinflußt 

rnitb toie bie <£tt?it. Arbeiten in biefer Richtung haben mir in großer 3^1, unter benen idf 
bie flehten Stiften oon Hub. (Euden 8 ), Uljeob. 3ieglet 8 ), tE^eob. (Elfenhans), 
not allem bie feinfinnige (Erörterung oon bem Seliger Ptofeffot bet Urologie, 
Cubroig 3^mels 8 ), ^eroot^ebe, ber ben Krieg oom Stanbpunft bet djtiftliajen 
(Et^it aus betrachtet. Dielfach hat ber Krieg aud} ben Gehanten angeregt, baß bte 
inneren Kräfte, bie et roadjgerufen hat, im Stieben nicht oetloten gehen bütfen. 
flbolf non tjarnad hat (in bet unten genannten Rebe) bie übertoinbung bes alten 
Partei* unb Kaftengeiftes unb ben Sieg einet neuen fojialen Gefinnung als feine 
Hoffnung betannt. (Es roitb niemanb geben, ber im Rüdblid auf manches Unerfteu* 
liehe im Ceben not bem Kriege bem nicht 3 uftimmt Umfaffenber behanbelt biefelbe 
Stage bie nottrefflidje, ernfte Schrift non 3<>h- Rtarbob. 9 ) 

(Eine mehr auf prattifdje 3utunftsfragen bes Dolles gerichtete Schrift, bie aber 
aus bem nationalen (Ethos Paul be Cagarbes hernorgetoachfen ift, fich in Bietern mit 
feinen Ausführungen fetjt eng berührt, non Wilhelm Koßöe möchte ich befonbers 

marm empfehlen. 10 ) _ „ 

3u ben gehaltnollften etlichen (Erörterungen gehören bie „Reben übet ben Ktteg 
non Johannes Rlüllet, non benen bisher 3 mei hefte erfahrnen finb 11 ), non benen 
bas erfte bas feelifdje (Erlebnis, bie inneren Probleme bes Krieges, bas 3 meite bie 
nationale (Entfaltung bet fittlidjen Ktäfte bes beutfdjen Doltstums behanbelt. Diefe 
Schriften finb prattifd} gerietet. Sie mollen ba 3 U mithelfen, mit Harem Bemußtfetn 
3u ergreifen unb feft 3 uhalten, roas als innere £ebensemeuetung gefühlt unb geahnt 


3 ) ©tto non Gierte, Krieg unb Kultur. Berlin 1914, Carl fjeymann. Ht. 0,50. 

4) heintich Sdjolj (Prioatboj. an ber Untaerfität Berlin), Der 3bealismus als 
(Traget bes Kriegsgebanlens. Gotfya 1915, $rieb. flnbr. Perthes. XII. 0,60. 

5 ) Hub. (luden, Die fittlidjen Ktäfte bes Krieges. Ceipjig 1914, dmil ©taeje. 

m.0,10. 

6 ) ©h e °balb 3iegler, Der Ktieg als (Etjieher. Dortrag. Stantfurt a. TU. 1914, ©eo . 


-tlllUUtl. 4.11. V, IV. 

7) Gljeobor Glfenljans, Der Krieg als <Er 3 ieI}er. Dresben 1914, fl. Drejjel. WJ. 

8 ) £ubmig 3l?mels, Der Krieg im £idjte ber djriJtlidjen Gtljif. £eip3ig 1915, fl. ücl * 

djert. ITC. 0,60. . . 

9 ) Johannes Zttarbob, (Eine $rage! IDie erhalten mir ber 3utunft bie er^ebenoen 
Kräfte biejes Krieges? Berlin 1915, Julius Springer. BL 0,50. 

10) tDilljelm Koijbe, IDas follen mir tun? tDünJdje für Deutjdjlanb naq oem 
Kriege. £eip 3 ig 1915, Dieteridjfdje Derlagsbudjljanbl. Gfyeobor XDeicfyert. ITC. 0,30. 

11 ) Johannes Ttlüller, Der Krieg als Sdjidfal unb (Erlebnis. — Der Krieg als uo 
unb Aufgabe. ITCündjen 1915, G. I). Bed. Je ITC. 0,50. 



Don R. Stabe 


439 

o>iri>. Als eine befonbers roertootle Äußerung über bie ethifchen Kräfte bes Krieges 
irtöd|te id? nod? bie Kriegs^efte bet „dat", ber „Sübbeutfdjen monatshefte" 
nnb bes „fjodjlatib“ rühmenb fyerootljeben, bie öutd? eine Sülle ausge 3 eid?neter 
fluffä^e aud? über Stagen bes inneren Cebens bleibenbe Bebeutung haben. IDenn 
einmal bie 3eit fommt, Deutfdjlanbs «rieben, fein inneres Behältnis 3 um großen 
Kampf ber IDeltgefdjichte barjuftellen, bann werben biefe 3eitfäriften, neben benen 
|i<h nod? anbere nennen liefen, oon höchftem IDerte fein. 

Die fittlicfcteialen IDirtungen betont neben bem Daterlanbsgebanfen befonbers 
and? flbolf non harnad in einer Rebe, bie an förbernben, wenn oft aud? nur 
angebeuteten, ©ebanten reich ift. 12 ) 3eugniffe non ben fittlicfjen Kräften bes Krieges 
finb in ihrer hinreigenben £ebenbigfeit audj bie glän 3 enben Reben non U. non tDilo* 
mowi^Rloellenborf 13 ), non benen id? bie Rebe „tjeroentum" für bie tieffte 
fjalte. 3n if?t ftefjt bet Sprecher auf feinem geiftigen tjeimatsboben. 3n biefen 3u* 
fammenljang möchte ich aud; ©ottfrieb dtaubs Schrift {teilen, bie bas feelifdje 
«rieben bes Kampfes unb Krieges 3 U etfaffen fud?t. 14 ) 

«ine anbere ©ruppe oon Schriften ftellt bie befrudjtenben IDirtungen bes Krie* 
ges auf bas beutfdje ©eiftesleben bar. Sollten Angehörige bet feinblichen möchte 
nach bem Kriege fid? fo hoch erheben, einige biefer Schriften Iefen 3 U fönnen, fo werben 
fie ihre Dorfteilungen oon ben beutfchen „Barbaren", „fjunnen" ober gar „Boches" 
vielleicht bet «tgän 3 ung bebürftig finben. $reilich, „in einer Ration non Schafen", 
wie fj. St. «hamberlain feine eignen £anbsleute nennt, wirb wohl wenig Derftänbnis 
für bie $ülle geiftiger Snbinibualitäten fein, bie hier 3 ut ©eltung tommen. Klare, 
ruhige Sadjlichteit nerbinbet fid? mit einem warmen fjet 3 en für bas IDohl bes Dolles, 
in ben ausge 3 eichneten Ausführungen «. Küfters. 16 ) «ine gan 3 glän 3 enbe Rebe 
übet bie Unioerfität unb ben Krieg, bie aud? manche hoffnungsreichen hinweife 
in bie 3utunft gibt, hat Albert Köfter bei Übernahme bes Reftorats in Ceip 3 tg 
gehalten. 1 ®) «uden lentt ben Blid auf bie IDeltbebeutung bes beutfchen ©eiftes 
in bet Übet 3 eugung, bafj biefe butdj ben Krieg nur wadjfen wirb. 17 ) «s gehört 
3 um Reichtum bes beutfchen ©eiftes, bafj er fid? feine weltweite «rfdjloffenheit 
nicht oertümmem läfet. tDir werben über IRobegröfeen unb dagesgötjen bes 
Auslanbes eine gtünbliche Renifion notnehmen müffen. «s war längft unerträglich, 
n>as uns alles als literarifdje IDerte aufgefdjwatjt würbe. Aber was wertooll ift, 
bleibt es. Die $rage, ob man Shatefpeare auf beutfchen Bühnen fpielen folle, war 
■eine üorljeit. «r ift vielleicht mehr bet unfete als Befilj bes englifdjen £ebens. Roch 
ein anberet «nglänber ift erft in Deutfdjlanb in feinem perfönlichen IDefen unb 

12) flbolf non harnad, IDas wir fdjon gewonnen haben unb was wir noch gewin* 
nen müffen. Berlin 1914, «atl heymann. Zit. 0,50. 

13) Ulrich »on ZDilamowih'Zltoellenborf, 3u>ei Reben. Berlin 1914. — 
Reben aus bet Kriegs 3 eit. II. fjeft. Berlin 1915. «arl heymann. Ul. 0,30 u. 0,75. 

14) «ottfrieb «raub, Der Krieg unb bie Seele. Stuttgart unb Berlin 1914. Zit. 0,50. 

15) <E. Küfter, Dom Krieg unb nom beutfchen Bitbungsibeal. Bonn 1915, fl. Zltarcus 
■unb «. IDeber. ZU. 0,60. 

16) fllbert Köfter, Der Krieg unb bie Unioerfität. £eip 3 ig 1914, 3nfel*Detlag. 
Zit. 0,50. 

17) Rubolf «uden, Die weltgefd?ichtliche Bebeutung bes beutfchen «eiftes. Stutt» 
gatt u. Berlin 1914. Deutfd)e Derlags*flnftalt. Zit. 0,50. 



440 


£iteraturberid|t 1914: Die beutfcße pi)ilofopI)ie im tDeltfriege 


tünftlerifchem IDert richtig gewürbigt, nämlich £orb Byron. Sljm hat einet bet etften 
beutfchen Angliften, Prof. Alois Branbt, in Öen Betliner Dorträgen mit Recht 
bie oetbiente ©hre gegeben. Bet Bytonismus als Stimmung ift fut uns längft tot; 
aber bet merfwütbige ITienfdj Byton bleibt Iebenbig unb fdjon öabutdj achtbar, baß 
er ein ©nglänber unb hoch rücfhaltlos ehrlich toat. 36) möchte biefen Dortrag als 
eine geregte RJütbigung bes oieloerleumbeten IUen|djen, bet für feine SdjtDädfert 
gebüßt hat, befonbets empfehlen. 

Schriften, bie bas innere Riefen bes beutfchen ©eiftes, bie fittlidjen Kräfte bes 
beutfchen Boltstums in Bejie^ung 3 um Kriege würdigen, finb nicht eben 3 a^Itetd}; 
unter ihnen aber fteljen Hamen oon erftem Range. Bot allem nenne ich bie ibeen* 
teilen Reben bes wof)! am oielfeitigften gebilbeten beutfchen Geologen, ©rnft 
©roeltfd) 18 ), bet fiel) als Kulturphilofoph, Religionshiftorifer unb So 3 iologe in 
3 afylteid}en Arbeiten geiftooll unb anregenb betätigt hat. 

Reben ©roeltfch märe bie tiefgreifenbe Rebe bes berühmten flaffifdjen Philolo» 
gen <Eb. S<hwatß 1# ) (Straßburg). 3 U nennen, bie auch um ihres fünftlerifdjen IDertes 
roiQen als eine glän 3 enbe £eiftung heroo^uheben ift. (Eine pljilofophifch tief burcf?= 
badjte Betrachtung bet (Ereigniffe bietet ber befannte — früher in Berlin lehrende— 
So 3 iologe ©eorg Simmel 20 ), bie fidj freilich in etwas fdjtoierigeren ©ebanfenbe* 
wegt unb etwas mehr lonftruttio als anbere ift. 

3u ben wertoollften Äußerungen bes beutfchen Benfens gehören eine flnjaijl 
oon Schriften, bie ben Krieg mit ber Religion in Berbinbung feßen. Sn ber Hat liegen 
hier bie jchwerften, für manchen bie brücfenbften Probleme. Sn ber „(Ehriftlichen 
R)elt" (1914, Rr. 38) hatte Rtartin Rabe ben aufjehenenegenben flrtifel „Banfe* 
rott bet (Ehriftenheit“ oeröffentlicht. RTan fann — meines Bebünfens — fich bem 
IBahren in Rabes Ausführungen nicht ent 3 iehen. Bie Aufgabe bes ©hriftentums 
ift in biefer 3 eit oielleicht größer, reicher, tiefer als je geworben; aber bie ©hriften* 
heit erleibet eine innere (Erfdjütterung oon fchwet überwinbbarer fjeftigfeit. Heuer* 
bings hat Rabe eine neue, umfaffenbere (Erörterung bes Problems gegeben in (Emft 
3äcfh’s „Beutfchem Krieg" (fjeft 29). 21 ) (Et wehrt hier IRißoerftänbniffe feines Auf» 
faßes ab unb oertieft bas Problem erheblich. Bas teligiöfe ©rieben im Kriege, im 
fjeete insbefonbete, hat in einet ber fchönften religiöfen Schriften Abolf Beißmann 
behanbelt in einet ber Berliner Reben. 22 ) ©s ift begreiflich, baß auch bie Stellung 3 u,n 
Kriege, bie biefe Quellen bes ©hriftentums, bie Schriften bes Reuen ©eftaments ein* 
nehmen, aufs neue unter bem ©inbtucf ber ©reignifje unterfucht wirb, ©egenmär* 
tiges ©rieben ift in gefQiQtlidjer tOiffenfchaft ja fo oft bie ftärffte Sörbetung für bas 
Berftänbnis ber Pergangenheit. ©ine Straßburger Dortragsreihe über „Krieg unb 
©hriftentum" hat fid) biefen fragen 3 ugewanbt. §riebrid) Spitta hoi bie Ausfagen 

18) ©rnft ©roeltfd?, Das IDefen öes Deutjdjen. Rebe. Ejeiöelberg 1915, Carl Ein* 
ter. RI. 0,50. Unfet Dolfsheer. Rebe. Daf. 1914. IR. 0,25. 

19) ©b. Sdjroarß, Der Krieg als nationales (Erlebnis. Straßburg 1914, Karl 3- dritö’ 
ner. RI. 0,50. 

20) ©eorg Simmel, Deutfchlanbs innere IDanblung. Straßburg 1914, Karl 3- 

ner. RI. 0,50. 0 3 

JP F a . rtin Raöe * Dic f et Krieg unb bas ©hriftentum. Stuttgart u. Berlin 1915, 
Deutjdje Derlagsanftalt. RI. 0,50. 

22) Abolf Deißmann, Krieg unb Religion. Berlin 1914, ©arl fjeyntann. RI. 0,50. 



Don R. Stabe 


441 


3efu unb ber urchriftlichen ©emeinbe übet ben Krieg erörtert. 28 ) IDefentlidj Heues 
bietet biefe Schrift naturgemäß nicht; ihr Derbienft ift bie Hetoorhebung 6 er (Euer* 
gien im Urdjriftentum, öie 6 en Kampf anfünben. Auch in biefem 3ufammenhang 
finb bie gebanlenteichen „Kriegshefte" oon 3oh- Hlüller 3 U nennen. namentlich ber 
Auffaß „Krieg unb Reich ©ottes" gehört 3 u bem tDertoollften unter ben teligiöfen 
Äußerungen ber 3eit. 24 ) Hetoorhebung oerbienen fobann bie neuen „glugfchriften" 
ber „dat" aus (Eugen Dieberidjs Perlage, in benen $tiebri<h ©ogarten „Pollstum 
unb Religion" eigenartig behanbelt. 28 ) Religiös geftimmt finb auch (Ernft Horneffers 
oaterlänbifdje Reben. 28 ) An ben Schluß ftelle ich bie unftaglich bebeutenbfte Ruße* 
rung übet bas Problem Krieg unb Gljriftentum, bie freilich bisher nur in fchroeöifcf)et 
unb bänifdjer Sprache oorliegt. (Es ift ber gebanlettreiche „Hirtenbrief", ben D. Rattan 
Söberblom, dägbifdjof oon Upfala, an bie fdjroebifc^e Kirche gerietet hat. 27 ) (Einen 
flus 3 ug aus bem Abfchnitt „Krieg unb Kirche" hat auf meine Peranlaffung^tD a11b er 
£ift in „Oeutfd}'(EDangelifdj" (Perlag 3- © ^inridjs, £eip 3 ig) im ZUthgfyeft oon 
1915 gegeben, ©ne eingefjenbe IDürbigung werbe ich bemnädjft in ben „Sübbeut* 
fdjen Hlonatsljeften" geben. 

Alle biefe Schriften finb nicht im engeren Sinne p^ilofop^ifdj; aber mit bürfen 
hier geroiß bas IDirlen einer tief gegrünbeten, allgemeinen Übet 3 eugung oon Poll, 
Staat unb ©efdjidjte als Befunbungen eines wahrhaft p^ilofop^ifdjen ©eiftes be* 
werten. Unb ifjn 3 U roeden ift geroiß auch bie Aufgabe ber „pljilofopljifdjen Propä* 
beutil", ber biefe Seiten geroibmet finb. 

(Es ift burdpoeg Kleinarbeit, bie ben Krieg literarifd) begleitet. Aber fie ift burdj 
bie große $ü(le ber ©Meinungen, burd; bie Pielfeitigleit bes 3 nfjaltes unb burd} bas 
Streben, ber ©efamtheit 3 u bienen beftimmt. 3n biefer IDeife hat fidj bie UJiffenfdjaft 
wo^l nocfj niemals an unferem nationalen ©leben beteiligt, glugfcfjriften, bie 3 u- 
gleich Kampffchriften roateit, haben auch ben Dreißigjährigen Krieg, ben fpanifdjen 
dtbfolgefrieg, bie Kämpfe Sriebridjs bes ©roßen begleitet. Aber erft in ben $reif}eits= 
Wegen gewinnt ber Kampf ein fittlidjmationales Pathos, bas auch bie Philofophie 
3 um IRitfämpfen aufruft. Heute roirb ber Krieg mit benlTtitteln ber tDiffenfchaft unb 
einet roiffenfchaftlid) burdpgebilbeten dedjnil geführt. Dem entfpricht es, baß in ber 
Kriegsliteratur bie tDiffenfdjaft eine bebeutenbe Stellung einnimmt. Paß bie fitt= 
li^en, teligiöfen unb fo 3 ialen ©{Meinungen, bie bet Krieg roachgerufen hat, auch 
bie Philofophie 3 ur Teilnahme an bet geiftigen Bewältigung unb Durchbringung ber 
©lebniffe aufforbert, bafür liegen reichliche 3eugniffe oor. (Db bet Krieg fich auch * n 
einer großen pljilofophifchen Heufd}öpfung ausfptechen roirb, lönnen wir nicht roiffen. 
Bisher finb leine An 3 eid)en bafür oorhanben; bie umfaffenbe Betrachtung bes gcifti* 
gen IPefens bet europäifchen Rationen, bie IDilhelm IPunbt in feinem neueften 


23) Sriebtidj Spitta, Der Krieg unb bas Reue Sejtament. Straßburg 1915, 3. H- 
©>. Heiß. IR. 0,80. 

24) ©jtes Ktiegsheft ber ©rünen Blätter oon 3oß. IRüller. Derlag ber ©rünen 
Blätter, IRainberg bei Schonungen 1914. IR. 1,—. 

25) „Reue ©ateglugfchriften", Heft 5. 3ena 1914, <£ug. Dieberichs. IR. 0,60. 

26) (Ernft Horneffet, Der Krieg, ©ob unb Sieg. IRündjen 1914, ©nft Reinharbt. 
m. 0,50. 


27) Herdabref tili prästerskapet och förmsamlingarna i Uppsala ärkestift fran 
Nathan Söderblom, Ärkebiskop. Uppsala 1914, F. C. Askerberg. 82 S. 



442 


Mitteilungen 


IDerfe gegeben fyat 28 ), ift toefentlid; gefdjidjtlidj orientiert. Die Pljilofoplfie als eine 
IHad?t, öle bas gefdjichtliche (Erleben tiefer erfafjen lehrt, ift auch heute oon Mer Be 
feeutung. Aber es ift faum möglich, öafj ^eute fd}on, roo n»it mitten in neuem ©erben 
fte^en, fefjon ber grofee Denier erftelje, ber als Derfünber bes Sinnes unfeter 3«t 
rnirlt. (Ein folcjet ift überhaupt feine notmenbige (Erfcheinung, bie burdj beit 
3 n>ang ber Dinge herbeigeführt roerben müfete. Auch Sichte ift langfam 3 U feinen 
„Reben emporgetoadjfen in ber langen £eibens 3 eit ber Ration. IDenn ein pijiIo= 
fop^ unferer 3*it fein Beftes unb 3nnerftes 3 U geben hat unb ben Sinn bes großen 
Erlebens aus bet Giefe bes Sittlichen erleuchtet, fo ift es $riebrich Hie^frfje, ber 
webieter ftrenger Pflichten, ben bas Afthetentum fo oiel mifehanbelt hat. 

R)as mir non unfeter 3eit aber hetDorheben tönnen, ift bie Gatfadje, bafe bet 
Jbealismus ber beutfehen Philofophie heute als 3bealismus ber Pflicht bas gan 3 e 
Doll befeelt. U)as mit übet bie phüofopljifchen Bemühungen ber Kriegs 3 eit 3 ufam s 
menfaffenb fagen bürfen, bafür finbe ich leinen befferen Ausbtud als bie ©orte 
IDunbts in feinem oben genannten IDetfe (S. 115), bie biefen Ausführungen als 
ein mürbiger Abfdjlufj bienen mögen: 

f ir -, U v ns ,! n öiefer fdjtueren 3eit bemüht, baß in ber Seele bes öeutfdfen 
fiinrmt,?? s * 3bea [ , , smus « n i<ht ber (Erhebung ber ©in 3 elper[önlicbfeit, fonberrt ihrer 

^ JL t n bas ©anje, an bte ©attung“, roiegichte fid} ausbrüefte, Iebenbiger ift als jemals 
«ümi.«.?!-. i ,e J et ® e f' nnun .9 finb bie Derehrer Riesches unb Schopenhauers fo 
ti . t ^ u f r . ^ an * s i an, t ben Pofitioifien unb IRoniften ins gelb gejogen. Der beut[d}e 
inr.n ' wiebererftanben, auch bei folgen, benen er in einer langen griebens 3 eit oer> 
hpr S «M t" 1001 H aIs öct Jbealismus ber ©at in ber Seele bes gemeinen Warn 

SulfcSL . IT P ' ?, ! ofopI » ,e roei k- roie in bet bes ©ebilbeten, bet fich üielleicf)t in allen 
JS.Ä.W«nb»onleinembefriebigtgefunbenhat. Die (Tat ift hier mehr 
^ I ' PhAofophte. ©ben barum aber roirb bie Philofophie niemals barauf »en 
Betts«™«? il' S * mn 6 t es £cbens öeutcn 3 U »ollen, unb fie roirb es als bie roi^tigfte 

ttlAei'JTST b ? trad l ten ' roenn f ic mit bem roirflichen Sieben unb mit ben pral« 
tt|djen Iuotioen, bce biefes bemegen, übereinftimmt.“ 

Mitteilungen. 

^ v $a<h3eitfchriften. 

tArifS Sil 5 * nf0 ‘ 9e f öe ? Kri r e i cs möglich, bie Überfichten über Auffähe in anberen 3** 

M im <,,bei,<n ~* d ** 4it <** 

unteren ©Iin«Tn;?‘- Un3 Ä! fl nff ä & c befaffen fich mit unferer inneren Stellung 3« 
Kultur oerbunben m iiT n alt-lrT ne flb f“ 9e an alle. Jhuen ift ein Befinnen auf eigene 
wieber alauben T* flb [^ l, . e fe en 9 «gen alles grembe. Anbere — freilich wenige — 

©inbube roenn ha?cr CU *M.. n< ^ J 11 ** 1 * an öen ®9enn>ert unferer Kultur unb fürchten eine 
werben folltc mie fnÄm md?t mel?I in bemfelben IHafe bei uns aufgenommen 

SK? • 5 T e öas 3Um Derluft bes Beften führen, bas mir be* 

unb bet Ktiea C \ 3 “ be 9 rä 6e«. wenn Hubolf ©uden (Die tDeltliteratur 

SanleTeSs aeitHin fl fci 3 ' r J e} x"T*,. 1914) Wellt: müffen fehlten an bem ®e- 

feit bet anfeJen h b«PM ?U ^ S T D °' [Iet ‘ • roit 0eut l d ? e abei fönnen bie mannigfaltig' 
tiefften ©runb unter.« 9 an ^ e . nnen unb ftarl auf uns mitten laffen, wenn mit nur ben 

unb in »oller Belebuna baUen” c;* J nS ' Un ^ er ? I^ öp f eri f^c 3nnerlichfeit, forgfam behüten 
-ouer_öelebung halten. See lann uns ein fidjerer gührer ba 3 u fein, in bem, was uns 

Krönet IR 5 3 ( ^! Im rounbt ' Dic Rotionen unb ihre Philofophie. Ceip 3 ig 1915, Alfreb 



XTlitteilungen 


443 


bargeboten mirb, ©d?tes unb Unechtes 311 unterfcheiben, 3ufäßiges ab 3 uftreifen, 3 um IDefen- 
haften Dor 3 ubringen, in aller Befonberljeit ein menfdjlid} R)ertoolles auf 3 ubeden. (Eine foldje 
aus tieffter Snnerlichteit entfpringenbe Unioerfalität bat nichts 3 U tun mit einer Unioerfalität 

aus Mangel an heftiger eigner Art, bie_über bem gremben bas (Eigne oergißt." Unb er 

hofft, „baß fi di aus gemeinfamer Arbeit unter Sprung bes beutfefjen <5eiftes r als bes treue¬ 
ren Vüters eines £ebensgehaltes unb eines Reimes Jdjöpferifdjer 3nnerlichteit, eine XDelt- 
literatur in noch ^ö^erem Sinne entmidle, als mir fie bisher befaßen". 

gür foldje mähte Unioerfalität bebarf es aber als ©runbftod ber ©Ttenntnis bes (Eigenen. 
Darum ift’s felbftoerftänblich, baß oon allen Seiten ber Ruf nach beutfeher Bilbung ertönt. 
So forbert fie auch U). fjoltf djmibt in ben Reuen 3<d?rbb. (17.3g., 1914,34. Bb. 10 . tjeft. 
S. 557ff.) für unfere höheren Spulen. IDir müjfen unteren Schülern bie Stellungnahme 3 U 
ihrem Dolle erteiltem, „inbem mir bie gefamten Äußerungen ber Kultur auf bie Dolfsjeele 
3 urüdführen unb bie ©ntmidlung beutfdßen Denlens unb Sühlens als leßtes unb hödjftes 
3iel lehren". Da 3 u oerlangt er auch eine Vertiefung bes beutfdjen Unterrichts: 3 uerft eine 
(Erflärung bes Kunftmerles aus fid? heraus, bann eine Verleitung aus bem 3nnern bes fdjaff en- 
ben Dieters, unb enblicb leiten mir ben Dichter mit feinen tDerfen aus feinem beutfdhen Volts- 
tum her, ufm. (S. 561). Dann forbert er einen Vergleich ber griechifchen unb ber getmanifchen 
Mythologie, ber ben oiel tiefer bohrenben fittlidjen (Ernft ber ©ermanen ermeife, ber bann auch 
bei unferen großen Dichtern 3 U 3 eigen fei. Deutfeh unb ©efdjichte müßten ben ©runb legen, 
bie frembfprachliche £eltüre lehre bann ben ©eift bes betreffenben Volles unb bureh ben 
Vergleich bamit unfer beutfehes XDefen Rarer erlennen. ITtit biefem ©eift gelte es alle £el?ter 
3 u erfüllen. (Vgl. auch Abolf Vebler: Der beutfehen 3ugenb — bie beutfehe Schule. Die 
beutfehe Schule XIX. 2. Jjeft. gebr. 1915. S. 65.) 

IDie auch bas humaniftifche ©ymnafium biefem ©eift Rechnung tragen lönne, 3 eigt 
ber Reltor bes Albertinums in greiberg, ©tto ©buarb Schmibt. (Der Krieg unb bas 
humaniftifche ffiymnafium. Reue IDege unb 3iele. Reue 3ah*bb. 18. 3ahrg. 1915. 36. Bb. 
3. Veft. S. 157 ff.) (Er belennt fidj freubig 3 um humaniftifchen ffiymnafium, bas (ich auch 
jeßt bemährt hat. Aber gerabe als „marmer greunb unb begeifterter Anhänger ber humani- 
ftifdjen Bilbung" miß er fdjon jeßt bie Anbetungen unb (Ergä^ungen bes £ehrplans bes ©ym- 
nafiums 3 ufammenfteßen", bie „ihm unter bem (Einfluffe ber großen 3eit 311 feiner organifdjen 
XPeiterbilbung — benn nur um eine folcße lann es fid) hobeln — als nötig erfcheinen". Als 
IDichtigftes erf<heint es ihm, „baß bie fchon bisher im ©ymnafium ausgiebig gepflegten natio¬ 
nalen IDerte noch oerftärtt merben". Deshalb forbert er (für Sachfen) für bie Klaffen U III 
bis U II eine britte beutfehe IDochenftunbe, bamit außer „einer oielfältigen gefd?id}tliche, 
geographifche, oollstunbliche Stoffe bietenben Profalettüre in ben ©ertien bie beutfehe Ballabe, 
Roman 3 e, bas £ieb, inO III insbefonbere auch frie oaterlänbifche £yrit unb ©pil ber ©pochen 
nationaler ©rhebung (1806—1815, 1840—1871), in U II außer Schülers ©eil auch £effings 
Minna oon Barnhelm, ©oethes ©öß oon Berlichingen, V etm ann unb Dorothea unb eine 
Ausmahl ber gegenroärtig aus allen Schichten bes Voltes heroorqueßenben Kriegsbicßtung 
behanbelt merben lann". gür O II bis O I forbert er überall oierftünbigen Betrieb bes Deut- 
fdjen. gür O II münfeht er außer ber bisherigen „ ©inführung in bie mittelhochbeutfche £ite- 
ratur (Hibelungenlieb, tDalther) auch bie ©inführung in bie Sagenlreife ber ©bba, in Par 3 i- 
oal unb ©riftan, fomeit biefe 3 um Verftänbnis ber Dichtungen Richatb IVagners nötig ift, unb 
bie £ettüre unb Befprechung oon Schillers IDaüenftein". 

3n ben ©berßaffen forbert er mehr Beachtung für fjetber, bie ffiebrüber ©rimm, gidjte 
unb Ri<harb R)agner, ebenfo für Voltslieb, Spruchmeisheit, Roman unb Rooeße unb für bie 
mobeme Baßabe ( 3 . B. Börries oon Rtünchh a ufen). Süt U I münfeht er (Einführung in bie 
©heorie bes Dramas unb bie michtigften ©efeße bes Schönen, „int übrigen aber herrfdje meni- 
yer gtübelnbe Aftßetit als echtes ©mpfinbungsleben". ©ins ber michtigften 3iele fei: Vet- 
anfdjaulichung beutfdhen Voltstums in Vergangenheit unb ©egenmart. Das Veimatlidje 
Mbe ben Ausgangspuntt, barum IVanberungen ufm. ©inen Abriß ber £ogil in U I lehnt er 
ob, forbert aber für O I eine ©inführung in bie Philofophie. 

Süt bie ©eographie unb bie ©ef<hi<hte münfeht Schmibt bie Beibehaltung ber 
fregrüßensmerten ©rmeiterungen, bie oor bem Kriege (©eographie U III unb O III je 3 mei 
Stunben, U II eine R)ochenftunbe) unb mährenb bes Krieges (®efRichte in O III unb U II 



444 


Mitteilungen 


eine dritte IDochenftunbe für DDieöerfyolungen aus der in U III abgefd;loffenen neueren 
©efchidjte und bütgethmbliche Dertiefung) erfolgt find. 

Oie notwendige 3eit gewinnt er durch Abftridje an den Sötern, die die meifie Stunden* 

3 a^l haben, Catein und (Srierfjifrfj. (Er regnet fo: 

Catein in VI9, V 9, IV 8 , U III 6 , O III 6 , U 11 7, 0 II 6 , U I 8 , 0 I 8 , i. S. 67, 

. bei Gabelung: matt;. Abteilung U I 5, 0 1 5, i.5.61, 

©riedjijd; in U III 7, O III 6 , U II 6 , O II 7, U I 7, O I 7, i. S. 40, 

matt;. Abteilung U 1 5, 0 15, i. S. 36, 

und fagt: „Welches $ad; des gymnafialen Unterrichts tann fid; damit Dergleichen, wenn nah 
meinen Anfößen fogar das Deutfdje in 9 Klaffen (V14, V bis U113,011 bis 014) nur übet 31, 
das $ran 3 öfifd;e nur über 20 tOocfjenftunden oerfügt?" 3m weiteten 3 eigt er die oeränderte 
Einteilung für ©riechifd; und Catein. 

dJ Oeutfcher ©ermaniftenoerband. 3dj hohe diefe Ausführungen des boebangefe* 
fjenen fädjfifdjen ©ymnafialmannes, dem man Ueuerungsfudjt wirtlich nicht nadjfagen famt, 
angeführt, um 3 U 3 eigen, wie auch ändere $teunde des humaniftifchen ©ymnafiums die 3eit 
für.eine Weiterentwicflung gefommen erachten. TRir glaubt man ja nicht, baß ich’s mit dem 
humaniftifchen ©ymnafium ehrlich meine, weil ich die 3 iele des ©ermaniftenoerbandes net* 
trete; fann man fie aber beffer oertteten als diefet ©ymnafialreltor? 

Oer Hinweis auf Schmidts Ausführungen fei darum meine einige Antwort auf flnlels 
Auffa^: „Dom ,IRittelpunft des Unterrichts* auf dem humaniftifchen ©ymnafium" (Ktonots* 
fd;rift f. hdh. Schulen, XIV. 3al)tg. 2 . u. 3. fjeft. 3 ebruar/lllär 3 1915. S. 65ff.), worin dem 
©ermaniftenoerband oorgeworf en wird, er wittere Morgenluft.—Auch i<h tjabe feine früheren 
Ausführungen angegriffen: „wir dürfen den TRittetpunft auf dem humaniftifchen ©ymna« 
frum, die Antile, als die Marte, oon der aus die gefamte (Orientierung erfolgen muh, nicht au5 
dem Auge oerlieten". Oarum ftelle icf; hier feft, baß Anlel damit nicht oon der Ziehung gp 
fprodjen hoben will, fondetn nur non dem unterrichtlichen U)ert der Sacher. Et hotte (ich 
alfo anscheinend oergriffen, wenn er fagte: „wir fönnen dem Oeutfdjen in feiner pädagogi* 
fchen Derwertbarteit nicht die gleiche Kraft gufdjreiben wie den flaffifchen Sptächen". Ubti* 
gens eröffnet auch Unlel eine IRöglichleit für die Derftärfung des Oeutfcfjunterrichts, befon* 
ders auf den ITtittelflaffen, durch den Dorfdjlag, das Sran 3 Öfi[<he auf dem humaniftifchen 
©ymnafium wahlfrei 3 U machen! 

a ' s Schmidt für 3 uträglid; hält, fordern Qud; wir nicht; ob folche $orderung eine 
„Irreführung des ©ermaniftenDerbandes" ift, wie Antel meint? Antels Auffaß ift eine flnt* 
wort auf eine Klarftellung 3oß. ©g. Sprengels „Oer ©ermaniftem>etband und fein erfter 
Oerbandstag (Wonatsfchrift f. höh- Schulen, XIII. 3ahrg. 1914 Ejeft 7. S. 353). Den 
fucht Waj 3ollinget den ©ermaniftenoerband nahe 3 ubringen in einem feh 1 
fachlichen Beriet (Schweyerijdje Cehrer 3 eitung, 59 . 3 ahrg. Ur. 45 u. 46. 7 . u. 14. Hon. 1914). 

, drei Reden der IRarburger (Tagung des OeutfAen ©ermaniftenoerbandes 

bejqafttgt ftd} Eheodor Siebs (Reue 3ahrbb. 17. 3ahrg. 1914. 34 . Bd. 7. fjeft. S. 361). 
Er hat in Harburg beim tjören das ©efühl gehabt, Kluge ftempele das Cateinifche 3 «m S*W; 
'ia**!. u en roar ^* c f er ®ndtud fchwächer. Er oermutet, es fei für den Orud einiges gemildert. 
c ■' u « ‘ 3a ^ cr a ^ s Herausgeber der Rede füt oerpflicbtet 3 U ertlären, daß nicht die 
leifefte Änderung oorgenommen ift. 

Siebs findet folgende „flnfprüdje der drei Redner berechtigt: daß große Bildungswerte 
m unjerer deutfdjen Sprache und Oteratur ruhen und baß es bei dem engen 3 ufammenf;«ng 
mit der lebendigen Entwictlung unferet heutigen Spraye befonders rei 30 oll ift, fich diefe IDerte 
gan 3 3« eigen 3 U machen; daß der Befchäftigung mit dem beutf*en Dolte und feiner Kultur 

wis,m S x e r r ^ erc Bea< H tun 9 3 U fdjenten ift; baß aber da 3 u eine tüchtige fachmäßige fluS< 
budung der Cehrer gehört". 


, Des weiteten glaubt aber Siebs, bet Oeutfdje ©ermaniftenoerband wolle den tlaffif<h en 
Studien den Boden abgraben. Das ift ein Mißoerftändnis. Au* wir wünfehen, daß die enge 
Oerbmdung der llaffifchen und der deutfehen Philologie nicht oerloren geht, auch »ir wum 
C ben -! 0 rtbe j tan A öcs Humaniftifcfjen ©ymnafiums. Aber weil wir die oon Siebs aneP 
tannte größere Beachtung des Oeutfchen und die entfprechende Dorbildung für den Ceh ttt 


Mitteilungen 


445 

foröern, rouröen mit oon Anfang an non Öen Dertretern bes humaniftifchen ©ymnafiums 
angegriffen, ote lebe Anbetung bes Beftehenben befämpfen, unb tarnen bur* bie anfAlie» 
feenbe Polemtf in ben ®etudj, geinbe bes humaniftifdjen ©ymnafiums 3 U fein, mäbtenb 
©. ©. Sdjmtbts plan beutlid} 3 eigt, wie fid? unfete gotberungen mit benen beutf* empfin» 
benber fjumaniften beeten. Diefe Polemil ift tief bebauerlich unb bat, fo notwenbig fie war 
6 cm Deutfdjen töermamftenocrbanö aud} rnel rocrtoollc flrbeitsfraft entjogen. Datum ift cs 
unfet größter IDunfch, bafj mit biefet Polemit nun enthoben fein möchten unb uns bem pofi* 
tioen Aufbau noch mehr 3 uwenben tonnen. Mancherlei ift f<hon angebahnt (f.o.S. 424), oon 
bet lEätigteit ber Dresbner will ich tm nächften fjeft berichten. Aber bie Mahnung Abolf 
Matthias im Hachwort 3 U Sprengels Auffaij (f. o.) foU uns befonbers für bie 3eit wiebet* 
eintretenber Ruhe gelten: „Allem ©egenfpiel mufo bet Perbanb mögliAft mit ©atfachen iu 
antworten fuchen." 

c) Der Krieg im Unterricht, ©inige befonbers antegenbe Beifpiele für £ehrftun* 
ben, bie ber 3eit gerecht werben, hot Alfreb Biefe in einer Reihe oon Rummem bes Deut» 
fdjen Philologenblatts gegeben. Dgl. feine gtunbfäpchen Ausführungen: „Krieg unb 
Schulunterricht“ (ebenba 1914. Rr. 32/33) unb „Dichtung unb 3 eitfeete" (Monatsfchrift f. 
höh. Schulen. 14.3ahrg. 1915. 1 . f)cft. S. 3). 3n gleicher Richtung geht Paul Coren^: 
„©oethes Iphigenie in ber Prima beim Ausbruch bes tDeltfrieges“ (ebenba, 13.3ahrg. 1914. 

11 . u. 12 . fjeft. s. 545 ). 

3n befonbetem Mafse 3 eigt bie tüd)tige 3eitfd>rift „Sd)affenbe Arbeit unb Kunft 
in bet Schule", wie man ben Krieg im Unterricht beljanbeln fann; ich nenne nur Auffähe, 
wie 3um Unterricht in oerfchiebenen Cehrfächern 3 ur Kriegs 3 eit, Das Kaifertieb, Cafet bie 
Kinbet ben Krieg miterleben! Pfycf}ologifch s päbagogifches aus bem Schüttengraben, Die 
©inflüffe bes Krieges auf Schule unb ©Ziehung, ©Qiehung 3 um nationalen Selbftbewufet« 
fein, Krieg unb 3ugenbfunft ufw. Damit erwirbt fich bie 3eitf<hrift, bie nunmehr im 3.3aht* 
gange für praftifche Ausgeftaltung bet Arbeitsfchule unb bet Kunftenielmng fämpft, ein 
neues Derbienft. 

d) Deutfdje Sprache unb Sprachunterricht. 3n einem fehr beachtlichen Auffat) 
hanbelt Alfreb ©ötje über ben beutfehen Krieg unb bie beutjehe Sprache (Heue 
3ahtbb. 18.3ahrg. 1915.35. Bb. 3. fjeft. s. 445 ). Rach oerfdjiebenen Seiten gibt et barin Stoffe 
unb Anregungen, bie auch int Unterricht fofort nutjbar gemacht werben lönnen. Don „Bil* 
bungsfehäben burdj bie grembWörter" hanbelt A. ©efd) (Monatsfchrift f. höh. Schulen. 

14.3ahrg. 1915. 1 . fjeft. s. 10 ). Auch Malter 0 . Molo („Ktiegsfütforge in Sprach* 
fachen”, £it.©cho. 17.3ahrg. 1915. fjeft 14. [15. April 1915]. Sp.844) will unerbittlich 
jeoes gtembe ausgefchloffen fehen, für bas ein beutfdies R)ort 3 U erfteljen oetmag. 3n ber 
wiffenf^aftlichen gürfotge für bie Spraye fieht er eine ©efahr, weil fie 3 U leicht bem Rleiter* 
fhaffen hinberlich wirb, 3 U fehr nach ®efeijen ftrebt. Statt beffen betont Molo bas Reufdjaffen, 
bas fraftoolle Meiterleben ber Sprache gerabe im Kriege. Mif jenfehaft unb Poefie 3 ujammen , 
follen für Reubelebung bet Sprache, für Derbreitung alles guten Reuen forgen. 

©inet oerftänbnisoollen Behanblung bes gremb* unb £ehnworts in ber höheren 
Mäbdjenfchule rebet Köhler bas Mort (grauenbilbung. 13.3ahtg. 1914. 12 . fjeft. S. 558). 

©t hält es für bas praftifchfte, wenn — immer in parallele mit bem ©efchidjtsunterricht — 
oer Deutfchunterricht in Klaffe 4 mit ben fpradflichen ©inflüffen ber älteften 3eit beginne unb 
tn Klaffe 2 bie Behanblung ber gremblinge abfehlöffe". Datu gibt et nun im ein 3 elnen recht 
antegenbe Beifpiele. 

Don bet grembwortpflege geht noch aus: Oie Pflege ber Mutterfprache oon Marie 
S tur m (gtauenbilbung. 14. 3ahtg. 1915. 4 . fjeft. S. 136), worin betont wirb, wie notwen* 
big biefe Pflege gerabe bei unferen Mäbchen ift, benen bas gremblänbifdje noch gern als 
befonbetes 3eidjen bet Bilbung gilt. 

3ur Stellung bet Munbart im beutfehen Unterricht ber höheren Schulen äufeert fich, 
bejonbets auf £eoys Arbeit im ©rgän 3 ungsheft unfetet 3eitfchrift geftütjt, Karl Bedmann 
ötfhr. f. lateinlofe höh- Spulen. 25.3ahrg. 10 . $eft. 3uli 1914. S. 310). ©r befpricht 
befonbers bie Behanblung bet fölnifdjen Munbart. 

©nblich fei auf bie 3eitfd?rift für beutfehe Munbarten hingewiefen, bie in 
heft 4 bes 3ahrgangs 1914 Beiträge 3 U ben Munbarten oon Burg in Dithmarfchen, oon 



446 


Mitteilungen 


Hogafen in Pofen, hotn b c i Simmern (hunsrücf), ©ttersborf bei Haftatt unb aus tDeft« 
fachfen bringt unb ben Affufatio für Kominatio im piattbeutfdjen fomie bie Auflöfung 6 es n 
oor Heibelaut im fllemannifdjen behanbelt. 

e) 3um Auffahunterricht. Aus ihren (Erfahrungen berichtet Ttlart^a Drejjlet: 
„Der Auffah in ber britten unb oierten Klaffe bes £y 3 eums" (grauenbilbung. 13.3a^rg. 1914. 
12. fjcft. S. 553); fie betont bie Selbstbetätigung unb gegenfeitige hilf* ber Schülerinnen 
beim ginben oon (Ehernen ufm. „Kriegsauffähe ber Oberprima einer Stubienanjtalf 
teilt Olbrich in ben Mär3/Aprilheften berfeiben 3eitfchrift mit. 

Mehrere Arbeiten behanbeln Grunbfähliches. fjeinridj Schatrelmann gibt im Säe* 
mann (pfahrg. 1914. J^cft 12. S. 446) fur 3 e Kichtlinien ber Auffahreform: oom gebunbenen 
3 um freien Auffah fmb mir gefommen, nun müffen mir oon biefem 3 um geftaltenben Auf* 
f a^ meitergehen. Der freie Auffah foll nur Mitteilung fein, ber geftaltenbe Bedangt eine 
äechnit ber Darftellung! 

noc h einmal über befchränfte 5h em enmahl unb freie lernen* 
mahl für beutle Auffähe (Monatsfchrift f. höh- Spulen. 13. 3 ahrg. 1914. 9. u. 10 . fjeft. 
S. 495). (Er bringt feine auch uns bargelegten Bebenlen nochmals oor: bie Schmierig* 
fett freier (Ehernen für Schüler, bie fie nicht münfehen, bie (befahr bes Abfehreibens, bie iljm 
merfmurbig grofc erfcheint, Schmierigleiten in ber Korreftur megen ber fachlichen Un 3 uftänbig* 
Uxt bes Deutfdjlehrers. (Er forbert beshalb: in jebem gall ift ein feftes (Ehema 3 U ftellen, freie 
abemen ftno nur infomeit 3U3ulaffen, als fie ber £ehrer feibft fachlich beurteilen fann. Slei* 
Btgen unb eifrigen Schülern ift befonbere Gelegenheit 3 U eigener Betätigung 3 U geben. 

S^mere Bebenlen habe ich 9 egen gran 3 Cübtfe: „Der beutfehe Auffah im Dienfte 
coqq\ •L SU * n ^ crt ^! sM (^ er 9 an 9 enheit unb Gegenmart. 4. 3ahrg. 1914. ^eft 5. 

man mtb &a ein (Ehema aus ber Gefchictjte mählen, unb biefe dfje* 
men habent ihr Gutes. Aber es macht fchon ftuhig, menn es heifet: „Der beutfehe Auffah erhalt 
te ® cr ^°Yfif n 9 e fd?t^htlic^en (Ehernen nicht auf bem Ummeg über bie Literatur, jonbern 
t?icr gibt es nur eine Dorausfehung: ber beutfehe unb ber gefehlt* 
n C ifüt ! nid?t mü ^ cn in öcr f clbcn *?<mb ™hen. 3ft bies nicht ber gall, fo fann bie oom 
ueutfdjiebrer gegebene gefchichtliche Aufgabe hoch nicht immer fo oorbereitet fein, wie es 
mun|a?ensmert erfcheint." hier liegt, mie bie bann angeführten <Xh cm en auch 3 eigen, bie 
Gefahr bes „gachauffahes" fchon fehr nahe. DafrCübtle aber bies 3iel im Auge hat, 3 cigt M 
** .!"*%, cs { c * hod? genug 3 U oeranfchlagen, bafe ber Schüler enblidj ein* 

•ff 0 ^jf^en^ett erhält, fi^ auf biefem Gebiete überhaupt fchriftlich 3 U betätigen! Geroifj 
auch bas etnrnal eine gute Übung, aber im allgemeinen fcheint es mir hoch nicht münfhens* 
roert ben Auffah „tm Dienfte bes Gefchichtsunterrichts" 3 u fehen. 

L Ut S i Ta i C J >e i 3c !^enauffahes bringt IDilmanns (3tf<hr. f. lateinlofe h^h- Schulen, 
i S * 5 )3«>eiSchülerauffähe, mit prachtoollen Abbilbungen: „Das toeftfä* 

mlrL» ? UCtn .f * 2 ? cl . öc 3cigcn ' roie öud > öcr ^nffah ber heimatfunbe bienftbar gemäht 
( ° 9 a a *\ lm . feIbcn ^ cft Pctcr mmx > w 6eimatfchuh unb heimatpflege in bet 
pTlf } ' - Ti C ^ uf|a ^ lft 9 ctobc 3U eine Heine Denffchrift; ob er aber nicht hoch über ben 
Rahmen eines Sd}ulerauffai;es hinausgebt? 

fflinJÄ Ö !» n r £iter , atutunt etrici?t fei empfohlen: ©eotg Baefede: Anfänge öer 
v"l m ö i. ut ^ er P°^ ie (<E<*art, 8. 3ai?rg. fjeft 11. S. 698). ©eotgRofen* 
18 l«fc?ioiK Un i 6 Ö 2 l K <Im 2 UeCento - Hcue ®«9e bei öer £aofoonleßüre (Heue 3a^tbb. 
35 Bö o ei?' }• R. eft - S - 80) - ,® sfat ro«l3d: Das bürgerliche Drama (ebenöa, 

^riebrirti mA u* ‘ ® cn bitnet: 3um Derftänönis oon Kleifts Drama „Prtnj 

Srtebndj oon Homburg" (ebenöa, 17.3a^rg. 33. Bö. 8 . §eft. S. 570). 

t . . n _ 2. 3um $aü Spiäelet 

!ünöiat 3 eft e iSS*» r ^ iene vir Ö immer nod > ® iH "W Ru ^ c ® eröen - Der Dürerbunö 
als aarI.Sni«!t« tt)yne!cn 9 ibt bas Aprilheft öer „Sreien Sd?ulgemeinbe 

Serftönö M 5?S2J- 6atin 0ud? öen -SaB" unö fu# Spittelers Derf?alten 

IDynelen mit ö^n?« ni, m v ^ e,nt ' es 9eIin9t nid ? t völlig. 3m jtoeiten üeil aber redjnet 
9 mit öenen ab, öie ihn toegen feiner ITCünchnet Spitteler^Reöe angegriffen h abcn - 


llliitcilungen 


447 


Unb neben iljn roitb Aoenarius treten unb nadj bem Kriege audj mit feinen ©egnern in Sadien 

f S o?ienb« a ?n te S^ n ' m' ^ ? IÖ(fIid? ötei $äIIe! $ ür bie Sdjule fommt m. <£. nur 

folgenbes in groge: IDtt tonnen im Rahmen ber Schule non 3 eitgenöffifd>er üteratur nur 

h!ülf^ 5 T^[ be5 Beft - n 9Cb » n " Ut f ° Id?es ’ roas entoeber an anbere Ceftüre anju- 
Snmtw Lh?? roaS m ” n ter öe « Schülern nalje 3 ubringen uns bie £iebe treibt, 
miiil s ^1*”” ^ kefonbers liebeoolles tjineinleben oon teurem unb Sdjülern, ben 
Ohllen, bem Otdjter auf an feinen traufen Pfaben um feiner felbft roillen 3 u folgen. Diefe 
Ciebe tonnen rou leßt nidjt meljr aufbringen. Der tllenfdj Spitteier ift gefunten in unferen 
Augen - mdjt nur ber Polititer. Diefer tonnte fid? oon engem Stanbjmntt aus inen ene? 
aber mußte auf ben Dorfjalt feiner Sreunbe ben 3rrtum bebauetn. Den Dergleidj mit bem 
Rtorber unb bem Hausljunb ftellt Spitteier formlos bar unb toir glauben feinet Auslegung. 
Aber ber anbete Dergleidj: Da fdjroär 3 te Kain (Üeutfdjlanb) ben Abel (Belgien) Hebt 
nod! m feiner troffen Sdjärfe ba, unb Spitteier Ijat meines IDiffens nidjts baoon 3 urüdgenom* 
men. 3a nod? meßt. ©r ift 3 u ben Sron 3 ofen gelaufen unb rödt mit ißnen oon uns, ben Bat* 
baren, ab, bie oon roaljrer ftan 3 öfifd?er Kunft feine Ahnung Ijätten unb mit benen er feine 
©emeinfäaftfaben will. Da l?anbelt es fid? nid?t meßr um ben Polititer ober ben neutralen, ba 
ganoelt es fid? um ben ttlenfäen, ber flein, fel?r flein ift. Unb batutn tonnen mit jeßt teine 
viebe meljr für iljn aufbringen unb nidjt meljr um £iebe für iljn toerben. 


3. fi berget edjtigf eit 

Der Kunftroart jie^t feine Hauptaufgabe in bem feigen Kriege barin, ben tubigen Blid 
3 u tjema^ren unb gegenüber bem „Denfnebel" in Deutfcßlanb bas Derftänbnis 3 u roabren 
ÖU t* v bte Worte ber ©cgnet unb ber neutralen, mit beten Haltung mir nid?t immer ein* 
Detftanöen ftnb. Das ift ein löbliches ©un, unb folange er babei auf feinem ©ebiete bleibt, 
lUftet er mandj ©Utes. Aber in feinem Kampf gegen „Sd?Iagtoorte" mad?t er fid? aud? an 
:>ad?en, oon benen et nid?ts oerfteßt. ©in Beifpiel: „©eroalttaten im Kriege", roie oft toerben 
)te uns ootgerootfen, toie oiel toirb bei uns baoon beridjtet; aber baburdj tritt nur Derbeßung 
ein, unb fo fudjt tDilf?elm Stapel (Kunftroart 1915. 2. Apritßeft) !lar 3 umadjen, baß es ofjne 
'»eroalttaten nid?t abgeßen fann, unb fudjt fie pfydjologifdj 3 u erflären. Dabei fpridjt er u. a. 
ootrt granttireurfampf unb fagt, bie Hotroeßr 3 roinge 3 ur ttberroinbung bes eigenen Redjts» 
gefu^ls Unftfjulbige muffen getötet toerben. Das oerlangt bie Selbfterßaltung. Alfo man 
weiß: btefer ober jener ift unfdjulbig unb bodj barf man il?n nidjt Jdjonen." 

granftireurfämpfe fjaben nur toir Deutfdje mit feinblidjer Beoölferung gehabt, alfo 
muß btefet Dorroutf fid? auf beutfdje ©ruppen be 3 ief?en. 3 tfj frage Herrn Stapel um ber ©fjre 
meiner Kanteraben roillen, mit benen id? felbft an granftireurfämpfen teilgenommen Habe: 
(jat et ben geringften Beroeis, baß Deutfdje mit Beroußtfein Unfdjulbige nidjt in ber IDut bes 
ampfes, fonbetn im Haren Beroußtfein niebergemadjt fjaben, ober rooljer nimmt er ben 
i J. u 1°^ Ijtmmelfdjreienber Befdjulbigung? 

. v» e ^ ta ® e ^ e ^ an anläßlidj eines 3 roeiten fdjroeren Angriffs gegen bie 
s ut '^ e J f * a I ,ns 3 u< ^t: Stapel oerfeßt fid; in bie Stimmung eines Solbaten, bet nod? unter 
em (nnbrud ber Sdjlacfjt in ein Dorf fommt unb nadj bem greift, roas -er nötig fjat. „Der 

mng ba” SoIöat 9 ' bt ni ^ t natf? - 3m flu 9 enblirf »f* bie geroalttätige piünbe* 

c_ri ^°^ a ”9 c ber Kunftroart fo etroas 3 u fdjreiben roagt, folange er fid? nidjt fdjeut, beutfdjen 
aten ben fdjliirimften Dorroutf 3 u madjen unb unfere beutfdje Iflanns 3 udjt an 3 u 3 roei* 
loh' nur um »erftänblidj 3 U madjen, baß es im Krieg auf allen Seiten mit ©eroalt fjer= 
niii wbc ba ^ cl un f eten Seinben nidjt all 3 ufeljr 3 ütnen bürfen (roenn fie’s nidjt 

n«r‘ teiben ) f° ^ an 9 e i f Q ge idj, fjaben roit bie ^eilige Pflidjt, bie uns anoertraute 3ugenb 
ni»i 3 u _mmrnen. Das ift eine fdjlitnmere Derfälfdjung ber öffentlicfjen RTeinung als 
es, roorubet fid? ber Kunftroart oft — unb mit Redjt — entrüftet! H- 


. , 4. Drei Bismardbüdjet 

ffieitt Cn u l** 4 an Greife. 3m 500. Bänbdjen ber Sammlung Aus Ratur unb 

^ a ^ s er ^ es * n bem neuen gefdjmadoollen oon Prof.©iemann enttrorfenen 
I lertfdjen ffieroanbe ber Sammlung erfdjeint, f^ilbert Deit Dalentin „Bismardunb 
leine 3eir‘. (Rlit einem©itelbilb. £eip 3 ig 11 .Berlin. B. ©. ©eubner, 1915. ffieb.Rl. 1,25.) 



448 


Iltitteilungen 


Das Büchlein ift mit einer prad}toollen Stifte gefcfjtieben, htappe, turje Säge mit jdjarf 
geprägtem Urteil jagen einander, getn leitet eine grage 3 um folgenden übet, die dos 
Problem fdjarf ljerausfchält. Itidjt als Biograph fdjreibt Dalentin, fondetn et fdjildert ein 
tteil ©e|d|idite, immer mit dem Blid aufs ©anße. Drum hebt et aud] das ZKenfd}lid|e, 
das jeitlidj Bedingte an Bismards Schaffen ijeroor und erreicht dadurd), bafe wir ibm um 
fo lieber folgen, wenn et das Bleibende, (Ewige betont. (Ein Buch befonders für unfete 
reifere 3 ugenb, die hier ein fnappes, biftorifdj'gegründetes und dodj unendlich lebensuoEes 
Bild findet. 

3®ei weitere Bücher wollen das Ceben Bismards in Bildetn oor Augen fügten und 
werden ihm befonders die fügend gewinnen. Das eine ift Bismard der (EifetneKanjlei, 
non fjans g. Helmolt. 3ugleid) Bismards £eben in Bildern und Dotumenten (Seipjig, Bleu« 
lenljoff, 1915. 350 S. 90 Abbildungen. TTt. 1,90). Helmolt I?at ja eine fef)t gewandte gebet, 
und fo ift feine Arbeit ein feljt lesbares Sebensbilb geworden, greilid), ausgeglichen ift es 
nidjt. (Einmal bleibt et bei Keinen, aneldotenljaften 3 ügen lange fteljen, wie fie gern gelefen 
werden — dann fegt et alle möglichen Kenntniffe ooraus und befämpft fogar einmal eht s 
gebend eine anöere fluffajfung. lUan fragt fidj manchmal, wen et fid) eigentlich als Cefet 
gedacht hat. (Trefflich ergäbt werden feine Ausführungen durch 90 Bilder, die in gefdjnftei 
Auswahl Bismards gan 3 es £eben an uns Dorübet 3 iehen laffen. Das feht I?artölidje gotmat 
macht bas Buch noch befonders brauchbar. 

3n dem andeten IDer!: IDalther Stein, Bismard, des (Eifernen Kallers £eben in 
annähernd 200 Bildetn nebft einer (Einführung (ZlZontanus*Bü<her, Siegen*£eiP 3 ig, IKonta« 
ü US ‘t.^' ^ bet mehr 3 urücf. Das gormat laßt gtofje IDiedetgaben 3 U, was bei 
den htftorifchen ffiemälben befonders günftig ift. Don Bismards Doreltern geht der Bilden 
fajmud aus, mit der (Einweihung der gtiedrichsruhet Bismardfäule endet et — dajwifdjen 
uberrafcht uns die gülle des mit gtofeet Siebe ©efammelten. 

hier fei gleich noch auf ein anderes ITtontanus'Bud; hingewiefen, dem i<h weite Den 
brettung tn Schulen und unter den Schülern wünfche. „Um Daterland und greiljeil 
nennt fich c * nc Sammlung oon ZDirtlichleitsaufnahmen aus dem großen Kriege (nebft einet 
(Einführung hetausgegeben oon IDalther Stein, ebenda. ZU. 2 ,—). 3d? babe ftfjon einmal not 
den Dielen ©enrebildern und 3eid;nungen gewarnt, die die Dorfteilung oom gelbe täufdjen, 
um fo lieber empfehle ich diefe Sammlung non wahren und begeithnenben Aufnahmen. 


• ct «»1* Ulenmann f. ®sfar Dähnhardtf. 

|3wet erfchutternde Zlachrichten brachte der ausgehende April. 3n fjamburg ftarb mt 
Alter oon 52 3ahren der Profeffor für Philofophie und pädagogi! (Ernft ZUeumann. Keiner, 
oer ote pädagogischen Strömungen der ©egenwart überfthauen will, tarnt an ihm oorübet* 
ei ~ € * öer $ ü b rer 061 experimentellen pädagogit, aber er umfaßte das gaioe 
tfiZ tol'u bn P“ ba 9°9'f mit tiefftem Anteil, gür den £ehrer des Deutfdjen bleibt aud) 
me (Einführung in die Äftheti! der ©egenwart wertooll. Am dantbarften aber werden »n 
XÜ*T r 6* cl r , ei 1 e Anregung fein, die er durch Dorträge und befonders auf (Tagungen 
des Bundes für Schulreform gab. IDer ihn da tennen lernen durfte, wird ihn nie »ergeffen. 
Co . r™ öer Spthe feiner Kompanie fiel im 45. £ebensjahre derRettor der Uifolaif^ule m 

SeiP3t9 erwartete oon dem Pädagogen noch oiel. übetaü 
m f fte i S . öa "L bar genannt werden als Herausgeber der „Haturgefchicht(^« n ^ 
ni Vt'I »5«matflange aus deutfchen ©auen" und der „Raturfagen". Dafe et aus feinet 

beii^eutfehen Untmicht? roUtÖe ' if ‘ <in DetIu|t f üt öie befonders aber für 

berank Ca " ö « saus I^ufe für Kriegsbefchädigte (Hamburg, THon*' 

©? baniie 6 i " 0 £c brennnen, fich ihm gut ZUitarbeit 3 ur Derfügung 3 U fteflen. 

die flwfl.l? Öa v m ' Unegsbef^ädigten durch forgfältigfte indioiduelle Behandlung 
,!! „SSE Ö,e änderten perfönlichen Derhältniffe 3 u erleichtern und ihnen 

entfaauna^w “! tifc||(l W ffl Selbftänbigfeit wieder empor 3 uhelfen. IDer fidj an diefet 

Sri?? •«. »« ^ t« 1 » ai " 


gut die Leitung oerantwortli©: Dr. ZDalthet Hofftaetter, Dresden 21, «Ibftr. 
Alle ZTlanuftriptfendungen find an feine Anfehrift 3 U richten. 



Deutle Dorftrtegsöid)tung. 

Don 0$lat Stapel in Dresbett. 

Oie folgenöert Betrachtungen mürben unmittelbar not bem Kriegsaus* 
bruch niebergefchrieben. Sie mußten gleich oielem anberen 3 unäd}ft ungebrutft 
bleiben. 3 etjt —nach einem 3 ahte —feien fie oeröffentlicht, nicht etma blofo 
um eines gefdjichtlichen Rüdblids millen. Dielm^ht meine ich, baf} in bet 
Stimmung beutfeher Dichtung, mie fie mit bamals ficb mies, etmas oon Dor* 
aljnung bes Kommenben enthalten mar. Don oetfebiebenen Seiten mitb jetjt 
bargetan, miemeit beutfehe Dichtungen ber Dorfriegs 3 eit bie 3utunft, bie uns 
©egenmatt geroorben ift, unb ihre Schieden uormeggenommen höben. IDas 
ich Barodftimmung nenne, gehört bietber. 3n einem Huffat} „flhaungsoolle 
Dichter" (Berliner Tageblatt Rr. 82 oom 14. $ebtuat 1915) höbe i(h oerfucht, 
biefe 3ufammenhänge nähet 3 u prüfen. 3<h h°ffe über fie halb noch mehr 
fagen 3 u tonnen. Um fo mistiger ift mit, fiinftig mich auf ben fluffaij oon 
©nbe 3uli 1914 ftüijen 3 U fönnen, ben ich hiermit uorlege. 

Barod in ber Blutung oon heute. 

Pfetbe traben heran, mächtige Rappen, Schimmel unb 3fabeIIen, bie 
tragen IRämter, in fd}roat 3 es ©ifen gerüftet unb gemaffnet mit Stahl unb 
Sauftrohr, im Sattel fifcenb als mären RTann unb Rofj eins, ©rara! immer 
milbet fchmettem bie ©rometen, immer mehr metben bet Kota 33 en, bis bet 
gan 3 e piat} mie ein eifetner 3 ungmalb mögt, ©ber auch: ©inet foll gerietet 
merben, meil et ficb trotj feinem ©ffyietseib gegen eine fdjutjlofe $rau »er* 
gangen hot. Unter ber roten $ahne fteht er, bes Signals gemärtig, aufgebeeft 
bas h«t3» öas fie mit 3angen unb Storpionen getniffen haben. Da hört er 
noch einmal bie Stimme bet $rau, bie oon ihm beleibigt morben ift. Sein f)er 3 
fpringt empor mie ein milbes Pfetb, bas f)et 3 , bas bie breiedenben ©ifen 3 er* 
teilen merben in biefer Stunb; fie ift tommen, fie ift tommen! Sütut f?itfc^en= 
haus ber $elbmarfchall, in ©ifen unb ©olb gerüftet, roiegt ficb auf bem arabi* 
fjhen Rappen. XDen laffen fie benn ba buidj bie piten? fluffdjauen! pifen 
Iints fällt — treibt bie Dirne — oh mas? — bie Rtayrin? IDas mill bie hier? 

Unb „Die Hlayrin!" regt fidj ber gan 3 e piatf. — Run finb taufenb Blide 
auf ihr. Don bem flltan ruft einer: „Rtargaret! TRargaret! Herrgott, fo 
fcbledjt habenb’s aufgefchaut. Kombt bas arme Kinb bähet in biefe tjöllen?" 
Sie aber faltet ihre meichen fjänbe, unb innig mie ein ©ebet ringt ficb aus ihrem 
h« 3 cn bas IDort: „tjerr, ebler fjerr, ©nabe!" 

3 rit|d|r, f. b. 4 f ut|d)«n Unterrid)t 29 . 3 af]tg. 7-/8. tjeft 


29 



450 


Deutfd)e Dorfriegsbidjtung 


Das ift öie EDelt ©ttrica oon Hanbel*!TCa 33 ettis. Da bröhnt cs oon (dpeten 
(Eifentritten, öa fdjmettern Bombaröen auf oorgeftredte Bauernfenfen, öa 
fragen Bärenbrüfte unter (eibenen EDämfern, unö gepokerte tjänöe fptüljen 
$unfen, menn fie beim flbfehieb ineinanbetfchlagen. Unoerfehens aber fteljt 
mitten im Höllenlärm eine 3 arte, Hellfarbige $rauengeftalt, unö öer Krampf löft 
fidj, befeligenb fenft fid} ^eilige Ruhe in öie milben tjcr 3 en. 

3mingt fid} mitflicf} eine feine 3eid)netin 3 arter ahnungsooller Seelen* 
regungen, in Blut unö ©raufamfeit 3 U mühlen? 3 ft’s öie 3eit, in öenen jie 
iljre Stoffe fudjt, ober ift es innerer Did}terbrang, toas (Entica oon £janöel 3 U 
öer grellen, fdjreienben $arbengebung unö 3 U Öen unoermittelten ©egenfätjen 
oon Hell unö Dunfel treibt? Sichet fteigt in il/ren Difionen öie Cebensftimmung 
öer ©egenreformation mit übermältigenber Kraft empor. $anatifd) fieberhafte 
(Erregung unö eine Spannung, öie öas Her 3 er 3 ittern läßt, ringen fid} öur<H 3 U 
einem flusörud oon unmiberftel}lid)er Prägung. Aber nid}t etma blofe aus 
alter Überlieferung, aus oerftaubten ©htonifen unö oermoberten Utfunöen 
ift öie Spraye gefcfjöpft, mag aud} öie Dichterin nodj fo gut Befdjeiö toiffen 
in öem Solbatenbeutfd} unö Solbatenmelfd} öes Dreißigjährigen Kriegs. Ahn* 
lieh toie ihre Rlenfdjen fprid}t unö fühlt auch heute noch bas Dolf ob unö untet 
öer (Enns. (Ein Dialeftroman, öer öie ©egenroart fchilöert, fönnte hi et unä 
gef ähr gleiche Farben auftragen. 3n heißet (Erregung unö in 3 itternöer, ja 
gieriger (Ermattung erleben öiefe Bauern noch heute einen erfchütternöen 
Dorgang. Selbft öas ftroßenöe Kraftgefühl öer IHenfd}en aus öem 17.3ah r ' 
hunöert ift hier nodj lebenöig. So ungefd}lad}t unö breitbeinig unö öocf? and? 
toieöer fo ftrenggläubig unö öem 3aubet öes fatholifcben Kults gefügig ift 
immer noch öer flnmohnet öer (Enns. Dem EDienet Sommerfrifchler tut fi<h 
hie unö öa ein Blid in öie öerben unö feinen Seelen auf. (Entica oon Hanbel 
griff nur enölich einmal feft in öiefe EDelt hinein, fah fie nicht oerädjtlich 
öungsftol 3 an, oertat ihre (Einblide nicht in bäuerlichen ©egenroartsöichtungen, 
fonöern ging mutig in öie 3 eit 3 urüd, öie foldjem Cebensgefühl öie ungebun* 
öenfte Äußerung gegeben hat; unö toas fie padte unö toie fie es padte, ift intet* 
effant. 

Darum beöarf’s auch feines befonöeten Hinroeifes auf öie Blutmifdjung, 
öie in (Entica oon Hanöel gan 3 toie in Dielen ihrer Canösleute maltet. Der 
Deutfchöfterreidjer unö befonöers öer EDienet fennt öie Stimmungen if)ter 
Romane aus nächfter Rähe. Das Barod, unö 3 mar öas fatholifche mit feinem 
italienifchen ©nfdjuß ift ihm eine faft felbftoerftänöliche flusörudsfotm fünft* 
lerifdjer Beöürfniffe. 3n EDien begegnet er auf Schritt unö ©ritt öem Ptunf 
unö öer Pracht öes (üblichen Barodbaus. EDanbert er hinaus, fo trifft er rings* 
umher auf Kirchen unö Klöfter öes Stils. Daheim oerfinnbilblicht ih m b flS 
fpanifche 3eremoniell öes Hofes Öen $ormroillen öes (üblichen Barods. Kitd)* 
li<h c Scfte atmen öiefe getragene unö in fdjmeren $atben fchmelgenöe Seiet 5 



Don <Dsfar TDa^el 


451 


lidfteit. 3 n tPien fanb etnft bie Rebetunft bes Batodprebigers Abraljam 
a Santa Klara if)ten Häljr hoben; unö nod) Ijeute ift fein Bilb bem IDiener nidjt 
oöllig oerblafet. 

EOie es ben IDiener Dieter in bie 3 eit bes Ijöfifdjen prunts unb ber 
majeftätifdjen geftftimmung Iodt, bejeugt fjofmannst^al, unb 3toar nid}t nur 
in bem „Rofentaoalier". Cängft toutbe iljm nadjgefagt, bafe er 3ur fpradjlidjen 
flusbrudsfotm ber Baro^eit neige. fjofmannstljal unb fjofmannstoalbau 
glaubte man auf oertoanbten IDegen an3utreffen. tjofmannst^als dragit gel?t 
gern aus oerfeinten ©efüfylen, aus 3arteften garbentönen über in toilbe Schreie 
unb in bie ferneren unb roudjtigen Abmattungen, in bie grellen garbengegen* 
fätje ber Baro^eit. 

Das IDort „Batod" umfafet freilich jo oiele dtfdjeinungsformen, bafe lltifj* 
oerftanbniffe möglidj jinb unb Dorjidjt fidj empfiehlt, toenn oon Barodnei* 
gungen ber ©egentoart 3U reben ift. ©an3 anbers als im öfterreid}ifd}en Süben 
toirft bas Barod in Dresben. ©eotge Bäljts gtauenfitdje ift auf anberen Hon 
geftimmt als bie Bautunft Sal3burgs f Prags, Abmonts ober Klofterneuburgs. 
Rur dfyiaoetis fattjolifdje tjoffirdje fteljt biefen Kunftbenfmälern näljer. Unb 
Pöppelmamts 3«>inger ift fo ein3ig unb eigentoillig, bafe üjm bie büfterpräd}* 
tige Stimmung bes 17 . Jaljrljunberts nidjt ab3ulaufd}en toäre. Da fyerrfdjt 
fdjon bie leidjtbefdjtoingte geftesfreube flugufts bes Starten. Spiel unb rafdje 
da^beroegung Ratten bie büfteren Statten übertounben; unter ben freien 
Fimmel Ratten fie fid} gerettet aus bem Duntel fd}toertoud;tenbet palajträume. 

Als bie Sieberbrübet Arnim unb Brentano alten beutfdjen Sang mufter* 
ten, um iljten 3 citgenoffen ben Reichtum ifjter Dergangenljeit 3U enthüllen, 
oerpfIan3ten fie bie blumen* unb blütenfrolje Poefie bes 17 . 3a^r^unberts 
in ben ©arten ber Romantit. griebtid} oon Spee 30g fdjon griebtid} Sdjlegel 
an; Brentano oollenbs fpürte in Spee etroas Derroanbtes, unb toie er Spees 
Detfe ins „tOunberljorn" brachte, fo gemährte er Ijiet audj breiten Raum 
einem bet beften IRitfanger bes liebenstoütbigen 3 efuiten, bem naturfreubigen 
Ptofopius oon demplin. 3n feinen eigenen Dichtungen tarn Brentano, je 
enger et fidj an ben Katljolijismus anfcfjlofc, immer tiefer in bie ©efüljlstoelt 
ber tattjolifdjen £yriter bes 17 . Jaljrljunbetts hinein. Don biefen erlebte audj 
Angelus Silefius im 3 citalter ber Romantit eine XDieberentbedung; bas 
19 . 3 a^rlfunbert l)ielt an iljm feft, Perfönlidjfeiten oon fo grunboerfdjiebenet 
Art toie Raljel Darnljagen, ©ottfrieb Keller unb ©tto dtid} fjartleben 3al}lten 
3u feinen ©etreuen. Arnim unb 3 mmermann toieberum tnüpften an Anbteas 
©rypbius an unb fugten beffen „darbenio unb delinbe" ifjten IDünfdjen an* 
3upaffen. 3 n unferen dagen ging Dülberg ben gleichen IDeg. 

Sdjon ©rypfjtus arbeitet inbes mit ftärteren drregungsmitteln als bie 
frommen Sänger bes 17 . 3al}tl}unbetts. Die gteube am ©täfelidjen, an ITtorb 
unb Blut, an grauenerregenber törperlidjer Pein, bie ben RTalern bes Barods 

29* 



452 


Deutfdj« üorlriegsöidjtung 


eigen ift, lebt fid? bet ilfm unb feinen tDahloertoanbten in gtaufen Schüberungen 
aus. Ungebrochen gibt fich öa bie toühlenbe, fieberhafte Snbrunft bet 3 «it, 
bie Sucht, törperliches toie feelifches £eib in grellen unb uns fautn erträglichen 
Sorben 3U malen, ©ryphius !ann f toenn er einen Ulorb 3U berichten hot, 
fi<h nicht genug tun in langausgefponnenet 3 eichnung: mit einem Streich 
»irb bem Tyrannen £eo Atmenius „fo Arm als Kteufe abgenommen", 3n>ei* 
mal ftöfet man ihm, toährenb er fällt, burch bie Briifte, bie £eidje toixb um» 
getiffen, unb burch febes ©lieb 3u>ingen fid? bie ftumpfen Dolche. £iebet noch 
läfet bas 3eitalter bie Höllenqualen mitfühlen, bie auf ber $olter ober bei bet 
Hinrichtung mit machen Sinnen erbulbet toerben. Dem einen toirb Stücf für 
Stüd bie Haut 00m £eib ge3errt unb mit Augen, aus benen ber tDahnfinn fpriöht, 
bebaut er felbft fein blofegelegtes $leif<h. ®ber Pouffin malt bas UTartyrium 
bes heiligen ©rasmus: gemächlich toerben bie Därme aus bem £eib getounben; 
bie Arbeit 3U erleichtern, 3iel}t ein Hentersfnecht ooll roher Heugier ben Darm* 
fitang aus bem 3erfesten Unterleib bes Rlärtyrers. Rubens oerfimtlicht bie 
Strafen bes füngften ©erichts unb bet Halle nicht nur burch oerftümmelte 
£ei<hname unb abgeriffene ©liebmafeen, auch ih m ift's um ben Augenblid 
bes häuften ©ntfefeens 3U tun: coie etroa ein Untier bem Derbammten bie 
3äl?ne an ben Hals fefet unb er oetjineifeit fein ©rauen ausfchreit. Sntmer 
gilt es, ben Ausbrud ber lebten unb gräfelichften Spannung 3U faffen. ©tm3 
ebenfo malen Rubens’ Schüler eine £ötoenfagb; toie ba non hinten eins bet 
©erfolgten Giere bem Reitet an bie Schulter fpringt unb mit ber Ga he oon bet 
Stint ab bie Kopfhaut oom Schabei reifet, bas wirft noch etfchrecKicher, toeil 
es nicht eine IDeltgerichtsoifion fein foll, fonbern ein Büb aus ber tDirüichfeit. 
Rur bafe hier bas ©egenbilb fehlt; benn toie ©nrica oon Hanbel neben S3enen, 
bie oon Blut triefen unb toahntoifeiges feelifches unb fötperliches £eiben 
neroenerfchütternb greifbar machen, religiös oer3Üdte Augenblide parabiefifdjet 
Reinheit unb himmlifcher Seligteit hinfefet, fo orbnen fich in Rubens’©emälbe 
oom füngften ©ericht bie beglüdenben hellen $atben, in benen er bie tDotme 
unb ben Stieben bet Begnabeien malt, mit ben ©reueln ber Detbammnis 
3U einer einigen Kompofition. 

3ft bas bei ber ©fterreicherin religiöfe ©fftafe? $ühlt fie felbft bie Übet’ 
fpannung ber Heroen nicht, bie fie barftellt unb ber fie ihre £efet ausfefet? 
®bet fünbigt fich nach einer 3eit bet müben unb oerfeinerten Heroen eine 
neuertoachte £uft nach toollüfHg oer3üdten, brangooll fchmet3lichen Stimmungen 
an? U)ohl bas Auffallenbfte ift bas Gcho, bas ihrer Kunft bet blutigen Utartern 
unb ber befeligenben Reinheit fefet aus bem £aget ber füngften beutfehen £ytil 
entgegentönt. $ran 3 IDerfel roenbet an feinen Gljtiftus, ber ben Afertoeg 
toanbelt, bie hellen unb bie buntein Batodfatben unb ihren finnlid? peinigen* 
ben ©egenfafe: ©hriftus oergräbt feine Hänbe ins oerberbli^e ©e 3 iefer, füllt 
ferne Haare mit fleinem Aas unb frän 3 t fich mit Schleichen, aus feinem ©ürtel 



Don Ostac IDa^el 


453 

fangen ^unöett teilen, oon feiner Schulter Rotte unb $feöermaus. Bei 
liefet Gat höchfter £iebe unb gten3enIofeften (Erbarmens ergebt fich ein ©eruch 
oon Hofen. „Unb (Bottes Gaube toiegte begeiftert fi<h im blauen Riefenwinb." 

Das ift — in oerwanbter Stimmung — noch ein Stritt hinaus übet 
glauberts ^eiligen 3 ulian. Oer roärmt mit feinem Körper ben frierenben Aus* 
fähigen, beffen £eib oerfchroinbet unter Schüben ftfjuppiger pufteln, ber an 
ber Stelle ber Rafe mit ein £od? hat unb beffen bläuliche Sippen einen Atem 
ausftrömen, bid toie Hebel unb etelerregenb. Da erfüllen fich bie Rügen bes 
Ausfälligen mit Stemenflarheit, bet hauch feinet Hüftem belommt bie Süfeig* 
feit oon Rofen, ein Strom oon tDonnen, eine überirbifc^e ©lüdfeligfeit bringt 
in bie Seele bes 3ulian; unb oon G^riftus getragen fdjwebt et in bie blauen 
Räume bes Jjimmels hinauf. 

U)et wagte jetjt fchon auch nur ungefähr 3U beftimmen, wie weit inner* 
li$ oerwanbt (Enrico oon fjanbel, H)etfel, $laubert unb ihre Dorgänget 
aus ber Batodjeit finb? Rur bafe fie 3U oerwanbten Rütteln bes Aus* 
bru<!s greifen, wollte ich anbeuten. Unb wiebetum liegt mir nicht baran, 
biefe Derwanbtfchaft bes Husbrucfs auf ben grellen ©egenfalj bes himmlifch 
gellen unb bes eflen ©rauens 3U befcfjränien. Das mag immer noch 3 ufaü 
fein, bafe alle brei einmal an einer einigen Stelle fo 3ufammentreffen, wie es 
^ier ge3eigt werben fonnte. Diel wichtiger ift bas gemeinfame Streben nach 
einer fünftlerifchen ©eftaltung, bie wie bie Kunft unb Dichtung bes Batods 
butd) rüdhaltlofe unb rüdfidjtslofe Ausmalung unb peinliche Deutlichfeit, 
00t allem burdj eine pridetnbe Sebenbigfeit bes erwirften (Ehtbtucfs bas ©e* 
fü^I faft unerträglicher Spannung wadjruft. Dabei ift bie halhyinatorifche 
Klarheit ber Difion weitab oon ben (Erlebniffen unferes Dafeins. Die weite 
Entfernung, bie (ich 3wifdjen uns unb biefen Bilbern auftut, fünbet oon einer 
fünftlerifchen Abficfjt, bas auf3uftellen, was ber IRenfdj fehen möchte, nicht was 
et gewöhnlich fieht. 

3 n biefet Abficht — bie $ormel ftammt oon ©oethe — erfannte jüngft 
hetmann Bahr 1 ) bas Programm ber neueften, ber ejpreffioniftifchen Rtalerei. 
Dahingefteüt bleibe, ob fein D erfuch, bief en ©ypreffionismus aus ©oethes R)elt* 
unb Kunftanfchauung 3U rechtfertigen, wtrffich geglücft iftr überhaupt fei 
hier nicht oon RIalerei weiter bie Rebe, fonbem nur oon ber Dichtung bes (Ej* 
pteffionismus, unb 3war eben beshalb, weil Bahr felbft oon ihr nichts fagte, 
als er hinter bem malerifchen (Ejpteffionismus ein £ebensgefühl unb eine 
Sehnfudjt aufbedte, bie fieser auch bas £ebensgefühl unb bie Sehnfudjt fo 
Enrica oon tjanbels wie ber £ytif U)erfels unb feinet Rachbarn finb. Rieht 
blofe im Sinn äußerer parallelen, wie fie oon mit ge3ogen würben, wies auch 
Bahr auf ben Barodftil. (Er felbft fünbete eine Schrift über Betnini an, 
in bet er b en R)eg oon ber Rtyftif 3U ©oethe oer3eichnen möchte. Roch ift 


1) Heue Kunbfäau, 3uli 1914, S. 913 ff. 



454 


Deutf<h« Dorfrieg$bld(tung 


ihm bas Buch nur „eine Difion, in ber gtan 3 isfus feine blutenben ^anbe nad) 
ben großen Dominifanetn ©dhart unb ©auler ausftredt unb übet fie Ijtnroeg 
empor 311 ©erefen, (laibeton unb Betnini, bis biefes fluienben Segens, 00 t 
bem bet üienfeh, geblenbet, ins Dunfel entittt, ein butdjbohtenbet Sttahl — 
©oethen trifft". Dafe Bahr eine ©ntwidlung etgtünben toill, beten ©rfotfdjung 
mit anberen Bütteln unb oon anbetem Stanbpunft aus Dilthey unb feine 
Hachfolger fidj ootgenommen haben, fällt hi ßr nxinbet ins ©ewidjt, als bafe 
aud} ihm bie Barod 3 eit in ein neues £id}t nächfter innetet Derujanbtf^aft 
mit bet ©egentoari tritt. 31}m enthüllt fi<h int Batod ein Heid? non ftürmifchei 
Bewegung 3 U tieffter Ruhe; hitnmlifdje ©nabe roitb oon bet itbifdjen Hat 
berührt, ©ott 00 m Blenfdjen ergriffen, bet Rtenfch toitb 3 um ©ater bet ©nabe 
oon oben, bas tDerben taucht ins Sein 3 utüd, unb bie 3 eit ftöfjt an bie ©roigleü. 

3d) toill mich nid)t in bie flusblide oetUeten unb oetitten, bie oon bet 
Difion Bahrs eröffnet werben. Btir genügt, in ber ©egenwart ein 3 eine Rn* 
3 eidjen eines fünftlerifchen gotmwillens auf 3 U 3 eigen, bet an ben Barodftil 
gemahnt. Bahrs IDorte be 3 eugen mir, bafj idj auf rechter $ährte bin. fln s 
fäije gibt es natürlich fdjon früher. $laubert nimmt ben Heueften etwas oot- 
weg, aber fieser nicht alles. So berftenb ooll finnlicher Kraft wie bie Sytil 
©eotg tjeyms ift fein 3 ulian nicht. fjeym aber fteht troh reichem inneren ©egen* 
fatj Schulter an Schulter neben ©nrica oon fjanbel ober IDerfel, wo es gilt, 
Bilber ber Phantafie mit ber überhell einbringlichen Deutlichfeit bes ©räfelidjen 
unb ©feletregenben 3 U malen, bie bem 3eitalter ber Rubens unb ©typhi « 5 
willfommene ©abe war. Rubens fdjwelgt, getragen oon ben flnfdjauungen 
feines ©laubens, in Difionen bes XDeltgerichts unb feiner (Qualen. heyms 
Phantafie fieht mit gleicher Schärfe unb gleichet peinooller Suft am flusfoften 
bes ©tätlichen bie ©oten, beten Seiber bet Styj hintollt. „Sie reiten aufein* 
anber nadt unb wilb, Don 3otn unb TDolluft aufgebläht wie Schwämme, ©in 
höllifcher ©horal im ©alte fchwillt Dom ©runbe auf bis 3 U bem Kamm bet 
Dämme. Ruf einem fetten ©reife rittlings reitet ©in nadtes IDeib mit fd?®« 1 ' 
3 em glatterhaar. Unb ihren Sdjofj unb ihre Brüfte breitet Sie lüftern aus not 
ber Derbammten Schar." ©in riefiget Reger padt ben weifeen £eib an feine 
fchwat 3 e Bruft. Un 3 ählige Rügen fehen ben Kampf unb trinfen ben Ra«f“! 
ber ©ier. ©in graufer giebertraum! Aber auch bie asfetifdjen ©fftafen bes Batoas 
begegnen bei fjeym ftimmungsoerwanbter 3eidjnung bes Derwefens. Bie 
Schiffer bes fliegenben fjollänbers finb oerborrt, als BTumien fdjlafen fie aU t 
ihrer Banf; wie U)ut 3 eln lang finb ihre fjänbe in ben morfchen Borb hi«®* 11 ' 
gewachfen; grünlich hängt BToos aus ihrem ©ht unb tan 3 t im UJinbe um ih te 
weifen Baden, ©bet ber ©ob tritt an ein ©rab unb bläft, um Raum für neue 
Seichen 3 U fchaffen, hinein; ein alter Schäbel flattert aus bet ©ruft, befchfflingt 
mit feuerrotem fjaar, bas bet tDinb hoch oben in bet Suft 3 U feuriger Krawatte 
fchlingt . . . 




Don Osfar tDaljel 


455 


Birgt fid} hinter öiefen Bilbern öes Sd}redens unö öes (Entfefeens Me 
übetfd}mellenbe Kraft, öie roir öem 3eitalter öes Batods 3 ufcf)t eiben? ©öet 
bläht fidj nur Überreste Sd)wäd}e? Die gefdjmellten IRusfeln, öie geftramm* 
ten Seinen, öas Podjen auf fühngemutes Redentum, bas ein bifed|en an Bta* 
matbas gemahnt, ift öet IDelt ©rtrica non t?anöels eingeboren; Iärmenö unö 
tofenb lebt es fid} bei ihr aus. Strofeenb oon Kraft fpringen bei fjeym öie $aune 
3 u 2 aI im 2 an 3 , öie fjufe fdjallen, öie oom fjorne ftarfen; Öen Gljyrfus haun 
fie auf öie Seifen laut. Der Schein öes Kraftgefüljls ift öa; unö mar es in öer 
Barod 3 eit immer ein echtes Kraftgefül}!? IDaren oor allem öie Künftler, 
öie fid} in folgen TTtadjtgebäröen ausgaben, felbft foldje Kraftterle? Ricaröa 
fjud}s „(Broker Krieg" blidt mit Sehetaugen Öen IRenfdjen öer Barod 3 eit 
ins f)er 3 unö 3 eigt, toie ferner bange es ihnen 3 uweilen oor if}ter ©ottähnlid}* 
feit roar. 

Rur eins ift in öer Barodfunft unferer Hage völlig anöers geworben. Die 
3eit öer Ciebesfefte Augufts öes Starten ift oorbei. Die fittlidjen Beöenfen, 
mit öenen man nod} immer, ftatt öiefen genialen Cebensfünftler )u begreifen, 
in gefd}id}tlid}en Darftellungen gegen il}n 3 U Selbe 3 iet}t, bat öie jüngfte Dichtung 
nidjt 3 U befürchten. fjeym bittet oon Saunen; öas blinft unö gleißt oon faft 
tietifd)er ©enufetuft toie ein $aunenbilb Bödlins. Aber öie lefete Strophe läfet 
beiläufig fallen, toas fjofmannswalöau unö feine oielgefdjoltenen ©enoffen 3 U 
längerem Dertoeilen gelodt hätte. Hid}ts fo Kühnes ift fefet an 3 utreffen toie fjof* 
mannsroalöaus „Cuftgefpräd? 3 weier ^et 3 lid}=oerliebten petfonen". Rod} 
Stiebrid} Spiegels „Cucinöe" bleibt in öem oielberufenen Kapitellen „2teue 
unö Sd)er 3 " an Kühnheit hinter fjofmannswalöau 3 urüd. Unö roieöer ift’s 
bei öem Sdjlefier öer IDunfd} öer Barodfunft, Öen Augenblid lefeter unö Ijödjfter 
©rtegung unö Spannung 3 U paden unö öie Sinne 3 U neuen ©efüljlen fid} er* 
umljlen 3 U laffen. Als Arno fjol 3 oor 3 ef}n 3aljren feinen „Dafnis" in öie IDelt 
gefien liefe, legte er fid} in oirtuofer Had}bilöung unö Überfteigerung öer ge* 
nufefrofeen (Erotif öes 17. 3aferfeunöerts gan 3 auf öie Seite, öie fefet faft ängft* 
lid} gemieöen roitö. Dielleic^t be 3 eugt audj biefet ©egenfafe, öafe beute nidjt 
äufeete Ra<hfd}öpfung öes Barods, fonöern ein oertoanötes innerlid|es $orm* 
wollen im ©ange ift. Rid|t in öie ©ewänbet oetblidjenet 3 citen hüllt fid} öie 
©egenwart; aber in ifer örängt unö wüblt wieöer öie Seljnfud}t nad| efftatifdjer 
Uifion, nad} ©efidjten, öie aus öet Der 3 Üdung geboren finö. So 3 eid}nete 
fd|on öas frühe IRittelalter öie „Difiones" auf, öie Öen Sdjteden unö öas 
©ntfefeen öer fjölle enthüllten. Auf öiefe „Difiones" baute Dante fein „3n* 
fetno". Der Harne öes Ahnherrn öer Barodfunft mag manchem bei meinen 
Darlegungen Iängft oorgefd}webt haben. IRit Dantes grell ooneinanöer ab* 
fted}enben Sorben arbeitet öie ©egenwart. Ob ihr aud} ein tDeg nad} oben, 
hinauf auf einen Cäuterungsberg fid} eröffnen wirb? 



456 


(Ernft ». tDUbettbrurf), ein Deutfrfjer 


(Entft o. tDilöcnbrud), ein Deutfdjer. 1 ) 

Don Rfdfotb ©toepet in Sranffurt a. ®. 

3n 3citen gtofeen H)eltgef<hehens läuft man leicht ©efahr, ben Perioden, 
ujcldje einem elementaren Ausbruch ber Dolfsfräfte oorangehen, mit ©ermg s 
fdjä^ung 3 U begegnen. Htan fie^t roohl oetgleichenb auf ähnliche ^ö^epunfte 
bet früheren ©ejdjidjte unb ift fi<h feht halb barüber einig, bafe bie ©egenroatt 
alle Dergangenljeit übetfhrahle, aber man überfielt bie Hotroenbigfeit bet 
organifchen ©rrtroieflung, bie für ben ©eift in gleitet XDeife roie für bie Hatur 
gilt, man oergifot, baf$ im Kulturleben bet Augenblid roirffid} fein IDunbet 
befeueren tann, bafj oielme^r bie oetfehiebenen £ebensmäd)te in aflmäljlidjem 
Keifen 3 ielftrebig fi<h entfalten, bis bie ©reigniffe mit majeftätifdjer IDud?t bie 
neue Ara oeriünbigen. Das grofee £eben ift teinesroegs immer ein fdjle^in 
neues £eben, es bat nicht immer einen anbem Snhalt, fonbem oielleic^t nut 
einen anbem ©rab, es erbebt fidj roie im Berglanb ein Kiefenfegel übet ben 
galten Kamm, unb nur ein fut 3 ficbtiges Auge merft nicht, bafe au<b bie bö^fie 
Spi^e oon bem gefamten ©ebirge getragen roirb, baf$ ficb ©lieb an ©lieb reibt unb 
eins auf bas anbere angeroiefen ift. Unter biefem Bilbe fann man melleidjt 
am ebeften in bie Stellung tDilbenbtuchs innerhalb bes beutfch*nationaleit 
£ebens feit Bismarcfs Sagen einbringen, roat hoch biefer beutfdje ZKamt unb 
Dichter ein roefentlicbes Stüd bes nationalen ©utes, bas in beutfeben h et 3 en 
teils oerborgenroar, teils laut auf jubelte, ©r roar ein ©orbüter in ben fltfenalen, 
aus benen bas beutfehe Dolf, als es butdj Kriegs® unb 3 elbgef<btei nach langen 
Stiebensjabren aufgerüttelt rourbe, feine geiftigen XDaffen holte — H>affen, 
bie gefährlicher roaren als Stabl unb Blei, roeil bie ©egner etroas Aholu^ 
nicht in bie IDagfchale 3 U roerfen batten. Kennt man jetjt bie beften Kamen, 
fo roirb auch ber feine genannt, ©s gehört 3 U unferer Selbftbefimtung, baf) 
rohr ihn nicht 3 U ben ©oten 3 äblen. Sein unentwegter ©laube an bie Deuten 
unb ihre 3u!unft bat ungeahnte Dafeinsberechtigung erfahren, bie ©ef^i^te 
bat fein Ahnen unb Sehnen bet ©rfültung geroürbigt, aus unferem Daterlanb 
ift bas geworben, roas er ihm geroünfeht batte. Diefe Seberfunft 3 ieht übet* 
roältigenb in ihren Bann, unb bem ftaunenben Blid brängt fich bie Stage auf, 
butch tPelrhe £ebensmomente Deutfchlanbs XDobl unb U)ehe für biefe finnenbe 


c • V,'° ortra 9» 9ebal ten 3 um 70. ©eburtstage am 3. Sebruar 1915 in ber Aula bes »( 
Sr&T® 1 ! 11 !!! 5 3U Stonffurt a * ®- Benufct finb bes Dichters „Cieber «. Ballaben 
hoi.J- tt 2, r öeS . 9L ö ‘ e - £e ^ ten ®ebichte", Berlin 1909, aufeetbem bie „Blätter oom £eben 
BerKn'io^rJn J2 ' £i * manns Dortta 9 u. IDilbenbruch u. ber nationale ©ebanle 

biogtapbie 4 (Bb. U l)^^tiin n i9i^ n,etCt 12) UnÖ öcsfelbcn DerMerS mbt " bW 



Don Ridjarb ffiroeptt 


457 


Hötur bet ITCittelpunft würbe, öct allem Stoffen £icht geben mufete, wie 
ferner biefet ITtann fid* öem 19.3ahrhunbert eingeotbnet bat, unb wie er fchliefelich 
für bie gegenwärtige IDeltlage oon Bebeutung geworben ift. 

(Emft o. IDtlbenbrucb würbe als Sohn eines preufeifdjen ©enetalfonfuls 
3 U Beirut in Syrien oor 70 3aljren geboten, aber feiner IDiege leuchtete fein 
Sriebensftetn, ber politifche fjimmel 3 eigte oon Anfang an finftre IDetterwolfen. 
Die gefährlichen Stürme, bie mäljienb bes nächften 3aht3ehnts in tDeft, Süb 
unb ©ft (Europa echtem liefen, btangen bis in bie Stube bes Ijetanwachfenben 
Kinbes, beffen Seele bei bem tafdjen EDedjfel 3 wifdjen Berlin, Athen unb Kon* 
ftantinopel gewife nicht auf Ruhe eingeftellt war. natürlich haben bie tumul* 
tuierenben (Erfchütterungen bes europäijchen ©leichgewidjts feine unmittel* 
bare Auslöfung bei bem Knaben gefunben, aber er hat hoch, ba bie (Eltern bei 
ihrer leibenfchaftlichen (Erbitterung über bie fchwächlichen Schwanfungen 
Preufeens um jeben Preis einen feften unb ehtenoollen Stanbpunft oertreten 
wollten, in ben Blicfen ber Seinen etwas wie Dertrauen auf einftige Befferung 
lefen gelernt. Blanche Keime fielen babei auf fruchtbaren Boben, bie färben* 
reiche gtiedjifche £anbfchaft regte bie träumerifche Phantafie an, unb wähtenb 
bes Ktimfrieges fonnten bie leuchtenben Kinberaugen nicht blofe dürfen unb 
Ruffen, fonbem auch bie Uniformen aller europäifchen IDeftmächte fehen. 
Der „biefe <Eme", wie er fehr halb genannt würbe, liefe fi<h bas friegerifche 
Allerlei gefallen, aber er mufete hoch nach ben Athener IDunbermären über 
Konftantinopel an ©rt unb Stelle enttäufcht eingeftehen, bafe „biefes Afien 
eigentlich nicht ein bifedjen anbets ausfah, als bas (Europa", in bem et bisher 
gewohnt hatte. 3n bas ©haos bet (Einbrücfe unb (Eingebungen brachte erft bet 
hauslehret Dr. ©tto $ticf, ber nachmalige Direftor bet $tancfef<hen Stiftungen, 
Sinn unb £eben, inbem feinem Schüfeling £anbfchaft, Spraye unb ©efcfjichte 
eines Dolfes als eine notwenbige (Einheit aufgehen follte. 3®at ein Präbifat 
«Reigt 3 ur Schwafehaftigfeit", burch bas man jefet am liebften fjinbenburg 
nachträglich als 3 um grofeen ITtanne präbeftiniert erfcheinen laffen möchte, 
hatte bie fjaus 3 enfut bes flehten preufeen in Konftantinopel nicht auf 3 uweifen. 
Ober „3erftreutheit unb Heigung 3 ur Bequemlichfeit" bei ben Schularbeiten 
würbe oft Befdjwerbe geführt, unb fchliefelich h* e fe cs in einer 3ufammen* 
faffung, ber Spület fönne mehr leiften, als et in U)irfli<hfeit leifte. Ittan 
wirb bas nicht für ein oerheifeungsoolles prognoftifon für bie 3ufunft halten, 
Dielmehr glauben, bafe bie Bruft bes Knaben, obwohl er auf afiatifchem Boben 
empfangen war, nach ben machtoollen ©rabitionen feiner $amilie triebmäfeig 
etwas mehr Preufeentum erfehnte. 

Durch bie Rücffeht ber (Eltern nach Deutfchlanb erfüllte fi<h biefes Der* 
langen in halle unb namentlich in Berlin. Das Stanbbilb bes ©tofeen Kur* 
fürften wie bes alten $rife malten bie junge Seele freiet als Ejellas unb 31ion, 
in ben Schaufpielhausaufführungen bes „IDilhelm ©eil" unb bes „Käthen 



458 


<Ernft v. IDilbenbrud), ein Deutfrfjer 


oon ^eilbtonrt" fomtte fi<h bas fchönheitstrunfene ©emüt mit molliger ©arme, 
übet bem Hheatet3auber oetgafe ber Schüler Ici^crjig bie quälenben Sorgen 
bcs $tan3ö|ifd|cn ©ymnafiums. Sic mehrten urtb oertieften fid} im (Einerlei 
bcs Potsbamer Kabettenforps unb in bet 3mangoollen (Enge bei ©ffhiets* 
laufbahn, bis biefes ptüfenbe £eib bei bem in (ich geteerten unb allem Ge¬ 
meinen abljolben 3mon3igfährigen fid* fo oerbidjtete, bafe es ben Jüngling 
feiner magren geiftigen Beftimmung entgegenführte. nachträgliches Abiturium 
unb juriftifches Stubium mären ebenfo natürlich mie bie Teilnahme an ben 
Selb3Ügen oon 1866 unb 1870 . Kaum mar bas neue Deutfdjlanb 3ufammen* 
gefdjmiebet, ba magte es IDilbenbrud), als unbeirrter Deutfdjer cot bas fite* 
rarifdje publifum 3U treten, nadjbem er fdjon Dotier, oon oerfdjtoiegenen 
Proben abgefehen, bie Seligfeit unb Bitterfeit eines nicht gemürbigten beut|d|en 
Dieters gefoftet hatte. Das Amt, bas et als Referenbat, Affeffor, Ritter unb 
hernach im £egationsbienft bes Reichs oermaltete, mar fein Alltagsfleib, 
bie Dichtung fein $eiertagsfleib, unb menn er frei? nachts in biejen 3aubet 
füllte, mar bas ber innere unb eigentliche Beruf, bem er bis 3um lebten Atem 5 
3 u ge in ungebrochener Kraft treu ergeben geblieben ift. (Er hot 3 U ^ net 
Didjterfchule gehört mie ©eibel unb Ijeyfc, er h<rt feinen Befreiet gehabt wie 
©oethe in Shafefpeare ober herber, et hot an feine Autorität geglaubt wie 
Ceffing an Ariftoteles, unb et hot nicht bes rettenben Arms einer B iau 
0. Stein beburft, um feiner Rlafelofigfeit ein fieseres 3 iel 3U fetjen, et »at fein 
3 d}, ber es fid} nach unauffälligem tDerbegang, bur<h bie (Erfenntnis XDeimars 
als bes f)et3ftücfes Beutfdjlanbs unb but<h Bismarcfs (Einigungsmerf, auf 
marfifchem Boben 3ut ein3igen £ebensaufgabe machte, ben Reichtum beutfeher 
Art unb Sitte feinem Bolle 3um Bemufetfein 3U bringen. Bet Sichtet felbft hat 
Betfe 1 ) hmterlajfen, bie uns in feine Auffaffung com Poetenberuf hinein* 
bliefen laffen: 


Der Strom ber ©eltgefd?ichte raufcht 
(lief btaufenö in bas IKeet ber 3eiten, 
Der Dichter, ber am Ufer laufest, 

(Et fieljt ben Strom oorübergleiten. 

Der Dichter foll bie hänbe nicht 
3n IDogen unb in ©irbel fenfen, 

©eil feinet fjanb bie Kraft gebricht, 
Der Dinge großen Strom ju lenfen. 


©as foll er tun? Das bunfle £ieb, 
Das braunen ihm ber Strom gelungen« 
heimtragen foll et’s im ©emüt, 

Bis er’s begreifenb ganj burchbrungen. 
TTtit Itlenf^enliebes Ungeftüm 
SoU’s bann aus feinem h ct 3 en P e *9 en ' 
Dafe fi<h als ©ffenbaret ihm 
Die ©enfehen unb bie Dölfer neigen. 


©übenbtuch mar es, mie er fagt, nicht gegeben, im mirbelnben ©ewoge 
bes ©eltgetriebes mit fefter hanb 3U3ufaffen, er fonnte nicht Richtung geben, 
unb nie mirb man beshalb oon einem 3eitalter tDilbenbruchs fptechen. & 
h®t ja faft flagenb ausgerufen 2 ): 


1) Betuf bes Dieters. £e$te ©ebidjte, S. 7. 

2) Der Dichter. £ieber u. Ballaben, S. 14. 



Don Ridjarb (Brotper 


459 


Könnt* ich roanbern alt öie Wege, tonnt’ idj faxten jeben Stufe, 

Könnt* idj toeinen jebe cXräne, tönnt’ idj füfjcn {eben Kufe, 

Könnt* id} alt öas Unermefene örängen in mein fjet 3 hinein 
Unö aus meines ^etjens Sprache jeöem {eine Spraye leifen — 

3a, bann märe mein berReidjtum, öem lein Reichtum gleichen fann, 

Unö ein ITCenfdj, ein gottbefchenfter, unö ein Dichter xDär’ idj öann! 

Oie (liefe unö IDeite öer gtofeen fünftlerifchen ©eftalter in öer Weit* 
üteratur blieb für Öen begeifterten Bannerträger feinet Raffe ein unerreichtes 
(Eilanb. 3n bet Befdjränfung auf Öen öeutfdjen ©eöanfen, öer feit öer Oer* 
fdjmeljung öer Stämme in Rotö unö Süb öas Datertanö beherrfdjte, fanö er 
reichlich ©enüge. (Er fpeidjerte in feinem 3nnetn alle Regungen unö 3udungen 
öeutf<h*nationalen (Empfinbens auf, öamit fidj nichts oerflüdjtigte, unö entluö 
öann, roenn feine 3eit fam, öas »olle fjet 3 in öem fortreifeenöen Strom feiner 
feierlichen Sprecfjroeife. IRit $anfarengefchmettet roollte er öie IRattherjigen 
aufrütteln, toenn fich auslänöifches Afthetentum, träntelnöe Oetaöence ober 
roäfetiger 3nternationalismus als Schäbling breitmachte. Wohl tonnte öas 
(Echo öes fchmungoollen Pathos manchmal äufeerlidj mitten, bennodj ftanö im 
flugenblid öer Schöpfung öer ganje IRann hinter feinem tDeri. TTlit fiebemöer 
Seele lag er im Bann feines Stoffes, unö im Bemufetfein öer h<>h cn oater* 
länöifchen Rtiffion fieberte er feinen poetifdjen Senölingen öie Dutchfchlags* 
traft. Wer tonnte fi<h öer Schönheit unö Wahrheit oerfagen, roenn et 3 U 
Bismards flbfdjieb öichtete 1 ): 

Du gehft oon öeinem XDerte, 

Dein Wert geht nicht oon öir, 

Denn too öu bift, ift Deutfdjlanö, 

Du roarft, örum mürben mir, 

ober roenn er öie Schanöe öes Attentats auf Öen alten Kaifet Wilhelm I. unter 
öer überfdjrift „(Ein Denfmal" branbmarfte 2 ): 

Wählt nicht Rtetall unö IRatmot, 

Rieht tunftgefiigten Blöd, 

Rehmt unfres hemt unö Kaifets 
3erfdjofenen Waffenrod, 
ober roenn er Hheoöor Körner roiiröigte 3 ): 

©egangen — nicht oergangen, 

©eftorben — öodj nicht tot! 

Das ift öer Hieberfchlag eines unoeröorbenen ITCannes, öer Öen Haren 
Blid für öie Werte feines Dolts nicht oerlieren roill. fluch in feinen Ronellen 
unö Dramen ift öie Überlegenheit Deutfdjlanbs über alles in öer Welt öas 
(btunöthema — Bertholö Cifemann 4 ) hat öas nähet ausgeführt —, oon öem 

1) Dem Surften Bismard. lieber u. Baitaben, S. 252. 

2) (Ein Denfmal. lefete ©ebidjte, S. 133. 

3) Kramfpenbe auf Hb. Körners ©rab. lieber u. Baüaben, S. 264. 

4) CE. 0 . XDitbenbruch u. b. nationale ©ebanle, S. 21 ff. 



460 


(Ernft o. IDilben&rutf), ein Beutlet 


IDilbenbtuch faft nie abgctoidjen ift. 1870 hat er in einer feiner erften Dichtungen, 
in Öen „Söhnen her Sibyllen unb Hörnen", ©etmanen unb Romanen auf» 
einanber prallen laffen, unb auch nod) in feinem lebten Drama „Der öeutfdje 
König" mehrt fich bas beutfdje £anb gegen bie fjorben bes ©ftens. Unbefangen 
ging er ans U)er! unb fang fein £ieb unnerbtoffen bis 3 U ©nbe. (Er fümmerte 
fich nic^t um bie fünftlerifche (Entartung nad) bem Deutf<h=$ran 3 Öfifchen Kriege 
unb liefe bie £iteraturreoolutionäre in ben adliger 3 al?ren bes nerfloffenen 
3ahrhunberts ruhig gemähten, er lebte mit ber 3ugenb, gab unb erntete Be» 
geifterung, nergriff fief? nicht im (Befühl für bas (Echte unb blieb an feinem piafee. 
Den (Belehrten 3 U fpielen unb fich ben Kopf 3 U 3 ermartem, entfprach auch im 
Alter nicht feinem XDefen. (Ein freies fjet 3 , ein freies XDort —mehr mollte er nicht, 
Ulan tann es faum begreifen, bafe ber freimütige Patriot nach ben mili* 
tärifdjen unb politifchen (Erfolgen unferer Ration ein 3 ahr 3 ehnt hat märten 
müffen, ehe feine bidjterifche pofition gefiebert mar. Die theatralifche Uleiftet» 
fchaft in feinen Bühnenmerfen haben auch bie grimmigften Kritifer gebühtenb 
anerfannt, aber ben Kern feiner £ebensanfchauung hat man hoch gelegentlich 
als überflüffig ober aufbringlich oerbächtigt. Diefe ©atfadje mirb burch bie flnt» 
mort auf bie $rage nerftanblich, meldje Stellung IDilbenbruch im ©eiftesleben 
bes 19. 3ahrhunberts einnimmt. Der (Bebanfe ber nationalen Kraft unb 
(Einheit unferes Dolfes mar ja feit bem grofeen $reiheitstampfe gegen Hapoleon 
nichts Heues. $aft jebes 3 aht 3 ehnt hatte biefem (Bebauten einen befonberen 
©rab oon Über 3 eugung nerliehen unb eine befonbere $ormu!ierung gegeben. 
Seinen Hlittelpuntt fanb bas gan 3 e Denten in bem $rantfurter profeffoten» 
Parlament, in bem alles gejagt mürbe, mas feine Köpfe über Deutfchlanbs 
3 ufunft fagen tonnten, in bem aber bie 3 ugreifenbe ©at fehlte, bie ftets bet 
eifemen $auft Vorbehalten bleibt. £ebenbige nationale Spuren hat bie Vtv 
fammlung in ber Paulsfirdje nur 3 um tleinen ©eil hinterlaffen, meü bas $iasfo 
3 U lähmenb mar. Da haben bie führenben beutfehen Hlänner, bie am tDebftuljl 
bes 3ahthunberts fafeen, mehr erreicht, unb 3 um Dergleich mit IDilbenbtuch 
roerben Sichte unb ©reitfdjte fich am beften empfehlen. Der Detfaffet ber 
„Reben an bie beutfehe Ration", bie im XDinter 1807/08 in Berlin faft unter 
ben Augen ber fran 3 öfif<hen ©arnifon gehalten mürben, ift ber Schöpfet bes 
neubeutfdjen Hationalgefühls auf religiös=philofophifcher ©runblage gemefen. 
Den ©eift ber Selbftfucht, ber ben lefeten. Derfall Deutfchlanbs bebingt h a ^ c < 
aufs f<härffte ableljnenb, fefete ber glaubensftarfe Denter ben UTenfchen unb fein 
Daterlanb in Be 3 iehung 3 um ©migen, benn nur oon hier aus habe bas ©pfw» 
bas mit bem ©obe be 3 ahle, einen Sinn. Spe 3 iell in Deutfcfjlanb fah 8 ^ te öie 
Sahtgfeit 3 U folgern ©un. Unter bem Begriffe „Deutfcfjheit" im ©egenfafee 
3 ur „Auslänberei" fafete er alles 3 ufammen, mas in einem Dolte urfprünglih 
imb fittlich 9 tofe fei. Auf biefe U)eife fcharfte er mit feinem imponietenben 
ermanenfchabel, ftrengen Blicf unb martialifchen ©on uns bie Kraft 3 UI 



Don Ritfjarö ©rocper 


461 

Selbftermannung unb ben tOillen 3ut fittlichen Gat fo übe^eugenb ein, bafe 
man ihn als unfern Cutter auf bem ©ebiete bet Pbilofopbie bejeiebnen möchte. 
Sein Appell an bie Kation: „(Es ift fein Ausmeg; menn ihr verfinft, fo oerfinft 
bie gan3e lllenfchbeit mit, ohne Hoffnung auf einftige IDiebetberftellung" bot 
bamals bas ©efübl bes Dertrauens unb bie ©emifeheit ber göttlichen tDelt* 
orbnung geboren. 

Siebtes Rationalismus, ber immer noch etroas mit fosmopolitifchen ®e* 
banfen oerbrämt mar, ging lebten ©nbes auf Kants fategorifchen Smperatio 
ber Pflicht 3utüef. Die moralif^e RJirfung biefer Sehre bot ben ©eift ge3eugt, 
mit bem Itapoleon überrounben mürbe. Aber ie meiter bie 3 eit fdjritt, um fo 
deutlicher mürbe bie miffenfchaftliehe ©tunbloge biefer ©tbif mit bem ©in* 
bringen ber intelligiblen XDelt auf bie Shtnenmefen als falfdj erfannt, unb fo 
erlitten bie gan3en patriotifeben ©ebanfen übet Pflicht unb Pflichterfüllung 
einen ftarfen Stofe. Rtan moQte lieber oon Rechten hören. Das „junge Deutfeh* 
Ianb" fagt barübet genug. Selbft ber roeitblicfenbe fjermegh ging irre Pfabe. 
©rft in ber 3meiten Hälfte bes 19 . 3 abrbu,nberts erfcholl ber Ruf „ 3 utücf 3U 
Kant!", unb bas Sdjillerfeft 1859 brachte bem Sbealismus bes beutfehen Dolfes 
roieber Suft unb Sicht. Alan verlangte nach ©ntfcfjloffenbeit unb nach ©aten. 
Balb barauf griff Bismarcf in bas Schicffal (Europas ein, unb ©reitfehfe, nicht von 
Philofophie ober ©beologie, fonbem von ber ©efchichte ausgebenb, begeifterte 
mit ©emperament unb Seibenfchaft bie 3 ugenb 3m Eingabe ans Daterianb. 
Auch als ber grofee IDürfel gefallen mar, liefe er oon ber Rolle bes politifchen 
©t3iebers nicht ab unb fonnte bie tDeKen bes patriotifeben ©nthufiasmus bei 
feinen 3. ©. ibealifierenben DerHärungen biftorifcher $afta unb Perfönlieh* 
feiten unter feinen fjötetn unb £efem nicht hoch genug geben laffen. An biefe 
huttennatur im Kampf für ein ftarfes Deutfchlonb fchlofe fich XDUbenbruch un* 
mittelbar an. tDenn et bem erfolgreichen $ötbetet ber Daterlanbsbegeifterung 
über bas ©rab nachrief 1 ): 

IDen läfet bu uns als (Erben? 

IDer foll bas roeicbe fjet 3 

Der beutfehen 3ugenb ftablen 

3u funfenfprübnbem ©it 3 ? 

fo bachte er bamit gemife faum an einen anbem als an fich felbft. Seine Seiet 
fotlte an ©reitfehfes „Deutfche ©efchichte" ben Schlufe fefeen. ©ine ergebene 
©emeinbe 3mar bot ber Dichter in ben neun3iger 3 ahten nicht um fich oet* 
fammelt, ba bie bismarefbegeifterte Stubentenjugenb, bie einft bem Karo* 
lingerbichter 3ujubelte, in3mif<hen älter unb nüchterner gemotben mar. Der 
Rachmuchs aber nahm bas feftgefügte Reich als einen fo fieberen unb felbft* 
verftänblichen Befife h™» bafe Daterlanbsbegeifterung als 3 eitoergeubung 
etfehien. Diefen tDedjfel fonnte IDilbenbruch nicht mitmachen, in biefem Sinne 


1) 3um dobe fjeintidjs 0 . dreitfehte. £et)te ©ebidjte, S. 273f. 



462 


CErnft o. tDUbenbrud), ein Deutftfyer 


/ 


alterte et nidjt. Der 3ugenblidjfeit unb Regfamfeit in allen beutfdjen $tagen 
hat et fid} nie entäufeert unb ift babei ein unöerfalfdjter 3euge feines 3itnem 
geblieben. Das hat ihm Beöeutung gegeben über Hreitfdjfe hinaus, bet bodj 
manchmal 3 um Dirtuofen unb Parteimann würbe unb, tDenigftens fojialpolitifdjr 
noch not bem (Enbe feinet Bahn am toten Punft angelangt war, Bebeutung 
auch übet $idjte hinaus, ber ein Syftematifer mar unb nur für Köpfe fdjrieb, 
manchmal audj übet bie Köpfe hinroegfprad). XDas mit $idjte im 19.3# s 
fjunbert an Rationalbetoufjtfein einfetjte — bie Dieter bet Befteiungsbtiege 
gaben mehr Begleitaffotbe für bie augenblicflidje friegerifdje Stimmung ab —> 
ftellte üreitfrtjfe auf ben realen Boben bet ©efdjidjte, unb tDilbettbrudj gab bem 
allen feine hödjfte perfönlidje tDeilje. (Erft bet ©eiehrte —bet Deutfdje mad)t es 
nun einmal nicht anbets —, bann bet Publtyft, bann ber Dieter. IRit bet 
wadjfenben Aufgabe ftellten fid) im Sauf ber 3^it aud) mehr lUitarbeiter ein. 
tDilbenbrudj ftanb feineswegs allein. Dot iljm fdjtug Stradjwit) mit rittet» 
lidjem IRut unb fonnigem $reiheitsgefüljl nationale Höne an, $ontane 3 eid?nete 
in mannhafter Art mit feftem ©tiffel altpreufeifdje „Rlänner unb gelben" 
ober lehrte uns bie Schönheiten unfeter fllarf fehen, Süiencton machte fdjneibige 
Abfutantenritte ins poetifche Sanb unb fang t>om liebenben, fampfenben 
unb ftetbenben beutfdjen Krieger. Diefe Dieter mögen alle in ihrer Art Dot» 
3 üge not tDilbenbruch gehabt haben. (Er ift hoch bet beutfrfjefte — unb ihn 
fdjmüdte ber Prophetenmantel. 

(Es lag in feinem fünftlerifdjen Dermögen, aus ber lebenbigen (Erfaffung 
bet ©egenwart ©eroifeheit über bie 3utunft 3 U gewinnen. Das ift bie britte 
Seite, bie man berühren muf}, toenn man feinem Derbienft um Deutfdjlatib 
gereiht metben will. (Er ging ia in feinem poetifdjen Staffen nicht »on Ion» 
ftruierten 3bealen ober fdjöntebnertfdjen Sdjlagworten aus, in ihm webte 
bie gan 3 e $ülle ber beutfdjen ©efdjidjte, unb alles entfprang feinem elemen» 
tarften ©efühl. (Er lobte unb feierte, wo es bem ©eift ber IDahrheit entfpradj, 
aber er falj auch bie wunben Stellen unb mühte fidj bann mit fotgenber Siebe, 
bas ©ift aus bem fcfjwärenben Körper 3 U entfernen. Aber für bas fronte Deutfh* 
lanb hotte er immer nur bas eine Re 3 ept: „fjilf bir felbft; benn bu bift ftatl, 
bie anbern brauihen bicfj, nidjt bu bie anbern!" Sihon 1889, als nodj Bismari 
bie Seele ber Reidjsleitung war, hat ber Didjter bie ©efaht eines XDeltüberfalls 
an bie IDanb gemalt 1 ), aber ebenfowenig oet 3 weifelt wie 1908, wo getabe 
in ben innerpolitifdjen Kämpfen um bie Rei(hsfinan 3 teform unfere faft peinli<h e 
$riebensliebe oon unb oot bem Auslanb fdjmählidj blofegeftellt war. 2 ) IDenit 
ber Dichter fagte, wie er litt, bann erfticfte er nie in Klagen. (Et wollte nichts oon 
einem weidjlidjen (Erliegen Deutfdjlanbs wiffen, webet im Kleinen nod) im 
©tofjen. Sür bie 3ufunft fürchtete et etwaige Riebetlagen ebenfowenig, wie 


1) Deutjdjlanb u. bie IDelt. Ciebet u. Bailaben, S. 260. 

2) Deutjdjes tteujaljt 1909. Ceijte <5ebid}te, S. 209. 



Don Hidjarö (Broeper 

ct fidj über etmaige Siege im ooraus freute. (Er gemahnte immer mir an bie 
eigene Kraft unb an bas fittlidje Bemuftfein bes freien Dolfs. Das ift bas 
oermegen Deutle unb Befreienbe an ihm, baf De^roeiflung an bem 
nationalen ©enius ihn nie übermannt bat. (Er mies immer einen EDeg, unb 
3 mar ben einigen, ben Deutfchlanb nach feiner Über 3 eugung geben tonnte, 
ben EDeg bet Begeiferung. 

Darum entfebieb er politifdje Begebenbeiten ni<bt mit bem Kopf. 3 n 
feiner Selpifucht nach Raffen*, ©laubens* unb Kultureinbeit aller beutfdjen 
Brüber forberte et ©pfet unb ging fdjarf ins «Seridyt, roenn man bureb Partei* 
habet ober fonfeffionelle (Eiferfücbteleien bie ©efebloffenheit ber Ration ge* 
fabrbete. (Er mar ©efühlspolitifer unb begriff nicht, mie man als Deutfcber ohne 
3ufammengebörigteitsgefübl ejiftieren lönne. ©ft genug bat er — feine ge* 
fammelten Auffäfe, bie „Blätter oom £ebensbaum", legen berebtes 3eugnis 
ab — oot bem Furor teutonicus, ber ficb gegen eigen Sleifdj unb Blut roenbet, 
gemamt. Denn er fühlte, fo mie eine Ittutter auch ohne At 3 t bie Krantbeit 
ihres Kinbes erfennt, baf an unfern (Bremen fcblimme Seinbe lauerten. 

IDas feberte ihn babei ber Ruffe! Rocb nie bat auf ere 3ahl etroas über ener* 
gifdje Snnenfraft oermoebt. Da mar ber $tan 3 mann im Rieften bo<h ein anbet 
Ding! Dem Dichter lag bei bem Problem „Deutfchlanb unb Sranfreidj" meniget 
an bem Ausfall bes EDaffenganges. Der ftanb für ihn feft. Durch bie fulturelle 
Bebeutung bes fran 3 öfifcben ©eiftes für bie gati 3 e XDett unb auch für Deutfeh* 
lattb mar es EDilbenbruchs ©efübl möglich, fieh mit feinem fjet 3 en nach $ranf* 
reich 3 U neigen, ba biefes £anb ja auch bas germanifehfte aller romanifeben fei. 
Blit biefem inftinftioen ©lauben an bie Anpaffungsfähigfeit bet beiben Rationen 
ausgeftattet, tonnte bann EDilbenbruch auch bie ©efchichte ber beiben leften 
3abrbunberte in milbetem £i<hte feben unb erachtete bie 3 eit halb für getom* 
men, mo beibe RTächte ficb 3 U ben Kontinentalftaaten (Europas oereinigten. 
Die ©efdjichte bat ihm recht gegeben, fein ©Iaube ift feft auch ber unfere ge* 
morben. Über bie auf ere Dermirtlicbung bes Hnfdjluffes bet beiben IDeftftaaten 
bat er ficb nicht feftgelegt. Aber ben inneren 3ufammenhang biefer (Entmicflung 
hat fein feiner Kulturfinn herausgefpürt. So ahnt ber mitfliche Prophet. 

__ Bleibt noch (Englanb. Riebt einmal feinem ©rimm lohnte es, gegen bie 
Krämerbeftien 3 U mettern. Als Albion bie Burenrepublit oergemaltigt batte, 
hat er feine Stimme im Ramen ber gefitteten IRenfchheit erhoben unb bas 
Gafeltuch 3®ifchen % unb (Englanb ein für allemal ent 3 mei gefebnitten. 1 ) 
Später bat er feine Saite feiner £eier meht für bie Snfulanet gerührt unb fie 
fo bureb Schmeigen oielleicbt fernerer geftraft, als es ber roilb aufbraufenbe 
bafgefang £iffauers je mirb tun tonnen. 

Beffet als fjaf ift bodj Deracbtung, menfchlich gtöfer Jebenfalls, aber auch 
f<broerer. $t eilich oor bet Scbmierigfeit eines 3iels ift ber heifblütige EDilben* 

D Der (trogööie Iefter Seil. £efte ©ebichte, S. 170. 



464 


Die $etbftiegerfprad)e 


5tud} nie 3 urüdgefchredt. (Kn fjettenpolf muß bas Schwerfte wagen, fonft gilt 
es fein Ceben. Alles emfeßett, was öie Seele unb bie Sauft famt! Baß biefet 
©pfetfinn al^eit bei ben Deutzen in Kraft bleibt, namentlich bei bet 3ugenb, 
bafür hat er geeifert unb gelitten, gelungen unb geftritten. Der bloße Waffen* 
lärm hat für ihn nichts Betaufchenbes gehabt, weil ihm fein ffiewiffenlaut 
genug fagte, baß jebes Schwert, wenn es einmal gewetjt unb gejogen fet, Blut 
trinfe. Kriegerifdhe (Eroberung war ihm nur ein Wittel 3 ur Detfittlichung bet 
Welt bur<h Deutfdjlanb. (Er hat es fo allfeitig erfaßt ober 3 um minbeften et* 
faffen wollen, wie es einet reinen RTärmetfeele gegeben ift. Bismatdunb ©oethe* 
Schiller, Schlachtfelb unb Weimar, nie follte bie beutfche 3ugenb btefe 3roeihcit 
oetgeffen, bann fei fie unftetblid}. Bann bleibe ihr ber Befiß, non bem et, tutj 
beoor fein fjet 3 brach, angefichts bes Bismardturms bei Weimar gefagt hal- 


Unb fteigt nach aber hunbert 
Unb hunbett 3 ahren bann 
3 ungoolt ojn Kinbesftnbetn 
3 um (Ettersberg hinan, 

Unb fließt in ihren flbem 
Koch Blut oon unferm Blut, 
Unb lobetn ihre Seelen 
Hoch oon ber alten ©lut, 


Die aus 6er Seele ©oetljes 
Don Sippen Schillers floß 
Unb Bismards Ijanb am Schweb 
Des Reichs 3ufammenfchloß: 
Dann wirb’s auch bann noch fteljen, 
(Ein Weltenelement, 

Dies Reich, bas alle fdjmähen 
Unb faum ein einj’ger lennt, 


Sein fjaupt im ©au gebabet, 
Den ©ott barauf gefanbt, 
Das alte ewig*junge 
©eliebte beutfdje £anb. 


Die 5etöfti e 9 el 1P ra< *) e * 

Don Rubolf ntothes in £eip3tg, 3. 3 t. im Selbe, 
dn. So jung bie $liegerei ift, fo hat fie ji<h bod) feßon ihre Berufsfpradje gebübe, 
bie bie ©egenftänbe unb (Erfdjeinungen bes Berufslebens mit befonberen flusbrüaen 
bejeichnet. TtTit ber ftarlen Dermehtung bet $liegertruppe hat fich bet Kreis ber Sprach* 
beteiligten ausgebeljnt. Diefe finb über bas weite ©ebiet bes Reiches unb bet Kriegs» 
fcßaupläße oerftreut bei gelb* unb geftungsfliegerabteilungen, $lug3eugpatls, Slieger» 
erfaßabteilungen, Sliegetfdjulen ufw. Wer 3ur $liegerei tommt, lernt bie gelbflie^ 
fpradje tafd) 3U bem altoertrauten Kommißwelfch hi n 3 u * Weht alle flusbiüde un 
Wenbungen bet $liegerfptache finb gleichmäßig oerbreitet. ©s gibt einen getutfien 
©tunbftocE, bet als ©emeingut aller beutfehen Selbflieget betrachtet werben * ann ' 
wähtenb ein3elne Worte ein begrenjtes Derbreitungsgebiet haben unb E>ielleid}t etp 
in ber Dutchfeßung begriffen finb. 

Der Beobachtungsoffgier heißt Sran3, feltener Spaßer. Urheber bet Bejeicßnung 
Stan3 foll ber $lug3eugfiuhrer Leutnant Blütßgen, bet Soßn bes Dichters (gefallen un 
September 1914 in $tanfrei<h) gewefen fein. Bei einem Ulanöoet h fl t ih n ^ er 
manbierenbe ©enetal gefragt, wie fein Beobachter heiße. Blütßgen foll geantoon e 
haben: ,,©j3ellen3, bas weiß ich nicht; ich nenne ißn $tan3," Wenn ber $tan3 im Stieben 
feine flusbilbung oon mehreren IRonaten hinter fich hatte, nannte man ißn ® b etf t an 3 - 



Don Ruöolf ttTotfjes 


465 


IDutbe er einem glug3eugfühter ftänbig3ugeteilt, fo roar er fortan beffen Dauetf ran3. 
3 toifchen bem glug3eugfühter unb feinem Dauetfran3 befielt eine (Elje. Das BUb ift 
tintig gemailt, toeil firfj beibe in ber Rat fo gut oerfteljen unb «ertragen müffen wie 
(Eheleute. Don bem IDorte gran3 ift fpäter bas 3 eitn>ort fran3en gebilbet toorben; 
es bejeidjnet bie mi^tigfte Rätigfeit bes Beobachters, nämlich bas Orientieren. £eitet 
ber Beobachtet bas $lug3eug in getaber Luftlinie, fo fran3t er Strich; führt et es 
in bie 3 rte, fo oerfran3t er fich (hiet3u <Etgän3ung 1 S. 544 ). 

Der $Iug3eugführet erhielt fpäter ben Hamen Heinrich, bet fich in ben lebten 
Hlonaten mehr unb mehr oerbreitet hat. (Ein glug3eugfühter oon ungetoöhnlich großer 
glugfertigteit ift eine Kanone (gliegetfanone). IKit bemfeiben tDorte erlennt man 
bie Rüchtigteit eines Beobachters an; auch liefet !ann eine Kanone (Beobachterfanone) 
fein. (Es gibt gtofee unb gan3 grofee Kanonen. ITCit (Entfdpebenheit lehnt es ber 
glug3eugführer ab, ein biofeer Cuftchauffeur 3U fein («gl. <Etgän3ung 2). 

Das glug3eug ift bie Kifte. Ulan fpridjt oon ber alten (Eulertifte unb meint 
bamit ben oon (Euler in granffurt a. ITC. gebauten Ryp mit hintenliegenbem Blotor. 
Bei biefem glug3eug roar ber Beobachter^ einer Kifte bis 3U einem getoiffen (Stabe 
ähnlich, Auch beim alten garmantyp unb tDrighttyp roar es fo; «Deshalb man oon 
garman* unb XDtightfiften fpraefj. Bei ben übrigen glug3eugen fpricht man oon 
Kifte fchledjthin. Ulan fagt alfo nicht „Albatrosfifte" ober „Rumplerfifte". IDet auf 
Station wenig eifrig mar, oon bem !ann man hören: „Der ift in fedjs IDochen blofe brei= 
mal in bie Kifte geftiegen." (Einem Beobachter, ber fich unbefümmert um bie glug* 
fettigfeit jebem glug3eugfühter anoertraut, 30m man flnertennung mit ben IDorten: 
„Der fefet fich 3 U jebem in bie Kifte." (Ein fdjledjtes glug3eug, 3. B. eines, bas nicht 
fteigt ober fich unheilbar oer3ogen hat, nennt man getingfehäfeig eine (Eierfifte ober 
eine Klamotte. IDer Bruch macht, 3erroichft eine Kifte. ©tüne gtöfdje ober 
grüne fjunbe finb bie mit grünlichem Stoff befpannten Kampfflug3euge (Ryp 
(laubton). Die fchnellfteigenben unb fchnellfliegenben, mit BTafchinengetoeht bewaffne* 
ten Kampfflug3euge ber gran3ofen heifeen auch Bauetnfchrecf ober üetbetus. 

3 ft bas glug3eug in bet £uft, fo ift es ein Brummer. Starten, abfliegen heifet 
abhauen,losbrummen,losbraufen oberlos3ifchen. Dertjeinrich fchaufelt ben 
gran3. D 3 itb 3. B. ein glug3eugführer beauftragt, 3ut Ausbilbung eines Beobachters 
einen Übungsflug 3U unternehmen, fo fagt man ihm, er foll ben Beobachter eine 
Stunbe fchaufeln. Der glug3eugführer fragt bann toohl: „ 3 ft ber Beobachter ein an* 
ftänbiger IRann ober foll er tofeen?" IDer 3um erften ITCale im glug3euge auffteigt, 
roitb entjungfert unb ift oerpflichtet, bie Rifchgefellfchaft mit befferen ©etränfen, 
am beften mit Schum ((Ehampagnet), 3U betoirten. 

Don gröfetet tüidjtigfcit ift, bafe bie £uftfd}taube in ber ITCinute bie nötige 3 ahl 
Umbtehungen macht. Bei ben oetfehiebenen glugmotorarten (IRetcebes, Argus, 
Ben3, ®nom ufto.) ift bie erfotbetliche Routen3ahl (bie gabrifen fagen jefet: Dreh 3 ah 0 
oerfchieben. Die 3 <*hl her Umbtehungen ift ftets geringer, toenn bas glug3eug auf bem 
Boben fteht (auf Stanb) unb nimmt 3U (bet UTotor h 0 It a u f) in ber £uft. Don ber Ar* 
beit bes Utotors entlehnt ber glieger eine Reihe oon Bilbetn. Spridjt jemanb un* 
gewöhnlich fchnell, fo rebet er mit 1400 Routen. Sifet man beim Kartenfpiel im 
Derluft unb beginnt allmählich 3U getoinnen, fo holt man auf ober tommt enblid} 
ouf Routen, glufcht es beim ©eroinnen, fo ift man auf oollen Routen. 

3«Ü|(^r. |. 6.6cuCfd)cn Unterteilt 29.3atjrg. 7./8. lieft 30 



466 


Die 5elbfliegerfprad}e 


Die 3 al}l ber ©outen ift oetfd}ieben, je nadjöem, ob bet $Iug3eugfühter 3iel}t 
ober btücft. „ 3 ie^en" Reifet, bas Steuerrab (ben Steuerfnüppel) an fi<h heranbringen 
unb baburdj bie Steuerflappe beben (fjöf}enfteuer geben). Auf biefe TDeife toitb bei 
Sdjtnanj bes $lug3eugs gefenft unb ber Kopf gehoben. „Drüdt" ber Sübret, fo ent* 
fernt et bas Steuerrab 6310. ben Steuerfnüppel oon fi<h; bie Steuerflappe toitb nad} 
unten betoegt (Giefenfteuer); ber Sd}wan3 bebt unb ber Kopf fenft fid}. Beim Steigen 
läfet bie Gouten3ai}l nad}; beim Druden nimmt [ie 3u f toeil bet 3U übettoinbenbe 
tDiberftanb im erften $alle großer, im lebten geringer ift (ogl. ©rgän3ung 3 ). 

Soll geflogen werben, fo toitb bie Kifte aus bem Stall ( 3 elt, Schuppen) geserrt, 
Betriebsftoff (<Dl, Ben3in) unb Kübltoaffet aufgefiillt. Der RTotor toitb burchgebreht. 
$tan3 unb Ijeinrid} nehmen ihre Sitje ein. Der RTotor toitb angelaffen. Die Brems* 
Höbe toerben oon bet Startmannfcbaft entfernt. Die Kametaben rufen: „6° un b 
Be Be", b. b- „fjats* unb Beinbruch!" ober „®ut KIeinbol3!". Das $lug3eug rollt an. 
Rad} ftugem Anlauf bebt es bet $lug3eugfühtet ab unb brummt los. Soll ein Kriegsflug 
unternommen toerben, fo mufc fid} ber $übrer über bem Slugplatje erft bis 3m friegs* 
mäbigen höbe empotfdjrauben, efje er abbaut. Bei ber Rüdfebt nad} ber (Erledigung 
bes Auftrags fann bas $lug3eug öurd} mäßiges Droffeln bes Rtotors allmählich 9 e f en ^ 
toerben. Der $ührer fann aber aud} mit Dollgas bis in bie Rabe bes Slughafens 
fommen, erft hier bas (bas toegnebmen unb 3um ©leitflug anfeben. 3 c nad} Belieben 
bes Sübtets toitb ein ununterbrochener fteiler ©leitflug ober ein Stufengleitflug gemacht. 
3 ft ber ©leitflug 3U flad} angelegt, fo bat bie RTafd}ine 3U toenig $ahrt, iftnidjtfteuet* 
fähig unb läuft bie ©efahr bes Abftut3es. R)er feine Slugfertigfeit 3eigen toill, breht 
beim ©leitfluge Kotf3ieber, b. b- macht einen Spiralgieitflug. $lugfünftler ftellen 
toobl auch ben RTotor gän3lid} ab unb laffen ben Apparat mit ftillftebenbem Propeller 
wagered}t ein Stüd butdjfaden. Kut3 übet bem Boben fängt ber $ül}ter bas Slug 5 
3eug ab, läfet es ausfd}weben unb fetjt es mit herabgebrüdtem Sd}toan3 (Scbi»an3 5 
lanbung) auf, worauf es mit futgem Auslauf austollt RTifelingt bie Sanbung, fo 
madjt ber $ühtet meift Bruch, toooon in ber Regel bas gabrgeftell (bas $al)rgeftell 
toitb rafiert), bistoeüen auch bie Gragbeden mit Dolmen unb Rippen betroffen 
toerben. Rach ber£anbung toirb ber RTotor burchgebrebt um bie fd}led}ten ©afeaus 
ben 3 ylinbern 3U entfernen. Darauf toitb in bie Kompteffionsbäbne Petroleum ein* 
gefpriijt. Don biefer ©infpritjung toirb ein übertragener Ausbtud entlehnt D« 
Stieget empfängt eine ©infptiijung, toenn ihm ein Schnaps gereicht toirb. 

tDidjtig für bie Steuerung ber RTafd}ine ift bie Derwinbung. Sie bient ba3U, 
bie Böen, $allböen toie Steigböen, 3U patieren, bie bas $lug3eug aus ber rbagerec^ten 
Cage werfen, oerbinbert bas Abrutfd}en in ber Kutoe, ergän3t auch bas Seitenfteuer, 
falls beffen ooQes Austreten nid}t genügt, um ben gewünfehten feitlidjen Kurs 31» et* 
reichen, ©in $lug3eug barf nicht träge fein, fonbetn mufe auf alle Steuerhilf en » 
insbefonbete Derwinbungsbilfen, gut reagieren. Auch ber Derwinbung toerben 
bilblid}e Ausbrüde entlehnt RTad}t3.B.iemanb beimBillarb* obet Kegelfpiel Körper* 
bewegungen nach ber Richtung, in ber nad} feiner Abfid}t bie Kugeln laufen fotlen, fo 
Siebt er Derwinbung. Grifft er trotjbem nicht fobat er eben falfch oetwunben. 

Sliegen fann man nidjt bei febem töetter, fonbern nur wenn bie Bewölfung ein 
fixeres (Orientieren unb Beobachten in friegsmäfeiger höbe erlaubt. Rut bann ift 
Slugwetter. 3 ft es unfidjtig, fo ift $lafd}enmetter. Die Senile unb ^cinri^ e 



t)on Ruöolf ITTotfjcs 


467 


fönnen fid} unbebenflid} 3Ut Slafdje fefeen. ©efet man bet niebrig feängenben tDoIfen 
los, fo gerat man halb in eine IDafdjfüdje unb Ijat Rlüfee, fid} aus bem biden Ored 
f;eraus3ufinben. Ulan läuft ©efafer, fid} 3U oerfra^en, unb maefjt, wenn man fjeil 
nad} fjaufe fommt, bod} nur einen $eljlflug, b. i. ein $lug ofene ©rfüllung bes Auf* 
träges, ©inen folgen melbet aber feiner gern. 3 m übertragenen Simte bebeutet 
Sefelflug überhaupt ben Rlifeetfolg. Steigt ein $Iieger einem fleinen ITTäbdjen nad}, 
fann ben begehrten Buban3 (Kufe) nidjt empfangen, wirb oielmefer abgeblifet, fo 
mufe er $el}lflug melben. 

Abftftgen Reifet in ber Sliegetfptadje abfefemieren. Das 3 eitwort toirb trän* 
fitio unb intranfitio gebraust. „Slugleferet B. unb Oberleutnant oon y. finb auf 
bem ©riesljeimet piafee abgefdfmiert." ©s famt aber aud} feeifeen: „Ceutnant B. ift 
im September 1914 oon ben $rargofen abgefefemiert rootben." 

©in3elne ©eile bes $lug3euges entlegnen ifere Be3eid}nung bem RTenfdjen* ober 
©ierförper. So fpridjt man oom Scfeeitel*, Stirn*, Baud}* unb $Ianfenfül}ler, oon ben 
Rippen bet ©tagbeden, oom Sd?toan3e unb oon ben $Iügeln bes $Iug3eugs. Stüt3t 
ein $Iug3eug mit Straube unb Rlotor nad} unten ab. fo geljt es „fopffeeifter". Canbet 
ber $lug3eugfüljtet mit bem XDinbe ober bringt er bei weidjem Boben ben Sd}toan3 
nid}t ted^eitig herunter, fo fteljt bas $Iug3eug leidjt Kopf (ogl. ©rgän3ung 4 ). 

Umgelefett werben aud} ein3elne ©eile bes menfd}lid}en Körpers mit $lug3eug* 
teilen oerglidjen. So be3eid}net man bie Beine als $afergeftell. Krummbeinige £eute 
feabeneinoetbogenes $afergeftell. fjat jemanbred}tfut3eftämmigeStänber, fofeat 
et ein £.»D.*©.*$afergeftell, alfo eins nad} Art bet $Iug3euge bet £uftoerfefers* 
gefellf<feaft m. b. f). X*Beine finb ein $oHerfafergefteII; fie gleid}en bem Unterbau ber 
in Sd}werin oon Soffer gebauten ©inbeder. 3 cigt ein Rtäbdjen unterm fufefreien Kleib 
fdjöne gerabe Beine, fo fptidjt bet $Iieget nidjt wie ber Pferbefportmann oon clean 
heels ober guter $effelung, fonbern oon einem faubren $afergeftell. Bie Steigerung 
ift: ein fefet ein faubres $afergeftell. Oie oolle Anerfennung wirb baburefe ausgebrüdt, 
bafe bet $Iieger eine Uotlanbung in biefem Salle als Annefemltcfefeit be3eid}net. 

3 n entfpredjenber XDeife werben Bergafer, Auspuff, Oüfe, 3ünbfet3e, insbefon* 
bete oerölte 3ünbfet3e, 3ut Be3eicfenung menfcfelicfeer Körperteile oerwenbet. Bas IDort 
$efel3ünbung feörte iefe gelegentlid}, als jemanb einen Sd}er3 übel aufnafem unb ein* 
fdjnappte. Seine Abwutfbomben nennt ber $Iieget Knallbonbons, Knallerbfen 
ober ©ier. Bie fleinen fjanögranaten feeifeen aud} amtlid}$liegermäusd}en. Bie Be3eicfes 
nung „©ier" pafet befonbers gut 3U ben ©auben, oon benen bie franjöfifc^en ©ages* 
3 eitungen noefe immer fefeteiben, obwohl biefet $lug3eugtyp nafee3U aufeer ©ebtaud} ift. 

Bas feöcfefte £ob für eine Kifte ift, bafe fie fdjnell ift. Sie barf nidjt langfam 
fein unb fcfeleicfeen wie eine alte Botenfrau. Oesfealb bebeutet fdjnell bie 
guten ©igenjdjaften überhaupt, ©in fdjnelles Safetgefieütab ift ein Rab, bas wenig 
£uftwiberftanb unb leine fdjäölidjen UJirbel oerurfadjt. ©in fcfenelles Rlabcfeen ift ein 
fcfeönes Rlabcfeen. ©in fefet ein fcfenelles Rlabcfeen ift ein fefer fdjönes Rlabcfeen. 
©in fd}neller Stod ift ein fcfeönet Stod. ©ine fcfenelle Rlüfee famt eine fcfeöne Rlüfee 
fein; ber 3 ufafe fann feiet aber aud} befagen, bafe bie Rlüfee auf ©efeferoinbigfeit 
geftellt, alfo flott aufgefefet ift. 

Bas ©egenteil oon fdjnell ift lautig. ©in $lug3eugfüferer ift Iaurig, wenn 
er leine Sdjneib 3um $liegen feat. ©ine ©tuppe ift Iaurig, wenn fie feine Angriffsluft 

30* 



468 


Die $eldfliegerfprad}e. üoit Rubolf ITTotfjes 


hat. ffin unangenehmer Dorgefeßter ift ein Iauriger Dorgefeßter. Schlechtes XDettcr 
ift Iauriges IDetter. ®n fchlechtfißenber Rod, abgeftanbenes Bier, füßet Seit, alles ift 
Iaurig. fjat man einen oerftimmten Rtagen, fo ift’s einem Iaurig im Baud}. 

Als lobenbes Beiwort witb in gewiffen Derbinbungen neben ober ftatt „fcfjnell" 
auch „faubet" gebraucht, ©n „fchnelles RTäbd}en" unb ein „fauberes Rtäbcßen" 
finb gleichbebeutenb. tDie £öhnung, Kommißbrot unb (Quartier empfängt bei 
Stieger eine faubere gnäbige $rau. tDer gut fliegt, fliegt einen fauberen 
Propeller ober gleitet eine taubere $läd}e. tDer gut beobachtet, fpäßt einefau* 
bete IDimpet. tDer gut tanjt, tan3t eine faubere Sohle. 

Oie Cuftfdjiffer mit $rei», $effel= unb CentbaUonen bilben bie lächerliche 
Kon!urten3. 31 jr Ballon heißt bie ©asblafe ober bie tjimmelsnille. 

(Bern brauft ber Slieget im Kraftwagen einher. Ulan fpridjt beshalb bisweilen 
oon automobilitis bellica aviatorum. 3 m allgemeinen liebt er bie Kanonen, bie 
ftarlen tDagen mit 60 unb mehr P S. 3 m Rotfalle begnügt er fid} aber mit einet 
Iltucfepicfe, einem (Ehauffeefloh (fmg: $loi}) ober einem $ur3wagen, roomit 
bie oerfdpebenen $ormen ber Kleinautos be3eid}net toerben. 

Schließlich enthält bie $liegerfprad}e noch eine Reihe oon Rebensarten unb 
Sprühen, bie nicht in unmittelbarer Be3iehung 3ut $liegerei fteljen. Oie (Dffijiers 5 
oerfammlung heißt auf ein3elnen $lugpläßen bas Palatoer. Der $elbgeifüid)e ift 
ber getoeihte $eftgenoffe ober fjimmelsfähnrich. B?er fid} *>iel bamit be* 
fdjäftigt, baß er bas ©ferne Kreu3 noch nicht hat, leibet an Kreu3fchmer3en 
(ferrocrucitis). Bei ben höheren Stäben toirb bie 3n>eite Staffel (ber Unterftab), bie 
ihre Rtahheiten getrennt oon ber erften einnimmt, als Kochloch II be3ei<hnet. 
Reger ift jeber, ber nicht 3um engeren $liegerfreife gehört. Oie Ceute oon ber 
©appe finb (Etappenfrißen, bie oon ben Kolonnen Kolonnenfd}toeine. ffinen 
Auftrag gut etlebigen, heißt: bie Sache fd}meißen. 

©n Unternehmen, toooon mehr Aufhebens gemacht toirb, als es roert ift, ift ein$ilnt, 
ber gebreht toirb. 3 ft bas Unternehmen breiter angelegt, fo ift es ein großer Senja 5 
tionsfilm. fyrt es eine getoiffe ©genart, fo ift es ein feljr fauberet Haturfiltn. 

ffin richtig angelegter unb troßbem mißlungener Biilarbftoß ift fdjön, aber un* 
glüdlid} toie RIaria Stuart. 3 ebe tföchftleiftung toirb an Blücher gemeffen. 
©ne Gruppe geht btauf toie Blücher, ffin Kamerab ißt, trinft, raucht, fcf?läft toie 
Blücher. Ulan hat ben OurchfaQ obet Kopffchmer3en toie Blücher. 3 ft man fd)®er 
erfältet, fo nieft unb huftet man toie Blücher. 

U)er reiche Kenntniffe hat unb gut unterrichtet ift, ift im Bilbe. Diefe IDenbung 
ift ben $Hegern fo 3ur ©ewoljnheit getoorben, baß man fie in $ranfrei<h bisweilen 
höchft ungehalten 3U ben pifangs fagen hörte: „vous n’fites pas dans l’image!“ DJet 
nicht im Bilbe ift, ift ein armer 3 rrer obet ein armer Rtann, roobei ber fjauptton 
auf Rtann ruht. 3 ft ein Oorgefeßter über bie $liegetei nicht im Bilbe, fo muß et 
feguell aufgellätt werben. 3 tonifch ift bie Be3eichnung ein taufrifeßet ernfter 
XRann. Die wirtliche ober 3Ut Schau getragene Arglofigleit wirb ausgebrüdt mit ben 
IDorten: „fo gan3 bumm" ober: „fo gan3 traumoerloren". Dämmert bei jemanb bas 
Derftänbnis allmählich auf, fo fagt man: „©iblidj hat ber Bod gemeiert." Betätigt 
man einem anbeten bie Richtigkeit feiner Behauptung, fo barf man bas mit ben IDorten 
tun: „Das tann man wohl 3witfchem" (hiet3u ©gän3ung 5). 



Selbfttätigfeit ober Drill im Ked)tf<f)teibunterrid)t? Don (Ernft £üttge 469 


Selbjttätigkeit 06 er Drill im Bed)tjd)reibunterrid)t? 

Don ©rnft tätige in Ceipjig. 

Der Rechtfchreibunterricht fdjeint ber Derroirflichung bes Arbeitsgebanfens oon 
allen Cehrgegenftänben am roenigften günftig 3U fein. Die 3afjlteicf)en Unregelmäßig» 
feiten bet geltenden Orthographie fotbetn bas medjanifdje ©inprägen gegebener Schrift* 
bilbet, ohne baß es möglich roäte, ben Spület 311m ©arbeiten, 311m felbftänbigen 
$inben an3uleiten. fjeje, fjädfel, roedffeln, tDadfs — ober: Schale, Saal, Bahn — 
ober: Biene, IRine, ITCtene, ihn, Dieh — roo bleibt hier bas ©efeßmäßige, Hatür* 
liehe, mit beffen fjilfe bie Schriftform bet tDörter etjdjloffen roerben fönnte? So taffen 
fi<h aus unferen Übungsbüchern jahlteidje IDortgruppen beibringen, in benen bei 
gleichem Klange hoch gan3 oerfdjiebene Sdjriftjeidjen gebraucht toetben muffen. 
Kein IDunber, baß ber Ruf nach Deteinfadjung ber Orthographie gerabe oon Schul* 
männern immer aufs neue erhoben toitb, unb fein IDunber auch, baß 1 ° mancher oon 
oornherein jeben Detfuch aufgibt, auch biefem Unterricht Bilbungsroerte ab3ugeroin* 
nen, unb ihn entroeber geringfehäßig oernachläffigt ober 3um Drill feine 3 ufludjt nimmt. 

Aber oielleicht ift für biefen Rlißftanb nicht bie Orthographie allein oerantroort* 
lieh 3U machen, fonbern auch Me bisherige Art ihrer unterriehtliehen Behanblung? 
Dielleicht untetfehäßt ober überfieht man bie toirflichen Bilbungsroerte bes Recht* 
fchreibunterrichts ober hat noch nicht bas geeignetfte Derfahren gefunben, um fie 3U 
nüßen? Dielleicht auch mürbe eine Dereinfachung bet Orthographie, etroa nach bent 
Phonetifchen Prin3ip, an fich noch gar nicht bie (Erleichterung bringen, nach ber bie 
Schule jo feljt oerlangt? 

©atfächlich fann man bem üblichen Rechtfchreibunterricht ben Dortourf nicht 
erfparen, baß er bem geiftlofen Drill mehr Raum gemährt, als bie Hatut ber gelten* 
ben Orthographie nötig macht. Bei all ihrer Unregelmäßigfeit fteht bie Orthographie 
boch in fo mannigfacher Be3iehung 3um Sprachleben, baß es roohl möglich roäte, 
ihr oon biefet Seite her, alfo auf bilbenbe tDeife, beyufommen. IDarum fteigert fich 
bie Orthographie (Einfidjt unb Sicherheit bes Schülers mit 3unehmenber geiftiger 
Reife? Doch mohl infolge feines toachfenben Derftänbniffes für bas £eben bet Rlutter* 
fprache. Der Drill allein mürbe bas nicht bemitfen, meil er gar nicht alle möglichen 
Sälle oorfehen fann. Aber bas tiefere Derftänbnis für ben Sinn bes gefprodjenen 
IDottes, bie (Eirtfidjt in ben logifdjen unb mortoermanbtfdjaftlichen 3ufammenhang, 
bie oerfeinerte Unterfcheibungsfähigfeit für lautliche Derhältniffe, bie IDefentliches 
unb 3ufälliges 3U fcheiben roeiß: bas alles führt im 3ufammenroitfen 3u einet menn 
auch mehr gefühlsmäßigen als bewußten Sicherheit im Beftimmen ber fdjtifüiehen 
tDortform. Aus biefet ©atfaeße ergeben fich Richtlinien für ein Derfahren, bei bem 
fich bie Selbfttätigfeit bes Schülers in Anfptuch nehmen läßt. 

Dagegen roirb man einmenben, bas alles fei auch bisher betücffkhtigt rootben; 
aber biefe Bilbungsroerte ber Orthographie feien fo überrouchert oon bem ©eftrüpp 
tegellofer Buchftabenoerbinbungen, baß man fie feßmer 3ut ©eltung bringen tonne. 
Das übliche Derfahren im Rechtfchreibunterricht macht biefen ©inroanb etflärltd}. 
flbet mir nrill cs jdjeinert, als mürben im Unterricht Me Sdjmierigteiten noch lünftlidj 



470 


Setbftt&tigleit ober Drill im Redjtfd}reibunterri<f)t? 


öaburd} oermehrt, baß matt fi<h 3uoiel, oft ausf<hließli<h mit Öen Orthographien 
flbjonöerlidjfeiten unö $einheiten befdjäftigt unö öarüber öas ©runblegenbe, Regel» 
mäßige, öas natürliche unö Bemünftige »ergibt. Da meröen 3. B. mit größter ®e» 
nauigfeit unö ©rünblidjfeit öie fchmierigften SäHe öet ©roß» unö Kleinfchreibuttg 
behanbelt („aufs äußerfte" ober „aufs Äußerfte"?), obgleich nielleidjt ein großer Seil 
öer Schüler nicht einmal imftanöe ift, ein »ort auf ©runb genauer £autunterf<hei» 
öung burdj gutes Sprechen unö hören richtig 3U fdjteiben. tDenn öer Center fetter 
erft 3um Duöen greifen muß, um einen fraglichen Rechtfchreibfall 3U entfcfjeiben, 
follte man es hoch öem Spüler nid}t als $ehlet anrechnen, roenn er fich in bergleidjen 
Sailen nach öem fltaße eigener ©nfidjt ober eigenen Sprachgefühls entfdjeibet. 
Keinen Schriftfteller mürbe man ob folget $reil}eit öem Buben gegenüber 3m Recken» 
fchaft 3iehen, roarum Öen Schüler? 

fjanöelt es fi<h in $ällen mie öem foeben ermähnten um praftifch belanglofe ortljo» 
graphifche Unterfdjeiöungen, fo meröen anöererfeits unumgängliche Sd}roierigleiten 
unnötigerroeife im Unterrichte jo gehäuft, baß öer Schüler ein garg falfches Bilö oon 
öet Uatur unferer Rechtfehreibung erhält. Ba meröen ihm 3. B. bei öem Kapitel Dort 
öer Behnung öie örei oerfchieöenen Be3ei<hnungen öes langen a=£autes bur<h a, ah, <10 
gkidjjeitig ober öoeh fut3 nacheinanöer oor Rügen geführt unö in langen »Örter* 
reihen geübt: IDare, Uame, h®fe, Rafen, Sal — Rar, flal, Jjaar, Saal, Saat — Bahn, 
3 ahl, tBahl, h®h n i 3 ®h r - Da muß öer Schüler natürlich 3U öet RTeinung lommen, bafj 
tn öer Orthographie nur »iQtür herrfdjt; ein öentenöes (Erarbeiten erfefjeint ihm non 
DOtnhetein ausfichtslos, unö er fudjt ji<h öie Buchftabetmerbinöungen me<h®mfch ein» 
3uprägen. Ber ©folg ift befannt unö öie Rotmenöigteit öes Brills anfdjeinenb begrünbet. 

Aber biefes 3 ufammenftellen unö gleidtfeitige ©nüben öet »örterreihen ent» 
Jpricht gar nicht ihrem Bortommen unö öet praftifchen Beöeutung öer örei oerfdjie» 
öerten^ Schreibmeifen. RTan nehme Öen erftbeften Sdjülerauffaß ober öas erftbefte 
efeftüd unö ftelle öarnach öie örei »ortreihen her: es mirö fich ergeben, baß bie 
ehnungsbe 3 eichnung ah gan3 feiten unö aa fogar oerfchroinöenö feiten oorfommt 
n fjebels ©3äljlung „Ber geheilte Patient" finbe ich öie unbe3eid}nete Behnung 
oes a=£autes, alfo »Örter mit einfachem a, 70 mal, öie öurch ah bejeichnete nur 
mal. 3 n Stöbers ©3ählung „Ber Heine $rieöensbote" finö öie entfpre^enöen 
len 61 unö 8, in örei Schülerauffäßen 37 unö 2, 39 unö 3, 25 unö 2, in einem acht 
Setten langen $elöpoftbriefe 62 unö 3 — aa lommt in Öen genannten Stüden überhaupt 
m<ht oor! fluch fonft noch habe ich eine große 3<>hl non fluffäßen, £efeftüden unb flb» 
. 11 un 9en öaraufhin geprüft unö überall im großen unö gan3en öasfelbe Derhält* 
rus gefunöen, nämlich etma 90 % aller geöehnten a»£aute öurch einfaches a be3eicf) 5 
net. 3 u ähnlichen ©gebniffen mürbe man auch *ei anöeren Re^tfchreibfallen ge» 
angen, 3. B. bei öem langen i»£aute, nur öaß hier nicht öas einfache i, fonöem ie 
öte regelmäßige Be3eichnung ift. Baß in Öen IDörterreihen öer Orthographie« 
uoungsbudjer öte 3 ahl öer Ausnahmen meit größer ift, erflärt fich öaraus, öaß h« T 
oet üollftanöigtext megen auch »tele feiten oortommenöe »Örter herangejogen 
»eröen, 3um Seil »Örter, öie öem Schüler, außer in öet Rechtfchreibftunöe, niemals 
»tebet unter öie $eber fornmen. 

ermnUrrt be i s $ Iu fef°l9erungen für öie Unterrichtsprajis 3unä<hft bei bem 

ahnten Rechtfchreibfall 3U bleiben, fo liegt bod? öer ©ebanfe nahe, öaß öer Schüler 



Don (Emft Cfittge 


471 


anfangs gewöhnt roeröen müßte, Öen langen a*£aut immer öurdj einfaches a 3u 
be3eid|nen. geiler roüröen öann fdjUmmftenfalls nidjt öfter votlommen, als öie 
Dehnung öurdj aß oöer aa auftritt, ö. ß. alfo äußerft feiten, unö in Öen unteren Klaf* 
fen fönnte man fich öamit feßr rooßl abfinöen. fjat öet Schüler öie lauttreue Schrei* 
bung öes a*£autes einmal als öas natürliche unö normale erfannt, fo roirö ihm öie 
abroeidjenöe Schreibung ah oöer aa, roo fie auftritt, leicht ins fluge fallen unö fich ihm 
mit Öen verhältnismäßig feiten votfommenöen EDörtern auch einprägen: beim £efen 
oöer bei gelegentlicher Befptecfjung in öer fluffaß® oöer Diftatftunöe. (Er roirö öann 
nicht, roie es jeßt fo häufig oortommt, in 3ooeifelsfäIten aufs ©eraterooßl eine öer 
örei möglichen Be3eidjnungsroeifen öes langen a*£autes roählen, fonöern fi<h 3unächft 
an öie holten, öie fich tß m aus öem roirtlidjen £autbeftanö öes 3U fdjteibenöen IDortes 
ergibt. IHinöeftens in 9 gällen von 10 trifft er öamit öas nichtige. 

(Es roüröe hier 3u roeit führen, roollten roir in eine Unterfuchung öarübet ein* 
treten, in welchem Umfange öas ©efagte auch fm öie anöeren Redjtfdjreibfälle gilt. 
Sicher ift ja, baß in unferer ©rthographie öas phonetifche Prin3ip vorßerrfcht; 
öas Blaß läßt fich freilich fdjroer beftimmen, roeil öie Dotausfeßung Öa3u eine einheit* 
ließe flusfptadje roäre. Oie 3 äßlung Rtoßts, roonach 68,5 % aller UJörter lauttreu 
gefchtieben roeröen 1 ), ift vielfach angefodjten rooröen; aber öaß fie fich nicht all3uroeit 
von öet tDahrheit entfernt, ift mir felbft öurd; häufige 3 ählungen an Schületauffäßen 
3ur ©eroißheit gerootöen. man gelangt fogat 3U einem noch höhnten Pro3entfaße, 
roenn man nidjt öie IDörter mit pßonetifdjer Schreibung 3ählt, fonöern öie (Euyel* 
laute in feöem U)orte, öie öer flusfptadje gemäß be3eidjnet roeröen. So viel fteßt 
ieöenfalls feft, öaß einSdjüler, öet 3ur genauen £autuntetf<heiöung befähigt ift unö öie 
Sdjriftbilöer beim Redjtfdjreiben aus guter flusfptadje ßetleitet, Öen allergrößten 
Heil öes gebräuchlichen EDortfdjaßes richtig fdjteiben roüröe. Don öiefem Heil öes 
EOortfdjaßes braunen ihm alfo öie Sdjriftbilöer nidjt eingeörillt 3U roeröen, fonöern 
er tann fie fich bei richtiger Leitung roitflidj felbft erarbeiten — falls et geroöljnt 
rooröen ift, jeöes U)ott gut aus3ufprechen unö öie <Ein3ellaute heraus3uljöten. 

Damit aber berühren roir öie fdjroädjfte Stelle unferes Redjtfdjreibunterridjts, 
ja unferes Deutfdjunterridjts überhaupt. Denn eben öiefe Dotausfeßung, eine gtünö* 
ließe £autfdjulung, ift 3U feiten vorhanöen unö roirö 3U feiten öurdj Öen Unterricht et* 
ftrebt. U)it finö im Deutfdjunterricht leiöet nodj nidjt fo roeit gelommen, öaß roir 
öen öeuifdjen Sprachlaut mit öerfelben Sorgfalt pflegten roie im frembfpradjlidjen 
Unterricht etroa Öen fran3öfifdjen. Daß öas ©ßt öes Schülers für öie feineren £aut* 
unterfdjieöe gejdjärft, fein Sptadjroerl3eug in öet fauberen Beugung jeöes (Ein3el* 
lautes planmäßig geübt roetöe, hält man in öet mutterfpradje meift für überflüffig. 
tjier ridjtet fid? edle Sorgfalt auf öas Sdjriftbilö öes tDortes unö auf öie Budjftaben 
öarin, unö man ift außeroröentlidj empfinölidj gegen jeöe flbroeidjung von öer amt* 
Udj feftgefeßten Schreibung — geroiß mit Redjt. tDenn man nur auch ebenfo empfinö* 
lieh roäre gegen jeöe Detleßung öes gefprodjenen EDortes! U)enn man nur auch 
öem lebenöigen <Ein3eHaute im gluß öer münölichen Reöe in gleichem maße fein Recht 
roetöen ließe! Dann erft roäre man berechtigt, tjilöebranös gotöetung, öaß öas tjaupt* 
geroidjt auf öie münölidje Sptadje 3u legen fei, im Ittunöe 3U führen. Unö öann roüröe 


1) Unfere ITIetljoöe öet Redjtfdjreibung. glensbutg. 



472 


Selbfttätigfeit ober Drill im Rcd)tfd)reibunterrid|t? 


audj bet Redjtfdjreibunterridjt oiel oon {einet Sdjroierigfeit oetlieten, unb et mürbe 
not allem eine roitflidj bilbenbe (Beftaltung, eine ©eftaltung nadj bem ©tunb(a|e 
bet Selbfttätigfeit 3Ulaffen. Ulan fäbe bann in unferer (Orthographie nidjt immer blofe 
bas Regellofe unb IDiHfürlidje, fonbem man fänbe barin audj bas Demünftige, 
fetpnäfeige, natürliche, nämlich ben 3ufammenhang bet (djriftlidjen tDortgeftalt mit 
bem £eben bet Spradje, bie Abljängigfeit bes Budjftabens oon bem lebenbigen Sprarfj* 
laute. (Es bebütfte bann feines Drills, um ben Sdjüler baljin 3U bringen, bafe et (tritt 
mit boppeltem Rtitlaut fdjreibt trotj (treiten, ober erfcfjraf mit einfachem f trot) 
etfdjteden, ober Bucht mit dj trotj biegen unb Bug. Denn et hört unb empfin» 
bet beim Sprechen ben Unterfdjieb 3roifdjen langem unb hugem Selbftlaut, unb — 
oorausgejetjt natürlich, bafj er mit bem £autmert bet Budjftaben oertraut i|t — er 
fdjreibt, roas et fpridjt unb fjört. 

Sreilicfi bliebe auch bann immet nodj ein nidjt unbettäd}tlidjer Reft bes ortfjo* 
grapfjifdjen £eljrftoffes, bem toebet allein oom £aute aus nodj butdj Iladjöenien über 
roortoetmanbtfdjaftlidje unb logifdjc 3u(ammenljänge beyufommen i(t. Aber aud| 
bei biejem Heile bes EDortfcfjatjes Ijanbelt es (ich bodj (eiten um meljt als einen Budj 5 
(taben, bet im Sdjriftbilb als lautfremb medjanifd} eingeptägt toerben mufj, roie 3. B. 
in $aljne bas h» toäljrenb (ich bie übrigen — in bie(em Salle 80 % — mit fjilfe bes 
£autbemufjtfeins getoinnen laffen. Unb bet lautfrembe Budjftabe toitb um (0 leistet 
gemetft, je beutlidjer er oom Spület als nidjt in bas Sdjriftbilb hineingehörig eriannt 
roirb. £eibet fehlt beute nodj ben meiften Sdjülern bie ljier3u nötige £autfdjulun<). 
Sie finb oon Anfang an gemöljnt roorben, beim Redjtfdjreiben nur mit Budjftaben ju 
hantieren. Sie roiffen roobl oon langen unb fmgen Selbftlauten unb beten oerfdjie* 
benet Be3eidjnung 3U reben, aber fie böten unb empfinben beim Spielen nidjt 
ben Unterfdjieb in ben £auten, fonbem roiffen nur auf < 5 runb ihrer Sdjriftbilbtennt» 
nis an3ugeben, bafj 3. B. in $aljne ein langes, in Pfanne ein fmges a ootfomml 
Diefet Utangel, ben toit felbft bei Sdjülern mit guter Ausfptadje finben, ift bei bem 
üblichen Betrieb bes Redjtfdjreibunterridjts unoermeiblidj. Da bet Unterricht bem 
Schüler fein Prh^ip 3um Bemufjtfein bringt, bas ihn beim felbftänbigen (Erarbeiten 
bet Sdjriftbilber leiten fönnte, mufj et mit feinen fyftematijdj oollftanbigen IDörter* 
reiben nur Dertoirrung et3eugen. 3 n bem Sdjroanfen 3toifdjen oetfdjiebenen Be* 
3eidjnungstoeifen, etroa 3roifchen a, ab unb aa, fieht fidj bet Schüler entroeber auf bas 
unfidjere Sdjriftbilbgebädjtnis angetoiefen ober aufs Raten, unb et fdjreibt babei 
auch foldje Wörter falfdj, bie fidj gan3 nadj ber Ausfptadje richten. Ware ib m ö® 5 
Redjtfdjreiben als bemühtes £autbarftellen geläufig, fo roürbe er nicht blofj feljt f*ßen 
fdjmanfen, roeil et mit biefer $ähigfeit ben größten Heil bes Wortfdjatjes fidjer be s 
herrfdjte, fonbem es mürben ihm bie abtoeidjenben Salle megen ihrer ©egenfä^lidjteit 
3um hertfdjenben Prirgip audj leidjter auffallen unb bauetnber fid} einprägen. 

(Eine roefentlidje (Erleichterung bes Redjtfdjreibunterridjts erhoffen oiele non 
einer ©rtljogtaphiereform, bie bem pbonetifdjen Prin3ip 3Ut ausfdjliefelidjen (Bettung 
oerljilft; bann brauche ber Unterricht, meint man, nidjt mehr finnlofe Budjftaben* 
oetbinbungen ein3upaufen, fonbem bas Sdjriftbilb läge in bem £autbilbe bes gefpto* 
ebenen Wortes flat oorge3eidjnet. Diefe (E r m a ttung ift aber nur unter ber Dotaus* 
fetjung berechtigt, bafj es mit bet Pflege einer guten Ausfptadje redjt emft genommen 
roetbe, roeit emfter als bisher, bafj oor allem audj bie £ehter felber fidj gtünblicb mit 



Don (Ernft Cüttge 


473 


öer £autfunöe oertraut machen — ttidjt bloß tßeoretifcß, fonöem aucß praftifcß im 
münblicßen (Sebraucß öet Rlutterfprache. £eicßter roüröe öet Recßtfcßreibunterricßt 
unter öie|er Dotausfeßung geroiß nicßt, unö roeniger Kraftaufroanö roüröe öie Aneignung 
bet ©rtßograpßie non öem Spület aucß nicßt etfotöern. Denn öie $äßigfeit, öas 
Scfjtiftbilö eines tDortes aus öem £autbilöe felbftänbig ab3uleiten, ift nur 3U erreichen 
öutcß grünölicße, planmäßige fjöt* unö Sprechübungen, unö fie etforöert eine unaus* 
gefeßte Selbföucßt öes fprecßenben unö fcßteibenöen Schülers. Aber es roäre bann 
3u ermatten, öaß man Öen Red}tfcßreibunterricßt nicht mehr leöiglich als eine Sache öes 
(Sebäcßtmffes unö öes Drills beßanbelte; roenigftens märe niemanö berechtigt, für 
feinen geiftlofen Drill öie ©rtßograpßie oerantroortlicß 3u machen. Unö öie Pflege 
einer guten Ausfprache, öie Schulung öes ©ßtes fut öie feineren £autunterfcßiebe 
beöeutet einen Bilöungsgeminn non hohem (Eigenroerte, öet nicßt bloß um ber Recht* 
fcßreibung mülen erftrebensmert ift. Da aber öer übliche Sprachunterricht nun ein* 
mal öas gebrudte unö gefcßriebene IDort als 3i®tpunft feiner fjauptforge betrachtet, 
muß man fchon 3ufrieöen fein, menn menigftens öie Rüdficßt auf öie Recßtfcßreibung 
Öa3u nötigt, öem Spracßlaute fein Recht meröen 3U laffen. Unö öiefe Rötigung ift, 
roie gejagt, fchon in unferer feßt geltenden ©rthographie in beöeutenöem UTaße not* 
ßanöen, unö menn man ißt meßt als bisßer folgte, jo mürbe babutcß nicßt bloß öet 
Bilöungsmert öes Rechtfcßreibunterrichts gefteigert, fonöem 3ugleicß auch öie !om* 
menöe ©rtßograpßiereform mirtfam oorbereitet. 

Daß mit öem allen öie großen IRängel unferer ©rtßograpßie unö öie Schmierig* 
feiten ißter untetridjtlicßen Beßanölung feinesmegs abgeleugnet meröen, brauche 
ich nicßt noch befonöers ßeroot3ußeben. 3 cf] möchte nur öer roeitoerbreiteten Annaßme 
entgegentreten, öaß öie ein3ig nüßliche Unterricßtsfotm ßier öet Drill fei. ©ßne oieles 
üben mirö ja auch öer befte Recßtfcßreibunterricßt für jeßt unö alle 3 ufunft nicht aus* 
fommen fönnen. Aber öas ift fein (Srunb, ißn anöeten £eßtfächetn gegenüber als 
minöermertig gering 3u fcßäßen ober 3u oernachläffigen. Auch ißnt finö Bilöungs* 
merte eigen, öie Öen non ißm beanfptucßten Aufmanö oon 3 eit unö Ktaft rooßl loß* 
nen. (Es fommt nur öarauf an, fie gegenüber öem fuß oorötängenöen Unmefentlicßen 
unö Hebenfächlicßen 3ut (Seltung 3U bringen. Diefe Bilöungsmerte liegen oor allem 
in öem 3 ufammenßange öes Recßtjcßreibens mit öer Iebenöigen ITtenjcßenreöe, öem 
Üingenöen Spracßlaute. Sie liegen außetöem, rooran mit fut3 erinnert fei, in Öen 
etymologifcßen unö logifcßen Be3ießungen öet fchriftlidjen §ormen 3U öem 3 nßalt 
unö öem £eben öet Sprache. (Es gibt in öet Recßtfcßteibung oieles, mas fid] 9<ur nicßt 
rein mecßanifcß, fonöem nur öurcß Racßöenfen unö fcßarfe begriffliche Unterfcßeibung 
ober öurcß ein geflärtes Sptacßgefüßl aneignen läßt. U)ollen mir unfere ©rtßogra* 
pßie öesßalb fcßelten, meil fie 3ur Dertiefung in Öen Sinn öet U)örter, 3U fptacßlicßen 
Denfübungen nötigt ober öocß Anlaß gibt? (Seroiß ift es für ortßograpßifcße 3 ®ede 
3iemlicß belanglos, ob icß „aufs äußerfte" ober „aufs Außerfte" fcßteibe; aber öas 
Uacßbenfen über folcße Unterfcßiebe ift nicßt mertlos, unö es roäre ein Seßler, menn 
öet Sprachunterricht auf öerartige Denfübungen oeigicßten mollte. Rur foll man Öen 
fjauptgeroinn nicßt in öet Unterfcßeibung oon äu unö Au fucßen. Ulan fann fo mancße 
ottßogtapßifcßc Außerlicßfeit als übetflüffig anfeßen unö ißre Befeitigung anftrebert; 
aber man fann fie troßöem, folange fie nun einmal gilt, als Anrei3 3Ut Dertiefung in 
öas £eben öer Rlutterfprache oerroerten. 



474 


Die fd)riftti$en Übungen im beutfdjen Unterrid)t ber Utittelltoffen 


Die fdjtiftlidjen Übungen int beutjcijen Unterrid|t 
bet titittelblaffen. 

Don Qans Paßfdjfe in Sdjtoiebus. 

Der Rlinifterialerlaß oom 21. ©ftober 1911 hat „ortijograp^dje unb_ 

beutle Klaffenübungen" auch bem £el}ret bes Deutfcßen in ben mittleren Klaffen 
bet fyöfyeren Spulen 3ur Pflicht gemacht. Seit biefer 3 *ü finb Derfudje in biefer 
Richtung angeftellt unb (Erfahrungen gefammelt toorben. Die folgenbe Ausführung 
tuill fid} mit foldjen Derfudjen unb (Erfahrungen fut3 befaffen. 

©egen bie fd}tiftlid}en Übungen im beutfdjen Unterricht taffen fid} eine Reih* 
non ©inmänben erheben, ©oethe fagt mit Recht im 10. Buche feinet £ebensbefd}tei s 
bung; „Schreiben ift ein mißbrauch öer Sprache, fülle für fid} lefen ein trauriges 
Surrogat ber Rebe." fjitbebranb pflichtet ihm in feinem befannten IDerfe „Dom 
beutfdjen Sprachunterricht" S. 6 mit ben tDorten bei: „Das fjauptgemid}t follte auf 
bie gefprodjene unb gehörte Sprache gelegt ©erben, nicht auf bie gefchriebene unb 
gef ebene." Somit fdjeint es, als brängten fid} bie fdjriftlichen Übungen 3U Unrecht 
in einen Unterricht ein, beffen fjauptöor3ug bie unmittelbare tDirfung bes gefprodje* 
nen Wortes auf fjet3 unb ©ßr öes Schülers fein foU. 

(Ein anberer ©inmanb lägt fich bamit begrünben, baß bem beutfdjen Unterricht, 
°u^ in Öen Uiittelflaffen, nur roenige Stunben 3ubemeffen feien unb baß biefe Durch 
fd}riftlidje Übungen noch mehr als bisher belaftet mürben. 

©egen ben 3®eiten (Einroanb lägt fid} menig fagen; ber erfte mitb oiefleicht 
burch Öen tjinmeis einigermaßen entfräftet, baß ber beutfd}e Unterricht bet IRittel* 
«affen nicht nur literarifdje unb äftßetifcße IDerte 3U übermitteln, fonbern aud} ganj 
reale grammatifcße unb ftüiftifche Kenntniffe bei 3 ubringen hat. 

Stoff für bie Übungen bietet fid} in reichlicher $ülte. nichtige Anregungen 
gibtjunäcßft ber beutfcfje Auffaß. Bei jeber Durchfid}t eines Auffaßes legt fid} bet 
eurteilenbe £eßrer ein De^eicßnis ber oorfommenben $eßler an. Dergleidjt et 
ic|c $el}lerlifte mit früheren, fo meröen fid} unter öer Hlenge 6er (Eittjelfeljlet balö 
immer mieberfeßrenbe ©rappen ber gleichen $eßler herausheben. 

3 n ber Redjtfdjreibung 3. B. herrfdjt auch auf biefer Stufe noch Unfidjerifeit 
™ ri( ^ ti 9 c n Schreibung ber großen unb tleinen Anfangsbuchftaben beftimmtei 
XDortoerbinbungen. Audj finb Detmedjfelungen oon „bas" unb „baß", „toibet“ 
unb mteber", oon auslautenbem ft unb ßt nid?t feiten, ©benfo meifen Srembmörtet 
paufig eine fehlerhafte Schreibung auf. Derartige Seßletgtuppen merben nun bei 
er üdgabe bes Auffaßes befprodjen. Die ißrer Schreibung 3ugranbe liegenben 
ege n merben erläutert unb batauf bas richtige Bilb ber IDortgruppen an bet IDanb* 
tafel gegeben. 3 n nachfolgenben Übungen iann fpäter leicht feftgeftellt merben, 
ob nunmeljr Me ,an 5 e Klaffe bie rMjtije Sd,reibart erfaßt (et 
fl w .T* Derl?äIt cs f icf > mit öer Dertiefung ber Regeln ber 3ci(hcnfcgung. 

y j .^ tcn be 5 timmte S®hkr immer mieber. 3 cß erinnere nur an bie Regeln, 
bier &C * ,,unb " unb Dor Snfinitiofäßen mit „3U" betreffen, fluch 

T h« roteberholte Befprecßung ber mid}tigften Regeln unb ißre Anmenbung 



Don £7ans pagfcgte 


475 


in paffenben übungsfägen allmäglicg 3um gän3licgen Derfcgtoinben biefer Seglet- 
Sreilicg lommt aucg gier nur öie Beganblung folget Regeln in Betragt, aus öeren 
Durcgnagme nacg einem IDorte Paulfens „ficg eine allgemeine Belehrung ergibt". 

3 u grammatifcgen Übungen gibt äuget Rtiggriffen im Auffag aucg bas gtamma* 
tifcge Penfunt ber Gertien Detanlaffung. (Einem Untertertianer toirb es nocfj buttg* 
aus biettlicg fein, einmal aus einem Cefeftüde Beifpiele für ftarle, fcgroacge unb ge* 
tnifcgte PeÜination ober bie Ablautsteigen (tarier Derba, ettoa mit fjinjufügung 
ber Präfens* unb Präteritalformen bes Konjunftios im übungsgefte aufeuftellen. 
3 n ber Saglegre toirb ficg bas erarbeitete Derftänönis gut nadjptüfen laffen, toenn 
in einet fcgriftlicgen Übung in einem Subjeft* ober ©bjeftfag bie Scgüler ben betreffen* 
ben Hebenfag toitllicg burcg ein pajfenbes Subftantioum erfegen. Agnficges gilt 
oon ben Aboetbialfägen ober bem burcg 3 <*glen 3U Ienn3eicgnenben Abgängigleits* 
grab aufeinanber folgenber Rebenfäge. (Enblicg bietet jebes Sefebucg Beifpiele birefter 
Rebe, bie ficg nacg oorausgegangener Befpredjung im übungsgefte in inbirefte Rebe 
umtoanbeln lägt. 

Über bie Dorteile, bie bie bisger gefenn3eicgneten Arten ber fcgriftlicgen Übungen 
bieten, batf folgenbes begauptet toetben. Der Gatfacge 3ufolge, bag bas laute Cefen 
3um minbeften bei bet gäuslicgen Arbeit bet Scgüler oernacgläffigt unb bas taftge 
Augenlefen 3U fegt geübt toirb, gaftet im ©ebäcgtrris oieler Sdgület bas BJortbilb 
fcglecgter als bas Scgriftbilb. Die Übungen etfotbetn aber eine ftarle Betonung 
bes Scgriftbilbes. IDeiter toirb bie Aufmerlfamleit mancger Scgüler günftig beein* 
flugt toetben, toenn fie toiffen, bag fie in ftuget 3 eit ben fcgriftlicgen Betoeis igret 
neugetoonnenen ober oertieften Kenntniffe 3U erbringen gaben. Durcg möglicgfte 
flbtoecgfelung in ben Übungen bleibt igt einmal enoedtes 3 ntereffe toeiter ergalten. 
(Enblicg getoägrt bie Durcgficgt ber Übungsgefte bem Cegrer bie IRöglicgleit einet 
planoollen IDiebergolung einet nocg nicgt ober nur galb oerftanbenen Regel ober 
bie erfreuliege (Einficgt in bas nunmegt et3ielte allgemeine Derftänbnis feiner 
Scgüler. 

Dot allem toirb natürlicg ber Cefeftoff ber Klaffe immer toieber 3U fcgriftlicgen 
Übungen Deranlaffung geben. Die ©üte eines (eben Auffages berugt niegt 3ulegt 
auf einer bis in ben Ileinften (Eitqe^ug buregbaegten ©lieberung. U)enn anbers 
ber Auffag, befonbers bet oberen Klaffen, toeniger eine piaubetei über Stimmungen 
unb Augenblidseinbrüde als oielmegr eine planooll angelegte unb flar burcggefügrte 
Abganblung eines beftimmten Stoffes fein foll, fo ift auf ber Rlittelftufe gierfüt 
bie nötige Dorarbeit 3U leiften. 3 m Anfcglug an Cefeftüde unb ©ebiegte finb besgalb 
fegon in ben Gertien gäufig ©lieberungen untet Rtitgilfe ber gan3en Klaffe 3U ent* 
aerfen, an ber Gafel an3ufcgreiben unb fcglieglicg, unabgängig oon ber Uafcl, ins 
übungsgeft 3U übertragen. 3 n ber Unterfefunba finb gelegentlicg aueg unoorberei* 
tete ©lieberungen nieberjufegreiben. Au cg gierbei lattn bet £egrer fcgnell unb gut 
etlennen, imoietoeit bie Scgüler 3U felbftänbiger ©lieberung eines in bet Klaffe 
befproegenen Stoffes imftanbe finb. Denn bie als Hausarbeit 3U fertigenben ©liebe* 
tungen ber Spület leiben im allgemeinen an ftärlfter Agnlicgleit, ba fie gemeinfam 
befproegen ober aus ben Heften ber befferen Scgüler abgefegrieben finb. An bie im 
Übungsgeft unoorbereitet oerfagten ©lieberungen lann fieg leiegt noeg bie Riebet* 
fegrift einet gemeinfam getoonnenen Rlufterglieberung anfcgßegen. Dag in folcgen 



476 Die fd)riftli<f)en Übungen im fceutfäen Unterricht in ben ntittefflaffen. Don^onspo^Ie 

©lieberungen audj Dergleicfje angeftetlt unb fo 3toei nacheinanöer beljanbelte Stoffe 
unter neuen ©efiehtspuntten oertnüpft unb oertieft roeröen tonnen, fei nod} ermähnt. 

3 <>hannes Boot (Ittethobif b. öeutfd). Unterr. in ö. unt. u. mittl. Klaffen Jfötjetet 
Ce^ranftalten) 3eigt S. 34 unö 35 an Beifpielen, toie mit fjilfe öer Hafel „jebes < 5 e= 
fe^ öer Utetrit unö Poetif inöuttio gefunöen" roeröen tönne. (Er gibt öann ein Schema 
öer Anforöerungen auf öiefem ©ebiete an öie Rlittelflaffen. Oie öort gegebenen 
Ijinroeife roeröen ebenfalls für fdjriftlidje Übungen benutzbar fein, ©elegentlid; taffen 
fidj audj beftimmte ITtittel öid)terifd;er Kunft bejpred;en unö Beifpiele etroa für ben 
Kontraft, Öen Binnenreim, öie Alliteration u. a. m. oon Öen Schülern im llbungs= 
Ijefte 3ufammenftellen. Reiche Anregungen hierfür bietet 3. B. Karl £. £eimbacf)s 
Auslegung oon Bürgers „IDilöem 3 äger" in Banö 1 feiner „Ausgeroafjlten beut* 
fdfen Dichtungen", 4 . Aufl., S. 78 , 79 . Auch ein Strop^enfdjema tann hin unb roieber 
ins Übungsheft eingetragen roeröen. 

Auf eine roeitere Art fdjriftlidjer Übungen oerroeift Karl Keinljaröt in feinem 
IDerf „Oie fchriftlichen Arbeiten in Öen preu^ifdjen höheren Cehranftalten", 2. Aufl., 
S. 69 ff. Oort roitö oon tur3en fchriftlichen Übungen berichtet, öie tjeirtric^ Bone 
feine^eit hat ootne^men laffen. Sie be3roe<tten oor allem „Klarheit, flnfdjaulii^teit 
unö Korreftljeit öes Ausöruds". „Kur3e Betreibungen gefeljener Dinge, eines 
Kaufes, eines Staöttores, eines Bilöes u. ögl. m." rouröen oorgenommen. (E^ielt 
roeröen foltte Klarheit unö (Einfachheit öes Ausöruds in IDorten, „öie eben öas tDaljr* 
genommene öarftellen unö nichts anöetes". 

Öafe folche alten IDaljrljeiten leidjt oergeffen, plötzlich aber roieber aufgefunben 
unö öann all3u leicht als oöllig neue (Entöedungen angepriefen roeröen, geht aus 
öem Auffatjprattifum für £ehret unö £aien heroor, öas Aöolf 3enfen unö Wilhelm 
£ams3us 3u Derfajfern hat unö „Oer tDeg 3um eigenen Stil" betitelt ift. ITtit ber 
©infeitigteit, öie ©ntöedern oft eigen ift, roirö hißt öie Rieberfehrift eines eigenen 
©rlebniffes, öas fdjriftliche $efthalten eines Augenblidsbilöes, öie Säuberung bet 
mroelt öes Kinöes als allein roüröig befunöen, in einem Auffatje behanöelt 3U tuet* 
Öen. So roenig eine öerartige Befdjräntung öer (Themata öer Aufgabe öes öeutfehen 
Auffahes an höheren Schulen gerecht roirö, für triftige Übungen auf öer Wittel* 
f ufe bietet öas genannte Praftifum eine Reihe roertooller Anregungen. 

Derartige Stilübungen müffen fofort in öer Klaffe »erlefen roeröen. „Oer Stil 
foll leben , fagt Rietjfche einmal. Das fann er aber nur, roenn er öie Probe lauten 
£efens befteht. £ernt öer Spüler höten, roas er lieft, unö „legt er fein ©h r öa6ei 
Sdjubfadj", fo roirö er auch öalö Derftänönis „für £änge unö Kürje bet 
Silben, für öie Snterpunttion, öie IDahl öer IDorte, öie Paufen, öie Reihenfolge 
öer Argumente" geroinnen (Riesche). 

So tommen öie fchriftlichen Übungen, öie fcheinbar öie unmittelbare Wirfung 
oes gesprochenen IDortes im öeutfehen Unterricht beeinträchtigen, öoeh roicöcr einer 
lebendigen profa, öie fid? am gefprochenen IDorte orientiert, 3ugute. 

.,, V'er gegebenen Anregungen roollten nur 3eigen, roie roertootl für Öen Unter* 
nZ. unö ® c abrocchfelungsreich fid? öie fchriftlichen Übungen geftalten laffen. 3 h« r 
mitoJn ^es Augenblids, öie aus öer Anregung oft nur roeniget Wi 5 

unb 9 c h c n- Aber fie tonnen, planooll betrieben, Öen öeutfehen Unterricht beleben 

ftuchten unö fo im «einen öeffen größeren Aufgaben ootbereitenöe Dienfte leiften. 



<Erjief|ung 3ur äftfjetifdjen tDertung. Don Ricfjarb Dolpers 


477 


(Et 3 ie^utig 3ur ä|tf)etifcf)en tDertung. 1 ) 

Don Rid}arö Dolpers in Biomberg. 

Der Krieg, Öen nrir erleben, warb tafd] ein großer Umwerter bislang feftftehenöer 
Kulturwerte. So manches unferer Urteile bat et oerworfen, fo manches anöere 
berichtigt. (Et bat unfer Dolt 3urüdgefül}rt 3U Öen Quellen feines Gebens, öafe es 
roieöet fänöe in fi<b felbft öie U)ut3eln feinet Kraft. 

Die Schule toitö öiefer Hatfadje Rechnung tragen muffen. Sie erlennt beute 
ihren Anteil an öer einmütigen patriotifchen (Erhebung; fie erfennt aber aud}, bafj es 
ein Glüd für unfer Dolt toar, öafe fie noch nicht abinte oon öem 3 iele: öie 3ugenb 
für öie Ration 3U et3ieben. Unö oielleicht roirö fie öiefes 3 iel noch fd}atfer ins Auge 
faffen müffen als bisher. 

(Ein großer Umwerter watö uns öer Krieg auf öem Gebiete öer Kunft, auf öem 
Gebiete öer Siteratur. 3 äh h fl t et unfere Augen geöffnet unö roie Spreu hinweg* 
gefegt, toas Krankhaftes unö Unnübes fich eingefdjlichen butte auf heiligen Boöen. 
Die Schule hat in 3 ufunft öie befonöere Aufgabe, öatan mitjuwirten, öafj nicht wieöer 
alfobalö falfche R)erte fid} feftfeben in äfthetifchen Dingen. Das gehört mit Öa3u, 
öamit fie ihr 3 iel immet mehr unö beffer eneiche. Unö fie tann es erreichen: öur«h 
€t3iehung 3um regten Urteil in äfthetifchen Dingen. 

Rieht erft währenb öes Krieges, auch fdjon früher, befonöers in öer lebten 3 eit 
oor öem Kriege, erhoben fid} Stimmen, öie mit öet Richtung öer (Entmidlung öes 
litetarifchen Sehens in Deutfd}lanö nid}t einoerftanben roaten. Unö es rouröe 3u= 
weilen redjt einöringlichft öaoot gewarnt, bafc öie äfthetifd}e Richtung in öer Sitera* 
tut all3u gtofeen (Einflub auf öie Schule gewinne. 3 et}t h“t öet Krieg, für Öen Augen* 
blid wenigftens, alles gutgemacht unö alle Gefahr befeitigt. Doch tft cs nötig, fid} 
einmal Re<henfd}aft barüber ab3ulegen, warum öenn öer Krieg geraöe aud] h* ct 
recht haben foll. Unö warum öie Schule für öie 3ufunft öie Aufgabe buben foll, öas 
(Erbe öes Krieges auch ouf öem Gebiete öer Siteratur 3U hüten unö 3U bewahren. 
Dielleidjt gefd}ieht öas aber einöringlid}er, jeöenfalls objettioer öurd} Geöanlenreihen, 
öeten $ormuIierung nicht erft unter öem ©nötud öer nationalen (Erhebung ftattfanö. 
(Der nachfolgenöe Auffab ift alfo bereits oor öem Kriege gefdjrieben woröen.) 

Ulan tann öie Schule unö ihre Aufgaben nicht trennen oon Öen Abfichten unö 
Hoffnungen, öie auf eine 3U oerwirtliQenöe Kultur gehen, mag öiefelbe nun befdjaf* 
fen fein, wie fie will. Unö geraöe öie Dielfeitigteit öet Abfid}ten unö öer Kultur* 
tenöen3en unferer 3 eit haben es mit fich gebracht, öab man (ich, wie übet öie Bewertung 
öer Kunft überhaupt unö öer Dichtung im befonöeren, fo auch uid}t über öie Art unö 
löeife einig ift, wie öiefelbe im Gefamtuntetrid}tsplan öer Schule ihre Aufgabe etfül* 
len tonne. Detfdjiebene Kulturabfidjten — oerfcbieöene Söfungen! 

1 . (Es ift tlar, erft nachöem man wieöer einmal öas Bilöungsiöeal reoiöierte 

1) Der Auffab bedt fid; nicht in allen Geilen mit Öen Anfchauungen, öie wir fonft oer* 
treten. XDir nehmen ihn aber gern auf als einen Beitrag 3 ur fd}weten Sage öer nationalen 
Ziehung unö als ein 3eid;en für öie Kräfte, öie oor öem Krieg an öet Arbeit mären unö mit 
(Ernft öie grobe nodj ungeahnte (Erhebung oorbereiten halfen. D. Hfl- 



478 


(Erteilung 3ur äfthetifdjen EDtrtung 


unb Unterrichtetem nicht mehr mit Bilbung gleichfefcte, mürbe Raum geraffen 
für eine bebeutfame Behanölung jener Bilbungselemente, bie ihren Qaitptfi^ nicht 
im Derftanbe haben, fonbern in bet Phantafie unb im (Befühl. Dahin mufete es 3U* 
nachft mieber tommen, roie es immer gefehlt, toenn eine Reattion einje^t gegen 
eine einseitige Derftanbesherrfchaft: bas (Befühl mufete im bejonbeten (Brabe unter* 
ftricfjen merben. So haben einmal bie Romantiter bas 3 citalter ber Aufflärung ab* 
getöft, bann aber gerabe burd? bie einfeitige Kultioierung ber äfthetifchen IDerte 
ein für allemal gejeigt, mohin ein falfcfyer IDeg führen muf}. Sie felbft roenigftens 
l?aben bas nachher ertannt unb jinb baoon 3urüctgetommen. 

3 n erfter Cinie (Ertenntnis juchten bie Romantiter in bet Kunft, eine ©emifeheit 
irrationaler Art, bie fi<h aus unmittelbarem Begreifen, „anfdjauenbem $üljlen" unb 
„fühlenbem Stauen" Verleitet. Die Kunft, bie baijin führen fotl, ntufe fid) im 4 t* 
leben erfdjöpfen. Dann Reifet „<Bebilbet*fein" fooiel toie „©eniefjemtönnen", unb $er» 
bittanb Aoenatius hat recht, roenn er fagt: „©Qieljung 3ur ©enufofähigtett Sollten 
mir fotbem unb biefe $orberung immer miebet aufs neue ausfptechen." natürlich 
ift man fidfi nicht überall ber getennseidjneten lebten Konfequeigen beroufet, bie in 
%en $olgerungen Hat3ulegen mir uns hier oerfagen muffen. 

Der Stanbpuntt bet rein äftljetifdjen Kultur mufe nun, in ejtremet IDeife »erfolgt, 
für bie Schule baljin fügten, bafc bet Kunftgenufe bas aHeirtige 3 iel bei ber Durchnahme 
einer Dichtung ift. Kunftgenuft 3U bieten, mürbe bemnadj bie Aufgabe ber Sdjule 
fein. Oie Kunft hat hier einen abfoluten tDert. 

Run ift aber fdjon »om pfycfjologifdjen Stanbpuntt barauf aufmertfam 3U machen, 
bafe ö« äfthetifche ©enufe niemals über fidj felbft Ijinausmeift. „(Er ift nichts weiter 
als bie »öllige Eingabe bes geniefjenben Subjetts an ben Rei3 bet tünftlerifdjen 
$orm. Oiefe tünftlerifdje $omt ift aber in teiner anbem IDeife in unferem Bewußt* 
fein, als burd} bas ©efütyl, mit bem mir auf ihren Rey reagieren. Oie fünftlerif^e 
$orm enthält als foldje nichts, bas uns oeranlaffen tonnte, aus bem ©enuffe heraus 
uns »erftanbesmäfeig mit iljr 3U befdjäftigen, unb bas ift ihre roidjtigfte (Eigentum* 
lidjfeit. (Es ift alfo oerfehlt, ben Kunftgenug in biefem einen Sinh als ©yieljungs* 
mittel 3U tünftlerifdjer ©enufjfähigteit benutzen 3U roollen." 1 ) Oiejenigen, bie, wie 
es neuerbings fo oft gefehlt, eine (Eyiehung »om Kunftgenufe Selber ermatten unb 
ftc^ auf bie barbietenbe ITTettjobe befdjränten möchten, begehen, „logifdj gefprodjen, 
eine fernere petitio principii". tDollte man bie nur barbietenbe IlTetfjobe bei bet 
Durchnahme ber ©ebidjte beibehalten, fo hätte bann bie (Eyiehung 3ur tünftlerif^en 
©enufjfähigteit auf anbere IDeife 3U erfolgen. 

3 n feiner ejtremften $orm mitb biefet Stanbpuntt allerbings taum »ettreten 
roaben. Die Schule menigftens hatte ihren Beruf oerfehlt, menn in iljt bas eyiehe* 
rtfd?e IRoment megfallen follte. Oie Spüler finb tein Publifum, bas »om beut* 
fqen Unterricht ein gemiffes Amüfement 3u ermatten t?at ober eine millfommene 
(Erholung »on ben übrigen müheoollen Stunben. 

2. Oie Sorberung einer (Eichung 3ut ©enufjfähigteit ift befonbers fett ben 
tvunfter 3 iehertagen betont morben unb auch in ber Schule mehr 3ut ©eltung getom* 
men . D as Ku nftroert als folches trat mehr in ben Dotbergrunb. Als befte Dorberei» 

öeutiilrTüntoridjt Bö. XU s^oj? " Kunftet}iel?un 9 unb GeHW-f-*- 




Don Ktdjorö Dolpers 47 g 

tung 3Utn fünftlerifchen ©enufc einer literorifchen Kunftform aber gilt es, »on früh 
an öem Spület eine enge Süßung mit ber ITiuttetfpradje 3U »ermitteln. tDenn fdjon 
auf Öen Unterftufen bie Schüler mit bem finnlichen ©ehalt bet Sprache oertraut 
gemalt roetben, bann finb bie ©ebidjte ITtufterbeifpiele, unb bie Spuler haben in 
bem ©rabe bes finnlidjen ©ehaltes eines ©ebidjtes »on oomhetein einen RtaMtab 
3ut Beroertung besfelben. 

Oer finnlich anfchaulidje ©ehalt eines Dichtroerles, melier Art es aud? fein 
mag, »ermittelt aber bie Stimmung, bie als ©runblage einet jeben ffinftlerifäen 
lOirlung 3U betrauten ift. ©s ift alfo bie erfte Stage, bie an eine Dichtung gefteQt 
“erben mufe, bie, ob bie Stimmung erreicht rootben ift, bie ber Dieter übermitteln 
mollte. 3n ber £yril ift fie fogar ber letzte 3 ®ed bes Dieters, roenn auch nicht ber 
einige. Darum ift es Aufgabe bet Schute, ein ©efüfyl für ben Stimmungsgehalt 
eines ©ebicfytes unb bamit für feinen IDert ober Unroeri 3U geben, ein ©efüljl für 
bas Anfchauliche ber Dichtung, für bie Bilber, beten fidj ber Dieter bebient, unb für 
bie mufifalifdjen (Elemente feiner Kunft, für IDortHang unb Rhythmus, bie in befon* 
betem ©rabe ©taget bet Stimmung finb. 

Die Schule mufe auch 3U ber ©rlenntnis hinfühten, bafe bie $orm am ©ebidjt nichts 
3 ufälliges ift, bafe ©ehalt unb Sotm an einem regten ©ebichte einanbet entfpredjen 
müffert. Die Behanblung mu& fich mit ben finnlichen Beftanbteilen ber Sorm „nicht 
äufeerli©, fonbetn als mit lünftlerifdjen Ausbrudsmitteln befchäftigen'V) 

Auf fold}e IDeife toitb bas natoe ©eniefeen nad? unb nad? in ein burchgebilbetes 
oerroanbelt, in bas ftd^ ein Urteilen über ben IDert ober Unroert ber ©ebichte ein* 
mifdjen tnirb. So toitb auf jeben Sali ein aftioes ©lement in bas fünftterifdje ©enie* 
feen hineingetragen. 

Unb es mag gleich Ijier gefagt toetben, bafj in ber Beimifdjung »on Urteilen 
öiefer Art leinerlei Derfalfchung bes äft^etifdjen ©rlebens liegt, bafe alfo auch ber 
tein äftijetifdje ©enufe nid^t geftört toitb bur<h eine foldje Urteils3umifdjung. Diel* 
meljt nimmt bie $einheit unb ©iefe bes ©eniegens, roie Dollelt fagt, nur 3U, unb, 
roas für uns äufcerft »richtig ift, bie Sicherheit bes ©eniegetts t»irb erhöht. 2 ) 

3 . Uns fdjeint es nun nottoenbig befonbers3u betonen: bie Bewertung bes an* 
fdjaulidjen Bilbes barf bem Rhythmifd)en unb JTTufifalifdjen gegenüber nicht 3urüd* 
9«ftcllt toerben. Den Spüler in bie Klarheit eines echten bidjterifc^en ©ebilbes ein* 
führen, ihn immer roieber 3um Haren, feelifchen Stauen bringen, Ijeifet 3unä<hft: 

in einem ©rabe 3« Aftioität bringen, t»ie es bas mufifalifcfye ©lement, bas nun 
einmal paffioeren ©haralters ift, nicht »etmag. ©s Reifet aber auch unferes ©rad}* 
tens: bet Derfdjtoommenen unb »ertoafdjenen 3 eitbicf}tung einen Damm entgegen* 
fe^en, roenn man 3ur fachlichen Haren Betrachtung ber bidjterifdjen ©ebilbe anleitet. 
Denn bann roirb man auch mieber »on ben Dichtern einen Haren beutlidjen Aus* 
brud ihrer Anfügungen forbem lernen. 

Unfere moberne £yril ift »ielfach gerabe roegen ihrer all3u feinen thythmifdjen 
Bilbung eine ©efahr, roeil fie bas paffioe Derhalten förbert unb bem ©eniefeenben 
3 U menig eigene Aufgaben ftellt. IDirb nicht bas innere Schauen roenigftens intenfio 
befdjäftigt un b geförbert, fo ift ihre Behanblung »on ber Schule im allgemeinen aus* 

1) Srfjmibt, Kunfterjiehung unb ©ebiditbeljanblung. S. 264. 

2 ) Dollelt,Äfthetif, Bb. I, S.364. Htan »gl. auch ®toos, Der öfthetifche©enufc, S. 175 . 



480 


(Er3tcl}ung jur Sftfjcttfcfjen XDertung 


3ufdjliefeen, fcfjon besfjalb, weil biefer IRangel aud; ein 3 eidjen bidjterifdjen Un= 
oermögens ijt. „So fefer bas hören bes fimtlidjen Klanges unb im ©ebiet bes R^yt^= 
mifdjen bie rhythmifdj=melobifdje Bewegung bas Sdjauen bebeutfam unterjtüfet 
unb et3eugt: bas innere Gun im bidjterifdjen ©enuffe ift, als feelifdje 
Bewegung, ein Sdjauen." 1 ) (Es barf fief? bei ben Sdjülem nicht eine Bewertung 
bet ©ebidjte feftfefeen nach bem ©rabe eines bequemen ©infüljlens; fonft wirb fdjtiefe- 
lidj jebe eigene Gätigfeit gat nodj als ein ITCangel an bem Didjtwerf genommen, 
unb bie Sdjület wagen fernerhin nicht mehr, an foldje Didjtwerfe heran3ugeljen, 
bie ihre Selbfttätigfeit in ^o^em ©rabe in flnfprudj nehmen. Gs fann |idj in bet 
Sdjule gan3 gewife nidjt batum fjanbeln, „ein bumpfes ©eniefeen, ein biofees Aus» 
foften »on traumhaften Stimmungen 3U förbetn", fonbem batum, bas ®efüljls* 
leben wirHid) 3U bereitem. Bet echte Kunftgenufe beruht auf einem inneren Hadj 5 
fdjaffen. $üt bie Schule bebeutungsooll wirb alfo jene Dichtung fein, bie, ohne bem 
Gmpfinben bet Sdjüler all3u fem 3U ftehen, ihn anreyt, bie ©ebilbe bes Bieters in 
feinet Seele nadjjufdjaffen. tjat er biefes felbft gelernt, fo wirb et wiffen, bas unfla* 
res ©eftammel unb ©etue mandjet mobemen Dichter in rechter IDeife ei^ufdjäfeen 
fcfjon wegen bet mangelhaften fjanbljabung ber rein fünftlerifchen Rlittel. „üenn 
ob fidj aud} bie Dichtung burch ben Klang iljtet tDortgebilbe, bie rhythmifdjmtelo* 
bifdjen Berfe, ben Reim ber finnlidjen IDahmehmung barbiete, fo finbet fie öodj 
iht Sein, ihr £eben, ihre Begrünbung hierin nicht."*) 

Bas heutige all3u häufige Beftreben, bie Bebeutung ber IDorte 3U oerflüchtigen, 
fie ihtem Klange nach 3u werten, bie Bietung als IRufif in IDorte 3U nehmen, ift 
eine ©efaljt, bie oon ben Sdjületn fem3uhalten ift. ©s ift eine ©efaht für bie Dichtung 
felber, ber man am beften begegnen wirb, wenn in ber Schule auf bie rechte Berner 
tung bet fünftlerifchen ITlittel hmgeftrebt wirb. 

Die erreichte Stimmung, bie innere Übereinftimmung unb TDiberfprudjslofigfeit 
in fidj fdjliefet, nermittelt bur<h *>ie anfchaulich bilbenbe Kraft bes IDortes unb ben 
thytfjmifdjen IDohlflang, bilbet bie ©runblage für bas im engften Sinne äfthetifdje 
Urteil. 3 njofern ift biefes technifcher Hatur. ©s ift notwenbig, bafe bie Sdjület bafür 
ein gewiffes inneres IDertgefühl gewinnen, bas fid} nidjt nur aus bem £efen bet Did; 5 
tungen h^rlcitet unb einigen rein äufeerlidjen Belehrungen über ben Reim unb ben 
Strophenbau. 3 nfofem war es in ber Gat notwenbig, bie ©ebidjtbehanblung auf 
eine fünftlerifdje Stufe 3U erheben unb bie Kunftform, wie wir fdjon hetoorgefjoben, 
mit bem ©ehait 3U oetbinben unb ihren 3ufammenhang als notwenbig 3U nehmen. 

4 . Bet ©ehait felbft aber bleibt immer noch öie ^auptfa^e. Unb 
ben Blicf bet Schüler barauf 3U lenfen, bafe ein Kunftwerf 3U bewerten ift nach b« 
höhe feines ©eljaltes, nach her höhe ber flbfichten, bie ber Bidjter in bet Dichtung 
Derwirflidjte, Ijeifet baran mitarbeiten, in ben IDirrwarr bet literarifdjen Urteile 
wenigftens wiebet fefte Richtlinien ber Beurteilung ein3ufüljten. Denn bas fann nur 
gefdjeljen, wenn man einmal allgemein wieber bie IDertung nach bem inneren ©«* 
halte mehr betont. Bann barf man freilich nidjt in bet ©Ziehung 3ur Kunft, i?' eI 
alfo 3um Kunftgenufe, bas ©nb3iel audj bei ber Behanblung ber Dichtung für bie 
Schule feljen. Bann mufe man Dielmehr biefen Unterricht organifdj in ben ©efamt» 

1) Daur, Sehen unb hören am bidjterifdjen ©ebilbe. (Programm.) S. 15. 

2) Baut, Sehen unb hören, S.33. 



Don Ridjatö Dolpers 


481 


lehrplan einfügen un6 bem allgemeinen Ce^iel unterorbnen, bet eine aUfeitige 
Bilbung unb bie Hebung bes not allem IKenfchenroürbigen 3U förbetn ^at. Itidjt 
©Ziehung 3Ut Kunft Reifet bann bie £ofung, fonbern ©^ieljung burch 
bie Kunft; bie Kunft mitb nun eben auch als ein unb 3tnat mistiges (blieb unter 
ben <Et3iel}ungsfaftoren 3U betrauten fein. 

3 e mehr aber eine Dichtung bie getniinfcfjte Bilbung bes ZTtenfdjen förbert, ein 
um fo größerer U)ert ift ihr bann beyulegen, unb bie Spület haben ben IDert einer 
Bietung batan 3U etmeffen, mie roeit fie butch biefelbe übet fidj hhtausgemachfen finb. 

Ittit ber liefe bet ©ebanfen unb bet fjöije bet ©efidjtspunfte fteigt alfo ber UJert 
einer Dichtung, unb es ift fchliefelich bie grofce Perfönlichfeit, bie bahntet 
fteljt, bie Perfönlichfeit mit ben 3 been, auf bie allein es fyiet an* 
fommt, infofetn bie Bietung aus bem lBefen unb bem inneren Sein 
betfelben organifch erroachfen fein mufc. Bet Bieter, bet es nicht net* 
ftanben hat, felbft ein eigenes großes Sein in fid? aufeubauen, beffen Lebensinhalt 
in Stimmungen 3erflattert, mitb auch nicht mehr als Stimmungen geben fömten. 
©etabe biefem ©ypus bet Bieter unb Bichtungen gegenüber aber gilt es, bie 3ugenb 
auf ben inneren ©eljalt unb bie perfönliche ©töfee, bie bahinter liegen mufe, hin3u* 
führen. Aus biefem ©tunbe fdjeint bie nähere Befamttfdjaft mit ben (Bgeugniffen 
mobetner Artiften unb Aftheten — mögen fie bie $orm noch f° nirtuos hanbljaben — 
roenig geeignet 3U fein, bie ©Qieljung bet 3ugenb 3U fotbetn. 

Bie Ziehung burch bie Kunft foll beitragen 3ut Bilbung bet Perfönlichfeit, 
inbem fie bie toertoollen probuftioen Kräfte, bie in bem BTenfdjen fchlummetn, 3m 
(Entfaltung bringt, nicht uerroeichlichen foll bie Bidjtfunft, fonbern 3ur Hat führen 
unb ITCätmet hcranbilben. Unb nur fomeit fie ba3u mitmirft, fomeit fie 3ut Arbeit 
ftarf macht, fomeit fie eine roirfüch männliche Bichttunft ift, hot fie einen höhnten 
IDert, eine höhere Bebeutung, fo bafe ihr eine mürbige Stellung im ©an3en bes 
©Qiehungsplanes gebührt, hierher gehört ein IDort non ©oethe: „©in Lehret, ber 
bas ©efühl non einet einigen guten ©at erroeden tann, leiftet mehr als einer, ber 
uns gan3e Ueüjen untergeorbneter Haturbilbungen ber ©eftalt unb bem Hamen 
na© überliefert ... Bas eigentliche Stubium ber ITTenfdjheit ift ber HTenfch." 

Sreilich, bie rein äfthetifetjen unb artiftifcfjen Probutte oetmögen bie 3 ugenb nur 
für Augenblide 3U feffeln, fie mitb fiefj non felbft baoon abmenben 3um Ktaftoollen 
unb Snhaltreichen, menn fie eine gefunbe 3ugenb ift. 3 n ber ©rofeftabt aber ift bas 
Ieiber nicht immer ber $all. Um fo notmenbiger ift es, 3U nermeiben, bafc bie 3 ugenb 
befonbets in gemiffen Lebensjahren mit Stimmungen überfüttert mitb unb fo bie 
©efunben oermeichlicht, bie $rühmüöen aber noch müber gemacht roerben. Biel* 
mehr ift gerabe biejenige Bidjtung am piat>e, roeidje bie ©efunben in ihrem ©le* 
mente 3U beftärfen nermag, ben anbetn aber etmas fraftoolles Leben einflöfet, meint 
fie basfelbe noch ertragen tönnen. Allen aber mufe 3um Bemufetfein lommen, mo mit!* 
lieh bie gefunben XBerte in ber Bidjtung 3U finben finb. 

tDorte Schillers aus ber Ue3enfion ber Bütgetfchen ©ebichte feien hier angeführt, 
■bie gan3 am pia^e finb, bie rechten ©efidjtspuntte für bie Beurteilung einer Bich* 
tung erfennen 3U laffen. „©s ift alfo nicht genug," fagt Schiller, „©mpfinbungen mit 
■ethöhten $arben 3U fchilbem; man mufe auch erhöht empfinben. Begeifterung allein 
ift nicht genug; man forbert bie Begeifterung eines gebilbeten ©eiftes. Alles, roas 

3eüfd)r. f. ö. 6eutfdjen Unierrtdft. 29.3atp&> 7./8. f}cft 31 



482 <Er 3 ieljung 3 ur äfifjetifdjen Wertung 

bet Dieter uns geben !ann, ift feine 3nbioibualität. Diefe muß es alfo wert fein, 
not tDelt unö Hachwelt ausgeftellt 3U werben." Unb wieberum: „Dom Äftfjetifchen 
gilt eben bas, was oom Sittlichen; wie es ^iet bet motalifd} oottreffliche Gfyarafter 
eines Dlenfdjen allein ift, bet einet feinet einjelnen fjanblungen ben Stempel moia= 
lif^et ©üte aufbrüden !ann, fo ift es bott nut bet reife, bet oollfommene ©eift, oon 
bem bas Reife, bas Doflfommene ausfließt." 

5. Det IDett einet {eben Dichtung liegt alfo in bem ©tabe bes echten Petfönlid)= 
leitsmertes, bet (ich batin offenbart, unb in bem Rtaße bet ©inmitfung bet Dichtung 
auf. unfete eigene. Hicfjt febes Städten TDitÖichfeit unb febe banale Ridjtigleit ift 
toett, in bet Kunft wiebetgegeben 3U toetben, bet 3 u>ed bet Kunft liegt in bet Dar* 
ftellung bes ITIenfdjlid}=Bebeutungsoollen. (U)as auf bem ©ebiete bet Rlalerei oom 
Stilleben gilt, bas gilt uot allem auch auf bem ©ebiete bet Syrif, wo man an bas 
obiefttoe Stimmungsgebidjt nicht jenen Rtaßftab anlegen tarnt, oon bem toit hier 
teben, bas baljet aber aud) niebtiget bewertet werben follte, weil ihm bie große Rüd= 
witfung fehlt.) ©s ift nun nut bie $tage, worin bas Rlenfdili^^Bebeu 5 
tungsoolle befteljt! 

$üljten wir 3unächft 3wei mobetne Rfthetifer an, bie wenigftens übet bie Ri<h s 
tung, wohin wir 3ielen, ben testen fluffdjluß geben tonnen. „IDeldjen BTafeftab, 
fragt Doltelt, „meine ich benn nun, wenn ich bie $otbetung bes tltenfchlih 5 
Bebeutungsoollen an ben äftfjetifdjen ©ehalt ftelle?" Unb et beantwortet bie $tage: 
„Dem flnfprudj bes ITCenfdjlidj'Bebeutungsoollen wirb bann genügt, wenn fid) 
bem ©ehalt bes äftfjetifcfjen ©egenftanbes etwas für bie Ratut bes menjehlichen 
Cebens unb Scfjidfals nach irgenbeinet Seite hin tDefentlidjes 3um flusbrud bringt. 
3 n bem äftljetifdjen ©ehalt muß etwas 3U uns fptedjen, was für menfdjlidjes Dafein 
unb menfdjlidje ©ntwidlung typifch unb djatafteriftifdj ift. Dabei ift 3U überlegen, 
baß unfete gefühlsmäßige fluffaffung oon bet Ratut bes Rtenfd}lidjen jdjließlid} 
immer in eine Übet3eugung oon bem 3wede unb IDerte bes menfehlichen ® a l e ' ns 
münbet." Doltelt weift bann batauf hin, wie bie bebeutungsoolle Bef<h a ff en ^ e ^ 
bet afthetifdjen Dorfteliung einen bemetfenswetten ©enuß gewahrt. „Um weldjen 
Snhalt es fid} auch hanble, {ebenfalls fteigt butch ben äfthetifchen ©egenftanb Ceben 
unb tDelt nach bebeutungsoollen Seiten, in finnteidjetn 3 uge, in d)atafteriftifd)en 
Beleuchtungen oot uns auf." Unb et tommt 3U bem Schluß: „So witb fid} benn fag«n 
taffen, baß bie ©rfültung bet Rotm bes IRenfchlid} 5 Bebeutungsoollen 3uglei<h 
eine altgemeingültige äfthetifche Cuftquelle be3eid)net." ©t nennt fie „Cuft am 
Rlenfchlich'BebeutungsooIlen". 1 ) 

©roos hat in feinem Buche „Det äfthetifche ©enuß" „bie normatioe Allgemein* 
gültigfeit auf bie oergleichenbe Schäßung bet genießenben Subjefte nach ih tet P”' 
liehen, fo3iaten, intelleftuelten Dolltommenheit, fowie nach ih tct fpc 3 ifif<h äfthetifdjen 
Befähigung" 3utüdgefühtt. Dabei geht bie fpejififd} äfthetifche Befähigung auf bas 
3 ntereffe für bie te<hnifd}en Dor3üge einet Dichtung. Bei bet intetleftuellen Dou- 
tommenheit bentt et mehr an bas ITCenfchlidptDettootle im Sinne Doltelts uno 
beftimmt es nähet, inbem et fagt, baß nicht bie ptaftifche Klugheit, bie bem inbio»' 
buellen Rußen bient, als wettoollfte 3ntetligen3 erfdjeint, „fonbem bie oon fubjeth' 
oen Jnteteffen freie tDeisljeit, bie auf bie reine ©rtenntnis bes IDahten, flllgemenv- 

1) Doltelt, äftßetit, Bö. I, S. 350. 



Don Ridjarö Dolpers 


483 

gültigen gerietet ift." ©s ift Har, baß fchon bei biefer Soßung bie fittlic^en $ot= 
betungen nicht ohne ©nfluß finb. U)o et nun oon bem in mannet hinficht michtig* 
ften ©efichtspuntte, oon bet fittlicfyen unb Rialen DoIIfommen^eit fpricht 1 ), [teilt 
et ben Saß auf: „ 3 nbem nun bas Poftulat einer oolflomntenen fittlidjen ©emüt* 
bilbung, bas bet gengen menfdjlichen Perfönlidjfeit gilt, fid} eben barum auch auf 
bie Sdjäßung äfthetifcher Sreuben ausbeßnt, entfteljt bie gotberung: roas ein fittlich 
oollfommener Utenfch äftßetifch am hofften hält, bas foll ein jeber am hofften hal* 
ten, ober negatio ausgebrüdt, roas ein folget Rtenfch nicht mehr innerlich miter* 
leben !ann, bas foll ein jeber meiben, menn es für ißn aud? noch fo roirffam fein mag." 
^icr tritt bas Sittliche als gleichfam leßfer äftljetifcher IDertmaßftab 
deutlich genug Ijeroot. 

6. Das Sittliche als IDertmaßftab bei bet Beurteilung bet Dichtung — erft recht 
in bet Schule! — IDit betrachten es alletbings als eine et3ieherifche ITotroenbigfeit, 
an bet „fittlidjen" IDertung bet Dichtung fefouljalten bem Übereifer betjenigen 
gegenüber, bie eine „rein äft^etifd^e" IDertung forbetn unb fef>r fchnell bei bet fjanb 
finb, alles, roas nur irgenbroie nach „Henben3" ausfieht, aus bem ©ebiete bet Kunft 
3u entfernen, ohne fidj aber übet bie nolle Bebeutung ber „Üenben3" Hat getootben 
3u fein. Denn bamit toirb nur 3U oft bet Beutteilung ein ©efichtspunft gütlich ent* 
3<>gen, ben mit im 3 ntereffe bet ©gieljung unb im Sntereffe bet Kunft felbft für unent* 
beglich halten. 

Befonbers auf bem Kunftet3iehungstage 3U IDeimar erhob man lauten Proteft 
bagegen, baß bie Didjtlunft 3U itgenbroeldjen Heben3meden mißbraucht metbe. Itlan 
Uagte bie Schule an, baß immer 3mei ©ejichtspunfte bei ber flusroahl bet ©ebidjte 
maßgebenb feien, einmal bet ©efidjtspunft bet flaffifchen Reife, bann ber bet Brauch* 
barteit für philologifdje, patriotifche unb moralifche 3 ®ede. Drei Diettel bet Dich* 
tungen feien geroahlt um irgenbeiner ©enben3 roillen. ®tto ©rnft meinte: „Detfol* 
gen Sie bie anbeten 3 u>e<fe, bie teligiöfen, motalifchen, patriotifchen, auf ben anberen 
©ebieten bes Unterrichts; aber nehmen Sie ba3U nicht Kunftmetfe, bie butch eine 
fol^e Behanblung getötet merben." 2 ) 

ffine in ihrer IDeife berechtigte Kritil bet oorhanbenen Unterrid}tsmethobe 
ift hier in ihrer IDirfung übet bas 3icl hinausgegangen. Unb es befteht gerabe3u 
bie ©efaljr, baß nun roertoofle Dichtungen, meil fie aus einem fittlidjen ©mpfinben 
geboten finb, oon bet Durchnahme im Unterricht ausgefdjloffen merben, um bes 
pofitioen ©ehaltes millen. ©ber aber es mirb ber fittliche ©eljalt mie eine peinliche 
Beigabe beifeite geflohen.®) Unb fo merben bann bie Schüler um mahrhoft IDert* 
oolles betrogen, unb ihr Urteil mirb oermirrt. 

Ulan mu ß fich nun aber flar merben, melche Aufgaben man bem ©thifdjen 3U= 

1) Beiöc gehören 3 ujammen. „£Us fittlich gut bejeidjnen mir, menn mir oon feineren 
Beftimmungen abfehen, erftens eine Raturanlage, bie ein träftiges IDachstum ber altruifti* 
fhen ©riebe mit fi<h bringt, unb 3 meitens bie in berfelben Richtung ausgeübte herrfeßaft bet 
Demunft übet bas Sriebleben überhaupt." 

2) Der Bericht, S. 159. 

3) hier bleibt bie grage offen, marum biefe ©efaht beftehen muß, marum nicht folche 

^tungen auf ihren tünftlerifcfjen IDert hin behanbelt merben follen ohne Unterftreichen ber 
pttUchen flbfichten, bie oietleicht beffet erreicht merben, menn man ben Schülern ben Dichter 
m<ht 3 um Prebiget macht. flnm. b. hg. 


31* 



4 g 4 (Erteilung $ur öftf}ctifd)cn TDerhing 

roctft. Sieht man mit nieten ber mobetnen (Ethifer in bet möglichft hohen Steigerung 
bet fdjöpfetifdjen Ktäfte, in bet ootten (Entfaltung bet Perfönlidjleit ein ethifch« 
<Enb}ieI, fo mufc man in bet Dichtung überhaupt fchon öesroegen, weil fie bie Befrei* 
ung bet ptobuftinen Ktäfte fötbert, ohne 3 meifei eine h°h e fittlidje Rfaajt etbliden 
unb fie als Ijelfenöes IDeti^eug begrüben. Dasftfttjetifdje nerfolgt bann biteft et^ifdje 
3n>e<fe, unb ein bidjterifdjes Zeugnis ift um fo h°h ct einjufdjä^en, je meljt 
es 3U biefem etljifäen ©nb3roed beitragt „Das ift freilich nur einjufeljen unter ber 
Dotausfefcung, bie bet funfterjietjerifdje ffiebanfe ftillfdjweigenb macht, baf} namlidj 
probuftine Ktäfte, bet ebelfte Heil bes IKenfdjen, bie natürliche unb notneljmfte 
flusftta^Iung bes menfdjlidjen tDefens unb alfo an unb für fidj, wenn nidjt felbjt 
fittlidje poten3, fo bodj fittlidje (Elemente bebeuten." 1 ) 

Don einem etfjifdjen Stanbpuntt aber, bet fiefj ein anbetes <Enb3ieI fe^t, roub 
bas ©efagte nidjt oijne weiteres anerfannt toetben tonnen, weil bie freie (Entfaltung 
bet Perfönlidjleit nidjt meljr als ettjifdjes <Enb3iel empfunben wirb, tjiet tut jich eine 
Kluft auf, bie eine $oIge bet Detfdjieöenfjeit bet teligiös*ettjif(^en flnfdjauungen ift. 
Die Kluft ift an3uetlennen unb in iljten folgen audj für bas äfthetifdje ©ebiet tüljl 
ins fluge 3u faffen. 

3 ebodj — unb bas ift 3U betonen — tanh audj religiös=et^ifd}es (Empfmoen 
mit bem 3nbioibuellen oetbunben fein in einet ungebtodjenen, gefdjloffenen Pcrfön- 
lidjteit. Der rechtgläubige (Eljtift tann toirtlidj ein djriftlidjet Didjter fein. Schafft 
nun eine foldje Perfönlidjteit roirlliche OidjttDerte, fo wirb roiebetum bie baoon aus* 
geljenbe äftfjetifclje RHtfung 3ugleidj eine etljifdje fein im djriftUdjen Sinne — un 
umgelehrt bie etljifdje IDittung 3ugleidj eine äfthetifclje. ©s mufj nur auch eine ent- 
fptedjenbe flufnahmefäljigteit bei ben ©eniefeenben ootljanben fein. Ulan benle an 
bie Detfdjiebenfjeit bet IDittungen, roeldje in biefet Jjinficfjt bie Dichtung bes Hlrnel- 
alters einftmals — unb roeldje fie fetjt auslöft. Hut babutdj, baf} unfet (Empfinoen 
mit bem im ©ebidjt 3um flusbtud getommenen fympathifiett, nur roenn biefes m 
bem unftigen gleidjgeartet ober bodj non iljm aus oerftänblidj ift, werben wir 3um 
testen ©enuf} einet Dichtung gelangen. 

Dian hat gefagt, bah bie $rage nach bem Dethältnis bet äfthetifdjen Ziehung 
3U bet ethifch*teligiöfen noch nicht gelöft fei. Das liegt aber allein an bem IRang 
einet einheitlichen tDeltanfdjauung, bie fidj audj hier geltenb macht, ©s Regt o« 
bem fltangel eines allgemeingültigen ©bjettioen im Religiöfen, bas roie eine Settp 
oetftänblidjfeit bas (Empfinben aller Rlenfdjen 3U beeinfluffen imftanbe wäre, wj 
es ift Hat, roie oerfdjieben etroa bie mobetne Dichtung non bem netfdjiebenen Stan * 
puntt auch nach ihtem äfthetifdjen IDerte eingefdjätjt roetben muf}. 

Daraus ergibt fid}, nach weichen Rüdfidjten eine etliche IDettung bet DihtanJ 
butch bie Schute 3U beeinfluffen ift. Ijtet ift einPunft, bet uns 3eigt, roie wen ,e 
gtofjen tDeltanfdjauungsfragen in bie päbagogifchen Unterrichts3iele eingteifen. 

7 . (Ein Sittlidj*®bieftit>es aber, ein fUlgemeingüItiges eint biejenigen, bie 3 U 
einet Ration gehören, bie miteinanbet butch bie Banbe bes Blutes, einet gemein 
famen ©efdjidjte, gleicher ©efet}e, gleichet Sitten unb ©eroohnheiten oetbunben fm • 
Rtit nielen IDotten fdjon hat man gefptodjen non bet beutfdjen Dichtungen 
bet Aufgabe b et Schule, bas IDefen bet beugen Dichtung oerftehen 3U lebten. ® cnn 
1 ) Johannes Richtet, Die (Entroidlung bes funftet3ieherifchen ©ebantens, 5 . 67 - 


Don Kidjarö Dolpers ^gg 

man fi<h nur immer ga«3 beroufet geroefen märe beffen, toas es Reifet: eine beutfdje 
Dichtung. 

IDit falten es in 6er Hat für eine Hauptaufgabe ber Schule, bafür mitjuforgen, 
bafe i»cr Blid ber Deutzen nicht nur fdjroeift in bie Semen, fonbem bafe er 3 unächft 
auf bas Heimatliche unb Bobenftänbige fieljt unb hinabfdjaut in bie liefe bes beutfdjen 
©emüts, auf bafe er hier ben Htafeftab finbe, bas Unfete 3u meffen unb 
bas Unfete 3U oerfteljen. So tönnte es benn einft fein, bafe nidjt meiter auslänbi* 
f^e Hfaaterftüde bie beutfdjen Büfaen beherrfdjen, bafe nicht nur bie Dichter gelefen 
metben, bie eine fran3Ö|ifcfa Kunftgattung bei uns einfüljren, roie es mit ber rein 
formaliftifdjen £yrif gefebab. 3 a, bie formaliftifcfa Auffaffung non ber Kunft, mit ber 
mit uns anfangs auseinanberfefeten, ift überhaupt romanifeben Urfprungs, unb fie 
entbehrt im ©runbe ber Heilnaljme bes beutfdjen IDefens. Deutfdje Dichtung 
na^ ihrem nationalen ©eljalte 3U meffen: ba3u an3uleiten halten 
mit für eine felbftoerftänblidje Pflicht ber beutfdjen Sdjule. 

Die Kunft follte ein Hiebetfdjlag beutfdjen IDefens fein; fie follte ber djarafteri* 
ftif^e Uieberfchlag beutfdjen IDefens fein, fo bafe es in bet Hat feinen befferen 3 ugang 
3um geheimften £eben ber Hatton gäbe als bie Kunft. 

Unb es lebt bodj auch unfer eigenes Ceben im oölfifdjen ©an3en. 3n biefem 
3 ufammenhange allein liegt eine Sicherheit bafür: bie DertDirftidjung eines bejten 
Heiles non uns felbft 3U ermöglichen. 

Die Heilnabme am oölfifdjen ©an3en ift oon ber ©injelperfönlidjfeit untrennbar, 
unb es mufe bie ©ntroidlung bet Perfönlidjfeit leiben, menn bas nationale Sein betfelben 
unoermirflicht bleibt. Daraus ergibt fidj eine U)ertung jeber Dichtung für bie Schule 
unb bie Aufgabe, bie tDidjtigfeit jener IDertung auch in bem ©mpfinben bet Sdjüler 
3um Ausbrud 3u bringen, ©s faifet: fie 3um nationalen 3U führen, inbem 
man fie 3U fich felber führt 

Die £iebe 3ur engeren unb meiteren Heimat, bas ©mpfinben für bas gemein* 
fame grofee Doll, toie fönnte beibes natürlicher unb einfadjer geförbert roerben, als 
butch öie Dichtung, bie aus jener £iebe unb jenem ©efüljl fpridjt? Unb toas märe 
ber 3 ugenb oerftänblicher unb mehr geeignet, ifae probuftioen Kräfte 3U förbem, 
in ihrem menfdjlidjen ©mpfinben bie nationale Henben3 3U ftüfeen, ifa IDoIlen in 
einem nationalen Sinne 3U regulieren! 

Die nationalen Henben3en ber Perfönlichfeit 3ut ©ntfaltung 3U bringen ift eine 
nächtige Seite ber efljifdjen ©Qieljung. 3 ebe Dichtung aber, bie ber beutfdjen ©e* 
mütsart, bie beutfdjem $üljlen unb Denfen entfpridjt, mirft in nationalem Sinne, 
inbem fie biefe ©efüljle oon ben allgemein*menfdjlidjen abfabenb betont. 

H)as bie patriotifdje Dichtung betrifft, bie man geroöhnlidj unter biefem Hamen 
fafet, fo hat biefe natürlich bie ©runbbebingung 3U erfüllen: IDie jebe Dichtung foll 
fie auch einer rein äfthetifdjen IDertung ftanbljalten. Hut fo roirb fie bann auch närf" 
lieh tieferes nationales ©mpfinben auslöfen fönnen. Dafe fie biefes auslöft unb felbft 
3ur Begeifterung fortreifet, falten mir für leinen HIangel. 3 m ©egenteil, mir oer* 
fpredjen uns oon folgen patriotifdjen ©ebidjten in ber Schule mehr als oon jener 
objeftioen Behanblung patriotifdjer ©efühle, mie mir fie etma in ben ©ebidjten man* 
djer Aftheten finben, mögen biefe ©ebidjte auch in rein lünftlerifdjer Be3ieljung, b. h- 
tedjnifdj, höher 3u roerten fein. 



486 


tttaupaffants uni CUUitcrons Kti«gsbid)tung 


Ittaupaüants unö £tliencrons Kriegstodjtung. 1 ) 

Don 3oh<n*n ®«Ot 9 Sptengel in $tanifutt 0. Ilt. 

Seit einer Reihe non RTonaten, bie uns wie ebenfotnel 3 al}re erlernen wollen, 
lebt in unferen Seelen, lebt im Bemufetfein bes friebliebenbften Dolles nur noch 
eines, unb bas Reifet Krieg. Krieg erfüllt unfer Stauen unb Denlen, unb 
tDoIlen. Krieg atmet unfete Begeiferung, unfer 3 audßen, unfer Sorgen unb unfer 
S^met3. Krieg fauchen bie (Effen unferer $abriten, Krieg jammern unfete tDerl* 
ftatten, Krieg fünbet uns jebes 3 eitungsblatt, Krieg lautet jebes ®ejptä<h, Krieg 
Ijallt in unferer Dichtung wiber, Krieg erfüllt bie 3 eilen jebes Briefs. Krieg ift 
ber 3 nhalt unfetes Cebens geworben, als gäbe es nichts melftunb habe es nie etwas 
anbetes gegeben unb werbe nie etwas anbetes fein als Krieg. Unb ba wir nodj 
immer ein Doll ber ptüfenben Befinnticfjfeit finb, wie in ben (tagen Wolframs unb 
Walthers, Cutters unb Dürers, Kants, Beetijooens, Schillers unb ©oetljes, Wagners, 
Hebbels unb Hiefcjches, fo wirb unfer Cebertsgefü^l notwenbig beljerrfäf oon bet 
$rage nach bet Berechtigung unb Bebeutung, nach Sinn unb Wefen bes Krieges. 
3 a, wir wären nicht mehr bas Doll bet Dichter unb Denier, wenn unfer Weitem^ 
finben fich nicht über bas (Erleben bes (tages erhöbe 3Ut höheren Cebensbewufstljett, 
oom empitifchen Dafein 3ut 3 bee. 

3 n (Einem hat fich nun wohl unfer namentliches Derhältnis 3um Ceben feit 
ber 3 eit unferer großen Philofophen grunbfählich Derfdjobeit. ©Ijne bem teilten 
Denlen irgenbwie untreu geworben 3U fein, glauben wir hoch nicht meljt an bie tu ein 
feligmachenbe Kraft philofophifthet Syfteme, unb bie Bebeutung bes fpetulatioen 


1 ) Die nahfolgenbe Betrachtung will einen Beitrag liefern jut oetgleichenben Betrag 
tung neueret Oidjtung in ber Schule. Oie aufterorbentliche unb gan3 unerfetjuche * 

unteres feit Ktaffif unbHomanti! erblühten Schrifttums in ber Schuler^ehung Mm qeuic 
für teinen Oerftänbigen mehr eines ttachmeifes, unb gerabe ber tDelttrieg hot 
geliefert, bie nicht leicht 3U überfeinen finb. 3 n meldet ^o^eren beutfehen Schule h attc ^ 
feit bem fluguft bes uerfloffenen 3ot}tes Siliencton bie ftdrfften UKrfungen avsw' \I • 
Oie (Exgebniffe bes töeltfriegs für unfer oöltifches Innenleben unb bamit auch für oen r 
unferer Schulen, bie man bereits 3U fichten begonnen hat, metben noch forgfaltig 3U erwäg 
fein, unb es ift eine ber großen Hoffnungen, bie mir auf biefe geroaltige 3^it fefym, ÖÖ B 
©eift bemühten Oeutfchtums unb beutfehen IDirflichteitsfinnes auch in unferen höheren 
len mit fliegenben Sahnen ein3iehe, ihre „brühigen £ehtpläne 4< mit neuem, ftarrem * 

3u erfüllen. h t 

fluch unfer Oerhältnis 3U Sprache unb ©eiftesleben, insbefonbere 3um S^ttfttum 
feinblichen Oölfer bebarf einet Uachptüfung. tDir hoben uns ohne £eibenfchoft, wf 1: 
mit ficherem Selbftbemufetfein über bas !lar 3U merben, mas bie Cebensnotoenoig 
unb 3ugleich bie IDürbe unferes Ooltes in biefer Hinficht erforbem. U)enn ich» um 
Beifpiel 3U geben, nach IKaupaffant greife, fo gefdjieht bies uomehmüch, weil er em u 
gleidjlich ergiebiges ©egenüber 3U Ciliencron liefert unb fich hi eT & e ' 9 an 3 ung e 3®^9^ . 
Heihe oon ©efichtspuntten auftut, bie 3ur Klärung biefer Stögen geeignet finb. 
mag biefe Oerbinbung auch oufmeifen, mie fid? bie Betrachtung neuerer beutfdjer unö n 
3Öfifcher Literatur fruchtbar oetbinben läfet, mie bas frembe Schriftmert einerseits um I 
felbft rnillen im Unterricht erfcheint, bort alfo Selbfömecf ift, 3ugleidj aber eine U* 3 ic h ' . 
auf beutfdhes XDeltempfinben notmenbig herausforbert. Oer ©efichtsminfel, in bem per g d 
beutfehe unb ber gtofee fran3Öfifdje Oichter nebeneinanber fteljen (ollen, ift 3eitgema& g e 



Don 3of}ann (Beorg Sprengel 


487 


Denfetts für bie ©eftaltung unfetes EDeltbilbes ift 3urüdgetreten. Oie Sebenstatfadjen 
in begrifflicher flnfdjauung fo 3U burchbringen, bafe ihr Inhalt fidj oon neuem 3um 
greifbaren Sebensbilb felbft fchöpferifd} aufbaut; im lünftlerifdj erfaßten unb finn* 
bilblidj geftalteten ©in3elfall bas Allgemeine, Beöeutungsoolle 3U fdjauen, erfd}eint 
uns heute nicht minber bebeutfam, als über biefer ED eit ber ©atfadfen, in ber mir 
leben unb beren fdjeinbat buntoerroorrenes ©eroebe für uns bod} 3ulej}t bie ge* 
gebene Dorausfeijung aller Sebensbetätigung bleibt, als übet biefer EDelt ber EDirl* 
lid)leit eine fünftlidj roohl georbnete EDelt ber reinen Begriffe 3U erbauen. Oatum 
hat neben ber Philofopljie unb oieQeirfyt in meiterem IUafee als fie bie Kunft als 
flusbrud unferes EDeltempfinbens unb ©rgan unferer Sebenserlenntnis ©influfe unb 
Bebeutung gemonnen — eine ©atfache ber ©ntroidlung unferes ©eifteslebens, bie 
etwa fdjon in Ejebbels fluseinanberfejjung mit fjegel unb ‘in bet Überroinbung bes 
tjegelfdjen Syftems ber Begriffe burdj bas lünftlerifdje Beroufetfein bes bramatifdjen 
Didjtets bejeidjnenb 3um flusbrud !am unb bie fich feitbem immer ftärler geltenb 
gemalt hat. 

IDenn mit bemnadj heute ber Berechtigung unb Bebeutung bes Krieges nach* 
gehen, merben mit im ©eift unfret 3eit nicht nur nach her Ztteinung bes Philofophen 
fragen, oielleicht noch lieber bem inneren Schauen bes Künftlers nachgehen, oor* 
nehntlich bes Dichters, bem in ber Sprache bie ausbrudfähigften Zitittel bet Iteufd)öp* 
fung bes Sehens oerliehen finb. 

Itun ift bet Krieg, bet „Beroeget bes Zttenfchengefchids" — roie ihn Schiller 
nennt — 3U allen 3 eiten menfchlicher Bemufetheit ©egenftanb ber bichterifchen Dar* 
ftetlung geroefen. ©s liegen geroifo in feinem flnfchauungslreife mancherlei allgemein 
menfchlidje Oorftellungen unb ©efühle oon bleibenber Bebeutung. flnberfeits täu* 
fdjen mir uns heute auch barübet nicht mehr, bafe bas allgemein Zltenfchlidje hoch nur 
feht allgemeine Umrifelinien unfetes Dafeins enthält, bafe 3mat im ©an3en ber 
Eebenstatfachen roie auch m bet ©in3elerfcheinung fich manches immer oon neuem 
roieberholt, bafe aber unfer Derhältnis 3um Sehen, alfo auch beffen Oarftellung in bet 
Kunft überall ba, roo es fich 3“ florier Bebeutfamleit erhebt, 3unä<hft gan3 roefentlich 
bebingt ift unb beftimmt mitb butch bie oölfifdje ©igenart unb beren befonbete Aus* 
Prägung bes Iltenfchfeins. ©etabe bie unmittelbare ©egenroart mufete fich äer gei* 
fügen ©tenjen 3roifd}en ben Döllern roiebet einmal mit erfd)tedenber Deutlichfeit 
berouftt merben, unb bas Kartenhaus ber Sd)mätmerei für eine überoölüfd)e EDelt* 
kü_tur, für ein neues geifüges EDeltbürgertum ift 00m Sturmroinb bes EDeltfrieges 
grünblich 3ufammengeblafen morben — momit leinesroegs gefagt fein foll, bafe foldje 
fleiftigen Bejahungen 3mtfd)en ben Kulturoollern nicht an fich notmenbig unb auch 
in 3 ufunft roünfchensroert feien. $üt uns Deutfche ift es freilich heute roichtiger 
als jemals, ja bie roeitaus bringenbfte Aufgabe unfetes ©eifteslebens, bafe mit uns 
nnfeter ©igenart unb Befonberljeit mehr unb mehr beroufct merben, als ber ftarlen 
® ur 3 c i unferer Kraft. EDir merben uns geroöhnen, bie Betrachtung bes Sehens 
grunbfählich unb enifcheibenb in bas Sicht beutfdjer EDeltanfchauung 3U ftellen. 

Das ©ermanentum hat, mie in übereinfttmmung mit ben Berichten bet grie* 
d}ifdjen unb römifchen ©efdjichtsfchreibet bie bichterifchen 3eugniffe unferes eigenen 
Dolles feit bem fjiibebranbs* unb Submigslieb, feit ben altnorbifdjen Siebern unb 
©Zahlungen jeigen, oon Anbeginn ein gan3 eigenes, ftatl petfönliches Derhältnis 



488 


rHaupüffants unb £tIienerons Kriegsbidjtung 


3um Kriege gehabt, man !ann fagen, ein iöeales ober, beutfd} gejagt, ein IDunfd)* 
uerhältnis, bas fid} non bem anbetet friegerifchet Döllet nicht unmefentlid} unter* 
jdjeibet, roenngleidj im taufe bet (Entmidlung bie mefteuropäifd}e Kultutgemein* 
jdfaft mannigfach, jo in bet (Etfcheinung bet Kreu33üge, ausgleidjenb mitten mußte, 
3 n 3 riten eines allgemeinen Kriegs3uftanbes, namentlich roäfjrenb bes Dreißig* 
jährigen Krieges, ermies fid} bie Befonberheit beutjdjen (Empfinbens, rooföt unter 
anbetm ©rimmelshaufens erfcfjütternbes 3eitbilb beutlid} genug 3^ugnis ablegt. 
Seitbem ift im IDejen bes Krieges, befonbets nad} Utfadjen unb 3 iefen, allmählich 
eine tDanblung gan3 allgemein eingetteten. nationale Strömungen unb roirtfcfjaft* 
lid}e Bebütfniffe gemannen in bet He^eit auf bie Be3ieljungen bet Dölfer unb Staaten 
bejtimmenben (Einfluß. Damit uerfdjob fid} aud} bas Derijältnis bet Doltsgemein* 
jdjaft 3U ben aus folgen ©egenfäßen entfpringenben Kämpfen nicht unmefentlid). 
IDoQen mit nad) allebem einen unfetm ©egenmattsempfinben gleichwertigen Aus* 
btud bafut in bet Didjtfunft finben, fo müjfen mit jdjon um besmiüen nad) Datftel* 
lungen aus neueret 3 eit greifen, in benen bet Krieg, mie mit ißn empfinben, 3um 
fünftlerifd)en (Erlebnis gemotben ift. 

Unb mit Deutfdjen befißen einen großen Dichter aus bem lebten 3 eitaltet unfetes 
Schrifttums, bet ben Krieg als einheitliche £ebenserfd)einung in ji<h aufgenommen 
hat unb abfpiegelt: Detleo non £iIiencron. Alles Sonftige etfdjöpft fid) in <Ein3el* 
heiten ober trifft nicht unfere gegenmärtige ©efühlseinheit, Die Dichtung bes IDelt* 
trieges felber fteht naturgemäß etft in ihren Anfängen, freilich in einem träftigen Saft, 
bet ein bebeutenbes (Ergebnis oerfpricht. Don ben $tüheten erleben mit auch heute 
Schillers friegerifd)e Dramen, namentlich „ 3 ungftau" unb „tDallenftein", meit ftärfet 
mohl Kleifts oatetlänbifche Dramen als unmittelbar lebenbige Kriegsbid)tung. Der 
©eijt, aus bem biefe IDetfe geboten finb, gehört eben 3um eigentlichften U)ut3elboöen 
bes beutfchen UJeltempfinbens bet 3eßt3eit. Aber 3ugleid) läßt fid) nicht nerfetmen, 
baß in Anbetracht bet mancherlei anbetsattigen bott gegebenen Dorausjeßungen 
uom nationalen £eben mie oom Kriege eine unmillfütliche Übertragung unftes gegen* 
mättigen Derhältniffes 3um £eben auf unfere (Einfühlung nicht unbeträchtlich mit* 
mirtt. Diefer Atem3ug unferer eigenen 3 *it, eines im Derhältnis 3u Dolfetum unb 
Staat bemußter, meiter unb ftärler als alle uergangenen ©efd)led)ter empfinbenben 
Deutfdjtums, ift es mieberum, mas ben in ferne Dergangenheit 3urüdfüljtenben 
Kriegsbilbem neueret Dichter, eines tDilhelm Raabe, Abolf Schmitthenner ober 
einet Ricatba fjud) fo ftarfes £eben einflößt. Bei Oliencron bebarf es folchet gei* 
fügen Brüden in feinem Sinne. Ktit ihm uerbinbet uns oöllige übereinftimmung 
im ©efichtsmintel; es finb nicht nur bie gleichen fachlichen Dorausfeßungen unb ©runb* 
merte, um bie es fid} hier hobelt; es ift aud) jene Sad)lid)feit bes IDirflichleitsfinns, 
bie füt uns ©egenmärtige eine ferner entbehrliche Dorausfeßung aller £ebensbar* 
ftellung gemotben ift. 

Dielleicht tonnte troßbem bas Bilb einfeitig erfcheinen, ober menigftens bet 
(Einroanb erhoben merben, £i(iencron fei feine fo umfaffenbe, ausgeglichene perfön* 
lichfeit, um fid} ihm unbebingt a^uoertrauen. (Es mag barum bie f} fl uöh a l ,e e * nes 
Detgleidjs, einet Rachprüfung ober <Ergän3ung miüfommen erfcheinen, 3umal wenn 
fte unter bem ©efidjtsminfel bes K>ibetfptu<hs fid} bietet. £iliencron ift, ohne irgenb* 
»te bie Sdjrecfniffe bes Krieges 3U überfehen, ber Begeifterte ber flfännerfd)fo<hi>' 



489 


Don Johann ffieorg Sprengel 

öiefe KriegsBegeiftenmg beherrfdjt ihn gan 3 ausfchließtich, mie auch no* bet am 
Säflufe fernes Cebens ftehenbe, fonft fo ftarf peffimiftifd? getränfte felbftgefAicbtlicbe 
Homart „Ceben unb £üge" etfennen läßt. (Es mirb öa^er ermünfcht fein, na* einem 
IDtbetfptel 3 u fudjen, bas uns bie lUögli^feii gibt, Cidjt unb Statten ab 3 umägen. 
. * etn folajes befißen mir in bet ©eftalt eines bebeutenben neueren Dichters, ben 
CiHencton felbft 3 u ben größten geregnet bat. (Es ift (Buy be iriaupaffant, bet giei** 
3 eitig ben Dorteil bietet, ftoffltcf} auf betfelben ©runblage bes (Erlebniffes, bem Deutf** 
Stan 3 5fif<ben Krieg, 3 u fußen unb fünftlerifd) £iliencton in mancherlei ^inficfjt als 
©eiftesoermanbter nahe 3 u fielen. Sein oölliget ©egenfüßler aber ift er in bet Sache 
um bie es fich hier hanbelt: er haßt unb oerabfeheut ben Krieg als etroas ausfäließ* 
lieh unb unbebingt Böfes. IDie öliencron ber Derherrlicher, fo ift er ber grimme 
fjaffer unb Derhöljner bes Kriegs, gleich bem anbern aus innerftem $ühlen heraus, 
immerhin bebarf bie IDahl gerabe biefes IDiberfpiels noch einer (Erötterung. (Es 
mag oon oornherein babei betont roerben, baß in ber ©egenübetftellung bes Der* 
treters eines fremben Dolfstums — unter ben gegebenen Dotausfeßungen — fein 
Kachteil, fonbern eher ein günftiger Umftanb liegen bürfte. 

(Einem Orrtum märe babei feboch ooQubeugen. Klan mürbe fich durchaus 
taufchen, mollte man in bem ©egenübet Ciliencron: DTaupaffant bas beutfehe unb 
fran 3 öfif<he (Empfinben oom Kriege erblicfen, Bei be gehören Dölfern an, bie feit 
alters her als friegerifch unb fampfesftoh gelten burften unb oon benen man gleich* 
mäjjjig annehmen barf, baß fie in ber ©egenroart ihrer gan 3 übermiegenben Btehr* 
heit nach friebliebenb finb. Jch habe perfönlich unter gebilbeten unb ungebilbeten 
$ran 3 ofen nichts anberes beobachtet, unb bie $riebensliebe führenber fran 3 öfifcher 
Kreife mürbe mir perfönlich einmal in befonbers nachbrücflichet $orm gegenmärtig, 
als auf einem IDeihnachtsball in einem anfehnlichen Parifet häufe oor je^t 20 Jahren 
öer hausherr, ein befannter ©roßinbuftrieller, im Kreife oon ©ffi 3 ieren unb Jouma* 
liften mit Üachbrucf ausfprach, baß man oon bem $ranfreich bet allgemeinen Dienft* 
Pflicht nicht fo leicht einen $riebensbru<h 3 u befotgen habe. Das mar offenbar eine 
aufrichtige DTeinung, bie oon bem gan 3 en Kreis geteilt mürbe — bie freilich nicht 
mit ben befonbeten Beengtheiten bes fran 3 öfif<hen Staatslebens unb feiner patla* 
mentanfehen (Oligarchie rechnete. 

3n ber oölfifchen Beftimmtheit beiber Dichter liegt fein fjinbernis bes ©egen* 
über. Der ©egenfaß ihrer flnfdjauungen entfpringt gan 3 mejentlich ber perfön* 
liehen (Einteilung beiber, unb mir miffen ja, baß biefe neben her oölfifchen unb 3 eit* 
liehen Beftimmtheit in ber Kunft immer eine ausjchlaggebenbe IDirfung ausübt. 
Der allgemeine Kulturabftanb 3 mif<hen beutfehem unb fran 3 öjif<hem XDefen bet 
tleu 3 cit ift — troß mancher gerabe in biefem flugenblicf unfrerfeits mit Staunen, 
oft mit (Entrüftung, oft auch mit fjrnnor mahQunehmenben fchlimmen (Eigenheiten bes 
©alliertums — nicht fo außerordentlich, baß fich eine folcße ©egenübetftellung oer* 
böte. Dielmehr bürfen mit babei bebenfen, roeldje ftarfen Be 3 iehungen unb tDechfel* 
toirfungen feit alter 3eü 3 mif<hen Deutfchlanb unb $ranfreich oothanben roaren, 
au^ menn mir gan 3 baoon abfehen, baß bas fran 3 öfif<he Dolf fchon in feinet $rüh* 
3 eit einen ftarfen (Einfluß getmanif^er Stämme erfahren hat unb baß auch im beut* 
Wen Dolf ein nicht 3 u übetfehenbet ©topfen fran 3 öfifchen Blutes eingefloffen ift. 
Diel mi<htiger erfcheinen bie Kultureinflüffe, bie feit Jahrhunberten herüber unb 




490 


tttaupaffants unb Ciliencrons Krtegsbicßtung 

hinüber gegangen finb. Wir haben öie non btüben 3eitweilig fo ftarf erfaßten, bafe 
getabeju eine ©efaljr für unfer DoIIstum baraus erwuchs, eine ©efaljr, bie mit öem 
gegenwärtigen Ringen für uns wohl, wie bie gan3e Seuche ber fluslänberei, wenn 
au<h nicht enbgültig — fo fjoffnungsfreubig läßt uns bie ©rfahrung leibet nicht fein— 
aber bocß wohl gtunbjäßlich unb im wefentlichen erlebigt fein bürfte, ohne baß roit 
uns bestatt tünftig Sdjeuflappen uotlegen werben, fluch bas in fid) weit abgejd)lo(|e= 1 
nete, baljet audj engere ©eiftesleben granfteießs bat, namentlich in neueten 3®iten, 
beutfefje ©inflüffe in nicht geringem ©tabe erfahren, wenngleich fie bort noch nicht 
fo ins Breite gegangen finb unb fi<h noch md)t fo beutlicß fidjtbar ausgeprägt haben- 
Ulan braucht nur an bie Wtrfungen ber beutfehen Romantit, an ben ©influß bei 
beutfehen Phüofophie unb RTufif in gtanfreich 3^ erinnern unb auf bie fehlten 
Bemühungen 3U blideti, bie bie neuere fran3Öfifche tDiffenfchaft 3um Derftänbnis 
beutfehen ©eifteslebens unb 3ut XDürbigung fül}tenber beutfehet ©eifter an ben Hag 
gelegt hat. tDir müffen uns alfo bei allen fdjarfen ©egenfäßen, bie in einem Augen* 
blid hofftet nationaler ©rtegung naturgemäß befonbers ftarl in ©tfcheinung treten 
unb bort btüben oielfad) redjt feltfame, ja wiberlidje gormen annehmen, innerlich 
hoch nicht fo gan3 fem fteßen, unb uns Deutfcßen — barin bewährt fi<ß wieberum 
bie Überlegenheit unfetet Kultur — eignet felbft in biefem flugenblid leibenfcßaft* 
liehen Ringens, Dolt gegen Dolf, bie Sachlichleit bes Denfens, bie uns geftattet, 
bem ©egner gerecht 3u werben. tDenn wir uns heute ernftlicß bie gtage norlegc^ 
ob wir Srantreich Raffen, fo wirb biefe gtage laum itgenbwo bejaht werben. ®it 
haffen in ©nglanb ben nieberträchtigen Urheber biefes wüften Übetfalls auf bas 
gefamte Deutfcßtum, wit hoffen unb oerachten ©nglanbs hinterliftigen, feigen Ktäurcer» 
geift, feine fdjeinheilige Heuchelei, feine Brunnenoergiftung, feinen oerruajtcri 
politifdßen Ceitfaß: „Hicßts ift wahr, alles ift erlaubt." ©nglanb werben mit nach 
bes Dichters IDort haffen mit langem fjaß unb werben nicht laffen oon unferew 
haß, folange nicht biefe Bebtoßung ber Sicherheit unb greiheit aller Sänber auf- 
gehört hat 3U fein. Der Same biefes Ijaffes ift fo reichlich unb fo tief in bie Seele unfetes 
Dolfes gefallen, baß er barin noch nad} 3aht3ehnten immer neu teimen wirb, bis ein¬ 
mal bas Weltgericht am Britenreich 3ur Weltgefchicßte geworben ift. 

flnbets ftehen wir heute 3U gtanfreieß. Wohl belächeln wit ben eitlen ® t5 ü c "‘ 
wahn bes gallifcßen fjaßns. Wohl wiffen wir, baß feine Weltrolle im ®ejt 
lidjen ausgefpielt ift. Wohl hegen wit bas Jicßere Selbftbewußtfein, baß unfer ©elftes- 
leben bie ftan3öfifd}e Kultur, oon ber es einmal eine bloße Prooin3 3U »erben w 
höchfter ©efahr ftanb, im meiften unb widjtigften weit überflügelt h a ^ un V| lT l. 
entfdßloffen, aueß bie Ießten Spuren ber früheren flbßängigfeit ab3uftreifen. woh 
werben wir niemals bie Unbilben oetgeffen, bie wir in ©ergangenen 3 eil cn 
bie IKacßtgelüfte biefes unruhigen, eigennützigen Rachbarn 3U etleiben hatten, w 
bie ©efahten, bie uns oon einem mächtigen gtanfreich alle3eit btoßen ®uten. 
Unb Deutfcßlanb wirb heuer gewiß alles baran feßen, um bem alten ©rbfeinb fo grün 
lieh 3ur flbet 3U laffen, wie es feßon Bismard als bas 3 iel biefes Krieges be^nßne 
hat, bamit ihm für alle 3 eiten bie £uft unb bie Kraft oetgangen fei, fein IRütajen 
uns 3U fühlen unb als unfter geinbe Scßilbfnappe auftutreten. Wit würben aW 
fießetließ auf einem recht oerlehrten Wege uns befinben, wollten wit ben SwiW 
jeßt ober all3u halb in falfcßer ©mpfinbfamfeit entgegen fommen, wie bies feit e 


Don Johann ffieorg Sprengel 


491 


lefcten Kriege jutoeilen recht Derfehltertoeife gefä^en ift. Das alles aber braucht 
3Mmöem, je# unö Jünftig im rein menfdjlichen ber fran 3 öfifcf}en Art 
l a< W geredet 3 u werben — ohne ha& unö ohne Schwäche. 

.. “?* nod > cincs fl«3ulegen. VOk ftellt fiel? Ptaupaffant 3 u uns Deut» 

jaien. (Es lonnte tyeute nodj toeniger als fortfi angemeffen erfdjeirten, einen Aus- 
totbet 3 u würöigen, ber uns mit S^mufc beworfen hätte, wie in biefer 3eit bie 
TITaetetltnd, Derberen unb anbete, bie für uns Deutle ein für allemal fo erlebigt 
|mb, als waren fie nie gewefen. Dtaupaffant ift nun 3 war Dollblutgallier, unb man 
lann oon ihm als folgern nie# oerftänönis* ober gar liebeoolles (Eingehen auf öeutfäe 
(Eigenart erwarten, noef] öafj er öeutfcfje Siege berichtet unb bie Sieget oerfyertlicbt, 
ober ba& er ben Überroinbern unb ihrer Haltung im eroberten, beferen Srantreicb 
burd}aus geregt werbe, in jenem Kriege, ber ber Selbftgefälligfeit bes namenlos 
eitlen $ran 3 ofentums fo unerwartete unb töölidje IDunben fähig. 3ubem hinöert 
t^n fein IDiberroillen gegen ben Krieg unb alles, was öamit 3 ufammenhängt, friege* 
ttfe^e Gugenben überhaupt an 3 uerfennen. (Er fielet ja in bem Krieg leöiglicf? eine 
oerbteeherifäe Sinnlofigteit, bie nur Kulturroerte 3 erftört unb bie ITtenfäen 3 u roilben 
liieren ober 3 u Harten maefjt. Itfätsbeftoweniger läfet er ben beutfäen Solbaten 
in feiner IDeife <5eredjtigfeit wiöerfahren. IDo er im gan 3 en ober in ein 3 elnen 
3ügen bet Grfinöung feinem Unmut als $ran 3 ofe bie 3ügel fliegen läfet, ba ift 
regeltest bie gan 3 e (Einteilung berartig — im befonöeren unb nie# empfejflenben 
Stnne galfifd} unö maupaffantfd}, öafe öie Dinge unter unferem Arger ober 3orn 
fteljen, 3umal tuenn mit beöenfett, öafc öiefer $rart3ofe feine eigenen Canösleute 
mit einer faum 3 u überbietenben Unehrerbietigleit be^anöelt. Am beutfäen Solbaten 
erlennt et ftets öie tltannes 3 u^t unb ©utye^igfeit an. (Einige Beifpiele mögen es 
3 eigen, bie uns 3 uglefä in bie Sache führen. 3n ber (Et3äfjlung „Les Prisonniers“ 1 ) 
rommt ein oerirrter öeutfäer Aufflärungstrupp abenbs mübe, erfroren unb hungrig 
3u einem einfamen Sörfterfjaus. IDie befäeiöen unb wohtogogen treten biefe Ceute 
auf! Sie effen unb trinfen, roas man ihnen oorfe# unb fälafen bann am Hifc^ im 
Si^en ein, bis man fie aufforbert, ffä auf bem $ufjboben am $euer aus 3 uftreden. 
Hur aus Rücfffät auf bie beiben einfamen grauen, beren ©aftfreunöfäaft fie in An* 
fptudj genommen haben, laffen fie fiefj in ber Sdjlaftrunlenljeit in bie Iiftig geftellte 
Salle loden, tjier rät# fidj öie all 3 u grofre öeutfäe ©utmutigfeit gegenüber einer 
Derfämitjten $tan 3 öfin. An anberer Stelle fie# man, toie ffä bie beutfäen Solbaten 
m i#en Qua rtieren nad} Kräften nütjlfä machen. Sie tun Öen Stauen alle mögliche 

1011?^ v” , öet SammIun 9 La Guerre Franco-Allemande (grantfurt a.Ht., bei ITC. Diefterweg 
* faft alles EDefentlfäe, lünftlerifdj EDertooIIe unb 3ugleid; für jebetmann Cesbare 
" maupaffants Kriegsgejchfäten enthält, ©ne mir etft währenb bes Drudes befannt 
geworbene Besprechung biefer Sammlung im „Päb. Archic“ ( 55 . 3 ahrg., 1 . tjeft) be 3 eichnet 
ffm'« Sc ^ u c ^“ tc f“ r unbenfbar“, weil bufä ben Unhalt mehrfach bas oaterlänbifche 
wmppnben ber Spüler oerle# werbe, ©ne tDiberlegung biefer Auffaffung erübrigt ffä 
au^*"Jr* r ns f°tonben Ausführungen. 3 nbef[en mag bemgegenüber noch 

Cot#«« • f e ‘ n > 3 u r Derwenbung biefes — wie übrigens auch manches anberen — 
'Iltis in ber Schule felbftoerftänblich Kritif unb humor gehört. Das müfjte ein wenig 
wfcJivüfc m 1 ^ e ' n ' ^ e . r Unierricht nicht bie geeignete ffinfiellung fänbe. Aach 

bab vt cli ". e * an ^ un 9 ' n Prima, gerabe noch währenb bes IDeltfrieges, tann ich bejeugen, 
ber ob ' 61 3p U ^ er0r ^ ent ^ anrc 9 en ö m jeber hinficht unb gerabe im umgetehrten Sinne 



492 


IHaupaffants unb Ciliencrons Kriegsbiditung 

Hausarbeit, einet hat einen Deinen Bengel auf öen Knien un 6 i?erjt ihn, einer tDäfdjt 
für feine XDirtin, eine traftlofe (Steifin. Diefes het3Üd)e (Einoetnehtnen („entente 
cordiale“) erregt bei Öen Dertretern öet fra^öfifdjen < 5 efellfd)aft (Erftaunen unb 
Ärgernis, aber es ift öod? in jeöer Jjinfidjt öet einige erfreuliche 3 ug in öem mit 
beifeenöet Satire öurd)gefüf)rten (Sefellfchafts* unö Sittenbilö öer (E^ätjlung „Boule 
de Suif!“ tüeld) rührendes Bilö oon < 5 utl?et 3 igfeit 3eigen aucf) öie oiet Deutfdjen, 
öie uns in öet fdjauerlidjen (E^ählung oon öer „mutter Sauoage" begegnen. „< 5 ute 
3 ungen, obgleich in erobertem Sanöe", fagt öet Dichter unö jdjiiöert, roie fie öer 
Älten alles 3uliebe tun, toas nur Söhne öer eigenen mutter an Öen Äugen abfefjen 
tonnen — ein richtiges gamilienleben, bis öas Derljängnis unter fie tritt. Bei bet 
Befetjung oon Rouen in „Boule de Suif“ fdjilöert IRaupaffant einget]enb öie »oll- 
tommene IRannes 3 ud)t öet öeutfdjen Gruppen. „Da öie (Eindringlinge 3 ® at öie 
Staöt ifytet eifetnen Kriegs 3 ud)t unterroorfen, aber leine oon Öen ©teueln oerübt 
hatten, öie öas (Seriidjt fie auf öer gan3en Sänge itjres Sieges3uges begehen liefe, 
fo fafjte man Blut" ufto. Unö mir lefen, mie öie Deutfdjen oielfad] mit ihren ÖJuattier* 
roirten in oerbinölidjem Derfetjr ftetjen. 

So taöellos benannten fid) öie öeutfdjen Sieger unö (Eroberet! Unö mie ift bem= 
gegenüber öas Der batten öer $ran3ofen? IRaupaffant berichtet, öafe öie Seine ab' 
märts oon Rouen öfters öie Seidjen öeutfcfjer Solöaten anfpülte, öer ©pfer feeim- 
lidjer unö feiger Radjetaten, öie et mit tinölidjer, aber ed)t fran3Öfifd|et Unuetnunft 
als durchaus „berechtigt" anfief)t. So mirö öie öeutfdje Änftänöigteit unö Schonung 
oon öen Beroofjnern öes unterlegenen Sandes Ijinterliftig mißbraucht. Äud) ber alte j 
Sandmann milon, öet Ulanentöter („Le Pere Milon“) ift ein foldjes Beifpiel, unb 
handelt nidjt einmal aus eölen, oaterlänöifdjen Bemeggrünöen — öas tut aufeet 
etlidjen Dirnen taum einer oon IRaupaffants $ran3ofen —, fonöetn in tüdifh cm 
Radjegefühl als habfüdjtiger Bauer, öet fid) in feinem (Eigentumsrecht butd) Bei¬ 
treibungen — roie fie öer Krieg nun einmal mit fid) bringt — beeinträchtigt Fl • 
IRaupaffant müßte fein gran3ofe fein, roenn er für foldje lidjtfdjeue Radje ein ü>o 
öes (Eaöels fänöe. (Es liegt aber aud) nid)t in öer Ärt feinet perfönlidjen tDeltbetra 
tung. Diefer oöllig außerjittlidje Raturalift roill öie menfdjen unö Dinge fo öaiftel en, 
roie fie finö, ö. h* — aud) nad) 3 olas gormel — roie er fie fiel)t, unö fein tDeltemppn 
öen ift eben öutd)aus peffimiftifd) beftimmt, ift Satire, gleidjDiel ob es fid) um 5 tcun 
oöet $einö handelt. 

(Eine petfönlid)e Äbneigung fd)eint maupaffant gegen öie öeutfdjen ©W”* 

3U hegen* (Et fagt 3roar einmal, öaß fie „3uroeiien" gut et3ogen feien, fd)ilöee l’ 1 “ 
aber gern hochmütig unö anmaßend unö läßt öies aud) in ihtem gefellfdjaft 
Äuftreten gegenüber öen Ungehörigen öes unterlegenen Dolts heroortreten. c 
man öie Unfumme blööer ©teuelgefd)id)ten beöentt, öie heute über unfere 2 tu PP* 
oon unfeten ©egnern Derbreitet unö oon öem amtlichen granfreid) auf ®rim I 
genannter 3 eugenausfagen für bare mün3e ausgegeben roeröen, roitö man fi<h^ • 
oerrounöern, öaß aud) damals maupaffant (Et3ählungen oon einem atl 5 e ’ 
ungehörigen Äuftreten öet fremden Herrn gehört unö für roal)t gehalten 
fie oerein3elt bei ihm ootfommen, fo in „Boule de Suif“, „Mademoiselle Fifi 0 
in öem nadjgelaffenen Romanbrud)ftücf „L’Angdlus“. Gelegentlich begegnet man 
Bemertung, öaß öie ftan 3 öfifd)en gägerofföiere faum mit geringerer Deraa) 




Don 3ofjann (fteorg Sprengel 495 

auf öie einfachen Bürget hetabfehen als öie öeutfdjen Reiterofftiere, unö in öer 
miöetlichen Höhlung non öem franjöfifdjen fjufarenrittmeifter (Epioent, Öen Rtau* 
paffant als Hypus bejeidynet („Le Lit 29“), erfährt man, öafe für ihn öer ZTCenfch 
beim ©ffaiet anfängt unö öafe er überöies felbft für öie Offnere anöeret IDaffen* 
gattungen eine unüberbietbare erhabene Deradjtung empfinöet. 3m öeutfäen 
©ffi3icr fielet Ittaupaffant ausgefprodjen Öen Dertreter öes fiegreidjen feeres, Öen 
feine Allmacht, im lebten CEnöe nichts anöres als eine IDirfung öes ©runöübels 
öes Kriegs, 3U flnmafeung unö gelegentlichem mißbrauch »erführt — er 3tDeifelt 
aber sicherlich nicht öaran, öafe es $tan3ofen im entfprechenöen Salle genau fo machen 
tnüröen, roie er es oon Öen Scinöen oorausfefet. 3m übrigen erfennt er an, öafe auch öie 
oberfte öeutfdje fjeetesleitung ftreng auf IHanns3udit unö flnftanö halt („Made¬ 
moiselle Fifi“), er traut fogar öeutfdjen ©fföieren gegenüber öem tüdifchen meuchel* 
möröer Rlilon eine hodjft auffallenöe, menfchlich gar 3U fchöne unö müitärifch gan3 
unöentbare IRilöe oöer »ielmehr Schwache 3U. 

©leidßeitig giefet öer oon ariftofratifcher ©eringfehäfeung öer öemofratifchen 
Republit erfüllte Dichter — man lefe hierüber befonöets öie föftliche Satire „(Ein 
Staatsftreich", »o et öie eitle Selbftgefälligfeit unö Selbftfudjt, öie hohle ©rofe* 
mäuligteit öer republifanifchen Parteigänger erbarmungslos blofeftellt! — öie »olle 
S^ale blutigften f)ohns über öie Dolfsberoaffnung, übet öas $reifchärlen»efen unö 
öas feige, aufgeblafene Rlaulhelöentum öer Rlili3offi3iere aus, öie not ihren eigenen 
öiebifdjen unö lieöerlichen, Öen (Einörud non Räubern ermedenöen Solöaten flngft 
haben: „ehemalige Sud;* oöer ©etreiöehänöler, getoefene Stearin* unö Seifenfrämer, 
©elegenheitstrieger, roegen ihrer Haler oöer öer Sänge ihrer Schnurrbärte 3u ®ffi* 
3»cren ernannt, mit IDaffen, $lanell unö Steffen überlaöen" („Boule de Suif“). 
„HTüfeenmachet mären ©berften unö taten ©eneralsöienfte, frieöliche Schmerbäuche 
prangten in roten Binöen unö maren mit Reooloetn unö Dolden gefpidt; Spiefe* 
bürget führten als ©elegenheitsfrieger Bataillone heulenöer $reimilliger unö fluchten 
mic Suhrleute, um fi<h ein flnfehen 3U geben! Die ein3ige Hatfache, öafe fie IDaffen 
führten unö fjmterlaöer hanöljabten, machte öiefe Ceute toll. . . unö gefährlich für 
Öen erften Beften; man erfchofe Unfdjulöige, um 3U bemeifen, öafe man 3U töten »er* 
ftanö. 3n (Ermangelung öer Preufeen fdjofe man auf Öen $elöern »erlaufene fjunöe, 
frieölich mieöerläuenöe Kühe unö franfe, roeiöenöe Pferöe ab..." („Un Coup d’ßtat“). 
Sol^e unö ähnliche Ruslaffungen unö Schilöerungen hoben für uns heute eine 
unmittelbare ©egenmartsbeöeutung, menn mir uns in manche (Erfcheinungen 3U 
Anfang öes Kriegs in Belgien unö $ranfreich oerfefeen unö öeren feelifchen hinter* 
giunö »erftehen roollen. (Es liegt in alleöem audj eine beher3igensroerte IDarnung 
oor all3u grofeet Dertrauensfeligfeit unö unangebrachter (Empfinöfamteit gegenüber 
ber mantelmütigen gallifdjen Dolfsfeele — »on öer fich auch öas gan3 »ermelfchte, 
nn fran3öfif<hen Schlepptau höngenöe Belgiertum nicht all3U fehr unterfcheiöet. 
Die gegebenen flnöeutungen öürften mohl genügen, um Rtaupaffant als hinreidjenb 
fachlichen 3eugen — fomeit öies überhaupt möglich ift — gelten 3U Iaffen. 

Rtaupaffants Ijafe gilt nicht öem $einöe, mit öem fein £anö Krieg fühlte — 
flöolf Sterns fonft fo feinfinniges Urteil (Stuöien 3ur Literatur öer ©egenmart, 
Reue $oIge, 1904, S. 319) läfet fich in biefem Punft nicht unterfchreiben —, es gilt 
»telmehr öem Krieg felber, in öem er Öen eigentlichen $einö erblidt. 3m Krieg 



494 


UTaupaffants unö Cütenctons Kriegsöidjtung 


|ieljt er nichts als öie fcheußlidjfte Barbarei. (Et oerfteigt fid} 3U ber ungeheuerlichen 
Behauptung, baß frtegfüfjrenöe Kulturoölfer noch unter Öen Menfchenfreffern fte^en, 
bet öenen öer Krieg wenigftens einen praftifchen 3r»ed hat, wäljrenb jene blofe aus 
Morbluft tämpfen. 3ebe Regierung, öie einen Krieg anfängt, müßte in Auflage* 
3u|tanö perfekt wer öen; öann würbe es feinen Krieg mehr geben. ITColtfes Den 
teiöigung öes Krieges 1 ) als einer gottgewollten (Einrichtung, öie bei Öen IRen|d|en 
öie großen eölen (befühle nährt, öie (Ehre, öie fjingebung, Öen Mut, öie fie »ot un* 
wütöigem Materialismus bewahrt, enegt ihm fdjäumenöe EDut („Sur l’eau"). 

Kein IDort erfcheint ihm 3U jtarf, gegen öiefe iöealiftifdje fluffaj[ung aufeutteten, 
in öer öer große Schweiget unö Sdjlachtenlenfet mit unferem größten 3öealijten 
Schiller öutdjaus iibereinftimmt. (Er {ieht in Öen Solöaten, öie in Öen Krieg 3iehen, 
nichts als eine 3m Schlachtbanf geführte hammeiherbe, im Krieg nichts als Öen Der* 
nichter foftbarer Menfdjenleben unö Kulturwerte, öen 3erftörer aller UTenfc^citredfte 
unö ©efeße. Dabei fteht ihm gan3 finölich eine (Erfcheinungsfomt öes Krieges oot 
Augen, öie öutch öie internationalen Derträge heuer ausgefdjloffen fein follte, aber 
— öamals wie heute — non öer 3ud?tlofigfeit öer gallifchen ©emütsart unö aud), 
wie man 3ufügen muß, öer ©ewiffenlofigfeit öer Dertreter öer öortigen Staatsgeroalt 
immer wieöer ohne Dorteil für öie Sache, nur 3um Schaben öes Canöes unö öer Be* 
woljner, hetootgerufen wotöen ift, öer heimtücfifche Banöenfrieg aus öem hMet* 
halt. Mit einer in öer fran3Öfi|chen Ätt liegenden finölichen Unoernunft roiH et 
nicht oerftehen, warum man einen Menfdjen erfdjiefet, öer fein f? aus oerteibigt, 
blofe weil er einen Kittel trägt. (Et will nichts öaoon wiffen, baß öas Dölfened|t 
Öen unbewaffneten Bürger öes eroberten £anöes unö öas prioateigentum fhü|t, 
obwohl et felber, wie wir fahen, im beftimmt gegebenen $all anetfennen muß, baß 
öie öeutfehen (Eroberer öiefe perfönlichen Rechte im feinölichen £anb butchaus 
achtet, feine £anösleute aber gegenüber öiefer Schonung öutch hinterliftigen Meusel* 
motö rücffichtslofe Beftrafung folgen.oölferrechtsmibrigen Verhaltens hcrausgefor* 
bert haben. Diefen Schluß 3ieht et 3war felbft nicht ausörücflich, ÖÜ3U ift er 3U f«V 
$ran3ofe. Aber er ift anöerfeits auch ein 3U emfter, aufrichtiger Künftler, um öie ih® 
befannten ©atfadjen 3u oerfchweigen, öie 3U foldjen Schlußfolgerungen führen muffen. 
Man wirb bei allen feinen <Er3ählungen immer im Äuge behalten müffen, baß et 
ni^t Öen großen, begeifternöen Kampf, Öen Sieg, fonöern leöiglich öie Hiebetlage, 
öen ausfidjtslofen, hinterliftigen Banöenfrieg erlebt hat unö ba3U fah, ®ie feine ab* 
göttifch geliebte, fehöne Rotmanöie unter allen £aften unö unoermeiblichen Sthaöi* 
gungen eines unglücflichen Kampfes litt. 

Bemerfenswert ift weiterhin feine Anfcfjauung oon öer inneren Teilnahme öes 
Dolfs am Kriege. Seine Mutter Sauoage liebt ihre friebtiche (Einquartierung. Denn, 
fo fagt er, öie Bauern wiffen nichts oon patriotifdjem haß, öas ift Sache öer oberen 
3ehntaufenö. Die unteren Dolfsflaffen, öie oon öen £aften unö öer Hot öes Krieges 
bejonöers getroffen werben, haben gar fein Derftänönis für öeffen angebliche P«li* 
tifche Hotwenöigfeit. (Eine feiner Kriegsnooellen („Deux amis“) fchilöert 3® ct 
harmlofe Parifer Spießbürger, leibenfchaftliche Angler, öie wähtenö öer Belagetung 
an einem fre unölichen, milöen EDintertage unter öem (Einfluß eines ungewohnte 



Don 3of)atnt ©eorg Spreng«! ^gg 

reichlichen Abfinthfrühfeijoppens auf ben beöenllichen (Einfall fommen, außerhalb 
ber fran3öfif<^cn Dorpofienlirtie ihrer £iebhaberei nad^ugehen, babei gefangen ge* 
nontmen unb — fie finb übrigens als Bürgerwehrleute fenntlidj — als Spione er* 
hoffen werben. flud? biefe Rooelle — ein oollenbetes Kunftroerf — atmet, wie icb 
im ©egenfafe 3U flbolf Stern meine, nicht fjafe gegen bie geinbe granfreichs, fonbetn 
gegen ben Krieg felber. 3hre trübfeligen helben, bie beiben harmlofen unb törichten 
Pattfet Prüftet philofophieten toctyrenb bes flngelns über ben Krieg, ber ihnen 
gan3 im Sinn ihres geiftigen Daters ebenfo oerhafet wie unoerftänblidj ift. Die Re* 
publit, meint bet eine, hätte ben Krieg nicht erHärt. IDotauf bet anbete: Rtit ben 
Königen hat man ben Krieg nah aufeen, mit ber Republi! im 3nnern. grei ift man 
untet feiner Staatsoerfaffung: barin ftimmen fie überein. RTaupaffant nennt biefe 
Biebermeierei fe$r be3eid?nenb „bie gefunbe Dernunft fanfter unb befhränfter 
Rtenfdjen". IDenigftens biefe beiben lederen Rtertmale treffen gewife 3U. 3n bet 
Romane oon ben TDilbgänfen, bie über einer unten roeibenben herbe 3a^mer, fetter 
(Banfe fliehen, bringt er finnbilblich 3um flusbrud, bafe biefem enggebunbenen 
unb befdjränften CEalmenfhentum eine Ahnung höherer greiheit wohl hämmern 
fann. Aber bem Rtaterialiften RTaupaffant, beffen Derhängnis, toie flbolf Stern fagt, 

feine Derföljnenöe, feine etijifdj gebietenöe ZTladjt erfennen oöet audj nur afynen 
liefe, i^m bleibt bas toaste tDefen menfdjlicher, &• fl- geiftiger unb fittlicfjer greiheit 
»erborgen, obwohl ihm nicht unbefannt ift, bafe auch im enggebunbenen Philifterfinn 
ein höheres lebt. Seine beiben „greunbe" ^aben in ihrer 3ittemben geigljeit boefj 
(Ehrgefühl genug, bas fran3öfifhe £ofungswort, beffen Derrat ihnen £eben unb grei* 
Ijeit bebeutete, nicht preis3ugeben, unb fie Iaffen fid} eher erfchiefeen. (Es lebt ein, 
roenn aud? unfreiwilliges, wenig würbeoolles helöentum batin. IDit wiffen, bafe 
öer »om £eben »erwähnte, oon ben grauen oerljätfhelte, burdj geiftige Öberanftren* 
gung unb butdj 3ügeIIofigfeit in feiner angeborenen urwüdjfigen Cebensfraft et* 
fhütterte Dichter felbft fich in leibenfchaftlidjet ©obesangft oeQehrte unb ein trübes 
«nbe nahm. 3hm fehlte jener männliche ©eift, jener ©laube an bas £eben, an bie 
Sterne, jene Seelenfraft bes wahrhaft freien RTenfdjen, bie einen Schüler bas £eben 
»oll erfaffen unb hoch wieber überwinben liefe, bie bei einem Ciliencton ben flus* 
gleih f*es finnlichen Cebensgenuffes abgab. Rtaupaffants gefunbe Hatur, ber bas 
©efhief ein grofees ©rieben oon aufeen her nicht oergönnte, ging an Paris 3ugrunbe, 
ähnlich feinem £anbsmamt unb 3eitgenoffen Paul Derlaine, beffen wehmütige 
Klage um ein bort oergeubetes Dafein wir in feinen rührenben Derfen nicht ohne 
Teilnahme hören. 

HHll man Rtaupaffants flnfdjauungen oon ber IDirfung bes Krieges auf bie 
juenfhliche Seele in eine Inappe gormel bringen, fo würbe biefe alfo lauten: Der 
Krieg macht ben RIenfchen 3um wilben TRet ober 3um fjanswurft. Rtan wäre ja 
»erfuht, biefe gormel an ber heurigen fjaltung granfreichs im IDelttrieg nach3U* 
prüfen unb würbe bafüt mancherlei fdjlagenbe Belege finben; hoch h°Ben wir uns 
an RTaupaffant 3U halten. Seine Rooellen enthalten, wie fchon angebeutet, einbring* 
i<h e mit höchfter Kunft entwicfelte Beifpiele für beibe gälle. Den erften gall weift 
»ne in einem Sdjulbeifpiele bie tragifhe Rooelle oon ber„RtutterSauoage" auf, ben 
3®eiten ebenfo bie fomifche Rooelle oon „IDalter Sdjnaffs’ Abenteuer". Die Rtutter 
auoage ift in jebet hinficht ein Rteifterwert bet ©r3ählungstunft, bas Rtufter einer 



496 Blaupaffants unb Cilicncrons Kriegsbidjtung 

RaljmennoDelle. 3n einet lieblidjen Canbfdjaft bet Rotmanbie, beten roeidje, Jinm 
lidje Sdjönljeit bet Dichter mit »enigen Stridjen Iebenbig »erben läfet, trifft er 
nad) bem Krieg bie raudjgefcfyroärjten Stummer einet ^ütte, beten Befitjerin ihn 
einft, Iut3 cot bem Kriege, auf einem 3agbausfluge fteunblidj etquidt ^atte. Bun 
»itb bet Ausgang biefet Alten berichtet. ©s ijt bie ©efdjidjte bet $tau, bie mit 
iljten unfreiwilligen beutfdjen (Saften fo ^armlos lebt, »ie eine BTuttet mit beit 
eigenen Söhnen, bis fie bie Radjrid)t erhält, bafe il}t eigener ©uriger bet Batet 
batte als berüchtigter IDilbbieb einen geroaltfamen TEob gefunben, aud) bet Soljn ift 
ein gefürchteter tDilbtöter —, bafe biefet t»on einet beutfdjen ©ranate 3etriffen 
rootben ift. Da übetfommt fie ein »ahnfinttiget Drang, ben 3^tigcn 3U radjen, unb 
fie oerbrennt bie frifdje blonbe 3ugenb bet oiet geliebten (öuartierföljne im Speiset 
famt bet gan3en Berufung, um bann beftiebigt nad) einem offenen ©eftänönis ilji 
Ceben unter ben beutfdjen Kugeln aus3utjaudjen. 

(Es ift merhoürbig unb be3eidjnenb, bafe »it in Blaupaffants Kriegset3ä^tungen 
teine männlichen, fonbetn nur roeiblidje fjelben finben, batuntet aud) redjt üble 
Damen, bie aber oon BTaupaffant, bet 3»ifdjen bet anftänbigen Stau unb bet Oitne 
feinen rechten Unterfdjieb fennt unb bas in ben Sdjlufeworten oon „Mademoiselle 
Fifi“ mit oetblüffenbet ©ffenljeit ausfpridjt, fogat mit fid)tlid)er Ciebe öatgeftellt 
»erben. Aud) in bet Rooelle „Die ©efangenen" ift eine $rau bie Ijanbelnbe petfon. 
BTit Cift unb (Entfdjloffenljeit Iodt fie ben beutfdjen Aufflärungstrupp in i^ten Keilet, 
»o bie all3u oerttauensfeligen unb gutmütigen $einbe »ie bie Blaus in bet $®1« 
gefangen finb; bann lägt fie ben Canbfturm oon Retljel hetbeiljolen. Abet bamitf 
bas fjelbenlieb aud) 3U CEnbe. Die mannlidjen Daterlanbsoerteibiger ^aben nidjt ein¬ 
mal ben Blut, bie hilflos eingefpettten Deutfcfjen 3U überwältigen. Ratlos Undingen 
fie bas fjaus unb treiben 3ut Unterhaltung Harteteien, bis einet oon ihnen aus bem 
gefürchteten Kellerlod) einen Schüfe in einen 3»ar nidjt befonbers eblen, abet bot) 
auch empfinblidjen Körperteil ethält. BTan »eife bet eingefpettten Deutfd)en 3ule? 
nid)t anbers fjetr 3U »erben, als inbem man ben Keilet unter BJaffer fegt. Übet 
bas fjelbentum bet Ditne Radjel fdjroeigt man liebet, »ie benn bie ganje Bone e 
„Mademoiselle Fifi“ — nicht et»a nur oom beutfdjen Stanbpunft aus—rein menj ' 
li<h nnb in manchem auch fünftletifdj 3U unetfteulid) roitft, um fid) bamit3ubefa)®l 
tigen. Ulan braucht nicht 3impetlidj 3U fein, um fich DOn biefet unoethüllten unb 3 u _9' e • 
empfinbfamen Sdjamlofigfeit, bie alletbings echt ftan3öfifdj ift, abgeftofeen 3Ufühem 

3n U)altet Sdjnaffs malt BTaupaffant bas ergöfelidje Bilb eines unfriegetifdp 
Blufefolbaten. (Et leibet unter ben BTüljfalen unb bet Angft bes Krieges betari, fl B 
et feinen Ijeifeetn U)unfdj fennt, als in bie ©efangenfdjaft 3U geraten, bie ihn 
»eitern Ceiben unb ©efaljren enthebt; bies gelingt ihm auch in h°<hft etgögudJ® 
IDeife. Dafe bet Dichtet 3u biefer fomifdjen ©eftalt einen Deutfd)en »äljltf fann 
»unbernehmen unb braucht uns nidjt in patriotifefje ©ntrüftung 3 U oetfefeen. 
»ill bamit bie Deutfdjen nidjt ehoa als TDeidjlinge unb Seiglinge be3ei<hnen, * 
auch fonft nitgenbs tut, fo »enig, als et oon fran3öfifdjem fjelbenmut benfl • 
BTaupaffant ift ein 3U fad)Iid)er Künftlet, um nid)t mit ben TEatfadjen unb ©t9 e J®' 
bes Sieb3iget Krieges fdjledjterbings 3U rechnen. Die ©eftalt bes fjafenfufee s fl 
Sdjnaffs ift geroife unter ben Canbsleuten bes Didjtets erlebt, fonft gan3 rein tnenj? 
lid) empfunben, »itb übrigens ba3u benüfet, um übet bas feige Blaulhribcntum 



Don Johann Georg Sprengel 


497 


fran3Öfifd}en Canöfturms wieöet einmal öie nolle Schale öes Spottet 3U etgiefeen. 
Denn Sdjnaffs’ ljafenhet3ig!eit wirö oon öet feiner übetwinöer nod} erheblich übet* 
boten. Sdjon bei jähe Sdjted, in Öen öie blofee Erfcheinung eines ein3elnen öeutfchen 
Solöaten eine 3ahlreid}e, beim Abenöeffen oerfammelte Sdjlofebienerfdjaft perfekt, 
mirö mit öerber Komi! gefd}ilöert; öie gan3e ©efellfchaft räumt in lopflofer $lud}t 
öas Sdjlofe. Red)t be3eidjnenö ift öabei, bafc öie männlichen Rtitglieöer öiefes rittet* 
liehen Dotts öie $tauen unter öie $üfje trampeln, toas freilich im Salle einet plöt}* 
liehen Pani! im Paris öer adliger 3 ah*e nicht ettoa über uieniger ©ebilöete, fonöetn 
übet fjerten öer beften ©efellfdjaft oon fran3öjifd}en 3eitungen berietet motöen ift. 
IHit überipältigenöem Spott toirö öann öie nächtliche ©efangemtahme öes Deutfdjen 
öurd} eine gan3e Kompanie Canöfturm er3äl}lt, nadjöem öer Ausgehungerte öie ge* 
famte Abenömalföeit öer ©eflüdjteten einfchliefclid} öes oorhanöenen Apfelweinoorrats 
3u ficf} genommen hat unö mit überfülltem Klagen in feineren, beraufdjten Schlaf 
gefun!en ift. Sn einem prahletifdfen, phantaftifd} ausgefchmüdten Siegesberi(ht 
über einen angeblichen hih^en Kampf mit einet größeren öeutfchen Abteilung, Öen 
öer als ©berft aufgeputjte Anführer öer $tan3ofen, feinem Beruf unö feinet ©emüts* 
art nach fneölicher Eudjhänöler, abfenöet, finöet öie Poffe ihren Irönenöen Abfd}luf}. 
Der fiegteiche Anführer belommt natürlich für öiefe tjelöentat einen ©röen, ebenfo 
toie in öer oorhet angeführten Hopelle pon Öen im Keller eingefchloffenen Deutfdjen 
öet aus blofeem Ungefchid in öie Sitjgelegenheit getroffene wohlbeleibte IRehget. 
Per hier mitgeteilte Siegesbericht über öie ©efangennaljme eines ein3elnen fchlafenöen 
öeutfchen Solöaten u>irft ein helles Schlaglicht auf fo manche Siegesnachricht, öie im 
lebten 3 af}t pon ftan3Öfif<her Seite in öie EDelt gefanöt touröe, eine recht öeutlich 
reöenöe Erläuterung auch 3U manchen heurigen Eagesberid}ten öer fran3öfif<hen 
Kriegsleitung. Die öeutfehe Sprache, öie belanntlich eine atme unö plumpe Sprache 
ift, nennt fol<he Dinge unhöflich Cügen. Die lebhafte, leicht erhifcte unö pon öer Eitel* 
teit mafelos angeftachelte toelfche Einbilöungstraft nimmt es mit Öen Dingen nicht 
fo genau unö ift oielleicht oielfad} aufoerftanöe, fich öeffen bewußt 3U roeröen, 
öafe fie einfach öie tOelt unö fich felber belügt. 

Es mag bei öiefen Anöeutungen über Rlaupaffants Kriegsfchilöetungen fein 
Betoenöen haben. Sh* eigentlicher 3 ®ed erfchöpft fid} in öem Bilöe einet öem Kriege 
mit reinem Peffimismus gegenüberftehenöen XDettanfdjauung, unö man bemertt 
öabei, öafe öiefer Dichtet, öer als 3 ®an 3 igjäl}riger nicht an Öen entfcheiöenöen Schlad}* 
ten, fonöetn nur am Kleintrieg jener non ihm fo grünblid} nerfpotteten Sparen öer 
republüanifchen Canöesoerteiöigung teilgenommen hatte, fid} ftets in Öen äußern 
Ranöbe 3 ir!en öes Kriegs bewegt. Dom ©etümmel öer Schlacht, öas ihm unbelannt 
blieb, hält er fid} auch in feinen Er3äi}lungen fern. Dies aber ift öie eigentliche Cebens* 
luft Ciliencrons, öes großen Söealiften öet Kriegsöidjtung. Künftlerifch ftehteröem 
$ran 3 ofen nahe in öer aufeeroröentlichen Schärfe öes Blids, öer Beobachtung, in 
Öer padenöen Ktaft unö Cebenstreue feiner unerbittlichen Darftellungslunft. Aud} 
einen ftar!en peffimiftifchen 3 ug hat öer nom ©efdjid piel enttäufd}te unö ge3aufte 
Dieter öet Kriegsnonellen, öer mit öem Ceben nie fo ga «3 eins weröen tonnte, mit 
jenem gemein. Das fprid}t fich nielfach in feinen tt)er!en, auch nod} in „Ceben unö 
*-uge", mit harter Deutlid}teit aus. Er oh öiefes innern 3 ®iefpalts non Söeal unö 
Ceben bleibt Ciliencton ftets öer grofee Söealift öes naterlänöifchen Bewufctfeins, 

3elt tö r - f. t>.6eutfd|en Unterricht. 29 . 3«hrg. 7 ./ 8 . $eft 32 



49g ITTaupaffants unb £iltenctons Kriegsbid)tung 

öamit auch bes Kampfes füt £anb unb Dol!. Sold} oergeiftigtes (Empfinben bet 
grauenhaften IDirtIid?teit, bie er mit rüdfid}tslofer Cebenstreue malt, fteigert fid} bis 
3U mythifd)et Bilbfraft, ju fünftlerifd}er ITIetaphyfif. Das grofee (Erleben, bas mau* 
paffant gefehlt hat, fcfjcnfte feiner altpreufeijdjen Solbatennatur bas Sd)idjal getabe 
in ben 3wei fiegteidjen Kriegen, an benen es ihn teilnehmen liefe, in benen bie ©töfee 
bes Daterlanbes errangen, bas Deutfdje Reith gefthmiebet würbe. tDir bütfen an bet 
entfdjeibenben Bebeutung biefer ©atfad}e füt fein gan3es IHenfthfein nicht 3t»eifeln; 
et felbft hot barübet ein Befenntnis abgelegt in bem „Rüdblid", wo er bas 3 auber* 
lanb bet Kinbljeit unb bann bie „winbigen Spinnweben" feines oerfloffenen „tDüfien 
Gebens" übetfthauenb, angefithts bes Kampfes bebeutungsooll fdjliefet: 

„Schwamm ith »tele 3 aljte lang 
Steuetlos im £eben, 
h®t mit h«ut bet fdjatfe ©ang 
TDinf unb 3iel gegeben." 

Bei allem Cebensnerlangen feinet fdjönheitsburftigen Sinnenfreubigleit hot et 
im tobperadjtenben (Einfefeen feines Cebens für bie hofften ©üter unferes ©eben* 
bafeins beffen gewaltigftes (Erlebnis in begeiftertem unb geifteshellen Raufd} leiden* 
fchaftlidj empfunben. 

tDunben unb Hob finb ihm an fid} etwas 3ut Sache ©eljötiges, bas gat nicht in 
Stage fommt, etwas Selbftnerftänbli<hes, not allem aber ein herrliches IRanneslos 
unb helbenfthidfal; bas ©haos bet Sdjlacht, bet ©reuel bet Detnidjtung ein übet* 
wältigenbes Sd}aufpiel. 

Diefer 3 bealismus bes Krieges wut3elt bei ihm gan3 unb gat in bet Kraft bes 
Doltljeitsgefühts. tDenn am (Enbe bes Romans „£eben unb £üge" bie btei Jugenb* 
freunbe als teife gan3e ITCenfchen fid} ihre tDeltanfdjauung ausfdjütten unb bet ge* 
alterte Kai Dorbrüggen, ber ben Dichter pertritt, feine IDeltabfeht betennt, bie fid} na * 
einet fenfeitig fernen Utheimat bes RTenfdjen feljnt: mit (Einem bleibt et feftin 
biefem £eben ftehn, mit bet „treuen fjingebung für Kaifer unb Reich, füt bas Daterlanb. 

Diefer hingebenbe ©pfermut, ben er uns an einet bunten Reihe höchl* oet $' t e> 
benartiger, teineswegs immer nur erfreulicher ©eiftesfinber aufweift, ift auch * em 
Doned}t bet fogenannten ©ebilbeten: Solchen ©eift lieft bet Dichter in ben Sieges* 
wunfdjaugen feiner gan3en „herrlichen Kompanie". 3 n bem alten Setgeanten 
3an bes böhmifdjen $elb3ugs lernen wir in untergeorbneter Stellung eine Dertot* 
perang ber altpreufeifchen pflid}tbewufeten ©reue fennen. Der lefete fltemhaud} 
fterbenben Lagers lifpelt: „IReine alte RTutter — wirb fid} freuen; beim flbfajte 
— fagte fie — liebe bein Daterlanb bis in ben ©ob." Die „Dame Pflicht" «fö eint 
unfetemDichter getabe3u leibhaftig, wo es fdjwet wirb, ihr 3U gehotdjen unb bett Drang 
ber mitleibigen Seele 3U überwinben. Sie fdjreitet poran, wenn eine Batterie butd? 
ben hohltoeg hinburd} mufe, ber pon Derwunbeten erfüllt ift; „bat mut hiuböt < es 
gibt fein Befinnen, es gehe, wie es geh! Solches Pflichtgefühl erfüllt bas gatt3e h ee * 
Pom höchften bis 3um ©eringften. 3 hm ift es !ein blofeet, faltet lategorifchet 3mpeto* 
tin, fonbetn ein 3aud}3en bes Blutes, ber in ben Krieg perfekten frönen Seele-Sa} 1 * 
lets, man möchte oft 3weifeln, ob mehr IDürbe ober Anmut, fo rein ift bieje KaW!* 
ftimmung in £uftgefühl aufgelöft. Sein Künftlerhet3 will laut auffchtein not W 
3üden übet bas Bilb ber fid] entgegenrüdenben Reiterfdjcrren. Unb während et, Döt 



Don Jofjann ©eorg Sprengel 


499 


$teubeüber öie Pracht erftarrt, auf bem ©aul |ißt, fallen ißm bie munöeroollen Derfe 
^iobs übet bas Schlad} troß ein. „© Reiterluft, o Rlännertag!" fdjreit’s in ißm. Das 
roilbe ©etümmel bet Sdjladjt ift ißm ein unbefd}teibli<h gro&artiger Anblicf, ben fein 
Künfiletauge mit tDonne einfd}lürft, im gan3en mie im fleinften. Keine noch jo 
geringfügige ©^elheit entgeht ißm felbft ba, als er 3U Hoben geftüt3t im ©etümmel 
unter ben fjufen liegt. 


„ 3 u Hoben ftüt3 idj, einet ftidjt 
Unb 3errt mich, id} erraff mich nidjt, 
Unb um midj, not mir, unter mit 
©n furchtbar Ringen, ©all unb ©ter. 
Unb über unferm umften Knaul 
Bäumt fid? ein fdjeu getnorbner ©aul. 
3 <h fei? ber Dotberljufe Bliß, 
Blutfeftgetrotfneten Sporenriß, 


Den ffiurt, ben angefprißten Kot. 

Der aufgeblähten Rüftem Rot, 

Unb 3n>ifd}en uns mit Klang unb Kling 
piaßt bet ©ranate ©fenring: 

©n Drache brüllt, bie ©rbe birft, 

©nfällt bet UDeltenßimmelfirft. 

(Es äd}3t, es ftößnt, unb Schutt unb Staub 
Umhüllen ©ob unb Sorbeerlaub." 


Oliencrons fünftlerifches ©npfinben für bie Schönheit bes Kampfes ift im hod}* 
ften ©rabe malerifd}, 3ugleidj aber auch ntufifalifd}. IDie oiel Rtufif erllingt fchon in 
bem ent3üdenben ©nbrucfsbilbchen oom flufeug ber $ahnenfompanie ,;Die RTufif 
fommt"! tDelcf} milb erhabene Sinfonie bes Kampfgetöfes hallt in feinen Sd}lad}t* 
bilbetn toiber! Der fjohenfriebberget IRarfch ertönt; „auch öem nüchternften Rechen* 
meifter" — fagt ber Dichter — „ftößt er feine $euergarben ins tieffte tjer3". Unb im 
„Snfanteriefignal 3um floancieren" oemimmt er bie ©emißßeit ber tDehrhaftigfeit 
feines Dolfes, bie jebem Sturme non IDeft unb ©ft ©ruß bieten mirb. 

Reben bem fjelöenmut, bem ©pferfinn, ber Pflichttreue, ber Begeiferung für 
bie große Aufgabe, neben allen ben männlichen ©ugenben, bie bie ©röße bes Kriegs* 
helben ausmachen, blüht auch öie 3arte Blume reiner lTCenfd}lichfeit. 

3 n erfter Reihe fteht ba bie echte Solbatentugenb bet Kamerabfchaft, bie fid? im 
Kriege auch 3 ro tfd}en Dorgefeßten unb Untergebenen enger geltenb macht als in 
tuh’Sen 3 eiten. Schon im $rieben bilbet bie Kompanie eine gtoße Samilie, beren 
Süßrer mit allen £ebensnerf}ältniffen ber ißm flnnertrauten genau belannt ift roie 
ein rechter Dater. Sn mannigfachen Deinen 3 ügen tritt bas fd}öne tamerabfd}aftliche 
Verhältnis 3utage, in tüdficßtsooller flufmertfamfeit, Sorglicßleit unb ©eilnahme, 
in einer 3utoeilen gerabe3u frauenhaften 3 artheit, in einer U)eichheit ber Seele, bie 
fieß auch öer ©ränen um ben gefallenen $teunb nicht fchämt. Diefe beutfdjen Solba* 
ten !ann bet unerbittliche Krieg nicht oertohen. U)er mürbe nicht in tieffter Seele 
getührt oon bet aufopfernben Sorge für bie U)öd}nerin in ber Rooelle „Um3ingelt"? 
©n Bataillon fämpft in einem umfriebigten ©eßöft gegen ben meitüberlegenen 
®egnet ben furchtbaren Kampf, ber in bem Befehl enthalten ift: Bis auf ben leßten 
Ulann halten. UJähtenb biefes fieberhaften, blutigen, perluftreichen Ringens, in bem 
bas ©eßöft fi<h in ben „©arten bes ©obes" permanbelt, erlebt bie ©attin bes Befißers, 
eines gräflichen „UJafdjlappens", ißre fernere Stunbe mit ^ilfe bes beutfdjen At3tes, 
oon beutfehen Solbaten forgfältig gehegt unb oor *einbted}enben ©urlos gefdjüßt, 
öann aus bem brennenben haus an eine leiblich fixere Stelle im ©arten getragen unb 
bort bemacht, mäßrenb hoch jeber Rtann 3ur Derteibigung ber ffinftiebigungsmauer 
blutnötig mar. „Der beutfdje Solbat bleibt immer beutfeh": bies IDort bes Dieters 
hat fieß auch ün gegenmärtigen Kampf in ähnlicher tDeife oieltaufenbfach bemährt. 
Unfete $einöe nennen unfere Art Barbarentum. Spotten ihrer felbftunbmiffennichtmie! 


32* 



500 


Btaupaffants unb Ctltenctons Kriegsbidjtung 


(Es barf nicht uetgeffen werben, bafj Siliencton nom $einbe ftets mit Sadjlichieit 
unb Achtung fprid)t. 3 ljn cn^üdt „bes $einbes wunberoolles fjccr". Das ^inbett 
nicht bcn edjtcn Kampfes30tn, in bcm ct bcn ©astogner, „ben gelben Curnmel“, bet 
ihm bie helmfpijje abfehiefet, mit einem „£}ieb 3Ut (Erbe tief" freubig übet ben Schäbel 
haut. (Entpfinbfame Ittatther3ig!eit ift ii}m fremb, aber über bie Seinöj^aft bet 
Doller hinweg jdjlingt fidj 3wifdjen ben Blenfchen plötjlid) ein fametabj<fjaftlid)es 
Banb bes Dertrauens, wie mit es in bet ergteifenben Beichte etleben, bie bet töblid) 
oerwunbete $tan3ofe bem neben ihm liegenben öeutfdjert Kametaben mit bem lebten 
geheimen IDunfd} unb Detmädjtnis feines fjet3ens ablegt. „Sie finb mein Kametab!" 
IDit roiffen, bafe in allen Unetfteulidjleiten eines »on unfeten ©egnetn fo mannigfach 
mit oergifteten IDaffen gefüllten Kampfes auch fyeuer biefes IDort 3uweilen feine 
rein menfdjlicfje Kraft bewährt hat. 

(Ein beftimmenbet 3 ug in bet (Eigenart Siliencrons, ber fid} auch in feinen Kriegs* 
bidjtungen nitgenbs oerleugnet, bleibt ftets bie unnetfieglic^e IDatmljeQigleit feines 
(Empfinbens. Sie unterfcheibet ifyn wohl am ftärlften non bet fadjlidjen Kühle bes 
Satitilets Blaupaffant, ohne ihm bie fritifdje Schärfe bes Blides 3U trüben; fie fd?ü%t 
ibn aber auch — roenigftens in biefem 3ujammenhange — not bet oft netlefcenben 
hätte unb Kälte, bet beflemmenben Unetfreulidjfeit bes BTaupaffantfc^en H)elt* unb 
©efellfdjaftsbilöes. Aus biefet ©efühlswärme quillt unfern Dieter bet golbene 
tjumot, bet feine ITCenfcfjenbarftellung erfüllt, bet in all ben mannigfaltigen Umftän* 
ben unb 3 ufällen bes Kriegslebens gegenwärtig erfdjeint, Ieife tid}ernö, gutmütig 
nedenb, berb fpottenb, feitet entfagenb unb auch in tränen bet IDeljmut noch ftiH 
lächelnb. (Et nimmt bie mannigfachften Sonnen an, blidt oft nur gan3 oetfto^Ien 
3mifdjen ben 3oiIen hetoot unb ergebt fid) bann roiebet in bet oft fo fcharf unb tief* 
fenb be3eid}nenben, faftig bilbftäftigen ITCunbart unfetes Solbatentums. 
gelebt — in nacfybenflidjem Stauen, in bemühtem (Etfaffen unb ©emefeen jebes 
Augenblids — unb wenn es fein mufj, felig geftorben: bas finb ©runbtone, bie in 
Silienctons ^elbenfang oom Kriege doII ausHingen. 

©s ift biet nidjt bie Stelle, bas Bilb allfeitig aus3umalen; mit ben gegebenen 
Umriffen unb einfachen $arbentönen mag es fid? genügen laffen. 1 ) 3ft nun biefw 
Didjterfolbat ein Dertreter bes „preuftifchen Utilitarismus", toie bas blöbe S^imPr 
roort unfetet heutigen $einbe lautet? Richtig betrachtet, gan3 gewife, wenn man bie 
Sache nimmt als bas, was fie in tDitflidjleit ift: als ben altgermanifdjen, treuen, 
toboerachtenben ©pfermut, ben oom gtofjen ©efü^I bes Daterlanbs unb ber ®j l * 
oergeiftigten unb oertlätten Rtannesfinn, als ben Sbealismus eines feines Selbjt 
bewußten Dolles in IDaffen. IDit wollen — trotj Utaupaffant — gern anerfettnen, 
bafe ein gutes Stüd biefet ©efinnung auch im heutigen $tan3ofentum unb feinet 
Dollsheet Iebenbig ift, wenn es auch on ©eiftes* unb ©emütsbitbung fchwetlich ®*f flU jjj 
nur annähetnb gleichet höhe fteljt unb wenn fchon nach 0 er gon3en Sage bet Dinge, nach 
ben Utfadhen unb 3 ielen biefes Krieges ihm bie in unfetem h eetc „ Dom Komman* 

1) fluch fdjien es nidjt nötig, bie 3 t»anglos herausgegriffenen 3üge im ebQelnen 3“ 
belegen, ba bie billigen Doltsausgaben bet Kriegsnooellen unb Kriegsgebidjte h eu i* 
bequem 3 ut Detfügung ftehen. (Es fei bei biefet Gelegenheit nut batan erinnert, bag 
umfaffenbften heute über unfeten Dichter E?eirtrirfj Spiero in feinem geljaltoollen Bual, 
üetleo oon Ciliencton, Sein £eben unb feine IDetle, £eip 3 ig unb Berlin bei Stuftet uiw 
Coefflet 1913, beridjtet. 



Don 3 oI}atin CBeorg Sprengel gQj 

bietenden bis 3um fjomiften" lebendige Schwunghaft der Begeiferung oerfagt blei* 
ben muß. 1 ) Um aber die rechte ©nftellung des Blicfs 3u dem Kriegsdityet Ciliencron 
roeiter ausfdjauenb 3U gewinnen, muß man ßch an fein bis 3um lebten flten^ug not* 
faltendes inniges Ceben in der ITatur, an fein tief innerliches Kunftempfmden et* 
innern, fich feine glühenden Huldigungen an Künftler wie Weift, TKörife, G. $. Weyer, 
Storm, Hugo Wolf, Böcflin, Hans CEhoma u. a. oor Augen halten. Und diefe Sreude 
an der ©röße und Hcrrli^teit tünftlerifchen ©eftaltens befchräntte fi<h nicht auf die 
deutfche Kunft; neben ©oethe, Weift, Storm, $ontane nennt er einmal unter den 
wenigen ©roßen im Reiche der Dichtfunft Shatefpeare, Doftoiewsfi, Guraenieff 
Holftoi und — Rtaupaffant. 

Ritt diefem leiteten, ben toit ihm lediglich unter dem ©efichtspuntt des Krieges 
gegenüberftellten, auch den Dichter und Künftler Ciliencron durchgehend 3U oerglei* 
d}en, wäre eine an3iehende und ergebnisreiche Aufgabe, bei der feinet oon beiden 
3 U fut3 fäme. (Es würden fi<h manche wertooHe Auffchlüffe übet das Zefen moderner 
UMtanfchauung und moderner Kunft dabei ergeben und mancherlei Süden fichtbar 
werden, die 3wifchen deutfdjem und fran3Öfifchem ©eiftesleben unferer 3eit lebendig 
hin und her laufen, oon denen man hoffen mochte, baß fie nicht für immer abgeriffen 
find. Sreilich lief auch unfere in engere ®ren3en geftellte Betrachtung wieder mit 
hellfter Warheit deutlich werden, wo für das deutfche Zeitempfinden der mit Hatur* 
notwendigfeit gegebene ZuQelboben liegt, wo 3wifchen deutfehem und weitem 
Zefen fcharfe ©ren3linien laufen. 

©nige allgemeine Andeutungen über das anregende ©egenüber der beiden 
bid}terif<hen 3eitgeno[fen wurden bereits flüchtig eingeftreut. Uur eine fur3e Schluß 
bemerfung über ihren tünftlerifchen ©egenfaß möge hier noch geftattet fein. Blau* 
paffant ift in feinen Uooeüen ein unübertrefflicher ©gähiungstechnifer, er beherrfcht 
und übt die Kunft der fmgen ©Zahlung mit oollendeter UTeifterfchaft. Ciliencrons 
Kriegsnooellen führen diefen Ramen genau genommen 3U Umecht. (Es find oielmehr 
©ndrucfsbilder oon äußerlich lodetet ©eftaltung. Dodj wäre es ein 3 rrtum, diefe 
freiete $orm der ©eftaltung als RegeQofigfeit 3u be3eichnen. Sie wird oielmeht be* 
ftimmt durch eine außerordentliche Ktaft und blutwarme Rei3famfeit der Sinnes* 
empfindung, und hieraus ergibt fich eine neue und eigenartige innere ©efeßlidjteit 
diefer ©ndrudsfunft, die mit befondem, in ihren eigenen fünftlerifchen Doraus* 
feßungen gegebenen Rtaßftäben gemeffen fein will. 3 n den Iytifcßen Kriegsballaden 
erhebt fich diefe Darftellungsweife mehrfach 3U einer gan3 außerordentlichen, noch 
ni^t dagewefenen und in ihrer Art fcßwerlich 3U überbietenden Künftlerfchaft, wie 
denn Ciliencton befamttlich unferer gan3en fo unoergleidjlich herrlichen und teilen 
Iyrifdjen Kunft die weittragendften Amegungen in neuerer 3 eit gegeben hot* 

Auf eine Wetterführung diefer ©edanfengänge muß hier oet3ichtet werden. 
Unfere Betrachtung lag auf anderem ©ebiet. Wir hoben oerfucht, 3U dem die Zelt 
m i^ren ©rundfeften erfchütternden Krieg, als einet gewaltigen ©Meinung des 
tftenfchheitsle bens unter dem 3 ei<hen der Kunft Stellung 3U fuchen, und dies oon 

1 ) Ulan darf hierbei auch nicht überfeinen, wie bebenflich heute dies fran3öfif<he DoIIs* 
heet burdjdte ©emeinfehaft mit den militSrifch allerdings recht brauchbaren „fatbigen Ston* 
3 ofen" erniedrigt wird, und die Zirfung diefer Zaffenbrüderfchaft auf die fran3öfifche Dolfs* 
l«ele fann nur oerhängnisooll fein, wofür Bleichen fchon jeßt oorliegen. 



502 Rtaupaffants unb £ilienctons Kriegsbi©tung. Don 3c©ann ® eot 8 Sprengel 

5 cn beiben ©egenpolen eines Ktiegsha||ets unb eines Kriegsbegeifterten aus getan. 

tDas ift bas ©tgebnis? ' t 

IDenn IUaupaf|ant ben Krieg als eine®eifeel bet ITCenjdjljett, einen erbamtungs= 

lolen 3et|törer unb Ztta||entnötber bejeidjnet, wirb niemanb ©m wiberfpre©en, uno 
au © gegen bie rein men|©li©e IDa^eit leinet poetif©en Darftellungen aus bem 
Kriege läfet |i© im allgemeinen laum etwas einwenben. 

flnbers |tel}t es mit lernet Behauptung, bie bem Krieg jebe tDerte Idjaftenbe 
Bebeutung abfpri©t, leinet An|i©t »om Behältnis bes Krieges jut Doltsfeele. hier 
wirb |ein Urteil getrübt but© eine in leinet Per|önli©feit unb in leinen Cebenserfah 5 
rungen, leinet ganjen R)eltan|©auung begrünbeten ©nge unb ©in|eitig!eit bes Stanö* 
punlts. Die|et wirb ganj wefentti© mitbe|timmt but© bas (Ergebnis bes unterlege* 
nen Doltes, bas an |einem Ceibe nicht nur, |onbetn auch in |einem £anbe alle oerhee* 
renben IDitfungen eines unglücflichen Krieges erfahren hotte unb bie Knegsfcjten 
in jebem Sinne 3«hlcn mufete. ©t mag 3uglei© motf als Äußerung einer m manchem 
Sinne alt geworbenen Kultur 3U betrauten fein, bie au© auf anbeten £ebensgebteten, 
im phy|i|chen wie gei|tigen Beftanb, unoertennbare Alterser|©einungen auftoeilt. 

Demgegenüber bürfen wir bie in bet geuetptobe biefes tDelttrieges |uh oe®"!* 
renbe unoerbrauchte gti|©e bes beut|<hen Blutes prit fteubiger, |tol3et ©enugtuung 
fe|t|tellen. Die|e gefunbe 3 ugenbli©feit bes Deut|<htums erweift |ich 9 er „ aö ® ou ^‘" 
feinet Auffaffung bes Krieges, wie |ie bei üliencron 3um »ollenbeten fün|tteti|che 
Ausbtud gelangt. Dies DoU bet frieblichen Arbeit unb bes lauteten W«**®*?* 
mit allen anbeten Dölfem, bas 3U ernftem !Dir!li©leits|inn herangereifte DoU oes 
überfinnli©en, »ergei|tigten IDeltempfinbens ift |i<h uoll bewufjt, bafj es ferne b° 
Cebens3iele nur bann ungeftört »erfolgen lann, wenn es fein S©wert plan uit I 
Putoer troden hält, wenn es ftets bereit ift, mit feinen £eibetn einen unübetwtnoiwh 
©ten3waU um bie heilige Heimat, um ben geweihten ©empeltaum feinet meiw 
heitsgüter 3U |©liefeen. ©s »erlangt nichts anbetes als ben Stieben, aber es t) 
bereit unb fähig, ben ihm aufge3wungenen Kampf mit bem gleichen h°h® n 
auf3unehmen unb bur©3ufühten, fein gan3es Sein baran3ufel}en. So wirb ujm a 
bet Krieg ein ibeales, tDerte |©ühenbes unb U)erte |©affenbes ©rieben, wie ungeh 
unb |(hmet 3 lich auch bie ®pfet |ein mögen. Dies Beroufetjein but©bnng 
gan3es Dolf, »on feinen gürften unb gühtern bis 3um einfachen Arbeiter uti Pi 9 j 
befeelt es mit bem fittlichen Kampfes30tn, ber |i«h in bet tDiberftanbs* unb ob 
feiner Dollsljeete au© heute |o hertli© offenbart. Diefet beut|©e Sngtimm, en I 
bie alten Römer fannten unb für©teten, ben £iliencton mit wunber»oller m 
lichteit in bem fjötnertuf, bem Sturmfignal unferer Infanterie feiert, möge un| ^ 
Dol! alle3eit erhalten bleiben als !o|tbares Detmä©tnis bet Ahnen. Solche e|m 
ift bie befte, ia bie ein3ige |ittli©e Begrünbung bes Krieges, jebes Krieges, ben * 
führen fönnen, bie Dorausfetjung für ben Stieben, ben ehrenoollen, ben go|“ 
grieben, wie wir ©n au© als (Ergebnis biefes Kampfes erhoffen bürfen, 
unfer größter Kriegsbi©ter £iliencron in einem wunberfamen Bilbe uns et|©auen 


„ 3 © ftanb an eines (Battens Ranb 
Unb |©aute in ein herrli© £anb, 
Das ausgebreitet »or mir liegt, 
Dom $riebensfö©er eingetoiegt. 


Unb Arm in Arm, es ift fein ©raum, 
Utein U)itt unb i© am Apfelbaum, 
JDit lau|©en einer Ua©tigall, 

Unb Rofen, Rofen überall." 


3 ur Befyanölung unferer Krtegsgebid)te. Don Srty IDatfelmann 


503 


Befyanölung unterer Kriegsgeöicfjte. 

Don 5ti$ tDarfelmatnt in potsbam. 

Als beim Ausbruch unb in ben erften Rlonaten bes Krieges bie heilige Begeifte* 
xung unferes Dolles in einer Sturmflut oon ©ebichten ihren naturnotroenbigen Aus* 
brud fanb, ba haben mir in heifcem Rliterleben ber 3 eit unferen Schülern ben neuen 
Reichtum gebracht, roie er entftanb unb roie mir ihn trafen, fjeute ift bet unmittel* 
bare unb urfprünglidje bicf?terifdje (Ertrag bes Krieges in einer ftattlichen Reihe 
guter unb roohlfeilerSammlungen geborgen, mag auch ©egenroart unb 3 ulunft 
nodj manch löftlidjes Stüd hitQufügen. 3 ebenfalls ftellt (Eontab fjöfner, bem mir 
bas 3 . unb 4 . Bänbd?en bet ausgejeidjneten im Detlag non (Eugen Dieberidjs er* 
fdpenenen Sammlung oerbanlen, bereits für 3 anuar ein metflicf?es Radjlaffen bet 
bichterifdjen Sdjöpfungslraft feft. Darum ermädjft nunmehr uns teurem bie Pflicht, 
aus bem Dotliegenben bas Befte unb ©eeignete fyerausjufucfjen unb 3U einem 3u* 
fammenhängenben unb 3ufammenfaffenben Bifbe 3U oereinen. ©an3 geroife follte 
es fo gefdjehen für bie U II im Anfdjluf} an bie Befpredjung bet Dichtung bet Be* 
freiungs3eit unb bes Krieges oon 1870 / 71 . 

Die gtofee IKelpgahl unferer Kriegsgebidjte ift lyrifch, unb bie epifdjen finb mit 
lyrifchen Beftanbteilen reich gefättigt. $ür ecf}te (Epil ift bie Stunbe noch nicht ge* 
lommen; ba3u gehört ein gemiffet Abftanb oon ben Begebenheiten. 

(Eine (Einteilung lyrifdjer ©ebichte empfiehlt fi<h nach Öen jebesmal oorhertfehen* 
ben petfönlichen gürroörtern. Dabei ift 3U beachten, ba& bas Übergemicht nicht fo 
fehr butch bie 3 ahl als oielmehr butch bie Stärle bes Tones oerfchafft roirb. So 
äußerlich biefe (Einteilung auf ben erften Blid auch anmuten mag, fo erfaßt fie hoch 
ben Kern ber ©ebichte. 3 m petfönlichen gürroort offenbart fidj bie Stellung bes 
Dichters 3u feinem Stoff. 3 n ber 3 ch=tDir*$orm ift et gan3 fubjettio, in ber (Er* 
Sie*(Es*Sie*$orm obfeltio, in ber Du* 3 ht*gorm fubjettio unb obfeftio 3ugleich. IDenn 
in ein3elnen Abfchnitten eines ©ebichtes bie oorhettfehenben gürroörter roechfeln, 
geht in ber Regel ber IDeg gemäfc bem ©efetje ber fünftlerifchen Steigerung oom 
©bjettioen 3um Subjettioen, unb ber Ijauptton bes ©an3en ruht beim Subjeftioen. 
Die roenigen ©ebichte, bie uns im 3o>eifel laffen, melchen piafc bie Dotgefdjlagene 
(Einteilung ihnen anroeift, finb nicht bie ftärtften. 

Die 3 <h*tDir*©ebichte fpiegeln bie paffmen ©efühle, mill fagen bas feelifche (Er* 
lebnis, bas ber ein3elne Rlenfch mit fich allein abmacht. 3 n ben KHegsgebichten 
biefer Art roirb bie tDir*gorm beoo^ugt, meil bie Derfaffet ja nur bem bas IDort 
oerleihen, mas gan3 ähnlich auch in oiel taufenb anberen Ije^en nach Ausbrud 
ringt. Sie fingen bas Sieb bes beutfdjen Dolles unb enthüllen barin, mas ber Krieg 
bie gan3e grofce Allgemeinheit fühlen läfet. Sie machen fich 3um Dolmetfdj bet beut* 
f<hen Stau, insbefonbere ber Rlutter. Sie gemähten einen Blid in bie Seele bes beut* 
fdjen Arbeiters. Am liebften aber ftimmen fie bas £ieb bes beutfdjen Soibaten an. 
Das hanbelt oon ben gemeinfamen £ebenserfaljrungen aller, bas Iäfjt aber auch 
jebe Truppengattung für fich 3 « ih rem Rechte lommen. Am häufigften hören mir 
immer noch bas £ieb oom ftol3en Reiter; auch bie junge $lotte mitb nicht oetgeffen. 



504 XDir fcftweijtrilcften Deuifdjle^ter, unfer Daterlanb unb ber beutfdje Krieg 

Die ©ruppe bet Du* 3 ht ä ®ebi<hte ift bas tjeim ber aftioen ©efühle, bie auf ein 
©bfelt auftethalb bes Dichters be3ogen finb. Don unferen Ktiegsgebicfjten geböten 
hierher bie harten, leibenfdjaftburchglühten £ieber oon $einbeshaft unb i^te mil» 
betnben ©rgän3ungen, bie £ieber oon bet £iebe 3U tjeimat unb Daterlanb. Diejen 
fdjlieften fid? wieber, mit ihnen oerwanbt burd} ben Reichtum an IDeihegefühlen, 
bie Hymnen unb bie ©eftete an; unb oon hier geht ber IDeg über bie Btüde ge* 
meinfamer IDunfchgefühle 3U ben Bitt*, $rage* unb ©rmunterungsgebichten. 

Die ©r*Sie=®s*Sie*©ebichte enblidj finb bie epifch angelegten. Sie reiften uns 
hinein ins ZTCiterleften unperfönlicher ©reigniffe, ober fie Weden uns jur Teilnahme 
an ben £ebensfdjidfalen ber RTenfdjen. $üt unfere Ktiegsgebidjte bebeutet bas: 
jie malen Stimmungsbilber oon baheim unb aus bem Selbe, ober fie oerftenli^en 
bie ©aten unb £eiben unferer $ühtet unb tjelben. 


tDir jd)tüci3erijd)en Deutjd)lel)rer, unjer Daterlanb 
unb ber beutjdje Krieg. 

Don maj 3oUinger in 3 ürich. 

Auf ben erften Blättern biefes 3 ahrgangs fdjilbert IDalthet Ijofftaettet bie bei» 
fpiellofe nationale ©rftartung unb ©inigung, bie ber Krieg bem beutfdjen Dolle ge* 
brad}t hat, unb er läftt aud} ben fluftenftehenben ahnen, meid} reifet innerer ©ewinn 
bem „Unterricht oom beutfeften tDefen", bet im Haushalt unferer ^ö^eren Skalen 
bisher ein lümmetlidjes flfdjenputtelbafein gefriftet, aus ber gtoften 3eit erwählen 
werbe. Ittit beglichet ©eitnahme oerfolgen wir Schwerer DOt allem bas „ruhige 
tOeiterjchaffen ber 3 urüdgebliebenen", bie frieblidje, befonnene, auf bas Pofitiw 
gerichtete Kulturarbeit, bie bie heimifche ©igenart behauptet unb oertieft, ohne ji<h 
burd} höhnif^e Derunglimpfung bet $einbe ober blinbe Derneinung bisher anerlannter 
Kultut3ufammenhänge 3U befleden. fluch mir 3ählen ja 3U ben „3utüdgebliebenen , 
bas £eben geht bei uns anfdjeinenb feinen gewohnten fteten ©ang, unb wenn wieoer 
ein abenteuerlicher Simplicius Simpliciffimus oon jenfeits bes Rheins 3 U uns herübet* 
pilgerte, würbe es ihm Dielleicht auch f° fdjetnen, als ob hier iebet geruhfam un 
ficher unter feinem tDeinftod unb $eigenbaum lebe. Das wäre heut3utage frewh 
eine arge ©äufdjung. tDir Schwerer wijfen, baft bie ©reigniffe biefer Wtonatc für 
uns, auch toenn bet Krieg unfere Rtarlen nicht 3U üfterfd}toemmen oetmag, eine 
furchtbar emfte Prüfung bebeuten, baft ber eibgenöffifche ©emeinfinn jeftt eineße- 
laftungsprobe aus3uhalten hat, beren Ausfall über Sein ober Richtfein unferer ffewM 
entfeheiben muft. Daft ein temperamentoolles Dol! — unb bas finb wir trog er 
Schwerblütigleit, bie man uns nadjfagt — fo fchroere innere Konflilte nicht 9 an 3 
gewaltfame flffettentlabungen auslämpfen !ann, wirb man ihm billigerweife ttt 
oorwerfen; bas eine aber hoffen unb glauben wir alle unb wiffen es heute beftimm e 
benn je: unfet Staatswefen, gehärtet im Seuet fahrhunbertewährenber Kämpfe 
gegen übermüd}tige Radjbarn, wirb aud} biefe Stürme überbauem, nicht allem 3 ^ 
feinem eigenen Hüften, fonbem ebenfofeftt 3um Segen gan3 ©uropas, bas h ctrta< ^ 
eine Kulturbtüde 3wifchen Horb unb Süb, ©ft unb IDeft brauchen wirb. 

Daft aud} für unfet Daterlanb bie Schidfalsftunbe gefdjlagen hafte, beffen ® UI 


Don ITCaj 3oIIingcr 


505 

Öen mir uns bemufet> als uns am lefeten Sage öes 3uti öie Stutmgloden aus öem 
roeltfemen Stieben unfetet Bergöörf djen fdjredten. Das mar eine unoergefeliche 
ttalfa^tt: nach nebelgrauen Regenmochen öet erfte leudjtenöe Sommertag mit 
f eibenblauem f)immel unö lodenbem $irnelicht; auf Öen Bergftrafeen aber ein ftilles, 
benommenes tDanöem; bann enblofe, mühfam talroärts leuchenbe ©fenba^üge, 
überfüllt befonöers mit fremöen Säften, Deutfäen, $tan3ofen, ©nglänbetn in buntem, 
bod? nid}t feinbfeligem ©emifch; im aufgeregten ©ebränge ber Stabte 3uerft ein 
mines ©efühlsdjaos, bis mit öem gelaffenen Ausmarfch unferer Gruppen 3uoerfi©t 
unö gaffung über bie toürgenbe Bangigleit ber erften ©age triumphierten. 

Unb nun lam auch für uns bie lange, qualoolle 3 cit bes IDartens. Sie 3toang 
uns freilich 3ur Selbftbefinnung; hoch je unmahrfcheinlichet bie äußere ©efaht mürbe, 
um fo heftiger brohten Sympathien unb Antipathien aufeinanber3uplafeen. Denn 
trohbem in ber Schtoei3 nie ein fltenfeh bie Rotmenbigleit bet Reutralität be3roeifelt 
hat, ermies es fich als fdjlechteröings unmöglich, öafe ber ein3elne bem erbitterten Ringen 
ber beiben Rachbaroöllet teilnahmlos 3ufehe; bas brächte nur ein [tumpfes ober mafelos 
felbftgefälliges Doll fettig. Unb ba ging uns plöfelid} bie Hare ©rlenntnis beffen auf, 
mas mir Deutfchfdjroe^et ber beutfehen, unfere roelfchen Canbsleute bet franjöfijdjen 
Kultur oetöanlen, unb jeber non uns fürchtete mit Recht, öafe ungeachtet bet politifchen 
Unoerfehrtheit ber Schmei3 burch bie Dernichtung ber beutfehen ober ftan3öfifchen 
Kultur fein eigenes geiftiges Selbft unö bie Kultur bes gan3en Daterlanbes 3ufammen* 
brechen müfete. „Ulan lann nicht bem beutfehen ©eiftesleben fo ftar! oetpflidhtet fein 
unb (ich gleichgültig 3urüd3iehen oon bet ©efchichte öes beutfehen Dolles in ber Stunöe 
feiner gröfeten Rot," be3eugtber ausgejeidjnete Bafler ©heoioge PaulRletnle, aber 
eroerfteht auch, öafe biemelfdfenffibgenoffen ebenfoinftinltio empfinben: „in ber Stunöe 
uon Stanlreichs Rot, ba gehören mir 3U ihm, ba ift feine Rot unfere Rot" („©eöanlen 
eines Deutfdjfchmeijers", Zürich 1915 , bei Rafdjer). Doch geraöe bie ©efaljr bet 
inneren ©ttfrembung, bes Auseinanberllaffens bet beutfehen unb ber romanif<h«n 
Canbesteile medte unö fräftigte bas nationale Bemufetfein, bas Beroufetfein oon ber 
geroaltigen Kulturmiffion ber Sdjroeijerifchen ©bgenoffenfehaft: ber Dielt 3U 3eigen, 
bafe fid} germanifches unb romanifches Riefen unter einem Dache ©ertragen lönnen. 
3 n ber „$ortbauer ber nationalen (ftammlidjen) Kulturgemeinfchaft bei relatioer 
©genartigleit einet politifchen Schmeyernationalität" erlannte mit oollem Recht 
»or oiet3ig 3 al?ten bet fd}mei3erifdhe Staatsrechtslehrer 3 oh- Kafp. Bluntfdjli 1 ) 
bas Riefen biefer „internationalen Rationalität ber S<hroet3"; „menn bereinft bas 
3 beal öet 3 ulunftoermirllicht fein mirb, mag fie in ber gröfeeren europäifchen ©emein* 
fäaft aufgelöft merben. Sie mirb nicht oergeblich unb nicht unrühmlich gelebt haben." 

Die äufeerlich fo buntfehedige fchmefeerifche Rationalität ift — bas bütfen mir 
S<hmei3er rooljl ohne Selbftüberhebung fagen — etmas butdfaus eigenartiges; fie 
müfete uns heute als ein Kulturrätfel oorlommen, menn fich, abgefehen oon ber geo* 
graphifchen, ihre gefd}id}tliche Beöingtheit nidjt fo leicht eriennen liefee. Dor genau 
400 3 ahten, i m Spätfommer 1515 , oerbluteten bie fdjmeyerifchen ©rofemachtgelüfte, 

1 ) „Die Schtoei3etij<he Rationalität", ©egentoart, 1875 ; abgebrudt in Öen ©ef. fl. 
Schriften 11, 114 ff., Rörölingen 1881 , ©. ff. Bed. ©in toohlfeiler Reuörud öes oocgüglidjen 
fluffatjes mit fehr nützlicher, flärenöer ©inleitung oon Dr. ©uftao Billeter ift l&T3(ich bei 
Rafchet in 3üridj erfd^ienen. 



506 Wir fdiroeijetif^en Deutf^leljrer, unfer Daterlanb unb bet öeutfdje Krieg 

bie nach beit glänjenben militätijdjen (Erfolgen im Kriege gegen Karl ben Kühnen 
oon Butgunb ertoacfjt mären, auf bem Sdjladjtfelb non Rtarignano; feiltet »et» 
3icljtete bie (Eibgenoffenfchaft, übetbies oon ferneren inneren IDitten Ijeimgefudji, 
auf eine (Einmifchung in bie europäijdjen tjänöel; fie oerftanb es, fic^ bie für iljten 
$ortbeftanb notmenbige $reunbjd}aft bet ©rofemäcfyte 3U erhalten, unb fo !ontmt es, 
bafj uns noch heute bet Begriff bes £anbesfeinbes oollftänbig fremb ift. Oie terri* 
toriale flbrunbung ber Sdjroeij, bie 1814/15 öutd} ben Beitritt oon ©enf, IDallis unb 
Heuenburg abgefchloffen mar, ift nicht bie $rucht einer (Ejpanfionspolitit, fonbetn jie 
001130g fidj auf bem IDege ber friedlichen organifdjen (Entroidlung. Unfete gegen 5 
roärtige Staatsform, bas (Ergebnis oerfdjiebenet Derfaffungsänberungen, bebeutet 
einen im gan3en geglüdten Ausgleich 3mifdjen bem 3ut 3 erfplitterung btängenben, 
oom „Kantönligeift" genährten Pattitularismus unb bem Zentralismus, bem bie 
ein3elnen £anbesteile, mie bas Sdjidfal bes 1798 in $ranfreich ge3eugten politif^en 
fjomunfulus bet „einen, unteilbaren heloetifdjen Republit" bemies, ihre Sonberart 
niemals gänjlich opfern bürfen. 3u biefem fdjeinbar bunt 3ufammengeftüdelten, in 
Hat unb IDaljr^eit aber feft 3ufammengema<hfenen Daterlanb ftehen mir Sdjmeijet 
oon 1915 ebenfo übet3eugt unb fteubig mie ©ottfrieb Kellers Karl fjebiger, bet 
roadete Bannerträger bet fieben Aufrechten: 

„IDie trogroeilig ift es, bafe es nicht einen eintönigen Schlag Schwerer, jonbern bafe es 3 ün 5 
djer unb Berner, Unterroalbner unb Heuenburger, ©taubünbner unb Bafler gibt, unb fog« 
3 tneierlei Bafler! Dajj es eine flppenjellet ©efdjidjte gibt unb eine ©enfer <Sejd]id)te; biefe 
BZannigfaltigleit in ber (Einheit, roeldje uns ©ott erhalten möge, ift bie rechte Sdjule bei 
Sreunbfchaft, unb erft ba, roo bie politifche 3 ufammengehörig!eit 3 ur perfönlidjen Sreunb* 
fchaft eines ganjen Doltes roirb, ba ift bas tjöchfte geroonnen; benn mas ber Bütgetfinn ma>t 
ausrichten follte, bas roirb bie §reunbesliebe oermögen, unb beibe roetben 3 U einet lügend 
roerben!" 

Selbft auf ben 3ur Deteinigung oerfchiebener Stämme fdjeinbar notroenbigfle» 
Kitt, bie ©inheitsfprache, hat unfet £anb oon jeher oet3ichten tonnen; bafj bas Be 5 
bürfnis barnad} nicht einmal innerhalb besfelben Sprachftammes fo ftart ift toie an- 
betsmo, bemeift bie Hlannigfaltigteit unb bie im täglichen £eben noch inuner 
ungebrochene hetrfdjaft unfeter IHunbarten. 3 m Bunbeshaus ertlingt nebenbei 
beutfehen bie fran3dfifd?e unb gelegentlich auch bie italienifche Sprache, unb bie gefetp 
gebenbe Behörbe bes Stanbes Bern bulbet fo gut mie bas Berner ©bergericht bei 
©ebrauch bet Htunbart. ©teffenb fagt ber 3 ütcher Regierungstat Dr. ©star ©ett- 
ftein in feiner eben erfdjienenen fdjarffichtigen (tharafteriftil ber S<h® e '3 J ): „Dennoal 
bilben bie Schmeijet eine Ration. Denn bei aller Derfchiebenheit ber Raffen un 
Sprachen einigt fie eine lange gemeinfame ©efchidjte unb ein ftartes politifhes, ein 5 
heitlidjes Beroufctfein; fie haben ben IDillen, eine Hation 3U fein — bas etfe? 
reichlich bie fprachlidje ©runblage." Die ftiebliche, nur an ben Sptadjgtenjen bis 5 
meilen burd} Heine Reibereien geftörte (Eintracht bet btei ober mit bem Rätoro- 
manifdjen oiet Canbesfprachen oerbürgt bie enge $ül)lung jebes £anbesteils m 
bem Hachbarftaat, an beffen Kulturarbeit er oon jeher teilgenommen. Hi® ^ a ^ en 
mir Deutfchfchroe^er oon unfern meljchen (Eibgenoffen ©erlangt, bafe fie ben Kultut 5 
3 ufammenhan g mit Stanfteidh auf geben; unb mir mürben bie 3nmutung, bie Rh ein ' 

1) Dr. ©star IDettftein, „Die Sdjroefe. £anb, Dolt, Staat unb IBirtjchaft." 

1915, B. ffi. leubner. („Aus Hatur unb ©eiftesroelt“, 487. Bbch.) S. 31. 



Don moj öollinger 


507 


brüden abjubtct^cn, im 3 ntereffe bes gefamten Daterlanbes mit ber größten (Ent* 
fdpebenheit 3urüd©eifen. Unfer ©emeinfamleitsgefühl hat 6ie Achtung not bet ftamm* 
liehen (Eigenart aller Canbesteile in fid} aufgenommen; es gibt trotj ber politifehen 
(Einheit teine allgemeine jdjooeijerifcfye Kultur, bie ftanjöjijdje, beutle unb italienifd^e 
(Elemente etroa bem ©röfjenoerhältnis ber brei jonen entfprechenb mifchen mürbe. 

So ift bie Citeratur ber beutfehen Sd}©ei3 feit bet 3 eit Ijablaubs unb bes Stein* 
mats unoerfälfdjt beutfdj geblieben; ber Berner Albtest o. fjaller, ber bie fptachlidje 
IRühfal feiner bicfjterifcfjen Arbeit mit bem tjinroeis auf feine Rationalität entfdjul* 
bigen burfte, roanbte fid} entfliehen ber beutfehen Sprache 3u, trotjbem bamals in 
feinet Daterftabt bas $tan3öfifehe Srumpf toat, unb fut3 nadlet brachen in 3 üri<h 
Bobmer unb Breitinger, freilich nur 3ugunften eines anbeten fremben Dogmas, bie 
fra^öfifdje 3 ®ingljerrfd}aft über bie beutfefje Dichtung. Unb (Eontab $erbinanb 
IReyet, burdjaus im Banne fra^öfifcfyer Bilbung aufgeroadjfen, entbedt in Deutfdj* 
Ianbs gtofeen Sagen bie roitflidje Heimat feines ©eiftes, unb ba erlebt er jene „fdjarfe 
IDenbung", bie et in bem Auffatj „Ulein (Erftling, fjuttens let|te Sage" (Briefe, her* 
ausgeg. o. Ab. $rey, II, 518 ) mit bem Knie, bas ber Rhein bei Bafel bilbe, oergleidjt. 
3 n unfret gefamten fdjme^etifdjen Citeratur gibt es roeber einen feinblidjen ©egen* 
fat} nod) eine djaratterlofe Derquidung beutfehen unb fran3öfifd}en IDefens; bie beutfdj* 
fdpDeyetifehe Dichtung 3. B. — fyart an bet Sptadjgre^e gebiet eines ber hoben* 
ftänbigften beutfehen Didjtertalente: Jeremias ©ottljelf — ift gegen roelfdje (Einflüffe 
fogat ©eit ©iberftanbsfähiger als bie fosmopolitifdfe ©rofeftabtliteratur, bie oor bem 
Krieg ba unb bort fo üppig ins Kraut fdjofe. Rie roar bie Brüde, bie bas literarifehe 
Seben ber beutfehen Sd}©ei3 mit bem bes Deutfdjen Reimes oerbinbet, gefperrt: trot$ 
aller eingebomen Dorliebe bes Dolles für bie Rlunbart haben fid} ©ottfrieb Keller 
unb (Eontab $etbinanb Rleyer unb ihre (Erben faft immer ausfdjliefelidj ber hod}* 
beutfehen ©emeinfptadje bebient, unb Jeremias ©ottljelf näherte bie Spraye feiner 
Dichtung, bie in ihrer urfprünglidjen ©eftalt heute aud} feinen Canhsleuten ohne 
(Ertötungen nid}t gan3 oerftänblid} ift, gelegentlich noch hinterher ber allgemeinen 
beutfehen Citeraturjprache. Die beutfdje Sch©ei3 bilbet für einen Dichter, ber 3Ut 
DJirlung in bie Breite unb Siefe berufen ift, einen 3U fleinen Refonan3taum; unfte 
gefamte geiftige Kultur märe unbenlbar, ©enn fid} bie beutfdje Scf}©ei3, ©ie 3. B. 
hollanb es tat, auch * n ber Citeratur »on ber fptad}lid}en ©emeinfdjaft mit bem 
beutfehen Dolle ausgefchloffen hätte. 

Datum bürfen mir fchmeyerif^en Deutfdjlehrer unfte gan3« Kraft getroft in 
ben Dienft ber beutfehen Kultur ftellen, ohne uns bamit bes Datetlanbsoerrats fdjul* 
big 3U machen: es gab ja auch in unfrer Rlittelfd}ule, ©ie in unfter Citeratur, noch nie 
einen Kampf 3©ifchen beutfehem unb fran3Öfifd}em IDefen. Jetjt, ba bie leibenfdjaft* 
liehe politifche Kannegiefeerei ber Unbefugten auch ben fonft Haren Blid 3U trüben 
broht, mufj es nod} ©eit mehr als 3uoor unfte heilige Pflicht fein, ben jungen Ulen* 
jd}en oor uns in ben Schulbänlen einbringlich 3um Beroufjtfein 3U bringen, ©as 
Deutfdjlanb, bie Sd}©ei3 — bie RIenfd}heit bem beutfdjen ©eifte oerbanlen. U)as 
beutfche 3ntelligen3 unb Schaffenstraft in IDiffenfchaft unb Kunft heroorgebracht, 
bas ift ja immer auch fogleid} bet beutfehen S<h©ei3 3ugute gelommen; unb ein 
Schmabe hat uns bas hohe Cieb unfter greiheit gefchenft. U)ie oor btei 3ahren bet 
Kaifer in Bern anerlannte, trachtete bie Sdjwefy immer barnad}, nidjt allein 3U 



508 


£iteraturbericf)te 1914: Der ixutfdje Auffag 


empfangen, fonbetn aud} roiebetjugeben: non Öen Alpen her ftöfet ein tDO^lberoefjrtes 
gäljnlein 3um fjeetbann bet beutfdjen Didjter — einet ber tDägften unter il?nen, 
Abolf $rey, bet Dieter bes Pteisliebes „ 1813 ", hat bie Schwerer neulich in einem 
Bänbdjen bet Sammlung „UJiffenfdjaft unb Bilbung" !lug gemuftert —, unb für Öen 
„Hell" banfte bie beutfdje Sdjmei} mit Hontab gerbinanb IReyets „Jütten", bet nad» 
bes Dieters eigenem ©eftänbnis aus wärmet Bewunbetung für bas neu gefdjmiebete 
Deutfcfje Reidj Ijetausgeboren ift. Oer ftete Aufblid 3U ben gan3 ©rofeen, 3U Ceffing, 
Schiller, ©oetlje not allem, bie wir ja auef) 3U ben Unfern 3äf)Ien bürfen, wirb ben Stofe 
auf bie literarifdjen £eiftungen unfres Daterlanbes oot bem Umfippen in eitle Selbfb 
Übergebung bemalten Reifen, unb auf bem gan3en weiten U)eg non Hotter bis hinauf 
in bie ©egenwart werben wir bie hin* unb wieberlaufenben gäben auf3eigen müffen, 
bie unfte ©ntwidlung mit ber bes Radjbatlanbes untrennbar uertnüpfen. tDir büt : 
fen auch jefet mit reinem ©ewiffen nad? ben Safeungen bes beutfdjen ©ermaniftem 
oerbanbes unterrichten, unb feber oerftänbige Sdjroe^er wirb Klaubius Bojunga 
beipflidjten, wenn et („Deutfcfje Bilbung", S. 19 ) feftftellt, „bafe bie Dolfsart ber öeut= 
fdjen Sd?wei3 eine lanbfdjaftiidje — unb politifdje, müffen wir fjin3ufügen — Sonöet-- 
ausbilbung allgemein beutfdjen Doltstums fei"; aber bas unglüdfelige Sdjlagroort 
oon bet „geiftigen Prooin3" lernen mir butdjaus ab, benn ein Dolt, bas an ber all* 
gemeinen Kulturarbeit tätig teilnimmt, fteljt nidjt unter irgenbeiner Art tultureller 
Dormunbfdjaft. 

3 n bet entfdjiebenen Behauptung unfres unlösbaren 3ufammenfjangs mit bem 
geiftigen £eben Deutfcfjlanbs ertennen mit fdjwe^erifdjen Deutfdjleljtet ' n 
Hagen mehr als je unfte Ijödjfte ©T3ieljungsaufgabe: bas ift für uns „bas ruhige IDe'* 
terfdjaffen ber 3urüdgebliebenen", unb es bebeutet, wir wiffen es beftimmt, audi 
ein Stüd £anbesuerteibigung, wie bie emfte IDadjfamfeit unfret BDeljttnännet, bie 
bas weifje Kteu3 im toten gelb mit ftarfer gauft befdjüfeen. 

£iteraturberid)te 1914. 

Der beutfefje 

Don iUjeoöor Dalentinet in Bremen. 

Die wenigen Schriften übet ben beutfdjen Auffafe, über bie id) in biefem 3 «b IC 
3U berichten habe, ftammen faft ausfdjliefelidj aus ber erften fjälfte bes 3 a h rcs ^ ‘ 
Seit Auguft haben bie Senbungen oon Auffafebüdjern 3ur Befprechung beinah« au i' 
gehört. ©an3 oon felbft erhebt fidj öa bie grage: IDirb biefer Krieg, ber unfet 9 « n 3 es 
nationales £eben unb bamit auch unferen gefamten beutfdjen Unterricht umgefto' 
tet, bas ©ebiet bes beutfdjen Auffafees unberührt laffen? tDirb bas titanenhaft 
Ringen, aus bem unferer Literatur fdjon jefet fo manche Äußerung echt beutfdien 
IDefens oon bleibenber Bebeutung erftanben ift, bie Schriftftellerei unferer 3ug«nö 
nidjt befruchten unb erheben? Daran 3meifeln, h' e fe e bie Aufgaben unfetes fwf 
fafeunterridjtes oertennen, hiefee blinb fein für bie pfydjifdjen Kräfte, in benen l£ 
beften Sdjulauffäfee wur3eln. U)enn ein innerliches Rtiterleben unb Beobachten 
bebeutfamer Dorgänge bes £ebens eine teidje (Quelle für Auffäfee bilben, 1 ° 111U - 
eine 3 eit, in ber Alt unb 3 ung täglidj non immer neuen gewaltigen Hreigniffen eI 


Do« trtjeobor Patenten« 


509 

griffen »irb, fie nach bem Rtaße feiner perfönlichen Kräfte miterlebt unb miibeobach* 
tet, eine gerabeju unermeßliche $ülle non roertoollen Auffaßftoffen Raffen. ®ne 
fol^e 3 cit »irb bie bisher geübte TKet^obe in neue Beleuchtung rüden, fie »irb ben 
OTafeftab finben für bas, roas Beftanb hat unb u>as für immer in bie Rumpeltammer 
gehört. So »erben mir ein monatelanges Schweigen auf unfetem ©ebiet als bie 
fülle Sammlung unb Dorbereitung beuten für bas (Erringen bet neuen Aufgaben, 
bie in ber neuen beutfchen Schule ben neuen Auffaßunterricht begrünben »erben. 

ß)ir ftanben oor bem Krieg an einer IDegfcheibe: Ber alte Auffaßbetrieb 
mit feiner einfeitigen Beootjugung ber formalen Sprach* unb ©eiftesfräfte unb eines 
unpetfönüchen, unfreien Schaffens hatte fich überlebt. (Ein Iebensooüer Auffaß 
mit bem ©epräge »ahten perfönlichen unb inbioibuellen (Erlebens, eigenen Beobach* 
tens unb Benfens hatte feinen ®n3ug befonbers in ben unteren unb RtittelHaffen 
unferer Schulen gehalten, fjier beftanb ©efahr, baß tinbliche Äußerungen unb ©e= 
hänfen in ihrem bibaftifchen tDerte überfchäßt »ürben, baß an Stelle geiftiger 3 ucht 
unb Schulung eine frei fi<h etgehenbe, nur nach äftljetifchen ©efichtspunften orien* 
tierte Kunftübung treten tonnte. 3 eßt »irb es an bet 3 cit fein, bie beiben Richtungen 
3u oerföhnen unb als 3 iel nach ^er formalen Seite tlare ©lieberung unb fachgemäßen 
Aufbau bet ©ebanfen bei fdjlichter natürlicher Ausbrudsroeife, nach öer inhaltlichen 
ftatfe unb bie fugenbliche Seele etgreifenbe Stoffe ooll Kraft unb Ceben für ben 
Auffaß 3U forbern. ©s »irb ber EDeg gefunben »erben müffen, um ben Bilbungs* 
»ert älterer ttbungsftoffe 3U fteigern unb ben ber neuen gan3 3U gewinnen. AH bie 
mühfame Arbeit alfo, bie oor bem Kriege auf bem ©ebiet bes Auffaßes geleiftet 
würbe, »irb auch in neuer 3«t fegensreich »irten, nach »ie oor »erben »it uns in 
bie Auffaßwerfe ber älteren unb neueren Schule oertiefen, um ben Rährboben 3U 
erhalten, in bem bie neue Saat aufgehen »irb. 

IHit ber Unterftufe beginnenb nenne ich 3uerft einen Hamen, ber in ber Bibaftif 
bes erften Auffaßunterrichtes einen guten Klang hat, fjeinrich Scharrelmann. ®ne 
neue oon ihm hetausgegebene Sammlung belehrender 3 ugenbfchriften „Bie ©roß* 
ftabt" 1 ), oon ber mir bis jeßt brei Bänbdjen ootliegen, fcheint für bie ©eroimtung 
oon Stoffen für unfere Auffaßrelruten oon Bebeutung 3U »erben. Scharrelmann 
eröffnet bie Sammlung mit bem Bänbdjen „Spa3iergänge in bie ©roßftabt". ® 
gibt hier 3ufammen mit IB. Seemann unb fj. ©amm eine Reihe Heiner 3»anglofer 
Sfi33en, bie balb biefe, halb jene charafteriftifche Seite bes ©roßftabtlebens in einet 
iebem Kinbe oetftänblichen unb anfdjaulichen Spraye »iberfpiegeln. Ba fteht ber 
£efer einmal „Dorn beim $ühter" ber ©leftrifchen unb fieht mit ben Augen bes 
feinen Beobachters oieles, roas er rooljt un3ählige Hlale bei einet folgen $ahrt ge* 
fehen, aber hoch nie fo fdjarf unb lebenbig mit all bem intereffanien Betail erfaßt 
h«t. ®n anbermal fteigt er mit fjerrn Ruf 3um ©lodenfpiel oon Sanft Hifolai hin* 
au f un & »irb fich öabei all ber ©efühle, ber Situationen unb Ausblide beroußt, bie 
er hat, »enn er bie bunfle IDenbeltreppe eines ©utmes hinauffteigt. ® fieht bie 
Schneewehen auf ben Stufen, bie butdj bie Keinen ©urmfenfter hineingeweht finb, 
unb hört ba oben bas Brummen unb Klingen ber ©loden unb ben gan3en £ärm, 
b en man fo nahe bei ben ©loden oernimmt, unb h®t hundert ffinbrüde — beim 

1 ) Die ©roßftabt. Bb. 1 — 3 . Don fjeinrtch Scharrelmann, ffamburg 1914 , fl. 3 an* 
Ben. IR. i,_ 



510 


£iteraturberid)te 1914: Der beutfdje Auffag 


biogen £efen. So teigt jidj ein Bilb aus bet Stabt ans anbere, ein Alltagsetlebnis 
folgt bem anberen. (Es genügt, einige Überfdjriften 3U nennen: „Auf bet (Elbe.* 
„ 3 m Kino." „An einem R)intermorgen 00t bet Sdjmiebe." „3m Stall." „Oie 
Geufelsjigatette." „Bei bet fjunbebabeanftalt" ufw. 3 n buntet $olge jieljen bie 
hübfchen (bentebilbet an unfetem Auge ootüber. Unb jeber, bet bie Sfi33en lieft, 
follte fidj botfj toofjl fteuen an bet natürlichen, ftifchen, lebenbigen Auffaffung, 
bie überall 3U iljm fpricfjt. tDiröid} jebet? auch bie Kinber, füt bie ja biefe £e|eftütfe 
in etftet Cinie beftimmt finb? Rad? ben (Erfahrungen, bie id} in oerfdjiebenen Waffen 
mit biefer Ceftüre gemacht habe, ift bas 3 ntereffe getabe bet 9—12jährigen hierfür 
ni<ht all3u grog. Unb bas ift auch San3 begreiflich. Oie Rei3e, bie Sdjanelmann 
bem Alltäglichen ab3ugeroinnen toeig, finben nicht immer Detftänbnis beim Kinbe. 
„Das toeig ich ja fdjon“, „bas ift langweilig", „bas ift feine (befchidjte", „bas Ijat 
nicht oiel Sinn", bamit werben oft bie feinften fünftlerifdjen IKomentbilber aus bem 
Alltagsleben oom Kinbe tur3erhanb abgetan. Unb es wirb augerorbentlich f<h®et 
fein, feine {Teilnahme bafür 3U gewinnen. Anbers ift es, wenn bie Kinbet in eine 
ihnen gan3 frembe unb babei hoch Derftänblidje U)elt eingeführt werben. gier j^b 
bie Scharrelmannfche Art, 3U fchilbem unb 3U beleben, oollftes 3 ntereffe bei Dielen 
finben. Daher werben Banb 2 bet „(Brogftabt", in bem aus Sage unb <&efd)icf|te 
non AIt=Bremen er3ählt wirb, unb Banb 3 , ber in Arbeitsftätten ooll merlroürbigen 
Cebens unb eigenartigen Betriebes, in bie Rohtfabtif, bie Baumwollbörje, bas 
Aquariengefchäft ufw. hineinführt, fidj leister bie Kinberhet3en erobern. Die Sülle 
ber Belehrung, bie ben Kinbern hier bei bet Ceftüre gleichfam non felbft 3ufttömt, 
wirb ihre R)ig* unb Beobachtungsbegierbe fteigem unb manchem Dielleicht ju einem 
fchönen freien Auffag Dethelfen lönnen. Dem (Etfcheinen weiterer Bänbdjen feljen 
wir mit 3 ntereffe entgegen. 

$. Perftolbs 2 ) (Entwürfe 3U beutfchen Auffägen, I. {teil, finb nunmehr in 3 .Auf 5 
läge erfchienen. Diefe unterfcheibet fi<h nicht wefentlidj oon ber 2 . Auflage. Olehteie 
Detbeffetungen finb oorgenommen, Dier neue (Entwürfe eingefügt. Das Bütfjlein 
enthält eine groge 3 aljl oon Stoffen, beten Bearbeitung fich befonbers füt ©uarta 
unb Hettia ber höheren Spulen b3w. bie ®berflaffen ber Dolfsfchulen eignen. Sie 
finb hauptfä^Iich aus bem Cefebudj genommen. Aufgabe bet Spüler foU es fein, 
nicht blog nad} 3 uet 3 ählen, fonbern burdj Detänberung bes Stanbpunftes, ber ®ds* 
unb 3 citoerhäItniffe bie Stoffe um3uwanbeln, 3U erweitern unb 3U ergäben. „IRucius 
Scäoola berichtet auf bem $orum in Rom über feinen Aufenthalt im £ager porfenas 
(Rr. 15), ober: „Porfena berichtet einem $reunbe Don ber Sollfühnhcit bes Wuthis 
ScäDola" (Rr. 32 ) ufw. lauten bie Überfchriften. Diefes auch fonft häufig angeroanMe 
Rlittel, um Selbfttätigteit bet Schüler beim Derfaffen Don Auffägen 3U e^ielen, 
hat auch heute noch feinen R)ert behalten. Befonbers wenn babei bet Phantafie 
Gelegenheit unb Anregung gegeben wirb, auch inhaltlich 3U f<h a ff en ' e ' ne °^ et 
mehrere Perfonen, eine Heine Situation hiaein3ubid)ten, fo werben bie Arbeiten 
an £eben unb Stifdje gewinnen. £eiber finb es ja immer nur einige Schüler, bie 1,1 
biefer Richtun g fdjöpferifch tätig finb. £iegt bie S3ene, wie oben bei Rlucius Scäoola, 

2 ) (Entwürfe 3 U beutfegen Auffägen. Auf ©tunb ber an öfterteid)ifehen “.f 
BurgerJdjulen 3 umeift eingeführten beutfd>en £e(ebücber oon $. Perltolb. ®i en ' 
lttan 3 «Detlag. ©eb. K. 3,—. 



Don tEfjeobor Dalentiner 


511 


au&erljalb ihres (Erlebnis* unb Beobattungsfreifes, fo wirb fie in bet Regel öurt 
bie 3«tat unb Ausgeftaltung burt ben Spület nidjt gewinnen. Unb hälfet wirb es, 
wenn man bei bet oorgefdjlagenen Art oon fernen bleiben will, oft nötig fein, 
bie üispofition unb [feierte Ausführung, bie Perftolb febem ©hema beigegeben hat, 
erft eingehenb mit ben Schülern 3U befprechen. Oer IDert ber Auffaharbeit liegt 
bann hauptfätlit in ber (Einübung unb Anleitung 3um folgerichtigen ©tbnen unb 
fdfriftlichen Oarftellen. U)ie man auch immer biefe ©hemen unb (Entwürfe im Auf* 
fatpinterritt oerwerten mag, bie Sülle bes hier ©ebotenen ift fo grofc (341 (Entwürfe) 
unb bie Bearbeitung fo forgfältig burchgefüijtt, bafc jeber Auffafclehter reiten Ruhen 
für feinen Unterricht aus bet Arbeit 3ieljen wirb. 

Das gan3e ©ebiet bes beutfehen Auffatpinterrittes behanbett ber Oireftor einer 
Bremer Prioatfdjule $. UIües, in einet Brofchüre mit bem ©itel: „Ceitfaben für ben 
beutften Unterricht nach mobernen päbagogifchen ©runbfähen" 3 ). Der Stoff aller 
(Ehernen ermächft, fo führt er aus, aus bem unmittelbaren perfönlidjen (Erleben, 
nur bei einigen Stoffen, Sprichwörtern, Senten3en oerläfet ber Unterricht biefen 
Boben. Auf ben höheren Stufen tritt bas Denfen über (Erfcheinungen in Uatur 
unb Ulenfchenleben ba3u. Demgemäß gliebert fich ihm ber Auffahunterricht in bie 
oiet Stufen: Betreibung, ©Qäljlung, Betrachtung b3w. dharafteriftif unb Abljanb* 
lung. U)enn Ulües bie Betreibung für bie Unterftufe bes gan3en Sehrganges an* 
fieht, fo fdjeint mir bas webet pfydjologifch begrünbet noch bibaftift gerechtfertigt. 
Oie Uieberfchrift eines (Erlebniffes, ober irgenbeiner Deinen ©efdjichte ift für bie 
9 — 12 jährigen Schüler eine leichtere unb angemeffenere Aufgabe als ein Auffatj 
beifpielsweife über ben PH3, in bem erft über $orm, bann über $arbe unb enblich 
über ben Stoff getrieben werben foll (S. 7 / 8 ). ©he wir oon bem Schüler oerlangen 
tonnen, Dorfteilungen nach beftimmten Kategorien bewufct 3u otbnen unb 3u einem 
Auffah 3U geftalten, mufe et ge3eigt haben, baj) er Dorftelümgsgruppen, bie fich ohne 
fein bewußtes (Eingreifen in einer beftimmten ©tbnung feinem Bewufetfein auf* 
brängen, fchriftlich fefouljalten oermag. Daher halte ich Öen ©ebanfen, auf ber Unter* 
ftufe nur Betreibungen oetfaffen 3u laffen unb erft fpäter bie ©Qählung an3uglie* 
bem, für wenig glücüich. Die Utufterbeifpiele, bie Ulües für bie erften Beitreibungen 
gibt, bienen auch teineswegs ba3u, feine (Theorie 3U ftüijen. ©s genügt, ben Anfang 
einet folgen Auffatjprobe 3U geben: „Der UTaitäfer. — Das ift ein unbeholfener 
Burfte, matt feinen Dienet unb feinen Knij oor ben ftönen, blühenben Bäumen 
unb ben latenben Blumen, wenn er aus ber ©tbe' heroorfriett..." fo ftreibt ein 
©rwatfener; ein Kinb — niemals, ober nur, wenn es Derartiges auswenbig gelernt 
hat unb feine eigene Sprate unb eigenes Denfen oerleugnet. tDirb hier offenbar 
bas Können bes Kinbes nitt rittig eingeftätjt unb einem innerlit nitt begrünbeten 
Sterna 3uliebe bet Stoff gewaltfam 3urettgerücft, fo bieten bie höheren Stufen 
bet Betreibung unb bann bie brei übrigen ©eile bes Strifttens mit feinen ©t* 
3 ählungen, Betrattungen unb Abhanblungen rett brautbare Stoffe 3u Auffät>en 
für bie Ulittel* unb ©berftufe. IDir finben hier Proben aus EDetfen befannter Schrift* 
fteller unb Ditter (®ebr. ©rimm, p. fjebel, Björnfon, tDilbenbrut u. a.) 3m Auf* 
fofrbearbeitun q für bie oerftiebenen Stufen 3um Abbrucf gebratt, aus benen ft 

_ 3) Ceitfaben f. b. beutften Unterritt nat mobernen päbagogiften ©timbfäijen oon 

Dir. h- Ulües. Bremen 1914, ©. IDinter. Ul. 1,50. 



512 £iteraturbeti<f)te 1914: Det beutfhe Auffafc 

mancher Schulauffah gewinnen läfet. Am Sd)luf} bes Ceitfabens ift nod) fui3 bie 
dtjrie beljanbelt, bie nod) immer, wenn aud) nidjt in fo ausgebehntem Rlafee wie 
früher, ii)te Stelle im Auffafcuntetrid)t behauptet. 

(Ein non bem Herausgeber ber belannten „Sd)öninghf<hen (Erläuterungsfchriften" 
3u öajjifdjen Stüden, Sdjmi^'lTIancy, unb einem UTitarbeiter biejer Sammlung, 
<E. 3 cllwe!er, bearbeitetes H)erl über ben beutfdjen Auffat) 4 ) |oll bie Deutfd)lel)rer 
befonbers non Obertertia unb Unterfefunba amegen. (Es finb ausfdjliefjlid) Iite» 
tarifd)e dienten, Dispofitionen unb Auffätje, bie hier geboten werben. $ür ®ber- 
tertia werben (Etjäljlungen, Betreibungen, Säuberungen, für Untetfefunba aufoet* 
bem nod) leidjtete Abljanblungen 3m Bel)<mblung Dorgefd)lagen. 3 ebes bet 148 
(Ehernen, bie im Anfdjlufe an Bailaben unb Bramen non Stiller unb Uljlanb an bie 
3 lias unb ©byffee unb anbere an höheren Spulen biefer Klaffenftufen gelefenen 
Stoffe genannt werben, ift mit großer Sorgfalt bearbeitet. Babei ift batauf Bebaut 
genommen, bafe bie Sorbetungen, bie non ber Stellung 3um (Thema bis 3« enbgüb 
tigen Reinfdjrift an ben Sdjület geftellt werben muffen, bei ben angeführten Auf 5 
fajjproben beutlid) gemalt werben, tautet bas (Thema: Bamons Rüdfel)t (im flm 
fdjlufj an Sd)illets Bürgfdjaft), fo wirb bei ber „Stofffammlung" feftgeftellt, bafe nur 
Str. 5—18 in Betragt fommen, bafe bie „Stoffanorbnung" ber Reihenfolge ber ©e 5 
fdjehniffe in bem < 5 ebid)te Sd)illers entfpridjt, wie fid) hieraus weitet bie „(bliebe 5 
rung" unb enblid) bie „Ausführung" ergibt. Bie Ausführungen, bie bie Berfaffet 
3U ben meiften (Themen felbft geben, finb Rlufterauffa^e, bie fut3 unb flat bas Rot* 
wenbigfte enthalten. 3 n ber überfidjtlichen Barlegung ber ebyelnen Ärbeitsperioben, 
bie bet Abfaffung bes Auffatjes Borausgeht, fowie in ber fdjatfen (Trennung bet 
Auffatjgattungen ((Eqählung, Betreibung, Sd)ilberung), bie ben Schülern befannt 
unb geläufig wetben foll, liegt mit ein H<mptoot3ug biefes Buches, ©ein würbe es 
wohl mancher fehen, wenn ber Kreis ber (Themen etwas weitet ge3ogen wäre. 

ID erb er s (Entwürfen 3U beutfehen Auffähen unb Borträgen 6 ) merft man es 
an, bafe fie aus bem Unterricht heroorgegangen finb. Unter ben 128 (Themen, bie 
es im Anfd)luf} an beutfd)e titeraturwerfe gibt, finb wenige, bie nicht mit Ruhen 
unb Bor allem aud) mit Sntereffe Bon Schülern bet oberen Klaffen höherer Schulen 
bearbeitet werben bürften. IDerber beginnt mit Aufgaben übet bie älteften Utfunben 
germanitcr Bietung, bas fjilbebtanbslieb unb bas Ribelungenlieb, unb begleite 
bann bie £iteraturgefd)id)te mit feinen (Themen bis in bie ©egemnart hmein, fo baf) 
bas Buch auch eds Hilfsmittel für ben Unterricht in beutfeher Citeratut fel)t wohl ge* 
eignet erfd)eint. Banfenswert ift, bafj auch mobernere Schöpfungen oon Storno, tilieu* 
cron, IDilbenbtud) u. a. in ben Aufgabentreis hmeinge3ogen finb. Bie 
felbft {teilen 3um großen (Teil recht hohe Anforberungen an ben Primaner. Aufgaben 
wie „Bie lytifdEje Dichtung UTörifes", „Stornos Heimatfunft", „£ilienctons Oi^tung 
u. ä., fo reynoll fie an (ich fein mögen, überfteigen bod) bas Können bes burd)fd)m 
liehen Primanergeiftes. Anbere, befonbers bie aus ber flaffifd)en Periobe: „©oet?« 

4) fluffähe im flnfdjlufe an bie £e?türe bet beutfehen Klaffifet f. b. IRittelftufe höh**” 

Cehtanftalten non Ptof. Dr. Sd)mitj=TRancij u. Prof. Dr. (E. 3eUroetet, P a " ct 
1915, $. Sdjöningh. ®ef). IR. 3,—, geb. IR. 3,60. . 

5) Stoffe 3. beutf<h. fluffätjen u. Dorttägen für höhere £el)tanftalten bou ©• R ,et 

Habelfhroetbt 1914, Staates Budjhanblung. TR. 2,50. 


Don (Hjeobor Dalentincr 513 

Daterhaus", „(Boetlje in £eip3ig", „Derlauf oon ©oethes italienifcher Reife" eignen 
ficb fomohl 3u münölidjet mie 3U jdjriftlidjet Bebanbiung in Oberprima. 

Oie roertooHe Sammlung oon Aufgaben aus Haffifchen Dramen, (Epen unb Ro* 
manen oon f)ein3e*Schröber e ) bat im 3 al?te 1914 einen3uroad}s erbalten, Ijeyfes 
„Kolberg", $reytags „$abiet" (Bb. 25 ), bas ©ubruntieb (Bb. 26 ), ^ebbels „Hibe* 
lungen" (Bb. 28 ) finb oon Dr. bein3e, Ceffings „Rathan" (Bb. 27 ) oon bem an 
Sdjtöbers Stelle getretenen Dr. $. ©eetj bearbeitet morben. R)ie bie frübeten Bänb* 
eben, entfpreeben auch bie neu hin3uge!ommenen ben R)ünfchen, bie mir beute an 
bie Bebanbiung bichterifcher Kunftmerte ftellen. hier erfcheini ein Auffaß über ein 
literarifches ©h cm a als ein mertooQes Rtittel, um ben Spület in ben ©ebanfengehalt 
bes R)et!es tief hinein3ufühten unb biefes nicht nur aftbetifdj, fonbem auch etbi|<h 
3u ooQer tDirfung 3U bringen. Oer Unterfchieb eines folgen 3 ieles für ben lite= 
tarifeben Auffaß oon bem einer hiftorifchen ober logifdj 3erpflüdenben Bebanbiung 
ift beutlidj. fyinfy&Heetf grünbliche Arbeiten erlebtem es ungemein, biefem 3 >«le 
für bie oon ihnen behanbelten tDerfe näher 3U lommen. (Es genügt, menn idj auf 
bie Bebanbiung eines Stüdes näher eingebe. Als Aufgaben im Anfchluß an tjcyfcs 
„Kolberg" merben genannt unb in gtünblichen Oispofitionen bebanbelt: „Oer patrio* 
tifebe ©tunbgebanle bes Oramas", „Oer Aufbau bet fjanblung", w t>ie Belagerung 
oon Kolberg", „Oer Kriegsrat im 4 . Att", bann bie eht3elnen Petfonen: „©neifenau", 
„Rettelbed" ufro. Detgleicbe innerhalb bes Oramas, mie: „Oie ©efebmifter Blanl". 
(Enblitb merben no<b Ausfprüdje oon allgemeinerer Bebeutung genannt, bie ficb aud? 
3u Auffatfthemen eignen. So bietet ficb hier eine Sülle oon ©efichtspuntten, nach 
benen ©eile bes Stüdes ober bas gan3e Otama mit Rußen oon ben Schülern butd}* 
gearbeitet unb burdjgebacht merben. HHt merben natürlich nur nach Bebürfnis unb 
©efdjmad bie uns paffenb etfebeinenben $ragen 3ur Bebanbiung im Unterricht 
ober im Auffaß ausmäblen. 

3 u ben febmierigften Problemen bes Auffaßunterrichtes ber ©berftufe gehört 
noch immer bie Stilfunbe. (Ein im ©origen 3 abt erfchienenes R)er! oon®. IDeife 
übet bie Stage: „HHe lernt man einen guten beutfehen Stil fdjteiben?" 6 7 ) oerbient es 
hier beachtet unb benutzt 3U merben, menn es auch nicht mefentlicb neue ©eficßts* 
punfte 3U miebtigen $ragen ber Stilbehanblung bringt. Oer Derfaffer ftimmi benen 
3u, bie meinen, baß beim Stil Übung alles ift. RJelcber Art biefe Übung fein muß, 
barüber gibt bas 1. Kapitel feines Büchleins „Stilbilbung" Aushmft. Oie roidjtigften 
©b«fen baraus finb: Hotmenbig ift eine planmäßige, forgfältig ausgemäblte Ceftüre. 
(Ein meiteres Rtittel ber Stilbilbung ift bas Rieberfcbreiben frönet Senten3en, guter 
Detgleicbe unb oor allem bas Spieren bes Inhaltes. $ötberli<h ift es auch, ben Stil 
oetfebiebenet Scbriftfteller, auch auslänbifeber täaffiler, 3U Dergleichen. (Eigene Stil* 
Übungen müffen oft geprüft, bisroeilen laut oorgelefen unb eoentuell anberen 3ur 
Beurteilung oorgelegt merben. 3 n einem 2 . Kapitel bebanbelt IDeife bie „Ausbtuds* 
mittel", hier merben eingehenb bie Rtittel befprodjen, bie bie Oarftellung (ebensooll 

6) Aufgaben aus Haffifchen Dramen, (Epen unb Romanen oon Dr. £)• b**n 3 e u. Dr. 
ro.Schröbet. £eip 3 ig 1914, <Eb. tDartigs Derlag. Bb. 25 ITt. 0,80, Bb. 26 IH. 0,80, Bb. 27 
Rt. 1,40, Bb. 28 ITt. 1,—. 

7) IDie lernt man einen guten beutfehen Stil fdjteiben? Don Prof. Dr. ©. IDeife, 
tcipjig 1914, §r. Branbftetter. IR. 2,—, geb. IH. 2,50. 

3eltfd|r.f b. öeutfdten Unterricht. 29.3ah*9« 7 */ 8 . fjeft 33 


L 



514 


£iteraturberirf)te 1914: Der öeulfdje fluffafe 


unfe ioirtfam modert, die Antithefe, feie IDiebetholung, feie fltetapher, öas ©leid)ms, 
feie £autwirtung, feie Knappheit im Ausbtud ufw. fUIes feiefes wirb mit feinem Der* 
ftonfenis unfe gutem Urteil für U)ert unö Unmert feer oetfehiebenen Stilmittel be* 
hanbelt. Stofe feer Srodenheit fees ©egenftanbes roirfe feer £efet nid}t etmübeit, ba 
IDeife bei feiner großen Belefenfeeit in feeutfdjer unfe fremfelänöifdjet £iteratur manches 
Sntereffante 3U bringen weife. Itadjöem öanad} noch über feen Unterjdjiefe feer rnünb 5 
liehen unfe fdjriftlichen Darftellungsweife unfe in einem fefet lefenswerten Kapitel 
feie Stilgattungen beljanfeelt finfe, folgen feie muftergültigen Stilproben. Diefe nehmen 
mit feen jetoeils fearan gefnüpften ftiltritifchen Bemetlungen feen größten Seil bes 
Buches bis 3um Schluffe ein (S. 67 — 188 ). Als feie Klaffiler fees beutln Stiles 
roerfeen £effing, Schiller, ©oetlje, Bismat d, Sreitfchte, Hiefefche genannt; öaneben 
toerfeen noch eine gan3e Anjafel gut ausgewählter Abfdjnitte aus IDetien „Terror» 
ragenfeet Stiliften" aufgeführt. Anhangsweife toerfeen enfelid} einige Proben oon 
Stilarten, toie fie nicht nachgealjmt roerfeen follen, Proben eines abftratten, ftemb* 
wortreichen, eintönigen unfe fdjwülftigen Stils gegeben. Dies nur einige otien* 
tierenfee Bemertungen über Öen Snljalt feiefet - Stiltunfee. Blanker Deutfdjleljret 
feer oberen Klaffen einer Iföljeren Schule rcitfe fidj gern feie mannigfachen fln» 
tegungen 3uttufee machen, hanbelt es fi<h feod} Ijiet nicht um graue lebensfrembe 
Sfjeorie, fonfeem um Belehrungen unö Darbietungen oon aufeerotfeentlidjer Bebeu- 
tung für feie Ptajis. tDenn auch nur wenige IDeife öarin recht geben werben, bafe 
ein guter Stil feutd} Übung erroorben roerfeen tann, fo mufe feodj 3ugeftanben werben, 
bafe öurd} feie Übungen, feie er oorfdjlägt, feie fdjriftliche Ausbrudsfähigteit bes Saju* 
lers geförfeert roerfeen roirfe. 

ITCel}r unfe mehr beginnt fidj in feen lefeten 3 ahten feer (Einflufe feet Pfydjologie 
wie auf anfeeren Unterrichtsgebieten fo auf feem fees Auffafees geltenfe 3 U roathen. 
Uber wie es meift feet $all ift, wenn plöfelich eine neue .Unterfudfungsmethobe eitt j 
feedt wirö: man überfchafet ihren U)ett unfe will ältere fltethofeen nicht baneben 
gelten laffen, fo auch hier. Die Pfydjologie tann für feen Auffafeunterridjt itnm« 
nur feie Befeeutung haben, bafe fie feftftellt, welche £eiftungen unter oetfehiebenen 
Befeingungen et3ielt werfeen, unfe wie feiefe £eiftungen nach ih tcn Sntftehun 9 ? 
befeingungen im entehren 3U oerftehen unö 3U ertlären finfe. Uut eine negatioe 
Befeeutung hat feie pfychologifdje $otf<hung für öas 3 iel, feas wir feem fluffafeuntercu*! 
fefeen. Sie tann wohl feftftellen, bafe feiefes ofeet jenes 3 *el nac h ® 9 enar * et 
Sd}üler unerreichbar ift, fie tann unfe fearf aber niemals feiefes 3iel fetöft mitbeftimmen 
wollen. (Ein Scfeulbeifpiel für feen großen IDert, aber auch für feie (befahren* W* e * 
Überfdjafeung pjydjoiogifcher fllethofeen für Öen Äuffafeunterricht h a ^ ' 
Schmiefeers neuefteSchrift 8 ) übet feenScfeulauffafe. Schmiebet liefe am 23 .^° 
1913 früh ®on 8 —10 Uhr in oerfchiefeenen £eip3iget Schulen Auffäfee übet bas 
„(Erlebtes am 18 . ©Höbet" anfertigen, wohl in feet Annahme, feafe feie Seier bet # 
terfdjladjt gerafee in £eip3ig bei jefeem Sdjultinbe einen tiefen (Einbtud h^ 1 !' 
unfe für feie meiften ein gutes Auffafethema bilfeen werfee. (Et erhielt F ' 
3 ahl oon 5220 Auffafeen unfe 3wat Arbeiten oon Schülern oom 1 . Schuljahr es Ü 
auf 3um 15 . D ie erften Schuljahre lieferten naturgemäfe mit münfeli(h e Berichte, 

8 ) Der Sdjulauffafe. datfadjen unb ntöglidjleiten oon fl. Schmieber. £eip3»9 1914, 
B. <5. Geubner. (5eh. TR. 2,—, geb. fll. 2,50. 


Pon ttfeobor üalentiner 


S n -» öe "x 1 >e Ä [c,tcr " ^ n ° 9 ra f^ ictt unb öamit ebenfogut wie bie Riebet* 
a fr f ' n * C " roett Un ^[ ttebam finMi $ cr ^«ungen Ratten. Bei Unterfuchung biefer 
n 5*1 f l m eS " U " Sc ^ micöet roeni 9 et darauf an, etwa nad? bem Dorgangoon (Eobn 
Oieffenbaeher, R>. Stern u. a. bie pfyfyfäe ©genart ber Spuler oerfchiebener Schulgat* 
tungen, fUtersftufen unö ©cfc^Ie^ter, foroeit fie im Auffafc ^eroortritt, 3 u erforfdjen 

©ieoiele Spüler einen perfönlidjen, felbftänbigen freien'' 
fluffa^ über bas geftellte a^ema Stieben unb bei ©ieoielen fi<^ ber Auffafe'in fon* 
oentioneQen gebunbenen Sormen bewegte, aI[o „unfrei" ausfiel. © gelangt babei 
3 u bem Refultat, ba& nur feine eigene Seminarflaffe (ITiäbdjen) ben freien Auffafe* 
typus rem Dertritt, ©ähtenb in allen übrigen Klaffen mehr ober weniger unfreie 
fluffa|e gefdjneben ©urben. Rur 10 % aller Schüler oerfa&ten freie Auffäfee Da* 
bezeigten bte oon höheren Spulen ftammenben Auffät}e feinen Dor 3 ug oor benen 
anberer Spulen, An einer Heifje non gerieft ausgewählten Proben aus bem Auf* 
fatjmaterial 3 eigt Schmieber, ©ie fid? bie freien fluffa^e auf ben oetfehiebenen Stufe© 
oon ben unfreien unterfcheiben unb fnüpft baran intereffante Bemerfungen bibaf* 
tif^er unb pfydjologifdjet Art. So beffanbelt er bie ©egenfäfce bes ©lebens Be* 
obaeptens unb ©eftaltens im freien unb unfreien Auffafce, ben ffinflufe oon dniebuna 
unb Unteramt auf (Entwicflung ber Darftellungstypen, bie grofee Bebeutung ber 
£epterperfönli^feit für bie literarif^e Probuftion ber 3 ugenb u. a. m. 3 ©ei bei* 
gegebene (Eafein oeranfäaulic^en bas bei ber Unterfucfjung ber Arbeiten gewählte 
Verfahren. (Es finb hier bie Auffäfce oon je 3 ©ei Klaffen 3 roeier oerfchiebener litäb* 
ajenfdjulen pfydjologifch analyfiert. Soweit bie llnterfudjung rein empirifeh ift unb 
ben Gatbeftanb nach ben oerfc^iebenften ©efidjtspunften beljanbelt unb beleuchtet, 
f<h«nt fie mir oolle Beachtung 3 u oerbienen. Dagegen fann ich mich mit bem 3 iele, 
bas Schmieber für ben Auffafcunterricht fe^t unb bie Richtlinien, bie et aus feinem 
Bcateria! für biefes 3 iel 3 u gewinnen fuc^t, nicht einoerftanben erflären. IDenn er 
meint, bie ©itfaltung ber guten Seiten ber perfönli^feit hänge bei allen IRenfehen 
oon ber rechten Beobachtung ber Außenwelt unb Innenwelt ab unb baher bie (Ent* 
©icflung ber Beobachtung als 3 iel bes gan 3 en Auffatjunterrichtes hinftellt, fo fragen 
©ir fofort: R)o bleibt benn ba bie ©giefjung unb ©ntwicfhmg ber logifchen $unf* 
uonen, ber Phantafie, ber fprachlichen Ausbrucfsmeife, ber Rrteilsfraft, fur 3 all ber 
©eiftesfräfte, beten Bilbung hoch nicht minber wichtig unb burdj ben Auffatjunter* 
rieht 3 u erftreben ift, ©ie bie Beobachtungsfähigfeit? Ulan ©irb bod? wohl nicht 
behaupten fönnen, ba& biefe geifügen gäljigfeiten burdj bie (Entwicflung ber Beobach* 
nitig fo geförbert ©erben, ©ie bas notwenbig ift. Wie oerfehlt ein foleh einfeittges 
3 tel ift, bringen oieüeicht am beutßchften bie beiben Auffäjje 3 um Ausbrucf, bie 
Schmiebet gleichfam als RTufterbeifpiele feines Unterrichtes oon 3 ©eien feinet Schüfe* 
rinnen anführt (Rr. 155 / 156 ). U)enn ©ir, wie es bem Derfaffer hier gelungen ift, 
bie Spüler bahin bringen, ba& fie ihre ©mpfinbungen, Dorftellungen, Beobachtungen, 
efühle unb ©ebanfen auf bas genauefte beobachten unb 3 u Papier bringen, fo geben 
nur ihnen wohl eine gute Dorbilbung für bas Stubium ber Pfydjologie, aber niemals 
erreichen wir auf biefem IDege, bafe fie einen ihnen gemäßen Stoff Har unb logifch 
g tebern, fetbftänbig orbnen unb bearbeiten unb fachgemäß barftellen fönnen; gan 3 
o tjefehen baoon, bafj biefe Art oon Selbftbeobachtung bei unferügen IRenfchen 
meift 3 u Selbftüberfchätjung, 3 u ungefunber Reflexion, ja 3 u Künftelei unb törichtem 



5 J 6 £iteraturbert<f|te 1914: üolfsf unfce 

(Beiebe führt, roofüt cs auch in Öen ermähnten Auffähen an Anzeichen nicht fehlt. 
3dj toütöc cs bähet bebauern, roenn öct freie Auffat}, Öen öie Arbeit öet lebten 3 #* 
Dieletorts auf eine gefunbe Bahn gebraut hat, in unferen Spulen öie tDege ein= 
fragen unö Öen 3 ielen 3ufteuem mürbe, öie Sd}ntiebet not Augen hat. Unö noch 
in einem anöeren Punfte tarnt ich Schmiebet nicht 3uftimmen. IDenn et meint, 
öafe es leichter ift eine Klaffe 3um freien Auffah im guten Sinne 3U eqie^en als 3 «m 
unfreien, fo möchte ich glauben, baf} geraöe öas ©egenteil beroon richtig ift. 3a, 
idj bin öer IlTeinung, bafe mir, menn mit öiefen Unterricht nicht nach forgfaltig et» 
mogenen IHafena^men unö nach einet auf öas feinfte öurdjgefü^rten Uletljobe bt* 
treiben, iljm mehr fd}aöen als nfl^en unö bafe öas ©elingen öes Unterrichts in einet 
Untertlaffe ein öeuüidjes 3 eidjen Don einem nicht geringen päbagogifchen Können 
öes betreffenben Oeutjdjle^rers ift, mäljrenb öas ältere Detfahten jebetn testet 
ohne Diel Blühe gelingt, freilich auch nut mit recht öürtem unö tümmetlichem OErtrage 
belohnt roitö. So interejjant unö pfydjologifd} mertuoll baljer auch eine Unterfu<h un 9 
roie öie Sdjmieöetfdje ift, für Öen Unterricht im freien Auffatj tarnt fie nur mit Dop 
ficht benutzt roetöen. 

Bliden mir auf öie befptodjenen unö öie früheren Auffatjroerte 3Utücf, unö ubep 
legen mir, mie fie fich in öie neue 3eit einfügen roeröen, fo tonnen mit öas eine fagetu 
tDie auch immer öet neue ©eift öas Altberoährte befruchten roitö, mit bütfen beftimmt 
ermatten, bafe in öet Sdjule öes neuen Deutfdjlanös öer öeutfdje Auffatj öie Stelle 
einnehmen mitö, öie et feinem (E^iehungsroerte nad) haben mufj: er roitö Öen Huttel’ 
puntt bilöen für eine echte beutfdje perfönlichleits* unö ©eiftesbilöung unfetet 
3ugenö. 


Doltsfuttbe. 

Don Huöolf Stäbe in £eip 3 »g. 

An erfter Stelle nennen mir öie ©tga^ung, öie Sigm. Seift 3U feinem gwf! en 
IDerte „Kultur, Ausbreitung unö tjerfunft öet 3nbogermanen" liefert. 1 ) <fe h an ' 
öelt fi<h in öiefet Schrift um bas Derhältnis öet ©etmanen 3ur inbogetmanif<h* n 
Sprachfamilie. $eifts (Ergebnis ift folgenöes: Sprachliche unö atdjöologifche ®tünoe 
miöeriegen öie Ijetfunft öer 3nbogetmanen aus öem ©ebiete, öas öie gefd?i<h' 
liehen ©etmanen befieöelten. Anöerfeits ift öas ©etmanifdje teine ungeftörte 
IDeiterbilöung öes 3 nöogermanifd|en. Dielmehr fafe öie Raffe, öie als ©ermatten 
heroortreten, bereits in öer älteften neolithif<h cn 3cit in ihren fpäteren Si^««, jte 
roaren hier boöenftänöig unö eine Raffe sui generis. Diefe Praegermanen h®^ 1 
nun ihre urfptüngliche Sprache mit einer inöogetmanifchen Rlunöart Dertaufhr 
moraus öas ©ermanifche entftanöen ift. Diefer Hergang mufj Dor öer teltif<he n 
©jpanfion erfolgt fein, alfo in öer erften Hälfte öes lebten 3aljttaufenös o. ***• 
Welches inöogetmanijche Dolt öiefen Pt03ejj ^etberführte, roijfen roit nicht; S el P 
meift auf öie 3 IIytier hin, ohne eine beftimmte Antmort geben 3U fönnen. Das ge* 
fchidjtli^e Auftreten öet ©etmanen feit öem 3.3ahrhunöert d. ©h r * beruht barauf» 
öafe fie öamals öie fjerrfd}aft öet politifch unö lulturell überlegenen Kelten abf<h u ' 

1) Signtunb Seift, 3nbogermanen unö ©etmanen. ©in Beitrag 3 ur europäi|(h en 
Urgefhichte. halle a. S. 1914, Itlaj ttiemeyer. Dt. 2,—. 



Don Rubolf Stübe 517 

icltcn. Dotöem lennen fjeroöot, Pytheas unö anöere nur öie Kelten, eeft feit öer 
3 urüc!brängung bet Kelten tritt öer Käme ©ermanen heroor. 

$eifts Buch oertritt a({o eine ©hefe, öie bereits in feinem größeren IDerte aus* 
gefprodfen roar. Berechtigt an ihr ift öer tDiöerfprudj gegen eine Auffaffung, öie 
3 nöogermanen unö ©ermanen gleichfetjen möchte, öie in allen möglichen oorgefchicht* 
liehen Denhnälern Spuren öer Snöogetmanen oöer öer ©ermanen finöet. 

Dagegen toirö öie Annahme einet fptadjlichen Snöogetmaniperung eines prä* 
hiftorifdjen Dolles, öas fpäter als ©ermanen erfdjeint, faum oiel flnüang finöen. Das 
3 eugnis öes Pytheas ift !aum entfdjeiöenö, öa et öie ©eutonen lennt, unö öiefe fidjer 
©ermanen finö. ©s toirö ftets beöenüid} bleiben, toeit oot aller gef^idjtlidjen 3eit 
liegenöe Dölfetoerhältniffe aus fpradpidjen ©atfadjen 3U etfchliefjen. $üt öie ge* 
f<hi<htli<hen Anfänge öer ©ermanen unö Kelten aber finö öie ootliegenöen Hach* 
richten 3toar toertooQ, aber öoeh 3u oerein3elt, als bafe man aus toenigen tnappen 
Rotten gan3e 3 ahrhunöerte erhellen fann. tDir werben uns in oielem befdjeiöen 
muffen. 

©in Buch, öas oon unetmüblichem Sammlerfleife 3eugt 2 ), oertritt Anfchauungen, 
über öie man nicht öebattieren lann. Sehe ich gan3 oon öem Detfudj ab, eine teltifd}* 
germanifche Uroertoanötfchaft 3U ermitteln, öie fich faft im gan3en althochbeutfdjen 
IDortfchat) öarfteüen foll, fo fpridjt öetDerfaffer allgemeine Anfchauungen aus, öie ich 
nicht nad}3uöenten oermag. DieBilöung öer inöogermanifchenDoltseinheit foll öutch öie 
räumliche Abgefchloffenheit in einer toeit älteren geologifchen perioöe öer ©rbgefdpchte, 
im ©ertiär, beöingt fein. 3 n gan3 falfcher XDeife toirö hier toieöer einmal öas ©hine* 
fifdje als eine fptachiiehe Utfotm benütp, toährenö es aus einet mehrfilbigen Sprache 
3erfatlen ift. Die theotetifdjen IDmgeln toeröen als lebenöe Sprachtörper behanöelt. 
IDie öie Snöogermanen toeröen auch öie DöUet öes uralaltaifchen Sprachftammes 
aus geologifcher Abfonöerung im ©ertiär erflärt. (S. 50 , too öie Dielgeftaltigteit öer 
Süöfeefptachen aus öem Untergang einet alten Sanömaffe erflärt toirö!) IDie es mit 
öem etymologifchen ©eil beftellt ift, toill ich nicht nähet prüfen. ITCeine feltifcfjen 
Kenntniffe finö 3toar gering, aber es fcheint mit öoeh, als ob öie Ahnlidjleit teltifcher 
unö getmanifcher U)orte — 3umal bei öer oölligen UmtDäl3ung öes feltifdjen £aut* 
fyftems — öer Annahme eines 3 ufammenhangs eher toiöerfpricht. Das Stifte bei 
feinet Parten Umbilöung 3m ©runölage 3U machen, ift feht getoagt. Der Derfaffer 
berüdfichtigt oft nur öie (Orthographie öer IDorte, ohne öie Ausfptadje 3U beachten. 
®ft herrfcht bei öer Detgleidjung oöllige metljobifche EDilUür. ©an3 oertoegen finö 
öie Iautfymbolifchen AuffteHungen, 3. B. S. 69 . Das Snöogermanifche hat eine UJuQel 
sru für „piefeen", unö 3toat für taufchenöes Sliefeen, öa öer Anlaut s ein ©etäufch 
anöeutet. $olgtich heijjt ru — ohne Symbol3eichen öes ©eräufdjes — „leife pieken". 
Das Cautbilö toirö foöann „umgeöreht" 3U ar, um Öen ©egenfatj 3um $liefeen 3U be» 
3eidjnen, alfo „ftillftehenöes, faulenöes tDaffer". Die Detöoppelung arar ift bann 
„ftilles tiefes IDaffer". Ähnliche Anfchauungen auf S. 71 u. 72 . Das Seltfamfte an 
fpradpichen Anfchauungen pnöen toir aber auf S. 6f. Oer Derfaffer hat im Stiften 
eine „auffaüenö grofje An3ahl oon ©injilbern" gefunöen, toie fie nur im Rigoeöa 
„annähemö ebenfo gut oertreten ift". Daraus fdpiefjt öer Derfaffer, öafe „öiefe beiöen 

2) ©buarö haltet, 3nöogermarien. Sprache, Utfii}, Ausbreitung auf geologifcher 
unö linguiftifcher ©runölage. 3ena 1913, hetmann ©oftenoble. IR. 2,—. 



518 


£iteraturl>erid)te 1914: Dolfsfunöe 


Sptachen öer norausjufetzenben einfilbigen Urfpraclje (!) am nädjften fteljen. Da ich 
aber nicht annehmen tonnte, öafe 5 er Utmenfd} non allem Anfang an in Silben ge* 
[protzen habe, lam ich auf 5 en für geroiffe £eute oielleicht oertoegenen ©eöanfeit, 
öafj, 5 a öie (Einfilber 3umeift aus Konfonant un 5 Dofal befteljen, öer fllenfd} 5 er Ur* 
3eit 3unadjft nur Konfonanten heroorgebracht unö Diel fpäter 5 en Dolal 5amit per* 
bunöen habe." Das ift alleröings ein „oettDegenet ©eöanfe". Hoch einörucfsooller ift 
5 er Beroeis: öie Konfonanten finö öie „allererften (Elemente öer Spraye", t»eil öie 
femitifdjen Sprayen öie ©runöbeöeutung mit Öen Stammfonfonanten oetbinöen. 
Sapienti sat! 

Don öer gründlichen Stofffammlung Sartoris über „Sitte unö Brauch" ift öer 
öritte Heil erfdjienen. 3 ) 3 n fnappen Sätzen toirö öas Hatfädjliche berichtet, öie Belege 
im ein3elnen toeröen in flnmerfungen gegeben. Das Buch toirö audj für öie S c f* c » 
öie fird)lid)en roie öie oolfstümlidjen, öutd) öie reiche Sammlung öer Dolfsfunöe gute 
Dienfte leiften. 

Cebenöigere Anfdjauung öes Dolfsbrauches gibt eine Sdjilöerung öer Sc^toeyDt 
Sefte unö Bräuche oonfjoffmann=Kray et. 4 ) Der Derfaffer ift toohl öer befte Ken* 
ner öes Schtoe^er Dolfslebens unö hat hier aus umfaffenöet (Quellenforfchuug nicht 
nur Diel neuen Stoff beigebracht, fonöern auch 3ut (Erflärung altertümlicher ® e ’ 
brauche unö öes Aberglaubens toichtige Beiträge geliefert. (Eine Badjet3ählung, 
feine getreue Heftaufnahme, oon Dolomitenfagen aus einem ©ebiet, in öem fi<h 
öeutfches unö laöinifdjes IDefen begegnen, aus öem Saffatale, hat K. $. IDolff ge= 
liefert. 6 * ) 3 n öer Hat ift es ihm, öem genauen Kennet öiefes eigenartigen Dolfstums, 
gelungen, in feinen Bearbeitungen einen naturhaften, oolfsmäfjigen (Einötucf 3U et* 
3ielen. (Einige Höhlungen finö in öer $orm, toie fie aus öem Dolfsmunöe aufgenom* 
men touröen, tDieöeret3ählt, bet anöeren hat öer Derfaffer mit großer Sreiljeit 311* 
fammengefafet unö ergän3t. 3 ntereffe oeröienen öiefe (Erzählungen, öie oft Öen Reh 
hohen Alters haben, in befonöetem Rtafze. Dielen märe, uro gute laöinifche Hefte cot* 
liegen, getoifz auch ih tc Mitteilung erroünfdjt; man möchte öoch Öen 3auber öes ®ri 5 
ginals unö feine Hönung gern empfinöen lernen. All3uf<htoet ift es nicht, fich m *t ^f e 
einer Überfettung ins £aöinifche ein3ulefen. 

Aus einem entlegenen ©ebiete hat K. Aöamef öie Dolfslieöer unö Sprüche ge* 
fammelt. 8 ) (Er hat im Dolle bei öer Sammlerarbeit öiefelben Schmierigfeiten gefun* 
öen, roie fie XDoffiölo oon feinem medlenburgifchen £anÖDolf fo ergötzlich berichtet 
(Es ift ein harter, toenig proöuftioer Boöen, auf öem öiefe (Ernte eingebracfjt ift. IDenig 
ift aus öem Bauerntum öes Hetzeöiftrifts ertoachfen, roeitaus öas meifte ift petpffan 3 * 
tes unö überl iefertes ©ut. Aber öiefer befcheiöene öidjterifche Befitz ift ein 3 eugti* s 

3) Paul Sartori, Sitte unö Brauch- Dritter Heil: 3eiten unö Sefte öes 3<rh te5> 
(tjanöbüdjer 3 m Dolfsfunöe. Bö. VII. VIII.) £eip 3 ig 1914, tDilhelm harms. 

4) H. fjoffmann*Kray er, Sefte unö Bräuche öes Sd}u>ei 3 et*Dolfes. Kleines h an ®* 
buch öes fdjroe^etifdjen Dolfsbraudjs öer ©egencoart in gemeinfafelidjer Darftellung. 
3urcd} 1913. Sdjulthefe u. Ho. DT. 2,40. 

^, ar ^ Selif IDolff, Dolomitenfagen. Sagen unö Überlieferungen, Rtä t jh e ’' 
unö (Strahlungen öer laöinifchen unö öeutfdjen Dolomitenberoohner. £eip3»g 

S. fjitsel. DT. 1,30, geb. DT. 1,90. 

J) ® e “tfd) e Dolfslieöer unö Sprüche aus öem ITetjegau. ©efammelt unö herausgegeben 

oon Karl flöamef. £iffa i. p. 1913, ©sfat Hulit). 



Don Rubolf Stfibe 


519 


für bie Kraft, mit bet fidj hier in polnifcfjer Umgebung bas beutfdje Doüstum behaup¬ 
tet hat. Das überlieferte unb tteu bewahrte £ieö hat ben 3 ufammenhang mit ber 
beutfdjen Spraye unb ©efittung bewahren helfen. 

3 n ber Dolfsfunft bes 15 . unb 16 . 3 aljthunberts wmgeln bie föftlidjmaioen 
IDeiljnachtsfpiele, bie oom ©efdjide nic^t fo begünftigt worben finb wie bie alten 
©fterfpieie, aus benen bie (Oratorien hetoorwu<hfen. Dafür wirten fie burch bie 
fdjlidjten innigen Doltsweifen unb öurdj ben berben tjumor, ber harmlos neben bie 
naioe grömmigfeit tritt. Sdjlefien hat biefe Kunft befonbers tteu bewahrt Um Samm* 
lung unb Bearbeitung biefer Sdjätje hat fidj $ r i e b r. D o’g t oerbient gemacht in feinem 
Buche übet bie fdjlefifcfjen tDeihnadjtsfpiele (£eip3ig 1900 ). 3 n einem Ileinen hefte 
teilt er nun weiteren Kreifen ben ©ejt oon brei Stüden (nebft Uoten unb f3enif<hen 
Angaben) mit. 7 ) Aufführungen foldjer IDeihnachtsfpiele in einem £eip3iger ©ymna* 
fium haben ge3eigt, wie wirtfam bei einfachsten Rütteln biefe treuher3ige poefie noch 
heute ift Die ©abe, bie uns hier geboten wirb, tann überall fteunblidjer, bantbarer 
Aufnahme gewife fein. 

Dem oielleicht älteften ©enoffen bes RTenfdjen aus bem ©erreich, bem ffunbe, 
hat bie prahiftorifdje gotfdjung ihr 3 ntereffe 3ugewanbt (Dgl. 3uletjt © fjahn, 
Don ber Ijade 3um Pflug. £eip3ig 1914 . S. 33 .) Dem uralten 3 ufamtnenljang bes 
fjunbes mit bem RTenfdjen entfpridjt es, bafe ber ^unb auch 7777 geiftigen £eben bes 
RTenfdjen eine gtofje Rolle fpieit. 3 n Dollsfage, in Dolfsglauben unb im Sprichwort 
nimmt et eine gtofee Rolle ein. Diel intereffantes RTaterial — teineswegs ooüftänbig 
— ift oon Helling 3ufammengeftellt. 8 ) Die £egenbe oon bem Dortmunber Stabtljeili* 
gen, bem ITlönch unb RTärtyrer Reinolb in ©öln, behanbelt eine Heine Schrift oon 
5 . Schauerte im 3 ufammenhang mit bet Sage oon ben Ijaimonsfinbetn.*) Oer ©ejt 
bet £egenbe wirb in beutfdjer Überfeijung nach ein« ©olner Ijanbfdjtift (ca. 1539 ) 
gegeben: U)ir haben hi« eines bet fpäteften RTärtyrologien oor uns, in bie 3 ü<je aus 
ber beutfdjen Doltsfage eingebrungen finb. 

©ine Sammlung oon geograpljifdjen Säuberungen beutfdjer £anbf<haften, bie 
auch für ben beutfdjen Unterricht gut oerwenbbar finb, gibt bet £eip3iget ©eograph 
Dr. ©twin Scheu h«aus. Das erfte ^eft behanbelt ben Sdjwat3walb. 10 ) ©s ift 
eine ausge3eidjnete, auf wiffenfdjaftlidjer ©runblage ruhenbe, in bas Derftänbnis bes 
lanbfdjaftlidjen Baus tief einfüfjtenbe Darftellung. 3 m beutfdhen Unterricht wirb bie 
Siebelungsfunbe unb bie Sdjilbetung bes Dolfstums 3U benutzen fein. 3 m wefent- 
liehen finb biefe Darftellungen phyfiTalifdj unb morphologifdj gerietet. 

ffinige Ijeftc ber 3 eitfcfjrift „TDeferlanb" bienen in ihten Auffäijen begren3ten 
Sofalintereffen. 11 ) 3 ntereffe werben bie ©rabinfdjriften ( 1913 , Rooemberheft) 

7) IDeiljnachtsfpiele bes fdjlefifchenDolles, ©efammelt unb für bie Aufffiljtung 
eingerichtet oon griebtidj Dogt. £eip 3 ig unb Berlin 1914, B. ©. ©eubner. Bl. 1,—. 

8) K. Helling, Der fjunb im beutfehen Doüstum. Seine Stellung unb Bebeutung in 
Sage, Sitte, Brauch, ©tauben unb Sprache unferes Doües. Heubamm 1914, 3. Reumann. 

9) tjeinrich Schauerte, Reinolb, ber Stabtpatron Dortmunbs. Dortmunb 1914, 
<Bebr. £ufing. Rt. 0,75. 

10) ©rtoin Scheu, Der S(hu>at 3 toaIb. Rlit 8 (Tafeln unb 11 Abbilbungen im Heft, 
feipjig 0 . 3 ., ©Ijeob. Uromas. RI. 1,20. 

11) IDefterlanb, ©ff^ielles ®rgan bes R)efeH5ebirgs*Deteins ©. D. 1913 Roo., 
Oej., 1914 3an. fjotjntinben, hüpte u. Sohn. 



520 £iteratur6erid)te 1914: Angemeine Spradjmiffenfchaft unb beutfdje Spraye 


finden, unter ihnen bie ©rabinfehrift Hub. Brommys, bes Admirals bet elften beut» 
jdjen glotte. 3 n bemfelben fjeft finbet Jich eine Dialeftet3ählung, bie aber !aum un* 
mittelbar aus bem DoIIsmunbe aufgenommen ift, fonbem Kunftet3ählung im Dialeltju 
fein fdjeittt. • 


allgemeine Sprad)tDi|fen|d)aft unb beutfdje Spraye. 

Don Osfat Weife in ©fenberg (S.*A.). 

($ortfefcung unb Sdjlufe oon S. 436.) 

III. Oie be«tfd)en Mundarten. 

1 . Allgemeines, ©ne Sammlung beuifdjet XRunbartbichtungen bat Ij. Reis“) 
herausgegeben. Sie unterfcheibet fid) oon anberen betartigen Sammelbänbchen be» 
fonbets dadurch, bafe fie bie Proben nicht nach £änbem unb ProoitQen geordnet 
3ufammenftellt, fonbem nach ben einjelnen Dialeften, baj) fie jedem Abf^nitt eine 
©jarafteriftil bes betreffenben Dialefts oorausfehidt unb in ben gufenoten nicht 
blofj fdjtoierige Ausbrüde erläutert, fonbem auch fpradjtich toic^tige ©Meinungen 
beroorbebt. Bei ber Ausmaß finb oot allen Dingen Stüde aus girmenichs Döllen 
ftimmen unb aus ber 3 eitfchr. f. beutfdje IRunbarten betangejogen worben. So 
tommt es, ba& bebeutenbe IRunbartbichter roie Koben, Stieler, ©rübel, Stel3bamer, 
^oltei, Botmann, Stolje, Brinfmann, £anbois, ©rimme unberüdfidjtigt bleiben, 
bagegen oiel namenlofes ©ut mit unterläuft. güt Abwedjfelung ift reichlich gefolgt, 
Poefie unb Ptofa, Dollsfprüche, Sprichwörter, Rätfel, Kinberreime finden fi<h 
nebeneinanbet; doch ftört es, bafj leine einheitliche Schreibung butdjgefühtt ift, dafs 
baber 3. B. bet 3wifd)en a unb 0 ftebenbe £aut bald mit oa ober ao, bald mit 00, 
ob ober 0 wiebergegeben wirb. Sogar innerhalb besfetben ©ebichtes wecbfelt die 
Orthographie 3iemlich oft, 3. B. S. 67 braan unb dran, S. 77 , 3 will (wüb) unb u>il; 
ja bei bet Umfdjteibung finb fogar mehrfach Srrtümer untergelaufen; 3. B. S. 74 
eichsfelbifch hachel (Jjecfjel) mit hackel unb ebenda altenburgifch nauwiss’g (neuroijfjg, 
neugierig) mit nauwisch wiebergegeben. — ©ne Abhandlung oon mir 42 ) befc^äftigt 
fMj yüt Öen fogenannten Stredformen. Sie bringt ben Hadjweis, bafj bie Unregel* 
mäfjigleit bet Betonung bei biefen IDörtem nicht durch fogenanrtte Stredung b ert,0P 
gerufen worben ift, wie Schröder annimmt, fonbem oetfdjiebene andere Utfa^en 
bot. Heilweife ift fie im Reime bes Kinderliebes begründet, teilweife in ber Anfügung 
fremder ©tbungen ober in bet 3 ufammenfei}ung. Diele oon ben in Betracht lomtncn» 
ben Wörtern bat Spröder gar nicht erflätt, weil et fie durch Stredung nicht erflüreit 
fonnte, 3. B. fchlefifch gtabbuf e, Schandmaul = glabbe mit ber fremden ©tbung mfe. 

2. Die ein3elnen IRunbarten. a) Hieberbeutfch. Die bebeutendfte 
Schrift über bas Itieberbeutfche ift Agathe £afd?s 43 ) mittelnieberbeutfchc ©rarnmcP 
tit ®ne joldje nach dem jetzigen Stande ber tDiffenfdjaft 3U fchteiben, um* nicht 
lei^t, weil Dorarbeiien ba3u erft in befchränttem IRafee oorbanben find; aber 
möglich mar, ift hier durch Boren Büd unb einbringenben gleifj erreicht morden. 


$? ns ** e ' s ' beutfdje IRunbartbichtung, ausgeroahlt u. etläuteri Sammlung 
©ofehen. Bb. 753. £cip 3 ig. 141 S. IR. 0,90. . 

, , ®slar Weife, Die (fogenannten) Stredformen unb bie A^entuerfchiebung. J#y p 
buch des Derems für nieberbeutfdje Sprachfotfchung, XXXX. S. 55—81. 
286 S 43 m fl fiQn^ e Dlittelnieberbeutfche ©rammatil. tjalle O.Ö.S., m.Hiemey«- 


Don ®slar tDeife g 21 

Oie Katgleifpradje wirb babei naturgemäß ftärfer betont als bie Sprache bet Di** 
tungen; mo Sujammenfaffungen ni^t möglich waren, ftnb bie Belege fo gewählt 
baß oerf*tebene 3eiten unb ©egenftänbe berüchtigt mürben, ©eboten wirb na* 

etnlettenben ©rörterungen über bie He*tf*reibung bie Cautlebre (S 28 _ 190 > 

unb bann bie $ormenIeljre (S. 191 - 247 ). ©in ausführliches Quellen* unb IDort* 
oeigetchms (S. 248 — 284 ) f*heßt bas ©att3e ab. flu* bie heutigen nieberbeutfäen 
munbarten toetben häufig berüchtigt. Auffällig ift, baß bie Derfafferin öfters 
gemieben hat, fich in eine Kritif entgegenftehenber Anfi*ten eitgulaffen, 3. B. §§ 366 
386 über ben Urfprung bes HIeht3ahl=s non IDörtetn wie börgers, Bürger. — Den 
Dolalbeftanb bet IHunbart oon $infenwärber bei Hamburg hat ©. Kloete 44 ) mit 
großer Sorgfalt unb Umfi*t uüterfu*t. flusgehenb oon ber urtunbli*en über* 
heferung ftellt er 3unä*ft oorfi*tig bie Spuren einer holIänbif*en Be|iebelung feft 
unb behanbelt bann 1. bie Phonetit unb 2. bie ©ef*ichte bes Dotalismus auf mittel* 
meberbeutf*er ©runblage, alles äußerft anfpre*enö unb mit einer Sülle oon Be* 
legen, flu* bie Ha*barmunbarten werben berüchtigt, ©in ausfühtli*es IDort* 
oet 3 ei*nis erlei*tert bas Ha*f*lagen. — $. IDipp ermann 46 ) ftellt in einem S*rift* 
*en überfi*tli* alles bas 3ufammen, toorin ©nglif* unb piattbeutf* überein* 
ftimmen. Sautlehre, Sotmenlehre, IDottf*aß, Kinberliebet tommen babei glei*et* 
maßen tn Betra*t. Oie Angaben finb faft bur*ioeg 3uoetIäffig, nur feiten wirb 
man lOibetfpru* erheben tonnen, 3. B. bei ber Behauptung (S. 23 ), baß Hamen 
tote Belgarb unb Stargarb beutf*en Urfprungs feien ftatt flau>if*er herfunft Oer 
Oerfaffer, ber feine Sammlung oeroollftänbigen mö*te, bittet um weitere Beiträge. 
Sur bas Kmbetlieb, 3. B. bas oon bet ©olbenen Brücfe, unb beffen große Detbrei* 
fang oerweife i* *n auf Zltannharbt, 3 eitf*r. f. b. BTythol. IV, 301 ff. unb auf 
©omme, The traditional games of England, Scoteland and Ireland I, 333; II, 25 . 

— ©inen feffelnben Auffaß über bas Alter ber fogenannten Benrather Sinie, b. h- 
öer ©rcrt3linien 3tDifdjen Öen ffiegenöen öes Rljemlanöes, too maken unö ido machen 
gefpro*en wirb, f*reibt ©h- Srings. 48 ) — ©ine hnge 3ufammenfaffung bet *arat* 
eriftif*en ©igentümli*teiten ber nieberbeutf*en BTunbarten in attregenber, ge* 
memoerftänbli*er $orm habe i* 47 ) in ber 3 eitf*r. b. Allg. b. Spta*oereins ge* 
geben; in ber Seftf*rift 3ur Begrüßung bet 18 . fjauptoerfammlung besfelben Oereins 
mHamburg behanbeltfj. 0. Hei*e ooItstümli*e At3neimittelnamen, unb ©. Krös 48 ) 
unternimmt ebenba Streifäüge bur* bie hamburgif*e haus* unb Kinberfpra*e. 

b) IHittelbeutf*. ©s ift bantenswert, baß ID. S*oof 49 ) feine oortreff!i*e 
Abhanblung über bie S*wälmer ÜTunbart, b. h- über bie IRunbart im Berei*e 

- 44)' ©efinus Kloete, Oer Ootalismus ber Btunbart oon Sintentoärber bei tfamburg. 
sonberabbtud aus bem 3ahrb. bet hamburger roiffenf*aftli*en Anftalten. Bb. XXX. 
nommifftonsoerlag oon £. ©täfe u. Siltem in Hamburg. 84 S. 

n ». - S- iOippetmann, ©nglif* u. piattbeutf* mit befonberer Berüctfi*tigung bes 

«ugrmunbungsgebietes. Duisburg*BIeibeti*, 3of. ©raffmann. 38 S. Bl. 0,50. 

v^ eo ^ or Stings, Das Alter ber Benrather £inie. Beitr. 3 . ©ef*. b. b. Spra*e 
«• Mt., XXXIX. S. 363ff. 

S 65flP ® s * ar tDeife, Das Hieberbeutf*e. 3eitf*r. bes Allg. b. Spra*oereins, XXIX. 

48) Seftf*rift 3 m Begrüßung ber 18. hauptoerfammlung b. Allg. b. Spta*oereins 
hambutg, R. {fermes. 155 S. IR. 1,50. 

49) ID. S*oof, Oie S*toälmer Blunbart. halle, IDaifenhaus. 94 S. BT. 2,40. 



522 £iteraturberidjtel914: AngemeineSprad)tmffenf<fiaftunbbeutfd|e$prad)e. Don®.tDei|i 


bes Sdjtoalmfluffes im beffifdjen Kretfe 3iegenljain, butd) einen Sonbetbrud aus 
ber 3citfd?t. f. beutfdje IRunbarten (1913, 1 ff.) je^t einem größeren Cefetfreife 3 U« 
gänglidj gemacht bat. Darin befinbet ftd? bie Cautlebre unb bie $ormenleI)te mit 
flusfdjlufe bet Biegung bes 3eitroorts. Diefe fotoie bie gtembtoötter Ijat et in bet» 
f eiben 3ettfd)r. 1903, 246ff. unb 1906, 64ff., 199ff., 345ff. bargeftellt. (Eine Syntaf, 
IDortbilbung unb Hamenfunbe 3 U fdjteiben behält er fid) not. — (Eine fotgfältige 
Arbeit über bie lateinijdjen unb bie rontaniftben Beftanbteile int IDortf^atj ixt 
naffauifdjen IRunbarten bietet flb. Bad). 60 ) Die 3 ufammenftellung erfolgt nach 
fadjlidjen ©efidjtspunften, $orm unb Bebeutung toerben gleichermaßen betüdfidj* 
tigt unter fjeranjiehung ber ganjen einfdjlägigen Citeratur. Beachtensroert finb 
feltenere flusbtüde toie ©raufet, IRauetfelle (lat. truella) ober $au, geiler (ft 3 . 
faute). Srrig toirb S. 112 bas IDort balli, fdjnell, bas befonbets im öftlidjen Deutfdp 
lanb oetbreitet ift unb aus bem Slatoifd)en (poln. dalej, oonoatts) ftammt, auf ital. 
dagli 3 urüdgefü^rt (ogl. fj. Sd)ul 3 , $rembtoörterbud) S. 122 ). mitunter roöte bi« 
Detgleidjung oftmittelbeutfdjer EDörterbüdjer non Rußen getoefen, 3 . B. bei Ranbefu 
(rendez-vous) in bet Bebeutung ©rbttung bie bes oberfä<hfifd)en II, S. 350. — 
Had; meßr als neutQehniähriget paufe hat (E. Reidjarbt 51 ) bem erften ©eile feinet 
IDafunget IRunbart ben 3 toeiten folgen laffen, b. fj. bie flbfdjnitte übet (Eigenfdiafts«, 
$ür=, 3eit*, Umftanbsroort unb Saßbilbung. Berüdfidjtigt toerben faft nur bie Sprad ) 8 
etfdjeinungen, toie fie oot etroa 60 3a^ren, in ber 3ugenb bes Derfafjeis, üblith 
toaren. Die Deutungsoerfudje befriebigen nidjt immer, 3 . B. bie (Erflärung non 
Ijelidj lang, fel)t lang (S. 158), bas aus Ijödjlidj lang ober Ijöllifd} lang erllärt 
mirb, toährenb fefjon in $tommanns lRunbatten VI, 515 unb in Dilmars 3 öioti!on 
Don Kutheffen S. 165 ber erfte ©eil richtig als heilig aufgefaßt wirb, ba bas IDott 
Ijeilig audj fonft 3 ut Derftärfung bient, 3 . B. in ber Derbinbung heilig f^ön. Bei* 
gegeben finb 533 Rebensarten, barunter allerbings manche allgemein beut|cf)e roie: 
ettoas im Sdjilbe fügten, anbere Saiten auftie^en, jemanb ungefdjoren laffen. ^ 
ift bie burdj 3 a^lteid;e Beifpiele oeranfdjaulidjte Darfteltung ein roettoollet Beittag 
3 ur Kenntnis ber oftfränfifdjen IRunbarrten. — Don <D. Kürftens 6 *) Sdjne^djen 
on Sdjnar 3 <^en, b. h- luftigen ©efdjidjten in ©hütinger RTunbart ift jeßt bas ad)te 
t?eft^en etfdjienert, ein 3eugnis bafür, baß bet Derfaffet toie früher bet Rubolftäbiet 
fl. Sommer unetfdjöpflid} in btoUigen (Einfällen ift. — mit Cieferung 9 unb 10 
ift nun bas oberfädjfifdje tDörterbud) oon K. mülter*§raureutb 83 ) abgefdjloffen. 
Der Derfaffet hat gehalten, toas man oon Anfang an oon ihm erroartete. ©n fo f>e- 
lefener unb in munbartlicfyen Dingen fo tiidjtig gefaulter (belehrter mußte etro® 
Dortreffliches 3 uftanbe bringen. IDoljl tann ©betfadjfen, auf beffen Sptadje fi. 
unfet Heufyod jöeutfd} in erfter Cinie ftü%t, naturgemäß nidjt fo reiche Ausbeute an 


50) Abolf Bad;, Die lateinifdpromanifdjen (Elemente im IDortfdjaß ber naffauif ^ 01 

IRunbarten. Haffauij^e Annalen, XXXXII. S. 82—131. , ^ 

51) (Ebinßarb Reidjarbt, Die IDafunget munbart. 2. ©eil. Sänften b.Der.f.tn«' 
mngtfcbe <5efd). u. £anbe$fmtbe. 71. tjeft. S. 157—256. 

52) ©tto Küxften, Sd;nei)d)en on Sd)nat 3 d)en. £uftige ©efd)id)ten in ©9 ut,n “ 

Rlunbart. 8 . Bbd)en. IDeimat, ©belemann. 56 S. IR. 0,50. .. . [A .„ 

m„ x 3 \ Ka "! HlülIer=Sraureutb, IDÖtterbud) bet obetfätbfifdjen 
?r«x art£ ^ £ ’ efetun 9 ,x u - x - s - 529—819. Sommetleljne bis 3yprcffe fotoie Rasttag • 
Dresben, ID. Baenfd). 3e IR. 3,50. 


Citeraturberidjte 1914: Philofophie Don Ruöolf Slübe 


523 


munbartlichen ©Meinungen liefern u>ie bie ©ebiete ©bet* unb Hieöerbeutfchlanbs, 
«bet immerhin ift erftaunlid), toieoiel ber Sammelfleife Müllers unb feiner Mitarbeiter 
hier 3 ufammengebrac^t hat. Auch bie tDorterflärung trifft, foroeit fie geboten roirb, 
meift bas Richtige. Befonbets lehrreich ift bie (Erläuterung non Rebensarten toie: 
ben Dogel abfcfjiefeen, Spenbierhofen anhaben, mit bem Rüden an bie IDanb fommen, 
oogtlänbern Räubern). — Don ber Derbreitung unb ben Kennjei^en bes £jaupt= 
bialefts ber ©raffchaft ©lat) Ijanbelt eine Arbeit $t. ©taebifdjs. 54 ) Der Derfaffer, 
einet ber beften Kenner bet glätjifchen Munbart, erörtert ihre (Eigenart in £aut= 
unb $ormentefjte, IDortfügung unb tDortfdjat), ftellt bie Rtunbartgrenjen unb bie 
örtlichen Unterfdjiebe innerhalb biefer ©renjen feft unb bietet uns audj nod) eine 
Anja^I oon Spradjproben, alles in geroiffen^after pfjonetifcher Schreibung. 

c) ©berbeutfef}. Don ©. $rieblis 55 ) Bembütfd) ift ber eierte Banb erfdjienen, 
ber 3ns beljanbelt. ©. dappolet 64 ) unterfudjt bie alemannifdjen Cehmoörter in 
ben Munbarten ber franjöfifchen Sdhtoeij. (Eine Abhanblung oon A. Pfal 3 87 ) be* 
fdjäfttgt fidj mit ber Munbart bes Marchfelbes. Diefe brei Schriften haben nicht 3 ut 
Befpredjung oorgelegen, tonnen baher nur ermähnt toerben. 


pijilofopljie. 

Don Rnbolf Stäbe in £eip 3 ig. 

II. Ausgaben unb Überfettungen. 

Platons „Phaibros", biefe oielumftrittene Schrift, hat einer ber Berufenften, 
(Eonftantin Rittet, in einer neuen überfetjung hetausgegeben. 1 ) ©s ift eine 
mufterhafte Arbeit, toertooll insbefonbere burdj bie ©inleitung, bie bie Stellung bes 
„Phaibros" in Platons ©ntroidlung unterfudjt unb eine Bare Analyfe bes ©ebanfen* 
ganges gibt. Ausge 3 ei<hnet finb bie philologifchen (Erläuterungen im Anhang. 

©ine oerbienftliche neue Schöpfung bes Derlages finb „Rteiners Dolts* 
ausgaben", bie fidj bie Aufgabe {teilen, fjauptroerfe ber Philofophie, bie fidj auch für 
toeitere Kteife 3 u einführenbem Stubium eignen, in roiffenfchaftlich muftergültiger 
©eftalt 3 U bringen. Mit Recht toirb auf Dotlftänbigteit bes ©ejtes IDert gelegt 
Artur Buchenau hat hier eine oortreffliche Überfettung ber „Mebitationen" oon 
Descartes gegeben 2 ), bie fchon als Überfettung ein feinfinniges, tiefbringenbes 
Derftänbnis b etunbet. 

54) griebrith ©raebifd), Derbreitung u. Kennjeidjen ber ©15^ifd|en munbart. 
Sonberabbrud aus Bb. XVI, ijeft 2 ber mitteil. b. fdjlef. ©ejeilfd]. f. Dolfsf. fjetausgeg. o. 
©h- Siebs. Breslau, marcus. S. 197—244. 

55) ©manuel griebli, Bembütfd) als Spiegel Bemifdfen Dolfstums. IV: 3ns. 
Bern, fl. Stanfe. 

56) ©. ©appolet, Die alemannifchen Cehnroörter in ben IRunbarten bet ft 3 . Scheue^. 
Strafcburg. m.4,—. 

57) flnton Pfal 3 , Die munbart bes matchfelbes. Aus b. Sitzungsberichten b. taif. 
Atab. b. tDiffenfdj. 170. Bb. IDien, fl. halber. 

1) Platons Dialog Phaibros. Überfet)t, erläutert unb mit ausführlichem Regifter oer* 
fehen non donftantin Ritter. (Der Philofopl}. Bibliothef Bb. 152.) £eip3ig 1914, SeÜE 
meiner, m. 2,40, geb. IR. 3,—. 

2) Ren£ Descartes, mebitationen über bie ©tunblagen ber Philofophie. überfe^t oon 
Artur Buchenau. (THeiners Doltsausgaben Bb. II.) £eip 3 ig 1914, gelij meiner, m. 1,40. 



524 


Citeraturberidjte 1914: pf)üofopt)ic 


©ne £eiftung hob« philofophifchet Bilöung unb Itteratijdjet Kunft i|t bie in bet* 
fetten Sammlung etfdjienene übetfetjung Raoul Ritters t>on Daoib §umei 
„Enquiry conceming human understanding", biefet flajfifdjen, baljnbtedjenben 
Ceiftung bet ©lenntnistheorie. 8 ) Übet bie ttrunbfa^e, nach benen bet übetje^et 
geatbeitet ^at, gibt ein geiftoolles Dorroort Ausfunft, bas übet ben Seht ift ft eilet 
hume feinfinnige Bemetfungen macht. Oiefe Sammlung fotl weiteten Kreifen bienen; 
wate es ba nicht 3 wedmSfeig, bas Detftänbnis butdj eine fwge ©nleitung ootjubetei» 
ten? Oiefe Anregung fei ^ier geftattet. 

©n wettoolles Buch 3 um Detftänbnis bet Petfönlic^teit Spino 3 as gibt C«tl 
©ebbarbt mit einet neuen Übetfetpmg bes Btiefwedjfels Spino 3 as. 4 ) Sie ift inb«ß* 
lief} tei<bet unb bur<h febt fotgfame Uejtforfchung genauer als bie bisbet not« 
banbenen Überfettungen. Oie ©nleitung berichtet eingebenb übet bie litetatifäen 
Stagen, übet bie Bebeutung bet Briefe für bie ©itwicßung Spino 3 as unb übet bie 
Petfönlicbfeiten feinet Korrefponbenten. ©jtgeftalt unb Sadjetflätung bet Briefe 
wetben in Anmertungen gegeben. Oie fachlichen ©läutetungen finb non großem ttett 
©ne neue Ausgabe non Kants Schrift „3um ewigen Stieben", bie Katl Dotlän» 
bet befotgt bat 5 ), bietet febt oiel mehr als ben fritifdjen ICejt. Oet Ijerausgeber H 
mit bet bei ihm befannten ümficht unb Sadjtunbe alle Stellen aus Kants tDerien 3 U * 
fammengefteilt, in benen fidj Kant übet bie Probleme non Krieg unb Stieben aus» 
gefptocfjen bat. ©an 3 befonbete Beachtung aber oerbient biefe Ausgabe butd| bit 
ausführliche ©nleitung, in bet Dotlänbet bie ©efdjichte bet $tiebensibee non ben 
ältejten poetifchen unb propbetifchenOotftellungen unb Ahnungen bis 3 Ut <5egeiuwnt 
butdbfübtt. <£s ift eine fulturgefdjidjtUd} gehaltoolle unb lehrreiche Unterjud)ung. 
Der Oetfaffet fpridjt 3 um Schlujj bie Hoffnung aus, bafe Kants 3uoerjicht auf bie bet* 
einftige Oerwirüichung bes „ewigen Stiebens" nicht für alle 3«iten ein leeret ü)abu 
bleibe, fonbetn eine Aufgabe, bie ihrem 3iel immer nähet tomme. Hic^t bet Knwpt 
!ann unb wirb aufböten; wohl aber follen — nach Kant — feine brutaldietw n 
Sotmen butdj Oetnunft unb Reiht erfetjt wetben. Oas Oorwott ift oom 9. Hooemb« 
1913 batiett. hier fpridjt bet Oetfaffet bie fjoffnung aus, bafe bie 3been Kants, * 
nicht oeralten, hinaus geben unb bie IDitfung üben mögen, bie fie »etbienen. 5« 
bet haben uns bie ©eigniffe belehrt, wie fern „Europas übettünchte ^öfliulte 
oon biefen 3ielen ift. Oie Kultureinheit (Europas ift oon unfein Seinben auf aW 
bare 3cit bin 3 erbrochen. 

3nteteffante Ootumente 3 ut ©ttwicHungsgefchichte bet Religionsphü°! 0 W“ 
Sietes bieten bie oon Stiebt. Büffel neu betausgegebenen Ausführungen * 
in Ootlefunge n Siebtes in ben 3ahren 1794 bis 1798 ihren Utfptung haben. 4 ) 5tc ! tn 

3) Daoib hume, ©ne Untetjuchung übet ben menfdjlichen Detftanb. fjetausgieflfb* 
oon Raoul Ritter. (Rleinets Dolfsausgaben Bb. III.) £eip 3 ig o. 3-, 5 c ''f 11 
Rt. 1,40. 

_ 4) Spinoja, Briefwechfel. Übertragen unb betausgegeben oon datl 

(Oet Pbilofopb. Bibliotbet Bb.96a.) £eip 3 ig 1914, $elif Rleiner. IR. 4,—,, 9» 

Jj) Emmanuel Kant, 3um ewigen Stieben. Rlit ©gän 3 ungen aus ^ al,ts . « tn} 
Sajnften unb einet ausführlichen ©nleitung über bie ©itwicflung bes Stiebensge 
betausgegeben oon Karl Dotlänbet. £eip 3 ig 1914, gdi E Rteinet. RI. 2,80, jAJJdJ 
6) 3-©. Sichte, 3been übet (Bott unb Unfterblidjteit. 3®ei teligionspbilofopJW 
Ootlefungen aus bet 3eit oor bem fltheismusftteit. Rlit einet ©nleitung betausgegeben 
Stiebtich Buffet. £eip 3 ig 1914, Selig Rleiner. RI. 2,—. 


Don Rubolf Stöbe 


525 


um 1789 anonym non einem „roa^eitliebenöen Sdjulmeifter" herausgegeben 3 ur 
Derteibigung Sietes im „Atheismusftreit". Als Petfon öes Herausgebers Hat 
Büffel Öen nürnberger Pen 3 enfuffet ermittelt. Dortrepch wirb in ber ausführlichen 
Anleitung bie Religionsphilofophie Sicktes in ihrer ©ttwidlung behanbelt. 

(Kn neues Unternehmen, bas mehr bibliophile, bisweilen auch tejttritifche Be* 
■beutung hat, erlernt in ben „Originaltreuen Heubrucfen" oon „fjauptwerfen ber 
Philofophie" im Derlag gelij meiner. Per II. Banb bringt bie „Philofophifäe Rechts* 
lehre" oon 3 . gr. gries. T ) Als Banb III hat ber rühmlichft befamtte Schellingforfcher 
Otto Braun bie „Briefe übet Dogmatismus unb Kritgismus" Stellings oon 1798 
mit einer lehrreichen ©nleitung gebracht. 7 8 9 ) 

Don ber Ausgabe ber „©efammelten tberle" bes tapferen unb gebantenreichen 
Königsberger Ideologen unb Philofophen 3ulius Rupp, bes Klaffifets bes freien, 
oon Kant beeinflußten Proteftantismus, ift,ber erfte Banb (in 3 toei ©eilen) etfdjienen. 
Das Unternehmen einer ©Steuerung bet UJirtung Rupps liegt in ben bewährten 
Hänben oon ©Ifenhans.*) Die Schriften Rupps überrafchen ftets als Schöpfung 
eines ftarfen Denters, einer charatteroollen Perfönlichfeit unb eines ©eiftes oon fei* 
tenem Reichtum. Rimmt man hitQu, baß er ein Schriftfteller oon formoollenbeter 
Spraye ift, fo barf man ißn 3 u ben religiöfen Klaffitem regnen. © ift eine gefchichtlid) 
unb menfehlich ungemein an 3 iehenbe ©fcheinung. 3ugleidj aber tann et auch für 
bie ©egenwart eine lebenbige IDitfung gewinnen als ein Dotlämpfer ber religiöfen 
Selbftänbigfeit, bie auf freier, innerer Übet 3 eugung rußt. U)as Rupp übet greiheit 
unb Selbftbeftimmung fagt, ift überall philofopßifch tief gegrünbet unb auch heut* 
bet Beachtung wert. Auch wo für uns heute bie Probleme eine oeränberte ©eftalt 
gewonnen haben, tönnen wir aus bem ©ebantenreichtum bet Schriften Rupps ge* 
winnen. Bemerfenswert wirb ftets bleiben, wie ein tiefes Derftänbnis ber Sehre 
Kants hier mit ber Sehre 3efu oetbunben wirb. Rupp fielet bas ©hriftentum int Sichte 
Kants. tDenn wir heute bemgegenüber bie Selbftänbigfeit ber Religion heroorheben, 
fo bleibt hoch bie gorberung wertooll, baß alle ©fenntnis im Seben praftifche An* 
wenbung finben foll, baß bie XDahrheit getan werben foll. 

III. ©efchichte ber Philofophie. 

Don ber lleinen, oortrefflichen Überficht bet ©efchichte ber Philofophie, bie 
Bruno Bauch in bet „Sammlung ©öfchen" gegeben hat, ift ber IV. Banb in 2. Auf* 
läge erfchienen. 10 ) 3n biefem fnapp bemeffenen Raum wirb feht oiel an Inhalt unb 


7) 3afob griebrich $ries, Pbilofopbifche Rechtslehre unb Kritit aller pofitioen 
©efeßgebung. (Hauptwerfe ber Philofophie in Originaltreuen Reubruden, Bb. II.) £eip 3 tg 
1914, gelif meiner, m. 2,50, geb. m. 3,—. 

8) $. ID. 3. o. Sdjelling, Briefe über Dogmatismus unb Krityismus. Herausgegeben 
uno emgeleitet oon ®tto Braun. (Hauptwerfe bet Philofophie in origtnaltreuen Reu* 
bruden, Bb. III.) £eip 3 ig 1914, gelif meiner. Rt.2,50, geb.m.3,—. 

9) 3ulius Rupp, (Eoangelium unb ZEheologie. (©efammelte IDerfe. Herausgegeben 
geb m *7 50 ^ I ^f Cn h OnSr Bb" I' l* u *2. ©eil.) 3ena 1914, (Eugen Dieberichs. m. 6,—, 

10) Bruno Baud;, ©efchichte ber Philofophie, IV. Reuere Philofophie bis Kant. 
Zoetbefferteu. erweiterte flufl. (Sammlung ®ö[cben394.) Berlin u. Seipjig 1913, ©.3. ©öfchen. 

0,90. 



526 


£iteratuibeiid)te 1914: P^ilofop^ie 


©ebanlen geboten. Befonbecs wertooll ift bie (Einleitung, bie eine tiefgreifenöe Dar* 
legung bet allgemeinen geiftigen Bewegungen gibt, bie für bie Bereit beftimmenb 
|inb. Dortrefflich ift bie Sdjüberung Cutters in feinet Bebeutung für bie pijilofopljie. 
Beffernb unb ergän 3 enb hat bet Detfaffer an allen Kapiteln gearbeitet. Befonbets bie 
Darftellung bet teuren bes Descaries, £eibni 3 unb ljume ift oielfad) nach neueten 
$orfcf?ungen etgän 3 t. Daß bie Itotutunffenfdjaft ftärtet berüdfidjtigt ift unb ©alilei 
eingehenöer beljanbelt, ift feljt bantenswert. Oie ©lieöerung bes Stoffes bietet einen 
Haren Überblicf übet bie treibenben ©runbgebanten ber neueren Pfyilofopfye. 

©ne oöllig neue ©Meinung in bet beutfdjen Citeratur ift ©ebfyatbts überfeßung 
bet alten £ebensbefd?reibungen Spino 3 gs, ber bie überlieferten Äußerungen ober 
©efpräcbe Spim> 3 as fowie alle auf fein £eben be 3 üglidjen Quellen beigefügt finb.") 
(Es ift ein Ijödjft banlenswertes Buch, bas oolle flnerfennung oerbient. Spino 3 a gehört 
3 U ben Philofophen, beten £ehte ber (Ergebung burd} bas Bilb bes ITlenfttjen bebatf. 
Unb es gibt ja wenig Ulenfc^en, bie mit intern gan 3 en Sein unb £eben fo feljr biereine 
UlaQt ber ÜDaljrljeit be 3 eugen wie Spino 3 a, bet 3 ugleich ihr ITCärtyrer würbe. Des* 
fyalb oetbienen bie £ebensbef<hteibungen Spimgas, fo bürftig fie au© 3 um Heil finb, 
als ein töiberfdjein bes großen Ulenfcfjen ftarfes intereffe. Oie Schrift oon 3arig 
3elles ift unter ihnen bie einige, bie ein geroiffes inneres Derftänbnis für Spinoja 
betunbet. Sie wirb Ijier 3 um erften UTale beutfdj mitgeteilt. Um fo banlensroerter ift 
biefe Sammlung, als fie meift Hefte unb Urtunben gibt, bie nur fdjwet erreichbar finb. 

Seht banlenswert ift, baß $riß Utebicus bie Biographie Siebtes, bie feinet 
ausge 3 ei©neten Ausgabe ber XDetle Siebtes ooraufgeht, nun au© als Buch et * 
{©einen laffen. 12 ) © tommt bamit bem Bebürfnis nach tieferer Kenntnis Siebtes ent* 
gegen, bas oon bet ibealiftifchen Bewegung ber ©egenwart gewedt ift. Über ben 
U)ert biefer Biographie braucht man nicht 3 u fpre©en. S r * Ulebicus ift wohl ber befte 
Kennet Siebtes, unb feine Biographie ift bie einige, bie wiffenf©aftK©e Bebeutung 
h<tt. Hiebt nur ift hier bas Utaterial forgfam gefammelt unb tritif© burdjgearbeitet, 
bas Bilb ber Perfönlichleit Siebtes im 3ufammenhang feiner 3cit ift in plaftifher 
fajaulichleit bargeftellt. ©erabe heute empfinben wir wieber, wie ftarfe fittlidh® fta' 
triebe $i©te 3 u geben oermag; biefen (©wer 3 ugängli©en ©eift neu 3 U gewinnen ift 
em Bebürfnis ber beutf©en Kultur. 

® n * n f e * ncm leichtfließenben Dortrag ungewöhnliches Buch über bie $üht ei & {r 
beutfehen Psychologie hat ber angefehene amerilanif©e Pfychologe Stanley h«» 
gef©rteben. 1 ) © liegt in einer oortreffli©en, leicht lesbaren Überfettung uon Roy' 
munbS©mibtoor. Kaum empfinbet man, baß es eine Überfettung ift. Der ßberfeßer, 
bem wir bereits mehrere oon 3uoerläffigem Sleiß unb gtünblicber Kenntnis 3eugenbe 
Hrbeiten oerbanten, erweift fi© hier als umfichtiger Kenner bet mobemen PhU 0 | 0i 
Phte m ben flnmetlunaen. bie ber ©läuterung 3 ahlreicher Steilheiten unb flnfpi * 5 


nm ^ *' ,1 a ' *- coe nsbe|d)retbungen unb ©efpräche. Übertragen unb herausgec 
Ht 2,50 g^m 3 r — ^ Pbil °*° p!? ' Bibliottfet Bb.96b.) £eip 3 ig 1914, gelif 

!?! Ii t itr meö J C i l , s 'i. i4,tes£eben - £«h> 3 i 9 1914, Selif meiner, m. 3,—, geb. VR. 
bolfe m»nM\ iiu ^1' ^. lc ® e 9 r ünber bet mobernen Pfy©ologte (Cotje, 5 c h ncr ' \ 
Dorwort einnofn ^ 1 m ' t Anmerlungen oetfehen oon RaymunbS©tnibt. \ 




Don Rubolf Stfibe 


527 

lungen bes lEejtes bienen. (Eine intereffante (Tharafteriftif be$ tDerfes jjat fllaj 
Bta^n im Dorwort beigegeben, bie 3ugleid? eine Auseinanbetfeßung mit bem Der* 
foffer übet bie Sehre IDunbts bringt. (Es ift ein gehaltoolles Buch, non teilet 
Kenntnis ber Perfönlichfeiten, bas burch Klarheit unb Beftimmt^eit bes Urteils rei3* 
doU wirft. (Es ift in einet leisten Anfchaulicßteit, bie fich einem oerebelten Könnet* 
fationsftil annähert, getrieben, fobaß feine Seftüre ein ©enuß ift. Ritt feinen be= 
fonbeten Sympathien ließt ber Derfaffer bei ^elmßolß; ferner liegt ihm bas Künftle* 
rif^e unb Propßetifche in Seiners U)efen. (Es gibt in beutfeßer Sprache frfjroerlirf? 
ein Sud}, bas eine fo leiste Befanntfdjaft mit ber beutfdjen Pfycßologie unb ihren 
Dertretem ermöglicht. 

ffine genaue Unterfucßung wibmet Schaffgatt3 bet Pfychologie Hießfeßes. 14 ) 
Syftematifcße Behanblung pfycßologifcher gragen fehlt bei Rießfeße, aber überall 
leuchten feine pfycßologifehen Dorftellungen auf. Der Detfaffer otbnet fie in bie (Ent* 
roicüung feiner Pßilofopßie ein, fo baß fich eine getoiffe (Einheit ergibt, roenigftens in 
bet brüten Periobe Hießfcßes. Das (Ergebnis ift, baff Hießfcßes pfychologie mißt oom 
Bewußtfein ausgeht, fonbem burch bie Antriebe bes ©efüßls unb bes tDollens be* 
ftimmt ift. Hießfcßes Pfychologie fpiegelt in oielemfein perfönliches JDefen roibet, 
obwohl fie burch Anregungen <E. o. ijartmanns unb burch mechaniftifche unb materia* 
liftifdje ©ebanfen, bie aus ber mobernen Phyfiologie unb Biologie entlehnt finb, mit 
beeinflußt toirb. 

®h«« urteilen 3U bürfen, barf ich h»et eine Schrift nur nennen, bie auf ber ©ren3e 
3U)ifchen HTeb^in unb Philofophie fteßt, bie Rtüncßener Reftoratsrebe oon griebr. 
o. Rlüller. 16 ) Kulturgefchichtlich habe ich aus ihrer Seftüre oiel Sntereffantes 
gelernt Sie liefert merfwürbige Belege aus bet ©efchichte ber Rlebyin bafür, wie 
bisweilen bie Spefulation bie naturwiffenfchaftliche gorfeßung not beftimmte gragen 
gefteHt, ihr IDege gewiefen unb fie geförbett hat toie aber 3umeift bie fpefulatioe 
Behanblung rein naturwi||en|cßaftlichet Dinge ßemmenb gewitft, bisweilen ins Ab* 
futbe geführt hat. Das hat biefe Rebe in weitem Umblicf bargelegt, bie oon reichet 
philofopßifcßet Bilbung bes Riebyiners 3eugt, ber aus gefcßicßtlicßer Betrachtung bie 
wichtige (Erlenntnis gewinnt, baß auch haute feine HHffenfcßaft nicht oor Srrtümern 
gefiebert ift. Don befonberem IDert finb bie am Schluß gegebenen hinweife auf bie 
Hotwenbigleit pfychologifcher Bilbung für bie ptaftifeße ©ätigieit bes RTebqiners, 
eine notwenbige Reattion gegen eine oft grobe, mechanifche Behanblung ber Sehens* 
ßergänge. 

IV. (Einführung in Me Philofophie. 

Die 3 ahl ber einführenben Bücher, bie meift in Inapper gorm eine Überficht über 
bie philofopßifcßen Dif3iplinen geben, bisweilen auch bie Sage wichtiger Probleme 
erörtern, ift alljährlich oerhältnismäßig groß. Weitaus bie meiften biefer Darftellungen 
roenben fich an ben Anfänger, betücffidjtigen auch rDoßl öas Sntereffe weiterer Kreife. 
Unter ben jeßt oorliegenben IDerfen nimmt eines jeboch eine ßöchft bebeutenbe unb 

14) ßans Schaff gan 3 , Hießfcßes ©efüßlsleßte. £eip 3 tg 1913, gelif TUeiner. RT. 3,50. 

.. 1®) Sriebricß o. RTüller, Spefulation unb RTyftit in ber ßeilfunbe. (Ein Überblicf 

übet bie leitenben Sbeen bet Rtebijin im leßten 3ahrbunbett. Reftoratsrebe. Rlüncßen 1914, 

3. Smbhauer. RI. 1,60. 



528 


£iteraturberi$te 1914: ptjirofopfjte 


eigenartige Stellung ein, öie (Einführung IDinöelbanös. 16 ) 3 ljr 3id ift, einerfeits 
Öen ganjen Umfang pl?iIofopl?ifd?er gragen unö Richtungen Öat 3 uftellen, anöerfeits 
felbftänöiges Derftänönis unö öenlenöe Rtitarbeit für öie großen fragen öes Gebens 
3 U föröetn. Deshalb fudjt fie in fachlicher Klarheit öie oerfd}ieöenen IMöglidjteiten oon 
Cöfungen auf 3 utoeifen, öie oerfchieöenen Denfrichtungen in ihrer inneren Begrün¬ 
dung oerftehen 3 U lehren. Die hohe Beöeutung rechtfertigt es, toenn mit eine nähere 
3nhaltsüberficht geben. Die „Prolegomena" (S. 1—25) gehen non öem Bedürfnis 
nach IDeltanfchauung aus. Aus ihnen erroächft öie Philofophie, öeren SdjtDierigleit 
in öer begrifflichen Durchöringung öet Probleme öargelegt roitö. Daran fhliefeen (id) 
(Erörterungen über öie Dorausfetjungen öes Philofophierens, über öie Probleme und 
ihre Cöfungen, öie (Berichte öer Philofophie, IDiffen unö IDerte. Den gan 3 en Umfang 
öer philofophifdjen Probleme teilt IDinöelbanö in theoretifche Probleme oöer U>iffens ; 
fragen(I.Seil,S.25—243) unö a^iologifdjeProbleme oöerIDertfragen(II.Seil,S.244 
bis 432). Als theoretifche Probleme toeröen öie gragen behanöelt, öie man geroöijn' 
lidj als metaphy fif dje unö erfenntnistheoretifche auffafct. IDinöelbanö glieöert fie in btei 
©tuppen: I. ©ntifdje Probleme (Subftan 3 , Quantität öes Seienöen, qualitatioe Be 5 
ftimmungen öer XDirflichleit), II. ©enetifche Probleme (©efcheljen, Kaufalität, Rtedfa= 
nismus unö (Teleologie, öas pfydjophyfifche ©efchehen), 111. Roetifche Probleme (B)ab t! 
heit, Utfprung öet (Erfenntnis, ©eltung öer (Erfenntnis, ©egenftanö öet (Erlenntnis). 
Dem fteht gegenüber öer grofee Bereich der IDertfragen. Als folche toeröen behandelt: 
1. (Ethifdje Probleme (Prin 3 ip öer RTotal, öie IDillensgemeinfchaften, ö. h- Samilie, 
Dolt, Staat, Kirche, Kultur, öie ©efchichte), II. Afthetifche Probleme (Begriff öesäfth* 
tifchen, öas Schöne, öie Kunft), 111 . Religiöfe Probleme (öas fjeilige, öie U)ahih e 't 
öer Religion, IDirtlidjleit unö IDert). IDinöelbanös Buch gehört 3 U öem ©ehalt’ 
reichften, u>as mir an 3 ufammenfaffenöen Darftellungen befitjen. Überall führt es in 
öie (Tiefe, überall ift es anregenö unö föröernö. Dot allem bilöet es eine oertiefenöe 
<Ergän 3 ung 3 ur ©efchichte öer Philofophie, öie IDinöelbanö auffafet als eine Dorbetri 
tung öer Problemftellung unö Syftembilöung. ©eroif} ift es fein elementares Buch; 
aber für jeöen, öer ernfte, tiefere (Einficht in öie gragen fudjt, roirö öiefes inhattteich* 
Buch toertoolle Dienfte leiften. 

Don öer „Philofophifdjen Propäöeutif" oon ©tto IDillmann ift öet 3 toeite Heil 
öie Pfydjologie, in 3. unö 4. Auflage erfchienen, h'U 3 ugetreten ift öer dritte Heil, 
öie hiftorifche (Einführung in öie IKetaphyfif. 17 ) IDillmanns Büchet finö nicht nur durch 
reiche ©elehrfamfeit unö öurchfichtige Darftellung ausge 3 eichnet. Sie find gerade 
öurch öen Stanöort öes Derfaffers oon hohem Sntereffe, IDillmann ift öer bedeut«# 
fatholifche Ariftotelifer öet ©egenroart, ausgerüftet mit einer tiefen Kenntnis bet 
antifen toie öet mittelalterlich'fcholaftifchen Philofophie. Die ariftoteIifch Ä fcbolafti[h c 
©runölage tritt überall 3utage; aber mit ihr oerbinöet fid? eine oolle Kenntnis 
öer moöernen gorjehung. Die Derbinöung öet ariftotelifchen (Ethif mit humaniftif<h eI 


nh;t, 4 1 ^rrrt!^r e J n l ®’ n d c lbanb, (Einleitung in die Philofophie. (©runbrif) der Ph#' 

S5 d? , e c-? I L?^“ ften - h era usgegeben oon gri$ Utebicus.) (Tübingen 1914, 3- G. 

(Paul Siebed). IR. 7,50, geb. IR. 10,—. 

fco , clim/v n)in , t T < L nn ' Philofophifhe PropäbeuHf für Öen ©ymnafialunterricht «"j 

«"PW»* pfy^ologie. 5. u. 4. flufl. Jt*J 


« 



Don Rubolf Stfibe 


529 


BUbung unb chriftlichen ©ebanten gibt bem IDerfe fein eigenartiges ©eptäge. Das 
Buch ift für öfterreic^ifc^e ©ymnafien beftimmt an benen ber p^ilofop^i[d}en Ptopä* 
beutit ein befonberer piah 3 ugewiefen ift 3n ber ©at finb biefe Bücher für humani* 
ftifdje Anftalten wertooll burd? bie Sülle ber Hinweife aus antifen (Quellen, wobutd) 
biefe philofophif<h« Propäbeutif 3 ugleid) tiefere ffinblicfe in bas antite Penfen er* 
fdjliefet ©nen befonbers wertoollen ©eil bes IDetfes bilbet bie Ijiftorifdje ©nleitung 
in bie Rtetaphyfif. Pie ©tunblage bilbet bie ariftotelifche IRetaphyfif. Auch ^iet 
wirb bas Penfen ber Antife in feinen metap^yjifdjen Bietungen unb ©gebniffen 
eingeljenb be^anbelt Sür We BTetljobe ift bie Beftimmung bet IRetaphyfif oon 3nter= 
effe: ber Berfaffet beftimmt fie als £ehte oom Sein unb als Prin 3 ipienlehte. Burcf} 
ben Reichtum oon Perweifen auf antite unb mobeme, altdjriftlidje unb mittelalterliche 
Literatur bietet bas Buch »iel Antegenbes, was fid) in biefet IDeife fonft f<hwetli<h 
finbet. ©erabe bort bietet bas Buch flnlafj 3 U lernen unb 3 u prüfen, wo man einer ab* 
roeidjenben Anfdjauung im ein 3 elnen ober im gan 3 en fein mag. tDeltanfchauungsfragen 
bebürfen fteter Prüfung, um jie oor bem Petfinfen im Poftrinarismus 3 U bewahren. 

Philofophifch*propäbeutifche Porlefungen Paul Hatorps finb in 4. Auflage 
erfcf}ienen 18 ). Sie umfaffen aufjer einer allgemeinen ©nfüljrung in tDefen unb ©ebiete 
bet Philofophie, bie auch metaphyfif^e Stögen fur 3 berührt bie Cogif, Pfychologie 
unb ©tlpf. Pie feljt gebrängten, inhaltreichen Sähe beanfptudjen eine Rtitarbeit, 
wie fie erft reifete Kräfte leiften fönnen. Pafüt aber ift bas Buch eine mehr in bie 
(liefe fühtenbe ©nleitung. Pafe h*et — entfpredjenb bem Stanbpunft Hatorps — 
bie philofophifdje ©h*l ftarf nach Rialen 3 ielen gerichtet ift, wirb man gerabe für 
eine ffinführung willfommen heifeen. 

©ine befonbere Stellung nimmt Arnolb Ruges „®nführung" 1 *)infofem ein, 
als fie in ausführlicher ©rörterung Begriff unb TDefen ber Philofophie unb ihre Be* 
3 iehung 3 U anberen ©ebieten bet IDiffenfdhaft wie 3 um £eben erörtert. Per Perfaffer 
gibt eine ©nfüljrung in bie Philofophie überhaupt. Pas Behältnis ber Philofophie 
3 u TDiffenfchaft, ©efchichte unb £eben wirb eingehenb erörtert, ffin grofeer, feht ban* 
fenswerter flbfehnitt ift methobifchen Problemen gewibmet was man in ben meiften 
ffinfühtungen nicht finbet. Praftifch 3 roecfmäfcig finb ihre Angaben über Hilfsmittel 
für bas Stubium unb recht intereffant ber Abfdjnitt oom Ruhen ber Philofophie. 
Hier ift fchon manches gejagt was uns erft ber Krieg 3 um Bewufjtfein gebraut hat **>as 
namentlich tDunbt ausgeführt hat unb neuerbings Külp e für bie ©hil bargetan hat. 80 ) 

V. $hftematifd)e Philofophie. 

©ne logifdje Rnterfuchung, bie in eigentümlicher IDeife auf ’erfenntnistheore* 
tifche unb metaphyfifche ©ebanfen gegrünbet ift, bilbet bas IDerf bes amerifanifchen 
Philofophen © bwarb 3ohn Hamilton.* 1 ) ©s ift bie £eiftung eines faft 80jährigen, 

18) Paul Ratorp, Philofophifche Propäbeutif. (Allgemeine ©nleitung in bie Philo* 
fophie unb Anfangsgtünbe bet Cogif, ©hif unb Pfychologie.) 3n £eitfät}en 3 U afabemifdjen 
Dotlefungen. 4., toieberum burchgefeljene Aufl. lilatburg 1914, H. <5. ©wert. IR. 1,80. 

19) Atnolb Rüge, ©nführung in bie Philofophie. Ceip 3 ig 1914, 3.3.IDeber. RI. 3,—. 

20) ®swalb Külpe, Die ©hü unb ber Krieg. Ceipjig 1915, S. Hrc3*l- IR. 0,50. 

21 ) ©bwarb 3 ohn Hamilton, ©lennen unb Schließen, ©ne theoretifd}e £ogit 
auf bet ©runblage bes Perjeptionalismus unb IRobalismus. Ulit ludern Cebensabrih bes 
Derfaffers oon IRartin Klofe. (Pbilofophifch'teiologifcbe Bücherei, 30.) Ceip 3 ig 1912, 
lernet Klinfharbt. IR. 7 ,—, geb. IR. 8 ,—. 

3rftfdjr.f.ö.öeutfä}en Unterricht. 29.7.78. fjeft 


34 



530 


Citeraturberidjte 1914: pijilofophie 


dn fetrag melfältiger unö reifer Cebensarbeit, über 6ie uns Klofes (Einleitung unter. 

r nrt i tt <^ nter » en flr&e * ien 3ur P f y d} ° I ° g i e fei eine elementare „experimentelle Pfy<f)o* 
;2‘ e Don ^aunsljaufen hetoorgehoben. 88 ) Sie willöem gebildeten Caien öieJtle* 
wl e "r!T ® c ®S n E ÖCS <EEperimcnts in öcrPfyc^oIogie oerftänölich machen. Sd?on öa* 
fcrx!!!i!r a 05 Un ^ ® ar Ö^rfebene Buch eine wertvolle (Ergänjung 3 uöen ge« 

f /r^ a ^^djern unö Seitfäöen öer Pfydjotogie, die öie experimentelle Hed/nif 
SI r 91 - Unferfuc ^ un 9 fau "t berühren. Hidjt nur öas Derftänönis pfychofogi* 
LT* f r9an f ?. l I ö ÖU „ td? Kenntnis experimenteller Hilfsmittel unö Unterfuchungs* 
in«! ° 9 c föröert; allgemeinbefanntiftihrIDertfürpäöagogifdjePfydjo* 

nf !| , 1 ! öcrmc ^ bet KecHtstDiffenfrfjaft unö neueröings in Problemen öes 
tuirtf^aftslebens tft öas pfydjologifche (Experiment heute ein mistiges Hilfsmittel, öes 
fltrZ." 8 ,, erheblich geminnen wirb. Alle pfydjifdjen Hergänge, oon öen ein* 
ii{« ungen b * s 3« ^ödjften IDertgefühlen unö tDiHensljergängen, toeröen 

(omeit bas «»eriment \k meinen (am,. 

5 - Jf" c W°I°9 l f<he Arbeit oon 3 of. ©eyfer 88 ) ift öaöurd? non Sntereffe, öafe 
-_ Ä f ta ? C kem, tuas „Seele" ift, tuieöer aufnimmt unö einen Seelenbegriff 
öe <5 crre ^ en f uc Ht- ©n originelles öurcfj öie $üKe 

^ IC i rtetd?eS Bud? I?at KIein P«ul unter öem (Eitel „Doltspfydjologie" ge* 
aurf» [rfim' • c S D,e l e ^9 c * umfaffenöe Sammlertalent öes Derfaffers unö feine 
itiie »üfcr* l ^ 9C „?? cn * n e ' nem am üfanten piauöerton beljanöelnöe OarfteHung finö 
unb r,^ r? en B . uc ^ em befönnt < Per Derfaffer will öarftelien, was öas Doll immer 
erflOrt rv c° n l et "^ Ce ^ e < bcn ^* ro * e es öie feelifchen (Erfcheinungen auffafjt unö 
au J£Z n 5p , ta ^ DOt aÜe . m mixb ®as fie über öie oollsrnäfeige Pfydjologie 

9 ' . 0n cr .f, ra 9 e, mie öer DTenfdj 3 ur Auffaffung eines inneren Cebens, 3 m 
etn^Lr™ 1 * tD ' t ^ et ° r * et H alleröings etroas feht obenhin unö mit allerlei 
Äf*2 ^ Unften DettDe 9 enfter Art, 3 . B. in A'iokos ift Al = El = latein. 
öiefem = ™ biIus = ? ot Saiwala = Seele. (»Pie ©töfüben Haben in 

batten ^ fl ft DJcrt *^ Bic rocitc ren AusfüHrungen, öie oft einen feljr leb* 

Seele in öLt«»r rn °r+ ^ 5° n ^ e ^ en ' frühem öie (Erfahrungen unö Schidfale öer 
(Erbebmtnon Ytf . 6 rr '^. 6 i™ Alltagsleben, ihre (Erfahrungen, lEräume unö 

ftelluna D on öipf cta ^ & ^, bab fi eine ffeptifdj*itonifcfje Stimmung öur<h- ©ne Dar* 
mift fteioen bis» em Buc ^J n f einet f<HÜlernöen Art 3 u geben, ift faum möglich- 
berühren w*.* !” an< ^ c f^'Uetnöen Seifenblafen auf, öie man nicht mit harter H« ni> 
öem au* ^ nn öoc ^ ö ^ ct Sreuöe an öem farbigen Spiel haben, hW ct 

(Ein Burfi b 1 Un ^ aus bcm anregenöe ©eöanfen 3 u gewinnen finö. 

3uftänöe im a [ift 6 e £ a *i, c Pnterfuchung öes Unterbemufetfeins unö fomnambuler 
lUeöium«:" bl"n; U ^e an b * C ^ c *fi un 9 en e ines in Spiritiftenfreifen weltberühmten 
--L r cn f cr „Halene" (Pfeuöonym), bringt, oeröanlen wir öem aus* 

unö ©e/fte^röfit 484^r]!l!^\ <K j! l »^ t , an9 in öie efPerimentelle Pfy<hologie. (Aus Habit 

23) 3ofepb ®Lfp? 3 n- c B , erIin 1915 ' B - «■ ^net. m 1,25. 

(IDiffen unö Sorlcben lew ? € ^ e- * 5 h t Verhältnis 3 um Bewu&tfein unö 3 um Ceibe. 

24) Ruöolf KIe in n aut mcinet - 2,50, geb. HL 3,-. 

Betlin unö £eipna 1914 ^ 4 ^l|®Pfy<hologte. Das Seelenleben im Spiegel öer Spractje. 

V 5 ig iai 4 , ©. 3 . ©ofthen. IR. 4,80, geb. IR. 5,50. 



Don Rubolf Stfibe 


531 


ge3eigneten ©enfet Pfydjologen Slournoy 26 ). ©s gibt fchroetlich ein Buch übet 
biefe abnormen ©tfcheinungen tote biefe UnterfuQung. Sie ift eine Rtufterleifhmg 
toiffenfchaftlichet Befjcmölung non Vergangen, bie fo rätfel^aft etfcheinen müffen toie 
bie Ceiftungen non „fjelene" in ben ©rance=3uftänben. Sljren ©laubigen gilt |ie als 
Dnfarnation oetfchiebenet ge|d}id}tlidjer Perfonen, mit anbeten fteht fie in Detbin* 
bung. Ja, jie malt bie Rtarslanbfchaften, tebet unb fdjreibt bie Spraye bet Htars* 
betoohner. ©ine Betrügerin ift „fjeiene" nicht, fonbem eine hö<hft merftoütbige 
pfydjopathifche ©tfcheinung. ©s ift nun ein toaljret ©enufj, bie ganjen ©ffenbarun* 
gen „fjelenens" in $iournoys treuer Beobachtung 3U oerfolgen unb bann ber Kritit 3U 
folgen, bie faft unmertlich, oft mit feinem Ijutnor, bie ©ffenbatungen ber Seherin 
auf ihren pfychologifchen Utfprung 3urü(fführt, 3. B. roenn Slournoy ben Hadjtoeis 
liefert, bafj bie Sprache bet lUatsbetoohner fidh in ihrer ©rammatit, 3umal in bet 
Syntay, mit tührenber ©efälligfeit ber ©rammati! bes mobemen Stan3Öfifd}, bet 
RTutterfprache „fjelenens", artpafet. Als ein glän3enbet $ed}tet gegen ben ©ftultis* 
mus übt Sloutnoy feine feine, elegante Kunft an einem ©bjeft oon hohem Sntereffe. 
Diefe „fjelene" ift pfychologifch eine Rterfmütbigfeit erften Ranges. $üt Spiritiften 
unb ©tfultiften oon $a<h ift $loumoys Buch, öas fo ruhig unb unbefangen an bie 
rätfelhaften unb in bet ©at oft oerblüffenben ©tfcheinungen herantritt, um bann 
um fo glan3enbet bie tritifche ©nthüllung 3U leiften, ein Ärgernis, roie es bem Spiri* 
tismus taum ie bereitet ift. Die ©nthüllung tafchenfpieletifchen Betruges, bie ©nt* 
lattung bet phänomenalen Schtoinbeleien ber Rtab. Blaoatsfy trafen ben betoufe* 
ten Betrug, hier aber toirb bie ehrliche ©läubigteit bes ©ffultismus gerabe3U oer* 
nidhtenb an einem in feiner XDeife ftaunenstoerten Rtufter. nebenbei bemertt ift 
bas Buch füe manche ©tfcheinungen ber Religionsgefchichte oon höchftem Sntereffe. 
Rtaj Deffoirs ©eleittoort ift ein toertooller Beitrag 3Ut Kritit ber ©tfcheinungen unb 
eine berechtigte flnetlennung oon $loumoys Buch, bas als ein „flaffifches, b. h- in fi<h 
oollenbetes XDert" gepriefen roirb. 

3ur flftljetit bringt flteumann eine fyftematifche ©rgän3ung 3U ber früher hier 
empfohlenen „©inführung in bie flfthetif ber ©egentoart". 2 ®) flUetbings ift es feine 
ooiiftänbige Syftematif. ©s fehlt hiet eine flfthetit bet ein3elnen Künfte. Um fo inert* 
oollet ift bie ©rörterung bet Probleme, bie bem Caien getoöhnlich fetnliegen. Bleu* 
mann unterfucht eingehenber bas fünftlerifche Schaffen unb bas äfthetifche ©efallen 
unb Urteilen. Das fjauptgeroicht toirb auf bie pfydjologifche flnalyfe biefer fjergänge 
gelegt, bo<h toerben auch bie perfönlichen Rtotioe toie bie gefchichtlidjen unb tultu* 
teilen Rtotioe berücfjichtigt. Die beiben lebten Kapitel geben eine fnappe Darlegung 
bes Problems ber äfthetifdjen Rormen, ber tünftlerifchen Sormen unb bes Syftems ber 
Künfte. Das Buch 3ei<hnet fich burch in fich einheitliche fluffaffung unb flare, licht* 
oolle Üarftellung aus. ©s toirb auch außerhalb ber engeren Sadjfteife 3U tieferem 
Derftänbnis tünftlerifcher unb literarifcher ©tfcheinungen toertoolle Dienfte leiften. 
Sntereffe toirb heute bie Kritit fjoölets (S. 83 ) finben. fluch fonft freut man fich ouf* 

25) ©ljeobor Sloutnoy, Oie Seherin oon ©enf. TTtit ©eleittoort oon Htaj Deffoir. 
((Ejpetimentalunterfuchungen 3 m Religions», Unterbetoufetfeins* unb Sprachpfydjologie oon 
©h- Sloutnoy. 2. fjeft.) £eip 3 ig 1914, $elij IHeinet. TU. 16,—. 

26) Gruft IReumann, Syftem bet flfthetif. (IDiffenfchaft unb Bilbung, 124.) £eip* 
3 ig 1914, Quelle u._Rteyer. ITC. 1,25. 


34 * 



532 


Citeraturberidjte 1914: Phtlofophie 


.ff WaS mcuntann ™berne Cytif, Roman« uni in 

moLnÄ ff Spradjmifehanölung fagt (ogl S. 86 f.). ©an3 treffend meiden 

non ®edT*tPn n“”S 0,16 ÖIC t ® CÖid? * e int " <r ^ aton "' 3 umeift fc^Ie^te Rahmungen 
Biefffff ff IJ 65 ®“ 5 f cmcr Ie ^ tcn Periode, als Beiträge 311 einet ftuöentifdjen 
BoS S, 9 - Öie in öaS Ie * tc 5tabium bet fllto^olftimmung paffen. 

Dief nS? 12 * ÖCt Ktlcs ® Uc ^ öic Ktcrarifc^c Cuft, obmobl et für die £yrif bisher 
9eBtac ^ * at ' öas W 8 f*« mit berühmten Romen ML Der 
d>en C « Pe ^,f 0t Bcm -’nbioibuum war ein Krantbeitsfymptom, öas 3U fol» 

KA «2 J 9 Cn r D e Cta>iröCrUn9Cn unö einet Stümperei führte, öie öer fiaunenöe £aie 
!«f? gefallen liefe, um nur nicht als „ungebilöet" 3 u etf^einen. 

*»2.7*2*"* mit 9to&ct Kü hnheit ootöringenöes Buch, öas öet ti|il 
bXSffffiff ift Cc ff in 9 s roettafiomati!. 27 ) ©s ift ebenfofeljt eine 
trfWff a 9 e . t ,? n 5? C ^ C ^ e ‘fi un 9 wie eine oon perfönlichem £eben erfüllte Kampf 
m k ^f 9 t ^ Cme °i ) ( oIu t en tPcrte, alles ift relatio" — fo mar öie Stimmung 
RiofcfA® tei Cf BlC , DOn ^tefefdjes tBerttritit beeinflufet mären. £effing gebt non 
aeboit eff ff .ff en c ‘ nc wiffenfchaftlicb abfolut fiebere Begründung 311 
h« - CS anB ff un b ^ e< ^t mieöeQugeroinnen und es gegen öie IDogen 
ift ein/ ff ff “S 061 Sfcpfis 3U f i( $ern, ift bas 3iel öeslDerles. Die Arbeit felifi 
futfnm« ffff 9 "ffff Rnterfucbung öes IDertbegriffes, eine tbeoretifdje Unter 
effen sL h f *■ cr Prattifche 3wede bat öureb bie etbifeben und pfydjologifchen 3ntei> 
?elnett «iA+ m C - ff Cn ^ cn ‘ ®* ne ümtmidlung öer ©eöantenfübrmtg ift hier im ein» 
rioen <kJ 1 ff 9l< ^’ ^ ctDOt 3 u beben ift öie fdjlichte Klarheit, mit öer öie oft fb®i {! 
beftimmf ifi” cn ^orgetragen meröen. ©inem folgen Buch, öas perfönlid) fo tief 
ftimmenö/ nff iT!^ ncuc ® a ^ ncn 3eigt, tonnen menige IDorte, feien es 3m 
Bücbem hi» ** a ffff n be» aud) nid# gerecht meröen. ©s gehört Dielmehr 3 “ den 
c raop ' . ff c tiefgehende fluseinanöerfefeung fordern. IDem aber jemals die 
fid> im £eh?n m C ? *[' 1005 *® ez * e fi n b, ob fie abfolute ©eltung buben tonnen, mie 
Seto«!“^ Mn <*" 9«mnm loflen, »er tan in £effin 8 s Arte»- 
Bedeutung geminnt C ^ anB * unycn 8cs Problems erblicfen, öie oielleicht fügende 


WM. «»gemeines. 

einm^ Ö binmbri C Hn C ö ff m ff“ 3« Pb«ofopbie gibt, fie 3 ur PhiloM« 
tiiet ift ieher «Al ^emerne Stagen öer Welt, öes ITCenfdjen unö öes Cebcns. 
<5enub binmisr ^ cn?en ^ e öeffen inneres Sein über enoerbenöe Arbeit unö 

tages oerfunfo/ 9 « ^ in Det 9 n ügungen unö Sinnlicbfeit öes gemeinen ©den» 
Problemen öer übilnfnnff f f ^ Uofop ^ fluc h 3U öen fachtmffenfdjaftliihen 
Bud?e öas innof c I P H C u i ,er h a upt teine Be 3 iebung bot, greift gerne nach o' nern 
t.“ Tete SÄ??? 6 ;t et ° era Be&filfnis ins HP» 

geben mie öie (Am. ann T‘ C ^ arl ^ iIty obeT ^cinr. Cbofety »eit mehr r 
Dant auhunebff ff 9Cn t tCn Wnk öct 5<>rf(bung. ©s ift aber gut unö mit oielent 
3 u öen oielen bernM ,Cnn ^? ru f enc PhUofopben auch einmal lehrend unö führend 
-- b rabfteigen, die öas £i«ht öes pbilofopbifchen ©eiftes für ihre Gebens» 

unb reines C ,” 3Ut R’ertariomattf. Unterfudfungen über reine 

I «ip 3 ,g 1 914( $ehf mdner m 3 ^ geb m 4 _ 



Don Ruöolf Stflbe 


533 


wege feerbeiwünfcfeen. 3 n biefem Sinne fommt bet Pfeilofopfeie bas Detlangen unb 
bie ©eilnafeme weitefter Kreife entgegen, auefe folget, bie 3ur ©iffenfefeaft Jeine 
Be3iefeung Mafien. ©er biefe innere Sefenfucfet unb ©rgriffenfeeit burefe pfeilofopfeifefee 
©ebanlen beobaefeten unb berounbem tnitl, ber greife 3u ber fo3ial feöcfeft leferreicfeen 
Sammlung oon Urteilen einfacher Arbeiter über $riebr. Hiefefrfees „ 3 aratfeuftra". 28 ) 
©ie feo<fe fte^en Diele biefer fcfelicfeten Rtänner an innerem Reicfetum bes Oenfens, an 
eferlicfeem Streben über ber grofeen Rtaffe ber „©ebilbeten"! ©er bie Scferiften, bie 
Arbeiter 3U Derfaffern feaben, befonbers ©atl $ifdjer unb 00t allem Bromme, Jennt, 
ber weife, bafe nirgenbs fo Diel über Cebensfragen naefegebaefet wirb wie in einet ge* 
wiffen, burefe ben So3ialismus ftar! angeregten Sdfeicfet bet Arbeiterwelt. Rtit inner* 
fter Artung mufe man not biefen 3 eugniffen eignen Oenfens ftefeen. 

Unter ben IDetfen aber, in benen ein gefaulter Pfeilofopfe 3U allgemeinen 
$tagen unb für weitere Kreife bas ©ort ergreift, nimmt eine Kulturpfeilofopfeie ton 
Jonas ©ofen einen feofeen Rang ein. 29 ) Populär im weiteren Sinne ift bas Butfe 
freili^ niefet, es fefet ©ewöfenung bes Oenfens unb einen gewiffen Umfang oon 
Kenntniffen ooraus. ©s gibt wenige, bie gan3e ©eite bes geiftigen Dafeins fo tief 
burdfebtingenbe unb geiftDoll beleucfetenbe, babei pfeilofopfeifefe fo tief gegtünbete 
©etle wie biefes Bucfe. ©s ift ein erlebtes Buefe, in bem fiel? bie Bewegungen unb 
Kämpfe bet ©egenwart fpiegeln. Der gefdjidjtlidje Stoff ift ber Anlafe 3U einer Kultur* 
pfeilofopfeie, bie in ben ©ebanlen ber fritifefjen Pfeilofopfeie ifete ©runblagen feat. 
3 n Cebensanfefeauung unb Sebensfüferung reifen ifete Säfee feinein. Aber ber neue 
Anlafe 3U pfeilofopfeifefeer Durefebringung forbert eine neue Bearbeitung ber ©eban* 
Jen; pfeilofopfeifefee Anfcfeauungen laffen fiefe niefet aus einem Syftem entnefemen unb 
auf ein neues ©bjeft anwenben. Oie metfeobifefeen Dorausfefeungen biefes ©etfes, 
bas für Kreife non allgemeiner wiffenfefeaftlicfeer Bilbung beftimmt ift, gefeen auf giefete 
3utüd, mit bem fiefe ber Detfaffer in fdjwierigen ©rörterungen auseinanberfefet. 
Oie ©rlenntnis, bafe ©ert unb ©irfliefeleit, bas rational beftimmbare Sollen unb bas 
erfaferene Sein, fiefe niefet abfolut trennen laffen, fonbetn in Be3iefeung aufeinanber 
beftefeen, bilbet bie metfeobifefee ©runblage. ©in 3 ufammenarbeiten ton Konftruftion 
unb ©rfaferung ift nötig. Den 3nfealt unb ©ang bes ©erles beuten folgenbe fnappen 
feinweife nur an. $ür bas Kulturleben bet jüngften 3 «it ift bie ftarfe Betonung bes 
„Rtenfefeen" be3eiefenenb, fei es, bafe man an atlgemein*menfefeli<fee ©erte benft, fei 
es, bafe bas 3 nbioibuum fiefe als RTittelpunft fiefet. Das Kulturgefüfel ber ©egen* 
wart ift antferopo3entrifcfe. Diefer mobeme 3 nbioibualismus umfefeliefet ein ©ert* 
urteil, bas „ 3 <fe" giefetes wirb ein Kulturwert unb erlebt eine ©efefeiefete, bie 3unäefeft 
als Befreiung bes 3cfe in Religion, Sittliefeleit unb ©rlenntnis erfefeeint. Oie 3 er* 
fefeung bes 3 efe füfert auf ben un3erftörbaren Kern bes 3 efe, unb bamit ftellt fiefe bie Auf* 
gäbe ein, bas befreite 3 efe neu auftubauen. 3 n bet ©ätigleit, im Beruf, finbet bie 
Petfönliefeleit iferen RTittelpunft unb ifere JultureÜe Kraft. Damit tritt ber RTenfefe in 
bas ©emeinfefeaftsleben (©eil 2). 3 n einer ungemein reiefeen Darlegung netfolgen 
wir feiet bie fo3iale ©ntfaltung ber Petfönliefeleit non ben grunblegenben Aufeetun* 

28) Stiebtiefe TTiefefcfee im Urteil ber flrbeitertlaffe. feetausgegeben oon Abolf 
Ceoenftein. Ceipjig 1914, Selir TITeiner. RT. 2,—. 

29) 3onas ©ofen, Oer Sinn bet gegenwärtigen Kultur, ©in pfeilofopfeifcfeet Detfucfe. 
Ceipjig 1914 , §elij RTeiner. RT. 8,—, geb. RT. 9,—. 



534 


ftteraturbertdjte 1914: phüofophie. Don Rubolf Stftbe 


gen öcs (Bemeingefühls unö bet 3 o>ecfgemeinfchaft bis 3m Ration mtö IRenfdjljeit. 
? 2 J hilturgefchichtliche Säuberung ift es, fonbern Darlegung ber inneren Stieb 
amjte tn ben Lebensformen. Der britte Heil be^anbelt bie Stellung bes Zttenfäen 
3ur iDelt. Die ffinorönung bes mengen in Itatur unb Kosmos führt übet er 
fenntmstljeoretifdje ©örterung 3 u ber $rage nach ber ©nheit einer IDeltanl^ 
ung. Der pierte Geil — IlTenfd) unö ©ott — gilt öem religiöfen Problem. Hod|öem 
TJtrVl Zm Öet ® e 9 enn)art erörtert ift, roetben bie $ormen bes religiöfen 
nf?ür~ - nÖeIt in öcn KapitcIn Religion ber IDeiffe unb Religion ber flbfe^t, 
Raturfrommigfeit, Kulturfrömmigfeit, perfönliche $römmigfeit. 

• x f ^ Ctn Bu ^ c cin Tnet^obifcfjes Prüyip, ausgehenb oom 3 ch, burchgefühtt 
mtrö, (o iftöas eÜQelne nicht oon biefer «runölage Ios3ulöfen. tDo man bem Der 
Tollet ntqt beiftimmt, wie ich es in manchen Ausführungen bes oierten Seiles (3.B. 
tn e3ug auf öas „^eilige") tue, öa mären umfangreiche (Erörterungen nötig. Aber 

tö 6cm Buc ^ e °^ nc °ielfad?e $ötberung nahetreten. Hs ift eine Ijö# 
gehaltoone unb bebeutenbe Ceiftung. 

ffines ber intereffanteften neueften Bücher ift ber ftarl perfönlidje, überall aber 
mrt rewhem fulturgefchichtlichen Stoff arbeitenbe „flntibarbarus" oon Joel“) 
tts l Mein etgentlnh Philofopljifches, eher ein fulturbeutenbes unb ftreitenbes Budj. 
,. as „ Ct , cr T a '' ct * m 9 fl n3en roill, lägt befonbers bas Kapitel „Das armfelige 3 e*i* 
“ j ." Cn - ®emeint ift bie 3 eit um 1800 , bie in ihrer äufeeren Dürftigfeit ge» 
C . biefelbe 3 cit in ihrem inneren £eben erfaßt. Diefe 

öann ber ®egenroart gegenübergeftellt, um bie inneren IDerte öer Kultur 
l“! l ü b " n 9en. Das erfte Kapitel führt Öen ffitel „Die Kultur cot 10 « 

rSS • i C « ® e9enroatt 3 ut Selbfterfenntnis bienen folt. Das roirb bann burdp 
KPJ? ™ f r ° 6Icmcn öer Bilbung, bet ©efellfdjaft unb bet Religion. (Hefelli? 
«i 1 t«ur “ 1 * 5fU Jr tU ^* “ ® utc —Der Glaube öer fltheiften.) Das Bud| ift 

fonöent auch geöanJenreidj unö feljr anregenö getrieben. 

träirf THm^txfA aS -t , I tC flnfehauung als petfönliches Befenntnis twr 

öas flbfniiii f^^^tsSdjrift. 31 ) fluch fic behanöelt ©runöfragen öer 3eit: öas 3 <h, 
Dbilofontiio"' U c~T Ö anbcr€S * 3 ®eifelIos fucht ber Derfaffer in feinet „tragifdjen 

£ 2 L'" 7 .®?“»» 3 rtHwn. «et « rtü' juc UlenWf«*« 

Deutunaen^ altT* mt ^Stellung öes flblehnenöen ein, unb an roillfürlidjeii 
man bem [Jfn ^ Cl r 1 ^ n 9 en in Katur un & (Berichte ift bas Buch reich- Doch 
bar bas Ji>I Öem Eigentümlichen unb ©lebten biefes Buches, offen» 

m Siffig f udjcnöcn ' nicht oerfagen. 

beaann biefer n ^* inan öerfehungen, bie öer Krieg in uns roachgerufen h at - 
fehfofeaebt CinCt foI( ^ en fann cr 3 u fäIIig fchliefeen. Bei feinem 

öie fittliAe (5rn ^ ertb£ ^ D0 « Lho^fy 311, in bem biefer feinfinnige Denlet 
— L _ <hen ©runötagen bes Kampfes erörtert»*) © ift eines jener Büchet, öie 

nt. 3,—) gib r m! 4^1 flntibatbatus - Dorträge unb Auflage. Jena 1914, (Eugen Dieöeridis. 

bes £ebens. (Ein^ traoifIV ^ ^' ^ a ®*IRasfe. Aus bem £eben unb bem Jenfete 
IR. 2,80. 9 ^ e Philofophte m Befenntniffen. £eip 3 ig 1914, IDalter Rtarfgraf. 

m.2,—! ^ eintid) Der ©Iaube bes (Tapferen. Stuttgart 1915, 3. (Engelfiom. 



Citeraturberidjte 1913/15: Heine unb bas junge Deutfd)Iani>. Don tDaltljer Hofftaetter 535 

mut machen, bie einem weichlich geworbenen ©efdjlecht Vorhalten, baß bie Hapfetfeit 
eine fittlid} grunölegenbe Hugenb ijt. Htögen viele fid} heute an biefem Buche lebens* 
fräftigen (Empfinbens unb mutvoller 3uoerficht aufridjten. (Es ift aud} als (Babe an 
unfete Gruppen im gelbe roarm 3 U empfehlen. 3 ebem Ijat es viel 3 U jagen, benen 
braußen unb uns baljeim, ben (Befejtigten unb Aufrechten wie ben Ieidjt 3agenben 
unb auch — jie feien in biefer 3 eit befonbers genannt — ben lErauernben. 
barf mitteben; et h®t biefes Buch feinen vier Sollten im gelbe geroibmet. 

£iteraturbcrid)te 1913/15. 

tjeitte unb bas junge Deutjcfylanb. 

Bon IDaltber Hofftaetter in DTesben. 

Die große 3nfel*flusgabe bet tDerfe feines 1 ) ift 3 U (Enbe geführt. 3m 5. Banb 
veröffentlicht Paul Heubutger Reifebilbet IV., (Englifdje gtagmente 1828 unb Kleine 
Schriften aus ben 3a1jren 1820—31, batuntet neben Ktitifen u. a. ben fluffaß übet 
Polen unb ben Habbi v. Badjerad}. Oie flnmetfungen geben eine forgfättige <5efd)id}te 
bet töerfe, ihrer Dotausfeßungen unb ihrer IDitfungen. (Es folgt ein Oet 3 eid|nis ber 
lesatten unb ein genauer Kommentat, bet gerabe füt biefen Banb übet 3 ahltei<he 
Perfonen flushinft geben unb aud} fonftige flnfpielungen oerfdjiebenfter Art et* 
flöten mußte. 

tDefentlid} Iüt 3 et lonnte fidj Albert Ceißmann in feinen flnmetfungen 3 um 
10 . Banb faffen, roähtenb bie Cesarten hier mehr piaß beanfptuchen. Das IDichtigfte 
aus biefem Banbe finb Doftor gauft, (Söttet im (Ejril, ©eftänbniffe, (Bebanfen unb (Kn* 
fälle unb bie Illemoiren. Oen 10 . Banb befdjließen Hadjträge 3 U Bb. 1—10 unb eine 
3nhaltsüberfid}t übet bas < 5 an 3 e. Aus bet ^anb Paul lleubutgers bütfen mit nod} einen 
<Etgan 3 ungsbanb ermatten, ber ein Hamen* unb Sadjregiftet mit allen etforbetlidjen 
Oaten, eine Bibliographie aller 3 U feines Cebßeiten etfdjienenen flOerfe unb ber 
midjtigften Heineliteratut enthalten foll. 

Oie Ausgabe als foldje ift mit biefen Bänben abgefchlojfen, ein prachtvolles IPetf 
beutfdjen (Selehrtenfleißes. 3n feinet (Knleitung hotte U)al 3 el gejagt: 

„Unfete Ausgabe fudjt ber golgeridjtigteit von Heines geiftiger unb fflnJtlenfdjCt (Ent* 
totdlung gerecht 3 U werben, inbem fie ebenfo bie Dichtungen in gebunbener roie bie Schriften 
in ungebunbener Rebe <hronologif<h anorbnet; nicht peinlich unb nicht ängftlich, aber in 
betn HDefentlidj ften genau. — Sie fdjeibet ferner ba wie bort bie brei dntwicflujigsjtujen: 
3ugenb, Parifet Kampfjahre unb 3cit ber lebten großen Kranlheit. Die ©egenfäße, bie in 
fjeines IDefen piaß fanben, lommen bamit in ihrer richtigften (Etfcheinungsform, 3 uglet<h 
aber auch in ih 1 ® 1 notwenbigften unb hiftotijch beredjtigtften Äußerung bent Cefet unferer 
Ausgabe 3 um Bewußtfein. IDet biefe Ausgabe oon Anfang bis ju (Enbe burqueft, wirb ben 
(Einbrud gewinnen, baß et ben Ablauf einet (Entwidlung »oll fttenger ©efeßlichfeit miteuebt: 
er famt bennoch immer auch ben impreffioniftifch wanblungsreichen, jeber Deteinhemuhung 
fpottenben Reichtum wechfeinber Strömungen fjeines Blatt für Blatt mitgenießen. 

Das ift mäht gerootben, aber nicht 3 um menigften öurdj bie liebevolle Arbeit bet 
Herausgeber, bie nicht mübe mürben, alles ein 3 uorbnen unb immer oon neuem 

1) Heinrich Heines IDetle in 3 eljn Bänben. Unter Htitwirtung »on 3onas gränfei, 
Cubwig Krähe, fllbett Ceißmann, Paul Heubutget -unb 3ulius Peterfen ßerausg. »°n 
©sfat IDaljel. 3m 3nfel*Derlag £eip 3 ig. Bb. 5 u. 10. ©eh- je Hl.2,—, geb.ie Hl.3,—. 



536 


£iteratur(eridjt« 1913/15: Eeine unb bas Junge Deutfdjlanb 


flr^bneÄöhrt ^ KICinftC " ad B u 3 cl > cn «“f 6ic 3ufammenf)mtge hup®«. 
tDerfett tritt nuneine inrA*” 16 * Kc6cn bic f e 9 to fee fritifdje Ausgabe oon fernes 
rVrh fi^r . 7 ! ? f °7 e DOn ^ eines Briefuje^fel*). Oer Herausgeber, Sri* 

betannt [ei iKbri™* x“ 6 *** Brief ^ tciber ^ eine bis l«W nur föledjt 
Beinefcbet Briefe^* ölc Cribensgefchichte ber DeröffentBd?ungen 

öer Bebauntnolt ^ “Ä 9 * 1 " f “ t3Ct Ü6ctbIi<f batübct *P «" b K> red}t ^ mit 
unb l 1 ' £ Ut * öle cm f ci « 9 en Deröffentlichungen [ei feines BilbgeÄt 

Unö f ciner onberen Dertoanbten — |o 
fjcransaeBers^r * ^ un f^ r ©efüljl gegen öie felbftgefällige, anmafeenöe Art ics 
njeife un x alle x- T™** ®* ebet f e * nc ei gene Perfon in ben Dorbergtunb 3 U [teilen 
bet burd) feine* ff”« * l -l Cn ,®“ n ^ cn entfprechen, unb mannen ^einefotfdjer, 
ÜSX2 & mmÖeffCnS ^ ^ eines BeJanntoerben geforgt bat, nritSpolt 
©cfÄte bes fln 9 ri ff en ni ^ 3 urüd[d?recft. So bildet bie 

gerabe eine anfnreA^x^c 5 «. 8 C C * nen 9ro & cn ®ril bet Anleitung ausmadjt, nidjt 
atbeitet unb uerisfef ***7**' ^ bic Anleitung nicht gleichmäßig gr- 

rote oft bet DerfaKp !™ 1 -?™ 0 ÖClt Bobcn ciner fae^lie^cn Einleitung; es ift auffällig, 
atbeitet l!? !* CmCm « n,äre ™" entgegengefommen“, „hätte et“ * 

toollen ebeetanM* n-^t Berba< *** 3 etät, ben £efet für Eeine ooreinnehmen ju 

Briefe old Sdjatt« *.2,' ÄÄ °T m * ia ,le “‘ WI«« f« *4 «• 
renbe Oofumente oon mj «V? flC ™ C !l r als . unb pfychologifh ^ 

bet (Eitel beieidmet i»pc *1!^ öetm aIs «fthetifche. (Eine ©efamtausgabe, wie [ie 
Briefe an ffamne * y m< Ü 1 ‘ ^ tt)ar bt * n 9* *?irth neu ober 3 um erften BTal oolpnbig 
ÄÄSi? B n Ä «* ^efoniers bie Brief. . » 

örueft finö »eil m * ^ ^ ric ^ c an ® u f tao *>eg, öie in Öen I}eine*Reliquien ge* 
unb et Jein falfAp« mx” 96 n)c ^ etcr Briefe an ihn noch nicht gebrueft roetben dürfen 

nie mdAt« DoilHanW^-f 6 W f ie f«%t ju betrügen. 3n bisfet nfflf 

1831) oor uns untermiff^ 9186161 ® cnaui 3^t treten feines Briefe (bis April 

eine möglich» DoliftänbiJL !?* Cm T et flustDa ^ »tätiger Briefe an ihn unb belebt durch 

£eben eine gröbere RoIIp DOn B . iIbern ^ eines unb öcrct » bie in f einem 

Bande »orbebalten flf.pt. 9C ^iP^lt haben. Oie flmnerJungen find erft dem nächften 

als grobes Oerbipntt m. °^ n f ®^ rb man bem Eerausgeber bas (beleiftete 

fen. Schabe baft er durA^f” 6 ” « 8 ^ üt J eincn unermüdlichen (Eifer banfen düt* 
[tattung ift ausae^eiefinp^ Cl - n !.^Anleitung biefen Oan! [elbft uerfümmert. Die flu** 
fonberen pia^ bean^ruch^ba^ ^ etles ' bas ’ n bcr ^cineliteratur einen &p 

gegeben bert ^ Sie^mirr 6 ^ l ? St ^, a ^ lDon ^ eines Briefenauf,bieEugoBieberheraus- 
- -J ul tm Rahmen bet Bongfchen Klaffiferbibliothef — bas Der» 

Eanbfchriften. ©JajjJmeu'dnopwfi R * id t »ermehrte ©efamtausgabe auf ©runMage ber 
«"b 5 Saffimües.' S SJ? »«b erläutert oon Sttebri« Eirth. mit 50 Bittern 
. 3) tjeines Briefe. ÄusaemMn , 1914 * ® eor 9 müüer. m. 10,—. 

Vergaben in Kunftbrid und SÄÄ e ?I? <Wtrf 00n Dr - Bieber, mit 17 Bilder- 
baus Bong & d 0 . $ eb ^ ^ ^^J'PJJ’^^Berlin u. Ceipjig. Oeutfh« Oerlags* 



Don tDaltfjer fjofftaetter 


537 


ftänönis fürtjeine in meitere Ktcifc tragen. Oie (Einleitung uni> öie Briefe 3 ufamnten 
[ollen eine Biographie etfefcen, öatum fudjt Bieber fd}lid}t feines EDefensentmidlung 
l}eraus 3 uljeben, o^ne fid? in Streitfragen, öie !ut 3 angeöeutet finö, ein 3 ulaifen. 
Alles lieft fidf gut. Oie Briefe etfäeinen in einer felbftänöigen Ausmaß 231 an öet 
3 a^l, alfo etwa 50 tnefyr, als öie Oolfsausgabe non Oaffis bringt. Oie Anmerfungen 
fteffen unter öem Gejt. (Eingeftreut finö Bilöer non Jjeine, ITIofes Atofer, Smmer* 
mann, Datnljagen, Raijel, £aube unö feines grau unö, mas idj befonöers begrüben 
mö^te, 3 eitgenöffifdje Oarftellungen Hamburgs, §elgolanös ufro. Alles in allem ein 
anfpredjenöes, brauchbares Buch, tnenn man auch beöauetn roirö, öafe öie (Ergebttiffe 
tjirtljs nicht mehr oermanöt tneröen tonnten. 

gut öie Schule hat ZIT. Breme feines ©eöichte ausgemählt. 4 ) Oie (Einleitung 
befrieöigt nicht, öa fie 3 uniel Auftählungen unö 3 uniel EDerturteil gibt unö öet EDanö* 
lung in Öen letzten 3a^ren feines nicht geregt roirö. Sie ift im allgemeinen fo ab» 
leljnenö gegen fjeine, öafj fie niemanö 3 u ihm geraöe hinleiten roirö. Über öie Aus* 
toaljl läfet fid} ftreiten, mir fdjeint öer Roman 3 ero 3 U fing 3 U tommen. 

(Eine feht anregenöe Schrift bietet uns ©eorg 3. piotte übet Ijeine als Dichter 
öes 3uöentums. 5 6 ) (Er meift nad), öafc tjeine innerlich nie oom3uöentum lostam, 
unö hebt öas 3üöifd}e an feinen Dichtungen heroor; tooljl finöen mir bei fjeine eine 
Petioöe öes Senfualismus, aber er lehrt mieöet 3 um Spiritualismus 3 utüd. Als 
Schlufealtorö in öiefem Kampfe erfcfyeint öas ©eöi<ht: nächtliche galjrt, öas öamit 
eine neue Deutung erfährt, ©b mit nun piotte gan 3 folgen, öer fjeine 3 um Reform* 
juöen machen roill unö in ihm Öen Künftlerfuöen teinen Hyps fielet — oöer ob mir 
befonöers megen öes erfteren Dorbefjalte machen—auf feöen gall meröen mir öiefe facb* 
liehe Oarftellung fehroerfter Kämpfe nicht ohne Anteil lefen. Befonöers nermeife ich auf 
öas fdjatfe Urteil übet öie Künftlerfuöen öes 19.3al?rf}unöerts unö öet ©egenmatt 
(S. 98ff.), öas in öem Satje gipfelt: nur auf öem Boöen feiner (religiös oöer Ijiftorifdj 
geprägten) ©raöition fteljenb mitö öer Künftlerfuöe non 3 erfallenöer Künftelei unö 
Öen ©efalften feiner überintellettualität Öen H)eg 3 um reinen Schöpfertum finöen. 

©uttfoms Königsleutnant ^at Alfreö EDalfyeim für öie Schule heraus* 
gegeben. 4 ) Oie (Einleitung über öie (Entfteljungs* unö Büljnengefdjidfte, über öas Der* 
hältnis 3 ur Quelle, Aufbau, C^araftere unö über Öen gefdjüfytlidjen ©^otane — alles ift 
fleißig — aber alles örängt auch immer mieöet öie grage auf, ob geraöe öies EDetf 
für öie S^ule fruchtbar genug ift, unö ob mit es nicht ^intanftellen follen 3 ugunften 
gelungenerer unö öauernö mertnoller IDerte, für öie öie 3eit in öet Schule oft fehlt. 

Don öer neuen Ausgabe oonBötnes EDerfen 7 ) habe i<h bereits 1913 Bö. 1 —3 
ange 3 eigt. 3et}t liegen nor: Bö. 6 : Briefe aus Paris 1 (Alfreö Stern), Bö. 7: Briefe 

4) Sdjönittgljs Uejtausgaben. Auswahl aus feines ©eötdjten. Rlit (Einleitung u. furjen 
Anm. oon Al. Breme. Paberborn, g. Scböningh. Al. 0,40. 

5) ©eorg 3. piotte, fjetnridj fjeine als Dichter öes 3uöentums. Dtesöen 1913, 
Reifener. Al. 3,—, geb. Al. 4,—. 

6) Karl ©utjfoto, Det Königsleutnant, fjetausg. non Alfreö ADalheim. AZien, ©raefer. 
Ceip 3 ig, B. ©. (Teubner. ©eh- Al. 0,50. 

7) Börnes IDerte. fjiftorifdpfritifdje Ausgabe in 12 Bön. fjerausg. non £uötrig 
©eiger in Oerbinöung mit 3of. Dtefch, Ruö. gürft, (Erwin Kalifdjer, Alfreö Klaar, Alfreö 
Stern unö £eon 3eitlin. Berlin, Deutfd?es Derlagsljaus Bong & (Io. Bö. 6, 7, 9 fe Al. 2,—, 
Eeinto. }e Al. 3,—, fjalbfr. fe Al. 4,50. 



538 


£ileraturberid)te 1913/15: Aus 6er flaffifdjen Altertumsfunöe 


m T el bei S tan 3 ofenfreffer (Rubolf Surft), B6.9: Briefe an 
öa ia auAbhlSf !™ 9 ^auptinbalt f inö al f° öie Briefe an $rau ioH 
Briefe öie hier in 1 vf. US .^ arts UT fP r «ngIic£? an fie gerietet roaren. Oie eigentfidjen 
2 h 2 ta «St5 1 ■ x 3 T u f ?tcnmaI roerben, geben einen W 

Stau in eine Cef, cmc fettfantften Derbtnöungen eines Mannes mit einet 
«b tnenf*T*e "f S ^ a ff ens 9 «meinfä a ft gan 3 bejonöerer Art unö öürfen 

Brieria^L « ^ 6 ^^^^ 6 " flntciIs W“ f cin - aus ben perfonl^en 
Sürfi aibt ein«!b flt f rcö ste ™ »« feiner ©nleitung 3 u Bö. 6 . Ruöolf 

tDer! gegen fljn ** no *® en * > 9 e Sdtilöetung Rten 3 els als Dotausfeijung für Börnes 

Hus öer ffaffifdjen Hltertumsfunöe. 

, Don ®«H$et Qofftaetter in Dresöen. 

öer Banölifrene? ^® cr - We neue Auflage öes „Cübfer" 1 ) toieöet aus 

oielen Streitfr,^^ ^, x Un l?f tc ^ rc ‘3 D °n ift es, Öen Kampf öet Meinungen um all öie 
Sö öas BnÄ Ct fltertumsfu "»* 3 u „erfolgen. Aber aud, öer Oeutf^ret 

Ausfunft 25rS"f ^ ° anI bcnü * c "' «« cs »» ** *» ^PpAom 
webt ausfommen nv Cn ."? a ^ l ^ en Realien", oljne öie mir aucf; im Oeutf^untenid|t 
unö m j e unenölirf, * e . öt rie fl nfgaben ftellen allein fjomer, öas Orama, öie tjiftorifer, 
roiffenfdiaft IieW lft s ' ^ iet au f öem Caufenöen 3 u bleiben. Oie Altertum? 

tnas als feftfteb<>n>» Un rl n f. r ^ f 0< ^ en neue fogebniffe unö Dermutungen unö ftüigt nieles, 
roie cs iefet ftebt tT** Da 5 t r es unu mgänglicf? notroenöig, immer roieöer fefouftellen, 
neuen Cübfer mif ’T cmt °?^ cn einmal öie oorbilöfi^en 3 ufammenfaffungen öes 
taturanaab!m *WWt unö öann öie 3 a^I eidjen Mtifd,en £ite< 

ZSZ£ 2 ££z EFT ® trt ,Sr 6tn w*« *• «* * ■* 

triebt mebri ffine I x Sdjuler, öem öer £übfer ja urfprüngfidj galt, eignet et fitf| 
3elnen Oicbter &ntb ° Ure l ^ : na< *? ^ em P^ an öes IDerfes, öas $ortteben öer ein« 

meröen fonnte- öas batt”* "tn”? ° ÖCt nUt an cin 3etnen Stellen unö fut 3 be^anöeit 
fe*t mürö"g * ÖaS Wext abcr M* erweitert. - Oie Ausftattungifl 

liegen in 3 meiter Auffo™ DCt ^ a c bmS ^ ÜrS flItertum in weitere Kreife tragen tnollen, 
feiner Biföer öas BeftUhl/x*’ ^“ mer ^ 3 «igt bei Öen Anbetungen in öer Ausmaß 
öie Seiten *u beton J« v ^ ^ e6cn ^ er ®* en immer nod} Barer 31 t erfaffen unö aud) 

« ÄÄS” man in Sen «<*“ <*& iw* 5 . m 

(3- B. Ota*enH<>i<lPr,^ x • ^ 9 °. n3 ® et ri° s » «öer fultur^iftorifcf? be 3 ei(^nenö finö 
Abbilöungen oon Relipf i c ^ aucf ? eine Rei^e oon Refonftruftionen auf; öie 

"eue fl„f£ ' ni ' <mt, «, (,« p otft aH 5 pf,. So mtf 

«n» für Z wSSÄÄT“** ****"■'*”** 

1 \ __ * 


^ ^ ^ -^iuwu/uar. 

berausg. oon 3.^5ee^^ « ^°ff*W en Altertums. 8. oollff. umgeatb. Aufl., 
n«m, (E. Pernice,^ m ! ©eHm^I ?' fl * müIIer «nter ZRitjuirfung non ®. ««»** 
B. ffi — 'Beb- IR. 26,_ gg^^^^PP 6 ' Btit 8 Plänen im 2eft £eip 3 ig l^H 

a Sfeln <5 CeS t f S C i?i U I tU ^ in '„ Bilöc - ^iffenfcbaft u. Bildung Bö. 82. IRit 
«rein. £eip 3l g 1914f QueI[e u . meyet _ ge \m.l,25. 



Don EDaltfjer h°fftaeiter 


539 


fluch Paul Sauet 3 ) lonnte fein feines Büchlein übet öie feigen flnfdjauungen 
oom Altertum unb übet bas Altertum als lebenbigen ©emeinbejit} unfeter 3eit neu 
herausgeben, toobei einjelnes geänbett toutbe. ©erabe in unjeten Sagen, roo mit uns 
fo recht auf bie EDut}eln unferet Ktaft unb bie ©nttoidlung unjetes tDefens befinnen 
müjfen, toirb bies antegenbe Büchlein oiel Segen ftiften, unb mit Kapiteln toie bas 
übet „ITCenfdj unb Staat" unb bas übet „Stabitionsforfchung" follte fid? Jebet benfenbe 
gteunb unfetes Dolfes innerlich auseinanberfetjen. 

Die uielen greunbe, bie fjeinemanns „Dichtung bet ©rieten" fi<h erroorben hat, 
toetben fid? freuen, bafo et ihnen nun auch einen Überblid übet bie üaffifhe Dichtung 
■bet Hörnet gibt. 4 ) Jjeinemann fudjt bie Dichtung ins Ceben Roms einjuotbnen unb 
•etjä^It bann auch non intern Haßleben, ©t gibt überall Proben unb fonft 3nhalts= 
•angaben, bie m. ©. 3 um Seit festen tonnten; benn toenn et 3 . B. ein paar Stüde bet 
Komöbienbidjtet roittlid) djataftettfiette, bebutfte es einet Inhaltsangabe übet bie 
■anbeten nidjt mehr, fie führt nut 3 U hohlem IDiffen. Übet bie Urteile ^einemanns 
toitb man ftreiten tonnen, manches jdjeint mit aus Rüdficht auf ben toeiteten Cefet* 
fteis 3 U eng, 3 . B. toenn SatuIIs Snoeftioen toegen ihtet ©efchmadlofigteit übergangen 
toetben;. jie gehören eben hoch 3 um Bitb bes Didftets unb 3 U bem feinet 3eit. 3m 
•gan 3 en aber haben toir hier ein recht lesbares Buch. 

fllfteb Körte 8 ) toenbet fidj in feinen Dotträgen übet bie attifche Komöbie eben* 
falls an toeitefte Kteife. ©etabe toir Cehter haben alten ©runb, füt foldje 3ufammen* 
faffungen bantbat 3 U fein, benn fo gern man immer toieber ein 3 elnes nadjprüfen toitb, 
fo roefentlich ift es, fidj non einem 3 uoetIäffigen gachmann einen Überblid übet bas 
©an 3 e geben 3 U Iaffen, bet bei bet toohl auch h cu i e 3 um Gail noch üblichen flrt bet 
Kollegs nie erreicht toirb. Der nicht philologifdj gefaulte Deutfdjiehtet aber finbet 
hier eine recht brauchbare ©infühtung in IDefen unb ©efdjichte bet alten Komöbie. 

©in feht feffetnbes Buch fdjenft uns Hermann Di eis. 6 ) ©t toilt „an ausgetoähl* 
ten Beifpielert toeiteten Kteifen 3 eigen, bafj bas flltettum auch in feinem tedjnifdjen 
Stteben mit bet mobetnen tDelt oiet enget oertnüpft ift als bie ba 3 toifchen liegenbe 
XDelt bes Rtittelalters, 3 ugteich aber bie 3 ahttofen gäben blofelegen, bie teils ficht* 
bat, teils unfichtbat biefe beiben tDelten, bie alte unb bie neue, oerfnüpfen". ©t 
behanbelt: tDiffenfdjaft unb Sechnit bei ben fjellenen; flntite Süten unb Schlöffet; 
Dampfmafd}ine, Automat unb Sajametet; flntite Selegtaphie; Die antife Artillerie; 
-flntite ©hemie. Diels batf hißt bie ©tgebniffe langet eigener gorfefjung ootfühten 
unb tut es mit einet erftaunlichen Kenntnis auch tedjnifcher Dinge, ©s ift hier rein 
unmöglich, auf bie ©in 3 elheiten ein 3 ugehen, oon ben Sdjlüffeln unb BDegmeffem 
bis 3 U ben gefälfehten Perlen unb ©belfteinen: jeber, ber fich um ein toitfliches BUb 
•bes Altertums bemüht unb über fein gottroirten Rat fehen will, mufe bies Bud} 
• lefen, unb jeb et toitb es mit lebhaftem Anteil tun. 

3) Paul Sauet, Das flltettum im £eben bet ©egenroart. 2. flufl. flltu®. 356. 
£eip 3 ig 1915, B. ©. Seubner. Rt. 1,25. 

4) Karl heinemann, Die flaffifhe Dichtung bet Römer. £eip 3 ig, fllfteb Krönet. 
•®eb. Rt. 1,20. 

5) fllfteb Körte, Die gtied|if<he Komöbie. flRu®. 400. £eip 3 ig 1914, B. ®. Seubner. 
RI. 1,25. 

6) hetmann Diels, flntile Sechnit 6 Dotträge. Ritt 50 flbb. u. 9 Safein. £eip3ig 
1914, B. ©. Seubner. ©eh. RI. 3,60, geb. RI. 4,40. 



540 


Deutfdjer ©ermaniftenoerband 


®6«Hee »fn Gnfe I ' m *’ era “fl' ,et »'S* «• «»« «qkm 

m • J 1 ’' 10 ^ er Prfpradje, rechts die Überfettung Dort Dofe, öie O, 

tum mit vTmi SW.-W ^ at - Det 0cr 9 Iei $ öer tDei&fchen Beorbei* 
fcfeutto ^ ^ 3u feinen ©unftcn aus, unö im allgemeinen lieft fidj öie übet* 

l® e „ut i “l^-® e9 ; na6 ' t|, ' ,run9 «*• «*»«»« B'Lo,* 

3 1 T 7 + - * ^ 0nes D «riienft öes Derlags. 

, inS ü!l Cme ! J or 9fäItigcn (Einfügung, öie befonöets öas Stücf felbft bebanöe» 

ies s“vböZ t n Z “ Uf »o*qH jtttm ile flntijont 

S r „ °y? m Oetübetfefomg Stoawffre ««raus, ou 3<^Irei^en flmn.rfu»*, 

tt,3et •«*>™’ — •« •* tat ^ 

©nföb2^? ö f^®"I CitUn i Öet ^ cr3ct ^ en flus 9aBe. Sie bietet aufjer einet 
Oie flnmerftiitrtö r x ° U -^ n0< ^ c *” e 9Cnaue ©eft^icljte öes griedjifcfjen Dramas, 
febr frifrfj im ff a" ^ ur >ö folgen am Sdjlufe. Oie Überfefjung i[! 

öie fi* dafür p« n Un c *!^ en * an m an<hen Stellen poetifdjer als öie Storoaffetf^e, 

alüÄ TJl™ Wt m ©nteilung in Auftritte halte «h 

9 ludli 4 fie fuhrt doch leicht irre unö enoecft all 3 u moderne Oorftellungen. 

Deutfcfyer ©enrtaniftenoerbanö. 

Der hn fi ™ 1Q l)res * ,,er «fewrWtortföer flbcnö. 

Unteneidmeten iS! rlL” 0 " ** errn ®eheimrat Prof. Dr. TOaljet in Derbinöung mit bem 

mit öet Sortbilöuna öer mlf^It*!Ie«-£ ,ter $ r ? i ^ 0li ^ e flf)enö roiI1 öet fMpradje ««& ** 
Der Befu^rSAflff^W Sebilöeten Sreunöe öer öeutfdjen £iteratur bienen. 

tig war! Der MeÄÄ“ P ct f onen - 3eigt, dafe öet eingefdjlagene IDeg ridj- 

Sinn 3 u arbeiten Über 9 ha^M x” f * J ^ it 9 Iieö an und hofft auch »eitetin beffe« 
Berichte Aushmft Mp «{»rf ^bandelte 9ibt folgende Überfidjt über öie einleitenben 

1912 ft * WdIeM * t 3« Nachahmung an anderen Orten anregt. 

17.12. Prof^Dr^lfi^r m a n 3e n D ? r ^ en ^ er ^ : tDerturteile in det literatutroiffenfcbaft, 

1913 R eufchel (ftelio. Dorrender): ©oethefragen. 

91 i n- m « _ 


an Vr * s $mibt t. 

28. 5. ©. R °K.?«n?* e °F esincr Bübnenbeatbettung non ffebbels ©enooeM. 

i i My!*"'« “ Benj ' *"*+ 

21.10. Dr!<E?,e|S <f in, ' ttu "9: «. B. XDaljeL) 

£iteraturmiffenfchaft * Sie®**s*Hui}fche IRethobe unö ihre Anwendung auf bie 

1 ooif DeneMg. Dr '^ rei 3 en ®<b («htenoorfihender öes „Abends"): Der Kaufmann 

l^-l^^^Kleinftöc!: 3 um Drama des 16. Jahrhunderts. 

D o h, bearb. oon ©. r| mu j b \ V « S ^*9 ffee, Sriechifch und öeutfdj in 2 Bänden. (Deutfeh oon3 h- 
8) SophoHes’ Antigone überfV'-Tw®^” 9 * £eip3 ‘ 9 ' Der ®empei=Deriag. ®eb.!iU-. 
fers Sd)uiausgaben. fjeft inß J.'. 0, JN-Stowaffer, berausg. o. Dr. 5if*h£ ® rae ' 
■a 9) Sophies" AÄJ^jÄ; ®Tff • £ ^3ig, B. ©. leubner. HL 0,50. 
Bamberg, d. Bu^ner leb m n 3 t 0f ^, b ^ cr3er - Nleifterroerfe öer IDelttit. Bb.6. 

• «'eg. uc. 0 , 60 , geh. RT. o, 80 . 



Mitteilungen 


541 


1914 

20. 1. Prof. Reufcfjel: fjans Sadjs unö öas Dolfsörama. 

®. R. n>al 3 el: Cidjtbilöer 3 ut ©efdjidjte der Büljne. 

3. 3. Dr. ©. IDienede: Caroline- Sdjlegel unö öie Sorfdjung. 

23. 3. Dr. ID. fjof jtaetter: Oie Dor* unö $ortbiIöung öer ©ermaniften. 

29. 4. Oireftor Prof. Dr. Minöe-Pouet: Reue Sunde über Ejeinridj d. Kleift. 

20 . 5. ©. R. t 0 al 3 el: Oie bürgerliche Cragööie. 

10 . 6 . Prof. Dr. EOitfocosIi<=£eip 3 ig: Oas Orama öes 19.3ahrij)unöerts. 

6 . 7. Prof. Reufdjel: 3ad?arias IDerners Cutfyerörama unö feine Radjroirfungen in öer 
auslandijdjen Citeratur. 

27.10. Dr. ID. Qofftaetter: IDas braute öer Krieg uns dtaufeen unö roas foröert er oon 
uns Ijier örinnen? 

©. R. I 0 al 3 el: Ricfj. IR. Meyer f. 

25.11. Oie Rufgabe öes Oeutfdjunterricfjts in Kriegsseiten. (Einleitung: ©. R. EDahel.) 

1915 

12 . 1 . Anna Brunnemann: Ricaröa fjudjs ©rofeer Krieg. 

10. 2 . fjofrat Prof. Dr. Crei 3 enad?: IDilljelm Meifters t^ecrtralifdje Senöung. 

23. 2 . IDoIfgang Schumann: Das gegenwärtige Schrifttum unö öet Krieg. 

9. 3. Dr. med. Staöelmann: Unfere 3eit unö ihre neue Kunft. 

19. 3. Prof. Dr. Reifet Dictor fjugo unö Oeutfchlanö. 

11. 6 . ijoffdjaufpieler Dr. Ruöolf Roennede: Sieoers=Ru^’ ©ypenlehre. Darlegungen 

unö Derfud/e 3 um 3ufammenljang oon IDortfunft unö Körperhaltung. 

23. 6. Dr. Meta fjübler: Der Urmeifter. 0et SchrifPhrer: «ofßaette«. 

UTitteilungen. 

a) Das Schrifttum öer ©egenroart unö öer Krieg. 3n einer anregenöen 
Arbeit (137. Dürerbunö*$lugfchrift. Ittündjen, ©allroey. Ul. 0,40) gibt IDoIfgang Schumann 
einen Überblid über öas Schrifttum öer ©egenroart unö öie Kräfte, öie es treiben, unö [udjt 
fefouftellen, ob unö roie öer Krieg öarauf ©influß h a & en tuitö. ©r roeift nach, öaß auf öem 
©ebiete öer £yrif unö öes Dramas feine ©inheitlichfeit ^crrfc^t unö öaß auch öer ®nheit* 
lidjfeit im Homan öie Starte fehlt, ©s ift öaher möglich, roenn nicht roahrfcheinlich, öaß mir 
uns in einem „IDellental" öes £iteraturlebens befinöen unö baß besfjalb öer Krieg, öer eine 
einheitliche £iteratur nicht berühren mürbe, öas übfterben manches Überlebten befchleunigen 
fann. über „öie 3 eit öer HKrflichfeitsbichtung ift noch nicht oorüber, oon öer £iteratur ftirbt 
3 unächft nur öas gegenftänölid? Deraltete unö öas fo 3 ufagen rein naturroiffenfchaftlich ®e* 
fehene, menn es nicht oon fünftlerifch genialer Kraft ift. Dagegen öürfte öer Krieg öie £eiöen* 
ßhaft öer „Stage nach öem Sinn" oerftärfen." Den IDeg, öer Schumann 3 U öie[em Urteil 
führt, 3 U oerfolgen, ift fehr re^ooll. 

b) Krieg unö Schule behanbelt üöolf ITCatthias männlich unö offen im 16. Qeft 
öer Sammlung 3toifchen Krieg unö Stieben (£eip 3 ig, S. Qhgel. ITC. 0,80). ©r preift öen 
Krieg als einen ©^ieher, öer uns unö unferer 3 ugenö fehr ^eilfam fei. Darum gelte es 3 U 
pflegen: Derftänönis für Öen Krieg unö feine Hotmenöigfeit, Blid auf öie halben unö ihren 
unermüöiichen IDillen, Pflichtgefühl in öer eigenen ürbeit, ©ebet; Daterlanösliebe auf ©runö 
Barer ©inficht in öie Stärfe unö in öie Schroädjen unferes DoUes, öataus ermachfenb öie Pflicht, 
fich öem©an 3 en ein 3 uorönen, nicht öie Hechte, fonöetn öie Pflichten 3 U betonen; mähren 3be s 
alismus unö Kampf gegen alle £üge unö alles Scheinroefen. 

Da 3 u muß öie Schule öie ©egenmartsmerte oiel mehr pflegen unö anöeres 3 urüdftellen. 
3unä<hft gilt es Öen Kampf gegen Stemötümelei in Sprache unö Hamen, auch f on f* 9 e 9 en 
alle übertriebene Schätzung öes Stemöen, 3 ielberoußte unö planmäßige Pflege öes Selbft* 
beroußtfeins ohne Selbftgefälligfeit unö roeltpolitifchen Denfens, meiter öie fjintanfeßung alles 
öeffen in öer ©efchichte, roas nicht 3 um Derftänönis öer ©egenmatt führt. Unö enölich befon* 
öers öie ®harafterer 3 iehung, öer fich auch Körperübungen mehr öienftbar machen müffen. 

Diefe Schrift behält ihren IDert auch über Öen Krieg hinaus, öenn fie fudjt feföulegen, 
mas öie Schule für öie 3ufunft öurdj Öen Krieg geroinnen fann. Utöchte fie in oiel £efem 
Öen IDillen 3 ur ©at meden. 



542 


RTitteilungen 


(®o%) feine ^o^fltäqe unö ^ ®"? * rfud? nennt to ***9 Mes- 

in ber Schule", öie er bei <?r ?S 6er “e^oEitifdfen Dorgänge 

Umlauf, Im^rg pSS; S Ä Si^ 11 ™ 15 ' *-*> önn ' *•*»* «■*!* 
herausgegeben hat (geh TR 2 80 i ? 9 e f ammeIt unö unter obigem ffitel 

ereigniffe in 6«s4iS^rtS!L£i®!ÄJS" •$ beifpieIIofc ® rö * e * 3# 
®ntmidlungslinien in ber TReff^h»* 9 1 « 3 1 “w"' öarubet hinaus a6er auä ) für jebes$ad) 
unmittelbar ben in öet Ktie^e^aemaAt)n t ^ r, ?* S ° n3UÖeuten ' roie "•»*«* 
Ua cs ficf? alfo um Richtlinien für h.» 0 **»” < ^“^ t “ n 9 cn »ermutlich fich anfälie&enroerben 
ihre «tfaUgen miffin fnb 2^ ^ nÖe,t ' bittet öct DerIa 9 öie Be " ö *«< + 
Sehen, bas Hachahmung oerbient. ^ ^ Cm paat Setten St h rei6 P a P iet ein D ' Jt ’ 

®cbiet nicht, rok^rbebauDtetTtlT"' öa & öer Uetlag für bas uns hier befchäftigenie 
hot unb bafe nicht Selbfterfpni+^° ,a x 5 ,,aus bcr P ro li s majjgebenber Sa^männer" gefiebert 

on ber Unioerfität Sreiburg Dbif I rDitfü n 0 U ^ Ct 0 | i> bI , i Ii ^ C " ^ ro ^ e ^ ot öct äteraturgefchichfe 
nur für einen Reinen Reil Jt'mÜLr ^•u°c' ueranlafjt hot, biefe Aufgabe abjuleljnen, ba et ihr 
Sprachunterricht hören bem ntrr ^ * ** Bo ^mmt es, bafe mir nichts nom fluffa^, nichts rom 
»Örter 3 u 3 ure2n« itt un?bT^ "i?“"« 3 Ieiner *> innj « is au f öen Kompf gegen bie Sterni* 
fümmert, öie ber Deutf*lwti? Dct ™? r fid ? aud >. «m bie nieten Leren Berte 
ouf ben Citeraturunterrichf w ,^ ' m Kriege pflegen muß, fonbern [id? aüeirr 
täten Unterrichtes ooröei^ B^an"^’ f k”«? 6 ? ^ iet gef?t er an mannet Srage bes praßi* 
on ben üblichen Kanon hnit»J t n at c tätwierigen, °& man fi<h auch •" öet Kriegsjeit 
finbe ich oiel Schiefes Sehr »„nfv ^! e ? ® enn bas ® e 9 ebene an fich betrachte, 
bebeutung aller Dichtuno L u'-i bie Scftftellurrg, bafe man an ber Kriegslyrif bie Sehens* 
öiefer £yrif gefagt roirb^au* n^n I‘ af?e . brin 9, ett fall, unb manches, roas 3 m Behanblung 
manns Heiterlieb alle Einheiten x^'rw» 9 .- 01 ?’* 61 * öie ^ er £ y rif - Über roenn man an 3 urfer- 
wie liebhaft unb gefanalith bn« <•; „x D °Ushebes aufmeifen unb ben Schülern abfragen [oll: 
fion begreift unb ausfpridbt fo em Pfunben ift, roie es feine Stimmung nicht in ber Refle* 
gefteigert beutti* macht mie e« hi™ Ulonn bes Dolles fich im Bilde anfchaulich unb 

jeber Deutfeh lehr et biefe nemu f °erfchtebenen Bilber im Refrain jufammenhält“, fo roirb 
Überhaupt neiat m?tfo n 4 ? et %?^ a x nöIun9 öer ^ «bleljnen. 
hiftorifche 3ufammenbänoe w , 3 c T ® mo,c bnen, et richtet ben Blicf immer toieber auf literar* 
Riethobe herabfiebt — momil Jl* er t *” J e . iner Umleitung auf bie philologifch 5 h>NW c 
öie öichterifche Derganaenbeit niAf ^ em f oD ' öa ^ öie »o« ihm aufgejeigten Blicfe in 
U)as URtfop übeS n : " ,c ^ t Mt brouchbar feien, 
fein Qinroeis auf bie Selboofthrilf^"x 094 " ^° 0t I öer Uooelle fchroeigt er ganj), ift [dpach, gut 

e ' ne e mfeitige, fchneU ^Ümenaerome fl^“! ® efa9te ift einJeitig - flDesinflIIem: 
Krtegsnooellen nicht barin J ^ v flrbc,t ' ®°f ut es bejeidjnenb ift, bafe £ilientrons 
®Iu(Hicf) ’f u . n erQ)a *?nt tDcröen! 

über ben ®ef5tsunfertichf. e etK>QS Ct9än3t öurc ^ öen 9ehaltooUen fluffah TDuftmanns 

® r betont breierlei- .roft^m Jfen^hE^^ti ^ u ff°^ : Ueue (Erjieherpfli^ten für unfere 3eit- 
öen (Befahren oorbeugen bie für ,. et h I f t hen TDerte bes Krieges 3 ur®eltung bringen, muffen 
theater entftehen fönnen unh miitr ,un9 \ See . Ie “us ben Dreierlei ©nbrüden com Kriegs* 
UReberoereinigung bet Dölfer „«x n V b ‘ e i un 9 e ®eneration auf bie unumgängti<h c 
fonhth fonn befonbers beim bSJ n •r f, ^i? taus ct 9 e6 enben Aufgaben lenfen." 3<h W 
unö etocig®” Siegesjubel nicht fo ff«,» 1 n , 1 ^ 9 an 3 mit unb möchte ben berechtigten Stol 3 
««ht aus ber Schule bannen g j j f V"t etörü * n u « b bes ReiJsfanjters „heiligen >m“ 
®egnern hintneifen — bah mir JnfpS c?.-, mit üb «3eugung auf bas Ritterliche bei imfeten 
on bce Arbeit ber 3utunft bie <?örtLr c^ U » r aber 3 um ®mft e^iehen muffen unb immer 
3ug mirb man gern Mfarnntfc !*° n ^ nn3eid ? net . benfen mü fen, in tiefem ®nmb* 
ben beutfehen UntertcßS 2 l 3 * ^ ^ f eine 9rofee Bebeutung, ber Heil über 
h„r $ €in ^hrplan fü? h e „ öer Umarbeitung. 

ca f°tgenbe IDünfAe rum £pfirniß eutfchunterricht. Die Hamburger Sdjulfynobe 

18.3.1ml. 19«! 9 ®‘<«ulb t ?ä rte U »k tUc 





Rlitteilungen 545 

_ t «®»e Synoöc roünfcfjt, dafe im ©egenfafc 311 öem je$t geltenden £ehrplan ein neuer 
teprplan folgenden gorderungen gerecht werde: 

1 . Be 3 üglich des gefamten Deutfcfjunterrichts: Der Unterricht in der Rtutterfprache 
fuhrt r»on der Sprache des Kindes 3 ut Sprache der £iteratur. Don einer ftundenplanmäfeigen 
Heilung (m Orthographie, ©rammattf, £efen und Auffafc) ift auf allen Stufen ab 3 ufehen. 

2 . Be 3 üglich des fluffatjunterridjts: Die Hufgabe des Auffatjunterrichts ift die ©ntwic!- 
lung der gähigfeit, fich frei aus 3 udtüc!en. Die Auffäfce find freie Arbeiten; es Hebt jedoch im 
Beheben des £ehrets, ob er ein Hhema ftenen will oder nicht. 3 m Anfang find die Auffäfee 
oon jeder Rudficht auf Orthographie und (brammatt! freie Itieder(<hriften aus allen ©ebieten 
findlichen (Erlebens. Über die Art der Korreftur joroie über die 3aM der Auffäfee beheben feine 
Derbindlicben Dorjdjriften. 

3. Be 3 üglidj [des £efeunterrichts: Der £efeunterricht hat die Aufgabe, die Kinder 3 u 
befähigen, den ©ehalt des £efeftoffs 3 u erfaffen und durch Dotlefen 3 um Ausdtucf 3 u bringen. 
£efeftoff bilden auf allen Stufen freie Auffähe, findertümliche Dichtung, oolfstümliche Dieb* 
tung und die grofee £iteratur aller Perioden. Heben dem £efebudj und den freien Auffähen 
werden auf allen Stufen die Schülerbibliotijef und die Prioatlettüre herange 3 ogen. gür das 
Auswendiglernen oon ©edichten befteljt feinerlei äußeret 3 ioang. Don den gelefenen Dich* 
tern find geeignete £ebensabfchnitte 3 u betrauten, möglichft nad} den Quellen. Die gotmen* 
lehre ift im Anfcfjluf} an die Behandlung ein 3 elnet Dichtungen 3 u erteilen. 

4. Bezüglich des ©rthographieunterrichts: Don einer fyftematifchen Derteilung der 
orthographifchen Stoffe auf die ein 3 elnen Stufen ift ab 3 ufehen. gür alle Stufen oon Klaffe VI 
bis Selefta find 3 u fordern orthographifche Übungen nach IKafcgabe der fpraQIidjen ©nt* 
wicflung des Kindes, womöglich aus feinem eigenen Spradjfchah. 

5. Be 3 ügli<h bes ©rammattlunterrichts: Der ©rammattfunterricht foll gleichfalls nicht 
fyftemattfch aufgebaut werden, fondern foll fich richten nach der fpra<hlichen ©ntwicflung des 
Kindes, ©t mu| die Ausdrudsfähigleit des Kindes ftühen und das Kind einfühten in den 
lebendigen ©ehalt der Sprache und feine ©ntwicflung. Sprachliche Betrachtungen follen auf 
allen Stufen nur gelegentlich, auf der ©berftufe auch im 3ufammenhang auftreten." 

e) 3um Rechtfchreibeunierricht. D. Htüller hatteinunferer3eitfchrift(3ahrg.28, 
S. 527) den Dorfd}lag gemacht, ftatt aller £ängebe 3 eichnungen einen Punft unter dem Buch* 
haben ein 3 uführen, 3 . B. Stal, ©eft. Da 3 u teilt uns der ungatifche Realfdjulprofeffor B. Kele* 
men in S 3 6 f 6 ffehöroär freundlidjft mit, „öafo die ungatifche Schrift die £änge der Dotale 
tn ähnlicher XOerfe andeutet, nämlich durch einen Strich über dem Buchhaben: 61, haläl, 
kör. Diefe Art der £ängebe 3 eid}nung erfdjeint praftifchet als die oon Dr. Rlüller oorgefdjla* 
gene. Der Beiftrich über dem Buchftaben ift oiel deutlicher 3 u lefen und auch leichter 3 u fdjrei* 
den als der puntt unter der 3eile. Die deutfdje Orthographie fönnte fich biefes Derfahren 
getroft aneignen." 

f) £eftüre * Unterricht. Übet Klaffifer * Ausgaben, ©in beendetes Der* 
dienft erwirbt fich bie unter diefem Hitel erfcheinende Sonderausgabe der 129. Dürerbundflug* 
feprift. (Hlünchen, ©alhoey. ITC. 0,75.) BDelche Ausgabe foll ich mir taufen? Diefe grage 
tritt an uns oft heran, befonders oon unferen Schülern. Der Düterbund gibt uns hier ein 
genaues und fel)r brauchbares fjilfsmittel an die fjand. ©iner Krittl der Ausgabenfreudigteit 
und befonders der Klaffifetteihen folgen eine Kenn 3 eichnung der oerfchiedenen Ausgaben 
nach den ein 3 elnen Derlagen, dann ein Überblicf und Ratfdjläge für die Anlage einer Büche* 
«i, Überfichten über die großen Reihen und endlich eine £ifte bet ein 3 elnen Klaffifer. Das 
®? n 3 e ift *>pn einer m. ©. feljr bered;tigten Krittl beljerrfcht und die Dorfchläge brauchbar. 
3ch lann jedem, der fich Klaffifer anfdjaffen will, diefe Anleitung warm empfehlen; fie follte 
tn jeder Sdjülerbibliothet bequem 3 ugänglich gemacht und ihre Benutzung allen nahegelegt 
werden. 

3ur „neueren deutfQen £iteratur im Unterricht der ©berflaffen" nimmt 
R *"°if Cehmann im „£y 3 eum" Stellung ( 2 .3ahrg. 1 . fjeft. S. 1). ©r warnt daoor, 
n< cj?iP°^ n ^ e ’* ©s wird immer nur darauf anfommen, den Schülern an den 

widjhgften und gehaltreichen ©rfcheinungen das IDefen und den ©ehalt des deutfehen 
©etftes in feinet Dichtung und den ©ang feiner ©ntwicflung 3 u oeranfchaulichen. Da 3 U fei 
aber die flaffifdje ©poche der deutfehen Poefie am geeignetften. ©s fei leicht, das hier ©rwor* 



544 


<Ergän 3 ungen 311 bem Huffaf) übet öie ^elbfltcgetfprac^e 


Ä Ä^ u ^JÄ a S' t l r u 5 e *&*‘ n - » aMn ' «e gtunblegenbe Dorausfe|ung Ml 
in bet Schule forhert "ft unb benferifche Arbeit ein intenfioes Durdjatbefa 

eit emSJÄ-T 0 ? iefe 3nte "f ität &«“** 6er öeutfdjen CUerato 

neue„ ®eSlt nn e 1 i^ t r a i! t i f ab ,‘ fln öer Citeratur 6es 19.3a^unöerts eriemrt et ta 
©rriebuna* im mnh 16 x*** n ben (°3 “k” ®n|c^Iag gewonnen habe, abet für öie äftt)etifd|e 
arbeiten 9 £U* 6 u "b aHgememen Sinne öes Portes laffe fiel? wenig Heues ausV» 
£ebmal„ “ öas 3«tefte unö bas Stärffte von berSchule fernsten, 

bas Iebenhine -t„J^ at * n gegen Oedelmanns befanntes Buch, wobei er treffenb ftagt, ob 
oertieft rokb burA a Ö< V ie Sd ? ÖIei kbenben Autoren entgegenbringen, „geftM unb 
in ihre HeAnil ,?x •'* Anmecfung ttb gar nid)t fagen Hötigung—, fidj oerftanbesmüfeij 
fdnaKd>S äl" l " ll>X t ? n ‘ cntio " e " erarbeiten" So münfdjt er öie tieferen unö m 
feben in öeren Kreic be f°" ö ? rs öie Auffäfce — öer flaffifchen Dichtung oorbefjalien 311 
fönne D fl neh»« K l "T e,m9eSDOn ©rillpat 3 er unö hebbel mit bineinbejiei|eii 

fcbaftiicher tirntJ i' uerlangt er eingetjenöe Ceftüre miffenfcfjaftlidper unö populärariffen* 
gebenbe^ *<, -t Stellungnahme 3 u Cebmanns fluffatj erforberte erft eine ein« 

felbteerftth.r .l tf ^ Un ?n Üb , et bie fltt öes Literatur« unö £eftüreunterri<hts. <£s ifi rocbl 
seitaenöifiicbern - *^ man ® cr * e ber Klaffifer anbers oerarbeiten mufj als öie meiften IDerle 
banbluno Rirf>+i;I? kr ~t a ?, e ^ es ^ e ' n * m * 1 brum richtiger, für öie oerjdjieöene Art ber Bf 
C ebmann tu? 6R ° U ^ U ^ e en °*s bodj im wefentlichen bas Heuere ab 3 ulebnen, wie es 

SiemlTn^rn?f.iVi\ ben “‘[^"f^ufHicben Übungen öes Seminarjabres foll nad; flnno 
uerfdaen 1914 ‘ 10 - Ä- S. 488) nicht »iffenfcb«ftlid)e 3ieie 

£efen oon m,, P rr„„ m ? 9 . I , c ^^ Hnftallifationsthemen für gtofje Überblicfe geben unö 3 uin 

pilfsmittel (£iteraturgefchi<htlidhe IDerfe, (Einführungen, 
glaubens ber L! f c ^ n Ü!. e . unter ber Begrünbung, fie feien wegen öes flutoritäts. 

S 3 ur fi e l iEabjen befonbers gefährlich. 

fcbönen Beitrnn- * 1 a. öes beutfchen Unterrichts bringt $r. fjaufjnet einen 
f- hob- Schülern ■l4 3 3rbrg nö 19?5 n J^ef? “ a ^" a9eIs unö feiner £ebrbücher“ (monatsförift 

Ergänzungen $u bcm Huffafc über öle SelbfBegerfpradje. 

fluffofe et Iifl C f 1 ^! an * ^ Dr * IRot ^ cs fcnöet uns nod? folgenöe (Ergän 3 ungen 3 u feinem 
"7 *“ tai,e ' 5 “ ®"“%n in fen üett 3 u [pät rintrnf«,. 
roar &Cr ® eobacJ ? ter wenig 3U tun. Oie Bejeicfjnung als S ran 3 

Sluq 3 euaführ!r f^ nn ? ^ a ^ 9 ‘. Sic f oUtc fenn 3 eichnen, öa& öer Beobachter beim 
Der Cram tL^ ^! e ,^ et ®i cn *t$ran 3 oöer Johann beim Kutfcher einer (Equipage- 
Öen Beobn*+ a U c £. u ^ cr au< ^ ^ cn Propeller anwerfen. Die ©fterrei<het nennen 

2 . 3 ftberfi , an .^ l f' ® om ^ bie nutjlofe Belüftung gefenn 3 eichnet fein foll. 

3. IDirb h^ e *cr ^ e ^ r ^ u 9 e 'frig, fo ift er oon öer wilöen $Kege gebiffen. (fl**- 1 ) 

unter Umftänöen foSrTn? 0 !! fd?neIIen Ka mpfftug 3 euge oerfolgt, fo mufe et 

4 3prr» •» x- "" bru< * en un b fc^wi^t öabei auf öer Hofe. 

Bei Doppelöecfem nen^ 0615 * unö ? mtsbc 3Meinung für öas $lug 3 eug ohne BTotoi. 
linle 3eIIcl T)er x u man au< ^ bisweilen ein Gragöecfenpaar 3elle (reifte, 

5 ©„‘riAttoilr^f" Mcnt 3um flb Men ber Iragöeden. . , 

Alan begrübt fid) 9 mitV e9 c tbrie ^ mit öcn AOorten: „in alter grifch*- 

Hoffnung atf [fn miZ»* XTstW^-T ” etaf ' WeW M 

s ” *" wo««««*- 4 """' '• 

uflriptfenbungcn finö an feine flnf^rift 3 u richten. 



Kicctröa J)ud)$ „Ojrofjer Krieg in Deut|d)Ianö". 

Don Anna Brunnemamt in Dresben. 

I. 

ITlit einer gtoföügigen bicfyterifdjen ©Dotation beginnt Ricarba £jucf} iljre 
„©efd)ichten non ©atibalbi": „tDir wollen Siebet fingen, um ben loten bet 
3 nfel 3U befchwöten. ©ne Äolsharfe wollen toit 3toifd)en bie Klippen fpannen, 
unb wenn ber tDinb batübet fährt, wirb fie oon heiligen ©rimtetungen tönen: 
oon wehenben Sahnen unbrafenben Schwertern, oon (Opfernunb Triumphen." 
Das gan3e IDet! ift, ihrer bisherigen Iytifch=fubjeftioen Stilgebung gemäfc, 
burchwoben oon hymnenartigen Anrufungen in gehobenem $eierflange. 3ebodj 
tritt baneben fchon bas Bemühen auf, bie hiftorifch überlieferten ©efchehniffe 
mit pragmatifcher ©enauigteit 3U buchen, nüchterne chroniftifche Berichte ein* 
3ufchalten. Uns intereffieren an bet nunmehr als hiftorif^e Romanfchrift* 
ftellerin heroortretenben Dichterin gerabe biefe d}tonifartigen ©^elberichte, 
weil fie bereits auf bie Stilform ihres jüngften umfangreichen IDerfes „Der 
gtofje Krieg in Deutfchlanb" 1 ) hinweifen. 

©Ieich3eitig mit bem 3weiten Buche oon ©aribalbi, 1908 , oeröffentlichte 
Ricarba huch ein rein hiftorifches U)erf, bie auf ben fleifeigften Dotumenten* 
forfdjungen betuljenben Stubien aus bem 3 eitalter bes Riforgimento, 
ber Iombarbifchen $reiheitsbewegung gegen (Ofterreich, hier wiebetum inter* 
effiert, neben ber Knappheit unb XDahrhaftigfett, mit ber bie Porträts ge3eid}net 
würben, bie ©nleitung bes U)er!es als oöDig oeränberte ©nftellung ber 
Dichterin gegenüber ben perfönlichen ©lebniffen ihrer fjelben. 

„tDas für ©efd}i<hten", fchreibt fie, „oon tDagnis, Derrat, ©efahr, $Iu<ht 
über brohenbe ©ebirge unb empörte $Iüffe, oon Kerfer, ©obesangft unb erhöbe* 
nem Sterben, oon Derleumbung unb Rot, Siebesabenteuem, ©lüdswechfel, 
Untergang in De^weiflung ober Auffdjwung 3U neuen Kämpfen! ©s ift un* 
möglich, fie ohne medjfelnbes f}et3flopfen unb Aufatmen 3Ulefen. Das Künft* 
lid?e biefer übertriebenen $iguten erfennenb, fehnen wir uns nach 
ber IDirflichfeit." Sie hat bas Bebütfnis, in bie aus 3ahltei<h oorhanbenen 
3 eitbotumenten unb Selbftbetenntniffen herausftrömenbe Abenteuerlichen, 
in bas tafenbe U)e<hfelfpiel bes ©lüds, bas oon bet jeweiligen Sage unb Stirn* 
mung bes eht3elnen aus fubjettio bewertet wirb, ©rbnung 3U bringen unb bas 
an bet tjanb einer höheren objeftioen XDirHic^feit, wie fie fich burch ben heuti* 

1) Ceipjig, 3nfeloerfag. 3Bärtbe: 1. Das Dotfpiel. 2. Der flusbrud; bes Seuers. 3. Der 
3ufammenbiuch. 

f.ö.&eutfäen Unterricht. 29.3ahrg. 9.Jjeft 


35 



546 


Hicaröa Jju$s „ffiro&er Krieg in Deutfdjtanö“ 

gen flbftanb oon jenen ©eigrtiffen ergibt. So bilöert bas „Riforgimento" roie 
au(^ bie „©efhidjten oon ©aribalbi" Dorläufer 311m „©roßen Krieg"; bas 
erfte infolge ber ftreng fachlichen ©norbnung fubjettio feffelnber f}iftori|d)et 
Perfönlidjfeiten unter bie höhere ©nljeit bes objeftioen ©efdjichtsbilbes, bas 
anbete in formaler tjinfidjt burdj bas Anbahnen einet neuen dec^nif, bie uns 
Überliefertes unmittelbar gegenroärtig machen mill, mobei bod) bie $otm bet 
Überlieferung gemährt roirb. 

ITtit Ricarba fjochs gefthidjtlichem IReifterroman, „Das £ebenbes©rafen 
Seberigo ©ortfalonieri" enblidj, ber bem „Riforgimento" folgte, fdjeint 
ber „©roße Krieg" feinerlei Dermanbtfchaft auf3utoeifen, benn es Ijanbelt jitb 
bei jenem um eine epifeße ©^aljltedjnif oon befanntem ©ypus. 3mmerbin 
maltet hier mie bort bas gleiche fünftlerifche Prinjip oor: Belebung ber tDiri- 
lichfeit burdj bie bidjterifdje Phantafie bei ftrengfter IDahrung alles Über* 
teferten. Die Ausführung hätte oermanbt merben fönnen, menn eine ffinjel' 
pcrfönlidhfeit in ben IRittelpunft gerüeft morben mare; bas aber hätte e ' n 
oöllig anberes Bud? ergeben, einen „IDallenftein" ober „©uftao flbolf" etoa; 
hatte uns bie oon einem ein3igen im mefentlidjen befjerrfhte <Epod?e bes 
„©roßen Kriegs" oeranfd?auIid?t. Ricarba E?ud? aber mollte bie ©efd)id)te biefet 
gan3ert Kriegsmirren mit all ihren Dotbebingungen in ben 3eitläuften unb 
öen Piyqologifehen Dorausfeßungen in ber IRenfchenbruft feßreiben. hierbei 
gab es feinen alles beherrfeßenben inbioibuellen IRittelpunft. ©rimmels* 
paufen hatte einen oon ber 3eit felbft gegebenen; er ftanb ben ©eigniffen gau? 
nape urt fonnte ben IRiterleber Simplyius auf naioe IDeife oon bem felbft 
©cidjauten unb ©lebten reben laffen unb fieß, menn ihm bie $ülle bes Stoffes 
« t* en _ ©udjs, mieber 3U biefem ein3elnen unb beffen Pfycße 3 ur ^ ! 

•11 1 ?* r , . raud ? te nur öas °on ben ©reigniffen 3U geben, roas unmittelbar 
/rr tm ^ l 3 lus in Berührung ftanb. Unb ©rimmelshaufen macht auch reichlich 
anh Jla te ^ 1 Scheit. © oerfolgt 3ubem in feinem Buche noch oöllig 
2t( objeftioe Darftellung ber friegerifchen unb politifßen 

jj. re ifeigjährigen Krieges. 3m ©egenteil, gerabe oon ben ent' 

fabrpn m en ct 9^f cn » öen hauptfcßlacßten, ben führenben gelbherren, et ! 
abentPnprPAf? m ^ ts -.. fln . es W ™r eingeftellt auf bas ©efichtsfelb bes in bie 
ritters ,.«>1^ ** ® erf?aItni ft e hineingetriebenen Knaben, bes fpäteren fiffi*’ 
linft TV« 9 e henben Sölbners, ber 3um IRarobebruber h etfl ^ 

naioen e ^ u . tet öer Simpli3iffimus unenblich mehr als eine" 

öen AbentJr ? ticfc " ^“^«g bes IRenfcßentums 3 urücffchrecfen= 

ftelluna ber in* ° ^ < ^ e \ mcnroman - Ü)ie hoch fteht er in Be3ug auf bie Da 1 
meit reiferen er ntmidlung einer IRenfcßenfeele fogar über bem techrrifh 
Blas bes romanen fpanifeßer unb ftan3öfifchet fjerfunft! Oer 

offenba^^Tue m ei" ?***. öcr ? 44 ©at; ber Simpli#^ 
enfcßenfeele, bie in ihrem innerften Kern rein blieb unb 




Don Anna Brunnetnann 


547 


311m Sdjlufe liefen IDefensfem aus allen Deritrungen heraus toiebet 3U (Sott 
rettet. Durch bas IDetf geht öie fhroermütige <Srunb(timmung bet beutfhen 
Iltyftif, bie 3U innigfter ©ottesgemeinfhaft, 3« IDettfluc^t ftrebt unb hier 
ihren höhften Ausbrucf in ben IDorten finbet, mit benen Simplyius bas $a3it 
{eines £ebens 3te^t: „Dein £eben ift fein £eben getoefen, fonbem ein (Tob, 
beine (tage ein {praeter Statten, beine 3al}te ein fdjtoeret ©raum. Du bi{t 
halb hoch» halb nieber, halb grog, balb Kein, halb reih, halb arm getoefen. 
Aber nun, bu 0 meine arme Seel', toas Ijaft bu non biefer gan3en Reife 3uroege 
gebraut? Der £eib ift tmmb, ber Derftanb oenoirrt, bie Unfdjulb hin, meine 
befte 3 ugenb oerfdjliffen, unb über alles bin ih mir felbften feinb." Aus biefer 
fhroermütigen (Srunbftimmung fliegt Seelifhes unb IDettanfhaulihes 3U* 
gleich, unb fie oerfegt bas tDerf in eine höhere Sphäre innerlihften menfh= 
liegen Strebens, unmittelbarneben IDolframs Pat3ioal unb ben tDilgelm 
Itteifter. 

ID er mit bem Simpli3iffimus nähet oertraut ift, roirb balb etfermen, toelcg 
unerf^öpflidje $unbgrube biefes tDerf Ricarba f)udj nah bet oolfstümli^en 
Seite bin bot. Auch fo manhes oon feinem feelifhen (Sebalt bat bei ihr ein 
getreues ©h0 gefunben. ©nblih fuhrt oon (Srimmelsbaufens langatmigen 
Auseinanberfegungen mit ber bamaligen übeologie unb tDiffenfcgaft ein 
birefter IDeg 3U ben aftrologifcgen Betrachtungen Senis unb IDaUenfteins, 
fotoie 3U bem freigeiftigen IDagemut bes herrlichen Kepler. Sn tehnifher 
fjmfiht befielt feinetlei Dettoanbtfchaft 3toifdjen biefem rein fubjeftioen Be* 
femttnisbucb unb Ricarba fjudjs ftreng objeftioer ©efdjtdjtsbelebung. 

IDenig fruchtbar fällt ein Dergleicg biefes IDerfes mit Schillers ©efdjichte 
bes Dteigigfäbtigen Krieges aus. Unftreitig leiftete Schiller allerbings 
eine fhägenstoerte Dorarbeit, inbem er bas toeitf<hi<htige Rlaterial bet bänbe* 
teicgen Annales Ferdinandei 1 ) bes (Stofen Kgeoenhüller, fotoie anberet 
3 eitbofumente überfichtlich gruppierte, oereinbeitlichte unb plaftifh abrunbete. 
Dag er babei allerbings petfonen toie Begebenheiten 3uglei<h „fc^illcrifrf?" 
ftilifierte, auf (Edelheiten oet3i(htete, um formale Abrunbung 3U bieten, bag 
et philofophifcge, fotoie etljifhe Betrachtungen einfhaftete, liegt ebenfo tief 
in feiner eignen Detanlagung toie in bet ©efhihisauffaffung ber 3ett begrün* 
bet. Setner treten bei Schiller immerhin beftimmte perfönlihfeiten in ben 
Dotbetgtunb, bie ©reigniffe, roemt auh nicht abfolut befthnmenb, fo boh um 
fi<h gruppietenb ; oor allem felbftoerftänblih ©uftao Abolf unb IDallenftein. 

Aus bet auffteigenben $ühtung ihrer £ebensbahnen bis 3U bem jetoeili* 
gen helbenlfaften ober fhmahoollen Abfhlug fpriht bet Dramatifer, aus 
anbeten Seiten, etwas pathetifh, bet Philofoph, bet ja felbft bie IDorte geprägt 
hat: „Die IDeltgefhihte ift bas IDeltgericht". 

IPas Shillet hinfihtlih ber (tatfachen fotoie bet hiftorifhen Auffaffung 


1) 1640 unö 1716. 



548 


Ricotba fjudjs „ffiro&er Krieg in Deutf^Ianb" 

oermiffen lägt, wirb jegt öur<h Dergleich mit einem guten ©efdjichtswetl für 
leben leicht erlennbar. Ricaröa fjuch, beffet burd? öie hiftorifche $ot(djung 
belehrt, hatte fyiet leichteres Spiel. 

Reben öer Schillerfchen Darftellung mutet öie ihre weit realiftifher an, 
obfdjon öerartige beliebte Schlagwörter hier tunlichft oetmieben ©erben (ollen. 
Dermieöen (ei auch, oon impreffioniftifcher (Xechnif 3U (prechen, wiewohl bies 
angefidjts öer mofailartigen 3 u(ammenftellung oon Augenblidsbilbem nahe 
liegt. tDer jebod} genauer 3u(ieht, öiirfte halb hetausfinben, bafj über biejetn 
anfeheinenö unmittelbaren 3 mpreffionismus eine ftarte Stilifierung ruht, öie 
Perfonen wie ©efdjehniffe, (0 gegenwärtig, (o unmittelbar glaubhaft fie uns 
auch gemacht werben, hoch 3ugleidj in eine eigenartige $erne rüdfehauenber 
Betrachtung, hiftorifcher ©bjeftioität oerfetjt. Das i(t (tets öie auffaXIenbfte 
Befonberheit oon Ricaröa ljuchs Stil gewefen; fie tritt hier weht bettn je 
witfungsficher hetoot. 

Aber trot$ öiefer Di(tan3 3eigt (ich ih te Darftellung weit intenfioer als bie 
Schillers oon unmittelbarem Seben burchpulft. Schiller oerjichtet 3 ugun(ten 
plaftifcijet Abrunöung auf oieles Doltstümliche unb Snöioibuelle, ms ®rim* | 
melshaufen, was Kheoenhüner, was alte ©hronifen, wie bie in Sachfen befom 
öers intereffierenbe er3gebitgif<he Kriegschtonif bes Rlagifters 
Sehmann bieten. Ricaröa Ijudj hebt (olche gerabe wiebet heraus, uw ihr 
(amtbilb 3U einer möglichft getreuen Spiegelung bes Sehens 3U wachen. Durch 
RMebereinfühtung all öiefer Rebenbinge aber (teigert fie ihre Aufgabe getabeju | 
ins Riefenhafte. Unetfchtoden jeöoch an öiefe Riefenaufgabe herantretenb, 
fcheint uns bie Künftlerin in ihr gleichfam 3U fagen: 

3d ? gebe euch leinen gelben, benn bas burd? bie Begierben bet TRenf^en, 
oerbunben mit Öen Rotwenbigfeiten unb 3ufälligleiten ber tDirflichfeit erjeugte 
bunte ©efchehen ift 3 wed meiner Darftellung. 3 d? gebe euch ein Racheinanber, 
bas mehr wie ein Rebeneinanbet ausfieht. £jelb ift jeher, bet jeweilig bie <Ereig ; 
mffe beftimmt. 3 <h leuchte tief hinein in öie Seelen bet Rlenfchen unb lege 
öte atiebfebem 3U ihren §anblungen blog, aber ich 3«ige fie euch weit mehr 
nach öem, was fie tun, als nach bem, was fie ftrtö. 3ch gebe euch <Ein 3 el 3 Ü 9 c ' 
amtt ihr felbft ihre RJefensart erfennen möget; male euch ffinjelbilbet, 
amt ihr fulturelle üorausfetjungen, fowie fultur3erftörenbe gaftoren gleid? 
Itcher oerfteljen lernt. Über allem aber fteht mir felbft bie gefd}i<htliche 
rrrx • m ihrer 3eitlichen Abfolge auch als Rlenfdjljeits* unb Kultutbilb, als 
1 emes Ringens noch ungeläutert gärenber, (ich wiöetfprechenber Blähte 

iH°2-r? C1 I öi9Cn ' öatum ^ reibe mein Buch. Denn mich hat öiefe brängenbe 
uoerfuüe bes Sehens gepadt. Blich paden öie Rlenfchen, bie jene Stürme ent' 

ha.* D0,t lbnen Setrteben würben. 3 ch fehe fie alle in ihrer utfptüng* 

Beo iLs er gereiften Rlenfd}li<hfett, in ihren grofeügigen wie erbärmlih en 
9 tben, tn ihrem rafenben Detlangen, fi«h aus3uleben; bie bis 3um 3 er; 



Don Anna Brunnemann 


549 


fprengen aufgefpeiterte, faft animalifte £cbcnsfüllc bes Barodjcitalters 
ausjutoben. Dabet oft bas fo finnlos 3 etftörenbe, oon feiner Demunft Be* 
berrftte ihres Aufeinanberftlagens. (Einige etmeden meine £iebe, meine 
Berounberung, anbete mein IKitleib; toieber anbere mitten auf mit roie ein 
pradjtoolles Stüd ungebänbigte Hatur. Unb roieoiel Roheit, Beftränftbeit 
unb Aberglauben Ijerrfdjen in biefem dbaos entfeffelter £eibenfhaften; mie* 
Diel (Elenb ging in Horb unb Siib aus biefet Saat oon Blut unb (Eifen fjetoor, 
alle Hiebrigfeit im IRenfdjen bis 3ut bumpfen Dertierung, bis 3um grauen* 
oollen fjungertrieb fteigernb, bet fit an feinesgleiten fättigt! Das alles 3eige 
it eut- 3 br merbet es füllen, böten unb jefjen, benn idj märe ein f^lec^ter 
Künftler, roenn it es nur befdjreiben roollte! 

Darum fteljen fo menig Beitreibungen in biefem ein3igartigen IDerfe. 
IDas Ricarba fjud} batin oerfutt ^at, bie UKebetbelebung einer beftimmten 
(Epotc in all ifyren fulturellen din3elmomenten, ejdenfio unb intenfio 3ugleid?, ift 
in jüngfter 3 eit einmal oon einem fran3öfifcf}en Scfjriftfteller unternommen mot* 
ben, oon flnatole $tance butt ferne meifterljafte Darftellung bes £ebens ber 
3 eanne Darc. $tance aber bietet an ber fjanb autbentiftet Dofumente eine 
fortlaufenbe <Et3äl}lung; Ricarba fjut bie IDiebetetmedung bet alteften Sorm 
bes geftittKd}** 1 Beritts, ber dbronif, unb fomit gerabe3u bie £ofung eines 
neuen $ormptoblems. IDas im ©atibalbi nur fporabift auftrat, toitb 
jetjt einheitlich burtgeführt; alle brei Bimbe bes ©tofeen Kriegs hefteten 
aus mofaifartig 3ufammengefet)ten, nur menige Seiten langen din3elbilbetn, 
bie nur burt bie 3eitlite Abfolge ber dreigniffe lofe miteinanber oetbunben 
finb. Unb bot führt uns bie Ditterin über ben oft rett nüttemen datfaten* 
beritt bet alten dhronifen oöllig hinaus, tu eil fie biefen auf geniale IDeife in 
unmittelbares £eben umfe^t. 

©an3 befonbers reitlit fat Hicarba fjut aus K^eoen^üllers 3toölfbänbigen 
Annalen $etbinanbs II. geftöpft, unb ber Dergleit einiget Stellen bürfte 
tier oon IDert fein, um ihre Art unb IDeife, Überliefertes in lebensoolle ©egen* 
matt um3uftaffen, genau 3U oeranftaulitcn. 3 t gebe 3unätft etmas 
Sefunbäres, benn gerabe betartige din3el3üge merben gern oon tr 3ur dthö* 
l?ung bes beabfittigten HMrflittrttseinbrucfs oermenbet: 

Kaifer IRattljias, König $etbinanb oon Böhmen unb Biftof K^lesl 
begeben fit politifter Dertjanblungen megen an ben fätfift en £?°f* ©leit* 
3eitig münftt Kljlesl bie Dermählung Setbinanbs mit ber ftönen Kurfürftin* 
mitme, einet bäniften prin3effin. 

„Der Kurfürft ift 31 }tet IHajeftät auf etlite Uteilmegs entgegen gereift, unb 
berjelben 3U dlfren eine fo artige 3agb gebalten, bafe bie fjirfte in bem S^fe ®b 
auf bem 3 brer Ulajeftät St«ff beruntergefabren, bauffenroeis gejagt unb oon ber* 
felben, bem König unb ben anroefenben fjetren gefallet roorben... 3 u bem danb, 
fo 3U Dresben gebalten motben, hot bet König mit ber oermittmeten dburfürftin 
3u unterftiebliten IKalen getankt, unb im donoerfieren folte Affeftion befommen, 



550 


Rtcarba fjifäs „©ro&er Krieg in Deutfälanb" 


ba p 3 U glauben, wo fie öie Religion nicht oon einanbet gerieben, fie fid> mit übe 
3ufammen oerbunben hätf, ba3u ber Karbinal nicht menig geraten...“ 

So berichtet Kheoenhüller. Bei Rtcarba huch Reifet es: 


„Die leiste Streife bis Dresben tnurbe 3u Schiff auf bet Slbe gemalt fln bei 
©ren3e berotlltommnete ber Kurfürft bie ©eftreicher in feftlidjer XDeife butd; eine 
Iua||eqagb, tnbem bas D 3 ilb burd? Steibet unb fjunbe in ben $lujj getrieben unb 
oort oon ben tn ihren Skiffen befinölidjen Säften erlegt tourbe... getöinanb genojj 
bte bargebotenen £uftbarfeiten in oollen 3 ügen. Sr batte 3roat oon Kfylesls benutz 
platt mcbts tptffen tnollen, freute fid* aber bod} auf bie Belanntjdjaft bet frönen 
roittroe unb tpurbe benn auch burch ihr freies Anlächeln unb rätfelljaftes BBden 
lofoit Mjnibert St fanb, bafj [ie oiel feiner unb Häger 3U reben roufäe als (eine 
SajtDejtern obet feine oerftorbene $tau... Halbem er mit iljt getan3t unb ben Dtud 
ihrer Qanb foroie bie 3ärtlidffeit ihrer Rälje überhaupt gefühlt hatte, fähig bas 
$euer fäm pollenbs über bem Kopf 3ufammen." 


Ss braucht wohl nicht erft betont 3U toeröen, wie ungleich nähet uns biefe 
hiftorifchen Perfönlichfeiten öurch Ricarba hu<h gebracht toerben. 

Sehr intereffante Srgebniffe in biefer fjlnficht bieten ferner Detglefäe 
tpres XDerfes mit Kheoenhüllers unb Schülers Darftellung bet gtaufigen 
Inaffenhinriihtung bes böhmifchen Abels nach ber Schlacht am IDeifeen Berge, 
fomie ber £anbung ©uftao Abolfs. Oer fatholifdje Kheoenhüller geht bei 
erfterer auf alle {(bäuerlichen Si^elheiten ein, melbet uns jeboch nur non emi* 
gen Anhängern ber fatholifchen Kirche, baf$ fie befonbers bufffertig unb erbau-' 
t© geftorben feien. Sr fchenft uns fogar einige Bemerfungen übet bas XOetter: 
„ 3 u Anfang bet Sjefution ober ftrals nach oier Uhr ift ein fdjöner Regenbogen 
auf bem £orenifberg eine Stunbe lang geftanben; hat ein wenig, ehe er oer 
3ogen, geregnet, fonft ift ber gan3e Sag fchön geroefen." Stiller er3ählt bas 
nach m fnapper, etwas ftüifierter $orm. Ricarba huch» oot nichts 3«^ 
lehre enb, macht baraus mit grimmigem fjumor ein erfchüttembes ©entalbe 
oon er troftlofen Richtigfeit bes ein3elnen gegenüber unbarmhet3igen S 0 ' 
laismachten. Symbolifch offenbaren fie fid? in ber ©eftalt bes fleinen h eItfet5 ' 
ton hetr oon IRitrowih, öer 3 um Gerichtshof gehört, fragt ihn, ob er bie 
t et auch auf fich nehmen fönne..., es liege bem Sürften baran, baff es ohne 
hmbemiffe abliefe. 


mit « T?? geriet fofort in 3 om, erflärte, bafe er Kraft genug h«^ e 

D C rf„ffL Ö ° PPdt r 3d? au f 3 unehmen." ( 3 hm nun beugen fich, je nach ihrer innen' 
Berren „Lw”' wuterfüllt, bebenb ober in guter fjaltung bie wehrlofen h°hfj 
2S,""7 ( »lebesmal, u>enn bet Heine henfer einen abgefertigt hatte, lehnte etfid 

einen if Tmicf ei v Bc 1 ' n ' 06 et & cn Schlag nur fo nebenher getan hätte, unb w« 1 
emen hetausforbemben Blicf auf hetrn oon Rtitrowitf." 

ft n »x Dcn \x S< ^ roeöCnföni9 ® u f taD flöoI f läfet Kheoenhüfler trofc feines Partei 
' “ rti 7 U " ftcs DoIIc ©erechtigfeit wiberfahren. Sr nennt ihn „ben tapferen 
in r> rt ür? Cn ' StCUn6 unö Seinb hochgepriefenen fjelben". Seine £anbuni 
V mmern berichtet er, gleichwie Schiller, mit liebeoollfter Ausführlich^ 



Don Anna Brunnentann 


551 


„Sobalb er aus bem Skiffe ans £anb getreten, ift er unter freyent fjimmel 
auf feine Kniee nteöergefallen unb hat gan3 eifrig gebetet unb Sott gebanfet, baß et 
ihn gtiitflicf} bahin gebraut mit lauten IDorten: ,,©ott, bet Du über ben himmel, 
als aud? übet bie (Etbe unb ben XDinb unb Uteer herrfdjeft, roie foll td} Dir immer 
banfen, baß Du müh biefe gefährliche Reife fo gnäbiglich befdjüfct häft; ach i«h ban!e 
Dir vom innerften ©tunb meines h^ens unb bitte, baß biefer dag nicht 3U meinen, 
fonbern ein3ig unb allein 3U Deinen ©hten unb Deiner atmen bebrängten Kirche 
3u droft unb fjilfe angefeljen fei." 

flöten mir nun Ricarba fjuch. Sie verlegt bie ®ebetsf3ene in bie Dor= 
bereitungen 3ur Abfahrt von bet Hüfte Schonens: 

„IDährenb fie fo am Stranbe ftanben, oon Solbaten unb $if<hetn umringt, 
hob ber König 3umeilen ben Kopf in bie leicht flattembe £uft unb blidte nach bem 
fjimmel, an bem fid? hie unb ba fchaumiges ©emölf bilbete, um fdjnell toiebet im 
abenblichen Blau 3U oetfchmimmen. 3 n bem flugenblide, als dtommel3eichen bie 
Stunbe bes Abenbgebets anlünbigten, unb bas Braufen ber anmarfchierenben 
dtuppen laut mürbe, marf ber König plötzlich ben Ijut auf ben Sanb, fniete nieber 
unb betete laut, inbem er bie fjänbe faltete: 'fjen, oon bem gefdjrieben ftehet, baß 
et bie Sterne unb bie Stürme als feine Kreaturen mit bem 3 ügel feines TDortes Ien!t, 
Du fannft mit einem fltemjuge meine Schiffe über bas RTeer blafen, menn Du millft. 
fjen, erhöre mein ©ebet! Um Dir 3U bienen unb Dein Reich aus3ubreiten, haben 
mit uns gegürtet unb gerüftet: treibe uns mit gnäbigem hauch über ben ©3ean als 
bie fjeerfchar, bie für Dich 3 U leben unb 3U fterben bereit ift!’ 

„Ruf bem blaugrünen RTeete flammte bas blüljenbe ©eficht bes Königs, unb 
bie £uft, bie fid? Ieife bemegte, hob fpielenb feine blonben haare. Die, melche ihn 
feljen tonnten, hatten 3ugleich mit ihm bie hüte gelüftet unb bie Kniee gebeugt unb 
matteten nicht ohne Spannung, ob fi<h vielleicht fofort etmas ereignen mürbe." 

Das ift echte Ricarba h u <h l Ol® ftrenge Sachlichkeit, bie bentbar uttperfön* 
lichfte Stilgebung, bie biefes IDer! beherrfcht, ljot vielfach 3U bem Urteil geführt, 
baß bie Dichterin völlig ohne £iebe unb ohne fjaß, ohne bie geringfte petfönliche 
Anteilnahme geftaltet unb fomit ihr früheres Selbft völlig verleugnet h a & e - 
©s bebarf febod} nur einet aufmertfamen Derfolgung nerfchiebener ©in3el* 
fdjtdfale, um Sympathien feft3uftellen, bie fich freilich nur in einem liebe* 
volleren, ausführlicheren Umfehaffen bes utfunblidj ©ebotenen in greifbare 
IDirtlichleit äußern. Sie arbeitet babei mit ienet „ejeaften pijantafie", bie feft 
unb fielet vom ©egebenen ausgeht unb fich bei allem Auffchtvung toiebet 
glaubhaft ins ©egebene verankert. Divinatorifch erfaßt fie, toie bas bereits 
auf bemunbemsmerte tDeife im „donfalonieri" gefdjah, bie feelifchen Dorgänge 
in ben ein3elnen unb bringt fie in ben mannigfaltigften glücflichen $otmen 
als Selbftoffenbarungen ans £i<ht. So treten unjäljlige ©injeltoefen hervor, 
kleine fpielenbe XDellen im ungeheuren Rteer bes ©efcheljens, aber eben 
fpielenbe UJellen, b. h- lebensvolleorganifche ©ebilbe, bie, ehe fie ber große 
©3ean miebet vetfdjlingt, als feien fie nie getoefen, ihr 3 <h in einem Augenblid 
intenfivfter Dafeinsfülle enthüllen. Unter ihnen prägen fich unvergeßliche 
©eftalten ein, unb mären es auch uut arme Sünber, bie ben dobesftreidj ettvar* 



552 


Ricarba Ijuc^s „(Broker Krieg in Deulf^Ianö“ 

tcn, wie bet reueoolle Rufctootm ober bet Heine Iebensfrif<£?e $ähnri<h non 
18 fahren ber bis 3uie# noch auf bie Begnabigung ^offt, ferf feinS^nurrbärt* 
d?en ote^i unö fdlie&lich eine Rebe beginnt, um Öen „fatalen Augenblick fir 
ausjufdjieben. 

Ungleich tiefer nod? weife bie Dichterin Sdjidfale großer Kämpfet in unfere 
ee en 3 u fdjreiben: geiftiger Kämpfer wie Kepler, Bernegger unö Sdjicfatb, 
oder bte tragifc^en Sd?icffale IDallenfteins unb©uftao flbolfs. ©rfietes büfter, 
oon franfhaftem <£ljrgei3 ins IHafelofe, Übermenfchliche gefteigert 
un oq oon bunflem Aberglauben unb frühem ©obesahnen bur^fdjauert; 
öas anbere in fonniger Schönheit erftrahlenb, ein echtes tjelbenfd?i(f|al, um 
öas ber frühe ©ob Rur eine um fo leuchtenbete ©lorie webt. 

Denn was ift bas ©rfdeinen bes Schroebenfönigs oon Bilb 3U Bitö feiner 
groB3ugigen ©räume, feines Siegens unb Sterbens anbets als ein tminbet» 
oo er belbenfang oon bem tDifingerfprofe mit ber frommen proteftantenfeele, 
er fub als tDer^eug ©ottes ergaben unb bemutsooll 3ugleich 3U einer ^eiligen 
u '®.® e 6 t tUfen UTl ^ iw Öen beraufdjenben Sommernächten feinet 
norotjepen Heimat überquellenbet SebensfüHe unb fdranfenlofer Umaft beioufet 
wirb: „Rübe finbe ich wohl nur in ber (Ewigfeit!" 

. ® 0 ^ anöcrs ö « ®«ftao Abolf Strinbbergs! Strinbberg, ber Dichter 

J X n f . ^ es £e6ens » tiefer ©egenfafe 3U aller Harmonie läfet in feinet 
aragobte gleichen Hamens ben „Sonnenfönig", ben „golbenen", bem felbft 

* nC " td?t T öer f te ^ en tonnen, im Saufe ber friegerifäen unb polifr 

a?en etgntffe 3U einer unfreien, gebrodenen Hatur toerben, unb bie ©obes s 
h vf £ ü|en etlöfen ihn enblidj aus rettungslofer innerer 3etri|[en ! 

L * , ^: ftnnbbergifd fugt er oon dm: „Aber bas ift bas ©efefe bes Sehens: 
tioTim 0,0 au f ^ben. IDer bas Steuer aus ber fjanb ber Dorfeljung 

prnen ®Ul, geht auf ©runb. Die Reinften follen in ben Schmufe ge3ogen 

^ T %t ftC mcrfen ' öo & " id * «*«« teilt ift." 

« o ” w* 5 Btama ® er bient in biefem 3 ufammenhang (Erwähnung, 
J"Z ^ l0 fe aneinanber gereiften S 3 enen feht feffelnbe Silber e^elner 

IeblnWrt 91 ^ r ^ mCTttc ÖCS ® t0&cn Krie 9 s 9iW unb babei, fotoolfl in bet 

öes 3 uftanbsbilbes als Augenblidsbilb, toie in bet 

«n, 3ufammenfaffun9 »«M«$et Dinge, Ricarba huch naljefommt. 

lAmlbH* 6 f °£ mt str iwbberg in feinen trefflichen hftftorif^en unb 

iäbriapn k miniaturen öa wo er Augenblidsbilber aus bem Dtei&ig 5 
laprigen Kneg eingefangen hat. 

läufemtpirtP»^ 61 ^ 6 „!f. D ° n .^ Cac ^ a ^ uc *? s ® et i mit feinen Quellen unb Dop 
auf leitbt *» * e * nc wohlberedjnete Der3iihtleiftung ber Derfafferin 

015 Bci ^ d w oenoiefen auf bie folgendere 

IDallenftein läfet SSf' ° or °! Icm aber au f bie ©rmorbung IDallenftems. 

Bt Ricarba hud? m einer meifterlid/en Reihe oon ftimmungs* 



Don Anna Brunnentann 


553 


gewaltigen ©in3elf3enen, gleichwie ©uftao Abolf, fid? felbft offenbaren. S3enen 
oon fchidfalhafter (Tragweite wedjfeln mit anbeten, in benen uns auf erfchüt* 
ternbe U)eife SeeliJdjes entfällt wirb. Unoetgefelich bleiben uns bie ©efptädje 
UMenfteins mit Seni unb mit feinem Ar3t. Sein Untergang wirb nad) allen 
äußeren unb inneren Dotausfefcungen f?in mit ber größten Sorgfalt Dorbereitet. 
IDir erfahren fdjliefelich 3iemlich genau alle TUafjnaljmen 3ur Sicherung bes 
Sdjloffes oon ©ger, ben Seelen3uftanb bes mit ber Ausführung bes Rlotbes 
Beauftragten, bie ©rmotbung bet ©eneräle. Die 3mmanen3 ber lebten Kata* 
ftrophe oerfeijt uns in fpannenbfte ©tregung — bod? bas Kapitel fcbliefct, 
noch beoor fie eintritt. 3 m folgenben Kapitel begegnen wir bem fjetjog oon 
Sauenburg, ber fid? ahnungslos nach ©ger begibt, ©in Seutnant fommt an 
ben Kutfdjenfdjlag geritten unb fragt munter, wie es $ran3 Albtest wohl 
Dotfommen würbe, wenn er ihn in Kaifers Hamen gefangen nähme? Der 
Sauenburger oerweift ihm ben ungebührlichen S<het3 unb erfunbigt fid?, wie 
fi<h ber fjer3og oon $rieblanb befinbe? „Sehr wohl", lacht ber Ceutnant, 
„ber ift geftem Rächt ermorbet worben unb liegt falt wie eine Kröte auf ber 
Burg!" 

Un3ähliger proben würbe es bebürfen, um alle bie fo abwechflungsoollen 
Ulittel 3U oeranfchaulichen, beten fich Ricarba fjud} 3ur Derlebenbigung 
ber gefd}i<htli<hen IDahrheit bebient. Balb ftellt fie alles auf bas Augenblick 
Iidje, fdjeinbar 3ufällige ab; balb hebt fie ben bebeutfamen hiftorifchen, geiftigen 
ober feelifchen Rloment in ftarfer Kon3entration unb weithin ftrahlenber 
tDirfung heraus, ihn ftellenweife ins Symbolifdje fteigernb. Die gern ge* 
wählte $otm bet petfönlichen IKitteilung burch Rebe unb ©egenrebe enblich 
bringt uns näher an bie großen unb fleinen Afteure biefer gewaltigen Schau* 
fpiele heran, als bies burch itgenbeine noch f° Iebenbige Befchreibung möglich 
wäre. Unb allmählich löfen fich aas ber $ülle oon ©pifoben, bie fid? balb 
nörblich, balb füblich, balb in Böhmen, balb in ber Pfal3 abfpielen, unb bie 
uns burch bie 3eitlid}e Abfolge ber ©efdjehniffe 3ufammengehalten werben, 
©haraftere in plaftifcher Abrunbung los; nicht nur Ijauptpetfonen, Regtetenbe 
unb Sthladjtenlenfer, fonbern Dertreter aller Beoölferungsfchichten. ©eiehrte, 
wie Kepler, halten burch ihre geiftige Unerfdjütterlichleit bas ha<h» roas faum 
beachtet 3U werben fcheint: bie aufflärenbe Sotfdjung, bie bodj oor allem mit* 
berufen ift, einft aus biefer mafjlofen Kultur3erftörung wiebet hetaus3uführen. 
lUan tonnte, wie beim früheren Stänberoman, oon ©ypen reben; hoch finb 
es hier ©ypen, bie ihren 3a>ed als foldje über ihrer £ebensfülle oöllig oer* 
geffen Iaffen. Rur abfolut fieberet tünftlerifcher Snftintt oermochte bei einem 
berartigen Umfang bes Stofflichen bie $ülle bes Stoffes fo glüdlidj in ge* 
fdjloffene ©uniformen 3U bannen, bafe fie barin noch ihre oolle macht, Span* 
nung, ihren gan3en Cebensreichtum bewahrt, ohne jeboch an itgenbeiner 
Stelle bie gewählte, ftreng einheitlich burchgeführte Sorm wieber 3U fprengen. 



554 


Ricaröa fjuchs „©toßet Krieg in Deutfölanb" 

UTit ©ufiao Aöolfs (Lobe ^liefet bie hetoifche Periobe bes ©rofcen Kriegs, 
uno mit ihr 3ugleich öer 3toette Banbbes IDerfes; hoch hat Ricarba £ju<h öiefem 
Banbc nod? einen tieffinnigen fymbolifchen flusflang oerliehen, bet bie troft= 
ofe ©efamtftimmung bes britten Banöes, bie (Erlöfungsfeljnfudjt öer Klenf# 
y * bereits ooröeutet. Der fädjfifdje KapeHmeifter Sc^ü% f öer uns 3iu>ot jdjon 
ms grofcempfinbenber Künftler oorgeführt tourbe, erblicft, in tiefer feelij^et 
regung befmblic^, auf bet Strafe einen fremben alten Ulann, öer für Öen 
etotgen 3 uben gehalten toitb. 

'^ n . x e * nem braunen Rlantel gehüllt, glich bie einfame ©eftalt öem Stamm 
enter tüetoe... (Ein paar Buben liefen hinter ihm her, unö in Öen fjaustüren ftanben 
, St ? Ucn ' öic *h m uachftaunten. Dielleicht, bachte Schuh, fei es nur ein 
• oerfehlagener armer mann, öem ausgeftanöene Rot öas ©entüt 

v habe, ©ber “»äre es toirflich ber Unglücffelige, öeffen 3ahrtaufenöe alten 
gen oen fjeilanb öer IDelt am Kreide gefehen hatten, unö öen ein ©eruch öer 
müften unö flleere an biefen ©rt gejogen hatte? 
s . nr t T ?U ^ nS ., eIe ^ n 9 en öct Alte, ben ber Sturm öer 3 eit übet öie (Erbe jagte, 
,!fc Ä en ' öt V^ m nachfahen, bie Raufer unö öas IDaffer, öas langfam 

ifintt» x ne £ * t 0 Pft c » 3 “ tönen an. Klagelaute toanöen fid? aus öer Schlucht ber 
öa f un ft<htbar öie (Erbe beherrfchte, unö oerfchmohen oben 3U 
rnnni^n”« W ® na öe. ttKe Blüten non Srühlingsbäumen riefeln, fo tauten bie hat* 
an Wn # n.°c heiligen fjol3e, bas allen Sünbem unö Dulöem 3 uWt 

fiiicn fl »«t. ® ot *' f° bachte Schüh, inöem er öie fjönöe faltete, toütbe b« 

XmnnL • C ' cs auc h f e if bort mürbe jeher Sudjenöe unö öort auch er, bes 
Kampfes tm Schmuh unö Staub mühe, öen $rieöen finöen." 

II. 

SdjtDetg ftille, menfeh, tritt aus ber 3eit, 

(Ern anbrer trägt hinfort bein Kleiö. 

s **ie mallenftein gelegentlich einer Schüleraufführung ’ n 

, ei t?T rte f !!'l uIe 3 u Sagen aus öem munöe bes ©obes oernimmt, oeranlaffen 
in, |id?P öhlich 3U erheben. IDar es (Empörung öes bamals allgetoaltigen 
m 3 erm ens über öiefe oernichtenbe (Seringfchätjung bes einjelnen, ober 
ar es bererts ein ©obesahnen, öas ihn befiel? Ricarba fjuch melöet uns 
ur, er habe öen Saal oerlaffen, öenn „bie Rtufit mache ihm übel“, 
i m ™ er me h r seht bie <Ein 3 eIperfönlichfeit nun im ©efamtgefhehen 
C ~ ohgelöft, ohne öafj eine nermensmerte £ü(fe entfiel#- 

ah u s. a ^ en ^ e ' Tts tErmorbung nimmt, öur<h öen temperamentloferen 
tpr^n 0 » 61 61 .® c ^ e h n iff c bebingt, öie 3uftanösfd}ilberung einen ftetig brei- 
bit ka °T eW ' Dic ^ ut< h*hare Auseinanberfehung 3 toifchen Rorb unö Süö 
, u jic na ^ 3 u ausgetobt. Rur aus ©eroohnheit, fofeheint es, wirb ein Kriegs- 

belief tTÄa rNtCn ' öet itmetIid ? Wne ftarfen üriebfräfte mehr hfl* 
eianitfe i? me ~ 9Ct öal?in f inö - Die lebten ©raget bet gro&en 

liebfeit w en *. a ? t( ^ nü( ^ tcin , ’ m Rahmen einer poetifch unoerflärten Wir 
ernhar Don IDeimars Sterben tritt noch einmal als ein fu&jeöfo 0 



Don ftnna Brunnentann 


555 


Grieben in ben Dotbergtunb; bas Hinfcheiben anberer berührt, wie bas tDallen* 
fteins, mehr als eine objettioe ©atfache, bie nur um ihrer $olgen roillen be= 
achtenswert erfcheint. So beregnen, als bie Kunbe oon tDallenfteins <Er= 
morbung nach IDien fomrnt, beten geifüge flnftifter in bet Hofburg fü^l unb 
oorfidjtig, roer füt biefen ITCorb 3U belohnen fei unb auf roeldje U)eife es 3U 
gefdjeljen habe. 

®n anberes $ührergefchlecht ift hetangeroachfen; feine pfyQe 3eigt fich 
bifferen3ietter; ©rüblernaturen, Steptiter finb barunter, in beten Seelifches 
Ricatba fjucfy tief hinableudjtet. $elbhetten roie Bemhatb oon IDeimat ober 
©uöbriant prägen fi<h ein, eben um bet meifterhaften ©ntfchleierung einet oölüg 
oeränberten Pfydje roillen. IDie einft Keplet, fo tritt nun mit ben ©eiehrten 
Betnegget unb Sdjidarb bie bebrängte, butdj fleinliches Parteien* unb Pfaffen* 
ge3änf emiebrigte, immer heimatlofer roetbenbe UHffenfdjaft oot unfet geiftiges 
fluge. RTit Keplet erfdjien fie noch „feft in fiel? ruijenb, neue Hoffnungen füt 
bie 3 ufunft erroedenb". Betnegget erfdjaut: „ben einfamen mann auf fteinigem 
IDege fief? roeiterfämpfenb, oft fdjroeißtriefenb in ben Staub gebüdt, inbes fein 
©eift unbegreiflich entfeffelt als ein flblet ben Rtljet butdpraufdjte..„H)äh* 
renb bie ©eiet bet IDalftatt auf bem Reichstage 3U Regensburg um bie Beute 
ftritten, ift mitten unter ihnen biefes lönigliche Ejer3 unbemetft gebrochen." 

Bibliothefen roetben oon ben Solbaten oerroüftet; roertoolle roiffenfdjaft* 
liehe IDerfe als le^erifth oetbtannt. Die aufopfetnbe mutter Sdjidarbs erhält 
bei ihrer tapferen Derteibigung ber geiftigen Schöße bes Sohnes bie ©obes* 
rounbe, unb einfam unb gebrochen oerläßt ber ©elehrte Tübingen, felbft ein 
erfchüttembes Symbol ber oertriebenen ©eiftesgüter ber menfehheit. 

©tbarmenbe ITtenfchenliebe fucht bie furchtbare Kluft, bie bet ©laubens* 
h a fe geriffen hat, 3U Überbrüden, fluch fie fieht fich unoerftanben. So tief ift 
ber Haß in bem armen fämpfenben Kriegsoolt eingerout3elt, baß felbft Ster* 
benbe ihn nicht überroinben tonnen, mit einigen Dätern begibt fich Stiebrich 
bon Spee auf bas SQlachtfelb oon ürier. ©in fchroeroerrounbeter Deutfcher, 
bem et tDaffer ein3uflößen oerfucht, oerlangt nach einem eoangelifchen ©eift* 
liehen, mit ben 3efuiten roolle er nichts 3U tun haben. „$teunblich fich über 
ben Sterbenben beugenb fagte Spee, er roiffe nicht, roo ein eoangelifcher Selb* 
prebiger fei, tonne auch jeßt nicht fudjen. Sie roären alle eines ©ottes Kinber, 
ber Solbat möge 3ulaffen, baß er mit ihm bete. —Rein, ftöhnte jener, ben Kopf 
geroaltfam oon ber tDafferflafche roegroenbenb, jefuitifch gebetet fei fchlimmet 
als geflucht. — Quäle bein He*3 nicht mit Haß, bat Spee, oergib beinern $einbe, 
bamit ©ott bir beine Sünbe oergebe. — $ort ©eufel, röchelte bet Derrounbete, 
inbem er Spee mit feinet lebten Kraft 3urüdftieß unb bamt oetfehieb. Spee 
betete bei bem ©oten, brüdte ihm bie Rügen 3 U, faltete feine tjänbe unb ging 
traurig roeiter." 

„Unermeßlich roeitift bie ©rbe oon ©ott entfernt!" Das fühlte er roieberum; 



556 


Ricaröa tjud|s „©ro&er Krieg in Deutfd|Ianö" 


bas füllen nun alle feiner gearteten Seelen fdjmerjlidjer öenn je. (Kn# 
gemeines (Empfinöen oon öer Surcfjtbarteit bes Dafeins nimmt überljanb, |o 
gan 3 oetfchieben non öem überquellenben £ebensgefühl öer echten Pertretet 
es arodjeitalters, non öenen fo mancher früher bas Derlangen ausfptah, 

c fxt. Cmma * bur< ^ unb ^ ur< ^ am £ c & cn 3 U fättigen". 3 n öem jdjroeöifdjen 
Sdöberrn Banör lebt öiefes robufte £ebensgefühl noch fort; öer (Epihitäet 

ta a uns ö er eits als moöerne Öifferen3ierte Seele entgegen. 

k +,« 16 t>er ^°^ti o>ic Spee, mohin fie fich auch menöen, „öer 3ammet öer 
11 r^r't; UnÖ CS be f äIIt f ie in öem grauenhaften 3toiefpalt, in öer troftlofen 
njuperbeit öes £ebens innigfte ICobesfehnfucht. „(Es roirö öer feligjte flugen : 
i meines £ebens fein, menn ich mi<h in meinem Sarg ausftreden unö ru^en 
ann, mei öie Arbeit getan ift", fagt öie tüchtige £anögtäfin Amalie (Elifabeth 
oon t?effen. Unö als ©uSbriant fid? oorftellt, mie fein Kappe ihn 3U Hobe tragen 
!*” c Sat ? * n b ’ c folgen roirö, heifct es oon ihm: „Seine 3 üge 

? e , e ” * l< ^ au f unö feine Bruft toarö leichter. Dann mürbe alles, toas 
mürben 111 ft m » X DOt üi’^munöen fein unö fein £?er3 unö fein Schwert 


Des; Simpli 3 ius töeltfluc^t unö öiefer (Eölen Hoöesfehnfucht fließen aus 
an g eichen (Quellen: aus einem unfagbaren feelifcfjen Ruhebeöürfnis unö 
Grlofungsoerlangen öer Ztlenfchheit. 

ff f ^ mme r mehr mirö öas dun abgelöft oon einem ©efchehenlaffen unö 

* r ? e J ,, II U If n ; ^ tü ^ er fieberhaft erregtes fjanöeln — jei$t ein öauemöet 

^ c „ °i et t ^erroahrlofung unö enölos fich mieöerholenöen ©reuel. 

• ttA 61 ^ 3um ^i )en i eu rer I öer Kriegsljelö 3 um Philofophen, öer 

mnnÜL IU -u c ®elehrte 3 um (Entmur 3 elten, öer Bürger 3 um friet^enöen 
«iriAlnV ÖCt BaUCt 3Ur ^ un 9 cr nben Beftie. Kur öer Solöat bleibt fi<h 
RpnnTfor °T Uttb begleitet wütet er meiter als blutige <5 ei frei attet 

ungsfchichten. fjier nur immer naturaliftifche tDirflichfeiten dop 
Ion««* 5 öte oIten graniten unö mie fie Kheoenhüüet in fpalten* 

ffJ nh Surijtbarfett auf3ählt, mürbe unfünftlerifch mitten. Schiller fafet öas 
Seit™ rei o’9lährigen Kriegs auf 3 mei fnappen, etmas rhetorifch flingenöen 
KirJS mt J eT I: “ e Uns öocb aieöerum 3 u abftratt, 3 u lebensfremö anmuten. 

btlöer oon Itll f 6öS ® c9cbcnc in l ^enbige unö 3 ugleich typifdje ®n3* 
luna niif w r Don ^efHalifdjer Roheit unö mehrlofer Der 3 weif' 

Sie rtif>+ m!l If- 3l °^ en b * c ^i c 9 cr if ( hen ober politifdjen (Ereigniffe einfchiebt. 
PbantaÄ ^ BlIÖCt °° n eincr bcrarti 9en ©iefe, ba& mir fie in unfeter 
tümlicber ffiirfr -1^ Derme ^ ren - Dabei greift fie gern 3 um ©leichnis in ooßs 5 
aom mäö*^ r ÖUn9 ‘ Iefcn man ^ es u)ie fchauerliche Dolfsmärchen: 
IDölfen as , a ^ s 9 e ^i' um einen oergrabenen Schah 3 u fuchen unö non 

3ufeben ® om ^ ejenfinöIein - öas, um öie tote Klutter wiebef 

«l - getroft in öie Slammen fchreitet, oon eingefangenen Kinöem, öie als 



Don Anna Bruttnemann 


557 


„Baslern" oerfpeift werben. Hut fte^t bahntet lerne fraufe Phantafie, 
fonbern grauenhafte XDirflicfjfeit, unb bie armen ©pfet werben nie wieber 
3um Sehen erwedt. 

Aus einer laum überfehbaren Sülle oon Befonberem, öas fich noch traft 
bet barin niebergelegten Sebensfülle ftetig oeroielfacht, erfteht Ricarba 
tjueijs gewaltiges 3eit* unb Kriegsbilb, but(h tiefe urfächliche 3ufammen= 
hänge 3U einet höhnten (Einheit oerbunben. 

Kheoenhüller hat bie gewaltigen Stoffmaffen um ben Kaifer gruppiert, 
3U beffen Ruhme et feine Annalen oerfaßte. Sie enben mit einer langen, 
lobenben Dethetrlidjung bes mit bem Hobe abgegangenen $ürften, ohne 
irgenbtoeldje Perfpeftioen 3U eröffnen. Stiller Dereinfadjt bie barode Sinien 5 
fühtung Kheoenhüllers 3U flater, Haffifc^^ftilifierter 3eid}nung; er Belichtet 
3um Schluß freiwillig barauf, bie (Ergebniffe, fowie bie Tragweite bes weft= 
fälifdjen griebens 3U unterfuchen. 

Anbets Strinbberg: Am Schluß bes erfchütternbften Bilbes aus bem 
©roßen Krieg, „Bet weiße Berg" betitelt 1 ), fdjreibt er: 

„Rlit bem weftfälifchen gtieben war ber Dreißigjährige Krieg 3U (Enbe. Sdjwe* 
ben befam 3wei millionen Haler unb einige Bedungen; bie follten jebod) beutfdjes 
Sehen fein, für bas ber Schwebe brei Stimmen im Reichstag erhielt. Aber Deutfeh 5 
lanb hatte nur ein Diertel feiner Beoölterung noch; unb wähtenb es früher ein 
Staat untet bem Kaifer gewefen war, bilbete es jeßt bteihunbert Kleinftaaten — hoch, 
bie Glaubensfreiheit non Augsburg non 1555 war wiebergewonnen unb auf bie 
Reformierten ausgebeljnt, unb bie war teuer eriauft; aber auch bie greiheit non 
Rom war für Horbbeutfchlanb erreicht unb bie tonnte nicht teuer genug erlauft 
werben. Aus bem (Ajaos entfteht Schöpfung unb Heufchöpfung; aus Deutfdjlanbs 
(Ajaos wuchs Horbbeutfchlanb heroor, unb beffen Same hieß Brandenburg, bas fpäter 
Preußen würbe unb fchließlich bas Deutfche Reich, bas bie Kaiferfrone in Derfailles 
holte unb nicht in Rom." 

Ricarba tfudj fnüpft, wie hier 3U 3eigen oerfucht würbe, unmittelbar an 
bas menfdeiche (Erleben wieber an; nur auf einer ungleich reiferen Stufe 
weltanfchaulicher (Ertenntniffe, als bas ©rimmelshaufen möglich war, unb 
batum rollt fie aus jener 3eit hetaus politifche, religiöfe, philofophifdje un b 
tulturelle gragen auf, bie heute noch brennenb finb, entrollt fie t>on einer 
unenblich hohen IDarte aus, ohne itgenbwie Partei 3U ergreifen. Alles ergibt 
fich bei ihr aus einem genial bargeftellten H)itfungs3ufammenhang unb nicht 
als eine willtürlich 3um Abfchluß gebrachte, fonbern aus bem fteten $luß bes 
Sehens hetausgegriffene unb in biefem gluß uetbleibenbe 3eüepoche. 

man hat barum ihr tDerf mit bem IHeer o er glichen, bas jebe ID eile, bie 
es aufwirft, fofort wieber oerfchlingt unb ben Blid in bie Unenblidjfeit lenft. 
Diefer Dergleich erfdjeint umfo berechtigter, als Ricarba tjudj ihn 3U Beginn 
ihrer fchriftftellerifchen Saufbahn imRubolf Utfleu felbft ihren bidjterifchen 
Abfichten po ranftellt: „Sehen ift nur auf bem bewegten RTeer, unb wo bas 

1) fjiftorifche DTiniaturen, Bö. II. 



558 Ricorbo f}u<f)s ,,( 5 ro&« Krieg in Deutf^Ianb". Don flnno Brnnnemonn 

Uleet wiftött, hört aud? bas £eben auf." Hut mufe bet Dergleich feinem un= 
cnohqcn Reichtum, feinet fdjlidjten ©röfee nad? erfaßt werben. Hid)t Öen 
we JelooHen Rhythmus bes £ebens toill Ricatöa Jjut^ hier allein wiebergeben, 
fonoern fie geht weltanfdjaulich tiefet, unb bas in erhabenfter (Einfachheit: 
menfehenübermut unb Rlenfchenwahn haben Deutfchlanö an ben Raub bet 
ermdjtung gebraut, aber bie (Erneuerung fommt aus ben großen (Beferen 
cs £ebens felbft: Rad? oölligem 3 ufammenbrud? ooltyeljt fiefa lattgfam bie 
Rhebergeburt. 

Rit^t mit jubelnben $riebensfanfaten oerfünbet Ricarba huch biefe not-' 
toenbige (Erneuerung. Kehren mir nod? einmal 3um Anfang ihres IDetfes 3utüd: 
Ro<t? ift faum oon eigentlichen friegetifchen ^anblungen bie Rebe geroefen, 
r* 7 ntansfelbifdjer Reiter auf einen länblid?en fjoc^3eits3ug ftöfet, 
fid? btefem gan3 famerabfchaftlich anfchlie&t, bann aber bei 3unehmeniet 
arurtlenheit gewalttätig wirb unb fo bie erften Elfte fauftre^tli^er Roheit 
m te bisher frieblidje Beoölferung tragt. Diefem meifterlichen fluftaft ftellt 
SKatbahud) am (Enbe bes 3 . Banbes ebenfalls eine Dolfsfeene gegenüber, 
te g etqnishaft unenblich weit über beffen flbfchlufe hinaus beutet: 

Der Pfarrer einer größeren Dorfgemeinbe halt ©ottesbienft auf bem 
Sriebhof oor feiner 3 crfchoffenen Kirche. (Er finbet ergreifenbe BDorte über bie 
. c ^ un 9 bes fjeilanbs unter Be 3 ugnahme auf bie fluferfteljung bes 
cu fehen Daterlanbes, bie 3 unä<hft eine geiftige in ben fjet3en bet IRenfchcn 
3 « fern habe. Oer ©ottesbienft wirb gewaltfam burch einen Reitertrupp unter 
orochen, beffen junger $ührer bie fofortige fjerbeifchaffung einer Kriegsfontri* 
U 0n . M „ ^ nbcs öet Pfarrer fich mit ben ©emeinbeälteften entfernt, 
oergretft fich ber £eutnant an ber ftattlichen ©ochter bes ©eiftlichcn, wirb non 
otefet 3 urädgeftofeen, unb währenb bes Ringens beiber erftichter baslRäbchcn- 
xe etn afenber ftüt3t nun bet eben 3 urfidfehtenbe Pfarrer auf ben Würbet 
los unb würbe ihn erwürgt haben, wenn nicht ein neuerlicher ©rapp, biesmal 
slix ® 0 l V eincitt me nfd?Uchen ©berften, eingegriffen hätte. Oer ©berft lägt 
I aj öen Sachoerhalt erflären, befiehlt bie Beftrafung bes Rlörbers unb bietet 
uhne. oeh nun ift bas Racheoetlangen bes Pfarrers oerflogen, 
fei b^iSLr» UnÖ . Srieöen ' f cit 30 3 ahten 3 um erften Riale Stieben. Ceib« 
Ser niÄr* C ^ 9 ™ lt * BIut bcfIc<ft tDotöcn ' öas müßten fie föhnen, es gef<W 
Oer KiiSbnf Bu *', ® et ^äjulbige folltc 3 ufehen, wie er feine Seele errette. 

Pfarrer IabJt 9 e fäut>ert; bas flbenbmahl foll gereift werben. Vet 

3 öaetn taot<> k*r e * n ' m '* ben Seinigen baran teil3unehtnen. Rach einig«'" 

WäKn me 'ftcnteils Kalifen unb ftehe es ihnen M 

aufgerichteten SrieS SmigVex^n. bCi3WD< * nCn; öod? 3 “ m 3eidjm 065 

bämnwSe'ßürtMiinx 0 ^ benb 9 en, °rben, unb ber weite himtnel bog fich aber boj 
würbe wieber b •a+T C em ^aufe D °H weiter Rofen über ein ©rab. Der ©M 
DergleiZn flkn£M? t , Uni füt öcn »«fchütteten IDein würbe tDaffer gebrach*- 
gieutjen flbenbmahl habe er noch nicht gefeljen, fuhr es bem ©berften heraus, 



Ijcbbels flnfidjten über Deutfcfelattb unb feine (Begner. Don fjarts tDefterburg 559 

ber ben Dorbereitungen ftaunenö 3 ufafe; es fcfeeine mehr für Diefe ( als für dferiften* 
menfcfeen 3 U paffen. 

„Als dferiftus aufetftanben war", fagte bet Pfarrer, ,,featte er ein ftembes Antlife, 
unb feine 3ünget erfannten ifen nicfet." Oer ©berft oerftanö nid}t, fcfewieg aber, unb 
als alle oerjammelt waten, nafeni et feinen geberfeut ab, warf einen befefelenben Blicf 
auf feine Solbaten unb fniete nieber, worauf alle feinem Beifpiel folgten. Das Stüd* 
cfeen Brot, bas ber Pfarrer ifem, als bem erften, reidjte, würgte er folgfam, wenn auch 
nicfet ofene IDiberwillen, getunter. 

Als bie fülle 3eremonie beenbet war, btacfe bie Racfet herein. IDie wenn dfeor= 
tnaben bie Raucfegefäfee fcfewingen unb buftenbes ©ewölf bie Pfeiler bes Domes 
oerfeüllt, wogte es weit um bie oerfcfewimmenben drümmer bet 3 erftörten Kircfee, 
um bie ©rabtteu 3 e unb bie fnienöen Henf<feen. „Siefee r es ift alles neu geworben", 
fagte ber Pfarrer, nacfebem er ben Segen gefprodfeen featte. Alle blieben nodj eine 
Heile mit gefenftem Kopfe, bann ftanben fie oon ber feucfeten drbe auf, unb bie 
Solbaten blicften wartenb auf ben ffiberften. Auffifeen! lommanbierte ber; weiter! 
worauf fie nacfe ihren Pferben eilten unb in fcfenellem drabe aus bem Dorfe ritten. 
Der Pfarrer lub fein totes Kinb auf ben Amt unb oerliefe an bet Spifee feinet ©e= 
meinbe feften Schrittes ben dotenader. „Als dferiftus aufetftanben war, 
featte et ein ftembes Antlife unb feine 3ünget erfannten ifen nicfet." 

Diefe gleicfenisfeaften tDorte müffen für ficfe felbft fprecfeen, unb fo fei als 
Ausflang nur nocfe eines ber früheren ©ebicfete Ricarba fjucfes „Aus bem Dreifeig* 
iäferigen Krieg" gegeben, worin fie ben Scfelufe iferes grofeen, bamals nocfe 
ungefcferiebenen tDerfes auf erfcfeütternbe IDeife oorwegnimmt: 

grieben. 

Don bem dutme im Dorfe Hingt Das ift oon ber Däter ®ut 

dm füfees ©eläute; UTein ewiges drbe; 

Ulan finnt, was es beute, Ricfets bleibt, wo mein fjaupt ficfe rufet, 

Dafe bie ©lode im Sturme nicfet fcfewingt. Bis einfam icfe ftetbe. 

Hicfe bünft, fo feorÜ icfe’s als Kinb; Rleine Kinbet oerwefete ber Krieg, 

Dann famen bie 3afere ber Scfeanbe. IDet bringt fie mir wiebet? 

Run trägts in bie IDeite bet IDinb, Beim Klange bet Siebet 
Dafe grieben im Sanbe. geiem gürften unb Herren ben Sieg. 

IDo mein Daterfeaus feft einft ftanb Sie freun ficfe beim Siegesfcfemaus, 

Häcfeft wucfeembe tDeibe. Die müfeigen Solbaten flutfeen. 

3<fe pflü<F, efe icfe f(feeibe, 3cfe 3 iefee am Stabe feinaus, 

dinen 3weig mit 3 itternber fjanb. Hein Datetlanb 3 U fucfeen. 

Ejebbcls Hnfid)ten über Deutfölanö unb [eine (Begner. 

Don feans tDefterburg in dutin. 

ds fiefet auf ben erften Blid fo aus, als müfeten ficfe in 3 etten ftarfer natio* 
naler (Erregung bie Anfeänger bes feumanitätsibeals, trofebem biefes eine 
beutfcfee Scfeöpfung ift, unferer Heigung entfremben. Das güt in befonbetem 
niafee für fjebbel, beffen fjauptroerfe uns nicfet unmittelbar patriotifcfee ©e* 
finnung oerraten. 3u3ugeben ift ja ofene weiteres, bafe bie ©efcfeicfete bes feuma= 
nitätsgebanfens in Deutfcfelanb bie Kernfrage, bie Bereinigung bes Rationalen 



560 IJcbbcls Hnficfjten über Deutfd)Iani> unb feine ©egner | 

mit bem Allgemeinmenfchlichen faft immer umgangen ober 3ugunften öcs 
lebten $aftors einfeitig 3U löfen oerfudjt hat, ohne 3U flat Dorfteilbaren 3 idcn 1 
3U gelangen. Daher hebt fiefj aus Öen großen Bewegungen bet ©egenroart | 
für uns als rtächftes Bebürfnis bie Pflege bes nationalen ©eiftes heraus, um 
erft fpäter feine gefammelte Kraft non neuem jenem Problem bienftbar 311 
madjen. Unb bod) hieße es fjebbel oerfennen, roollten mir feine Anfdjauungen 1 
in Baufd) unb Bogen 3urücfftellen. tDenn feine fjauptroerle ben nationalen 
d^arafter nicht beutlidj an bet Stirn tragen, fo liegt ber ©runb in feinen fln= 
fisten 00m EDefen ber Kunft, insbefonbere bes Dramas. Die Poefie ift il)m 
ein IDer^eug 3ut (Ergrünbung ber tDeltge^eimniffe. Das Drama foll ben 
Konflift ber inbioibuellen Cebensbetätigung mit ber bauernben Allgemeinheit | 
barftellen. Don biefen Säßen ausgeßenb, feßuf Ijebbel bie Reiße feiner großen 
Dramen, bie fidj nun notgebrungen um bie Jjauptibeen ber JDeltgefe^ic^te 
gruppierten, ohne auf nationale $ragen befonbere Rüdfidjt 3U nehmen. Aber 
as £eben läfet fid? nidjt reftlos in Kunft umformen, unb ein £eben, bas [ich 
mt Statten eines unabfehbaren Problems aus3umir!en ftrebt, um fo weniger. 

So fanb audj fjebbels meitgreifenber ©eift unbefd?abet feinem Kunftfcßaffen 1 
aum genug in fief), bie Snbioibualität feiner Kation unb ber anbetn 3U burefr 
. en ^’ feiner äftßetifchen üfyeorie 3um (Troß brängte ißn fein warmes 
eutfepes ^er3 oaterlänbifdjen $tagen entgegen. Die Belege bafür finben fi<h 
a C ? Cn befanntIid? mit 9 rö & tcr Sorgfalt geführten dagebüchetn unb in einer 
fln 3 al?l meniger betannter ©ebießte unb (Epigramme. 

So batf fid) eine Befcßäftigung mit Hebbel in ben Kalmen ber 3a^Ireitf)en 
entrungen ftellen, bie barauf ab3ielen, uns ber beutfdjen ©efinnung unferer 
großen ©eifter fo recht gewiß 3 u machen. Hießt als ob unferer auflobemben 
öegetfterung eine Rechtfertigung unentbehrlich märe. KHr finb uns unferes 
,.° 5 ° e es Gewußt unb hüben ein beutlicßes Bemußtfein oon ber Aufgabe, 
v kI r“ tfd?e ® eift f öt 6ic Wenfcßheit 3U erfüllen hat. Aber hier beginnt 
tc Äehrfette ber (Empfinbung, bie nun hoch — unb bas ift ein rüfjrenöer 3^9 
un|eter ^ olfsart nach einer Rechtfertigung oerlangt. IDenn wir uns je|t 
majef feßem f?aß gegen (Englanb, bas in uns Jeinbe ber Kultur fiehtf 
3 U|a m menfinben, fo empfinbet bas beutfehe ©emüt eine foteße Stimmung 
5 Stemöför P et in P 4 ^f bie Blume Humanität" ift ein Reif gefallen, 
Detm09Cn ^ rcn Du f* unö $arbe auch jeßt nicht 3« oergeffen 
nö glauben an em neues Blühen. Uns jum ^eil ift bas fo. Denn nun fuchen 

an l ? me ! neuen flus ^udsformen bes beutfehen ©eifies unb rollen 

t<m v c? 0 " 6 U ? eter 9t0 & cn 0id ?ter unb Denier bie nie reftlos 311 beantwort 

fünft f? 96 u f: ?° as ift öcnn öeutfeh? XDir bauen an ben Brüden3« 3 «’ 
* un T*i 3um alten 3 beal! 

3 eit binli!\ Öie t ÄUfe ? UT,9en öes *?ebbelfcßen Patriotismus gehören in unfere 
' a fie neben ber unoergänglidjen fje^ensmeinung aud) heute noch 



Don fjans tDefterburg 


561 


3 utr eff enbe politifdje ©ebanlen enthalten. Schon im 3al}te 1848 weift Hebbel 
in einem bei ©Gelegenheit bes „mafelos'fchnöben" Sd)lesn»g=fjolfteinfd}en 
tDaffenftillftanbes oerfafcten unb Deutfchlanb gewibmeten ©ebicht auf bie 
©efahren Ijin, bie Deutfdjlanb oon ©nglanb, Stanfteid} unb Hufjlanb brohen. 
©r geißelt ben IDiberfptuch ber englifchen Politif, bie einft bie bänifdje $Iotte 
raubte, je# aber für bas bänifdje Recht eifert. Das etwas fotmlofe, aber oon 
30 tniger Begeiferung unb ftol 3 et 3ufunftsahnung getragene ©ebicht gipfelt 
in bet RIahnung: 

„Deutfdjlanb, ein Hadjbar, bet oon Dir oerlangt, 

3ugleid} auf Recht unb ©h re 3 ^ oetjidjten, 

Der 3 eigt, bafe ihm oor Deiner 3ulunft bangt, 

Unb bafj et batauf finnt, Dich 3 U oemichten. 

IDenn man bie fjaut Dir abjiefj’n will unb fpridjt: 

Halt ftill, ich will Dir Stiefel bataus machen! 

So fdjlag ben ©erber gleich ins Angeficht, 

Sonft wirb ber Schuftet Dich geroife oerladjen!" 

(Dollsausgabe oon Rtdjarö Rtaria tDerner. Bö. 7, 201.) 

Den gleiten Hinweis auf Deutfcfjlanbs $einbe enthält ein ©ebicht, bas Hebbel 
im 3abte 1861 bem König IDilhelm I. oon Preufeen wibmete, als biefet bem 
Attentat glMid} entgangen war. fjier finben fid? auch fjebbels oaterlänbifche 
Hoffnungen unb tDünfdje in beutli^er 3eid}ttung. Deutfchlanb bebarf eines 
Centers, ber bie 3 ahlreidjen lebensfähigen Keime, oon benen es je# fdjwillt, 
3 ur Ittadjt oereinhettlidjt, um bann im ©ntfcfjeibungsfampfe bet tüelt ben 
Stieben 3 U geben. Bis je# war bet Deutfdje oerad}tet, „ber Hart ber (Erbe, 
ein Abam, hoch in Ketten im Kreis ber Giere"; bie Ketten müffen gelöft werben, 
unb ein neues, fd}önetes Ceben wirb oon ber utwüchfigen beutfdjen Kraft 
heraufgeführt werben. 

„Dann wirb man beutfdjer Art fiel} neigen 4 j • • / i 
Unb ehren, was man fonft oerfdjmäht." 

HTag ber beutfd)e Kaifer aus Ha&sburgifchem ober pteufeifdjem ©efdjlecht 
ftammen — bet echte Kaifet ift ber, ber Deutfdjlanb 3 ut (Einheit 3 wingt unb 
3 uttt Sriebenshüter in ber Hielt macht (Doltsausg. Bb. 6 , 412). 3n bitteren 
Schmet 3 bricht Hebbel aus, weil bie (Einheit bet beutfdjen Stämme gar 3 U feljr 
auf [ich warten läfet: 

„IDärt 3fjt töaffertropfen, wenn auch oerfprengte, 3# würbet] 

IDohl 3 um Strom noch, hoch 3# fcheint mir oertrümelter Sanb." 

(Dottsausg. Bö. 7, 232.) 

Als im 3al}te 1852 bie Bemühungen um bie 3oIloereinigung (Erfolg 3 U oet* 
fpredjen ftheinen, jubelt er auf: „®ott geb’s! ©s wäre ein Anfang!" (Gage* 
büchet, Bb. 3, 5047). Das uneinige Deutfchlanb fann im Auslanbe nicht ge* 
achtet fein. Das Daterlanb mufe feinen Pionieren in ber $rembe Schuh ge* 
währen, bafüt tritt Hebbel in einem langen ©ebichte ein, bas jugleidj bie Aus* 

Seitfdjr.f.t. 6eut|d)tnUnterrt<f|t. 29-3af|rg. 9.Cjeft 36 



562 


tfebbels Anfidjten über Deutfrfjlanö unb feine (begner 


wanbetmtg nationalöfonomifch unb p^ilofop^tfd? begrünbet (Dollsausg. Bö. 6 , 
303). 3n einem (Epigramm flagt er, bafe febet Brite unb $ran 3 ofe überall in 
ber tDelt »om Ruhm feiner ©efchichte jetten fann, bie ihm Iärtgft ein geeintes 
Staatsroefen fchenfte, wähtenb bet Deutfdje Iebiglich auf feine perfönlidje 
©üchtigfeit angewiefen ift, wenn er ficfj frembe Rötung erwerben will. Gt 
mufe einen „Prioatfrieg" führen, benn „feine ©efchichte bat gar nichts für tyn 
getan" (Dolfsausg. Bb. 7, 231). 3a, ungeheure $elflet haben fi<h bie leitet 
ber beutfdjen ©efdjicfe 3 uf(hulben fommen taffen, fjebbel ftellt fie in feinen 
(Tagebüchern (Bb. 2 , 2946) 3 ufammen, unb biefe Abrechnung finbet barte 
U)orte: „Unfere ©efchichte ift feine Cebensgefdjichte, fonbem eine Kranffeits* 
gefehlte. So gtofe $riebtich Batbatoffa unb $riebrich 11. als Snbioibualitfiten 
maren, fie hatten hoch 3 U Deutfchlanb, bas fie 3 erriffen unb 3 erfplitterten, ftatt 
es 3 ufammen 3 uhatten unb ab 3 urunben, fein anberes Derhältnis ab bas bes 
Banbwurms 3 um IRagen. 3 a, toenn ihnen Kaifer gefolgt wären, bie alles 
uneber ausgeglichen, bie ben fchtecflichen Rife toieber gefchloffen hatten!" 

3u ber falfdjen Politif treten als weitere Hemmungen auf bem IBege 
3 ur (Einheit unb IUa<ht bie $ehlet bes beutfchen Rational «harafters. 3n einet 
Reihe oon (Epigrammen ruft fjebbel feinem Dolfe fcharf a^entuierte Mahnungen 
3 u. Da oerurteüt er 3 unächft bie Schwädjlichfeit, mit ber bas beutfche Doll 
fid? fremben ©inflüffen hingibt, als märe nur oon ihnen aus wahre fultureüe 
$ötberung 3 U erwarten. Demgegenüber erinnert fjebbel an Schillers unb 
hlanbs Rteifterfchöpfungen, not benen bie ftan 3 öfifchen „ 3 ongIeur"fünpc 
»erfinfen. 

„ 3 cne lerne »erfteljn unb biefe lerne »erachten!" 

(Dolfcsausg. B6.7, 231.) 

Um fo weniger bebarf ber beutfche ©eift bes fremben Schmucfes, als er bas 
herrhdjftc ©ewanb, feine Sprache, befifct. Sie ift reich unb biegfam, „»oll um 
c " l ^o» S»oiheit", fo preift fie fjebbel in einer Klopftocfs beften Schöpfungen 
ebenbürtigen §ymne (Dolfsausg. Bb. 6 , 346). ©efährlich ift für ben Deuten 
te unerfchüttcrli^e Ruhe feines ©emüts, bie, gepaart mit Dertrauensfeligleit, 
öer ©efahr nicht rafd? genug begegnet. Don ben $ragen ber tDirflichfett h^ 
m-r t 5et P cu *^ e 9 ern in ein ftilles Derfenfen hinein3iehen, in bie 
PP ofophte. 3urücfgeführt in bie Realitäten wirb er wieber »on bet alten 
«aufluft, bie ihn oft unerwartet 3 uf<hlagen Iäfet. Aber nur eine grelle Diffo' 
nan 3 , rttdjt eine Harmonie fommt fo 3 uftcmbe. fjier greift £?ebbel 3 U fo bitterem 
° i ap wir faft eine auslänbifche Stimme 3 U hören oermeinen: 


„niemals wehrt fich ber (Ejel, als beutfeheftes unter ben Beeftern 

Mort er memanbs ©enufe, felbft nicht bes tDolfs, bet ihn fnfet-" 
11mX . .. (»oBwauss. » 6 . 7 , 231 .) 

"V n lc mCtt ! ®°9 c buche (Bb. 1, 160) ruft er ironifch aus: „tDeil bie Deut 
™ *•' Öafe 5ic 100560 ® ctc Hub, fürchten fie burch bie 5 *^ 

3 ® ü5 en 2le «n 3 u werben!" Als (Ergän 3 ung gehört folgenbes DoppelbUbchen 


i 


i 



Don Ijans tDefterbUrg 


563 


hierher: „Das erfte Deutfeh, roas id? in Poris auf der Strafee hörte, mar, dafe 
ein Kommis 3 um andern jagte: EDenn Sie Philofoph mären roie i<h, fo ufm. 
Das 3 meite hörte idj oon 3 mei fi<h taufenden ©affenfungen, roahtfcheinlich 
aus dem ©Ifafe: Uun, du Sumpenhund, frafe’ mit nur nicht das Bas ent 3 roei! 
— Be 3 eidptend genug: raufen und philofophieten!" ((Tagebücher Bd. 2 , 2882). 

Aber die Bitterleit, die die foeben gehörten 3itate atmen, ift nur die Kehr* 
feite einet innigen Siebe 3 U deutfeher Art, die neben dem Dunflen und Schmäch* 
liehen fo oiel Sonniges und Startes in fief} fdjliefet. Oieje Siebe leuchtet uns 
aus der fd)lidjten Uoti 3 entgegen: „3n Deutfdjland, memt man auch nichts 
an den Seuten gehabt h<*t, ^at man, foroie fie fterben, doch immer etmas 
an ihnen oerloten!" ((Tagebücher Bd. 2 , 3021). Diefe Siebe mird 3 um Stol 3 , 
roenn er perfönlicf) gegen ausländifdjc Anmaßung auf 3 utreten hat. Das mag 
folgendes (Erlebnis bemeifen: „3mif(hen Paris und Strafeburg in der Bacht 
die beiden ftan 3 öfifehen Kadetten, der eine oon der Armee feljt artig, der 3 toeite 
oon der IBarine oorlaut und unoerfchämt. 3u meinen Begleitern, Deutfcf}= 
Böhmen, mie fie fdjienen: „Sie tommen oon der EDeltausftellung? 3d) dächte, 
Sie mären Sörfter und Pächter aus der Umgegend und hätten 3ljre Schroeine 
befehen." Unanftändiges Sdjmaudjen. Am Blorgen 3 U dem andern Kadetten: 
„nous sommes l’esperance de France“, dann 3 U mir, als ich den fjalbfdjlummer 
abjufdjütteln fuchte, fed und fpifeig: „UTein fjerr, fchläft man in 3hrem Batet* 
lande immer fo lange?" 3<h ermiderte: „Ulan erroacht immer 3 ut rechten 
3eit!" und machte dabei die Bemegung des ©hrfeigens gegen ihn. Dabei 
tnüpfte ich meine ©rdensbändet hetoor, er murde totenblafe und ftotterte, 
er habe mich nicht beleidigen mollen. 3<h ermiderte troden, ich fefee das oor* 
aus. Später ftieg ein älterer Offner ein, dem et, miedet auflebend und die 
Papiet 3 igarette miedet erfindend, den Ejartöel ausführlich mitteilte. Diefet 
hörte ihn ruhig an, fagte dann aber, er fönne fich glüdlich preifen, dafe et die 
©hrfeige nicht mirtlich befommen h<©e, denn fie fei roohl oerdient gemefen. 
Bas er 3 ählten mir meine Begleiter, die gehorcht hatten." ((Tagebücher Bd. 4, 
6034.) 

Schon längft ift, daoon meife fjebbel danfbat 3 U fprechen, die deutfehe 
Bid)tung aufgeroacht. Die 3dee, die in ihrer aufftrebenden (Entmidlung, bald 
mehr bald meniger oerhüllt, 3 um Ausdrud tommt, ift die ein 3 ig mähte: ein 
hmeinmachfen in die Uatur! EDit geben diefet beffeten $ormulierung des 
alten Rouffeaumortes recht: Benn die mähte Uatur, die Uatur in ihtet freien 
Selbftbeftimmung, liegt nicht am Anfang, fondetn als höhere Stufe, als Doll* 
lommenheit, am (Ende der (Entmidlung. Sie ift eins mit der mähten Kultur, 
fjebbel oergeroiffert fid? deffen mit Dorliebe, indem er die deutfehe Dichtung 
mit der fra^öfifchen oergleicht. Die letztere ift 3 Ut 3eit charatterifiert durch 
das „Sosteifeen oon der Uatur" ((Tagebücher Bd. 2 , 2321). Denn die aufge* 
lommene naturaliftifche Bemegung ermeift fich als unfähig, dem U)efen der 

36* 



564 tjebbels flnficfjten übet Deutfdjlartb unb feine (Begner 

Hatur na^e 3 u!ommen. „Oie jetzigen $tan 3 ofen —fcbreibt et 1840 — fommen 
mit oot wie TUenfdjen, bie einen Rod tragen, bet ihnen 3 U eng wirb unb ben 
jie bodj nicht los toetben fönnen. Run teilen unb 3 etren fie batan, unb roenti 
irgenbwo bas tjemb 3 um Rotwein fommt, fo jaulen fie unb freien: Ratut! 
Ratur!" ((Tagebücher Bb. 2 , 1959). Unb toenn auch manchem erleuchteten 
©eift eine Anatyfe bes Ratürlichen in äufeetem Sinne gelingt, jo ift öieje „flna ; 
tomie" felbft nicht ausreidjenb, bie Dichtung als Kunftwerf 3 U bejeichnen. 
Da 3 u ift bie Überroinbung biefer Anatomie nötig. ,,©s mufe aus il)t etwas 
abgeroonnen werben" (©agebüdfer Bb. 2 , 2833). Das ift aber nur möglich 
wenn „Phantafie unb Kunftoerftanb eine ©he eingehen". Da 3 U [inb bie 
Sran 3 ofen unfähig unb waren es immer. Das „3beal" ihrer flaffifhen üragöbie 
ift eine genau fo fyofyte Abftraftion wie ber „Raturalismus" ber fogenannten 
Romantifer. „Die fd)öne ZTCittelftufe, auf bet bie ©rfcheinung fid? in intern 
oollen Rechte behauptet, ohne bas ©efetj, aus bem fie heroorging, barunt 3 u 
Derbunfein, ift ihnen unbefannt" (©agebüchet Bb. 4,6135). tDo liegt bie Urfad?e 
Don allebem? 3m großen ganjen ift jebe Dichtung bas (Ergebnis bes Dolfs* 
djarafters. Der Dotrang ber beutfe^en Dichtung 3 eugt audj Don bet größeren 
Reinheit unb Stifte ihrer Quelle. Rur aus bet Harmonie Don JDitflidjfeite* 
finn unb innerem ©rieben (Kunftoerftanb unb Phantafie finb ffebbels termini) 
entfpringt bas wahre Kunftwerf. ©tob ausgebrüdt befitjt bet Deutfdje beibe 
Seiten. Der $tan 3 ofe aber ift einfeitig. ©r be 3 iel}t alles auf ben äußeren 
Schein. Recht be 3 eid}nenbe Belege bat fjebbel bafür gefammelt: 
r er ^ie Keue fjeloife Rouffeaus gelefen ^at, notiert er fid? folgende 
Stelle aus einem „Briefe 3ulies an3bn": „So mufe es benn enblicb geftanben 
roerben, bas unfelige ©ebeimnis — nur mit bem £eben, fchwur ich, f<M’ K 
mein ^er 3 oerlaffen. ©s entfdflüpft mir, unb babin ift bie ©bre!" 
fug in Klammer unterftrid)en bin 3 u: Sran 3 Öfin! (©agebücfjer Bb. 1, 595). 

anbetmal fummiert er: „3cb glaube, feine RTäbdfen ber XDelt finb lei#« 
3 U betrügen als bie fran 3 öfifdjen. An bem Anbeter 3 weifeln, b* c fe c fln ber ^ 
rnadjt ihrer Rei 3 e 3 weifeln, unb ba bies letztere unmöglich ift» f° iß * s na ^ r 
iQ aueb bas erftere" (©agebüchet Bb. 2, 3214). Scharf beleuchtet Öen ©egen; 
m öeutfdjer unb fran3öfifd?er Art bas folgenbc ©rlebnis: „©in „roi Candaules“ 
mttb mit oon einer btefigen (tDien) Kunftbanblung 3 ugefcbidt, wahrfcheÄ 
»cü teb Derfaffer bes ©yges bin. ©in fcheufelicher fran 3 Öfifcbet Kupferftid), 
T 11 in ? atis er f^ icnen ; menn mein Stüd ibn betootgetufen h“ bc " 
0 e ' '° ^ oerfdjulbet. Kanbaules liegt gan 3 gemütlich t m 

unb freut fid? feines Befifces; oon Rbobope, bie fid? eben bas le#e ©etoanö 
uoer ben Kopf 3 iebt, finb nur bie pöfteriora fiebtbar, unb ©yges laufet wie bet 
iv w? « ÖCm beIanntcn Suftfpiel bes ©eten 3 " (©agebüchet Bb. 4, 6149). 

te|elbe Detobung bes inneren Cebens 3 eigt fich in anbem £ebensbe 3 iehunge« : 
" eu toat es mit » bie Boutbonfdie Partei ficb 1814 nach bem Stut3 öcs 



Don fjans tDefterburg 


565 


Kaifertums grofee Klühe gab, unter Öen $ran 3 ofen öie £üge 3 U oerbreiten, 
öafe öer Kaifet nicht Kapoleon, fonöern Kifolaus Reifee, unö öodj toar öas in 
Sranfreidj .... oielletdjt nidjt [0 gan 3 übel auf Öen Kationaldjarafter be* 
rechnet" (Cagebüdjet Bö. 4, 6028). „Deutle jour fixe bei Cee unö Ku^en! 
Sie werben nie in Aufnahme lommen, öemt fie wiöerfprechen öer Art, toie 
|id? öas ©efelKgfeitsbebürfnis in öer Kation äufeert. Der $ran 30 s ift glücHich, 
toenn er feinen H>i$ auf öer 3 ungenfpi^e tanjen taffen fann; öas geht allen* 
falls auch bei einem ©lafe IDaffer. Der Deutfdje will fein fjer 3 erfdjliefjen, 
Ö 03 U gehört XDein" (Cagebücher Bö. 4, 6042). „Der Deutle toitö non öen 
$ran 3 ofen noch immer gern für geiftlos erllärt. Abgefeljen oon öer national* 
eitelfeit, hat öer Umftanö nidjt wenig Anteil öatan, öaf) öer Deutfdje, Öen 
Sranjofen 3 U gefallen, gewöhnlich fran 3 Öfifdj fpridjt unö öarum in öer Kegel 
nur öas fagt, toas fidj oon felbft oerfteht! tDenn man umgefeljrt Öen $ran 3 ofen 
nad) öem esprit beurteilen roollte, Öen er in öer öeutfdjen Spraye oon fidj 
gibt!" (Cagebüdjet Bö. 4, 5619). 

Diefer (Hjarafte^ug, öas Aufcere ftatt öes inneren 3 U nehmen, Ijinöert 
öie fran 3 öfif(^en ©eifter öaran, tDelterfdjeinungen 3 U toeröen. Die ©runö* 
läge, auf öer allein eine föröetnöe XDirfung auf öie Allgemeinheit fidj ent* 
falten fann, fehlt. Das innere unö öas Aufjere finö ja letzten ©nöes nichts 
anöeres als öie 3 toei Seiten öes tDirflidjen überhaupt, öas Subjeftioe unö öas 
©bjeftioe, öeren hatmomfdjem Sneinanöer alle menfdjliche ©ntroidlung 3 U* 
ftrebt. H)et oon oomherein öie Beöeutung öes einen Komponenten ungebühr* 
lidj überfpannt, geht alfo 3 urüd ftatt oortoärts. Jjier finöet alfo alle nationale 
Snöioiöualität ihre öeutlidj ge 3 ogene ©ren 3 e. „3n Shafefpeare unö ©oethe 
ift aufeerorbentlich wenig fpe 3 iell englifdj oöet öeutfdj unö aufeeroröentlidj 
oiel allgemeimmenfdjlidj. 3n öen fran 3 Öfifd}en Diätem Corneille unö Kacine 
ift öie gewöhnliche KTifchung oollftänöig umgefehrt" (Cagebücher Bö. 4, 5403). 

Der fjintoeis auf Shafefpeare ift in öiefem 3 ufammenhange leicht mifc* 
3 uoerftehen. Die fjera^iehung öes Dolfscharafters 3 m Crflärung öichterifdjer 
Cigenart fönnte 3 U öer Annahme oeranlaffen, fjebbel toolle öem englifdjen 
Dolle in Übereinstimmung mit öem Deutfdjen eine oorurteilslofe Sehnfucht 
3 u öen fjöljen öes Allgemeinmenfchlidjen 3 uerfennen. Aber anöere Cagebudj* 
Matter behüten uns oor öiefem Derfeljen. Shafefpeare ift im englifdjen Dolfe 
eine ifolierte Ctfcheinung. „Klan follte fo toenig oon öem ©nglänöer Sljafe* 
fpeare fpredjen, als man oon öem 3uöen Chriftus fpridjt" (Cagebücher Bö. 3, 
3361). Auch Me anöem großen englifdjen Dieter liefern fein toefentliches 
Klerfmal 3 m ©harafterifierung öer englifdjen Dolfsart, eben weil fie — Dichter 
finö. „Die ein 3 elnen Snöioiöuen öer englifchen Kation haben gar feine poetifdje 
Aöet (Cagebücher Bö. 4, 6008), öenn öas Clement, in öem öie Kation lebt 
unö webt (wir würöen es heute burdj öen Sah „business as usual“ oeröeut* 
liehen) fann nie ein Clement öer Poefie weröen" (Cagebücher Bö. 1, 1405). 



566 Ejebbels Hnfidjten über Deutfdjlanb unb feine (begner 

f^cbbcl ift auf beit (Einroanb, bann märe bas Dorhanbenfein biefet englifdjen 
Dieter ein Kätfel, gefaxt unb erroibert: „Oie ©röfce bet englifdjen Dichter 
betufyt barauf, bafe fi<h hier bas allen Oölfern eigentümliche unb rtoimenbige 
Oetmögen gan 3 in ben Ausnahmen ergiefet" (Tagebücher Bb. 4 , 6008). 

Oas englifdje Dolf ift eben nach f?ebbels Anficht oom allgemeimmenffy 
Ii^en Stanbpunft aus nicht gerabe hoch 3 « [teilen. Oie flnjaljl feinet em= 
fthlägigen Tagebudjnot^en, bie ja ben ©inbtücfen einet Reife nach ©nglanb 
ftanbhielten, ift nicht getabe gtofe, aber ihr Inhalt ift bejeichnenb genug. Oot 
allem bas, was ihm als Oeutfdjen Cebenselement mar, bas warme, gemütoolle 
©tfaffen oon IRitmenfchen unb Umwelt, oermi&t et bei ben (Englänbern. 
Als er bie „ Cebensnadjrichten übet ©. Zliebuht" gelefen hat (1856), entnimmt 
et ihnen füt fein Tagebuch folgenbe oom Detfaffer gemachte (Erfahrungen: 
„1. Bb. S. 212 . Unter jungen Ceuten gibt es freilich eine gewaltige Menge 
oon gteunben, aber es gilt blofc Ausfchtoeifungen unb (Erholung. 3 ungen (Eng 1 
Iänbern fomrnt es feht fonberbar oor, an abtoefenbe gremtbe mH XDärme 
3 U bertfen. ©benfowettig begreifen fie, bafe bie Unterhaltung mit $rauen ; 
3 immern eine (Erholung fein farm. S. 245. (Es ift ein nationaler 3ug in <Eng ; 
Ianb, nie beim Perfönlichen 3 U oertoeilen. (Es ift mir 3 . B. gan 3 befonbers auf 
gefallen, bafc, wenn man jemanb antrifft, in beffen gamilie einer franf gc ! 
worben ift, biefer es fchroerlich ermähnen ober mit Anteil baoon fpredjen ©itö" 
(Tagebücher Bb. 4, 5447). ITCan formte barin ja eine 3 arte Rüdfichtnahnw 
auf ben gernerftehenben fehen, aber bie nachfolgenbe Bemerfung belehrt 
uns eines anbem: „Scotts haben nie nach meiner Mutter ober Schweflet ge 5 
fragt (Tagebücher a. a. (D.). U)ir oerfteljen! Oie rein praftifchen (befiehl 
punfte bes ©nglänbers geben ihm feine 3 eit füt „nuhlofe" ©ebanfen unb 
lähmenbe ©efüljle. Oer Krämergeift ertötet bie Regungen bes Mitgefühls 
uno fe^t an ihre Stelle ben fchtanfertlofen ©goismus. Befannt genug ift bie 
auf bie (Englänber gemün 3 te Stelle im ©yges: 

»3hr lafct bie anbem alle fpinnen unb ihr webt. 

Oas gibt ein Reh, worin fein einj’ger gaben 

(Euch felbft gehört unb bas bodj euer ift." 

Otefer Selbftfud?t entfpringen bie größten fittlichen Delifte: „Oie (Englänber 
brajen bte Rechte ber bänifchen Ueutralität unb raubten Oänematf feine 
5 0 e, weil fic glaubten, Uapoleon möchte feine Rechte nicht ehren unb bie 
blotte rauben. Sie begingen alfo ein Derbrechen, öamit es ein anberer iridjt 
begehen tonnte" (Tagebücher Bb. 1,1157). „Abenbs lefe ich i« öer Allgemeinen 
Wertung (1848), öafe auf einem englifchen Oampffchiff 150 Auswanberer 
"T” 1 ? T S Stutmes ' ««gepfercht in eine fleine Kajüte, wie fie es waren, 
t au Betf anbe, fi<h bei bem Toben ber (Elemente ben ITTatrofen oetnehnt' 
mac ^en, bis auf einige wenige erftieft finb" (Tagebücher Bb. 3, 4479). 
(fcrfo ge auf praftifchem ©ebiet fteigem bann bas Selbftgefüljl bes <fng' 



Don fjans IDefterburg 


567 


länbers ins Ungemeffene, bemgegenüber bas geiftige £eben bcs beutfchen 
Dolfes als fdjroädjltcfyes Pflän 3 chen erfdjeint. ©elingt bann aber bem Deutzen 
bie Dereinheülichung non Hliffenfchaft unb £eben, um in fruchtbringenber 
Umgeftaltung oon «Icc^nif unb tDirtfäaft fid? 3 U bemühten, bann hüllt fid? 
bas erfc^ätterte Selbftgefühl ohne $urcht not logifchen Sprüngen unb innerer 
Unroahrheit in ben TRantel ei^igartiger Selbftlofigfeit, bie bie Hielt oor 
Sriebensftörern 3 U behüten I?at. So Reifet es in einer ebenfalls Hiebuhr 
entnommenen Xloti 3 : „Sn ©nglanb t?ielt man bie beutfchen ©elenden ehe* 
mals für fehr eingefchränfte Köpfe; je%t ift man geneigt, fie für gefcfyidte 
Männer 3 U etflären, aber ebenfo Diele Detfchmötet gegen ben Stieben bet 
Hielt in ihnen 3 U feljen; eine HTeinung, bie auf eine noch mehr unbegreifliche 
Art oon jungen Ruchlofen aufgenommen unb oon ihnen ebenfo begierig als 
oon anbern mit flbfdjeu geglaubt toitb" (©agebücher Bb. 4 , 5447). 

Diefe Anfdjauungen machen es begreiflich, bafe fjebbel mit Dorliebe Heine 
3üge fammelt, bie bie englifche Art lächerlich erfcheinen laffen. mir tonnen 
ihren Hlahtheitsgehalt nicht nachprüfen, auch mürben fie, als bem ©Uelleben 
entnommen, eine Detailgemeinerung nicht rechtfertigen, ©s genügt, bafj fie 
hebbels Urteil in ben Rahmen einer beftimmten Stimmung bringen unb ba= 
burch feine Schärfe mehr heroortreten laffen. 

Ridht mirtfchaftli<hc ©efchicflichteit unb triegerifche HTacht allein finb bas 
Dauetnbe unb 3 ut Ijerrfchaft ©üchtige. Dem geiftesträftigften Doif gehört 
ber Sieg unb bas Redjt, bie Hielt 3 U beherrfchen, fein ift ber Schimmer ber Un= 
oergänglichleit. Das ift Hebbels ©laubensfatj. Deshalb ruft er im 3aljte 1862 
©nglanb 3 U: „©aten? IDas finb benn ©aten? Kunftroerfe unb roiffenfchaft* 
li<he ©ntbedungen! Der Kreislauf bes Blutes, bie ©heorie bes £ichts, bet 
König £eat tönnen ben ©nglänbetn butch h un b cr * Schlachten nicht oerloren 
gehen, mohl aber bie $lotte, Snbien unb Auftralien, ja ©lb*©nglanb felbft. 
£orb Palmerfton mürbe länger bauern, menn er ein Komma in Shatefpeare 
märe, als jetjt, nun et ein fjauptootal im Staatsrat ift" (©agebücher Bb. 4,6272). 

Sn folgen 3ufammenhängen mufete tjebbel Rufjlanb bie Krone ber Unter* 
mertigfeit 3 uerfennen. ©s erfcheint ihm in jebem Sinne tulturlos. mie je^t 
toir, fo nahm bamals fjebbel halb mit ©rauen, halb mit A<hfel 3 U<fen Kenntnis 
oon ber ruffifchen Art. ©in Bemeis, bafe alle für uns heutige unoerfennbaren 
Sortfchritte in Rufelanb bie alte Kemfäule nod) nicht getilgt höben. 1843 oer* 
gleicht et bie Detbannung ber Polen bur<h Rufelanb mit bet Jjanblungsroeife 
eines HTörbers, ber bie 3 erfeijten ©lieber feines ©pfets felbft in alle melt 
hcrumfchidt (©agebücher Bb. 2 , 2962). Den polnifchen Aufftanb unb feine 
Sdpdfale begleitet er mit Urteilen, bie auch heute in leichter Umfehreibung 
9 *lten. „Seit acht ©agen ift bas ruffifche polen in Aufftanb; bas Beifpiel 
Staliens mirb anftedenb. Sch glaube nicht an ein Refultat, aber fooiel bemeift 
bie Bemegung hoch, bafj bas alte mort oon ben tönernen $üfeen bes ehernen 



568 


Cjebbels Rnfid)tcn über Deutfdjlanb unb feine ©egnet 


Koloffes einigen dmmb hatte. 3mmer neue 3u<fwtgen! Unerhörte Dinge 
werben gemelbet. 3n XDilna liefe ber ©ouoerneur nach Öen 3 eitungen bie 
ärgften Detbtecfyer frei, Raubet unb IRörber, bamit fie fich, wie eine geöffnete 
Rlenagerie, burch bas £anb »erbreiten unb burch ihre ©reuel bie allgemeine 
Unfidjerheit nod? fteigem möchten. Unb bas Petetsburget ^offoumal etfläri 
offfeieD, bafe bie Iefete Reftutietung in Polen alletbings abnotm unb ungejetp 
lief? gewefen fei, bafe bie Regierung fid} aber ge 3 wungen gefehen ^abe, ein fo 
aufeerotbentlidjes TUittel 3 U ergreifen, um ber Reoolution gucorjufommen, 
benn ber Häupter habe fie fich nicht bemächtigen Jönnen, ba fie im fluslanb 
lebten, fie habe fich alfo ihrer U)etf 3 euge, nämlich bet waffenfähigen Uta* 
fdjaft, oerfichern müffen. (Es gibt ein Staatsnotrecht... Ob man abet infolge 
besfelben auf bet einen Seite Rtenfchen !onfis 3 ieren batf, wie pufoer unb 
Blei, unfdjulbige ITCenfchen, bie noch nichts »erbrochen haben, als bafe fie ba 
finb unb allenfalls gemifebraucht werben formen, unb ob man auf ber anbetn 
Seite bie Befugnis hat, UTorbbtemtetbanben aus 3 ufenben, bas bürfte bod; nod( 
bie Stage fein. 3 ebenfalls 3 eigen folche Rlafenahmen, bafe bie £age eine »er= 
3 weifelte fein mufe. IDären bie Polen nur oon anberm Schrot unb Karn" (Haje* 
büchet Bb. 4, 6074). 

„Der polnifdje flufftanb fdjeint fich in einen allgemeiwruffifchen 3 U 5CI: 
wanbeln, bemt auch £ittauen fängt $euer, unb bann lamt et gefährlich ® ct ^ n ’ 
ja für (Europa eine neue (Epoche einleiten. Das $a!tum überrafdjt mich mehl¬ 
te fagte f<hon »or brei 3ahten, als bie gan 3 e IDelt ben Kaifer fllejanbet wogm 
ber Bauerneman 3 ipation pries: „Itlir beweift bas nicht, bafe bas h aus ^ orna ' 
now feine Prm 3 ipien aufgibt, fonbern nur, bafe bie 3 uftänbe unhaltbar i (1 
worben finb!" unb fo wirb es auch wohl fein“ ((Tagebücher Bb. 4, 6092). 
„Der polnifche flufftanb ift niebergeworfen. Refultat: Die »omehmen Damen 
werben. ihren Bebarf an Hermelin billiger haben, benn bie 3ahl b ?I 
fänget in Sibirien wirb fich »ermehren!... fjübfch, was oon ben Hüffen ge* 
melbet wirb. Derfprengte 3nfurgenten überfchreiten bie öfterteic^ifd?e tötende 1 
ein Kofa!en s Pul! hinterher. Die faif erlichen (Truppen proteftieten geg en 1C 
©ebietsoerlefeung; umfonft, bie Kofafen feuern unb erfchiefeen einen In¬ 
soweit ift alles begreiflich; ein wütenber Solbat mag blinb für ®ten 3 pf a h e 
unb taub für Berufungen aufs Döllerrecht fein. Aber nun fommt bas SW& 
«uffifche. Die Banbe macht halt, läfet bie polen taufen unb plünbert bie ©F* 
«tcher; fie raubt bem tommanbierenben £eutnant Uhr unb Bärfe unb 3 * 
fogar bem (Toten bie Stiefel aus, auch ift bet Offner, ber fie führt, ^ 
aufeerftanbe, ihr (Einhalt 3 U tun! prächtig! Roch ift Oeutjchlanb nicht oct ' 
loten!" ((Tagebücher Bb. 4, 6115). Wtc haben bie »orübergehenbe flufh*""* 
oes Bramrtwemausfchanfs in Rufelanb unb ihre $olgeerfcheinungen 
^ebbel weife auf ©runb bes Buches oon Dolgorudi, La v 6 rit 6 sur la RJ»' ’ 
unb einer RTitteilung bes Wiener Profeffors £ittrow charatteriftifche H or f tu{e 


J 



Don £}ans IDefterburg 


569 


bet (Entroicflung 3 U geigen: „Oer Brarmtroeinpadjt bringt ber ruffifhen Regie* 
rung 3 toei Drittel bes Bubgets ein. HIs bie Bauern Rtäfeigfeitsoereine grün* 
beten, mürben fie burcf) bie poli 3 ei mit Siodprügeln unter Beihilfe oon Sol* 
baten in bie Sdjenfen getrieben" ((Tagebücher Bb. 4, 6345). „ 3 n Rufelanb 
barf tein (Eingeborener (Saufens falber) Bäder ober flpotheter fein, bas finb 
immer Deutfche" ((Tagebücher Bb. 3, 5199). 3m Kerne berührt roitb unfete 
fjaltung bem heutigen ruffifdjen flnfturm gegenüber burdj ein ©ebidjt tjebbels, 
in bem bie gan 3 e überlegene Unoe^agtljeit bes germanifdjen ©elftes 3 um 
ßusötud fommt: 

„Derfchiebener Kafus. 

Deutfdje 3 ogen nah Rom, roarum nicht Rufjen nach Deutfdjlanb? 

3ene mären ein Dolf, tapfer unb martig unb frifdj, 

Unb als foldjes oom tjimmel 3 um (Erben ber Römer berufen, 

3a, fie blieben’s bis beut’, biefe finb nur noch ©efdjmeife, 

Unb bas fhlehtere Dolt matb nie noch ber genfer eblem, 
tDäbrenb bet lauterfte ITCenfh oft butch ben niebrigften fallt. 
tDenn ber Ruffe ben daffo oerbeffert, ber Oeutfcbe bie Knute, 

UHU ich 3 ittern für uns, aber idj matte es ab!" 

(Üolfesausg. Bö. 6, 361.) 

U)ie eingebenb fjebbel ficb mit biefem ©ebanfen befebäftigt bot, 3 eigen 3 mei 
dagebucbftellen (Bb. 2 , 2977 unb Bb. 3, 4855), bie beibe bie tjauptgebanfen 
bes ©ebiebts in ähnlicher gorm miebergeben. 

Schon oft ift es betont: (Erft butdj bas Stubium feiner (Tagebücher mirö 
fjebbel aus bem IDeltfragen umfpannenben olympifdjen Dichter (bas gilt 
trot} feines Realismus, ber ja eben ein ibealer Realismus ift!) 3 U einem oet* 
trauten Ittitfämpfer, ber uns froh unb fichcr macht. Balb in fhatfer Bemeifte* 
rung bet (Erdbeobachtung, balb in intuitioem (Ertennen, immer roeife er uns 
in ruhiger Beftimmtbeit 3 U feinem Stanbpuntt hinüber 3 U 3 iehen. Unb bleibt 
ein Reft oon Unbeftimmtbeit, ba hilft bas fonnige Seudjten feines beutfehen 
©emüts. (Erfdjeint uns feine flnfehauung oon ber dtagi! bes IDeltlaufes, 
bie ben eht 3 elnen ber Allgemeinheit opfert, oft geeignet, bas fittliche Ruf* 
ftreben 3 U troftlofem Stillfteben 3 U brängen, aus feinen (Tagebüchern fpridjt 
trotj aller emften Beforgnis bas hoffnungsfrifche „Dennoch!" 

Unb nun noch drte grage! Bebütfen mir mitllich eines folchen ZTCitfämp* 
fers, jetjt, nadjbem bas, mas für tjebbel noch in ber gerne bes IDünfchens 
lag, bie innere unb äufeere beutfehe (Einheit, für uns (Erlebnis gemorben ift? 
3et|t, nachbem bie Kriegsroogen alle bie fchmächlidjen gabt 3 euge bes (Eigen* 
miUens hittabgetiffen unb nur bie ftarfen Skiffe bet Eingebung unoerfebrt 
gelaffen bat? Bebütfen mir eines folchen Ulitlämpfers noch aus einem anbern 
©tunbe als bem ber oben berührten pfychologifchen Rotmenbigfeit, bie aus 
bem Derftänbnis ber beutfehen UMtmiffion erroächft? 3ch meine, nach bem 
©ebörten ift uns bie flntmort leicht, bafe mir auch im eigenften 3ntereffe uitferes. 



570 


Die tDad)t am Rfjcin unb tf}r Dieter 

Dolfcs einet Perfönlichfeit tote Hebbel nahe bleiben müffen. All bas üble, 
*°^ c ' ^ QS oon bet tDudjt bet allgemeinen Anfcfjauung, fejt unb 

"3 u ^ e ^ e ^ [geirrt, trnrö im $rieöen fid} umjufetjen Ijabert in öauemfce 
afttmtäi. Oa 3 u gehört inbioiöuelles Ringen ernfteftcr Art, fcharfer DMi# 
ettsfmn, öer öie Schroierigfeiten nid# überfielt, öie getabe barm entfielen, 
toenn bie Eingabe, 3 U bet bie Hatur 00 t ber Stage ob Sein ober Hierin 
m e bfioerftänblic^feit fidj btängte, mitten in ben fünften Rei 3 en einet tmeber 
geftbenften Kultur 3 U einet fonfequent altruiftifchen Cebens^altung fid? fteigem 
J° \ , r a ^ c ^flben einen im Detborgenen toitfenben Seinb, bet fo lei# 
ftarfer roirb als ber oon bet fittlicfjen Demunft geleitete Wille unb als bie Se#-- 
lutbt bes ©emüts — bie Gewohnheit. 


Dte u)ad)t am Kljein unö ifjr Dieter. 

Don (Gottfried jittbogen in Berlin=lteufölln. 

irf> bct am ^b«in" ift bas Cos gefallen, bas ein anbetet beut* 

m’ fc” x Ct f 7 ^°ff mann °on Sailetsleben — fief} als beneiöensroert tounf#e: 
tnÜrT-x “ oergeffen ift, lebt fein £ieö in aller fjerjen, eine lebenbige Kraft 
.. . ct 1 f c * nes Schöpfers hinaus. Als es bei Ausbruch bes Krieges 1870 
v* me ™ Sdjlage 3 um beutfdjen Rationallieb toutbe, fannte man nid# einmal ben 
in Is™ c f‘Derfaffets, unb etft burch eine (Erflärung, bie ein $reunb bet S am ® e 
tu fl” 6 » Cl ^H? Det °ff en iii ( i?i cl )i toutbe benDeutfchen befannt, toem fie für biesfleb 
Lr?* "• w Cn ' Öem ein ^ 9 cn erften Kommis bet $itma Schnell in Butgborfin 
hJ a a 7 aj Sd? nedenb ut 9 et, Öen aber bereits feit 21 Jahren bet Grabhügel 
* ‘ . . \L u * e b * c Situation ähnlich: toohl bie meiften, bie bas £ieb fingen, 

Dirfifoi-o ^77 n ^ tf unö bie *& n fennen — toas toiffen fie öamit oiel non bem 
bofe mnn ^ c ^ ct ' auc *J * n 3u!unft wirb es im gtmjen fo bleiben, ohne 

«1 iB wÄ!’ Don Un öanfbarfeit gegen Öen Dichter 3 U fptechen. Denn bies 
3 u fchaffen e ^ cn * an *hm, unb et ift nur in bie IDelt getommen, um bies £ieb 

barf mnn * m 7 ^ et f n öerer, benen jebes £ieb 3 ugleich $orfchungsobjeft ift, 

in ber ^ nbenIen an öie Petfon bes Dichters erneuern. Die je^ige 3$ 

getabe 3 u ba 3 u ^au? Rf?Cin " 3Um 3n>citcn m<lIc ^ te Kta f* bea,äf ? rt ' f oröert unS 

ScbnedemiiJn^r 1 ^'^ ^ bas Sntereffe auf bie Doppelfrage: tnie toutbe Itl«l 
Diebes? ^ Ct Ct ^ l ^ ct ^ et »®*d# am Rhein" unb welches ift bie (Befehle feines 

feelen ^ au ^ mann - aber er toat nicht etwa eine non ben Dicht« 1 "' 

fühlen- JA™ Pe9afus im 3o<he, ftöchft unglücflich in biefem nüchternen Beruf 
SK^Sh“ *2 ü* £eib unb ^eie Kaufmann _ ein Kaufmann feöoch, * 
-9-Deben erfaßt als ein Städten bes ©efamtlebens bet Ration, unb ein 

1 \ T\ Y* 

14. fluguft ^ co ^°9 e Profeffor ^unöesljagen in bet Kölniftfyen 3^ n 9 pom 



Don (Eottfrieö 5ittbogen gyj 

Kaufmann, bem 3 ugleid? bie ®abe Derliehen ift, in poetifcher $otm aus 3 ufprechen, 
roas fein §«3 beroegt. Beibes oereint — öic poIitif<h=nationale £ebenbigfeit unb bie 
bidjterifche Begabung — machte iljn 3 U bem, roas et mürbe. 

Der Staats 3 ugeljörigfeit nach mar et IDürttemberger, geboten am 17. gebruar 
1819 in bem Dorfe fl^atyeim, too fein Dater als begüterter hofbefifeer 3 ugleid? ein 
hanbelsgefdjäft betrieb. Das geiftige Element bes Kreifes, in bem er aufroudjs, 
Peilten — als ©egengeroicht gegen ben Dater — bie mutter unb beren Dater bar, 
meldjer Bilbung, poetifdje Begabung unb eine Büdjerfammlung befafe. Der mutter 
unb bem ©rofeoater banlen bie Söhne bas geiftige 3ntereffe, banfen es insbefonbere 
bet ältefte unb ber britte Sohn, bafe fie ftubieren burften; ber eine toutbe paftor 
unb bann infolge feiner roiffenfdjaftlichen Bebeutung Profeffor bet (Theologie an ber 
Ilnioerfität Bern, ber anbere mürbe flr 3 t. Die beiben anberen Söhne — barunter 
als oierter IRay — traten in ben laufmännifdjen Beruf ein. IRay braute ba 3 u — 
aufoer einem lebenbigen ©eift unb feinem poetifdjen (Talent — eine folibe Sd?ulbil= 
bung mit. (Er batte nämlich, menn auch nur bis 3 U feiner Konfirmation (1833), ben 
Segen bet roürttembergifdjen £ateinfdjulen genoffen, erft in (Tuttlingen, bann unter 
ber ©bljut bes ölteften Brubers in fjerrenberg. 

Dap biefet Bruber halb (1834) als Unioerfitätsprofeffor nach Bern berufen 
mürbe, batte für IRay mistige golgen. (Es lag nabe, bafe er felbp, als er bas oäter* 
lid)e ©efcfjäft oerliefe, um fidj anbermarts in feinem Beruf roeiter aus 3 ubilben, bem 
Bruber folgte. Dort in Bern mar er erft als £ehtling, halb als ©eljilfe in einem 
Drogengefdjäft tätig. Dann trat er als erfter Kommis in ben Dienft ber girma Schnell 
in ber benachbarten Stabt Burgborf unb machte in biefer Stellung eine ©efdjäfts= 
teife nach Stanfreicf} unb (Englanb (IR. 1838 bis ®. 1839), bie feinen fjoti 3 ont bebeu= 
tenb erroeiterte. 3m Jahre 1841 mürbe er ©efchäftsteilljaber ber girma, bie fich 
nun „Schnell unb Schnedenburger" nannte. (Ein Jahr barauf »erheiratete er fich, 
fd}on 1849 fanf er ins ©rab, ein Dreifeigjähriger, oon ben IRitbürgem betrauert als 
tin geachteter Kaufmann. 

IDas ihn aber über ben biofeen ©efchäftsmann erhob, roaren Poefie unb Politil. 

Sein poetifdjes (Talent hatte er früh entbedt. Die ©ebichte bes ©rofeoaters, 
bie ihm nach beffen (Tob in bie fjanb fielen (hanbfchriftlid}), regten ihn fchon mähtenb 
bet Schul 3 eit 3 U bidjterifchen Derfuchen an; mehrere ©ebichte oon ihm follen bamats 
bereits im (Tuttlinger Amtsblatt gebrudt fein. ®s mirb lein gehler fein, menn fie 
bort ruhig meiterfchlummern. Als £ehrling gab er gar fchon eine eigene Sammlung 
heraus, etma breifeig ©ebichte enthaltend 1837 bei (T. gifcher u. (Tomp. in Bern, 
unter bem Pfeubonym IRay fjeimthal. 1 ) IDenn er auch fpftter biefe Jugenbfünbe 
bereut unb fünftig feine ©ebichte nicht mehr oeröffentlicht hat, fo hat er hoch nicht 
aufgehört, roas ihm bas fjet 3 beroegte, in bichterifdje gorm 3 U giefeen. Als ftille IRufif 
begleiteten feine Dichtungen fein £eben. ©ero! hat bas Befte baoon fpäter an bie 
©ffentfichfeit geholt*), aber auch fo oerleugnen fie nicht ihren <Th atc, ft ct als Prioat= 
mufij IRan f ieht baraus: Schnedenburger mar fein Dichter, er mar ein begabter Dilet* 

1) IRir nicht 3ugänglich. 

2 ) I Deutfche Cieber oon IRay Schnedenburger, bem Sänger bet „IDaht am Rhein". 
i« U 7 S n aus f einem Ko $ Ia &- Stuttgart. Derlag ber J. B. IRefelerfchen Buchhanblung. 



572 


Die tDadjt am Rljein unb ifjr Dieter ! 

t 

iant, ein poetifdjes ©alent, bem einmal in glüdlidjer Stunbe bet IDutf gelingen ' 
fonnte. 

$üt iljn petförtlicfj mar es ein ©Iüd, bafe bie „IDadjt am Rijein" wie bie ®etoi= 
f^e Ausgabe {einet ©ebidjte erft nach feinem Hobe befannt würben. H)ie mufele 
fidj bet atme Hifolaus Beder oerfpotten laffen, bafe et, nadjbem ein glüdlidjer lÜo> I 
ment ihn über fidj felbft fjinausgefjoben hatte, nichts mehr leiftete, was {einem eittl|U ! j 
{iaftifd} aufgenommenen Rljeinlieb „Sie follen iljn nicht haben, ben freien beutle« 5 
H^ein" ebenbürtig gemefen märe! Der eine mie bet anbere ift leöiglidj eine Stimme 
aus bem Dolf, bie iijte Aufgabe erfüllt hat, menn fie bas eine IDort, bas fie ju jagen 
hat, gefprodjen I?at. 

Hut eins {einet ©ebidjte ift nodj 3u Sdjnedenburgers £ebjeiten gebtudt wotben, 
eben bie „IDadjt am Rijein". Da et ficfj aber nidjt mit bem Bollen Hamen, fonbetn 
nur mit ben Anfangsbudjftaben untet 3 eidjnete, fonnte im 3al?te 1870 niemanb 
miffen, mie bet Didjter beifeen motzte. 

Die „IDadjt am Rijein" ift nidjt bas Probuft einet biofeen allgemeinen Begeijte- 
tung für Deutfcblanb, es fteljt oielnteljr eine gan 3 beftimmte politifdje Übeqeugung 
baljinter: bet ©laube bes Sübbeutjcfjen an ben beutfdjen Beruf Pteufeens — fm 
bie bamalige 3eit burdjaus nidjts SelbftDerftänblidjes. 

Rlit Scfjnedenburgets politifdjem IDetbegang Ijat es folgenbe Bewanbtnis. 
S^on in ber mütttembergifdjen Heimat, roo bie £iberalen bamals ben Kampf 
„gute, alte Redjt" führten, ber aus Urlaubs £eben befannt ift, modjte fein politifdjes 
3ntereffe lebenbig gemotben fein. Dafe et in bie Sdjmei 3 überfiebelte, fonnte es nut 
fteigem; benn bie Sdjmei 3 mimmelte bamals non beutfdjen Politifern. Sie fdjieöen 
f'd? in 3mei ©tuppen. Die IRe^a^l mat fosmopolitifdj, einen abftraften, gef^idjts^ 
lofen Doftrmarismus prebigenb. Die Heinere ©nippe mar audj freiheitlich, ab« 
oot allen Dingen national. 3u ihr, bie gerabe in Burgborf mehrere Anhänger Ijatte ! 
Ijidt fidj Sdjnedenburger. Radj beutfdjer IDeife fdjloffen ficfj biefe IKäimer auh 
gefellfdjaftlidj 3ufammen: am Samstag abenb traf man fidj bei einem ©Iafe ®nit- 
h»ct fanb Sdjnedenburger eine millfommene Stätte 3 um politifdjen ©ebanfem 
austaufdj; er trat in bie ©efellfdjaft ein, unb es fonnte nicht fehlen, bafe et allmäbl^ 
m btefem Kteife trofe feinet 3ugenb an ©influfe gemann. 

„ , n eigentlicher £eljrmeifter in rebus politicis aber mar auch ein Sch*® 0 ®*' 
nämlich ber „bebeutenbfte politifdje Denfer Sübbeutfchlanbs" im 18. 3 aljrljuni>ett: 

fl ^ atius Pföer. 1 ) Diefer roürttembergifche £iberale hotte fi<h über bie ^ 
tonlipolitif feiner ©efinnungsgenoffen erhoben, hatte bie Kernfrage bet beutf^en 
pohht - bie notmenbige Umgeftaltung bes ohnmächtigen Deutfdjen Bunbes - 
mit flatem Blid ins Auge gefafet unb mar fo 3 um hetolb preufeens geworben)- 
t C € * n curo P5ifcher, fein beutfdjet Staat mehr, es müffe aus Deutfdjfon 
ausfcpei en; Pteufeen bagegen fei 3 ur fjegemonie berufen, feine £eiftungen bei « 
©rhebung non 1813 unb fein Syftern ber Dolfsberoaffnung miefen ihm bie W»* 

_ 6 * n ü eu *f < hlanb 3u; bie üblidjen — gerabe oon liberaler Seite DOtgebwdj® 

— ©tnmänbe megen ber inneren Politif Pteufeens feien hinfällig; bie ©nge, bie 

1) Allgemeine öeutfdje Biographie, Bb. XXV, S. 677. 

) dueryt m bem „Btiefroedjfel jtoeier Deutfdjen", Stuttgart unb Tübingen, 1831- 

l 

I 




Don (Botifricö Jittbogen 


573 


alleröings nicht 3 U leugnen fei, werbe fortfallen, fobalb Preufeen nor größere Auf* 
gaben geftellt fei; bann toeröe ficb „öie befdjränfte pteufeifdje Rationaleitelfeit ad* 
mä^Iid? 3 U einem öeutfehen Rationalgefühl" ertoeitern; Preußen fei jeöenfalls öie 
auffitebenöe, entwidlungsfäljige ZTtacht, iljm gehöre öie 3ufunft: „Per glän 3 enöe, 
finnlicfje Süöen hat fein £eben ausgelebt, unö öie Reihe ift an Öen geiftigeren, ftarfen 
ttoröen jefct gelommen." 

Pies Buch machte Auffeljen, in ©fterreicfj toutöe es oerboten, in Württemberg 
aber toar öer König über öie $oröerung, bafj öie öeutfeben dürften 3 ugunften Pteu* 
feens auefj nur auf ein 3ota ihrer Souoeränitätsredjte oeQidjten follten, entrüftet. 
3nfolgebeffen fdjieb öer preufjenfreunötidje Affeffor aus öem Staatsöienft, einer 
öer oielen Rlänner, öie öie (Echtheit ihrer oaterlänöifdjen ©efinnung öaöurdj betä* 
tigten, öafe fie — öutcfj fürftlidje Ungnaöe aus ihrer Bahn getoorfen — unoetöroffen 
toeiterarbeiteten an öem Bau eines einigen Beutfdjlanb. Pfi 3 er blieb bis 3 U feinem 
(Enöe öer über 3 eugte fjetolö öer Hegemonie Pteufeens: „oon Öen Rlännern öer 
$eber fyat er am meiften 3 um 3 uftanbefommen öes Beutfdjen Reimes beigetragen". 

Seine Übe^eugung eignete fidj auch Sdjnedenbutget an, toie Pfi 3 er urteilt auch 
er über öie beiöen rioalifietenöen ©rofjmädjte im Beutfdjen Bunöe. „Bern alten 
habsburgifefjen Kaiferljaufe", fo Reifet es in feinen ungeötudten politifdjen Auffähen, 
„öürfte feine beöeutenöe Rolle mehr 3 ugemeffen fein in öer 3ufunft Beutfdjianös. 
Pagegen erfrfyeint eine Aushebung ©fterreidjs öem £auf öer Ponau nadj bis 3 U 
ihrer RTünöung ... als feine natürliche Bilöungsaufgabe öer fünftigen 3eit." übet 
Preußen öagegen fagt er: „Bei öer erften lauten Rtanifeftation öes beutfdjen ©eiftes 
ift Preußen ge 3 toungen, eine rein öeutfdje Politif 3 U oerfolgen." Unö an einet 
anöeren Stelle: „3n fdjönfter Cebensblüte fteljt öie preufeifefje tDefjrorganifation 
öa, welche oon gan 3 Beutfdjlanb unbeöingt nachgeahmt roetöen follte. Pamit nicht 
fdjroädjenöe 3änfereien über Öen ©betbefehl eintreten fönnen, toenn öer Seinö oor 
Öen lEoren ift, fo follte 3 um Poraus, unö 3 toar für öie Bauer, ein beftimmter Staat 
mit öer oberften £eitung öer öeutfehen Krieger beauftragt werben. Preußen 
erhalte öas ©betfommanöo. Bei öer beften folöatifchen (Einrichtung ift es öer größte 
öeutfdje Staat unö un 3 toeifelhaft berufen, öie Hegemonie 3 U befleiben." Scfjneden* 
butger alfo hatte für fidj öie Wahl getroffen: ©fterreidj toar ihm öie Bonaumonardjie, 
öie mistige Aufgaben 3 U erfüllen hatte — aber außerhalb Beutfdjianös; Preufeen 
aber öer öeutfehe Staat, an öeffen nationale Senöung er glaubte. 

Rur ein Rtann Don öiefer politifdjen Übet 3 eugung, nur ein Rtann, öer Preufeen 
unö Beutfdjlanb in eins fah, fonnte öie „IDacht am Rhein" öidjtert. Penn als im 
3al}te 1840 öie $ran 3 ofen begehrlich nach öem linfen Rheinufer h'nüberfdjielten 
unö örohenö mit öem Säbel raffelten, hanöelte es fidj — politifch gefeljen — in erfter 
£inie um eine preuftifdje Angelegenheit: Preufcen gehörte öer ©eil öes linfen Rhein* 
ufers, öas öie $ran 3 ofen haben wollten, Preufjen mufjte in öem etwa ausbrechenöen 
Krieg öie erfte Rolle fpielen, öie öeutfehen Staaten, öie mit 3 U Öen IPaffen griffen, 
hatten preuftifdjes ©ebiet unter preujjifdjer güljrüng oerteiöigt. ©eraöe öas aber, 
fo beöenflich es öem fleinftaatlidjen partifularismus öamals erfdjeinen mochte, 
wünfehte Sdjnedenburger. Penn öas bebroljte preufcifdje ©ebiet war ja in erfter 
önie öeutfehes £anö, örum war es Pflicht jeöes Beutfdjen, ohne Unterfchieö öer 
Staats 3 ugehörigfeit, öas öeutfdje £anö 3 U oerteiöigen. Aus öiefer Über 3 eugung h etI 



574 


Die ID acht am Rhein unb H)r Dinier 

aus jang et i>ie „IDadjt am Rhein", unö nicht 3 um roenigften liegen öiejes Identen 
Politiken ©laubenshefenntnijfes tonnte jein £ieb ber Scblacbtgejang roerben, mit 
bem Preu&emDeutfdjIanb in ben Kampf 30 g, in bem es feit 3 abrbunberten 311m 
elften ITTale in fidj einig unb gan 3 auf ficb felbft geftellt roar. 

Sdjnedenbutgets £ieö hat aber erft allmählich bie ©eftalt angenommen, in bet 
mit es heute fingen 1 ), erft öurch bie Itlitarbeit bes Publifums ift es gerootben, uns 
es jefyt ift. Das Dolt fingt ficb feine £ieber 3 urecbt; aber roäbrenb ficb biefet Ptojeji 
fonft anonym ooll 3 ieht unb roir nur fein Refultat tennen, tonnen mir bier bie einjeb 
nen Pbafen ber Umtoanblung genau oetfolgen, tonnen roir fogat meift genau lagen, 
roer für bie einzelne Deränberung oerantroortlicf? ift. 

Die ältefte gaffung bes £iebes, bas roa^rfcbeinlid} in ber letjten nonembetBOibe 
bes 3af?res 1840 entftanb, tjat folgenben tDortlaut: 


- ; 

m- br c a ü ft £ * n R “f ro * e ®°nnerball, Unb ob mein ljer3 im Soöe bricht, 

UJie Sajroertgeflirr unb IDo genprall: IDirft bu bodj brum ein IDelidiet nicht. 

3um Rhein, 3um Rhein, 3 um beutfdjen Rhein! Reich roie an tDaffer beine $Iut 
u)er roill bes Stromes fjüter Tein? *ut in nn fiMhenblm 


~ *-r ^miii V/CUIJUJ 

u)er roill bes Stromes fjüter fein? 

üurd) tjunberttaufenb 3 ucft es fdjnell, 

Unb aller Augen blifcen bell. 

Der beutfdje 3üngling, fromm unb ftarf, 
Befdjtrmt bie beil’ge £anbesmarf. 

Auf blicft er in bes tjimmels Blau’n, 

U)o tote gelben nieberfdjau’n, 

Unb fcbroört mit ftol 3 er Kampfesluft: 

„Du Rbein bleibft beutfcb roie meine Bruft!" 


iiciui LUIC Ull VUllt 

3|t Deutfdjlanö ja an fjelöenblut. 

So lang ein Gröpfcfyen Blut nod] glülft, 
Hocfy eine S au ft Öen Degen 3 ieljt 
Unö nod? ein flrm öie Büdjfe fpannt,^ 
Betritt fein tDelfdjer öeinen Stianö." 

Der Sdjrour erfd?allt, öie IDoge rinnt - 
Die Sitten flattern in öem IPinb. 

£ieb Daterlanö, mag(t ruf?ig (ein, 

Seft (tefyt unö treu öie tDacfjt am Hbein. 


v.ciuftueuiia? iDie meine tfrujt!" §eft (tept unö treu öie IDacpt am wem; 

Die einjelnen flbtoeidjungen oom heutigen tDortlaut (inö öurd) Sperrörud 
lennthd} gemadjt. Die auffallenöfte aber beftefjt öarin, öafc öer Refrain, o^ne ben 
rotr uns bas ©ebiefjt gar nicht mehr benfen tönnen, fehlt. 

Dorgetragen rourbe bas ©ebicf}t 3 uerft auf bem öeutfehen Abenb in Burgborf; 
es fanö begeijterten Beifall. 3 a, bier rourbe es auef? 3 um erften Riale - frei aus bem 
egretf gefungen. ©in mu|itali|djes RTitglieö ber ©efellfdiaft nämlidj, flbolf 
P*eB, „feljtc fiel? an bas 3nftrument unb intonierte mit feinet mächtigen Kokett 
) tmme nadj irgenbeiner oon ibm improoifierten RTeloöie bas £ieb bes greunbes unter 
einer ebenfo improoifierten Klaoierbegleitung. tDir übrigen", fo er 3 äblt fjunöestyagen, 
„horten juerft anbädjtig 3 u, fielen aber fd;on oom 3 roeiten ober öritten Derfe an 
e " j bn£, \ Re f ra ’ n ein: „£ieb Daterlanb, magft ruhig fein, feft ftebt unb 
h ! 6 "• t?unbe$bagens ©ebächtnis Öen tjergang bieifeig 

bes v 11 * ungehalten, fo roäre Spiefj öerfenige, ber bie beiben lebten 3 { >* cn 

reit, x 3 T Reftain et ^ 0b ' mit öem i eöc Strophe roudjtig abfdjlicfet, unb 3 ®«. 
rem aus ber Spontaneität bes Singens heraus. 

- CtCI ' tc röttflufje Komponift, RTenöel, bat bann, fd?on in bet erften De3e mbcr 

betaulgcqcb 3 ene Q n 9 ^ rUCit ,- n x ö i m üon öer Komrniffion für bas Kaifetlicf?e Dollslieöerbuj 
2? Sdmet unh r 9S ,C x C -x Ud? J Ür öas öeut We beer 1914". Berlin, üroroiM* 

- mit Ref r äi n Di * ®ad,t am Rhein 1871, S. 25/26. Die jroeite S«IN 

«eUam, boefj fonft bemfelben ©e 5 t - ebenba, S. 27/28. 




Don ©ottfrieb 5<ttbogen 


575 


mo^c, Öen Refrain fixiert, er hat auch öie £ücfe, öie nun 3 unäcf?ft in öer mitte öer 
lebten Strophe entftanö, ausgefüllt. (Er tat es in öer IDeife, öafe er Öen öritten Dets 
öer erften Strophe unoeränöert übernahm unö öen oierten aus einer grage in eine 
IDitlenstunbgebung umwanbelte. Sehr gefdjicft. Denn öie beiöen neuen 3eilen 

3um Rhein, 3 um Rhein, 3 um beutfhen Rhein! 

IDir alle wollen fjüter fein! 

finö öurcfjaus nicfjt biofees güllfel, fie beöeuten auch eine öidjterifche Derbeffetung. 
Aus öer ITtaffe öer beunruhigten Ration ift ein eirt 3 elner Jüngling heroorgetreten, 
3U)at als Repräfentant öer ©efamtheit, aber öocfj als ©n 3 elgeftalt, aufgetufen öurch 
öie grage, wer Öen beöroljten Rhein fdjüfeen toill. © fchroört, ihn bis 3 um Iefeten 
Blutstropfen 3 u oerteiöigen. Darf nun, toie es in öer Urform öes Cieöes öer gall ift, 
mit öem Schtour öie fjanölung 3 U (Enöe fein? Keineswegs! Dielmehr, wenn öer 
3üngling Öen Schwur geleiftet hat. fo witö er öem IDorte öie Gat folgen Iaffen, er 
®t*ö unö mit ihm öie Qunöerttaufenö anöeren, öie ebenfo fühlen wie er — an öie 
©ren 3 e eilen, unö fie alle geben in gewaltigem ©horus öie ©ai=Antwort auf jene 
bange grage: 

3um Rhem, 3 um Rhein, 3 um beutfdjen Rhein! 

IDir alle wollen hütet fein! 

So fehlt öas (Enöe 3 um Anfang 3 utü<f, öer Ring f^liefet fi<h, jefet erft ift öie 
fjanölung öes ©eöicfyts in fi<h oollenöet. 

Sdfnedenburger felbft hat in feinem (Tagebuch öiefer Anöerung feine Santtion 
erteilt. Sn öiefer ©ejtgeftalt erfchien fein ©eöidjt juerft im Drud: Die IDacht am 
Rhein oon IR. Sch-, für öen IRännerchor fomponiert non 3 . IRenöel, (Drganift unö 
©efangleljrer in Bern. Bern, ©hur unö £eip 3 ig, Derlag unö ©igentum oon 3. g. 
3. Dalp (1840). 

Die anöeren Reuerungen finö erft nach Schnecfettburgets ©oö oorgenommen. 
Sie ftammen (nach öer Angabe bei Scherer unö £ipperheiöe) oon öem IRamt, öer 
öie Anregung 3 u einer neuen Kompofition öer „IDacht am Rhein" gab. IDilhelm 
©reeff nämlich wutöe öie „IDacht am Rhein" 3 ur Aufnahme in feine Sammlung 
oon IRännerlieöern 3 ugefanöt. 3hm gefiel aber öie IReloöie — es war eine anöere 
als öie IRenöelfche, bisher ift fie noch nicht wieöer entöecft — nicht unö er bat feinen 
$teunö ©arl IDilhelm, einen in ©refelö Iebenöen ©hüringer IRufifet, es aufs neue 
3U tomponieren. Der fchuf öann (1854) öie neue IReloöie 1 ), mit welcher öie „IDacht 
am Rhein" Rationatlieö weröen tonnte. © erft fanö „öie rechten ©öne, welche öen 
IDorten fjarnifd? unö glügel oerliehen". 

Am ©ejt aber hatte ©reeff mehrere Deränöerungen oorgenommen. Utfprüng* 
lieh roitö öas Daterlanö nur öurch 3üngtinge oerteiöigt. IRan fragt: wo bleiben öie 
IRänner? ©reeff fefet an Stelle öes „öeutfehen 3 ünglings" einfach öen „Deutfchen", 
ö. h. jeöen Deutfchen, öer öie IDaffen 3 U tragen fähig ift; öie £üde füllt er öurch ein 
Aöjettio. IRag jefet oieKeicht auch öies öritte (Epitheton — „Der Deutfdje, bieöer, 
fromm unö ftart" — nicht mit öem gleichen Schwergewicht öaftehen, wie öie beiöen 
anöeren antithetifdj gewählten, fo beöeutet öie Anöerung öodj 3 weifellos eine Beffe* 
c ung, weil fi e öem ©eöidft öas gar 3 u 3 ünglinghafte raubt. 

1) ©rfter Drucf: Rlännerlieöer, alte unb neue, für greunbe bes mebrftimmigen IRänner* 
gejanges. tjerausgeg. oon IDilhelm ©reeff. neuntes Jjeft. (Effert, ©. D. Bäbeter. 1854. 



576 


Die tDarfjt am Rljein unb iljr Dichter 


3n bei britten Strophe mar roeber bie henrorljebung bet blauen $atbe bes 
Rimmels noch bie Be 3 eichnung bet fjelben, bie in Iebenöigfter Affinität am (ütjcbid 
i^tet Hachfahren teilnehmen, als „toter" feljr glücHich; <5teeff machte bataus: 

<ft blicft hinauf in himmelsau’n, 

Da ^elöenoäter nieöer|djau’n. 

3n bet fünften Strophe mürbe, analog bet Befeitigung bes 3 ünglings in Strophe 
2 , bas „(Tröpfchen" Blut 3 um Stopfen; an bem DDelfchen umtbe hetoorgehoben, 
roeshalb er ben Stranb bes beutfchen Rheins nicht betreten bütfe: ab $einb (.Bf 
tritt fein $einb hier beinen Stranb"). 3n ber lebten Strophe enblich h * e 6 e nut ' 
bafe bie $ahnen „in bem IDinb" flattern; eine geringfügige Anbetung ruft ein (ehr 
oiel lebenbigeres Bilb hetoor: jet(t flattern bie Sahnen „hoch im IDinb". flllebitje 
Anbetungen finb mit Recht oom beutfchen Rolfe af 3 eptiert. 

Dagegen ift forooljl bie Streichung ber ganjen oierten Strophe als auch ein« 
Konftruftionsänberung in ber lebten Strophe allgemein abgelehnt. Die Dettüqung 
bes Siebes mar Dielleicht nur aus Platzmangel erfolgt. Die Sejtänberung aber 

Am Rhein, am Rhein, am beutfchen Rhein 
IDir alle toollen hütet fein, 

mar eine beutliche Detfchlimmbeffetung; benn fie faf}t bie beiben Sähe, »on benen 
ber eine bas 3iel bes allgemeinen RTatfches angibt, ber anbere ben Dorfafz ausfprichh 
bort bie ©ren 3 hut 3 U übernehmen, in einen 3 ufammen unb läfjt bie Daterlanbs= 
oerteibiger nun bie SelbftDerftänblichfeit fagen, bafj fie ben Rhein — am Hhein nu 
teibigen mollen. 

3mei meitere Anbetungen ©reeffs haben geteilte Aufnahme gefunben, fo Mi 
ber Heft biefes Dielgefungenen Siebes auch heute noch an 3 mei Stellen fchroanü- 
Das Kriegslieberbuch 1 ), bas roohl am meiften Autorität befii;t, audj oon fa^uerftän- 
biget hanb bearbeitet ift, hat, im Unterfchieb oon anberen Druden, biefe beiben 
©reefffchen Sesarten auf genommen, ©reeff änberte in Strophe 2 : 

Der Deutfche, bieber ftomm unb ftarf, 

. . , Befdjüht öie beilge Sanbesmarf. 

unb m Strophe 3: 

4t blicft hinauf in himmelsaun, 

Da helbenoäter nieöerfchaun. 

3n beiben $ällen ift ber Rücfgang auf ben Schnedenburgerfdjen Sejt (be[h' r | n *’ 
®°) 3 U empfehlen. Denn bas Befdiirmert hat einen märmeren ©efühlston ^ 
nüchterne abgeblafjte Bemühen; unb Schnecfenburger felbft hat bei feinem uneber¬ 
holten Ringen mit ben Anfangsoetfen ber britten Strophe immer nur bas RelanD- 
aboetb „mo" gebraucht, ©s mar nicht blofj ihm, es ift, benf ich, auch bem fingenben 
Dolf munbgerechter. 3um ©lüd finb ja biefe beiben Darianten recht unbebeutenö, 
es ift aber bod? münfehensmert, bafj ber IDortlaut getabe biefes Siebes bis 3“ 1 Ie ?‘ cn 
Stlbe feftgeftellt roitb. 

Radjbem bie „IDadjt am Rhein" mit ber IDilhelmfchen RTelobie 3 um elften 
am 11. juni 1854 in einem ©refelber Kon 3 ert 3 ur Seiet ber filbemen $ocfee»** 
nnes, et fpäter als König unb Kaifet an ber Spitze ber Rheinmacht ftehen j® 

1) Siehe oben S. 574, flnmerfung 1. 


i 




Don ffiottfrieb Sittbogen 


677 


öffentlich gelungen roar, oerbreitete |ie fid} in Deutfchlanb burd; Öen ©efang ber 
ITCännerdjöre. So routbe bie Dorausfefcung ba 3 u geraffen, ba& |ie im 3uli 1870, 
als ber Rhein roirflich non ben IDelfdjen bebroljt toutbe, plö^Iidj als Rationallieb in 
aller IRunbe fein tonnte. 

Rtit bem 3a^te 1870 i|t natürlich ihre Rliffion nicht abgefd}lo||en. 3m Stieben 
roie auch gerabe jet$t toieber im Krieg bient |ie als Ausbrucf bes ©efamtroillens ber 
Ration, jidj mit ganjet Kraft, mit ©ut unb Ceben, für bas bebrohte Daterlanb ein* 
3 ujet)en. Daher erfchallt |ie, ohne geogtaphifd}e $ef|elung an ben Rhein, an ber Rle* 
mel, auf ben Sdjladjtfelbem. Polens unb in bem (Eis unb Sdjnee ber Karpathen mit 
berfelben tDudjt unb 3nbrunft roie in ben Kämpfen gegen ben tueftlidjen $einb — 
ein Sdjladjtgefang, ber bie Kraft ber Daterlanbsoetteibiger fteigert. 

Darüber hinaus aber ift ihr noch eine anbere, eine unblutige ITtiffion 3 ugefallen. 

fluslanbbeutfdje machten hiet ben Anfang. Deutfdje Öfterteichs unb Ungarns, 
bie ihrer 3 ugehörig!eit 3 um beutjdjen ©efamtooll — unbejdjabet bet politifdjen 
< 5 ten 3 en — Ausbtud geben roollten, fanben bafüt fein anberes Symbol als ben ©e* 
fang ber „tOadjt am Rhein"; auch unter ben fdjroierigften üertjältniffen, bas follte 
ifyt ©efang bebeuten, roollten |ie für bie Aufrechterhaltung unb Blüte ihres Deutfeh 5 
tums eintreten. Radjbem bas 3al?t 1914 auch nidjtbeut|d}e Rationalitäten ber be* 
freunbeten Doppelmonarchie, befonbers bie Rtabjaren, bas beutle £ieb fingen 
gelehrt ^at, roitb niemanb mehr baran Anftofe nehmen tonnen. Dielleidjt 3 ie^t es 
roeiter über bie £anbe unb roitb bas £ieb aller Auslanbbeutfd}en. 

Dann hat es 3 roiefadje (Geltung. $ür ben Reidjsbeutfdjen ift es bas Betenntnis 
bes entfdjloffenen tDillens, mit ©ut unb Blut, mit £eib unb £eben bem Deutfdjen 
Reich 3 U bienen, für iljn ift es befonbers Kriegslieb. $ür ben Auslanbbeutfdjen ift 
es bas Betenntnis bes UMllens, bas eigene Doltstum unb ben fulturellen 3ufammen s 
hang mit bem beutfdjen ©efamtoolt 3 U beroafyren unb 3 U pflegen; für ihn ift es — mit 
fymbolifdjet Umbeutung — bas £ieb bes'DoItstums. 

Die ©efehidfte ber „IDacht am Rhein" ift auch mit bem großen UOelttrieg noch 
nicht 31 t (Enbe. 

Anm. b. fjg.: fjier ift ber piat}, auf RHlljelm IDunbts fdjöne Deutung bes 
£iebes aufmerffam 3 U machen. (Et oergleidjt 1 ) bie Rationallieber ber friegfü^renben 
Dölter, bie ben ©^graftet ber Rationen am treuften roiebergeben. Die Rtarfeillaife 
preift ,, (Elfte unb Ruhm". Das Daterlanbslieb ber Briten ift üft „Rule Britannia!" 
„Rladft unb fjerrfdjaft" roerben hier gefeiert. Befdjeibener, oiel befc^eibener ftellt 
fi<h neben beibe bas £ieb, bas. fid} auch jeijt roieber ben Do^ug oot allen anbeten 
errungen tjat, bie „IDacht am Rhein". ©s oerbantt feine RTad}t bem fc^litfjten 3nl?alt, 
roie ihn bie Schlufoeile in bie IDorte 3 ufammenfafet: $eft fteljt unb treu bie tDadjt 
am Rhein! $eftigteit unb ©reue, bas finb bie ©igenfdjaften, bie bem Deutfdjen am 
hödjften fielen, ober, um es mit einem einigen IDorte aus 3 ubtüden, bie Pflicht. 
(Es ift bie Pflichttreue, bie bet Deutfdje aus bem frieblichen Beruf hinüberträgt in ben 
Krieg, roo fie ihm 3 ur hofften aller Pflichten roirb, 3 ut Pflicht ber Eingabe für bas 
Daterlanb. 

1) 3n feiner foeben bei fllfreb Krönet in Ceip3ig erschienenen Schrift: „Die Rationen 
unb iijre Philofophie". 

3eitj4r. f. ö. öeutjdjen UtiUtridjt. 29.3af)rg. 9. tjeft 


37 



578 


Die beutfrf)e Solbatenfprad)« im gegentoärtigen Oeltfriegc 


Die öeutfdje Solöatertfpracfje im gegenwärtigen XDeltferiege. 

Don Katl Bergmann in Darmftaöt. 

Wie lein anderer Krieg der Dergangenheit wird der gegenwärtige tDelärieg füt 
den IDortfdjat} der deutfc^en Soldatenfpradje oon gan 3 befonderer Bedeutung (ein. 
fortwährend finden unfere feldgrauen neue (Gelegenheiten 3 ur Entfaltung ilfter 
fpra<hfd?öpfetif<^en Kraft durch die gewaltige Ausdehnung des Kampfes, (eine lange 
Dauer, die eigenartige Entwicflung als Stellungsfampf, das Auftreten gan 3 neu« 
IDaffengattungen wie die ungeahnte Entwicflung der alten. Einige der eigenartigen 
Neubildungen feien hier 3 ufammengeftellt. 

Die 3 a hltei(hften Heufdjöpfungen find auf artilleriftifchem (Gebiete 3unet= 
3 eignen. Dtit Dorliebe werden die ©efchoffe nach Eieren benannt So hei&enöie 
(Granaten der fran3öfifcf>en flachbahn=Schnellfeuetgefchühe „Kettenhunde", roeil fie 
Plöpd? angefauft lommen und dadurch an bas Anfpringen eines böjen h 110 ^ Cl< 
innem; auch als „tDindhunde" werden folche ©efchoffe be 3 eichnet. Ebenfalls mit 
Be 3 ug auf ihre Schnelligfeit heifeen die fran 3 Öfif<hen 7,5 cmdalibrigen Sprenggrw 
ten „Stintwiefel", während die langfam dahin 3 iehenden fehleren ©efchoffe „Blind 
fehleren" find. Hach dem fd}wat 3 en Hauch, 0 er fief} beim 3erpla^en der (Gef^ojje 
entwidelt, nennen die Soldaten die fdjweren (Granaten „fchwaQe Biefter“ oder „(h® 4p 
3 e Säue"; daneben gilt auch bie Benennung „Kohlenfaften", alfo eine Be 3 eichm*ng 
nach einem (Gegenftande. Unter diefet (Gruppe oon Wörtern find befonöets jene 
bemerlenswert, denen die Hamen oon Derfehrsmitteln 3 ugrunde liegen: 
bahnen", „Cuftomnibuffe", D=3üge", aber auch einfache „£etterroagen" beoöltem &it 
£uft; es find dies lauter Be 3 eichnungen füt die fchweren (Gefchoffe. Auch die 
poft liefert mehrere Ausdrücfe: je nach der Schwere der ©efchoffe unterfdjeidet man 
„3ehnpfund= und f ünfpfundpalete"; der Artilleriefampf felbft ift ein „Ciebesgabe* 
paletaustaufch". $üt die Snfanteriegefchoffe find die Sendungen weniger3# 
rei^; neben den altbelannnten „Bohnen" find noch die „fliesen", „Bienen un 
„Spatgen 3 U erwähnen. Querfdjläget find ihres fummenden ©etäufch 5 ^ £I 
„Hlailäfer", „Brummer" und „Singoögel". füt die HTafchinengetoehre 9®if 
fehr 3 ahlreiche Benennungen: „Kaffeemühle", „Drehorgel", „Bohnenfprihe", » 0u J 
falllanone", „Hadfleifchtnafchine", „Stottertante", „Steinllopfer" ufto.; dw 
Iut 3 ung ITC. ©. K. für ZTCafchinengewehtlompagnie wird als „HtordgefeHenflub g { 
deutet für die Handgranaten hat die foldatifche Phantafie gleichfalls mehrere^ 
3eiqnungen erdacht wie „Apfelfinen", „Pfundpatete" und — wegen der oorftep- 
den 3aden, auf welche die ©ranaten fallen .-muffen — „Eafchenfrebfe". Di« 5 ®' 
jruheret feiten, ©efetjü^e nach Petfonen 3 u benennen (ogl. Horn, DiebeuifoeW- 
a enfpta^c, S. 42ff.) ift auch haute noch lebendig. Da ift natürlich um '! 
di«e oder „die fleißige Bertha" für unfere 42 cm*HIörfet 3 u nennen. Don fWJ' 
Plqen ©efchüfcen feien erwähnt: „der grobe ©ottlieb", d.i. der 21 cm*Blötfer» 
fut 3 e ©uftao", das 7,5 cm*©e[chüh, bei dem Abrufe und Einfchlag faft 
ertönen, und der „©urgeWIuguft", das 15 cm=®efcho&, das feinen fondetbarenKam« 
dem eigentümlichen ©eräufch »erdanft, mit dem es durch die £uft 3 W M 6 ! 

3elnen, befonders auf Bäumen oerftedten feindlichen Scharffhüfcen, öie 


1 



Don Karl Bergmann 57 g 

affen", fuhren ihren beftimmten Hamen: IHaf („Knalhnaf, pinfmaj"), Stephan, 
Sepp (bem öie Deutzen Öen Anti*Sepp entgegenftellen), (Emil, Auguft finb bie be* 
liebteften Dornamen. (Ein feinölidjes Rlafchinengemehr, bas unaufhörlich feine 
Hlunition oerfeuert, ift ber „Ragelfran 3 ". „$ran 3 " heifjt auch bet Beobachter in ber 
Slugmafchine ; fogat ^toti 3eitroörtcr finb fcfjon baoon abgeleitet: „fragen", b. h. 
beobachten unb „©erfragen", burch falfchc Beobachtung eine Aufgabe oerberben. Das 
artilleriftifche©ebiet fei nicht oetlaffen, ohne noch bet eigenartigen Übertragungen 
oon ©efchofenamen 3 U gebenten. So roerben £eute, bie ihre Aufgabe nicht ge* 
nfigenb erfüllen, ferner Offnere unb ITTannfdjaften, bie nur in bet ©amifon Dienft 
tun, „Blinbgänger" genannt. Auch gefüllte Slafdjen roerben, roohl megen bet Ahn* 
lichfeit ber $orm, als „Blinbgänger" getauft; finb fie geleert, fo roerben fie 3 U „Aus* 
bläfern , tseldjer Harne auch Pateten, bie ohne 3nhalt antommen, beigelegt toirb. 
(Etbfen finb „Prooiantamtstugeln", nicht gar gelochte (Erbfen „Schrapnellfugeln". 

Schmer haben unfere Truppen unter bem Unge 3 iefer 3 u leiben. mit$reuben 
toirb bähet überall bie „Cäufeabmehrfanone", b. i. ber fahrbare Desinfeftionsappa* 
rat, begrübt, bet auch öie launigen Hamen „Krematorium" ober „Caufoleum" führt. 
£äufe finb „Bienen", ein Solbat, ber mit Käufen behaftet ift, ift ein „Bienen 3 üchter". 

Der Hlöglichfeit, ben eit^elnen Truppenteilen auf ©runb getoiffer IHerfmale, 

• befonbers mit Anfpielung auf ihre bunten Uniformen, Spitznamen be^ulegen, toie 
es im Stieben in fo ausgebehntem Hta&e gedieht (ogl. fjorn, a. a. O., S. 30ff.), 
{teilt fid} bie alles gleichmadjenbe felbgraue Uniform entgegen; trotzbem finb manche 
treffenbe Heube 3 eichnungen auch au f biefem ©ebiete 3 U ermähnen. H)egen ihrer 
gemaltigen Htärfche merben mehrere Truppenteile als „IDanbet*, Reife*, Tippelbioi* 
fionen" b^ei^net. Die Telegraphentruppen heifjen fur 3 meg „Drahtet", bie Hachridj» 
tenabteüungen finb bie „$unfenfpuder". Die Hlannfchaften bes Ktiegsbefleibungs* 
amtes führen ben friegerifchen Hamen „Hähmafchinengemehrabteilung". Die Armie* 
rungsfolbaten finb bie „Schipper", „Schippanomsfis", bie „Schipp=fchipp=h urr a* 
Kolonne". Auch öie Spitznamen für Offnere, Hlititärbeamte ufm. haben einige 
Bereicherungen^ erfahren; fo heifet ber $elbgeiftlid}e jetzt Dielfach „Parabiestutfcher", 
ba oiele $elbgeiftliche, bie nid}t reiten fömten, fidp einer Kutfdje bebienen müffen. 
tt>eil er hauptfädjlich mit Schemen be 3 ahlt, ift ber 3a^Irrieifter ber „Scheinmerfer"; 
ber Detpflegungsoffaiet ift bet „Htettrourftfähnrich". 

U)ie 1870/71 unfere Truppen aus Htars*la*Tour fich „Htarfchretour" gebilbet 
haben, fo machen fidj auch in biefem Krieg unfere Solbaten bie frembfprachlichen 
Hamen hübfd} munbgerecht. Die fran 3 öfifchen Ortsnamen Bucquoy, ©ommecourt, 
DiIlets*au*$los merben 3 U Budroitj, ©ummigurt, H)ilbbraufIos. ©ftaminet „IDirts* 
haus" müb in „Teftament", ber flämifche Ortsnamen Derlinghem in „Sperlings* 
heim" oerroanbelt. Der fran 3 öfifche Befehl Tout le monde en avant! gab Deranlaf* 
fung, ben $ran 3 ofen ben Spitznamen „ber Tuhlömong" beyulegen. Über bie ©nt* 
ftehungsgefchichte biefes Hamens fdjreibt Cubroig ©anghofer in feiner „Reife 3 m beut* 
fchen $xont": „H>o bie feinblichen Schützengräben nahe bei ben unferen liegen, fann 
man häufig bas fran 3 öfif<he Kommanbo hören: Tout le monde en avant! Das ©an 3 e 
00 t! Bleibt biefer Befehl ohne $olge, roas häufig gefehlt, bann fagen unfere $eIb* 
9 tauen lachenb: heut mag er net, ber Tuhlömong." 

Als 3eugniffe bes unoermüftlichen tjumors unferer Solbaten, aber auch 00 m 


37* 



580 


Das beutfdje 3af(r 


fptadjlidjen unb Dolfsfunölicfjert Stanbpunft aus follten biefe Heubilbungen, oon öenen 
öic erwähnten Beijpiete nui einen Bruchteil bilöen, gefammelt werben. Diele £ejet 
toerben geroife aus $elbpoftbriefen ober aus eigener (Erfahrung Kenntnis oon (oldjen 
Solbatenroörtern haben. Sollten fie geroillt fein, ihr DDiffen bem Detfaffer biejet 3« ! 
len mitjuteilen, fo bürfen fie feines freunblichften Dantes nerfidjett fein (flnfdjrift: 
Prof. Dr. Bergmann, Darmftabt, Btathilbenftrafee 26). 

Dabei fei noch auf bas Buch bes oerftorbenen Strafeburger Unioerfitätsptofefjors 
Paul h°rn Ifingetoiefen: Die beutfdje Solbatenfpradje ( 2 . flusg. Giefeen 1905, 
fllfreb Höpelmann, Preis gelj. BI. 1 ,—, geb. BI. 1,75.). Alle Sreunbe unferes topfe 
ren Ijeeres unb unferer TTlutterfpradje follten biefe Schrift lefen, bie mit ihren Bei= 
fpielen aus alter unb neuer 3 eit einen prächtigen ©nblid in bas £eben unb Uteiben 
bet Solbaten geroährt, fluch gibt es benfenigen, bie meinet Sammlung befonberes 
3ntereffe entgegenbringen, genau bie Ginjelgebiete an, bie für bie Sammlung bes 
folbatifdjen tDortfdjafees in Betragt fommen. 


uas ocutfqe jai)r. 

<Hne fpradjlidje Betrachtung oon Cüuflao Sdjütmann in Arnsberg. 

I. 

Unfer Weg führt uns oon ben Dielfachen bes Jahres 3 um 3al?re un & f e ' nen 
Heilen, oom 3ahrtaufenb bis 3 ur Sefunbe. 

Das 3ahrhunbert unb feine Derroanbten. 

Die beutfeh benannten 3ahre bet 3eitre<hnung fdjUefeen nach oben mit bem 
3ahrtaufenb (Häufend etymologifdj roohl: Dielhunbertfdjaft, 3 U „hundert", 9 °t 
und u.ibg. *tüs „ftarf") ab: 3aljt, 3<*^*fünft, 3 aht 3 eljnt, 3 al?rhunbett. 

$ür jehnmalhunberttaufenb unb bie folgenden Dielfachen oon 3 e h n gebrauch * 11 
roit bie Cehnroörter BTillion unb BTiUiarbe. Blillion ift italienifchen Urfprungs. 

" 11, ‘ e = tau fenb mit bem oergröfeemben Suffij one gebilbet, bedeutet alfo nwtf 
"fJ ® ro fetaufenb unb ift im 3talienifdjen männlich. Btilliarbe (= taufenb Äonen) 
ift aus bem fta^öfifdjen milliard (männlich) entftanben. Aber bie fonft einwandfreien 
öungen3ahrmillion (bas oon hauptmann in feinem Roman Atlantis gebraum 
10,1 V v Un * > 3ahrmilliarbe fdjeinen fiefj in unferer Sprache jefet erft ein3ubürgein* 
te Bezeichnung 3ahrhunbert als Überfettung oon saeculum ift erft f*ü n 
3i»etten Blüteperiobe unferer Citeratur allgemein in Gebrauch, unb nah bem w 
gange btefer Bilbung finb bas feltene Jahrfünft (auch 3 al?rfünf 3 ig tom } ia 
Jean Paul oor), Jahr 3 ehnt unb 3ahrtaufenb geroorben. B)it etfläten fie als *" 1 
Sanft, cm 3ehnt, ein Häufend oon 3aljten. 3n biefen 3 ufammenfefeungen hat (* 
a«tA °u et ? nam ’ Pnlmfonntag u. a.) bas Grunbroort ben hauptton. IDegen 

“i i 6 ! unot 9 Q nifchen t in Sünft unb 3ehnt finb 3 U Dergleichen Bfltd!cnt 
Dechant, Dufeenb, jernanb. 

®ort für ben Begriff Jahrhunbert (saeculum) fdjon früher als uncnt ' 

ob« !" routöe ' beroci l t öas Haften £eibni 3 ens, ber oon „fiebenjehn 3* 1 

BebeuST 0 ^"'' abct f* «* Derroenbung bes Wortes 3eü in *# 

oeoeutung fernen Bachahmer gefunben hat. 




Don (Zmftao Sdjfirmann ggj 

Unö mie bas lateinifche saeculum nicht b!o& bie 3 eit non hunbert 3 ahren bejeid)» 
net, fonbern aud? in bet allgemeinen Bebeutung eines größeren 3eitraums, 3eita1ters ( 
fltenfchenalters üblich mar, fo fpred?en mit aud? oom 3ahrhunbert bet Reformation’ 
ber Reoolution, $tiebrid?s bes ©rofeen, Bismards ufro. 

Aber ein 3 citraum non genau hunbert 3 ahren Reifet aud? nur 3 ahrl?unbert, 
bas fid? in 3 ufommenfe^ungen nid?t in t?unbertjal?t oetmanbeln follte; benn man 
jpridjt toolfl oon einem taufenbjäfftigen Reid? unb einem hunbertjäl?rigen Kalenber, 
aber biefe ©genfd?aftsmörter fefcen nid?t ein Saufenbjahr unb ein fjunbertjafc oor= 
aus. R)ie biefe Bilbungen unfetm Sprachgefühl unb ber £ogif nicht entfpred?en roür* 
ben, fo follte man baljer aud? nid?t oon einer f?unbertjal?rfeier ftatt oon einer 3 al?r* 
hunbertfeier teben. 

H)ir tonnen biefe Ausführung übet bas 3al?rhunbert nid?t ohne eine Bemethmg 
mehr technerifd?en als fprad?lid?en ©haratters fdjliefeen. 

ffin 3ohthunbert umfafet hunbert 3al?te. Bas erfte 3ahrhunbert unferer 3eit* 
red?nung enbigt alfo mit bem hunbertften 3al?te nach <I^rifti ©eburt. So gehört aud? 
bas 3ahr 200 3 um 2., 500 3 um 5. t 1200 3 um 12. unb 1900 3 um 19.3ahrhunbert. 
IRit bem 1 .3anuar 1901 finb toir in bas 20 .3oh r h u nbert eingetreten. Die irrige 
fluffaffung, als ob 3 . B. bas 3ah r 1900 bem 20.3al?thunbert 3 U 3 ured?nen fei, hat ba= 
butch entftehen tonnen, bafj bas letjte 3 al?t bes jebesmaligen 3 al?thunberts fd?on bie 
3ahl feines Rachfolgers hat. Dielleid?t hat babei auch unbemufet bie übliche Benennung 
ber Cebensjahre mitgeroirlt. R)et feinen 3 ehnten ©eburtstag ( 10 . ©ebenftag ber 
©eburt) hat, hat fein 3 ehntes £ebensjal?r beenbigt unb tritt bamit in fein elftes £ebens= 
i a hr ober fein 3 meites £ebens= 3 ahr 3 el?nt ein; am 20 . ©eburtstage bementfprechenb 
in fein 21 . £ebensfal?r ober bas britte £ebens* 3 al?r 3 ehnt. Der Unterfchieb ift alfo ber, 
bafe bet 1.3anuar 1900 ein 3al?r eröffnet, bas noch gan 3 im 19.3ahrl?unbert fteht, 
roahrenb ber 20 . ©eburtstag ber 1. Sag bes 21 . als bes näd?ften £ebensjahtes ift. 

Das 3ahr unb feine Arten. 

mir haben bisher bas 3al?t als einen 3eitraum oon 365 (366) Sagen gebacht 
unb ben Anfang biefes 3eitabfd?nittes auf ben 1 . 3anuar ober auf ben ein neues 
£ebensjal?r etöffnenben ©eburtstag gefetjt; jebet anbere Sag ift natürlich als Anfangs* 
tag eines neuen 3al?tes — Reufahrstag — ebenfo gut möglich, unb Dereinsjahte, 
Amtsfahre, Pad?tjal?re, Regierungsjahre, Red?nungsfahre, Schuljahre u. o. a. haben 
aud? ihre Berechtigung. Alle biefe 3af? te h a & € n eine Dauer oon 365 (366) Sagen. 
3n 365 Sagen unb 6 Stunben ooilenbet nämlich hie Srbe ihren £auf um bie Sonne. 
Unfet 3ahr ift ein Sonnenfal?t. H)ie unb roobutd? es auch 3 u m bürgerlichen 3 ah r 9 e* 
motben ift, fetjen mir l?iet als betannt ooraus. $üt unfere fptad?Iid?e Unterfud?ung 
tommt es auf biefe Unterfd?eibung nid?t an. R)oI?l aber ift bie $eftftellung nid?t un* 
roichtig, baff bie alten Kulturoölfer mit Ausnahme ber Ägypter unb Römer nur bas 
monbjaljt Jannten, bas bie Summe oon 12 aufeinanberfolgenben Rtonbumläufen 
(354 Sagen) be 3 eid?nete unb ben einmaligen R)ed?fel ber oier 3al?tes3eiten umfaßte. 
Denn barauf beruhen bie Ausbtüde Rlonate unb R)od?en (f. u.), mäijrenb 3al?t mit 
flau, jaru „$tül?ling", gr. &qu „ 3 ahres 3 eit, $rühling, 3 al?t" 3 ufammengel?ört 
(ogl. 3a!ob ©rimm, Deutfdje IRytl?ologie II, S. 629). 3al?t ift alfo bet Rame für bie 
marine 3 ahtes 3 eit, fobann für bas gan 3 e 3 al?t- 



582 


Das öeutfdje 3 a b r 


Unter Öen ein 3 elnen 3a^ten nehmen befonöers öie 3 ubeljaljte ober gotöenen 
3a^te (bei Burdarb UJalöis gülbenen) unfere flufmerffamfeit in flnfprud}, 3# 
öet $teube ober öes 3ubels als 3aljte ber ©nabe, ber bem Sünöer enoiefenen g5H> 
lidjen BarmljeQigfeit, ober in (Erinnerung an benito&tbige (Ereigniffe. 

Das IDort 3ubel ftammt oom mittellat. jubilus ober jubilum unb bejei^nett 
urfprünglidj bas 3obeIn ober ©efc^rei ber Wirten, in ber Kirdjenfpradje bas imi[M= 
f(^e Sro^Ioden am (Enbe eines Kirdjengefanges ober „bas ijaud^en ber Seele bei 
ber myftifdjen Derfenfung in ©ott". Das 3ubeljaljr als (Erlafejaljr (annus remissionis) 
ift im Sinne öes Heuen Bunbes eine (Erneuerung öes ifraelitifdjen fjaH* ober 3<>M ! 
ja^tes (f?all=Sdjall, 3obel=tjom 3 um Blafen im fjallja^r), bes je fünftigften3«^ 
m bem fldet unb UJeinberg ruhten. (Ein folcfyes 3ubelja^r, bas oon bet latljolijdjfli 
Ktt^e als (Erlafjjaljr uerfünöet umrbe, mar bas 3af?r 1913 im flnbenfen batan, buf 
Konftantin ber ©rofce unb Cicinius 1600 3af}te notier bem (Elfriftentum oolle <51# 
beredjtigung mit ben anberen Befenntniffen 3 ugefid;ert Ratten. 

Uber über ben engen firchlichen Kreis hinaus hat bet Begriff 3 ubelia^t ein« 
meitere Bebeutung geroonnen. VOix ftcf?en fefct in ben 3 ubeljaf?ten bes (bebenlens 
an öie oor fyunbert 3a^ren errungene Befreiung Deutfdjlanös oon ber Stemmen' 
W a ft» im 3ubeljal}re 1921 merben mir bas fün^igjä^rige Befte^en bes Kaifertums 
ber fjohen 3 ollern feiern; unb bas 3aljr 1913 mar ein 3 ubelja^t ber 25 irrigen Re* 
gierungs 3 eit Kaifer UJilhelms II. So [priemt man auch oon 3 ubeljaljren ber d^eleute, 
öte bie golbene fjoeftfeit feiern. 

$üt bas 3ubelfeft ift leiber bas mittellateinifdfe IDort 3 ubiläum fo allgemein 
ge räudjlic^, öafj mir uns feinet nicht leitet merben etme^ren fönnen; unb bas Bejtte* 
en nach Küt 3 e öes flusbruds hat meiter 3 u ber logifd} nicht 3 U rechtfertigenden, ata 
Iptadjlidj ferner ab3ufd>üttelnben Rebemeife oom 25*, 50* unb 100 jährigen 3^’ 
laum geführt. So mirö ein fonft recht gebiegenes Buch über Kaifer unb Reich 1888 
fl ' s r* 1 ® e * nc Seftfdjrift 3 um 25 jährigen Regietungsjubiläum IDil^elms II. genannt 
* ° * Jubiläum 253a^xc toasten fönnte! Das ift bodf getmjj ebenfo tDenig itiog* 

tenljdten'gebff 9 * 0 ^” 9 ” ® cbuttsta9f öer 9 Iei ^® 0 ^ nid?t 3 U ben fprad|li^en Sd’ 


!? e m,! nnöet Studjtbar!eit(©bft*, IDeiniahr), nach öichterifchen <&3 
! cn { °T ben ' a *' fteberialjt) ein 3 uge^en, liegt nicht innerhalb ber <&«’ 
vj 6 ! 6 ' u T 9 ot*e. Dagegen ift es oon allgemeinerem Sntereffe, bafe bas 3^ r 
* f? für 6as ® an 3e (bie 3eit) fteht: bas 3aht übt eine heiligende Kraft; 
v ?!“ Iftf . öas ift 9 öttlic^ (Seiner, XDallenfteins «Tob I, 4). So ®ei 
brn?.*+ e «7t öic öas £cbcn a «smachen, für bas £eben, bie £ebens 3 eit fettfl 

, r ,vf . 9cn un l cte 3«l?re 3 u mie ein ©efchroäfc (Pf. 90, 9). Den® 3 

»aliren für unb für (Pfalm 102, 25). 


^te jal}res 3 etten. 

ScbuIuiL^ 91 ^ 1 ! 31111 ? CineS ^ a ^ tcs nad ? öen oier 3 al*res 3 eiten l?at ebenfo tt>ie ! 
nen lahrpcfi * cns l a h r es, Kirchenjahres einen oom bürgerlichen 3«h re Det ^ ie ' 
9 beginn unb 3al}resfd}luf) 3 ur Dorausfe^ung. (Es bebarf feines Hach» el f 


I 




Don (Buftao Schürmann 


583 


öafe fixere Beftimmungen des Anfanges unö der Dauer eines Jollen natürlichen 
(nid}t aftronomifchen), lediglich auf dem IDechfel der 3al?tes3eiten beruhenden 3ahtes 
nicht möglich find. „Dögelein und Blümelein" find die Boten feines Anfanges; die 
ganje Dogelfdjat toünfcht uns ein frohes (neues) 3aht (fjoffmamt non $alletsleben, 
Kinderlieber). 

Übrigens ift die (Einteilung des 3al?tes in oiet 3ahres3eiten nicht allgemein üb* 
lieh- tDie das Doll 3frael nur einen IDedjfel oon 3 toei 3ahres3eiten lannte (1. ITlof. 
8, 22), fo roitd auch h eutc noch vielfach nur oon 3 toei 3ahres3eiten, dem Sommer und 
dem IDinter als der matmeren und tälteren 3<*h tcs 3 c ü gefprodjen, neben denen 
Srühling und Ijerbft lediglich als Redezeiten des 3ahtes erfcheinen. So haben 
Schulen und Unioerjitäten Sommer* und IDinterhalbjahr, Poft und (Eifenbahn Som* 
mer* und HJinterfahrplan; man unterfcheidetSommet* und D)interfeld 3 ug, Sommer* 
und tDinterquartier und {^liefet mit biefen Be 3 eichnungen auch bie 3eiten des $rüh= 
lings und h*tbftes ein. 

Der Bericht des Hacitus (Germania 26), roonach die ©ermanen drei 3ahtes= 
3eiten — Srühling, Sommer und IDinter — unterfchieden, Begriff und Hamen des 
herbfies aber nicht gelannt haben follen, mufe uns ftemdartig anmuten. Denn roenn 
auch IDälder in großer $ülle ©ermaniens Boden bebedten und der IDeinftod 3 ur 3«»t 
des ©acitus oon den Hörnern noch nicht an Rhein und RIofel angepflan 3 t toat, fo 
toaren doch f?eu, ©etreibelom, fjüifenfrüchte und tDwgelgetoächfe und das ©infam* 
mein der ©aben des Selbes und EDalbes 3 um tDinteroorrat unfern Ureltern toohl 
belamtt. Aber auch bie 3nber unterfchieden ebenfo toie die ©riechen der oothomeri* 
fdjen 3eit nur drei 3ahres3eiten. So toetden mir roohl 3alob firimm darin 3 uftimmen 
müffen, öafe das IDort Ijerbft erft nach bet (Einführung oon ®bft und IDein gangbar 
geroorden ift, 

3ebe 3ahres3eit hat die ihr eigene Schönheit unö Anmut: 

Des Ce^es Blumenfleid, 

Des Sommers Abtenmeer, des herbftes (Eraubenhügel, 

Des IDinters Silberhöhn find Deiner ((Bottes) Allmacht Spiegel. 

(tRatthiffon.) 

Kofegarten unterfcheidet Öen jungen £en 3 , den glan 3 gefd}ür 3 ten Sommer, den 
milden herbft, den graugelocften IDintet. 

Der Harne der erften 3ahtes3eit ift Stüljling, Stühiaht, £en 3 . 

Der Stühüng ift der 3ünglingstraum des 3ahtes (©edge), bet burdj feinen h 0 ! 15 
den, belebenden Blid Strom und Bäche oom (Eife befreit (©oethe), die 3ahtes3eit, 
voo die Blumen fich in angenehmes ©rün Heiden, die £er<he fingt, es lebt in allen 
tDälöem (Stillet). 

Die Ableitung des IDortes Stühüng und $rühjaht ergibt fich auf den erften 
Blid. ®b fie begrifflich oerfchieöen find, ift trotj den IDorten 

Das Srühjahr ift lommen, der Srühling noch nicht, 

Hoch macht die Hatur uns ein faures ©efidjt 

in $t. £. Stolbergs ©ebicht Der fpäte Srühling boch recht 3 toeifelhaft. ©s läfjt {ich 
fprachlich lein ©rund dafür ausfindig machen, öaf} das Stühiaht die 3eit bedeute, in 
der die Hatur noch int Kampf mit dem eifemen unö eifigen IDinter liege, der Srühling 
aber erft das oolle £en 3 esgiüd offenbare; man müfete denn Srühling für roohllauten* 



584 


Das beutfdje 3af)r. Don ffiuftao Srfjürmann 


öer unö einfdjmetcfjelnöer galten als $rühjaht (?). Beiöe Hamen, Srühling unö Stüh* 
ja^r, 3aubern uns öas Wieöeraufleben öer Hatur nach langem EDinterfdjlafe tot 
Augen, ofjne öafj öurdj öas eine oöer anöere Wort ein Wehr oöet Weniger an$rül| : 
lingsfraft oöer =pracf;t 3 um Husörucf fommen foll. 

©b fid} nun öer £en 3 roefentlid} oom $rühling unö $tü^ja^r ab^ebt? ilod) 
öer oon ^eyne in ©rimms Wörterbuch angenommenen ©rflätung liegt öer So™ 
£en 3 öas ©igenfd)aftsroort lang 3 ugrunöe; öer Harne be 3 ietjt fiefj alfo auf öas £ängei- 
meröen öer Sage in öer 3eit, „roenn mit Blumen öie <£töe fief} fleiöet neu, toenn öie 
Brünnlein fließen im lieblichen IHai" (Schiller, Wilh- Seil). £en 3 ift öemnad) gleich* 
beöeutenö mit $rühling unö $rühjaijr. $reilicb ift öer £en 3 hinter öiefe Worte feit 
öem 17. 3ahrhunöert 3 urücfgetreten; er hat aber öurdj Öen felteneren ©ebraueban 
flöel unö öidjterifcfjer Schönheit gewonnen. Ss geht foldyen Worten tote IRünjen, 
öie in geringer 3«hl geprägt oon 3aljr 3 U 3aljt inr Werte fteigen unö ju immer 
fchätjensroerteren Stüden öes Sammlers roeröen. Darum geben öie Dichter öem 
£en 3 auch gern fdjmüdenöe Beiwörter. Sr ift ihnen bunt, lau, beblümt, blumig, 
lieb, holö, molluftatmenö, lachenö. Kein Wunöer, öa| öie herrlichfte ^ahresjeit 
auch 3 um Sinnbilöe öer 3ugenö= unö £iebes 3 eit roitö unö öie Detbinbung oon £en3 
unö 3ugenö feine Sorgen öulöet! 

Der $rühling fteht in fchroffem ©egenfatj 3 U öem ihm oorausgehenöen falten 
Winter; öer ihm folgenöen roärmeren 3 ahres 3 eit, öem Sommer, ift er ttadj Art unö 
Wirftmg nahe Derroanöt. Der Sommer hat 3 roar nur einen Hamen; öiefer ift aber 
audj oon jeher bei Öen ©ermanen in ©ebrauch geroefen, unö feine Wut3el ift, roenn* 
gleidj in Worten mit nur anflingenöer Beöeutung, auch in aufeergermanifeben 
Sprachen uorhanöen. Sommer gehört 3 ufammen mit öer Wur 3 el *semi „h 0 ^“> i° 
öafe öie ©runöbeöeutung „fjalbjahr" ift, toie im Sansft. sämä 3 unäd|ft „fjalbjaht" öann 
„ 3 ahres 3 eit" unö „3ahr" beöeutet. 


Der Sommer ift öie hohe, aber auch öie heifee 3eit öes 3 ahtcs; öa „beugt fid) öas 
gereifte Korn tief in gefüllter ©arben Segen", öa „färben Blätter fid? unö Brächte“ 
( uffe, ©eöidjte). Die 3eit öer größten fjitje ift öer fjochfommer, unö roenn öas 
Wetter oor unö nach öem eigentlichen Sommer fommerlich toarm unö freunölict) ift, 
fo fprechen mir roohl auch oon einem Dor= unö Hachfommer. 

3m ©egenfah 3um rauhen, grimmen Winterriefen ift fein Bruöet, öer Sommer, 
ein Riefe oon guter, freunölichet Art. 3m Kampfe mit öem fernfeften unö barte" 
Winter ift ihm öer Rlai (öer £en 3 ) ein guter fjelfer unö IHitftreiter. Unö öa öas 
e en uns im $rühling unö Sommer am lieblichften unö glüdlichften erfcheint, (o 
roeröen öiefe beiöen 3ahres3eiten in gleicher Weife als Dertreter öer menfh^ cn 
. ^ e n s I a h r e überhaupt angefehen, roie öenn unfere Dichter uon einem Uläö<h cn , 
ea? 3 ehn Srühlinge gefehen, oon einem fünf 3 ehn Sommer alten Prisen (EDielanö) 
iprechen. Dem entfprid}t es öenn aud?, öafe öer £em öie 3 ugenÖ 3 eit, öer Sommer 
öas IHannesalter öes £ebens be 3 eichnet. 

Dom fjerbfte mar fdjon oben öie Reöe. Die Snöung ft begegnet uns auch m 
ngft (oon ang), Dienft, 3mift (non 3 mei); Öen Stamm öes Wortes finöen mir roieöet 
9 " Cd ^e" xa Q a ^S = Srucht unö öem lateinifchen carpere = Pf® 
WeiLit ltl aS ® eerntetc - 5ic <^nte 3 eit, aud? roohl öie Srnte felbft, befonöersöre 

Weinernte (öaher aud? herbften = ernten unö Wein lefen). 



585 


Don 5er Aufteilung „Sdjule unb Krieg". Don ffieorg tDolff 

Der fjerbft ift öie 3eit öes fronen £ebensgenuffes, too Bafdjus um Öen U)ein fein 
jäl}rlidf Srinffeft hält (©ünther), öie 3 ahres 3 eit, ohne öie 3 war öas Auge fatt, aber öet 
ITlagen leer märe (£ogau), perfoniföiert ein (Ehrenmann, öet uns Sdjnabelweiöe 
bringt (Glauöius). Anöerfeits ift er öie 3eit, too öie Blätter non Öen Bäumen fallen 
unö öie Hatur fid? auf Öen ©n 3 ug öes IDinters oorbereitet. So wirö er 3 um Bilöe öet 
finfenöen £ebensfraft, öes £ebensabenös. 

Wenn UJinö, wehen, IDinter auch nicht öiefelbe IDwgel haben, fo geböten fie 
öodf begrifflich 3 ufammen. Oer IDinter ift ein troftiger UTamt, öet Schnee unö ©s 
umf?erftreut. Unter feinem Regiment örängen öie Hebel fidj öidjt oot öen Blid öer 
Sonne; öie Stürme blafen mit Zitacht (©eibel). Rauhe IDinöe welj’n oon Rotöen, 
unö öie Sonne fdjeint nicht mehr (fjoffmann o. $allersleben). 

Oie leftte 3ahres3eit, öie 3eit, in öer öie Ratur fdjläft unö unter öer fdjüftenöen 
Oede öes Schnees ihrer Auferfteljung harrt, ift ein Bilö öer Dergänglidjteit, öes Soöes, 
aber eines Soöes, aus öem mir 3 U einem großen Zttaientage ermaßen toetöen. 

So lehrt uns öer IDedjfel öer 3ahtes3eiten, öaft alles £eben wie öas 3aljt felbft in 
IDeröen unö Dergeljen, ©itmidlung, Blüte, ©nte unö Detfall »erläuft, öaft aber nichts 
oöllig untergeht, fonöem alles in immer neue ©fdjeinungsfotmen fidj wanöelt, 
um immer toieöer öenfelben Kreislauf öes (Entfteljens unö Dergeljens 3 U mieöerholen. 

($ortfefcung folgt.) 

t)om 6eut[d)en Unterridjt auf öer Hu$[teIIung 
„Sdjule unö Krieg“. 

Don (Seorg tDolff in Berlin. 

3m 3entralinftitut für ©gieljung unö Unterricht, Potsöamer Strafte 120 in Bet* 
lin, befinöet fidj öie „Sonöerausftellung Sdjule unö Krieg", öie an ausgeroäljl* 
ten anfdjaulicfjen Beifpielen 3 eigen will, „welche U)irtungen öer Krieg auf öie 
Arbeit öet Schule unö öarüber hinaus auf öie ©t 3 iehung, Bilöung unö 
Betätigung öer 3ugenö überhaupt bisher ausgeübt hat unö Dorausfidjt* 
lieh weitet ausüben wirö." (Es finö 3 wat alle ©gieljungsanftalten oom Kinöergarten 
bis 3 U Öen höheren Schulen, fowie 3 iemlich alle Unterrichtsfächer in öer Ausftellung 
berüdfidjtigt, aber öie ausgeftellten Arbeiten öer ehgelnen $ädjet finö nach 3aljl unö 
IDert recht Derfdjieöen; es ift aus äufteten unö inneren ©rünöen berechtigt unö öatum 
erfreulich, öaft öabei öer Oeutfchunterridjt einen befonöeren ©jtenplaft einnimmt. 
U)ir tonnen unferm Bericht übet öiefen Seil öet Ausftellung folgenden plan 3 ugrunöe* 
legen: 1 . Auffäfte, Rieöerjchriften unö Oiftate, 2 . Kriegsgeöichte, 3. öas £efe 3 immer. 

1. Bei Öen Sammlungen öer erften ©ruppe haben fidj 3 ahlreidje Schulen 
öamit begnügt, öie wäljrenö öet Kriegsmonate geftellten Auffaftthemen nur 3 U nennen, 
anöete haben ein 3 elne fdjriftliche Arbeiten öer Schüler ausgelegt, unö noch anöete 
haben öie Kriegsauffäfte aller Schüler einer Klaffe eingefdjicft. Bei öer U)ahl öer ©he* 
nten finöet fidj naturgemäft eine grofte Ahnlichteit unö weitgeljenöe Übereinftimmung, 
nicht nur in Öen gleichen Klaffen öerfelben Schulart, fonöem auch in Öen entfprechen* 
Öen Klaffen öer »erfchieöenen Schulgattungen. 3n öer Dolfsfdjule unö auf öet Unter* 
unö IRittelftufe öet höheren £ehtanftalten hanöelt es fidj um öie Oarftellung eigener 



586 


Don 6er flusftelfung „Schule unö Krieg" 


Beobachtungen, eigener (Etlebniffe in öer Schule unö im häufe unö auf öer Strafe« ober 
aud} um tDieöergabe non Unterticljtsergebniffen, öie 3 U öem Kriege in Bejiefeitng fteljen. 
Beim £efen öer Themen unö beim Ourchblättern öer fjefte 3 iehen alle öie taufenö CEreig= 
niffe unö (Etlebniffe öer Ietjten elf Rtonate an unf eret Seele noch einmal norüber: EDounö 
mie mich öie BTobilmadjung traf, IHeineRüdtehr oon öer Reife in öerlefeten$eriemDOcbe, 
Ausrücfen öer „$ran 3 er", H)as ich in öen TRobilmachungstagen gejehen höbe, Der Datei 
(CDnfel) 3 ieljt ins $elö, Oie erfte Siegesnachricht fommt, Unfere Siegesfeier, IDeifenaiMen 
im Kriegsfall, Unfere RTetallfammlung, Unfere Brotoerforgung ufro. Rettor <5ram= 
berg, öer in öer Ausftellung über öas 2hema öer Kriegsauffäfee in öer Dolfsjdjule 
gefprodjen hat, unterfcheiöet örei Auffatjgruppen: unterridjtlicfj beöingte Stoffe 
( 3 . B. öie RTafurenfchlacht), ftofflich angelehnte ühemen (unfere Rlafurenfd)tact)t auf 
öem Ausfluge) unö freie Aufgaben (Dantfchreiben an fjinöenbutg). 3hm |tnb b' e f e 
freien Arbeiten öie toertoollften, toeil fie öie Selbftbetätigung in feiner IDeife hemmen, 
er empfiehlt öeshalb öie fogenannten 3<h 5 llhetnen — ein Drittel öer aus Dolfc 
fchulen eingefanöten Arbeiten entfprerfjen öiefer^oröerung — als öie geeignetften. ~'fi 
öas fjauptgefetj tiefer Kriegsauffäfee, nach ©ramberg, $reiheit, öie h au P^ ue ^ e 
fchöpfetifche üätigfeit unö öas fjaupt 3 iel UJärme, fo genügt für Öen Stil öie Angabe 
ober öie (Entroidlung einer ©Iieöerung; öie Korreftur öiefer im beften Sinne öes Wortes 
freien Auffähe foll nicht einfcfjüdjtern, fchelten unö nieöerreifeen, fonöern ermuntern 
unö aufbauen. Auf Öen £efer roitfen auch öiefe Auffä^e am erfreulichen: fiefinöfrifcb 
unö flar, anfchaulidj unö gefühlsroarm, frei oon jeöer pijrafe unö falfdyem Pathos. 
IRit Recht lehren öeshalb audj auf öer (Dberftufe öer höhnen £ehranftalten oielfach 
öiefe einfachen ühemen roieöer, öie 3 ur Darftellung öer einfachen Beobachtungen 
unö (Etlebniffe anregen; als Beifpiel ermähnen mit hierbei öen Auffafe eines pri= 
maners „(Ein (Sang über öas Sdjlachtfelö oon Dieu 3 e*Dergaoille", öen öer Auffet 
Khreiber roiröich unternommen hat unö ungemein lebensmahr unö anfchaulid) be : 
fajreibt, als ©egenbeifpiele öer al^uoielen Phantafieauffätje, öie öodj leicht 3 U innerer 
nroahrheit oerleiten: „U)ie idj mir öas (Eiferne Kreu 3 erroarb", (Ein Brief aus öem 
Schuhengraben'', unö „3m $lug 3 eug oon Brüffel nach £onöon". Die Riehst bet 
uffage auf öiefer Stufe fudjt öie Schüler 3 U einer Stellungnahme 3 U öem grofeen 
lüeltereigms 3 U oeranlaffen, über öas tDefen unö öie Probleme öes Krieges nach?“’ 
öenfen (Der Krieg als <Er 3 ieher, £icht= unö Schattenfeiten öes Krieges, 3 nroiefern 
hemmt unö föröert öer Krieg öie Künfte?) unö mählt als Ausgangspunft unö £eit< 
iprud} mit Dorliebe Dicfjterroorte über öen Krieg („Der Krieg hat auch fein ® ute51 
5 -5?J f ö * r $ rieöe - aber öer Krieg hat auch feine (Ehre, öer Bemeger öes Utende"' 
*1™?: ' Ktie9 ift ^ redIid t wie öes Rimmels plagen" ufro., „Richtsmüröig >P 
re Ration ufro., „(Es fann öer$römmfte" ufro., „Dulce et decorum est" ufm, » DeI 
Kri?n w! ?! f in 2raum " u fro., „Der Krieg läfet öie Kraft erfcheinen" ufm, > 
llnf 6 « f “ 1 öas öer Krieg", „§ür feinen König mufe öas Doll u[©< 

,I?t " td?t öas £ebe n ein" ufro., „Ans Daterlanö, ans teure" ufm, 
n °! tD ® nö, 9 öie Begeiferung" ufro., „Der Krieg ift föftlich gut, öer auf öen 
|f" i ' mat < C » 91 U), „Iteue Cicbc bis Jum ® t obe' u|to., .Der Kultitt Wt St "“ 1 
S <EnW "' ." Das w ^ Köpfte, liegt im Sterte- u.«. «■*« 
iefet öen ^ Cf 9 e föitf?tlid}e, Iiteraturgcfd?id?tIid}C $ ra 9 en au f' 

1 * öen Spuler befonöers intereffieren: fjelgolanö in Vergangenheit unö (Segenmart; 



Don ©eorg IDoIff 


587 


Die geographif©en Derhältniffe Oeutf©lanös unö ©re $olge für Öen Krieg; Oer Sue 3 * 
fanal. — IDarum brauet Oeutf©lanö eine große $lotte? Beöeutung unferes Bünö* 
ni|fes mit öet ©ütfei; ©rünöe 3 U Kriegen, — fjeinri© o. Kleift, ©rnft IRoriß Amöt, 
Dieter oon Daterlanö unö Ste©eit; IDalter 0 . ö. Dogelroeiöe unö öie Sortierung öes 
©ages; ©ang unö Beurteilung oon ©rnft £iffauers ©aßgefang an ©nglanö. 

©s ift im Rahmen öiefes fmgen Berittes ni©t möglich, mehr als einen Keinen 
Übetblid über öie ausgeftetiten Auffäße 3 U geben; alle gtunöfäßli©en Stagen müffen 
unbefpto©en bleiben. U)it meifen öesljalb ausörüdü© auf eine Arbeit über öie Kriegs» 
auffaße an höheren Schulen hin, öie Prof. Dr.Rei© auf ©runö öes ausgeftetiten ITCate* 
rials in öem öemnä©ft erf©einenöen illuftrierten ausführli©en Süßtet öet Ausftel* 
Iung über öiefes ©hema oeröffentli©en mitb. 

Aus einer großen An 3 ahl Berliner ®emeinöef©ulen finö öie Oiftathefte aus* 
geftellt, unö mit $teuöen fielet man, roie au© öie Oiftatftoffe felögtau getootöen finö: 
oon öen erften XDörtem unö äugen Säßen im erften oöer 3 u>eiten S©uljahte bis 3 U 
Öen umfangreichen Saßgebilöen unö 3 ufammenhängenöen Stüden öer lebten S©ul* 
jahre. (Es ftedt oiel £iebe 3 ur Sa©e, oiel $Ieiß unö ®ef©idli©feit öer £ehrer unö £eh= 
retinnen öarin, troß öer oieten Htehrarbeit au© öie Oiftatftoffe 3 U Öen Re©tf©reibe* 
regeln fi© felbft 3 U formen unö 3 U fammeln unö fo au© in öiefem etmas fptööen 
Unterri©tsfa© öie Be 3 iehung 3 U Öen ©reigniffen öes ©ages unö öet Stunöe 3 U f©affen, 
öie ©ßeobalb 3iegler in feinen ©eboten einer Kriegspäöagogif jeßt oon jeöem Unter* 
ri©t oertangt. 

©ine Hamburger S©ulf(affe hat Kriegstagebü©er geführt, in öie öie 5©üler 
eintragen, roas unö roieoiet fie mollen, aus öenen fie na© eigenem ©rmeffen oorlefen 
unö öie ni©t fonigiert toeröen. ©in S©üler et 3 ählt ooQugsmeife $amitienerlebniffe 
mährenb öer Kriegs 3 eit, ein anöeret beri©tet über öie ©teigniffe in feinet fjeimatftaöt, 
unö ein öritter oer 3 ei©net mehr öie !riegerif©en ©tfolge unferer fjeere. 3m attge* 
meinen enthalten öiefe ©agebü©et oiet Perfönti©es unö oieles im Oialeft. 

2. Bei Öen ausgeftellten Kriegsgeöi©tfammlungen finö 3 toei ©tuppen 3 U 
unterf©eiöen: oon S©ülern gefammette unö oon S©ütern geöi©tete. 
Bei öer erften ©ruppe haben öie 5©üter großen U)ert auf öie äußere Ausftattung 
gelegt, öie ®eöi©te finö fehr forgfam gef©rieben oöer aufgeftebt, mit faubeten unö 
gef©madoolten RanÖ 3 ei©nungen oerfehen. Oie betannten Kriegsgeöi©te oon fjeQog, 
fjauptmann, Brennert, fjo©ftetter, Ciffauer, ®sner u. a. lehren regelmäßig roieöet; 
bei öet Ausmahl öer anöem ift moht mehr öer 3ufall öer Berater gemefen: ©eöi©te 
aus öer 3eitung öer ©Item, öem £o!aIbtatt, öer 3 ugenÖ 3 eitf©rift. 

3u Öen eigenen ©eöi©ten Breslauer Kinöer, öie öie (Ortsgruppe öes Bunöes für 
S©ultefotm auslegt, hat Profeffor U). Stern einige einfühtenöe Säße gef©tieben. 
©t erflärt öie große An 3 ahl öi©tenöer Kinöer aus öer gefteigerten ©emütsbemegung, 
öie 3 U einer Oerftärfung öes poetif©en Ausörudsbeöürfniffes führt. Oie IUäb©en 
haben fi© mehr beteiligt als öie Knaben, roohl befonöers öeshalb, meil öie Utäb©en 
an fi© mehr Öa 3 u oeranlagt finö unö öie Knaben im Ktiegsfpiel mehr ©te erhöhte 
Aftioität 3 um Ausörud bringen. Knaben unö Ifläö©en, Dolfs* unö höhere S©üler 
3 eigen bei ©ren ©ebi©ten 3 mar oerf©ieöene Belefenheit, anöete formale ©emanöt* 
heit, geringeren oöer größeren U)otif©aß, eine oerf©ieöene Beherrf©ung öer Spra©e, 
aber in öer Stoffmahl unö in öer ©emüts* unö tDillensri©tung finöet fi© fein Unter* 



588 


Der Sinn bes Krieges 

ftfjieö: Das (Erlebnis ift im gan 3 en Dolfe bas gleiche. Die Sammlung orbnet bie ®e> 
bidjte fachlich etroa folgenbermaßen: Allgemeine ©ebidjte (Befingen bes beutfd|en 
Dolfes, bes feeres, bes Kaifers ufm.), (Epifdjes (Hat bes U 9 , Sdjtatfjt bei £ongtoy), 
fjelbentult (Ijinbenburg), $amiliäte Rettungen (Dermmtbung, Hob), fjumorijttfi^s 
unb Satirifdjes, Symbolifches unb Difionätes. Rlit bem ausgefptochenen 3 roede, 
eine ©ebicfjtfammlung für bas Sdjülerlefejimmer 3 U {Raffen, haben bie Spület einer 
Präparanbenanftalt gemeinfam ©ebidjte gefugt, gefammelt unb aufgejeicfynet 
3. IDetfen mir 3 um Schluffe noch einen Blidin bas Schülerlefegitnmetunbbcn 
Cef etaum ber Ausheilung, ©ne gan 3 e An 3 al?I ber Anregungen, bie bet Herausgeber 
biefer 3eitfd}rift im Januarheft 3 ur $rage bes Sdjülerleferaumes gegeben ^at r ift hier 
befolgt tootben: mit finben in bem behaglichen 3immer gute Bilber unb Bilbermappen 
(Bauers $ebet3eichnungen, „Kampf in ber beutfchen Bilberfunft", bie „ 3 IIujtrierte 
(^ronit bes R)eltfrieges" unb 3 ahlreiche ©njelbilber, bie in einem Bilbertoonfc 
fqrant befonbers Borteilljaft aufbemahrt finb unb benußt metben lönnen), bie Reben 
fuhrenber ©eifter („Reben in großer 3eit", Döhting, Dryanber, 3 urhellen u. ä.), aller 5 
Jet Kriegsbücher unb Kriegsberichte (3obeltiß, ©anghofer, Aram, o. (Trotha, Renent 5 
loro, Cinbenberg, $elöpoftbriefe), Kriegstarten (18 Karten aus Debes’ neuem fjcntli 5 
® e ltWeg"), Bücher allgemeineren Unhalts (über bie $lotte, bas hw 
Pfabfmbetbücher, Rahrung unb Rahrungsmittel) unb enblich Kriegsgebichtfammlun 5 
, <Ea ^ cIct Schulmufeum hat eine An3ahl Wappen ausgelegt, bie Blatter mH 
lelbftgefammelten unb aufgeüebten Silbern aus 3eitungen unb 3 citfchriften entljal 5 
en un fich burch prattifche ©nrichtung, fachliche ©nteilung, leichten ©ebtaudj unb 
laubete Anfertigung aus 3 eichnen. 3m Ceferaum enblich mären alle Gifche mit bei 
unenbltch gtofeen 3ahl ber Kriegsfchriften, Kriegsflugblatter unb Kriegsbücher br- 
i * ' tL. , C ^ J^ r ^ ut ^ c ^eit 3 um 3 mecte bet Reuorbnung gefchloffen, et toitb nach 
Anorbnu lC ^ erC ' t °^ nUn ^ ° n ^ es c ^ roas unüberfichtlichen Al^uuielen planmäßige 

Der Sinn öes Krieges. 

c . ? a ^ r öcs Kriegs liegt hinter uns. Doll Dantes fehen mir, bafe er unferen 
t V" ie " öe " 9 c ^°ffte n (Triumph nicht gebracht hat, baß mir — menn auch unter 
h « r >. en « ** !5 n überall Borroärtsgetommen finb unb auf einen uollen Sieg 
Ln?,«!?"' flber mit 0anf öür f en ®ir auch feftftellen, baß biefer Krieg alle, brau 5 
üh^rim,«V innCn ',-i CS SiC9CS WeTt 9 ema <ht hat, baß ein großer ©nft alle erfüllt, bte 
m A P . ,n " crI,< ^ an öiefem Kriege teiHunehmen imftanbe finb. 3mei (Erlebniffe 

machen m ,t btes heute befonbers Har. 

bie Öie?e 3eiIen ^ reibe - lauten bie ©loden: IDarfchau ift gefallen! unb 

aber «;,«» x n . en Don be nh°hen. Sie roeden überall ein frohes Ceudjten in benflugen, 
rounbetl 9 ?,«^ 5 I autc '. tu ^ mtcb ‘9« $reube. Dabei finb rings um mich lauter Pen 
benen man b ' C ^* ct ^ e *l un 9 non fchmeren Kriegsfeh eiben fueßen unb bei 

alle bafe an*^. lDort P 0 |3enSeIbftbemußtfeins roohl oerftehen fönnte, benn fie 
' Dor mirnh ^ f! CtC ^* C 9 C ' auc h um biefen Sieg mitgefämpft haben, 
noch einmal Bu ^' in öem bie 9 eiftigen $ühter hier brinnen fich uni un j 

roirb flueb Ä 9Cben ’ ® ic cs 3U öic f em Krieg tarn unb mofür er geführt 
rt? Buch Prebigt ben ungeheuren (Ernft, 3 eugt Bon bem großen Derant 5 



Don tDaltljer fjofftaetter 


589 


roortungsgefühl unferes Dolles. (Es fragt, ob unfere gcinbc recht haben, toenn jie 
immer toieber 3 um Kampf rufen gegen Öen preufeifch'beutfchen IRilitarismus, ob es 
untere Sdjulb ift, toenn mit mehr als anöere Doller Öen Reib unö fjafe auf uns gejogen 
haben. (Es fragt, ob mir eine eigene Kultur haben unö ob es nicht öodj Selbfttäufchung 
ift, menn mit glauben, unfetem Dolfe fei eine befonöere Aufgabe in öer IDelt 3 uteil 
gerooröen unö es habe für öiefe Aufgabe auch «sittlich gearbeitet, öaheimunö btaufeen. 
©ibt es bei uns Steilheit ober tämpfen unfere $einöe mit Recht gegen Öen beutfd?en (Seift 
als einen ©eift öer Knedjtfdjaft? Sie alle, öie öi es Buch fd?affen halfen, machen fi<h in echt 
öeutfcher ©rünölichteit öie Antmort nicht leicht. Aber um fo geroichtiger iftfie. IRögen 
fie ausgehen oon bet ©efchichte früherer 3eiten unö aus ihr heraus öie öeutfche Kultur 
unö Öen ©eift öes öffentlichen Cebens 3 eidjnen ober öas öeutfdje militärifdje Syftem in 
feinet langen ©ntmidlung, mögen fie mehr auf öie ©egenroatt gerichtet Deutfchlanb 
inmitten öer anöeren IDeltftaaten fchilöern unö Öen ©eift öer beutfdjen IDeltmirtfchaft 
unö öeutfcher Kolonialpolitit öutdjötingen — immer mieöer beroeifen fie, öafe nicht 
tDiüfür ober fjerrfchfucht ober Kaftengeift unfet Doll geleitet hot, fonöern öafe unter 
ungünftigen geographifchen unö mirtfchaftlichen Derhältniffen nur öie innere Kraft 
unö öerArbeitsernft öes ganjen Dolles uns 3 U öem gemacht hot, mas mir gemoröen 
finö, unö öafe öiefer IDille öes gan 3 en Dolles 3 U einer einheitlichen unö mähten Kultur 
führen mufe. ©in folches Doll greift nicht leichtfinnig 3 um Schmert—mit Ausnüfeung 
öes neueften amtlichen Rtaterials mirö gc 3 eigt, mie fidj Deutfchlanb um Öen Stieben 
bemüht hat —, unö es führt öiefes Schmert mit IRenfchlichfeit. Aber 3 U melchem 
3iele? Um öiefe Stage 3 U beantmorten, mirö öie Sage unö Politil unfeter Bunöes» 
genoffen unö unferer ©egnet geprüft unö öer furchtbare 3ufammenbruch öes Doller» 
rechts aufge 3 eigt. Unö bann öie Antmort: „U)ir mollen leine Art oon tDeltherrfchaft, 
fonöern Öen ©runbfafe öer Steiheit unö ©leichberechtigung aller Doller öer (Erbe, fomeit 
jie öas erforöetliche IRafe oon ©efittung erreicht haben. Das entfpridjt öem beutfchen 
U)efen; in öiefem Sinne mosten mir öas oietytierte prophetifche U)ort eines unferer 
eöelften Dichter faffen, öafe am beutfchen IDefen noch einmal öie IDelt genefen foll. 
Das ift öer Sinn öer öeutfchen U)eltpolitil, öas ift auch öer Sinn öiefes Krieges." Alfo 
nicht überhebliche 3iclfcfeung, nicht fjerrfchfucht, fonöern ©rnft unö ein Derantroor» 
tungsgefühl, öas roahter Kraft entfpringt. 

Dies Buch ift ein ©rlebnis. ©s pafet 3 U öen füllen Solöaten hier mit ihrer ernften 
Steuöe, es foll mich ober auch hinausgeleiten, menn ich — am roeiteren Dienft mit 
öer tDaffe oerhinöert — mieöer oor meine 3 nngens treten öatf, öenn es antmortet 
auf all öie Stagen, öie fie unö uns Cehter bemegen, unö es beftartt uns öatin, öafe 
mir fie meiter et 3 iehen follen in öem öeutfchen ©eiftbemufeter, emfter Pflichterfüllung, 
im Dienft öes ©an 3 en. Dies Buch ift ein 3ei<hen oon öem Segen, Öen öer Krieg 
unferem Doll gebraut hat, inöem et es 3 m Selbftbefinnung unö Selbftprüfung 3 mingt. 
Htödjte es roeit bringen auch um öes bereinigen Stieöens millen. 1 ) 

3. 3t. Ca 3 arett Gottleuba. 5.8.15. tDalther hofftaetter. 

1) Deutfchlanb unö öer IDeltttieg. fjerausg. oon ©. fjinfee, $. IReinede, 
ff. ©nden, fj. Schumacher. £eip 3 ig unö Berlin, B. ©. ©eubner. ©efe. IR. 7 »—> geb. 
IR. 9,-. 

Snhaltsüberficht: I. Deutfdjlanös Stellung in öer IDelt. A. Deutfchlanb unö öas 



590 


£iteraturberidjt 1915: KriegsIÜeralur 

IDcItjtaaie^yftetn (Prof. Dr. ©tto fynße, Berlin). B. Der ©eift öer öeutfäen Kultur 
n a Dr " ® rrt ^® roc ^f c ^' Berlin). C. Deutfd}lanös Stellung in öer IDelttoiitf^aft(Prof, 
ur. ^ermann Schumacher, Bonn). D. Oie öeutfehe Kolonialpolitif (Staats)ehetär 
ur solf, Berim). E. Das öeutfehe militärische Syftem (Prof. Dr. fjans Delbrüd, Berlin). 
11 ' ® eul Wen Snftitutionen unö öer ©eift öes öffentlichen £ebens. a) herfunftuni 
h «a ö ” öeut f? cn ^nftitutionen (Prof. Dr. ©uftao d. Schmollet, Berlin), b) Das 
eu [ehe Staatsbürgertum unö feine Ceiftungen in öer SelbftoertDaltung (Staötrat 
L>r. ^ans £uther, Berlin). Hachroort (©berbürgermeifter flöolf tDermutlj, Berlin). 
. „!*• Beutfchlanös Bunöesgenoffen. A. ©fterreich»Ungarn. a) Der innere Aufbau 

öer oftmetchtfch=ungarifdjen tTtonarchie (Prof. Dr. $rieöri<h lejnet, tDien). b) Oie 

5 U - S ? ar 5 l 1 f P olim ®f*erreich=Ungarns (Prof. Dr. ©ttocar tDeber, Prag). B. Oie 
Surfet (Prof. Dr. darf Becfet, Bonn). 

n iC j ma ^ tp ° Ktif unfcrcr ® e 9ner. A. Oie IRachtpolitif ©nglanös (Prof. 

( J.' ai ds,BIü nc hen).B.OieIUachtpolitii^5tanfreichs(Prof.Dr.paul Darmftäöter, 
wotttngen) C. Belgien unö öie großen möchte (Prof. Dr. Karl fjampe, heiöelberg). 
u. «ußianöunö öer Panflaroismus (Prof. Dr. fjans Übersberger, IDien). E. Oie Rolle 

£2» Dr ‘ ^ ans Übersberger, IDien). F. Oie ©ro&mächte in ® ftafien (Prof. 
Dr. ©tto $tanfe, Hamburg). 

rrv ü^ef'hi'hte unö Ausbruch öes tDeltfrieges. A. Oie Dorgefdjiehte öes Krieges 
J+nror. Dr. Hermann ©nefen, fjeiöelberg). B. Der Ausbruch öes [Krieges (Prof. 

n/£Tr n ®"* C "' *> eiöcIbct 9). c. Anhang: Oie Iteutralitöt Belgiens (Ptof. 
Dr. IDalther Schoenborn, f?eiöelberg). 

ittoJ : ® cif i öcs Krieges. A. Krieg unömenfchlichfeit (A.fUietfje, auf©runöamtl. 

~ “J.‘ *\ r« 5 uItur ' Blachtpolitif unö Utilitarismus (Prof. Dr. $rieöri<h BTeinede, 

<-. lt V* ‘ , et ^ r * e 9 u nö öas Dölferrecht (Prof. Dr. ©mft 3itelmann, Bonn.) D.Der 
Sinn öes Krteges (©. fjinße). 


£iteraturberi(f)t 1915 . 

Kriegsliteratur. 

Don $tieört<h Panjer in $ranffurt a. Itt. 


_ IIL 

DeuttAW.^ "f**gen ©efetjiehtsfehreiber öes tDeltfrieges roirö öie £iteratur, nti 
J22J^ " J ,l l Un ? er i Ii ^ cn 2atc " feiner fjeere begleitet, begrünöet, fi<h fetof 
tenöer neben öen Semaltigen ©reigniffen felbft ein nicht 3« w 

££ fein mü|(i W «1« V» « * 

S. 113ff u i«i« n \ em t lerI Bcmet * un 9 eI, f t>ie unfete beiben erfien Übeljiditen ( 
Schriften öie rnicTfJ«! 66 "' roeitcre Belege beifügen öurch Befprechung 
3eitfchrift einfdjlagen ^ 3U ® m ® en unb einigermaßen in öen Ontereffenfreis un 

liehe Oarftellunft^N^ 6 «*^Bemüht, eine möglichft 3 uoerIäffige unö anfe 
fchichtsfaIenfior" S e !^*^ cns 3 U Bieten. Dem roohlbefannten „Deutfchen 
Fj?ta|tsfalenöet enoachft hier eine öanlbate Aufgabe. 1 ) Snöem et non IRona 

Dorgänge im^3n= irnb < flm:u!?}[ enb 4 r ‘ 9 eorönetc 3ufammenfteUung öer totdjti! 

uno Huslanö. Begr. non K. IDippermann. herausg. Dr. S-P ul 


J 



Don Sriebrid) Panjet 


591 


Htonat öie roichtigften dreigniffe in Oeutfdjlanö unö öem Auslanöe unter Anführung 
bet hauptfächlichften öiplomatifchen Attenftücfe unö öer Äußerungen bet führenben 
Preffe oe^eichnet, pellt et ein trepches Hilfsmittel bereit, beffen rajdje Senkung 
öie forgfältigen Hamen* unö Sadjregifter jeöes ITtonatsheftes noch roefenüich et* 

leichtern. 

Don öer dljtonil öes Bedfdjen Derlags 2 ), öie unfer erfter Beriet fenn* 
3 eidjnete, finö ein 2 . unö 3. Banö erjdjienen. 3n gleich gefälliger Ausftattung roie 
if?t Dotgänget führen fie öie dreigniffe bis in Öen Iltät 3 1915. 3u öen Bilöniffen melj* 
teter Heeres* unö $lottenführer unö Staatsmänner bringen fie ein Härteren bertDeft* 
front; eine (Einleitung oon (Dberftleutn. $rht. o. £upin im 2 . Banö gibt einen 3 U* 
jammenfaffenöen Überblid über Öen Kriegsoerlauf bis 3 um Hlät 3 . 3ielt öiefe dhtonif 
auf eine Sammlung aller amtlichen Äußerungen übet Öen Krieg, öie einem tünftigen 
©efdjichtsfchteibet als 3 uoerläffige Unterlage öienen !ann, fo ift iht ausgefprodjenes 
IDiöerfpiel öie Sammlung oon Kriegsbofumenten, öie dbetljarb Büchner oor* 
legt. 3 ) Dies fehr eigenartige unö feffelnöe XDer! (teilt, öem £aufe öer Ktiegsereig* 
niffefolgenö, Ausfdjnitte aus unferen führenben 3eitmtgen, aber auch aus Öen Heineren 
Preßer 3 eugnijfen namentlich öer ©ren 3 lanöe 3ufammen, Berichte unö Auffäßdjen, 
gelegentlich auch eine be 3 eichnenöe An 3 eige. Hicht um objeftioe Beriete 3 U bieten, 
öie öer einftigen Darftellung öes roirflid) ©efdjehenen oorarbeiten. 3m ©egenteil: 
öie Sammlung roill auch für fpätere 3eiten öie IDitfung öet flärenben unö erfältenöen 
$erne aufheben, roill auch füt öie 3utunft noch etroas oon öem heißen Atem öes dags, 
öes leiöenfdjapchen Htiterlebens fefthalten, öer in all Öen hier gefammelten I&geug* 
niffen roeht. Sie roeröen auch einmal eine unoerächtlidje (Duelle für Öen Kultur* 
gefchichtsfdhreiber fein tonnen, öem fie 3 ahtreiche Heine unö fleinfte 3 ü 9 e bis herab 
etroa auf öie Amulettoertäufe bequem batteichen. Den £efer oon heute mögen im 
1 . Banö oor anöerem öie Ittitteilungen aus elfäffifchen 3eitungen über öie 3uftänöe 
unö Kämpfe im Reichslanöe feffeln, öie manches Hachbenfliche enthalten. 

Hlehrete dhroniten haben (ich oor aHem öarauf eingeftellt, Anfchauung 3 U 
bieten. Diefenige öes$ranfhf<h cn Derlags 4 ) tut fid? neben ihren meift nach Seid?* 
nungen gegebenen Bilöern burd) anfdjauliche Relieftarten unö Hare KartenfH 33 en für 
öie ein 3 elnen Schlachten heraor. Den dejrt, Kampfberichte, aber auch Schilöerungen 
oon £anö unö £euten unö öet fühtenöen Perfönlid^teiten, haben in Öen erften Heften 
K. Sloeride unö A. $enbri<h beigefteuert. — 3n größerem $ormat unö reicher Aus* 

3ahtg. 1914, 2. Bö. 3uli bis Dejbr. 618 S. HI. 7,20. 3anuat bis IHai 1915. S. 1—685. 
3eber Htonat HI. 1,50. 

2) dhronit öes Deutfd)en Krieges nach amtlichen Berichten unö 3 eitgenö(fif<hen Kunö* 
gebungen. 2. Bö. Don Hütte Hooember 1914 bis mitte 3anuar 1915. Hebft 8 Bilöniffen u. 
1 Kärtchen. XXVI, 468 S. 3. Bö. Don mitte 3anuat bis Anfang HtäQ 1915.462 S. manchen 
1915, d. H. Bedfhe Dertagsbuchhblg. 3e m. 2,80. 

3) (Eberh. Bühnet, Kriegsöofumente. Der IDelttrieg 1914 in öer Darftellung öer 
3eitgenöffif<hen Preffe. 1. Bö. Die Dorgefdjichte. Der Krieg bis 3 ur Dogefenfdjlaht. (ditel, 
Umfdjlag u. dinbö. oon S- H- «hmde.) VIII, 362 S. gr.8°. münchen 1914, A. £angen. 
HI. 3,—, geb. Hl. 4,—. 2. Bö. Don öet Dogefenfdjlacht bis 3 Ut (Einnahme oon SuroalK. VIII, 
330 S. m. 3,—, geb. HI. 4,—. 

4) Der Krieg. 3Iluftrierte dhronit öes Krieges 1914. Stuttgart 1914, $ranlhfche Der» 
lagshanölg. monatlich 2 Hefte. 3e nt. 0,30. 



592 £iteraturberid)t 1915: Kriegsliteratur 

ftattung tritt öie R)elttriegschroni!öerCeipjiger Dlluftrierten 3 citungauf.*) 
Sie bietet neben IDieöetfyoIung öer in öer 3eitung erfdjienenen Bilöet oieles Heue, 
3 . CE. nacf? Photographien, häufiger nad} Sfi 33 cn oon Sonöerjeichnetn öet 3 eitung 
unö ©emälöen (manches öarunter in $arbenörud), auch mehrere Karten, ©nt 
fortlaufenöe Sdjilöerung öer Greigniffe unö 3uftänöe auf Öen oerfcf?iebenen Kriegs» 
fdjauplähen oon p. Sdjtedenbad? hält öasSanje 3 ufammen. — 3 n gleichem $ormat 
erfcheint fehr oornehm nnö unwichtig ausgeftattetöie < 5 efcf?id?teöes Döllerfrieges 
oon fj. Schaffftein. 6 ) fjiet toirö öet Derfud? gemad?t, nicht bloß öas Heuefte mit» 
3 uteilen, fonöern nach Rtöglidjfeit gleich 3 U einer roirtlichen ©ejdiidite öes Krieges 
oot 3 uöringen, öie auch öen tieferen 3 ufammenhängen nachgeht, feine allgemeinen 
Dorausfeßungen auf 3 eigt. Sie beginnt öarum mit einer Schilderung öer 3uftäni>e 
im ruffijehen Reich. Reben Öen CEreigrtiffert im $elöe fchentt fie auch öer Kriegsbereit 
fhaft in öer fjeimat ihre flufmerffamfeit; ein 3 elne ©eöichte unö Hachbilöungen 
älterer ©emälöe fpiegeln öa 3 toifchen öie Stimmung öer Ration. Karten unö feljt 
3 ahlreiche, 3 . CE. oortreffliche Bilöet föröern öie flnfd?auung. 

t). Srobenius fammelt „Sdjroeftern öer Sd?idfalsftunöe'', ö. h-er gibt eine 3u» 
fammenftellung unö flus 3 üge oon R)erfen hauptfäd?lid? auslänöifdjet Schriftfteller, 
öie ähnlich rnie fein betanntes Buch „Des Deutfcf?en Reiches Sd?idfalsftunöe" öen öeut» 
fdjen Krieg oorausgefagt unö im ein 3 elnen ausgemalt haben. 7 ) 

^©in ausge 3 eichnetes Büd?lein, öas toir ötingenö empfehlen, hat uns tDilh- 
ner ) gefdjenft in feiner Schilöerung öes flnguftfelÖ 3 uges in ©ftpreußen. Oer Der» 
faffer oerfteht fo fdjarf 3 U fehen als anfchaulich 3 U fchilöem unö er fieljt unö erlebt oor 
a ein gan 3 oon innen heraus unö es roeht ein ftarter hauch jenes ©eiftes aus feinem 
Schriftdjen, öer unfere CEruppen unübertoinölid? macht. 

®' c ^ cra * ur ’P meiter aud? bemüht getoefen, unfere äußere unö innere Gin* 
ftellung auf öen Krieg nad? allen Seiten 3 U beleuchten unö 3 U föröern. Das Kgl. 
Pteußtfd)e Sanöesgetoerbeamt bemüht fid? um öie ftaatsbürgerliche Beleb» 
? R r * e 9 S 3 eit 9 ) in einem Bud?e, öas, 3 unäd?ft für öen Unterricht in Sad ? 5 
unö Sortbilöungsfchulen beftimmt, öod? für öen Cehrer jeöer flnftalt Brauchbares 
J* 6 /^«DaMusf^ngen öes Krieges, feine militärifd}en Unterlagen in 
J . 0 .' ^nährungsfragen, ©etoerbeunö f?anöel, Detfehr, ©elötoefen, Recht, 

.S 1 ^ e *? er anbilöung öer 3ugenölid?en 3 um Kriegsöienft, enölih öie unter» 

<d? d?e erioertung öer Stoffe toeröen öa öurd? eine Reihe oon betannten unö füh : 
l e , n ci ? d? ! eU !f n (P - Ro ^öad?, ©. Kenoiefe unö ©raf Reoentloro, h- Schumacher, 
^ ^ Ud?ert ' R - Kö[ ? Ier » ®. Bernharö, ©. heilfron, 3 immermann, & haumann) 

Sd?red öer £ei P3«9er 3tluftrierten 3eitung 1914. CCeft non Jaul 

? We $! m h $: S - 1-16 m - 2 (1 farb -' 1 Doppels) aaf - 53x23,5 
1914. IX?™* ^ ctaus 9- u - »erl. DOn herm. Srf?affftein, Köln 

m.0,80.^’^ rObentUS ' Sd t roe f tern öer Sd?idfalsftunöe. Berlin 1915, Karl Gurtius. 585. 

Gug. SahetlVö S Rm Seinöe. Der fluguftfelöjug in ©ftpreußen. Jjcilbronn 191o, 

fhulen^oom Kof I)™i?V^ C ^ rUn ® en ’ n ** er ^ r ' e 9 s 3 e ’t. herausg. für Sah 5 u - S° r tbilbungs 
»om Kgl. Preuß. Canöesgeroerbeamt. Berlin 1915, £. tjeymanns Derlag. IV, 282 5. 



Don $rieörid) Pon 3 cr 593 

einbringlich bargelegt. — Das allgemeinere IDerf über öen tDeltfrieg im Unter* 
ridjt aus öem Derlage non Perthes 10 ), in öem unfere £efer not altem öie flbfehnitte 
über ben öeutfehen unb öen ©efehichtsunterricht oon ph- IDitfop unö B. IDuftmann 
intereffieren toeröen, ift fefjon an anbetet Stelle biefet 3tfd;r. befptodjen toorben (oben 
S. 542). 3ur (Einftellung öer Schule auf öen tDeltfrieg bietet auch bas „Derorönungs* 
blatt für ben Dienftbereich bes f. u. f. nieberöfterr. £anbesfchulrates" in Stücf 5 unö 12 
bes laufenden 3ahrgangs mehrere anregenöe fluffäfte. Die Ausführungen non 
R. £aftfe über öen Krieg unb öen DeutfdpUnterridjt toerben befonöets intereffieren. 
— Seht 3 u>e<fmäjjig gibt auf engftem Raum bet Sotbaten * Gaffen * Rat* 
gebet 11 ) eine Reihe fluger Derhaltungsmaftregeln für ben Sotbaten im Selbe a>ie 
für öie einet (Einberufung ©eroärtigen. — (Eine Überfettung ber 3 uerft in öer Evening 
News erfd?ienenen fluffaftreihe oon S. tDhitman, öie fl. Kirdjrath hergefteltt unb 
eingeleitet hat 12 ), barf auch außerhalb ber faufmännifchen Kreife (Teilnahme forbem. 
tDas bet engtifche Derfaffer — einft öer Cobpreifer bes faiferlidhen Deutf^Ianbs! — 
übet bas (Einbringen bes öeutfehen fjanöels j n <£ n gi a nö 3 ufammenftellt unb bie „fjejt* 
mittet", bie et feinen £anbsleuten empfiehlt, enthüllen beffet als öie langften tl)eo* 
retifdjen (Erörterungen Urfadjen, IDefen unb 3iel bes Krieges, ben (Englanb gegen uns 
ange 3 ettelt hat. 

fluch We flufflärungsfehrift ber öeutfehen Dereinigung für Krüppelfütforge 
unb bet öeutfehen orthopäbifchen ©efellfchaft übet bie notmenbigen IRaftnahmen 
3 ugunften öer Kriegsbefchäbigten 13 ) oerbient allgemein gelefen 3 U toerben. Be* 
rührt fie boch eine ber bringenbften (Ehrenpflichten unferes Dotfes, übet bie eine Auf* 
flärung auch außerhalb öer unmittelbar beteiligten Kreife öer Är 3 te unb Arbeitgeber 
öringenb geboten ift. Die Schrift belegt burdj Berichte über tatfädjliehe $älle unö flb* 
bilbungen, öaft es heute in tDahrheit feine noch fo fchtoete Derftümmelung gibt, 
bei ber ältliche Kunft unb Hechnit ben Betroffenen nicht gleichtoohl bauemö unb oo.ll* 
ftänbig arbeitsfähig 3 U machen oermödjte. (Es muft unferen Kriegsbefchäbigten 3 ugute 
fommen, öaft gerabe Deutfehlanö bas ©eburtslanö einer 3 ielberouftten Ktüppelfür* 
forge unb toie fein anbetes £anö länger fchon im Befifte trefflich ausgebauter (Einrieh* 
tungen ift. (Es barf nicht gefächen, öaft auf unferen Straften toieber bas Bilb bes Kriegs* 
inoaliben mit bem £eierfaften ober öem fjaufierfaften erfcheine. Aber nicht $ütterung 
unö fllmofen fann bas 3iel fein, fonöem es gilt, öie Befähigten u)iebet arbeits* 
fähig 3 U machen, fie als aufrechte, roirtfchaftlich felbftänbige ©lieber ber Dolfsgemein* 
fchaft 3urüd3ugeben. Die IDege ba 3 u finö in bem Schriftart be 3 eichnet. — Den 
beutfd?en I Küttern hält bie Aufgabe, öie öer Krieg ihnen ftellt, fl. IR. IDagner 

10 ) Der tDeltfrieg im Unterricht. Dorfdjlage unb Anregungen 3 ut Behanblung bet roelt» 
politifhen Dorgänge in öer Schule, ©otha 1915, $. fl. Perthes. 224 S. 

11) Solbaten*(£af<hen*Ratgeber über Cebensfunft im Krieg oon ID. Dörr. tDiesbaben 
0 . 3., H. Bedjtolö u. (Eo. 27 S. IR. 0,20. 

12) Krieg öem öeutfehen fjanöel. Die englifhen Utaftnahmen unö Dotfchläge 3 m Der* 
örängung oon Deutfdjlanbs fjanbel unö Snöuftrie. Überfettung öes tDerfes The War on Ger¬ 
man frade Hints for a Plan of Campaign. Introduction by Sidney Whitman. fj era usg. unö 
mit einet (Einführung oetfehen oon fl. Kirchrath. £eip 3 ig 1915, ©. ©. 3 ehifelö. 118 S. 

♦li* 

1 3 ) Kriegsfrüppelfürforge. (Ein flufflärungstoort 3 um Urofte unö 3 « Utahnung im 
Huftroge öer öeutfehen Dereinigung f. Ktüppelfürforge u. ber öeutfehen ©rthopäö. ©efell* 
Jajaft. herausg.oon K.BiefaIsfi. £eip 3 ig unö Hamburg, £.Doft. 44 5. mit 84$ig. Dt. 0 , 35 . 

3eltf4r.f.».6«utfchcnUnterricht. 29.3aljrg. 9. tjeft 38 



594 


£iteraturberi<f|t 1915: Kriegsliteratur 


in einem berebten Schrift cf^en oor. u ) Damit bie IDelt am öeutfcfjen tDefen genejen 
fönne, müffen erft mir felbft an iljm gefunben. Die 3ugenö ba 3 U 3 U ei 3 ie^en ifl jueijt 
Aufgabe bet ItTutter. Sie muß etlennen, baß fie nur um bes Kinbes roillen 5 a i|t, i^te 
beften Sebensfräfte ein 3 ufeßen hat, um bas Kinb 3 U einet roa^aft religiöfen jugleiA 
unb a>af}rf;aft nationalen Perfönlidjfeit 3 U bilben. ©s fällt manches gute IDott bei 
ber Umfdjreibung biefet Aufgabe im eingelnen; S. 23 Reifet es: „IDir wollen nitbt 
Romantifet in bie IDelt feßen mit ber Sefjnfudjt nach fjeltenentum, Jonbem toirtlidie 
Hellenen, b. h- Snbioibuen, bie ftart unb feft in ihrem Doltstum tDut 3 eln unb aus 
biefem Hoben bie Kraft 3 iehen, Ijellenifcfje, b. t>. flaffifdje, b. h- £eiftungen beroor 3 u= 
bringen, bie geboren jinb aus ber innerften liefe bes beutfdjen Dolfsgemütes. ®auj 
inbioibuell fein, um gan 3 national 3 U fein: bas ift bie £ofung." — ©in fdjönesBütblein 
00 II frommer XDeis^eit reicht tjeinrid} £ljotj!ys „©Iaube bes ©opferen" feinen 3 # 
reichen Derehrern. 15 )— Die ©roßloge für Deutfdjlanb hatte ben UTut, in 6 iefen 3 ^iten 
eine Preisaufgabe: „Alenfdjenliebe, ©erecfjtigteit unb Dulbfamteit als ©runöpfeiler 
bet menfdjlichen ©efellfdjaft" aus 3 ufcfyreiben. Die oier ausge 3 eidjneten unb oeröffenb 
lichten Arbeiten 16 ) bebanbeln ben ©egenftanb in feljr Derfdjiebener IDeife, im Hone bet 
entljufiaftifdjen Prebigt, bet philofophifdjen Unterfudjung, bes raffen Untern’ 
ftrichs; in bem Auffa^e A. Rteffers roirb man ben faßbarften ©eljalt finben. 

Aus ber weiteren $o!ge ber Doltsfcf/riften 3 um großen Krieg ©erben 
unfere £efer bie fjeftdjen feffeln, bie $rtebens= unb ©laubensroorte unferes Kaifers, 
IDorte Bismarcts 3 ufammenftenen ober beutfdje Stimmen aus bem ©Ifaß fammeln 
oon ben Brübern Stoeber bis in unfere Kriegstage hinein. 17 ) — ©ugen Diebetidjs 
lafet mäfyrenb bes Krieges an Stelle ber 3eitfcf}rift „Die ©at" u.a. eine $olgeuon 
$lug{d}riften erfreuten. 18 ) 3m 1 . tjefte unterfudjt ©. Rtifdj in geiftoollen, boch etmas 
blaffen Ausführungen Öen ©eift öes öeutfcfyen Krieges unö unfere angebliche Barbarei. 

. Bifcfyoff begreift im 2. fjefte öie ©efinnung, öie uns in öiefem Kriege be[eelt, 
als organifdjen ©emeinfdjaftsgeift, bet tief in ben fidjerften ©rünben unferes Dolte 
ums am^elt. Diefen £ebensfd)aß oon unermeßlichem IDerte roeiter gebeten 3“ 
lallen, tft bte höd?fte aller Rohoenbigteiten. Die Schrift toill anregen unb anleiten, 
une as geschehen tonnte. Ulan muß biefen ©eift allgemein madien unb oertiefen, 
not allem, inbem jeber an fich felbft arbeitenb ber Allgemeinheit ein Beifpiel gibt 

ff>M fl« 4 ?o?e r e r !? 9 « nb ^ U f 9 abe ber beutfchen ITTutter. Don Albert ITTalte IDagnet. 

©ottja 1915, 5 . A. Perthes. 35 S. 

nachf? 5) 104S n DCI ® Iaube ÖCS ® a Pf etcn - Stuttgart 1915, 5- ©ngelhorns 

® ete( htig!eit unb Dulbfamteit als ffirunbpfeiler ber menfÄ" 
©efellfchaft Dier pretsarbeiten ber ©roßloge für Deutfchlanb oon R. Richter, fl.®«!' 

IDolfsbotf. ®otha 1915, g. «.Perthes. 113 5. RI. 1,50 

_ 17/ {1 ,JpJ n f ten 3um großen Krieg. 16. Sriebensroorte unferes Kaifers. 16 S. ITT.0,10. 

h„m «ft i . ®!i u6ensroor te unferes Kaifers. 32 S. Ul. 0,20. — 21/22. Deutf^e Stimmen a“ s 
gel. Burtbes ° ,2 °’ 25//26 ‘ 100142 Bisma rcfs. 32 S. Ul. 0 , 20 . Berlin 1915. Derl. bes 

aes ufftoÄSlSPft 9t ‘ 8 °- 3ena - O'eberichs. 1. 6 eo. Ulifch, Dom ©eift besKne= 
Deutfrfi<» i S -? eu ^ en ^ 0 ^ es Barbarei. Keöe. 24 S. 1914. ITC. 0.40. — 2. Dieör. Bif<h?ff' 
Do®’ ne ®abeunb ein ©ebotgroßer 3 eit! 49 S. 1914. ZU. 0,80.-4 ®eo. 
5. Srbr ffioaar^n *»*! 1 " ohon< ? Ie RcI igion. 1.-3. Häufenb. 19 S. 1915. Ul-0,40.' 
«fdjeini übrigens rökbei 9 ] 0 " DoIfstum - 1 -~ 3 - 36 S. 1915. Ul. 0,80. [„Die Hot 



Don $ritörid) panjer 


595 


Aufgabe bet 3ntellettuellen ift es, in Sang unö Hebe alles 3 u tun, iljn waeh 3 uljalten, 
bag nicht wie 1813 unb 1870 bie großen Hoffnungen unerfüllt bleiben, eine unermüb* 
lidje Doltsbilbungsatbeit 3 U pflegen, neben bet ©eiftestultur bie ©efinnungs* unb 
©npfinbungstultur nidjt 3 U Demadjläffigen. Diefe Aufgabe 3 U erfüllen, Hält bet Per* 
faffer oor allem ben 3ufammenfd}lug nötig, einen „Bunb non 1914", in bem bie beften 
Köpfe im Reiche bes beutfdjen 3bealismus, ©elehrte unb Künftler, Dichtet unb 
Schaffer, Hlännet unb Stauen übet alle Parteien unb Sdjranten hinweg fid? 3 ufammen* 
Jdjiöffen, bie 3 nnen* unb Augenmiffion bei unfetem Dolle 3 U betreiben. ©. Doft ent* 
roidelt im 4. Heft bie ©runbgebanten non p. be Cagatbes nationaler Religion; 
$. ©ogarten fdjilbert im 5. Hefte ben 3ufammenhang oon Religion unb Doltstum. 

©ne neue $olge „Schriften 3 um IDelttrieg" lägt bet in biefem Kriege be* 
fonbers rührige Detlag oon 5- A. Perthes erjdjeinen. ©Bergmann eröffnet bie 
Reihe, inbem er ben ©ngang einer Dorlefung abbrudt, bie er im »ergangenen Kriegs* 
jemefter an bet Unioerfität £eip 3 ig gehalten hat. © erörtert bie weltgefdjidjtliche 
IRiffion ber beutfdjen Bilbung 19 ), gren 3 t iljt IDefen ab gegenüber ber engli* 
fdjen unb franjöfifcfjen ©eiftesridjtung unb «bilbung unb fdjilbert ihre gefdjtdjtliche ©tt* 
widlung in Ausführungen, bie unter ein wenig oiel —ien unb —ismen manches 
Seljrreidje bieten. Der Amötbiograpfj © Rtufebed fdjilbert © RT. Arnbt als bas 
©ewiffen ber beutfdjen ©egenwart.**) © oerfteljt unter bem ©ewiffen 
eines Dolles bas Bewugtfein feiner natürlichen unb geiftigen ©genart, feiner freien 
fittlidjen Beftimmung unb ben IDillen, fie in einer felbftänbigen fulturellen unb poli* 
tifdjen ©emeinfdjaft 3 U oetwirllichen. ffin ein 3 elner !ann bas ©etoiffen einer beftimm* 
ten 3cit feigen, toenn er in bet Ausprägung feines eigenen IDefens ben ©jarafter 
eines Dolles 3 U einer beftimmten 3eit barfteHt. Arnbt war bas ©ewiffen feines Doltes 
in bet 3eit ber ©ljebung oon 1808—15, ba er in feinet Perfönlidjfeit bie fittlidje Rlaf* 
fenenergie bes ibealen Deutfdjtums barftellte, bie in bem Kampfe für bie Befreiung 
bas politifdje 3iel ihrer Arbeit fah. © barf aber noch bas ©ewiffen ber ©egenwart 
heigen. © beftritt bie IDelt* unb Cebensauffaffung bet enbenben Auftlärung: ihren 
Hütjlidjteitsftanbpunft, ihre gleidjmadjerifdje, mechaniftifche Auffaffung ber Perfön* 
lichteit, ihre ungefdjidjtliche Coslöfung bes Rtenfdjen aus ben ihn umgebenben ©e* 
meinfdjaften, ihre an auslänbifdjen Dorbilbem orientierte Scheintultur. Die geiftige 
unb fittlidje £age unferes Doltes am Ausgange bes 19.3al}thunöerts war biefen 3u s 
ftänben nur 3 U ähnlich unb wie einft gilt Ambts Ruf, bag ber ein 3 elne einer Sache fictj 
wibme, im allgemeinen fidj oergeffe, an ben natürlidjften ©emeinfdjaften bet $amilie, 
ber Heimat, bes Daterlanbes mit aller £iebe feftljalte in oolltommener perfönlidjer $rei* 
heit.— H* Sdjol 3 rechtfertigt in einer fehr lefenswerten Unterfudjung ben 3bealis* 
mus als ©äget bes Kriegsgebantens.* 1 ) Das lebenbige £eben ift ein £eben im ©e* 
mente ber Ungenügfamteit; fein Urquell ift bie Sehnfudjt übet fidj felbft hinaus 3 U 
wadjfen. Diefes tDadjfen aber tann fo lange lein bauemb ftiebliches fein, als unfet 
£eben ein pfy djopljijftfdjes ift, bas nidjt nur im ©eifte, fonbern auch im Raume be, 

19) ©.Bergmann, Die weltgefdjidjtliche Bliffion bet beutfehen Bilbung. Perthes’ 
Schriften 3 «m IDelttrieg 1. ©otha 1915, $. A. Perthes. 58 S. Bl. 0,80. 

20) ©. Hl. Arnbt, Das ©ewiffen ber beutfdjen ©egenwart. ©in Dorttag oon ©nft 
Blufebed. Perthes’Schriften 3 umIDelttrieg2. ©otha 1915, $• A. Perthes. 35S. Bl. 0,50. 

21) Heinrich Sdjol 3 , Det Sbealismus als ©äget bes Kriegsgebantens. Perthes’ 
Schriften 3 utn IDelttrieg Heft 3. Bl. 0,80. ©otha 1915, S- A. Perthes. 29 S. 

38* 



596 


Citeraturberidjt 1915: Kriegsliteratur 


ftc^cn n>UI. Uachgiebig!eit um jeben Preis ift nicht Sittlichleit. nationale 3njtinfie ob« 
l'ttb berechtigt; ein hohes IlTafe non geiftiger Kraft unb Selbftänbigleit i[t unnerttägliit 
mit phyfifdjer Abhangigleit. EDenn öer 3bealismus öemnaih im gegebenen Augen- 
blicfe militariftifch ®irb, fo änöert er beswegen fo wenig feinen philofopljifäen Stanb= 
punft unb inneren Sinn, als etroa bet Pofitioismus ibealiftijch witb, roenn et jidi 
gegen ben Krieg erflärt. ©ewife ift Kampf noch uicht ohne weiteres Krieg, aber es 
gibt eben Sagen, in benen er unoemteiblich 3 um Kriege wirb. Der Krieg aber ift en 
IDeltgericht, benn in ihm treten alle Kräfte nicht nur non heute unb geftern, jonbern 
oon ©efchlechtem ins Spiel, unb fo roefentlich ber 3ufall im einjelnen fein mag, im 
ganjen ift er hier ausgefchloffen. — ©hr. $. IDeif er entwidelt bie ttotwenbigfeit eines 
3ufammenfchluffes oon Deutfchlanb mit bem nationalen Srentum 3 ur Belämpfung 
bes Angelfachfentums in $otm einer feffelnben (Stählung non ber Begegnung eines 
Deutfchamerifaners mit einem irifchen Priefter in ber Prärie, ber fi<h bie beutfhe 
Sprache unb Bilbung »olllommen angeeignet hai**) Die Schrift bietet gugteich bebeut j 
fame (Einblide in bas Seben ber Deutfchamerilaner, befonbets bie fachliche ® l 9 an '‘ 
fation, mit ihren für bie (Erhaltung bes Deutfehtums vielfach hödjft bebauetli^en 
3uftänben. — K. Krebs fchilbert ben (Einfluß bes Krieges auf bie Dollsfchule }unäd|P 
in ben Schwierigleiten, bie im äußeren Betriebe für Sehret unb Spüler erma^fffl 
unb erörtert bie Arten ihrer Söfung. Der 2. (Teil fpricht tont inneren Betriebe, ben 
$orbetungen, bie bet Krieg an ben Unterricht ftellt unb ben IDegen, auf betten ihnen 
©enüge werben fann. 23 ) 

3u öer feit Kriegsbeginn Diel erörterten Stage nach bem IDefen bes Deut|<h ; 
tums hat (E. ©eigier in einet feljr lefenswerten Schrift einen gtünblichen unb gaP 1 
reichen Beitrag geliefert. 24 ) (Er legt fid? bie ernfthafte $tage not, warum wir mop 
motalifchen (Eroberungen fo oiel weniger gludlich finb als in folbatifdjen, warum cs 
«its fo f<hwet gelingen will, bie anberen non unferer Art 3 U übergeugen. (Ein roefent* 
tcher ©runb ergibt fid) ihm baraus, bag bie Umriffe unfetes Seins minbet erfennbat 
etben, weil fie wefentlich mehr nach innen als nach äugen gerietet finb. Das eigen* 
runutdj Seelenhafte unfetes UJefens hat fich in Derfcfaebenen gegenftänblichen ** 
wtrfungen niebetgefchlagen; unfere Kunft, oot allem IHufif unb Syrif, unfete Ph»^' 
lophjc unb üechnil fpiegeln bie 3nnerlid}leit unfetes Sühlens, Denlens unb Schw¬ 
öre Kehrfette aber finb Cäffigfeit, ja Uachläffigfeit im Augeren, in ber Sonn unb ein 
famr Döring, g 0 ^ en öj e Deutfchen bei größter innerlicher Überlegen!! 

^ intcr öcm flusI «nbe 3 urüd. „Das macht: ftangöfifche unb englW 
~. u ^ orm ' ftanjöfifc^e als Rei 3 , öte engfifdje als ©eftalt getooröenet 

T*™ 0 *"* UJcitctes f id ? tbar «nb wirb allenthalben in ihren XDirfungen f 
nSAr 9 ' 1 bagegen, ihre Armut, ihre Unfruchtbarleit liegt oerborgen ;» 

eutfehen haben bas Unglüd im umgefehrten $all 3 u fein... So führt jeber unferer 
—peu e, unferer Beamten, unferer Dergnügungsreifenben mancherlei $otmen w 

tjeft 4 2) m^O 8n °L«.® * 5? r i Die Hoffnung bes 3ren. Perthes’ Schriften 3 um D)el*i<! 

231 K,?;! «- l m ' S * a - Perthes. 60 S. tt . 

£eitunaun6ii!t. Kr i* S '^*1 Krieg unö bie Dollsfdjule. (Ein 3eitbilb mit Dotfhlagenf 
S.T Perthes! ^ P^’SüiriftenjumlDellfeiegheft». 30S. IR. 0,80. «othalM 

K rie 9 ? 4) Bane° l iqi? e n- t 1 ' ® as ift öeut tö ? Derfuch einer Selbftbefinnung im Deutfchen 

i Bll Paöagog. Perl, oon herm. Sehtoebel. 52 S. IR. 0,60. 



Don 5riebri(f) Pottjei 


597 


öer IDelt getunt, non öenen wir tragifd? genug empfinöen, öafe fie gat nid)t Ausbrud 
unferes IDeiens finö, nad) öenen öer Auslänber aber, ungerecht genug, öie ganje Per* 
föntic^feit beurteilt." Das beutfd)e IDefen ift weiter weniger überfidjtlid), weil es, 3 U 
feinem Segen unö Radjteil, in fo Diele (Eigenformen unö (Einjelarten auseinanöerfäüt, 
nad) Stammen, Parteien, Religionen, ja öurcf) öie fdjärffte Snbwibualifierung öes (Ein* 
3 elnen Deroielfältigt unö gefpalten. Da 3 u tommt öie befonöere Art unferes Rational* 
gefityls, öas ohne Übertreibungen, übergered)t gegen öas Auslanb, nad) IDeltbürgertum 
ftrebt bis 3 ur Dernad)Iäffigung öes Dolfsbürgertums. Unö enblicf) öas Unfertige 
unferet Kultur, öie, nie ein Seienöes, Ru^enöes, in ewigem UJetöen einem tDunfd)* 
bilöe nad)gef)t, öas ftets ljod) über iljt fcfjroebt. All öas wirb oom Derfaffer mit 
einet Sülle fdjarfer Beobachtungen im ein 3 elnen öargelegt unö in treffenöen Berner* 
Jungen nad) feinen £id)t* unö Schattenfeiten erwogen. 

Das ehrmüröigfte Problem öiefer ernften läge ift öer doö, Öen öie fjunöerttaufenöe 
braufeen auf Öen Schlad)tfelöern fterben. (5. Roetlje 28 ) 3 erglieöert Gf)°mas Abbts be* 
fannte Schrift „Dom üobe fürs Daterlanö" unö 3 eigt, wie ihr (Srunögeöanfe 
fid) in Deutfd)lanb entroidelt unö, Dor 3 üglid) in öer Citeratur, öargeftellt hat. (Einen 
lebenöigen Beleg öer Selbftet 3 iehung 3 U öiefem hohen (Seöanfen bietet öas Büchlein, 
öas brüberlidje Siebe aus Öen nadjgelaffenen Papieren öes bei Aulnoy im Auguft 
0 . 3 . gefallenen Profeffors oom Büöinger ©ymnafium, Uöo Kraft, 3 ufammen* 
geftellt hat. 26 ) Sein £efen möchte id) öringenö empfehlen. Diefe wahrhaftigen, 
fd)Iid)ten unö öoeh feljr padenö gefd)riebenen Aufzeichnungen enthüllen öas Bilö eines 
eölen, Iiebenstoütöigen UTenfd)en, öer oon früher 3ugenö her gan 3 ausgefüllt ift oon 
öer Siebe 3 um Daterlanö unö einem Kleiftifcf)en Drange nach (taten unö doö. 

Deutf<he Dergangenheit ift abermals Dielfach aufgeboten worben als 
fjelfer im furchtbaren Kampfe. K. Bertfche hatte Öen glüdlichen (Einfall, aus Abra* 
harn a Sancta (Ilatas, öes IDort* unö RHfegewaltigen, U)er!en „Kriegsbrot für 
öie Seele" aus 3 ufdjneiben unö in einem gefälligen Bänöchen Öar 3 uteid)en. 27 ) Schaöe 
öafe er ein geniefeenöes Sefen öaöurch unmöglich gemacht hat, öafe er feine Anmet* 
hingen, (Etüärungen unö Ausbeutungen auf Öen gegenwärtigen Krieg in hunöert Klam« 
ment 3 roifd)en öenUrteft gef «hoben hat. — Die Snfelbüdjetei bringt in öerbefannten 
nieölichen Ausftattung einen tDillfommenen Reuörud oon (E. UT. Arnöts „Katechismus 
für Öen beutfd)en Kriegs* unö IDehtmann" unö „Deröeutfd)en tDehrmannfchaft". 28 ) — 
Aus Bartels’ Ausgabe oon ©tto Suötoigs IDetfen hat öer Derlag öas Dorfpiel „Die 
dorgauet tjeibe" für fid) abgeörudt. 29 ) — Auch (Emanuel ©eibels, öes im 
lebten 3eitraume unferet Siteraturentwidlung all 3 UDergejfenen, wenn nicht Derad)te* 
ten, hat man fid) erinnert. $rieör. XD. gudjs hat feine „ 3 eitgeöid)te" unö eine Aus* 

25) ©. Roethe, Dom (tobe fürs Daterlanö. Kriegsfchriften öes Kaifer*tDiIljeIm*Danf. 
11. fjeft. Berlin 1915, Derl. Kamerabfchaft. 30 S. ITT. 0,30. 

26) Selbfteqieljung 3 um Hob fürs Daterlanö. Aus Öen nacfjgelaffenen Papieren öes 
Kriegsfreiwilligen Prof. Uöo Kraft. Seipjig 1915, £. $. Amelung. 74 S. UT. 1,—. 

27) Karl Bertfche, Kriegsbrot für öie Seele aus Öen IDetfen öes Abraham a Sancta 
dlata. gteiburg i. B. 1915, fjerberfebe Derlagshanöl. 118 S. ©eb. Ul. 1,—. 

28) ®. Ul. Arnöt, Katechismus für Öen beutfehen Kriegs* unö IDehtmann. Die beutfdje 
©ehrmannfehaft. 3nfel*Büd)erei Ur. 157. 3m 3nfel*Derlag 1915. 95 S. Ul. 0,50. 

29) ©tto £ubu>ig, Die üorgauet £}ciöe. Dorfpiel 3 um hiftot.Schaufpiel: $rieörid) II- 
°. Pteufeen. 15 S. fl 8°. £eip 3 ig 1914, fjeffe u. Bedet Derl. UT. 0,20. 



598 


Citeraturberidjt 1915: Kriegsliteratur 


toaljl aus feinen oaterlänöifdjen ©ebidjten in 3 tuet billigen Sammlungen ^erausgege= 
ben. w ) — SbtoinSoers, ein Kriegsoeteran oon 1870, führt einen Pergleidi öut* 
3 toifd}en öamals unö heute. 31 ) Die Aufgabe ift heute unenölid; größer unö fdiroeiet, 
aber öie ernfte 3uoerfid}t, öie toöesmutige Begeifterung öiefelbe toie einft. — Paul 
Burgs Kriegsgefd}id}ten s *) fudjen in einer Reihe beroegter Bilber ben Seift bet Bf 
freiungsfriege in ber ©eftalt bes IRatfdjall Dorroärts lebenbig 3 U machen. — flm ©eifte 
Bismards mödjte p. Robrbadj : ' s ) bie Ration über öie Aufgaben ihrer ausroärtiqen 
Politi! orientieren. Sr betont mit Recht, baß aus ben Säten unb Äußerungen 
Bismards für uns heute oielfadj leine unmittelbare Srlenntnis meijr ge 3 ogen roetben 
fann, baß mir oielmeljr bie inneren ©runöfäße auslöfen müffen, bie feine Politii 
trugen, um für bie ©egenroart 3 U lernen. Sr analyfiert an 3 ieljenb Bismards ©eift unb 
Perfönlidjleit toefentlid] im Dergleid}e mit Putzer, erörtert eingeljenö unfer politi 1 
fcfyes Derljältnis 3 U Snglanb unb Rußlanb unb 3 eidjnet bie großen politifdjen Hob 
toenöigfeiten beutfdjer 3ufunft in Ausführungen, bie fefjr feffelnb bleiben, ohne (4 
fie bie Sin 3 elheiten bes nädjften $rieöens befptechen. — Sine gan 3 e Reihe prädjtiger 
Bänödjen bringt toieber Sugen Dieberidjs Derlag in ben „Sat=Büchern für Selb 4 
poft". 34 ) 3n 3 heften oereinigen R. Buchroalb unb S. pöfet beöeutenöe ©ebichte 
aus bem Beginne unb $ortgang bes heiligen Krieges, einiges baoon ift h* ct 
oeröffentlicht. ©. Srufius fammelt Stimmen ber Alten über TTiann^aftigfeit unö 
Bürgerfinn, R. Budjtoalb Äußerungen über beutfdjes Dollstum oon IDaltet non bei 
Dogeltoeiöe bis auf ben Rembranötöeutfd}en, S. Blichet religiöfe Befenntniffe oon 
IReifter Sdljarb bis Arthur Bonus. K. fjoffmann fuefpt in Belenntniffen unfern 
Klaffiler ein £ebensiöeal 3 U 3 eidjnen, toie es aus ©eift unb Smpfinben jener 5 C '* 
beraustoudjs, bie bem ©eifte unferer Sage toieber fo nahe fteljt; fj. Roßl gibt eine 
Ausroahl oon ©ebanlen aus Heinrich »• Slreitfdjfes Politii. Am meiften toirö unfer« 
£efer oielfeidjt bas 7. fjeft feffeln, in bem ©. Redel bidjterifd]e unb profaifdje 5 CU 9' 
niffe getmanifdjen, oor 3 ügIidj noröifdjen tjelöentums in Überfeßungen 3ufammen- 
geftellt unb m it gehaltoollen Sinführungen begleitet h«t. 


30) fjerolbsrufe. 3eitgebicf)te oon Smanuel ©eibel. Singel, u. erläutert oon $n*b 
Z,;„7 r s ' 5 , 6 r S - — ®tüß bich Sott, mein beutfehes £anb! Daterlänöifcpe ©ebichte0] 
3e TI? 0 20 eibCl ’ flusgero - u - ein 9eh non Sriebr. H). $ucf;s. 64 S. Ceipjtg 1915, S-3 a ”l 

non «P ® Dets i 1870 unb 1914. ©ebanfen unb Srinnerungen eines Ktiegsoeter 

„O^Burg, B° ra> ürts, feftebruff! Kriegsgefchichten. £eip 3 ig 1914, lenien-üe 
^ j33) Paul Rohrbad}, Bismard unb mir. IHünchen 1915, $. Brudmann. 96 

ausbeiiS- BÜ ? er iI ,SeIöpoft - 16 ° 3ena, S. Dieberichs. 1. Der heilige Krieg. 
f aL ni^! 9 " öes Kamp f es - 1—5. Sauf. 92 S 1914 gelbpoftausg. IR. 0,60. - \ De 
^Kgföfe Befennt^tr enntn *^ C beutfd?ct gelben unö 98 S. - 3. Deuter »» 

S?d!ee!fÄ fl#S Vergangenheit unb ©egenroart. 100 S. - 4. Der Kampf. J 
— 7 V™ Ö t ü t ^ * 9en Krie 9- 98 s - — 6. Sieg ober Sob. Reue Kriegsgebichte. ^ 
Ulen!di ll!*«^elbentum. flltgermanifd/e £ebensjeugniffe. 97 S. — 8. D« öeutf 

len oon fjeinr Sorberungen unferer Klaffiler. 99 S. — 9. Deutfcße Politit. W 

«Jen 99 S ^ 94 S ‘ ~ 10 - ITtannpaftigfeit unb Bürgerfinn. Stimmen* 




Don $riebri<f) panjer 


599 


h- St. Gfjamberlain hat feinen ausgejeidjneten Kriegsauffähen, aus benen bie 
Ausführungen über Deutfdjlanb unb Englanb in 3 Wifchen in einet willfommenen 
Sonbetausgabe für ben Schühengtaben erfehienen finb 85 ), ein neues fjeft folgen laf* 
fen. 3 *) Sein erfter Auffatj fdjilbert, wieber auf Grunb einer Sülle perfönlid} erroor* 
benet Ginfichten unb fdjarfet Beobachtungen, bie ©runbftimmungen in Englanb 
unb granfreidj, toie fie oor bem Kriege beftanben unb mit Rotwenbigfeit 3 um Kriege 
brängten. Damit haben mit ben erften ber btei Kreife betreten, bie Deutfchlanb fachte 
umfehnürten; ihrer gtünblichen Schilberung ift bet 3 weite, gan 3 befonbers lefens* 
roerte Auffah gewibmet, ber bie $rage beantroorten will, wer bie Schulb am Kriege 
trage. Der Scfjlufeauffat} uom beutfehen $rieben hatte unter bem heilfamen Regie* 
rungsoerbot einet oo^eitigen Erörterung ber Kriegs 3 iele 3 U leiben. 

Einige Unternehmungen fehen fich 3 um 3iele, bie geiftige Derbinbung 3 wifd}en 
Draußen unb Daheim aufrecht 3 U erhalten. „Unfeten gelben" nennt fi<h eine$olge 
3 u>anglos erfcheinenber Heftchen, bie Generalleutnant Rohne herausgibt. 87 ) Sie 
tooHen unferen Streitern fwge Rachricht oon ben uerfchiebenen Kriegsfchauplähen 
unb ber Kriegsorganifation ber Heimat geben, teilen auch Gebiete, Blüten bes Kriegs* 
humors unb bergl. mit. — Die „heimatgrü&e" bes Düterbunbs 88 ) »ermitteln 
oor allem Gebiete aus Dergangenheit unb Gegenwart. — Ein feljt empfehlenswertes 
Kriegsbüchlein für Stubenten 89 ) mit allerlei 3 . E. trefflichen Beiträgen oon 
Unioerfitätslehrem u. a. wirb befonbers ben 3 ahlreichen friegsfreiwilligen Stubie* 
renben ein wilßommenes Gefchenf fein. 

Dafc bie RTobilifietung unferer 3eitfchriften fortbauert, oerfteht fich. ®ie 3nter* 
nationale RTonatsfchrift bietet in ihren neueren heften wieber eine gan 3 e Reihe 
trefflicher Auffähe oon erften Gelehrten. Befonbers hinweifen möchten wir auch auf 
bie Ktiegsausgabe bes Eütmets. 40 ) Sie enthält in ihren Auffähen unb Kunftbeilagen 
wie in ben flehten fritifchen Beiträgen ihrer „tDarte" 3 U unfetem Kulturleben man* 
<f?es feht Gute unb Beachtenswerte; bie 3eitfcfjrift gibt fich reblicfje Blühe, an ihrem 
Geile bei 3 uttagen, ba& aus bem beutfehen grühling, ber über uns gelommen ift, 
ein fruchtenbet beutfefjer Sommer erwadjfe. 

Die Ktiegslytil rinnt in engerem Bett mit ftilleren Stuten. 3hre Einftellung 
mufete fich änbem. Don ben beiben heften, um bie 3. Bab feine Sammlung feit 

35) houfton Stewart Ehamberlain,GngIanbunbDeutfchlanb. Sonberbrud aus ben 
„Ktiegsauffähen". Sdjühengrabenausgabe. Blünchen 1915, 5- Brudmann. 61 S. Bt. 0 , 20 . 

36) houfton Stewart Ehamberlain, ReueKtiegsauffähe. Blünchen 1915, $.Btud* 
mann. 102 S. Bl. 1 ,—. 

37) Unfeten helben! Blätter für unfete Kämpfer 3 U £anbe, £uft unb Blaffer, hetausg. 
oon ®en.*£eutn. 3 . D. fj- Rohne unter Blitwirfung oon ©berftleutn. 3 . D. Richelmann u. 
Katlernft Knah. Schriftleitung: ©en.*£eutn. 3 . D. fj- Rohne. 1 . h e ft. 1.— 100 . Sauf. 
16 S. 8 «. Berlin 1914, ©. Bath. Bl. 0 , 10 . 

38) heimatgrü&e f. fjeer unb $Iotte, ausgefanbt 00 m Dütetbunb. I. Solge. l.-10.©tufc.3e 
4S. fl.8 °. Blünchen 1914, 3. D. U>. Eallwey. 3ebe Solge Bl. .0,20. Rieht unter 10 Solgen. 

39) Blenn es gilt fürs Daterlanb! Ein Kriegsbüchlein für Stubenten. Berlin 1915, 
E. S. Rlittler u. Sohn. 48 S. Bl. 0,30. 

40) DetEürmer, Kriegsausgabe, hetausg. u. Ghefreb. 3 «annot Emil $thr. o.Erott* 
hufe. BUbenbe Kunft u. Blufif. Dr. Karl Stord. 17.3ahrg. ®ftbr. 1914 —Septbr. 1915. 
24 hefte. ( 1 . heft. 80 u. Blufifbeilage 4 S. m. 3 . El. färb. Abbilbgn. u. 2 (1 färb.) Eaf.) gr .8 •. 
Stuttgart, ©reiner & Pfeiffer. Dierteljäljrl. m. 4,50; einjelne hefte m. 0,80. 



600 


£iteraturberidjt 1915: Kriegsliteratur 


unferer elften Befpredjung oerme^rt I?at 41 ), führt öas 5. Öen «Titel „Die lange SW 
n er lefem 3eid;en fte^t öie Dichtung. Statt öer braufenöen Begeifterung für große 
»Manien 3 “ Kriegsbeginn nun öie harte tDirfiidjteit öer <£in 3 elfd]idfale, Blut unb 
er en otyn ©nöe, ofjn ©nöe. Schieden unö üoö öa öraufjen unö «Trauer unb 
J ,. a ^ im un ^ ^od) fa er unö öort unerfd)üttert unö unoerloren öie alte trotpge 
J 1 1?,? en ’ ei * e ’ nes 9 to feen, feines tüertes unö feines Restes bemühten Dolts. 
s [ etj mandjes redjt ©ute in öen neuen fjeften, auch noch unbetannte Hamen 
auajen auf. Blühten mir früher ausfprecfjen, öajj öie grauenlyrif mit wenigen flu* 
nahmen nichts beöeutenöes 3 utage gebracht, fo ftellen mir um fo lieber feft, öafebiei 
getaöe öas Befte teilroeife oon grauen geboten roirö. Klara BIütEjgen, ©linor n. 
D 0 PTT9 a r en, ©ertruö gautfj u. a. bringen ©utes. ©ertruö greiin d. ie gorts „Die 
Katjeörale nad> öer Sdjladjt", 3na Seiöels „Der Bruöer Soö“ unö „Die Klage bei 
maöajen' ftnö rounöeroolle ©eöidjte oon öauernöem IDerte. Das 5. fjefi bef^Iiefet 

eine f }öne ©otenmeffe für öie Untergegangenen öes öeutfdjen flusIanbsgefdjDoaöeti 
oon geltf Braun. 

h f “ eitere Sam mlungen finö in grofeer 3ahl erfd?ienen. ©uftao galtet 

Tr* n aus 9 m ähtt, aus öenen mir befonöers öas 3., ©fterreid? unö öfter# 
m--rr n 43\ * etn 9 e ®'ömete fjeroor^eben mosten. — 3n öer Sammlung non 1 
V r . I m 5 d?t etroas Dic I Uilettantifc^es fidj ein. — tj. tjertroigsfjefte 44 ) fernab 
lidjtiidj ieöe aftljetifd?e Kritif beifeite, inöem fie „im roa^afteften Sinne ein Doll* 

arn M-ir* 9 ° n3en D ° Ife füt öas 9 a "3e Dolf" fein roollen. Das ift nun freilid? ein 
mir” 0 r x Ct ? trtum ' öenn öeraöe für öas Dolf ift öas fünftlerifd? Befte, roenn es 
Ir; ^ unö unö boöenftänöig ift, eben gut genug. Dem pat^oIogifd]en Dntereffe öe* 
, " r Ctl *r 61 ®! tö ^ et 3 u fammengefe^rte fjaufen — es finöet fiefj gurdjtbares öa* 
hnn^T- 96 C t CntIid? “ Ud? ein uoillfommenes Stuöienobjett fein. — K. Quen 3 eI 4S ) 
lip^ipr emet unö reic *? en Sammlung eine gute Ausmaß älterer Dateilanö* 

tl . * ro - Sdjlipföter«) fudjt feine Befonöerheit öarin, öa& er epifdje Mt* 
feintinnir, 6001 » 1 ^' .77 Bi cf e 4 ') hat eine fefyr gefdjmadDoIle Ausmaß mit einet 

e \ “_ ber ^’ e Poefie öes Krieges eingeleitet. — gür öie HJiesbaöener 
einer ^•^* ern & er 9 ß in hübfdjes tjeftdjen 3 ufammengeftel[t, unö auf 

emet Sette p rächtig eingeführt. 

Schlacht^ ^n'piiPi Krieg im öeutfdjen <5eöid;t. Ausget». oon 3- Bab. 5. Die lange 

42) KÜ 9enÖ - ?n 6 48 S - Bcrlin 1915 - Bloraroa u. Sdjeffelt. 3e 1H. 0,50. 

31 S. m 0 20 2^Hnt 9en ft 9 rl 4 / 15 ' flus 9 en) - DOn ©uft. gälte. 1. f)od) Kaifer unö Het^ 
43 iM9U nJ5 f “ e S 6 ?*"- 47S - m - 0 ’ 30 - 3. tDir unö ©fterreid,. 50S. IH.0,30. 
Kriege ©efal[enpnfi KriC9S,eöetbud? - 3um Be f ten öer Hationalftiftg. f. ö. Unterblieb, öer m 
44 )£! Sx£ raus 9- «ug. IHüller. £ei P3 ig 1914, XenieUerl. 1505. Ir- 
fterung/ BeiSa?!!!? u" 6 . Ktie9sIieöer 1914. Didjterifdje Urtunöen öeutfcffct Dolfsbegci' 
f«benbroöa 1915 ® P h r V Cn bcut ^ en ®auen. ©ef. u. berausg. Don Ijugo Jjcrtujig- Ko^ 
AVvr ® ebr - 3tegner. 6 £fgn. S. 1—200 le Ttt 0 25 

reief;. Kriegs^ u Wslieh' D fi DatetIanöes fjochgefang. ©ne Auslefe öeutfdjer unö öfter' 
®eb-W^; 50 ;^^in^Ä»! ^ W 238 S ‘ 118 *• ^ip 3 ig 1914, Qe|fe & Beder Detl. 

46) miiVcAr ,-, 2 ~ ; m ©efcfjenfbb. Rt. 3,—. 

1915, ©m. Rlüiler. 126^S* IR ^ f Iie 9enöen gähnen! Kriegsgeöidjte gefammelt. Bannen 

... 48) Krie^lfei^äuswiV/m BcrIin ,915 ' ®- ©rotefrfye Derlagsbucbbög. 

budjer Rt. i?7_ 58 I mV^ 5 ' flus9ea>ä ^ It DOn £eo Sternberg. IDiesbaöener Doll? 




Don Sriebrid) parier gQj 

Robert ©ersbach 49 ) neröffentlic^t ein fjeft Kriegslieber oon 1914 mit neuen 
Singweifen, 3 weiftimmig gefegt. — ©an 3 Dortrepdjes bieten bie mit Klauierbeglei* 
tung oerfeljenen IDeifen ber „Cieber 3 um Oeutfchen Krieg", bieoon betpäöagog. 
3entraIbibliot^ef ber (Eomeniusftiftung herausgegeben finb. 5n ) 3nsbefonöere oer* 
bienen bie Oertonungen ©eotg IDinters oon Berners „Deutfchlanö*<Bftreich ^anb 
in ^anb", Philippis „© IDeib, o IRägbetein" u.a., <5uft. Sdjteds oon 3. Sturms 
„Srauemben Rtüttem 3 um Grofte", manches oon ©rnft ZTtüller allgemein gefannt 
unb oollstümlidj 3 U werben. 

(Eine Sammlung oon (Eifenbaljnfchriften aus ben Gagen ber RTobilifierung gibt 
K. tDehrhan 61 ); aus ihr mag man bie früher Don uns erwähnte Sammlung (oben 
S. 192) ergäben. 

Diele euyelne Dieter haben ihre £iebet gefammelt herausgegeben. Unter bem, 
was uns 3 uging 52 -«°), ift (Ein 3 elnes ©elungenere, mehr noch bes gan 3 Dilettantifchen, 
bellen Drud in einet Sonbetausgabe aud) ein tDeltfrieg nid]t 3 U entfdjulöigen oer* 
mag. Aus bem fjeftchen oon U). Sbel 61 ) mosten wir ein liebenswiirbiges Heines 
©ebicfjtcfjen „Oer (Engel IDeifynadjtslieö. Itad? einer Begebenheit." hierher fetten, 
ba wir es in feiner Sammlung gefunben hoben: 

3n einer Sonntagsfdjule toat es 
3ut tDeihnachts 3 eit bes tDeltfriegjaljres. 

IRilb Iädjelnb tritt ber Pfarrer ein, 

Unb fragt bie Schar bet Kinbelein 
fluch nach ber U)eihna<ht*$eftge|chichte, 

-tDas oon ben (Engeln fie berichte. 

49) Rob. ©ersbach, Kriegslieber oon 1914 (mit neuenSingtoeifen). Kriegsfchriften 
bes Kaifet*tDilhelm*Danf. fjeft 6/7. 62 S. Berlin 1915, Kamerabfchaft. nt. 0,50. 

50) £ieber 3 um Deutfctjen Krieg 1914/15. 3n Derbinbung mit Prof. Simon, 
Bteu, Sigfr. Karg*(Elert, IRaj Cubtoig, Unio.*©rganift (Ernft Ulüller, §ran 3 Hagler, Prof, 
fjmts Sitt, Dr. ©uft. Sdjred. fjerausg. oon ©eotg IDinter. £eip 3 ig 1915, Dürrfche Buchhblg. 
Ul. 2 ,—. 

51) K, tDehrljan, ©loria Diftoria! Doltspoejie an Ulilitär 3 ägen. 200tDagenauffdjrif* 
ten mit (Einleitg. u. flnmerfgn. £eip 3 ig 1915, U). heims. 40 S. Ul. 0,25. 

52) 5 . £öfflet, (Eiferne 3eit. Kriegslieber. 3. flufl. 3m Selbftoerl. 35 S. UT. 0,50. 

53) fl. Sergel, (Eifeme Saat. Kriegsgebichte. 3. flufl. Berlin*<Ebarl. 1915, <E. 3. $• 
Doltmann. Ul. 0 , 20 . 

54) Ul. fjilbebranbt, Der beutfche3orn in Detfen u. £iebetn. 2 . flufl. (Efjarlotten* 
bürg 1915, Schriftftenergenoffenfchaft. 30 S. Ul. 0 , 20 . 

55) Karl Branb, Kriegsgebichte. griemersljeim 1915, h- Scherff. Ul. 0 , 20 . 

56) 5 . £. ffiöderit}, Deutfche £iebet 1914. (Ehemnih 1914, fj- tDilifd}. 16 S. Ul. 0 , 20 . 

57) ©tto Schaeffer, Det heilige Krieg. Dem beutfdjen Solbaten im tDeltfrieg 1914. 

26 ©ebichte u. £ieber m. 3 Kompofitionen. 31 S. 11. 8 °. Karlsruhe 1914,3.3. Reiff. Ul. 0 , 20 . 

58) ©heo Sommetlab, 3m Donner bes IDeltfampfs! Deutfche Kriegsgebichte 1914. 
2. oerm. flufl. 32 S. 8 °. halle 1914, ©ebauer*Schwetfchfe. Ul. 0,30. 

59) $t 3 . Ulüller, Daterlanbs* u. Solbatenlieber. (Ein £ieberftraufe f. bas beutfdje Dolf 
u. heet. 2 . (Kriegs*) flufl. VI, 98 S. fl. 8 °. halle 1914, fl. h- Ulünet. Ul. 0,60; geb. in 
£einto. IR. 0,75. 

60 ) 3of. tDiener*Braunsberg, ©etrommeltes unb ©epfiffenes. H. 8 °. Berlin 1914, 
Detlagsljaus f. Dolfsliteratur u. Kunft. 1 . fjeft. £aufenidel — Ridolaus. Padt beim IDidel, 
fajmeifct ihn raus! ufro. u. anbere fdjöne neue Kriegslieber, oerf. im beutfehen heilsjahte 
1914. ITtit einem Anhang bet fdjönften u. beliebteften Daterlanbslieber. 32 S. 

61) tD. 3bel, Ringen unb hoffen. Kriegsgebidjte 1914/15. (Elberfelb 1915. UlartiniÄ 
©tüttefien. 16 S. IR. 0,25. 



602 


Oteraturberidft 1915: Kriegsliteratur 


„D)as fangen bie (Engel fronen Stalles?" 

Die flntroort gab ein Plappermäulchen 
Solbatifd? led, bes Küfters päuldjen: 

„Sie fangen: Deutfcfjlanb, Deutfdjlanb über alles." 


ausgeljt: 


Alte Rtarburger roirb Sljeob. Birts Bänbdjen 6 *) feffeln, bas unter ber £ofunq 


Da^ icfj alt bin, fdjafft mit Scfjmerjen, 
Dafc idj leinen Degen faffe. 

Dodj noch bin id? iung im Ijetjen 
3ut Begeifttung tote 3 um tjaffe 


Deljmels Kriegsgebidjte 63 ), bie fidj auch toeiter als bas Befte ber Kriegsiifr 
tung betoäljren, hätten eine anbere Ausftattung oerbient, als bas tfamburger Stujf 
blatt ihnen angebeihen läfet. Da& felbft einjelne Blätter in einfacher Anlage ft 
gefdjmadooll ausftatten laffen, 3 eigen bie „Deutfdjen glugblätter", bie meifl 
£. (Sangbofers etfrifdjenbe (Sebicfjte 3ugunften ber Solbatenfpenbe oerbreiten* 4 ), 
ober bie Ktiegshymne oon fj. £. t?clb 65 ), fotoie bie glugblätter, in benen£eo Stern» 
berg 68 ) feine traft* unb einbrudsoollen, oon einem eigenartigen R^yt^mus ge» 
tragenen Kriegsgefänge oeröffentlidjt. 3n frönet Ausftattung treten auch bie fe(ft 
mobernen, gan 3 in Stimmung getauften, talentoollen, nur nidjt gan 3 unmanieriep 
ten ©efänge unb Sonette oon ©. Ausleger auf. 97 ) — R. S^autal reidjt uns in 
einer golge feiner „(Ehernen Sonette" fein fa 3 ettierte ©ebanlen unb Betrachtungen.*®) 
3n einem oon ©. Belroe reyooll gefdjmüdten Banbe legt R. Ijet 3 og eine Sammlung 
ferner Kriegsgebi^te cor. 99 ) Derbes unb 3artes, alles beutfd* gebaut, oieles erlebt, 
mxt Jeifeen Augen gefdjaut unb leibenfcfyaftlicfj empfunben, in ben beften Stüden 
mit ftürmifdjem Schaurige geftaltet. 

überaus 3aljlreid} finb bie Sammlungen älterer unb neuerer Kriegs 1 
unb Daterlanbslieber. Sie erfdjeinen teils in einfacher Ausftattung unb Hein 1 
I em gormat, für bie Hafdje unferer gelbgrauen beftimmt 70 — 76 ), leiber Ttidjt itnwet 
—_ er Sorg falt 3ufammengebrad;t unb gebrudt, bie eben f)ier nicht fehlen folltfc 


—/ 


m . o , 3 o . ' "“ ,v ‘ ‘“'" 3 --— -.. 

MM^erolb^n^o io*** ©ottesftimme. Kriegsgebichte. 12 S. 8, # . 

64) Deutfdjes Slugblatt. ntünQen, ©ol^oerl. 1—38. 3e IR. 0,10. 

ßam-ILcni ? Kriegs»6ymne. Sonber*Deröffentlg. ber Krit. Hu*»* 

{?ans_Sacbs D erlag München u. £eip 3 ig 1914. SS. 4«. nt.0,30. 

Seitalter ™ b lr ra t ? 3 , ten Kanonen - — Don bem Doll bet Ulanen. - Das eifern* 
Statt 3e S % 0 °° n £e ° Steinb «9- 3® « S. tDiesbaben 1915. ** 

fels 1915,^nf 1 Vebmftabt**' Sonette 00m Krie 9 e - 5S - — ©efänge im Kriege. 5S. Weife«"' 

Reibe 68 lMLl'e« < ?, a « Ia ,-’ f tanöbiM >« u. Oenhnün 3 en. 1914. Der (Ehernen Sonette 2. u. 5- 

aq\ » 7 * Bcthn 1915 > ®eo. ITtüUer. 88 S. 

1915. 156 s* u - Teufel. Kriegsgebichte. Quelle u. nteyer. teipj'5 

Hebet 70 niS fe flS^f U n ^' ® n « Sammlung beutfQer u. öfterr. Solbaten*, 

nt. l,—. auswa V Don Utorabt. Berlin 1915, Deutfehe Derlagsbu<bh% 159 '' 


haben 1914 kV** ,l*’ U< l füt u "f cte 1 
914, R. BeQtolb & (Io. nt. 0,15. 



Doit 5mbri$ panjer 


603 


Auch Kectam gibt ein Bänbchen älterer Daterlanöslieber heraus 77 ), bas ^iibfcf? ge* 
öruefte f?eftcf?en bes Dürerbunös 78 ) fügt mehrfach bie Rleloöien bei, bie man über* 
all ungern oermifet. — Der Bobenftänöigleit unferes Dolfsliebes trägt eine oon einem 
guten Kennet, ©. Stücfrath, beforgte Sammlung Haffauifcher heimats* 
lieber Rechnung. 77 ) — Auch umfangreichere Sammlungen finb erfchienen, teils 
bunter Rlifch=Rlafch 80 ) ober perföntid?= 3 ufctllig 8I ), teils oon höhere 7 « IDert. 3 «>ei 
Bänbchen bes Snfeloetlags „Beutfche Kriegsliebet", „Beutfche Baterlanbslieber" 
bieten jehr hübfdje Sammlungen, bie auch manches weniger Belannte enthalten. 82 )— 
Bie „Sieber ber Beutfchen" oon ®tto <Eb. Schmibt 88 ) haben in ber 3. Aufl. eine 
Umgeftaltung erfahren, inbem ihnen eine Auswahl oon (Schichten aus bem gegen* 
wärtigen Krieg als 3. Heil angehängt würbe. — ©ne feht gefällig gebrudte, feinjin* 
ttig ausgewählte Sammlung allgemeineren Snhalts bietet XDi'll Bespet 84 ) „Ber 
beutfchen Seele ©oft"; bie (Sebidjte führen in fünf Abteilungen 3 U (Sott unb ber Hatut, 
prebigen Sebensmut, teben oomHobe, preifen greiheit unb Baterlanb. — Auch „Das 
Buch öer Stunbe" oon Paul Hberljarbt wirb in biefen ernften 3eiten oon oielen 
gerne aufgef^ lagen werben. 86 ) $ür jeben Hag bes 3ahres halt bet fchöne Banb nach* 

72) Oeutfchlanb über alles! Solbatenlieberbuch oerbunben mit Solbatemoörterbuch 
beutf^*fran 3 Öfifch*englif(h*tuffif(h. Braunfeh toeig 1914, ©. Appelhans & Ho. 48 u. 63 S. 
BL 0,40. 

73) Sammlung guter Daterlanbs* u. Solbatenlieber 1914. herausg. o. Paul ID et blich, 
hane 1914, <£. EDoIff u. Söhne. 46 S. 

74) $t 3 . IDeber, Bes beutfchen Kriegers Siebetbuch. ©ne Sammlung bet beliebteften 
Baterlanbs*, Solbaten* u. Dolfslieber. <Setüt 3 te Ausg. o. Des beutfchen Solbaten Sieber* 
buch, herausg. unter ITlittoirfung militär. Kreife. 11.—20. Häuf. 78 S. fl. 8°. Breslau 1914, 
S- Soerlidj. BI. 0,10. 

75) Krieget* unb Solbatenlieber nebft Daterlanbs* unb Dollsliebern. herausg. oon 
BL B. Stuttgart 1914, p. Btähler. 59 S. 16°. Bl. 0,20. 

76) Kriegs* unb Daterlanbstieber. Jubiläums*Ausg. m. 6 Porträts unferer Sieges* 
helben (auf bem Umf^lag). 64 S. II. 8°. Berlin 1914, A. fl>ei<hert. BI. 0,10. 

77) ©eo. Rieh. Krufe, Kriegslieber, ©efammelt u. herausg. Blit Botenbeilagen. 
2. Aufl. 96 S. Unioetfal* Bibliotljef. Hr. 5711. 16°. £eip 3 ig 1914, ph.RecIam jun. 3n 
Hafchen*<£inbb. Bl. 0,40. 

78) Singbüchlein für Solbaten. heet U- glotte geroibmet oom Düterbunb. Blünchen 
1914, D. D3. Calltoey. 31 S. 10 St. Bl. 1,—. 

79) fjnnbert Haffauifche heimatlieber. Unferen gelbgtauen geroibmet oom Kommunal* 
Detbanb bes Reg.*Be 3 . IDiesbaben. 3ufammengeft. oon ©. Stücfrath. Biebrich 1915, 
©. 3eibler. Bl. 0,20. 

80) gritf Hreugolb, ©olbene IDorte in ernfter 3eit. Stuttgart, p.-Blählet. 47 S. 
BL 0,60. 

81) Anna be Sagarbe, geb. Berger, u. Blathilbe Berger, Beutfche Kriegsliebet. 
83 S. 8°. Seip 3 ig 1914, H>. heims. Bl. 0,50. 

82) 3nfeI*Bücherei. 8 °. Seip 3 ig, 3nfel*Detlag. 3n Pappbb. je Bl. 0,50. Hr. 153. 
Beutfche Ktiegslieber, 112 S. 1914. — Hr. 154. Beutfche Baterlanbslieber. 104 S. 1914._ 

83) Siebet bet Beutfchen aus ben 3eiten nationaler (Erhebung. 3ufammengeft. u. erläut. 
con ©tto Hb. Schmibt. 3. ertoeiterte AufL Beutfche Sdjulausg. herausg. o. ©aubig u. 
Sricf. Seip 3 ig u. Berlin 1915, B. ©. Heubnet. 135 S. BL 1,20. 

84) XDill Des per, Ber beutfchen Seele Hroft. IDeltlidje unb geiftliche ©ebichte. Blün* 
Chen 1915, h.Becf. 194 S. Bl. 2,—. 

85) Das Buch ber Stunbe. ©ne ©rbauung für jeben Hag bes Jahres gefammelt aus 
ollen Religionen unb aus ber Dichtung oon Paul Hberbarbt. ©eb. Bl. 4,—. ©otlja 
W14, g.A. Perthes A.*®. 394 S. 



604 


£iteraturberi<f|t 1915: Kriegsliteratur 


öenfliche Äußerungen religiöfer IRänner, öeutfcfjer Dieter, flusfprüdje aus Öen Urtum 
öett öer oerfchieöenften Religionen bis in Öen fernften unö ättejten ©ften hin 311 einet 
füllen HIorgenanöadjt bereit. 

Sammlungen non Solbatenlieöern, auch manchen allgemeinen Dollslieöem öa« 
3 n} ifcf?en, mit Klaoierbegleitung, bringen ©.Sattler 8 ®), unö umfangreidjet, 
naü? münölidjer unö fdjriftlic^er Überlieferung eine neue Auflage öer Sammlung 
non K. ©idjljorn. 87 ) 

Oie ©efdjichte öes Kriegslieöes unö unferer naterlänöif^en Dichtung non Öen 
©agen öer Reformaüon bis in Öen IDeltfrieg entwidelt R. IDeifeenfels in nier teüb f 
baftigen Dortragen an 3 ahlrei<hen Beifpielen. 88 ) — Dafe ©h- Bobner füt 3 Ü<b Ml 
in Rom natürlich 001 Oeutfdjen unö ©fterreichem — einen Dortrag über Kriegs 5 
öidjtung beiten tonnte (mit mannen guten Beobachtungen) 89 ) berührt uns beult 
|<bon gan 3 untnabrfdjeinlid}. 

Aus öer febr umfangreichen Kriegsroeibnachtsliteratur ging uns ein non 
A. Saathoff eingeleitetes Büeblein 3 u, öas Stoff 3 ur ©briftfeier im $elbe oermittdt 
unö ©Gablungen aus Öen Kriegstneibnacbten 1870. 9# ) — Auch öas Büeblein »n 
IDalter $lej 91 ) „Dom grofjen Abenömabl" bietet als fjauptftüd ein IDeibnaetfts 5 
märten, öas, überaus 3 art unö innig, nur hie unö öa einmal 3 U etwas weit ausgejpon» 
nener Allegorie ertaltenö, an Rooalis erinnert — gearif} ein hohes £ob. „Det ®pfa> 
toö öer Beften unferes Doltes" fagt öet Derfaffet tieffinnig in öem angehängten 
poftbriefe, „ift nur eine gottgewollte tDieöerboIung öes üefften £ebenswunbeis, oon 
öem öie ©röe weife, 00 m ftelfoertretenöen £eiöen 3eju ©btifü." Unö et prägt in öem 
fdjönen einleitenöen (Seöicfjt Öen- weithin beber 3 igenswerten ©eöanten: 

D°d? — hört öes Abenömables lefeten Sinn! — 

Sie ftatben nur für öie, öie für fie leben. 

Auf öem ©ebiete öer bilöenöen Kunft fteht hier nur einiges ©raphi|(h e 3® 
Sprache. 3n Bilöniffen bat wieöet Karl Bauer ©tepches geleiftet. ©in überaus 
aftooller Bismarct, in öräuenöe $arbenfümmung getaucht, witö im Kriegs 5 unö 
jubuaumsjahre oielen willfommen fein; B. ©. ©eubners Künftter=Stein 3 ei<hnungen 
bereichern fich öurd) ihn um ein fdjönes Blatt. 9 *) Überaus fein unö 3 art in 3«^ 
unö Satbenfümmung unö hö<hft geifüg ift Bauers hinöenburgbilönis, öas öet D#< 
t »9 für Dollslunft oon R. Keuiel in Stuttgart herausbringt. 93 ) 


Köln ioik 5 brauft ein Ruf. 46 SoIöaten»rRarfdjIieöet für Klaoier beatb. 
KoI \l 91 £'P-gonget. 31S. 4°. ir. 1,-1 


DUIl -- 


- 1 -r• v« Ql O, Hc . 4|(„ I _ 

rfn 7 M^? CU r^ Ian6 ^ od? in<xl ? rcn ! Sammlung öet beJiebteften Solöatenlicöer na$ [Wj; 
88 S Ü 4 o ,e m 9 ' fÜt K,at)icr beai *-»°n Karl (Eichhorn. Stuttgart 1914, fl-A «« 5 


u. münöl 
Derl. 88 S. 


00 u». 4 ®. IR. 1,50. 

träae miK;ü e *^| n t e * s ' ^eutfdje Kriegslieöer unö Daterlanöifdje Dichtung. (ErweiterteD op 
84 S. IR. no” ' U ' Pcr t° nenDer 3 eichniffen. ©öttingen 1915 , Danöenhoel u. Supredj 


öet freien w„ Ö * Bol >" e ^ Die heutige Kriegsöichtung. Dortrag, geh- am 30.3an. »«•} 
Dittmann *35 c; €ntun ^ DOn Deutfchen unö ©fterreidpUngarn in Rom. Rom » 

IRünAen wls'er fi le n'^° m rw 9ro ^ en fl6enö mahl. Derfe unö ©eöanfen aus öem 
921 50 L An ’ Bc<f i < h e Derlagsbuchhanölg. 41 S. 

50 x 60 cm IR. 4 , , 21 x 25 cm IR. 1^— . 93 ) Preis IR. 0,20. 



Don Srie&rid) Patzer ggg 

3m übrigen fdjeint fid? 6 er Derftanb einftweilen fdjaffensträftiger 3 U erroeifen 
als bas®efühl. DasBefte mag in Spottbilbem 3 umDotfchein gefommen fein, unb wenn 
man nadj ber an 3 iehenben Sdjilberung urteilen batf, bie füt 3 lidj ®. Schule=Beffer 
oon bet Karifaturfunft audj bes fluslanbes gegeben hat („Oet tDeltfrieg im Scheq* 
hübe", 3eitfdjr. f. Büdjerfreunbe, H.g., 6.3g. fjeft 12 , 7.3g. f?cft 3 ), fo fdjeint 
Deutfcfjlanb feinen gefaben audj Ijier nidjt nadtfufteljen. Unter unfeten ©ijjblättern 
fjat bas Bebeutenbfte ber Simpli 3 iffimus geleiftet, ber aud? eine eigene golge oon 
Kriegsflugblättern 91 ) erfdjeinen läfet. ©). ©j. fjeine, ®. CEIjöny, K. fltnolb, Blif, U). 
S^ul 3 bieten Efier manches flusge 3 eichnete an, bas ©efflidjfte aber ®laf ®ullbranfon. 
Oie fdjärffte Beobachtung t?at hier Htenfdj unb ©er unb Sachen in ben ©efenheiten 
i^tet (Erfcheinung unb Belegung gepadt unb butdj Übertreibung trefffidjer oer= 
nietet; mit aller Schärfe bes Spottes oerföhnt aber jene fjödjfte Kunft, mit bet biefer 
3ei(^ner in ben wenigen faft geometrifdjen £inien feiner Umriffe unb ©efid^üge 
eine ©eit oon inneren ©genfdjaften unb Be 3 iefjungen aus 3 ubrüden fähig ift. 

Uidjt gleidjmäfjig finb bie Künftlerblätter 3 um tDeltfrieg „©adjtfeuer", bie bet 
roirtfdjaftlidje Oerbanb Berliner Künftler fierausgibt. 95 ) Heben bem fyumoriftü 
f^en Heile, in bem ®. Branbt, $. Sdjoen, g. Preifo manches ©faige 3 eidjnen, wagen 
|idj bie Blätter ins (Ernfthafte. Unter weniger ®elungenem feffeln hier bie Beiträge 
oon ITCüIlet=IRünfter, aud? ®. Bifdjoff=<Eulm 3 eidjnet mit weitem Stift mandjes ®lüd= 
li^e, befonbers einige gute Bilbnistöpfe, ®. Büttner erfreut burdj eine fjo^fdjnitt- 
monier, bie audj bem ©eifcen im Papier fein Redjt läfet» wo fo manche ®enoffen ein 
leibiger horror vacui fcfjäbigt. Die erquidenbe Hr. 38 „Academia in gelbgrau'' fei 
nebenbei allen gegenwärtigen unb einftigen Stubenten befonbers empfohlen. — 3 n 
golioformat bringen bie Blätter ber „Kriegs 3 eit" Originallithographien 3 . © oon 
erften Künftlem (Hr. 6 eine HTaf £iebermann=Hummer). 96 ) ®s ift manches feljr 
®efällige barunter; basBefte finb wohl bie ©e^eidj mengen oon fl.®aul: „Unterm Hti- 
ftel 3 weig" in Hr. 18/19 mit feiner giän 3 enben Beobachtung unb Ken^eidjnung in 
ber Bewegung ber brei ©ete wirb eines bet feinften Sdjet 3 bilber bes Krieges blei= 
ben. — Das fln 3 iehenbfte unter ben uns oorliegenben fünftlerifdjen ©geugniffen 
bieten bie Kriegsbilberbogen Hlündjner Künftler 97 ), eine Sammlung h<mb= 
tdorierter £ithographien ingolio oon Beeh, Caspar, <Easpar*gilfer, gelbbauer, Raufet, 
Kopp, Howat, Peliegrini, püttner, Srtjarff, ©. Sdjmibt, Sdjülein, Seewalb, Stein, 
Heutfth unb Unolb. ®s ift !aum ein langweiliges Blatt barunter, ein 3 elnes gan 3 oor- 
treffli^ oon tieffter Stimmung (Kopp „Htorgenrot", Beeh „®efangener") unb monu* 
mentaler ©irtung (Schiilein „Die Hlüttet bet gelben"), überwiegenb ift bet Krieg 
in feinen ©n 3 elheiten, oon feiner phyfifdjen, ja tierifdjen Seite, bargeftellt, bem Dutcfa 
einanber, ber ©ut, bet flbftumpfung, ber Derwüftung an ITCenfdj unb ©er, an ©oh s 

94) Kriegsflugblätter bes Simpltyffimus. ItTündjen 1914/15, Simplfaffimusoeriag. 
U*. 1 23. 3e TU. 0,10. 

.... ©achtfeuer. Künftlerblätter 3 um Krieg 1914. fjerausg. 00 m toirtfdjaftl. Derbanb 
otlö. Künftler, Berlin. (10 unb 9 Bl. in £eporelloform m. 3 . 2 . färb, flbbilb.) 8 ® Betlin 1914/15, 

»et 3Wel. heft 1-39. 3eBI. 0 , 20 . 

.„ 96) Kriegs 3 eit. Künftlerflugblätter. Berlin, p. (Taffirer. Hr. 5— 20 . TU. 0,15; oiertel» 
japtlich TU. 2,30. 

• m 9 »« „^riegsbilberbogen Tllündjner Künftler. TTtündjen 1914, ©otfeoerlag. 2 TTlappen oon 
je 12 Blättern, 00 m Künftler figniert unb numeriert, je TW. 12 ,—, auf 3apan je IIT. 60,—. 



0ÜÖ ITlittetlungen 

nung unb £anöf<haft, öem £eiöen not allem, aud) öer brüöerlidjen £iebe (ein frfjönes 
Blatt oon daspar „Kameraöen"). Das alles toirö oirtuos gestaltet unb in allen möy 
ht^en Sprachen ausgeörüdt, in ftammelnöen Kinöerlauten, Qobleri|4 franjopldj, 
iapanifd}, am feltenften beutfeh, unb nod? roe^t aus feinem Blatte ein fjaud} oon jenem 
großen, heiligen, oölfifdjen ©öem, öer öodj für uns alle öas <5ute unb Iroftteidjc 
an öem ungeheuren unö fchredlichen (Erlebnis öiefes furchtbaren Krieges beöeutet 

Hach fl&f^lufe öes Pa^erfdjen Berichts trafen noch öie 4 Bänbe einer neuen 
Sammlung ein: „Aus Öen dagen öes großen Krieges". Befonöerer Beachtung weit 
finö öie Berichte öes Schwerer ©berften ITCüllet. 98 ) Sie jinö gan3 fachlich. W 
trodert, bringen— auch bei ©n3el3ügen—nur öas EDefentlidje; aber getabe banim 
finö fie fo roirffam. Selbftgefehenes, öajcoifchen Beriete non 3eugen einer Sd>Mt 
eine fmge Betrachtung über öen Schuh öer Kunftfchähe, allerlei com inneren Öienft 
oom £eben hinter öer $ront. Befonöers oiel ©nbrüde aus öer Blaffe, ftille Bc* 
obaef} hingen aus langem 3ufammenleben mit Öen £euten. ®n feljt ©ertoolles 
©egenftüd 3um fjeöinfchen IDerfe, in feiner Schlichtheit faft noch übeqeugenber. - 
et eine ©gan3ung öa3u mit fleinen ©n3el3ügen — ergreifenden, Diel öfter aber 
omifhen münfeht, greife 3U öem unermüölichen flnetöotenerjähler Queri 81 ) 
mit [einem prachtoollen humor. — Sehr flott berichtet ©sman 100 ) non feinem 3“9 
mi Öen Kriegsfreimilligen öer Artillerie; nie toirö et ruhmreöig, aber bas 6anji 
if ein fchönes 3eugnis für öie düdjtigfeit unferer jungen unö alten Kriegsfreiroifligeu. 
<ts ift nichts IDeltberoegenöes, toas ©sman erlebt hat, aber öanf feinet Oarftellungs* 
gäbe feffelt er oon Anfang bis ans dnbe. — Bei Öen Biemahfifhen Kriegsbriefen 1 *) 
* rf+ S f taÖe .^ et ® e 9 en ft«nö — ©lebniffe einer Pionierfompagnie — ber uns 
padt Sonft hätte öer Herausgeber öem IDerfe öu«h Kü^ung belanglofer, alhu W' 
° « et aII 3nbreiter Stellen einen grofeenDienft getan; öann mürbe auch mandje 
ernftere IDörtlein über IDeltanfchauungsfragen mehr wirten. hofftaetter. 



Delhag^u 6 Kla^ng! 1 * VlM n0Utr ° Ien ®ff i 3 iccs - BieIe f etö unö £eiPi 

SÄ S“"i’ n K Ä bÜ ^ °V S öem heften. (Ebenba. 253 S. fab- 
169 S. (5eb. 1 50 * ^ Kriegsfreiwilligen über öie y[*t- ® e 

briefen^efceutnants (flu 9 u f‘ 1914bis Sebtuar 1915.) Aus ben Sjbj’ 1 

eutnants ber Referoe Reinbatt Bietnah M. «Ebenba. 225S. ©b.nU' 



Mitteilungen 


607 

faben mit bie fo oiel oermifeten guten ProfabarfteUungen, bie 3 um größten ©eil au* bem 
Deutfdpntenidjt unmittelbat 3 ugute fommen. — (Einen Überblid: „EDie es 3 um EDelt» 
ttieg !am" gibt auch Hanns Altmann (£eip 3 ig u. Berlin, B. ©. ©eubner. M. 0,40). 
Steunbe 3u|ammenijängenbet Dar|tellung merben bas Büchlein gern benutzen, roenn au* 
bie Behanblung bet Kriegs 3 iele immer etmas Mißliches bat. — Dölterpfycbologii* mertooll 
unb flärenb ift ein Auffafc oon Karl Dofflet: IDie bie Ktiegslu|t in Italien entftanben ift 
(internationale Monatsfchrift f. XDiffenf^aft, Kunft unb üedjnif. 3abrg. 9, £?eft 12, 3uli 
1915.) Doffler ftebt bie Hauptoerführer in ben Aftheten unb $uturiften; |d;on einmal ift 3ta» 
heit am ubetmajj öer fünftlerijdjen Begabung 3ugrunöe gegangen, fyeute fefyen toic nrieöer, 
ba& Italiens befonbere Starte, bas Afthetifche, auch leine befonbere S<bmä<be ift. Oer Auffafc 
ijt eine mertoolle EDarnung not bet Überfpannung bes Afthetifchen, mie fie fich au* bei uns 
3 U 3 eigen begann. 

Bismatcf. Mancher mirb oiellei<bt auch beute noch gern eine Bismatdrofirbigung lefen 
unb lefen taffen, bie bas Bleibenbe an Bismard betont. Darum roeife ich gern auf bie An» 
fpradje biu, bie unfet Mitarbeiter Dr. Rubolf Stäbe an ber Petrijdjule in £eip 3 ig gebalten unb 
auf B)unf(b oeröffentlicht bat. (3u Bismatds ©ebädjtms. £eip 3 ig, ©raefe. M. 0,40.) Sie 
erbebt (ich — befonbets butdb bie 3 ufammenfaffenbe ©baralterijtil Bismatds am ©nbe — meit 
über bie oielen Bismardjchriften, bie ber 1 . April gebraut bat. 

©upbotion. Des XX. Banbes Ejeft 4 brachte §ifchart»Stubien, Briefe Klopftods unb 
a«eds, Auffäfce über U 3 unb ©oetbe, über Sietes ©influfc auf bie ältere Romantif, Heinrich 
o. Kleift unb über Ublanbs Ballabe „Des Sängers Slud}", roofür als Dotbilb bes Königs bet 
befpotifdje IDürttemberger griebrich l. angefprodjen mirb. Da 3 u eine Reibe Miellen unb Re» 
3 enfionen unb cnölid? ein £ebetts» unb ©haralterbilb 3afob Minors aus ber Seber R. §. Arnolbs. 

Auf bem ©itelbtatt bes 1 . unb 2. Heftes bes XXI. Banbes erfdjeint 3ofef Rabler neben 
Auguft Sauer als Herausgeber. Hier finben mit einen Derfucb Rablers übet bie EDiffenfcfjafts» 
lebte ber £iteraturgefchichte, meiter eine Stubie übet bas Motto oom fritifcben Alter, Heues 
Aftenmaterial übet bie ©nglifcben Komöbianten in Deutfchtanb, ein Brucbftüd einer IDiener 
gauft»Komöbie oon 1731, gortfetjungen oerfcbiebener Deröffentlidjungen aus bem oben an» 
9 e 3 eigten Heft, bann Auffätje über ©pifc unb bie ftoifdje Pbilofopbie, 3obann BaltbafarjSdjupp, 
em ©ebidjt aus EDielanbs 3ünglingsalter, bie fldermannfdje Sdjaufpielergefellfdjaft in Han» 
nooet i. 3 . 1768, bie Struftur bes Pantheismus: Die Kategorie bet Totalität in ©oeihes 
noturmiffenfcbaftlicben Schriften, über bas erfte gauft»Paralipomenon unb gaufts innere ©nt» 
midlung, über ©ebidjte ©oetbes, 3eanpauliana, gierte unb fein Derbältnis 3 U pteufjen, 
©beobor gontane unb fein fran 3 Öfifcbes ©rbe. Auch hier toieber Miellen unb Re 3 enfionen. 
(3ebes Heft [jährlich 4] M. 5,—. £eip 3 ig unb IDien, ©atl gromme.) 

Befonbets begrügensmert ift bas 11 . ©rgän 3 ungsbeft (M. 18,40). 4s bebarf nur bes 
Hinroeifes batauf, ba& es in Rofenbaums Jorgfältiger unb überfichtlidber Art bie Bibliographie 
bet 1912/13 erfdpenenen 3eitfd)riften unb Büd?er 3 ur beutfdjen £iteraturgefRichte bringt, 
©m ungeheures Material ift hier burdjgearbeitet. 

Mir münfcben ber oerbienten 3 eitf<brift, bie in fchmeren 3 eiten einen neuen 3 meiten 
Steuermann an Borb genommen bat, meitet eine gebeibliche ©ntmidlung. 

£e!türeftunben. 3n feiner anfprecbenben Schrift: IDelche Derpflichtungen ermachfen 
bet beutfdjen Schule aus bem EDeltfriege? (£angenfal 3 a, Belt). M. 0,80) ermähnt Maf Rei» 
mget bie ©inrichtung oon £eftüteftunben, bie in ben Stunbenplan eingegliebert finb. 3n it= 
genbeinem freien Ktaffen 3 immet oerfammeln fich bie 3 ungen unb taffen fich oon einem felbft 
gemähten Dotlefer Kriegsberichte unb anberes oorlefen, roas ihnen oom £ebtet übergeben 
morben ift. Diefe ©inrichtung — bie bei mancher Dertretungsfchmierigteit mertooll merben 
tann — bat fogar f<hon 3 U freimütigen Aufjä^en geführt. 

__ JAbergetechtigfeit. 3<h habe im 3unibeft (S. 447) Herrn Dr. Stapel roegen eines 
ftunftroartauffabes angegriffen, in bem er, mie ich nach bem tDorttaut annehmen mufete, 
bte Manns 3 u( ht unferet ©ruppen an 3 meifeln unb. ben Dormutf bemühter Sötung Unfdjulbiger 
erbeben mollte. ©in Briefmecbfel mit Henn Dr. Stapel bat mich übe^eugt, bajj er bas nicht 
oeabfichtigt bat. Oie jehr ftarte Kür 3 e bes Ausbtuds bat eine oom Detfaffet nicht gemollte 
uno lebhaft bebauerte Deutung oerurfacht. 3dj ftelle bies gern feft; bamit erlebigen fich 
metne an Henn Dr. Stapel gerichteten gragen. Hoff*® etter. 



608 


Utitteitungen 


1 


Jugenöföriften. 

3m 2 3a$rgang erfäienen ift Scherls 3ungbeutf^lan5bu^ Dom IHaiorBayei 
jcrousgegcben mb mit einem ffieleitoort oom ©eneralfel&marfdjall d. ö. ©oitj nerven, $ 
. as & ct 3ungöeutfd?tpnöbemegung getoiömet ift, biesmal faft gaitj ben fr 

«gmifen oes Krieges angepafct. (Es enthält eine gtofee flrt 3 <rf?lDon Auflagen aus 6 er $eto 
namhafter Schriftsteller unb mirb ber 3ugenb fid?er roillfommen [ein (Sdjerls Derlag, geb. 

ZIC. 4 , 

. unter öem {Eitel „Der Harrenbaum" non öem baöifc^en Dolfsfdjriftfteller ÜIcli 
gejammerten. beutfdjen Schmante |inb fcfjon früher an biefet Stelle gewürbigt tooiben. Hui 
gerne (et auf bie neue Auflage aufmetffam gemalt. Diefet prächtige, mit Derbheit unb Eeberts« 
Weisheit gemifchte urbeutjeije Dolfsljumor fann getabe in 3citen brüdertbet Schwere befteienb 
wirten unb eignet fid; öa^er auef? recht gut als Eefeftoff für unfere Solbaten. 

. ,"*v, 'artenbaum." Deutfdje Schwante aus 4 Jahrhunderten. §ür 5as DoHgefammdi 
©eb rrt 2 50 ) etTICUCrt D ° n ^ einrid! m °^ r - 4 - u - 5 - flu fL Sreiburg 1915, fjetber. 01.2,-. 

,®,‘ ne 3ugen&3eitfdjrift, toie ich fie feit langem roünjdjte, ift nun enbiidj ootljctnteit. 
aj gäbe mit meinem Urteil gewartet, bis ich erft einen ganjen Jahrgang prüfen tonnte. 
um ift et fertig, unb i<h fann bas neue Blatt mit aufrichtiger gteube unb beftem «wiRcn 
unirer jugenb oom 13. Jahre ab empfehlen, (Es Reifet „TD et ben" unb erfäeint im Uerlag 
oet Sdjnftenoertriebsanftalt in Berlin (SU). 68, Alte Jafobftr. 129. Alle 14 Hage lWi» 
ib werten, großes gormat. Diertelfaljrspreis 0,50ITC.). 

„ ~xi" clt'L "f nöet ^ an öie beutfdje Jugenb aller Stänbe unb betont, inten 
ffiniiT-ften bes Dolles beutfdje Bilbung eröffnet, ben hohen IDert unferet lultutelU" 
i V lt * ^ as ®l®tt *®*0 lein gachwiffen bieten, fonbem bie Jugenb 3 um Derftänbms 
'x* ^ in f ü, ? l «n «nb fo an feinem ©eil an bet Dertiefung «nftes beutj^en 
wefens mitarbeiten. Aller Patriotismus, ber an ber ©berftäcbe bleibt unb fith mit bilhgen 
e ! ,Söl J?’ n ift glüdlidj oermieben, aber bie Gebe 3 Ut beutfehen fjetmat unb Stan 1 

m^gentumfatytit 3U öeut föer tDiffenfcf)aft, Kunft unb Dichtung leuchtet aus allen Bo* 
c ^ tD ° r ' ^ et jugenb 3 ur rechten gteube am Daterlanbe oethelfen, weil#3® 
£2H«?S , I , - U, I Ö täti9cn Anteilnahme am Staats» unb Dolfsgan 3 en er 3 iehen wiÜ, <¥< 
leiWff „„x cü* ÖQ ! r roas 9 “t am Sremben ift, ihr 3 U trüben, ber gebe ihr biefe 9 #®f 
leitete unb gefchmadoolt illuftrierte 3 eitfchrift in bie fjanb. W 

Hu$ öem Krcife unferer Ittitarbeiter. 



nr » U 1 T S . clöc öcr gefallen finö: 

(R.r?T l i $tnöeis ' ©ymnafiaI»profeffor in IDien. 

w~L m f to16, 0betI eutnant ö. R., Dtoreftor am £cl?retfeminar m 

Wuhlhaufen (Shüt.). 

Dr. & Riaas, ptofeffor am Celjrerfeminar in greiburg i. B., Bittet 
^fernen Kreujes. 

Dr. <£tn|i IDienefe, Dresöen, £eutnant ö. K., Ritter öes ©fernen Kteuj« 5 - 


3ur oie 


Ce anX tttt }^ lid!: Dr - ®«t^et Qofflaett«, Dresben21, 
«ne Zuanuffnptfenbungen finb an feine Anfchrift 3 u richten. 




Die 3ufmnft öer öeutjcfjen Spraye. 

Don tDalttfer Matthias t 1 ) 

Die $tage nach bet 3ufunft öer beutfdjen Sprache foll uns eine Stunöe be= 
fdjaftigen: bie $rage nach bet inneren ©ntmicöung, bie unfern Spraye be* 
fliehen fein bürfte, mie aud? bie $rage nad? ihrer äufeeten Detbteitung unb 
ihrer IDeltftellung. XDit merben babei nidjt oergeffen, bafe es nur ITTöglic^Ieiten 
finb, bie fief; bei unferer Betrachtung oor uns auftun; benn toit oermögen ja 
nicht, alle ©ittflüffe, bie für bie ©eftaltung ber 3ufunft oon entfdjeibenber Be* 
beutung finb, ihtem Umfang unb ihrer Starte nach i™ voraus abjufdjähen. 
tDit bütfen aber rooljl hoffen, mit hilf« unferer Beobachtungen unb Kenntniffe 
über bie ©ntmicflung bet Spraye in Dergangenheit unb ©egemoart auch ihre 
tünftige ©ntmicflung etroas näher beftimmen 3 U tonnen. 

3n bem ©ntmidhingsgange unferer heutigen ©emeinfpradje tonnen mir, 
u>ie Kluge bargelegt hot, btei Stufen unterfcfjeiöen, bie fich 3 eitlid? gegenein* 
anbet abheben, auch wenn fie ineinanber übergreifen unb niemals einen enb* 
gültigen flbfdjlufe erlangt haben ober je erlangen tonnen: erft lejifalifdjer Aus* 
gleich, bann grammatifche ©inigung, fchliefelidj phonetifche ©inheitsberoegun* 
gen. ©s ift flat, bafe bet Ausgleich im rbortfdjatj, ber ben eigentlichen Körper 
ber Sprache trifft, bie erfte Cebensbebingung jeber Sdjriftfpradje ift. So tonnen 
mir auch fogen, bafe mir feit ber tlaffifchen Citeraturperiobe bes 18. 3 aljthun* 
berts eine einheitliche Schriftfprache haben unb bafj bie ©inigung ber beutfdjen 
Sdjriftfprache im eigentlichen Sinn eine oollenbete ©atfadje ift. 

XDir fönnen bies aber nicht behaupten oon bet münblichen flnmenbung ber 
Sdjriftfprache. fjter liegen noch je# oiele munbartlidje (lanbfchaftliche) Der* 
fdjiebenljeiten ber flusfptadje oot, gan 3 abgefeljen oon ben eigentlichen Dolfs* 
bialeften. Die ©inheit befteht nur auf bem Papier; bie lebenbige Sprache weife 
oon ihr heute noch wenig, menn fich oudj feit langet 3 eit eine ©ntroicflung be* 
obachten läfet, bie ©rautmann als ben 3 ug „ 3 ur orthographifchen Cautgebung" 

1) Der Derfaffer, Sohn unfetes langjährigen TRitatfaeiters ©berftubienrat Reltot Dr. 
2h- Matthias in piauen, ift am 15. lUät 3 bfefes 3ahres bei Beaufejour gefallen. Seine Aus* 
fühtungen, CEnbe Rlät 3 1914 im 3toeigoerein$reiburg i. B. bes £UIg. Deutfeh. Sprachvereins oor» 
jetragen, faffen Stanb unb Hoffnungen ber beutfdjen Sprache unmittelbar oor bem Kriege 
iufammen unb toerben fo auch heute auf ©eitnaljme rechnen bürfen, roo uns fo manches im 
Sidjte bes Sterns, ber uns imtoifchen aufgegangen ift, toefentlich anbers etfdjeinen toill. 

o. hg. 


3«tt|d|r. f. 6. btutldjtn Unterrid)t 29.3af)rg. to.fjeft 


39 



610 


Die 3ufunft fcer beutfehen Spradje 


bc3ci(^net. All bie mannigfachen Begebungen nach ber „aflgemeincn beut 
fd}en Retdjsausfptadje" haben jeßt auch einen gemiffen flbfdjlufe erfaßen 
burch bie Regelung bet fogenannten „beutfehen Bühnenausfptache“. ID« 
au^ bie für bie Bühnenaussprache (1898 u. 1908 ) aufgeftellten Regeln f 
nä^ft nur für bas üheater ©eltung beanfpruchten unb beanfprudjen, fo bienen 
fie hoch auch bem Bebürfnis nach einer Bereinheitlichung ber flusfprache üta ; 
haupt. EDie es ja 3. B. bie tjermaniftifche Seftion ber 45. Detfammlung tat 
fcher Philologen unb Schulmänner in Bremen 1899 für tDÜnjdjensaett et ! 
Hart hat, bie (Ergebniffe ber Regelung „für anbere ©ebiete ber beutfehen Sprach 
pflege, insbefonbere burch bie Schule, nußbar 3U machen, inforoeit im £eben 
unö ^® r ieh r eine Annäherung an bie Sprache ber Kunft möglich unb 3 twct 
mafeig ift". (Es ift bann auch ntit bet Regelung ber beutfehen Schulausfptcnß 
begonnen tnorben, mobei man fich bemußt getoefen ift, baß es nicht möglich I 
einen Kanon bet beutfehen Schulausfprache für bas gan3e beutfehe Sprachgebiet 
auf3uftellen, ba in ber einen ©egenb als unbefannt unb unnatürlich empfum 
ben toirb, mas in ber anberen als richtig unb felbftoerftanölich gilt. & lieg« 
fdjon jeßt eine An3ahl folcher Untersuchungen unb $eftftellungen oor; mir bürfen 
mohl ermatten, baß bie Schuloermaltungen ber größeren ©ebiete unferes ■ 
Deutfeh en Reiches, Öfterreichs unb ber S<hn»ei3 felbft oorfichtig unb fachtunbig j 
eingreifen merben, nachbem fie in ihren Cehrplanen 3um ©eil feigem je# ,1®** 
reme Ausfpraehe" oerlangt haben. 

Diefe fünftlichen Bemühungen — fünftlich ^ier ohne jeben Zlebenftnn f 
brauet — merben eine Unterftüßung in bem übrigen £eben finben. U)ir roiffeu, 
tote innig Detlef unb Sprache 3 ufammenhängen, Perfehrsgemeinf^aft bie 
Uorbebingung ber Sprachgemeinschaft ift. Run bürfen mir oon ber 3ufunft eine 
mefentlrche (Erleichterung bes Derfehts unb eine Befeitigung mancher ¥ [t 
rtoq eftehenöen politifchen Derfehrsfdjranfett erwarten. Damit toeröen ^ 
ote urfprünglicfy nor^anöenen Unterfdjieöe benachbarter Spielarten öet Uf 
gangsfpradje mehr unb mehr nerblaffen, bie Übergänge non bet einen 3 1 * 1 
anberen immer roeniget fchroff merben. Diefer Umftanb mitb bie few# 
angeftrebte (Einigung unterftüßen. 

Unb hoch: fo nahe mir bem Sbeal einer (Einheitsausfprache fomm« 
™ 9 * n ' ~ e * ner oölligen (Einigung gelangen mir fdgmetli^. Dus 
cs Dcutfchen Reiches ift oiel 3 u groß, als baß, auch bei roefentlich gefteigerf«" 
yetfehrsmoglrchfeiten unb größtmöglicher $rei 3 ügigfeit, jemals oon einer t# 
djen Dertehrsgemeinfchaft 3mifchen Rorb unb Süb, ©ft unb tDeft bie W 

(* ” ^ nn c ‘, ®abur<h roitb aber auch bie Hoffnung auf eine nolltommene 

Sprachgememfchaft 3erftört. 

£ofnt^ aS abCt öafür eintTeten? Rtt bie Stelle bet 3ahlteith« n 
lid,erT« II 6 " ® etöen 9 t°fei Sprachproom 3 en mit oerhältnismäßig ^ 

Sprachform treten. An bie Stelle ber alten Dialefte treten neue, te 



Don tDaltljer ntatt!|ias 


611 


jeboch nicht bie unmittelbare Sortierung bet erften fein mü||en unb beten 
®ren3en fid? nicht mit benen bet alten IHunbarten 3U beden brauchen. Die 
neuen Htunbarten entftammen aber trotj ber Derfchiebenheit ben Keimen, 
bie fie non ben alten empfangen haben: bet Artitulationsgemohnheit unb ber 
Betonungsform. 

Hoch ftärfer toitb |idj bie (Entroidlung oon bem 3 beal bet (Einheitsfprache 
entfernen in ben Heilen bes beutfdjen Sprachgebietes, bie butd) tiefein|cf?nei== 
benbe politifche ©te^en oon bem Kemlanb, bem Deutfdjen Reich, gefdjie* 
ben finb: Deutf<h*(öfterteich, bie Sdjtoei3 unb bie oerfdjiebenen Spradjfolonien 
in fremben £änbem merben fdjärfer ausgeprägte Sonbettypen entmideln, 
als fie im Reich 3 U arroarten finb. Hs ift 3roat bemerfensroert, ba& mehrere 
Belenntniffe für Hinheitlidjleit bet beutfchen Ausfptache jenfeits bet Reichs* 
gren3en ertönen. XDie roeit aber biefe Bemühungen burchbringen unb erfolg* 
teidj fein toetben, fönnen mit für bie nichtreichsbeutfchen ©ebiete jchmetlich 
lagen. H>it bütfen nur bet Hoffnung Ausbrud geben, bafe |ie bei ben (Einheits* 
be|trebungen im Deutzen Reid) auch jenfeits ber Reid}sgren3en bis 3U einem 
gemiffen Ittafee menigftens fid) burdtfufetjen oermögen, bamit nicht bas, mas 
uns im Reich hinbet, 3U einer Sdjranle merben lann, butd? bie uns beutfdjes 
Sprachtum außerhalb bes Reiches entfrembet mitb. 

3 u|ammenfa||enb tonnen mir fagen: (Es merben Dorausfidjtlich auch 
fpäterhin mehrere Spielarten ber Umgangslpradje be|tehen. Die alten Der* 
fdpebenheiten merben abgefchmächt, aber nicht aufgehoben : |ie bauern meiter, 
menn auch in anberer $otm. 

(Einen ähnlichen, allerbings bebeutenb Dorgefdjritteneten Ausgleich treffen 
mit, roie fchon im Anfang betont, m bem XDortfchat} unferer Schrift* unb 
Umgangsfptache an. IDir miffen, mie |ich oom 14 . bis 16 . 3 ahrhunbert aus 
bem ©ernifch uerfchiebener Hlunbarten bie Anfänge bet Schriftfprache bil* 
beten, mie aber erft in ber 3meiten t?ätfte bes 18 . Jahrhunberts bie mirtliche 
(Einheit entfliehen mar. Allein bis heute hat bie Schriftfprache nie aufgehört 
fidj 3U manbeln. RTit ber immer innigeren Berührung aller £anbesteile unter* 
einanbet hat fich ber Beftanb bes XDortfchahes burch Besteuern überallher 
fortgefetft gemehrt, ergän3t unb erneuert. So befteht eine unbebingt oollftän* 
bige (Einheit auch heute noch nicht unb mitb taum jemals erreicht merben. 

Sehr intereffant ift es 3. B. 3U fehen, melche IDitfung in unferer 3 eit ©ott* 
frieb Keller getan hat. (Er hatte, als er gleich anfangs allerlei Ausbrüde feiner 
heimifchen IKunbart anmanbte, burchaus nicht bie Abficht, biefe alle bet Schrift* 
fptache auf3U3roingen. Aber meil fich atu fo häßlicher Künftler ihrer bebiente, 
brangen einige hoch in meitere Doltsfreife ein. Unb befonbets bie fchmei3e* 
rif^e Schriftftellermelt, bie etma hunbert Jahre lang eine al^ugrofee Achtung 
oor bem fchulmäfjig reinen Schriftbeutfch gehabt hatte, ift 3um guten Heil burch 
bie (Erfolge Kellers ermutigt morben, in jüngfter 3 eit ilpra Reäa miebet mehr 

39 * 



612 


Die 3ufunft ber beutfchen Spraye 


munbartlich 3U färben, felbft in unffenfdjaftlidjen IDerfen. (Dgl. Scbönaidp 
Heologifches tDörterbuch, S. 520 .) ©etabe bei oberbeutfdjen S^rijtitellera 
finbet man am meiften uolfstümliches Sprachgut; ihre Umgattgsjptadie ftefjt 
ja ber IKunbart oiel nähet als bie ber mittel 5 unb nieberbeutfdjen. 1 ) Dod! 
auch norbbeutfdje (E^ähler ber ©egenwart flehten munbartlidje tDörter in tiic 
ho«hbeutf«he Rebe. 2 ) 

tDie bie RTunbarten, fo fteuem aud) bie Berufs* unb Stanbes* 
fpradjen immer toieber neue Spracfybilber unb «wenbungen bei unb ^dfen 
ben Oortfdjai} ber Sdjriftfpradje erweitern; manche ©tgänjung gefdjiebt <n^ 
butdj bie tDiebererwecfung längft abgeftorbener IDörter. 3ntDie®eit 
wir in 3 u!unft eine umfangreichere (Entlehnung aus älterer Sptadrftufe 511 
erwarten haben, wirb abljängen uon ber Durchbringung bes heutigen Dolles 
mit beutfchen ©ebanfen unb bet größeren Dertiefung in bie oltbeutj<h e ^ 1 ® 
Das Derftänbnis für bie Bebeutung ber beutfchen Kultur in allen tyreit 
tungen, insbefonbere unfeter Spraye unb unfetes Schrifttums, bannt bie Bc 
wegung 3ur Dertiefung in beutfche Art ber Dergangenheit finb in ftetigew 
IDachfen. 

Der Derpflichtungen gegen bie eigene Sprache würbe fiel} bas beutjfy 
Dolf mit bem IDiebererftarten bes oölfifchen ©efühls, bas bem Krieg «m 1870 
nachfolgte, wenigftens in gewiffen Kreifen bewußt, als bet Allgemeine Deuij.e 
Sprachverein ( 1885 ) gegrünbet würbe. Durch feine 3ielfichere unb Dolfetüj 
li^e ©ätigfeit ift es biefem Derein gelungen, bie Sprachberoegung in ® { 
Kreife bes gan3en beutfchen Dolfes 3U tragen, not allem aber auch bie leiten w 
Kreife für feine Begebungen 3U gewinnen. Dabei hanbelt es ji<h.ni$®* 
einen Kampf gegen bie $rembwörter fchlechthin. Rieht bie Srembwört«, w® 
bie $rembwörter f eu et? e gilt es 3U befämpfen. hierbei wirb eine JEatfadje imw« 


1) 3ch roeife nur hin auf Scheffel, Auerbach, «Banghofer, hansjalob, Kofeggei fljjj 
— Pechfucher; BÜurjner = IDurjelgräber; toifig = bemeift; tuhefant, geöeitjfam, P® 
fchuffam ufro.), Stifter („hanbfamer Süngling", „friebfame <Eh e ")> 3 fl b n o*r® en e 
fernen Romanen fehweyerbeutfehe flusbrücfe mie £?abtid?e = Befifcenbe, taufet f « 
Jubel = Srembe, Roggenfpalter = (Behälfe; fdjaffig =-- fleifeig; auflüpfifh = „ 

batfdjen = barfch anteben. — fluch bei ID. fj. Riehl unb K. $• Rteyer finben H 9 
auch geringere, Spuren ber RTunbart. ffl , 

. . ^ K heinlanbet Cauff fpricht 00 m glatterfchnee unb oon bem mächtigen 1 
bad} bes Rathaufes. Bei bem holfteiner $renffen lefen mir flusbrücfe roie 

Kohr), Klei (jäher toniger Rtarfchboben), Priel (tDafferlaufim 
eh ( efer Pfuhl), Koog (ein burdj ©nbeidjen bem Rleete abgemonnenes S 
cc-nA € rts2l Öenet a ° pf mit iwti ®*iffen), Knaft (Knarren), Bult (Heine && 5 <l un9 ' • 
aurf?' ° 91, Katte 9 Qtt = Rahenloch), Reeling («Belänber am S<^ifft>orb);erl<h 

m%>*u n, f e “ nb pHerte mit ben Augen", ober: „feine Derhältniffe menen pettefleu 
man^R»«i* ®°.” n no< h an ® et h- hauptmann erinnert, oor allem an f e,ne ” " m 

feinen erfte^Roma ^ eber ‘ Subermann !ann genannt roerben, memjl 



Don tDalltjer Itlattljias 


613 

me^t heroortreten, öie mit auch fcf}on in öet bisherigen (Begabung unb Be* 
Sicherung unferes IDortfchafees finben: bie Entfache, bafe ein unüberfehbat 
gtofeer Eeil bes tDortoorrats entftanben ift unb immer roieber neu entgeht 
but^ Öberfe^ung aus bem tDortoonat anberer Kulturfprachen, fei es, bafe 
3ut Überfettung bes fremben IDortes ein bereits »otljanbenes ©runbroort bet 
eigenen Spraye umgeformt toirb, fei es, bafe bas bereits oorhanbene IDort ber 
eigenen Spraye ohne 3 u|ammenfefeung, ohne Umformung, ohne £aut= 
toanbel 3ur Überfettung bes fremben IDortes gebraust wirb burd? biofeen Beben* 
tungstoanbel. 1 ) Diefe Cehnüberfefeungen 3eigen, rate jebet3eit eine ©rgän3ung 
unb Beteuerung unferes IDortfchafees mögli(h ift, ohne bafe man ge3toungen 
märe, Srembroörter unbebingt aufeunehmen ober mit fott3u|chIeppen. 

Das ITlittel, burdj öas oon fehet bie Schriftfpracbe fähig mar, ben flnforbe* 
rungen bet £iteratur in Kunft unb IDiffenfchaft 3U genügen, ift bie Ueubübung 
bet IDörter bur<h 3 ufammenfefeung. Die $ahigfeit unferer Sprache, bafe fie fo 
3iemlid} jebes IDort mit faft jebem anbeten 3ufammenfefeen unb auf biefe 
IDeife neue Begriffe fchaffen !ann, ift einer ihrer gröfeten Dot3üge. Daneben 
geht bie IDottneubilbung burch Ableitung einher.*) 

1 ) fllsätfofelehnroörter führe ich an: 3ohrhunöeti(Sä!uIum),Uinn)eIt = niUieu, 
Brieftoechfel= Kortefponben 3 , Bahnfteig = Perron, Abteil = Koupee, Aus* 
legung ■= Interpretation, ober aus bem oerbeutfd}ten Bürgerl, ©efejjbud;: tDofjn» 
fül = Domyil, Dertretung = Repräfentation, Itlehrheit = tllajorität, Urheber = Autor, 
Segenftanb = ®bjeft, Dertragfchliefeenbe = Kontrahenten, Doümacht = Rtanbat. 

IRit Bebeutungslehntoörtern, b. h- beutfdjen Ausbrüden, bie unter frembem 
©nfluffe einen anbern Sinn erhalten haben, haben roir es 3 U hin, roenn bas fchon ootljan* 
bene IDort „Seift" benütjt toirb, spiritus in ber djemijdjen unb metaphorifchen Bebeutung 
mi^uüberfehen, bas fdjon oorhanbene IDort „tDott", ben in parole mitoerftanbenen Schtout 
mit 3 uüberfehen, bas fd}on oorhanbene IDort „Stimme", um bas in voix mitoerftanbene 
politifdje Recht m^uüberfefeen, ober toenn „Kammer" nach chambre für Doltsoertretung 
gebraucht toirb, „Sefchmad“ in übertragenem Sinne nach gout, „niebergebrüdt" nach d &- 
P r *m6, „gefegt" nach Pose, „freien (jemanbes plane)" nach croiser, „tühten" (jemanbes 
het3) nad} toucher, „Ring" = gefchloffene Sruppe nach engl. ring. 

Süt Bilbungs» ober überfefeungslehntoörter toeife ich hin auf „Sd}öngeijt" 
(ft3- bei esprit), „fchöne Seele" (belle äme), „fjanbftreidj" (coup de main), „Pflaftertteter" 
(batteur de pav 6 ), „öffentliche Rleinung" (opinion publique), „Slugblatt" (feuille 
volante), „tjalbroelt" (demimonde), „Sefichtspunlt" (point de vue), „en^iffem" (dö- 
chiffrer), „feine Rechnung finben" (trouver son compte), „ben h°f machen" (faire la cour), 
„Dreibunb" — „Dteioerbanb" (Triple alliance—Triple Entente); — ober aus bem 
<£ngli[d)en: „Selbftoertoaltung" (self-government), „Blaubuch" (blue-book), „fjeilsarmee" 
(salvation army), „hintenoälbler" (backwoods man), „©berhaus" (upper-house), „ 3 udjt= 
toahl" (natural selection), „Schlafwagen" (sleeping-car), „Stedenpferb" (= Cieblingsbefchöf* 
tigung, hobby-horse), „£eitartifel" (leading artide), „Selb machen" (to make money), 
„felbftgemachter IRann" (self-made man) ufto. 

2 ) So, toenn Sottfr. Keller „ 3 ierooll" (bas 3 ieroolle Sefdjöpf) neu bilbet, Paul fjeyfe 
„abgtünblich" für abgrunbtief („einet bet fchärfften Denier unb abgrünblichften Selehrten“), 
ein oollstümliches IDort. 



614 


Die 3ufunft 6er beulten Spraye 


(Ein immer frifches £eben toirb alfo, toie mir nach bem Blid in bas £ebei 
öer gegentoartigen Spraye fchliefeen bürfen, audj fünftighin im IDoitf^ 
bes Deutzen Ijenfdjen. Seine Biegfamleit unb ©efämeibigleit toirb ftetsjm 
Erweiterung unb Bereicherung bes IDortfchafees unferer Schrift 5 unb Umgang* 
fpradje beitragen unb eine formelhafte (Erftarrung »erhinöern. Die Cehnüber 
fetjung unb tDieberermedung abgeftorbener IDörter ©erben ebenfalls meijieni 
unb förbernb fidj ermeifen. Don großer Bebeutung aber ©irb bie Übernahme 
munbartlicher, Ianbfdjaftlidjer IDörter fein. 1 ) Diefer (Einfluß bet Umgang* 
fpradje toirb fidj aber auch in einer Dereinfachung bes Saßbaus unbte 
Safefügung unferer Schriftfprache geltenb machen. Die beutfehe Sc^riftfptacbe 
fteht noch olljufehr unter bem (Einfluß ber lateinifchen Sprache. (Es ift fdjon ge 
nügenb auf bie E)äfe(ichfeit hingetoiefen roorben, ©eiche bie Bilbung non Schn# 
telfähen unb Perioben in [ich trögt. (Es ift bebauerlich, bafe fich foldje Saß 
bungen nicht nur in bem beshalb berüchtigten Beamtenbeutfch, (Belehrtem 
beutf^ unb 3 eitungsbeutfch finben, fonbern auch in (Stählungen unb Romanen 
neuefter Schriftfteller. 2 ) 

(Erohbem tonnen mir feftftellen, bafe bie lefete 3 eit biefe Schachtel* unb 
(Ereppenfäfee 3 u rüctgebrängt hot, toie auch bie unter Iateinifchem (Einfluß buch* 
geführte (Enbftellung bes 3 eittoorts burch ben flnfturm bet münblidjen Hebt 
3mar nicht befeitigt, aber hoch in ihrer Zitacht ftarf erfdjüttert tootben ift. 3 ) So ^ 
unfere Schriftfprache fich ber Umgangsfprache genähert ober hat auf Steihette* 
3 urüctgegriffen, bie fich m altbeutfcher 3 eit finben unb benen bie Btunbait 
tmmer angehangen hat. 


ü ®ie es einft 3aljn gefdjrieben: ,,©hne ZTtunbarten toirb ber Sptadjleib jum Spw^ 
leu^tmm ober ©ottfr. Keller: „Durch energifche ©eltenbmachung ber Dialette toirb bas W 
beulj^c oor ber 3 u taffen Derftadjung bemalt." 

t . •' i 9 ' Ebers: „(Es gab eine 3eit, bie leibet mit bem großen flriftoteles ben flW“5 
t~' l . n öe . r e , s „ untet ben ©riechen IlZännet gab, bie ben © 3 ean, oon bem bu rebeft, mit ne"» 
5JJ 3e * ! en "- ~ ® ottfr. Keller: „ITCan fefete fich J« ©f<h. bie m5 9 öc ' nl ^i 
fe ihren Dienft oorlaufig getan, nahmen besgleichen piafe." — Kicarba 6«$= 
aß er, toenn er länger bliebe, Rache ... nehmen mürbe." — ©erh- t?auptmann: • De . 

K et J. U l Ü<ff0m> Iniete ins ®wb"; ,,©t beobachtete mit einem forglichenflusbnj 

aehJrtnt*? S!' Wdd>eS er ' na <hbem er bie 3 ubtinglichen Stiegen eine ©eile oom^ab* 
gehalten, fältefclidj medte.“ 

len h a be ich oernommen), roie 3h r ben armen wanbernben 

ber m?” 3 ^ tu " 9 unö herberg"; „barauf er ohne Säumen aus 3 og rmt&W 

am beitfn m- emCm Uni> meincm Bruöet s y rtö unb oielen herten"; „$teili<h »#*J. 
li©e 6e«:„ t 0,01 mit «*|er Äfferei"; „Darum ihn auch 

K-W häufig pflegten am Singer 3 u tragin", ©tto Sdjroeber: f 3 

Bebaabtr" n"* 1 ” 9 .!® ,(fen ®ibetfpruche liegt 3 mif<hen Darftellung unb Benennung. 

hoben roetben m f D,ettIC *> Schäfer: „ba& auf ©runb ber IRonroeboftrin flnfpruj 

übet gan 3 flmerita, ^b^nnt"^ 6 ^ poRti ^ e Su P rematie öet Bereinigte« 5 



Don U)attf}er Hlatthias 


615 


Das mad)t ftd? aud} bemetfbat in bet 3 utücförängung bet faft ausfchlief)* 
lief} Ijettfcfjenben ttebenfatpDut, toenn 3. B. 3toet 3ufammertgehörige ©eöanfen, 
bie rott (heute) but^aus einen bem anbeten unterotbnen follen, urirffamet 
unb ftäftiger einfad} aneinanbergerei^t toetben, geroöhnltd} butd} bas fräf» 
tige unb oielbeutige unb, aber aud} ohne jebes Binberoott. 1 2 ) 

Der ©influfe bes gefptodjenen tDorts auf bas gefd}tiebene mad}t fid} bann 
aud} barin bemetfbat, bafj man je%t niefjt nur im Hebenfatj bas 3 ettu>ort 00t 
bie für ben Sinn nidjt unbebingt nötigen Beftimmungen fe%t, fonbetn aud} im 
fjauptfaij (unb überhaupt im Satj) bas Hötigfte unmittelbar neben bie eigent* 
lid}e 3 eitux>ttform unb 00t bas toeniget nötige fdjiebt.*) 

3 n biefet IDanblung bet tDottftellung fann man oielleid}t eine geringe 
Annäherung an bie jetjt fo feft geregelte XDottftellung bes Stan3öfifd}en unb 
(Engltfdjen fehen. Aber es ift nidjt unbebingt nötig. 3 unäd}ft ift es bod} bie 
Cosrei&ung oon unfetet alten, aus bem Catein in bie Sdjtiftfpradje übemom* 
menen Übung — unter bem (Einfluß ber gefptodjenen Sprache, bet Umgangs* 
fptadje, butd} bie Berührung mit ber ITtunbart finb fdjon früher unbeutfdje 
Sügungen aus bet Scf}tiftfprad}e Derbrängt rootben: fo bet acc. c. Infinitiv, 
bet fid} nur bis auf Cef fing behaupten fonrrte; fo finb auch jetjt bie tladjbilbun* 
gen lateinifdjet patti3ipialfonftruftionen am Ausfterben; fo löfen mit uns fetjt 
enblid} auch oon bet ©nbftetlung bes 3 citroortes im Sat)e. 

U)ir fönnen alfo getroft fagen, bafe im Kampfe 3a»fd}en bet ftarren ©e* 

1) ©uftao $renffen hat bies freilich 3 U abfi<htli(h et Sanier ausarten laffen, etwa in 
bem Satj: „3an Baas ging auf bie $elbarbeit bei ben Bauern unb flidte abenbs an bet Blauer 
herum unb legte ben XDodjenlohn in bie tjanb bet ftänHichen Iltutter unb nahm am Sonntag 
gelegentlich ein Iliäbchen in ben Arm. 

2) IDir treffen biefe ©rfdfeinung fchon bei fjauff: „et mar entfchlummert mit bem et» 
hebenben ©ebanlen an fie"; „fie traten heraus aus bem IDalb". — Ijetne: „Die Cippen läd)el* 
ten heroor aus bem braunen Barte"; „eilig 30 g et fie fort butd} bie buntlen ©affen Badjeradjs"; 
„langfam trug er fie hinab nach bem Ufer". — Sch eff el: »bet Abt rnufe am ©ag bes ©eridjts 
Hechenfchaft oblegen über bie feiner fjut anoertrauten Seelen"; „er trat 3 utüd an ein Bogen» 
fenfter im Kreu 3 gang". — $reytag: „Der Canbmann nahm feine Blütte tief ab oor bem 
tanbesherm ober 00 t ben gelehrten 3uriften". — TTlörite: „(Er fudjte nunmehr Unterhal» 
tung für fid) in bet allgemeinen Sdjentftube"; „©s tourbe ein Heiner Abftedjer gemacht linfs* 
hin nach Branbenbutg 3 U"; „Der Baton ... fdfien ihrer toert in febet Küdfid)t". — K. §. 
Hteyer: „3n bem Sache lagen nebeneinanbet 3 toei feltfame, beibe mit nur 3 U roohlbeJannte 
©egenftänbe". — fjans h°ffmann; ’„©s mar erbaut aus lauter fo Harem ©lafe, bafc oon 
roeitem es niemanb fehen lonnte". — Rofegger: „©in fd)atflalter Cuftftrom hat geriefelt 
oon ben ©letfd)ern her"; „bort fteht es, hält hod) ben Kopf unb lauert". — Sd)eter: „eine 
göttliche $rau roeiht ihn ein in götUid)e IDeisheit"; „mir finb mitten hineingeriffen in alle 
Surd}tbar!eiten bet Sage“; „et legt bamit ein 3 eugnis ab für ben fittlichen ©eift unferes 
alten helbengefanges"; „alle ©lieber bes ehemaligen ©ftftammes mürben nach unb nach h‘ n * 
einge 3 ogen in ben Bereich bes flrianismus". — Behaghel: „IDenn bie Sdjriftfprache fid) 3 U 
biefem Braud) ber lebenbigen Sprache in IDiberfprud; gefegt hat, fo ift es gefdjehen unter 
bem mastigen (Einfluß bet tateinifd)en Sprache." 



616 


Die Sufunft 6er öeutfdjen Spradje 


un cn hett unb ber freien Bemegung heute unb mol}! auf getaume 3eit ffin : 
0115 c* ^^ e ^ un 9 haljin beftimmt ift, bafj bie $reiheit gefiegt hat. Soroot 
ow teg ine Rebe fein fann in einem Streit, bet immer fidj erneut unö toi) 
m Cr » ei l ern mU ^ : 00n her angebilbeten Unnatur unö Rücffef)i jut 

€ en eoefprac^e. (Es fann fich nicht öarum hanbeln, bie S<hriftfpra<he Iw 
an 3 u 9leid}en; bas märe unmöglich, ba es untrtöglidj ift, 
n etfdjtebe aufjuheben, bie in ben äußeren unb imteten Dorausfe^ungen 
beruljen. U>o$l aber mirb bie Scheibung, bet Abftanb bes gef^riebenen unb 
es gestochenen IDortes oerringert roerben: menigftens in bet Saijfüguiij, 
nnpt aber, ober faft nid/t im $ormenbe|tanb. 

•t« Cra * >e aU ^ bem ®ebiet bet $ormen roitb ber Unterfdjieb 
a?rtf fpradje unö ITCunbart ftets ftarf ausgeprägt bleiben. Die Schrift übt (eben 
ort um für fich, rein als $i$ierungsmittel, einen erljaltenben unb bema^renben 
j.J*' ü " aus * muffen mir auch bie Schriftfprache als bie Betualjterin urfpriing ! 
b «a ° U ^ C Unö ^ ormen betrachten. Aber trotjbem bie (Entroicöung bes neunen 
b«A *a* ^ r *t^ ums 3 ur Seftigung ber $ormen beigetragen hat, bürfen mir 
6<»r <?a -wr €n ' iegli^e Deränberung im £aut* unb Sormenbeftanbe 

«?ttf fpradje unmöglich märe. (Es macht fidj im $ormenbeftanbe, bet Weit’ 
6 ..Ü? $ . ® e freben bemerfbar, möglichft 3 U oereinfachen, Unterfdjiebe 
öurd ? Ausgleichung 3 u befeitigen. 

- 3 "* ÖCt t flbtDanöIun 9 hes 3citmorts hat bie fämache Samt ben ftarf« 
^ettroortern fäon oiel Abbruch getan. tDohl finb in nhb. 3eit einige menige 

w °* er -t.° J,e * abcn einlaben) unb meifen aus ber fdjwadjeit Biegung in 
flfj x uber 9 e 9angen, mie bereits in mhb. 3eit preifen, gleichen, fehmeigen. 
ZI •" tU " 0 nod? 200 f*«kn 3eitmörtem mit ihren 3 ufamntenfe^ung« 
me 9y^& cre 3aJ)l fdjroadjer gegenüber. So ljat — naturgemäß - 
ebeb<mt « ra, * S _ ei lJ 0 ^ ec f Beugungsart fchon burch ihr Übergewicht manches 
bebpnföJ 1 ^ettmort in ihren Bereich hetübergejogen. Aisbann muffen w® 
borp» »Üx x! C at,Ieitun 9 en in ben Bereich her fchroachen 3 eitbeugung f 
au* ft» « i °k' aeu hühungen roefentKch nur noch als Ableitungen entfiel)«, 
3ett- rnM $ m ö ? n J cIbcn ® Iei f cn 9el?en unb gehen merben. Dgl. aus jöngft« 
fonterf ■ « n ' taben ' auteln, brahten, fiffingem, fchmenningem, muH® 
3eitroörtprn temtiffen. —Beachtung oerbient bann ber Umftanb, bafe ^ 
ber Dernnnn ^ aacn ' fpalten, fdjroten, mahlen bie ftarfen $onn« 

geräumt babPM^^V ^ ^ fieIt ' * icIt ' mol) ben flachen bas f 
ten aef*rn+ nUr nod? bas f tarfc Btittelmort (gefaben, gefalten, gefP^ 
Betmenbunfl 6 .!!!. . 9C ^ a ^ en ^ mahrfcheinlich geftä^t burch bie abjefti# 
fieben ftieben T ® ebrau ^ 9eblieben ift. Auch hei triefen, fpriefeen, nieg 
befleißen erfiefp p ^ c 9 cn / glimmen, (flimmen), meben, gären, f'J 

neben bie TtarÄ ?T U f ben ' baucn hat fich bie fthmache $orm erfolgreich 
hte ftarfe gefegt, teilmeife auch bei baden. Bei biefen 3eitmörtem fite»« 



Don IDaltljer Matthias 


617 


fich öie fdjwachen unö ftar!crt Bormen noch um öie Herrfchaft, wie auch bei fragte 
(mhb. vrägete): frug. Dagegen ift öie fchwadje Sotm bei fdjreien, fpeien, 
rufen oorläufig noch auf Öen munöartli^en ©ebraudj befd}ränft. 

Xticfjt fo beutlich fieht man öie Richtlinien, Öen (Trieb 3ur Ausgleichung 
unö Dereinheitlichung, bei öer Beugung öes Hauptworts. fluch hier firtö 
öie (Bremen 3tuifchcn öer ftarlen unö fdjtoachen flbroanölungsart nicht feft* 
geftellt; oielmehr finöen auch ihte 3ahlreichen Übergänge aus öer einen in öie 
anöere ftatt. 3eöoch ohne öaß mir, wie bei Öen 3eitwörtern, fagen tonnten, 
»eiche Klaffe ftetig roachfen unö öie anöere 3urüdörängen toirö, 3umal fich 
in nhö. 3 eit eine Dermifchung öer Beugung eingeftellt hot. 

3 n öer Rlehr3ahtbilbung öer Hauptwörter haben im £aufe öer 
nhö. 3 eit flngleichungen ftattgefunöen unö finöen noch ftatt. So ift 3. B. öer 
Umlaut ein felbftänöiges Htittel öer RTehrheitsbilbung geworöen. UHr bilöen 
jeßt Sotmen wie Dögel, Hagel, wo noch in öer fpätmhö. 3 eit öie Rtelpgahl 
vögele, nagele lautete. H)it treffen feßt Schwantungen wie Boöen — Böben, 
Bogen — Bögen, $aöen — $äöen, Hammer — Hämmer, He^oge — H cr 3Öge, 
Caöen — £äöen, Sattel — Sättel, Schachte — Schächte, Haften — Käften, 
Brote — Brote. Hier macht wohl immer öie rein munöartliche Reöeweife Öen 
Anfang, öie öann öutd} öie Umgangsfprache auch öie Schriftfprache beeinflußt, 
eine Beobachtung, öie wir bei öer Hleh^ahlbilöung öurch *en machen tön* 
nen. Hach bem Htufter öer weiblichen tDörter auf * 1 , *r, wie Kartoffel, 
Sichel, Klapper, fagt man fchon in öer Schriftfprache Stiefeln, 3 iegeln, parttof* 
fein, Htusteln, $littem neben Stiefel, 3 iegel ufw.; bei < 5 . Keller, < 5 . Breytag 
finöen fich auch Bilöungen wie Htöbeln, $enftem. 

©nen befonöets auffaüenöen Umfang hat öie ITCeh^ahlbilöung auf 
*er gewonnen gegenüber früher. Diele Hauptwörter, bei benen fie heute 
Regel ift, tannten fie im flltöeutfchen noch nicht ober hatten wenigftens öa* 
neben öie $omt ohne »er. Bei £uther gewann öiefes pluralifche »et fchon 
weitere flusöehnung, inöem 3. B. auch Dolt, Haus, ©ut, Kleib öiefe Rtehrheits* 
form ausfdjließlich, Dorf, Kinö, Haupt, £anö häufig aufwiefen. Hach Luther 
haben fich noch £eib, H)alö, UJurm, Ranö, Strauch u. a. hwBugefellt, fo 
baß fich biefer (Typ in öer heutigen Schriftfprache oerbreitet unö feftgefeßt 
hat. Bei ein3elnen Hauptwörtern befteht öie Doppelbilöung noch heute; aber 
auch hier 3eigt fich beutlich, baß öie Bilöung auf »er bereits als öas (bewohn* 
lichere entpfunöen wirb, öie $otmen ohne »et übetwiegenb Öen dharafter 
öes Altertümlichen haben, 3. B. Banöe — Bänber, £anöe — £änber, tDorte — 
U)örter. Htan lann wohl annehmen, öaß öiefe Bilöungsart noch weiter in öer 
Schriftfprache »orbringen wirb bei öer nahen Berührung öer Schriftfprache mit 
öer Umgangsfprache, 3umal fie auch ben großen Dorteil für fich hat, öaß öie 
©töung »er eht3ig UIehrheits3ei<hen ift, nicht wie öie ©töungen *e unö *en 
gleich3eitig 3ur Bilöung öer $aIlformen oerwenöet wirb. 




618 


Die Sutunft 6er beutfdjen Sprache 

Don oielen artöeren Dcrcinfa^ungsbeftrebungen in bet heutigen Sdjtift- 
fptacfjc möchte idj Ieöigtid? nod) jtoei punfte ^etoot^eben: Die Steigerung unb 
flbnxmblung bet ©genfdjaftstDörtet. 3 n bet Steigerung tonnen toir, ähnlich 
wie bei bet IKeljtjaijlbilbung bet fjaupttoörter, ein (Einbringen unb Umiidp 
greifen bes Umlauts bemetten. 1 ) 

Bei bet flbtoanblung bet ©igenfdjaftstDöttet ^at jetjt eine Den 
mifdjung bet fdjtoadjen unb ftatfen $orm eingefetjt. 2 ) Diefe bereits befte^enbe 
Detmifdfung füljrt bocf) maljrfdjemlid) 3U einet Dereinheitlidjung, unb 31001 |o, 
bafe fd)liefjlid) nur eine, bie fdjtoacfye, Art übrigbleibt. 

UTeine flbfidjt toar, bei ben letjten, 3. (L in (Edelheiten geljenben flusfüh» 
tungen, bat3ulegen, toie unfere jetjige Schriftfpradje 3m Dereinfa^ung 6310. Det= 
etnljeitlidjung neigt unb hmbrängt, fotoie einige erf ennbate Richtlinien boraus auf 
3U3eigen. Denn idj glaube, bafj mit uns je^t in einer fltt Übergangspetiobe be : 
finben, bafj bie nod) unentfd)iebenen Sdjtoanfungen unb Doppelformen nidjt als 
reiner Spradjoetfall an3ufetjen firtb (es ift oetfd)iebentlid) gejagt toorben, es würbe 
einmal ba3u „fommen, baf} man fid) 00t einen fd)iet unentroirrbaren Knäuel 
oon Sprcidjbummheiten geftellt fieht"). 3m ©egenteil fdjeint es mir fi^et 
3U fein, bafj unfere ZUutterfpracfye butd) roeiteren natürlichen Sortfhritt bet bis= 
hetigen (Entancflung einfacher unb tlarer toerben toirb, gröfjete Regelmäfjigleit, 
Überfichtlidjfeit, Durd)fi<htigfeit, bamit auch leichtere Safelichleit gewinnen wirb. 


1) Bei einigen (EigenfdjaftstDörtem ift jeijt bie umgelautete Steigerungsfotm butfr 
gedrungen gegenüber öer früher daneben Dorljandenen nidjt umgelauteten: alt — <® a 
(alter + elter), arg — ärger (arger + erger), arm — ärmer (armer = ermer), lang—länger 
( anger + Ienger), fcfjmal — fdjmäler (smaler + smeler), jung — Jünger (junger + jünger). 

et anöeren öurd;freien fidj beute umgelautete unö nid)t umgelautete Sonnen oft wiß' 
ftirlid>: 6er ooröerfte - 3 uoörderft, fdjmäler: öer fömatfte, gefünder: gefundefte, oder (ie 
fteljen nebeneinander: langer — länger, blaffer — bläffet, glatter — glätter, futjer -flq* 
frommfte — frömmfte, ferner fd)mal, na&, 3 art. 

r. • c 2) ,r Di£ l <arle 5 ° rm auf ” es im männlichen und fäcf?lid?cn Weshalb der <Ein 3 abli(i. 
ei jeglen eines ©efdjledjts* und $ürtoorts, feit etroa 120 3ahren durch die fdjnjcictjo 5 0t * 
oer rängt morden bis auf toenige formelhafte Derbindungen und die $ätle fonft mangelnder 
Renmeupnung des Salles. (Einige Sormeln, roie gutes Bluts, reines t>er 3 ens, heutiges Hag»- 
gera esroegs, ftehendes Sufees haben fd)on die fchtcadjen Sonnen neben fid): 9 u ^ en ^ U * S| 
reinen Qe^ens, heutigen Hags, geradentoegs, ftehenden $ufjes. Sonft henfch 1 bie f<h raa ^ 
Sorm: alten ©eins, duftenden tjeus, und fogar oon $ür* unö3ahltoörtern jedenfalls, ®eld?em 
Taus, allenfalls. — Hacf) den perfönliihen Sünoörtern fteht im allgemeinen der Regel gern« 
ie ftarte Sorm: id) armer (Hör), ich armes ©eib, uns Deutfdje liebt man nicht überall. Ab« 
m mehr 3 ahligen ©etfall und ein 3 ahligen IDemfall haben fidh fchon Schnmnhingen eingefteOt: 
mir andern, ihr fremden (Heute); im ©entfall der <Ein 3 ahl fteht nebeneinander: mir armem 
... ji “ tme " manne < ü>eibe, mir armer und armen Srau. — fluch in Derbindungen mebter« 
JunncSr 4, ?* n ! d?aftsn,ört er mit dem hauptioort ift die Durchführung der flotten Be“' 
folaS 6 9 r; t ro0röen bntd > Be 9nügen mit öer n^orm an dem oder den auf bas erfie 
geringe at£m f ran 3°f , f ( h cn ^«n, bei f^önem frif^en ©etter, neuer honändifdjen 



Don DOaltfjct ttlatthtas 


619 

(Es ift nun fchon mehrmals öer Derfuch gemalt tooröen, öiefes bemetfbare 
Streben naef} Dereinfachung in öer Schriftfprache auch fünftlid} 3U unterftühen. 1 ) 
Aber mit fontmen auf folch fünfttid}em XDege nt# 3um 3 iel. XDenn wir Me 
Iteigung unfetet Sdjriftfprache 3ur Dereinfachung unterftüfcen wollen, jo lattn 
es nur babutd} gefdjehen, öafe mir einigen in öer befjeren Umgangsjpradje ge* 
bräudjlidjen gormen aud} öen (Eintritt in Me Schriftfprache geftatten, fobalb 
jie Mir cf} Ungleichung an bereits oorhanbene Iltujter gebedt finb, bafe wir eine 
Sornt, eine gügung nicht oerurteilen, weil jie erft butch Angleidjung („falfdje 
Analogie") entjtanben ift unb ihre urjptünglidje gorm aufgegeben hat. Da* 
butd}, bafe jie oon ©rammatifern in Regeln unb gormeln nad} Art iurijtijdfer 
©ejehesbejtimmungen gelleibet wirb, ift bie Sd}riftfprad}e nod} nid}t 3U einem 
papierenen ©efpenft geworben. Sie ift nicht ftarr unb unoetänberlid}; beshalb 
lafct fie fid} nicht enbgültig regeln. 

Die fünftlidjen Detfudje, bie beutfehe Sprache 3U 0 er einfachen, finb ent* 
ftanben aus bet wohlgemeinten Abficht, fie leichter erlernbar unb bamit fäf)i= 
ger für ben IDettfampf mit ben jetzigen Derfehtsfptad}en 3U machen. 

Ulan hat 3toat banad} geftrebt, eine „internationale fjilfsfptache" 3U 
fchaffen. Alle biefe Derfudje finb gefdjeitert; es gibt mehr als 60 Syfteme ober 
Profefte fünftlid}er tDeltfpradjen (Dolapüf, pafilingua, (Efperanto, Kosmos, 
Spelin, Rtyrana, Lingua internazional, Idiom neutral, Panroman, Ca* 
tino, Rooilatin, Unioetfal*£ing, Blaue Sprache, Heu*Phöni3ifd} ufto.) — 
aber feins hat fid? burd}3ufet}en oermod}t. (Einft erfreute fid} bas Dolapü! 
( 1879 ) einet getoiffen Dol!stümlid}leit; aber fd}on 1901 jagte R. RI. RTeyet 
fehr herb: „tDo ift h^ut bas Dolapüt? IDo ber (Enthufiasmus für Jäger* 
hemben unb Kneippfuten geblieben ift: Die IDeltreligion ift 3m EDintelfette 
hetabgefunfen." Unb ein ähnliches Sdjidfal toirb aud} halb bas (Efperanto 
treffen, bas jetjt allerbings burch bie gemachte Rellame 3U einer tounberbaren 
©töfee gehoben unb geftempelt toirb, bas aber ttoijallebem fchon bie Keime 
bes Derfalls auftoeift. 

tPenn ü berhaupt bas Problem bet tüeltfprad}e auf tünftlichem IDege ge* 

1) Schon 1859 erfdjien ein 3 . 5. öarauf hinjielenbet Auffaij „Über bie Reinigung unb 
Sortbilbung bet beutfehen Sprache" oon $r. K. Krüger in bem Jahrbuch „tteut" ber „Jung* 
germanifchen Cbefellfdjaft". 3m Anfang ber adliger Jahre erfdjien ein „UJeltbeutfdij" oon 
einem Anonymus p, ber unfere Spraye 3 m Unioetfalfptache „oereinfachen" roollte, inbem 
et 3 . B. folgenben Sah bilbete: „fjaft bu einen großer TOoltäter unter bie tiers als mich? 
Das biene fragte ben ITCenfd}. Ja rool, biefet ertoiberte ..Auch bet ©rientalift ITCartin 
Schulde fdjlug ein reformiertes „tDeltbeutjch" ohne Artifel oor (1899). Bor allem aber ift 
hier ein Buch 3 “ nennen, bas 1912 oon Dr. <f>uibo Boehme oeröffentlieht cootben ift: 
„Aeubeutfche ©rammatil ober Reformbeutfch. CEin Detfuch, bie beutfehe Sprache 3 U oerein* 
fachen unb jugleidj roeiter aus 3 ubauen" ((Tübingen, A. u. S. IDeil Derlag, ohne Jahr), 
©hne nähet auf bas letzte Buch eingehen 3 U tonnen, mufe ich boeh fagen, bafe biefes „Reubeutfd}" 
meinem Urteile nach oielleicht eine Dereinheitlichung barftellt, aber auf feinen gall eine Der* 
einfachung. 



620 


Die 3ufunft ber beutf^en Spraye 


Iö|t roetöen fantt, fo nur bei bet Befdjtänfung auf geroiffe Setten, etaa auf Öen 
fdjriftlidjen internationalen Detfeljr unb barauf, baß fie nur in getoiffen 
engeren Sphären, etma im fjanöel ober ber tDiffenfdjaft, ihre Stätte haben 
foll. Diefe Befchränfung hat fid) bie neuefte tDeltfprache, bie 1908 begonnene, 
1911 im allgemeinen feftgefetjte 3 öo*Sprache auferlegt, bei beten Aufhellung 
u. a. ber befannte Kopenhagener Sprachgefdjidjtler unb Phonetifer (Dtto 
3 efperfen mitgearbeitet hat. U)ie meit abet auf bem ©ebiete bet IDiffenfdjaft 
ein Bebürfnis nach einet berartigen Allgemeinfprache oothanben ober roüm i 
fdjensmert ift, toollen mir norläufig bahingeftellt fein laffen. Aber non tem 
nölfifchem Stanbpunft aus müffen mir auch bies abroeifen. 

Ähnlich, mie man eine fünftliche Sprache als allgemeine EDcItfpradje ein* 
führen mollte, hat man auch geforbert, eine einjelne natürliche Spraye als 
IDeltfprache an3uetf ernten, unb hat (Engltfd) als bie IDelifpradje bei 3ufunft 
erflart. 1 ) 

Aber auch biefer IDeg ift nicht gangbar. Die Selbftfchätjung unb ©genliebe 
ber Dölfer lehnt fid) bagegen auf, einem non ihnen einen fo großen Dotjug 
unb ein fo großes Üb er gereicht einjuräumen. 

IDir haben jetjt nor allem brei Sprachen, bie miteinanber um bie Dor* 
herrfchaft ftreiten: Deutfeh, «nglifä, $ran3Öfifch. 3 n Bölbe mirb tnoljl bas 
3 talienifche fich hn^ugefellen. 

Das $ran3öfifche nerliert an Bebeutung; felbft im biplomatifdjen Derlei, 
roo es bis gegen bas ©nbe bes 19 . 3 ahrhunberts unbeftritten herrfdjte, ift es 
»nicht mehr feines Befi^ftanbes ficher, ba bas Selbftbemufetfein ber übrigen 
europäifchen ©rofjmädjte unb ber norbameritanifchen Union fich als ftarl genug 
etmiefen hat, geeignetenfalls ben ©ejt biplomatif^er Boten unb Derträge in 
ben Sprachen bet Kontrahenten abjufaffen" (IDinhoffer, „Die tDeltfpradje", 
Reclams Uninerfum, 18 . 3 ahrg., 3. ©ft. 1901 , S. 135 ). 

Die ungemohnte, ftetig roachfenbe Derbreitung ber englifdjen Spraye bat 
man 3U erQären nerfucht burdj ihren Bau unb ihre (Einfachheit. Allerbings 
hat bas ©ngtifdje bem Deutfdjen 3. B. gegenüber uieles ooraus: Die ® n '' 
filbigfeit ber XDörter, bie (Einfachheit feiner 3 ufammenfetjung, bie Dürftigfeit 

1) Dies haben u. a. getan Botinsfi, tjeimann Diels („£eibni 3 unb bas Problem bet 
UmBerfalfpradje"), fltnolb Scfjtöer; auch eine Breslauer Differtation oon ©tto ©'** 
(1903) enbet mit ber nollen flnertennung bes non Diels ausgefproihenen Satjes: „3tt prattr* 

Jeher hinficht ift bas ©nglifehe unjroeifelhaft bie tDeltfprache bet 3ufunft". fluch ® tt0 
3efperfen=Kopenhagen fchliefet fein Buch „Growth and Structure of the Engiish Lau- 
guage (1912) mit ben Sähen ab: „Whätever a remote future mayhave in störe, onenee 
not be a great prophet to predict that in the near future the number of English-speaking 
people will increase considerably. The curse of Babel is beginning to lose its sting • • • ~ 
hu 90 Schucharbt („Homanifches unb Keltifdjes" S. 302f.) tritt hingegen für bas S ron 3° 5 
Wehe ein, ©uftao Itleyer („tDeltfprache unb tOeltfpradjen") für bas Kuffifehe, D tunr 
b°fer („Kultunoanbel unb Dölfetoerfehr" 1891, S. 24) für bas Deutle. 



Don IDaltljer Ittattfjias 


621 


feinet Beugung. Dot allem ift es in bet Syntaj fämtlichen übrigen Sprayen 
überlegen: in bejug auf Kroge öes Ausbruds weife ich bin auf bie geringe 
3 abl oon teflejioen Derben, Auslaffung bes Relatioums, ©ebraudj bes 3n= 
finitios, Affufatios mit Snfinitio, parttypiums, ©erunbiums; in bejug auf 
feine UnterfReibung bet Bebeutung auf bie Urtterfcheibung 3wif<hen inde¬ 
finite unb definite tense, Derwenbung bet fjilfsoerba ufw. Sehr non Rufcen ift 
es für bie englifdje Sdjriftfptache getnefen, bafe fie nie bie $üblung mit bet ge* 
fptodjenen Rebe nerloten hat. So finbet fid} im ©nglifdjen nicht ber grofoe Unter* 
fdjieb 3tnifcben biefen beiben Kräften, wie wir ibn für bie beutfdje Spraye 3U* 
geben müffen. Unb bann ein weiterer punft, in bem uns bie englifdje Sprache 
bisher überlegen ift: bie einheitliche Ausfprache. Allerbings hat fie biefen Dot* 
teil mit bem $tan3öfifchen gemeinfam. Das $ran3öfifche hat bie ITCufteraus* 
fptache in ber Sprache ber gebilbeten Parifer, bas ©nglifdje in ber ber gebilbeten 
lonboner (upper middle classes). 

Reben biefen Do^ügen weift aber bas ©nglifdje auch oetfdjiebene IRängel 
auf: 1. Die fdjwietige Ausfpradje, 2. ber weite Abftanb 3wifchen Ausfptadje 
unb Schreibung, 3 . Dermifchung ber Datin* unb Affufatioform unb bie bataus 
erttfpringenben logifdjen Unflarheiten; 4 . Derluft bes Konjunftios; 5 . bas 
©leichlauten bet Sotm bes ©erunbiums unb bes Partizipiums praefentis, 
6. bie Dielbeutigfeit 3ahlteidjer EDörter, bie oft 3U IRi&oetftänbniffen Anlafe 
gibt; 7 . hoppelte Art ber Steigerung; 8. BUbung bet Demeinung mit to do„ 

Die rein Iautli<h*fprachliche ©rflätung für bie Derbreitung ber englifdjen 
Sprache hält alfo nicht ftanb, wenn fie auch ein3elne punfte richtig betont. Als 
Rachteile bes Deutfdjen finb in biefet fjinfidjt 3U nennen: 1. bie eigene Schrift; 
2. Unterfchieb 3wifdjen Sdjriftfprache unb gefprochener Sprache, 3 . eine noch 
immer nicht fefte, 3. ©. oerwidelte Rechtfehreibung; 4 . als Sdjwierigfeiten ber 
Sormenlehre: breierlei ©efdjlecht, eine flejionsteiche, fehr fdjwete Deflination 
(ftarfe, fchwache, gemifchte), attributioe unb präbifatioe (beffet: ftarfe, fchwache 
unb präbifatioe) $orm bes Abjeftios, eine ftarfe unb fchwache, fehr formenreiche 
fchwierige Konjugation; 5 . in ber Syntaj: Schwerfälligfeit bes Ausbruds, 
freie tDortftellung, häufige Unflarheiten ufw. 

U)it haben oorher ausgeführt, wie in einigen biefer Punfte bereits eine 
U)anblung 3ur Befferung unb Dereinfachung 3U beobachten ift. IDit haben 
ferner gefehen, baff je%t auch für bas Deutfche eine Rlufterausfprache oorhanben 
ift. U)it wiffen auch, bafo eine Reuregelung ber Rechtfehreibung immer wieber 
oerlangt wirb unb wahrfcheinlich auch in abfehbarer 3 eit eintreten wirb. Die 
Betrachtung bes ©nglifdjen hat uns aber ge3eigt, bafe fidj eine Sprach« auch 
troff mannigfacher IRängel burd^ufetjen oermag. U)ir fommen alfo auch oon 
biefet Bettachtungsart 3U einer oollfommenen Ablehnung oon bewußten, 
fünftlichen Anbetungen bet beutfdjen Sprache, b3w. ihres $ormenbeftanbes 
uadj etwaigen 3 toedmäfeigfeits* unb Dereinfachungsprin3ipien. 



622 


I 


Die 3ufunft öer öeutfdjen Spradje 

Denn ausfdjlaggebenb für Me Ausbreitung einet Spraye fittb nidjt jo 
fe^r Me ©genfehaften bet Sprache felbft, als oielmehr Me fulturelle, wirtfd}afb 
Ii^e, politifdje unb 3. ü. auch 3a^Ienmä^ige Überlegenheit bes fie fptedjenbert 
Dolfes. tjinter bem Iebenbigen Sptachoerfeht ftehen (bemalten roie Die 3 a(|l 
unb Dermehtung ber Dolfsmaffen, bie £age unb Besoffenheit ihrer tDohn* 
fi^e, ihre ftaatlicfje Rtadjt, ihre Bilbung unb Betätigung namentli(h im ^anbel 
unb Derfehr, ihr oölfifches Bewu&tfein unb ähnliche Kräfte. 

So ertlärt fich ber Rücfgang ber fran3öfif(hen Sprache, öer feine 
Urfa^e 3um großen ©eil in bem Riebergange ber Politiken RTacht $ranfreidhs 
hat, in ber geringen Befähigung ber 0ran3ofen, folonifatorifd) 3U willen unb 
im Seewefen etwas fjetoorragenbes 3U Ieiften, unb in ber geringen 3unaljme 
ber Benölfetung. So erflärt fich 3- fc auch öer Umftanb, Öafe bie ruffifche 
Sprache, trotjbem fie bie am weiteften oerbreitete, eutopäifche Kulturfptahe 
ift, ootläufig wenig Ausficht hat, tDeltfprache 3U werben. Rufelanbs Dolfe* 
öichte ift 3U gering: auf 1 qkm fommen 5,85 ©nmohnet, gegen 120,04 im 
Deutfdjen Reich, 73,82 in $ranfreich, 76,01 in ®fterreich=Ungarn, 144,20 in 
©rofebritamtien. Unö tnenn bie englifdje Spradje am ©nöe bes 15 . M* 5 
hunberts oon wenig mehr als 5 Millionen Ittenfchen gefprochen würbe, 3U 1 
Begtnn bes 19 .Jahrhunberts oon etwa 40 Rlillionen, wenn es heute faft 125 
Millionen Angelfachfen gibt unb bie englifche Sprache bie offtielle Canbes* 
fpra% ift für mehr als 350 Rlillionen Menfdjen unb 3. ©. bie tDeltfprache für 
Öen internationalen Derfehr, wie früher öas Sateinifdje unö fpäter bas Statt 5 
3oftfche, fo ift öas leöiglich öer ftarfwilligen folonifatorifchen ©ätigfeit unb bem 
nationalen Bewu&tfein öes englifchen Dolfes 3U öanfen. 

©etaöe biefe Betrachtung lä&t aber uns Deutle je# hoffnungsfreubig in 1 
te 3 ufunft bliefen. ünfer Dolf hat gewaltig gewonnen an £ebensfraft unb 
£ebensäufeerungen, feitöem es 3unäd?ft wirtfchaftlich unö öann auch poütifch 
3u einer ©Seit 3 ufammenwuchs: ©emeingut unfetes Dolfes ift heute bie tön 5 
ficht geworben, bafe Deutfchlanö auf öer Schwelle eines neuen 3eitalters fteft 
öafe es fchon feit Anfang öer neun3iger Jahre aufgehört hat, bloß europäifh« 
ZJntereffen 3U haben unö fraft natürlicher ©ntwicHungsfräfte mit einem grofeen 
(teil feiner CebensbeMngungen in öie UMtpolitif unö öie XDettwirtf<h«ft r 
3ogen worben ift. R)ir haben mit allen Rationen Schritt gehalten, bie meiften 
ubertroffen. Unter ben btei roirtfchaftlichen ©rofemächten bet ©be fteht Dcutfch 1 
Ianb an 3weiter Stelle. Unb auf bem ©ebiete ber IDiffenfchaften unb Kiinfte 
hat ohne 3 weifel bas beutfehe Dolf heute öie Sprung. Sogar öie Conbonet 
„Corning poft" erflärte 1904 öie öeutfehe Sprache als unentbehrlich fü* öflS 
gefchafthche unö wiffenfchaftliche £eben, als Öen Schlüffe! 3m fjälfte bes geifti* 
gen £ebens im heutigen ©ltopa. 

So müffen fich bie ©tglänber oon Jahr 3U Jahr emfthafter fragen- 
0 cs ferner Ijeifeen: öie U)elt trnrö immer englifdjer? ©öer fofl cs oon 



Don EDalt^er Ittattfjias 


623 

heute ober morgen ab heifeen: bie tDett wirb immer engKfcher unb immer 
beutfdjer? 

(Es ift unmöglich eine genaue 3 iffernmäf}ige Überlist über bie Derbreitung 
einet Spraye 3 U geben, ©hne jeben Anfprud) auf unbebingte Ridjtigfeit ber 
folgenben Angaben ergeben 3 U wollen, habe id} nach Dergleidjung oetfehiebener 
Sprachftatiftiten ungefähr folgenbes 3 ufammenfteIIen fönnen: bas (Einfluß 
gebiet bes fjoi^beutfdjen erftredt fid? auf runb 100 ITUIlionen ITCenfdjen, 
bas bes Rieberbeutfchen auf 30 Htillionen. (Englifcf} ift unter etwa 200 
Htillionen oerbreitet. Das eigentliche englifdje Sprachgebiet umfafet aber nur 
ettoa (123—) 125 Millionen, barunter 50 Htillionen richtige Briten unb 20 
Htillionen beutfeher Abfunft, bie uns burdj Auswanberung an unfern Heben* 
buhlet oetloren gegangen finb. 3n großem Abftanb erft folgt $ran 3 Öfifch mit 

45 (47) Htillionen unb einem (Einflußgebiet oon ettoa 50 lUillionen. Spanifd} 
toirb oon 44 Htillionen gefptodjen unb oon roeiteren 5 Htillionen oerftanben. 
Portugiefifch gilt bei 22 Htillionen Htenfdjen als Detfehrsfptache. Die ita* 
lienifche Spraye hat fidj über ettoa 38Htillionen ausgebreitet, ©toferuffifdj 
beherrf^tim gan 3 en 100 Htillionen, toirb aber ebenfotoenig eine toeltumfpannenbe 
Sprache toerben toie dhinefifch troh feiner 400 Htillionen unb 3apanifch mit 

46 Htillionen. Die tuffifdje Sprache toirb ftets auf ben Bereif ihres eigentlichen 
politifdjen (Einflufegebietes befchränft bleiben. 

Die beutfehe Sprache breitet fid} auch ohne äu&ete Htachtmittel aus bur<h 
bie toachfenbe fulturelle Bebeutung unb immer weitere räumliche Derbreitung 
ihrer tEräger. 

3n fchneller IDanbetung wollen wir uns oergegenwärtigen, wo bie 
beutfehe Sprache außerhalb bes beutfdjen Reichsgebietes gefprodfen wirb, 
©rot} aller ©egenarbeit feitens bet ©frechen in Böhmen, Rtähren unb Schlefien, 
bet Slooenen in Steiermarf, Kärnten, Krain unb Slaoonien, ber polen in ©ali* 
3 ien, bet Italiener in Sübtirol unb ©rieft unb bet Htabjaren in Ungarn iftjunb 
bleibt Deutfeh iw ©fterrei<h*Ungarn bie Kulturträgerin, bie Dermittlungs* 
unb fjanbelsfprache. 3n Ungarn ift fie immer noch bie 3 weite Dertehrsfprache 
unb bie internationale Derftänbigungsfprache, wähtenb Htabjarifch im ©tunbe 
nur rein örtliche Bebeutung befitjt. Auch w Kroatien, Slaoonien, Bosnien ift 
Deutfeh bie Sprache minbeftens bes Dutchgangsoerlehrs, bes ©to&hanbels unb 
bet ©ebilbeten. 

3n ber S^wei 3 ftab ja bie btei fjauptfprachen, bie beutfehe, fran 3 Öfif<he 
unb italienifche, als Hationalfpradjen erflärt. fjotten wir bis oor fu^em be* 
obachtcn müffen, bafe bie ftan 3 Öfifd}e Spraye 3 ielbewufet oorbringt, fo bürfen 
wir hoch fagen, bafe in ben gebilbeten Kreifen bet beutfehen Schwer 
neuetbings ein ehrliches unb llates Deutfchbewufetfein lebenbiget betont wirb 
(1904 beutf<h*f<hwei 3 erifcher SpradjDerein). ©s wirb aber faft überall Deutfeh 
oerftanben, auch int UJeften unb Süben. 



624 


Die 3ufunft öet i>eutfd)en Spradje | 

3n fjollatiö hat man im Schulunterricht bas fjodjbeutfche 3 uungtm(ten 
bes Srart 3 öfifcffen eingefüljtt. 3n Belgien finb etwa 40 000 Deutfdjfptedjeniie 
(„Detein 3 ut Hebung unb Pflege bet ITTutterfprache in Deutfdj 5 Belgien"). 

3n £ujemburg ift tote in Belgien $ran 3 öfifd} bie Staatsfprache. Die Sdjule 
jebod^ ift auf bet Unterftufe beutfdj, weil bie Htaffe ber Beoöiferung feine anbete 
Sprache fprieht. Der ^ö^ete Unterricht ift oorläufig bureßroeg 3 tDeifpradjig. i 
Aber ber weit übettagenbe wirtfchaftliche unb wiffenfehaftlidje (Eittflufe 
Deutfchen Reiches macht fich immer nachbrücflicher fühlbar. Sämtliche 3 eitungen i 
erfcheinen in beutfeher Sprache. 

3n Dänematl, Schweben unb Horwegett wirb Deutfeh wolfl oep 
ftanben. 3m ganjen Uotben muß jeber, ber wiffenfehaftlich etwas Ieiften 
mill, Deutfeh oerftehen. 3n Italien greift Deutfeh weht unb mehr unter 
ben größeren Kaufleuten um fi<h; oiele t>on biefen finb fogar Deutfdje. 

3m Ruffifchen Reich muß jeber beffete Kaufmann, jeber ©ebilbete eine 
mefteuropäifche Sprache behettfefjen, wo 3 u, namentlich in neuerer 3 eit unb im 
(Erwerbsleben, weit mehr bie beutfehe als bie fran 3 öfifche gewählt tmtö. Der 
Staat hat feit 1902 ben fran 3 öfifd}en Unterricht faft gan 3 auf gegeben 3ugunften 
bes beutfehen. Ulan fommt alfo faft überall mit Deutfeh gut burd}. 3n UTosfau, 1 
bem „her 3 en Rußlanbs", ift es bie Sprache betBötfe, in ben ©ftfeepromn 3 en mit 
ihter 3 . ©. rein beutfehen, fehr einflußreichen Beoöiferung fogar 3 U oier SM* 
teln bie ©efdjäfts* unb Detfehrsfprache. 

Auf bet Balfan-fjalbinfel toirb 3 . B. in Serbien DielDeutfeh oerftanben 
unb getrieben, namentlich in Beigrab; in Serbien ift es auf faft allen Schulen 
Pflidjtgegenftanb. 3nBulgarien unb ©ftrumelien ift Deutfeh fogar öie jweite 
unb amtliche Sprache ber Derfehrsanftalten neben ber bulgarifdjen, ^ {t 
nahen politifchen Be 3 iehungen 3 U Rußlanb. 3n edlen gebübeten Kreifen fprichi 

ober oerfteljtman es, teiltoeife allerbings auch $tan3Öfifch, eine $olge ftü^eien 

©nf luffes, tote in Ru m ä n i e n. hier fprechen bie ©efdjäftsleute auch 
wegen ber Dielen bort anfäffigen Deutfchen unb 3uben. Auch i m ^ ie *f e ^ et ® e * 
t beten tritt bas $ran 3 öfifdje jeßt ftarf 3 utücf 3 ugunften ber beutfehen Spradje. 

3rt ber Sürfei überwiegen nach außen $ran 3 Öfifch unb ©riechifrh* W 
Sran3öfifch bie 3 weite Amtsfprache. Aber Deutfeh greift bebeutenb um fi<h, 
oor allem in ber fjauptftabt Konftantinopel unb auf ben ©fenbaßnen, auf ben 
Knegs= unb fjodjfdjulen ift es Pflichtfach unb jeßt bem $ran 3 Öfifch etwas dop | 
gezogen. 3n ber £eoante wächft bet hanbel bes Deutfchen Reiches unb ©ft«r 
reteßs bebeutenb fchneller als ber ber übrigen IDeltmächte. Auch hi« 9 en,innt 
öie beutfehe Spraye eine erfreulich wachfenbe Derbreitung. 3n Smyrna, Behüt. 
Jerufalem gibt es gute beutfehe Schulen unb wohltätig wirfenbe humanitäre 
njtalten. Auch in Ägypten ift eine Ausbreitung ber beutfehen Sprach« fefi 4 
3U|teiIen ((Errichtung beutfeher Schulen, ©rünbung beutfeher Kranfenßäufe« 
m Alejcanbtia unb Kairo). 



Don tDaltfjer ITtaitfjias g25 

3m fernen ©ften geunnnt Deutfdj ebenfalls immer größere Beöeutung. 
3n Siam ringen (Engiifdj, $t<ut 3 öfifd} unö neuerbings audj Deutfd} mitein- 
anöcr. 3n Singapur wäehft beutfcher (Einfluß 3n Öen öftlichen Geilen Sibiriens 
namentlich in bem öftlichen Ijaupthafen tDIabiroostof unö im Amurgebiet 
roirb üeutfch Diel oerftanben. 3n unfetem Schu$gebiet Kiautfchou (pib* 
f<hen* Deutfeh 0 gewinnt mit unferem wachfenben (Einflufc auch unfere Sprache 
mehr Boben, aber auch in Schantung, bem fjinterlanbe unferes Pachtgebietes 
(beutfehe hochfchule in Gfingtau). Der'rDeltoetfehr Japans wirb 3 war oom 
(Englifchen beljerrfcht, feine tDiffenfchaften bagegen ftar! com Deutfdhen. Hach 
einer Aufhellung com 3ahre 1909 waten an höheren Cehranftalten 86 frembe 
©eiehrte tätig, barunter 31 Deutfche, 2 Schwerer, 19 (Englänber, 16 Ametifaner, 
6 $ran 3 ofen. Auf ben japanifchen f}o<hfchulen wirb immer mehr beutfeher 
Unterricht erteilt in ben $ächem: Recht, fjeil* unb At 3 neitunbe, Siteratur, 
Philofophie, Raturwiffenfchaften, (fjanbels* unb) Ulilitärwiffenfchaften. Die 
gefamte wiffenfchaftKche XDelt Japans fpricht Deutfeh unb (Englifch. 3n 30 hl* 
reifen höheren Schulen 3apans ift bie beutfehe Spraye Pflichtfach, fo in bet 
Abelsfchule, in ben Kabettenfchulen, in ber ©fftyersfehule, in ber Artillerie^pio* 
niet'Schule, in ber Kriegsafabemie unb felbft in ber Keitfchule. Auf bem 
Seminar für frembe Sprachen unb an ber Unicerfität ftehen Deutfeh unb (Englifch 
gleichartig nebeneinanber. — Der Kampf um bie beutfehe Sprache in unferen 
Schuhgebieten ift ben alten Kolonialmächten gegenüber nicht leicht, 3 umal fie 
faft überall bereits ihre Spuren hinterlaffen hatten. 3n ben oon Spanien neu 
erworbenen beutfdjen ©ebieten fuchten unfere Regierung unb bie großen 
fjanbelsljäufet in ihren oielen Rieberlaffungen Spanifeh unb (Englifch burch 
Deutfeh 3 U etfetjen [RTarianen, Karolinen (Palau*3nfeln)]. 

3n gan 3 IDeftafrifa unb Deutf<h*©ftafrifa finb bie beutfehen Behörben 
ebenfalls auf bie ©eltenbmaehung ihrer Canbesfprache in ben Bedungen unb 
Kolonien bebacht. überall in Senegambien unb an ber ©olbfüfte beftehen wich® 
tige beutfehe fjanbelsnieberlaffungen. 

Ametifa fteht in Sprache unb Derfeljt hauptfäehlieh unter bem waehfenben 
(Einfluß öes (Englänbertums, cor allem bie fjauptmaffe bes Rorbens. 3n ihr 
befi^t bie englifehe Spraye ihr gewaltigftes Derbreitungsgebiet. 3n ben Der* 
einigten Staaten oon Rotbamerüa ift bas Deutfche faft überall bei 
näherem 3ufeljen beutlich 3 u bemetfen. (Es nimmt auch auf Kofien bes $ran* 
3öfifd}en 3 U. 3n St. £ouis fpricht faft bie hälfte ber (Einwohner Deutfeh, in 
Pennfyloanien fogar bie gröbere Ijälfte, hier allerbings mit (Englifch gemifcht 
3 u bem eigenartigen fogenannten Pennfyloania*Deutfch. 3n IDisconfin haben 
gatt3e Be 3 irfe eine rein beutfehe, faft nur Deutfeh fpreehenbe Beoölterung. 
Sriebrichsburg in IDefttejas ift beutfeh. Die Umgegenb wirb „KIein*Deutfeh* 
lanb" genannt; bort oerftehen felbft Reget unb Rlejifaner unfere Sprache. 
Rorb*3Uinois unb bas angten 3 enbe RTilwaulee werben ebenfalls faft nur oon 

3eUf4|r.f. 6. beutföen Unterricht 29.3ahrg. 10. $eft 40 



626 


Die 3ufunft ber beutfcfjen Sprache 


Rtenfchen beutfdjer Abfunft bewohnt; als Deutfeh fptehenb würben in itiii : 
toaufec 135 000 ober 66 Pr 03 ent bet Stabtbeoölferung gejault. 3n Chicago 
leben übet eine Drittelminion Rlenfchen beutfeher fjertunft, in tteuyorf fogar 
etwa Dreioiertel million. Star! oertreten ift bas Oeutfdjtum int ganjen Horb» 
often, in bem großen ©ebiet 3 wifchen St. Couis, Gincinnati, Washington, to 
yor!, Bofton, Buffalo, Detroit, St. Paul, Snbiana unb Gopela, ^auptfädjli^ 
in acht Staaten, in benen es 8—15 pro 3 ent ber Beoölterung ausma#. 3n j 
ad?t weiteren Staaten ift es mit 3—7 pro 3 ent oertreten. Saft an jebem bebeu s 
tenben Orte bes Riefenftaates er f cf} eint minbeftens eine beutfefje 3 citung, int 
gan 3 en (1909) 715 an 3a^l [gegenüber 743 (1902), 787 (1896)]. 1901 ift ein 
„Deutfdpamerifanifdjer Hationalbunb" gegrünbet toorben. Auch finben mir 
3toeigoereine bes Allgemeinen Deutfdjen Sptad)oereins in einigen Stabten, 
wie Reuyort, Bofton, Philabelpljia, Rcwarf. 

Sn Rtejito wirb oon 1903 an in famtlichen höheren Spulen Deutfd» 
neben ©nglifd} als Pflichtfach gelehrt, auf Koften bes gtan 3 Öfifcf)en. 

Sn IRittel' unb Sübamerila macht Deutfeh rm ©rofchanbel gute gortf^ritte, 
fein ©influfe ift neben ©nglifd} nicht gering. Sn Dene 3 uela gibt es »iele beutfehe 
Sngenieute; ber beutfhe Kaufmann ift fjert bes 3 ®if^enhanbels unb h ®* 0 
burdj fein felbftbewufjt beutfehes Auftreten erreicht, bafe bie Kenntnis unfern 
Sprache 3iemlich oerbreitet ift. Deutfcher t)anbel unb Aderbau nehmen eine 
wichtige Stelle ein in Paraguay unb Argentinien, noch mehr aber in un ^ 
Sübbrafilien. Der argentinifche tDarenhanbel ift ootwiegenb beutfeh unb ftangö' 
fifch, bas Banfwefen englifch. Sn Uruguay teilen fidj ebenfalls Deutfhlnnbunb 
Sranfteich in ben Ejanbelsoerfeht. An erfter Stelle barin fteljen mit in # 
mit 120 beutfehen fjunbelshöufem unb 84 RUllionen mar! Kapital. Das £anö 
bei Arauco unb Goncepcion unb 3 wifcf)en Puerto montt unb Üalöioia befifj 
aufeetbem oiele beutfehe länbliche Anfiebelungen. Dalbioia, Puerto IWonitun 
©fomo finb fogar 3 U 3 wei Dritteln beutfehe Stabte. Unfere Dolfsgenoffen fw 
aber bort noch bebeutenber burch ihr Anfehen unb ihren Ginflufs, tri^t nur r*® 
fjanöel, fonbern auch in anberen, noch roichtigeren Stellungen. So ift DeutW 
in Süb*Ghile 3 u r 3 weiten £anbesfpracf)e geworben. 

©rofce unb fteigenbe Bebeutung befijjt auch öas üeutfcfjtum ht Btafili {n > 
oor allem in Sübbrafilien. Dort bilben bieDeutfchen mit 250 000 Seelen 3# n ’ 
mäfeig nur ein Drittel ber Beoölterung, aber an Ginflufe finb fie mafegeb^. 

©s wirb im Detfeht faft nur Deutfeh gefprochen, felbft oon ben portugtefen. 
Stalienern unb Polen. Auch in bet Sanbeshauptftabt Rio be S^ueiro unb faal 
ift unfere Stellung nicht unbebeutenb, wäljtenb bie englifhe taum ih ten ^ 
behauptet unb bie fran 3 Öfifche 3 urüc!geht. Die beutfhe Schiffahrt an ben VW 
oon mittel* unb Sübbrafilien ift in auffallenbet (ErttwicÖung begriffen. 

Rieht minber erfreuliche Gmbrüde wedt bas Deutfchtum Argentinien 5 ; 
Dte 3 ut 3entenarfeier 1910 herausgegebene geftnummer bet beutfhen 



Don tDalt^ec tftattljias 


627 


plata= 3 eitung" fdjäftt 6 ic 3®hl ber Deutfchfprachigen in Argentinien auf über 
100 000 . Seit 1904 ift bort in Öen Rationalfollegien (Realanftalten) für bie 
©berftufe, b. h. bas 5.-7. Schuljahr, bas Deutle als einige lebenbe $remb* 
fpradje oorgefdjrieben. 

Unb nun noch einen fu^en Blicf auf bas Auslanbsbeutfchtum in englifchen 
Sieblungsfolonien. 3unächft in Sübafrifa: hier ift bie neuere beutfche (Eimoan* 
berung in ftarfem Umfange beutfch geblieben. Die ©efamtja^l bet Deutzen 
Sübafrifas wirb auf runb 33 000 angegeben: 17 000 in Kaplanb, 2500 in Ratal, 
12 000 in Gransoaal, 1000 in bet (Dranjefluftfolonie. Die ftattlichfte beutfche 
Kolonie in Sübafrifa ift bie oon 3o^annesburg (etroa 10 000 Seelen); bie bortige 
beutle Schule gilt als ein ftarfes Bolltoetf ber beutfcfjen Kultur in Sübafrifa. 

Stärfer ift bas Deutfätum in Auftralien; bie 3ahl ber Deutfchen beträgt 
eta>a 100 000 . Aber ber Deutfdj=Auftralier tritt im öffentlichen £eben nicht 
befonbets heroot (£anbbeoölferung; fleine Kaufleute unb fjanbtoetfer). Rur 
in Sibney unb Abelaibe hot oor allem honfeatifche Rührigfeit einen Anteil am 
©tofthanbel erobert. Die beutfche Sprache urirb aber, ähnlich wie im penn* 
fyloaniabeutfch, mit englifchen Beftanbteilen burchfeftt. 

3iffemmäftig ift im Bereif ber englifchen Kolonien bas Deutfchtum am 
ftarfften in Kanaba oertreten. 1881 lebten in Kanaba ungefähr 250 000 Deut* 
f«he, 1901 oeranfchlagte man bie Deutfchfprachigen auf runb 300 000 , 1905 
auf 350 000 . (Deutfche 3eitungen; aber mit ben beutfdjen Spulen fleht es nicht 
glän 3 enb.) 

Aus all biefen Angaben, bie natürlich nur einen gan 3 allgemeinen Über* 
blicf geben follten, ift etfichtlichr baft feine ©egenb ber bewohnten CErbe 3 U fin* 
ben ift, in bet nicht Deutfche leben. IDemt man oon ben (Englönbem abfieht, 
fo gibt es fein Dolf bet (Erbe, bas in gleichem ZTtafte toie bas beutfche über bie 
gan 3 e (Erbe oerbreitet ift. 3a, u?enn man bie aufterbritifchen unb aufterbeutfehen 
herrfchaftsgebiete ausfchlieftlich in Betracht 3 ieht, fo ift bie Derbreitung ber 
Deutfchen eine noch gtöftete als bie ber Briten. Der größte Geil ber Auslanb* 
beutfefjen ift uns ftaatlidj oerloren, nicht aber als Dolfsgenoffen. Staat unb 
Dolf beefen fi<h hier nicht; reichsbeutfch unb beutfeh finb 3 toei oerfchiebene 
Dinge. Die 3ahl bet Deutfchen auf unferem Planeten nähert fi<h ber hunbert* 
ften RTillion. (Einige 60 Rtülionen leben im Deutfchen Reich, einige 30 IRil* 
Iionen außerhalb feiner ©re^en. (Es gibt ein „®r oft er es Deutfchlanb", hinaus* 
ragenb über bas Reichsgebiet, toie über ben gefdjloffenen beutfehen IDohn* 
raum RKtteleuropas, ohne unmittelbare Detbinbung mit bem Reich. Der 
Deutfche brauften aber ift ber geborene Dorfämpfet unb Bahnbrecher unferer 
tDirtfchaftsintereffen baljeim. Der fjanbel folgt mehr als bet $lagge bet 
Sprache unb bem Dolfstum, bie Ausbreitung unferer Sprache unb bie Schäftung 
unferes Dolfstums in ber $tembe erleichtert unb fördert ben Abfaft beutfeher 
(E^eugniffe. Aber nicht nur biefe nüchternen gefchäftlicfjen Berechnungen 

40* 



628 


Cie (Entwicfiung bes mittelhodibeutfdjen Unterrichts 


iommctt in Betragt. Bon bet Haltung unb (Sefimtung bei fluslanbbeut^en 
füt uns hängt feht mefentlid) bie Kulturftellung bcs öeutfehen Bottes ab, bic 
Derbreitung feiner Spraye, bie IDirfung feiner tDiffenfchaft, £iietatut unb 
Kunft. So ift alfo bas EDidjtigfte füt ben eigentlichen DMtoerfeljt ohne $tage 
bas Derbalten bes öeutfehen Kaufmanns unb flnfieblers. Rlögen fie habet 
niemals ibr Dollstum, ibre Sprache oerleugnen ober in ben oerborgenften 
IBinlel ihrer <5efcf}äftsräume 3 urüdftellen. Biogen fie ftets batan miiheljen, ' 
ben öeutfehen ©ebanfen in ber ID eit 3 U oerbreiten. Unb bamt toirb wie unfetc 
überlegene roirtfchaftlidje ©efchicflichleit au<b unfete überlegene £iteratur uni» 
Kultur nach wie oor anbere Böller 3 wingen, Deutfeh 3 U lernen. 3n früheren 
3ahthunberten ift bas beutfehe Dolfsberoufetfein but<b bas Weltbürgertum ber 
PhHofophen, ber Dichter, ©eiehrten unb Ideologen gefäbrbet toorben. Sorgen 
mit bafür, bafe in ber 3 u!unft bas Weltbürgertum bes ©rofelaufmamts unferen 
Hationalftaat nicht überrouchert. 


Die (Entwicklung öes mitteI^od)6eutfd)en Unterrichts. 

Don Otto Hubert in IDurjen. 


Oie beiben erften Herausgeber 5 es tlibelungenliebes, Bobntet unb Ulyller, 
fteben ihm noch fühl gegenüber unb glauben, ihr Unternehmen unter allerlei Den 
Beugungen oor bem 3eitgeifte rechtfertigen 3 U muffen. Unb fo begeiftett einige 
fleine 3itfel ft<h bem „£lltbeutf<hen" 3 uroanbten, bie ©efamtheit fanb leine Stellung 
3 u ihm. (Tinen roit!li<h innerlich begeifterten £iebhabet= unb $orf^erfreis gewann 
bie ältere beutfehe £iteratur erft in ber 3 eit, öa Daterlanbsliebe mehr war als eine 
„hetoifdje Schmalheit", roie £effing fie nannte. Oie 3ahre ber „fdjooeten Hot", 
bie ermachenbe Romantil erft machten aus bet gelehrten £iebhaberei bet Scf)roe'3 ct 
eine grofce, eine nationale Sache. Run fanöen bie „altöeutfien Stubien" 1 ) ««4 
ben Weg in bie gelehrten Spulen, unb mit Recht lenn 3 eichnet lttatth>o s öie 
rung bes IlTittelljodjöeutfcffen als „ein Kinö öer Datertanösliebe, bie Grojt unö & 
quiefung fuchte bei Öen alten SAafeen öes eigenen Dolles in ber 3eit ber Siemo* 
hertf^aft". 

3uerft toar es $tiebrich fluguft ©ottholb«Königsberg, ber 1809 „3 ut 
rung bes beutfehen Unterrichts" eine £eltion für bas „flltbeutfche" t>orfcbIu9- -WJ 
folgte 1811 Kohlrauf^=HannoDet, ber bas Ribelungenlieb für bie Schule empfah 
unb hietin oon Paffoto unterftütjt marb. fluguft Wilhelm oon Schlegel fotberte 18U 


1) Der flusbrud „altbeut|d|e Stubien" lagt fo jiemlich alles. 4t ift fo wMWj 
r*K be « ö i S " altöeut ^ en Stiles ". her in ben adliger 3ahten bei uns wütete; halb 
, altbeutfd}en stubien" bas gefamte ©ebiet beutfeher Spraye not Cuthers Auftreten 3U ** 
L e ? 1°'jfsl n '/.l e ^^ Rorbifd} unb ©ottfd) (bas man bamals als birefte Stammjpro4 e 
6dö nui 6as Dlittelhochbeuti^e. Diefer unbeftimmte Harne J 
Ä not ^ in 6en Kämpfen um bas IHittelhochbeutfche auf, bie bies «W 

jaljre erfüllten, hier bejieht es fleh bann wefentlid) nur auf bas Iffittelhochb« ut tö e ' 



Don ©tto Hubert 


629 

öafe bas Ribelungenlieö „in allen Spulen, öie fich nicht fümmetlich auf Öen notroen* 
öigften Unterricht einfehränfen", gelefen unö erflärt roütbe. Danl öet Strömung öer 
3eit hatten öiefe Stimmen erftaunlidj tafcf} (Erfolg. (Ein anonymer Auffaij (oon 
3a!ob ©rimm?) im „Allgemeinen Steiger in ©otha" berietet, öafe man in mannen 
Spulen fdjon Anfang 1813 mit öer Cettüre öes Uibelungenlieöes begonnen hat, 
uttö 1815 fchreibt Büfching: „Oie 3ahl öer Schulen, in öenen öas Uibelungenlieö 
mit in öen Schulunterricht aufgenommen ift, roäcfjft erfreulich." ©fföiell gebilligt, 
roenn 3 unä<hft auch nur unbeftimmt, rourben öiefe Begebungen öurch öie Seht* 
plane oon 1816, öie für Setunöa öie Ceftüre „auch aus Öen früheren 3eiten oor öem 
18.3ahthunöert" empfehlen. 

Oie mafegebenöen literarifchen Kreife unterftüfcten öie neue Richtung träftig. 
Oie ©ermaniften oom gache, 3a!ob ©rimm unö UJacfemagel, roollten aber öas 
„Altöeutfche" nicht auf öer Schule tuiffen. (Erfterer toar not allem gegen jeöe gram* 
matifche ©inleitung. Sie fürchteten öas, roas fpäter auch ©teignis roatb: öafc öie 
Philologie übermächtig roeröen unö öas 3ur gormfache machen toüröe, roas ihnen 
felbft reine ©efühlsfadje mar. Oon einer „hinroeifung auf öie ©rammatif" fptach 
fchon ©jierfch 1826, öer bei öer Seftüre „aus Öen Ribelungen öen letjten ©eil, oon 
öer Reife öer Ribelungen in öas Ijunnenianö, befonöers hetootheben" unö fich mit 
„öer Cefung oon örey bis oiet ©efängen, öem IDerte einiger TRonate" begnügen 
roollte. 

1831 fprach fich öie oftpreufcifche £ehrertonferen 3 einftimmig für öen altöeut* 
f^en Unterricht aus, freilich nicht fo unbeöingt, toie man öas nach Rlatthias’ An* 
gaben glauben möchte. Sie roünfdjte nämlich nicht (ebenfo 1833 öie Oireftoren* 
tonferen 3 öer Prooin 3 Sachfen), öafj befonöere Unterrichtsftunöen für öas „Alt* 
öeutfdje" angefetjt toütöen, toie öas im Königreiche Sachfen £inbemann*3ittau ge* 
foröert hatte, toeil es an geeigneten £ehrfräften fehle. Oeshalb erfuchten fie, „öafe 
öen fünftigen Cehrern auf öer Unioerfität ©elegenijeit gegeben roeröen möge, fich 
auch in öiefet Bejahung aus 3 ubilöen". Demnach roollte öer fd}öne Befcfjlufe roenig 
mehr beöeuten als — 3ufurtftsmufif. Oie chronifche £ehrertalamität erreichte balö 
einen bebentlichen ©raö, fo öafj man fchon 1832 in lOeftfalen eingeftanö, „öie £ehrer 
roiffen felbft nicht, roas fie eigentlich in öen Stunöen (für Altöeutfdj) anfangen 
follen". 

(Eine roiffenfchaftliche ©heorie öes öeutfdjen Unterrichts gab 1842 Robert Ijein* 
tich f?iecfe. Das feht gefchicft gefchriebene unö oon gefunöen Anfichten getragene 
Buch foröerte „altöeutfche ©rammatit unö £ettüre" für Setunöa mit gortfeijung 
öes Unterrichtes in oerminöertem Umfange in prima, roobei öer Derfaffer feht rieh* 
tig betonte: „U)enn öie ffiefchichtc öer politifdjen Dergangenheit unferes Daterlanöes 
auf unfere ©ymnafien gehört, fo ift auch öie lebenöige Anfetjauung öer ©efdjichte 
öer Spraye nicht aus 3 ufchliefoen." Auch in Diehoffs Archio oon 1843 finöet fich bei 
öer Befprechung öer ©öfchenfdjen Ausgabe öes Hibelungenliebes unö öes ©riftan 
öer U)unf<h, öafe eine 3eit fomrnen möge, „roo öie ©ymnafien ertennen roeröen, 
öafc man oon einem Schüler, öer öen jonifchen unö attifchen Dialett roeife, auch fot* 
öem öarf, bafj er aufeer feinem Heuljochöeutfchen auch öas Altöeutfche oerftehe". 

©ine ausgefptochene gorberung öes mitteihochöeutfchen Unteramtes brachte 
öer öfterreichifche <Erlafe oon 1849. Dort heifet es roörtlich: 



630 


Die (Entwidlung bes mittelljocbbeutfchen Unterrichts 


„(Eines oorhergehenben ober begleitenben Unterrichtes in bet mittelho<hbeutf<hm 
(Brammatif bebatf es hiet 3 u nicht. Die Sprache bes Uibelungentiebes unb ber cmbetn auf* 
junehmenben Stüde liegt bet gegenwärtigen nahe genug, fo ba{$ biete Dichtungen recht 
wohl, wenn erjt einiges oom Selfter auf geeignete tDeife oorgelefen unb babei auf butty 
gehenbe Unterfdjiebe, namentlich bet Orthographie, Iut 3 hingewie|en ift, non ben Schülern 
in ben Cehrftunben gelefen, oerftanben unb in bas tteuhod}beutf<he übetfeljt werben tonnen.“ 
Diefet mittelhochbcutfchc Unterricht follte in ber V. Klaffe (Unterfefunba) et- 
folgen, würbe aber burdj ben (Etlafj oom 10 . September 1855 auf bie VI. unb VII. 
(0 II unb U I) gefdjoben unb follte an ber fjanb ber Cefebücher oon IDeinhoIb unb 
Reichel erfolgen. Die flnfchauungen bes Rlinifteriums muten uns h eu ^ e ctl0as 
eigenartig an, benn fie 3 eigen, ba& bie honen oom gtünen difche über ben Unterrichts 5 
betrieb ein Urteil hatten, bas oon feiner Sachfenntnis getrübt war. Aber bieje Auf 5 
faffung müffen bamals manche päbagogen geteilt haben, benn BteimOlbenburg 
jchreibt 1846 in einem Programm über bie Stellung bes flltbeutfcf^en auf höh cr * n 
Bütgetfchulen: „(Ein gut oorgelefenes altbeutfches ©ebicht wirb oon jebem gebil 5 
beten Deutfcfjen unferet Sage oerftanben", was Karl U)einholb*Ktafau 3 U bet frönen 
Bemerfung oeranlafet: „IDenn man (obiges 3itat) lieft, fo bleibt bem ©ermaitiften 
nichts übrig, als fid} ftumm 3 U oetbeugen unb ben Rüden 3 U brehen." 

(Et forberte ©rammatif, „gebrängt, fo hoch gtünblich, unb fie mujj fich 3 U 9W 
an ber Seftüre erfrifchen". ©otifch unb £Utho<hbeutf<h lehnte et für bie Schule ab. 
IDefentlid} bie gleichen Anfichten oertrat im gleichen 3(*h tc Paffow*lReiningen: 
„(Einiger Unterricht in ber ©rammatif wirb bet Seftüte oorausgehen müffen, aber 
eben auch nur einiger, ber fich in 6—8 Stunben geben läfet." fluch er wollte oom 
©otifdjen unb Althodfbeutfchen nichts wiffen. Seine fjaupttenben 3 richtet fich d> a 
ebenfo gegen ben übertriebenen grammatifalifchen Unterricht, ber inuibrigen Deutfeh 5 
Ianb ftänbig an Umfang gewann, fo^bafj Paffow ber Sdjule_bringenb oorftellte, ihr 
liege es nicht ob, „attbeutfehe Philologen" 3 U bilben. 

3n hannooet war 1849 ein oo^üglich angelegter Sehrplan für bie „altbeutfhen 
Stubien" eingeführt worben, ber fich non 0 III bis 0 I erftredte. (Eine ausführlich* 
grammatifalifche (Einleitung führte bie Spüler über ein Sefebudj in 0 III unb U 
in 0 II (IDacfernagels „©belfteine") 3 um Ribelungenlieb, bem in ben beiben Prüu* 1 ' 
©ubrun, höfifche (Epif unb bie Sytifer folgten. Diefer feljr ausgebehnte Unterriq 
blieb hannooer bis einige 3aljte nach ber Annexion erhalten. Dann aber brüatc 
bie (Einführung ber preuftifchen Sehrweife auf ©runb ber plane oon 1856 ben beut' 
fdjen Unterricht oon 3 auf 2 Stunben wöchentlich herab unb täumte fo mit bem 
bes „unbeutfdjen Königtums" grünblichft auf. Auch eine 3ronie ber UJeltgefchwF 
Der ftarfe Betrieb älterer beutfeher Spraye unb Siteratur hatte nun yßti] * 
los eins im ©efolge: et bürbete ben Schülern neue Saften auf, befonbers wenn et 
ftreng philologifch betrieben warb — im ©egenfatje 3 U ben öfterreidjifdjcn Bliniften ' 
forberungen. Das gefchah benn auch f° nadjbtüdli^, bafe fchon 1850 aus bem K*uh e 
unb ©fterreich Stimmen laut würben, bie oor bem Übertreiben ber mittelho<hbeut|ch e ' 1 
Stubien warnten. U>ir haben bereits Paffow unb IDeinhoIb gehört. Unb hoch f 0P 
betten beibe felbft feine geringe Sefeftoffmenge. (( 

Paffow: „Bebeutenbe Abfchnitie aus bem Ribelungenlieb, einige wettoo* 
unb für bie Schule angemeffene Proben bes Rtimtegefangs, namentlich aus W 1 
oon bet Dogelweibe, oielleicht auch ein paar Stellen aus Reinefe Dofe, als pro e 



Don Otto Hubert 


631 


nieberbeutfd}er Ortung unb Spröde", foroie Proben aus öem „Annen heinrid}"; 
«h^lid} IDeinljoIÖ: (Einen Aus 3 ug aus bem Utbelungenlieb, Reinele, eine „Stelle" 
aus fjarimann, tDaltljer, etwas Heiö^aröt oon Reuenthal, $teibanf unb ben Scf}wa* 
benfpiegel. Diefe Cettüre roar an bet fjanb eines Cefebudjes gebaut, Aud} oon Ka* 
rajan trat für eine geroiffe Detengung bes Unterrichtes ein, toenn er fefjon bie öfter» 
reichif^en Anotbnungen nicht billigte. (Er fchreibt: 

„Ulit halbem Derftänbniffe, ja toas noch ungleich oerberblid} ift, mit Sd}einoet* 
ftänbnis, ift (jtet nicht nur nichts geroonnen, fonbern im ©egenteile alles, unb in 
jeber Be 3 ieljung alles, oerloren", nämlich 3eit, Ruhen ber Ceftüre unb bie Ziehung 
3U roiffenfd}aftlicher Arbeit, ttur bas UIittelhod}beutf<he wollte er auf ben ©ym* 
nafien roiffen, „toeil biefer ©eil unfeter alten Spraye bisher am ausführlichften unb 
genügenbften bearbeitet ift". AIti}od}beutfch unb ©otifch lehnte er butd}aus ab. 

©leid? bebenfiief} etfdjien allen bteien, bafe bas IKittelhod}beutfche für bie I. Klaffe 
( 0 III) angefetjt roar, ba in biefer bie Schüler meift 13,14 3ahte alt roaten. Karajan 
unb Pafforo roollten baher ben Unterricht nach III unb IV (0II unb U I), IDein* 
holb nach HI (0II) legen. Sn Preufjen tarnen bie einfehränfenben Beftrebungen 
am erften 3 um (Einfluffe. Oie £el}tpläne oon 1856 befd}tänften ben Unterricht im 
Ulittelhodjbeutfchen „auf bie nötigften Utitteilungen", für Realfdjulen lehnten fie 
ihn fogar gan 3 ab, bort follte bas Hibelungenlieb nur in Überfetjungen gelefen roer* 
ben. Oie Cehrpläne oom 13. Oe 3 embet 1862 geben bem ©ymnafium 3 roat ben mittel* 
hodjbeutfchen Unterricht in begren 3 ter $orm, ber Streit bet UTeinungen über ben 
tt>ert ober Umfang ber „altbeutfchen Stubien" tarn aber nicht 3 ur Ruhe. 

non Raumer 3 . B. roollte non ©otifch unb Althodjbeutfd} „Proben" haben, 
nicht genau oorbereitet, „aber mit berfelben ©enauigteit, bie jebe gute Schule im 
Cateinifdjen unb ©riedjifchen forbert". U)as er nun eigentlich roollte unb roas nicht, 
ift untlar. UTüljell roar 1853 bamit einverftanben. (Er hatte fchon 1847 „bie bei 
ben alten Sprachen angeroanbte UTethobe ber ^Interpretation mit ben butch bie Sache 
unb ben 3u>ed bes Unterrichts bebingten Utobifitationen auf bie Oenfmälet bet 
Ututterfprache" angeroanbt roiffen roollen. (Ebenfo roar er bafür, oom Utittelhod}* 
beutfd)en nur bas Uibelungenlieb 3 U lefen, „roas man bann weiter noch hitBunimmt, 
bas feien Stüde, bie möglichft in fid} felbft abgefdjloffen finb, teinesfaHs blofje literar» 
gefchichtliche Proben". 

Karl UlüIIenhoff roollte, baff in ber Schule nur bas UTittelhodjbeutfche gelehrt 
roetbe: 

„(Erft für ben prattifchen Philologen roitb bie Kenntnis bes ©otifdjen unb Althoch* 
beutfdjen vonnöten. Das Bewufjtfein aber, ba{$ unfere Spraye eine Ijiftorifdj geworbene 
ift« bafe ih* Syftem forme ihre (Entroicflung auf Itaturgefe^en beruht, bie übet bet IDilltür bes 
©feinen ftehen unb ihte Behanblung in jebem Puntte beftimmen, bies Bewufjtfein ift oiel 
einfacher als butch einen mehr ober weniger oollftänbigen grammatifchen Kurfus, ja als 
unmittelbare, lebenbige (Erfahrung für ben Schüler 3U gewinnen am Rlittelfjochbeutfchen. 
Das Ittittelhochbeutfche wirb baburch für ben höheren Unterricht ein gan3 unentbehrliches 
Ittittel, unb bas mißlingen bes Unterrichts, fowie bie vielen in ihm hettfehenben Derfehrt* 
heiten haben gewife hauptfäd}lich ih^en ©runb batin, bafe man ben vollen U)ert unb bie rieh* 
tige Anwenbung biefes mittels 3U lange verfannt hat." 

Unb nun folgt ein gatt 3 mertroüröiges Urteil über bie mittelhochbeutfche £ite* 
wtur: „Don ihrem Snljalt !ann man 3 um großen ©eile ebenfo wenig erbaut fein, 



632 Die (Entroidlung bes mittethodjbeutfchen Untertitels 

als oon bet gtojjen RTaffe unferer neuen Citeratur." Oer einige Dotjug bet mittel* 
hochbeutfchen Citeratur ift „bie oolltommene Sicherheit, geinljeit unb Sorgfalt in 
allem $omtalen".- Unb fo erfdfeint ihm bann bas arme Hibelungenlieb auch als - 
„bas befte Cefebudj". 

„(Es fommt barauf an", fährt UlüUenljoff fort, „bafe bet Spüler ridjtig Iefen 
lernt, unb es ift beinahe alles erreicht, toenn bas gelingt." — „Oer Celjrer muft nidft 
nur bie ©rammatit, fonbern je%t auch bas tDörterbuch erfetjen." — „Oer Spüler 
^at bie ein 3 elnen Bemerfungen fdjriftlidj 3 U notieren" (sic!). Ein ber fjanb biefet 
teilweife recht mertroürbigen ©ebantengänge erfreut man, toie fettlos in jener 3 eit 
bie $tage bet Unterridjtsmetljobe oermorren mar. Oie Ceibtragenben waren babei 
natürlich bie Spüler, unb es ift lein IDunber, toenn wir 1861 U). IDademagel flogen 
^ören, baf$ bie Schüler bas TTCittelhochbeutfche „nur als Dilettanten treiben“. 

3a, bas Iftittelljocljbeutfdje fanb fogar ertlärte ©egner, wie EDilmanns 1869, 
ber feftfteKen 3 U muffen glaubte, bafe bas Hibelungenlieb „lein ljeroottagenöes 
Htittel 3 m Bilbung oaterlänbifdjen Sinnes" fei. Heuere Citeratur fdjien ihm oiel 
wunfdjenswerter. U)ie man nach 1870 bie ältere beutle Citeratur be^anbelte, 
3 eigt beutlicf} bas „fjanbbud? ber beutfdjen Hationalliteratur" oon fjeinridj Dieffoff, 
III. ©eil. Oie hierin enthaltene Auswahl ift rein äußerlich betrautet, erftaunlid) 
umfänglid}. ©0 finben wir Proben aus bem Htufpilli ebenfogut wie ©ebiihte aller 
namhaften IRinnefänger, aber — nur „fjäppchenliteratur". ©in Buch, bas oon 
114 Seiten (Testproben älterer Siteratur gat^e neun auf bas Hibelungenlieb oet* 
wenbet, beweift, bafe es 3 U nichts geeignet ift, als Ijalbbilbung unb umoiffenfc^aftlidjes 
Arbeiten 3 U lehren. 

H)as vernünftige Päbagogen ©nbe ber fieb 3 iger 3aljte forberten, 3 eigt reiht 9 u t 
bie Schmibfche ©n3ylIopäbie. hier wirb für bas RTittelhochbeutfche „eine oollftän* 
big oerbunbene Auswahl bes Hibelungenliebes" geforbert, ferner IDalther „als ein 
lötniges ©egenbilb gegen bie fentimentale £yril ber Heuen" unb Steibanf. Dnj) 
Schmib auch ein Sefebucfj mit Stüden will, bie „ben beutfehen Sinn bes Schülers 
beleben , ift feht hübfeh, bebenllich ober bie „Auswahl, welche ben ©inbrud bes 
©an 3 en macht". Oas würbe hoch nicht oiel mehr fein, als Diehoff bietet. Seht richtig 
betont wieberum Schmib: „Oie $orberung, auch einige Proben bes Altho<hbeui(<h en 
unb ©otifchen 3 U geben, geht fefjon 3 U weit". 

Überhaupt warb man bes Unterrichtes im Htittelhochbeutfchen nicht fo recht 
U<>h- Htanche überfpannten ihre grammatifchen Anforberungett, hoch flaute biefe 
Bewegung ©nbe ber feiger 3ahte ab. An ihre Stelle trat ein halbwiffenfch#'^ 1 ' 
tauet Betrieb, bet ben Spülern bie Schwierigleiten aus bem Wege räumte, (tat* 
3 u lebten, wie man fie überwinbet. Befonbers peinlich machte fi<h bet ülangel an 
germaniftifch gebilbeten Sehrern fühlbar. Hoch Schrabet glaubte (1873), bafe man 
immer Rüdficht barauf nehmen müffe, „ob ber Cehrer bes Altbeutfchen mächtig if- 
n Sadjfert gab man biefen Unterricht mit Oorliebe bem ©h e °tagen ber Schule, wah p 
fcheinKd? in bem ©tauben, bajj er am gefdpdteften in ber Auslegung ber oielfa<h 
ftarl qnftlich betonten U)etle ber mittelhochbeutfchen Oteratur fein müfete. 

. "! Ctöic ! en © er höltniffen fah man fidj natürlich oor bie $tage geftellt, wie man 
öen Bübungsinhalt ber alten Dichtungen ben Schülern mitteilen tonnte, oh«e,bte 
©ngtnalfaffungen 3 u Iefen. Unb bie rettenbe fjanb glaubten manch« Päbagogen 




Don Otto Ruöert 


633 

in öcn Überlegungen 3 U finben. Über Öen XDert fotzet Übertrogungen ftreitet fid> 
®°$l heute ntemonö mehr. ^ebenfalls waren öie beften unö fac^funöigften (E^ieher 
non Anfang an bagegen, ober höchftens bafür, fie gelegentlich an 3 uwenben. g 

lErohbem fiegte in Pteufeen öie Überfehungspartei. 3m Ulinifterium festen fi<h 
not allem wohl ÜHlmanns Anfichten burch, unb bie £ehtpläne non 1882 fdjafften 
ben mittelhochbeutfchen Unterricht ab, ba „bas Überfein aus öem Ulittelhochöeut* 
fäen niefjt mehr als ein ungefähres Raten fei, welches ber (Bewohnung 3 U wiffen* 
fchaftßchet ©ewiffenhaftigleit (Eintrag tut". Auf Öen bamaligen Unterricht wirft 
biefes ©eftänbnis allerbings lein gutes Cidjt. 

Aber öie preufeifchen Anfichten machten fchnell Schule. 1884 erhob 3 . Seemüller 
in ber 3t|chr. f. b. ö. <5. feine Stimme „gegen ben Unterricht im Ulittelhochbeutfchen 
am ©ymnafium". (Er fehte auseinanber, öafc bie 3eit für einen grünblichen Unterricht 
nicht ausreiche; ba nur ein 3 aljt mit brei tDochenftunben oerfügbar wäre, — wobei 
noch nicht alle 3eit für bas Ulittelhochöeutfche frei wäre —, fo tönne man ben Unter* 
rieht nicht wiffenfchaftlich gtünöen. Oie gorbetung ber Sehrpläne: „Ulan lefe unb 
lerne lefenb ©rammatil" unö nerfehaffe fid? fo eine „Kenntnis" bes Utittelhoch* 
beutfehen, wäre unerfüllbar. „Oie Ähnlichleiten bes Ulittelhochbeutfchen mit öem 
Iteuhochbeutfchen — fcheinbate (Erleichterungen bes Stubiums — oerhinbetn am 
alletlängften bas Ourdjbtechen ber (Empfinbung für bie eigentümliche, innere Sprach* 
form bes Ulittelhochbeutfchen." Statt bet ©riginalleltüre follen bie Stoffe ben 
Spülern mitgeteilt werben „nicht burch Ceftüte non Überfehungen", fonbem burch 
bie „Uhlanbfdjen Aus 3 üge" in ber V. Klaffe (0 III). 

An Seemüllers Ausführungen ift eins unbeftreitbar richtig: Ulan lann ohne 
grammatifche Oorarbeit leinen wirtlich gebeihlichen mittelhochbeutfchen Unterricht 
geben. (Ebenfo löblich ift cs, baf$ et gegen bie Überfehungen gront macht unö bie 
guten Uhtanbfdjen Aus 3 üge anempfiehlt, bie übrigens heute noch gern 3 u (Ergän* 
3 ungen angewanbt werben. Oafc aber Seemüller bas Kinb mit bem Babe aus* 
fchüttete, wies einige 3 ahre fpäter £idjtenhelb nach- 3 unächft fiegte aber auch ' n 
©fterreich We Partei ber ©egnet bes Ulittelhochbeutfchen. (Ein (Erlafe nom 26. Ulai 
1884 fehte ben mittelhochbeutfchen Unterricht ab, weil es „namentlich in be 3 ug 
auf bie eigentliche Sprachlenntnis nicht folcfje (Erfolge h®t er 3 ielen laffen, welche 
ber Abficht bei ber (Einführung biefes ©egenftanbes entfprechen unb feine Beibehal* 
tungen 3 U rechtfertigen oermöchteri". Ooch be 3 og fich öiefe Anorönung nur auf bie 
©ymnafien. Oen ©berrealfchulen blieb bas Ulittelhodjöeutfche erhalten. 

So büfjten bie 3 wei umfänglichften Staaten beutfeher 3unge ein wichtiges Bil* 
bungsmittel nationaler ©efinnung ein. Statt bes ©uellenftubiums, bes eirgig frudjt* 
baten, fehte man bet 3ugenb Derwäfferte ober gelünftelt altertümliche Übertragungen 
oor. Aber bie Stimmen oerftummten nicht, bie bas Rlittelhodjöeutfche ber Schule 
wiebergewinnen wollten. 3uerft fanb paulfen (1885) leiöenfchaftliche U)orte gegen 
bie Ulinifterialoerorbnung, ber er „bie EDibernatürlichfeit biefer ©rönung" ootwatf. 
3h»u folgte Burbach. 0. UtündpBremen nannte 1887 einen „Blid in bas £eben 
bet Uluttetfptache" ein „Bebürfrtis bes beutfehen Unterrichts". Am ausführlichen 
trat Rubolf Ijilbebtanö im gleichen 3 ahre für bie grage in ber öritten, fehr aufge* 
fdjwellten Auflage feines „Oeutfdjen Sprachunterrichts" für bas Utittelljochbeutfche 
ein. (Er wünfeht es als „Kuchen" für bie an bas „Brot" bes £atein unb gtan 3 öfifch 



634 Die (Entnneftung bes mtttetf)od}beutfd}en Unterrichts \ 

\ 

gewöhnten Spüler. Der Schüler foll nicht öutdj fyftematifchen ©rammatiM 
oerärgert wetben, fonbern öas IDichtigfte oon felbft bei bet Ceftüre erwerben. 

Bebeutenb oorjichtiger hatte Jonas fdjon 1886 empfohlen: „Oie Schüler ein 
tuenig mit bem Klang unb bet (Eigenart namentlich bes ITtittelhochbeutfchen belannt 
3 u machen — unb bies gedieht ja auch »ielfad}. Oaju erfcheint eine Auswahl am 
Plafce, welche 3 ugleid? bie neuhochbeutfche Überfettung bietet." Das war abet nichts 
anberes, als was Philipp tDacfernagel fdjon nor 30 Jahren praftifd} in feinen £eje* 
büdjern getan hatte. 

Unter ben bamals jahlteidjen Überfehungen bes Uibelungenliebes empfiehlt 
er bie oon greytag, bie fich „gut unb glatt" lieft. IDie manche „Ausgaben" oon alien 
beutfehen U)erten bamals ausfehauten, fenn 3 ei<hnet ber gleiche Berichterftatter 
bur<h bie Säuberung ber ©fchenbachausgabe oon $. Polad: „3m IDortlaut finb nur 
ein 3 elne Stellen, im übrigen Snljaltsangabe". 

1887 fchreibt Jonas beutlidjer: „Das ITlittelhochbeutfche ift ja aus ber 3al}l ber 
Unterrichtsfächer, in Preußen wenigftens, butch bie neuen Sehtpläne entfemi root* 
ben." Dies wirb abet „Dielfach butdjaus nicht gebilligt". 3m gleichen Berichte et* 
wähnt Jonas auch bie Sichtenhelbfcfjen Ausführungen in ber 3tfh r< f* b. ö. ©. oon 
1888, bet „entfliehen" bafür eintrat, bas ITlittelhochbeutfche wieber eiigufühten. 
Aber Jonas 3 weifelte „hoch, ob biefe tDünfdje, bie wit nur teilen formen, in Gtfül* 
lung gehen werben". Als hauptgrunb bagegen fah er ben djtonifchen 3 eitmangel an. 

Der erwähnte Auffatj £idjtenhelbs wanbte fich f e h r gef<hi<ft gegen Seemüfler. 

(Er ftellt beffen gorbetungen als übertrieben hin. Hatfädjlich fdjwebte Seemüiler 
ein mittelhochbeutfcher Unterricht mit ITTethobe unb 3ielen bes altfprachlihen oor. 
Cichtenhelb betont oor allem: „bah Au$ 3 üge unb Überfehungen nie imftanbe finb, 
„©tiginale 3 U etfehen", bah unfete alten Dichter ben fogenannten Klaffifem an (Be* 
halt geworfen finb, „nur finb bie Höne, bie bie Sprache finbet, um was in ber Seele 
gärt, 3 um Ausbrud 3 U bringen, nicht fo oielgeftaltig unb ausgeflügelt", unb es fehlt 
ihnen bie fpetulatioe Schulung. ITtit Hecht aber Dertritt ber Detfaffer bie Anfichh 
wenn man fchon bas ITlittelhochbeutfche nerwetfen wollte, mühte man 3 unäd}ft nadj’ 
weifen, bah bie baburch gewonnene 3eit beffer oerwertet wirb als butch ben Be* 

trieb bes ITCittelhoehbeutfchen. 

3m Keiche herrfchte aber ein tiefer Peffimismus, bem Jonas IDorte leiht, menn 
er 1889 fchreibt: „©egenwärtig fcheint man bie Hoffnung, bies (bie Ueueittführunj 
bes Ulittelho^beutf^en) auf irgenbeine XDeife 3 U erreichen, aufgegeben 3 U h a ^ etl1 
wenigftens ift bem Berichterftatter aus bem oerfloffenen Jahre in 3 eitfchriften °^° 
fonft nichts oor Augen getommen, was barauf hin 3 ielte." 

UMeberum war man in «Dfterreich tatfräftiger. Der 1 . öfterreichifche BTittelf^ul* 
tag in IDien nahm „ben Antrag auf obligatorifche (Einführung bes ITOttelhodM* 
fehen an ben ©ymnafien mit beutfeher Unterrichtsfprache einftimmig an" unb erreichte 
es, bah unt 14. Januar 1890 für bie öfterreichifchen ©ymnafien bas ITTtttel^ocf?öeutfch c 
in ber VI. Klaffe wieber eingeführt warb. IDelch babylonifche Detwirrung im Reiche 
fyerrfdjte, 3 cigcrt öie fluffä^e oerfdjieöener Detfaffer aus Öen 3aljften 1888—1895. 

ID. Schul3e*Dortmunb betannte 1888: „U)as aus bet älteren beutfehen £iteM‘ 
tut ©egenftanb bes Unterrichts in einer bet oberen Klaffen höherer Sehranftalten 
fern foll, ftelft in ben beteiligten Kreifen noch nicht allgemein feft. (Es fehlt nantent* 



Don ©tto Rnöert 


635 


lief? ein beftimmter, allgemein anetfannter ©efidjtspunft, nach meinem eine Öen 
3weden bet Schule öienenbe Auswahl aus berfelben 3 U treffen ift, ober wo betfelbe 
oorhanben, roitb Solgeridjtigfeit in bet Artroenbung oermifet." (Et felbft fanb biefen 
©efidjtspunft im nationalen 3ntereffe an ben Stoffen unb fdjlug besljalb oot: bas 
fjilbebranbslieb, bas Hibelungenlieb, ben ^elianb, IDaltljcttilieb, tDalttjer unb als 
Prioatleftüre Reinefe $udjs. 

Don offi 3 iell*preuf)if<hen Beftimmungen geleitet — alfo unter Dorausfetjung 
oon Übertragungen — machte 1889 < 8 . Böttidjer*Berlin folgenbe Dorfdjläge. (Er 
roanbte fidj gegen ben ausfdjliefelidj nationalen ©efidjtspunft unb bringt eine quan* 
titatio gtofee Htenge Stoff in Dotfdjlag: oom Hibelungenlieb bie „Sadjmannifdjen 
Sieber" unb biejenigen Detbinbungsftropljen, „bie inhaltlich oon IDert finb", ferner 
©ubrun unb Pa^toal im Aus 3 uge, als Heines (Epos ben „Atmen fjeintidj" ober 
„Hleier fjelmbredjt", IDaltfjer; für Althodjbeutfd} bas fjilbebranbslieb, Waltharius 
manu fortis, HIerfeburget 3auberfprüdje, HtufpiÜi. Den fjelianb lehnt er ab. (Er 
gibt felbft 3 U: ,,©hne Prioatleftüre roitb ber Stoff natürlich nicht beroältigt toetben 
fönnen" — unb benft fidj bie Hörprüfung biefer Arbeit fo: „Ha<h ben Serien über* 
3 eugt fidj ber Sekret burdj fut 3 e Befpredjung unb einen Auffatj baoon, bafe bie 
Prioatleftüre fruchtbar getoefen." 

©emäfeigte $orbetungen brachte 1890 bet fihglidj oereroigte 3ulius Sahr*®orif<h, 
ber nur bas Hibelungenlieb unb ©ubrun retten wollte, aber leibet auch ben IDert 
„einet guten Hadjbidjtung" pries. Hur ein paar fjauptftellen follen im Urlaute ge* 
lefen roetben. 3m gleichen jaljre unb am gleichen ®rte (3tf<^r. f. b. b. U.) erfdjien 
ber Auffatj Karl Reiffenbergs*Bielifc über „Die Heueinfühtung bes mittelijodjbeut* 
freu Unterrichts an ben öfterreidjifdjen ©ymnafien", bet befonbets für bie ©efdjidjte 
biefes Sadjes wertooll unb f|ier mehrfach ange 3 ogen worben ift. Darnach follten 
nur bas Hibelungenlieb unb IDalttjer auf ber Sdjule etfdjeinen. Redjt befremb* 
lidje Anfidjten famen toieber aus Pteufeen herüber. $teytag*Beriin, bet Überfeiner 
3 ahlteidjer mittelhodjbeutfdjer IDerfe, leiftete fid} folgenbes feltfame Stüd: „Hlan 
pflegt IDolfram unb UJaltljet füljl 3 U berounbetn, aber toenn man ifjre IDerfe aus 
bet fjanb legt, fo fdjlägt einem bas fjet 3 fo gelaffen toie fonft." 

3n3toifd}en hatte ©fterreidjs mutiges Dotgeljen auch einige Bunbesftaaten 
3 u einer oeränberten Stellungnahme oetanlafet. IDürttemberg gab 1891 ber 
VIII. Klaffe bas Hibelungenlieb im Urlaute toieber, Bayern ging im gleichen Raffte 
nod} toeiter unb fügte ©ubrun unb IDaltljer htU 3 U. Sacfjfen fdjlofe fidj 1893 nidjt 
Preußen, fonbern ben Sübbeutfdjen an, toeil ihm bie preufcifdjen Sehrpläne 3 U un» 
flat unb oielbeutig erfdjienen. Sadjfen nahm nur bas Hibelungenlieb unb IDalther, 
was 3 toeifellos bas richtige Rlittelmafo barftellt 

Preußen war 1892 mit feinen neuen Sehrplänen ein Stüddjen oon feinem ftarr* 
ablehnenben Stanbpunfte 3 urü<fgewi<hen, hatte feinen Rüc^ug aber mit 3 iemli<h 
beljnbaren Ausbrüden oerfdjleiert. Die Jahresberichte fdjteiben barübet: „Die mittel* 
hodjbeutfdje Siteratur barf befanntlich nach ben neuen Sehrplänen in 0 II auch * m 
Urtejt behanbelt werben, benn Aufgabe ift ^ier, (Einführung in bas Hibelungenlieb 
unter Deranfdjautidjung burdj Proben aus bem Urtejte, bie oom Sehter 3 U lefen 
unb 3 U erfläten finb." Diefe etwas „pyfljifdjen IDorte" erfcheinen felbft Rein, „nur 
mit einet feljt Unflaten unb oielbeutigen IDenbung ausgebrüdt". (Er felbft benft 



636 Die (Enttoicffung bes mitlel^o^beutf^en Unterrichts. Don Otto Hubert 

fic^ Öen mittelho<hbeutf<hen Unterricht mie folgt: Snbuftioe Btethobe, nur bas Un¬ 
entbehrliche her ©rammatil oorher, am S<hluj|e eine 3 ufammenfaffung. Dot allem 
f°n leine „eigentliche fjerrfct?aft über bie Sprache" erftrebt toeröen. Bis öaljin toitb 
jeöer Sehrer unb ©ermanift freubig 3 uftimmen. Dann aber fteht 3 U lefen: „Die £ei- 
ftung bet Schüler, in melier [ich bas 00 m Unterricht ©rftrebte unb (Erreichte äußer¬ 
lich barftellt, follte nicht eine präparierte ober extemporierte Überfettung fein u>ie in 
ben $rembfptachen, fonbern nur ein oerftänbnisoolles Dorlefen in tintiger Aus- 
fprache unb finngentäfter Betonung." Das Hingt feht fd?ön, ift aber laum 3 U erreichen. 

Über bie 3uftänbe in Preußen geben uns bie Jahresberichte in ben folgenöen 
Jahren gute Auffchtüffe. 1893 Hagen fie übet bie |<hon ermähnte „fjäppchenliteratui“, 
3 u ber bie neuen Beftimmungen allerbings gerabe 3 u rei 3 en mußten. 1894 erfahren 
mit: „©ine Ausmahl aus ben ©ebichten bet Schüler tDaltljers erfcheint eigentlich 
gart 3 unnötig; fommt man hoch 3 U U)alther felbft nur in befchränftem ITCafee", roes- 
h*rlb 1895 Karl tDehrmann tDaltljer gan 3 aus ber Schule oerbannen mollte, bamit 
„mährenb bes Unterrichts bas Uibelungenlieb ber Kor^entrationspunlt bleibt" 
Jonas hatte alfo recht, menn er im gleichen Jahre fchrieb: „über bas, mas in 0 II 
oon mittelhochbeutfcher Siteratur geboten merben foll, ift man immer noch nicht 
fo recht einig." Sogar ber fjelianöleftüre entftanb in biefem Jahre in Dönualb ein 
»erfechtet. 

Hach ben preufjifchen Sehrplänen oon 1896 mußten alletbings bie Schüler auch 
lefen unb überfeinen, aber noch 1901 ftehen in Preußen „ausgemählte flbf^nitte“ 
aus bem Uibelungenlieb, ber ©ubrun unb tDalther „im Urtexte ober in Überfehungen" 
auf bem Sehrplane. Den gegenwärtigen Stanb ber Attforberungen lennjei^net 
am beften bet Bericht bet 9. Diteftoreiroetfammlung ber Prooitt 3 Sachfeu 1903. 
Sie empfahl: „Seftüre ber Qauptabfchnitte im Urtexte, einen befchranften Übetblid 
über bie inbogermanifche Sprachfamilie", „Abrife ber oormittelhochbeutfchen Citera* 
tut . Oie $orberung, bafj biefet Unterricht „nur oon einem germaniftifch gebilbeten 
Sehret erteilt merben folle, ift heut 3 utage ebenfo nötig mie bamals. Oie Seftüre er* 
ftrecft fich auf bie hauptabfchnitte bes Uibelungettliebes, ©ubrun unb IDatther im 
Urtexte, „OutdjblicE burch ben Pat 3 ifal mit Sefen einiger be 3 ei<hnenber Stellen nah 
einer Überfettung". Ulit biefen Anfprüchen erklärten fich bie Derfammelten unb bei 
Berichterftatter Jonas „im gan 3 en einoerftanben". 

3n Sachfen mürben 1910 auf höheren Sefjranftalten im Urlaute gelefen: Hibe* 
ungenlieb, U)alther, ba 3 u ©ubrun, Uünnefänger, greibant; manche Schulen geben 
„bie ooigüglichften Ortungen biefer ©podje" in Ausmaß, etma im flnfcf)lufe <m 
bas Sefebuch oon Siermann-Dilmar. 

Aus biefer Aufteilung geht hetoot, ba& fich in aHen Schulen mit höhnen Bilbungs* 
3 telen ber Betrieb bes Ulittelhochbeutfchen bahin feftgelegt hat: bie Ceftüre fteht im 
»orbergTunbe. Sie befchränft fich im mefenHichen auf bas Uibelungenlieb unb 
umlther, ben übrigen Oenlmälern mirb burch Befprecfjung unb ausnahmsroeife 
utq geringe Prioatleftüre Rechnung getragen. 3 n ber ©rammatil erfolgt oielfach 
ein gan 3 gebrängter Dorunterricht, mas bie ©rünblichfeit ber ermorbenen Kenntniffe 
fehr erhöht. 



Das beutfdje 3 a br. Don ©uftao Sdjfirmann 


637 


Das öeutföe 3afjr. 

©ne fpta^lidje Betrachtung non ©uftao Sdfütmann in Arnsberg. 

^ (Sortftfeung Don S/S85.) 

Die Btonate. 

Unfet 3 aljt toat utfprünglich ein Utonbjahr (f. o.), bas eine 3 eü non 3 toölf Btonb* 
laufen ober ©rbumtreifungen umfaßte. Die Dauer eines Btonblaufs oon einem Heu» 
monbe bis 3 um anbern, ein Btonat ober Utonb, ift etroas xoeniger als bet 3 m 51 fte 
Heil bes Sonnenjahres ober ber Sonnenumtreifung ber (Erbe. Durch bie (Erweiterung 
bes Btonbjahres 3 ur 3«hl ber Hage bes Sonnenjaljtes entftanb nun, wie oben bereits 
angebeutet toorben ift, unfer bürgerliches 3aht. Aber bie (Einteilung bes 3oh r es in 
Btonate ober Btonbe ift geblieben. (Ebenfo hoben mit bie fi<h aus bem IDechfel ber 
oier Cidjtgeftalten bes ITConbes (Heumonb, erftes Diertel, Dollmonb, letztes Diertel) 
ergebenben 3eitabfchnitte, bie DOodjen, beibehalten. Der Utonb (aus einer IDmgel 
mä = meffen, über mäne, mön butd} flnfdjub oon t entftanben) ift alfo ber 3 eit= 
meffer, unb bas IDort tt>o<he hat, wie man annimmt, bie ©runbbebeutung IDechfel 
(lat. vices) unb fteht in Be 3 iehung auch 3 U weichen. 

Obgleich nun 6 er Iltonb bet 3eitmeffer ift, weil et in fo hetoortagenber IDeife 
3 ut Beftimmung bes 3eitabfdjnittes bes 3 oljtes bient, fo weicht er hoch in ber $otm 
Btonat ebenfo roie bas 3al?t in ber Bteh^ahlbilbung oon ben übrigen 3eitmafeen ab, 
inbem er nach ®runb 3 ahlen im erften unb eierten $alle bie Btelpgahlenbungen 3 toar 
annehmen, aber auch ungebeugt bleiben fann (fieben Sage, oier IDochen; aber btei 
3ahr ober 3ol}te, 3 ioei Btonat ober Btonate). Doch fd?einen fich 3aht unb Btonat ben 
anberen 3eitma&en mehr unb mehr a^ugleidjen, fo bafe mir in ebler Sprache bie 
Btelpgahlformen fed^ehn 3ah* unb fünf Btonat, bie übrigens (ogl. fünf 3oll, oier 
Schritt) auch wohl als <Ein 3 eIformen gefaxt toerben, fchon faft ebenfo wenig gebrau* 
chen wie etwa bie Kwgung heut für heute. 

Die Ittonatsnamen Karls bes ©to&en. 

Die Btonatsnamen, bie nun fchon feit Dielen 3 ohchunberten bei uns gang unb 
gäbe finb, finb römifchen Urfprungs. Sie finb oon bet Kirche für bie heibnifchen, 
an ben oerbrängten ©ötterglauben erinnemben, wahtfcheinlich allgemeinen 3 eit* 
angaben (IDeinhoIb, Btonatnamen, S. 3) eingefchwar 3 t (©timm, ©efchichte ber 
beutfehen Sprache, S. 58) worben. Der Derfuch Karls bes ©rofeen, bie ftemben 
Itamen wieber butch beutfdje, Dielleicht an bie alten Be 3 eichnungen antlingenbe 
Umfehreibungen 3 U etfeijen, ift gefdjeitert. Seine IDortbilbungen waren 3 U ungefüge, 
als bafo fie, 3 umal im Kampfe mit ber Kirche, oolfstümlich hotten werben tonnen. 
Doch wirb bas 3ntereffe für bie Sptadjfdjopfungen bes gtofeen Kaifets beftehen bleiben. 
Seine Benennungen ber Btonate feien beshalb einer fmgen Betrachtung unteQogen. 

Die oon (Einljarb in feinem £eben Karls bes ©rofeen uns überlieferten Btonats* 
namen finb: 

Wintarmänöth, Hornung, Lenzinmänöth, 

Ostarmänoth, Winnemänoth, Brachmänöth, 

Hewimänöth, Aranmänöth, Widemänöth, 

Windumemänöth, Herbistmänöth, Heilogmänöth; 



Dos beutfdje 3<jljr 


638 

in unfet f}°d?beutfch übertragen: 

IDintermonat, Hornung, £en 3 monat, 

©ftermonat, IDeibe» o. EDonnemonai, Brachmonat, 

fjeumonat, (Erntemonat, fj°f 3 ' o. fjafermonat, 

IDeinmonat, ^erbftmonat, fjeüsmonat. 

3 U i>en oon Karl bem ©rofcen aus ber altgermanifchen Spraye übernommenen 
lftonatsbe 3 eid}nungen gehört un 3 weifelhaft ber fjotnung (ung beutet auf flbftam ; 
mung), ber Sohn bes großen Ijorn, bes Januars, rote benn ber Januar unb 5 e= ! 
bruar nodj ijeute in TRittelöeutfdjIanb bisweilen ber grofje unb ber Heine fjorn genannt 
roerben unb ber fjornung in Sübbeutfdjlanb munbartlich noch lebt unb in ber Sdimei;, 
roo auch bie $orm Corner »orfommt, auch in ber Sdjriftfpradpe oerroenbet rohb 
(tt)einholb, Ktonatnamen, S. 45 ff). Klan hat bie Kamen u>oljl auf ben ^omljarten 
$roft ber ftrengen IDintermonate 3 urüdgeführt, wenngleich eine unmittelbare Bejip 
^ung 3 U nljb. fjotn nicht befielt (ugl. nisl. hiarn = Sdjneetrufte). Sie waren übri : 
gens fo eingebürgert, bafe bie Blumen bes tDinters ( 3 . B. bas Sdyneeglödt^en unb bie 
gelbe fjornungsnar 3 iffe) fjotnungsblumen ljiefjen unb ber tjedjt, ber in ber fjomungp 
falte ber beiben erften TRonate bes Jahres laicht, fjornungs^edjt genannt mürbe. 

Beba, bet uns bie Zttonatsnamen ber Angeln not Karls bes ©rofjen 3®it ® eP 
liefert hat, fühtt als eierten BTonat gleichfalls ben ©ftermonat— Eosturmanoth- 
an mit ber (Erläuterung, bafo er nach ber ©öttin Eostre benannt worben fei, bet )n 
(Ehren man in jener 3eit bes 3aljres Scftc gefeiert hübe. Diefe (Erflärung Bebas Ijat 
3 ut Annahme einer $rühlingsgöttin Östarä Anlafj gegeben, wie benn ber Eostre unb ; 
bet mit ihr 3ufammenhängenben lat. aurora eine inbogerman. £ichtgöttin 3ugtunbe 
liegen mag. 

Gtoaige Oerwanbtfchaft non ©fter mit aust: ©ft, beffen IDuqel aus bie Bebern 
jung oon aufleuchten, tagen (»gl. gtiech. (Eos = IRorgentöte) hat- würbe auf bas 
(Erwachen ber Itatur aus bem IDinterfdylafe hinweifen unb fonnte fo leicht auf bas 1 
ajriftliche Auferfteljungsfeft, beffen $eier in ben $rühling fällt, gebeutet werben. , 

Der ITtai ift öer IDeiöe- ober IDonnemonat. XDie fidf) aus öem flusönid i 
Jüeibe ber Kebenbegtiff bet $teube unb IDonne ergibt, ift erfichHich aus ben 3» 
fammenfetjungen Augen», Seelen», f}er 3 ensu>eibe. 

Hach öer erften (Ernte wirb ber Ader umgebrochen. Dann liegt er in Bradjei 
bas £anb wirb noch nicht befät. Oer Ader ruht. So ift ber 3 uni für ihn ber Brav 
ober Ruhemonat. Hach einer anbem fachlich einleuchtenberen (Erflärung ift i e w 
her 3uni bet Brachmonat, weil in ihm bei ber Oreifelberwirtfdjaft bas Brachfwb 
bearbeitet wirb. 

3n ben fjeumonat (oon houwen = nieberhauen), wie ber 7. ITConat in aßen 
germanifchen Sprachen heifet, fällt ber Schluß ber Heuernte. 

3m Auguft wirb bie haupternte eingebracht. (Er ift ber Erntemonat. 

Sur ben September werben bie $otmen witumänöth = fjohmonat, in iw" 
oas qol 3 gefällt wirb, unb widemänöth (wide aus veod = tDilbhafer ober h°f et f 111 
öte Sütterung bes IDilbes) = hafermonat angegeben. 

ei er Betrachtung öer BTonatsnamen Karls öes ©rofoen fällt es auf, b fl p e 
hotnung allein fi<h einer einfachen Be 3 eichnung erfreut, wähtenb alle übrigen in 
jufammengefehten Sormen recht fchwerfällig erfcheinen. 



Don ©uftcin Sd)firmann 


639 


Die IKonate, 6 ie nadj öen 3al)res3eiten benannt finb, 5er tjerbft*, tDinter* un 5 
£en 3 monat, finb trofc int allgemeinen gleitet Dauer 5er 3 afyres 3 eiten auf nod> nidjt 
ein ^albjafir »erteilt; in 3ufammenljang 5amit fte^t 5as bei 5em Dergleid; mit 5en 
Benennungen anberer germanifefjer Stämme fid? ergebenöe Derfdjieben 5 er IKonats* 
namen. So toeröen September, (Dttober, Ko»ember aud} öer erfte, 3 t»eite, 5ritte 
fjerbftmonat genannt, rooraus jidj bann bie Benennung bes Kooembers als bes 
^erbftmonats r»enigftens erflären läfet, ber bei ben Kieberlänbern nod? Ijeute ber Sep* 
tember ift. Anberfeits ift bet »on Beba genannte Halogmonath, ber jeinen Kamen 
ber $eier Ijeibnifdjer $efte »erbantt, ber September, roäljrenb ber Ijeilsmonat Karls 
bes ©tofeen auf bas djrijtUdje tDeifynacfytsfeft ljinroeift. Der Veodmonath Bebas, ber 
in ben Auguft fiel, tragt biefelbe Benennung t»ie Karls neunter IKonat (fjafermonat) ; 
in biefem $alle mag ber ©runb bet Derfdjiebung in bet Derfdjiebenljeit bes IDetters 
unb ber Pflan 3 enbede liegen. 

Übrigens ift bei Karls IKonatsnamen aufeet bem Ijeilsmonat fjödjftens nodj beim 
(Dftermonat an bas ©fyriftentum 3 U benfen; alle übrigen Kamen be 3 ieljen fidj auf 
bie 3af?res3eiten, bas IDetter, ben Aderbau ((Ernte) unb bie Dielßudjt. 

Anbere beutfdje IKonatsnamen. 

Aufeer biefen Kamen finb aber für ein 3 elne IKonatsnamen nodj rein beutfdje 
Be 3 eicf}nungen gebräudjlidj getoefen, bie fidj 3 um Heil bis auf bie ©egeitroart etl)al* 
ten Ijaben. 

Der 3anuar ((Eismonat) Ijat audj, ebenfo toie Konember, De 3 embet unb mit* 
unter $ebruar, ben Kamen tjartmonat, in Kieberljeffen Bruber fjartmann (3a!. 
©rimm, ©efdjidjte ber beutfdjen Spraye, S. 87) nadj einem Subftanti» ber fjart, 
bas nod; in Bayern ben gefrorenen Scfjnee, bie Sdjneefrufte, be 3 eidjnet (a. a. ®. 
S. 98). Als ber bas 3al?t einleitenbe IKonat Reifet er ber 3al)rmonat. Am Kiebet* 
tfjein, im tDefterroalb unb in ber ©raffdjaft Klar! t»itb bet $ebruat audj Sporlei 
ober Spöt!el (niebetl. sprock = fpringenb) genannt, b. tj. bie bie tDinterbede 
butdjbredjenbe Kraft, bie Kraft bes jidj tegenben £en 3 es (IDeinljolb, IKonatnamen, 
S. 57); $udjsmonat unb IDoIfmonat, roeil fdjon 3 U Anfang biefes IKonats bie 
Ran 33 eit (Begattungs 3 eit) ber $üdjfe unb bie 3agö auf bie K)ölfe beginnt. 

©eroiffe (Quellen lännen nadj Ijeibnifdjen Dorftellungen $ülle ober junger 
an 3 eigen. Daran erinnert ber in Kieberbeutfdjlanb für ben $ebtuar, aber audj für 
ben 3anuar »orlommenbe Karne Dolborn ( = Dollbrunn, toenn bie Deutung „ber 
Dollbärtige" nidjt (»gl. 3 fbUf. 1 , 361) oot 3 U 3 ie^en ift); unb bet in ber ©raffdjaft 
Klar! früher Ijerrfdjenbe Aberglaube, bafe „bie IDeibet im $ebruar tDetterregentin* 
nen" jeien, Ijat jidj in ber Be 3 eidjnung IDeibermonat erhalten (a. a. ©. S. 63). 

Der IDonnemonat Reifet aud; Cuftmonat, Blumen* ober Blütenmonat, 
poetijdje Be 3 eidjnungen r»ie Kofenmonb für ben 3uni, ben anbetn IKai. 

Augft ift bie »erbeutfdjte $orm für Auguft(us), beffen Karne als bes (Ernte* 
monats (augere = mehren) »ielleidjt ebenforoenig »on bem Kaifet Auguftus ab 3 U* 
leiten ift toic 3uli(us) »on 3ulius (Eäfar (f. u.). Da bie (Ernte im September fort* 
gefegt roirb, fo t»itb biefer IKonat rool)l bet anbere Augft, aud) bet $ü!lmonat 
nad; ber ©öttin bet „Sülle", bes Reichtums an <Ernteet 3 eugniffen, genannt, unb bem 
September toie bem (Dttober als Säe* ober Saatmonaten roirb üjre Stellung in 



640 


Das öeulfcfje Ja!jr. Don (Buftao Sdj&rmann ^ 

öer Ijerbfoeit, öer Bohnenernte, 3 ugetoiefen. (Dftober, Hooembet unb Dejembet 
finb bie S<hla<htmonate, öer Hooember (auch tDinbmonat) insbejonbere bet 
Blutmonat als öic 3eit öer heiönifcfjen (Dpferfefte, beten (Erinnerung man burcf} 
öie Bejetdjrtung Schlachtmonat, am Hieberrhein Aller=fjeiligenmonat (für 110 = 
oember) aus 3 ulöf(hen oerfuchte. Die beiben lefeten Htonate bes 3a^res Riegen IPoI{< 
monate (f.o., Begattungs 3 eit öer EDölfe) ober Julmonate nad) bem 3ulfejt jut 
3eit öer tDinterfonnemoenöe. Jafob Stimm (©efdjichte öet beutfdjen Spraye, i 
S. 106) oermutet, öafe auf ben auch anbern Sprachen eigentümlichen Stamm 3ul eben 5 
|o bet lateinifche Harne bes 7. Htonats als bet 3eit öer Sommerfonnentoenöe 3 urüd= 
3ufüi)ten fei. 

Die heute gebräuchlichen Htonatsnamen. 

Die beutfehen Htonatsnamen finb butch bie römifchen faft gämlich netbrängt 
tporöen. 

Der Januar als erfter Htonat toat bem Janus als bem göttlichen Befehl« 
aller Anfänge getoeiht. Die im 16., 17. unö 18.Jahrhunbert übliche $orm 3änner 
ober 3ennet ift nur noch in Öfterreich unb in ben füöbeutfcben Htunbarten erhalten. 

Der $ebruar toar als öet lefete Htonat bes Jahres bet Reinigungsmonat 
(februare=reinigen); er hat feine jetzige Stelle but«h bie im Aufträge 3alius däfats 
erfolgte Kalenberoerbefferung bes Htathematifers Sofigenes erhalten. I 

Den briiten Htonat foll Romulus nach feinem Dater HTars Rtartius genannt 
haben. 3m Deutzen hatte er früher bie Sorm Htet 3 , iefet Rtär 3 . An bie frühen 
fqroache Biegung erinnern noch ntär 3 enblume, *be<het, »bier, »bonnet. Don ütäq 
(Hter 3 ) ift met 3 en, ausmer 3 en abgeleitet, bas öie Ausfonberung ber 3 ur 3 u <ht 
tüchtigen Schafe aus ber Qeröe be 3 eid}net. 3n übertragenem Sinne fpredjen mir non 
bem Ausmer^en oon Buchftaben, Ausbrüden, fchlechten Sitten. 

3m April als bem urfprünglich 3»eiten Htonat bes Jahres (bähet fein Harne 
„öet 3roeite", oenoanbt mit got. afar„nachher") begann in 3talien bas Stühjoh 1 
öamit bas Aufgehen öer Knofpen an ben pflan 3 en, toährenb bie Bäume bei uns 
nur ausnahmstoeife fchon im April blühen; unö „Aprilenblut tut feiten gut". (Dtan 
beajte auch hier bie fchtoache Biegung in ber 3ufammenfefeung.) Die Caunen bes 
roettenoenbtfchen April haben Anlafe 3 u AprilfcheQen, bem Aprilfchiden gegeben, 
as auch mit bem Ijin* unb fjerfchiden bes tjeilanöes oon Mannas 3 u Kaiphas, oon 
flatus 3 u fjeroöes in 3ufammenhang gebracht roitb. 

Der Htai ift nach öer Htafa, ber Htutter Hterfurs, ober einer altitalifcfjen Hatur 
gothn besfelben Hamens benannt rooröen. (Er ift uns öie Blüte 3 eit ber Ratur, bie 
Derlorpetung alles Spänen unb Köftlichen, ber ^öhepunft bes Srü^Iings, bas Bilb 
es Jugenöglan 3 es unb ber IDonnemonb ber Ciebe. — Htai ift ebenfo toie IR&3 unb 
April oon ber flachen 3 ur ftarten Biegung übetgegangen; bie fchtoache Biegung ift 

nod} in oielen 3ufammenfefeungen fenntlich: Htaienbab, *baum, »blume, noonne, 
= 3 eit ufto. 

®ötterfönigin Juno öantt öer Juni(us) feinen Hamen. 

uie übrigen Htonate hiefeen nach ihrer urfprünglichen 3ahl Quintilis, Sextijs, 
ptember, October, November, December. An Stelle bes Quintilis unö Sextilis 

T* „ Öl 4 f amen 3uli unö flu 9 u fi eingeführt, beten Ableitung (oon3«Ü>» 
on 3u unö augere) fdjon oben ertoaljnt tooröen ift. (fortwwg foi^ 



Cefftttgs profaft^rtften als SdjuUeftflre. Don fjciitr. Sdjtctbaum 


641 


£e|fing$ proja (c^riften als Sdjuflefttüre. 


Die $tage, ob Seffings Profafchriften aud} Ijeute noch geeignet feien, mit unfeten 
Primanern gelefen 3 U roetben, mirb immer mieber laut, unb es mehren ftdj bie Stimmen, 
bie fie gan 3 aus bet Schule oerbannen roollen. Kaum ein Auffatj über Seftüreunter* 
rieht, ber nicht biefen Punft ftreifte. Durch fold* gelegentliche (Ermahnungen mirb 
aber bie $rage ber Söfung nicht näher gebracht. Datum etfehien es mit richtig, eine 
Arbeit, bie im Sinne oieler Seffings Profafchriften gan 3 ablehnt, noch in ber ijanb* 
fchrift einem erfahrenen Kenner Seffings oot 3 uIegen, ber lange Jahre ben Primaner® 
unterricht gegeben hat- So tarnt ich nun Angriff unb Derteibigung unferen Sefem 
3 uglei<h übergeben in bet Hoffnung, babuth 3 u meiterer Ausfptahe an 3 uregen. Der 
Denedefche Auffat} ift bie leiste ©abe eines eifrigen unb treuen $teunbes unferet 3 eit= 
fchrift, ber mit gleicher Siebe bie Kultur bet Alten unb unfere eigene betjugenb nahe® 
brachte unb in ootbilbliehet tDeife banad} ftrebte, ein beutfd}er £?umanift 3 U fein. 

fjofftaetter. 


L 


£efffitg$ profaf<hriffen eine gefö^rii^e S^ulleftöre. 

Don fjeint. Sdjierbaum in Bochum. 


Dem äfthetifch ©ebilbeten unb literarhiftorifch ©ef<h ulten mirb es immer einen 
hohen ©enufc bereiten, bem geiftoollften „Repräfentanten bes fritifchen ©eiftes" im 
Jahrhunbert ber Aufflärung in bie oon lichtootter Klarheit burchflutete tDertftatt 
feines fritifchen unb fünftlerifchen Schaffens 3 U folgen. Den3eitgenoffen erfchtenen bie 
Offenbarungen Seffingfctjer Denffraft als eine Befreiung oon ben $effeln einet bie Aus® 
meitung fünftlerifchen Schaffens einengenben Dottrin. Uns aber, ben Hochgeborenen, 
bie über 6 ie (Etgebniffe feiner Sorfdjungen längft hinmeggefchritten finb 3 U neuen 
Refultaten, ringt bie unbeugfame IDahrheitsliebe, bie (EljtUchfeit unb ©emiffenhaftig* 
feit, bie felbftlofe Eingabe, mit ber im Kleinften mie im ©töfjten bie IDahrheit gefucht 
mirb, bie Scharfe unb Klarheit feiner ©ebanfenfüljrung 3 U einet im IKafoe bes tiefe* 
ten (Einbringens in feinen ©eift unb feine tDefensart machfenben Bemunberung hin. 
$ür ben an folch feine Koft gemöhnten Aftheten unb $otfcher bietet bie Seftüre eines 
folgen Schriftftellers ohne 3u>eifel eine geiftftärfenbe Hahtung. Darüber mollen mir 
uns nun aber feiner ©äufchung hingeben: Sie ift feine Koft für jeben. Dielen mürbe 
fie Jicher nicht 3 um heile gereichen. Unb folche, benen bie Seftüre Sefjingfchet Profa* 
fdjriften, b. h* betienigen, bie oor allem als SchuIIeftüre bienen, mehr fehaben als 
nüljen, 3 um minbeften aber burch ihre fdjäblichen (Einflüffe bie förbetnben, geift* 
ftärfenben (Einmirfungen mieber aufheben, fitjen 3 U unferen Süfeen, auf ben Bänfen 
ber höheren Sehranftalten. Die nachfolgenden Ausführungen follen ben 3 med oet* 
folgen, auf bie ©efahren aufmerffam 3 U machen, roeldje ber Schule burd} bie Seftüre 
Seffingfchet Ptofaroerfe brohen. 

Don ben Heineren Schriften finben fich in ben Schulfammlungen 3 unä<hft bie 
Abhanblungen über bie $abel. Sie jinb 3 toar einUlufter analytifdpeHeftifchet 
Unterfuchungsroeife, aber Seffings Sabeltheorie ift längft aufgegeben, unb ihre Um* 
fetprng in bie Praxis burch Seffing felbft hat fich als mifcglüdter Derfudj ermiefen. 

3ettfd|r. f. b. öeutfdjen Unterricht 29. 3aljrg. 10. tjeft 41 



642 


Ceffings profafcßriften als SdjutkTtüre 


3t feße feinen ©runö ein, warum man öie Stule mit Gßeorien befanntmaten joO, 
öie, unö feien fie aut auf öie öenfbat geiftnollfte IDeife gewonnen, öem heutigen 
Stanöpunft öet Aftßetit unö tDiffenftaft nidjt meßr entfpteten. ZDo^I nirgends 
meffr ßaben öie öidflüffigen lÜoraltenöen 3 en öes 18. 3aßrßunberts bas Urteil 
£effings fo feßr getrübt wie in biefen Unterfutungen. tbie feßt fjat {eine flm 
ftauungen übet öie $abel öie IDolfffte Pßilofopßie beeinflußt! Selbft bei (einen 
3eitgenoffen finö öie ©rgebniffe feiner Arbeit nidjt oßne öie ßeftigften Angriffe uni i 
Anfettungen geblieben. Heute witö allgemein anerfannt, öaß öie ieffingfdje Öefini* 
tion öer Sabel unhaltbar ift. Außetöem erfteint uns ßeute öot öie $abel als eine 
gan 3 befteiöene Hebengattung öer Pittfunft. EDenn öiefe nieörige Didjtungsart im 
18.3aßrßunöert eine fo beöeutenöe Rolle fpielen fonnte, fo läßt bas nur einen Sdjluf 
auf einen unenölit nieörigen ©efftanö öet 3 eitgenöffiften fünftleriften Probuttion 
3 u. Unö wenn ferner Ceffing fein gan 3 es £eben ßinöurt ein großes 3 ntere|je für 
öie Sabelöittung bewahrte, fo mußte öiefer Umftanö öot notwenöigenoeije öie 
Rittigfeit feiner fünftleriften Anftauungen fton im allgemeinen beeinträd|tigen 
unö 3 ugunften öiefer nieörigen Gattung oerftieben, tn im befonberen bann notb 
bei falften Dorausfeßungen 3 U irrigen Anfitten übet öie Sabel felbft fügten. 3d) 
feße nat allem feinen ©runö, öet uns oeranlaffen fönnte, öie Stilen mitj teffings 
Sabeltßeorien befannt 3 u maten öaöurt, öaß man feine Abßanblungen als Stub 
leftüre gebrautt. Oer töunft, öen Stüler mit öer analytiften IKetßobe Cejfings | 
befannt3umaten, ift öot 3 ur Begrünöung eines folt gewagten djperimentes nit* j 
ausreitenö, felbft öann nitt, wenn wir aut uorausfeßen, öaß jeber £eßrer auf 6 « 
wiffenftaftliten fjöße feiner Aufgabe ftänöe. IDarum {oll man in ber Sdjule, uw 
3 x 1 öen moöernen Anftauungen über eine Hebengattung öer Üittung, beren ptab 
tifte Ausübung £effing felbft mißlang, 3 u gelangen, öen weiten Umweg übet bie 
£effingften 3rrtümer maten? Oas ift Säte öer IDiffenftaft unb gehört nitt« 
öie Stule. 


„U)ie öie Alten öen doö gebilöet", öas 3 U wiffen mag für ben Kuufb 
fenrtet unö Aftßeten gan 3 intereffant fein, gan 3 gewiß, aber eine ganje flbßanötung 
öarüber in öer Stule 3 u lefen, öie m. <E. Oringenöeres 3 U beforgen ßat, ft e * n * nur 
nun öot &as Htaß öes Hotwenöigen unö Hüßliten 3 U überfteigen. Ulit wäre es feße 
intereffant 3 u erfaßten, weites öie £eitmotioe öer Herausgeber finö, öie öiefe UnW’ 
futung in öie Stulfammlungen bringen, unö weiten Oorteil fie fit Don 
£eftüre oerfpreten. Oen Stüler läßt öie Abßanbtung mit ißren polemift cn -j 1 ' 
öen 3 en gegen einen fonft unbefannten £anösmann £effings fiter gan 3 gleitS“ 1 ^ 
IDenn ein Herausgeber meint, für ißren U)ert fprete öer eine Umftanö 
einer! , öaß Heröet in öet 3 weiten Sammlung öer „ 3 erftreuten Blätter u 

öemfelben ffitel eine UJeiterfüßrung öer £effingften Geöanfen oerfutte, fo fann 
öa 3 u eben nur fagen: Über öen ©eftmad läßt fit ftreiten. 3 t weiß aber nat 
öer niemanö, öer öen Derfut nocß ferner unternommen Hätte. 3t 
aut ein Beweis, alletöings woßl nitt für eine befonöers wittige Bebeutung bet 
ßanölung, obfton ißt Stönßeit unö Klarßeit öer Oarftellung nitt ab 3 ufprete n *1 ■ 
£aotoon. 3m Dorwott 3 u feiner Ausgabe öes „£aofoon" fagt £. Sß 01 ®* ! J‘ 
" £ er Kenntnis ausgeßenö, öie fremöe unö eigene (Erfahrung ftüjt 
l l t efjtngs „£aofoon" in feinem gan 3 en Umfange 3 ur £ettüre auf ßößeten 5t u 



Don fjelnr. Sdjittbautn 


643 


(ich benle in erfter £iitie an ©ymnafien unb Rcalanjtalten) nid}t eignet, habe id} es 
gewagt, gan 3 e Kapitel, roie ©eile einjelnet roegjulafjen ... Ulo id} in bet Auswahl 
fdfmanfte, habe id) mid? oon bent Rate mir befreunbeter Schulmänner unb oielfach 
oon ben Urteilen, bie ©eotg Shilling in {einen „£aotoon*Paraphrafen" (£eip 3 ig 
1887) ausgefprodjen hat, leiten Iaf{en." Diefe (Erlenntnis ift immerhin jdjon bantbat 
3 U begrüben, wenn auch bie (Erfahrungsgtünbe biefet (Erlenntnis nicht angegeben 
werben. Kleine Anfid}t geht weiter unb bahin, bafe bet „£aoloon" auch in einem 
befötäntten Umfange als Sdjullettüre ungeeignet ift. (Es ift bas unbeftreitbate Der* 
bienft feines Urhebers, bafe et burdj biefe Arbeit ben falföen, bet (Entwicflung bet 
beutf^en Dichtung gefährlichen Sah „Ut pictura poesis" enbgültig aus bet Hielt 
fdjaffte unb ben Untetfdjieb bet tebenben unb bilbenben Künfte für immer flat 
machte; im übrigen aber gehört bie non 3rrtümem unb irrigen Anfdjauungen bela* 
ftete Schrift in bie <5efd?id?te bet Aftljetil, bie nicht auf unfete höheren Schulen gehört, 
wenigftens nicht in biefet $otm als rein abftratte £eljte; unb wenn fdjon, fo wüfjte 
id) etwas Beffetes an bie Stelle bes „£aotoon" 3 U fetjen, oor allem infoweit etwas 
Beffetes, als bie Ridjtigteit bet gegenwärtig geltenben flnfdjauungen in $rage 
tommt. Unb bie Ricfytigteit fteljt noch immer übet bet Schönheit. 

Schließlich gilt oon „£aoloon" basfelbe wie oon ben „Briefen, bie neuefte £ite= 
tatut betreffenb" unb bet „f)ambutgifchen Dramaturgie": IDas tann bem 
Schüler eine £ettüte frommen, in bet ein geiftooller, f dürfet Krititer, bet aber unter 
irrigen Dorausfeßungen 3 U falfdjen (Ergebniffen ber Kunftfritil lommt, bie mqähli* 
gen, uns fo fremb unb unbelannt gegenüberfte^enben IDerte fyeute oergeffenet 
Autoren 3 um Probierftein feinet ©^eorien macht? 3n allen Schulausgaben oermiffe 
ich iebe Angabe barüber, wo bie Segler in ben £effingfdjen Denfoperationen fteden, 
ja es wirb nicht einmal erwähnt, baß überhaupt fchwete 3rrtümer oot^anöen finb. 
Da liegt bo<h ber ©ebanle nahe, baß auch bet Schüler nichts oon ben tünftlerifchen 
3trungen £effings erfährt unb, geblenbet oon ber Schärfe unb Klarheit feiner Beweis* 
füljtung, £effingfche IDeisheit als unurnftößlidje Ulahrheit mit nach fjaufe trägt. 
Der flate unb beutliche Hinweis, baß uns heute ungefähr hunbertunbfünf 3 ig 3al}te 
einet ungemeffen oielfeitigen U)elt* unb ©eiftesentwieflung oon £effing trennen, mit 
oöllig anberen Kunftwerten, märe bodj bas ©eringfte, was man forbem tonnte. 
Unfete 3eitpfyd}e ift bo<h eine oollftänbig anbere als bie bes 18.3ahrhunberts. ©an 3 
anbete Strömungen finb in unferet ©egenwartsfultur mächtig. £effings Kunfttheorien 
grünben {ich auf bie £ebensanfd)auungen feines 3 eitalters. Ulenn mir auch begreifen, 
baß £effing bie Autorität eines Alten notwenbig hatte, um feinen Analyfen bas erfot* 
betliche Autoritätsgewicht 3 U oerfdjaffen, fo fümmem wir uns heute hoch bitter wenig 
um bes Ariftoteles ©heorie mit ihrem „$urcht unb RTitleib" unb ihrer Katharfis, 
gan 3 abgefeljen baoon, baß ba, wo £effing ben Ariftoteles erflärt, fein Derftänbnis 
bes ©riechen unferet ©egenwart, welche mit reicheren fjilfstnitteln arbeitet, auch nod) 
nicht einmal überall genügt. Dann ift £effing in feiner einfeitigen BeooQugung 
bet flaffifdjen unb flaffifdj=a!abemifd?en Kunft 3 U normen gelangt, bie 3 war bas beut* 
fd?e Drama für alle 3 eiten oon bem 3 a>ange ber $ran 3 ofen befreit unb uns 
Shalefpeate erobert haben, aber „bet lebenbigen Kunftentwicflung als ftarre gefeß* 
liehe Dorfchriften im Ule ge ftehen unb iebet neuen Richtung, jebem neuauftaudjenben 
©enie gegenüber oerfagen". 


41 * 



644 


£efflngs profafcßriften als SchttHeftüre. Don ßeinr. Sßierbaum \ 

Dot allem haftet ber £effingfcßen Aftßetil ein Karbinalfeßler cm, auf Öen iß jdjon j 
im Dotbeigeßen aufmertfam gemalt habe: Oie Derquidung non Dichtung uni i 
Utoralität. fllitleib unb $urcßt, Reinigung non £eibenfcßaften, bie bei £effing eme ; 
fo große Rolle fpielen, finb motalifeße, feine äftßetifcßen Qualitäten. (Es ijt aber M- | 
aus perfeßrt, ein Kunftroerl nach fittlicßen Kriterien beurteilen 3 U ©ollen. 3euJ I 
es fdjon oon innerer Derlogenßeit, ©enn „ein Kunftroerl jelbft mit plump« uft 
barauf ousgeßt, naeß bem Ulaßftabe moralifcßet (Effeftoirfung beurteilt ju roerben, | 
roenn feine Anlage eine berartige ift, baß in ber reagierenben Seele bes oftljctif^ge" > 
nießenben IKenfcßen ein rooßlgefäUiges Urteil auf bem Urnroeg über bie (Eroedung 
motalifdjet tDertgefüßle etfeßließen ©erben foH", fo ift es ein Detbtecßen an «t 
Kunft unb am Kunftroerl, ©enn es ba 3 u mißbraucht ©irb, im uotaus gegebenen 
moralifeßen ©enbengen 3 U bienen. Ceffing aber ift fo feßt ein Kinb bes mot# 
fierenben 18.3aßrhunberts, baß ißm bas motalifeße Sadtucß lang aus benRod(jojen 
baumelt. Unb ©enn aueß Scßiller non. bet Schaubühne als einet ntoraltfcßen Hnjoit 
fpraeß, fo be©eift bas nur, ©ie feßt bie UIoraItenben 3 en bet Auföärung imua[|iW en 
3 eitalter noch nacßroirlten, — außetbem ©urbe et auch noeß falfcßperftanben.) m 
©eit haben roit uns in 3 ©ifcßen pon Ceffing entfernt! Uns ift bie Kunft eme 1 ' 
ftänbige Offenbarung bes Iltenfcßengeiftes geroorben, bie ©ir in ifytet unoetg««! 
liefen (Eigenart perfteßen ©ollen. (Es hat fürunferen Oen!= unb Sprachgebrauch m« 
Berechtigung meßr, ben Kultur©ert ber Dicßtlunft ©ie ber Kunft uberßaup i 
ITCoralifcfyen 311 fudjert. 

3cß lönnte 3 U biefem ©ßema noch meßr fagen. Um nießt 3 U ©eitlaufig ju ro« 
ben, ßabe ich einen Berg non Kotigen 3 urüdgeftellt. Oas Angeführte ©itb, e ” * ' 
genügen, um 3 U beroeifen, baß Ceffing troß feiner Bebeutung für bie ©eiftes$e|d|t 
bes 18.3ahtßunbetts, troß feiner unleugbaren Oerbienfte um bie ©nnntalung 
Dicßtlunft, not allem bes Dramas, troß ber Klatßeit unb Schönheit feinet pto|a, 
als Profafdjriftfteller mit ben hier ange 3 ogenen tDerlen nicht auf ben teftur^ 
ber höheren Schulen gehört. Damit gehört er ber IDijfenfdjaft an, aber nießtt er cg 
Don bem Unfug, ja©ohl Unfug, gar biefe £eftüte als Stoff 311 Äuffaßubung 
gebrauchen ober oielmeßt 3 U mißbrauchen, ©iH i<h lieber feßroeigen. rotem 
£ehret bes Deutfcßen in ber £iteratutgefcßi<htsftunbe über £effing fagen mm 
©elcßem Ulaße er bie Briefe £effings als Profaleftüre nerroenben ©in» tft aa ! 
eingelnen. Don £effings Dramen ift hier überhaupt nießt bie Rebe. 

3m übrigen aber hat £effing auf ben höheren Schulen meßr Unhetl ange _ ^ 
als man oielleicßt eingeftehen ©ill. 3 u lange haben bie ©ymnafialprofefjoteit I 
bem falfcßen ©Iauben gemiegt, in £effing unb in bet IDeisheit bes Stagm < 
untrüglichen Ulaßftab 3 U befißen, um mit ißm jebes neue Kunft©erl met|| 
fönnen. „Damit ßaben fie unfagbares Unßeil angeftiftet, ßaben gangen ©etter 
bie unmittelbare Scßaffensfreubigleit geraubt, fieß felbft unb anbeten Me 3 
bas ©ebotene harmlos 3 U genießen." (©urlitt, Der Deutfcße unb feine 5<h *, 

1) Schiller hielt Me buteß eine lautere Kunft ergeugten Sinneneinbrüde fl* ^ 
©irtfames IKittel, bas ©emüt ©oßltätig ju beeinfluffen unb fo ben u m 
Schönheit ebler ausjubilben. Don motalptebigenbet Kunft ©ollte auch et w 



Ceffings Profafäriften als SchuHeftüre. Don Arthur Denecfef 


645 


II. 

$fnö Ceffings Profof^riften eine gefä^rli^e SdfnHedfire? 

Don Arthur Denecfe f in Dresden. 

3m oorftehenden hat Heinrich Scfjierbaum die fchon oft für ein 3 elne oder 
fämtliche Profafchriften Ceffings aufgeftellte Behauptung miederholt, daß ihre ein* 
gehende Behandlung in den höheten Spulen non Übel fei, dafc fie fi<f? nicht mehr 3 ur 
„Schulleftüre" eigneten. 

flu<h die ©ründe, die er für feine flnfehauung geltend macht, find die befannten : 
Ceffings ©tüarungen find, teils, toeil fie fiefj auf antife ©elehrfamfeit ftüfcen, teils, 
roeil fie auf dem Standpunfte des 18.3ahrhunderts mit feiner Betonung des ©efühls 
flehen, jetjt roiffenfehapeh gan 3 überrounden und unbrauchbar, fluch der Caoloon 
fei als Schulleftüre 3 U oermerfen, obgleich er „das unbeftreitbare Derdienft" aufmeift, 
„dafe er den fallen, der ©ntmicflung der deutfehen Dichtung gefährlichen Sah „Ut 
pictura poesis" endgültig aus der tDelt fefjaffte und den llnterfchied der redenden 
und bildenden Künfte für immer Har machte". fllfo ein 3 toeifeIIos roiffenfchapches 
(roenn auch gerade dies nicht allgemein anerfanntes) Derdienft und doch leine 
©nade? Bei der „fjamburgifchen Dramaturgie" arird nur angefpielt auf die aller* 
dings roichtigfte Stelle über flriftoteles’ Rlitleid und gurcht und Reinigung der Ceiden* 
fdjaften, und daran die Befprechung des „Kardinalfehlers" der Ceffingfchen flfthetif 
gefnüpft, „die Detquicfung oon Dichtung und Rloralität, RRtleid und gurcht, Reini* 
gung der Ceidenfchaften, die bei Ceffing (nur ?) eine fo grofje Rolle fpielen, find 
moralifche, feine äfthetifchen (Qualitäten". Der Derfaffet toird gerade 3 u grob, toenn 
et daran denft, dafe jemand toagen fönnte, der Kunftirgendroelche moralifche flbfichten 
unter 3 ufchieben. Das fei aber eben der Standpunft des moralifierenden 18. Jahr* 
hunderts und auf diejem ftelje Ceffing noch durchaus, mährend mit Kinder des 
19. und 20 . Jahrhunderts Iängft die Kunft als eine „felbftändige (Offenbarung des 
Rtenfchengeiftes" betrachteten. Somit fei 3 mif<hen Ceffings und unferer flnfehauung 
eine unüberbrüdbate Kluft und eine ©ifimeifung der Schüler in die Iängft über* 
toundene fthädlich. 

©s Hingt junädjft recht fonderbar, den „Stagiriten" flriftoteles mit einrechnen 3 U 
hören unter die Rloraliften des 18. Jahrhunderts. IDenn er in feiner berühmten Be* 
griffsbeftimmung der (Tragödie neben den gormeigenfehaften auch Me inhaltlichen 
atl |^ r ^' et f ot öerte dies eben die Dollftändigfeit, die er anftrebte, aber oon meid}* 
mütiger fittlichet Befferung der 3uf<hauer ift felbft in der Katharfis nicht die Rede, 
menigftens brauet man fie nicht fo 3 U oerftehen, mie fchon ©oetlje beroiefen hot. 
Aber auf foldje faßlichen Unterfuchungen ift der Derfaffet leider nicht eingegangen, 
fondem hat nur in Baufd} und Bogen abgeurteilt. Und diefes Derfahren ift in der 
gan3en Untetfudjung eingehalten morden. Außerdem aber fragt man fich: Soll denn 
der Dormutf der Betonung der Rloralität auch bei den übrigen Abhandlungen Cef* 
fmgs gelten, in denen es, miebeidergabel, dem (Epigramm, Caofoonufm. Ceffing doch 
9003 auf ein möglichft fefjarfes, oerftandesmäfjiges, fein moralifches (Ergebnis anfam? 

Und dennoch mufe man in der fjauptfache dem Derfaffer recht geben: Die Celjren, 
die Ceffing aus feinen äfthetifchen Unterfuchungen 3 ieht, entfprechen meift nicht mehr 
unferen unffenfchapchenflnfcljauungen, den Schülern mird fomit etmas nicht 3u* 



646 Cefftngs profafärfften als Sc^uIIeftüre. Don Arthur Denrfet 

treffenbes beigebracht, unö banacf} erfcheint es als ein Unreif, fie batin }U unter 
richten. £jter 3 U ift meiter 311 bebenfen, baß auch bie miffenfchaftlichen Schriften ©oet^es 
Schillets, fjebbels ufro. im Citeraturunterricht bet höheren Schulen gar nicht ober |«l)t 
toenig betüdfidjtigt metben, unb gleiches Recht für alle müßte aud] hier gelten. Oo^ 
nein! (Ein gemichtiger ©runb fteht bem gegenüber: Diefe Steiften etjdjeinen fall 
{amtlich für bas Derftänbnis bes Schülers als 311 fchmet. Diefer Um|tanb tonnte uns 
mohl einen $inget 3 eig geben, unb mit muffen barauf jutücKommen. 3 unäd|ft aller 
bings fdjeint et nicht bebeutenb genug, um fachliche Un 3 ulanglichteit auftuljelien. 

Aber eine anbete gtage entfielt, mohl füt ben Unterricht bie michtigfte oon allen: 
melden 3mecf o erfolgen mit bei bet Beljanblung folget miffenfchaftlicher ober miffem 
fdjaftähnlidjer Stoffe beim Unterricht? ©eben mir batan in bet übeQeugung, nun* 
mehr bet IDeisheit lebten Schluß, bie reine IDahrheit 3 U erfahren, ober beleihen tun 
uns, nur eine 3eitli«h unb petfönlich befchränfte EDiffenfchaft lernten 3 U lernen, ep 
freuen mit uns batan, 3 U fehen, mie ein großer Ulann fd^on in jener Dorjeit naft 
feines großen ©eiftes bas Ejödjfte erteilt hot, beffen jene ZTCenfhheit fähig ® flI - 
Ulachen mit alfo 3 U jebet 3 eit Anfptucf) auf unbebingte ober begnügen mir uns ® 
gerichtlich befchrünfter EDaljrheit? (Es liegt auf bet Ijanö, baß int erfteren $alle aues 
gefchichtliche Detftehen unmöglich mürbe, man bente an bie Befdjaftigung mit bet 
Philofophie unb ©heologie bes Altertums. Auch öiefe foll hoch bet Schüler oottteffuw 
finben, aber natürlich nicht füt alle 3eit. Unb nun lommt er in bet 6 eutfd;en 1 
tatut 3 U Seffings Schriften, bie für ihre 3eit gan 3 ausge 3 eichnete D>iffenfchaft ote "• 
Sie 3 eigen noch 3 mei Dorteile in biefet Richtung: einmal finb fie in ih ten ©tgebmfien 
auch für Öen Schüler oerftänblich, anbetfeits läßt fi<h getabe bei ihnen bequem jetge^ 
mie fie im Saufe bet 3eit fortgefe^t, ergäbt, oerbeffert rootben finb: ^eröet, ©oel 
bilben ba 3 u ben Anfang. IDill man ba biefe treffliche ©elegenheit bem Sdjület 1 ^ 
oon einem fo ausge 3 eichneten meifter bes Denfetts unb bes Ausbruds mie Sefftng 3 
lernen, mie man eine folche miffenfchaftliche gtage anfaßt unb behanbelt, unb 01 « I 
fich meiter entmidelt? XDitb jungen Seuten, bie fidj hoch bem Stubium einer mi|| 
fchaft mibmen mollen, nicht etmas gan 3 EDefentliches endogen, roenn 
iegenheit oorenthalten mitb 3 U fehen, mie auch auf biefem ©ebiete 3 U jebet 3®« S 10 ® 
auftauchen, 3 U beten Söfung bet größte Scharffinn nötig ift. Unb babei ift &tes ® 
füt oiele im Siteraturunterricht bie erfte unb leßte ©elegenheit, mit folgen St«9 

in Berührung 3 U lommen. tvht blei* 

Alles bas mürbe bet ©egnet mohl 3 ugeben, aber troßbem bei feiner flnfwi 
ben: bet größte ©eil oon Ceffings ©rgebniffen fteht aber hoch auf bem Stau P^. 
bes 18.3ahthunbetts; biefet Stanbpunft ift oerfehlt unb übetmunben, alfo omt 
Pfcuboroijfcnfchaft in ben höheren Schulen nicht 3 um ©egenftanb ringeln er 
hanblung gemacht metben. Diefe Schlußfolgerung ift geroiß größtenteils arquer eit 
Salfches foll bie Schule nicht lehren. Alfo muß bie Pflege bes gef^idlUiajen ' 
3 utüdtreten? Sollen bie Spület oon folgen $tagen gar nichts erfahren? en ^ 
fie mit ben neueften ©heorien belannt gemalt metben, ift ftfjon aus Btangel a 
taum 3 U erroarten. 

Doch, as gibt eine Dermittelung, bie auch öer Detfaffer anbeutet, ®etm^ 
mieber ablehnt: EDenn man gefchichtiich gemorbene Dinge auch gefchiüjtlifl 
b. h- in biefem gälte: menn man fie nur fo meit unb fo eingehenb betrachtet, 



©rUIpar 3 er im Deutfäunterricfyt. Don (Eöroin 3eUme!et 647 

ni^t als Selbft 3 tt>e£f, als enögültigc tDahrheit, fonbetn immer nur bie früheren als 
Dorbebingung bet fpäteren erfcheinen. Demnach mürbe an Stelle ausfälligen 
Cefens bet Spüler ein finngemäfees fut 3 es 3ufammenfaffen oon feiten bes Centers 
ober eines befonbets begabten Schülers 3 U treten haben, llnb bie meitere gefegt* 
Vity Derfnüpfung ift gerabe hier fehr leicht, ba, n>ie fchon ermähnt, bie fämtlichen 
flbhanblungen Seffings burch gerbet non einem bereits oorgefchrittenen ©efichts* 
puntte aus behanbelt roorben finb. (Einiges hat auch ©oethe oorgenommen, unb 
manche bet Stagen finb bis in bie Re^eit nicht miebet oon bet Bilbfläche oetfehmun* 
ben. 3ch habe befonbets bas Derhältnis Seffings 3 U herber in biefer hinficht bereits 
in 3ahrgang 12 , heft 5, S. 305 biefer 3eitfchrift behanbelt. — 3n biefer tut 3 en, ben 
gefcfpchtlichen 3ufammenhang roahtenben Darftellungsmeife toirb man, bente ich, 
auch biefen Stoff ohne Schaben für bie Schule beibehalten fönnen. Anbemfalls müfete 
man auch Ceffings Dramen über Borb toerfen, toeil fie in ben flnfehauurtgen ihrer 
3 eit mmgeln. 


©rillpar 3 er tm Deutfdjunterridjt. 

Don Cfötoin 3eUu>e!er in ©rieft. 

Das Hücfgrat bet beutfehen Settüre auf ber ©berftufe ber höheren Schulen 
hübet bas Drama, unb bas mit ooüem Hecht. (Es führt in einer ungebrochenen (Ent* 
midlung burch alle Phafen ber beutfehen Dichtung unb bietet 00 t bem Roman für 
ben Schulbetrieb ben technifchen Dorteil, bafj in einer reiatio nicht 3 U großen 3eit* 
fpanne ftiliftifch abgefchloffene (Elemente jener (Entroicflung beroältigt merben tonnen. 

IDenn aber für bie Settüre bas Drama an erfter Stelle in Betracht tommt, bann 
ift es roohl eine Binfenroahrheit, bafe 3 m (Ertenntnis ber ©efchloffenheit ber (Ent* 
toidlung 3 toifchen Kleift unb h^bbel bie Beljanblung ©rillpa^ers 3 U erfolgen hat. 

Diefet ©runbanfehauung toetben auch öie Seljtpläne geregt; bie preufeifchen 
fdjteiben bas Sefen „eines geeigneten Dramas oon ©rillpa^er ( 3 - B* Sappho ober 
bas ©olbene Dlies)" als münfehensmert, bie öfterreidjifchen eine möglichft umfang* 
reiche Seftüre bes Dichters als geboten oor. Die ©ntfdjeibung über ben Begriff „ge* 
eignet" fällt hier gan 3 bem Sehret anheim. Diefen Dorfchriften 3 ufolge 3 eigt ber 
tatfä^liche 3uftanb, bafj im Deutfchen Reich in erfter Sinie bie beiben burch ben Sehr* 
plan tanonifierten Dramen, in 3 toeiter ber „König ©ttotar", in britter „tDeh bem, 
ber lügt" als geeignet angefeljen roerben, toährenb in ©fterreich ein meitgehenbes 
Schtoanten 3 U bemerfen ift, toeü ber Sehrplan jebe Richtungsangabe oermeibet. 
flm häufigften toirb aus oaterlänbifchen ©rünben 3 um „König ©ttotar" gegriffen. 

Da nun bet Begriff „geeignet" ein fchtoantenber ift, lohnt fi<h oielleicht eine 
Betrachtung, tDeldje ©runblinien bei ber EDahl eines Dramas für bie Settüte im all* 
gemeinen unb für bie Settüre ©rillpar 3 ets im befonbeten feföulegen mären. 

(Es tann nicht Aufgabe ber Schule fein alles 3 U lefen, fonbern fie mufe fid? auf 
eine flusmaljl befchtänfen. $üt biefe mitb folgenbes midjtig fein. Das gemählte 
Drama hat einerfeits ben 3 toeden oon Unterricht unb (E^ieljung, anberfeits ber (Et* 
tenntnis ber ©ntmidlung ber Dichtung ober feines Dichters 3 U bienen, ©s fchliefeen 
fich alfo alle tDerte oon oornherein oon bet Betrachtung aus, melche feinen <Et 3 ie* 
hungsmert befitjen ober burch ihren Stoff, be 3 iehungsmeife beffen Beljanblung, 



648 


©rillpaiget im Deulfd)unttrrid)t 


troß ihres IDertes bem Unterricht unüberroinbliche SchroierigJeiten cntgcgcnfc|cn. 
©benfo !ann tein tDert in Betragt lommcn, welches burd} {einen Stil ober töeljalt 
für öie (Ertenntnis bet beutfdjen Dichtung nichts ober im Derhältnis 3ur aufgeroenbeten : 
3 eit unb IKüfye all3uroenig bietet. I 

Unter biejen ©efichtspuntten mögen nun im folgenben bie 3roölf großen Dramen 
©rillpat3ers betrautet toerben. 

Don ber „BlanJa non Kaftilien" hat ber Dichter felbft bemerJt, baß et immer 
ben „Don Carlos" im fluge hatte, bem |ie barin nadjfte^t, baß ißt ber große politij^e 
©efidjtstreis fehlt, roeshalb fie 3 ur unoriginellen Ciebestragöbie herabfintt. Dabutd) 
roirb fie für ben Unterricht in jeher tjinfid^t wertlos. 

„Die flhnftau" Ienn 3 eid}net fiel} als Schidfalstragöbie. Diefe ga« 3 e ©attung 
ift eine fchriftftellerifche Ulißgeburt, roas neuerlich 3 u beroeifen man mit erfpaten 
toitb, unb h«t für unjere heutige Kultur nur IRufeumsroert. Deshalb famt jie für 
ben Schulbetcieb nicht in Betracht Jommen, 3 umal bei ©elegenheit her „Braut ton 
Ifleffina", menn nicht beim „König ©bipus" bes SophoIIes ausreidfenbe Kenntnijje 
über biefen 3rrroeg »ermittelt roerben Jönnen. 

fln ber ®ren 3 e bet Künftlertragöbie beroegt {ich bie fjanblung ber „Sappho“, 
in ber bet (Einfluß »on ©oethes „(Torquato ©affo", wie ja bet Dichter fi<h feö>ft ei»' 
geftanben hat, mit Rauben 3 U greifen ift. Sie bietet webet {tiliftifch etwas Heues, 1 
noch hat fie itgenbeinen et 3 ieherlichen IDert. fluch 3 ut ©rfenntnis ©riUpaQers 
trägt fie nichts bei, ba er in biefem U3er! {ich felbft noch nicht gefunben hatte. ^ 
liegt alfo Jein ©runb »or, ihr 3eit im Unterricht 3 U roibmen. 

Dasfelbe gilt oom „©oibenen Dlies". fluch biefes tDerJ ift ein Ausläufer 
ber beutfehen flaff^iftifchen ©ragöbie, beten befte Dertreter bet Schüler bereits lennt 
fluch öle Problemftellung: Sdpdfals* ober ©haratterbrama ift ber bes „IDallenftein 
ähnlich- Diefen flblehnungsgrünben fügt fich ein toeiterer an. ©rillpaqer f|at net' 
boten, bie „TTCebea" allein auf bet Bühne bar 3 uftellen, unb bas mit ©rünbect. Da 
biefe auch für ben Schulbetrieb maßgebenb finb, müßte bie gan 3 e Crilogie gelefen 
roerben, ein 3eitaufroanb, bet roahtlich beffer oerroertet roerben Jann. 

Utit „König ©ttotars ©lüd unb ©nbe" trat ber Dieter in ben Betete? 
ber htftorifchen ©ragöbie. Das IDerl bebeutet Schiller gegenüber, babutch baß « 
auf bem Kampf ber beiben ©runbfäße 3 nbioibualismus unb So3ialismus aufgd>ou 
ift, einen Sortfdjritt unb fetjt in beftimmter Richtung bie im „Prisen Don 
bürg" befchrittene Bahn fort. Dichterifche, oaterlänbifche unb bürgertunblich* * 
loden ebenfo 3ur Behanblung im Unterricht roie ber Umftanb, baß ©rillpar3« fu? 
in biefem JDetJ tatfächlid} »on Rachahmung befreit hat. „ 

Diefe (Ergebniffe fprechen aber nicht für ben „©reuen Dienet feines h eIt ”' 1 

benn hier finb fie fo auf bie Spitze getrieben, baß fie bie Jünftlerifdje XDtrJung, ^ 
©an3en beeinträchtigen. Der £aJonismus bet fjauptgeftalt beeinflußt bie Ulög w 
Jeit, ihr IDefen 3u ertennen, bie gefchidjtlichen Dorgänge feffeln roenig, ba f ,e *”j 
recht abgelegenes ©ebiet betreffen, unb ber 3 nbioibualismus, „bic Iieblid) en _ 
fühle", bie bodj auch ih* Uedjt haben, roerben »om Jategorifchen 3mperatfo ref 
niebergeftampft. Da bas »orher ermähnte U)erJ urt3roeifelhaft höh ct 1 
»otliegenbe aus3ufd}alten. 

Die RüdJehr 3um Jlafföiftifchen Drama, bie in „Des IKeeres unb ber £»< e 



Don «Eöroitt 3elln>efer 


649 

IDcIIcn" erfolgte, Iöfct gegen 6 iefe dragöbie bie (Eintoanbe, toelcfa gegen „Sappfa" 
un 6 öas „©olbene Dlies" erhoben tourben, erneuern. Das Stüd ift fdfladenrein unb 
non einem tounbetbaten inneren ©lan 3 erfünt, aber ber Stil ift bem Spüler oet* 
traut, es ift eine Spätblüte oon größter Sdjönfait in einer 3eit, bie fdjon ein gan 3 
anberes £ebensgefüijl befaft. Daju bietet fidj nodj eine mir urtübenoinblid] etfdjei* 
nenbe S^toierigleit im Unterricht. (Es fanbeit fid? um bie Befptecfang ber Dorgänge 
3 toifcfan bem britten unb oierten flufeug unb bie (Erflärung bes Scfatfbebürfniffes 
faros 3 U Beginn bes oierten unb ifaes (Einfdfafens am (Enbe besfelben Altes. Der 
£efaet fann nicht fagen, bafj in ber Attpaufe bie £iebenben einanber beitoofaen, 
er lann es aber auch nicht ber Pfantafie ber IDiffenben anfaimfteHen unb bie Un* 
toiffenben im Dunlel Iaffen ober glatt belügen. Befonbets aus biefem ©tunb ent* 
3 iefa fidj bas tDetl ber Sc^utbefanblung. 

Reue IDege befdjritt ©rillpat 3 et in bem draumftüd „Der üraum, ein £eben". 
(Es ermöglicht äußerlich formal bie bramatifdje IDirlung fpanifefar Jamben 3 u be* 
obadjten, eine Btögficfaeit, toelche 3 ur Befanblung ber „Afafrau" nicht genügenb 
Utfa^e ift. Weiterhin ift es ber ©nljeitspunlt, in bem bie £inien bes öeutfdjen Dolls* 
ftüds 3 ufammenlaufen, unb fchliefclich 3 eigt es in ber Kunftform bes Dramas jenes 
peffinriftifefa quietiftifche £ebensgefül}l, bas ber Biebermeie^eit eignet, im ©egenfatj . 
3 u bem optimiftifefan ber Haffifchen (Epoche. Unterridjtlidje Sdjroierigleiten bieten fich 
leine, fo bafj es in bie 3al?I ber 3 u betraefaenben IDerle aufgenommen toerben lann. 

Dasfelbe gilt oon „IDeh bem, ber lügt!" 3 unä<hft liegt hier ein £uftfpiel 
oor, unb ber Titangel ber beutfefan Dichtung an folgen Iäfet es toünfchenstoert er* 
fdjeinen, jebe ©elegenfait, ein foidjes 3 U lefen, au$ 3 unüt)en. TD eiteren ift es für bie 
(Erlenntnis ber 3 toiefpaItigen Seele bes Dieters ungemein len^eidjnenb, unb fdjliefe« 
Iit^ finb feine überaus großen etfadjen tDerte nicht aufoer Betragt 3 U Iaffen. übet* 
faupt eignen fi<h bie lebten IDerle ©rillpa^ers oiel efar 3 ur Sd^ulbefanblung als 
bie 3 ugenbftüde. 

So bietet „(Ein Brubet 3 toift in fjabsburg" butdj bie ©faralteriftil Ru* 
bolfs II. ein toertoolles ©egenftüd 3 um „Öttolar" unb eine ausge 3 eid?nete <Einfüh= 
tung in Schillers „IDallenftein", toenn es auch auf SdjrDterigleiten ftojjen toirb, bas 
Drama an ber ifat babutch ettoachfenen Stelle 3 U lefen. Diefes (Einfügen in bie £el* 
tüte Schillers toitb baburd? um fo fchtoieriger, als ber realiftifcfa Stil ©rillpat 3 ers 
aus bem IDefen ber Sturm* unb Drangperiobe nicht motioiert toerben lann unb fomit 
unbegrünbet mitten in bem ober oor bem ibealiftifefan Stil Schillers in ber £uft fdjtoebt. 

Sdjroierigleiten anberer Art, toenn auch leine unüberroinbli^en, 3 eitigt bie 
Befanblung ber „3übin oon dolebo". Sie ift toie ber „fjomburg“, toie „Der 
Sraum, ein £eben" ein © 3 iefangsftüd unb bietet bie fjanbfabe 3 U fejual*et^ifdjer 
Austoertung. Keine Stelle hübet ein foldjes Ijinbernis, toie bie in „faro unb £ean* 
ber" ange 3 ogene, unb bodj toirb mancher £efaer oor ber 3 etglieberung bes d^aralters 
bet Rafal unb ifaer Be 3 iefang 3 U Alfonfo, toie oor ber Begrünbung oon beffen 
IDanblung oor feinen Spülern 3 utüdfdjteden. Alles lommt ^ier auf bie Perjon 
bes £efaers, oiel auf bie Artung ber betreffenben Klaffe an. 3 ft biefe fefa reif unb 
ber £efaet befähigt, aud? faille dfamen 3 U befanbeln, bann toirb er fidj an bie „ 3 übin" 
toagen lömten. Dor einer unreifen Klaffe in ben fjänben eines ungetoanbten £efaers 
®itb bas Stüd 3 m £üge ober 3 ur Karilatur. Dafe aber bie fltöglidjleit oorfanben 



650 


(Beißige 3ugenbn>ei|r 


ift, ftd} in fe£ual=ettjijcf}et f)inficht weite (Btcnjen 3 U fteden, h<rt Paul ©töbel in feinet 
„Sejualpäöagogif" bis in bie praftifdjen ©Übelheiten gezeigt. 

©s erübrigt nunmehr nur noch ein Streifblid auf bie „Cibuffa". DiejesIDeii 
oermittelt nicht nur wefentlidje Kenntniffe übet bas Seelenleben ©rillptngers, fon« 
betn es oertritt auch bie Ijarmonifdje Bereinigung bet ©igenfdjaften bes bebauten» 
ben unb tätigen ITIenfdjentums. Daneben wirb bas Ptoblem ber ©he aufgeiollt, 
unb biefes 3 U beljanbeln bietet ber Schule bestatt gtofee Schwierigfeiten, weil ben 
3öglingen in biefer tjinfidjt jebe (Erfahrung fehlt. Detjelbe Umftanb fpridjt bann 
fpäter aud} gegen bie £ettüre oon fjebbels „fjerobes unb Dlariamne" unb oielet Dta* 
men 3bfens. Aber fur 3 erljanb ablehnen glaube i<h bie Behanblung bes ©heproblems, 
wenn idj fie auch für oerfrüht halte, nicht 3 U bürfen. 

$affen mir nun 3 ufammen, fo ergibt fid) für bie £eftüre ©riüpat 3 ers, baf; non ben 
3 mölf Dramen überhaupt nur jechs in Betracht fommen lönnen, unb biefe fedjs 
beden fid} feinesmegs mit ben am meiften gelefenen. ©s finb „©ttofar“, „Der Staunt, 
ein £eben", „XDeh bem, bet lügt!", „Brubet 30 )ift", „ 3 übin" unb „übuffa". Don 
biefen flehen breien gar leine Bebenten entgegen: „©ttofat", „©raum, ein £eben“ 
unb „IDeh bem, bet lügt!". 

Doch >ft unter Umftänben befonbers außerhalb ©fterreichs auch biefe 3 a ^ n0 ^ 

3 u gtofe, unb eine engere tDahl tut not. 3 dj glaube, bafe bann bas £uftfpiel an erfte I 
Stelle rüden müftte, ba fein fünftlerifcher unb etlicher IDert größer ift als bet bes 
„©ttofar", welcher als 3 weite$ Drama in Betracht fäme. Als brittes folgte bas 
©raumfpiel. Ciebhaber, unb auch biefe haben in bet Schule ihren Platj, weil fie iu s 
folge ihrer Ciebe beftimmte IDerfe beffer als allgemeiner gerichtete Haturen ausju* 
werten oerfteljen, Ciebhaber tonnen bann immerhin 3 U ben btei Ha^lafewerlen ©tili* 
pat 3 ers greifen. 

©eiftige ^ugenötoetyr. ! 

Don cSeorg Bofenthal in gürftenroalbe (Spree). 

Als $ührer ber $ürftenu>alber 3ugenbmehr, im befonberen bet 3ugenbfompaguü 
meines ©gmnafiums, habe ich etfennen fönnen, wieoiel wettoolle Ktaft in unfetet 
3ugenb 3 u fpäterem Dorteile ber (Sefamtheit, gleichseitig 3 U augenblicfUch CT 
aller Beteiligten in Bewegung gefegt werben lann. Aber gerabe biefe ©rfenntnis h a 
mich in biefen ©agen, wo fortgefe^t Reformoorfchläge für bie Umgeftaltung unfetet 
höheren Schulen nach bem Kriege auftauchen, tniebet 3 U einem Befinnen auf bie Weite 
geführt, bie 3ungbeutf<hlanb geiftig ftarl machen. £ernt unb lehrt, was ih * tB0 * ■ 

Der 3ungroehrmann bient in Reih un b ©lieb nicht auf feine fünftige Sonberwaff* 
hin; er fudjt nichts weiter, als bah er in ben (Seift bes Solbaten einbringe 
foll er nicht Solbat fein, benn ba 3 u reichen Kraft unb Umficht noch aus ' a < 
folbatifche 3ucht in ihrer Heiligung bes gefamten £ebens, ftrenge Dis 3 iplin un & ( un ’ 
bebingte (Senauigfeit in ber ©rfüüung fleinfter Bewegungen unb Aufgaben fou f« 
junges £eben unb Denfen aufs atlerftärtfte beeinfluffen. So rufen wir baneben *e 
geiftige 3ugenbweht auf, fidj 3 um fpäteren Dienft für bie (Sefamtheit je# f(h on & et 
3 u machen, an bet ©täfte ber 3eit bas eigene Derantwortlichfeitsgefühl 3 U weffen un 
3 u fteigem, mit gröberer $reubigleit barum an bie $otbetungen bes ©ages 3 « 9 e ? 



Don Georg Rofentljal 


651 


und ohne Rücffidjt auf Öen einftigen Sonderberuf den fommenden ganjen deutfchen 
Wann fdjon jet)t bilden 3 U Reifen. 3ungmannen heraus! 

3d} erfenne drei gleichwertige $ädjet oder $ächergruppen an: 1 . das Deut|dje; 
2 . die Sprayen; 3. die $ächer, die den Spüler [eine Umwelt oerftehen teuren (©td* 
funde, ZKathematif, Raturcbif [enfdjaften, ©efchichte). Rangunterfdjieöe unter diefen 
drei^töruppen dürfte es nicht geben. 

3d? fpredje hauptfächlich oon den oberen Klaffen. Dafe die Schüler diefer Klaffen 
i^te deutfchen Klaffifer fennen muffen, darüber lein tDort. flud} die 3 ufammenhänge 
der Sdjriftfteller untereinander, mit ihrem befonderen Dolfstum und mit fremden 
Siteraturen müffen richtig erfaßt fein, flbet fie müffen es auch fagen und darftellen 
fönnen, dafe fie es erfaßt haben; nid)t etroa in den acht fluffa^en, die fie jährlich an* 
fertigen, fondem täglich und ftündlich. Rieht, dafe man fie abfrage, fondem frei 
müffen fie fpredjen lernen — nidjt in auswendig gelernten Dorträgen, fondem Stunde 
um Stunde im flnfcfjlufe an das jüngft und notier Dageroefene in flarer, nicht ftocfender 
Sprache, ruhig und fachlich fich 3 um gefteltten ©hema äußern. Ridjt oom piatje aus, 
too fie ein 3 ig dem Center ins Äuge feljen, fondem oom Katheder aus oot der ©efamt* 
heit der Klaffe. 3um „Deutfchen" in der Schule gehört oorne^mlidj, dafe der Semende 
feine eigene Sprache Har und fidjer 3 U gebrauten oerftelje. Demgegenüber tritt ja 
alles 3 urüd: ob ich ein Drama mefjt oder wertiger lefe, einen Schriftfteller fpäterer 3eit 
hin 3 unehme oder roegtaffe. Aber über jeden Schriftfteller, den er tennen gelernt hat, 
mufe der Spüler das in oollet Beftimmtljeit miedergeben fönnen, toas er erarbeitet 
haben foll. 3 cder 3 eit mufe er imftande fein, — fei es im erften oder oierten Semefter 
oot der Reifeprüfung, fobald ihm nur das IDerf durch den Unterricht nahegebracht 
ift — über den Inhalt des Ribelungenliedes, der ©udrun fptechen 3 U fönnen, über 
die Be 3 iehungen Oalthers oon der Dogeltoeide 3 U Staat und Kirche, Suthers roichtigfte 
Profafchriften, Ceffings Kampf gegen das $ran 3 ofentum, Schillers grofje Sehre oom 
Primat des ©illens, ©oethe und Italien, den Begriff der „reinen Rlenfchlichleit" bei 
Klopftod, Schiller und ©oethe, über Irland als den Dichter deutfdjer ©reue und Selb* 
ftändigfeit. Über alle diefe ©hemen tu taufend Dariationen, die ihn immer tiefer in das 
IDefen der deutfchen Dichtung und des deutfchen 3 deaKsmus eindringen laffen. 3edet= 
3 eit! Denn roeil das tDiffen nicht angelernt, fondem tief erlebt ift, nicht in gormeln 
und 3 ahres 3 ahlen befteht, roeil es der Schüler oon Anfang an in der Klaffe felbftändig 
roieder 3 ugeben geroöhnt ift, bleibt es dauernder Befit). Uhland hat er 3 U lefen begon* 
nen mit 3 roei befonders charafteriftif^en ©edidjten: „Schenf oon Simburg" und „Des 
Knaben Berglied". Dann folgte „©ells ©od", „Die Rache" u. a. hier hat et den gan 3 en 
ühland: das fdjlichte fjeldentum felbftändiger, roahrhaft treuer RTenfchen. U)eil er 
die ©mndnote des Dichters femtt, erfaßt und behält et oiel leidster die anderen ©e* 
dichte. Uhlands ©edichte find ihm dann nicht ein Dieletlei, fondem ein simplex et 
unum, aus dem nur oerfchiedene ©rfcheinungsformen hetoorquellen. IDenn er den 
©tund 3 ug des ©harafters gefaxt hat, dann roerden fich die tjandlungen unter beftimm* 
ten Umftänden leichter übetfehen und in mündlicher Rede darftellen laffen. Und oiel 
eher roitd ihm das alles möglich fein, roenn er oon 3 ugenö auf hie* 3 u et 3 ogen roird, 
roenn in diefem Sinn eine jede der 30 wöchentlichen Sehrftunden 3 ur deutfchen 
Stunde erhoben roitd, roenn er geroöhnt roird, auch äie fleinften 3 ufammenhänge, 
ohne oom Seiftet unterbrochen 3 U roerden, oom Katheder aus oot 3 utragen! 3®, ohne 



602 ©eifrige 3ugenbwehr 

Dom oerbeffetnben Cehret unterbrochen 3 u toetben! Deffen KritilamSchlufebet 
Schülerleiftung wirb witlungsooller lein, als toenn er ben jungen $Iug bes Sprechenden 
forttDäbtenb lähmt. - Unb bann bie Somt bet Spraye! 3n immer jt^erer ©etbenbct 
Bebertf dmng bet (Tempora unb RTobi, in immer flarerer (Erlenntnis, welche Schönheiten 
unferer Sprache eigen jinb, toenn fie anbers als 5 . B. bie englifche Spraye bem Kon» 
junftio 3 u feinem eigentümlichen Rechte oerhilft. (Es ift eine reinfte Steube bes Lehrers, 
toenn er oon IDoche 3 u XDoche bie Dortragsübungen ferner Schüler feerer ©erben 
Hebt. Das 3 uerft furchtfame Auftreten unb bas ftocfenbe Sprechen fd?rmnöet. Der 
Sprecher freut fich, in bie Schranlen treten 3 u lönnen. Rem tene, verba sequen^r. 
Do* ber alte dato hat bei biefer Cehre nicht bas IDie bes Sprechens bebadfb De 
plumpen beutfchen Baren müffen weniger werben. Der Wann mufc fern Wort ft« 
geftalten lönnen. (Er foll feft ftehen unb bas (Erlannte Har unb fielet wteberjugeben 
wiffen. fjettfchaft über ben Körper unb bie Sprache mufe er bci ^ 1)ortta9C 
3 eitig ausübert. Das 3 u lehren ober oor 3 ubereiten, jebenfalls unablaffig 3 u forbem, 1 
Aufgabe ber Schule. 3n biefem Sinne — 3ungmannen heraus! 

Das 3 weite Celjtfach bieten bie Sprachen. IDelche, bas bleibt fid} 3 unäd)| g«<?* 
3 * fpredje nicht oon ber grammatifchen Schulung, ich roin fl icr nut DOtn 
teben. hierbei wirb nicht allein ber 3ntelleft, fonbetn 3 ugleich bet tnoralif^e IDtlte 
in ftarlfter IDeife in Bewegung gefegt. 3ch feije ootaus, bafe jebe Schule aas ® 
nis bet Sprachen, bie fie lehrt, burch ©rammatil unb unabläfftges Dojabellernetn 
fötbem fudjt. IDit ftehen oor bem Sd)riftfteller. 3ft bas etmübenbe (Erfaffenwe g 
3eilen in bet Stunbe, weniger Seiten im (Quartal bie rechte Dorberettung 3 ur 9«l 9 
Bereitfchaftfür bas £eben? Der ©eift bet Sprache, bes SchriftftellersunbfemesDo 
erfdjliefet fich mit nur, wenn ich bas oorgelegteBuch lefen lann! .... 

nut ben Schriftfteller, wenn ich ih n unbebingt wörtlich übetfeije. So wo *«!> 
bas Überfein bem littest bis auf ben Buchftaben anfchmiegt. Aber ootwa 
frifchem 3uge! Denn fonft finit leicht ber ITTut, bie Paufen werben oon IDott 3 « 
gröfjet, bet Sinn mit jebem Stoden bunHet. Dann tommt bet Beginn bei 
Iung ber Itlutterfprache unb 3 uglei<h bie furchtbare ©efaljt bet Unreblichlett. “119* 
ein Beifpiel aus ber lateinifchen Sprache heraus; lönnte es aber ebenfogut an a 
Sprachen 3 eigen. (Eaefar b. G. V, 44: 

Ex his Pulio, cum acerrime ad munitiones pugnaretur: ,.Qu^ 

Don biefen Pulio, als fehr heftig an ben Deifd}an 3 ungen gelämpft würbe: „w 

dubitas, inquit, Vorene? aut quem locum tuae probandae 
ttagft bu Bebenlen, fagte et, Dorenus? ober welchen Plaij beinet 3 u bewei|eno 

exspectas? hic dies de nostris controversiis iudicabit.“ ^ 
erworteft bu? Diefet dag übet unfete Streitigleiten et witb entfdjeiben. 

haec cum dixisset, procedit extra munitiones, quaeque pars 
Als et bies gejagt hatte, tüdte et not außerhalb bet Detf<han 3 ungen, unb wela}« 

hostium confertissima estvisa, in eam irrumpit. 
bet $einbe am bichteften etfdjien, in biefen brach et ein. 

Beim (Extemporieren, bem oor allem Sprachbetrieb ei^ieherifdjet Wert * nnc ®^ 
batf nut unter Umftanben bas tjauptoerbum bes 00 m Cehter ootgelefenen ^ 
oon feinet Stelle gerüdt unb oorher oerwenbet werben. 3ebes anbei« 



Von ©eorg Rofentljal 


653 


bleibt ftehen, unb fo unbeholfen aud) bas ©ebotene Hingen mag, es muß gewagt 
werben. Oer Spüler muß feinen tltut, feinen R)illen 3 eigen, toirHidj ber Reihe 
nach ohne Stocfen — aud) h^r ohne oom Cehret unterbrochen 3 U ©erben — 3 U 
fprechen. Selbft ©enn bas Öberfefcte falfch ift. Aber ©enn er burch energifches An* 
greifen ben Sah be 3 ©ungen hat, bann fpringt auch bie ©rfenntnis bes oielleicht Der* 
fehlten fchnell auf. nötigenfalls überfeßt er ben gleichen Sah 3 ©eimal hintereinanber. 
Der Primaner muß ebenfo feinen (Eicero unb ©acitus behanbeln, ©ie ber ©ertianer 
feinen ©äfar. 3mmer ©ieber erleben ©ir hier bas Sdjaufpiel, bah bie Schüler, ©ie 
oon einer öämonifchenRtacht ge 3 ogen, nach fpäter fommenben IDorten greifen, ©eil 
biefe 3 unächft oerftänblicher erfcheinen, aber fo burch ih rc unüberlegten Sprünge bas 
gan 3 e $elb oetlieren. Seit et©a 3 ehn Jahren fämpfe ich bagegen an,—unb es gelingt. 
tDenn ©it ©rwachfenen felber ein f<h©ietiges Sahgefüge (auch im Deutfdjen) 3 U 
bearbeiten haben, ©ir lefen fotgfam R)ort um R)ort unb gemimten nur baburd? bas 
Derftänbnis. So lernen auch bie Kleinften lefen! Rieht erft oerftehen ©ollen 
unb bann überfehen! ©rft überfehen unb bann oerftehen! Ceibet bie 
beutfehe Sprache babei ©inbuhe, ©enn bet überfehte Sah f° arg h°4>rig Hingt? Rein! 
Der erfte Derfuch, ben Sah 3 U 3 ©ingen, ift ja nur bas ©erüft, bas ben eblen Bau ftüht; 
fobalb ich Üar fehe, breche ich bie ©erüftleiter ab. Unb bleibt mein ©örtliches über* 
fehen nicht bas ©jperiment einer Stunbe, fonbent ©itb 3 Ut une'rf<hütterli<hen ©emohn* 
heit, ©irb fie mir oon ber erften Überfehungsübung an aner 3 ogen, muh i<h oormärts 
unter allen Umftänben, ohne nach rechts unb linfs 3 U bliefen, bann ift ber Sieg mein, 
mein unter allen Umftänben. So lerne ich auch mehr unb mehr ben ©eift unb bie 
Ausbrudsroeife ber ftemben Sprache erfaffen unb meine beutfehe Sprache 3 eigt je 
länger je mehr neben bem ftemben Bilbe ihr ©ahtes ©eficht. Je entfdjiebener 3 ©ei 
Dinge auseinanbergehalten ©erben, um fo fchärfer prägt fid? jebe ©igenart bem Be* 
obachter ein. 3m Anfang ber Annalen bes ©acitus heißt es: urbem Romam a principio 
reges habuere = Die Stabt Rom haben im Anfänge Könige gehabt; libertatem et 
consulatum Brutus instituit... Die fdjlichte, natürliche ©mpfinbung gewinnt baraus 
fofort bie U)enbung: 3n Rom ©ar bie Detfaffung im Anfang monatchifch • • • Rieht 
aus ungenauen, unroörtlichen Überfehungen gewinne ich Kraft für meine überfeßung 
ins Deutfche, fonbent aus bem reinen, ungetrübten Derftänbnis bes ©ejtes. Umgefehrt 
lann ich leichter aisbann ein freies Deutfeh auf feine lateinifche $otm 3 utüdfühten 
unb tann bie bas Deutfche gefährbenben Übungsbücher aus bem Schulbetriebe aus* 
meinen. 3ch oerfaffe feit längerer 3 eit überhaupt feine ©jtemporalien mehr, fonbern 
lege beutfehe ©ejte beutfeher Schriftfteller 00 t. 1 ) Dor allem aber gewinnt ber Schüler 
£uft am Schriftfteller unb lieft gern unb gut 200 fjomeroerfe in ber Stunbe unb brei 
bis fedjs profafeiten (b. i. ©örtlich; bie Rachübetfeßung fpäter bient bet beutfehen 
Spraye), ©ft fann man hierbei auch 3 um Cefen nur in ber Utfptache übergehen unb 
auf bas Überfehen oet 3 i<hten. ©ebruefte präparationen? Schaubetnb benfe ich es » baß 
es noch beutfehe Schüler gibt, bie auf biefen armfeligften aHer Krücfen einherfchleichen. 
Die Schüler, bie]in bem oben angegebenen Sinne arbeiten, finb bie geiftige Jugenbwehr, 

1) 3m lebten Jahre habe ich u. a. bie Dorrebe unb bas 22. Stücf bes „Caofoon" (in 
Prima) überfeht unb Schillers Antrittsrebe. Die fogenannten probearbeiten habe ich aus 
©oethes 3talienifhet Reife, Schillers Dreißigjährigem Krieg, Rloltfes ©efeßiehte bet Krieges 
1870/71 genommen. 



654 


©eiftige 3ugen6roef)r. Don ffieorg Rofentljal 


bie uns bie Kämpfer für bas £eben abgeben roirb. Daneben abet getoinnt ifyc Deutjd) | 

eine götbetung, bie ihnen bas mübe Dabinj^Ieidjen niemals einbtingen wirb. 3 n 
biefem Sinne — 3 ungmannen heraus! 

3 n unfetet Umroelt follen uns bas richtige Augenmafe ©tbtunbe, IHat^ematii, 
ttaturroiffenfdaften, ®efd?idjte (in meiteftem Sinne) erfdliefeen. fltir unerflätlid), 
fragte mid neulidj auf einem Spa3ietgange einer bet bebeutenbften Phyfikt bet j 

©berlehrerfdaft Berlins, ob mitflid feinen Spülern aus ber IHatfjematit ein ©eroinn i 

für bas £eben erroadjfe? fllir unerflätlid —> bemt ber Stein bort, bas h ÖUS 
jener XDalb, biejer Stern fmb bodj crft in mein £eben eingejogen unb bafettft roitfjam, 
feit id, roenn audj oft nur unter ber Sdtoelle bes Bemufetfeins, ihren tatfädjli^en 
flbftanb oon mit in feiner tDedfelroirfung 3toifden Subjeft unb ©bjett empfinbe - 
gleidmie ber 3ungmehrmann bas taufenbmat burd®anberte ©elänbe erft begreift 
roenn et bas ©ntfemungsfdähen gelernt bat. Doller tflunber toirb bie tDelt um mid 
bleiben unb mid} 3ur (E^rfurdt 3toingen; aber ben Ablauf all bes Unexfotfd* 
liden fann id befdreiben lernen. Die einfadften Dinge muf} id befdreiben lernen, 
toieber in ftol3et Siderheit in meiner tltutterfprade. 3 d ftehe nidt an, einetUre 
Befdteibung einer Sad« in reinem Deutfd 3“ ben bödf* en 
leiftungen 3U tednen. tjier finb $orm, 3 nl}ait unb Perfönlid^fcit eins ge ! j 
tootben. Am Fimmel unb auf ber ©rbe mufe id mid 3uredtfinben tonnen, ber 
toten unb ber lebenben IDelt gegenüber, dt IDadstum unb IDetben erfaffen 
unb flat übetfdauen. ttidt toill id in bie ©rfdeinungsroelt fittlid® ® et * c 9 etDfl ' 
fam bineininterpretieren, ebenforoenig toie fie ber Künftler in fein Kunftoer 
plump abfidtlid hineinlegen foll; aber aus bet flar begriffenen ©rfdeinung ’ n °^ cn 
£ebensgebieten quillt mir ein heiliger Bom entgegen unb meclt e^rfürcdtigcs Staunen. 

So toirb jebe £el}rftunbe nidt nur eine beutfde Stunbe, fonbetn aud eine Keligions- 
ftunbe. „Rirgenbroo bürfen toit es gefdehen laffen", fagt fyrrnad in einer Rebe, „fotoei 
in unferen Kräften fteljt, bafe tDiffenfdaft gelehrt unb Bilbung oerbreitet ro« *> 
ohne bafe 3ugleid bas fittlide Selbftberoufetfein gefräftigt, bie innere 3 u I atmn{n ^ 
fung bet Perfönlidteit geftärtt unb bas £eben mit ©roigteitsgeljalt erfüllt roirb • •• 
mit bet Derbreitung ber Kenntniffe unb ber tDiffenfdaft haben toit taum bie fyW 
unferer Aufgabe getan. tDenn toit es nidt oermögen, auf ben fittlid cn 3 u P an ^ y 1 ”' 
bietoir unterridten, ein3uroirfen, fo betreiben mir eine gefähtlid c Sad e -“~ 3 e & c yy 1 ’ 
ftunbe foll frudtbar roerben nidt nur für bie Ausbilbung bes Sdül ets i™ ® eu W efl ' 
fonbetn audj für feine fittlide geftigung. Kant ftellt in biefem Sinne 3®ei fjeterogen 
Dinge 3ufammen: ben geftimten Ijimmel über mir unb bas motalifd e ® e W ' n nn *' , 
Aud bet ©enius, ber bie ©efdidte in neue Bahnen 3mingt, ift eine flatuterjd emu Jy j 

ein Dolt nidt minber als ein organifdes ©emäds ober ein burd Reoolution tn i 

ffiefe entftehenbes Stüd ©rbobetfläde. Diefe grofeen 3 ufammenhan 3 c W en 
ridtig, flat unb fdlidt befdreiben 3U lönnen, madt ben £emenben 3um . 

tig unb bilbet aus ber ©emeinfdaft ber £emenben bie geiftige 3ugenbmeljr, ine 
für bas £eben brauden. . 

Der griebe, ber in bem größeren Deutfdlanb roohnen mitb, ber ®itb, 1 ® * 
mir oft, aud eine anbete Sdule bringen. Dergeffen mir 3unädft n '^' a jL { . 
alte Sdule bie Rtänner untermiefen hat, bie im gelbe ober baheim beni wj 
bis ie%t geroonnen haben. Unfer Dolt mirb folbatifder benn je metben. ® 1C 



£iteraturberid)t: Oie Oorffaffiter. Don (E^eobor Matthias 655 

6en alten Germanen mufe fchon bie 3ugenbet3te^ung eine militärifdje werben. 3n 
tiefem Sinne ift bie 3 ugenöroehr geraffen worben. Aber ihr 3m Seite trete bie geiftige 
3 ugenbwehr, bie nicht nur burcfj bas R)as bes Stoffes, jonbem auch burcf? bas tDie 
ber Behanblung bie fiinftigen Cebensfolbaten fdjult, fie not allem mit reinem Deutfeh* 
tum erfüllt, bie Phtafe Ralfen lehrt, bas Können fraftooll 3U weden fudjt unb unfete 
eigenartige unb allgemeine Umwelt begreifen lehrt. (Beroife werben |idj fpäter ein3elne 
Stunben nerfdjieben. Das Oeutfcfje wirb un3weifelhaft in allen Klaffenftufen mehr 
Stunben erhalten müffen. Denn nicht nur 3um richtigen, fo oft fo arg oemach* 
lä|figten Cefentönnen, bet Dorftufe bes tintigen Hebens, müffen wir 3 eit gewinnen, 
fonbem auch um bie unenblidje tDeite unferes Dolfstums 3U erfaßen unb ben Umfang 
aller unferer beutfdjen Stubien 3U nertiefen. Uber es gibt im fjeere nicht nur eine 
U)affe. Alle IDaffen arbeiten 3ufammen, um ben Sieg 3U et3wingen. Doch über ber 
Sonberwaffe fteht ber folbatifehe (Beift. Oer Streit übet ben höheren ober geringeren 
U)ert biefer ober jener Schulart wirb nicht mehr mit £eibenfdjaft ausgefod^ten 
wetben bürfen. Oer nüchternen (Erwägung ift not allem Raum 3U geben, welche 
Schulart bei bet 3 ufammenfefeung bet Bürgerfchaft einer Stabt ober eines Stabtteiles 
bie 3wedmäfeigfte fei. Rur um eins mufe mit Ceibenfdjaft geftritten werben, bafe bie 
Schule eine beutfche Schule fei. So wirb auch über ben dummelpläfeen ber geifti* 
gen 3ugenbwehr ber alles einigenbe unb Üärenbe (Beift bet UJahrheit, ber dhrfurctjt, 
bie tiefe Gebe 3um Können unb bie helle greubebaran 3um Beften bes beutfdjen 
Dolfes ftehen müffen. 3n biefem Sinne — 3ungmannen heraus! 


£iteroturberid)te. 

Die Dorflaffifer. 

flnafreonti! unb §ain. Klopftod unb Ceffing. U)ielanb unb Ijetber. 

Sturm unb Orang. 

Don Sheobor Matthias in piauen i.O. 

3 ut ©efchichte ber Robinfonaben lägt fich Ceon Polad 1 )=^aatlem bie Berich* 
tigung eines Irrtums Lettners angelegen fein, ber auch öem im Oorjahr ange3eigten 
Ruffafe Branbls oerhängnisooll geworben war, als ob nämlich bet fjotlänbifche 
Robinfon ober bie Seltfame Cebenshiftorie Heinrich lEepels fchon 1721 erfdienen 
unb eine Rachahmung Defoes gewefen fei. datfächlich mufe es dejet heifeen unb ift 
beffen IDerf f<hon 1708 erfchienen unb im eigentlichen (Brunbmotio oielmeht eine 
fjauptquelle bes dnglänbets gewefen. 

IDolfgang S tamml et 2 ) ftellt bie nicht bidjtenben Rtitglieber bes fjairts 3ufammen 
unb würbigt barunter befonbers ben liebenswütbigen unb hilfreichen $reunb bes 
3 u>eibrüder 3 oh- griebr. fjahn, Karl flug. R)ilh. oon dlofen, namentlich nach Briefen 
unb Stammbuchblättem. (Er brudt ba3U bie oon dlofen, Dofe unb Rliller gemein* 
fam gefdjmiebete Patobie „gtühlingslieb eines gnäbigen gtäuleins" ab fowie einen 
Brief dlofens an Rliller doQ treffenber Urteile übet beffen „Briefwechfel breier a!a* 

1) Ceon Polad, ßaarlem, Dotbefoefehe Robinfonaben in ben Riebetlanben: GRMS. 
VI304—307. 

2) IDolf g. Stammlet, Karl fluguft IDilh. 0 . dlofen, 3 h<h r - f-b. b.U. XXVIII178/185. 



656 


£iteraturberi(f)t: Die Dorflaffiler 


bemifdjet $teunbe", worin bet Berfaffet bes Stegwatt einen gar nid)t Übeln ©öttinget 
Stubentenfpiegel gegeben hatte. 

©nem $reunbe bes Ijatns, Matthias Elaubius, ruibmet Stammlet 5 ) eine j 
inhaltreiche Schrift. 3m lebten Btertel mit literarijdjen Radreifen, 3 um guten Heil | 
aus neuet[d}lo{(enen Quellen gefüllt, gibt fie oon einem Dichter, bet immet nodi 
mit einigen Ciebetn bem Citetaturunterridjt bet Schule angehött, beffen Kenntnis j 
fid) im allgemeinen abet auf wenige fpridjwöttlidje IDenbungen oerflüdjtigt H ij 
mehr als’fie befQeiben oerfpricht: eine ©gänjung 3 U ^ctbfts ältetem Qerfe übet j 
ben IDanbsbedet Boten. Bis ins SptaQgewanb in bie flnjdjauung bet 3eit, > n b' e 1 
Ausbtuds* unb Sinnes®eife bes fQlidjt gaftfrohen Kaufes unb feines teilen Brief» 
wechfels getauft, ift es oielmeht ein reich ausgeführtes Bilb bes IDitlens unb Staffens 
bes trefflichen, immet pofitioet QtiftliQ wetbenben Dolfsjchriftftellets unb glüdlidjen 
fjausoaters. EDit erleben bie ©ttwidlung bes BtenfQen wie S^riftftellers mit, be» 
fommen bie uiel uetfQlungenen gäben in bie Jjanb, bie bet unetmübli^e Übetfe^ei 
unb E>ollset 3 ie^et, bet 3 U allen geiftigen ©töfeen bet 3 a^te 1770—1812 in Bejie^unü 
ftanb, in bie 3 ah* 3 ehnte bes geiftigen EDanbels oon bet AufBätung 3 Ut Romaniil 
gewoben hat; wir füllen uns otbentließ eingelaben, uns mitten im Kreis feinet 3 # 
teilen greunbe, ootan Klopftod unb Dof}, in feinem einfachen b e * ^ e '* ct fll,! 
geregtem ©efptädj 3 U ©änfebraten unb Rotwein mit niebet 3 ulaffen, unb 3 ulej}t bangen 
wir mit um bas ©tbe, als et mit ben Seinen 1814 00 t ben anrüdenben Preufjen unb 
Ruffen ben nur feiten oetlaffenen ZDoljnfitj taumen mufe. Der Detfajfet, bet bie 
Drudlegung feines Buches im Schützengraben abgefdjloffen hat, Ijat redjt: in bet 
Seljnfudjt nach innerem fjalt unb einheitlicher ©efinnung, nach Befreiung oon net- 
fladhenbet Dnternationalifierung unb ©leichmadjerei würbe niemanb beffet unb 
wütbiget benn Matthias ©aubius als geiftigen gühter 3 U beutfdjet ©efunbung 
ootangehen — wenigftens ben*oielen ähnlich ©eridjteten. 3 ebenfalls follte bas 
gleich wiffenfdjaftlich unb e^iehtid? anmutenbe Buch in feinet Sdjulbüchetei fehlen, 
um 3 ur $ötberung unb Stätlung fQliQt befinnfamer frommet ©emüter unter unfein 
Primanern, bie es auch h*ut noQ gibt, bargeteicht werben 3 U fönnen. 

Bon einem etwas altem ©efinnungsgenoffen, 3uftus Rtöfer, bietet Srijulje) 
eine glüdliche Auswahl bar. Durch bie Einleitung trefflich in bas Derftänbnis bes 
Schaffens unb IDitfens IRöfers einfühtenb, beleuchtet fie biefes witflich °®f e * 
©egenübet ähnlichen Schulauswahlen 3 eid}net fie fich befonbets butch bie Stüde un « 

HI—VI aus: Schreiben an ben fjertn Difar oon Saooyen, Übet bie beutfdjeSprach e 
unb £itetatur, Sechs Abfdjnitte aus bet ©snabtücfifchen ©efchidjte unb btei Briefe- 

mancherlei Betöffentlichungen bes Berichtsfahtes freifen um £effing- 
gefchmadoolle Snfeloetlagsauswahl aus £effings bes Archäologen £ehttneiftet®’ n 
mann, hat f ). Uhbe=»Betnaus B ) 3ufammengeftellt unb fchwungooll eingelee- 

3) IDoIfgang Stammlet, matthias ©aubius, Bet IDanbsbecfet Bothe. ®«JjJJ 
3 ut beutfehen £iteratur« unb ©eiftesgefchichte. Balle 1915, Bu*banblur.g bes W«l' 
haufes VIII unb 282 S. HL 6.—. 

4) 3uftus möfet, ©ine Auswahl aus feinen Schriften. ülit einet (Einleitung b eta “ 5 jj' 
oon^Dr. Rub. Schulje. Kempten u. München 1914, 3of. Köfelfdje Bud)h- 1788- 

1tJ ®)3° a <hint IDindelmann, Ausgewählte Sänften, ©ingeleitet oon herm® 1111 
9öe=Bernays. £eipjig, Snjetbüdjetei Rr. 130. 88 S. 0,50 Bl. 



Don £t)eoöor ITIatt^ias 


657 


Das fcfjon Öen IReifter oerfünbenbe gtühroer! „©ebanfen übet öie Radjahmung bet 
griedpfchen IDetle in 6er fltalerei unö Bilbhauerfunft" un6 öie ötei Deinen Auflage 
übet ©egenftänbe öet alten Kunft: (Erinnerung übet öie Betrachtung öet alten Kunft. 
Don öet ©rajie in IDerten öet Kunft. Betreibung öes lotfo im Betoebere 3U Rom. 
Der Herausgeber möchte 3U einem richtigeren, nicht in bloßer Be3iehung 3U ©oetfje 
unö Öen Ra3arenern gefehenen EDindelmann führen. Doll marmer (Empfinöung 
fieht er in öem ©efdjichtsfchteiber öet griechifchen Kunft mit feiner ootnehmen, 3U* 
glei^ h e ‘ter erfchloffenen unö männlich aufrechten ©efinnung einen unoetgleichlichen 
Helfer „3ut ©eminnung öet erfotöetlichen innerlichen IDahrhaftigteit, 3m geiftigen 
Befinnung, öie mir allen Hinöemiffen 3um Droh für unfete 3ugenö ertämpfen müffen 
unö öeren $lammen3eichen in hellem Schein auf3uIoöetn beginnen". 

Drei emftlich um öie (Enthüllung öer IDahtljeit bemühte Abhanblungen gelten 
£effings IDeltanfchauung oöet richtiger feinen jtenfeitsgeöanten. IHit ooller Behetr* 
fchung öer reichen roiffenf<haftli<hen £iteratur unö aus Kenntnis auch öet *m Drud 
noch nicht oeröffentlichten Seile öet umfänglichen Reimerusfchen Schrift ftellt ITCot} 6 ) 
erft öie ©runögeöanten öer „(E^iehung öes Rtenfchengefchlechtes" öar, öann öie 
öet alten felbft oon ©oe3e nicht mehr in allem gebilligten (Drthoöojie öes 17 . 3 al}r* 
hunöerts unö fdjliefelich öie öes Reimatus, unö öurch öiefen Detgleich lommt er 3U 
einem (Ergebnis, öas oor allem öas unmahrhaftige Derfteden raöifalfter IReinung 
unter chriftlicher RTasfe, mie es in lebtet 3 eit um eigener blenöenöer IDirfung roillen 
Ceffing mehrfach fdjulbgegeben mürbe, gar nicht beöatf, fonöern Öen ©hataftet öes 
ehrlichen IDahrheitsfuchers unangefochten läftt. Bei mancher Berührung mit Rei* 
maruserf^eint öanad} Seffing öoeh als öas, als mas er fid) gibt: als in IDahrheit öeffen 
Krititer unö in Öen $ragmenten öer Schilöhalter eines nicht orthoöofen lutherifcijen 
©hriftentums. IDohltuenö erblidt Zflofc in £ef|ings £eibni3ifd}er Umöeutung öer 
firchlichen £el}te öie Anöeutung öafür, bafe öer Pfarrersfohn öie ihm in feinet 3 ugenö 
liebgemoröenen öogmatifchen Begriffe nidjt fo ohne meiteres 3U oermerfen oermochte, 
fonöern fid} halb unberoufet 3u ihnen hmge3ogen fühlte. So geroife öer Detgleich 
öes Inhalts öer Schrift mit öer ftrenggläubigen Cehte begreifen laffe, öafe fid} öie 
Red}tgläubigteit oor jenem befreu3igte, fo geroife fcheint öem Detfaffer ©rof}’ Auf* 
faffung in öet Hempelfdjen Ausgabe, Ceffing habe mit öer Schrift in pofitioe Bahnen 
eingelenft, ridjtig roenigftens in öet öeutlicheren $affung: „ein3ulenten oerfucht". — 
©. $ittbogen 7 ) lommt in einer Kriti! öer Auffaffungen über Ceffings Dorftellungen 
oon öet TRetamorphofe feit Dilthey unö ©onr. Röfjlet bis heut 3u öem gleichen (Er* 
gebnis mie |d}on (Erid} Schmiö, Ceffing habe beiöen Dorfteilungen, öer öer (miebet* 
holten) (Erben* mie öer öer Höhetmanberung, ihren Sdjauplat} auf öer (Eröe gegeben. 
Dann oerfucht et eine eigene (Erflärung für Ceffings Bilö oon öiefer Höhermanberung 
unö finöet fie öarin, bafe Ceffing, gemeinfam mit öer Kitdjenlehte, an öer göttlichen 
(Einrichtung oon ©ut unö Böfe, £oljn unö Strafe feftgehalten, Himmel unö Hölle 
aber feinerfeits nicht als fenfeitige <BrtIid}feiten, fonöern als Seelen3uftänöe auf* 

6) Rloh, £e|fings (E^iehung öes Hlenfchengefchlechts in ihrem Derhältnis 3 um Syftem 
öet proteftantif<h*Iutherif(hen ©rthoöojrie einet* u. 3 um Rationalismus öet Reimarusfchen 
Schuhfhrift anöerfeits. 3B. öer Realfdjule an öet Bogenftrafee 3U Hamburg. 1914 . Rr. 1060 . 

7) ©. Sittbogen, Ceffings flnfdjauungen über öie Seelentoanöerung. GRMS. VI 
( 1914 ), 632 — 655 . 

3cltfd|r. f 6.6cutfd)tn UnttrrtCftt 29.3al)r9. tO. fjtft 


42 



658 


£iteratutbeiid)t: Die Dorflaffifer 


gefaxt habe. — ©nblich möchte A.Denede 8 ) bie Stage nach Ceffings Stellung ;u 
Spinoja, bie trot} oielfachet (Erörterung noch nicht endgültig entjdjieöert ijt, einet 
joldjen £öfung 3ufül}ten. Hadj Sorgfältigem Derhöt ebenfo ber 3eitgenö|fifd|eit 
RTitfpieler in bem für RTenbelsfohn befanntlich töblich ausgeljenben Drama oie bei 
heroorragenbften miffenfchaftlichen (Erörterungen barüber tommt bet Derfajjet ju 
bem Sdjlufe: IfTag 3 acobi toieber auf Spino3a hingemiefen unb baburdj bie PP* 
fophie in neue Bahnen gelentt unb bie Aufflärung abgefcfjloffen haben, mag et felbjt 
oon ben beiben Kämpfern um £effings Spino3ismus bet ftärfere geroejen (ein: bas 
Recht fteht bo<h auf RTenbelsfohns Seite. £. mar fein 3Ünftiger Spinojijt, fteüidj 
mar et ebenforoenig ein $reunb ber flachen Aufflärung. 

Die ©runbrichtung in £e|fings unb feines oorgenannten Steunbes Denlen unb 
©un, ben TIoletatQgebanfen, beljanbelt Alfreb tDolff 9 ). (Er leitet bie jatjungs : 
gemäfe auf btei Drudbogen befdjränfte Schrift mit einer genetifcfjen Begriffsbeftitn* 
mung bet brei Stufen bet HoIeran3 ein: Dulbung aus bem Bebürfnis unoerm# 
li^en 3 ujammenlebens, bähet mit bem beleibigenben Beigefdjmad ber ©nabe gegen 
ben TEieferfteljenben; Dulbung als regulierenbes Prwyip bes fojialen Haushaltes jut 
Dorbereitung für eine fommenbe ©leidjberedjtigung ber Rtenfchen untereinanbet; 
enblich pofitio bie Achtung, bie ber eine oor bem anbem, eine ©emeinfcbaft not tat 
anbetn hat unb in ber bie Pflege bet einen (Eigenart ebenfo anerfennensroert unb 
für bie ©efamtheit förderlich erjcheint als bie ber anbetn. Dann mitbin einem gtoV 
3ügigen Übetblid biefen brei Stufen oon ben 3 uben bes Altertums unb ben 
©riechen unb Römern übet bas RTittelalter hinmeg bis 3m Aufflärung nadjgegangen- 
Die lebten 3toei Bogen ftellen ber Aufgabe gemäfe bie ©ntroidtung bes Holetanj- 
gebanfens für bie 3 eit RTenbelsfohns ( 1729 — 1786 ) bat, roie fie jich m ben gefamten 
literarifchen <Er3eugniffen oon leifen Anllängen bei ©ottfdjeb butch bie ©ageslüeta t 
ber EDochenfchriften, 3 eitromane unb *bühnenftüde fomie theologifctjen Polemten 
bis 3m fjöhe oon £effings Rathan ergibt unb mit RTenbelsfohns Süfriftftellerei w 
£eben auch ih lcn Abfchlufe finbet, ohne oon ben fdjmachen Radiplänfeleien e 
©eorg Sdjlofjets ober Pfarrer Sprangers (Der RTönch 00m £ibanon) in bet fiegreiajen 


Durchfetjung unb Detmirflichung noch gehemmt roerben 3U fönnen. 

Die oerhältnismäfcig fpäte IDirfung £effings auf $tiebri<h Sdjlegel beha* 1 
3 otjanna Krüger 10 ), inbem fie nach $eftftellung ber üatfache bie $rü<^te ®c 
bie bataus für Schlegels Schaffen entfproffen finb. .. 

Aufflärung unb (Empfinbfamfeit mehen uns glei<h3eitig entgegen aus emet 
öffentlidjung oon 3infe unb £eit$mann 11 ), bie uns hauptfächlid? 3 U utl l cin 


i 




8 ) Arthur Denede, £effings Spinojismus, 3eit(cht. f. b. b. U. XXVIH (191), 

807—823. _ 

9) Alfreb tDolff, Der Holeranjgcöartfe in ber beutfchen öteratur 3 UI 3*** „ 

fohns (gehont mit bem 1. Preis ber RTenbetsfohmlloleranjftiftung). Berlin 1915, am 
Rtüller. 48 S. RT. 1,—. , 1Q1 , fl|t , 

10 ) 3oh. Krüger, Stiebrich Schlegels Befehtung 3 U £effing. IDeimar • 

Duncfet. XI u. 100 S. IR. 3,60. .. mflI , n 

11) ©eorg Sotfters (Tagebücher, fjerausg. oon Paul 3i n Te u - ^"1 

XLV u. 436 S. B. Behts Derlag, $tiebrich Scöbetfen 1914. ©n 3 elpreis uj. •> ^ 
ITT. 11 ,—. Subffriptionspreis Rt. 9 ,— (DeutfAe £it.=Denfma!e bes 18. u. 19. Jo? 

Hl. S-29.) 1 1 



Don tlljeobor ntati^ias ggg 

bünbeten an ber Donau unb auf ben ruffifchen Kriegsfchauplah führt. Drei (Lage* 
büdjet öes erften beutfehen IDeltumfeglers finö es, bie aus ben tOeimarer unb aus 
im Befitj Seemanns befinblichen Jenaer fjanbfdjriften forgfältig herausgegeben 
|inb. Das erfte, ein Brudjftüd in englifcher Spraye aus bem 3afyre 1777, enthält 
fluf 3 eidjnungen übet eine Reife bes 23 jährigen Raturforfdjers oon £onbon nad? 
Paris; bas 3 u>eite aus bem 3atyre 1784 oerbudjt feine Reife »on Kaffei öurcf) öfter* 
reidt nach IDilna in polnifdje Dienfte, unb bas britte oom 3ahte 1785 behanbelt bie 
Reife, bie gorfter nach ©öttingen unternahm, um feine Braut, bie Tochter bes be* 
tannten Philologen heyne, nach feinet polnifchen XDirtungsftätte nadtfuholen, wieber 
ein befdjeibenes Bruchftüd, wähtenb bas 3 weite nicht toeniger als 230 Seiten um* 
fafet. Da bie beiben beutfehen Tagebücher wefentlid} nur Sa<hoetmetle enthalten, 
bie erft fpater fdjriftftellerifd? oerroertet unb tünftlerifd} ausgeftaltet toetben follten, 
finb fie ftofflich um fo reichhaltiger, namentlich für bie ®eiftesgefchichte bes auf* 
fläterifch angeregten Derfehrs aller gebilbeten Kreife, namentlich Prags unb EOiens, 
im jofefinifchen 3eitalter. 3umal es gorfter fertig brachte, bie alten Be 3 iehungen 
3 u ben Rofenfreu 3 ern, berentwegen et hoch Kaffei oerliefj, mit benen 3 u ben gtei* 
mauetlogen allerorten wie 3 U ben 3 efuiten 3 u oerbinben, fo fehlt wirtlich taum 
ein nennenswerter ®eift bet Donaulanbe unter ben Dermerfen über feinen näheren 
Derlehr, unb wir fehen ®elehrte unb Abel, Priefter unb fürftliche hetren in buntem 
Reigen oorübet 3 iehen, einen ®rafen Thun an ber Spifce einer ®rofeloge. Aber über 
jenen 3eitwert hinaus gewinnen bie Tagebücher auch ©egenroartsbebeutung in ihrer 
Be 3 eugung inniger geiftiger Be 3 iehungen 3 wifdjen bem beutfehen Rorbweften unb 
bem füböftlichen Donaubeutfchlanb wie bes ewig gleich jämmerlichen Kultmguftanbs 
Polens, oon beffen [extern König wir $orfter ebenfo gut empfangen fehen wie oon 
Kaifer 3ofef II. Dem Tejt geht eine Darftellung oon gorfters £eben unb IDirlen 
in ben 3aljten biefer Tagebücher ooran, wäljrenb ein fnappet fprachlicher, ein fehr 
ausführlicher unb inhaltreicher fachlicher Kommentar unb ein Perfonenoet 3 ei<hnis 
folgen unb bie bantenswerte Ausgabe butefj (Erleichterung ihrer Benu^ung um fo 
wertootler machen. 

$ür ben güljrer bes Sturmes unb Dranges, 3oh- ®ottfr. herber, fei nur nach* 
geholt, bafc beffen grofee Rtonumentalausgabe oon Bernh. Suphan mit bem 14. unb 
33. Banbe ihren Abfchlufe gefunben hat, let$terer burd? Reinholb Steigs 12 ), erfterer 
burch hie Ijilfc ©tto h°ffntanns (f 1903). Hoch aus ber gebet bes unglücflichen 
Suphan bietet bet 14. Banb bie lange fehnlidj oermifjte 3 weite hälfte ber 3been 
bar mit einem über 200 Seiten ftarlen Anhang, ber in ben erften 3 wei Dritteln 3u= 
fä^e unb Rachträge, Aus 3 üge aus hetöets Sammlungen, Entwürfe unb Au$ 3 üge 
aus oerwanbten IDetfen, 3 . B. 0 . Tinfiebets „3been", enthält unb bamit bie quellen* 
mäßige Unterlage bilbet 3 U einer Darftellung bes allmählichen JDadjfens unb Reifens 
bes gewaltigen IDerfes. 3m lebten Diertel gibt Suphan biefe Darftellung felber, 
inbem er bie Dorftufen unb Dorarbeiten unb fein allmähliches fjeranroachfen nach 
(Entwürfen unb Sammlungen beleuchtet unb h«*hers (Eigentum baran feftftellt, 
unb enblidf auf ®runb bet erft oon ihm georbneten unb oollftänbig getonnten gan 3 en 
hanbfchriftlid; en Schäle unb bähet 3 um Teil unter Berichtigungen hayms bie Aus* 

12) hetbers Sämtliche tDerte. fjetausg. oon Bernh. Suphan. 14. Bö. 1909. 
33. Bb. 1913. Berlin, IDeibmann. 710 u. VII u. 246 S. IK. 9,— u. 5,—. 


42* 



660 


Citeraturberidjt: Die Dotffo|fifer. Don Ifjeobor UTattfjias 


geftaltung bes EDerfes befjanöelt. Abfdjliefeenbe Bemerfungen gelten befonbeis ber 
EDütbigung non ©oetljes Anteil an betn EDerte, namentlich an bet enögültigen 
gafjung bes elften unb 3 roeiten ©eiles, foroie oom 3 roeiten ©eil an bet ebenfalls toidp 
tigen Anteilnahme Knebels, bet he^lid) anttieb unb bann als fritifdjet £efet ben bei* 
feite gettetenen ©oethe erfetjte. Der 33. Banb Bereinigt Bad;träge 3 um 29. unb 
31. Banbe unb eine 3eittafel, ein Petfonentegiftet unb eines bet Sämtlichen ffieti« 
noch aus Suphatts unb A. ljoffmanns gebet mit Rad) trägen 3 um 5., 29. unb 31. Banbe, 
foroie DerooUftänbigungen jener De^eidptiffe aus ber gebet Steigs als bes abfdjliefeen= 
ben Herausgebers. Die Rad) träge finb namentlich: „©in ®pfet ben ©ratien heilig 
aus bet Rigaer 3cit nach Alt non carmen saeculare, fünf ©ebidjte an bi« 

fjet3ogin Cuife; bie Ptebigt für bas Dantfeft bei ber ©ebutt eines ©tbptntjen, bie 
Iateinifche Abljanblung De Spiritu sancto auctore salutis humanae für hetbeis 
©rbinatsprüfung oom Juni 1767; 3 U>ei Re 3 enfionen aus bem EDanbsbedet Boten unb 
btei aus ben granffurter ©elehrten An3eigen, eine Überfidjt für Konfitmanbensotbetei- 
tungen unb eine Anroeifung an bie ©eiftlichen bes EDeimarifchen fjer 3 ogtums, benttn 1 
fungen ber fran3öfifchen Reoolution beftimmt unb unauffällig entgegen 3 U mitten. Stnb, 
fo bequem 3 ut H<mb gerücft, biefe ©tgän 3 ungen 3 um Bilbe h^ers ^odjtDiUtomTnen, 
fo helfen bieDeigeichmfje einem bringenben Bebütfnis ab, inbem fie erft bie geroalng« 
Bänbeteihe bet gtofjen fjetbetausgabe 3ugleid} fdjnell unb fichet benutzbar machen, 
©ine gtünblidje erfte ©inführung bet Schulet in Art unb IDefen bes Stunn« 5 


unb Dranges 3 u ermöglichen, hat K. ©tebner 18 ) im Auge mit feinen ® ueue "^ , 
barüber. Unter ben tjuuptübetfdjtiften: Die ©riginalgenies unter fi«h» Oer «nW 
Rouffeaus, Aftljetifch*litetatifche 3iele, Derhältnis bet ©efchledjtet, Auft fl lN9f" 
Dol! unb fjerrfchertum, finb namentlich aus Reibers fritifchen Schriften, ®o ! 
Dichtung unb EDahrheit foroie namentlich aus feinen unb anbern Sturm* unb 
bramen Stellen 3ufammengeftellt für eine nicht auf äftljetifchen ©enufe, jonbcrn a ^ 
Herausarbeitung bet leitenben 3been ab 3 ielenbe flteraturbetradjtung, bie in *9* 
fätjen unb Berührungen, unb roäre es in ber fejuellen Auftlärung, 3 uglei<h aud) 
©egenroart Kärenb unb roarnenb bienftbar gemacht roerben tarnt. 01« ^ us ® 
»errät ben übetf^auenben Kenner. (frt 

DonRlahler*RtüIIer bietet®.^euer 14 ) eine oollftänbige Ausgabe ber 9 
mit einem fchön gefchriebenen Ceben baoon. Die Iiterarifch um bas bopp*« 8 J 
mehrte ©runblage für bie Beurteilung biefes 3byIIenbidjters ift an fi«h a e 
roert, unb bas neue Stücf „©hriftabenb" tommt ber 3cit aufs gIü<Bt#e iVX ^ 
mit beachtensroerten Antlängen beutfchnationaler ©efinnung. 

©inem RTitarbeiter fo gut an Caoaters Phyfiognomifdjen gragmenten nn 
Ricolais Allgemeiner Deutler Bibliothet, griebt. Arnolb Klocfenbting, w 
D). Stamml er 16 ) ein auffdjlufereiches Schriften. Durch reiche Belege unter 

13) Doigtlänbers Quellenbücher, Bb. 70: Sturm u. Drang. ÖJuellenftüde l^-. 

Reoolution ber ©rigirtalgerties.flusgeto. u. 3 ufammengeft.oonDr. K. dreb ne 1 .10 • ^ 

14) Rlahler*RtüUer, 3byllen. DoIIftänbige Ausgabe in 3 Bbn. mit P°rtr 
berbeigaben. fjetausg. oon ©scar Beuer. Ceipiig 1914, IDolff. LXXl u. < 

316S. m. 13,50, geb. 18- 

15) IDolfg. Stammler, griebr. Arnolb Klodenbring. ©in Beitrag jur ®«I“J 
geiftigen u. fojialen Gebens in hcmnooer (3eitfdjr. bes ^iftor. Dereins für nie 
oahrg. LXX1X, fj. 3). ©. ©eibel, tjannooer 1914, 35 S. Rt. 1,50. 



£iteraturberi<f)t 1914: Celtüre. Don Kotl CErelmer 


661 


Striae Deranf^aulidjt, toirb !ut 3 öas Ceben bes hochachtbaren RIannes (1742—1795) 
unb bann ausführlicher fein U)it!en in bem neben Hamburg bamals roichtigften 
geiftigen Rtittelpuntte Kieberfadjfens, fjannooer, gejeicfjnet. Als ein immer auf 
prattifdje Betätigung gerichteter HufHärer im beften Sinne entfaltete Klocfenbring 
hier ebenfo in Stellen bet Derroaltung toie als Ceiter unb roefentlich auch Derforger 
bes „fjannooerfchen IUagajins" bie fegensreichfte Sätigfeit, ben Rtittelftanb ebenfo 
geiftig 3 u heben roie ber allgemeinen tDo^Ifahrt, bet $ürforge für bie Armut (burch 
eine Art $ortbilbungsf<hule) unb ben Ausgleich ber (Segenfähe (<Eman 3 ipation ber 
3uben) 3 u bienen. Demgemäß ift bas leßte Drittel ber Schrift eine XDürbigung bet 
nicht fo fehr fchöngeiftigen als oollsroirtfchaftlichen Schriftftellerei bes RIannes unb 
feinet Rialen Betätigung. 

(Eberh. Sauet 16 ) führt in feiner (Salerie non Doltsliebern unb anbem oon ber 
Parifet Resolution toiberhallenben Äußerungen ber 3cit, bie großen Dichter aus* 
genommen, fchnell aus ben oon gleichem Sehnen burch 3 itterten 3eiten oot bet 
Resolution hinüber in bie biefe felbft begleitenben (Eteignifje auf beutfdjem Boben 
unb ihre Rachtoirfungen in 3 eiten, tno aus Begeifterung Abfcheu geroorben toar 
unb — bem Berichterftatter bas IDort nicht mehr 3 ufteht. 


£iteraturberid)t 1914. 

Ccfturc. 

Don Karl geebnet in Branbenburg. 

1. Kritifche nnb erläuientbe Schriften. 

Schopenhauers Heine piauberei über bie Ceftüre 1 ), bishet fchtoer 3 ugänglich, 
bürfte in bem gefdjmacfoollen Reubruct manchen £efer finben, toennfehon fich ber 
geiftoolle Philofoph babei 3 um Seil in etroas abliegenben unb perfönlichen Betrach* 
tungen ergeht. Das Befte gibt et im Sdjlußfapitel. 3©at finb biefe (Sebanfen längft 
Allgemeingut, aber fie oetbienen immer tsieber gelefen unb bel^igt 3 U roerben, 
3 umal toemt fie in fo geiftsoller, fefjarf 3 ugefchliffener Sorm bargeboten roerben. 

Die Ausfonbetung bes Cefeftoffes nach inbisibualiftifchen (Stunbfäßen hat roeitere 
Sortfchritte gemacht. Befonbere Beachtung oetbienen bie beiben oon Alfreb Kühne 
herausgegebenen Der 3 eichniffe für laufmämtifche Schulen. 2 ) Sie finb beibe entftanben 
im Anfcfjluß an bie Bugra unb geben ben -Inhalt bet beiben Büchereien roiebet, einer 
Schüler* unb einet Cehterbüdjetei, bie ber Deutfche Detbanb für bas taufmännifche 
Bilbungsroefen auf bet großen Sntemationalen Ausftellung in £eip 3 ig aufgeftellt 
hatte. Beibe Büchet ftimmen auch bar über überein, baß je nach bem Umfange btei 

16) (Eberh. Sauet, Die frat^öfifche Resolution oon 1789 in 3 eitgenöffifchen beutfdjen 
Slugfdjriften u. Dichtungen. IDeimar 1913, A. Duncfet. 89 S. RI. 3,60. (= Rlunders Sorfdjun* 
9 en 3 ur neueren £it.*(5efh. XLIV.) 

1) fl. Schopenhauer, übet £efen unb Bilbung. £eipjig, im 3nfeloerlag. 81 S. 
RT. 0,50. 

2) Dr. fllfreb Kühne, Derjeidjnis für £ehtetbüchereien taufmännifcher Schulen. 102S. 

Detf., Der 3 ei<hnis für Schülerbüchereien laufmännifcher Schulen. 64 S. £eip 3 ig 1914, 

B. ©. Seubner. Schriften bes Deutfchen Derbanbes für faufmännifches Bilbungsroefen, 
Bb. 49 u. 50, geh. je RI. 1,—. 



662 


titeraturberidjt 1914: Cettüre 


Arten non Büchereien oorausgefefet werben, eine grofee, eine mittlere unö eine Heine, 
unö bafe öie 3umeifung eines Buddes je nach feiner tDicfjtigfeit unö feinem Preife ent s 
fpredjenb erfolgt. Das Detjeichnis für £ehrerbüdjereien öürfte !aum feinesglei^en 
haben unö !ann fefjon öarum öes allgemeinen 3ntereffes fidjer fein. <Es macht leinen 
Anfprudj auf Dollftänbigfeit, aber toas es bringt, ift roertnoll. Sehr öanfensroert ei= 
fcheint öet Anhang: Citeratur füt-öie ©efdjmadsbilbung öes Kaufmanns. 3d?möchte 
nodj einen 3 tneiten empfehlen: Bücher für öie literarifche Bilöung ufw. Das Den 
3 eichnis für öie Schülerbüchereien hot eine hübfcfje Dorgefdjidjte. (Es tourte bei 
3 ahlteid}en pteufeifefjen Sadjfdjulen eine Umfrage oeranftaltet, inöem man Öen Sdw 
lern folgenöe beiöen $tagen norlegte: „IDeldjes Buch h®t 3 ljnen M s h et « m beflen 
gefallen? IDelches Buch möchten Sie in nadjfter 3eit am iiebften lefen?" Das im Don 
wort mitgeteilte (Ergebnis öiefer Umfrage roirft ein feljt beöeutfames öd|t auf öie 
3uftänöe unferer 3ugenöliteratur überhaupt. — Dor gan 3 neue Aufgaben hat & ct 
tDeltfrieg unfere literarifchen tDegroeifer geftellt. Dafe öie £a 3 arette ein ftarles £«fe* 
beöürfnis befunöen mürben, liefe fidj ja ermarten, aber balö erfdjöflen infolge öes 
langen Stellungstrieges öie gleichen TDünfcfje auch aus öem Sdjüfeengtaben an bet 
$ront, unö ebenfo äufeerte fidj bei manchem £anöfturmbatailIon, öem eine eintönige 
Beroachungsatbeit 3 ugefallen mar, öie Seljnfudjt nach einet unterhaltenöen £eftüre. 
lEaufenöe non opferroilligen fjänöen fpenöeten öaraufhin Büchet, neue unö alte, biie 
unö öünne, gute unö fdjledjte, aber roenn es auch an öet Ulajfe öes £efeftoffs nicht 
fehlte, fo liefe hoch öie (Ernte oft 3 U roünfdjen, roie es bei fo unerwartet grofeen unö 
ötingenöen Anfprücfjen gar nicht anöers fein tonnte. An 3 U oielen Stellen fehlte bi* 
fadjfunbige beratenöe fjanö. Selbft öie für öie Ktiegsbudjwodje im Deutfdjen Rei® 
(13.—15. 3uni) ausgegebenen Richtlinien blieben bei aller gemiffenhaften SocijP 
teit öoeh nur ein Uotbehelf. (Einen Detfudj, 3 unädjft mal einen Überblid über bie 
geeignete unö in Betragt tommenöe £iteratur 3 U geminnen, ftellt öie 130. glugfdfttft 
öes Düretbunöes 3 ) bat. (Es meröen einfach öie betannteften unö billigten Sammlung 
gen oon Öen IDiesbaöener Doltsbüchern bis 3 U £angemief<hes Blauen Büdjew^* 1 * 
genommen unö auf öas Brauchbarfte hin burchgeprüft. Dieles ift öabei noch 
fehen unö mufe bei einet 3meiten Auflage nachgeholt meröen, öenn öas Beöürfnis 
nach einem folgen Bezeichnte ift ohne 3 meifel nothanben unö öürfte mit öet läng** 
ren Dauer öes Krieges eher noch 3 unehmen. San 3 beifeite gelaffen h®t i* et ^ ctfl ^ 
gebet Retlams, Rteyers unöKürfchners billige Sammlungen, öie fürs §elö gcraöe p, 
befonöers eignen. Retlam hat fich felbft geholfen burdj 3 ufammenftellung »on Koup 
pagniebüchereien aus feinet Unioerfalbibliothef; aufeeröem hat er in einem MP 
„Büdjer im Sdjüfeengtaben" 4 ) neben nüfelidjen IDinten für öie Auswahl « 0(f ! 
hanö fonftiges ITtaterial übet Öen Bilöungs 3 uftanö unferer Selögtauen nieöetgeegt 
Der Kriegs 3 eit angepafet ift auch öas neufte Qeft öes betannten non BredjennW' 
herausgegebe nen $ühters burdj öie 3 ugenbliteratur 6 ). 3 n einet warm geft^tiebenen 

22S 3 rrt B 050 et Majorette unö Selötruppen. Rtündjen, ©eotg D.ID- 


1* f üt öic Sreunöe non ReHams Unioerfalbibliothel. Rr. 1. ,„ a 

5) Suhtet öurch öie 3ugenöliteratur. VII. fieft. Kriegsheft. 3ur Rtobilifieninguni 
jugenö» unö Doltsbibliothefen. Ritt einer Auswahl empfehlenswerter 3 ugenbfch# er1, 
m5* fUt ^ ib Ä l0t,?efD0t * tänöc ' Z ^ tet unö (Eltern, herausg. oonjof. Katlmann 
<her. Stuttgart, Derlag öes tathol. Schuloereins f. ö. Diöjefe Rothenburg. 84 5. ' 



Don Karl (Erebner 


663 


(Einleitung legt 6 er Herausgeber feine flbficfjten bat; er roiU 6 ie 3ugenb= unbDolfs* 
bibliothefen mobilifieten, um burch fie in biejet fdjroeren 3eit bas beutfehe Beroufctfein 
3 U jtärfen unb auch bie Daheimgebliebenen bie großen (Ereigniffe roütbig miterleben 
3 U (affen. So gibt et eine fadjbienlicfje 3ufammenftellung ber oorhanbenen nationalen 
Citeratur mit befonbeter Berücffichtigung bes <5ejd}idjtlidjen; bie infolge bes EDelt* 
trieges neu aufgefdjoffenen Schriften treten babei 3 urü<t, oor allem hanbelt es fidj 
um ben gebiegenen Beftanb aus ber 3eit oor bem Kriege, Auch bie anbeten EDiffens* 
gebiete finb entfptedjenb berücffidjtigt. 

Die roachfenben Angriffe auf bas Cefebudj, bie, befonbers oon Btemen ausgehenb, 
auf bie Abfdjaffung bes Cefebucfjes unb feinen (Etfatj butd) bie fogenannte Klaffeniettüre 
gan 3 er <Ein 3 eltoer!e hin 3 ielen, haben bie $reunbe unb Anhänger bes Cefebudjs 3 ur 
Derteibigung bes althergebrachten £ehrmittels auf ben plan gerufen. So hatSdjreiter 
feine Heine frifdje Schrift oerfafet 8 ), „um feinen Heil 3 ut (Ehrenrettung bes £efebud}s 
bei 3 utragen". (Er oerroirft bie Klaffenleftüte feinesroegs, toill fie aber auf bie oberen 
Klaffen befchtänft feljen. 3m übrigen folt „bas £efebudj auch fernerhin bie ©tunblage 
ber literatifchen (E^iehung fein, nicht bie endige, aber bie erfte unb bie hauptfächlichfte". 
Illit bet älteren unb neueren £iteratur gut oertraut, bei allem Gemperament befonnen 
im Urteil, trifft et in feinen Ausführungen grunbfählich bas Richtige. 3m ein 3 elnen 
geht et mit in ber Antoenbung bet beliebten äfthetifch s fritif<hen ITCafeftäbe bistoeilen 
3 U roeit, 3 . B. um nur einen Puntt hetaus 3 uhcben, toenn et auf bas entfehiebenfte bie 
Anlnüpfung oon ftüiftifchen, orthographifchen unb grammatifchen Übungen an bas 
profaifdje £efeftü<! oermirft. Am (Enbe ift bas £efebuch hoch nicht nur für bie äftljetifche 
(Befdjmacfsbilbung, fonbetn auch für bie ftiliftifd} 5 fprachlich c Schulung ba; ben letj* 
teren 3 roecf toieber einmal fchärfer 3 U betonen, halte ich für eine bringenbe 3 ufunftsauf» 
gäbe.—3m ©egenfat} 3 U Schreitet 3 eigen bie beiben öfterr eichif d?en Schulmänner 3 «i t e l * 
berger unb Battifta, bie gleichseitig bie £ebensbebingungen bes £efebu<hes einet 
genauen Durchprüfung unter 3 ogen haben 7 ), faft gar feine Berührung mit ben neuften 
päbagogifchen (Erörterungen im Reiche. Sie fufjen überroiegenb auf ®tto tDillmanns 
bibaftifchen Anfchauungen unb toeifen unter Berufung auf A. Rübe bem £efebucfj eine 
roeit umfaffenbete Aufgabe 3 U, roie fie bem herfömmlichen Bebürfnis bet Dolfsfdjule 
entfptidft. Sehr forgfältig roerben bie et 3 iehli<h en ©tunblagen unterfucht unb banach 
brei gtofee Stofffreife bes Dolfsfchullefebuches feftgeftellt: bas £eben ber fo 3 ialen 
Derbänbe, bas Raturleben unb bie (Erhebung 3 U (Bott. IDeitaus ben meiften Heil ber 
Schrift nimmt bet Hachroeis ber praftifefjen ©eftaltung an bem Wiener £efebuch oon 
Rieger*Steisfal ein. Don ber mobernen Kunftet 3 iehungsberoegung finbet fi<h in 
ben grunbfät$lichen (Erörterungen auch nicht ein IDort; in biefer Dernadjläffigung liegt 
ein offenfichtlicher mangel bes EDerlchens. IDenn roit auch h eu i c übet Kunft unb 
Schule fühlet benfen als oor 3 el)n 3 ahten, bie Hotroenbigteit unb Rütjlichleit bet 
Kunfter 3 iehungsberoegung läfjt fich bo<h nicht einfach oetleugnen. 3n mafeooller oer* 


6) ©tto Sdjreiter, Das £efebuch als (Brunblage ber literatifchen (Erjiehuttg. mit 
einem Anhang oon ber literatifchen tDeiterbilbung unfeter 3ugenb. £eip 3 tg, Julius Klinfharbt. 
54 S. m. 1,—. 

7) Das DolfsfchuQefebuch. Sein IDerben, feine (Brunblagen unb feine praftifche Det* 
toenbung. Don (Beorg 3eite(berger u. Cubroig Battifta. EDien, K. K. Schulbücher* 
Detlag. 147 S. (Beb. K. 1,90. 



664 


£iteraturberid}t 1914: Ceftüre 


nünftiget IDeife hat neuetbings ®. <5öfee bas (Ergebnis bes 3 ehnjährigen (5eöan!en= 
Jtreites gejogen 8 ) unb hierbei auf 3 roat befdjränftem Raum aud] über öie Beraub 5 
lung ber Iiteratijcfjen Kunftroerte in bet Schule bas tDejentlidje 3 ufammengeftellt. - 
Als ein (Ergebnis ber Kunfter 3 ieljungsbetr>egung !ann man bie Demütigung unfe 
rer bidjterijdjen Sdjulliteratur anfefjen, eine (Entroidlung, bie nod} lange nidit 
abgefdjloffen fein bürfte. 3u einem roidjtigen $örberet biefer Derjüngung i|l 
fjeinrich Dedelmann getuorben mit einem päbagogifdjen $ü^ter öurdj öie £ite= 
ratur bes 19.3af)tfyunberts, ber in ftar! nermehrter 3 toeiter Auflage Dorliegt. 9 ) D)as 
bet erften Auflage an Rtängeln anhaftete, Ijat bet Derfaffer, mit (Befdjicf ben Rat' 
fdjlägen ber Kritit folgenb, 3 U befeitigen gefudjt. Das fjauptaugenmerf Ijat er batauf 
gerichtet, bie Beifpiele 3 U »eroollftänbigen. tDäfjrenb bie erfte Auflage Ijiet nur einige 
tuillfürlidj ^erausgegtiffene Dichter unb EDerte auftoies, mitb jet)t in fortlaufenbet 
Reif?e bie gefamte Citeratur bes 19. 3al]rl)unberts oon ber Romantit bis 3 um Symbo= 
lismus burdjtuanbert. Dabei ift bie alte Dreiteilung nach Dichtungsarten, Eytif, Gpü 
unb Drama, beibefjalten, nur l?at fidj bie Derteilung 3 uungunften bes Dramas 
oerjdjoben, bas forooljl l;infiditlid] ber Seite^atjl roie nach ber 3ai)I ber befpto : 
djenen Dichter beträchtlich hinter ben beiben anberen Abteilungen 3 urüdfte^t. 
Dod; null idj bamit leinen Dorrourf gegen ben Derfaffer ausgejprodjen höben, glaubt 
oielmehr, bafe bies Derhältnis in ber literarifdien (Eigenart bes 19. ^abtbunöcils 
begrünbet ift, beffen fjauptftärfe £ieb unb (E^ählung roar. (Erfdjöpfenb aud) nur 
im Sinne ber Sdjulleitfäben ift bie jefet non Dedelmann gegebene Üb erficht not 
teinestoegs; fo nermiffe idj 3 . B. noch $ontane unb An 3 engruber. Derhaltnis' 
mäfjig geringe Deränberungen hat ber oorausgefchidte allgemeine Seil erfahren, grunö- 
fäfelich ift nichts geänbert, nur bie fprachliche $affung ift gelegentlid; oorfidjtiger uttb 
beffer ausgefeilt roorben. 3n biefem Punfte möchte id; für eine fünftige Auflage 
überhaupt 3 U einer grünblichen Radjptüfung raten; fo h Q t fiel? ber Ballabenbid)tet 
Bötties (offenbar irrtümlich für d. IRünchhaufen) auch öiesmal triebet S. 12 an» 
gefunben. 3e forgfältiger bas Buch and? in Kleinigleiten gearbeitet ift, um fo bejfer 
roitb es feine fchöne Aufgabe erfüllen. 3 m gan 3 en mufe man es in feiner neuen ®eftal 
3 u ben mertDollften Hilfsmitteln bes beutfchen Unterrichts 3 ählen, es ftedt eine $ü> lc 
non Kenntniffen, Steife unb Siebe barin, bie hoffentlich immer mehr bie gebühtenbe 
Benufeung erfahren. — Auf einen ein 3 elnen fpät geroürbigten Dichter tnill Sdjreitct 
mit feiner Stubie über IRörite 10 ) bie Scfjultoelt aufmertfam machen. (Er gibt einen 
„Ktan 3 non Dichtungen bes dlenetfu^bacher Pfarrers", bie fich für bie 3«9 en b ^ 
nen, „mit einigen IDinten für ihre Darbietung". Die Behanblung ift nicht feh r cin: 
bringenb; übetflüffige Ausfälle gegen ben Dichter Schiller gereichen auch nicht 5 UI 
(Empfehlung. 

Unter ben 3ahlreid;en (Erläuterungsfchriften nimmt bas Heine h e ü 1,0,1 


8) (Ein tritifdier ©ang burd) bie KunfterjiehungsbetDegung Don ©. ©oe^e. langen 
10130 , ^ermann Beyer unb Söhne. 76 S. RI. 1,—. päbagogifches Rlagajin Dt-579. 

• vÄ atur ^ es neunjehnten 3ahrhunberts im Deutfdjen Unterricht. ® nc _ .Td 
w U JIr m £l e 5 e ture Don Dr - heinrich Dedelmann. 3tDeite roefentlid? erweiterte fluflag - 
It 1n^ Öma, I nfd?e Bu( hhanblung. 517 S. ©eb. RI. 7,—. _ 

bm.J°L 4 c U w ö tRörüe für bie 3ugenb non ®tto Schreitet. (Eilenburg, d. ®U en 
lauer. 26 S. RI. 0,75. Sür Schule unb Selber Heft 18. 



Don Karl (Ereöner 


665 


Schmibt 11 ) burch {eine $rifche unö feine beroufcte Dernadjläffigung alles Ulethoben* 
3 toanges eine Sonberftellung ein. Schmibts 3iel ift, bie ©ebid?te für bie Kinber 3 U 
einem (Erlebnis 3 U machen, unb er fud}t bas oor allem auf 3 toei IDegen 3 U erteilen, 
burch eine fehr ausführliche (Einftimmung unb burd} einen guten Dortrag bes ©e* 
öidjtes. Dian lann bie Dotliebe füt biefe beiben D)ege einfeitig finben, aber man toitb 
3 ugeben müffen, bafj Schmibt es {ebenfalls oerfteht, feine Behanblung intereffant 3 U 
ma^en. Unter ben 17 behanbelten ©ebichten finb fehr oiele alte Bekannte, bie in 
jebem (Erläuterungsbuch toiebetlehten, a>ie bie Rache non Uhlanb, hauffs Ulorgenrot, 
Das (Erlernten oon Dogl u. ä., aber immer roieber toitb man oon feinet Art, roie er 
bie (Eigenart bes ©ebichtes 3 U erfaffen toeife, gefeffelt. (Er oetfährt eben teinesroegs 
pebantifdj, halb geht er 00 m Inhalt aus, halb non bet literarhiftorifchen (Entftehung, 
halb oon bem Sprachlichen. Seinen perjönlichen iEaft 3 eigt er in bet Behanblung oon 
©oetljes „©efunben"; es fehlt nur bie ©egenüberftellung bes heiöerösleins. 3 n 
bet Hat ift hier ein U)eg, bie Klaffe 3 um Dliterleben 3 U bringen; bas Problem bet äfthe* 
tifdjen ©infühlung, roie es neuetbings roieber 3 afpert 3 m (Erörterung geftellt 
hat 12 ), erfcheint auf glüdliche IDeife gelöft, nur fürchte ich, biefe IDeife toitb {ich nicht 
nachahmen laff en, toeil fie 3 U fehr oon ber et 3 ieherifchen Perfönlichfeit abhängt.—©an 3 
anberer Art finb bie „Beifpieleunb tDinfe" oon IDilhelm Coofe 13 ), toennfhon auch 
fie auf ben erften BKd aufs ftärtfte oon ber üblichen fchablonenmäfeigen 3 ute<htlegung 
bes Stoffes abroeichen. Das macht tooljl, bafj fie aus einer praftifhen CEätigfeit gan 3 
befonbetet Art hetoorgegangen finb, nämlich aus bem Unterricht in einer gemifcht* 
Sprachigen, beutfch^polnifdjen Dollsfchulflaffe. £oofe fudjt 3 unäd}ft bie £efeftüde 3 U 
gruppieren, unter einen einheitlichen ©efichtspuntt 3 U ftellen. Der leitenbe ©efidfts* 
punftin bem oorliegenben tjefte ift bie ©etreibeemte, hoch ift baraus nur ein Abfdjnitt 
ausführlich behanbelt: „Das ©etreibe toitb gefchnitten." Bei ber Behanblung ift es 
in erfter £inie auf eine möglichft oielfeitige lebenbige Beteiligung bet Kinber abgefeljen. 
Das ©elefene toitb bureh ben Sanbfaften, burch U)anbbilbet unb bur<h Sauftfffoen 
oeranfchaulicht, es toirb in Rebe unb ©egenrebe umgefe^t, es toitb oon ben Kinbern 
hanbelnb burch ©ebärben oorgeführt. 3n eingeflochtenen methobifchen Bemerfun* 
gen fe%t Coofe febesmal bas $ür unb IDibet auseinander. So roirtt bie Deine aus ben 
„UJtongtotoiijer Beftrebungen" hcroorgegangene Schrift fehr antegenb. — Unter 
ben größeren (Erläuterungsroerfen erfreut fich bas oon Cornberg herausgegebene 
gan 3 befonbetet Beliebtheit, toeil hier ©etoiffenhaftigfeit unb Date ruhige Sachlichkeit 
fich Bereinigen. Diefe Doqüge 3 eigt auch bas in neunter Auflage oorliegenbe britte 
heft bet Prä parationen 14 ), bas fieben hetoottagenbe £yri!er bes 19.3ahthunberts 

11) Das fficbidjt in ber Schule. (Ein Beitrag 3 U lebensoollem Unterricht oon Karl 
Robert Schmiöt. fieft I:©ebichteausbem£efebu<heberRlittelftufe. Düffelöorf, £.Schtoann, 
83 S. IR. 1,50. 

12 ) Das Problem ber äfihetifdjen (Einfühlung unb bie äfthetifhe (E^ieljung. Anregungen 
oon Reitor Jafpert. £angenfal 3 a, fjerm. Beyer u. Söhne. 28 S. Dl. 0,35. päbagogifdjes 
Rtaga 3 in heft 575. 

13) 3ut Behanblung poetifher unb profaifcher £efeftüde auf bet Unterftufe. Prattifche 
Beifpiele unb methobifhe IDinfe oon IDilhelm £oofe. Rtit 5 Abhebungen. Breslau, $er* 
binanb tjirt. 48 S. Kart. Dl. 1 ,—. 

14) Präparationen 3 U beutfhen ©ebichten. Rach herbartifhen ©runbfätjen ausgeatbei* 
tet oon Auguft Cornberg. Ausg. A. 3. fjeft: Rüdert, CEichenborff, dbamiffo, tjeine, £enau, 
Bteiligrath unb ©eibel. 9. Auflage. £angenfal 3 a, hetm. Beyer u. Söhne. 263 S. ©eh. Dl. 3,80. 



666 


£iteraturbericf)t 1914: £eftüre 


Bereinigt. Oie Deränbetungen finö unbeträchtlich. Abgefeljen oon einjelnett Stil* 
bejferungen jinb einige ©ebichte neu ^injugetommen unb bie CebensbUbet 
bet Dichtet überarbeitet. — Dagegen tommt Schuhs ©rläuterungstDerf, oon 
bem oorläufig ber erfte bie Poefie umfaffenbe Banb etfehienen 16 ) i(t, biesmal 
in oöllig umgearbeiteter neuer ©eftalt heraus. Dafe Detfe unb Ptoja getrennt 
roorben finb, fjat manches für fidj. Dafj bet literarifche Beftanb entfprec^enb 
ben mobernijierten £efebüd?ern oetjüngt roorben ift, roar eine Hohoenbigfeit, 
bodj fann bie Oerfüngung nach ber geringen flnjaljl mobetner Didjtemamen 
nur {ehr oorfidjtig gehanbljabt roorben fein, ©röfcere Anbetungen oermifje idj 
leibet ba, roo fie am nötigften roaten, in ber Behanblung bet Dichtungen felbjt. 
Die corausgefdjidte ©inleitung über bie unterridjtlidje Behanblung Hingt redjt gut 
unb oernünftig, aber roas Schuh bann roirtlich bietet, ift oft nut eine Hlaterialfamm* 
lung. Der Derfaffer ift belefen unb hat eine fltenge jufammengetragen, ©ueHenftüde 
unb roas anbere barübet ober baju gefdjtieben hoben, aber in bie (Eigenart bes einjeb 
nen ©ebidjtes bringt er trotj aller frönen Derbeugungen not ben Kunfterjieljem öod) 
nur feiten ein. — ©in neues Qilfsbuch, in erfter £inie für bie £el)tet an Präpatan5en> 
anftalten, hot ©eidj oerfafet. 16 ) Seine Behanblung bet ©ebichte jeid?net fidj ooraitbe* 
ren butd} Knappheit aus. Die Deponierung ift immer biefelbe, ohne Untetfdjieb, ob 
es fi<h um et3ählenbe ober epifche ©ebichte honbelt: ©runblage, ©runbgebante, 
©liebetung, Sach* unb tDortertlärung; bodj oerroahrt er fid} ausbrücHih öagegen, 
bafc biefe (Einteilung nun auch im Unterricht 3 ugrunbe gelegt roetbe. Die bei bet flu' 
orbnung unb (Einteilung bet ©ebichte befolgten ©tunbfähe finb mit ©eheitnttis ge» 
blieben, ©in über hunbert Seiten langer Anhang über bas IDidjtigfte aus ber beutf^en 
Poetit enthält not allem Beifpiele. 3ur tDieberljolung für Seminariften mag bas 
Buch nützlich fein.—Übetrafchenb fchnell iftStreubels bibaltif^e ©nfühtung in bie 
Dichtung ber Blittelftufe 17 ) neu aufgelegt roorben. Der Derfaffer hot nut einige fi? 
bidjte neu eingefügt, barunter Jjebbels „Aus ber Kinbheit" unb ©rnft IDebets „D)e 
ber Kleinen", ©benfo ift in bet neuen Auflage oon ©rupe*Pfaues profaftüdenbet 
Blittelftufe 18 ) nur roenig geänbert. ©ine An3ahl oeralteter £efeftüde routbe aus* 
gef (hieben unb burch neue roertoollere erfei)t. Dafe bie fur 3 e ü b er f i cfj tl i cd? ß B 
im allgemeinen bas Richtige getroffen hat, bafür fpridjt auch öer rafefje ©folg bes 
Buches. — ©efdjs Dorbereitungen finb nun auch für bie Blittelftufe in oöllig um- 


! 


I 

I 


): 


15) (Einführung in bas £efebuch für bie 0berftufe ber Dolfsfchulen. Unter 3^9^ 
legung ber in Rljeinlanb unb IDeftfalen eingeführten £efebü<het. (Erfter Battö: (&* 

Don £cyiren 3 Schuh. 3toeite nadj ber neuen Ausgabe ber Cefebüd^er umgearbeitete I 
oermehrte Auflage ber Behanblung bes £efebu*s in ©berflaffen. paberborn, 5« om#w 
Schöningh. 404 S. ©eh. Bl. 4,— . 

... Ifj) hüfsbuh 3ur Behanblung poetifher Stoffe (im Anfdjlub an bie Äebi^tfammtung 
für Praparanbenanftalten oon (Birarbet, Puls u. Reling. Don (Erich 5cich* £ art 9 en ' 

$. ©. £. ©refelet. 444 S. Bl. 3,50. 

17) Präparationen für ben Deutfchunterricht. Sünfter ©eit: Blittelftufe. ®eb>JJ 
behanblungenoonRubolf Streubel. 2. unb3.Auft. © tenoied u. £eip3*3. & 31(1,0 ' 

206 S. Bl. 2,70. ii 

a t J^?L äpatationen füt öcn Oeutfchunterriht. 3toeiter ©eil: Blittelftufe. jWWJJ'Jjf 
Anfhlufeftoffen oon B).©tupe unb R.pfaue. 3. u. 4. oermehrte unb oetbefferte huj 
©ftertoied u. £eip } ig, A. ID. 3idfelbt. 265 S. Bl. 3,-. 



Don Katt ©ebner 


667 


gearbeiteter $otm erfdjienett. 19 ) Die ©runbfätje finb biefelben geblieben toie bei bem 
im Dotjahte angejeigten (teil für bie ©berftufe. IDenn ber ffinbrud biesmal etooas 
günftiger ift, fo liegt bies toohl oorne^mlidj baran, bafe bie BeJpredjung 3 umeift, ber 
Altersstufe entfpredjenb, Jüt 3 et ift, gelegentlich roitö auch |o etroas toie ©emütstoärme 
fpürbat. 3m allgemeinen aber roirtt bie Beljanblung nüchtern unb formaliftijeh, 
trofc ber eingeftreuten mufiJalifehen unb bilblidjen Beigaben.—Hur äußerlich oettoanbt 
finb bie (Erläuterungen 3 U fjirts Cefebuch für bie PtoDin 3 Btanbenbutg, bie nunmehr 
3 um Abfdjluf} gefommen finb.* 0 ) Auch hier ift Anorbnung nach ben $ormaIftufen 
3 tDar 3 umeift innegehalten, inbejfen mit Sreiljeit angeroanbt. Dot allem ift jebodj 
bas Beftreben unoetfemtbat, bie in jeber Dichtung ftedenben Stimmungsroerte 
nicht öurch 3«tpflüdung bes Cefeftoffs 3 U 3 etftoren. Da bas IDert nur „Materialien 3 ur 
Behandlung ber Cefeftüde, 3 ufammengetragen non erfahrenen Schulmännern aus 
berPrajcis", geben a>ill, fo ift auf eine befonbete ©nftimmung oet 3 idjtet unb auch öa, 
too fie nahe gelegen hätte, finb nur fur 3 e Jjintoeife ba 3 u gegeben. Befonbers oielfeitig 
ift bagegen bie „Anroenbung" auf allen Stufen ausgeftaltet. Die Anorbnung gefdjieht 
in allen btei Bänden nach Öen Derfaffern. Dabei hätte man roenigftens auf bet ©ber* 
ftufe ein paar fut 3 e literaturgefchichtliche fjimoeife erroartet. Die budjhänbletifche 
Ausftattung bes tDertes ift Dot 3 Üglidj. 

Die immet roeiter toaehfenbe 3al?l öer literaturgefdjichtlichen fjilfsmittel legt 
3eugnis bafür ab, bafe man fidj in ber Schule nach ialpgehntelanger Demachläffigung 
gegenwärtig mit regem ©fer ben Aufgaben ber £iteraturgefch«hte 3 ugemenbet hat. 
Don einem neuen Bearbeiter ben oeränberten Bebürfniffen angepafjt ift Dietleins 
Heiner Ceitfaben. 21 ) Die ältere Citeratur ift gefügt unb bafür bie moberne eingehen* 
ber berüdfichtigt. Snbeffen forbert bie literarifdje Bewertung gelegentlich 3 u XDiber- 
fprüchen heraus, ©nen fo bebeutenben unb auch für bie Schule fo ergiebigen Dichter 
toie < 5 rillpat 3 er auf reichlich einet halben Seite ab 3 utun, ift felbft füt einen {^mächtigen 
Ceitfaben recht Jämmerlich unb um fo unerflärlidjer, wenn baneben einem unbebeu* 
tenben (Seifte toie bem oetgeffenen Dichter bet „be 3 auberten Rofe", ©enft Schule, 
bet gleiche Raum oerftattet toirb. Dringenb einet forgfältigen Überarbeitung bebarf 
bei einet neuen Auflage bet als ©nleitung gegebene Abtifj ber ITtetril unb Poetit; 
in feinet jet|igen $otm ift et eine Sammlung oon Schiefheiten unb UnJlarheiten unb 
fdjabet mehr als et nütjt. — ©ne neue ftattliche unb recht gebiegene Citeratut* 
gefdjidjte hat Johann (lernt) gefdjaffen, bie mir in 3 toei Ausgaben, einet für bie 


19) Dorbereitungen unb ©ntroürfe 3 Ut methobifchen Behanblung beutfeher Cefeftüde. 
3m Anfdjlufj an bie £efebü<het oon ©abriel unb Supprian für tDeftfalen, Düffelborf, bie 
Rheinprooin 3 unb bas Cefebudj füt roeftbeutfehe Mittelfchulen. Bearbeitet non p. tte[dj. 
Mittelftufe I. fünfte umgearbeitete Aufl. £eip 3 ig u. Bieiefelb, Delhagen u. Klafing. 191 S. 

nt. 2,—. 

20) ©läuterungen 3 U {amtlichen £efeftüden in 5- tjirts Deutfchem £efebuch. Ausgabe B 
füt bie Prooin 3 Branbenburg. Bearbeitet oon tDilh- Klempin, IDalther Kohl unb 
(Ebuarb Schlegel. Breslau, $erbinanb fjitt. ©fter ©eil ( 2 . u. 3. Schuljahr). 228 S. ©eb. 
M. 2,80. — jweiter ©eil (4. u. 5. Schuljahr) mit 11 KartenfJ^en. 336 S. ©eb. nt. 5,—. — 
Dritter ©eil ( 6 . bis 8 . Schuljahr) mit 23 KartenfÜ 33 en unb 2 Silbern. 452 S. ©eb. nt. 6,50. 

21) £eitfaben für ben Unterricht in beutfeher £iteraturfunbe. Mit Berüdfiehtigung bet 
poetifdjen ©attungen unb $otmen, herausg. ID. Dietlein. Döllig neu bearbeitei oon Prof, 
©tto Uüfcenabel. 15. Aufl. Altenburg, R. A. pierer. 160 S. ©eh-M. 1,20. 



668 


£Ueraturbert<f)t 1914: £eltüre 


höheren Knabenfchulen unö einer für öie RtäbchenUßeen, oorliegt. 22 ) Bciöe fc 
gaben unterfdjeiben fid? nur unmefentlid?. Die für Cyjeen ift ein Hein roenig ge!üt}t 
unb entbehrt Öen Anfang über öie hauptformen öer Dichtung. Seijt auffällig i(t öie 
Stoffoerteilung. Die Siteratur bis 1700 nimmt nod? nicht ein Diertel öes ®an;en, 
fnapp 80 Seiten ein. Dabei ift eigentlich nichts Beöeutenöes weggelaffen, öie erjte 
Blüteperioöe unö öie wichtige reformatorifdje 3 eit lommen öurdjaus 3 U intern Reite. 
3n öer flaffifdjen Dichtung geht detny infofetn neue tDege, als er bei SdjiUer (oroobl 
roie bei doetfje auf ein gefdjloffenes Bilö öes Sehens unö Schaffens oe^idjtet; öie 
3ugenö öer beiöen Dieter toirö in öem Sturm unö Drang mitbebanöelt, roabrenb 
beiöe in öer 3eit öer Reife „unter öem dinflufe öer Antite" 3 ujammengejtellt toetöen. 
Die fjälfte öes Budjes ift, roie öas bei Öen öfterteidpfdjen Büchern nun fdjon fyerföiw 
lief?, öer Siteratur öes 19. 3ahrf?unöerts geroiömet. Seljt öanfensioert ift öie beigege-- 
bene hübfdje Karte öes öeutfdjen Sprachgebietes; öie follte in unferen reidjsöeutfien 
Büef?ern auch häufiger fein. — 3n Öen herfömmlichen Bahnen geblieben ift £ipperts 
fjilfsbud? 23 ) auch ' n 6 er neuen oerbefferten Auflage. 3m degenfah 3 U Getny 9'^ ct 
nicht nur literatgefdji^tliche Betrachtungen, fonöetn fommt Öen unterricfjttichen Bf 
öütfniffen oielfach öurd? erläuternöe Bemertungen 3 U ein 3 elnen IDerlen, roie 3. B. 
bei Schillers ©eöicfjten, entgegen. „Das degebene regt entroeöer an, aufgejtellte 
Behauptungen öurd) Öen Didjtungstejt 3 U begrünöen, oöer es bietet tjanöreiAuna, 
fich Öen toirHieben 3nhalt überhaupt erft 3 U erarbeiten." Doch ift öas dan 3 e tafttoll, 
leinesroegs fchablonenmäfjig ausgeftaltet, öie öiöaftifchen Anroeifungen machen fi(t| 
nidjt 311 breit, öie Literaturgefdjidjte führt unö behält öie ©betfjanb. 3n öet neuen 
Auflage ift als Anhang ein drunbrif} öer beutfd?en Poetit unö Rletrif Ijinjugefiiat. - 
3n öer Anlage oerroanöt, aber weniger glüdlid) in öer Ausführung ift Kretj(d) m{15 
Einführung. 24 ) hier nehmen öie unterrichtlichen drläuterungen, öie Inhaltsangaben, 
öie Aufbauüberfid}ten ufto. annähernö öen gleichen Raum ein wie öie literargejd)i# 
lid?e Befpredjung; namentlich öie Dramen werben bis herunter 3 U Jjeyfes Kolbctg 
unö IDilöenbtuchs (Qui^ows mit befonöerer Siebe auseinanöetgenommen, roähtenö 
öie Romane unö Rooellen im Dergleid? öamit ftiefmütterlich behanöelt finö; offenbar 
h at fie öer Derfaffet nicht als ooll angefehen unö öarum auch dottfrieö Keller tafcb 
auf einer halben Seite abgetan. Hut Sdjeffel macht eine Ausnahme; oon feinem 
„drompeter" wirb eine Überficbt über Öen Aufbau, oon „dlfebatö" öie ©lieöetung 
gegeben. Die gleichen RTängel im Urteil finöen fich bei öer Auswahl öet Silben 
3umeift finö es Porträttöpfe, gut geörudt, aber fdjlecht angeorönet, ba 3 U tommen 
eine „Schulwanötarte 3 U Schillers IDilhelm dell", oiet tDanöbilöer Schnotts 3 ' iirT1 


, ) Die öeutfdje Dichtung. ©runÖ 3 Üge öer öeutjdjen uieraiuiy«|u/iufv«. 1 — • 
bdjulen oon Dr. 3ohann derny. IDien, 5 . dempsfy. — Ausgabe für ©ymnafien unö « 
Jajmen. mit einem Anhang „hauptformen öet Dichtung" ufro. 420 S. ©eb. K. 3,80-« 
gäbe für ofterreid)ifdie mäbchenlyjeen. 360 S. K. 3,50. 

. x 23 ) Deutfhe Dichtung, hilfsbud? für öie (Einführung in öie wichtigften ^fdjcinun 

öet öeutfdjen Itationalliteratur. Don SAuIrat Ruöolf Sippert. 3. oerbefferte fl 
Ceipjig ©uelle u. meyer. 207 u. 29 Seiten, ©eb. m. 2,40. , -. 

, . cV . n l u h run 9 tn öie öeutfehe Siteratur nebft einer Poetit. 5m höhere Schulen,'te? 
unöCehmmnenbilöungsonftdten, £y 3 een unö 3 um Seibftunterricht. Don Dr. Karl Kt« 
hanö'lung >C 286 S° ^ um9carbeitctc flu P- DIit Abbilöungen. fjabelfchcoeröt, Sranfes B' 




I 


Don Karl CEtebner 


669 


Hibelungenlieö ohne öic getingfte Angabe, felbft ohne ben Hamen bes Künftlers, 
enblid} eine ©ubtun am Hleere in ©humannfeher Art. — Denfelben ITCijdjtypus ya>v 
fdjen £itetaturgejd|id)te und (Etlüutetungstoetf oertritt bet £eitfaben oon (Eotne* 
lius. 86 ) <Et roill „bie michtigften £iteraturfragen beljanbeln, betanntere ©ebichte 
mit beten ©tunbgebanlen angeben unb hiermit jugleit^ bie Dispofitionen 3 U ein* 
fdjtagigen Auflagen oerbinben". So tommt es, bafj bie Übetfchriften übet bie <Ein 3 el* 
teile feljr häufig in einer $tagefotm auftteten, bie an bie Auffat(themata erinnert: 
„tDobutdj tüdt uns bet Dieter ben ^et 3 og Alba menf<hli<h nähet?" ober „Worauf 
gtünbet fi<h tDallenfteins ITCadjt?". ©s ift etflätlich, bafe bei einet berattigen Beljanb* 
lung bie Citeraturgefcfjidjte Dielfach 3 U !ut 3 tommen mufe. — Auch Bötti<her*Kin* 
3 eis Seitfaben 28 ) mufj 3 U biefet ©attung geregnet toetben, toennfehon Ijiet toie bei 
£ippert bie biöattifd)en 3utaten nut nebenjäc^li^et Art unb auf bie Wette ber 3 toeiten 
tlaffifehen Blüte 3 eit befchtänft finb. Das namentlich an höheren Spulen toeitoetbtei* 
tete Buch iP ftänbig oetbeffett toorben unb bähet fotoohl fachlich toie formal auf 
bet tjölje geblieben. Hut bie beiben lebten Kapitel übet bie £itetatut bet alletneuften 
3eit feit 1850 genügen heute nicht mehr, toebet toas bie (Einteilung noch toas öie Wütbi* 
gung bet Dieter anlangt. 3etjt ftehen ba nut leere Hamen. Statt beffen tut eine 
ausführliche unb einbringenbe Datftellung bet lebten literarifchen Strömungen not, 
n>ie fie oon oielen anbeten fjanbbüchem längft geboten toitb. 

©egenübet folget Detmifchung oon £iteraturgefchichte unb biba!tif<her 3etglie* 
betung tonnte es 3 unaehft als ein Dorteil fcheinen, roenn bie letztere, oon bet Oteratur* 
gefehlte losgelöft, als felbftänbiges Buch auftritt. Doch fteigen berattigen Schul* 
büchetn gegenübet toiebet folgenbe Bebenten auf: mufj nicht bie eben etft 3 U neuem 
£eben in bet Schule enoachte litetargefchi^tliche Betrachtung butch ein betartiges 
Derfahten toiebet in bie alte Htagbftellung 3 utüc!getoorfen toetben? unb u>ohin tommen 
toit, toas toitb aus ben tieferen, am ©nbe hoch allein loljnenben tDerten bei biefet 
immer mehr 3 unehmenben Htechanifietung bet aus £ettüte getoonnenen (Einbtücfe? 
Unter biefe beiben Bebenten fei bie Befptedjung bet folgenben tDetfe oon ootnhetein 
gefteUt. (Es ift taum 3 ufällig, bafj es oot allem bie Seminare finb, bie ein Bebürfnis 
nah berattigen tDieberhohmgsbüchetn 3 U haben fcheinen. Diejjtes Buch iP in bet 
neuen Auflage toefentlich abgeänbett unb ettoeitert.* 7 ) Das Schema „©liebetung, 
©tunbgebanlen, $otm" ift mannigfach ausgeftaltet; ©tunbmotio, ©tunbftimmung, 
hintoeife auf ben Dotttag finb hiiBugefommen. Dem metrifchen ift noch ein literat* 
hiftorif^er Anhang angefügt toorben. Hoch beffet gefallen mit in bet Ausarbeitung 
bie btei Bänbchen Schieis 88 ), bie ben Stoff gleich nach Seminatllaffen oerteilt haben. 

25) Ceitfaben bet beutfehen £iteraturgefehicbte in Aufgaben, $tagen unb Antworten 
unb mit Angabe bes Inhalts bet Dichtungen, jufammengeftellt oon Karl Cornelius. 
3meite, neubeatbeitete Aufl. oon ©. Bacffjaus. pabetbotn, Setbinanb Schöningh. 204 S. 
©eb. Itl. 2,80. 

26) ©efchidjte bet beutfehen £itetatut mit einem Abrife bet ®efdjid?te bet beutfehen 
Sprache nebft Bletrit unb Poetit, beatbeitet oon ©. Böttiehet unb K. Kinjel. 21.—25. oet* 
beffette Aufl. halle a. S., Buchhanblung bes Waifenljaufes. 204 S. Bl. 1,80. 

27) Die Poefie in bet Ptäparanbe. IDiebetholungs* unb Übungsbuh oon <E. Diente. 
5. Aufl., umgeatbeitet unb enoeitett oon ©ht. ©täntner. ©otha, 5- ©• ©hienetnamt. 
84 S. Katt. Bl. 2,—. 

28) Die beutjdje £eftüte im Seminar. (Ein XDiebethoIungsbud) für Seminaristen oon A b e l= 
bett Schiel. Pabetbotn, Setbinanb Schöningh-1. ©eil. 97 S. II. ©eil. 106 S. III.©eil 119S. 



670 


Mitteilungen 


Den breiteften Raum nehmen mit Recht bie Klaffifer ein. flufgefallen ijt mit aud) ^i« 
bie geringe Beachtung, bie bet guten bidjterifdjen Profa bes 19.3ai>tl}unbett$ je» , 
f^enft toirö. ©otthelf mitb gar nicht ermähnt, 2Key er mit fünf, Keilet gar nut mH oiei 
3eilen geftreift. 3n biefem Punfte fdjeint mit bie £eftüre bet Seminare feljr refotm- 
bebürftig. —- (Ein eigentümliches Buch, beffen praftifcher Rügen mit noch nicht reit 
einleuchtet, ift ©utfchfys $rage= unb flnttDortfpiel. 29 ) Die gan 3 e Citeratut 
iungen Deutfdjtanb bis 3 m Batonin 0 . fjonöeI=IRa 3 etti ift barin verarbeitet, jooiel id| ) 
fehe, mit einer ausreichenben Kenntnis bet Sache; aber bie Stagen geben übet ben 
IDiebethoIungsftoff unfern Rlittelfchulen bisweilen recht weit hinaus, fo, um tun 
einige an 3 ufühten: „IDelchen (Einflug übte tjcgel auf bas junge Deutfchlanb?" „HHe 
finb feines lyrifche Dichtungen 3 U beurteilen?" „Welches finb bie hauptgebanfen in ! 

Wagnerfcgen Kunfttheorie?" uftu. fluch mit feinen Werturteilen bürfte bet Detfajj« 
manchem Wibetfpruch begegnen. 3m allgemeinen fcheint mit bas Buh nüglihet 
in bet h«nb bes Cehtets als in bet bes Schülers 3 U fein.—Als „Rlatuta’Repetitoihnn' 
empfiehlt {ich «me honbliche Befptechung bet Schulbramen oon ®. $. 3ahn®°); boh 
bietet fie mehr, als bie wenig gefchmacfpolle flnpreifung oetfpridjt. Der etfte Ban4 
bringt äuget ben Werten bet beutfchen Klaffifet btei Dramen non Sophofles, neun 
uon Shatefpeate unb je eins von (Eutipibes, flriftophanes unb Calbeton. 3n guter 
Darftellung werben jebesmal huge Rachweife übet bie Ijouptpunfte gegeben: (Ent s 
ftehung, Dorgef<hi<hte, (Bang ber fjanblung, ©runbgebante unb fllottoe. Sonjt ijt 
jebe Schablonifietung oetmieben, jebes Drama für fid} aus feinen befonberen Bp 
bingungen heraus gewürbigt ohne Rüdficht auf feine bibaftifchen ober öramaturgifcbe« 
Sh c °ti«n. Soweit ich es nacfjptüfen tonnte, ift auch bie einfcfjlägige Citeratur mit 1 
Derftänbnis benugt. So bilbet bas Buch einen 3 uoetläffigen $ührer im Kleinen uni) | 
eignet fich vor allem als Radjfchlageroet! für bie häusliche Benugung bes Schülers. 


Mitteilungen. 

. , *!!!!” bet 3eit. Seiner non mir bereits ange 3 eigten Schrift: Krieg unb S^ulc 

??, Matthias eine 3 n)eite folgen laffen: Deutfcge Wehrhaft unb tommenbes ®p 

f?rn5! : * (£e, ^?V^ it3eI - ® e b- m - 1—•) «r nimmt Wehrhaft hier im aflgemeinjtenSiiin. 

Kr-«#x^c “"tf^oftlrhe unb teinfte Kraft bes Willens unb bes lobesmutes. HW b« 6 « 
b J< S ? aöen ' ö,e aud ! i*gt allenthalben an ber Kraft bes Dolfes nagen, aber auch mH 4«« 
K m « ,„ en an «nfere 3utunft mahnt er: „Auf bie Sahnen bes tünftigen beutln M» 
rLr x 6 " l°. nnc " “ ,r ab 3öeoIe fhteiben bie eiferne Rotroenöigteit bet (Erfüllung oon »«< 
SK*«* ^ m}e . nntlen Pehenben oaterlanbifhen Pflichten, bas flufgehen in einer gwjen 
ÄL? e r bis 3 um freitoilligen ©pfertob fürs Paterlanb, ben flusfdM l«4« n 

Äffm materiellen ©etoinns unb bie oolle Eingabe an bas höbe 3 bealunbP 

fieglnher Wehrhaft bes Körpers unb bes ©elftes." m n7ft , 

hefam+S 5“?? Boni ^ < Ktie 9 unö Dolfser 3 iehung. £eip 3 ig, Klinfharbt. ©eh-W- 0 -' 0 ' 
runn.W3« fojialem ©mpfinben: „mir brauchen bie fortfdjreitenbe Piff«eigP 
»£«*«?« Do J lsIör P er - um immer höhere 3 ioilifatorifche unb tulturelle Weriejug 
T—;j»irj>rauchen aber auch bei roeiterem gortfchreiten auf biefer ©ntroicflungsbahn m et ^ 

(Rn imÄ ® c T rf ? i fltc öer beutfdjen Citeratur feit ©oethes Hobe in Sragen unb flntroorten. 
©eb. 9 ^ D0 " roHbelm ®“tf<h!y. hübesheim, gran 3 Borgmeyer. 99 5. 

© tto 3 s i« onalytifcger Überficht. Bb. 1: Don Sophofles bis Schwer. Do» Dr ' 

t0 5> 3abn - £ct P3i9, ©• Sreytag. 329 S. ®eb. ITT. 2,80. 


ITIittetlungen 


671 


tcm IHa&e biejenigen Kräfte, welche 6 ie einzelnen Afle 6 es £ebensgeäbers 3 U einer unoer* 
brüchigen (Einheit oerbinben." IDir braunen eine (E^ie^ung für bas gan 3 e Dolf; barum 
follten unfere Spulen ein organifdjes ©an 3 es ausmachen, bas bifferen 3 iert fein müfete nach 
ben ©runbtypen ber menfdjlichen Begabung unb nach ben ©runbpfeilern ber objeftioen 
Kultur, währenb ber innere Betrieb aller allgemeinbilbenben Spulen auf wahre Bilbung (nicht 
auf IDiffen!), nid?t auf „Dor"*Bilbung ei^uftellen wäre." Befonbers aber brauchen wir 
eine beutle fjöljere Schule, bie Deutle e^ieht unb fid} oon bem Überwiegen bes $remben 
befreit. Unb eine männliche, lebenbejahenbe Bilbung, bie „ 00 m Stubenbenten 3 um £eben* 
benfen ^inüberfü^rt". 3ch !ann hier nur ein paar ©ebanfen aus ber prachtoollen Schrift her* 
ausgreifen. f)ier fämpft eine Perfönlichfeit für bie ©^ieljung oon Perfönlichfeiten. 

©ine urirflid} beutfd?e ©t 3 iehung — fie erhoffen toir. IDie ein fjodjgefang auf biefe 4r* 
3 ie^ung Hingen Jj. ©aubigs neue Begleitworte 3 U feinen bibaftifdjen Kefcereien (A. D. 1915. 
Ausblide in bie 3ufunft ber beutfdjen Schule. £eip 3 ig u. Berlin, B. ©. ©eubner. ©eh. 
1U. 0,60). Das Buch hat ehoas fynreifeenbes in feinem ftarten ©lauben an bie Kraft bes 
Dolfes, bie fidj nun enblid} eine beutfdje Schule (Raffen toirb. Sie foll — ©aubigs alter ©e* 
bante — bie Perfönlichfeit e^ieljen, bie ©igenwefenljeit als einen Inbegriff fid? wechfel* 
feitig bebingenber Kräfte, bie es 3 U entfalten gilt. Aber auch er wünfdjt bie Demichtung 
aller eigenartigen ©riebe unb bie ©^iehung 3 um görbern roertooller Allgemeitt 3 wede, 
toas erft roertoolles Petfonenleben e^ielt. Darum fei bie Schule eine Stätte bes ©rlebens in 
geiftiger unb geiftleiblicher Arbeit, aber auch in Spiel unb geier unb im Zehen ber ©erneut* 
fdjaft. — Die beutfdje perfönlichfeit foll fid? 3 unäd}ft einmal in bem beutfdjen ©eiftesleben 
feftgrünben, ehe fie fi<h an frembes ©eiftesleben hingibt. ©t 3 iehung für perfönlidjes £eben ift 
00 t allem ©^iehung für bas £eben in ber nationalen ©emeinfdjaft. Darum aber ift bas 
£eben bes beutfdjen Dolfes ber widftigfte Unterridjtsgegenftanb. „Das £eben roie es 
ift, roie es toar, unb — ich fdjeue mich nicht, es 3 U fagen: toie es fein wirb. Hur, bafe es bas 
£eben fei unb nicht etwas Abge 3 ogenes, ©otes." „©efchidjte bes beutfdjen £ebens, bas ift eine 
©runbforberung, bie uns bie 3ufunft erfüllen mu&." Hidjt mehr Bruchftüde, roie bisher. „Die 
toefentlidjen Bilbungselemente, bie ©lemente bes innerften Rings ber Bilbung, in bem fi<h 
bas eigene, bas perfönlidje Zehen unferer 3öglinge enttoidelt, müffen bem Zehen bes beut* 
fdjen Dolfes entflammen, müffen bas Deutfdjefte unferes Deutfd?tums fein" (nicht mehr grie* 
djifche ober gar römifdje, fra^öfifdje ober gar englifdje Bilbungsroerte). „Dann wäre auch 
bie wahre beutfdje ©inheitsfdjule gewonnen, nicht bie burd) 3 n>ang$organifation heraus* 
gefünftelte fogenannte „©inljeitsfchule", fonbern bie ©infjeitsfdjule, in bet bie ©leichheit bes 
3 entralen Bilbungsguts, ber wefentlichen Bilbungswerte übet alle organifatorifdje Derfdjie* 
benljeit hinüberträgt, in ber biefe ©leidjljeit ber am Snnerften unferer 3 ugenb arbeitenben 
Kräfte bas nationale ©inljeitsbewu&tfein fidlem hilft." Diefe Bilbung oerlangt als neue 
Scfyulwiffenfduften: Dolfswirtfdjaftsleijre, Staatsfunbe, PfyGeologie. Don alten gächern oer* 
ftärft bie ©efdfidjte. Unb ber beutfche Unterricht: „3dj oermute, wenn irgenbwelche Schul* 
meiftereien oetljinbern wollten, bafe biefer Unterricht, mit feiner oollen föniglichen XDürbe 
befleibet, ben Raum einnimmt, ber ihm unter ben gächern gebührt, bann entlübe fic^ nach 
bem Deutfcfjen Kriege ein oemidhtenber 3om." fjier Raum 3 um ©inleben ins Schrifttum, 3 U 
freitätiger Bewegung. Unb bannDerftänbnis unb Sinn unb©efühlfür bie gefprodjene Sprache, 
bas gan 3 e Sptad?Ieben unferer 3eit, feine „©rammatifterei". Auch bie anberen gädjer, Reli* 
9 ion, ^eimatfunbe, Phyfif ufw., alle haben bas eine 3id: bie beutfc^e Kultur oerfte^en 3 U 
lehren. Srembe Sprayen will©aubig nur foweit es ber praftifdhe 3®ed erfordert, 3 ulaffen: 
©riechifdh einer Beinen 3ahl befonbers begabter Schüler oorbehalten. 4t lehnt bie Bebeutung 
frember Sprachen für bas Derftänbnis ber UTutterfprache ab. 

Alles in allem: bewufet beutfche ©Qtehung. ©r 3 iehung, 3 um tätigen £eben inmitten 
unferes Dolfes. 

Daneben ©heobalb 3icgier. (Kriegspäbagogif unb 3ufunftspäbagogif. IHannheim, 
t?ahn u. © 0 . TH. 0,50.) Auch cr will ©^iefjung 3 um Staat, 3 um freiwilligen Dienen unb ba* 
mit 3 m Perfönlichfeit. Alles 3nbiotbualifieren lehnt er ab. Aber auch bie „neue Schule", ©r 
fämpft gegen bie Dorf chule unb für bieSimultanfchule, für bie©r 3 iehung 3 um Staat.unb mahnt, 
weiter3uftreben. Aber befremblich ift, bafe er gegen manches, was fidj an Selbftbefinnung regt, 
wettert unb hinter ben Auswüchfen ben guten Kern nicht fieht. ©ine Detmehtung ber beut* 



672 


mitteilungen 


fdjen Stunben lehnt er ab mit bet fabenfdjeinigen Begrünbuitg: „als ob nicht je# jdjonuide 
Center (ich gerabe am Deutfdjen nur all 3 ufehr oerfünbigten, meil fie mit ben toemgen ober 
oielert Stunben nichts Heftes anjufangen miffen; unb fie uergeffen, oieDei^t audjiniijter 
eigenen Praxis, bafe jebe Unterridjtsftunbe in einer beutfdjen Schule eine beutle ift obei 
menigftens feinfoü." Dann märe es bod* bas Befte, mir (Raffen ben überflüfjigenunb# 
ratenen Deutfchunterricht gan 3 ab. Dielleicht aber mollen mir uns lieber an 3iegleis antas 
fiingenbes IDort galten: „IDit mollen uns befinnen, mie mir es in bet 3 ufunft beffet unbimmet 
nodj beffer machen unb mie mir butdj unfere Arbeit an ber 3ugenb ba 3 U beitragen lömen, 
bafe mir nach bem Kriege ein neues Bol! merben unb hoch bas alte beutjdje Dolf bleiben . 8 

Unmittelbar nach 3icgler las ich einen Auffatj, ben ©ymnafialbirettor Dr.tjeeien 
(Biideburg) aus bem gelbe gefdjidt hat. (ITTonatsfchrift f. b<>h* Sd*. XIV, 1915 , fjeft5u.6. 
S. 229 ff.) 3dj jtelle bas tDefentliche hierher, mohlbemerft: nur als 3 ei(^en ber 3eit. fetter 
halte bie ©runbauffajfimg Heerens nicht für richtig. Heeren erflärt in einem Begleitbrief, oö 
© ntmurf !önne als Anfd?auung (einer Utitfämpfer gelten. ©t (elbjt (ei begeiferter humanst, 
aber bie f^errfdjaft bes Klaffoismus fei uorbei, als Zltittelpunft bes ©ymnafiums (eien M 
alten Sprachen nicht mehr 3 U galten; mit menigenStunben (ie 3 U friften, ©äre ein Unglut 
Darum feien (ie aus bem plane ber böseren Sdjule 3 U (treiben! , 

Ulit unfetem gegenmärtigen Sdjulmefen ift niemanb 3 ufrieben. überall iftijto*!# 
Kennen an Stelle bes Könnens getreten. Auf bem Papier eine Steigerung ber 3 idfwewn* 
gen, in IDirllichteit ein 3urüd(teden ber Sorberungen. Die Schule bat, bas ift feftjufteüen, 
für fein gadj uor 3 ubereiten, fonbern nur allen Spülern eine fiebere ffirunblage 3 U geben, ^ 
|i<h 3 U gebilbeten Rtenfchen herauf 3 uarbeiten, befonbers aber 3 um IDettbemerb unter oen 
Dollem gerieft 3 U machen. , h 

Hur bas £eben bes beutfdjen Dolles, mie es fieb nach bem großen Kriege geftaltcn mu , 
lann bie Aufgabe für bie Schule (teilen. 3ebe unfadjliche Rüdficht auf bas Alte wo 
bilbungen liefern. 3m Deutfchen ift ber ©runbfehlet bes gegenmärtigen Unternal 3 
befeitigen, bafc man £iteraturmer!e, bie für melterfabrene ©tmadjfene beftimmt P ö » 
Kinbem bebanbelt. 3tel überall bieBehetrfchung ber IHutterfpracbe, ba 3 U oiel freie Do 9 
unb Disputierübungen. Auffätje aus bem ©tfahrungsfreis bet Spüler, nicht übet ge \ 
H)er!e. Keine Klaffiter, für bie man £iebe ermeden mill, 3 U Auffäfcen mibbrauqen.betone 
fung ber grembmörter. , . ffl 

©efebiebte, ©rblunbe, Phyfit unb ©hemie merben Hauptfächer, JRathematH nw 
Htafe bes bisherigen ©ymnafiums. Befcbreibenbe Haturmiffenfdbaften unb Biologie 
Stufen, ©nglifch lebiglicb für ben prattifchen ffiebrauch, megen ber Auslcmbsinterejien irrni 
rung ins Rufjifche unb Spanifdje. $ran 3 Öfifcb unb £ateinifcb nur noch fafultatw, 
unb Hebtäifcb ber Unioerfität 3 U übermeifen. 3eicbnen auf allen Stufen obligatonjty 
gen mit Ausmenbiglernen ber £ieber. Auf allen Stufen Hanbfettigfettsuitfew 

HTag man ficb 3 U Öen ein 3 elnen Ausführungen ber befptoebenen Auffäfce ftcllen, miemem 
mill: alle finb fid? einig, bafe mir nach bem grieben eine befonbers eifrige Arbeit an oer^ 
unb für fie entfalten müffen, alle betonen bas ©inleben in bie ©egenmart, bas Derjia 
für bas IDefen unferes Dolles als bie Hauptfache. möchten mir mirflicb * ll ) er 
Schule entgegengeben, einer Schule, bie mahthaft 3 U beutfehem IDefen e^iepen # 
Dies IDefen beftimmt in mertooller Auseinanberfetjung ©uftao Roetlje (D° t n 
Art unb Kultur. Berlin, löeibmann. m. 0 , 80 ). ©t oergleicht uns mit unferen S emöe \L 

bie Dot3üge beutfeber Art beroor unb bie bamit engDerma<bfcnen5(b®acben uno 9* . 

ben Anfprud?, ben mit traft ber 3ugenbli<hfeit unfeter Kultur auf DOeiterbeftel/en un 
ein iDeiteroorbringen machen bürfen. ©erabe bie mafeoolle ©ehaltenheü öer ^ ^ 
Unterfucbung befähigt fie, für bie 3eit bes Kampfes einen Holt unb für bie 3*it 
eine ©runblage 3 U geben. 


Sür bie £eitung oerantmortlicb: Dr. tDaltber Hofftaetter, Dresben2l r W x - 1 
Alle manuflriptfenbungen finb an feine Anfchrift 3 U rieten. 




3u ©oetfyes tltafyomet. 

Gott Robert petfd) in pofen. 

tDerm nicht alle 3et$en trügen, fo wirb in bem Iiteraturgef^i^tli^en 
Betrieb ber 3 ufunft biejenige Richtung Öen Sieg bemalten, 6ie bas Kunft* 
wert unb 3umal bie flaffifche Dichtung aus ber ©efamtheit unferes oölfif<hen 
©eifteslebens 3U erflären fu<ht. Sache ber $orfd}ung unb bes Unterrichtes 
ift es bann, in jebem <Ein3elfalle barauf 3U achten, bafe über ben grofeen (Ent 4 
roicflungslimen bie ein3elne ©atfadje nicht oernachläffigt bleibe, bafe bie fünft* 
lerifche 3 nbioibuaIität 3U ihrem Rechte tomme unb baft alle bie bewahrten 
unb in ben lebten 3aht3ehnten fo oeroollfommneten Riethoben ber philo* 
Iogifchen 3 nterpretation 3ut allfeitigen (Erflärung herangejogen werben. 
Reben anbern hat $tan3 Saran, bet oon oielen einfeitig als „Rlettifer" 
beurteüt wirb, feit feinet (Ernennung 3um Dertreter ber £iteraturgefchi<hte 
an bet Unioerfität halle unermüblich unb mit fchönem (Erfolge in feinen 
eigenen Arbeiten unb in benen feinet Schüler bie geiftesgefdjichtliche 
Sotfdjung mit ber Philologie im engeren Sinne in bie engfte Sühlung 3U 
bringen gefugt. Rieht alles, was bie „Baufteine" in biefer Richtung geboten 
haben, ift als ooltgelungen 3U bejeidpten, aber wir haben mannen Beitrag 
3ut (Erflärung ©oethes unb neuetbings auch Kleifts mit unoethohlenem 
Beifall begrübt. Reuerbings ift nun Saran felber, bet Begrünbet ber Samm* 
(ung, mit einet tief einbringenben Stubie über 3wei 3 ugenbwerfe ©oethes 
auf bem plan etfehienen, bie ihn als fdjatfen, bisweilen oielleicht übetfeharfen 
Kritifer bet überlieferten ©egte unb 3ugleich als feinfinnigen Kennet bes 
geiftigen unb befonbers bes religiöfen £ebetts ber Klaffi!er3eit bewahrt. 1 ) 
R)as Saran etwa in feiner flbhanblung 3U ©oethes „Rlahomet" an patal* 
leien beibringt, läjjt uns bie (Erlenntnis ber pietiftifchen Strömungen in unfetem 
Schrifttum gleichfam aus bem Dollen fchöpfen, unb für bie (Entwicflung ber 
©hrifiologie bes jungen ©oethe bürfte er für lange 3dt bie ©runbUnien ge* 
3ogen haben, fooiel bie $otfd)ung an ber fjanb neuer Quellen im ein3elnen 
na<h3utragen haben wirb. 

Bei aller freubigen flnetfemtung bes hißt ©eleifteten aber oermögen wir 
gerabe ben Iiterarhiftorifchen (Ergebniffen feiner Unterfuchung übet ben 
„Rlahomet" nicht fo oöllig befyupflichten wie feiner trefflichen 3etglieberung 

1) 8ton3 Satan, CBoetijes tttahomet unb Prometheus (— Baufteine 3 ur ©efdjichte bet 
neueren heutigen Citeratur, Bö. XIII). fjalle a.S. 1914, IR. tliemeyer. XIX, 136 S. 

3«U(4r. f. b. 6tutjd|tn Unterridit M.Ja^ra. 11. Qeft 43 



674 


3u ®oett|es ntaljoinet 


bes „Prometheus". BefanntHef) faffett mir als Hefte ber ( ,IKahometöid)tung' | 
©oetljes eine Heine 3 ö^I oerfchiebenartiger Äußerungen bes Dieters in Dets j 
unö Profa 3 ufammen, bie in ber großen Stählung im 14. Buche non „Dichtung \ 
unb IDahrljeit" gipfeln. tDemt mir ben XDorten bes altemben ©oethe ©tauben jj 
f(Renten bürfen (unb i<h bin, mie i<h gleich hi« bemetfen möchte, immer ge j 
neigt, einem Dichter bejüglich ber Intentionen feiner Dichtungen bas Wort : 
3 U laffen), fo müßte bas geplante Rtahometbrama feinet 3ugenb aus iw \ 
inneren fluseinanbetfeßung mit fchmärmetifchen Reformatoren oon bet Art | 
Bafeboms unb oor altem £aoaters ermachfen fein. Die $tage ift nun, ob bie 
erhaltenen Brucßftüde ber Dichtung nach ih tcm faßlichen 3 ufantmenl|ang 
unb ihrem ©ehalte mit biefet Darftellung 3 U oeteinen finb obet nicht. 

IDas 3una<hft jene Bruchftüde felbet antangt, fo mar oon jeher ein lyrifches 
Stüd belannt, bas im „fllmanach ber beutfeßen Rtufen auf bas 30 h 1 MM* 
unter bet fcßlichten überfchrift „©efang" etfdjien, aber in blhlogifher $ om 
gehalten unb auf flli unb $atema, 3 mei Perfonen aus bet nachften Umgebung 
bes Propheten uerteilt mar. Diefe Derteitung fiel meg, als ©oethe bas ®ebi<ht 
fpfiter in feine Schriften aufnahm; es erfdjien in beten 8. Banbe (1790), 

S. 183 bis 186 unter bem (Eitel: „RTahomets ©efang". Als ©oethe 1813 jmw 
Abfcßnitt oon Dichtung unb IDahrheit biftierte, lag ihm oon „mehreren eitqu* 
fchaltenben ©efängen", bie er „oorläufig gebietet" 3 U höben fich u°$ 
famt, nur noch biefer Scheinbialog oor. 

©r mußte rooht bamats nicht mehr, baß er oor oieten 3ah ren b et S 1 ® 
oon Stein foftbare meitere Bruchftüde bet Dichtung übergeben hatte, J>i e 
fpäterhin oon ihren ©rben mit übergroßer Sorgfalt gehütet, burch A- Schi® 1 ) 
oorläufig betannt gemacht (1846) unb neuerbings, nach erneuter ®nfi# 
burd} IDahte, oon Rtajc Rtorris mit feiner gemohnten Sorgfalt unb in oH® 
Doltftänbigfeit oeröffentticht morben finb. 2 ) ©s hanbelt fich um e * nen 
nus, ber im engen unb bodj mieber freien flnfcßluß an bie 6 . Sure bes Koten 
Rtahomets Sortfcßreiten oon bem heimifchen ©efttmfultus 3 U bem ©tauben 
an ^ en einigen ©ott fchilbert, unb um eine baran anfcßließenbe ptofafjene 
3mifchen Rtahomet unb Halima. An biefe Bruchftüde eigener Dichtung reib« | 
fich natürlich bie flus 3 üge ©oethes aus Rtegerlins 1772 erfchienener Koto«' | 

überfeßung, nebft einem flbfehnitt ber 6 . Sure (eben bet ©runblage bes ßW 1 

nus ), ben ©oethe felber nach ber lateinifcßen Detfion bes Italieners Htatrac | 
cius ins Deutfche übertragen hat. 

tDelcher 3ufammenhang 3 mifchen biefen oerfchiebenartigen Bruchig 
fetbft unb miebetum 3roifchen ihnen unb bem in „Dichtung unb Uw« 
entroidelten Rtahometplan beftehe, ift alfo bie fritifche Hauptfrage. Bw* 

1) 3n Öen „Briefen unö flupfcen oon ©oethe" (1846), S. 151—154. 

c *L° et i un 9 e ®oethe, III (1910), S. 132ff., mit (Erläuterungen in Bö. VI («‘ >' 

293 ff. 



Don Robert petfdj 57 g 

fprüdje 3 tmfd}en Öen entehren 3 eugniffen finb öfters bemerft worben, unb 
Saran hat fie »on neuem ftar! betont. 

Soethe felbft hat in feinem autobiograpljifcfjen „Sterna" aus bem 3al)te 
1809 bie RTahometbichtung, ohne eht 3 elne Seile 3 U unterfdjeiben, frifdjroeg 
in bas 3ahr 1774, in bie BIöte 3 eit feines Detfehts mit Caoater »erlegt') — 
augenfcheinlich, weil fid} bie Seftalten bes motgenlänbifchen unb bes fdjwei* 
3 erifd)en Propheten in fernem (Seifte längft auf bas engfte miteinanber »et* 
bunben hatten. (Segen biefen Anfafe fprid)t nun, was ben „(Sefang" anlangt, 
bie Satfadje, bafe ber RTufenalmanach, bet ben tDedjfelgefang enthielt, fdjon 
im Ijerbft 1773 etfdienen war. (Soetfjes Befchäftigung mit RTahomet reicht 
aber fidjer weiter 3 urüd, benn fd}on im 3uli 1772 fdjob et in einen Brief an 
herber ben Stofefeuf 3 er ein: „3ch möchte beten wie RTofes im Koran: fjerr, 
mache mir Raum in meiner engen Stuft"*) — eine wörtliche Anführung aus 
TUegerlins Überfettung, bie aber auch erft im fjerbft bes 3at}res 1772 heraus* 
tarn, fo bafe Soethe wotjl bie Aushängebogen gefannt haben mufe. Oer Der* 
lehr mit £a»ater aber fefet erft im tjochfommer 1773 ein, fo bafe 3 um min* 
beften im Anfang oon Soethes (Teilnahme für ben Begtiinber bes 3flam 
eine Sebanlenoerbinbung 3 wifd)en biefem unb Caoater noih nicht beftanben 
haben tann. Sine anbere $rage ift bie, ob (Soethe bamals überhaupt fchon 
eine btamatifdje Behanblung »on RTahomets £eben bebad)t habe, in bie ber 
IDechfelgefang 3 wifchen Ali unb $atema bann itgenbwo eingefchaltet werben 
follte. 

Oer (Sefang ift eine Allegorie, beten eigentlicher Sinn, bie Sdjilberung 
ber Sntftehung unb Ausbreitung einet TDeltreligion, nicht ohne weiteres flat 
wirb. RTan fann bas wunberoolle Bilb bes wachfenben unb enblich im 
© 3 ean münbenben Stromes auch um feinet felbft willen geniefeen; bet 
ernftere £efet freilich K>rrb an bie Ausbreitung geiftiger Strömungen erinnert 
werben — aber fo recht 3 wingenb ift bas nicht. Darum hat (Soethe, bet fein 
Publifum lärmte, bas eine Rial ben Sefang auf 3 wei wohlbefannte $iguten 
aus RTahomets Umgebung »erteilt, bas anbete Rtal getabe 3 U batüber ge* 
fehrieben: „RTahomets Sefang". (Eines wie bas anbete ift ein Hotbehelf. 
3m lefeteren $alle würben wir uns eher „Sefang »on RTahomet" gefallen 
laffen; im erfteren $alle fann man nicht behaupten, bafe bie Rebe, bie äugen* 
f<heinli<h auf chorifchen Dortrag berechnet ift, mit irgenbweldjer iflrteren Rot* 
wenbigfeit auf bie beiben genannten $iguren »erteilt wäre. TDohl hat 3. 
RTinor in feinen grünblichen Philologien Unterfuchungen 3 ) Klopftods 
Dialoge im „ RTeffias" 3 m (Etflärung herange 3 ogen; aber wenn ba 3 wei £iebenbe 

1) Dgl. bie 3eugniffe bei £?.<5. ®räf, ©oetlje übet feine Dichtungen. 2.(Zeit, III (1906), 
S. 343ff. 

2) Der junge ©oethe, II (1910), S. 294. 

3) 3. flUnor, ©oetfjes RTahomet. ©n Dortrag (1907). 


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3u <5oetl)es IHft^omet 


„gegeneinanbet fingen", fo fpridjt bod) jebes für fid), unb fdjeibet fid} beaiujt 
oon bem anbetn; ^tet aber ift oon einer inbioibualifietenben Unterfdjeibung 
bet beiben Kebenben gar nichts 3 U merten. Dasfelbe gilt oon ©oetljes anbern 
£iebem in bet $orm bes Duettes 1 ), aufeet oieileidjt oon bem „<5ejang bet 
©eifter über ben Kläffern", ber urfprünglid} bialogifd} aufgeteilt toat. Aber 
hier ift aud) am Sdjluffe bie raahte „Itteinung" bes Dieters fef|t flat aus ! 
gefprocfjen, bas allegorifdje ©ebidjt alfo für fid) oöUig oerftänblid}. 3n 
unfetem $alle bagegen fdjeint ©oethe ein ©ebidjt, bas et utfptünglid) für 
einen größeren 3 ufammenhang beftimmt hatte, aber aus itgenbeinetn ©runbt 
abftofeen toollte, nachträglich ohne innere Rotigung in eine ihm fonft geooP 
$orm geprefjt 3 U haben. Das toürbe bafür fptedjen, bafe et oon Anfang <m 
eine umfaffenbere Dichtung oon Ittaljomet im Auge gehabt l)atte — «***’ 
jener meltgefdjidjtlidjen ober roeltbebeutfamen Dramen, beten et in fein« 


3 ugenb fo manches oorljatte. 

IDir toerben alfo gut tun, uns in bet nädjften ttalje jener toiffenf^affli^n 
unb bid}terifd)en ITCaljometftubien nach oertoanbten planen umjufeljett; an¬ 
bei galten roh uns oot allem an jene Stoffgruppe, auf bie uns ©oetljes Kotan- 
aus 3 üge oettoeifen; 3 eigen fie uns bod}, baft es iljnt in erfter Gnie nidjt ®l 
Ittaljomet ben (Eroberer, fonbem auf ben Kulturftifter unb Propheten antoi 
bet ©ott auf feine XDeife fudjen toollte. Damit aber tommen u)it in bie ««V 
bes „$auft" unb bes „Sotrates", bes „Prometheus" unb bes „©toigen 3ub en • 
3n ber le^teren Dichtung Reifet es einmal oon benen, bie ©ott auf tyw 
oerehrten: „(Es mären, bie ben Dater aud} gelaunt; mo finb benn bie? '~®|' 
man hat fie oetbrannt." Das erinnert miebet an eine bebeutfame 
in ber erften t 0 agnetf 3 ene bes „Urfauft". 2 ) Am reinften aber hat 
feine Itteinung in jenem Brief an gerbet ausgefprothen, tootitt er *? m 
1771 ( 3 toifd}en beiben Suffungen bes ,,©ötj"!) feinen plan eines So 
btamas auseinanberfetjte. 8 ) Kid)t einen ^eiligen toollte et fdjilbent, fon 
ben philofophifdjen fjelbengeift unb ben großen ITCenfdjen, 3 U bem man ^ 
bem (Enthufiasmus ber Gebe unb mit 3 uoerfid}t fagen tonnte: ^. 

unb mein Brubet"; unb ihm gegenüber bann „bas pharifaifdje PW 
bet IUeliten unb Anyten, bie Utfadje nid}t, bie Derhältniffe nur bet 
tation unb enblidjen Übergeroidjts ber Ridjtsroürbigteit". Der „giofea 


1) Auf ©oetljes Dotltebe füt biefe §otm hat S» Streljlfe in bet hemp*lW en 
Ausgabe, XXVI, S. 185 aufmetfjam gemacht. 

Oie roenigen, bie roas baoon erlannt, 

Oie tdrig gnug ihr »olles tjer 3 nidjt toabtten, 

Oem Pöbel ihr ©efüljl, üjr Stauen offenbarten, 

_ 6at man oon je gefteu 3 igt unb »erbtannt. 

Oer junge ©oethe, V (1911), 5. 369. 

3) <£bb. II, S. 120. 




Von Robert Petfdj 


677 


aber, bet unter bem Übergewicht bet Richtswürbigteit 3 ugtunbe geht, ift bet 
echte tragifche ©ypus bet älteren Stütnter unb Dränget überhaupt; auf ihn 
Iaffen fich auch bie tragifchen gelben bes jungen ©oethe beziehen, wenigftens 
fo, wie fie ihm jeweils in ben Anfängen bet. btamatifdjen Konjeption not* 
fchwebten. 3n biefem £id}te mufete et fie fehen, um, wie es in bem Sohates« 
btiefe helfet, bie Anfchauung „ 3 um ©efühl 3 U entwideln". 3n biefem Simte 
hatte et 3 unäd)ft auch ®öfe non Berlidjingen als Rlärtyret eines beffetn ©e* 
techtigteitsgefühls bet wilben £eibenfd}aft bet Abelljeib oon IDatlborf unb bem 
Seinen, felbftifchen Schütten XDeislingen gegenübergeftellt, unb ihm teine 
anbete Schulb beigemeffen, als feine CÜI 3 U gtofee ©üte unb Dertrauensfeligteit, 
bie ihn uns nut noch ehrwürbiget machen tarnt. Allmählich, währenb bet 
Arbeit unb 00 t allem bei bet Umarbeitung oon 1773 tommt bann ein anbetet, 
oetnnnftig'fittlicher ©efidjtspuntt 3 ut ©eltung: ©äh geht 3 ugtunbe, weil et 
in bas Rab bet U)eltgefdji<hte eingteift; biefe etnfte, übetpetfonlid^e IDelt* 
bettachtung, bie mit faulem ITCotalifieten nicht 3 U oerwechfeln ift, fcheibet 
ben reiferen ©oethe feht beutlich oon ben „Stütmern unb Drängern" im 
engetenSinne. Doch hat bet Dichtet offenbar noch beibetutfptünglidjenKon* 
3 eption bes „©gmont" unb felbft bes „©affo" enetgifch auf bet Seite bes gelben 
gefianben unb beffen ©egnet als bie feittigen behanbelt. Auch Sauft foüte wohl 
im Anfang als bet gtofee ©infame in fdjatfen ©egenfafe gegen bie atabemifche 
©Iique geftellt werben: es mufe hoch hgenbwie bie alte Anfchauung bes Dichters 
mitfpielen, wenn et feinen tjelben fpätet in bet „IHüttetf 3 ene" Sagen läfet: 

mu&f ich nicht mit ber IDelt oetlehten? 

Das £eere lernen, feeres lehren? — 

Sprach t<h oemünftig, wie ich's angefchaut, 

©tSang ber IDibetfpruch gehoppelt laut; 
ntu^ ich fogat oor wiberwärfgen Streiken 
3ur ©infamteit, 3 ur IDübernis entweichen, 

Unb um nicht gan 3 oerfäumt, allein 3 U leben, 

IRich boch 3 ule|t bem ©eufel übergeben. 

Dafe auch bei ©oethes jugenblichem ©äfatplan bet ©egenfafe 3 wifchen bem 
ein 3 elnen unb ben Derttetem ber „lompaften Ulajorität" eine gtofee Rolle 
gefpielt hat, läfet fich 3 um minbeften mit großer U)ahrf<heinlichteit oetmuten. 

3ft nun in ben älteften 3eugniffen für ©oethes Befchäftigung mit Ria* 
homet hrgenbein Anhaltspuntt bafüt 3 U finben, bafe ber morgenlänbifche 
Prophet feinem Dolle ober feinet 3eit ähnlich gegenüberfteht? ©s ift getoife 
md}t ohne Bebeutung, bafe ©oethes Kotanaus 3 Üge, bie ja nicht eben 30 hl* 
reich fmb, in übetwiegenbem tltafee bie innere ©ntwicflung Rlahomets 3 ut 
reinen ©otteserlenntnis, unb nur an gan 3 wenigen Stellen fein äußeres 
Ceben berüdfidjtigen; in biefen paar Sähen aber wirb auch bie Rhi^el aller 
Kämpfe aufgebedt, bie bet Begtünber bes 3flam für feine £ehre butdtfuf echten 
hatte. Unb wir fühlen uns wiebet an jenen Softaies erinnert, bem ©oethe ben 



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3u G>oetl)es nta^omct 


fjeüigenfhein nehmen mollte, »emt bie hintmlifche Stimme in bet 15. Sute 1 ) 
311 ITZafyomet fpricht: 

tDeiter fagen einige Ungläubige non bit: „3ft bann nid)t ein IDuntinjet^n 
uon feinem Ijerm übet ihn hetabgefhieft roorben?" — Doch bu bift nut ein ptebiget 
(lein IDunbertäter) unb ift einem ieben Doll fein £ehret 3 m Unteroeifung gegeben 
tnotben. 

©an 3 ähnlich lautet es nachher noch einmal in bet 29. Sute: 

Sie fpredjen 310 «: „tDir »erben nicht glauben, es fei bann, baf$ ein 3^ 
übet ihn non feinem heim betabgefdjidt metbe." Sag' ihnen abet: „Die D>unbep 
^eichen fteben geroife allein in bet IHacbt ©ottes. 3<h .aber bin mehr nicf|t e» 0,1 
öffentlicher Prebiger." 

©oethe hat fid} biefe Stelle in bet 5o* m »ermertt: „3ei^ en P c ^ en ^ 
©ott, ich bin nut ein offenbater prebiger." 

Oie biblifäe parallele (Matth. 12 unb £ut. 11) liegt nahe genug: Die 
Menge forbert 3ei<hen unb fieht babei bas tDunber aller IDunbet nicht, ott 
grofje menfdhUche perfönlid)leit, bie gleich Solrates bie i |ovtslav bes „Mm- 
vocItb“ hat. $üt ©oethe lag toohl noch ein befonbeter flnlafe not, bie tu* 
Iehnung bes tDunbertuns bur<h Mahomet unb feine menfchli<he flaffoIN 
bes ©ffenbarungsbetufes fcharf 3 U betonen, hatte hoch bie Do^eit, tuie Iwn<ii 
ge 3 eigt hat, bei allen fhtfäijen, bem Derlünbet bes 3flam gerecht 3 U 
immer noch mehr ober weniger ben anfangs Betrogenen unb allntahltd 
Bewu&tfein anbete täufchenben Betrüget in ihm gefehen; 3 um Betoeife 
barauf hingeroiefen, öafe er fich unmittelbarer Snfpiration burch j&abnel jjf 
rühmt habe u. bgl. m. ©oethe tonnte alfo hier, wie mit bem „®oh", °ls 
auftreten unb 3 ugleith an feinen Dorgängetn, nicht 3 um toenigfien an 
taire jene „probuftioe Kritil" üben, aus bet fo manche feinet Dichtung® 
ermachfen ift. 

Oie einige Magie alfo, bie fein Mahomet ausüben follte, war bet 3 * 
ber geiftgefalbten, gottinnigen, hinreifeenben unb befeligenben perförutch 
unb biefen 3 aubet malt eben jener „©efang", ben ©oethe im IKufenalman 
für 1774 oeröffentlieht hat, unb 3 war faumals blofee'Koftprobe eines not? 3 
ermartenben Dramas? eher mochte ©oethe benten, hi eI in Inappfte* 5° 
feine flnfdjauung bes heiben oot 3 utragen, bem er bamals nicht me ? 1 W 
eine ausführliche bichterifche Oarftellung mibmen 3 U lärmen. ® atu ^ i ^ 
mochte ©oethe feinen bramatifchen plan oorläufig aufgegeben ha^- . 
©aten unb £eiben, £eben unb Sterben Mahomets, wie fie bie 
bie älteren Bearbeitungen, 3 . B. Ooltaires Orama fchüberten, in 
Sinne noch leinen bramatifchen 3ufammenhang ergaben: einen cn 99 er 5' 
Sahatiler tonnte er nicht brauchen unb ein flbfinten feines h^t* cn °^ e ^ 
genbe ethifche Hotwenbigfeit mochte er nicht barftellen. So blieb es benn 
nachft bei be m „©efemg", bis ein 3 ufall ben gan 3 en plan in embetetn * 

1) 3d) führe bie Überfettung »on OTegerlin an, ogL Ittinor, CBoethes Wabomct, 5. 



Don Robert petfdj 


679 

tmeöer aufleben liefe. Denn barin Jjat Saran un 3 weifelhaft recht (S. 9 ): „fjymne 
unö Profa bebeuten ein Ueuemfefeen ©oetbes, einen neuen plan" — wenn* 
glei^f wir bie lefeten brei IDorte fdjon wieber in etwas anberem Sinn auffaffen 
muffen, als er. 

Saran hat 3 ur ©rflätung bes ©ebanfengehaltes unferer Dichtung ein 
myftif^es tDerf bes fpäien 17.Jahrhunberts, bie „Torrens spirituels“ ber 
ÜTabame ©uion herangejogen. Auf feinen tDinf batte fcbon $. IDatnecfe in 
einer fjallifdjen Differtation 1 ) auf biefe Quelle hmgewiefen, aber erft jefet bat 
Satan felbft bie Bejahungen ©oetbes 3 U bem franjöfifchen XDerfe unb 3 ur 
quietiftifcben Hlyftif überhaupt fchärfet unter bie £upe genommen. Dafe ©oethe 
burch feinen Umgang mit $täulein oon Klettenberg in bie ©ebanfenwelt bes 
d|riftlicben Quietismus eingefübrt war, unb bafe ihn bie Ceftüre ©ottfrieb 
fltnolös, um oon anberen Quellen 3 U fdjweigen, in feiner myftifchen Kid}tung 
3 eitweife beftärft bat, ift betannt, unb wirb burdj Saran neuerbings erhärtet, 
ohne bafe wir auch nur in einer ber oon ihm ausgehobenen Parallelftellen 
bie unmittelbare Quelle oon irgenbeinem Safee in ©oetbes Dichtung 3 U et* 
fennen oermöchten. Dagegen glaubt Satan in DTabame ©uion bie Perföttlich* 
feit nachweifen 3 U fönnen, beren religiöfer Phantafie ©oethe bas wunberoolle 
Bilb oom Strom oerbanft; freilich täfet fid? bie Ceftüte gerabe ihres IDerfes nicht 
einmal in ben „©phemeriben" nachweifen, bie bo<h in ihrer erften hälfte fo 
manchen fluffdjlufe übet ©oetbes ausgebreitete Belefenheit in myftifchen 
Schriften geben, fluch ift meines UJiffens nichts oon itgenbwelchen Bejahungen 
3 wifchen Sufanne oon Klettenberg unb ber ©uion befannt, unb bas Bilb oom 
Strom lag bem jungen ©oethe, worauf Htorris hinweift 2 ), auch fonft nahe; 
fagt hoch U)eislingen fdjon in ber „©efchichte ©otifriebens oon Berlichingen" 
oon feinem ehemaligen $teunbe: „3dj bafe ihn, fein flnfeljen nimmt 3 U wie 
ein Strom, bet nur einmal ein paar Bäche gefreffen hat, bie übrigen geben fich 
oon felbft." Sollte ein ©leichnis, bas fich einmal in ©oetbes Phantafie feft* 
gefefet hatte, nicht fpäterhin unter ber ©berherrfchaft einer anbern Stimmung 
3 u bet wunberoollen Allegorie unferes ©efangs haben aufquellen fönnen? 
Beftehen nicht ähnliche Be 3 iehungen jwifdjen einet ©pifobe bes „XDerther" 
unb ber ©retdjenhanblung bes „Urfauft", um nur ein Beifpiel oon oielen 
3 u nennen? Übrigens ift bet erfte „ffiöfe" älter als unfer „©efang", unb bie 
Art, wie bort bas Bilb oom Strom angewenbet wirb, fann fich« nicht aus ben 
»Torrens spirituels“ abgeleitet werben. Unb warum follten nicht 3 Ü oer* 
fchiebenen 3 eiten febt oetfdjiebene ©eifter auf benfelben ©ebanfen fommen, 
bet hoch nicht meilenweit oon ber fjeerftrafee abliegt? IDie oerfchiebenartig 
toirb enblich nnb oor allem bas Bilb bei ITtabame ©uion unb in „TTCahomets 
©efang" oer wenbet! Jene fpricht oon ben Seelen ber IKenfchen, welche bie 

1) ©oetbes Rtahomefcptobtem, 1907. 

2) Oer junge ©oethe, II, S. 230. 



680 


3u (boetf)» Dla^omet 


natürliche Ueigung haben, 3U Sott als 3U intern Urfptung 3Utüd3ufe^cn, 
gleich Öen glüffen, bie ihrer (Quelle entfloffen, beftänbig banad} btängen, 
fid} in bas IReet 3U etgiefeen; babei Hegt bas „tertium comparationis" 
bodj nur in bem Drängen 3um 3 iel unb bie Derfafferin legt teilten Kadjirad 
barauf, bafj auch bas IDaffet 3U feinem Utfptung 3urudte^ren will; bas ab« 
bürfte getabe Goethes IReinung fein, worauf bie (Mater bisset 3» wenig ie : 
wicht gelegt haben; bet (Quell, bet aus bem gelfen fpringt, wirb über benM 
len butd} gute Seiftet genährt unb „tan#" aus ben Wollen ^ctrtiebet, bem 
Ijimmel als feinem (E^euger 3ujaud}3enb; bann eilt er bem Qleete 311, aus bem 
ewig XDaffer 3um Ijimmel emporfteigt. Da fdjliefet fid} bet Ring, ben <5oetl|e 
Höret unb einbtudsnoller in bem nad} Stoff unb gorm nabe uertocmbteji 
„Sefang bet Seiftet übet ben tDaffem" bargeftellt hat: 


Des IRenfdjen Seele 
Sleicbt bem Waffen 
Dom Ijimmel lomntt es, 

3um ^immel fteigt es, 

Unb toiebet nieber 
3ur (Etbe muff es, 

(Ewig wedjfelnb. 

Soetbe bat biefes Sebidjt fpäterbin unmittelbar ^itttet „IRaljomets 
geftellt! 1 ) 

Doch weitet im Sejt! RTabame Suion nergleid}t bie oerfdjiebenen ® 
oon IRenfchenfeelen mit btei Klaffen oon glüffen, bie fid} nach tbtet »fa 
nad; ibter Stagfäbigleit unb nad; ihren 3 iclen untetfd)eiben. Die einen iotnin 
nie ans IReet ober nur, wenn fie fid} mit einem größeren Strome oereimg ^ 
fie lömten nur wenige ober leine Sütet tragen; bie anbetn b a ^ en fö on 
Kraft unb erteilen felbftänbig bas IReet, oollet Pomp unb lUajeftat- „ 
finb bie Bewunbetung ibret 3 eit, unb niete Ijeiligen, bie in bet Kircb« 
wie glän3enbe Sterne, hoben es niemals weiter gebracht"; aber bie «fr 
nur bat wabte Bebeutung: bas finb bie Strome, bie non hoben Bergen (otnm, 
non Sott felbft; fie ruben nie, fie tragen nichts, bis fie in bas IReet ' 
wo fie benn gewaltige Schiffe babinfübten. Der Sauf bes mächtigen ,, 
bis 3um IReet wirb in teud}tenben gatben befdjtieben, wie et °nf an P ^ 
einfetjt, bann immer fdjneilet unb wuchtiger ben Berg hinabftüijt un 


1) Das XRotio mar bem 18. Jahrijunbett ni<ht unbelannt. (Es etfä« n ^ 
petfij<hen TRätd)en (bet (Quelle non © 0331 s „ttutanbot“) in jener Samtnbm9, 
bie P^tis be la ©toij 1710—1712 ftanjöfifd; pet 8 ffentli<hte (»^ es m * Ue ® yy Ik 
traduit du dervis Moclez“). Dort gibt bie prin 3 effin ein Rötfel auf: JL& 

Ttluttet, welche etft Kinbet 3 m IDelt bringt unb fie fpötet alle, wenn l ,e „ 
finb, Betfchlingt?“ — „Das ift bas IReet,“ antwortet bet prin 3 , „benn M« S“»« (is 
aus ihm ihren Utfptung unb ftüt 3 en in basfelbe 3 urüd." Dgl fl. Köftet, 
Dtamaturg, S. 153. 


f 



Don Robert Petfdj 


681 


in bet (Ebene ruhig unb majeftätifch bahinftrömt — nur baoon ift leine Rebe, 
baß er onbere Ströme in fidj aufnähme: höchftens Reifet es, baß bie Ströme bet 
3 toeiten Art feine „Diener" feien. Die ganje Allegorie ber Riabame ©uion 
hat eine Spiße, an bie ©oethe nicht gebaut hat: ben ©egenfaß 3 wifcßen bet 
Sdjeitigröfee bet, Kirchenlichter unb bet wahren ^errlidjleit bes myftifdjen 
©eiftes, ber fief} unmittelbar in bie ©ottheit ergießt. 

©oethes Strom nimmt bie Brüber auf wie bie 3 u>eite ©tuppe ber Ströme 
nach ber fran 3 öfifchen IRyftilerin, aber unfet Dichter mürbe hoch feinen Ria* 
homet jenen utfprünglich tiefen unb gottoerroanbten Raturen 3 U 3 ahIen, wie 
fie IRabame ©uion butdj bie britte Art ber Ströme oerfinnbilbli^t. Saran 
nimmt freilich einen bemühten ©egenfaß 3wifd}en ©oethe unb ber quietiftifdjen 
IRyftil an; ich glaube, wir fommen um bie Schwierigleit einfacher herum, 
wenn wir bie gan 3 e parallele aufgeben unb ©oethes phantafieoolle Ratur* 
betrachtung felbft für bas wunberoolle Bilb oerantwortlich machen. Darin 
hat natürlich Satan oollftänbig recht, baß ©oethe auch in unferem ©efange 
feinen weltflüchtigen Pietismus, fonbetn eine fröhliche IDeltbejahung, eine 
fräftige Diesfeitsreligion oertritt. Der fjimmel, oon bem bie Rebe ift, bebeütet 
bo<h bie Schöpferlraft, beten IDirlung fich in ber lebenben Ratur rings um 
uns her enthüllt. <Db aber bie Spiße bet Dichtung gegen bie (Ehriftologie in 
Klopftods „IRefftas" gerichtet ift, beffen leßte ©efange gerabe 3 ur ©ftermeffe 
1773 erfchienen waren; ob ©oethe feinen IRahomet als menfchlicher Rüttler ber 
chriftlichen Religion gegenüberftellen wollte—bas bürfen wir billig be 3 weifein. 

Der Dichter hat, wie erwähnt, in feinem älteften biogtaphifchen Schema oon 
1809 „Apet 9 u" unb „plan" bes IRahomet ausbtüdlich nach 1774 oerlegt, in bas 
3aht feines innigften Derleljts mit Caoater unb Bafebow. Unb aus bet großen 
Zählung in „Dichtung unb tOahrhcit" (Buch XIV) geht, wie oben bemerlt, 
gan 3 beutlid? hetoot, baß in ©oethes (Erinnerung bie ©eftalten Caoaters unb 
Rtahomets unlöslich miteinanöer oerwoben waren. Sollte bas auf ©äufdjung 
beruhen? 3cß meine, ein Dichter wie ©oethe, bet feine eigene 3ugenbentwid* 
Iung fhilbert, fann fidj über manch e biographif^e <Ein 3 elheit unb auch über 
oiele Daten bet äußeren (Entftehungsgefchichte unb über bie ©uellenoerhältmffe 
feiner IDerfe täufchen, aber es ift nicht an 3 unehmen, baß ihm bie eigentliche 
„Sntention" feines tDerles, an bas er oiel 3eit unb innerliche Arbeit oerwanbt 
hat, gan 3 unflar werben, ober baß er fie ohne etlennbare Abficht falf<h bat* 
ftellen follte. ©h nc 3 wingenbe ©egengrünbe möchte id} hoch babei bleiben, 
baß ©oethe 1774 ben fchon beinahe fallengelaffenen ©ebanlen eines IRahomet* 
bramas energifcf) wiebet aufnahm unb im fjinblid auf feine (Erfahrungen mit 
Caoater einen neuen plan entwarf, foweit bei feiner Dichtweife überhaupt oon 
Plänen bie Rebe fein lann. Die fjymne unb ber Dialog 3 wifchen IRahomet 
unb fjaüma finb bie loftbaren Überrefte biefer Arbeit, bie auf uns gelommen 
finb, unb wahrfcheinlich ift überhaupt niemals oiel mehr baoon fertig ge* 



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3u ©oeltjcs Btafjomet 


morben. ©he mir uns ober mit biefen Sjcncn näher befdjäftigen, bliefen um 
nodj einmal auf feine fpötere Datftellung, oot allem auf bie fotgenben Sä^e: 

„Bei meiner übetfreien ©efinnung, bei meinem oöllig $md= unö pfonlojen 
£eben unb tjanbeln fonnte mir nicht oerborgen bleiben, bafe £auater unb Bafebom 
geiftige, ja geiftlidje UTittet 3Ü itbifdjen 3meden gebrausten, mir, bet ich mein 
Halent uttb meine Sage abficfjtslos oergeubete, mufete fdjnell ouffaÜen, bafe beibe 
IWänner, jeber auf feine Art, inbem fie 3U lehren, 3U unterrichten, 3U überjeugen bf 
mübt mären, bod} auch gemiffe flbfichten im fjintethalte oerbargen, an beten Be* 
förberung ihnen feljr gelegen mar. £aoater ging 3art unb flug, Bafebon» heftig, 
freoeüjaft, fogat plump 3U Werfe; auch maren beibe oon ihren £iebljabereien, Unter 
neljmungen unb oon ber Dortrefflidjfeit ihres Treibens fo übeQeugt, bafe man pe 
für rebliche BTänner holten, fie lieben unb oerehren mufete. Caoatern befonbets 
fonnte man 3um Ruhme nachfagen, bafe et mirflich höhere 3t®ede hotte unb, roenn 
er meltflug hanbelte, mohl glauben burfte, ber 3me<f heilige bie ütittel. 3nbem ih 
nun beibe beobachtete, ja ihnen frei heraus meine Rleinung geftanb unb bie ihrige 
bagegen oernahm, fo mürbe ber ©eöanfe rege, bafe freilich ber uotjüglid/e Hlenid) 
bas ©öttliche, mas in ihm ift, audj aufeer fid} oerbteiten möchte. Bonn ober trifft 
et auf bie rohe Welt, unb um auf fie 3U mitten, mufe er fidj ih r glei^fteUen; (lief 
burS aber oergibt er jenen hohen Dorjügen gar fehr, unb am ©nbe begibt et !>® 
ihrer gütlich. Das IjimmlifSe, (Emige mirb in ben Körper iröifdjer flbfid]ten ein ; 
gefenft unb 3U oergänglichen Sdjtdfalen mit fortgeriffen. 
tDir fragen: 3 ft es mahrf<heinli<h, bafe ©oethe bereits 1774 £aoatet in biejet 
hoch immerhin etmas 3toeifelhaften Beleuchtung erblidte, unb ift es n #4 
bafe et oon biefer Wahrnehmung aus eine tragifche Dichtung * n 
griff nahm, in beren Rlittelpunft ein Religionsftiftet ftanb, bet ntit 3 üg en 
£aoaters ausgeftattet toat? 

Was ©oethes Derhältnis 3U £aoater anlangt, fo hot es ja bie ftarfft« 1 
Wanblungen burchgemacht. Auf ben erften ftürmifetjen Briefroechfel, öi* 9 «’ 
meinfame „©enieteife" oon 1774 unb ©oethes 3üricl)er BefuS »on W 5 
folgte ein oon ©oethe trofe aller Kritil noch fehnfüd?tig ermattetes Wieber 
fehen auf ber 3meiten Schroeyerreife oon 1779 , bann aber eine gtünbliS e 
unb rafch 3 unehmenbe ©ntfrembung, mährenb beren [ich ©oethe 3 U ben bittet- 
ften Ausbrüchen bes paffes hinteifeen liefe. Die ITtittel, bie bet SS®«}« 1 
„©ottesmann" 3ur Ausbreitung bes „Reiches" oermanbte, maten ®o^« 
oerbachtig, unb et mufete fich ihrer um fo heftiger erroehten, als £ooater an 
gemiffe Seiten feines inneren 3U rühren fchien, beren Stärtung fiS mit 5en 
efeten 3ielen feines Bilbungsftrebens benn hoch nicht oertrug. 1 ) 

3n „Dichtung unb Wahrheit" bagegen fpricht ©oethe oon feinem ein 
ftigen, nun längft bahingegangenen $reunbe mit roürbiger Ruh® unb imm«* 
hm roarmer Anteilnahme, ©s ift alfo nicht an 3 unehmen, bafe fein 
üb et bie Wa hometbichtung burch perfönlichen fjafe gefärbt ift, oielnteht ®« 0 


ton vP tDertDoIIen t>eröffentli<hungenoon h.$und: 1 .©oetheunb £a> 
Btil\ °c^ 9efeIIfdjaft ' XVI >' 1901 l 2. Oie [Sorte Seele. Befenntniffe, S 
er u l anna Katharina oon Klettenberg. £eip 3 tg 1911, 3nfeloerlag. 





Don Robert Petfd) 


683 


©oethe gern* richtig mit ber überlegenen Klarheit bes reifen RIannes bat* 
gelegt haben, was et fugenbltch bereits als trennenb 3teilen fich unb bem 
Sreunbe empfunben unb in bi^terif^er Art aus3ufprechen oerfucht hatte. 

©oetljes jugenblidjes Derhältnis 3U d^riftus unb 3ur ©ottljeit, beffen 
mannigfache IDanblungen Saran (S. 49 ff.) in ben ©runb3ügen fo emfichtig 
entwicfelt bat, follte oielleicht unter bem allgemeinen ©efichtspunfte feines 
Derhältniffes 3um Übetfinnlidjen betrautet werben. Oie erften felbftanbigen 
Regungen feines ©eiftes fdjon weifen uns in biefe Richtung; bet Knabe 
fdfweift mit feiner fraftigen, faft mythenbilbenben Phantafie allenthalben 
über bie gegebene tDirflichfeit hinaus unb fu<ht eine ©rhöhung bes Oafeins 
but<h bie ©norbmmg ber eigenen Perfon in eine oon ©eheimniffen aller Art 
umwobene Sülle bes Sehens. Auf ben 3 ufammenbtuch nach bem „©reichen* 
erlebnis" folgt bann bie Aufrichtung an bet ftoifchen Philofophie; unb bie 
„oäterliche ©rbfehaft", bie Betrachtung bes IKenfchentums unb bet eigenen 
Perfon unter ethifdjen ©runbfäl>en fünbigt fich an, ohne noch bauembe $rucht 
3u 3eitigen. Aber nach ber Seliger Kataftrophe fiegt ber ffinflufe ber $teunbin 
oon ©oethes IRutter, bes $täuleins oon Klettenberg, unb inbem bet 3 üng* 
Img ben Annatut3ufammenhang myftifch umfaffen lernt, nähert er fich bem 
lange gemiebenen ©hriftentum mit feinen teligiöfen unb fittlichen XDerten. 
Sein oolles fjet3 möchte nun ben ©eift bes Ungeheuren itgenbwie petfönlich 
ergreifen, umfaffen unb fich ®on ih m umfaffen Iaffen, wie fich Sauft an ben ©rb= 
geift brängt. ©r fühlt fich °on ber ©hriftusoerehrung ber „Stillen im Sanbe" 
halb ange3ogen, halb wieber abgeftofeen unb macht fich unb anbetn aus feinem 
heifeen Sehnen unb aus feinen fritifchen Bebenfen lein fjehl..- XOie fllahomet 
in ber „fjymne" oom ©eftirnbienft 3U bem Schöpfer auffteigt unb ruft: „Sei 
mein fjetr i" — f 0 ift ber Strafeburger ©oethe banlbar für „eine ein3ige Auf* 
Wallung bes fjer3ens im Kamen beffen, ben wir in3wifchen einen fjerren 
nennen, bis wir ihn unfern fjetten betiteln lönnen." 1 ) 

tDas ihn oon ben fjermhutetn trennte, trotj ber ihm 3ufagenben fjet3ens* 
warme ihrer Religiofität, waten im ©runbe 3unächft moralifche Antriebe 
höchfter Art. Saran bemerft ben fpringenben punft: ©oethe fühlte fich ber 
Auguftinifchen ©nabenlehre gegenüber als Pelagianet*); er fonnte leinen 
mittler oerehren, beffen ©pfertob bie eigene fittliche Arbeit bes fjeilsbebürf* 
tigen an feiner Seele ausfchlofe; tpeiterhin aber fonnte ©oethe bem orthobojen 
©hriftentum nicht folgen, wo es mit bet ©rbfünbenlehte einen ewigen Rife 
3roif<hen ©ott unb ber Schöpfung eröffnete. Don ber belebten Ratur bis 3um. 
höchft entwicfelten ©eifte rinnt ihm ein ununterbrochener Strom bes gött* 
liehen Sehen s, unb foll er fich einem Rlenfchen gan3 hingeben, fo mufe es einer 

1) Der funge ®oetlje, II, S. 9. 

2) Dgl. (ein eigenes <5 eftänbnis in Dichtung unb tDahrheit, IDeimaret Ausgabe, XXV111 
S. 304f. 



684 


3u (Soel^es IHahomet 


feilt, bet bas ©an3e doII unb teilt, wenn auch natürlich auf feine Art «mp 
funben hat. ©oethes ©eitie wirb butch bas bet anbeten beflügelt, bie „wb 
baoon erfamtt haben", unb es lommt ihm wenig batauf an, ob bas 3ejus 
obet Itla^omet, Spmo3a obet UTac^iaoeUi gewefen ift. Abfolute Werte et- 
fennt et auch im Heidje bet Offenbarung nicht an. Sicherlich wax ©oetbe 
bereit, auch oon £aoater 3U lernen, ben toasten „fjerren" an3ubeten, jenen 
(Sott Spino3as, wie ihn bet junge ©oethe mit S^aftesbutys unb fjetbets Augen 
batte anfdjauen lernen; bie $teunbe aber fahen in dhriftus felbft ben ^enen, 
was ©oethe feit feinen dnttäufdjungen mit ben „frommen Leuten" unb ttof 
aller liebreichen über3eugungsoetfu<he dorbatas nicht mebt gelingen sollte. 
3 a, bie Auseinanbetfeßungen mit £aoater unb feinem S teun & Pfenniget 
in bet erften Hälfte bes 3 ab tcs 1774 mosten ibn in feinet Dereinfantunj 
nur beftärfen. ©egenübet £aoaters „3ch habe leinen ©ott als 3efus d^riftus, 
febeint et fid? immer mebt auf ben Stanbpunft 3utüdge3ogen 3U h<d> cn , ^ 
et im XITai 1775 Jjetber gegenüber feftlegte: „tDenn nur bie ganje 
oon dhriftus nicht fo ein Scheißbing 1 ) toäre, bas mich als ITCenfd}, als tw 
gef(btän!tes, bebürftiges Ding rafenb macht, fo toäre mit aud) bas 
(dhriftus) lieb"; et tonnte nur bas Ungeheure göttlich oetebtenunbbrai#i 
um ben IDeg 3u finben, allenfalls einen großen, fortgefdjrittenen TRenfchen, ® 
er oon tjer3en Btubet nennen burfte, aber feinen felbft göttlichen» M* 
für ben enblidjen ItTenfchen unfaßbaren mittler. £aoater aber ito#* * 
Auferftanbenen nicht nur 3um allgemeinen 3 beal, an bem fich aß es 
liehe meffen laffen follte, er oerlangte auch feine finnlidje ©egenwart <üs ' 
läge bes ©Iaubens. ©oetbes geiftige Art fträubte {ich gegen bie ©leihw 0 ^ 0 
toie gegen ben XDunberglauben. dr toebrte fich gegen £aoaters btingenö» 
Befebtungseifer mit gutmütiger 3 ronie unb 30g fich im Bewußtjein u 
Iegener feelifchet Kraft immer tiefer in ficb felbft 3Utüd. 

Kut3 oor ber petfönlid}en Berührung fchilbert et £aoatet, ben et fte 
nie für einen eigentlichen Schwärmer obet Phaotaften gehalten b®^ n 
feinem $reunbe Schönbom als einen Schwächling, herein utfptünglid? füh 
bes menfehenturn fchlechterbings nicht oerfteben tönne. dr möchte ft" 1 » 
einige dropfen felbftänbigen ©efübls einflößen. Die befte Seele w» * 
bem Iltenfchenfcbicffal fo innig gepeinigt, weil ein frontet Körper un 
fdjweifenber ©eift ihm bie KolIeftiDfraft ent3ogen, unb fo ber beften S 1 ' 
öes IDobnens in fich felbft beraubt bot. ds ift unglaublich, tö wad! .y 
unb wie man ihm, ber hoch ben fchönften fdjlichteften menfdjenBetfto'' ' 
oen ich je gefunben habe, wie man ihm gleich Hatfel unb lUyfterien IP* 
wenn man aus bem in fich unb burch fich lebenb unb wütfenben W nI . 
woetbe bat f ein Urteil oerbeffert, aber nicht eigentlich 3Utüdgenotnmen» 

Wn J) S ° IttotTis ' Det i un 9e Goethe, V, S, 30. Oie Weimarer Ausgabe bat 




Don Robert Petfdj 


685 


bem et Caoater petfönlich tennen gelernt hatte. 3 n bet Sortierung besf eiben 
Briefes fchreibt er am 4 . juli: „(Et fagt |o oft, bafe et fdjroac^ fei, unb ich habe 
niemanb gefannt, bet (erörtere Starte gehabt hätte als er. 3 n feinem (Elemente 
ift et unermübet tätig, fertig, entfdjloffen unb eine Seele ooll bet het3lichften 
Ciebe unb Unfchulb. 3 d} habe ihn nie für einen Schwärmet gehalten, unb er 
hat noch weniger (Einbilbungsfraft, als ich mir oorftellte." greilid? bemerfte 
©oethe bo<h gleich, bafe ein Geologe, ber fo wie Caoater unter UTifeachtung 
aller hertömmlichen (Terminologie aus bem Jje^en fprad} unb feine 3 uhöret 
in eine ftembe IDelt 3U oerfefeen feiert, inbem er ihnen nut bie unbefannten 
IDinfel ihres eigenen fjeejens eröffnete, bem Botwurf ber Phantafterei nicht 
wohl entgegen tonnte. 1 ) 

Allmählich aber ftiegen ©oethe bei näherem Bertehr noch weitere Beben* 
fen auf, unb et fühlte, bafe manches, was bei Caoater mit feiner ausgeglichenen, 
einheitlichen Hatur allenfalls als Schwache erfchien, ihm felbet hätte 3um 
Detberben werben müffen, wenn et bem bringlichen Betehrungseifer bes 
Sreunbes nachgegeben hätte. Seine Phantafie trug ihn aber wohl halb über 
bie befcheibene Sphäre bes Schwebet $reunbes hinaus unb malte ihm bie 
©eftalt eines fanatifchen Religionsftifters, beffen unenblichem tje^ensbrange 
auch unbefchräntte TTta^tmittel 3Ut Derfügung ftanben. Bet quantitatioe 
Bnterfchieb 3wifdjen Caoater unb IKahomet ift ungeheuer — etwa wie bet 
3wi|d)en ©oethe unb Sauft, IHetd unb Rtephiftopheles. Aber bie pfydjolo* 
gifche tDut3el unb bie urfprüngltdje Richtung bes tDillens finb jeweils in beiben 
Sailen biefelbe, unb fo tonnte ©oethe in bem einen wie in bem anbern Salle 
bas ein3elne (Erlebnis an einet mächtigen perfönlichteit ber Sage ober ©e* 
fdjichte 3ur menfchli<h 5 ootbilbli<hen Darftellung bringen — Dorjüglid}, um fich 
felbft oon einem bumpfen Brude 3U befreien. 

Rid}t blofe IRerd unb anbete Sreunbe fpöttelten barüber, bafe Caoater 
allenthalben oon einem Schwarm oon Barnen umgeben war, auch ©oethe 
brehte manchmal bem ©etreuen mit leifem Ärger ben Rüden unb liefe ben 
©efeierten allein inmitten feiner Äubien3en. (Ein tiefet ©egenfafe ihres IDefens 
tat fidj auf. „TDir anbern," fagt ©oethe fpäter in „Bidjtung unb tDahrheit", 
„wenn wir uns über Angelegenheiten bes ©eiftes unb fjerjens unterhalten 
wollten, pflegten uns oon ber IRenge, ja oon ber ©efellfchaft 3U entfernen, 
weil es bei ber oielfadjen Benfweife unb oetfehiebenen Bilbungsftufe fchon 
fdpoet fällt, fich audj nut mit wenigen 3U Derftänbigen. Allein Caoater war 
gan3 anbers gefinnt; et liebte feine IDirtungen ins XDeite unb Breite aus3u* 
behnen; ihm warb nicht wohl als in ber ©emeinbe, für beten Unterhaltung 
unb Belehrung er ein befonbetes (Talent befafe . . . Unter folgen Umftänben 
war an ein oertraulidjes ©efpräch, an ein foldjes, welches Be3ug auf uns felbft 
gehabt hätte , nicht 3U benten, ob ich mich «jleich butdj Beobachtung bet Art, 

1) TRottis, Der junge CBoetlje, Bb. IV, S. 28f. 



686 


3u Cboetfjes ntaljomet 


wie et die tttenfchen behandelte, feht belehrt, jedoch nicht gebildet fand." (Boetfe 
entfchlofe fi<h alfo, ihn nach (Ems 3U begleiten, „um unterwegs im IDagcn 
eingefdjloffen und oon der XDelt abgefondert diejenigen ©egenjtänöe, die «ns 
wechfelfeits am Ijetjen lagen, frei abjuhandeln". Die (befahren, die £a»ateis I 
hang 3ur ©ffentlichteit mit fi<h braute, tonnten dem jreunde nicht lange j 
oetbotgen bleiben; nicht umfonft roamte h a fenfamp den ©efeierten tot 
„Cobfucht" (üagebuch »om 21. 3uni). Schlimmer noch war in ©oethcs Augen j 
die einfeitige ©efüljlstultur des Schwerere, die ihm fchliefjlich die h etI W 
über fi<h felbft und damit den „inneren Ittittelpuntt", die petfönlid)leit ju tauben 
drohte, ©oethe fühlte fich 3unächft beluftigt, wenn Saoater „auf der Keife 
jede Diertelftunde an die Seinigen fdjrieb und mit jeder poft oon jenen Briefe 1 
und 3ettel<hen erhielt, worin eigentlich nichts ftand, als dafe fie fid? roienot 
einigen IDochen noch immer beglich liebten". 1 ) 

fluch Srüulein oon Klettenberg oereinte toohl ihre Stimme mit ©oethes | 
tDarnungen: Caoater fordere 3uoiel: „man tönne nicht immer empfinden“; | 
und als ©ordata gar mit Saoater fchtoärmerifch übet ©ebetserlfötungen mp | 
handelte, rief ihnen der jüngere, roeltfromme $teund 3U: „IDenn iljt fülle i 
»erdet, fo toitd euch geholfen" (©agebuch, 24. 3uni). ©atfäW 
der Stürmer und Dränger oiel eher 3U jener inneren ©elaffenljeit gelangt 
oder oermochte doch leichter 3U ihr 3U gelangen, die allein eine rechte flusnuijung 
unferer Kräfte oerbürgt. flm 16. 3uli oermertte fi<h Saoater: „ft gab mit 
oiel herrliche Sehren oon der Kolleftion meiner Kräfte. 3<h oerf<h® en ^ c 
und Hage immer über Mängel. Beim erften ©eil ©agebuch fahe « cil,efl 
lUenfchen, der das Schnupftuch immer in der fjand hot, 3U fchne^en, und um > 
roillig toitd, toenn er nicht heraus3uf<hneu3en findet". Sicherlich h 0 * ®°^ c \ 
den überhihten tDerber für das ©hriftentum im füllen mit dem heg»* 
frommen, dogmenlofen Spin03a oerglichen, deffen menfchli<h es Bild er ^m f 
am 28.3uni fo eindringlich oorgehalten hotte: ein ZHufterbild ni# 
edler Uneigennü^igfeit, fondern auch ehrlichen Hefpettes oor fremdet V» 
nung, der fe.ine djriftlichen Qausleute 3U djriftlichem IDandel ermahnte, 0 ? 

toohl er ihren ©tauben innerlich nicht teilte. Saoater fehlte es nicht an ^f 1 | 
het3en, toohl aber an feftem IDillen, und fo drohte ihm die fc^limmfte (Bef#, f 
oon der der junge Dieter roufete: Selbftoerluft. Solche ©eftalten eben regten j 

ihn 3« dichterifcher Behandlung, aber nicht im lomifchen Sinne wie j 

und Seuchfenring, auch IDieland und die Brüder 3® c °bi, fondern 3 U 
fatirifchen Betrachtung im höheren Sinne, die nach Spület auch der 2r«9° * 
3ugrunde liegt. So rücfte Saoater für ihn etwa in eine Sinie mit (Elaoigo un 
3erufalem; auch hier mochte er wohl, als $reund und ehemaliger ©enoffe 
©ordatas, einen 3ug geheimer innerer Derwandtfchaft oerfpüren, etwas. 
-^ -Überwu nden werden mufjte, wenn es ihm nicht fchaden follte. 

D Sund, Die fhöne Seele, S. 42. 




Don Robert petfdj ggy 

Don feiner früheren Befchöftigung mit ITCahomet war ihm noch in (Et* 
innerung, bafe ber „Prophet" in feinen Iid?teften Seiten alles lttyftifch=rounber* 
bare »errnatf, bafe man ihm aber bod? nid?t ohfte ©runb 3um minbeften „Schwär* 
merei" »otwatf, ba er fid} bet finnlidjen ©egenwart bes ©^engels ©abriel 
rühmte — wie fich £a»ater nad? bet ©rfäeinung 3efu ©hrifti feinte, ©ine 
eble aber erbenfrembe ©ottesbegeifterung, bie bod? ihren ©rager nicht cor 
einem böfen Rücffall ins 3 rbiföe fdjüfeen fann, liegt bei beiben »or, aber bei 
ITCahomet liefe fid? ihre »olle tragifdje Konfequenj 3iehen, wähtenb ©oethe 
£aoaters Art, beoot et ihn gan3 abwies, eher mit einem gefunben 3ynismus 
betrachtete. ©s ift bod? wohl nid?t ohne ©runb, bafe ©oetlje auf ber Reife ein 
paar luftige Detfe auf £aoaters Befehtungseifet unb feine menfdjlidjen 
Bebürfniffe bidjtete, unb bafe et bas launige Poem „Sura II" übertrieb: 

©oethe biftiert roeiter: ,, _ 

II. Sura. 

©s ift fo niel tfeimtoeb in ber Welt, bafe eines bem anbem bie Wage hält; 

Da ftrecft er fidj in feinem Bett... benft, o bafe idj mein Weibchen hätf. 

3 <h fröne (?, wohl Derjeljen. Ktänfe? gräme?) mich in meinem Sinn; fort ift bie 
gute ITCeyerin I 1 ) 

Doch h°ffcn mir wiebet Btaienfreub, 

©r lehret unb befehrt bie £eut', 

3 ch fahr 3um frönen £iefel heut. 

©jplicit Sura. 

Das ift benn 3ugleid? eine Kotanparobie, bie uns 3eigt, auf meinem ©ebiete 
©oetbes ©ebanfen fich bamals bewegten. 

Sooiel bürfte nad? allem flar fein, bafe ©oethe ben Schwebet $teunb 
unb feine Art aus einer (Entfernung betrachtete, bie einer bidjterifchen Be* 
hanblung in Derbinbung mit bem ITCahometproblem nicht urigünftig 
n>ar. 3 a, oiellcidjt fanb ©oethe eben im Derfehr mit £a»ater (unb mit Bafe* 
boto, beffen gröbere Art unb gröbere IRittel aus „Dichtung unb Wahrheit" 
fattfam befannt fein bürften) überhaupt erft bie UTöglichfeit, bie ein3elnen 
(Elemente in Rtahomets £ebenslauf unter tragifchem ©efichtswinfel 3U orbnen. 

Unter biefen Dorausfefeungen finb, meine ich, bie „fjymne" unb bie „Ptofa* 
f3ene" 3U »erftehen. Damit rücft ihre ©ntftehung 3um minbeften in bie 3weite 
hälfte bes 3 ohres 1774 ; benn mochte ©oethe auch fdjon oother mit £aoater 
Befanntfchaft gemacht unb fi«h fritifd? gegen ihn »erhalten haben, einen »ollen 
©inbruef oon feiner perfönlichfeit mit ihrer Starte unb mit ihren Schwachen 
erhielt et, wie wir beutlid? gefehen haben, hoch erft aus bem unmittelbaren 
Umgang mit bem oiel umfehwärmten Propheten. Saran hat auch h^ 1 
bie fritifche Sonbe gebraust unb aus äufeeren unb inneren ©rünben bie 
©ntftehung ber beiben Stüde um einige Ittonate früher angefefet. Wir beljal* 
ten uns »ot , weiter unten auf bie rein philologifdjen Stagen en^ugehen 


1) Die $tau bes hcmnöoetfdjen Kammerfefretärs ff- ©• Rteyer. 



688 


3u (Boetfjes ITta^omtt 


unö foffcn 3unad}ft mieöet öie iöeengefd}id}tlid}en 3ufammenl}änge ins finge. 
HKeöetum Iafet uns Saran tiefe Blide in öie geiftige, be|onöets öie retigiöfe <Jnt- 
roidlung öes öeutfd}en Söealismus tun? et bringt uns eine Sülle ton j 
©ebanlenteifjen 3um öeutlidjen Bemufetfein, öie 3um inneren Bejiij jenet ; 
Kteife gehörten, mit öenen fid} öer iunge ©oethe in öem Kampfe um jein j 
„ Prioatd}riftentum'' itgenömie auseinanöe^ufefcen hatte; er fdjürft aber 
aud) mit funöiget unö glüdlidjer Hjanö nach Öen Quellen öiefet flnjdjauungeit 
unö ©runöftimmungen unö bringt öabei aus Auguftinus unö fl fj. S 1 ® 1 ^ 
aus 3in3enöorf unö öer öeutfd}en £yrit öes 18 . 3al?rf}unöetts eine latgt 
oon auffd}lufereid}en, ja oft oetblüffenöen parallelen 3U ©oethes Worten bei 
Hur fönnen toit Qm nid}t immer folgen, rnenn et aus öer Berührung auj 
bemufete (Entlehnung fdjliefjen unö in Öen ein3elnen Studen öes „IRahomet 
eine Art fritifc^er Auseinanöetfetjung ©oethes mit Klopftod ober h e ^ {t ' 
mit Öen Brüöern oöet mit $räulein oon Klettenberg feljen will. Wä müjjen 
uns öod} bei öer Deutung jeöes geöanlenjdjtoeten Dramas unö bejonbeis 
jeöer ©tagööie ftets oor Augen holten, öafe öer Dichter in öer Rolle öes h^" ' 
niQt unmittelbar 3U uns roie 3U einem Beichtoater fpricht: Dem 5 au ft ! 
einen Samulus tDagner ab!an3elt, geben mir natürlich innerlich tedjti w» 
mit uns überhaupt mit öem tjelöen gleidjfetjen; öennod) fleht öer Di# (t ' 
über öem ©an3en, übet öem jtürmifchen (Eifer unö Übetfd?wang öes Dofton 
unö über öer philiftröfen Selbftgenügfamfeit feines Samulus. ©eoife? 
Saran fehr recht mit feinem mieöerholten Jjinroeis, öafe ©oethe Klopftods GW ^ 
Iogie gegenüber einen fehr entfdjieöenen Haturalismus herootlehtte; ebeujoij 
feine Scheiöung öer intelleftualiftifch ; pantheiftif d}en Haturoerehrung unö Km^ ? 
lyrit im Sinne öer Shaftesbury, Reimarus unö Brodes einerfeits, unö jener e j 

fdjieöen djriftlichen Haturöid}tung Klopftods anörerfeits ein roirfliches Der ienP/ 1 
Aber mie es mir fraglich ift, ob Klopftod feine (Döe „Dem Allgegenwärtigen 
oöet eine ptofafdjrift „Don öer beften Art über ©ott 3U öenlen bemuB 
gegen Brodes unö feine Schule gerichtet höbe, fo fdjeint es mir noch wenig® 
ausgemacht, öafj ©oethe fid) mit feinem „Ijymnus" etwa beroufet auf öie e 
Shaftesburys ftellen unö gegen Klopftod polemifieren mollte. Die begeh e j 
Eingabe an öas fjer3 öes alliebenöen Daters teilt ©oethe mit Wal} 0 ®' 
fie ift ihm aber, mie fein „©anymeö" unö anöete Dichtungen beweijen, e , 
Selbftoerftanöliches, mas er niQt erft gegen Anöersglaubenöe 3U ue ® 1 • 

brauQt, am menigften öutd) Öen IRunö einer öramatifchen petfon. t 
anöern Seite aber 3eigen uns ©oethes Darmftäöter Ejyrrmcn 3 ut *** ' 
öofc fid} ©oethe nicht fo fdjarf mie IRaljomet oon öem „irrenöen Dolle I ■ 
öafe et fid} mit minöeret ©lut an Öen Unenölidjen heranörangte, un 
et öie $ülle feines fje^ens nid}t fo gemaltfam auf öem tDege öet 
auf anöere 3U übertragen fuQte mie Caoater oöer mie IRahomet, bejf e h 
bahn öod} fdjon öie naQfte Profaf3ene minöeftens leimhaft ahnen 



Don Robert Petfd} 


689 


Was nun Öen 3 nfjalt bet „Eymne" anlangt, fo braunen mit laum an 
öie Betriebenen „Wege" 3U öenfen, auf öenen fich bet mittelalterliche ITCyftifer 
bet ©ottheit 3U nähern fuchte, bis et 3ur nölligen ©ntfinnlichung gelangte. 
Ula^omet bleibt im Sinnlichen fteljen wie Abraham in öet 6. Sute be$ Koran, 
unö ©oetbe wählt öiefe Stelle aus, weil fie feinet eigenen Auffaffung ent* 
fpricht. Aus Öen beiöen Überfettungen, öie ihm notlagen, ftellte et, wie Satan 
tintig bemerft, eine genaue Stufenfolge öet intuitinen ©rfenntnis 3ufammen, 
nur trug et in öie S3ene fein eigenes Seinen nach öem AIl*©inen, nach öem 
fjöchften unö Abfoluten hinein, öas et non niemanö 3U lernen brauchte, ob* 
too^l et es mit sielen teilte. 3 dj möchte öatauf aufmettfam machen, bafe fi<^ 
©oetljes IHahomet 3uetft (toie bei UTegerlin) an öie Dielheit öet Sterne wenbet, 
aber nicht als Anbeter, fonöem fdjon mit ftitifdjet Ablehnung: alles, tsas 
an Dielgötterei erinnert, bot et fdjon übettsunöen, er fucbt nach öem ©inen, 
Öen et 3una<hft in finnlichet Detfötpetung erfaffen will, bis et ibn im ©eifte 
umfaffen lernt. Saran erinnert an Berbers Deutung öet „Alteften Urfunöe" 
als eines son ©ott infpitierten Unterrichts in morgenlänbifd}*fünftlerifchet 
$orm; et weift aber felber auf Öen großen Unterfchieö 3tsifd}en ©oetbes unö 
Berbers Auffaffung bin: Goethe fdjliefet jebes U)unöer aus, et begnügt fr 
mit einer rein pfydjologifchen ©ntwicflung — sielleicht fömtten tsit noch 
beffer fagen: mit einer öramatifchen ©ntwicflung aus fthtsärmerifcher Uatur* 
oergötterung 3U tiefer Sebnfucht nach b*em All*©inen, ewig Unseränöerlichen. 
Auch Öa3u brauchte ©oetbe öamals nur in feinen Bufen 3U greifen, aber feinen 
©ottfrieö Atnolö unö feinen fjerbet auf3ufchlagen, fo febr ihm öiefe feine 
Cebrer 3m ©nttoicflung feiner eigenen, jugendlichen IDeltanfchauung geholfen 
haben mochten. 

3 ch famtauchin öetProfaf3ene fein son öem notbergebenöen gan3 ser* 
rieöenes teligiöfes ©rlebnis entöecfen, wie Saran (S. 42 ) es formuliert: 
„ 3 n öer fjymne ein Auffteigen öes ©efübls non Stufe 3U Stufe, bis es all* 
mählich, geleitet non öem Uaturfchaufpiel öet heteinbrechenben Hacht, 3U 
©ott fommt. 3 n öer ptofa feine Stufen, feine Einleitung 3U ©ott, fonöem 
nach langem Hingen ein plöijlichet Durchbruch, öet wefentlich öurch ©ottes 
unmittelbat helfenöe ©naöe felbft ermöglicht wirb." Don öiefet helfenben 
©naöe, glaube ich, folfteit wir abfeben, wenn wir ©oetbe nicht mifjnerftehen 
wollen, ©bfeftin ift IHahomet bei feiner gan3en religiöfen ©ntwicflung, öeren 
frühere Stufen öie Profaf3ene nachholt, wäbtenö wir öie lebten Phafen in öer 
Eymne miterleben öurften, immer nur non öet ,,©niöen3 öes ©efübls" in 
Houffeaus Sinne 3U öer Suche nach öem All*©inen angeleitet worben. 3 n 
öem Augenblicf aber, wo et fich non Öen finnlichen Symbolen 3U öem Unfidjt* 
baren felbft auffchwingt, empfinöet er öas fubjeftin als einen Durchbruch 
unter öem ©influfe einer höheren Htacht, öer et fich nun mit überftrömenöem 
Gefühl ans ljet3 wirft. Ruft $auft in öet fpäteren Dichtung: „IHir half 

3dtfd|r.f b. 6eutf$enUnterricht. 29.3a^rg. II. Ijeft 44 



690 


3u (Boetljes ITIaf)om<t 


ber ©eift: auf einmal fei)’ id) Rat", jo fprid)t ITlahomet Dort bet (Öffnung | 

6er Bruft; ©oetlje oertoenbet, inmitten öes motgenlänbifdjen IRilieus, ein j 

Bilö, bas bet Koran bis 311t ©efd)madlofigfeit anfd)aultd) butd] geführt Ijat: (Engel 1 
öffnen bem Knaben tttaljomet bie Brujt unb fd)neiben i^m ben jdjn^en SH I 
bie U)ut3el ber Sünbe, aus bem fjetjen, reinigen es mit frif^gefaltenem Sdjnee 
unb feilen bie IDunbe. Bei ©oethe fafet nur Jjalima ben Dorgang fiimlicb auf, I 

ber Jüngling meint es geiftlid ); oielleicht badjte ©oethe aud) an bie Putput 5 j 

främerin £ybia, oon ber es in ber Apoftelgef<hid)te Kap. 16 , Dets 14 
bafc „ihr bet tjerr bas {jet} auftat" — eine $ormel, bie im religiöjen Untetridjt 
gern Dertoenbet toirb, um bie IDitfung bes ©eijtes 3U erilaren, unb aud) fräset 
ähnlich Dertoenbet toorben fein mag. $emer fdjmebt ©oetlje offenbat 
©efptäd) mit bem jamaritanifdjen IDeibe oor ( 3 ol). Kap. 4 ), bas bie geijtli^nt 
töeifungen bes Ijeilanbs 3unäd)ft aud) irbijd) Derjte^t. Die proja|3ene bringt 
nid)ts anberes als eine nähere Ausführung jenes Durchbruches bes teinen 
©efüljls burd) alle Sd)ranfen bes 3 ntellefts, in benen es bisher gelegen 1 )oH | 
fie jd)ilbert bas (Erlebnis, bejfen 3 eugen mir am ©nbe bes fjynmus 9 e ® 0I ^ n I 
finb. ©s honbelt fid) alfo, 3unäd)ft rein pfydjologifd) genommen, um eine 1 
lüdenlofe bramatifd)e (Enttoidlung. Die beiben S3enen jtehen nid|t nur in bet J 
hanbfdjrift hintereinanber, fie folgen aud), bramatifd) betrachtet, mit Hot 5 
toenbigfeit aufeinanber. 

Dagegen follen nun freilich anbete, mehr pljüotogifche (Brtoägungen 
fprechen, bie Saran (S. 9 f.) nach RTinots Dorgang fo 3 ufammenfafet: „Da 
Auf* unb Untergang ber Sterne, bes Utonbes unb ber Sonne fpielen fty « 

20 Derfen ab: bies auf ber Bühne bat3uftellen, fei fdjroet möglich- Betnet net 5 ; 
hinbere bie f3cnifche Bemerlung „Selb, geftimter Ijimmel", beide Stüde 1 
als 3 ufammengehörig 3U betrachten. Die ljy mnc umfpannt bie 3 ^ Don 
24 Stunben, oon einem Abenb bis 3um nächften. Ijalimci fud)t ih ren 
fohn oon Sonnenuntergang an. 3 ft bies ber, mit bem bie hy™™ 6e 9 innt j 
©ber ber, mit bem fie fdjliefet? U)enn bet leitete, fo pafet bie f3enifd)e Bern«' ; 
fung nid)t 3ur J)rofa, roeil fie offenbar auf ben Beginn bet erften StK# 
beutet. IDemt ber erftere, fo gibt es erft recht unmögliche | 

halima müfcte bann oolle 24 Stunben herumgeirrt fein!" Diefe (Ermägungen 
finb richtig 00m Stanbpunft bes praftifdjen Bühnenleiters unb bem bet | 
naliftifchen Schrifterflärung, ber auch ITtinor nicht immer entgangen ifjl l ,e 
toiberfprechen aber butd)aus ben bebeutfamen tDorten, mit benen bet ’ 
©oethe, geroifj nicht ins blaue hinein, feine fünftlerifdje 3ntention in „ 
tung unb Wahrheit" erläutert hat: „Das ©an3e näherte fich tneljt Ht «F 
mäßigen Sorm, 3U bet id) mich fd)on toieber hinneigte, ob ih atid) 9^ e '* c 

oem Sh ca ter einmal errungenen Steiheit, mit 3 cit unb ©rt nach ( 
^en 3U bürfen, mäfjig bebiente". Daraus geht nicht Dlofe fa® 0 ' 
bafe bem jungen ©oethe bebeutenb mehr S3enen norgefchmebt haHn m\P> 





Don Robert Petfd) 


691 


als utts iefct oorliegen, bafj ihm au* roohl ein im Sinn öes regelmäßigen 
Dramas ausgeöadjtcr „plan" öer ^anölung oorlag, fonbern oor allem, baß 
unfere beiöen Sjenen unter fich feljr genau 3ufammenljängen unb öo<h im ein* 
3elnen oiel Srei^eit haben tonnen. SatfädjlidE} ift öer „fjymnus" eine hanö* 
lungsreiche S3ene für fid?, eine in einen XTConoIog 3ufammengebrängte Kette 
oon (Erlebniffen, öie in XDirfIid}!eit einen oiel größeren 3 eitraum beanfpruchen 
öürften. ©oethe macht hier oollen ©ebraud) oon Öen Sreiheiten öes „lyrifchen 
Dramas", öeffen ©edjnit unö tünftlerifdje Beöeutung uns Albert Käfter fo 
einbringlich öargeftellt bat 1 ) unö öeffen Spuren toir in oielen Dramen ©oetljes 
toieöerfinöen, öie in feiner 3ugenÖ3eit ®ur3eln. 3 dj erinnere nur an Öen 
„Sauft", öeffen ITConoIog ich burdjaus nicht toie Saran als eine lodete Der* 
fnüpfung „öisparater" ©t3eugniffe aus oerfdjieöenen 3 eiten öer Arbeit am 
tDerf betrachte, fonöem als öie abgefür3te, nach öem „©efeß öer (Erinnerung" 
bebanöelte Darftellung einer langen ©ntroidtung öes tjelben oon öer tDiffen* 
fdjaft 3ut theoretifdjen RIagie, oon öer Ahnung höhntet (Ertenntnis unö gei* 
ftiger S^ci^eit 3um heißen Haturörange, oon öem tDibertoillen gegen öie 
öritdenöe ©nge öes Stuöiet3immers 3U öer praftifdjen 3 ®ubetei, öie ihn 3um 
©enoffen öer ©eifterroelt machen foll. ©efchloffener in öer Sorm unö in öem 
Rhythmus öer öramatifchen fjanblung ftellt fich unfet Hymnus öar, öer (Drt 
unö 3 eit auch „fehr frei" beljanbelt. Aber in öer „tiefen $infternis, öie Öen 
©ottfudjer fchUeßlid} einhüllt, tritt fjalitna auf unö ftört öie ©ffenbarung 
öer heiligen Ha<ht" — geraöe toie öer $amulus DOagner, öer ja oon $auft gan3 
ähnlich begrüßt roitö toie öie Pflegemutter oon ITCahomet: „CD, öaß fie mich 
in öiefen gliidfeligen ©mpfinöungen ftören muß". EDie im „Sauft", holt öer 
Dichter auch h^t eine Reihe früherer (Erfahrungen öes £jelöen nach, öie feiner 
hintoenöung 3um ©eftirnöienft ootangingen: feine Soslöfung oon öem 
©ößenglauben öer Däter; unö hier toie öort reöet fich ber fjeiö immer tiefer 
in feine ©efüljlsüberhißung hiuein unö bricht fdjroff öie Brüden ab, öie ihn 
mit feinen bisherigen Sebenstreifen oerbanben. Aber Sauft toill entfliehen, 
RTahomet feine Umgebung belehren: öatin fdjeiöen fich öie tDege öer beiöen 
fjelöen. 

Als ©oethe feinen Bericht für „Dichtung unö EDahrheit" fd)rieb, hatte er 
noch eine 3iemlich flare Dorfteilung oon öer „tjymne", öie profaf3ene öagegen 
ermahnt er 3um minöeften nicht im ein3elnen. Aber ausge3eid}net ftimmt 
3u Öen Derhältniffen feine allgemeine EDenöung: „Halbem fich alfo Rlahomet 
felbft belehrt, teilt er öiefe ©efühle unö ©efinnungen Öen Seinigen mit". 
Unö toas bann folgt, oon öer Belehrung feiner $rau bis 3U feinem ©obe, reiht 
fich ebenfo leicht unö roiöetfpruchsios an. So glaube ich, baran fefthalten 3U 
bütfen, baß öie erhaltenen Brudjftüde öer Rtahometbichtung uns nirgenös 
ÖQ 3 U notigen , oon Öen ©runölinien öer Darftellung ©oethes in „Dichtung unö 

1) 3n ben „Pteufeifcfjen 3ah t büchern i, , Bö. 68, S. 188ff. 

44* 



692 3u ®octf|e$ llta^omet. Don Robert petfd| | 

IDahrheit" ab3ut»ei<hen, insbefonbere nicht öa, r»o cs fich um öie tünftlcrildjcn 
Intentionen bes Dieters bei ber Reugeftaltung feines planes im 3ahte 1774 han 5 
beit. 3 dj möchte batan um fo mehr f efthalten, als Satan felbft in öem jmeiten, 
ausführlicheren unb gan3 aufeerotbentlich ergebnisreichen Abfdjitttt feines 
Buches ge3eigt hot» une fi<her unb beftimmt bet Derfaffet non „Dichtung unö 
IDahrheit" feine jugenblidje Intention bei einet anbeten Dichtung, öem „pro* 
metheus", toiebetgegeben hot. (Gegenüber bet einfeitigen Deutung ins 
Spim>3iftifche ober ins pantheiftifche, bet auf ©tunb bes betannten (Befpia^es 
3»ifchen £effing unb 3acobi faft eile bisherigen (Jtflätet »«fallen finö, greift 
Satan mit Recht auf ©oethes eigene Zahlung 3utüd; « fieht in Prometheus 
ben IDelt 5 unb XHenfchenfchöpfet, bet bei ©oethe tein Angehöriger, fonbern 
ein $einb bes ©itanengefchlechts ift, bet aber hoch (als „^cibgott"?) unter 
ben ©öttem unb mit ihnen unter 3 eit unb Schidfal fteht; cmgefichts feiner hö^* 
ften Schöpfung, bes BTenfchen, »ergibt biefet ©eroaltige feinet Bebingtheih 
fotnie fie auch 3 upiter oetgeffen 3U hoben fcheint, unb r»iH fieh 3 um un ^' 
fchtänften tjerm auftoetfen: eine gan3 ähnliche Rolle urie fie £u3ifet in ienem 
freilich noch ftarf chriftologifch geroanbten IDeltbilöe bes fugenölichen ©oethe 
einnahm, bas in „Dichtung unb IDahrheit", Buch VIII ausführlich entoiddi 
ift. Saran ift ben ©tunblagen biefes ©ebübes in bet gnoftifchen PW<# 
forgfältig nachgegangen unb hot manche toertootte parallele aus töottfw 
Atnolbs Kitten* unb Ketjerhiftorie, aus Btucfers ©efchichte öet pijilofoPr 
unb anbetn Quellen beigebracht. 3 ch möchte aber bie Detmutung roognt, 
bafe eine gtünbliche Dutchficht 3 afob Böhmes unb auch bet patcgeljifche« & 
ratut, bie mit 3ut3eit nicht 3U ©ebote fteht, eine noch toett ergiebigere flu*» 1 
geliefert hätte. 1 ) Übet manche ©in3elheit läfjt fich rechten. IDas Saum 3 - ■ 
übet bie Stellung bes Prometheus 3U IRinetoa fagt, ober übet öie Ho h 
bie Hierfür bei bet fünftigen Ausföhnung 3n>ifchen 3upiter unö Prometheus j 
unb bei bet Begtünbung bes neuen 3beal3uftanbes fpielen follte, »ot 
aber, t»as 3 ugunften einer antiflopftodifchen ©enben3 auch biefet WPj 
behauptet roirb, lamt ich nicht unterfchteiben; aber banfbat erlernten wir ®* I 
hier bie (Einotbnung bes ein3elnen IDerles in ben gtofeen 3ufatninenF| I 
bet IDeltbichtung bes jungen ©oethe an. „Prometheus" unö ‘ 

fpiegeln ben Abftur 3 bes Kulturftifters nach bet ttagifchen, „Satyros" nach« j 
fomifchen Seite. Dem Jjelben bes erften Dramas erroädjft bie ©efah 1 
eigenen Seele; er fe# fein 3 ch abfolut unb fteltt fich bamit aufeetl}au>® 
pogen £ebens 3 ufammenhangs; bie beiben anbem motten bas £eben nu’l 
fei es aus reinftem Antrieb, fei es mit gemeinen RebentüdfichleO' 0l<t . 

fptrit ihnen ben Streich, bafj es fie in fein eigenes ©eroebe ^ ncin ^ , «.» 
ftebtejerrfchaft über fich unb ihr Schidfal »erlieren. 3 n bem Dichter F“ 

£ellin«\^’ iefrilaud} © £iepe,f>Das Religionsproblem im neueren D tama 5 
ie,,tn 9 bts jur Roman«! (1914), S. 109. 




ITaturgefafjt unb Derftönbnts für ttatuiftimmung. Don Paul menge 693 

^at bei tnilöe Sturm unb Drang fd)on ausgebrauft: er liebt bas £eben unb fudjt 
es 3U faffen unb 3U geniefeen, wo immer es ftarf, rein unb urfptünglidj ihm 
entgegenfdjäumt, aber er bleibt fid} feiner Bebingtheit unb (mir bürfen es nach 
ben „Darmftäbter ©ben" oerfidjern) feiner Derantwortung gegen bas höhere 
unb gegen bie ©leichftehenben bewufet; er ftrebt nidjt nach IUad}t ober nadj 
Selbftgenufe, fonbem nach ruhigem Ausgleich, unb er fudjt butd} bic^terifdje 
Beichte im tragifchen ober im fed*parobiftifchen CEone fjerr übet alles 3U werben, 
was bas £eben unb ber Detfeljt mit rechts unb linfs an 3 rtungen unb EDir* 
rangen ihm nahe 3U legen btohen. 


tlaturgefü^I unö Derjtänönis für ttatur|timmung. 

©inDerfud} in ©bertertia. 

Don Pani menge in Sdjulpforta. 

Die Pfingftferien waren 3U ©nbe gegangen, bie faft jebem Schüler burd} hert* 
li<he gleid)bleibenbe IDitterung bie tTiöglidjieit geboten hatten, roenigftens in ber 
engeren Umgebung bes Sdjulortes Ausflüge 3U machen unb fidj in prächtiger Itatur 
3U ergeben. Der erfte Schultag rief mich 3U einet Deutfdjftunbe in bie ©bertertia. 
3 <b fragte, too bie jungen gewefen feien, ^ier wufete einer teyooll oon ben Schön* 
beiten 3U berichten, bie ibm ber frühlingsgrüne U)alb offenbart batte, ©n anberet 
bat, fein Sfi33enbud} mitbringen 3U bürfen, um 3U 3eigen, was für bübfdje Bauten 
et in bem fdjon fo oft burdjtnanberten Dorfe entbedt habe, ©n britter fchwärmte 
non einem RTarfch mit lieben $teunben bur<h bie büftere Dradjenftblu^t 3m liebten 
hoben Sonne unb in bas ftimmungsoolle HJilhelmstal mit feiner mänbenfdjönen 
hodjroalbsgrotte. ffin anberet, ber bie $erientage mit feinem Dater im Sch©at3a» 
taloerlebt batte, wufete nur Hamen auftu3äblen, bie but(b „toaren wir" bie einige 
petfönlidje Hote erbielten. 

Das wat’s, was ich gefugt batte. U)it machten uns Hat, was wobl bie Karne* 
taben A —C empfunben unb et3äblt batten, wenn es ihnen oergömtt gewefen wäre, 
fo wunberberrlidbe ©egenben 3U bur<bpilgern wie D. Die Dorbebingungen 3um Der* 
ftänbnis pon Anaftafius ©tüns fo einfach flingenbem, einen fo leicht faßbaren 
©ebanlen fo anfprachslos unb boeb fo gefchidt portragenbem ©ebidjte „3wei heim* 
gelehrte" war gegeben, ©s perlangt nur geringe Dorlefefunft unb wirft bo<h fo* 
fort übe^eugenb mit feinem: 

Bäume, IDiefen, Bachjunb hain unb blauen h'nimel unb Sonnenfdjein" unb 
„4i! Bäume, IDiefen, Bach unb hain unb blauen himmel unb^Sonnenfcbein." 

& ift ben 3 ungen gleich Har geworben, bafc ihre Rlitfchüler A—C unb D ihnen, ber 
«garten Sippe", eben offenbart haben, bafo fie in mannet Be3iebung ben beiben 
heimgefehrten gleichen, freilich bie eigene ©ntfeheibung 3m Reife, „weil mobe juft", 
D gefehlt bat © würbe halt mitgenommen. 

So wirb ber ©ebanfe gewonnen, wie perfdjieben bie Hatur, ja biefelbe ©egenb 
auf 3wei IDanberer witfen fann, pon benen ber eine mit offenem, leidjt empfättg* 



694 


Haturgefül)! unö Derftänbnis für Haturftimmung 


li^cnt Auge öie Schönheit öer HTutter ©rbe in fid} aufnimmt, roährenö [ein mit i|nt 
3iel}enber Kamerab [tumpf ober oielleid}t fd}on überfättigt [einen IDeg genommen Ijd 

Da[j freilich öiefelbe ©egenö einen IjödjJt mannigfaltigen (Einörud aud) bei 
öemfelben Befdjauer ermecfen fann, roirö aud) angemerft. 3®ei ©tünöe roetöen te 
für gefunöen. 

1. Oie Hatur felbft fann fo gan 3 oetfdjieben fein, je nacf; Öen Sages- 
unö 3aljres3eiten. 3d} Iefe Öen 3ungen aus öem Anfang oon Agnes 
©ünt^ers munöerbarem Buche „Oie heilige unö iljt Harr" not. 1,5. ,5m 
öie^ter Hebel lag örei Sage über öem tOalöIanö. Oann fam Öie fdjarfe Kälte, uni 
nun hot öer H)alö fein fdjönftes XDeU)nad)tsfIei6 ange 3 ogen. IDie feierliche Kante 
labet [inö öie alten Schirmtannen, öie oben auf öer freien f)ölje fteljen, nur öafs [ie 
ihren Ket3enf<hmu(f nach unten hängen. Hief bis auf Öen Boöen [enlen [id( i||te 
flfte unter öer [ihroeren £aft, öie nun ein heimliches Heft bilöen, oon öem man fid) 
öenfen möchte, bafj öarunter irgenöein ftierenöes fjüslein ober Reh ein ®f>öad| fanö. 
Die Bitfen Jinö mit taufenö unö abertaufenö Kriftallperlen behängen (!) unö cm 
ihr feines ©efieöer hot fid} öer Rauhreif angefeijt, roo ein Blattfnöfpchen auf Öen 
fommenöen Srühling märtet, öas es läfet, als mollte öer Baum mitten im Hlintet 
feinen Htai hoben, aber einen filbernen. 3eöes Hlöslein am IDege, öer Oornftrauch 
öort, aus öeffen friftallnem ffie 3 roeig noch öie roten Beeren hetoorleudjten, alle h°öen 
fid) in föftlid}e Seftgemanöer geroorfen. H)ie 3 ierlid} unö fein fteljt öer Oiftel 
filbernes Krönlein. H)ie ift aus öem geöueften Sdjlefjenftraud) öas HTeifterftüd 
eines ©Ifenfilbergefchmeiöes gerootöen! ©an 3 ftill ift es, unö nur 3 Utoeilen geh* 
feines Klingen butd} Öen H)a(ö unö ein Seu^en, menn ein 3®eig einen Heil f^® 
£aft, öie ihm 3 u fd}mer gemoröen ift, abfd}üttelt. Oie Buchen finö gan3 öi# f 
moröen, unö auf Öen IDeg, über Öen fie mieber, roie im Sommer, öod} nun aus eölem 
H)eife, Silber unö Kriftall, öen gotifchen Oom bilöen, fällt ein rounöerbar geöämpftö 
£i^t oon öem fanften, nebelgrauen himmel, öer öo<h ein mattes Sonnengolö alpen 
läfet. Oer fjofelbufd} hot fid} mit breiten Silberbänöern behängt, öie in feltfamen 
Bogen unö IDinöungen feine 3u>eige oerbinöen. Spinnfäöen [inö’s, unö roie 0111 
ftd} öie emfige Spinnerin, öie-nun lüngft mie ein totes, melfes Blatt übet ihren noTO 
fdjlafenben Kinölein hängt, oermunöern, menn fie feljen fönnte, mas aus ihrem 
fpinft gemoröen. $liegt ein Dogel auf, fo ftiebt ein XDöIfdjen oon filbernen Sternen, 
unö mie fie fallen, fo liegen fie auf öem IDeg unö fchmüden auch ih n ' ^ et f on * 5 
naeft unö braun ift ..." 

H)ie menig Stäöter lennen öen IDalö in öiefer herrlichfeit. Bei unferen Sdpl®' 
finöet foldje Befdjreibung ein freunöliches (Echo. IDirö ihnen öod} oft Anrejunj 
3U einem minterlid}en H)alöfpa 3 iergang gegeben, öer manchmal bei Dollmonöfd)* 1 
erft nad} öem Abenbeffen beginnt. Oa gehen ihnen öie Augen auf für öen m° 
urchgliherten Betghang unö füllen Htärchenmalögrunö. So hoben fie es an 1'* 
lebt, mie oerfd}ieöen Sonne unö RIonb öiefelbe £anöfd}aft erfd}einen lafF< ® 
anöets öas marme Sonnengolö unö öes Rtonöes herber Silbernem roitfen. 
c ais Y i d? öie .^ un 9en fragte, ob fie oielleicht einen Dormurf fennten, öer oon * 
»-!»?• ^ a * ct | n De rfd}ieöenet £anöfd}aftsftimmung gemalt fei, nn»6 te mIt , ... 
<-? ms »Düla am IHeer" 3 u nennen, öie in öoppelter Ausführung 

galcrxe 3 u Iltündjen Ijängt, H)ie geroöljnlid} roar audj l}iet öie 



Don Paul menge 


695 


unter bes Künftlers $anb eine Reufchöpfung gemotben. Ceidjt tonnte ich Radjbilbun* 
gen oon biefen Bilbern befdjaffen, bie erft ausgefteUt unb bann befprodjen tourben. 

(Es neigt fid? ber (Tag 3um Abenb. ©ne mellenunterhöhlte Klippe ragt mit 
buntein, niebergebeugten 3 ypreffen in bas tlteer. ©ne antite Dilta mit reifen 
Säulenhallen, Sigureniinb ©ebüfcfj leuchtet 3roifchen ben büfteren Bäumen hinöurch. 
Der IDinb treibt bie IDellen in bie flache Bucht, an ber gebanfenoertoren eine bunfel* 
getleibete $rau an einen $els gelernt trauernb in ben müben flbenb Ijinausfdjaut. 

Die Anlage beiber Bilber ift 3roat gleich, um jo oetjdjiebener ift bie Ausführung 
im ein 3 elnen. Die eine $affung ift 3atter unb matter in ber $atbe, reicher gegliedert, 
bie anbere roeift größere $atbenflächen unb tiefere (Tönung auf. Auf bem einen 
Bilb [inb bie 3 ypteffen com IDinbe leicht gebeugt, marmes Abenbgolb burdjleuchtet 
ben RIatmor, blühenbe Büfdje machfen um bas fjaus; auf bem anbern liegt blei* 
graue Sirottoftimmung, ein fraftiger IDinb fdjüttelt bie Baume unb fäumt bie heran* 
rollenben IDellen mit meinem ©ifdjt; eine Diel reichere Ardptettur breitet fid? nach 
lints hin aus. Ruhelos heftiger S<hmet3 unb De^meifelte ©itfagung fpredjen aus 
ihm, tiefemfte, roeiche (Trauer aus bem anbern. Schabe, bafe uns bie brei anbern 
Saffungen ber „Dilla am IReet" nicht auch 3 ut Derfügung ftanben! Bejonbers bas 
Rachtjtücf hätte ge3eigt, roie $arben unb Stimmung jo unenblich oetfehieben oom 
Künftler termenbet unb eqeugt finb. So ift ben jungen beim Betrauten tlar ge* 
rootben, bah (Tages* unb jfahres3eiten ungewollt in ber Ratur, getrollt im Bilbe 
einen recht oerfchiebenen ©nbrucf heroorrufen tonnen. 

2 . Diel tommt auch auf bie Stimmung an, inber betBefchauer felbftift. Der* 
felbe IDalb, biefelbe Ausficht tann uns heute Rufe bes ©Südens entloden, unb 
morgen beachten mit fie überhaupt nicht ober fd}reiten gar mißmutig an ihr norbei, 
burdj ihn hin* innere Ruhe unb ©lüdsgefühl laffen uns äußere fjerrlichfeiten gan3 
anbers aufnehmen unb oerftehen. 3 n trüber ober gar angftooHer Stimmung finb 
mir ftumpf. Da tann fid? bie Ratur mit bem gan3en Reichtum ihrer Schönheit fchmüden, 
roit bleiben blinb für ihre Rege. 

Unb hoch empfinben mir manchmal etmas auch in biefer ©emütsoerfaffung 
ron ber uns umgebenben Ratur unb finb banfbat geftimmt, roenn fie {ich bei unferer 
Refignation in Regenroolten hüllt unb alle fjeiterteit nerbannt; noch banfbarer finb 
mit freilich, menn fie für unfete gteube fich mit allen $arben ihres reifen IRaltaftens 
fchmüdt, ihre Dögel jubilieren, ihre Schmetterlinge unb $alter gauteln läfet unb ein 
leifes Cüftdjen uns ben 3 arten Duft ber Cinbenblüte 3ufächelt. 

Cafet uns biefen ©ebanfen meiter fpinnen! IDeldje 3 eit gilt mohl unferen beut* 
f<hen Stauen als bie hächfter $reube unb Seligfeit? £eid}t mirb gefunben, bah ihnen 
bie Brau^eit unb ber (Tag ber tjod^eit mit ihrer ©füllung leifen Sehnens bie h^htfte 
<Eh l ®n3eit ift, bie fühefte in all ihrer fjoffnung unb £ieblid?teit, für bie fdjon ein 
Knabenhet3 bas richtige ©efühl haben tann. ©n ebler beutfdjer Dieter mürbe nicht 
roie tjipponaj in feinen hinfenben Rhythmen, in benen ber letzte $uh bes jambifchen 
(Trimeters unermartet in einen (Trochäus umfdjlägt, fpotten fönnen: 

Sv i faigea yvvcaxog elöiv rjSiötcu, 
s Stav yatifj ns x’axqpip# rEd'vqxvtccv. 

Beglücfenb ift bas tDcib öodj nur an 3 toei Sagen: 

Xöenn einer freit, unö tuenn man fie ins <5rdb einfenft. 



696 


tTaturgefüf)! unb Derftänbnis für Haturftimmung 


lohnt fidj, öicfett betoufet boshaften Oers Uljlanbs „Sdflofe am flleet' ent- 
gcgcti3uftellen, bem ©ebidjt, bas fo 301t ben lag höchften Rubels bem großen £eiöe 
3ur Seite fefet. IDiemitfühlenb ift ba bie Ratur gefdjilbert! Das eine IM bieflaiejlul, 
in bet fi<h bie tofigen Abenbroolten unb bas hohe Sdflofe fpiegeln. Unb btoben tteien 
aus bem oon $eftesjubel ettönenben Saal bie ©Item mit Krone unb purpurmantd 
mit ihrer 3ut Jungfrau erblühten Sottet, bet eine Krone golbenen tjaares bas ^aupt 
fchmüdt. Das anbete Rtal liegt bas Schlofe fo, wie es uns ähnlich eine Künftletfiehp 
3ei<hnung 3eigt: bas Schlofe im grünlich«n>eifeen falten Cidjt bes Ulonbes, über bem 
IDaffet leistet, fallet Hebel, fein Cüftcfjen regt fidj. Um fo f^auetli^er Hingt tos 
Klagelieb aus bet fjalle, bie eben bie trauemben ©Item neriaffen. Die Itatur ift nom 
Dieter empfinbfam gebaut, fie fiif^It mit bem UTenfdjen. Sie möchte feinen 3 uW 
ttoc^ mehren öurdj bet golbenen IDoIfen tofige Pracht. Das anbere Wal ^äß fie 
fi^I WH 3utü<f; fein fronet $arbenton foU bie ©Item in ihrer ©tauet ftöten, lein fri[<ber 
U)inb i^nen ein Siebten pfeifen. 

S<hon bie alten Dölfer bauten fich bie Hatur belebt. Slufegdtter, Satyrn uni 
Hymphen häuften in ihr. Unfeten Jungen ift non ftühauf biefe Dorfteilung ni*i 
ftemb. Sjängt ja bodj in unfetem Speifefaal ein non Ceffing gemalter ®o6eünr 
bet ein Bacchanal batftellt. Dor einem ©empel flammt auf einem flltat ein lobembes 
©pfetfeuet, bas eine Schar non Kentauren umta^t. Auf ihren Rüden ^aben p< 
fid? Hymphen gefegt 3 ht 3ubel Iocft aus bem U)albesbicfid|t anbere, mit benen 
lofe Satyrn unb Stufegottheiten ihr fröhliches Spiel treiben. 

Allen ift auch ber Kampf Achills mit ben Slufegöttem bet ©rojaitifchen ®* ne 
befannt. ©in Spüler erinnert an bie Darftellung bes Uils, bie &113 befpro^en wirb. 
Auf meine Stage, ob fie nicht auch aus ber (Dbyffee ©eftalten fennten, bie bas M« 
mit feiner Iocfenben unb betörenben ©eroalt perfonifi3ierten, merben mit bie Sitencn 
genannt. IDie heifet bie beutfdje Sirene, bie ebenfaUs mit ihrem Singen ben IHeiP 
fchen betört unb bann oernichtet? Oie Corelei. IDer hat bas befanntefte ®«iif 
über fie gefchrieben, bas nun fdjon Iängft 3um Dolfslieb gerootben ift? h c ’ nf ' 
hier Iaffeid), wenn es möglich »ft, ben Komponiften ben Oichtungsgeljalt oerft&tej 
Bei ber befonberen Stellung, bie auf ben Sürftenfifjulen bie Hülfet noch «iiwj** 
finoet man in 0 III lauter mufifalifch uorbereitete, 3um gtofeen Seil aud} nuififauf"! 
tätige Jungen, bie einem berartigen Oerfuch genügenbes Derftänbnis entgegen' 
bringen. (Übrigens fteht in ben meiften KIaffen3immem ein Klarier.) 3 h wf 
xfc-tt? et * 0nun ®’ ** n I an ftem D*Dur beginnt bie ©Zählung unb fc^ilöert benwl’J 
bahmfliefeenben Rhein, ber fo ehrbar ausfehaut. Da ein leichter rDatntuf. J>* 
fuhtetifch beginnt in As *Our sempre dolce ein einfchmeichelnbet U)al3er. UHr.lJ« 
bie fchonfte Jungfrau broben ihr golbenes haar ftrählen. Die ©onart biegt ub« 
. eiches Ces*Dur nach hartem ODut über 3U ber wunberfamen, gemaltigen UW 1 
crescendo molto, ©in braufenbes Allegro agitato molto betäubt ben ShMP 
CSufen raufchen unb gifdjten bie IDogen. Smmer höh* P* b{i ft 
SIS d?n€ ! et tet6cn öic n)a n«t ben Kahn bahin, bis eine Disharmonie um I» 
hanbung ahnen Iafet. ©s mieberholt fich bas erfte Htotio oon bem ruhig 
2 T' |. m ? S ° 0n öemmerfe " Iafet, toas eben auf ihm gefeiten ift; bas h«*•“*" 
febon 1 sL 9 .! 0 "’ ? Cn 5 3 ta> u nö berKompofition hüben bie ©afte, bie uns bie M* 

9 f h» uhen Stromfchneüen mit ihren glifeernben, reifeenben IDellen feh^ 


Don Paul ffitnge 


697 


Daneben laffe ich Schuberts Dertonung non ffioetljes „gifdjet" ertlingen, 
mit ihren gleichmäßig burdj alle Hafte ber Begleitung ettönenben Sed^ehnteln 
unb ihrer einfachen, fo leicht oerftänölichen Steigerung im 3roeiten Heile, ©ibt es, 
nadjbem man biefen ©ang ber Befpredjung eingefdjlagen hot, eine beffere Analyfe 
für ©oetljes ©ebicht? gaft nichts bleibt 3u erflären neben ber Befprechung ber wun* 
berooll gewählten Sprache mit ihrem RJechfel an Dofalen unb ihrem erftaunli^en 
Können oon Honmalerei. Die 3 ungen oerftehen fofort butch bie Kompofition, 
baß h«r nicht eine gewaltige glußlanbfdjaft mit tofenben Stromfchnellen unb 3acfigen 
gelsflippen bem Dichter oorfdjroebt, fonbern bas leicht murmelnbe Riefeln unb Rinnen 
eines gluffes, bas gefdjwäßige Raunen eines Heikes ober Sees, bie ben giftet hinab* 
loden in ihr tounberoolles, fühles Reich, in bem wellenatmenb bie Canbfdjaft unb 
bas feucht oerQärte Blau bes fjimmels3eltes fi<h fpiegeln. Daß auch ein jo ruhig 
gleitenbes IDaffer in ber pijantafie {ich 3U einem „feuchten DJeibe" gefaltet, hot 
füt bie jungen nichts Deramnberliches mehr, ^aben mir bo<h jüngft erft Bödlins 
„Schweigen im IDalbe" befchaut unb befprodjen. „R)it gehen 3roifdjen ben geraben 
tagenben Stämmen hin, unb immer einfamer toitb’s, immer ftiller. Run Stunben 
fdjon, nur Stamm an Stamm unb Stille, ©ibt es irgenbtoo btaußen noch «ine RMt 
ber Rtenfdjen? ©ibt es irgenbtoo noch eine IDelt bes £ätms? Stunbenlang toiebet ' 
nur Stamm an Stamm unb Ruhe, Stille, Schweigen. Da gefdjieljfs. 3 toifdjen ben 
Stämmen {«breitet bas ©inhorn heroor, bas jahrtaufenbalte, auf ihm bie D)alb3auberin. 
Das ift alles gan3 fetbftoerftänblich, bas muß ja hier {o fein, ©leidjmütig fieht fie bi<h 
an, unb lautlos reitet fie oorüber, unb wieber 3wifdjen bie Stämme hinein unb 
fdjweigenb weitet. Da ift fie wieber, unb noch einmal, unb nun ift fie oerfdjwunben" 
(Aoenarius). 

Roch näher liegt ben beutfehen Knaben ber Rtaler, beffen Kunft fo oft bem 
Rtär<hen3auber bes beutfehen H)atbes gotm gab: Sdjwinb. ©r muß manchen Abenb 
im gefpenfterlichen hohen gorft es hoben raunen hören, hoben bämmem feljen. Die 
fnorrigen Baumftämme mit ben langenben flften {«heinen himmelwärts bie Atme 
3u reden. All bie wunbetlichen Derwachfungen werben lebenbig. Die motfdjen 
Knorren fperten bir ben IDeg. Die Steine leuchten fo eigen am moofigen fjong. 
3 mmet büfterer, immer geheimnisooller wirb es. ©in R)inbftoß fchauert burch ben 
Blätterbom. Da, ba! Raht ba nicht eine herrifche, mächtige ©eftalt mit im RJinbe 
flattembem Bodsbart? ©in leichtes ©raufen überläuft uns. Sollte Rübe 3 ahl • • •? 
Ach nein, bas gibt’s ja für unfet aufgeflärtes 3 ahrhunbert nicht mehr. Unb hoch, 
wie feltfam! wie gut hätte er in unfete Stimmung gepaßt. Die lange 3ottige glechte 
an einem alten oetfriippeiten Stamme tut nun fdjon wiebet gar unfchulbig, als 
wüßte fie nichts oon Häufung unb Dotfpiegelung. ©eben wir aber weitet im R)albe 
bis hin 3ut feuchten R)iefe, ba läßt Schwinb uns bie ©Ifen {«hauen ober ihre männ* 
liehen ©enoffen in neblig 3erflatternbem ©ewanbe. Alles, was als R>albpljantaftif fo oft 
fdjon oor ihm erftanben ift unter ber gebet besSdjriftftellers, weiß et als erfterouf bie 
Ceinwanb ober Pappe 3U bannen, ein RJegweifer im beutfehen, romantifdjen gorft. 

Rieht Dorbereitung bebarf bas leßte ©ebicht biefet Reihe für 0 III, ©oetljes 
„©rllönig". Rlan wirb bie ©efdjidjte eQäljten, bie ©oethe in ber Hanne 3U U)enigen* 
jena hörte unb bie ihn 3u feinem ©ebicht anregte. Rlan wirb in ben Schülern bie ©r* 
innetung wachrufen an ©änge, bie fie an fjcrbftabenben in ber Saaleaue unternommen 



698 Raturgefühl unb Derftänbnis für Itaturftimmung. Don Paul Menge 


Robert. R)ie fid} ba, roenn bie leisten Rebelfdjroaben in langen Streifen öie Sluten 
fibet 3 ogen, eigentümliche ©ebilbe 3 ufammenballten, roie aud} fie, roenn jie in i« 
Dunlelfjeit burdj Öen tDalb dritten, burdj bas Raffeln büner Blätter, öie pielleidtt 
ein ljarmlofer Sgel emporljob, erfdjralen, roie ba tnorrige unb oerljutselte Bäumt 
fo leicht ©eftalten oon Rtenfdjen 3 U ähneln fdjeinen. Sie lernten Bilber aus \\m 
IRätdjenbüdjern, roo befonbers tDeiben in Rlenfdjengeftalt gebübet [inb. tDoljI febet 
non ihnen ift auch einmal franl geroefen unb roeife fidj 3 U erinnern, roie bie$ieb# 
alles oe^errte unb anbers erfdjeinen liefe, als bes Alltags llarer Derftanb es lieft 
Run finb bie jungen fo roeit, audj biefe Krone ©oetijefdjer Spradjfunft roürbiyn 
3U lönnen, audj roenn es bem Center nicht leitet gelingen roirb, bas Oeöidjt [o Mt 
3 utragen, bafe es bet erhabenen Kunft bes Rleifters geredjt roirb. Dielleidjt roirJ 
er auch ^ier bie Rlufif als Helferin begrüfeen unb ihnen Schuberts ober £öroes Den 
tonung oorfingen. So roirb es ihnen oielleidjt nodj llarer, roie in bet gtaufigen Sturm* 
na^t bas fiebernbe Kinb in feiner aufgeregten Pfyantafie ben dlfenlönig etblift 
mit ben füfeeften IDorten iljn 3 U Spiel unb ©an 3 im buftigen Reifen ber iKÄ 
loden hört, roie es fidj non iljm gepadt glaubt unb ädftenb im Amt feines Daten 
ftirbt, beffen llarer Derftanb fidj bem geheimen £eben ber Ratur famt feinen DDunbent 
' oerfchloffen hält. 


tjiernut roat biefe Reihe oon ©ebidjten abgefdjloffen. Sie follten bem Scproö 
bie Augen öffnen für bie Schönheiten ber Ratur, bafe fie fie empfänben unb f'd] ihrer 
freuten. Sie follten fie auch oorbereiten auf ben Kreis oon ©ebidjten, bie im Sefe 5 
buch unter ber überfdjrift „Rfeltlidje £ieber" ftehen unb bie ohne berartige Botte 
fptedjung oft leinerlei Derftänbnis finben. 

©in ©ebanle fehlte noch, nämlich *>afe ber Rlenfch auch felbft oiel ba 3 U tun km 
bafe bie Ratur ber Stimmung, ber fie bienen foll, auch recht bient. 3m AnfdpS 
an einige Bilber aus Sdju^Raumburgs „Kulturarbeiten" befprachen mir im e«f 
fadjften Sinne bie Aufgaben bet Bautunft unb ©elänbegärtnerei, unb bafe t ' (i 
leicht beroufeter, aber faum beffer als mancher frühere 3 eitraum ihren gorberungen 
geredjt roerben. ©in ©ang über ben griebhof 3 U RJeimat follte uns bas llarmach* n - 
3dj möchte mit einigen Säfeen aus einem ohne Dorbereitung h' et *^ ct ^ 
affe als Heine einftünbige Arbeit gefdjriebenen Briefe fdjliefeen. „D et 
tn IDetmar hat etroas an fidj, roas idj bisher nirgenbs auf einem 5* ö W e “ 
fmben lönnen. Sch fann nidjt fagen, bafe er auf mich fo friedlich gcroirlt hat roie tum' 
qer Dorffirdjhof. ©be roar er erft recht nidjt trofe feinet gewaltigen flusbeh«l 
s mag fein, bafe bie Kunft, bie hier fo ftimmungsooll mit ber Ratur Derbunben 
u . n ,, QS ^ em tRenfdjen nun einmal eigene ©rauen not bem Hobe fo et ^ u 
eigentümlich auf midj geroirlt haben. Da 3 u lommt noch bie merfroütbige 
öeftattung; Kreu 3 e, roie man fie fonft 3 umeift als 3 icrbe ber ©räbet fieljt, 9*«'” 
nerha tmsmäfeig feiten. Dagegen ftanben fdjöngeformte Urnen auf h°h <n ' 
Sterne mit Reliefs, bie S 3 enen aus bem £eben bes bort Beftatteten anbeuten 
®men häufig. Am fchönften roar bet ©eil bes griebhofs, roo unter hoh etl Bfltt *V 
““I ®!? 1 ®? te ‘ 9enöen ® eIänöc lebensgtofee Statuen bie ©räber fchmüdten- 
j, 7/ ® oe ^ es «nlelin Alma beftattet. IRan fah in einer Rifcfee bet HlauerJne 
L«, 6 ?- 1U " 9cn mäö ^ ens Kegen. Sn bet hanb hält fie einen BlumenftrauU 
»hten haupten liegen RTohnfnofpen ..." 



Das beutfd)e 3<*l)r. Don ©uftao Sdjfirmann 


699 


Das 6eut[d)e 

©ine fpra©li©e Betrachtung oon ©aftao Schürmann in Arnsberg. 

III- (Sortierung oon S. 640 unb Sd)Iufj. 

Oie H)o©en. 

Der germanif©e Monat ober ber 3eitabfd}nitt non einem Heumonbe bis 3um 
anbern roäfjtte etma 29 Yz Hage. (Er 3 erfiel, roie oben ausgefühti morben i|t, in oier 
mit bem Heumonö, ersten Diertel, Dollmonb, lebten Diertel beginnenbe tDodjen non 
ungleicher 3eitbauer. An ben Doll* unb Heumonben, b. h- „an (Tagen, beren Kä©te 
günstiges HTonöticfjt hatten" (3a!. ©rimm, Deutf©e Mythologie II, S. 591), mürben 
bie Dolfsthinge abgehalten. 3n bas Ceben ber ©ermanen griff alfo bie Einteilung 
in Monbroo©en tief ein. Dem fiegtei© oorbringenben Hhöftentum mußten fie 
aber meinen. Die unter ben Kaifern an ber Stelle ber Nundinae (Abf©nitte oon je 
neun Hagen) eingeführten tDo©en oon je fieben Hagen gelangten nun au© in ©er* 
manien 3 ur fjerrf©aft. 

Die Bebeutung bes Monbme©|els für bie 3eitre©nung macht es au© begreiflich, 
bafj ni©t na© Hagen, fonbern na© Hä©ten ge 3 ählt mürbe (Hacit. Germ. 11 unb Häf. 
b. g. VI. 18, ogl. au© $aftna©t unb U)eihna©t unb bie 3 mölf Hä©te = 3cit oon IDe©' 
na©ten bis Dreifönigstag), eine tt>o©e siben naht (mit unumgelauteter Meht3ahO 
umfaßte unb no© lange bie $riftbeftimmungen vierzehn naht unb einundzwanzig 
naht für 2 unb 3 tt>o©en norfamen. Selbft bei ©oethe finbet fi© bie Derbinbung 
fieben Hag unb fieben Ha©t, alfo bo© ein (unbemufeter?) flnflang an bie frühere 
Spre©roeife. 

Die lta©t, bie 3eit Don Sonnenuntergang bis Sonnenaufgang, mufjte bem Hage 
(na© ber ihm 3 ugrunbe liegenben inbogermanif©en TDur 3 el dheg = bie 3eit, mo bie 
Sonne brennt), ber 3eit oon Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang, 3 ut Be 3 ei©nung 
oon Hag unb Ha©t ober (im Re©tsmefen) bes 3eitraums oon 24 Stunben oon Mittet* 
na©t 3 u Mitterna©t mei©en. Aber mie bas 3al}t, fo bef©rän!t au© bet Hag fi© ni©t 
auf bie ©m oon ber Itatur ober menf©li©en ©emohnheiten unb <Einri©tungen ge* 
3ogenen ®ren 3 en. IDenn bet Di©ter fagt: tjeilig fei bir bet Hag; bo© {©äije bas 
Ceben ni©t höher als ein anberes ®ut! fo meint er mit bem Hage bie gan 3 e £ebens* 
3eit bes Menfdjen. So fpre©en mir oon frohen, böfen Hagen als einem flbf©nitt 
unferet £ebens 3 eit. 

Die B)o©entage. 

Die but© Dermittlung ber Homer f©on in oor©riftli©er 3eit bei uns heimif© 
gemorbene Benennung ber IDo©entage na© ben Planeten (mit <Einre©nung oon 
Sonne unb Monb), bie roohl oon ben Babyloniern ausgegangen ift, mürbe bo© ni©t 
mie bie ber Monate einfa© übernommen, fonbern unter Derroenbung ber altgermani* 
f©en ©ottheitsnamen 3io, IDoban (engl, wednesday), Donar, $ria für bie Be 3 ei©* 
nungen ber mefensoermanbten ©ötter Mars, Merlur, 3upiter unb bie ©öttin Denus. 
Der Sabbatstag (engl, saturday — Saturnstag) mürbe 3 um Samstag ober als Dot* 
abenb bes Sonntags 3 um Sonnabenb. 

3n ben germanif©en Spra©en hat ber Sonntag (sunday) bie fjerrf©aft be* 
hauptet, mährenb er fie in ben romanif©en bem Hage bes Ijertn (gt©. xvpiaxij) ab* 



700 


Das beutfdje Jahr 


getreten hat. So finb ital. domenica, fa. dimanche entftanben. Sonntag unb Inj 
bes fjerrn haben gleich tiefe Bebeutung, ber Sonntag als Sag ber Sonne, bet QueOe 
bes £id;ts unb ber XDärme, ohne bie ein Ceben auf (Erben nicht benttat roäte, Iw 
2ag bes tjenn als Sag ber fluferfteljung bes fjeilanbs, öurd} ben uns bas üdjtbft 
geglichen (Erfenntnis 3 uteil getoorben ift, baher auch ber Hag ber anbetenben Dtp 
fenfung in <5ott (U^Ianb, Schäfers Sonntagslieb). Rad? ber ihm 3 ugrunbe liegenben 
inbogemtan. IDurjel dheg bebeutet ber (Tag bie 3eit, too bie Sonne brennt (f. o.). 
Die (Tage finb alfo alle bie Kinber bes Sidjts, bet Sonntag aber als iljt Datei uni 
Süßtet in erhofftem ITCafee. 

3n unfeter Betrachtung ber ein 3 elnen Sage fdjeiben toit bie lateinijdfen, k* 
ber Kirche eingeführten Hamen, fo wichtig fie für uns als (Eljriften auch finb, aus uni 
wenben unfere flufmerffamteit lebiglich ben beutfdfen Be 3 eidfnungen jn. De»tfd| 
ift bas IDort Saftnadft, bas nur oon ber H)ur 3 el non faften ab 3 uleiten ift (totm), 
fo fröhlich es auch in ber $aftnad}ts 3 eit 3 ugel)en mochte, unb fo nahe es bestatt lag, 
an eine Derwanbtfdfaft oon Saftnadft mit faseln, fasen, bas bie Bebeutung bes Um' 
hetlaufens in flusgetaffenffeit hat (fjeyne, Deutfehes Wörterbuch), 3» Genien. Dß 
Saftnachtsluft folgte bie fedjswödfige $aftcn 3 eit mit ben 6 gaftenfonntagen, 
beren leßter, bet Palmfonntag, nach Öen Palmen benannt worben ift, bie basDoO 
bem Iferrn bei feinem (Eüi 3 uge in Jetufalem auf ben Weg ftreute. 

3n (Tirol begannen bie $aftnachtsluftbarfeiten (3ingerte, Gitoler Sitten 84) \¥ 
am unfinnigen Donnerstag oor $aftnacht mit Spielen unb Sdjmaufen. 3mdH' 
gemeinen aber würbe in ben $aftnachtsjubel erft eingetreten mit bem Sonntag Mt 
bem Saften ober bem Saftenfonntag, ber auch Pfaffen* ober henenfonntag, 
Pfaffen* ober fjetrenfaftnadjt hieß, Hamen, bie ihre (Etläuterung butdfbieBp 
3ei<hnung bes Saftenfonntags als tjußelfonntags (im $ulbaifd}en) unb besfeiften 
Sonntags (im ®fterreichif<hen) finben. ^ebenfalls taten fi<h an ^ c f cm ^ 
Pfaffen, hatten unb anbere £eute, bie es ba 3 u hatten, an guten ©ctränfen unbSpeifen, 
mo 3 u auch gehontes ®bft, Hpfel* ober Birnenfdfniß (hußel) gehörten, noch einmal 
not ber allgemeinen Saftnacht gütlich, fo baß bie Pfaffenfaftnadjt ein in behäbig«" 
Lebensgenuß oerbrachter (feifter) Sonntag würbe. Unb allmählich leitete man mm 
tn bte magere $aften 3 eit über. 

Der Rofenmontag (entftent aus Rafenmontag = rafenbet IRontag),^ 
unftnntger, Sraßmontag unb blauer Htontag (nach bet Sarbe bes fl* 
umhangs m ben Kirchen) genannt, war noch gan 3 ber ausgelaffenen $reube gew* 

5. m ^f^tntittwodf, nach bem Gage ber luftigen Saftnacht, ließen |'<h ' 
©laubtgen 3 wat mit geweihter flfdje beftreuen ober bewarfen fid? felbft bannt, at« 

an bem batauffolgenben feiften Donnerstag war es erlaubt, Butter unb Wfl 
3u effen. 9 


Hm £edf unb in Schwaben hieß ber erfte Sonntag in ben Saften Sunfenj 
ooer suntentag (am Rhein war bies ber Hlartinstag), weil bann bie 3«! 
üa 1 ’ Ü? * 5*uet önjünöcte unö öarum tarnte, jeöenfalls eine ^ciöni[4 e - 
b2 m b -t d 2 iJtKd?C 3eit ^ et “öergerettet hatte, fln bemfelben Gage, bet auch 
bi ! Sonntag genannt würbe, 3 ogen bie Butfchen in Sontheim (im 
dfo in “ U .^ 1C benachbarten höhen (Biblinger, Doltstüml. bei ®rimm); «s 
u eu tfchlanb ähnliche Bräuche an oielen ®rten beftanben 3 U 


i 




Don (Buftao Sdjfitmann 


701 


Unter öen übrigen $aftenfonntagen nimmt öer ( 4 .) fröhliche Sonntag, |o 
genannt in Anlehnung an öie fachliche Bejeidjnung Laetare, unfere Aufmerffamfeii 
befonöers in Anfprud). (Er Reifet öer Rofenfonniag, toeil an öiefem,Sage öer Papft 
öie golöene Hofe roetyt unö an $ürftli<hfeiten oöer anöere hochgeftellte Perfönlich* 
feiten als Ausjeidjnung oerleiht; öer Sonnenfonntag als öer lag, an öem öer 
IDinter (oöer öer Soö, öaljer audj Sotenfonntag) in ©eftalt eines Samtenbaums 
oöer einer Strohpuppe ausgetrieben unö öer Sommer als gefömütfter Baum 3urüd* 
gebraut nmtöe; in Scfjlefien öer Rlaienfonntag, roeil öort öie Kinöer mit XlTaien, 
jungen Sannenteifern, Unt3ug halten; in öer Pfal3, too öie Kinöer an öiefem (Tage 
mit Banöetn gefchmüdte Bretjeln tragen, öer Speisfonntag; enölich in öer < 5 egenö 
oon ©münöen öer Ciebbeftättfonntag, an öem öie Ittäöchen mit ihren Oebhabern 
3ufammenfamen 3ur Dorbereitung öer ehelichen Beftattung (= Derheiratung). 

Den 5 . $aftenfonntag (Judica), öer auch öer namenlofe heifet, nennt „öer 
gemeine Ulann Öen fd}roat3en (Unglüd bringenöen) Sonntag, mell öie unbarm* 
hefigen 3 uöen Öen fjertn" (Öen fie nach öem Soangelium Joh. 8, 46—59 fteinigen 
wollen) „ins fchtoat3e Regifter unö 2 otenbuch gefchrieben haben" (herbetger, §«3* 
poftille in ©rimms ÜJörterbudj); öie Altäre rouröen an öiefem Sage f<htDat3 oethüllL 
D 3 enn im Rieöeröeutfdjen öemfelben Sage auch öie Be3eichnung öes meinen Sonn« 
tags 3uerfannt roitö, (o gedieht öas ieöenfalls in öem Sinne, öafj öem Sdfulö* 
lojen (öem fjeilanö) oon feinen rachfüdjtigen geinöen (Befahren örohen. 

UTit öem Palmfomttage beginnt öie Kat* oöer £eiöenstoo<he (Kar = 
IPehegefchrei, Klage), in öer ©rünöonnerstag unö Karfreitag eine (Erläuterung 
erfotöem. Oer ©rünöonnerstag ift öer Sag öer (Einfetjung öes heiligen Abenömahls, 
öer Sag öer grünen Kräuter, an öem öas Reffelgericht gegeffen routöe (dies viri- 
dium), nach anöerer Auslegung öer Sag öer (Brünen, ö. h- öer non öer Sünöe 
Cosgefprochenen, öaher auch bet Ablafe* unö gteuöentag (ITtenöeltag). (Er hei&t 
auch ber gute, hohe, grofee, toeifee Donnerstag, Be3eid}nungen, ö.'ien Be* 
öeutung fich aus öem eben (Befagten 3toanglos ergibt. 

Der Karfreitag ift öer fjöhepunft öer Kartnoche, öer Sag, an öem öas Seiöen 
öes fjetm feinen hödjften ©taö eneicht. (Et roitö toegen öer Pflicht öes Shriften 3ut 
Derfenfung in Öen (Erlöfungsratfchlufj (Bottes öer fülle, toegen öer fegensreichen 
Solgen öes Ceiöenstoöes Shrifti öer gute genannt. 

Die ©ftercoochen finö öie $reuöen3eit öer Shriften. Deshalb öarf nach bet langen 
$aften3eit am erften Sonntage nach (Dftern, öem $reuöenfonntage (in hoffen auch 
fettet Sonntag genannt), auch wieöer getan3t toeröen. Die öur<h öie Saufe in öie 
«hriftüche ©emeinfdjaft Aufgenommenen pflegten in öer älteften 3 eit öer Kirche acht 
Sage nach ©ftern bis 3U öem öanach genannten roeifeenSonntag roeifeeKleiöet3u 
tragen. 

Dem 3toeiten Sonntag nach ©ftern haben öie Sünöenböde, öie mit öer ©fter* 
beichte bis öaljin fäumig finö, Öen Schet3namen Bodfonntag oerfchafft. 

Ss fann nicht rounöet nehmen, öafe auch ber Pfingftfonntag (Pfingften oon 
griech. xsvvsxoat = öer fünf3igfte [Sag]), too „gelö unö IDalö grünen unö blühen, 
ieöe XDiefe fprofet oon Blumen in öuftenöen ©rünöen" (©oethe, Reinefe $udjs), 
3 U Öen oielen meinen Sonntagen gehört, roenngleich öer witten-son-dagh nach 
©rimms IDörterbuch nur einmal be3eugt 3U fein fcheint. — Als $eft öer heiligen Drei* 



702 Das öeutfd|e 

einigfeil, öas Öen Inhalt öer örei Sefttreife, öes RJeihnadjts*, ®fter= unö Pfingft’ 
{reifes, 3 ufammenfafet, oeröient öet erfte Sonntag nach Pfingften Öen Beinamen öes 
großen oöet öes freilich nur an einigen ©rten fogenannten golöenen Sonntags. 
Die golöenen Sonntage finö, toie hier bemertt fein mag, nicht feiten. So Win 
au ch öie Sonntage nach Öen um Weihnachten, ©ftern, 3ol)annis unö Bli^aelis hegen* 
Öen Quatembern (quator tempora), ö. i. Öen Dierteljahrstetminen für Detttags 5 
abfdflüffe unö (Erhebung oon ©efällen, golöene Sonntage, unö in ©efdjöftstreifen 
nennt man Öen notierten Sonntag oor Weihnachten Öen filbetnen, Öen lebten Öen 
golöenen Sonntag. 

Soweit öie Wochentage oöet tDerteltage (im ©egenfaße 3 u öem öem mm 
©ottes beftimmten Sonntag) in unfeter bisherigen Ausführung noch nicht betüafid! 5 
tigt finö, wollen wir fie jeßt einer !ut 3 en Betrachtung unter 3 iehen. 

Die Sreuöen öes blauen montags, öes montags oor $aftnacht, wuröen öet 
Anlaß, jeöen öurch Rtüßiggang unö finnigen ©enuß oergeuöeten montag blauen 
Montag 3 u nennen; einen montag in öer Weife öes montags oor öemi Saften oet* 
bringen hieß bei Öen tjanöwertem blauen montag machen. — Der montag, öet 
öem $eft öer heiligen örei Könige folgte, war öer oerlorene montag. Da an öem* 
felben Hage öie gewählten magiftrate eingeführt unö eingefchwoten wuröen, 1° 
nannte man ihn in Rieöerbeutfchlanö auch öen gefchworenen montag (swaren 
mändech). Dielleicht fteljen beiöe Bedienungen in utfädjlichem 3 ufammeni}ang. 
Da manche meifter 3 ut ©inführungsfißung abwefenö fein mußten, fo wuröen wo? 
auch öie ©efellen oon öer Arbeit befreit, öer Hag alfo ein oerlorener. Übrigens g 
es nach ®timms Redjtsaltertümern 3 ur Abhaltung öes ungebotenen enq ’ 
$ranten, im Rheingau unö an öet Sahn noch anöere gefdjworene montage. 
Abglan 3 öes $eftes öer heiligen Dreieinigteit fiel auf öen ihm f oI 9 e " öe " JJjL, 
montag. Der oierte Hag öer Wodje war früher weiblich unö h^ß öte mitno q 
(nach Woche) ftatt öes fpäter gebräuchlich gewotöenen Rlittwoch (naq wg). 

(Db öie örei golöenen Samstage, wie öie Sonnabenöe nach mtqae 
©betöeutfdjlanö genannt wuröen, etwa auf eine £ohn 3 ulage für öie efe en 
Rüdfidjt auf Öen 3 u midjaelis cingetretenen Dienftwechfel f fließen laffen. 
beutfdjen Ramen öet Hage öes 3ahres feien noch Anetheiligen (1. Tom.) unC '" 
feelen (2. Roo.), öie in öer tatholifdjen Kirche 3 ut ©rinnetung an öie ^eiligen wno 3 
©eöädjtnis öet Derftorbenen gefeiert wuröen, erwähnt. Die eoangeltfchc Kirqe JM 
Allerfeelen öas Hotenf eft eingeführt; es fälltauf Öen lebten Sonntag öes Kirchen^- 
Rüdblid auf Wochen* unö Werfeltage. 

Das tägliche £eben im Rtittelalter war auf Schritt unö ©ritt oon 
unö fachlichen Bräunen öurchötungen. Das jpiegelte fidj, wie fidj aus 
fammenfeßung ergibt, auch in öet Ramengebung einzelner Hage wiöer, ^ 

öer fröhlich« Sonntag, öet Afdjetmittwoch (dies cineris) öer Bußtag er * 
fdjwatd Sonntag unö öer Karfreitag haben Begehung auf öie £etöensge|q 
tjerrn, öer ©rünöonnerstag, öer weiße Sonntag (Quasimodogeniti), iöet «oiem 
ja fogar öer blaue montag in feinet urfptünglidjen Beöeutung auf nrq tq ^ 
tungen unö Sitten. — Dabei fehlte es nicht an launigen Be 3 eichnungen, 0 ^ 
3 . B. öie nid}t Jeßt bußeifrigen Sünöer getroffen wuröen, öie „Bode , öie et| 
tage Misericordias Domini, öem Bodfonntage, 3 ur ©fterbeichte tarnen. 



Don (Buftao Srfffirmann 


703 


„ au 5 00r öer ® ei f tIid > feit unb D0X öen Dorneljmen ftretfte öer fiumor öes 

Doltcs feine IDaffen nic^t. 3I?m toar öer $aftenfonntag (Estomihi) öie Pfaffen^ oöer 
peaenfaftnacfjt, öer hufcel* oöer feifte Sonntag, Anöerfeits befcfyönigte es fpöttifcb 
Öen $aftnadftstrubel, inöem es aus öem rafenöen oöer Rafenmontag einen Rofen* 
montag madfte. 1 


Sonft nennt es fretlid? gern öie Dinge beim reiften Hamen, toie öer oetlotene 
montag, öer feifte unö öer unfinnige Donnerstag betoeifen. 

So fett öas Dolt 3 ur Kirdfe fte&t, fo (fängt es öodf an feinen alten Bräuchen, in 
öenen $te unö öa nod? ein fdftoadfer Reft öes fjeiöentums oerborgen fein mag. 
Darauf finö rooffl 3urüd3ufülfren öie Hamen $un!enfonntag für Öen erften Sonn* 
ag m Öen Saften, fomie öer Siebbeftätt*. Hlai*, Speis*, Sommer* unö Sotenfonnta« 
für Laetare. 

Die ©emütstiefe öes Dolles erfennen mir öatan, öafe ein3elne Sage i&ren ffo^en 
©efutylsmert faben, öafc es fie mie na^efteifenöe Perfonen betrachtet. Der (Brün* 
bonnerstag ift iffm öer greuöentag, perfonifi3iert öer gute, ^oife, grofee, roeifee Donners* 
tag, öer Karfreitag öer ftille, gute $reitag. Sage, meldfe iffm gut unö fdfön in öer 
Hatur oöer öer fjeilsgefdfidfte erfdfeinen, nennt es gern meife. U)eif$e Sonntage finö 
öer $unfenfonntag (Invocavit), öie Sonntage Judica unö Quasimodogeniti, mei& 
ift audj öer ©rünöonnerstag. 

Dagegen finö golöen öer Srinitatisfonntag, öie Sonntage nadf Öen (Quatembern, 
öie ötei Samstage nadf HTidfaelis unö in (Befdjäftsfreifen öer lefcte Sonntag oot H)eilf* 
nagten, mäffrenb öer Dotierte Sonntag oor tDeiffnadften öer filberne Reifet, Ab* 
gefeffen oom Srinitatisfonntage meifen ©olö unö Silber hier moljl überall auf Sin* 
nahmen unö Ausgaben, Kauf unö Derfauf oöer geroinnbringenben fjanöel ffin. 

Sür öie Biegung öer IDodfentagsnamen in 3ufammenfetjungen gibt 
es feine fefte Regel. Der Spradfgebraudf fdfmanft. 3n Sonntagoormittag, Hlittroodj* 
abenö, alfo in Derbinöungen mit Sage$3eiten, mirö ein <5enitio*s meift nicht gefegt; 
m anöern 3ufammenfefcungen, in öenen ein tDodfentagsname Beftimmungsmort 
'1t' ^ cr ® e ^ rauc ^ ^ es s (Sonntagsanöadft, *preöigt, =fd;ule, Heiligung). 

3ft öer fDodjentagsname ©runömort, fo mirö öie Bilöung oljne ©enitio*s anfdfeinenö 
beoor 3 ugt (Auguftmontag). Aber mir fagen (Deiffnadftsfonnabenö, *lieö, *befdferung, 
Tteuöe, folgen alfo öer freilidf nidft unangefodjten gebliebenen Regel, roonadf bei 
3ufammenfe^ungen mit meiblidfen Beftimmungsmörtern auf t ein Derbinöungs*s 
ni ^t gefegt mirö. 


Der Sag. 

Sbenfo mannigfaltig in iljrer $orm finö öie 3ufammenfetjungen mit Sag. Sag*, 
age* unö Sagesfoft, Sag*, Sage* unö Sageslidft, Sag*, Sage* unö Sagesreife, Sag*, 
flge- unö Sages 3 eit (ung) meröen olfne einen Beöeutungsunterfdfieö nebeneinanöer 
e ^ cn f° Sag* unö Sagegelö, Sag* unö Sagebudj, Sag* unö Sagebau, Sag* 
“ n a 9 c ^‘cb; ferner Sag* unö Sagesgeftirn, Sag* unö Sagesfyelb. Docff fcfjeinen in 
orööeutfdjlanö öie längeren (genitioifdfen) $ormen oor Öen fü^eren öas Über* 
gemufft 3 u Ifaben. — H)enn Sag ©runömort ift, fo finöet fich ein nicht 3 ur Biegung 
gehöriges s nadf Öen meiblidjen Beftimmungsmörtern auf ung (Auferfteljungstag, 
igungstag) unö t (himmelfaljrtstag, Arbeits*, ©eburts*, ljod? 3 eitstag); bocff finö 
«usnapmen nidft feiten: Rüft*, Sdjlacfft*, hcrbfttag. (5 or.f C „u„ g ft(S <r« £ .es s. 706 .) 



704 


Das öeutfdie 3oI)r 


Das öcutfdje 


Die feilte ge. 
bräud)ltd|en 
llTonats* 
namen: 

Januar 

Jebruar 

märj 

April 

ITTai 

3uni 

Die Ittonats« 
namen Karls 
öes (Brofeen: 

Wintar- 

mänöth 

Hornung 

Lenzinmänöth 

Ostarmänöth 

Winne- 

mänöth 

Brach- 

mänöth 

Diejelben, 
in unjer 
tjodibcutjcf) 
übertragen: 

IDinter» 

monat 

fjornung 

Cenjmonat 

(Dftermonat 

EDeibe- ob. 
IDonne» 
monat * 

Brafy 

monat 

Rnbere 

bcutfd)e 

monats* 

namen: 

(Broker 
fjorn, 
Ejartmonat 
(f. and) 
Hoüember 
unb 

Dejember), 

Bruber 

fjartmann, 

3af}rmonat, 

(Eismonat 

Dolborn 

(f.Jebruar) 

Kleiner fjorn, 
Spurfel, Spors 
fei oberSpörfel, 
TDeibermonat, 
Sud)smonat, 
fjartmonat 
(f. 3anuar) 
Dolborn 
(f. 3anuar) 

5rüf)lings- 

monat 


£uften= 

monat, 

Blumen¬ 

monat 

Der 

anbere 

Itlai, 

Hofen- 

monb 

Bran 

((Enb< 

• 

Deutfd)e 
Hamen 
ein» < 
feiner 
(Lage: 

j Hnm.: ' 

ITIontag 
nad? öem 
Drei= 
fönigs= 
tag: 

Der 

oerlorene 

ITIontag, 

de 

swaren 

mändach 

Don ber Huf 

Donnerstag 
oor Öen Saften: 
Der unfinnige, 
aud) IDeibers 
Donnerstag. 
Sonntag 
oor Öen Saften: 
Saften- ober 
f^errenfonntag, 
Pfaffen- ober 
fjerrens5a[tnad)t, 
f)U$elfonntag. 

Montag 
oor Jaftnadjt: 
Hofenmontag, 
IDcibermontag. 
Dienstag: 
Saftnodjt. 
Mittrood?: 
Rfdjermittrood}. 
Donnerstag: 
Der feifte 
Donnerstag 

nafyme foldjer ttc 

Sonntag 
nadj gaftnarf^t: 
Sunfenfonntag, 
meiner Sonntag. 
Sonntag 
£aetare: 

Der fröf)lid)e 
Sonntag, Rofen« 
fonntag, 
Sonnen», Goten», 
Trtaifonntag, 
£iebbeftätt- 
fonntag. 
Sonntag 
3uöica: 

Der fd)toar 3 e, 
namenlofe, 
roeifje Sonntag 
Sonntag nadj 
Quatember: 
(Bolbener 
Sonntag 

imen, bie nidjt f| 

palmfonntag. 

<5rünöonners= 

tag: 

Hblafctag, 
Sreubentag, ber 
gute, f}of)e, 
grofje, roeifee 
Donnerstag. 
Karfreitag: 
Der ftille gute 
Sreitag. 

1. Sonntag 
nad? (Dftern: 
meiner, fetter, 
Sreubenfonntag. 

2. Sonntag 
na$ ©ftern: 
Bodfonntag 

inreidjenb b« 3 eug 

Pfing|l= 
jonntag: 
tDeifjer 
Sonntag. 
Drei* 
faltig* 
feitsfeft: 

Dergolbene 
ober grofje 
Sonntag. 

Hlontag 
na<fy bem 
Drei* 
faltig* 
feitsfeft: 
Der ftol3« 
Hlontag 

t ober nur ( 

Sonntag 

nadf 

Quatem : 

bet: 

(Bolbener 

Sonntag 

xuf Heiner« 


Don ©uftao Schürmann 


705 


3ohr. 


Juli 

fluguft 

September 

Oftober 

ttooember 

Desember 

Hewimänöth 

Aranmänöth 

Witu (Wide) 
mänöth 

Windume- 

mänöth 

Herbistmänöth 

Heilogm&nöth 

Ejeumonat 

(Erntemonat 

t?ol 3 » ober 
fjafermonat 



tjeiliger» ober 
fjeilsmonat 

Sdjnittmonat 

flugft, 

Der anbere 

Saat* ober 

3uI(f.De3ember), 

3ul 

(f. fluguft) 

Sdjnittmonat 

flugft, 

Säemonat, 

Sdjiadjtmonat 

(f. ttooember), 


(f. 3 uh) 

SüUmonat, 

©ffenmonat, 

(f. De 3 ember), 

Sd)(ad)tmonat 



Säemonat 

Sdjladftmonat 

Blutmonat, 

(f. ITooembet), 



(f. ©Kober) 

(f. flooember) 

IDinbmonat, 

fjartmonat 





IDoIfmonat 

(f. 3anuar), 

ober (Erne = bie <Ernte 3 eit 



(f. Dejember), 

IDoIfmonat 

3uni bis fluguft) 



Allerheiligen» 






monat, 






fjartmonat 






(f. De 3 ember) 




3n ber Bofjnenernte 




(Sei 

»tember — ttooember) 

_1 




Sonntag nach 

Die brei 

1. Hooentber: 

3. flboent: 



(Quatember: 

Sonntage 

Allerheiligen. 

Der filbeme 



Oolbener 

nach 

2. Kooember: 

Sonntag. 



Sonntag 

Michaelis: 

AUerfeelen. 

4. flboent: 




Die golbenen 

Setter 

Der golbene 




Sonntage 

Sonntag 

Sonntag. 





bes 

Sonntag nach 





Kirchenjahres: 

(Qaatembet: 





ICotenfeft 

©olbener 






Sonntag 

Sprachgebiete b 

efdjränft finb r i 

ft im allgemeim 

tn abgefefjen. 




3ettfdjr.f. 6.5eutfd)eit Unterricht. 29. Ja^cg. ll.tjcft 


45 



















706 


Das öeuifdje 3aljr. Don ©uftao Sdjürmann 


Der Hag gliedert ftdj’feinet natürlichen (Einteilung nach in morgen, mittag unb 
Abenb, bie „ 3 ahres 3 eiten bes Hages" (Cen 3 , Sontmet unb fjerbft). 3m Altertum 
teilte man ben natürlichen Hag unb bie natürliche flacht in ie 12 Stunben, erft in 
bet Bereit ben ga^enHag »on mittemadjt bis mittemacht allgemein in 24 Stunben 
ober 3 toeimaI 12 Stunben »on gleitet 3eitbauer. 

Die Stunbe. 

Stunbe, ein gemeingermanifdjes IDort, ift besfelben Stammes mit fielen (aljb. 
stantan); Stunbe ifi urfprünglich ein 3 eitlicher fjaltepunft, 3eitpunft unb wirb in biejet 
Bebeutung noch ^eute gebraust, toenn 3 . B. non bet Stunbe bet (Entjdjeibung, 
bes fjanbelns, ber Abrechnung, bes Hobes (auch in bet »erfleinetnben gotmStütiblein) 
gefptodjen wirb. Der Sinn besXDortes erweitert fich—toie ber »on 3ah r unb Hag— 
3 U ber allgemeinen Bebeutung ber 3cit, 3 . B. in Schillers „(Behorcht ber 3«t unb bem 
(befeh ber Stunbe" (IHaria Stuart). gemet bebeutet Stunbe ben 24. Heil bes Hages, 
unb biefe Bebeutung ift 3 t»at nicht bie einige, aber fie ift bie herrfdjenbe geworben. 

Die minute. 

Die Stunbe »erlauft in 60 ÜTinuten. 3m £ateinif<hen freilich würbe minutum 
bet 3 ehnte Heil einer Sefunbe genannt, bet Ausbtud aber nach (Einführung ber 
großen mecfjanifchen Uhtwerfe für ben 60. Heil ber Stunbe gebraucht. 3m Deutfdjen 
würbe minutum 3 m minute unb weiblich ro * e Stunbe unb 3eit. Die freiere An- 
wenbung ber minute als eines fehr flehten 3 eitteils finbet fich in neueret 3 £ tt ( £ fa °j;' 
„3m leichten Han 3 , mit glügeln ber minute entfloh ein jeher Hag" (Stolberg). 5° 
fpricht man auch ®on ber lebten minute eines Sterbenben, unb Kleift fagt in ber 
hermannfflacht: „Detgönne, bafj ich bie minute nütje." 

Die Sefunbe. 

Das fleinfte 3eitmaf} ift bie Sefunbe, ber 60. Heil ber minute. Aus (P arS ) 
secunda=Unterteil entftanben, wirb Sefunbe ebenfo wie minute für einen fehr Beinen 
3eitteil gebraust. „Dann erfetjt mir bie Sefunbe, was in 3ah ten ><h ^ eu 

BebeutungswanbeL 

gür bie fleinften 3 citteile bebienen wir uns alfo 3 weier aus bem £ateinifh £n 
ftammenben Cehnwörter, ebenfo wie wir für bie gröjjten 3eitmafee in (Ermangelung 
ber bie Begriffe beefenben beutfdjen Ausbrüde unfere 3 uflu<ht 3 U Anleihe 
romanifchen Sprachen nehmen. Die Übernahme »on minute unb Sefunbe in ben beu * 
fchen IDottfdhah I?atte oieHeidjt ihren (Brunb barin, bafj bas IDort Stunbe einen 3 £ ’’ 
punft unb bamit ben Begriff bes fleinften ben Deutfdjen befannten 3«ü*eils in Fi 
fchlofe unb erft nach ber (Einführung ber medjanifchen Uhrwerfe eine weitete tteuung 
ber 3eitmafoe fich notwenbig machte. Da wat es bemt naheliegenb, bie in anbem 
Sprachen fchon gebräuchlichen Ausbrüde für bie neuen Begriffe 3 U »erwen en. 
Anberfeits höben wir Illillion unb milliarbe erft burch bie bem (Btof 5 h an b £ i 
obliegenben 3taliener unb $ran 3 ofen fennen gelernt unb uns ihnen burch Annohn« 
biefer tDörter ebenfo gefügt, wie wir bie hanbdstedjnifchen Ausbrüde ben 3 ta»ene 
»etbanfen unb faft noch ausfd}lief}lich h £ ute gebrauten. 

mit ber (Einführung bes Sonnenjahres an bet Stelle bes UtonbjahKS * 
tDachstum bet 3öhtestage »on 354 auf 365 gingen auch bie IDorter Hag t»nb a 



Beiträge j»m tdUMMH. U.trnid,! im D.„ £„ toi9 moi ,„ m 

^3g warirsatsaia^8 

»faäsa'.ts; 

bes Hages, bet allgemein in 6ie irattcmo^t gelegt rnirö. T 9 

meid) Öen 3(hren faben aud> öie IKonate an 3aljl bet Hage 3ugenommen 

vis moTrrf? TJ ; U n r $CbtUat übcr öie ® rcn 3 cn bet oier lllonömohen aus! 
Oos IDort IRonat fat alfo feinen utfptünglidjen IDortfinn eingebüfct unö form nidrt 

me^t als 3ufammenfaffung öet oier Ittonbrnohen angefefcn roeröen. * 

J^rbunöertunö 3<hrtaufenö finö öie jüngften rein öeutfhen 3eitbeftimmungen 

t e ,r 4 "‘ I “ 4un8 B't'eutunasnx.n&Umgen „Id* üLtr^S 

ej " '"L™ ?°, 't* Sa ^ UlUm i|al 6as 3a W“ n4 « rt 5001 aud| öie Bejei^rmng 
eines gto&eren 3eitabfhnittes angenommen, aber 3«I?r unö Stunöe haben oor ibrn 

®° ta “f' öafe f,c l ü CÖIet unö öic^terif^er Spraye für Öen Begriff 3eit allgemein oer* 
toanot tücrocn tonnen. 


Beiträge jum mittetyoc^ieutfäen Untetrify im (Bgmnafium. 

Dort £uötoig niaöer in (Effen. 

I. 

Die pteu&tfhen £el?rpläne oon 1901 ijaben öie $tage öes mittelbocböeutftben 
Untemhts md)t einheitlich gelöft. „flusgeroahlte flbf^nitte aus öem Itibelungen* 
teöe, öer ©uörun unö eine fliga^I non £ieöern IDaltyets oon öer Dogelmeiöe im 
urtejt oöet in Überlegungen." Dementfprehenö ge^t öie Prajis auseinanöer. 
®te aUetötngs öiejenigen flnftalten, öie öurdj Überlegungen in öie mitte^ohöeuifebe 
uteratur entführen roollen, fidj mit öer roeiteren $oröerung öer £eljtpläne abfinöen, 
"V" hieran — Überfielt über einige haupterföeinungen öer gefhief^ 

itäjcn ©nttmdlung öet öeutfhen Spraye", bas i|t eine $tage für |ih, auf öie mir 
a .r ^ iet cinge^en mollert, ©fjnetyin i|t ein Ausgleich auf mittlerer £inie in 
einer fo mistigen Stage etmas Itlifelihes. ITCag man gtunöfäfclih öaju fielen roie 
man mtU, eines mufc man 3 ugeben: Sljafefpeate ift in öer Überfettung gan} bet ünfere 
gemoröen, felbfi eine griehifhe Sragööie läfet fief? öem ©eifte nah 3 ut Hot in mW* 
2 ™ oö f rncs 0eut fä übertragen, für öie Spraye öes Itibelungenlieöes ift öas 
|d}le©terömgs unmöglich 1 ), hier ift mitflih „öie Überfe^ung öet ©oö öes Derftänö* 
mifes °öer man müfete flh eben garg auf öas inhaltliche befhtanfen. VOie miU 
man utb. 1888,2 2 ) überfein: daz Etzeln gesinde er hoher wichen bat. 3 $ nehme 
oie erfte befte Überfefcung, öie ih 3 ur hanö habe, öa Reifet es: „Als öer tü^ne Ban!* 
toart^inemfHeg 3 U öer Sür, öa hiefe er fyels mannen meinen nah ©ebüljr." ®e= 
öas ift, abgefehen oon öer entfefciihen$lidetei „nah ©ebüljr", fahüh rih«S- 
Hter roas ift aus öet fhonen Anfhaulihleit öer alteren Sprache gemoröen? 
n er (Ebene fdjeint öas (Entfernte ljöljer 3 U liegen, ein Sidjentfemen ift alfo öem 
fge me nah in öen Augen öes Beobahters ein hinaufgehen (ogl. öas hoheltteer, 

1 ) ^^üöebranö, Dom öeutfhen Sprahunteniht *, S.242. 

) 3aj 3 ihere bas tlibelungenlieb nac^ £ac^mann. 

45* 



708 Beiträge 311 m mittelf}od| 6 eutf<f)en Unterricht im ©t)tnna|ium 

qm*. äväyouai, inl teträQcov oier Wann hoch, ixl Zdiiov xMvl). Überleben 
tann tnan bas höher wichen überhaupt nicht; wer es aber mit betn NqM ®« 
toit ietet bafüt jagen, bet gewinnt bamit einen tiefen ©mbltd — es bleibt mjt ein 
©melfall, wie mit unten fehen metben — in eines bet ©efefce, bie bas Sptacf)leben 
bebettfAen unb bas fich etwa auf folgenbe gormel bringen läfet: 
flniAaulidjen 3 um Begrifflichen, 00 m finnltdjen Bollwert 3 um abgeblafeten ©ebanien. 

lUit ben Cehtplänen oon 1901 ift bas lefcte H)ort übet ben mittelhodjbeutjdjen 
Unterricht noch nicht gefprochen. ©in mächtiger gürfptecher unbBunb«genofte 
etftebt ihm in bet Sprachwiffenfchaft. ©ine ©elegenljeit bietet f«h m Wan 
bes ©ymnafiums, wo man biefe einmal ohne Hebenrüdjidjten treiben tann oa I 
eben bie beutföe ©rammatif in ©berfefunba. ©reiben tann unb and} mufc. 
Bisher hat bet Schüler Sprayen erlernt unb lebtin bet »orfteUung, bafe emeSptay 
etwas gertiges, feft Umgren 3 tes, abfolut ©egebenes ift. ©s ift lefct 3«t. b“B j 
unroiffenfchaftliche Oorftellung berichtigt, bafe oor allem ber gtofee OT WJJ* £* 
fammenhang ertannt toirb, in ben bie beutfdje Sprache geftellt tft, un a 1 ' 

haupt ein tieferer ©inblicf in bas IDejen ber Sprache etfchloffen wirb. 9 an 3 
anbets etfdjeinen auf einmal gönnen wie sldov (sfidov) vidi, wenn fie 1«4i"} 
einem tlaren ©efe* 3 « unferem W unb 'wiffen’ gerüeft werben. Unb anbetfe , 
aus bem Alten heraus fällt plötjlich helles Sicht auf bie Bebeutung, bie bas IW 
tDih noch bei unfern Klaffitem hat. 3m eigenen Sntereffe tnufe bas humamW 
©ymnafium ber beutfdjen Spraye unb ihrer gerichtlichen ©ntwiahmg ein 
gehenbe Beachtung f^enten. Sein Catein ift im>efentli<hen biei Sprache enter3 
lieh eng begren 3 ten Periobe, bas ©riechif^e mit hontet un b bem 5. jaH 
ift günftiger baran, bo<h würbe hier ein tieferes ©ingehen auf bie gefJJWI 
wicflung wegen bet Schwierigleit über ben Kähmen bes S^ulgemafeen hina 9 
©s bleibt not allem mittelhochbeutfch unb Keuhochbeutfd?, «mm typ»W« 1 
3 U 3 eigen, wie bie Sprache fich entwicfelt, unb um in beftänbigem 3 um ^ 
auf ©riedjifd} unb Catein Har 3 U machen, wie bie btei Sprachen tm mbogem w 
3 ufammenhang 3 ueinanber ftehen. tDenn man fo bas Deutfche m ben 
bet Betrachtung rüctt, bann hat man ben unfcfjätjbaren Borteu, baß m 
wieber an bas lebenbige Sprachgefühl antnüpfen tann. . cn , 

gerner oetlangen bie Cehtpläne ausbtücßich ein tieferes Betftanbms 
art unfetet muttetfptache. IDie man aus bem älteren 3 uftanb bes Deu w 
auf Schritt unb ©ritt Belehrung holen tann für bie heutige Sprache, betraut w ' 
hier nicht weiter eitQugehen. Kur einige Beifpiele: ich Steife einige be le g ^ 

tioe kurz, schön, lieblich, tüchtig; feines hat am Sdjluf} ein e, abet. * mit 

bange. IDoher tommt hier bas e? Bas Berftänbnis ift meinen teine . 

felbft gefommen bei ber Celtüre bes tDaltherfchen Spruches: ich saz . -jj 
Oa heifet es: dö dähte ich mir vil an ge. Bas ift flboerbium 3 U enge, 
es fchon im mittelhochbeutfchen ein Kompofitum beange, woraus unjet d s 
Worben ift. Allmählich ift es 3 um flbfeftio geworben, aber bas abuerbie e ^ 
hat fich gehalten. IDit fchreiben heute Bürgermeister. Abet rtieman I ^ 
wenn er fidj nicht 3mang antut, fonbern Bürgemeister. iBas ift ruh 9 ' ^ 

ausgebrüdt, was ift urfptünglich? Das wirb einem flat burch hie Spracp 
lungenliebes (19, 3 ) in einer bürge rlche. 3 u mhb. burc h e, B 



Don Cubtoig ITtaöer 


709 

unö Dato» bürge, Alfo Bürgemeister genau fo gebübet roie etroa Landesvater. 
Der Umlaut ift 3 uroeilen unterblieben. So färeibt ©oetlje noch im $auft:, ©r gefällt 
mit nicht, ber neue Burgemeifter." Das r ift offenbar in bie Schreibung eingebtungen, 
als man bas bürge nicht mehr oerftanb. 

U)enn bas fllittelhochbeutfche trofc bem hohen U)ett, ben es unbeftritten für 
bie Spra<her 3 iehung hat, feine^eit gan 3 aus bem Sehtplan geftrichen mürbe unb auch 
je$t noch ni^t roieber netbinblidj gemacht ift, fo hat bie SdjuIoertDaltung ihre guten 
©rünbe gehabt unb aud} flar ausgefptothen in bet belannten „3itfular*Derfügung, 
betreffenb bie ©inführung bet reoibierten Sehrpläne für bie höheren Schulen" oom 
31. UTät 3 1882. 

3®ei Punfte finb es, bie öanach bem Iftitielhochbeutfchen hinderlich im XDege 
finb, bie ©rammati! unb bie eigentümliche Bebeutung ber IDörter. Aber 
felbft im frembfprachlichen Unterricht ift heute bas ©rammatifche nicht mehr Selbft* 
3 ®ecf, fonbem nur berechtigt, foroeit es 3 um fchulmäfeigen Derftänbnis ber Schrift* 
fteller nötig ift. 3ft nun für bas Uibelungenlieb unb für tDalther fo fehr oiel an 
grammatifchen Kenntniffen erforderlich? ©s finb nur oerein 3 elte ©tfcheinungen, 
bie bas Derftänbnis erfchroeten. Sieht man fi«h bie erften 19 Strophen bes Hibelungen* 
liebes an, toas ift ba an grammatifchen Schroierigfeiten »othanben? 2 , 4 : muosen, 
Verliesen; 3, 2: muotten; 4, 4: was = mar; 10, 3: man (plur.); 10, 4: bie Uegation 
ne; 13, 3: erkrummen; 18, 3: wesse; 19, 2: rach. Hut feiten fommt es nor, bafj bie 
grammatifchen Schroierigfeiten fich häufen. UTanches, roas immer roieber begegnet, 
fann butch einmaligen Ijinroeis erlebigt roerben. IDie ich mir fonft bie Beljanblung 
bes ©rammatifchen benfe, roerbe ich int ein 3 elnen nachher 3 eigen. 

©egenüber ben fonberbaren Dorftellungen, bie non ber „©rammatif" in oielen 
Köpfen herrfchen, haben roir im Rlittelhochbeutfchen bie*natürli<hfte r ©elegenheit, 
einmal roiffenfchaftlich ©rammatif 3 U treiben (genau fo roiemanUaturroiffenfchaft 
3 U treiben pflegt!), inbem man bas Cebenbige in ben Sptadjetfcheinungen 3 u faffen 
unb in feinen 3ufammenhang ein 3 uorbnen fi<h bemüht. Die Sprache hat eine 
Doppelnatur: fie ift phyfiologifdj eine Summe non Cauten'mit roechfelnbem ©on 
unb Rhythmus unb p jy d} o l o g i f d) eine Derbinbung non ©ebanfen, für bie bas Phyfio* 
logijdfe ben jebesmal möglichft genau entfprechenben Ausbrud barftellt. Rur roer 
beibes berüdfichtigt, roirb fprachlidje ©tfcheinungen petfteljen. Dafc es mittelhoch* 
beutfdj heifet ich was, aber wir wären, ift im lefcten ©runb befanntlid) bie IDirfung 
bes alten Agents, alfo eines lautphyfioiogifdjen Dorgangs. Dafe h eu i ß öas r auch 
im Singular fteht, baran ift bas Pfydjologifdje f<hulb, bas hinter ber Sprache fteht: 
bet Begriff „roat" „eram“ brängt 3 U einem einheitlichen Ausbrud; alle über* 
flüffige Differen 3 ierung roirb roieber ausgeglichen. Das fann man aud^®betfefun* 
banern Hat machen unb — bie ©rammatif macht ihnen bann $reube, befonbers 
roenn fie felbft mitgeholfen haben, bas ©efetj 3 U finben. 

Bei bet 3 roeiten Scfjroietigfeit barf man nicht ben aujjerorbentlichen Dorteil 
aufeer acht laffen, ben ber mittelhochbeutfche Unterricht babutch nor bem fremb* 
fptadjlichen hat, bafe hier bie gan 3 e Arbeit in ben Unterricht felbft gelegt roerben 
fann. Bei häuslicher Dorbereitung roütbe allerbings bie ©igenartigfeit bes mittel* 
hachbeutfehen tDortfchatjes gerabe 3 u 3 um Raten unb unfichern ©aften »erführen. 
So aber hat ber Cehrer bie Leitung in ber fjanb. ©runbfatj mu| babei fein, bie Schüler 



710 Beiträge 311 m mtttelf)od)beutföen Unterridjt int ©qmnafium 

alles felbft finöen 3 U laffen, roas fic finöen lönnen. Rur öie Ridjtung, in öer 3 U fucfyen 
ift, ober 5er flusgangspunft roirö angegeben. 3d? roill öas gleich an einem Beifpiel 
fjiet 3 etgen. Rib. 13, 2: ir muotten kilene recken. 3unädjft roirö !ut 3 feftgefteüt, 
bafe muotten praet. ift 3 U muoten. 3u meinem Subftantro gehört bas? fjat „Blut" 
in 5er heutigen Spraye eitrig unö allein 5ie Beöeutung 'Hapferfeit’? Blan 3 ielje 
in folgen $ällen immer 5ie lebenbige DoHsfptadje fyetan. 'Blut’ Reifet aud; l)eute 
nod? fooiel roie Verlangen’, fo in 5er RJenbung was hast du Mut zu tun? (quid in 
animo habes facere?) So ergibt fid? öie Beöeutung muoten = begehren gan 3 un= 
ge 3 toungen. R>o öen Spülern betgmänmfdje flusörüde geläufig finö, roirö man 
'muten’ unö 'Blutung’ ^eratqie^en. 3 ft bod? in öiefen IDörtem öie alte Beöeutung 
Har feftgeljalten. 'Bluten’ Reifet öie (Erlaubnis nadffudjen, auf (Ege 3 U graben. 

Unter Umftänöen getjt man oon öer Sadje aus, oom 3 ufammenf?ang, um auf 
öie Beöeutung öes ein 3 elnen XDortes tjü^ufütjren. Rib. 1031, 1 fagt Sigemunt 3 U 
öem Boten, öer öie Radjridjt oon Siegfrieös (Ermoröung bringt: lät daz schimpfen 
sin. 3unäd}ft, bafj öas nidjt im heutigen Sinn 3 U oerfteljen ift, öarauf lommt aud; 
öer geöanlenlofefte Sdjület. Oer 3ufammenf;ang 3 eigt bann aud?, öaf) es 'fdje^en’ ift. 1 ) 

Kut 3 oor^er (Rib. 1030, 3) Ijeifet es: der bote sprach mit weinen: i’ ne kan 
in niht verdagen. R)enn öie getmanifdje £autoerjd)iebung butdjgenommen ift, 

!ann man ijier oon öer Cautgeftaltung ausgel?en. IDeldje Konfonanten ent s 
fpredjen im 3nöogermanifd}en öem d unö g? 2 ) Damit ergibt fid? bann taceo unö 
öie Beöeutung »on verdagen. (Dgl. 106, 4 : daz sol iuch unverdaget sin.) 

$üt eine richtige (Seftaltung öes mittenjodjöeutfdjen Unterrichts ift alfo 3 unäd?ft 
erforöetlidj, baf} öas 3iel nicfjt aU 3 u tjod; geftedt toitö. Seiner mufe man im finge 
bemalten, baf} es fid? um 3 ioei oetfd?ieöene Dinge ^anöelt: neben öem Detftänönis 
eines mittelf?od?öeutfd?en Didjterteftes um öie (Seroinnung eines Überblides „über 
einige fjaupterfdjeinungen öet gefd?id?tlid?en (Entroidlung öer öeutfdjen Spraye". 

Bei öiefem Überblid roitb man alleröings 3 roedmäf$ig oom mitteH?od?beutfd?en Heft 
ausgeljen ober roenigftens immer roieöer öarauf 3 Utüdgteifen, im übrigen aber 
finö öie beiöen Dinge fdjarf ooneinanöet 3 U trennen. Die Didjtung muf? eben in 
erfter £inie als Didjtung, als 3nl?alt beljanbelt roeröen. Derträgt es fid? bamit, , 
baf} in einem fitem öaneben pflegen, pflag, pflügen, gepflegen in feine flblautflaffe 
eingeorönet roitö? U)as für öie frembjptad?Ud?e Ceftüre fd?on längjt geforöert toitö» 
öas follte für öas Rtittell?od?beutfd}e felbftoerftänblid? fein. 3d? teöe nid?t einer 
oberfläd?lid?en Ceftüre öas EDort, öie fid? nad? öet fpradjlidjen Seite t?in aufs blofee 
Raten oerläfot. Der 'Sinn’ öes U)ortes, öes 3ufamntenl?anges muf} mit (Eingehen 
auf öie grammatifd?en Sdjroierigleiten ooll 3 Ut (Seltung lommen, ab et nur fo« 
roeit es öas Detftänönis öet Stelle etforöeri Dann get?t es in flottem 
Gempo roeiter bis ein gefd?loffenes Stüd gelefen ift, öas öann inljaltlid? befptod?en 
roirö, genau fo roie man es bei öet neut?od?öeutfd?en Ceftüre madjt. 

R)as öet Sdjület an grammatifdjen Kenntniffen allmäljlid? fl«? 
aneignen foll, ferner öie Überfielt übet öie (Entroidlung öet öeut- 

1) Hodj < 6 typf?ius nennt feinen Peter Squen 3 ein Sdjimpffpiel. . 

2 ) Die Srage ift fo ungenau. Blan müjjte eigentlich immer fpredjen non öet m ■ 
getmanijdjen ©runbfpradje, beten £autbeftanb für uns Dielfad) noef) mit bem Cateiml . 
unb ©tiedjifdjen fid; bedt. 



Don Cubroig ItTaöer 


711 


fdjen Spraye, bas alles toirb in befonbeten fpra<fyli©*grammatifd}en 
Befptedjungen burdjgenontmen, füt bie ein beftimmtet ©eil febet 
Stunbe ootbeijalten bleibt (10—15 Rtinuten toetben im allgemeinen genügen). 
Alfo Trennung non £e!tüte unb ©rammatif. Diefe Befpredjungen braunen bes* 
toegen nidjt in bet £uft 3 U fdjtoeben, fonbem fie galten fidj möglidjft an ©rfdjeiramgen, 
bie in bet £eftüte begegnet finb unb bie man gleich an (Drt unb Stelle in ein Sammel* 
Ijeftdjen Ijat einttagen laffen. TDidjtig ift, baf} füt jebe Befpredjung eine beftimmte 
Aufgabe geftcllt tottb, bie in gemeinfamet Arbeit non bet Klaffe gelöft toirb. Oie 
Ausroaljl beffen, toas in bet Klaffe befptodjen toirb, batf fetnet nidjt oom 3ufaII 
abljängen, fonbetn es mufe ein beftimmtet plan 3 ugtunbe liegen, bas Heue mufe 
an Befanntes angefnüpft, Sdjtoieriges muff immer toiebet non anbetn Seiten Ijet 
betrautet toetben. 

Danad? toirb ficty bet Detlauf einet mittell}od}beutfdjen Stunbe 3 U* 
nädjft folgenbetmafjen geftalten. Oer £eljtet lieft 3 uerft 2—3 Strophen oot mit traf» 
tiget ijetootljebung bet eigenartigen Ausfpradje. ©in gutes Beifpiel betoitft Ijier 
alles. Oann folgt bie geftftellung beffen, toas gan 3 unbelannt ift. AIfo, um als Bei* 
fpiel ben Anfang bes nibelungenliebes 3 U nehmen, geseit, lobebaere, muget, muosen, 
Verliesen. Oas alles toirb fut 3 erflart. U)o es irgenbtoie gefyt, mit Antnüpfung an 
belannte ©tfdjeinungen bet neufyodfbeutfdjen Dotts* obet Sdjriftfpradje. So ift ge¬ 
seit = gefagt Ijeute nod} in mannen Oialeften Iebenbig; um bie Bebeutung oon 
lobebaere feföuftellen, fnüpft man an 'fruchtbar’ (frugifer) an. Oer IDedjfel 3 toifd}en 
s unb r in „Oerluft" unb „oetlieten" füfyrt batauf, baff Verliesen nichts ift als *oer* 
lieren’. 3m Hieberbeutfcfjen ift biefes s ftatt r tyeute nodj oiel allgemeiner; 3 . B. 
he frist = et friert. Oas tDidjtigfte, toas fo begegnet, toirb bann am ©nbe bet 
Stunbe in bas oben ertoäfynte Sammelfyeftdjen eingetragen unter beftimmten Ru* 
brilen, um fpater bie ©runblage für bie gtammatifdjen Befpredjungen 3 U bilben. 
Alfo Iper toirb man geseit unter ber Rubril ‘Oolale’, Verliesen unter'Konfonanten’: 
tDcdjfel 3 toifdjen s unb r eintragen. 

Oie 3 toeite Aufgabe ber Dorbefpredjung ift es bann, ben Bebeutungstoert bet 
mittelIjod)beutfd?en tDörter finben 3 U laffen. Rlan Ienie nur einmal bie Aufmetf* 
famleit ber Spüler hierauf, bann finben fie gleidj, baff arebeit, sagen in ber Spradje 
bes Bieters redft matt Hingt. Der ©ebanfe liegt bann nidjt fern, bas liegt nidjt an 
betn Dichter, fonbem an uns. $üt ifyn Ratten biefe TDörter nodj einen oollen Klang. 
Audj Ttövog Ijeifft bei fjomer Dot 3 ugstoeife 'Kampf unb Kampfesnot’, bie Bebeutung 
‘Arbeit, Rot’ toirb erft fpäter allgemein, ©ine äfynlidje IDanblung Ijat arebeit burdj* 
gemacht. Dafj sagen an unfeter Stelle meljr ift als ein fatblofes 'mitteilen’, lafjt 
fidj nadjtoeifen an ein 3 e(nen Radjtoitfungen bes alten Bebeutungstoortes in ber Ijeu* 
hgen Spraye, bie bie Spület felbft finben müffen: 'fingen unb fagen’, 'Sage’. 
IDit fyaben Ijiet gleidj 3 toei $älle oon Bebeutungstoanbel Tennen gelernt, bie man 
als TDettminberung bejeidjnen fönnte. ©in IDort toirb butd] ben ©ebraudj genau 
fo abgefd;liffen toie eine RTünje. Ulan nütfe bas Sntereffe, bas in einer regen Klaffe 
füt Joldje $ragen immer oorfjanben ift, in ber IDeife aus, baff man ben einen obet 
anbem Spület beauftragt, auf aljnlidje gälte 3 U achten unb fie 3 U fammeln. ©e* 
Iegentlidj läfft man fidj über bas ©rgebnis berichten unb madjt es 3 Ut ©tunblage 
einer allgemeinen Befpredjung in ber Klaffe. Überhaupt Tann bas nidjt genug 



712 Beiträge 3 um mitteIhocf|beutf<f|en Unterricht im ffiipnnafium. Bon £ubwig OTobet 

empfohlen werben, bafe man Me 3ungen auch im fptachlidjen Unterricht itgenöroie 

3 ur Selbftbetätigung anregt. . 

Von kQener recken striten muget ir nu wunder hoeren sagen, was für eine 
Bebeutung Hat mögen in bet Heutigen Spraye? 3um (teil bebeutet es «begehen, 
Cuit Hoben’ wie ich möchte das haben. Aber ein Blid auf bas Kompofitum net- 
mögen’ ober auf „möglich, ITtadjt" 3 eigt, bafe bie ©runbbebeutung bes Dorfes 
'posse’ ift, bie fi<h aucH für bas einfache Betbum feibft in mannen (SebtcmdjsrDeijen 
bis Heute gehalten Hat wie’das mag so sein. 3m mittelHo<hbeutf<hen if: es no^ aü< 
gemein fo. IDie fi<h bet IDanbel erflätt, batauf wirb man Hiet md}t gleij emgejej 
fonbem wenn man ähnliche Sähe oon Bebeutungswanbel 3 ufammenftenenlafet 
Borläufig laffe man mugen unter ber Hubri! 'Bebeutungswanbel 1 in bas Sammel 
Heftchen eintragen. 3n ber Betbinbung den Up Verliesen mufc hp fo oiel wie um 
bebeuten. 1 ) Bas lebt noch im Heutigen Sprachgebrauch fort in wie er leibt un 
aud) '£eibrente’ ift fo 3 U etüäten, 'eine mit bet £ebens 3 «t oetbunbene _ 
Bei höchgeziten (= $eft) 3 ieHe man bie Rebensatt da gehts hoch her H«an; . 

fprecHen wir noch oon 'Hoben $eiertagen’. , , . „ , t • +irt+ 

Radjbem fo bie grammatifdjen unb Bebeutungsfdjwiengleiten bef 9 m * 
wirb ein ScHület bie 3 wei StropHen überfein. Rad} meinen «tfjmi« 1 jj [ „ 

erften 3eit eine Überfettung nötig, fcHon aus bem (Stunb, weilbasibi \ 
Kontrolle ift, ob tatfäd}lidj alles oerftanben ift. Spater wirb man 
auf bie B5iebetgabe im Iteuljocfyöeutjdjen oeQtditen lärmen. 3utn finb 

bann bas Befprodjene oon einem Schüler ootgelefen. Rlögli^ft oie e d) I 
3 um £e(en hetan 3 U 3 iehen. 2 ) Ittit aller Strenge Halte man auf eine te ‘ ne ,P nn 
Bie faßliche Befpredjung (Kulturhiftorifches, Bichterifches) 
ein gröberer flbfdjnitt burdjgenommen ift, foweit nicht bas Berftanbm 

Stelle baoon abhängt. .„-simten «am« 

Ber lebte Heil ber Stunbe (10-15 Rlinuten) gehört ben oben cOT .^ n J fejt , 
matifdjen BefptecHungen. Als 3iel ber erften würbe i<H DOr {^9 en -, ^ en . 
(teilen, wie bie mittelHodjbeutfcHen Bolale oon ben neuHodjbeutj^en » 

3u bem 3toed lieft bet £eHrer noch einmal einige Strophen oor. 
finben, wirb bann an ber Hafel gruppiert. 

_ . .. < d t c I . - 


jmgcn, uncu uuim uu TDuMig 

3n bet 3 U)eiten Stunbe fommt bie flusfptadje bet Konjonante 3 ‘ , ^ 
ift oor allem bie abweidjenbe ©eltung bes h oor s unb t (= ch), ferner e j nein 
bes z (bie Regel wirb oon bet Klaffe gefunben: z wirb s gefptoqen, 
neuHodjbeutfcHen fe entfpriebt). ph = pf. Bie (Einübung biefer aus)p J . 
fidj oon feibft wäHtenb ber £ettüre. Befonbeten Ijimoeifes bebatf i 
jonft ftört immer wiebet bie ©ewohnheit oom £atein H et - l5ortM ' 1 " 9 

1 ) Bgl £utH«: ,3e^t nehmen jie ben £eib, ©ut, ©fr. K ' nb unb ® eib ’ 

2 ) fluch gelegentliches ©hotfprechen ift 3 U empfehlen. 



Die Sprache unö bcr Krieg. Don tDil^elm Bed|er 


713 


Die Sprache unö öer Krieg. 

Dort tDityelm Beeret in Dresben. 

(Ein Krieg, tote mit ihn feßt erleben, ein Krieg, non öem nicht nur öie Kronen 
tmfjen, roirft auf alle Schiften öer beteiligten Dölfer. (Er toirft auef) auf öie Sprache. 
Das Dolf befinnt fiel? auf feine Befonberheit. Ulan fagt fief? los oom tDeltbürgertuni 
unö befinnt fich auf fein Doltstum als eine gottgeroollte ©emeinfdjaft. Das treibt 
ö fl 3 U, aus öer Spraye fremöe Beimifchungen aus 3 ufd}eiben. Diefes Beftreben fü^rt 
roeiter öaju, öaß man überhaupt über feine Sprache nacfjbenft unö Derftänönis 
befommt für ihren Reichtum unö ihre ©ntoicflungsfähigfeit, öaß man erlennt, roas 
man bei einiger flufmerffamleit mit unö aus öer Spraye machen fann. 

So oerftänbnis* unö liebeooll gepflegt, en toi cf eit öie Spraye aus intern Reichtum 
heraus Heues. Damit erfeßt fie öas abgeftoßene gremöe unö öeeft Öen entfteljenben 
neuen Beöarf. flusötücfe öer $a<h* unö Berufsfprad}en aller öer Kreife, öie am 
Kriege beteiligt finö, alfo 3 . B. fjeer, Slotte, Derroaltung, (Eifenbaßn, Poft, toeröen 
Allgemeingut. Angehörige öer oerfeßiebenen HTunöarten fommen 3 ueinanöet in 
enge ©emeinfdjaft unö tauften % Spradjgut aus. Aus öen HTunöarten roitö öie 
S^riftfprache bereichert, inöem munöartlidj gefärbte Berichte ober ein 3 elne Ausörücfe 
3 ur Kenntnis weiterer Kreife fommen. Anöererfeits befeftigen fief? Kenntnis unö 
©ebrauch b et Sd?riftfpracije unö ©emeinfprechfpradje in Öen Kreifen öerer, öie in Öen 
Scffeln oon HTunöart unö Berufsfptadje fteefen. 

DUer einen Befehl ausgibt unö wer eine HTelöung erftattet, muß fich fo flat aus* 
ötücfen, öaß 3t»dfel unö HTißoerftänönis ausgefchloffen bleiben. So roirö öie Klarheit 
öer Sprache geföröert. Drahtnachrichten, RTelöungen, Befehle follen fein übetflüffiges 
IDort enthalten. Diefer 3®ang führt 3 ur rechten Knappheit in öer Sprache. ©leid}* 
3 eitig entoicfelt fich aber öie Sprache 3 U neuer, echter $ülle. Stol 3 auf öie eigene Art, 
tjaf) gegen öas jremöe unö $einöliche, $reuöe unö SchmeQ, ©lüctounfd} unö ©eil* 
nähme, einöringliche Darftellung erfüllen öie Sprache mit ©efühlsausbrucf. (Es ent* 
roicfelt fich ein befonöerer Reichtum oon Kraftwörtern unö ©Iimpfwörtem. Unö 
öiefer Reichtum öes ©eöanfeninhalts 3 ertrümmert öie alten $ormen. Aus Öen 
©raueran 3 eigen oerfdfwinben öie herfömmlichen abgebrauchten TDenöungen. Htan©er* 
lei Amtsftil müffen mancherlei Ceute hanöhaben, öie erft öer Krieg auf ihren poften 
gefteüt hat. Sinö öiefe Kriegsbeamten nun geiftig ho©ftehenöe Ceute, fo fönnen fie 
bie (Entoicflung öer Amtsfprache 3 um ©uten unö Schonen föröern. Unö über öer 
Amtsfprache fteht öie Kunfifpradhe, öie Dichterfpradje unö öie Spraye öer funftoollen 
Reöe. Auch P® gewinnen neuen fprad}Iid)en Reichtum. Snsgefamt, auf allen ©ebieten 
öer Sprache entfaltet fich fröhliches, reiches £eben. 

Aber too oiel Geht ift, öa ift auch oiel Statten. Heben öem Hülfen bringt öer 
Krieg öer Sprache auch großen Schaben. Die Sprache nimmt fremöes ®ut auf. Die 
aus $einöeslanö heimfehtenöen Krieger bringen fremöes Spradjgut mit, teils un* 
bewußt, teils 00 II Stol 3 ; ebenfo tun es öie berufsmäßige unö außetberufsmäßige 
Beridjterftattung unö öie eilige überfeßung auslänöifcherHachridjten. Aller ©eöanfen 
finö auf Öen Krieg gerietet. 3e tiefer er ins Dolfsleben eingreift, um fo mehr toirö öer 



714 


Die Sprache unb 6er Krieg. Don tDtltjelm Becher 


(Bebanlenfreis ber Allgemeinheit oerengert. Das ift eine (Befahr bejonöets für bie 
3ugenb, bie unroiebetbringliche IHonate fchneller (Entroicflung öurd?Iebt unb bas nie 
aufnimmt, was iht nicht 3 um rechten 3eitpunfte geboten wirb. Das fagt ja jehon unfer 
Sprichwort: „tDas panschen nicht lernt, lernt tjans nimmetmehr." hinter bet Hot» 
roenbigleit öer Sprachflarheit Derjdjwinbet bas Bemühen um Sprachreidjtum, um 
Sprachjchönheit, fogar um Sprachrichtigleit. Die fjauptjache ift, bafe ber anbere oet= 
fteht, was man will. Da mögen IDortbeugung unb Satjgefüge ruhig leiben. Sprach' 
liehe Abfchleifungen aus ber Rtunbart fetjen fi<h unter biejen Umftänben fd^neHer 
butch als im $rieben. 3ur Derarmung ber Sprache fann auch öer übertriebene 
Kampf gegen $remb* unb Cehnwörter führen. (Ein anberes Übel: bie Sprache net» 
wilöert. IDie fchnell muft gerabe im Kriege ber 3eitungsmann arbeiten! TDie f*nell 
mufe ein Brief gefchrieben fein! IDoher foll bei ber Stegreifrebe bie funftoolle $orm 
tommen? IDie follen all bie Dichterlinge Spracbmeifter fein, bie bet (Befühlsübet- 
fchtoang 3um Reimen treibt? IDas für Rlifjbilbungen ber Sprache entfielen bei ben 
oielen Drahtnachrichten unb bei ben Inappgehaltenen $elbpoft!arten! IDo foll bet 
oom wuchtigen (Bebanfeninhalt erfüllte Schreiber bie flufmertfamteit hemeljmen für 
bie $orm? IDenn bann bie mangelhaft abgefafjten $elöpoftbriefe unb $elbpojtfarfen 
fo oft gelefen unb auswenbig gelernt ober gat im Drucf weiteroerbreitet toerben, 
finb fie ba gute Dorbilber? IDas aus ber flmtsfpradje in weitete Kreife bringt, ift bas 
etwa immer gut? Der ftarte Antrieb 3 um Reben unb Schreiben führt 3 um (Bebraud; 
fchwülftiger, hohler, unburchbachter Rebensarten. Unb fdjliefelicf}: bie Bewegung }um 
(Buten, bie ber Krieg mit fidj bringt, ift, 3unäcf}ft wenigftens, eben bodj nur eine Wobt. 
Sie oergeht wieber infolge bes Überfdjwangs IDohlnteinenbet, ber Abfehr ber Mit ! 
laufet, bes RTigbrauchs Unlauterer. 

IDas lehrt biefe (Erörterung für $teunbe ber Sprachpflege? Diefer in alle Schl^ cn 
eingteifenbe Krieg wirft förbemb unb fdjäbigenb ftarf auf bie Spraye. Darum follen 
wir, 3 u Gütern ber Sprache berufen, mit Derantwortungsgefühl unferes Amtes »or¬ 
ten, follen ben Ruhen unferer Sprache förbern unb bem Schaben wehren. $örbern 
wir alfo bie gute Bewegung ber angemeffenen Sprachreinigung! Pflegen wir bie 
(Erfenntnis oom Spracfjteichtum unb ber (Entwicflungsfähigleit ber Sprache! Begün- 
ftigen wir ihre Bereicherung aus $a<hfptachen unb IRunbarten, bie'Befeftigung es 
Gebrauches unb ber Kenntnis oon Sdjriftfprache unb <Bemeinfpre<hfpta<h e ! förbern 
wir bas fchöne Bemühen um rechte Klarheit, rechte Knappheit unb rechte 5» *• 
Sreuen wir uns ber 3erttümmerung oeralteter $otm! Unterftütjen wir alle, biel«? 
eifrig barum bemühen, bie fchöne, reiche ItTutterfprache recht 3 U behertfehen unb feit»' 
ftänbig 3 U gebrauchen! 

UJehren wollen wir bem unnützen (Einbringen fremben Sprachgutes! Allen unj« cn 
bilbungsfreubigen Dolfsgenoffen unb befonbets ber 3 ugenb wollen wir nach Ktapen 
bie Höre auftun 3 U ben Schönheiten unferet ererbten Dichtung, bafc fie in biefer 3 C1 
behütet werben not ber Derengerung bes Sinnes. Unermüblich wollen wir h*n® e| l e 
auf bie Stäben öer Sprachoerwilberung in ber Alltagsarbeit. Den wohlweinen « 
(Eiferern, bie, weil ihnen bas gefchichtliche Derftänbnis fehlt, ben Bilberftürmetn g * 
alte fchöne IDerte ohne Rot oernidjten wollen, wo fie hoch nichts Beffetes » 
lönnen, wollen wir wehren. Den Qberfchwang wollen wir hornmen, öamit as 
beftehen bleiben tann. Die felbftfü*tigen TTTitläufer aber, bie ber (Belbbeutel , 



715 


3ur Umgeftaltung bes Cefeunterri^ts. Don Uff. Duggen 


icut f ^et3 unö i^tc öeutfche 3unge eittbecfen lehrt, bie wollen wir 3 u belebten 

fuchen. Stnö fte aber unbelehrbar, bann wollen wir fie fräftig non uns abföfitteln. 

.. B fl Ö ! f t I Bemühungen wirb ber ein 3 elne ja nur wenig auf anbere wirfen 

na* Kr "ft” 1 ° T i°c' ?*"" ™ k mac ^ en cin »iel. (Ein jeber aber foll 
na<h Kräften wirfen burdj Selbfterjiehung unb gutes Beifpiel. 


®n jeber lerne feine Ceftion! 

So wirb es wohl im häufe ftohn. 


3ur Umgeftaltung öes £efeunterridjt$. 

Don Glj. Doggen in Altona. 

Die literarge Ziehung wirb in ben beutf^en Spulen 3 ur fjauptfaie bur* 
bas Cefebuch Htntten. Don ben paar Sailen, wo gatge Bücher ober wie in Hamburg 
etn remltterartfches Cefebuch mit größeren, ungefügen Zählungen benutst werben, 
fann ich hier ruhig abfehen. 

Die £efebü<her 3 eigen in ben ®runb 3 ügen basfelbe <Sefid?t, einerlei in welchem 
i^l S ® c,tcn öcut f^ cn Daterlanbes fie im Gebrauch finb. <Es ift bas Iiterarifcfc 
realtfhfche Cefebuch, öas alfo au&et «ebichten unb Bruchftücfen enählenber Dichtung 
au^ Darftellungen ber Sachfädjet enthält. 

® e 9 e u biefes Cefebudj mit feinen literarifchen Läppchen, bas wir in wenig oet* 
anberter (Beftalt feit ber Hütte bes porigen Jaljrhunberts in unfern Spulen im ®e* 
brauch faben, wirb feit ungefähr 20 Jahren ein mehr ober weniger erbitterter 
Aa ™fl Scführt. 3um Siege auf ber galten £inie hat biefer Kampf freilich noch nicht 
geführt. Dot allem halten bie Behörben noch an ber alten IDeife feft Aber unter 
Sacpgenoffen hat boch bie Übe^eugung bebeutenb an Boben gewonnen, bafj bie 
m einem befonberen Buche gebotene Dichtung für bie literarifche Ziehung bas noll* 
fommenere tDer^eug barftellt. Die 3ugrunbelegung ber 3 ufammenhängenben Dich= 
tung bebeutet natürlich eine oöllige Umgeftaltung bes Cefeunterrichtes unb £efe= 
e e s. ®s liegt eine gtofce 3al}I oon (Eir^eloerfuchen unb Beobachtungen in biefer 
nge egenheit oor, aus benen fich felfr wohl ber neue IDeg, {ebenfalls in großen 3ügen, 
gewinnen Iäjjt. (Einen folgen Derfuch ftellen meine Ausführungen bar. 

Dor einigen Jahren war ich noch öer Anficht, bafe wir mit bem £efen ber 3 u* 
jammenhängenben Dichtungen fo etwa im 3. Schuljahr beginnen tonnten. Die erften 
oeiöen Schuljahre bachte ich mir ausgefüllt mit bem Durcharbeiten ber $ibel unb bes 
. efebuches. XDäljtenb bie Stbelftufe bie Aneignung ber mechanifchen £efefertig* 
fZT fftcIIi9tc ' * oIItc öas 2 * S^ntjohr öurch bas 1. £efebud? eine gewiffe £efe* 
Tcrtigteit geben, ohne bie ich glaubte bas £efen größerer Dichtungen nicht in Angriff 

nil"* 3 ? A IÖn " en * Untcr 6cm ® n f Iu & ® c »t«er Beobachtungen unb forgfältiger 
vejiutjc hat ftch meine Anficht aber gewanbelt. Die 3ugeftänbniffe bes 1. £efe* 
ajes an bie Unbeholfenheit bes Spülers im £efen finb nämlich au|erorbentli<h 
gring. Sie beftehen in nichts weiterem als in bet Derwenbung etwas größerer 

•T Uns a * )ct ^m^ ct *, biefe auch in ben erften 3 ufammenhängenben 
ronen an 3 ubringert, fo fteht auch öer Derwenbung ber 3 ufammenhängenben Dichtung 
,m £e fcunterrichte bes 2. Schuljahres nichts im tDege 



716 


3ur Umgeftaltung bes Cefeunterricfjts 


3d) toill rtidjt Detj©u>eigen, öafri© bie Aneignung ber Anfangsgrünbe im £e[en 
im Anf©lufe an eine gibel für 6 en bejten unb 3 UDerläfjigften ©eg Ijalte. 3<h jiefle 
tni© bamit in ©egenfafe 3 U man©en Reformern, bie in bet gibel ein lUatterinfttument > 
unb in bet Untermeijung bet Se©sjähtigen im £ejen eine fünbljafte Unnatur et* ! 
bliefen. <Db es ni©t aus bygicnifdjen ©tünben geboten tnäte, bie S©ulpflid]t mit bem 
7 . Cebensjaljt beginnen 3 U lajjen, jtefyt.auf einem anbetn Blatt. Aber in bet Übet» 
mittelung bet £efefahigfeit im 1. S©uljaht (©eint mit feine Dergeroaltigung bei 
Kinbesnatut 3 U liegen. (Es fann gar ni©ts barin gelegen »erben, toenn man in bet 
Sdjul« unb Klaffengemeinf©aft eine but© bie KuItutDer^ältnijfe gebotene ®emein< 
j©aft erblicft. Der ftrengmethobif©e Aufbau unftet gibeln, i^te farbenfrohen Silber, 
ihr finbertümli©er Inhalt unb not allem ber finbetfreunbli©e £ehter geben btejet 
Kultutgemeinfdjaft ben bet Kinbesnatut entfpre©enben 3uj©nitt. 

Am S©lujfe bes 1. Schuljahres fönnen bie A*B*(E*S©üfeen ©ebrudtes jejen, 
bas tniU jagen, jie fönnen bie in Drudf©rift mitgeteilten ©ebanfen auffajfen. >!> 
ihnen alfo bie ennotbene £ejefähigfeit ein neues unb mistiges Ufittel geoot en, j 
ji© bie im Schrifttum niebergelegten ©eiftesj©äfee jelbftänbig att 3 ueignen unen l 
eigenen Dorjtellungsj©afe jelbfttötig 3 U bereichern. Oie neuen reichen ©eijtesjW 1 
bot man nun ben Kinbetn in ben £ejebü<hetn. hieran "jollten unb mufeten jie t?t i 

Selbftanbigfeit erproben. Don biejen Schaden jollten jie möglidjjt Diel ihrem eigene 
©iffensf©afe eitroetleiben. f x , n ,. rli x 

©el©e ©ebattfen jollten nun aus bet Druefjchrift 3 U ihnen fpte©en. i 
am liebjten bie, bie bet Ziehet auch int münblichen Unterri©t an jie h eta ' 
Ro©oro jah in bet Befeitigung bes Aberglaubens bei (einen 3 öglingen ein W - 
3 iel unb bot bestoegen in feinem Kinbetfteunb, bem 1. beutf©en £efebuaj, 11,01 
fietenbe ©ejehichten. (Ein Htenj©enalter nach ihm jah man in bet Übermittlung 
oielen Kenntnijjen über ferne unb nahe Dinge bas heil unb liefe bas teali{nj<h e ■ 
buch ins £eben treten. Als Deutjchlanb bann aber bie gtofee 3eit non ®«in« W 
hatte, ber £ebensn>ett bet beutf©en Dichtung erfannt unb biejelbe mehr un , 
3 um £ebensgut getoorben mar, ba ooil 3 og jid? bet ©anbei bes £ejebu©es 311 
rarij©=realijtij©en. Unb ben ©anbei ber Seiten unb bet £ebensbetDertung h 
£ejebuch auch ferner getreulich mitgemacht: h aus * un b Dolfs©ittf©aftl 1 c h e ' I 
bürgerliche, gefunbheitli©e unb toetterfunbltche Belehrungen unb Darfteuung 
ber fjeimatfunbe jinb hin 3 ugefommen. Das £ejebuch toatb 3 U einem Samm ( 

für bie oon allen Seiten herbeiftrömenben Unterri©tsftoffe.^ ©s roato 3 U } 

Rtäbchen für alles, roie Dörpfelb treffenb jagt, bas ben S©ület mit ' 

nahmen (Zeichnen, Singen, ©urnen) alles 3 U lehren netmag. Do© mufe e m ^ 
einjehen, bafe man in bem £efebu© non feinem ga© bas gan 3 e ®eoameng^ ^ ; 

geben fonnte. Dabur© tDäre es 3 U ungeheuetli©em Umfang angejo ) tD0 • _ 
bilbete ji© bann für bie Sa©fa©et halb bie Ptajis heraus, bafe bas £efe ueq. cu j cn 
(Ergebung, Dertiefung, ©iebetholung unb Belebung bienen folle. Daneben 
ji© alfo bie Sa©fä©er eines jelbftänbigen Unterri©tsganges, in bem bte g« 
bet ©ebanfen geboten unb toirffam gema©t roerben fonnte. ^ 

Der Deutj©unterri©t hatte bas lta©fehen. 3n boppeltem Sinne. ^ 
et einen ©eil feiner foftbaren 3 eit her, um bie ©irfung ber Derj©ieöenen ^ 

3 u erhöhen. Unb 3 um anbetn gab es für ©n neben ben £efeftunöen 




Don tEfj. Duggen 7 ] 7 

orbneten £ehrgang, in 6 cm eine $ülle fpejiftJdjet ©ebanfen un 6 Stoffe übet 6 ie Kin* 
bet ausgefdjüttet toetben tonnte. 

3a, bie Stage liegt nahe, gibt es überhaupt foldje, bem Deutfchunterricht be» 
fonbets eigene unb nur ihm eigene Stoff* unb ©ebanfengebiete? RTan toolle nicht 
©rammati! unb Rechtfdjreibung bafüt ausgeben, gteilidj finb fie bem Deutfdjen 
befonbers eigene Stoffgebiete. ©an 3 abgefehen abet baoott, bafc fie nicht burd? £efen 
übermittelt toetben, enthalten fie hoch nicht bie gemütbilbenbe Ktaft, bie bem Deutfeh* 
unterricht nach lanbläufiger flnfidjt — unb mit gutem Recht — 3 ugef<htieben wirb. 
Diefe toohnt allein bem bidjterifchen Kunftwer! inne. Die in bet beutfehen Dichtung 
eingefchloffene ©ebanteraoelt foll alfo bem Kinbe im Deutfch*£efeunterrieht 3 ugeführt 
werben. 

Die Übermittlung oon toertoollem ©ebanlengut ift feine oomehmfte Aufgabe. 
Rieht bie DerooIItommnung ber Cefefertigteit, toie es ber Rame oielleicht oermuten 
liefee unb toie es leibet 3 um weitoerbreiteten 3rrtum in ber Prapis geworben ift. 
Die Derbefferung ber £efetechni! ift ein formaler Reben 3 toe(t, ben toir tonfequent bei 
aliem £efen in ber Schule oerfolgen. Der materielle ©etoinn unfret £efeftunben aber 
foU, bas fei hier nochmals mit Radjbrucf hetoorgeh°ben, in ber Übermittlung ber 
£ebenstoerte unfrer beutfehen Dichtung beftehen. 

Diefe eble unb bebeutungsoolle Aufgabe erforbert eine angemeffene Unter* 
ri<hts 3 eit. ©s geht nicht mehr an, in ben £efeftunben bes Deutfchunterrichtes fach* 
tunbliche Darftellungen lefen 3 U laffen. Die £efef ertigfeit follte in ben Dienft ber 
übrigen Sachet geftellt werben. Das war recht unb gut. Rtan nahm aber auch &ie 
£efeftunbe bes Deutfchunterrichtes bequ. Das war unb ift Dielfach noch ber oer* 
hängnisoolle 3rrtum. £jiet liegt nur in einer reinlichen Sdjeibung bas heil. 

Die £efeftunbe ausfchlief$li<h ber Durcharbeitung beutfeher Dichtung! Oer 
RHchtigteit bes literarifchen Unterrichtes entfpricfjt es, wenn in ben erften btei 3al?t s 
gangen 3, in allen übrigen, bis 3 ut Sdjulentlaffung, 2 ber wöchentlichen Deutfeh' 
ftunben für £efen angefetjt unb oerwenbet werben. 3n ben 3 £efeftunben ber unteren 
unb ben 2 ber mittleren unb oberen 3 ahtgünge werbe alfo nichts anberes als beutfdje 
Dichtung mit ben Schülern gelefen. 

So ftänbe nun weiter 3 ur Stage: U)as foll gelefen werben? Die Beantwortung 
biefer Stage war nicht unfrer 3*it oorbehalten. 3um ©eil finben wir fie bereits in 
ben Sefebüdjern gelöft. Die Auswahl paffenber Dichtung liegt in großen 3ügen oor. 
Den unteren unb mittleren 3 ahtgängen bot man Rtarchen, Kinber* unb ©ietge* 
fdjiehten, Sagen aller Art, baneben Kinberlieber, Dolfslieber, Sabeln, leiste Batlaben, 
fchwerere Kunftlieber, ben oberen et 3 ählenbe Dichtung, Briefliteratur, pljilofophifeh* 
afthetifdje Abhanblungen, ©ebanlenlyrif unb Dramen. 3m gan 3 en eine treffliche 
Auswahl. Bis auf bie ©Zahlungen. Der ©harafter bes £efebu<hes hatte 3 ur 5°h} e < 
bafj bie ©Zahlung in fläglichen Bruchftüden aufgetifcht würbe. Alle übrige Dichtung 
befam bas Kinb in ooller Runbung, in gefdjloffener Kompofition. Sie gewahrte barum 
eine abgerunbete Kunftanfdjauung unb gewährleiftete eine tieffchürfenbe DDirfung. 

IDenn fonft nur alles in (Drbnung war, 3 . B. bie gefchiefte Behanblung burch ben 
tunftfinnigen £ehrer, fo wufete bas Kinb in biefen Dingen, woran es war unb was es 
an biefer Dichtung hatte. 

Aber bie größere e^äljlenbe Dichtung blieb für bie Kinber ein ungelöftes pro* 



7 i# 3ur Umgeftaltung bes Cefeunterri^ls 

Wem. Oie poetifdje SÜ 33 e, Me Rooelle und Öen Roman falteten mit öutdj öas £efe= 
bud} aus öet litetarifdjen <Et 3 ieljung aus. Daburdj oetfagten toit öem ^etantoa^fen* 

Öen ©efdjlecfjt geraöe Öen Seil öet öeutfdjen Ortung, öet öie Ijauptfoft öes liietato 
fteunölidjen unö litetatutgeniefjenöen Publilums öatftellt. (Es liegt in öet Ratut btt 
Sadje, bafe mit uns ein lefenöes Publitum nicht gut anöets als öas öie brettangelegten 
Zahlungen lefenöe öenten tonnen. Stunöenlanges £efen oon Oeöetn, BaHabeit, 
Sabeln, Spridjmöttet, Ratfein öürfte hödjftens bei Sadjgeleljrten ljöufig fein. Der 
£ttetatutKebhabet liebt foldje £efemofait nicht 

Oie gtofjen 3ufammen^änge öes £ebens mill man im längeren £e(en genießen. ( 
Oie bietet nun 3 toat auch öas Drama, öas öatum in feinet Braudjbarleit für längeres 
£efen gleich nach öet et 3 <ityenöen Dichtung tommt. Eintet öem£efen eines Dramas 
fteljt aber immer öie Hoffnung auf ein Schauen öetfelben Dotgänge auf bet Bügne, 
roaljtenb öas £efen öet Sti 33 e, öet Hooelle unö öes Romans einen ©enufe Wtjtellt, 
öet in fid? oolle Beftieöigung gemährt. Datum ift öet Ruf nad* 3 u|ammenf|ängeiibet 
Cettüre in elfter £inie öet nad? 3ulaffung öet ungetüt 3 ten profa*(Epii 3ur SchuUeftae. 

Oie tann nun nadj öem Dotgang öet Hamburger in einem tefebudj^Samtne an j 
geteilt roeröen oöet aud) in öet gefonöetten Budjausgabe. I 

3ch gebe öet getrennten Budjausgabe aus gemichtigen ©tünöen entf^teoen 
Öen Oot3ug. 3n öet Budjausgabe mitö öie Didjtung nadj öet Sdju^eit gerauft un 
gelefett. Oie Sdjüle arbeitet alfo öet Beftieöigung öes £efebebütfnijfes in bet« 
bat fidjerften IDeife not, menn fie öie Betanntfdjaft mit mancherlei guten unb w 
Büdjetn oermittelt. Oie Sdjule fdjafft ferner öurdj öie in öet Klaffenleftüre benujan 
Buchausgaben einen mettoollen ©runöftod für eine Heine Ijausbibliotljet ttn '«)• 

Ruf öie hödjftens für ein halbes 3ah* Benu^ung befinölidjen „£efebudjet 9 
fidj nicht fo öet Sdjulftaub mie auf öie oon Klaffe 3 U Klaffe mitgenommenen 
uumbemben Scbullefebüdber. 

Oie flnfdjaffungsloften erhöhen fich bei öem norgefdjlagenen Derfahren m 
oöet gemif; nidjt fo, öafj es fi<h aus öiefem ©tunöe etma für öie Dollsfdjule oet • 

3<h etblide in öet Beratung oon Buchausgaben auch leine Beötohung öer ^ 
ijeitlidjleit in unfret Schularbeit. Rach Ablauf öet ©ebraudjsjeit eines SquI «I« 
fotöetn mit Jdjon jefct nicht mehr öas Dotljanöenfein öesfelben unter öemnano 
Schulbücher, ©öet, menn mit es oon öem mehrere 3aljte benutzten ul 8 “ 1 ' 
langen, fo tonnen mit es mit öemfelben Recht unö öemfelben (Erfolg non et 
ausgabe fotöetn. Der freien unö beliebigen Beifügung öes öurdjgeno 
Unterrichtsftoffes fteht aber hier fo menig mie öort im IDege. _ rHAtuna 
Run 3 ieljt aber öie $otöetung oon öet Darreichung öet ct 3 ä^lenocn 
in befonöetet Budjausgabe tonfequentermeife öie $otöetung: fluch öie ub ^. « en 
tung in gatQen Büßern! nach fid}. fllfo audj Kinöetlieöet, Bailaben, ’ 
Sagen gebe man Öen Kinöetn in befonöeten Sammelbänödjen. Das neue ' ^ 
foll eben gat nicht öie Detfudjung nahelegen, in öet £efeftunöe etmas an 
öeutfdje Dichtung lefen 3 U laffen. Rut aus öet frühen unö jahrelangen iradj ^ 
Pflege öet $teuöe an guten Büchern ermädjft öet Utetarifdjen <Ei3ieh un 9 n 
roetter Segen, nach öem belannten RJort: 3 ung gemoljnt, alt getan. jp 

So mäte öet Stage n 5 ljet 3 uiteten: IDelche Büdjet foHen es fein? ,'V^ nei 
nicht leicht 3 U beantroorten. 3dj gebe mich auch nicht öet Süufion h * n > 1111 





Don (EI). Duggen 


719 


Stoffausroaljl eine für alle $äüe brauchbare unb muftergültige 311 geben. Sd) halte 
es datum für angejeigt, !ut 3 auf einige Srroägungen hin 3 uroeifen, oon benen id) 
mich ^abe leiten Iajfen. 1 ) 

Um bie Sinheitlid)teit ber Schularbeit 3 U mähten, roirb es nötig fein, an mehr* 
tlaffigwt Spulen eine geroiffe 3al)l oon Büchern oetbinblid) 3 U machen. Darin roirb 
oon bem Cehter genüg teine Iäftige Seffel gefehen, fonbem f)ö<hftens ein but<h bie 
Derhältnijfe gebotener unb darum erträglicher 3u>ang. (Es roirb darin alfo bet 3u* 
ftanb eintreten, ben mit fegt fd)on burd) bie behördlichen Beftimmungen gegeben 
haben, roemt biefelben für Klaffe I bet Knabenmittelfchulen Seile aus ^ermann unb 
Dorothea unb nach U)ahl fjeyfes Kolberg, Schillers (Cell unb IDallenfteins £ager, 
ober etroa für U II 3ungfrau oon Orleans unb tDilhelm SeH oorfdjreiben. 

Uad) meinen bisherigen (Erfahrungen törmen in ben ©berüaffen ber Dolts* 
unb ITlittelfchulen in 2 roöchentlichen Cefeftunben 2 gtögere tDerte burchgearbeitet 
roerben, roie etroa ©rimmelshaufeits Simpliciffitnus (Schafffteins Blaue Bändchen) 
unb Seil, Ulichael Kohlhaas (Delhagen unb Klafing) unb Seil, Pole Poppenfpäler 
(IDeftermann) unb 3ungfrau oon Orleans. 

Auf ber Unter* unb Blittelftufe ber Dolts* unb ITlittelfchulen mit 3 Cefeftunben 
in bet TDodje etroa 2—3 Bändchen in bem Umfang ber Sdjafffteinfchen 30 Pf.*Büd)er. 

Sn ©egenden mit heroorragenber mundartlicher Dichtung mug auch biefe mit 
gtögeren Zählungen in ber Stoffausroahl oertreten fein. Sn bem 8 . SrgäTQungs* 
heft biefer 3eitfd)rift 3 eigt Dr. £eoy in trefflicher U)eife bie Denoenbung des Diatetts 
im gtammatifchen Unterricht. Die roeitgehenbfte Berü<tfid)tigung bet Utunbart in bet 
grammatifchen Sprachbetrachtung reicht aber nicht hin, ben Schüler ein bauerndes 
Derhältnis 3 U feinet ITtunbart gemimten 3 U laffett, 00 t allem nicht, ihn 3 U einem 
munbarterhaltenben unb »fördernden $attor 3 U erheben. Da 3 U mug man ein übriges 
tun, indem man ihm als Seil feinet gefamten literarifchen Ziehung £iebe 3 m munb* 
örtlichen Dichtung einpflan 3 t — eben durch £efen mundartlicher Stählungen, nicht 
blog oon ©ebichten, mie es bisher gefchal). Sn ber Doltsfchule möchte ich Öen 2 legten, 
in bet Ittittelfchule ben 3 legten Schuljahren je eine Stählung in Utunbart 3 umeifen. 

Bei bet flusroal)! oon Stählungen handelt es fid) um päbagogifches Ueulanb. 
Hach welchen ©efidjtspuntten joll bie oorgenommen merben? Da es fid) um lite* 
rarifche Stieljung handelt, fo müffen auch literarifche ©efichtspuntte ausfchlaggebenb 
fein. Religiöfe, gefd)ichtlid)e und andere dagegen haben erft in 3 meiter £inie ein 
TDort mit 3 ureben. £ägt man aber literarifche ©efichtspuntte ausfchlaggebenb fein, 
fo oerbichtet fi<h bie Untetfuchung 3 U der $rage: IDelche Stählet münjdjen mit unfern 
Kindern als Betannte? So roirb man bald 3 U einem Stamm oon ben beften Sr* 
3 äI)Iem tommen, mie man Jd)on Iängft einen Stamm oon Kinberliebbichtern, Balladen» 
bid)tern unb Dramendichtern hat Sn erfter £inie merben alfo Keller, Storm, Raabe, 

1) 3u Rate gesogen habe ich bei bet 3ufammenftellung bet Stoffe folgenbe Arbeiten: 
Ej. tDolgaft, Das Slenb unfetet 3 ugenblitetatur, tjamburg 1910. 

Derjeidjnis empfehlenstoettet Sugenbfdjtiften b. Dereinigten Deutfeh. Prfg.-flusfcfjüffe, 

Ausgabe 1913. 

21. Slugfdjrift 3 m äftgetifdjen Kultut, 00 m Dütet*Bunb herausgegeben. 

®nen Hrtifel o. Hie. fjenningfen in heft 10 bet päbagog. IDatte, 1910. 

®nen Artitel 0 . ©. Scgmibt, heft 19 u. 20 bet IHittelfchule 1913. 

©nen Artitel oon ©.Stöhlid) in Rt. 11 bet Deutfdjen Scgulpraiis, 1914. 


L 



720 


3ur Umgestaltung bes £efeunterrid)ts 


Rofegger, ©otthelf, Ciliencron, Htatie o. <Ebnet*©fchenbach, Stifter in Betracht lom» 
tnen. IDähtenb i<h biefe paar Hamen mebetfchteibe, quält mid} unabläffig ein 
lebhaftes Bebauern, bafj icfj nicfjt nod} ein ganjes fjeet oon nortteP^en Hamen 
binjufiigen batf. 

IDie oon ben oielen oortrefflichen Diätem tann man audj nur etne toinjige 
3aljl oon ben oielen oot 3 üglid}en Ausgaben betüdfidjtigen. Aber toenn man and) 
barin einen angemeffenen tDedjfel beamtet, toirb bas angeregte 3 ntere|fe fi(h mit 
tjilfe bet angebrachten (Empfehlungen fd)on toeitet Reifen. IDenn bie Derljältm||e 
es erlauben, leifte man fidj auch einmal eine toftbarere Ausgabe. 

Dr. fjeinrid) fjart hat auf bem tDeimarer Kunfterjiehungstag mit Ila^btud 
bie $orberung na<h roeitgehenber Berudfichtigung bes Hjumots in bet Ceftüte oep 
treten. Dem Derlangen ift ernftlicfje Berücffichtigung 3 U wünfehert. Wilhelm Bu| 
halte idj nun allerbings in Übereinstimmung mit Prof. (E. Keilet für 
Aber in ben Sdjilbbürgergefchichten, ben ©efdjid}ten oon Hill (Eulenfpiegel ^ 
häufen, in fjebels unb Reuters Anzahlungen beifpielstoeife tonnen toir ben Ktn ent 
einen h^erfrifchenben unb roohltuenben humor oorfet)en. 

HTeine Stoffaustoahl ift auf Horbbeutfchlanb 3 ugef<hnitten. Oie Dialeftbuh nj 
mufe alfo in anbetn ©egenben mit anbern Hummern bebadjt werben. Oie in « 
Klaffenleftüre hcrgefteUte Betanntfchaft mit gtofeen Oichtern bente ich rm om 
fjauslettüre (Sdh&lerbibliothet) angemeffen erweitert unb befeftigt. 

mit einer Auswahl oon ©ebidjten coill id) hi et wicht aufwarten. 3<h ,n 
Anfidjt, bafe bet Kanon ber oerbinblichen ©ebidjte nicht 3 U umfangreich fern • 
bamit ber Heigung unb freien ©ntfdjliefjung bes Cehrets genügenber Spte t 
Derbleibt. 3<h befchränte mich iw biefem 3ufammenhang auf (Empfehlung bet a 
bänbehen. 

I. (Er 3 ählungen unb Otamen. 

2. Schuljahr. 

Klein fjeini, ein ©rofeftabtjunge. (Sdjaffftein, ©öln, Blaue Bünöchen Br. 21. ' . 

©rimms Blütchen, Bö. I. Blütchen 3 um £ad)en. (Quellen, 3 ugenbblütter,Htumh en > • ' 
©rimms Blütchen, Bö. 11. Blütchen 3 um Staunen. (Quellen, 3 ugenöblatter, 

Bl. —,25.) 

5. Schuljahr. „ mfinchen, 

©rimms Blütchen, Bö. 111. Don IDolf unö Sudjs unö anöetem ©etiet. (Quellen, 
m. —,25.) 

Blutfchi unö anöete S<het 3 mätchen. (Blaue Bünöchen Bt. 6. Bl. —,30.) 

Puffi Blau unö anöete Hietgefdjichten. (Blaue Bünöchen Bt. 12. Bl. ,30.1 

4. Schuljahr. . 

Bedjftein, Blütdjenbuch, oon £. Richtet. (©. IDiganb, Ceipjig. Bl. 1 , 20 .) 

Robinfon ©tufoe. (Blaue Bünöchen Bt. 15. Bl. —,30.) 

Die Schilöbütget, Schwab (Schaffftein, ©öln. Bl. 1,—.) 

Kleine fjelben. (Blaue Bünöchen Bt. 14. Bl. —,30.) 

5. Schuljahr. 

©ill (Eulenfpiegel. (Sdjaffftein, ©öln. Bl. 1,30.) 

Rlüllenljoff, Schleswigholfteinifche Sagen. (Siebfdjer, Siegen. Bl. Ir®;/ 
Blünchhaufens Reifen unö Abenteuer. (Blaue Bünöchen Bt. 27. Bl. 0,30.) 

6. SQuIjahr. * n„nfitöbü<i!« ei ' 

heb bei, ©ine Rächt im 3ügethaufe unö anöete ®t 3 ühlungen. (Deutfhe j S 

tj ermann Ijilger, Berlin. Bl. —,10.) 



Don Xfj. Duggett 


721 


©rimm, Deutle Sagen. (Stuttgart, Union. Zit. 1 , 20 .) 

Stiftet, ©ranit. (tDiesbaöener Dollsbü©er. TU.—, 10 .) 

Storm, pole Poppenfpäler. (IDeftermann, Braunf©u>eig. IR.—,50.) 

7. Schuljahr. 

IDiffer, IDat ©rotmober ©erteilt. Bö. I. (Dieöeri©s, 3ena. Ut.—,80.) 

Das Uibelungenlieö, Cegerlo^. (Belagen u. Klafing, Bielefelö. Ut. 1 ,—.) 

Simplidffimus, ©rimmelshaufen. (Blaue Bänödjen Ut. 5. nt. —,30.) 

£iliencron, Kriegsnooellen. (Stuftet u. £öfflet. nt. 1,—.) 

8. Schuljahr. 

3. Jj. Se^*s, Ut 3lenbecf. (£üljr u. Dirds, ©aröing. nt. —,50.) 

Sdjiller, tDilhelm ©eil. (Beilagen u. Klafing, Bielefelö. nt.—,60.) 

Raabe, Bas lefcte Re©t. (tDiesbaöener Dolfsbücfjer. nt. —,10.) 

Keller, Bas $äl)ntein öer 7 flufre©ten. (tDiesbaöener Bolfsbüdjer. nt. —, 10 .) 

9. Sdjuljabr. 

Sr. Reutet, S©urr*Rturr. (Bibliogr. Snftitut, £eip}ig. nt. —,40.) 

3. fl). ©oetlje, ©öfc oon Berlidjingen. (Beilagen u. Klafing, Bielefelö. W.—.60.) 

St. S©iller, IBaltenfteins £ager. (Beilagen u. Klafing.) 
h- o. Kleift, Rli©ael Ko^l^aas. (Beilagen u. Klafing.) 

II. ©ebi©tfammelbänbe. 

2.-3. Schuljahr. 

3m Sonnenf^ein. (Blaue Bänö©ep Rr. 11 . nt. —,30.) 

4.—6. Sdfuljabr. 

Satfe*£ön>enberg, Steht auf, ©t lieben Kinöerlein. (Sc^affftein, döln. nt. 1,80.) 

7.-9. S©uljaht. 

£obfien, Aus filbemen Schalen. (Scfjünemann, Bremen, nt. 1,50.) 

Deutf©er Ballaöenborn. ( 5 if©et u. $*• IR- 2 ,—.) 

übet öie Beljanblung bet Dichtung in bet Schule fann ich mi© te©t viel füQet 
faffen. Seit bent 2. Kunfterjiehungstag in IDeimat ift barüber fo oiel Behe^igens* 
nettes gefagt unb gefdjtieben, aber auch in bet Praxis beachtet unberprobt tooröen, 
bafe ich hkt nut 3 toectlofe tDieberholungen bringen fönnte. 3n biefem 3ufammenhang 
u>iU ich mi© batum auf bie fjeroorhebung bes U)efeittli©en bef©ranten. 

Den umfangreichften ©ebantenfreis fteflt bie et 3 ählcnbe Dichtung bat. Sie fteht 
batum im IRittelpunft bes £efe*£itetatur*Unterri©tes. Da 3 toif©en f©iebt fich bie 
Behanblung bet ©ebi©te. Das ©ebicht bereitet namentli© bem Unterftufenf©üler 
allerlei S©roierig!eiten. ©s tritt eben in einer Kunftform auf, bie fich oon bet Um* 
gangsfpra©e am roeiteften entfernt. Das Kunftmittel bes Reimes, jobann aber au© 
bet Jtteng ri}ythmif©e Aufbau lenft bie flufmerffamteit in einet IDeife auf bie $otm 
hin unb oon bem 3nhalt ab, ba& bas Kinb mit feinet ftatt fluftuierenben flufmetl* 
famleit faft ganj oon bet $otm in flnfpru© genommen toitb. ITCit bet $orm toeife 
cs aber no© roeniget aigufangen als oielfa© mit bem 3nljalt. Datum holte i© für 
ben Untetftufenf©ület ein Derfahren angebra©t, toie es, toenn i© te©t erinnere, 
heinri© S©attelmann in feinem „tje^haften Unterri©t" 3 um elften Rial empfohlen 
hat ®r bietet ben 3t©alt bes ®ebi©tes in ©eftalt einet deinen Zahlung unb iäfot 
bann biefelbe ©ef©i©te oon fjoffmamt o. $alletsleben, ©uftao Saite ober ©üll 
Jo unb fo (in bet $omt bes ©ebi©tes) et 3 ahlen. 

Dolle Bea©tung oetbient au© bie enge Detbinbung bet £yrif mit bem ©efang, 
für bie bie Ptofeffoten R. Cehmann unb ©. Keilet fo na©brüdti© in IDeimat ein* 

3eitfd)r.f.ö.öeutfdf«itllnterri4t. 29.3afjrg. ll.fjeft 46 



722 


3ur Umgeftaltung bes Ccfeunterridjts 


traten. Kein Sieb, bas eine RTelobie hat, follte ungefungen bleiben. 3 a, öic oft gc= 
fungenen Sieber unb bie bereits mit RTelobie oerfehenen oerbienen unbebingt ben 
Dor3ug oor ben anbern. Das Singen ber £ieber geftattet eine frifdje unb frötflicbe 
Selbstbetätigung, tlidfts ift uns aber erroünfchter, als bie Kinbet in rege Selbfttätig* 
feit fetjen 3U fönnen. Aber auch nichts in biefem $all praftifher unb fo unbebingt 
lebenoorbereitenb, als roenn man ©efangesluft unb -fünft mitgibt. Der Deutfeh 
leerer mu| fingen fönnen. (Et mufe einen unerfdjöpflidjen Born roertooller £iebet 
befitjen. „Hur toer oieles bringt, toirb manchem etroas bringen." Die Derbinbung 
oon beutfctjer Syrif unb (hefang benfe icf? mit fo, bajj ber Setjrer bas £ieb in bet 
Deutfdjftunbe fingt ober fingen läfjt. Der Deutfdjle^rer toirb ja nicht immer ju ! 
gleich auch ©efanglehter fein, fo baf} er nidjt fidjer auf bie Unterftütjung bes ©efang ! 
Unterrichtes rechnen fann. Die (Einübung ber TUelobie ooltyeht fi<h fabelhaft fdjnelL 
tOie oerfd}toinbenb roenig 3 mt gehört 3um einmaligen ober auch 3tocimaIigen Don 
fingen! f)in3u fommt, bafe man auf biefen Streifigen gar oft auf ben im Dolf oon 
hanbenen RTelobienfchai} ftofjt. RTit einem Stamm oon auch nur einigen Sängern 
hat man natürlich oiel fchnelleres Arbeiten. 

So ein £ieb foll überhaupt nicht 3ut Ruhe fommen. Der £ehter rüdt es, mögli# 
auch 6ei ber erften Befanntfdjaft, bei paffenbem Anlafj ins Beroufetfein, fei es nun 
im Unterricht, beim Spiel ober auf Ausflügen aller Art. Die echte Syrif toarb im Augem 
blirf gefteigerten (Erlebens geboren, unb jebes gefteigerte (Erleben fudjt toiebetum in 
ihr Ausbrucf unb $orm. Diefe enge U)echfelbe3iehung fucht 3unächjt ber £ehrer felbft 
3U getoinnen, bann aber auch feinen Kinbern miuteilen. (Et pflegt biefe Seite bcs 
finblichen Seelenlebens butch Dotleben, unb fo toirb auch fdjliefelich bei bem Kinbe 
(bie <5ren3en aller <Er3ieljung nicht aufeer Acht gelaffen) jebet Anlafe bas £ieb ins 
Beroufetfein reifen. Die (Einbtüde bet Aufcenroelt toetben ftatt bes £el}ters 3um er 
regenben Rloment. Rur fo fann bas £ieb bem RTenfchen 3um allgemein gültigen 
Ausbrucf feiner ©efühlsroelt toetben. Rur fo in feinem £eben bie Sonne bet gröhlid?- 
feit, bie ihm bie $reube noch oergolbet, ben trüben (Etlebniffen ben büfteren Schaben 
nimmt.- 

Rädjft bem Singen ift bas Re3itieren ein wichtiges Rlittel, ben Sdjüler tätig fein 
3u laffen. Das gilt natürlich oon ben austoenbig gelernten ©ebidjten in elfter £in>e 
Die Darbietung bes ©ebidjtes bei paffenbem Anlafe butch Deflamation erhöht e ' ,en 
falls bie IDirfung, inbem bas Derftanbnis erfd}loffen, bet (Einbrud oertieft unb bei 
tt)ert eines foldjen Befitjes Deranfchaulidjt toitb. 3 e häufiger ein Schüler im Singen 
eines Siebes ober im fjetfagen eines ©ebidjtes ben Ausbtud eigenen (Erlebens |u . 
befto beffet ift es unb befto mehr hat unfet Unterricht gefruchtet. 

Die Deflamation ift eine gefellige Kunft, bie mit einer 3uhörerf<haft re ne 
Das Singen bagegen ebenfo feht eine perfönlidje, bie an bem Ausübenben 9 enu ? 
Der für fidj beflamietenbe RTenfch hat etroas UJunberlidjes. Ridjt fo ber in bei 1 
feines Kämmerleins fingenbe. (Es ift gan3 natürlich, äafe man fi<h bie fiinfam e' 
burdj Singen oertreibt. An praftifdjet Bebeutung fteht barum bas Regitieten tn 
Singen roeit nad}. RTit einer Durdjfchnittsgefangesgabe übermittelt man bem lc 
f^en ein oortreffliches Rlittel 3ur Unterhaltung. » 

Die Durd}fdjnittsre 3 itationsgabe hat bagegen einen roeit befchtäntteten 
brauchsroert. $ür ein Auftreten oor einem Publifum reicht nur eine beffete 


723 


Don Iff. Duggen 


ffw" a rl' Cin i Ö fi )Ut ^ fc ^ nitt nW ?* unerheblich übertagenbe. Oie 3 u gewinnen 

JLhTn'* "!?* U9Cnöemet un f ctcr Spulen. Das bleibt einet |achfchule 
ooibe^alten. Oie ^ambutget Kollegen fl. Jen 3 en unb R>. Samfeus geben barin in 

iljrem neueften Bu^; „Diepoefie in Kot" übet bas 3uläffige hinaus, wenn fie bie 

^ Sr1% 3 s cr 0n , Ct R bCn -.. SiC Dcra,cnöen öawu f nai > Rteinung aud? 
3 uotel 3cit unb $leife. H)tt muffen uns mit einet Re 3 itationsfunft begnügen, bie 

rmt tm Rahmen unfres Cefeunterridjtes erteilen tonnen._ 9 

!?“ ®ebi^t ift meift begleiten Umfangs unb tann barum leicht in feiner 
a °x a ^l aU ~i e “ )etöen ' ® ic Wöglichteit ber fdjnellen Durcharbeitung befAwor 
unb bej^roort immer noch bie (gefaxt einet bteitangelegten Be^anölung herauf. 
St^erh^ hat eine folche oielfach mannen ©inbrud erft in bie richtige Beleuchtung 
gerueft unb bas ©ebiefjt in feinem Derlauf Hat ins Bewufetfein gehoben. Aber nod> 
fieberet war bie tDitlung, bas (gebiert aus bem Dotbetgtunb bes 3ntereffes 3 u oet= 
btangen unb an bie Stelle mähret Kunft oft ganj tunftlofe Betrachtungen treten 3 u 
taffen. Unb hoch gleitet ber Sdjülergeift toegen bet in bet $orm gegebenen Schwierig* 
letten unb wegen bes fernen Dorüberraufchenben ©inbruds gar 3 u leicht übet ben 
tieferen Sinn Dielet (gebiete binweg. Da nun aber bie Kunft bes (gebientes burdj 
mdjts erfefct werben tann, fo folgt hieraus, bafj nur butdj wieberbolie Dorfübrung 
besfelben bie erwünfebte UJirfung eqielt wirb. Dertrautbeit mit bem ©ebantenfreis 
ber ©ebicbte tann alfo anein bie häufige U)ieberbolung geben, flllerbings eine EDieber* 
bolung, bie forgföltig Sangeweile unb (Eintönigleit fernbalten mufe. Unb bie ift in 
ber oben nabet befebriebenen IDeife enthalten. Jeber flugenblid gefteigerten (Erlebens, 
auch ruhig mal in einer anbern Unterricbtsftunbe, tbitb flnlafe, fo einen Iytifcfjen 
Sreunb 3 u geben ober einen alten lyrifchen Befannten als Kron 3 eugen aufeurufen. 

©erabe entgegengefefct Doll 3 ieht ficb bie Durcharbeitung ber er 3 ählenben Dichtung. 
Rleiftens, ausgenommen finb bicroon üielletcfjt gan 3 ringe Klärten unb Sagen, 
gebt es hier non ber ©eitauffaffung 3 ur ©efamtauffaffung. Bei ben ©ebichten ift es 
bas analytifdje, hier bas fyntbetif^e Derfabren. Kommt es bei ber ©ebichtsbehanb* 
uttg barauf an, oon ber ©efamtauffaffung bet immer wiebet bie (Ein 3 el 3 üge Har 3 u 
[eben, fo tnufe bei bet e^äblenben Dichtung ber Blid immer wieber oon bem ©eil auf 
bas ©an 3 e gelenft werben. 


^ , . et J °mnit es auf langfames, oerweilenbes Ejinburcharbeiten an. flngemeffene 
fqnitte, bie natürlich eine logifdje ©inbeit bilben müffen, werben in einem 3uge 
gelefen. Dann unterbricht eine Betrachtung ben Sefeaft. Die Betrachtung bat bei 
lungeren Jahrgängen ben Derlauf ber fjanblung in ihren ©in 3 elheiten ertennen 3 u 
affen unb feft 3 ulegen. Reu auftretenbe Perfonen werben angemerlt, ber $ortfchritt 
v nbIUnfl f e f*9 e ftellt. Reben biefe Sonberwertung bes neuen flbfehnittes 
tritt bie SefifteUung, wie er fid? an bie roraufgebenbe hanblung anfchliefet. Die Der* 
un ung bes Perftänbniffes für ben Stoff unb bie Pflege bes ftofflidjen Sntereffes 
I eben überall, bis obenbin, im Dorbergrunb. ©s ift bie eine wefentliehe Seite bes 
unftoerftänbniffes. R)enn bie nötige Reife oorausgefetjt werben tann, was eiwa 
oom 12 . Jahr an ber Sali fein bürfte, fommen Betrachtungen über bie bichterifchen 
un W> tmen ,^ 3 u. Aus bem reichen flnfehauungsmaterial wächft bie Kenntnis ber 
fTii’ Ctt b c roor. 3n biefem Jahr tonnte ich noch wieber beobachten, wie 
Ta e haft fchnell 14jährige Knaben fich in biefes Stoffgebiet einarbeiten. 3d? las mit 


46* 



724 3ur Umgeftaltung öes £efeunterrid}t$. Don (El). Buggen | 

ihnen öie Cilienctonfche Ktiegsnooelle: ©ne Sommerfchlacht. (Es mar eine £u|t)u , 
feljen, roie öie Jungen fielet unö mit großer $teuöe Petfonififationen, Detgtei^e, 1 
tDieöerhoIungert, Ausrufe, fchmüdenöe Beiwörter, poetifd?e Beinamen, Coutmaletei 
erfannten unö benannten. 

Das tDohlgefallen an öer fd?önen, gerodelten Spraye Jtellt öie anöere Seite t 
roal?ten Kunftoerftanöniffes öar. ©ne roirflich allfeitige literarifche <Et 3 ie 1 ?ujig tann 
auf feins Berichten. Bei allem Cefen auf öer (Dberftufe öatf in öer an 3 ufcf|liejjenöeti i 
Betrachtung teins non beiöen fehlen. Hut roet jahrelang Öen Blid öafüt gejehärfl 
belommen hot, bietet ©ernähr für öie ©langung oölliger literarifdjcr TITünöigleit j| 
nach öer Sc^uljcit. 1 

©ne Selbfttätigteit nach öem ITtufter bei öer ©eöichtsbel?anölung öurdj rejitaiori' 
fdje oöer gefängliche IDieöergabe gibt es natürlich nur in fel?t begrenjtem Wafer. 
Aufeet öer geöantlichen Durcharbeitung bietet fi<h hier noch öie tllöglichfeit öer IDieöer 
gäbe öes ©elefenen in freiem Dortrag. Den tann man gleich nach öem Durd)Ie|en j 
foröern, um auch ntal in fchnellem Auffaffen unö fchneller Darftellung ju üben. 3 n 
öer Regel roirö aber öie Dorbereitung öes in einer Stunöe ©elefenen 3U freiem Dortrag 
Sache öer Hausarbeit fein. Unbeöingt muf} öann aber auch nach öer »ölligen Durd/’ | 
arbeitung öie ganje ©3ählung im freien Dortrag gebracht roeröen. <Sne Schüfe 5 | 
unterfudjung foll Jicf? äußern über öie 3 $ragen: 1 . IDelches Stücf Ceben fteflt uns iw j 
Dichter öar? 2. ©fdjeint öer Detlauf natürlich unö lebensroaht? 3 . IDeift öie Sprach« | 
befonöere Schönheiten auf? 

| j^Die Dramen habe ich roie öie ©gahlungen behanöelt. Hier fteHen 
öie natürlichen Cejeabfchnitte oor. Die an3ufügenöe Betrachtung erhebt Öen 2 - 
fachenoerlauf foroie öie 3ut Derroertung getommenen poetifd?en Blittel 3U fW’ j 
umtiffenem Berou&tfeinsinl?alt. Don öer 2 . S3ene ab tritt in jeöet Betrachtung em 
Rüdbiid auf, öer tlare ©nficht in öas S3enengefüge 3U geben hat. 3 d? rounöere nun ) 
fehr übet öie Angftlid?feit, öie in öen Celjtplänen für höhere Schulen übet öas e|en j 
mit oerteilten Rollen ausgefptochen ift. (Es roirö ja auch bei öer <Et3äl?lung paffieten, 
öafe öer Cef er Öen Sinn nicht gleich erfaßt unö öafe öas in einer oerfehrten Beton un jj 
3um Ausörud tommt. IDarum foll man öa nicht roieöerholen unö öutd? ■ 

Öen $ehler befeitigen laffen? Rlachen’s roir öenn anöers beim füllen Cefen? un * 
Ceben, öem roirtlichen $all möglichft nahe fontmen, öas heifet öoch für öie 3 « 
am beften rüften. 

3 cf? gebe mich nicht öer Häufhung hin, öafj mit öem ootgefchlagenen Ulet? 0 { 
roechfel in öer literarifd?en ©gieljung mit einem Schlage alles gut roeröen fo *• 
ift gar nicht 3U ©erlernten, öafj auch bei öem Anfdjlufo an öas Cefebud? m® n “I* 9 * 
©nte geborgen rootöen ift. Denn fein Citeraturfreunö öer alten Schule roirö in»® 
Unöanlbarfeit oerhehlen, öafe öer Deutfehunterricht öer Schule ih m e ' ne 
(Erreichung öes tintigen 3 ieles geroefen ift. 3n öer ©3iel?ung ift eben w«! , 

ooraus 3u berechnen unö ab3uf<hdhen. Sie führt oft Iraufe Pfaöe. So ift auch ^ 
x>erfd?roeigen, öafe mit öer Derroertung öer 3ufammenhängenöen Dichtung I 11 
Rlittel öes einfidjtigen (Et3iehers lange nicht erfdjöpfen. Aber öas öarf öie)® ^ 
getroft für fid? in Anfpruch nehmen, öafe fie einen fröhlichen unö natürliajen 
im Cefeunterricht geftattet. IDenn nun weiterhin breite Dolfsmaffen bei i? ter 
gültigfeit gegen öas öeutfehe Did?troerf oerharten, fo wollen wir uns immer g s 



(Einige JDünfäe für ben fluffattuntcrrirfft. Don Wilhelm Rofe 725 

mattig falten, bafe ftcfj nifa eins füt alle fc^icft unb auch, bafe gar oiele auf anöern 
©ebieten ficfj mit (Erfolg betätigen unb burch anöere Beffaftigungen ihrem £eben 

tTr'IÄ"*" UUÖ te ^ en 3n ^ aIt 3U 0ebcn DCr ^ en - «nblich aber aud?, bafe es 
W Ifaiterbings me möglich fein toirb, alle IKenffan auf eine ibeale fjöfa ber tOelt- 

• ÄT® r e £eb ^ 0 *" u N es 3 U * cbc "* feiner faut fann niemanb faraus, 
unö umfrempetn fann ötc (Ei^ieljung rttemanö. 

t .E! 960 "! 4 . 1 ” öcn un l tc S ta 9 e intereffierten Kreifen nifa feiten ber An* 
ftcfa bafe BTenf^fem erft mit ber ausgefprocfanen Dorliebe für beutffa Difauna 
beginnt. Das faifet borfj bie ©retten unb bas Refa ber menffaifan Begabung gäm* 
lief? oerfernten. Wenn mir füt biefe $orm literariffar Biefang mit Rafatud ein* 
tteten, fo gefätefa es bocfj in ber Übe^eugung, bafe mit mit ifa ben ffaummernben 
Anlagen bie allfettigfte unb nafarüdlifate Pflege 3 u erteilen oermögen. 


(Einige tDünfdje für Öen Huffa^unterri^t. 

Don tDityelm Hofe in Königsberg i. Pr. 

Bet einer Durfaifa ber Sfalnafaifaen biefes 3afaes, foroeit fie Auffdilüffe 
Bearbeitung bet im beutfefan Unterrichte geftellten Aufgaben entfalten, 
r -a feftftellen, ba & bct Merarifcfa fluffafe nodj immer bie Hauptrolle fpielt. 3u* 
gletdj aber fefan mir, bafe manche neuere Anregungen auf fruchtbaren Boben ge* 
faUen ftnb: (Erlebnisthemata finb zahlreich geftellt morben; fie finb freilich auch fefan 
oor bem ©rffainen bes „Sfanbliteraten" burchaus nifa fo oernachläfjigt morben, 
mie uns bie temperamentoollen fjamburger glauben machen roollen. Bas (Erlebnis, 
bas jegt uns alle beherrfcht, ift natürlich bet Krieg. Übet ihn finb eine Wenge Ufatnata 
geftellt morben, fachlicher mie perfönlichet Art IDie auf biefem ©ebiete, finb ferner 
auf bem ber neueren Oteratur, auch ber ptofaifchen, gute Sortffaitte gemacht morben. 
, ot ! poehffan Werfen haben befonbers bie Wagners noch {tariere Beachtung gefunben 
als m ben oothergehenben 3afaen, ein Umftanb, ber in ffafifa auf unfer Dolfstum 
jreubiger Begtüfeung fifar fein fann. Dagegen ift auffallenb bie geringe An 3 ahl 

a i*x abC ” ^ ptad?Ii ^ €m ® ebiete. hier müfete ber beutffa Auffafe ein ffanes 
Jjelb ber Betätigung finben, 3 umal auch bie beutffan £efebüfar in biefer Be 3 iehung 
eine empfinblifa £ücfe aufmeifen. 3ch glaube, in biefer Begehung fönnte fich manches 
effem, mufe fich manches beffetn. Denn bie (Erfahrung mitb man immer unb immer mie* 
er mafan, bafe fich unfere Schüler über Sprache unb fprafaifa (Erfcheinungen menig 
ar ftnb, bafe fie aber eine (Einführung unb einen fjinmeis hier gern unb banfbat an* 
nehmen, ©in reiches ©ebiet, fchon in ben mittleren Klaffen bem Derftänbnis ohne 
au 3 u grofee Schmierigfeiten etfchliefebar, ift-bas ber Befeelung. Sie mirb 3 uerft auf* 
Tauen an Difaerroetfen unb fann oon ihnen aus an ber Sprache bes Alltags oerfolgt 

rJ Tleincn in öcr 26 ' 10 >- Det nächfte Schritt führt uns 3 ut 
u aleret; auch fie mufe an ber Umgangsfptafa beobachtet merben. Wie beim 
et|ten ttfama, fo fönnen bie Schüler aud} hier felbftänbige Beobachtungen anftellen, 
enn jte erft einmal eine Anleitung empfangen haben. 3n brittet £iitie mitb man 
ann ubergehen fönnen 3 um Reichtum, 3 um äufeeren unb inneren Reichtum unferer 
u erfprafa. Welche $üUe oon Ausbrüden hat 3 . B. Schiller für ben ©on bet ©lode, 



726 


Ciitige IDfinfdje für Öen fluffatjunierridjt 


um nur ein Beifpiel anjufü^ten, oon öem fid? ausgel?en läfet. Unter Öen Aufgaben 
öes 3 aJ}tes 1914/15 ift mir in öiefer !jinfid?t befonöers aufgefaUen: tDeldje Ausbtüde 
l?at öie öeutfd?e Spraye für Öen Begriff öes Sterbens? 3d? l?alte öieje für eine 
red?t glüdlicfye, »eil fie öie Sd?ület einen ©nblid in Öen imteten, in Öen ©emütsreid?* 
tum unferet Spradje tun läfet: Derad?hing, grimmiger ljumot, 3«rt^eit r Rüdjidjt* 
nannte, $rommigteit ufto. finö l?ier oertreten. l)ier erfdjeint aud? öie Sdjöpfertraft 
unö öet ©nflufj öer Did?terfprad?e aufjeroröentlid? Dar unö einöringlid?. Reifete 
Spüler taffen fid? oielIeid?t öa3u oetanlaffen, öem überfpruöelnöen Reid?tum bet 
öeutfdjen Spraye an Ijumoroollen Ausbrüden nad?3ugel?en. 3- B. für Gfjen unb 
Printen ufto. DieAuffätje unö 3 ufammenftettungen Öer 3 eitfd?rift besDeutfdfenSprad?* 
oereins toeröen Anregung genug geben: öas Sammeln öes Stoffes fotlte natürlid) 
öem Stüter felbft überlaffen unö auf feinen ©cfal?rungsfteis befdjräntt bleiben, 
tjumoriftifdje unö nedenöe Benennungen für geroiffe Berufe roate jo ein tl^ema, 
oöer Ausbrüde aus öet ©enoelt für menfd?lid?e ©genfdjaften, befonöers für jdjroadje 
ufto. Dann tonnten aud? reidjlidjere Aufgaben gegeben roetöen übet öie Spradje ein* 
3etner Dichter, über befonöers auffatlenöe ffigentümlid?teiten, übet Reidjtum, Umfang 
unö tjerfunft iljretBilöer, toenn fd?on man l?ier oorfid)tig fein mufe unö nid^t juWe 
Anforöerungen ftetlen öarf. 

Had?al?mung oerbient aud? öie Abfaffung oon Auffäijen in öet Rlunöart, ®i* 
fie oereinjelt in Hieöeröeutfd?Ianö oerlangt tooröen ift. Diefer UDeg Iäfet fid? aud? in 
anöeren ©ebieten befdjreiten. Übet feinen IDert roitö man fid? nad? öet Arbeit non 
£eoi in Öen Beiheften öiefer 3 eitfd?rift Hat fein, unö öafe öie 3 ungen fold? eine Auf* 
gäbe gern unö mit ®efd?id bel?anbeln, öaoon Ijabe id? tnicf? toieöerljolt übegeugen 
tonnen. IDatum in l?öl?eren Klaffen nid?t aud? Dergteid?e, Bejie^ungen u|®. bet 
Utunöart 3um ^odjöeutfc^en auffudjen unö bel?anbeln taffen? 

Damit tommen roir 3ut Sprad?» unö töottgefd?id?te, öie gleidjfalts tneljt ober 
toeniger felbftänöiger Beobad?tung 3Ugänglid? gemalt unö 3U Beatbeitungen betrugt 
toeröen tann. 3 n biefem greift, fooiel id? aus öem mir alleröings unoollftänbigoop 
tiegenöen Stoffe feljen tonnte, nur ein Jold?er Aufjaij gemadjt tooröen: Unfete fl* 
Öängigleit oon öer griec^ifd?*tömifd?en Kultur, nad?getoiefen aus unferem Spradj* 
fd?at?e. Praftifd? für all öiefe ©fdjeinungen, öie am t?aufigften unö tooljlaud} am bej en 
nidjt fyftematifd? oorgenommen toetöen unö oorgenommen toeröen tonnen, f°'"” n 
roie fid? öie ©elegenljeit eben bietet, ift öie Anlegung eines tteinen ffeftes burd? <« 
Sd?üler, in öem öet Stoff 3U fammeln ift 3toeds getegentlidjer Ausarbeitung. 

Sdjliefjtid? toären nad? Anleitung oon Cutters Senöbrief oom Dotmetfd?en e 
allerlei Unterfd?iebe 3toifd?en unferer unö ftemöen Sprayen 3um ©egenftanbe e ^ 
fd?er Auffä^e 3U madjen, fid?er eine aud? oon feiten öer $remöfptad?ler ®ünf®em 
toerte Aufgabe. ($teUid? müfete öabei öas tiefere ©nöringen in öie eigene Spt<®) 
ftets als t?aupt3toed im Auge bemalten toeröen.) 

Unö nod? auf ein 3toeites ©ebiet mag oettoiefen toeröen, öas im öeutfdjen 
fatjunterridjt mel?t Beachtung oeröient als es nad? Öen Austoeifen öer Sdjulbei ag 
öet $all ift: auf öas ©ebiet öet öeutfd?en Doltsfunöe im toeiteften Sinne. Aeben 
IRunöatten f?aben toit eine IRenge oon Stammesunterfdjieben äufeetlid?er Art, 
fid? in ©ren3gebieten natürlich am beften aufteigen laffen toeröen, fonft tönnen f 
mand?e ffigentümlid?teiten aud? Rtoöelle eintreten, toie fie für fjäufet* unö an 



Don UDiltjelm Rofe 


727 


3 . B. B.©. ©eubner in frönet unb nicht teurer Ausführung herausgibt 3n ben Dienft 
biefer Sache fönnte auch bie tDanberoogelbetoegung geftellt werben. 3eichnetif<h 
begabte Schulet fdjmüden ihre Arbeiten bann auch ®ohl mit Sfi 33 en. ©nblich bietet 
bie Sammlung „Aus Hatur unb ©eiftesroelt" fdjöne Heine tDerle über bas beutfehe 
Bauernhaus, ben beutfehen Bauemftanb, übet Dollstrachten, Dollsftämme u|u>., 
über bie Refetate unb 3nhaltsangaben anfertigen 3 U Iaffen bie Blühe lohnt. Auch fd}öne 
Qteratur fteht für foldje Aufgaben 3 U ©ebote. IDo fich alte Bräune erhalten haben, 
follte man bie Spüler anhalten, fie 3 U fchilbem, fie oielleicht auf ihre (Quelle 3 U prüfen 
burch Stellung eines (Themas wie: IDelche DoHsbräudje habe ich beobachten tömten? 
finb mir belannt? Auf welche thguftänbe unfetes Dolles beuten fie hm? ufw. 
©ine gan 3 e Reihe fchöner Aufgaben ergibt fich aus unferen Rtärchen, bie leibet auf ben 
höheren Spulen Diel 3 U wenig behanbelt werben, wie offenbar auch unf ere Ijelbenfagen. 
©eftellt würben 1914/15 u. a.: Die 3werge, Phantafiegeftalten in ben beutfehen RTär* 
d}en, ©rimmfehe Rlärchen als ooltstümli^e Sittenlehre, IDeldje Rlätchen enthalten 
benfelben ©ebanlen wie ©oethes 3 auberiehrling?; fie 3 eigen fchon beutlich genug, 
was hier noch gefdjehen lann. 

Sinben fich Auffäße übet bie ©efdjidjte bes rönüfehen Bauemftanbes unb Abels, 
warum benn nicht auch einmal welche nehmen aus bet beutfehen So 3 iaIgefdji<hte? 
H)ir haben wieberholte ffinweife, ja auch fdjon eine Art Cehrplan für hiftorifche Ro* 
mane, warum be 3 iehen wir in biefen Kreis nicht auch Me Dichterwerle, bie gefell* 
fhaftliche3uftänbe unb ©ntwicllungen auf beutfdjem Boben 3 eigen? Polen 3 ’ Büttner* 
bauet unb Rofeggers 3alob bet £eßte für ben beutfehen Bauemftanb, ©mptebas 
Romane für ben beutfehen Abel, fjet 3 ogs IDislottens etwa für ben ©roßuntemehmer* 
ftanb würben fdjöne Stoffe abgeben, beten Bearbeitung allerbings nicht leicht ift, 
auch Me Kulturromane 3 . B. Rofeggers Iaffen fich 9 U * oerwerten. 

©in oiertes ©ebiet, bas Behanblung Derbient, ift bas bet £anbf<haft unb bes 
Raturgefühls bei ein 3 elnen Dichtem ober auch ' n ga^en Abfdjnitten unfetes 
Schrifttums. So weit ich felje, ift 1914/15 nur ein foldjes behanbelt worben: Der 
IDinter bei tDatther oon bet Dogelweibe unb bei Klopftod. 

Das wären fo einige tDünfdje, beten ©rfüQung nicht nur eine £üde in ben beut* 
fdjen Arbeiten ausfüllen, fonbem ben Schülern auch unenblich oiele Anregungen 
geben unb ihnen ein unenblich reiches $elb ber Setbftbetätigung bieten würbe. Daß 
baneben auch *h rc Beobachtungsgabe gefdjarft, ihr Denlen unb Sühlen norteilhaft 
beeinflußt werben würbe, braucht nicht befonbers heroorgehoben 3 U werben. $etnet 
würben auch anbete Sachet eine Bereicherung etfahten unb bas Deutfche würbe erft 
redjt in ben Rlittelpunlt bes Unterrichts treten. Dor allem aber Derftärlen, oer* 
tiefen unb oerebetn folche ©inblide in Spraye unblDefen unfetes Dolles unferDolls* 
bewußtfein. 


i 



728 Aufgaben 3 U freien üorträgen im beutf<f)en Unterricht öes Ccijrerfeminars 


Hufgaben 311 freien üorträgen im 6eut|djen Unterricht 
6es £d)rer[entinars. 

Don Huguft Dolfmer in pilchotoit} (©berfdjlefien). i 

Oie für Öen öeutfdjen Unterricht an Öen pteußifdjen £ehrerbilbungsanftalten 
geltenöen Beftimmungen Dom 1.3utt 1901 fagen in Öen „metfjobifdjen flm»eifun s 
gen": „3m Seminar, namentlich in öer ©betflaffe, empfiehlt es fidf, öie 3öglinge in l 
eigenen freien Dorträgen übet ©elefenes oöet übet befonöets geftellte Aufgaben - 
auch aus anöeten $ädjem — 3 U üben." Oie Aufgaben 3 U öiefen freien Dorträgen 
müffen einetfeits Öen Spület 3 U jelbftänöiget Arbeit anregen unö tijm ©elegenbeit 
geben, fief} grünblich mit Öen XDetfen unferer Didjtfunft 3 U befdjäftigen, anbererjeits 
follen fie hoch auch fo öur^fidjtig gehalten fein, baß öer Spület oon Dornfjetein ito 
ertennt, roorum es fid} ^anöelt unö roeldje Sonöetaufgaben er löjen joll. 3n Öen btei | 
oberen Klaffen öer Cefyterbilöungsanftalt laffe itf} regelmäßig freie Dotträge aus bem ] 
©ebiete öes öeutfcfyen Unterrichts Raiten, 3 U öenen öie 3 öglinge öer Rei^e uad? W \ 
Aufgaben etwa Diet 3 eljn (Tage Dotier belommen. Oie Ijiet folgenöen Aufgaben b fl b {n ■■ 

fid} im Oetlaufe Dielet 3a^te beroährt. ©broohl Öen Zöglingen nur öie Aufgabe ge* j 

fteilt rouröe, fam es bei öiefen Aufgaben nur fyödjft feiten nor, baß i^r ©runbgeban < 
nerfe^lt rouröe. Oie am ©nöe öes Dorttages, öer nur 3 efyn bis 3 roölf Minuten 3 * 1 2 > n 
Anfptud} nehmen öarf, mit öer gan 3 en Klaffe Dorgenommene fut 3 e Befptedjung b < 
meift nut Schiefheiten öet Auffaffung öer einen oöet öer anöeten (Einjelljeit na<b3 u ' , 
roeifen; im übrigen aber Ijabe ich mit Abfidjt hierbei getaöe öas l^erootge^oben, uw 
mir an öem Dortrage gefiel, um fo öie anöeten 3öglinge 3 U immer beffeten Ceifnutg« 
auftumuntern. Den (Erfolg öer regelmäßig gehaltenen freien Dorträge ionn « 1 
oon 3«h r 3U 3ah r in einet größeren ©eroanbtheit im münblichen Ausöruae un 
einet freieren Art öer Oarftellung unö 3 ufammenfaffung etlennen. 

1. Der 3nhalt öes fjilbebranbliebes ift mit öem gleichnamigen Dolfslieöe aus bem 

15.3ahrhunöert 3 U Dergleichen. , . 

2 . XDie roitö im Ribelungenlieöe öas fommenöe Unheil immer roieöer ang 

3. An roeldje früher gelefenen ©eöichte erinnert mich öas Xlibelungenlieo. 

4. XD eiche 3üge öes djriftlxchcn Rittertums 3 cigt uns öas Ribelungenueö- 

5. U)as ift an „Dolfers Hachtgefang" aus öem Dollsepos entnommen, unö 

©eibel hin 3 ugefügt? un ji 

6 . Oie $teuöe öes Dolles an Pracht unö $eftfeiern ift aus öem lubeiung 

©uötunlieöe nach 3 uroeifen. ... 4)1 ? 

7. 3nroiefetn beutet öas Ribelungenlieö öie tlationaltugenöen öes^ „J? j-jß 

8. XDelche Mitteilungen aus öem ©uötunlieöe brauchen roir 3 um Oerftan 
©eöidhtes „©uöruns Klage"? 

1. ©eöanlenbtüden 3 roif<hen öer Dichtung „Oer arme fjöinrich" uni* cm ^ ctct1 

belannten Dichtungen. . , u „ e t< 

2 . Oie Belehrung Par 3 iDals burch ©utneman 3 ift mit öer öutd? HteDt«3 en 5 
gleiten. 



Don fluguft Dolfmer 


729 


3. Äljnlidje 3üge 3 mifd}en Patjinal unö diö. 

4. ©eöanfenbrüden 3 wifd)en Uljlanös £ieöetn unö öenen tDalt^ers oon öer Dogel* 
roeiöe. 

5 . Der ©ebraud) bildlicher Ausörüde in EDaltljers Dichtungen. 

6 . 3“ tDalthcrs „Kteu 3 lieö" finö ähnliche Dichtungen oöet Seile aus Dichtungen 
3 U fucfjen. 

7. Ulrich »on Singenbergets ©eöid)t „Auf tDalthers Soö" ift auf IDalthers £eben 
unö Dichtung 3 U be 3 iehen. 

8 . U)ie öie Kunftepen öer erften Blüte 3 eit auf Öen Dichter hinbeuten. 

9. 3nwiefem erweiterte Uhlanös Abljanölung übet IDalther non öer Dogelweiöe 
meine Kenntniffe oon IDalthers Stellung 3 ur Kirche unö 3 um Kaifet? 

10 . IDie roirö im Pa^ioal angebeutet, bafe öer Dichter felbft ein Rittet ift? 

III. 

1. diö, ein echt chriftlicher Ritter. 

2. An roeldje Petfonen aus Öen mit betannten Dichtungen erinnert mich öer diö? 

3. Seile aus öem tjelianö find mit entfprechenöen Seilen aus öem Rtefjias 3U Der* 
gleichen. 

4. IDas lefen wir aus Paul $lemmings ©rabfchrift heraus? 

5. IDie fpiegelt fich in Öen Dichtungen non öer 3eit fjans Sachfens bis 3 u öer Klop* 
ftods DeutJdjlanbs 3erriffenheit roiöer? 

6 . Dafe Klopftod im IReffias über öie biblifchen IRitteilungen hinausgeht, ift nach* 
3 utoeifen. 

7. Der Brief öes Dichters Slauöius an feinen Sohn über £effings IRinna oon Barn* 
heim ift auf öas Schaufpiel näher 3 U be 3 iehen. 

8. Aus Öen oon uns gelefenen Briefen £effings ift ein Shataftetbilö £effings 3U ent* 
werfen. 

9. IDas war mir in öem Auffatj über Klopftod oon Dilmar neu, unö was fanö idj 
öarin nur beftätigt? 

10 . IDas £effing in feinem Briefe an Ricolai (1756) über öas Srauerfpiel Jagt, ift auf 
Smilia ©alotti 3 u be 3 iehen. 

11. Die epigrammartige 3ufpit)ung öes 3o>iegefptächs in IRinna oon Bamhelm ift 
an Beifpielen 3 U 3 eigen. - 

12 . Sinige (Eigentümlichfeiten öer Sptajhe £uthers, an Beifpielen nachgetoiefen. 

13. An örei $abeln £effings finö einige ffauptgeöanfen aus öer Abljanölung über 
öie $abel Öat 3 ulegen. 

IV. 

1. Die (Ejpojition im ©ötj ift mit öer in IDilhelm Seil 3 U Dergleichen. 

2. Die glüdlichften unö öie fchlimmften Sage öes Ritters ©öt(. 

3. (Es ift nadftutoeifen, öafj ©öt$ „ein tjclö mit einer Kinöerfeele" ift. 

4. ©öh unö Siö, eine ©egenüberftellung. 

5 . Karl, öer Sohn ©ötjens, unö IDalter Seil, ein Dergleich. 

6. 3nwiefern erinnert mich ©äh an RTichael Koljlhaas? 

7. Drei inhaltsreiche Sage im £eben ©eorgs, öes golöenen 3 ungen. 

8 . An welche $abeln erinnett mich Reinefe S U( h s DOn ©oetlje? 

9. An welche Dichtungen finöen fid} in tjermann unö Dorothea Anflänge? 

10. Aus öem Sejt öes (Epos fjermann unö Dorothea ift öer gefcfjichtliche tjintergrunb 
Öiefer Dichtung nach 3 uweifen. 

11. IDelche menfgliche Sorljeiten wetöen in Reinefe Buchs oerfpottet? 



730 Aufgaben 3 U freien Ootirägen im beutfdjen Unterricht bes £e^rerfcminar$ 

12 . Hn welche tneiblitfjett ©eftatten aus Dichtungen erinnert mich Dorothea? 

13. Dier Bilöer aus Heinete $ud;s. 

14. 3u öer $igur öes flpothefers aus Jjermann unö Dorothea finö ähnliche ©eftalten 1 
aus Dichtungen 3 u juchen. 

15. Der Dater Hermanns unö öer Dater öer Jungfrau oon ©rleans, ein Detgleidj. 1 

16. Beifpiele für öie Art, roie ©oethe perjonen cijarafterifiert. 

^ h^ C ?^ C ÖUS ^ etmann ur *ö Dorothea öeuten auf ©oetfyes eigenes £eben 

18. Dielfagenöe 3eitroörter in ©oethes Ptofa. 

19. Der (Eingang 3 ur <Egmont=Dichtung ift mit öem (Eingang 3 ur ©öh-Did|tung 3 u 
Dergleichen. 

20 . ©eöanlenhröden 3 roijchen öer £yrif ©oethes unö öer £yrif IDalibers oon öer 
Dogelroeiöe. 

21. tDie lernt öer 3ujcf}auer oöer £efer allmählich öen dharatter (Egmonts lennen? 

22 . furchte ©tanien, unö ich fürchte für (Egmont. ; 

23. Die £ebensfehnjudjt öes prin 3 en non ^omburg ift mit öer £eben$feljnfud}t 

(Egmonts 3 u Dergleichen. j 

24. (Einige Iyrifche ©eöichte ©oethes finö mit Beröers flbhanölung über ©ffian in ' 
Be 3 iehung 3 u fe^en. 

25. «Einige Raturöichtungen Klopftods finö mit Raturlieöern ©oethes 3U Dergleichen. [ 

26. ttintge rein menfdjliche (Eigenfdjaften ©oethes finö aus feinen Briefen l)en>ot ; 
3 uljeben. 

27. IDie ©oethe bejehreibt unö fchilöert, ift an Beifpielen aus Dichtung unö ©oh^eit 
3U 3«gcn. 

28. Bracfenberg unö Ritter Goggettburg. 

29. flus öem Gejte öes Dramas 3phigenie finö öie bisherigen £ebensfcf?icffale 3pf|i’ 
geniens 3 ufammen 3 uftellen. 

l°‘ fiegt in öem Drama 3phigenie öie IDahrheit? 

31. uJelche ©eöichte ©oethes 3 eigen öie Detbinöung oon fachlicher Itaturöarftellung 
mtt perfönlicher (Empfinöung? 

H 2" De ^ Iefd ? 3»if«hcn Sappho unö 3phigenie. 

33. u>as erinnert in 3ulius Gäfar an ©oethes (Egmont? 

V. 

Der Prolog 3 ut Jungfrau oon ©rleans ift mit öem erften flufeuge oon UHlhelm 
Gell 3 u Dergleichen. 

2. ©egenfähe 3»ifchen öem 3nhalte öes flbfchieösmonologs unö öem öes gtofeen , 
j?; 0 nolcogs in Schillers Jungfrau oon ©rleans. 

Gells ® r0 ^ cn Monologs öer Jungfrau oon ©rleans mit öem DTonolog« 

^ roeffen° tnCr ^ ^^*üet 3 um Dotbilöe nahm, ift am Grauetfpiele 3riny na<h3 us 

?«"" ' ubeIn m * 1 ber Jungfrau oon ©rleans 3 u unö toann 3 ittem mir für fie? 

7 m , ? e an . öic bibIi ^ e ®efchichte in Schillers Jungfrau non ©rleans. / 

■ _ as lafenunt aus Öen Briefen Schillers über öie Jungfrau oon ©rleans heraus, 
o nl C ^ et f P ra< ^ c * n Schillers Braut non RTeffina. 

in m .” 0n ^ ombut 9 unb öer Ritter in Schillers Kampf mit öem Drachen- 

U Briefen heraus? ^ ® nta>i<fIun 9 s 9 c f ( W e Schillers lafen mit aus feinen 



Don fluguft Dolfmer 


731 


11 . IDas erinnert in Schillers Dichtungen an bie fran 3 öfif<he Reoolution? 

12 . IDelche Sä^c öer cf}tiftlidjen ©laubens* unb Sittenlehre finöen wir in Schillers 
Dichtungen wieber? 

13. ©ebanlenbrüden 3 tDifdjen Don (Earlos unb ©gmont. 

14. Snwiefem erinnert Schillers ©ebicht „Der Kaufmann" an Heile aus ^ermann 
unb Dorothea? 

15. ©retten bet menfehlichen ©rtenntnis in ©ebichten Schillers. 

16. IDörter aus Schillers Dichtungen, bie heute nicht mehr gebräuchlich finb ober 
heute einen anberen Sinn'haben. 

17. IDas hat Rtaria Stuart fchon erlebt, roenn fie im Drama auftritt? 

18. Befonbers fchöne Perfonifilationen in ITTaria Stuart. 

19. ©ebanlenbrüden 3 wifdjen bem Reiterlieb aus IDallenftein unb anberen mit 
belannten Dichtungen. 

20 . IDelche ©ebanlen lehren in Schillers ©ebichten öfters wieber? 

21 . (Einige flusfprüche ©oethes über bie tDaUenfteimDichtung finb am Hefte bes 
Dramas baQuIegen. 

22 . Dorausbeutungen bes Kommenben in Schillers IDallenftein. 

23. IDelche ©ebanlen aus Schillers Batlaben unb Romansen lehren in ber IDallen* 
fteimDicbtung triebet? 

24. Die Stellung ber großen Rtonologe in Schillers Dramen. 

VI. 

1 . Illit welchem Rechte heifet Der Stabtpfeifer ton Riehl eine lulturgefd?ichtlid?e 
Rotelle? 

2 . Der feine Ijumor in Riehls Rotelle Der Stabtpfeifer. 

3. IDie tritt ber ©egenfatj 3 wifdjen fjeibentum unb ©hriftentum in IDebets Drei= 
3 ehnlinben hertor? 

4. IDas lerne ich aus Dtei 3 ehnlinben für bie Spradjgefdjichte? 

5. IDelche Raturfchilberungen haben mich * n Dtei 3 ehnlinben am meiften erfreut? 

6 . Hs ift nadj 3 utteifen, bafe Peter Sdjlemihl ein Kunftmärdjen ift. 

7. IDas erinnert mich * n ber Höhlung (Dtto bet Sdjüh an mittelalterliche Dich* 
tungen? 

8. moltles feine Beobachtungsgabe ift an Proben aus feinen Briefen 3 U 3 eigen. 

9. Smniefern erinnert mich Smmetmanns Öberljof an bie Ht 3 ahlung Die jjuben* 
bud?e? 

10 . IDelche $ragen ftellen mir am Hnbe bes erften Banbes ton Soll unb haben? 

11. fjaupthanblung unb Hebenhanblungen in Soll unb haben. 

12. Die ©ebichte „Der alte Hurmhahn" ton IKötife unb „Des alten Pfarrers IDoche“ 
ton Drofte=hülshoff finb 3 U Dergleichen. 

13. Smtiefern ift ber jüngere Quitjow ein werbenbet ©haralter? 

14. Beifpiele für Smpreffionismus in Xilienctons ©Zahlungen. 

15. ©haralteriftil $ontanes aus feinet ©r 3 ählung „Ktiegsgefangen". 

VII. 

1. IDelche Dichtungen entwerfen uns ein Bilb bes beutfefjen Rittertums? 

2. ©efdjichtliche ©reigniffe als ©runblage mittelalterlicher Dichtungen. 

3. Das erfte Auftreten ber Hitelhelben in ben mir belannten Dramen. 

4. Das beutfdje ©erichtswefen in einigen mir belannten Dichtungen. 

5. 3ager unb Sdjütjen in ben mit belannten Dichtungen. 

6 . 3n welchen Dichtungen witlen $rauen für bas Daterlanb? 



732 Hufgaben 3U freien öorträgen im beutfc^en Unterricht ufro. Don fluguft Dolfm« 

7. (Einige ijauptaiten bes (Epos finb an Beifpieien oorjufüfjten. 

8 . Oer Begriff epifdje Breite ift an Beifpieien 3 U 3 eigen. 

9. H>ie gefd?ie^t bie Läuterung bes ©jarafters einiger mir befannten öidjterifcfcen 
Perfönlichfeiten? 

10 . batet unb Sohn: ein Rüdblid auf bie mir befannten Dichtungen. 

11 . Rooelle unb (Epos finb an Beifpieien 3 U Dergleichen. 

12 . Das (Belobte £anb in ben mir befannten Dichtungen. 

13. U)ie rnirb bie Schulb in ben mir befannten Dramen gefüljnt? 

14. (Ein Dichter preift ben anberen. 

15. Unter rauhet Schale ein meines ©emüt. (Ein Rüdblid auf bie mit befannten 
Dichtungen. 

16. Die lEürfengefaht in ben mit befannten Dichtungen. 

17. Der Begriff Quelle einer Dichtung ift an Beifpieien bat 3 ulegen. 

18. £yrif, eingeftreut in epifdje unb bramatifQe Dichtungen. 

19. ©n Dergleidjenber Rüdblid auf ben ©ngang ber mit befannten (Epen. 

20 . Der Begriff fjintergtunb einet Dichtung ift an Beifpieien bat 3 ulegen. 

21 . Die perfon bes Ijeilanbs in ben mir befannten Dichtungen. 

22. ©ellert, £effing, gröblich — brei fjauptftufen in bet ©efdjichte ber Sabelöidjtung. 

23. Dichter empfinben SQmet 3 über 3uftänbe in ihrem Daterlanbe. (Ein Rüdblid. 

® e ^ eu * un 9 öer DoIfsf 3 enen in ben mir befannten Dichtungen. 

25. U)te bie mir befannten Dramen ben Hob ber fjelben betitelten. 

26. Steunbfdjaftsbünbniffe einiget Dichter. 

27. Didjter über bie IRacht bes ©efanges. 

28. U3as Dichter Dom Schlaf fagen. 

29. $tembe Stoffe in beutfehent ©emanbe. 

!r. as . & es Ulcnfdjen 3ur ©ottheit in einigen mir betannten Dichtungen. 

31. ©nige ©genfdjaften bes beutfdjen Dolfsdjatafters finb an Dolfsliebem bav 

Diefe unb ähnliche freie Dorträge benuße ich 3 uglei<h als millfomtttene ©elegen- 
heit 3 U roiebetholungen. 3cfj ftelle bähet nicht fämtlidje 3 U einem Werfe gehörige 
ufgaben in ber 3 eit, in ber biejes U)erf gelefen toirö, fonbern ich fomtne nah W ona ' 
en butdj Stellung folcher Hufgaben 3 U freien Öorträgen toieber auf früher bemäntelte 
roerfe 3 utüd. Daburch, baß ber in ber nächften Shinbe 3 U haltenbe freie Dorttag «w 
Schluffe einet Stunbe angefünbigt toirb, ift für bie übrigen 3 ögünge ber Waffe 3“’ 
k ca- ttf 1 ^ n büeb gegeben, toenigftens einigermaßen fidj toieber mit bent Stoffe 3 U 
efepaftigen. Die am ©ngange meinet Darlegung ermähnte fuge Befpreh un 9 
ortrages, 3 U ber alle Schüler ber Klaffe herange 3 ogen metben, feftigt inttnet 
ote entfpredjenben ©ebanfenoerbinbungen. Dor allem aber finb mir bie freien Do p 
age besmegen fo mertnoll, meil fie ben Schülern immer mieber neue 3 u fa rnrnen 
ö l r f b ^ anöeIten st °ffe 3 eigen; ift bod? für bas Sntereffe an unferer beutfdf«" 
* 2 , n * < ^ 0n 9emonnen, roenn ber Seminarift immer mieber bie Werfe unfern 
Dichtung oon einer neuen Seite betrachten lernt. 



Sprecfcimmer 


733 


$predj3immer. 

3« 3* IDiegaitös fluffafe „(E^iehung jum Derftänönis öichterifdfen Sprachftils". 

3u bet S. 356/7 mitgeteilten Stelle aus Sifdjarts ©ulenfpiegel feien ein paar Be* 
mertungen geftattet. Das ratfelhafte „feytropifdj" oeröanft fein Dafein einem Drud* 
fehler; es mufe „scytropisch" (richtiger scythropisch) heifeen, oom gried}. okv&qcotiös 
finfter, mürrifd}blidenb. 3u Öen „humaniftifd}en" Beftanöteilen öer Stelle gehört aud} 
öas Säfed}en „So öod} ohne (Erlaben nichts mag einenBeftanö haben"; es ift Über* 
fefeung eines ©oiöifdjen Derfes: „Quod caret altema requie durabile nori est“ 
(Heroid. 4, 89). Der Ders mar in $ifdjarts 3eit ©emeingut aller, öie eine lateinifdje 
Schule befugt Ratten; aud} in Öen 3ahlreid}en Schriften „De studiis formandis“, 
„De pueris educandis“ unö in oielenSchuIorbnungen öes 16.3afyrf;unöerts begegnet 
er. (Enblid} ift aud} „öie gefpannte flrmbruft" nod} als „humamftifdjes" ©ut anju* 
fpredjen. Die Reöensart ftammt aus einem betannten ©efd}id}td}en oon flfop, öas 
■aud} in Öen $abeln öes Phaeörus e^ahlt wirb (Phaedr. III, 14, De lusu et seve- 
ritate); öie Hufeantoenbung lautet öort: 

„Cito rumpes arcum, semper si tensum habueris; 

At si laxaris, cum voles erit utilis.“ 

3n öer „Legenda aurea“ finöet fid}, beiläufig bemertt, öas ©efd}id)td)en auf 
St. 3ol}annes übertragen. 

Rothenburg a. Sauber. flug. Sdjnijlein. 


3ö t?eft 5, S. 336 - 340. 

flbolf Rufehorn (Stiller ober S(bubart?) xoeift öie Derfafferfdjaft Sdjubarts füt öie 
„IRorgengebanfen" nach (»gl. Pallesfe, Schillers £eben unö IDette 1 , 65f.). Daju öarf id? 
Öinjufügen, bafe U. 2. Weyer in feiner Betrachtung,, Übet öie öeutfdjen Klaffifer unö öas 
Kird}enlieö" (Blätter f. fjymnologie 1887, 122 ), wenn er auch freilich an Sd}iUets Derfaffet* 
fchaft fefthält, auf öas Original öer £ieberoerfe hinführt, nämlich auf öie ©öe non Klopftod 
(Die Seinöe öes Kremes (Ehrifti) „Der Spötter Strom reifet oiele fort" (Klopft. IDerfe 7 (1804), 
151—153. Diefes 13ftrophige £ieb bilöet in Öen Strophen 9, 10 , 12, 13 öie ©runölage öer 
örei Sd}ubartfd}en Strophen, inöem fie nicht nur gebanlliche, fonöetn an Öen meiften Stellen, 
befonöers Str. 2, wörtliche Berührung mit jenen aufweifen. Da öie Klopftodfdje ©öe bereits 
im 1 . Heil feiner ©eiftl. £ieöer 1758, alfo 193ah ie früher als öie „IRorgengebanfen" »eröffent* 
licht würbe, ift an Sdjubarts (Entlehnung nicht 3 U 3 weifeln. Sefeen wir Original unö Bearbei* 
tung nebeneinanber: 


Klopft Str. 9 : 

Denn 3 efus dhrift, öenn 3 efus dhrift, 
Der, ftarb er gleich, allmächtig ift, 

3ft unfer Schüfe, unö ftarte IDehr! 
Staub ift, 00 t ihm, öer Spötter Ejöer! 
Klopft. Str. 10 : 

Du feaft oon (Ewigfeit gefelfn: 

IDie lange noch ihr Reich beftefen, 
Sich gegen öich empören foll! 
Dielleicht ift, fjerr, ihr Blafe balö »oll! 
Klopft. Str. 12 : 

© tenntet ihr, Öen ihr oerhöhnt! 
fludj euch, aud} eud} hat er »erföhnt! 
fleh wüfetet ihr 5 , öie iht ihn hafet! 
Sanft ift fein 3ocf}! leicht feine £aft! 


Schub. Str. 1 : 

Befdjüfe’ uns fjeitanb 3efus dhrift. 
Der öu 3 « Rechten (Bottes bift, 

Sei unfer Sdjilb unö ftarfe IDehr, 
Staub ift oor öit öer Spötter fjeer. 

Schub. Str. 2 : 

Du h«ft »on (Ewigfeit gefefen, 

IDie lange noch ih 1 2 tofe beftefen 
Unö wiöet öich hier fchnauben foll, 
Dielleicht ift nun ihr ITIafe balö »oll. 
Sd}ub. Str. 3: 

fluch He/ 0 f?err, haft öu oerföhnt! 
Sie, öeren Spott öich i e fet oerhöhnt; 




Spredßimmer 


734 


Klopft. Sfr. 13: 

3Ijr friedjt! unb fpleppt ber Sünbe 3op! 

(Erbarm, o Sohn, bip prer rtop, 

*?««.«<* an P tes ®obes Hadjt, (Sieb, ba& nop doi ber lobesnadjt 

Selbft bann erft pre Seel erroapt! 3ut ernften Reu pr (Seift erroapt. 

n ... _ . , Amen! 

ui^t nur SqtUet m feiner 3ugenb, aup Spubart bat Klopftod als TTCufter nerelfrt. Aber 
Spubart hat ftp in unferm Siebe »iel fnapper gefaxt, rocprenb Klopftod meitfproeifig unö 
juijetonfij ift unb baburp, bafj er in ber Dotierten Strophe eine Antebe an bie Spötter ein* 
Tltdjt, aus bem ©ebetstone herausfällt unb unharmonifp ©irft. 

Ziteiningen. ©h* Cinfpmann. 

<£froas über Brieffpreiben. 

Oor mir liegt ber Beriet über bas Spuljaht einer böseren Mäbpenfpule. Det 
Rüdblid übet bie in ben ein 3 einen Klaffen erlebigten Aufgaben 3 eigt oom britten Sc^ul* 
jabre an im Deutfpen oerfpiebene Auffähe, aup münblipe unb fprippe Übungen 
im freien Ausbrud, aber bis 3 ur erften Klaffe (inbegriffen) nipt einen Brief. 

Diefe ©atfape, bie eine gut unb gemiffenhgft geleitete Anftalt mit an bie fjanb 
gibt, liefert mir 3 ugleip ben Beroeis für bie Riptigfeit meiner feit 20 Jahren gefam* 
melten Beobachtungen. 


3<h h fl be in biefer 3cit, als £ehrerin in einem Mäbpenpenjionat, in über 3000 
Stilftunben folgenbe (Erfahrungen gemacht. $aft alle meine Schülerinnen (im Alter 
uon 14 bis 18 Jahren, aus guten $amilien) mären im Anfang »erlegen, ängftlip, 
unbeholfen unb unüberlegt im Ausötud, roenn fie eine fpriftlipe Mitteilung abfaffen 
follten. Kaum eine fam mit bet Derfipermtg, fie hätte in bet Schule gelernt, wie. 
man 3 . B. Aufträge, Befteüungen, ©lüdmünfpe, (Einlabungen ufn>. in gutem Deutfch 
tnapp, öeutlip unb höflich nieberfchreibt. Dagegen hörte ip manche Klage übet 
fpmere Auffät$e, bie, um bie Saft ab 3 ufpütteln, oft mit frember tjilfe ausgearbeitet 
mürben. 3p bemerte, baf} mein Bericht {ich auf burchfehnittlich fleißige, aufgeroeefte 
unb ftrebfame Spulerinnen be 3 ieht. 

3m (Eltenpaufe lernen bie jungen Mäbpen feiten Briefefpt eiben; ber Datei erlebigt 
alles Spriftlipe, mas fein Beruf erforbert, bie Mutter bie Hapripten an bie DetroanMen. 

^* ct eineroiptige Aufgabe für bie Spule, in ber IDert barauf gelegt roerben 
foute, bafc bie Spülerinnen bie gähigfeit erlangen, pre ©ebanfen orbnungsgemäjs 
3 u fammeln unb pre (Empfinbungen fplipt unb marm aus 3 ubtüden, bannt pre Briefe 
m ber $orm nipts 3 U münfpen übrig Iaffen unb innerlip bie 3 üge P ter eigenen 
Perfönlipteit tragen. — Die Knabenfpulen Iaffen, mie ip felje unb höre, auf bem 
gleipen ©ebiete ben gleipen Mangel fühlen. 

©s ift nipt Ieipt, ©emanbpeit im Abfaffen oon Briefen 3 U erlangen, aber, teie 
fo oieles anbete, fann aup biefe gähigfeit mit $Iep unb gutem Millen erlernt toerben; 
aufterbem fällt ein ©eminn für bie (E^iehung babei ab. 3n freiem Meinungsaus 5 
taufp übet alle Gelegenheiten, bei benen man fip fpriftlip äußert, fann bet Spret 
unb (E^ieher bie Anfipten feiner 3öglinge hören, oft ein überrafpenb Auges Urteil 
oernehmen, 3 ugleip aber aup babei bie jungen Riefen leiten unb 3 U ©rbnung unb 
©emiffenhaftigteit, 3 U ©oft unb Seingefühl hinlenfen. Man follte alfo in ber Spule 
bte Kunft bes fpriftlipen Ausbruds in Briefen mehr pflegen unb 3 um Ruhen unb 
Dergnügen ber heranmapfenben 3 ugenb geftalten. 

BtcsIau - £ina Betfomih- 



ITIitteilungen 


735 


tttitteilungen. 

Die„Sprachinfel". DieKriegserflärungunfererfamofenitalienifchenBunbesgenojfen 
hat öie Augen gan 3 Deutfdjlanbs noch einmal auf öie oerfprengten Hejte unferes Dolfstums 
gelenft, öie u>eit örunten an öer liroler Süögrenje ober fchon auf italienifdjem ffiebiet in 
rauher ffiebirgslanbfdjaft unter Öen fchwierigften Derhältniffen ihr Deutfdjtum bis heute 
bewahrt haben ober oietleidjt Ratten; Öenn Jdjon ©nöe 3uni !am öie Kunbe, bafe öie italienische 
Hegierung öie Bewohner öer „fieben ©emeinben" wegen Spionageoerbachtes aus ihrer 
Heimat oertrieben habe. 3n öiefem flugenblide wirb ein Reubrud öer ©eilnahme oieler 
begegnen, öen öer „Bunb öer Spradjinfelfreunbe" oon einem mistigen literarifeben 
Denfmal öer beutfeijen ZRunbart öiefer fieben ©emeinöen oeranftaltet bat. 3n gefälliger, 
anfebeinenö ((Erläuterungen fehlen gütlich) in Drud unö flusftattung öer Dorlage treu fol* 
genöer XTacbbiiöung liegt „Dar klöane Catechismo vor de siben Kam 6 ün mit halghen 
Gasang" oor uns (£abenprei$ ZU. 20,—, gegenwärtig ermäßigt auf HZ. 5,—). Diefer Kate ’ 5 
ebismus oon 1842 ift, wie öer öamalige Bifcbof oon Paöua als Herausgeber in feinem Dor* 
Worte fagt, felbft nur öer Reuörud eines älteren Katechismus oon 1813, öer aus Schmetters 
aus 3 ugsmeifer Deröffentlichung in Öen flbhanölungen öer ZRündjener flfabemie oon 1837 
befannt ift; öer Bifdjof bat ihn 1842 erneut, weil Befuge in jenen ©egenöen feiner DiÖ 3 efe 
ihn gelehrt batten, che in varii di que’ paesi si continua ancora a parlar lo stesso dialetto; er 
fügte 3 ugleid} jene halghen Gasang bei, öie bruchftüdsweife unö 3 um ©eil in abweichenber 
Sorm gleichfalls bei Schmetter geörudt waren. Dort ift fd?on aufmertfam gemacht, welch altes 
©ut in biefen £iebern fich fortgeerbt hat; in öer Sprache birgt es {ich nicht minöer, wenn 
öer oorliegenöe Katechismus auch fch° n eine ftarfere Derwelfdjung 3 eigt als öer oon Sd^meller 
aus 3 ugsweife mitgeteilte Katedjismus oon 1612, öer freilich auch Sichtlich tedjt ftar! unter 
fchriftfprachiich öeutfehem (Einflufe geftanöen hat. 

Der Bunö öer Spradjinfelfreunbe, öer feither fchon 3 wei 3ahrgänge „ZRitteilungen" 
herausgegeben hat, tünöigt eine neue 3eitfchrift „Die* Sprachinfel" an, öie fl. Baf$ im Derein 
mit einer Reihe oon ZRunbartforfdjem (öarunter Heilig, £en 3 , £effia!, Sdjatj u. a.) in jäht* 
lieh 12 Heften 3 um preis oon ZR. 6 ,— für ZRitglieöer öes Bunöes herausgeben will. Pan 3 er. 

Die neue Schule. Reue Schule, Reue (E^iehung. (Ein Dortrag oon Karl £amprecht 
(£eip 3 ig, K. $. Köhler. ZR. —,30) ift ein llares 3 eichen öes Ringens unferer 3eit um eine 
neue Schule. Roch haben wir öas neue 3öeal nicht, fagt £., wir finö ZRänner öer Sehnfucht. 
®ns ift aber fdjon öeutlich: öas neue 3beal will nichts wiffen oom blofjen £ernen; öas 
Können fott gewedt werben. — Der Dorttag rei 3 t 3 um Radjöenten unö 3 um ZDiöerfpruch. 

(Ebenba oeröffentlieht Karl Knabe ein Schriftchen: Der ZDeltlrieg unö öie beutfdje 
Schule (ZU. 0,40). (Es umfpannt in recht brauchbarem Überblid öas gan 3 e Sdjulwefen unter 
IDüröigung öes ©uten unö Klarftellung öer notwenöigen §ortbilbung. %ux öie höhere Sdjule 
oerlangt er einen öeutfehen Humanismus, öer fich aufbaut auf Religion, Deutfeh, ©efdjichte 
unö ©eographie, für öie überall öer nötige piaij 3 U fdjaffen ift. 

ZDeiter fei hingewiefen auf Öen fluffat) oon p. ZDuft: Der „beutfdje ©ebanfe" in öer 
©berrealfchule (3tfchr. f. lateinl. höh- Sd?., 26.3g. 1915, 5. Heft, S. 138). 

Spr achunterrid?t. ©. ZRohtmanns Kampf gegen öie fremöfprachli^en flusörude 
in öer öeutfehen ©rammatif (Roch ein Bilöungsfchaöen öurch öie Stemöwörter. ZRonatsfchr. 
f. höh- Sch. XIV. 7. Heft. S. 321.) unö fein Ruf nach einem Deröeutfchungsausfdjufe öes 
Dereinsoerbanös ataö. geb. £ehter gibt mir erwünfehte ©elegenheit, auf Bojungas Dot* 
fchlag: (Einheitliche öeutfehe $ach®örter 3 ur Sprachlehre h^uweifen, öer, unmittelbar oor 
öem Kriege erfdienen, bereits eine geeignete ©runölage für öie Derhanölungen eines fou 
eben flusfehuffes öarftellt. (3. f. ö. U. 28.3. 1914. 6 . Heft. S. 417.) 

Sehr hübfeh ftellt Arthur Köhler 3 ufammen, wie man „öie öeutfehen Samihennamen 
im Unterricht" behanöeln femn. Da öer Stoff öcq u oon oerfchieöenen Seiten 3 ufammem 
getragen werben mufe, fpart öiefe 3 ufammenfteilung mancherlei ZRühe (§rauenbubung, 
14.3g. 1915. 7/8. Heft. S. 254.) _ * f . , 

Rechtf^reibehefte mit Kriegseinfchlag will 3 . Bartmann für öas 6 .- 8 . S^uiiahr 
bieten. (Beihefte 3 ur 3tfchr. Schaffenöe Arbeit. Rr. 40. Prag, Haufe. ZR. 0,60.) halte 
ein öerartiges Unternehmen für gan 3 oerfehlt. Als Rechtfdjreibftoffe finö Kriegserlebntfle 



736 


Mitteilungen 


nidjt ba; be3ei<hnenb ift, bafe Bartmann Diel luftige auswäljlt, ba fidj öte anbern gatni^t 
eignen. Aber gerabe baburdj oerfätfdht man ben Kinbern bas (befühl für ben Krieg. „Hlö|fcn 
bie Dingwörter mit großen Anfangsbudjftaben gefdjtieben werben?" fragte. Klemm unb 
l?ebt befonbers hetoor, bafe babutdj bie Ausbreitung ber beutfehen Sprache gan 3 unnötigem 
fdjwert werbe. Die großen Schwierigfeiten beim Unterricht finb ja befannt. 

3ur p^ilofop^ifc^ert Propäbeutif bringt fj* Sdjmibfun 3 XDefentli^es in [einem 
Überblid £ogif unb ©ymnafialpäbagogif (U.3bb. f. päb. 36. Bb. 7.§eft 5.329.) 

(br wenbet fid? gegen bie Ko^entrationsfädjer unb gegen bie Derbinbung ber pijilo[opl}ie 
mit bem beutfehen Unterricht unb forbert befonberen Unterricht in £ogif unb pijilojc# 
(wie in ©Jterreidj). 

Derfdjiebenes. Deutfdjwiffenfdjaft in Ungarn. Bei bem lebhaften Anteil, ben je^t ■ 
alle Derhältnijfe unferes nädjften Bunbesgenoffen erforbern, oerlohnt es fidj auch einmal auf 
bie „Arbeiten 3 ur heutigen Philologie" (hg. oon ©. Pe# 3. Bleyer, 6 * Schmibt; Bubapefl 
S- Pfeiffer) hin 3 uweifen, bie feit 3a#*n in ungarifcher Spraye für bie wiffenfchaftlidje fo 
forfdjung bes ungarifdjen Deutfdjtums forgen. Mir liegen oor: 3* Momau, £autlel)re bei 
beutfchenjrheinfränfifchen) Munbart in S 3 cghegy (Sübungarn). (K. 2,50) — 4. Sd|roa4 
£autlehre ber Munbart 3 wifdjen ber Haab unb £afni 3 . (K. 4,50.) — ©. ^infotsfy, Die beutfdje 
Derser 3 ählung ©swalbs bes Schreibers aus Königsberg in Ungarn (14.3ah r W (Kr. 2,50). — 

©. Moor, Die ungarifche ©olbifage unb ihre3ufammenhängemit ber beutfehen Sage (Kt.3,—).- j. 

3. Kof 30 , 3 gna 3 Aurel Sefflers £eben unb fchöngeiftiges tDirfen (K. 2,50).—3* Käfir, ®efd?id?te \ 

ber ©fner unb Pefter (Eheater bis 3 um 3ahre 1872. — D. ©röcfanyi, ID. 0 . fjumbolbts Sprach 5 1 
philofophie. — 3dj glaube, auch unferen £efern mac# biefer Blid in ein Stüd heutiger 
Arbeit gerabe je# $reube. 

Die Ueuorbnung bes ©efdjidjtsunterrichts in preufjen wirb in ihrer ©runbrMjtuw} 
allgemeine 3uftimmung finben. ©i^elnes 3 U befpredjen ift ^ier nicht ber piat). Hur auf 
3 weierlei fei hingewiefen. Die eigentliche Aufgabe für Quinta, Sagenwelt unb Borge!##* 
ber ©riechen unb Homer, follen nur noch * ur 3 behanbelt werben, f 0 weit fie nicht tu ben 
beutfdjenStunben bei bet £ettüre erlebigt worben finb. hoffentlichtoitöbaraup 
hin nicht bas £efebuch mit griechifchen unb römifchen Sagen oollgepadt; # er ift lein PW 
frei für fie, benn unfere beutfehen Sagen, Märchen, fleinen ooltstümlichen Stählungen unö 
Schilberungen aus ber beutfehen Dorgefdjidjte treten je# fchon reichlich gegen benftemben 
Sagenftoff 3 urüd. — ©benfo ift ein anberer hinweis nicht ungefährlich. IDie im[ptflW CIt 
Unterricht unb ber Kirchengefchidjte foll auch In* beutfehen Unterricht unb ber prioatleltüre j 

bte IDechfelwirfung mit ber ©efdjichte immer im Auge behalten werben. Das ift nur 3 U w* | 

gTÜfeen, aber es barf nicht bcQu führen, bafe ber beutfdje Unterricht auf bie ®efh«hte 3 U * 
gefchnitten wirb — wie manche fchon je# oetfuchen. ©s ift bies nur ein 3 ei<hen, e * 
mit ber Anbetung bes ©efchichtsunterrichts allein nicht getan ift, bafo bies nur ber Anfang 
einer burdjgreifenben Ueuorbnung bes gefamten Unterridjtsplans fein fann. 

Bei ber Behanblung guter wiffenfchaftlicher Auffä# 3 ur 3 e^eit, wie fie für bie W* 
Schule gerabe je# erwünfdjt finb, ftellen fid? allerlei Schwierigfeiten ein, weil 
ms ber politifdjen Arbeitsweife oorausgefe# wirb. Als ein gutes fjilfsinittw[ar*? 
empfohlen bas angenehm lesbare heftchenoon £. Bergfträ&er: ©runbbegriffe ber auswärtigen } 

Politif. ©ine Anleitung für bas 3eitungslefen (Berlin, Heichsoerlag. Zit. 0,40) mit fein ( 

teilen: Be3iehungen ber Staaten 3 ueinanber. Die Diplomatie. Material unb ^itfsrmttei- 
gemeines über Mittel unb 3iele ber Diplomatie. . 

Don ber Sammlung Montanusbücher: „UmDaterlanb unbSreiheif h«tte^ ö - 
2. Banb bereits befprochen. Auch öer neue 3. Banb „Aus Puloerbampf unb Schlachtenöorme 
bringt wieber eine $ülle ausge3eichneter unb fe# gut gewählter Bilber oon allen 
•r 3 ur S ß üe tritt ein Banb „Deutfdje heerführet" mit oielen Bilbern au^ 3 

muienbefitj, ber feinen befonberen IDert — aud) für bie 3ugenb — barin h<*t, ba& er mcy 
Bilber oon je# bringt, fonbern bie gelben oon 3ugenb auf oerfolgt. (Übrigens W 
3ujtellen, wie aus ben weichen 3ünglings3ügen langfam ein ©harafterfopf wirb*) 
ßudjer feien angelegentlichft empfohlen. (Siegen, h* Montanus. 3e HT. 2,—.) 

Sür bie £eitung oerantwortlich: Dr. Walther hofftaetter, Dresben21, 4tbftr. 1. 

AUe Manuffriptfenbungen finb an feine Angriff 3 U richten. 


j/tL 



Sollte, Drama, tEfjeater. 1 ) 

Dort $eröiitanö (Btegort in Wien, 3urjeit in Dtesben. 

UTit fo gartet fjanb, tote bet gefreite £ehrer feine Klaffe 311 einem guten 
Steinbrucf, einem „ITteifterbilb", einem ©emälbe bes ftäbtifdjen Ktufeums hin= 
fährt, mu& et j e b e s U)erf bet Kunft beruhten, (fr !ann babei gar nicht oerljalten 
genug fein. Denn es fommt batauf an, bie jungen Seelen 3 U Iöfen, nicht 3 U 
binben. (Ein einiges abfchKefeenb urteilenbes tDort aber tnebelt ihre ffin= 
bilbungsfraft, noch ehe fie hat Atem fööpfen bürfen. Unb gibt es bemt ein 
enbgültiges Urteil über Kunftoetfe? 3n bem Augenblick, too et oergifet, bafe 
et felbft fein Künftlet ift — unb es ift toohl erlaubt, bies bei ber Allgemeinheit 
bet £ehter an 3 uneljmen —, bafe fchöpferifche Kunft aber auch für ben Künftlet 
felbft unausbeutbat bleibt, toitb feine 3«neigung Anmaßung unb fein £eljt* 
mille roirft 3 erftörung. 

Abfidjtlich rufe ich, um nicht gleich auf IDibetftanb 3 U ftofjen, bie bilbenbe 
Kunft herbei. 3eid}nen unb malen ober gar mobellieren haben felbft in ben 
niebrigenStabien ber $ertigf eiten oiel weniger 3ünget als Dichten unbDarftellen, 
mill fagen Schreiben unb Reben. Da 3 U jeber Kunft ein gerüttelt UTafc 00 II Ijanb= 
wer! gehört, fe%t ber Kunftfreunb, ber „ben £öwen auch fpielen" möchte, beim 
Dichten unb Darftellen nämlich all 3 u leicht fjanbroer! gleich Kunft unb glaubt 
ben Berg überrounben 3 U haben, ben er noch gar nicht fieht. Sieht er ihn aber 
enblid} in einer Stunbe, bie er getroft begnabet nennen barf, bann wehe ihm, 
»emt er brüber u>eg 3 ufommen fich getraut. Dies Kanaan ift allein mit UTofis 
Augen 3 U umfangen, unb ich habe mich oft gefragt, ob Rtofes nicht glüetlicher 
gemefen fei als itgenbein ZTCitläufer aus ben 3 toölf Stämmen, ber bie Ufer bes 
3orbans roirflich betrat. 

Dafe einer auf feine beutfdjen Auffät$e lauter ©nfen friegt unb bafe er bei 
Schulfeften mit oernehmlicher Stimme unb leiblich logifchet Betonung ein paar 
Strophen auffagt, bie fetjon bur<h ihren Stoff gefallen, bas berechtigt ihn Jicf)er= 
lt^ eher 3 U einem Korrefponbenten unb Dertäufer als 3 um Schriftfteller unb 
Schaufpieler . U)ie oft, wenn ich bei ber Prüfung eines Afabemieafpiranten oor 

1) flngeficfyts öer Sdjwierigfeit ber $rage, was bie Schule mit ber Dramenleftüre 
erftreben unb wie weit fie in ber (Etflärung gehen foll, erfdjien es wertooll, einen 
Dertreter bet barftellenben Kunft 3 U hören. Oer Detf. obigen fluffatjes hat als Oar= 
fteUcr, Regiffeur unb Sntenbant gewirft unb fich nun als Celjrer an bet IDiener 
fltabemie befonbers mit biefen $tagen befchäftigt 
3elt|d|r. f.i.6eutfd|cn Unterlid)!. 29.3af|tfl. 12.Qeft 


47 



738 


Sdptte, Drama, tEfjeater 


(Entfett Me hanbe übet bem Kopfe 3 u|ammert|d}lug, mufete id? böten« k\ I 
Cehrer unb Cehterimren bem talentlofen jungen Butf(ben ober bem jungen I 
Rläbdjen eine fünftlerifche 3ufunft oetbetfeen bitten. Rlit blinber Begier nraä j 
fo ein bingetootfenes Sdjulwort aufgegtiffen, 3 U ben unfdjlüffigen (Eltern getra* \ 
gen unb im eignen fjet 3 en gebegt wie nichts anberes aus ben a#, aus ben gnwlf j 
£emjahren. Der gan 3 e ®lan 3 bet 3 eitungsnoti 3 en leuchtet oor ben ettegten j 
Sinnen auf: unfterblidher Rubm, ungebeute ©ewinfte. Unb wernt jie’s autb j 
nidji fo toeit bringen werben wie bet unb bet, um ben fich bie tDelt reifet (o j 
gibt’s, meinen fie, bod} auch auf ben geringeren Rängen bet Dolfsgunft genug j 
bes ©lüds, was fie übet bie Cangweiligfeit bes Beamtenbafeins ober über bie j 
Rüchtetnheit bes Kaufmamtsfianbes binausbebt. Bei manchen fpricht natün 
lieh öie Ungebunbenbeit unb bie Saulbeit, in bie man ben Künftlerberuf gerabeju 
oetfity toäbrtt, nicht bas lebte U)ort. 

Rach h cr fömmli<het fluffaffung beffet fchteiben, beffer teben als anbre bat 
mit bet Kunft fo gut wie nichts 3 U fchaffen, ift webet Bebingung noch Inhalt- j 
$üt fehl oiele Rlenfdjen briieft fich bet fogenannte $euilletonift in einet grofeen 
3eitung oiel feinet aus als ©ottfrieb Keilet in einer Ronelle; unb für ebenfooiele 
tebet ein gefd}idter Derteibiget beffet als Bismard. „Das lieft fich 1° hübfd;, bei 
tebet wie ein Buch" — bamit werben Ktän 3 e oerteilt. 3m üempel ber Kunft 
bängt fo einet aber nicht. 

Ulan wirb non mit nun nicht mehr erwarten, bafj id? bas IDefen ber Kunft 
in einigen Sähen feftlege. fluch iw ©aufenben läfet fich &a nichts Beftimmente 
fagen. R)ie bie ©ten 3 en 3 wifchen Ratur unb Kunft oerfliefeen, fo auch innerhalb 
ber Künfte bie ©ren 3 en 3 wif<hen ©njelgebieten. Der Derfuche, auch ber ban- 
fenswetten, bat’s genug gegeben. 3 <h felbet bin baburd) in meinen fln[^au : 
ungen bewußter geworben, ©b 3 U meinem heile, bleibe babirrgeftellt. 
bem aber immer fei, mit tonnten biefe Büchet nicht oiel fchaben, weil ich ö arnfl * 5 
fdjon jahrelang in bet Kunft lebte unb arbeitete, an ber Seite unftet StarifH 
gewiffermafeen unter ihrer fluffid)t. Aber bem Reuling, bem 3 üaglmg ju S<*. 

3ebem R)orte, bas 3 um ©enuffe eines Kunftwerfes einläbt (roeiterp 
bürfte meiner (Erfahrung nach bes £ehrers <Ehrgei 3 nie 3 ielen), mufe bas gefüh ! « 

mäßige (Erfaffen einiger (Eigenfdjaften norausgegangen fein. Ri# fcf?®armen, i 
fonbem non innen heraus flauen! Schwärmen ift leicht wie eine gefelwm 
liehe flusrebe. Der Schwärmer gleitet mit halbgefdjloffenen Augen, mit tan}m' ( 
ben Süfeen unb laut fingenb über bas R)efentlid}e hm, bas ben fchärfften B i« 
ben ruhigften Schritt, bie leifefte Stimme oerlangt. 3n ©ottes Umfrets ift 
füll. naht fidj im Säufeln. Unb wer bie R)elt unb ihre Sdjäfee mit bem D « 1 
ft a n b e allein begreifen fann, taugt nicht, um Schüler tunftfreunblid) 3 U ftimmen« 
um fie bie Ria# bet Kunft fpüren 3 U laffen. (Er folls gar nicht erft oetfuaim« 
unb fein Dorgefetjter foll nicht non ihm nerlangen, was gegen bie llatur,, 0 e 9* 
bie Begabung geht. Cieber mögen bie jungen Rlenfdjen bann auf biefen 3 1 




Don Jer&inanö (Bregori 


739 


toilöetn, oetmilöern. 3d? hätte cs öcr Sdjutc geöanft, menn fic fo mit mir oet* 
fahren märe. Statt öeffen mufete it, mas mir an Dramen unö (Epen öurt öen 
Unterritt oergällt rootöen mar, in fpäteren 3 abren mübfelig 3 urücfgeminnen; 
als it nämltt oorurteilsfrei, aus öer anfdjauenöen ©mpf inöung heraus, Öen öit s 
teriften Stopfungen gegenübertrat. IDer oon meinen Iffitftülern aber batte 
3eit unö (Belegenbeit, öiefen meiten, fteinigen H)eg 3 ur (Einfatheit 3 utüd 3 u* 
legen! $ür fie alle roaten „tDilbelm Seit", „Die Braut oon ZTteffina", maren 
„ttatban öer IDeife" unö „^ermann unö Dorotbea" als Anöattsbücher rettungs* 
los oerloren, öurt metrifte ©emeinpläijigfeit entmeibt, öurt miöerlit 5 ftoff* 
liteAuffäije 3 erfleifcbt. 

IDie icb auf öer Afaöemie Stüde aus mertoollen Rollen nie 3 U Spret® unö 
©tganübungen ernieörige, mie it ba 3 u im ©egenteil f aft fimtlofes 3 eugoermenöe, 
öas öie p^antafie öes Schülers nidjt befc^äftigt, ibn oielmebr gan 3 unö gar auf 
feine H)erf 3 euge (3unge, Kiefer, Kebltopf) einftellt, fo müßten auch in öer Schule 
öie (Erläuterungen äu fe er et $ormen an gleit gültigen Beifpielen oorgenommen 
toeröen. Außere $orm ift mie äufeere übeaterregie nur Sfelett öer Kunft, 
notmenöig, aber unlebenöig. Bratenbaröen unö Gemietet erlernen unö be= 
berrften öerlei aut- Da& es eine innere $otm unö eine innere Regie gibt, 
©ebeimrtiffe alfo, öie man entmeöer niemals erlauftt oöer nur, inöem man 
fit moten* unö monöelang im (Seifte neben Öen ftaffenöen Ditter, Regiffeur 
unö Staufpieler hinfet)t unö ihnen 3 ufiebt, — Ijanö aufs I?et 3 — öas abnen 
öot rett oiele oon öenen nitt einmal, öie aut „bitten", öie aut „Komööie 
fpielen", öie ein Drama in öer Stule öurtnebmen. 

ITCit haben Cehtet gefagt, fie mären auf öiefen Unterritt beffer als anöere 
oorbereitet, meil fie fit Öen heimiftenDialeftabgemöhnt unö bei einem Stau* 
fpieler Ausörudsftuöien gematt batten, ©emife famt öas mante Säterlitteit 
fernbalten unö öie Sangemeile oon öer Stunöe nehmen, ©s !ann aber aut ins 
©egenteil umftlagen: menn nämlit bas übertrieben gereinigte Deutft affet* 
tiert erfteint ( 3 U öeutlitcs t, 3 U öeutlite (Enöfilben!) unö menn öer mimiftc 
Ausörud im ftlimmen Sinne patbetift ift. Dem fjer 3 en öes IDertes ftebt oiel* 
leitt ein anöeter Sebrer oiel näher, öer fätfelt oöer fttaäbelt unö eintönig 
lieft. (Es ift ja überhaupt tübtenö 3 U feben, mie mante Sebrer öes Deutften 
öurt anbaltenöes Stmöfern unö öurt eine äufeerlite Detbinöung mit 
Bühnenleuten glauben, öer Kunft öes Dramas unö öes ©beaters naberüden 3 U 
törnien. 

Kunft ift unö bleibt ©naöe. IDer nitt in öer ©naöe lebt, lebt ferne öer 
Kunft. Sie bat öeshalb aut ben bötften 3auber, Öen mir fennen: UJabrbeit 
in Stönheit gebettet. IDen öie IDahthaftigfeit öes Kunftmerfs nitt er* 
ftöttert, met bei öem UTofes öes UTitelangelo, öem UTüntener Selbftbilönis 
Albtett Dürers, bei einer Symphonie Beetbooens unö öem „Prisen oon 
Homburg", met enölit angefitts öes — nun oerflungenen — Kain 3 iften 

47 * 



740 


Sdjule, Drama, Hijeater 


Romeos ober feines Königs Alfons noch oon „Häufchung" reben famt, bie „ooli 
fommen gelungen" fei, öet fteht gar meit ab oom Allerheiligften. Hiebt tEäu- 
fd?ung mat’s unb ift es, fonöetn tDahrheit. 

U)ir bemohnen roohl alle öie gleiche (Erbe, aber bas toare fein Känftler, 
ber nicht % 3 um Stob eine eigene, gan 3 petfönliche gränbete. Sie gehört iijtn 
in allen ihren ©ebreiten unb Siefen, roäbtenb uns bie grofje (Etbe faum an 
einem 3ipfelchen 3 U eigen ift. Sein IDerf ift bas menfchengemäfje Abbiib bei 
DJeltfdjöpfung, bie ©ott allein burchtoeben famt. IDobin mit greifen, mit fiw 
liehen hänben, greifen mir Stüde; im Kunftmerfe jeboch bittet ficb ein Kosmos 
3 ufammen. U)et Sbafefpeare, ©oethe, fjebbel (auch eine anbere Reihe märe 
leicht 3 U nennen) 3 U lefen oerfteht, bat, folange er an iht IDerf oerloren ift, 
nie bas ©efühl, bafc neben bem Komplex IHacbetb, Saffo, Rbobope überhaupt 
noch etmas ejiftiere. Diefe Komplexe finb Dollfommenheiten, fie braunen feine 
braufeen liegenben Kontrafte ober (Ergän 3 ungen. Sefjlte es in ihnen toirflidj 
itgenbmo, fo gudte eben ber Stümperfchöpfer an einet Stelle not. 

, fluch füt biefe oon ITCenfchen aus bem Ridjts gefdyaffene XDelt bebarf es 
nur eines einigen flrchimebespunftes, um fie aus ben Angeln 3 U beben, b. $• 
bie ©ruppierung ihrer ITtolefüle 3 U erfühlen, fie 3 U burchbringen. Ijcrf mem beit 
Punft, fo ift man in ber IDelt 3 u häufe; bat man ihn nicht, fo fann man immer mir 
um fie berumftreichen roie ITlelufine um ihr oerlaffenes bauschen. IDas man 
bann auch fage, um fie 3 U befchreiben, 3 U beuten, muf} fd)ief, unficbet unb ohne 
übet 3 eugenbe Kraft fein. 3m beften Balle [teilt man Unmefentlicbes feit: 
£ebensgang bes Dichters, gefchichtliche ober anefbotifche Unterlage bes Dramas, 
Deränberungen ber 3 ugtunbe liegenben $abel, Derteilung bes Stoffes auf 
flfte unb S3enen (hier fömtte freilich auch Künftlerifch'tDertoolles berührt 
merben), metrifche $orm unb ihre lUamrigfaltigfeit (fömtte ebenfans in bie 
fünftlerifche U)erfftatt bineinfpielen), feltfame Ausbrüde, grammatifebe unb 
ftiliftifebe Steiheiten, Bübnengefchi^te. 3 dj bin meit baoon entfernt, 
Kenntniffe für gan 3 entbehrlich ober nut)los 3 U halten: aber fie bürfen mtbts 
meiter fein als ein Dorfpruch, bürfen fid} nicht mit breiten Beinen oor bem 
Sore aufpflan 3 en, bas mir ber Dichter eben öffnen möchte, bas Sot 3« f eincI 
IDelt, 3 U feiner tDahrbeit. 

©s fei benn, bie Schule molle unb folle Citeratur mit bem fatalen Bei- 
gefchmade bes Papierenen treiben. Diefet Kempunft muf} natürlich 9 exe ^ 
fein, ehe man oon ber alten Bahn abmeicht, bie 3 U meiner Sdjuheit eingeleifiö 
papieren mar. Um in ©efellfdbaft über bas Sbeater 3 U fehmatjen unb auch üb et 
bie Dichter, ba 3 u genügt ja bie £iteraturgefd}ichte bet äußeren 2 atfa<h en < 9* 
ttügt bei mobemen Stüden meift fdjon bie Sheaterfritif. Doch bie Seele bleibt 
arm babei. Die Kunft aber mill bas £ebenfeftoeranfern; roill unfte (Hnörücfe oet 
tiefen ( 1 D 03 U ber bürgerliche Beruf nicht oielfeitig genug ift; et gebt faft imm« r 
aufs etn 3 elne, nicht aufs gan 3 e). Kunft ift ein IDeg 3 ut £ebens*, ja 3 ut ® <K ' 



Don 5erbinanb (fitegori 


741 


anfäouung wie bie P^ilofopljie; aber bcr tDeg übet bie Kunft ift gefälliger als 

fl'» I !! ^. lI ^ op ^ ie ' et W aucl ? angemeiner gangbar, erforbert nid>t ge* 
|d/ulte ©etftesfrafte. 


tDer alfo bie IKelobie einer Soeben Ptofa 3 eiIe n>ieber 3 ugeben »er* 
mag — »on ©efangsfünften ift bas fefyc unterfc^ieben! — t»er bie fünf 3am* 
ben eines Quinars fter in eine ein 3 ige Hebung unb neun Senfungen, bort in 
bret Hebungen unb fieben Senfungen ein 3 uteilen wagt, r»er fo t»eit ift, bafj er 
man jmal um bes gtofeen 3uges willen übet Punfte, Semifolons unb Strophen* 
ftbluffe wegftürmt, als feien es faum Kommas unb Dersenben, unb t»em alles 
bas, biefes $re»eln an ber äußeren Sorm, bie innere Sotm bes Kunftwerfes 
gebietet, b. i. bie nadjgelebte Sdjaffensftunbe eines auserwäfflten IHenfcben 
— ber fteljt im Dorfcof. 

Unb wenn er aus bem Sdjatje, ben er bamit erworben fjat, feine Spüler 
befc^enft, bann werben fie jebe Stunbe fegnen, über ber eines Dieters Harne 
prangt. (Es ift nichts leidjter als fleine EDibetfptüdje in Dramen auf 3 ubecfen. 
^ilft man aber bamit 3 um ©enuffe? 3n bie typifäe unb inbioibuelle Seele bes 
d^ors, wie ifcn Stiller in ber „Braut »on IReffina" »erwenbet fat, wirb 
fein Dramaturg unb fein Seljrer Iüdenlofe ©tbnung bringen, ©erwart 
fauptmann mad}t fo etwas eben anbers. Uber ift es nidjt ein fjodjgefü^l, 
auf ben reid?gefäwungenen IDellen biefer Renten unb (Empfinöungen 
mit 3 ufteigen, mit 3 ufallen? Kommt bem bie Seftüre einer Siteraturgefcfyidfte 
gleich? tDie 3fabella iljren durrn ber flnflage rafetengleid) auffdjnellen läfjt, 
wie bie UTanuelfataftroplje fid? in unerhört fdjallenben Schlägen unb ©egen* 
fplagen entläbt, wie bas Utaeftofo bet dotenfeier bann (audj mit fjilfe bes an* 
gehängten festen Rambus) alle (Erfdjütterungen 3 ur Rulje wiegt, fo bafj defars 
fdjmer 3 oolles flbfdjeiben erlöfenb wirft — bas ben Spülern in wenigen, fjalb 
oerloren flingenben Sätjen 3 u ©emüte 3 u führen, wirb fie oot fid? felber wett* 
Doll erfdjeinen laffen unb wirb fie begierig machen, meljr unb melfr »on 
folgen Sdjätjen 3 u erwerben. 

Die Ijäuslidje Ceftüre mu& »otangegangen fein. Der Schüler foll fefjon ein 
perfönlidjes Derljältnis 3 u bem U)erfe Ijaben unb fei bas nod} fo einfältig. 
Don ber Dorbereitung über 3 euge fidj ber Center nur butdj gefdjidtes Abfragen, 
nii^t etwa baburefy, bafj er ben Sn^alt er 3 äljlen läfjt. Sonft beginnt er gleich mit 
etwas gan 3 unb gar Unfünftlerifdjem. tDenn man ein Drama richtig er 3 äljlen 
fönnte, fo wäre es eben ein (Epos geworben. Ulan »erfudje nur einmal „Ejero* 
bes unb ITCatiamne" ober „©yges unb fein Ring" inljaltlidj wieber 3 ugeben! 
Ulan gerät »om fjunbertften ins daufenbfte unb »ergijjt Satj für Satj einen 
anbern, ber ba 3 wifd)en gehört. Rur $et$en bleiben enblid? in ben fjänben. 

Unleugbar Ijilft nun eine gute dljeaterauffülfrung unferer Artfdjauung 
auf bie Sprünge, ©s gibt Sdjüler unb drwadjfene, bie in einem gebrueften 
Drama nidjt »iel mefyr als eine Canbfarte erfennen. $ür fie fügt bann bie Ruf* 





742 


Sdjule, Drama, dtjeater. Don $erbinan6 (Bregori 


f ühtung bas htn 3 U, toas aus bet Sanbtarte bie Sanbfhaft mäht. Das Iheatei 
mobelliert gleihfam ben gebrudten ©runbrife. Dahinter lauert aber bet Dämon 
bet $aulbeit. tDet ftrt? batatt geroöhnt, bie bramatifdje Kunft nur übet bas 
Ulfeater toeg 3 U genießen, übt feine Phantafie nicht; unb fie oerfagt bann übet» 
baupt. Riemanb glaube auch, bafj bie befte Ubeatetauffübrung alle Werte ans 
£i<bt f(baffe. Unb toenn fie fogat bas 3 utDege brächte, fo mürben mit alle 
biefe EDerte bo<b nicht im $luge einer bef<hu>ingten Dorftellung aufnehmen 
tonnen. Aber mo finb folcbe oollfommene Aufführungen 3 U feben? 

Unb barum £eftüre not unb £eftüre neben bem übeaterbefud)! 3ubem 
birgt 3 U häufiger Befud) bes übeaters noch anbere (Befahren, als bafj et bie 
Pbantafie erftidt. Die $ülle oon Sinnli^leit, bie oon bet Bühne herabbtaujt, 
führt ben ungefeftigten merbenben Rlenfhen ebenfooft com tünftlerifchen 
nuffe fort, toie 3 U ihm bin. (Er oermag ja nodj oiel toeniger als ein fünftlerifdi 
toenig beanlagter £ebrer tDidjtiges oon Untoicbtigem 3 U tremten. Unb biefen 
Sdjtoerpunftsoerfcbiebungen leiften bie meift mangelhaften Dorftellungen in 
fleinen unb mittleren Stabten Dorfehub. Ui<bt bafj bie bolbe S^toättnerei füt 
eine hübfehe Sd)aufpieletin oiel Unglüd in ben jungen Seelen antidjte (ib r 
(Einflufe ift meift reiner als man glaubt); aber bie Unausgeglichenheit in &« 
U)iebergabe bes Stüdes, bas unfinnige tDegfchlagen tonftruftioer Pfeil« 
(aus ITTangel an Petfonal ober an Derftänbnis), iejtlieberlicbfeiten, Souffleur* 
fhteiereiert, ungefhidtes Behanbeln bes Koftüms, bas unb anbtes triebt 
nimmt ben Dotftellungen oftmals allen 3auber, tei 3 t 3 um Sachen ftatt 3 Ut Be* 
tounbetung. „Sdjületauffühtungen" haben für (Ermahfene einen böfen Heben* 
tlang. Ulan oermutet bahinter mangelhafte Dorbereitung. Unb mit He# 
Sch habe jahrelang in ben fogenannten flaffifdjen Dorfteilungen an Sonnaben- 
ben ober Sonntagnachmittagen mit einet einigen Probe fpielen ntüffen. 3n 
biefer einen probe mürbe aber auch bie Deforation unb bie Beleuchtung erft- 
unb letztmalig feftgelegt; toenn man bei fo einem Sotterieunternehnten über¬ 
haupt oon $eftlegen fprechen barf. (Es ift nichts toie ein Sangen unb Bangen 
bis 3 um lebten $allen bes Dorljangs. 

Hecht eingefhätjte Kunft hat 3iele, bie genau fo ernft aufs Sittlich 6 tfjjj 
arbeiten toie bie ber Religion. Rieht als Sujrus füt reihe unb bequeme £eute ift 
fie oon ber Kultur erbacht toorben, fonbern als bilbenbe Sebensfraft, bie uns 
alle über ben Hanb ber (Eitelteiten, über bie (Emiebrigungen bes S(h a h e J®' 
über alle Befhräntung hinausheben foU. Rur Unterfhähung bet Kunft h« 
3 U ben oielen Rebereien über Kunft geführt, bie fie gemein gemacht 
toie ein Stüddjen Konfeft. (Es tarnen neue Hage, bie 3 U neuen Ufem l 0 ^" 1 
toenn bie Schule mit möglihfter Beifeitefetpmg ihrer oormunbfchaftW 11 
Rehte bem großen Drama bie Bahn frei mähte, auf ber es ungehmbert in “■ 
fhmalften Sälthen ber £jet 3 en gleiten fönnte: borthin, too bet Derftanb n°. 
niht fein grelles Sicht ange 3 ünbet hat. Das K>eihna<htseoangeliunt h^ mein« 



„Deutfcglanb, Deutfcglanb übet alle«!" ufro. Don Johannes Klemig 743 

Erinnerung nach feinet meiner Center 3crpflü<ft; besgalb ift es mit auch immer 
fdjön unb erquicfenb geblieben. IDemt td? aber öaran öenfe, bag mit breioiertel 
3 a^re 5 eut[cf?en Unfertiges oergeuben mußten, um 3toei Afte „Eell“ 3U oer* 
fiebert, grauft mir heute nod}. 3 cg mette, feinet ber mit mir fo gart ©eftraften 
^at basStüd jemals roieber in bie fjanb genommen, unb menn ign fein Kinb 
^eute bittet, es in eine Eell*Auffügtung 3U begleiten, fagt et: „3cg banfe!" 


„Deutfdjlanö, Deutfdjlanö über alles!“ 
als Ketcf)s= unb Kaiferlieb. 

Don Johannes Kletoig in irtüglgaujen i. Egür. 

Das Deutle Reidj bat in ben bisherigen 3agt3ehnten feines Beftebens feine all* 
gemein anerfannte Reichs* unb Kaiferbymne gewonnen. Erflang in ben lebten 3 agr* 
3egnten auch bei jeher oaterlänbifcgen $eier bas Preislieb „Deutfcglanb, Deutfchlanb 
übet alles" als jubelnber RJeigegefang, fo oermoegte es bocg feine Anerfennung als 
roirflieges Reicbslieb 3U finben. An beffen Stelle trat getDÖbnlicb bie preugifege Sanbes* 
bymne „fjeü bit im Siegerfran3" nach Einfegung ber Anrebe Kaifer für König. 
3 mmer aber mürben bie fegroermiegenöen RTängel bes Siebes als Rtigflang bei 
feiner hoben Stellung empfunben, roie bie T mannigfachen Derfucge, einen beffeten 
unb felbftänbigen Erfag 3U jehaffen, es bemeifen. Über bie michtigften biefet Beftre* 
bungen non bem befegämenben Unternehmen, bie ruffifd?e Rationalhymne beut* 
f^en 3 n»eden anjupaffen über bie Derfucge, 3m ©eminnung eines Reichsliebes 
ber preugifegen Sanbeshymne einen neuen Eejt unteQuIegen, bis 3U Öen Be* 
mühungen, öurch Preisausfchreiben eine Reichshymne ins Seben 3U rufen, gibt 
©. Boehm 1 ) in feiner Schrift über bie Bolfshymnen ber öeutfehen Staaten einen Über* 
blict Alle Blühe oerfehlte ihr 3 iel. Auch Submig Bauers „© Deutfchlanb, gocg i n 
®? rcn "» heute ein Sieblingslieö unferer Solöaten, bürfte trog mancher Dot3üge 
faum 3um Reichslieb ber 3 ufunft beftimmt fein. IDie fehr fieg auch ber mächtige Kehr* 
reim mit ber Rtahnung 3um Aushalten im Sturmgebraus unfern Solbaten mägtenb 
ber fchmeren Eage bes Ausharrens in Kampfesnot ins fjet3 gefungen gat, fo mug 
b° 4 f bas Sieb naturgemäg an Bebeutung unb R)irfung erheblich oerlieten, menn einft 
ber tobenbe Schlachtruf unb bas Sturmgebraus bes Krieges mieöer frieblicheten 
Klangen meicht. 

So bleibt bie $rage, toie roeit bie alte preugifche Sanbeshymne ben Anforöerun* 
gen an ein alle Deutfcgen begeiftembes Reichslieb entfpricht, ober ob nicht bas Sieb 
unferer Eage, ber Eage bes Riefenfampfes um Deutfdjlanbs göcgfte ©üter unb um 
feine Stellung in ber IDelt, bas Preislich „Deutfchlanb, Deutfchlanb über alles" 
bie Kraft befigt, bie Ehrenftelle ein3unehmen unb 3U behaupten, um bie bisher bürf* 
tige Südenbüger lange oergeblich rangen. 

über bie äugerft lümmerlicge Kompilation, ber bie preugifche Sanbeshymne 

}) Prof. Dr. ©. Boegm, Die Dollsgymnen aller Staaten bes Deutfcgen Reiches. 
Beittäge 3 U einer ©efegiegte igtet ©ntftegung unb Derbreitung. IDismat 1901. S. 27ff. 



744 „Deutfdjlani, Deutfdjlanb über alles!" als Reicf|s« unö Kaiferlitb 

i^tc (Entftehung oerbanft, lann man bet Boeljm 1 ) nachlefen. (Es gondelt fi<h um 
bas äußerliche 3uftußen eines oon bem öeutf<h=bäntf<hen Pfarrer ^eintid; Parties 
für ben König dhriftian VII ; non Dänemarf gebidjteten Siebes, bas fidj feinetfeits 
an bie englifcfje Hationalhymne „God save great George the King“ onle^ni. Billig 
fat ©erljatb Schumacher richtete bas £ieb butd? oberflächliche Anbetungen für pteu* 
feif<h e Derhältniffe ein unb wibmete es io König $riebrich IDilljelm II. nad) bej|en 
Rücffehr aus bem $elb 3 ug in bet ©Campagne, fucfjte aber bamals unb [pater unter 
Detfdjroeigung bet engften Anlehnung an Parties ben flnfchein ju erweden, als [ei er 
bet eigentliche Derfaffer bes £iebes, ein Detfafjten, bas Boehm als „litetarij^en 
Diebflalfl freutet Art" branbmarft. 

Kann bas £ieb fctjon nach Art feinet (Entftehung nicht ber Ausbrud eines oatet» 
tanbsbegeifterten, überquellenben Oichterhe^ens fein, toas manche ÖberfdftpengRcb» 
teit techtfertigen würbe, fo lommt uns noch flötet 3 um Bewußtfein, bafj es einer an 
innetet Unwahrheit franfenöen 3 eit entflammt, wenn wir uns bie wenig tu^mrei^e 
©efchidfle bes $elb 3 uges in bet dhampagne unb bie Petfönlichfeit bes Königs dop 
gegenwattigen, bet hier 3 uerft als Sieget unb bes Sanbes Stol 3 gefeiert wirb. flUm 
bings gewannen ja bie IDorte unter fpäteren Königen, befonbets unter IDiHjelni, 
bem Siegreichen, gan 3 anbete Bebeutung; aber muß man nicht oon fonnentioneDcn 
unb oberflächlichen $ormen bet Königsoerehtung fprechen, wenn ber Kaifer, bet in Öen 
erften 25 3ahren feinet Regierung all feine Bemühungen auf bie IDerfe bes Jriebens 
richtete, ohne bas Schwert 3 iehen 3 U brauchen, bei febem ©ebenfen als bet beftöiBÜ 
Sieget angefungen wutbe? tDirft bie weltbürgerlich übetfchwengliche neuere $affung 
„ber UTenfchheit Stol 3 " in unfern dagen nicht faft wie 3ronie? tDoljl ift unfet Kaifet 
jeht wie feiten ein anberet herrfcher bet Stol 3 feines Dolles, aber oon bem größten 
Heil ber übrigen Rtenfchheit wirb er bittet gehaßt. 

Auf bie tünftlerifche Rtinberwertigfeit bes ©ebichtes läßt ©. (E. Pajaurel int 
Kunftwart 2 ) Schlaglichter fallen; h* er foll nur erinnert wetben an ben unglücfli^en 
Reim „Reifige: höh" bet oerhältnismäßig beften Strophe unb bas oon jebetnKinbe 
mißoerftanbene, wie man fagt, auch oon Kaifet $riebtich oetfpottete „bie h°^ c ® onne 
gan 3 ". 

$aft wichtiger als ber dejt bes Siebes ift bie Rtelobie, wirb hoch eine Rolfen 
hymne noch häufiger gefpielt als gefungen, unb wirb hoch gerabe burth bie 0 ® 
weife bei Begrünungen bet fjertfcher unb feftlichen Berührungen ber Dölfer ber w 
besart bie dhre erwiefen. über ben mufifalifchen U)ert bet IHelobie 3 U uttcllc I I, 
bin ich nicht berufen. Die IDeife an fid} hot mir immer gefallen, wenn fie m*“! ,n 
einem oon Alfreb Biefe oeröffentlichten Dortrag über bie Ktiegslyrif oon 1914 5 
leiernb be3ei<hnet wirb unb fie Pa 3 auref nicht oon primitioer Banalität frei 3 ufprech® n 
oermag. Dennoch höbe ich bie dmpfinbung, baß bie djoralartige Seierlidflet 
IRelobie gan 3 anbets 3 U ben 3 etemonien ber fühlen dnglänber als 3 U einenr be9 e ' 
fterten Daterlanbsliebe ber Deutfchen paßt. Schlimmer ift bie gebanfenlofe flrt®« 
(Entlehnung. Boehm 3 ) finbet über bie Unfelbftänbigfeit unb ben flägli<h cn 
an Dolfsbew ußtfein. welche unbebenflich bie frembe Rtelobie für ben begetfterte 

1) fl. a. ©., S. ll ff. 

2) 3m 2. Dejemberheft 1914, S. 178. „heil bir im Siegerfranj.“ 

3) fl. a. ©., S. 20. 



Don 3oIjannes Kleroi^j 


745 


ais6wJ6« eigenen n.pteufeWen 06« urtaitf<f, m ®efa$( e «rtfcforten, Me (Aätfiten 
IDorte; et tommt ab« «ftntat ju tem Sdjluj,: „Ood, es i[t nun einmal gelten, 
unö ber rmnenbe Strom läfet fi<p nidjt ntepr ftauen." 

So mo<pte man oor anbertljalb Sahnten bie Sacpe betrauten. Doch beute 
burfen mtrjoffnungsfteubiger in bie 3 utunft flauen. Sollte ber rinnenöe Strom 
mirfft^ mdjt me^r 31» ftauen fein? fjeute mü mit jener Strom nur nod? als Rinnfal 
erlernen, umprenb bie gewaltigen taterprobten tDogen oaterlänbifcper Begeifterung 
m unferen großen Sagen, wenn fie iljren flusbrud im Siebe fudjen, fid? in ein anberes 
ungletd, mastigeres Bett etgiefeen, in ben podfgefang „Deutfölanb, Deutfälanb 


©r ift bas Sieb bes großen Krieges, wie „Die tDa<pt am Rfjein" bas Sieb bes 
Deutfdj*$ran3öf tfdjen Krieges mar. Kein anberer Sang ift in ben Sagen bet p 0 d>* 
gepenben Begeifterung beim flusbruep öes Krieges fo oft in allen Seilen bes Dater* 
lanbes etfcpollen, wie biefes Sieb 3U Deutfcplanbs (Epre. Ss begleitete bie aussen* 
ben Krieger auf ber $aprt unb oerftummte felbft braufeen niept an ben Stätten bes 
mannermorbenben Kampfes. tDer oergifet bie jugenöliepen $reiwiUigen, bie am 
S ! 0, “ooember 1914 bei Sangemat! fiep mit bem 3 ubelgefang „Deutfeplanb, Deutfeplanb 
über alles" ben tobfpeienben Sepüfeengräben entgegenftwgten, bie wieptige Stellung 
nahmen unb 3weitaufenb (Befangene 3urüdbradjten! 


"ü nö «i C r 9 l n9en 00t ' unö einet f? ub on: Deutfiplanb übet alles in ber IDelt! 

2^. ub “ a | les " — unö ieöen mann Don beutfeper Sreue, oon beutfepen Brauen, 
üur^3 u * e bes IDeipegefanges $euet, Der $einb oernapm’s mit ftarrem ©rauen, 

e i?\ unö un 9 e b«uer Don beutfepem Sang, oon beutfepem IDein 

f! eö 00n OeutfSlanbs (Epre Klang es aus ben ftütmenben Reipn. 
nÜ o-„ 0nt f b * e bonnernben (Epöre,- Roep war ni<pt oerflungen ber lebte Son, 
0ste Brüllen bet Scplaept. Salle, was fällt! Da würgten bie Bajonette fcEjon ... ') 

Unb auep pier in ber Heimat Hingt bas Sieb oon Deutfeplanbs ©röfee unb (Elfte weiter 

ei jeber Racpricpt, bie uns 00m Siege beutfeper Kraft über eine IDelt oon Beinben 
nmbet. 


Das Sieb wirb wieber burep alle beutfdjen ©aue erbraufen, wenn bie ©loden oon 
Sutm 3U Surm jubelnb ben $rieben einläuten werben, unb foll weitertönen in ferne, 
unabfepbare 3 eiten hinein, fjaben öoep bie proppetifepen IDorte, bie fjoffmann oon 
Söllersleben oor breioiertel Japrpunbert auf jenem meerumbranbeten Srutjeilanb 
gegen ben feplimmften uriferer $einbe fang, erft jefet ipre oolle (Erfüllung erlangt, 
oepnie paben in ben oergangenen 3aprpunberten alle Deutfepen unter Scproinben 
er Partei* unb Partifulatgten3en oon ber RTaas bis an bie Rtemel, oon ber (Etfep 
•s an ben Belt 3U Scpufe unb Srufe fo brüöerliep 3ufammengepalten, wie in unfern 
agen; niemals paben bie IDorte „Deutfeplanb, Deutfeplanb über alles in ber IDelt" 
Seüungen, wie unter bem Donner bet Kanonen bes IDeltfrieges, in bem 
N? bie Kraft ber beutfepen Sbeale einer Derfcpmörung oon ©rofemäepten, wie fie bie 
(erbe nodf nic^t gefepen pat, überlegen erweift. 

Unb welche peigerpebenbe Begeifterung für biefe Sbeale, als beren erpabenften 
Puter wir ben Kaifer fepen, weife bas Sieb 3U weden! IDie pat fiep in biefen Hagen ber 
— 0 ^ le bgu tfd?e ©reue beim Bünbnis mit öfterreiep im ©egenfafe 3um roelfcpen Der* 

1) Aus „Den $reiwilligen" oon $ran 3 fjerwig. 




746 


„Deutfhlanb, Deutfdjtanb übet alles!" ufro. Don Johannes Klemi| 


rat beroährt; roie lieblich erftraljlte reines öeutfcfyes $rauentum beim Cittbent Iw 
flrmutsnot unb beim Pflegen rounber Krieger! 3um Preife öeutjdjer $rauen uni 
öeutfdjer Ireue roerben in fommenben glücttidfen Gagen bes $riebens oon neuem 
Cieb unb Becher hell erflingen. Dann roirb es aber auch gelten, in emfiet S# 
überroinbung öanacfj 3 U ftreben, bie errungene (Einigteit 3 U bemalten unb ben Kampf 
ber (Beifier nidjt roieber burdj tperabfe^ung unb Derunglimpfung ber < 5 egner ju oer 
giften. Brüberlidj wollen mir mit fj er 3 unb §anb öanad} ftreben, bas Hedjt autb 
bort auf ben Ghron 3 U heben, u>o es noch bur<h (Eigennut) oerbunfelt wirb, unb bie auf 
blutigen (Befilben neu erfämpfte $teiheit roohl 3 U hüten. Dann blüh’ im ®foge 
neuen (Blüdes, blühe beutfdfes Daterlanb! 

Die äufeete $orm entfpridjt auf bas glücflichfte ben $otbetungen, bie an eine 
Dollshymne 3U ftellen finb. Die fnappe gaffung in brei Strophen ermöglicht es, tos 
Cieb oollftänbig 3 U fingen. Rtan erinnere fich, ba| oon „fjeil btt im Siegerfeanj* 
in ber Hegel nur bie beiben erften Strophen gefungen toerben. Die (Einfachheit uni 
Klarheit ber (Bebanfen machen bas (Einprägen bes Siebes aufjetotöentlid) leicht, 
bie tDieberholungen im Kehrreim ermöglichen es, auch bem, ber oorübergehenb Iw 
2ejt oerloren hat, in ben 3ubel bet ausüingenben Strophe mit ein3uftimmen. D ® 1 
ber hinreifeenben Kraft bes (Befanges fagt Richarb RI. Rteyer 1 ) im ^tnbficf auf ton 
Dieter: „(Ein Cieb roie „Deutfdjlanb, Deutfdjlanb über alles" mit feinen mädftigen 
ürompetenftöfjen fann hoch faum femanb hören, ohne ein 3 uftimmen; man läuft mit 
a>ie bei ben marfchierenben Solbaten, man fchliefet fich an, unb unfichtbar marj #« 1 
ber lieberreiche hüne mit bem Patriarchenbart ooran." 

$ür ben IDert ber H)eife bürgt ja fdjon ber Harne ihres Schöpfers, bes gtojcn 
flltmeifters unter ben Gonbichtem Jofeph haybn. 3n ber Hat ijt fie auch « 
me ungünftig beurteilt haybn, „ein Rlann lembeutfcher (Befinnung unö e# beub 
fqen het 3 ens", fannte bie englifche XDeife toohl, hätte er hoch lange in Eonöon 5 ** 
roeilt. fluch er gab bet neuen Rtelobie eine erhabene Seierlichleit; aber et oerfagte ihr 
nicht ben fraftooll jubelnben fluffchtoung, toie er echter beutjcher Begeiferung? 
fahigfeit entfpricht. 


tlut em Bebenfen gilt es noch 3 U entfräften. fluch biefe IDeife gehört einer <n 
erfannten Doltshymne eines anberen Staates, (Öfterreichs. Als jeöoch ih« 

3 um erften Riale erllangen, im 3 ahre 1797, gehörte fenes Canb noch jum beutfch« 
«eich. Unb roie anbers ift bas Derhältnis (Öfterreichs 3 U uns als bas (England * 
uns unb unfeter Art bie Demichtung 3 ugefchu>oren hat 3 ft (öfterreich hoch 
m bem bie beutfche 3unge Ringt, in bem bas Ijenfdjerhaus unb bet heroonag® 
aetl ber Beoölferung beutfch ift, ein Canb, bem beutfdjer (Beift unb beutfche wj 
en Stempel aufgeörücft hat. Rlan mürbe in (öfterreich, »0 man „Deutfchlanb 
aües auch gerne fingt, bie flnerfennung ber fjaybnfchen Blelobie für bie beut|J 
etqsQymne freuöig als ein Befenntni& 3 u öer faft taufenbjäfyrigen ©emeiiWr 
Canbet begtüfeen. Unb roie hat fich biefe (Bemeinfchaft in unfern Gagen 
herrli^ beroährt! Auf G 06 unb Ceben oerbunben, fteljn bie beiben Dotier «» 
furchtbarften Kampfe, ben bie IDeltgefchichte fah, taufenbfach ift bas Blut beibet a 
en Sdjlachtfelbem bes ©ftens 3 ufammengefloffen. Daburch h°t ö flS Bünbn 
Jgge jftfralte n, öas für alle 3 eiten beftimmenö fein toirö. 


1) Die beutfche Citeratur bes 19.3ahrhunberts. 3°. S. 154. 



Kann Me beutföe Schule bie altgermanifäen Sagen entbehren? Don (Carl 5ranfe 747 

So fpric^t nicht nur bas ©efühl, fonbern auch alte geöanfli^en (Etmägungen für 
ine Begebung, bem Cieb für eine glücke 3u!unft bie Stellung 3 U fid/ern, bie es ft* 
tn ben Hagen fernerer Hot ohne fünftlidje Bemühungen felbft erobert hat, unb es als 
Reuhs* unb Kaiferlieb an 3 uerfennen. ^ierju foll auch öie beutfäe Schule helfen. 
Dann möge es in atler 3ufunft bei Kinb unb Kinbesfinb roeiterflingen, als emfte Rtah* 
nung unb als fto^er 3 ubel: Deutfchlanb, Deutfcfjlanö über alles, über alles in ber tDelt! 


Kann öic öeutfcfye Schule 6ie altgermanifdjen Sagen 

entbehren? 

Dort ffatl $tanfe in £öbau. 

3n ben ©ren 3 boten „3ahrg.73, Rt. 13, S.602—6" oerlangt Dr.Rolanb 
schadet, öafe bie beutfehen höheren unb nieberen Schulen mit bet altgermanifchen 
sage aufräumen, um befto eingehenber fid? mit antiler Sagentoelt 3 U befaffen. Hier* 
jegen hat 3 toar fchon <E. Sontag ebenba Rr. 20, S. 331 Hreffenöes oorgebradht unb 
>en Stanöpunft oertreten, öafe für bie Rllgemeinbilbung einer ber beiben Sagen* 
reife ebenfo unentbehrlich roie ber anbere fei, hoch ben Kempunft ber Stage m. <£. 
rieht getroffen. 

©ne Sage ift enttoeber bie Darftellung eines Raturoorganges, fo bes ©emitters, 
bet eines gerichtlichen (Ereigniffes, fo ber 3erftörung Hrojas, burch bie bicfjterifd? 
imgeftaltenbe Dollsphantafie. Demnach gehört fie 3 toei IDiffensgebieten an: ber 
)olls* ober Staatengefchichte unb ber Didjttunft, ja ift für bie frühefte^eit bie 
in 3 ige Quelle Jener unb ber ein 3 ig überlieferte Reft biefer. Schacht forbert mithin, 
afe öie öeutfdje Schule ber antilen Sage 3 uliebe auf einen grunblegenben Heil ber 
eutfdjen ©efdjichte unb ber beutfehen Citeratur oe^idjte. Hut fie bies, fo fchäbigt 
e eine ihrer Hauptaufgaben: bie her Rationalet 3 iehung, beten Beteiligung, ja 
totroenöigfeit öurdj giehte, Öen greiherrn oom Stein unöPeftalo 33 i, oor allem 
ber burch ih*e geroaltige R)irfung in Öen Befreiungskriegen toohl für alle 3eiten er* 
liefert ift. Denn neben beutfier Sprache unb £anbes!unbe bienen unftreitig beutfdje 
»efiichte unb öeutfdje Citeratur am meiften ba 3 u, eine mahrhaft öeutfie ©efinnung 
1 ber 3ugenb 3 U ermeden. $ür biefe ©rfenntnis hat bas öeutfdje Dol! ein hohes 
ehrgelb ge 3 ahlt. Denn Rapoleons 3u>ingherrfchaft ift mit neben anberen Utfachen 
«i bie losmopolitifie ©efinnung bet gebilbeten Deutfien bes 18.3ahrhunberts 
Jrfiulbet, bie fie für bie fran 3 öfifche Reoolution fchmätmen unb ben „grieöens* 
lifer" Kapoleon als ben (Erneuerer bes Reichs Karls bes ©rofeen begrüben unb 
»herrlichen liefe. Hätte man im 18.3ahrhunbert bie öeutfie 3ugenb aller Stänbe 
:utfinational et 3 ogen, fürmaht öie beutfehen gürften hätten es nicht gemagt, 
loiftifdjer Sntereffen megen ihren Kaifer im Kampfe mit bem ©bfeinö im Stiche 
1 laffen, ja bei Beginn bes 19. fogar auf öeffen Seite unb unter beffen Dorherrfchaft 
; treten. Die einmütige begeifterte dttybrng aller Stänbe unb Staaten Deutfeh' 
abs gegen beffen Beöroher 1870 unb 1914 mar aber öie auffproffenöe Saat öerer, 
e j n unferem Daterlanöe bie Keime ber Rationaler 3 iehung gelegt hatten fomie ihrer 
hüler ber Romantiler unb ©ermaniften, meldje bie Söealgeftalten altöeutfdHer 
ige unb ©efdjichte neu erroedt unb öie H«t 3 cn bet beutfehen 3ugenö für bie Halben, 



748 


Kann Me beutföe Sdjule öie altgermani|d|en Sagen entbehren? 


Me Sprache unö Öen Sang öer Dorforöem entflammt Ratten, jo öafe jene gegen Öen 
$einö mit öem Schlachtruf jtütmte: Deutfdjlanö, Deutjdjlanö übet alles, übet «lies 
in öer Hielt! 

Aderöings haben öie beutfdjen Spulen toie alle djrijtlidjen aud} öie Oeteölung 
öes XTtenfdjentums (griedjijdje Kallitagatljia, rdmijd}e ^umanitas, djrijtlidje (Bottes* 
äljnlidjfeit) 3 ur Hauptaufgabe. Aber öer bejte Surret öaju ijt tootjl öie Bibel, nament* 
lief} in öer fetnöeutfdjen $orm £utl}ers. Aud} jinö öie ijebräijehen Sagen leinesmegs 
in öem ©raöe öet öeutjdjen Dolfsfeele entjd)munöert, tote Sdjacf}t uns glauben m«d}<n 
will. Oie biblijdje Sintflutfage ijt öiejer betannter als öie antite, ebenjo öie non öet 
Gottheit geforöette ©pfetung 3jaats als öie öet 3pfyigenie, Simjons fjelöentaten 
als öie öes Herattes, Daoiös Kampf mit ©oliath als öer öes 3ajon mit öem Dtaeben 
unö öet öes Gljefeus mit öem ITCinotaurus; öenn öas öeutjdje Doltsgemüt empfinöet 
öie ermähnten ^ebtäijdjen Sagen als jittlid} frönet. Doch aud} öie germanijd)e Sage 
bietet Hierfür oiel. Oie reine innige £iebe Siegfrieös unö Ktiem^ilös, öie freue ta 
Burgunöen unö öie ©uöruns tonnen nur oereöelnö auf öes öeutjdjen Jünglings 
fjct 3 mitten, alletöings aud} öie öer Penelope; bodj oiele 3üge öer antifen Sage 
müjjen ein unoeröorbenes jugenölidjes ©emüt anefeln, jo ©öyjjeus’ uneberljoltet 
(Ehebruch mit ©öttinnen, öie geile ©ier Agamemnons nad) öen gefangenen w 
janetinnen, roiemoljl er jdjon ermadjjene ttöcfjter hat unömijjen muj), öafeöunööie 
Kräntung öes jtärtjten unö tapferften öer ©riechen öer ganje Kriegsjug, an öejjen 
Spitje er fteljt, arg gefäfjröet roirö. Achilles jagt 3 toar, öafe er öes Brijes tojige teijen 
Sodjter oon fjet 3 en geliebt habe; aber jeine ©tänen gelten öer oon flgamemnott 
erlittenen Kräntung. Oie Jungfrau jelbjt ijt öem Oidjter jo jeljt tlebenjadje, Ö«B 41 
ihre ©efüfjle gän 3 lid) oerjdjmeigt, ja nidjt einmal iljren Hamen nennt, ©n getan es 
£ieblingsrof$ tonnte nicht gleichgültiger beljanöelt meröen. Unö öann öie Wen 
jcfjänöung £}eftors, öet ein3igen an Siegfrieö heranteiehenöen 3 öealgejtalt un 
ein3igen Dertreters roahrljaft eölen RTenjdjentums in öer gan 3 en 3lias. 
unjete öeutjdje 3ugenö oerliert nidjts, menn öer trotjige unö gtaujame wb > 
Agamemnon unö Öa 3 u öie Bruöermöröerin Uteöea fomie öie Blutjdjanöe öes © 
aus intern ©eöädjtnis entjdjminöen. Aud} tltenelaus öet ©ute unö öie jthöne 1} en 
mären 3u entbehren, jinö aber bereits öeutjdje ©perettenfiguren gemoröem 

$ür öie antite Sage führt Sdjadjt mit an, öafe jidj öie neuljoehbeutjchen fl l' 
für jie entfdjieöen, unö öemnad} muff jie in öer öeutjd}en £iteratutfunöe a * eI 
jomeit befjanbelt meröen, als es öeren Derjtänönis erforöert. Aber ® oe ^ es . 
öidjtung öet 3pljigenie unö ©ritlpar 3 ers golöenes Dliejj jinö nidjt bloj} eI 
jdjungen, jonöetn Oereölungen öer antiten Sage. Aujjetöem ijt öieje feinesmeg 
ein 3 ige ©runölage unjerer Klajjiter; oiele ihrer Schöpfungen beruhen ^ 
manijdjen Sagen, oor allem öie Uteifteröramen IDilhelm Heil unö $aujt. Un • 
öiejes in allen $ajetn echt öeutjdje Otama, gibt uns öie übetgeugung, öaf! ^ 
öet ©horführet öer Romantiter gemoröen märe, menn er öie Befteiungs «9 
öie Begründung öer ©ermanijtit erlebt hätte. Aber auch Uljlanö, Ijebbel, K. 
3oröan u. a. haben öes öeutjdjen Ooltes f} er 3 für öas aus öem 3auberj<hlaf e e • 
Dornröschen öer getmanijdjen Sage roieöergeroonnen. Denn oolljtänbig w ^ 
hatte jenes öieje nie, jo lebte EDoöan nod} in ihm als milöer 3äger fort. 3*5*^ 
cs Siegfrieö unö ©uörun mieöer jeine Kinöer, mährenö tjcftor 3 um ^ un 



749 


Don (Earl 5tanfe 

(fetabgefunlen i». Uni. [o ift au« füt 6as D«ftä„l„,is Set DiAtm, 6a S 19 w 

un ^ nst ■*-* eine - «& 

mi . z Sfiif 

jurausgehenöe Sa|: Oftne Kenntnis öer antifen Sagenroelt ift ein Derftänönis bet 
bilöenöen Kunft m$t möglich. Da& 6ie «rieten unö Römer, wie je# no* öie 
oebTiriTüh DtC me ^ r Sormenftnn unö Derftänönis füt finnige Schönheit Ratten, 
2nö Iln» T ? 3 “' abM Öic ® Cmütss unö ^« 3 ensbUöung melUer 

unö bann ftanöen fie, tme bereits bei Betrachtung öes Achilles unö Agamemnon 

9 r/'w T !' x ai1 CmCt tic ^ eren Stu f c aIs bie ®ermanen, toas fchon CTacitus ein* 
ffj*' S C S 5 on * cit öct weiblichen Seele, öie (Ehrfurcht oor öer $tau, öie fieilig* 
fett öer (Ehe, öas finö altgermanifche Kulturgüter unö ^ 9 

„Deutf<he Stauen, beutfdje dreue, 

Deutf«he Kraft unö beutlet Sang 
Sollen in öer tDelt behalten 
3hten alten fchönen Klang!" 

Schaft, unö öas ift fein ©runöfehler, betrachtet eben öie gan 3 e $rage non öem qam 

SÄ *"*?"? mbenUn »»'• Da 6 fte Me|« «te j.Jau« £ü 
ftanöms öer antifen Sage mistiger ift als öer germanifchen, berechtigt aber nur 3 u 
öer Soröerung, jene auf Afaöemien öer bilöenöen Künfte unö auf Kunftgeroerf* 
faulen emgehenöer 3 u treiben. $ür anöere Künfte trifft öas (Segenteil 3 u, fo feit 

öLTm 9 ?!! 1 ü 1 ^ “Z*”* UnÖ wofil aud? f ör öie Schaufpielfunft. Auf einer Schule, 
_ J m .? C " ftC ÖCt flII 9«ntembtIöung fteht unö nur ein für hoch 3 unö $a*fd)ulen 
... 1 . etei i^ 1 b e $ IDiffen 3 u geben hat, fann aber öie (Erroecfung öes Derftänöniffes 
für ftnnlxche Sdjönheit blofe Hebenaufgabe fein, öie in erfter £inie öer 3eichenunter* 

• rl °1 C ” Schließlich fpticht Schaft noch bie Dermutung aus, öaft mäht* 
|a?emltch ntemanö auf fjotner unö öie antifen Klaffifer Berichten mofle. Dorher hat 

ülr* 1 * Dc f <rf f”' öa & cr in bet 3ugenö fein ©riedjifch getrieben habe. (Er ift alfo 
Ichemenö nicht auf einem humaniftifchen ©ymnafium gemefen unö meiß nicht, 

nnffWKrS 6 " ® ymna f ia f ten ber 60er 3ahre öes oorigen 3ahrhunöerts faft alle 
rtünv ? a « f f « nC £uf{ ' fonöcrn cinc £a f t waren, währenö öer roöchentlich 3 mei* 
SofiHi 9 li eU * ? C R n * err i<ht 3 ®ar nichts Befrieöigenöes bot, aber geraöe öabutch öie 
3* *!“? ÖC " Stf ^ en öer an öen «niDerfitäten aufblühenöen ©ermaniftif 

rr ? a „ fam 1870 öer Krie 9 mit bem führenöen romanifchen Dolf unö hatte öie 
öerherfteüung öes Deutzen Reiches unö öie 3utü<feroberung <Elfaß*£oth* 

3U „ ° l9e ‘ ® ic f c ßymnafiaften, oon öenen Diele alles öas mit erftritten unö 
W»J' e xV n Sranfreid > Wf cn gelernt hatten, hörten nun als Stuöenten, öie 

• 9®ah c if öer griechifch^romifchen Kultur über öie germanifdje fei eine Srtlehre, 
nechen hatten oon Öen Ägyptern unö Babyloniern ebenfo Diel entlehnt, als mir 

J" e " un ^ i)en Römern, auch bie 3ahl ber in öer Schlacht befiegten Seinöe hätten 
! n W^ttaeben unö nie oerhältnismäßig größere fjeete befiegt als öie Deutfchen 
oen durlenfriegen unö Stieörich öer ©rofee. Da fangen öiefe Stuöenten: „Als 

• “ mct W gemoröen" unö „JDas Bilöung, Kunft unö <Elegan 3 ! IDirft ja nie mie 

omer fein, ©eh öu auf anöern Bahnen!" unö muröen ©ermaniften. Sie 



750 Kann bie beuifdje Sdjule bk altgcrmantfdjen Sagen entbehren? Don Carl Starte 

maten öie Rufet im Streit im Kampfe ber Realfdjulmänner für öie Dotijenjdioft 
bes Deutfcfjen in allen beutfchen Sdiulen gegen bie ©ymnajiallehtet, ber fdjlisP! 
bem ©ymnafium bie Alleinberechtigung 3 ur Dorbereitung für bie Unioerfität entriß. 

Als Rlann bin ich 3 u meiner Knabenliebe, ber ®by[|ee, 3 urücfgetehrt; für Knaben 
erfdjeint jie mir fel}T geeignet, ebenfo bie 31ias für Jünglinge, falls man tjeltot in 
ben Brennpuntt ber Betrachtung ftellt, Adjilles unb Agamemnon bagegen in ben 
Statten. IDenn mich aber einer roie Schacht bie piftole oor ber Brujt roablen te;'! 
3 tnijd]en fjomer unb bem Ribelungenlieb, fo Berichte ich ohne Bebenfen auf jenen 
unb hoffe bas gleiche non febem, bet als ©ermanift lehrt unb forfht. 

Seit 2 Jaljrtaufenöen, feit ber 3eit, ba ber gäuInispro 3 ej} ber römifcben Kultur 
unb bes römifchen tDeltreidjs begann, hoben bie ©etmanen bie toid]tigfte Kulturauf¬ 
gabe gehabt, bas gaulenöe nicht blofe ein 3 ureif}en, fonbern neues £eben aus ben Ruinen 
blühen 3 U laffen. Sie allein haben oon ben Böllern in IDefk, Blittel 5 unb Sübeuropc 
ihre greiheit unb (Eigenheit gegen bie Römer feit ber fjctmannfdjladjt behaup e 
unb fo bie oollftänbige Romanifietung unb Sittenoerberbnis (Europas oerpe ■ 
Sie allein haben bas Römerreich geftür 3 t unb gleid} 3 eitig in Britannien ben «m 
3 U einem neuen tBeltreid} gepflan 3 t, bas arifcfje Kultur in alle IDeltteile ta e, 
jeljt aber oor bem Sdjidfale bes römifchen 3 U ftehen fdjeint. ©egen bie oon | m 
unb tDeften nach Europa braufenben Böller jtürme bet fjunnen, IRaaren, Mtcn, 
IHagyaten, Riongolen unb ©ütlen hat bas beutfche Bolt allein (Europas gtet.ei_ ™ 
Kultur befchirmt, ja teilroeife biefe jenen Böllern nicht arifchen Blutes oermi ^ 
Auch haben bie ©ermanen, beren heibnifche Ahnen fcfjon bie ©ötter für 3u 
hielten, um in Sempeln Don IRenfchenhanb 3 u roohnen, ftets gegen ben _ ,nn 
tultus ber Romanen für bie Anbetung ©ottes im ©eift unb in bet IDahrhet 9 e atn ' 
benn felbft bie römifchen Katholüen Deutfd]Ianbs faffen bie Religion c T er 
jene. Da 3 u haben bie Beutfchen bas Recht ber Rationaljprache auf bie an j c ' 
Ridjterftuhl unb bas Katheber nid;t blof} für fich, fonbern auch für alle Bol er 
erobert. Run gab es ja noch nach 1870 Deutfdje, toeldje bie IDieöeraufri! 
Deutfchen Reiches nur für einen greifen Johannistrieb h' c Ü en un ^ mem ß c J . 
unter Rufelanös EDeltherrfchaft halb bie Slaoen bie politifche unb tulture e 5 
(Europas übernehmen mürben. Dafc bem nicht fo ift, 3 eigt ber je^igc u . 

fation, aber nicht Kultur befit$en unfere geinbe, beren IBaffen Bleudjeli m ° r ' ' 

JRifehanblung oon Kinbetn, grauen unb ©reifen, Berftümmelung oon e l ^ 
EDeibetn unb Kinbern, (Ehrenroortbrud} ber gürften unb ©eneräle, heinm h eI ^ 
abfdjlufj gegen uns unter bem Schule ber Reutralität, Böller- unb 3 101te ; 
Derleumbung, £üge, fjeudjelei, Diebftahl unb 3 toecfIofe Bemid]tungoo ^ 

eigentum finb, unb beren Streitmacht bet Abflauen aller IDeltteile .tf* ..j flll5: 
Deutfdjlanbs Rolle als Schirmherr ber greiheit unb Kultur (Europas ift noa} 
gefpielt! IDiebet gilt es, biefe allgemeinen IRenfhheitsgüter gegen Bar a 

©cu.anbeber 3 ioilifationauftntt. u ' 


men, bie je^t umfo gefährlicher ift, ba jie im 


i ©it fflh» 


bähet an einem Pfeiler öeutfdjer Kultur rüttelt, unb ein folget ifr ^ 

öie germanifche Sagenlunbe, ber oerfünbigt fich <ntj>et gefamten Kienlh ^ule, 
Dereblung er hemmt, überhaupt unb hanöelt auch gegen bie Aufga e 
bie ihr oom fosmopolitifchen Stanbpunft aus geftellt ift. unianft®^ 

Auf öiefem ftehen auch ooir ©ermaniften unb toollen nicht nah 


I 



Dos fluslanbbeutfd)tum in rei^sbtutf^en Cefebüchem. Don ©ottfrieö $ittbogen 751 

Slaoenart oollftänöig mit unferen ehemaligen Cehrem, Öen ©riechen unö Römern, 
brechen. Rtit ihnen Sühlung 3U halten ift öie Spe3ialaufgabe öes humaniftifchen 
©ymnafiums, unö hinjichtlich öeffen ftimme idj oollftänöig mit Sontag überein, 
öafe ihm öer antife Sagenfreis ebenfo unentbehrlich roie öer germanifche ift fluch lann 
es beiöe, natürlich 3u oerfchieöenen 3 «ten, mit gleichet Siebe pflegen, wenn es feine 
fetjige Rolle öes Rläöchens für alles aufgibt, öie öodj öie ©ntfteljung non roefentlich 
gleich berechtigten Realanftalten nicht oerhinöert hat unö RTathematit, Raturroiffen* 
fdjaften, 5 röbefcf}reibung unö $tan3Öfif<h mieöet 3U allgemeinen Bilöungsfächern, 
in öenen teine flbgangsprüfung ab3ulegen ift, macht. Dann roitö es für ©halogen, 
Philofophen, Philologen unö ^iftorifer aller Art öie befte Dorbilöungsftötte fein unö 
bleiben. Alle anöeren Sdjulen aber müffen ihren Blid mehr in öie ©egenroart rieten 
unö tonnen öaher toie öie ameritanifdjen öas Altertum nur flüchtig ftreifen. Daher 
tann in ihnen antife Sagenfunöe nur fo meit getrieben toeröen, als es öie Behanö* 
Iung öer ©efchichte unö Siteratur unbeöingt erforöert, alfo noch am ausführlichen 
auf öem Realgymnajium, öann in immer geringerem ©raöe auf öem Sehrerfeminat, 
öer ©ber* unö öer fedjsflaffigen Realfdjule, öer gehobenen unö öer einfachen Dolfs» 
fchule. Da aber auch mandje germanifche Sage öas Sittlichfeitsgefühl oerletjt, oöer 
öoeh feinen oöer nur geringen Bilöungsroert hat, fann fie übetgangen oöer blof) 
geftreift -merben. Dies gilt befonöers oon Öen ausfdjliefjlich norögermanifchen 
Sagen. Denn eine lüden* unö ffrupellofe Behanölung öer germanifchen Sagen* 
tnelt hat nur öie Unioerfität 3U geben. 


Das Ru$lanööeut(cf)tum in reicf)$öeut|d)en £efebücf)ern. 

Don ©ottfrieö $ittbogen in Berlin*Reutölln 

Schon in Öen lebten grieöensfahren mar öie ©rfenntnis, bafe öie Reidjsbeutfchert 
fich in lebenöigfte Sühlung mit Öen Dolfsgenoffen außerhalb öet Reichsgre^en fe^en 
müffen, non einem engeren Kreis ausgeljenb in allmählicher Derbreitung begriffen. 
Rach öem Kriege roirö fie hoffentlich Allgemeingut roeröen. 

Dafj öabei auch öer Schule, insbefonöere öer höheren Schule, beftimmte Aufgaben 
3ufallen, ift auch bereits not öem Kriege oon mehreren Seiten ausgefprochen rooröen.. 
5 s ift einfach felbfteerftänölich, öarüber brauchen mir je%t fein IDort mehr 3U oerlieten.. 
5 s genügt, öafür auf 3mei Schriften aus öem 3 aljre 1913 3U oetmeifen, melche öie 
einfehlägigen päöagogifchen $ragen behanöeln: „Das Deutfchtum im fluslanöe in 
unferen Spulen" oon öem Derfaffet öiefer Seilen 1 ) (B. ©. ©eubner, £eip3ig u.. 
Berlin, 45 S. , RI. 0 , 60 ) unö „Das Deutfchtum im fluslanö unö öie Schule" oon 

1) 3n}toifd}en habe ich meine Bemühungen in oerfchieöenet $otm fortgefetjt. 

3n päöagogifchen 3eitfd}tiften finö foigenöe Auffähe oon mir etfdjienen: Schule unö 
Dolfstum (Die Cehrerin, 1913, Rt. 11); Der Iteuphilologe unö öas Deutfchtum im Ausland 
(Deutfdjes Philologenblatt, 1914, Hr. 21); öas Deutfchtum im Auslanö unö öie ©berlehrer 
(Dortrag, gehalten auf öem Rlünchener ©berlehrertag fflftern 1914, oeröffentlieht: Sofrates,, 
1914 Rt. 6); Die Bismardftiftung (Deutfdjes Philologenblatt 1914, Rr. 25); 5ine Stuöienreife 
fiebenbürgifch'fächfifchet ptofefforen an reichsöeutfche höhere £ehranftalten (ebenöa, 1914,. 
Rr. 42); CEine Säule öeutfeher Kultur im Auslanö (3eitfd}tift für lateinlofe höhere Schulen,. 
1915, Rt. 7/8). 



752 


Das flu$Iani>beutfd)tum in reid|sbeutfd)en Cefebüd)ern 


Streder Roth, (Bie&en, 29 S., ITC. 1 —). Diefe Anregungenhabeneinfteunb= 
lid;es, 3um Geil jeht fteun blich es (Echo gefunden. 1 ) Aber 

Der IDorte finb genug getoedjfelt, 

£af}t mich auch enblidj Säten felpt. 

JDelc^es aber ift bie <Xat, bie jetjt gefcfjeljen mufj? 

Heimen mit an, bie S^ulbe^örben aüer Bunbesftaaten nerfügten einmütig: in 
3 ufunft habe bet Center bes Deutfäen (benn ich fpredje tyet nur oom beugen 
Unteramt, ber aber für bie Pflege bet Dolfslunbe befonbers mistig ift) an treten 
Cefjtanftalten in geeigneter EDeife, etma oon (Quarta an, bet Auslanbbeutfdjen )n 
gebenten, es mürben hierfür auch ffinjelanmeifungen erlaffen. (Ein erfreuHd)« 
Stritt oormärts! Unb bod} — bie Ausführung mürbe halb hapern. Oer ungeheuren 
EUehrjahl ber (Oberlehrer, nämlich allen benen, bie fiefj nicht f<h° n bisher prwatimnu 
biefem (Bebiet oertraut gemalt haben, mürbe bie 3eii fehlen, fith nah biefen neuen 
Stoff anjueignen unb bas Anfhauungsmaterial, bas für bie unterrtdjtliche ” c P an 
lung nötig märe, 3 U oerfchaffen. (Ein allgemeiner Dilettantismus mürbe plajjgteifen, 
auch würbe bie (Befahr befteljen, bafj oiele ft<h — in (Ermangelung non etwas Beffetem 
— bamit befchäftigen mürben, ben Schülern recht niel trodene 3ah|en unb Daten übet 
3ahl unb Bebeutung ber Auslanbbeutfdjen beyubringen — womit benn ein an |i. 
höchft intereffanter Stoff ben Spülern ton nomherein nerelelt mürbe. 

ITtit einer behörblidjen Detfügung allein ift’s alfo nicht getan. (Es nrnfe et l ' 
Dotbebingung bafüt gefdjaffen metben, bafe feber in bet Sage ift, eine betartige 
fügung auch tn entfpredjenber EDeife aus3uführen. Unb hi« nun ftofeen ton auf« 
£üde 2 ) in ber ©rganifation bes höh«an Sdjulmefens 3 ): bie Hilfsmittel 3U W®n ' 
roeldje nötig finb, bamit bie Detotbnungen ber Behörben befolgt werben onn r 
mitb in bet Regel ber prioaten Arbeit ber mit ber Detorbnung Bebauten, a |o 
3 ufall, überlaffen. Das mag häufig fein (Butes haben, in unfeter $tage a ^ t ( tcl< ] f ., 
prinate Arbeit bes ein3elnen nicht aus; eine Stelle, bie über größere mitte tequ . 
mufe hi« bie $üljrung übernehmen. An unb für fidj tönnte man tmcH öaratr oett en, 
Sntereffentengruppen bie Sache in bie fjanö nehmen, etwa bet Derein für bas e ^ 
tum im Auslanb ober ber jüngft gegtünbete (Bermaniftennerbanb; aber es tf o®) 
Rächftliegenbe, bafe eine ber beutfdjen Sdjulbeljörben, etwa bas pteufpfha 
minifterium, bie Arbeit, bie geleiftet roerben mufe, 3roar nicht felbft ausfut? , 

unter ihren Augen ausführen lägt. • c • cs mH 

Das Kultusminifterium müfjte einen geeigneten Iftann, fei es allein, F 
Hilfsarbeitern, beauftragen, bie gefamte meitnerftreute, 3um Heil fhww^Ü 0 ' 
feht nerfchiebenartige Siteratur über bas Deutfcfjtum im Auslanb ^ 

unb aus ihr alle bie Stüde 3U fammeln, bie djaratteriftifch finb für bas teben 

1) Der Befdjlufc bes TRündjerter ®berlel;rettages, (Dftern 1914; abgebrueft 3- 

tes, 1914, S. 325. - fnitftsftö(l en ’ 

2 ) Dgl. 3 U biefer fdjnrierigen $rage audj fl. XTCattljias, Erlebtes unb 3 u 

1913, S. 85 ff. , öes 

3) (Eine anbere Sdjurierigteit befielt bann, bafe bas Sdjufoefen nidjt SacQ ^er 
fonbern ber (R^elftaaten ift. Aber fie Xäfet fid> in Praxis baburd?, bafe ber gr B 

ber größeren Staaten oorangeljt, bie anberen folgen, fo teidjt überunnben, oaß 
weiter bie Hebe 311 fein braudjt. • 



Don ©ottfrieö 5ittbogen 


753 


Sn U ^ CT I in ,? C r! 9e 1 CitUnÖ ® e9enroart ' im ® utc "imBöfett. Dosbiefer* 
g f It ausgefu^te motenol tmrb tn einem Sammelroerf Bereinigt, bas man etma 
„Das flustanööeutfcfjtum m Bilöem" betiteln formte ') 

Biofeer Abbrucf ber Ge f te genügt aber nicht. Um bas Sud* wirtlich brauchbar 

! U , r l * b Z?f X u ? Sto ff qucIIc unö Pfaparationsroerf brauchbar, 3 u machen, find 
jebem flbfchmtt bte. nötigen Angaben - fut 3 unb bünbig - ooramufcfriifen bie 
über bte Derljaltmffe bes beutfcf?en (Elements gerabe in biefem IDeltminfel aufffören- 
jeber em 3 elne 5ejt ift, roo es nötig ift—unb es wirb meiftens nötig fein — mit (Erlau* 

W auch Karten befdjaffen. Kurs, bas gan 3 e 

mnolr^m- 9 , carbc, * ct L e,n ; öafe öcr Herausgeber bem ein 3 elnen Benufeer jeben nur 
möglichen tDmf 3 um Derftanbms gibt; er mufe bem £ehrer alle Dorarbeiten abnehmen, 
jo bafe btefer ohne 3eitoerIuft nur an bie päbagogifche Dermertung 3 u benten hat. So 
mürbe bie Arbeit bes ein 3 elnen allen 3 ugute fommen unb bamit 3 ugleich ein Stücf ber 
©rgantfation getftiger Arbeit, bie auf bem (Bebiet bes höheren Schulwefens noch fehr 
im argen hegt, geleiftet fein. n V 


IDieoiel Hufeen ein folches „£efebuch für (Ertuachfene" ftiften mürbe, liegt auf 
et H fl n. Der £ehrer fänbe hier eine Quelle, aus bet er aufs bequemfte fchöpfen 
tarnt; nicht blofe ber Deutfchlehrer, fonbern auch bet fjiftorifer unb (Beograph, ber feinen 
qu em bas £eben bet Dolfsgenoffen im Auslanb nahebringen min. Auch her f)er* 
ausgeber eines Schulfefebuches mirb es benufeen tönnen. Die Quenenfammlung roirb 
io grofe fein, bafe in ben oerfchiebenen £efebüchern feine (Bleichheit 3 u hetrfchen braucht; 
manche Herausgeber roerben oielleicht auch ihren <Ehrgei 3 barein fefeen, bafe fie für 
thr Buch toenigftens teilroeife neue &ejte begaffen. 

Dem Deutfdhen iefebudj wirb bei ber (Einbürgerung bes neuen Stoffes bie benot« 
3 ug e Stellung 3 ufaIIen. 3m (Betriebe bes (Befdpchts« unb <Beographie«Unterrichis 
mag oft ber Doppel 3 roang bes unerbittlichen penfums unb ber fchnell ablaufenben 
tm tjftunbe b en £ehrer nerhinbern, bei ben Dolfsgenoffen im Auslanb mit bet Gebe 


pn«nr2^ ei j. 9 ^ am * C t.^* 0 ^i** eöet * bet 9 e °9 r aphifchen 3erfplitterung bet Auslanbbeutfd}en 
«ntiptechenö, tn mehrere Bänöe; etwa in ber IDeife: 

im 'i?„° nÖ r ;J-®i tc r 5 rei( h' abcr nur un ter bem ©efichtspunft ber o5Ififd?en Derhältniffe 
bi» r»; x t€ «JKatronalitfitenHnipfe u. bgl.), nach Kronlänöern georbnet, wobei oielleicht 
®ebiete aufeer Betracht blei 6 en fönneh; atfo etwa Böhmen nebft mähten 
unb 5<hle[ten, Subttrol, Steiermarf, Kärnten, Krain, < 5 ali 3 ien, Bufotoina. 

in <;r,L Un9ar /» na ? ® tuppen 9 eorbnet: Siebenbütger Saufen, 3ipfer Sachfen, Schwaben 
or . «i^ a - na *I Batfchta, fehwäbijehe ©ütlei, auch Kroatien), f}ien 3 en (an ber IDeft» 
9 ten 3 e), Deutfche in ben ungarifdjen Stäbten. 

Dow «üs I c , :J-5 u 6 J a ” 6 ' unö 3® ttt öie öaltifchen Prooin 3 en, beutfehes Bauerntum in 
Dolen unb Subrufefonb, bte Deutfchen in ben ruffif^en Stäbten. 

ffi^tiAw a *t Ubr -i 9 ^ «««Pa, unö 3 war bie S«hwei 3 , mieöerum nur unter bem oölfifchen 
„ SS mit befonberer Beachtung ber Derhältniffe an ber Sptachgten 3 e; Belgien, 
reirficb öc " a i teT ! p °I , tifchen ©ren 3 en) bas boöenftänöige Deutfeh tum im Süben unb bie 
reiajsöeutjchen Kolonien in ben grofeen Stäbten 3 u fcheiöen finb; Rumänien, 
i 5 an . . , enthält bas £eben bes beutfehen (Elements in Überfee, unb 3 war 

® tetm 9‘ e Staaten; bas bürfte bet gröfete Heil bes Banbes werben; Kanaba unb fltepfo 
würben wohl nur Stoff 3 u einem Anhang bieten; 

2. Subbrafilien; 

3. bie übrigen aufeereuropäifd}en ©ebiete, foweit fid? ihre Behanblung lohnt; 3 . B. Arqen* 

timen, Chile, Sübaftifa. s 3 

f. 6 . 6 eut(d)tn Unt«rrid|t 29.3af|rg. 12 . fjeft 4 g 



754 


ITod) einmal Schillers (EtU unb bie (Ermorbung ©efjlers 

3 U oerroeilen, öie fic neröienen. Den Stüden öes £efebud)es gegenüber aber fällt bies 
©efüljl öes Drüdes unö öer fjetjjagb fort, Ijier fönnen £eljtet unb Spület roitflii 
einmal in Rufje unö ©elaffenljeit ein Stüd oom £eben öer Auslanööeutfdjen ettoif^flt 
unö fid} mit ihren Sorgen unö Röten oertraut machen. 

Soll aber öie ganje Angelegenheit mit öerjenigen 3 uoerIäffigfeit, bie für bas 
beutfcfje Scfjulroefen felbftoerftänölid}, unö 3 ugleid} mit öerjenigen Sdjneliigfeit, bie 
im 3ntere[fe öes Dollstums erforöerlicf} ift, öurdjgeführt roeröen, [o ijt es unausmeidp 
K4 bafc eine mafjgebenbe 3 nftan 3 fie in öie fjanb nimmt. (Es ift öa 3 U nur ein roenig 
Snitiatiue — unö einige taufenö IRar! nötig. Auf öiefe IDeife fann fdjnell unb getä# 
los eine roid}tige Sache in öie reidjsöeutfdjen £efebücf)er unö in bas Berou|i|ein bet 
mit ihrer fjilfe £eljrenöen unö £emenöen eingeführt roeröen. 


Hod) einmal Schillers Ze II unö öie (Ermoröung ®e|lers. 

Don Johannes Kümmel in £übed. 

Das Urteil übet Schillers ©eil unö feine ©at ift 3 U allen 3eitcn fdjtDanfertö geroefen 
unö roirö es roohl aud} bleiben; immer roieöer roeröen fid} öie Sad;geno||en barnit 
befdjäftigen haben. Radjöem id} früher einmal im3ulil}eftbes26.3ah r 9 an 9 cs 
3eitfdjrift Öen Sdjlufc öes ©eil einer fur 3 en Befprechung unter 3 ogen unb öabei ©eüs üct 
als eine ©at öer Rotroehr gegen ©auöig in Sdjutj genommen hotte, ^at Profeffor (Ernit 
Rieöel im RTailjeft öiefes 3al)res öie $rage noch einmal in gan 3 anöerem Sinne 
öelt. Rad} feiner Auffaffung „tommen für öie Beurteilung ©ells unb feinet ©at w" 
menfd}Iid}e Rüdfidjten überhaupt nicht in Betracht. Dot allem ift es nöllig oerfehtt, no" 
©yrannenmorö ober Rotroehr 3 U reöen, not allem aber ihn einen TTTeudjelnröröer 3“ 
nennen unö öaran Anftofe 3 U nehmen, öafj er (Segler feige aus öent J^interbaü iöid 
©eil foll als öas U)erf 3 eug ©ottes ©efelet töten, öas roitl Rieöel als einjige" { 
roeggrunö unö ©eöanten ©ells gelten laffen. Seine Auffaffung ift 3 n»at eigenartg, 
aber 3ugleidj im hödjften ©taöe einfeitig; fie öarf {ebenfalls nidjt unroiberlegt blcim 

Don öer an {ich richtigen Beobachtung ausgehenö, bafj Schillers Hell im g® 1 !* 
roorttarg, ein Wann öer ©at ift, mad?t Rieöel ausfd}Iiefelid? ©ells ^anblungen J 
©egenftanö öer Unterfudjung, läfet öagegen alles, roas ©eil fagt, unberüd)i. 9' 
Das ift Xüillfür. Aud} überfieht er öabei, öafj öer an fid} roorttarge ©eil bodj g £Ifl 
über feine ©at unö öie ©eöanfen, öie ihn bei öerfelben erfüllten, recht niel fagt, m 4 
großen Rlonolog öes nierten Auf 3 uges, beim IDieöerfehen mit feinem ®eibe unj 
öer Parriciöaf 3 ene. $teilid? läfet Rieöel öie Patriciöaf 3 ene abfidjtlid} unbetü l'd) 
roeil fie erft nachträglich hin 3 ugefügt fei unö mit ihrem R)ortrcid}tum 3 U bem l 0,, i 
U)efen ©ells gar nidjt recht paffe. Rtag öas aud} richtig fein, fo durfte öiefe 
öer $rage nad} ©ells Beroeggtünöen öod} nidjt unbeachtet bleiben. Denn fo oie 3 
ridjtigteit öes Denfens roirö Rieöel öod} roohl unferm Dichter 3 utrauen, bofj eI ® ■ 
in einer nachträglich hin 3 ugefügten S 3 ene feinem fjelöen nidjt plö^Iid? gonj ” _ 
norhet nod} gar nidjt benu^te Beroeggrünöe unterlegen fann. Das ift aud) ut • 
nicht öer Sali, roic öie einfadjfte Aneinanöeneihung ©ellfchet IDorte aus öen Dcr 
öenen S 3 enen beroeift: 


Dort Johannes Kümmel 


755 


D® S«^dbmui4“Ä“IÄi V2; w tl4 „ trtdwt „ n) , te jJJJfrjgg? 


Kinber, 

Auch jeßt; eud} 3U nerteiö’gen, eure 
ßolbe Unfdjulb 

3 u fdjüßen 00t bet Roche bes ^Tyrannen, 
U)iII et 3um Iltorbe jeßt Öen Bogen 
fpannen. 


Oarfft bu ber ©hrfucht bluf ge Sc^utb oet* 
mengen 

Blit bet geteerten ttottoetyr eines Datets? 
Qaft bu ber Kinbet liebes fjaupt oerteibigt? 
Oes herbes Heiligtum befeßüßt? Oos 
Sdjredlidjfte, 

Oos £eßte oort ben Oeinen obgeroeljrt? 
3 um fjimmel beb' i<h meine reinen Ejärtöc, 

-;-©emorbet 

f?«ft bu, icf} f?ab’ mein Heuerftes oerteibigt. 


Srei finb bie hätten, fieser ift bie Un» 
fdjulb 

Dot bit, bu wirft bem £anbe nicht mehr 
febaben. 

tt)cr aus biefer Reibe ftarer Äußerungen Hells nicht erfennt, wie er bie ©tmor* 
ung ©eßlers auffaßt, nämlich als eine Hat bet Rotweht, 3unäcfjft im engeren Sinne 
für bie in Hobesgefahr fchwebenben Seinen unb bann im weiteren Sinne für bas ge* 
fneebtete Daterlanb, ber oerfennt bie aufs beutlicbfte ausgefprochenen flbficbten bes 
Dichters Dolltommen. 


$reilid) ift biefes am ftärfften betonte Rtotio nicht bas einige, bas ber Dichter in 
bet Seele feines fjelben wirffam werben läßt; er läßt auch noch anbere mitfptechen, 
barunter auch basjemge, bas Riebel als einiges gelten laffen möchte, ben ©ebanfen, 
eme göttliche Senbung 3U uoltyehen, als ©ottes U)erf3eug fein Strafgericht an einem 
5teoler 3U oollftrecfen. Allerbings finbe ich bies Biotin nicht in ber fünftlichen Aus* 
egung bes einen Pfeils, ben Hell nur bei fi<h h®be, fonbem oiel öeutlidjer wieber in 
nnet münblichen Äußerung Hells, im oierten flbfcf?nitt bes fltonologs: 

Du bift mein herr unb meines Kaifers Dogt 

ufro.- 

©s lebt ein ©ott, 3u ftrafen unb 3U rächen. 

Somit leibet bas Schlußergebnis ber Riebelfchen Abhanblung, mag fie auch int 
feinen manche richtige Beobachtung übet Heil unb feine Art enthalten, an ©in* 
Jitigfeit, feine Auslegung ein3elner Stellen ift mehrfach gefünfteit $üt bies leßte 
rteil muß ich noch auf 3wei Beifpiele eingehen, ba es fidj babei gerabe3u um Angel* 
unfte feiner gan3en Unterfudmng hanbelt. 

Aus ben wenigen Schlußworten ber fünften Strophe bes Rlonologs: 

3 <h h°be feinen 3roeiten 3U oerfenben, 

cfinnt fich Riebel eine gan3e, f)öchft bebeutfame hanblung Hells: Diefer habe in bem 
»ebanfen an feine göttliche Senbung unb in ber Abficht, eine nochmalige Probe auf 
eren ©ewißheit 3U machen, feine Pfeile fämtlich bis auf einen weggeworfen, um 
eidjfam alles auf einen IDurf 3U feßen, ein unmittelbares ©ottesurteil gerabe3u 
- , raus3uforbem. Unb er 3iebt als weiteres Beifpiel foldjer fjerausforberung eines 
ottesurteils Hermanns ^anblungsweife am Schluß bes 3weiten Aftes oon Kleifts 
ermannsfchlacht heran, wo biefer mit ooller Abfidjt ebenfalls nicht brei, fonbem nur 
nen Boten mit ber entfeheibenben Botfcbaft an ZRarbob fenbet. Aber abgefeßen ba* 
m ' öa B üiefe immerhin etwas ausgeflügelte Qanblungsweife bem fomplyierten 
jarafter bes ©herusferfürften oiel mehr entfpricht als ber fdjlichten Denfweije Hells, 
liegt ber entfeßeibenbe Unterfcbieb beiber Stellen bodj eben barin, baß fjermann, 




48* 









756 ttodj einmal Schillers (Cell unö öie (Ermorbung (Seglers. Don 3 <>gannes Kümmel j 

be3iehungsmeife Kleift, Öen oben ermähnten ©ebanfen mit öeuttidjen IDorten «us 
fpridjt, roährenö Schüler leinen 3 u^öretn ober Cefem geraöe3u ein Hätfel aufgegeben 
fyätte, roenn er mit öem angeführten Detfe öas hätte ausötüden toollen, toas Rieiwl 
hineinlegt; öenn im gan3en Drama finöei ftd? fonft nicht öie Ieifefte ^inöeutung auf 
ein foldjes Ijanöeln Seils. Ittan roirb Öen Ders alfo anöers ertlären müffen, 3. B, fob i 
genbermagen. Hell roenöet fich in öem genannten flbfchnitt 3ulegt an feine Bojen' 

Rur jegt noch halte feft, öu treuer Strang, 

Der mir fo oft Öen hetben Pfeil beflügelt; 

(Entrann’ et jego fraftlos meinen Ijänben, 

3 dj höbe leinen 3toeiten 3U oerjenöen. 

fllfo: wenn öie oft erprobte Sehne ihn fegt im Stiche lägt, ö. h- beim Schaffe jcmV 
ober öurch plögliches (Erfdjlaffen ihre Spannfraft oerliert, fo !ann er feinen jroeiten 
Pfeil mehr abfcgiegen, öenn 3um neuen gediehen öer Sehne toeröen öie Derfolger 
ihm feine 3eit laffen. 

Die anöere Stelle ift öas ©efpräd? Seils mit öem $lurfchügen Stüffi. Dief« tP 
3ählt non allerhanö IDunöeröingen unö fügt hit*3u: 

Ulan beutet’s auf ein groges Canbesunglüd, 

Auf fdjroere Säten miöer bie Ratur, 
toorauf Seil antroortet: 

Dergleichen Säten bringet jebet Sag; 

Kein EDunberjeidjen brauebt fie 3U oerfünben. 
hier öenft fich Rieöel als Seils (Beöanfen hin3ugefügt: „Aber menn bet hfltmlojt 
frieölidje, menfchenfreunölidje Seil fich entfliegt, öen Dertreter feines h errn ^ 
Kaifers meuchlerifch 3U ermoröen, fo müffen alleröings RJunöet unö 3 ei<h cn ®°^ fI 
eintreten." Rad; Rieöels Itteinung empfinöet Seil alfo einen ©egenfag 3U>if<h cn ^ elt 
oon Stüffi ermähnten „ferneren Säten miöer öie Ratur" unö feinem eigenen Dof 
haben; öiefes müffe alleröings öurch H>unbet3eichen norget angefünöigt roeröen, 
jene nicht, fluch bies ift oollfommen migoerftanöen. 3 m ©egenteil rechnet Seü |* | 
'l Dothaben mit unter öie „fchmeten Säten miöer öie Ratur" unö meint gerabe bie w* 
oorftehenöe (Ermorbung (Seglers mit öem oerallgemeinernöen IDort: „Deigfofl® 
Säten bringet jeöer Sag." Darin liegt ja überhaupt öas (Eigenartige btefet gon}* 11 
Unterreöung, öer 00m Dichter mit berougter flbficht herausgearbeitete (Begenja?, 1 
öag öer reöfelige $lurfchüg harmlos öarauf los plauöert, mäfjtenb öer gan3 oon feinem 
Rtoröplan erfüllte Seil jeöe flugerung öes anöeren auf fein finfteres Dorhaoen 
3ieht unö mit beöeutfamem (Ernft beantmortet: 

Unö oft fommt gar öas eine 311 öem anöern. — 

-fe fteljt nichts feft auf Sröen. — 

% Dem Sdjtoadjen ift fein Stachel auch gegeben. — 

Dergleichen Säten bringet jeöer Sag. — 

Ss fann öer $römmfte nicht in $rieöen bleiben, 
tDenn es öem böfen Hachbar nicht gefällt, — 
unö enölich au f bie Stage, ob er hier auf jemanö märte, öas beftätigenöe, furje 0 
„Das tu’ ich", öurch meines bas inhaltlcere „marten" öes $lurfchügen, für ötefe« » , 

berougt, aber oon bem 3uhörct mogl cmpfunöen, öie oiel inhaltreichere, DH ’ a . n l ein : 
»olle Beöeutung öes fluflauems belommt, fo öag öas gan3e ©efptäth mit 
tut3en flbbredjen einen beöeutfamen, muchtigen flbfehlug erhalt. 1 



Beiträge 3 um mitteli,ocf,&eutf<f,en Unterricht im ©gmnafium. Don Cuöroig ntaöer 


757 


Beiträge 3 um mitte^äeut^en Unterricht im ffiqmnafium. 

Bon Cuöioig IHaöet in Gffen. 

CI cc (Sortierung non S.712 unö SAtufc.) 

»•" “?* ^ ctI ? 0 öc bet grammatifchen Befprechungen. 
llt ,7 aS ' ft nun überhaupt oon bet mittelljodjöeutfdjen ©rammatif im Unterriebt 
3u befptechen, unb m melier Weife unö wie weit ift auf bie Cautoerf^iebungsgefebe 

uElrL r < S emcincn Iommt es W« * im fonftigen fpradflid^n 
ba * }°£ ® cra9cr auf öas ro i CDieI an > “>enn Derftänönis unb Ciebe 
für bas Wefen unb Werben ber ITtutterfpradje erhielt werben foll. 3* befpreAe 

ri^tige^alte ***** Rci * enfol9C ' roic id > cs bn Sad?e entfpredjenb für bas 

. l' Ha ? Ö ^i C mittc ^ od?öeut f cf!e flu sfpta^e flargemadjt ift, gehe man fu« 
f bas Derhaltms ber mittel^oc^beutfdjen Caute 3 u ben neu^odjbeutfdjen ein. 

m , r L r?t b u- ? ta9 *ex Ö)as .J t aus öcm mittelhochöeutfchen ä geworben? Unter 
»el^en Umftanöen ift es nicht gebest worben? ITtffb. sägen lautet beute sägen 
ebenfo name name, klagen klagen ufw. Das hängt mit bem Cautwert bes e in ber 
(tnöftlbe 3 ufammen. 3 m fütljotfjbeutfäen ein ooller Dofal (namo, sagen) ift es ftufen* 
roetfe abgefdjwädjt worben: im mittelhochöeutfchen ift es ein fur3es e (aber noch 
mit tton), im Heu^ocfjbeutfdjen ift es 3 u einem fogenannten murtneloofal berabge* 
unten. Dementfprecfjenb, gewiffermaßen 3 um Ausgleich wirb bie erfte Silbe per* 
langert. Wan Iaffe feftftenen, ob bie Dolfsfprad?e biefe Detlängerung bes a öurch* 
ge^nbs nutgemaebt hat. Da finbet fxd? r baß bie flusfpradje (unb bas ift wieber be= 
3 etd}nenb) bas fu^e a oielfad? in einfilbigen Wörtern feftgeljalten bat (Bäd, Tag 
u|o>.); ba war fein ffirunö 3 ur Anberung oothanben, aber Tage, Bäder, Ähnlich ift 
cs mit ben anbern fur 3 en Dofalen gegangen. Wo ein DoppeUonfonant folgte, ift 
otc Kut 3 e geblieben. 1 

flr+f, aIIeS mü ^ cn öie Sd i ÜIer finöen, foweit es eben möglich ift- U)o bas „ 
tbocpbeutfdje ober ©otifefje 3 ur (Erflärung beiträgt, fdjreibe man bie entfpreebenben 
normen an öie {Tafel. 

mA 0i * Ian 9 cn D °fale, 3 . B.! (Rin, bi, rieh), ü (Üz) finb meift Diphthonge ge* 
oröen. Warum nicht bie Uachfilbe -lieh? fjier haben wir wieber bie Wirfung bes 
hoajtons, bet auf ber Stammfilbe ruht, 3 . B. hSrlich: herrlich. Wo lieh Wu^elfilbe 
I unb öemgemäß ben Af 3 ent hat, entwicfelt es fid? regelmäßig 3 u ei, 3. B. geliche 
’ , ’ Leichnam, mhb. lichame. (Dgl. im ©riechifdjen bas Derhältnis oon Xtlxtiv 
f« a iTtsiv, im Catein cado 311 cecidi!) 

U ff'i? Cni3Cr eitt9tei f enö f inö öic Unterfchiebe 3 wifchen Wittelhochbeutfch unb 
1 ’l!?.: ^ ^ ert Konfonanten. Uur eines wollen wir als tijpifcfj herausgreifen: 
tc twicflung bes s. mit Anfnüpfung an bas häufig »orlommenbe snell fdjreibe 
an noch einige Wörter mit s + Konfonant als Anlaut an öie Safel: slange, swert, 
!? le f* n ' ^ aS mittetho^beutfehe s oor allen Konfonanten 3 u sch geworben? 

9 « € ^ eit ** CU * C no< ^ ^tein, Spiel, fpredjen aber Schtein, Schpiel. Wie fommt 
as. Dor t unb p hat fich offenbar sch ftati s in ber Ausfpradje am fpäteften öurcfj* 



758 


Beiträge 311m mittelf}od)öeutfd)en Unterricht im (Bqmnafium 




gefegt, in Horbbeutfcßlanb ßat fid? oielfacß bas alte s bis ßeute gehalten. Dos kt 
biej 5 cßtift beeinflußt. Dor allem ßat aueß öie Beßanblung oon s + Konfonantm 
Snlaut ißren (Einfluß geltenb gemalt, fjier lommt faft nur öie Detbinbung st uni 
sp not unb mit fpreeßen 1 ) unb feßteiben im allgemeinen ßeute lispeln, fattea 

4 . Titan geße nun gleicß 3ut Befprecßung bes Umlauts über, mit flnfnüpfuiK 
an früher ©elerntes. Daß et auf bie EDirfung eines utfptünglicß folgenben i 3utüd= 
geßt, ift feßon oon ©bertertia ßer betannt (Tag: täglich, Stunde: stündlich), flu*, 
baß es im ©tieeßifeßen äßnlicße ©tfeßeinungen gibt (cpuv\a: cpaCva <p 9 -£(>jco:gtff /(4 
Itcu ba3u fommt jeßt, baß im Utittelßocßbeutfcßen bas abgelautete a oielfadj als e 
(gefeßloffen) erfeßeint. ©in braueßbares Beifpiel ift gleicß: Attila: Etzel. IRanlojl« 
anbere Beifpieie aus bem Uibelungenliebe banebenftellen: edel: Adel (aßb.edili), 
erbe: got. arbi, beste: got. battists, ende: got. andeis. Das ©otifeße 3eigt öieDolale 
oßne Umlaut, im Altßocßbeutfcßen tritt er feßon ein. U)as ift ber ©tunb in onf 
fälligen ©tfeßeinung bes Umlauts? Ulan laffe bie oetfeßiebene Art ber Utunböfß 
nung bei a e i ober o ö i beobachten, ba ergibt fiefj, baß bie umgelauteten Dolde 
eine 3 tr>ifcßenftellung 3roifcßen ben einfachen unb i oorausfeßen. Der ®runb f« ! 
bie Umlautung muß alfo ber fein, baß bie Utunbftellung bes folgenben i feßon oor 
ausroirtt. Auf ben Umlaut 3Utüd3ufommen, roirb fictj oft (Gelegenheit bieten, etw 
roenn es gilt, einen etymologifcßen 3 ufammenßang auf3ufläten, 3. B. bie 3 u 9 e ^^' 
teit oon Mensch 3U Mann (aßb. ßeißt es mennisgol). 

5 . Dorlaufig begnüge man fidj bamit, bie TDitfung bes Umlauts in ber S oimcn 

leßre fefeuftellen, foroeit bas Utittelßocßbeutfcße 00m Heu(jo^beut|(ßen 
abroeießt. ©leid; Hibelungenlieb 12 ßeißt es von des hoves krefte. Das iM at 
sing. 3U kraft. Urfprünglicß toar ein i itn]Auslaut oorßanben, bas IDort gehört i“ 
ben i*Stämmen. Um es anfeßauließ 3U maeßen, feßreibe man bie altßodjbeu j , f 
Detlination bes]U)ortes an bie^afel NA. kraft, G. krefti, D. krefti, plur. NA. krefü. 
G. kreftio, D. kreftin. ©ine Reiße oon $emininen geßt fo im ItTittelßocßbeutf.en 
3. B. burc (bürge, Hib. 20 ), vart, gewalt, arbeit, ferner bie EDörter mit -heit, - 61 
-schaft (eigenschaft, gen. eigenschefte). Hefte biefer ©tfeßeinung finb noch 0 
Heußocßbeutfcßen oorßanben: auf bas bürge in 'Bürgemeister’ habe ich oben out 
merffam gemacht, unfet behende ift bi hende 'bei bet fjanb’. Sonft finb bie w" 
gelauteten Kafus bureß Ausgleich 3um ©eil 3erftört (feßon im Ütittelßocßöeutfa?« 
ßeißt bet Datio neben krefte aueß kraft, Hib. 11 ). Ulan laffe bie Scßüler ben W 
biefes Ausgleiches felbft finben: toas in ber Bebeutung eine ©inßeit ift, bräng 0 . 
naeß lautlicßer ©inßeit, alfo aus vart, verte roirb $aßrt, plur. $aßrten. ,c * 
gleicßung !ann aber aueß oon ber entgegengefeßten Seite ausgehen, bann roit j 
plur. verte ein sing, mit e gebilbetjunb fo entfteßt neben '$aßrt’ als DopPj‘1 
'bie $äßrte’, bas bann eine ehoas geänberte Bebeutung annimmt. Ulan a 5 
ließe Solle fueßen: Stabt — Stätte. , . „ eu 

6. Auiß unter ben Abfettioen finb bie jo=Stämme 3aßlreicß. Daher bis ms 
ßoeßbeutfeße ßinein bet Umlaut: laere leer, schöne, vremede ufro. Abioei ? 
Dom Heußocßbeutfcßen oor allem in ber Hacßfilbe -baere (aßb. bäri), bane en 
bin gs aueß fe ßon im Ulittelßocßbeutfcßen -bar, bann aueß in Stammfilben s 

l) -* n fübroeftbeutfdjen Dialetten, 3. B. in ber Pfaß, ift aueß im 3nlaut 001 
oas s 3 u sch geworben: faschten, Haschpel ftatt fasten, Haspel. 





Don Cubroig ITtaber 


759 


fanft (ogl. bie Sänfte), herte (Itib. 433 , 3 ) h«rt. tDi^tig für öie teftüre ift nun, 
ba& bas geilen bes Umlauts bei ben 3t>)eifilbigen flbjeftioen bet jo^KIaffe bas Ab* 
oerbium ettennen läfjt, alfo 3U schoene, senfte, enge, herte, veste feigen bie Ab* 
oetbien schöne, sanfte, ange, harte, faste, infolge biefer lautlichen Diffeten3ierung 
ift im Spradjbetoufjtfein bas ©efüljl bet 3 ufammengehörigfeit non *feft* unb *faft’, 
'fchön’ unb 'Jctjon’, 'eng’ unb 'bang’ naheju gefdjrounben. 

7 . 3 m Detbum 3eigt fiefj bet Umlaut abroeichenb oom Heuhochbeutfchen not 
allem in bet 2 . sing, praet., 3. B. ich nam — du naeme, ich gap — du gaebe (man 
fchteibe bas altljodjbeutfdje Patabigma an bie (Tafel: nam nämi nam nämum nä- 
mut nämun). gut bas Uibelungenlieb ift bas alletbings roemger roidjtig, im tDalther 
fornmt bie gorm öfter not. Auch in ben neuljodjbeutfcfyen unb mittelhochbeutfchen 
JdjtDadjen Derben roie brennen, hören, füllen ufu>. ift bet Umlaut natürlich auf ut* 
fprüngliches i 3utücf3ufühten. 3 m ©otifdjen Reifet es brannjan, hausjan, fulljan. 
Das praet. lautete im ©otifchen brannida, hausida, fullida, aber bas i ift 3um ©eil 
fdjon fe^t früh ausgefallen unb batte nicht mehr bie Kraft, Umlaut 3U beroirfen, 
rote et im praes. eingetteten ift. Piefes Behältnis ift im lUittel^oc^beutfdjen noch 
reiner geroa^rt als im Reuljochbeutfchen: brennen — brannte, hoeren — hörte, 
füllen — füllte, müejen — muote (Uib. 44 , 1 ), vürhten — vorhte (Uib. 42 , 4 ), 
denken — dähte. Diefer fogenannte Rücfumlaut beim Derbunt ift eine ähnliche 
(EtfMeinung, roie roit fie im Behältnis ber Aboerbien 3U ben Abjeftioen beobachtet 
haben. (Ulan oergleiche griech. Analoga: pualvfo-kyilava, ipaivm-cpavcb.) 

8. Hach bem Botausgehenben haben roit alfo im IUittelho<hbeutf<hen ein e, 
bas butch Umlaut aus a entftanben ift. ©ibt es nicht auch ein ältetes e, bas inbo* 
getmanifchem e entfpricht? ©leid} bas U)ott degen (ahb. degan) beantroortet biefe 
gtage. Denn es entfpricht bem gtiechifchen xsxvov (roie fpäter nachgeroiefen roitb). 
Diefes e ift im Unterf<f}ieb 3U bem anbern offen unb pflegt mit e b^eichnet 3U roetben. 
Die Unterfcheibung ift im ein3elnen oft fdjroet unb nur butch ben etymologifchen 
3 ufammenhang ermöglicht. 3 n beftimmten gällen roitb biefes e 3U i, roas in feinen 
Uachroitfungen bis ins Ueuhodjbeutfche geht: lefen — lies, feljen — ©efidjt, Berg 
— ©ebitg, pflegen — Pflicht ufro. Um bas 3ugrunbe liegenbe ©efeh 3U finben, 
mu& man auf bas Althod}beutfd}e 3Utücfgreifen. Ulan fchteibe einige IDörtet an 
i)ie (Tafel unb laffe baraus bie Regeln ableiten: sezzal Sit} (sedere), lögar taget 
Utyos), geba ©abe, geben geben, degan Degen, aber ventus wint tDinb, xivts 
imf fünf, berc — gibirgi, wert — wirdic. Daneben fchteibe man ein Beifpiel bet 
ilthodfbeutfchen Konjugation im praes.: nimu nimis nimit nSmetn nömet nemant. 
Daraus ergibt ftd}, ba& oot i unb u in bet folgenben Silbe, aufoerbem oot Uafal + Kon* 
onant e 3U i roitb. 1 ) 3 m Rtittelhochbeutfchen finb bie oollen Dofale bet ©nbung 
tbgefdjroächt, aber bie tOirfung ift geblieben: ich hilf e, du hilfst ufro. (Erft im Ueu* 
>od}beutf<hen ift bas alte Derhältnis 3etftöri Befonbets roichtig ift bie 1 . sing., 
oeil fie oom Ueuhochbeutfchen abroeicht: ich gibe, ich nime, ich lise, ich sihe. 

9 . tDicfjtig für bie Konjugation ift femet bas Dethältnis oon u 3U 0. 3 n ben* 
eiben gällen, roo e 3U i rourbe, hat u {ich gehalten, toähtenb es fonft 3U 0 gerootben 

1 ) fluch in anbetn inbogeimanifchen Sprachen ift e unter bem (Einflufj eines folgenben 
3U i gerootben: sllva — IXos, — ebenjo oor Uafal + ©uttural: tingo — xeyyoi, singuli 




760 Beiträge 3 um nuttelt>0(f|6eutftf,en Unterrid/t im «t/mnaftum 

?*■ ^ a " f lQ ![ c öen Pfyyfiofogifdjert ©runb ber beiben ©efefce finden, inöemtnanDsn 
c 0 arci P c * e 3 o ii ausgeljt: i unö u f/aben beide eine Meine IKunböfjnra, 

iimf T* 3 9 r dfjter £ippenöffnung. (Es ift nun a^nlidj roie 6 hg 

Umlaut: öer Rtunb fuefjt not einem fommenöen i unb u fcf/on die entfpreMi 
nnung an 3 unel/men, aus einem e roirb alfo beibemal ein i, roäl/renö ein uijpririf 
„es “ Doretnem i unb u bie Heigung l?at fidf? 3 u galten unb oor a fid/ 3 u ber a# 
ng es unbes l/inge 3 ogen fül/lt. Daraus toirb bann o.‘) (Ebenfo uerbält [i4 
u 3 u le (a er io), alfo du ziuhest (Hib. 14, 3), tueif es urfprünglidj ziuhist bei. 

gegen re3. plur. ziehen, aijb. ziohant. Huf biefen IDed/fel roirb man imma 
roieoet bei ber Konjugation 3 urücttommen. Die Rad? toirfungen find nod? ^eut< 
t*- k” C1 ?- J f teuc ^ un d ffeugt’ (mf/6. vliuget, aber 3nf. vliegen). Audi ber Unter 
|d)teö tn fted} unb Seuche, bieten unb Beutel (biutel) ift nid/ts anderes. 

m ff. tan " man 3 U dem ftarfen Derbum übergeben. 3unäd/ft mitM# 
9 I e , a ß im ZTTittell/od/beutfd/en abroeid/enb oom rteufyodjbeutfdjen oier Kenrn 
Tormen 3 ur Bilbung eines Derbums biefer Art nötig finb. Auf ©runb bereits mp 
ge ommener unb ins f/eft eingetragener $ormen (toie erkrummen, sprangen, ge- 
nnen, gewann ufto.) roirb bas Parabigma aufgeftellt: singen sang sungen ge- 
K1(i ^ en ' nn S e " nroort der Klaffe fd/Iage icf/ oor: singa sungum. Ulan erfennt biefe 
,ober £iquiba + Konfonant. Alfo aud; sterben, werden u.^ 
^r?° r o n ?‘ er 5 et - Unö i e # *«teii bie obigen ©efefce in Kraft: wie Reifet bie 1. Sing, 
hpno 'm Ir 6 ’ y irde ^‘. ®' e das partic. praet.? tDarum geworden, gestor- 
r a . r ^ m ’ n Sln £ en bas i burd/ bas gan 3 e Präfens burdj? IDenn bie 
« e . f ^ e defannt finb, bieten biefe Stagen feine Sd/roierigfeiten mel/t. Gi« 
* * ü 0d? ,m Heu ^ od )deutfd}en oorljanben, bas bie Klaffe gan 3 rein darf» 
f. A W9 . r . w “ rde ? ^worden, (tjeute allerbings ift bas ward fdjon faft oerbrängt 
«..jj, L1 ^. e '} t , Adrigen bat ber Ausgleich 3 erftörenb gecoirft, roenn ni^tftarfe 

7wit«Pi!p ÖtC ! te $0rm 9< ^ aIten faben roie ber Reim in Wie die Alten sungen. 
zwitschern auch die Jungen. 

"•®?t ^otftörenb ift bie tDirfung bes Ausgleid/s in ber II. Hblautflaffe ge- 
aehntrpn^o*? 61 ^« 65 blege bog gebogen - im lUittelf/od/beutfcf/en biuge bouc bugen 
LJ Lf U n U ? 0t öa$ praet in Qetoiffen $ällen Ö: 3 . B. schoz, doz. IRan fchreibe 
in ber Ce«" 16 r et ^ en d« Klaffe an bie (Tafel, aud? toenn fie 3 ufällig noch n4 
»ne x r..! 9 f e0ne * fcf?on um * 3ufammenljänge 3U oerftc^en, für 

— rnnrh % 9 . at13 DerIoten gegangen ift: stieben — stoup (Staub!), riechen 

aeüht m p b ‘ egen ~~ bouc (Baud/!). Aud/ 1/iet mufe befonbers bie 1.W 

bugen, a6n Wir biegen <■»«“"•?)• n>esf,alb «t « l«» 1 

7, m A^rT 15 ‘ fl r ^ öa f s 1De f en des Ablauts im übrigen ge^t man f?icr nod/ nieftt ein. 
roerben in o" Ö ?c! S ? nUt öarum ' die ein 3 elnen Klaffen fennen 3 u lernen, unb(o 
bebunn bprr i un den bie übrigen fur 3 befproef/en, immer mit befonberer 
Kem" 9 ! en ' r roaS f ‘ e DOm Beu^od/deutfcf/en Reibet. $ür jede Klaffe toirb ba> 
SäS 6 '! 96 ^^“" 0 Öan " mit flnIcI ?" un 9 «n^ein RTufterbeifpiel bas Stid/^ 
fjtgef tellt, b as bie (Einprägung erleid/tert: 1: stigeistigim, II: biugoubugo, !»• 

1) man nennt bas affimilatorifd/e Sernmirfung öer Dofale. 



Don Cuöroig ITCaöer ygj 

climmaklumus, IV: stilastilom, V: gibagäben. Klaffe VI ift oßneßin leicht 3 u 
ner!en, ba fie ficfy mit öem tteuljodjöeutjcfjen öectt: fare fuor fuoren gefaren. (Ebcnfo 

»ie VII. Klaffe (Me urfprüngtieß reöupl^ierenöen 1 2 ) Derben), lenntlicß an Öem ie öes 
fmperfeft: valle viel gevallen. 

16 . man Bilöe öann ©ruppen, etroa unter folgenden ©efießtspunften. 3 n roelcßen 
«offen weicht öer 3 nfinith> non öet 1 . sing, ab? tDo unter allen Umftänöen, mann 
intet beftimmten Dorausfeßungen? Später, roenn öer grammatifeße tDecßfel unö 
er Ablaut öurc^genommen finö, ergeben |icß nocß andere Gruppierungen: meldje 
»ofalunterfcßiebe finö als jüngerer, roeldje als älterer Ablaut an 3 ufeßen? 3 n meldet 
Deife hat die ©ntroicflung öet Sprache öie lautlichen Differen 3 en eingefeßränft? 

17 . Don Öen praeterito-praesentia roirö man weiz, kan, darf, tar (»aggial) 
lac unö muoz 3 ufammenfteIIen unö Öen Schülern fagen, das finö ftarfe Derben, 
an 3 regelmäßig gebildet: melche $orm tann es alfo nur fein? ( 1 . praet.). mit ßilfe 
on novi olda mirö dann öer Begriff öer Derba praeterito-praesentia feftgeftellt. 
un Iaffe man finden, nach welcher Klaffe öie ein 3 elnen gehen unö roie öer plur. 
ebilöet mirö, alfo 3 . B. weiz = steic (I. demnach plur. wizzen, part. gewizzen 
>och mirö dies als Aöjettw oermenöet unö ift oerörängt öurch gewist). Überhaupt 
ßt fich gleich fcftftellen, daß Diele $otmen abmeichenö gebildet finö. 

Bei tar muß, roie 9 aggia 3 eigt, für das praes. ein 3 roeites r angefeßt meröen. 

»ift alfo ein Stamm mit Siquiöa + Konfonant, alfo plur. turren, mie brinne bran 
unnen. 

Sürs erfte genügt das an grammatifchen Kemttniffen. (Ein tieferes Derftänönis 
anchet (Erfcheinung ift nur möglich, menn man öie großen jtautberoegungen fennt, 
e das ©ermanifeße oon öer inöogermanifchen Urfpracbe her öureßgemaeßt hat. 
iefen menöen mir uns jeßt 3 u. Dorßer aber müffen öie einfaeßften Begriffe öer 
tutbilöungsleßre befproeßen unö gellärt meröen. 

18 . Hur auf öas Hotroenöigfte fann natürlich eingegangen meröen. Dor allem 
darauf Kacßörucf 3 u legen, daß öer Schüler eine llare Dorftellung oon öem Saut* 
yfiologifchen hat.*) man begnüge fich nicht mit einem bloßen terminus, etroa: 
ift ein ejplofroer Konfonant, fonöern laffe auf ©rund öer Selbftbeobacßtung 3 u= 
<hft befeßreiben, öann nielleicßt an öer (Tafel 3 eigen, mo unö mie ein n gebildet 
tö. Dielfach wirb man ja aueß auf Dinge 3 utüdgreifen fönnen, öie im neufpraeß* 
len Unterricht geübt morden finö. tDas ift ein Konfonant (öas geßt uns 3 unäcßft 
)? (Dem Cuftftrom [teilt fid) ein IDiöerftanö entgegen, öer überrounöen mirö.) 

welcßer Stelle unö mit roelcßen ©rganen mirö öer IDiöerftanö gebildet? $erner 
amt in Betracht, ob öie Stimmbänder mitfeßwingen oder nießt (ftimmßaft oder 
ttmlos) unö enölicß, ob ein tatfäcßlicßer Derfcßluß ober nur eine Derengung 
; munölanals überrounöen mirö, menn öer Cufiftrom entroeießt. (Derfcßlußlaute 
5 RMbungslaute.) ©Ieicß 3 eitig mit öiefer ©rörterung entfteßt an öer IDanötafel 
belannte (Tabelle: 


1) An einem got. Beifpiet 3 eige man öie alte Reöuplitation: haitan, haihait, mßö. 
:en, hiez. 

2) (Es ift roünfcßensroert, öaß TRoöelle oder flare 3ei<ßnungen 3 ur Beifügung fteßen, 
fie Dielfach int ßanöel 3 u ßaben finö. 



762 


Beiträge 3um mitteIhodjbeutfd)en Unterricht im C&qmnafiuin 


(Enge 

ftimmlos ftimm^aft 
f b 

f> 4 

ch 


Derfdjlufj 

ftimmlos ftimmhaft 
uppertlaute . . . p b 

3 ahnlaute . ... t d 

Gaumenlaute . . k g w . _ 

?'l^?* ran * c ” man * n öer Tabelle 3unäd}ft unausgefüllt; macht man Öen Der 
jj" ' ,c a ” f.f, r ^ en 3U öüöen »ie öie entfpredjenbert Derfdjlu&laute, iw 

. ™ a " £au k entfteljen, öie mit Öen in unfetem Alphabet oot^atf 

oenen |id? nicht gan3 öeefen. So roitö f nicht genau an öet Stelle gebildet oie p ri 

r v» e ” tfptC< ^ CnöC S P itant ® ci ft auf öas englifdje th ufm. flnfdjauli^ 
(»J a s f . ® a ,^ e ® c finö fchematifdje Zeichnungen öet IRunööffttung, toobei üc 

Srf" C fin6 ' roie f ic bci einem beftimmten £aut (ich fteHen. $fit f# 

uns at • * £autta f eIn »othanöen fein. Wichtig ift oor anöerm auch, bafe Spiranten 
!" “ff" ausemanöergehalten roeröen. £e$tere finö fchatfe Derfdjlublaute mit 
tWAT m C ^ et ro ' e * n Pe * n ' ^enn «>« öas » fefjarf ausfpte^en. flffrifaten |W 
uerfdjiu&Iaute mit fi<h anföliefeenben Reibelauten öerfefben Art, alfo pf, kch. 

T v CautD erf«hiebungsgefehe mirflidj öen Spülern in Steift«* 
hm-f ae ^ t9 m, en ' öan " böt f 0111 Stritt für Stritt oorgegangen werben, unb oor allem 
borfL«.«! un 9 nicht fehlen. 3iel öet erfien Befprechung ift öie fjertunft bes miäei* 
U r Ö "® u ^°^öeutfchen f (v). Die inöogetmanifche Utfptadje ift «*» 
hiri C !r £ f tm Unö ® ri echifchlftehen ihr oielfadj noch näher als bas BBM- 
Diew!Ä e V° « i UtfCn ® ir f üt un fa* 3toecfe an beiöe Sprachen anfnüpfenota 
nehnrJl ü'tJ?«^ cn 3®i n Sen uns Öa 3 u. Denn öa& vater pater itarrfQ 3 u[ammen ! 
? bc6atf l cm . cs Weiteren Bemeifes. Alfo f (v) meift 3 Utüc! auf * ®n fifl* 

m fl° -f 1 n0< ^ mc ^ a * s ®efetj angefehen toeröen, menn nicht anberes bajufommt 
" u " fern ’ varn fa hren, val fahl, vel Fell u. bgl. an bie Haft 
i it . * n Sefejpnäfcig fein foll, öann müßten mir alfo im Cateinifhen ober 6tie> 

in £ l«r n c lC ? Örtcr auf öie inöogetmanifche Sprache 3 urücfgehen unb au* 
3n ein^rl Sp i^? n uber 9 e 9«ngen finö 1 ), entfprechenöe $ormen mit * finöen. 
Sn etner egen K affe meröen immer Schüler fein, öie öann oon felbft auf jk'F' 

Sa i S ’ Pf hs 1 fomme n- (Oa& griechifches unö Iateinifches o imGernt«#« 
moÄ^m ?*W T IIen mix nebenbei merfen.) 3«m Sdflufe mW «ntetfuchh 
buna ? e r g ie !t S übct9an 9 s °°n * 3U f befteht. IDas änöert fi<h in iet Bll< 
fein lff f (0ct Dct W u & # öelocfert, alles anöere mirö 3 uerft geblieben 
2n ffc r’tl 6 3UCr ^ hÜnöial gefprochen, erft fpäter labiobental. 2 ) 

-j-cegt oon oornherein nahe für öie anöern inöogermanifchen 5 ) Derf<hlu& s 

gangen £" ^ ^ öorouf bin - öa & »»eie Stämme im Saufe ber 3«‘ untoäP 

Das ift fobt^mi&tia ®.®W matt allerbtngs oermeiben, nur bie Sa«he «Bärenlaff*”- 

mie auf einmaÄc 9 *^ öie flErfenntnb fpra^Iicber (Entroidlung. <Es wäre unoerjtanW; 
aleicb Derönh<n 4 x rowöen formte, toenn eine qan 3 eReibepbyfiologi[^crS ö ^ own ^ 

3 u f muh ficb dfo C ^ Cr y n a^c' ^ cnn Dorgang gefc^ie^tunbetoufet. Der Stritt®®** 
öoneinanLrlefiLtn^ 3 ^ fd?enftu ^ cn oo«3ogen ^aben unb öiefe \inb gan3 
3) 0« S»!?."*"- »i 1 -. 6 »)« Paul, Priuji,i.n 

(ptarffe. ^ “ 9e " 9«3taud)e J, e n flusöcurf öfter ftatt öet iniogermdruit)*" “ 


Don Cubtoig tflaber 


763 

autc eine ähnliche Derfchiebung 3U Spiranten anjuneljmen. IRan tann alfo Met 
:tnmal Öen umgelehrten IDeg gelten, Ausgehenö non xixvov, tres rosl s , tu 
aßt man mljö. degen, drt, du finöen. Detgleidjt man aber öas (Ergebnis mit öem 
)erl}ältnis * :f, fo ergibt fich fofort: ftatt öes Spiranten erfdjeint hier im mittel* 
'odjöeutfdfen (unö Iteuljocffbeutfdjen) ein ftimmhafter Derfchlufelaut (öie fogenannte 
Iteöw). IDie müfete es ftatt du, dri ufm. heifeen? «tan fage nun Öen Spülern, 
a B btefer Spirant (öem englifäen th entfprechenö) im ©otifchen tatfächlich oor* 
anöen mar. H>ir bejeidjnen ihn mit J>, alfo fpefe es gotifch j)reis, f>u. 

21. $ür Öen öritten Derfchlufelaut, öie ttenuis k ergibt fitfj, öafe comu unö 
lorn, collum unö Hals, cor (cord-) xu^Sla unö herze Jidj öeden. Auch hier taffe 
tan öie Spüler Öen Sd?lufe 3iehen, öafe h in öiefen $älten anfänglich ein Spirant 
eroefen fein mufe (ch in ach). 3 n beftimmten Sälien hat ficf; hier öer Spirant bis 
eute gehalten, 3. B. noct- (nox) = Nacht, unö jefet erttärt fid? auch, mas mir oben 
jftgefteltt haben, marum im rTtittel^odjöeutfdjen noch naht getrieben mitö. 

Diefe Cautgefefee muffen immer mieöet an neuen Beifpieten geübt meröen. 
u$ unter anöern ©efidjtspunJten greife man gelegentlich öarauf 3urüd, etma fo, 
ife man öie ©efdjichte eines Konfonanten oom Iteu^odjöeutfdjen 3um 3nöoger* 
lanifdjen 3urücf oerfolgen Iäfet. ©öer man geht 00m Sateinifcfeen oöer ©riechifdjen 
as, öas man an öie tEafel frfjreibt, unö Iäfet Öa3u öie etttfprechenöe §otm im ©oti* 
^en finöen. 3 n öem qu in sequor haben mir einen gutturalen Derfchlufelaut mit 
ifd}liefeenöem £abial. IDas mufe im ©otifchen öaraus meröen? ©utturater Spirant 
■ w. ftatfächlid) got. saihvan (öas roirö an öie üafel getrieben unö öie 

usfprad}e erflart): öaraus mirö sehan, m^ö. sehen. EOie mitö unfet sehen öaöurdj 
tf einmal in einen ungeahnten 3 ufammenhang eingerüdt. IDas ift alfo feine 
:fprüngti(hfte Beöeutung? (IHit Öen Augen 'nachgehen*, 'folgen’.) 3 n anöern 
tllen geht man oom Deutfchen aus unö Iäfet öie inöogermanifche $orm (b3to. mas ihr 
t £ateinifchen oöer ©tiedjifchen entfpridjt) finöen: 3U werden, got. wairf>an gehört 
:rtere (alfo eigentlich 'fi<h toenöen, änöern*!). Schon im Cateinifchen 3eigt fich öiefe 
eöeutungsentmidlung oon vertere nach 'taeröen’ hin in Ausörücfen mie invidia 
misericordiam verfit 1 ) 'mirö 3um ITlitleiö’. Dem h in Hahn entfprid}t k, fo 
mmen^mir auf cano, alfo „öer Sänger" (ogl. galli cantus hahnenfehrei!). ®e* 
öe öeshalb bringen öie Spület erfahrungsgemäfe folgen Übungen öas gröfete 
ttereffe entgegen, roeil hie* öas Jernfte 3um ttächftliegenöen in lebenöige Be* 
hung tritt unö überrafchenöe 3 ufammenhänge fich Har 00t Augen (teilen. fji er 
igt fich öie IDahrheit öes fchönen IDortes oon ID. Steter: ‘Oie Spraye ... ift ein 
inalter ©reis, öer öie 3ahrhunöerte unö 3ahrtaufenöe öurchlebt hot, 3ahlIofe mert* 
Ile (Erinnerungen in fich auffammelnö: aber fchmeigenö. piöfelich in unfern lagen 
fnet ihm öeutfehe IDiffenfdjaft Öen ITlunö, unö er beginnt 3U reöen. IDit ftaunen 
b hören unö ftaunen mieöer: öen ©eheimniffen öer IDelt Jommen mir um einige 
Jtitte näher." 

22. 3 dj bin oon öer (Entmidlung öer denuis 3ur Spirans ausgegangen, meil 
x öas Derhältnis mit fjilfe öes £ateinifchen unö ©riechifdjen auch phyfiologifch 
ht flat gem acht meröen tann. Schmieriger ift öas für Öen Übergang öer inöoger* 

1 ) Tacitus Germania 31 : in consensum vertit „mirö allgemein üblich". 3 urBebeu* 

19 ogl. auch homet. ixlsxo (itilstai) fi<h menben = 'fein’. 



764 


Beiträge jum mittelf)0d)6eutfd)en Unterridjt im (Bt/mnafium 


manifd/en media aspirata 3m getmanifdjen media. Denn aucf/ ©riechifdj uni £otep j 
nifdj haben hier felbft fdjon Deränberungen erlitten. RTan laffe alfo hier auf ®ruiti I 
ber Beifpiele (cpagat fero heran gebären, (psvyco fugio biuge biegen, frango brechen, 
6 g<pav 6 s orbus (got. arbi), Erbe, d-aggiico (got. ga-dars) tar (Hdj ©age’), jrdpros 
hortus Garten, hostis Gast uf©.) bie Regel fo ausfpted/en: R)o im £ateinifcl)eit 
ober ©ried/ifchen & f, % h unb <p f (&rjg fera!) erfdjeint, utinbogermanild/et 
Rtebia flfpirata entfpredjenb (bh gh dh), ©irb bataus im ©ermanifchen iie 
Rtebia. UTan mache gleich ^iet barauf aufmertfam, bafj bas fjodjbeutfdie biefe 
3um Geil noch ©eitet oerfdjiebt: d toirb 3U t, 3. B. IHfp (got. dius) Tier. 

23 . Ginfadjer ift roieber bie Derfd/iebung ber inbogermanijdjen IUeöia (ies 
ftimmfjaften Derjchlujjlautes). RTan gehe hier oom ©uttural aus: yöw genuknie, 
gelidus kalt, Scygög ager Acker, egyov werk (audj alt^odjbeutfd) fdjon kniu, kalds, 
akrs). tDorin befteljt hier alfo bie Anbetung? Rur ber Stimmton ©irb betn g ent< 
3ogen, es ©irb 3um ftimmlofen Detfd/lufelaut, 3ut Genuis. Oie labiale Hlebia ®at 
im SnbogermaniJdjen überhaupt feiten, tommt alfo für uns nidjt in Betragt. Um 
fo häufiger ©ar bie beutfd/e Rtebia. TOas mufc baraus ©erben, ©enn ©ir 3 » m ®jli t 
einmal eine analoge Gntmidlung ©ie bei g amtebmen? (Aus bem d ©irb t.) 6rie» 
djifdj 3 fog (öodog!) ©irb regelrecht Ast. fllfo auch in d&xgvov, domare (da/i-), 
edo ( eSofiat ), video tSslv muffen ©ir für bas ©ermanifd/e ein t etnfeijen. Ihm 
heifet es abet zähre, zemen, zähmen, essen, wissen. Ijier mufe ben Schülern glmh 
gefügt ©erben, bafj bie fpätere Gntroidlung ©eitere Oerfdjiebungen gebracht ^at 
unb bafj im älteften ©etmanifdj 3. B. im ©otifdjen bas erroartete t tatfädjlich wp 
hanben ift, alfo tagr ‘Gräne’, ga-tamjan, itan, witan. 

24 . RTit bem Rtertmort tarn tommen ©ir heute nid/t mehr aus, um uns bie 
Dorgänge ber erften £autoetfdjiebung 3U oergegenroärtigen. Gs fühlt 3 U f fl W n 
Dorfteilungen. 36 ) möchte oorfd/lagen tespam: Genuis 3um Spiranten, flfpirata 
(Rtebia flfpirata!) 3ut Rtebia, Rtebia 3ur Genuis. 3 n oielen tDörtern fommeit 
mehrere ©efefce 3ugleid} 3ur flnmenbung. UTan mache fidj bas befonbers 3un»5‘ 
bei ber Ginübung, bie auch h ict nief/t bringenb genug geforbert ©erben tann. <h ra 9 * 
Beifpiele: TOas mufj aus Sina decem ©erben? d ©irb t, k ©irb tonlofet Sp) 1 ® 

(bie gotifd/e $orm ©irb an bie Gafel gefd/rieben: fie Reifet tatfäd/lid/ taihunl). Häi| 
haft ift 3unäd}ft bas -gam in ‘Bräutigam’. IDenben ©ir bas £autgefet$ barauf an. 
g ©eift 3utüd auf bie Rtebia flfpirata, unb ©ir haben oben gefehen, bafj bafüt im ® 
teinifeben oielfach fdjon h erjeheint; ferner beutet getmanifches 3 auf inbogetmam ( 
fdjes 0: fo tommen ©ir auf homo als bes Rätfels £öfung. . 

25 . Der fogenannte grammatifche TDechfel ift in feinen IBirtungen auch im m 
hodjbeutfdjen noch auf Sdjritt unb Gritt 3U ertennen (hoch — Hügel, zi en 
zogen (Zügel), gewesen — waren, Reihe — Riege, schneiden — ^hnitten, 

— hübsch), ebenfo hängt bas Derftänbnis bes RTittelhod/beutfdjen baoon ab. 
heifet es kos aber kum, was aber wären, ziuhe aber zugen? 3 ut Gtöätung 
man 3 urüdgreifen auf bie ftimmlofen Spiranten, bie aus ben inbogetmam 
ftimmlofen Derfdjlufelauten (ben Genues) fid) gebübet haben, 3. B. vsuq 

got. ufar. Run ©ar abet ber fl^ent im ©ermanifchen bamals nicht © ie 'P . | 

unb heute an bie Stammfilbe gebunben, fonbern nach bet inbogermanifchen 
frei. tDirb bas üfar mit Gon auf bem u gefprod/en, bann ift f unge3©ungen f m 



Don Cuötoig ITTaöer ygg 

tPtc ift es aber, roenn ber fl^ent auf öie (Enbung tritt (BTan taffe bas Wort fo 
Jptedjen, tnbem man ben ginger an ben Kehlfopf hält!) Durch bie flfjentoerfäie* 
bung befommt bas f ben Stimmton (bie Stimmbänber 3ittern!), es roirb ftimm* 
^aft: im flltyodjbeutfäen Reifet es ubar 'über’. TXoäj einleucfjtenber wirb ber Dor* 
gang, roenn es fid? um ben Übergang non ftimmlofem 3u ftimmhaftem s hanbelt 
Ich war Reifet nt?b. was, plur. wazüm. 1 ) Oer fl^ent ift auf bie (Enbung getreten, 
man beobachte fid? felbft beim flusfptechen. 3m lebten gall mü&te man fid? form* 
nq 3roang antun, roollte man s ftimmlos erhalten. 3m fjodjbeutfdjen ging bann 
bas ftimmhafte s (= z) in r über, Auch bie anbetn ftimmlofen unb ftimm^aften 
Spiranten mürben roeiter oerfchoben, fo bag alfo im Wittelhochbeutfchen h unb g, 
d unb t, f unb b, s unb r toedjfeln. 

fllfo bei (Etfdjeinungen roie Verliesen: verlum verlom, zehen: zwein-zec 2 3 ) 
(zwanzig), Ißren, lernen: list 8 ) mug man 3ur (Erflärung auf bas Demerftfye ©efeg 
3 urüdgteifen. Wan roirb es gelegentlich auch fo anroenben, bag man 3U beftimmten 
Wörtern bie entfprechenben fuchen lägt. (Es geroährt einen hohen Rei3, roenn auf biefem 
Weg Derroanbtfchaften feftgefteüt roerben, an bie man nicht gebaut hat: zeigen—zeihen 
(unb roeiter 3urüc! 3U dico, Sslxwyn), wesen (ogl. verwesen)—währen (mhb. weren), 
ohr — ö*e (got. auso, lat. auris); mhb. zwir heigt ^roeimal’: bataus fpaltet fid? 
Zwirn — Zwist; Atem — Odem; töricht — dösig (in nieberbeutfeher Doltsfptacbe). 

26 . Wan roirb nicht an ber grage oorübergehen, roie es möglich »ft bag foiche 
Doppelformen entfielen. Oer urfprünglich toechfelnbe fl 13ent beroirfte eine laut* 
liehe Oifferen3ietung, bie roirfenbe Urfache erlofch allmählich im ©ermanifchen, 
als ber fl^ent feine fefte Stelle befam. Aber bie Wirfung blieb (3. B. mhb. wesen, 
was: wären) rourbe aber fchlieglich unoerftänblidj, ba bas 3ufammengehörige laut* 
li^ ohne erfichtlichen ©runb auseinanbergeriffen erfchien. Oagegen erhebt fich 
unberougt eine ©egenftrömung: wären, roarum nicht auch war? So bringt biefes 
fdflieglich ein. fllfo bie auseinanberreigenbe, 3erftörenbe Wirfung bes Cautroanbels 
a>itb oon ber Sprache felbft roiebet gut gemalt burch bie Wirfung ber Analogie, 
«s ift nun möglich, bag was (ich neben war gehalten hatte, roie es 3. B. ber gall 
ift bei werden. Hach bem Dernerfchen ©efeg mügte biefes bilben: werden ward: 
wurten geworten (fo im älteren Ulittellfochbeutfch); aus ben beiben erften gotmen 
ift 3unä<hft bas d in wurden geworden eingebrungen unb oon biefet Seite ift u in ben 
sing, gefommen: wurde. Daneben hat fich bis-heute bas alte ward behauptet. 
Solche Ausgleichung, bie oon 3toei Seiten her erfolgen fann, lägt fidj bei oielen Derben 
beobachten: Verliesen verlos: verlum verlorn. hier ift bas r burchgebrungen (im 
öialeft auch noch Verliesen), ebenfo in frieren (aber im Itieberbeutfchen heigt es 
heute noch mich frist ftatt friert, ogl. auch Frost, Frieseln). Umgefeijrt hat fich in 
lesen las lären geleren 3unädjft im Partqip, bann überall bas s burchgefegt. Doppel* 
formen mit oerfchiebener Bebeutung finb genesen unb neren 4 ) 'retten, nähren’ 
(beibe hängen mit got. nasjan 'retten’ 3ufammen). 

1 ) 2 = ftimmhaftes s. 

2) Wer würbe in biefem -zec (» 31 g) bas alte d&a decem oermuten. 

3) fluch in ber Bebeutung 3 eigt (ich noch öiefer 3ufammenhang jroifchen list unb 
ernen (Hib. 286: von meisters listen = burch öie erlernte Kunft eines Weifters). 

4) Hib. 256, 3: daz si die helde nerten näch des strltes nöt „gettefen malten". 




766 


Beiträge 3um mitte[f)od)beutfcf)en Unterrid)t im ®t)mnafium 


27 . Dielfad}, roie roir fdjon in ein3einen gälten gefeljen fyaben, jeigt fid) iw 
grammatifdje tDedjfel in öer mitteltjocböeutfdjen Konjugation. Klan Iaffe öie Bei' 
fpiele, öie fd]on oorgefommert finö unö unter öer Kubtit 'Derbum’ notiert fmi, 
3ufammenfud}en unö fd}reibe anöere 603u an öie Safel: 3. B. lide leit liten gelte; 
rlhe rech rigen gerigen (ogl. Reihe unö Riege!). 

28 . (Segenüber öer erften (germanifdjen) £autoerfd)iebung erfdjeint öie Ijodr 
öeutfdje oerroidelter, öa fie fid} nidjt fo allgemein öurdjgefetjt t}at. Das i[t ab« 
3ugleidj aud} ein Görunö öafür, roesljalb es Ijier befonöers öanfbar ift, öie Dialette 
unö öas Iebenöige Sprad?gefül?I 3U befragen. tDo es erforöetlid} ift, toeröen Proben 
aus öeutfdjen Diale!töid}tungen 00m £el?rer felbft oorgelefen oöet 311m 
l?äustid}en Durdjlefen aufgegeben. 3n jeöem £efebud? follten fid; entfpre* 
i^enöe Stüde aus Öen roidjtigften öeutfdjen Dialetten finöen. 

BTan gel?t oon öer Be3eid}nung 'fjodjöeutfd}’ aus (Büttel* unö Keu^od}' 
öeutfd}). Da roirö man 3unäd}ft einmal erftaunt fein, roas für eine Denpirrung 
öarüber in Öen Köpfen Ijerrfdjt. 3ft öann öer Begriff getlart, öann ergebt ficb bi« 
grage: IDeldjes finö öenn öie flbroeidjungen öes fjodjöeutfdjen 00m HieöetöeutfAen 
unö toeldjes t»on beiöen fteljt öem flltgermanifdjen am näd}ften? IDir tonnen bas 
feftftellen, roenn mir öie < 5 efd]id?te öer inöogermanifdjen Konfonanten weitet oer 
folgen. IDirfjaben oben gefeljen: d roirö 3 U t; duo (dvo) roirö gotifd} 3 U twai, cord- 
(cor) xuqöicc 3 U hairto. 3 m Itibelungenlieö Reifet es zwen unö herze, imflieber- 
öeutfdjen bjeifjt es twe unö Hart (engl, two unö heart). Das tlibelungenlieö ift ® 
©beröeutfdjlanö entftanöen. fllfo im f}od}öeutfd}en ift t im Anlaut unö 3 nlout 
nad} Konfonanten 3 U z getooröen. IDeitere Beifpiele roirö man finöen taffen, ^ 
öem man etroa Seqslv, domare (da/i-), sordes an öie üafel fdireibt unö junäcbit 
nad? öem £autgefe$ öas germanifdje t Öa3u feftftellen läfet (got. ga-teiran, tamjan, 
swarts 'fd}mar3’), cilfo I?od}beutfd}: zern '3et}ren’, zemen, swarz. ffiöer man fld- 
oom ITtittetf?od]öeutfd}en aus: zesewe') ift 3 unäd}ft ein öunlles IDort. Detfolgen 
mit öas z rüdroärts über t (got. taihswa) 3 U d, öann ergibt fid? fdjliefelid? df£«o 
dextra ofyne Sdjtmerigfeit. 2 ) 

flud? l?ier roirö man auf öas £autpl?yfiotogifd}e öes Dorgangs näfier eingeben. 
(Hffrifata.) 


29. IDir f?aben bisher immer gefef?en, öafe öie £autoerfd?iebung nicfjt einferhg 
nur eine beftimmte (Sruppe einer Konfonantenflaffe erfafet f?at, fonöetn öie gan}« 
affe ift jeöesmal betroffen (alfo nid?t etroa nur öie labialen Derfdjtufjtflute, fw 
ern mit iljnen aud? öie öentalen unö gutturalen mad?en öie Bewegung nrit). 115 
wollen roir aud? bei öer l}od?öeutfd}en Derfd?iebung 3 unäd?ft einmal anneljtne* 
u>as müfete öann aus p roeröen? (pf). Das Deutfdie l?at oiele £ef>nroörtet aus öem 
£atemifd?en übernommen. Sud?en roir einmal fo!d?e mit pf: entfprid}t öem i « 1 
£ateimfd}en ein p, öann ift unfere Annahme beftätigt. Kun finö tatfäcblid? wee 
folcper XDörter oorf?anöen: Pfaffe — papa, Pfingsten ntvxaxoexri, Pfirsich — 
Persicum, Pfeil — pilum, Pfahl — palus, Pfütze — puteus, Pfeife - P‘P a “J®' 

Um_emJ3ilö oon öer Doltsfpracfje 3 u geroinnen, neunte man einige Dialeftproben 

/ 


1 ) ^ lb -^85 2 : in der slnen zesewen lac ir weiziu hand. c M 


rid' 


Don Cuötotg Ittaber 


767 

oor, inbem man non Horten nach Süöen geht. Da }eigt fid?, bis tief nach Ittittelbeutf** 
Ianb hinein ift p nicht nerfchoben (Pingsten, Pahl ufto.). Lüttje Müse pipt int 
Stroh fagt Klaus ©roty. Bei Stielet Reifet es oon bet (Eifenbabn: Lauf, Bauer, lauf ! 
— Sie pfeift ja schon. Befonöers für anlautenöes t: z roirb man auch Beifpiele 
genug finöen; ich braune mich bamit nicht auftubalten. Durch mittelbeutfcheSprach* 
proben werben bie Spüler 3ur (Einficht geführt, bafe bie ©renje 3toifchen p unb 
pf oiel weiter füblich liegt als bie 3mifchen t unb z. (Ein befonbers djarafteriftifdjes 
Beifpiel ift bas Wort Pfalz palatium: bie hodjbeutfche Derfdjiebung bat p unb t 
ergriffen. Der Pfader felbft aber fagt Palz, hier bctrfdjt alfo noch bas nieberbeutfebe 
p (Pund, Peffer, Plänze, Pennig, Parrer ufto.). 

30 . Das germanifdje k bat fid? nicht toie p unb 13ur flffrifata oetfdjoben: bas 
3eigen Sehnwörter roie keiser 'Kaifer’, kirsche, kirche. (Eine Probe aus bem alle* 
manniftben Dialeft (tjebel) toirb allerbings 3eigen, bafc gan3 im Süben bes beutfdjen 
Sprachgebiets Anfähe eines Überganges non k 3U kch norbanben finb. 3n bie Schrift* 
fpra^e finb fie nicht übernommen. 3 m 'f)abermus’ heifet gleich am Anfang:... so 
chömmet, ihr chinder und esset. (Schtoei3er (gutturale!) 3 n oberbeutfehen ©rts* 
namen ift auch in ber Schrift biefer Sautwanbel feftgebalten, wäbrenb bie, Ausfptache 
ihn tnieber aufgegeben bat, fo in Chiemsee (gejpt. Kiemfee!) 

31 . Wie im 3 n!aut unb Auslaut nach Dofalen bas Ijochbeutfche bie üenuis 
oetfehoben bat, mache man an Wörtern roie Pfeffer 1 ) piper, Pfaffe papa flar, too 
im gleichen Wort bie oerfdjiebene Weiterbilbung bes p deutlich toirb, für t greife man 
3urüd auf edere iSofuu (aus got. itan toirb hochöeutfeh essen, nbb. eten), für k 
bietet fidj iy <6 >ik >ich (nbb. ick). Bei ber (Einübung ift man jetft in ber Sage, 
bie Saute Dom 3 nbogetmanifchen an bis ins Zleubochbeutfche 3U oerfolgen ober um* 
gefebrt: man fchreibe 3. B. quod an bie Hafel unb läfet fidj 3unä<hft bie ein3elnen 
Caute erflären. Was toirb aus bem k, bas in qu fteeft, im ©ermanifehen? Die ton* 
lofe Spirans (ch). gerner toirb aus d ein t, für 0 bürfen mir a ermarten (hortus 
garten, hostis Gast!). Welche Sautgruppe barf alfo im ©otifchen angenommen 
werben? (chwat). Dafc ber gutturale Spirant im ©ermanifehen oielfach h roirb, 
ift f<hon früher berührt; fo heifet benn bas Wort got. hwa(t). Der (Enbfonfonant 
ift im ©otifchen meggefallen, aber nicht in ben übrigen altgemtanifchen Spradfttoeigen. 
Was müfete alfo nieberbeutfeh erfdjeinen? (hwat). Unb fo beifjt es beute noch; 
h halt fi<h nicht nor Konfonanten. fjocfjöeutfc^ mufjte t 3U fcharfem s metben (was). 

Dem was entfpricht das ober, mas basfetbe ift, daß. Wenben mir unfere ©efetje 
batauf an, bann fommen mir über nbb. dat, got. pa(t) auf inbog. röä. Dafe biefes 
in lat. is-tud fteeft unb im griedjifdjen Artifel r <5 ben (Enbfonfonanten abgemorfen bat, 
ift bann nicht fdjwer 3U finben. 3 n biefer Weife befpreche man bas mljö. michel, 
® 9°t. mikils = gtiech. psyaX-oi (fityag), öüxqvov zahari Zähre, däxtvlog Zehe, 
Stlxvvfu dico taikns Zeichen zeihen. (Das letztgenannte Beifpiel 3eigt, mas bie 
Gminbbebeutung oon dicere ift! UTan nehme befonbers folche Beifpiele, bie auch 
ius fachlichen ©rünben Sntereffe beanfprudjen.) 

32 . ©elegentlich mirb man bie grage ftreifen, mann biefe Konfonantenoerfichie* 
jungen ftattgefunben haben. 

_ Pas mär e ungefähr bas, mas non ber ©efefpebte bet Konfonanten in ©ber* 

0 ItieöeTÖeutfd} Peper. 



768 


Beitrfige 3um tnitteU)od)beutfd}en Unterricht im (ßqmnafium 


fefunöa befprodjen roerben follte. 3e nad} Öen Umftänben tonnte manches fortfadn 
3. B. öie Anfähe 3m Derfdjiebung öes k im ©beröeutfdjen, anöeies Öo3ufommeii 
rote öie Konfonantenoerbopplung oöer öie (Entroidlung oon germanifdjem b g d i 
im fjodjöeutfdjen. 

33 . 3 n öer ©efd}id}te öer Dotale finö Umlaut unö Ablaut fofort auseinander]! 
galten. An einigen Beifpielen mache man öie Begriffe noch einmal flat (Mann- 
Männer; gap—gaebe; vater—veter; auf öer anöem Seite binde—band, tgka- 
zsTQocpa). Der Ablaut ift öie ältefte Sdjidjt öer Dotaloeränberungen. ÜJie roh 
früher fdjon gefehen haben, ift felbft beim ftarfen Detbum nidjt alles gleidjaltei 
Dotalroechfel. 3 n biuge bouc bugen gebogen ift bas 0 öes Partijipiums erft »erP» 
nismäftig fpäte Umbilöung aus u (oielfadj a*Umlaut genannt, öer in anbetn Sollen 
nicht eingetreten ift). Als Ablaut bleibt alfo in öer eben ermähnten Derbalflaffe iu 
—ou—u. Das tonnte auf Öen ©eöanfen bringen, ob nidjt überhaupt öer Reidjhiffl 
öer Ablautformen im Utittelhochbeutfdjen (unö noch mehr im Altljodföeutfdjen) aus ein« 
fächeren Derljältniffen heraus fid} gebUöet fjat. Das ift nun tatfäcfjlid} öer $all, unbin 
einigen $ä((en roenigftens tann aud} öer Unterricht auf öiefe ümtroieflung einge^en. 1 ) 

Ulan beamte einmal öas praet. sing, in Öen fedjs Ablautüaffen nach öem taub 
roert öes Stammuotals (nicht nadj öer Schreibung!). Dann ergibt fid} öie auffallend 
itatfad}e: alle bis auf eine (VI) haben ein a (III, IV unö V a für fid}, I unö Hals 
Seil eines Diphthongs): galt, nam, gap, steic, bouc. (3n Öen lebtenbetöenerfd}eint 
a in öer Schreibung als e unö 0, ba& h«er aber tatfächlid? ein a als utfptünglid}« 
Caut an3unehmen ift, 3eigt ein Blid auf öas ®otifdje. hier haben töe ^ a ^ en 1 
unö 11 tatfächlid} noch a: staig, baug. tlun haben roir gelegentlich fdjon oft gefunöen, 
öafe germanifches a inöogermanifchem 0 entspricht (Gast hostis, wann quom — g am 
homo, was quod, das xo (d), Ast '60605 (öfog), Nacht noct —, acht octo). # 
öarf man aud} im praet. öes ftarten Derbums für a inbogermanifdfes 0 anfe^en. 

34 . XDenöen roir uns nun öem Präfens 311, fo ift öie Übereinftimmung in du 
erften fünf Klaffen ebenfo auffallenö: in öer 1. sing, haben roir überall ein i (te^ 
rein, teils als Beftanöteil eines Diphthongs). 3n manchen $otmen roed}jelt es in 
e: nime — nemen ufro. Da& aber i nicht urfprünglid} ift, fonöern e, 3eigen Beifpioe 
roie bern beran «pdpeo, reht rihte rectus, iotC est ist, sedeo Sessel Sitz, edo ea« n 
izze, ventus Wind, nsvxs fimf 'fünf’ medius mitten u. a. Alfo inöogennanifd} e 
geht im ©etmanifd}en oielfad} in i über. Daraus ergibt fid} für Öen Ablaut: germanp 
fches i — a entfpricht inöogermanifchem e — 0. Diefer ültefte Ablaut ift im 
fdjen befonöers rein erhalten: itd/ina — niitoiitpu, xq&uo — xqötcos, JepxofM* 
doQxag, oxiXXca — 0x6X05, niXoyxai — 716X05 (ogl. tego — toga, pendere 
pondus, fero — fors). 

35 . 3 u Öen (hrunboofalen tonnte ein i oöer u hin3utreten. 3 m <5ried}ijd}en 3 e '9 
fid} öas roieöer am reinften: XeCita — XiXoma (ü 017165), <sxct%® — 6X01 ^ 
Ttsi&eo - 7td7ioi#cc, 67te6da> - o:covSij. Auch in öiefen Detbinöungen ifie wj 
ins ©ermanifd)e als i unö a übergegangen, ©eraöe an oxsi%a läjjt fid} öas h I 
»erfolgen, es entfpricht oxsi%-oxoix gam genau got. steigan (ei = i + ‘" 


bouc). 


staig- tKit s v — ov bedt fich genau biugan — baug (mljb. biuge 

t . 3) pem £eljrer, öer fi<h orientieren null, Ieiftet norjüglidje Dienfte öer W 9 ®? 4 ]«! 

l a * Don hermann fjirt, Der inöogerman\fd)e Ablaut (Iteue 3ahrbüd}et f. b. fl. ®t- ,5( 



Don Cuötnig ITTaöer 


769 


3 u erflaren bleibt m>A, matum bas praet. itn Plural abroeidjt. 3m ©otifAen 
&etfet esstigumbugum, m^b. stigen - bugen. Da& biefe (ErfAeinung mit bem ur* 
fprungliAcn fl^ent 3 ufammenl)angt, lä&t fiA an einfaAen Beifpielen, befonbets 
im ©iteAifAcn» flatmaAen. wtfi-opat - vvislv, cpsvya - tpvystv. (Es fommt alfo 
barauf an, ob eine Silbe in bet Doüftufe ober Rebuftionsftufe ftebt. DerSinqular 
baug, staigbatte bie Stammfilbe unter oollem Son; im Plural trat im 3 nbogerma* 
mfAenber fl^ent urfprüngliA auf bie folgenbe Silbe: bie Stammfilbe mürbe fo ge- 
fAmaAt (rebu3iert), unb es blieb nur i unb u, alfo stigum, bugum. IRan oergleiAe 
gxie^. Bifu aber l/iev (alter Hfjent Ipdv) Itiov , %slfotfrai — mfriöftai. 

36 . Don ben übrigen Klaffen fei nur bie III. noA Ijerausgegriffen: gilte galt 
gulten gegolten. IDie fommt (per bas u in ben Plural praet? (Es empfiehlt fiA auA 
Iper auf bas ©otifAe 3utü$ugeben. IDenn in ben obigen $ällen aus ai unb au 
m bet Rebuftionsftufe i unb u mirb, bann, follte man ermatten, fällt ber einfaAe 
Dofal a gan3 aus: alfo binde band unb nun (ba ber flfcnt urfprüngliA roeiter rüdte!) 
bndum. IRan beaAte nun ben Cautmert bes e in tDörtem mie Engel, Vater, Adel. 
Das ift in ber flusfpraAe fein reiner Dofal, fonbern ein fogenannter IRurmeloofal. 
Befonbers bie RaAbarfAaft oon Rafalen unb Ciquiben begünftigt einen folAen 
TRurmellaut, ber gerabe bei feiner Unbeftimmtbeit in ben eiit3elnen inbogermanifAen 
SpraAen oerfAiebene Klangfarbe angenommen bat, im ©rieAifAen: a 3. B. (t sv) 
rytog 1 ) mirb Toros, im ©ermanifAen: u ober ©*), alfo bndum roirb bundum. 8 ) 
So gefeit bie fünf flblautreiben im allgemeinen auf bie e, 0 Reibe 3urüd. Auf f Amie* 
tigere (Edelheiten mirb man im UnterriAt niAt eingeben fönnen. 

3 um SAIufe möAte iA eine 3 ufammenfteHung oon IDieberbolungsfragen 
9eben, um 3U 3eigen, mie man in oetfAiebenfter IDeife auf bas BefproAene 3urüd* 
greifen fann (auA fpäter, menn man bas IRittelboAbeutfAe felbft oerlaffen bat), 
um es 3U oertiefen unb 3U befeftigen. 

Becher ift ein lateinifAes Ce^nroort: auf melAes lateinif Ae IDort gebt es 3urüd r 
menn es oor ber 3roeiten Cautoerf Aiebung übernommen mürbe? IDas ift bas erfte 
€ im CateinifAen gemefen? (e ober i). IDorauf beutet ch? (c). Das 3meite e ift ge» 
fAIoffen: roas bat alfo urfprüngliA ba geftanben unb melden Dofal mufe bie fol* 
genbe Silbe befeffen haben? So ergibt fiA IautgefefcliA bicarium. 

3 m Ribelungenlieb begegnet bas IDort meizoge 'Pabagog*. IDorauf roeift bet 
Beftanbteil -zöge? (duc- ogl. Herzog). RTit mei- fteüe man geseit (= gesaget), 
meid (= maget) 3ufammen, alfo urfprüngliA mage (got. magus = puerl). IDelAer 
Derbalftamm gebärt hierher? (mac mugen = posse, ogl. Macht). IDas Ijeifet alfo 
eigentKA mage? (validus, ogl. doxsiv). 

IDelAe Deränberungen hat inbogermanifAes d im ©ermanifAen erlitten? 
luan laffe es an beftimmten Beifpielen naA®eifen (edo, domo). IDas mirb aus 
orbus (dQtpuvös) im ©ermanifAen (®ot. arb-ja Erbe, arbi das Erbe)? IDie bängt 
Essig mit acetum 3ufammen? (Essig = atic. Das läfot fiA aus acetum nur burA 
umftellung oon c unb t ertlären, ogl. Bernstein = Brennstein.) 

S> 3 1 » 3 Pfl«gt man btefe filbenbilbenben Konfonanten 3U fAretben. 
v “) 3A habe felbft beobaAtet, mie ein 3 tDeijäl?riges Kinb burA fAatf artiluliertes 
atr 00311 gelommert ift, vato 3U fpreAen, roäfpenb es fo.nft anbers ausgefproAen batte. 

3) Dgl. auA grieA. aus dekm, got. taihun. ixaxSv hundert. 

3 eltji)r. f.6. 6 eut| 4 )enUnterrid)t 29 . 3 af)rg. I 2 .tjef» 49 




770 


Oer deutfdje Sprachunterricht nach dem Kritge 


Sind folthe tDörter roie Erbe, zähmen (dom-), schwarz (sordes) ab £e^> 
roörter anjufeljen? Woran eriennt man oielfadh das Alter 6er £el}ntDörter? IDowit 
firxö un>eru>an6te tDörter tenntlich? 

H)el(^e Bedeutung Ijat die Kenntnis der £autgefej}e für die £efyre oon der B* , 
deutung der IDörter? Ulan Iajfe die $tage auf Grund ausgemählter Beifpiele beaid* j 
motten: 3. B. Zahn, mljd. zan roeift lautgefetjlich auf ein indogermamfdjes Kort 
mit anlautendem d (über got. t!). 3m £ateimf<hen Reifet der Stamm des ent* 
fprecfjenden IDortes tatfächlich dent-. Und im flltljodjdeutjcfjen ift auch nod) öas d ; 
Dot^anden, das man nach dent- ermatten mu& (a(fd. zand!). XDie nun das gti«4 I 
öSovx 3eigt, ift auch im Anlaut etmas ausgefallen. Die Ablauttei^e e/o fü^rt uns 
auf e, alfo id-opai edo (e)dens 'der Gffende’. 

Befonders reichliche Gelegenheit, auf die Gntmicflungsgefehe der deuten 
Sprache 3urüc^ugreifen, bietet die £ettüre der Germania des iacitus. Seine fln> 
gaben merden oielfadj oon der Sprache beftätigt, 3. B. Kap. 23: sine blandimentis 
expellunt f amem: Pfefer (piper), Senf (sinapi) find erft 3mifdjen der erften und jmeiicit 
£autoerfchiebung oon den Römern übernommen. Kap. 26: autumni perinde nomat J 
et bona ignorantur. XDas fagt hiet3u die Spradjgefchichte? Herbst (af)d. herbist!) 1 
meift in oollfommener Regelmäfeigfeit auf xuQitos (carpo) 3Utüd; es ift alfo oot der [ 
erften £autoerf<hiebung (alfo längft oor Gacitus) im Germanifchen eingebürgert 
geroefen, da es oon diefer £autberoegung mit erfaßt ift. Garitus mufj alfo geint h ö ^ en * 


3|t 6er öeutjcfje Sprachunterricht nach 6cm Kriege 

eines iDcitcrcn Husbaus beöürftig ? I 

Don Otto VLadt in Stettin* 

3n öem großen ®hor oon Stimmen, öie eine Umgeftaltung öes Unterrichte an 
Öen höheren Schulen nach Öen (Erfahrungen öes IDeltfrieges befonöers auf öem ®ebteie 
öer (Befdjidjte, aber auch au f öem öer neueren Sprachen unö öes Deutjdjen foröern, 
beginnt ein IRotio naturgemäß mehr unö mehr öas hercfchenöe 3U meröen: HW | 
Derftandnis für deutfehe Art, fjeroortretenlaffen der Gegenwände, di« 
uns als Deutfehe in erfter Cinieangeljen. IDier»ixie^tunfereIDirtf^aftmitöen 
im Canöe oorljanöenen Kräften unö Schäden beftreiten, fo foll öie Schule (i<h | 
ihren Hationalcharalter befimten unö unter Öen ihr oertrauten Sehtftoffen nur 
Befte, ö. h- öasjenige, mos 3um Derftänönis öer jetjt öem ftaunenöen fluslaitö e 
hüllten öeutfehen Kraft nötig ift, behalten unter möglidjfter Ausfchaltung alles Stein 
bürtigen. U)enn es auch hugfiefftig roäre, öas Stuöium öer neueren $remöfpr fl( *I* 
furjerhanö ein3uftelien, toeil nach öem $rieöensf<hluffe öer Deutfehe ^off c ntIi* m 
ols je 3um frieöliehen EDettberoerb in öie ZDelt gehen totrö, roobei ihro Sprach^ 0 
(ö. h- öas Dermögen, fid} in Sprachen überhaupt hineinjuöenfen) oon heroorrageti * 
Bußen ift, fo toirö man öod} billig be3toeifeln öürfen, ob es fidj oerlohnt, öie Ku ^ j 
toelt unferer toeftlichen $einöe fo liebeooll 3U ftuöieren, toie uns unfere Beftimmun^ 
öas bisher 3m Pflicht machten, nachöem uns enölid} öie Augen aufgegangen F 
öte oiel höhere Kultur, öie roir Barbaren unfer eigen nennen, unö öer öie (Eropao? 



! 


Doit Otto (Tade 77 \ 

fcer civilisation nichts ©leichtfertiges an bie Seite 3U fteHen haben. Oie beutle Kultur* 
tunbe aber, 3U bet mir gebrängt werben, wirb, wenn jie <Ef?rfurd?t cor ber beutfchen Art 
in bie Seelen ber wetbenben Deutjdjen pfla^en will, in gan3 anberer tDeife als bis* 
^et bie Sdjä^e ber £iteratur im meiteften Sinne (3. B. bie £ebenserinnerungen be* 
beutenber Perfönlichfeiten beutfchen ©epräges, auch folget bes praftifäen £ebens, 
i^te Briefwechfel, bie politifdje Schriftfteilerei, bie allgemein gerichteten naturwiffen* 
fchaftlidfen Deröffentlidjungen) Ijeran3iehen müffen, oiel entliehener, als bas jefct 
bas £efebuch nerfu^t. Dorausfe^ung biefer Heugeftaltung ift natürlich eine (Erhöhung 
bet bem Oeutfchen 3U3umeifenben Stunben3ahl f auf bie mit £ehrer biefes $aches 
bereits feit langer 3eit gebrungen haben. IDir haben aber ein Sntereffe baran, noch 
in anbrer Richtung aus ber 3U erhoffenben Umgeftaltung bes beutfchen Unterrichtes 
Kapital 3U fihlagen: Oie ©infchtänlung auf beutfche RJiffensgebiete mu& 
3U einem weiteren Ausbau bes gan3 im argen liegenben beutfchen 
Sprachunterrichtes, ber aus feiner Afchenbröbelftellung trotj R. fjilbebranb noch 
lange nicht genügenb erlöft ift, führen. 

IDie fehr fid? in ber Sprache ber Kultwguftanb eines Dolfes ausprägt, ift 3U be* 
fannf, um befonberer Auseinanberfetpmg 3U bebürfen. (Es ift mithin eine unabmeise 
liehe $orberung, bafe genügenb 3eit oorhanben ift, um unfere 3ugenb wirtlich in bas 
U)erben ihrer Btutterfprache unb in bie Kenntnis ber phonetifdjen, logifdjen unb 
pfgchologifchen $a!toren, bie barauf beftimmenb eingemitft haben, ein3ufühten. 
3 u>ar ift es eine alte (Erfahrung, bafj bas erfte Oerftänbnis für fprachliches £eben fchmer 
bur^ Derfentung in bie Rlutterfpradje erfdjloffen werben !ann — biefem 3 wede 
bienen nach ®ie 00t bie ftemben Sprachen—, aber es ift nicht ein3ufehen, warum im 
fran3öfifchen Unterrichte „bie bebeutfamften (Ergebniffe ber auf pfydjologifchet (Er* 
fenntnis ber Sprache gegrünbeten mobernen fyntaftifdjen $orfdjung auch ber Schule 
3 ugänglich gemacht werben fönnen unb follen" (Beftimmungen über bas höhere 
Rtäbchenfchulroefen oon 1908 ), währenb bas „Kinb oom fjaus", bas fo reichlich ©eie* 
genheit 3m Dertiefung in fprachliches £eben unb IDeben bietet unb £ehrern unb 
Spülern burch ©efühlsbanbe oerbunben ift, recht ftiefmütterlich behanbelt wirb, in 
lOirflichfeit noch ftiefmütterlich er, als nach Öen gegebenen Richtlinien nötig. Oa mufj 
grünblich U)anöel gefchaffen werben bei biefer allgemeinen Reuorbnung, wenn wir 
bie beutfchnationale höhere Schule erhalten follen. 

Oie folgenben Seiten follen einen Betfudj barfteHen, bie erftrebte tiefere fprad}* 
liehe Schulung ber Schüler ber höheren Klaffen ohne eingehenbere tjera^ieljung 
frember Sprachen mit beutfdjem Spradjgut 3U beftreiten, freilich nur in einigen 
<5runÖ3ügen; eine gtünblichere Behanblung ber $rage behalte ich mir oor. Oabei 
roirb fidj 3eigen, baff bas Arbeiten mit beutfchen Spradjelementen feine Derarmung 
gegenüber ber jetft erftrebten Bilbung bes Sprachoerftänbniffes bebeutet, fonbern 
eher eine Bereicherung, inbem einem geringen Rlinber auf ber einen, auf ber 
anberen Seite ein gewaltiges Rieht gegenüberfteht. Kleinem eigenen tjauptarbeits* 
gebiet entfpredjenb fuche ich im wefentlichen bie (Erbfdjaft, bie ber beutfche Sprach* 
unterricht 00m $ran3öfifchen an3utreten hätte, 3U umreiten; biefe Befdjränfung emp* 
fiehlt (ich auch beshalb, weil im fran3Öfifchen Unterricht bie Ourcfjbringung bes Schul* 
Unterrichtes mit bet pfychologifierenben Riethobe banf bet oben wiebergegebenen 
Anweifung am weiteften oorgefchritten fein bürfte, währenb fie im £ateinifchen, 

49* 



772 


Der beutfdje Sprachunterricht nacf| bem Kriege 

fotoeit icfj nadj Öen Sdjulgrammatifen unb Umfragen urteilen fann, am roenigP« 
»olljogen ift. 

Die £autlefyre mu| ich Bei biefem furjen Überblid im allgemeinen beifeite 
Iaffen; fie mürbe nur bann nußbtingenb in ber Schule beljanbelt roerben tönnen, 
wenn eine t>iel tiefer greifenbe Befdjäftigung mit ben öeutfdjen Diateften (bie, ft 
roünfchensroert unb lehrreich fie ift, hoch nicht gleich mit auf bie lagesotbnung gejefei 
merben foll, eingebenf bes Spridjroortes „Qui trop embrasse, mal etreint“) mögfii 
märe. Dann mürbe 3 . B. bie gutturale Bilbung bes alt 5 fran 3 öfifchen 1, bie pljoneti|4 
aus ber ©ntroidlung 1 )> u (alterum )> autre) erfdjloffen merben muß, i^re genaue 
(Entfpredjung in bem Dotpommetfdjen I finben, unb bas uns fo unbegreifliche Dei- 
ftummen non Konfonanten, 3 . B. r (aimer), mit bem in ben Hlunöarten fo häufigen 
Ausfall besfelben Konfonanten ( 3 . B. ITtögen in Hamburg (fpr. ^ambu^) (mit ity 
£aut) oerglichen roerben tönnen 1 ), unb unfete Schüler lernten im beutfdien Spradb' 
gebiet auf roertoolle pfjonetifdje Dorgänge aufmerten, an benen fie oielleidjt butdjipR 
Ijerfunft unmittelbaren perfönlidjen Anteil haben, roas bei ben fremben Cauten nie 
ber $all fein tann. 

(Einige Kapitel aus ber IDortbilbungsleijre bes Deutfcßen finb bereits bisher 
©egenftanb ber fd]ulmäßigen Betrachtung geroefen; mit 3 ufammenfeßung unb 
leitung machen mir unfere Sdjüler fdjon hie unb ba auf ber Ütittelftufe oertraut, 
ben urfprünglichen Sinn non geroiffen Suffixen (dum, =fd}aft, dich) fud&en mir ihnen 
früh flar 3 ulegen, beibes ohne auf oiel ©egenliebe 3 U flogen, meil biefe wenigen 
Santenförner neben ben reiflich auffdjießenben unb mehr gepflegten auslänbifdjen 
Pflan 3 en nicht t U)ur 3 el fchlagen tönnen. U)ie oiel geiftige Kraft roirb auf bie (Erfenntnis 
ber U)ortbiIbung ber fran 3 öfifchen b 3 m. Iateinifchen Kompofita oerroanbt, roie oft roirb 
ber alte Sinn ber re-, con-, contre-, pro-, sur-, en-, par-, pour-, unb toie fie Wen 
mögen, auseinanbergefeßt unb abgefragt. tDelcher Sdjüler ift aber imftanbe, bie 
beutfdjen Präfije be=, ent=, er= (b 3 ro. ut=), oer-, ge- (befonbers midjtig, weil ben Be ! 
griff ber Attionsart erflärenb), 3 et= auch nur einigermaßen in ihrer reichen Bebeutungs : 
entfaltung aus ben eng umgren 3 baren Anfängen heraus 3 U entmideln? 

tc ^ en ®i^ungsgefeßen ber 3ufammengefeßten Subftantioa bes $ran 3 Öfifchcn 
(Subftantio + Subftantio, Subftantio + Abjeftio, Derbum + Subftantio) meiß bei 
Primaner Befdjeib, bie entfprechenbe, nur unenblich oiel reifere beutle ift 
ißm oerfchloffen; er roeiß, in ben Iateintreibenben Klaffen menigftens, über Bilbungen 
mie Hotel Dieu hiftorifchen Auffdjluß 3 u geben, geht aber achtlos oorübet an fol<hJ 
mtereffanten (Erlernungen mie Allermeltsterl: IDeltmann, oorfdjriftsmäßig: SW’ 
aus egung, ©efdjidjtsbudj, Ciebeshänbel mit ihrem unberechtigten ©enetro*s- 

Weitere Kapitel, bie im Deutzen minbeftens ebenfooiel Bilbungselemente en < 
halten mie im $ran 3 Öftfchen, finb: ber ©egenfaß oon fiarfer unb fd^toadjer Derbal» 
aufmeiten 16 flÖDerbbiIöun9 ' öic K « 9 ation, bie fämtlich Parallelen 3 um $ran 3 ofw n 

t . mit öer Negation 3 U beginnen: Die (Entfteßung bes Wortes .nicht’ aus eine« 

Icßmachen tTegationspartifelchen ne- unb bem Subftantio wiht (noch he ute Iebcn ;', 

. . ^fH^fif^es Analogon ne-rien ((rem) — unb fein roeiteres Sc^idfal offen ar 
öteJUmußung, ber foldje Wörtchen ausgefeßt finb, unb bie Aufgabe bes ne be.m 

) Dgl. auch dar: Sr (eher): e, hier: hie in ber St^riftfprad?«» 



Don Otto tEade 


773 

Derbum, ftie urfprüngli$ lautliche (Brünfte fat, not folgenftem dehein „irgend* 
einet" = nftft. „lein" 3eigt ftie berühmte fpracftlidje „£ogi!" fragender 'als pas 
mal, pas moi, fta ftier tatfädjtid? fter umgeleftrte Sinn in ften Safe „ftineingeftadjt" 
roitft. 1 ) ©iner bereits etwas eingearbeiteten Klaffe wirft man, ftie $rage fter £ogil 
coeitertreibenfe, ftie Befteutung fter oemeinten Beftingungsfotmel in Beifpielen wie: 
„ 3 $ laffe ftidj nicfet, ftu fegneft micfe ftenn" entwideln unft lebhaften Sntereffes 
[id?et fein tonnen. 

3 d> wenfte micfe 3m Bilftung fter fteutfdjen Aftoerbien. Jftre fran3öfifcE?e (Ent* 
ptedjung neftmen ftie Beftimmungen für ftas ^öftere ZRäfttfeenfcfjulwefen 3um Bei« 
ipiel, inftem fie ausfüftren, fturcft ftas Derftänftnis für ftas JDerften fter $orm 
nalheureuse-ment werde ftas gan3e Kapitel ftem Spüler licfetooller unft leidjter. 
?afe mir in unferer Sprache ftie gan3e (Tonleiter fter Aftoerbmöglicfefeiten in be* 
lesenswerter Dollftänftigfeit oorfinften, f (feeint oielfad? oergeffen. mit ftem 
bebramfe ftes (unfleftierten) Acc. sg. neutr. tonnen mit wie im Stanjöfifcfeen auf« 
oatten: oiel, genug, toeit, fran3öfifcfe parier haut ufw.*) IDtr feaben aber aucfe no<fe 
inen anfteren Kafus mit aftoerbialer Kraft, ften mir als folgen empfinften: ften Gen. 
g., 3. B. ftets, uergebens, rechts, Iints, bereits, fln Bilftungen, ftie partout, surtout, 
le nouveau, en g<§n<$ral, en tout cas entfpretfeen, feat fter Deutle Überfluß toarum 
JÖ er fitfe übet fie nicfet aucfe tfeeorettfcfe Dar werden? Oie franjöfifcfeen Aftoerb* 
eubilftungen auf -ment« mentejm]) unft d’une maniftre (d’une fa9on) finft ften fteut* 
t?en Bilftungen auf -weife, -mafeen, -ftings, -weg analog, non ftenen nur -weg feiner 
orm nacfe nirfft ©enetio fein fann (ftocfe ogl. teineswegs) 5 ); aucfe ftie fo proftuttioe 
ilbe lief? (im Rtfeft. unft ©nglifefeen gerafte3u aftnerbbilftenft geworften), non fteren 
Derften R. fjilftebranft feinen Spülern fo feübfcfe 3U er3äftlen weife („Dom fteutfefeen 
praefeunterriefet". 12 1910 , S. 90 u. 91 ), gefeört in ften 3 ufammenfeang. 

<EnftIi 4 / drittens: ftie ftarfe unft feferoaefee $lejion. Die tDorte lernten unfere 
cfeüler wofei, aber lebendig finft ifenen ftie Begriffe nicfet. XDas Jat ©timm, etwas 
mtanttfefe, mit ftiefer Be3eicfenung fagen will („Dtfcfe. ©ramm." 2. Ausg. 1822 . S. 839 ), 
ufe anfefeauliefe gemaefet Werften, ftamit es in ften Köpfen feafte; mit ftiefer poettf<feen 
uffaffung ift ftann ftie nücfeterne Beobadjtung 3U pergleicfeen, ftie lefert, ftafe wir tag* 
fl neue feferoaefee Bilftungen erleben tonnen (etwa „reutem" = berieten im Stile 
!s Reuterbureau), niemals aber eine ftarte, fo ftafe tatfacfelitfe ftie feferoaefee Konjugatton 
e ftärtere ift, eine ©infiefet, ftie in fter fran3öfif<feen ©rammatit 3ur Prägung fter 
fettgeren ©egenfäfee lebende (er-, ir-Derba) unft tote (fogenannte unregelmäfeige 
;tba) Konjugation geführt feat. 

©in feiibfefees Beifpiel für ftas oben erwähnte Rtefer an Anteil feeifefeenften fpraefe* 
^en ©tfefeeinungen finft ftie Causativa (Factitiva) ftes Deutfefeen. IDieoiel rnefer 
öpferifefeer ©eift offenbart fiefe in ftiefer lebendigen Klaffe als in ftem faire faire 
s $ran3öfifefeen j 3 cfe roeife aus (Erfahrung, wie ften Spülern ftie Augen leuefeten, 
!nn fie ften engen 3ufammenfeang 3roifcfeen trinten: tränten auf feeute auseinander« 

1) Dlit roelcfeer $reufte wirft ein Berliner Junge feören, ftafe fein liebes „3d feab 
n Jelft nid;' 1 logifdjer ift als ftie iftm anerjogene fd^riftöeutfdje flusötutfsroeife. 

2 ) Sleftiertes fteutr. in ftem munöartlicfjen „als" (lomm als mal), „eins" (iefe jefe eins 
f bie Poft). 

3) Das s in -ftings ift nach Analogie fter 3 afjllofen s-Aftoetbien angefjängt worften, ftas 
D€ 'ft „allerftings", ein alter Gen. pJ. 



774 • 


Der beutfdje Sprachunterricht ttad) bem Kriege 


fallenbe Derben tote fingen: fengen, rinnen: rennen ausbeljnen lernen (hübebtcmi, 
a. a. ©. S. 92 ). tDeldjen tiefen Blid tut ber Cemenbe in bas beutfdje Spiacfjlekii 
bei biefet ©ruppe non Derben, bie Ablaut unb Umlaut fo glücflich »ercinen, roie lernt 
er ben fogenannten Rüdumlaut oerfteljen unb bie Konfequenj bet Cauigefetje adjloi, 
roie leicht ift non fanbte: fenbete aus ber EDeg 3U bem flnalogieroejen 31t finben, te 
fo enorm roichtig ift für febes tiefere (Einbringen in fpradjlidfe Dinge! 

3 <t) roenbe mich ber $Iejionslehre 3U, beren Ralfmen idj aber etroas roeila 
faffen ^roill, um in ihm auch einige $ragen, bie ftreng genommen in bie Cautle^ 
gehören, unterbringen 3U fönnen. fjat amtlich nur bas franjöfifc^e unregelmäjif 
Derbum mit feiner 3roeifeIlos ^ödfft be3eidfnenben unb ben Sinn für fprad/ücfje Dop 
gänge fdjatfenben 1 ) (Entroidlung Anfprud) auf eingeljenbe Beljanblung in beutfiffen 
Schulen, nicht auch bas beutfdje ftarle 3 eitroort mit all feinem Anfang? ro®im 
roerben etymologifdje Übungen, bie bas (Erlernten oon Stammes3ufammenl|ängtii 
3um 3roed haben, im Cateinifdjen (recuperare: capio) unb im $ran3Öfif<f)en (^chevele, 
„mit flattembem fjaar": cheveux) beftimmungsgemäft angeftellt unb unterbleibenim 
Deutfdjen, fo bafj unfere Schüler bie fpradjlidje 3ufammengehörigfeit oon „§eben“unb 
„ergaben", „treden" unb „oertradt", ja auch nur „fahren" unb „fügten“ mdjtfl^nen? 

Ulit bem Sdjroanfen non Derben 3roifdjen 3roei oerfdjiebenen $Iejionstgpen 
roill ich beginnen. Der Deutfdje oon beute beoor3ugt fidjtli^ bie fd)nmh e S® 
„er badte" oor bem ihm literarifd? belannten „er but", ift fidj aber oft im 3 ®^“ 
über beren 3uläffig!eit, ebenfo roie bei „et glimmte", „faugte", „gärte“ neben be« 
entfprechenben ftarten Bilbungen. Da roirb es ihm eine Befreiung fein 3U erfaßten, 
bafe ein foldjes „Penbeln" in allen Sprayen etroas gan3 ©etoöbnlidjes ift, ®i e 3 * 
maudire (eig. Kompofitum oon dicere) mit feinem maudissons (Iebenbe Konjug«- 
tion) neben maudit-e (totes Part.) beroeift. Der bialeftifdjen §orm je vas (utfpt.iw 
tigt), bie neben tu vais fid? nicht halten tonnte, ba überall fonft 1. u. 2. Petf- <F* 
lauten, möchte id? bie Angleichung bes beutfchen „ich tue" (nach „ich nehme'') gegenw* 
ftellen, bas gemäfe feiner unthematifdfen Bilbungsroeife mljb. „ich tuon" Ifiefe. 
falls analogifch ift bie alte Sorm „du willt", febem Schüler but<h bas „h« 1 roic * 
roillt betannt, nach „bu gibft" umgeformt rootben in „bu roillft", ® as e * ne 
Parallele im fran3öfifchen vous dites: vous contredisez firtbet, auf bie jebet egt 
bes Stan3öfifchen aufmerlfam machen mufj. ... 

Die UTehrftämmigteit einiget befonbers alltäglicher fran3Öfif<het Derben ( 
aller) roirb bem Schüler nahegebracht, er hört 00m Suppletioroefen (ber Sadje, n 
bem IDorte nad}), fragt man ihn aber, ob es fo etroas im Deutfdjen auch 9 e e ' 
ift er oerbuht unb finbetfchroerlidj, bafe unfet Verbum substantivum, ferner 
unb ,ftehen’ ebenfalls mehrere Stämme aufroeifen. . ^ 

Bemerlensroert finb roeiter bie $älle, roo Ausgleich innerhalb eines un 
felben Tempus oorliegt; 3. B. roirb heute „er treust", „3euch ein" als 
empfunben, bie Plutalformen unterftütjt oom 3nfinitio hoben fich ob ö ’ e 'J® . 
etroiefen. Au f ihre lautliche (Entftehung roirb man in ber Schule nicht eingeljen on 




Don Otto (Code 


775 

fcafc ab« „ich marb" unö „mir mürben" rnfprünglidj fidj nur tote sg. unb pl. praet. 
oerßdten unb „mürben" bann Derallgemeinert „marb", fann man auch Spülern 
flarma^en. Itadjbenfenbe Primanerinnen unb ©berlyjeiftinnen haben mich im 
gra^öfifdjen mohl um flufflärung üb« j’aime: nous aimons, meid? legeres gegen 
bie fran3öfifdjen Cautgefeße gröblich oerftößt (f. bas lautgerechte amant), gebeten 
unb fanben barnt leicht felbft, baß hier Übergteifen bes sg. oorliege. (Ein Hempus be* 
einflufet bas anbere in „ich fämor" «ich habe gefämoren) gegenüber berechtigtem 
„ich fämur", mie im gran3öfifchen je vScus, lus ab3uleiten finb aus ben gleichlauten* 
ben Parteien, nicht oon b« hiftorifchen lateinifchen gorm. Daß enblich ein Parabigma 
norbilblich für bas anbere mirb, roiffen bie Spüler oon enverrai (nach verrai „i<h merbe 
fehen"), arfbererfeitsoonpourvoirai (etmanach boirai) her, orbnen aber bie ihnen be* 
fannte Doppelheit oon „fragte: frug", „fragt: fragt", beten Befeitigung 3ugunften ber 
„allein berechtigten" erften gönnen in ber Schule nachbtücflich geforbert mirb, unb 
„hub: hob" nicht biefem allgemeinen fpradjlidjen ©efeß unter; eine gorm mie „erhat 
gehteßen" ift in bet Schule einfach «in nach toter ©inte fdjreienbes Derbrechen! 

Das in allen Sprachen an3utreffenbe Beftreben, oerein3elt ftehenbe Sonberbat* 
leiten 3U unterbrüden, bamit bas regelmäßige Syftem hänfne, feiert im Deutfchen 
ebenfolche Triumphe mie im gra^öfifdjen. Die alten Snfinitioe st6n, gßn merben 
„3«behnt" in „gehen" unb „ftehen", bamit fie ausfeljen mie ein orbentlidjer Snfini* 
tio, courre befommt eine hnbfch beutliche 3 nfinitio*<Enbung unb heißt fortab courir, 
bem alten Parti3ip „geffen" feßt man für alle gälle nodj ein ge* oor, fo baß es nun 
hoppelt perfeftioiert ift. 

Unb enblich Korreftorengelehrfamleit, über bie fjilbebranb ftöhnt! IDenn ein 
Schüler eine (EtHärung oon Cuiljets „ich flöße" unb £effings „ich fahe" «bittet, mirb 
man ißm bas Unberechtigte biefer Biibungen Harmachen, mie ber Celjter bes gran3o* 
fif^en heute gar oft in ben gymnafiden Klaffen bie Abergeleljtfamfeit in goimen 
oie grand’mbre (mit flpoftroplj), s^avoir (angeHügelt an scire), chevaux (es follte 
chevax ober chevaus gefdjrieben merben) an ben Pranget fteHt 

Htit ben leßten Beifpielen ftreife ich bereits bas ©ebiet b« nominalen glejions* 
leßte, bie im Rahmen unferet Betrachtung nicht gcnt3 übergangen merben barf. 
Paß in meilleure bas e hiftorifdj unberechtigt unb nur flejnoifdjes 3 eichen für bas 
Semininum ift, begreift ber lateintreibenbe Schület leicht unb mit Sntereffe. U)irb 
ißm bie <Emfidjt, baß bas Pluralgefühl, bas in uns heute b« Umlaut erroedt, ebenfo 
abgeleitet unb unurfprünglich Uh meniger an3iehenb etfcheinen? U)irb er nicht folgen 
Biibungen gegenüber mie Böte neben Boote, Kragen neben Kragen (fübb.), jaflero* 
plane neben *plane hellhörig fein? Die lateinifchen Heittra gaudia (joie), vela (voile), 
differentia (difförence) nahmen roeiblidjes ©efdjledjt an; biefelbe auffallenbe (Er* 
fdjeinung befeuert uns unfet Deutfeh in Blume, Kohle, Schlange, bie, einft lUastulina, 
„»egen ißres meiblichen flusfeljens" als feminin aufgefaßt mürben. Die mangelnbe 
Burdjfidjtigleit ber gorm führt 3ur Spaltung besfelben tDortes in „Statt" unb 
„Stätte", „flnt" unb „(Ente", „Saul" unb „Säule", bie fid? urfprünglidj mie Uom. 
(b3m. flft) 3U ©en. (Dat.) oerhielten, bann aber als un3ufammengehörig empfunben 
mürben; ogl. fran3öfifch sire: seigneur, pätre: pasteur. 

Aus ber glejcion bes flöjeftios mag noch ein befonbets Ijü&fdjes Beifpiel Plaß 
finben, bas lautlich bem«fensmert ift unb bie überall unb in dien Sprachen mieb«* 



776 


Der beutfdje Sprachunterricht nadf 6em Kriege 


tehrenben phonetifchen <Entwidlungstenben3en aufweift: minor > meinrs ) moinre 
unb mit fogenamttem ©leitlaut moin-d-re, ebenfo erjeugt nthb. minre ein [ol^es 
d, fo bafe bie nljb. gorm „rninber" lautet 

3 m weiten ©ebiete ber beutfdjen Syntaj enblicf}, bas in bet Schule nod] roeitiga 
begangen 3U werben pflegt als bie normet genannten gelber, hebe id} 3unäd)|t einig« 
bas gefchichtlidje XDetben bes Dfeutfchen beleudjtenbe $ragen heraus. Ulan ipridjt 
wohl heute baoon, bie neueren Sprachen feien biologifdj ju treiben; bem ftimme idj 
non tjet3en 3U, erneuere nur meine grage: Kann nicht auch unfet Deutfeh biologif«^ 
betrautet werben? Das gtan3Öfifche wirb gern als eine fpätere Blüte bes Eateinifdieit 
angelegen, man fudjt, welche Organe abgeftorben, welche lebensfähig geblieben finb, 
unb entbedt bemertenswerte Dinge. Da finb gan3e lEempora oertlungen unb bie 
Kafus 3ufammengef(hrumpft bis auf einen Heft, wäljrenb auf ber anberen Seite ge« 
wiffe (Eigentümlichfeiten bes IDortfehatjes, non gefetjmäfjigen Cautoeränbenmgeit 
abgefeljen, fowie foldje ber Syntaj Iebenbig. finb wie 3ut 3 eit Gäfats. Das Keimen, 
Blühen unb Abfterben innerhalb bes Deutfchen in allen (Edelheiten 3U oerfolgen, 
ift fielet nicht Aufgabe ber Schule, ba3U liegen hier bie Derhältniffe in ber älteren 
3 eit 3U oerwidelt (f. u.). Aber edelne Dinge, bie hierhin gehören, tarnt ber Spüler, 
wenn er aufmetffam gemalt wirb, alle Sage beobachten, unb burdj ihre Beobaefjtung 
wirb et minbeftens fo geförbert werben wie butch bie Betrachtung bet lateinifcb' 
fran3öfif^en Analoga, bie niemanb für 3U fdjwet holt. 

IDeite ©ebiete Deutfchlanbs, namentlich irrt Süben, hoben bas Präteritum bereits 
oerloten unb es erfetjt butch bie umfehteibenbe gorm bes perfetts. Diefe tEatfach«, 
bie nicht nur in ber Umgangsfprache fi<h bemertbar macht gewährt einen feiten Haren 
(Einblid in bie beftimmenben ©rünbe bet Sprachoeränberung, IDarum ift nur ber Süben 
uon biefer Derarmung betroffen? ©. Behaghel (®ef«hi«hte bet beutf<henSpra<he 3 , 1911 , 
S. 239 ) weift nach, &afe fie lautliche ©rünbe hat: „Durch ben Abfallauslautenber Do« 
tale [bet für ben Süben be3eid}nenb ift] waren beim fchwadjen Derbum bie britten Per* 
fonen bes Sing. 3 nb. Präf. unb Prät. 3um größten lEeil gleich geworben: 3. B. et met , 
er rebet... bie ftarfen gormen richteten fich nach bem Debatten ber größeren Ülaj(e. 

Auch beim Subftantio tonnen wir ein ähnliches Abfterben feftftellen: ber ®<ne n 
ift in ber Umgangsfprache (u. noch rneljt in ben Dialetten) meift butch bie Präpofiteon 
„uon" mit folgenbem Datio erfet(t worben (ogl. de mon ami), unb auch bet Datirnng 
um feine <Ejiften3 („gib bas ©elb an beine BTutter"). tDie feht uns bas ©ertettogefü? 
abhanben getommen ift, erfieht man baraus, bafe in ber Ausbrudsweife „ich 9 cl l c 3 
IRüllers" ntüllers ohne weiteres als Datio pi. ausgebeutet wirb, wähtenb es e 
©enetio ift (ogl. fr3. chez les Breton, tintig unoeränbert), ebenfo wie in „ich * n 
mübe" „es" als Att angefehen wirb, überhaupt ift bas ©efühl für bie eittjelnen f 
ftarten Deränbetungen ausgefet)t. Der lateinifche ©enetio illorum > ftanpofifch 
be3eidjnet im gran3öfifchen ben Datio, fo beobachtet ber Primaner. Dafür, >°6 
einem beutfehen Pronomen ber Attufatio ben Datio wähtenb bes Überganges ® 
Ülhb. 3um Ithb. oerbrängt hat, fehlt ihm bet Blid, obwohl er, auch bei bet jejjl 9 C 
ten Praxis bes Deutfchunterridjtes, gerabe3u auf bie (Erfdjeinung geftofeen vom 10 
et auswenbig lernt: der iu rechte maere bringet J ~ : ‘ u ‘ i ‘~"" s '" r+ffl “ et 

ben Datio, burch ben Attufatio „euch" wieber. Die 
nicht fo unwichtig, wie es 3unächft fcheint. Denn 


, aaz 0111 iwi. wem» v—-3 
Beobachtung biefer Satfadjc tft aber 
welcher „gebilbete" Deutfd)« 




J 



Don Otto (Eacfe 


777 

fteh nicht oft barüber luftig gemalt, bafe bas gewöhnliche Doll in RorbbeutfAlanb 
„m<^t einmal" Datio unö AJfufatio unterfcheiben fann, „mir unb mi* oerwechfelt", 
tote bet flusbrud lautet! 

3 <$ füge nun noch einige Kapitel bet nljb. Syntaf anbeutungsmeife an, bie mit 
praeheqieherifehen tDert 3U haben ((feinen. Dafe ein Spüler höherer £ehranftalten 
feine Rtutterfprache fo weit beherrfdjt, bafe et übet Ijaupt* unb Hebenfafebau Befdjeib 
weife, barf man billig ermatten. IDäre es aber nicht auth münfehensmert, bafe et übet 
bas allmähliche IDerben bet Unterotbnung belehrt mürbe, an ber fjanb folget Bei* 
fpiele mie: Die $teunbe — bie hatte et—rief er 3ufammen; ober: (Er legte fidj niebet 
— bamit fchlief et ein u. ä.? (Et erfetmte bann, mie ungetmanif<h bie Unterorbnung 
tm ©tunbe ift, mas ihm auch ein Bficf in bie Iebenbige Sprache bemeift, unb beJäme 
eine Ahnung oon bem engen 3 ufammenhang ber Spraye mit bem Doltscharafter. 
(Ebenfo unoolfstümlich wie bie Suborbination ift bas beutfehe $utur, beffen fpäte Bil* 
bung aus bem Detbum .werben’ mit bem Patt. praf. 3. B. Iefenb(et) ein fpra^lid? 
intereffierter ITCenfch lernten mufe. IDie oiele Stubietenbe, bie mit ber fran3öfifchen 
Sututbilbung aus 3 nfinitio + avoir genau um3ugehen miffen, fehen in bem „lefen" 
feelentuhig ben 3 nfinitm, roomit fie jeglicher fptadjli^en £ogi! ins ©efid?t fragen. 
Bas ift bod) wirflich befdjämenb unb ein Bemeis, bafe bie beutfehe Sprache ihnen „nicht 
weit her ift. £ogifdj beftiebigenbet als bie fran3öfifche ift bie beutfehe SrrealisJonftrut* 
tion, an ber bie Schmeben, mie mir einmal oerfichert routbe, ben Sinn für bas irreale 
Bebingungsgefüge fdjulen, mogegen 3 eitfolge unb RTobuslehre im Romanifchen Jon* 
fequettter burchgebilbet finb. Die (EntmicHung bes „3U" oor bem 3 nfittitw 3U einem 
flejwifehen (Element (im (Englifdjen burchgeführt) geftattet bie Aufbedung bes Unter* 
fd?iebes 3mif<hen älterer unb neuerer $Iefion unb bie Befämpfung bes Dorurteiles, 
nur in ber alten Art fönnten wahrhaft alle $einheiten ber Be3iehung ausgeörüeft 
metben, mie Altfprachler gelegentlich behaupten. 3 m Deutfchen finb mir noch in ber 

bem Artifel butdj Betonung feinen urfptünglichen U)ert als Pronomen 3Utüc!* 
3 ugeben, im ©egenfafe 3um Romanifchen, mie mit auch ungebunben finb im Der* 
wenöen bes ©efdjlechtswortes überhaupt, bas 3. B. bei AbftraJten unterbrüdt merben 
tarnt. (Enblidj bie beutfehen Proportionen! U)ieoieI inniger Jönnen mir uns in ihren 
dharafter einleben als in ben ber fremben Dormörter, bie uns ihren tiefften Sinn 
nie entfchleiem unb immer etmas £aunif<h=©eroalttätiges für ben Auslänber behalten. 

3 <h hoffe, bafe man aus biefen roenigen Beifpielen entnehmen Jann, mie idj mir 
öie ^etan3iehung unferer IRutterfprache 3ur Schulung bes allgemeinen Sprach* 
oerftänbniffes, auf bas mit Deutfchen uns etmas 3ugute tun, benfe, unb bafe man 
wir nicht ben Dorrourf machen mitb, ich ftrebte bie (Einführung einer eingehenben 
unb fyftematifchen Befehäftigung mit ben früheren Spradjperioben bes Deutfchen, 
non ber Ijilbebranb nodj im 3 ahre 1887 fehroärmte (2. Anh. 3u „Dom beutfehen 
Sprachunterricht" 12, 1910 ), ober auch nur bie Behanbtung bes Deutfchen als $remb* 
fpra©e an, gegen bie fich bie Beftimmungen für bas höhere Rtäbchenfchulmefen 
w<hten. 3 ur Beobachtung bes heimifchen fprachlichen £ebens an3ulei* 
ten, bamit bie leibige beutfehe Angewohnheit, Anteil 3U nehmen blofe 
Sdjäfeen aufeerhalb bet ©ren3pfähle, auch au f biefem ©ebiete be* 
tampft mitb, bas ift, nach meinen Ausführungen, eine (Ehrenpflicht bet 
neuen beutfehen Schule! 



778 


rtamenfd|öpfung aus Anlag bes UMtfrieges 


ttamenjcfjöpfimg aus Hnlaf} öes tDeltferieges.*) 

Don Hermann Sattel in Bremen. 

Das ungeheure (Erlebnis bes IDeltfrieges ebbt naturgemäß auch in bet Spradje 
nach, benn fie ift es ja, in ber mir bie nachhaltigen (Einbrüde bes (Sefhehens unb fr 
lebens formen, oertünben unb roeitergeben. (Es roitb für eine Jpätere 3 «t leM 1 ! 
unb überhaupt erft möglich fein, aus ben bann oorliegenben 3eugniffen oetfchtebenfier 
tjertunft ben Umfang 3U etmeffen, ben biefet Krieg mit feinen 3erftötenben, ueränbem’ 
ben unb neu aufbauenben IDitlungen auch in bem immer bem tDedjfel untnootfp 
nen, uielgeftaltigen ©rganismus bet Sprache geübt hat. Schon jeßt läßt fid) einiges 
feftftellen. Die Preffe mit ben politifchen Ausführungen ber Ieitenben Staatsmann«, 
ben lalonifchen Berichten bes ©eneralftabs, ben aufgefüllten Schilberungen 6er Kriege 
beridjterftatter ftellt auch nach ber fpra^lidj=ftiliftifchen Seite eine behenfchenbe 
UTacht bar. Daneben ooltyeßen unfere $elbgtauen (ein IDort füngfter Prägung) 
mehr im münblichen Gebrauch als im Rahmen ber Schrift eine fprachbejtimmenbe 
IKajfentätigleit, inbem fie bie Derrichtungen, Dorgänge unb (Empfinbungen 6« 
Kriegslebens unter ber ftarlen U)ud]t bes fpradje^eugenben (Einbruds in überaus 
charafteriftifdjen EDenbungen toiebergeben. 

(Ein fprachßches Sonbergebiet, bas butch ben Krieg eine mettoürbige Heubele< 
bung erfahren hat, ift bas bet Ramengebung. IDenn es gelingt, bie gleich nach Kriege 
ausbtuch einfeßenben Dorgänge genau 3U ermitteln unb in ihrer ©eiteren 4nta ' 
lung 3u oerfolgen, fo lann bie Hamentunbe baraus oielleicht tDicEjtige Schlüffe für « 
Ramenfdjöpfung überhaupt 3iehen. Der Antrieb 3ut Anbetung älterer unb Sch a F n 3 
neuer Hamen geht hauptfächlich oon 3©ei Seiten aus, oon bem Jäntpfenöen h*« 
felbft unb ben in ber tjeimat 3utüdgebliebenen, unb ooltyeht fi«h hört auf feinölnhetn 
Hoben, hier im Sanbe felbft. 

Die in $einbeslanb eingebrungenen Sruppen finben bort eine unübetfeh 
Itlenge $lut*, Straßen* unb ©rtsnamen oor. Diefen füt ihn unoerftänöli^en P« 3 el( £ 
nungen fteht bet Solbat ratlos gegenüber. Sein ©ehöt ift 3u ungeübt, um bi« 
tlingenben Saute leiblich richtig nach3ubi(ben, roas ja felbft ©ebilbeten, öie bie P I(I 
aus Büchern 1 ennen, fchtoer fällt. Die $oIge ift ein fürchterliches Kaubetroelfchi 3 “ 
auf flaoifdjem ©ebiet. 3 m EDeften bietet fich infofem eine Aushilfe, als ber 
Iateinifchen Schrift oertraute Solbat fich roenigftens aus Änfchlägen, 3 nfchnfl«J* 
3 eitungen bie Buchftabenfolge ber Hamen merten fann; er fpridjt fie bann nach 
Schriftbilbe beutfch aus. Binber berichtet 1 ), baß bie Solbaten bas £?°tel ( 
ben Siß bet beutfchen Derroaltung in Hamut, nur „Sdjtaubein" ausgefP 1 
hätten. (Ein tapferer medlenbutgifcher Solbat nannte mit ein Dußenb ftan 3 °l 
®rte oon Süttid} bis 3ut IRatne, burch bie er getommen roar, leinen eirt3tgen^^ 
richtig, bie meiften nach her Schriftform (bie lütten CöHer hatte er überhaupt oet ®* „ 
Bei längerem Aufenthalt an bemfelben ffirt, alfo befonbets bei ben Befaßun^i' 
bet hauptoer binbungslinien, ftellt fich habet, unterftüßt burch bas natürlich« 

*) Derfaffer bittet bie Cef er um Htitteilung roeiteren ITTaterials. flnfd)tift : P 1 ^' 
Hermann Gatöel, Bremen, flltmannftrafee 16. 


Dr. 




Don Ijermann ffaröel 


779 

bemufttfein bes (Eroberers, halb bas Bebürfnis nach beutfchen Be3eid}nungen ein. Die 
einfache $orm hierfür ift ber 3 ufaft „Heu" 3U bem rnfprünglidjen Hamen. So erhielt 
m £üttid ? einc DOn öcn Belgiern 3erftörte, oon unferen Pionieren mieberhergeftellte 
Brüde in berbet Solbatenfauft bie Auffchrift „Heuer Pont bes Arches". Der natürliche 
Spradjinftinft führte ba3u, bie olämifche Hamenform oor ber fra^öfifdjen 3U benot* 
3ugen, fo llaemen für Hamut. ITCeiftens aber griff man burd) irgenbeine fpontane 
Beziehung 3U einem neuen, oollfommen beutfchen Hamen. Als bann nur noch ein 
meitausgebehnter Stellungsfrieg geführt mürbe, lag ein unmittelbarer 3u>ang oor, 
bie fchier un3ählbaren Schüftengtäben, S<han3n>erfe, Unterfunftsftellungen ufw. ein* 
3eln mit Hamen 3U benennen. Der Harne ift gleichfam ber Ariabnefaben 3m ©ntwir* 
tung ber Sd}üftengtäbenlabyrinthe. ©s ift gegenwärtig nicht möglich, einen Über* 
blid über biefe Heubilbungen 3U getoinnen, ba mit bem Hamen 3um Heil bas militä* 
rifche Geheimnis ber Stellung oerbunben ift, bod? läfet fich immerhin aus 3 eitungs* 
berichten unb $eIbpoftbriefen einiges ermitteln. 

H)ie fich unfere Solbaten an ben ©ifenbahnftationen oon ber beutfchen ©renje 
bis nach Cüttid} auf gute beutfchc Art eingerichtet haben, berichtet Paftor 3 ul. Bobe: 
„Srembe Hamen finb befeitigt, an ihre Stelle toohltUngenbe beutfchc gefegt. So 
tarnen mir auch an einen ®rt, ber heiftt feit wenigen Hagen „Heu*H)armbrunn". 
Der Sanbfturmmann, ber H)ache hält, er3ähtt in feinem unoerfälfchten mittelbeutfchen 
Dialett, hier feien grab’ fo fdjöne Babequellen roie in flauen (!), unb barum hätten fie 
Öen ®rt in Heu*H)armbrunn umgetauft — er hieb, wenn ich nicht ine, ootherHeuf* 
fontaine". 2 ) ©in anberer Berichterftatter fchilbert bie Quartiere fjatnburgifcher 
Gruppen in einem fchmuftigen lothringifchen Dorf bidjt hinter bem Kantpfgelänbe: 

• Rtan finbet hier ein „fjotel Atlantic", bas feinem berühmten Bruber in Hamburg 
allerbings nur wenig ©hre ntacht. Auf einem altersfchwachen, gebrechlichen fjol3‘ 
häusdfen, in bem ein paar Slafdjen IHineralmajfer ein oerlaffenes Dafein führen, lieft 
ntan bie pomphafte Auffdjrift ,,©afö 3um AlfterpaoiUon". Auch bie Säben unb Kaffee* 
häufer, bie oon ben Bejiftern gefchloffen finb, haben fich eine luftige Umtaufe burdj bie 
toi^igen beutfchen Solbaten gefallen laffen müffen. Das „©afö be la ©rotj b’or" ift 
3U1t |, 3 um ®f crncn ^ teu 3 " unb bas Sdjilb bes EDirtshaujes „Au granb monat* 
<ine" ift „Au granb monarque ©uillaume II" ergän3t worben. 3 ) (Erwähnt fei, öaft 
bie Druderei ber Kriegs3eitung bes Regiments Bremen, bie in BaiUy unter bem Hitel 
„hurra!" etfdjeint, fich in einem Blodljaus befinbet, bas bie Auffchrift „Kunfttempel 
©utenberg" trägt. 4 ) Hach ber Silier Kriegs3eitung nannte ein baytifdjes Infanterie* 
tegiment, bas in ©. in Stellung lag, bie hauptftrafte bes ®rtes „Kaifer IDilhelm* 
ftrafte", bie ab3weigenben Straften „Subwigftrafte" unb „RuppreQtftrafte". <Ein3elne 
häufet hieften „Rotes Schloft", „H)eifte Dilia", „Sieges*Hor", „haderbrauerei" ober 
führten anbere hochtönende Hamen. Das erleichtert, fagt ber ©Wähler, Hlafot h-, 
öas 3 uredjtfinben, unb es Hingt auch f<höner, wenn man im Abf djnittsbef ehl befannt gibt, 
öaft oier Wann ber 9 . Kompagnie heute abenb 100 hanbgranaten oom Siegestor in 
bie haderbrauerei 3U bringen haben. Der einige gtofte piaft bes ®rtes heiftt „Hlidjels* 
Plaft" 3U ©hren eines befonbers tüchtigen unb finbigen ©efdjüftführets biefes Hamens. 
Bet Unterftanb eines Kommanbeurs würbe P0I3 „$elbhetmhalle" getauft ©in 
©taben, bet troft aller pioniertunft naft blieb, trug ben Hamen „Sue3fanal" baoon. 8 ) 
amtlicher Bericht über bie Kämpfe im Argonner IDalb befagt Oanuar 1915 ): 



780 Itamenfdjöpfung aus Hnlag bes tDelifrfeges 

„ 3 n fjüttenlagern, in bequemen unb roohlburtmärmten ©rbhöhten unb Unter 
ftänben richtete fit bie ([nippe ootn am geinbe ein. 3 eber Sdjü^engtaben eiftd 
jeinen Kamen, überall entftanöen Be3eitnungen für bie untetirbiften Dörfer, öie 
fit ba entmidelten. Heben einem fröhlichen fjumor, bem unfere Solbaten jo gerne 
bie 3 ü<jel ftieften Iajjen, !ommt bei biejen Bejeidjnungen aut religiöje ©ejinnung 
unb entjte ©ntftlojfenheit 3um flusbtud. Ba Iefen mir not einem Unter jtanbe „©tbon> 
nanjen* unb Burjdjenjiube" unb barunter jteht „(Eine fejte Burg ijt unjer ®ott" ober 
eine anbete Aufftrift: „(Treu leben, (Tob trofcenb tämpfen, £atenb fterben.“ Der 
Brief eines bremijdjen teutnants oom yfer*Kanal gibt uns eine lange £ifte unb lau 3 
nige Beitreibung bortiger Kamen: „(Ein jeber tDoljnraum ijt mit jeinem Hamen 
getauft. Bei bet „©ranatenmühle", bie oon ben ©ranaten bes geinbes tut3 unb flein 
gejdjojfen ijt, liegt ber „Sd}tnieöe!ellet" in einer ausgebrannten Sdjtniebe. Kitt nuit 
bauon ber „Stlfifrige Poften", roo ber Kommanbeut ben Poften jdjläfrig fanb. Kot 
weiter unten an berjelben Strafte ber „Htaftinengemehtteller" (ba fanb bie Bebie» 
nungsmannftaft ber Hlaftinengetoefyre Untertunft). ©egenüber bie „IDinbige 
©de" — bas tjaus ijt non ©eftojjen jo burtlötert, baft ber IDinb burti) alle 
® c ht- „ 3 ut {tönen Ausfitt" ijt nur ein einjelner Sift neben meinem Unterjtanb. 
„Stutens flbjtieb" toutbe oon bem Unteroffyier Stul3 am (tage feines flbj#<b5 
oon ber ootberen £inie gebaut. Ber (Eingang 3um „Sttangenteller" ijt etwas eng, 
jo baft man jit hüteinftlängeln muft. „gteitoillige oot" toat gan3 oome, tooljin frei' 
millig niemanb gern roollte. 3 n ber „£üttjen £age" treffen bie 3ugfü^ter )u einet 
lüttfen £age (Bier) 3ufammen. Ber „Kartoffelteller" lag not 9 an 3 ®° 11 Kartoffeln. 
„Beim KartoffeUeller" ijt bet Unterjtanb baneben. Kn ben „jauteteller" ftöftt eine 
leere Jautefuljle. „Bie lauftige ©de" liegt ibyllift an einer tjede im ©bjtgarten. 
Boshafte Ktenften haben „£aujige ©de" baraus gematt. Der „£ange Jammer 
(eigentHt oolfstümlite Bejeitnung ber gerablinigen £anbjtrafte oon f)ont bis jum 
£ehfter Beit bei Bremen) 3ieljt jit enblos lang an ber gleiten fjede hin* ** n 
„Burg", einem Bauernhaus, oon bem nur not Ruinen fteljen, ijt bet „©eioölbelellet, 
ber „Burgteilet" unb bas „Burgjtübel". Kitt toeit baoon ber „flt3tjtanb", mo j« 
U)oten arbeitsloje Sanitäter ihr tümmerlites Bafein frijten. 3 ®n Seeluft ,Re ,IS 
Stieben", genannt nat einem tltanne, ber fit jonft hinter bet gront jdjtedlit I*** 
ben muft, hier in ber gront aber ungejtörten Stieben fanb." 8 ) 3 n einem gelbpoftbnef 
heiftt es oon jätfiften Gruppen: „Ba ijt eine K)egfreu3ung nat ber „f?o¥« n ’ 

Oie führt uns 3m £atrine, 3m HTüllgrube, 3um fjoljmeg. Kun reiht jit 
Stan3e, Unterjtanb neben Unterjtanb. Überall fonberlite Kamen! Ba ijt eine» 
bürg toohl 3um Anbeuten an eine £iebjte, ba bie „Biftthum*Allee", ba bie 
roadjt' ujto. An allen ©inrittungen hängt eine tjeimaterinnerung, jtedt ein 
finnreiten beutften ©eiftes." 7 ) Am ©ftenber Seejtranb höben fit unjete Tf 
Jungens bie 3 ahllojen Babetarren unb Babehütten für ihre in ben Sanb eingebetie e 
Unterftlüpfe 3unufte gematt. Bie utjprünglit fran3Öjiften Kamen biejet Ke in , 
mürben in beutfte umgemanbelt. Aus „©ermaine" unb „S&öne" mutbe „Waue 
unb „Augujte", aus „£e Soleil" matte man „Billa Alfterluft", aus „£’hitonj>eUe— 
j^Klem, abet mein". 8 ) H)ie mittig bie Kamengebung bei bem anhaltenben Ste P 
meg für bie Orientierung ijt, erhellt aus einet hötft interejfanten Angabe *9 
wegeners über bie Kämpfe bei bet £orettohöhe. 9 ) Banat tennen infolge mon« 



öon Qermann tCaröel 


781 

langer Bhegerphoiogtaphien bie ©egner bie £age unferet ©räben ebenfo oollfommen 
toie tmr bie irrigen. Klan hat fogat bei Öen ©efangenen unb loten bes ©egnets 
genaue Karten gefunben, auf benen unfere ©räben Kamen arie Bismatd*, ITToltfe-, 
Potsöam*©raben trugen, bie bie $ranjofen ihnen 3« leisteten Derftänbigung bei 
einem Angriff gegeben Ratten, fjier ift auch 3U ermähnen, bafe bie oon ben ©nglän* 
bern 3ettroeife genommene „fyjffenjotlernfdja^e" in bet ©egenb oon £a Baffäe im 
enghf^en Kriegsbericht (®ftbr. 1915 ) mit ihrem beutfc^en Kamen genannt toirb. 

Bur ben öftlichen Kriegsfchauplafe finb mit bis fefet nur toenige Kachmeife 3m 
Qanb. ©ine fefte hol3brüde über ben San tourbe „©itel $riebri<h*Brüde" getauft 
( 3 uni 1915 ). £Us Strafe für bie ruffifdjen ©reueltaten in Ktemel mürben in Krottin* 
gen nahe bet beutfchen ®ren3e mehrere maffioe Raufer niebergelegt unb bie an ihnen 
entlang führenbe Strafe erhielt ben be3ei<hnenben Kamen „©erichtsftrafee" (nach 
einem Selbpoftbrief, Juni 1915 ). An ber Dunajeclinie hatten fich öfterreichifche Regi* 
menter Untertunftshütten mit ben Kamen „ 3 um IDallenftein", fjerjog oon $rieb* 
lanb" unb „Ditla IDalbheim" errichtet. 3 n Paul Cinbenbergs Ktiegsbriefen oon ber 
italienifch^tirolifchen ©ren3e merben für ©ffyiersunterftänbe bie Kamen „®ranaten* 
ruh" unb „ 3 um ©olbenen ©an3fchmeinchen" angeführt, ©in Kliener Bericht mit ber 
Auffchrift „Prater* 3 talienifch an öer Sront" führt aus: „Quirinal" heifet ba irgenbmo 
ein befonbers geräumiger Schützengraben, Sala terrana eine fdjön masfierte Bels* 
ün}el, oon ber bie Beobachtet Ausgud nach ben ehemaligen Bunbesbrübern halten. 
®n befonbers !ed oeranlagter ©infähriger hat fogat irgenbmo einen Klonte ©itorio 
ausfinbig gemacht 10 ) Oie beutfche Kamengebung ift fogar bis 3U ben Darbanellen 
oorgebrungen, unfere KTarineinfanterie hat fid? auf ber ®allipoli=f)albinfel an einer 
Stelle eine Bismatd*hätte, eine Pafdha K)eber*©totte, eine ©bmunbsflatnm gebaut. 11 ) 
Die Sitte ber Schüfeengrabemtamen hat fich auch auf bie in einigen Stäbten in ber 
heimat 3U Übungs3toeden errichteten unb bem Publifum 3ugängli<hen Anlagen biefer 
Art ausgebehnt. 3 n Bremen hiefeen gemiffe enge Stellen bes ©raben mit berbem 
Spott „IDilfonfttafee" unb „®rey*Ring". 

Bei biefen militärifchen Kamen mirb meiftens ein ein3elner ber erfte Schöpfet 
!>es Kamens gemefen fein, ben bie 3unächft Beteiligten ohne meiteres gebilligt unb 
n Gebrauch genommen haben. 3 nbeffen fann ber Karne auch, toenn mehrere Dot* 
•hläge ein3elner oorlagen, burch 3uftimmung ber ©efährten ausgemählt fein, ©t 
ann fchliefelich ©rgän3ungen unb Anberungen erleiben, roo3U auch öie humoriftifchen 
•imbeutungen (£aufd}ige > Caufige ©de) 3U rechnen mären, ©rofe ber ©eringfügig* 
eit bes oorliegenben Klaterials laffen fich menigftens einige bet ©efidjtspunfte an* 
leben, nach öenen bie Kamengebung erfolgt ift. Rein topographifchen Urfprungs ift 
•et Karne ber Schan3metfe „Kiesgrube" bei Dermelles (Kriegsbericht 00m 16 . fflttbr. 
915 ). Oie alte Art, ©rtfd;aften nach oorhanbenen Quellen 3U benennen, lebt mieber 
uf (Keu*R)armbtunn). Kteteorologifche Beobachtungen merben oft Deranlaffung 
eben (ogl. Klinbige ©de). Oie Art bet ©räben, ihre £änge, ©nge ober ©emunben* 
eit, führt 3U Dergleichen (£anger Jammer, hohle ©affe, Schlangenfeller), bie Barbe 
1 . ^en Ausfchlag (Rotes Sdjlofe, IDeifee Dilla). Das militärifche £eben fpiegelt fich 
ö in Kamen auf ben Kaifer, feine Söhne unb bas hohen3oltetngefchlecht, auf ein3elne 
ährer mie auf einseine Solbaten (RTichels*piafe, Schürens Abfchieb, Reils Btieben); 
hön gemählt finb ©ranatenmühle, ©ranatenruh — 3 um ©ifernen Kreu3. ©rinne* 



782 


namcnfdjöpfung aus flnlafj bes tDeltfrieges 


rungen an öie fjeimat fpielen eine gtofte Rolle, bähet beim Bayern bie £ubroigs» unb 
Rupprechtftrafte neben öet Ijadetbrauerei, beim Sachfen öie Diftthunv»flllee, beim 
Hamburger öie fllfterlujt. ©ft metöen and] TRäödjennamen benuftt toorbeit (ein 
(ogl. 3 lfenbutg). (Ein motalifches Urteil liegt in öem Beifpiel öet ©eridjtsftrafee not. 
Sernerliegenöe geogtap^ifdje flnjpielungen toie Suejfanoi, ©uirinal, IKonte Citorio 
öürften nic^t häufig fein. Dem fjumot bietet fich weitet Spielraum 3m (Entfaltung, 
öem feineren (Schläfriger Poften, £üttje £age) toie öem gröberen (£aujige öde), bie 
fjyperbel tritt bemertensroert hetoot ($elbhertnhalle für ein roinjiges £od|). 

(San? anöerer Art mar öie Hamenfdjöpfung in öer Heimat. IDas öie langjährigen 
Bemühungen öes Deutfchen SptadjDereins unö ähnlicher Bereinigungen mit an' 
bahnen unö oorbereiten tonnten, touröe nun mit einem Schlage erreicht: öie tonet» 
3ung öes fran3öfifchen unö englifdjen $rembroorts öa, too es toirSidj gan3 entbehrlich 
ift, auf Speifelarten unö $irmenjchilbetn, bei öen Hamen öer (Safthöfe unb HHrt» 
f(haften, bei Öen ffiteln öer ITCoöe* unö Sport3eitfchriften u. ögl. (Es beöurfte etft öes 
elementaren (Ereigniffes öes tDeltfrieges, um öie ©ejinnung unö öas fprad?li^e ©e» 
toiffen öet IHenge 3U fchatfen, um in Öen Blaffen eine ©efamtübe^eugung, einen 
©efamtoilten herooqurufen. fji cr genügen ein paar Beifpiele 3ur Kennjeidjnung 
biejes Umjchtoungs. Bie Umtaufe toat meiftens eine blofte Überlegung ober nahe* 
liegenöe flnpaffung, fo Rujjijdjet Ejof für Ejotel öe Ruffie, Berliner Botenjungen 6e* 
jelljchaft für Rleffenger Boy (Eompany. U)enn öie Übertragung nicht angängig row» 
touröe 3U neuer Hamengebung gefchritten, toie „Beutfdjer Ktonptüy" für öas Ben 
liner fjerrengefchäft ©lö (Englanö, 3 itfus Krone (nach öem Hamen öes öigentümeß) 
für ditcus dhories. über 3toei Duftenb öeutfehe unö öfterreichij<h e THoöe3eitfd!ntte , i 
änöerten ihre (Eitel. 12 ): UJienet Hloöetunft ftatt <Eh»c Parijien, Bie oomehmeütow 
ftatt < 5 ranb £uje Parijien, Bie ©rofte Sdhneiberfunft ftatt £e ©tanb öaiüeut, « 
U)ienet fjausfleib ftatt Hobes ö’Sntärieur u. a.*) 

Politifche (Ettoägungen unö Stimmungen lagen Öen Hamensänöetungen w 
Strafen unö piäften 3ugrunöe, öie 3toifchen Buöapejt unö Berlin ausgetaujfl? ® ' 
öen. Bie Betounöerung für Öen öeutjdjen Kaifer unö öie öeutfd?en IDaffentaten n 
in Buöapejt öie Umnennung einer Strafte (toohl öes tDai3ner=Ringes) in „ m l 
tDilhelmftrafte" unö eines piaftes. in „Berliner piaft" h et00t - Daraufhin * 9 ** 
Rtagiftrat oon Berlin öer Königgräfterjtrafte öen Hamen „Buöapejter StMße 
Damit touröe in feiner jymbolijehet H)eije eine (Erinnerung an 1866 gelofch 
gan3 ein 3 aht jpäter befchloft, ein Betoeis bulgarifcher Sympathien, öer Sta 
Sofia, je einen piaft öet fjuuptjtaöt nach &en Stäöten Berlin, H)ien, Bubapej 
nennen. j n 

Seit alters her h«t fich helöenoetehrung in öet Hamenfchöpfung tnnbge 
öiejem Kriege ift uns tjinbenburg öet helö aller fjelöen, Stratege unö Do s? 
gleich. 3 n flllenjtein, öem ®rt, too öie grunölegenöen 3 been 3Ut Sd}la<ht a ” *”^„5 
rijehen Seen entworfen touröen, erhielt 3ur (Erinnerung an öie Befreiung ®l t P r 


fo wäre 3U 


*) Aus öen hambutger Hadjr. (Sept. 14) etfah man, öaft ein beutf< 
in San $ran 3 isto feinen Domamen 3oljn in 3ohann 3 utücfgebilbet habe. 
fdjen, baft er oiele Hachfolger hätte, benn bie englifd)en Domamen finb oerbtei 
3unädjft glauben möchte. Dgl. Puloermacher, Berliner Domamen Heran 

(Progt.). 


tDÜn» 


als intf 
S. 1 * 




Don ({ermann darbet 


783 

eine Strafee feinen Hamen. Oie oberf©lefif©e £anbftabt 3 abt 3 e (übrigens ein ®tt 
non 68000 (Einmohnem) münf©te bie Anbetung ©res flaoif©en Hamens ( 3 aboi 3 e r 
hinter bem H)albe) in fjinbenbutg, um als Pflegeftätte beutfdjen Cebens in bet ®ft* 
mar! einen beutf©en Hamen 3 U fügten unb bem (Erretter bes ©ftens aus fernerer 
Bebrängnis eine bleibenbe fjulbigung bar 3 ubringen. Sie erhielt bie perfönli©e (Er* 
laubnis bes $elbmarf©alls unb bie lanbeshertli©e ©enehmigung, roorauf au© ber 
gan 3 e, 170 000 Seelen 3 äl}Ienbe Kreis ben glei©en Hamen empfing (Oe 3 .14 unb Jan. 
15.). (Es gibt übrigens f©on na© Hleyers ©rtslejifon oier ®rte biefes Hamens Groei 
in ber Htar! Branbenburg, je einen in Pommern unb Prooin 3 Saufen). Sn Pofen 
füljrt jetjt bie „Bergftrafee", in ber bas ©eburtshaus tjinbenburgs fteht, ben Hamen 
fjinbenburgftrafee, unb ber in ber Rahe liegenbe „(Brüne piatj" ift in „£ubenborff* 
plat(" umgetauft. 13 ) Oie (Eifenbaljnbelförbe in ©belaufen (Rfjeinlanb) hat eine neu 
bem Derfehr übergebene Blocfftation an bet Heumüijler ©ren 3 e „Blöd ©inbenburg" 
genannt. 14 ) Sn Berlin mürbe eine neue gtofee Btüde nörbli© bes Stettiner Bahn* 
^ofs als „fjinbenburgbrüde" non ber Stabt na© f©li©ter 5eierlidjfeit übernommen 
(Sept. 15). (Eine gan 3 befonbere (Ehrung na© ben großen (Erfolgen in Polen {teilt ber 
neue Pan 3 er — S. HI. S. fjinbenburg — bar. Sn ©fterrei© hat bie Stabt H>illa© 
(Kärnten) einem piat} ben Hamen bes $etbmarfd?alls gegeben. Hut mit Rührung 
!ann man folgenbe Ho «3 aus Seattle (U. St.) lefen: Ungefähr 1000 $armer beutf©er 
flbftammung, bie bei flusbru© bes Krieges aus Kanaba ausgetoiefen mürben, treffen 
flnftalten, bei Santafä in Heu*Rlejifo eine beutfdje $armerfoIonie namens „tjinöen* 
bürg" 3 u grünben. 16 ) fln fonftigen Heubenennungen na© gelben roäten 3 U nennen: 
bas Dorf „HIadenfen" in Pommern (Kreis £auenburg), bas aus 3 mei Rittergütern 
Qjotilom unb Oitröfe gebilbet mürbe, ein ,,©tto H)ebbigen*Ufer" in fjerforb, IDebbi* 
gens ©eburtsort, ein „Ijötjenborfspiafc" in fllt*Pen 3 ing bei IDien, mo ber öfterrei* 
©if©e ©eneralftabs©ef geboten mürbe. Oie Stabt HIalmeby an Deutf©Ianbs äu^er* 
ftec U)ejtgren 3 e ©at bie Strafe uon HIalmeby bis H)at©ebrüd „Prin 3 (Eitel $riebri©* 
Strafee" unb bie na© Hlonbijou führenbe „Prin 3 3oa©im=Straf}e" genannt, meil bie 
beiben Prisen ©ier fluguft 1914 ihr letztes Quartier auf beutf©em Boben Ratten.*) 

®ne am 23. September 1915 betanntgegebene taiferli©e Oetfügung nom 
2 .Sept. 1 ®) orbnete an, bafe247elfafe*Io©ringif©e©emeinben anstelle ©res bisherigen 
fran 3 öfif©en Hamens einen neuen, amtli© feftgefefcten beutf©en Hamen 3 U führen 
hätten. Die Regierung tat bamit einen S©ritt, mie fie ©n oor etma 10 fahren im 
©ften auf polnif©em Spra©gebiet getan hatte, als Snomra 3 lam (eigentlich Heu* 
Breslau) in fjoljenfa^a, 3 ablonomo in ©ofelershaufen u. a. umgetauft mürben. 
Slei© na© flusbru© bes Krieges hatte bie alte Stabt (Eltoitle im Rheingau ben |©on 
bisher beftehenben beutf©en Hamen „©llfelb" als offi 3 iellen ertlärt. Bei ben neuen 
■ei©slänbif©en Hamen ift es 3 mat bem $emerftehenben ni©t mögli©, in jebem 
Ein3elfall bie ©rünbe für bie gemählte Hamenform 3 U erfennen, aber im gan 3 en hat 

*) So bere©tigt bie Dermertung bet Hamen unferer ffeerf&ijrer unb Sürften au© 
|hne jeben 3 meifel ift, man foUte bo© oor gef©i©tli© gegebenen älteten Hamen fjalt ma©en. 
^rernfthaft gema©te Dorf©lag, bie bremif©e „dontrescarpe" in fjinbenburgfttafee ober 
Oallring umjuroanbeln, ift ab3ulehnen, meil er bie gef©i©tli© roertooUe (Erinnerung 
n oas alte Befeftigungsfyftem bet Stabt tilgen mürbe, um fo mehr, als ber Harne eine gemiffe 
ifftmilation aufmeift (eigentli© dontre*escarpe) unb im Dollsmunbe bereits „Kunterf©aft"‘ 



784 


Hatnenfdjöpfung aus Anlag bes tDeltfrieges 


matt ben CEinörucf, bag bie Hamengebung mit großem Spracgtaft unö nacg ridjtigtn 
©runbfägen erfolgt ift. Oie 3um Seil nocg munbartlicg ootganöenen beutfcgen Hamen 
fittb nun als bie maggebenben erHärt: Dug für Oieu3e, EDicg^'unb ITTebetDidj für Die 
unb IHoyenoic, ©unberegingen für ©oubrejange, £inbet für £inbte, (Elfringen für 
floricourt, (Eolrein für dolroy, Kolters für doutures u. a. IRegrfacg genügten blofet 
Überfegungen: Rtüglen für Rloutins, Heumügten für Heufmoulins, Zleubörfel für 
Heufoillage; (Efcfjen für $tesnes, dtlen für flulnois, diegenborf für dghnois; Burg 
Breufc^ für Bourg=Brutge, £ubwigsfefte für $ortlouis; geiligblafien für St. Bloif«, 
St. £ubwig für St. £ouis, St. Betngarb für St. Bematb. £ei<gt waren 3nfammen- 
fegungen n)iebet3ugeben, toie Stgöngtunb für Beltefoffe, Scgönenberg für Beimont, 
IKicgelbrunn für ©ranbfontaine, ebenfo bie befonbets gäufigen, auf »court unb mie 
ausgegenben Hamen, toie Htalanbsgofen für Htalancourt, fjattengofen für t?aucon= 
court, Rongofen für Roncourt unb Karlgeim für dgarleoiQe, £angengeim für £onge> 
oille, IDerngeim für Dernhoille (ogl. aueg Petersweiter für Pierreoiüers). HTegrfacb 
lagen ben fran3öfijcgen Hamen im erften deit altgermanifcge Perfonennamen yt 
gtunbe, bie fegt wieber 3um Dorfcgein lommen, fo ©erbertsgofen aus (ßerbheoutt, 
Balbersgofen aus Baubrecourt u. a. 3ntereffant finb bie etymologifg 3um HJort 
„Sal3" gegörenben Hamen: Saal für Saales, Sal3borf für Satonnes, Sägern füt 
Sauljures, Saged für doin für Seilte, ©rgeblicg fegroieriger war bie (Entfdjeibung bei 
ben 3aglrei(gen Hamen, bie im $ran3öjifcgen auf *y, =ey, *oy, *ois, ieuf=, rieulles, 
»ihres enbigen. gier gat man beutfege dnbungen =ig, rid), ringen (ring), s oä), »en, 
»ern, »egen eingefügrt unb fi<g im ein3elnen unter Beibegaltung bes ©runbroorts toogl 
meiftens naeg ber Klangwithmg ber neu 311 bilbenben $orm gerietet. Ulan oergteirge: 
flncy > fln3ig, flrty > Arrieg; dotny > dotningen, Juffy > 3uffingen, £e|fy> 
£effingen, £orry > £orringen, Silty > Sillingen; ©rny > ©rnaeg; Borny >8^ 
nen; Dattibres > H) altem, dnnery > dritter egen; Sorbey > Sorbacg, dgatrtbrey > 
Kambriig, IHontoy > Rtontingen, piesnois > ptenaeg, Pommhrieuj > Pommerin* 
gen; Ro3htieulles > Roferingen u. a. Oie Stabt „Saarunion" geigt fünftig Saar* 
Borfengeim nacg bem einen ber beiben ©rte, aus benen fie beftegt (ogl. ütünbels 
Dogefen, 1900 , S. 560 ). Oie in bet fran3Öfi|(gen $orm gefcgicgtßfg feftgefügten 
Hamen ©raoelotte unb Dionoille finb mit Recgt ungeänbert geblieben. 

Oie Rtaffenänberung ber fran3öfifcgen ©rtsnamen im Reicgslanb ift im Hagmen 
ber 3 eitgef(gi(gte ein politifcger S<ga(g3ug gegen bie notgergegangene Umbenennung 
beutfeger ©rte in ben tuffifegen ©ftfeeproDin3en. Unmittelbar nacg KriegsausM 
»utbe ber gan3en tDelt nerfünbet, bag bie Stabt Peters bes ©rogen igren beutfdp 
Hamen in „Petrograb" umgeroanbelt gäbe. Balb banaeg bügten 3wei weitere Staöt^ 
gtünbungen Peters bes ©rogen igren urfptünglitgen Hamen ein: Ktonftaöt muwe 
3 U »Hotlin (naeg bem Hamen ber 3 nfel, auf ber bie eigentücge Stabt liegt), 5 g **ll 
bürg 311 „©refega (na<g bem Hamen einer fleinen geftung auf bet 3nfel ' 
gegenüber Scglüffelburg), für Reoal würbe ber alte ruffifege Harne „Kolywan 
emgefügrt. Sobann würbe eine befonbere Kommiffion 3m Umbenennung 
namiget ©rtfegaften eingefegt, über beren dätigfeit mir ni(gts Hageres befanm'l' 
Jm Oe3ember 1914 las man eine Hoti3, bag 64 ruffifege Dörfer mit beutfegem 1 “ 
umgetauft feien. Oie Arbeit ber Kommiffion fegeint in Ruglanb felbft auf et ' 
geftogen 3U fein, wenigftens würbe übet Stocfgolm beriegtet, bag bie ©reu® 11 * 







Don Ejermann ttarbel 


785 

Irtftiolommiffion erfudjt ftabe, oon einer Hamensänbetung bet Stabt ab 3 ufeften, 
« fonft roertoofle gefcfticfttlicfte (Erinnerungen oerniefttet mürben. 

Aucft bei unfeten übrigen ©egnetn ift bie Heigung 3 U neuer HamertgebUng not* 
anben, bie ©elegenfteit baju freilieft nur gering. Das oon ben (Englänbem bejeftte 
>eutf<ft*Sübtoeft*Afrifa Reifet naeft einer Patifet Mitteilung „Botftaslanb", in ©fing» 
ru |inb naeft Haift rieftten aus tEofio fämtlicfte piäfte unb Straften ber Stabt umgetauft, 
nb biefe felbft toirb „Sujisftima" genannt, toas fo oiel toie „fjauptftabt ber fjatbinfel" 
ebeutet. Als König ©eorg, König Albert, Poincar 6 unb bie fteerf öftrer Kitcftener, Srencft 
nb 3offte im Bejember 1914 in ber Hafte non IJpem 3 U einer ©ruppenbefiefttigung 
ufammentrafen, nannten bie fran 3 Öfifcften Blätter biefen <Drt ,,£a Belle Alliance". 
Denn eine Angabe, bie „Katlcften" in ber 3ugenb (Hr. 38, 1915) einem Spottgebicftt 
orangeften läftt, tintig ift, finb in $ranfrei<ft 3 toei neue RTäbiftennamen aufgefom* 
ten: 3offrette, Rtamette. Baft man in £iffabon im Be 3 embet notigen 3?fttes in 
inem neu angelegten Biertel eine Strafte naeft 3offte benamft, unb baft barüber 3 toi 5 
ften bem Htagiftrat bet fjauptftabt unb bem Parijet ©emeinberat ein geroiifttiger 
eftriftroeeftfel ftattgefunben ftat, barf in biefem 3 ufammenftang nieftt unertoaftnt 
leiben. 

Mir feftqj, baft bie buteft ben Krieg im £anbe felbft entftanbenen neuen Hamen 
ei uns (unb 3 um Heil au<ft bei unfern ©egnern) meftrere H)ut 3 eln ftaben: bereefttigter 
nadjliifter Purismus infolge neugeftärften nationalen Beroufttfeins, politififte 
ympatftien für bie Bunbesgenoffen, Surften* unb fjelbenoereftrung. Biefe Heu* 
ftöpfungen geften meiftens oon ben Regierenben aus, — innerftalb ber namen» 
ebenben Kreife roerben es einige toenige Perfonen fein, oon benen bie erften Bot* 
ftläge ausgeften. Biefe Hamen roerben bei uns oon Beftanb bleiben, toerni, tooran 
iiftt 3 U 3 toeifeln ift, bie allgemeinen politifeften Berftältniffe unoeränbert bleiben. 
^an 3 anbers liegt bie Sacfte bei ber 3 uerft erörterten ©ruppe oon Hamen in $einbes* 
*nb, bie bem Hlacfttberoufttfein bes Siegers iftre ©ntfteftung oerbanten ober, roie bie 
eftüftengräbennamen, rein militärifcften Bebürfniffen bienen. Halft $tiebensf<ftluft 
•itb ber enbgültige Sieger über bie Hamen im eroberten ©ebiet entfefteiben. Bie 
cftüjjengrabennamen, bie oermutlieft bei unferen ©egnern gleichfalls oorfommen, 
eiben inbes gan 3 epftemere ©rfefteinungen. Scfton beim Abrüden einer ©ruppe finb 
'te früfteren Stellungen bem H)inb unb tDetter preisgegeben unb ber Hegen roirb 
e Snfeftriften halb toegtoafcften, unb naeft bem $rieben et»net ber Canbmann bie 
nbemben ©räben unb S<ftan 3 en ein, ber Pflug 3 ieftt feine $urcften barübet ftin. ©bet 
Ute boeft nieftt alles fputlos oergeften? 3ft es nieftt möglieft, baft bie 3 ut Stolle 3 Utüel* 
deftrten ober beim Befiftroecftfel bes £anbes neuangefiebelten Betooftnet biefe ober 
ne (Erinnerung an ben Krieg beroaftren unb ein 3 elne Hamen oon gtöfteren Seftan 3 * 
erlen als $Iur*, Straften* ober ©rtsnamen erftalten? Htan fennt bie namenbilbenbe 
ra ft öet römifeften £egionen in ©allien unb am Rftein, bie freilieft unter gan 3 anbe* 
n fulturellen Berftältniffen einfeftten als fie feftt oorliegen. 

Anmerlungen. 

1) ftetnr. Binber, ITCtt bem Hauptquartier naeft IDeften. flufjeieftnungen eines Kriegs* 
rieftterftatters. Stuttgart 1915. S. 119, 55. 

2 ) Bremer Haeftrieftten 18. ©fttnr. 1914. 

3) (Ebenbort 2. Dejbr. 1914 (ge 3 - ml.). 

3citfd|r.f.&. fttutidienUnltrrldjt. 29.3at|rg. 12.lj«ft 50 



786 


£iteraturberid)t 1914: £eftüre 


4) Kiebetfachfen, 3ahrg. 20 (1915). S. 252. 

5) £illei Kriegs 3 eitung. (Eine fluslefe aus Kummet 1—40. fjerausg. non £. Boeder 
unb $teil). o. ©mpteba. 1915 S. 227. 

6 ) Btemet Rachrichten 24. Hlät 3 1915, ge 3 . fjartas. 

7) Der Dottrupp, 4. 3ahtg. Kt. 10 . 16. Klai 1915, S. 206 (gej. <5. K.). 

8) Binber, a. a. ©. 202. 

9) Btemet Kadpichten 30.3uli 1915 (nach bet Köln. 3*9-)- 

10 ) Betlinet £o!a!an 3 eiget 16. flug. 1915 (ge 3 - ID. Utban). 

11) Deutle tOelt, tDodjen[d)rift bet Betlinet Heueften Rad; richten, 25.3uli 1915. 
Kt. 43. 

12) (Eine £ifte in bet Swnff. 3tg. 5. Kon. 1914. 

13) B. 3- am mittag, 13. flug. 1915. — Die meiften normet genannten Angaben jinb 
wohl burd? bie gefamte beutfdje pteffe gegangen unb t?ier nid)t näher oetieidjnet. 

14) $rantfurter 3eitung 21. Roo. 1914. 

15) Btemet Kadjric^ten 26. flug. 1915. 

16) flbgebrudt in bet Straßburger Reuen 3eitung, 25. Sept. 15. — Dgl. bet NW 
»3ut Derbeutfchung eljaß»lotbringijdjer Ortsnamen" oon R>ünbifd) in bet Straßb. Poft, nadf 
gebturft in ben fjamburger Radjridjten, 2. ®ttbr. 1915. 


titeraturbericf)t 1914. 

Ceftüre. 

Don Karl drebnet in Btanbenbutg. 


2. fefcbüdjer. 

Rad} längetet paufe ift biesmal auf bem ©ebiete öes DoIlsi^uDejebu^s ein 
neues R)etl 3 U Detßeidjnen, bas ich hoppelt freubig begrüße, ba es jidj aud) (einem 
inneren IDerte nach als eine toitHidje Bereicherung unferes Beftanbes austoeift: oos 
„Reue t?c||ifcfje Cefebud}". 1 ) 3tuat fehlt noch & ct abfchließenbe britte Banb für w* 
©berftufe, boch reichen bie beiben oorliegenben Bänbe für bie Bilbung eines Urte s 
aus. IDas in ben leßten 3a^ren an neuen unb fruchtbaren 3been 3 Ut IJerbefferurtg 
bes Cefebudjs ausgefonnen unb oorgebracht rootben ift, erfcheint hier 
^anb oerroirflicht. Bei ber Ausmaß maten lebiglich literarifche ©efid)tspunfte maß 
gebenb. Daher mürben bie fogenannten Realienftoffe gröblich ausgef^ieben. P 
fonbers berücffichtigt mürbe bas heimifche Dolfsgut, auf ber Untetftufe bie Ulatdjen, 
auf ber Rlittelftufe bie Sagen, Außeröem finb Kinberreime unb Rätfel hetangejag« • 
Bei bet Ausmaß bet beften $affung ift mit Umficht unb ©efchmad oerfahten, 3*}9' e 
aber bie Sorberung ber Kinbertümlichfeit nicht aus bem fluge oetloren. U&etwjW* 
ift bie Aufnahme oon 3 ahlteichen Kinberauffäßen in bet Untetftufe, 20 Stü , 


menn man biefe nicht päbagogifch ols notroenbig erachtet, fo muß manooa} 
nen, baß jie bie tinbertümliche Särbung uerftärfen hdf ert - ® en H« u P‘ nfldJ ; 
legten bie Herausgeber barauf, ben heimatlichen dharafter bes £efebu<hs 3 U _ 
unb bas <Eigentümtich*Heffif<h c 3 ur ©eltung 3 U bringen. Das rheinif«h e ® r 0 .jZt e5 
tum mit feine t literarifchen unb tünftlerifchen Regfamteit bot ba 3 U ein ausgc3 eltt ! 

1) Reues heffifches £efebuch, h et ausg. oon bet gteien £ehret»Deteinigun9; 
a.Rl., Irtoriß Dieftenoeg.— Untetftufe. XXII u. 295 S. m. 1,75. Ulittelftufe XXU “• 


Don Karl (Ereöiter 


787 


$eU); fo jinö Ijeffifdje Derfaffer, heffifäe Stoffe, heffifäe DTunbart ufw. ausgiebig oet* 
treten. Oie äufeete Ausftattung ift glänjenb, befonbers auch im illuftratioen SeiL 
Die Unterftufe fdjmüden 3ahlreiche Cinienfdjnitte unb Schwat3brude oerfchiebenet 
Künftler; bie Bilbet ber Rlittelftufe ftammen ausfdjliefclid} non bem fjejfen Ubbelohbe. 
Das ledere erlernt mit etwas einfeitig; im übrigen ift Ianbfd?aftlid}er Sonberart 
unb oöffifchem (Bemeingut in rechtet ZTOfchung bas IDertooIIe entnommen. Oie Pflege 
öes heimatlichen betont in mafpoller tDeife aueh 3 ütting*E>ebers „Cefebud? für 
DTittelfdjulen bet Ptooin3 Branbenbutg". 2 ) Oie jroeite Auflage bet Reubeatbeitung 
weift aüetbanb Oetänbetungen auf; uerfchiebentlich finb oeraltete £efeftüde butd? 
neue beffere erfetjt tootben, bod} ift bet Kern bes Buches unb feine gan3e Anlage bie* 
felbe geblieben. Ausmaß! unb Anotbnung finb gebiegene Arbeit, auch bie Überfich 5 
ten finb banfensmert. Oie beigegebenen Bilbet, bet 3 ahl nach nicht beträchtlich, mitten 
anfdjaulich unb gut; ein Bezeichnte bet Bilbet u>ie bet Künftler märe tDÜnfdjenstoert 
IDas bie Kunft anlangt, fo liefee fidj in ben Auffäjjen füt bie (Dberflaffen unfehwer 
eine innigere Derbinbung 3toifd}en bem Heft unb ben eingeftreuten Bilbem herftellen. 

©n oollftänbig neues £efebud} füt höhere IHabfc^enfdjuIen legen IDadet unb 
Köftets Dor. 8 )Oiead}t fdjmuden, gan3leinenenBänbe mitten fdjon äußerlich beftedjenb, 
unb bet Snljalt enttäufdjt nicht. Auf Abbilbungen ift, mie 3umeift bei biefet Sdjulgat* 
tung, oet3i(^tet. Oie gan3e Arbeit ift auf ben Heft ton3entriett. Itlit ©efdjmad unb 
°bne Dotutteil ift aus ber gefamten Literatur bas (Ebelgut 3ufammengetragen, bie 
neuere unb neuefte 3eit übetmiegt babei beträchtlich, öo<h ift bet Übetliefetung 
mie bet fyerrfdjenben 3eitftrömung gebühtenbe Rüdfidjt erroiefen. S tauert tommen 
in jebem Banbe 3u IDotte, aber im Oerijältnis 3um <Ban3en ift if}t Anteil befchränft, 
mie bas ihren bisherigen Leitungen in ber Hationafliteratur entfpridjt. (Ebenfo ift 
es mit ben latholifchen Schriftstellern; fie finb bemufct herange3ogen, mo fiefj (Belegen* 
heit bot, bodj in fritifc^er Abwägung bes wirflich tDettooIlen. Bei ben Bänben für bie 
fünf Untertlaffen ift bet Stoff tein nach fachlichen (Befidjtspunften georbnet. 3 n ben btei 
lebten Bänben ift 3mif<hen Poefie unb Profa gefdjieben. Oer achte Banb erfcheint in 
feinem Snhalt fehr ungleich unb erinnert an bie öfterreichifchen priraalefebüchet. 
3 m etften Heil finb <Bebid?te non Klopftod bis 3U £ulu o. Strauß unb Sotney in 
gefdjidjtlicher $olge, nach ben Oetfaffem georbnet, gegeben; ber 3meite Seil enthält 
Auffäij« unb einige ©gählungen. Die leiteten etfeheinen auf biefet Stufe hoch recht 
überflüffig unb finb 3umeift heute bur<h billige Sammlungen anberroeit 3ugänglid}. 
Die literarhift orifche Überficht übet bie Dichter im Rahmen eines halben £efebu<h* 

2) 3ütting unb IDebers £efebuch 3 ut Pflege oatetlänbifchet Bilbung. $üt DTittelfchulen 
oet Prooinj Branbenbutg nach ben Beftimmungen übet bie Deuorbnung bes DTittelfchul* 
mefens beatb. oonK. heinemann, DL Krüger, Dr. h* Sanbt, 5- Schmibt u. <E. IDilte. 

2- flufL £eip 3 ig, 3ulius Klintharbt. — I. Seil, 2. Schulj., X u. 179 S. Bl. 1,20. — II. Seil, 

3- u. 4. Schulj., XII u. 384 S. Dt 2,60. — III. Seil, 5. u. 6. Srfjulj. XII u. 480S. DL 3,—. 
— IV. Seil, 7.-9. Schulj., XVI u. 604 S. BL 3,60. 

3) Deutfehes £efebu<h füt höhete DTäbchenfchulen, £y 3 een unb Stubienanftalten, hetausg. 
Don Dr. KatI IDadet unb Dr. Beinr. Köftets. Blünftet i. ID., Ejeinrtdj Sdjöningfj. 

]■ Bar| b, 9. KL, 2. Schulj. 144 S. HL 1,40. — 2. Banb, 8. KL, 3. Schulj. 191 S. Bl. 1,60. 

3- Banb, 7. KL, 4. Schulj. 239 S. BL 1,80. — 4. Banb, 6. KL, 5. Schulj. 270 S. Bt. 2,—. — 

5- Banb, 5. KL, 6. Schulj., 285 S. DT. 2,20. — 6. Banb, 4. KL, 7. Schulj., 316 S. DT. 2,20. — 

!• Banb, 3. KL, 8. Sd>ulj., 332 S. DT. 2,40. — 8. Banb, 2. u. 1. KL, 9. u. 10. Schuh- 451 S. 
DL 3,60. 

50* 



788 


£iteratttiberid)t 1914: teltüre 


banöes berührt etroas geroaltfam, mag abet gan3 ptaftifch fein. Schönet, aber audj un« 
gleich foftfpieliget ift bet tDeg, ben Cippelt eingefdjlagen hat. (Et oet3ic^teiein feinem 
Cefebuch bei ben oiet ©bertiaffen auf bie Beiträge in Dersform unb hat als (Ergehqung 
3U biefen Banben eine Heubearbeitung bes altbefannten unb beliebten <Ed|iermeyet 
gegeben. 4 ) 3 n hiftorifcher Reihenfolge führt et but<h bie beutfche Dichtung non IDaltet 
oon ber Dogeltoeibe bis 3U £ulu o. Straufe. Dabei finb ftatte Detänbetungen an bem 
bisherigen Beftanbe bet Sammlung ootgenommen. 450 ©ebidjte tourben ausgefdjieben, 
270 neu aufgenommen, 3umeift foldje, „bie im fjerjen bet $tau unb bes heranroadp 
fenben tltabdfens befonbeten IDibethall finben". Denn bas 3 H bas fid} Cippelt gefeijt 
hat, ift ein boppeltes: „ein Schulbuch füt beutfche IRäbchen, ein £ebensbud) für 
beutfche $rauen". 3 n oöllig neuer ©eftalt hat fich bas Sefebuch oon KellefSte^le 5 
®hotbede eingeftellt 5 ) Dies im theinif^en Sübbeutfdjlanb oerbreitete tDert 
ftanb toebet mit ben neuen Cehtplänen füt Uläbchenfchulen, noch mit ben jüngften 
$otbetungen ber päbagogi! in rechtem (Eintlang. Die Herausgeber hoben mit h'lf { 
neu hetange3ogenet Kräfte fich bemüht, hi« IDanbel 3U fchaffen. Überall tommen 
neuete Detfaffet, namentlich neuere Dichter 3U IDorte; bie im Rialen unb nrirtfd)# 
liehen CebenoorherrfehenbenBeftrebungen hoben ihreDarftellung gefunben; bieäftlp 
tifdjen tDerte tourben befonbers berüdfichtigt unb batauf gehalten, ftatt biofeer An» 
gaben urirQich ©eftaltetes 3U bieten, innerhalb biefer ©ren3en rourbe ben einjelnen 
Herausgebern, namentlich in ber Anorbnung, 3iemlich freie ffemb gelaffen. Dereinjelt 
begegnen eingelegte ©afelbilbet. Die fjeimattunbe ifi im 3toeiten Banbe ftart betont 
Das gan3e IDerf atmet Srifdje, Ceben unb gefunbe Ärbeitsfreube. — Don bem £efe» 
buch Reulanb liegen mir bie erften Banbe bereits in eiertet Auflage not.*) Di* 
Schnelligteit, mit bet fich biefes EDetf feinen piafe im Schultoefen erobert hat, ift um fo 
bemertensroerter, als bie erfte ©eftalt teinesroegs burchaus befriedigte unb jebe Auf¬ 
lage eine gan3e Reihe Detänbetungen brachte. So mufeten noch in bet britten Auf¬ 
lage eine gtöfeere An3ahl Stüde als für bie betreffenben Klaffe 3U f^toierig ausgefäi«' 
ben toerben. Rtit bet oierten Auflage fdjeint nun ein geroiffer Ruljepuntt er¬ 
dicht 3U fein, benn bie Deränberungen finb, fooiel ich f e h c > unbeträchtlich- ~ 


4) Auswahl beutlet ©ebichte für höhere Spulen oon ctJjeooor «eptermesect- 

38. Aufl. Ausgabe B für bie höheren Bilbungsanftalten ber weiblichen Jugenb. 3n 
binbung mit ID. $alt unb ©. Künolbt herausg. oon Dr. drnft tippelt, ©ebtdjtbjn» 
beutfehen tefebuchs oon SaIl*Künolbt=£ippelt. Bane a. S., Buchhanblung bes K>mP 
haufes. 504 S. Bl. 3,20. _ K . 

5) Deutfehes tefebuch für höhere ITCäbdjenfdjuIen unb Cyjeen, begrünbet oon «tn|t 
ler, Dr. Bruno Stehle unb Dr. Aug. Hhorbeele. Bb. I—III 4. umgearb. W, 
IV—VI 3. umgearb. Aufl. £eip 3 ig, ©. Sreytag, ©. m. b. fj. I. ©eil (2. u. 3. Schul]-) ' 
oon Br. Stehle, 258 S. Ul. 1,80. — II. Heil (4. u. 5. S<hulj.) beatb. oon <E. Keilet ausg- 
für Baben 416 S. Ausg. füt ©lfa&*£othringen 406 S. Ul. 2,90. — III. &eil (6. u. 7. »W 
bearb. oon H. tippert 441 S. Ul. 3,—. — IV. Heil (8. Schulj.) bearb. oon 

262 S. Ul. 2,10. — V. Heil (9. Schulj.) beatb. oon Dr. $etb. tamey 232 5. W- L 
VI. Heil (10. Schulj.) bearb. oon 3ul. Bufd) 391 S. UL 3,—. .... 4i( 

6 ) Ueulanb, Deutfehes Cefebuch füt £y 3 een. Auf ©runb bet Bcftimmungen 

Tteuorbnung ufto. beatb. oon XTIaric o. BrebotD, Dr. ([l|om. £enfdjau, m 

U. Dr. S. XSehmibt. 4. Aufl. Ausg. füt Berlin u. proo. Branbenburg. Sw”|f“ rt .%L|j 
Berlin, Blorifc Dieftertoeg. I. Heil, Kl. 9, 2. Schulj. 190 S. Ul. 1,10. — 11- Heil, KL 8 « 3 ; = J l 
219 S Ul. 1,60. - UI. Heil, Kl. 7, 4. Schulj.! 238 u. 14 S. Ul. 1,60. - IV- w 
5. Schulj. 231 u.»20 S. Ul. 1,60. — V. Heil, KL 5, 6. Schulj. 262 u. 15 S. Ut L 80 - 




Don Karl Creöner 


789 


Heyötmann*KelIers oerlmgtem £efebuch ift auch bet 3toeite Banb fettig getoor* 
ben. 7 ) (Et umfpannt bie 3 eit oon bet Romantif Hs 3ur ffiegemoart unb ift nach ben* 
leiben ©tunbfa^en toie bet elfte Banb gearbeitet, unterfdjeibet fid} aber inhaltlich 
mehrfach in bemerfenstoerter RJeife non bem ungelösten ©riginatoett Durch Aus* 
fdjeibung aller betjenigen Stüde, bie in anbeten billigen Ausgaben leidet erreichbar 
finb, tnutbe Raum gewonnen für eine gan3e Anja^I Dieter, bie urfptünglidj gar nic^ft 
ober ungenügenb uertreten roaten, toie IDil^elm tDiffer, Karl Spittelet u. a. ©an3 
neu Ijin3ugefommen finb ferner oiet beut[<^=ameri!anifc^e Dieter Kuno $ran!e, 
(Ebna Setn, Konrab Ries unb £u$ tjorn. Diefe R)ürbigung bes Iiterarifchen Deutfeh* 
tums im Auslanb oerbient befonberen Dan! unb roeitere Rachahmung. Oie Iitera=» 
rifc^en Angaben unb Rachtoeife finb mit getooljnter Sorgfalt gefertigt; nur bei ©yth 
ift mir ein falfchet Domame aufgefallen. 

$ür höhere Knabenfthulen Bayerns beftimmt ift 3 ettels beutfdjes Cefebudj, 
beffen fiebenter ©eil mit oorliegt. 8 ) Das fdjmale Bänbdjen enthält 3U oiet fünftel 
Ptofa, 3umeift neuer unb aDerneuefter fjerfunft. ©s ift auffällig, toie getabe bei ben 
Knabenfdjulen fid) fdjon literarifcfj bie $oIgen bes tOelttrieges bemertbar machen. 
Dafj ber ©eift, bie gan3e Anlage nationalbetoufjter toerben, bafe bie oöltifdjen RJerte 
bei ber Austoa^I ftärfer ins ©eroidjt fallen, ift erfreulich unb hoffentlich nicht nur eine 
oorübergehenbe ©rfcheinung. BebenÜidjer ftimmt mich bagegen bas Beftreben, nun 
auch fdjon ben literarifchen Rieberfdjlag bet erften Kriegsmonate für bas £efebuch 
nuhbat 3U machen. 3 n biefet Be3iei}ung geht mir ber Herausgeber oiel 3U roeit; nicht 
nur, bafe et eine gan3e An3ahl gutgemeinte, oon ber Begeifterung getragene, aber 
boch im ©tunbe oft recht belanglofe Kriegsgebichte aufgenommen hat, nein, auch 
oetfehiebene Kriegsauffähe aus ben ©ages3eitungen finb oertreten. Das heifet benn 
b°<h bie Aufgabe bes £efebucf}S einet billigen Aftualität 3uliebe hintanfetjen. — 3 n 
eine gan3 anbere R)elt führt ber 3toeite Banb bes Schwerer Cefebucfjes oon ©abient* 
Hlofet=Ban3. 9 ) Oiejes £efebu<h nimmt betanntlich leine Rüdfid}t auf Klaffen* 
ftufen, fonbem jeher Banb bilbet einen gefchloffenen ©ebanlenlreis für fiel?. Sür Öen 
3®eiten Banb lautete bas Kemuoort „©efellfehaft", unb ba ben Herausgebern als 
CehQiel oorfchtoebt, „bas Schaffen unb Oirlen bes beutfch*thriftli<hen ©eiftes but«h 
bie Dichtung basuftelien", fo erwuchs baraus bie Aufgabe, bas IDetben ber beutfdjen 
Ration oon ben Anfängen bis 3ur ©egenroart burch bie beutfdje Dichtung ab3ufpie* 
geln. Diefe Aufgabe ift mit Künftlerhanb unb *oerftanb in toirflich berounbemstoerter 
IDeife gelöft. ©s ift auffallenb unb 3ugleich in biefer fd)toeren 3eit hoppelt erfreulich, 
bafe ein foldjes Belenntnis 3U unferes Dolles Hetrlichleit unb ©töfee fern in ben Ranb* 
gebieten unferes Dollstums, außerhalb feines politifchen ©efüges abgelegt toirb. 
Bei ben ein3 elnen ©eilen finb lulturhiftorifche ©eficfjtspunlte 3ugrunbe gelegt: 

r J) Heybtmann=KeIIer, Deutfehes £efebuch für Öen Unterricht in öer £iteraturfunbe, 
oegrünöet oon Dr. 3 o fj. Heybtmann. Hadj Öen £ehtplänen oon 1908 bearb. oon ©rnft 
Keller. DerfüQte Ausgabe in 2 Bänöen. 2. ©eil 2. Aufl. £eipjig u. Berlin, B. ©. ©eubner. 
229 S. IR. 2,60. 

8) 3etiel, Deutfehes Cefebuch für höhere Cehranftalten. Siebenter ©eil. Herausg. oon 
©Uh. Schupp. Ulündjen, 3 . £inöauerfche Unioerfitätsbuchhanölung. 171 S. IR. 1,80. 

9) Deutfehes £efebudh für Schwerer ©ymnafien, Seminarien unö Realfdjulen oon Dr. 

P-Deit ©aöient O. M. C., Robert TRofer unö Dr. P. Romualö Ban 3 O. S. B. 

2. Banö. £u 3 etn, ©ugen Haag. 684 S. 1 



790 


£iteraturbericf|t 1914: Ceftüre 


©ötter unö fjclöctt, ©ermanentaufe, Rittertum, Ringen unö Suchen, ©oetfje unö Srfjil ! 
Ier, Urftänö (—Romanti!) ufw. 3 um Schluß finö öie drei großen $ragen öer ©egemoat in 
örei Kapitel gebracht: öie politifch-nattonale, öie fo3iaIe unö öie religiäfe. Die engeten 
©efdjide öer fchroei 3 er Heimat finö nicht oergeffen, aber in richtigem Augenmaß ötra 
©an3en untergeorönet, als ein Seil öer pofitifdjen $tagen („unfer Bunö“). Die aus» 
gewählten Beiträge genügen im gan3en öen literarifdjen flnfprüchen, oon öem 
alten ©olö öer fjelöenjage bis 3U Öen Diätem öer ©egenroart. Bei Öen öltet« 
Dichtern ift auch in öer $orm feljr mannigfaltig oerfahten, balö finö fie in Ü6er[ejjunj 
gegeben, balö in profaifc^er Radje^äljlung, balö im Urtejt mit erflärenöen flnmerhin' 
gen. Das edjte Doltsgut ift fehr reichlich berüdficfytigt, überhaupt eine mögli# 
Dielfeitigteit erftrebt. ältere unö neuere, norööeutft^e unö füböeutjdje, prote|tan j 
tift^e unö fatljofifdje S^riftfteller galten fid) annähernd öie ©age. Rur untet Öen 
neueften oetmiffe idj einige befanntere Ramen, wie Huch, Rille, £iffauer u. a. bn ! 
gegen ift es be 3 ei<hnenö für öie ttnparteilichleit öer Herausgeber, öaß auch Beiträge 
oon Cutter nid}t fehlen, während öie fonfejfionetle Spaltung felbft nicht berührt ift. 
©enn öie beiöen noch ausftehenöen Bänöe öem bisset ©eleifteten entfprecffen, [0 
erhalten mir Igier ein ©er!, öas unter Öen öeutfdjen £efebü<hem wenig feinesgleid)« 
b a ben öürfte. — Als ©rgängungstjeft 3U £ietmanns £efebuch finö 27 fluffn^e 
„Rus Handel unö Unöuftrie" erfdjienen. 10 ) flus Öen Beöürfniffen öer Sranffurtet 
Hanöelsrealf^ule beroorgegangen, will öas Heft öie Rtittelflaffen in öie wicht#” 
Stagen unferes ©irtf^aftslebens einführen. — Umgearbeitet nach neuen ®tunö : 
folgen ift öie ©eöichtfammlung 3U Puls’ £efebu^. u ) Der Herausgeber h at <"»f aIIe 
außerhalb öer Schule liegenöen 3 wede oe^ichtet unö Öen Umfang öes Budjes ftart 
oerminöert. ©s finö nur neuere Dieter non Bürger abwärts aufgenontnten, mit fl” 5 ' 
nähme oon ©. Branöes alles literarifch anerlannte ©roßen. 3 U bem flbnfe öet 
Poetil ift ein erüärenöes ©örteroergeichnis hin3ugelommen.—(Erweitertin öer neuen 
Auflage finö öie 3wei Bänöe für öie Untet* unö Rlittelflaffen oon £innigs Ceff 
buch-* 2 ) 3 n öen Unterflaffen ijt öie (Erweiterung nicht beträchtlich» es fyanbelt jid) l)' eI 
um einige Stüde, öie auf öen gegenwärtigen Krieg Be3ug haben, wie öie flnfpradje 
öes Kaifers 00m 31 . 3 uli 1914 , öie amtliche Ütelöung Steins übet öen Saß oon tut' 
tich, ferner ein paar (Stählungen unö ©eöi^te. ®b öie Ießteren auf öie Dauer ihr« 1 
Plaß behalten werben, wage ich 3 U be3weifeln. Beöeutenöer finö öie Detänöerungen 
bei öem 3weiten Bänöe. Hier finö oor allem öie Realienftoffe beträchtlich oemwlp 
woröen, öie ftaatsbürgerliche Belehrung wuröe geföröert öurch Betrachtung ein 3 
wirtfchaftlicher (Erlernungen, enölich finö einige neuere Dichter wie Hebbel, Storm» 


^ 10) Deutfhes £efebud} für höhere £ehtanftalten, herausg. oon Dr. ©• 
©rganjungsheft: „flus Handel unö3nöuftrie", bearb. oon Dr.©. £angenbe<J. WH 
Sraitlfurt, Keffelringfdje H°fbuchhanölung. 88 S. . «„j« 

11) £efebuch f- ö. höheren Schulen DeutfAlanös, herausg. oon Dr -f. l? c . „t,** 
6. ©etl: ©eöichtfammlung für Ulli bis UII öer Dotlanftalten oöer KL M bis I «* l‘‘jj 
Jtuftgen flnftalten. Herausg. oon Dr. fl. Puls, flusg. A füt eoangelifche Schulen. 
bcfferte flufl. ©otlja, ©. $. ©hienemann. 380 u. 24 S. ITT. 3,40. . c *Sninat 

1 7 t • 2) ,? eu 5 d » cs herausg. oon Stan 3 £innig. paöetborn, geröinonö . , 

. ©eil: für öte unteren Klaffen höherer £ehranftalten. 16. erweiterte flufl. b I_ 
Sranj Hefter. 533 S. — II. ©eil: für öie mittleren Klaffen höherer £ehranftalten e 
Unterfefunöa. 13. erweiterte Auflage, beforgt oon $ran 3 Hefter. 600S. Hl. 4,60. 




Don Karl Hredner 


791 


törile, (Ernft, $alfe 3U IDorte gefommen. — 3 n erheblich oeränberter ©eftalt er* 
i?eint bie neue Auflage bes fiebenbürgifchen £efebu<hs oon Retolic3fa*tDolff. 13 ) 
bgefeljen baoon, bafc 3wifchen ben ein3elnen Bänden felbft eine Stoffoerfchiebung 
rttgefunben, ift not allem für eine größere Rlobetnifierung in ber Dichtung geforgt. 
ine überficht über bie Dichter fehlt leiber, doch finben fid} eine gan3e An3al}I Iebenber 
i^sbeutfdjer Dieter, ffinen großen Raum nehmen bie heimifdjen fiebenbürgifchen 
(fyriftftelter ein, doch ift fein witHich übetragenber Dieter barunter, auch ITTidjael 
Ibert fann ich nicht ba3u 3ählen, obwohl er am häufigften 3U DDort fomrnt Oie ITCunb* 
t roirb allein durch 3wei Stüde bes Siebenbürger Saufen Käftner oertreten.—3um 
bfc^lug gelangt ift bie oon Biefe beforgte Reubearbeitung bes alten „Hopf unb 
aulfied". Oie beiben lebten Bänbe ber Reuausgabe 14 ) finb, roie mit fdjeint, etroas 
tgleidj ausgefallen. Oer Banb für ©berfefunba, ber eine übetfidjt über bie ahb. 
tb nljb. Oteratur oermitteln toill, gefällt mit redjt gut. Oer Herausgeber bat etroas 
eit gegriffen, et beginnt mit bem gotifdjen Daterunfer unb enbet mit Hans Sadjs; 
eoroulf unb (Ebba finb in Überfettungen eingefdjoben. Oie ausgewählten Stüde 
ib gut. Oie Ceftüre rohb durch einen Jpradjlichen Anhang unb ein IDörterDeQeichnis 
leichtert. Ad}t Hafelbitber 3eigen mittelalterliche Hanbfdjriften unb Porträtbilber. 
•eniger befriedigt mich bie Reubearbeitung bes Primalefebuches. Dafe bie oon flluff 
fammelten Auffätje gefichtet unb 3um Heil burch beffere erfe^t finb, bebarf feiner 
jchtfertigung. Dagegen oermag ich nicht red*t bie Hotioenbigfeit bes oon Biefel neu 
ttjugefügten poetifchen Heiles ein3ufehen, ber eine Überficht über bie £yrif oon Höbet* 
i bis R)iH Defper bringt. 3 n einem befonberen Anhang folgen noch 24 ©ebid}te 
is bem Rleltfriegsjahr 1914 . Oie Deine Anthologie ift, roie bei bem Herausgeber 
<ht anbers 3U erwarten, mit feinem Derftänbnis 3ufammengeftellt, hoch bringt fie 
it 3u roenig, unb ich würbe fie lieber erweitert als befonberes Bänbchen in ben Han* 
n ber (DberDaffen fehen. — lOefenüich praftifd}er ift bie 3®eiteilung bes Prima* 
ils im £efebu<h oon Hroers*R)al3 ausgefallen. Die Herausgeber haben fid* 3 U 
rer 3 erlegung in 3wei Bänbe entfdjloffen, oon benen ber eine ber Dichtung, ber 
ibere ben Profaauffät)en oorbehalten ift. Bisher liegt mir nur ber erfte bet Dichtung 
roibmete Banb oot. 16 ) © fehltest fi<h aufs engfte an ben ©berfefunbateil an unb 
thält ausgewählte Stüde aus ber beutfdjen £iteratur oom 17 . bis 19 . 3ahrhunbert. 
efe £öfung erfcheint mit barum befonbers glüdlich, weil baburch bem Schüler ein 
eierlei oon Schulausgaben erfpart wirb, namenüich aus folgen Abfchnitten, bie 
re eingehende Behandlung nicht erfordern unb anbererfeits auch nicht gan3 über* 
ngen werben fönnen. Oie Schwierigfeit beftanb hier darin, ben übermäßig oothan* 

13) Deutfehes £e[ebudj für lltittelfchulen. 3 ®eiter Heil: 3. u. 4. Kl. 2 . umgearb. flufl. 
5 bisherigen dritten Heils. Herausg. oon Dr. ©star Retolicjla u. Dr. Hans IDolff. 
rmannftadt, ID. Krafft. 428 S. 

14) Deutfches £e[ebudj für höhere Cehranftalten. 3n acht nach Klaffenftufen geotdneten 
teilungen u. 3 mei Dorfchulteilen herausg. oon Dr. ffh- Bluff, neu bearbeitet oon Dr. 
freö Biefe. Berlin, ©. ©rotefdje Derlagsbuchhanölung. —Siebente Abteilung für ©ber« 
unba. Auswahl aus der flaffifdjen £iteratur des Ittittelalters und ihren Ausläufern. 286 S. 

■ 2,40. — Achte Abteilung für prima, mit 8 Abbildungen. 457 S. 

15) <Eoets*IDal 3 * Deutfehes Cefebudj für höhere Cehranftalten. 3n Aeubearbeitung 
« Dr. ff. tDal 3 und Dr. A. Kühne. £eip 3 ig, B. ©. Heubner. Achter Heil: prima. 1. Ab* 
lang. 318 S. Hl. 2,60. 



792 £iteraturberidjt 1914: £ettüre 

benen Stoff 3ufammen3ubtängen unb auf bas unumgänglich nötige ein3u[d)tänien 
Die Herausgeber haben fich auf eine ähnliche Art geholfen rote Hey btmann*Kellet, 
butch Dertoeifungen, unb fie roaren babei infofem in einer befonbers günftigen tage, 
als fie aufeer auf billige Sammlungen auch nod) auf bie früheren Bänbe ihres £eft> 
buchs oerroeifen tonnten, Aufjerbemroutbe Baum gefpart, inbem bei ber nachfl^' 
fifchen Dichtung nur lyrifche Proben ausgeroählt unb lebiglich oerftorbene Dichter auf» 
genommen mürben. Dabutd) mürbe bas Hauptgeroicht auf bie ffaffifdje 3 «it gelegt, 
bie benn auch ben größten Seil, 3mei Drittel bes Buches, für fid} einnimmt Don 
Klopftod, IDielanb unb Herber mitb eine für ben Spüler oöllig ausreidjenöe flu* 
mahl geboten. Bei ben brei anberen Klaffitern finb bie Hauptmerte beifeite geladen 
unb roie bisher ber befonberen Ceftüre oorbehalten, bagegen fehr gefd}ictte Ausmahfen 
aus Auffähen unb Briefen getroffen, bie bie Auffaffung biefer Dichter oon Ceben unb 
Kunft fomie ihr Derhältnis 3U bebeutenben 3 eitgenoffen !enn3eiehnen, fo bafe bem 
literaturtunölichen Unterricht bataus eine roilltommene Dertiefung erroächft - 
Pas3tomstis £efebuch, bas mehr oon ftubierenben Auslänbern als an häh CTen 
Schulen bes Snlanbs gebraucht roirb, 3eigt tejüich in ber neuen Auflage u ) feine Den 
änberung. Uur finb bie Anmerfungen biesmal oon bem tDerte getrennt unb butch 
fran3öfifdje unb englifd?e IDortertlärungen beträchtlich oermehrt in einem befonberen 
<£rgän3ungsheft 3ufammengefaf}t roorben. 

infolge ber neuen £ehrorbnung oom 2 . Auguft 1912 , bie ben bayetifdjen Se s 
minaren eine erfreuliche (Erroeiterung ihres beutfchen £eht3ieles brachte, h öben 
bie £efebücher für biefe Anftalten eine mehrfache unb 3um Heil tiefgreifenbe flnbe* 
rung erfahren. Befonberer U)ert ift auf bie £iteraturfunbe gelegt Diefe tpat bähet 
bei ber Beubearbeitung oon £angs £efebuch 17 ) für bie Ausroahl W anberen mit* 
beftimmenb unb hat 3U einer beträchtlichen Dermehrung bes Umfanges geführt- 
3 n Heil 1—3 ift überbies febesmal ein befonberer literaturtunblicher Anhang an Ste e 
bes bisherigen ftiliftifchen getreten, morin bie befonberen <Erfcf?einungen ber Safe 
im 3 ufammenhang befproben merben. (Ein Der3eichnis ber Dichter macht ben Be* 
fchlufe, hoch fehlt an biefer Stelle ein Hinweis auf bie im Buche gebrachten Stu e. 
Aus bem Det3eichnis geht heroor, bafe bie Blobernifierung noch nicht weit ootgefajrt - 
ten ift. Der oierte Banb ift ausfchliefclich ber £iteraturfunbe gemibmet unb füh * e 
Schüler butch bie beutfche Uationalliteratur oom Hilbebranbslieb bis 3U ben Steihe 
bidjtem. 3 ebesmal ift eine tnappe (Einführung Dorausgefd}idt. Die Behandlung « 
älteren Se^te ift ungleich; in ber äUeren 3 eit übetmiegen bie Überfehungen, im ? • 
ift halb ber (Originaltext allein, halb mit Überfettung geboten. Dadurch W® 1 
bie ältere £iteratur ftarl an, unb bas 18 . ^aljthunbert mufe fich etroa 
bes Baumes begnügen. Der fünfte angebunbene lEeü gibt profaauffähe nt 

16) £efebuch 3 ur (Einführung in bie Kenntnis Deutfdjlanbs unb feines geiftigen 
Sür auslänbifhe Stubierenbe unb für bie obere Stufe höherer £ehranftalten bear . 
IDilhelm Pasjtorosfi. ö.flufL Berlin, tDeibmannfd)e Budjhanblung. 1-_ 

2. Bb: Deutfdje, ftanjofifclje unb englifhe Sa** unb IDortertlärungen. 146 5 IIL 4, • 

17) £efebudj für £ehrerbilbungsanftalten. Hach ber £ehrotbnung für bie o 9 i 
£ehrer-- unb £ehrerinnenbilbungsanftalten ufto. in 2. flufl. neu bearbeitet oon 
£ang. Regensburg u. Rom, $riebrich puftel. 1. Heil, 402 S. IR. 2,50. — 2 . aeu, y 
RI. 2,50. — 3. (teil, 423 S. RI. 2,50.—4. Heil, £iteratur!unbliches £efebuch für öte iv. • 
Klaffe, 352 S. + 5. Heil, Deutfdje profa für Seminartlaffen, 232 S. RI. 4,25. 



Don Karl Creöner 


793 

gemeffenet Berüdfichtigung audj öes Stiliftifcßen. — ©n gan3 neues tDer! für Öen 
Untemcßt öet ©berflaffenin.£iteraturlunbeIegtAlfons Bodoor, „Iffimits Quell". 18 ) 
3 n [einem [tattfi^en Umfang unö in feiner Anlage berührt es fid? mit öem oerroanöten 
ÖJer! oon ^eyötmann*KeUer, möglich, öaß es auch hier unö öa oon ißm beeinflußt 
ift, öoeß (teilt es im allgemeinen eine felbftänöige, eigenartige unö beöeutenöe 
£eiftung öar. Zttit Ciebe unö SIcife ift aus öem ganjen ©ebiet öer öeutfeßen Citeratur 
ein riefiger Stoff 3ufammengetragen, gefistet unö öer 3 eit nach überficßtlicß grup* 
piert. ©ne Befonöetßeit toitö feßon oon Anfang an öeutlicß unö oerftärft fidj noch 
gegen öas ©nöe hin: öas Überroiegen öes literatutfunölicßen Beiroerls, öer Beurtei* 
lungen, Derarbeitungen ufto. Das eigentliche literarifcße Quellenftüd tritt bahntet 
fehr 3urüd f oerfcßtDinbet bisroeilen fogar gä^licß. Bas liegt 3um Heil an öem Syftem 
öer Dertoeifungen, öas öer Herausgeber in Öen beiöen leßten Bänöen ähnlich tote 
oben ©>ers=IDal3 eingeführt hot, aber öo<h nicht öaran allein, öenn bei Hans Sachs 
3 * B. finöet (ich toeöer ein Quellenftüd noch eia Dettoeis, toohl aber ftehen öa ötei 
Stüde, öie fieß mit Hans Sadjfifcßer Dichtung befchäftigen, oon Hagen, &himm unö 
©oetlje. Ähnliches läßt (ich auch fonft feftftellen. So intereffant nun öie Abspiegelung 
einer Dichtung ober eines Dichters im Urteil anöerer für Öen Kenner ift, im Schüler* 
lefebudj erfcheint mir eine öerartige Überhäufung nicht am piaße, öenn hi« ift öoeh 
öie erfte Aufgabe öie, Öen Schüler mit Öen eigenen Augen feßen 3U lebten. Auch io 
einigen anöeten, minbenoießtigen Punften erfeßeintmir öas Buch oerbefferungsbeöürf* 
tig. Sn einem literaturfunbticßen Cefebud? follten alle Stüde mit genauefter Quellen* 
angabe oe^eießnet ftehen, öamit öer Schüler in felbftänöiger U)eife fid? roeiterbilöen 
lann. Bod gibt felbft bei Öen Quellenftüden feiten mehr als öen Derfafjer an. $emer 
oermiffe ich öie Hmtoeife auf öie billigen Citeraturfammlungen. Der Profabanö öes* 
felben Herausgebers 19 ) gibt 24 Profaauffäße, öie öie ©tftoidlung öes öeutfehen Dol* 
tes oom 18 . 3 ahrßunöert bis 3ur ©egenroart mit einem bayetifeßen Unterton be* 
hanöeln. 

Anöere literaturfunöliche £efebücßer toenöen (ich nicht an eine beftimmte Scßul* 
gattung. Ke hör ns ©nfüßrung* 0 ) ift in öer neuen Auflage offenbar unoeränöert 
abgeörudt. Das U)eri ift halb £iteraturgefcßichte halb £efebucß. Die gegebene übet* 
fid?t ift etroas fummarifch unö für einen toiffenfchaftlichen öeutfehen Unterricht heute 
faum mehr brauchbar, öa in öer älteren 3eit öie Übetfeßungen übertoiegen unö in öer 
neueren 3 eit öie getroffene Ausmaßl nicht ausreicht. Als prioatleftüre mag öas Buch 
nüßliche Dienfte tun. — ©nen Überblid über ein Sonöergebiet, über öie Dersöidjtung 

18) ntimirs Quell. £efebucß 3 ur Einführung in öie ©efeßießte öer öeutfcßen national* 
üteratur. Herausg. oon Alfons Bod. Uürnberg, $rieöri<h Komfdje Buchhanblung. I. Banö: 
Oon öer Urjeit bis 311 m (Enöe öes 17.3ahrß. 234 S. 1U. 2,90. — II. Banö: Deutfcße Dichtung 
öes 18.3ahth. 382 S. ITC. 2,90. — III. Banö: Deutfcße Dichtung öes 19. u. 20.3aßrß, 350 S. 
ITC. 2,90. 

1 9 ) Deutfcße profa. Itacß IKaßgabe öet allerßöchften Beftimmungen neu ßerausg. oon 
Alfons Bod. Dürnberg, Kornfcße Bucßßanölung. 190 S. 

20) Cefebucß 3 m Einführung in öie öeutfeße £iteratur. Ülufterftüde öeatfeßer Poefie 
unö Profa, aus Öen Quellen 3 ufammengeftellt oon Dr. Karl Reßorn. 8 . Aufl. Heuer Ab* 
«ud. $ranffurt a. ITT. u. Berlin, Illoriß Diefterroeg. 1. Abteilung: Don Öen Uranfängen bis 
3 um (Enöe öes 18.3ahrß. 345 S. 2 . Abteilung: Die Citeratur öes 19.3aßrß. 331 S. Sn einen 
Banö geb. IR. 4,90. 



794 


£iteraturberieht 1914: £eftflre 


bet Heujeit, vermittelt 6as „Deutle Dichterbud}" 21 ), 3ugleid} (Etgän3ung 3U bem 
£efebuch „Das Daterlanb". An ber Spitze fteht Cutter. Don ben alteren Dichtem 
finb nur bie wertigen, beren Dichtung Ijeute noch 3ünbet, aufgenommen; mehr als 
bie Hälfte bes Buches gehört bem 19 . ^a^unbert. Bei jebem Dichter ift ein glicht 
unb flüffig getriebener £ebenslauf fowie ein Porträt in £inienfchnitt voraus« 
gefdjidt. Die Auswahl ift gut unb enthält alles IDefentlidje. Urotj ihrer forgfältigen 
unb faeh&mbigen (Brunbiegung will fie wohl mehr tünjtlerijdje als wijfenfhaftliche 
tDerte vermitteln. — Die Überfidjt, bie R. Schule in 3roei Bänbdjen über bas nieber» 
beutfdje Schrifttum gibt 22 ), wirb fidjerlich mannen Spulen im nieberbeutfdjen 
Sprachgebiet toiHlommen fein. Die Auswahl ift mannigfaltig, ttejt unb (Erläuterung 
gewiffenljaft, bie Anorbnung überfidjtlich. Bei bet Derftreutheit bes IRaterials 
hatte bet Herausgeber mehr Arbeit, als bet Benutzer gemeinhin ahnt. IDenn nur im 
Unterricht mehr 3 eit wäre, berartige Ausflüge in lohnenbe Rebengebiete 3U machen.— 
Schröters ©eibelgebenlbuch 28 ) will butch eine Auswahl von etwa 70 ©ebichten 
bie Schule unb bie 3 ugenb 3U biefem neuerbings wieber mehr gefd}ät)ten Dichter 
hinfühten. ©ne warm gefchtiebene, von inniger Detehrung getragene (Einführung 
fchilbert ©eibels £eben unb Schaffen. $üt bie Prioatleltüre, befonbers für Schüler* 
vorträge, ift bas Heft 3U empfehlen.—Die Auswahl „Utobeme Rebnet"* 4 ) enthält aus 
einem engen ©ebiet nur einen feljt verengten Ausfdjnitt. flieht als bie hälfte öet 
Reben ftammen von Kaifet IDilhelm II., biefe 3eichnen fidj butch matfige Kütje 
vorteilhaft vor ben anberen aus. Bismard fcheint bet Herausgeber nicht mehr 3» 
ben mobernen Rebnem 3U 3ählen, er gibt nur ben beiben lebten Reidjslanjlem öas 
XDort, aufeerbem noch einem Staatsmann unb btei Ptofeffoten. Auf ©Läuterungen 
hat bet Herausgeber oet3iehtet, bod} bürften Publilum unb ©rt, wo bie Rebe gehalten 
ift, nirgenbs fehlen. $üt rhetorifdje Übungen unb Stubien wirb bas Buch nü^Iith 

Derfchiebene Sammlungen mit literarif ehern ©ut allgemeiner Art haben (ich fln ‘ 
gefammelt. IDeb er «Schillmanns £efebu<h 28 ) fcheint in ber neuen Auflage nicht 
nerbeffert 3u fein, trotjbem es bie Derbeffetung fo nötig hätte. Schwer ift es, über 
biefen Sammelbanb, bet fid} als eine Auslefe aus Ders unb Ptofa in fachlich« ® ru f 
pierung gibt, leine Satire 3U fdjreiben. ©ruppierung wie Auslefe finb in gleich« ® e ') e 
veraltet, ba3u lommt eine Rüdftänbigteit bes äftlfetifchen IDerturteils, bafj bas Bucfjin 
jeb et Be3iehu ng minberwertig genannt werben mufj. Befonbers fdjfagenb mim 

21) Deutfehes Didjtetbudj. ITtit Bilbniffen von Hebtv. IDeftphal. Kiel» ^'Pl' u5 , u ' 

750 S. ITC. 4,—. flbfdjlufebanb 3 um Cefebud} „Das Daterlanb" von £unb unb Suht. 

22) Rieberbeutfd)es Schrifttum einft unb jetjt. gür Sdjule unb H® us berausg. oon • 

Rubolf Schulje. ZRünfter i. R)., Afchenborfffche Derlagsbuchhanblung. I. Banö: D|“l 9- 
mit einem Bilb von Klaus ©totf). 239 S. 1,30 ITl. II. Banb: Profa, mit einem B» De w 
grih Reuter. 228 S. IR. 1,25. . . 

23) ©eibel»©ebenlbuch. 3um 100. ©eburtstag bes Dichters hftausg. non Rew 

Schröter. Rlit einem Bilbe (Emanuel ©eibels. Braunfdjtceig u. £eipjig, ^cümuWi w 
mann. 160 S. IR. 1,—. _ a 

24) IRobeme Rebner. AusgetvähU unb für ben Schulgebrauch h ewus 9* Don L 

£aubien. 1. Bänbchen. Bielefelb u. £eip 3 tg, Delhagen u. Klafing. Deutle Squlausg 
Rr. 157. 142 S. TR. 1,—■. . , nit) . uM 

25) Die IDelt im Spiegel ber Rationalliteratur. £efebuch 3 « Pflege nationaler • 
von Hugo IDeber. Reubearb. von Hermann Schillmann. 12. Aufl. £eip3*9 “• 
3ulius Klinlharbt. 478 u. 80 S. ©eb. RI. 1,80. 


4 



Don Karl ffrebner 


795 


[iteraturgejd}id}tfidje" Anfang. Die „Dieter bet neueften 3eü" beginnen 
offmann oon $alletsleben unb enben mit Baumbach; non Keilet unb IReyer 
i unb Anfang bucfaäblicfj fein IDott. — (Ein höchft erfreuliches (Begenftüd ba3U 
ottay in feinet Sammlung „(Barben unb Ktänje" geraffen 28 ), ein Buch, bas 
ünftlerifcfan tOerten im ebetften Sinne ringt, bas Sonnendem unb Schaffens* 
gleit in bie fjeigen oon Cefaetn unb Spülern tragen toill unb bas es fidj 3um 
;ftedt fat, in bet Schule unb 3U Haufe toiebet unb immer wieber mit 3 ntereffe 
>enu| gelefen 3U toetben. Sachlich otbnenb umfpannt es ben gan3en Kreis 
jli^er Sntereffen. 3 n feinen Beiträgen — 3umeift Profa, öodj fehlt aud} bie 
^tung nicht — berüdfidjtigt es bie beften neueren Scfaiftfteller, inbeffen treten 
?u>ei3er überragenb fatoot, unb aud? einige Auslänber fehlen nicht. 3 ahlteicfa 
ne IReifterbilber in farbig getreuer tOiebergabe, 3umeift aus bem Kunftwart, 
fen bas tDerf, bas 3U ben beften feinet Art gerechnet toerben mufe. — Aud? 
ets S^toanlfammlung 27 ), bie in eine burdjtoeg faitere tDett einführt, leiftet 
tifdjen Anfprüdjen (Benüge. Oie Bluten beutfdjen Humors aus ben lebten oier 
inbetten toerben, untet Austreibung alles Oetben, bargereidjt. Am Schlufe 
:n aud} btei Auslänber, Seroantes, Oidens unb RTarl Swain 3U tDort. Oie 
c3toeif}biIbet Bödlins finb bem luftigen Hone angepafet. — 3 m „3ugenb= 
rt" bet Btöber Sd}fipföter ftefa oiel mefa als bet Süel oerfpridjt. 88 ) (Es ift 
tgeber unb Hachfdjtagebud} für (Eltern unb (E^iefat unb erft in 3toeiter Xinie 
febuef} für bie 3 ugenb felbft. Oie brei Seile entfalten fefa oerfd}iebenartige 
: ber erfte Seil Dortragsftoff für $amilien* unb Sc^iilfefte, ber 3toeite Sieber unb 
mgen 3U Spielen aller Art, ber brüte einige fut3e Antoeifungen für f?anb= 
nten. Oa bie Herausgeber lebiglid} praftifdje 3 iele im Auge fatten, fo ift auf 
nnadfweife oe^iefaet. Als <5an3es ift bie Sammlung banfenswert, bie ein3elnen 
ge Iaffen öfter 3U wünfd}en. — 3 ®ri £efebüd}et für niebetlänbifcfa Schulen 
unter fid? eine ftarfe <Begenfätjlicf}feit bet Anlage. Pofers „(Bolbne DJorte" 2 ®) 
tt bie Siteraturfunbe, begnügen fid} ober mit einet Auswahl, bie etwas toill* 
erfefaint unb wohl burdj bie befonberen nieberlänbifcfan Derfaltniffe bebingt 
:üdfid}tigt ift nur bie Oersbid}tung; ber erfte Banb entfalt Proben oon DJalter 
■ Dogeltoeibe bis $reiligrath, ber 3toeite bie Dichter bes ausgefanben 19 . Jafa* 
ts. (Es finb alle bebeutenberen Cyrifet oertreten, freilich aud? manche te^t 
utenbe, unb bie ausgewäljlten Stüde finb oft wenig djatafteriftifch. Bio* 
m finb im Anfang 3U literarbiftorifcfan öberbliden gerunbet; aud? liier 3eigt 
in b er Bewertung Buffes unb Rubolf Het3ogs, bisweilen eine gewiffe fri* 

) (Barben unb Krän 3 e. <5ute Kunft unbXiteratur für Schute unb Heus, farausg. oon 
r Sotray. Ceip 3 ig, Aarau, IDien; (Ebwarb (Erwin RTeyer. 408 S. DT. 6,50. _ 

) Sacfanbe (Befellen. Suftige (Befd)id)ten, Sdjroänte unb Schnurren für 3 weiunbfünf 3 ig 
• Seierabenbe. IJlit Bilbem oon ffarlo Bödlin. H eraus 9- ®on ®tt° ©anfat. 

Dürrfdie Buchbartölung. 244 S. HL 3,—. 

) (Boibner 3ugenömorgen. (Eine Stofffammlung für Schule unb Kinbetftube mit 
:er Berüdfichtigung ber gamilienfefte unb Schulfeiern berausg. oon ben Celjtern ©., A. 
thlipföter. Hamburg, Agentur bes Rauben faufes. 304 S. RT. 2,80. 

I ©olbne RDorte beutfefar Dichter. Sammlung beutfdjet Sieber, Ballaben unb anöe* 
d?te aus älterer unb neuerer 3eit. Ausgewählt unb mit literarbiftorifchen Öberbliden 
: 3 en Dichterbiograpbien oetfeben oon Dr. ff. <E. pofer. 2. Aufl. Amfterbam, RIeulen* 
Io. 1. Banb 263 S. 2. Banb 268 S. 


796 


£iteraturberid)t 1914: £ettüre 


tifdje Befangenheit öes Herausgebers. Dagegen ift bas £efebudj oon tet Brügge' 
Koenen 30 ) nach päbagogifdjen ©runbfätfen angelegt, inbem es öie Schüler wm 
Ceidjten 3um Schweren führt. Dets unb Ptofa wechfeln in bunter Solge, öie Profa* 
ftüde finb 3Utneift aud; inhaltlich feffelnbe l&gählungen. Die literarifdje Höhenlinie 
ift red]t erfreulich; inr Anfang hettfchen ältere Sd)tiftftelier oot, fpäierljin begegnen 
aud; 3eitgenöffifche, bod) wäre eine mafjoolle Hlobetnifierung wünfchensroert. — Als 
Cefebud; unö Heimattunbe für öie Schulen in unfeter Kolonie Sübweftafrüa ift Doigts 
Sammlung gebacht. 81 ) Die Beiträge, bis auf einige ©ebidjte ausfdjKe&lich geographi* 
fcher unb gefdjicf}tlid}er Art, finb aus ben beften Schriften unferet jungen Kolonial* 
literatur ausgeroählt. 3<thlteiche gute Iteijbrude oeranfchaulichen ben 2ejt. D® 
Bud; eignet (ich recht gut auch für unfere Schülerbüchereien, boch finöct es hoffentlich 
nach bem tDelttrieg fein altes Arbeitsfelb toiebet. — Aus bem ©eifte öes großen 
Krieges heraus geboten ift bas „Cefebuch für öie Deutfdjen" oon Alfreö £>önger. st ) 
3 n eigenartiger IlTifchung gejd]id)tlicher unb Iiteratunoiffenfchaftlicher ®ejid)fe' 
punfte gibt es einen flbetblid über bie lebten 3toeihunbert 3 ah te beutfcher ©eiftes* 
gefehlte mittels literarifdjer (Quellenftüde. Das Buch ftammt aus bem Kreife bes 
berühmten £eip3iger Hiftoriters Katl £ampre<ht, ift oon ihm perföniieh angeregt un 
3unäd;ft als eine Etgän3ung 3U bem „Deutfdjen Aufftieg", bem lebten DJetle öes leibet 
3U früh Derftorbenen, gebacht. Der llejt ift fachtunbig unb fehr geroiffenhaft gearbei et, 
mit fortlaufenben tnappen etflätenben $uf)noten oetfehen unb butch einen flnjjcin? 
ergän3t, ber aujjer bem <QueUenoet3eichnis noch biejenigen Schriften 3ufammenftw 
bie ein tieferes Einbringen in bas behanbelte Stoffgebiet oerftatten unb 3ugleid) W 
3ü befchaffen finb. So ift ein wirtliches „Dolfslefebuch" 3uftanbe gefommen,öassaue« 
benen, bie nach roahrhafter Bilbung ringen, in biefer ernften 3 eit als eine Einführung 
in bie gefdjichtlich geworbene ©eiftes* unb ©efühlsroelt unferes Dolles befon er 


roiUlommen fein toitb. t ... 

3um Sdjlufe noch einige Ktiegslefebücher. Die IDirtung bes IDelttrieges’ au f 
Oteratur ift augerorbentlich unb 3 UQeit noch taum überfehbar. Daher müffen 
Derfudje, bie Kriegsliteratur heute fchon für bie SchuUeltüre ein 3 Ufangen, in 
ober weniger Klüngel aufweifen. Da aber anberfeits ohne 3®eifel bas Be ut r~ 
nach öiefer Art Ceftüre fehr gtofc ift, fo wäre es falfdj, fie nun in Baufch unb B°9 e ” 
oerwerfen. Klan mufj biefe Büchet nehmen als bas, was fie finb, als 3 eiterfchewung^> 
bie einer Übergangs 3 eit bienen wollen unb baljer auch nut ootübetgehenben e 
fifcen. Das bauetnb tDertoolle wirb eine fpätere 3eit ausfonbetn. Kriegsanhang ^ 
Ergänjung 3 U ihrem £efebu<h hu^en bie Herausgeber ©oers*tDal 3 *Kühne |U 
Unterüaffen beforgt. 88 ) Die beiben mir oorliegenben Heftchen fdjeiben 

30) Duitfch £eesboe! ooor TXebetlanbfche Scholen öoor B. 3 -tet Brugg« ^ 
Koenen. flmfterbam, 0). Dersluys. — Eerfte Deeltje, achtfte Brut. loO . !• * 
Etoeebe Deeltje, }esbe Druf. 154 S. f. 0,75. — Deetbe Deeltje. Dijfbe Dorf. 

31) Deutfeh *Sübmeftafrila, £anb unb £eute. Eine Heimatfunbe V» »JU, 

3ugenb unb Doll. h erau sg. im Auftrag bes Kaifetlichen ©ouoernements «2,50. 
Sübroeftafrita oon Bernljarb Doigt. Stuttgart, Streder u. Schreibet. 11 1 

32) jeugniffe 3 um beutfdjen Aufftieg 1750—1914. Ein £efebu<h für 

Hach Karl £ampred;ts gleichnamiger Schrift herausg. oon Dr. Alfteb h° 9 
Stiebridj Anbreas Petthes. 259 S. HX. 2, — . foew 

33) Aus bem tDelttrieg 1914/15. Anhang 3 U bem beutfehen Cefebutq w o l0 . 
tD al 3 . £eip 3 ig, B. ©.Eeubnet. 1. für Sejta. 16 S. HX. 0,10. 111. für Quarta. & » 


f: 


V 



Don Korl dtebner 


797 

pocfie unb bringen in jeber Abteilung öie gleite flnja^l non Stüden. Die anbern 
Büf^er finb, foniel ich fehe, an fein beftimmtes Cefebud? gewiefen. (Einen recht guten 
(Einbrud macht bas Bänbcfjen „Kriegslefeftüde", beren Herausgeber nid# genannt 
ift. 34 ) Die gerollten Stüde finb frifd/ unb anfchaulich, bie ©lieberung ift überfichtlich, 
nur bie Dichtung ift etwas 3U ftiefmütterlich beljanbelt. — ®anj ähnlich angelegt finb 
Kappey=Kodjs „Cefeftüde". 36 ) Sie umfpannen genau ein 3 afjr; ben Sdjlufe bitbet ber 
lefyle rounberoolle <Erlafe bes Kaifers nom 31 . 3 uli 1915 bei ber Dollenbung bes erften 
Ktiegsja^res. fluch Ijier ift bie Dichtung ftreng gefiebt unb überhaupt bie literarifdje 
Auswahl geroiffenljaft beforgt ; bie Quellenangabe fönnte forgfältiger fein.—Ptaftifcb 
in Heftform erfdjeint bie Sammlung „£ieb Daterlanö" 3 ®); baburch roitb bie flnfdjaf* 
fung bem Spüler etwas erleichtert. 3ebes Heft bilbet eine Heine (Einheit für jidj, ift 
mit einem Hol3fchnitt gefchmüdt unb bringt 3umeift Profaet3ählungen. — ®an3 aus* 
f<hlief}lid} auf Profa bejdjtänft fidj tDünfches Kriegslefebuch- 37 ) (Es finb Zahlungen 
unb Sfi33en, wie fie bie 3eitungen in biefen Hlonaten faft täglich gebracht hoben. 
IDurtfcfje hot bas Befte 3ufammengeftellt unb georbnet; fo finb 3wei red# anfptedjertbe 
Büchlein 3uftanbe gefommen; bas 3weite fet# bas erfte fort, öod? ift bie 3eitfolge nicht 
ftreng innegehalten. — £ebiglid) Dichtung in Detfen bringt H- $ifcher. 38 ) 3 ugtunbe ge* 
legt würbe eine Sammlung non ©ebid#en, bie Berlinet Kinber in ben erften 
Kriegsmonaten 3ufammengetragen unb gelernt hotten, hoch fanb ber Herausgebet 
nur einen Bruchteil baoon brauchbar unb ergän3te bähet ben Beftanb aus anbem 
fdjon gebrudten £ieberfammlungen. Bemerfenswert ift bas Kapitel „Kriegshumor", 
bas leiber feljr fut3 ausgefallen ift unb eine (Erweiterung uerbiente. Die ©lieberung 
ift wenig überfidjUich. — Alte unb neue Kriegsliebet oereint hot 3 - Rabtfe 39 ), bod? 
9teift er nur bis in bie $reiheitsfriege 3urüd, gibt alfo bie friegerifche Dichtung 
bet leisten hunbert 3 ahre. Dabei überwiegt bie ©egenwart burchous; non ben 70 £ie* 
bern gehören ihr etwa 3wei Drittel an. Die Heine Sammlung will auf Het3 unb ©emüt 
ber 3 ugenö wirfen, barum ift befonberet IDert auf bie Sangbarfeit gelegt unb auch 
oolfstümiiches ®ut aufgenommen; im leitetenPunfte fonnte noch mehr gefdjehen.— 
3 n fehr fchmudem ©ewanbe fommt bie Sammlung „Deutjchlanb über alles" 

34) Ktiegslefeftüde. (Etlebniffe unb Datftellungen aus Öen erften acht Hlonaten öes 
IDeltfrieges. Herausg. für £ehter unö Spüler als (Ergänjung öet £efebüdjer. Breslau, 
Setöinanö Hirt. 128 S. HL 0,50. 

35) Cefeftüde 3 um IDeltftieg. ©eöichte, (Etlaffe, Briefe unö Säuberungen aus öem 
erften 3ahte öes Krieges. Herausg. non 6 . Kappey unö H- Koch- Honnouer, (Earl 
^er. 126 S. Hl. 0,50. 

36) £ieb Daterlanö. Kriegslefebuch. Berichte über (Etlebniffe in Selb unö Heimat. (Er* 
9ön3ungen 3 U Öen £efebü<hetn öer Schulen. H e *«usg. non (Ernjt (Thiene. Dresöen, darf 
fiblers Buchhanölung. Das Heft 32 S. HL 0,25. 1 . Heft: 3ft (Bott für uns, wer mag wibet 
uns fein? — 2 . Heft: Das Dolf fteht auf. — 3. Heft: Kleine Kriegsfahrt öurch Belgien nach 
Stanfteicfy. — 4 . £)eft: Kämpfen unö Ringen auf ftänfifchet (Eröe. — 5. Heft: Unö öennoch 
Weihnachten. 

37 ) Kriegslefebuch über Öen Krieg 1914 / 15 . Sammlung öer beften Kriegseqählungen. 
Als Dorlefebuch für Öen Schulgebrauch herausg. non AIwinlDünfche. £eip3ig, Srieörich 
Branbftätter. I.Banö 180 S. Hl. 1 , 50 . — II. Bcmb 179 S. Hl. 1 , 50 . 

38) Aus eherner 3eit. Daterlänöifche £ieöer unö ©eöichte aus öem IDeltfnege. $üt 
ben Schulgebrauch ausgewählt non £. H- SU® er * Berlin, £. ©eljmige. 80 S. W. 0,40. 

39 ) Alte unö neue Kriegslieöer. güt öen Schulgebrauch gefammelt non Dr. J. Rabtfe. 
Breslau, Setöinanö Hirt. 6 .-,Aufl. 80 S. HL 0 , 30 . 



798 


£iteraturberid)t 1914: Ceftüre. Don Karl (Ercbner. — Mitteilungen 


ooit MüUet'Rüöersöorf baher 40 ); bod) untetf<he»bet fie ftd) inhaltlich nidjt 
toefentlidj oon Öen anbeten: übetroiegenb literarisches Stranbgut. Die (Bebidjte, 
bie bet Detfaffer aus eigenem Detmögen beigefteuert hat, tragen auch nidjt fonbetlidj 
3ut Detbeffetung bei. (Eine gute Hatte oon Mitteleuropa hilft bas ©elefene oetan* 
jdjaulichen. Die gleiche Anlage 3eigt eine Heinere Sammlung besfelben Detfaffers 
„Mit h«i3 unb fjanb" 41 ), unb audj ein3elne Beiträge aus bem größeren Budje finben 
fich im fleinen toiebet. Beibe Bücher finb mehr 3um Detfdjenfen als 311t Klajjen* 
leftöte geeignet. — ©an3 anbets geartet, etnftet gerietet unb gtünölidjer gearbeitet 
ift bas Kriegslejebudj oon £emb!e*So^ntey. 4 *) <Es berührt fich mannigfach mit 
ben oom preufeifdjen Canbesgeroerbeamte hetausgegebenen ftaatsbütgetlidjen Be» 
Ieljrungen füt $ottbilbungsfdjulen unb ift toofjl audj für biefelben Kreife unferes 
Dolles beftimmt. AHetbings oernadjläffigt es audj bie äftijetifdjditerarijdje Seite nidjt, 
es toill auch bem ©emüt etroas bieten unb hat baljet audj ©ebidjte unb (Eqäljlungen 
aufgenommen. Aber tjauptfadje roat ben Herausgebern doch bi« Belehrung. 3 n bet 
(Erlenntnis, bafj bet 1 . Auguft 1914 eine TDeltroenbe, nicht nur im Dölfetieben, 
fonbent auch in Millionen <Ein3elleben bebeutet, foll bet Übergang 3U ben neuen 
jchtoierigen rDirtfdjaftlichen unb fo3iaIen Dethältniffen but<h breitefte Aufflänmg ber 
Maffen erleichtert roetben. So toitb bas Buch audj 3U einem Rüftmittel fürs Durch* 
halten. (Es ift ein prächtiger, gefunbet ©eift, bet fich h* et ausioirft, unb mir oertrauen 
ihm, baf) et uns roie im Buche fo in IDirflidjIeit burch alle Röte „3um guten <Enbe 
fühten toitb. 


Ittitteilungen. 

Deutfdje (Erjieljung. Mit ganj befonberer $reube roeife ich auf eine Sdjnftb* 5 ® res ’ 
lauer Prooin 3 iaIfdjulrats Ej ermann Jansen ljm: „Don beutfdjer Sdjule unb (Eqteljung 
(Berlin 1915, IDeiömann. 63 S. ITC. 1 ,—). fjier finbet man in mafcooller aber über 3 eug c n* 
ber Sprache 3 ufammengeftellt, was all unfer $orbern nadj einer beutfdjen höheren 5d?u 
umfaßt, bie Derftänbnis für beutfdje Art unb beutfdje IDerte, Achtung unb £iebc für [u 5 
roedfen (oll. Klar werben bie IDege ge 3 eigt, wo eine (Erweiterung unb Dertiefung im Deut|dp 
unterricht, aber audj in ber Dorbilbung ber Deutfdjleljter einfetjen mufe; wie bann alle an ete 
Sädjer unter nationalen <5efidjtswin!el 3 U {teilen finb unb babei audj Kunftgefc^iajte un 
unmittelbarfte Ejeimattunbc nidjt 3 U tur 3 fommen bürfen, wie audj ber altfpradjli<h* un 
ric^t 3 ur Kenntnis unferer Dorfaljren beitragen tann unb follte (3orbanes, Paulus Diaeon » 
©regor o. Gours, (Einljarö, ®tto o. Steifing, tDaltljarilieb). (Bnblid} wie eine Dertiefungi 
biefer Deutfdjfunbe möglich ift, ohne baf$ bie alten unb bie neueren $rembfpradjen i?te 
fentlidjen 3icle aufgeben müffen. (Ein Budj, bas Kriti! unb Aufbau erfreulich Derbino« 
beutlidj 3 eigt, wie eine ruhige IDeiterentwicflung 3 ur beutfehen Schule ber 3 u u |t, t t i " 
fann, ohne Umftur 3 unb ohne Aufgabe oon XDertoollem. 

Sür bas Hingen um biefe Schule, um beutfehes tDefen überhaupt, will ^ 

thias eine Hüft fammer auftun, „aus ber Alter wie 3ugenb, (belehrte unb Ungelehrte, u e ip 

40) Deutfdjlanb über alles. 1914—15. Krtegslefebudj füt Schule unb h aus - 
oon ID. ITCüller*Rübersborf. ITCündjen, $i. Seybolbs Derlagsbudjhunötoncj. 

41) Mit f ) er 3 unb fjanb. (Ein fj e tbenbudj 3 um IDeltfriege. Der 3 ug«ub 

oon Wilhelm MüIler*Rübetsborf. Mit 8 Kunftbeitagen. Mündjen, $r. s< B Ml 
lagsbudjhanblung. 84 S. M. 1 ,—. - fflb(t 

42) Sürs Daterlanb. Kriegslefebuch für beutfehe Sdjulen. Ejcrausg. oon S*- 
u. tj. Sohnrey. Berlin, Deutle £anbbudjl)anblung. 256 S. M. 1,50. 


ITtitteilungtn 


799 

- «Ile, j>ie benfenb an ber Dertiefung beutfdjen IDefens mitatbeiten wollen, bie roiffenf^aftli* 

, j begrünbete ©ernähr füt bie Rid)tigleit ißres Sühlens unb IDoIlens mitnehmen fönnen " 
... So fteüte et ein Büchlein 3 ufammen: „Der öeutfcße ©eban!e bei 3atob ©rimm" (Ceipjig 1915, 
Doigtlänber, IR. 2 ,—), in bem mir in bes flltmeifters eigenen IDorten 3 uetft allerlei über fein 
' Ceben hören unb bann feinen ©ebanlen über Daterlanb, Staat unb Stänbe, Sprache unb 
Dicf)hmg, Dollstum unb Sittlicßteit, Bilbungsroefen, IDiffenfrfjaft unb ©laube, ©ott unb 
Hatur nachgehen bürfen. Der Herausgeber hat einiges <frgän 3 enbe über ©rimms £eben 
unb ein feines Kapitel übet ©rimm unb feinen Stil hin 3 ugefügt. So ift bas ©an 3 e ein rechtes 
©ermaniften», nein, ein beutfches tjausbreoier, recht geeignet für biefe 3eit bes Ringens. 

$üt bie Deutfdjtunbe auf bet Schule forbert ©. Sdjopen auch „öeutfdje Stämme* 
tunbe als Kriegsergebnis für bie ©berftufe bes ©ymnafiums" (Pharus, VI. 10 . Heft. S. 343 ). 
Sie foll bas IDerben bet Stämme, bie romanifchen Be 3 iehungen bet Sübbeutfchen, bie flcroi* 
fchen ©nflüffe bei ben Rorbbeutfchen tlarftellen unb 3 um gegenfeitigen Derftänbnis aller 
Stämme führen, ©b man biefet Stammesfunbe einen befonberen Raum im ©efcßichts* 
unterricht anroeift, ober ob man im beutfdjen unb ©efchichtsunterricht bie ©elegenheiten 3 U 
Hinroeifen benußt — jebenfails mirb man auf fie mehr achten müffen als bisher. 

fluffaßunterricht. Dom gebunbenen 3 um freien fluffaß — ober umgelehrt? fragt 
©mft £ ü 11 g e (Die beutjcße Schule. 19.3g. 1915. Heft 6 . S. 379). <£t oerroirft ben feßt beoo^ug* 
ten IDeg, roeil er eine Dertoilbetung bes Stils fürchtet. Ulan gehe uom gebunbenen fluffaß aus, 
ba ber Durchfchnittsfchüler planmäßige Übung 3 ur Bemeifterung ber technifchen unb fprach* 
liehen Sd;roierigleiten braucht. Der gebunbene Ruf faß muß bei rechter Rrbeitsmethobe teines* 
»egs 3 ur fprachlichen unb geiftigen Unfelbftänbigteit führen. Daneben pflege man ben pet* 
fonliehen Stil burefj münblidje Sprachpflege unb ab unb 3 U burch freie Rieberfchriften; in ben 
leßten fahren bet Dotfsfchule roirb fid) bann auch freies fchriftlidjes Darftellen e^ielen laffen. 
(Sät bie höhere Schule ergäbe fich öataus immerhin, baß man bort mit freien Ruffäßen be* 
ginnen foQte.) — Be 3 iehungen bes 3 eidjnerifchen unb fprachlichen flusbruds bei Schülern 
erörtert $. fl. Schlachter. (Bayr. 3tfchr. f. b. Redfdjulroefen, Bb.23,1915. Heft 5/6, S. 100 .) 
Da man Rnfdhauungstraft braucht 3 um fprachlichen unb 3 um 3 eid)nerifchen flusbtud, fo 
forbert bas 3eidjnen bie flareDorfteüung. Datum follte man nicht nur ben iiluftrierten Ruffaß, 
[onbern auch öie fpradjlich erläuterte 3ei<hnung 3 m Schulung ber flusbrudsfäßigleit benüßen. 
—Den übungsauf faß auf ber mittel* unb ©berftuf e bes £y 3 eums beßanbelt Rima Steinbet g. 
(Stouenbilbung, 14. 3 g. 1915. Heft 9 . S. 315.) 

Sür ben £iteraturunterricht geben IDertDoIIes: Karl H°Hi Das beutfche CuftfpieL 
®ne gefdjichtliche ©ntmidlung. (Reue 3bb. f. Phil. 35. Bb. 1915. 7. Heft. S 453.) ©mft 
jjlttaß, ©oethes ©eheimniffe unb IDahtoerroanbtfchaften (ebenba 5: Heft, S. 312). Reinßolb 
f.? 1 ”' Dlnemotechnifche Hilfsmittel im ©efdjichts* unb £iteraturunterricht. (Rlonatsfd)r. f. 
pol).Sch. 14.3g. 1915. 7.Heft. S.327.) ©arl£ ö ro e r, 3urSchlußf 3 ene besSauft. ( 3 bb. 35.Bb. 

8 - Heft S. 542.) 

£eltüre. „Beiträge 3 m IDürbigung beutfeher ©ebichte" nennt IDilhelm Steffen ben 
oeaqtensmerten Derfud), an ein 3 elnen ©ebichten 3 U 3 eigen, roie man bie Schönheit nicht nur 
mhlbar machen, fonbem auch beroeifen !ann. (Reue 3f»b. f. päb. 36. Bb. 1915. 5. H e ft. 
.240.) ©benfo roertooll ift bet hir 3 e Bericht Paul Rtenges, roie er im flnfdjluß an bie 
Kauber Dürers „Ritter, ©ob unb ©eufel" ben Schülern nahegebracht h«t als 3 ei<hen einer 
für die 3eiten lebenbigen Kunft. (<£benba. S. 276.) — Heinrich 3 anfenlegt bat (Die Sffoe 
im beutfeßen Unterricht ber IRittelftufe. 3tfcht. f. läteinlofe höh- Sd). 26.3g- 1915. 4. u. 5. 
H*ft) roie fid) überall bet Unterricht burch (Karten*)Sfi 33 en oertiefen laffe. IDenn er bies für 
‘Offe aus ber (Erb*, Doller* unb Raturlunbe foroie füt gefcfjirfjtlidje ©gäljlungen empfiehlt, 

J? * euc hiet bas eih; bebenflid) aber fcheint es mir, roenn er fie aud) hetan 3 iehen roill bei ben 
ebid)ten unb Baflaben, „beten Schaupläße roeniget belannte ©rte ober ©egenben finb, 
c n. * nttDe & ei ausführlich befchrieben ober nur allgemein angebeutet (!) unb in bem ©ebichte 
|e»ft nicht ausbrüdlich angegeben finb!“ ©b nicht ber Dichter oft bie bloße flnbeutung gerabe 
oeabficHtigt hat! Soll man roirflid) für ben ©aueßer, für Bertranb be Born unb gar beim 
aomgsftuhl 3 U Rßenfe bie ©rtlichleit an bie ©afel 3 eicßnen? 3d) halte bas füt eine große ®e* 
f«h r , bie auch 3 anjen ahnt, roenn et not einet regelmäßigen flnroenbung roarnt. 

St hule unb Krieg. Über bie gleichnamige Sonberausftellung im 3 entralinftitut für 



800 


IRitteitungen 


(E^iehung unb Unterricht in Berlin berietet eine ausführliche Betreibung mit 49 ttajeh 
(Berlin 1915, ©eibmann, geh- ITC. 3,—). (Es ift unmöglich, hier all 6 ie (Ei^elauffäfce bes 
äu&erft lehrreichen Buchs 3 U oerfolgen,* nur ein paar Bemerfungen 3 U Öen Kapiteln 
über Öen beutfdjen Unterricht mufe id} anfügen. Die Kriegsöiftate Iaffen nach Kati £oif ei* 
fennen, „bafe fogar öer Diftatunterricht an 3 iehenö fein fann unö toie öurch unmittelbare Be* 
3 iehung 3 ur ©irflichfeit unö öurch roahrhaftige Selbftbetätigung öer Schüler auch öas fprö* 
öefte Unterrichtsfach lebensooll unö erfreulich wirb". Ulan hat nämlich öie Schüler beim Huf* 
finöen öes Diftatftoffs (auch 3 ur (Einprägung ein 3 elner Hegeln) in weitem IHafee 3 ur lUitarbeit 
herange 3 ogen. — Heftor (bramberg wenöet [ich bei öer Befpredjung öer Kriegsauffäfce in öer 
Dolfsfdjule gegen öie unterriältlich beöingten Huffähe: Schlagroortthemen (Der Schützengraben, 
3m £a 3 arett) fotoie gefchidjtliche unö eröfunöliche lehnt er ab, am geeignetften [feinen öie 
SdpGhemen. jeöenfalls mufe öer Kriegsauffah ein wahrhaft freier Huffafc fein. Daran mu(j 
man öenfen, wenn man Prof. Reichs Beridjt über Kriegsauffähe in Öen höheren Schulen 
lieft. Huch hi er roerben mit Hecht öie 3dpdh* men beoor 3 ugt. gür höhere Klaffen mirb aber 
wiffenfchaftliche Dorbereitung angeftrebt. Da ftoefe ich fchon: ift „Die Strategie hmbenburgs" 
ein Primanerthema? ober „Richtlinien öeutfeher ©rientpolitif"! Das ift öer unfreiefte Auf* 
|atj, öas Hachfprechen in fchlimmfter (beftalt. Aber es fommt noch Keffer: „Dennoch geling 
es nicht feiten, felbft bieKriegsauffähe unferer Primaner mit ihrer weit ausholenöen (beöanfem 
entwidlung gleichfalls in öie $orm perfönlidjen (Erlebens 3 U fleiöen. Soll 3 . B. ein Primaner 
über Öen Heroismus unferer Kriegsfreiwilligen fprechen (öas foll er überhaupt nicht!) fo 
reöet er nicht etwa abftraft über Öen Heroismus im allgemeinen unö öen öeutfehen heroismus 
im befonöeren, fonöem es wirö oorausgefeht, ihm fei ein lieber Kameraö im Sturm auf Dip 
muiöen gefallen unö er hält eine Reöe am offenen ©rabe!" IKeine fehr oerehrten h^ cn 
Kollegen, ahnen Sie öenn überhaupt nicht, was Sie hie* foröem, welche Unroahrbaftigrcit 
Sie grofniehen? IDenn ich, nach über einem 3ahre, öaranöenfe, wie mein nächfterKamcMO 

neben mir fiel unö wie ich ihm öie Augen 3 uörürfte, öann weröe id? ftill unö mache öte[e (w 
innerung gan 3 allein mit mir ab. Sie aber laffen einen 3 ungen, öer nichts, gar nichts oauon 
erlebt hat, öarüber einen Huf Jah fchreiben, 3 war nicht abftraft über heroismus I, 
gorm perfönlichen (Erlebens!! (Es ift 311 m ©einen. Hber nicht genug öamit, es l?ejB 
öann weiter: „oöer ein Primaner fdjreibt einen Brief an feinen Dater mit öer aus tiqt 
Seele fommenöen (!!) unö ausführlich begrünöeten Bitte, ihm Öen (Eintritt ins h ecr , 
freiwilliger 3 U geftatten, obwohl er noch D ' cl 3 U i un 9 unö öer einige Sohn ift!" ^ crr 
(Entweöer, öer 3unge hat feinen Dater wirflich gebeten unö öieJ3itte hat ihm nicht erpm 
werben fönnen — wollen Sie öann alles noch einmal in ihm aufrühren, glauben Sie, oafj 
Sie öann mirflich in fein 3nneres bliefen läfet unö einen wahren Brief fchreibt? ©öer '.a » 
er hat feinen Dater nicht gebeten: foll er öann eine „aus tieffter Seele 
fdjreiben, wo feine Seele ihn geraöe nicht geörängt hat, ift öas nicht UnwahjtyW , 
■' fchlimmfter gorm? Unö öas foll perfönliches (Erleben fein ! Das [oll öie ftrenge Selbftene 
nis fein, 3 U öer wir unfere 3ugenö im Krieg er 3 iehen! Difficile est. *»! w n 

Doch 3 U (Erfreulicherem, rote es uns Kati £otj über öie Kriegstagebücher oer gr 0 
unö fleinen Schüler berichtet ober wie es däfar glaifdjlen aus unferer Kriegslynf t?er » 
öie ihm ein 3eichen unferer Dollsbilöung ift unö öer Beweis, wie hoh* Hnforoerunge 
heute an wahre „Kunft" ftellen öürfen. Die angefügte Auswahl uon Kriegsgeötdjte W. 
mir allgemeiner Beachtung wert, ©eiter fei hingewiefen auf öie Berichte über mt g»3 
nungen, Krieg unö jugenbliches Seelenleben, 3ugenbbüdjer unö Kriegsliteratur. 

(Eine £ienharöehrung befonöerer Hrt hat öie 3eitfd)rift „Bühne unö w*“ 1 ^ 
3ahrg.) mit ihrem ©ftoberheft geboten. (TTI. 0,60.) Das gan 3 e heft ift 
öamit auch öer beutfdpaufbauenöen Richtung, öer er immer gebient hat unö öere 5 ^ 
uns in öiefem Kriege blühen, ©ir haben in öiefem 3g. (S. 277) auf öas c eien 

£ienharö öer Schule bieten fönnte unö lenfen Öen Blic! jetjt gern auf öies 
reiferen Schülern ein Bilb öeutfehen Ringens bietet. Huch unferen greunöen _ 
genoffen im gelbe werben wir mit öiefem in fid} abgefdjloffenen h e f* 5 tcu ° e un 
bringen. 


Sür öie Cettung oetantoottlid}: Dr. fjofftattter, Orest»en21, fibltt. * 

Alle IKanuffriptfenbungen finö an feine Hnfchrift 3 U rieten. 





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OCT101968 5 


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LOAM P £PT - 

BEC. C 1 R. MAR 19 75 


LD 21A—40m-4,’63 
(D6471 bIO ) 476B 


General Libra ry 
University of California 
Berkeley 







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